VOLKSVERTRETER

„Schöne Ballführung! War das Absicht?“ Auf dem Bolzplatz des FC Bundestag geht es auch darum, über sich selbst zu lachen, wie hier der CDU-Abgeordnete und frühere Kunstturner Eberhard Gienger.

Spielbericht aus Berlin Wie steht es um die Fitness deutscher Politiker? Die Wahrheit liegt auf dem Platz.

TEXT SIMON PFANZELT FOTOS MAURICE WEISS

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Die wahre Nationalmannschaft: Gewählt vom deutschen Volke, trainieren die Bundestagskicker immer dienstags. Sind die Schuhe geschnürt, gibt es keine Debatten mehr.

macher der Politik auch dann Leistungsträ - ger, wenn sie Jogginghosen tragen? Aufschlussreich ist das Schweigen des Bundesgesundheitsministers. Hermann Grö - he, der qua Amt auch Bundesbewegungsmi - nister ist, macht zu wenig Sport. In einem Interview kurz nach seinem Amtsantritt hatte Gröhe angekündigt, dass er sich fortan mehr bewegen wolle. Ein Gespräch mit S PIEGEL WISSEN über seine Trainingsfort - schritte lehnte der Minister ab. Keine Zeit. Die sportlichen Ambitionen der Kanzlerin gerieten eher unfreiwillig ans Licht der Öf - fentlichkeit, nachdem es beim Skilanglauf auf den Hosenboden gelegt hatte: Beckenring-Bruch. Deutschland wurde erst vom Krankenbett aus, später auf Krücken re - SECHS MINUTEN NOCH in der Sport - giert. „Das zeigt, dass die Kanzlerin selbst halle des Deutschen Bundestags in Berlin. Sport treibt“, sagt Parteifreund Gienger. „Es Rebmann (SPD) hat nach innen geflankt. ging dann halt nicht so glücklich aus, damals.“ Ein Lupfer aus dem Halbfeld. Kopfball, ab - Sport kann auch ein Teil der politischen gewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Selbstvermarktung sein. CDU-Generalse - Gienger (CDU) schießen. Aber er will nicht. kretär twittert beinahe täglich, Noch nicht. Gienger täuscht links an, zieht wie viele Kilometer er schon wieder gelau - rechts am Gegenspieler vorbei. „Schöne fen ist. Das ist die Ausnahme. Verkehrsmi - Ballführung! War das Absicht?“, fragt einer nister will nicht reden. der Spieler auf der Ersatzbank. Gienger Wahlkreises Neckar-Zaber, hat den Aus - Verteidigungsministerin Ursula von der Ley - kämpft sich weiter vor, er ist flink, ballver - gleich auf dem Fuß. Seine Mannschaft liegt en schweigt. Arbeitsministerin Andrea Nah - liebt. Dann steht er frei vor dem Tor. Jetzt 1:2 hinten. Die Uhr tickt. Gleich noch ein les ebenso. Familienministerin Manuela muss Gienger schießen. Termin in der russischen Botschaft. Er muss Schwesig teilt mit, sie unternehme gern Rad - Ein Dienstagabend im Winter, der FC jetzt schießen. touren mit ihrer Familie. Bundestag trainiert. Ein Team aus Abgeord - Kreisklasse oder Weltklasse? Die Wahr - Auch , der Sozialdemo - neten, die wahre Nationalmannschaft, wie heit liegt auf dem Platz, heißt es. Die Suche krat mit der Fliege, macht gern Radtouren, sie hier sagen, ironisch, aber nicht ohne nach der Fitness der politischen Klasse allerdings ohne Familie, ohne Naturerlebnis. Stolz, weil sie doch gewählt sind vom deut - muss also in der Bundestagsturnhalle begin - In seinem Bundestagsbüro steht ein Sitz - schen Volke, und nicht nur berufen von Joa - nen. Treiben Spitzenpolitiker Sport, und fahrrad. Dort tritt er fast täglich in die Pe - chim Löw aus Baden-Württemberg. Als An - was bewegt sie, wenn sie sich bewegen? Es dale und rührt sich nicht vom Fleck. zugträger sind sie in der Kabine verschwun - wird in diesem Bericht um die Widrigkeiten „Manchmal radle ich eine ganze Stunde, den, in Sportklamotten wieder rausgekom - des Alltags gehen, um Stress und Schokola - aber mit wenig Intensität “, sagt er. Eine gan - men. Sie wärmen sich nicht auf, fraktions - de. Es wird auch von Größerem die Rede ze Stunde. Er sagt das nicht ohne Selbstach - übergreifend nicht. Sie haben doch keine Zeit. sein: von Integration, vom Glück, von Fit - tung. Lauterbach, 52, sitzt Espresso trinkend Draußen geht es um den Mindestlohn, nessgurus und deren Gegenteil. im Restaurant des Bundestags, als er von sei - um das Kleinanlegerschutzgesetz, um die Kinder, die sportlich aktiv sind, bringen nem Sitzrad erzählt. Er trägt keine Fliege Familienpflegezeit. Drinnen, in der Sport - bessere Noten nach Hause. Wenn der Bewe - an diesem Tag und wirkt so recht sportlich. halle, geht es um Sieg oder Niederlage. gungsdrang von Schülern etwas über deren Als junger Mann wäre Lauterbach gern Wenn die Schuhe geschnürt sind, gibt es kei - Zensuren sagt, verrät dann nicht auch die ein besserer Fußballer gewesen. Er war ne Debatten mehr, keine Akten, keinen Frak - Fitness der Politiker etwas über die Qualität beim BC Oberzier in der Kreisklasse das, tionszwang. Vier gegen vier, ein Spiel dauert der deutschen Politik? Zeigt sich am Spiel was er heute auch in seiner Partei ist: Links - zehn Minuten. Eberhard Gienger, 63, früher des FC Bundestag, wie gut in Deutschland außen. Der Ehrgeiz jedoch überstieg das Kunstturner, seit 2002 Abgeordneter des regiert und opponiert wird? Sind die Spiel - Talent. Lauterbach war verletzungsanfällig,

