HERKUNFT UND JUGEND Baden-Württemberg Landeskunde Kurt Georg Kiesinger, dritter Ministerpräsident von Nach dem Besuch der Volks- und Realschule in Landesgeschichte Baden-Württemberg und dritter Kanzler der Bundes- Ebingen wechselte der lernfreudige Kiesinger an das Landespolitik republik Deutschland, führender Repräsentant der katholische Lehrerseminar nach Rottweil. In dieser Zeit CDU und leidenschaftlicher Parlamentarier, prägte verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten etwas hinzu 6|2004 988 die Politik der jungen westdeutschen Republik als und gewann in dem Ebinger Fabrikanten Haux einen „einer ihrer Baumeister“ () ebenso wie Förderer, der ihm nicht nur das 1925 begonnene Stu- den Weg des 1952 maßgeblich mit seiner Unter- dium, sondern auch die Drucklegung eines Gedicht- -1 stützung geschaffenen Landes Baden-Württemberg. bändchens mit dem Titel „Wallfahrt zu Gott“ finanzier- te. Kiesinger studierte Philosophie, Germanistik und Der auf manche aristokratisch wirkende Schöngeist Jura in Tübingen und und trat der katholischen Kiesinger stammte aus einfachen Verhältnissen. Studentenverbindung Alamannia bei, in der er ein Er kam am 6. April 1904 in Ebingen im Oberamt „Stück Heimat“ fand und Kontakte zu Männern knüpf- Balingen zur Welt, damals vor allem aufgrund der te, die in seinem Leben noch eine wichtige Rolle spie- ansässigen Textilindustrie einer der „gewerbsamsten len sollten – so vor allem zu Gebhard Müller und zum Orte des Königreichs“ mit etwa 9.000 Einwohnern. späteren Staatspräsidenten von Württemberg-Hohen- 190 4 Der evangelische Vater, Christian Kiesinger (1876 – zollern, Lorenz Bock. 1969), leitete damals als Geschäftsführer eine kleine Korsettfabrik. Die katholische Mutter, Dominika Grimm Im Verlauf des Studiums kristallisierte sich Kiesingers (1878–1904), stammte aus Bubsheim bei Spaichingen Neigung zur Jurisprudenz ebenso heraus wie der und wirkte darauf hin, dass ihr Sohn katholisch getauft Wunsch, in Berlin zu leben. Nach den beiden juris- wurde. Nach ihrem frühen Tod ging der Vater eine tischen Examina ließ er sich als beim Kammergericht zweite Ehe ein, aus der sechs Kinder hervorgingen. zugelassener Rechtsanwalt und gefragter privater Rechtslehrer in der Hauptstadt nieder und schloss 1932 die Ehe mit Marie Luise Schneider (1908–1990), der Tochter eines aus dem Saarland stammenden Rechtsanwalts und Notars in Karlshorst. Der Ehe ent- stammen eine Tochter und ein Sohn. KURT GEORG KIESINGER KURT MENSCHEN AUS DEM LAND

Kurt Georg Kiesinger (stehend 4. von links) Landeszentrale mit Klassenkameraden während seiner für politische Bildung Ebinger Schulzeit. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Baden-Württemberg

POLITISCHE ANFÄNGE IN ERSTMALS IM – DER NACHKRIEGSZEIT FACHMANN FÜR AUßENPOLITIK Interessantes zum Land von der LpB

