„Ich Bin Gegenwart“
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Kultur „Ich bin Gegenwa rt“ SPIEGEL-Gespräch Claus Peymann über die notwendige Macht eines Theaterdirektors und seine Einsamkeit, über politisch viel zu ruhige Zeiten und seinen Abschied als Chef des Berliner Ensembles SPIEGEL: Herr Peymann, Sie sind seit mehr als 50 Jahren Regisseur und fast ebenso lange Intendant. Anfang Juni werden Sie 80 Jahre alt, Anfang Juli endet Ihr Inten - dantenjob am Berliner Ensemble, den Sie 18 Jahre lang hatten. Wie fühlt sich das an? Peymann: Theater braucht den Wechsel. Wie sich das anfühlt? Ich bin traurig. Ich bin wehmütig, ich bin erleichtert. Aber es ist richtig, dass ich gehe. Vielleicht bin ich sogar ein bisschen zu lange da. Mein Kol - lege Frank Castorf von der Volksbühne ist auf jeden Fall zu lange da. Jeder König klammert sich an seinen Thron. SPIEGEL: War Theatermachen Ihr Traum - beruf? Peymann: Nein, ich wollte Schriftsteller wer - den. Mindestens Journalist. Dass ich Re - gisseur wurde, war Zufall. Jemand fiel aus im Hamburger Studententheater, wo ich ab 1960 mitmachte, dann habe ich über - nommen, und es wurde natürlich gleich ein Welterfolg. So ging es weiter. Ich habe in Hamburg den berühmten Schriftsteller Hans Henny Jahnn kennengelernt und sein Stück „Neuer Lübecker Totentanz“ mit den Hamburger Symphonikern im Au - dimax der Universität inszeniert. Da ka - men fast 2000 Zuschauer zur Premiere! SPIEGEL: Warum wollten Sie nicht bloß Regisseur sein, sondern schon früh auch Theater leiten? Peymann: Weil ich immer alles selbst ma - chen wollte. Das hat sich schon an der Stu - dentenbühne in Hamburg gezeigt, und ich habe sogar als Student vom Theater gelebt und mir immerhin ein Honorar von 1000 Mark im Monat ausbezahlt. Das hatte schon den Anspruch des späteren pey - mannschen Wahnsinns. Ich habe mich nicht gedrängt, das ergab sich einfach. Ich bin ein 68er, mit der Mitbestimmung sind wir dann an der Schaubühne Anfang der Siebzigerjahre krachend gescheitert. Da L E G habe ich begriffen, dass Macht nichts Ver - E I P S botenes ist. Macht als Theaterdirektor, R E D / Macht als Familienvater. Wenn nicht einer E K C sagt, das ist jetzt entschieden, werden alle I N E A unglücklich. Aber ich weiß, ich bin ein J N E Mammut, ich verkörpere einen gewissen F F E T Grundtyp, der nicht mehr angesagt ist. S Theatermacher Peymann „Jeder König klammert sich an seinen Thron“ 116 DER SPIEGEL 13 / 2014 SPIEGEL: Was geht zu Ende, wenn Sie als kommt er sie natürlich, auch wenn es das entstanden. Die Harmonie der Mittelmä - Intendant abtreten? Theater fast in den Untergang treibt. Trotz - ßigen. Peymann: Die Theater sind alle so verbüro - dem haben die Zahlen am Ende immer ge - SPIEGEL: Sprechen Sie von Ihrem Nachfol - kratisiert heute, da läuft die Planung drei stimmt. Das Theater, das man jetzt überall ger am Berliner Ensemble, Oliver Reese? Jahre im Voraus. Das ist doch Wahnsinn! sieht, ist völlig durchgeplant und durchkal - Peymann: Höchstens indirekt. Ich habe mir Das Grundprinzip der peymannschen Di - kuliert. Der Prototyp des neuen Theater - vorgenommen, den Namen zu vermeiden. rektion war immer das vollständige Chaos. leiters ist charmant, intelligent, gebildet – SPIEGEL: Sie haben ihn als „handzahmen Alles ist möglich, nichts bleibt, wie es ist. und