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Auf der Stelle treten beim Lesen: Sozialdemokrat Karl Lauterbach kommt in seinem Büro häufig ins Schwitzen. aber er konnte beidfüßig schießen. Das ist selten. Wahrscheinlich wäre er ein passabler Stürmer beim FC Bundestag. Aber die Politprominenz lässt sich selten blicken beim Abgeordnetenfußball. von den Grünen hat früher häufig mitgespielt. Hatte er den Ball, spielte er frei - willig nicht mehr ab. Auf dem Platz treten manche Charaktereigenschaften zutage.

Bundestagspräsident N E S S kickt gelegentlich mit. Im Parlament gibt I W

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Lammert gern den intellektuellen Feingeist. E G E I

Auf dem Platz soll er ein Fighter sein. P S

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Die Mannschaft könnte Verstärkung ge - S S I E

brauchen. Die Bilanz der letzten Spielzeit W

E C ist gespickt mit unbequemen Wahrheiten: I R U A

Eine Altherrenauswahl aus Hamburg-Wil - M

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helmsburg hat die Abgeordneten mit 7:1 und ihr Begleiter rannten los, am Anschlag, Das Gespräch geht zu Ende. Politik will vom Platz gekegelt. Später folgte ein Deba - fast wie früher. Sie erwischte den Flieger. gemacht werden. Bentele läuft rüber zu kel gegen ein Team der Daimler AG: 0:9. Im „So ein Sprint ist klasse, gehört aber nicht ihrem Schreibtisch. Eine Schublade steht letzten Spiel gegen den FSV Bissingen 08 unbedingt zum Alltag.“ Benteles Leben als offen. Darin liegt eine angebrochene Tafel schoss der FC Bundestag ein Eigentor. Leistungssportlerin bestand aus Trainingsla - Schokolade. Es wird in der neuen Spielzeit darum ge - gern und Wettkämpfen. Sie trainierte zwei - „Wer es als Politiker schafft, von morgens hen, die Ehre wiederherzustellen. Die Wür - mal am Tag, sechs Tage die Woche. Das mach - bis abends gesund zu leben, der ist für mich de des Hauses steht infrage. Deshalb ist es te sie glücklich. Benteles Leben als Politike - ein Held“, sagt der CDU-Abgeordnete Wolf - nicht egal, ob Eberhard Gienger das Tor rin besteht aus Sitzungen, Gesprächen mit gang Bosbach, der dem Innenausschuss vor - jetzt macht. Die Statistik spricht gegen ihn. Lobbyisten, Schreibtischarbeit. Die Bewe - sitzt. „Viel zu oft kommt man in die Versu - Als Turner war er Weltklasse, aber er hat in gung hat sich verlagert, vom Körper ins chung, zwischendurch schnell was Süßes zu 126 Spielen für den FC Bundestag nur zwei - Hirn. Bundesteilhabegesetz, barrierefreie essen oder an etwas Salzigem zu knabbern. mal ins Tor getroffen. Jetzt muss er schie - Gesundheitsversorgung, die Uno-Behinder - Rohkost ist da seltener im Angebot.“ ßen. Gienger schießt. tenrechtskonvention – das sind jetzt ihre Es ist nicht leicht, ein Held zu sein. Vor Themen. Es geht nicht mehr um den maxi - allem dann nicht, wenn man, wie Bosbach, KARL LAUTERBACH FROTZELT: „Um malen Erfolg, sondern um Kompromisse eine Leidenschaft für Naschzeug hat. Hat er nicht weitere Knieverletzungen zu provo - und Finanzierungsvorbehalte. „Glücksge - auch eine Leidenschaft für Bewegung? „Ich zieren, werde ich nicht den Altherrenfuß - fühle gehören in der Politik nicht zur Tages - bin wirklich kein Fitnessguru“, sagt er. „Ich ball der Bundestagsmannschaft bedienen.“ ordnun g“, sagt Bentele. Schreibtischarbeit gehöre nicht zu denjenigen, die jeden Tag Er setzt sich lieber auf sein Rad. Der Arzt schüttet keine Endorphine aus. stundenlang laufen müssen und permanent Lauterbach interessiert sich für die eigene „Ich bin eine Kopf-frei-Läuferin“, sagt den Puls messen.