PATRICK BOUTROUX / WITTERS BOUTROUX PATRICK Telekom-Fahrer bei der *: „Wir werden gemeinsam den Arzneikoffer zusammenstellen“ Schweigen bis ins Grab Der belgische Radsport-Masseur Jef D’hont über seine Arbeit im Team Telekom

ünfzig Jahre lang habe ich im Rad- Die Fahrer, die Sportdirektoren, die Beim Team Telekom war der Einsatz sport gelebt. Die größten Champions Teammanager: Alle wussten über den Ge- von Epo so stark, dass es mir fast das Ge- Fhabe ich mit meinen Händen mas- brauch der Mittel. Geheimnisse gab es nick gebrochen hätte. Nach jedem Rennen siert. Ich habe einiges gesehen und ge- nicht. Nur die Außenwelt musste und soll- kam ich nach Hause und hatte den Kopf macht. te für dumm verkauft werden. Nach jeder voller Sorgen und Stress. Aber ich musste Früher musste der Soigneur, der Be- Doping-Enthüllung taten alle so, als hätten weiter schweigen, denn das ist das Gesetz treuer der Radrennfahrer, Autos waschen, sie nur Nasenbluten. Scheinheiligkeit, wo in der Welt der Radrennfahrer. Omertà, Essen zubereiten, die Fahrer ins Bett brin- man nur hinschaute, totales Schweigen. die Schweigepflicht der Mafia, auch im gen, ihnen die Beine massieren, ihren Kopf Und weiter ging es mit dem Spritzen, und Rennradsport. Schweigen bis ins Grab. klarkriegen und ihnen Vitamine geben. weiter wurde geschwiegen. Aber aus den Vitaminen wurden schon Jeder schreit, es sei eine Schande, aber m November 1991 unterschrieb ich mei- bald Amphetamine. Dann kamen die Ärz- niemand spricht. Wenn Doping die Wahr- Inen Vertrag bei Telekom. Mein Ver- te, und mit ihnen hat sich alles verändert. heit ist, ist Schweigen Gold. tragspartner war der neue Sportdirektor Nach den Amphetaminen kam das Korti- Jahrelang habe ich diese Lüge gelebt. Es , ein Belgier wie ich. son, danach Anabolika, danach Epo, und schien auch alles so normal, so logisch. Ich „Du weißt doch, warum sie dich geholt heute nehmen sie alles zusammen. setzte eine Spritze, ich setzte noch eine haben?“, fragte mich damals Noël Van- und habe die Augen geschlossen. Es hat tyghem, der Mechaniker des Teams, ein * , , und Udo Bölts auf Jahre gebraucht, bis mir klar wurde, dass alter Bekannter und ein angenehmer der Etappe von Turin nach Gap am 9. Juli 1996. das, was wir dort taten, verhängnisvoll war. Mensch, der viel zu früh gestorben ist. „Du

er Coppi, zweifacher Tour-de-France- , der 1965 zugege- Chemische Keule Sieger, gibt zu, während seiner Karriere Simpson ben hatte, gedopt zu haben, 1967

1950 ITALIEN Amphetamine genommen zu haben, GB stirbt bei der 13. Etappe der und sagt, dies sei schon damals Tour de France. Amphetamine im Feld üblich gewesen. Amphetamine Mittel der spiegel 18/2007 57 SIROTTI / IMAGO SIROTTI WM-Dritter Ludwig (r.)*: Zehnmal jeweils tausend Einheiten Epo sollst die Fahrer ordentlich flottmachen, delt werden, Sportler, die sich auf Olym- treuer, der Arzt und der Mannschaftsleiter gemeinsam mit Doktor Schmid.“ pische Spiele, Weltmeisterschaften oder vorher informiert werden. Ich hatte schon einiges über Andreas andere große Sportereignisse vorbereite- Wir redeten auch über meinen Zauber- Schmid gehört. Er war es, der das medizi- ten. Sie kamen nach Freiburg, in das Wal- trank, mit dem ich seit 1977 arbeitete. Er be- nische System von Telekom aufgebaut halla der Sportmedizin. Das Wartezimmer stand aus Koffein, Persantin und Alupent. hatte. Er befand sich an der Spitze des war voll mit kerngesunden Menschen. Schmid schüttelte ungläubig den Kopf. Ärzteteams. Die Telekom hatte damals per Doktor Schmid bat mich in sein Büro. „Sie können den Gebrauch natürlich Vertrag darauf bestanden, dass das Team Wir plauderten ein bisschen und unter- verbieten“, sagte ich, „und ich werde ihn ausschließlich mit deutschen Ärzten ar- hielten uns über die Fahrer, über die Er- dann auch nicht mehr zubereiten, aber Sie beiten sollte, und als festen Ansprechpart- wartungen, über die Teamleitung. Dann können davon ausgehen, dass einige Fah- ner hatte man sich die Universität Freiburg nahm er mich mit nach hinten. rer sich dann nach anderen Mittelchen um- ausgesucht. Das war nichts Ungewöhnli- „Wir werden gemeinsam den Arznei- schauen, die bei Doping-Kontrollen viel- ches. Schon damals hatte Freiburg einen koffer zusammenstellen“, sagte Schmid. leicht positiv getestet werden.“ ausgezeichneten Ruf. Jeder, der in der „Die Verbände, die Vitamine, die Minera- Schmid richtete sich auf. Einen Do- deutschen Sportwelt etwas bedeutet, hatte lien, die Tabletten und Injektionen.“ Da- ping-Fall, so was konnte er sich nicht er- dort schon einmal im Wartezimmer ge- mals gehörte das zum normalen Arbeits- lauben. Das würde dem Ruf der Uni- hockt. Radrennfahrer, Leichtathleten, Fuß- ablauf zwischen Ärzten und Betreuern. versität schaden und erst recht dem Team. baller, ganze Sportvereine haben das Spe- Wir saßen einen ganzen Tag lang an der „Ich weiß, wie gefährlich es ist, mit Sport- zialteam von Doktor Schmid besucht. Frei- Arzneiliste. Schmid stimmte zu, dass wir lern zusammenzuarbeiten“, sagte Schmid. burg war dafür bekannt, dass es alle Fa- einen Teil der Vitamine über belgische Pro- „Ein positiver Fall könnte das Aus für das cetten der Sportmedizin abdeckte. Es war duzenten beziehen wollten. Auch die Be- Team bedeuten.“ Er stimmte schließlich also eine einfache und naheliegende Wahl. zahlung sollte über Belgien laufen. Dafür doch zu. Kurz nach dem Jahreswechsel 1991/92 gab es die Sportgroep Godefroot BVBA, meldete ich mich in der Universität Frei- die Firma des Teamdirektors mit Sitz im n meiner ersten Saison bei Telekom blie- burg. Ich wurde am Personaleingang er- belgischen Drongen. Iben große Erfolge aus. Godefroot wurde wartet. Der Mann, der mich durch das Wir trafen auch klare Vereinbarungen nervös. Viel Gewinn war in diesem Jahr Krankenhaus führte, erzählte mir, wer hier über den Doping-Einsatz in der Mann- nicht zu erwarten. arbeitet und welche Patienten hier behan- schaft. Keiner der Fahrer würde ein ver- Dann sprach mich Vantyghem, der Me- botenes Mittel ohne sein Wissen bekom- chaniker, an. Ich wusste sofort, dass etwas * Mit und Lance Armstrong am 29. Au- men. Bei jedem Doping-Einsatz, bei jeder nicht stimmte. „Du weißt ja, dass Walter gust 1993 in Oslo. Handlung sollten die Fahrer, die Teambe- sich für dich entschieden hat, weil du der

