‡‡PORTRÄT Carl H. Hahn Der Mann, der zum Weltkon­ z­ ern machte inmal in seinem Leben war er wirk- Wie Carl H. Hahn die lich leichtsinnig: vor exakt zehn Jahren, als er an seinem 80. Ge- burtstag laut überlegte, dereinst Unternehmensgeschichte Emit 90 in den Ruhestand zu gehen. „Das“, sagt Carl H. Hahn heute, „war eine Fehl- prognose. Ich hab das erst mal verscho- geprägt hat und warum ben und bin auch nicht unglücklich ­darüber, dass ich falsch lag.“ er mit 90 noch jeden Tag , 2016. Vor 90 Jahren, am 1. Juli 1926, wurde Carl H. Hahn in Chem- nitz geboren, von 1982 bis 1992 war er in ins Büro fährt Wolfsburg VW-Vorstandsvorsitzender. In hatte er auf Tuchfühlung zu DKW und zur gelebt, die sein gleichnamiger Vater lange Zeit mit­ lenkte. Er selbst griff dann als Chef bei VW ins Lenkrad. Im Jahre 1982 wagte er frisch berufen den damals unerhörten Sprung mit VW ins kommunistische China, 1986 und 1991 folgte der Kauf von Seat und Skoda. Damit wurde Hahn nach Generaldirektor , der Volkswagen in den 1950er-Jahren inter- nationalisiert hatte, zum Begründer des Weltkonzerns VW AG. Hinzu kommt, dass Hahn VW, diesen zunächst von der Konkurrenz belächelten Käfer-Muckler am Mittellandkanal, bereits zwischen 1959 und 1964 als Chef von Volkswagen of America bestens positioniert hatte. Hier in Wolfsburg residiert Hahn noch immer. 24 Jahre nach seinem Dienstende­ als VW-Vorstandsvorsitzender fährt er täglich von seinem Wohnsitz, dem Rothe­ hof, in sein Büro im Gebäude des 1992 von ihm initiierten Kunstmuseums Wolfsburg. Es ist ein autarker Bereich, in dem drei Sekretärinnen und ein persön- licher Referent dem Mann den Rücken freihalten, dessen korrekte Anrede mitt- lerweile Senator Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Carl H. Hahn lautet. Termine auf der ganzen Welt gehören nach wie vor zu

seinem Alltag. ¤ FOTO: GÜNTER POLEY

72 www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 Der Mann, der Volkswagen zum Weltkon­ z­ ern machte Auto- Biografie

EXPORTWELTMEISTER „Der Wagen war so anders, so klassenlos“, sagt Hahn über den VW Käfer, für den er den Weg auf den damals weltgrößten Auto- markt USA ebnete

www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 73 ‡‡PORTRÄT Carl H. Hahn

Kein Wunder: Hahn ist der- ihn als nicht nur mit Fortune VATER UND SOHN jenige, der aus der deutschen gesegnet, und dass er Volks­ Zuständig Firma Volkswagen einen Welt- wagen ab und zu gern ohne für Marketing und konzern gemacht hat, indem er ­Gewerkschaft geführt hätte, ist Vertrieb, machte Carl H. Hahn senior sie zuerst in Amerika erfolgreich kein Geheimnis. (o.) DKW und die machte und dann nach China Trotzdem: Ohne Hahn hät- Auto Union erfolg- brachte, heute die beiden größ- te es keinen VW-Weltkonzern reich – Hahn junior ten Automärkte der Welt. Und gegeben, für den das seit Jahr- trat in seine er war einer der Väter des Mehr- zehnten expandierende China- Fußstapfen markenkonglomerats, das Volks- Geschäft gutes Geld verdient. wagen heute ist. So schuf er die Womit wir bei Hahns aktuellen Basis dafür, dass der Konzern gut Themen wären: dem Vor- 20 Jahre nach seinem Rückzug sprung Chinas zum Beispiel. beinahe zum größten aller Au- „Mein Handy ist noch in den toproduzenten geworden wäre. USA entwickelt und in Shen­ Dabei klingen die Hahn- zhen gefertigt. Ich fürchte, das Jahre selbst noch immer nach nächste wird komplett aus Chi- guter alter Bundesrepublik, na kommen, aber das scheint nach Golf II und III, Grenz- und uns Europäer nicht zu stören. Marktöffnung, nach dem Her- Genauso wie die Tatsache, dass zensprojekt Volkswagen Sach- chinesische Kinder gegenüber sen und dem Kauf von Seat und Gleichaltrigen aus Deutschland Skoda. Natürlich war früher in Mathematik einen Vor- nicht alles besser: 1986/87 sprung von zweieinhalb Jahren kämpfte Hahn mit einem haben.“ ­Devisenskandal, sein Hahns Idee: Frühförderung ­Finanzchef musste ge- für Europas Kleinste, „damit hen. Das Buch „Nie- wir unsere Kinder für die Welt ten in Nadelstrei- von morgen erziehen – und fen“ wähnte auch nicht für die von gestern. Ich bin ein großer Verfechter der Elite, auch wenn ich damit ein Rufer in der Wüste bleibe.“ Dass Europa oft nicht mehr am Ball bleibe, wurmt ihn, den „Im Alter von 14 Jahren Internationalisierer. Sehr. Deshalb hat Hahn in Wolfs- ging ich nicht in die burg eine spezielle Kindergar- Sommerferien, sondern tengruppe initiiert: Die „Early Birds“, wo Dreijährige „zehn- arbeitete in der “ mal schneller als Erwachsene DKW-Fabrik. Das prägt. alles aufsaugen“. Englisch und

