Vorwort des Herausgebers

Der 150. Geburtstag einer wissenschaftlichen Gesellschaft bietet AnlaB, sich mit ihrer Entstehung und ihrer Geschichte zu befassen. Aus den verschiedenartigen und verstreuten Informationen sollte deshalb hier ein Bild zusammengefugt werden, das zeigt, wie die Physikalische Gesellschaft gewachsen ist, was ihre Bedeutung ist und wie sich ihre Aufgaben gewandelt haben. Es zeichnen sich dabei in naturlicher Weise drei Hauptperioden von jeweils etwa funfzig Jahren ab: die Zeit der Physikalischen Gesellschaft zu von 1845 bis zur Umwandlung in die Deutsche Physikali- sche Gesellschaft im Jahre 1899 durch , die Periode der ,,modernen” Physik bis zum Kriegsende 1945 und schliel3lich die Nachkriegszeit, die bis zur Gegenwart fuhrt. Daraus ergab sich folgender Plan: Die ersten hundert Jahre sollten nach Aufarbeitung der Quel- len durch Fachhistoriker dargestellt werden. Diese Aufgabe ubernahmen die Herren W. Schreier und M. Franke fur die ersten funfzig Jahre und A. Hermann fur die Folgeperiode bis 1945. Als Quellen sind zwar Sitzungsbucher der Gesellschaft und Einzeldokumente verfugbar, aber insge- samt ist dieses Archivmaterial sehr luckenhaft, so da13 umfangreiche Recherchen notig waren. Fur die zweite Periode fuhrte Herr M. Ratering eine besondere Quellen- und Bildrecherche durch, die als Grundlage des Artikels von A. Hermann diente. Fur die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein anderes Konzept zugrunde gelegt. Es leben noch viele Zeitzeugen der gesamten Periode oder doch wenigstens eines groBeren Teils davon. Aul3erdem fuhrt uns dieser Zeitraum direkt in die Gegenwart. Deshalb wurde hier nicht versucht, eine zusammenfassende historische Darstellung durch einen Fachmann zu geben. Statt dessen wurden Einzelthemen ausgewahlt, die nach Moglichkeit von am Geschehen direkt Beteiligten ausgearbeitet wurden. Diese Darstellungen enthalten naturlich personliche Sichtweisen. Chronologisch beschrieben wurde nur die unmittelbare Nachkriegsperiode durch W. Walcher. Ein Teil der weiteren Entwicklung spiegelt sich in dem Beitrag von I. Peschel, dem Interviews mit ehe- maligen Prasidenten zugrunde liegen. Die ubrigen Artikel haben wichtige Entwicklungen oder grol3ere Einzelprojekte der DPG zum Gegenstand, namlich das Physikzentrum Bad Honnef (S. Methfessel), die Publikationsorgane (E. Dreisigacker und H. Rechenberg), die W. E.-Heraeus- Stiftung (W. Buckel), die offentlichen Stellungnahmen der DPG (H. Rollnik) und schliel3lich das Magnus-Haus (Th. Mayer-Kuckuk). Eine Sonderstellung nimmt der Artikel uber die Geschichte der Physikalischen Gesellschaft der DDR ein. Der Autor, D. Hoffmann, hat als Wissenschaftshistoriker selbst in der DDR gelebt. Ihm standen unter anderem die Dokumente aus der Geschaftsstelle der Physikalischen Gesellschaft der DDR zur Verfugung. Die Teilung Deutschlands spiegelt sich auch in dem Beitrag von H. Nel- kowski wider, der die Nachkriegsentwicklung in Westberlin noch einmal gesondert behandelt. Der Herausgeber mochte an dieser Stelle den Autoren fur die gute Zusammenarbeit sehr herz- lich danken. Manche Manuskripte muBten in einer fur die Verfasser schmerzlichen Weise gekurzt werden, weil die vielen erarbeiteten Details den Text uberfrachtet hatten. Die Miihe ist jedoch nicht verloren. Die Zeit ist gekommen, ein systematisches Archiv der DPG anzulegen, und was von den vielen jetzt zu Tage gekommenen historischen Fakten nicht in der Festschrift erscheinen kann, wird im Archiv Eingang finden. Dank gebuhrt auch der Siemens AG, die durch finanzielle Unterstutzung zwei fur die Festschrift wichtige wissenschaftshistorische Kolloquien ermoglicht hat, und vor allem Herrn Dr. E. Dreisigacker, der die Beitrage mit grol3er Miihe und Sorgfalt redaktionell bearbeitet hat. Herausgeber und Autoren teilen die Hoffnung, dal3 mit der hier vorgelegten Festschrift ein lebendiges Bild der Geschichte unserer Gesellschaft und auch ihrer gegenwartigen Aufgaben ent- standen ist.

Th. Mayer-Kuckuk Berlin im Dezember 1994

F-5 Geleitwort

Zum 150jahrigen Bestehen hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft erstmals Gelegenheit zu einer Festschrift. Das 50jahrige und das 100jahrige Jubilaum standen unter keinem guten Stern. Die Feier zum 50jahrigen Bestehen murjte wegen des Todes von Helmholtz, Kundt und Heinrich Hertz um ein Jahr verschoben werden, und die Hundert-Jahr-Feier fie1 1945 in die letzten Kriegs- monate. Vor hundert Jahren glaubten wir, alles verstanden und im Griff zu haben. Bald darauf kamen Relativitatstheorie, Atomphysik, Quantenmechanik und Kernphysik. Auch vor funfzig Jahren ent- stand wiederum Neues. Es kamen Teilchenphysik, Quantenoptik und Halbleiterphysik. Auch heute konnen wir nicht wissen, welche Spriinge die Zukunft bringen wird, wir sind aber frei von dem Vorurteil, alles verstanden zu haben. Wir werden die Herausforderungen unserer Zeit offen auf- greifen und unsere Kreativitat auch uber Fachgrenzen hinweg sinnvoll einsetzen. Diese Schrift berichtet im Zusammenhang mit der Geschichte unserer Gesellschaft iiber die wichtigsten Abschnitte der Physik in Deutschland. Dabei wird deutlich, darj die Entwicklung unse- rer Wissenschaft in jedem Abschnitt ihrer Geschichte durch die Grenzen und Kontinente ubergrei- fende Wechselwirkung vieler Wissenschaftler vorangetrieben wurde. Obwohl wir unsere Welt immer besser verstehen, verstehen wir es immer weniger, mit ihr umzugehen. Diese Erfahrung hat viele Physiker dazu gebracht, besonders in reiferen Jahren iiber ihr Fach hinauszublicken und auch Losungen existentieller Fragen anzugehen. Dadurch ist die DPG stets mehr als eine reine Vertretung fachwissenschaftlicher Belange gewesen. Sie war und ist mit ihren Organen und Zentren auch der Ort fur Reflexionen iiber die Entwicklung von Wissen- schaft und Gesellschaft. Dafur haben wir heute als willkommenes Erbe unserer Geschichte zwei Treffpunkte - das Bad Honnefer Physikzentrum und das traditionsreiche Magnus-Haus in Berlin. Die Festschrift berichtet iiber diese Einrichtungen ebenso wie uber die W. E. Heraeus-Stiftung, die offentlichen Stellungnahmen der DPG und vieles andere mehr. Zweimal in unserer Geschichte gab es eine Trennung - zuerst eine fachliche in Grundlagen und Anwendung, spater eine politische in Ost und West. Wir haben beide hoffentlich auf Dauer iiber- wunden. Nutzen wir diese gunstigen Voraussetzungen, um die vor uns liegenden Aufgaben zum Vorteil unserer Wissenschaft und unserer Gesellschaft zu meistern.

Ich wunsche Ihnen, verehrte Leserin, verehrter Leser, Vergniigen und Erkenntnis.

H. G. Danielmeyer Prasident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

F-6 Physik - gestern, heute, morgen

GruBwort von Victor F. Weisskopf

Der 150. Geburtstag der Deutschen Physikalischen Gesellschaft tieft und verallgemeinert haben. Seine Erkenntnisse der Gravita- gibt uns Gelegenheit zu betrachten, was in dieser Zeitspanne tion als Kriimmung des Raurn-Zeit-Kontinuurns gehort gewiB zu alles geschehen ist, in der Physik, in der Kultur und leider auch den grorjten Leistungen des rnenschlichen Geistes. Irn ersten in der Politik. Viertel des Jahrhunderts schuf eine Gruppe von jungen begei- In der Physik und in anderen Naturwissenschaften ist unge- sterten Physikern die Quantentheorie, die die Grundlage aller heuer vie1 Positives geleistet worden, so auch in der Kunst und Naturwissenschaften in einer revolutionaren Weise neu erschuf Literatur. Man kann da wohl an das Zitat von Dickens denken: und viele Probleme und Widerspriiche der klassischen Physik ,,Es war die beste und schlimmste aller Zeiten”, wenn man diese mit einern Schlag loste. Fast plotzlich konnte man die Existenz positiven Ergebnisse rnit den politischen Ereignissen vergleicht. und die Eigenschaften der Atorne und Molekiile verstehen und Die zweite Halfte des 19. Jahrhunderts war in jeder Hinsicht die Vorgange in unserer Umwelt irn Prinzip erfassen und eine aurjerst produktive Periode. In der Physik denke man an die erklaren: Diese Erkenntnisse haben das ganze Weltbild der Elektrodynarnik von Maxwell, Hertz und Marconi; die Ent- Naturwissenschaft von Grund auf verandert, befestigt und ver- deckung des Elektrons, die Theorie der Warrne, die Erhaltung tieft und auch zu umwalzenden technischen Anwendungen der Energie, die Entwicklung der Elektrotechnik, die Ent- AnlaB gegeben. deckung der Rontgenstrahlung und so vieles andere; die klassi- Es ist interessant, daB diese Entwicklungen fast alle in sche Physik wurde vollendet. Die Erfolge der anderen Naturwis- Europa vor sich gingen mit einer uberwiegenden Beteiligung senschaften sollen nur angedeutet werden: die Entdeckung von deutschsprachiger Gelehrter. Deutsch war damals die gelaufige neuen Elernenten in der Chernie, Darwins Ideen zur Entwick- Sprache der neuen theoretischen Physik. Arnerikanische Physi- lung der Lebewesen, die Fortschritte der Medizin und noch vie- ker, die zu Hause eine Rolle spielen wollten, karnen nach Euro- les rnehr. pa zum Studieren. Das hat sich aufgrund der tragischen Ereig- In den Kiinsten sah man die Entstehung des Irnpressionis- nisse in Deutschland in den dreiBiger Jahren vollig geandert, die rnus, der eine neue Weise die Welt zu sehen, darstellt, die Ent- einen wesentlichen Teil der aktiven deutschen Physiker zur wicklung des Romans in der Literatur und den ungeheuren Auswanderung zwangen. Die Vereinigten Staaten wurden neben Reichturn, den die Musik der Menschheit darnals brachte. England die fiihrende Nation in der neuen Physik, aber nicht nur Natiirlich gab es lokale Kriege und politische Urnwalzungen, infolge der Einwanderung deutscher Wissenschaftler jiidischer die industriellen Aktivitaten haben sich gewaltig erweitert. Es Abstarnrnung, sondern auch einer aktiven arnerikanischen Neu- war trotz der Konflikte eine Zeit des Optirnismus, in der man an belebung der Grundlagenwissenschaft durch Leute wie Rabi, den Fortschritt glaubte und dachte, darj Wissenschaft, Technik Millikan, Condon, Oppenheirner, van Vleck und andere. Das und aufgeklarte Politik das Los der Menschheit verbessern wer- Zentrurn zog nach Westen, Englisch wurde die Sprache der den. Naturwissenschaften. In den dreil3iger Jahren karn die Kemphy- Das 20. Jahrhundert hat diesem Denken ein allzu radikales sik auf, nach der Entdeckung des Neutrons durch Chadwick in Ende bereitet. Polititsch gesehen, war es wohl eines der England. Es war eine Neuanwendung der Quantenrnechanik auf schlirnmsten Jahrhunderte der Weltgeschichte, mit zwei rnorde- Systerne hoherer Energie und starkerer Krafte, die zu vielen rischen Weltkriegen und grausarnen Diktaturen in Deutschland, Anwendungen fiihrte, beispielsweise zur kunstlichen Radioakti- Italien, RuBland, Spanien, China und Japan. Fur die Wissen- vitat und leider auch zur Atornbombe, deren Folgen selbst heute schaft aber, speziell fur die Physik, war es ein unglaublich noch unabsehbar sind. fruchtbares Jahrhundert. Am Anfang schuf Einstein seine beiden Dann karn der Zweite Weltkrieg rnit allen seinen fiirchterli- Relativitatstheorien, die unsere Begriffe von Raum und Zeit ver- chen Ereignissen. Die technischen Anwendungen der rnodemen

Phys. B1. 51 (1995) Nr. 1 0031-9279/95/0101-F-007 $5.00+.25/0 - 0 VCH, D-69451 Weinheim, 1995 F-7 Physik spielten eine betrachtliche Rolle, z. B. durch die Ent- die groljzugige Forderung der reinen Wissenschaft unterband. wicklung des Radar und der Atombombe. Dazu kam noch das wachsende Bewuljtsein der Schadigung der Regierungskreise und das Publikum in Amerika erkannten Umwelt durch menschliche Aktionen. Dies erforderte mehr plotzlich die Nutzlichkeit der modernen Physik. Die reine Wis- angewandte Wissenschaft, um die Ursachen von Umweltver- senschaft wurde reichlich unterstutzt. In den zwei Jahrzehnten schmutzung aufzuklaren und die Folgen zu vermeiden. Alles nach dem Krieg bluhte die das trug dazu bei, den ,,Nut- Wissenschaft in den Verei- Zen” der reinen Grundlagen- nigten Staaten wie noch nie. forschung, speziell der kosmi- Europa und der Rest der Welt schen Physik, in Frage zu litten schwer unter den stellen. Sol1 man uberhaupt Kriegsfolgen. Um so mehr solche teuren, wahrscheinlich bedarf es unserer Bewunde- nutzlosen Bestrebungen wei- rung, dd3 um diese Zeit auch ter so reichlich fordern wie dort grundlegende Forschung friiher? betrieben wurde. Die Situati- Wir laufen hier einer on war ein Spiegelbild der groljen Gefahr entgegen. Der zwanziger Jahre. Europaische Gemeinde der Wissenschaft- und asiatische Wissenschaft- ler und den Physikalischen ler muljten eine Zeit in den Gesellschaften ist es nicht USA verbringen, um zu recht gelungen, das Publi- Hause zur Geltung zu kom- kum, die Politiker und viel- men. Die Situation anderte leicht auch sich selbst von der sich in den sechziger Jahren. Notwendigkeit der reinen Die europaischen und asiati- Grundlagenwissenschaft zu schen Lander begannen, die uberzeugen. Sie ist notwen- Wissenschaft in groBem Stil dig, um den Geist des wissen- zu betreiben, was natiirlich schaftlichen Denkens zu for- mit der gunstigen Wirt- dern, sie ist die Wurzel des schaftslage zu tun hatte. Baumes, der den Wissen- Moderne Forschungszentren schaftsbetrieb darstellt. Wenn wurden gegrundet, auf natio- Victor F. Weisskopf (rechts) zusammen mit Bundesprasident Gustav die Wurzeln ausdorren, geht naler oder regionaler Basis. Heinemann am 29. September 1970 auf der 35. Physikertagung in Han- der Baum zugrunde. Hier ste- Es war die Zeit, in der CERN nover, wn Weisskopf den Festvortrag zum Thema ,,Naturwissenschaft hen wir vor einer wichtigen und Gesellschaft” hielt. Weisskopf, gehoren in Wien und heute emeri- entstand, das dann splter die tierter Professor fur Theoretische Physik am MIT, ist seit 1984 Ehren- Aufgabe. Wir mussen mehr amerikanischen Forschungs- mitglied der DPG. 1956 wurde er rnit der Max-Planck-Medaille ausge- und bessere Argumente fur statten ubertraf. zeichnet, 1989 mit dem Didaktik-Preis. (Fotn: dpa, tJP1) die Grundlagenwissenschaft Vie1 hat sich auch im Cha- finden, wie ihre erzieherische rakter der Wissenschaft ver- Aufgabe, ihre ethische Be- andert. In manchen Gebieten muljte man riesige Anlagen bauen, deutung ak das Streben nach tieferen Erkenntnissen, ihre Ant- die ubergroRe Teams benotigten. Arbeiten rnit Hunderten von idogma-Einstellung, die Bereitschaft zuzugeben, da13 man Mitarbeitern erschienen in den Zeitschriften. ,,Big Science” Unrecht hatte, die geistige Bedeutung einer tieferen Beziehung nannte man das, im Gegensatz zur ,,Small Science”, die in zahl- zur Natur und ihre volkerverbindende Wirkung. reichen anderen Gebieten mit wertvollen Beitragen in kleinen Naturlich sol1 man in diesen Zeiten nicht von der GeselI- Gruppen am Labortisch ausgefuhrt werden konnte. schaft verlangen, die Grundlagenforschung so groljzugig zu for- Es 1st bemerkenswert, dalj sich die hohen Kosten erfordernde dern wie in der Nachkriegszeit. Aber die Unterstiitzung darf ,,Big Science” meistens mit Phanomenen beschaftigt, die eher nicht so stark abfallen, dalj wichtige Zweige verdorren.Leider kosmischen Charakter haben. Die Hochenergiephysik befhljt sieht es so aus, als ob wir einer mehr pragmatischen Zeit entge- sich rnit Prozessen, die in den ersten Minuten nach dem Urknall gensehen. Der fast hundert Jahre andauernde stetige Erkenntnis- stattfanden, und die Kernphysik, die ja auch zum Teil eine ,,Big fortschritt, der durch die Quantenmechanik und die Relativitats- Science” ist, rnit der Energieerzeugung in den Sternen und der theorie ausgelost wurde, droht jetzt zum Stillstand zu kommen. Entstehung der Elemente im Weltraum. Was immer die Zukunft bringt, die Wissenschaft braucht fun- Im Gegensatz dazu beschaftigen sich andere Teile der Physik damentale Forschung, angeregt durch den Drang, mehr uber die rnit terrestrischen Phanomemen. Diese Zweige der Physik sind Natur und iiber uns selbst zu erkennen. Wissenschaft kann sich daher vielfach anwendbar und haben direkten Bezug zu techni- nur entwickeln, wenn sie aus Drang zum reinen Wissen und schen und sozialen Problemen. Die Spaltung unserer Wissen- Erkennen betrieben wird. Sie kann aber nur bestehen, wenn sie schaft in kosmische und terrestrische Physik hat dann auch die intensiv und weise fur die Verbesserung der Lebensbedingun- Bedeutung einer Spaltung in Gebiete rnit voraussagbarer und gen der Menschheit benutzt wird. Die menschliche Existenz solche mit offensichtlicher Anwendbarkeit. beruht auf Wiljbegierde und sozialem Mitgefuhl. Wissen ohne Nun kommen wir zu der letzten Periode, die ungefahr 1970 Mitgefuhl ist unmenschlich, Mitgefuhl ohne Wissen ist wir- anfing. Das war der Beginn der okonomischen Weltkrise, die kungslos.

- F- 8 Gesc hic hte der Phy sikali schen Gesellschaft zu Berlin 1845 - 1900

Wolfgang Schreier und Martin Franke unter Mitarbeit von Annett Fiedler

Mediziner, Astronomen, Mathematiker, Chemiker, Geologen, Vor- und Grundungsgeschichte Militars, Techniker, Mechaniker, Unternehmer und ,,Priva- der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin tiers” als Mitglieder einer physikalischen Gesellschaft? Die 1845 als lokaler Verein gegrundete Physikalische Gesellschaft zu Ber- lin, Vorlauferin der DPG, war fur jeden offen. Die anstehende Die heutige Deutsche Physikalische Gesellschaft hat nit ihren naturwissenschaftliche Fundierung der Medizin, vertreten Tagungen, Fachverbanden und Gremien einen Aufbau, der durch zwei Physiologen als Griindungsvater, war sogar ein durch das jetzige Entwicklungsniveau der Physik bestimmt wird GriindungsanlaB. Die 53 Mitglieder des Griindungsjahres stell- und in der Gesellschaft unserer Tage seine Wurzeln hat. Werfen ten sich noch einer weiteren fur die damalige wissenschaftliche wir deshalb zuerst einen Blick zuriick in die gesellschaftliche Situation lebensnotwendigen Aufgabe: Sie schufen mit den und wissenschaftliche Situation des 19. Jahrhunderts. Um so ,,Fortschritten der Physik” ein fruhes Referateorgan. So gewann besser werden wir das Denken und Fiihlen unserer wissenschaft- die Gesellschaft bald nationales und internationales Ansehen, lichen Ahnen verstehen, die 1845, vor 150 Jahren, die Physika- aber erst 1899 wurde die Berliner in die Deutsche Physikalische lische Gesellschaft zu Berlin griindeten. Gesellschaft umgewandelt. In den 14taglichen Sitzungen wurde nicht nur iiber streng physikalische, sondern auch iiber interdis- ziplinare und kulturwissenschaftliche Themen vorgetragen, und Deutschland in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts zwar zur Astro-, Geo- und Biophysik sowie zur Physik der Erde und zur Elektrotechnik. Nach 1880 konzentrierte sich die Das 18. Jahrhundert brachte die Bewegung der Aufklilrung her- Gesellschaft starker auf die eigentliche Physik und trug damit vor, die jedwede geistige Betatigung mit dem Verstand und der dazu bei, die moderne Atom- und Quantenphysik vorzubereiten. Vemunft priifte. Sie war auch ein geeigneter Niihrboden fur die Entwicklung von Wissenschaften und Bildung. So sprieljten im 18. Jahrhundert die gelehrten und literarischen Salons, aber auch das naturwissenschaftliche und medizinische Vereinswesen hat hier seinen Ursprung. Am Ende des 18. Jahrhunderts bahnte sich ein tiefgreifender Umbruch in der Gesellschaft an, der sich auch auf die Entwick- lung der Wissenschaften auswirkte. 1789 bis 1794 wurde die Welt durch die franzosische Revolution erschiittert. Ihre Ver- heiBung ,,Freiheit, Gleichheit, Briiderlichkeit” forderte die Aus- bildung einer biirgerlich-liberalen Gesellschaft. Mit den Armeen Napoleons wurden die freiheitlichen Ideen, zwar verwassert, in viele Lander Europas getragen. Nach dem Sieg iiber die Napo- - leonische Herrschaft in den Befreiungskriegen wurde durch die ,,Heilige Allianz” zwar versucht, absolutistisch-monarchistische Herrschaftsformen zu restaurieren, aber die biirgerlich-demokra- tischen Bestrebungen waren schon soweit vorangeschritten, da13 Univ.-Doz. Dr. habil. Wolfgang Schreier (links) leitet die Abteilung Geschichte der Naturwissenschaften des Karl-Sudhoff-Instituts fur Ge- Aufstande in vielen Teilen Europas aufflammten. In Deutsch- schichte der Medizin und der Naturwissenschaftender Universitit Leipzig. land war der Ruf nach Freiheit mit dem Ringen um Einigung Dr. Martin Franke (rechts) ist Mitarbeiter des Karl-Sudhoff-Instituts. verkniipft. Hohepunkt war die Revolution von 1848/49. Aller-

Phys. B1. 51 (1995) Nr. 1 0031-9279/95/0101-F-009 $ 5.00+.25/0 - 0 VCH, D-69451 Weinheim, 1995 F-9 dings bildete Deutschland, ohne Osterreich und einige kleinere Revolution der Institutionen Staaten, schon seit der Griindung des deutschen Zollvereins 1834 eine wirtschaftliche Einheit. Diese inhaltlichen Prozesse in den Naturwissenschaften spiegeln Etwa zur gleichen Zeit griff die industrielle Revolution von sich auch in wissenschaftsorganisatorischen Wandlungen wider. England her auch auf Deutschland uber. Mit dem Aufschwung Fur den Aufbau technischer Wissenschaften entstanden in der Kohle- und Eisenwirtschaft kam der Industrialisierungspro- Deutschland Polytechnische Schulen nach franzosischem zeR voran. 181 1 grundete Friedrich Krupp eine GuRstahlfabrik Muster, aber mehr auf die Praxis ausgerichtet. Um eine moderne in Essen. Die Dampfmaschine wurde zur bevorzugten Antriebs- Fachausbildung zu ermoglichen, muBten die altehrwurdigen maschine. 1835 fuhr die erste deutsche Eisenbahn zwischen Universitaten reformiert oder neue eroffnet werden. Am folgen- Nurnberg und Furth. In der neuentstehenden Elektroindustrie, reichsten war die Grundung der Berliner Friedrich-Wilhelms- dem starksten Wachstumssektor in der zweiten Halfte des 19. Universitat im Jahre 1810. Wilhelm von Humboldt gab ihr als Jahrhunderts, stieg die Zahl der Beschaftigten von 1620 im Prinzip rnit auf den Weg, eine Statte der Freiheit und Einheit Jahre 1882 auf 142000 im Jahre 1907. von Forschung und Lehre zu werden.

Physik im 19. Jahrhundert

Diese historische Konstellation forderte auch den Aufschwung der Naturwissenschaften. Bereits 1794 war in den Sturmen der Revolution die Pariser Ecole Polytechnique gegriindet worden, in der mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagenfor- schung und theoretische Fundierung des Ingenieurwesens Hand in Hand gingen. An ihr lehrten bzw. lernten so beriihmte Wis- senschaftler wie Lagrange, Laplace, Ampkre, Fresnel, Fourier, Carnot. So bahnte sich um die Wende vom 18. zum 19. Jahr- hundert ein Wandel in den Naturwissenschaften an: Der Uber- gang von der allgemeinen ,,Naturlehre” zu den klassischen Naturwissenschaften war von immenser Bedeutung fur die gesamte Forschung und Lehre im 19. Jahrhundert. Endgultig formierten sich neben der Mathematik Physik, Chemie und Bio- logic als selbstandige, voneinander abgegrenzte Fachwissen- schaften. Besonders auffallend ist die Auspragung der klassischen Im Haus ,,Am Kupfergraben 7” befand sich Gustav Magnus’ Privat- Physik: Nach dem Ausbau der hochmathematisierten Mechanik labor, aus dem das erste Physikalische Institut der Berliner Universitiit etablierten sich in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts weitere hervorging. Im Beitrag ,,Das Magnus-Haus” von Th. Mayer-Kuckuk physikalische Teildisziplinen: Auf der Basis fundamentaler Ent- wird auf die Geschichte dieses Hauses naher eingegangen. deckungen bildete sich ab 1820 die Elektrodynamik heraus, nahm die gesamte Elektrophysik, mit ersten Ansatzen zur Elek- trotechnik, einen ungeahnten Aufschwung. In der Optik setzte Nach der Revolution von 1848 und insbesondere nach der sich um 1830 die wiederbelebte und durchgearbeitete Wellen- Reichsgrundung von 187 1 kam es im Wilhelminischen Zeitalter theorie des Lichts durch. Auch spektroskopische Forschungen zu einer kulturellen und wissenschaftlichen Expansion. Die Stu- lieferten neue Resultate. Durch die wissenschaftlich-technische dentenzahl, die seit den Reformjahren um 1810 bei 12 000 gele- Optik wurden Fernrohre und Mikroskope entscheidend verbes- gen hatte, stieg in den Jahren nach 1871 steil an und erhohte sert. SchlieRlich entstand rnit der elektromagnetischen Feldtheo- sich bis zum ersten Weltkrieg auf etwa 63000. Den groRten rie erstmals eine Feldphysik als Grundlage fur Elektrodynamik Zuwachs verzeichneten dabei die naturwissenschaftlichen Diszi- und Optik. Um 1850 war die Wandlung von der Warmelehre plinen. Im selben Zeitraum steigerten sich die finanziellen Auf- zur Thermodynamik im ersten Entwicklungsstadium vollendet. wendungen fur Universitaten und Technische Hochschulen von Damit gelang es, die Prozesse in der Dampfmaschine physika- etwa 5,2 auf 52,4 Millionen Mark. [lo] lisch zu klaren. SchlieRlich wurde zwischen 1840 und 1850 als Fur die Physik brachte diese Orientierung einen Aufschwung Fundamentalzusammenhang zwischen den unterschiedlichsten der universitaren Experimentalforschung rnit sich. Noch im 18. Naturvorgangen der Energieerhaltungssatz in seiner ganzen Jahrhundert waren ,,physikalische Sammlungen” im Privatbesitz Ausdehnung erkannt. des jeweiligen Physikprofessors, und er nutzte sie vorwiegend Uberhaupt bot das rasch gestiegene Erkenntnisniveau der zur Demonstration. Da war es schon eine Sensation, daR 1785 in Naturwissenschaften und insbesondere der Physik Moglichkei- Leipzig eine Privatsammlung mit ,,I31 Nummern” (d. h. Gera- ten und Ansatze fur verschiedenartige interdisziplinare Prozesse: ten) durch den sachsischen Kurfursten fur die Universitat aufge- Hier lagen die Anfange der physikalischen Physiologie bzw. der kauft wurde. In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts bemuhten medizinischen Physik, uberhaupt der naturwissenschaftlichen sich die Physikprofessoren, ,,physikalische Kabinette” aufzu- Fundierung der Medizin. Auch sind Ansatze zur physikalischen bauen. Das waren vor allem geeignete Sammlungsraume in Ver- Meteorologie und Chemie, zur Geo-, Astro- und auch Biophysik bindung mit einem nahe gelegenen Horsaal, moglichst rnit zu verzeichnen. Diese Vorgange hatten - wie noch ausgefuhrt ansteigenden Sitzreihen. wird - groRen EinfluR auf die Griindung und Entwicklung der Im Revolutionsjahr 1849 veroffentlichte der erste Vorsitzen- Berliner Physikalischen Gesellschaft. de der Physikalischen Gesellschaft Karsten in Kiel die anonyme

F-10 Denkschrift ,,Von der Stellung der Naturwissenschaften, beson- ten. Damals war nicht abzusehen, da13 dieses physikalische Kol- ders der physikalischen an unseren Universitaten”. Darin stellte loquium zu einem Ursprung der Physikalischen Gesellschaft zu er u. a. die Forderungen auf, da13 an jeder deutschen Universitat Berlin werden sollte. 1863 hat Magnus in demselben Haus eine besondere mathematisch-naturwissenschaftlicheFakultat gegen Mietentschadigung das erste physikalische Laboratorium eingerichtet und ein eigenes physikalisches Institut errichtet der Berliner Universitat eingerichtet, und einige Raume wurden werden musse. fur physikalische Ubungen der Studenten hergerichtet. In sei- Der Bau von modernen natunvissenschaftlichen Universitats- nem Todesjahr 1870 vermachte Magnus seine Bibliothek und instituten war dann in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts seine auch noch vorhandene physikalische Privatsammlung der ein hervorstechendes Wachstumsmerkmal. Fast jeder neuberufe- Berliner Universitat. ne Lehrstuhlinhaber der Physik forderte in dieser Zeit den Neu- Im Jahre 1930 brachte die Deutsche Physikalische Gesell- bau eines Physikalischen Instituts, und fast immer wurde er ihm schaft am ,,Magnus-Haus” eine Gedenktafel mit folgendem Text gewiihrt. [17, S. 1721 an:

Das neue Berliner Physikalische Institut wurde nach Planen von Magnus und Helmholtz von 1873 bis 1878 am Reichstagsufer er- richtet. Seitdem tagte darin auch die Physikalische Gesellschaft. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstirrt.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden neben den Experi- ,,In diesem Hause / griindete und leitete / 1842 bis 1870/ mentalvorlesungen die ,,praktischen physikalischen Ubungen” Gustav Magnus / das erste Physikalische Institut Deutsch- fur die Studenten eingefuhrt. Daraus entwickelte sich ein lands I Ihm den Mitarbeitern und Schulern / A. von Baeyer, modernes Physikstudium: Es wurde ein universitiirer Studien- E. du Bois-Reymond, R. Clausius, P. von Groth, H. von gang fur Gymnasiallehrer der Naturwissenschaften eingerichtet, Helmholtz, G. Kirchhoff, A. Kundt, J. Tyndall, E. War- und alle Studenten der Naturwissenschaften und Medizin horten burg / zum Gedachtnis / Die Deutsche Physikalische Ge- Vorlesungen zur Experimentalphysik. Das war im doppelten sellschaft .” Sinne wesentlich: Die physikalischen Institute konnten weit (vgl. Foto im Beitrag von Th. Mayer-Kuckuk S. F-186) nachdriicklicher ihre Existenzberechtigung nachweisen, und es entstand mit den Gymnasiallehrern ein hochgebildetes Potential In diesem Hause wohnte dann von 1912 bis 1921 der Theaterre- an Physikern. Nach Ansatzen kam erst im 20. Jahrhundert die gisseur Max Reinhardt, und in der unteren Etage befanden sich spezifische Ausbildung von Industriephysikern hinzu, und ab Einrichtungen der Universitat. Seit 1958 wurde es von der Phy- Anfang der 1940er Jahre konnte der wissenschaftliche Grad des sikalischen Gesellschaft der DDR genutzt. Immer wieder haben Diplomphysikers envorben werden. Physiker und Historiker die Aussage ,,erstes Physikalisches Institut Deutschlands” in Zweifel gezogen und eigene Nachfor- Berlin als wissenschaftliches Zentrum schungen angestellt, ob die Bezeichnung berechtigt ist oder an einer anderen Universitat noch friiher ein vergleichbares Institut In Berlin wurden ab 1833 dem jungen Universitatsdozenten eingerichtet wurde. Eine historisch endgultige Entscheidung Gustav Magnus jahrlich 500 Taler bewilligt, um physikalische konnte nicht gefunden werden. Demonstrationsgerate anzuschaffen und instandzuhalten. In sei- Magnus erarbeitete 1868 auf der Basis der Erfahrungen von nem Wohnhaus ,,Am Kupfergraben 7” eroffnete er ein ,,Privat- Halle, Miinchen und Heidelberg den Plan fur einen groazugigen Laboratorium”, in dem er junge Wissenschaftler arbeiten lies, Institutsneubau. Es war seinem Nachfolger Helmholtz durch die ,,eigene Themata” vorweisen konnten. Ab 1843 sammelte seine eindeutige Forderung im Berufungsverfahren vorbehalten, Gustav Magnus einen Kreis von etwa zehn jungen Gelehrten um diese Plane von 1873 bis 1878 zu verwirklichen. So entstand sich, die wochentlich nach einem Referat gemeinsam diskutier- auf einer Flache von 1350 m2 am Spreeufer (Reichstagsufer) ein

F-11 hochmodemes Physikalisches Institut mit einem groBen Horsaal Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte fur 300 Personen. Mit 43 Millionen Mark Baukosten war es eines der groBten und teuersten in Deutschland. Es sollte ab In Deutschland zeichneten sich zwei verschiedene Wege ab, um 1878 auch die standige Tagungsstatte der Physikalischen Gesell- zu nationalen wissenschaftlichen Vereinigungen zu gelangen. schaft werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstort. Eine Wurzel lag in Lorenz Okens Grundung der ,,Gesellschaft Uberhaupt entwickelte sich Berlin um die Jahrhundertmitte Deutscher Naturforscher und Arzte” 1822 in Leipzig. Das war zu einem Zentrum der Physik: 1871 wurde insbesondere durch die erste naturwissenschaftlich-medizinische Vereinsgrundung den Einsatz seines Freundes du Bois-Reymond der bereits fur den gesamten deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder ver- beriihmte Physiologe Hermann Helmholtz als Direktor des Phy- einbarten, jahrlich in wechselnden Orten Versammlungen ,,bey sikalischen Instituts berufen: So ,,geschah das Unerhorte, daR offenen Thuren” abzuhalten. Der Zweck der jahrlichen Tagun- ein Mediziner und Professor der Physiologie den vornehmsten gen bestand vor allem darin, daB sich die Gelehrten personlich physikalischen Lehrstuhl in Deutschland erhielt, und so gelangte kennenlernten und ein ,,mundlicher wissenschaftlicher Verkehr” Helmholtz, der sich selber einen geborenen Physiker nannte, stattfinden konne; aber sie sollten auch der Erholung dienen. endlich in eine seinen spezifischen Talenten und seinen Neigun- Bereits auf der siebtenversammlung im Jahre 1828 in Berlin gen zusagende Stellung, da er damals, wie er mir schrieb, gegen waren 458 Mitglieder, darunter 195 Berliner, anwesend. Folg- die Physiologie gleichgultig geworden war und eigentliches lich wurden wissenschaftliche Sektionen fur die Zweige der Interesse nur noch fur die mathematische Physik hatte” [9, S. ,,Naturforschung” und der ,,Heilkunde” gebildet. 1837 nahmen 241, kommentierte du Bois-Reymond retrospektiv diesen Vor- in Prag an den Sitzungen der Sektion ,,Physik, Chemie und gang. Durch seine Beziehungen zur preuljischen Regiemng und Mathematik” schon 88 Wissenschaftler teil. In dem in viele zur Kaiserlichen Familie gewann Helmholtz bedeutenden Ein- Kleinstaaten zersplitterten Deutschland hat sich - wie Alexan- fluB auf die Entwicklung der Naturwissenschaften in Preuljen der von Humboldt sagte - in der erwahnten Gesellschaft und ganz Deutschland. Das war auch fur die steigende Wert- ,,Deutschland gleichsam in seiner geistigen Einheit offenbart”. schatzung der Wissenschaften von groBem Vorteil. Gerade bei Allerdings witterten ,,unwissenschaftliche Kopfe” in den Tagun- Berufungsverfahren war sein Rat von klarer Sachkenntnis gen auch eine ,,heimliche Verbindung”, weil sie ,,die Versamm- gepragt. Er galt schlieBlich als ,,Reichskanzler der deutschen lung von Menschen aus allen deutschen Landen ... uberhaupt Wissenschaft”. unangemessen finden, und sie daher bei den Regierungen Unter seinen Schulern ragt Heinrich Hertz hervor, der von anschwarzen”. 1880 bis 1883 sein Assistent war. Gustav Robert Kirchhoff Von verschiedener Seite wurde nachgewiesen, dab die Griin- kam 1875 als erster Ordinarius fur theoretische Physik nach dung von einigen nationalen selbstandigen Fachvereinen im Berlin. Ihm folgte als Direktor des neueingerichteten Instituts SchoB der ,,Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte” fur theoretische Physik Max Planck. Im wesentlichen auf keimte. Unter anderem sind 1848 die ,,Deutsche Geologische Betreiben von Werner Siemens wurde 1887 in Berlin die Physi- Gesellschaft”, die sich aber erst 1868 von der Muttergesellschaft kalisch-Technische Reichsanstalt gegrundet, auch eine Statte trennte, 1863 die ,,Astronomische Gesellschaft”, 1870 die physikalischer Grundlagenforschung, verbunden mit techni- ,,Deutsche Anthropologische Gesellschaft” aus ihr hervorgegan- schen Problemstellungen. Helmholtz wurde ihr erster Prasident, gen. Auch die langjahrige Grundungsgeschichte der ,,Deutschen und August Kundt ubernahm seinen Lehrstuhl an der Univer- Mathematiker Vereinigung” von 1867 bis 189 1 lief im Rahmen sitat. Physiker wie Otto Lummer, Eugen Brodhun, Willy Wien, der ,,Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte” ab. Eben- Friedrich Kohlrausch waren Mitarbeiter dieser Anstalt. Berlin so stutzte sich August Wilhelm Hofmann 1867 bei der Griin- war also ein geeigneter Nahrboden fur eine Vereinigung von dung der ,,Gesellschaft Deutscher Chemiker” auf die chemische Physikern. Sektion dieser Gesellschaft.

Hermann von Helmholtz (links) mit Gattin zu Besuch beim Kron- prinzenpaar am 29. Juni 1874 im Salon der Frau von Schleinitz. (Kronprinz Friedrich war 1888 drei Monate lang Deutscher Kai- ser.) Nach einem Bild von Adolph von Menzel.

F-12 Die lokalen wissenschaftlichen Vereine Geselligkeit, etwa nach den Sitzungen oder auf besonderen Festen, nicht zu kurz kommen. Allerdings waren dabei viele Dagegen lag die Hauptwurzel fur die Physikalische Gesellschaft Vereine recht engherzig; sie lieBen etwa zu ihren ,,Stiftungsfe- zu Berlin und damit auch fur die Deutsche Physikalische Gesell- sten” (den Jahrestagen der Griindung) nur Mitglieder zu. Offe- schaft im lokalen bzw. regionalen Vereinswesen. Anfangs hatte ner war beispielsweise der 1824 gegriindete Frankfurter ,,Physi- der meist absolutistische Staat Ressentiments gegen diese unab- kalische Verein”, an dem unter anderem Philipp Reis tatig war. hangigen lokalen Vereinigungen. Mit MiBtrauen beobachtete Er hielt offentliche Vorlesungen ab, um ,,unter der reiferen man, ddein freier Privatverein rnit einem gewalten Vorstand Jugend Liebe zur Wissenschaft zu wecken”. gewisse demokratische Zuge- aufwies. Lieber sah man es, wenn Manche Vereine erreichten es, periodische Schriften, zumeist beispielsweise in den Statuten rnit den gehaltenen Vortra- eine ,,landesherrliche EinfluS- gen, aber auch rnit vereinsin- nahme” festgeschrieben wur- ternen Angelegenheiten und de, beispielsweise durch ein Besprechungen von Biichern widerrufbares konigliches Pri- sowie Zeitschriften zu verof- vileg. In manchen Zugen fentlichen. Damit wurde oft kann die im Jahr 1773 ein Schriftenaustausch mit gegrundete Berliner ,,Ge- anderen Gesellschaften und sellschaft naturforschender wissenschaftlichen Institutio- Freunde” als Vorbild fur wei- nen aufgenommen. Letzteres tere Bestrebungen gelten. In war haufig der Ursprung fur ihrem ,,Gesetz”, d. h. der Sat- eine Vereinsbibliothek, die zung, steht ausdrucklich, sie auch mit einem ,,Lesezirkel” sei ,,eine freundschaftliche oder einer ,,Lesegesellschaft” Privatverbindung zur Befor- verbunden sein konnte. Sol- derung der Naturwissen- che Bibliotheken wurden spa- schaft. Sie kann daher nie- ter ofter der Allgemeinheit mals als solche irgendeiner zuganglich gemacht wie etwa Staatsbehorde besonders un- die Frankfurter ,,Senckenber- tergeordnet sein oder mit an- gische Bibliothek”, deren dern gelehrten oder sonstigen Buchbestande aus der Privat- Instituten vereinigt werden”. biicherei Senckenbergs,- aber Langsam setzte sich die Die sechs Grunder der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, ein Bild, such aus naturwissenschaftli- Einsicht durch, dal3 ein freies das zu jedem Jubilaum gezeigt wurde. Obere Reihe (v. 1. n. r.): G. Kar- und medizinischen Ver- sten, W. Heintz, H. Knoblaucb; unten: E. Brucke, E. du Bois-Reymond, Vereinswesen ,,ein wirksames W. Beetz. Aufgenommen am 14. Juni 1845; Karsten uberwacht mit der einsbiichereien Korrektiv” fur den Staat oder Uhr die Belichtungszeit. Anfangs standen ,,natur- gar ,,ein machtiger Bundesge- forschende” und medizinische nosse” ist. Aber erst nach Vereine im Vordergrund. 1850 machte die ofter vorhandene ,,polizeiliche Bevormun- Nach 1800 nahm die Zahl der ,,natunvissenschaftlichen Verei- dung” einer ,,gesetzlich geregelten Staatsaufsicht” Platz. In die- ne” zu und schliel3lich entstanden ab 1830 natunvissenschaftli- sen lokalen Vereinigungen von ,,Kennern und Freunden der che Spezialvereine, die sich den nun endgultig etablierten klas- Naturwissenschaften” konnte fast immer jeder Mitglied werden; sischen Disziplinen wie Physik, Chemie, Biologie widmeten. es gab kaum Beschrankungen bezuglich des Bildungsgrades oder einer Berufsgruppe. Die Grunder der Physikalischen Gesellschaft Die Ziele dieser Vereine waren ungemein vielfaltig: Das zu Berlin beginnt mit der bescheidenen Bestrebung ,,mit dem Gange der Wissenschaft immer vertraut zu bleiben”, aber besteht auch Aus dieser Konstellation und neuen Herausforderungen ging darin, die Forschung auf einem bestimmten Gebiet voranzubrin- auch die ,,Physikalische Gesellschaft zu Berlin” im Jahre 1845 gen. Ebenso gab es gemeinniitzliche Absichten, etwa ,,naturwis- hervor. Aber die konkrete Situation wies zusatzlich einige nicht senschaftliche Kenntnisse zu verbreiten” oder die ,,Liebe zur unerhebliche Besonderheiten auf, die den EntschluS zur Griin- Natur zu wecken”.Von gleichem Rang waren jedoch die person- dung erst Realitat werden liel3en: In seinem Vorbericht zum 1. lichen Ziele: Die Mitglieder erhofften sich gegenseitige Beleh- Jahrgang der ,,Fortschritte der Physik im Jahre 1845”, erschie- rung und Anregung sowie Bereicherung des eigenen Wissens nen 1847, fuhrte der erste Redakteur Gustav Karsten zum Griin- durch die ,,Mitbruder”. Allgemein ist das Bestreben spurbar, die dungsanld der Gesellschaft folgendes aus: Isolierung des einzelnen bei seinen Untersuchungen zu iiberwin- den. Das Mitglied suchte eine Form, wo es eigene Uberlegun- ,,Dem Herrn Professor G. Magnus verdankt die Gesell- gen und Ideen zur Diskussion stellen konnte; denn oft war ihm schaft ihre Entstehung, insofern er es war, der im Jahre der Zugang zu anderen wissenschaftlichen Institutionen ver- 1843 einen Kreis jungerer Physiker zur Besprechung der wehrt. Das ging dann bis zur gemeinschaftlichen Bearbeitung neueren physikalischen Untersuchungen um sich versam- bestimmter Themen. melte, wodurch die bis dahin vereinzelt Dastehenden mit Nicht minder wichtig war den Mitgliedern die Freundschaft einander bekannt, und darauf aufmerksam gemacht wur- bzw. Kollegialitat, die im Verein entstand. Auch durfte die den, wie vie1 durch die Vereinigung zahlreicher Krafte

F-13 geleistet werden konne. Die Mehrzahl derer, welche an Ein fur jedermann offener Verein den Versammlungen beim Herrn Professor G. Magnus theilnahmen, vereinigte sich auBerdem von Zeit zu Zeit, Offenbar gab es aber noch weitere Uberlegungen, neben dem um die sie besonders interessierenden Untersuchungen Magnus-Kolloquium eine Physikalische Gesellschaft ins Leben weiter zu verhandeln, und bei diesen Vereinigungen ent- zu rufen: Wenn man versucht, die Berufe der 53 Mitglieder des wickelte sich nach und nach die Idee, einer offentlichen Griindungsjahres 1845 zu identifizieren, so erhalt man ein uber- Gesellschaft das Leben zu geben, in welcher allen denen, raschendes Resultat: Neben zwolf Physikern oder Gelehrten ver- welche sich fur die physikalischen Disciplinen interessiren, wandter Richtung und elf Personen mit unbekanntem Beruf die Gelegenheit geboten wurde, KenntniB von den Resulta- befanden sich funf Physiologen (Mediziner), sechs Chemiker, ten aller neueren Arbeiten auf diesem Gebiete zu erhalten, drei Geologenhlineralogen, zwei Astronomen, zwei Mathemati- die wegen des Mangels an Zeit sowohl, wie an litterari- ker sowie erstaunlicherweise auch sechs ,,Lieutnants” und sechs schen Hiilfsmitteln sonst hatten entbehren mussen.” [I] ,,Mechanici” unter den Mitgliedern. Das weist darauf hin, dal3 die Physikalische Gesellschaft kei- Bei aller Hochachtung vor dem damals 4ljahrigen Gustav neswegs ein universitiires Kolloquium, sondern ein weit offener, Magnus spricht doch aus diesem Zitat, dal3 die Jungeren sie fur alle zuganglicher Verein sein sollte. Hier lag eine kaum aus- beschaftigende Probleme gem noch unter sich in einem ,,Thee- drucklich genannte Ursache, uber das Kolloquium von Magnus abend” besprachen. Wenn man sich fragt, welche Themen das hinaus eine umfassendere Gesellschaft zu bilden. GewiB war waren, geben uns die Interessen der sechs Gesellschaftsgriinder, damit auch die Freiheit verbunden, selbstandig das Vortragspro-

Mitgliedsausweis der Physikali- schen Gesellschaft fur Werner Siemens, der sich in der Gesell- schaft fur die Anwendung der Physik in der Elektrotechnik ein- setzte. die 1845 alle um 25 Jahre alt waren, vielleicht doch einen Hin- gramm zu bestimmen und auch Themen aufzunehmen, die weis: Da sind zunachst die Physiker Gustav Karsten, Karl-Her- kaum von Magnus toleriert worden waren. Das wird schon mann Knoblauch und Wilhelm von Beetz, die u. a. bestimmte daran deutlich, daB beispielsweise die physikalische Technik, Probleme der Elektrophysik und der Warmestrahlung erforsch- insbesondere die sich herausbildende Elektrotechnik, mit vielen ten. Zu ihnen gesellten sich die Mediziner und Physiologen Emil Vortragen vertreten war. du Bois-Reymond und Ernst Wilhelm Brucke, die sich mit der Den Grundern war also wohl bewuBt, dal3 ihre Gesellschaft Anwendung physikalischer Erkenntnisse auf Lebensprozesse keine akademische Angelegenheit, sondern eine Vereinigung beschaftigten. SchlieBlich gehort noch der Chemiker Wilhelm sein sollte, die die Beziehung zu vielen Naturwissenschaften Heinrich Heintz zu den Griindem, der u. a. organische Stoffe wie und weiteren rnit der Physik verbundenen Bereichen suchen Milch- und Zuckersaure oder Harnstoff untersuchte. So zeigt sollte. Das stand in Einklang mit anderen Vereinsgriindungen sich, dal3 neben der ausgesprochen physikalischen Thematik die dieser Jahre. gemeinsame Begeisterung fur die damals anstehende naturwis- Die Griinder hatten bewul3t ,,den Begriff der Physik weit aus- senschaftliche Erforschung aller Lebensprozesse auch ein AnlaB gedehnt”, so dal3 ,,bei der innigen Verknupfung der verschiede- fur die Griindung gewesen ist. Auf diesem neuen Gebiet konnte nen Zweige der Naturwissenschaften” auch ,,sehr entfernt schei- man sich gut erganzen und einander bereichern. Kein Wunder, nende Disziplinen (in ihr) vereinigt sind” [ 11. Retrospektiv dal3 in den ersten funf Jahren rund vierzig Vortrage zu solchen betrachtet, waren das sehr wesentliche in die Zukunft weisende Themen in der Physikalischen Gesellschaft gehalten wurden. Gesichtspunkte.

F-14 ,,Fortschritte der Physik” - ,,Auf vielen anderen Gebieten der Naturwissenschaften das erste Referateorgan der Physik haben sich schon lange die Jahresberichte (Referateorga- ne) als hochst zweckmal3ig herausgestellt. Die Physik SchlieBlich waren die Wissenschaftler um die Mitte des 19. allein entbehrt noch immer einen solchen ... Warum ist Jahrhunderts in eine temporare Zwangslage geraten: Bis zum diese Liicke gerade in der physikalischen Litteratur noch Ende des 18. Jahrhunderts gab es nur vereinzelte Fachzeitschrif- nicht ausgefullt? Wie es scheint liegt die Sache nur darin, ten, meist als Schriften gelehrter Gesellschaften. Die Monogra- daB es an einer Vereinigung einer groBeren Anzahl von phie war die vorherrschende wissenschaftliche Literatur. Mit Physikern, die sich einer solchen Arbeit unterzogen, fehl- dem Aufstieg der klassischen Naturwissenschaften nahm die te, da fur die Krafte eines Einzelnen oder Weniger die Zahl der periodischen Fachzeitschriften und auch der wissen- Aufgabe offenbar eine vie1 zu grolje ist.” [ 11 schaftlichen Monographien schnell zu. Beispielsweise wurden die schlieljlich in Deutschland fiihrenden ,,Annalen der Physik Das Referateorgan nannte man beziehungsreich ,,Fortschritte (und Chemie)” im Jahre 1790 als ,,Journal fur Physik” gegriin- der Physik”. Hierfiir standen anfangs nur ein Teil der Mitglieder det. Das fuhrte dazu, dalj sich die Physiker und andere Gelehrte als ,,Berichterstatter” (Referenten) zur Verfiigung, die beispiels- bzw. Interessierte keinen Uberblick iiber die Literatur mehr ver- weise 1846 104 deutsche und auslandische Fachzeitschriften, schaffen konnten. Dazu kam, daB die Wissenschaftler noch kei- Artikel fur Artikel, und eine groBere Zahl von Monographien neswegs so spezialisiert waren, wie das heute iiblich ist. Gustav referierten. Karsten bemerkte deshalb 1845 zutreffend: ,,... die Litteratur der Hervorzuheben ist, dalj mit der Griindung dieses Referateor- Physik drohte den Physikern iiber den Kopf zu wachsen” und gans ein Wandel im Kommunikations- und Informationssystem die sogenannten ,,physikalischen Worterbiicher”, eigentlich phy- der Physiker und nahestehender Wissenschaftler eingeleitet sikalische Lexika wie das von Gehler, und die Vorlaufer unserer wurde, der bis ins 20. Jahrhundert nachwirkte. Fast alle Physi- modernen Physiklehrbucher, die ,,Repertorien”, konnten das ker konnten sich nun iiber neuere Forschungen umfassend infor- Bediirfnis der Gelehrten nach spezifischer Information nicht mieren, gleichgiiltig, ob die ,,Berichte” nun sachgemaB oder erfiillen. Auch bereits vorhandene Referateorgane, die auch die unzulanglich abgefaBt waren. Dieses Blatt hat schon bald zur Physik beriicksichtigten, schienen unzulanglich. So kam Karsten weitenen Verbreitung der Resultate der Physik und nahestehen- zu einer zwingenden Folgerung: der Gebiete beigetragen. Modern gesprochen: Der Informations- flul3 war wesentlich verbessert worden. Das zeigen die schon bald eintreffenden und sich standig enveiternden ,,Tawchange- bote” der verschiedensten Institutionen. Die ,,Fortschritte” Dic brachten bald noch einen weiteren Erfolg: Die herausgebende Physikalische Gesellschaft zu Berlin hob sich aus dem Kreis der vielen lokalen Vereine heraus. I Fortsclirittc der Yhysik Der Grundungsakt in1 Jabre 1845. Diese zwingenden Uberlegungen gingen der Griindung voran, die dann folgenden Verlauf nahm: Die ,,Stifter”, ,,die Herren Dargestellt Karsten, Beetz, Knoblauch, Du Bois-Reymond, Heintz und Briicke” trafen sich am 14. Januar 1845 im ,,Lesezimmer des ,O“ damaligen Kadettenhauses” (wo Beetz Lehrer war), entwarfen der physikalisthen Gesellsehalt zii Berlin, die Statuten und beschlossen ,,die eigentliche Constituierung” der Gesellschaft. Dieses Datum gilt seither als ,,Stiftungstag” der Gesellschaft. Aber bereits zehn Tage spater fand im Haus Franzosische Stral3e 29 die erste Sitzung statt, auf der der Vor- stand mit Dr. Gustav Karsten als Vorsitzendem gewiihlt wurde. Von den 53 Mitgliedern des Griindungsjahres sind uns heute neben den Griindern nur noch wenige bekannt wie ,,Mechanicus I. Jahrgang. Halske”, ,,Dr. Helmholtz in Potsdam”, ,,Lieutnant Siemens” und Redigirt \on Dr. G. Karsten. ,,Wiedemann”. Aber es war auch der ,,Mechaniker Boetticher” dabei, der mit Halske eine Mechanikerwerkstatt betrieb. Ebenso wurden der Inhaber einer Anstalt fur ,,kiinstliches Mineralwas- ser” d’Heureuse und der ,,Lieutnant von Morozowicz”, der es bis zum General und Chef der PreuBischen Landestriangulation brachte, Mitglied. Ebenfalls sind bereits neun ,,auswiirtige Mit- glieder” verzeichnet, u. a. aus Bern, Petersburg, Christiana (Oslo), Bonn, Braunschweig, Bromberg, Zwickau, Heidelberg. Hochstwahrscheinlich wurden an diesem Tage schon zwei Vortrage gehalten, die die grol3e Spannweite des Interessenbe- reichs der Mitglieder kennzeichneten. Briicke sprach iiber die Das Titelblatt des ersten Bandes der ,,Fortschritte”, ein friihes Referate- ,,Undurchgangigkeit der optischen Medien des Auges fur organ, gegriindet von der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin. WZrme und chemische Strahlen” [ 13 und Siemens iiber ,,Regu-

F-15 lationsvomchtung an Dampfmaschinen" [I]. Erstaunlich ist, daB sammlung" [2] und Claude du Bois-Reymond trug dazu folgen- fur die nachste Sitzung am 21. Februar 1845 bereits zehn Refe- des Gedicht vor: rate, wohl in Vorbereitung des Referateorgans ,,Fortschritte der Physik", verzeichnet sind. Offenbar wurden ,,eigene Arbeiten ,,Schaut hin nach Berlin in die Strasse der Kronen, der Mitglieder" erst wieder am 7. M2rz vorgetragen. Dort sol1 ein Herr Doctor Karsten wohnen - DaB man sich schon damals der historischen Bedeutung der Eine Weinlaubwand liegt im Sonnenschein Griindung bewuljt war, zeigt das Daguerreotyp der ,,Stifter", auf- Davor ist versammelt ein kleiner Verein, genommen am 14. Juni 1845 im Garten des Hauses Kronen- Der treibt Physik und experimentirt - stral3e 39: Karsten halt die Uhr in der Hand, mit der er die lange Im Wunderspiegel ist's photographirt. Belichtungszeit iiberwacht, die es ihm ermogiicht, sich nach In's Jahr der Stiftung blicket ihr heute: Offnung der Kamera schnell zur Gruppe zu stellen und danach Wer kennt sie - diese jungen Leute!" [2] die Kamera wieder zu schlieBen; eine Methode, die lange vor der Efindung des Selbstauslosers offensichtlich gut funktionierte. 1896 waren die zwei noch lebenden Griinder (Karsten, du Bois- Zum 50. Stiftungsjubilaum erschien dieses Bild in ,,fast Reymond) funfzig Jahre alter, aber alle hatten sich in ihren 1ebensgroBer Projektion vor den Augen der erstaunten Ver- Fachgebieten einen bedeutenden Ruf erworben. Aus dem Leben der Physikalischen Gesellschaft Wissenschaft und Politik

Drei Jahre nach der Griindung der Gesellschaft kam es als Auf- takt zur Revolution von 1848 zum Miirz-Aufstand in Berlin. Der Konig berief ein liberales Ministerium und erwies den Marz- Gefallenen die Ehre. Auf den Barrikaden standen immerhin auch uber hundert Studenten, auch der junge Privatdozent Rudolf Virchow gehorte dam. Im Juni 1848 folgten 50000 Menschen dem Aufruf demokratischer Studenten an den noch frischen Grabern der Miirz-Gefallenen, die Kampfer der Freiheit zu ehren. Die Armee verlielj Berlin und im Mai wurde in Frank- furt am Main die Nationalversammlung in der Paulskirche und die preuBische Nationalversammlung in Berlin eroffnet. Aber bereits im November wurde Berlin wieder von preuRischen Truppen besetzt und der Belagerungszustand verhangt. Diese Ereignisse gingen auch an den Mitgliedern der Gesell- schaft nicht spurlos voriiber. Siemens schrieb an seinen Bruder:

,,Ich beeile mich, lieber Bruder, Dir meinen ersten GruR aus freiem Lande zu iiberbringen! Gott, welche Anderung seit zwei Tagen! Die beiden aus Versehen getanen Schiis- se am SchloRplatz haben Deutschland mit einem Sprunge um ein Menschenalter fortgeschoben! ..." [zit. nach 25, S. 1601

Die Physikalische Gesellschaft als Ganzes nahm den Ruf nach Freiheit und Demokratie auf. Sie selbst war wie andere Vereine demokratisch organisiert und in ihr war die junge Generation, vornehmlich der Physiker und Techniker, vereint. Auf Anregung von du Bois-Reymond wurde eine Adresse ,,An die Konigl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin" ver- fat. Darin heiRt es einleitend:

,,Ueberallhin dringt in diesem Augenblicke neubefruch- tend das Prinzip der Oeffentlichkeit. Ihm huldigt, was fri- sche Lebenskraft in sich fuhlt, und der Macht der offentli- chen Meinung will es seine eigene Macht verdanken." [5] Sie schlieBt mit dem eindringlichen Wunsch: ,,Es mochten die sammtlichen Sitzungen der Akademie fortan offentli- che sein, insofern die Verhandlungen wissenschaftliche Gegenstande betreffen." [51

Um eine breite Offentlichkeit zu erreichen, legte die ,,Physikali- sche Gesellschaft die Adresse in der ,,Schneider'schen Buch- handlung, unter den Linden Nr. 19" zur Unterzeichnung aus und machte das in einer Tageszeitung bekannt. Rund hundert meist junge Gelehrte und Studenten, aber auch Techniker, Handwer- ker und andere der Wissenschaft Verbundene unterstiitzten mit ihrer Unterschrift das Verlangen, darunter 21 der 48 Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft. Neben dem Initiator du Bois- Reymond finden wir dabei u. a. die Signaturen von Heintz, Beetz, Kirchhoff, Halske, Wiedemann, Clausius. Du Bois-Reymond reichte das auf so ungewohnliche Art ver- breitete Dokument im Juni 1848 der Akademie ein. Bereits kurz darauf beschaftigte sich die Akademie mit der Adresse und Diese von der Physikalischen Gesellschaft im Revolutionsjahr 1848 aus- gelegte Adresse an die Berliner Akademie der Wissenschaften iiber die stellte fest, dal3 statutengema neben den offentlichen Sitzungen Offentlichkeit von deren Sitzungen wurde von etwa hundert Personen jedes ordentliche Mitglied eine jtihrliche ,,permanente Eintritts- unterzeichnet. Wiedergegeben sind der Anfang und der SchluR der karte" fur andere erhalten konne und jedes Mitglied das Recht Erklarung mit den ersten Unterschriften.

F-17 behalte, fur eine Sitzung ,,Freunde nach Belieben” einzufiihren der erste Toast naturlich an ,,Seine Majestat den deutschen Kai- bzw. mitzubringen. Dennoch bewirkte die Adresse, daB neue ser, Konig von Preussen, Wilhelm II., unseren allergnadigsten Eintrittskarten fur 1848 gedruckt und ausgegeben wurden und in Hem” [2] ausgebracht wurde. der Antwort an die Gesellschaft ,,Worte der Anerkennung fur Noch 1876 hatte der Reichskommissar fur Weltausstellungen die durch den Wunsch der Anwesenden ausgedruckte Theilnah- und Direktor der Berliner Gewerbeakademie, Franz Reuleaux, me an der Thatigkeit der Akademie” [5] enthalten waren. Im die deutschen Industrieexponate auf der Weltausstellung in Phi- Dankschreiben an die Akademie driickte du Bois-Reymond die ladelphia mit dem Pradikat ,,billig und schlecht” versehen. ,,Hoffnung auf eine vielleicht in spaterer Zeit einhergehende Wenige Jahrzehnte spater war aus der diskriminierenden Auf- Erweiterung” der getroffenen Bestimmungen aus, ,,... um dem schrift ,,Made in ” ein begehrtes Markenzeichen Wunsche des wissenschaftlichen Publicums in ausgedehnterem geworden. Als 1886 die 59. Versammlung Deutscher Naturfor- MaBe nachzugeben.” [5] scher und Arzte in Berlin stattfand, war das eine Riesenveran- Doch die Affare hatte noch ein Nachspiel: In den ,,Berlini- staltung mit weit uber 2000 Teilnehmern und 30 Sektionen, schen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen” erschien denen meist in Berlin ansassige Gelehrte von Weltruhm vorstan- am 5, Januar 1849 von einem ungenannten Verfasser ein ,,New den. Den Einleitungsvortrag hielt der Mediziner Rudolf jahrsgruR an die Akademie der Wissenschaften”. Darin wurde Virchow, der fruhzeitig auch Mitglied der Physikalischen vor allem kritisiert, daB die Akademie mit ,,altfrankischem Rai- Gesellschaft geworden war. Er setzte nationale Akzente fur die sonnement” zu sehr riickwarts gewandt sei. Und es wird cine Wissenschaft: ,,Freuen wir uns daher der Fulle des wissen- Anderung gefordert: ,,Denn die Wissenschaft ist auch nur um schaftlichen Lebens, welches sich in befruchtendem Strome der Volker willen da und kann Achtung und Stutze nur von uber alle Theile unseres Vaterlandes ergiesst. Es 1st eine der ihnen verlangen, wenn sie alles im innersten und tiefsten Kern starksten Burgschaften fur das Gedeihen der Nation.” [zit. nach ergreift und nicht so ohne alle Rucksicht auf die Natur, der sie 9, S. 1901 zunachst angehort, der Nase nach forscht; verzeihe man diesen Den Zeitgeist, der auch in der Physikalischen Gesellschaft Ausdruck.” [5] Am Ende des Artikels wird wiederum der herrschte, traf am besten Siemens in seinem Plenarvortrag ,,Das Wunsch ausgesprochen: ,,die Akademie (moge) beschliel3en, naturwissenschaftliche Zeitalter”: ihre Sitzungen moglichst offentlich zu halten, wie die Pariser es thun, und dort zu lernen, daB man sehr, sehr gelehrt und doch ,,Wir Aelteren unter Ihnen haben das Gliick gehabt, Zeuge ein Mann des Volkes seyn kann. Oder will man auch fernerhin des gewaltigen Aufschwungs zu sein, zu dem die mensch- der Oxfordschen Weisheit den Vorzug geben?’ [5] Auch diese liche Thatigkeit auf fast allen Gebieten des Lebens durch Herausforderung, die der Adresse der Physikalischen Gesell- den belebenden Odem der Naturwissenschaften angeregt schaft in manchem 2hnlich war, wurde von der Akademie auf- wurde. Wir haben aber auch gleichzeitig gesehen, wie die genommen, wenn auch letztlich zuriickgewiesen. Beiden Mei- Wissenschaft ihrerseits durch die technischen Errungen- nungen lag der Anspruch zugrunde, daR die Wissenschaft in schaften gefordert wurde, wie die Technik ihr cine Fulle ihrem Denken und Tun dem liberalen gesellschaftlichen neuer Erscheinungen und Aufgaben und damit die Anre- Umbruch und Fortschritt folgen musse. Die Physikalische gung zu weiteren Forschungen brachte, und wie rnit der Gesellschaft war in der geschilderten Offenheit und Spannweite Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse ihr ein der Wissenschaft sowie in ihrer bewuBten Ausdehnung auf die Heer von Beobachtern und Mitarbeitern erwuchs, die vieI- Praxis der offiziellen Wissenschaft weit voraus. Sie hatte den leicht nicht auf der vollen Hohe wissenschaftlicher Kennt- Trend der Zeit erkannt, der zu einer einigen liberalen Industrie- nisse standen, bei denen aber die Liebe zur Wissenschaft nation fuhren sollte. oft diesen Mangel zu iiberwinden wusste.” [29, Bd.2, S. Als durch Bismarcks Politik 187 1 das deutsche Kaiserreich 4921 gegrundet wurde, gehorte die Physikalische Gesellschaft zu jenen Vereinigungen, die der Wissenschaft beim Aufstieg Es scheint, als habe Siemens damit auch cine Lanze fur die vie- Deutschlands vom Agrarland zu einem Staat der Industrien und len unbekannten Mitglieder der naturwissenschaftlichen Vereine Gewerbe groBe Bedeutung einraumten. GroBe Hoffnung setzte brechen wollen. man dabei auf den Kronprinzen Friedrich, der 1888 bereits drei Monate nach seiner Kronung zum Deutschen Kaiser verstarb. Fruhe Organisationsstrukturen Es entsprach einer allgemeinen Stimmung, wenn der Protokoll- fuhrer der Sitzung vom 5. Juni 1888 folgendes feststellte: Von Anfang an bildeten die Sitzungen der Physikalischen Gesellschaft den Mittelpunkt des Gesellschaftslebens. Sie waren ,,Der Vorsitzende eroffnete die Sitzung rnit einer Anspra- die Zeiten der Begegnung, der gemeinsamen Gesprache und der che an die Versammelten, in welcher er darauf hinwies, Integration neuer Mitglieder. Sie fanden vierzehntagig freitags, dass unter dem Eindruck des traurigen am gleichen Tage manchmal auch in langeren Abstanden statt. So ist es auch noch eingetretenen Ereignisses, dem Tode Kaiser Friedrich 11. in Paragraph 10 der ersten Satzungen der Deutschen Physikali- die Versammlung wohl nicht in der Lage sei, zu ruhiger schen Gesellschaft aus dem Jahre 1899 verankert: ,,Die Gesell- wissenschaftlicher Besprechung sich zu sammeln. Der schaft versammelt sich ... der Regel nach alle vierzehn Tage Vorsitzende beantragt den Schluss der Sitzung. Da kein einmal in Berlin, und zwar fur jetzt am Freitag Abends 7 1/2 Widerspruch erfolgte, wird daher die Sitzung aufgehoben. Uhr” [2]. Die Sommerpause wahrte von Ende Juni bis Oktober. I.V. Dr. Dieterici.” [4] In den Sitzungen wurden aber nicht nur Vortrage gehalten, son- dern auch alle Angelegenheiten der Gesellschaft verhandelt. Jedoch auch der Nachfolger, Kaiser Wilhelm II., galt als Forde- GewissermaRen als Ritus wurde bis uber die Jahrhundert- rer der Wissenschaften, so daR auf dem 50. Stiftungsfest 1896 wende daran festgehalten, daR jede Sitzung ein Vorsitzender,

F-18 meist ein angesehenes Mitglied, leitete und ein Schriftfuhrer das hen, mussen einen Zettel dem Herm (Bibliothekar) ubergeben.” Protokoll fuhrte, das vor allem die Namen der Anwesenden und [4] Hin und wieder kam eine Kooperation mit anderen Einrich- des bzw. der Vortragenden sowie die Titel der Vortrage enthielt. tungen zustande. So vermerkte der Protokollant Schwalbe am 8. Letztere sind aus den friihen Jahren teilweise erhalten. Im Pro- Mai 1891 lakonisch: ,,Seitens des Patentamtes wird angezeigt, tokoll vom 28. Dezember 1888 lesen wir allerdings: ,,Der in der da13 die Bibliothek Luisenstr. 33/34 von 9 h friih - 9 h abends Sitzung das Protokoll fuhrende Sekretar ist von jetzt an nicht zugiinglich ist. - Dankschreiben.” [4] mehr verpflichtet, eine Liste der Anwesenden aufzustellen.” [4] Offenbar war auch in der Reichshauptstadt Berlin kaum eine Von da an findet sich deshalb nur gelegentlich noch ein Hinweis solche umfangreiche Palette wissenschaftlich-technischer Zeit- auf besonders regen Besuch der einen oder anderen Sitzung. Ein schriften zu finden wie in der Physikalischen Gesellschaft. Der wiederkehrender Tagesordnungspunkt waren die Vorschlage fur damit verbundene ,,Lesezirkel” blieb eine unschatzbare Quelle Eintrittswillige und die Wahl neuer Mitglieder. Sie wurden in fur die Mitglieder. Schon 1883 sol1 eine Kommission uber die der Regel von einem Mitglied vorgeschlagen und in der darauf ordnungsgemafie Benutzung der Bibliothek wachen und es wird folgenden Sitzung die Aufnahme beschlossen. Beides ist in den beschlossen, einen ,,Custos ... fur die Beihilfe der Verwaltung Protokollen gewissenhaft dokumentiert. Aber auch ausscheiden- der Bibliothek zu engagieren” [4]. de Mitglieder wurden vermerkt. Haufig wurden jedoch ebenso ,,andersweitige Beschlusse” Die ,,Vorstande” - wichtige Fuhrungsgremien gefafit. So lesen wir beispielsweise im Sitzungsprotokoll vom 8. Januar 1875: ,,Das Stiftungsfest wird am 16. Januar 1875 Hohepunkte im Leben der Gesellschaft waren die alljahrlichen Abends 8 Uhr bei Hausmann Jaegerstr. 5 gefeiert.” [4] Offen- Wahlen, die wiihrend der Sitzungen stattfanden. Der erste 1845 sichtlich wurde der Griindungstag der Gesellschaft (14. Januar gewahlte Vorsitzende war Gustav Karsten, der zugleich der 1845) - vorbereitet von einem AusschuB - alljiihrlich frohlich in erste Redakteur der ,,Fortschritte” war. Nach seinem Weggang einer Gaststatte begangen. Aber es gab auch unangenehme, nach Kiel wurde 1848149 Emil du Bois-Reymond 1. Vorsitzen- doch wohl notwendige Beschlusse. So steht im Sitzungsproto- koll vom 22. Oktober 1875 lapidar: ,,Die Erhohung des Beitrags auf 20 Mark (halbjahrlich) ist einstimmig beschlossen” [4], nachdem man bereits am 28.5.75 uber ,,30 Mark halbjiihrlich” diskutiert hatte. Uberhaupt erfahren wir aus diesen Protokollen manches Interessante aus dem Leben der Gesellschaft: So findet am 20. Oktober 1865 die Sitzung erstmals in der ,,Friedrichs-Werder- schen-Gewerbeschule Niederwallstr.” [4] statt, und es wurde verfugt, daB ,,der Bote (an) jedem Versammlungsabend von 6 bis 9 Uhr die neuen Journale auslegen” und dafur ,,lo Sgr. Remuneration (Vergutung)” erhalten solle. 1884 erhielt der Bote ,,50 Mark als Geschenk” fur 25jahrige treue Dienste [4]. Wie wichtig auch ein Bote fur das Funktionieren der Gesellschaft war, kann man aus der Sorgfalt ersehen, mit der uber die Beset- II zung der Stelle entschieden wurde. Im Protokoll vom 18. Dezember 1891 steht so beispielsweise: ,,Als Bote der Gesell- schaft wird der bisherige Hausdiener des Physikalischen Institu- tes Kosel angenommen.” [4] Seit den 1850er Jahren hatte die Physikalische Gesellschaft auch eine eigene Bucherei mit einem gewiihlten ehrenamtlichen Bibliothekar. Letzterer berichtete auch uber Neuanschaffungen, und bestatigte, daB die ,,Herren Halske und Siemens” der Gesellschaft bereits 1863 ein ,,Etalon einer Siemensschen Quecksilbereinheit” fur die Bucherei schenkten. Gleichzeitig teilte der derzeitige Bibliothekar Dr. Gallenkamp mit, daB ,,Dubletten” ausgeschieden werden und endlich am 7. August 1863 die ,,Catalogisirung der Bibliothek” beendet ist, so dal3 nur noch erganzt werden muBte. Umfang und Unterbringung der Bibliothek wurden nach und nach zum Problem. Der Bibliothe- kar Dieterici teilte z.B. in der Sitzung am 17. Februar 1888 mit: ,,Es wird beschlossen, fur die Bibliothek neue Regale etc. zu beschaffen, da die Bibliothek aus dem jetzigen Raume entfernt werden muB.” [4] Als Dieterici 1890 nach Breslau berufen d wurde, beantragte er schnell noch die ,,Anstellung einer begab- ten Hilfskraft” fur die Bibliothek. Auch die Ausleihe wurde bei Erste Vorsitzende der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Neben Gustav Karsten waren erste Vorsitzende der Berliner Physikalischen ansteigenden Benutzerzahlen immer unubersichtlicher. Daher Gesellschaft: Emil du Bois-Reymond (1848 - 1878), Hermann von erging in der Sitzung am 21. Oktober 1898 die Mitteilung: Helmholtz (1878 - 1894), Wilhelm von Bezold (1894 - 1896), EdWar- ,,Diejenigen Herren, welche aus der Bibliothek Bucher entlei- burg (1896 - 1899).

