MAI.17

Hierzulande EINSCHLAUFEN Betrifft: Das Schweigen auf den billigen Plätzen

Da liegt ein Zettel. Standardformat. Würde mal bum auch heute noch auf Spotify. Oder hat es im Impressum Nº 04.17 sagen: A4. Vollgekritzelt. Die Notizen befassen Regal stehen. DER MUSIKZEITUNG LOOP 20. JAHRGANG sich mit grundsätzlichen Problem (wie so oft). Es Natürlich folgten dann weitere Meisterwerke geht um grosse Fragen, die zugehörigen Antwor- aus hiesiger Fertigung, aber oft ist es halt leider P.S./LOOP Verlag ten habe ich weiter unten links in die dafür vor- so, dass sich die Musik hierzulande aus Störge- Langstrasse 64, 8004 Zürich gesehenen und ausgesparten Zeilen eingetragen. räuschen, halbherzigen Akkorden und gelegent- Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 Mit einem dieser kaum noch verwendeten roten lichen Glücksgriffen zusammenfügt. Daran ver- www.loopzeitung.ch Bleistifte der Stärke 2. Das liesse sich heutzutage mochten auch die inzwischen angebotenen und auch virtuell bewerkstelligen, die zugehörige App absolvierten Popmusik-Lehrgänge an Schweizer Verlag, Layout: Thierry Frochaux existiert. Aber bei der Haptik hapert es noch ein Kunsthochschulen nichts ändern – im Gegenteil. [email protected] wenig. Das soll uns allerdings nicht weiter küm- Das zugehörige Klagelied wird immer wieder an- mern, denn hier geht es nicht um Schnittkanten- gestimmt, deshalb lassen wir es an dieser Stelle Administration, Inserate: Manfred Müller technologie. Sondern um lokales Musikschaffen. ungesungen rücken stattdessen Musikerinnen [email protected] Letzteres ist immer wieder ein gern gesehener und Musiker in den Fokus, die herausragen und Gast auf diesen Seiten. Als Thematik, als Phäno- unbeirrt an eigenen Entwürfen arbeiten. Redaktion: Philippe Amrein (amp), men, aber eben auch als Phantom. Da es sich bis- Wenn sie auf der Bühne stehen, stellen wir die Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe weilen um ein verschwundenes Gut zu handeln Konversation auf den billigen Plätzen sofort ein scheint. Oder beim Umgang damit um Erörte- und verfolgen die Aktionen im Rampenlicht mit Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Thomas Bohnet (tb), rungen auf posthistorischem Gebiet, zumal (eine) dem gebotenen Respekt. Die Smartphones blei- Christoph Fellmann, Chrigel Fisch, Geschichte – in Anlehnung an Francis Fukuyama ben dann ausgeschaltet in der Westentasche ste- Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), – auch ihr Ende erreichen kann. cken, und wir gehen auch nicht raus, um mal Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Gemäss unserer Datierung war das im Jahr 2009 schnell eine Zigarette zu rauchen. Dafür bleibt Philipp Niederberger, David Sarasin, der Fall. Damals erschien ein mit dem später noch genug Zeit, nachdem die letzte Zuga- Kaspar Surber, Anna Wirz bescheidenen Titel «Years & Airports», dessen be gespielt ist und wir uns am Merchandise-Stand Lieder Namen marginaler Flughäfen trugen. mit Tonträgern und signierten Manschetten- Druck: Tagblatt Print, St. Gallen «Trenton». «Sudbury». «Rapid City». Knappe knöpfen eingedeckt haben. Dann erst werden die Chiffren bloss, verbunden mit einsamen Rollfel- Songs wortreich analysiert und gelegentlich auf Das nächste LOOP erscheint am 26.5.2017 dern irgendwo im Nirgendwo, in der musikali- der Luftgitarre nachgespielt. Bis sich das aufge- schen und lyrischen Ausgestaltung dann aber wühlte Herz wieder beruhigt hat. Und die Hände Titelbild: Zeal And Ardor (© Matthias Willi) nachhaltig beeindruckend. Verstörend. Atembe- nicht mehr zittern. raubend. Wer sucht, findet dieses grossartige Al- Guido Knopfloch

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] RELEVANT BLEIBEN Die Zürcher Indie-Institution The Legendary Lightness hat mit «April Hearts» ein neues Album abgeliefert. Die Band zeigt sich darauf so geerdet wie nie. Wie kam das?

Mit Daniel Hobi Kaffee zu trinken, ist eine angenehme Sa- che. Das Gespräch plätschert vor sich hin, kommt nach Ausflügen durch Erinnerungsschlaufen wieder zurück zu den zentralen Punkten. Eine leise Ironie schwingt stets mit, dann wieder Ernsthaftigkeit. Viel vergnügtes Geplauder. Diese Grossherzigkeit, sie passt auch zum Sound von Ho- bis Band The Legendary Lightness, sowas wie der ewige Zürcher Indie-Geheimtipp. TLL haben soeben ein neu- es Album veröffentlicht – und es ist ein gutes geworden. Anders als seine Vorgänger klingt es leicht, dabei geerdet. «Wir sind erwachsener geworden», sagt Hobi und lächelt, und man weiss nicht, ob dies nun ironisch gemeint ist oder ernst. Wahrscheinlich beides. Klar ist: Der Sound auf «April Hearts» ist zugänglicher als jener seiner Vorgänger, reifer. Massgeblich daran beteiligt sind die Blasinstrumente auf der Platte, darunter auch eine Bassklarinette. «Ich interessiere mich heute mehr für die Mechanismen in der Musik, auch im Mainstream, und weniger für die Genres und deren Grenzen», sagt Hobi. Für den neuen Sound war die Zusammenarbeit mit Sha und Kaspar Rast von der bekannten Zürcher Jazzband Nik Bärtsch’s Ronin wichtig. Dieser Auffrischung vorausgegangen ist der Wille zum Ex- perimentieren, dem ein Ausflug in Club-Gefilde folgte. 2015 veröffentlichte das neue, vom Club Zukunft gegründete Label Zukunft Recordings eine Remix-Version des Stücks «Hey Ron». Ripperton, Frank Wiedemann und der Zürcher DJ und Produzent Kejeblos zimmerten aus dem zurückhal- tenden Stück eine Tanznummer. Beim Platten-Release spiel- te die Band zur Prime Time im vollen Club Zukunft, wobei sie das Stück über 20 Minuten dehnte. Das Publikum ging mit. «Wenigstens haben wir den Club nicht leergespielt», daniel hobi sagt Hobi und lacht. Und fügt an: «Clubmusik erfüllt eine völlig andere Funktion, setzt die Akzente völlig anders. Das Spiel damit interessierte uns.» Das Repetitive ist auch auf blieb der sorgfältig komponierte Sound der Band schwer zu Understatement. Das ist «April Hearts» zu hören, wenngleich es dort auch in psy- fassen, was auch einen Teil seines Reizes ausmachte. Man sympathisch, doch steht es chedelisch-bluesigem Gewand daherkommt. blieb oft im Vagen und Uneindeutigen. Und jetzt «April nicht manchmal auch dem Hearts», wo neben filigranen Arrangements auch der eine grossen Erfolg im Weg? EIN AUGE AUF AMERIKA oder andere räudige Powerchord zu hören ist – untermalt «Wir sehen das heute gelas- mit Bläsern. sener», sagt Hobi. «Solange Entwachsen ist TTL einer Szene, die mehrheitlich von 2015 war die Zukunft der Band noch ungewiss. Hobi, zu wir mit dem glücklich sind, Männern bevölkert ist und die damals, im Zürich der dem Zeitpunkt zum zweiten Mal Vater geworden, nahm was wir machen, kann sich Neunzigerjahre, ebenso introvertierte wie wuchtige Musik sich eine Auszeit. «Um zu sehen, wie ein Leben ohne der Erfolg auch ruhig noch spielte. Noise-Anleihen, harmonisch vertrackt und sperrig, Musik funktioniert.» Doch bald verbrachten er und sei- etwas Zeit lassen.» «It’s eine musikalische Verweigerungshaltung in vielen Fällen. ne Mitmusiker wieder Zeit im Zürcher Proberaum. Hobi not tenderness we want / Dabei aber gab sich die Musik, wie es zum Genre passt, suchte, wie er sagt, eine Antwort auf die Frage, wie man just wanna hear that sweet, oft auch verletzlich. «Es ging damals mehrheitlich darum, in einem jugendkulturell geprägten Umfeld auch als über sweet sound», heisst es gängige Muster zu dekonstruieren», sagt Hobi. Er und sei- 40-Jähriger noch weitermachen kann. Eine seiner Antwor- im Schlusstück «Strolling ne Mitstreiter schielten auch nach Amerika, wo Bands wie ten: «Relevant bleiben in den Texten.» Auf «April Hearts» Into Town». Hobi trinkt Pavement, Built to Spill oder Sebadoh den Takt vorgaben. geht es deshalb nicht mehr nur um empfindlichkeitsfixier- aus und geht – die Familie Die Haltung damals war eindeutig, die Musik war es nicht. te Analysen, sondern auch um Politik. Um dieses typisch wartet. Das galt später umso mehr für The Legendary Lightness, Schweizer Paradox, in einem sicheren Land zu leben, die Daniel Hobi nach der Auflösung seiner alten Stamm- während andere Staaten auseinanderzubrechen drohen. David Sarasin band Gabardine gründete, zusammen mit Dominik Huber, Und so, könnte man sagen, ist nicht nur Hobi, sondern Dominic Oppliger und Dani Nievergelt. 2011 veröffent- auch die Band auf dieser Suche ein Stück weit mehr zu The Legendary Lightness: lichten TLL ihr Debüt «Ancient Greek Breakfast Club», sich gekommen. «Wir fokussieren darauf, was wir gerne «April Hearts» 2013 folgte der selbstbetitelte Zweitling. Auf beiden Alben machen», sagt Hobi in einem für die Indie-Szene typischen (Ronin Rhythm Records/Irascible) SZENE

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MAI 2017 BIG DATA

xenix.ch NICHT ALLEIN GEGEN DIE KONSENSKULTUR leihen unterfütterte fran- Kein Hype: Mit ihrem zweiten zösischsprachige Song, der «Brutaler und extremer als beim Debüt» seien die Synth- explizit aufzeigt, wo Jeans Album «P R O» haben die Berner Sounds, erzählt Marcel Kägi, der in der Band die Produ- for Jesus stehen: Links und zentenrolle innehat. Wunderbare Popsongs wie der Ope- damit denkbar weit ent- Jeans for Je sus das Popalbum ner «Adelina» werden so beinahe sabotiert, die hohen fernt vom scheinbar unpo- Stimmen sind zuweilen schwer verständlich, und die Band litischen und schlageresken der Saison veröffentlicht. macht eigentlich alles, was man nicht tun sollte, wenn man der neuen Folkloristen, die einen sicheren Hit landen will. Aber das passt schon so: bei den diesjährigen Swiss Das hier ist nicht das Feuilleton. Das hier ist ein ausver- «Viele Bands in der Schweiz haben eine Konsenskultur, und Music Awards im Rampen- kaufter Konzertsaal voller Leute, die an diesem Karfrei- probieren es, jedem recht zu machen. Aber damit es einen licht stehen durften. tagabend in Bern erwartungsfroh und nicht unnervös der roten Faden gibt, braucht es halt einen, der entscheidet», Zurück an der Plattentaufe Dinge harren, die da bald auf der Bühne geschehen wer- sagt Kägi. im Dachstock der Berner den. Es gibt ja auch was zu feiern: Ein Album nämlich, das «P R O» ist ein mit Soundinformationen überfülltes Album, Reitschule: Eine Parfüm- Popgegenwart und Berner Mundart meisterhaft zusam- das die Big-Data-Gegenwart und den Datenoverkill wider- werbung wird auf ein Lein- menbringt. Eine Platte aber auch, die abseits der Zeitungs- spiegelt. Unter den genau designten und fröhlichen Sound- tuch projiziert, der Duft spalten wesentlich kontroverser beurteilt wird: Ist «P R O» oberflächen öffnen sich Räume der Melancholie einer Ge- «P R O – The new fragrance – das zweite Album der Band Jeans for Jesus – nicht ein- neration, die sich im Selbstoptimierungswahn befindet, für by Jeans for Jesus» wird fach überschätzt? Ein völlig misslungenes Zweitwerk, wie die ein Bot und das Smartphone mehr können als Gott, hier beworben, ein Unisex- mir ein Freund schrieb? Warum erscheint das Album auf und die sich eben nicht der Sonne zuwendet, wie es zu- Parfüm mit den Duftnoten Universal und nicht mehr auf einem Indie wie das Debüt nächst noch optimistisch, später dann auch niedergeschla- «Neohippie-Jeans und neo- mit dem Überraschungshit «Estavayeah»? Und was soll gen heisst. Das Leben ist hier eine ersetzbare Wegwerfware: digital», das dennoch recht dieses Parfüm, das ebenfalls den Namen «P R O» trägt? «Schiesses wäg wüud ja eh chasch es nöis bsteuä», singt prickelnd riecht, wenn man Ich traf die Band in ihrem neubezogenen Übungsraum an Sänger Michael Egger an einer Stelle. «Das Album fährt es auf die Haut aufsprüht. den östlichen Grenzen der Stadt Bern. Es war ein Febru- immer wieder gegen die Wand, dann beginnt es wieder und Es folgen Neonröhrenblit- artag, und damals erschien gerade die Single «Dr letscht zerstört sich neuerlich», sagt Philippe Gertsch, der mit Kägi ze, die Musiker nehmen Popsong (Gäubi Taxis im Sand)», mit dem die Vier zeigten, die Musik schreibt, zum Aufbau von «P R O». ihre Plätze ein, getrennt wie generisch Popmusik produziert werden kann: Nachge- voneinander durch Wän- baute Justin-Bieber- und Major-Lazer-Sounds grundieren SONGS DER VEREINZELUNG de, in denen Lichtelemente einen Text, der in die Metaphernhölle hinabsteigt, in der stecken. sich nicht nur hiesige Popmusik allzu oft aufhält. «Schön Jeans for Jesus meinen in ihren Songs auch sich selbst: Das Man erkennt nicht viel, wine Mond im Fluss / Schön wine Paume im Sturm / New Personal, so es denn überhaupt noch handlungsfähig ist, doch der Sound, er ist so York im Sunneungergang», singen sie da etwa, und na- sind Ich und Du und nicht mehr – wie beispielsweise in fett wie die Stimme von türlich ist das auch ironisch gemeint, aber eben nicht nur. ihrem von Stephan Eicher gecoverten Lied «L. A.» – die Michael Egger im besten Denn das ist das Konzept hinter «P R O»: Mainstreampop Anderen. Dazwischen singen sie auch ein Lied auf ein gren- Sinne dünn ist. Und es wird zu machen, auch wenn es weh tut. zenloses Europa. «Europe» heisst der mit Frenchpop-An- schnell klar: Dies ist eine Popshow, die das Gros- jeans for jesus se zitiert und durch die Trennwände auch gleich das Konzept Band infra- ge stellt. Die Lieder der Vereinzelung, die Jeans for Jesus zusammen an- stimmen, erhalten so eine stimmige Inszenierung. Und doch sind sie nicht allein, schon gar nicht bei den alten Songs und auch nicht dann, wenn sie den neuen Ausnahmesong « Is It Better to Burn Out Than to Fade Away» anstim- men: «Fr meh aus mönsch si längt mini chraft nüm», singt hier Zweitsänger De- mian Jakob, der das «fade away» von Neil Young in «la nis la verblassä» um- dichtet. Die tanzenden Ge- stalten und die Tränen: Sie sind echt.

