Kultur „Ich bin Gegenwa rt“ SPIEGEL-Gespräch Claus Peymann über die notwendige Macht eines Theaterdirektors und seine Einsamkeit, über politisch viel zu ruhige Zeiten und seinen Abschied als Chef des Berliner Ensembles

SPIEGEL: Herr Peymann, Sie sind seit mehr als 50 Jahren Regisseur und fast ebenso lange Intendant. Anfang Juni werden Sie 80 Jahre alt, Anfang Juli endet Ihr Inten - dantenjob am Berliner Ensemble, den Sie 18 Jahre lang hatten. Wie fühlt sich das an? Peymann: Theater braucht den Wechsel. Wie sich das anfühlt? Ich bin traurig. Ich bin wehmütig, ich bin erleichtert. Aber es ist richtig, dass ich gehe. Vielleicht bin ich sogar ein bisschen zu lange da. Mein Kol - lege Frank Castorf von der Volksbühne ist auf jeden Fall zu lange da. Jeder König klammert sich an seinen Thron. SPIEGEL: War Theatermachen Ihr Traum - beruf? Peymann: Nein, ich wollte Schriftsteller wer - den. Mindestens Journalist. Dass ich Re - gisseur wurde, war Zufall. Jemand fiel aus im Hamburger Studententheater, wo ich ab 1960 mitmachte, dann habe ich über - nommen, und es wurde natürlich gleich ein Welterfolg. So ging es weiter. Ich habe in Hamburg den berühmten Schriftsteller Hans Henny Jahnn kennengelernt und sein Stück „Neuer Lübecker Totentanz“ mit den Hamburger Symphonikern im Au - dimax der Universität inszeniert. Da ka - men fast 2000 Zuschauer zur Premiere! SPIEGEL: Warum wollten Sie nicht bloß Regisseur sein, sondern schon früh auch Theater leiten? Peymann: Weil ich immer alles selbst ma - chen wollte. Das hat sich schon an der Stu - dentenbühne in Hamburg gezeigt, und ich habe sogar als Student vom Theater gelebt und mir immerhin ein Honorar von 1000 Mark im Monat ausbezahlt. Das hatte schon den Anspruch des späteren pey - mannschen Wahnsinns. Ich habe mich nicht gedrängt, das ergab sich einfach. Ich bin ein 68er, mit der Mitbestimmung sind wir dann an der Schaubühne Anfang der Siebzigerjahre krachend gescheitert. Da L E G

habe ich begriffen, dass Macht nichts Ver - E I P S

botenes ist. Macht als Theaterdirektor, R E D

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Macht als Familienvater. Wenn nicht einer E K C

sagt, das ist jetzt entschieden, werden alle I N E A

unglücklich. Aber ich weiß, ich bin ein J

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Mammut, ich verkörpere einen gewissen F F E T

