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Die deutsche kommunistische Emigration in Moskau

Nach der Machteroberung der National- munistische Emigration, die „Politemi- sozialisten in Deutschland 1933 wurden granten“, flüchtete seit der verschärften die Kommunisten als Erste verfolgt. Die Unterdrückung der KPD in Schüben ins Funktionäre der KPD, der Kommunisti- Ausland, auch in die Sowjetunion. Bis schen Partei Deutschlands, versuchten 1935 gab es europaweit etwa 10 000 kom- nach dem Reichstagsbrand die Partei ille- munistische deutsche Emigranten. Da gal weiterzuführen, doch rasch erfolg- mit , und ten umfassende Verhaftungen, und expo- Friedrich Heckert seit 1935 die eigentliche nierte Kommunisten mussten flüchten. Führung der KPD in Moskau residierte, Die Hauptexilländer der KPD waren wuchs dort die Zahl ihrer Mitarbeiter bis Januar 1935 zunächst das Saargebiet im Parteiapparat und damit auch das (800 KPD-Emigranten), die Tschechoslo- kommunistische Exil in der UdSSR. Die wakei und Frankreich. Da die deutschen Spitzenfunktionäre wurden zum Teil zu- Kommunisten seit den Zwanzigerjahren sammen mit Angehörigen im Moskauer fest auf die Sowjetunion eingeschworen Hotel Lux einquartiert. Das Schicksal der waren und als „Sektion“ der Kommunis- deutschen kommunistischen Emigration tischen Internationale, der Komintern, war mit diesem Haus verknüpft, und es keine selbstständige Partei, sondern ein kann als symptomatisch für die Verhält- Teil der von Moskau aus geleiteten „Welt- nisse der deutschen Kommunisten im partei“ waren, fanden besonders gefähr- sowjetischen Exil zwischen 1933 und 1945 dete deutsche Kommunisten Zuflucht in gesehen und beschrieben werden. Aller- der Sowjetunion. Dafür gab es allerdings dings hatte das Hotel Lux schon früher als strenge Regeln, denn nur mit Einwilli- eine Unterkunft der Komintern für alle gung der Komintern und des Sowjetstaa- kommunistischen Parteien, insbesondere tes durften Flüchtlinge in die UdSSR emi- die KPD, erhebliche Bedeutung, die zu- grieren. Doch im Zuge der Fünfjahres- nächst zu schildern ist. pläne mit der Industrialisierung Sowjet- russlands kamen deutsche Facharbeiter Legendärer Ruf bereits seit Ende der Zwanzigerjahre zum Zwischen den beiden Weltkriegen besaß „Aufbau des Sozialismus“ in die UdSSR, das Moskauer Hotel Lux einen legendä- darunter befanden sich zahlreiche Kom- ren Ruf. Für die führenden Kommunisten munisten. Mit dem Machtantritt Hitlers in aller Welt galt es als eine wichtige Sta- und der Verfolgung der Kommunisten tion, als sichere Zuflucht bei Verfolgungen stellten diese nun einen beträchtlichen in ihren Ländern oder auch bei Besuchen Teil der deutschen Emigration. Sie lebten in der Sowjetunion. Viele Antikommunis- sowohl in den neu aufzubauenden Indus- ten sahen im Hotel Lux das Hauptquartier triegebieten als auch in Moskau und Le- des gefährlichen „Generalstabes der Welt- ningrad. Die eigentliche deutsche kom- revolution“. Die Spitze der Kommunisti-

