Insterburg - Scharoun - Berlin Ein Puzzle Fügt Sich
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Baukultur / Denkmalschutz Insterburg - Scharoun - Berlin Ein Puzzle fügt sich Dipl.-Ing. M. Sc. Wilfried Wolff 1. Vorbemerkung portion sein. Königsberg. Nach dem Krieg waren es noch 73.000 und heute sind es ca. Kunst und Technik, Lehre und Arbeit soll- Insterburg-Scha- 420.000 Einwohner. Die amtliche Stati- ten eine Einheit bilden. Prominente Ver- roun-Berlin, bau- stik weist 0,6% Deutsche aus. Berühm- treter sind u.a. Taut, Mies van der Rohe. tec-insterJAHR-, tester Sohn der Stadt dürfte wohl Imma- Archiv und Beispiele für funktionale Baukammer Ber- nuel Kant sein. lin, Welterbe-, Gestaltung von Räumen und Gegenstän- Ostpreußen, Kant den können in Berlin im Bauhausarchiv in Kruchen, Paul der Klingelhöfer Straße genutzt und und Werkbund. 1871-1947, Architekt, Regierungsbau- besichtigt werden. Wie paßt all das meister, Assistent an der Technischen zusammen? Orte, Brenne, Winfried Hochschule Berlin, Bezirksarchitekt in Namen, Institu- Gumbinnen und Insterburg. tionen hunderte Architekt, BDA, seit den 1980er Jahren Kilometer und Jahrzente voneinander mit der „Wiedererweckung” der Berliner Moderne Siedlungen der Moderne befaßt. entfernt, bilden sie ein Puzzle, das es zu vielfach verwendeter Begriff, hier als entwirren gilt. Deutscher Werkbund Bezeichnung für das neue Bauen in den Im Februar diesen Jahres fand, anläßlich 1907, hervorgegangen aus der großher- 20 Jahren des 20. Jahrhunderts verwen- der bautec, ein Kolloqium, zu den 2008 in zoglich-sächsischen Kunstgewerbe- det, für die Abkehr von Proportionen und die Welterbeliste eingetragenen Berliner schule, gegründet als ein Zusammen- Verschnörkelungen für die Hinwendung Wohnungsbauten der Moderne, statt. schluß von Architekten, Künstlern, zu funktionalem Bauen Veranstaltet wurde es gemeinsam von Kunsthandwerkern und Industrieellen. Scharoun, Hans der Architektenkammer Berlin, der Bau- kammer Berlin und dem Landesdenk- Funktion, Konstruktion und Proportion geb. 1893 in Bremerhaven, Architektur- malamt Berlin. Die Referentenliste reich- waren die Prämissen. Ornamentaler studium 1912-14 an der Königlichen TH te von Berliner Architekten, über Inge- Schmuck wurde konsequent abgelehnt. Berlin-Charlottenburg. Ab 1932 Freier nieure der Baukammer und Eigentümern Architekt in Berlin. 1945-46 Stadtbaurat Insterburg/Tschernjachowsk bis zu Gästen aus dem Ausland. Nicht von Groß-Berlin. Er war Mitbegründer auf der Rednerliste, aber auf der Teilneh- Gegründet 1336 durch den Deutschen des Deutschen Werkbundes in Berlin. merliste und aktiv in den Pausen, war ein Orden, 1583 Stadtrecht, an der 1955 Mitbegründer der Akademie der Herr Suchin, der nicht müde wurde „sei- Reichsstr. Nr.1 gelegen, im 2. Weltkrieg Künste in Berlin(West) und deren Präsi- ne“ Siedlungen der Moderne anzuprei- weit weniger zerstört als Kaliningrad, dent bis 1968. Zu seinem bekanntesten sen. Weder er, noch die Häuser, die er so 1946 Umbenennung in Tschernjachowsk Werk in Berlin zählt mit Sicherheit die warm anpries, waren bis dahin irgend (sowjetischer General), heute ca. 42.000 Philharmonie. jemandem bekannt. Das sollte sich Einwohner ändern. Er lud, noch vor Ort und die ein- Suchin, Dimitri