Jacques 1969 wird Merckx die Ein- Anquetil Der fünfmalige Tour-Sieger nahme von Amphetaminen,

1967 FRANKREICH gibt in einem Interview zu, 1969 DEUTSCHLAND ab 1969 BELGIEN 1973 von Ephedrin und gedopt zu haben. 1977 die eines Stimulanz- Amphetamine Amphetamine Amphetamine mittels nachgewiesen.

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Mannschaft zu besseren Ergebnissen ver- ren das ganze Jahr Rennen, von Februar der Italiener und Spanier. Ampler sagte, er helfen solltest. Davon haben wir bislang bis Ende September, und das wäre mit Kor- wolle zu einem italienischen Arzt und er noch nichts gemerkt“, sagte er. tikoiden oder anderen gesundheitsschädli- wolle Godefroot bitten, den Stoff zu be- Godefroot hatte seinen Mann mit ei- chen Mitteln nicht möglich gewesen. Nur zahlen. Ich ließ ihn reden und dachte mir ner deutlichen Botschaft geschickt. „Du in großen Ausnahmen hat der Teamarzt meinen Teil: Armer Junge, nimm doch ein- brauchst keine Angst zu haben. Lass die Kortikoide gegeben. Aber meistens hatten fach meinen Zaubertrank. So naiv waren übertriebene Vorsicht einfach mal sausen. wir den Fahrer im Griff. Oder wir haben wir damals. Du kannst den Fahrern ruhig mal etwas ihm einfach gesagt, dass er ein Kortikoid Die italienischen und spanischen Mann- ohne ihr Wissen geben.“ bekommt, obwohl es in Wahrheit nur eine schaften beherrschten alles. Dominant bis Das sei doch nicht so schlimm. Und harmlose Pille war. Alle waren zufrieden: zum geht nicht mehr. Das Wort mit drei dann erzählte er von Wegmüller, den er Der Fahrer, die Ärzte, die Betreuer, weil Buchstaben war in aller Munde. Unsere noch von einem anderen Team kannte. wir den Fahrer psychisch aufgebaut hat- Fahrer hatten begriffen, dass da etwas nicht Der Schweizer Thomas Wegmüller war ten, ohne seine Gesundheit zu gefährden. stimmte. Fahrer, die früher in den Bergen ein notorischer Doping-Gegner. Stark wie nicht mithalten konnten, flogen plötzlich ein Pferd, schnell fahren, ohne sich umzu- adrennfahrern fällt es schwer, über ihre hinauf. schauen, das war Wegmüller. Von verbo- RAbenteuer mit Doping-Mitteln zu Ampler konnte überall mithalten. Er gab tenen Mitteln wollte er nichts wissen. Aber schweigen. Wenn sie wieder ein neues Mit- sich zugeknöpft, wenn es um seinen Medi- Godefroot hatte seinen Betreuer gebeten, tel gefunden haben, sind sie so stolz, als zinschrank ging, was innerhalb des Teams Wegmüller mit nicht nachweisbarem Do- hätten sie die Frau ihres Lebens gefunden. zu Unmut führte. ping zu behandeln. Es war keine Bitte, 1992 benutzten schon viele italienische Kurz vor der Tour de France 1993 sprach sondern ein Befehl. Er sollte Celestone in Teams Epo, und weil die italienischen Fah- Ampler mich an. „Ich habe eine Epo-Kur seine Trinkflasche mischen. Celestone ent- rer nicht über ihre neue Geheimwaffe angefangen.“ hält ein Kortikoid, das auf der Doping- Ich schwieg und hör- Liste steht. te zu. Wegmüller habe dann ein Zeitfahren mit „2000 Einheiten alle drei Celestone gewonnen und erst hinterher Tage.“ davon erfahren. Er habe das gar nicht ko- Ich wusste nicht genau, misch gefunden. was das zu bedeuten hatte. „Ich wollte dir nur sagen: Walter wird Ich wusste schlichtweg nichts verraten, wenn du vielleicht auch nichts über Epo. einen Fahrer so täuschst. Er wird hundert- „Wissen Walter Gode- prozentig hinter dir stehen.“ froot und Doktor Schmid In den siebziger Jahren war ich Gode- davon?“, fragte ich. froots Betreuer gewesen. Ich kannte ihn „Ja, ich habe sie infor- seit 20 Jahren und wusste ungefähr, wie miert. Sie sind einverstan- Godefroot tickte und dass er nicht vor mie- den. Godefroot wird für sen Tricks zurückschreckte. Was bei einer die Kosten aufkommen.“