Grundtyp, der nicht mehr angesagt ist. S

Theatermacher Peymann „Jeder König klammert sich an seinen Thron“

116 DER SPIEGEL 13 / 2014 SPIEGEL: Was geht zu Ende, wenn Sie als kommt er sie natürlich, auch wenn es das entstanden. Die Harmonie der Mittelmä - Intendant abtreten? Theater fast in den Untergang treibt. Trotz - ßigen. Peymann: Die Theater sind alle so verbüro - dem haben die Zahlen am Ende immer ge - SPIEGEL: Sprechen Sie von Ihrem Nachfol - kratisiert heute, da läuft die Planung drei stimmt. Das Theater, das man jetzt überall ger am Berliner Ensemble, Oliver Reese? Jahre im Voraus. Das ist doch Wahnsinn! sieht, ist völlig durchgeplant und durchkal - Peymann: Höchstens indirekt. Ich habe mir Das Grundprinzip der peymannschen Di - kuliert. Der Prototyp des neuen Theater - vorgenommen, den Namen zu vermeiden. rektion war immer das vollständige Chaos. leiters ist charmant, intelligent, gebildet – SPIEGEL: Sie haben ihn als „handzahmen Alles ist möglich, nichts bleibt, wie es ist. und belanglos. Im Typus dem ähnlich, der Verwalter“ beleidigt. Und wenn Bob Wilson sagt, ich brauche ihn berufen hat, und auch dem, der über Peymann: Ich habe meinen Nachfolger nicht noch 14 Tage für den „Faust“, dann be - ihn schreibt. Da ist eine schöne Harmonie beleidigt, ich habe ihn eingeschätzt. Das kann für ihn verletzend sein, aber er ist eben so. Dann soll er halt jemand anders sein. Ich bin der Meinung, dass Theater von der Büh - ne aus geführt werden sollten, nicht vom Büro – und vor allem nicht nach den Wer - tungen des Feuilletons. Herr Reese ist kein Künstler. Es gibt auch Nichtkünstler, die das Theater lieben, in all seinen Widersprüchen, aber sie sind selten. Vielleicht reicht es schon, um den Untergang des Theaters zu verhindern, wenn wir wieder die Liebe pro - pagieren und nicht das Geschick. SPIEGEL: Welche Liebe meinen Sie? Peymann: Die Leidenschaft, mit der ich hier angefangen habe, die ist zwei Journalisten vom Spiegel natürlich gar nicht vermit - telbar. Das Berliner Ensemble ist ein Ge - mäuer mit Geschichte. Allein das Archiv, das jetzt ausgelagert werden soll, das ist eine Einmaligkeit: Da gehen Sie rein und haben ein Originalmanuskript von Brecht oder Weigel in der Hand. SPIEGEL: Wenn man allein die Bücher sieht, mit denen Sie zu Ih rem Abschied gewür - digt werden, könnte man durchaus von Geschichtsbewusstsein sprechen*. Peymann: Aber ich bin ja nicht Geschichte, ich bin Gegenwart! Was ich meine, ist etwas anderes: Die Stimmen der Schauspieler, der Klang der Musik, das Klappern der Kulis - sen – das steckt in den Wänden. Ein Haus wie das Berliner Ensemble oder das Burg - theater hat eine andere Würde als das Frankfurter Stadttheater. Notre-Dame ist ja auch keine beliebige Dorfkirche. SPIEGEL: Wer betreibt in Ihren Augen den Untergang des Theaters? Peymann: Das kommt aus ganz verschiede - nen Ecken. Zum Beispiel von den Bürokra - ten und Gewerkschaftern, die darauf beste - hen, dass um 14 Uhr auf jeden Fall Proben - schluss ist. Da arbeiten sich die Spießer gegenseitig in die Hände. Wer das Risiko aus diesem Beruf rausnimmt, zerstört ihn. Jetzt protestieren schon die jungen Schauspieler, wenn sie am Samstag probieren sollen. SPIEGEL: Aber ist es nicht tatsächlich ein überholtes Klischee, dass Selbstausbeu - tung zur Kunst gehöre? Peymann: Das Risiko gehört zu diesem

L Beruf. Das war für mich der Kick. E G E I P S

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E * Jutta Ferbers (Hg.): „Claus Peymann: Mord und Tot - D