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schen Internationale, der Komintern (1919 von erschienen. Als bis 1943), hatte ihren Sitz zwar in Moskau, „Quartier der Kommunistischen Interna- aber residierte nicht im Hotel Lux. tionale“ weithin bekannt, beherbergte es Mit ihren Sektionen war die Komintern von Mayenburg zufolge „Dimitroff, Ernst eine straff organisierte „Weltpartei“. 1928 Fischer, Ho Tschi Minh, Pieck, Rakosi, gab es vierzig Parteien mit 1,6 Millionen Slansky, Dr. Sorge, Tito, Togliatti, Tschou Mitgliedern, 1935 61 Parteien mit 3,1 Milli- En-lai, Ulbricht und Wehner“, also welt- onen Mitgliedern. Die sowjetischen Füh- berühmte Kommunistenführer. rer dominierten rasch, sie gaben im Lei- tungsgremium, dem Exekutivkomitee der Konspiratives „Absteigequartier“ Kommunistischen Internationale (EKKI) Das legendäre Hotel, um die Jahrhun- in Moskau, den Ton an, denn von der Sow- dertwende von einem reichen Bäcker jetunion, ihrer technischen und finanziel- namens Filippow errichtet, wurde nach len Hilfe hing die Komintern stets ab. Alle der Revolution 1917 von den Bolschewiki kommunistischen Parteien waren auf die übernommen. Ursprünglich war das Haus Sowjetunion fixiert, sie war ihr Vorbild vier Stockwerke hoch, in den Dreißiger- und damit die entscheidende Autorität in jahren erhielt es noch zwei weitere Etagen. der Internationale. Kommunisten hatten – Der Eingang des stattlichen Gebäudes war wie KPD-Zeitungen schon 1924 schrieben mit zwei größeren Säulen geschmückt, das – „nur ein Vaterland und eine Heimat, das Eingangsportal überdacht. Seinen Cha- ist Sowjetrußland“. rakter als konspiratives „Absteigquartier“ Somit bildete Moskau das Zentrum, das der Weltrevolutionäre bekam es, als 600 Mekka der ausländischen Kommunisten. ausländische Delegierte aus 52 Ländern, Ob sie nun als formale Vertreter ihrer Par- darunter 41 Deutsche, im Zuge des III. tei länger oder kürzer zum EKKI gehör- Weltkongresses der Komintern im Juni/ ten, in seinem umfangreichen Apparat Juli 1921 darin gemeinsam untergebracht wirkten, sich als Delegierte zu Kongressen werden mussten. Von nun an wurde das aufhielten oder aber als Verfolgte aus ih- Hotel Lux gerade für deutsche Kommu- ren Heimatländern geflohen waren – alle nisten zu einer schicksalhaften Bleibe, nur mussten beherbergt werden, brauchten wenige Personen seien hier genannt. eine Unterkunft. Den internationalen Zunächst waren es Parteiführer, die Funktionären stand dafür viele Jahre das schon vor dem III. Weltkongress dort lo- Hotel Lux zur Verfügung. Der Arbeitssitz gierten. Im Januar 1921 reiste Kurt Geyer der Komintern, die Büros, von denen aus (1891 bis 1967) als Vertreter der KPD nach die Sektionen angeleitet und gelenkt wur- Moskau. Er gehörte zur oppositionellen den, befand sich schon bald nach der Kom- Gruppe um den Parteiführer , intern-Gründung in einem großen Ge- die das verderbliche Diktat der Moskauer bäude in der Machowaja Nummer 18, in Führer über die KPD bekämpften. Von der Nähe des Kreml. Andere Teile der il- diesem frühen Aufenthalt im Hotel Lux legalen Apparate waren in geheimen Plät- im Januar/Februar 1921 als Beauftragter zen untergebracht. Doch das Hotel Lux ist der KPD berichtete Geyer später. Die ein- zum bekanntesten Gebäude der Komin- zelnen Gäste waren sehr unterschiedlich tern geworden. Das Hotel Lux in der Uliza einquartiert, die Zimmer wie die Verpfle- Gorkowo, der Gorkistraße 10, wird in vie- gung durchaus „hierarchisch“ und vom len Berichten und Erinnerungen erwähnt. „Rang“ des Funktionärs abhängig. Geyer Über dieses berühmte, später berüchtigte nahm an der berühmten Sitzung des Hotel Lux und seine „Gäste“ ist 1978 EKKI vom 22. Februar 1922 teil, auf der in Deutschland das gleichnamige Buch über Deutschland beraten wurde. Durch