Doping-Kontrolle nicht nachgewiesen wer- IMAGO Ampler unterzog sich ei- den konnte, war für Walter kein Doping – Teamchef Godefroot*: „Walter wird nichts verraten“ ner Kur und merkte von Punkt. Egal ob das Mittel nun auf der Do- Tag zu Tag, wie sich seine ping-Liste stand oder nicht. schweigen konnten, hörten auch wir bald Kondition verbesserte. Seine Beine wur- „Noël, ich habe in meiner ganzen Kar- die ersten Gerüchte. Ich kannte Epo da- den stärker, sein Kopf wurde klarer. Uwe riere noch nie einen Fahrer getäuscht, und mals nicht. Ehrlich gesagt, hat es mich auch war ein anderer Mensch geworden. Aus ich werde das auch nie tun.“ nicht interessiert. Wir hatten meinen Zau- Niedergeschlagenheit war Lebenslust ge- Ich fuhr sofort zu Doktor Schmid und bertrank und die Vitamine von Doktor worden. Der Schweigsame war plötzlich erzählte ihm, was Godefroot mir hatte aus- Schmid. Wir glaubten nicht, dass wir neue gesprächig. Er war glücklich. Er hatte sei- richten lassen. Schmid war nicht begeistert. Mittel brauchten. Wir hatten noch nicht ne neue Liebe gefunden. „Jef, du weißt doch, dass Celestone oft ge- begriffen, dass es wirklich ein verblüffen- Den anderen Deutschen aus dem Team nommen wird? In Deutschland nehmen des Mittel ist. Wir ahnten nicht, dass Epo war Amplers Metamorphose natürlich die Fahrer Urbason, eine bessere Alterna- bald die Sportwelt bestimmen würde. nicht entgangen. Panik kam auf, nur neun tive. Einige Fahrer sind nun einmal ganz Erst später erfuhr ich, dass zwei unserer Fahrer sollten bei der Tour an den Start versessen darauf. Aber so was macht man Fahrer bereits mit Epo und Wachstums- gehen, einige der Deutschen bangten um nicht hinter dem Rücken der Fahrer.“ hormon experimentierten: Uwe Ampler ihren Platz. Sie wollten Ampler aus dem Urbason blockiert die Nebennierenrin- war 1992 von Histor-Sigma gekommen, Uwe Tour-Team drängen. de. Die körpereigene Kortisolproduktion Raab ein Jahr später vom Team PDM. Be- versiegt nach langem Gebrauch, und das sonders PDM war weit vorn, wenn es um etzt, da Epo in unserem Team seinen Gesicht schwillt an, weil der Körper Fett revolutionäre Mittel und Methoden ging. JEinzug gehalten hatte, beschlossen die einlagert. Dann muss man Synacthen sprit- Während unserer Teamvorstellung in Ärzte von der Universität Freiburg, dass zen, damit alles wieder funktioniert. Ein Bonn hörte ich das Raunen unter den Fah- damit für die Weltmeister- ungesundes Zeug. rern. Sie empörten sich über die Erfolge schaft in Oslo vorbereitet werden sollte. In den belgischen Teams, für die ich vor- Für Ludwig wurde ein Doping-Plan auf- her gearbeitet hatte, war der Einsatz von * Mit dem damaligen Telekom-Chef Ron Sommer bei der gestellt. Insgesamt sollte er zehnmal je- Kortikoiden sehr niedrig. Die Belgier fuh- Tour de France 1997. weils 1000 Einheiten Epo gespritzt bekom-

Walter Freddy Dietrich Bernhard Godefroot Maertens Thurau Hinault 1977 1974 1980 BELGIEN BELGIEN DEUTSCHLAND 1981 FRANKREICH Ritalin Stimulanz- Amphetamine Kontroll- mittel verweigerung

der spiegel 18/2007 59 Titel men. Erst später wurde mir klar, dass das ten immer zehn Spritzen in einer Sendung. nicht einmal die Minimumeinheiten ha- eine sehr niedrige Dosis war. Jeden dritten Wir klebten die Spritzen zusammen, ver- ben. Sein Kopf würde es nicht brauchen, Tag bekam er eine Spritze, kombiniert sahen sie mit dem Namen des Fahrers und sagte er. Er siegte weiterhin, er verschliss mit Vitamin B12 und Folsäure. Zusätzlich konnten so nach jeder Anwendung erken- nicht, sein Körper blieb sauber. nahm er täglich zwei Aspirin von 100 mg, nen, wie viel gespritzt worden war. Mit Riis habe ich zum ersten Mal inten- eine morgens, eine abends, damit sein Blut siv bei der 1996 zusam- dünner wurde. Resultat: Er wurde Dritter eit Jahren heißt es, Bjarne Riis, der Ka- mengearbeitet. Er hatte eine Grippe und bei der Weltmeisterschaft, hinter Lance Spitän des Teams 1996, habe bei uns den fragte mich, ob ich ein Kortikoid für ihn Armstrong und Miguel Induráin. Spitznamen „Mister 60 Prozent“ gehabt, bekommen könnte. Er wollte Kenacort. Die anderen Fahrer wurden hochner- weil sein Hämatokritwert nach einer Ich konnte es besorgen – damals war vös. Jeder wollte Epo ausprobieren. Dok- schweren Epo-Kur irgendwann die 60 er- das überhaupt kein Problem, besonders tor Schmid sah voll Bedauern zu, was da reicht haben soll. Ein Hämatokritwert von nicht in der Schweiz. Aber es hat nicht ge- geschah. Er war der Hauptverantwortliche 60, das bedeutet richtig dickes Blut, Herz holfen, Riis gab auf. für das medizinische Team. Er war ver- und Blutgefäße könnten verstopfen. Ein Das wird nichts mit der Tour de France, zweifelt und hatte Angst vor dem, was da Hämatokritwert von 60 ist lebensgefähr- dachte ich. Aber eine Woche davor hatte er kommen könnte. lich. Aber der Spitzname stimmt nicht. Riis schon Hämatokritwerte zwischen 50 und Lange Besprechungen fanden statt, es war in unserer Mannschaft nicht „Mister 52. Zum Start hin stieg der Wert auf 54. wurden Dinge beschlossen, über die ich 60 Prozent“. Das muss einfach mal gesagt Während der Tour bekam er jeden zwei- nicht glücklich war. Das Epo-System wur- werden. Er war „Mister 64 Prozent“. ten Tag 4000 Einheiten Epo und 2 Einhei- de im Telekom-Team eingeführt. Die Riis war meistens ein toller Kerl, aber er ten Wachstumshormon, jedes Mal doppelt Ärzte von der Universität Freiburg soll- konnte die Finger nicht vom Epo lassen. so viel wie normal. Das Risiko war gering, ten das Mittel den Fahrern direkt verab- Epo war mittlerweile üblich, aber Riis hat denn auf Epo und Wachstumshormon wur- reichen. Sollten sie nicht anwesend oder die Sache eskalieren lassen. de damals nicht getestet. Sein italienischer die Fahrer nur schwer zu erreichen sein, Arzt hatte den Plan erstellt, Telekom mussten die Betreuer das übernehmen. In stimmte zu, und Riis spritzte sich selbst. Je- den kommenden Monaten erhielt ich oft den Tag dasselbe Ritual. Und nach den mit DHL aus Deutschland ein Päckchen Spritzen kamen die Nadeln: Ein Quack- an meine belgische Adresse. Der Inhalt: salber aus Dänemark, auf den Riis wie ein ein paar Epo-Spritzen plus Gebrauchsan- Schoßhündchen hörte, behandelte ihn mit weisung. Akupunktur. Riis hat ihn aus eigener Ta- Godefroot organisierte das Doping- sche bezahlt. System und finanzierte es zusammen mit Seine unnatürlich hochdosierte Epo-Kur seiner rechten Hand, Eddy Vandenhecke. war erfolgreich. Fast immer – und das ist Die Apotheke in Freiburg wurde per Über- ganz normal – geht es bei einer schweren weisung bezahlt von der Godefroot BVBA. Etappenfahrt wie der Tour de France mit Über die Betreuer ließ sich Godefroot von dem Hämatokritwert eines Fahrers stetig den Fahrern alles bis auf den letzten Cent bergab. Mit 50 anfangen, auf 46 absacken zurückbezahlen. in der zweiten Woche, ankommen bei Die Ärzte und die Teamleitung von Te- niedrigen 40 oder sogar 38. Aber der Wert lekom waren nie sehr erpicht darauf, mit bei Riis stieg immer weiter an, bis er Epo zu arbeiten. Es passierte unfreiwillig, schließlich die 60 überschritt. Das war Riis’ ohne Vorbedacht. Die anderen machen es, erster Weltrekord. dann machen wir es auch, weil wir sonst Von seinem 64er Wert hörte ich an ei-