/ schlag“. Alexander Verlag; 536 Seiten; 29,90 Euro. E K C

I Berliner Ensemble (Hg.): „Das schönste Theater“. Ale - N

E xander Verlag; 1270 Seiten; 35 Euro; erscheint am 15. April. A J

N Wolfgang Höbel (Hg.): „Claus Peymann“ . Spiegel E F

F E-Book; 2,99 Euro. E T S DER SPIEGEL 13 / 2014 117 Kultur

SPIEGEL: Heißt das, Sie haben Ihren Schau - Theaters. Heute muss die Minna ja ein zum Beispiel. Es war schwer, ihn dazu spielern feste Probenzeiten verweigert? Mann sein, und es geht gar nicht anders, zu bringen, sich nicht immer zu beob - Peymann: Die Forderung entstand gar nicht. als den Tellheim von einer Frau spielen zu achten und zwischendurch infrage zu stel - Vielleicht weil ich mich in meinem Grö - lassen. Die Grundvoraussetzung des Spie - len. Das war in der DDR sozusagen Staats - ßenwahn so unangefochten gefühlt habe. lens wird aufgelöst. Sie lautete: Ich bin doktrin. Ich glaube, dass Brecht das nie in In einem funktionierenden Theater ist die Schauspieler, ich trete auf als Richard der diesem Sinne gemeint hat, und Frau Wei - Autorität doch klar. Zum Beispiel die Auto - Dritte, und ich bin dieser Mörder. Der Voss gel hat es sicher nicht gespielt. Sie war rität des großen Schauspielers. Sie ist die hat sich schon immer mittags um zwölf in eine klassische österreichische Identifi- eines Menschen, der selbstverständlich Richard den Dritten verwandelt. Ich sage, kationsspielerin. Ich habe sie oft genug das spielt, was ihm zusteht, weil er es was hast du denn bloß? Er sagt, was ist gesehen. kann. Da ist keine Demokratie erforder - denn? Dann sage ich, du guckst wieder wie SPIEGEL: Trotzdem ist heute das antiidenti - lich. Wenn ein Schauspieler wie ein Mörder. fikatorische, postdramatische Theater auf oder Jürgen Holtz einen Satz sagt, ist das SPIEGEL: Hat diese Zerstörung der Fiktion deutschsprachigen Bühnen weit verbreitet. sowieso klar. nicht eigentlich schon mit Brecht angefan - Warum ist das so schlimm? SPIEGEL: Dann sind Sie gar nicht Peymann: Weil es die Geschichten mehr der Chef? zerstört. Ich habe immer versucht, Peymann: Wir sind zusammen Chef. ein Theater der Geschichtenerzäh - Ich bin der Dirigent und der erste ler zu machen. Man soll ruhig wei - Zuschauer. Die Probe ist erbar - nen dürfen über Brechts Grusche mungslos. Da können Sie in der oder seine stumme Kattrin. Kantine noch so oft Demokratie SPIEGEL: Und Sie sind der Letzte, verlangen, die Probe ist im Kern un - der das kann? demokratisch. Ich bin wirklich ein Peymann: Die große Bedrohung für Kronzeuge, ich habe mit das Theater ist die Auflösung der und den anderen 1970 die Schau - Literatur. Wenn ich mir heute die bühne neu gegründet, wir haben da - Texte junger Theaterautoren anse - mals wirklich über alles diskutiert he, dann lese ich die meistens mit und abgestimmt. Und am Ende hat Verzweiflung. Es wird ja heute viel doch immer Jutta Lampe die Haupt - zu viel gefördert. Das macht in Ber - D L I B

rolle gespielt. Und warum? Weil sie lin das Deutsche Theater, das macht N I E

die Lebensgefährtin von Peter Stein T die Schaubühne. Ich glaube nicht, S L L

war! Ich habe diesen ganzen Mit - U dass das auch noch die Aufgabe des bestimmungskäse miterfunden und Dichter Handke, Regisseur Peymann 1971* Berliner Ensembles ist. Aber mein mit zu Grabe getragen. „Schon damals ein Mystiker“ Nachfolger will es trotzdem tun. Die SPIEGEL: Und einer wie Gert Voss hat Literatur löst sich auf. Dabei war nie geklagt, wenn er am Nachmittag sie 2000 Jahre lang das Fundament oder am Samstag proben musste? des Theaters, von Anbeginn an, von Peymann: Natürlich. Nur einmal hat - Euripides bis Heiner Müller. Heute te er keinen Grund dazu. Das war stelle ich fest: Dieses Fundament ist die eine einzige wirklich fehlerlose einer blinden Zerstörungswut aus - Aufführung, die ich zustande ge - gesetzt. Eine Nichtlite ratur wie die bracht habe, „Ritter, Dene, Voss“ von Rimini Protokoll gewinnt heute von Thomas Bernhard in Salzburg. Dramatikerpreise! Und wenn es Da haben Ilse Ritter, Kirsten Dene eine Protagonistin dieser Selbstver - und der Voss zu mir gesagt: Weißt nichtung der Literatur gibt, dann ist du, Claus, wir machen keine einzi - das Elfriede Jelinek. O

ge Probe länger als 14 Uhr und kei - N SPIEGEL: Was ist mit Ihrer Begeiste - G A M

ne einzige Abendprobe. Und wir I rung für Jelinek passiert? Die war

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versprechen dir alle drei, wir wer - V doch mal sehr groß. A T O