WELTGEWANDT 1982 wird Hahn VW-Chef. Er geht auf Tuchfühlung mit allen, die für den Konzern wichtig sind: mit den Arbeitern in Wolfsburg ebenso wie 1988 mit Erich Honecker (Mitte: CDU-Politiker und VW-Aufsichtsrat Walther Leisler Kiep)

FORMVOLLENDET In den 1950er-Jahren studiert Carl H. Hahn in mehreren europäischen Ländern. Die Familie fährt einen aus Ersatzteilen montierten DKW

74 www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 Chinesisch zum Beispiel, denn künstlichem Kniegelenk, läuft die Kindergärtnerinnen sind er Ski-Halbmarathon. Muttersprachler. „Aufgrund Noch Fragen? Ja: Was treibt ihrer Neugier sprechen, schrei­ ihn an? „Wenn man seine Zeit ben und singen diese Kinder nicht in Wartezimmern ver- auf Chinesisch“, sagt Hahn, der bringen­ muss, dann ist das ein zudem unter dem Dach seiner großer Segen. Zumal einen die „Carl und Marisa Hahn-Stif- Arbeit mit der Welt verbindet, tung“ die „ Internatio- die jeden Tag spannender wird, nal School “ gegrün- interessanter, schöner, gefähr- det hat. Im Fokus dieser freien licher.“ Nie Lust, mal auf dem Schule steht der internatio­nale Sofa zu relaxen? Schreckgewei- Bildungsanspruch, ausgerich- tete Augen: „Da hätte ich ja tet auf die Bedürfnisse von Ge- Angst, ich stünde nicht mehr sellschaft und Unternehmen. auf!“ „Mit dem Konzept habe ich Nach dem Abitur war Hahn Ministerpräsidenten nach­hal­ zunächst als Luftwaffenhel- tig beeindruckt“ fer und Panzerfahrer im – doch es ge- Kriegseinsatz. „Ich las schah nichts. Remarques­ offiziell Wie Groß- industrie und AN DIE ARBEIT Hahn fährt täglich ins Büro. Dafür nimmt er stets die neuesten VW- und -Spitzenmodelle Unternehmer- tum funktionie- ren können, hatte ‚wehrkraftzersetzen- Carl H. Hahn be- des‘ Buch ‚Im Westen reits in den 1930er- nichts Neues‘, was mich Jahren hautnah erfah- sehr aufwühlte. Am Abend ren. „Im Alter von 14 Jahren meines 18. Geburtstags, ich ging ich nicht in die Sommer- werde das nie vergessen, hatte ferien, sondern arbeitete in der ich ein langes Gespräch mit DKW-Fabrik, die mein Vater meiner Mutter, einer sensiblen leitete. Das prägt fürs ganze und musischen Frau. Danach ­Leben.“ Im offenen DKW fuhr war ich überzeugt, dass der er mit seinem Vater los, die Krieg verloren sei und die Stun- ­berühmte Fliegerin Elly Bein- de der Rache auf uns wartete.“ horn vom Flugfeld abholen, Als seine Einheit unmittelbar „ein unvergessliches Erlebnis“. vor Kriegsende kapitulierte, Segelfliegen wird später zu setz ­te Hahn sich mit einigen ­einem seiner Hobbys, neben Kameraden von der Truppe ab. seinem Katamaran und Motor- Gerhard Müller, damaliger Ge- rädern. Und noch heute, mit neralsekretär der Auto Union, ¤