Kurz vor Kriegsende war Kiesinger nach Süddeutsch- Gebhard Müller war tatsächlich „an allem, was dann Baden-Württemberg – Vielfalt und Stärke der Regionen land gekommen und für 18 Monate in Internierungshaft mit mir geschah, schuld“, denn er setzte Kiesingers hrsg. v. Hans-Georg Wehling u.a., 400 S., 700 Abb., 2002, 15 EUR im Lager 74 in Ludwigsburg geraten. Im Februar 1933 Kandidatur für den Bundestag im Wahlkreis Ravens- Baden-Württemberg. Eine kleine politische Landeskunde war der junge Kiesinger in die NSDAP eingetreten – burg-Tettnang-Wangen bei der ersten Bundestagswahl Text u. Red.: Reinhold Weber, 5. Aufl. 2003, 110 S., kostenlos* von der neuen Partei wie viele seiner Generation ange- am 14. August 1949 durch. Kiesinger wurde mit glän- zogen. In seinen Memoiren verleugnete er diesen Schritt zendem Ergebnis gewählt und fand im Bonner Parla- Taschenbuch Baden-Württemberg Gesetze - Daten - Analysen nicht. 1940 war er als Alternative zur Einberufung zur ment ein Arbeitsfeld, das ihn ganz ausfüllte. Inner- Red.: Siegfried Frech, 520 S., Neuausgabe 2004, 2,50 EUR Wehrmacht in die Rundfunkabteilung des Reichsaußen- halb kurzer Zeit erwarb er sich eine führende Rolle Alltagskultur in Baden-Württemberg Schriften zur politischen ministeriums verpflichtet worden. 1943 erfolgte die als brillanter Parlamentsredner, der sich auch in den Landeskunde Bd. 30, Martin Blümcke (Hrsg.): 230 S., 2004, 5.- EUR Ernennung zum stellvertretenden Leiter. Nicht nur von Spitznamen „Adenauers Parlamentsdegen“ und „König ihm selbst, sondern auch von seinen „Schülern“ wissen Silberzunge“ widerspiegelt. Nachdem er Mitte der Parteien in Baden-Württemberg Schriften zur politischen wir, dass er Distanz hielt zum Nationalsozialismus, 1950er-Jahre den Vorsitz im Ausschuss für Auswärtige Landeskunde Bd. 31, Michael Eilfort (Hrsg.): 263 S., 2004, 5.- EUR dass er in seinen Kursen auf die Unmenschlichkeit des Angelegenheiten und im Vermittlungsausschuss über- Baden-Württemberg enträtseln – denken, suchen knobeln Naziregimes hinwies und sich gegen Rassenwahn und nommen hatte, durfte der CDU-Fachmann für außen- Rätselheft, 2004, 80 S., kostenlos* Antisemitismus wendete. In einem Protokoll des SS- politische Fragen, als der er rasch anerkannt wurde, Reichssicherheitshauptamts ist festgehalten, Kiesinger davon ausgehen, von Bundeskanzler Gedenkstätten in Baden-Württemberg Informationen zu Gedenk- habe „antijüdische Aktionen gehemmt und verhindert“. bei nächster Gelegenheit zum Außenminister berufen orten (Geschichte, Arbeit, Angebote), 62 S., 2003, kostenlos* Es gibt keine Hinweise darauf, er habe sich im „Dritten zu werden – das einzige politische Amt, nach dem er Reich“ persönlich kompromittiert – dennoch führte seine jemals strebte. Adenauer enttäuschte Kiesingers Hoff- Grundgesetz und Landesverfassung Liliput, 2004, kostenlos* Vergangenheit zur Internierungshaft. Bei seinem poli- nungen, weil er ihn für nicht genügend durchsetzungs- Weg der Revolutionäre Deutsche Revolution in Baden 1848/49, tischen Wirken in der Bundesrepublik wurde er dann fähig hielt. Der Mann, der auch als führendes Mitglied Hefte „Wanderrouten“ und „Informationstafeln“, kostenlos* und wann mit seiner Vergangenheit konfrontiert. der Beratenden Versammlung des Europarats, der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union und der Vor- * in Einzelexemplaren Die aufgeführten Schutzgebühren verstehen sich zzgl. Versandkosten. Im Internierungslager in Ludwigsburg organisierte er gängerinstitution des Europäischen Parlaments zeigte, nach einigen Monaten die Kulturarbeit für die rund wie souverän er sich auf dem damals für Deutsche Die Landeszentrale Impressum für politische Bildung (LpB) Fachreferat Redaktionen Politik & Unterricht/ 10.000 Gefangenen und erwarb sich die Hochschät- noch sehr unsicheren internationalen Parkett zu bewe- • ist eine Einrichtung des Landes Landeskundliche Schriftenreihe, zung des Lagerkommandanten. Im September 1946 gen vermochte, fühlte sich düpiert. In dieser Zeit kam Baden-Württemberg, Dr. des. Reinhold Weber, wurde er entlassen und versuchte erfolglos, in seinem aus das Angebot, die Nachfolge Gebhard zur Überparteilichkeit verpflichtet, Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart, • will für die Demokratie begeistern, [email protected] Beruf als Rechtsanwalt wieder Fuß zu fassen. Letztlich Müllers als Ministerpräsident des Landes Baden-Würt- • hilft zur eigenen Meinung, strebte er die Rückkehr nach Württemberg an, wo der temberg anzutreten. Am 17. Dezember 1958 wählte • veranstaltet Seminare, Tagungen, Gestaltung: Bertron.Schwarz.Frey Vorträge, Studienreisen, Symposien, Gruppe für Gestaltung, Schwäbisch Gmünd „bekennende Schwabe“ auf einen Neuanfang hoffte. der Landtag Kiesinger in das Amt. „Bonn wird ärmer“, Ausstellungen, Politische Tage, Entscheidend für seinen weiteren Lebensweg war das telegrafierte . • veröffentlicht Bücher, Broschüren und Druck: Matthaes Druck, Stuttgart Zeitschriften und bietet didaktisch- Angebot von Gebhard Müller, des CDU-Vorsitzenden methodische Arbeitshilfen und Spiele an, Bereits erschienen in dieser Reihe: und späteren Staatspräsidenten von Württemberg- • unterhält ihre Tagungsstätte 1/2000: Vor 150 Jahren – Hohenzollern, ihn zum Landesgeschäftsführer der CDU „Haus auf der Alb“ in Bad Urach Der Bau der Geislinger Steige mit Bibliothek/Mediothek 2/2000: Vor 50 Jahren – zu bestellen. Die junge interkonfessionelle Volkspartei, • und LpB-Shops/Publikationsausgaben Charta der deutschen Heimatvertriebenen der Kiesinger nun beitrat, befand sich im französisch am Hauptsitz Stuttgart und in den 3/2002: Vor 50 Jahren – Die Entstehung Außenstellen Freiburg, Heidelberg des Landes Baden-Württemberg besetzten Württemberg-Hohenzollern in der entschei- und Tübingen. 4/2002: Vor 500 Jahren – denden Phase ihres organisatorischen Aufbaus, den Bauernkrieg im Südwesten Bestellungen und Informationen 5/2002: Menschen aus dem Land – Kiesinger führend mitgestaltete. zum Angebot der Landeszentrale Matthias Erzberger für politische Bildung über: LpB-Marketing, Stafflenbergstraße 38, Kurt Georg Kiesinger 1973 im Bonner 70184 Stuttgart, Fax (0711)16 40 99 77, [email protected], www.lpb.bwue.de Bundestag. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA 04.021 RZ LpBFolder6-2004-Q5 23.03.2004 9:20 Uhr Seite 1