nicht gewinnen. Godefroot und Vanden- / AFP KOVARIK PATRICK nem Morgen gegen Ende der zweiten Tour- hecke hatten viel Geld in das Team ge- Tour-de-France-Sieger Riis (1996) Woche. Morgens wurde der Hämatokrit- steckt. Es fing mit einem oder zwei Fahrern „Ist das nicht gefährlich?“ wert von unseren Fahrern gemessen. Hat- in kleinen Dosen an. Schon bald folgten ten sie 38, dann wussten wir, dass sie an auch die anderen, außer dem Franzosen Die anderen Jungs aus der Mannschaft, diesem Tag aufgeben würden. Hatten sie Marc Madiot und noch ein paar weiteren zum Beispiel, spritzten sich 42, dann versuchte der Arzt mit Vitamin- Ausnahmen. Schmid war verantwortlich auch Epo, aber sie nahmen minimale Ein- präparaten und Spritzen das Niveau kon- für die medizinische Koordination, Gode- heiten, und das nicht vor jedem Wettren- stant zu halten oder sogar anzuheben. froot finanzierte alles, aber sie waren nie nen. Für wichtige Rennen im eigenen Land Riis kam mit einem Lächeln von hier bis richtig begeistert. Damals dachten wir, dass oder für die Tour de France erhielten sie Tokio in den Massageraum. uns keine Wahl bliebe. Es war wohl ein aus Freiburg einen Plan. Aber die Männer „Jef, Jef, sieh mal, ich habe 64!“ langwieriger Prozess kollektiver Verwir- haben nicht übertrieben. Ich war vollkommen platt, als ich auf rung. Wir sind alle sehenden Auges in die Erik Zabel war einer der saubersten Fah- den Zettel sah. 64. Falle getappt. Ein Zug, der einmal abge- rer seiner Generation. Außer ein paar „Ist das nicht gefährlich?“ fahren ist, ist nicht mehr zu stoppen. Mit niedrigen Epo-Dosen hat er kaum etwas „Nein, ich fühle mich gut. Alles okay. Epo verhielt sich das nicht anders. genommen. Er sah einfach keinen Nutzen Und niemandem etwas sagen, ja?“ Wir spritzten meistens 2000 Einheiten. darin. Ein einziges Mal hat er sich vor und Zwei Tage darauf stand die Fahrt nach Die wichtigste Aufgabe des Betreuers war während einer Tour de France einer Epo- auf dem Programm, wo er sei- es, die Spritzen kühl zu lagern und die Kur unterzogen, er bekam 1000 Einheiten, ne Sternstunde hatte. Er trug das Gelbe Rechnungen zu sammeln. Die Fahrer kauf- so wie Ludwig 1993. Danach wollte er noch Trikot, gewann in der Gesamtwertung, und

Laurent Dschamolidin Laurent Fignon Abduschaparow Brochard Alex Zülle SCHWEIZ 1989 1997 1998 1997 1988 SPANIEN FRANKREICH Usbekistan FRANKREICH Doping-verschlei- Amphetamine Bromantan, Betäubungsmittel Epo erndes Mittel Clenbuterol (Lidocain)

60 der spiegel 18/2007 GERO BRELOER / PICTURE-ALLIANCE / DPA / PICTURE-ALLIANCE GERO BRELOER Radprofi Ullrich, Teamarzt Heinrich (r.) in der Universitätsklinik Freiburg (1998): Walhalla der Sportmedizin es sollte eine ganze Woche dauern, bevor das reichte mir. Aber ich fand schon, dass Die Tests der Universität Freiburg hatten sein Hämatokritwert wieder absackte. ich Ullrich wenigstens darüber in Kenntnis etwas komplett anderes vorausgesagt. Ull- Jan Ullrich wurde in diesem Jahr Zwei- setzten musste, einmal über seine eigenen rich sprenge alle Kategorien, hatte ich ge- ter der Tour de France. Aber Ullrich hätte Chancen nachzudenken. Riis Krämpfe in lesen. Dieser Junge wird einmal die Tour schon damals gewinnen können. Ein Aus- den Händen, das ging zu weit. Der Arzt de France gewinnen, das haben alle im reißversuch und Riis hätte das Nachsehen gab ihm dann einige Muskelkrampflöser Team gewusst. Nicht nur einmal, sondern gehabt, davon bin ich bis heute überzeugt. und setzte ihm Anti-Thrombose-Spritzen mindesten sechsmal. Das hat Ullrich auch gesagt, als er bei in die Bauchdecke, damit Blutverklum- „Der Jan“ hatte nicht Zabels Charak- mir auf dem Massagetisch lag. pungen vermieden wurden. Riis war ein ter. Wenn Ullrich wie Zabel gelebt hätte, „Morgen kann es mit Riis vorbei sein, komplettes Wrack. dann hätte er meiner Meinung nach be- so, wie der aussieht.“ Es ist dann doch noch alles gutgegan- stimmt zehnmal die Tour gewinnen kön- Ullrich hatte es natürlich auch gesehen. gen. Riis hat die Tour gewonnen und wur- nen. Zabel gab alles für den Sport, er hat- Riis konnte kaum noch die Finger bewe- de ein großer Held. Im Jahr darauf sollte te ein Auge fürs Detail, niemand musste gen. Sein Körper war vollkommen ver- Ullrich sein Versprechen einlösen. ihm etwas sagen. Bei Ullrich musste alles krampft. Durch die vielen Überdosen war Jan Ullrich kam bereits 1994 in unser geregelt werden. Er war unordentlich, sein Körper vollkommen durcheinander. Team. Er war damals einer der besten wenn es um Kleinigkeiten ging, aber genau Zu viel Epo, zu viel Wachstumshormon, Amateure, wir erwarteten sehr viel von auf die kommt es an, wenn man ein richtig zu viel Testosteron. Sein Blut war schlei- ihm. Er sollte unser neuer Star werden. großer Fahrer werden will. miger Sirup. So dick, dass er jeden Au- Ich sah ihn zum ersten Mal bei einem genblick an einem Herzstillstand sterben Radrennen zu Frühlingsbeginn in Spanien. ch habe das Telekom-Team verlassen, konnte. Beim ersten kleinen Hügel fiel er schon Iweil ich den Stress nicht mehr aushielt. „Warum greifst du nicht an?“, fragte ich. zurück, gemeinsam mit vier oder fünf an- Einmal hätte übrigens nicht viel gefehlt, „Nächstes Jahr“, antwortete Ullrich. deren, die einfach schlechte Radrennfahrer und alles wäre aufgeflogen. An diesem Tag Mir konnte es eigentlich egal sein. Riis waren. Ist das der Ullrich, habe ich noch kam ich zu dem Entschluss, dass es reich- und Ullrich waren beide bei der Telekom, gedacht. te. Das war 1996, die Tour de Suisse war