F-19 der der Gesellschaft. 1874 wurde ein ,,Fest zur Feier des VorschuBzahlungen an den Redakteur der Jahresberichte, also 25jahrigen Prasidiums des Herrn Du Bois Reymond” veranstal- der ,,Fortschritte der Physik”, gebeten. tet und dem Jubilar ein ,,Portrat-Album der Mitglieder der Phy- sikalischen Gesellschaft” uberreicht. (Es kostete 28 Taler) [4]. Wieder rund zehn Jahre spater, zur Sitzung am 9. Mai 1884, Du Bois-Reymond hat als langjahriger Vorsitzender hohe Ver- auf der auch ein ,,Bericht uber die Beschliisse der letzten elek- dienste um den Zusammenhalt und die Organisation der Gesell- trischen Conferenz” gegeben wurde, wahlten die 23 Anwesen- schaft. Als fiihrender Wissenschaftler nahm er auch nachhalti- den von rund 110 Berliner Mitgliedern folgenden Vorstand: gen Einflulj auf die inhaltliche Entwicklung. Eugen Goldstein meint, die Wahl Helmholtz’ zum 1. Vorsit- ,,1 . Vorsitzender Geh. Rat v. Helmholtz zenden nach Vollendung des neuen Physikalischen Instituts am 2. K ir c h h of f Berliner Reichstagsufer (1 878) hatte einen recht trivialen Anlalj 1. Schriftfuhrer Prof. Dr. Schwalbe gehabt: 2. ” ” Neesen 3. Dr. Rosochatius ,,Die Sitzungen finden seitdem bekanntlich fast stets im 1. Rechnungsfiihrer Hansemann groBen Horsaal des Instituts (Physikalisches Institut) statt, 2. Brix und da Du Bois-Reymond sich weigerte, in Helmholtz’ 3. Lampe Hause weiter den Vorsitz zu fiihren, wurde Helmholtz 1. Bibliothekar Dr. Kayser zum Vorsitzenden der Gesellschaft, Du Bois-Reymond 2. Dr. Hagen” [4] zum Ehrenprasidenten gewahlt.” [ 14, S. 391 Am 6. Mai 1892 ist noch immer Helmholtz 1. Vorsitzender und Wir fragen uns naturlich, ob auch heute weniger bekannte oder auch auf den iibrigen Positionen des Vorstandes lesen wir im schon vergessene Manner nachhaltigen Einflulj auf die Entwick- Protokoll vertraute Namen: lung der Gesellschaft genommen haben. (Frauen finden sich in den Mitgliederlisten bis 1900 leider noch nicht.) Greifen wir ,,Neuwahl des Vorstandes: deshalb willkurlich einige Vorstandswahlen heraus: So wurde in Vorsitzende Schriftfuhrer Rechnungsfiihrer Bibliothekare der Sitzung vom 24. April 1863, an der leider nur zehn von 74 1. v. Helmholtz 1. Schwalbe 1. Planck 1. Raps Berliner Mitgliedern teilnahmen, folgender Beschlulj festgehal- 2. Kundt 2. Konig 2. Brix 2. Rubens ten, nachdem Dr. Brix den ,,Stand der Gesellschaftskosten 3. v. Bezold 3. Assmann 3. Lampe” [4] erstattet” hatte: Im Jahre 1898, wieder am 6. Mai, hatte sich das Bild schon ,,Herr Prof. E. du Bois-Reymond wurde einstimmig zum erheblich gewandelt. Helmholtz war 1894 verstorben, und nun Vorsitzenden, desgl. Dr. Quincke zum Schriftfiihrer, Dr. drangte die jungere Physikergeneration nach vorn: Brix zum Rechnungsfuhrer gewahlt. (Letzterer nahm die Wahl als provisorisch an, indem er den Wunsch aussprach, ,,Neuwahl des Vorstandes: daB eine anderweitige Besetzung dieses Postens erfolgen Vorsitzende Schriftfuhrer Rechnungsfiihrer Bibliothekare mochte.) Zum Stellvertreter des Vorsitzenden wurde Prof. 1. Warburg 1. Schwalbe 1. Planck 1. Behn Rober, zum Stellvertreter des Schriftfuhrers Dr. Paalzow, 2. v. Bezold 2. Konig 2. Lampe 2. Kaufmann zum Stellvertreter des Rechnungsfiihrers Dr. Splittgerber, 3. Lummer 3. Bornstein 3. Lange zum Bibliothekar Hr. Dr. Gallenkamp, zum Stellvertreter 4. Assmann” [4] des Bibliothekars Dr. Jochmann gewahlt.” [4] Die Namen der 1. Vorsitzenden sind uns noch heute wohlbe- Etwa ein Jahrzehnt spater, am 7. Mai 1875, nahmen siebzehn kannt, und sie trugen auch wesentlich zum Ansehen der Gesell- von rund hundert Berliner Mitgliedern an einer Wahl teil, zu der schaft bei. Aber kaum ein heutiger Physiker kennt die Namen naturlich auch ein physikalischer Vortrag gehalten wurde: anderer Vorstandsmitglieder, die mitunter fur das florierende Leben der Gesellschaft nicht geringere Bedeutung hatten. So .,Wahl lohnt sich ein Blick auf die Lebensumstande einiger von ihnen: I. Vors. H. (Herr) Dubois-Reymond August Rober, der einige Jahre als 3. Vorsitzender fungierte,

11. ” H. Helmholtz war zuletzt Mathematiklehrer an der stadtischen Gewerbeschule

111. ” H. Rober und hat insbesondere Arbeiten zur Magnetisierung und zu den I. Schriftfuhrer H. Rudorff ,,Lichtgesetzen” veroffentlicht. Der langjahrige verdiente 11. H. Schwalbe Bibliothekar Wilhelm Gallenkamp wurde 1861 Direktor der 111. H. Neesen Friedrich-Werderschen Oberrealschule; er schrieb u. a. ein Lehr- I. Rechnungsfuhrer H. Brix buch der Elementarmathematik und bemuhte sich um die I. Stellvertreter H. Splittgerber Reform der hoheren Lehranstalten. Der ,,Rechnungsfuhrer” Phi- 11. Stellvertreter H. Hansemann lipp Wilhelm Brix war Oberingenieur des Telegraphenamtes Bibliothekar H. Gallenkamp Berlin und trat mit Arbeiten zur ,,theoretischen Telegraphie” Stellvertreter H. Rudorff hervor. In der gleichen Funktion war der Besitzer einer Glashut- Kassenbericht H. Rudorff’ [4] te und ,,Privatmann” David Karl Splitgerber tatig. Bis zur Jahrhundertwende hat der ,,Rechnungsfiihrer” Gustav Dalj man auch damals mit Finanznoten zu kampfen hatte, zeigt Hansemann, ein Privatgelehrter, Bruder des bekannten Bankiers folgender Antrag: Gleich nach der Wahl wurde der Vorstand um Adolph Hansemann, die finanziellen Belange der Physikali-

F-20 Verdienstvolle Redakteure der ,,Fortschritte”: Der Physiker Bernhard Schwalbe sowie die Meteorologen Richard Assmann und Richard Bornstein reorganisierten und modernisierten das gesellschaftseigene Referateorgan. schen Gesellschaft wahrgenommen. Neben physikalischen Vortrage - eine breite wissenschaftliche Palette Untersuchungen bearbeitete er wirtschaftliche Probleme und schrieb u. a. ,,Versuch zur Einfuhrung des Princips von der Die wissenschaftlichen Vortrage waren fur jedes Mitglied her- Erhaltung der Kraft in die Socialwissenschaft” und ,,Uber die vorragende Anregung fur eigene Untersuchungen, und sie boten doppelte Buchfuhrung in der Weltwirtschaft”. Seine finanztech- zudem einen Einblick in die Arbeiten anderer. Oft konnte man nischen Kenntnisse und Beziehungen - er saR u. a. im Auf- sich auch uber den aktuellen Fortschritt in der Physik informie- sichtsrat der Discontogesellschaft - kamen auch der Physikali- ren; das war ebenso eine einzigartige Moglichkeit der Weiterbil- schen Gesellschaft zugute. dung. Das Besondere und Neue aber war, dal3 sich die Vortrage Arthur Konig, ab 1888 fur lange Zeit Schriftfiihrer, war wie in vergleichbaren Gesellschaften nicht allgemein auf Natur- zunachst Assistent bei Helmholtz gewesen und wurde spater als wissenschaften, sondern speziell auf die Wissenschaft Physik mit Extraordinarius Vorsteher der physikalischen Abteilung des ihren neuen und alten Vorstellungen sowie auf ihren Umkreis Physiologischen Instituts der Universitat Berlin. Lange Zeit war bezogen. Die Mitglieder haben auf diese Weise zur Formierung u. a. als ,,Schriftfuhrer” Friedrich Rudorff im Vorstand tatig, der der klassischen Physik beigetragen. Naturlich zeigen auch die an der Bauakademie und zuletzt als Professor der Chemie an der Vortrage mit ihren Themen, dal3 die Physikalische Gesellschaft Technischen Hochschule Charlottenburg wirkte. An dieser Ein- zunachst eine lokale Vereinigung unter vielen anderen war. Die richtung war der zeitweilige Schriftfuhrer Carl Adolph Paalzow Vortragenden kamen vorzugsweise aus Berlin. Der geschilderte Professor der Physik. Aufstieg zu einem Wissenschafts- und Industriezentrum Aus der jiingeren Generation ist als ,,Rechnungsfuhrer” der beeinflul3te auch die Palette der Vortragsthemen. Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg Carl Neben den ausgesprochen physikalischen Themen finden Otto Emil Lange und als Bibliothekar der durch sein ,,Handbuch sich viele Vortrage zur naturwissenschaftlich-physikalischen der Spektroskopie” bekannt gewordene Heinrich Gustav Johan- Fundierung der Medizin (Physiologie), der Elektrotechnik und nes Kayser zu nennen. der aufkommenden Photographie. In iihnlicher Weise sind auch Als Bibliothekar fungierte sieben Jahre lang Heinrich die Anfange der interdisziplinken Wissenschaften wie Astro-, Rubens, warend Max Planck ab 1892 langjahriger Rechnungs- Geo-, Biophysik und physikalische Meteorologie und Chemie in fuhrer der Physikalischen Gesellschaft war. der Physikalischen Gesellschaft verhandelt worden. Eine wichtige Rolle spielten aber immer wieder die Schrift- Wenn man die Vortragenden naher betrachtet, finden sich fuhrer, da sie oft zugleich die schwierige und arbeitsaufwendige eigentlich kaum uberraschende Akzente: Das allgemeine Vor- Arbeit als Redakteur der ,,Verhandlungen” bzw . der ,,Fortschrit- tragsgeschehen wird von Mannern gepragt, die zwar manchen te” auf sich nahmen. In erster Linie sind hier Bernhard Schwal- Mosaikstein neuen Wissens beigetragen haben, aber nicht in der be, Direktor des Dorotheenstadtischen Gymnasiums in Berlin, Erinnerung der Physikergemeinschaft uberlebten. Aber sie und die Meteorologen Richard Assmann und Richard Bornstein bereicherten nachhaltig das Gesellschaftsleben. Das sol1 nicht zu nennen. Als weitere langjahrige Redakteure der ,,Fortschrit- gegen die ,,groBen Manner” der Gesellschaft sprechen, die te” haben der Realschul-Professor August Karl Kronig und der selbst ofter kleinere Untersuchungen neben ihren richtungswei- Physikprofessor an der Berliner militartechnischen Akademie senden Vortragen vorlegten. Das ist ein Ausdruck dafiir, dal3 Friedrich Neesen hervorragende Arbeit geleistet. 1900 trat Karl sich ,,Wissenschaft im Gesprach” entwickelt, und zwar nicht Scheel in die Redaktion ein. nur in der Diskussion der GroRen und Beriihmten.

F-21 Gaste, auch aus der Gruppe der ,,auswartigen Mitglieder”, wissenschaftlicher Zeitschriften fur Lehrer, forderte die waren eher selten. Jedoch haben bedeutende Physiker, wenn sie Volkshochschule [Humboldt-Akademie] und war Stadt- einmal in Berlin waren, auch in der Physikalischen Gesellschaft verordneter). Bei der patriarchalischen Geschaftsfuhrung, vorgetragen. Diese Gesellschaft galt schon damals als ein Mit- die damals in der Physikalischen Gesellschaft herrschte, telpunkt des Erfahrungsaustausches. bei den geringen Mitteln, uber welche man verfugte, dach- Es ist also nicht zu ubersehen: Die Physikalische Gesell- te niemand an Entschadigung, und Schwalbe machte nicht schaft hat bereits in den ersten funfzig Jahren ihres Bestehens vie1 Aufhebens von den Aufgaben, die er spielend bewal- das wissenschaftliche Klima Berlins mitbestimmt und gefordert. tigte. Zu den Pflichten des Redacteurs gehorte auch die Ordnung des Lesezirkels; alle Mappen, die zum Umlauf Die Herausgabe der ,,Fortschritte” - unter den Mitgliedern kamen, fullte er selbst, und die Auf- eine aufwendige Gemeinschaftsarbeit schriften auf den Deckeln, welche das Verzeichnis der einliegenden Zeitschriften gaben, fuhrte er eigenhandig ,,Die Fortschritte der Physik im Jahre 1845. Dargestellt von der aus. So reprasentierte er ganz allein das Haupt und die physikalischen Gesellschaft zu Berlin” waren der erste Jahrgang Schreiber des Redactionsbureaus der Physikalischen des ersten ausgesprochen physikalischen Referateorgans, Gesellschaft.” [3] obwohl naturlich auch Zeitschriften anderer Wissenschaften und der Technik sowie Monographien und Fachbucher rezensiert SchlieRlich muRten die ,,Fortschntte der Physik” bis 1882 auch wurden. Dessen Wert fur die Entwicklung der Physik und wei- die ,,Nachrichten uber die Physikalische Gesellschaft” mit aktu- terer interdisziplinarer Wissenschaften ist kaum zu uberschat- eller Mitgliederliste, Ein- und Austritten und den in den Sitzun- Zen. gen vorgetragenen Originalunterschungen der Mitglieder enthal- 1925 lobte im Riickblick ausdrucklich die ten. Gemeinschaftsarbeit bei der Herausgabe der ,,Fortschritte” und Der Redakteur muRte oft in den Sitzungen zur Diskussion der ab I882 erscheinenden ,,Verhandlungen”: stellen, welche Zeitschriften neben den ,,Geschenken” (den kostenlos eingesandten Veroffentlichungen) fur die Rezension ,,Diese literarische Aufgabe hat die Gesellschaft trotz in den ,,Fortschritten” und fur den ,,Lesezirkel” be- oder abbe- gelegentlicher Schwierigkeiten konsequent durchgefuhrt, stellt werden sollten. Zuweilen wurde auch uber den ,,Tausch- bis sie sie an die groRere Dt. Phys. Ges. und zum Teil an verkehr” mit den gesellschaftseigenen ,,Fortschritten” debattiert. deren Schwestergesellschaft fur Technische Physik (seit Es zeigt sich, daR die ,,Fortschritte” mit den Jahren ein immer I9 19) abtreten konnte. Wie an der physikalischen For- begehrteres Tauschobjekt wurden; beispielsweise werden sie schung, nimmt seitdem die Gesamtheit der deutschen Phy- 1875 nachdrucklich von der ,,Akademie zu Brussel” angefor- sik auch an der Fursorge fur diese Zeitschrift teil, die trotz dert. Spater wurden dann auch die ,,Verhandlungen” zum veranderter Bezeichnung (Physikalische Berichte ab 1920) Tausch angeboten, und der Zeitschriftentausch weitete sich die Fortsetzung der alten ‘Fortschritte’ und der alten ‘Ver- offenbar so am, dal3 im Protokoll vom 18. Februar 1887 zu handlungen’ sind.” [8] lesen ist: ,,Es wurde als Kommission fur Berathung uber den Austausch von Zeitschriften gewahlt: Schwalbe, Hansemann, Offensichtlich hatten die ,,Fortschritte” fur den Zusammenhalt Rosochatius, Lummer.” [4] aller deutschen Physiker uber die Physikalische Gesellschaft Nicht immer wurde einem Tausch zugestimmt, u. a. wenn die hinaus grol3e Bedeutung. In den ersten funfzig Jahren war die dafur erhaltbare Zeitschrift nur von untergeordneter Bedeutung umfangreiche und zeitaufwendige Arbeit an den ,,Fortschritten” ist, wie etwa die Abhandlung der naturforschenden Vereinigung ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem fast alle Mitglieder der zu Brunn. 141 Gesellschaft irgendwie beteiligt waren. Durch die Herausgabe Dieser Einblick ist auch hilfreich fur die Einsicht, wieviel dieses Referateorgans wurde die Gesellschaft iiber Berlin hinaus Arbeit uns heute durch moderne technische Mittel abgenommen in ganz Deutschland und schliel3lich auch international bekannt. wird, aber er zeigt auch, daR der Physiker schon damals eine all- Dadurch sahen insbesondere die deutschsprachigen Physiker in seitige Information brauchte und wunschte. Die wichtigsten der ,,Physikalischen Gesellschaft zu Berlin” einen Konzentra- Mitarbeiter des Redakteurs waren die ,,Berichtentatter”, also tions- bzw. Angelpunkt fur ihre Arbeit. die Referenten. Das waren lange Zeit nur Mitglieder der Physi- Welchen Umfang die Arbeiten an den ,,Fortschritten” hatten, kalischen Gesellschaft in aller Welt, auf die sich der Redakteur geht beispielsweise aus dem Nachruf fur den Direktor des Doro- bezuglich des Inhalts und vor allem des Abgabetermins verlas- theenstadtischen Realgymnasiums Bernhard Schwalbe hervor, sen muBte. der von 1866 bis 1892 (Jahrgang 1886) Redakteur der ,,Fort- Aus den Statistiken geht hervor, daR 1846 109 Zeitschriften schritte” war und von 1868 bis 1873 die gewaltige Arbeit allein (ohne Bucher) durch 20 Berichterstatter, 1880 529 Zeitschriften bewaltigte: durch 27 Berichterstatter, referiert wurden. Nach dem Erschei- nen der ,,Verhandlungen” (ab 1882) wurden 1895 452 Zeit- ,,Ohne Hilfskrafte fur die mehr mechanischen Geschafte schriften durch 66 Berichterstatter ausgewertet. In den 1880er heranzuziehen: die vielfachen Registrirarbeiten, Anferti- Jahren hatte bei der Auswahl der Zeitschriften auch eine Kon- gung des Registers, Versendung der zu besprechenden zentration auf die eigentlichen Disziplinen der Physik einge- Arbeiten, Durchsicht der Correcturbogen, erledigte setzt. Schwalbe alle diese Redactionsobligenheiten selbst, neben Die Zahl der Berichterstatter anderte sich also uber Jahrzehn- seiner Beteiligung in Vereinen und bei communalen te nur wenig; zumindest im ersten Jahrzehnt haben auch so Angelegenheiten (er gehorte u. a. zum Redaktionskolle- bekannte Mitglieder wie Helmholtz, Kirchhoff, Karsten, du gium der ‘Naturwissenschaftlichen Rundschau’ und natur- Bois-Reymond diese zeitaufwendige ,,Referierarbeit” fur

F-22 bestimmte Gebiete auf sich genommen. SchlieBlich handelte es die Bezeichnung ,,Physik der Erde” und endgultig ab 1878 die sich nicht nur um deutschsprachige Schriften. Beispielsweise ,,Astrophysik” zu finden. Aber auch die ,,Anwendungen der wurden 1870 116 deutschsprachige, 24 franzosische, 39 eng- ElektriziMt” werden nach ,,Stromerzeugung, elektrisches Licht, lischsprachige, sieben russische, sechs skandinavische, 14 italie- Telephonie, Telegraphie, elektrische Kraftubertragung, Dyna- nische und sechs weitere Schriften rezensiert. Ebenso wurden momaschinen” und spater Transformatoren zutreffend unterteilt, neben den physikalischen Veroffentlichungen auch die Zeit- bis ab 1900 diese Abschnitte in den ,,Fortschritten” wegfallen: schriften tangierender Wissenschaften, wie etwa das ,,Archiv fur Die Elektrotechnik hatte sich endgultig als technische Wissen- Anatomie und Physiologie”, die ,,Astronomischen Nachrich- schaft verselbstandigt. Ebenso wurde 1885 durch den Redakteur ten”, die ,,Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorolo- Emil Budde der Abschnitt ,,Elektrophysiologie” eliminiert, weil gie”, aber auch technische Zeitschriften wie etwa ,,The electri- diese ,,selbstbdige Disciplin ... nicht mehr von Physikern, son- cal Engineer”, die ,,Deutsche Bauzeitung”, der ,,Praktische dern ausschliefllich von praktischen Physiologen betrieben Maschinenkonstrukteur”, in die Liste der zu referierenden Peri- (wird), und diese suchen ihre Litteratumachweise nicht in den odika einbezogen. Darunter gibt es auch Joumale wie die ,,Zeit- Fortschritten der Physik, sondern in den ‘Jahresberichten uber Physiologie’.” [ 11 So verschwand eine einstmals fiir das Entste- hen der Physikalischen Gesellschaft so wichtige Forschungs- richtung aus deren Blickfeld. Dafur fiihrte Budde einen 600 Abschnitt ,,Vermischte Constanten” ein, weil sich die Abhand- U deutsche Schriften lungen mehrten, ,,in denen nicht eine physikalische Eigenschaft 5001 auslandische Schriften n an verschiedenen Korpern erforscht, sondern ein- und derselbe 0 Schriften insgesarnt Korper auf eine Reihe der verschiedensten Eigenschaften 400 Bertchterstatter gepriift wird”. [I] Zumindest methodologisch kann man das als Vorlauf fur die ,,Festkorperphysik” betrachten. 300 Mit folgenden Uberlegungen machten Redakteure weit vor der Jahrhundertwende erste intuitive Schritte zu einer neuen 200 Mikrophysik: Sie trennten die Artikel, die sich auf die Atome und ,,auf die Zusammensetzung des Moleculs aus Atomen” 100 beziehen, von denjenigen, die den ,,Aufbau des Korpers aus 0 Moleculen” behandeln. 1846 1852 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 Ab dem Jahrgang 1880 teilte die Gesellschaft nach Diskus- Anzahl der in den ,,Fortschritten” referierten Schriften zwischen 1845 sionen den Gesamtbereich in drei Abteilungen ,,Physik der und 1900. Deutlich ist ablesbar, daB die Anzahl der referierten Abhand- Materie, ,,Physik des Athers” und ,,Physik der Erde” auf und lungen nach 1880 leicht zuriickging, weil interdisziplinare Gebiete aus- versuchte, zunachst fur jede Abteilung einen verantwortlichen geschieden wurden. Die Zahl der ,,Berichterstatter” (= Referenten) wnchs nur wenig, urn so groRer wurde ihre Belastung. (Auswertung: A. Redakteur einzusetzen. ,,Physik der Materie” sollte alle mecha- Fiedler) nischen Prozesse einschliel3lich der Warmelehre umfassen; die ,,Physik des Athers” hatte die Prozesse des elektromagnetischen Feldes (vornehmlich der Elektrodynamik) und der Optik zum schrift fur Ohrenheilkunde” oder die ,,Zeitschrift fur das Forst- Inhalt und in der ,,Physik der Erde” waren die interdiszipliniiren und Jagdwesen” oder das ,,Organ des Centralvereins fur Ruben- Gebiete vereinigt, die sich mit der Erde und ihrer Atmosphiire zuckerindustrie”, die anscheinend wenig Beziehungen zur Phy- befassen. Im ganzen ist darin eine vage Vorahnung der kom- sik aufwiesen. Aber sie waren eine informative Lekture fur menden Veranderungen mit dem Entstehen der modernen Phy- manche Mitglieder, deren Interessenbereich weit uber die Phy- sik zu sehen. sik hinausreichte. Sind die ,,Fortschritte” aktuell? Die Gliederung der ,,Fortschritte” - ein standiges Problem Das groBte Handicap der ,,Fortschritte” bestand darin, da13 die Zeit zwischen ,,Berichtsjahr” und Erscheinen des jeweiligen Da die Gesellschaft das Gebiet der Physik aufierordentlich weit Bandes bis auf funf oder sogar sechs Jahre anwuchs. Dadurch faBte, war es eine Hauptaufgabe der Redakteure, eine geeignete wurden die ,,Fortschritte” unaktuell und durch die von den Gliederung der Forschungsgebiete fur die ,,Fortschritte” aufzu- ,,Annalen” herausgegebenen ,,Beiblatter” verdrangt. Zwei neue stellen. Damit gaben sie fir alle Leser eine Orientierung, und es Redakteure, die Meteorologen Richard Bomstein, der die erste oblag ofter ihrer Findigkeit und Intuition, neue Themen oder und zweite Abteilung (Physik der Materie”, ,,Physik des Probleme friih zu erkennen oder nur bedingt Wichtiges zuriick- Athers”) ubernahm, und Richard Assmann (Dritte Abteilung: zudrangen. Man mu13 den Redakteuren bescheinigen, daB sie ,,Physik der Erde”) machten sich 1893 mit Initiative und neuem sehr schnell auf Veranderungen und Neuerungen in der Physik Arbeitsplan an die Arbeit, Ruckstande aufzuholen. Insbesondere und ihrem Umkreis reagierten. wurde ,,dafur gesorgt, dass die einzelnen Hefte der Zeitschriften In der klassischen Einteilung nach physikalischen Teildiszi- sogleich nach dem Erscheinen der Redaction zugehen und von plinen sind schon 1845146 Stichpunkte wie ,,Physiologische dieser an die betheiligten Herren Referenten behufs sofortiger Optik”, ,,Strahlende Warme”, ,,Elektrophysiologie”, ,,Telegra- Bearbeitung gesandt werden”. [ 11 Zugleich ubernahm die auf- phie”, ,,Galvanismus” vorhanden. Einige zielen auf die Heraus- strebende ,,Firma Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig” bildung mit der Physik verbundener interdisziplinarer Wissen- durch ein ,,hochst werthvolles Entgegenkommen” die Herausga- schaften. So ist schon 1847 der Begriff ,,Meteorologic", ab 1852 be der ,,Fortschritte”. So erreichten die Redakteure, da13 die

F-23 Zwischenzeiten zwischen Berichts- und Erscheinungsjahr auf Die Gesellschaft mitten im Leben: Kongresse, ein Jahr eingeengt und die Ruckstande aufgearbeitet wurden. Systeme, Institutionen Uber diese Krisenjahre sagte Assmann 1896 riickblickend: ,,Das Todesurtheil der Fortschritte schien gesprochen zu sein, und Die Physikalische Gesellschaft war und ist eine Vereinigung, man begann bereits Erwagungen uber ein anstiindiges Begrabnis die mitten im Leben steht. Die Mitglieder waren damals wie anzustellen. Da war es vornehmlich unser hochverehrter Ehren- heute daran interessiert, etwas uber alle Ereignisse zu erfahren, prasident du Bois-Reymond, welcher immer und immer wieder die irgendwie mit der Physik zu tun hatten. sagte: ‘Und wenn wir nur den 50. Band noch fertigstellen konn- So war es ganz naturlich, daB in der Physikalischen Gesell- ten!”’ [2] - Das gelang. 1896 iibergab Assmann auf dem 50. schaft die Einfuhrung des metrischen Systems in Deutschland Stiftungsfest einen Teilband fur das Jahr 1894, also fast ohne (1875) mit Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Bereits 1848 hatte Verzug. Karsten ,,Vorschlage zur allgemeinen deutschen Ma&, Die allseitig anerkannte und ehrenvolle Herausgabe der Gewichts- und Munzregulirung” [I] gemacht. Dariiber hinaus ,,Fortschritte” brachte die Physikalische Gesellschaft immer bemuhte man sich um ein gut vergleichbares oder gar einheitli- wieder in Geldnote, ein auch heute bekanntes Problem. Die Ein- ches Einheitensystem in den Wissenschaften. Reproduzierbare nahmen der Gesellschaft waren durch die nicht sehr hohen Mit- Einheiten waren besonders in der Elektrophysik ein Gebot der gliedsbeitrage begrenzt, aber es gab diverse Ausgaben. Ofter Stunde. Beispielsweise war der Vortrag von Lasch ,,Ueber die tauchte deshalb in den Bilanzen der Punkt ,,Zuschusse zu den Vergleichung der Maasse und Berichtigung einiger Fehler in Jahresberichten” auf. Das lag vor allem daran, daB zwar die Abhandlungen von Regnault, Eytelwein und Hallstrom” (185 1) Gesellschaft die meisten Zeitschriften und Bucher kostenlos [ 11 ein Versuch, international abgestimmte Einheiten einzu- erhielt, aber die ,,Fortschritte” auch an viele Institutionen, die fuhren. In spateren Jahren wurden natiirlich solche Bekanntga- Berichterstatter und viele Mitglieder zumeist kostenlos abgege- ben wie die ,,Mitteilung uber die Bestimmung der nationalen ben wurden. 1884 wurden die Statuten dahingehend geandert, Prototype des Kilogramms im Bureau international des Poids et daB der Vorstand die Verteilung des vom ,,Verleger gezahlten Mesures in Paris” [l] ausfuhrlich diskutiert. Man legte auch Honorars (fur die Jahresberichte) bestimmt und er dem Verein Wert auf ,,Vergleichungen von Normalmeterstaben”. Es zeugt daruber Mitteilung gibt. Erst nach dem Erscheinen der ,,Ver- von der Regsamkeit der Mitglieder, daB Lummer bereits 1887 handlungen” (die alle Mitglieder kostenfrei erhielten), wurde fur ,,Ueber eine neue Methode Meter und Kilogramm zu verglei- Mitglieder ,,ein Vorzugspreis” fur die ,,Fortschritte” erhoben. chen, die Wellenlange als Urnormale einzufuhren und uber Anfangs kosteten die ,,Fortschritte” jahrlich 6 Taler und 1895 hydrostatische Wagungen” [ 11 vor der Gesellschaft referierte, 70,- Mark. Aus diesem Grunde war die Gesellschaft bestrebt, also lange vor der gesetzlichen Einfuhrung der Wellenlange Gelder auch aus anderen Quellen zu erhalten. einer Spektrallinie als Langennormal. Der Vorstand wandte sich deshalb im ,,Krisenjahr” 1889 an Ebenso nahmen die Mitglieder EinfluR auf die Diskussionen die Konigliche Akademie der Wissenschaften mit der Bitte um uber gut vergleichbare und reproduzierbare elektrische Einhei- eine Unterstutzung von 2000,- Mark.: Im Auszug aus dem Sit- ten. Erinnert sei nur an Siemens’ ,,Quecksilbereinheit” fur den zungsprotokoll vom 16. Mai 1889 liest man: Widerstand. Helmholtz gehorte der deutschen Delegation zum internationalen ElektrikerkongreB 1881 in Paris an, auf dem die ,,Hr. Kundt bringt den von den Hrn. von Helmholtz, v. internationalen Einheiten Volt, Ohm und Ampbre festgelegt Hofmann, Munk, Landolt, v. Bezold, v. Siemens, Kundt, wurden. Zweimal gab Helmholtz 1882 einen ,,Bericht uber die du Bois-Reymond unterzeichneten Antrag ein, die Classe internationale elektrische Commission” [4] und schilderte die moge der Berliner physikalischen Gesellschaft zur Fortset- Verhandlungen auf dem ,,elektrischen CongreB in Paris”. her- zung des von ihr herausgegebenen physikalischen Jahres- dies gab es auch Informationen uber die Weltausstellungen. Des berichts, der durch besondere Umstande ins Stocken ge- ofteren beschrieb ein Mitglied wissenschaftliche Begebenheiten rathen ist, eine Beihilfe fur das laufende Jahr von 2000 M bei Auslandsreisen, wie etwa Paalzow 1876, der uber ,,in Lon- gewahren, um deren Erneuerung auch noch in zwei fol- don ausgestellte wissenschaftliche Apparate” sprach. 1900 genden Jahren die Gesellschaft einzukommen sich vor- wurde der ,,internationale Congress fur Physik im August” behalt. Geht an den Geldverg. AusschuB (gez.) E. du angekundigt. Bois-Reymond.” [5] Mannigfaltig waren die Verbindungen zu anderen Gesell- schaften und Vereinen, wie etwa zum Elektrotechnischen Ver- Offenbar war es gunstig, daB fiihrende Mitglieder der Gesell- ein oder zur ,,Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte”. schaft auch Akademiemitglieder waren. So ging der Antrag Viele Mitglieder waren auch in anderen Vereinigungen prasent durch und wurde an das ,,Ministerium der geistlichen, Unter- und regten Erfahrungsaustausche an. GroBes Interesse brachten richts- und Medicinal-Angelegenheiten” weitergereicht, das den die Mitglieder fur die Arbeit wissenschaftlicher Einrichtungen Betrag bewilligte. Der sehr ruhrige Schatzmeister der Gesell- auf. So war es nicht zufallig, daB etwa Sporer 1874 eine ,,Mitt- schaft, der ,,Privatgelehrte” Gustav Hansemann, war ja, wie heilung uber die Einrichtung der Sonnenwarte bei Potsdam” [l] erwahnt, in wirtschaftlichen Dingen sehr erfahren. Er hat diesen machte und Max Thiesen 1895 ,,Ueber neuere in der Physika- Weg, Zuschusse fur die ,,Fortschritte” zu erhalten, ofter lisch-Technischen Reichsanstalt ausgefuhrte Arbeiten” berichte- beschritten. Damit wurde das Weiterbestehen der ,,Fortschritte” te. Naturlich nahm die Gesellschaft auch an wissenschaftlichen finanziell gesichert. Fur die Gesellschaft und alle Physiker hat- bzw. technischen Ereignissen regen Anteil. 1867 informierte ten die ,,Fortschritte” schliel3lich zwei Funktionen: Durch sie beispielsweise ein Gast ,,Ueber die in PreuBen fur die mitteleu- waren die Leser am internationalen Geschehen in der Physik ropaische Gradmessung seit d. Jahre 1862 ausgefuhrten Mes- beteiligt; und die Gesellschaft selbst gewann Ansehen in der sungen” [l]. Aber auch Spektakulares kam auf die Tagesord- Welt. nung. Beispielsweise sprach 1893, also im Jahr der Gleitflugver-

F-24 suche Lilienthals, Allard du Bois-Reymond ,,Ueber Otto Lilient- Bruder Weber, der Gottinger Physiker Wilhelm Weber, der hal’s Versuche, das Fliegen zu lernen” [2]. Da Helmholtz’ zwie- Leipziger Physiologe Ernst Heinrich Weber und der Leipziger spiiltige Ansicht zu diesem Problem uberliefert ist, wiire es auf- Anatom Eduard Weber. Diese Einschatzung bezieht sich zuerst schluBreich gewesen, die Meinungen anderer Mitglieder ken- auf Wilhelm und Ernst Heinrich Webers Werk uber die mecha- nenzulernen, die leider unbekannt gebliebenen sind. Ebenso nische Wellenlehre (1825), das Ernst Heinrich zusammengefdt berichtete der Nordpolforscher von Drygalski uber eine Expedi- 1850 auf den Blutkreislauf und den Puls anwendete und so die tion und erorterte die Eisbewegung an Gronlands Inlandeis, und Lehre von der Blutdynamik begriindete. Wilhelm und Eduard Neesen informierte 1900 uber eine danische Expedition unter Weber eroffneten mit ihrem Werk ,,Mechanik der menschlichen Leitung von Adam Paulsen. Gehwerkzeuge” ( 1836) die elastomechanische Untersuchung Die Gesellschaft war also auch fur diese Aktivitaten aus vie- von Muskelbewegungen. SchlieBlich haben die beiden Leipziger len Bereichen eine Informationsquelle, und oft fand sich ein Weber um 1840 begonnen, Nervenreizungen mit hoher elektri- Mitglied oder ein Cast, um kompetent dariiber zu berichten. scher Spannung vorzunehmen. Sie erkannten u. a., dddie Rei- zung des Vagus Verlangsamung, hingegen Reizung des Sympa- thicus Beschleunigung der Herztatigkeit bewirkt. Medizinische Physik oder physikalische Physiologie - GrundungsanlaB und Dauerthema

Die Physiologie wurde von altersher als Teilgebiet der Medizin betrachtet, das eng der Anatomie verbunden war. Hohepunkte im 16. und 17. Jahrhundert waren die Entdeckung des Blutkreis- laufes, der Blutkorperchen und -kapillaren sowie die Untersu- chung der Muskeln. Im 18. Jahrhundert gab es u. a. Anfange einer Blutdynamik. Mit Antoine Laurent Lavoisiers umwalzen- der neuer Theorie der Chemie, vornehmlich der Verbrennung, keimten auch neue Uberlegungen zum Stoffwechsel und der Atmung von Lebewesen. Ebenso machte die Mikrophysiologie durch die Erfindung und Verbesserung des Mikroskops Fort- schritte, speziell bei der Beobachtung von Einzellern.. Diese wenigen Beispiele zeigen, dddie Entwicklung darauf hinaus- lief, Lebensvorgange immer exakter zu beschreiben und auch zu erkliiren.

Eine neue Physiologie

Am Anfang des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Situation. Bedeutende Physiologen bzw. Mediziner wie Johannes Muller in Deutschland, Johann Evangelista Purkyne in Bohmen und Franqois Magendie in Frankreich onentierten auf eine experi- mentell ausgerichtete Physiologie. Gleichzeitig begann man, die vornehmlich von Friedrich Wilhelm Schelling verfochtene romantische Naturphilosophie vor allem wegen ihres spekulati- ven Charakters zuriickzuweisen und einen strikt empirischen Standpunkt einzunehmen. Damit wurde auch das Konzept des Vitalismus in Zweifel gezogen, das zur Erhaltung aller Lebens- prozesse eine besondere Lebenskraft (vis vitalis) annahm. Im Die Gebriider Weber, der Physiologe Ernst Heinrich, der Physiker Wil- selben Zeitraum hatte sich mit der Herausbildung der klassi- helm und der Anatom Eduard Friedrich Weber (v. r. n. l.) gelten als schen Naturwissenschaften das Entwicklungsniveau von Physik Wegbereiter der ,,Physikalischen Physiologie”. und Chemie rasch erhoht. Daraus entsprang die folgerichtige Uberlegung, Lebensprozesse mittels physikalischer bzw. chemi- scher Erkenntnisse zu deuten und zu erkliiren. Damit begann die Physiologie in Berlin naturwissenschaftliche Fundierung der Medizin. So entwickelte sich eine neue funktionelle Physiologie, die Dieser Ansatz wurde an verschiedenen Stellen aufgenommen. zunachst drei Arbeitsrichtungen verfolgte: Neben die bereits AufschluBreich ist, dalj diese Thematik in Berlin stark beachtet existierende histologische Forschung trat die chemische Rich- wurde und in der bereits beschriebenen Griindungsgeschichte tung, die u. a. die Stoffwechselvorgange untersuchte, und vor der Physikalischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielte: allefi eine physikalisch-experimentelle Schule, die die Metho- Nochmals sei daran erinnert, dal3 unter den ,,Stiftern” zwei Phy- den und GesetzmaBigkeiten der Physik fur die Untersuchung siologen waren, der 27jahrige du Bois-Reymond und der von Lebensvorgangen zu nutzen suchte. 26jiihrige Briicke. Bereits im Griindungsjahr trat auch der Medi- Als ,,Pioniere der physikalischen Physiologie” gelten die drei ziner und Physiologe Helmholtz der Gesellschaft bei und wurde

F-25 mit den vorgenannten naher bekannt. Alle drei waren auch tieller Energie im Bereich der Mechanik u. a. von Galilei, Des- Schuler von Johannes Muller. So verwundert es nicht, daB die cartes, Huygens wahrgenommen, aber die Konfusion uber den spater beriihmten Physiologen Rudolf Virchow, Carl Ludwig Begriff ,,Kraft” und Umwandlungen in andere Energieformen und Adolph Fick bereits 1848149 Mitglieder der Physikalischen verhinderten eine allgemeine Formulierung. Bereits 1775 hatte Gesellschaft wurden, obwohl die beiden letzteren damals in jedoch die Pariser Akademie bekanntgegeben, alle Konstruktio- Marburg bzw. Zurich tatig waren. Auch der mit ahnlichen Pro- nen von perpetua mobile zuruckzuweisen. Erstmals hatte Sadi blemen befaBte bekannte Chemiker Justus von Liebig trat 1849 Carnot Anfang des 19. Jahrhunderts bei der Untersuchung von der Gesellschaft bei. So konstituierte sich in enger Verbindung reversiblen Kreisprozessen von Dampfmaschinen auf die aqui- rnit der Physikalischen Gesellschaft aus einigen von ihnen eine valente Umwandlung von mechanischer und Warmeenergie hin- ,,Berliner Gruppe” (obwohl nicht alle in Berlin ansassig waren) gewiesen. Michael Faraday suchte nach einem genauen Ma13 fur der ,,physikalischen Physiologie” oder der ,,organkchen Phy- die verschiedenen Umwandlungen der Energie, speziell bei sik”, die sich eindeutig naturwissenschaftliche Ziele stellte. Ihr elektrischen Prozessen. einfaches und klares Programm von 1847 hatte folgenden Jedoch erst der Arzt Julius Robert Mayer war um 1845 von Inhalt: Sie wollten eine neue Physiologie auf chemo-physikali- der durchgangigen Gultigkeit des Satzes fur alle ,,Naturprozes- scher Grundlage aufbauen und ihr den gleichen wissenschaftli- se” bei unbelebten und belebten Korpern uberzeugt. Er berech- chen Rang wie der Physik geben. Die Herausbildung des Ener- nete erstmals mit Werten der Gasphysik in einem Gedankenver- gieerhaltungssatzes und dessen Anwendung auf Lebensvorgange such das mechanische Warmeaquivalent. Dieses Umsetzungs- war eine starke Stutze fur ihre Anschauungen. Die Physikali- verhaltnis wurde schlieBlich von James Prescott Joule rnit ver- sche Gesellschaft rnit ihren weitgespannten Interessen wurde so schiedenen MeBapparaturen immer genauer bestimmt. ein fruhes und geeignetes Diskussionsforum fur Forschungen Es zeigt die Neuheit von Mayers Uberlegungen, dal3 seine auf diesem neuen Fachgebiet. Leistung, den Energiesatz als universelles Naturgesetz zu postu- lieren, vorerst nicht anerkannt und beachtet wurde. 1862 machte Der Energiesatz - ein Band fur alle Naturvorgange das 185 1 aufgenommene erste englische Mitglied der Physikali- schen Gesellschaft John Tyndall auf die Prioritat Mayers bei der Am 23. Juli 1847 hielt Hermann Helmholtz den beriihmten Vor- Entdeckung des Energieerhaltungssatzes aufmerksam, die dann trag vor der Physikalischen Gesellschaft rnit dem Titel ,,Ueber auch von Helmholtz unterstutzt wurde. das Princip der Erhaltung der Kraft”. [l] Noch funfzig Jahre Es zeugt von der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit der spater erinnerte man sich in der Gesellschaft an diesen Vortrag, Berliner Physikalischen Gesellschaft fur alles Neue, dal3 die in dem Helmholtz die Allgemeingiiltigkeit des Satzes von der Tradition der ,,Preisausschreiben”, die spater als Preise der Erhaltung und Umwandlung der Energie aussprach und die Gesellschaft ausgewiesen werden, am 14. Januar 1855 rnit damals bekannten Energieumsetzungen mathematisch exakt auf einem Thema zum Energieprinzip begonnen wurde, und zwar der Basis der mechanischen Naturauffassung formulierte. fur die ,,befriedigendste Losung der Aufgabe: das mechanische Bezeichnend fur die damalige Situation in den Naturwissen- Aequivalent der Warme experimentell zu bestimmen”. [ 11 Dafur schaften war, daB Johann Christian Poggendorff als Herausge- wurde der damals wie heute recht hohe ,,Preis von 250 Thalern ber der ,,Annalen der Physik und Chemie” die Veroffentlichung Gold” ausgesetzt. Die aus den ,,Herren E. du Bois-Reymond, R. trotz der Befurwortung von Magnus zuriickgewiesen hatte, weil Clausius, L. Wilhelmy” bestehende Jury hatte die von Gustav er darin eine unzulassige philosophische Verallgemeinerung Adolphe Hirn eingesandte Arbeit: ,,Recherches experimentales sah, die nach seiner Meinung uber das experimentell Nachweis- sur la valeur de I’Cquivalent mecanique de la chaleur” zu bewer- bare hinausging. Der spekulative Charakter der Schellingschen ten. Clausius bemangelte weniger die Exaktheit der Versuche, romantischen Naturphilosophie hatte dazu gefuhrt, daB sich sondern die ungenugende theoretische Fundierung bei Experi- Poggendorff, Magnus u. a. auf einen engen empirischen Stand- menten zum ,,Warmeverbrauch in Dampfmaschinen”. Offen- punkt zuruckzogen, eine Ansicht, die von den jungen Wissen- sichtlich ging Clausius dabei von eigenen Arbeiten aus, in schaftlern der Physikalischen Gesellschaft weniger geteilt denen er den ersten Hauptsatz als Energiebilanz mathematisch wurde. Dagegen wagte der der Physikalischen Gesellschaft formulierte und den thermischen Wirkungsgrad einer idealen freundschaftlich verbundene Berliner Verleger Georg Reimer, Warmekraftmaschine ableitete. So fuhlte sich die Kommission der auch die ,,Fortschritte der Physik” verlegte und druckte, nicht in der Lage, ,,die Arbeit zu kronen”. Aber wegen der wert- 1847 die Veroffentlichung von Helmholtz’ Artikel, der dann vollen Ergebnisse im einzelnen erhielt der Verfasser die ausge- 1889 als Heft 1 in ,,Ostwalds Klassiker der exakten Wissen- setzte Summe. So hat die Physikalische Gesellschaft an vorderer schaften” als Reprint erschien. Darin fuhrte Helmholtz aus: Front beigetragen, daB das Energieprinzip zum Allgemeingut der Natunvissenschaften wurde. Jede neue Theorie wurde nun- ,,Der Zweck dieser Untersuchung ... war, den Physikern in mehr gepruft, ob sie sich diesem grundlegenden Naturgesetz moglichster Vollstandigkeit die theoretische, praktische unterordnete. und heuristische Wichtigkeit dieses Gesetzes darzulegen, dessen vollstandige Bestatigung wohl als eine der Haupt- Elektrophysiologie - aufgaben der nachsten Zukunft der Physik betrachtet wer- Domane von Emil du Bois-Reymond den mul3.” (zitiert nach [26], S. 243) Den Problemkreis der Elektrophysiologie hat vor allem Emil du Helmholtz’ hervorragender allgemeiner Darlegung des Energie- Bois-Reymond in die Gesellschaft eingefuhrt und auch in zahl- prinzips war eine jahrhundertelange kontrare Auseinanderset- reichen Vortragen mit unterschiedlicher Thematik behandelt. zung um diesen Erhaltungssatz vorausgegangen. Am fruhesten Als er um 1855 verlockende Stellenangebote in andere Univer- wurden Energieumwandlungen zwischen kinetischer und poten- sitatsstadte erhielt, polemisierte er zwar gegen Berlin als ,,Zen-

F-26 tralpunkt”, blieb aber, denn ,,die Werkstatt von Siemens und schen Gesellschaft fur die Entwicklung von empfindlichen Halske, die physikalische Gesellschaft und die grol3en Berliner Geraten fur dieses neue Gebiet genutzt. So findet man 1847 den Frosche fesseln mich (hier) am meisten” [9, S. 1701. Im Jahr stark diskutierten Vortrag ,,Ueber einen Multiplikator (Galvano- 1858 wurde er Nachfolger Mullers auf dem Berliner Lehrstuhl meter) zur Untersuchung des Nervenstromes” und 1848 den mit fur Physiologie. Georg Halske verfal3ten ungedruckten Bericht ,,Magnetelektro- Du Bois-Reymond hatte um 1843 rnit sensiblen physikali- motor an dem die Stake der inducirten Strome bequem abge- schen MeBmethoden bioelektrische Strome nachgewiesen und stuft werden kann” [I]. Dahinter verbarg sich ein neuartiger damit endgultig zwischen ,,tierischer Elektrizitat” und anderen Elektrogenerator rnit Permanentmagnet, bei dem durch Spulen- galvanischen elektrischen Prozessen an Lebewesen unterschie- schaltung besser als zuvor die Stromstarke variiert werden den, wie sie ab etwa 1780 Luigi Galvani mit unterschiedlichen konnte; ein Apparat der auch fur biophysikalische Zwecke gut Elektroden bei Froschschenkeln als Indikator fand. Aus letzte- einsetzbar war. rem Effekt entwickelte Alessandro Volta die elektrochemische Helmholtz hat diese Richtung u. a. rnit Vortragen wie ,,Ueber Batterie, rnit der erstmals ein stationiirer Strom erzeugt werden die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung in den konnte. sensiblen Nerven” (1850) [ 11 weitergefuhrt. Laut Konigsberger hat du Bois-Reymond Helmholtz’ Bericht der Physikalischen Gesellschaft vorgelegt. Helmholtz hat hierbei in vorbildlicher Weise physikalische Methoden fur die Erforschung von Lebens- vorgangen verfeinert. In einer ersten Form nutzte Helmholtz nach Pouillets Methode die Unterbrechung des Primarkreises einer Induktionsspule als Ausloser eines Erregungsimpulses, dessen Ankunft in den Schenkelnerven eines grol3en Frosches mittels eines ballistischen Galvanometers gemessen wurde. Bald darauf wurden solche Messungen auch an Menschen ausgefuhrt. Im Anschlul3 an Ludwigs ,,Kymograph” entwickelte Helmholtz einen ,,Myograph”, bei dem mittels eines rotierenden Zylinders diese sehr kurzen Zeiten fur Geschwindigkeiten in der Grol3en- ordnung 30 mts gemessen wurden. Diese Prazisionskurzzeit- messungen mit den damaligen Mitteln waren hervorragende Leistungen. Du Bois’ Elektrophysiologie hatte infolge des Erkenntnis- standes der Elektrophysik in der theoretischen Erklarung nur begrenzten Erfolg; aber methodologisch war sie ein wichtiger Schritt zur Biophysik und zur funktionellen Physiologie. Mit dem Aufkommen der molekularen Ionentheorie erhielt auch die Elektrophysiologie neue Impulse. Daraus ging auch eine erste Emil du Bois-Reymonds Versuche iiber tierische Elektrizitat waren bei- spielgebend fur den Nutzen der Physik zur Erforschung von Lebenspro- Form der wissenschaftlich fundierten Elektrotherapie hervor. zessen. Die prazise Messung wurde zum Kennzeichen der Physiologie. Sinnesphysiologie rnit physikalischen Mitteln

Du Bois-Reymond hat in seinen 1848/49 veroffentlichten Einen weiteren wichtigen Problemkreis bildete die Physik des ,,Untersuchungen uber thierische Elektricitat” u. a. Versuchser- Auges als Teil der physikalischen Sinnesphysiologie. Der Vor- gebnisse iiber elektrische Erregungen dargelegt, die zwischen reiter dafur in der Physikalischen Gesellschaft war Briicke. Vom Muskel und Gehirn vermitteln. Darin wurden auch physikali- Grundungsjahr an hat er uber Untersuchungen am Auge unter sche MeBgerate wie Galvanometer, Induktorien und besondere mannigfaltigsten Gesichtspunkten vorgetragen. Um einen Ein- Elektroden beschrieben, rnit denen u. a. der ,,Verletzungsstrom” druck zu geben, sollen hier einige Themen seiner Vortrage oder die ,,negative Schwankung” des Stromes am Muskel beob- genannt werden: 1845 sprach er ,,uber die Undurchgangigkeit achtet bzw. gemessen wurden. Er hat seine Forschungsresultate, der optischen Medien des Auges fur Warme und chemische beispielsweise in den Vortragen ,,Untersuchungen uber thieri- Strahlen” sowie ,,Uber die stabformigen Korper im optischen sche Electricitat” (1 845), ,,Ueber das elektromotorische Verhal- Apparat des Auges”, 1846 uber ,,einen neu entdeckten Muskel ten der Muskeln bei Zusammenziehung” ,,Ueber das Gesetz des im Augapfel des Menschen”, ,,die Undeutlichkeit der Gesichts- Muskelstromes und die Neigungsstrome am schrag durchschnit- wahrnehmungen des indirekten Sehens”, 1847 ,,Uber die Fase- tenen Muskel” (1863) [ 11 oft bereits vor der allgemeinen Verof- rung der Krystallinse des Auges”, ,,Ueber einen eigenthumli- fentlichung der Physikalischen Gesellschaft vorgelegt. chen Ring auf der Krystallinse der Vogel”, 1848 ,,Uber das Mit grol3em Elan setzte du Bois-Reymond die Mitglieder der Wesen und Reihenfolge der Farben” [ 11. Hochstwahrscheinlich Gesellschaft auch uber seine Detailstudien in Kenntnis. So refe- erzeugte diese Vielfalt auch ein allgemeines ProblembewuStsein rierte er uber ,,pseudoelektrische Organe am Nordseerochen”, fur die Sinnesphysiologie rnit physikalischen Methoden bei Mit- ,,Thermostrome in lebenden Korpern”, uber die ,,elektromotori- gliedern der Gesellschaft. sche Kraft der Muskeln, Nerven, Driisen”, ,,uber Nervenerre- Wieder war es Helmholtz, der 1853 rnit Beitragen zur Akko- gung durch Strom”, ,,Elektrischen Strom in den Darmmuskeln modation des Auges diese Linie fortfuhrte. Obwohl sich Helm- des Schleis” [ 11 und ahnliche Themen. holtz in den nachsten Jahren weiterhin mit der Physiologischen Du Bois-Reymond hat auch die Moglichkeiten der Physikali- Optik, u. a. mit der Optik der Augenlinse, der Sehempfindung,

F-27 dem Farbensehen (Dreifarbentheorie), mit den Nachbildern und Der Augenspiegel Kontrasterscheinungen beschaftigte, hat er, fern von Berlin tatig, dariiber in der Physikalischen Gesellschaft nicht referiert. DaB die Physikalische Gesellschaft schon in friihen Jahren ein Aber diese Forschungen flossen in sein dreibandiges ,,Handbuch Kommunikationszentrum fur grol3e Erfindungen war, lat sich der Physiologischen Optik” ein, das man als Auftakt einer an folgendem Beispiel erkennen: Briicke berichtete 1847 in der neuen Serie von Untersuchungen zur Physiologischen Optik Gesellschaft uber ,,das Leuchten der Menschenaugen” [ 11 und werten kann. verifizierte, dal3 die Augen nicht wirklich leuchten, sondern dal3 Eine Gruppe von Vortragen befal3te sich mit den Farbwahr- dieser Effekt von den an der Netzhaut reflektierten Strahlen nehmungen. Diese gewann bei der Farbphotographie, beim herriihre. Laut Helmholtz hat Briicke dieses Leuchten zuerst an Dreifarbendruck und im 20. Jahrhundert auch fur das Farbfem- den Augen von du Bois-Reymond demonstriert, aber seine Ver- sehen grol3e Bedeutung. So setzten sich 1886 C. Dieterici und suche, daraus ein Instrument zur Beleuchtung der Netzhaut zu Konig mit der ,,Young-Helmholtz’schen und (der) Heringschen konstruieren, schlugen fehl. Helmholtz nahm Bruckes Uberle- Farbtheorie” [ 11 auseinander. Dabei wurde neben der von Helm- gungen auf. Nachdem er 1849 als Professor der Physiologie holtz eingefuhrten additiven und subtraktiven Farbmischung und nach Konigsberg berufen worden war, kam ihm der entschei- der Parameter der Farbbestimmung das physiologische Problem dende Gedanke: Helmholtz nutzte eine zum Auge schraggestell- erortert, ob drei Arten von Nervenfasern fur jegliche Farbemp- te unbelegte Glasplatte, um das Licht ohne Blendung in das findung ausreichen; denn Hering hatte vier Urfarben definiert. Auge gelangen zu lassen und beobachtete durch dieselbe Platte Daraus leitete sich eine Reihe von Vortragen ab, die auf Farb- das Bild der Retina. Bezeichnend ist nun, dal3 Helmholtz seine wahrnehmungen und ,,Farbmischungen” eingehen, etwa ,,De- Erfindung, abgesehen von einem Hinweis im Verein fur wissen- monstration eines v. Kreisschen Farbenmischapparates” (Konig schaftliche Heilkunde in Konigsberg, zuallererst der Physikali- 1886). ,,Ein MischfarbenexperimentNorlesungsversuch” (H.W. schen Gesellschaft am 6. Dezember 1850 in Berlin mitteilte, Vogel 1887), ,,Ueber Newtons Gesetz der Farbmischung” bevor er an eine schriftliche Veroffentlichung dachte. [20, Bd. (Konig 1887) [I]. I, S. 1331 Interessanterweise ist fur diesen Tag im Referateor- In diesem Zusammenhang wurde auch die ,,Farbblindheit” gan der Gesellschaft ein Vortrag von Helmholtz mit dem Titel erortert, u. a. mit dem damals wie heute aktuellen Thema ,,Wei- ,,Ueber das Leuchten der Augen” [ 13 verzeichnet. Es ist zu ver- tere Beobachtungen an einem durch Alkoholismus gestorten muten, dal3 Helmholtz an diesem Tag seine Erfindung in Berlin, Farbsystem” (Konig 1886) [2]. vielleicht auf Weihnachtsurlaub, selbst vorgestellt hat oder hat Dariiber hinaus war auch immer wieder der Sehvorgang ein vorstellen lassen. Jedenfalls galt Helmholtz’ Augenspiegel, der Thema, darunter die Raumanschauung (,,Ueber stereoskopische bald vervollkommnet wurde, unter den Augenarzten als kleine Lynsen und Brillen”, E. Berger 1900), die lichtempfindliche Sensation. Helmholtz stellte retrospektiv fest: ,,Fur meine ausse- Schicht der Netzhaut oder der ,,menschliche Sehpurpur”. Gera- re Stellung vor der Welt war die Construction des Augenspie- de hieran wird deutlich, wie eine uberragende Forscherperson- gels sehr entscheidend.” [20, Bd. 1, S. 1421 Also: Bereits zu lichkeit wie Helmholtz uber Jahre die allgemeine Denkrichtung diesem friihen Zeitpunkt empfanden bedeutende, u. a. auch aus- in einer eng verbundenen Wissenschaftlergemeinschaft beein- wiirtige Gelehrte, die Gesellschaft als vorrangiges Diskussions- flul3t und befordert. forum fur neue Entwicklungen.

Helmholtz’ Erfndung des Augen- spiegels (hier vor dem Hinter- grund der ersten Puhlikation) ging wesentlich aus Diskussionen in der Physikalischen Gesellschaft hervor. Damit hegrundete Helm- holtz seinen Ruf als uberragender Forscher zwischen Physik und Physiologie.

F-28 Physikalische Physiologie Warmelehre, Optik, Akustik - klassische Disziplinen in der Gesellschaft Zur eigentlichen physikalischen Physiologie sind in der Physi- kalischen Gesellschaft iiber Jahrzehnte Vortrage verzeichnet, die Von der Warmelehre zur Thermodynamik sich rnit der Anwendung der Mechanik, Wtirmelehre, Gasphysik und chemischer Kenntnisse auf Lebensvorgange befassen. Die Erkenntnis des Energieerhaltungssatzes brachte neue Helmholtz gab auch hier 1847 in Beziehung zum Energiesatz Impulse fur die Warmelehre. Die Theorie, Warme als einen rnit ,,Untersuchungen iiber die Wtirmeentwicklung bei Zusam- besonderen, aber unwagbaren Stoff - ein Imponderabilium - menziehung ausgeschnittener Muskeln kaltbliitiger Thiere” [ 13 aufzufassen, wurde zugunsten einer Bewegungstheorie in Frage den Auftakt. 1850 findet man von dem spater beriihmten Phy- gestellt. Die Auseinandersetzung entziindete sich an dem vor siologen Adolph Fick den Vortrag ,,Ueber die mechanischen allem von William Thomson (Lord Kelvin) aufgeworfenen Pro- Constanten der Muskelwirkungen am Oberschenkel des Men- blem, ob ebenso wie die Umsetzung von mechanischer Arbeit schen” 111. Offenbar kam es auch auf diesem Gebiet gerade in in Wiirme auch der umgekehrte ProzeB gesetzmafiig verlaufe der Physikalischen Gesellschaft zur wissenschaftlichen Begeg- und ob im AnschluB an Carnot auch ein Warmeiibergang von nung von Helmholtz, Fick und Clausius. Die Wissenschaftsge- hoherer zu niederer Temperatur ohne Wtirmeumwandlung mog- schichte verzeichnet nmlich zwischen diesen dreien Wechsel- lich sei. beziehungen zum Thema ,,Warmemechanik an Muskeln” rnit Eine erste Kliirung brachte der junge Lehrer an der Konigli- Bestatigung des mechanischen Wiirmeaquivalents. Fick verof- chen Artillerie- und Ingenieurschule Berlin Rudolf Clausius. In fentlichte 1856 das fur diese Auffassung wesentliche Werk ,,Die seiner 1850 erschienenen Arbeit ,,Uber die bewegende Kraft der Medizinische Physik”, das bis 1885 drei Auflagen erlebte. Warme und die Gesetze, welche sich daraus fur die Warme Carl Ludwig hat sich 1847 mit dem Vortrag ,,Ueber den selbst ableiten” formulierte er den ersten Hauptsatz als Bilanz Druck der unter verschiedenen Umstanden auf die Arterienwan- eines thermodynamischen Systems als Summe von auBerer de ausgeiibt wird” [ 11 in die Physikalische Gesellschaft einge- Arbeit und Anderung der inneren Energie, die der zugefiihrten fiihrt. Schon dieses Thema ld3t die uberragende Bedeutung sei- Warmemenge entsprach. In Weiterfiihrung von Carnots ijberle- ner spateren Forschungen iiber die Hamodynamik bzw. die gungen iiber die Richtung von Wtirmeprozessen stellte Clausius Kreislauflehre ahnen, die u. a. zu modernen Perfusions- und neben dem Energiesatz ein zweites thermodynamisches Prinzip Dialyseverfahren fur die Niere und zur Herz-Lungen-Maschine auf und kleidete es in folgende Worte: hinfuhrten. Auch weitere Vortrage etwa zur Muskelmechanik, iiber die Case des Blutes, auch zum Feuchtigkeitsgehalt der aus- ,,Es kann nie Wtirme aus einem kalteren in einen wtirme- geatmeten Luft, darunter Justus von Liebigs interessanter Bei- ren Korper iibergehen, wenn nicht gleichzeitig eine ande- trag von 1850 ,,Ueber die Respiration der Muskeln” [l], sind re, damit zusammenhangende Anderung eintritt.” [zit. aus dem charakterisierten Anliegen einer chemo-physikalischen nach 26, S. 2451 Physiologie entstanden. Diese Untersuchungen spiegeln allerdings nur einen Teil der Die Hauptsatze der Warmelehre Bemiihungen wider, die Physiologie letztlich auf Physik und Chemie zu reduzieren. So erfolgreich die auch in der Physikali- Wie sehr Clausius diese Probleme bewegten, zeigen seine Vor- schen Gesellschaft verfochtene experimentelle Physiologie auf trage in der Physikalischen Gesellschaft, in der er seit 1851 Mit- der Basis von Physik und Chemie war, die Auflosung der Phy- glied war. 1852 referierte Clausius ,,Ueber das mechanische siologie in Physik und Chemie konnte nicht gelingen. Aequivalent einer elektrischen Entladung” sowie iiber ,,die bei Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ergaben sich aus der Ent- einem stationaren elektrischen Strome in dem Leiter getane wicklung der Naturwissenschaften auf der einen Seite und der Arbeit und erzeugte Warme” und 1853 sprach er ,,Ueber die Medizin auf der anderen neue Ansatze. Jedoch war rnit der Anwendung der mechanischen Wtirmetheorie auf thermoelektri- experimentellen Physiologie die metaphysische, nicht zu bele- sche Strome”. [ 11 Alle drei Vortrage beschiiftigen sich mit Ener- gende Ansicht des Vitalismus ausgeraumt worden. Das gieumwandlungen bei verschiedenen Effekten. ijber den Ener- Bemiihen, physikalische und chemische Erkenntnisse zur giesatz hinausgehend, sind darin bereits Elemente der ,,mecha- Erklarung physiologischer Prozesse heranzuziehen, befestigte nischen W2rmetheorie” (so wurde die Thermodynamik anfangs das neue Paradigma, das bis ins 20. Jahrhundert die Entwick- in Deutschland genannt) enthalten. Helmholtz lobte ausdriick- lung vorantrieb. Die neue funktionelle Physiologie, gestiitzt auf lich Clausius’ Berechnungen, die gute Ubereinstimmung rnit Experimente, verselbstbdigte sich und nahm eine immer groBe- einschlagigen Versuchsreihen ergaben. re Untersuchungsbreite mit neuen Inhalten an. Obwohl der Am 20. Oktober 1854 erreichten Clausius’ Forschungen weite Themenrahmen der Physikalischen Gesellschaft noch schlieljlich in seinem Vortrag in der Physikalischen Gesellschaft erhalten blieb, zog sie sich allmahlich von diesem Problemkreis ,,Ueber eine veranderte Form des zweiten Hauptsatzes der zuriick und konzentrierte sich mehr auf die Teildisziplinen der mechanischen Wtirmetheorie” [ 11 einen vorlaufigen Hohepunkt: Physik. Er bilanzierte die bei Kreisprozessen ablaufenden ,,Verwandlun- Deshalb ist als Fazit festzuhalten: Die wissenschaftshistori- gen” iiber einen ,,Aquivalenzwert”, der bei Umwandlung von sche Situation zwischen Physik und Medizin hat zur Entstehung mechanischer Arbeit in Warme gleich dem Quotienten aus pro- der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin beigetragen, und in duzierter Wtirme und dabei vorhandener absoluter Temperatur den ersten 40 Jahren hatte die Physikalische Gesellschaft groBen ist. Der daraus entwickelten Zustandsfunktion gab er in Anleh- Anteil daran, dalj sich die neue Physiologie auf der Basis von nung an den Begriff Energie den Namen Entropie (Umwand- Physik und Chemie zur interdiszipliniiren Wissenschaft ausbil- lung) und zeigte, daB sie ein MaB fur die Irreversibilitat von dete. thermodynamischen Prozessen ist.

F-29 Gase” [I], berichtete 1857 aul3erdem noch ,,uber Schemata fur Veranderte Form des zweiten Hauptsatzes. 97 chemische Processe und eine leichte Berechnungsweise stochio- sonders geeigneten Kreisprocess zu betrachten, und rnit dessen Hiilfe metrischer Aufgaben” und uber die ,,physikalische Ableitung den zweiten Hauptsatz in seiner veranderten Form noch einmal der Gleichgewichtsbedingungen” sowie 1858 ,,Ueber die Diffu- abzuleiten. sion der Gase” [l]. Im ersten Vortrag entwickelte Kronig die Vorstellung, daR sich die Gasmolekule wie elastische Kugeln 5. 2. Ein Kreisprocess von besonderer Form. verhalten und unter bestimmten Bedingungen durch die StoRe an die Raumwandungen den Druck erzeugen. Aus diesen Es sei wiederum ein veranderlicher Korper gegeben , dessen Annahmen konnte er das Boyle-Mariottesche Gesetz herleiten. Zustand durch sein Volumen und den Druck, unter welchem er steht, vollkommen bestimmt ist , so dass wir seine Veranderungen Dieser neuerliche Auftakt zur kinetischen Gastheorie wurde in der oben beschriehenen Weise graphisch darstellen konnen. von Clausius aufgenommen. Er modifizierte Kronigs ideales Dabei wollen wir die Figur wieder beispielsweise in derForm con- Modell fur reale Gase und nahm an, daR bei mehratomigen struiren, welche sie fur ein vollkommenes Gas annimmt, ohne aber Molekiilen neben der Translation auch deren Rotation und bei der Betrachtung selbst eine beschrankende Annahme iiber die Vibration zu berucksichtigen sei und eine Streuung der Teil- Natur des Korpers zu machen. Der Korper sei zunachst in dem durch den Punkt a (Fig. 17) chengeschwindigkeit vorliege. Im Zusammenhang rnit dem angedeuteten Zustande gegeben , in welchem sein Volumen durch ,,Gleichverteilungssatz” fand er heraus, daR die kinetische Ener- Fig. 17. gie von in Translation befindlichen Teilchen proportional zur Temperatur ist. Dieser Ansatz wurde gegen Ende des 19. Jahr- hunderts auf der Basis der Boltzmannschen statistischen Gas- I f theorie fur die Bestimmung der Freiheitsgrade der Molekulbe- wegung benutzt. AuBerdem folgerte Clausius, dd3 das Verhalt- nis spezifischer Warmen bei konstantem Druck bzw. konstan- tem Volumen fur Gase, je nach Art der Molekule unterschied- lich sein mussen. Dies wurde u. a. von den Mitgliedern der phy- sikalischen Gesellschaft August Kundt und expe- k1 rimentell bestatigt und die Werte genau bestimmt. die Abscisse oh und der Druck durch die Ordinate h.a dargestellt So war etwa seit 1860 die rnit der Warmeenergie verbundene wird. Die durch diese beiden Grossen bestimmte Temperatur sei kinetische Gastheorie zu einem Hauptarbeitsgebiet der Physik T. Nun mogen mit dem Korper nach einander folgende Ver- geworden. Clausius fuhrte das Konzept der ,,mittleren freien anderungen vorgenommen werden. Weglange” und der ,,Wirkungssphare” in diese Problematik 1. Man bringt den Korper von der Temperatur l’ auf eine andere Temperatur TI,die beispielsweise niedriger als T sein mag, u. a. zur Erklarung der Diffusion ein. und zwar dadurch, dass man ihn in einer fur Warme undurch- Joseph Loschmidt suchte unter Berucksichtigung des Eigen- dringlichen Hiille, so dass er weder Warnie aufnehmen noch ab- volumens von Molekulen mit Hilfe einer aus Viskositatsmes- geben kann, sich ausdehnen lasst. Die Abnahme des Druckes, sungen hergeleiteten freien Weglange die Anzahl der Gasmo- welche durch die gleichzeitige Volumenzunahme und Temperatur- lekule in einem Kubikzentimeter unter Normalbedingungen abnahme bedingt wird , sei durch die isentropische Curve a b dar- anzugeben. 1873 stellte Johannes Diderik van der Waals die Clsusius, meeh. Wsmetheorir. 1. 7 Gleichung fur reale Gase auf. Dabei traten vielfaltige Wider- Rudolf Clausius’ Methode der Kreisprozesse zur Herleitung des Zwei- spruche auf. Neue Ansatze waren gefragt. ten Hauptsatzes der Thermodynamik. James Clerk Maxwell leitete 1860, orientiert an der statisti- schen Fehlerrechnung von GauB, die Geschwindigkeitsvertei- lung eines Gassystems im Warmegleichgewicht her. 1867 ging Clausius und William Thomson (Lord Kelvin) haben ihre ther- Maxwell rnit seiner Verteilungsfunktion zu einer statistischen modynamischen Forschungen auf das Universum ausgedehnt Gastheorie uber. In der weiteren wissenschaftlichen Entwick- und wegen des Verlustes verwandlungsfahiger Energie die Apo- lung ruckte die Interpretation des zweiten Hauptsatzes auf der kalypse des ,,Warmetodes” des Weltalls gefolgert, die zu hefti- Basis der kinetischen Gastheorie auf molekularer Ebene in den gen Auseinandersetzungen unter Naturwissenschaftlern fuhrte. Vordergrund. Diese These wurde um die Jahrhundertwende schon deswegen In der Physikalischen Gesellschaft konnten sich an dieser fallengelassen, weil es sich als unzulassig herausstellte, das hochtheoretischen Diskussion nur einzelne Mitglieder beteili- Weltall als abgeschlossenes System zu betrachten. gen. So ist es erstaunlich, da13 1872 ,,Prof. Dr. Boltzmann” als Cast sogar an zwei aufeinanderfolgenden Sitzungsabenden Kinetische Theorie der Gase ,,Ueber Warmegleichgewicht unter Gasmolekiilen” [I] vortrug. Damit wollte er den mathematischen Nachweis fur die absolute Nachdem sich um 1850 die Anschauung durchgesetzt hatte, daB mechanische Gultigkeit des zweiten Hauptsatzes fuhren. Er Warme nichts anderes als atomare Bewegung sei, kam es zur konnte zeigen, daB eine beliebige Anfangsverteilung der Wiederbelebung der bereits im 18. Jahrhundert vertretenen kine- Molekullagen und -geschwindigkeiten durch StoRe zu einem tischen Gastheorie. In Deutschland war der ,,Realschul-Profes- Gleichgewichtszustand fuhrt und dabei die Maxwellsche Vertei- sor” Karl August Kronig ein Vordenker dieser Anschauung. Er lungsfunktion die wahrscheinlichste ist. Von besonderer Bedeu- erledigte von 1850 bis 1860 auch die zeitaufwendige Arbeit als tung war, dal3 Boltzmann eine wahrscheinlichkeitstheoretische Redakteur der ,,Fortschritte der Physik”. GroBe E (spater H genannt) finden konnte, die sich wie die von Trotz seiner Belastung trat Kronig am 30. Mai 1856 vor die Clausius eingefiihrte Entropie verhalt (H-Theorem). Dagegen Gesellschaft und sprach uber ,,Grundzuge einer Theorie der erhob Loschmidt den Umkehreinwand rnit der Frage, was mit

F-30 der Entropie eines Gassystems geschehe, wenn die Bewegung ,,Ueber die Warmeleitung verdunnter Gase” (Warburg 1900), der Molekule umgekehrt wird. Daraufhin vervollkommnete ,,Ueber Loslichkeitsbestimmung durch Schmelzpunktserniedri- Boltzmann sein Konzept der statistischen Interpretation des gung” (Jacobus Hendricus van’t Hoff 1897) [2], [3] genannt. Es zweiten Hauptsatzes und kam zu dem SchluB: war eine nicht nur auf die Whelehre beschrankte Arbeitsrich- tung, die durch ihre Vielfalt, ihren Einfallsreichtum und ihre ,,Wenden wir dies (Veranderung eines Systems vom gesteigerte MeBgenauigkeit eine neue Periode der experimentel- unwahrscheinlichen zum wahrscheinlichen Zustand, dem len Physik eroffnete. Warmegleichgewicht) auf den zweiten Hauptsatz an, so konnen wir diejenige GroBe, welche man gewohnlich als Tieftemperaturphysik Entropie zu bezeichnen pflegt, rnit der Wahrscheinlichkeit des betreffenden Zustandes identifizieren.” [26, S. 2601 Die Physik tiefer Temperaturen trat als Problemkreis erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in der Physikalischen Die Warmetheorie wurde in der Physikalischen Gesellschaft Gesellschaft auf. Hervorgegangen aus der Zustandsgleichung 1891 von Franz Richarz rnit dem Vortrag ,,Zur kinetischen von van der Waals beschaftigten sich Physiker aus unterschied- Theorie mehratomiger Gase” und 1892193 von Theodor Gross lichen Griinden mit den ,,kritischen Werten”. Diese Vortragsse- rnit den Themen ,,Ueber den Satz von der Entropie” sowie rie eroffnete 1895 E. Altschul mit dem Vortrag ,,Ueber die kriti- ,,Ueber die Hauptsatze der Energielehre” [2] nochmals aufge- griffen. Auch Kelvins umstrittene, aus der Thermodynamik abgeleitete Hypothese uber das Alter der Erde stand auf der Tagesordnung . Der ab 1894 zwischen Boltzmann, Ernst Mach und den ,,Energetikern” um Wilhelm Ostwald entbrannte grundsatzliche Streit um die kinetische Theorie und damit um den Atomismus in der Physik fand in den ,,Verhandlungen” dieser Zeit keinen nachhaltigen Widerhall. Boltzmann war zwar Mitglied der Phy- sikalischen Gesellschaft, doch er und die anderen Kontrahenten wirkten nicht in Berlin, und das Problem wurde beispielsweise 1895 auf der Lubecker Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte kontrovers diskutiert.

Experimente zur Warmelehre

Eine Wissenschaft entwickelt sich nicht nur durch Hochstlei- stungen in Theorie und Experiment. Experimentelle Untersu- chungen zu Detailproblemen sind ebenso wichtig. Dabei sind jene besonders aufschlufireich, die Materialwerte neu bestim- men oder prazisieren. Wie auch auf anderen Gebieten, war die Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde die Tieftemperatur- physikalische Gesellschaft fur viele Mitglieder das einzige physik ein Thema in der Physikalischen Gesellschaft: Carl v. Linde Forum, ihre Untersuchungen und Ergebnisse vorzulegen, die sie stellte seine Kaltemaschine vor, rnit der er unter Ausnutzung des Joule- ohne auBeren Antrieb oder Zweck ganz selbstlos ausschlieBlich Thomson-Effekts 1895 erstmals eine grollere Menge Luft vertliissigte. zum Erkenntnisgewinn ausfuhrten. In der Whelehre ist das bis 1880 eine Gruppe von Unter- suchungen, die sich rnit der Wheleitfhigkeit und den Dampf- sche Temperatur als Kriterium der chemischen Reinheit und spannungen befassen. Damit begann schon 1845 eines der einige weitere Mittheilungen aus dem Institut Raoul Pictet” [2]. ersten auswartigen Mitglieder, der Schwede Christian Langberg, Die Erfolge von Raoul Pictet, der schlieBlich auch Sauerstoff rnit einem Vortrag zur Wheleitfhigkeit der Metalle, und der und Stickstoff verflussigte und verfestigte, waren ein Ausgangs- spater beriihmte Englander Tyndall sprach 1853 uber die Wiir- punkt fur diese Betrachtungen. Darauf folgten Beitrage wie meleitung durch Holz. Offensichtlich rnit der Entwicklung der ,,Ueber Messung tiefer Temperaturen” (W. Wien 1896), ,,Ueber technisch wichtigen Dampfmaschine verbunden, sind Untersu- die kritischen Daten” (Thiesen 1897), ,,Ueber die flussige Luft” chungen zur ,,Elastizitat” des Wasserdampfes oder ,,Spannkraft” (Warburg 1898) und ,,Ueber die kryogene und thermometrische verschiedener Dampfe und die Bestimmung des Wasserdampfes Verwendung des Kohlensaureschnees” (Henri du Bois, A. P. in Losungen. 1862 sprach der spatere Heidelberger Physikpro- Wills 1899) [2]. fessor und kurzzeitige Redakteur der ,,Fortschritte”, Georg Offensichtlich stand weniger die technische, sondern die wis- Quincke, uber ,,Dampfkesselexplosionen”. Bereits 1847 ma13 senschaftliche Seite der seit 1873 entwickelten Kaltetechnik im der damalige Vorsitzende Karsten die spater wichtige ,,Verdun- Mittelpunkt. Carl von Linde hat erst 1896 ,,Ueber die von ihm stungsgrenze von Quecksilber”. Bis zur Jahrhundertwende construirte Gasverflussigungsmaschine” [2] informiert, nachdem mehrten sich Prazisionsmessungen und Vorfuhrungen neuer er 1895 erstmals eine groBere Menge Luft verflussigte. Diese Methoden. Stellvertretend fur viele seien hier die Vortrage Untersuchungen bildeten den Auftakt zu den groBen Erfolgen ,,Ueber ein Verdampfungs- und Condensationscalorimeter” der Tieftemperaturphysik: 1908 verflussigte Heike Kamerlingh (Neesen 1887), ,,Ueber die Messung von Quecksilber-Dampf- Onnes Helium und 1911 entdeckte er die ,,Supraleitung”, die spannungen bei niedrigen Temperaturen” (Ernst Hagen 1882), auBerordentliche Bedeutung gewann.