HERKUNFT UND JUGEND Baden-Württemberg Landeskunde Kurt Georg Kiesinger, dritter Ministerpräsident von Nach dem Besuch der Volks- und Realschule in Landesgeschichte Baden-Württemberg und dritter Kanzler der Bundes- Ebingen wechselte der lernfreudige Kiesinger an das Landespolitik republik Deutschland, führender Repräsentant der katholische Lehrerseminar nach Rottweil. In dieser Zeit CDU und leidenschaftlicher Parlamentarier, prägte verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten etwas hinzu 6|2004 988 die Politik der jungen westdeutschen Republik als und gewann in dem Ebinger Fabrikanten Haux einen „einer ihrer Baumeister“ (Helmut Kohl) ebenso wie Förderer, der ihm nicht nur das 1925 begonnene Stu- den Weg des 1952 maßgeblich mit seiner Unter- dium, sondern auch die Drucklegung eines Gedicht- -1 stützung geschaffenen Landes Baden-Württemberg. bändchens mit dem Titel „Wallfahrt zu Gott“ finanzier- te. Kiesinger studierte Philosophie, Germanistik und Der auf manche aristokratisch wirkende Schöngeist Jura in Tübingen und Berlin und trat der katholischen Kiesinger stammte aus einfachen Verhältnissen. Studentenverbindung Alamannia bei, in der er ein Er kam am 6. April 1904 in Ebingen im Oberamt „Stück Heimat“ fand und Kontakte zu Männern knüpf- Balingen zur Welt, damals vor allem aufgrund der te, die in seinem Leben noch eine wichtige Rolle spie- ansässigen Textilindustrie einer der „gewerbsamsten len sollten – so vor allem zu Gebhard Müller und zum Orte des Königreichs“ mit etwa 9.000 Einwohnern. späteren Staatspräsidenten von Württemberg-Hohen- 190 4 Der evangelische Vater, Christian Kiesinger (1876 – zollern, Lorenz Bock. 1969), leitete damals als Geschäftsführer eine kleine Korsettfabrik. Die katholische Mutter, Dominika Grimm Im Verlauf des Studiums kristallisierte sich Kiesingers (1878–1904), stammte aus Bubsheim bei Spaichingen Neigung zur Jurisprudenz ebenso heraus wie der und wirkte darauf hin, dass ihr Sohn katholisch getauft Wunsch, in Berlin zu leben. Nach den beiden juris- wurde. Nach ihrem frühen Tod ging der Vater eine tischen Examina ließ er sich als beim Kammergericht zweite Ehe ein, aus der sechs Kinder hervorgingen. zugelassener Rechtsanwalt und gefragter privater Rechtslehrer in der Hauptstadt nieder und schloss 1932 die Ehe mit Marie Luise Schneider (1908–1990), der Tochter eines aus dem Saarland stammenden Rechtsanwalts und Notars in Karlshorst. Der Ehe ent- stammen eine Tochter und ein Sohn. KURT GEORG KIESINGER KURT MENSCHEN AUS DEM LAND

Kurt Georg Kiesinger (stehend 4. von links) Landeszentrale mit Klassenkameraden während seiner für politische Bildung Ebinger Schulzeit. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Baden-Württemberg

POLITISCHE ANFÄNGE IN ERSTMALS IM BUNDESTAG – DER NACHKRIEGSZEIT FACHMANN FÜR AUßENPOLITIK Interessantes zum Land von der LpB

