Heinrich Nordhoff: Ein Deutscher Manager in Der Automobilindustrie
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Heidrun Edelmann Heinrich Nordhoff: Ein deutscher Manager in der Automobilindustrie Als Heinrich Nordhoff Anfang 1948 die Leitung des Volkswagenwerkes übernahm, rief er dessen Belegschaft auf, aus der größten deutschen Automobilfabrik „einen ausschlaggebenden Faktor der deutschen Friedenswirtschaft" zu machen. Er selbst sei bereit, dafür alles einzubringen, was er an Erfahrung, Wissen und Können besitze.1 Nordhoff hatte eine recht genaue Vorstellung von den anstehenden Aufgaben. Im Laufe der nächsten Monate gelang es, Produktion und Absatz kontinuierlich zu steigern sowie die für die Fertigung eines „Volkswagens" aufzuwendende Stun- denzahl drastisch zu senken. „Wenn wir diese Linie weiterverfolgen", spornte Nordhoff die Belegschaft wenige Tage nach der Währungsreform an, „werden wir einer der wenigen Betriebe in Deutschland sein, der mit Ruhe und Zuversicht in die Zukunft sehen kann."2 Woher nahm Nordhoff Optimismus und Programm zu einem Zeitpunkt, als sich die wirtschaftliche und politische Entwicklung kaum überblicken ließ? Zur Beantwortung dieser Frage wird seine Sozialisation als Inge- nieur und Manager ausgelotet, seine Biographie in die Jahrzehnte vor 1948 zurück- verfolgt. Im folgenden sollen daher die Jahre der Ausbildung Nordhoffs zum Ingenieur und Kaufmann (1.), seine Erfahrungen mit der nationalsozialistischen „Motorisierung" (2.), seine Leistungen als „Betriebsführer" im Brandenburger Opel-Werk (3.) und seine „Entnazifizierung" (4.) behandelt sowie abschließend sein Wirken als Generaldirektor im Volkswagenwerk geschildert (5.) werden. 1. Ausbildung zum Ingenieur und Kaufmann 1899 als Sohn eines Bankbeamten und späteren Generaldirektors der Berlinischen Feuer-Versicherungsanstalt in der Bischofsstadt Hildesheim geboren, wuchs Hein- rich Nordhoff hier und in Berlin auf.3 Er besuchte zunächst eine katholische ' Dieser Beitrag stellt erste Ergebnisse der biographischen Studie „Heinrich Nordhoff (1899-1968). Ein deutscher Manager im amerikanischen Jahrhundert" vor. 1 Nordhoffs erste Ansprache an die Belegschaft am 5.1.1948 über Werkfunk, in: Heinrich Nord- hoff, Reden und Aufsätze. Zeugnisse einer Ära, Düsseldorf 1992, S. 46. 2 Werkfunk-Ansprache an die Belegschaft am 25.6.1948, in: ebd., S. 54 f. 3 Zu wichtigen Lebensdaten Nordhoffs Volkmar Köhler, Heinrich Nordhoff (Niedersächsische Lebensbilder 9), Hildesheim 1976. 20 Heidrun Edelmann Volksschule, dann ein humanistisches Gymnasium. Nach dem Abitur wurde er 1917 Soldat und zog sich an der Westfront eine Kriegsverletzung zu. 1920 begann Nordhoff an der Technischen Hochschule Charlottenburg ein Studium des Schiffs- und allgemeinen Maschinenbaus. Damals erholte sich die deutsche Wirtschaft nur schwer von den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges. Als ein Indiz für das niedrige Wohlstandsniveau im Deut- schen Reich galt die Tatsache, daß es hier sehr viel weniger Personenkraftwagen gab als etwa in Frankreich oder Großbritannien.4 Menschen aus allen Bevölkerungs- schichten orientierten ihre Vorstellungen, wie dieser Rückstand zu überwinden sei, am ökonomischen System der USA. Der allgemeine Wohlstand dieses