Schweigen Bis Ins Grab Der Belgische Radsport-Masseur Jef D’Hont Über Seine Arbeit Im Team Telekom
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
PATRICK BOUTROUX / WITTERS BOUTROUX PATRICK Telekom-Fahrer bei der Tour de France*: „Wir werden gemeinsam den Arzneikoffer zusammenstellen“ Schweigen bis ins Grab Der belgische Radsport-Masseur Jef D’hont über seine Arbeit im Team Telekom ünfzig Jahre lang habe ich im Rad- Die Fahrer, die Sportdirektoren, die Beim Team Telekom war der Einsatz sport gelebt. Die größten Champions Teammanager: Alle wussten über den Ge- von Epo so stark, dass es mir fast das Ge- Fhabe ich mit meinen Händen mas- brauch der Mittel. Geheimnisse gab es nick gebrochen hätte. Nach jedem Rennen siert. Ich habe einiges gesehen und ge- nicht. Nur die Außenwelt musste und soll- kam ich nach Hause und hatte den Kopf macht. te für dumm verkauft werden. Nach jeder voller Sorgen und Stress. Aber ich musste Früher musste der Soigneur, der Be- Doping-Enthüllung taten alle so, als hätten weiter schweigen, denn das ist das Gesetz treuer der Radrennfahrer, Autos waschen, sie nur Nasenbluten. Scheinheiligkeit, wo in der Welt der Radrennfahrer. Omertà, Essen zubereiten, die Fahrer ins Bett brin- man nur hinschaute, totales Schweigen. die Schweigepflicht der Mafia, auch im gen, ihnen die Beine massieren, ihren Kopf Und weiter ging es mit dem Spritzen, und Rennradsport. Schweigen bis ins Grab. klarkriegen und ihnen Vitamine geben. weiter wurde geschwiegen. Aber aus den Vitaminen wurden schon Jeder schreit, es sei eine Schande, aber m November 1991 unterschrieb ich mei- bald Amphetamine. Dann kamen die Ärz- niemand spricht. Wenn Doping die Wahr- Inen Vertrag bei Telekom. Mein Ver- te, und mit ihnen hat sich alles verändert. heit ist, ist Schweigen Gold. tragspartner war der neue Sportdirektor Nach den Amphetaminen kam das Korti- Jahrelang habe ich diese Lüge gelebt. Es Walter Godefroot, ein Belgier wie ich. son, danach Anabolika, danach Epo, und schien auch alles so normal, so logisch. Ich „Du weißt doch, warum sie dich geholt heute nehmen sie alles zusammen. setzte eine Spritze, ich setzte noch eine haben?“, fragte mich damals Noël Van- und habe die Augen geschlossen. Es hat tyghem, der Mechaniker des Teams, ein * Jan Ullrich, Bjarne Riis, Erik Zabel und Udo Bölts auf Jahre gebraucht, bis mir klar wurde, dass alter Bekannter und ein angenehmer der Etappe von Turin nach Gap am 9. Juli 1996. das, was wir dort taten, verhängnisvoll war. Mensch, der viel zu früh gestorben ist. „Du er Coppi, zweifacher Tour-de-France- Tom Simpson, der 1965 zugege- Chemische Keule Fausto Coppi Sieger, gibt zu, während seiner Karriere Simpson ben hatte, gedopt zu haben, 1967 1950 ITALIEN Amphetamine genommen zu haben, GB stirbt bei der 13. Etappe der und sagt, dies sei schon damals Tour de France. Amphetamine im Feld üblich gewesen. Amphetamine Mittel der spiegel 18/2007 57 SIROTTI / IMAGO SIROTTI WM-Dritter Ludwig (r.)*: Zehnmal jeweils tausend Einheiten Epo sollst die Fahrer ordentlich flottmachen, delt werden, Sportler, die sich auf Olym- treuer, der Arzt und der Mannschaftsleiter gemeinsam mit Doktor Schmid.