ERFOLGE Links: Gemeinsam mit VW- Generaldirektor Heinrich Nordhoff (M.) und Pressechef Frank Novotny eröffnet Hahn 1962 das neue VW-

FOTOS: HERSTELLER (7), GÜNTER POLEY (3) Headquarter in New Jersey. Oben: mit IN THE USA 1959 wird Hahn Chef von VW of America. Der jüdischstämmige IG-Metall-Chef Walter Hiller (l.) in Werber Bill Bernbach (l., r. Partner Ned Doyle) bewirbt den Käfer in den USA. Wolfsburg anlässlich des 50-millions- Bills trockene Analyse: „How to sell a Nazi car in a Jewish country.“ ten Volkswagen, 1987

www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 75 ‡‡PORTRÄT Carl H. Hahn versorgte sie schließlich am Nimbus als „Nummer 8. Mai 1945 mit Zivilklei- „Im Sommer 1954 zwei des Volkswagen- dung. Hahns Vater, der von werks“ zu nahe kam) den Amerikanern vor dem wurde ich Assistent von und Unzufriedenheit Zugriff der Sowjetarmee Nordhoff. Wir hatten über mangelnde Her- bewahrt worden war, hatte ausforderungen blieb ihm vor seiner Flucht aus gar nicht über meinen“ Hahn bei VW. Die Ge- Chemnitz heimlich noch Lohn gesprochen! duld wurde belohnt, „Fremdarbeiter-Ausweise“ denn zum Januar 1958 er- auf Auto-Union-Briefpapier menslenker Vittorio Valletta nannte ihn Nordhoff zum Chef verschafft. „Das klappte, weil kennenlernte. Schließlich, nach von Volkswagen of America. ‚Auto Union‘ für Amerikaner Promotion und Dissertation Hahn: „Die Unit erschien so ‚Automobil-Gewerkschaft‘ be- über den Schuman-Plan, also unbedeutend, viele hätten sie deutete – was wir erst später die vom damaligen französi- am liebsten abgewickelt!“ erfuhren“, erzählt Hahn. schen Außenminister Robert Nordhoff aber rief: „Jetzt kön- Nach kurzer Gefangenschaft Schuman propagierte Zusam- nen Sie uns zeigen, was eine in einem US-Lager in Ingolstadt, menlegung der deutschen und Harke ist!“ „Die USA waren für „exakt dort, wo heute­ die Fabri­ französischen Kohle- und Stahl- mich Intensität und Exotik, die ken von Audi stehen“, ging es produktion, folgte eine Anstel- man Ende der 50er-Jahre nicht weiter:­ „Mein Vater strebte an, lung bei der OEEC (Organisa- kannte“, sagt Hahn: „Eine un­ die Auto Un­ ion wieder aufzu- tion for European Economic ge­heure Dynamik in einem bauen, ich ­jedoch wollte nicht Co-operation). großen Markt, den wir in Euro­ als Papas Sohn dort arbeiten, Hahn zog weiter. „Mich hatte pa erst Jahrzehnte später errei- sondern hinaus in die Welt!“ Al- schon immer die Autoindustrie chen sollten. Avocados, mehr- lerdings halfen Ansehen und in den Bann gezogen“, sagt er, spurige Straßen, diese ung­­ e- Netzwerk des S­ eniors, den Ju- „ihre eigene Dynamik ­reizte ­heure Flug- und Telefoninten- nior bei den richtigen Leuten mich ebenso wie meinen Vater.“ sität! Aber nie hat mich jemand einzuführen. Im Sommer 1954 wurde er As- aus Wolfsburg angerufen, au- Hahn jr. studierte ab 1950 sistent von VW-Chef Heinrich ßer Nordhoff, zwei-, dreimal. Volks- und Betriebswirtschafts­ Nordhoff in Wolfsburg, per Denn drei Minuten kosteten lehre in Zürich, Bristol, Paris Handschlag. „Erst auf der damals so viel wie heute ein und Perugia, oft am Rand des Rückfahrt fiel mir ein: Wir hat- Flugticket!“ Existenzminimums, wie er in ten gar nicht über die Höhe Hahn, der schalten und wal- seiner Biografie „Meine Jah- meines Gehalts gesprochen!“, ten konnte, wie er es für richtig re mit Volkswagen“ sagt Hahn lachend. Nord- hielt, vergrößerte den Stab von schreibt. 1952/53 hoff hatte jemanden ge- zehn auf 350 Mitarbeiter, be- schob er eine Volon­ funden, der europäisiert zog ein neues Hauptquartier tärsausbildung bei war und Auto im Blut hatte. direkt am Hudson River in New Fiat in Turin ein, wo Trotz Widerständen Jersey und erlebte mit der von er den von ihm be- (Nordhoffs Sekretärin ihm beauftragten Käfer-Kam- wunderten Un- wachte darüber, dass pagne von William „Bill“ Bern- terneh- ­niemand ihrem bachs Agentur DDB einen sa-