Christian wird wegen eines zu hohen Luc Henn Pantani Hämatokrit-Wertes vom Giro d’Italia Leblanc 2000 1999 DEUTSCHLAND 1999 ITALIEN ausgeschlossen. Am 14. Februar 2004 FRANKREICH Geständnis im Testosteron Epo? stirbt er an einer Überdosis Kokain. Epo -Prozess

der spiegel 18/2007 61 Titel

rungen von D’hont nicht einzeln einge- hen, er weist aber „die gegen mich erhobenen Vorwürfe des belgischen Ex- „Falsche Behauptungen“ Pflegers entschieden zurück“. Er habe „niemals Sportlern Epo oder Wachstums- Ehemalige Kollegen, Mediziner und Fahrer hormone verabreicht oder solche Medi- kamente Sportlern oder sogenannten Pfle- weisen die Vorwürfe über Doping im Team Telekom zurück. gern ausgehändigt oder zugeschickt. Auch habe ich niemals Sportlern einen Plan er SPIEGEL hat die Betroffenen Allerdings schließt Stapleton eine zum Einsatz von Doping-Mitteln erstellt“. mit den Vorwürfen des Radsport- Zusammenarbeit mit belasteten Medizi- Auch der Freiburger Mediziner Lothar DMasseurs Jef D’honts konfron- nern aus: „Wenn sich die Behauptungen Heinrich lässt durch seinen Anwalt aus- tiert. über die Universität Freiburg als wahr richten, die Vorwürfe seien „für mich Bob Stapleton, der neue Chef des erweisen, werden wir nach einer Alterna- nicht nachvollziehbar“, eine „Koordina- Teams T-Mobile, sagt, dass in den ver- tive suchen. Wir werden unsere Anti- tion des Gebrauchs von Doping-Substan- gangenen Monaten „die Zusammenarbeit Doping-Linie und unseren Kampf gegen zen“ habe es nicht gegeben. Die Uni ste- mit der Universität Freiburg sehr zufrie- Doping nicht gefährden. Wenn sich her- he für „einen konsequenten Kampf gegen denstellend“ gewesen sei. Die Ärzte hät- ausstellt, dass es systematisches Doping Doping“. Die Leitung der Abteilung ten geholfen, einen positiven Wandel im im Team Telekom gab, werden wir deut- Sportmedizin der Universitätsklinik Frei- Radsport einzuleiten. lich reagieren.“ burg weist die Vorwürfe D’honts eben- Auch Christian Frommert, falls zurück, sie entbehrten „jeglicher Leiter der Sport-Kommunika- Grundlage“. tion von T-Mobile, sagt, dass Walter Godefroot, der langjährige nach den Ereignissen der Ver- sportliche Leiter des Teams Telekom, sagt gangenheit an erster Stelle die über seine Anwälte, er möchte mit dem Sauberkeit des Sports stehe. Buch D’honts nicht in Verbindung ge- D’honts Vorwürfe seien „sehr bracht werden: „Uns ist deutlich gewor- detailliert und konkret“. Das T- den, dass jemand mit einer Sache Geld Mobile-Team stehe weiterhin für verdienen will, indem er ein Skandalbuch eine klare, saubere Anti-Doping- veröffentlicht – vorausgesetzt, wir kön- Linie. „Wir sind aber auch be- nen uns auf die Gerüchte verlassen –, das kannt dafür, harte Entscheidun- auf falschen Tatsachen, Behauptungen gen zu fällen, wenn es nötig ist.“ und Unterstellungen basiert.“ Er streite es

ROTH / AUGENKLICK / AUGENKLICK ROTH Der Freiburger Mediziner An- „nachdrücklich“ ab, sollte dort unterstellt Ärzte Schmid, Heinrich: „Nicht nachvollziehbar“ dreas Schmid will auf die Äuße- werden, „dass ich jemanden dazu aufge-