den nichts anderes tun, als dauernd V Peymann: Sie ist es immer noch. Sie an dem Stück arbeiten. Das haben Autor Bernhard, Intendant Peymann 1988 * hat mir mal gesagt: Ich geh mit Ih - sie gemacht. Keine einzige Probe „Ich bin seine Witwe“ nen überallhin, notfalls in die Wüs - war länger als 14 Uhr, nie wurde te. Ich verdanke Elfriede Jelinek am Abend geprobt, und nach drei Mona - gen, der von seinen Schauspielern die Dis - viel, und sie verdankt uns viel. Leider woll - ten war das die beste Auf führung. tanz zur Rolle gefordert hat? te sie 1999 nicht mit nach Berlin, weil sie SPIEGEL: Und belegt, dass die Gewerkschaf - Peymann: Ja, dieses Theater der Auflösung fand, dass sie schon genug verdroschen ter vielleicht doch recht haben. kommt von Brecht. Die Schauspieler, die worden ist in ihrem Leben. Sie hat früher Peymann: Das waren aber auch drei geniale aus der DDR kommen, hatten das natür - großartige Theaterstücke geschrieben und Schauspieler! Das Genie darf fordern. lich total verinnerlicht. Viele von denen dann plötzlich ihre Selbstauflösung betrie - SPIEGEL: Was bedroht das Theater in Ihren spielen ja auch bei uns. Selbst für Schau - ben. Sie ist dem, was an Realität auf sie Augen sonst noch? spieler wie Ulrich Mühe, Gott hab ihn se - einstürzt, schutzlos ausgesetzt. Sie setzt Peymann: Ach, die Alten meckern immer lig, war das ein Problem, ich habe viel mit sich dem Trommelfeuer einer aggressiven über das Neue. Aber der Wahn vieler sich ihm gemacht, „Clavigo“ und „Peer Gynt“ Gegenwart aus wie keine andere. Aber selbst verwirklichender Regisseure, die be - statt darüber tolle Theaterstücke zu schrei - haupten, man müsse die Fiktion infrage * Oben: bei einer Regiebesprechung zum „Ritt über den ben wie früher, mit Geschichten, gibt sie Bodensee“ an der Schaubühne am Halleschen Ufer in stellen und zerstören, das ist meiner Mei - Westberlin; unten: bei der „Heldenplatz“-Premiere am diese Gegenwart heute nur wieder. Des - nung nach ein Kernproblem des heutigen Wiener . halb ist sie heute für mich die Symbolfigur,

118 DER SPIEGEL 13 / 2014 die Jeanne d’Arc des literaturvernichten - den Theaters. SPIEGEL: Sie loben sich gern damit, der deut - sche Theaterregisseur zu sein, der die Au - toren am innigsten liebt. Peymann: Ich konnte die Einsamkeit nicht aufbringen, mir selbst ein Stück auszuden - ken. Meine Freude war es, Weggefährten zu finden, die wirklich schreiben konnten. Anfang 1966 bin ich Peter Handke begegnet und einige Jahre später Thomas Bernhard. Das hat zu einem gemeinsamen Weg ge - führt, wie das unter allen Regisseuren des Gegenwartstheaters sonst nicht vorgekom - men ist. Ich habe in 50 Jahren 128 Insze - nierungen gemacht, das ist wenig im Ver - gleich zu den Kollegen, andere haben in derselben Zeit doppelt so viele geschafft. Aber von meinen 128 Inszenierungen wa - ren 45 Uraufführungen. Ich habe einige der besten Stücke von Elfriede Jelinek urauf - geführt, das erste Stück von Botho Strauß, Peter Turrini, auch Shakespeare-Bearbei - S tungen von Thomas Brasch und immer wie - U A H S

der Handke und Bernhard. Das ist, um jetzt R E T T ein bisschen größenwahnsinnig zu sein, nur I R