BORN TO BE WILD BESTE FREUNDE „Alles, was sich bewegt, 1964 streifen Hahn übte zeitlebens und - eine Faszination auf Rennleiter Huschke mich aus“: Carl H. von Hanstein (l.) Hahn, hier 1988 auf durch die USA, einem einer DKW-Lade- neuen Phänomen pumpen-Zweitakt- auf der Spur: der Renn- Rennmaschine, serie Formel V, fährt leidenschaftlich deren Wagen aus Käfer- gern Auto, Ski, Technik bestehen. reitet, rodelt, fliegt Hahn und von Hanstein Segelflugzeug – holen die Renn- und läuft bis heute serie nach ­Europa Ski-Halbmarathon

76 www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 genhaften Erfolg. Sie zeigte den Käfer als Ei oder als kleines Auto in der Ecke einer ansons- ten fast leeren Zeitungsseite. Der Erfolg in den USA war umso erstaunlicher, als es sich beim Käfer um ein „Nazi car“ (Bill Bernbach) und für US-Ver- hältnisse hoffnungslos unter- motorisiertes Stück Technik handelte. „Aber der Wagen war so an- ders, so klassenlos und nicht jedes Jahr so schwachsinnig neu designt wie die US-Chrom- monster“, erklärt Hahn, der vor allem mit der Schaffung des US-Händlernetzes mit echtem Service einen mindestens ebenso wichtigen Grund für den Erfolg des Käfer in den USA lieferte. „Hätte eine jüdische Orga- nisation an jeden Käfer ein Ha- kenkreuz geschmiert, wären wir weg vom Fenster gewesen. Doch selbst Detroit und die Presse haben uns in Ruhe ge- lassen. Die Vorgeschichte des Käfer wurde tatsächlich kom- pensiert durch seine Einzig­ RENNSEMMELN artigkeit in Form und Technik: für Fortgeschrittene: Wir waren das Lieblingskind, Bis zu 150 PS hatten die der Freund, der zufällig in der Monoposti der Garage wohnt. Weil der Käfer populären Rennserie das darstellte, was die Ameri- Formel V, die Carl Hahn in den USA ent­ kaner vermissten.“ deckte. Sie wurde Nordhoff holte Hahn 1964 zur Talentschmiede zurück nach Wolfsburg und für spätere Formel-1- machte ihn zum Vertriebsvor- Asse wie Niki Lauda, stand. Hahn kam aber nicht Keke Rosberg allein: Mit dabei waren ¤ und Jochen Rindt