gerade vorüber, wir wollten bald zur Tour Kiste mit den Vitaminen stellte ich auf dem ten mich heran und wollten meine Papie- de France aufbrechen. Ich musste von Boden ab. Danach bin ich wieder reinge- re sehen. Zürich nach Belgien fahren, frische Klei- gangen. „Herr Telekom, könnten Sie bitte die dung holen. Doktor Schmid hatte inzwischen eine Tür Ihres Wohnmobils öffnen?“ Doch Doktor Schmid hatte mich ange- ganze Ladung Epo und Wachstumshormon Ich war äußerst nervös, aber ich ver- rufen und gebeten, in Freiburg Station zu fertiggemacht. Viele Fläschchen, gut ein- suchte, mir nichts anmerken zu lassen. Sie machen, um die Sachen für die Fahrer mit- gepackt in Eisbehälter und Aluminium- würden doch nicht etwa das Epo … zunehmen. Es kam inzwischen nicht mehr folie. Die sollten auch mit, sagte er. „Was ist das hier?“ so oft vor, dass ein Epo-Paket zu mir nach „Pass auf, die Sachen dürfen nicht lan- Einer der Zollbeamten zeigte auf die Hause geschickt wurde. Ein paarmal holte ge in der Hitze liegen“, sagte der Doktor. Kiste mit den Vitaminen auf dem Boden, ich es direkt in Freiburg mit dem Wohn- Hinten im Wohnmobil waren kleine die ich gemeinsam mit Doktor Schmid zu- mobil ab. Meistens brachten die Ärzte oder Schrankfächer an der Decke eingebaut. sammengestellt hatte. die Fahrer das Zeug selbst zu den Rennen Dort verstauten wir immer die Kleidung „Das sind Vitamine für unsere Fahrer. mit. Heute erscheint das unvorstellbar, der Fahrer: pro Fahrer ein Schrankfach. Die können die ja gut gebrauchen, wenn aber in den neunziger Jahren stiegen die Jetzt hatte ich drei leere Fächer, in denen sie demnächst die Tour de France fahren.“ Ärzte vom Team einfach mit einer Kühl- ich das Epo und das Wachstumshormon Die Leute vom Zoll warfen sich besorg- box ins Flugzeug. verstauen konnte. Sie waren proppenvoll. te Blicke zu. Ich fuhr nach der Tour de Suisse also Ich bedankte mich und machte mich auf „Los, alles ausladen“, sagten sie. nach Freiburg, und wir stellten den Arz- den Weg nach Belgien. Ich kam gut durch Einer der beiden Zollbeamten öffnete neischrank zusammen, ich und Doktor und war schnell in Belgien. Kurz hinter die Fächer. Jetzt ist es um mich gesche- Schmid, der sehr gestresst schien. Er ließ der Grenze, in Martelange, musste ich tan- hen, dachte ich. Ich bin erledigt. In den mich größtenteils die Arbeit machen. Ich ken. Das Auto mit den Leuten vom Zoll ersten Fächern fand der Grenzbeamte Er- schleppte das Zeug zum Wohnmobil, die neben mir bemerkte ich zu spät. Sie wink- satzkleidung und Schuhe. In den letzten

Richard Raimondas Ullrich begründet Virenque Rumsas Jan Ullrich den Befund damit, Rumsas’ Ehefrau wird an der fran- 2002 2000 FRANKREICH 2002 LITAUEN DEUTSCHLAND er habe in einer zösischen Grenze mit 37 unter- Epo Geständnis im u.a. Epo Discothek Ecstasy schiedlichen Doping-Substanzen Amphetamine geschluckt. Festina-Prozess geschnappt.

62 der spiegel 18/2007 Godefroot verlangte von mir, dass ich Ende Juli, nach einer Etappe mit An- Buch führte, Listen erstellte für Epo und kunft in Aix-les-Bains, kam Marc Madiot, fordert habe, verbotene Mittel zu neh- Wachstumshormon, die die Fahrer nah- der Teamchef von La Française des Jeux, men, oder dass ich etwas in dieser Art or- men, damit er wusste, was die Män- auf mich zu. ganisiert hätte“. ner ihm schuldeten. Für 1000 Einheiten „Schau mal, was ich hier habe!“ Die ehemaligen Telekom-Fahrer Uwe Epo nahm er 1000 belgische Franken, un- Er winkte mit einem Brief, der an Jean- Raab, Uwe Ampler und Olaf Ludwig, die gefähr 25 Euro. Auf Dauer wurde Epo für Marie Leblanc, den Leiter der Tour, ge- D’hont der Einnahme von Epo bezich- viele Fahrer zu einer Obsession. Einige richtet war, unsere Namen kamen darin tigt hatte, versichern in Stellungnahmen Fahrer haben sich mehr mit Epo beschäf- vor, und es wurde von Doping-Praktiken gegenüber dem SPIEGEL, dieses Mittel tigt als mit dem Training oder ihrer im Team Telekom berichtet. D’hont, stand nicht eingenommen zu haben. Auch Erik Ernährung. in dem Brief, sei ein „homme dangereux“, Zabel, der jetzt für das Ich konnte nicht mehr bei der Telekom der für eine große Transfersumme von der fährt, sagt, dass er „zu keiner Zeit“ Do- bleiben. Ich wollte in einem sauberen Telekom zu La Française des Jeux ge- ping-Mittel verwendet oder „durch sons- Team arbeiten, einem Team mit einem Ge- wechselt sei, um den Franzosen die Tele- tige illegale Mittel versucht“ habe, seine wissen, oder ich würde ganz aufhören. Ich kom-Methoden beizubringen. Absender: Leistung zu steigern. hatte wirklich genug von der Telekom und anonym. Datiert auf den 24. Juli. , 1996 stellvertretender konnte ihr Doping-System nicht mehr er- Im September wurde ich das erste Mal sportlicher Leiter beim Team Telekom, tragen. Ende 1996 kündigte ich und wech- verhört. Aus dem Verhör wurde eine Ver- bestreitet, Kontakt zu einem Labor in selte zu dem neuen französischen Team La haftung. Man beschuldigte mich des Trans- Gent gehabt zu haben, in dem nach D’honts Ausführungen Urinproben ana- lysiert wurden, um zu testen, wie lange Substanzen nachweisbar waren. Bjarne Riis, heute Chef des CSC- Teams, antwortete nicht auf eine Anfra- ge des SPIEGEL. Jan Ullrich sollte über seinen Manager Wolfgang Strohband mit D’honts Schilderungen konfrontiert wer- den. Auch er reagierte nicht. Reagiert auf Doping-Vorwürfe des SPIEGEL hat Ullrich schon vor acht Jah- ren, am 18. Juni 1999. In einer eidesstatt- lichen Versicherung erklärte er: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt verbotene Doping- mittel – insbesondere auch nicht Epo – konsumiert, gespritzt, oder auf andere Art und Weise zu mir genommen.“

drei hatte ich die Doping-Mittel verstaut. Der Grenzbeamte wollte gerade das sie- bente Fach öffnen, als ihn sein Kollege rief. „Schau dir das mal an, er hat keinen