A K vergleichbar mit dem Verhältnis von Max I N O

Reinhardt zu Strindberg und Ibsen oder mit M der Verbindung von Stanislawski und Darsteller Tambrea (vorn l.), Regisseur Peymann*: „Ich glaube an die Magie des Schauspielers“ Tschechow. SPIEGEL: Aber wenn man Ihr Bilanzbuch ten gar nicht fähig ist. Ich beobachte das Arbeitsmensch, ein manischer Menschen - liest, das im Herbst erschienen ist, staunt an meinem langjährigen Begleiter, dem verschlinger. Vielleicht wirke ich dadurch man, wie wenig Sie von den Autoren, die Dramaturgen Hermann Beil. Der Beil kul - kalt. Ich war immer neidisch auf die Men - Sie so verehrten, zurückgeliebt wurden. tiviert Freundschaften, der verschickt und schen, um die man sich Sorgen gemacht hat, Thomas Bernhard nannte Sie feige, Peter bekommt Briefe, Pakete, wo man hin - auf die Regisseure Schaaf oder Grüber zum Handke behauptete, Sie verstünden nichts kommt, der backt Torten. Ich habe über - Beispiel. Alle fragten, wie geht es dem Jo - von Sprache. haupt keine Freunde. Ich bin letztlich hannes, wie geht es dem Klaus Michael? Bei Peymann: Das stimmt. Ich habe mich immer wahrscheinlich so ein verrückter, verhal - mir hat das keiner gefragt. Darum bin ich in den Dienst der Dichter gestellt – ohne tensgestörter Typ, dass ich Verbindungen auch verhältnismäßig einsam, wenn ich nicht Gegenliebe. Ich weiß nicht, ob der Mozart gar nicht fortführen kann. im Betrieb bin. Das wird schrecklich nach den Simon Rattle gemocht hätte, ich glau - SPIEGEL: Und wie ist Ihr Verhältnis zu Peter dem 2. Juli, wenn ich im Berliner Ensemble be, eher nicht. Das wäre wahrscheinlich Handke? aufhöre, wenn dieser Motor, der mich per - auf eine starke Rivalität hinausgelaufen. Peymann: Wir kennen uns jetzt seit 1966. manent in Bewegung hält, wegfällt. Ich habe mir aber natürlich auch immer Zwei ältere Männer. Ich habe diese Ver - SPIEGEL: Haben Sie Pläne für den Juli? Leute ausgesucht, die überhaupt nicht zu klemmtheit. Sie ist das Geheimnis meiner Peymann: Na, ich mache Ferien und hab mir passten. Ich bin ein Bremer Protestan - Sehnsucht nach Nähe in der Arbeit. Ich su - ein paar Leute eingeladen in ein Haus in tenkind und habe mich ausgerechnet mit che dort etwas, wozu ich als Privatperson Frankreich. Wir wollen noch einmal feiern, dem Peter Handke verbunden, der schon gar nicht fähig bin. Die Innigkeit, die Liebe, nach dem gloriosen Schluss am Berliner damals ein Mystiker war, und mit dem das Glück auf einer Probe, wenn etwas Ensemble, mehr kann ich Ihnen noch nicht vom Katholizismus gezeichneten Groß - schön ist! Wenn der Voss in „Einfach kom - sagen. Aber da schlummert einiges! Und grundbesitzer aus Oberösterreich, dem pliziert“ spielt, dann sitze ich da und heule dann kehre ich zurück in die Freiheit des Thomas Bernhard. Einen größeren Unter - wie ein Verrückter über die Erschütterung Gastregisseurs. schied in Mentalität und Denken gibt es des alten Mannes, der mit dem Nachbars - SPIEGEL: In Stuttgart werden Sie 2018 „Kö - ja gar nicht. Ich immer mit meinen politi - kind drei Sätze wechselt. Diese Innigkeit nig Lear“ inszenieren, mit Martin Schwab. schen Botschaften, mit meinem Gerede ermöglicht mir nur das Theater. Ich habe Beginnt da eine zweite Karriere als reisen - von Anarchie und Revolution, da hat der mich nach der Premiere des „Prinzen von der Gastregisseur? Bernhard gesagt: Der spinnt ja. Homburg“ ja vor meinem Schauspieler Peymann: Hören Sie auf, dafür bin ich zu SPIEGEL: War Thomas Bernhard nicht Ihr Sabin Tambrea, diesem Jüngling, nieder - alt. Nach 50 Jahren Königsein muss ich Freund? gekniet und auf den Boden geworfen. Die mich jetzt wieder in die Anfängersituation Peymann: Ich würde mich nicht als Freund Bühne zaubert mir die Unfähigkeit zur Zärt - zurückversetzen. Dieses Rangeln und von Thomas Bernhard bezeichnen. Eher lichkeit weg. Es erschreckt mich natürlich, Kämpfen um den Etat, wie viele Schau - als seine Witwe, weil ich immer noch träu - wenn Sie in Ihrem Interview fragen, ob die spieler man mitbringen darf, das habe ich me, dass er gar nicht gestorben ist. Wahr - Liebe zu den Dichtern nur bedingt erwidert doch längst verlernt. scheinlich ist das so ein Phantomschmerz. wurde. Aber das stimmt schon. Ich bin ein SPIEGEL: Mindestens so berühmt wie als Re - Auch Peter Handke würde ich nicht einen gisseur sind Sie als politischer Mensch, der Freund nennen. Vielleicht bin ich ein * Nach der Premiere des „Prinzen von Homburg“ i m sich in alle Debatten einmischt, gefragt Mensch, der zu bestimmten Freundschaf - Fe bruar am Berliner Ensemble. und ungefragt.