“ pische Spiele, Weltmeisterschaften oder vorher informiert werden. Ich hatte schon einiges über Andreas andere große Sportereignisse vorbereite- Wir redeten auch über meinen Zauber- Schmid gehört. Er war es, der das medizi- ten. Sie kamen nach Freiburg, in das Wal- trank, mit dem ich seit 1977 arbeitete. Er be- nische System von Telekom aufgebaut halla der Sportmedizin. Das Wartezimmer stand aus Koffein, Persantin und Alupent. hatte. Er befand sich an der Spitze des war voll mit kerngesunden Menschen. Schmid schüttelte ungläubig den Kopf. Ärzteteams. Die Telekom hatte damals per Doktor Schmid bat mich in sein Büro. „Sie können den Gebrauch natürlich Vertrag darauf bestanden, dass das Team Wir plauderten ein bisschen und unter- verbieten“, sagte ich, „und ich werde ihn ausschließlich mit deutschen Ärzten ar- hielten uns über die Fahrer, über die Er- dann auch nicht mehr zubereiten, aber Sie beiten sollte, und als festen Ansprechpart- wartungen, über die Teamleitung. Dann können davon ausgehen, dass einige Fah- ner hatte man sich die Universität Freiburg nahm er mich mit nach hinten. rer sich dann nach anderen Mittelchen um- ausgesucht. Das war nichts Ungewöhnli- „Wir werden gemeinsam den Arznei- schauen, die bei Doping-Kontrollen viel- ches. Schon damals hatte Freiburg einen koffer zusammenstellen“, sagte Schmid. leicht positiv getestet werden.“ ausgezeichneten Ruf. Jeder, der in der „Die Verbände, die Vitamine, die Minera- Schmid richtete sich auf. Einen Do- deutschen Sportwelt etwas bedeutet, hatte lien, die Tabletten und Injektionen.“ Da- ping-Fall, so was konnte er sich nicht er- dort schon einmal im Wartezimmer ge- mals gehörte das zum normalen Arbeits- lauben. Das würde dem Ruf der Uni- hockt. Radrennfahrer, Leichtathleten, Fuß- ablauf zwischen Ärzten und Betreuern. versität schaden und erst recht dem Team. baller, ganze Sportvereine haben das Spe- Wir saßen einen ganzen Tag lang an der „Ich weiß, wie gefährlich es ist, mit Sport- zialteam von Doktor Schmid besucht. Frei- Arzneiliste. Schmid stimmte zu, dass wir lern zusammenzuarbeiten“, sagte Schmid. burg war dafür bekannt, dass es alle Fa- einen Teil der Vitamine über belgische Pro- „Ein positiver Fall könnte das Aus für das cetten der Sportmedizin abdeckte. Es war duzenten beziehen wollten. Auch die Be- Team bedeuten.“ Er stimmte schließlich also eine einfache und naheliegende Wahl. zahlung sollte über Belgien laufen. Dafür doch zu. Kurz nach dem Jahreswechsel 1991/92 gab es die Sportgroep Godefroot BVBA, meldete ich mich in der Universität Frei- die Firma des Teamdirektors mit Sitz im n meiner ersten Saison bei Telekom blie- burg. Ich wurde am Personaleingang er- belgischen Drongen. Iben große Erfolge aus. Godefroot wurde wartet. Der Mann, der mich durch das Wir trafen auch klare Vereinbarungen nervös. Viel Gewinn war in diesem Jahr Krankenhaus führte, erzählte mir, wer hier über den Doping-Einsatz in der Mann- nicht zu erwarten. arbeitet und welche Patienten hier behan- schaft. Keiner der Fahrer würde ein ver- Dann sprach mich Vantyghem, der Me- botenes Mittel ohne sein Wissen bekom- chaniker, an. Ich wusste sofort, dass etwas * Mit Miguel Induráin und Lance Armstrong am 29. Au- men. Bei jedem Doping-Einsatz, bei jeder nicht stimmte. „Du weißt ja, dass Walter gust 1993 in Oslo. Handlung sollten die Fahrer, die Teambe- sich für dich entschieden hat, weil du der Jacques 1969 wird Merckx die Ein- Anquetil Der fünfmalige Tour-Sieger Rudi Altig Eddy Merckx nahme von Amphetaminen, 1967 FRANKREICH gibt in einem Interview zu, 1969 DEUTSCHLAND ab 1969 BELGIEN 1973 von Ephedrin und gedopt zu haben. 1977 die eines Stimulanz- Amphetamine Amphetamine Amphetamine mittels nachgewiesen. 