F-3 1 GroBes Interesse fur neue Effekte der Optik Beispielsweise hat einer der Griinder, Wilhelm Beetz, unter dem Titel ,,Tonanderung rotierender Korper” bereits 185 1 eine Zur Grundungszeit der Physikalischen Gesellschaft hatte sich eigene Version des 1842 entdeckten (akustischen) Doppler- die von Jean Augustin Fresnel wiederbelebte Wellentheorie des Effekts geschildert. Allerdings sucht man Beitrage vergeblich, Lichts schon durchgesetzt. Die Physiker waren derzeit bemuht, die an das 1863 von Helmholtz veroffentlichte richtungswei- immer neue mechanische Athermodelle zu entwerfen. Erst um sende Werk ,,Die Lehre von den Tonempfindungen als physio- 1870 bahnte sich nach Vorarbeiten Faradays mit der Aufstellung logische Grundlage fur die Theorie der Musik” anschlieBen. der elektromagnetischen Lichttheorie durch James Clerk Dies war vorerst kein Thema in der Gesellschaft. Erst nach Maxwell ein Strukturwandel an. Davon nahm die Gesellschaft 1880 zeigen Vortragsthemen wie ,,Ueber Absorption des Schal- uber Helmholtz’ Mitteilungen zu Hertz’ Entdeckung der elektro- les durch Resonatoren” (Arthur Christiani 1882), ,,Empfindli- magnetischen Wellen Kenntnis. Sehr schnell wurde klar, welche che objektive Klanganalyse” (Lummer 1886), ,,Ueber Combi- Bedeutung diese Erkenntnis auch fur die Optik hatte, und 1889 nationstone” (W. Preyer 1889), ,,Kunstlicher Kehlkopf” (A. referierte W. Konig in der Gesellschaft uber ,,Optkche Analogi- Konig 1893) [2], daB Probleme der physiologischen Akustik en zu den neueren Versuchen von Hm. H. Hertz” [2]. aufgegriffen wurden. Dazu ist auch der Vortrag von Max Dagegen sind in der Gesellschaft weit mehr Beitrage zu Bun- Planck aus dem Jahre 1893 zu zahlen: ,,Ein neues Harmonium sens und Kirchhoffs Forschungen zur Spektralanalyse und zum in naturlicher Stimmung nach dem System von Eitz” [2]. Das Zusammenhang von Emission und Absorption von Spektrallini- Instrument war dem Institut fur theoretische Physik ubereignet en zu finden. Man bemuhte sich, immer bessere ,,Spektralappa- worden, und Planck machte daran Studien, obwohl Klanglehre rate” etwa fur Gasentladungs- und Flammenbeobachtungen zu seiner fachspezifischen Thematik fernlag. Er kam zu dem konstruieren. SchluB, daB unser Ohr die ,,temperierte Stimmung” der ,,natur- Ein Trend dieser Jahre bestand darin, Wechselbeziehungen lichen” vorziehe. zwischen Elektrizitat (Magnetismus) und dem Licht zu beobach- SchlieBlich sol1 nicht vergessen werden, daR sich die Physi- ten. Einige Mitglieder widmeten sich im letzten Jahrzehnt insbe- kalische Gesellschaft der technischen Entwicklung auch auf die- sondere den elektro- und magnetooptischen Effekten. sem Gebiete nicht entzog: 1889 referierte Johannes Pernet mit So wird in August Kundts Vortrag ,,Ueber den EinfluB der Demonstrationen ,,Ueber den Edison’ schen Phonographen neue- Temperatur auf die elektromagnetische Drehung der Polarisa- ster Construction” [2]. Er hat damit kurz nach der Vervoll- tionsebene des Lichts in Eisen, Kobalt und Nickel” (1893) [2] kommnung das erste wirklich gebrauchsfahige Schallaufzeich- der nach ihm benannte ,,Kundt-Effekt” erlautert. DaB man sich nungs- und Wiedergabegerat der Weltgeschichte vorgestellt. bei diesem Problem in viele Richtungen vortastete, wird an Vor- tragen wie ,,Ueber die Drehung der Polarisationsebene des Lichts durch oscillirende Entladungen” (Theodor Des Coudres, 1896) oder ,,Righi’scher Versuch uber das optische Verhalten des Natriumdampfes im magnetischen Feld” (Warburg 1899) ,,Ueber einige neuere Untersuchungen in Bezug auf das Kerf- sche Phanomen” (C. H. Wind, 1894) [2] deutlich. Eine erste Zusammenfassung gab dann Paul Drude 1899 mit dem Vortrag ,,Zur Theorie der magneto-optischen Erscheinungen” [3]. Diese Untersuchungen wurden schlieBlich fur die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen dem elektromagnetischen Feld und den Elektronen, aber auch fur die modeme Technik wichtig. DaB auch die moderne technische Optik ein Thema in der Gesellschaft blieb, ist u. a. an folgenden Vortragen zu sehen: ,,Ueber projectirte Fernrohre von 110 und 125 cm Oeffnung (Archenhold 1895); ,,Ueber ein Interferenzmikroskop nach Sirks” (E. Pringsheim 1898) [2]. Dieser kurze Uberblick zeigt, da13 die Vortrage vornehmlich der experimentellen Optik gewidmet sind. Dahinter zeichnen sich aber die Fortschritte in der Theorie der Optik klar ab.

Einiges zur Akustik

Dem heutigen Physiker wird ein Vortrag August Kundts vom 3. November 1865 vielleicht eine wohlbekannte Erinnerung an das Praktikum sein. Er hiel3: ,,Ueber eine Methode zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeit in Gasen und festen Korpern” [ 11. Er behandelte die ,,Kundtschen Staubfiguren” als MeBverfahren. Akustische Versuche waren damals mehr verbreitet, als man heute annimmt. So findet man verschiedene Formen der Bestim- mung der Schallgeschwindigkeit, Versuche zu Klangfarben, Tonintervallen, Obertonen, Schallinterferenzen, Klangfiguren in Sirene aus Helmholtz’ ,,Lehre von den Tonempfindungen”. Dieses Werk Orgelpfeifen und mit Experimentierstimmgabeln. regte vielerlei Untersuchungen zur physiologischen Akustik an.

F-32 Gesetz zu fassen. Daneben stand die von Faraday seit 1831 ver- fochtene qualitative Theorie der Kraftlinien auf der Basis der Nahwirkungshypothese, die begrifflich und in den Zusammen- hangen vielfach unbestimmt und verschwommen war, so daB sie von der Mehrzahl der Physiker als nicht mathematisierbar oder gar als Spekulation abgelehnt wurde. Das anderte sich vorerst nur zogernd, als ab 1856 der Schotte James Clerk Maxwell dar- aus die elektromagnetische Feldtheorie mit den nach ihm benannten Gleichungen entwickelte. Die Kronung seiner For- schungen war die Aufstellung der elektromagnetischen Licht- theorie. Es verwundert nun keineswegs, daB unter den Vortragen der Physikalischen Gesellschaft bis etwa 1870 keine zu finden sind, die sich rnit den konkurrierenden Theorien befassen: Einmal war die Maxwellsche Theorie mathematisch schwierig durch- schaubar, andererseits setzte man in Deutschland auch fur die Elektrizitat mehr auf die in der Mechanik so erfolgreich ange- Edisons vervollkommneter ,,Phonograph” wurde in einer uberfullten wandte Hypothese der Fernwirkung. Sitzung der Physikalischen Gesellschaft vorgestellt. Das anderte sich, als der auch theoretisch uberragende Helm- holtz um 1870 begann, die rivalisierenden Theorien der Elektro- dynamik zu vergleichen, um Entscheidungsversuche fur oder Kein Wunder, daB dieser Vortrag besonders gut besucht war. gegen die eine oder die andere Theorie herauszufinden. 1871 Der Schriftfuhrer Konig vermerkte: ,,Der Saal nebst Vorzimmer hielt Helmholtz in der Physikalischen Gesellschaft den Vortrag ist durch Mitglieder und Gaste gedrangt gefiillt.” [4] Spekta- rnit dem bezeichnenden Titel ,,Ueber die Geschwindigkeit, mit kulares zog eben damals wie heute die Menschen mehr an als der sich elektrodynamische Wirkungen durch die Luft in die rein Wissenschaftliches. Ferne fortpflanzen” [ 11. Darin ist eine friihe Entscheidungsuber- legung zu den rivalisierenden Theorien zu sehen, die auf allge- meinverstandlicher Grundlage das Kernproblem erfaBt, ob und Die Elektrophysik - ein Hauptthema rnit welcher Geschwindigkeit sich ,,elektrodynamische Wirkun- gen” durch den Raum ausbreiten. Zur Grundungszeit der Physikalischen Gesellschaft war die 1875 wurden Helmholtz’ vergleichende Forschungen intensi- Elektrophysik zu einem der Hauptarbeitsgebiete der Physik ver und allgemeiner. Er sprach zunachst zu ,,Versuchen uber geworden. Der Aufschwung dieser Teildisziplin hatte rnit drei das elektrodynamische Gesetz” [l] und kam dann am 28. Mai Schlusselentdeckungen begonnen: Um 1800 erfand Alessandro zu einer konkreten Auseinandersetzung. Dort hei6t es namlich Volta das elektrochemische Element, so daB erstmals ein sta- wortlich: ,,Prof. Dr. Helmholtz sprach uber Maxwell’s elektri- tionarer Strom erzeugt werden konnte. 1820 entdeckte Hans sche (Theorie) und ihren Zusammenhang rnit der bisherigen Christian Oersted den Elektromagnetismus und 183 1 Michael Annahme von Fernwirkungen und erorterte die Methode von Faraday die elektromagnetische Induktion. einem zum andern uberzugehen.” [l] Das war ein entscheiden- Um 1820 setzten Bemuhungen ein, fur die verschiedenen der Vortrag, mit dem Helmholtz die Mitglieder uber das damals elektrophysikalischen Effekte quantitative Gesetze zu formulie- hochbrisante theoretische Problem der Elektrodynamik unter- ren. Fur die Wechselwirkung stromdurchflossener Leiter stellte richtete. Er zeigte auch, dal3 die Gesellschaft nicht nur fur expe- Andr6 Marie Ampkre das nach ihm benannte Gesetz der ,,Elek- rimentelle, sondern auch fur theoretische U nicrsuchungen offen trodynamik” (ein Begriff Ampkres) auf, und fur die Wechsel- war. wirkung von stromdurchflossenen Leitern und Magneten, d. h. Aber Helmholtz belie6 es dabei nicht; denn 1876 trug er fur den ,,Elektromagnetismus” galt das Gesetz von Biot, Savart ,,Ueber die inducirende Wirkung eines rnit statischer Elektricitat und Laplace. 1826 schuf Georg Simon Ohm das nach ihm geladenen bewegten Leiters” [I] vor und 1880 ist die ,,Vorzei- benannte Strukturgesetz fur Stromkreise rnit der Begriffsbildung gung des Apparats zum Nachweis der Induktion im ungeschlos- der wesentlichen elektrischen GrundgroBen Spannung, Strom- senen Kreise” [ 11 durch Helmholtz verzeichnet. Wer sich in der starke und Widerstand. Weil Ohm dabei von hypothetischen damaligen Terminologie auskennt, wird bemerken, daB es sich Vorstellungen uber Mechanismen der Stromleitung abstrahierte, beim ersteren Vortrag urn die von dem Helmholtz-Schuler Row- wurde die Bedeutung seines Gesetzes erst rund zehn Jahre spa- land gefundene magnetische Wirkung eines Konvektionsstromes ter erkannt. Seine Form der Theorienbildung wurde speziell von und bei der letzten Demonstration um den Nachweis handelt, Kirchhoff u. a. in Vortragen der Physikalischen Gesellschaft daB auch in Dielektrika bei Anderung des elektrischen Feldes fortgefuhrt. eine magnetische Wirkung vorhanden ist (Rontgenstrom). Beide Versuche liefen auf die Verifizierung von Maxwells Verschie- Konkurrenz der Theorien: Fernkraft kontra bungsstromhypothese hinaus, in der Helmholtz den grundlegen- Feldwirkung den Unterschied zur Weberschen Theorie sah. Heinrich Hertz, seit 1876 Mitglied der Physikalischen Gesell- 1846 erschien Wilhelm Webers ,,Grundgesetze der elektrischen schaft und alsbald Assistent von Helmholtz, hat sich rnit dieser Wirkung”, ein erster Versuch auf der Basis der Fernwirkungs- Problematik offensichtlich auch in den Sitzungen der Gesell- hypothese die meisten elektrophysikalischen Effekte in einem schaft vertraut gemacht.

F-33 Eine Sensation: Brechungsexponenten der Metalle, 2 Bericht uber eine Arbeit Erzeugung und Nachweis ,,elektrischer Wellen” von Prof. Hertz iiber elektrodynamische Fernwirkung” [4]. In den ,,Verhandlungen” sind die beiden Berichte lediglich Wenn - wie von Weber angenommen - die Elektrizitatsleitung genannt. Am 14. Dezember 1888 berichtete H. v. Helmholtz in Drahten durch Strome von geladenen Teilchen vonstatten iiber die neuesten elektrodynamischen Versuche von Prof. Hertz gehen soll, so mul3te dies mit einer kinetischen Energie verbun- und gab damit einen Bericht von der Sitzung der Berliner Aka- den sein. Hertz unternahm im Zusammenhang rnit einer von demie vom Vortage, auf der Hertz’ Arbeit vorgelegt worden Helmholtz gestellten Preisaufgabe der Berliner Universitat 1878/79 Versuche zur Feststellung einer oberen Grenze fur die kinetische Energie der ,,elektrischen Stromung”, konnte aber im Rahmen seiner MeBgenauigkeit keinen EinfluB einer kinetischen Energie der Ladungstrager nachweisen. 1879 stellte Helmholtz an der Berliner Akademie die Preis- aufgabe, die Voraussetzungen der elektromagnetischen Licht- theorie experimentell zu prufen. Hertz erkannte, daB die Aufga- be nur mit sehr schnellen elektrischen Schwingungen zu losen war, die bislang nicht beobachtet worden waren. Er befaBte sich deshalb zunachst rnit anderen Themen, u. a. rnit der Harte der Korper, entwickelte daraus eine bis heute aktuelle Methode zur Hartebestimmung und sprach 1882 auch in der Physikalischen Gesellschaft daruber. Weiterhin unter- suchte er ab 1882 die Glimmentladung - sein Habilitationsthe- ma 1883 in Kiel - und die Natur der Kathodenstrahlung. In Kiel wandte er sich aufgrund der weniger guten experi- mentellen Ausstattung des Instituts mehr theoretischen Themen zu. 1884 leitete er hier ,,Beziehungen zwischen den Maxwell- schen elektrodynamischen Grundgleichungen und den Grund- gleichungen der gegnerischen Elektrodynamik” her und kam zu dem SchluB: ,,Wenn nur die Wahl vorliegt zwischen dem gewohnlichen System der Elektrodynamik (in erweiterter Form nach Weber und Neumann) und dem Maxwell’schen, so gebuhrt dem letzteren unbedingt der Vorzug.” [18, Bd.1, S. 3131 1886 erkannte Hertz in Karlsruhe zufallig, daB ,,offene Schwingkreise” zu weitaus schnelleren Schwingungen als die bisher bekannten fahig waren. Er erinnerte sich an Helmholtz’ Preisaufgabe und begann die aufsehenerregende Versuchsserie rnit schnellen elektrischen Schwingungen. Am 13. November 1886 fand er die Ubertragung von Schwingungen von einem ,,gestreckten Stromkreis” (Dipol) auf einen 1,s m entfernten, und am 2. Dezember gelang ihm die Resonanzabstimmung bei- der Kreise. Danach erzeugte Hertz rnit einem an einen Funken- Heinrich Hertz’ sensationelle Entdeckung der elektromagnetischen Web induktor angeschlossenen Dipol, dem ersten Sender der Weltge- len machte Helmholtz in der Physikalischen Gesellschaft bekannt: Hertz’ Sender fur Dezimeterwellen mit Batterie, Funkeninduktor, Dipol schichte, elektromagnetische Wellen in der GroBenordnung von und Reflektor in Seitenansicht (oben) bzw. Aufsicht (unten). einigen Metern, die man heute Hertzsche Wellen nennt. Er ver- folgte deren Ausbreitung, indem er durch Reflexion stehende Wellen im Raum erzeugte und sie mittels eines Kreisdipols mit war. AnschlieBend demonstrierte R. v. Ritter ,,die von Hertz ,,Funkenmikrometer” nachwies. SchlierJlich konnte er in zur (insbesondere bei seinen Versuchen zu den elektromagnetischen Optik analogen Versuchen die geradlinige Ausbreitung, Reflexi- Wellen zusatzlich) aufgefundene Einwirkung des ultravioletten on, Brechung und Polarisation der von ihm gefundenen Wellen Lichtes auf elektrische Entladungen” [4], also den auBeren pho- zeigen. Das war der Triumph seiner Forschung: Die Phanomene toelektrischen Effekt, der spater von Wilhelm Hallwachs und des Lichts und der Elektrodynamik waren in Maxwells elektro- weiter untersucht wurde. Jedoch haben auch magnetischer Feldtheorie vereint. Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft rnit Themen wie Uber die grandiose Entdeckung berichtete Hertz nicht in der ,,Ueber den photoelektrischen Effekt in der Nahe des Entla- Physikalischen Gesellschaft, da er zu dieser Zeit an der Techni- dungspotentials” ( 1895) [2] zu dieser Problematik beigetragen. schen Hochschule Karlsruhe tatig war, aber er informierte Lenards Untersuchungen dazu sollten 1905 eine wichtige Stutze augenblicklich Helmholtz. So nahm die Physikalische Gesell- fur Einsteins Photonentheorie des Lichtes werden. schaft erstmals in ihrer Sitzung vom 3. Januar 1888 von der In der Physikalischen Gesellschaft regte Hertz’ Entdeckung Entdeckung Notiz. Im Protokoll lesen wir von der Hand des folgenreiche Untersuchungen an. Neben den bereits genannten Schriftfuhrers Schwalbe: ,,P. [Paul: Bruder von Emil] du Bois- ,,optkchen Analogien zu den neueren Versuchen von Hrn. H. Reymond: Ueber die Unbegreiflichkeit der Fernkraft; H.v. Hertz” [3] hat 1890 - etwa gleichzeitig zu den entscheidenden Helmholtz: 1 Bericht iiber eine Arbeit von Prof. Kundt iiber die Versuchen zu diesem Thema von Ernst Lecher - der Physiker

F-34 der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, , auch in der Vortragstatigkeit die Enge mancher Jokalen” ,,Ueber Messung stehender elektrischer Wellen in Drahten” vor- Gesellschaft ubenvunden. Im vorliegenden Fall wurde die Theo- getragen. Letzterer hat auch 1895 versucht, ,,Brechungsexpo- rie der Ionenleitfiihigkeit von Friedrich Kohlrausch geschildert. nenten von Wasser und Alkohol fur kurze elektrische Wellen” Helmholtz hat dann 1877 wiederum rnit einem richtungsweisen- [2] zu bestimmen. den Vortrag ,,Ueber die Herleitung der elektromotorischen &aft Ein Engpalj der weiteren Erforschung war die Tatsache, dalj von Ketten (elektrochemische Elemente) mit unpolarisirten Hertz nur den elektrischen Funken als Wellenindikaktor ange- gleichartigen Metallelektroden, eingetaucht in verschieden con- ben konnte. Weit empfindlichere Indikatoren, die auch fur quan- centrirte Losungen desselben Metalls aus der mechanischen titative Messungen bei Wellen langs Drahten geeignet waren, WSirmetheorie” [I] die Berechnung von elektrochemisch erzeug- entwickelten u. a. Rubens (Bolometer) und Aschkinaas (thermo- ten Urspannungen in den groljeren Zusammenhang der Wme- elektrischer Effekt), die dariiber die Physikalische Gesellschaft theorie und des Energiesatzes gestellt. Das war der Ansatz zum informierten. Aber erst der 1890 von Edouard Branley erfunde- Verstandnis der elektrochemischen Vorgange. Diese wurden ne ,,KohSirer” lie13 in Verbindung rnit einem Morseapparat eine schlieljlich durch Svante Arrhenius’ Annahme der Dissoziation ,,drahtlos ubertragene Signalanzeige” zu. Es dauerte jedoch und Nernsts Theorie der Ionendiffusion vollends aufgekltirt. noch funf Jahre, bis Guglielmo Marconi in Italien und Alexan- Der junge Kirchhoff eroffnete seine Vortragstatigkeit 1847 in der Popov in Ruljland eine Nachrichtenubermittlung mit Hertz- der Gesellschaft rnit dem Vortrag ,,Ueber das elektrodynamische schen Wellen erprobten. Gleichgewicht in einem Korper” [l]. Nach seiner Analyse der Durch einfache VergroBerung der Antennen gelang es bis Stromverzweigungen mit dem Ohmschen Gesetz befaljte er sich 1897, rnit Funksignalen Entfernungen bis zu 15 km zu uber- hier rnit dem Zusammenhang zwischen Elektrostatik und Elek- briicken. Doch erst als Ferdinand Braun ab 1898 auch die physi- trodynamik und leitete damit uber die Kontinuitatsgleichung die kalischen Grundlagen der ,,drahtlosen Telegraphie” naher unter- mathematische Behandlung von instationaren Stromen ein, die suchte, entwickelte sie sich rasch zu einem brauchbaren Kom- schlieljlich als ,,Telegraphengleichung” fur die gesamte theoreti- munikationsmittel. In der Physikalischen Gesellschaft gab Karl sche Elektrotechnik eine hohe Bedeutung erlangte. Strecker am 20. Mai 1898 einen Bericht ,,Ueber die Marconi’- In der Gesellschaft dominierten jedoch mehr praktisch ausge- sche Funkentelegraphie” [3] - rnit Demonstrationen, wie im richtete Vortrage zum brennenden Thema der Metalleitfiihigkeit Protokoll zu lesen ist. Strecker war ein Fachmann auf dem und zur Anwendung des Ohmschen Gesetzes auf die verschie- Gebiet der Telegraphie und beschaftigte sich zu dieser Zeit densten Kreise. Es sei hier noch einmal an Siemens’ Vortrag intensiv mit der Funkentelegraphie, nachdem er bereits 1895 im ,,Ueber die Vorzuge des Quecksilbers zu Widerstandsmaaljen” Wannsee Versuche mit einer speziellen Art ,,Wassertelegraphie” [ 11 im Jahre 1859 erinnert. Er hat damit ein Kernproblem der (Induktionstelegraphie) unternommen hatte. Seit 1887 war er praktischen Elektrophysik gelost: die Realisierung einer leicht kommissarisches Mitglied der Physikalisch-Technischen reproduzierbaren Widerstandseinheit. Retrospektiv ist kaum Reichsanstalt, seit 1888 Ober-Telegrapheningenieur im Reichs- abzuschatzen welche Bedeutung Siemens’ Quecksilbereinheit Postamt und zugleich Dozent der Physik an der Post- & Tele- des Widerstandes fur den schnellen Fortschritt der quantitativen graphen-Schule, dazu ab 1892 Lehrbeauftragter fur Telegraphie Elektrophysik und der Herausbildung der Elektrotechnik hatte. an der TH Charlottenburg. Die Physikalische Gesellschaft konn- Auch unsere heutige Einheit ,,Ohm” fuljt letztendlich auf Sie- te sich also aus berufenem Munde uber die neuesten Entwick- mens Bemuhungen. Siemens berichtete in der Gesellschaft lungen auf diesem Gebiet untenichten lassen. ebenso ausfuhrlich uber Widerstandsmessungen rnit verschiede- nen Leitern bei unterschiedlicher Temperatur und uber deren Elektrophysik - ein weites Experimentierfeld Methodik. In diesem Zusammenhang muB auch der 1847 gehaltene Die Vielzahl dieser Untersuchungen haben ein hervorstechendes Vortrag von Karsten ,,Ueber das Leitungsvermogen der Schwe- Merkmal: Sie suchen, insbesondere rnit Prazisionsmessungen, felmetalle” [l] enviihnt werden. Es handelt sich dabei um friihe die Beziehungen zwischen Theorie und Experiment zu vertie- Untersuchungen an naturlichen Halbleitern. Ferdinand Braun, fen. Einige seien herausgegriffen: der 1880 der Physikalischen Gesellschaft beitrat, hat an iihnli- Eine Gruppe von Vortragen befaljt sich rnit elektrochemi- chen Materialien 1874 den Gleichrichtereffekt bei Spitzenkon- schen Prozessen. Man war sich damals auch bewuljt, daB eine takt gefunden und um 1900 daraus den ,,Kristalldetektor” als befriedigende Erklarung der elektrolytischen Leitfahigkeit und Hochfrequenzgleichrichter fur die ,,drahtlose Telegraphie” kon- der galvanischen Elemente noch ausstand. Beetz und andere struiert. haben jahrelang uber neue ,,galvankche Ketten” (Batterien) wie die ,,Braunstein-Zink-Kette” berichtet und insbesondere den Neues zum Magnetismus Effekt der Polarisation der Elektroden und die Spannungsmes- sung bei Elementen untersucht. Aber auch Probleme der Elek- Seit der Entdeckung des Elektromagnetismus (1 820), des Elek- trolyse der verschiedensten Losungen und Schmelzen standen tromagneten (1828), des Diamagnetismus und des Faraday- auf der Tagesordnung. Unter der Vielzahl sol1 nur ein Vortrag Effekts (beide 1845) waren auch die theoretischen Auffassungen von ,,Dr. Overbeck” 1876 hervorgehoben werden, der wie folgt uber den Magnetismus in Bewegung geraten. angekundigt ist: ,,Referat uber eine Abhandlung von Kohl- Die Vorstellung, dalj Magnetismus ein unwagbarer subtiler rausch: Ueber das Leitungsvermogen der in Wasser gelosten Stoff sei, wurde zugunsten der Ampbreschen ,,Molekularstrom- Elektrolyten im Zusammenhang rnit der Wanderung ihrer hypothese” verworfen und neue Theorien der magnetischen Bestandteile” [I]. Es wurde damals zur guten Tradition der Phanomene entworfen. In der Physikalischen Gesellschaft spiel- Gesellschaft, dalj Mitglieder nicht nur uber eigene, sondern auch te allerdings weniger die Theorie des Magnetismus, sondern die uber wichtige Arbeiten anderer Physiker informierten. So wurde ,,Magnetisirung von Eisen” etwa durch Einlegen in stromdurch-

F-35 flossene Spulen eine Rolle. Dafur suchte beispielsweise Dub ein Eine folgenreiche Begegnung: Siemens und Halske Formel; denn der Vorgang war fur erste elektrotechnische Anwendungen eminent wichtig. Zwei hervorragende Mitglieder Bereits der folgende Vorgang aus dem Jahre 1846 zeigt, dal3 die der Physikalischen Gesellschaft, Gustav Wiedemann, der bereits Physikalische Gesellschaft konkret dazu beigetragen hat, daB 1845 beitrat, und Warburg, der als Vorsitzender den Ubergang Deutschland zu einem der fuhrenden Hochtechnologielander auf zur Deutschen Physikalischen Gesellschaft bewaltigte, haben dem Gebiet der Elektrotechnik wurde. schlieRlich zwischen 1860 und 1890 rnit ihren Forschungen uber Folgendes hat sich 1846 in der Physikalischen Gesellschaft Magnetisierungszyklen und die ,,Hysterese” die Forschungsrich- zugetragen. Du Bois-Reymond hatte die hohe Kunstfertigkeit tung des Ferromagnetismus begrundet, die dann auch in der des Mechanikers Halske entdeckt. Er schrieb: ,,Er (Halske) Physikalisch-Technischen Reichsanstalt gepflegt wurde. besaB in seltenem Maasse das constructive Talent, und wufite So unterschiedlich die in der Gesellschaft vorgetragenen mit sicherem Spursinn, auch ohne gelehrte Schulung, wissen- Untersuchungen auch waren, sie haben, neben dem Erkenntnis- schaftliche Aufgaben zu erfassen, und zu ihrer Bewaltigung die gewinn, vor allem eines bewirkt: Die keimende Elektrotechnik einfachsten und besten Mittel zu finden”. So sah er in Halske erhielt ein physikalisches Fundament. ,,den bedeutendsten Junger und Fortfuhrer der Berliner mecha- nischen Schule” [2]. 1844 eroffnete Halske rnit dem Mechaniker Boetticher eine eigene Werkstatt. Zur selben Zeit arbeitete Sie- Technik in der Physikalischen Gesellschaft mens an der Verbesserung eines von Wheatstone konstruierten Zeigertelegraphen. Er suchte ein Verfahren, die Stromimpulse Wie erwahnt waren unter den 53 Mitgliedern des Grundungsjah- automatisch zu steuern, um subjektive Fehler auszuschalten. Fur res sechs ,,Mechanic?’. Dazu gehorten die bekannten Berliner den Bau suchte er einen geschickten Mechaniker, rnit dem er Feinmechaniker F. H. Boetticher, F. Leonhardt und G. Halske. den Apparat auch fabrikmaig herstellen konnte. Nachdem ein Offensichtlich interessierten sich vorzugsweise solche Techniker bekannter Mechaniker abgelehnt hatte, konnte du Bois-Rey- fur die Themen der Physikalischen Gesellschaft, die rnit der mond die Verbindung von Siemens und Halske vermitteln: Gerateentwicklung und Feinmechanik befafit waren. Manche von ihnen waren auch, u. a. als Universitatsmechaniker, in die ,,Es blieb mir (du Bois) vorbehalten, meines Freundes Sie- Konstruktion wissenschaftlicher Apparate einbezogen. Das mens Aufmerksamkeit auf meinen Freund Halske als auf Griindungsmitglied du Bois-Reymond und der ,,Lieutnant Sie- eine fur seine Zwecke wohl geeignete Personlichkeit zu mens” waren die anfanglichen Protagonisten, die diese Hand- lenken, ja beide Manner am letzten Tage des Jahres 1846 werker rnit ihren spezifischen Berufserfahrungen fur den Beitritt einander zuerst gegenuber zu stellen, die sich in der physi- zur Physikalischen Gesellschaft gewannen. So wurde schon fruh kalischen Gesellschaft zwar gesehen haben mufiten, ohne eine Verbindung zu bestimmten Richtungen der Technik ange- jedoch rnit einander bekannt geworden zu sein.” [2] strebt, die in der Herausbildungsphase der Elektrotechnik zwi- schen 1840 und 1880 eine grol3e Bedeutung erlangte. Also: Sylvester 1846 war gewissermaBen die ,,pranatale Ge-

Werner Siemens und Georg Hals- ke trafcn erstmals in der Physika- lischen Gesellschaft zusammen und vereinbarten, die ,,Telegra- phenbauanstalt Siemens & Hals- ke” (1847) zu grunden. Die tlorie- rende Kommunikation in der Gesellschaft war somit einer der Ursprunge der spateren Weltfir- ma. Die ahgehildete Allegorie ent- stand aus AnIan des Raus der russischen Staatstelegraphenlinie durch Siemem und Halske (1853 - 56) und zeigt Marksteine der I . .” Entwicklung der Telcgraphie.

F-36 burtsstunde” der Weltfirma Siemens & Halske, die dann Okto- Dub 1863 verfdte Buch: ,,Die Anwendung des Elektromagne- ber 1847 als Telegraphenbauanstalt Siemens & Halske gegriin- tismus”. Eine elektrotechnische Innovation wurde aber nur dann det wurde. erzielt, wenn technisch pragmatische Entwicklungen, die uber Werner Siemens war der schopferische Geist und Denker, die ,,Machbarkeit” entschieden, rnit der fur praktische Zwecke der die Ideen einbrachte, und Halske hatte das ,,konstruktive aufbereiteten Theorie zusammengefuhrt wurden. So kam der Talent”, Entwurf und Bau der Apparate als ,,Prazisionsmechani- Physikalischen Gesellschaft in der Herausbildungsphase der ker” auszufiihren. In diesem Sinne war die neue Firma in dop- Elektrotechnik eine wichtige Funktion zu: Mit ihr war ein friihes pelter Hinsicht etwas Neues: Es war die erste Werkstatt in Kommunikationszentrum von Physikern und Praktikern der Deutschland, die sich vorerst vor allem dem elektrischen Nach- Elektrotechnik entstanden. richtenwesen widmete. Aber etwas anderes war vie1 wichtiger: GemaB dieser Uberlegung lassen sich die zur Elektrotechnik iiber die Prazisionsmechanik hinausgehend, sollten auf wissen- bis etwa 1880 gehaltenen Vortrage nach drei Zielen unterschei- schaftlich-technischer Basis standig neue Gerate und Anlagen den: Eine erste Gruppe ist darauf ausgerichtet, die Mitglieder entwickelt werden. Invention und Innovation waren also von uber den neuesten Stand der technischen Entwicklung zu infor- Anfang an ein Grundprinzip dieses neuartigen volkswirtschaftli- mieren. Eine zweite befal3t sich mit elektrotechnischen Geraten, chen Unternehmens. Siemens hat das klar erkannt und auf die Anlagen und Verfahren und geht insbesondere auf deren Wir- Rolle der physikalischen Gesellschaft bei der Uberbriickung der kungsweise und technische Funktion ein. Am interessantesten Kluft zwischen Wissenschaft und Technik verschiedentlich hin- und fur die Mitglieder wohl am wichtigsten waren jedoch die gewiesen. Vortrage, in denen versucht wurde, elektrotechnische Probleme Die Verbundenheit der Physikalischen Gesellschaft mit der physikalisch aufzuarbeiten oder entsprechende Anlagen wissen- Firma Siemens & Halske wurde auch von dieser Einstellung schaftlich zu fundieren. getragen. So wird in der GruBadresse der physikalischen Gesell- Die Information ubernahm zunachst vorzugsweise Siemens. schaft zum 50jahrigen Bestehen der Firma 1897 der Demonstra- Es ist uberliefert, da8 er bereits im Dezember 1866 den eben tion der Dynamo-Maschine, der ,,Mutter der Starkstromelektro- von ihm erfundenen Dynamo in der Markgrafenstralje Mitglie- technik”, vor Mitgliedern der Physikalischen Gesellschaft in der dern der Physikalischen Gesellschaft vorstellte. Vorausgegangen Markgrafenstral3e vor dreiBig Jahren und einer Schenkung Hals- waren jedoch Siemens’ Berichte in der Physikalischen Gesell- kes gedacht. Deutlich auf diese wechselseitigen Beziehungen schaft uber ,,Magnetoelektrische- und Induktionsschreibtelegra- eingehend, schlieBt dann die Adresse mit den Worten: ,,Dieser phen” (1856/57) [l]. Darin hat er Telegraphen beschrieben, die wissenschaftliche Geist der Firma spiegelt sich in dem Verhalt- statt der sich rasch erschopfenden Batterien ,,Magnetindukto- nis ihrer Griinder zu unserer Gesellschaft wieder (sic!). Moge er ren” benutzten, die mit dem von ihm erfundenen Doppel-T- ihr allezeit erhalten bleiben.” [2] Anker ausgerustet waren. Dieser Anker mit weitaus besserem Das kann man wohl bestatigen. Und es ist bezeichnend, dal3 EisenschluB war ein erster Schritt zu Siemens’ Erfindung des in derselben Sitzung am 22. Oktober 1897 auch der funfzigsten dynamoelektrischen Prinzips. Wiederkehr des Jahrestages des beriihmten Vortrages von Her- Am 17. Januar 1867 hat Gustav Magnus uber diese Erfin- mann Helmholtz uber den Energieerhaltungssatz gedacht wurde: dung in der Berliner Akademie der Wissenschaften berichtet. Modern gesprochen bedeutet das, beide Seiten der Physik, die Allerdings ist zu dieser Zeit dariiber kein Vortrag von Siemens Grundlagenforschung wie die physikalische Technik, waren von in der Physikalischen Gesellschaft verzeichnet. Erst 1869 trug er Anbeginn an das Anliegen der Gesellschaft. hier ,,Ueber die neueste Construction der elektrodynamischen Maschinen und einige elektrische Apparate” [ 11 vor. GewiB war ,,Elektrotechnische Physik” das auch eine Vorausschau, denn 1877 wurde von der Fa. Sie- mens & Halske Elektroenergie uber 60m von einem Dynamo zu Es ist deshalb nicht venvunderlich, dalj bis zum Jahre 1880 rund einem Elektromotor ubertragen, 1879 die erste elektrische Gru- sechzig Vortrage der physikalischen Technik gewidmet sind. benbahn vorgefuhrt sowie eine Passage rnit Bogenlampen Das ist ein hoher Prozentsatz aller Vortrage, und die meisten beleuchtet, 1880 ein elektrischer Aufzug konstruiert und 188 1 davon befassen sich rnit der sich herausbildenden Elektrotech- eine erste elektrische StraBenbahnlinie in Berlin in Betrieb nik, zunachst rnit der ab 1840 entstehenden Telegraphentechnik. genommen. Nur wenige Beitrage gehen auf damals bereits traditionelle Ab 1873 iibernahm vornehmlich einer der ersten Industrie- Zweige der Technik, etwa den Dampfmaschinenbau, ein. Die physiker Oskar Frolich, der seit 1872 bei Siemens & Halske Besonderheit der Elektrotechnik bestand entgegen anderen angestellt war, die Information der Physikalischen Gesellschaft Zweigen der Technik darin, daB die Entdeckung der grundle- uber Fortschritte der Elektrotechnik. Bezeichnend hierfur ist genden elektrophysikalischen Effekte die unabdingbare Voraus- sein Bericht ,,Ueber die Telephone” aus dem Jahre 1877, nach- setzung fur die Entstehung der Elektrotechnik darstellte. Des- dem Philipp Reis um 1860 fruhe Versuche ausgefuhrt hatte, halb wurde die Elektrotechnik bis etwa 1880 als ,,angewandte aber erst Graham Bells Konstruktion (1876) bis zur Innovation Elektrizitatslehre” betrachtet. Vornehmlich unter dem EinfluB gefiihrt wurde. von Siemens wurde in der Physikalischen Gesellschaft klar GroBes Interesse lag offenbar in der Gesellschaft vor, die erkannt, daB bei dieser Technik eine physikalische Fundierung Wirkungsweise neuer elektrotechnischer Gerate und Anlagen uber die bloBe Anwendung der Effekte hinaus unumganglich kennenzulernen. Eine Vielzahl von Vortragen u. a. uber neue, War. ,,verbesserte Telegraphenapparate”, ,,magneto-elektrische So ist es auch gar nicht verwunderlich, da8 einige fruhe Maschinen” oder uber ,,elektrische Beleuchtung” markieren das Fachbucher zur Elektrotechnik von physikalisch hochgebildeten damalige Niveau der Elektrotechnik. Hier erwies sich die Physi- Gymnasiallehrern geschrieben wurden, beispielsweise das von kalische Gesellschaft als Kommunikationszentrum fur neue Ent- dem Mitglied der Physikalischen Gesellschaft Christoph Julius wicklungen.

F-37 Von hoher Bedeutung waren schlieBlich die Vortrage, die Einschnitte: Grundung des Elektrotechnischen Ver- sich rnit der physikalischen Fundierung elektrotechnischer Pro- eins und der Physikalisch-TechnischenReichsanstalt bleme befassen. Dazu sollen nur zwei Beispiele angefuhrt wer- den: 1873 trug der Gymnasiallehrer Rober ,,Ueber die Verhalt- Eine Zasur stellte 1879 die von Siemens betriebene Grundung nisse der Stromintensitaten in einer Telegraphenleitung” [ 11 vor des ,,Elektrotechnischen Vereins zu Berlin” und die damit ver- und Frolich referierte 1879 ,,Ueber Fortpflanzung der Electri- bundene Herausgabe der ,,Elektrotechnischen Zeitschrift” dar. citat in Kabeln” [ 11. Dahinter verbargen sich Forschungen uber Im Vorwort der ersten Nummer wurde betont, daB ,,Deutsch- instationare Stromausbreitung in unterseeischen bzw. unterir- land nunmehr in dem ‘Elektrotechnischen Verein’ eine Gesell- dischen Kabeln mit hoher Kapazitat und Induktivitat, die eine schaft (besitzt), deren Tatigkeit das gesamte Gebiet der Elektro- Verzerrung und Dampfung der Signale hervorriefen. Diese von technik in seiner wissenschaftlichen Erforschung wie auch in G. Kirchhoff und W. Thomson theoretisch untersuchten Pro- seiner praktischen Anwendung in ihren Bereich zieht” [30]. bleme fuhrten schlieBlich zur ,,Telegraphengleichung”, die fur Diese doppelte Zielstellung wurde auch durch die Physikalische die Erhohung der Reichweite von Fernmeldeverbindungen von Gesellschaft gestutzt, die bislang zur ,,wissenschaftlichen Erfor- hoher Wichtigkeit wurde. Aber solche Uberlegungen beeinflub schung” der Elektrotechnik beigetragen hatte. So findet man ten auch die Ausarbeitung der elektromagnetischen Feldtheorie, unter den 424 Mitgliedern des Elektrotechnischen Vereins im weil damit das Problem einer endlichen Ausbreitungsge- Griindungsjahr rund 34 Physiker, ein hoher Prozentsatz, gemes- schwindigkeit der Elektrizitat in das Bewurjtsein der Physiker riickte. Bei dem zweiten Beispiel handelt es sich um ausgesprochen wissenschaftlich-technische Forschungen zum Ferromagnetis- mus: Mit der beginnenden Elektrifizierung wurde die Konstruk- tion von groBen ,,Dynamos” notwendig. Deren Unzulanglich- keiten forderten nunmehr vor allem auf dem Gebiet des Magne- tismus zur wissenschaftlichen Fundierung eine entsprechende Grundlagenforschung heraus. Diese Problematik hat beispiels- weise 1886 Frolich mit einem Vortrag zur ,,Theorie der dyna- moelektrischen Maschine” [2] der Physikalischen Gesellschaft nahegebracht. Ein Hauptmangel der Maschinen bestand in den ,,Eisenverlusten”, die eine iibermal3ige Erwihnung hervorbrach- ten. Nachdem - wie erwahnt - Warburg und andere die Eigen- schaften des Ferromagnetismus erforscht hatten, befakiten sich Physiker in der Gesellschaft rnit ,,MeBmethoden zur Bestim- mung der magnetischen Eigenschaften des Eisens im absoluten Die von Siemens betriebene Grundung der Maasse rnit direkter Ablesung” [2]. Auf diese Weise etablierte ,,Physikalisch-Technischen Reichsanstalt” in Berlin (1887), deren erster Prasident Helmholtz sich die Forschungsrichtung ,,Ferromagnetismus” in Wissen- wurde, brachte neue Themen in die Physikalische Gesellschaft: Das schaft und Technik. Ein damit verbundenes Problem war der heute noch existierende Gebaude an der AbbestraRe. Aufbau eines Elektrogenerators als ,,magnetkcher Kreis”. Denn noch 1885 klagte der erfolgreiche Elektrotechniker Hefner- Alteneck, daB es ein Glucksfall sei, einen leistungsfiihigen Elek- sen an der Gesamtzahl der Physiker. Die Mehrzahl dieser Physi- trogenerator zu konstruieren, weil der Entwurf dieser Maschinen ker war auch Mitglied der Physikalischen Gesellschaft. Damit noch keine exakte Grundlage habe. In dieser Richtung leistete ging eine sich langsam vertiefende Arbeitsteilung zwischen bei- der englische Physiker John Hopkinson die Hauptarbeit, der den Gesellschaften auf dem Gebiet der Elektrotechnik einher: durch Aufbereitung und Anwendung des Maxwellschen Durch- Die praktische Elektrotechnik wurde in der Physikalischen flutungsgesetzes eine Vorausberechnung des ,,magnetischen Gesellschaft nur noch referiert, wahrend Themen der ,,theoreti- Kreises” von Elektromaschinen ermoglichte. schen Elektrotechnik” weiterhin hier ihren Platz hatten. Natur- Der Physiker Henri du Bois, der sich auf dieses Thema spe- lich wurden bestimmte einschlagige Vortrage auch in beiden zialisiert hatte, unterrichtete beispielsweise 1890 mit dem Vor- Gesellschaften gehalten. trag ,,Ueber magnetische Ringsysteme” [2] die Physikalische Der wissenschaftlichen Fundierung der Technik war die Gesellschaft. In den folgenden Jahren hielt er weitere Vortrage ebenfalls von Siemens betriebene Grundung der ,,Physikalisch- zu den Themen ,,Magnetkcher Kreis” und ,,Ferromagnetismus”. Technischen Reichsanstalt” ( 1887) gewidmet. Helmholtz wurde Fur ihn war also die Physikalische Gesellschaft ein Diskussions- ihr erster Prasident, und viele ihrer Mitarbeiter spielten, inson- zentrum fur dieses brennende Problem der wissenschaftlichen derheit im Vorfeld der Quantenphysik und bei der Gerateent- Technik. In diesem Sinne haben auch die Mitglieder zum Erfolg wicklung, eine aktive Rolle in der Physikalischen Gesellschaft. seines Buches ,,Magnetkche Kreise, deren Theorie und Beide Grundungen sind auch ein Indiz dafur, daB sich Anwendung” ( 1894) beigetragen, das fur die Vervollkomm- zunachst die ,,Starkstromtechnik” und spater auch die nung der Elektromaschinenkonstruktion von hoher Bedeutung ,,Schwachstromtechnik” als selbstandige technikwissenschaftli- war. che Disziplinen etablierten. Dennoch nahm die zugehorige phy- Diese Grundlagenforschungen fur die Technik behaupteten sikalische Grundlagenforschung weiterhin einen breiten Raum ihren Platz in der Physikalischen Gesellschaft und waren unter ein. Zur selben Zeit, um 1890, wandte sich die Physikalische neuen Bedingungen ein AnlaB, 1919 eine Gesellschaft fur Tech- Gesellschaft verstarkt neuen ,,Strahlungseffekten” zu, die sich nische Physik zu grunden. nur schwer in das Gebaude der klassischen Physik einfugten.

F-38 Wissenschaftlicher Geratebau: Neue Instrumente fur den Fortschritt in der Anliegen vieler Mitglieder Elektrophysik

Die eben beschriebene Beziehung zur Elektrotechnik und der Fur den Aufschwung von Elektrophysik und Elektrotechnik war haufig damit verbundene Bau wissenschaftlicher Gerate lag im die Entwicklung von Nachweis- und MeBgeraten sowie von Interesse vieler Mitglieder. Einheitsnormen von ausschlaggebender Bedeutung. Schon friih Im Grundungsjahr sprach der Vorsitzende der Gesellschaft informierte Siemens uber einen ,,neuen Rheostat” (1856), uber Karsten uber ,,Sonnenspektra und Mondbilder auf Papier und ,,Widerstandsmesser” (1866) und Dehms uber die ,,Siemenssche Daguerre’sche Platten: Bericht von Versuchen uber die chemi- Widerstandseinheit” (1863) [ 11. Im Vortrag des Industriephysi- sche Wirkung der Sonnenstrahlen” [l]. 1846 traten erstmals die kers Adolf Koepsel ,,Ueber eine neue Art von Widerstanden fur Mechaniker Boetticher und Halske rnit der ,,Beschreibung und hohe Stromstkken” wird dann die Weiterentwicklung und Spe- Vorzeigung eines Goniometers rnit parallelen Strahlen, unge- zifierung deutlich. Ebenso liefen uber Jahre die Untersuchun- druckt” [l] hervor. Beide Vortrage gehoren zu den Anfangen gen, immer genauere, empfindlichere und auch handlichere wissenschaftlichen Geratebaus, der ebenfalls in der Physikali- elektrische MeBgerate zu konstruieren. Ausgehend von Wilhelm schen Gesellschaft eine Heimstatt fand und im 19. Jahrhundert Webers Geratekonstruktionen sprach beispielsweise Heinrich immer wichtiger wurde. Parallel dazu entstanden Betriebe, die Hertz 1882 uber ,,Dynamometer” und Koepsel hob mit dem sich dem Bau wissenschaftlicher Gerate widmeten. Neben Vortrag ,,Ueber einen Apparat zur Aichung und Normalbestim- bekannten wie E. Leybold’s Nachfolger in Koln oder Max Kohl mung der Torsionsgalvanometer von Siemens & Halske” (1890) in Chemnitz warben auch die ,,mechanisch-optischen Werkstiit- [2] die enge Kopplung von Elektrophysik und Elektrotechnik ten” von Rudolf Fuess in Steglitz bei Berlin, einem ruhrigen hervor. Die Belange einer immer praziseren Forschung sind Mitglied der Physikalischen Gesellschaft. Er bot u. a. ,,Projec- dann an Vortragen wie ,,Ein empfindliches Galvanometer mit tionsapparate, Spectrometer ... (und) Gitterspectrographen eige- abnehmbarer Dampfung” (Karl Feussner 1891), ,,Ueber ein ner Construction” [2] an. Diese Gerate setzten einen Vorlauf in neues Elektrodynamometer” (Rubens 189 1) oder ,,Ein Helm- der wissenschaftlichen Forschung voraus. holtz’sches Elektrodynamometer” (Kahl 1896) [21 abzulesen. Wenn man heute, also uber hundert Jahre spater, ein Heft der ,,Physikalischen Blatter” aufschlagt, ist man von der Fulle des Bessere Evakuationspumpen - Angebots an wissenschaftlichen Instrumenten und Bauteilen Voraussetzung fur die Gasentladungsphysik kaum uberrascht. Fast jeder Physiker braucht diese Produkte fur seine Arbeit und kann ohne sie nicht mehr auskommen. Damals In der ,,Gasentladungsphysik” spielte die Entwicklung hocheva- konnte ein Physikprofessor von Gluck sprechen, wenn er einen kuierender Pumpen eine groBe Rolle. Den Ausgangspunkt bilde- einfallsreichen und geschickten Universitatsmechaniker an sei- te die Evakuationspumpe von Heinrich GeiBler. In der Physika- ner Seite hatte. Hier bot die Physikalische Gesellschaft erweiter- lischen Gesellschaft war der riihrige Lehrer an der Artillerie- te Potenzen: und Ingenieurschule Berlin, spatere Universitatsprofessor und Die Zusammenarbeit von Physikern rnit ,,Mechanici” und Redakteur der ,,Fortschritte” (1878 - 1882) Friedrich Neesen, anderen Fachleuten oder auch deren selbstandige Arbeit schufen der hervorragende Forscher auf diesem Gebiet. Bereits ab 1877 neue Konstruktionsmoglichkeitenfur viele Gebiete. Auch natur- berichtete er fast regelmaBig uber ,,Quecksilberluftpumpen”. wissenschaftliche Gymnasiallehrer profitierten davon. Wieder- 1893 erklarte er ,,eine selbsttatige Quecksilberluftpumpe” und um ist hervorzuheben, daB die Physikalische Gesellschaft ein kam 1895 zur ,,Vergleichung des Wirkungsgrades einer Trop- Kommunikationszentrum fur die verschiedensten wissenschaft- fen- und einer Kolbenquecksilberluftpumpe” [2]. Er regte auch lichen und technischen Richtungen war. Daraus ergab sich so andere zu entsprechenden Untersuchungen an und erorterte manche Uberlegung, Verfahren oder Erkenntnisse einer Diszi- schlieBlich 1899 ,,Vereinfachungen an der selbsttatigen Kolben- plin fur den Geratebau eines anderen Gebietes zu nutzen. Es quecksilberluftpumpe und vergleichende Versuche uber die war eine Seite der Herausbildung interdisziplinarer Wissen- Geschwindigkeit der Wirkung verschiedener Luftpumpenarten” schaften. Eine Auswahl zu einigen Gebieten sol1 einen Einblick [3]. Ein gewisser AbschluB wurde mit Hans Boas’ Kurzvortrag in diese Arbeit geben. ,,Eine Bemerkung zur Wirkung der Sprengel’schen Quecksilber-

R. E” ue ss, m e c h a n isch -0p t isc h e Wer kst ii tten, Steglitz b- Berlin- Abtheilung I. Prnjijoctlnnssppsrate, optiselie Iliinke (mit und ohne Triebbewe un- der Schlitten) zur Demonstration physi%algchcr u. chemischer Urn die Jahrhundertwende findet Vorgiinge. (Ausiiihrliohe Cataloge und Be- schreibungen stehen zu Diensten. man solche Anzeigen in den Spectrometer, (luarr~peetrographen nach ,,Verhandlungen”: Das Mitglied S c h u in a n n , Qit,t,erspertrograyhen eigener der Physikalischen Gesellschaft Construction, Heliostaten, Kathetometer etc. Rudolf Fuess wirbt fur seine me- (Siehe aucli das lnserat im vorigen Hefte.) chanisch-optischen Werkstatten. Slmmtliche Instrumente meist am Lager. Viele Mitglieder forderten den Bau wissenschaftlicher Gerate.

F-39 luftpumpe” (1900) [3] erzielt, die in der friihen Gluhlampen- Anregungen fur Konstruktionen seiner Werkstatten. Aber auch und Elektronenrohrenproduktion benutzt wurde. ,,Uber einen neuen Zuckerpolarisationsapparat” (Zenker 1873) Diese informativen Vortrage waren fur die vielen Mitglieder oder ,,Ueber einen Apparat zur Bestimmung der Brechungsex- wichtig, die sich mit Kathodenstrahl- und ab 1896 auch rnit ponenten von Flussigkeiten (Paul Glan 1874) [l] wurde infor- Rontgenstrahlforschungen befaljten. Auch Walter Kaufmann, miert. In den 1880er Jahren kamen ,,Spektralphotometer” der die vorerst unerklarliche Massenzunahme sehr schnell (Konig 1886) hinzu, und auch die ,,Methode des Hrn. Abbe zur bewegter Elektronen erkannte, holte sich hierbei Anregungen. Bestimmung der Hauptpunkte und Brennweiten” (Lummer 1888) wurde erortert. Neue Apparate fur neue Gebiete Ab 1887 meldeten sich auch Physiker der Physikalisch-Tech- nischen Reichsanstalt u. a. mit einem ,,Contrastphotometer” GroB ist die Zahl der Gerate, die im Zusammenhang rnit den (Brodhun 1890) oder mit der ,,Anwendung des Bolometers zur Anfangen neuer interdisziplinarer Gebiete wie Physik der Atmo- quantitativen Messung der Hertz’schen Strahlung” (Rubens sphsire, Astro-, Bio- und Geophysik geschaffen wurden. Natur- 1890) [2] zu Wort, nachdem Robert v. Helmholtz bereits 1888 lich ist kaum mehr festzustellen, inwieweit die Diskussion in ,,Ueber Bolometer” [2] gesprochen hatte. Jeder Physiker erkennt der Physikalischen Gesellschaft Einflulj auf die Konstruktion sofort: Das war auch die apparative Vorbereitung fur die Wsir- hatte. Offensichtlich ist jedoch, dal3 haufig Mechaniker mitgear- mestrahlungsmessungen, die zur Genesis der Quantenphysik beitet haben, die aber selten genannt wurden. Einige charakteri- beitrugen. stische Beispiele seien herausgegriffen. Auf welches Gebiet man auch blickt, die Physikalische Fur die fruhe Meteorologie waren ,,Barometervergleiche” Gesellschaft envies sich auch als Vorfuhr- und Diskussionszen- und Verbesserungen und Konstruktionen von ,,Anemographen” trum fur die Instrumentenentwicklung. Ihr Vorzug war, dalj hier und von ,,Quecksilbernormalthermometern” sehr wichtig. Hein- neben Physikern Vertreter verschiedener Berufe mitsprachen rich Hertz sprach 1882 ,,Ueber ein neues Hygrometer” und 1899 und konstruierten. stellte Assmann sein bis heute verwandtes ,,Aspirations-Psy- chrometer” [3] vor. Fur viele Wetterbeobachter waren diese Demonstrationen von groljer Wichtigkeit. Gleiches gilt fur die Die Photographie: ein Dauerthema neuen, in der Astrophysik wichtigen Gerate, die in der Physika- in der Gesellschaft lischen Gesellschaft besprochen bzw. vorgefuhrt wurden. Fur die ,,Medizinische Physik” sol1 nur auf du Bois-Rey- Die um 1820 erfundene Photographie befand sich in der zweiten monds friihen Beitrag von 1847 ,,Ueber einen Multiplikator zur Halfte des 19. Jahrhunderts in rascher Entwicklung, und so Untersuchung des Nervenstroms” [I] hingewiesen werden. Sol- wurde sie zu einem erstaunlich umfangreichen und vielfaltigen che fur die Elektrophysiologie konstruierten ElektrizitatsmeB- Dauerthema in der Gesellschaft, weil die Mitglieder rasch gerate (,,Multiplikatoren”) entwickelte du Bois-Reymond ofter erkannten, welche Bedeutung dieses neue Abbildungsverfahren in Zusammenarbeit mit Mechanikern, u. a. rnit Halske. Sie fur die Wissenschaft und andere Lebensbereiche hatte. waren fur die Entwicklung der ,,physikalischen Physiologie” Zwei Probleme standen zu dieser Zeit im Vordergrund: Es unentbehrlich. Auch hierfur erwies sich die Physikalische galt, weitere lichtempfindliche Stoffe zu testen, deren Empfind- Gesellschaft als eine geeignete Institution. Hier konnten diese lichkeit zu steigern und sie rnit neuen Methoden der Bildent- Apparate und Verfahren fur die neuen Wissenschaften, die sich wicklung besser auszunutzen. Nicht weniger wichtig war es, den noch in statu nascendi befanden, einem groljeren Publikum vor- aus der Camera obscura (Lochkamera) hervorgegangenen Pho- gefuhrt und uber ihre Verbesserung diskutiert werden. toapparat durch moglichst lichtstarke Objektive mit grol3ern Gesichtsfeld und geringen Abbildungsfehlern zu vervollkomm- Gerate fur die Optik nen. Erste wissenschaftlich fundierte Photo-Objektive wurden urn 1840 konstruiert. Zu letzterem Problemkreis ist in der Physi- Aus der umfangreichen Gerateentwicklung fur die physikali- kalischen Gesellschaft kaum ein Vortrag gehalten worden. schen Disziplinen sol1 hier nur fur die Optik ein Einblick gege- Dagegen hat man sich ofter mittels optischer Methoden rnit der ben werden. Hieran beteiligten sich in der Physikalischen Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen befaljt und auch uber die Gesellschaft recht viele, auch heute Iangst vergessene Mitglie- Verwendung der Photographie in der Wissenschaft diskutiert. der. Bereits 1845 wekt einer der Griinder, Heintz, auf Experi- An dieser Stelle sol1 nur auf einen Vortrag von Hermann Wil- mente zur ,,circularen Polarisation von Zuckerlosungen” hin und helm Vogel aus dem Jahre 1878 rnit dem zukunftstrachtigen H. Martins gab die ,,Beschreibung eines Fiihlhebels zur Priifung Titel ,,Photographien des Ultraroth” [ 11 hingewiesen werden. planparalleler Platten” [I] bekannt. Schon bald wurden mehr Dies war ein erster Schritt zu der spater aufkommenden Infra- oder minder ausgereifte Apparate, insbesondere fur Spektralun- rotphotographie. tersuchungen, vorgefuhrt. Das begann rnit ,,Diffraktionsgittern” Die Erweiterung der Wiedergabe von Farben und die Verkur- (Quincke 1862), fuhrt zu ,,Spektralapparaten zum Direktsehen zung der Belichtungszeiten, etwa um schnelle Vorgange photo- von Menz” (Quincke 1871) und zu ,,Spektroskopen aus Flint- graphisch festhalten zu konnen, waren immer wieder Gegen- glas und Schwefelkohlenstoff’ (Wilhelm Zenker 1872) bis zur stand von Vortragen und Demonstrationen in den Sitzungen der ,,... wahren Theorie der Fresnel’schen Interferenzapparate (Frie- Physikalischen Gesellschaft. So stellte z.B. 1882 der bekannte drich Weber 1872) [l]. Wie leicht zu sehen, standen dahinter Spektroskopiker Heinrich Kayser einen ,,Apparat zur photogra- u. a. die Erkenntnisse Kirchhoffs und Bunsens uber die Spek- phischen Momentan-Aufnahme” [2] vor und Arthur Konig tralanaly se. sprach 1888 ,,Ueber die neuesten Momentphotographien des Der Mechaniker Fuess fuhrte beispielsweise ,,Hehostaten” Hrn. 0. Anschutz in Lissa” [2] und 1889 ,,Ueber den neuen und ,,Pyrometer” vor und holte sich in den Sitzungen manche photographischen Momentapparat von Hrn. Ottomar Anschutz”

~ F-40 [2]. Anschutz hatte als Berufsphotograph den SchlitzverschluB Lippmann verwendet das von John Joly 1894 ausgearbeitete fur die Kameras eingefuhrt und damit u. a. fliegende Tauben Verfahren eine Farbrasterplatte. In einem feinen Raster werden und Storche aufgenommen. Ab 1885 fertigte er Serienaufnah- die Intensitaten von drei Grundfarben photographisch festgehal- men von bewegten Tieren und Menschen an, die fur Bewe- ten und bei der Betrachtung durch ein analoges Raster wieder in gungsstudien von grol3em Interesse waren. 1887 fand er mit sei- gemischte Farbwerte umgesetzt. Joly folgte mit der Benutzung nem ,,elektrischen Schnellseher” (Elektrotachyskop) eine Mog- von drei Grundfarben einer Idee von James Clerk Maxwell aus lichkeit, solche Aufnahmen rasch hintereinander vorzufuhren, dem Jahre 1861 und den vielfaltigen Untersuchungen zum Far- wobei eine GeiBlersche Rohre die Einzelbilder fur kurze Zeit bensehen von Young, Helmholtz und anderen. beleuchtete, so dal3 beim Betrachter der Eindruck einer Bewe- Im Jahre 1898 erlauterte der Astronom Friedrich Simon Ar- gung entstand. [ll, S. 310ffl chenhold ,,Das Ives’sche Verfahren der Photographie in naturli- chen Farben” [2] und Paul Spies fiihrte einen ,,Ives’schen Pro- Photographie in naturlichen Farben nach Lippmann jektionsapparat zur Demonstration von Photographien in naturli- chen Farben” [2] vor. Auch dieses Verfahren beruht auf der Ein Hauptinteressengebiet war gegen Ende des 19. Jahrhunderts Dreifarbentheorie des Sehens. Der amerikanische Drucker und die Photographie in naturlichen Farben. Eine Moglichkeit dafiir Photograph Friedrich Eugen Ives benutzte drei getrennte Auf- konnten die Farben dunner Blattchen liefern, eine Methode, die nahmen des gleichen Objekts, die jeweils die Intensitatsvertei- besonders von Daniel Gabriel Lippmann ausgearbeitet wurde. lung einer Grundfarbe enthielten und durch ijbereinanderproji- Er legte seine ersten Ergebnisse am 2. Februar 1891 der Pariser zieren den naturlichen Farbeindruck wiedergaben. [ 11, S. 438fl Akademie vor. Lippmann erhielt 1908 fur sein farbphotographi- Die Farbenphotographie, insbesondere die Dreifarbenphoto- sches Aufnahmeverfahren auf der Grundlage von Interferenzer- graphie, war in enger Beziehung zum Dreifarbendruck entstan- scheinungen den Nobelpreis. Es sei hier nur angemerkt, dal3 die den und hatte nunmehr selbst einen Stand erreicht, der sie fur photographische Registrierung von Interferenzmustern gerade die drucktechnische Wiedergabe von auf photographischem ein Wesensmerkmal der ab 1947 von Dennis Gabor ausgearbei- Wege gewonnenen farbigen Abbildungen geeignet erscheinen teten Holographie unserer Tage ist, auch wenn sie mit kohken- lieB. Mit farbigen Filtern liel3en sich getrennte photographische tern Licht arbeitet und dadurch zusatzlich die Phasenverhaltnisse Aufnahmen und daraus Druckplatten fur die einzelnen Farben des Lichtes festzuhalten gestattet. erzeugen, ein Verfahren, das man auch Photochromie nannte. Am 10. April 1891 war es Hermann Wilhelm Vogel, der in Fur die farbrichtige Wiedergabe war das 1885 von Hermann der Physikalischen Gesellschaft erstmals ,,Ueber Lippmann’s Wilhelm Vogel aufgestellte ,,photochromische Prinzip” von Photographien des Spektrums in naturlichen Farben” [2] berich- grol3er Bedeutung, das besagt, daB die fur den Druck venvende- tete und Aufnahmen dazu vorlegte. Vogel war seit 1865 Profes- ten Farben den fur die Sensibilisierung verwendeten spektral sor fur Photochemie, seit 1873 auch fur Spektralanalyse und ab gleich sein mussen. Vogel trug seine Ergebnisse aber vor allem 1888 auch noch fur Beleuchtungsmechanik am koniglichen in von ihm mitbegrundeten Photographischen Gesellschaften Gewerbeinstitut Berlin, der spateren TH Charlottenburg, und vor und gab nur gelegentlich in der Physikalischen Gesellschaft hatte u. a. 1864 die ,,Photographischen Mittheilungen” begriin- einen Einblick in seine Arbeiten. 1893 sprach er hier ,,Ueber det. 1893 zeigte August Kundt der Versammlung wieder ,,Zwei eine neue Methode der vervielfaltigenden Photographie in von Hrn. G. Lippmann hergestellte farbige Photographien” [2]. Naturfarbe” [2] und ruckte damit diese Technik ins Blick- Im Sommer des gleichen Jahres fertigten die Gebriider Lumikre feld der Physikalischen Gesellschaft. 1898 gab A. Konig eine die erste Portrataufnahme nach dem Lippmann’schen Verfahren Art zusammenfassenden Bericht ,,Ueber die Moglichkeit einer an. Die neue Methode wurde rasch weiterentwickelt, ihre physi- Reproduction naturlicher Farben rnit Hulfe der Photographie” kalischen Grundlagen aber erst nach und nach genauer [21. erforscht. So trug 1898 Richard Neuhauss ,,Ueber die Photogra- phie in naturlichen Farben nach Lippmann’s Verfahren und den Farbempfindlichkeit und Farbensehen Nachweis der dunnen Zenker’schen Blattchen” [2] vor. Neu- hauss, der 1894 eine Monographie zur Mikrophotographie vor- Eine Voraussetzung fur alle Verfahren der Farbenphotographie gelegt hatte, nutzte diese Methode, um die Bildung feiner und dariiber hinaus fur die physiologisch richtige Umsetzung Lamellen, der ,,Zenker’schen Blattchen”, bei der Lippmann’- der Farben in Grauwerte bei der Schwarz-WeiR-Photographie ist schen Farbenphotographie zu dokumentieren. Wilhelm Zenker es, daB die sichtbaren Spektralbereiche etwa gleich intensiv wie- hatte 1866 die Theorie aufgestellt, da13 durch stehende Lichtwel- dergegeben werden konnen. Die entscheidende Entdeckung len in der photographischen Schicht diinne Blattchen entstehen, dazu war im Jahre 1873 dem erwahnten ,,Professor fiir Photo- die dann Interferenzfarben zeigen. Der endgultige Nachweis ste- graphie”, Hermann Wilhelm Vogel, gelungen. Er hatte die che- hender Lichtwellen gelang 1889 Otto Wiener in Aachen, womit mische Wirkung des Sonnenlichts auf Jod-, Chlor- und Bromsil- zugleich ein letztes starkes Argument fur die Wellentheorie des ber mit einem kleinen Spektrographen fur die einzelnen Spek- Lichtes gefunden war. tralbereiche untersucht und festgestellt, da13 durch Beimengung bestimmter Farbstoffe, die eigentlich die Bildung von Lichtho- Andere Verfahren der Farbenphotographie fen vermindern sollte, auch die Empfindlichkeit fur einzelnen Farben beeinflufit werden kann. Er sprach noch im gleichen Jahr 1895 wurde von Claude du Bois-Reymond ein weiteres Verfah- in der Physikalischen Gesellschaft dariiber. Erst 1888 berichtete ren der Farbenphotographie vorgestellt und die ,,neuen farbigen August Kundt in der Physikalischen Gesellschaft unter dem Photographien von Hrn. Joly in Dublin” [2] vorgezeigt. 1898 Titel ,,Photographien, welche die Sensibilisirung photographi- berichtete derselbe in der Gesellschaft dann ,,Ueber eigene Ver- scher Trockenplatten mittels absorbirender Farbstoffe zeigen” suche in Prof. Joly’s farbiger Photographie” [2]. Anders als [2] wieder uber iihnliche Untersuchungen.

F-41 Die physiologischen Grundlagen des Farbensehens, die ja in Von der Astronomie zur Astrophysik das Verfahren der Farbenphotographie rnit einflieBen, waren bis zur Jahrhundertwende immer wieder Diskussionsgegenstand in Der junge Karl Friedrich Zollner, seit 1862 Mitglied der Physi- der Physikalischen Gesellschaft. Es ist der Bereich aus der kalischen Gesellschaft, auBerte gegenuber dem renommierten medizinischen Physik, der - verbunden mit dem Namen Arthur Berliner Physiker und Meteorologen Heinrich Wilhelm Dove Konig - , wohl am ausfuhrlichsten und am Iangsten in der Phy- die Hoffnung, daB die Untersuchung des Sternenlichts manche sikalischen Gesellschaft behandelt wurde. Der Vortrag Vogels Aufschliisse uber die Natur der Sterne bringen werde. Letzterer ,,Ueber die Photometrie farbiger Strahlen und uber Messung der entgegnete: ,,Was die Sterne sind, wissen wir nicht und werden chemischen Intensitat des Tages- und des verschiedenfarbigen es nie wissen.” Lichtes” [2] (1891) weist auf die Moglichkeiten einer Kopplung Mit etwas Stolz ist deshalb zu konstatieren, daB die meisten von Photometrie und Photographie fur diesen Bereich hin, nam- Vortrage in der Physikalischen Gesellschaft zu astronomischen lich auf die Objektivierung von Farberscheinungen und Hellig- Themen nicht der herkommlichen Astronomie, sondern der sich gerade herausbildenden Astrophysik gewidmet sind, obwohl um 1895 nur etwa 6 Prozent der Artikel in der renommierten Zeit- Hh G F bE D Ba schrift ,,Astronomische Nachrichten” der Astrophysik zuzurech- nen sind. Die Berliner Physikalische Gesellschaft war also auch ein Diskussionszentrum, in dem sich das neue Fach etablierte, Reines Brom- das Zollner Astrophysik nannte. silberkollodium Mit physikalischen Methoden wie der Photometrie, Spektro- skopie und Photographie sollte die Erforschung der Gestirne betrieben werden. GewiB stellten dafur zwei Vortrage des Mit- begriinders der Astrophysik Zollner aus dem Jahre 1862 einen Bromsilber Anfangs- und zugleich Hohepunkt dar. Er sprach am 13. Febru- rnit Naphlalinrot ar ,,Ueber Helligkeitsmessung der Gestirne” und am 28. Februar ,,Ueber verschiedenartige Verwendung seines Photometers und die Bedeutung photometrischer Untersuchungen fur die Astro- nomie” [l]. Kurz nach dem Erscheinen von Zollners grundle- Brornsilber gender Schrift ,,Grundzuge einer allgemeinen Photometrie des mit Methyl- rosanilinpikrat Himmels” erlauterte er vor der Gesellschaft sein ,,Himmels- astrophotometer”, das einen Entwicklungssprung in der Hellig- keitsmessung der Sterne darstellte und deshalb weltweite Ver-

Hh G F bE D Ra breitung fand. Etwa im Vergleich zum Photometer von Steinheil wurde in Zollners Gerat durch die Anderung der Helligkeit einer Photos von Spektren galten als MaBstab fur die entstehende Farbphoto- graphie. Hier: Das Sonnenspektrum, aufgenommen mit reinem und Vergleichsquelle mittels Polarisation eine prazise Messung gefarbten Bromsilber bei verschiedenen Expositionszeiten. erreicht. So wurden rnit dieser Methode, die noch durch die Photographie und die photoelektrische Messung erweitert

keitswerten. Voraussetzung dazu ist die sichere Kenntnis des A Zusammenhangs zwischen der erzielten Schwarzung und der eingestrahlten Intensitat. Vogel hatte schon 1882 ,,Ueber ein Photometer zur Messung der chemischen Wirkung des Lichts” [2] in der Physikalischen Gesellschaft referiert. Photographische Aufnahmen von Spektren wurden dann geradezu ein Gradmes- ser fur die Qualitat photographischer Materialien hinsichtlich der intensitatsrichtigen Wiedergabe verschiedener Spektralberei- che und hinsichtlich der Leistungsfahigkeit der Spektrometer selbst. Trotz verschiedener Fortschritte war es zur exakten Pho- tometrierung photographisch aufgenommene Spektren und die Entdeckung feiner Strukturen innerhalb der Linienbreite noch ein weiter Weg. Insgesamt erweist sich, dal3 sich die Physikalische Gesell- schaft uber Jahrzehnte - einmal stlker, einmal schwacher - mit der Photographie in mannigfaltiger Beziehung beschaftigte. Die Mitglieder empfanden die Wichtigkeit des Themas, und sie hat- ten rnit Hermann Wilhelm Vogel einen kompetenten Informan- ten fur die neuesten Entwicklungen.

Prinzipskizze des fur die Astrophysik unentbehrlichenPhotometers. Der Erfinder, Karl Friedrich Zollner, stellte sein neuartiges Gerat in der Physikalischen Gesellschaft vor, in der die entstehende Astrophysik besonders gepflegt wurde.