Kurz vor Kriegsende war Kiesinger nach Süddeutsch- Gebhard Müller war tatsächlich „an allem, was dann Baden-Württemberg – Vielfalt und Stärke der Regionen land gekommen und für 18 Monate in Internierungshaft mit mir geschah, schuld“, denn er setzte Kiesingers hrsg. v. Hans-Georg Wehling u.a., 400 S., 700 Abb., 2002, 15 EUR im Lager 74 in Ludwigsburg geraten. Im Februar 1933 Kandidatur für den Bundestag im Wahlkreis Ravens- Baden-Württemberg. Eine kleine politische Landeskunde war der junge Kiesinger in die NSDAP eingetreten – burg-Tettnang-Wangen bei der ersten Bundestagswahl Text u. Red.: Reinhold Weber, 5. Aufl. 2003, 110 S., kostenlos* von der neuen Partei wie viele seiner Generation ange- am 14. August 1949 durch. Kiesinger wurde mit glän- zogen. In seinen Memoiren verleugnete er diesen Schritt zendem Ergebnis gewählt und fand im Bonner Parla- Taschenbuch Baden-Württemberg Gesetze - Daten - Analysen nicht. 1940 war er als Alternative zur Einberufung zur ment ein Arbeitsfeld, das ihn ganz ausfüllte. Inner- Red.: Siegfried Frech, 520 S., Neuausgabe 2004, 2,50 EUR Wehrmacht in die Rundfunkabteilung des Reichsaußen- halb kurzer Zeit erwarb er sich eine führende Rolle Alltagskultur in Baden-Württemberg Schriften zur politischen ministeriums verpflichtet worden. 1943 erfolgte die als brillanter Parlamentsredner, der sich auch in den Landeskunde Bd. 30, Martin Blümcke (Hrsg.): 230 S., 2004, 5.- EUR Ernennung zum stellvertretenden Leiter. Nicht nur von Spitznamen „Adenauers Parlamentsdegen“ und „König ihm selbst, sondern auch von seinen „Schülern“ wissen Silberzunge“ widerspiegelt. Nachdem er Mitte der Parteien in Baden-Württemberg Schriften zur politischen wir, dass er Distanz hielt zum Nationalsozialismus, 1950er-Jahre den Vorsitz im Ausschuss für Auswärtige Landeskunde Bd. 31, Michael Eilfort (Hrsg.): 263 S., 2004, 5.- EUR dass er in seinen Kursen auf die Unmenschlichkeit des Angelegenheiten und im Vermittlungsausschuss über- Baden-Württemberg enträtseln – denken, suchen knobeln Naziregimes hinwies und sich gegen Rassenwahn und nommen hatte, durfte der CDU-Fachmann für außen- Rätselheft, 2004, 80 S., kostenlos* Antisemitismus wendete. In einem Protokoll des SS- politische Fragen, als der er rasch anerkannt wurde, Reichssicherheitshauptamts ist festgehalten, Kiesinger davon ausgehen, von Bundeskanzler Konrad Adenauer Gedenkstätten in Baden-Württemberg Informationen zu Gedenk- habe „antijüdische Aktionen gehemmt und verhindert“. bei nächster Gelegenheit zum Außenminister berufen orten (Geschichte, Arbeit, Angebote), 62 S., 2003, kostenlos* Es gibt keine Hinweise darauf, er habe sich im „Dritten zu werden – das einzige politische Amt, nach dem er Reich“ persönlich kompromittiert – dennoch führte seine jemals strebte. Adenauer enttäuschte Kiesingers Hoff- Grundgesetz und Landesverfassung Liliput, 2004, kostenlos* Vergangenheit zur Internierungshaft. Bei seinem poli- nungen, weil er ihn für nicht genügend durchsetzungs- Weg der Revolutionäre Deutsche Revolution in Baden 1848/49, tischen Wirken in der Bundesrepublik wurde er dann fähig hielt. Der Mann, der auch als führendes Mitglied Hefte „Wanderrouten“ und „Informationstafeln“, kostenlos* und wann mit seiner Vergangenheit konfrontiert. der Beratenden Versammlung des Europarats, der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union und der Vor- * in Einzelexemplaren Die aufgeführten Schutzgebühren verstehen sich zzgl. Versandkosten. Im Internierungslager in Ludwigsburg organisierte er gängerinstitution des Europäischen Parlaments zeigte, nach einigen Monaten die Kulturarbeit für die rund wie souverän er sich auf dem damals für Deutsche Die Landeszentrale Impressum für politische Bildung (LpB) Fachreferat Redaktionen Politik & Unterricht/ 10.000 Gefangenen und erwarb sich die Hochschät- noch sehr unsicheren internationalen Parkett zu bewe- • ist eine Einrichtung des Landes Landeskundliche Schriftenreihe, zung des Lagerkommandanten. Im September 1946 gen vermochte, fühlte sich düpiert. In dieser Zeit kam Baden-Württemberg, Dr. des. Reinhold Weber, wurde er entlassen und versuchte erfolglos, in seinem aus Stuttgart das Angebot, die Nachfolge Gebhard zur Überparteilichkeit verpflichtet, Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart, • will für die Demokratie begeistern, [email protected] Beruf als Rechtsanwalt wieder Fuß zu fassen. Letztlich Müllers als Ministerpräsident des Landes Baden-Würt- • hilft zur eigenen Meinung, strebte er die Rückkehr nach Württemberg an, wo der temberg anzutreten. Am 17. Dezember 1958 wählte • veranstaltet Seminare, Tagungen, Gestaltung: Bertron.Schwarz.Frey Vorträge, Studienreisen, Symposien, Gruppe für Gestaltung, Schwäbisch Gmünd „bekennende Schwabe“ auf einen Neuanfang hoffte. der Landtag Kiesinger in das Amt. „Bonn wird ärmer“, Ausstellungen, Politische Tage, Entscheidend für seinen weiteren Lebensweg war das telegrafierte Herbert Wehner. • veröffentlicht Bücher, Broschüren und Druck: Matthaes Druck, Stuttgart Zeitschriften und bietet didaktisch- Angebot von Gebhard Müller, des CDU-Vorsitzenden methodische Arbeitshilfen und Spiele an, Bereits erschienen in dieser Reihe: und späteren Staatspräsidenten von Württemberg- • unterhält ihre Tagungsstätte 1/2000: Vor 150 Jahren – Hohenzollern, ihn zum Landesgeschäftsführer der CDU „Haus auf der Alb“ in Bad Urach Der Bau der Geislinger Steige mit Bibliothek/Mediothek 2/2000: Vor 50 Jahren – zu bestellen. Die junge interkonfessionelle Volkspartei, • und LpB-Shops/Publikationsausgaben Charta der deutschen Heimatvertriebenen der Kiesinger nun beitrat, befand sich im französisch am Hauptsitz Stuttgart und in den 3/2002: Vor 50 Jahren – Die Entstehung Außenstellen Freiburg, Heidelberg des Landes Baden-Württemberg besetzten Württemberg-Hohenzollern in der entschei- und Tübingen. 4/2002: Vor 500 Jahren – denden Phase ihres organisatorischen Aufbaus, den Bauernkrieg im Südwesten Bestellungen und Informationen 5/2002: Menschen aus dem Land – Kiesinger führend mitgestaltete. zum Angebot der Landeszentrale Matthias Erzberger für politische Bildung über: LpB-Marketing, Stafflenbergstraße 38, Kurt Georg Kiesinger 1973 im Bonner 70184 Stuttgart, Fax (0711)16 40 99 77, [email protected], www.lpb.bwue.de Bundestag. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA MINISTERPRÄSIDENT IN DER VILLA REITZENSTEIN