belanglos. Im Typus dem ähnlich, der Verwalter“ beleidigt. Und wenn Bob Wilson sagt, ich brauche ihn berufen hat, und auch dem, der über Peymann: Ich habe meinen Nachfolger nicht noch 14 Tage für den „Faust“, dann be - ihn schreibt. Da ist eine schöne Harmonie beleidigt, ich habe ihn eingeschätzt. Das kann für ihn verletzend sein, aber er ist eben so. Dann soll er halt jemand anders sein. Ich bin der Meinung, dass Theater von der Büh - ne aus geführt werden sollten, nicht vom Büro – und vor allem nicht nach den Wer - tungen des Feuilletons. Herr Reese ist kein Künstler. Es gibt auch Nichtkünstler, die das Theater lieben, in all seinen Widersprüchen, aber sie sind selten. Vielleicht reicht es schon, um den Untergang des Theaters zu verhindern, wenn wir wieder die Liebe pro - pagieren und nicht das Geschick. SPIEGEL: Welche Liebe meinen Sie? Peymann: Die Leidenschaft, mit der ich hier angefangen habe, die ist zwei Journalisten vom Spiegel natürlich gar nicht vermit - telbar. Das Berliner Ensemble ist ein Ge - mäuer mit Geschichte. Allein das Archiv, das jetzt ausgelagert werden soll, das ist eine Einmaligkeit: Da gehen Sie rein und haben ein Originalmanuskript von Brecht oder Weigel in der Hand. SPIEGEL: Wenn man allein die Bücher sieht, mit denen Sie zu Ih rem Abschied gewür - digt werden, könnte man durchaus von Geschichtsbewusstsein sprechen*. Peymann: Aber ich bin ja nicht Geschichte, ich bin Gegenwart! Was ich meine, ist etwas anderes: Die Stimmen der Schauspieler, der Klang der Musik, das Klappern der Kulis - sen – das steckt in den Wänden. Ein Haus wie das Berliner Ensemble oder das Burg - theater hat eine andere Würde als das Frankfurter Stadttheater. Notre-Dame ist ja auch keine beliebige Dorfkirche. SPIEGEL: Wer betreibt in Ihren Augen den Untergang des Theaters? Peymann: Das kommt aus ganz verschiede - nen Ecken. Zum Beispiel von den Bürokra - ten und Gewerkschaftern, die darauf beste - hen, dass um 14 Uhr auf jeden Fall Proben - schluss ist. Da arbeiten sich die Spießer gegenseitig in die Hände. Wer das Risiko aus diesem Beruf rausnimmt, zerstört ihn. Jetzt protestieren schon die jungen Schauspieler, wenn sie am Samstag probieren sollen. SPIEGEL: Aber ist es nicht tatsächlich ein überholtes Klischee, dass Selbstausbeu - tung zur Kunst gehöre? Peymann: Das Risiko gehört zu diesem L Beruf. Das war für mich der Kick. E G E I P S R E * Jutta Ferbers (Hg.): „Claus Peymann: Mord und Tot - D / schlag“. Alexander Verlag; 536 Seiten; 29,90 Euro. E K C I Berliner Ensemble (Hg.): „Das schönste Theater“. Ale - N E xander Verlag; 1270 Seiten; 35 Euro; erscheint am 15. April. A J N Wolfgang Höbel (Hg.): „Claus Peymann“ . Spiegel E F F E-Book; 2,99 Euro. E T S DER SPIEGEL 13 / 2014 117 Kultur SPIEGEL: Heißt das, Sie haben Ihren Schau - Theaters. Heute muss die Minna ja ein zum Beispiel. Es war schwer, ihn dazu spielern feste Probenzeiten verweigert? Mann sein, und es geht gar nicht anders, zu bringen, sich nicht immer zu beob - Peymann: Die Forderung entstand gar nicht. als den Tellheim von einer Frau spielen zu achten und zwischendurch infrage zu stel - Vielleicht weil ich mich in meinem Grö - lassen. Die Grundvoraussetzung des Spie - len. Das war in der DDR sozusagen Staats - ßenwahn so unangefochten gefühlt habe. lens wird aufgelöst. Sie lautete: Ich bin