Benedikt Sartorius

Jeans for Jesus: «P R O» (Universal)

Live: 28.4., Bad Bonn, Düdingen; Walter Pfeiffer 13.5., Schüür, Luzern. IMMER WEITER IM LOOP Ihre Songs proben sie live an Konzerten, EIN LEBEN AUF TOUR Die Band auf der Bühne heisst Zayk, und ihr kurzer, ein- von Technikern lassen sie sich ungern gängiger Name hat sich in der Schweizer Rockszene in den letzten Monaten verbreitet wie ein Lauffeuer. Wen immer belehren, auf ein Management pfeifen man auf Zayk anspricht, ob Musikerin oder Veranstalter – alle reagieren begeistert. sie: Unterwegs mit der Band Zayk, Am Nachmittag hatten die fünf jungen Frauen vor dem Proberaum beim Zürcher Letzigrund gewartet, ihr weisser die mit ihrem psychedelischen Sound Bus war bereits mit Instrumenten vollgepackt. Unterwegs auf der Autobahn erzählen sie, wie sie mit dem Bus quer quer durch die Schweiz begeistert. durch die Schweiz gefahren sind: vom Atomic Café in Biel bis ins Kaff nach Frauenfeld, nirgendwo aber sei das Es- Die Band spielt erst den zweiten Song, doch sie scheint sich sen so gut wie im Cardinal in Schaffhausen, wo sie schon schon in einem anderen Zustand zu befinden: Bassistin Julie vor einem Jahr spielten: «Die besten Burger im Land!» Die hat dem Publikum den Rücken zugedreht, Gitarristin Nina Vorfreude im Bus steigt. Sophie legt einen Song der Kraut- blickt zur Decke, Schlagzeugerin Elian fallen die Haare ins rockpioniere Can ein, draussen verschwindet die Alltags- Gesicht. Entrückt wirkt die Band im blauen Bühnennebel schweiz. des Cardinal in Schaffhausen – und mitreissend zugleich: Begonnen hatte alles vor sieben Jahren. Nina Seyfried be- Mit repetitiven Mustern und verzerrten Akkorden lässt sie schwerte sich in der WG-Küche von Juliette Rosset und einen psychedelischen Sog entstehen. Janine Städler, dass sich ihre Band aufgelöst habe. «Da be- Eine Leadsängerin sucht man vergeblich, wie man sich als schlossen wir, zusammen zu jammen», erinnert sich Julie. Zuhörer überhaupt fragt, ob dieser Sound ein Zentrum Als man später eine Schlagzeugerin suchte, kamen Sophie hat. Mal könnte er von Keyboarderin Janine ganz links Hartmann und Elian Imbach dazu. Dass Elian noch gar ausgehen, dann wieder von Gitarristin Sophie ganz rechts. nicht Schlagzeug spielen konnte, passt zur Geschichte von Das Konzert wirkt wie ein Gespräch, das die Bandmit- Zayk: Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. 2013 glieder mit Tempowechseln geschickt beschleunigen und spielt die Band ihr erstes Konzert am Swiss-Psych-Fest in wieder verlangsamen. Ist eine Passage geglückt, prosten sie Yverdon, einem Treffen der psychedelischen Musikszene. sich auch einmal mit Bierflaschen zu. «Von diesem Moment an wurden wir Streberinnen.» Elian stoppt den Bus vor dem «Cardinal». Beim Ausladen steht kein Fahrer, kein Manager und auch sonst kein Wich- tigtuer herum. Wenn der Name «Zayk», den sie sich vor dem ersten Konzert ausdachten, etwas bedeuten könnte, dann wohl: Mach es besser selbst. Während sie routiniert den Soundcheck absolvieren, rechnen die Musikerinnen nach, wie oft sie schon aufgetreten sind. Kürzere Auftritte BONGO JOE RECORDS im Sommer mitgezählt, einigt man sich auf 75 Konzerte. Der Höhepunkt war eine Tour durch Italien und Griechen- Zayks «Durch den Äther» ist auf dem Genfer Label Bongo land im letzten Herbst. Nach Lugano und Rom und wei- Joe Records erschienen. Die Band hat damit eine passende ter mit der Fähre nach Thessaloniki und Athen führte die Heimat für ihre Musik gefunden. Denn wenn man Cyril Tournee. Auch hier sei das Publikum begeistert gewesen – Yeterian fragt, warum er 2015 das Label gegründet hat, zumindest bis nach dem Konzert, an dem es nur Tapes zu schreibt er ganz einfach: «Pure DIY!» Und nennt Labels kaufen gab. Die Band muss noch heute lachen, wenn sie an wie Honest Jons, Voodoo Rhythm, Mississippi Records die entrüsteten Ausrufe über die veralteten Tonbandkasset- und Sublime Frequencies als Vorbilder, die sein Leben ten zurückdenkt. Dabei sind die Bänder mit ihren endlos veränderten. Yeterians Label besticht durch einen schnell langen Schlaufen ein schönes Sinnbild für die psychedeli- wachsenden Katalog, in dem jede Veröffentlichung ein Ku- sche Musikkultur. riosum darstellt: Ganz am Anfang steht «Drones & Love Songs» von Augenwasser, einem St. Galler Musiker, der auf REPETITION STATT PERFEKTION dieser Platte LoFi-Liebeslieder und Gitarrendrones spielt. Begeisternd ist auch die Compilation «Soul Sega Sa!», auf Das Unterwegssein charakterisiert nicht nur die Geschichte dem die sehr eigen getaktete Sega-Musik, die auf Mauritius von Zayk, es kommt auch in ihren Songs zum Ausdruck. gespielt wird, zu entdecken ist. Es gibt Gitarrenschrammel- «Andere geben ein Album heraus, um die Songs danach bands wie OK Vancouver, Post-Punk-infiziertes von einer live zu spielen. Bei uns verhält es sich umgekehrt: Wir spie- Band mit dem Namen The Staches, eigenartige Gospel- len einen Song so lange auf der Bühne, bis er fertig ist», musik auf der Platte «Rocks & Waves Song Circle» oder erklärt Nina die Arbeitsweise. Am Anfang sei ein Song das Debüt der Genfer Hyperculte, die sich als «Minimalist bloss eine Masse, erst durch die Wiederholung gewinne er Transpop-Prekraut-Postdisco»Duo bezeichnen. Bongo Joe an Konturen. Die Aufnahme sei schliesslich im Wortsinn ist aber nicht nur ein Label, sondern auch ein Plattenladen eine «Momentaufnahme». und ein Café: Am Place des Augustins in Genf kann man Für die Psychedelik hatten sie sich als Anfängerinnen ent- sich durch ein sorgfältig zusammengestelltes Sortiment schieden, weil dabei die Repetition wichtiger ist als die durchhören, das gespickt ist mit Musik, von deren Existenz Fingerfertigkeit. Ganz im Sinn von Can-Bassist Holger man noch gar nicht wusste. Die Atmosphäre an diesem Ort Czukay, der einmal sagte: «Wir wollten etwas sehr Ein- ist familiär und herzlich – und wer bereits einige Stunden faches mit sehr vielen Wiederholungen machen.» Nicht im Bongo Joe verbringen durfte, weiss spätestens dann, wie nur Can, die von der konkreten Musik kamen, fallen als wichtig solche Treffpunkte im Streaming-Zeitalter des Stre- Inspiration, sondern auch Namen wie Spacemen 3, die in amings noch immer sind. (bs) den Achtzigerjahren die psychedelische Spur fortsetzten www.bongojoe.ch (Motto: «Drei Akkorde gut, zwei Akkorde besser, ein Ak- zayk

kord am besten»). Heute ist die Musik «von der anderen men werden. «Als wir unsere Band gegründet haben, dach- Seite» erneut en vogue, ob im Rap oder im Rock. In der ten wir niemals, dass wir als Frauenband gelten könnten. Schweiz hat sich speziell in der Romandie in den letzten Wir wollten selbstverständlich Musik machen», sagt Nina. Jahren eine eigene Szene mit Bands, Festivals und Labels «Doch je mehr wir gespielt haben, desto weniger konnten herausgebildet. Dazu gehört auch das Genfer Label Bongo wir sagen, das Geschlecht sei uns einfach egal», ergänzt So- Joe Records, bei dem das zweite Zayk-Album, «Durch den phie. Äther», erschienen ist – nicht nur auf Tape, sondern auch Es ist der 8. März, Internationaler Frauentag. Zum Auftritt auf Vinyl und digital. ins Cardinal hat der Frauenstammtisch Schaffhausen einge- Einsteigen, losfahren, sich treiben lassen, das klingt nach laden. Auch bei diesem Anlass wurde in der Band über die einem Ausbruch, wie man ihn sich in der gegenwärtig auf Teilnahme diskutiert. Schliesslich macht eine positive Zu- Leistung getrimmten Bildungs- und Arbeitswelt kaum schreibung die Geschlechterdifferenz ebenfalls stark, kann mehr vorstellen kann. Die Freiheit dafür mussten sich die die Musik in den Hintergrund rücken. Doch solange die Frauen, die alle um die 27 Jahre alt sind, neben dem Stu- Ungleichheit offensichtlich sei, brauche es solche Anlässe, dium und der Arbeit selbst nehmen: «Wir haben das nicht meint die Band. Männerklischees seien in der Rockmusik abgesprochen, aber ab einem bestimmten Moment haben noch immer verbreitet. Lachend erzählen sie von Tontech- wir alle der Band den nötigen Platz eingeräumt», sagt Ju- nikern, die ihnen ungefragt die Funktionsweise von Moni- lie. «Wir müssen Abstriche machen, aber keine Opfer brin- toren erklärten. gen», meint Elian. Ständig unterwegs, lerne man sich dafür Im Cardinal werden die ersehnten Burger aufgetischt, das viel besser kennen. Entsprechend geübt ist die Diskussions- Festessen beginnt. Auf der Bühne trägt die Journalistin kultur. Die Mitglieder sprechen wild durcheinander und Anna Rosenwasser explizite, streckenweise ziemlich lustige ergänzen sich doch. Julie wirkt meist euphorisch, Sophie Texte über die Diskriminierung sexueller Minderheiten vor, politisch, Nina analytisch, Elian ist für den Widerspruch anschliessend singt die Dragqueen Mona Gamie schnulzige besorgt, und Janine hält häufig eine kluge Pointe parat: Liebeslieder. Die Ungewissheit am Tisch steigt, ob das doch «Eigentlich führen wir eine Fünferbeziehung.» eher etwas ältere Politpublikum mit ihrer lauten Psychmu- sik etwas anfangen kann oder das Lokal fluchtartig verlas- PLÖTZLICH FRAUEN sen wird. Erst recht, weil sie doch auf Gesang und klare Aussagen gänzlich verzichten. Julie tritt zu Konzertbeginn Bis heute diskutiert die Band über jede Konzertanfrage ans Mikrofon und meint mit entwaffnender Offenheit: gemeinsam: Geht es dem Lokal nur um die Leidenschaft «Was vorhin gesagt wurde, das machen wir jetzt mit Mu- oder ums Geschäft? Oder zumindest um beides, die Lei- sik.» Das Publikum bleibt bis zur Zugabe. denschaft und das Geschäft? Spätestens seit sie auf einem Flyer als «Five Kick Ass Girls» bezeichnet wurden, stellt Kaspar Surber sich ihnen zudem die Frage, wie sie als Frauen wahrgenom- Zayk: «Durch den Äther» (Bongo Joe) SZENE

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www.fmws.ch Musiktherapeut/in loopzeitung.ch Save the date! Berufsausbildung mit integriertem Instrumentenbau ab November 2017 bis 2021 OFFENES KOLLEKTIV Eigentlich wollte Simon Borer nur seine simon borer Musik veröffentlichen. Aus diesem Plan entstand das Kollektiv Red Brick Chapel, das in schöner Regelmässigkeit kühne Musik unter die Leute bringt.

Wenn man Simon Borers Tourplan und seine Bilder, die er von unterwegs online stellt, so ansieht, dann erinnert das an einen Bänkelsänger oder Wanderprediger der Gegenwart: heute Paris, morgen Düdingen, übermorgen irgendeine Stu- be in einem Kaff, überübermorgen Leipzig. Das Vormoder- ne ist ja auch in seinem Künstlernamen angezeigt: Long Tall Jefferson nennt sich der gebürtige Luzerner als reisender Singer/Songwriter, der von unterwegs Lieder schickt – zu- nächst in versprengter Postkartenform, später versammelt auf einem «richtigen» Album. «I Want My Honey Back» heisst dieses, und es erzählt in beinahe klassischer Folksong- form von Sehnsucht nach der Liebsten, vom Reisen, von alten Freunden und von der Sterblichkeit. Erschienen ist «I Want My Honey Back» im Eigenverlag Red Brick Chapel, wobei das mit dem Eigenverlag so ei- gentlich nicht mehr stimmt. Denn Red Brick Chapel ist ein Kollektiv, einst gegründet von Borer, damit er seine Musik veröffentlichen kann. Immer mehr Freunde schlossen sich an und wollten hier ihre Musik unterbringen. Er öffnete die Kapelle und zählt mittlerweile 26 Kollektivmitglieder. Ja, man müsse «mega hart arbeiten», sagt Borer am Tele- fon, und allen immer wieder klar machen: «Wir betreiben hier ein Experiment.» Ein Experiment, in dem künstlerische Freiheit alles bedeutet, und in dem keine Angst vor stilisti- schen Grenzen herrscht. «Wir überlegten uns kurz, ob wir uns eingrenzen wollten», sagt Borer. Man entschied sich dann dagegen, «weil niemand von uns auf die Idee käme, etwas Geschmackloses zu veröffentlichen.» Getrieben ist Borer vom Do-it-yourself-Geist, doch nach LoFi oder Dilettantismus klingen die Aufnahmen nur sehr selten: Zu versiert sind die Musiker, von denen viele die Jazzschule in Luzern absolviert haben. Was aber zu hören ist, ist ein froher Abenteuergeist, der den Popsong oder auch Jazzstrukturen immer wieder sprengt. Wie aber klingt denn das Kollektiv, deren Mitglieder heute nicht nur in Luzern, sondern auch in Zürich, St. Gallen, Berlin und Basel woh- nen, genauer? Hören wir rein in drei aktuelle Red-Brick- Chapel-Veröffentlichungen:

Trio Heinz Herbert: «Phiii» schreibt und nimmt er Popsongs im Alleingang auf. Luftig auf Eis gelegten Alvin Zea- Heinz Herbert heisst in diesem Trio natürlich keiner der und einigermassen traurig klingen diese auf seiner EP «Ma- lot träf beschreibt. drei Musiker. Und , wie man meinen könnte, spielen gnus», die Hänni mit schön dünner Stimme singt. Interes- All diese Veröffentlichun- Dominic Landolt an der Gitarre, Ramon Landolt an Key- santer ist aber die Instrumentierung, die einen liebevollen gen schliessen nichts aus, board und Synthesizer sowie Mario Hänni am Schlagzeug Heimbastler verrät, dem berückend schöne Songs wie «The ausser eben Langeweile, auch keinen. Auf ihrem Album «Phiii» erfinden die drei eine Knife» gelingen, als sei es das Einfachste der Welt. wie sie im Indiepop der Musik, die zwischen Noise, ausgearbeiteten Popharmoni- Gegenwart allzu oft um en (Radiohead!) und weltallseligen Sounds vermittelt. Es Haubi Songs: «Ergendwie Zäme» sich greift. Eine Einschrän- ist keine Musik, die bereits alles kennt, sondern eine, die Wenn er am Morgen erwacht, so um zwölf oder um halb kung, was es auf dem La- sich neugierig nach noch unentdeckten Planeten sehnt. Man eins, dann scheint ihm die Sonne voll ins Face. Ansonsten bel wohl nie zu hören gibt, spürt beim Hören auch, dass die Reise des Trios – trotz Sta- fühlt sich das Leben aber «scheisse gut an»: Das berichtet macht Borer dann aber tionen wie am letztjährigen Jazzfestival in Willisau, wo sie Nick Furrer gleich zu Beginn von «Ergendwie Zäme», sei- doch noch: «Auf Red Brick ein gefeiertes Konzert spielten – erst gerade begonnen hat. nem zweiten Album unter dem Alias, das er von Züri West Chapel wird wohl nie ein ausgeborgt hat. Dieses passt bestens, denn alles scheint hier Album voller 3-Minuten- Rio: «Magnus» halbfertig und steckt voller Leerstellen: die Texte, die Sounds Popsongs erscheinen.» Wenn Mario Hänni nicht mit dem Trio Heinz Herbert oder aus der tuckernden Drum Machine, die minimalen Synthies. einem anderen Projekt beschäftigt ist (darunter etwa die Und doch bleibt man hängen in diesen Skizzen über die Be- Benedikt Sartorius Liveband von Pablo Nouvelle oder die seltsamen Hanreti), findlichkeiten der Generation Easyjet, die das Mitglied der www.redbrickchapel.ch HAIL ZATAN! Die Basler Metal-Band Zeal And Ardor DEM TEUFEL DIE SEELE VERKAUFT 23. Februar 2017: So wenig Freude hat eine Plattenkritik setzt zur Welteroberung an. Das Debüt noch nie gemacht. Die Demos von Zeal And Ardor sind längst auf Bandcamp gestreamt, alle relevanten Artikel ist veröffentlicht, die ersten Shows sind und Interviews mit Manuel Gagneux gelesen, viele Din- ge und Insider-Infos schon längst im Kopf abgelegt. Man gespielt – und die Szene jubiliert. kennt sich schliesslich in der Music City Basel – und hält erst mal die Klappe. Und doch: Jetzt eine Plattenkritik sch- Karfreitagnacht, 23 Uhr, der Rossstall der Kaserne Basel reiben, weil ich als RFV-Basel-Mensch nun mal dazu ver- ist an dieser Eröffnungsnacht des Czar Fests so voll wie dammt bin? weiland Russlands Kreml-Chef Boris Jelzin bei Staatsemp- Fuck no. Alle hatten bereits über «Devil Is Fine» geschrie- fängen. Die Band aber, auf die der seit langem ausverkaufte ben. Alle! Renommierte Medien, coole Blogs, überall in Club wartet, geht komplett nüchtern und hochkonzent- Europa. Selbst Brooklyn Vegan. Was will ich da noch? Ver- riert auf die Bühne. Mission: allererstes Live-Konzert über- melden, dass die Platte da ist und der RFV die Europatour haupt. Erwartungen? Mount Everest! unterstützt? – Und so erledigte ich meinen Job zuerst eher Erwartung konkret: Den Hype um die Basler Band, der lustlos und raffte mich dann auf: seit Monate zwischen Los Angeles, London, Paris, Athen, Da ist es endlich, 26 Minuten kurz und doch seit Monaten Tilburg und New York entflammt ist, endlich in Blut, Kno- in aller Ohren, von New York bis Athen: Devil Is Fine. Das chen, Haut und Lärm auf der Bühne materialisiert zu se- Album der Basler Band Zeal And Ardor um Mastermind hen. Zeal And Ardor, meine Güte! Es gibt fast niemanden Manuel Gagneux ist ein Jahrzehntereignis und ein grossar- in der neugierigen Musik-Community, der ihr kurzes De- tiger, seltener Beweis dafür, dass der kreative Underground bütalbum «Devil Is Fine» nicht kennt. Selbst Slash (ja, d e r sehr wohl aktiv und mit etwas Glück auch fähig ist, seinen Slash) meldete sich per Twitter und Facebook: «Check out Weg raus aus den kargen Löchern der wahren Kunst zu fin- Zeal & Ardor – most interesting thing I’ve heard in ages. den. Auch wenn Manuel Gagneux dafür dem Teufel seine Delta soul meets .» Seele verkaufen musste – oder wollte. Basel selber ist seit Wochen völlig aus dem Häuschen – die In der Basler Musikszene kennt man ihn (als Solo-Projekt Freude und der Enthusiasmus über den charismatischen, Birdmask und von seiner frühen Teenie-Band Hellalujah, exotischen Sound dieser sechs Basler Musikerinnen und die 2009 einmal mit Navel in der Kuppel Basel spielte). In Musiker auf der Bühne des Czar Fests ist komplett greifbar. New York, wohin er als US/CH-Doppelbürger seit einigen Dann, die Boxen brummen, die Band kommt, die ausgelas- Jahren immer wieder zur horizonterweiternden Blut- und sene, osterfrohe Spannung im Publikum entlädt sich bereits Gehirnsynapsenauffrischung rübermachte, kannte ihn nie- im elektronischen Intro, bevor Z&A-Zeremonienmeister mand. Das änderte sich urplötzlich im letzten Sommer, Manuel Gagneux mit einem halsbrecherischen Metal- als die US-Metal-Journalistin Kim Kelly sein Z&A-Demo Gestänge auf den Schultern ans Mikrophon tritt und end- ihrer Twitter-Community empfahl und wenig später der lich, endlich seine tief-dunkle, raumgreifende, hypnotische «» einstieg. A small hype was born, Som- Stimme erhebt: «Burn the young boy / burn him good!» mer 2016. Damit wär die Sache vielleicht erledigt gewe- («In Ashes»). sen. Doch Gagneux’ Fieberkurve stieg. Und stieg. Sie steigt Sklavenmusik, Negro Spirituals – und dann plötzlich: noch immer, auch wenn er abseits der Bühne absolut cool schneidende Gitarre, Double Bassdrum, rasender Bass, ein bleibt. höllischer, heiliger Krach, teuflisches Geschrei. Oh ja, diese Zeal And Ardor haben es nun mit ihren Songs geschafft, Musik ist böse, denn sie reinigt uns brave Unschuldige vom in vielen relevanten Medien der Metal-Szene, des liberalen Dreck der Unterdrückung Tausender armer Seelen im Na- Feuilletons, des Staatsradios und der Hipster-Welt genauso men Gottes des Allmächtigen. Karfreitag, 14. April 2017, stattzufinden. Und die Booker der europäischen Top-Fes- welcome to Zeal And Ardor. Black Magic! tivals gleich reihenweise zu begeistern. Diese Geister hatte Gagneux aber im Frühling 2016 nicht gerufen, als er die zeal and ardor afroamerikanischen Sklavengesänge des 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert rüberzubeamen und rauszuschreien begann, aus purem Interesse an Rhythmus, Worten, Ge- sang und der Geschichte der Unterdrückten. BLACK METAL MATTERS

Jedoch: Wir drehen hier keine pädagogisch ausgewogene Reportage für das Schweizer Spätabendfernsehen, son- dern freuen uns ob der wahrhaft fulminanten Musik auf «Devil Is Fine», denn das ist sie mehrheitlich. Zwei Dinge bringt sie zusammen: Die Gesänge der afroamerikanischen Sklaven der Südstaaten (Slave & Chain Gang Music, Gos- pel, Blues, Prison Songs) und den Metal nordeuropäischer Prägung. Genauer: Black Metal. Beide Genres haben auch starke spirituelle, beschwörende Elemente. Und beide ru- fen Gott an, auf sehr unterschiedliche Weise. Beide trans- portieren Wut. Um den Begriff Black Metal im Kontext von Z & A ent- stand dann etwas Verwirrung; einerseits in den schöngeisti- gen, schon länger nicht mehr gelüfteten Gehirnen der «Die Zeit»-LeserInnen, und andererseits in denjenigen dunklen, zugesperrten Ecken der Metal-Szene, die nicht auf Neues manuel gagneux oder Genre-Sprengendes und damit Bedrohendes aus sind. Kurz zur Klärung: Natürlich ist Z & A keine Black-Metal- Band. Sie setzt aber Black-Metal-Elemente ein (Gitarren, HAIL ZATAN! Drums, Bass, Vocals), nicht nur aus künstlerischer Freiheit, sondern auch, weil Gagneux selber seit Teenagerzeit von Black Metal als wirklich extremer Musik und provokativer Haltung fasziniert ist. Schliesslich: Als Sohn einer Afroame- rikanerin hat der 28-jährige Basler bei seinen US-Aufent- halten seine dortigen Wurzeln weiter zurückverfolgt. Auf Z & A gemünzt kann Black Metal auf einer Metaebe- ne auch so übersetzt werden: «Black»: Die Hautfarbe, die Finsternis des Leidens, die spirituellen Songs der afroamerikanischen Sklaven, ihre ur- sprüngliche Herkunft: Afrika, wo die Europäer lange zuvor die Sklaverei etablierten und damit sehr reich wurden und bis heute sind. Die weissen, amerikanischen Grossgrundbesitzer der Südstaaten haben dies von ihren europäischen Vorfahren übernommen, zum Teil bis ins frühe 20. Jahrhundert. «Metal»: Daraus waren die Fussfesseln der Sklaven oder der Chain Gangs (Gefangene in Arbeitseinsätzen ausser- halb des Knasts) gefertigt: Metall. Gagneux stellt auf «Devil Is Fine» ganz einfach die Frage, was passiert wäre, wenn die afroamerikanischen Sklaven nicht in Gott ihren einzigen Trost und Halt gesucht hätten, sondern in S a t a n.

Aus «Blood in the River»: A good god is a dead one A good god is the one A good lord is a dark one A good lord is the one that brings the fire A good lord is a dark one