“ Bewegung, sagt Bosbach, Gesundheit. Er interessiert sich auch für die sie. Vielleicht dreimal in der Woche kommt müsse Spaß machen. Bewegung braucht Menschen, wie sie leben, was sie zu leisten auch Regeln und Regelmäßigkeit. in der Lage sind. Wie fällt Professor Lauter - Die erste Regel: Einmal im Jahr geht es bachs Urteil über die Fitness im Bundestag in den Skiurlaub. „Dass ich ein brillanter aus? „Sehr heterogen. Es gibt Politiker, da Skiläufer wäre, würde ich von mir nicht be - möchte ich jetzt keine Namen nennen, wo Es geht um Spaß, haupten“, sagt er. „Für mich gilt: Haupt- ich den Eindruck habe, dass sie kaum eine nicht um den sache, ich komme heil da runter.“ In Sölden zehnstufige Treppe bewältigen können. Es ist er vor ein paar Jahren die Weltcup-Ab - gibt aber auch sehr fitte Leute. Meine sport - richtigen Puls. Die fahrt gefahren. Nicht Schuss wie die Profis, liche Leistungsfähigkeit verblasst gegen die aber fast heil. Nur ein Sturz. Nicht schlecht. von .“ Arbeit ist weit weg. Es gehe, sagt Bosbach, um das Naturerlebnis. Maas, seit Dezember 2013 Bundesjustiz - Natürlich geht es auch um das Après-Ski- minister, war ein begabter Triathlet. Fantas - Erlebnis. Die Hüttenaufenthalte sind mit tische Zeiten, heißt es. Seit er im Amt ist, den Jahren länger geworden. hat er keinen Wettbewerb mehr absolviert. Die zweite Regel: einmal in der Woche Wenn er auf Reisen ist, trifft man ihn gele - Bentele dazu, sich zu verausgaben. „Beim Tennis, meistens sonntagabends. Es sei denn, gentlich in den Fitnessräumen von Hotels Sport werde ich beispielsweise auch nega - die Redaktion von Günther Jauchs Talkshow an. Wettkampftauglich, sagt er, sei er derzeit tive Energien wie Unzufriedenheit los.“ Un - ruft an. „Dann muss ich nach Berlin.“ nicht. „Es geht mir aber auch gar nicht un - zufriedenheit gehört in der Politik zur Ta - Ein Sonntagabend im Winter. Günther bedingt darum, Bestzeiten zu erzielen“, sagt gesordnung. Jauch hat nicht gerufen. In der Tennishalle der Minister, der angebliche Siegertyp. Amt Sport und Politik – zwei Welten? Das po - des THC Rot-Weiß Bergisch Gladbach ist frisst Fitness. litische Berlin: Sitzungsgalopp am Tag, zwi - die Heizung ausgefallen. Bosbach, 62, trägt Wenn der stellvertretende SPD-Frak- schendurch Häppchen. Empfänge am eine lange Jogginghose, unter dem Pullover tionsvorsitzende Lauterbach auf seinem Abend: Canapés, Buffet, viel gutes Essen. lugt ein Poloshirt hervor. Das Match läuft, Bürorad sitzt, vereinen sich Fitness und Natürlich Alkohol. Blöde Blicke, wenn man Herrendoppel. Bosbachs Partner ist IT-Be - Amt. Tretend verfolgt er Bundestagsdebat - nur Wasser trinkt. Ach komm, nur einen. Re - rater. Den ersten Satz verlieren sie, 2:6, ge - ten im Fernsehen. Es geht darum, Bewegung den halten am Tag danach, Grußworte. Der gen einen Geschäftsführer einer Farben- in den politischen Alltag zu integrieren. Der Sport: körperliche Disziplin, früh ins Bett, und Lackierfirma sowie einen Unterneh - Gegner des bewegungswütigen Politikers Schweinehund überwinden, immer wieder, mensberater. Kumpels seit Jahrzehnten. ist die Zeit, die er nicht hat. Tag für Tag, Askese. nennen sie hier Wobo. Manchmal zwingen einen Missverständ - Manchmal fragen andere Politiker Bente - Zweiter Satz, rein ins Spiel. Es ist leise, nisse zur Bewegung. Es ist nicht lange her, le nach dem ultimativen Tipp. Was, ver - ganz still, man hört nur die vier Männer da stand Verena Bentele am Münchner Flug - dammt, reißt sie von der Couch, rein in die schnaufen: hafen. Sie ist blind, Behindertenbeauftragte Sportklamotten, raus in die Kälte? Bentele Aufschlag Wobo, Ass, Becker-Faust. der Bundesregierung; früher hat sie bei den hilft es, dass sie sich wegen ihrer Sehbehin - „Herrlich.“ Paralympics im Skilanglauf und im Biathlon derung zum Sport verabreden muss. „Wenn Überraschte Blicke beim Gegner. zwölf Goldmedaillen gewonnen. Zehn Minu - ich weiß, dass gleich jemand kommt, mit dem Aufschlag Wobo, Ass, Grinsen. ten bis zum Boarding, und Bentele, 33, stellte ich joggen gehe, bleibe ich nicht im Bett lie - Aufschlag Wobo, Ball im Aus, deutlich. fest, dass sie im falschen Terminal war. Sie gen.“ Verabredungen sind Verpflichtungen. Kurz wird aus dem Tennisspieler Wobo der