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ihn ist bekannt, dass diese Zusammen- kunft direkt in einem von mehreren Ver- Außenansicht des ehemals handlungssälen des Hotel Lux stattfand. unter dem Namen „Hotel Lux“ Die blutig niedergeschlagene „März-Ak- berühmt-berüchtigten Hotels Zentralnaja in tion“, ein Aufstand der Kommunisten in der Tverskajastraße in Moskau im Jahr 2002. Deutschland, wurde von der Komintern © dpa-Bildarchiv, Foto: Nachrichtenagentur Itar-Tass vorbereitet. Mit Paul Levi verurteilte Gey- er dann die „März-Aktion“ und brach noch 1921 – wie ein beträchtlicher Teil deutscher Kommunisten zu verschiede- nen Zeiten – mit der KPD. Geyer ging als Reichstagsabgeordneter in die SPD zu- rück, in der er politisch eine Rolle spielte. In den ersten Jahren nach der Kom- intern-Gründung wohnten etliche deut- sche Spitzenfunktionäre im Lux, darunter der KPD-Generalsekretär von 1921, Ernst Friesland. Unter diesem Pseudonym ar- beitete damals Ernst Reuter (1889 bis 1953), der nach 1945 als Bürgermeister von Ber- lin zu den berühmtesten Nachkriegspoli- tikern der SPD zählte. In der „Frontstadt“ West- hat er, etwa während der Ber- lin-Blockade 1948, den Widerstandswillen der Bevölkerung gegen Stalin gefestigt. Reuter hatte schon 1921 die KPD verlas- über das karge Frühstück und Mittages- sen und war zur SPD zurückgekehrt. sen, das die „Gäste“ gemeinsam einnah- Viel später ging ein anderer, damals men; abends bekamen sie ein „Fresspa- ebenfalls führender Kommunist zur SPD, ket“, Pajok genannt. 1928 lebte Humbert- Karl Retzlaw (1896 bis 1979). Seine frühen Droz zusammen mit seiner Frau wieder Erfahrungen im Hotel Lux hat er in seinen für längere Zeit im Lux, nun im Apparte- Memoiren (Spartakus. Aufstieg und Nie- ment 21/22, neben ihnen eine andere Be- dergang, 1971) geschildert. Mit ursprüng- rühmtheit: der KPD-Meisterspion Ri- lichem Namen Friedberg, beschrieb er die chard Sorge. Humbert-Droz wurde als Unterkunft als sehr „zweckmäßig einge- Feind Stalins mehrfach degradiert, war richtet“, es gab „große Restaurationsräu- dann von 1935 bis 1942 Generalsekretär me, eine Bäckerei, eine Wäscherei, auf je- der KP Schweiz, wurde schließlich end- dem Flur waren mehrere Badezimmer“. gültig ausgeschlossen und später (1946 bis Während des IV. Komintern-Kongresses 1959) Zentralsekretär der Sozialistischen 1922 war der riesige Bau überbelegt. Partei der Schweiz. Humbert-Droz ebenso Die deutschen Kommunisten stellten wie Retzlaw hat in Gesprächen erstmals nur einen Teil der Bewohner im Hotel Lux. interessante Details über die Verhältnisse Bemerkenswerte Schilderungen gibt es im Hotel Lux publik gemacht. etwa von Jules Humbert-Droz (1891 bis 1971). Der Schweizer, ursprünglich Pas- Anbindung der KPD tor, nach dem Ersten Weltkrieg führend in Zunehmend wuchs die Bedeutung des der Komintern, berichtete 1921 sowohl Hotels Lux für die deutschen Kommunis- über die Rattenplage im Haus als auch ten, parallel zur Rolle, die Stalin für die