Mit Kiesinger folgte dem nüchternen „schwäbischen Der neue Ministerpräsident übernahm das gesamte Mit der Ära Kiesinger begannen der Aufbruch in der Hausvater“ Müller ein den schönen Künsten zuge- Kabinett seines Vorgängers, der im Mai 1956 eine Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Kiesinger wandte neigter Regierungschef, der von seinem Amtssitz, der Regierungskoalition aus Mitgliedern aller im Landtag sich anspruchsvollen bildungspolitischen Zielen zu, in Villa Reitzenstein, „mit fast barockem Glanz“ regierte vertretenen Parteien (CDU, SPD, FDP/DVP und GB/ denen er einen Schwerpunkt der Rolle der Länder im (Süddeutsche Zeitung). Anders als sein Amtsvorgän- BHE) gebildet hatte. Nach der Landtagswahl von föderalen System sah. In seiner achtjährigen Amtszeit ger legte Kiesinger großes Gewicht auf Repräsentation 1960, bei der Kiesinger das Mandat des Wahlkreises erfolgte die Gründung der Reformuniversität Konstanz, und elegante Darstellung des Staates. Sein Regierungs- Saulgau gewann, bildete er unter Ausschluss der ge- die Gründung der Hochschule Ulm wurde vorbereitet. stil entsprach den veränderten gesellschaftlichen Be- stärkt aus der Wahl gegangenen SPD eine neue Pläne für eine zweite medizinische Fakultät der Univer- dingungen: Während sein Vorgänger die Zurückhal- Regierung. sität Heidelberg in Mannheim gehen auf ihn zurück. tung und Sparsamkeit verkörperte, die in den Nach- Die Wirtschaftshochschule Mannheim wurde zur kriegsjahren geboten war, stand Kurt Georg Kiesinger Der Ministerpräsident, dem Verwaltungserfahrung Universität erhoben. Mit großer Energie und mit der für eine Politik der großzügigen Gestaltung. Er war fehlte und dem man beim Einzug in die Villa Reitzen- Einstellung neuer Lehrer trieb der Ministerpräsident außerdem der erste Ministerpräsident des Landes, der stein entgegenrief, er sei der Regierungschef der drei den Ausbau der Schulen auf allen Ebenen voran. Mit nicht Landtagsabgeordneter war, sondern aus dem großen „R“ – Repräsentieren, Reisen, Reden –, konzen- der Einrichtung der Pädagogischen Hochschulen im Bundestag nach Stuttgart kam, um hier praktische trierte sich bei seiner Regierungsarbeit auf die Integra- Land setzte er weitere Meilensteine in der Bildungs- Landespolitik zu machen. tion der „Altbadener“ und auf das innere Zusammen- politik, deren Dynamik erst durch die Wirtschafts- und wachsen des „Bindestrich-Landes“, das ohne den vehe- Finanzkrise von 1966/67 gestoppt wurde. Daneben menten Einsatz des Abgeordneten Kiesinger bei den etablierte sich Baden-Württemberg als attraktiver Wirt- entscheidenden Abstimmungen im Bundestag 1950 schaftsstandort und war mit Ludwigsburg Schauplatz Grundsteinlegung für das neue der Besiegelung der deutsch-französischen Freund- Gebäude des Landtags von Baden- und 1951 wohl nicht geschichtliche Realität geworden Württemberg am 24. Juni 1959. wäre. Vor allem auch im bildungs- und kulturpolitischen schaft. Fast völlig vergessen ist heute, dass Kiesinger Landtagspräsident Dr. Franz Gurk Bereich hinterließ er nachhaltige Spuren – als Univer- in der Umweltpolitik mit seinem beharrlichen Kampf (CDU) bei der Grundsteinlegung, sitätsgründer bleibt er vornehmlich in Erinnerung. gegen die Schiffbarmachung des Hochrheins weithin rechts Fritz Ulrich (SPD) und Minis- sichtbare Signale setzte, die vielleicht den Beginn terpräsident Kurt Georg Kiesinger. moderner Umweltpolitik im Südweststaat markieren. FOTO: LMZ BADEN-WÜRTTEMBERG