Doch zurück zum musikalischen Metall: Eine homogene Metal-Szene gibt es sowieso nicht, hat es nie gegeben, eben- sowenig wie eine homogene Gebrauchtwagen-Szene. Ein zugekachelte Gegenwart ein. Dieser Kurzschluss zwischen Opel Corsa mit 215 000 km und ein Ferrari 365 GTS/4 der Hölle der Vergangenheit und dem irren Tumult des Daytona Spider haben nichts gemeinsam – ausser, dass sie 21. Jahrhunderts funktioniert deswegen so gut, weil er beide Gebrauchtwagen mit vier Rädern sind. absolut authentisch und zwingend wirkt, samt der be- Andersherum: Black Metal, Thrash Metal, Melodic Death schwörenden Texte, der Call-and-response-Gesänge und Metal, Doom oder Post Metal haben ebensowenig gemein- der Kraft dieser dynamischen musikalischen Zelebration. sam. Und Metallica sind längst zur Stadionband für die Also, befreit euch von musikalischen Fesseln und hört diese ganze Familie verkommen. Einige Metal-Szenen sind tat- Band, live und auf Konserve. Wir erwarten nichts, aber es sächlich sehr konservativ bis offensichtlich reaktionär – an- wird grossartiger werden, als es jetzt schon ist. dere sind seit Jahren die Quelle avantgardistischer Extreme Die Live-Uraufführung am Czar Fest hat bei aller Euphorie Music samt ihrer hochinteressanten Philosophie. Das trifft auch eines offenbart: Dieser Mann, diese Band, diese Crew auch auf die andere Basler Metal-Band mit internationa- hat gerade erst angefangen, und dieser Mann mit dem lem Renommee zu: Schammasch. Black Metal 3.0 hat Gott selbstbewussten Afro weiss sehr genau, was er will. Schon längst überwunden. bei der ersten Show spielte die Band zur Hälfte komplett Apropos extrem: Die berüchtigte Black-Mass-Show der neue Songs, etwa «Don’t You Dare», «Row Row», «Cut norwegischen Black-Metal-Band Gorgoroth in Krakau Me» oder «Bury My Body». vor 13 Jahren war längst nicht in der ganzen Metal-Szene Und genau deshalb ist es – für mich – leicht zu prophezei- gern gesehen und auch nicht unbedingt ein Thema (You- en, dass Zeal And Ardor uns viele Jahre erhalten bleiben tube-Check: Gorgoroth «Forces of Satan Storms» Krakau werden. Und sich noch einige Male neu erfinden. Gagneux 2004). Von dieser nihilistischen Provokation kann man kommt schliesslich von Gagneur, Gewinner. halten, was man will, oder auch gar nichts. Fakt ist, dass Zuerst stehen für Zeal And Ardor Live-Termine an, für die die zweite, norwegische Welle des Black Metal seit Anfang andere Bands jahrelang ackern: Das Extreme-Metal-Festi- der Neunzigerjahre immer extremere Formen und Inhalte val Roadburn in Tilburg, Holland (wo auch Schammasch gegen die in Norwegen sehr dominante evangelische Kirche spielen), zwei Support-Shows für die US-Supergroup Pro- zelebrierte. phets Of Rage (Berlin, London), das Metal-Hammer-Festi- val in Katowice, vier US-Shows im August, unter anderem DIE WELT, AUS DEN FUGEN GERATEN das Psycho Fest in Las Vegas Fest (mit Carcass, Neurosis, Swans, Melvins), dann die grossen UK-Festivals Reading Mit dieser provokativen, effekthascherischen Form des und Leeds Ende August. Zuerst aber eine Headline-Club- satanischen Black Metal haben Zeal And Ardor natürlich Tour durch europäische Städte. London war schon mal nichts zu tun. Sondern, im besten Sinne: Mit Spiritualität ausverkauft. und der Frage nach dem Mensch-Sein in einer aus den Fu- Die Ketten sind gesprengt. Let it burn. Hail Zatan! gen geratenen, perversen Welt – heute wie damals. Nun aber ist am 24. Februar 2017 endlich «Devil Is Fine» Text Chrigel Fisch erschienen. Diese Musik, diese wütende Predigerstimme ist Fotos Anna Wirz in einigen Songs derart brutal geerdet, dass sie einen erzit- Zeal And Ardor: «Devil Is Fine» (Radicalis) tern lassen. Sie nährt sich aus dem monumentalen Leiden Live: 4.5., L’Usine, Genf; 16.6., B-Sides, Luzern; 10.8. Rock Oz’ Arènes, der schwarzen Sklaven und bricht direkt in unsere digital Avenches; 17.8., Musikfestwochen, Winterthur GITARRENDEMOKRATIE in der Schweiz immer wieder. Für die «Demotape Clinic» «Hello», rief Simes Hansjoggeli ännet etwa, einen Nachwuchswettbewerb des Migros-Kulturpro- zents, bewerben sich jedes Jahr rund 700 Bands. Und im am Bärg. Oder: Wie Pop zur Volkskultur Rockförderverein Basel sind über 500 Acts aus der Stadt und Region angeschlossen. Der Verein ist einzigartig in der digitalen Nomaden wurde. der Schweiz, aber in anderen grossen Agglomerationen des Landes wie in Zürich, Genf, Lausanne oder Bern dürfte die Eine beliebige Bushaltestelle im Schweizer Mittelland zu ei- Dichte an aktiven Popmusikern genauso gross sein. Sie alle nem beliebigen Zeitpunkt. An der Seitenwand hängen Pla- bilden eine Volkskultur auch darum, weil sie seit den Neun- kate, die für Veranstaltungen werben. Für eine klassische zigerjahren keine Subkultur mehr sind. Die Bandprobe ist Soirée, ein Kindertheater, ein Musical, drei Popkonzerte gesellschaftlich nicht weniger akzeptiert als der Jassabend, und vier Partys, an denen DJs ebenfalls Popmusik aufle- und längst spielt Pop in einem politisch breit abgestützten gen. Vor den Plakaten warten acht Personen auf den Bus, Netzwerk von professionell oder auch ehrenamtlich ge- und sechs davon hören Musik. Gefragt, was das ist, was sie führten Bühnen. Ob nun die Schülerband im Jugendhaus hören, antworten alle sechs mit Namen von Popmusikern. vor den Peers aufspielt, oder ob fünf Mittvierziger das Es ist offensichtlich: Pop ist, sechzig Jahre nach seiner Ent- Stadtfest mit alten und neuen Hits von Pearl Jam bis Adele stehung in den USA, auch bei uns zur Musik geworden, die beschallen: Die meisten dieser Konzerte locken nicht einge- unseren Alltag begleitet und in der wir unser Leben wieder- weihte «Fans» an, die mit einer bestimmten Band auch an erkennen. Pop ist unsere Volksmusik, und ebenfalls so gut einem bestimmten Lebens- oder Gesellschaftsentwurf rie- wie an den Bushaltestellen des Mittellandes erkennt man chen wollen. Pop fördert nicht mehr die Distinktion, son- das am Programm der kommerziellen Radiosender, die dern führt die unterschiedlichsten Leute zusammen. eben nicht Ländler spielen oder volkstümlichen Schlager, sondern internationalen Pop. DAS EINGESCHRUMPFTE «ICH» Es heisst, die Nachfrage bestimme das Angebot, aber da wird die Sache kompliziert. Klar, das Publikum hat heute Bezeichnend ist, dass die Sprache dieser neuen Volkskultur mehr Musik zur Verfügung denn je, und es war auch noch global ist. Klar, da sind lokale Dialekte vernehmbar, doch nie so einfach, ein Lied zu produzieren und zu veröffentli- auch sie ruhen jederzeit griffbereit im grossen und ganzen chen. Bei Soundcloud etwa, einem Streamingdienst mit Sitz Archiv der Cloud und sind damit nur noch als Tradition in Berlin, gibt es über 100 Millionen Titel gratis, und jede lokal, nicht mehr in der handlichen Anwendung per Klick. Minute wird nach Angaben des Dienstes von den 40 Milli- So hat, mit einigen Ausnahmen, auch der Schweizer Mund- onen registrierten Usern zwölf Stunden neue Musik hoch- artpop aufgehört, über die Schweiz zu erzählen, und de- geladen. Doch all diese Musik wird von kaum jemandem kliniert die gleichen Befindlichkeiten durch, wie sie auch gehört. Eine Studie über den Onlinehandel mit Musik im ein Justin Bieber verhandelt. Das ist ein bemerkenswerter Jahr 2008 unterstreicht den Befund: Damals standen rund Widerspruch: Pop bringt als Volkskultur zwar sehr viele 13 Millionen Songs im Internet zum Verkauf. 10 Millionen Leute zusammen, aber nicht dadurch, dass er von einem wurden kein einziges Mal verkauft, und 0,4 Prozent der «Wir» erzählt, sondern immer wieder von einem «Ich». Songs sorgten für über 80 Prozent der Einnahmen. «Das Aber dieses «Ich» ist wiederum eingeschrumpft auf den Internet hat nichts daran geändert, dass die meisten Leute kleinsten globalen Nenner: Es ist nämlich gerade glücklich das hören wollen, was alle anderen auch hören», schreibt oder – häufiger – unglücklich verliebt und geht durch me- John Seabrook in «The Song Machine», seiner Recherche lancholische Phasen. Es will aber trotzdem nicht die Welt über die Massenproduktion von Hits in der Musikindust- verändern, sondern sich selbst treu bleiben. rie: «Die Hits sind grösser denn je.» Aber haben das Volkslieder nicht schon immer geleistet, einfach nicht auf globaler, sondern auf lokaler Ebene? Wer UNERFORSCHLICHES HINTERLAND sich in einem solchen Global-Ich wiedererkennt, drückt sich mit einem Lied von Justin Bieber oder Rihanna genau- So mag es eine erfreuliche Nachricht sein, dass die Mu- so aus, wie es unsere Vorfahren mit einem Volkslied wie sikbranche zuletzt ihren 15-jährigen Niedergang stoppen «Stets i truure» taten. Und tatsächlich werden ja alle diese konnte – dank dem Streaming, aber auch dank einem Lieder im Augenblick ihres Erscheinens zum Allgemeingut: enormen Boom im Konzertgeschäft. Weniger erfreulich ist, Die einschlägigen Seiten im Internet bunkern ihre Akkord- dass davon, in den virtuellen Musikshops wie auch auf der folgen und Texte, und auf Youtube gibt es die Tutorials, in Bühne, letztlich ein kleiner, exklusiver Kreis von Künstlern denen man lernen kann, wie man sie richtig spielt. Zum profitiert. Und dahinter verwandelt sich Pop zurück in eine Beispiel «Hello», den Welthit von Adele vom Herbst 2015. folkloristische Kultur, in ein riesiges, unerforschliches Hin- Es gibt auf Youtube mehrere Hundert Versionen des Songs, terland. Weitab der glitzernden Kulissen des Starsystems es gibt ihn auf Spanisch, auf Russisch und auf Suaheli. Es dienen die Lieder hier dem Alltagsgebrauch ganz gewöhn- gibt «Hello» als Pianosolo und auf der ukrainischen Lau- licher Menschen. Hier spielen die Sänger, DJs und Bands te. Es gibt «Hello» als Reggae, als Metal und als Rap. Es eine meist gewöhnliche, vertraute Musik; eine Musik, die gibt «Hello» in der geschmeidigen Soulversion eines Leroy ihnen mehr ein sozialer Zeitvertreib ist als eine künstleri- Sanchez, die von 29 Millionen Menschen angesurft wurde, sche Ambition. Verdienen werden sie damit nie viel mehr, oder von Jessica Muniz, deren melodramatisch vor einer als ein rühriges Profil auf Bandcamp, ein schmales Konto Holzbrücke eingesungene Version zum guten Glück nur bei der Urheberrechtsgesellschaft und die Hutkollekte her- 108 Mal gesehen wurde. geben. Diese Musiker führen ein Künstlerleben mehr oder Das Internet gleicht hier einem virtuellen Hootenanny, an weniger innerhalb der eigenen Community – zwischen den dem alle zusammenkommen, um ein paar Lieder zu singen, immer gleichen Clubs, Kaffeehaus- und Wohnzimmerkon- die jeder kennt. Und niemand hat diesen Sachverhalt so zerten sowie, wenn es hoch kommt, der Main Stage am liebevoll und ironisch auf den Punkt gebracht wie der US- lokalen Openair. Songwriter Beck Hansen, als er 2012 seinen «Song Rea- Das klingt und ist nicht glamourös. Wie viele Leute aber der» veröffentlichte. Denn dieses Album gab es nicht als an diesem Leben trotzdem teilhaben wollen, zeigt sich auch LP oder CD oder Download, sondern nur als Notenbuch, beck hansen GITARRENDEMOKRATIE

und die erste Single war eine vierseitige Partitur in G-Dur. einfach nach, sondern treten bewusst als Epigonen auf, die ressanten Dingen zu tun.» Ein nostalgisches Unterfangen, gewiss, doch gab es zum natürlich scheitern müssen. Es ist, als liessen sie die herr- Der 27-jährige Amerika- sorgfältig manufakturierten Büchlein auch eine gleichna- lichen Identitätsangebote, die ihnen die Stars machen, in ner hat also in den Tiefen mige Website, auf der Hansen nun die Videoclips mit all die Realität zurückfallen: Wenn sich Madonna in «Hung des Internets nach Origi- den Versionen veröffentlichte, die bald aus aller Welt bei Up» (2005) mit 47 Jahren noch einmal als belastbare Stret- nalen gefahndet, genau so, ihm eintrafen. Und was für ein wunderbarer Einblick das cherin und Turnerin profilierte, so kann man zusehen, wie wie Harry Smith für seine war in die Küchen und Stuben der weltweiten Basisgitar- sich ihre real existierenden Verkörperungen mitten in der berühmte «Anthology of rendemokratie! Die neueste Single von Beck direkt vom Performance schon mal im Schritt das recht verschwitzte American Folk Music» von Stubenklavier in Rümmelsheim oder aus der Einbauküche Trikot richten müssen. Die Performance der Stars prallt so 1952 im unüberblickbaren in St. Petersburg. Der stromlose Weltpop vor der Digicam aus einiger Fallhöhe im Alltag der Internetgemeinde auf. Wust der alten Folkmusik als Hausmusik der digitalen Nomaden. Doch es ist nicht so, dass der Star darum banal würde. Im die wunderlichsten und Gegenteil: Der Vorgang macht beide grösser, die Banalität ergreifendsten Stimmen «THANKS FOR SHARING» wie den Star. Es ist die pure Popmagie. aufspürte. Die «Antholo- Bei Adele sind die wenigen Parodien schrill, sogar bösartig. gy» wurde zu einer der ein- All diese Direktverschaltungen einer neuen Heimeligkeit Die meisten Videos zeigen aber Sängerinnen und Sänger, flussreichsten Liedersamm- mit dem World Wide Web passen gut zum Phänomen, dass die sehr bemüht sind, sich selbst auszudrücken mit ausge- lungen der Geschichte, sie Folk seit einigen Jahren auch als musikalischer Stil boomt. rechnet einem der durchgenudeltsten Radiohits der letzten beschwor eine Gegenwelt Bands wie die Fleet Foxes, Bon Iver oder Mumford & Sons Jahre. Gut, man könnte sagen, in den Songs der britischen zum Alltag, das «old, weird verkaufen ihre Lieder in millionenfacher Auflage und spie- Soulsängerin gehe es gerade um den authentischen Gefühls- America». Und entwarf so len in grossen, ausverkauften Sälen. Zu ihrem halb akusti- ausdruck, während Madonna ja mit verschiedenen Identi- in 84 seltsamen, betören- schen Hymnensound tragen sie Bart und Bauernhemd und täten gearbeitet habe. Das stimmt natürlich, aber vielleicht den Folkaufnahmen den zitieren damit jene regionale, ländliche Verwurzelung her- ist es kein Zufall, dass der grösste Popstar der Gegenwart Mythos vom Rock’n’Roll. bei, die ihr globalisierter Folkpop nicht mehr hergibt. Aber das alte Popspiel um die Frage, wer man auch noch sein Vielleicht lässt sich davon das ist natürlich kein Widerspruch, sondern ein Erfolgsre- und wie man auch noch leben könnte, nicht mehr mitspielt. lernen. Wenn Pop aus der zept: Folk erreicht die Massen darum, weil er eine Gegen- Adele verkauft Echtheit, Bodenständigkeit und Identifikati- Volkskultur wieder heraus- erzählung zur Globalisierung schreibt, die global lesbar ist. on. Es sind die Werte einer Volkskultur. Aufdatiert wurden finden will, muss er ihr un- Der «Song Reader» von Beck war der perfekte Kommentar sie durch und für die moderne Castinggesellschaft, in der es wegsamstes Gelände erfor- dazu: Denn der neuen Folkbasis genügt es eben nicht, zu eben nicht um die schönsten Lebensentwürfe geht, sondern schen. Da fährt zwar kein Hause auf dem Sofa diese Lieder zu singen; die Welt soll darum, das allgemein bekannte Programm möglichst als Bus hin. Aber vielleicht auch sehen, wie das Sofa aussieht, und hören, wie schön Klassenbester zu durchlaufen. beginnen die Appalachen das Lied nun klingt. Das also ist Pop als Volkskultur, und ja schon auf der 28. Resul- viceversa. Das ist Cocooning als Castingshow, ein Rückzug WO BEGINNEN DIE APPALACHEN? tatseite unserer nächsten ins Private, der wahrgenommen und bewertet werden will. Googlesuche. Wer geht mit «Thanks for sharing», schreiben noch die verschupftesten Aber natürlich gibt es die, die dabei nicht gesehen werden. ins new, weird Web? der Adele-Adepten zu ihrer Version von «Hello». Menschen wie Jessica Muniz mit ihren 108 Views. Aber da Eines fällt auf an all diesen halbanonymen Menschen und ist ein Künstler, der sich gerade für die Sperr- und Todeszo- Christoph Fellmann ihren Versionen von «Hello»: So gut wie nie verstehen sie nen der Aufmerksamkeitswirtschaft interessiert. Er heisst ihr Cover als Spiel mit dem Original oder sogar als Paro- James Hinton, nennt sich The Range und samplet für seine Der Artikel stammt aus dem Buch die. Sieht man sich ähnliche Videos an, die Fans von Ma- eleganten elektronischen Songs die Stimmen, wie sie aus «Time Is Now – Popmusik in der donna, Michael Jackson oder Prince gemacht haben, den dem Pophinterland zu ihm kommen. «Hier gibt es eine viel Schweiz heute», Hrsg. Philipp Superstars aus den Achtzigerjahren, zeigt sich ein ganz an- breitere Palette an Gefühlen und Geschichten als auf der Schnyder von Wartensee, Hedy Gra- deres Bild: Eine belustigte Distanz prägt die meisten Film- Oberfläche von Youtube», hat Hinton in einem Interview ber und Dominik Landwehr, Limmat chen, die Sängerinnen und Tänzer eifern dem Star nicht erklärt, «und man bekommt es mit wirklichen und inte- Verlag, Zürich. www.timeisnow.ch