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KPD spielte. Stalin beherrschte seit Ende 1919 einziger Delegierter der deutschen der Zwanzigerjahre nicht nur die KPdSU Kommunisten auf dem Gründungskon- und damit die Sowjetunion, die Politik des gress der Komintern. Als Mitglied der Diktators galt für die gesamte Komintern, KPD-Zentrale 1920 häufig in Moskau, speziell ihre Sektion KPD. Gestützt auf ver- gastierte er im Hotel Lux und fungierte – wirrende Faschismus-Theorien, die alle wie sein Sohn Werner in seinen Memoi- Nichtkommunisten – selbst „Abweichler“ ren 2000 berichtete – sogar zeitweise als unter den Kommunisten, zumal aber die „Hauskommandant“, da wenig Ordnung Sozialdemokraten – als Faschisten denun- herrschte. Besonders sauber war das Ge- zierten, betrieb die Parteispitze insbeson- bäude vermutlich nicht, vielfach wird dere seit 1929 eine gezielt destruktive über eine fürchterliche Rattenplage ge- Strategie. Ungeachtet der heraufziehen- klagt. Doch musste später den Gefahr des Nationalsozialismus, be- weitaus schlimmere „Quartiere“ in der kämpfte die KPD – den Komintern-Direk- Sowjetunion erleben. Da er als einer der tiven folgend – die SPD als ihren „Haupt- KPD-Führer 1928 mithalf, Ernst Thäl- feind“ („Sozialfaschismus“-These). Ent- mann abzusetzen, wurde er als „Versöhn- sprechend den Vorgaben Stalins, galten ler und Abweichler“ angegriffen. Im Juli die SPD und NSDAP damals als „Zwil- 1937 ist er dann vom Volkskommissariat lingsbrüder“. Damit wurde nicht nur der für innere Angelegenheiten (NKWD) als prinzipielle Unterschied zwischen Wei- deutscher Emigrant in Moskau verhaftet marer Republik und Hitler-Faschismus und brutal gefoltert worden, um die üb- geleugnet, sondern die NSDAP bis zuletzt lichen Geständnisse zu erpressen. Ein als nur eine unter anderen gegnerischen Kassiber Eberleins belegt die Torturen Parteien unterschätzt. Schließlich betrie- der „Säuberung“: ben die Kommunisten auch eine Spaltung „Am 19. Januar 1938 begann das Ver- der Gewerkschaften. Trotz dieses Verhal- hör, das ununterbrochen zehn Tage und tens in der Weimarer Republik wurde die Nächte dauerte. Ich mußte ohne Schlaf KPD – vor allem durch ihr Engagement und fast ohne Nahrung die ganze Zeit ste- und die Aktivitäten der Funktionäre für hen. Das Verhör bestand in der Erhebung die verelendeten unteren Schichten – zur der sinnlosesten Anschuldigungen und drittstärksten Partei in Deutschland: Sie wurde durch solche Faust- und Fuß- zählte 1932 über 300 000 Mitglieder und schläge begleitet, dass ich nur unter fast sechs Millionen Wähler. Doch die An- schrecklichsten Schmerzen stehen konn- bindung an die Komintern und damit die te. Die Haut platzte, in den Schuhen sam- Festlegung auf die Politik Stalins hat 1933 melte sich Blut … Im April 1938 transpor- zur Zerschlagung der Republik und der tierte man mich ins Leforowo-Gefängnis. KPD selbst beigetragen. Und nun begann Hier wurden alle Verhöre mit den die besondere Bedeutung des Hotels Lux schrecklichsten Verprügelungen beglei- für die deutsche kommunistische Emigra- tet, man prügelte mich wochenlang Tag tion. Am Beispiel eines führenden Kom- und Nacht. Auf dem Rücken gab es kein munisten ist das ablesbar. Stück Haut, nur das nackte Fleisch.“ Im Mai 1939 zu fünfzehn Jahren Lagerhaft Stalin’sche Säuberungen verurteilt, kam Eberlein in den von Ein renommierter KPD-Führer mit tragi- Workuta, wurde aber 1941 wieder nach schem, aber nicht untypischem Schicksal Moskau zurückgeholt. Hier erneut ange- hatte schon früh mehrfach im Lux klagt, wurde Eberlein am 30. Juli 1941 gewohnt. Hugo Eberlein (1887 bis 1941) zum Tode verurteilt und am 16. Oktober war Mitbegründer der KPD und im März 1941 erschossen.

