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Aktenzeichen: 60uu2017-06/014-3323

Stand: 26.01.2018 Version: 1.0

Gefährliches Ereignis im Eisenbahnbetrieb

Ereignisart: Zugkollision Datum: 30.06.2017 Zeit: 14:44 Uhr Bahnhof: Leese-Stolzenau Gleis: 1 Kilometer: 21,020 Untersuchungsbericht

Zugkollision, 30.06.2017, Leese-Stolzenau

Veröffentlicht durch:

Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung

Heinemannstraße 6

53175 Bonn

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Inhaltsverzeichnis:

Seite

1 Zusammenfassung ...... 7 1.1 Kurzbeschreibung des Ereignisses ...... 7

1.2 Folgen ...... 7

1.3 Ursachen ...... 7

2 Vorbemerkungen ...... 9 2.1 Organisatorischer Hinweis ...... 9

2.2 Ziel der Eisenbahn-Unfalluntersuchung ...... 10

2.3 Beteiligte und Mitwirkende ...... 10

3 Ereignis ...... 10 3.1 Hergang ...... 10

3.2 Todesopfer, Verletzte und Sachschäden ...... 12

3.3 Wetterbedingungen ...... 13

4 Untersuchungsprotokoll ...... 13 4.1 Zusammenfassung von Aussagen ...... 13

4.2 Notfallmanagement ...... 13

4.3 Untersuchung der Infrastruktur ...... 14

4.4 Untersuchung der Leit- und Sicherungstechnik ...... 15

4.5 Untersuchung von Fahrzeugen ...... 17

4.6 Untersuchung der betrieblichen Handlungen ...... 17

4.6.1 Allgemeines ...... 17

4.6.2 Angaben zu den beteiligten Mitarbeitern ...... 17

4.6.3 Betrieblicher Ablauf ...... 19

4.7 Interpretation der Unfallspuren ...... 26

5 Auswertung und Schlussfolgerungen ...... 27 6 Sicherheitsempfehlungen ...... 31

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Abbildungsverzeichnis: Abb. 1: Aufnahmen an der Unfallstelle ...... 8

Abb. 2: Lageskizze ...... 11

Abb. 3: Bahnhof Leese-Stolzenau, Blickrichtung Norden (()) ...... 15

Abb. 4: Auszug aus dem Zugmeldebuch ...... 19

Abb. 5: graf. Darstellung der EFR-Daten; DGS 42757 ...... 21

Abb. 6: Fahrstraßenhebel mit Hilfssperren ...... 21

Abb. 7: Auszug aus dem Zugmeldebuch ...... 22

Abb. 8: Esig F und Asig P1 mit Stelleinrichtung und Vorsignal p ...... 23

Abb. 9: grafische Darstellung Teloc-Datensatz des DGS 42597 ...... 25

Abb. 10: grafische Darstellung ETCS-Datensatz des DGS 42597 ...... 25

Abb. 11: Die Tfz nach der Kollision ...... 27

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Abkürzungsverzeichnis

AEG Allgemeines Eisenbahngesetz

Asig Ausfahrsignal

Bebu Betriebsstellenbuch

BEU Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung

BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

BPol Bundespolizei

BÜ Bahnübergang

D-Weg Durchrutschweg

EBA Eisenbahn-Bundesamt

BZ Betriebszentrale

DSK Datenspeicherkassette

EBL Eisenbahnbetriebsleiter

EBO Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung

EFR Elektronische Fahrtenregistrierung

EIU Eisenbahninfrastrukturunternehmen

ERA Europäische Eisenbahn Agentur

Esig Einfahrsignal

EUV Eisenbahn-Unfalluntersuchungsverordnung

EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen

Fplo Fahrplananordnung

Fdl/Fdl-in Fahrdienstleiter/Fahrdienstleiterin

GSM-R Global System for Mobile Communications – Rail

MESZ Mitteleuropäische Sommerzeit

NE Nichtbundeseigene Eisenbahn

Nmg Notfallmanager

Ril Richtlinie

SB Sicherheitsbehörde

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SMS Sicherheitsmanagementsystem

Tf / Tf-in Triebfahrzeugführer / Triebfahrzeugführerin

Tfz Triebfahrzeug

UTC Coordinated Universal Time

VzG Verzeichnis der örtlich zugelassenen Geschwindigkeiten

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1 Zusammenfassung

1.1 Kurzbeschreibung des Ereignisses Am 30.06.17 gegen 14:45 Uhr kollidierte Zug DGS 42597 (EVU: Lineas Group N.V./S.A. (Belgien)) bei der Einfahrt nach Gleis 1 des Bf. Leese-Stolzenau mit dem in diesem Gleis stehenden DGS 42757 (EVU: Hector Rail AB (Schweden)).

1.2 Folgen Durch den Unfall wurden die Triebfahrzeugführer (Tf) beider Züge schwer verletzt. Es ent- standen erhebliche Sachschäden an den Eisenbahnfahrzeugen und Bahnanlagen.

1.3 Ursachen Die schwere Zugkollision wurde verursacht durch die unzulässige Zustimmung zur Einfahrt des DGS 42597 in das bereits durch DGS 42757 besetzte Einfahrgleis 1 im Bahnhof Leese- Stolzenau.

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Abb. 1: Aufnahmen an der Unfallstelle Quelle: BPol

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2 Vorbemerkungen

2.1 Organisatorischer Hinweis Mit der Richtlinie RL 2004/49/EG zur Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (Eisenbahn- sicherheitsrichtlinie) wurden die Mitgliedstaaten der europäischen Union verpflichtet, unab- hängige Untersuchungsstellen für die Untersuchung bestimmter gefährlicher Ereignisse ein- zurichten.

Diese Richtlinie wurde mit dem 5. Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 16. April 2007 umgesetzt und die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) eingerichtet. Die weitere Umsetzung der Sicherheitsrichtlinie erfolgte durch die Eisen- bahn-Unfalluntersuchungsverordnung (EUV) vom 05.07.2007.

Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung vom 27. Juni 2017 wur- den die rechtlichen Grundlagen zur Errichtung der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersu- chung (BEU) geschaffen. Durch das Gesetz sind das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) und das Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz (BEVVG) geändert worden, wobei Zuständigkeiten und Kompetenzen auf die neue Behörde, der BEU, übertragen wurden. Mit Errichtung der BEU wurde die EUB, bestehend aus der Leitung der EUB im Bundesministe- rium für Verkehr und digitale Infrastruktur und der Untersuchungszentrale der EUB im Eisen- bahn-Bundesamt aufgelöst. Mit dem Organisationserlass des Bundesministeriums für Ver- kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zur Errichtung der Bundesstelle für Eisenbahnunfallun- tersuchung vom 14. Juli 2017 wurde die BEU als selbstständige Bundesoberbehörde im Ge- schäftsbereich des BMVI zur Erfüllung der Aufgaben nach §7 BEVVG errichtet.

Die Aufgaben zur Untersuchung bestimmter gefährlicher Ereignisse im Eisenbahnbetrieb gingen dabei nahtlos von der EUB an die BEU über.

Da das vorliegende Ereignis vor dem Tag der Errichtung der BEU am 14.07.2017 lag, wur- den Aufgaben, wie die Untersuchung vor Ort durch die EUB durchgeführt. Andere Arbeiten, wie bspw. die Erstellung dieses Untersuchungsberichts, erfolgten nach diesem Stichtag und wurden deshalb von der BEU wahrgenommen. Aus diesem Grund wird im vorliegendem Be- richt, sowohl die Bezeichnung EUB, als auch der Name BEU verwendet.

Näheres hierzu ist im Internet unter >> www.beu.bund.de << eingestellt.

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2.2 Ziel der Eisenbahn-Unfalluntersuchung Ziel und Zweck der Untersuchungen ist es, die Ursachen von gefährlichen Ereignissen auf- zuklären und hieraus Hinweise zur Verbesserung der Sicherheit abzuleiten. Untersuchungen der EUB dienen nicht dazu, ein Verschulden festzustellen oder Fragen der Haftung oder sonstiger zivilrechtlicher Ansprüche zu klären und werden unabhängig von jeder gerichtli- chen Untersuchung durchgeführt.