F-42 wurde, gegeniiber traditionellen Helligkeitsangaben genauere Erkenntnisse im Sinn? Das ware ein sehr friiher Beitrag auf dem und umfassendere Aussagen uber die Beschaffenheit und Ent- Wege zur Astrophysik. Sporer war noch 1886 in der Physikali- fernung der Himmelskorper erzielt. schen Gesellschaft aktiv, u. a. durch die ,,Vorlegung und Aus Veranderungen der Sternhelligkeit entwickelte Zollner Besprechung heliographischer Karten” [2]. eine ,,Evolutionstheorie der Sterne”. Mit einem verbesserten Die astrophysikalischen Forschungen wurden durch den Zollnerschen Photometer wurde im Astrophysikalischen Labora- Direktor der Berliner Sternwarte, Wilhelm Julius Forster, torium Potsdam unter der Leitung seines Schiilers Hermann Carl erganzt, der zusatzlich neue astronomische Gerate, aber auch die Vogel die beriihmte ,,Potsdarner Durchmusterung” der Hellig- Untersuchungen seiner Sternwarte in der Gesellschaft vorstellte. keit von iiber 10000 Sternen vorgenommen. Jeder weis, welche Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl Bedeutung die Helligkeitsmessung, u. a. im Hertzsprung-Rus- der astrophysikalischen Beitrage; sie beschrankten sich nun auf sell-Diagramm, in unserem Jahrhundert gewonnen hat. Dalj die die Erforschung der Sonne, u. a. auf Messungen und Hypothe- Gesellschaft an Zollners weiteren Arbeiten Anteil nahm, kann sen uber die Herkunft der Sonnentemperatur und -wWe. Einen man beispielsweise aus Neesens Vortrag ,,Referat iiber Zollners Hohepunkt stellte 1894 der Vortrag des amerikanischen Pioniers Arbeit: Untersuchungen iiber die Bewegung strahlender und der Sonnenforschung George Hale dar, der ,,Uber die photogra- bestrahlter Korper” [ 13 im Jahr 1877 entnehmen. phische Erforschung der Sonne” [2] referierte. Hale begriindete in den USA das ,,Astrophysical Journal” und leitete die interna- Neue Methoden und neue Einrichtungen tionale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sonnenforschung. Es ist also festzuhalten: Besonders durch das Zusammenwir- Mit der Astrospektroskopie machte die Physikalische Gesell- ken von Physikern und Astronomen hat die Physikalische schaft der Observator und ab 1882 Direktor des Potsdamer Gesellschaft an der Verselbstandigung der Astrophysik mitge- Observatoriums Hermann Carl Vogel bekannt, der seit 1873 wirkt. Mitglied der Gesellschaft war. Nachdem Karsten bereits 1845 Anfange dieser Problematik aufgenommen hatte, sprach Vogel 1873 iiber ,,Photographien des Spektrums im gelben und rothen Physik der Erde Teil” [l], und 1875 ist die ,,Vorzeigung und Erlauterung eines einfachen Apparates zum Photographiren des Sonnenspektrums” Seit der Griindung war der Themenkreis ,,Physik der Erde und [ 11 vermerkt. Damit unterrichtete er die Physikalische Gesell- der Atmosphare” in der Physikalischen Gesellschaft prasent. schaft schon friih iiber seine Entwicklung eines Sternspektrogra- Schon friih findet man zeitweise in den ,,Fortschritten” Gliede- phen mit photographischer Aufzeichnung. Damit schuf Vogel rungspunkte wie ,,Meteorologic", ,,Physikalischen Geographie” eine Spektralklassifikation der Sterne und konnte sehr kleine oder auch ,,Physik der Erde und des Wassers” und ,,Meteorolo- Verschiebungen von Spektrallinien messen und mit Hilfe des gische Optik”. Um 1890 tauchte hier auch der Begriff ,,Geophy- Doppler-Effekts auf die Geschwindigkeit von Sternen schliel3en. sik” auf. Mit der Neuordnung der ,,Fortschritte” (1880) wurden Mittels spektroskopischer Methoden konnten in Potsdam auch alle einschlagigen Untersuchungen in der Abteilung ,,Physik der erstmals Doppelsterne nachgewiesen werden. Andere Mitglieder Erde” zusammengefaBt. haben iiber Jahre Detailstudien zur Astrospektrometrie vorgetra- Die Erde und ihre Atmosphiire war ein Erscheinungsgebiet, gen und neue Apparate, u. a. ein neues ,,Spektroteleskop” oder dessen Erforschung mit Hilfe der Physik neue Aufschliisse ver- ein ,,Helioskop” vorgefiihrt bzw. Photographien verschiedener sprach. Das rasch gestiegene Erkenntnisniveau und der Erkennt- Himmelskorper vorgelegt. Diese Erkenntnisse haben im 20. nisumfang boten dafiir differenzierte Moglichkeiten. Jedoch Jahrhundert die Forschungen iiber die Beschaffenheit und den gehorten oft ausgefeilte kreative Uberlegungen dazu, physikali- ,,Lebensweg” der Sterne aul3erordentlich befliigelt; hier also sches Wissen fur diesen Bereich der Natur aufzubereiten. Der lagen die Urspriinge. Problemkreis ,,Physik der Erde” lieferte also den Vorlauf fur Die Sonnenforschung hatte in der Physikalischen Gesell- mehrere interdiszipliniire Wissenschaften: Die Physik bereicher- schaft auch einen gewichtigen Platz. Diese wurde insbesondere te und erganzte die Geographie um das Teilgebiet ,,Physikali- von Mitarbeitern des 1874 gegriindeten Astrophysikalischen sche Geographie”, aus der auch Ansatze zur Geophysik hervor- Laboratoriums Potsdam wie Vogel und Gustav Sporer gepflegt. gingen. Natiirlich trugen auch andere Entwicklungslinien, etwa Dabei hat Zollners Methode der spektroskopischen Untersu- die Erforschung des Erdmagnetismus und die Entwicklung der chung der Sonnenflecken und Protuberanzen anregend gewirkt. Geologie, zum Aufbau der Geophysik bei. In der Zeit bis 1900 Uber Jahrzehnte finden sich deshalb in den Aufzeichnungen ist jedoch am hervorstechendsten die Wandlung der Meteorolo- Vortrage iiber Protuberanzen, Sonnenflecke und Sonnenfackeln. gie zur ,,Physik der Atmosphare” bzw. zur ,,Physikalischen So wurden auch erste Erkenntnisse iiber die Natur dieser Pha- Meteorologie”. An diesem komplexen Verselbstandigungspro- nomene, u. a. im Zusammenhang mit der ,,mechanischen Wiir- zeB war die Physikalische Gesellschaft an vorderer Stelle betei- metheorie” vorgetragen. ligt. Wie grol3 das Interesse an der Astrophysik war, zeigt sich schon daran, dalj der Lehrer und spatere Observator in Potsdam Beitrage im Vorfeld Sporer, der bereits seit 1845 Mitglied der Physikalischen Gesell- schaft war, ausfiihrlich ,,iiber die Einrichtung der Sonnenwarte Zunachst wurden in der Physikalischen Gesellschaft viele bei Potsdam” [l] informierte. Sein Debut in der Gesellschaft Detailstudien vorgetragen, die im Vorfeld der neuen interdiszi- gab Sporer bereits 1845 mit einem Vortrag ,,Ueber die physika- plinaren Fachgebiete lagen. Ein Eroffnungsvortrag 1845 handel- lischen Grundlagen der astrologischen Deutungen. Ungedruckt” te von der ,,Bewegung der Gletscher” und iiber Jahre ist das [l]. Hatte er schon damals eine Aufklarung bzw. Entlarvung Thema Eis und Gletscher, uber ihre Farbe und ihr Vorriicken gewisser astrologischer Interpretationen mittels physikalischer immer wieder auf der Tagesordnung. Uberhaupt wurden

F-43 anfangs die Alpen, die damals als Urlaubsgebiet entdeckt wur- sate und die Bahn der Wirbelsturme daselbst”, ,,Ueber das Vor- den, zu einem bevorzugten Untersuchungsgebiet. Der weitgerei- herrschen der sudwestlichen Winde in der gemaBigten Zone” ste Hermann Schlagintweit (er war eine Zeitlang in Indien) (beide 1858) [I] spezielle Beitrage zu den ,,Windgesetzen”, die berichtete 1849 uber ,,Isogeothermen in den Alpen” und 1851 zu jener Zeit Heinrich Wilhelm Dove und Christoph Heinrich uber ,,Vegetationsgrenzen und Klima in den Alpen”, aber er Diedrich Buys-Ballot formulierten. Buys-Ballot aus Utrecht war machte auch auf den ,,EinfluB von Erhebungen auf die Menge zwar seit 1849 auswartiges Mitglied der Physikalischen Gesell- und Vertheilung des Regens” aufmerksam und sprach uber schaft, hat aber selbst nicht vorgetragen. Der Berliner Physiker ,,Wolkenbildung” und die ,,Menge der Kohlensaure in den und Meteorologe Dove war seit 1849 fur das kleine PreuBische hoheren Schichten der Atmosphare” (1852) 111. meteorologische Institut in Berlin verantwortlich und veroffent- Friih wurden auch schon Beobachtungen vermerkt, die die lichte jahrlich die Ergebnisse der meteorologischen Beobachtun- damals moderne Telegraphentechnik einbeziehen. Der Telegra- gen in PreuBen, aber er hielt sich ,,als Alterer” wie auch Gustav pheningenieur Brix berichtete uber ,,Einwirkungen der Erdbe- Magnus von der Physikalischen Gesellschaft fern und wurde ben im Dezember 1857 auf die Galvanometer der Telegraphen- auch nicht Mitglied. anlagen” und der Astronom Forster erlauterte ,,Die geographi- Das hinderte jedoch nicht daran, daB auch in der Gesellschaft sche Langenbestimmung zwischen Berlin und Leipzig auf tele- Vortrage zur Meteorologie eher haufiger wurden: 1861 sprach graphischem Wege” (1864) 111. Ebenso ist die ,,Vorlegung von Friedrich Dellmann uber ,,Atmospharische Elektricitat”, 1870 Versuchen, Terrains durch Photographie darzustellen” (1 854) fuhrte der Mathematiklehrer August Roeber den vorlaufigen [l] ein fruhes Experiment fur spater wichtige Methoden der ,,Beweis, daB bei kalter Luft, wenn dieselbe beim Auf- und Geographie. Solche und ahnliche Beitrage, meist noch nicht Absteigen weder Wmeabgiebt, noch aufnimmt, die Tempera- spezifisch orientiert, aber auf den neuen Gegenstand gerichtet, turabnahme proportional dem Hohenunterschiede ist” [ 11. Man kennzeichnen die Vorgeschichte. befal3te sich also vorerst auf der Basis der Physik im Detail rnit Methoden, Geraten und Problemen der Atmosphare. Anfange einer Physik der Atmosphare Aufiruch zur ,,physikalischen Meteorologie” Fruh sind schon eine Reihe von Referaten anzufuhren, die direkt zur ,,Physik der Atmosphare” hinfiihren. In der Fruhzeit hat ins- Die Arbeit auf diesem Gebiet intensivierte sich, als Wilhelm besondere der Arzt und Meteorologe Ulrich Vettin Probleme der von Bezold, Mitglied der Gesellschaft seit 1868, aus Munchen Meteorologie in der Physikalischen Gesellschaft aufgeworfen. nach Berlin kam. Er wurde 1885 Direktor des von ihm reorgani- Neben den Gerateentwicklungen uber ,,selbstregistrierende Ane- sierten PreuBischen Meteorologischen Zentralinstituts und erster mographen”, ,,Maximumanemometer” ( 1852/53) [ 11 waren ordentlicher Professor fur Meteorologie an der Berliner Univer- seine Vortrage ,,Ueber die Wogen der Luft”, ,,Ueber die sitat. Er regte auch die Errichtung des ,,Meteorologisch-Magne- Geschwindigkeit der Winde zu den verschiedenen Zeiten des tischen Observatoriums” in Potsdam an, das 1892 in Dienst Tages”, ,,Ueber das Herabsinken der Luft vom oberen Luftmeer gestellt wurde. Nach dem Tode von Helmholtz wurde er kurz- bei den secundaren Circulationen”, ,,Ueber die Wirbelsturme” zeitig erster Vorsitzender der Physikalischen Gesellschaft. 1896 (alle 1857), ,,Ueber die Bewegung der Luft in der Zone der Pas- hat er das prunkvolle 50. Stiftungsfest der Physikalischen Gesellschaft ausgerichtet und dann als Vorstandsmitglied die Uberfuhrung der Berliner in die Deutsche Physikalische Gesell- schaft mit vorbereitet. Nach 1880 finden sich deshalb in der Gesellschaft eine Reihe von Beitragen von ausgewiesenen Physikern, die mit physikali- schen Methoden und Erkenntnissen die Meteorologie als Wis- senschaft begriinden. Voran ging Bezold mit Detailbeobachtun- gen wie etwa ,,Uber Blitze”, aber vor allem mit Diskussionen zu grundsatzlichen Problemen, etwa zur atmospharischen Elektrizi- tat oder zum Erdmagnetismus. Allerdings hat er uber sein Spe- zialgebiet ,,Thermodynamik der AtmosphLe”, in dem er neue thermodynamische Begriffe in die Meteorologie einfuhrte, in der Physikalischen Gesellschaft kaum vorgetragen. Ein aktives Mitglied der Physikalischen Gesellschaft war der Arzt und bekannte Meteorologe Richard Assmann, der von 1877 mit Emil Budde und ab 1887 mit dem praktischen Meteorologen und Klimatologen Richard Bornstein die Redak- tion der ,,Fortschritte der Physik” bis 1899 innehatte. Assmann, seit 1886 wissenschaftlicher Mitarbeiter des PreuBischen Meteorologischen Instituts, wurde bekannt als Vorsitzender des Vereins fur die Forderung der Luftschiffahrt. Er organisierte als Meteorologe die ,,Berliner wissenschaftli- chen Ballonfahrten”, die von 1888 bis 1896 stattfanden. Dar- aus entwickelte sich die ,,Hohenmeteorologie” (Aerologie), fur Das Mitglied der Gesellschaft Ulrich Vettin berichtete oft uber seine die 1900 ein aeronautisches Observatorium in Tegel bei Berlin Stromungsversuche im Vorfeld der physikalischen Meteorologie. und 1905 ein selbstandiges Observatorium in Lindenberg,

F-44 Kreis Beeskow, unter Leitung von Assmann eingerichtet Auf dem Wege von der Berliner zur wurde. [21] Deutschen Physikalischen Gesellschaft Uber diesen Aufschwung der Meteorologie wurde in der Phy- sikalischen Gesellschaft eingehend berichtet: Assmann sprach u. Eine neue Zeitschrift: Die ,,Verhandlungen” a. 1894 ,,Ueber die Demonstration eines Aspirations-Meteoro- graphen fur Ballonzwecke” [2]. Er legte dar, wie rnit den von Im 33. Jahrgang der ,,Fortschritte der Physik” findet sich am ihm konstruierten Geraten zuverlassige Werte der Lufttempera- Ende des Berichts uber Originaluntersuchungen von den Mit- tur und -feuchtigkeit zu gewinnen sind. Assmann hat die Tempe- gliedem die folgende Notiz: ,,Es wird beschlossen, die Verhand- raturunterschiede rnit der Hohe sehr genau gemessen und 1902 lungen der Gesellschaft im AnschluS an die Fortschritte zu ver- die sogenannte ,,obere Inversion” nachgewiesen [21]. Bornstein, offentlichen. Red. Neesen.” [ 11 der als ,,Vater des norddeutschen Wetterdienstes” gilt, nahm bei Demgema sollten von 1878 an in den ,,Fortschritten” neben den Berliner Ballonfahrten die luftelektrischen Messungen vor dem Verzeichnis der im jeweiligen Jahre fur die physikalische und legte 1894 der Gesellschaft seine ,,Electrischen Beobachtun- Gesellschaft eingegangenen Geschenke und den Nachrichten gen bei zwei Ballonfahrten” [2] vor. Dariiber gab es eine Aus- uber die Physikalische Gesellschaft, d. h. Mitgliederverzeichnis einandersetzung in der Gesellschaft. Wilhelm v. Bezold hat dann und -bewegungen, auch noch die Sitzungsberichte abgedruckt 1896 zusammenfassend ,,Ueber wissenschaftliche Ballonfahr- sein. Dieses Verfahren erwies sich aber als nicht sehr zweck- ten” [2] gesprochen. Zeitlich parallel wurde auch die Theorie maSig, denn der jeweilige Band der ,,Fortschritte” konnte weiterentwickelt. Hier ragt wieder Helmholtz hervor, der teil- wegen des riesigen Arbeitsaufwandes oft nur mit groBerer Ver- weise aufbauend auf seine Theorie der Wirbelbewegungen eine zogerung fertiggestellt werden: So erschienen beispielsweise Theorie der atmosphiirischen Bewegungen entwickelte, uber die die Jahresberichte uber die Fortschritte der Physik fur 1877 er 1889 unter dem Titel ,,Zur Theorie von Wind und Wellen” erst im Jahre 1882 und konnten daher die Sitzungsberichte, [2] die Physikalische Gesellschaft informierte. Geschenke und Mitgliederlisten von 1881 rnit enthalten. Natiirlich waren weiterhin auch die vielen meteorologischen Dadurch wurde es fur Interessenten nahezu unmoglich, die Detail- und Geratestudien von Wert. Mit den folgenden Vor- gewunschten Angaben schnell aufzufinden und einsehen tragsthemen sol1 ein kleiner Einblick aus den letzten zwei Jahr- zu konnen. Selbstverstandlich kamen unter diesen Umstan- zehnten des 19. Jahrhunderts gegeben werden: ,,Graupelboe am den die ,,Verhandlungen” auch nicht fur eine erwiinschte 5. Januar” (Bornstein, 1886), rasche Veroffentlichung von ,,Ein Apparat zur Beobach- Originalmitteilungen in Fra- tung und Demonstration ge. kleinster Luftdruckschwan- In dem im Jahre 1883 kungen (Variometer)” (v. erschienenen Band 34( 1880) Hefner-Alteneck, 1895), der ,,Fortschritte” steht dem- ,,Ueber das grosse Nordlicht Verhandluiigeii zufolge die Notiz: ,,Ueber die vom 9. September 1898” dei* im achtunddreissigsten Jahre (Archenhold, 1898) [21, (1882) des Bestehens der ,,Grundzuge einer Dioptrik physikalischen Gesellschaft zu Berliii physikalischen Gesellschaft in den Sitzungen vorgetragenen der Atmosphare” (Alexander iiu Jiilire 1886. Gleichen, 1900) [3]. Originaluntersuchungen und Gustav Hellmann, der Abhandlungen findet sich der Nachfolger Bezolds im Di- Bericht in den Fortschritten rektorat des Berliner Meteo- Band XXXVI beigegebenen rologischen Instituts, hob Sitzungsberichten.” [ 13. Und 1912 bei seiner Antrittsrede Fun ftor dahrgang. tatsachlich lesen wir: ,,In- vor der Berliner Akademie haltsverzeichnis der Verhand- der Wissenschaften hervor, Redlgirt .on lungen der physikalischen ,,daS die Meteorologie als Gesellschaft in Berlin Band I, DP. F. Rosoehatinn. Wissenschaft selbstandig ge- 1882”. Damit beginnt die se- worden ist”. parate Zhlung fur die Bande Die Berliner Physikalische der ,,Verhandlungen”, doch Gesellschaft hat auch hieran eine von den ,,Fortschritten” Anteil. Physiker von hohem getrennte und damit schnelle- Rang und Wissenschaftler rnit re Herausgabe fand noch geringerer Wirkungsmoglich- ~ nicht statt. Fur die Jahre 1884 keit arbeiteten bei einschlagi- B e I* 1 i n. und 1885 war deshalb im gen Problemen gleichberech- Druek und Verlng voii Georg Rsimor 1887 veroffentlichten Teil 1 tigt zusammen. So schufen 1887. des Bandes 37(1881) der sie gemeinsam das Funda- ,,Fortschritte” wieder eine ment fur neue interdisipliniire klarende Bemerkung dariiber Wissenschaften, die sich rnit notig, wo welche ,,Verhand- der Erde und ihrer Atmospha- Seit 1886 emchienen die ab 1882 veroffentiichten ,,Verhandlungen der lungen” zu finden seien: re befassen. [21] Physikaiischen Gesellschaft idzu Berlin” als selbstindige Zeitschrift. ,,Ueber die im vierzigsten und

F-45 einundvierzigsten Jahre (1 884 und 1885) des Bestehens der phy- 3. Kurze Berichte uber den Verlauf der jahrlichen Ver- sikalischen Gesellschaft in den Sitzungen vorgetragenen Ori- sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte, soweit ginaluntersuchungen und Abhandlungen findet sich der Bericht physikalische Dinge dort behandelt worden sind. in den Verhandlungen der Gesellschaft, welche bis Ende 1885 4. Autoreferate uber die in den Sitzungen gehaltenen Vor- dem Bande XXXV der Fortschritte der Physik beigelegt sind.” trage oder von einem Mitgliede vorgelegten Mittheilun- Allerdings war bereits in Klammern hinzugefugt: ,,Von 1886 an gen, eventuell uber die daran angeknupften Discussionen.” erscheinen dieselben selbststandig” [ 11. 1887, im Erscheinungs- t31 jahr dieses Bandes der ,,Fortschritte”, war der erste selbstandige Band der ,,Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin” als 5. Jahrgang im Verlag von Georg Reimer in Berlin 1LO schon erschienen. Im Vorwort des Redakteurs Rosochatius heiBt es: ,,Auch die ersten zehn Nummern dieses Jahrgangs wurden noch als Separatabzuge aus den ‘Fortschritten der Physik’ bezeichnet; doch dann wurde beschlossen, dass die Verhandlun- gen des Jahres 1886 den Fortschritten nicht mehr beigegeben werden, sondern dass sie besonders erscheinen sollten. Dabei wurde fur die ,Verhandlungen’ zunachst ein Umfang von etwa acht Bogen festgesetzt.” [2] Offenbar gestaltete sich die Herausgabe der ,,Verhandlun- moderne gen” jedoch noch immer schwierig. 1889 trat Rosochatius als Physik Redakteur der ,,Verhandlungen” zuruck und erkliitte obendrein seinen Austritt aus der Physikalischen Gesellschaft. Noch bis 1845 1851 1861 1871 1881 1891 1890 zogen sich die Auseinandersetzungen hin, bei denen es 1850 1860 1870 1880 1890 1900 aul3erdem noch um die Redaktion der ,,Fortschritte” ging. Auch mit dem Verlag Georg Reimer in Berlin, in dem die ,,Verhand- Verteilung der Vortrage in der Physikalischen Gesellschaft nach Fach- gebieten. Die Grafik zeigt, dafi sich nach 1880 die Vortrage mehr auf die lungen” bisher herausgekommen waren, gab es Probleme. So eigentliche Physik und insbesondere auf Strahlungseffekte (= moderne wurden die ,,Verhandlungen” 1892 in die ,,Annalen der Physik Physik) konzentrierten, die als Vorlauf fur die Quantenphysik anzuse- und Chemie” aufgenommen. Redaktion und Verlagsbuchhand- hen sind. (Auswertung: A. Fiedler) lung der ,,Annalen der Physik und Chemie” sowie die Physikali- sche Gesellschaft zu Berlin verkundeten: ,,Von Jahre 1892 an werden die Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft zu Auch an eine moglichst rasche Publikation hatte man gedacht: Berlin nicht mehr fur sich im Buchhandel erscheinen, sondern Spatestens drei Wochen nach der Sitzung sollte die dazugehori- in die Annalen der Physik und Chemie aufgenommen werden. ge Nummer der ,,Verhandlungen” erscheinen! (8 3) Damit hatte Der Abonnementpreis der Annalen der Physik und Chemie wird die Deutsche Physikalische Gesellschaft ein gut konzipiertes dadurch nicht erhoht.” [7] Vermutlich hatte hier Gustav Wiede- Mitteilungsblatt, in dem in der Folgezeit eine Reihe wichtiger mann als der Herausgeber der ,,Annalen” und zugleich Veroffentlichungen abgedruckt werden konnten. langjahriges Mitglied der Physikalischen Gesellschaft seine Hand im Spiel, um die ,,Verhandlungen” zu retten. Zugleich Das SOjahrige Jubilaum: Bilanz und Neubeginn deutete sich mit dieser Regelung an, daB die Berliner Physikali- schen Gesellschaft und ihre Mitteilungen schon eine gewisse Am 4. Januar 1896 wurde das 50. Stiftungsfest der Physikali- uberregionale Bedeutung erlangt hatten. schen Gesellschaft zu Berlin gefeiert. In der ersten Nummer der Von seiten der Physikalischen Gesellschaft wurde 1892 die ,,Verhandlungen” des Jahres 1896 ist auf 40 Seiten ein ausfuhr- Herausgabe der ,,Verhandlungen” klar geregelt: Im Protokoll licher Bericht daruber abgedruckt, der gleich zu Anfang das der Sitzung vom 20. Mai 1892 wurde festgelegt: ,,Die von einer Festprogramm verzeichnet: Commission vorberathenen Satzungen fur die Herausgabe der ,,Die Feier, zu der eine grosse Anzahl von Ehrengasten, Verhandlungen wird angenommen.” [4] Schon ab 1893 erschie- sowie die Damen der Mitglieder eingeladen waren, nen die ,,Verhandlungen” dann doch wieder als eigenstandige bestand aus drei Theilen, namlich Zeitschrift, nunmehr wie die ,,Annalen” im Verlag Johann 1. einer um 5 Uhr beginnenden, mit Demonstrationen ver- Ambrosius Barth (Arthur Meiner), Leipzig. bundenen Sitzung im grossen Horsaale des Physikalischen Im Zusammenhang mit der Umwandlung der Berliner zur Instituts der Universitat, an welche sich Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu Beginn des Jahres 2. ein Rundgang durch das Institut anschloB, und 1899 besprach man in der Sitzung am 1. Dezember 1898 auch 3. einem um 8 Uhr beginnenden Festessen im Hotel eine neue Redaktionsordnung fur die ,,Verhandlungen der Deut- ‘Reichshof‘.” [2] schen Physikalischen Gesellschaft”. Darin bestimmt Para- Die Hauptattraktion der Demonstrationen war die fast lebens- graph 1: groBe Projektion der spater sehr bekannt gewordenen Daguer- ,,In den ‘Verhandlungen der Deutschen Physikalischen reotypie der Grunder der Physikalischen Gesellschaft. Claude Gesellschaft’ werden abgedruckt: du Bois-Reymond umrahmte die Darstellung noch durch Rezita- 1. Kurze Protokolle uber den wissenschaftlichen und tion eines eigens fur diesen Zweck verfabten Gedichts. Mit geschaftlichen Theil der Sitzungen. einer Ansprache des Tieftemperaturforschers Raoul Pictet wurde 2. Mittheilungen uber die Verhandlungen des Vorstandes der selbst bei diesem feierlichen AnlaB nicht vernachlassigte und des wissenschaftlichen Ausschusses der Gesellschaft. wissenschaftliche Teil der Sitzung geschlossen.

F-46 Beim Rundgang durch das Institut konnten weitere Vor- Eigentlich hatte Emil du Bois-Reymond die Festrede halten fuhrungen physikalischer Versuche verfolgt und ausgestellte sollen, doch er war unerwartet erkrankt. Auch Gustav Wiede- Gerate besichtigt werden. Selbst eine ,,Reihe von Photographi- mann, der schon im Griindungsjahr Mitglied der Gesellschaft en, welche Herr Rontgen in Wurzburg vermittelst der jiingst von geworden war und sich bereit erkliirt hatte, anstelle des Ehren- ihm entdeckten X-Strahlen aufgenommen hatte,” [2] waren aus- vorsitzenden zu sprechen, war von einem leichten ,,Unwohl- gestellt. Wilhelm Conrad Rontgen hatte sie zusammen mit Son- sein” befallen. In seinem Toast beim Festmahl im ,,Reichshof’ derdrucken seiner am 28. Dezember 1895 fur die Sitzungsbe- erklarte er den Grund: Ein ,,electrischer Ozonkatarrh” habe ihn richte der physikalisch-medicinischen Gesellschaft Wiirzburg der Ehre beraubt, als eines der altesten Mitglieder den Anwe- eingereichten und sofort gedruckten vorlaufigen Mitteilung senden in kurzen Worten die Geschichte der Physikalischen ,,Eine neue Art von Strahlen” an verschiedene Kollegen ver- Gesellschaft vorzufuhren. Das gelang ihm nun aber doch sehr schickt. In Berlin hatten Otto Lummer und Emil Warburg sol- eindrucksvoll, wobei er besonders die Rolle von Emil du Bois- che Aufnahmen erhalten. Die am 4. Januar 1896 im Physikali- Reymond in der Gesellschaft wiirdigte. schen Institut ausgestellten Rontgenbilder hatte Warburg zur Verfugung gestellt [13, S. 24fl. Doch sie wurden kaum beachtet, und Wilhelm v. Bezold entschuldigte sich in einer FuBnote der Veroffentlichung seiner Festrede:

,,Leider war es dem Redner, der iiberdies an diesem Abend geschaftlich stark in Anspruch genommen war, ebenso wie manchen anderen Mitgliedern der Gesellschaft ganzlich unbekannt geblieben, dass sich unter den ausge- stellten Gegenstanden an einer wenig auffallenden und durch zahlreiche Besucher verdeckten Stelle die ersten Rontgen’schen Photographien befanden. Ware ihm auch nur ein Wort daruber zu Ohren gekommen, so hatte er seine Rede in ganz anderem Tone geschlossen ...” [2].

So bildete ein im Treppenhaus des Physikalischen Instituts auf- gehiingter Ballonkorb mit der vollen Ausriistung, wie sie fur 48 wissenschaftliche Luftfahrten des Deutschen Vereins zur Forde- rung der Luftschiffahrt in Berlin verwendet worden war, die Hauptattraktion des Rundgangs. Richard Bornstein und Arthur Berson, der am 4. Dezember 1894 die Rekordhohe von 9150 m Gustav Wiedemann (1826 - 1899), erfolgreicher Erforscher der Elektri- erreicht hatte, erlauterten die umfangreiche Ausriistung. Nicht zitiit und des Magnetismus sowie langjahriger Redakteur der ,,Anna- ein physikalisches Exponat, auch keins der Wunderwerke der len”, war seit 1845 Mitglied der Physikalischen Gesellschaft. Er schil- Drahttelegraphie oder der Starkstromelektrotechnik, sondern ein derte zum 50jiihrigen Jubilaum die Geschichte der Gesellschaft. Ausstellungsstiick der damals grol3es Aufsehen erregenden Luft- schiffahrt fand das groBte Interesse der Besucher. Angesichts der Vielfalt der in der Physikalischen Gesellschaft behandelten StandesgemaB war jedoch die Reihe der Tischreden vom Themen war das aber durchaus kein Widerspruch. ,,Wirkl. Geh. Oberregierungsrath Hrn. Ministerialdirector Dr. P. Wieso wurde eigentlich das 50. Stiftungsfest der 1845 ge- Micke” eroffnet worden. Selbst Mitglied der Physikalischen griindeten Physikalischen Gesellschaft erst am 4. Januar 1896 ge- Gesellschaft, betonte er abschlieoend, daB ,,unser kaiserlicher feiert? Wilhelm v. Bezold begriindete dies in seiner Festrede so: Herr ... auch des heutigen Tages gedacht” und ,,hochverdienten Mitgliedern” Auszeichnungen verliehen habe. [2] Mit einem ,,Bald 51 Jahre sind verflossen, seitdem die Physikalische dreifachen Hoch auf Kaiser Wilhelm 11. beendete er seinen eher Gesellschaft zu Berlin ins Leben gerufen wurde, und nichtssagenden Toast. Wie kurzfristig solche Ehrungen damals wenn wir erst heute die Feier des fiinfzigjahrigen Beste- ausgesprochen wurden, zeigt folgendes Dokument. Nachdem hens begehen, so geschah dies nur, weil schwere, uner- der Antrag am 3. Januar 1896 vorlag, antwortete Wilhelm 11.: setzliche Verluste, von welchen die Gesellschaft in ihrem funfzigsten Jahre betroffen wurde, es unmoglich erschei- ,,Neues Palais, den 4. Januar 1896 nen liessen, zu dem eigentlich gebotenen Zeitpunkte das Sofort! Fest zu feiern.” [2] An den Minister der geistlichen Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und die General- Mit den unersetzlichen Verlusten meinte v. Bezold wohl vor Ordens- Kommission allem den Tod von Helmholtz, Kundt und auch von Heinrich Ich habe aus AnlaB der heutigen Feier des fiinf- Hertz im Jahre 1894. Vor allem Helmholtz hatte mit seiner zigjahrigen Bestehens der physikalischen Gesell- iiberragenden Personlichkeit das wissenschaftliche Leben in der schaft zu Berlin dem ordentlichen Professor in der Physikalischen Gesellschaft und ihre Reprasentanz uber Berlin medizinischen Fakultat und Direktor des Physiologi- hinaus wesentlich mitgepragt. Von den einstigen Griindern der schen Instituts der Friedrich-Wilhelms-Universitat Gesellschaft waren 1896 nur noch Emil du Bois-Reymond und zu Berlin, Geheimen Obermedizinalrath Dr. du Gustav Karsten am Leben. Bois-Reymond zu Berlin den Stern zum Rothen

F-47 Adler-Orden zweiter Klasse mit Eichenlaub und Von der ,,Veranlassung" bis zur Verleihung waren aber nur dem Direktor des Meteorologischen Instituts und wenige Stunden Zeit! ordentlichen Professor in der philosophischen Fakul- Die weiteren Redner waren Emil Warburg, der besonders die tat derselben Universitat, Geheimen Regierungsrath Caste begdte, Richard Bomstein, Richard Assmann, Geheim- Dr. von Bezold zu Berlin den Koniglichen Kronen- rath Wehrenpfennig als Vertreter der preul3ischen Regierung, Orden zweiter Klasse verliehen und beauftrage die Adolph Paalzow, Bernhard Schwalbe, Arthur v. Oettingen und General-Ordens-Kommission, die Dekorationen Raoul Pictet. Immer wieder kamen die Redner auf einzelne Epi- Ihnen, dem Minister, zur weiteren Veranlassung soden aus der Geschichte der Physikalischen Gesellschaft zugehen zu lassen. zuriick, wiirdigten das Wirken von Gustav Magnus und der geg. Wilhelm I R' (Imperator, Rex) [6] friihen Mitglieder der Gesellschaft. Gleich zwei Reden gingen

Bezeichnend fur die Stellung der Physikalischen Gesellschaft im gesellschaftlichen Leben ist diese von Kaiser Wilhelm 11. veranlaRte Ordensverleihung an Emil du Bois-Reymond und Wilhelm von Bezold aus AnlaR des 50jahrigen Bestehens der Physikalischen Gesellschaft.

F-48 auf die Arbeit an den ,,Fortschritten” ein, auf die Miihen bei der Form umzusetzen. 1st doch durch die Fortschritte der Phy- Herausgabe, auf die permanenten Finanzierungsprobleme des sik das Bestreben unserer Gesellschaft gekennzeichnet, Unternehmens und die vielfache Unterstutzung, die es von den nicht nur mit den Gesellschaften und Fachgenossen in Verlagen Georg Reimer in Berlin und Friedrich Vieweg & Sohn unserem Vaterlande in Verbindung zu stehen, sondern in Braunschweig erfahren hatte. Die Redakteure Richard Born- dadurch auch mit den fremdlandischen Gesellschaften ein stein und Richard Assmann konnten anlal3lich der Feier dem internationales Band zu knupfen, das sich zur Forderung Vorsitzenden Wilhelm v. Bezold ,,die soeben vollendete erste unserer Wissenschaft, zum Gedeihen der Gesellschaften und dritte Abteilung des 50. Jahrganges (1 894) der ‘Fortschritte immer mehr erweitern und schliel3en moge.” [2] der Physik”’ feierlich uberreichen. Ihr Dank galt auch allen 360 Referenten, von denen einige mehr als zwanzig Jahre lang Es scheint heute nicht einfach, die zwiespaltige Argumentation Beitrage fur die ,,Fortschritte” geliefert hatten. Schwalbes zu verstehen, und es ist schon bemerkenswert, dal3 Unter all den vielen Reminiszenzen an die bewegte die einzige Aul3erung zu dem ,,oft und in mancherlei Bezie- Geschichte der Physikalischen Gesellschaft stand fast an letzter hung” besprochenen Problem auf dem Stiftungsfest gerade vom Stelle ein Toast von Bernhard Schwalbe, der als Schriftfuhrer Schriftfuhrer und langjahrigen Redakteur der ,,Fortschritte” die Griil3e weiterer deutscher und auslandischer Personen und kam. Doch es war ja zu einem guten Teil die Herausgabe der Institutionen wurdigte, darunter von Hermann Quincke, Eilhard ,,Fortschritte” und die Mitarbeit der vielen, auch auswartigen Wiedemann, Hendrik Antoon Lorentz aus Leiden, Orest Danilo- und auslandischen Referenten daran, die wesentlich den Ruf witsch Chwolson aus St. Petersburg und von der dortigen russi- und die Wirkung der Physikalischen Gesellschaft uber Berlin schen Physikalischen Gesellschaft. Ganz zum SchluB erlaubte hinaus ausmachte. Die Entwicklung Berlins zu einem Zentrum sich Schwalbe eine Bemerkung zur Zukunft der Physikalischen physikalischer Lchre und Forschung sowie der technischen Gesellschaft: Sollte man sie nicht zu einer deutschen physikali- Umsetzung physikalischer Erkenntnisse im Bereich der Elektro- schen Gesellschaft ausbauen? technik waren weitere wichtige Faktoren dafur, dal3 die Berliner Physikalische Gesellschaft im Verlaufe ihrer Geschichte allmah- Neue Satzungen fur eine Deutsche Physikalische lich in eine fuhrende Stellung unter ahnlichen lokalen Gesell- Gesellschaft schaften hineingewachsen war. Dies alles konnten gewichtige Argumente fur eine Ausweitung sein. Bei der guten Resonanz, die die Jahresberichte uber Fortschritte Doch wie wurden sich die anderen lokalen Gesellschaften der Physik in ganz Deutschland und auch im Ausland fanden, dazu stellen, wie konnte sich das Verhaltnis zur Gesellschaft lag der Gedanke nahe, die Berliner Physikalische Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte gestalten, die selbst eine in eine deutsche umzuwandeln. Fur andere Naturwissenschaften eigene Abteilung fur Physik bed?Was bedeutete eine nationa- hatten sich in Deutschland bereits eigenstandige nationale wis- le Organisation fur die international angelegte Arbeit an den senschaftliche Gesellschaften gebildet. Die immer komplexer ,,Fortschritten”? Und vor allem: Wie konnte der Charakter der werdenden physikalischen Forschungen, das rasch anwachsen- Gesellschaft, ein Mittelpunkt regelmafiigen, anregenden Gedan- de, fur den einzelnen Gelehrten kaum noch zu uberblickende kenaustauschs zwischen vielfaltig interessierten Mitgliedern zu Fachwissen und die ausgefeilte, teilweise recht spezielle und sein, erhalten bleiben? Wie sollten beispielsweise die Zeitschrif- aufwendige Experimentiertechnik legten einen solchen Schritt ten des Lesezirkels distributiert werden, wenn die Gesellschaft auch fur die Physik nahe. Die Berliner Physikalische Gesell- auf ganz Deutschland ausgeweitet werden sollte? Diese kurze, schaft hatte in dieser Hinsicht bereits wertvolle Ansatze hervor- gewil3 nicht vollstandige Aufzahlung des Fur und Wider einer gebracht . Ausweitung der Berliner Physikalischen Gesellschaft zu einer Eine Ausweitung der Berliner zu einer Deutschen Physikali- Deutschen Physikalischen Gesellschaft weist auf die Kompli- schen Gesellschaft wurde, gerade im Zusammenhang rnit dem ziertheit der Frage hin. 50. Stiftungsfest, wohl auch immer wieder diskutiert, doch die Leider konnte bisher nicht nachvollzogen werden, wie das Meinungen daruber gingen offenbar weit auseinander. Das so Ringen urn eine Losung dieser Probleme vonstatten ging. aktuelle Thema schien fur die Festredner weitgehend tabu, nur Bekannt ist das Ergebnis: In der Sitzung am 16. Dezember 1898 Bernhard Schwalbe nahm in seinem Toast auf die abwesenden wurde uber die vom Vorstand ausgearbeitete Satzung einer Mitglieder und befreundeten Vereine dazu Stellung. Er kannte Deutschen Physikalischen Gesellschaft diskutiert, und der Pro- die internen Diskussionen, aber auch die Wirkungen der Physi- tokollant A. Konig vermerkte: ,,Die vom Vorstand vorgeschla- kalischen Gesellschaft uber Berlin hinaus genau und bemerkte genen neuen Satzungen werden mit einigen Anderungen ange- hierzu folgendes: nommen; unter diesen Anderungen befindet sich die Einsetzung eines wissenschaftlichen Ausschusses.” [4] Schon in der folgen- ,,Es hatte nahe gelegen, die Berliner Physikalische Gesell- den Sitzung, am 6. Januar 1899, wurden die Statuten der Deut- schaft zu einer deutschen zu erweitern, wie dies bei der schen Physikalischen Gesellschaft einstimmig beschlossen. uns befreundeten Berliner Chemischen Gesellschaft der Mit diesen Satzungen war offenbar ein annehmbarer Kom- Fall gewesen ist, und so aiuBerlich in erkennbarer Weise promil3 zwischen den verschiedenen Interessen der einzelnen das Streben zu kennzeichnen, ein Bindeglied zwischen Mitglieder und den objektiven Entwicklungen gefunden worden. den einzelnen Gesellschaften unseres Vaterlandes zu sein; Fur die Losung des Konflikts zwischen den speziellen Wun- oft und in mancherlei Beziehung ist davon gesprochen schen der Berliner Mitglieder und dem Anspruch, eine Gesell- worden, aber man nahm Abstand davon, das innere geisti- schaft fur ganz Deutschland zu sein, enthielt das Statut nach ge Band, das die Gesellschaft mit ihren auswartigen Mit- dem Vorbild der Akademie eine Einteilung in Berliner und aus- gliedern durch ihre Mitarbeiter, die in allen Theilen wartige Mitglieder mit ganz unterschiedlichen Rechten und Deutschlands vertheilt sind, verknupft, in eine aussere Pflichten. [3]

F-49 Fur die Berliner Mitglieder wurde auf Wunsch der Lesezirkel e) durch regelmassige Sitzungen in Berlin, in denen die weitergefuhrt, und die Sitzungen der Gesellschaft wurden wie Mitglieder theils uber ihre eigenen, theils uber die neusten bisher in Berlin im 14tagigen Rhythmus ,,am Freitag Abends 7 fremden physikalischen Arbeiten Vortrage halten; 1/2 Uhr” abgehalten. Fur alle Mitglieder wurden die Sitzungsta- f) durch einen Lesezirkel, in welchem den Berliner Mit- ge am Anfang des Jahres bekanntgegeben, die Berliner erhielten gliedern die neuen in den Besitz der Gesellschaft gelan- dazu noch gesonderte Einladungen. Fur diese Vorzugsbehand- genden Zeitschriften mitgetheilt werden.” [3] lung hatten die Berliner Mitglieder einen halbjahrlichen Beitrag von 10.- Mark zu zahlen, wahrend von den auswartigen Mit- Weitere Paragraphen regeln dann die innere Organisation der gliedern fur das ganze Jahr nur 5.- Mark Beitrag erhoben wur- Gesellschaft: die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Wahl den. Wer auBerhalb Berlins und seiner Vororte wohnte, konnte der Leitungsgremien, die Herausgabe der ,,Fortschritte” und der freiwillig der Gruppe der Berliner Mitglieder angehoren, fur ,,Verhandlungen”, die Bibliotheksbenutzung, aber auch die Berliner war diese Mitgliedschaft obligatorisch. Im Mitglieder- Rechnungsfuhrung. verzeichnis von 1901, das folgerichtig die 174 Berliner und die Auf eine Neuerung in den Satzungen sei noch besonders ver- wiesen, namlich auf die Bildung eines wissenschaftlichen Aus- schusses. Zu seinen Aufgaben heiljt es in Paragraph 28 der Sat- zungen: Mitglieder aus Berlin 300 0 auswartige Mitglieder ,,Der wissenschaftliche Ausschuss berath und beschliesst 250- uber allgemeine wissenschaftliche Fragen und dient als 200 begutachtendes Organ fur die Redaktionsgeschafte der Gesellschaft, auch ordnet er die Betheiligung der Gesell- 150 schaft an der Versammlung deutscher Naturforscher und 100 Aerzte. Er tritt mindestens einmal im Jahr zusammen, und zwar der Regel nach auf der deutschen Naturforscherver- 50 sammlung ...” [3] 0 1845 1855 1865 )75 1885 1895 Damit waren weitere wichtige Punkte geregelt und der Versuch Die Mitgliederstatistik der Physikalischen Gesellschaft von 1845 bis unternommen worden, die wissenschaftliche Orientierung zu 1900. Das Verhaltnis von Berliner zu auswartigen Mitgliedern andert sich uher ein halbes Jahrhundert hinweg nur zogernd, zeigt aber den- objektivieren. In den ersten funfzig Jahren des Bestehens der noch an, dafi die Gesellschaft praktisch eine nationale Stellung einge- Physikalischen Gesellschaft hatten uber lange Zeit Personlich- nommen hat. (Zusammenstellung:W. Schreier und M. Franke) keiten wie Emil du Bois-Reymond oder Hermann Helmholtz als erste Vorsitzende bei aller Themenvielfalt das wissenschaftliche Profil gepragt. Wer konnte sie ersetzen, und war das uberhaupt 158 auswartigen Mitglieder getrennt ausweist, reicht der Kreis noch moglich in einer Zeit, in der sich die Physik rasch ent- der ersteren jedoch nicht uber Potsdam hinaus. wickelte und sich ein tiefgreifender Wandel ihrer Grundlagen Zu den inhaltlichen Aufgaben, die sich die Physikalische abzuzeichnen begann? Der wissenschaftliche AusschuB bot Gesellschaft stellte, heiBt es in den neuen Satzungen kurz und eine Moglichkeit, diese Vielfalt und die verschiedenen Tenden- knapp: Zen zu berucksichtigen. Da der wissenschaftliche AusschuB nach Paragraph 16 aus dem Vorsitzenden, zwei Berliner Mit- ,, 1. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft, welche ihren gliedern des Vorstandes und drei auswartigen Mitgliedern Sitz in Berlin hat, bezweckt, das Studium der physikali- bestand, bot er zugleich fur die auswartigen Mitglieder die schen Wissenschaften zu befordem.” [3] wichtigste Moglichkeit, EinfluB auf die Geschicke der Gesell- schaft zu nehmen. So wurde dem Anspruch, eine deutsche phy- Das bedeutet eine klare und eindeutige Orientierung auf die sikalische Gesellschaft zu sein, Rechnung getragen. Der am 3. Physik. Von Randgebieten oder interdisziplinaren Beitragen ist Marz 1899 erstmals gewahlte wissenschaftliche AusschuB hatte nicht mehr die Rede, befanden sich doch z.B. die physikalische dann auch eine prominente Besetzung: Warburg, Kohlrausch, v. Chemie und andere Bereiche selbst auf dem Wege zur eigen- Bezold mit den entsprechenden Stellvertretern Lampe, Lummer, standigen Disziplin. Zu den Wegen, ,,das Studium der physikali- Planck sowie die auswartigen Mitglieder Quincke, Boltzmann schen Wissenschaften zu befordern”, heifit es weiter: und Lommel mit ihren Stellvertretern Wullner, Riecke und Ebert. [4] ,,2. Diesen Zweck sucht die Gesellschaft zu erreichen: In der ersten Juni-Sitzung des Jahres 1900 schlug der Vor- a) durch Herausgabe ihrer Verhandlungen, wodurch insbe- stand einige Anderungen der Satzungen vor, insbesondere sollte sondere den Mitgliedem Gelegenheit zu schneller Verof- die Deutsche Physikalische Gesellschaft als eingetragener Ver- fentlichung kurzer Mittheilungen gegeben werden soll: ein registriert werden. Das Ergebnis der Abstimmung uber diese b) durch Herausgabe eines Jahresberichts uber die Fort- Anderungen wurde in der Sitzung am 29. Juni 1900 bekanntge- schritte der Physik; geben: Von den 144 abgegebenen Stimmen, darunter 60 von c) durch Mitwirkung an der Herausgabe der Annalen der auswartigen Mitgliedern, waren 143 zustimmend und ein Mit- Physik und Chemie; glied enthielt sich der Stimme. Fur die Eintragung in das Ver- d) durch Theilnahnie an den Sitzungen der Abtheilung fur einsregister wurden aus rechtlichen Grunden nochmals einige Physik in der Versammlung Deutscher Naturforscher und Anderungen notwendig, die am 1. Marz 1901 durch schriftliche Aerzte; Abstimmung bestatigt wurden.

F-50 Gasentladungsphysik: von den Kathoden- Diese Auffassung war damals recht weit verbreitet. Demge- strahlen zu Rontgens Entdeckung genuber verfocht der junge Heinrich Hertz mit guten Argumen- ten die Ansicht, daB es sich bei den Kathodenstrahlen um ein Gasentladungen: woher und wohin? Wellenphanomen handele. Gestutzt wurde diese Hypothese dadurch, daB es Hertz nicht gelang, einen EinfluB der Kathoden- Wer nach den Wurzeln der modernen Atomphysik vor 1900 strahlen auf eine Magnetnadel zu finden. Auch eine durch sucht, muB die Entwicklung der ,,Gasentladungsphysik” in der auBerhalb der Rohre angebrachte Elektroden bewirkte elektri- zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts beriicksichtigen. Diese fiihr- sche Ablenkung konnte er nicht beobachten. Die magnetische te iiber die Erforschung der Kathoden- und Kanalstrahlen bis Ablenkung deuteten er und andere deutsche Physiker als Analo- zur Entdeckung des ersten Elementarteilchens, des Elektrons. gon zur Drehung der Polarisationsebene des Lichtes. Auch der Moglich geworden waren diese Untersuchungen durch die Hertz 1891/2 gelungene Nachweis, daB die Kathodenstrahlen Erfindung geeigneter Hochspannungserzeuger, wie des Funken- diinne Metallfolien durchdringen konnen, schien diese Auffas- induktors, und durch starker evakuierte Glasrohren, u. a. der sung zu bestatigen und gab Anlal3 zu Philipp Lenards Untersu- chungen mit Kathodenstrahlen auBerhalb der Entladungsrohre. Wie sollte ein Teilchenstrahl das gasdichte Lenardfenster durch- dringen? In der Physikalischen Gesellschaft wurden diese Fragen erst ab 1894 wieder verfolgt. Eugen Goldsteins Vortrag ,,Ueber eini- ge Arten Kathodenstrahlen” [2] aus diesem Jahr war hier eine erste neuere Arbeit zu dem zwischen den Anhangern von Hertz und Crookes so kontrovers diskutierten Phanomen. Ein Jahr spater sprach Theodor Des Coudres ,,Ueber Kathodenstrahlen unter dem Einflusse magnetischer Schwingungen” [2] und Goldstein machte einige Bemerkungen zu diesem Vortrag. Doch ohne neue experimentelle Untersuchungen konnte der Streit- punkt nicht gekliirt werden.

Die wahre Natur der Kathodenstrahlen: das Elektron

1895 wies Jean Perrin nach, daB die Kathodenstrahlen negative elektrische Ladungen tragen, und 1897 fanden unabhangig von- einander Emil Wiechert und Joseph John Thomson neue Argu- mente fiir die Hypothese, dal3 die Strahlen korpuskularer Natur seien. Wiechert schlol3 aus seinen Experimenten, da13 die ,,elek- trischen Atome” um einen Faktor 2000 bis 4000 kleiner als die aus der Chemie bekannten Atome sein mufiten. Joseph John Thomson gelang es schlieBlich, durch eine Kombination von elektrischer und magnetischer Ablenkung das Verhaltnis von Ladung zu Masse dieser Teilchen zu bestimmen. George Fran- cis Fitzgerald nannte sie noch im gleichen Jahr nach einem Vor- Quecksilber-Luftpumpenach Toepler: Ihre Konstruktion und Verbesse- schlag von George Johnston Stoney ,,Elektronen”. rung waren Dauerthemen in der Physikalischen Gesellschaft. Die Erkenntnis, daB es sich bei den Kathodenstrahlen um einen Strom negativ geladener Teilchen - Elektronen - handelt, wurde in der Physikalischen Gesellschaft rasch aufgenommen. ,,GeiBlerschen Rohren”. Ab etwa 1870 mehren sich die Vortra- Besonders trug dazu der junge Walter Kaufmann bei, der seit ge iiber Gasentladungen. Den Auftakt machte Emil Warburg mit 1896 Assistent an der Berliner Universitat und ab 1897 bis zu der ,,Zerstreuung der Elektrizitat in Gasen”. 1876 beschrieb seinem Weggang nach Gottingen 1899 auch Bibliothekar der Anton Overbeck ,,Die elektrische Leitung der Gase bei ver- Gesellschaft war. Seine Beitrage ,,Ueber die magnetische schiedenem Druck” [l] und 1879 berichtete Vogel ,,Ueber Ablenkung der Kathodenstrahlen” [2] (1 897), ,,Ueber electrosta- Spectren von Gasen in Geissler’schen Rohren” [ 11, insbesonde- tische Ablenkung (Deflexion) der Kathodenstrahlen” [2] (1897, re von Quecksilber und Stickstoff. Damit leistete er einen Bei- mit Emil Aschkinaas), ,,Die magnetische Ablenkbarkeit elec- trag zur hochwichtigen Analyse elektrisch angeregter Spektren. trisch beeinflusster Kathodenstrahlen” [2] (1898), ,,Versuch iiber die elektrostatische Ablenkung der Kathodenstrahlen” [3] Kathodenstrahlen: Welle oder Teilchen? (1899) und - von Warburg vorgetragen - ,,Versuch einer Erklikung des dunklen Kathodenraumes” [3] (1900) behandelten Das Kernproblem in der Gasentladungsphysik jener Zeit bestand das Problem ausfuhrlich. Kaufmann stellte der Physikalischen darin, die Natur der 1869 von Johann Wilhelm Hittorf naher Gesellschaft auch eine Reihe von Arbeiten anderer Physiker zu beschriebenen Kathodenstrahlen herauszufinden. William Croo- Kathodenstrahlen vor, u. a. Beitrage von Theodor Des Coudres, kes betrachtete sie als ,,strahlende Materie”, d. h. als ionisierte der zu dieser Zeit in Gottingen wirkte. Gasmolekule, die wegen des geringen Gasdruckes einen Besonders genau wurde die elektrische Ablenkbarkeit der betrachtlichen Weg ohne ZusammenstoBe zuriicklegen konnten. Kathodenstrahlen gepriift, denn gerade das (scheinbare) Fehlen

F-5 1 dieser Ablenkung hatte ja Heinrich Hertz und andere deutsche Kanalstrahlen und wie weiter? Physiker mit zu der Uberzeugung gefuhrt, daB es sich bei den Kathodenstrahlen um eine besondere Art elektromagnetischer Schon 1880 hatten James Moser und Eugen Goldstein rnit dem Wellen handeln musse. So sprach Willy Wien 1897 ,,Ueber die Vortrag ,,Versuche uber strahlende Materie” [ 11 zur Meinung electrostatischen Eigenschaften der Kathodenstrahlen [2] und von Crookes Stellung genommen, die Kathodenstrahlen seien Hermann Ebert beschrieb 1898 ,,Das Verhalten der Kathoden- ein Strom ionisierter Gasmolekule. Aus der naheren Analyse strahlen in electrischen Wechselfeldern” [2]. Er lieferte damit dieser Problematik entsprang 1886 Goldsteins Entdeckung der auch einen Beitrag zu Ferdinand Brauns Erfindung der Katho- Kanalstrahlen, die schliel3lich als ein Strom positiver Gasionen denstrahlrohre (1897). erkannt wurden, die durch Kanale der Kathode fliegen. Zu die-

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Die Physikalische Gesellschaft nahert sich der modernen Physik: W. Crookes’ Versuche mit Ka- thodenstrahlen (geradlinige Aus- hreitung [oben links], magneti- sche Ablenkung [oben rechts], Warmewirkung, Schmelzen [un- ten]) zeigen eine auch in der Phy- sikalischen Gesellschaft gepflegte I I Forschungsrichtung.

Zeeman-Effekt und Elektronentheorie sem, im Streit uber die Natur der Kathodenstrahlen etwas in den Hintergrund gedrangten Thema stellte 1898 Willy Wien eine Eine Mitteilung in der Physikalischen Gesellschaft aus dem Interessante Arbeit vor: ,,Die electrostatische und magnetische Jahre 1896, vorgelegt von Emil Warburg, verdient aus heutiger Ablenkung der Canalstrahlen” [ 21. Wie bei den Kathodenstrah- Sicht besondere Beachtung: Pieter Zeeman beschrieb darin - len sollte sich aus diesen Ablenkungen die spezifische Ladung erstmals in deutscher Sprache - den ,,EinfluB der Magnetisirung der Teilchen der Kanalstrahlen berechnen lassen, eine Methode, auf die Natur des von einer Substanz emittirten Lichts” [2]. die ab 1910 zur Massenspektroskopie ausgebaut wurde. AuBer- Zunachst scheint sich dieses Thema in die vielen Untersuchun- dem leitet die Arbeit zu den spater stark beachteten Atom- und gen zur Wechselwirkung von Licht rnit magnetischen oder elek- Molekularstrahlversuchen uber. Wien selbst hat zu dieser Zeit trischen Feldern einzuordnen. Doch Zeemans Beobachtung der allerdings nur diesen einen Vortrag zu dieser Problematik verof- Aufspaltung von Spektrallinien im Magnetfeld war eine beson- fentlicht. dere Stutze fur die von Lorentz 1892 ausgearbeitete Elektronen- theorie, denn es gelang Zeeman, seine Ergebnisse mit Hilfe die- Eine unerwartete Entdeckung: die X-Strahlen ser Vorstellung theoretisch zu deuten. Zusatzlich ergab sich dar- aus unabhangig von Joseph John Thomsons Kathodenstrahl- Die nahere Untersuchung der Kathodenstrahlen fuhrte Ende experimenten die gleiche spezifische Ladung fur die Elektronen, 1895 im Anschlug an Arbeiten Lenards zu einer ungeheures verhalf damit dessen Auffassung zum Durchbruch und bestatig- Aufsehen erregenden Entdeckung: Am 8. November 1895 te noch einmal die Existenz dieser Elementarteilchen. Pieter bemerkte Wilhelm Conrad Rontgen bei Experimenten rnit einer Zeeman und Hendrik Antoon Lorentz erhielten fur ihre Leistun- Lenardschen Kathodenstrahlrohre eine bisher unbekannte Art gen 1902 den Nobelpreis fur Physik, doch 1896 ahnten wohl von Strahlen. In aller Stille und Grundlichkeit untersuchte er nur wenige Zuhorer in der Physikalischen Gesellschaft die weit- diese X-Strahlen und legte Ende Dezember eine erste Mitteilung reichenden Konsequenzen der von Zeeman vorgelegten Ergeb- daruber vor. Besonders die mit den neuen Strahlen gemachten nisse. Aufnahmen - u. a. des Skeletts einer Hand - losten in der - F-52 Offentlichkeit und bei den Fachkollegen, denen Rontgen Kopien Rontgenstrahlen impliziert waren. Der Vortrag von Leo Graetz schickte, groBes Erstaunen aus. 1896 befaljten sich mehr als tau- ,,Ueber mechanische Bewegungen unter dem Einflusse von send wissenschaftliche Veroffentlichungen mit dem auf Vor- Kathodenstrahlen und Rontgenstrahlen” [3] aus dem Jahre 1900 schlag des Anatomen Kolliker Rontgenstrahlen genannten Pha- lieferte einen weiteren kleinen Beitrag zur Klarung der Natur nomen. Zahlreiche Varianten fur Erzeugung, Nachweis und der Rontgenstrahlen, die endgultig erst 1912 rnit der Ent- Anwendung der Rontgenstrahlen wurden veroffentlicht, ihre deckung der Rontgenstrahlinterferenzen abgeschlossen wurde. Eigenschaften weiter untersucht und Vermutungen uber ihre Mit der Gasentladungsphysik hatte sich in der Physikalischen Natur geaufiert. Gesellschaft ein neues Arbeitsgebiet etabliert, das eifrig erwei- Aber in der Physikalischen Gesellschaft hatte zum 50. Griin- tert wurde. Hin und wieder ist bereits zu spuren, daB einzelne dungsjubilaum niemand die Einzigartigkeit der ersten ausge- den tiefgreifenden Wandel in der Physik der Teilchen und stellten Rontgenbilder bemerkt. Dann allerdings folgten noch Strahlungen bereits ahnten. 1896 sieben Vortrage in der Physikalischen Gesellschaft, die dem Thema Rontgenstrahlen gewidmet waren. Einen ersten Bericht ,,Ueber Rontgen’sche Strahlen” [2] gab erneut Walter Uranstrahlen - Kaufmann. AuBerdem wurden von verschiedenen Mitgliedern Kuriosum oder brisantes Forschungsobjekt? eigene Rontgenaufnahmen vorgelegt und vor allem Verbesse- rungen an Rontgenrohren und Nachweisverfahren diskutiert. Fluoreszenz oder neue Strahlung? Robert Williams Wood, der zu dieser Zeit am Physikalischen Institut der Berliner Universitat studierte, experimentierte wie Noch im Januar 1896 war Rontgens Entdeckung der Ausloser viele andere sogleich rnit Rontgenstrahlen. Er hatte fur die Auf- fur neue Untersuchungen zur Fluoreszenz. In der Sitzung der rechterhaltung des erforderlichen Vakuums eine neue Quecksil- Pariser Akademie berichtete namlich Henri Poincark uber Ront- berluftpumpe konstruiert und fiihrte sie in der Physikalischen gens Entdeckung und zeigte seinen Kollegen die ihm zuge- Gesellschaft vor [2]. Wood erinnert sich in einem Brief an Otto schickten Rontgenaufnahmen. Da Rontgen festgestellt hatte, dalj Glasser, einein der bekanntesten Biographen Rontgens, vom 20. die X-Strahlen offenbar von der unter der Einwirkung der Dezember 1929, ,,daB Prof. Du Bois Reymond, der Vorsitzende Kathodenstrahlen fluoreszierenden Glaswand der Rohre ausge- der Gesellschaft, eingeschlafen war und bei dem ‘Klick’ des hen, stellten sich PoincarC und Henri Becquerel die Frage, ob Quecksilbers aufwachte und rnit sehr vernehmlicher Stimme die Rontgenstrahlung etwa durch die Fluoreszenz ausgelost sagte: ‘Sie hat den richtigen Klang’ [13, S. 3111. Das erforderli- wird. Die entscheidenden Versuche dazu fiihrte Becquerel aus che Vakuum war tatsachlich erreicht. und benutzte dabei - wohl wegen der plattenartigen Kristall- struktur und der schon von seinem Vater Edmond Becquerel begonnenen Fluoreszenzuntersuchungen an dieser Substanz - das Kaliumuranylsulfat. Schon am 24. Februar 1896 konnte er vor der Pariser Akademie berichten, dal3 durch Sonnenlicht zur Fluoreszenz angeregte Kaliumuranylsulfatkristalle auf lichtdicht umhullten Photoplatten ahnlich wie Rontgenstrahlen eine Schwarzung hervorrufen. Doch bereits am 1. Marz fand Bec- querel zu seiner Uberraschung, daB solche Schwiirzungen eben- so intensiv sind, wenn die Kristalle dem Sonnenlicht kaum oder gar nicht ausgesetzt waren. Die neuen Strahlen, die nlit den von Rontgen und Lenard studierten vie1 Ahnlichkeit besitzen, konn- ten also nichts mit der Fluoreszenz zu tun haben. Ihre Natur blieb vorerst unklar [12, S. 2321.

Nicht nur Uran strahlt Das friihe Rontgenbild einer Hand, aufgenommen vom Mitglied der Physikalischen Gesellschaft Paul Spies bei einem seiner zahlreichen In der Physikalischen Gesellschaft berichtete als erster 1896 Vortrage in der Berliner ,,Urania” im Januar 1896. Rontgenstrahlen Paul Spies ,,Ueber Fluoreszenzerregung durch Uranstrahlen” [2] bideten seitdem einen Vortragsschwerpunkt in der Gesellschaft. und beschrieb damit zugleich eine ihrer Wirkungen. Die nachste Mitteilung zu diesem Thema stammt von Gerhard Carl Schmidt und wurde von Warburg am 4. Februar 1898 der Gesellschaft Auch in der Folgezeit konzentrierten sich die Berichte uber vorgelegt. Der Titel: ,,Ueber die vom Thorium und den Thori- Rontgenstrahlexperimente in den Sitzungen der Physikalischen umverbindungen ausgehende Strahlung” [2] ! Schmidt zeigte Gesellschaft vor allem auf apparative Verbesserungen. So stellte darin - noch vor der entsprechenden Mitteilung Marie Curies Hans Adolf Boas 1899 ,,Ein Polarisationsphotometer zur Mes- vom 12. April 1898 - , daB nicht nur Uran, sondern auch Thori- sung der Contrastintensitat der Rontgenstrahlen” [3] und 1900 um die neue Art von Strahlen aussendet. Doch Schmidt unter- ,,Verfahren und Apparate zur Erzeugung stereoskopischer Ront- schatzte wohl den Wert seiner Entdeckung und verfolgte das genbilder auf dem Leuchtschirm” [3] vor. Walter Kaufmann Problem der neuen Strahlen nicht weiter. Dem Ehepaar Curie berichtete 1897 ,,Ueber das Emissionsvermogen einiger Metalle gelang es hingegen in beharrlicher, miihevoller Arbeit, noch im fur Rontgenstrahlen” [2], wobei zwar auch hier verbesserte gleichen Jahr aufgrund sorgfaltiger Strahlungsmessungen und Rohren angestrebt wurden, zugleich aber auch AnstoBe zur schrittweiser Anreicherung die beiden neuen Elemente Poloni- Untersuchung des physikalischen Vorgangs der Erzeugung von um und Radium zu finden. - F-53 Eigenschaften und neue Ratsel der radioaktiven Untersuchungen etwa seit Kirchhoffs Untersuchungen zur Emis- Strahlen sion und Absorption der Warmestrahlung schlieBlich fur die Herausbildung der Quantenphysik haben wiirden. Plancks Strah- Ernest Rutherford unterschied 1898 anhand des Absorptionsver- lungsformel mit dem Wirkungsquantum, vorgetragen am 19. haltens zwei Arten der neuen Strahlung, die Alpha- und die Oktober 1900 in der Physikalischen Gesellschaft, hat also eine Beta-Strahlung. Friedrich Giesel fand im gleichen Jahr, daB die interessante Vorgeschichte, die bis in die Grundungszeit vom Radium ausgehenden Strahlen durch ein Magnetfeld abge- zuruckreicht. lenkt werden. Zwei Oberlehrer des Herzoglichen Gymnasiums Bereits 1846 berichtete Knoblauch uber die ,,Beugung der zu Wolfenbuttel, Julius Elster und Hans Geitel, stellten 1899 Warmestrahlen”, beobachtete dann, ,,daB die Fahigkeit der fest, daB die Strahlenintensitat mit der Zeit exponentiell abklingt Warme, diatherme Korper zu durchstrahlen, unabhangig von und fanden so eine wichtige Moglichkeit, das Zerfallsgeschehen ihrer Temperatur ist” [I], wies das gleiche Verhalten der von auch quantitativ zu beschreiben. Sie untersuchten, welchen Ein- verschiedenen Korpem ausgesandten W&me nach und schilder- flussen die Strahlung unterliegt und welche Wirkungen sie her- te den ,,Zusammenhang der Mannigfaltigfkeit der von einem vorbringt. In einer Mitteilung an die Physikalische Gesellschaft, Korper ausgesandten Warmestrahlen rnit seiner Temperatur”. die Warburg auf der Sitzung am 5. Mai 1899 vorlegte, berichte- 1847 gab Knoblauch ein ,,neues Verfahren an, die Mannigfaltig- ten die beiden Mitglieder ,,Ueber den Einfluss eines magneti- keit der Warmestrahlen” zu ermitteln, beobachtete den ,,Durch- schen Feldes auf die durch Becquerelstrahlen bewirkte Leit- gang der strahlenden Warme durch Krystalle” und beschrieb fahigkeit der Luft” [3]. Der Protokollant Ulrich Behn hielt dazu ,,die auf Doppelbrechung und Polarisation der Warmestrahlen fest: ,,Es wird beschlossen, dieselbe sofort in die Verh. aufzu- beruhenden Erscheinungen” [I]. Schon an den Originaltiteln nehmen.” [4] Das beschriebene Phanomen ist eine Folge der seiner Untersuchungen ist zu erkennen, daB er die Wesens- unterschiedlichen magnetischen Ablenkbarkeit der radioaktiven gleichheit der Warme- mit den Lichtstrahlen nachwies, aber dar- Strahlen, deren ionisierende Wirkung bereits von den Curies iiber hinaus bereits nach Zusammenhangen zwischen Korper- zum Nachweis benutzt wurde. Am 5. Januar 1900 sprach Julius temperatur und Wbnestrahlung suchte. So kreativ waren Physi- Elster selbst vor der Physikalischen Gesellschaft ,,Ueber Bec- ker, die heute kaum noch bekannt sind. querelstrahlen” [3] und zeigte einige Demonstrationen dazu. Friedrich Giesel berichtete ,,Einiges uber Radium-Baryum-Salze Zweiter Hauptsatz und Schwarzer Korper und deren Strahlen” [3].Er zahlte also ebenfalls zu den Pionie- ren der Erforschung der Radioaktivitat, die in der Physikali- Im Jahre 1893 legte Helmholtz der Berliner Akademie Willy schen Gesellschaft uber ihre neuen Ergebnisse vortrugen. Wiens Arbeit ,,Eine neuere Beziehung der Strahlung Schwarzer Im Jahre 1900 stellte Heinrich Rubens in seinem neuen Hor- Korper zum 2. Hauptsatz der Warmetheorie” vor. Darin wird saal in der Technischen Hochschule Charlottenburg zusammen zum einen die Warmestrahlung entsprechend den Versuchser- mit Emil Aschkinaas den Mitgliedern der Physikalischen gebnissen von Knoblauch, Rubens (,,Ueber die Durchlassigkeit Gesellschaft einen ,,Vorlesungsversuch uber die magnetische von Metallgittern fur polarisirte Warmestrahlen” [2], 1893) und Ablenkbarkeit der Becquerelstrahlen” [3] vor, ein Indiz dafur, anderen konsequent als elektromagnetische Strahlung behandelt, wie rasch neueste Forschungsergebnisse in den Lehrbetrieb auf- zum anderen wird sie, als Phanomen der Warmelehre, rnit der genommen wurden und welche vermittelnde Rolle dabei die Entropie verknupft. Damit nahm Willy Wien die von Ludwig Physikalische Gesellschaft spielte: Wesentliche Forschungser- Boltzmann eingeschlagene neue Zielrichtung fur die mechani- gebnisse konnten durch kompetente Vortragende rasch weiteren sche Warmetheorie auf. In der Physikalischen Gesellschaft stell- Physikern vermittelt werden. te Wien diese Uberlegungen 1893 in seinen Vortragen ,,Ueber Schon dieser kurze Abrilj der Geschichte der Radioaktivitat die Aenderung der Energievertheilung im Spectrum eines zeigt, daB die Erforschung dieses Phanomens von Anfang an schwarzen Korpers, gefolgert aus dem zweiten Hauptsatz der von ganz verschiedenen Seiten her und in internationalem Wett- mechanischen Warmetheorie” [2] und ,,Ueber die obere Grenze streit in Angriff genommen wurde. Einige Mitglieder der Physi- der Wellenlange in der Warmestrahlung, gefolgert aus einer kalischen Gesellschaft waren an vorderster Front daran beteiligt. Eigenschaft Hertzscher Wellen und dem zweiten Hauptsatz der Die Ratsel urn das Wesen der radioaktiven Strahlung und ihre mechanischen Warmetheorie” [2] dar. Als Ergebnis eines im Gegensatz zum Energieprinzip scheinbar unerschopfliche Gedankenexperiments fand Wien das 1899 von Lummer und Energieabgabe losten bekannterweise nach der Jahrhundertwen- Pringsheim nach ihm benannte Verschiebungsgesetz. de ein umfangreiches Forschungsprogramm aus. Hatte Kirchhoff, langjahriger zweiter Vorsitzender der Physi- kalischen Gesellschaft, die Ermittlung der Emissionsfunktion fur die ,,Schwarze Strahlung”, also der Energieverteilung im Warmestrahlung: der Schwarze Korper, Spektrum der Hohlraumstrahlung in Abhangigkeit von der abso- MeBtechnik und Strahlungsgesetze luten Temperatur des Strahlers, fur die Physik als ,,eine Aufga- be von hoher Wichtigkeit” [zit nach 24, S. 1481 bezeichnet, so Eine interessante Vorgeschichte war Wien diesem Ziel nun ein gutes Stuck naher geriickt: Mit dem Wienschen Verschiebungsgesetz laBt sich die Energiever- Die Warmestrahlung erwarmter, aber noch nicht leuchtender teilung, ist sie erst einmal fur eine Temperatur ausgemessen, fur Korper war etwa seit 1770 zwar bekannt, aber um 1850 wuRte beliebige andere Temperaturen berechnen. Bis dahin war ledig- man noch immer nur wenig uber die Eigenschaften dieser Strah- lich 1879 von Josef Stefan die Proportionalitat der gesamten len. Einer der Grunder der Physikalischen Gesellschaft, Her- Strahlungsenergie zur vierten Potenz der absoluten Temperatur mann Knoblauch, beschaftigte sich ausfiihrlich mit diesem Pha- gemessen und 1884 theoretisch von Boltzmann abgeleitet wor- nomen. Er konnte noch nicht ahnen, welche Bedeutung solche den. - F-54 Die Ubertragung von Maxwells Geschwindigkeitsverteilung gen der Berliner Akademie und weitere Veroffentlichungen in auf die Engergieabstrahlung der Molekule eines Gasgemischs den Annalen der Physik und Chemie. [ 161, [ 191 fuhrte Wien 1896 auf die nach ihm benannte Strahlungsformel. Nachdem Willy Wien und Otto Lummer 1895 nachgewiesen Kurz nach Wiens Veroffentlichung in den Annalen der Physik hatten, dal3 ein Hohlraum mit vernachlassigbar kleiner Offnung legte Friedrich Paschen eine auf sorgfaltigen Messungen mit als Schwarzer Strahler angesehen werden kann, setzten an der einem Bolometer basierende empirische Formel vor, die Wiens Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, an der beide tatig auf theoretischem Wege gewonnenes Ergebnis bestatigte. Aller- waren, ab 1896 Versuche zur Konstruktion und Erprobung eines dings trugen weder Wien noch Paschen zu diesem Thema in der Schwarzen Korpers ein. Ziel war es eigentlich, eine Normal- Physikalischen Gesellschaft vor. lichtquelle fur die entstehende Beleuchtungsindustrie zu bauen und meBtechnisch an die Lichtstarkeeinheit anzuschliefien. MeRtechnik fur Warmestrahlen Wien konnte sein theoretisches Interesse an der Whestrahlung gut damit verbinden, wahrend Lummer die experimentellen Eine weitere experimentelle Prufung der neuen Strahlungsfor- Untersuchungen ubernahm. Mit Messungen zur Warmestrah- meln erforderte in verschiedener Hinsicht eine ausgefeilte MeB- lung waren auch Heinrich Rubens und Ferdinand Kurlbaum von technik: Wie lie13 sich die Energie von Warmestrahlen in der Technischen Hochschule Charlottenburg sowie Emst Prings- Abhangigkeit von ihrer Wellenlange quantitativ nachweisen? heim befafit. Als Mitglieder der Physikalische Gesellschaft William (Friedrich Wilhelm) Herschel hatte 1800 versucht, mit berichteten sie in den ,,Verhandlungen” ausfuhrlich uber ihre Thermometern herauszufinden, welcher Spektralbereich des Versuche und Fortschritte. Sonnenlichts fur dessen Warmewirkung verantwortlich sei und erstaunt festgestellt, daB jenseits des roten Endes des Spektrum die Wirkung am gro13ten ist. Ein empfindlicherer Nachweis gelang mit Thermoelementen, verbunden zu Thermosaulen. So konnte z.B. Macedonio Melloni 1830 die von einem Menschen ausgehende Warmestrahlung noch in einem Abstand von etwa 10 m nachweisen. [12, S. 1361 Eine weitere Moglichkeit dafur bot das ,,Bolometer” genann- te Instrument, das 1881 von Samuel Pierpont Langley aus dem elektrischen Differentialthermometer von Adolph Friedrich Svanberg entwickelt wurde. Hierbei fungiert die Widerstandsan- derung eines geschwarzten Platindrahtchens als Indikator fur die auftreffende Strahlung. Langley hatte damit bereits 1886 die Strahlungsenergie von erwarmtem Kupfer gemessen und eine Verschiebung des Strahlungsmaximums mit der Temperatur I IFI konstatiert [22, S. 271. Ein anderes Problem war die begrenzte Durchlassigkeit der Diese Thermosaule benutzte Heinrich Rubens, der als Mitglied der Phy- bis dahin fur die Auffacherung des Spektrums benutzten Glas- sikalischen Gesellschaft oft iiber Warmestrahlungsmessungenvortrug. prismen oder in Glas geritzten Beugungsgitter fur langwellige Von Vortragen dieser Art bezogen Theoretiker wichtige Inspiration. Warmestrahlung, weshalb haufig Steinsalzprismen benutzt wur- den, deren Dispersion wiederum, z.B. nach Rowland rnit Hilfe von in Metallspiegel geritzten Gittem, bestimmt werden mu13te. Interessanterweise hatte bereits 1895 Arthur Konig in der Gab es - besonders fur das femere Infrarot - andere geeignete Physikalischen Gesellschaft ,,Ueber die Energievertheilung im Materialien? LieBen sich durch Filtern einzelne Wellenbereiche Spectrum des Triplex-Gasbrenners und der Amylacetat-Lampe” ausblenden? Auch im Interesse spektroskopischer Untersuchun- [2] referiert. Konig, der bis dahin haufiger uber Themen aus der gen muBten neue Materialien und Methoden gesucht und physiologischen Optik, insbesondere zum Farbensehen und zur erprobt werden, wenn neue Wellenlangenbereiche erschlossen Objektivierung von Farbeindriicken rnit Hilfe spektralphotome- werden sollten. Schlieljlich erhob sich die Frage nach einer Rea- trischer Methoden, vorgetragen hatte, nutzte hier seine speziel- lisierung des von Kirchhoff 1859 angenommenen schwarzen len Kenntnisse, um aus seiner Sicht eine mogliche Verbindung Korpers, der alle auftreffende Strahlung absorbiert und dessen technischen Interesses rnit den theoretischen Uberlegungen Temperatur hinreichend genau zu messen sein sollte. Auch die Wiens aufzunehmen und experimentell zu stutzen. exakte Messung von Temperaturen bis wenigstens 1500 K war experimentelles Neuland. Verfeinerte Methoden der Strahlungsmessung

Warmestrahlung: eine Domane der Berliner Physik Uber reiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Strahlungsmessung verfugte Rubens, der ab 1889 an der Berliner Universitat und ab Zur Losung der vielfaltigen Probleme bei der naheren Untersu- 1895 an der Technischen Hochschule in Charlottenburg arbeite- chung der Warmestrahlung trugen Mitglieder der Physikalischen te. Schon 1890 hatte er Untersuchungen rnit einem Bolometer in Gesellschaft wesentlich bei. Etwa ein Drittel aller Vortrage in der Physikalischen Gesellschaft vorgestellt. 1897 berichtete er der Physikalischen Gesellschaft, die Probleme der Warmelehre uber ,,Eine neue Thermosaule” [2] und untersuchte so eine wei- zum Inhalt hatten, waren in den Jahren 1892 bis 1900 Experi- tere Methode zur exakten Strahlungsmessung im ultraroten menten zur Warmestrahlung gewidmet. Dazu kommen noch Spektralbereich, die schlie13lich fur die entscheidenden Versuche eine Reihe mehr theoretisch orientierter Vortrage in den Sitzun- im femen Ultrarot verwendet wurde. [ 12, S. 2421