Besuch der englischen Königin Queen Elizabeth II. am 24. Mai 1965 in Stuttgart. FOTO: LMZ BADEN-WÜRTTEMBERG

VON STUTTGART NACH BONN – ALTERSRUHESITZ IN TÜBINGEN DER BUNDESKANZLER KIESINGER

Nach acht Jahren als Ministerpräsident stand Kiesinger Daneben bereitete das Erstarken der NPD ebenso unverhofft ein weiterer Wechsel bevor. Bundeskanzler Sorge wie die sich anbahnenden Studentenunruhen trat nach nur drei Jahren Kanzlerschaft und der rasche Erfolg der Außerparlamentarischen zurück, nachdem die FDP im Oktober 1966 die Regie- Opposition (APO). In der Ostpolitik ging die Große rungskoalition verlassen hatte. Die letzte Bundestags- Koalition neue Wege, knüpfte diplomatische Kontakte wahl lag gerade ein Jahr zurück. Kiesinger, der von mit Rumänien und Jugoslawien sowie Handelsbezie- seiner Partei aufgefordert wurde, sich zum Kanzler hungen zur CSSR, führte erste Gespräche mit Vertre- wählen zu lassen, wusste, dass er mit der SPD zusam- tern der Sowjetunion und bereitete – sehr vorsichtig mengehen und eine Große Koalition führen musste, um und unter stetigem Hinweis auf das Verfassungsgebot die Bundesrepublik Deutschland in einer Zeit schwerer der Herstellung der Deutschen Einheit – die Kontakt- wirtschaftlicher und finanzieller Rezession zu führen. aufnahme mit der DDR vor. Der überzeugte Europäer Am 1. Dezember 1966 wählte ihn der Bundestag zum Kiesinger war der festen Meinung, das Zusammen- Bundeskanzler. wachsen der getrennten Teile Deutschlands könne nur gelingen, wenn es eingebettet sei „in den Prozess

Man tut ihm Unrecht, wenn man Kiesinger, der 1967 der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa“. Der Porträtmaler Gunter Rittner und Altbundes- auch zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, nachsagt, Dies waren prophetische Worte, wie sich mehr als kanzler Kurt Georg Kiesinger stehen im Juli er habe das Amt des Bundeskanzlers „wie einen 20 Jahre danach zeigen sollte. 1976 neben dem fertig gestellten und nach Hermelin“ getragen. Sein Sinn für Repräsentation ver- Angaben von Kiesinger äußerst gelungenen band sich mit dem Bewusstsein für die großen und ver- Nach knapp dreijähriger Regierungszeit hoffte Gemälde. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA antwortungsvollen neuen Aufgaben. Es waren keine Kiesinger bei der Bundestagswahl am 28. September ruhigen Zeiten, in denen er die Bundesrepublik führte, 1969 die Ernte seiner Arbeit als Bundeskanzler einzu- sondern eine Zeit des Übergangs und der Neuorientie- fahren. Obwohl CDU/CSU zulegten und nur knapp Mit 76 Jahren zog sich Kiesinger ganz aus der Politik rung. Kiesinger war der Moderator dieses Übergangs. die absolute Mehrheit verfehlten, verständigten sich zurück und lebte als Ruheständler in Tübingen. Hoch Es galt, die erste tief greifende Rezession nach dem SPD und FDP auf eine sozialliberale Koalition und dekoriert mit zahlreichen in- und ausländischen Aus- Wirtschaftswunder zu überwinden, die höchst umstrit- verwiesen die Union in die Opposition. Schmerzlich zeichnungen, Ehrendoktortiteln und Ehrenbürgerwürden tene Notstandsgesetzgebung zu verabschieden und musste Kiesinger erkennen, dass sein Slogan „Auf – 1969 von Ebingen, 1976 von Konstanz und 1979 außenpolitisch die Wiederannäherung an Frankreich den Kanzler kommt es an“ nicht verfangen hatte. von Tübingen –, widmete er sich seinen Memoiren, die zu finden, die Beziehungen zu den USA zu vertiefen Zu Unrecht blieb er nur als „Zwischenkanzler“ oder er jedoch nicht mehr fertigstellen konnte. Nach länge- und eine neue Ostpolitik zu gestalten. „Kanzler auf Abruf“ in Erinnerung, der zudem noch rer Krankheit starb Kurt Georg Kiesinger am 9. März von der eigenen Partei für den Verlust der Macht nach 1988 in Tübingen. Bund und Land ehrten ihn am 18. zwanzig Jahren verantwortlich gemacht wurde. 1971 März 1988 mit einem Staatsakt in Stuttgart, zur letzten folgte ihm als CDU-Vorsitzender nach. Ruhe wurde er in Tübingen bestattet. Die Verdienste Der Bundestagsabgeordnete Kiesinger (1969–1980) des Staatsmannes Kiesinger harren der wissenschaftli- zog sich auch im Parlament immer mehr zurück, nach- chen Aufarbeitung, die allein ein abschließendes Urteil dem das von ihm am 27. April 1972 vorgetragene seiner Arbeit als Abgeordneter, Ministerpräsident und Misstrauensvotum seiner Partei gegen Kanzler Willy Bundeskanzler erlaubt. Brandt nicht zum Sturz der SPD/FDP-Regierung geführt Frank Raberg hatte.