Die Untersuchung umfasst die Sammlung und Auswertung von Informationen, die Erarbei- tung von Schlussfolgerungen einschließlich der Feststellung der Ursachen und gegebenen- falls die Abgabe von Sicherheitsempfehlungen. Die Vorschläge der Untersuchungsstelle zur Vermeidung von Unfällen und Verbesserung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr werden der Sicherheitsbehörde und, soweit erforderlich, anderen Stellen und Behörden oder anderen Mitgliedstaaten der EU in Form von Sicherheitsempfehlungen mitgeteilt.

2.3 Beteiligte und Mitwirkende

An dem Unfall waren folgende Unternehmen beteiligt:

 DB Netz AG als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU)

 Die Lineas Group N.V./S.A als Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) des Güterzu- ges DGS 42597 mit Sitz in Brüssel (Belgien). Der Eisenbahnbetriebsleiter der Firma MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbH aus Mannheim war im Auftrag des EVU für das Notfallmanagement vor Ort im Einsatz.

 Hector Rail AB als EVU des Güterzuges DGS 42757 mit Sitz in Danderyd (Schwe- den). Der Mitarbeiter des Notdienstes wurde hier durch die Firma Kompetenz für Schienengebundene Verkehre GmbH aus Leipzig im Auftrag der Hector Rail AB ge- stellt.

Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung und Ursachenerforschung wurden folgende externe Stellen einbezogen:

 Bundespolizeiinspektion Hannover

3 Ereignis

3.1 Hergang Am 30.06.2017 fuhr der Güterzug DGS 42757 (Helsingborgs C – Krefeld-Uerdingen) aus nördlicher Richtung kommend gegen 13:59 Uhr in das Gleis 1 des Bahnhofs Leese-

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Stolzenau ein. Der Fahrdienstleiter (Fdl) des Bahnhofs erhielt kurz zuvor durch einen Zug- disponenten aus der Betriebszentrale (BZ) Hannover den Auftrag, diesen Zug zur Kreuzung zweier Gegenfahrten in Leese-Stolzenau warten zu lassen. Die Weiterfahrt sollte erst nach Durchfahrt des DGS 42597 und eines einzeln fahrenden Triebfahrzeugs (Tfz) mit der Zug- nummer 81806 erfolgen.

Gegen 14:26 Uhr wurde dem Fdl Zug 42597 (Antwerpen – Maschen Rbf) von der im Süden benachbarten Zugmeldestelle Windheim/Weser mit der Durchfahrzeit 14:29 Uhr angeboten. Der Fdl in Leese-Stolzenau nahm den Zug an und bot ihn um 14:40 Uhr, mit der voraussicht- lichen Durchfahrzeit 14:44 Uhr, dem Fdl der im Norden benachbarten Zugmeldestelle Estorf/Weser an. Für die Durchfahrt des DGS 42597 stellte der Fdl das Einfahrsignal (Esig) F und das Aus- fahrsignal (Asig) P1 auf Fahrt. Dazu wählte er die Zugfahrstraße durch das durchgehende Hauptgleis 1 aus. Dass dieses Gleis noch immer mit DGS 42757 besetzt war, hatte er offen- sichtlich vergessen und nicht bemerkt.

Zug 42597 näherte sich um 14:44 Uhr dem Bahnhof Leese-Stolzenau. Der Tf erkannte an- hand der Haupt- und Vorsignale die für seinen Zug eingestellte Durchfahrt durch den Bahn- hof. Er fuhr deshalb mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit in den Bahnhof ein. Er- schwert durch einen langen Rechtsbogen im Einfahrbereich konnte er die Tatsache, dass sein Fahrweg in ein besetztes Gleis führt, erst sehr spät erkennen. Die daraufhin vom Tf ein- geleitete Schnellbremsung brachte nur eine geringfügige Geschwindigkeitsverzögerung, be- vor der DGS 42597 frontal im Gleis 1, ca. im Streckenkilometer 21,020, mit dem dort stehen- den DGS 42757 zusammenstieß.

Abb. 2: Lageskizze Quelle: DB Netz AG bearbeitet durch EUB

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3.2 Todesopfer, Verletzte und Sachschäden Die Tf der beiden Züge wurden bei dem Ereignis schwer, jedoch nicht lebensbedrohlich ver- letzt. Den Angaben der EBL zufolge konnten beide das Krankenhaus nach wenigen Tagen verlassen.

Durch die Wucht des Aufpralls wurden die ersten drei Containertragwagen des stehenden Zuges 42757 über das Tfz hinweg aus dem Gleis gedrückt und zerstört. Hierbei handelte es sich um die Wagen 27 80 4377 053-8 Laagrs, 27 80 4377 050-4 Laagrs und 31 80 4992 223- 6 Sdggmrss. Die auf diesen Wagen verladenen vier Container und vier Tankcontainer wur- den abgeworfen. Zwei dieser Tankcontainer für Lebensmittel stürzten die Böschung hinab auf die angrenzende öffentliche Straße „Zappenberg“. Ein weiterer Behälter und der dazu gehörige Tragwagen blieben an der Böschung hängen. Die beiden anderen Wagen wurden samt Container auf die Gleise 2 und 3 des Bahnhofs geschleudert. Die stehende Zuglokomo- tive der TRAXX F140 AC-Typ wurde durch den Aufprall ca. 75 m nach hinten bis vor den an 4. Stelle laufenden Wagen geschoben. Dabei entgleisten alle Radsätze. Das Fahrzeug wur- de massiv beschädigt. Der an 8. Stelle des Zugverbandes laufende Wagen 37 80 4993 703-0, Sdggmrs war mit dem Ladegut Natriumdithionit (UN 1484) beladen. Das Gefahrgut trat jedoch nicht aus. Die an der Unfallstelle eingesetzte Feuerwehr hatte dennoch vorsorglich eine kurzzeitige Evaku- ierung der angrenzenden Bewohner vorgenommen.

Im Zugverband des einfahrenden DGS 42597 entgleisten die an 1. Stelle (Sggmrs 37 80 4952 579-3), 3. Stelle (Sggmrs 37 80 4952 567-8), 5. Stelle (Sggmrs 37 80 4952 576-9) und 10. Stelle (Sggmrss 37 80 4952 568-6) laufenden Wagen durch Überpufferung. Auch das Tfz (TRAXX 2E-Typ) dieses Zuges wurde stark zerstört.

An den Bahnanlagen entstanden ebenfalls hohe Sachschäden. So mussten ca. 400 m Ober- leitung nebst drei umgestürzter Maste ersetzt werden. Am Oberbau wurden ca. 140 m Gleis beschädigt. Darüber hinaus wurden Teile der im Bereich der Unfallstelle verbauten Leit- und Sicherungstechnik und Teile einer Eisenbahnüberführung beschädigt.

Die DB Netz AG beziffert die Schäden an der Infrastruktur auf ca. 445.000,00 Euro. Dabei entfallen auf die Schäden an

 Fahrbahn ca. 260.000,00 Euro

 Leit- und Sicherungstechnik ca. 30.000,00 Euro

 Oberleitung ca. 140.000,00 Euro und auf

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 Sonstiges, wie Einsatz der DB Sicherheit ca. 15.000,00 Euro

Für die beiden Tfz wird der Sachschaden auf jeweils 4 Mio. Euro geschätzt. Die Sachschä- den an Wagen und Ladungen belaufen sich auf geschätzte 320.000,00 Euro.

Daraus ergibt sich ein geschätzter Gesamtsachschaden in Höhe von 8.765.000,00 Euro.

3.3 Wetterbedingungen Am Tag des Unfalls herrschte wechselhaftes sommerliches Wetter mit aufziehenden Schau- ern. Zum Unfallzeitpunkt bestand klare Sicht bei Tageslicht.