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Das verhängnisvolle Schicksal dieses vor der Diktatur der Nationalsozialisten frühen, häufigen „Gastes“ des Hotels Lux flüchten mussten. Die Spitze der KPD be- ist kein Einzelfall. Während der blutigen fand sich zunächst in Prag und dann in Stalin’schen „Säuberungen“ in der Sow- , schon seit 1933 gelangten immer jetunion, die 1934 begannen und vor allem mehr Funktionen in die Sowjetunion. Als 1936 bis 1938 wüteten, wurden – neben nach dem VII. Weltkongress der Komin- Millionen von Sowjetbürgern – nicht nur tern im Juli/August eine KPD-Parteikon- eine Million sowjetischer Kommunisten ferenz (offiziell „Brüsseler Konferenz“) in verfolgt, eingesperrt und die meisten so- Moskau stattfand, war das Lux erneut mit gar umgebracht, sondern auch viele Emi- einer Vielzahl von deutschen Delegierten granten, darunter zahlreiche Deutsche. belegt. Die KPD, die bis dahin die Sozial- Der stalinistische Kommunismus war die demokraten als Hauptfeind bekämpfte, einzige Bewegung der neueren Zeit, die fand 1935 zur Parole „Einheits- und mehr eigene Führer, Funktionäre und An- Volksfront“ gegen Hitler. Nun stützte sie hänger selbst umbrachte als deren Feinde. von Moskau aus den antifaschistischen Es war die größte Kommunistenverfol- Widerstand, den die Kommunisten in gung der Geschichte. Bei der Suche nach Deutschland längst führten; diese brach- so genannten Agenten, Spionen, Saboteu- ten ja bekanntlich unter Hitler die größten ren gerieten vor allem ausländische Kom- Blutopfer. munisten als Verdächtige oder potenzielle Politische Flüchtlinge waren zunächst Feinde ins Visier der NKWD. So absurd es froh, in der UdSSR vor den Naziverfol- klingt, deutsche Kommunisten wurden gungen sicher zu sein. Hunderte hoher nicht nur unter Hitler brutal verfolgt, son- Funktionäre wohnten im Moskauer Hotel dern ebenso in ihrem „Vaterland“ unter Lux, wo bald auch die KPD-Exilführung Stalin. Und von den Mitgliedern des Po- residierte. Zur Spitze gehörte Wilhelm litbüros, des obersten Führungsorgans Pieck (1876 bis 1960), der 1935 die Nach- der KPD in der Weimarer Republik (da- folge des im NS-Gefängnis eingesperrten mals Polbüro genannt), fielen mehr dem und 1944 ermordeten Ernst Thälmann als Stalin-Terror zum Opfer als dem Hitler- Parteivorsitzender antrat. Pieck kehrte Terror. Nach der neuesten Untersuchung 1945 nach Berlin zurück und war von 1949 des KPD-Führungskorps 1918 bis 1945 bis zu seinem Tod Präsident der DDR. Ne- (Biografisches Handbuch Deutsche Kom- ben ihm logierten im Lux munisten von Hermann Weber und An- (1893 bis 1973), der spätere „starke Mann“ dreas Herbst, 2004) sind von 59 Spitzen- der SED, oder der Parteiideologe Anton funktionären sechs in Deutschland und Ackermann (1905 bis 1973). Vom damali- sieben in der Sowjetunion ums Leben ge- gen Führungsgremium starb Wilhelm kommen. Und von den 1400 im Handbuch Florin noch 1944 in Moskau. Nur Herbert erfassten KPD-Führern starben 400 eines Wehner alias „Kurt Funk“ (1906 bis 1990), gewaltsamen Todes, davon 222 als Opfer der von 1937 bis Anfang 1941 im Hotel Lux der NS-, aber 178 auch der Stalin-Diktatur. wohnte, hat als Einziger politische Konse- Fast alle Kader, die Stalin-Opfer wurden, quenzen aus den Verbrechen des Stali- zählten vorher zu den „Gästen“ des Ho- nismus gezogen, die er im Lux erkennen tels Lux. musste. Er wandte sich vom Kommu- nismus ab und wurde als SPD-Bundes- Flucht vor den Nazis tagsabgeordneter zum Miterbauer der Obwohl durch zwei Stockwerke er- deutschen Demokratie. weitert, war es nach 1933 überfüllt. In ers- Das Hotel Lux wurde vor allem ter Linie deshalb, weil Kommunisten 1937/38 zu einer Falle für seine Bewoh-