F-55 Ab 1891 teilte Rubens in der Physikalischen Gesellschaft turen Strahlungsintensitat und Temperatur proportional sein verschiedenartige Versuche zur Warmestrahlung mit, die in miifiten. Die experimentellen Entwicklungen, zu denen ab 1896 engem Zusammenhang mit dem angedeuteten Problemen der so oft in der Physikalischen Gesellschaft vorgetragen worden Absorption durch die brechenden Medien stehen: 189 1 sprach er war, hatten gerade diesen Bereich erst dem Experiment zugang- ,,Ueber eine Methode zur Bestimmung der Dispersion ultraro- lich gemacht. Kontrollmessungen von Rubens und Kurlbaum ther Strahlen” [2] und 1896 ,,Ueber das ultrarothe Absorptions- fur lange Wellen und hohe Temperaturen bestatigten den ver- spectrum von Steinsalz und Sylvin” [2], 1898 rnit Emil Asch- muteten Zusammenhang. Rubens informierte Planck am 7. kinaas ,,Ueber die Eigenschaften der Reststrahlen des Steinsal- Oktober von diesem Ergebnis und Planck suchte es in seine zes” [2] und rnit Ernst Hagen ,,Ueber das Reflexionsvermogen Uberlegungen zur Strahlungsentropie einzubeziehen. von Metallen” [2]. 1899 folgte der Vortrag ,,Ueber die Isolirung In der Sitzung am 19. Oktober 1900 trugen Kurlbaum und langwelliger Wknestrahlen durch Quarzprismen” [3] (mit Emil Rubens ,,Ueber die Emission langer Wellen durch den schwar- Aschkinaas) und zusammen rnit Ernest Fox Nichols uber ,,Ver- Zen Korper” [3] vor. Der Schriftfuhrer Henri du Bois vermerkte suche rnit Warmestrahlen von grosser Wellenlange” [3]. Aus dazu lapidar im Sitzungsprotokoll: ,,Hr. F. Kurlbaum & H. diesen Untersuchungen resultierte die sogenannte ,,Reststrahlen- Rubens: Uber die Emission langer Wellen durch den ‘schwarzen methode”, bei der durch mehrfache selektive Reflexion Korper’ bei verschiedenen Temperaturen. Hr. M. Planck macht bestimmte Wellenlangenbereiche isoliert werden konnen. hierzu einige Bemerkungen.” Darunter lesen wir: ,,An einer ein- gehenden Diskussion betheiligen sich die Herren: Rubens, Thie- Abweichende MeBergebnisse - neue theoretische sen, Pringsheim, Lummer” [4]. Solche Anmerkungen sind in Uberlegungen den Sitzungsprotokollen recht selten zu finden. Vielleicht hatte schon damals der Protokollant das Gefiihl, daB hier eine aurjerst 1898 bis 1900 trugen Pringsheim, Lummer, Kurlbaum und wichtiger Schnittstelle zwischen Theorie und Experiment Rubens in der Physikalische Gesellschaft insgesamt achtmal besprochen worden war. Plancks ,,Bemerkungen” wurden in die uber ihre Messungen am Schwarzen Korper vor, wobei es ,,Verhandlungen” unter dem Titel ,,Ueber eine Verbesserung der sowohl um die Temperaturmessung, die Temperaturverteilung Wien’schen Spectralgleichung” [3] aufgenommen. als auch um die Energieverteilung im Spektrum ging. Im Febru- Damit war ein Zustand erreicht, wo durch experimentelle ar 1899 berichteten Lummer und Pringsheim erstmals iiber ,,Die Befunde und theoretische Uberlegungen eine Situation entstan- Energievertheilung im Spectrum des schwarzen Korpers” [3] den war, die auf eine neue Losung drangte. und fanden geringe Abweichungen von Paschens Ergebnis. Die Messungen konzentrierten sich nun auf die Suche nach mogli- chen Fehlerquellen und auf immer grorjere Wellenlangen der Zur Besinnung: Hohlraumstrahlung. Wahrend Paschen in Hannover zunachst Physikgeschichte, Ehrungen und Nachrufe keinerlei Abweichungen fand, sprachen Lummer und Prings- heim im November 1899 noch einmal uber ,,Die Vertheilung 1st die Physik vollendet? der Energie im Spectrum des Schwarzen Korpers und des blan- ken Platins” [3] und uber die ,,Temperaturbestimmung fester Mit der Vollendung der klassischen Physik gegen Ende des 19. gluhender Korper” [3], um ihre erneut abweichenden Resultate Jahrhunderts schien fur viele auch die Physik insgesamt vor zu untermauern. ihrer Vollendung zu stehen. So berichtet Planck von einem In der Sitzung der Physikalischen Gesellschaft am 2. Februar Gesprach, in dessen Verlauf Philipp Jolly den jungen, ratsu- 1900 wurde das Problem der Hohlraumstrahlung sowohl von chenden Studienanfanger Max Planck 1875 daruber belehrte, experimenteller als auch von theoretischer Seite behandelt: daR die Physik ,,eine hochentwickelte, nahezu voll ausgereifte Planck sprach zur ,,Deduction der Strahlungsentropie aus dem Wissenschaft (sei, die) wohl bald ihre endgultige, stabile Form zweiten Hauptsatz der Thermodynamik” [3], um die Vorausset- angenommen haben wurde.” Der Eindruck, darj die Physik nun- zungen seiner vor der Preurjischen Akademie entwickelten mehr ,,fertig” sei, brachte auch eine Besinnung auf ihre Ableitung der Wienschen Strahlungsformel zu erortern. Max Geschichte rnit sich. So entstanden zu jener Zeit zahlreiche Auf- Thiesen sprach ebenfalls aus theoretischer Sicht ,,Ueber das satze und mehrere Monographien zur Physikgeschichte, deren Gesetz der schwarzen Strahlung” [3]. Lummer und Pringsheim bekannteste wohl das dreibandige Werk Ferdinand Rosenber- berichteten ,,Ueber die Strahlung des schwarzen Korpers und gers ,,Geschichte der Physik in Grundzugen, rnit synchronisti- des Platins fur lange Wellen” [3], wobei der vortragende Ernst schen Tabellen der Mathematik, der Chemie und der beschrei- Pringsheim herausstellte, daR die Abweichungen von der Wien- benden Natunvissenschaften sowie der allgemeinen Geschichte” schen Formel bei gleicher Temperatur mit der Wellenlange aus den Jahren 1882, 1884 und 1887 ist. zunehmen. Die Physikalischen Gesellschaft war so das Gremi- An verschiedenen Orten besann man sich auch einiger um geworden, wo die entscheidenden experimentellen Ergebnis- bedeutender Gelehrter aus den eigenen Reihen. So regte z. B. se und die theoretischen Uberlegungen zum Problem der Strah- der Elektrotechnische Verein die Errichtung eines Denkmals fur lung eines Schwarzen Korpers in der Diskussion miteinander Georg Simon Ohm an. Im Sitzungsprotokoll der Physikalischen konfrontiert werden konnten, um so zu einer Losung zu gelan- Gesellschaft vom 28. Dezember 1888 vermerkte der Schriftfuh- gen. rer Arthur Konig: ,,Der Vorstand wird beauftragt, sich mit dem In den folgenden Monaten wurde das Problem auch aul3er- Elektrotechnischen Verein behufs Bildung eines Local-ComitC’s halb der Physikalischen Gesellschaft intensiv verfolgt. Mitte des fur die Errichtung eines Ohm-Denkmals sich in Verbindung zu Jahres waren unabhangig voneinander sowohl Lord Rayleigh setzen.” [4] Schon am 11. Januar 1889 notierte er dazu: ,,Die und Thiesen als auch Lummer und Jahnke zu dem Ergebnis Herren H. v. Helmholtz, E. du Bois-Reymond, Kundt und G. gekommen, da13 fur sehr lange Wellen bei sehr hohen Tempera- Hansemann werden zu Mitgliedern des ComitC’s zur Enichtung

F-56 eines Ohm-Denkmals deputirt.” [4] Die Wahl der Vorsitzenden des Principium minimae actionis” [2],was ihm zugleich Gele- Hermann v. Helmholtz, August Kundt und des Ehrenvorsitzen- genheit bot, einige Ansichten uber die Grundlegung der Mecha- den Emil du Bois-Reymond in dieses Gremium zeigt, welches nik zu skizzieren. Drei Jahre spater legte William Preyer der Gewicht der Ehrung Ohms beigemessen wurde. Fur die organi- Versammlung ,,Acht Briefe von Rob. Mayer aus den Jahren satorischen Belange der Unternehmung war Gustav Hansemann 1842 und 1844 uber das mechanische Warmeaquivalent” [2] als Privatgelehrter und Finanzexperte sicher der richtige Mann, vor. Preyers Kommentar dazu oder gar die Briefe selbst sind der auch die Finanzierung in den Griff bekommen wurde. Etwas allerdings nicht in den ,,Verhandlungen” abgedruckt. geringere Beachtung fand in der Physikalischen Gesellschaft Hatten die genannten Vortrage noch einen direkten Bezug eine Initiative zur Errichtung eines Denkmals fur Robert Mayer. zur Physik der damaligen Zeit, so scheint das bei dem Vortrag Emil Lampe uberreichte in der Sitzung am 16. Mai 1890 ledig- des Philologen Carl F. Lehmann, der 1889 als Cast ,,Ueber das lich ,,im Auftrag von Herrn Geh. Rath Hauck einen Aufruf zu babylonische metrische System und dessen Verbreitung” [2] Beitragen fur ein Denkmal von Rob. Mayer in Heilbronn” [4]. sprach, auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein. Bedenkt man Ein Denkmal fur Georg Simon Ohm wurde in Munchen, fur aber, daO gerade zu jener Zeit starke Bestrebungen im Gange Julius Robert Mayer in Heilbronn errichtet. waren, die physikalischen und technischen MaOeinheiten auch international zu vereinheitlichen, so ist das historische Interesse Physikgeschichte in der Physikalischen Gesellschaft an einem solchen Thema durchaus verstandlich. In der Nr. 16 der ,,Verhandlungen” des gleichen Jahres findet Vortrage physikhistorischen Inhalts wurden in der Physikali- sich folgender kurzer Bericht uber die Sitzung von 22. Oktober: schen Gesellschaft gelegentlich ab Mitte der achtziger Jahre gehalten. So sprach Helmholtz 1886 ,,Ueber die Entwicklung ,,Hr. A. Kundt demonstrirte Die (sic!) Original-Luftpumpe

1847 H. v. Helmholtz Ueber das Pfincip der Erhaltung der 1848 v. Bruchhausen Abr8 einer Theorie der Siindfluten Kraff und Eiszeiten 1848 E. du-Eois-Reymond Untersuchungen uber thierische 1851 E, du-Bois-Reymond Ueber die blaue Grotte auf Capri Electricifat 1860 Rasenthal Mittheilung iiber den elektrischen 7848 H. Knoblauch VerhHtnis des Lichtes zur sfrahlen- Geschmack den Warme 1859 Erdmann Erklarung der Bumerangbewegungen 1849 G. Karsten Vomhli3ge zur allgemeinen deut- 1876 Schwalbe Vorzeigen eines chinesischen Spie- schen Ma&, Gewichts- und Mum- gels Regulirung 1878 Aron Ueber die Gefahrlichkeit der Einlei- 1850 Helmholtz Ueber die fortpflanzungsge- tung von Kabeln in Pulvermagazine schwindigkeit der Nervenreizung 1879 Raber Ueber Lautbildung in Bezug auf die in den sensiblen Nerven Schrift von Prof. Michaelis 7853 Wiedmann und Franz Ueber W3rmeieitung der Metalle 7 880 Kronecker Vorfiihmng eines neuen Schreibap 1854 Clausius Ueber eine veranderte Form des parates meifen Hauptsatzes der mechani- 1882 A. Christiani Das Ferdinand Riickeft’sche Verfah- schen Warmetheorie ren der galvanooptischen Consewi- 1859 W. Siemens Ueber die Vorzuge des Ouecksilbers rung organischer Korper unter Er- ,?u WidersfandsmaBnahmen halfung der feinen Stmktuwehllfnisse 1862 F. Zillner Uber die Helligkeitsmessung der 7 886 A. Konig Weifere Beobachfungen an einem Gestime durch Alkoholismus gesfoften Far- 1872 Prof. Dr. Boltzmann Ueber Warmegleichgewicht unter bensystem Gasmolekulen 1888 J. Gad Demonstration von Leuchtmoos 1886 0. frillich Theorie der dynamoelekfrischen 1891 E. Budde Sammlung von deformiften Geschos- Maschine sen 1888 H. v. Helmholtz Bericht uber Versuche der Hrn. A. 1896 0.Frolich Uebef den Schutz physikalischer Kundt und H. Hertz lnstitute gegen electrische Bahnen 1891 H. Rubens Ueber eine Methode zur Bestimmung 1897 F. Neesen Ueber einen Blitzschlag in das Haupt- der Dispersion ultrarother Strahlen rohr der st8dtischen Wasserleitung in 1893 W. Wien Ueber die Aenderung der Energiever- Erfurt vertheilung im Spectrum eines 1898 E. Dorn Ueber das von Brush vermuthete schwarzen Korpers, geffftgert aus neue Gas,,Etherion” dem zweiten Hauptsatz der mechani- 1900 0. Lehmann Ueber Structur, System und magneti- %hen Wametheorie sches Verhalfen flussiger Kristalle 1894 H. Rubens und E. Ueber die Ferntelegraphie ohne 1900 F. Neesen Die wahrend der danischen Expediti- und W. Rathenau Drahf on, welche unter der Leitung von 1896 P. Zeeman Ueber einen €inf/uss der Magnetisi- Adam Paulsen im Winter 1899/1900 rung auf die Natur des von einer nach Wand zur Erforschung der Substanz emittierten Lichtes Nordlichterscheinungen entsandt war, 1898 G. C. Schmidt Ueber die vom Thorium und den vom Maler Grafen Moltke aufgenffm- ThoNerbindungen ausgehende menen Eilder und die allgemeinen Strahlung vodaufigen Ergebn. 7898 M. Planck Zur Theorie des Gesetzes der her- gievertheilung im Normalspektrum

Liste der herausragenden hzw. ungewohnlichen Vortrage (links bzw. rechts) in der Physikalischen Gesellschaft bis 1900 (Originaltitel). Die Themen- palette spiegelt den Fortschritt der Physik und die Interessenvielfalt wider. (Zusammenstellung: W. Schreier und M. Franke)

F-57 von Otto von Guericke. Diese Luftpumpe war bisher in tors entwickelte sich Kundt’s ungewohnliche naturliche der hiesigen Kgl. Bibliothek aufbewahrt und ist neuer- Begabung fur experimentelle Arbeiten zu jener Hohe, die dings dem Physikalischen Institut der Universitat uberwie- wir alle an ihm bewunderten, und der er einen grossen, sen worden. Nachdem einige wenige schadhafte Theile vielleicht den grossten Theil seiner Erfolge verdankte. Es reparirt worden, Iasst sich mit derselben eine Verdiinnung war sehr interessant, Kundt uber diesen Abschnitt seines bis zu 30 mm Quecksilberdruck herstellen.” [2] Lebens sprechen zu horen, und zu erfahren, rnit wie aus- serordentlich einfachen Verhaltnissen der junge Forscher Bestimmt war es fur die Zuhorer eine willkommene Abwechs- damals zu rechnen hatte, und wie man allenthalben auf die lung, neben den immer neuen Konstruktionen und Verbesserun- eigene Geschicklichkeit angewiesen war, wo heute die gen von Quecksilberluftpumpen nun auch einmal etwas uber vollkommensten Hulfsmittel zu Gebote stehen. Ich erinne- eine der ersten Luftpumpen zu erfahren und zu horen, wie gut re mich sehr wohl daran, wie Kundt bei Gelegenheit eines das damit zu erzielende Vakuum gewesen sein konnte. Stiftungsfestes unserer Gesellschaft davon erzahlte, Besonders interessant ist fur den Physikhistoriker ein Vortrag welch’ wichtige Rolle eine grosse Kiste mit Holz und der von Ernst Pringsheim aus dem Jahre 1894 uber ,,Photographi- dazugehorigen Sage in dem Magnus’schen Laboratorium sche Rekonstruktion von Palimpsesten” [2]. Hier wurde eine gespielt habe, und wie oft dieses Material genugen mus- moderne Technik, namlich die Photographie, fur historische ste, um allerlei Hulfsapparate zu schaffen.” [2] Forschungen erprobt. Heute werden mit dieser Technik - vor allem im unsichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums Weitere ausfuhrliche Gedenkaufsatze sind u. a. Rudolf Clausius, - nicht nur im Mittelalter abgeschabte und wiederbeschriebene Heinrich Hertz, Gustav Wiedemann oder Gustav Karsten gewid- Pergamente - Palimpseste - untersucht, sondern auch Gemalde met. Merkwurdigerweise fehlt Hermann v. Helmholtz in dieser und eine Vielzahl anderer Objekte. Die Anwendungen reichen Reihe. Ihm zu Ehren veranstaltete die Physikalische zusammen bis hin zu kriminaltechnischen Untersuchungen. mit der Physiologischen Gesellschaft am 14. Dezember 1894 in Wie stark das historische Interesse bei den Physikern jener der Berliner Singakademie eine Gedachtnisfeier, auf der Wil- Zeit ausgepragt war, zeigen auch zwei Vortrage von Otto Lum- helm von Bezold die Rede hielt. Unmittelbar danach hat Kaiser mer. Er sprach 1897 ,,Ueber Altes und Neues aus der photogra- Wilhelm 11. die Errichtung eines Denkmals fur Helmholtz ange- phischen Optik” [2] und 1900, mitten in den schwierigen Versu- regt, das 1899 an der Berliner Universitat enthullt wurde. Als chen zur Strahlung des Schwarzen Korpers, uber ,,Geschichtli- am 26. Dezember 1896 Emil du Bois-Reymond starb, teilte dies ches zum Draper’schen Gesetz” [3]. Das Drapersche Gesetz aus v. Bezold der Gesellschaft in einem Nachruf mit, und am 22. dem Jahre 1847 druckt die Tatsache aus, da13 bei etwa 525 “C Januar 1897 fand im groBen Horsaal des Physiologischen Insti- alle Korper, unabhangig von ihrer Natur, in dunkle Rotglut tuts zu Berlin eine gemeinsame Sitzung der Physikalischen und geraten. Lummer war also im Bemuhen, sich intensiv uber sein der Physiologischen Gesellschaft statt. Uber diese Gedachtnis- eigenes Forschungsgebiet zu informieren, auch historisch vorge- feier wurde in den ,,Verhandlungen” der Physikalischen Gesell- gangen und auf interessante Befunde gestoRen, die er fur wert schaft ausfuhrlich berichtet [2]. Mit Emil du Bois-Reymond war hielt, in der Physikalischen Gesellschaft vorgetragen zu werden. einer der Grunder der Physikalischen Gesellschaft verstorben, der rnit seiner medizinisch-physikalischen Sichtweise das Profil Erinnerungen und Nachrufe: die eigene Geschichte der Physikalischen Gesellschaft uber dreil3ig Jahre lang wesent- lich mitbestimmt hatte. Der Vortrag von Warburg am 22. Oktober 1897 zur ,,Erinne- Diese interdiszipliniire Sicht der Physik wird auch auf einem rung an den am 23. Juli 1847 von H. v. Helmholtz gehaltenen ganz anderen Gebiet deutlich: Zwei Mathematiker, namlich Vortrag: ‘Ueber die Erhaltung der Kraft”’ [2] betrifft nicht nur Leopold Kronecker und Karl Weierstrass, wurden in den ,,Ver- ein wichtiges Datum in der Geschichte der Physik, sondern bil- handlungen” rnit einem ausfuhrlichen Nachruf gewurdigt. Beide det gleichsam die Briicke zur Beschaftigung rnit der Geschichte waren langjiihrige Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft. der Physikalischen Gesellschaft selbst. Ein wenn auch kurzer Nachruf galt auch dem Verleger Ernst Im Verlaufe der Jahre ab 1885 wurden rnit steigender Ten- Reimer. Als Teilhaber und zuletzt Besitzer des Verlages Georg denz auch Nachrufe und Ehrungen fur bekannte Mitglieder in Reimer in Berlin hatte er bis 1893 die ,,Fortschritte der Physik” den ,,Verhandlungen” abgedruckt, waren doch inzwischen aus herausgegeben. Bernhard Schwalbe, der selbst lange Jahre die den jungen Enthusiasten der Griindungsjahre gestandene Gelehr- Redaktion der ,,Fortschritte” und andere Funktionen in der te geworden, in deren Reihen der Tod so manche Liicke ril3. Gesellschaft innehatte, konnte bei dieser Gelegenheit zugleich Sind auch viele der uber 50 Nachrufe nur Mitteilungen des das erste Exemplar des Namensregisters fur die Bande 2 1 bis 43 Ablebens, verbunden rnit einigen wurdigenden Worten, so fin- der ,,Fortschritte” prasentieren. den sich doch auch Iangere Gedenkartikel, die dem heutigen In diesen Jahren vor der Wende zum 20. Jahrhundert ver- Leser einen tiefen Einblick in Leben und Werk bekannter Mit- starkte sich in der Physikergemeinschaft und auch in der Physi- glieder der Physikalischen Gesellschaft eroffnen. Oft sind sie kalischen Gesellschaft der Eindruck, da13 die Physik einen aus personlichem Erleben und unmittelbarer personlicher hohen Grad an Vollkommenheit erreicht habe. Aber mancher Bekanntschaft heraus verfal3t und beleuchten schlaglichtartig die empfand bei seinen Forschungen bereits intuitiv, da13 auf eini- Situation in der Physik der damaligen Zeit. So berichtete Wil- gen Gebieten ein Umbruch bevorstand. Es erwies sich als uber- helm v. Bezold in der Sitzung am 15. Juni 1894 in seiner raschende historische Parallele, da13 zur selben Zeit in der Physi- Gedachtnisrede auf August Kundt: kalischen Gesellschaft der Gedanke aufkam, daR die bisherige Organisationsstruktur rnit den vierzehntagigen Sitzungen und ,,Bei Magnus trat er auch in das Laboratorium ein, und der Beschrankung auf Berlin partiell unzureichend sei und unter dem Einflusse jenes ausgezeichneten Experimenta- erganzt werden musse.

F-58 Danksagung schung: aus Geschichte und Kulturgeschichte der Meteoro- logic. Innsbruck, Frankfurth4. 1987. Die Autoren danken den Mitarbeitern des Akademie-Archivs [22] J. Mehru, H. Rechenberg: The Historical Development of (KAI e. V.) und des Geheimen Staatsarchivs Preuljischer Kul- Quantum Theory, Vol. I, Part 1. New York, Heidelberg, turbesitz fur uneigennutzige Hilfe bei der Beschaffung von Berlin 1982. Dokumenten. [23] M. Rowbottom, Ch. Susskind Electricity and Medicine - History of Their Interaction. San Francisco 1984. [24] H.-G. Schop$ Von Kirchhoff bis Planck - Theorie der Quellen Wiimestrahlung in historisch-kritischer Darstellung. Berlin 1978. [l] Fortschritte der Physik Bd. 1 (1845) bis Bd. 56 (1900). [25] W. Schreier (Hrsg.): Biographien bedeutender Physiker. [2] Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft idzu Ber- Berlin 1988. lin Bd. 1 (1882) bis Bd. 17 (1898). [26] W. Schreier (Hrsg.): Geschichte der Physik - ein Abrilj. [3] Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Berlin 1991. ab Bd. 1 (1899). [27] E. Warburg: Zur Geschichte der Physikalischen Gesell- [4] Protokollbucher der Physikalischen Gesellschaft bis 1901 schaft. Naturwissenschaften 13 (1925). (nur einige Jahrgange vorhanden). [28] Wissenschaft in Berlin - Von den Anfangen bis zum Neu- [5] Akademiearchiv Berlin (KAI e.V.): Rp. 121, 122, 163, beginn nach 1945. (Von einem Autorenkollektiv unter Lei- 186, NL-Goldstein, NL-Helmholtz. tung von H. Laitko), Berlin 1987. [6] Geheimes Staatsarchiv Preuljischer Kulturbesitz: 2.2.1 Nr. [29] Wissenschaftliche und Technische Arbeiten von Werner 19951 Siemens (2 Bde.). Berlin 1889191. [30] K. E. Zetzsche: Unser Ziel. Elektrotechnische Zeitschrift H.l (1880). Literaturauswahl

Aus Platzmangel wird an dieser Stelle im allgemeinen nur Lite- ratur angegeben, nach der zitiert wurde; es wurde jedoch eine Bildnachweis weitaus groBere Zahl von Veroffentlichungen benutzt: S. 10, 25: Sammlung Sudhoff-Institut der Univ. Leipzig [7] Annalen der Physik und Chemie 45 (1 892), Vorwort. S. 11: Archiv der Humboldt-Universitat Berlin [8] E. Bruche: Aus der Vergangenheit der Physikalischen S. 12: aus [8] Gesellschaften, Teil I bis VI. Phys. BI. 16 (1960) und 17 S. 13: DPG-Bildarchiv (1961). S. 14, 36: Siemens-Archiv Miinchen [9] Dokumente einer Freundschaft: Briefwechsel zwischen S. 16: Archiv der PTB Berlin Hermann v. Helmholtz und Emil du Bois-Reymond 1846 - S. 17: aus [9] 1894. Hrsg. C. Kirsten, Berlin 1986. S. 19, 21: E. Briiche: Aus der Geschichte der Berliner Physik, [ 101 M. Eckert: Die Atomphysiker. Braunschweiglwiesbaden Leipzig 1935 1993. S. 27: E. du Bois-Reymond: Untersuchungen iiber thierische [l11 J. M. Eder: Geschichte der Photographie. Halle 1905. Elektricitat, 1. Band, Berlin 1848 [12] F. Fraunberger, J. Teichmann: Das Experiment in der S. 28: H. WuBing: Geschichte der Naturwissenschaften, Koln Physik. BraunschweigNiesbaden 1984. 1967 [13] 0. Glasser: Wilhelm Conrad Rontgen und die Geschichte S. 30: R. Clausius: Die mechanische Warmetheorie, Braun- der Rontgenstrahlen. BerlidGottingenIHeidelberg 1931. schweig 1876 [14] E. Goldstein: Aus vergangenen Tagen der Berliner Physi- S. 31, 33: Deutsches Museum Bildsammlung kalischen Gesellschaft. Naturwissenschaften 13 (1925). S. 32: H. v. Helmholtz: Populiire Schriften, Bd. 1. Braun- [15] A. Hermann: 130 Jahre Deutsche Physikalische Gesell- schweig 1884 schaft. Phys. B1. 31 (1975) 544. S. 34: aus [18] [16] A. Hermann: Fruhgeschichte der Quantentheorie (1899 - S. 38: H. Moser: 75 Jahre PTRPTB. Braunschweig 1962 1913). MosbacNBaden 1969. S. 39: aus [3] [17] A. Hermann: Weltreich der Physik: Von Galilei bis Hei- S. 42 (links): aus [I 11 senberg. Esslingen 1980. S. 42 (rechts): D. B. Herrmann: Geschichte der modernen [ 181 H. Hertz: Gesammelte Werke in drei Banden von H. Hertz. Astronomie. Berlin 1984 Leipzig 1894195. S. 44: K. Schneider-Carius: Wetterkunde - Wetterforschung. [ 191 H. Kangro: Vorgeschichte des Planckschen Strahlungsge- Freiburg 1955 setzes - Messungen und Theorien der spektralen Energie- S. 37: aus [14] verteilung bis zur Begrundung der Quantenhypothese. S. 48: aus [6] Wiesbaden 1970. S. 51: aus Annalen der Physik Bd. 12, 1881 [20] L. Koenigsberger: Hermann von Helmholtz (3 Bde.). S. 52: W. Crookes: Strahlende Materie. Leipzig 1879 Braunschweig 1902103. S. 53: aus [131 [21] H.-G. Korber: Vom Wetteraberglauben zur Wetterfor- S. 55: aus Z. f. Instrumentenkunde 18 (1899)

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Armin Hermann

Spater sprachen die Physiker vom ,,goldenen Zeitalter” ihrer Die Ara Planck Wissenschaft. Sie datierten den Beginn auf das Jahr 1905, als in den ,,Annalen der Physik” seine drei epoche- Max Planck, der Schatzmeister, der Gesellschaft, hatte den machenden Arbeiten veroffentlichte und Max Planck sogleich Antrag auf die Umstrukturierung gestellt und die neue Satzung auf die Bedeutung des Relativitiitsprinzips hinwies. Anfang der ausgearbeitet. Auf den Sitzungen am 16. Dezember 1898 und zwanziger Jahre ubernahm die von der DPG gegrundete ,,Zeit- am 6. Januar 1899 sprachen sich ‘die Mitglieder einstimmig fur schrift fur Physik” von den ,,Annalen” die Rolle als internatio- die neue Satzung aus. Damit vollzog sich, wie der Vorsitzende nal fuhrendes Fachorgan. In der ,,Zeitschrift fur Physik” verof- Emil Warburg konstatierte, der Ubergang der Physikalischen fentlichten die namhaften Quantentheoretiker. Die grofie Epo- Gesellschaft zu Berlin in die Deutsche Physikalische Gesell- che der deutschen Physik ging mit der Machtergreifung zu schaft. Ende des Jahres betrug die Zahl der Berliner Mitglieder Ende. Samuel Goudsmit prophezeite 1933: ,,They soon will be a 161, die der Auswartigen 148. Zusammen waren es also 309 nation of fifth rank, as far as scientific culture is concerned.” Mitglieder. Als das Dritte Reich zusammenbrach, feierten die Physiker das Die Epoche, die nun ihren Anfang nahm, nannte man spater 100. Jubilaum ihrer Gesellschaft. die ,,ha Planck”. Dieser hatte damals permanent ein Vorstand- samt inne. Es gab kaum eine Sitzung oder Nachsitzung, bei der Planck nicht zugegen war. Nachdem er zwolf Jahre lang, von 1892 bis 1904, als Schatzmeister gewirkt hatte oder als ,,Rech- nungsfuhrer”, wie es damals hieB, und noch ein weiteres Jahr als ,,stellvertretender Rechnungsfuhrer”, amtierte er von da an entweder als Vorsitzender (1905/06, 1906/08 und 1915/16) oder als Beisitzer. So wichtig das auch fur den Geist der Gesellschaft gewesen ist, mit der ,,&a Planck” ist naturlich mehr gemeint als ein vom Geiste freundschaftlicher Kollegialitat gepragtes Vereinsleben. Doch man sollte dessen Bedeutung nicht unterschatzen. Kommunikation ist, wie Karl Jaspers gesagt hat, die ,,univer- sale Bedingung des Menschseins”. Eine funktionierende Kom- munikation ist auch eine notwendige Voraussetzung fur das Gedeihen von Wissenschaft. Nachdem er im ersten Paragraphen der Satzung den Zweck der Gesellschaft definiert hatte (,,das Studium der physikalischen Wissenschaft zu befordern”), listete Planck im zweiten Paragraphen auf, wie die Gesellschaft dieser Aufgabe gerecht werden wollte. Dazu gehorte - die Herausgabe der Verhandlungen, Prof. Dr. Armin Hermann, pro- - die Herausgabe der ,,Fortschritte der Physik”, movierter theoretischer Physiker, - die Mitwirkung bei den ,,Annalen der Physik”, ist seit 1968 0. Professor fur Ge- - die Beteiligung an den Jahresversammlungen der Deutschen schichte der Naturwissenschaften Naturforscher und hzte, und (als wichtigstes) und Technik an der Universitat - die regelmaBigen Sitzungen in Berlin, ,,in denen die Mit- Stuttgart. Sein Hauptarbeitsge- biet ist die Geschichte der Physik glieder teils uber ihre eigenen, teils uber die neuesten frem- des 19. und 20. Jahrhunderts. den physikalischen Arbeiten Vortrage halten”.

Phys. BI. 51 (1995) Nr. 1 0031-9279/95/0101-F-061 $ 5.00+.25/0 - @ VCH, D-69451 Weinheim, F-6 1 Die ,,Verhandlungen” erhielten die Mitglieder kostenfrei Ersten Weltkrieges an. Der Industriestaat lebte von der Technik, ($ 3), die ,,Fortschritte der Physik” zum Vorzugspreis ($4). In und die technischen Innovationen konnten nur aus der Wissen- 9 5 wurde statuiert, dalj es zwei Gruppen von Mitgliedern gebe, schaft kommen. In einem Gutachten, das Philipp Lenard fur den die Berliner Mitglieder (zehn Mark Mitgliedsbeitrag im Jahr) preuaischen Ministerialdirektor Friedrich Theodor Althoff und die auswartigen Mitglieder (funf Mark Beitrag). Da die rnit erstattete, heiljt es: ,,Es kommt also, faljt man technische Fort- Abstand wichtigste Aktivitat der Gesellschaft unverandert seit schritte groljen Stils ins Auge, darauf an, da13 immer ein Vorrat der Griindung in den 14taglichen Sitzungen bestand, die gemalj rein wissenschaftlicher Funde des Naturforschers vorhanden sei, $ 10 in Berlin stattfanden, war damit, wie der Wurzburger Ordi- gleich dem Samen fur neue, neuartige Pflanzungen und Ernten narius Wilhelm Wien kritisch kommentierte, die Deutsche Phy- des Technikers.” sikalische Gesellschaft ,,in der Hauptsache nach wie vor die Philipp Lenard, der im Jahre 1898 nach Kiel berufen wurde, Berliner Physikalische Gesellschaft geblieben, an der die aus- hat dort noch den hochbetagten Gustav Karsten kennengelernt. wartigen Mitglieder praktisch unbeteiligt sind”. Lenard muRte sich zunachst mit einem alten, baufallig geworde- Auch fur die ,,Annalen der Physik” begann eine neue Ara. nen Institutsgebaude zufrieden geben. Wie damals iiblich hatte Auf der Sitzung am 5. Januar 1900 gab der GieBener Ordinarius Gustav Karsten in diesem Haus auch seine Dienstwohnung Paul Drude vor Eintritt in die Tagesordnung bekannt, dalj er die gehabt. ,,Der Herd in der Kuche war noch da”, berichtete Len- Nachfolge des verstorbenen Gustav Wiedemann als Herausge- ard, ,,und im Badezimmer stand eine verbeulte Zinkwanne.” In ber der ,,Annalen Physik” angetreten habe und bat um Vertrau- den Lebenserinnerungen Lenards heiljt es, daB er entschlossen en. Tatsachlich erreichten die Annalen jetzt rnit der vierten war, ,,mit vollkommener Rucksichtslosigkeit vorzugehen”, da er Folge den Gipfel ihrer Bedeutung. In den ersten zwei Dezennien des 20. Jahrhunderts war sie anerkanntermaBen die international wichtigste physikalische Zeitschrift. Seit 1899 gab es neben den Annalen noch ein zweites Peri- odikum, die Physikalische Zeitschrift. Herausgeber waren der Gottinger Ordinarius Eduard Riecke, der sich durch sein groljes Lehrbuch einen Namen geschaffen hatte, und Hermann Th. Simon. Dieser wirkte damals noch als Dozent beim Physikali- schen Verein in Frankfurt, wurde aber 1901 nach Gottingen berufen, wo er seit 1905 das neue Institut fur angewandte Elek- trizitatslehre leitete. Riecke eroffnete das neue Journal mit einem Vorwort: Den Herausgebern Iage nichts ferner, als in die gliickliche Entwick- lung des deutschen Zeitschriftenwesens ,,mit storender Hand eingreifen zu wollen”. Nur erganzend solle die neue Zeitschrift ,,zu dem bestehenden Systeme der wissenschaftlichen Publika- tionen hinzutreten”. In sechs Punkten umrilj Riecke das Pro- gramm. Erstens sollten Originalarbeiten von groljerem Umfang ausgeschlossen sein; die Herausgeber wunschten sich kurze Referate der Autoren. Zweitens war an Ubersichtsreferate gedacht, wie sie bei Antritts- oder Probevorlesungen gegeben wurden. Drittens wiinschten die Herausgeber helfend und bes- sernd einzugreifen durch Referate, ,,welche den Leser uber phy- sikalisch bedeutsame Ergebnisse auf den Nachbargebieten der Physik orientieren”. Viertens sollten Monographien und Lehr- bucher besprochen werden, fiinftens Berichte uber neue Institute Max Planck (1858 - 1947) war von 1905 bis 1916 insgesamt vier Jahre und Vorlesungseinrichtungen gebracht und schlieljlich sechstens Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. ,,auch Nachrichten nicht wissenschaftlichen Charakters von Hochschulen und Instituten veroffentlicht werden”. Im Jahrgang 1 (1 899) der Physikalischen Zeitschrift stellte den Ruf nach Kiel uberhaupt nur angenommen hatte, ,,um end- Wilhelm Wien das neue physikalische Institut der Universitat lich uneingeschrankt und hindernislos zu einer voll ausgeriiste- GieBen vor. Es folgten im Jahrgang 6(1905) Eduard Riecke mit ten Arbeitsstatte zu kommen”: dem Gottinger Institut, im Jahrgang 7(1906) Otto Wiener mit dem Leipziger, im Jahrgang 12(19 11) Richard Koch mit dem Ich wollte zwei ineinandergehende Arbeitszimmer neben Stuttgarter und Richard Bornstein mit dem der Landwirtschaftli- dem Direktionszimmer haben, um zwei oder mehr Experi- chen Hochschule Berlin sowie schlieljlich im Jahrgang 14( 1913) mentaluntersuchungen gleichzeitig in Gang halten zu kon- Heinrich Kayser und Paul Eversheim rnit dem Bonner Institut. nen; dazu muljte eine neue Tiiroffnung durchgebrochen 1849 hatte Gustav Karsten in einer anonym erschienenen werden. Der mich ... begleitende Baubeamte erklarte das Denkschrift fur jede preuljische und deutsche Universitat den fur ganz unmoglich; die Herauslosung eines Ziegels aus Bau eines eigenen physikalischen Instituts gefordert. Jetzt, mehr diesem Haus konne es zum Einsturz bringen. Darauf lielj als fiinfzig Jahre spater, wurden alle seine Forderungen erfullt ich sofort den schwersten Hammer aus der Werkstatt brin- und ubererfiillt. Seit den Griinderjahren hatte eine Welle von gen und schlug eigenhandig den ersten Ziegel zur Neubauten begonnen, und diese hielt bis zum Ausbruch des gewiinschten Tiiroffnung heraus. [I]

F-62 Lenard beschaftigte sich damals mit zwei Themen, der Wasser- gebe die Verhaltnisse richtig wieder, sah Planck, dalj zwei fallelektrizitat und dem lichtelektrischen Effekt. Seine Publikati- Naturkonstanten eine maljgebende Rolle spielen. Wir sprechen on in den ,,Annalen der Physik” iiber die ,,Erzeugung von heute vom Planckschen Wirkungsquantum h und der Planck- Kathodenstrahlen durch ultraviolettes Licht” begeisterte den Boltzmannschen Konstanten k. jungen Albert Einstein, der nach seinem Examen am Polytech- Der Durchbruch kam im Jahr 1900 rnit den Versuchen von nikum Zurich als Aushilfslehrer am Technikum in Winterthur Heinrich Rubens und Ferdinand Kurlbaum uber das Verhalten tatig war. Im Eindruck ,,dieses schonen Stucks” sei er ,,von sol- der Warmestrahlung bei sehr hohen Temperaturen. ,,Das eine chem Gluck und solcher Lust” erfullt, schrieb er seiner Gelieb- steht fest”, sagte Rubens Mitte Oktober 1900 zu Planck, ,,die ten Mileva Maric, dalj auch sie ,,unbedingt etwas davon haben” Intensitat der monochromatischen Strahlung hat als einen Faktor miisse. die Temperatur und als anderen Faktor einen Ausdruck, der bei Zum Sommersemester 1901 konnte Lenard dann einen Neu- unbegrenzt steigender Temperatur endlich bleibt.” Planck ver- bau beziehen. Diesen spaten Erfolg seiner Denkschrift hat der mutete nun, dalj sich das richtige Strahlungsgesetz aus einer alte Karsten aber nicht mehr erlebt. Interpolation aus dem bisher als richtig angesehenen Wienschen Auf der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Strahlungsgesetz (fur kleine Werte von AT) und einem anderen, am 16. M&z 1900 erfuhren die Mitglieder von ihrem Vorsitzen- fur groae Werte von hT gultigen Gesetz ergibt, auf das Rubens den Georg Quincke, dalj tags zuvor Gustav Karsten, der letzte und Kurlbaum gestoljen waren (und das wir heute das Rayleigh- der sechs Grunder der Gesellschaft, dahingegangen war: ,,Die sche Gesetz nennen). Anwesenden erheben sich von den Platzen.” Am 29. Juni sprach Nach Planck entsteht das Strahlungsgleichgewicht im Hohl- raum durch Wechselwirkung von Oszillatoren rnit der Strah- lung. Er ging nun wieder, wie er es immer getan hatte, von der Strahlung auf die Oszillatoren uber und betrachtete deren Ener- gie U und Entropie S bzw. die zweite Ableitung d2S/dV. In dem einen Grenzfall (Wien) war diese zweite Ableitung proportional 1/U, im anderen Grenzfall (Rubens und Kurlbaum) proportional 1/V. Planck brauchte nun nur noch die beiden GroBen addieren und konnte durch einfache Rechnung die neue Strahlungsformel herleiten, die heute seinen Namen tragt. Am 19. Oktober 1900 teilten Heinrich Rubens und Ferdinand Kurlbaum der Physikalischen Gesellschaft ihre Ergebnisse mit, und im AnschluB daran trug Planck vor, welche Schliisse er dar- aus gezogen hatte. Am nachsten Tag erhielt Planck den Besuch seines Kollegen Rubens, der ihm berichtete, er habe noch in der Nacht die neue Plancksche Strahlungsformel rnit seinen Meljda- ten verglichen ,,und uberall eine befriedigende Ubereinstim- mung gefunden”. ,,Meine neue Formel ... bestatigt sich gut,” heiljt es in einem Briefe Plancks an Wilhelm Wien vom 13. November 1900: Jch habe jetzt auch eine Theorie dazu, die ich in vier Wochen hier in der Physikalischen Gesellschaft vortragen werde.” Das ge- schah am 14. Dezember 1900. Auf dieser historischen Sitzung hielt Planck zwei Referate. Zuerst sprach er ,,Uber das Wien- sche Paradoxon” und dann ,,Zur Theorie des Gesetzes der Ener- gieverteilung im Normalspektrum”. Diesen zweiten Vortrag Heinrich Rubens (1865 - 1922) war zwisehen 1908 und 1914 insgesamt betrachten wir heute als den ,,Geburtstag der Quantentheorie”. vier Jahre DPG-Vorsitzender. Um eine nun schon sechs Jahre wahrende Arbeit endlich ab- schlieaen zu konnen, machte Planck dabei zum ersten Ma1 von einem Quantenansatz Gebrauch. Er schrieb fur die Energiestu- Bernhard Schwalbe den Nachruf auf Gustav Karsten und wur- fen des linearen Oszillators digte dabei alle sechs Manner, ,,die im AnschluB an das Kollo- ~=h.v. quium von Gustav Magnus am 14. Januar 1845 die Konstitu- ierung der Berliner Physikalischen Gesellschaft beschlossen” Planck hat spater von einem ,,Akt der Verzweiflung” und einem hatten. ,,Opfer” an seinen bisherigen physikalischen Uberzeugungen Vie1 diskutiert bei den Sitzungen wurde damals uber die gesprochen. Das darf nicht auf die Quantensprunge bezogen Eigenschaften der Warmestrahlung. An den lebhaften Ge- werden. Diese Konsequenz war damals noch nicht absehbar. sprachen beteiligten sich neben Max Planck vor allem Otto Das Opfer, das Planck wissentlich an seinen Uberzeugungen Lummer, Ernst Pringsheim, Eugen Jahnke, Max Thiesen, Ferdi- gebracht hat, bestand im Verzicht auf die ihm lieb gewordene nand Kurlbaum und Heinrich Rubens. Sie alle beschaftigten axiomatische Auffassung der Thermodynamik und der Annah- sich mit einschlagigen Experimenten, wahrend sich Planck in me der statistischen Interpretation nach dem Vorbilde Ludwig der ihm eigenen methodischen Weise um die Theorie bemuhte. Boltzmanns. Diese Interpretation hatte er noch vor kurzem hef- Ein wesentliches Ergebnis hatte er bereits im Fruhjahr 1899 tig bekampft. erzielt. Noch in der Meinung, das Wiensche Strahlungsgesetz Die Bedeutung Plancks fur die Begriindung der Quantentheo-

F-63 Q$+, Sitzung der hysi alischen Gesellschaft vom & 4Pb

Am 14. Dezember 1900 trug Planck die Herleitung seines Strahlungsgesetztes den Berliner Kollegen vor. ,,Kurz zusammen- gefant kann ich die ganze Tat als einen Akt der Verzweiflung bezeichnen”, erlauterte er spater: ,,Denn von Natur bin ich friedlich und bedenklichen Abenteuern abgeneigt.” Die Abbildung zeigt die betreffende Seite des Proto- kollbuches der Deutschen Pbysi- kalischen Gesellscbaft. rie liegt neben der Formulierung der ersten Quantengleichung der Radioaktivitat, und ich habe den Eindruck gewonnen, daB vor allem darin, daB er von der Realitat der Naturkonstanten h wir in Deutschland gerade auf diesem Gebiet etwas zuriickge- iiberzeugt war. Wahrend James Jeans und Hendrik Antoon blieben sind. Ich werde sehen, dalj wir auch bei uns dies Lorentz das h als Fiktion abtun wollten, hielt Planck an der Arbeitsgebiet mehr pflegen.” (auch ihm unverstandlichen) Formel E = h v fest. Aus der radioaktiven Forschung entwickelte sich die Kern- Erstaunlich wenig wurde in der Physikalischen Gesellschaft physik, und seinen Riickstand hat Deutschland trotz aller An- iiber Fragen der Atomphysik und Radioaktivitat verhandelt. Bei strengungen nicht mehr aufgeholt. Dafiir wurden die Deutschen der Naturforscherversammlung 1899 in Miinchen sprach Hans fiihrend in der theoretischen Physik. Und diese spielte die ent- Geitel ,,Uber Radium und Polonium”. Bei der Sitzung am 5. scheidende Rolle beim Ubergang von der klassischen Physik zur Januar 1900 hielt Julius Elster ,,einen langeren, von vielen modernen Physik des 20. Jahrhunderts. Eingeleitet wurde die Demonstrationen begleiteten Vortrag iiber Becquerel-Strahlen” Wende 1905. Dieses Jahr ist als ,,annus mirabilis” in die Ge- und berichtete dabei auch ,,iiber die neueren Arbeiten des Herrn schichte eingegangen, und datierte auf 1905 Friedrich Giesel iiber Radium-Barium-Salze und deren Strah- den Beginn des ,,goldenen Zeitalters der deutschen Physik”. len”. Erst einmal feierte die Physikalische Gesellschaft am 7. Janu- ar ihr 60jahriges Jubilaum. Im Horsaal des Berliner Physikali- Auf der Sitzung am 19. Januar 1900, die ausnahmsweise schen Instituts wurde eine lange Reihe von Demonstrationen nicht in Drudes Physikalischem Institut an der Universitat geboten, so von Heinrich Rubens iiber ,,Stehende Schallwellen”, stattfand, sondern in der Technischen Hochschule Charlot- von Eugen Goldstein iiber ,,Phosphoreszenz anorganischer Pra- tenburg, demonstrierte Heinrich Rubens die Einrichtungen parate” und von Hermann Starke iiber ,,Kondensatorschwingun- seines neuen Horsaales. Darunter war ein gemeinsam mit gen mit dem Summer”. Nach der Festsitzung gingen die Vor- seinem Assistenten Emil Aschkinass ausgearbeiteter Vor- fiihrungen in den verschiedenen Raumen des Instituts weiter. lesungsversuch iiber die magnetische Ablenkkbarkeit der In der Berliner Physik gab es in diesem Jahr ein groBes Revi- Becquerelstrahlen. Am 1. Februar 1901 demonstrierte rement. Wir zitieren die Schilderung Plancks aus einem Privat- Adolf Miethe Versuche mit radioaktiver Substanz und brief wurde auf dieser Sitzung als neues Mitglied aufgenom- men. [2] Friedrich Kohlrausch hat seine Stelle als Prasident der Reichsanstalt niedergelegt und ist nach Marburg gezogen Als Wilhelm Wien im Jahre 1904 an der Tagung der ,,British (obwohl seine 65 Jahre gar kein Alter sind). Sein Nachfol- Association for the Advancement of Science” in Cambridge teil- ger ist Emil Warburg geworden, und fur diesen ist Paul nahm, nutzte er die Gelegenheit, sich das Laboratorium von Drude zum Direktor des Physikalischen Instituts der Uni- Joseph John Thomson genau anzusehen. ,,Man ist dort sehr versitat ernannt. Ich bin erfreut iiber den Gewinn dieser tatig”, berichtete er, ,,namentlich in den neuen Erscheinungen frischen und anregenden Personlichkeit. [3]

F-64 Am 5. Mai wurde Max Planck zum neuen Vorsitzenden der Gasen” publiziert und erstattete jetzt ein Uberblicksreferat zum Gesellschaft gewahlt. Neben der personlichen Anerkennung Thema. ,,Ich sol1 meine Sache sehr gut gelost haben”, heifit es kam darin auch die Anerkennung seines Faches, der theoreti- in seinen Lebenserinnerungen. schen Physik, zum Ausdruck. In seinen ersten Berliner Jahren Am 9. Dezember wurden in Gottingen mit einem groljen hatten ihn seine Kollegen als ,,Physiker sui generis”, wie er Festakt und Reden der Institutsdirektoren Eduard Riecke, Wol- berichtete, ,,eigentlich fur ziemlich uberflussig” gehalten. demar Voigt und Hermann Th. Simon die physikalischen Neu- Im September fand in Meran die grolje Versammlung der bauten eingeweiht. Die wissenschaftliche Arbeit hatte schon ein Deutschen Naturforscher und Arzte statt, an der sich auch die paar Monate zuvor begonnen, und im neuen Physikalischen Physiker rege beteiligten. In der ,,Allgemeinen Versammlung” Institut war dem Assistenten und Privatdozenten zur Eroffnung der Tagung hielt Wilhelm Wien einen groljen die erste grolje Entdeckung gelungen. Die zur Feier angereisten Vortrag ,,Uber Elektronen”, in dem er auch auf die Vorstellun- Physiker konnten in seinem Arbeitszimmer den optischen Dopp- gen einging, die sich die Physiker von den Atomen machten: lereffekt an einer Wasserstoff-Kanalstrahlenrohre durch einen Geradsichtspektrographen mit eigenen Augen beobachten. Stark Am einfachsten ware es, wenn man jedes Atom als ein erinnerte sich noch am Lebensende an die Wilhelm Wien in das Planetensystem auffassen konnte, das aus einem positiv Gesicht geschriebenen Verwundemng, ,,daB er nicht selber an geladenen Zentrum besteht, um welches die negativen einen so einfachen Versuch bei seinen nun doch schon einige Elektronen wie Planeten kreisen. Ein solches System Jahre dauernden Arbeiten an Kanalstrahlen gedacht hatte”. konnte aber wegen der von den Elektronen ausgestrahlten Der Nobelpreis fur Physik fie1 1905 zum zweiten Ma1 an Energie nicht unveranderlich sein. Man ist daher gezwun- einen deutschen Forscher. 1901 war die hohe Auszeichnung zum gen, zu einem System zuriickzukehren, in welchem die ersten Male verliehen worden, und Wilhelm Conrad Rontgen Elektronen sich in relativer Ruhe ... befinden, eine Vor- hatte die goldene Medaille und den Scheck fur die Entdeckung stellung, die vieles Bedenkliche enthalt. [4] der nach ihm benannten Strahlen in Stockholm entgegengenom- men. Jetzt wurde Philipp Lenard fur seine Arbeiten uber Katho- Aus Paris war Henri Becquerel angereist, der uber die ,,Pro- denstrahlen ausgezeichnet. Nach zwei schweren Operationen am priCtCs des rayons du radium” vortrug. Johannes Stark hatte Hals war Lenard noch sehr geschwacht, die Reise nach Stock- zwei Jahre zuvor eine Monographie uber ,,Die Elektrizitat in holm konnte er erst verspatet im Mai 1906 antreten.

89 1 ANNALEN DER 3. Zur ElekWodynam6k bewegter K6cver; von A. E6nete6lz.

~~ PHYSIK. DaB die Elektrodynamik Maxwells - wie dieselbe gegen- wiirtig aufgefaBt zu werden p5egt - in ihrer Anwenduug auf ButRUnulrT OND MRTOIFtlMRT DORCa bewegte K6rper zn Asymmetrien fUhrt, welcbe den Philnomenen P. A. C. 888, L. W. BILBEBT, J. C. POBBEMHRFT, 6. rmn E. WlEDElAlN. uicht anzuhaften scheinen, ist bekannt. Man denke z. B. an die elektrodynamische Wechselwirkung zwischen einem Mag- VIERTE FOLGE. neten und einem Leiter. DEE beobachtbare Phiinomen hiugt hier nur ab von der Relativbewegung von Leiter und Magnet, BAND 17. wahrend nach der ublichen Auffassung die beiden Fiille, da6 ~U&BL( RBIH~3za. BAND. der eine oder der andere dieser K6rper der bewegte sei, streng voneinander zu trennen sind. Bewegt sich niimlich der Magnet KURATORIUM : und ruht der Leiter, so entsteht in der Umgebung des Magneten F. KOHLFLAUSCH, M. PLANCK, G. QUINCKE, W. C. RbNTGEN, E. WAREURG. eiu elektrisches Feld von gewissem Energiewerte, welches an den Orten, wo sich Teile des Leiters befinden, einen Strom UNTEB MITWIBKVNG erzeugt. Ruht aber der Magnet und bewegt sich der Leiter, DEE DEUTBCHEN PHYSIKALISCHEN GEBELLSCEAFI so entsteht in der Umgebuug des Magneten kein elektrisches

“NU ,NS”~ND~nX“ON Feld, dagegen im Leiter eine elektromotorische Kraft, welcher I& PLANCK an sich keine Energie entapricht, die aber - Qleicbheit der Relativbewegung bei den beiden ins Auge gefdten Fiillen Y.OI.”BUEBSBWI “OR vorausgesetzt - zu elektrischen Str6men von derselben Qr6Be und demselben Verlaufe Veranlassnng gibt, wie im ersten Falle PAUL DRUDE. die elektrischen Kriifte. Beispiele iihnlicher Art, sowie die miBlungenen Versuche, MIT FUNF FIGURENTAFELN eine Bewegnng der Erde relativ zum ,,Lichtmedium“ zn kon- statiereu, fiihren zu der Vermutung, daB dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechauik, sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen ent sprechen, sondern daB vielmehr fur alle Koordinatensysteme, fur welche die mechanischen Qleichungen gelten, auch die gleichen elektrodynamischen und optischen Qesetze gelten, wie dies fiir die Qr6Ben erster Ordnung bereita erwiesen ist. Wir wollen diese Vermutung (deren Inhalt im folgenden ,,Prinzip LEIPZIB, 1905. der Relativitilt“ geuannt werden wird) zur Voraussetzung er- VEBLAG VON JOHANN AMBEOSIUS BUT& heben und auBerdem die mit ihm nur scheinbar unvertriigliche

Der beriihmte Band 17 der ,,Annalen” aus dem Jahr 1905 und die erste Seite der Relativititsarbeit von Albert Einstein.

F-65 Als epochemachend in die Geschichte eingegangen ist aber Es war also wohl die Entscheidung Drudes, die drei revolu- das Jahr 1905 durch drei Veroffentlichungen eines AuBenseiters tioniiren Abhandlungen Einsteins in die Annalen aufzunehmen. im Band 17 der Annalen der Physik (,,Vierte Folge. Der ganzen Allenfalls sind die Manuskripte vor dem Druck noch Max Reihe 322. Band’). Fur ein Exemplar werden heute im Antiqua- Planck gezeigt worden. Sonst hatte niemand damit zu tun. riatshandel mehrere tausend Mark bezahlt. Albert Einstein, 26 In ihrem Buch uber ,,Das tragische Leben der Mileva Ein- Jahre alt und ,,Technischer Experte” am Schweizer Patentamt in stein-Maric” behauptete die (inzwischen verstorbene) serbische Bern, leitete die Wende zur neuen Physik ein. Autorin Desanka Trbuhovic-Gjuric, Einsteins erste Frau Mileva Die erste Arbeit mit dem Eingangsvermerk vom 18. Marz sei Mitverfasserin der drei Arbeiten, und die Manuskripte hatten und dem Titel ,,Uber einen die Erzeugung und Verwandlung des vor dem Druck den Verfassernamen ,,Einstein-Maric” getragen. Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt” enthielt die Als Beweis fuhrte sie an, der russische Physiker Abraham Joffe, Lichtquantenhypothese. Die zweite, am 11. Mai bei den Anna- damals Assistent Rontgens, habe die Arbeiten im Munchener len eingegangene Abhandlung brachte einen Beweis fur die ato- Institut gesehen. mistische Konstitution der Materie. Mit der dritten Arbeit ,,Zur Anders als Frau Trbuhovic uns glauben machen will, ist Elektrodynamik bewegter Korper” (eingegangen am 30. Juni) Rontgen mit dem gesamten Kuratorium jedoch nur in ganz begrundete Einstein die Spezielle Relativitatstheorie. Wenige besonderen Ausnahmefallen rnit Annalen-Angelegenheiten Monate spater zog er die Konsequenz auf die Tragheit der Ener- befaljt gewesen, etwa wenn es um einen Wechsel in der Redak- gie oder, wie wir heute sagen, die Aquivalenz von Masse und tion ging. Ausdrucklich war von der DPG festgelegt worden, Energie. Die Arbeit umfaBt gerade drei Druckseiten und erschi- daB ,,die Aufnahme oder Nichtaufnahme oder auch Kurzung en im Band 18 der Annalen mit dem Eingangsvermerk vom 27. von Abhandlungen” nicht in die Kompetenz des Kuratoriums September 1905. fallen. Die Entscheidung uber die eingereichten Manuskripte hat Als erster war Paul Drude als Herausgeber der Annalen rnit sich Paul Drude nicht aus der Hand nehmen lassen. den Abhandlungen Einsteins befaljt. Drude wirkte Anfang des Wir wissen deshalb so gut Bescheid, weil Paul Drude am 5. Jahres 1905 noch in GieBen, seit April als Direktor des Physika- Juli 1906, ein Jahr und drei Monate nach seinem Amtsantritt in lischen Instituts der Universitat Berlin. Kollegen ruhmten sein Berlin, Selbstmord beging, was in der Community wie ein ,,gesteigertes Verantwortlichkeitsgefuhl”. Als abschreckendes Schock wirkte. Seine zahlreichen Amter muBten neu besetzt Beispiel stand ihm Johann Christian Poggendorff vor Augen, werden, wozu viele Erorterungen notig waren, mundliche und der 1841 den ersten Aufsatz von Julius Robert Mayer mit den schriftliche. Ein Teil der Korrespondenz hat sich bis heute Grundgedanken zum Energieprinzip als ,,unphysikalische Spe- erhalten. kulation” nicht veroffentlicht hatte. Daraus war der Physik ein Die marjgebende Rolle bei der Neustrukturierung spielte Max groBer Prestigeverlust entstanden. Planck. Den Vorsitz in der DPG ubernahm er nach der Sommer- Auf dem Titelblatt der Annalen war Max Planck als ,,Mitwir- pause selbst. Auf Platz 1 der Berufungsliste kam Wilhelm Wien, kender” verzeichnet. Dezidiert hat Planck zum Ausdruck und Planck suchte den Wurzburger Kollegen auch als Nachfol- gebracht, daB er ,,vie1 mehr den Vorwurf der Unterdruckung ger Drudes als Annalenherausgeber zu gewinnen. fremder Meinungen” scheue ,,ah den zu groBer Milde”. Ob Erst 30 Jahre zuvor war in der Reichshauptstadt fur Hermann Planck in diesem Fall tatsachlich die Gelegenheit erhielt, sich von Helmholtz das groljte Physikalische Institut Deutschlands fur die Annahme auszusprechen, wissen wir nicht. Wahrschein- errichtet worden. Bei der Besichtigung fand es Wilhelm Wien licher ist, dalj Drude allein entschieden hat. Aber gewilj kannte 1906 in vie1 schlechterem Zustand, als er erwartet hatte. Der Drude die Einstellung seines Kollegen, und sie wird ihn in posi- Horsaal war ,,ganz besonders durftig eingerichtet”, und das Pri- tivem Sinne beeinflufit haben. vatlaboratorium des Direktors ,,eigentlich ganz unbrauchbar”. Es gibt zwei Indizien, daB die Entscheidung allein von Drude Wien lehnte schlieBlich den Ruf ab, ubernahm jedoch die Anna- getroffen worden ist. Erstens war der junge Einstein fur Drude lenredaktion. Damit lnderte sich auch die Stellung Plancks bei bereits ein Begriff, wenn er ihn auch nicht personlich kannte. den Annalen. Zur Zeit Drudes hatte er sich ,,nur als gelegentli- 1901 hatte Einstein ihm brieflich zwei Einwande gegen seine chen Mitwirkenden bei der Redaktion” bezeichnet. Jetzt wurde Elektronentheorie vorgetragen und damit bedenklich in die Enge er Mitherausgeber. Im Zusammenhang rnit diesem Revirement getrieben. In den Annalen waren auch schon funf Abhandlungen legte Planck seinem Kollegen Wien genau dar, wie Paul Drude aus der Feder Einsteins erschienen, und Walter Konig, der mit den eingereichten Manuskripten verfahren war. Redakteur der Beiblatter zu den Annalen der Physik, hatte ihn Wenn auch die Einsteinschen Arbeiten vor der Veroffentli- um seine Mitarbeit gebeten. chung Planck wahrscheinlich nicht vorgelegen hatten, ist er Zweitens hat Drude in den weitaus meisten Fallen selbstan- doch der erste gewesen, der sie grundlich studierte. Wie hat er dig entschieden. Planck hat, seiner eigenen Aussage zu Folge, auf die neuen Einsichten reagiert? Man konnte denken, dalj er ,,immer nur gelegentlich Manuskripte zur Begutachtung” erhal- die Lichtquanten-Hypothese begruBt hat, rnit der Einstein seine ten: - nun funf Jahre zuruckliegenden - Untersuchungen uber die Warmestrahlung aufnahm und fortfuhrte. Skepsis mochte er Die Zahl der [von Drude] zuruckgewiesenen Arbeiten gegen die Spezielle Relativitatstheorie empfinden, denn mit die- kann ich nicht genau angeben, da ich, wie gesagt, immer sem Problemkreis hatte er sich noch nicht beschaftigt. In Wahr- nur gelegentlich Manuskripte zur Begutachtung erhielt heit verhielt es sich gerade umgekehrt, und wir wissen auch, und Drude viele ohne weiteres zuruckgewiesen hat. Doch warum. schlielje ich nach gelegentlichen mundlichen Auaerungen, Planck gehorte zu den Konservativen im Lande, und diese daR von allen eingesandten Manuskripten etwa 5 - 10 % Lebenseinstellung machte sich in der Politik und in der Wissen- (jedenfalls nicht mehr) irgend eine Beanstandung erfah- schaft geltend. Den Wilheminischen Staat wie die elektroma- ren. [5] gnetische Wellentheorie des Lichtes betrachtete er als ehrwurdi-

F-66 ge und ,,nachgerade sehr stark fundierte Gebaude”. Gegen die Michele Besso, daB er von Berlin nicht weggehen konne. Zu Einsteinsche Korpuskulartheorie des Lichtes schien ihm ,,die seinen Kollegen hatten sich die schonsten Beziehungen heraus- grol3te Vorsicht geboten”, was mit anderen Worten hie& daB er gebildet und auljerdem seien seine Arbeiten ,,erst durch das sie fur falsch hielt. Als Planck 1913 in seinem Gutachten fur die Verstandnis, das sie hier gefunden haben, zur Wirkung gelangt.” Preuljische Akademie Einsteins Verdienste ruhmte, veranlaBte Im Miirz oder April 1906 schrieb Planck seinen ersten Brief ihn sein wissenschaftliches Gewissen, die Lichtquantenhypothe- an Einstein. Seit Monaten hatte dieser ungeduldig auf eine se eine ,,Spekulation” zu nennen, mit der Einstein uber das Ziel Reaktion gewartet. Das Interesse Plancks bedeutete ihm, wie hinausgeschossen habe. Einsteins Schwester berichtet hat, ,,in moralischer Beziehung Von der Speziellen Relativitatstheorie aber war Planck elek- unendlich viel”. trisiert. Zu verstehen ist das aus seiner wissenschaftlichen Welt- Am 23. Marz 1906 hielt Planck seinen ersten einschlagigen anschauung. Als die schonste Forschungsaufgabe galt ihm die Vortrag vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Die Sit- Suche nach dem ,,Absoluten”. Nun verlieren in der Relativitats- zung wurde von Planck selbst geleitet und nach Referaten uber theorie Raum und Zeit ihren absoluten Charakter, wohingegen ,,Das Eis der Polargebiete” und ,,Die Bestimmung der periodi- die Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante und damit ,,absolu- schen Fehler von Mikrometerschrauben” sprach er uber ,,Das te Gegebenheit” ganz in den Mittelpunkt riickt. Prinzip der Relativitat und die Grundgleichungen der Mecha-

Physik-Dozenten an der Techni- schen Hochschule Danzig. Auf- nahme aus dem Jahr 1905. Von links nach rechts: Max Wien, Bruno Strasser und Jonathan Zenneck.

Die fur Planck entscheidende Frage: Behalt die von ihm ent- nik”. Eindringlich machte er den Kollegen klar: Eine neue und deckte und fur die Eigenschaften der Warmestrahlung mal3ge- bedeutende Theorie war aufgetaucht, und nun muljte diese bende GroBe h ihren Charakter als Naturkonstante? Jnteressant Theorie zum Gegenstand weiterer Untersuchungen gemacht war mir,” erlauterte Planck damals seinem Kollegen und Freund werden: Carl Runge, ,,daB diese Naturkonstante auch dann invariant bleibt, wenn man, gemalj dem Relativitatsprinzip, von einem Ein physikalischer Gedanke von der Einfachheit und All- vorhandenen Koordinatensystem auf ein bewegtes ubergeht, gemeinheit wie der in dem Relativitatsprinzipe enthaltene, wobei doch fast alle ubrigen GroBen wie Raum, Zeit, Energie, verdient es, auf mehr als eine einzige Art gepruft, und, sich andern. Dieser Umstand ist es gerade, der mich zur naheren wenn er unrichtig ist, ad absurdum gefuhrt zu werden; und Besch8tigung mit dem Relativitatsprinzip antrieb.” Seine Auf- das kann auf keine bessere Weise geschehen, als durch fassung, dalj die Naturkonstanten in der Physik eine zentrale Aufsuchung der Konsequenzen, zu denen er fuhrt. [6] Rolle spielen, hatte damit die entscheidende Bewahrungsprobe bestanden. Planck machte selbst den Anfang mit der Uberprufung. Der Charles Percy Snow und Robert Jungk haben behauptet, es damals in Gottingen wirkende Walther Kaufmann wollte aus seien ,,polnische Physiker der Universitat Krakau” gewesen, seinen Experimenten eine Widerlegung der Speziellen Relati- ,,die als erste die fundamentale Bedeutung der Arbeiten des bis vitatstheorie herauslesen. Es geht dabei um die Ablenkung von dahin fast Unbekannten begriffen” und ihn ,,ah einen neuen schnellen Elektronen in elektrischen und magnetischen Feldern. Kopernikus” gepriesen hatten. Die deutschen Gelehrten waren Planck nahm sich die Zeit, die Versuchsbedingungen genau zu erst viele Jahre spater soweit gewesen. analysieren und konnte nachweisen, dal3 Kaufmann unzulassige Das stimmt nicht. Es war Max Planck, der als erster die Vereinfachungen gemacht hatte. Relativitatstheorie verstanden und ihre Begrundung eine Der wichtigste wissenschaftliche Kongrelj war damals die ,,kopernikanische Tat” genannt hat. Einstein war sich dessen Jahresversammlung der deutschen Naturforscher und hzte. Im auch stets bewuRt. Als ihm im August 1918 eine Doppelprofes- September 1906 tagte die Gesellschaft in Stuttgart, und hier sur in Zurich angeboten wurde, schrieb er an seinen Freund hielt Max Planck in der unter Verantwortung der DPG organi-

F-67 sierten Sektion Physik einen Vortrag uber die Kaufmannschen berichtete ,,Uber Schwankungen der radioaktiven Umwandlung Ablenkungsversuche: Sie durfen nicht, wie er betonte, als und eine neue Methode zur Bestimmung des elektrischen Ele- Widerlegung der Relativitatstheorie interpretiert werden. mentarquantums”. Zum Jahresende 1907 hatte die DPG unter In der Diskussion griff auch der soeben auf den Lehrstuhl fur ihren 552 Mitgliedern 442 Herren, 7 Institute und 3 Damen (Frl. theoretische Physik an der Universitat Miinchen berufene Louise Friedburg, Frl. Lise Meitner und Frl. Gerta v. Ubisch). Arnold Sommerfeld ein. Noch war er ein Gegner der neuen Bei den Vorstandswahlen am 1. Mai 1908 lieB sich Heinrich Theorie. Zwei Monate spater aber schrieb er an Wilhelm Wien Rubens vom Vorsitzenden Max Planck ,,glucklich uberreden, nach Wurzburg: ,,Ich habe jetzt Einstein studiert, der mir sehr den Vorsitz zu iibernehmen”. Rubens hatte zehn Jahre als aka- imponiert.” demischer Lehrer an der Technischen Hochschule Charlotten- Im Jahr darauf, bei der Versammlung der Naturforscher und burg gewirkt, bis er 1906 als Nachfolger Drudes das Ordinariat Arzte in Dresden, hielt Sommerfeld einen kleinen Vortrag uber an der Universitat ubernahm. Auch Heinrich Rubens war es die Relativitatstheorie, und zwar iiber einen von Wilhelm Wien nicht gelungen, bei der Staatsverwaltung einen Neubau durchzu-

Lise Meitner und Otto Hahn in der Holzwerkstatt des Physikali- schen Instituts 1908. stammenden Einwand: Unter Umstanden konnten doch, meinte setzen. So blieb das alte Institut bis 1945 die Heimat der Berli- Wien, Uberlichtgeschwindigkeiten auftreten. Solche aber darf es ner Physiker. Die letzte Veranstaltung, die der groRe Physikali- nach der Einsteinschen Theorie nicht geben. Sommerfeld wies sche Horsaal vor der Zerstorung erlebte, war die Hundert-Jahr- nun nach, dal3 sich tatsachlich ein Signal hochstens mit Lichtge- Feier der DPG. schwindigkeit bewegen kann. Wilhelm Wien muljte sich - halb Neben dem 14taglichen Kolloquium der DPG gab es noch unwillig - ,,der Macht seiner mathematischen Analyse beugen”. jeden Mittwoch von 17.30 bis 19.00 Uhr das bald sogenannte In diesem Jahr 1907 kam Lise Meitner als bereits promovier- ,,Rubens-Kolloquium”. Als Johannes Stark wieder einmal in te Physikerin nach Berlin. Als sie sich Max Planck vorstellte, Berlin vortragen wollte, empfahl ihm Rubens die Physikalische fragte dieser, was sie denn an der Universitat noch wolle: Gesellschaft, setzte aber hinzu: ,,Solken Sie uns vorher im Kol- loquium die Ehre erweisen, so ist uns das natiirlich sehr lieb; Als ich ihm antwortete, dalj ich ein wirkliches Verstandnis aber der Kreis ist doch ein vie1 beschrankterer ... Wenn Sie von der Physik gewinnen mochte, sagte er nur ein paar kommen, werde ich alles ubrige von der Sitzung absetzen.” freundliche Worte und ging nicht weiter auf die Sache ein. Nach der Erinnerung von Hartmut Kallmann, eines Planck- Naturlich schloB ich daraus, daB er keine sehr hohe Mei- Schiilers, nahmen noch Jahre spater regelmaig nur etwa zwan- nung von Studentinnen haben konnte. [7] zig Personen daran teil. Wie in der Physikalischen Gesellschaft versaumte Planck kaum je eine Sitzung. Lise Meitner hat ganz richtig empfunden. Wir wissen aus einer Sehr ernst nahm Planck auch seine Pflichten bei den Anna- Umfrage, daB Max Planck auch beziiglich des Frauenstudiums len. Ausfiihrlich korrespondierte er mit Wilhelm Wien, und die zu den Konservativen gehorte und dezidiert der Meinung war: beiden Herausgeber erzielten uber alle Fragen rasch vollige ,,Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig.” Ubereinstimmung. Im GrorJen und Ganzen sollten ,,die Ver- Auf Vorschlag von Erich Ladenburg wurde Lise Meitner auf handlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mehr fur der Sitzung vom 13. Dezember 1907 als Mitglied in die DPG vorlaufige schnell zu publizierende Mitteilungen, die Annalen aufgenommen. An diesem unter der Leitung von Max Planck mehr fur abgeschlossene Arbeiten bestimmt” sein. Dieses Prin- stehenden Vortragsabend trug Emil Warburg einige ,,Bemerkun- zip konne freilich nicht den Sinn haben, so Planck, ,,den Redak- gen iiber photochemische Wirkung” vor und Erich Regener teur in allen Einzelfallen zu binden”:

F-68 Denn hoher als jenes Prinzip steht das andere, die Annalen machen, verwendete Minkowski einen genialen Kunstgriff. mit den wertvollsten Erzeugnissen der physikalischen Neben den drei Raumkoordinaten x,, x,, x3 fiihrte er als vierte Wissenschaft auszustatten. Der Redakteur mu8 sich in Koordinate x4 = ict ein, wobei i die imaginiire Einheit i = 4-1, jedem Falle freie Hand wahren in Bezug auf Annahme t die Zeit, c die Lichtgeschwindigkeit bedeuten. Das ist die vier- oder Ablehnung, und daher bin ich auch stets dafur gewe- dimensionale Raum-Zeit-Welt. Der Ubergang von einem Beob- sen, dal3 er mit Angabe von Griinden den Autoren gegenu- achter zu einem anderen, den Einstein physikalisch analysiert ber (bei der Ablehnung) moglichst sparsam verfart, eben hatte, laBt sich dann mathematisch darstellen als Drehung der um sich nicht offiziell auf eine bestimmte Regel zu ver- vierdimensionalen Welt. ,,Von Stund an”, sagte Hermann Min- pflichten. [8] kowski, ,,sollen Raum fur sich und Zeit fur sich vollig zu Schat- ten herabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden sol1 Als Wilhelm Wien prinzipielle Bedenken hatte, eine Arbeit von Selbstandigkeit bewahren.” Ernst Gehrcke und Otto Reichenheim anzunehmen, betonte Mathematisch geschulten Physikern wie Arnold Sommerfeld Planck, ,,daB die Mitarbeit der Reichsanstalt an den Annalen fie1 es wie Schuppen von den Augen. Besonders energisch setz- eines ihrer wertvollsten Guter ist, welches auf keinen Fall einem te sich Planck fur die neue Theorie ein. Im April und Mai 1909 formalen Grundsatz zum Opfer gebracht werden darf. Beweis hielt er an der Columbia University in New York acht Vorlesun- dafur ist die Fulle wertvollster Annalenaufsatze, die aus der gen uber den Stand der theoretischen Physik. Reichsanstalt stammen.” Die Vereinigten Staaten holten gewaltig auf in der Wissen- Als es ein andermal zahlreiche Proteste von Lesern gegen schaft, aber noch immer kamen die groBen Ideen aus Europa. eine Arbeit von Johannes Stark gab, meinte Planck weise: ,,Was Planck machte, wie er seinem Schuler Laue auf einer Postkarte schadet’s denn auch, wenn einmal ein Unsinn abgedruckt schrieb, ,,Propaganda fur das Relativitatsprinzip”. Das Thema wird?’ Bei einer Ablehnung hatte Stark ,,sicher einen Hollen- hatte er sich als Hohepunkt fur den letzten Vortrag in New York Iarm geschlagen”, und die Folgen waren sehr unerquicklich vorbehalten, und rnit allem Nachdruck betonte er, ,,daB diese geworden: ,,Garantieren konnen doch die Redakteure nicht fur neue Auffassung des Zeitbegriffs an die Abstraktionsfahigkeit den Inhalt.” Ein anderes Ma1 lief ein Manuskript bei Planck ein, und an die Einbildungskraft des Physikers die allerhochsten das lediglich ,,transZendental-philosophischesGeschwatz” ent- Anforderungen stellt”. Sie ubertreffe ,,an Kuhnheit wohl alles, hielt, und das er sofort retournierte. Bei einem Manuskript uber was bisher in der spekulativen Naturforschung, ja in der philo- reversible Kreisprozesse schlug Planck vor, ,,den Verfasser an sophischen Erkenntnistheorie geleistet wurde; die nichteuklidi- eine Zeitschrift fur physikalischen Unterricht zu verweisen”. Als sche Geometrie ist Kinderspiel dagegen”: Beispiel fur die Durchrechnung von Ubungsaufgaben sei ,,der Aufsatz immerhin verwertbar”. Mit der durch dies Prinzip im Bereich der physikalischen Auch uber das quantentheoretische Atommodell von Arthur Weltanschauung hervorgerufenen Umwalzung ist an Aus- Schidlof war Planck nicht glucklich. Schidlof nahm an, daB die dehnung und Tiefe wohl nur die durch die Einfuhrung des Absorption von Strahlungsenergie immer rnit der Abgabe eines Copernikanischen Weltsystems bedingte zu vergleichen. Elektrons verbunden sei und umgekehrt die Emission von Strah- [lo1 lung rnit der Aufnahme eines fremden Elektrons. In diesem Falle hielt es Planck aber doch fur denkbar, ,,daB in den Obwohl der Name ,,Einstein” langsam zu einem Begriff wurde, Betrachtungen der Ansatz zu etwas Brauchbarem steckt”: kannten ihn nur einige jungere Physiker personlich. An einer Tagung hatte er noch nicht teilgenommen. Urspriinglich wollte Es wiixe fur die Annalenredaktion nicht angenehm, wenn er zur Naturforscherversammlung nach Koln kommen. Er muBte es spater vielleicht heiBen sollte, sie habe gute Ideen aber den Vorsatz aufgeben, weil er uberarbeitet war. Noch zuriickgewiesen. Die ganze Sache ist eben noch so dunkel, immer war die Physik fur ihn nur ein Hobby neben seiner dal3 auch Seitenspriinge noch erlaubt erscheinen. [9] ,,Brotarbeit” am Patentamt. Die kurzen Ferien brauchte er zur Erholung. GroBe Bedeutung fur die Entwicklung der Physik, insbesondere Immer mehr Kollegen schrieben Einstein und stellten Fragen; fur die Anerkennung der Speziellen Relativitatstheorie und des die Herausgeber der Zeitschriften baten um Beitrage. Auch die Quantenkonzeptes, hatten die Versammlungen der Deutschen Verlage wurden aufmerksam. Ende des Jahres 1908 kam eine Naturforscher und Arzte 1908 in Koln und 1909 in Salzburg. Anfrage von Hirzel in Leipzig. ,,Leider ist es mir ganz unmog- Das wichtigste Ereignis in Koln war der Vortrag des Gottinger lich, jenes Buch zu verfassen”, antwortete Einstein, ,,weil es mir Mathematikers Hermann Minkowski am 21. September 1908 unmoglich ist, die Zeit dazu zu finden.” Mehrere begonnene uber ,,Raum und Zeit”. Arbeiten habe er aus Zeitmangel nicht abschlieBen konnen. Felix Klein, der groBe Gottinger Mathematiker und Wissen- Auch einen entsprechenden Wunsch des Verlages Friedrich Vie- schaftsorganisator, hatte bereits 1872 in seinem beruhmten weg in Braunschweig muate er ablehnen. So wurde Max Laue ,,Erlanger Programm” die verschiedenen Geometrien nach den der Autor der ersten Monographie uber die Relativitatstheorie. zugrundeliegenden Transformationsgruppen charakterisiert. Der erste KongreB, den Einstein besuchte, war die Versamm- Diese Betrachtung lie13 sich auch auf die Physik ubertragen. lung der Deutschen Naturforscher und Arzte in Salzburg vom Dabei sieht man, dal3 die klassische Mechanik und die Maxwell- 20. - 24. September 1909. Nach dem BegriiBungsabend im Kur- sche Elektrodynamik unterschiedliche Transformationseigen- haus trafen sich die 1500 Tagungsteilnehmer zur Eroffnung in schaften besitzen. Physikalisch muB das zu Widerspruchen der Aula des Studiengebaudes. Eine GruBadresse folgte der fuhren. Dagegen passen die neue Einsteinsche Mechanik und anderen, bis endlich der Vorsitzende der Gesellschaft, der Berli- die Elektrodynamik genau zusammen. ner Physiologe Max Rubner, zu seiner Ansprache kam. ,,Die Um die Verhaltnisse mathematisch ganz durchsichtig zu Ergebnisse der Naturforschung sind ein Samen”, sagte er, ,,der,

F-69 hinausgetragen ins praktische Leben, tausendfaltige Fruchte fur erster Max Planck das Wort. Seine Hochachtung fur den jungen den Fortschritt des Menschengeschlechtes zu bringen berufen Einstein war offensichtlich, jedoch hatte er gerade im wesent- ist.” lichsten Punkt eine andere Meinung. So schnell vermochte sich Die Festspiele gab es damals noch nicht, und Salzburg war Planck auf das Neue nicht einzustellen. Der einzige, der Ein- ein ruhiges und romantisches Stadtchen. Der grol3e KongreR stein unterstutzte, war Johannes Stark. weckte das ,,osterreichische Heidelberg” aus seiner Stille. Sei- Stark war als Mitstreiter von zweifelhaftem Wert. Er hatte tenlang berichtete das Salzburger Volksblatt uber die Vortrage die unnachahmliche Fahigkeit, alle Zeitgenossen gegen sich auf- und das Festmahl am Abend des 21. September im glanzend zubringen. Als er mit Wilhelm Wien diskutierte, kundigte er geschmuckten Saal des Grandhotel de I’Europe. In seinem gleich seine Opposition gegen dessen letzte Experimente an. Trinkspruch verlangte Professor Rubner fur die durch die ,,Stark will polemisieren”, berichtete Wien seiner Frau. ,,Das ist ,,Bande des Blutes” unzerreiRbar aneinander geketteten Deut- bei ihm nicht anders, und ich beunruhige mich wenig daruber. schen und Osterreicher ,,den Platz, der uns an der Sonne Es wird wohl auch nicht das letzte Ma1 sein.” gebuhrt”, und der Redner versicherte: ,,Die Wertschltzung der Das ,,Fachsimpeln” rnit Einstein aber machte Wilhelm Wien eigenen Kraft wird bei unserem Nationalcharakter niemals zur ausgesprochenes Vergnugen, wenn er auch in der Sache ganz Selbstuberhebung und Unterschatzung fremder Nationalitat anders dachte. ,,Einstein ist ein sehr interessanter und beschei- fuhren.” dener Mann. Ich habe mich sehr gern rnit ihm unterhalten.” Die In Wahrheit hatten unsere Altvorderen gerade dazu eine ver- Koryphaen konnte Einstein damals noch nicht uberzeugen. hangnisvolle Neigung. Politische Beobachter, die tiefer blickten, Nicht einmal Planck wollte glauben, ,,daR die Elementarquanta registrierten mit Besturzung ,,das MaR von Verachtung, welches h auch fur die Vorgange im reinen Vakuum Bedeutung besit- uns als Nation im Ausland entgegengebracht wird.” Besonders Zen.” verubelt wurde den Deutschen ihr Byzantinismus gegenuber Auch Arnold Sommerfeld war sehr angetan von Einsteins Wilhelm II., und auch der Vorsitzende der Naturforschergesell- Gedankenklarheit und seinem bescheidenen Auftreten. Als Ein- schaft ruhmte an diesem Festabend den Kaiser, der ,,durch Ver- stein am letzten Tag des Kongresses krank wurde. kummerte er vollkommnung der Wehrkraft” bemiiht sei. ,,den Frieden sicher- sich ruhrend um den Jungeren. Wieder zu Hause, dankte ihm zustellen”. Einstein diesen Freundschaftsdienst rnit einem ausfuhrlichen Im Salzburger Volksblatt wurde Einstein nicht erwahnt. Fur Brief: ,,Ich begreife es jetzt, daR Ihre Schiiler Sie so gern die Offentlichkeit war er noch kein Begriff. Wohl aber kannten haben.” Und da er nun selbst Professor wurde, setzte er hinzu: ihn, durch seine Veroffentlichungen, die Physiker. Sein Vortrag ,,Ich will mir Sie ganz zum Vorbild nehmen.” Sein Vorbild war mit uber 100 Horern auffallend stark besucht, und beson- Sommerfeld hat Einstein freilich nie erreicht. Wahrend dieser in ders zahlreich waren die Jungeren gekommen. Noch ein halbes seiner Lehrtatigkeit aufging und durch seine dialogische Veran- Jahrhundert spater erinnerten sich Lise Meitner und viele andere lagung Generationen von Schulern heranbildete, blieben fur an das Ereignis. Max Born hatte das Gefuhl, dal3 hier ,,von der Einstein die Vorlesungen Nebensache. versammelten Gelehrsamkeit Einsteins Leistung abgestempelt” Max Planck hat einmal vom ,,Viergestirn der theoretischen wurde. Heute gilt uns Einsteins Referat ,,Uber das Wesen und Physik” in Deutschland um das Jahr 1880 gesprochen und dabei die Konstitution der Strahlung” als ein Wendepunkt in der Ent- an Hermann von Helmholtz, Gustav Kirchhoff, Rudolf Clausius wicklung der theoretischen Physik. und Ludwig Boltzmann gedacht. Zur Jahrhundertwende lag Einstein behandelte zunachst die Spezielle Relativitatstheorie dann die theoretische Physik ,,so gut wie vollstandig brach”, und dann das Quantenproblem. In Gedanken brachte er in den wie Wilhelm Wien klagte. Der von ihm vorausgesehene Wie- von Planck lange untersuchten, mit Warmestrahlung gefullten deraufstieg trat dann tatsachlich ein, vor allem durch die Spezi- Hohlraum eine ,,Platte aus fester Substanz”, die sich in einer elle Relativitatstheorie und das Quantenkonzept. Wir sehen fur Richtung frei bewegen kann. Ahnlich wie in einem mit Gas die Zeit um 1910 das Dreigestirn Einstein, Planck und Sommer- gefullten Behalter fuhrt diese Platte eine Zitterbewegung aus. feld. Einstein war das Genie, Planck die Autoritat und Sommer- Aus der experimentell bestatigten Planckschen Strahlungsformel feld der Lehrer. leitete Einstein die GroRe dieser Schwankungen ab. Das Ergeb- Zwei jungere Forscher (Waldemar von Ignatowsky und nis ist eine Summe aus zwei Ausdrucken A und B: ,,Es ist also Eugen Jahnke) entwickelten damals den Plan, eine eigene Zeit- so, wie wenn zwei voneinander unabhangige, verschiedene schrift fur theoretische Physik zu griinden. Planck wurde gebe- Ursachen vorhanden waren.” Der Ausdruck A ruhrt von den ten, das Projekt zu unterstutzen, verhielt sich aber, wie er Wil- Welleneigenschaften des Lichtes her, der Ausdruck B von den helm Wien mitteilte, ,,einstweilen noch sehr reserviert”: Lichtquanten. Fruher hatte man immer gefragt: Welle oder Korpuskel? Ein- Einerseits ware es vielleicht fur die Annalen ganz gut, von stein zeigte nun: Es ist nicht ein Entweder-Oder, sondern ein dem Andrange theoretischer Arbeiten etwas mehr entlastet Sowohl-Als-auch. Das Licht verhalt sich in dem einen Bereich zu werden, andererseits aber ist mir eine scharfere Tren- ganz als Welle, in dem anderen ganz als Korpuskel; im allge- nung der theoretischen von der experimentellen Forschung meinen ist es zugleich Welle und Korpuskel. Das ist die gar nicht sympathisch. [ 1 I] beruhmte Dualitat, die Arnold Sommerfeld spater ,,von allen erstaunlichen Entdeckungen unseres Jahrhunderts die erstaun- Das Projekt kam nicht zustande. Die theoretische Physik ent- lichste” genannt hat. wickelte sich auch ohne eigene Zeitschrift. Seit Minkowskis ,,Ich war sehr beeindruckt von dem Auftauchen des zweiten Vortrag bei der Naturforscherversammlung in Koln 1908 war Ausdrucks in der Formel”, berichtete Fritz Reiche: ,,Ich erinnere die Spezielle Relativitatstheorie im Kreise der fiihrenden deut- mich, daR die Leute dagegen waren und versucht haben, eine schen Physiker und Mathematiker anerkannt. Das Jahr 1910 andere Interpretation zu finden.” In der Diskussion ergriff als brachte auch den Umschwung fur das Quantenkonzept.