4 Untersuchungsprotokoll

4.1 Zusammenfassung von Aussagen Der BEU liegen keine Aussagen der am Unfall beteiligten Personen vor. Der Notfallmanager der DB Netz AG gab gegenüber der EUB an, dass der Fdl ihm gegen- über geäußert habe, dass dieser nach dem Unfall keine Veränderungen an den Stellwerks- anlagen vorgenommen habe.

4.2 Notfallmanagement Nach § 4 Abs. 3 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) haben die Eisenbahnen die Verpflich- tung, an Maßnahmen des Brandschutzes und der technischen Hilfeleistung mitzuwirken. In einer Vereinbarung zwischen den Innenministerien der Länder und der DB AG hat man sich auf eine Verfahrensweise verständigt. Für die DB Netz AG gelten die entsprechenden Brand- und Katastrophenschutzgesetze der Länder. Das Notfallmanagement der DB AG ist in der Richtlinie (Ril) 423 näher beschrieben und geregelt.

Der Fdl hat ca. eine Minute nach dem Unfall dem Notfallmanager das Ereignis gemeldet. Dieser gab die Unfallmeldung um 14:47 Uhr an die Notfallleitstelle weiter. Die Rettungsleit- stelle wurde um 14:49 Uhr verständigt, die zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits Kenntnis von dem Unfall hatte. Die ersten Rettungskräfte trafen ab ca. 15:10 Uhr an der Unfallstelle ein. Gegen 15:32 Uhr wurde die Rettungsleitstelle über das in Zug 42757 befindliche Gefahrgut unterrichtet. Kurz zuvor erreichte der Notfallmanager der DB Netz AG den Ereignisort. Ge- gen 16:10 Uhr wurde die Oberleitung in den Gleisen 1 und 2 geerdet.

Insgesamt kamen ca. 20 Personen der Rettungsdienste und ca. 10 Personen des THW zum Einsatz. 10 bis 15 Beamte der Bundespolizei und ca. 15 bis 20 Beamte der Landespolizei begaben sich zur Unfallstelle. Die Feuerwehr war mit über 200 Kräften im Einsatz.

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Nach Einschätzung der BEU kam es aufgrund der schnellen Erstmeldung durch den Fdl und der unverzüglich anlaufende Meldekette zu keinen nennenswerten Verzögerungen beim Herbeirufen der Hilfskräfte, die zur Rettung der verunfallten Personen und zum Schutz der Anwohner sowie der Umwelt erforderlich waren.

4.3 Untersuchung der Infrastruktur Der Bahnhof Leese-Stolzenau erstreckt sich von km 20,0 bis km 21,5 der eingleisigen, elektrifizierten Nebenbahn (Strecke 1741) zwischen (Weser) und (Westf). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Strecke beträgt entsprechend dem Verzeichnis der örtlich zulässigen Geschwindigkeiten (VzG) 80 km/h bei einem max. Bremsweg von 700 m. Im Bereich der Unfallstelle galt im durchgehenden Hauptgleis 1 des Bf. Leese- Stolzenau für durchfahrende Züge die Streckengeschwindigkeit von 80 km/h als Höchstge- schwindigkeit. Die Strecke ist mit GSM-R – Zugfunk ausgerüstet. Die benachbarten Bahnhöfe sind in nördlicher Richtung der Bahnhof Estorf (Weser) und in südlicher Richtung der Bahnhof Heimsen. Dieser Bahnhof war jedoch zum Unfallzeitpunkt unbesetzt und durchgeschaltet. Aus diesem Grund war der folgende Bahnhof Windheim (Weser) die im Süden benachbarte Zugmeldestelle. Zur Durchführung der Zugmeldegespräche steht neben GSM-R auch die analoge, drahtge- bundene Fernsprechverbindung (Fs-Verbindungen) zwischen Estorf und Windheim zur Ver- fügung. Die Zugmeldungen der am Unfall beteiligten Züge wurden mittels Fs-Verbindung durchgeführt. Eine Aufzeichnung dieser Gespräche erfolgte deshalb nicht. Bei dem Bahnhof Leese-Stolzenau handelt es sich um eine kleine Betriebsstelle, die mit ei- nem Fdl besetzt ist. Dessen Dienstraum befindet sich im bzw. am Empfangsgebäude. Der Bahnhof verfügt über drei Hauptgleise. In den Gleisen 1 und 2 sind Durchfahrten mit Ausfahrvorsignalabhängigkeit zugelassen. Das Gleis 1 ist durchgehendes Hauptgleis. Es liegt entgegen der sonst üblichen Gleisbezeichnung am weitesten vom Empfangsgebäude und damit auch vom Fdl entfernt. Gleis 3 liegt somit unmittelbar am Empfangsgebäude. Bei Zugkreuzungen wird der erste Zug nach Gleis 1 gefahren, um die Sicht auf die für die Kreu- zung benötigten Gleise 2 oder 3 frei zu halten. Haltende Reisezüge fahren hiervon abwei- chend an den Inselbahnsteig in die Gleise 2 und 3.

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Abb. 3: Bahnhof Leese-Stolzenau, Blickrichtung Norden (Estorf(Weser))

Auf eine weiterführende Untersuchung der Infrastruktur insbesondere der Fahrbahn wurde verzichtet. Letztere konnte nach Eintreffen der EUB an der Unfallstelle schnell als unfallver- ursachend oder begünstigend ausgeschlossen werden.

4.4 Untersuchung der Leit- und Sicherungstechnik Die Durchführung der Zug- und Rangierfahrten im Bahnhof Leese-Stolzenau obliegt dem Fdl im Stellwerk Lf. Hierbei handelt es sich um mechanisches Stellwerk der Bauart Einheit. Es befindet sich im Kilometer 20,708 und somit recht mittig innerhalb des Bahnhofs. Der Fdl ist der einzige Mitarbeiter im Bahnbetrieb in Leese-Stolzenau. Er bedient alle Haupt- und Vor- signale und die Weichen des Bahnhofs. Die Haupt- und Vorsignale sind Formsignale und mit Gleismagnete der punktförmigen Zugbeeinflussungseinrichtung (PZB) ausgerüstet. Die ein- gleisige Strecke verfügt in beiden Richtungen über einen Streckenblock der Bauform Feld- erblock Form C. Eine selbsttätige Gleisfreimeldeanlage ist im Bahnhof Leese-Stolzenau nicht vorhanden. Somit obliegt dem Fdl allein auch die Fahrwegprüfung durch Hinsehen für die Gleise 1 bis 3. Zur Prüfung des Abschnitts zwischen den Einfahrweichen 21 und 43 hat der Fdl, lt. einer ergänzenden Regel im Betriebsstellenbuch (Bebu), das Dienstgebäude zu ver- lassen und sich auf den Bahnsteig in Gleis 4 bzw. Gleis 2 zu begeben. Die Fahrwegprüf- grenze im südlichen Bahnhofskopf befindet sich in km 21,283 in Höhe des Signals Ra 10. Der Abschnitt von der Spitze der Weiche 43 bis zum Ra 10 kann vom Fdl nicht eingesehen werden. Dieser Bereich wird deshalb im Bebu als ständig nicht einsehbarer Gleisabschnitt benannt und ist folglich mittelbar zu prüfen. Der Abschnitt darf als frei angesehen werden,

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wenn Züge aus Richtung Heimsen / Windheim beim Fdl Leese-Stolzenau mit Zugschluss vorbeigefahren sind bzw. nach Eingang des Rückblocks/Rückmeldung aus Heimsen / Wind- heim für Züge der Gegenrichtung. Das mittelbare Prüfen des Fahrwegs ist auch für den Teil zwischen den Einfahrweichen 21 und 43 anzuwenden vor Beginn der Dunkelheit, bei witterungsbedingter Verschlechterung der Sichtverhältnisse und vor Beginn der unterbrochenen Arbeitszeit. Im Gegensatz zu o.g. ständig nicht einsehbarem Gleisabschnitt ist hier das mittelbare Prüfen einzuführen, nach- dem der Abschnitt zwischen den Einfahrweichen durch Hinsehen auf Freisein geprüft wurde. Die Feststellungen durch Hinsehen sind für die Gleise 1 bis 3, sowie auch das Einführen und Aufheben der mittelbaren Fahrwegprüfung vom Fdl im Zugmeldebuch nachzuweisen.