US-Präsident John F. Kennedy am 25. Juni 1963 „Auf den Kanzler kommt es an.“ Mit diesem mit Bundesratspräsident Kurt Georg Kiesinger in Slogan und einem Foto von Bundeskanzler der Frankfurter Paulskirche. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Kurt Georg Kiesinger warb die CDU vor den Bundestagswahlen 1969 für Stimmen.

FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA 04.021 RZ LpBFolder6-2004-Q5 23.03.2004 9:20 Uhr Seite 4

MINISTERPRÄSIDENT IN DER VILLA REITZENSTEIN

Mit Kiesinger folgte dem nüchternen „schwäbischen Der neue Ministerpräsident übernahm das gesamte Mit der Ära Kiesinger begannen der Aufbruch in der Hausvater“ Müller ein den schönen Künsten zuge- Kabinett seines Vorgängers, der im Mai 1956 eine Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Kiesinger wandte neigter Regierungschef, der von seinem Amtssitz, der Regierungskoalition aus Mitgliedern aller im Landtag sich anspruchsvollen bildungspolitischen Zielen zu, in Villa Reitzenstein, „mit fast barockem Glanz“ regierte vertretenen Parteien (CDU, SPD, FDP/DVP und GB/ denen er einen Schwerpunkt der Rolle der Länder im (Süddeutsche Zeitung). Anders als sein Amtsvorgän- BHE) gebildet hatte. Nach der Landtagswahl von föderalen System sah. In seiner achtjährigen Amtszeit ger legte Kiesinger großes Gewicht auf Repräsentation 1960, bei der Kiesinger das Mandat des Wahlkreises erfolgte die Gründung der Reformuniversität Konstanz, und elegante Darstellung des Staates. Sein Regierungs- Saulgau gewann, bildete er unter Ausschluss der ge- die Gründung der Hochschule Ulm wurde vorbereitet. stil entsprach den veränderten gesellschaftlichen Be- stärkt aus der Wahl gegangenen SPD eine neue Pläne für eine zweite medizinische Fakultät der Univer- dingungen: Während sein Vorgänger die Zurückhal- Regierung. sität Heidelberg in Mannheim gehen auf ihn zurück. tung und Sparsamkeit verkörperte, die in den Nach- Die Wirtschaftshochschule Mannheim wurde zur kriegsjahren geboten war, stand Kurt Georg Kiesinger Der Ministerpräsident, dem Verwaltungserfahrung Universität erhoben. Mit großer Energie und mit der für eine Politik der großzügigen Gestaltung. Er war fehlte und dem man beim Einzug in die Villa Reitzen- Einstellung neuer Lehrer trieb der Ministerpräsident außerdem der erste Ministerpräsident des Landes, der stein entgegenrief, er sei der Regierungschef der drei den Ausbau der Schulen auf allen Ebenen voran. Mit nicht Landtagsabgeordneter war, sondern aus dem großen „R“ – Repräsentieren, Reisen, Reden –, konzen- der Einrichtung der Pädagogischen Hochschulen im Bundestag nach Stuttgart kam, um hier praktische trierte sich bei seiner Regierungsarbeit auf die Integra- Land setzte er weitere Meilensteine in der Bildungs- Landespolitik zu machen. tion der „Altbadener“ und auf das innere Zusammen- politik, deren Dynamik erst durch die Wirtschafts- und wachsen des „Bindestrich-Landes“, das ohne den vehe- Finanzkrise von 1966/67 gestoppt wurde. Daneben menten Einsatz des Abgeordneten Kiesinger bei den etablierte sich Baden-Württemberg als attraktiver Wirt- entscheidenden Abstimmungen im Bundestag 1950 schaftsstandort und war mit Ludwigsburg Schauplatz Grundsteinlegung für das neue der Besiegelung der deutsch-französischen Freund- Gebäude des Landtags von Baden- und 1951 wohl nicht geschichtliche Realität geworden Württemberg am 24. Juni 1959. wäre. Vor allem auch im bildungs- und kulturpolitischen schaft. Fast völlig vergessen ist heute, dass Kiesinger Landtagspräsident Dr. Franz Gurk Bereich hinterließ er nachhaltige Spuren – als Univer- in der Umweltpolitik mit seinem beharrlichen Kampf (CDU) bei der Grundsteinlegung, sitätsgründer bleibt er vornehmlich in Erinnerung. gegen die Schiffbarmachung des Hochrheins weithin rechts Fritz Ulrich (SPD) und Minis- sichtbare Signale setzte, die vielleicht den Beginn terpräsident Kurt Georg Kiesinger. moderner Umweltpolitik im Südweststaat markieren. FOTO: LMZ BADEN-WÜRTTEMBERG

Besuch der englischen Königin Queen Elizabeth II. am 24. Mai 1965 in Stuttgart. FOTO: LMZ BADEN-WÜRTTEMBERG