Landes ließ es als Modell für die wirtschaftliche Gesundung der Weimarer Republik geeignet erscheinen. Fasziniert nahm man in Deutschland zur Kenntnis, daß die amerikani- sche Automobilindustrie entscheidend dazu beitrug, wirtschaftliche Prosperität herbeizuführen und zu erhalten. Von keiner anderen Branche gingen augenschein- lich so viele belebende Effekte auf vor- und nachgelagerte Wirtschaftsbereiche aus. Professor Georg Schlesinger, bei dem Nordhoff in Berlin Vorlesungen hörte, be- richtete nach einer Studienreise in die USA von den Vorteilen der „economy of large scale".5 Eine solche Großserienfertigung erlaubte kontinuierliche Preissenkungen, so daß schließlich sogar diejenigen sich Autos anschaffen konnten, die sie in den Fabriken montierten. Die „Amerika"-Begeisterung im Deutschland der zwanziger Jahre wurde ange- führt von jungen Ingenieuren wie Heinrich Nordhoff. Mit dem Vertrauen in eine technische und organisatorische Rationalisierung, welche die Produktion steigern und verbilligen sollte, verknüpften sie die Hoffnung auf eine Verbesserung der sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten. In Bewunderung für Henry Ford glaubten viele von ihnen an die Chance, ihre technischen Fähigkeiten in den Dienst einer Entwicklung stellen zu können, die mehr Wohlstand für alle bringen würde.6 Der junge Diplom-Ingenieur Heinrich Nordhoff, der sein Studium mit einer Arbeit über den Kranbau abgeschlossen hatte, erhielt seine erste Anstellung bei den Bayerischen Motorenwerken. Hier arbeitete er als Konstrukteur im Flugmotoren- bau, dem Hauptbetätigungsfeld des Unternehmens. Während die Entwicklung von Automobilmotoren in Deutschland stagnierte, wurden in der Konstruktion von Flugmotoren während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren danach beachtliche Fortschritte erzielt.7 Heinrich Nordhoff konnte somit seine ersten Berufserfahrun- gen als Ingenieur in einem Bereich sammeln, in dem Deutschland Weltniveau gehalten hatte. 41925 kam ein Personenkraftwagen in Großbritannien auf 75, in Frankreich auf 84, im Deutschen Reich aber erst auf 369 Einwohner. Jaroslav Purs, The Internal Combustion Machine and the Revolution in Transport: The Case of Czechoslowakia, in: History and Society, Sonderband 1985, S. 499-579, hier S. 559. 5 Georg Schlesinger, Der Daseinskampf der deutschen Automobilindustrie, Berlin 1925, S. 12 ff. 6 Peter Berg, Deutschland und Amerika 1918 bis 1929. Über das deutsche Amerikabild der zwanziger Jahre, Lübeck/Hamburg 1963. 7 Friedrich Klemm, Die Hauptprobleme der Entwicklung der deutschen Automobilindustrie in der Nachkriegszeit und der Wettbewerb dieser Industrie mit dem Ausland, insbesondere den Vereinigten Staaten, Marburg 1929, S. 18. Heinrich Nordhoff: Ein deutscher Manager in der Automobilindustrie 21 1928 entschloß sich Nordhoff, in die USA zu gehen. Seine Bemühungen um eine Anstellung bei Nash Motors schlugen jedoch fehl.8 Er wählte daher die „zweitbeste" Lösung und bewarb sich 1930 erfolgreich um eine Beschäftigung bei Opel in Rüsselsheim. Die Firma stellte Ende der zwanzigerJahre bereits über vierzig Prozent aller deutschen Autos her und fungierte als Schrittmacher bei der Verbilligung von Personenkraftwagen. Der Opel „Laubfrosch" von 1924, ein Auto