Ausgabe 245 Februar 2015
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Nr. 245 Kultur Februar 2015 Durch den Kakao gezogen »Das hat etwas Himmlisches« Das Kunstmuseum zeigt die bisher größte Der Cellist Maximilian Hornung setzt mit dem D ieter-Roth-Ausstellung in Stuttgart Stuttgarter Kammerorchester auf Kontraste »Über Hochfelden möchte ich wandern.« Schon sondern Buchstaben grafisch kombinierte und Als zum Abschluss des Schweizer Festivals »Som- »leidenschaftlicher Unruhegeist« erwies – so ur- beim Eintreten in die Ausstellung lässt sich die ein ganzes Buch voller »Stupidogramme« veröf- mets musicaux de Gstaad« im Februar 2013 das teilte seinerzeit die »Berliner Morgenpost«. Stimme Dieter Roths vernehmen: »Über die fentlichte, bestehend aus lauter Quadraten von Cellokonzert von Vaja Azarashvili, gespielt von Nicht nur die »Celloreisen« – so nennen Foremny B ogenbrücke möchte ich schreiten.« Viermal elf mal elf regelmäßig angeordneten Kommas. Maximilian Hornung, auf dem Programm stand, und das Stuttgarter Kammerorchester ihr Konzert wiederholt er jeden Satz. Nonchalant blättert Allem versteckten Pathos, mit dem sich die visu- mutmaßte ein Kritiker, hier solle ein schwieriges im Theaterhaus am 12. Februar – führen das Publi- der Dichter im eigenen Buch in der einstündi- elle Poesie als fortgeschrittene neue Kunstrich- zeitgenössisches Werk von beiden Seiten mit kum zu kontrastierenden Werken. Auch die Or- gen Schwarzweiß-Videoaufzeichnung von 1975, tung ausgab, entzog er so den Boden. Nur um Haydn »gezuckert« werden, um es dem Publi- chesterstücke als Rahmen des Programms könn- die gleich im Eingangsbereich neben seinen Ge- wenige Jahre später erneut mit Sonetten, Reimen kum schmackhaft zu machen. Ein schönes Bild – ten kaum unterschiedlicher sein. Luigi Boccherini, sammelten Werken aufgebaut ist: »… und mich und Versmaß zu kommen, allerdings unter dem aber unzutreffend, wie auch besagter Rezensent ebenfalls als Cellist erfolgreich, reüssierte in doch immer wieder durchgerungen zum Lied Titel »Scheisse«, mehrfach variiert bis hin zu zugeben musste. Denn ganz im Gegenteil sei Frankreich, Spanien und Preußen insbesondere der Freude und des Leides«. »Die die Die DIE verdammte GESAMTE KACKE«. Azarashvilis Konzert geprägt von eindringlicher mit Streicherkompositionen. So schrieb er dem Von den lyrischen Ergüssen der Romantik bleibt Schönheit, im Grunde durch und durch roman- preußischen König Friedrich Wilhelm II. mehrmals Dieter Roth. Balle Balle Knalle in diesen Texten, die er 1975 im Video vorträgt, tisch. Auch Maximilian Hornung sagt, bei dem die zweite Cellostimme im Streichquintett auf Kunstmuseum Stuttgart, bis 12. April nur die äußere Hülle, die Form. Sie spricht eine 1978 komponierten Werk handele es sich um »sehr den Leib, auch die Gattung des Streichsextetts Der Katalog kostet 29,80 Euro. Erinnerung, eine Erwartung an, die der Text ad zugängliche Musik«; es sei von Schostakowitsch, geht hauptsächlich auf ihn zurück, und ebenso absurdum führt. Strawinsky, dem französischen Impressionismus zeigt sich in den 27 Sinfonien die virtuose Kunst Dichter? Es ist sicher nicht verkehrt, sich dem Hier liegt einer der Anfänge der Rothschen Kunst. und nicht zuletzt von