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Ist da Ironie ten» war unlängst eine Paige Stark und Gitarrist im Spiel? Nein, das ist der ernsthafte Versuch, Songs aus Seinen Namen adaptierte Ausstellung im Müchner Luke Paquin (ehemals Hot der klassischen Periode von Sun Records mit einem ande- das 1970 in Dakar gegrün- Haus der Kunst gewidmet. Hot Heat) haben als Duo ren Fokus zu hören: Nicht die Sänger, nicht die Stars stehen dete Orchestra Baobab vom Die legendäre und auch Tashaki Miyaki in den hier im Mittelpunkt – auf zwei Compilations, «Great Gui- Club, in dem es früher re- schon sehr lange existie- letzten sechs Jahren einige tars at Sun» und «Great Drums at Sun», feiert Bear Family gelmässig spielte. Mit ihrem rende süddeutsche Kraut- Singles und zahlreiche Co- Records die Gitarristen und Schlagzeuger, die dem frühen einmaligen, beschwingten Rock-Band faUSt (seit ei- verversionen veröffentlicht Rock’n’Roll seinen Sound und Drive verliehen. Mix aus traditionell afri- nigen Jahren hat man den – von Roxette bis Waylon Auf «Great Guitars at Sun» darf Scotty Moore nicht feh- kanischen Einflüssen mit Bandnamen verändert) Jennings –, die gratis auf len, der Gitarrist auf Elvis‘ frühen (= besten) Aufnahmen. afrokubanischen Rhythmen verwendet in ihrem neuen ihrer Bandcamp-Seite er- Während Elvis auf der akustischen Gitarre schrammelte, und portugiesisch-kreoli- Album «Fresh Air» den hältlich sind. Doch erst legte Moore mit seinen elektrischen und elektrisierenden schen Melodien löste das hübschen Begriff des «Auf- jetzt erscheint ihr erstes Figuren eine dynamische Basis und sorgte mit kurzen Soli multiethnische Ensemble im geklärten Dilettantismus». Album «The Dream». Ein- für Abwechslung. So etwa in «Mystery Train», das hier Senegal eine musikalische Es geht unter anderem um gerahmt von den zwei kur- gleich nach der etwas älteren Version von Little Junior Blütezeit aus. Die Band ver- die Verballhornung von zen Instrumentalstücken kommt – was den direkten Vergleich zwischen den bei- öffentlichte Dutzende von Namen und Wortfetzen «LAPD» als Auftakt und den Gitarristen Floyd Murphy und Scotty Moore erlaubt. Platten (meist nur auf Kas- wie bei «Engajouez vous!», Finale wandelt die Prota- Grosse Klasse ist auch das weniger bekannte «Cindy Lou», setten), ehe sie sich Mitte mit dem faUSt-Mitgrün- gonistin durch die Stadt, das vom Kontrast zwischen der weichen Stimme Penners der Achtzigerjahre auflös- der Jean-Hervé Péron den in diesem Fall Los Angeles, und der aggressiv schneidenden und klirrenden Gitarre te. Ihr Album «Ken Dou Track «Chlorophyl» ein- immer an der Grenze zwi- Don Gilillands lebt. Werente» (1982)‚ das etli- leitet, in dem dann auch schen Unterbewusstsein Hmm, das klingt nun doch reichlich nerdy. che ihrer populärsten Songs noch ein bayrischer Dialekt und Erkenntnis. «Is the Ich gebe zu, dass ich «Great Drums at Sun» und «Great wie «Coumbaï» und «Utru auftaucht. Die in den frü- dream the beginning?», Guitars at Sun» zunächst für eine clevere Art hielt, den Horasï» enthielt, gilt als hen Siebzigern entstandene lautet eine Zeile in «City». nicht unerschöpflichen und schon tausendfach aufgear- Klassiker und wurde 1989 Band Faust hat für das neue Die Erkenntnisse auf dieser beiteten Sun-Records-Katalog auf thematischen Compi- unter dem Namen «Pirate’s Album mit befreundeten Wanderung können mit lations neu zu vermarkten und dabei, bedingt durch den Choice» neu aufgelegt. Er- Musikern während einer Paquins Gitarre harschere Fokus, erfreulicherweise auch weniger bekannte, weniger mutigt durch Senegals Su- US-Tour gearbeitet. Neben Züge annehmen, wenn in kanonisierte Songs und auch den einen oder anderen Al- perstar Youssou N’Dour den «Ur-Fäusten» Zappi «Girl on T.V.» die Ober- ternate Take auszugraben. Beim Hören der CDs und vor reformierte sich die Band Diermeier und Peron sind flächlichkeit der Entertain- allem beim Mitlesen der Booklets, die auf jeden Song, jeden 2001 und nahm ihr erstes unter anderem mit dabei: ment-Industrie thematisiert Musiker, jedes Solo, jeden Beat eingehen, ertappte ich mich Album seit fast 20 Jahren die Sängerin Barbara Man- wird: «And all the boys will schon bald dabei, diese zum Teil sehr bekannten Klassiker auf («Specialist in All Sty- ning, die Viola-Spielerin want me, and everyone will tatsächlich neu zu hören. les»). Ein weiteres («Made Ysaane Pevack und Jürgen like me. And all the world Das ist nicht selbstverständlich; das Konzept der Band aus in Dakar») folgte 2007. Engler. will know me.» Die zweite gleichberechtigten Mitgliedern gab es noch nicht, und ver- Trotz des Verlustes zweier Herausgekommen ist ein Albumhälfte bietet dann geblich sucht man bei den Mit- und Begleitmusikern der Gründungsmitglieder – Sän- tolles, eklektisches Album mehr sonnigen, schweben- Stars wie Elvis, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, ger Ndiouga Dieng starb voller Drones, Geräuschen den Dream-Pop und mit Johnny Cash, Rufus Thomas jegliche Form von Egozentrik 2016, Gitarrist Barthelemy und Soundideen, verspielte «Keep Me in Mind» auch oder Selbstinszenierung. Moore und Perkins, aber auch Attisso geht seinem Beruf Avantgarde, wenn man so ein rein akustisches Stück, Drummer wie WS Holland, J.M. van Eaton oder Johnny als Anwalt nach – wirkt sich will. Später wir dann auch auf dem Starks Gesang in Bernero waren Dienstleister für den Sänger und den Produ- eine Blutauffrischung mit schon mal die Marseillaise bester Mazzy-Star-Manier zenten Sam Phillips. Aber ohne die Brillanz und Prägnanz neuen Musikern für das Or- verändert: «Allons enfants ein flauschiges Kissen aus- dieser Musiker kann man sich diese Aufnahmen kaum vor- chestra Baobab positiv aus. de l’anarchie, notre jour de breitet. stellen. Sam Phillips wusste genau, was er machte, wenn er Es klingt so frisch und ins- jouir est arrivé.» Begleitmusiker anheuerte, Sessionbands zusammenstellte piriert wie immer. Betörend, anz. und phasenweise auch seine eigene Hausband hatte. diese Fusion aus leichfüssi- tb. «Great Guitars at Sun» und «Great Drums at Sun» werfen gen Latin-Rhythmen, Blä- einen nicht wirklich neuen, aber erfrischend anderen Blick sern und männlichen Stim- auf die Geburtsjahre des Rock’n’Roll. men. Klasse bleibt Klasse. Christian Gasser tl. DIE NEUEN PLATTEN Papst & Abstinenzler Da kommt sie auch schon wieder, die Schaffhauser Band aus Winterthur und Zürich mit dem windschiefen, aber dennoch kompromisslosen Namen. Und nach den ziemlich straight betitelten Platten «Hell» und «Geisterfahrer» darf es nun auch im Albumtitel ein etwas scheppses Wortspiel sein. Die Geschichte, die im Titelstück erzählt wird, ist al- lerdings ein beeindruckendes Beispiel, wie sich eine Alltags- The Skatalites Blondie The Afghan situation – das Zusammentreffen am Tresen – verdichten Independence Ska Pollinator Whigs und szenisch ausschmücken lässt (Übungsraumschimmel- and the Far East (BMG) In Spades geruch, Gespräche über zwölfsaitige Gitarren), bevor dann Sound (Sub Pop/MV) die unerhörte Begebenheit aus der Jukebox hervorbricht. (Soul Jazz Records) Also, für einen sogenann- Das Lied macht früh schon deutlich, in welche Richtung ten «Heritage»-Act kom- In einer gerechten Welt sich das Quartett auf seinem dritten Langspielwerk be- Braucht die Welt eine neue men die Blondie von heute hätten The Afghan Whigs wegt. Textschreiber und Sänger Jürg «Odi» Odermatt hat Compilation von The Ska- ja bemerkenswert frisch eigentlich mindestens ge- den Nimbus des «Salieri des Ostschweizer Mundartpop», talites? Von der Band, die daher! Dabei besteht die nauso gross wie Nirvana als der er im Beipackzettel apostrophiert wird, endgültig kurz nach Jamaikas Unab- heutige Formation bereits werden müssen. Ihre Alben abgelegt. Auch die ironischen Beugungen und Brechungen, hängigkeit den «Sound of zweieinhalb Mal länger als waren fantastisch, und die die das bisherige Schaffen geprägt haben, sind diskret in Jamaica» in die Welt hin- die Ur-Combo, die in den Band um Greg Dulli ver- Nebensätze eingebettet. Das schafft Raum für sorgfältige austrug, diese als Ska be- späten 70ern und frühen harrte nicht in n Rocksche- Betrachtungslyrik, in der immer mal wieder mit winzigen kannte Mischung aus Jazz, 80ern mit Evergreens wie mata, sondern überschritt Metaphern Tragik transportiert wird. Die Bierdose, die Rhythm’n’Blues, Karibi- «Heart of Glass» (Disco eingefahrene Wege. Aus dem Protagonisten aus der Hand fällt und dann bloss noch schem und Latin? Die aus kombiniert mit Velvet Un- dem grossen Durchbruch Schaum auf dem Schotter ist. Der Telefonjasser mit seiner einigen der besten jamaika- derground) oder «Rapture» wurde leider nichts, die wirkungslos gewordenen Schiltenwand. Ein Blick von weit nischen Jazzmusikern wie (der erste Pop-Hit mit Rap- Band muss sich bis heute oben, der auf die Trampoline in den Vorgärten fällt. Don Drummond, Tommy Einlage) den raren Spagat mit dem Status der Legen- Die Band und ihr Sänger sind stilsicher unterwegs in den McCook, Jackie Mittoo, schaffte zwischen Hitpara- de und des Kritikerlieb- Abgründen. Sie sezieren in «Musig us de Schwiiz» das Ernest Ranglin, Johny «Diz- de und Supercoolness im lings begnügen. Seis drum. Dilemma des heimischen Klangschaffens, ziehen auf den zie» Moore, Lloyd Knibbs, urbanen New-York-Stil. Sonst wären vielleicht auch Spuren von Timber Timbre durch die Nacht und singen Lloyd Bravett bestand? Die Seit der Reunion im Jahr nicht so gute Spätwerke das Lied von den Bahnhöfen, an denen nicht nur die Züge als Hausband von Clemens 1997 – nebst Debbie Harry entstanden wie das Come- längst abgefahren, sondern nun auch noch die Schienen «Sir Coxsone» Dodd auf und Chris Stein ist von den back «Do the Beast» aus weg sind. Klanglich geht es dabei bisweilen durchaus gerne Tausenden von Songs zu Originalen noch Drummer dem Jahre 2014 oder das mal etwas ruppiger zu, mit dringlicher Rhythmik und Ra- hören ist? Die zwischen Clem Burke geblieben – neue Werk nun hier. «In sierapparatstimme, aber stets innerhalb der weit gesteckten 1963 und 1966 zusätzlich hat die Band ein paar Al- Spades», aufgenommen an Grenzen ihres Stils, den Papst & Abstinenzler treffend mit Hunderte von Songs ein- ben veröffentlicht, denen verschiedenen Orten zwi- «Schaffhausicana» umschreiben. spielte und unter verschie- allesamt ein eher diskretes schen New Orleans und Es ist das konzentrierte Stochern in den Befindlichkeiten denen Namen veröffentlich- Echo beschieden war. Sie Memphis sowie LA und und Begebenheiten, das dieses Album herausragen lässt. te? Die wusste, wie man mit seien hauptsächlich am der Mojave-Wüste, bringt Ein Album, das mit «S 33» einen veritablen Hit enthält, dichtem, treibendem Off- Laptop entstanden, sagt zehn Songs, die mitten ins in dessen Auslaufbereich als fernes Echo auch noch ein Beat die Tanzflächen füllte, Stein. Jetzt habe man end- Herz treffen. Herausragen- Piano-Motiv aus dem Fundus von Mitproduzent Olifr Guz gleichzeitig – vor allem dank lich zurück zu den Roots des Stück ist der mit fünf Maurmann aufschimmert. Spätestens in diesem Stück wird Don Drummond – experi- gefunden. Sprich: Die Minuten längste Track, klar, das wir es hier mit meisterhaften Miniaturarchitekten mentierfreudig genug war, Band sass im Studio und «Arabian Heights». In die- zu tun haben. Nicht Herzog & de Meuron, sondern eben um immer auch musikalisch musizierte unter der Ägide sem Rave-Rock-Gewitter Papst & Abstinenzler. Darauf einen Klaren! interessant zu sein? Die sich von Produzent John Con- fegen harsche Gitarren und auflöste, als Drummond gleton als Ensemble, und federnde Beats über Dullis Philippe Amrein des Mordes an seiner Frau das spürt man. Weiters lud markante Stimme hinweg, angeklagt wurde? Braucht man befreundete Musikan- dass es eine Freude ist. Papst & Abstinenzler: «Bar ‹A d Schnore›» (Patient Records) die Welt also einen neuen ten – darunter Dev Hynes, Auch der Rest rockt, ohne The-Skatalites-Sampler mit Johnny Marr und Charli dass man das Gefühl hätte, zwanzig Klassikern (z.B. XCX – ein, songschreibe- hier würde wie bei so vie- «Guns of Navarone», «El rische Ideen beizusteuern. len Rock-Alben kalter Kaf- Pussy Cat Ska», «Christine Die Resultate reichen von fee notdürftig aufgewärmt. Keeler») und Obskuritäten typisch sexy Blondie bis hin Nein, das hat Verve und (z.B. «Fidel Castro», «Coo- zur euphorischen Pop-Bril- Esprit und klingt wunder- lie Boy»)? Was für eine Fra- lanz von «Love Level», wo bar frisch. ge! Ja natürlich, die Welt ein wahrhaft erhebender braucht immer eine sorg- Refrain auf einen eleganten tb. fältig zusammengestellte Rap und die jubelnden Blä- neue Compilation von The sereien der What Cheer? Skatalites. Brigade trifft.