F-70 1907 hatte Albert Einstein in den ,,Annalen der Physik” seine Groljindustriellen Ernest Solvay als Sponsor fur eine internatio- Theorie der spezifischen Warme veroffentlicht und aus dem nale Quantenkonferenz zu gewinnen. Hier sollten die fiihrenden Quantenkonzept gefolgert, dalj die spezifischen Warmen aller Physiker im kleinsten Kreise die Probleme wirklich ausdiskutie- Korper im Grenzfall 7‘ + 0 verschwinden mussen. Auch fur ren konnen, um die uberfallige ,,Reformation unserer bisherigen war (von einer ganz anderen Fragestellung her) Fundamentalanschauungen” zu vollziehen. Die ,,Gipfel- und das Verhalten der spezifischen Wiirmen bei Annaherung an den Krisenkonferenz” der Physik fand vom 29. Oktober bis 3. absoluten Nullpunkt von groljem theoretischen Interesse, und er November 191 1 in Briissel statt. Sie ist als ,,Erster Solvay-Kon- hatte in seinem Berliner Institut 1906 rnit seinen Mitarbeitern grel3” in die Geschichte eingegangen. Wie von Nernst erhofft, die schwierigen Messungen begonnen. Anfang des Jahres 1910 brachte die Tagung den Durchbruch fur das Quantenkonzept. bemerkte Nernst die Ubereinstimmung seiner Experimente rnit Im folgenden Jahr 1912 war Max Laue ein groljer Erfolg der Theorie Einsteins. Im beschieden. Er wirkte damaG Miirz fuhr er nach Zurich, um als Privatdozent am Sommer- mit Einstein zu diskutieren. feldschen Institut fur theoreti- Dariiber berichtete dieser sei- sche Physik in Miinchen. Bei nem Freund Johann Jakob der Niederschrift seiner Dis- Laub: ,,Die Quantentheorie sertation uber ,,Dispersion steht mir fest. Meine Voraus- und Doppelbrechung von sagungen inbetreff der spezi- Elektronengittern” schienen fischen Warmen scheinen Peter Paul Ewald einige sich glanzend zu bestatigen. Ergebnisse so merkwiirdig, Nernst, der eben bei mir war, dalj er das Gesprach mit Laue und Rubens sind eifrig rnit suchte. Im Laufe der Diskus- der experimentellen Prufung sion kam dem auf optische beschaftigt, so dalj man bald Fragen spezialisierten jungen dariiber orientiert sein wird.” Gelehrten der Gedanke, dalj [121 man elektromagnetische In diesem Jahr 1910 wurde Strahlung, deren Wellenlange auch Arnold Sommerfeld un- kleiner ist als die Abstande sicher. Er hatte bisher eine der Kristallbausteinchen, also skeptische Haltung zum Rontgenstrahlen, durch einen Quantenkonzept eingenom- Kristall schicken sollte. Laue men, aber nun legte ihm sein uberredete den Assistenten Assistent Peter Debye ein Walter Friedrich und den Manuskript mit der, wie Frie- Doktoranden Paul Knipping, drich Hund geurteilt hat, das Experiment zu wagen. ,,kurzesten und durchsichtig- Anders als es Laue spater sten Ableitung der Planck- darstellte (in seiner Nobelrede schen Strahlungsformel” vor. und seinem ,,Physikalischen Werdegang”), brachten die Sommerfeld fuhlte sich fur Aus der Zeit, als die Rontgenstrahlinterferenzen entdeckt wurden. alle Veroffentlichungen seiner (Links vorne Max Laue und Paul S. Epstein, rechts Peter Paul Ewald ersten Versuche noch keinen Mitarbeiter verantwortlich und Peter Paul Koch beim Kegeln in Munchen. Erfolg. Die Photoplatten hat- und wollte uber das Quanten- ten nur rechtwinklig gestreute Strahlung registriert und blie- problem endlich Klarheit ge- ~~ winnen. Wie seine Schuler erstaunt registrierten, behauptete ihr ben ungeschwarzt. Erst als Knipping die Versuchsanordnung so Meister im August 1910 plotzlich, eine Erholung in der Schweiz veranderte, da13 auch der ungebeugte Primiirstrahl auf die Platte zu benotigen. ,,The idea of recreation was to him”, berichtete fiel, zeigte sich das spater sogenannte ,,Laue-Diagramm”. Paul S. Epstein, ,,to talk the whole day physics with Einstein.” In seiner Autobiographie hat Laue geschildert, wie ihm auf Dessen Brief an Johann Jakob Laub bestatigt diese Schilderung: dem Heimweg von der Universitat, als er uber die Erscheinung nachdachte, die richtige Erklarung einfiel. Am 4. Mai reichten Sommerfeld war jetzt eine ganze Woche bei mir, um die Laue, Friedrich und Knipping zur Sicherung ihrer Prioritat der Lichtfrage und einiges aus der Relativitat zu verhandeln. Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine Vorausmittei- Seine Anwesenheit war ein wahres Fest fur mich. Er hat lung ein. Es war ein stolzes Gefuhl fiir Laue, als er am 14. Juni sich in weitgehendem Malj meinen Gesichtspunkten iiber uber Jnterferenzerscheinungen an Rontgenstrahlen” vor der die Anwendung der Statistik angeschlossen. [ 131 Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin vortragen durf- te, ,,an derselben Stelle, an welcher im Dezember 1900 Planck Selbst der vorsichtige Max Planck konstatierte damals (im Juni zuerst uber sein Strahlungsgesetz und die Quantentheorie 1910), ,,dalj der durch die Strahlungsgesetze, durch die spezifi- gesprochen hatte”. [ 141 Auf seinen Vorschlag wurden bei dieser sche Warme usw. geschaffene Zustand der Theorie ein lucken- Gelegenheit Walter Friedrich und Paul Knipping in die DPG hafter, fur jeden wahren Theoretiker unvertraglicher ist, und dalj aufgenommen. Zwei Jahre spater wurde Laue rnit dem Nobel- daher die Not gebietet, sich zusammenzutun und gemeinsam auf preis ausgezeichnet. Damals konnte er seinem Namen auch ein Abhilfe zu sinnen”. Es gelang Walther Nernst, den belgischen ,,von” hinzufugen. Dieses Avancement aber verdankte er nicht

F-7 1 seinen eigenen Leistungen, sondern denen seines Vaters, der als fehlte.” In Starks Lebenserinnerungen klingt diese Feststellung preuaischer Militiirbeamter in den erblichen Adelsstand erhoben wie ein Vorwurf. Tatsachlich amtierte Planck seit 15. Oktober wurde. 1913 als Rektor der Berliner Universitat, und er bedauerte selbst Uberall ging es voran in der Physik. Johannes Stark, seit 1. am meisten, dal3 er ,,gegenwartig in wissenschaftlicher Bezie- April 1909 etatsmal3iger Professor (Ordinarius) an der Techni- hung ziemlich tot” sei: ,,Die Tagesstunden fliehen, ohne daB ich schen Hochschule Aachen, entdeckte im Oktober 1913 den nach auljer den notwendigsten laufenden Sachen, wie Kolleg und ihm benannten Effekt, die Aufspaltung der Spektrallinien im Ubungen, zu etwas Physikalischem komme.” Trotzdem war elektrischen Feld. Um die Kollegen zu uberzeugen, referierte er auch er uber den Stark-Effekt genau im Bilde. Am 14. Dezem- seine Ergebnisse zuerst in Gottingen und dann in Berlin. In den ber meinte er gegenuber Wilhelm Wien, dab die Entdekung Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ist ,,doch wieder einmal ein Zeichen” sei, ,,dab hinter dem Mann ein Vortrag Starks 1913/14 nicht nachweisbar, so daa Stark etwas steckt”. Im Probieren habe Stark allerdings mehr Gluck wohl nur im Rubens-Kolloquium aufgetreten ist. als im Studieren. Wie Stark registrierte, waren neben vielen jungen Physikern Stark brannte vor Ehrgeiz. Er hatte 1904 das ,,Jahrbuch fur Heinrich Rubens und Emil Warburg gekornmen: ,,Nur Planck Radioaktivitat und Elektronik” begrundet. Unter ,,Elektronik” verstand man die Physik des Elektrons. Das neue Journal brachte neben Originalmittei- lungen auch Ubersichtsrefera- te. Stark setzte sich damals fur alles Neue in der Physik ein, ubrigens ebenso unge- stum, wie er es spater ver- dammte. Auf seine Bitte schrieb Albert Einstein fur Band 4(1907) einen 52 Druckseiten umfassenden Bericht ,,Uber das Relativi- tatsprinzip und die aus dem- selben gezogenen Folge- rungen”. Im Alter schamte sich Stark dieser Initiative und wies einen Verehrer an, der eine Biographie uber ihn verfassen wollte: ,,Bitte die Grundung des Jahrbuches wegzulassen.” Inzwischen hatten sich wichtige Ereignisse in Berlin abgespielt. Am 11. Oktober 1910 feierte die Friedrich- Wilhelms-Universitat mit einem pomposen Festakt ihr hundertjahriges Jubilaum. Der Kaiser kundigte die Grun- dung einer seinen Namen tra- genden Gesellschaft an, deren Aufgabe der Bau und der Unterhalt von neuen groBen Forschungsinstituten sein sollte. Eine wichtige Rolle hatte dabei eine Denkschrift des evangelischen Kirchenhi- storikers Adolf von Harnack gespielt, der sich seinerseits wieder auf die Gutachten der Fachleute, wie das von Phi- lipp Lenard, stutzte. Wtihrend aber Lenard nur auf die wirt- schaftliche Bedeutung der Karikatur auf die Griindung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Untertitelt: ,,Beim Friedensfiirsten. Die drei Physik eingegangen war, Konige aus dem Morgenland bringen ihre Weihnachtsgeschenke.” betonte Harnack nun das

F-72 nationale Prestige, das die epochemachenden Entdeckungen ein- Verstiirkung erhielt die Berliner Physik jedoch durch die Beru- bringen. fung Albert Einsteins zum ordentlichen hauptamtlichen Mitglied Die Verwirklichung des groljen physikalischen Forschungs- der PreuBischen Akademie der Wissenschaften zum 1. April institutes, wie es Philipp Lenard vorschwebte, wurde zuriickge- 1914. Er war gerade 35 Jahre alt. stellt. Zuerst einmal entstanden auf der ehemaligen Koniglichen Seine Antrittsvorlesung in der Akademie war den ,,Prinzipien Domane in Dahlem das Kaiser-Wilhelm-Institut fur Chemie und der theoretischen Physik” gewidmet. In diesem Fach, sagte er, das Kaiser-Wilhelm-Institut fur Physikalische Chemie und Elek- gehe es erstens darum, gewisse allgemeine Prinzipe zu finden; trochemie. zweitens mussen dann aus diesen alle einschlagigen Naturer- Von diesen beiden Instituten erhielt die Berliner Physik scheinungen abgeleitet werden. Fur die Erfullung der zweiten bedeutsame Impulse: Am KWI fur Chemie ubernahm Otto Aufgabe, der Deduktion, besitze der Theoretiker ,,ein treffliches Hahn die Leitung einer kleinen radioaktiven Abteilung, die sich Rustzeug”. Bei der Induktion aber gebe es keine erlernbare, immer weiter vergroBerte und schlieBlich - seit Mitte der zwan- systematisch anwendbare Methode, die zum Ziele fuhre: ,,Der ziger Jahre - die Arbeitsrichtung des gesamten Instituts Forscher muB vielmehr der Natur jene allgemeinen Prinzipe bestimmte. Erste wissenschaftliche Mitarbeiterin an dieser gleichsam ablauschen.” Es handelte sich dabei, was Einstein Abteilung wurde Lise Meitner. Sie beschaftigte sich mit den nicht ausdriicklich sagte, um eine genuin schopferische Tatig- Eigentumlichkeiten des B-Zerfalles, wahrend Otto Hahn die keit, die direkt vergleichbar ist der Leistung eines Komponisten, Thorium-Zerfallsreihe aufklarte. Die von Hahn entdeckten ver- Dichters oder bildenden Kunstlers. Justus von Liebig hatte die- meintlichen Elemente Radiothorium, Mesothorium 1 und Meso- ses ,,Schaffen in Gedanken” die ,,Poesie des Naturforschers” thorium 2 erwiesen sich aber schliel3lich nur als Isotope schon genannt. bekannter Elemente. 1917 gelang es ihm aber doch noch, Der Antrittsrede folgte die offizielle Erwiderung des Klas- zusammen mit Lise Meitner, ein neues Element zu finden, das sensekretars Max Planck: Einstein verstehe ,,das Problem des Protaktinium (Ordnungszahl 9 1). theoretischen Physikers nicht bloB zu formulieren, sondern auch Am Kaiser-Wilhelm-Institut fur Physikalische Chemie und durchzufuhren”. Planck war ein echter ,,Geheimrat”, und er Elektrochemie ubernahm Fritz Haber die Direktorenstelle. Er wirkte oft ein wetiig steif. Jetzt fie1 den Kollegen im Saal der fuhlte sich der Physik so eng verbunden, dal3 er sich am 8. Mai ungewohnlich herzliche Ton auf, mit dem er sich direkt an Ein- 1914 zum Vorsitzenden der DPG wiihien lieB. Die bedeutsamste stein wandte:

Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte in Wien 1913, Sitzung der Sektion Physik. Die Physikalischen Blatter haben die Aufnahme aus dem Besitz Max von Laues 1964 publiziert und damit ein Preisausschreibenverbunden. Preise gab es fur die Identifizierung der damaligen Kollegen.

F-73 Beide Seiten der von Ihnen geschilderten Tatigkeit, die vor. Er bekraftigte die Vorstellung: In den Atomen kreisen schopferische sowohl wie die deduktive, sind fur den Elektronen um den Kern. Spater stellte sich heraus, daB sich Fortschritt der Wissenschaft notwendig ... Wenn Sie sich alles doch ganz anders verhielt. Im Vertrauen auf die Theorie uber diesen Punkt auch nicht ausdrucklich verbreitet hatte Einstein den alten Fehler gemacht, die Genauigkeit der haben, so kenne ich Sie doch gut genug, um die Behaup- Messungen zu uberschatzen. Die Idee war genial, die Durch- tung wagen zu diirfen, daR Ihre eigentliche Liebe derjeni- fuhrung dilettantisch. Das Verhaltnis von magnetischem gen Arbeitsrichtung gehort, in welcher die Personlichkeit Moment zu Drehimpuls ist in Wirklichkeit doppelt so groB wie sich am freiesten entfaltet, in der die Einbildungskraft ihr angegeben. Wie man ein paar Jahre spater lernte, hat das reichstes Spiel treibt und der Forscher sich ... dem behag- magnetische Moment des Atoms seine Ursache nicht in kreisen- lichen Gefuhl hingeben kann, daR er nicht so leicht durch den Elektronen, sondern im ,,Spin” dieser Teilchen. einen anderen zu ersetzen ist. [ 151 Die Experimente in der Reichsanstalt waren nur eine Beschaftigung am Rande, eine kleine Zerstreuung zwi- Mitglied der Physikalischen Gesellschaft war Einstein schon im schendurch, bis er sich wieder am Problem der Allgemeinen Jahr zuvor geworden. Auf der Sitzung am 7. November 1913 Relativitat festbiB. ,,Die Serie meiner Gravitationsarbeiten ist hatte ihn Max von Laue zur Aufnahme vorgeschlagen. So taucht eine Kette von Irrwegen”, gestand er dem verehrten Altmeister sein Name erstmalig in den Listen der DPG als ,,auswartiges Hendrik Antoon Lorentz. Allmahlich aber kam er der Losung Mitglied” rnit der Adresse Zurich, HofstraBe 113, auf. Im Mit- doch naher, und im Oktober 1915 hatte er ,,eine der aufregend- gliederverzeichnis 1914 (Stand Jahresende) ist er rnit der Adres- sten, anstrengendsten Zeiten” seines Lebens, allerdings auch se Wilmersdorf, WittelsbacherstraBe 13, aufgefuhrt. Das war die ,,eine der erfolgreichsten”. Junggesellenwohnung, die er nach der Trennung von seiner Die Ehre der Erstveroffentlichung hatte die PreuBische Aka- ersten Frau Mileva bezogen hatte. demie der Wissenschaften. Auf der Gesamtsitzung der Akade- Die PreuRische Akademie der Wissenschaften fuhrte eine mie am 4. November 1915 uberreichte Einstein sein Manuskript Prasenzliste, und deshalb wissen wir, daB Einstein am 16. April mit dem Titel ,,Zur allgemeinen Relativitatstheorie”. Eine 1914 die erste Klassensitzung und am 23. April die erste Plenar- Woche spater wurde die gedruckte Abhandlung ausgegeben. Sie sitzung der Akademie mitmachte. Die erste Sitzung der DPG, an umfabte gerade neun Seiten. In diesen neun Druckseiten mani- der er teinahm, wird die am 24. April 1914 gewesen sein. An festiert sich eine der groRten Kulturleistungen des 20. Jahrhun- diesem Tag trug Gustav Hertz uber seine gemeinsam rnit James derts. Am 18. November folgte die ,,Erklarung der Perihelbewe- Franck durchgefuhrten ElektronenstoRversuche vor. Einstein gung des Merkur aus der allgemeinen Relativitatstheorie”. war begeistert. ,,Wundervolle Umkehrung des lichtelektrischen Eine Zusammenfassung seiner Resultate publizierte Einstein Phanomens”, berichtete er seinem Freund Paul Ehrenfest nach in den Annalen der Physik unter dem Titel ,,Die Grundlage der Leiden: ,,Eklatante Bestatigung der Quantenhypothese.” allgemeinen Relativitatstheorie”. Johann Ambrosius Barth, der Auch Einstein packte (,,auf seine alten Tage”, wie er scherz- Verleger der Annalen, brachte einen Sonderdruck in Buchform te), die ,,Leidenschaft fur das Experiment”. Im Dezember 1914 mit einer Auflage von 1500 Exemplaren in den Handel. Die und Januar 1915 arbeitete er rnit dem fast gleichaltrigen Johan- zweite Auflage erschien im Mai 1920 rnit 1000 Exemplaren, die nes Wander de Haas (einem Niederlander und Schwiegersohn dritte und vierte rnit je 2000 Exemplaren im September 1920 von H. A. Lorentz) in einem Laboratorium der Physikalisch- und September 192 1. Technischen Reichsanstalt. Es ging dabei urn die magnetischen Uber diesen Erfolg hat sich von den Kollegen wohl am mei- Eigenschaften der Atome. 19 13 hatte Niels Bohr genial ange- sten Max Planck gefreut. Seine in Einstein gesetzte Erwartung knupft an die Arbeiten von Planck und Einstein und ein Atom- wurde vollauf gerechtfertigt. Auf einer Postkarte vom 7. model1 auf neuer, noch unsicherer Grundlage entwickelt. Wenn November 1915 fragte er Einstein im Scherz, ob er nach dieser man dieses Modell ernst nimmt, mussen die um den Atomkern Leistung lieber als ,,Genie” oder als ,,Bohrwurm” gelten wolle: kreisenden Elektronen ein magnetisches Moment und einen ,,Nun wahlen Sie!” mechanischen Drehimpuls hervormfen. Das Verhaltnis der bei- Schon vor Planck hatten Lorentz und Ehrenfest ihre Zustim- den GroBen laBt sich messen und erlaubt einen SchluB auf die mung signalisiert, die Einstein ,,freudig und hell” in den Ohren Natur der bewegten Ladungstrager. klang. Im September 1916 gelang es ihm, die Genehmigung fur Wie sieht das Experiment aus? Ein dunner Eisenzylinder ist eine Reise nach Leiden zu erwirken. Der Gedankenaustausch an einem Glasfaden aufgehangt und von einer senkrecht gestell- konzentrierte sich neben der Allgemeinen Relativitatstheorie auf ten Spule umgeben. Schickt man durch die Spule einen Strom, das ,,Manifest der 93 deutschen Intellektuellen”. entsteht im Eisen ein Magnetfeld und die atomaren Magnete ori- Im Rausch der ersten Kriegsbegeisterung hatten die fuhren- entieren sich in Feldrichtung. Dabei wird auf den Zylinder ein den deutschen Gelehrten und Kunstler einen flammenden Drehmoment ausgeubt. Das ist der Einstein-de Haas-Effekt. Appell veroffentlicht, um den Uberfall auf Belgien und das Die beiden Physiker kamen nun auf die Idee, die Wirkung harte Vorgehen der deutschen Truppen zu rechtfertigen. Unter- durch Anwendung von Wechselstrom zu multiplizieren. Die schrieben war dieser ,,Aufruf an die Kulturwelt” auch von den Amplitude der entstehenden und mit einem Lichtzeiger markier- Physikern und Physikochemikern Fritz Haber, Philipp Lenard, ten Torsionsschwingung hangt von der Frequenz des Wechsel- Walther Nernst, Wilhelm Ostwald, Max Planck, Wilhelm Con- stromes ab; sie hat ein Maximum im Falle der Resonanz. Diese rad Rontgen und Wilhelm Wien. maximale Amplitude wird gemessen und daraus die interessie- Mit dem Manifest wollten die Gelehrten und Kiinstler um rende GroRe berechnet, das Verhaltnis des magnetischen Verstandnis fur die deutsche Sache werben. Sie erreichten das Momentes zum Drehimpuls der Atome. Gegenteil. Alle Welt war entriistet uber diese ,,Selbstprostitution Am 15. Februar 1915 trug Einstein vor der Physikalischen deutscher Gelehrsamkeit”. Die Unterzeichner hatten sich, wie Gesellschaft uber die Ergebnisse seiner Versuche mit de Haas Lorentz sagte, ,,in der feierlichsten Weise und sehr positiv uber

F-74 Aus dem Sitzungsbuch der DPG. Feier zum 60. Geburtstag von Max Planck.

F-75 Dinge ausgesprochen, die man doch wirklich nicht wissen konn- Planck zum ersten Ma1 von einer Quantenformel Gebrauch te”. Er meinte damit vor allem den Satz, daB keines einzigen gemacht, im ubrigen aber war er rein klassisch vorgegangen. belgischen Burgers Leben und Eigentum angetastet worden sei, Jetzt schlug Einstein einen ganz anderen Weg ein. Ihm gelang ,,ohne daB bitterste Notwehr es befahl”. Im Interesse einer bal- eine ,,verbluffend einfache Ableitung” der Planckschen Strah- digen Aussohnung zwischen den Kriegsgegnern hielten es lungsformel: ,,Alles ganz quantisch.” Lorentz und Ehrenfest fur unbedingt notwendig, daB sich die Einstein betrachtete die elektromagnetischen Resonatoren im Unterzeichner davon offentlich distanzierten. Strahlungsfeld (wie es schon Planck 1900 getan hatte) und fand Einstein war skeptisch. Er hielt es fur ausgeschlossen, bei zwei Prozesse, durch die sich die Energie des Resonators andert. seinen Kollegen eine ,,formliche Revokation” erreichen zu kon- Es gibt erstens die spontane Ausstrahlung ohne aul3ere Einwir- nen. Trotzdem waren sein Erfahrungen besser, als er ursprung- kung. Diese laBt sich, wie er sagte, kaum anders denken ,,ah lich erwartete: nach der Art der radioaktiven Reaktionen”. Dazu kommt eine durch das Strahlungsfeld bedingte Energieanderung, die ,,eben- Bei Planck und Rubens fand ich allerdings eine Art sogut eine Energieabnahme wie eine Energiezunahme bewir- Ablehnung, die aber nicht einem schlechten Willen ... ken” kann. Dieser Effekt laBt sich zur ,,stimulierten Emission” zuzuschreiben ist. Denn Sie wissen ja selbst, daR ersterer benutzen, die seit den sechziger Jahren zur Grundlage des ein Mensch von auljergewohnlicher Gewissenhaftigkeit ,,Lasers” geworden ist. und Wahrhaftigkeit ist ... Auch Nernst begruBte den Vor- Einstein besal3 bereits damals eine hohe ,,Insider-Reputa- schlag ... Ihn fiihrt die Klugheit zur Zustimmung. [ 161 tion”. Ein Schweizer Student namens Rudolf Humm benutzte einen Vorwand, um an ihn heranzukommen. Humm besuchte ,,Wenn man die Menschen von der Nahe sieht, schmilzt jede Einstein in seiner Wilmersdorfer Wohnung mit dem (vorgescho- Animositat”, kommentierte Einstein: ,,Mangel an Einsicht, ehrli- benen) Anliegen, Mitglied in der Deutschen Physikalischen cher guter Wille, aber borniertes Anbeten falscher Gotter, die Gesellschaft werden zu wollen. Tatsachlich hat ihn Einstein in Verderben schicken.” der Sitzung vom 8. Juni 1917 zum Mitglied vorgeschlagen. Als nationale Hitzkopfe traten damals Philipp Lenard, Johan- Humm ist spater unter die Schriftsteller gegangen und hat nes Stark und Wilhelm Wien hervor. Lenard veroffentlichte eine beschrieben, wie Einstein mit ihm auf der Suche nach einem Broschure uber ,,England und Deutschland zur Zeit des grol3en Sonderdruck durch die kahlen Raume ging und iiber seine Krieges”, in der es hiel3: ,,Konnten wir England vollig vernich- Unordnung und VergeBlichkeit klagte. Einstein sei fur die Stu- ten, so wurde ich das ... als keine Sunde gegen die Zivilisation denten ,,ein sehr bequemer Mann”, wenn man es verstehe, ihn ansehen.” zu packen und durch Fragen hie und da uber die Zeit hinwegzu- H. A. Lorentz und Paul Ehrenfest hatten sich gegen die von tauschen: der deutschen Kriegspropaganda verbreitete Behauptung gewandt, belgische Nicht-Kombattanten hatten verwundete Aber bewundern muBte ich die Klarheit und das Alldurch- deutsche Soldaten verstummelt. Davon fuhlte sich Johannes dringende seiner Gedanken. Er ist nie im Zweifel, und wo Stark, in der Physik als Tatsachenfanatiker bekannt, ,,sehr er Zweifel hat, sind es klare Zweifel. [ 171 schmerzlich” beriihrt. Er habe in diesem ,,Kampf des deutschen Volkes um seine Existenz” gehofft, daR die Niederlander ,,ihre Das wissenschaftliche Leben ging auch in diesen schweren Zei- Sympathie uns schenken wurden”. Leider sei das Gegenteil der ten weiter. Hartmut Kallmann erinnerte sich noch fiinfzig Jahre Fall. spater lebhaft an das Rubens-Kolloquium Mittwoch Nachmittag. Wilhelm Wien verfaBte einen Aufruf ,,zur Bekampfung des RegelmaBig zugegen gewesen seien Einstein, Nernst, Planck, englischen Einflusses in der Physik”. In einem Brief an Arnold Franck, Hertz, Stern, Born, Hahn, Meitner, Pohl, Warburg, Sommerfeld beanstandete Friedrich Paschen die Passage, ,,daR Rubens, Pringsheim, Freundlich, Abraham und drei oder vier man die Englander nicht so stark berucksichtigen solle”. Er Studenten (einschlieBlich Kallmann). Haber hatte nur selten befurchte nachteilige Folgen, wenn nach nationalen und nicht kommen konnen. Er war mit seinem Kaiser-Wilhelm-Institut fur wissenschaftlichen Gesichtspunkten zitiert werde. Planck schien Physikalische Chemie und Elektrochemie vollauf rnit der Ent- es, wie er Wilhelm Wien direkt sagte, ,,nicht ganz wurdig”, wicklung neuer chemischer Kampfstoffe beschaftigt. wenn die deutschen Physiker die Gelegenheit benutzten, ,,um Am 23. April 1918 feierte Max Planck seinen 60. Geburtstag. den Englandem auch ihrerseits eins zu versetzen”. Trotz der dusteren Kriegslage beschloB der Vorstand der Gesell- Am 5. Mai 1916 wurde Einstein als Nachfolger Plancks zum schaft, eine offizielle Feier zu veranstalten. ,,Ich freue mich Vorsitzenden der Deutschen Physikalischen Gesellschaft schon heute auf den Abend,” schrieb Albert Einstein als Vorsit- gewahlt und im folgenden Jahre wiedergewahlt. Er leitete nun zender an Arnold Sommerfeld, ,,weil ich Planck sehr lieb habe die in jeder zweiten Woche am Freitagnachmittag stattfindenden und er sich sicher freuen wird, wenn er sieht, wie gem wir ihn Sitzungen. Fast regelmal3ig muate er den Tod eines auf dem alle haben und wie alle seine Lebensarbeit hochhalten.” ,,Felde der Ehre” gefallenen Kollegen bekanntgeben, wobei sich Die Festveranstaltung am 26. April im groBen Physikalischen die Mitglieder der Gesellschaft von ihren Platzen erhoben. Und Horsaal der Universitat wurde zur Familienfeier der deutschen jedesmal aufs neue empfand er namenlosen Schmerz uber die Physiker. Unten, direkt vor dem langen Experimentiertisch, Weltkatastrophe und die Roheit der Menschen. saRen die Koryphaen; in den oberen Reihen sah man viele feld- Vor diesem Kreise trug Einstein am 21. Juli 1916 uber eine graue Uniformen. Das waren die fur die Artillerie-Prufungs- neue Ableitung des Planckschen Strahlungsgesetzes vor. Es war kommission in Kunersdorf und die Militar-Versuchsanstalt in ihm ,,ein prachtiges Licht” iiber die Absorption und Emission Plotzensee tatigen Kollegen. der Strahlung aufgegangen. Emil Warburg eroffnete mit einer Wurdigung der Leistungen In seinem Vortrag vor der DPG am 14. Dezember 1900 hatte Plancks fur die Physikalische Gesellschaft. Von 1892 an habe - F-76 Planck ,,das Amt des Schatzmeisters zwolf Jahre lang mit der Kunst und Wissenschaft hinfiihre, sei die ,,Flucht aus dem All- absoluten Punktlichkeit und Zuverlassigkeit verwaltet, welche tagsleben”. Es treibe den feiner besaiteten aus dem personlichen wir in seinen wissenschaftlichen Arbeiten bewundern”. Dasein heraus in die Welt des objektiven Schauens und Verste- Hauptsachlich sei ihm aber ,,die Umwandlung der Berliner in hens: eine Deutsche Gesellschaft” zu danken. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte Warburg die am 14. Juni Die Sehnsucht nach dem Schauen jener prastabilierten 1845 von Gustav Karsten aufgenommene Photographie der Harmonie [von der Leibniz gesprochen hatte], ist die sechs Griindungsmitglieder. Die Entwicklung der Gesellschaft Quelle der unerschopflichen Ausdauer und Geduld, mit veranschaulichte er in zwei Diagrammen: Das erste zeigte das Anwachsen der Mitglie- derzahl, das zweite den Umfang der ,,Verhandlun- gen”: ,,Auch hier bemerkt man, abgesehen von dem jahen Absturz bei Kriegsbe- ginn, einen stark beschleunig- ten Anstieg, was noch weit besser als die erste Kurve zum Ausdruck bringt, dal3 die Gesellschaft sich mehr und mehr zu einem Mittelpunkt der physikalischen Interessen Deutschlands entwickelt hat.” 1181 Dann kamen die Vortrage von Max von Laue iiber ,,Plancks thermodynamische Arbeiten” und von Arnold Sommerfeld ,,Uber die Ent- deckung der Quanten”. Der Miinchener Theoretiker hatte in der Zeitschrift ,,Die Natur- wissenschaften” einen Ge- burtstagsartikel iiber Planck geschrieben und sich dadurch ,,das Wasser des Redestromes schon selbst etwas abgegra- ben”. Der letzte Festredner war Albert Einstein. In sei- nem Vortrag iiber die ,,Moti- ve des Forschens” charakteri- sierte er die Physiker als ,,etwas sonderbare, verschlos- sene, einsame Kerle”. Das wohl starkste Motiv, das zu

Einstein bittet den Munchener Kollegen Sommerfeld, als sein Nachfolger den Vorsitz der Deut- schen Physikalischen Gesellschaft zu ubernehmen.

F-77 der wir Planck den allgemeinsten Problemen unserer Wis- 11. Die Ara Einstein senschaft sich hingeben sehen ... Ich habe oft gehort, daR Fachgenossen dies Verhalten auf auljergewohnliche Wil- Die Deutsche Physikalische Gesellschaft sei keine ,,gliickliche lenskraft und Disziplin zuruckfuhren wollten; wie ich Schopfung” gewesen, hatte Wilhelm Wien bereits im Juni 1914 glaube ganz mit Unrecht. Der Gefiihlszustand, der zu sol- konstatiert. Wie bei der alten Berliner Gesellschaft bestand das chen Leistungen befahigt, ist dem des Religiosen oder wissenschaftliche Leben hauptsachlich in den 14taglichen Sit- Verliebten ahnlich: Das tagliche Streben entspringt kei- zungen im Physikalischen Institut der Universitat Berlin, und nem Vorsatz oder Programm, sondern einem unmittelba- daran konnten sich die Auswartigen nicht beteiligen. Eine Kom- ren Bedurfnis. Hier sitzt er, unser lieber Planck, und mission befaRte sich rnit der Ausarbeitung neuer Statuten. Ziel lachelt innerlich iiber dies mein Hantieren mit der Laterne war die Gleichstellung der Nichtberliner mit den Berliner Mit- des Diogenes. Unsere Sympathie fur ihn bedarf keiner gliedern. fadenscheinigen Begrundung. [ 191 Da Max Planck seit 15. Oktober 1913 als Rektor der Fried- rich-Wilhelms-Universitat amtierte, war er ,,absolut daran ver- Auch Planck, der scheue und zuriickhaltende Planck, sprach in hindert”, sich dieser Angelegenheit ,,ihrer Bedeutung entspre- seinem SchluBwort - ganz unterkuhlt - von ihrer Freundschaft. chend zu widmen”. Er konnte nur miindlich rnit den Kollegen Wie sich einmal der Widerspruch zwischen der neuen Quanten- verhandeln, insbesondere rnit Heinrich Rubens. Unzufrieden mit theorie und der klassischen Wellentheorie des Lichtes auflosen Max Planck war der Dresdner Wilhelm Hallwachs. Er trat aus werde, daruber gingen die Ansichten weit auseinander: ,,Da der Satzungskommission aus, weil er das rechte Verstandnis fur gewahrt es mir eine doppelte Freude, zu sehen, daR zwei Physi- die Wiinsche der Auswartigen vermiRte: ker, die uber diese Dinge so grundverschieden denken ... , doch in rein personlicher Hinsicht sich, wie man wohl sagen darf, Ich mochte nur darauf hinweisen, daR gerade Planck von zum mindesten ganz leidlich miteinander vertragen konnen.” vornherein der Schwierige war. Wahrend Rubens und Die Auguren Iachelten. Scheel zu Konzessionen in jeder Weise geneigt waren, Vierzehn Tage spater muljte Einstein den Tod von Ferdinand kam dann immer Planck hinterher [und] knopfte von die- Braun bekanntgeben. Der Nobelpreistrager und Pionier der sen Konzessionen etwas ab. [21] Rundfunktechnik war nach Kriegsbeginn von der Reichsregie- rung in die Vereinigten Staaten entsandt worden. Durch einen Wilhelm Wien, bei dem sich Hallwachs beklagte, sah einen PatentprozeB versuchte die britisch dominierte Marconigesell- ,,scharfen Konflikt” voraus und als Konsequenz die Grundung schaft, die von den Deutschen betriebene Rundfunkstation einer eigenen Fachgesellschaft: ,,Es ware doch hochst absurd, Sayville auf Long Island zum Schweigen zu bringen. Dem sollte wenn das Endergebnis ein solches ware, daR die Berliner und Ferdinand Braun als Zeuge vor Gericht einen Riegel vorschie- Nichtberliner Physiker einander in zwei getrennten Gesellschaf- ben. Trotz seiner korperlichen Hinfalligkeit nahm der 6Sjahrige ten feindlich gegenuberstanden.” Alle Mitglieder mul3ten glei- Forscher im Dezember 1914 die Anstrengungen und Gefahren che Rechte und gleiche Pflchten haben. der Schiffsreise auf sich. Die ersehnte Ruckkehr in die Heimat Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges trat dieser Kon- war ihm nicht mehr beschieden. flikt in den Hintergrund. Es gab nun ausreichend Zeit, die neuen Auf der Sitzung der DPG am 10. Mai, auf der die Kollegen Satzungen zu beraten. Die Losung des Problems wurde in der durch Erheben von ihren Platzen Ferdinand Braun die letzte Griindung von ,,Gauvereinen” gefunden, die ebenso wie die Ehre erwiesen, fanden auch die alljahrlichen Vorstandswahlen Berliner Mitglieder ein eigenes wissenschaftliches Leben entfal- statt. BewuRt schlug Einstein einen Nichtberliner zum neuen ten konnten. In der neuen Satzung, die am 1. Januar 1920 in Vorsitzenden vor, den Jenenser Max Wien. Leider lehnte dieser Kraft trat, wurde nur verlangt: die Annahme der Wahl ab, und am 31. Mai muRte nochmals a) die Ziele des Gauvereins mussen im Rahmen der Ziele der gewahlt werden. Wieder folgten die Mitglieder der Empfehlung Deutschen Physikalischen Gesellschaft liegen; und bestimmten Arnold Sommerfeld zum neuen Vorsitzenden. b) die Mitgliedschaft bei einem Gauverein ist an die Mitglied- Um nicht wieder ein Fiasko zu erleben, schrieb Einstein gleich schaft bei der Deutschen Physikalischen Gesellschaft gebun- an den Geheimrat nach Munchen. Sommerfeld sei ,,mit sichtli- den; cher Begeisterung” gewahlt worden, und er, Einstein, bitte drin- c) die Herausgabe eigener Fachzeitschriften durch die Gauver- gend, im Interesse der Gesellschaft die Wahl anzunehmen. Auch eine ist nicht zulassig. dieser Brief zeigt den Charme, den Einstein entfalten konnte: Als erster Gauverein konstituierte sich am 14. Januar 1920 unter dem Vorsitz Sommerfelds der Gauverein Munchen. Es Wir waren alle der Ansicht, daR ein Nicht-Berliner Vorsit- folgten am 20. Februar 1920 der Gauverein Wien, am 24. Janu- zender werden solle. Da fie1 zuerst die Wahl auf Herrn ar 1921 Hessen und am 9. Juli 1921 Niedersachsen. Am 1. Max Wien, weil dieser gegenwartig vie1 in Berlin ist. Da Oktober 1921 trat schlieRlich auch der Gauverein Berlin ins dieser wegen Uberbiirdung mit Militargeschaften ablehn- Leben. Die seit Grundung der Gesellschaft iiblichen Sitzungen te, kam niemand mehr in Betracht, von dem wir hoffen jeden zweiten Freitag gingen weiter, aber nun nicht mehr unter durften, daR er oft bei den Sitzungen anwesend sei. Da fie1 der Verantwortung der Gesamtgesellschaft, sondern des Berliner die Wahl spontan auf Sie, ohne daB sonst ein anderer in Gauvereins. Damit war die Umstrukturierung im Prinzip abge- Betracht gezogen worden ware. Diese Einhelligkeit ver- schlossen. Anfang 1924 besal3 die DPG 1300 Mitglieder. Davon dient Anerkennung, und diese der Gesellschaft bald gehorten zum Gauverein Berlin 360, zu Hessen 94, Munchen zukommen zu lassen in Gestalt eines erquickenden 60, Niedersachsen 120, Prag 55 und Wien 90 Mitglieder. Ja Immerhin waren noch iiber 500 ohne Gauverein. Bis Anfang bittet Sie Ihr A. Einstein (Haberlandstr. 5). [20] 1933 hatte sich die Zahl der Gauvereine auf zehn erhoht und der

F-78 Mitglieder ohne Gauverein auf 368 reduziert. Fast alle lebten im wachsen. Es handelte sich, wie Karl Scheel den Mitgliedern Ausland. erlauterte, ,,zum grol3ten Teil [um] ein Geschenk der Firma AuRer dem Gegensatz zwischen den Berliner Mitgliedern Friedr. Vieweg & Sohn an die Deutsche Physikalische Gesell- und den Auswartigen gab es am Ende des Ersten Weltkrieges schaft”. Bei der gegenwmigen Lage des Buchgewerbes sei eine noch andere Spannungen unter den Kollegen. Zwei Drittel der Fortdauer dieses Zustandes ausgeschlossen. Die Institutsetats deutschen Physiker waren in der Industrie tatig. Sie fuhlten sich und die Gehalter hielten nicht Schritt mit den steigenden Prei- in ihrem Werte unterschatzt und wollten nicht langer hinneh- sen, und die Folge war ein Ruckgang des Absatzes. men, ,,von den reinen Wissenschaftlem uber die Schulter ange- Als einzig gangbare Losung schlug der Vieweg-Verlag vor, sehen” zu werden. die Verhandlungen im Umfang erheblich zu vermindern und nur Am 9. Juni 1919 wurde die ,,Deutsche Gesellschaft fur Tech- noch die geschaftlichen Mitteilungen und Kurzreferate der Vor- nische Physik” (DGTP) gegrundet. Erster Vorsitzender wurde trage zu veroffentlichen. Um weiterhin genugend Publikations- Georg Gehlhoff, zweiter Vorsitzender Karl Mey. Die Mitglie- raum zu haben, war der Verlag bereit, eine neue Fachzeitschrift derzahl wuchs innerhalb eines Jahres von 60 auf 500. Auf der ins Leben zu rufen, die ,,Zeitschrift fur Physik”. Diese muBte Grundungsversammlung in der TH Charlottenburg lehnten es von den Mitgliedem auf eigene Kosten abonniert werden, wozu die technischen Physiker ausdriicklich ab, als Unterorganisation der Verlag einen Preisnachlal3 einraumen wollte. der DPG beizutreten. Es kam trotzdem zu einer kollegialen Wilhelm Wien betrachtete die Neugrundung als eine Kooperation und spater sogar (als Vorstufe zur Fusion) zu einer ,,Unfreundlichkeit gegen die Annalen” und kundigte seinen Art Personalunion. So wurde bei der Physikertagung in Wurz- Austritt aus der Gesellschaft an. Dazu ist es aber schlieljlich burg 1933 Karl Mey, der Vorsitzende der DGTP, auch zum doch nicht gekommen. Auch Einstein, der mit Fritz Haber, Vorsitzenden der DPG gewahlt. Funf Jahre spater war in der Eugen Jahnke und Karl Scheel die Entscheidung vorbereitet DPG Carl Ramsauer Vorsitzender des Gauvereins Berlin und hatte, empfand es als gar nicht glucklich, wie er Sommerfeld Karl Mey sein Schatzmeister, w3hrend zur gleichen Zeit in der berichtete, ,,daR wir neben den Annalen noch eine andere Zeit- DGTP Mey als Vorsitzender und Ramsauer als Stellvertreter schrift fur groRere Abhandlungen brauchen”: fungierte. Zu einer neuen Belastungsprobe innerhalb der DPG ent- Aber die Unzufriedenheit uber die Redaktion und uber wickelte sich die Reform der ,,Verhandlungen”. In der Vor- den Verleger der Annalen ist allgemein und berechtigt. kriegszeit war der Umfang auf bis zu 1600 Seiten im Jahr ange- Die Annalen drucken langsam, wahlen so gut wie gar

Weihnachtsfeier des Physikalischen Instituts Danzig 1923 (vorne Carl Ramsauer, zwei Platze weiter seine Frau, zweiter von links mit Geige Ernst Bruche).

F-79 Tanzfest im Hause von R obert Pohl mit dem Hausherren, G.ustav Herz, Bernhard Gudden, dem Geologen Hans W. Stille, dem Zoologen Alfred Kiihn und Wer- ner Heisenherg. (Dezember I1925)

nicht aus, lassen unnotige Langen zu. Wenn man vom gemeinsamen Besprechung auf der Wanderversammlung [in Verlag das Sonderdruckrecht fur eine Arbeit will, dann Bad Nauheim] zu vertagen”. So lange aber wollten die Mitglie- macht er Schwierigkeiten; derselbe ist uberhaupt inkulant der nicht warten. Bereits am 7. Mai setzten sie eine Aussprache bei jeder Gelegenheit. Wenn wir keine brauchbare Zeit- durch. Durch eine Erweiterung der Zeitschriftenkommission schrift zustande kriegen, dann wird sie sofort von Springer durch einige ,,in Redaktionsfragen erfahrene Mitglieder” wie begrundet. Arnold Berliner, Johannes Stark und Max Wien versuchte der Wenn Sie da gewesen waren, so hatten Sie auch nichts Vorstand, den Unmut aufzufangen. Die offen geaul3erten anderes tun konnen als wir, ebensowenig Kollege Wien. Befurchtungen der Kritiker, die in Wahrheit deren geheime Aber von der Ferne sieht alles schief und suspekt aus, Hoffnungen waren, dal3 die ,,Zeitschrift fur Physik” nicht besonders wenn es von den + [= verflixten] Berlinern lebensfahig sei, wurden in den kommenden Jahren durch den kommt! Und doch sind wir (beinah) alle sanft wie Lam- geradezu sensationellen Erfolg der Neugrundung schlagend mer und verschuchtert durch unser boses RenommC. Sal3e widerlegt. Der Aufschwung provozierte jedoch neuen Unmut, ich wo anders, so wiirde ich naturlich auch gegen die und funf Jahre spater wurde die ,,Zeitschrift fur Physik” aber- gewalttatigen Berliner losziehen, so glaube ich wenig- mals zum Zankapfel. stens! Wenn Sie und Herr Wien gesehen hatten, wie Vorerst aber ging der Streit um Einstein und seine Allgemei- ,,belammert” wir uns gestern in der improvisierten Vor- ne Relativitatstheorie. Wie schon bei Kriegsausbruch 1914, als stands-Sitzung um das Problem unserer Taufe bemuhten, sich sein Hal3 in erster Linie gegen England richtete, befand sich dann wurde das kleinste Zornfaltchen in Ihrem und Herrn Philipp Lenard 1919 erneut in einem Zustand der hochsten Erre- Wiens Gesicht verschwunden sein. [22] gung und Erbitterung. Schuld an allem waren fur ihn jetzt ,,die Juden”. Ende des Jahres verabschiedete er seine Studenten in Am 17. Dezember 1919 hatten Einstein, Haber, Planck, Rubens, die W-eihnachtsferien mit den Worten: ,,Wir sind ein ehrloses Scheel und Westphal die von Einstein erwahnte ,,improvisierte Volk, weil wir ein wehrloses Volk sind. Wer sich nicht wehrt, Vorstandssitzung” uber die Zeitschriftenfrage abgehalten. Am ist nichts wert. Wem verdanken wir unsere Wehrlosigkeit? - 19. Dezember fand dann nochmals eine Sitzung von Vorstand Den jetzigen Machthabern. Arbeiten Sie daran, dal3 wir im und Beirat der Deutschen Physikalischen Gesellschaft statt. nachsten Jahre eine andere Regierung haben.” Reichsprasident Weil aber die Kritik aus dem Kollegenkreis nicht verstumm- Ebert, Reichskanzler Bauer und seine Minister hiel3en bei Len- te, wollte man nicht ohne den Vorsitzenden der Gesellschaft ard nur die ,,November-Verbrecher”. Wie hatten diese Manner entscheiden. Arnold Sommerfeld nahm die Muhe einer Eisen- uberhaupt an die Macht gelangen konnen? Man mochte es nicht bahnfahrt nach Berlin auf sich (die Verkehrsverhaltnisse waren glauben: Die antisemitischen Hetzreden von Anton Drexler und noch recht chaotisch). Er leitete die am 28. bis 30. Dezember in Munchen gaben Lenard, so seine eigenen Worte, 1919 stattfindenden Sitzungen des Vorstandes und der Zeit- eine ,,vernunftgem%e, einleuchtende Aufklarung”. schriftenkommission. Der Titel ,,Zeitschrift fur Physik” wurde Weil in der Physik nicht mehr von seinen Leistungen die gebilligt, damit war der Weg frei fur die neue Fachzeitschrift. Rede war, sondern nur noch von Einsteins Lichtquanten, Ein- In einer Erklarung des Vorstandes wurden die Mitglieder steins Masse-Energie-Aquivalenz und Einsteins Relativitats- gebeten, ,,die Neuordnung des Zeitschriftenwesens als eine vor- theorie, mul3te es sich um ,,typisch judische Blendwerke” han- Iaufige anzusehen ... und etwa zu erhebende Bedenken bis zur deln. Insbesondere die Allgemeine Relativitatstheorie, uber die

F-80 nun schon die Zeitungen schrieben, war ihm ein typischer fuhlt jeder, dal3 hier Menschengeist triumphiert hat. Das ,,Judenbetrug”. Das hatte man, meinte er, ,,mit mehr Rassenkun- Licht zuckt wieder auf, die Sitzung ist geschlossen. An de auch von vornherein vermuten durfen”, da Einstein der der Wandtafel hangt die Originalphotographie. Hart dran- Urheber war. gen sich Gelehrte und Laien, um die sechs oder sieben Zu allem Uberflulj war es Lenard gewesen, der 1906 auf unscheinbaren weiljen Punktchen zu sehen, die Welten Wunsch des Preuljischen Kultusministeriums und, wie wir ihm sturzen und Welten bauen. [23] durchaus glauben, mit ,,groljer Freude” den Plan fur ein univer- sitatsunabhangiges ,,Institut fur physikalische Forschung” aus- Am 1. August 1920 erhielt Lenard Besuch in seinem Heidelber- gearbeitet hatte. Hier wollte er unbelastet von Vorlesungsver- ger Institut am Philosophenweg. Es kam ein jungerer Herr aus pflichtungen seine wissenschaftlichen Ideen verfolgen. Als das Berlin, der sich als Paul Weyland vorstellte und dem Geheimrat Institut mit groljer Verspatung endlich 1917 als Einrichtung der berichtete, dalj er ,,Einsteins Machenschaften” systematisch als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft realisiert wurde (wenn auch nur ,,undeutsch” bekampfen wolle. Er plane die Grundung einer im juristischen Sinne), muljte er erleben, dalj ausgerechnet sein ,,Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung Intimfeind Einstein zum Direktor ernannt wurde. reiner Wissenschaft”. Diese Absichten kamen Lenard uberaus Als am 20. Februar 1920 Max von Laue auf der Sitzung der gelegen, war er doch schon lange uberzeugt, ,,dal3 eine Bekamp- DPG Aufnahmen der britischen Sonnenfinsternisexpeditionen fung des Einsteinschen Einflusses notig” sei. Der Mann schien zeigte, berichtete das Berliner Tageblatt zum wiederholten Male ihm ,,sehr tatkraftig”, und Lenard fand, er musse unterstutzt euphorisch uber die Allgemeine Relativitatstheorie. Philipp Len- werden. Deshalb schickte ihn der Geheimrat gleich zu seinem ard sah in diesem Zeitungsartikel ein neues Beispiel fur die Freund Johannes Stark, damit ,,keine Zersplitterung unsere ,,widerw%rtigeLobhudelei“ der judischen Presse fur den Juden Absichten hindert”. Einstein: Eine Bewegung braucht einen Kopf und einen Sabel. Mit Paul Weyland war das ausfuhrende Organ gefunden, der vol- Der Saal wird verdunkelt; es erscheint das Bild der verfin- kisch gesinnte und antisemitische Agitator, der die Parolen auf- sterten Sonne, von ihrem Strahlenkranze umgeben. Und griff und Hiebe austeilte. Am 6. August eroffnete Weyland die rings herum, kaum sichtbar, mit Tinte markiert, ein paar Kampagne mit einem Aufsatz in der Taglichen Rundschau. kleine Sternchen. Sonst nichts. Mit knappen Worten Schon die Uberschrift war eine Fanfare: ,,Einsteins Relativitats- erklm v. Laue, was sie bedeuten, wie gut ... Theorie und theorie - eine wissenschaftliche Massensuggestion”. Spottisch Beobachtung sich decken. Ein Zweifel sei vor diesem nannte er Albert Einstein einen neuen ,,Albertus Magnus”. Der Bilde nicht mehr moglich. Knapp, klar, streng sachlich, Vergleich kommt uns heute naheliegend vor: In seiner Epoche keine zwei Minuten. Die zwingende Gewalt der Wahrheit konnte jeder der beiden als der groljte unter den Gelehrten gel- bedarf keines groljen, klingenden Wortschwalls. Und doch ten, Albertus Magnus im 13., Albert Einstein im 20. Jahrhun-

Instituitsausflug des Physikali- schen Instituts der Universitat Miinclien (Lehrstul11 Wilhelm Wien) zum Herzogritand-Heim- garten 1926. Wien gal nz rechts.

F-81 dert. Weil er von der Sache nichts verstand, gebrauchte Wey- Einstein zu seinem EntschluB gebracht. Ein Individuum wie land lange Zitate aus den Schriften Lenards. Und zum SchluB Weyland hatte ihn am Ende kalt gelassen.” Unter allen Umstan- kundigte er an, die deutsche Wissenschaft werde ,,demnachst den wollte der selbst national denkende Max von Laue verhin- geschlossen gegen Einstein auftreten” und ,,mit ihm zu Gericht” dern, ,,daB national sein wollende Kreise einen Mann vertreiben, gehen. auf den Deutschland stolz sein konnte, wie nur auf ganz weni- Wer war Paul Weyland, dal3 er es wagen durfte, die Opposi- ge”. Man kame sich manchmal vor, ,,ah lebte man in einem tion der deutschen Gelehrten gegen Einstein anzukiindigen? Er Tollhaus”. Gemeinsam mit seinen Kollegen Walther Nemst und scheint ,,gar kein Fachmann zu sein”, konstatierte Einstein: Heinrich Rubens veroffentlichte er in den Berliner Zeitungen ,,Arzt? Ingenieur? Politiker? Ich konnt’s nicht erfahren.” Was eine Ehrenerklang fur Einstein. damals Einstein und die Berliner Physiker beschaftigt hat, dem In einem herzlich abgefal3ten Schreiben appellierte auch sind spater die Historiker nachgegangen. Dem Hamburger Phy- Sommerfeld an Einstein, in Deutschland auszuharren. ,,Mit sikhistoriker Andreas Kleinert ist es gelungen, den NachlaB Paul wahrer Wut habe ich, als Mensch und als Vorsitzender der Phy- Weylands ausfindig zu machen. Erhebendes ist nicht zu Tage sikalischen Gesellschaft, die Berliner Hetze gegen Sie verfolgt.” gekommen. Weyland war ein Hochstapler und Betriiger, der in seinem armseligen Leben immer wieder rnit dem Gefangnis DaB Sie, ausgerechnet Sie, sich ernstlich dagegen verteidi- Bekanntschaft gemacht hat, dazu ein primitiver Antisemit und gen mussen, daB Sie abschreiben und die Kritik scheuen, Antidemokrat. Ohne die Unterstutzung Lenards hatte es dieser ist ja wirklich ein Hohn auf jede Gerechtigkeit und Ver- GernegroB niemals gewagt, eine Kampagne gegen Einstein in nunft. [24] Gang zu setzen. Am 24. August 1920 organisierte Paul Weyland im groBen Zu diesen Solidaritatskundgebungen kam noch ein offener Brief Saal der Berliner Philharmonie eine Massenversammlung gegen des preuBischen Kultusministers Konrad Haenisch: ,,Wo sich die Relativitatstheorie. Im Foyer lagen antisemitische Hetzblat- die Besten fur Sie einsetzen, wird es Ihnen um so leichter fallen, ter, und hier konnte man in der Pause die neueste Schrift Len- solch haBlichem Treiben keine weitere Beachtung zu schenken.” ards fur sechs Mark kaufen. In seiner Rede zog Weyland alle Mit den vielen Beweisen der freundschaftlichen Gesinnung Register, und Max von Laue staunte, wie da die schwierigsten gewann Einstein die Uberzeugung, dal3 es falsch ware, Berlin wissenschaftlichen Themen auf Bierzeltniveau behandelt wur- und den Kreis seiner ,,bewahrten Freunde” zu verlassen. den. Die Relativitatstheorie war fur ihn nichts weiter als eine Weyland aber, von dem die Erschiitterungen ausgingen, hatte ,,Massensuggestion”, Produkt einer geistig verwirrten Zeit, wie mit der Ankundigung weiterer Massenveranstaltungen gegen die sie anderes AbstoBende schon die Menge hervorgebracht habe. Relativitatstheorie nur geblufft. Die beriihmten Namen, die als So steigerte sich der Demagoge bis zu dem Satz: Die Relati- Redner zur Verfugung stehen sollten, waren von ihm einfach vitatstheorie ist wissenschaftlicher Dadaismus. miRbraucht worden. Nicht einmal Lenard (der doch in der Sache Damit war die Verbindung hergestellt zwischen ,,entarteter vollig mit ihm ubereinstimmte) wollte zu einem Vortrag nach Wissenschaft” und dem, was spater einmal, wahrend des Dritten Berlin kommen. So suchte der ,,Schriftwart der Einstein-Geg- Reiches, ,,entartete Kunst” heiRen sollte. Der Vergleich der All- ner”, wie er sich nannte, verzweifelt nach geeigneten Referen- gemeinen Relativitatstheorie mit dem im Gefolge des Ersten ten. Dabei unterlief ihm ein verhangnisvoller Fehler. Er wandte Weltkrieges entstandenen Dadaismus war diabolisch: Die For- sich an eine Reihe von Gelehrten und bot Geld fur ihre Beteili- meln Einsteins muaten auf den physikalischen Laien tatsachlich gung: ,,Geschaftlich durfte bei der Sache ein Gewinn von etwa so unverstandlich wirken wie das Wortgestammel dadaistischer 10 000 bis 15 000 Mark fur Sie herauskommen.” Der Brief Gedichte. Zudem besaR Einstein, wie man wuBte, pazifistische wurde veroffentlicht, und Weyland war erledigt. Er ging ins und sozialistische Sympathien - was der politischen Tendenz Ausland, wo sich seine Spur durch seine Betrugereien und der Dadaisten entsprach. So sollte gegen den ,,Dadaismus” und Zechprellereien weiterverfolgen IieB. Wenn Weylands Ziel gegen den ,,wissenschaftlichen Dadaismus” der Relativitatstheo- wirklich ein sachliches war, namlich der ,,Reklame” fur die rie das ,,gesunde Volksempfinden” mobilisiert werden. Diese Relativitatstheorie ein Ende zu bereiten, dann hat er genau das Taktik wurde spater von den Nationalsozialisten zur Meister- Gegenteil erreicht. Es gab fortan noch mehr Rummel. schaft entwickelt. In diesem Jahr 1920 weckte die Versammlung der Deutschen Als zweiter Redner des Abends trat der Physiker Ernst Naturforscher und Arzte Interesse wie noch nie. Weder Hanno- Gehrcke auf. ,,Obwohl er den alten Kohl wieder aufwarmte”, ver noch eine andere groBe Stadt konnten die 2000 Tagungsteil- berichtete Max von Laue, ,,war seine ruhige, sachliche Art zu nehmer wegen der allgemeinen Emahrungs- und Wohnungsnot reden eine Erholung nach Weyland, der sich mit dem gewissen- aufnehmen, und die Organisatoren entschlossen sich, nach Bad losesten Demagogen messen kann.” Nauheim zu gehen. Nach der ersten Veranstaltung kundigte die ,,Arbeitsgemein- Sechs Jahre hatte der KongreE nicht stdttfinden konnen. Jetzt schaft” (von Max von Laue die ,,Schirnpfgemeinschaft” aber wollten die deutschen Gelehrten vor der Offentlichkeit genannt) zwanzig weitere Groakundgebungen rnit illustren Red- Rechenschaft ablegen, daB sie wahrend des Krieges weitergear- nern an: den Physikern Philipp Lenard und Otto Lummer, dem beitet und damit dem Vaterlande gedient hatten. Hauptthemen Astronomen Max Wolf und dem Philosophen Melchior PalBgyi. waren die Ernahrungslage des deutschen Volkes, die Herstel- Am 27. August meldete das Berliner Tageblatt, daB Einstein, lung und Bedeutung des Stickstoffdungers, der Bau der Atome des Kampfes mude, Berlin und Deutschland verlassen wolle. und die Relativitatstheorie. Diese werde in ganz anderem Geiste ,,DaB sich diese Leute dazu hergeben, mit einem gerneinen Ehr- zur Verhandlung kommen, als in ,jenen tumultarischen Ver- abschneider, wie es dieser Weyland ist, an einem Strange zu sammlungen in Berlin”, sagte Friedrich von Muller, der Vorsit- ziehen, ist schlechthin unbegreiflich”, berichtete Max von Laue zende der Gesellschaft, in seiner Eroffnungsrede am Vormittag aufgebracht an Arnold Sommerfeld: ,,Jedenfalls hat gerade dies des 20. September.

F-82 Arnold Sommerfeld hatte vor dem Kongrelj mit Max Planck grol3en Anderungen unterworfen, ist eine Funktion der beraten und dem Munchener Internisten ,,eine scharfe Abwehr &it. Ein Zeitgenosse Galileis hatte dessen Mechanik auch gegen die )wissenschaftlichec Demagogie und eine Vertrauens- fur sehr unanschaulich erklm. Diese )anschaulichenc Vor- kundgebung” fur Einstein in den Mund gelegt. Wie verabredet stellungen haben ihre Tucken, genau wie der vie1 zitierte sagte der Vorsitzende der Naturforschergesellschaft: >gesundeMenschenverstandc.” [26]

Wissenschaftliche Fragen von solcher Schwierigkeit und An dieser Stelle verzeichnete das Protokoll ,,Heiterkeit”. Nach solch hoher Bedeutung lassen sich nicht in Volksver- vier Stunden schloB Planck die Versammlung. Wenigstens sammlungen rnit demagogischen Schlagwortern und in der waren aul3erlich die Formen akademischer Auseinandersetzun- politischen Presse rnit gehassigen personlichen Angriffen gen gewahrt geblieben. ,,Da die Relativitatstheorie es leider zur Abstimmung bringen. Sie werden vielmehr im engen noch nicht zustande gebracht hat, die zur Verfugung stehende Kreis der eigentlichen Fachgelehrten eine sachliche Wur- absolute Zeit von 9 bis 1 Uhr zu verlangern, mu13 die Sitzung digung finden, die der Bedeutung ihres genialen Schopfers vertagt werden.” Einen solchen Kalauer hatte man von Planck gerecht wird. [25] noch nicht gehort. Ihm war eine schwere Last von der Seele genommen. Am 23. September um 9 Uhr eroffnete Planck die Vormittags- sitzung der mathematisch-physikalischen Sektion. Der grol3e Saal des Badehauses Nr. 8 und die Galerie waren voll besetzt. Lise Meitner, die Planck seit ihrer Assistentenzeit bei ihm gut kannte, erlebte zum ersten und einzigen Ma1 den verehrten Geheimrat aul3erlich merklich aufgeregt: ,,Ich hatte vor der Sit- zung ein langeres Gesprach rnit Planck, wo er mir sagte, wie immer diese Sitzung ausgehe, durfe Deutschland nicht Einstein verlieren ... Er habe von Einstein das Versprechen bekommen, dalj Einstein nichts unternehmen werde, ohne vorher sich rnit Planck zu beraten.” Zuerst kamen rnit ihren Vortragen (Zurich), Gustav Mie (Halle), Max von Laue (Berlin) und Leonhard Grebe (Bonn), dann folgte die Diskussion uber diese vier Refe- rate. Erst ganz zum SchluB angesetzt war die Generaldiskussion, bei der Philipp Lenard das Wort ergreifen wollte. Auf diese Weise hofften die Organisatoren, die Erregung dtimpfen zu kon- nen. Aber nur wenige gaben auf und verlieljen den Saal. Die meisten, so der Sonderkorrespondent des Berliner Tageblattes, ,,harren in der Schwule tapfer der Dinge, die da kommen sol- len”. Hinter dem Journalisten stand Paul Weyland. Auf dem Boden dieser wissenschaftlichen Versammlung hielt sich der ,,Berliner Einstein-Toter” im Hintergrund, wie es ironisch im Tagungsbericht hieB, und gab sein gespanntes Interesse ,,nur Georg H. Barkhausen, Max von Laue, Otto Hahn und Hiittenwirt (v. 1. durch nervoses Schutteln der M2hne und leise Beifallsrufe bei n. r.), vorne Hans Bobek in den Alpen. Lenards Worten zu erkennen”. Schwer empfand Planck seine Verantwortung. Die deutsche Wissenschaft rang um ihre Anerkennung in der Welt. Ein Die am 1. Januar 1920 in Kraft getretene neue Satzung sah Tumult beim Kongre13 der grol3ten und altesten wissenschaftli- eine eigene ,,Wanderversammlung” in den Jahren vor, in denen chen Gesellschaft des Landes mul3te katastrophale Auswirkun- die ,,Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte” nicht gen auf das Ansehen des deutschen Geistes zur Folge haben. tagte. So gab es den ersten ,,Deutschen Physikertag” im Jahr Als ein Gegner der Relativitatstheorie den Zeitungsartikel kriti- 1921. Er wurde von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft sieren wollte, den Einstein gegen Paul Weyland geschrieben und der Deutschen Gesellschaft fiir Technische Physik gemein- hatte, erklarte Planck kurz und scharf, das gehore nicht zur sam ausgerichtet. Siebenhundert Wissenschaftler versammelten Sache und entzog ihm das Wort. Dann war es soweit. Es sich vom 18. bis 24. September 1921 in der thuringischen Uni- begann, was Einstein spater den ,,Hahnenkampf uber Relati- versitatsstadt , dem Sitz der optischen Fabrik Carl Zeiss und vitat” genannt hat. Ruhig, ein wenig zeremoniell, erteilte Planck des Glaswerkes Schott und Genossen. Die Veranstaltungen fan- abwechselnd Einstein und Lenard das Wort. den im Auditorium Maximum der Universitat, im groljen Hor- saal des Physikalischen Instituts und im groljen Saal des Volks- Einstein: ,,Die Erscheinungen im [bremsenden] Zuge sind hauses statt. Es sei ein ,,besonden glucklicher Gedanke” gewe- die Wirkungen eines Gravitationsfeldes, das induziert ist sen, hiel3 es in der Lokalzeitung, auf dieser Tagung die beiden durch die Gesamtheit der nilheren und ferneren Massen.” Gruppen der Physiker, die wissenschaftlichen und die techni- Lenard: ,,Ein solches Gravitationsfeld mul3te doch auch schen, zusammenzufassen und dazu nach Jena zu gehen, ,,wo anderweitig noch Vorgange hervorrufen, wenn ich mir die innige Verknupfung von Wissenschaft und Technik durch sein Vorhandensein anschaulich machen will.” das Zeisswerk und die Glashutte auch den Kurzsichtigen ad Einstein: ,,Was der Mensch als anschaulich betrachtet, ist oculos demonstriert wird”.