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Plötzlich sind die Bälle Bosbach. „Ich musste von morgens bis Gienger presst das Gesicht in die offenen schuld: Sonntags spielt abends gegen die Müdigkeit ankämpfen, Handflächen. Sichtbares Schnaufen. So steht Christdemokrat Wolfgang und die Hauptaufgabe bestand darin, nicht er da am Spielfeldrand, sekundenlang, das Bosbach, den sie hier einzuschlafen. So ähnlich habe ich auch ge - weiße T-Shirt akkurat in der dunklen Jog - Wobo nennen, Herrendoppel. spielt.“ Seit einiger Zeit begleitet ihn eine ginghose. „Der verspielt gerade seinen chronische Müdigkeit, ein weiteres Handi - Stammplatz“, raunt einer auf der Ersatzbank cap nach zehn Jahren mit Herzschrittma - hoffnungsvoll. Gienger verschwindet in der cher und viereinhalb Jahren mit diagnosti - Umkleidekabine. Gleich wird es 19 Uhr schla - Politiker Wolfgang Bosbach: „Können wir ziertem Prostatakrebs. Sport treibe er nicht gen. Der russische Botschafter wartet, und den nicht noch reindiskutieren?“ Als wäre der Gesundheit wegen, sagt er. „Da ist bei mit ihm die Weltpolitik. Es wird über den er im Innenausschuss. Gelächter. mir ohnehin nicht mehr viel zu machen.“ Es Krieg um die Ukraine zu sprechen sein. ■ geht um Spaß, nicht um den rich - BOSBACH VERZWEIFELT bald an sei - tigen Puls. Die Arbeit ist weit nem Partner: „Ich spiele gegen drei.“ Der weg. Bosbach hat nicht gehört, Partner trampelt irgendwann auf dem Bo - dass sein Handy neben dem den rum, der IT-Berater, wie ein bockiges Platz ständig getutet und ge - Kind. Es fallen Kraftausdrücke. Männer un - brummt hat. Während des Spiels ter sich. „Mit Tennis hat das nur sehr be - ist der Kopf leer. Aber dieses grenzt was zu tun“, feixt einer aus der geg - Spiel ist jetzt vorbei. nerischen Mannschaft. Plötzlich sind die Das Spiel in der Bundestags - Bälle schuld. Sie wandern in den Mülleimer turnhalle läuft weiter. Gienger und werden durch neue ersetzt. Es hilft weiter am Ball, er hat den Aus - nichts. Auch der zweite Satz geht verloren, gleich auf dem Fuß. Gienger 1:6. Spiel, Satz und Niederlage. schießt: drüber, weit drüber. Ein Sportreporterfrage: Woran hat’s gelegen? Missverständnis zwischen Fuß „Heute war wirklich kein guter Tag“, sagt und Ball. Kein Tor. Eberhard N E S S I W

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