Die Friedens- Eiche
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Deutschland Burkhardt sitzt in seinem dank Westför- tungen, die Liste der Gemeinderäte – und OSTALGIE derung schmuck sanierten Rathaus und ein Bild von Wilhelm Pieck. Warum Pieck kann nicht verstehen, dass außerhalb sei- und nicht der damalige Bundespräsident Die Friedens- ner kleinen Welt jemand diesen Stein Johannes Rau? „Er hat ein Leben lang merkwürdig finden könnte. Seit den acht- gekämpft für ein friedliches und sozialisti- ziger Jahren schon ist Burkhardt Gemein- sches Deutschland“, sagt Burkhardt. Und Eiche derat, damals noch für die SED. Er ist nie 40 Jahre DDR seien ja auch 40 Jahre Frie- ausgetreten. Seine Partei nennt sich heu- den gewesen. In einem kleinen Ort in Thüringen te Die Linke, seine Überzeugungen sind Die Aktion bleibt weitgehend unbe- geblieben. 1999 wurde er ehrenamtlicher merkt, wobei der Baum wächst und ge- wird seit neuestem des Ex-DDR- Bürgermeister der Gemeinde nahe Alten- deiht. 2004 marschiert Burkhardt zum Staatschefs Wilhelm Pieck gedacht. burg, mit 53 Prozent der Stimmen. 2004 Ende der Legislatur mit seinen Gemein- Der linke Bürgermeister ließ wählten sie ihn wieder: mit 96 Prozent. deräten in Feierlaune und mit einer Fla- einen Gedenkstein aufstellen. Es ist eine gebeutelte Region. Die Ar- sche „Rotkäppchen“-Sekt zum Ort des Ge- beitslosigkeit ist hoch, die Jugend wandert schehens. Die Räte sind unter sich, sie tau- rau Sonntag hat es plötzlich furchtbar ab. „Nach der Wende herrschte Eupho- fen die Eiche nun auf den Namen Pieck. eilig. Sie schielt erst verstohlen zum rie“, sagt Burkhardt, „doch dann ging es Nicht nur PDS-Leute haben sich am Baum FBürgermeister, dann auf den Ge- nicht vorwärts.“ Er ist jetzt 68. Wenn er versammelt, auch die unabhängige Wäh- denkstein. Schüttelt energisch das Haupt mit seinen wachen Augen durch die Bril- lergemeinschaft ist dabei. und murmelt: „Nee“, nichts halte sie von lengläser blinzelt und über seinen Spitzbart Für die Einwohner von Kriebitzsch diesem Ding, das seit Montag mitten auf streicht, dann sieht er beinahe aus wie ein bleibt der Baum auf der Verkehrsinsel frei- der Hauptstraße steht. Dann ist sie weg. Double von Walter Ulbricht. lich namenlos. Und deshalb flammte unter den Honoratioren ganz langsam die Idee eines Gedenksteins auf. Es gibt viele im kleinen Kriebitzsch. An der Schule steht zum Beispiel einer für Ernst Thälmann. Burkhardt kennt den Todestag auswendig, den 18. August. Da hatten sie eine braune Plastikschale mit Blumen vor das Denk- mal gestellt. Jetzt ist der Grünschmuck welk. Am Kindergarten steht der Stein für Kurt Kresse, einen KPD-Kämpfer, der 1945 hingerichtet wurde. Die Schule war einst nach ihm benannt. Jetzt ist sie geschlossen, aber der Stein, der wird gepflegt. An Wilhelm Pieck, der niemals in Krie- bitzsch war, erinnerte in dem thüringischen Ort nichts. Als die DDR noch lebte, da gab es die Pionierrepublik Wilhelm Pieck am Werbellinsee, eine FDJ-Jugendhochschule Wilhelm Pieck am Bogensee und die Wil- helm-Pieck-Stadt Guben. Guben nennt sich seit 1991 „Europa- BERTRAM BÖLKOW BERTRAM stadt“, am Bogensee gibt es heute eine Bürgermeister Burkhardt, Gedenkstein: „Sozialismus oder Barbarei“ „Waldschule“, und am Werbellinsee ent- stand eine europäische Begegnungsstätte. Ein BMW rauscht um die Kurve und Am Anfang ging es in der Gemeinde ei- Selbst das millionenfach verteilte SED-Par- bremst abrupt. Der kahlköpfige Fahrer gentlich nur um einen Baum. Seit ewigen teiabzeichen, das den Händedruck zwi- schaut mit großen Augen ungläubig auf Zeiten stand an jener Stelle zunächst eine schen dem KPD-Genossen Pieck und dem Findling und Gemeindeoberhaupt: „Die Linde, gepflanzt um 1760. Altersmorsch SPD-Mann Otto Grotewohl zeigte, kam werden uns auslachen.“ fiel sie 1934, und die Kriebitzscher pflanz- über Nacht aus der Mode. Kriebitzsch, 1180 Einwohner, gelegen im ten eine „Adolf-Hitler-Linde“. Die über- So schleppte Bürgermeister Burkhardt östlichsten Winkel Thüringens, ist seit ver- lebte Weltkrieg, Braunkohlenmief und den Findling aus dem nahe gelegenen Ta- gangener Woche um eine Attraktion rei- Piecks DDR, fiel aber 2003 Straßenbau- gebau Schleenhain in den Ort. Er hat ihn cher. Auf der Straße steht ein Denkmal für arbeiten zum Opfer. In der Erde fand sich von einem Steinmetz beschriften lassen. den einstigen Staatspräsidenten der DDR, eine Kapsel mit einer Erklärung, die Burk- Die Rechnung habe er aus eigener Tasche Wilhelm Pieck. Dahinter grünt eine Stein- hardt kaum gefallen konnte. Der Baum sei bezahlt, womit das merkwürdige Geden- eiche, die der Gemeinderat dem einstigen Hitler gewidmet, weil dieser „das deutsche ken quasi zur Privatsache wird. KPD-Funktionär und SED-Mitbegründer Volk aus dem Verderben durch den Mar- Burkhardt hatte für den großen Tag eine gewidmet hat. Was wie eine skurrile Szene xismus gerettet“ habe. kleine Rede vorbereitet. Er erinnerte an aus dem Blockbuster „Good Bye, Lenin!“ Der Bürgermeister bestreitet, den Baum Pieck, an den Beginn des Zweiten Welt- wirkt, ist eine absolut ernste Angelegen- womöglich absichtlich gemeuchelt zu ha- kriegs und daran, dass es ohne Vergan- heit. Pünktlich zum 49. Todestag des ver- ben („Der kann ja nichts dafür“), aber genheit keine Zukunft gebe. Der Vortrag blichenen Genossen hat Bürgermeister rasch kam die Idee zu einer neuen Pflanz- endete mit Rosa Luxemburg. Die habe für Bernd Burkhardt (Die Linke) den Stein im aktion auf. Statt einer Linde sollte eine Ei- die Menschheit nur eine Alternative gese- Kreise von 20 Getreuen, darunter eine che her, natürlich auch versehen mit einer hen: „Sozialismus oder Barbarei“. Dann Landtagsabgeordnete der Linken, enthüllt. eindeutigen Botschaft für die Nachwelt. zog er das Tuch vom Stein. Zu Hause, sagt Das Trumm von Kriebitzsch soll zum Nach- 2003 kam eine Kupferkartusche unter die er noch, habe ihn seine Frau für verrückt denken über Krieg und Frieden anregen. Erde, darin die Gemeinderundschau, Zei- erklärt. Steffen Winter 38 der spiegel 38/2009.