F-83 Man sah zahlreiche namhafte Physiker wie Hans Geiger, Besonders erfreulich sei, so las man in der Zeitung, ,,dafi Walther Gerlach, Richard Pohl, Heinrich Rubens, Adolf Sme- auch von jenseits der Grenzpfahle zahlreiche Physiker, Techni- kal, Otto Stem und Emil Wiechert, sowie von den Mitgliedern ker und Mathematiker hergekommen sind, um an deutscher des Vorstandes Wilhelm Wien, Arnold Sommerfeld, Max von Arbeit teilzunehmen oder mit ihr Fuhlung zu gewinnen”. Gera- Laue und Wilhelm Westphal. Von den ausgesprochenen Ein- de aber an der Beteiligung der Auslander fehlte es. Die Akade- stein-Gegnem waren Philipp Lenard, Hermann Fricke und Lud- mien und gelehrten Gesellschaften der Entente-Lander boykot- wig C. Glaser gekommen. Die Relativitatstheorie aber spielte tierten alle Veranstaltungen der deutschen Wissenschaft. Die auf der Tagung nur eine untergeordnete Rolle, und Zwischenfal- deutschen Gelehrten mufiten sich zuvor fur ihr Verhalten im le gab es keine. Ersten Weltkrieg entschuldigen, insbesondere fur das ,,Manifest

Walther Nernst wiihrend der Vorlesung an der Universitat. (Berlin 1926)

F-84 der 93 deutschen Intellektuellen” und die Kriegfuhrung mit sich, ihren KongreB - die 2. Physikertagung - demonstrativ in Giftgas. Bonn abzuhalten. Wie das gesamte linksrheinische Gebiet war Im September 1922 stand wieder die Jahresversammlung der die Stadt gemaB den Bestimmungen des Versailler Vertrages Deutschen Naturforscher und Arzte bevor. Die Gesellschaft war bereits seit 1920 von franzosischen Truppen besetzt. 1822 von Lorenz Oken in Leipzig gegriindet worden. Einhun- Viele Kollegen fuhlten sich aus nationaler Solidaritat zur dert Jahre spater ging man wieder in die alte Messestadt, um das Teilnahme verpflichtet. Max Born war unsicher und fragte Ein- Jubilaum zu feiern. Die Gelegenheit sollte genutzt werden, um stein. Dieser mil3billigte den EntschluB. In Anspielung auf die vor der Welt erneut den Rang der deutschen Wissenschaft zu deutsche Machtpolitik vor dem Ersten Weltkrieg nannte er die demonstrieren. Tagung im besetzten Gebiet das ,,moralische Aquivalent einer Zum Ersten Vorsitzenden der Naturforschergesellschaft war Flottendemonstration gegen Frankreich”. Aber auch er fuhr fur das Jubilaumsjahr Max Planck gewtihlt worden, und Einstein nach Bonn: ,,Die Wolfe konnen aus ihrer Haut nicht heraus, und hatte ihm einen Vortrag uber ,,Das Relativitatsprinzip in der man mulj kameradschaftlich rnit ihnen heulen.” Physik” zugesagt. Am 7. Juli erhielt Planck einen Brief Ein- Nur 300 Physiker kamen nach Bonn. In den Zeitungen steins, der ihn ,,wie ein Blitz aus heiterem Himmel” traf. Es besonders willkommen geheil3en wurde Albert Einstein. Zwar seien ihm Warnungen zugegangen, teilte Einstein mit, wonach wolle man keinen Personenkult pflegen, hieB es in der Deut- er ,,mit an erster Stelle auf einer schwarzen Liste stehe”. Des- schen Reichs-Zeitung, aber seine Teilnahme bedurfe doch der halb sehe er sich genotigt, vorerst jedes offentliche Auftreten zu geziemenden Hervorhebung : ,,Mit der Ehrung des groBen Den- unterlassen; er konne den ubernommenen Vortrag nicht halten. kers ehren wir eine Leistung deutscher Wissenschaft, die mit ,,So weit sind wir also nun glucklich gekommen”, klagte unverganglichen Lettern in die Tafeln der Wissenschaftsge- Planck, ,,daB eine Morderbande ... einer rein wissenschaftlichen schichte eingeschrieben ist.” Wie man es auch in vielen zeit- Gesellschaft ihr Programm diktiert.” Planck war so auBer sich, genossischen Denkschriften lesen konnte, betonte die DRZ, dal3 dal3 er Schimpfworte gebrauchte. An seinen friiheren Schuler die Wissenschaft das einzige Feld sei, ,,auf dem wir bisher noch und Freund Max von Laue schrieb er: ,,So weit haben es die ein letztes Stuck Weltgeltung haben behaupten konnen”. Lumpen wirklich gebracht, dal3 sie eine Veranstaltung der deut- Obwohl Einstein zunachst skeptisch gewesen war, fand er schen Wissenschaft von historischer Bedeutung zu durchkreu- den PhysikerkongreB in Bonn schliel3lich doch ,,sehr interes- Zen vermogen.” sant”. Auch er habe, berichtete er, in den Diskussionen ,,seinen Auf Bitten Plancks ubernahm Max von Laue den Vortrag Senf dazu” gegeben: ,,Man behandelt mich wie einen Heiligen, uber die Relativitatstheorie. ,,Das endgultige Programm wird obwohl es mir in diesem Kostum gar nicht behaglich ist.” also einfach Laues Name an Stelle desjenigen von Einstein brin- In der Deutschen Reichs-Zeitung las man auch, daB jetzt ,,die gen”, berichtete Planck an die Kollegen. ,,Rein sachlich genom- Hauptmasse unseres Papiergeldes in Tausendmarkscheinen men hat dieser Wechsel vielleicht sogar den Vorteil, dal3 dieje- besteht”. Man sei aber uber die 50000- und die 100000-Mark- nigen, welche immer noch glauben, da5 das Relativitatsprinzip scheine langst zu Millionenscheinen gekommen, und die ,,vor- im Grunde eine judische Reklame fur Einstein ist, eines besse- ausschauende Reichsbank” plane bereits die Ausgabe eines Mil- ren belehrt werden.” liardenscheines. Nach vier Tagen muljten die Physiker ihre Die Antisemiten aber waren unbelehrbar. Philipp Lenard und Tagung vorzeitig schlieBen, weil die Reichsbahn eine Verdreifa- seine Freunde blieben dabei: Es sei ,,mit dem Ernst und der chung ihrer Preise ankundigte. Wiirde” der Wissenschaft unvereinbar, wenn eine angeblich ,,in Am 17. Juli 1922 war Heinrich Rubens im Alter von 57 Jah- hochstem Mal3e anfechtbare Theorie voreilig und marktschreie- ren an Leukamie gestorben. Planck hatte rnit ihm ,,einen absolut risch in die Laienwelt getragen” werde. Die Einstein-Gegner zuverlassigen, aufrichtigen und wertvollen Kollegen und lieBen ein Flugblatt drucken, sandten es an die Zeitungen und Freund” verloren. Rubens war der Organisator und die Seele des verteilten es an die Tagungsteilnehmer. ,,Im ersten Augenblick Physikalischen Kolloquiums gewesen, das jeden Mittwoch von dachte ich, der Handzettel sei wohl das Werk eines Veniickten”, 17.30 bis 19.00 Uhr in der Bibliothek des Instituts stattfand. Die berichtete . Er hatte gerade sein viertes Stu- Leitung des Kolloquiums ging nun auf Max von Laue uber. Die diensemester hinter sich und war auf den Rat seines verehrten Zahl der Teilnehmer erhohte sich betrachtlich in den zwanziger Lehrers Sommerfeld nach Leipzig gekommen. Dem jungen Hei- Jahren. senberg brach eine grol3e Hoffnung zusammen. ,,Ich war so In dem veralteten Institut sei Heinrich Rubens die For- iiberzeugt gewesen, dal3 wenigstens die Wissenschaft vom Streit schungsarbeit ,,wahrlich nicht leichtgemacht” worden, sagte der politischen Meinungen ... vollstandig ferngehalten werden Planck in seinem Nachruf: konnte.” Heisenberg hat den Vortrag Laues uber ,,Das Relativitat- Welche Leistungen er hier vollbrachte, wie er der durch sprinzip in der Physik” gehort. Da jedoch in dem ihm vorliegen- die Lage des Gebaudes bedingten mechanischen und den Programm fur die I. Allgemeine Sitzung in der Alberthalle magnetischen Storungen dadurch Herr wurde, daB er des Kristallpalastes der Name Einstein ausgedruckt war, glaubte einerseits besondere Instrumente konstruierte, andererseits er, der Gelehrte vorne am Rednerpult, den er in dem grol3en die Beobachtungen in ruhige nachtliche Stunden verlegte, Saal schlecht sehen konnte, sei Einstein. Erst als er am Ende wie er im Winter mit beharrlicher Geduld der Eiseskalte seines Lebens das Ereignis in seiner Autobiographie schilderte, trotzte, wie er in der Nachkriegszeit das wiederholt von wurde er von Lesern auf seinen Irrtum aufmerksam gemacht. Kugeln politischer Fanatiker und von Sprengwerkzeugen Wegen einer minimalen Verletzung des Versailler Vertrages nachtlicher Einbrecher bedrohte Haus dennoch als eine riickten im Januar 1923 franzosische und belgische Truppen ins personliche Heimat liebte und als von Helmholtz uber- Ruhrgebiet ein. Die Reichsregierung rief die Bevolkerung zu kommenes Erbe hoch in Ehren hielt, das wird in seiner passivem Widerstand auf. Die deutschen Physiker entschlossen ganzen Bedeutung erst gegenwartig so recht fuhlbar. [27] - F-85 Auf Platz 1 der Berufungsliste kam, wie schon 1906, Wil- sungsgesuch zuriick, als ihm das Ministerium einen Verwal- helm Wien. Abermals verhandelte Wien iiber einen Neubau, tungsassistenten zubilligte, der fortan fur die Einhaltung der und abermals muBte der Plan ,,als der Zeit zu wenig entspre- Vorschriften zustandig sein sollte. chend bei Seite gelassen” werden. Wien schlug nun vor, Lenard Wie recht Planck hatte mit seinem Urteil iiber Lenard, zeigt zum Nachfolger von Rubens in die Reichshauptstadt zu berufen. eine Episode, die Wilhelm Hanle als Heidelberger Student im Gegen Lenard lief bei der badischen Regiemng ein Disziplinar- 5. Semester bei einem Seminarvortrag erlebte. Lenard hatte ihm verfahren, das auf diese Weise gegenstandslos gemacht werden drei Themen gestellt. Beim ,,Durchgang des Lichtes durch ein sollte. Nach dem Mord an Walther Rathenau, als von der bewegtes Medium” gab es keine Probleme, und der Geheimrat Reichsregierung am 27. Juni 1922, am Tage der Beerdigung, nickte seinem Studenten freundlich zu. Dann kam die Energie- Staatstrauer angeordnet war, hatte Lenard seine Studenten Masse- Aquivalenz: demonstrativ arbeiten lassen. Daraufhin war das Heidelberger Institut von einer aufgebrachten Menge unter Fuhrung des sozi- Ich brachte zunachst die Theorie von Hasenohrl. Lenard aldemokratischen Reichstagsabgeordneten Carlo Mierendorff nickte wieder sehr freundlich, und jetzt brachte ich die gesturmt worden. relativistische Theorie, und Lenard verfarbte sich. Er Planck erklarte den Plan einer Berufung Lenards nach Berlin wurde vollig anders, stand plotzlich auf und hielt eine sofort fur undurchfuhrbar: Dieser konne nicht mehr als ,,weit- Rede iiber die Verhetzung der Jugend, sprich Hanle, durch sichtiger Fuhrer der Jugend” gelten: Einstein. Und dann sackte er ganz erregt zusammen. [29]

Das Schlimme ist nicht, dal3 er einseitig ist, ... aber, dal3 er Nun ging Hanle zum dritten Thema iiber, der Ablenkung des , das nicht fuhlt, daR er vielmehr subjektive Anschauungen Lichtes an der Sonne: ,,Da wurde Lenard ganz bose.” Hanle mit objektiven Tatsachen verwechselt, daR er Gebiete zu aber blieb ihm keine Antwort schuldig. beherrschen glaubt, die er eben tatsachlich nicht be- Am nachsten Tage war Lenard ,,furchtbar freundlich”. Wie herrscht, daB er die Grenzen seiner Bedeutung nicht recht sich Hanle erinnerte, konnte der Geheimrat iiberhaupt ,,unge- kennt und anerkennt. [28] heuer liebenswurdig sein”. Er war es so lange, bis ihm Hanle das Heft der Zeitschrift ,,Die Naturwissenschaften” zeigte mit Das Disziplinarverfahren gegen Lenard wurde (so seine eigenen einem Aufsatz von Arthur Eddington. ,,Ach, das wollen wir lie- Worte) in ,,sehr milder und wiirdiger Weise” von einem Beam- ber nicht lesen”, sagte Lenard und lieR Hanle stehen: ,,DaB der ten des badischen Kultusministeriums durchgefiihrt und endete Gmnd eigentlich gar nicht Eddington war, sondern der Heraus- am 10. Juni 1923 mit einem Verweis. Lenard zog sein Entlas- geber Arnold Berliner, auf die Idee kam ich erst spater.”

In der Wohnung von Max von Laue 1931: vier deutsche Nohelpreistrager und ein arnerikanischer Kollege. Von links nach rechts: Nernst, Einstein, Planck, Millikan, Laue.

F-86 Als Hanle ein paar Tage spater bei der BASF einen dort tati- mente bestkirkten ihn, gegen Bohrs Auffassung an der strengen gen Physiker um Rat fragte, war diesem der Vorfall schon Giiltigkeit des Energie- und Impulssatzes festzuhalten. bekannt. ,,Sie miissen weg,” sagte er, ,,entweder zu Wien und In einem ausfuhrlichen Brief berichtete Pauli nach Kopenha- Sommerfeld nach Miinchen, oder zu Franck und Born nach Got- gen und versicherte in einer fur ihn typischen Wendung, dal3 er tingen.” Nach einem Besuch in Miinchen entschlol3 sich Hanle, sich seine wissenschaftliche Uberzeugung nicht ,,auf Grund nach Gottingen zu gehen, wo er den nach ihm benannten Effekt irgendeiner Art von Autoritatsglauben” bilde. Im vorliegenden entdeckte und das Entstehen der Quantentheorie aus nachster Falle sei dies sowieso logisch unmoglich, ,,da die Meinungen N&e miterlebte. zweier Autoritaten einander so sehr widersprechen”. In Munchen hatte Hanle nur rnit Wilhelm Wien sprechen Im Friihjahr 1925 stieg die Spannung im Kreis der jungen konnen, weil Sommerfeld gerade ein Gastsemester als Carl- Atomphysiker. Wolfgang Pauli hielt den bisher eingeschlagenen Schurz-Professor in Madison (Wisconsin) verbrachte. Wiens Weg fur vollig verfehlt und stohnte, halb im Ernst und halb im Einstellung zur Physik aber sagte Hanle nicht zu. Der Herausge- Scherz, er ware lieber Filmkomiker geworden und hatte nie ber der Annalen der Physik, der seit 1920 als Nachfolger Ront- etwas von Atomen gehort: ,,Nun hoffe ich aber doch, dal3 Bohr gens in Miinchen wirkte, sperrte sich immer mehr gegen die uns mit einer neuen Idee retten wird. Ich lasse ihn dringend neuen Ideen. Er schadete damit, ohne es zu wollen, auch den darum bitten!” Das war am 21. Mai. Die rettende Idee kam Annalen. Sein Mitherausgeber Max Planck gehorte zwar eben- knapp drei Wochen spater von dem 23 1/2jahrigen Gottinger falls zu den Konservativen, aber er war vie1 toleranter und lieB Privatdozenten Werner Heisenberg: ,,Grundsatz ist: Bei der auch andere Meinungen gelten. ,,Es ist wahr, friiher war die Berechnung von irgendwelchen GroBen, als Energie, Frequenz Physik einfacher, harmonischer und auch befriedigender”, ant- usw. diirfen nur Beziehungen zwischen prinzipiell kontrollierba- wortete er einmal seinem Munchener Kollegen: ren GroBen vorkommen.” Das war eine Besinnung auf den Posi- tivismus. Diese vor allem von Auguste Comte begriindete Man hatte schone Theorien und durfte auf sie vertrauen. Erkenntnistheorie besteht im wesentlichen in der Aussage, daB Heute ist das anders geworden. Neue Ideen sind aufge- man sich in der Wissenschaft nur auf Tatsachen, nur auf wirk- taucht, nicht als iiberfliissiger Luxus, sondern als unerbitt- lich Beobachtbares, stiitzen diirfe. Einhundert Jahre nach Comte liche Folgerungen aus neuen Tatsachen, und die alten war es genau dessen Prinzip, das Heisenberg auf die bisherige Anschauungen lassen sich nun einmal nicht ganz unveran- Atomphysik anwandte: dert aufrechterhalten, wenn auch noch keineswegs fest- steht, welcher Art die Modifikationen sind, die man daran Bekanntlich liil3t sich gegen die formalen Regeln, die all- anbringen muB. Wiirde die Forschung vor diesen Neue- gemein in der Quantentheorie zur Berechnung beobacht- rungen zuriickschrecken oder sie ignorieren, so wiirden barer GroBen (z. B. der Energie im Wasserstoffatom) wir stille stehen, oder vielmehr gegenuber anderen Lan- benutzt werden, der schwerwiegende Einwand erheben, dern ins Hintertreffen geraten. [30] daB jene Rechenregeln als wesentlichen Bestandteil Bezie- hungen enthalten zwischen GroBen, die ... prinzipiell nicht Jede Neuerung sei, konstatierte Planck, mit ,,unbehaglichen beobachtet werden konnen (wie z. B. Ort, Umlaufszeit des Ubergangserscheinungen verbunden”. Die junge Generation Elektrons), daB also jenen Rechenregeln offenbar jedes empfand dies anders. Sie begriil3te jeden kuhnen neuen Gedan- anschauliche physikalische Fundament mangelt. [313 ken rnit Jubel. Im Schulerkreis von Max Born und James Franck in Gottingen, von Niels Bohr in Kopenhagen und von Arnold Hauptvertreter des Positivismus war um die Jahrhundertwende Sommerfeld in Miinchen war man iiberzeugt: Ohne eine grund- Ernst Mach, und deshalb hat der amerikanische Wissenschafts- legende Reformation oder Revolution kommen wir in der Phy- historiker Thomas S. Kuhn in einem Interview Heisenberg aus- sik nicht weiter; rnit den tradierten Vorstellungen lassen sich die driicklich nach dem EinfluB Machs auf sein Denken befragt: Eigenschaften der Atome nicht verstehen. ,,Wir diirfen nicht”, ,,Ich mu13 sagen,” antwortete Heisenberg, ,,daB ich niemals ganz schrieb Wolfgang Pauli an Bohr, ,,die Atome in die Fesseln ernsthaft Mach gelesen habe ... Irgendwie war ich nie besonders unserer Vorurteile schlagen wollen (zu denen nach meiner Mei- von Mach beeindruckt. Ich war beeindruckt, wie Einstein die nung auch die Annahme der Existenz von Elektronenbahnen im Dinge anfal3te.” Sinne der gewohnlichen Kinematik gehort), sondern wir miissen Schon als Schiiler im Munchener Maximiliansgymnasium umgekehrt unsere Begriffe der Erfahrung anpassen.” hatte sich Heisenberg rnit der Speziellen Relativitatstheorie Im Friihjahr 1924 kam eine aufregende Nachricht von Niels beschaftigt. Einsteins Ausgangspunkt war hier gewesen, daB Bohr aus Kopenhagen. Um endlich zu einer Losung des noch ,,dem Begriff der absoluten Ruhe ... keine Eigenschaften der immer offenen Quantenproblems zu kommen, war der grolje Erscheinungen entsprechen”, was gemaB den Prinzipien des danische Physiker bereit, das fundamentale Gesetz von der Positivismus heifit, dal3 dieser Begriff als Anthropomorphismus Erhaltung der Energie und des Impulses zu opfern. Bei der aus der Wissenschaft entfernt werden muB. Ganz analog richtete Emission und Absorption von Strahlung durch das Atom sollte sich nun Heisenbergs Verdacht gegen die Vorstellung von den dieses ,,Staatsgrundgesetz der Physik” nicht mehr im Einzelpro- ,,Bahnen der Elektronen im Atom”. Was aber sollte an die Stel- zeB erfiillt sein, sondern nur noch im statistischen Mittel. le der Bahnen treten? Das war die entscheidende Frage, auf die Als der junge und bekannt kritische Wolfgang Pauli Ostern auch der Positivismus keine Antwort hat. In einem schopferi- 1924 zu einem Forschungsaufenthalt nach Kopenhagen kam, schen Akt, wie er nur dem Genie gelingt, fand Heisenberg - gelang es Niels Bohr, ihn von seiner Auffasung zu iiberzeugen. tastend zunachst - die richtige Losung: Pauli wurde jedoch bald unsicher und nutzte im September die Versammlung der Deutschen Naturforscher und Arzte in Inns- Der Grundgedanke ist: In der klassischen Theorie geniigt bruck zu einem langen Gesprach rnit Einstein. Dessen Argu- die Kenntnis der Fourierreihe der Bewegung, um alles

F-87 auszurechnen, nicht etwa nur das Dipolmoment (und die Die jungen Physiker in Gottingen, Kopenhagen und Mun- Ausstrahlung), sondern auch das Quadrupolmoment, chen waren von der neuen Theorie begeistert. Die Alteren zeig- hohere Pole usw. ... Es liegt nun nahe, anzunehmen, dal3 ten sich eher skeptisch. Einstein schrieb an seinen Freund auch in der Quantentheorie durch die Kenntnis der Uber- Ehrenfest nach Leiden: ,,Heisenberg hat ein grol3es Quantenei gangswahrscheinlichkeiten oder der korrespondierenden gelegt. In Gottingen glauben sie daran (ich nicht).” Auch Erwin Amplituden alles gegeben ist. Man wird daher versuchen, Schrodinger fuhlte sich von der Gottinger Matrizenmechanik die Gleichungen ... quantentheoretisch umzudeuten, und ,,abgeschreckt, um nicht zu sagen abgestol3en”. Als er Ende zwar ergibt sich eine Umdeutung zwangslaufig ... [32] 1925 eine eigene neue Atomtheorie schuf, die Wellenmechanik, und zwar, wie er und viele andere glaubten, in ,,erfreulicher Am 11. oder 12. Juli 1925 ubergab Heisenberg sein Manuskript Weise im engsten Anschlul3 an die klassische Theorie”, sandte ,,Uber quantentheoretische Umdeutung kinematischer und er seine Abhandlungen bezeichnenderweise an Wilhelm Wien mechanischer Beziehungen” seinem Lehrer Max Born. Dieser zum Abdruck in den ,,Annalen der Physik”. Wilhelm Wien war erinnerte sich spater, dal3 er die Arbeit nicht sogleich gelesen ,,der bisherige Zustand der Theorie unertraglich geworden” und hat, da er sich am Ende des Semesters abgespannt fuhlte. Aber hoffte nun, dal3 das Bohr-Sommerfeldsche Atommodell und die als er sich wenige Tage spater das Manuskript vornahm, war er neue Gottinger Physik, die er beide fur Entartungen hielt, bald fasziniert, fasziniert vor allem von Heisenbergs Multiplikations- verschwinden wurden: ,,Wenn viele vielleicht etwas enttauscht regel fur quadratische Schemata. In seiner Nobelrede berichtete sind, dalj sie nicht mehr in dem Sumpf von ganzen und halben Born. Quantendiskontinuitaten herumplatschern konnen,” meinte er (und dachte dabei besonders an Arnold Sommerfeld und Werner Nach acht Tagen intensiven Denkens und Probierens erin- Heisenberg), ,,so werden sie sich bald wieder an strengeres phy- nerte ich mich plotzlich an eine algebraische Theorie, die sikalisches Denken gewohnen.” ich von meinem Lehrer Professor Rosanes in Breslau Im April 1926 gab es einen Vortrag im Laue-Kolloquium, gelernt hatte. Den Mathematikern sind solche quadrati- bei dem der Erinnerung von Hartmut Kallmann zufolge ,,nicht schen Schemata wohl bekannt und werden in Verbindung 20, sondern 200 Physiker” anwesend waren: ,,Die Menschen mit einer bestimmten Multiplikationsregel Matrizen waren geradezu in den Raum gepreBt, als Schrodingers und Hei- genannt. Ich wandte diese Regel auf Heisenbergs Quan- senbergs Theorie vorgetragen wurden.” Kallmann erinnerte sich tenbedingung an und fand, daB diese mit den in der Dia- nicht mehr an den oder die Referenten (nannte sie jedenfalls gonale stehenden Grol3en ubereinstimmte. Es war leicht nicht). Es konnte der junge Werner Heisenberg selbst gewesen zu erraten, was die ubrigen Groljen sein mufiten, namlich sein, der am 28. April im Berliner Kolloquium vor den Null, und sogleich stand vor rnit die sonderbare Formel Koryphaen - Einstein, Laue, Nernst, Ladenburg, Meitner - sprach. pq - qp = hI2~i ... Das Resultat bewegte mich etwa wie einen Seefahrer, Nach SchluB des Berichts stand Einstein auf und sagte: der nach langer Irrfahrt von fern das ersehnte Land sieht. ,,Nun hort einmal! Bis jetzt hatten wir keine exakte Quan- [331 tentheorie, und heute haben wir auf einmal zwei. Sie werden mit mir darin ubereinstimmen”, fuhr er fort, Nun sandte Born das Manuskript Heisenbergs an die ,,Zeit- ,,daB diese zwei einander ausschliel3en. Welche Theorie schrift fur Physik”, wo es am 29. Juli 1925 einging. Am 19. Juli ist richtig? Vielleicht ist keine richtig.” In diesem Augen- 1925 tagte der Gauverein Niedersachsen in Hannover. Im Zug blick - das werde ich niemals vergessen - stand Gordon von Gottingen nach Hannover traf Born seinen friiheren Assi- (von der Klein-Gordon-Gleichung) auf und meinte: ,,Ich stenten Wolfgang Pauli: bin soeben von Zurich gekommen. Pauli hat bewiesen, dalj beide Theorien identisch sind.” Er ging an die Tafel Ich gesellte mich in seinem Abteil zu ihm, und ganz von und zeigte es uns. Das war ein grol3er Moment voll des meiner neuen Entdeckung gefesselt, erzahlte ich ihm Wunderns, zu sehen, daR diese zwei offenbar auf ganzlich gleich von den Matrizen und meinen Schwierigkeiten, die verschiedenen Grundgedanken basierten Theorien trotz- Werte dieser nicht diagonalen Glieder zu finden. Ich frag- dem beide die Natur genau beschrieben. Nach meinem te ihn, ob er bei diesem Problem nicht rnit mir zusammen- Gefuhl war das der Geburtstag der modernen Quanten- arbeiten wolle. Doch statt des erwarteten Interesses erhielt theorie. [35] ich eine kuhle und sarkastische Absage. ,,Ja, ich weil3, Sie sind ein Anhanger solch langwieriger und komplizierter Tatsachlich hatte Wolfgang Pauli die Aquivalenz der beiden Formalismen. Sie werden Heisenbergs physikalische Theorien bewiesen, was aus seinem Brief an Pascual Jordan Ideen rnit Ihrer unnutzen Mathematik zerstoren.” [34] vom 12. April 1926 hervorgeht. (Irrig ist nur der Walter Gordon in den Mund gelegte Satz ,,Ich bin soeben aus Zurich gekom- Daraufhin bat Born den jungen Pascual Jordan um Mitarbeit, men.” Pauli war damals noch Assistent und Privatdozent bei und schon am 26. September konnte Born die Ergebnisse unter Otto Stern in Hamburg, und in Zurich treffen konnte man ihn dem Titel ,,Zur Quantenmechanik” an die ,,Zeitschrift fur Phy- damals noch nicht. Dorthin berufen wurde er erst zum 1. April sik” einsenden. Nach der Ruckkehr Heisenbergs beteiligte sich 1928.) Pauli hat seine diesbezuglichen Resultate nicht veroffent- auch dieser an der mathematischen Ausgestaltung der Theorie, licht, weil Erwin Schrodinger zu ahnlichen Ergebnissen gekom- und am 16. November 1925 erreichte ein neues Manuskript die men war und daruber eine Note (,,Uber das Verhaltnis der Hei- Annalen, betitelt ,,Zur Quantenmechanik 11”, das man spater die senberg-Born-Jordanschen Quantenmechanik zu der meinen”) in ,,Dreimannerarbeit” nannte. den ,,Annalen der Physik” erscheinen liel3.

F-88 Am 16. Juli 1926 kam Erwin Schrodinger nach Berlin, um 795 - 806), L.S. Ornstein mit H.C. Burger (,,Strahlungsgesetz hier vor der Physikalischen Gesellschaft iiber die ,,Grundlagen und Intensitat von Mehrfachlinien”, 24, 41 - 47), W. Pauli einer auf Wellenlehre begriindeten Atomistik” vorzutragen. Ein (,,Uber den Zusammenhang des Abschlusses der Elektronen- paar Wochen vorher bat er Planck, ihm noch ein paar Winke gruppen im Atom mit der Komplexstruktur der Spektren”, 31, zugeben, wie er seinen Vortrag anlegen solle: 765 - 783) und A. Sommerfeld (,,Zur Elektronentheorie der Metalle auf Grund der Fermischen Statistik”, 47, 1 - 32). ,,Sol1 ich mehr daran denken, dal3 Sie und Einstein und Laue Bei der Griindung der ,,Zeitschrift fur Physik” hatte Karl im Auditorium sind - ein Gedanke, bei dem mir ohnedies Scheel angekiindigt, nicht iiber die Zahl von drei Banden im schwiil wird - oder sol1 ich Jahr mit zusammen 1440 Sei- mich mehr auf die Herren ten hinauszugehen. 1924 einrichten, die der theoreti- erschienen zehn Bande (21 schen Arbeit ferner stehen?” bis 30) mit 4015 Seiten und 1363 1925 vier wesentlich umfang- Planck empfahl, sich als reichere Bande (31 bis 34) Zuhorer Studenten in hoheren mit zusammen 3806 Seiten. Semestern vorzustellen, die An Stelle der ,,Annalen der sich also ,,bereits mit Mecha- Physik” war nun die Zeit- nik und geometrischer Optik schrift fur Physik” das inter- beschaftigt haben, aber doch national wichtigste Periodi- nicht bis in hohere Regionen kum geworden. vorgedrungen sind, denen al- Unversehens geriet die so die Hamilton-Jacobische neue Zeitschrift in das SchuB- Differentialgleichung, wenn feld, als Karl Scheel in seiner sie sie iiberhaupt kennen, kei- Doppelstellung als Redakteur neswegs eine Selbstverstand- und Geschaftsfiihrer der DPG lichkeit, sondern ein schwieri- im Friihjahr 1925 einen Bei- ges, ehrfurchtgebietendes Re- trag in englischer Sprache sultat tiefer Forschung bedeu- publizierte. Daraus entwickel- tet.” Dafiir wurde dann auf te sich ein ,,betriibender darauf folgenden Samstag ein Streit” in der Deutschen Phy- zweiter, ,,auf speziellere Din- sikalischen Gesellschaft, der ge gerichteter Vortrag” ver- bis zum Riicktritt des Vorsit- einbart. Aus dem Brief zenden Max Wien eskalierte. Plancks an Erwin Schrodin- Ohne die in der deutschen ger schlieBt man, daB aus Physik herrschenden Span- dem Anlal3 des Besuches das nungen und Gegensatze hatte Laue-Kolloquium nicht wie die ganze Angelegenheit, wie gewohnlich am Mittwoch, Max von Laue damals mein- sondern am Samstag statt- te, ,,einen durchaus friedli- fand. Schrodinger wohnte in chen Verlauf nehmen kon- diesen Tagen bei Max Planck, Max Planck erhielt 1929 zwei Max-Planck-Medaillen: die eine fur ihn nen”, zumal sich die Physiker und am Samstag Abend lud selbst, die andere fur Einstein. in der Sache grundsatzlich der Hausherr noch ein paar einig waren: In deutschen Kollegen zu sich ein. Zeitschriften wird in deut- Die Dualitat der Ansatze zur neuen Quantentheorie spiegelte scher Sprache publiziert. Den Kollegen um Lenard pal3te jedoch sich in der Dualitat der beiden Zeitschriften. ,,Es wiire merkwiir- die neue Richtung nicht, und deshalb ergriffen sie die sich ihnen dig”, meinte Wilhelm Wien, ,,wenn die Quantentheorie doch bietende Gelegenheit. wieder in die klassische einmiinden wiirde.” Genau das war Doch der Reihe nach: Als die Arbeit ,,On the Electrical Con- seine Hoffnung, als er die Abhandlungen Schrodingers in die ductivity of Heated Gas” des indischen Physikers R. N. Ghosh Annalen aufnahm. Seine konservative Einstellung fiihrte dazu, (University of Allahabad) im Band 32 im Juni 1925 erschienen dal3 die jungen Physiker, die neue Wege beschritten, ungern in war, meldeten Philipp Lenard und andere Mitglieder sofort beim den Annalen publizierten. Sie empfanden die Traditionszeit- Vorsitzenden Max Wien Protest an. Nach einigem Hin und Her schrift als ,,langweilig”. Lieber gingen sie zur ,,Zeitschrift fur gab Karl Scheel gegeniiber Max Wien die Versicherung ab, er Physik”. Hier erschienen die wirklich aufregenden Arbeiten. werde hinfort keine fremdsprachlichen Aufsatze mehr publizie- Neben den schon erwtihnten Aufsatzen von Max Born, Werner ren. Nun aber erklarte Max Wien, eine solche Versicherung Heisenberg, Pascual Jordan und Niels Bohr (mit H. A. Kramers geniige nicht. Der Vorfall konne nur durch eine Anderung der und J. C. Slater) gehorten beispielsweise dazu S. N. Bose Richtlinien fur die Zeitschriften und einen entsprechenden Vor- (,,Plancks Gesetz und Lichtquantenhypothese”, 26, 178 - 181), standsbeschlua beendet werden. Max von Laue meinte, Max J. Franck (,,Zur Frage nach der Ionisierungsspannung positiver Wien sei wohl weniger ,,sua sponte” zu dieser Auffassung Ionen”, 25, 312 - 316), 0. Hahn und L. Meitner (,,Die B-Strahl- gelangt als auf Drangen der Lenardianer. In dieser Situation spektren von Radioactinium und seinen Zerfallsprodukten”, 34, wollte Max Planck wie viele andere Scheel zwar ,,keineswegs

F-89 ganz entschuldigen”; er sei gewiB jetzt recht reizbar und ger, Hertz und Gudden. - Hertz kriege wieder jiidische miatrauisch und schwer zu behandeln. Man musse ihm aber Kinder, Gudden merke man auf Schritt und Tritt seine manches nachsehen, ,,da er ehrlich und zuverlassig ist und gera- judische Gesinnung an. Keiner habe mehr Rassengefiihl. dezu einen Teil seiner Lebensarbeit in den Dienst der Gesell- Als er bei Rupps Habilitation auf Rupps Schadelbildung, schaft gesteckt hat”: seine germanische Erscheinung hingewiesen habe, habe ihn keiner verstehen wollen, obwohl er auf den Tisch Den jahrelang fur die Gesellschaft rastlos arbeitenden geschlagen habe. Es kame nur auf die vorgelegten Arbei- Mann dadurch offentlich zu demutigen, dab man ... eine ten und seine Lehrbefaigung an, anderes interessiere die grundsatzliche Anderung der Richtlinien beantragt und Fakultat nicht. Die New Yorker GroBjuden hatten jedem daruber einen offiziellen VorstandsbeschluB herbeifuhrt, das Gefuhl verdorben. [39] erscheint mir hart und unbillig. [37] Als Adolf Hitler am 15. Mai 1926 eine Wahlversammlung in In einem offiziellen von Walther Nernst unterschriebenen Brief Heilbronn abhielt, fuhr Philipp Lenard ins Wiirttembergische, teilte der Berliner Gauverein diese Auffassung dem Vorsitzen- um Hitler personlich kennenzulernen. Bei dessen erster Rede in den der DPG mit, worauf Max Wien seinen Rucktritt erkliirte. Heidelberg war Lenard verreist, aber bei der zweiten am 5. Max von Laue berichtete: Marz 1928 konnte er zugegen sein. Am folgenden Tage kam Hitler unangemeldet zu Besuch: ,,Sofort eilte ich zu diesem, um Wir waren hier sehr erstaunt, als wir von diesem Erfolg ihn ohne alle Uberlegung zu umarmen.” Da hatten sich zwei unseres Schreibens horten. Das hatten wir nicht in den Gleichgesinnte getroffen. Kreis der zu erwagenden Moglichkeiten gezogen. Wir hat- Aus dem Vertrauensverhaltnis erwuchsen spater, nach der ten lediglich Max Wien den Rucken stkken wollen gegen Machtergreifung, fur die Physik die groBten Gefahren. Vorerst die Forderung der Lenardianer auf offentliche Erorterung aber nahmen die Kollegen die Verrucktheiten Lenards nicht des Falles. [38] mehr ernst. Zum 1. Oktober 1926 wurde Max Planck nach uber vierzi- Wilhelm Wien sah bereits den Bestand der DPG gefahrdet. Aus gjahriger Lehrtatigkeit emeritiert. Arnold Sommerfeld lehnte der angeblich ,,nur Unfrieden stiftenden Gesellschaft”, wie er den Ruf ab, und als Nachfolger kam Erwin Schrodinger nach im Zorn formulierte, traten jedoch nur einige wenige Kollegen Berlin. Im folgenden Jahr feierte Planck seinen 70. Geburtstag, aus, an ihrer Spitze Philipp Lenard. und die DPG machte ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Der Geheim- Ein paar Monate spater besuchte Robert Pohl als junger Pro- rat bat die Kollegen, von seinem Geburtstag weiter keine Notiz fessor den Geheimrat in seinem Heidelberger Institut. Schon zu nehmen, sondern das, was vielleicht beabsichtigt sei, um ein durch die Glasture des verriegelten Vorraumes sah er das Plakat Jahr bis zu seinem goldenen Doktorjubilaum zu verschieben. an der Tur des Sprechzimmers, das die ganze Turbreite ein- Am 28. Juni 1879 hatte Planck als Einundzwanzigjahriger an nahm, und von dem man ihm schon erzahlt hatte: ,,Mitgliedern der Ludwig-Maximilians-UniversitatMunchen zum Dr. phil. der sogenannten Deutschen Physikalischen Gesellschaft ist der promoviert. Eintritt verboten.” Die Buchstaben dick mit Blaustift auf Pappe Die Physiker dachten an die Griindung einer Stiftung, um aus geschrieben. Nach Lenards Meinung war die Gesellschaft nicht deren Mitteln alljahrlich eine goldene Medaille zu verleihen ,,deutsch”, sondern ,,undeutsch”, und auch nicht physikalisch, ,,fur besondere Verdienste um die theoretische Physik, insbe- sondern ,judisch entartet”. sondere fur solche Arbeiten, welche an Plancks Werk anknup- Weil er aber doch das Gesprach rnit den Kollegen nicht mis- fen”. Der auf Max Born zuriickgehende Plan konnte nun ohne sen wollte, hatte Lenard fur einige Stuhle im Vorraum gesorgt. Zeitdruck verwirklicht werden. Einige befreundete Firmen stell- ,,Ich mochte gerne Emil Rupp haben als Nachfolger fur Bern- ten die benotigten Mittel zur Verfugung. hard Gudden”, begann Pohl das Gesprach, ,,aber auf jeden Fall Am 28. Juni 1929 kam es zur ersten Verleihung der goldenen vermeiden, daB Ihnen durch einen zu plotzlichen Assistenten- ,,Max-Planck-Medaille”. Allen Teilnehmern blieb der Tag wechsel irgendwelche Ungelegenheiten entstehen.” Assistenten unvergeBlich, weil die Harmonie der Feier einen eklatanten konne er genug kriegen, die Guddensche Stelle sei aber so gun- Kontrast bildete rnit den politischen Radauszenen auf der stig, daB er sie nur einem aussichtsreichen Wissenschaftler StraBe. Reichsprasident und Reichsregierung hatten diesen 28. geben wolle. Juni 1929 pathetisch zu einem ,,Tag der Trauer” proklamiert. ,,Zehn Jahre sind verflossen, seit in Versailles deutsche Frieden- ,,Aussichtsreich”, das war das verhangnisvolle Stichwort. sunterhandler gezwungen waren, ihre Unterschrift unter eine Lenard sprang auf, eine wilde Flut brach 10s. Kein Gram- Urkunde zu setzen, die fur alle Freunde des Rechts und eines mophon hatte alles festhalten konnen. Die blauen Augen wahren Friedens eine bittere Enttauschung bedeutete.” traten rnit starren Pupillen glanzend hervor: ,,Aussichts- Auf dem Wege zum Physikalischen Institut waren die etwa reich. Aussichtsreich ist nur der, der sich unter den Schutz tausend volkischen und nationalsozialistischen Studenten nicht der Juden begibt; die New Yorker GroBjuden regieren uns zu ubersehen, die in die Bannmeile um das Regierungsviertel alle, wir merken es nur nicht, ich sehe es kl ar... Alle wer- eingebrochen waren. Singend und johlend zogen die Demon- den von den Juden gegangelt, ihre Arbeit, ihr Beobachten, stranten durch die BehrenstraBe, und man horte sie rufen: ihr Publizieren, alles ist judisch, keiner merkt es. Die Ber- ,,Deutschland erwache! Nieder mit dem Versailler Vertrag! Weg liner Juden, die Gottinger, die machen alles, die besetzen mit der Kriegsschuldluge!” die Lehrstuhle. Warburg hat immer gesagt, aus ihm werde Der groBe Physikalische Horsaal war voll besetzt. Der Vor- nichts, er sei Jude. Heute werde keiner mehr etwas, der sitzende der Gesellschaft, der Bonner Physiker Hermann Konen, nicht Jude sei.” Ich unterbrach ruhig und nannte nur Gei- uberreichte Max Planck zwei Medaillen. Die erste war fur ihn

F-90 selbst bestimmt, die zweite gab Planck an Einstein weiter. Und Einstein aber begann sich von Deutschland zu losen. Auf der dann trat Einstein ans Vortragspult: Reise in die Vereinigten Staaten entschloB er sich im Dezember 1931, ,,Zugvogel fur den Lebensrest” zu werden, nicht nur ,,aus Wie sol1 ich in Worte fassen, was mich bewegt, da ich in angeborenem Drang”, wie er seiner Schwester schrieb, ,,sondern diesem Augenblicke vor dem verehrten Meister und vor auch wegen der wackeligen Verhaltnisse im sogenannten Vater- dem Freunde stehen, mit dem mich das gleichgerichtete land”. Er wollte seine Stellung bei der PreuBischen Akademie Streben durch so viele Jahre verbindet. [40] zwar nicht vollig aufgeben, sich aber doch in den Vereinigten Staaten ein zweites Standbein schaffen. Einstein war ganzlich uneitel, und all die Auszeichnungen und Das Jahr 1932 wurde zu einem ,,annus mirabilis” der Kern- Ehrendiplome, die er erhielt, interessierten ihn nicht. Seine physik. James Chadwick entdeckte das Neutron, Carl David Freunde meinten sogar, daB er nicht einmal wuBte, wie die Anderson das Positron und Harold C. Urey das Deuteron. Der Nobelmedaille aussah. Die beiden goldenen Medaillen, die ihm seit 1. Oktober 1927 als Ordinarius in Leipzig tatige Werner

Ein ,,kanonisches Ensemble”. Robert Wichard Pohl (3. v. I.) und Arnold Sommerf‘eld (5. v. I.). die Royal Society und die Royal Astronomical Society verliehen Heisenberg farjte das Neutron als Kernbausteinchen auf und hatten und die auf diplomatischem Wege an die PreuBische legte die Fundamente zu einer Theorie der Kemkrafte. Verof- Akademie gelangten, hat er sich dort erst nach mehreren Mah- fentlicht hat er seine Ergebnisse in drei Arbeiten in der ,,Zeit- nungen abgeholt. Die Planck-Medaille gab Einstein seinem schrift fur Physik”, alle unter dem Titel ,,Uber den Bau der Freund, dem Arzt Jtinos Plesch, zur Aufbewahrung, und er hat Atomkerne”. nicht mehr danach gefragt. Einmal wollte Plesch von ihm wis- Peter Debye und Rudolf Schenk wollten die Kernphysik in sen, ob es in der Gelehrtenrepublik nicht doch etwas gebe, was Deutschland starker als bisher ausbauen und dazu die Hilfe der ihm Freude mache. ,,Was mir Freude macht? Die Anerkennung ,,Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft” in Anspruch durch die Fachkollegen.” nehmen. Debye richtete eine Anfrage an zwolf fuhrende Kern- Im folgenden Jahr war es Max Planck, der eine neue groDe physiker, darunter Hans Geiger, Walther Bothe und Lise Meit- Anerkennung erfuhr. Er wurde Nachfolger des am 10. Juni 1930 ner, und arbeitete ein gezieltes Programm aus. Darin waren die verstorbenen Adolf von Harnack sowohl als Kanzler des Ordens Isotopentrennung, insbesondere die Schwerwasser-Produktion, Pour le mCrite wie als Prasident der Kaiser-Wilhelm-Gesell- und die Kernzertrummerung durch beschleunigte Teilchen schaft. Kenner beurteilten die Wahl Plancks als besonders besonders hervorgehoben. glucklich. ,,Vor allem war es wichtig”, sagte Friedrich Glum, Nach der Machtergreifung und dem Rucktritt des verdienten der Generaldirektor der Gesellschaft, ,,daR der Prasident in sei- Prasidenten der Notgemeinschaft, Friedrich Schmidt-Ott, wur- nem Ansehen so hoch stand, daB er geradezu einen mystischen den diese Plane nicht weiterverfolgt. Es kam, wie es Max von Glanz um sich verbreitete.” Laue vorausgesehen hatte: ,,Unter den jetzigen Umstanden ... Planck war schon bisher der Altmeister und das verehrte wird der Wechsel im Prasidium ... den Auftakt bilden zu schwe- Oberhaupt der deutschen Physiker gewesen; nach seiner Emeri- ren Zeiten fur die deutsche Wissenschaft, und die Physik wird tierung hatte ihn die Deutsche Physikalische Gesellschaft zu wohl den ersten und schwersten StoB zu erleiden haben.” Vom ihrem Ehrenmitglied ernannt. In den folgenden Jahren und Jahr- neuen Regime wurde ausgerechnet Johannes Stark zum Prasi- zehnten wurde er zum Reprasentanten des deutschen Geistesle- denten der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft einge- bens schlechthin. setzt.

F-9 1 111. Das Dritte Reich lungnahme Thomas Manns eine Genugtuung. Er hatte damit eindeutig ausgeschlossen, dalj er - solange das Regime bestand W&rend die Studenten die ,,nationale Revolution” mehrheitlich - je wieder nach Deutschland zuriickkehren konnte. mit Begeisterung begriiljten, blieben die Professoren zuriickhal- Der Rolle Thomas Manns in der literarischen Welt entsprach tend. Weiter als bis zu einer milden Skepsis aber steigerten sich der von Albert Einstein in der Physik. Der weltberuhmte die Gefuhle der Gelehrten nicht. Die scharfe Ablehnung, die sie Gelehrte befand sich zur Zeit der Machtergreifung glucklicher- 1918 gegen die neue Demokratie an den Tag gelegt hatten, blieb weise nicht in Deutschland, sondem in Pasadena in Kalifornien. bei der Machtergreifung Hitlers aus. Manche waren sogar vor- Am 11. Marz 1933 gab er eine Presseerkliirung ab: Solange er sichtig optimistisch wie Max Planck, der als Prasident der Kai- sich noch frei entscheiden konne, werde er sich ,,nur in einem ser-Wilhelm-Gesellschaft naiverweise hoffte, dal3 sich nun nach Land aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleich- Mussolinis Vorbild ,,die personlichen Beziehungen zu den heit aller Burger vor dem Gesetz” herrschten. Zwei Wochen Ministern des Reiches und der Lander womoglich noch enger spater legte er seine Stellung bei der Preuljischen Akademie der gestalten” wurden. Wissenschaften nieder. Fur uns Heutige ist der entscheidende Priifstein fur einen Einsteins ausdriicklichen Beifall fand es, wenn sich wieder ein Staat die Einhaltung der Menschenrechte. In diesen Kategorien Gelehrter oder Kiinstler vom Dritten Reich distanzierte. ,,Ich dachten damals nur Einstein und eine Handvoll anderer Demo- freue mich,” schrieb er am 30. Mai 1933 an Born, ,,dal3 Ihr Eure kraten. Als Niels Bohr bei einem Besuch auf der ,,Steilen Alm” Stellen niedergelegt habt (Du und Franck)”. Die emigrierten Phy- oberhalb von Bayrischzell im Marz 1933 Heisenberg auf die siker hofften, auch der junge Werner Heisenberg werde ein Zei- Ausschreitungen der SA ansprach, beruhigte dieser seinen vater- chen setzen und sich ihnen anschlieljen, wie es Erwin Schrodin- lichen Freund: Das sei nur das leider notwendige ,,Kehren mit ger getan hatte. Heisenberg konnte sich dazu jedoch nicht durch- eisernem Besen”. ringen. Er sah richtig voraus, dalj sein Verbleiben in Deutschland Als ein Schock aber wirkte auf viele wohlmeinende Gelehrte viele Kompromisse mit dem Regime notig machen wurde: Wenn die Entlassung der jiidischen Kollegen. Am 7. April 1933 trat vielleicht auch jeder einzelne dieser Schritte fur sich noch ver- das ,,Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” in tretbar sein sollte, wLe dann auch die Summe all dieser Kompro- Kraft. Die Benennung war Tauschung. Es ging nicht um das misse noch vertretbar? Diese bange Frage, die sich Heisenberg Berufsbeamtentum, sondern um die Vertreibung der ,,Nichtari- seinen Erinnerungen zufolge schon 1933 stellte, wurde nach dem er” und der politisch Andersdenkenden. Zehntausende muljten Kriege von der internationalen Scientific community mit einem ihren Lebenskreis und ihre Heimat verlassen und kamen als Nein beantwortet. Das hat einen schweren Schatten auf das spa- Fluchtlinge in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache. tere Leben des sensiblen Forschers geworfen. Viele altere Menschen, die nicht mehr die Kraft hatten, ihr Auch unter den Physikern hat es viele Diskussionen uber den Leben noch einmal von vome zu beginnen, und die in Deutsch- Schaden der Vertreibung gegeben, die sich hier freilich nicht land verwurzelt waren, begingen Selbstmord. Von Physikern vor der Offentlichkeit, sondern in Privatbriefen abspielten. Da gehorte dazu Felix Auerbach, der emeritierte Theoretiker in wichtige Briefe haufig an befreundete Kollegen zur Kenntnis- Jena. nahme weitergegeben wurden, waren die Insider jedoch durch- Wir sehen heute in der Vertreibung ein klares Indiz fur die aus rnit den Vorgangen und der Stimmung vertraut. Zu den hef- Kultur- und Menschenfeindlichkeit des Regimes und als Auftakt tigsten Regimekritikern gehorte Samuel Goudsmit, der sich am zu den groljten Verbrechen, die je von Menschen begangen 23. November 1933 in einem Schreiben an Charles Galton Dar- wurden. Bereits damals, in den ersten Jahren des Regimes, gab win uber die ,,deplorable situation” in Deutschland auslielj: es viele Zeitgenossen, die, wenn sie sich noch frei auljem konn- ,,They soon will be a nation of fifth rank, as far as scientific cul- ten, das durch die erzwungene Emigration veriibte Unrecht und ture is concerned.” Als Goudsmit im Juni 1936 auch gegenuber den geistigen Schaden fur Deutschland beklagten. Es gab ande- Walther Gerlach vom Stillstand der Physik in Deutschland re, deren Voreingenommenheit so weit ging, die Vertreibung sprach, wahrend sie in anderen Landern rasche Fortschritte und ihre Folgen zu bagatellisieren. mache, fuhlte sich dieser zur Verteidigung aufgerufen: Das galt fur die Physik wie fur die anderen Bereiche der Kul- tur. In der Emigrantenzeitschrift ,,Das neue Tagebuch” stellte Sie meinen, dalj die Physik bei uns etwas stehengeblieben 1935 der Schriftsteller Leopold Schwarzschild die These auf, so sei? Ich bin doch nicht ganz der Meinung - aber sie hat gut wie die gesamte zeitgenossische Literatur habe Deutschland sich etwas anderen Problemen zugewendet ... Jetzt wird verlassen. Gegen diese offensichtliche Ubertreibung erhob der beschleunigt mehr fur die Forschung getan ... Es ist rich- Feuilletonchef der Neuen Zurcher Zeitung Einspruch. Weil tig, dalj man bei uns bestrebt ist, die theoretische Richtung unter den gegebenen Umstanden der Artikel in der NZZ jedoch in etwas mehr experimentelle Richtung umzulenken. Mir als gefahrliche Beschonigung des Regimes wirken muljte, personlich ist das nicht unsympathisch. [41] ergriff Thomas Mann komgierend das Wort, der damals in Kus- nacht bei Zurich lebte. Der Dichter analysierte den tatsachlichen Heute wissen wir es besser. In einer Analyse der Deutschen Verlust fur Deutschland und brachte seine Uberzeugung zum Forschungsgemeinschaft von 1964 uber ,,Stand und Ruckstand Ausdruck, dal3 der Judenhalj der deutschen Machthaber nur ein der Forschung in Deutschland’ heiBt es, dal3 ,,der Aderlalj an Aspekt ihres globalen Hasses gegen die ,,christlich-antiken Fun- der deutschen Forschung durch die Politik des Dritten Reiches damente der abendlandischen Gesittung” sei und aus der bereits in den dreiljiger Jahren begann, dalj zuerst viele bedeu- ,,gegenwartigen deutschen Herrschaft” nichts Gutes kommen tende Forscher unser Land verlieljen und dalj in jenem Jahrzehnt konne, ,,fur Deutschland nicht und fur die Welt nicht”. die Forderung der Grundlagenforschung in zunehmendem Malje Fur die emigrierten deutschen Schriftsteller, die sich zum vernachlassigt wurde, nachdem sie ohnehin von Emigration und groljen Teil in einer verzweifelten Lage befanden, war die Stel- Verdrangung am schwersten betroffen war”:

F-92 Man mu13 bedenken, dalj die Emigration oder der Tod festzuhalten. Zu deutlich hatte er sich als unversohnlicher Geg- eines einzelnen in vielen Fallen das Aussterben einer ner des Regimes profiliert. Max Born wurde nur bis Anfang ganzen wissenschaftlichen Schule, das Abreiljen einer 1935 in den Mitgliederlisten gefuhrt. Wir wissen nichts uber die Tradition bedeutete ... [42] Hintergriinde und konnen nur vermuten, dalj er ausgetreten ist. Was er aus Deutschland horte, war nicht dazu angetan, das Quantifizieren la8t sich der Schaden an Hand einer Liste der Gefuhl der Verbundenheit lebendig zu erhalten. Physik-Nobelpreistrager. Von ihnen haben acht Deutschland Die Vertreibung der judischen Gelehrten bildete nur den bzw. Osterreich verlassen. Einige besaljen den Preis schon Auftakt der von den Nationalsozialisten sogenannten ,,deutschen damals (Einstein, Franck, Hess, Schrodinger) und einer erhielt Emeuerung”. Darauf hatten Philipp Lenard und Johannes Stark den Preis verspatet (Born). Die anderen (Bethe, Goeppert- schon seit vielen Jahren gewartet. Die beiden Nobelpreistrager Mayer, Stem) pragten, was man ubrigens schon 1933 vorausse- waren seit Ende des Ersten Weltkrieges hinlhglich als unsachli- hen konnte, die Physik der che Gegner der modernen vierziger und funfziger Jahre. Theorien hervorgetreten und Ein weiterer Nobelpreistrager hatten versucht, eine Wissen- (Gustav Hertz) muljte seine schaft von anderem Charakter akademische Stellung verlas- zu entwickeln, die sie ,,ari- sen und ging in die Industrie. sche Physik” oder ,,Deutsche Die Nobelpreistrager sind nur Physik” nannten. Dabei han- die Spitze des Eisbergs. Bis delte es sich jedoch nicht um Ende 1935 wurden 1202 Pro- eine echte Alternative, son- fessoren und Dozenten entlas- dern nur um die alte, klassi- sen, das sind 15 Prozent des sche Physik des 19. Jahrhun- Lehrkorpers der deutschen derts, wie Lenard und Stark Universitaten und Hochschu- sie in ihrer Jugend gelernt len. hatten, dazu ein paar neue Nach dem Ersten Welt- Erfahrungstatsachen, die aber krieg waren die deutschen - charakteristisch fur die Gelehrten besorgt gewesen, ,,” - in dem daB die wirtschaftliche Not gesetzten Rahmen nicht eine Stagnation der Wissen- erklart werden konnten. Bei schaft zur Folge haben konne. den Kollegen hatten Philipp Eine Unterbrechung der Ar- Lenard und Johannes Stark beit, mahnten sie, bedeute das jede Achtung eingebuljt, und definitive Ende. In seiner pla- es hiel3 uber die beiden: ,,Was stischen Sprache hatte Adolf man nicht verstehen kann, von Harnack die Gefahr be- sieht man drum als judisch schworen: ,,Es ist wie mit an.” einem Hochofen; wenn er Mit der Machtergreifung nicht fort und fort gespeist war fur Lenard und Stark wird, erkaltet er, und schon ,,endlich die Zeit gekom- eine kurze Pause bringt ihn men”, da sie - wie sich Stark zum Erloschen.” ausdruckte - ihre ,,Auffas- Die Weimarer Republik Wolfgang Pauli mit seinem verehrten Lehrer Arnold Sommerfeld. sung von Wissenschaft und hatte sich als noch wissen- (Genf 1934) Forschern zur Geltung brin- schaftsfreundlicher erwiesen gen” konnten. Am 21. Marz als das Kaiserreich. In der 1933 wandte sich Philipp Physik, besonders in der theoretischen, war es zu einer neuen Lenard direkt an Adolf Hitler mit dem Wunsch, ,,der Herr Blute gekommen. Jetzt aber, unter der Regierung Hitler, die sich Reichskanzler moge die Unterrichts-Minister der deutschen ,,national” nannte und dem Reich eine fuhrende Rolle in der Lander beauftragen, in allen Hochschul- und Personalfragen, Welt erkampfen wollte, verloschte in wichtigen Bereichen die Naturwissenschaften und Mathematik betreffend, vor Entschei- Glut der Wissenschaft. dung meinen Rat einzuholen, den ich in kurzer Form nach dem Die Deutsche Physikalische Gesellschaft fuhrte die vertriebe- obersten Gesichtspunkt Deutscher Emeuerung geben wurde”. nen judischen Gelehrten weiterhin in den Mitgliederlisten. So Lenard war uber 70 und besalj fur sich personlich keinen rechnete die DPG noch Anfang 1938 zu den ihren James Franck Ehrgeiz mehr. Um so wichtiger war es ihm, seinen Einflulj bei in Baltimore, Fritz London in Paris, Rudolf Ladenburg in Prin- den Stellenbesetzungen auszuuben. Als der Sommerfeld-Schuler ceton, Peter Pringsheim in Brussel, Hertha Sponer in Durham Peter Paul Ewald 1937 seinen Lehrstuhl fur theoretische Physik und Otto Stern in Pittsburg. Einstein allerdings hatte schon am an der TH Stuttgart aus politischen Griinden aufgab und in die 7. Juni 1933 von Oxford aus gebeten, seinen Namen aus den Vereinigten Staaten emigrierte, hiel3 es im Berufungsvorschlag: Verzeichnissen der DPG zu streichen, um seinen Freunden in Deutschland nicht unnotig Ungelegenheiten zu bereiten. Die Professur war bisher von Professor Ewald ganz im Tatsachlich wke es wohl kaum moglich gewesen, an Einstein Sinne einer rein abstrakten Richtung der Physik versehen,

F-93 wie sie durch den EinfluB judischen Geistes in dieser Wis- zung wurde dann nicht Stark, sondern der technische Physiker senschaft an deutschen Hochschulen sich breitgemacht Jonathan Zenneck (TH Munchen) nominiert. Gegen die Person hatte. Die Erledigung der Professur macht es zur Pflicht, Zennecks konnte Stark keine Einwande erheben; er wandte sich eine dieser fremden Geistesrichtung entgegengesetzte ari- trotzdem gegen dessen Kandidatur, weil mit Zenneck die sche Naturwissenschaft wieder zur Geltung zu bringen. von ihm (Johannes Stark) ins Auge gefal3te ,,enge Zusammenar- [431 beit” wegen der grol3en Entfernung kaum moglich sei. Dar- aufhin benannte der Vorstand als zweiten Kandidaten Dr. Karl Auf dem Aktenstuck notierte der wurttembergische Kultminister Mey, einen Direktor der Berliner Osram-Werke und Vorsitzen- Mergenthaler: den der Deutschen Gesellschaft fur Technische Physik. Das war ein geschickter Schachzug. Die Zusammenfuhrung von In enger Verbindung rnit Geheimrat ... Lenard, dessen Universitats- und Industriephysikern war ein altes Anliegen Urteil ich als allein entscheidend anerkenne, hake ich Pro- Starks. fessor Schmidt, Heidelberg, fur den richtigen Mann. [44] Am 18. September eroffnete Laue den Kongrelj mit einer sorgfaltig vorbereiteten Rede uber die genau dreihundert Jahre Tatsachlich wurde dieser Schiiler und langjahrige Assistent Len- zuruckliegende Verurteilung Galileis durch die Inquisition. Die ards als Ordinarius nach Stuttgart berufen. Ferdinand Schmidt Zuhorer verstanden, daB rnit dem ,,Galilei”, von dem er sprach, war kein Einzelfall. Durch die Vertreibung der judischen Albert Einstein gemeint war: ,,Galilei [mu13 sich] bei den ganzen Gelehrten gab es zahlreiche Vakanzen und entsprechend bedeut- ProzeRverhandlungen innerlich die Frage gestellt haben: >>Was sam war der EinfluB Lenards. Die Ideologen konnten sich sol1 das alles? Ob ich, ob irgendein Mensch es nun behauptet jedoch keineswegs uberall durchsetzen. Wenn es sich um unpo- oder nicht, ob politische, ob kirchliche Macht dafur ist oder litische Gelehrte handelte, gab oft, jedenfalls in der Experiment- dagegen, das andert doch nichts an den Tatsachen! Wohl kann alphysik und in der technischen Physik, die fachliche Bewer- tung den Ausschlag. Wissenschaftlich geeignete Kandidaten, die wahrend der Weimarer Jahre rnit demokratischen, liberalen oder sozialistischen Sympathien hervorgetreten waren, hatten jedoch keine Chance. Einen ahnlichen Brief wie der Lenards an Hitler hatte Johan- nes Stark gleich nach der Machtergreifung an den ihm aus der sogenannten ,,Kampfzeit” bekannten neuen Reichsinnenminister Wilhelm Frick gerichtet. Er wolle ,,bei der EinfluBnahme auf die ihm [Frick] unterstellten wissenschaftlichen Institute” gehort werden. Erst einmal erreichte Stark fur sich selbst die Ernen- nung zum Prasidenten der Physikalisch-Technischen Reichsan- stalt. Freund Lenard kommentierte beifallig im ,,Volkischen Beobachter”: Diese Entscheidung bringe eine ,,entschiedene Abkehr” von der ,,schon als unvermeidlich betrachteten Vor- herrschaft des .. . Einstein-maBig zu nennenden Denkens” zum Ausdruck. Philipp-Lenard-Feierder Universitat Heidelberg im Juni 1942 anlaRlich Nach den Vorstellungen Lenards und Starks war also nun Lenards 80. Geburtstages. Mitte: der Jubilar; rechts daneben: Reichs- eine ,,deutsche Erneuerung” auch auf dem Gebiete der Physik postminister Ohnesorge; links nehen Lenard: Rektor Schmitthenner. angesagt. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Fur die Physikerta- gung im September meldete Stark ein Grundsatzreferat an. Da er sich, wie er sagte, als Prasident der PTR ,,verantwortlich fur Macht deren Erkenntnis eine Zeitlang aufhalten, aber einmal die gesamte Physik” fiihlte, erklarte er sich bereit (angeblich bricht diese doch durch!c< Und so ist es ja auch gekommen. Der ,,trotz schwerster Bedenken”), ,,selbst den Posten des 1. Vorsit- Siegeszug der Kopernikanischen Lehre war unaufhaltsam ... zenden zu ubernehmen”. Auch spater gab es fur die Wissenschaft manchmal schlechte Noch aber stand der 1931 gewahlte Max von Laue an der Zeiten ... Aber bei aller Bedriickung konnten sich ihre Vertreter Spitze der Gesellschaft: ,,Fur die Leitung der Verhandlungen aufrichten an der sieghaften GewiBheit ... : Und sie bewegt sich auf der Physikertagung in Wurzburg wunsche ich Ihnen alles doch!” Gute”, schrieb ihm Max Planck: ,,Wenn die Mehrheit wirklich Unmittelbar danach ergriff Johannes Stark das Wort. Verar- so unvernunftig ist, Stark zum Vorsitzenden zu wahlen, so wird gert, rnit poltrigen Satzen, kommentierte er die Ausfuhrungen sie es bald biiBen mussen, und es hat vielleicht auch sein Gutes, Laues. Dann fand er zum vorbereiteten Text seiner Rede zuruck, wenn diese Klarung der Begriffe und die damit verbundene die ihn in der neuen Wurde als Prasident der Reichsanstalt pra- Erleuchtung recht friihzeitg kommt.” Wahrend sich der fiinfund- sentieren sollte. Vie1 war da von Verantwortung die Rede: Wie siebzigjahrige Planck schon rnit dem ,,Physik-Fuhrer Stark” nun der Fuhrer die Verantwortung fur Deutschland trug, wollte abfinden wollte und sich, etwas krampfhaft, bemuhte, die positi- er fur die Physik die Verantwortung ubernehmen. Fur den Aus- ven Aspekte des scheinbar Unabwendbaren zu sehen, nahm bau der Reichsanstalt entwickelte er gigantische Plane. Hand in Max von Laue die Herausforderung an. Hand damit sollte die Wissenschaft in Deutschland neu organi- Stark wollte schon an der ersten Vorstandssitzung noch vor siert werden rnit der von ihm beherrschten Reichsanstalt als den Wahlen teilnehmen. Laue lehnte dies mit dem Argument ab, Steuerungszentrum. Insbesondere sollte ein Generalredakteur es miisse uber die Kandidaten gesprochen werden. In der Sit- fur alle physikalischen Zeitschriften zustandig sein und dieser

F-94 bei der Reichsanstalt angestellt werden. (Womit die letzte Ent- Stimmung ausruhen von den vielfaltigen Problemen und scheidung uber Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Beitrages Schwierigkeiten der Gegenwart, um fur die vor uns lie- Johannes Stark zufallen wurde.) genden Aufgaben Kraft und Anregung zu schopfen aus Die Rede hinterliel3 einen verheerenden Eindruck. Auch wer dem Anblick einer scheinbar so einfachen und harmoni- von den Kollegen womoglich Sympathien fir das ,,Fuhrerprin- schen Vergangenheit. [45] zip” in der Wissenschaft besalj, lehnte den Anspruch Starks ab, dieser Fuhrer zu sein. Starks Plan, sich zum Vorsitzenden Karl Scheel sprach uber die Geschichte der Gesellschaft, und wiihlen zu lassen und dann dieses Amt fur immer mit dem des wie es zur guten Tradition gehorte, zeigte er am Anfang die von Prasidenten der PTR zu verschmelzen, hatte nun keine Chance Gustav Karsten am 14. Juni 1845 selbst angefertigte Daguerro- mehr. Die Wahl brachte eine grol3e Mehrheit fur Karl Mey. typie der sechs Grundungsmitglieder. In seinem kleinen Erleichtert berichtete Max von Laue seinem Freund Einstein Uberblick kam er auch auf die neueren Zeiten zu sprechen. Er nach dem Ende der Tagung: ,,Wir haben den Angriff Starks auf wagte, Einstein zu erwahnen, allerdings nicht rnit der Relati- den Vorsitz in der Physikalischen Gesellschaft glanzend abge- vitatstheorie, sondern dem Vortrag am 19. Februar 1915 mit schlagen.” dem experimentellen Nachweis der Ampkreschen Molekular- Eine deutliche Absage der DPG an den neuen Geist war auch strome. die Verleihung der Max-Planck-Medaille an Werner Heisen- Dann folgte Max Planck rnit personlichen Erinnerungen, und berg. Der Preistrager kam jedoch nicht nach Wurzburg, sondern schliel3lich demonstrierte Marianus Czerny einige historische hatte eine Einladung nach Kopenhagen angenommen. So erhielt Apparate, die zum Bestand des Physikalischen Instituts der Ber- er seine Medaille aus der Hand Plancks erst auf einer Sitzung liner Universitat gehorten. Sie hatten ihre Weihe dadurch erhal- der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, die unter dem Vorsitz ten, dalj sie von Magnus, Kundt, Rubens, Goldstein und Helm- von Max von Laue am 3. November 1933 stattfand. In seinem holtz benutzt worden waren. Den AbschluS bildete ein Festes- Festvortrag sprach Heisenberg uber ,,Die Rolle der Neutronen sen im Hotel Atlas. Die Damenrede hielt Walter Grotrian, beim Kernaufbau”, d. h. uber seine neue Theorie der Kernkrafte. ,,wobei er”, wie es im Bericht hieB, ,,in launiger Rede die ,Phy- Wolfgang Pauli gratulierte seinem Freund rnit einer Anspielung sikalischen Berichtecc persiflierte”. auf die Unschiirferelation. ,,Stern erzahlte mir, Du hattest die Im September des Jahres 1935 fand der ,,Elfte Deutsche Phy- Planck-Medaille w&end Deines Kopenhagener Aufenthaltes in sikertag” in Stuttgart im Stadtgartensaal und in der Technischen Wurzburg verliehen bekommen (wie scharf da Dein Impuls Hochschule statt. Diesmal gehorten neben der ,,Elektronen- und bestimmt war!).” Ionenleitung fester Korper” die ,,Ultrastrahlung und Kernphy- Das Leben und auch das wissenschaftliche Leben ging weiter sik” zu den Hauptthemen, und es gab dazu 17 Referate, u. a. seinen Gang. Die Physikertagung 1934 fand vom 10. bis 15. von Walther Bothe, , Hans Geiger, Wolf- September in Bad Pyrmont statt und wurde wieder gemeinsam gang Gentner, Otto Haxel und Carl Friedrich von Weizsacker. mit der Deutschen Gesellschaft fur Technische Physik durchge- Aus London war sogar P. M. S. Blackett angereist. Auf der fuhrt. Manch geschatzter Kollege fehlte, den man auf fruheren ordentlichen Geschaftsversammlung am 25. September nahmen Tagungen gesehen hatte. Man mul3te aber schon ein Kenner 86 Mitglieder teil; Jonathan Zenneck wurde rnit 80 Stimmen sein, um den Qualitatsverlust zu registrieren. Es gab nur noch zum neuen Vorsitzenden gewahlt. Seine Hoffnung, dalj man wenige Vortrage aus der theoretischen Physik. Verglichen rnit nach den politisch aufgeregten Anfangszeiten des Dritten Rei- amerikanischen Physikertagungen war auch die Kernphysik ches nun zu einer ruhigen wissenschaftlichen Arbeit zuriickkeh- unterreprasentiert. ren konne, erfullte sich nicht. Am 25. Januar 1935 trafen sich die Physiker am gewohnten Am 13. und 14. Dezember 1935 versammelten sich die Ort, im grol3en Horsaal des Physikalischen Instituts der Univer- Anhanger der ,,Deutschen Physik” in Heidelberg, im grol3en sitat Berlin, zur Festsitzung anld31ich des 90jahrigen Bestehens Horsaal des ,,Physikalischen und Radiologischen Institutes”, das der Gesellschaft. Richard Becker, der stellvertretende Vorsitzen- nun auf den Namen ,,Philipp-Lenard-Institut” geweiht wurde. In de des Berliner Gauvereins, stellte in seiner BegruSung die seiner Festrede fuhrte Johannes Stark einen wuchtigen Angriff Frage, ob dieses Datum einen hinreichenden AnlaB fur eine sol- gegen die theoretische Physik: che Feier darstellte: ,,Ich glaube, dal3 ein Blick auf diesen fest- lich uberfullten Saal mich der Verpflichtung zu einer Antwort Einstein ist heute aus Deutschland verschwunden ... Aber auf diese Frage enthebt.” leider haben seine deutschen Freunde und Forderer noch Kritiker hatten schon fruher bei der Gesellschaft Deutscher die Moglichkeit, in seinem Geiste weiterzuwirken. Noch Naturforscher und &zte die uberhandnehmenden Festessen und steht sein Hauptforderer Planck an der Spitze der Kaiser- Festreden beanstandet, die doch dem nuchternen Geist der Wis- Wilhelm-Gesellschaft, noch darf sein Interpretor und senschaft nicht angemessen seien. Dazu kam die immer noch Freund, Herr v. Laue, in der Berliner Akademie der Wis- fuhlbare wirtschaftliche Not und die politisch bedingten und senschaften eine physikalische Gutachterrolle spielen, und hochst unerfreulichen Probleme. Aber der Mensch, auch der der theoretische Formalist Werner Heisenberg, Geist vom scheinbar so rationale Physiker, sucht im Kreis der Kollegen Geiste Einsteins, sol1 sogar durch eine Berufung ausge- nicht nur den wissenschaftlichen Gedankenaustausch; er braucht zeichnet werden. [46] auch, wie Einstein einmal gescherzt hatte, ,,etwas fur sein schwarzes Herz”. Und so sagte Richard Becker: Die Polemik wurde im ,,Volkischen Beobachter” fortgesetzt. In diesem ,,Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung” Wir haben uns zusammengefunden, um fur kurze Zeit den erschien am 29. Januar 1936 ein Artikel uber ,,Deutsche und Blick zuriickzuwenden auf den Werdegang unserer physi- judische Physik”, in dem man lesen konnte, weder die Matrizen- kalischen Gesellschaft in Berlin; wir mochten in festlicher theorie Heisenbergs noch die Wellenmechanik Schrodingers

F-95 (,,die eine so undurchsichtig und formalistisch wie die andere”) Kollegen fiihlten sich als gute Patrioten, deren Pflicht es war, im habe neue Erkenntnis gebracht: ,,Dies konnte nicht anders sein, Interesse des Vaterlandes fur eine funktionierende Wissenschaft denn ihr Ausgangspunkt, die formalistische menschliche Mei- zu sorgen. So hatten Hans Geiger, Werner Heisenberg und Max nung, war falsch”. Der Verfasser, ein Berliner Physikstudent, Wien keine Bedenken, mit der Bedeutung ihrer Wissenschaft wiederholte wortlich fruhere Ausfiihrungen Starks und handelte fur den Staat zu argumentieren: wohl direkt in dessen Auftrag. Heisenberg erzwang eine Gegendarstellung, in der er die Be- Die Physik in Deutschland befindet sich zur Zeit in einer deutung der Relativitatstheorie und der Quantentheorie darlegte. schweren Krise. Einem groBen Bedarf an Physikern in Das war zuviel fur den ,,Volkischen Beobachter”. In einem Vor- Technik und Heer steht ein Mangel an geeignetem Nach- spann erklarte die Redaktion, dalj sie mit den Ausfiihrungen wuchs gegeniiber. Die Besetzung freigewordener Lehr- Heisenbergs ,,in keiner Weise einverstanden” sei. Noch dazu stiihle begegnet oft groBen Schwierigkeiten, und die wurde im AnschluB eine Stellungnahme Starks abgedruckt, der Anzahl der Physikstudierenden in den jungsten Semestern unverblumt konstatierte: ,,Es mu6 die so anmaBend auftretende ist vie1 zu gering. [48] Theorie in ihre Schranken zuriickverwiesen werden.” Mit welchen Gefuhlen die Kollegen diesen ,,Dialog” zwi- So ehrenwert und mutig die gegen die ,,Deutsche Physik” schen Heisenberg und Stark verfolgt haben, geht aus einem gerichtete Denkschrift auch ist, wir Heutigen haben dabei ein Brief von Gustav Mie an Heisenberg hervor. ,,Ich habe Ihren ungutes Gefuhl. Wir wissen, dalj die obersten Staatsziele in der Artikel rnit lebhafter Genugtuung gelesen. Um so bedauerlicher Eroberung von ,,Lebensraum” im Osten und in der Vernichtung war allerdings die unmittelbar dahinter abgedruckte Entgleisung der europaischen Juden bestanden. Ein Zweites kommt hinzu: von J. Stark.” ,,Entgleisung” war wohl eine zu harmlose Geiger, Heisenberg und Wien hatten den offiziellen Auftrag auf Bezeichnung. Stark verlangte, darj in Deutschland SchluB Abfassung der Denkschrift nicht deshalb erhalten, weil es dem gemacht werde rnit der modernen Physik: ,,Es muR gefordert Reichserziehungsministerium um eine Gesundung der Physik zu werden, daR die Art von Physik, fur die sich Heisenberg ein- tun war. Vielmehr war ein Machtkampf innerhalb der Wissen- setzt, nicht weiter wie bisher einen maogebenden EinfluB neh- schaftsverwaltung im Gange. men darf auf die Besetzung der physikalischen Lehrstiihle.” Erst Mitte 1934 war ,,Robustus” von Reichsminister Bern- Jetzt machten sich auch die Kollegen Sorgen, die bisher das hard Rust zusatzlich zu seinem Amt als Prasident der Physika- Gepolter von ,,Giovanni Fortissimo” nicht allzu ernst genom- lisch-Technischen Reichsanstalt als neuer Prasident der ,,Notge- men hatten. meinschaft der Deutschen Wissenschaft” eingesetzt worden. Rasch geriet Stark in Konflikt rnit den Spitzenbeamten. Wie Die Angriffe, die unlangst in der deutschen Offentlichkeit schon lange bei seinen Physikerkollegen machte er sich jetzt bei gegen die theoretische Physik gerichtet worden sind, und den Ministerialbeamten unbeliebt als groljer Polterer und Quer- die dadurch verursachte Spannung in den Kreisen der kopf. Ein Brief Max von Laues an Gustav Mie beleuchtet die Fachkollegen haben in dem Herrn Reichswissenschaftsmi- Situation: nister, vertreten durch Herrn Professor Mentzel, den Wunsch aufkommen lassen, im Interesse des Arbeitsfrie- DaB er [Stark] fur seine Stellung furchtet, geht ja schon dens an den deutschen Hochschulen eine sachgemaBe und aus dem Besuch bei Planck hervor ... Bald darauf kam zugleich leidenschaftslose Darstellung der zur Zeit gege- sein Gegenspieler Schumann zu Planck ... Jeder beschul- benen gegenseitigen Stellung der experimentellen und digte den anderen der schwarzesten Greueltaten in der theoretischen Physik zu erfahren. Der Herr Minister sieht Vergangenheit und der finstersten Plane fur die Zukunft. in der Vorlage einer dieses Thema behandelnden Denk- Ich fuchte, sie haben beide Recht. [49] schrift, die von den meisten Physikern der deutschen Hochschulen unterzeichnet ware, ein geeignetes Mittel zu In der Tat waren die Gegenspieler Starks, der spatere Ministeri- seiner Unterrichtung, aufgrund derer er dann bereit sein aldirektor Rudolf Mentzel und der zuerst ebenfalls im Reichs- wird, den zur Zeit entstandenen unerfreulichen Zustand wissenschaftsministerium und dann im Reichswehrministerium der Spannung zu beseitigen. [47] als Ministerialdirigent tatige Erich Schumann, skrupellose Funk- tionare. Sie kampften aus personlichen Griinden gegen Stark. So heil3t es in einem von Hans Geiger, Werner Heisenberg und Dalj sich gegen diesen etwas zusammenbraute, konnte man Max Wien unterzeichneten und hektographierten Rundschreiben einem gehassigen Artikel entnehmen, den Walter Frank, der vom 11. Mai 1936. Dem Brief lag eine ,,Denkschrift” bei, in der Prasident des ,,Reichsinstituts fur Geschichte des Neuen die unsachlichen Angriffe verurteilt wurden. Sie schreckten die Deutschlands”, am 19. Juni 1936 in einer nationalsozialistischen jungen Menschen vom Studium der Physik ab und die Physik- Zeitung veroffentlichte. Der Angriff richtete sich gegen Eduard studenten vom Studium der theoretischen Physik; sie schadigten Wildhagen, den Vizeprasidenten der Notgemeinschaft und eng- dariiber hinaus das Ansehen der deutschen Wissenschaft im sten Mitarbeiter Starks, ohne den Stark gar nicht in der Lage Ausland. war, die Notgemeinschaft zu fuhren. 75 Professoren unterschrieben das Memorandum. Das waren, Der vielfach nachgedruckte und in Sonderabziigen verbreite- bis auf wenige Ausnahmen, alle deutschen Hochschulphysiker. te Aufsatz wurde in Gelehrtenkreisen vie1 besprochen, und es Nach dem Kriege waren die Physiker geneigt, ihren Kampf bestand kein Zweifel, daB der ,,Fall Wildhagen” eigentlich ein gegen die ,,Deutsche Physik” Lenardscher Pragung, gegen die ,,Fall Stark” war. Man darf sich vorstellen, daB sich auch die ,,Parteiphysik’, wie sie sagten, als Opposition gegen das Regi- Physiker wieder einmal uber ihren Kollegen amusierten, der me zu deuten. Das war eine Uberinterpretation. Die in der Deut- das merkwurdige Talent hatte, rnit jedermann in Streit zu gera- schen Physikalischen Gesellschaft zusammengeschlossenen ten.