insterJAHR gesammelten Visitenkarten auswertend, geboren in Leningrad/St. Petersburg, nach Tschernjachowsk, dem früheren Von den Ämtern der Stadt Insterburg Studium an der TU-Berlin, Architekt Insterburg, ein. Dort sollte ein Kolloquium unterstützte Bürgerinitiative zur „Findung (SAR), seit 2004 in einem Architekturbüro stattfinden, ein Wohnensemble Namens eines neuen selbst“, sh. in den Niederlanden, Mitglied des Beira- „Bunte Reihe“ betreffend. Aus Berlin rei- http://www.insterjahr.de tes der Scharoun-Gesellschaft, Mitinitia- sten dann im Juni die Herren Brenne, tor des insterJAHRes. Königsberg/Kaliningrad Wasmuth und Wolff an. Es war eine Rei- se, in deren Ergebnis viele Puzzleteile Gegründet 1242, Stadtrecht seit 1286, Welterbeliste der UNESCO, zusammengefügt werden konnten. Zur ab 1525 Teil des Herzogtums Preußen, Wohnungsbauten der Moderne Einführung sollen einige Puzzleteilchen seit dem 4.7.1946 Kaliningrad, Haupt- In die Welterbeliste sind als ausgelegt und in aller Kürze erklärt wer- stadt des gleichnamigen Gebietes Wohnungsbauten der Moderne für den. (Oblast), Teil der Russischen Föderation, Berlin eingetragen, u.a.: Exklave umgeben von Polen und Litauen 2. Die Puzzleteile – Gartenstadt Falkenberg (alphabetisch geordnet) Zur Festung ernannt, wurde die Stadt im – Hufeisensiedlung in Britz Bauhaus Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. – Siemensstadt Im Oktober 1947 wurde die Ausweisung 1919-33, hervorgegangen aus der her- der letzten noch verbliebenen Deutschen Wasmuth, Georg zoglich-sächsischen Kunstgewerbe- angeordnet. Bis 1990 war das Gebiet Architekt, ehem. Vorsitzender des Aus- schule. Die Gestaltung sollte das Ergeb- gesperrt. Kurz vor Ausbruch des 2. Welt- schusses Denkmalschutz und Denkmal- nis von Funktion, Konstruktion und Pro- krieges lebten 372.000 Menschen in pflege der Architektenkammer Berlin Baukammer Berlin 4/2010 | 43 Baukultur / Denkmalschutz 3. Historie Kruchen war zu dieser Zeit einer der 24 gebaut. Noch 1969 wurden die Reste „Bezirksarchitekten“, die für den Wie- des ehemaligen Stadtschlosses besei- Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges deraufbau Ostpreußens zuständig tigt. Immerhin, der Dom steht uner- herrschten in weiten Teilen des nunmehr waren. Erfahren im Krankenhausbau, schütterlich. geschrumpften Reiches katastrophale von Lazaretten in Cottbus und Frank- Wohnverhältnisse. 90% der Berliner Einzelne Stadttore sind wieder herge- furt/O organisierte nun Kruchen, zusam- Wohnungen hatten kein Bad. 50 % ver- stellt. Die Stadt hat im Zentrum große men mit Scharoun, den Bau von Lagern, fügten über kein eigenes WC. Schon was durch die Gefangenen selbst weite Plätze, neue Einkaufszentren, wie 1913 wurde mit der Gartenstadt Falken- erfolgte. Barackenbau, Arbeitsorgani- überall in den Großstädten Europas. berg versucht alternative Wohnqualitä- sation, Finanzierung Scharoun studierte Seit 1990 erfolgt, durch die offizielle ten zu schaffen. Einfach in der Form, hier praktisch, nicht theoretisch wie an Politik abgesegnet, wieder eine Besin- anspruchsvoll in den Farben, wurden der Uni, sammelt wertvolle Erfahrungen nung und Einbeziehung der über 700- sicher kriegsbedingt nur Teile der für seine spätere Arbeit. jährigen