doktrin. Ich glaube, dass Brecht das nie in In einem funktionierenden Theater ist die Schauspieler, ich trete auf als Richard der diesem Sinne gemeint hat, und Frau Wei - Autorität doch klar. Zum Beispiel die Auto - Dritte, und ich bin dieser Mörder. Der Voss gel hat es sicher nicht gespielt. Sie war rität des großen Schauspielers. Sie ist die hat sich schon immer mittags um zwölf in eine klassische österreichische Identifi - eines Menschen, der selbstverständlich Richard den Dritten verwandelt. Ich sage, kationsspielerin. Ich habe sie oft genug das spielt, was ihm zusteht, weil er es was hast du denn bloß? Er sagt, was ist gesehen. kann. Da ist keine Demokratie erforder - denn? Dann sage ich, du guckst wieder wie SPIEGEL: Trotzdem ist heute das antiidenti - lich. Wenn ein Schauspieler wie Gert Voss ein Mörder. fikatorische, postdramatische Theater auf oder Jürgen Holtz einen Satz sagt, ist das SPIEGEL: Hat diese Zerstörung der Fiktion deutschsprachigen Bühnen weit verbreitet. sowieso klar. nicht eigentlich schon mit Brecht angefan - Warum ist das so schlimm? SPIEGEL: Dann sind Sie gar nicht Peymann: Weil es die Geschichten mehr der Chef? zerstört. Ich habe immer versucht, Peymann: Wir sind zusammen Chef. ein Theater der Geschichtenerzäh - Ich bin der Dirigent und der erste ler zu machen. Man soll ruhig wei - Zuschauer. Die Probe ist erbar - nen dürfen über Brechts Grusche mungslos. Da können Sie in der oder seine stumme Kattrin. Kantine noch so oft Demokratie SPIEGEL: Und Sie sind der Letzte, verlangen, die Probe ist im Kern un - der das kann? demokratisch. Ich bin wirklich ein Peymann: Die große Bedrohung für Kronzeuge, ich habe mit Peter Stein das Theater ist die Auflösung der und den anderen 1970 die Schau - Literatur. Wenn ich mir heute die bühne neu gegründet, wir haben da - Texte junger Theaterautoren anse - mals wirklich über alles diskutiert he, dann lese ich die meistens mit und abgestimmt. Und am Ende hat Verzweiflung. Es wird ja heute viel doch immer Jutta Lampe die Haupt - zu viel gefördert. Das macht in Ber - D L I B rolle gespielt. Und warum? Weil sie lin das Deutsche Theater, das macht N I E die Lebensgefährtin von Peter Stein T die Schaubühne. Ich glaube nicht, S L L war! Ich habe diesen ganzen Mit - U dass das auch noch die Aufgabe des bestimmungskäse miterfunden und Dichter Handke, Regisseur Peymann 1971* Berliner Ensembles ist. Aber mein mit zu Grabe getragen. „Schon damals ein Mystiker“ Nachfolger will es trotzdem tun. Die SPIEGEL: Und einer wie Gert Voss hat Literatur löst sich auf. Dabei war nie geklagt, wenn er am Nachmittag sie 2000 Jahre lang das Fundament oder am Samstag proben musste? des Theaters, von Anbeginn an, von Peymann: Natürlich. Nur einmal hat - Euripides bis Heiner Müller. Heute te er keinen Grund dazu. Das war stelle ich fest: Dieses Fundament ist die eine einzige wirklich fehlerlose einer blinden Zerstörungswut aus - Aufführung, die ich zustande ge - gesetzt. Eine Nichtlite ratur wie die bracht habe, „Ritter, Dene, Voss“ von Rimini Protokoll gewinnt heute von Thomas Bernhard in Salzburg. Dramatikerpreise! Und wenn es Da haben Ilse Ritter, Kirsten Dene eine Protagonistin dieser Selbstver - und der Voss zu mir gesagt: Weißt nichtung der Literatur gibt, dann ist du, Claus, wir machen keine einzi - das Elfriede Jelinek.