cg. hpk. DIE NEUEN PLATTEN

Juliette Karen Elson Jane Weaver Candelila Sheryl Crow Armanet Double Roses Modern Kosmology Camping Be Myself Petite Amie (1965) (Fire) (Trocadero) (Warner Music) (Barclay/Universal) Karl Lagerfeld nannte sie Jane Weaver – geboren in Wer Klischees liebt, den Mit ihrem letzten Album, «Was willst du einmal «das Mädchen mit dem Liverpool, heute in Man- könnte das dritte Album «Feels Like Home» (2013), werden?», wurde die klei- Ausserirdischen-Look» – chester lebend – fing mit von Candelila ein wenig versuchte sich Sheryl Crow ne Juliette Armanet in der wegen ihrer roten Locken einer Britpop-Band an und verstören. Denn das neue am Country. Bloss: Das Schule gefragt. Antwort: und der schneeweissen landete dann in einer in ge- Werk der vier Frauen, die Publikum goutierte ihren «Journalistin und Sänge- Haut. Karen Elson war frü- wissen Kreisen als «wyrd» schon früh vom Hamburger Stilwechsel nur halbherzig. rin.» Und die Französin her Topmodel, jetzt legt die bezeichneten Form von Musikimpresario Alfred Wohl auch deshalb kehrt wurde tatsächlich beides. Britin ihr zweites Album neblig-melancholischem Hilsberg entdeckt wurden, die US-Amerikanerin jetzt Sie arbeitete bei der Doku- vor. Das Coverbild zeigt sie Folk. Vor ein paar Jahren klingt so ganz und gar nicht wieder zu ihren musika- mentarfilm-Abteilung von ohne Make-up, im Meer wurde ihr das aber zu lang- nach München, wie es sich lischen Wurzeln zurück. Arte und machte nebenbei schwimmend. Verletzlich weilig. Sie legte sich eine viele vorstellen. Die rohen, Die 55-Jährige liess ver- Musik, stets begleitet von gibt sie sich auch auf «Dou- Band zu und begann die gerne auch mal ungehobel- lauten, dass sie sich für ihrem «bête noir», dem Pi- ble Roses». Während ihr Freuden von Synthies und ten Songs klingen in ihrer «Be Myself», ihre neunte ano. Es empfiehlt sich eine Debüt «The Ghost Who Effektpedalen zu erkunden. Dringlichkeit eher nach der Studioplatte, vorgenom- kurze Youtube-Suche, um Walks» (2010) den Stempel Mit ihrem letzten Album alten Berliner Mauerstadt men habe, herauszufinden, die beeindruckende Anzahl des Aufnahmeortes Nash- «Silver Globe» fand sie vor von Neubauten & Co oder warum ihre frühen Platten der Orte zu sehen, wo sie ville trug, verströmen die drei Jahren zu einem feis- nach New York, nach Lon- von den Fans als authen- dieses schon überall auf- opulent inszenierten, zu- ten neuen Stil, in welchem don, nach Sonic Youth und tisch empfunden werden. gestellt hat. Doch erst vor gleich intimen neuen Stücke sich sowohl ihre fernweh- Le Tigre, aber auch nach In «Alone in the Dark», ei- drei, vier Jahren beschloss das gebrochene Licht und getränkte Glockenstimme den Slits, Kleenex, Lili- ner Popnummer zum Mit- sie, verstärkt auf die Musik die langen Schatten des bei als auch ihr Experimentier- put. Oder nach Hamburg, summen, singt sie über ihr zu setzen und hatte ihren Singer-Songwritern belieb- geist und die von obskuren nach Diskurspop der 90er frisch gebrochenes Herz. Stil gefunden: «Quelque ten Laurel Canyon nahe Perlen der Vergangenheit – kein Wunder, immerhin Ein Thema, das sie auch im chose d’ironico-mélo-ro- Los Angeles. Wir hören eine gespickte heimische Plat- sass an den Reglern Tobias zwischen Beatles-Harmoni- mantico-touchant.» Auf Menge Trennungsstücke. tensammlung (Ehemann Levin. Wörter werden auf- en und Country-Einflüssen ihrem Debütalbum «Petite Doch auch starke State- Andy Votel führt das feine getürmt, beispielsweise in pendelnden «Rest of Me» Amie» pendeln die 33-Jäh- ments wie «Hell and High Obskuritäten-Rerelease- «Intimität», wo es heisst: aufnimmt. Die elf Num- rige und ihr Piano zwi- Water». Das von Jonathan Label Finders Keepers) «die Erotik, das Schwei- mern präsentieren eine schen 80er-Pop, intimen Wilson produzierte Album wohl fühlen. «Modern gen, eine Intimität», oder Künstlerin, die Bewährtes Balladen, Disco und dem beginnt mit einem Ab- Kosmology» klingt etwas im Track «Hand», in dem bevorzugt und Experimen- Variété chic der Siebziger. schied: In «Wonder Blind» leichtfüssiger und gleich- die Körper vermessen wer- te scheut. Mit «Be Mys- Mit fein gravierten Wor- unterstreichen schwirrende zeitig vielseitiger. Repetitive den. All das ist vorgetragen elf» erfindet sie sich gewiss ten, Collagen und Meta- Flöten, Harfe und Kirchen- Riffs, druckvolle Drums in einer Art Sprechgesang, nicht neu, aber: Auf ihrem phern besingt sie die Lie- glocken die Mischung aus und wieder etwas folkigere verpackt in stimmigen, bewährten Musikterritori- be, die gesucht, gefunden Kummer und Zuneigung Gesänge werden begleitet gerne auch mal kantigen um fühlt sie sich sichtlich und verloren wird. Oder perfekt. Später täuscht der von herrlich atmosphä- Post-Punk mit harschen Gi- zuhause und hörbar wohl. auf die wie im wunderba- muntere Country-Twang rigen Synthie-Schwällen. tarren, die über den Drum- Was dazu führt, dass die ren «L’amour en solitaire» von «Call Your Name» Das stilistische Spektrum beat schlittern. Fast schon Tracks, die auf dichte Gi- auch mal einfach verzichtet oder «A Million Stars» über reicht vom schwermetal- poppig klingt dagegen das tarren, lauschige Beats und wird. Mit sensiblen Melo- das emotionale Durchein- lischen Post-Jean-Michel- einzige englisch gesungene eingängig Melodien setzen, dien zeichnet Juliette Ar- ander hinweg. An den «Dis- Jarre-Groove von «The Stück, «Transformer», das altbekannt und gleichwohl manet eine Welt zwischen tant Shores» schwillt Elsons Architect» über das unter- eine kurze Pause verschafft. frisch anmuten. Das Set rosa und schwarz und spielt dezent verhallte Stimme spielt swingende Titelstück Candelila sind bereits seit mag keinen Höhepunkt sich mühelos in die Reihe zu einer Meditation über zum dissonant rauschen- zehn Jahren aktiv – mit in der Karriere von Sheryl der grossen französischen Verlust und Befreiung an. den «Ravenspoint», wo der diesem dritten Album sollte Crow darstellen, aber die Chanson-Sängerinnen. Fast unmöglich, die zum einstige Can-Sänger Mal- die Band nun auch breitere neuen Lieder balancieren Teil wunderschönen Songs colm Mooney sonor die Hörerkreise erreichen. derart gekonnt zwischen anz. nicht als Abschiedsgrüsse Worte «We’re on the way Balladen und aufmüpfigen an ihren Ex-Ehemann Jack to dust» intoniert. Rundum tb. Rocksounds, dass sie weit- White und andere Lover zu grandios. aus mehr Spass bereiten als interpretieren. erwartet. hpk. tl. mig. LIVE SALZHAUS 05 Garage Rock THEE OH Ausschreibung 05 SEES USA Zuger Werkjahr und Förderbeiträge 2017 Post-Punk/Rap-Punk Der Regierungsrat des Kantons Zug schreibt erneut Zuger Förderbeiträge 11 und ein Werkjahr für Zuger Kunstschaffende der Sparten bildende und SLEAFORD angewandte Kunst, Musik, Literatur, Film, Tanz und Theater aus. UK 05 MODS Anmeldeformulare und Teilnahmebedingungen: www.zg.ch/kultur Direktion für Bildung und Kultur des Kantons Zug Amt für Kultur HipHop/Rap Baarerstrasse 19, 6300 Zug 18 Auskunft: BAZE Corinne Wegmüller, 041 728 31 46, [email protected] CH 05 & BAND Anmeldeschluss: Dienstag, 16. Mai 2017 (Eintreffen der Bewerbung)

Experimental-Rock 19 USA FrOM tHe Mind OF JORDAN PEELE and SWANS B LUMHOUSE tHe PrOdUcer OF THE VISIT, INSIDIOUS & THE GIFT 10

B_Sides_04_2017_Verlosg_2017_3_BSidesVerlosung 21.04.17 16:11 Seite 1 JUST BECAUSE YOU’RE INVITED, DOESN’T MEAN YOU’RE WELCOME.

Verlosung

Loop verlost Tickets für das B-Sides Festival

1 x 2 Tagestickets für Do, 15. Juni 2017 1 x 2 Tagestickets für Fr, 16. Juni 2017

Teilnahme E-Mail an: [email protected]

Einsendeschluss: 20. Mai 2017 written and directed by JORDAN PEELE Die Loop-Glücksfee ermittelt die Gewin - ner/innen, die per E-Mail benachrichtigt AB 4. MAI IM KINO werden.

Hologram Imparatorlugu Sa.27.5.Get_Out_Loop_Magazin_114x120mm_sw.indd 1 19.04.17 12:55 KURSE GAYE SU Jingle- und AKYOL Trailerproduktion (TÜRKEI) mit Frank Niklaus Palace St.Gallen 3. Juni, Kanal K, Aarau palace.sg klippklang.ch [email protected] DIE NEUEN PLATTEN

Paris Combo Rhiannon Father John Sandor Justin Townes Tako Tsubo Giddens Misty Bar de nuit EP Earle (Ta-Dah Music) Freedom Highway Pure Comedy (Eigenvertrieb) Kids in the Street (Nonesuch) (Sub Pop/Irascible) (New West) Der Vergleich zur ungleich Frankreich erlebt gerade bekannteren Zaz drängt Mit dem Cover von Pops Vor anderthalb Jahren un- eine Welle von jungen Frau- Sein Vater ist Steve Earle, sich bei dieser Band auf, Staples’ «Freedom High- terbrach Father John Misty en, die den Chanson mo- ein begnadeter Geschich- ist doch die Paris Combo way» unterstreicht Rhi- nach zwanzig Minuten sein dernisieren. Mit Sandor aus tenerzähler am alternati- ähnlich unterwegs und ori- annon Giddens (früher Konzert in Camden, New Lausanne gesellt sich nun ven Country-Firmament. entiert sich an guter alter Mitglied des Folk-Revival- Jersey. Und statt weitere auch eine Schweizer Vertre- Dieser hat ihm einst den handgemachter Musik, an Trios Carolina Chocolate Songs zu bieten, erzählte terin dazu, die sich in der Mittelnamen «Townes» Swing, Jazz, Folk und äl- Drops), dass Musik des er dem Publikum von der französischen Musiktra- verpasst, ein Tribut an den terem Chanson. Die Paris Widerstands in den USA betäubenden Wirkung von dition verortet und Véro- grossen, traurigen singen- Combo ist bereits seit Ende heute so aktuell ist wie zu Entertainment. Jetzt veröf- nique Sanson und Niagara den Songschreiber Townes der 90er unterwegs und Zeiten der Bürgerrechts- fentlicht der frühere Schlag- zu ihren grossen Einflüssen Van Zandt. Justin erbte liefert beständig, mit län- bewegung. Andere Songs zeuger der Fleet Foxes, der zählt. Lange musizierte die von seinen körperlichen geren Pausen zwar, schöne weisen weit zurück in der mit bürgerlichem Namen 35-Jährige bloss für sich und geistigen Vorfahren Platten ab. «Tako Tsubo» Geschichte ihres Landes. Josh Tillmann heisst, sein und träumte davon, dass nicht nur den Hang zum ist das sechste Album und «At the Purchaser’s Opti- zweites Album als Father mal in Frankreichs Indie- Konsum unguter Substan- unterstreicht wieder ein- on» erinnert daran, dass John Misty. Keine Frage: Bibel «Les Inrockuptibles» zen (inzwischen besiegt), mal, dass die Paris Com- es einem Weissen freistand, Der Künstler leidet. Nicht über sie berichtet würde. sondern auch das Ohr für bo mit zum Besten gehört, eine Sklavin mit oder ohne nur an der Welt, sondern Das ist mittlerweile einge- bittere und manchmal süsse was Frankreich in Sachen ihr Kind zu kaufen. Im Ti- auch unter Angstzustän- troffen, und bereits wurde Strassengeschichten sowie Oldtime-Chanson-Swing telstück spannt Giddens mit den und Depressionen. Auf sie für das Transmusicales elegante Melodien. «Kids zu bieten hat. Ob nun im dem aus Sri Lanka stam- «Pure Comedy» zeigt sich de Rennes, Printemps de in the Street» ist sein achtes jazzigen Titelsong, dem menden Musiker Bhi Bhi- der 35-Jährige nicht nur Bourges und das Pariser Album. Früher oder später tollen Swing «Bonne Nou- man zusammen. Der Gross- als Defätist, sondern auch Festival Les femmes s’en stosse man als Einzeltäter velle» oder dem hübschen teil des entstand in als Anhänger des Seventies- mêlent gebucht. Die meis- unweigerlich an die Gren- Walzer «Notre vie comme einer alten Blockhütte in Sounds. Ganz nach dem ten ihrer Stücke wurden zen seines Horizontes, sagt une western» mit seinem Louisiana. Dort betreibt Motto «mehr ist mehr» aalt schon 2013 geschrieben, Earle. Darum hat er sich Akkordeon. Bei der Single Co-Produzent Dirk Powell sich der US-Amerikaner in aber als selbsternannter und seine Muse zum ersten «Je suis partie» reist der sein Studio, dort spürten opulenten Liedern, die wie Kontrollfreak hat sie die- Mal einem anderen anver- Swing Richtung Balkan, der Multiinstrumentalist, eine gemeinsam vertonte se dann ständig verfeinert traut. Produzent Mike Mo- und mit «Mon anatomie die Sängerin, ihre Tourband Bridge-Partie zwischen El- und weiter bearbeitet. Vier gis hat oft mit Bright Eyes cherche un ami» beweisen und lokale Musiker vom ton John, Neil Young und sind nun auf der ersten EP gearbeitet, aber auch mit Du Berry & Co auch Hu- Bayou den Geistern aus John Grant anmuten. Wäh- «Bar de nuit» erschienen. M Ward, First Aid Kit und mor. Tolle Arrangements der Vergangenheit nach. rend die Texte von Trostlo- Ihr synthetischer Pop mit Lightspeed Champion. Im sind in den zwölf Songs zu Mit dem Song «Better Get sigkeit durchzogen sind und Wave- und Electro-Einflüs- Sound, den er kreiert hat, hören, die mit Gitarre, Pia- It Right the First Time» in «Leaving L.A.» sowohl sen und ihr ernster, aber steckt so richtig der dre- no, auch mal einer Trompe- landen wir wieder in der Erdbeben als auch eine Sint- auch wandelbarer Gesang ckige Swing. Eine Band, zu te oder Streichern nie über- Gegenwart. Eine sozialkri- flut mitverfolgen, besänftigt beeindrucken. Wir warten der nebst Gitarre, Drums laden eingespielt sind. Eine tische Studie, wie sie Curtis die betont warme Musik mit Vorfreude auf das für und Bass auch Clavinet, schöne Melange der Stile. Mayfield in den Siebzigern mit Streicherorgien, anmu- Herbst geplante Album. Hammond und Vibraphon Formidable. nicht treffender hinbekom- tigen Pianopassagen und gehören, sorgt prächtig für men hätte. Rhiannon Gid- melancholischen Rhyth- anz. folk-rockigen Dampf. Am tb. dens mischt Soul, R&B und men. Wenn Father John Mi- einen Ende des klanglichen Hip-Hop ebenso souverän sty in «Total Entertainment Spektrums liegt der New wie Folk, Blues, Gospel Forever» davon folksingt, Orleans-Groove von «15 und Jazz. Die Geschlossen- Taylor Swift ins Bett zu le- – 25», am anderen das an heit von Themen und Stilen gen, dringt die Ironie mit Ry Cooders «Bop til You zeugt von der Vision, ein durch, doch letztlich über- Drop» gemahnende «Short vitales, emotional direktes zeugt «Pure Comedy» durch Hair Woman», und in der Album für unsichere Zeiten ebenso bitteren wie aufrich- Mitte das beswingt gezupf- zu kreieren. Tolle Sängerin, tigen Ernst und durch gera- te «Same Old Stagolee». gutes Album. dezu rührende Melodien. Rundum sehr fein.