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ner, für die meisten gab es kein Entrinnen. Dimitroff (1882 bis 1949), Agitation für Angst und Denunziation bestimmten das die Sowjetunion und Stalin zu betreiben. Zusammenleben in dem Haus. Es war Der österreichische KP-Führer Ernst Fi- bedrohlich, wenn nachts NKWD-Leute scher (1899 bis 1972) – wie so viele brach an Zimmertüren hämmerten, um gestern auch er später mit dieser Bewegung – noch gefeierte Spitzenfunktionäre abzu- schrieb in seinen Erinnerungen 1969: holen. Auch Hermann Remmele (1880 „Wir fuhren oder gingen Tag für Tag in bis 1939) und (1902 bis die Komintern, lasen dort Berichte, 1937), die von 1929 bis 1932 mit Thälmann schrieben Berichte, Artikel, Broschüren, (1886 bis 1944) das Spitzentrio der KPD nahmen an Sitzungen teil […].“ bildeten, wurden dort festgenommen. Margarete Buber-Neumann (1901 bis Politische Wendemanöver 1989), 1938 selbst verhaftet und 1940 vom Und als die blutigen Massenverfolgun- NKWD – wie viele andere Kommunisten gen Stalins Ende 1938 schrittweise einge- – an Nazi-Deutschland und die dämmt wurden, gab es krasse Einschnitte ausgeliefert (bis 1945 saß sie dann im NS- in der sowjetischen Politik, die den deut- KZ), berichtete später über die Verhaf- schen Bewohnern des Lux den Atem sto- tung ihres Mannes: „Immer qualvoller cken ließen. Am 23. August 1939 schlos- wurden die Nächte […]. Nach Mitter- sen die bisherigen Hauptrivalen in der nacht pflegten die schweren Schritte zu Weltpolitik, die Diktatoren Stalin und kommen. Aus dem Zimmer von gegen- Hitler, miteinander einen Pakt. Dieser über hatten sie einen Bulgaren geholt, von Nichtangriffs- und Freundschaftsvertrag nebenan zwei deutsche Stenotypistinnen bedeutete für die deutschen Kommunis- und aus dem Stockwerk unter uns einen ten, von nun an ihre heftigen Attacken ge- Polen. Wenn ich am Tage durch die gen Hitler-Deutschland aufzugeben. Gänge des Lux ging, musterte ich scheu Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrie- die Türen, ob wieder irgendwo eine von ges am 1. September 1939 zeigte sich, wie der NKWD versiegelt worden war. Das rasch Moskau die Kritik an Deutschland taten sie nach der Verhaftung, wenn keine fast einstellte, sich stattdessen immer Angehörigen zurückblieben. In der Nacht schärfer gegen England und Frankreich vom 26. zum 27. April 1937 schlug es wandte. Auch die Gäste des Hotels Lux dröhnend gegen unsere Tür. Ich öffnete. mussten ihre Propaganda entsprechend Drei NKWD-Beamte und der Komman- umstellen. Kommunisten hatten nunmehr dant des Lux drangen ins Zimmer. ‚Neu- die blutige Diktatur Hitlers und seinen mann, stehen Sie auf, Sie sind verhaftet!‘“ Angriffskrieg herunterzuspielen, hinge- Ähnlich erging es zwei Dritteln aller gen die „Plutokratien“ England und deutschen KPD-Emigranten in der Sow- Frankreich zu verdammen. Erst mit dem jetunion, sie wurden zum Tode verurteilt Überfall Deutschlands auf die UdSSR am und hingerichtet, sie verschwanden im 21. Juni 1941 änderte die Komintern ihre Gulag oder wurden sogar an Hitlers Strategie. Als deutsche Truppen Moskau Schergen ausgeliefert. Das Leben war von bedenklich nahe gerückt waren, wurden ständiger Angst geprägt, und selbst bei die Einwohner der Sowjet-Metropole eva- den hohen Kommunisten-Führern, die im kuiert, am 16. Oktober 1941 mussten sämt- Hotel Lux residierten, war dies nicht an- liche Quartiere im Lux innerhalb einer hal- ders. Allerdings fanden viele von ihnen ben Stunde geräumt sein. Die Komintern- kaum die Zeit, persönliche Schwierigkei- Funktionäre konnten 500 Kilometer von ten zu erörtern. Ständig hatten sie unter Moskau entfernt in Ufa ihre Arbeit fort- Leitung des Chefs der Komintern, Georgij setzen. Im Februar 1942, als die Frontlinie