georgischer Volksmusik be- dieses lange vergessenen und erst nach dem Werk des Künstlers Dieter Roth von der Seite Ein anderer, noch früherer steht dem gegen- einflusst. Kennen gelernt hat der junge Cellist Zweiten Weltkrieg wiederentdeckten Klassikers. der Dichtung her zu nähern. Fing er doch an mit über: Ausgestellt sind Entwürfe des 20-jährigen das Konzert früh, durch seinen ebenfalls aus Eugen Gomringer, dem »Vater der konkreten Werbegrafiker-Lehrlings, der im Berner Atelier G eorgien stammenden Lehrer Eldar Issakadze, Stuttgarter Kammerorchester Poesie«, mit dem und Marcel Wyss er 1953 Friedrich Wüthrich das Bockbier der Brauerei mit dem er den 1936 geborenen Vaja Azarashvili Matthias Foremny (Leitung) »Spirale 1«, die »Internationale Zeitschrift für Gassner mit einem Ziegenbock visualisiert. Aller- sogar in Tiflis besucht und dessen Werk aufge- Werke von Boccherini, Haydn, Azarashvili junge Kunst« herausgab, die großformatig in dings artikuliert Roth hier schon Zweifel. In einer führt habe. »Seitdem spiele ich dieses Konzert und Bartók der Vitrine liegt. Gereimte Verse soll er seinen Notiz spricht er einen imaginären Auftraggeber mindestens ein Mal jährlich«, erzählt Hornung. 12. Februar, 20 Uhr, im Theaterhaus Mitherausgebern vorgelegt haben, welche die- an: »Vielleicht haben Sie schon versucht, die Wenn möglich, in Kombination mit Haydn, nicht se entrüstet ablehnten. So folgte er zunächst g eschäftl. Notwenigkeit Ihrer Reklame einzu- um das zeitgenössische Stück zu zuckern, son- Béla Bartóks Rang als einer der Großen des den Konkreten, radikalisierte jedoch bald deren sehen« – die sich indes bei näherer Betrachtung dern weil der Kontrast der Klangsprachen immer 20. Jahrhunderts stand hingegen nie in Frage. Mit Ansatz, indem er nicht wie Gomringer die Be- »der genauen Berechnung entzieht«. Die Skepsis wieder ein besonderes Erlebnis sei. Inzwischen seinem »Divertimento« ging er, einen Auftrag deutung der Worte ins Schriftbild übersetzte, gegenüber der Wirksamkeit der Kommunikation hat Hornung diese Kombination auch auf CD des Schweizer Mäzens und Dirigenten Paul Sacher läuft wie ein roter Faden durch das gesamte aufgenommen – soeben ist die Silberscheibe bei erfüllend, auf die gleichnamige klassische Gat- Werk. Was Roth gleichwohl aus seiner Grafiker- Sony Classical erschienen (und wie es so ist mit tung zurück, die als unterhaltsames Vergnügen, lehre mitnehmen konnte, war ein gekonnter der Reklame, prangt Haydn in doppelt so großer zum Tanz oder zur Begleitung einer Mahlzeit ge- Umgang mit allen Druckgrafiken und ein hervor- Schrift auf dem Cover wie Azarashvili). dacht war. Auch wenn die beiden Ecksätze mit ragendes Gespür für visuelle Gestaltung. »Ein Frühvollendeter, der die Abgebrühtheit eines ihrer lebhaften Bewegtheit diese Tradition auf- Dies zeigt die Ausstellung auf drei Etagen quer Routiniers mit der Unbekümmertheit des Springins- greifen – im düsteren Mittelsatz klingt dann durch alle Medien vom Tafelbild bis zur Video- felds verbindet«, sei Maximilian Hornung, schrieb doch die schwierige Zeit an, in der dieses Werk installation. Roth war mehrfach in der Staats- »Die Zeit« vor gut zwei Jahren. Zwei Mal erhielt entstand. Im Spätsommer 1939 stand Bartók, galerie