Kameras zur Fahrwegprüfung bzw. zur Zugschlussfeststellung sind in Leese-Stolzenau nicht vorhanden. Letzteres führt dazu, dass bei im Bahnhof haltenden Zügen, bspw. zur Kreuzung mit einem Gegenzug, der Fdl zur Feststellung des Zugschlusses seinen Dienstraum verlas- sen muss, wenn er den Zugschluss aufgrund der Zuglänge nicht von seinem Arbeitsplatz erkennen kann.

Sind Einfahrgleise vsl. länger als 10 Minuten besetzt, hat der Fdl an den im Bebu genannten Fahrstraßenhebeln in Grundstellung Hilfssperren anzubringen. Für das Gleis 1 sind das die 1 1 Fahrstraßenhebel a 1, f 1, a1 und f1. Diese Aufzählung lässt eine für mechanische Stellwerke eher seltene sicherungstechnische Besonderheit erkennen. So gibt es die Möglichkeit das Gleis 1 von beiden Seiten mit langem oder kurzem Durchrutschweg (D-Weg) zu befahren. Bei der Einfahrt mit langem D-Weg wird am Esig Hp1 gezeigt. Die zulässige Geschwindigkeit beträgt 80 km/h. Die Einfahrt bei kurzem D-Weg hingegen wird mit Signal Hp 2 und entspre- chenden 40 km/h zugelassen.

Die sicherungstechnischen Anlagen im Bahnhof Leese-Stolzenau arbeiteten im Zusammen- hang mit den am Unfall beteiligten Fahrten störungsfrei. Die Zugfahrten wurden mit Bedie- nung der entsprechenden Hauptsignale zugelassen. Die Stellung der Innen- und Außenan- lagen stimmten überein. Auf umfangreiche Untersuchungen an den sicherungstechnischen Anlagen konnte aufgrund der am Unfallort getroffenen Feststellungen verzichtet werden. Die sicherungstechnischen Anlagen konnten in der hier verbauten Form den Unfall nicht verhin- dern.

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4.5 Untersuchung von Fahrzeugen An der Zugkollision in Leese-Stolzenau waren die Zugfahrten DGS 42757 und DGS 42597 beteiligt. Beide Züge wurden wegen Bauarbeiten mit entsprechenden Fahrplananordnungen (Fplo) über die Strecke 1741 und somit über Leese-Stolzenau umgeleitet.

Der zum Unfallzeitpunkt in Gleis 1 stehende DGS 42757 wurde aus dem Tfz 91 74 6241 007-2 S-HCTOR und 22 beladenen Containertragwagen gebildet. Der Zug hatte 120 Ach- sen, eine Länge von 709 m und ein Gesamtgewicht von 1641 t. Bei einem Gesamtbremsge- wicht von 1390 t verfügte der in Bremsstellung G gefahrene Zug über 84 Bremshundertstel gegenüber 82 geforderten Mindestbremshundertstel. Die Fahrzeuge des DGS 42757 stehen mit der Unfallursache in keinem kausalen Zusammenhang. Auf eine fahrzeugtechnische Un- tersuchung wurde deshalb verzichtet.

Der DGS 42597 bestand aus dem Tfz 91 88 7186 228-3 B-B und 19 beladenen Container- tragwagen. Der Zug verfügte über 118 Achsen, eine Länge 580 m und ein Gesamtzugge- wicht von 855 t. Mit einem Gesamtbremsgewicht von 844 t wurden 98 Bremshundertstel, gegenüber 66 Mindestbremshundertstel, erreicht. Bei dem ebenfalls in der Bremsstellung G fahrenden Zug waren alle 19 Wagen an die durchgehende Hauptluftleitung angeschlossen und entsprechend eingeschaltet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme durch die EUB nach dem Unfall waren alle Bremsen im Zug angelegt. Die in der elektronischen Fahrtenregistrie- rung (EFR) aufgezeichneten Daten ließen weder Unregelmäßigkeiten im Bremsverhalten des Zuges noch andere Auffälligkeiten erkennen, die den Unfall hätten begünstigen können. Aus diesen Gründen wurden auch an diesem Zug keine tiefgreifenden fahrzeugtechnischen Untersuchungen für erforderlich gehalten.

4.6 Untersuchung der betrieblichen Handlungen

4.6.1 Allgemeines

Die betrieblichen Handlungen der am Unfall beteiligten Mitarbeiter konnten anhand der Auf- schreibungen des Fdl, der Stellung der Stellwerksinnen- und Außenanlagen, der Auswertung der aufgezeichneten Gespräche und durch Auswertung der EFR-Daten beider Züge hinrei- chend genau rekonstruiert werden. Im Folgenden werden die betrieblichen Handlungen der Beteiligten in zeitlicher Reihenfolge wiedergegeben.

4.6.2 Angaben zu den beteiligten Mitarbeitern

Am Unfall in Leese-Stolzenau waren folgende Mitarbeiter der unterschiedlichen Eisenbahn- unternehmen beteiligt.

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1) Der Fdl als Mitarbeiter des EIU DB Netz AG

2) Die Tf-in des DGS 42757 für das EVU Hector Rail AB

3) Der Tf des DGS 42597 für das EVU Lineas Group N.V./S.A

Zu 1) Der Fdl des Bahnhofs Leese-Stolzenau besaß die nötige Qualifikation. Er wurde auf dem Stellwerk Lf örtlich eingewiesen und geprüft. Der Fdl war berechtigt allein den Dienst im Stellwerk Lf zu verrichten. Seit Oktober 2013 war er auf diesem Dienstposten im Einsatz. Darüber hinaus durfte er auf vier weiteren Bahnhöfen den Dienst als Fdl ausführen. Er hatte an den regelmäßigen Fortbildungsunterrichten teilgenommen und wurde nach dem unter- nehmensinternen Regelwerk 8-mal im Jahr hinsichtlich der Dienstausübung überwacht. Die letzte örtliche Überwachung in Leese-Stolzenau fand am 24.04.2017 statt. Das durchgeführ- te Lehrgespräch hatte u.a. den Umleitungsverkehr über die Strecke 1741 zum Thema. Die letzte schriftliche Kontrolle mit Ereignistest fand im Jahr 2015 statt. Der Fdl besaß die erfor- derliche medizinische Tauglichkeit. Die notwendigen Ruhezeiten zwischen den Diensten wurden eingehalten. Am Vortag war er im Dienst von 13:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Am Unfalltag hat der Fdl ebenfalls um 13:00 Uhr seinen Dienst begonnen. Im Rahmen der Untersuchungen wurden keine Einschränkungen bekannt, die dem Einsatz des Fdl am Ereignistag entgegenstanden.

Zu 2) Die Tf-in des DGS 42757 war im Besitz eines gültigen europäischen Triebfahrzeugfüh- rerscheins. Durch das EVU Hector Rail AB wurde ihr die Zusatzbescheinigung ausgestellt. Sie war berechtigt Rangier- und Zugfahrten im Güter- und Personenverkehr (Klasse A und B) durchzuführen. Sie besaß die erforderlichen Qualifikationen, das Tfz auf der Infrastruktur der DB Netz AG zu führen. Die erforderliche Streckenkunde wurde nachgewiesen. Die Nachweise über die Teilnahme an Fortbildungsunterrichten, die Ergebnisse von Überwa- chungsfahrten sowie die Einsatzplanung waren nicht zu beanstanden.

Zu 3) Der Tf des DGS 42597, ein niederländischer Staatsbürger, war ebenfalls im Besitz des Triebfahrzeugführerscheins nach einheitlichem europäischem Muster. Die vom EVU Line- as N.V./S.A. ausgestellte Zusatzbescheinigung berechtigte ihn zur Durchführung von Ran- gier- und Zugfahrten im Güter- und Personenverkehr im Streckennetz der Deutschen Bahn. Er war berechtigt das am Unfall beteiligte Tfz zu führen. Die vom EVU vorgelegten Unterla- gen hinsichtlich Fortbildung und Überwachung des Tf standen seinem Einsatz nicht entge- gen.