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Peymann: Wir leben in einer Duckmäuser - einer sitzt hier. Auch Peter Stein war ganz wenn der Baader jetzt klingelt, lassen wir zeit. Man musste ja schon froh sein, wenn dabei. Andere sind Schriftsteller geworden ihn rein oder nicht. Günter Grass mal einen längeren Furz los - – Hans Magnus Enzensberger, Martin Wal - SPIEGEL: Andreas Baader war einer der gelassen hat. Als ich jünger war, war dage - ser, sogar Ihr alter Chef Rudolf Augstein Gründer der RAF. gen ganz klar, dass Heinrich Böll was dazu war mal dabei. Andere sind Außenminister Peymann: Meine Freundin hätte ihn rein - schreibt, wenn der Peymann in Stuttgart geworden oder Innenminister. Und andere gelassen. Ich nicht, ich hätte mir das rausgeschmissen werden soll wegen der haben gesagt, jetzt kriegen wir wieder die - gar nicht leisten können als Schauspiel- Zähne von der Ensslin. se scheiß Gummiknüppel auf den Kopf ge - direktor. Wir hätten uns fast getrennt SPIEGEL: 1977 wurde Ihre Entlassung als knallt – warum wehren wir uns eigentlich deswegen. Stuttgarter Schauspieldirektor gefordert, nicht? Also werfen wir mal einen Stein zu - SPIEGEL: Der Schaubühne wurden Anfang weil Sie dem Spendenaufruf von Ensslins rück. Dann sind sie verprügelt worden we - der Siebziger sogar zeitweilig die Subven - Mutter gefolgt waren, die Geld für den gen des Steins. Dann haben sie gesagt: tionen gesperrt, weil sie kommunistischer Zahnersatz ihrer Tochter, der RAF-Terro - Wenn die uns hier fertigmachen, können Propaganda verdächtigt wurde. ristin Gudrun Ensslin, sammelte. wir uns nicht ’ne Knarre kaufen und weh - Peymann: Da war ich schon gegangen; die Peymann: Ja, und da haben eben Heinrich ren uns mal richtig? Das sind keine gebo - Vorwürfe erwiesen sich später übrigens Böll, Walter Jens und andere Briefe und renen Verbrecher. Die haben sich dann mit als haltlos. Aber ich erinnere mich an eine Reden zur Verteidigung der Republik ge - anderen Mitteln zur Wehr gesetzt und sind Versammlung, in der der Schauspieler schrieben. Das war ganz klar. Zu Hans Soldaten geworden. Michael König vorgeschlagen hat, die Henny Jahnns Brandrede im April 1958 SPIEGEL: Sie waren aber keine Soldaten, sie Hälfte unserer Subventionen – wir beka - gegen die Atombewaffnung Europas – da waren Terroristen. men damals 1,8 Millionen Mark vom Senat sind Hunderttausende gekommen. Dieses Peymann: Wer tötet, ob in der RAF oder – für den Waffenkauf an den Vietcong zu Maulaufreißen und den Menschen zeigen, in der amerikanischen Armee, ist ein spenden. dass man auch gegen etwas sein SPIEGEL: Die kommunistische Gue - kann, das ist doch vollständig ein - rillaorganisation, die im Vietnam - geschlafen. Sind wir denn in so krieg gegen die USA kämpfte. glücklichen Zeiten? Ist denn nichts Peymann: König ist heute ein from - faul in diesem Staat? Wird nicht die mer Katholik, damals war er halb Schere zwischen Arm und Reich im Untergrund. Wir haben über sei - immer größer? Jetzt rüsten wir die nen Vorschlag abgestimmt und ihn Bundeswehr neu auf. Plötzlich sol - abgelehnt, aber so war die Zeit be - len da 20 000 neue Soldaten kom - schaffen, das war gesellschaftsfähig. men. Wer regt sich da noch drüber SPIEGEL: Sie haben sich damals als L E G

auf? Wozu brauchen wir diese E Anarchist bezeichnet und später I P S

ganzen Soldaten? Was ist denn R auch mal die Linken gewählt. Wo E D

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los? Dagegen rührt sich niemand! stehen Sie heute politisch? E K C