ausgestellt: 1979, dann 2000, zwei Jah re der Cellist bis jetzt den begehrten Echo-Klassik- inmitten blühender Schweizer Berglandschaft, nach seinem Tod, und zuletzt 2009 mit Ge- preis, 2007 gewann er als Mitglied des Tecchler- nämlich vor der existenziellen Frage, ob er über- schenken an Künstlerfreunde. Aber auch das Trios den ARD-Wettbewerb, zwei Jahre zuvor hat- haupt in sein unruhiges Heimatland Ungarn zu- Kunstmuseum verfügt über umfangreiche Be- te er als Solist den Deutschen Musik w ett b ewerb rückreisen oder im Ausland bleiben solle. stände, welche die Ausstellung mit Leihgaben gewonnen. 1986 in Augsburg geboren, wurde er »Musik ohne Affekte und Leidenschaften ist be- aus dem Archiv Sohm der Staatsgalerie, der mit kaum 23 Solocellist im Symphonieorchester deutungslos«, schrieb Luigi Boccherini 1799, und D ieter Roth Foundation in Hamburg und weite- des Bayerischen Rundfunks, was ihn je d och nicht an diese Maxime haben sich gewiss auch Haydn ren Sammlungen ergänzt. Dass der Künstler be- von einer beachtlichen Solisten k arriere abhält. Mit und Bartók gehalten. Ebenso wie Vaja Azarashvili, reits 1965 verkündete, fortan Quantität statt dem Stuttgarter Kammer o rchester (Foto oben) von dessen Cellokonzert Maximilian Hornung sagt, Qualität zeigen zu wollen, macht es nicht leich- tritt Maximilian Hornung nun erstmals auf, dessen es ende wie in einem »paradiesischen Traum, mit ter, einen Überblick zu gewinnen. Möglicher- Chefdirigenten Matthias Foremny indessen kennt ganz hohen Cellotönen und zarter Begleitung – weise ist dies erst mit ausreichendem Abstand er schon l änger: Foremny dirigierte das Rundfunk- das hat etwas Himmlisches«. Jürgen Hartmann möglich. Doch gelingt dies der Ausstellung in Sinfonieorchester Berlin beim Preis trägerkonzert zehn Kapiteln auf überzeugende Weise. des Deutschen Musikwettbewerbs 2005, wo Karten unter Telefon 0711 22477-20 und Kulturgemeinschaft Stuttgart e. V. Kulturgemeinschaft Stuttgart e. Theodor-Heuss-Straße 21, 70174 Stuttgart Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt E 10933 Fortsetzung Seite 2 der junge Cellist sich im Schumann-Konzert als www.kulturgemeinschaft.de Kultur Februar 2015 Szene 2 Rebellion im totalen Überwachungsstaat George Orwells Roman »1984« kommt im Alten Schauspielhaus auf die Bühne Der Titel von George Orwells Roman »1984« die im »Wahrheitsministerium« ausgeheckt man heute so bedeutsam wie zu seiner Entste- im totalitären System von 1984 für die Ausmer- gilt bis heute als Synonym für den totalen und der Masse eingetrichtert wurden. hungszeit im Jahre 1948. Doch gehe es in seiner zung jeglicher Individualität sorgt. Überwachungsstaat. »Big Brother is watching Während vor dreißig Jahren – zur Echtzeit von Inszenierung weder um eine reale Abbildung von Interessanterweise gehört ein Roman des ameri- you – Der Große Bruder beobachtet dich« ist »1984« – Orwells Vision eher von historischem In- Orwells Zukunftsvision noch um eine platte Aktu- kanischen Schriftstellers Dave Eggers zu den lite- ein geradezu sprichwörtlich gebrauchter Slo- teresse zu sein schien, ist sie nach Edward Snow- alisierung: »Ich möchte dem Publikum das Thema rarischen Bestsellern des vergangenen Jahres. In gan, wenn es um die Tricks