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4.6.3 Betrieblicher Ablauf

Wegen umfangreicher Bauarbeiten zwischen Bremen Hbf und Osnabrück Hbf wurden zum Zwecke der Entlastung dieser Strecke im Zeitraum von Mai 2017 bis Juli 2017 mehrere Züge über die Strecke 1741 und damit über Leese-Stolzenau umgeleitet. Dies betraf auch die am Unfall beteiligten Züge. Der DGS 42757 wurde ab Rotenburg/Wümme über Nienburg (We- ser) und Minden (Westf) nach Fplo 20830 N Hectorrail T1 umgeleitet. Planmäßig sollte der Zug um 5:58 Uhr den Bahnhof Leese-Stolzenau durchfahren. An diesem Tag war der Zug jedoch ca. 8 Stunden später. Gegen 13:45 Uhr erhielt der Fdl in Leese-Stolzenau von der BZ in Hannover fernmündlich die Weisung, den anrückenden DGS 42757 in Leese-Stolzenau mit den entgegenkommenden Zugfahrten DGS 42597 und Tfzf 81806 kreuzen zu lassen. Um 13:47 Uhr nahm der Fdl den ihm vom Fdl Estorf (Weser) angebotenen Zug 42757 an. Er trug die Zugmeldung in sein Zugmeldebuch ein und vermerkte dahinter die Zugkreuzung mit Zug 42597. Warum er hier nicht auch die anschließende Tfz-Leerfahrt vermerkte, konnte nicht geklärt werden. Auf die Entstehung des späteren Unfalls hatte dies keine Auswirkun- gen.

Abb. 4: Auszug aus dem Zugmeldebuch

Anschließend stellte der Fdl das Esig A für den DGS 42757 nach Gleis 1 auf Fahrt. Er wählte hierzu die Zugstraße mit kurzem D-weg. Das Esig A zeigte deshalb Hp 2 „Langsamfahrt“, das zugehörige Vorsignal dementsprechend Vr 2. Das Zielsignal Asig N1 zeigte Hp 0 „Halt“ und das in Höhe des Esig A dazu gehörige Vorsignal Vn signalisierte Vr 0.

Der DGS 42757 fuhr gegen 13:40 Uhr in Estorf durch und näherte sich dem Bahnhof Leese- Stolzenau mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h. Lt. den auf einer Datenspeicherkasset- te (DSK) aufgezeichneten EFR – Daten waren am Zugdatensteller des Tfz 80 Bremshun- dertstel, die Bremsart 4, eine Zuglänge von 710 m und eine max. zulässige Geschwindigkeit von 100 km/h eingestellt. Die Fahrt fand in der Zugart M statt. Die fehlerhafte Eingabe der maximal zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie der falschen Zugart in den Zugdaten hatte keinerlei Auswirkungen auf den späteren Unfall.

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In etwa 200 m vor dem Vorsignal Va begann die Tf-in die Geschwindigkeit des Zuges mittels Betriebsbremsung zu senken. Am Standort des Vorsignals wurde die PZB-Einrichtung des Tfz um 13:56:26 Uhr (DSK-Zeit) bei einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h von einem 1000 Hz Gleismagnet beeinflusst. Diese Beeinflussung wurde durch die Tf-in mit der Bedienung der Taste „Wachsam“ quittiert. Im weiteren Verlauf wurde die Geschwindigkeit des Zuges weiter abgesenkt. Bei einer Geschwindigkeit von ca. 31 km/h kam es um 13:57:52 Uhr (DSK- Zeit) am Standort des Esig A mit Ausfahrvorsignals Vn erneut zu einer 1000 Hz Zugbeein- flussung, die die Tf-in wiederum mit der Wachsamkeitstastenbedienung quittierte. Um 13:59:34 Uhr (DSK-Zeit) wurde bei einer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h eine Beeinflus- sung durch einen 500 Hz Gleismagnet aufgezeichnet. Der Grund dieser und der zuvor re- gistrierten 1000 Hz Beeinflussung lag in der Haltstellung des Asig N1. Um 14:00:39 Uhr (DSK-Zeit) wurde die angehängte Geschwindigkeitsüberwachung, wegen des Unterschrei- tens der Umschaltgeschwindigkeit, restriktiv. Der DGS 42757 kam um 14:00:51 Uhr (DSK- Zeit) in etwa im km 21,020 und somit ca. 25 m vor dem Halt zeigenden Asig N1 zum Still- stand. Dabei stand die Zugspitze auf der Eisenbahnüberführung der Stolzenauer Straße (B215 / 441). In den folgenden ca. 45 Minuten wurden zunächst keine weiteren Daten aufge- zeichnet.

Zum besseren Verständnis der Darstellung wurden die aufgezeichneten Wegdaten bei der Auswertung normiert. Dabei wurden die Wegaufzeichnungen der tatsächlichen Streckenki- lometrierung angepasst. Als Bezugspunkt wurde die Zugbeeinflussung durch den PZB- Gleismagnet am Einfahrsignal A / Vorsignal n in km 20,030 gewählt.

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Abb. 5: graf. Darstellung der EFR-Daten; DGS 42757

Nachdem der DGS 42757 in Gleis 1 eingefahren war, musste sich der Fdl zunächst von der Vollständigkeit des Zuges überzeugen. Da er den Zugschluss des über 700 m langen Zuges von seinem Dienstraum nicht sehen konnte, musste er sich offensichtlich zum letzten Wagen begeben haben, um die Feststellung dort zu treffen. Die Abläufe hierbei wurden nicht näher untersucht, da es keinen Zusammenhang mit der späteren Unfallursache gab. Letztendlich hatte der Fdl das Esig A auf Halt gestellt und das Endfeld des Streckenblocks geblockt. Im weiteren Verlauf brachte er dann zwei Hilfssperren an, und zwar an den Fahrstraßenhebeln a2 und f2. Auf die Bedeutung dieser Handlungen wird im Abschnitt 5 eingegangen.

Abb. 6: Fahrstraßenhebel mit Hilfssperren

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Um 14:26 Uhr meldet der Fdl Windheim den DGS 42597 mit der Durchfahrzeit 14:29 Uhr in Windheim. Der Fdl Leese-Stolzenau nahm den Zug an und trug die Zugmeldung in sein Zugmeldebuch ein. Anschließend meldete er um 14:40 Uhr den Zug an den Fdl Estorf mit der Durchfahrzeit 14:44 Uhr voraus. Auch diese Zugmeldung wies er im Zugmeldebuch nach.

Abb. 7: Auszug aus dem Zugmeldebuch

Der DGS 42597 wurde ebenfalls als Sonderzug über die Strecke 1741 zwischen Minden (Westf) und Nienburg (Weser) umgeleitet. Entsprechend der Fplo 0630-42597-N-00 des Re- gionalbereichs Nord sollte der Zug um 12:20 Uhr in Leese-Stolzenau durchfahren. Auch die- ser Zug war am Unfalltag verspätet.

Nach den Zugmeldungen für DGS 42597 stellte der Fdl Leese-Stolzenau die Durchfahrt für den Zug durch seinen Bahnhof her. Dafür wählte er für die Einfahrt die Zugstraße vom Esig F nach Gleis 1 bis zum Asig P1 mit langem D-Weg. Für die Ausfahrt stellte er dann das Asig P1 in Richtung Estorf auf Fahrt. Für den DGS 42597 wurde dadurch die Durchfahrt in Leese- Stolzenau wie folgt signalisiert. Das Vorsignal zum Esig F zeigte Vr 1 „Fahrt erwarten“. Das Esig F zeigte Hp 1 „Fahrt“ (Anm.: mit der zul. Streckengeschwindigkeit; hier 80 km/h). Das Vorsignal p signalisierte Vr 1 und das zugehörige Asig P1 ließ die Ausfahrt ebenfalls mit 80 km/h (Hp 1) zu.