tl. mig. hpk. DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Die Rezension in der englischen «Times» des neuen Hay- seed-Dixie-Albums «Free Your Mind… and Your Grass Will Follow» (aloha George Clinton!) begann mit den Worten: «Diese Ein-Witz-Band begann im Jahr 2000, als die Country-Musiker John Wheeler und Mike Daly die besoffene Epiphanie hatten, Rock- und Popsongs im Blue- grass-Stil zu spielen.» Es folgten ein paar schnöde Worte Andrew Bonnie Southern darüber, wie Marvin Gayes «What’s Going On» ein sol- Combs «Prince» Billy Avenue ches Schicksal ebenso wenig verdient hätte wie die Völker- Canyons of My Mind Best Troubador Southern Avenue rechtshymne «Love Train» von den O’Jays, endend in der (New West) (Domino/Irascible) (Stax) Feststellung: «Ein Massaker von so vielen Klassikern ist schlicht grausam.» Seine Debüt-EP «Tennes- In den Zirkeln, die ihren Hier wird eingelöst, was der Ein paar Tage später in der pumpenvollen Islington Gara- see Time» (2010) trug Country & Western be- Name Stax verspricht: eine ge (Fassungsvermögen: 600) stellte Wheeler lakonisch fest: ihm Vergleiche sowohl mit vorzugterweise aus den Fusion aus gospelgetränk- «Gäbe es wirklich ein Publikum, welches es sich gefallen Mickey Newbury als auch Rillen von Byrds, Gram tem R&B-Gesang, solider lassen würde, siebzehn Jahre lang den gleichen Witz ser- Guy Clark ein, doch der Parsons und Hank Wil- Rhythmusgruppe, Gitarre, viert zu bekommen?» Natürlich war die Frage rhetorisch, neuste Streich von Andrew liams genossen, machte Orgel mit starkem Songwri- und aus der bierseligen Masse von grinsenden Köpfen kam Combs, «Canyons of My sich Merle Haggard mit ting. Und viel, viel Power. wie aus einem Mund ein höchlichst amüsiertes Wiehern. Mind», erinnert eher an einem einzigen Song zum Southern Avenue, eine junge Dabei hatte Wheeler vollkommen recht: Aus einem Witz eine Mischung aus Harry wandelnden Feindbild. Band aus Memphis, kata- allein ist noch nie eine Karriere gewachsen. Nilsson und Don McLean. «Okie from Muskogee» pultiert uns Hörer zurück in In einem Punkt hatte die «Times» recht: Hayseed Dixie Wie die beiden Singer/ hiess dieser. In Muskogee, die grossen Zeiten von Stax begannen im Suff. Wheeler hatte ein bisschen Zeit in jenem Songwriter zeigt der in so sang Haggard, werde Records, ohne nostalgisch Sommer in seinem Studio in Nashville, aus lauter Blödsinn Nashville lebende Texaner kein Marihuana gepafft, daher zu kommen. Ihre Mu- spielte er ein paar AC/DC-Songs im beswingten Bluegrass- eine Vorliebe für kapriziö- kein LSD eingeworfen und sik ist frisch und lebendig. Stil ein und verteilte die selbstgebrannte CD unter Freun- se Melodien, die eher zum kein Einberufungsbescheid «Don’t Give Up» zaubert den. Irgendwie – Wheeler hat nie herausgefunden, wie – Über- als Unterproduzier- (nach Vietnam) verbrannt. uns ein Lächeln ins Gesicht: gelangte ein Exemplar in die Hände eines Radiomachers, teb neigen. In «Dirty Rain» Das kam natürlich nicht Die Sängerin Tierinii Jack- und prompt winkte die Hitparade. Inzwischen teilt er seine sehnt sich der 30-Jährige gut an bei den vielen Joint- son vermittelt ihre Message Zeit zwischen Nashville und dem englischen Cambridge, nach Landstrichen, die Geniessern und Armeegeg- so kraftvoll und überzeu- hat mit Hayseed Dixie vierzehn Alben veröffentlicht und dem Fortschritt zum Op- nern, die damals die Stras- gend, dass wir wissen, dass tourt jedes Jahr durch volle Hallen in Garage-Grösse in fer gefallen sind. Eine Ent- sen bevölkerten. So ist der nichts und niemand sie von Europa und Nordamerika. wicklung, die Combs nicht 2016 verstorbene Haggard ihrem Vorhaben abbringen Der Witz ist erwachsen geworden, die Musik, die er her- nur leiden, sondern auch ausserhalb der eigentlichen kann. Southern Avenue (be- vorgebracht hat, ebenfalls. In punkto instrumenteller falsettieren lässt. Wäh- C&W-Szene nie der Kult- nannt nach der Strasse, die Technik und Dynamik kann sich die heutige Besetzung mit rend sich das nachfolgende status zugekommen, wie den östlichen Stadtrand von jeder «authentischen» Appalachen-Combo messen. In der «Hazel» als hallgetriebener ihn etwa Waylon Jennings Memphis mit Soulsville, der Tat basiert die eingangs zitierte «Times»-Rezension auf ei- Schmachtfetzen inklusi- oder Johnny Cash genies- ursprünglichen Heimat von nem snobistischen Fehlschluss. Sie geht von der Überzeu- ve schwermütigem Ak- sen. Mit diesem stilvollen Stax Records, verbindet) gung aus, dass Bluegrass als Musikstil ungeeignet sei, der kordeon entpuppt, wirkt Album versucht Will Old- entstand aus Musikern mit authentisch geplagten Seele eines Marvin Gaye oder der «Rose Colored Blues» ham, die Situation zu korri- unterschiedlichem Back- politischen Botschaft der O’Jays gerecht zu werden. Die wie ein Stück melancho- gieren. Die Lieder gehörten ground: Die beiden Schwes- «Times» wittert Verballhornung, wo die Band und ihr Pu- lischer Country-Pop aus zum Geist eines jeden Men- tern Tierinii und Tikyra blikum einen mit aufrechtem Respekt verbundenen Tribut den 60er-Jahren. Eines, schen, der wie er in Ken- Jackson (Schlagzeug, Ge- an die Originale und ihre Botschaft hören, einfach halt in das es damals verpasst hat, tucky aufgewachsen sei, sang) aus Memphis sangen einen anderen Musikstil übersetzt. Kein Mensch würde auf ins Repertoire von Glen sagt er. Haggard sei kein zusammen in der Kirche, die Idee verfallen, Reggae-Leuten, die ja seit jeher amerika- Campbell oder B.J. Tho- Erneuerer gewesen, aber Ori Naftaly, ein in Israel ge- nische Soul-Hits in ihre Sprache übersetzen, den Vorwurf mas einzufliessen. Die elf einer, der die Geschichte borener Bluesgitarrist, kam zu machen, sie wüssten nur einen einzigen Witz zu erzäh- Tracks verdeutlichen, dass (Bob Wills, Jimmie Rod- als Solokünstler in die Staa- len. Oder gar all den unzähligen Singer/Songwriters, die Combs der Ernsthaftigkeit gers) mit der Gegenwart ten, vom Jazz her kommt sich die Zähne an Dylan ausbeissen. stets den Vorzug gibt. Dem- (Dwight Yoakam und so) Bassist Daniel McKee, Klar: Bei einer Hayseed Dixie-Show fliesst der Alkohol und entsprechend wirken die verbunden habe. Statt wie Tastenspieler Jeremy Po- wird aus einer Kehle «Ace of Spades» mitgebrüllt. Aber Lieder, die aus den sanften geplant im Studio in Nas- well absolvierte die Stax- erstens meinen es Hayseed Dixie auch mit der politischen Seiten von Country, Folk hville hat der Prinz seine Musikakademie. Gebündelt Botschaft ihrer Songs ernst, was sie zwischen den Songs und Pop-Rock schöpfen, MusikerInnen daheim auf- kochen diese Talente einen am Mikrophon so eifrig wie witzig zu unterstreichen ver- mitunter nicht nur etwas genommen. Entstanden ist würzigen Eintopf voll soli- mögen. Und zweitens hätten weder Marvin Gaye noch die streng, sondern auch gar ein lockeres und heiteres der Soulmusik. Gäste sind O’Jays Hits feiern können, wenn ihre Völkerrechtsplädo- larmoyant. Album, herzwärmend und Trompeter Marc Franklin yers nicht auch als Partymusik funktioniert hätten. seelenbefriedigend wie eine (Bo-Keys) und Gitarrist Lu- mig. Erbsensuppe mit etwas ther Dickinson (North Mis- Hanspeter Künzler Pfeffer drauf. sissippi Allstars).

hpk. tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Rock’n’Roll gespielt von Kindern – das ist doch immer wie- der eine Freude. Ob Soul von Jr. & The Soulettes oder Litt- le Tony, Garage von The Bantams oder Dino, Desi & Billy, oder Rockabilly von den Collins Kids. Schade nur, hat Voo- doo Rhythm nie seine geplante Kinder-Platte realisiert. Ein Gold-Juwel der Spielzeug-Abteilung ist der Klassiker «Say Yorkston/ Soybomb Destination You Love Me» (Julian Records) von Billy & The Kids, wel- Thorne/Khan Plastic Festival Lonely cher nun mit Schweizer Hilfe in Zusammenarbeit mit der Neuk Wight Delhi (Radicalis) Dirt Preacher Band wiederveröffentlicht wurde. Das Echo des Refrains All-Stars (Voodoo Rhythm) und der obligate Schrei machen diesen simplen Song un- (Domino/Irascible) Grosser Gott, sind das verzichtbar. Als diese 13-Jährigen 1965 ins Studio gingen, Bass-Riffs! Ab Synthie! «No One Can Save Me» um ihre erste Single aufzunehmen, hatten sie bereits zig Vor etwas mehr als einem Schon beim ersten Stück hiess das Debüt von Des- Konzerte gespielt, natürlich mit einer bandeigenen Go-Go- Jahr überraschten der schot- «Baby Faith» hebt es ei- tination Lonely. Auch zwei Tänzerin (die sie in der Kirche trafen und die eher die Idee tische Indie-Folker James nem fast die Schädelde- Jahre später sind die Seelen des managenden Vaters der Band war). Sie coverten The Yorkston, der englische cke vom Kopf, dermassen des Trios aus dem südfran- Rolling Stones, The Animals und sogar «The Witch» von Jazzbassist Jon Thorne und dick und dampfig donnert zösischen Toulouse weder The Sonics und spielten Konzerte zusammen mit Tommy der indische Sarangi-Meis- diese Maschine durch die gerettet noch erlöst – ver- James, Paul Revere oder The Wailers. Im Innencover gibts ter Suhail Yusuf Khan mit gute Stube. Als man kurz mutlich steht das zweite ein vierseitiges Booklet mit klasse Fotos (natürlich auch ei- ihrem gemeinsamen Debüt auf Pause drücken muss, Album deshalb im Zei- nes im Schulzimmer) und der Bandgeschichte aus der eher «Everything Sacred». Jetzt hallt eine Vase im Raum chen des «Dirt Preacher». vagen Erinnerung der Bandmitglieder. «It’s Not the Same» legt das heterogene Trio noch sekundenlang weiter. Auch musikalisch ist der war ein lokaler Hit und vier Wochen lang #1, und sie wer- mit dem Zweitling «Neuk Soybomb sind ein Trio aus Zweitling eine nahtlose den auch heute noch auf diesen Song angesprochen. Diese Wight Delhi All-Stars» nach Winterthur: Keyboards, Fortsetzung des Debüts: A-Seite ist jedoch ungeniessbarer Zuckerwatten-Pop, und und beweist, dass sie die Gitarre, Drums und natür- Destination Lonely spielen leider wird im Booklet nicht geklärt, wie die Band zu ihren legitimen Nachfolger von lich Gesang. Was als erstes den Rock’n’Roll mit einer zwei Seiten stand. Pentangle sind – jener legen- auffällt: Ihr erstes Mini-Al- Dringlichkeit und Intensi- 1967 dann die zweite Single «When I See You». Auch wenn dären britischen Folk-Band, bum ist saugut (selbst-)pro- tät, als hätten sie ihn gera- an prominenter Stelle als «not so hot cauz a slight psyche- die ab 1968 in eklektischer duziert. Irgendwie hat man de eben mal erfunden. Und delic touch is creeping in» bezeichnet, kann diese Ausgabe und überzeugender Manier es geschafft, einen oft ge- gleichzeitig spürt man das mehr als nahegelegt werden. Spieltechnisch alles andere als Jazz, Folk und Rock zu ver- waltig aufwallenden Wall Wissen dieses Trios um die primitiv lassen die Yardbirds nun grüssen, und gar ein kur- binden wusste. Auch York- of Sound so einzufangen, Tradition, in der es steht: zer Rolling-Stones-«Paint It Black»-Gitarrensoloteil will ston/Thorne/Khan zeichnen dass die vielen Details mes- Tief in Stooges-Wah-Wahs gehört werden. «Do You Need Me» ist dann wiederum sich durch ihr intuitives und serscharf zu erkennen sind. getunkter Garage-Punk eine überflüssige Ballade, die weit am Charme der Byrds intelligentes Spiel aus, beim «Art Rock» kommt dem mit scharfen Rockabilly-, vorbeispielt. Im achtseitigen Booklet gibts weitere tolle Fo- dem ihrerseits Jazz, Folk Sound als Bezeichnung Blues- und Country-Ein- tos und ein Interview für Technik-Nerds. Nach 1967 woll- von der Insel und klassische wohl am nächsten, obwohl schüssen, einfach kolos- ten sie keine Kinder mehr sein und benannten sich um in indische Musik eine ge- direkte Einflüsse nicht so sal. Dieses Wissen kommt Double Image, bezogen auf die Zwillinge in der Band. Und meinsame Sprache suchen leicht erkennbar sind. Die bei der Wahl der beiden was machen eigentlich Deine Kinder gerade? und finden. «False True Songs machen kuriose Ha- F r e m d k o m p o s i t i o n e n Piya» beginnt a cappella ken und Sprünge, immer zum Eindruck: «Dirt Philipp Niederberger und als klagende Ballade, wieder geschieht Unerwar- Preacher» ist ein obskurer nur um nach einer Minu- tetes, und doch kommen sie Underground-Klassiker der te unter den Klängen des nie vom Pfad der süffigen Gibson Bros aus den Acht- Streichinstruments Sarangi Melodie ab. Klar ist auch, zigerjahren, und «Death of in Richtung Südasien und dass alle drei Musikanten an Angel», ursprünglich die immer grösser werdende virtuos mit ihren Instru- gespenstisch düstere Bal- Intensivität aufzubrechen. menten umzugehen wissen, lade des schwarzen Vokal- Auch Songs wie das medita- ohne einem ihr Können quartetts Donald Woods tive «The Blues You Sang» ständig auf die Nase bin- and the Vel-Aires, stammt oder das zunehmend furiose den zu müssen. Und sie aus dem Jahr 1955. Und «Hallaluwah» leben davon, lassen sich Zeit, Einfälle zu die eigenen Kompositio- dass hier drei Musiker am entwickeln – zum Beispiel nen? Nicht minder scharf, Werk sind, die ihr Können beim Gitarrensolo im letz- dreckig und kompromiss- dergestalt einzusetzen ver- ten Stück, «Tried to Warn los, satt und dicht produ- stehen, dass das Resultat You», das dann doch ganz ziert, ein elektrisierendes nicht nur Tonfarben von anders endet… Rock’n’Roll-Gewitter, dem unterschiedlichster Art her- man sich gerne schutzlos vorzaubert, sondern auch hpk. aussetzt – in der Hoffnung, die Summe der Einzelteile von diesen Blitzen auch ge- übersteigt. troffen zu werden. mig. cg. NACHTSCHICHT