STERNSTUNDEN 1990: Gründung des zweiten Joint Ventures von VW und First Automobile Works in China mit Hahn und Zhaojie Geng. Rechts: Gründung der VW- IFA-Pkw GmbH am 22. 12. 1989 FOTOS: HERSTELLER (5), GÜNTER POLEY ROYALE MOMENTE Zum ebenfalls autobegeister- ten König Juan Carlos von Spanien pflegt Carl H. Hahn ein besonders freundschaftliches Verhält- nis. Käfer-Cabrio-Fahrerin Königin Sofia „begrüßte meinen Fahrer stets mit Handschlag“

www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 77 ‡‡PORTRÄT Carl H. Hahn

mittlerweile seine Frau Marisa, die er in New Orleans kennenge­ lernt hatte, sowie drei gemein- same Kinder, deren Zahl sich in Wolfsburg auf vier erhöhte. Die erfolgreiche Werbekampa­ gne von Bernbach brachte Hahn ebenfalls mit: Sie läuft und läuft und läuft im Deutschland der Sechziger und frühen Siebziger wie einst in Amerika. Dennoch übt er Kritik. „VW, das war schon langweiliges Design. Der VW Typ 3 war mau, der 411 nicht besser, wir lebten noch in einer gefährlichen Epo- EHRUNGEN UND ERINNERUNGEN che der Improvisation. Und des Die Liste der Ehrungen und Würdi- Erfahrungen-Sammelns.“ gungen für Senator Prof. Dr. Dr. Letzteres war ein Verdienst h. c. mult. Carl Horst Hahn füllt Wände des Nordhoff-Nachfolgers Kurt und Regale im weit verzweigten Lotz, „welches ihm an irgend- Areal des „Büro Dr. Hahn“ in Wolfs- einer Stelle in Wolfsburg mal burg. Bis heute ist Hahn in vielen gedankt werden könnte. Ich Funktionen aktiv. „Die Qualität einer vermisse das immer noch, denn Demokratie hängt auch zusammen mit dem Niveau der Qualifikation Lotz verdanken wir den Weg der Bevölkerung“, sagt er zum Golf. Unglaublich, dass eine Stadt wie Wolfsburg das noch nicht geschafft hat!“ Als 1969/70 jedoch der Kä- fer-Absatz stockte (Hahn: „Wir überlebten nur durch Marke- ting und Export!“), VW in die Miesen geriet und nicht schnell genug neue Modelle an den Start kamen, folgte auf Lotz im Oktober 1971 als neuer VW-Chef. Zu ihm fand Hahn nie eine so gute Verbindung wie zu Nordhoff. Da passten zwei ­starke Manager nicht immer zueinander, vor allem hatten

DIE FIRMA Der komplette VW-Vorstand des Jahres 1991: Daniel Goeudevert, Werner P. Schmidt, Martin Posth, Ulrich Seiffert, Carl H. Hahn, Peter Frerk, Günter Hartwich, Dieter Ullsperger (v. l.).

Hahn fährt auf Klassik-Rallyes vorzugsweise VW- FOTOS: HERSTELLER (4), GÜNTER POLEY (3)