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Abb. 8: Esig F und Asig P1 mit Stelleinrichtung und Vorsignal p

Anschließend rief der Fdl um 14:41 Uhr die Tf-in des im Bahnhof stehenden DGS 42757 mittels GSM-R Zugfunk an. In dem folgenden Gespräch informierte er die Tf-in zunächst über die bevorstehenden zwei Zugkreuzungen. Dann diktierte er ihr im Auftrag des Fdl in Windheim einen Befehl Nr. 8 zur Sicherung eines Bahnübergangs in km 39,443. Dabei machte er die nötigen Angaben zum Ausfüllen des schriftlichen Befehls. Bezüglich des Standorts des Zuges sagte der Fdl: „Du bist in Gleis 1 am Signal N1“. Die Tf-in wiederholte: Gleis 1, Signal N1“. Worauf der Fdl antwortete: „genau, vom Bahnhof Leese-Stolzenau“.

Noch während des Gesprächs näherte sich der DGS 42597 dem Bahnhof. Der Zug fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 73 km/h mit leicht fallender Tendenz. Die EFR-Daten wurden auf einem Datenrekorder vom Typ Teloc 2500 aufgezeichnet. Hieraus ist ersichtlich, dass am Zugdatensteller 90 Bremshundertstel, die Bremsart 2, eine Zuglänge von 580 m und eine max. zulässige Geschwindigkeit von 90 km/h eingestellt waren. Die Fahrt fand in der Zugart U statt. Zur Rekonstruktion dieser Zugfahrt wurden der Teloc-Datensatz und der ETCS- Datensatz des Speichergeräts ausgewertet. Beide Datensätze registrieren die Uhrzeit sys- temintern, die von der realen Uhrzeit abweichen kann. Untereinander wiesen die Zeiten eine Differenz von ca. 7 s auf. Zudem wurden der Teloc-Datensatz in UTC-Zeit und der ETCS- Datensatz in MESZ aufgezeichnet. Durch den Abgleich der beiden Datensätze waren hin- reichend genaue Rückschlüsse auf den Fahrtverlauf des Zuges möglich. Auch hier wurden zur besseren Veranschaulichung die aufgezeichneten Wegdaten der tatsächlichen Stre-

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ckenkilometrierung angepasst. Als Referenzpunkt wurde die vermutete Kollisionsstelle (Ab- knicken der Geschwindigkeitskurven in beiden Datensätzen) in km 21,020 gewählt.

Während der Vorbeifahrt des Zuges an den Vorsignalen f und p wurden keine Beeinflussun- gen durch PZB-Gleismagnete aufgezeichnet, da beide Vr 1 signalisierten. Ca.12:43:59 Uhr (UTC, Systemzeit) wurde ca. 190 m vor dem späteren Kollisionspunkt bei ca. 71 km/h die Bedienung der Zugbremse in Form einer Schnellbremsung aufgezeichnet. Nach einem Fahrweg von ca. 30 m wird um 14:44:07 Uhr (MESZ, Systemzeit) die Absenkung der Druck- luft in der Hauptluftleitung (Luftversorgungs- und Steuerleitung der Zugbremse) auf unter 2,2 bar registriert. Daraufhin setzt eine allmähliche Absenkung der Geschwindigkeit bis auf ca. 64 km/h ein.

Zu diesem Zeitpunkt waren der Fdl und die Tf-in des DGS 42757 noch im Gespräch zur Be- fehlsübermittlung. Die Tf-in war gerade dabei, die gesamten Angaben des Befehls zu wie- derholen als die Aufzeichnungen durch einen Aufschrei der Tf-in und durch heftige Kollisi- onsgeräusche unterbrochen wurden. Das Gespräch brach um 14:44:18 (GSMR-Zeit) ab.

In den beiden EFR-Datensätzen des DGS 42597 wurde in diesem Augenblick ein sprunghaf- ter Geschwindigkeitsabfall von 5 km/h bis 7 km/h aufgezeichnet. Innerhalb der folgenden Sekunde wurden im ETCS-Datensatz die Bedienung der Taste „Wachsam“, eine PZB- Zwangsbremsung und der Abfall der Digitalspuren für den Führerstand 1 und die Zugart U vom Wert 1 auf den Wert 0 abgebildet. Diese Aufzeichnungen sprechen für die infolge der Kollision eingetretene Zerstörung von Teilen der PZB-Fahrzeugeinrichtung. Nahezu gleich- zeitig wurde im Teloc-Datensatz die Bedienung der Pfeifeinrichtung des Tfz aufgezeichnet. Auch hierbei dürfte es sich um eine Folge der Kollision handeln, denn in dem Gesprächsmit- schnitt war kein Pfeifen eines Tfz zu hören. Ca. 2 s vor der Kollision wurde im Teloc- Datensatz eine Sifa-Zwangsbremsung registriert. Diese war eingetreten, weil der Tf ange- sichts des bevorstehenden Zusammenstoßes offensichtlich die Sifa nicht mehr bedient hatte. Auswirkungen auf das Ereignis hatte dies nicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Schnellbrem- sung des Tf bereits aktiv. Nach der Kollision zeichneten beide Datensätze einen Weg von ca. 102 m – bis 111 m bis zum Stillstand des Zuges auf. Diese Aufzeichnungen sind aufgrund möglicher wechselnder Reibwerte nach der Kollision eventuell fehlerbehaftet. Gegen 14:44:28 Uhr (MESZ, Systemzeit) kam der Zug zum Stillstand

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Abb. 9: grafische Darstellung Teloc-Datensatz des DGS 42597

Abb. 10: grafische Darstellung ETCS-Datensatz des DGS 42597

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In den EFR-Daten der DSK des DGS 42757 wurden um 14:44:08 Uhr (DSK-Zeit) zunächst eine 2000 Hz Zwangsbremsung mit anschließendem Luftverlust in der Hauptluftleitung, ge- folgt von einer Überschreitung der Überwachungsgeschwindigkeiten aus 1000 Hz und 500 Hz Beeinflussungen, noch während des Stillstands aufgezeichnet. Zwischen 14:44:09 Uhr und 14:44:19 Uhr (DSK-Zeiten) wurde das Tfz des 42757 mit einer Geschwindigkeit bis ca. 23 km/h über einen Weg von ca. 74 m abrupt bewegt. Die Aufzeichnungen ab 14:44:08 Uhr sind Folge der Zugkollision und hinsichtlich der norma- len PZB-Funktionalität teils nicht plausibel. Bei der aufgezeichneten Bewegung handelt es sich um eine Rückwärtsbewegung, entgegen der vorherigen Fahrtrichtung (siehe Abb. 5) Diese wurde verursacht durch den heftigen Aufprall des einfahrenden DGS 42597. Die Auf- zeichnungen zu Weg und Geschwindigkeit sind in diesem Zusammenhang fehlerbelastet und müssen nicht mit der Realität übereinstimmen. Der Grund liegt auch hierfür in der Ent- gleisung des Fahrzeugs und den damit unterschiedliche Reibwerten an der Geberachse, die die Aufzeichnungen verfälschen können.

Um 14:44:55 Uhr (GSMR-Zeit) rief die Tf-in des DGS 42757 den Fdl an, der zu diesem Zeit- punkt den Notfallmanager bereits über den Unfall unterrichtet. In diesem und einem weiteren Zugfunkgespräch, das um 14:50 Uhr geführt wurde, teilte die Tf-in dem Fdl u.a. mit, dass sowohl sie, als auch der Tf des DGS 42597 den Unfall überlebt haben.