58 der spiegel 18/2007 Titel Mannschaft zu besseren Ergebnissen ver- ren das ganze Jahr Rennen, von Februar der Italiener und Spanier. Ampler sagte, er helfen solltest. Davon haben wir bislang bis Ende September, und das wäre mit Kor- wolle zu einem italienischen Arzt und er noch nichts gemerkt“, sagte er. tikoiden oder anderen gesundheitsschädli- wolle Godefroot bitten, den Stoff zu be- Godefroot hatte seinen Mann mit ei- chen Mitteln nicht möglich gewesen. Nur zahlen. Ich ließ ihn reden und dachte mir ner deutlichen Botschaft geschickt. „Du in großen Ausnahmen hat der Teamarzt meinen Teil: Armer Junge, nimm doch ein- brauchst keine Angst zu haben. Lass die Kortikoide gegeben. Aber meistens hatten fach meinen Zaubertrank. So naiv waren übertriebene Vorsicht einfach mal sausen. wir den Fahrer im Griff. Oder wir haben wir damals. Du kannst den Fahrern ruhig mal etwas ihm einfach gesagt, dass er ein Kortikoid Die italienischen und spanischen Mann- ohne ihr Wissen geben.“ bekommt, obwohl es in Wahrheit nur eine schaften beherrschten alles. Dominant bis Das sei doch nicht so schlimm. Und harmlose Pille war. Alle waren zufrieden: zum geht nicht mehr. Das Wort mit drei dann erzählte er von Wegmüller, den er Der Fahrer, die Ärzte, die Betreuer, weil Buchstaben war in aller Munde. Unsere noch von einem anderen Team kannte. wir den Fahrer psychisch aufgebaut hat- Fahrer hatten begriffen, dass da etwas nicht Der Schweizer Thomas Wegmüller war ten, ohne seine Gesundheit zu gefährden. stimmte. Fahrer, die früher in den Bergen ein notorischer Doping-Gegner. Stark wie nicht mithalten konnten, flogen plötzlich ein Pferd, schnell fahren, ohne sich umzu- adrennfahrern fällt es schwer, über ihre hinauf. schauen, das war Wegmüller. Von verbo- RAbenteuer mit Doping-Mitteln zu Ampler konnte überall mithalten. Er gab tenen Mitteln wollte er nichts wissen. Aber schweigen. Wenn sie wieder ein neues Mit- sich zugeknöpft, wenn es um seinen Medi- Godefroot hatte seinen Betreuer gebeten, tel gefunden haben, sind sie so stolz, als zinschrank ging, was innerhalb des Teams Wegmüller mit nicht nachweisbarem Do- hätten sie die Frau ihres Lebens gefunden. zu Unmut führte. ping zu behandeln. Es war keine Bitte, 1992 benutzten schon viele italienische Kurz vor der Tour de France 1993 sprach sondern ein Befehl. Er sollte Celestone in Teams Epo, und weil die italienischen Fah- Ampler mich an. „Ich habe eine Epo-Kur seine Trinkflasche mischen. Celestone ent- rer nicht über ihre neue Geheimwaffe angefangen.“ hält ein Kortikoid, das auf der Doping- Ich schwieg und hör- Liste steht. te zu. Wegmüller habe dann ein Zeitfahren mit „2000 Einheiten alle drei Celestone gewonnen und erst hinterher Tage.“ davon erfahren. Er habe das gar nicht ko- Ich wusste nicht genau, misch gefunden. was das zu bedeuten hatte. „Ich wollte dir nur sagen: Walter wird Ich wusste schlichtweg nichts verraten, wenn du vielleicht auch nichts über Epo. einen Fahrer so täuschst. Er wird hundert- „Wissen Walter Gode- prozentig hinter dir stehen.“ froot und Doktor Schmid In den siebziger Jahren war ich Gode- davon?“, fragte ich. froots Betreuer gewesen. Ich kannte ihn „Ja, ich habe sie infor- seit 20 Jahren und wusste ungefähr, wie miert. Sie sind einverstan- Godefroot tickte und dass er nicht vor mie- den. Godefroot wird für sen Tricks zurückschreckte. Was bei einer die Kosten aufkommen.“ Doping-Kontrolle nicht nachgewiesen wer- IMAGO Ampler unterzog sich ei- den konnte, war für Walter kein Doping – Teamchef Godefroot*: „Walter wird nichts verraten“ ner Kur und merkte von Punkt.