Aufkleber an seinem Fenster. Er hat keine CORBIS SYGMA Steuervignette!“ Doping-Kontrolleure (in Frankreich): Unbesorgt zum Test Godefroot hatte wieder einmal die Steu- er nicht bezahlt. Die Zollbeamten setzten Française des Jeux, das der ehemalige Te- ports, des Handels und der Vergabe von ein Protokoll auf und teilten mir mit, dass lekom-Fahrer Marc Madiot aufbaute. verbotenen Mitteln. Ein Fahrer hatte be- der Bußbescheid per Einschreiben zuge- hauptet, ich hätte ihm einmal Epo verkauft. stellt würde. Ich durfte weiterfahren, mit er 8. Juli 1998, drei Tage bis zur Tour Ein paar Tage vorher hatte ich mit Go- zittrigen Knien. Dde France. Die Vorbereitungen waren defroot telefoniert. Schließlich hatte ich ja An jenem Tag legte ich in meinem Kopf so wie immer: hartes Training, viele Do- fünf Jahre lang für sein Team gearbeitet – den Schalter um. Zehntausende Einheiten ping-Spritzen, niemand, der etwas spitz- ich kannte die Geheimnisse von Jan Ullrich Epo hatte ich den Telekom-Fahrern ge- kriegte. Diesmal startete die Tour in Irland, und Bjarne Riis. Schön schweigen, schlug spritzt. Die Vorbereitung von Ludwig auf ein belgischer Betreuer des Festina-Teams Godefroot vor, und danach treffen wir eine die Weltmeisterschaft 1993: Wenn kein wurde gleich auf dem Weg von Brüssel zur finanzielle Regelung. Auch der Arzt von Arzt in der Nähe war, musste ich die Sprit- Fähre nach Calais angehalten und kontrol- der Universität Freiburg, der damals bei zen setzen. Danach hörte es nicht mehr liert. In seinem Wagen war eine komplette der Telekom im Dienst war, bat mich zu auf. Epo wurde nicht für alle Fahrer und Doping-Apotheke versteckt. Das war nur schweigen. „Demnächst werde ich Profes- nicht bei allen Rennen gebraucht, aber es der Startschuss einer Tour mit vielen Auf- sor. Das verstehst du doch, Jef?“ waren oft der Jef und die anderen Betreu- regungen. Es folgten Festnahmen, Verhöre Über die Telekom verriet ich nichts. Ich er, die spritzen mussten. und Polizeirazzien in den Hotels der Teams. hatte Godefroot mein Wort gegeben. Ich

Johan Museeuw wird nach einem Indizienprozess Tyler Oscar David Millar, 2003 Welt- Museeuw wegen Doping-Vergehens zwei Jahre Hamilton Camenzind Millar meister im Einzelzeit- 2004 2004 2004 2004 BELGIEN gesperrt. Im Januar 2007 gibt er zu, USA Schweiz GB fahren, gesteht nach Epo in den letzten Jahren seiner Karriere Blut- Epo Epo einer Hausdurchsu- mit Epo gedopt zu haben. doping chung, Epo genom- men zu haben.

der spiegel 18/2007 63 Titel war ein Kind der Omertà. „Die Telekom net etwa 50000 Euro, für meine Anwäl- hat mit der Festina-Sache nichts zu tun“, te – übernehmen, Godefroot die andere sagte ich dem Beamten, der mich verhör- Hälfte. te. Das System der Telekom war das Ein- Ich habe geschwiegen, aber Geld habe zige, was sie zu interessieren schien. Sie ich nie gesehen. Dennoch habe ich Gode- fragten nach Riis’ Hämatokritwerten und froot verschiedene Male an sein Verspre- nach Ullrichs Vorbereitungsmethoden. chen erinnert. Mein Anwalt hat 2000 nach Nach zwölf Tagen Untersuchungshaft Ende des Prozesses sogar seinen Anwalt stellte sich heraus, dass die Staatsanwalt- angerufen, um zu fragen, wann das Geld schaft nicht genügend Fakten hatte, um überwiesen werde. Godefroot schickte dar- mich weiterhin in Haft zu behalten. Einige aufhin ein lapidares Briefchen, dass er mir Fahrer, die sich widersprachen, das schon, kein Geld mehr schulde, dass er meine aber sonst? Kein Beweismaterial, kein Gehälter immer pünktlich gezahlt habe einziger positiver Doping-Test bei La und dass er nicht auf eine Erpressung ein- Française des Jeux. Man ließ mich gehen. gehen werde. Ich kam unter Auflagen Godefroot beschuldigte frei. Ich durfte keinen mich also der Erpressung. Kontakt mit anderen Ver- Okay! Wenn er mir Er- dächtigen haben und pressung vorwirft, so muss musste eine Kaution in es doch Dinge geben, mit Höhe von 80 000 Francs, denen man erpresst wer- umgerechnet etwa 12 000 den kann? Sein Brief war Euro, hinterlegen. das Letzte, was ich von Im Dezember 2000 wur- Godefroot hörte. de ich zu neun Monaten auf Bewährung und einer s war nie besonders Geldstrafe in Höhe von Eschwierig, ein positives umgerechnet 3000 Euro Doping-Ergebnis zu ver- verurteilt. In der Beru- meiden, manchmal aber fung, zwei Jahre später im verflixt schmerzhaft. Am- März 2002, wurde das Ur- phetamine können lange teil bestätigt. Meine Be- Zeit im Urin eines Rad- währungsfrist endete im rennfahrers nachgewiesen

März 2007, vor einem DPA werden, also ging es dar- Monat. Teamchefs Godefroot, um, für frischen, „saube- Habe ich, im Nachhin- Pevenage (1999) ren“ Urin im Glas des Do- ein betrachtet, das Gericht Wöchentlich Urin ans Labor ping-Kontrolleurs zu sor- belogen? Kaum. Ich war gen. Aber dieser Arzt ist naiv. Über meine Zeit bei La Française des immer dabei, wenn der Radrennfahrer pin- Jeux war ich ehrlich. Viele kamen davon, keln muss. Wir haben uns im Laufe der aber ich wurde geopfert. Und das, obwohl Jahre verschiedene Tricks ausgedacht, aber ich während meiner Arbeit bei La Fran- meistens holten wir die Urinspritze her- çaise des Jeux außer ein paar Ratschlägen vor. Frischer Urin musste direkt in die und Tipps nicht mehr viel mit den Vitami- Harnblase gespritzt werden, und zwar kurz nen und Medikamenten der Fahrer zu tun bevor der Radrennfahrer in den Doping- hatte. Das gehörte in dieser Mannschaft Raum ging. einfach nicht zu den Aufgaben eines Manchmal passierte auch schon mal ein Soigneurs. Es gab keinen organisierten kleines Malheur. Noël Foré bekam in den Doping-Plan. sechziger Jahren seine Doping-Kontrolle Über das Team Telekom habe ich ge- mit der Bemerkung zurück: „Herzlichen schwiegen, ja. Ich wollte die Mannschaft Glückwunsch, Sie sind schwanger“. von Godefroot schützen. Vorsichtshal- Foré hatte vergessen, dass seine Frau ber habe ich gesagt, dass ich nichts von schon im fünften Monat war. Doping in der Mannschaft wusste. Schließ- Der Trick mit der Urinspritze funktio- lich hatte mich Godefroot gebeten zu nierte so: Zunächst betäubte ich die Harn- schweigen. Er versprach mir eine finan- röhre mit Xylocain, einem stark schmerz- zielle Regelung, wenn die Sache schlecht lindernden Gel. Ich schmierte es auf das für mich ausginge, solange ich nur den Röhrchen, das ich in die Harnröhre ein- Mund hielte. Er sagte, er würde mir führte. Wenn diese betäubt war, schob ich Schweigegeld zahlen. Schmerzensgeld, so das Röhrchen weiter hinein, etwa 20 Zen- nannte er das. La Française des Jeux soll- timeter tief. Sehr vorsichtig, denn es war te die Hälfte meiner Gerichtskosten – zwei noch immer etwas schmerzhaft. Am Ende Millionen belgische Franken, umgerech- des Röhrchens war ein kleines Bällchen. So