4.7 Interpretation der Unfallspuren Bis zum Eintreffen der EUB gegen 17:30 Uhr wurden an den Fahrzeugen und Sicherungsan- lagen keine Veränderungen vorgenommen. Die im Gleis 1 kollidierten Züge in Verbindung mit den Fahrt zeigenden Signalen für DGS 42597 ließen recht schnell den Schluss zu, dass die Zugkollision infolge einer durch Hauptsignal zugelassenen Einfahrt in ein besetztes Gleis entstand. Die weiteren Untersuchungen bestätigten dies. Anhand der Folgen, wie die stark verformten Tfz, die umherliegenden Wagen einschließlich deren Ladung machten deutlich, dass der Zusammenstoß der beiden Züge mit relativ hoher Geschwindigkeit erfolgt war. Die starken Zerstörungen des, bezogen auf die ursprüngliche Fahrtrichtung, hinteren Führer- stands des Tfz des DGS 42757 lassen den Schluss zu, dass das Tfz durch die Kollision un- ter die ersten Wagen des Zuges gedrückt wurde, bzw. dass die ersten Wagen über das Tfz hinweg entgleisten.

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Abb. 11: Die Tfz nach der Kollision

5 Auswertung und Schlussfolgerungen Die Zugkollision am 30.06.2017 im Bahnhof Leese-Stolzenau wurde durch mehrere Arbeits- fehler des dort verantwortlichen Fdl verursacht. Dieser hatte vor der Zulassung der Zugfahrt des DGS 42597 den Fahrweg auf Freisein von Fahrzeugen nicht geprüft. Bereits zuvor hatte er es versäumt, nach Einfahrt des DSG 42757 in Gleis 1 Hilfssperren an den Fahrstraßen- 1 1 hebeln a1, a1 , f1 und f1 anzubringen, um sich so vor der späteren Fehlhandlung zu schützen. Letztendlich hat der Fdl das Esig F für den DGS 42597 auf Fahrt gestellt und dem Zug somit die Einfahrt in das besetzte Gleis 1 erlaubt.

Der Tf des DGS 42597 hatte die Erlaubnis mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h in den Bahnhof Leese-Stolzenau ein und auszufahren. Dabei galt natürlich auch für ihn der Grundsatz, auf einen freien Fahrweg vertrauen zu dürfen. Der Tf des DGS 42597 hatte keine Möglichkeit das Ereignis zu verhindern oder dessen Fol- gen wesentlich zu mindern. Der lang gezogene Rechtsbogen im südlichen Einfahrbereich des Bahnhofs machte es dem Tf lange Zeit unmöglich, die drohende Gefahr zu erkennen. Als der Tf den im Bahnhof stehenden Zug sehen und erkennen konnte, dass dieser Zug in seinem Einfahrgleis steht, war er mit seinem Zug bereits soweit in den Bahnhof eingefahren, dass auch die sofortige Schnellbremsung keine wesentliche Geschwindigkeitsreduzierung und damit ein Abschwächen der Folgen bewirken konnte.

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Die Tf-in des DGS 42757 hatte mit ihrem stehenden Zug keinen Einfluss auf das Gesche- hen. Von der nach Gleis 1 zugelassenen Einfahrt des Gegenzuges konnte sie nichts bemer- ken. Außerdem war sie bis zum Zusammenstoß mit dem Ausfüllen des Befehlsvordrucks beschäftigt, so dass sie den herannahenden Zug erst im letzten Augenblick bemerkte. Ihr Handeln hatte weder etwas mit der Entstehung des Unfalls zu tun, noch hatte sie eine Mög- lichkeit die Folgen dessen zu mindern oder das Ereignis gänzlich zu verhindern.

Letztendlich stellt sich die Frage nach den Gründen des falschen Handelns des Fdl. Warum ließ der Fdl die Einfahrt des DGS 42597 in das durch DGS 42757 besetzte Gleis 1 zu? Diese Frage kann die BEU nicht abschließend beantworten. Da offensichtliche Gründe nicht fest- gestellt wurden, sind lediglich Mutmaßungen zu eventuellen Einflussfaktoren möglich.

Nach Auffassung der BEU war der Fdl hinreichend ausgebildet und qualifiziert die Tätigkeit als Fdl auszuführen. Er verfügte über eine mehrjährige Arbeitserfahrung. Der kleine Bahnhof mit der eingleisigen Strecke stellt keine sonderlich großen Herausforderungen an einen Fdl. Hinsichtlich der Arbeitsbelastung des Fdl ist festzustellen, dass es durch Bauarbeiten im Raum Bremen und Osnabrück zwischen Mai und Juli 2017 mehrere sogenannte Umleiterzü- ge gab, die die Strecke 1741 und damit den Bahnhof Leese-Stolzenau zusätzlich befuhren. Der BEU liegen 24 Fahrplananordnungen vor nach denen eine Vielzahl von Zügen von die- sem Umleitungsverkehr betroffen waren. Da der Großteil dieser Züge jedoch nur an be- stimmten Verkehrstagen umgeleitet wurde, blieben für den 30.06.17 letztendlich nur ca. acht Züge, die den Bahnhof Leese-Stolzenau zusätzlich passierten. Gleichzeitig wurden wegen der Umleiterzüge die planmäßig verkehrenden Züge des Personennahverkehrs durch einen Schienenersatzverkehr ersetzt. Somit wird deutlich, dass selbst durch die Umleitung der Zü- ge für den Fdl in Leese-Stolzenau keine deutlich größere Arbeitsbelastung entstand. Selbst die Abweichungen der Unfallzüge von den planmäßigen Durchfahrtzeiten sind im Güterver- kehr keine Besonderheit. Die dadurch notwendige Zugkreuzung stellt zudem keine besonde- ren Herausforderungen an das Stellwerkspersonal, da diese im planmäßigen Betrieb ohne Umleitungsverkehre zum täglichen Arbeitsablauf gehören.

Der Fdl hatte gegen 13:00 Uhr seinen Dienst begonnen. Die beiden am Unfall beteiligten Züge waren die Zugfahrten zwei und drei, die der Fdl während seines Dienstes durchführte. Von der Ankunft des DGS 42757 im Gleis 1 bis zur Zugmeldung des DGS 42597 aus Wind- heim vergingen 27 Minuten. Diese Zeit war auch ausreichend, um vom eingefahrenen 42757 den Zugschluss am letzten Wagen feststellen zu können. Auch wenn damit ein nicht ganz unerheblicher Fußweg verbunden war, gab es für den Fdl keinen Grund unter Zeitdruck zu geraten bzw. in Hektik zu verfallen. Der Fdl hatte offensichtlich ausreichend Zeit, die Zug-

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meldungen für den DGS 42597 an- bzw. abzugeben und die Signale für die Durchfahrt des Zuges auf Fahrt zu stellen. Ob der Fdl währenddessen anderweitig abgelenkt war ist nicht bekannt. Beim anschließenden Diktieren des Befehls wirkte der Fdl ruhig und ausgeglichen. Anhand dieser Feststellungen lässt sich hinsichtlich der Belastung des Fdl schlussfolgern, dass diese vom Dienstbeginn bis zum Unfall als eher niedrig anzusehen ist und sich somit nicht begünstigend auf das Ereignis ausgewirkt haben dürfte.

Schenkt man der Aussage des Fdl Glauben, er habe nach dem Unfall nichts im Stellwerk verändert, dann hat dieser nach der Einfahrt des 42757 Hilfssperren an den Fahrstraßenhe- beln angebracht. Dabei hat er jedoch die Einfahrten nach Gleis 2 und nicht nach Gleis 1 un- terbunden. Eine völlig unnötige Handlung also, da Gleis 2 nicht besetzt war. An dieser Stelle drängt sich der Verdacht auf, dass der Fdl womöglich die Gleise verwechselt habe und er im Glauben war, den ersten Zug nach Gleis 2 gefahren zu haben. Diesem Verdacht stehen je- doch zwei Tatsachen entgegen. So musste der Fdl zur Zugschlussfeststellung nach Gleis 1 gehen und dabei die freien Gleis 3 und 2 passieren (siehe Abb. 3). Außerdem musste der Fdl der Tf-in beim Diktieren des Befehls den Standort ihres Zuges angeben. Hier sagte der Fdl „ du stehst in Gleis 1 vor Signal N1“. Die Wiederholung der Tf-in „Gleis 1, N1“ kommen- tierte der Fdl mit „genau“ und ergänzte „in Leese-Stolzenau“. Besonders Letzteres macht deutlich, dass sich der Fdl im Klaren darüber war, dass Zug 42757 in Gleis 1 und nicht in Gleis 2 stand. Hätte der Fdl die Hilfssperren zur Kennzeichnung besetzter Einfahrgleise re- gelkonform an den Fahrstraßenhebeln für die Einfahrten nach Gleis 1 angebracht, dann hät- ten ihn diese Hilfssperren vor der späteren Fehlhandlung, der Zulassung der Zweiten Zug- fahrt nach Gleis 1, schützen können. Dennoch ist das falsche Anbringen der Hilfssperren nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Kollision zu bringen. Die Hilfssperren sind schließlich kein Ersatz für die unmittelbar vor Zulassung der Zugfahrt zwingend erforderliche Fahrwegprüfung durch Hinsehen. Hierbei hätte der Fdl nach den Regeln der Fahrdienstvor- schrift in Verbindung mit den Bestimmungen des Bebu vor die Tür seines Dienstraumes tre- ten müssen und das Gleis innerhalb der vorgegebenen Fahrwegprüfgrenzen auf Freisein augenscheinlich prüfen müssen. Erst danach hätte er die Zugfahrt zulassen dürfen. Leider hat er dies offensichtlich nicht getan, denn sonst hätte er den DGS 42757 in Gleis 1 stehen gesehen. Selbst wenn er entgegen der Regeln des Bebu den Dienstraum nicht zur Fahr- wegprüfung verlassen hätte, so hätte bereits ein kurzer Blick aus einem der Fenster seines Dienstraumes gereicht, um den Zug in Gleis 1 zu erkennen. Der DGS 42757 hatte eine Län- ge von über 700 m und füllte damit nahezu das Gleis 1 auf voller Länge aus, wobei der stän- dig nicht einsehbare Gleisbereich nicht einmal betroffen war. Der Zug oder wenigstens ein

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Teil des Zuges war aus jedem der sechs Fenster des kleinen Dienstgebäudes sichtbar. Es scheint fast nicht vorstellbar, dass der Fdl nicht wenigsten einmal nach der Zugmeldung durch eines dieser Fenster hindurchgesehen hat. Möglicherweise hat er dies auch getan, weil es mehr oder weniger zwangsläufig geschieht, wenn man sich in dem Raum hin und her bewegt. Doch offensichtlich hat er dann das Gesehene nicht bewusst wahrgenommen und nicht realisiert, dass der Zug in dem Gleis steht, durch das er die Durchfahrt des DGS 42597 zugelassen hat. Selbst als er der Tf-in den Befehl diktierte wurde ihm dieser gefährliche Wi- derspruch nicht bewusst.

Da es in Leese-Stolzenau weder eine technische Einrichtung, noch einen zweiten Mitarbei- ter, der an der Fahrwegprüfung beteiligt ist, gibt (Vier –Augen - Prinzip) führte der Fehler des Fdl zwangsläufig zu einem schweren Unfall. Es gab quasi keine Rückfallebene, die den Feh- ler hätte offenbaren und das Ereignis hätte verhindern können. Diese Anforderungen hätte zweifellos eine selbsttätige Gleisfreimeldeeinrichtung erfüllt. Diese hätte das besetzte Ein- fahrgleis erkannt und die Fahrtstellung des Esig F für den DGS 42597 nicht zugelassen.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Zugkollisionen und Beinaheunfälle, weil bei der Fahrwegprüfung durch Hinsehen Fehler begangen wurden. Oft wurden nur durch glückliche Umstände die Zusammenstöße verhindert, weil bspw. die Sichtbedingungen für den Tf güns- tiger oder die Geschwindigkeit niedriger waren als in Leese-Stolzenau. Zu den folgenreichs- ten Zugkollisionen infolge mangelhafter Fahrwegprüfung durch Hinsehen zählen die Unfälle von Bleicherode Ost am 21.09.2011 und in Hosena am 11.11.2013. Im Gegensatz zu Leese- Stolzenau waren hier jeweils zwei Mitarbeiter an der Fahrwegprüfung beteiligt. Glücklicher- weise waren bei beiden Ereignissen keine Menschenleben zu beklagen. Die Sach- und Um- weltschäden waren jedoch teils enorm. Die EUB empfahl in ihrem Untersuchungsbericht zum Ereignis in Bleicherode Ost zur Verbesserung der Sicherheit eine „Überprüfung, ob in den durchgehenden Hautgleisen von Bahnhöfen selbsttätige Gleisfreimeldeanlage vorgesehen werden sollten“. Das EIU die DB Netz AG gab daraufhin an, dass der Bahnhof Bleicherode Ost im Zuge der Modernisierung der Strecke mit ESTW – Technik ausgerüstet wird. Dies ist bis zur Erstellung dieses Berichts im September 2017 nicht geschehen. Der Bahnhof Hosena hingegen wurde umgebaut. Mit der Realisierung des ESTW werden die Gleise hier mit einer selbsttätigen Gleisfreimeldeanlage u.a. auf Frei- und Besetztsein geprüft. Wann und ob dies in Bleicherode Ost der Fall sein wird, ist der BEU nicht bekannt. Unbekannt bleibt der BEU auch, zu welchem Zeitpunkt Bahnhöfe, für die keine ESTW in absehbarer Zeit geplant sind, mit einer Gleisfreimeldeanlage ausgerüstet werden. Aus diesem Grund scheint eine Konkre- tisierung der Sicherheitsempfehlung aus dem Unfallbericht zu Bleicherode Ost sinnvoll.

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Demnach sollten alle Bahnhöfe, die bisher über keine selbsttätige Gleisfreimeldeanlage ver- fügen, einer Risikobetrachtung unterzogen und sukzessive mit einer solchen Anlage nachge- rüstet werden. In die Risikobetrachtung sollten Fakten wie bspw. Anzahl der Reise- und Gü- terzüge, Streckengeschwindigkeit, Sichtverhältnisse (nichteinsehbare Bereiche, Verlassen des Dienstraums erforderlich) und Anzahl der an der Fahrwegprüfung beteiligten Mitarbeiter in jedem Fall Berücksichtigung finden. Dadurch könnten Bahnhöfe wie Leese-Stolzenau, die an doch recht stark frequentierten Strecken liegen, über einen Taktfahrplan im Reisezugverkehr verfügen und wo zudem nur ein einzelner Mitarbeiter zum Prüfen des freien Fahrwegs zur Verfügung steht, zeitnah mit einer Gleisfreimeldeanlage nachgerüstet werden. Dies könnte künftige Zugkollisionen mit gleichgelagerter Ursache verhindern und die Sicherheit in diesen Bahnhöfen deutlich erhö- hen.

Unabhängig von der Unfallursache sollten die Verantwortlichen die Frage klären, ob es nicht sinnvoll ist, den Bahnhof Leese-Stolzenau künftig mit Zugschlussbeobachtungsanlagen aus- zurüsten. Dadurch müsste der Fdl künftig bei Güterzugkreuzungen nicht mehrere Hundert- meter zur Zugschlussfeststellung durch den Bahnhof laufen. Eine Beschleunigung des Be- triebsablaufs und die Erhöhung der Betriebs- und Arbeitssicherheit wären die Folge. Hin- sichtlich des hier untersuchten Unfalls hätte diese Maßnahme jedoch keine Auswirkungen.

6 Sicherheitsempfehlungen Gemäß § 6 Eisenbahn-Unfalluntersuchungsverordnung (EUV) und Art. 26 Abs. 2 der Richtli- nie (EU) 2016/798 ergeht nachfolgende Sicherheitsempfehlung:

lfd. Nr. Sicherheitsempfehlung betrifft Unternehmen

1/2018 Bahnhöfe, die bisher über keine selbsttätige Gleisfreimeldean- lagen verfügen, sollten dahingehend einer Risikobetrachtung EIU unterzogen werden. Im Ergebnis dessen sollten die Hauptglei- se dieser Bahnhöfe entsprechend der Risikoklassifizierung

sukzessive mit einer selbsttätigen Gleisfreimeldeanlage nach- gerüstet werden

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