VON STUTTGART NACH BONN – ALTERSRUHESITZ IN TÜBINGEN DER BUNDESKANZLER KIESINGER

Nach acht Jahren als Ministerpräsident stand Kiesinger Daneben bereitete das Erstarken der NPD ebenso unverhofft ein weiterer Wechsel bevor. Bundeskanzler Sorge wie die sich anbahnenden Studentenunruhen Ludwig Erhard trat nach nur drei Jahren Kanzlerschaft und der rasche Erfolg der Außerparlamentarischen zurück, nachdem die FDP im Oktober 1966 die Regie- Opposition (APO). In der Ostpolitik ging die Große rungskoalition verlassen hatte. Die letzte Bundestags- Koalition neue Wege, knüpfte diplomatische Kontakte wahl lag gerade ein Jahr zurück. Kiesinger, der von mit Rumänien und Jugoslawien sowie Handelsbezie- seiner Partei aufgefordert wurde, sich zum Kanzler hungen zur CSSR, führte erste Gespräche mit Vertre- wählen zu lassen, wusste, dass er mit der SPD zusam- tern der Sowjetunion und bereitete – sehr vorsichtig mengehen und eine Große Koalition führen musste, um und unter stetigem Hinweis auf das Verfassungsgebot die Bundesrepublik Deutschland in einer Zeit schwerer der Herstellung der Deutschen Einheit – die Kontakt- wirtschaftlicher und finanzieller Rezession zu führen. aufnahme mit der DDR vor. Der überzeugte Europäer Am 1. Dezember 1966 wählte ihn der Bundestag zum Kiesinger war der festen Meinung, das Zusammen- Bundeskanzler. wachsen der getrennten Teile Deutschlands könne nur gelingen, wenn es eingebettet sei „in den Prozess

Man tut ihm Unrecht, wenn man Kiesinger, der 1967 der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa“. Der Porträtmaler Gunter Rittner und Altbundes- auch zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, nachsagt, Dies waren prophetische Worte, wie sich mehr als kanzler Kurt Georg Kiesinger stehen im Juli er habe das Amt des Bundeskanzlers „wie einen 20 Jahre danach zeigen sollte. 1976 neben dem fertig gestellten und nach Hermelin“ getragen. Sein Sinn für Repräsentation ver- Angaben von Kiesinger äußerst gelungenen band sich mit dem Bewusstsein für die großen und ver- Nach knapp dreijähriger Regierungszeit hoffte Gemälde. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA antwortungsvollen neuen Aufgaben. Es waren keine Kiesinger bei der Bundestagswahl am 28. September ruhigen Zeiten, in denen er die Bundesrepublik führte, 1969 die Ernte seiner Arbeit als Bundeskanzler einzu- sondern eine Zeit des Übergangs und der Neuorientie- fahren. Obwohl CDU/CSU zulegten und nur knapp Mit 76 Jahren zog sich Kiesinger ganz aus der Politik rung. Kiesinger war der Moderator dieses Übergangs. die absolute Mehrheit verfehlten, verständigten sich zurück und lebte als Ruheständler in Tübingen. Hoch Es galt, die erste tief greifende Rezession nach dem SPD und FDP auf eine sozialliberale Koalition und dekoriert mit zahlreichen in- und ausländischen Aus- Wirtschaftswunder zu überwinden, die höchst umstrit- verwiesen die Union in die Opposition. Schmerzlich zeichnungen, Ehrendoktortiteln und Ehrenbürgerwürden tene Notstandsgesetzgebung zu verabschieden und musste Kiesinger erkennen, dass sein Slogan „Auf – 1969 von Ebingen, 1976 von Konstanz und 1979 außenpolitisch die Wiederannäherung an Frankreich den Kanzler kommt es an“ nicht verfangen hatte. von Tübingen –, widmete er sich seinen Memoiren, die zu finden, die Beziehungen zu den USA zu vertiefen Zu Unrecht blieb er nur als „Zwischenkanzler“ oder er jedoch nicht mehr fertigstellen konnte. Nach länge- und eine neue Ostpolitik zu gestalten. „Kanzler auf Abruf“ in Erinnerung, der zudem noch rer Krankheit starb Kurt Georg Kiesinger am 9. März von der eigenen Partei für den Verlust der Macht nach 1988 in Tübingen. Bund und Land ehrten ihn am 18. zwanzig Jahren verantwortlich gemacht wurde. 1971 März 1988 mit einem Staatsakt in Stuttgart, zur letzten folgte ihm Rainer Barzel als CDU-Vorsitzender nach. Ruhe wurde er in Tübingen bestattet. Die Verdienste Der Bundestagsabgeordnete Kiesinger (1969–1980) des Staatsmannes Kiesinger harren der wissenschaftli- zog sich auch im Parlament immer mehr zurück, nach- chen Aufarbeitung, die allein ein abschließendes Urteil dem das von ihm am 27. April 1972 vorgetragene seiner Arbeit als Abgeordneter, Ministerpräsident und Misstrauensvotum seiner Partei gegen Kanzler Willy Bundeskanzler erlaubt. Brandt nicht zum Sturz der SPD/FDP-Regierung geführt Frank Raberg hatte.

US-Präsident John F. Kennedy am 25. Juni 1963 „Auf den Kanzler kommt es an.“ Mit diesem mit Bundesratspräsident Kurt Georg Kiesinger in Slogan und einem Foto von Bundeskanzler der Frankfurter Paulskirche. FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Kurt Georg Kiesinger warb die CDU vor den Bundestagswahlen 1969 für Stimmen.

FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA