Grenzgänger aus der Bronzezeit und weitere Funde entlang der Mittelweser

Jens Landkreis /, Niedersachsen, und Kreis -Lübbecke,

Berthold Bronzezeit Regierungsbezirk

Für die amtliche Denkmalpflege sind Verwal- westfälischen -Wietersheim (Kreis tungsgrenzen eine absolute Größe, zumal Minden-Lübbecke): ein beinahe vollständi- wenn es um Grenzen zwischen Bundeslän- ges Griffplattenschwert der älteren Bronze- dern geht. Kulturen, Siedlungsräume und zeit (Abb. 1). Seine genaue Fundlage ist zwar AUSGRABUNGEN UND FUNDE UND FUNDE AUSGRABUNGEN Fundverbreitungen gerade der entfernteren wie bei Kiesfunden fast generell nicht mehr Vergangenheit nehmen es damit nicht so ge- auszumachen, doch kann man das Einbet- nau und erstrecken sich gar über moderne tungsmilieu am Objekt gut ablesen. Nur eine Grenzen hinweg. Darin sind sie manchmal Seite ist grünlich korrodiert bzw. patiniert, die den Hobbyarchäologen ähnlich: Wenn ein andere zu größeren Teilen in frischer Bronze- Feld oder eine Kiesgrube mit Funden lockt, ist farbe erhalten. Das deutet auf teils anaerobe auch eine Landesgrenze schnell überschritten. Abb. 1 Bronzeschwert der Manchmal wird sie auf dem Rückweg mit ei- älteren Bronzezeit aus nem wichtigen Fund auch ein zweites Mal einer Kiesgrube bei überschritten, sodass westfälische Funde in Petershagen-Wietersheim (M 1:4) (Grafik: Karina niedersächsischen Sammlungen landen. Dietze, Marburg). An der äußersten Nordostspitze von West- falen, wo die Weser auf fast 70 km Länge von Niedersachsen an Nordrhein-Westfalen »aus- geliehen« wird, wird nicht nur der Flusslauf, sondern auch eine reiche historische Kultur- landschaft verwaltungstechnisch zerteilt. Auf westfälischer wie auf niedersächsischer Seite ist die Region als fundreich und ehemals dicht besiedelt bekannt. Die Weser bot nicht nur Transport-, Handels- und Fischfangmöglich- keiten, sie bot auch einen günstigen Lebens- raum, der zu verschiedenen Epochen genutzt wurde. Heutzutage ist neben den Amateurarchäo- logen auch die Kies- und Sandabbauindustrie grenzübergreifend tätig. Entlang der Weser reihen sich die Abbaustellen in dichter Abfol- ge und beuten die Sedimente aus, die der Fluss über die letzten Jahrtausende abgelagert hat. Immer wieder treten dabei neben paläontologi- schen Stücken interessante Artefakte aus un- terschiedlichen Materialien zutage. 2013 wur- de der Kommunalarchäologie der Schaum- burger Landschaft, die seit 2009 im Raum zwischen Hameln und Nienburg den Part der archäologischen Denkmalpflege übernimmt, ein besonderer Fund von einem Sammler aus -Bruchhagen gemeldet. Auch wenn sein niedersächsisches Heimatgebiet um Stol- Lippe 2013 - zenau reich an Kiesgruben und auch an be- kannten Bronzefunden ist, so stammt die- ses Objekt doch aus einer Kiesgrube beim

Archäologie in Westfalen 70 Verhältnisse hin, wie sie in Flussablagerungen Abb. 2 Radnadel der zu fi nden sind. älteren Bronzezeit aus -Müsleringen Mit seinen 57,4 cm Länge und einem Ge- (FStNr. 21), Landkreis wicht von 461 g gehört es unter den Rapieren Nienburg/Weser (M 1:1) oder Langschwertern zu den größeren Vertre- (Foto: Kommunalar- tern. Eine fehlende Griffl änge von etwa 7 cm chäologie Schaumburger Landschaft/J. Berthold). bis 8 cm ist hinzuzurechnen. Die Klinge er- reicht in der Mitte maximal 3,1 cm Breite, der Griff kommt auf etwa 5,5 cm. Vier Nietlöcher sind in leichtem Bogen entlang des etwas frag- mentierten Griffplattenendes angeordnet und hielten ehemals mit Bronzenieten den Griff aus organischem Material. Eine Mittelrippe ner geborgen, die nach der 14C-Datierung in AUSGRABUNGEN UND FUNDE UND FUNDE AUSGRABUNGEN entlang der Klinge und zwei kleinere fl ankie- die Zeit um 1250 v. Chr. gehören. Schließlich rende Grate bilden die einzige Verzierung. Die stammen zwei weitere Kiesschwerter aus We- Klingenstärke nimmt vom Griff mit 0,9 cm serablagerungen bei Stolzenau, eines aus der kontinuierlich zur Spitze hin ab. Das Schwert älteren, eines aus der jüngeren Bronzezeit. wurde in einem Stück gegossen, kleine Fehl- Bronzezeitliche Kies- und Gewässerfunde sind stellen von Gasbläschen deuten auf geringe also nicht ganz unbekannt entlang der südli- Probleme beim Guss hin. Ein leichter Knick in chen Mittelweser, sodass man hinter den meis- der Klinge dürfte bei der Hebung und beim ten dieser Funde rituelle Niederlegungen ver- Transport durch die Gerätschaften des Kiesab- muten kann. baus entstanden sein. Der Fund ist den Rapie- Mehrere Neufunde entlang der Weser be- ren der beginnenden älteren Bronzezeit (Peri- leuchten daneben das 2. und beginnende 1. Jahr- ode II) zuzuweisen. tausend v. Chr. näher. Nur 50 m entfernt von Wie der Fund dorthin kam, wo er ausge- der Landesgrenze bei Müsleringen wurde 2011 baggert wurde, lässt sich im Einzelfall sicher auf einer Anhöhe in der Weserniederung das nicht mehr klären, aber es fällt auf, dass bronze- Bruchstück einer Radnadel der älteren Bron- zeitliche Schwerter und andere Objekte mehr- zezeit gefunden (Abb. 2). Einige jüngerbron- fach aus Flussablagerungen der Region gebor- zezeitliche Brandgräber traten bei Lehrgra- gen wurden. Aus Petershagen-Hävern stammt bungen der Universität Hamburg 250 m von ein Messer der jüngeren Bronzezeit und aus der Grenze zu Westfalen zutage. Eigentlich Abb. 3 Bronzezeitliches Petershagen-Seelenfeld ein Dolch der mittle- erforscht die Uni in Müsleringen ein Erdwerk Brandgrab eines Gräber- ren Bronzezeit aus dem Kies. Zwei weitere der Michelsberger oder Trichterbecherkultur. feldes bei Stolzenau- Schwerter fanden sich in Weserablagerun- Im oberen Hangbereich zur Weser wurden Müsleringen (FStNr. 2), gen bei Minden (Kreis Minden-Lübbecke) die verfüllten neolithischen Gräben aus der Landkreis Nienburg/ Weser (Foto: Kommunal- und gehören in die jüngere Bronzezeit. Zwei Zeit gegen 4000 v. Chr. von mehreren Urnen archäologie Schaumburger Schwertneufunde der Jahre 2010 und 2011 und Leichenbrandnestern überlagert (Abb. 3). Landschaft/J. Berthold). aus (Kreis Minden-Lübbe- cke) kommen dagegen möglicherweise bzw. sicher aus Gräbern der mittleren Bronzezeit. Die beiden Gräberfelder bei Petershagen – Lah- de und Seelenfeld – belegen zudem eine Besied- lung in der jüngeren Bronzezeit. Folgt man der Weser weiter nach Norden, so ist unmittelbar hinter der niedersächsischen Grenze als Kiesfund eine bronzene Schaftloch- axt bei Stolzenau-Müsleringen (Landkreis Nienburg/Weser) zutage getreten, die noch in die späte Jungsteinzeit gehört. Ebenfalls einen Gewässerbezug haben ein Randleistenbeil aus einer Kiesgrube im benachbarten Stolzenau- Diethe und eine Lanzenspitze aus einer Bach- Lippe 2013 niederung bei Stolzenau-Nendorf. Unweit der - eisenzeitlichen Moorleiche »Moora« aus dem Uchter Moor wurden deponierte Rinderhör-

71 Archäologie in Westfalen Abb. 4 Fundensemble aus bronzezeitlichen Grä- bern bei Steyerberg- Bruchhagen (FStNr. 48 bis 50), Landkreis Nienburg/ Weser (Foto: Kommunal- archäologie Schaumburger Landschaft/J. Berthold). AUSGRABUNGEN UND FUNDE UND FUNDE AUSGRABUNGEN Etwas nördlich wurden in den 1970er-Jahren Mögen die Funde über die Verwaltungs- bei Steyerberg-Bruchhagen drei überpflügte grenzen noch so sehr hin und her fließen, Grabhügel einer größeren Grabgruppe unter- auch der Informationsfluss zwischen den be- sucht, aber nie publiziert – daher können sie nachbarten Bodendenkmalpflegern funktio- noch als Neufunde gelten. Trotz der Störun- niert! gen fand sich hier eine Reihe aussagekräftiger Für Fundmeldungen und Hinweise danke Beigaben: eine Bernsteinperle, ein Absatzbeil, ich U. Hinz, F. Laux und R. Reimann. ein Dolch mit organischen Scheidenresten aus Holz oder Leder, ein Schwertklingenfragment und eine Radnadel (Abb. 4). Weniger hochwer- Summary tig im Material, aber dennoch aussagekräftig Archaeological cultures – and voluntary re- für die Rekonstruktion der Ernährungsweise ist searchers – often do not adhere to present-day ein Fund verkohlter Eicheln von 2011 bei Lan- administrative boundaries. The offices of desbergen (Landkreis Nienburg/Weser). Min- monument conservation in the border areas destens 419 Eichelhälften waren für den between Westphalia and there- menschlichen Verzehr geschält, dann bei dem fore often receive reports of finds from the erforderlichen Röstvorgang offenbar zu stark neighbouring state, which are jointly dealt erhitzt und schließlich entsorgt worden. Ein with here. The focus is on Bronze Age new AMS-Datum weist in das 14. Jahrhundert v. Chr. and old finds retrieved from the area along Die einzelnen Funde und Fundstellen wer- the southern , most no- fen zwar nur Schlaglichter auf das Geschehen tably a complete sword blade. an der Mittelweser im Grenzbereich von Nie- dersachsen und Westfalen in der Bronzezeit, Samenvatting sie deuten aber eine kontinuierliche Besied- Archeologische culturen – en de vrijwilliger in lung sowie eine kontinuierliche Versorgung de archeologie (ehrenambtliche Forscher) – mit Bronzeobjekten an, die mehrfach als Grab- houden zich dikwijls niet aan onze huidige ausstattung oder Hort in den Boden oder ins bestuurlijke grenzen. Daardoor worden aan Wasser gelangten. Auch wenn unmissverständ- officiële monumenteninstanties in het grens- liche Siedlungsfunde bislang weitgehend feh- gebied van Westfalen en Nedersaksen regel- len, so gleicht die Fülle an anderen Fundgat- matig vondsten uit een andere deelstaat ge- tungen diesen Umstand etwas aus. Vielleicht meld, die in dit artikel gezamenlijk beschreven erreichte die Populationsdichte der Bronzezeit worden. De focus ligt op oudere en nieuwe noch nicht den Umfang, wie er sich in der vondsten uit de bronstijd, langs het zuidelijke Fundkonzentration der nachfolgenden vorrö- deel van de Midden-Weser, in het bijzonder mischen Eisenzeit andeutet, die Weser hatte op een complete zwaardkling. für die Besiedlung und für rituelle Handlun- gen aber sicher keine unwesentliche Bedeu- Literatur tung. Friedrich Laux, Die Schwerter in Niedersachsen. Prä- historische Bronzefunde Abt. IV; 17 (Stuttgart 2009). – Britta Ramminger/Hubertus Sedlaczek/Nicole Kegler-

Lippe 2013 Vorläufige Ergebnisse zum neolithischen Erd- - Graiewski, werk aus Müsleringen, Ldkr. Nienburg/Weser. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 82, 2013, 3–26.

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