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wieder weit genug nach Westen verscho- tete später der Jüngste dieser Gruppe, ben war, durften die „Gäste“ zurück ins , der sich 1949 vom Hotel Lux. Hier arbeiteten die Emigranten Stalinismus trennte und aus der Sowjet- im Auftrag der Komintern intensiv für die zone Deutschlands nach Jugoslawien floh. Sowjetarmee. Über den Rundfunk und in Dort begann unter Leitung eines anderen Flugblättern warben sie für den Kampf berühmten Lux-Bewohners, nämlich Tito, gegen Hitler, und sie forderten die deut- ein eigenständiger „Aufbau des Sozia- schen Soldaten auf überzulaufen. 1943 wa- lismus“. Die zurückgekehrten KPD-Füh- ren Bewohner des Hotels Lux wie Wilhelm rer, vor allem Walter Ulbricht und Wil- Pieck oder Walter Ulbricht an der Grün- helm Pieck, übertrugen die stalinistische dung des Nationalkomitees „Freies Diktatur auf die DDR. Deutschland“ beteiligt. Die „geschichtsträchtige Periode“ des Die Komintern existierte jedoch nur Hotels Lux war 1945 vorbei. Ebenso die noch bis zum Mai 1943, dann löste Stalin deutsche kommunistische Emigration in die Weltorganisation auf. Er machte den Moskau. Doch in den mussten Westalliierten damit seine Reverenz, die noch zahlreiche Überlebende dieser Emi- zeigen sollte, dass die Weltrevolution ab- gration weiterhin darben. Zum Lux no- geschrieben war. Aus dem Moskauer Ta- tierte Ruth von Mayenburg: „Als man gebuch Dimitroffs ist heute allerdings be- 1945 Hotelzimmer für die Landwirt- kannt, dass Stalin diesen Schritt schon ein- schaftliche Ausstellung brauchte, schlug mal im April 1941 vorgehabt hatte, als Ver- dem ‚guten alten Lux‘ die Stunde. Die Be- neigung gegenüber – seinem wohner wurden kurzerhand ausgesie- damaligen Vertragspartner. Nur wegen delt, irgendwie, irgendwo untergebracht des deutschen Überfalls auf die Sowjet- […].“ Allerdings ging seinerzeit im Jahr union ließ er die Komintern noch zwei wei- 1945 nicht nur für das Hotel Lux und die tere Jahre bestehen. Ein Großteil der Emi- deutsche kommunistische Emigration granten des Lux – genauer gesagt eine eine bemerkenswerte historische Epoche Minderheit, die die blutigen Säuberungen zu Ende. überlebt hatte – wohnte weiterhin dort. Als das Kriegsende näher rückte, endete Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, gehalten bei für viele kommunistische Funktionäre das dem 7. Internationalen Colloquium zum Thema Exil in der UdSSR. Sie kehrten als Führer „Russische Emigration in Deutschland – deutsche in ihre osteuropäischen Staaten heim oder Emigration in Russland und der Sowjetunion im 20. Jahrhundert“ der „Gemeinsamen Kommission für leiteten nun wieder ihre legalen Kommu- die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch- nistischen Parteien im Westen. Auch die russischen Beziehungen“ am 13. und 14. Juli 2006 restlichen deutschen Emigranten konnten in Berlin. Die Veröffentlichungen aller Vorträge die- Moskau verlassen. Die Mitglieder der ses Colloquiums ist vorgesehen für den 4. Band der „Mitteilungen der Gemeinsamen Kommission für die „Gruppe Ulbricht“ trafen sich als Erste zur Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch- Abreise am 30. April 1945 vor dem Neben- russischen Beziehungen“. Oldenbourg-Verlag, Mün- eingang des Hotels Lux. Darüber berich- chen 2007.

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