Lance Die französische Sportzeitung Roberto Armstrong „L’Équipe“ berichtet, dass in Heras 2005 2005 USA Armstrong zugeordneten Urin- SPANIEN Epo proben aus dem Jahr 1999 Epo-Spuren entdeckt wurden. Epo

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Inzwischen will die UCI ständig einen Wachhund in der Nähe der Fahrer haben. Keine Zeit mehr, um sich unbemerkt in das Wohnmobil oder den Mannschaftsbus zu schleichen. Wird sich dadurch an dem Problem et- was ändern? Seit Epo werden immer öfter nicht nachweisbare Substanzen oder Methoden angewandt. Am- phetamine können leicht gefun- den werden, also werden sie im Radrennsport nicht mehr benutzt. Riis und Ullrich schliefen gut, ernährten sich gut, achteten auf ihre Blutwerte und brauchten kei- ne Amphetamine mehr. Sie nah- men Epo, als es noch nicht nach- weisbar war. Heutzutage benut- zen die Fahrer Epo-Abwandlun- gen in niedrigen Dosen. Es gibt keine Tests, die so etwas nachwei- sen können. Ein Fahrer, der heut- zutage Wachstumshormon nimmt oder eine Transfusion mit Eigenblut vor- nimmt, hat nichts zu befürchten. Kein Wachhund, der das verhindern kann. Die Fahrer, die heutzutage mit Doping erwischt werden, haben sich im Timing vertan oder sind ganz einfach Dummköpfe. Es ist noch einfacher, wenn man die Kontrolleure auf seiner Seite hat. Ob das im großen Rahmen stattfindet, weiß ich nicht. Ich selbst habe es nie gewagt, Ab- sprachen zu treffen. Aber ich weiß, dass es passiert. So hatte Rudy Pevenage 1996 Kontakt mit einem Labor in Gent. Er ließ dort erproben, wie lange Testosteron und synthetische Mittel im Urin und Blut nach- gewiesen werden können. Im Winter vor dem Tour-Sieg von Bjarne Riis schickte Pevenage wöchentlich einige Gläser mit Urin an das Labor in Gent. Dort wurden die Proben analysiert. So wussten wir, wie lange Hormone nachgewiesen wer- den können – Testosteron war nach drei Wochen aus Blut und Urin verschwunden.

ROTH / AUGENKLICK ROTH Die Skandale und Prozesse, die den Team Telekom, Buchcover*: Fast alle wollten Epo ausprobieren Radsport heimsuchten, von Festina bis Fuentes, haben dem Radsport genützt. Die merkte man, wann man die Blase, eigent- oder von mir selbst wurde eingespritzt. Sponsoren sind geblieben, das Doping ist lich den inneren Schließmuskel, erreichte. Der Fahrer konnte unbesorgt zum Doping- verschwunden. Oder es ist zumindest weni- Stach man durch diese Pforte, entleerte Test, die Gefahr, dass noch Spuren gefun- ger geworden. Es ist nicht mehr die normals- sich die Blase. Wir fingen den Urin des den würden, war minimal. te Sache der Welt, Fahrer jeden Tag dreimal Fahrers auf und gossen ihn weg. Anschlie- Der Trick mit der Sonde ist seit En- an den Tropf zu hängen. Die Kontrollen ßend wurde die Blase mit Kochsalzlö- de der siebziger Jahre ein fester Bestand- werden besser, die Teams strenger, die To- sung gereinigt. Dritter Schritt: die Blase teil im Radrennsport, auch heute noch. leranz sinkt. Die Mannschaftsärzte beraten nochmals entleeren. Dann war die Blase In dringenden Situationen ist die Sonde noch immer über Produkte, aber schreiben fertig für den vierten und letzten Schritt: noch immer die leichteste, schnellste nichts mehr vor oder setzen Spritzen. Die Frischer, sauberer Urin eines Mechanikers und wirksamste Methode, eine Doping- Risiken sind zu groß geworden. Der norma- Sperre zu vermeiden. Heute spritzen le Radrennfahrer muss sauber bleiben, nur * Bei der Mannschaftspräsentation am 23. Januar 1996 in sie zusätzlich neutralisierende Mittel in noch die großen Champions fahren nach der Telekom-Konzernzentrale in Bonn. Jef D’hont: „Memoires van een Wielerverzorger“. Van die Blase, das senkt die Fehlerquote gen Spanien oder Italien und versuchen es mit Halewyck Verlag, Leuven/Belgien; erscheint am 30. April. null. teuren Designerdrogen. ™

In der Praxis des spanischen Arztes Eufemiano Floyd Nach der 17. Etappe der Tour de France wird Jan Ullrich Fuentes werden Blutbeutel gefunden. Eine DNA- Landis Landis die Einnahme von Testosteron nach- 2006 DEUTSCHLAND Analyse beweist, dass in einigen Beuteln Ullrichs 2006 USA gewiesen. Jüngst wurde bekannt, dass weitere Verdacht auf Blut gelagert wurde. Auch gegen den Italiener Testo- sieben seiner B-Proben Hinweise auf Doping Blutdoping , 2006 Sieger des Giro d’Italia, wird enthalten. Landis bestreitet die Vorwürfe. in diesem Zusammenhang ermittelt. steron

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