Knacksen mit Hand Habits Klimpern mit Howe Gelb

Was wir von Meg Duffy wissen, ist ziemlich wenig. Sie stammt aus dem Nach etwas mehr als drei Jahrzehnten war Schluss. «Giant Sand gibt es nicht ländlichen New York, wohnt seit einiger Zeit in Los Angeles und spielt mehr», erklärte Howe Gelb vor einem knappen Jahr – und beerdigte damit Gitarre in der Tour-Band von Kevin Morby. So muss sich denn auch nicht das Band-Outfit, in dessen losen Grenzen er sich in mannigfaltiger Form sonderlich von geo- und biografischen Details ablenken lassen, wer in das immer wieder anders verwirklicht hat. Keine wirkliche Zäsur, denn seit dem beeindruckende Album «Wildly Idle (Humble Before the Void)» eintaucht, Ausscheiden der Rhythmusgruppe Joey Burns/John Convertino in den frü- das Duffy unter dem Namen Hand Habits Mitte Februar veröffentlich hat. hen Nullerjahren waren Giant Sand bloss noch einer von vielen Hüten, unter Das Werk wurde abseits regulärer Studios in Wohn- und Schlafzimmer denen eigentlich immer Gelb himself auftrat. mit minimaler Ausrüstung eingespielt und zeigt den Facettenreichtum einer Nun aber kommt der Mann aus Tucson mit einem neuen Entwurf und ei- Songwriterin, die ihre Kraft aus der Langsamkeit schöpft. In gewissen Pas- ner neuen, klaren Ansage. Mit «Future Standards» veröffentlichte er Ende sagen erinnert sie an Torres, jedoch mit noch dezenter eingesetzter Melo- letzten Jahres ein Album mit hingecroonten Stücken auf Piano-Basis, die dramatik. Der Gesang ist grundiert von melancholischer Aufgeräumtheit, seiner eigenen Bearbeitung des grossen Amerikanischen Liederbuchs zu in der die Zeilen reichlich Echoraum finden. Und wer genau hinhört, be- entstammen scheinen. Dieses Setting – Tastaturzauber, Kontrabass-Cool- merkt hin und wieder, wie Frau Duffy den Knöchel ihres Daumens knack- ness und Besenschlagzeug – schafft einen idealen Rahmen für Gelbs Cha- sen lässt. Das sei nämlich eine ihrer «Hand-Angewohnheiten», erklärte sie rakterstimme. In dieser klanglichen und rhythmischen Umgebung kann einem Interviewer. Damit wissen wir nun schon etwas mehr. (amp) er seine Themen (Liebe, Leiden und Verblüffung) ohne Reibungsverluste behandeln. Und sogar noch einmal zur Paradenummer «Shiver» vom weg- 3.5., Rote Fabrik, Zürich; 4.5., La Parenthèse, Nyon; weisenden 99er-Album «Chore of Enchantment» zurückkehren. Ein spätes 5.5., Tankstell, St. Gallen Echo – und der Nachweis für eine Welt, die keine Zäsuren kennt. (amp)

6.5., El Lokal, Zürich; 7.5., Reithalle (Dachstock), Bern; 18.5., Parterre, Basel

Schmachten mit Natalie Imbruglia Ansingen mit Peaches Spricht man einen Mann, der 1997 um die Zwanzig war, auf Natalie Im- bruglia an, bekommt das Gegenüber meist einen schwärmerischen Ge- Als sie Ende 2015 letztmals in Zürich gastierte, hatte Peaches gerade ihr sichtsausdruck. Das hat vor allem mit dem Song «Torn» und dem Begleitvi- sechstes Studioalbum «Rub» veröffentlicht. Darauf rappte und sang die deo zu tun, in dem Imbruglia direkt und ziemlich süss in die Kamera schaut. vielfältig tätige Kanadierin beherzt und wie immer fundiert provokativ ge- Bekannt war sie in ihrer Heimat Australien bereits davor, als Schauspielerin gen die herrschenden Verhältnisse. Seither ist kein weiteres Album von ihr in der TV-Serie «Neighbours» – wie vor ihr Kylie Minogue. Doch nun hatte erschienen, doch in der Zwischenzeit ist die westliche Welt aus den Fugen sie einen Welthit mit heute über 90 Millionen Plays auf Spotify. «Conse- geraten. quence of Sound» wählte «Torn» kürzlich auf Platz 3 der 100 besten One- Bei Peaches’ Rückkehr nach Zürich hat Donald Trump seine ersten 100 Hit-Wonder-Songs aller Zeiten. In England und Australien war Imbruglia Amtstage als US-Präsident bereits hinter sich – und eine Menge Schaden aber schon mehr als nur ein One Hit Wonder, auch wenn die Chartsplat- angerichtet. Auch in Bereichen, in denen die Musikerin und Performerin zierungen mit den Jahren seltener wurden und sie schliesslich eine längere mit ihrem künstlerischen Wirken wichtige Impulse zum Nach- und Um- Musikpause einlegte. Nun tourt die 42-Jährige wieder. Im Zentrum steht denken gegeben hat. dabei die akustische Umsetzung ihres letzten Albums «Male», auf dem sie Gerade in turbulenten Zeiten, da ein gesellschaftlicher Rückbau droht, ist als «sweet, pleasant crooner» («Allmusic») Stücke von männlichen Musi- diese Stimme wichtiger denn je. Und vor dem Hintergrund dieser bedroh- kern covert: «Friday I’m In Love» (The Cure), «Instant Crush» (Daft Punk) lichen Gegenwart wird sie noch entschiedener erklingen. Noch deutlicher. oder «The Waiting» (Tom Petty). Auf der Setlist steht aber auch «Torn», Noch lauter. Denn was Peaches vom Präsidenten hält, erschliesst sich aus und so kann das Publikum schmachten wie einst 1997. (anz) ihrem Gesamtwerk. (amp)

7.5., Kaufleuten, Zürich 20.5., Rote Fabrik, Zürich NACHTSCHICHT

Warten mit The Builders and The Butchers Kombinieren mit Gaye Su Akyol

Eine Band aus Portland, Oregon, deren Mitglieder eigentlich aus Ancho- In der aktuellen Berichterstattung über die Türkei war Musik fast nie ein rage, Alaska, stammen? Kann schon mal vorkommen. Die Musiker fanden Thema. Etwa, dass dortige Veranstaltungsorte unter der restriktiveren sich in der Ferne des pazifischen Nordwestens halt einfach irgendwie, spiel- AKP-Politik ebenso leiden wie unter der Tatsache, dass ausländische Acts ten ihre ersten Konzerte draussen auf der Strasse und entwickelten sich erst das Land vermehrt meiden. Und türkische Musiker werden hier sowieso mit der Zeit zu einer Bühnentruppe. Erste Studioaufnahmen folgten, fan- meist in der Volksmusik-Ecke versorgt und kaum wahrgenommen. Mit den Anklang und führten zu einem Plattenvertrag. In der Folge entwickel- Gaye Su Akyol kommt nun eine Independent-Künstlerin in die Schweiz, ten The Butchers and The Builders ihren rohen, schroffen, schorfigen und die in der anatolischen Musiktradition verwurzelt ist, aber auch im Psyche- schmerzvollen Entwurf von Alternativ-Americana geduldig weiter. Und delic Rock, die türkische Sängerinnen wie Selda Bacan genauso zu ihren legten dar, dass Baustelle und Schlachthof als gleichwertige Metaphern für Einflüssen zählt wie Grace Slick, Joy Division oder Nick Cave. Mit ihrem das stehen, was wir gemeinhin als Leben bezeichnen. Allerdings hantieren zweiten Album «Hologram mparatorluu» ist die 31-jährige Sängerin aus sie mit ihrem Besteck – Maurerkelle und Knochensäge – derart sensibel Istanbul noch tiefer in eine eigene Welt vorgestossen, die durch komplexe und sachkundig, dass der damit zugefügte Schmerz niemals seine heilen- und überraschend wechselnde Rhythmen, fauchende Gitarren, türkische de Komponente verliert. Nachzuhören ist das auf dem aktuellen Album Melodien, Romantik und Politik geprägt ist. Live kombiniert Akyol diese «Western Medicine». Dessen Fortsetzung mit dem Titel «Spark» wird die mit einem theatralischen Auftritt, mit Glitzer, Sci-Fi-Look und einem Glas Band kurz vor ihren Schweizer Auftritten veröffentlichen. Bis dahin darf Raki. (anz) also fleissig spekuliert werden. (amp) 27.5., Palace, St. Gallen 27.5., El Lokal, Zürich; 28.5., Treibhaus, Luzern

Halt auf Verlangen mit Trampeltier of Love

Nur 4,1 Kilometer ist der Gasthof Grünewald vom Benediktinerkloster Engelberg entfernt. Es könnte also gut sein, dass am Pfingstsamstag eine Mönchsdelegation den kurzen Weg auf sich nimmt, damit sie den Tram- Blubbern mit Jesca Hoop peltier-of-Love-Hit «Katholisch» mitsingen können, um protestantische Spassbremsen weiter in die Flucht zu schlagen. «Go home Zwingli!», de- Ihr Werdegang ist beeindruckend: Nach Jugendjahren in einem mormo- klamieren Matto Kämpf, Simon Hari und Tubist Marc Unternährer, die nischen Elternhaus sagt sich Jesca Hoop als Teenagerin von der Religi- die Quasi-Band bilden, nämlich in diesem Schepperstück, und erzählen on los, und zog hinaus in die Natur. Sie fand einen Job als Leiterin von von den Freuden, die das Leben als guter Katholik so mit sich bringt. Sie Wildnis-Camps für verhaltensauffällige Jugendliche, zog ein paar Jahre kommen zum Schluss: «Katholisch si, das fägt.» Auch abseits dieser Me- später weiter nach Los Angeles und wurde dort als Nanny engagiert – von lodie durchpflügt das rumpelnde Trampeltier of Love mythisches Terrain einem gewissen Tom Waits. Der ermutigte die junge Frau dazu, ihre Lieder wie in «Troja mit Brad Pitt», deutet die Kontinentenlehre um und singt aufzunehmen und vermittelte ein paar Kontakte. So entstand schliesslich den Kämpf-Schlager «Leider ohni Chleider» neu. Das alles ist ein grosser das Debütalbum «Kismet», auf dem sich Jesca Hoop virtuos durch ver- Spass, und er wird vergrössert durch den Umstand, dass dies nur ein Pro- schiedene Genres bewegt. Ob nun Folk, Pop, Jazz oder etwas Elektronik grammpunkt ist am diesjährigen Pfingstfestival Halt auf Verlangen. Weiter – die Sängerin und Gitarristin ist eine vielseitige Stilistin. Damit besticht sie angekündigt sind etwa die Admiral-Band Howlong Wolf, die Japanerinnen auch auf ihrem neuen Werk «Memories Are Now». Hier treffen repetitive von Tsushimamire, die Lieder von Tobi Gmür oder auch das Filmporträt Muster auf vervielfachten Gesang, sanfte Akustikgitarren auf bluesige Er- «Tony, You Rock» über den Lombego Surfer Anthony Thomas. Für dieses zählpassagen oder auch mal ein monoton blubbernder Beat auf einen sto- Programm nimmt man mit Sicherheit auch mehr Weg unter die Füsse als ischen Schellenkranz. Alles ist möglich – und eben: beeindruckend. (amp) die 4,1 Kilometer. (bs)

28.5., Rote Fabrik, Zürich 3./4.6., Gasthaus Grünewald, Engelberg SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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