ohne technische Raffinessen, dessen Preis schon bald von 4 500 auf 4 000 Mark sank, entsprach der Nachfrage auf dem deutschen Automobilmarkt erstaunlich gut.9 Kurz bevor Heinrich Nordhoff bei Opel anfing, war das Familienunternehmen in eine AG umgewandelt und von der General Motors Corporation, dem bedeu- tendsten Automobilhersteller der USA, gekauft worden. Heinrich Nordhoff über- nahm in dieser „amerikanischen" unter den deutschen Automobilfabriken, deren Geschäftspolitik fortan in Detroit und New York bestimmt wurde10, die Leitung der Technischen Abteilung des Kundendienstes. Rückblickend beurteilte Nordhoff es als besonders vorteilhaft, während einer Phase bei Opel eingetreten zu sein, als die Umstellung der Firma nach amerikanischem Vorbild noch in vollem Gange war. So habe er besser lernen können, worauf es im „Service" ankomme, als wenn er zu einer bereits modernisierten und effektiv arbeitenden Abteilung gestoßen wäre. Weil, wie Nordhoff nach dem Krieg berichtete, es im Kundendienst „zu viele Nazis" gab, mit denen er häufig aneinandergeraten sei, wechselte er 1933 als technischer Berater des Abteilungsleiters in den Verkauf über. So arbeitete sich der gelernte Diplomingenieur nach und nach in kaufmännische Aufgaben ein.11 Mehrfach erhielt Nordhoff Gelegenheit, amerikanische Absatz- und Produkti- onsmethoden vor Ort, im Mutterunternehmen des General Motors Konzerns in den USA, zu studieren.12 Er lernte, daß in der Autoindustrie technische Spitzenprodukte noch lange keinen wirtschaftlichen Erfolg garantierten. Dieser stellte sich vielmehr erst ein, wenn es gelang, rationelle Fertigungsmethoden rentabel anzuwenden, sich also die in Massen gefertigten Autos auch verkaufen ließen, weil ihr Preis und ihre Ausstattung sich mit der Kaufkraft und den Ansprüchen großer Teile der Bevölke- rung im Einklang befanden. Zudem verstanden es die Automobilhersteller der USA, ihre Kunden durch einen zuverlässigen „Service" zu gewinnen und an die einmal gewählte Marke zu binden. Als „amerikanisch" muß nicht zuletzt das Arbeitsethos bezeichnet werden, das Nordhoff in seiner Zeit bei General Motors und Opel kennenlernte und fortan für sich beanspruchte. Er empfand, wie er rückschauend berichtete, seine Arbeit nicht einfach als Pflichterfüllung, vielmehr als sportliche Herausforderung, bei der er zeigen konnte, was in ihm steckte.13 8 Everett Martin, Interview mit Heinrich Nordhoff, Unternehmensarchiv der Volkswagen AG, Wolfsburg (AVW), Niederschriften zur Frühgeschichte 7. 9 Heidrun Edelmann, Vom Luxusgut zum Gebrauchsgegenstand. Die Geschichte der Verbreitung von Personenkraftwagen in Deutschland (Schriftenreihe des Verbandes der Automobilindustrie e.V. [VDA] Nr. 60), Frankfurt 1989, S. 171 f. lONordhoff an Richter vom 9.3.1943 (Abschrift), Bundesarchiv Koblenz (BAK) R 87/6338. n Everett Martin, Interview mit H. Nordhoff, AVW Niederschriften zur Frühgeschichte 7. 12 Ebd. i3Dies äußerte Nordhoff in einem Interview in TIME vom 15.2.1954. 21 Heidrun Edelmann Einer einfachen Übertragung amerikanischer „Erfolgsrezepte" auf den deutschen Automobilbau stand jedoch manches Hindernis entgegen. Als Nordhoff zu den Opel-Werken stieß, wirkte sich die Weltwirtschaftskrise bereits lähmend auf den Absatz von Personenkraftwagen