Die Theaterleute sind mit ihrem I Peymann: Es könnte passieren, dass N E A

Schwänzchen beschäftigt und der J ich zum ersten Mal in meinem Le -

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Großmutter, die sie da immer an - F ben CDU wähle. Die Merkel hat F E T

fassen wollte, und solchen Sachen. S einen großen Lebensfehler ge - SPIEGEL: Sie sind immer noch ein Peymann beim SPIEGEL-Gespräch* macht, einmal war sie wirklich un - begeisterter Polemiker. Aber heute „Warum wehren wir uns eigentlich nicht?“ berechnend und spontan. Sie hat in schimpfen Sie mehr über die Berli - der Flüchtlingskrise einen großen ner Kulturpolitiker als über die große Mörder. Ich setze das gleich. Und dieses Moment gehabt und eine Sekunde Mensch - Politik. Weil der Sozialismus erledigt Töten verändert die Menschen. Diese lichkeit gezeigt. Das ist natürlich alles in - ist und Sie auch keine Alternativen mehr Menschen, auch die amerikanischen Sol - zwischen zurückgefahren, aber egal. Dass sehen? daten, die aus Vietnam zurückkamen und ihr das jetzt so um die Ohren geschlagen Peymann: Sie sagen es. Der Gegner ist un - sich die Schrumpfköpfe der enthaupteten wird, finde ich nicht in Ordnung. sichtbar. Gut, jetzt gibt es Trump, das vietnamesischen Frauen, Kinder und Män - SPIEGEL: Im Rückblick: Gibt es eine Über - macht die Sache leichter. Aber Frau Mer - ner auf den Fernseher gestellt haben, sind zeugung, die Sie nie infrage gestellt haben? kel und dieser Regenwurm da aus Paris, Verbrecher. Die RAF-Leute sind Verbre - Peymann: Ich habe immer an die heilende Hollande, das sind doch keine Feinde. Der cher. Das ist ganz klar. Aber sie wurden Kraft des Theaters geglaubt und habe Gegner ist im grauen Unsichtbar ver - erst zu Verbrechern. Ich habe ein tiefes immer versucht, im Theater Geschichten schwunden. Und da wir ihn nicht erkennen Verständnis für diesen schrecklichen Weg, zu erzählen – sogar 1966 in der „Publikums - können, haben wir auch mit der Kunst den ich selbst nie hätte gehen können. beschimpfung“, auch wenn das absurd kein Mittel. Ich weiß keinen Weg. SPIEGEL: Das heißt aber doch: Bei Ihrer klingt für die, die das Stück kennen. Ich SPIEGEL: Wenn heute gesammelt werden Spende für Gudrun Ensslin ging es nicht glaube an die Magie des Schauspielers und würde für den Zahnersatz eines in allein um den menschlichen Aspekt – diese an die Magie der Fiktion. Die Urmenschen Deutschland inhaftierten IS-Kämpfers, Frau braucht eine Zahnbehandlung, unab - haben, bevor sie auf die Jagd gingen, den würden Sie wieder spenden? hängig davon, was sie getan hat –, sondern Bären spielend schon vorher getötet, Peymann: Schwere Frage. Wir sind 1968 auf Sie hatten Sympathie für die Bewegung. spielend haben sie die Götter besänftigt. die Straße gegangen und haben gegen Peymann: Es war Verständnis, mit dem Be - Diese Bewältigung der Angst wird es immer Viet nam, gegen Springer, vor allem aber griff Sympathie müssen wir vorsichtig sein. geben. Das ist das größte Geheimnis, das gegen die Restauration eines Landes de - Ich würde sagen, Sympathie hatte meine wir haben: dass wir vor anderen Menschen monstriert, das sich eines gewaltigen Ver - damalige Freundin. Es gab ja diese Frage, etwas spielend behaupten und dass wir die brechens schuldig gemacht hat. Dagegen Menschen dadurch frei machen können. haben wir uns zur Wehr gesetzt. Einige * Mit den Redakteuren Wolfgang Höbel und Anke Dürr SPIEGEL: Herr Peymann, wir danken Ihnen von uns sind Theaterdirektoren geworden, in Peymanns Villa in Berlin-Köpenick. für dieses Gespräch.

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