78 www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 sie unterschiedliche Mei- „Dann brachten wir schen König J­uan Carlos pro Auto, 800 Millionen Fahr- nungen zur Unterneh- den Sechszylinder. den Audi quattro und er­ rädern, das war der Punkt.“ mensentwicklung. Wenn man führt, lässt innere höchst fahraktive­ Auch bei den späteren Ak- Hahn erzählt die wich- “ und vergnügliche Fahrten quisitionen von Skoda und Seat tige Episode aus seinem man nicht nach. über die Wege des Schloss­- dürfte Carl H. Hahn sein kos- Leben als in sich gesch­ los­ parks.“ mopolitisches Wesen dienlich sene Geschichte: „Ich war Gleichzeitig hatte Hahn gewesen sein, zudem besitzt er der Meinung, dass Audi Hahn über den Koloss VW, der mit Volkswagen den Sprung durch die familiäre Herkunft eine selbstständige Marke sein nach Expertenmeinungen von über Kultur- und Systemgren- enge Verbundenheit zu Tsche- sollte, ohne mich hätte es sie einem Techniker geleitet wer- zen hinweg gewagt: 1982 ent- chien und auch zur Slowakei. schon 1966 nicht mehr gege- den müsse. Mit Ernst Fiala hat- standen die ersten in China mon­ „Ich kann mich auf Men- ben. Doch ich war der Einzige, te Hahn jedoch einen umtrie- tierten VW Santana im Rahmen schen und Befindlichkeiten der diese Meinung vertrat, das bigen Forschungsvorstand, eines Joint Ventures. Deutscher einstellen“, sagt Hahn. „Daher gab natürlich Abnutzungser- auch mit Ulrich Seiffert, und Autohersteller gründet mit habe ich auch in China ver- scheinungen. Da ich gleichzei- gern fachsimpelte er zudem Kommunistischer Partei ein sucht zu leben wie ein Chinese. tig gegen Großhändler und Im- mit Pressechef Anton Konrad, gemeinsames Unternehmen! Ich habe nie den Anschluss an porteure war, hatte ich eine ‚un- ebenfalls einem Mann mit Konnte das gut gehen? dieses faszinierende Land ver- abhängige Macht‘, sodass mir Benzin im Blut. „Diese Überzeugung hatte loren. Und allein deshalb, weil kein Mensch eine Träne nach- Hahns Lieblingskind neben 4000 Jahre alte Grundlagen. China und die USA die Staaten weinte. Ich wurde aber aus den dem Käfer: der Golf. Hahns Lieb- Wir trafen auf die mächtigste, sind, die den dauerhaften Gründen, aus denen ich rausflog, ling unter den Gölfen: der GTI. kreativste Nation, die über Weltfrieden garantieren könn- zehn Jahre später zurückge- Gern auch als 16V oder mit 3700 Jahre weltdominierend ten, interessieren sie mich bis holt. “ Eine Genugtuung? – „Na, G-Lader. „Der Golf I GTI ging war, aber nie expansiv-de­ heute ganz intensiv. Da bleibe es schloss sich ein Kreis.“ in Gestalt des Pirelli-GTI mit struktiv“, geht Hahn in der Ge- ich dran, bin up to date, um zu Dass Hahn im Laufe seiner voller Stückzahl vom Band“, ist schichte zurück. „Und wir wuss­ beobachten, wie die Kräfte sich Abwesenheit den Hannove­ Hahn noch heute stolz. Und: ten aus Gesprächen mit chi­ne- verteilen.“ raner Reifenhersteller Conti- „Der G-Lader schien uns immer sischen Ministern, dass deren Hahns Kräfte sind nach wie nental sanierte, stärkte seinen mehr Prestige zu besitzen als Kinder nicht mehr wie sie selbst vor vorhanden. Freuen wir uns Ruf als Macher, bevor er 1982 der Turbo. Dann brachten wir in Leningrad studierten oder also potenziell auf ein neues Nachfolger des erkrankten den Sechszylinder. Wenn man in Moskau. Als ich sah, dass Buch, Erscheinungstermin ­Toni Schmücker wurde, der führt, lässt man nicht nach.“ diese Kinder mit dem Geist einer 2026. Dessen wahrscheinlicher 1975 wiederum Rudolf Leiding Aber auch mit Audi- freien Marktwirtschaft erzogen Titel: „Carl H. Hahn: Meine ers- nachgefolgt war. Fahrzeugen, die wurden, hab ich gedacht: Das ten 100 Jahre“. „Eigentlich hätte ich lie- wieder nach sei- ist ein unumkehrbarer Prozess!“ Knut Simon ber Ingenieur werden sol- nem Willen eigen- Im ersten China-Geschäfts- len, doch wie wäre ich ständig unter jahr verkaufte VW 1700 Autos dann zu meinen Fremd- dem VW-Dach – und hatte damit 40 Prozent sprachen und meiner inter- verkauft wurden, Marktanteil. „Da lachen nationalen Ausbildung ge- hatte er Freude.­ Sie! Aber das zeigt, wo die kommen, die meine „Ich zeig- chinesische Wirtschaft unique selling points te dem angelangt war, nämlich wurden?“, räsoniert spani- bei Tausenden Menschen

FREIHEIT An der Pinne seiner Hobie Cat 14 „Marisa“ vor Sardinien sei der ideale Ort für neue Ideen, findet Carl H. Hahn – „zumindest bis Windstärke vier!“ LIEBE In New Orleans lernt Carl Hahn seine Frau Marisa Lea kennen, die er 1960 heiratete. Das Paar, hier 1988, hat vier Kinder. Marisa Hahn stirbt am 19. Juni 2013 in Wolfsburg

www.autobild-klassik.de | Nr. 8 · August 2016 79