deutschen Geschichte. Die ursprünglich geplanten Areale bebaut. Spurensuche in der Geschichte erfolgt Nach dem 1. Weltkrieg hatte sich die 1915-17 leitete Kruchen das Baubera- auf diversen Feldern. Unbestritten seit Situation eher noch verschärft. Woh- tungsbüro in Gumbinnen, später das je her ist die Verehrung des wohl bedeu- nungen fehlten nicht nur rein statistisch, von Insterburg. tendsten Sohnes der Stadt, Immanuel als reine Menge, sie waren mit den 3 Kant. Bedachtsamer erfolgt der 1919 übernahm Scharoun das ehemals manchmal 4 Hinterhöfen, den auf Zwi- Umgang mit den Zeugnissen der deut- staatliche Büro von Kruchen und führte schenpodesten oder manchmal im Hof schen Ordensgeschichte. gelegenen Toiletten auch auf dem unter- es als freier Architekt weiter. Von sten Niveau angekommen. Feuchte 1920-24 war er für die Allgemeine Woh- Wir fahren weiter knapp 80 km Richtung Wohnungen, oft ohne Querlüftungen, nungsbaugenossenschaft Insterburg Osten, nach Tschernjachowsk/Inster- führten bei den Bewohnern zu entspre- e.G.m.b.H., als freischaffender Archi- burg. Das Kolloquium hat bereits chenden Krankheiten. tekt, tätig. In diese Zeit fällt die Errich- begonnen. Vertreter der Stadt, des Ver- tung der Gebäude in der heutigen Ele- waltungsbereiches Kaliningrad, von den Nicht anders sah es im fernen Ostpreu- vatorenstraße, seines bis dahin wohl städtischen Institutionen wie Bauamt ßen aus. Keine industrieellen Ballungs- größten Auftrages. und Denkmalpflege, sowie örtlicher Ver- zentren aber weithin verwüstetes Land. Die zivilen Schäden und Opfer standen den militärischen in nichts nach. Die Statistik zählte an Häusern und Objek- ten ca. 60.000 Teil- und 41.400 Voll- schäden. Architekten, Handwerker, Baufachkräfte waren im Felde. Die Bau- polizei, schon vor dem Kriege schwach besetzt, war nun endgültig überfordert. Haus- und Wohnungsbau wurden zu einer dringenden Aufgabe und Heraus- forderung. Noch mit Unterschrift des Kaisers wurden 400 Millionen Mark zum Wiederaufbau der Kornkammer des Reiches genehmigt. Hinzu kamen noch die Kriegsgefang- enn. Nach der Schlacht bei Tannenberg Ende August 1914, stieg ihre Zahl in die Zehntausende. Es stiegen auch die Pro- bleme ihrer Unterbringung. Ein paar Baracken, Zelte für die Kranken und der Insterburg, Plan aus dem Jahre 1938 (1) freie Himmel für die Übrigen, die Mehr- außerhalb der Stadt die Siedlung zahl. Schnell breiteten sich Krankheiten und Seuchen aus. Mit seinen Erfahrun- gen im Krankenhausbau, z.B. in Berlin 4. Gegenwart Buch, war Paul Kruchen hier der geeig- Ein Sprung, zeitlich wie geografisch. Mit nete Mann. Und ein weiterer kommt hin- dem Flugzeug führte der Weg zu dem zu. H. Scharoun hatte sich als Freiwilli- schon erwähnten Insterburger Kollo- ger für den Kriegsdienst gemeldet. Er quium über Riga in die Stadt und das diente zunächst bei der Landwehr, in Gebiet Kaliningrad. Heute (wieder) eine Frankfurt/ Oder. Von dort holte ihn Kru- moderne Großstadt, hat sie, nach dem chen, bei dem er schon als Student 2. Weltkrieg und riesigen Zerstörungen gearbeitet hatte, nach Cottbus. praktisch einen vollständigen Aus- Gemeinsam gingen sie nun nach Ost- tausch der Bevölkerung erlebt. Lageplanausschnitt (1) denkmalgeschützter preußen. Seit dem 1.10.1915 gehörte