F-96 Vom 13. bis 19. September 1936 trafen sie sich zum ,,Zwolf- konne er es mit jedem anderen Mitglied aufnehmen. ,,Besonden ten Deutschen Physikertag” in Bad Salzbrunn in Niederschlesi- um die Jahrhundertwende gab es kaum eine Sitzung, an der ich en, dem Geburtsort Gerhart Hauptmanns. Hauptthemen waren nicht zugegen war, und kaum eine Nachsitzung, die ich ver- die Elektronenoptik und die Akustik. Die Referate zur Elektro- saumt habe.” nenoptik hielten Manfred von Ardenne, Ernst Briiche, Hans Den Hohepunkt der Veranstaltung bildete die Verleihung der Busch, Max Knoll und Ernst Ruska. Max-Planck-Medaille. Lange Verhandlungen iiber die Kandida- Am 8. November 1936 erlitt die Gesellschaft einen schweren ten - Louis de Broglie und Enrico Fermi - waren vorangegan- Verlust. Im 71. Lebensjahr verstarb Karl Scheel, seit 1918 als gen. Fermi mul3te schlieljlich von der Liste genommen werden, Schriftfiihrer, spater als Geschaftsfiihrer der ,,ruhende Pol” der weil sich im vorgesetzten Ministerium ,,Bedenken rassischer Gesellschaft. In seiner Traueransprache im Krematorium Berlin- Art” ergeben hatten. Fermis Frau Laura war Jiidin. Wilmersdorf wiirdigte Walter Grotrian, der Vorsitzende des Gauvereins Berlin, die Verdienste Scheels fur die Gesellschaft und insbesondere fur das physikalische Schrifttum. Eine Freude aber war es, daB sich Altmeister Max Planck einer offenbar unverwiistlichen Gesundheit erfreute. Seine Amtszeit als Prasident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hatte offiziell am 1. April 1936 ihr Ende gefunden; er blieb weiter in dieser herausgehobenen Position tatig, weil zunachst kein Nachfolger gefunden werden konnte. In einem Schreiben von Reichserziehungsminister Rust an Adolf Hitler steht, es habe sich bereits Johannes Stark auch fur dieses Amt angeboten, der indes dafiir ungeeignet sei. Stark seinerseits leugnete jeden diesbeziiglichen Ehrgeiz und schlug seinen Freund Philipp Len- ard vor. Dieser wiederum empfahl, die Gesellschaft, die von Anfang an eine judische MiBgeburt gewesen sei, einfach zu ,,zerschlagen”. Ende Mai 1937 wurde der Industriechemiker Carl Bosch Pra- sident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.Der amerikanische Bot- schafter, der zur Amtsiibergabe geladen war, notierte in seinem Tagebuch:

Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist nicht nazistisch, und einige hervorragende Industrielle, die zugegen waren, zeigten deutlich ihre Einstellung. Sie hatten keine Partei- Abzeichen angesteckt, und als andere zu ihnen zur BegriiSung kamen, sagten sie nicht ,,Heil Hitler”. [50] Zum 65. Geburtstag von Jonathan Zenneck. Karikatur von Olaf Gul- bransson 1936. In einer Zeit, in der Fanatiker und Rabauken das groBe Wort fiihrten, in der eine ,,Weltanschauung” des Hasses und der Gewalt gelehrt wurde, fiihlten sich die Menschen, fur die nach Planck verfolgte mit der Verleihung der seinen Namen tra- wie vor hohere, geistige Werte galten, um so enger verbunden. genden Medaille an einen franzosischen Gelehrten bestimmte Ihr groBes Fest wurde der 80. Geburtstag Plancks. Langst war politische Absichten. Er wollte die Feier seines Geburtstages zu Planck nicht mehr nur das Oberhaupt der Physiker; er galt der einem Appell zur Versohnung zwischen den beiden groBen Vol- Universitat, der Akademie, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, kern nutzen. An Stelle des verhinderten Nobelpreistragers war den Gelehrten- und Kiinstlerkreisen in Berlin und in ganz der franzosische Botschafter gekommen, wodurch Planck eine Deutschland als Reprasentant. noch stiirkere Wirkung erzielte: Am spaten Nachmittag des 23. April 1938 begann die Fest- sitzung im Helmholtz-Saal des Harnack-Hauses. Nach allen meinen personlichen Erfahrungen, im Inland Ernst Briiche hielt die Reden auf Tonband fest; dam hatte er und im Ausland, besteht bei dem franzosischen Volk nicht im Blumenschmuck des Festsaales Mikrophone versteckt. Die minder als bei dem deutschen der ehrliche und sehnliche Aufnahmen gliickten iiberraschend gut und vermitteln uns noch Wunsch nach einem echten, dauernden Frieden, der bei- heute - als Schallplatte ,,Stimme der Wissenschaft” - einen Ein- den Teilen ungestorte produktive Arbeit ermoglicht. Moge druck von der festlichen Atmosphare. Als Vorsitzender der ein giitiges Geschick es fiigen, daB Frankreich und ,,Physikalischen Gesellschaft zu Berlin” begriiBte Carl Ramsau- Deutschland zusammenfinden, ehe es fur Europa zu spat er die Gaste und die Kollegen und wurdigte die Leistungen wird. [51] Plancks fur die Gesellschaft. Eduard Griineisen, der Herausge- ber der ,,Annalen der Physik”, iiberreichte dem Jubilar ein Fest- Die Zeichen der Zeit standen nicht auf Frieden. Nach dem heft und erlauterte die Verdienste Plancks um die alteste deut- AnschluB Osterreichs plante Hitler bereits ein Vorgehen gegen sche Fachzeitschrift. Dann sprach Planck iiber seine Verbunden- die Tschechoslowakei. Auch in der Physik hatten sich in den heit mit der DPG. In Bezug auf die Zahl der Sitzungen, die er zuriickliegenden Monaten hochst unangenehme Entwicklungen besucht habe, und die Zahl der Vortrage, die er gehalten habe, angebahnt.

F-97 In der Leitung der Notgemeinschaft war Rudolf Mentzel an ger und deutschen Patrioten, den die Rassegesetze aus seinem die Stelle von Johannes Stark getreten, was dessen Aggressivitat Vaterland vertrieben hatten. Gegen diesen Nachruf legte Johan- noch erhohte. So hatte er seinem neuen Angriff - diesmal im nes Stark ,,nachdrucklich Verwahrung” ein und verlangte, dal3 ,,Schwarzen Korps”, der Zeitschrift der SS - besondere Wucht Laue ,,aus dem Vorstande der Gesellschaft unverzuglich aus- verliehen. Durch die Nurnberger Gesetze, las man am 31. Juli scheidet”. Durch Vergleich Habers mit Themistokles habe es 1937, seien die Rassejuden ausgeschaltet, was aber leider nur Laue ,,in tendenzioser Weise” so hingestellt, als ob Haber von ein Teilsieg sei, denn es machten sich, insbesondere in der Wis- der nationalsozialistischen Regierung in die Verbannung senschaft, Geistesjuden, Gesinnungsjuden und Charakterjuden geschickt worden sei. ,,Diese Darstellung ist wahrheitswidrig

Arnold Sommerfeld 1937 - wohl emeritiert und voll in Tatigk.eit.

breit. Diese Trager judischen Geistes verfugten uber die schon- und bedeutet eine schwere Verdachtigung der nationalsozialisti- sten Ariernachweise und seien deshalb doppelt bekampfenswert. schen Regierung.” Zu diesen ,,WeiBen Juden” gehorten Max Planck, Arnold Som- Auf seiner Sitzung vom 27. Miirz 1934 behandelte der Vor- merfeld und dessen ,,Musterzogling” Werner Heisenberg. Insbe- stand die ,,Angelegenheit Laue - Stark”. In der Aussprache ver- sondere Werner Heisenberg wurde mit den ubelsten Schimpf- trat, dem Protokoll zu Folge, ein Beisitzer die Auffassung worten uberzogen, die in der Terminologie der Nationalsoziali- Starks, Laue habe der Regierung einen Vorwurf machen wollen: sten zur Verfugung standen: als ,,Ossietzky der Physik” und ,,Eine solche Einstellung sei Herrn von Laue wohl zuzutrauen, Jtatthalter des Einsteinschen Geistes”. zumal auch nach seinen Wurzburger Ausfuhrungen.” Andere Auslandische Physiker erwarteten nun eine Stellungnahme Herren traten der entlastenden Auffassung bei, ein ,,Hieb gegen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und kundigten, als die Regierung” habe Laue ferngelegen. SchlieBlich wurde die diese ausblieb, ihre Mitgliedschaft. Zu den schikfsten Kritikern Entscheidung vertagt, urn den Ausgang eines Verfahrens abzu- gehorte wieder Samuel Goudsmit. der in einem Brief an warten, das Laue beim vorgesetzten Ministerium gegen sich Walther Schottky seine Enttauschung aufierte, dal3 die Gesell- beantragen wollte. schaft offiziell nichts unternehme. Hier zeigte sich ganz deutlich, daR sich - irn wirklichen oder Wir wissen von einem Protest des Leipziger Kollegen Frie- vermeintlichen Interesse der Gesellschaft - die Mehrheit im drich Hund gegen die ,,an Unanstandigkeit kaum zu uberbieten- Vorstand nicht gegen die Regierung exponieren wollte, zumal in den Beleidigungen”, aber nicht, ob auch die Gesellschaft den einem Gremium von uber einem Dutzend Herren fast immer ein Fall aufgegriffen hat. Wohl aber kennen wir einen anderen Vor- uberzeugter Nationalsozialist vertreten war. gang, bei dem sich die Gesellschaft eingehend mit einem Mit seinem Aufsatz im ,,Schwarzen Korps” uber ,,WeiBe Angriff des Prasidenten der Physikalisch-TechnischenReichsan- Juden in der Wissenschaft” ging es Stark vor allem darum, die stalt auf einen Kollegen befal3te. Berufung Heisenbergs an die Universitat Munchen zu verhin- Nach dem Tode von Fritz Haber am 29. Januar 1934 schrieb dern. Seit 1906 vertrat hier Arnold Sommerfeld die theoretische Max von Laue in der Zeitschrift ,,Die Naturwissenschaften” Physik. Der Lehrstuhl war der wichtigste im Fach geworden, einen einfuhlsamen Nachruf auf den beriihmten Nobelpreistra- weil Sommerfeld als begnadeter akademischer Lehrer nach

F-98 einem Worte Einsteins die unnachahmliche Gabe hatte, die Gei- der Fachsitzungen stattgefunden haben. Eine grundsatzliche Kri- ster seiner Horer zu veredeln und zu aktivieren. Im Laufe der tik am Regime hat es aber, wenn uberhaupt, nur in Ausnahme- drei Jahrzehnte hatte Sommerfeld Generationen von Schulern fallen gegeben. herangebildet und rnit ihnen die Professuren an den deutschen Noch im September trafen sich im Heereswaffenamt ein Dut- Hochschulen besetzt. In berechtigtem wissenschaftlichen Stolz zend Forscher, die sich rnit Kernphysik befaljt hatten. Es ging wunschte er sich Werner Heisenberg, den genialsten seiner dabei um die Frage, ob die Ende 1938 von Otto Hahn und Fritz Schuler, als seinen Nachfolger. Strassmann entdeckte Kernspaltung noch in diesem Kriege zu Im April 1937 hatte sich das Reichserziehungsministerium einer technischen Anwendung fuhren konne. Erst am 8. Juli dazu durchgerungen, den Ruf tatsachlich an Heisenberg ergehen hatte Siegfried Flugge dariiber in Bad Nauheim bei der Tagung zu lassen. Durch den Angriff im Schwarzen Korps kam das des Gauvereins Hessen vorgetragen und zum Schlusse ,,die Verfahren erst einmal zum Stillstand. Sommerfeld berichtete Moglichkeit naher diskutiert, auf diesem Wege vielleicht die dem alten, nun so weit entfernten Freund Einstein: technische Nutzbarmachung von Atomkernenergien in einer nicht allzufernen Zukunft zu erreichen”. Die Politik meiner intimsten Feinde, Giovanni Fortissimo Bereits am Ende des ersten Kriegsmonats wurde auf einer und Leonard0 da Heidelberg, die mir Heisenberg nicht als Konferenz mit Rudolf Mentzel, Ernst Telschow, dem Generalse- Nachfolger gonnen wollen, zwingt mich, mein Amt weiter kretiir der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und einigen Herren des zu versehen und meine jetzt kleine Herde zu betreuen ... Heereswaffenamtes beschlossen, die Arbeiten im Kaiser-Wil- Die Zukunft sieht trube aus fur die deutsche Physik; ich helm-Institut fur Physik zu konzentrieren. Der Direktor dieses mu13 mich damit trosten, dalj ich ihr goldenes Zeitalter Institutes war Peter Debye, der immer darauf Wert gelegt hatte, 1905 - 1930 tatig miterlebt habe. [52] seine niederlandische Staatsangehorigkeit beizubehalten. Da es sich um ein geheimes Entwicklungsprojekt von hochster Bedeu- Munchen war aber nur ein Beispiel fur die nationalsozialistische tung handelte, stellte man Debye vor die Wahl, entweder die Wissenschaftspolitik. Auch von anderen Seiten gab es ungunsti- deutsche Staatsangehorigkeit anzunehmen, oder die Leitung des ge Nachrichten. Fritz Sauter berichtete aus Konigsberg, darj sein Instituts niederzulegen. Debye lierj sich vom Reichserziehungs- Verbleiben hochst unsicher sei, da ihn jemand als ,,politisch ministerium beurlauben und reiste am 16. Januar 1940 in die unzuverlassig” verleumdet habe. ,,Es ist wirklich schade,” heiljt Vereinigten Staaten, um an der Cornell University in Ithaca eine es in einem Brief Werner Heisenbergs an Arnold Sommerfeld, Gastprofessur anzunehmen. Er kehrte nie wieder zuriick. Mit ,,daB man in einer Zeit, in der die Physik so wunderbare Fort- Debye verlor Deutschland einen hochbedeutenden Forscher und schritte macht und in der es wirklich SpaB macht, daran mitzu- die Deutsche Physikalische Gesellschaft ihren Vorsitzenden. arbeiten, immer wieder rnit diesen politischen Dingen zu tun Debyes etwas krampfhafte Suche nach einem Nachfolger fuhrte bekommt.” nicht mehr zum Erfolg. Ein ganzes Jahr nahm die Untersuchung gegen Heisenberg in Die fur die Zeit vom 24. bis 30. September 1939 in Marien- Anspruch, die er selbst bei Heinrich Himmler beantragt hatte, bad geplante grorje Physikertagung wurde wegen des Kriegsaus- dem Reichsfuhrer der SS. Sie endete nach qualendem Warten bruches abgesagt. In den Gauvereinen lief jedoch das wissen- rnit der Rehabilitierung. Wahrhaft makaber war der Brief, den schaftliche Leben weiter wie bisher, wenn auch viele Kollegen Himmler am 21. Juli 1938 an Reinhard Heydrich richtete: Sie durch Einberufung zum Kriegsdienst fehlten. Am 15. November konnten es sich nicht leisten, ,,diesen Mann, der verhaltnismaljig sprach in Berlin Otto Hahn ,,Uber das Zerplatzen des Uran- und jung ist und Nachwuchs heranbringen kann, zu verlieren oder des Thorkerns in leichtere Atome”, am 12. Dezember 1939 Wil- tot zu machen”. Man solle versuchen, Heisenberg zur Mitarbeit libald Jentschke vor dem ,,Gauverein Osterreich” uber seine an der ,,Welteislehre” zu gewinnen. Messungen der bei der Kernspaltung auftretenden aufierordent- Nach Munchen berufen wurde jedoch nicht Werner Heisen- lich hohen Energien. Andere Themen in Wien waren der Ultra- berg, sondern Wilhelm Muller, dessen Fach gar nicht die theore- schall und die Elektronenmikroskopie. tische Physik war, sondern die technische Mechanik. ,,Die Beru- Die nachste grolje Physikertagung fand am 1. und 2. Septem- fung dieses Mannes mulj als vollig sinnlos angesehen werden,” ber 1940 in Berlin statt und wurde gemeinsam von der Deut- kommentierte Ludwig Prandtl, ,,wenn man nicht etwa den Sinn schen Physikalischen Gesellschaft und der Deutschen Gesell- darin sehen will, daB zerstort werden soll.” In einer Unterredung schaft fur Technische Physik veranstaltet. Satzungsgemalj mit einem Beamten des Reichswissenschaftsministeriums (Dr. wurde Deb ye vom fruheren Vorsitzenden der Gesellschaft, Dames) am 16. Juli 1940 hielt Sommerfeld diesem vor, darj Jonathan Zenneck, vertreten. In seiner Eroffnungsansprache Wilhelm Muller nie in einer physikalischen Zeitschrift publiziert ruhmte Zenneck, wie bei solchen Gelegenheiten ublich, den habe, nie in die Physikalische Gesellschaft gehe und auch ,jetzt Fuhrer, der Deutschland wieder eine geachtete Stellung in der noch nicht” Mitglied sei. Welt verschafft habe: Mit der Ernennung Mullers hatten jedoch die Ideologen ihr Spiel uberreizt. Jeder verniinftige Physiker, auch der brave Par- Wir sind heute mehr als je durchdrungen von dem tiefsten teigenosse, sah, d& es in der Wissenschaft so nicht weitergehen Danke fur unseren Fuhrer, wir sind alle beseelt von dem konnte. Der Kriegsausbruch am 1. September 1939 bestarkte Vertrauen, dalj er das Werk, das er begonnen, zu einem viele Kollegen in ihrer Auffassung, dalj sie mit ihrer Physik fur uns alle glucklichen Ende fuhren wird. [53] dem Vaterlande dienten, wahrend die Aktivitaten der Lenard- Clique die Wehrhaftigkeit sabotierten. Damit gewann die Auf- Und dann forderte Zenneck die Physiker auf, ihrem Dank fassung an Boden, darj man sich zusammentun musse, um und ihrer Begeisterung Ausdruck zu geben und mit ihm gewisse Reformen in der Partei und im Staat zu erreichen. Der- einzustimmen in den Ruf ,,Unser Fuhrer Adolf Hitler Sieg - lei Gesprache unter Kollegen werden wohl vor allem am Rande Heil!” - F-99 Die Ansprache Zennecks war ganz auf die Bedeutung der 4. Jede Verknupfung der Relativitatstheorie rnit einem Physik im gegenwiirtigen Krieg abgestellt. Wurde man, sagte er, allgemeinen Relativismus wird abgelehnt. irgendeiner Waffengattung ihre physikalischen Hilfsmittel ent- 5. Die Quanten- und Wellenmechanik ist das einzige zur ziehen, wurde es ihr ergehen wie einem Mann, der uber machti- Zeit bekannte Hilfsmittel zur quantitativen Erfassung der ge Korperkrafte verfugt, aber das Hor- und Sehvermogen verlo- Atomvorgange. Es ist erwunscht, uber den Formalismus ren hat. Auch diejenigen, die fur die Aufgaben der reinen und und seine Deutungsvorschriften hinaus zu einem tieferen technischen Physik nicht das volle Verstandnis aufbringen VersMndnis der Atome vorzudringen. [54] konnten, miifiten wenigstens ihre Bedeutung in der Landesver- teidigung anerkennen. Eigentlich waren es nur Selbstverstandlichkeiten, die man hier In der anschlieBenden Geschaftssitzung stimmten die Mitglie- festgehalten hatte. Aber diese ,,Selbstverst;indlichkeiten” waren der der neuen Satzung zu, rnit der auch die DPG das Fuhrerprin- im Dritten Reich eben nicht selbstverstandlich. Das sollte sich zip einfuhrte. Selbst wahlen konnten sie hinfort nur noch ihren bald offenbaren. Obwohl die Reichsdozentenfuhrung endlich Vorsitzenden, und die Wahl mul3te noch durch den Reichsmini- auf Distanz ging zur ,,Deutschen Physik”, fanden sich andere ster fur Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung bestatigt Parteiinstanzen und andere ,,Fuhrer”, die ihre ideologische Bril- werden. Der Vorsitzende ernannte daraufhin die ubrigen Mit- le nicht ablegten. Lenard, Stark, Muller und Thuring fuhlten glieder des Vorstandes. Die Wahl des Vorsitzenden erbrachte sich an den vereinbarten Burgfrieden nicht gebunden. Mitte bei 93 Anwesenden 70 Stimmen fur Carl Ramsauer, den Direk- 1941 erschien eine Broschure uber ,,Judische und Deutsche tor des AEG-Forschungslaboratoriums. Nach sorgfaltigen Kon- Physik” mit den Reden, die Johannes Stark und Wilhelm Muller sultationen hoke sich Ramsauer als seinen Stellvertreter Wolf- im Oktober 1940 ,,zur Eroffnung des Kolloquiums fur theoreti- gang Finkelnburg, den Dozentenfuhrer an der TH Darmstadt. sche Physik an der Universitat Munchen”, d. h. also zur Feier Das bedeutete eine Kampfansage an die ,,Deutsche Physik”. der Berufung Mullers, gehalten hatten. Das Resumee der Aus- Finkelnburg war es gelungen, die Reichsdozentenfuhrung in fuhrungen Starks ist ein nachdruckliches Lob fur das Reichser- Munchen auf den Konflikt aufmerksam zu machen. Am 15. ziehungsministerium, das nicht einen ,,Zogling des judisch-dog- November 1940 trafen im Arztehaus in Miinchen Vertreter bei- matischen Geistes”, sondern den ,,pragmatischen Theoretiker der Seiten zur klarenden Aussprache aufeinander. Auf Finkeln- W. Muller” zum Nachfolger Sommerfelds emannt habe: burgs Seite standen funf jungere, aber bereits anerkannte Physi- ker. und Carl Friedrich von Weizsacker als Ver- Die judengeistigen Dogmatiker mogen wissen, dal3 ihre treter der reinen Theorie, Georg Joos als Fachmann fur Theorie Zeit in Deutschland vorbei ist; fur sie ist kein Platz mehr und Experiment, als Vertreter der Experi- in der deutschen Physik. [55] mentalphysik und Otto Heckmann als Kenner der Allgemeinen Relativitatstheorie. Die ,,Deutsche Physik” war rnit Alfons Buhl, In dieser Situation beschlossen Ramsauer und Finkelnburg einen Wilhelm Muller, Bruno Thuring, Rudolf Tomaschek, Ludwig VorstoB beim Reichserziehungsministerium. Sie stellten eine Wesch und Harald Volkmann vertreten. Die Leitung der Dis- umfangreiche Denkschrift uber die Situation in der Physik kussion lag in den Handen von Dr. Gustav Borger, dem Leiter zusammen, insbesondere uber den Verlust der ,,Vormachtstel- des Amtes Wissenschaft im NS-Dozentenbund. Den Teilneh- lung an die amerikanische Physik”, um das Ministerium zu mern fie1 die betont sachliche Verhandlungsfuhrung auf; spater einer Anderung seiner Berufungspolitik zu veranlassen. gehorte Borger zu den Mannern innerhalb des Regimes, die die Noch vor der Aktion der DPG wandte sich am 28. April Griindung der ,,Physikalischen Blatter” befurworteten. Als Arzt 1941 der Gottinger Aerodynamiker Ludwig Prandtl an den ihm fuhlte er sich nicht genugend kompetent und bat noch Herbert personlich bekannten Reichsmarschall. Er hoffte, uber Hermann Stuart und Johannes Malsch um ihre Teilnahme. Goring an Adolf Hitler heranzukommen. In teilweise sehr hitziger Debatte wurde die Kritik an der Prandtl nahm nun wirklich kein Blatt vor den Mund. Er Allgemeinen Relativitatstheorie und der Quantentheorie als geil3elte das ,,terroristische Verhalten der Lenard-Gruppe”. Sie unberechtigt erwiesen. Nach der Mittagspause fehlten Wilhelm habe in letzter Zeit ,,eine geradezu unglaubliche Neubesetzung Muller und Bruno Thuring, die beiden scharfsten Ideologen. Die durchgesetzt” - die Berufung des Ideologen Wilhelm Muller auf ubriggebliebenen Teilnehmer an dem ,,Religionsgesprach”, wie den Lehrstuhl Sommerfelds - , dessen Programm ,,nur als Sabo- es bald genannt wurde, unterzeichneten ein Protokoll, das fortan tage eines fur die technische Weiterentwicklung unentbehrlichen den Physikern in Deutschland als Richtlinie dienen sollte: Faches bezeichnet werden” konne. Mit dem grol3ten Nachdruck appellierte Prandtl an die Staatsfuhrung: 1. Die theoretische Physik rnit allen mathematischen Hilfsmitteln ist ein notwendiger Bestandteil der Gesamt- Durch die Entwicklung in der letzten Zeit [hat sich] eine physik. Situation herausgebildet, die ganz grol3e Gefahren fur den 2. Die in der Speziellen Relativitatstheorie zusammenge- Fuhrernachwuchs auf diesem Gebiet [der theoretischen fal3ten Erfahrungstatsachen gehoren zum festen Bestand- Physik] in sich birgt und die ... zwangslaufig zu einer teil der Physik. Die Sicherheit der Anwendung der Spezi- Unterlegenheit Deutschlands auf diesem kriegs- und wirt- ellen Relativitatstheorie in kosmischen Verhaltnissen ist schaftswichtigen Fach fuhren muBte. [56] jedoch nicht so gro8, dal3 eine weitere Nachprufung unnotig ware. Das Memorandum erreichte nicht einmal Goring. Es sei leider 3. Die vierdimensionale Darstellung von Naturvorgangen ausgeschlossen, antwortete der Zweite Staatssekretar, daf3 der ist ein brauchbares mathematisches Hilfsmittel; sie bedeu- Reichsmarschall zur Zeit dafur interessiert werden konne. tet aber nicht die Einfuhrung einer neuen Raum- und Zeit- Prandtl wurde an den Reichsminister fur Erziehung, Wissen- anschauung . schaft und Volksbildung verwiesen. Ein Appell an Bernhard

F-100 Rust erschien Prandtl jedoch aussichtslos, da ,,bei dem Wiiten Die inneren Kampfe der deutschen Physik miissen beige- gegen die theoretische Physik Parteieinfliisse am Werke waren, legt werden, wenn man eine Gesundung herbeifiihren will. gegen die auch Herr Reichsminister Rust machtlos ist”. ~581 Uber seine Aktion hatte Prandtl auch Robert Pohl informiert. Dieser traf am 13. Mai 1941 bei einer Sitzung der Helmholtz- Die Eingabe ist ohne jede Resonanz geblieben. Ramsauer sah in Gesellschaft in Diisseldorf Dr. Albert Vogler. Der Generaldirek- diesem Schweigen das groljte Armutszeugnis, das es fur eine tor der Vereinigten Stahlwerke besal3 hochstes Ansehen in der leitende Behorde iiberhaupt geben konne. ,,Das Ministerium Wissenschaft. Die Physiker hatten ihn zu ihrem Ehrenmitglied Rust besaB nicht nur den bei Parteiinstanzen iiblichen Mangel ernannt, und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft stand seine an gesunder Vemunft, sondern auch einen bei den Parteiinstan- Wahl zum Prasidenten unmittelbar bevor. Zen sonst nicht ublichen Mangel an Tatkraft.” Unter dem Eindruck der neuen Stark-Miillerschen Broschiire An der mangelnden Tatkraft lag es wohl nicht. Der Minister nahm sich Vogler vor, ,,beim Fuhrer wegen der Gefahrdung der besal3 nicht die notige Macht, um seine Auffassungen im Regi- theoretischen Physik vorstellig zu werden”. Pohl net, erst ein- me durchzusetzen. Es war eben, wie Prandtl konstatiert hatte, ma1 die Demarche Prandtls abzuwarten. ,,Das Ergebnis liegt nur der Fuhrer selbst in der Lage, ,,die Parteieinfliisse zu besei- jetzt vor, es ist vollig negativ”, meldete Pohl am 5. Juli 1941. tigen”. Adolf Hitler aber befal3te sich nicht rnit Physik. Da hatte Inzwischen hatte Adolf Hitler den Angriff auf die Sowjetunion Johannes Stark schon recht gehabt, als er 1933 konstatierte: begonnen, und Vogler hielt es nunmehr fur vollig ausgeschlos- ,,Wissenschaft ist Hilter zutiefst unsympathisch.” sen, sich an die fiihrenden Personlichkeiten direkt zu wenden. Da nun alles in der Schwebe blieb, fing die Deutsche Physi- Er wolle stattdessen versuchen, ,,mit dem Herrn Erziehungsmi- kalische Gesellschaft an, fur ihre Auffassungen zu werben. Es nister oder vielleicht noch besser vorher mit Herm Ministerial- ist ein wahrhaft erstaunliches Faktum, dalj in der Endphase des direktor Mentzel zu einer Klthng zu kommen”. Kurze Zeit spa- Dritten Reiches die Physiker auf nichts geringeres hinarbeiteten, ter wurde Mentzel von Vogler zum 2. Vizeprasidenten der KWG ernannt, und wir konnen davon ausgehen, dal3 das angekundigte Gesprach tatsachlich stattgefunden hat, aber vollig ergebnislos geblieben ist. Es erwies sich, dalj Prandtl recht gehabt hatte mit seiner Bemerkung iiber die Machtlosigkeit Rusts. Am 20. Januar 1942 richtete die Deutsche Physikalische Gesellschaft durch ihren ersten Vorsitzenden die umfangreiche Eingabe an das Reichser- ziehungsministerium. Mit ungeschminkter Deutlichkeit trug Carl Ramsauer seine Sorge um ,,die Zukunft der deutschen Phy- sik als Wissenschaft und Machtfaktor” vor:

Die deutsche Physik hat ihre friihere Vormachtstellung an die amerikanische Physik verloren und ist in Gefahr, immer weiter ins Hintertreffen zu geraten ... Die Fort- schritte der Amerikaner sind aul3erordentlich grol3. Dies beruht nicht allein darauf, daB die Amerikaner weit hohere materielle Mittel einsetzen als wir, sondern mindestens im Hundert-Jahr-Feierder DPG im Horsaal der Universitiit Berlin. V. 1. n. gleichen MaBe darauf, dal3 es ihnen gelungen ist, eine zah- r.: Abraham Esau. Carl Ramsauer und Eberhard Buchwald. lenmal3ig starke, sorgenfrei und freudig arbeitende junge Forschergeneration heranzuziehen, welche der unsrigen aus der besten Zeit in ihren Einzelleistungen gleichwertig als die Freunde zu mobilisieren und die Schwankenden zu iiber- ist und sie durch die Fahigkeit zur Gemeinschaftsarbeit zeugen mit dem Ziel, eine Entideologisierung, d. h. eine grund- iibertrifft. [57] legende Reform des Regimes, zu erreichen. Reformwillige Kraf- te fanden sich sogar in der Reichsleitung der NSDAP und in den Auf den Schaden, der durch die Vertreibung der jiidischen Kol- beteiligten Ministerien bis hinauf zum Staatssekretiir und Mini- legen entstanden war, durfte Ramsauer natiirlich nicht eingehen. ster. Dieses Thema war tabu. Ansonsten aber sprach Ramsauer, wie Im Mai 1943 sandte Ramsauer eine Kopie seiner Eingabe an Briiche nach dem Kriege in den ,,Physikalischen Blattem” kom- Reichsminister Joseph Goebbels. Dieser notierte im Tagebuch: mentierte, ,,mit erquickender Deutlichkeit”. Als Ursachen fur den Riickgang der Physik in Deutschland nannte er die Beset- In den Briefeingangen ist sehr vie1 Kritik enthalten. Der zung der physikalischen Lehrstiihle, die ,,nicht immer nach den bekannte Physiker Professor Ramsauer ... iiberreicht mir in alter und neuer Zeit bewahrten Grundsatzen des Leistungs- eine Denkschrift iiber den Stand der deutschen ... Physik. prinzips” erfolgt wiiren und die ,,Vonviirfe gegen die Vertreter Diese Denkschrift ist fur uns sehr deprimierend ... Wir der modemen theoretischen Physik als (angebliche) Vorkampfer merken das sowohl am Luftkrieg wie auch am U-Boot- judischen Geistes”. Diese Vorwiirfe seien ,,ebenso unbewiesen Krieg ... Jedenfalls ist auch Professor Ramsauer der Mei- wie unberechtigt”. Die theoretische Physik habe eine ganze nung, dal3 wir den Vorsprung der angelsachsischen Physi- Reihe grol3ter positiver Leistungen aufzuweisen ... , welche auch ker einholen konnen ... Allerdings wird das eine geraume fur Wirtschaft und Wehrmacht von wesentlicher Bedeutung Zeit in Anspruch nehmen. Es ist jedoch besser, damit werden” konnten. Die Konsequenz sei also: anzufangen, ... als die Dinge weiter laufen zu lassen. [59]

F-101 Die Physiker erhielten die Ruckendeckung von Goebbels und Begriff ,,Offentlichkeitsarbeit” oder ,,Public Relations” gab es Speer fur ihr aus drei Teilen bestehendes Reformprogramm: damals noch nicht in Deutschland. Aber genau darum handelte Wissenschaftler sollten von der Front zuruckgeholt, naturwis- es sich. Wie der mit dieser Aufgabe betraute Ernst Briiche sei- senschaftliche Forderklassen an den Gymnasien geschaffen und nen Physikerkollegen erlauterte, werde die neue Instanz, ,,da ein eigenes ,,Buro” oder eine ,,Zentralstelle” fur die Werbe- und bisher keine geeignetere und kurzere Bezeichnung gefunden Pressearbeit ins Leben gerufen werden. wurde”, als ,,Werbestelle Deutscher Physiker” eingefuhrt. Die Am 19. Juli 1943 griindete Goring einen PlanungsausschuB, Stelle solle werben ,,fur Physik und Forschung” und ,,deren um Forschungsprioritaten festzulegen und Wissenschaftler vom Wichtigkeit fur Deutschland unterstreichen”. Dazu wollte man Kriegsdienst freizustellen. Mit der Durchfuhrung wurde W. sich einer neuen Zeitschrift bedienen, die den Namen ,,Beiblat- Osenberg beauftragt, Ordinarius an der Technischen Hochschule ter zu den Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesell- Hannover und Direktor des Institus fur Werkzeugmaschinen. schaft” erhalten sollte. Von den 6000 namhaft gemachten Ingenieuren, Physikern, Che- Von Heft 1 existierten bereits die Probeabzuge, als der Satz mikern und Mathematikern konnten nur 4000 zuruckbeordert durch einen Luftangriff vollig zerstort wurde. In der Zwi- werden. Die ubrigen 2000 waren inzwischen gefallen oder ver- schenzeit war die Zuversicht der Beteiligten gewachsen. Die wundet oder wurden in dem zunehmenden Chaos nicht mehr nicht sehr gluckliche Bezeichnung ,,Werbestelle” wurde in gefunden. Bedeutung fur die Kriegsanstrengungen des Regimes ,,Informationsstelle Deutscher Physiker” umbenannt und die hatte diese Aktion nicht mehr, wohl aber fur die Nachkriegszeit. Zeitschrift in ,,Physikalische Blatter”. Ohne jeden Effekt blieb die Nachwuchsforderung, die vom Heute sind wir es in unserer freien Gesellschaft gewohnt, daR Reichsministerium fur Erziehung, Wissenschaft und Volksbil- Parteien, Ministerien und Verbande durch gezielte Offentlich- dung unter der Geheimbezeichnung ,,Aktion Blucher” gefuhrt keitsarbeit fur ihre Belange werben. Wenn die entsprechende wurde. Hier kam es nur zur Grundung einer Probeschule mit offentliche Meinung vorhanden ist, davon geht man aus, werden einhundert Schulern im Alter von 16 - 17 Jahren. Umso wichti- die politischen Entscheidungen in dem gewunschten Sinne fal- ger aber war der dritte und letzte Punkt des Reformprogramms len. Das also hat es auch in den letzten Jahren des Dritten Rei- der DPG. Der Vorstand der Gesellschaft hatte beschlossen, ches gegeben. ,,aufklarend uber Physik und Forschung zu wirken und deren Die Hauptthese der ,,Physikalischen Blatter”, dieser ,,physi- Wichtigkeit fur Deutschlands Zukunft zu unterstreichen.” Den kopolitischen Zeitschrift”, wie sie Bruche nannte, war: For-

Hundert-Jahr-Feier der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 18. Januar 1945 in Berlin. (Am Vortragspult Carl Ramsauer, in der ersten Reihe von links Ernst Briiche, der Adjutant des Reichsjugendfiihrers und der Reichsjugendfiihrer Artur Axmann, Marga Planck rechts hinter dem Zier- baum in der Bildmitte.)

F-102 schung tut not - im Frieden, im Krieg und erst recht im totalen Hotel stattfand und zu dem die Mitglieder sich im Gesell- Krieg. Immer wieder wurde in ihren Spalten betont, daB nicht schaftsanzug einfanden”. Spater gab es wenigstens alle zehn nur die angewandte Forschung kriegsentscheidend sei, sondern Jahre eine Jubilaumsfeier. Die letzte hatte am 25. Januar 1935 auch die Grundlagenforschung. Die Kronzeugen fur die Bedeu- stattgefunden. In seiner Festrede hatte Max Planck aus seinen tung der Wissenschaft waren die namhaften Gelehrten, die wie Erinnerungen an das sich in Sitzungen und Nachsitzungen Liebig, Helmholtz, Siemens und Planck bereits vor Jahrzehnten abspielende Leben der Gesellschaft berichtet und mit einem fur eine stakere Forderung der Forschung pladiert hatten, oder Ausblick auf die im Januar 1945 bevorstehende Jahrhundertfei- die wie Jonathan Zenneck, Carl Ramsauer und Wolfgang Fin- er geschlossen. Der Redner des Tages werde dann auf Mitglie- kelnburg in den letzten Jahren damit hervorgetreten waren. Zu der hinweisen konnen, ,,deren unsterbliche Verdienste um die Wort kam auch der Englander William Bragg und der Amerika- Wissenschaft auch auf unsere Gesellschaft ihren Glanz verbrei- ner Austin H. Clark. Alle diese Beitrage betonten die wichtige ten werden, solange iiberhaupt in Deutschland Physik getrieben Rolle der Wissenschaft im Industriestaat, waren aber ganzlich wird”. ideologiefrei. Planck dachte haufig an Einstein, und er wird wohl auch mit Natiirlich durften in einer physikopolitischen Zeitschrift des diesen Worten vor allem ihn gemeint haben. Oft beschlich ihn Jahres 1944 auch die Reprasentanten des Dritten Reiches wie das Gefuhl, da13 die Vertreibung des grol3en Mannes spater ein- Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Albert Speer nicht fehlen. ma1 fur Deutschland ,,nicht zu den Ruhmesblattern” gehoren Originalbeitrage konnte Briiche von diesen Herren nicht erwar- werde. Auf Albert Einstein und die glanzvollste Ara der deut- ten, vielmehr wahlte er sich aus vorhandenen Texten das Pas- schen Physik einzugehen, war aber dem Festredner am 18. sende aus, bei Hitler Zitate aus ,,Mein Kampf ’, bei Goebbels Januar 1945, bei aller Freiheit die er sich nahm, doch nicht Ausschnitte aus einer Rede in der Heidelberger Universitat iiber moglich. ,,Den geistigen Arbeiter im Schicksalskampf des Reiches” und Im Sommer 1944 hatte Carl Ramsauer den Danziger Physi- bei Speer aus einem Appell an die deutsche Jugend. Da es in ker Eberhard Buchwald gebeten, uber das Auf und Ab in den diesen Heften vorrangig um Nachwuchsfragen ging, miisse - so einhundert Jahren der Gesellschaft zu sprechen. Zweifel waren Briiche - auch die Hitler-Jugend, der ,,stkkste Erziehungsfaktor wohl angebracht, ob es uberhaupt noch moglich sein wiirde, die der Gegenwart”, zu Worte kommen. Der Herausgeber merkte Veranstaltung durchzufuhren und ihr einen festlichen Charakter dam an, da13 bei der Hitler-Jugend die ,,Gemeinschaftserziehung zu geben. Doch dann fand Buchwald Trost in der Versenkung in mit ihrer Einseitigkeit” nun durch die Pflege der individuellen fruhere und schonere Zeiten. Seine Gedanken gingen iiber die Eigenschaften und Einzelbegabungen erganzt werde. Das war Ara Planck und die Ara Helmholtz zuriick zum Magnus-Kollo- Wunschdenken. In den ,,Physikalischen Blattern” finden sich quium und die Vereinsgriindung im Januar 1845 und noch wei- entsprechend Beitrage des Reichsjugendfiihrers Artur Axmann ter zum Dichterfursten in Weimar. Dessen funf ,,Urworte und des Hauptbannfiihrers K. W. Heinrich Hartmann. Ernst orphisch” gaben ihm die Gliederung seines Vortrages. Briiche hatte diesen ,,als einen vernunftigen und tuchtigen Die denkwiirdige Feier fand tatsachlich statt, am 18. Januar Mann” kennengelernt. So las man unter der Uberschrift ,,Jugend 1945 im ungeheizten, aber uberfullten Saal des Physikalischen und Technik” aus der Feder des Hauptbannfuhrers: Instituts der Universitat Berlin. Viele der groBen Physiker, die friiher der Reichshauptstadt und den Veranstaltungen der DPG So verjudet, entartet und verkommen die politische und Glanz gegeben hatten, fehlten. Peter Debye lehrte und forschte wirtschaftliche Fiihrung der anglo-amerikanischen Koaliti- nun an der Cornell University. Karl Scheel und Walther Nernst on auch sein mag, so darf doch nicht verkannt werden, waren verstorben. Arnold Berliner hatte sich erschossen, als er daB trotz aller Degenerationserscheinungen und Vermi- zum Transport nach Auschwitz abgeholt werden sollte. Das schungstendenzen gerade ihre technischen Leistungen von Kaiser-Wilhelm-Institut fur Physik mit Werner Heisenberg und dem gleichen faustischen Drang getragen worden sind und Max von Laue war rnit allen Mitarbeitern nach Hechingen ver- getragen werden, wie bei uns. So entartet und ganz und lagert. Otto Hahn wirkte in Tailfingen, Lise Meitner in Stock- gar unnordisch auch die Anwendung ihrer technischen holm. Mittel in der Kriegfuhrung - wie sie uns das Beispiel des Am schmerzlichsten vermiljten die Physiker ihren ,,Altmei- Luftterrors Tag fur Tag vor Augen stellt - auch sein mag, ster” Max Planck. Sein Haus in Grunewald war zerstort, und er so sind wir doch weit davon entfernt, die technische Lei- lebte seit 1943 mit Frau Marga in Rogatz an der Elbe auf dem stung als solche zu unterschatzen. Es tritt uns zuminde- Gut des Industriellen Carl Still. Der 87jahrige litt schwer an stens darin ein Feind von Rang entgegen, der uns zu hoch- Arthrose, einer Verknocherung der Wirbelsaule, und hatte sich stem eigenen Einsatz nicht nur im Kampf der Waffen, bei einem Sturz schwere Prellungen zugezogen. ,,Nach Berlin sondern gerade im Kampf der Wissenschaft, der Technik, wage ich mich nicht mehr mit ihm”, berichtete Marga Planck. der Erfindungen verpflichtet. [60] Sie aber lielj sich nicht nehmen, nach Berlin zur Festsitzung zu kommen. Die Feier verlief nach dem Bericht eines Augenzeu- Das waren noch einige verbale Zugestandnisse an die Ideologie, gen ,,in einer selten schonen Harmonie”. an die der Hauptbannfiihrer offensichtlich selbst nicht mehr Gliickstrahlend kehrte Frau Marga nach Rogatz zuriick. Sie glaubte. So variierte der Herausgeber sein Thema: Die Physik in hatte erfahren, daB die Begnadigung Erwin Plancks unmittelbar Deutschland hat keine zufriedenstellende Entwicklung genom- bevorstehe. Der Lieblingssohn Plancks und sein einziges, ihm men, sie ist von der amerikanischen Wissenschaft uberflugelt aus der ersten Ehe verbliebenes Kind war nach dem Attentat auf und Reformen sind dringend notwendig. Hitler als Mitwisser verhaftet worden. Funf Tage spater wurde Bis zum Ersten Weltkrieg hatte die Deutsche Physikalische Erwin Planck hingerichtet. ,,Nie hat ein Volk grausamere Her- Gesellschaft alljahrlich im Januar zum Gedenken an die Grun- ren gehabt”, kommentierte Thomas Mann iiber BBC London, dung ein Stiftungsfest veranstaltet, das immer ,,in einem feinen ,,Machthaber, die erbarmungslos darauf bestanden, daB Land

F-103 und Volk mit ihnen zugrundegehen. Sollten sie nicht mehr sein, Quellen so sol1 es ein Deutschland uberhaupt nicht mehr geben.” Marga Planck mochte an die Rede Buchwalds denken, der [ 1] Ph. Lenard: Erinnerungen eines Naturwissenschaftlers, der zum SchluR von elpis gesprochen hatte, von der nun so grausam Kaiserreich, Judenherrschaft und Hitler erlebt hat. Schreib- enttauschten Hoffnung, im vorletzten Abschnitt aber von anan- maschinenskript Heidelberg 1943. Reproduktion Physikal. ke, der Notigung, und dem zwangslaufigen Mitgenommenwer- Institut Heidelberg 1992, S. 56 den durch das Zeitgeschehen: ,,Denn die Gesellschaft ist ja nicht [2] Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft nur Projektion der Weltphysik, sondern auch des allgemeinen ab Bd. 1 (1899) Weltgeschehens auf die Ebene der deutschen Physiker.” [3] Brieftagebuch gefuhrt von Max Planck, Carl Runge und In der Tat lag der Akzent der Festrede auf ananke, dem vom zwei weiteren Freunden. Hier Eintragung Plancks vom 14. Regime ausgeubten Zwang. Buchwald sah zwei Aspekte der Oktober 1905 ananke. Zum einen habe man die Physiker genotigt, fur die [4] Berichte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Anerkennung der Theorie auf die Barrikaden zu gehen. Zum Jahre 1905. Braunschweig 1905, S. 261 f. anderen handle es sich darum, mit einem groljangelegten Pro- [5] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 28. Juli 1906 gramm, das man unter dem Namen ,,Ramsauer-Plan” zusam- [6] M. Planck: Physikalische Abhandlungen und Vortrage. 3 menfassen konne, der deutschen Physik den gebuhrenden Platz Bde. Braunschweig 1958. Hier Bd. 11, S. 116 in der Welt zu sichern. Die beiden Herausforderungen ange- [7] Ch. Kerner: Lise, Atomphysikerin. Die Lebensgeschichte nommen zu haben, sei ,,die Hauptleistung der Gesellschaft in der Lise Meitner. Weinheim und Basel 1986, S. 25 unseren Tagen”. [8] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 1. Juli 1907 Als nach dem Kriege die Physikalischen Blatter wieder [9] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 12. April 1911 erschienen, ging Bruche in zahlreichen Beitragen auf diesen [ 101 M. Planck: Acht Vorlesungen uber theoretische Physik, Kampf der deutschen Physiker gegen die nationalsozialistischen gehalten an der Columbia University in the City of New Ideologen ein. Er zitierte als sein Resumee aus einem Bericht York im Friihjahr 1909. Leipzig 1910, S. 117 von : [ll] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 13. Juni 1910 [I21 M. J. Klein, A. J. Kox und R. Schulmann (Hrsg.): The Ich glaube, dalj die Physikerschaft ein Anrecht darauf hat, Collected Papers of Albert Einstein. Vol. 5. Princeton zu wissen, wie der Vorstand der Deutschen Physikali- 1993, S. 232 schen Gesellschaft in den Jahren seit der letzten Physiker- [ 131 Ebd. S. 253 tagung 1940 alles in seiner Macht Stehende trotz aller [14] M. v. Laue: Gesammelte Schriften und Vortrage. 3 Bde. Schwierigkeiten und rnit vie1 Mut getan hat, um gegen Braunschweig 1961. Hier Bd. 111, S. XXIII. Laues Angabe, Partei und Ministerium die Sache einer sauberen und es sei der 8. Juni gewesen, ist irrtumlich. anstandigen wissenschaftlichen Physik zu vertreten und [ 151 Max Planck in seinen Akademie-Ansprachen. Erinnerungs- Schlimmeres, als schon geschehen ist, zu verhuten. Ich schrift der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu glaube, dalj dieser Kampf gegen die Parteiphysik ruhig als Berlin. Berlin 1948, S. 23 ein Ruhmesblatt der wirklichen deutschen Physik bezeich- [16] Brief von Albert Einstein an Hendrik Antoon Lorentz, 13. net werden darf, weil er - zwar von wenigen aktiv gefuhrt November 1916 - von der uberwaltigenden Mehrheit der Physiker effektiv [I71 C. Seelig: Albert Einstein. Leben und Werk eines Genies und moralisch unterstuzt worden ist. [61] unserer Zeit. Zurich 1960, S. 259 [ 181 Zu Max Plancks sechzigstem Geburtstag. Ansprachen ... Ein halbes Jahrhundert spater mussen wir anders und differen- Karlsruhe 1918, S. 4 zierter urteilen. Naturlich erkennen und wurdigen auch wir den [I91 Ebd. S. 31 Mut, mit dem sich die Kollegen damals fur eine ,,saubere”, d. h. [20] A. Hermann (Hrsg.): Albert Einstein/Arnold Sommerfeld, eine ideologiefreie Physik eingesetzt haben, fur die Berufung Briefwechsel. Sechzig Briefe aus dem goldenen Zeitalter der fachlich Bestqualifizierten und fur die Pflege des Nach- der modemen Physik. Basel u. Stuttgart 1968, S. 49 wuchses. Jedoch empfinden wir als ungut, daB die beabsichtigte [21] Brief von Wilhelm Hallwachs an Wilhelm Wien, 10. Juni Starkung der Physik auch eine Konsolidierung des nationalso- 1914 zialistischen Staates nach sich ziehen mul3te. Das Verantwor- [22] Anm. 20, S. 60 f. tungsgefuhl der Physiker war auf ihr Fach gerichtet und die [23] Berliner Tageblatt, 8. Oktober 1919. Abendausgabe. politischen Konsequenzen blieben ausgeklammert. [24] Anm. 20, S. 68 In ihrem Bemuhen, den EinfluB der Ideologen in der Wissen- [25] Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher schaft zuriickzudrangen, entwickelten die Physiker einen bemer- und Arzte. 86. Versammlung zu Bad Nauheim. Leipzig kenswerten Eifer, den Funktionaren klarzumachen, wie der Staat 1921, S. 17 wirtschaftlich und militiirisch gestiirkt werden konne. Sie mach- [26] Berliner Tageblatt, 24. September 1920. Abendausgabe ten sich nicht bewuBt, worin die allein vom ,,Fuhrer” vorgege- [27] Anm. 6. Hier Bd. 111, S. 334 benen politischen Ziele dieses Staates noch bestanden: das Ver- [28] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 19. Juni 1923 nichtungswerk an den europaischen Juden zu vollenden. [29] Lebenserinnerungen von Wilhelm Hanle (Interview mit Brenda Winnewisser). Schreibmaschinenskript 1980, S. 12 [30] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 13. Juni 1922 [31] W. Heisenberg: Uber quantentheoretische Umdeutung kinematischer und mechanischer Beziehungen. Z. Phys. 33 (1925) 879 - 893. Hier S. 879 - F- 104 [321 Brief von W. Heisenberg an R. Kronig, 5. Juni 1925 Literaturauswahl [331 M. Born: Physik im Wandel meiner Zeit. Braunschweig 1966, [62] A. Hermann: Einstein. Der Weltweise und sein Jahrhun- S. 176 dert. Munchen 1994 [34] M. Born: Mein Leben. Die Erinnerungen des Nobel- 1631 M. Ratering: Die Geschichte der Deutschen Physikalischen preistragers. Munchen 1975, S. 300 Gesellschaft 1900 - 1945. Magisterarbeit am Lehrstuhl fur [35] H. Kallmann: Von den Anfangen der Quantentheorie. Eine Geschichte der Naturwissenschaften und Technik der Uni- personliche Erinnerung. Phys. Blatter 22 (1966) 489 - 500. versitat Stuttgart 1993 Hier S. 498 [64] M. Eckert: Die Atomphysiker. Eine Geschichte der theore- 1361 K. Przibram: Schrodinger, Planck, Einstein, Lorentz. Brie- tischen Physik am Beispiel der Sommerfeld-Schule. Braun- fe zur Wellenmechanik. Wien 1963, S. 8 schweig 1993 [37] Brief von Max Planck an Wilhelm Wien, 25. Juli 1925 [65] F. Holl: Produktion und Distribution wissenschaftlicher [38] Brief von Max von Laue am 20. Juli 1925. Laue schreibt Literatur 1913 - 1933. Der Physiker Max Born und sein hier irrtumlich von der ,,zu so trauriger Beruhmtheit Verleger Ferdinand Springer. Munchener Phil. Diss. 1992 gelangten Arbeit von Bose”. Es war eine Arbeit von [66] D. Nachmannsohn: Die grolje Ara der Wissenschaft in Ghosh. Deutschland 1920 - 1933. Stuttgart 1988 [39] Brief von Robert W. Pohl an Frau Tussa Pohl, 23. April [67] A. D. Beyerchen: Wissenschaftler unter Hitler. Physiker im 1926. Nach einer von Prof. Pohl selbst angefertigten Dritten Reich. Koln 1980 Abschrift vom 6. Oktober 1973. [68] S. Richter: Forschungsforderung in Deutschland 1920 - [40] Ansprache von Professor Einstein an Professor Planck. 1933 (= Technikgeschichte in Einzeldarstellungen 23). Forschungen und Fortschritte 5 (1929) 248 Dusseldorf 1972 [41] K. v. Meyenn (Hrsg.): Wolfgang Pauli. Wissenschaftlicher [69] P. Fonnan: The Environment and Practice of Atomic Phy- Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Bd. 11: sics in Weimar Germany. A Study in the History of Scien- 1930 - 1939. Berlin etc. 1985, S. 438 ce. University of California, Berkeley Phil. Diss. 1967 [42] R. Clausen: Stand und Ruckstand der Forschung in Deutschland (= Schrift der DFG). Wiesbaden 1964, S. 18 1431 Berufungsvorschlag der Technischen Hochschule Stuttgart Bildnachweis vom 12. Mai 1937 [44] Ebd. S. 62, 63, 86: Bildarchiv PreuSischer Kulturbesitz [45] Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft S. 67, 71, 77, 81,91,97, 98: Deutsches Museum im Jahre 1935, S. 1 S. 68: ,,Otto Hahn”, Hrsg. D. Hahn, Munchen 1979 1461 J. Stark: Philipp Lenard als deutscher Naturforscher. NS- S. 72: Tatutata! 100 heitere Bilder von S. M., 19. Tsd. Berlin, Monatshefte. Folge 71/1936, S. 106 - 112 Verlag der Lustigen Blatter 1915 [47] Hektographierter Brief vom 1 1. Mai 1936, unterzeichnet S. 73, 84, 89: Phys.Blatter, DPG-Archiv mit ,,M. Wien, H. Geiger, W. Heisenberg”. S. 75: DPG-Archiv Berlin [48] Ebd. S. 79: Frau Erika Schwab, Mosbach [49] Brief von Max von Laue an Gustav Mie, 22. November S. 80: Familienbesitz 1934 S. 83: A. Hermann: Die neue Physik. Munchen 1979 [501 A. Hermann: Max Planck. Rowohlts Monographien Nr. S. 93: GNT-Archiv Stuttgart 198. Reinbek 1973, S. 92 S. 94, 101, 102: Bundesarchiv Koblenz [51] Anm. 6. Hier Bd. 111, S. 41 1 [52] Anm. 20. Hier S. 118 [53] Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Jahre 1940. Braunschweig 1940, S. 32 [54] A. Hermann: Wie die Wissenschaft ihre Unschuld verlor. Macht u. MiSbrauch der Forscher. Stuttgart 1982, S. 185 f. [55] J. Stark und W. Miiller: Judische und deutsche Physik. Vortrage zur Eroffnung des Kolloquiums fur theoretische Physik an der Universitat Munchen. Leipzig 1941, S. 56 [56] Memorandum uber ,,Abwendung einer schweren Gefahr fur den Nachwuchs an deutschen Physikern”. Fur den Reichsmarschall Hermann Goring verfal3t von Ludwig Prandtl, 28. April 1941 [57] Eingabe an Rust. Phys. Blatter 2 (1947), 43 - 46. S. 46 [58] Ebd. [59] L. Lochner (Hrsg.): Goebbels Tagebucher 1942 - 1943. Zurich 1948, S. 347 f. [60] H. Hartmann: Jugend und Technik. Phys. Blatter 1 (1944), S. 75 - 81. Hier S. 77 [61] E. Briiche: ,,Deutsche Physik” und die deutschen Physiker. Neue Phys. Blatter 1 (1946), S. 232 - 236. Hier S. 236 Mitgliedschaft in der DPG 1 Die DPG-Mitglieder ... I sind Teil der ältesten und weltweit größten physikalischen Journal

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Zusammenschliisse der Physiker in den Nachkriegsjahren bis zur Wiedergriindung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 1945 bis 1963

Wilhelm Walcher

Im Mai 1945 horten das Deutsche Reich mit allen seinen Ein- Das Umfeld nach dem Krieg richtungen, und damit auch die Physikalischen Gesellschaften, auf zu existieren. Damit war auch das wissenschaftliche Leben Die Atmosphare, in der sich physikalische Wissenschaft und ganz erloschen. Die wissenschaftlichen Einrichtungen, die Uni- Forschung - zumindest zunachst - befanden und bewegen soll- versitaten und ihre Institute - sofern nicht durch Bomben zer- ten, kennzeichnen am besten die Kontrollratsgesetze Nr. 25 vom stort - waren vielfach versperrt, der Eintritt nicht selten durch April 1946 und Nr. 22 vom Marz 1950. Sie regeln mit nicht zu Militiirposten verwehrt. Die Befreiung von der Bedruckung des uberbietender Akribie in umfangreichen Verzeichnissen und Krieges und der terrorisierenden NS-Obrigkeit weckte trotzdem Definitionen alle Verbote von Tatigkeiten, Verfahren, Einrich- in allen den Wunsch, moglichst schnell wieder eine Wissenschaft tungen, Anordnungen, Stoffen, Institutionen - zu denen auch aufzubauen, wie sie bis 1933 Geltung in der Welt hatte, nach die Universitatsinstitute gehorten - zur reinen und angewandten 1933 aber systematisch zerstort worden war. Fur die Physiker Forschung, soweit sie militarischer Natur sind oder demnachst bedeutete das auch den Wiederaufbau ihrer Gesellschaften. oder in fernen Zeiten werden konnten. Als Beispiel sei erwlihnt Gesprache dariiber gab es schon im Sommer 1945, daran ansch- die Beschaffung, der Besitz, der Gebrauch u. a. von ,,Mikro- lieBende Aktivitiiten entfalteten sich alsbald und hatten bei den Mikroampere-[Nanoampere-]Mefigeraten”,,,Widerstanden von Militarregierungen manche Hurde zu uberwinden. mehr als tausend Megohm” und dergleichen. Sie schreiben die Uberwachung all dieser Dinge vor, falls sie nicht auf umst2ndli- chen burokratischen Wegen erlaubt worden sind. Sie verlangen dann regelmaflige ausfuhrliche Berichte uber die Herkunft der Geldmittel, die durchgefuhrten Arbeiten und die dabei verwen- deten Anlagen und Einrichtungen. Wissenschaftler, die aktive Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen waren, muBten entlassen werden. Zuwiderhandlungen gegen all diese Vor- schriften wurden unter hohe Strafe gestellt. Werner Heisenberg auflerte dazu 1946: ,,Wir werden hier in Gottingen wie friiher freie Wissenschaft treiben und veroffentli- chen.” Und uberall wurde, soweit es die beschrankten Mittel erlaubten, so gehandelt. Alliierte Kontrolloffiziere, meist selbst Wissenschaftler, hatten vie1 Verstandnis fur ihre deutschen Kol- legen.

Erste Zusammenschliisse

Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. nat. h. c. Das amputierte Reich war in vier Besatzungszonen aufgeteilt Wilhelm Walcher, Professor emeri- worden, im Nordwesten eine britische, im Nordosten eine tus an der Universitat Marhurg, ist seit 1934 DPG-Mitglied und seit sowjetische; der Siidwesten war franzosisch und der Sudosten 1989 Ehrenmitglied der Gesell- durch die Amerikaner besetzt. Jede Zone wurde nach mehr oder schaft. Er hat iiher Jahrzehnte in weniger eigenen Gesetzen durch eine Militarregierung verwal- zahlreichen Funktionen in der DPG tet. Daher bestand zunachst nur die Moglichkeit zu regionalen mitgearheitet, 1961/62 war er Vor- Zusammenschliissen. Am schnellsten kamen die Dinge im ameri- sitzender der Gesellschaft (damals: Verband Deutscher Physikalischer kanisch besetzten Wiirttemberg und in der Britischen Zone Gesellschaften). voran.

Phys. B1. 51 (1995) Nr. 1 0031-9279/95/0101-F-107 $5.00+.25/0 - 0 VCH, D-6945 1 Weinheim, 1995 F- 107 Britische Zone und beschrankte die Teilnehmerzahl. Mit etwa 80 Anwesenden fand diese erste Physikertagung nach dem Krieg vom 4. bis 6. Gottingen war von Kriegseinwirkungen fast verschont geblieben Oktober 1946 im Mathematischen Institut der Universitat Got- und wurde daher zu einem Sammelbecken ,,heimatlos” gewor- tingen statt, zum Bedauern vieler AuswMiger wegen der noch dener Physiker. Viele aus den Ostgebieten, die dem Wiederauf- vorhandenen vielseitigen Beschrankungen nur als ,,Zonenta- bau im Westen bessere Chancen einraumten, oder vor den gung”. Dr. Fraser und einige britische und hollandische Kolle- Besatzern flohen, kamen in das physikalische Mekka von einst, gen befanden sich unter den Gasten, ein ermutigendes Zeichen in Farm Hall interniert gewesene Mitglieder des Uranvereins fur den Wiederbeginn internationaler Fiihlungnahme, insbeson- siedelten sich in Gottingen an, das zu einem Zentrum des physi- dere auch deshalb, weil sich zwei der auslandischen Gaste bei kalischen Geistes wurde. Werner Heisenberg, Max von Laue, ihrem Vortrag der deutschen Sprache bedienten, was von den Carl Friedrich von Weizsacker, Otto Hahn, Pascual Jordan, deutschen Teilnehmern dankbar aufgenommen wurde. Auch der Siegfried Flugge, Otto Haxel, Fritz Houtermans - um nur einige Nestor der deutschen Physik, Max Planck, war dabei. Namen zu nennen - sah man taglich auf Gottingens Strallen. Dazu bildete die fur diesen Zweck teilweise und allmahlich frei- gegebene Prandtlsche Aerodynamische Versuchsanstalt ein Auf- fangbecken fur die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die dort ihr erstes Domizil einrichtete und schon eine Keimzelle fur Heisen- bergs spateres Max-Planck-Institut fur Physik bildete. Hinzu kam, dall der fur die Universitat und die Wissenschaft zustandige Offizier der Militarregierung (,,Scientific Advisor Research Branch”) der britischen Zone, Dr. Ronald Fraser, der selbst Physiker und Verfasser eines Buches uber Molekular- strahlen war, sich schon bald als hilfreicher - wenn auch dem Fraternisierungsverbot unterliegender - Kollege entwickelt hatte, der einschlagigen Diskussionen zuganglich war. Die Gesprache uber die Wiedergrundung einer Physikalischen Gesellschaft wurden durch Hans Kopfermann, den letzten Vor- sitzenden des untergegangenen Gauvereins Niedersachsen, ein- geleitet und hatten zunachst die Wiedereinrichtung dieser Teil- gesellschaft zum Ziel, weiteten sich aber aus, weil im Gebiet der britischen Zone auch der friihere Gauverein Rheinland-Westfa- len ansassig war. Werner Heisenberg wurde gebeten, als vorlau- figer Sprecher zu fungieren. So konnte erreicht werden, dall schon bald durch die Militarregierung die Grundung einer ,,Deutschen Physikalischen Gesellschaft in der Britischen Zone” mit den zwei historischen Teilgesellschaften - Gau-Verein Nie- Max von Laue (1879 - 1960) betrieb energisch die Griindung einer Phy- dersachsen und Gau-Verein Rheinland-Westfalen seit 192 1 bzw. sikalischen Gesellschaft in der Britischen Zone. 1924 - genehmigt wurde: Die vorgelegte vorlaufige und geneh- migte Satzung schlol3 sich eng an die vor 1933 gultig gewesene an, gereinigt von jenen Passagen, die im dritten Reich nach und Zwanzig Vortrage aus den verschiedensten Gebieten wurden nach aufgezwungen worden waren. Dank ihrer Vorsitzenden, gehalten. Am 5. Oktober 1946 fand die erste Gesellschaftssit- die wichtige Industriepositionen einnahmen, aber auch dank der zung statt, auf der Max von Laue eine iiberarbeitete Satzung, wegen ihrer ideologiefreien Wissenschaft den politischen Paro- basierend auf der fruheren, vorlegte. Max von Laue (Gottingen) len wenig zuganglichen GroBzahl der Physiker waren die Deut- wurde zum Vorsitzenden, Clemens Schaefer (Koln) zum stell- schen Physikalischen Gesellschaften nur allmahlich und nie vertretenden Vorsitzenden der Zonengesellschaft gewahlt. ganz gleichgeschaltet worden. Die Vorsitzenden, insbesondere Damit hatte die ,,Deutsche Physikalische Gesellschaft in der Carl Ramsauer von 1940 bis 1945, hatten mit vie1 Zivilcourage Britischen Zone” - eine Regionalgesellschaft - auch ihre recht- einen erbitterten Kampf gegen die NS-Dienststellen gefuhrt und liche Form erhalten. waren fur die freie Wissenschaft eingetreten. ,,Physik war”, wie Der Tradition folgend gab es - wieder in Gottingen - am 13. Erich Regener es auf der ersten Tagung der Baden-Wurttember- und 14. April 1947 eine Friihjahrstagung der Teilgesellschaft gischen Gesellschaft im Juli 1947 formulierte, ,,in der Flut der Niedersachsen und vom 5. bis 7. September 1947 als Nachfol- unerquicklichen Ereignissse der lezten Jahre vielen Physikern gerin der fruheren Haupttagung eine ,,Herbsttagung”. Sie wurde eine Statte der Zuflucht”. von Max von Laue eroffnet, der Dr. Fraser und Auslandsgaste aus Amsterdam, Cambridge, Kopenhagen, London, Manchester Erste Tagung nach dem Krieg und Stockholm unter den etwa 300 Teilnehmern begriillen konn- te. Seine Mitteilung uber die Wiederbelebung der Physikalisch- Nach der Wiedergriindung der Gesellschaft, deren Vorsitz bis Technischen Reichsanstalt in der britischen Zone fand grofien zu einer Wahl auf Bitten der Gottinger Physiker Heisenberg Beifall. Dr. Fraser iiberbrachte die Grulle der Militarregierung ubernommen hatte, konnte eine erste Tagung geplant werden. und meinte zum Programm, ,,daR - in der Physik wenigstens - Bei der Uberfullung Gottingens mit Fliichtlingen warf dies hier in Deutschland wieder Stein auf Stein gelegt wird”. Ein erhebliche Probleme der Unterbringung und Verpflegung auf Hoffnungsschimmer mit Bezug auf die Forderung, die Kultmi-

F-108 nister Theodor Heuki aus Anlaki der Eroffnung der TH Stuttgart dern und die Physiker einander naer zu bringen, forderte Rege- am 23. Februar 1946 erhoben hatte: ,,Wir brauchen in Deutsch- ner auch die Erfullung gesellschaftlicher Aufgaben, beruhend land und in der deutschen Jugend wieder Weltluft und ein auf ihrem einschlagigen Sachverstand. Eine dieser in diesem Gefuhl fur Rang und Werte”. ersten Satzungsentwurf genannten Aufgaben sollte darin beste- Eroffnet wurde das wissenschaftliche Programm von 56 Vor- hen, ,,den Fragen der Ausbildung der zukiinftigen Physiker in tragen durch einen zusammenfassenden Beitrag von W. Heisen- Schule und Hochschule ihre besondere Aufmerksamkeit zu wid- berg uber den ,,Stand der Forschung uber kosmische Strahlung”, men und, wenn notig, dazu Stellung zu nehmen”. gefolgt von I. S. Wilson (Manchester) uber ,,The production of penetrating cosmic ray particles at sea level”. Aus Cambridge Verantwortung als Gesellschaftsaufgabe trugen D. Shoenberg, B. Pippard und E. Sondheimer drei Berichte zum Thema Supraleitung bei, A. Michels (Amsterdam) Ein besonderes Anliegen von Regener war die Betonung der berichtete uber Molekularkrafte, G.von BCkCsy (Stockholm) und Mitverantwortung der wissenschaftlich Tatigen fur die Auswir- kungen ihrer Tatigkeit. Diese Mitverantwortung war zwar auch schon fruher bedacht worden. Richard Becker hatte bei seiner Festansprache anlakilich des 90jahrigen Bestehens der Deut- schen Physikalischen Gesellschaft 1935 betont: ,,Auf jedem ein- zelnen von uns lastet die Mitverantwortung fur die Gestaltung der Zukunft, wie in der Physik, so auch im Leben.” Krieg und vor allem die Atombombe hatten den Physikern aber eine ganz neue Qualitat ihrer Verantwortung offenbart. Regener formulierte daher bereits den § 2 seines Satzungs- entwurfs, der einstimmig angenommen wurde:

,,Aus der Tatsache, daki die in der Physik gewonnenen Erkenntnisse in zunehmendem MaBe die Geisteshaltung der Menschen beeinflussen, dalj ferner die praktischen physikalischen Ergebnisse sich immer starker auf alle Gebiete menschlicher Betatigung auswirken, entnimmt die Physikalische Gesellschaft die Verpflichtung, das Gefuhl der Mitverantwortlichkeit der in der Wissenschaft Tatigen an der Gestaltung des menschlichen Lebens wachzuhal- ten.”

Dieses Anliegen ist in alle spateren Satzungen, auch in die der 1963 wiedererstandenen Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Erich Regener (1881 - 1955) war der Motor eines Zusammenschlusses in ahnlicher Form eingegangen und hat viele Aktivitaten und der Physiker in Wiirttemberg-Baden. Resolutionen in der Offentlichkeit bewirkt. In jener Zeit und auch spater wurde immer wieder die Verpflichtung der Wissen- schaftler durch einen ,,Hippokratischen Eid” diskutiert, gegen V. L. Jordan (Kopenhagen) behandelten akustische Themen, S. einen solchen wurde aber die Lage jener angefuhrt, die in Tolansky (London) sprach uber eine Interferometer-Methode abhangiger Stellung tatig sind, so dal3 es bei den Diskussionen zur Untersuchung von Oberflachen. Diese Nennung der Beitra- blieb. ge der auslandischen Kollegen moge geniigen, um die Vielfalt der angebotenen Themen zu beleuchten. Erste Tagung in Wurttemberg-Baden

Physikalische Gesellschaft Wurttemberg-Baden Nachdem die Militarregierung mitgeteilt hatte, daki die Neu- grundung keiner Zustimmung mehr bedurfe, galt der Grun- Die regionale Gesellschaft in Wurttemberg-Baden verdankt ihre dungsbeschluki vom 15. August 1946 als vollzogen. Erich Rege- fruhzeitige Entwicklung den fruh einsetzenden Aktivitaten von ner (Stuttgart) war damit Vorsitzender der Physikalischen Erich Regener in Stuttgart, der schon 1925 an der Griindung des Gesellschaft Wurttemberg-Baden, Walther Bothe (Heidelberg) ,,Gauvereins Wurttemberg” maljgeblich beteiligt war. Nach vor- einer seiner Stellvertreter. Die erste Tagung fand am 5. und 6. bereitenden Gesprachen rief Regener eine Anzahl Physiker aus Juli 1947 in Stuttgart statt. Sie war von 190 Teilnehmern, vor- Baden und Wurttemberg am 15. August 1946 in Stuttgart zu wiegend aus der amerikanischen und franzosischen Zone, einer Art konstituierenden Sitzung zusammen und legte zur besucht. 28 Vortrage aus allen Gebieten wurden gehalten. In Beratung einen Satzungsentwurf vor. Er basiert wohl auf den seinen einleitenden Worten ging Regener auch auf die Wieder- alten Satzungen, ist aber gekennzeichnet durch neue Elemente, belebung des Zeitschriftenwesens ein, was ihm seit 1945 ein die einer Physikalischen Gesellschaft erweiterte Aufgaben besonderes Anliegen war und als vordringliche Aufgabe er- zuweisen. schien. Er teilte mit, dal3 die Gesellschaft in der britischen Zone W*rend bisher die Aufgabe der Gesellschaft ausschlieljlich sich besonders um das Wiedererscheinen der ,,Zeitschrift fur darin bestand, die Wissenschaft durch Vortrage, Tagungen und Physik”, die Gesellschaft in Wurttemberg-Baden um das der Publikationen, insbesondere in Form von Zeitschriften, zu for- ,,Physikalischen Berichte” bemuhen wurde.

F- 109 Weitere regionale Griindungen damit an einen alten gemeinsamen Berliner Brauch der Deut- schen Physikalischen Gesellschaft und der Deutschen Gesell- Ahnlich wie in Wiirttemberg-Baden und in der britischen Zone schaft fur technische Physik an. verliefen die Griindungen in den anderen Bereichen, wobei die Satzungen teils wortlich, teils ihrem Sinn nach iibernommen wurden. Am 17. Juli 1947 wurde in Frankfurt die Physikalische Die Regionalgesellschaften Gesellschaft Hessen gegriindet, Erwin Madelung zum Vorsit- zenden gewahlt. Am 24. April 1948 fand die erste Tagung rnit Die funf Regionalgesellschaften wirkten in den ersten Jahren vierzehn Vortragen statt. Die Physikalische Gesellschaft in Bay- nach 1945 ohne engere Verbindung. Sie hatten ihre eigenen ern hielt am 8. Dezember 1947 ihre Eroffnungssitzung ab. Sie Organe und bauten regional ein irnmer lebendiger werdendes war mit einer Gedenkfeier fur Max Planck verbunden, der kurz wissenschafiliches Leben auJ: Gegenseitige Einladungen zu den zuvor am 4. Oktober 1947 gestorben war. Am I. Dezember Regionaltugungen konnten erst allmahlich wieder wahrgenom- 1947 bzw. 9. Februar 1948 erhielt der GriindungsausschuR der men werden, in dem MaJe, wie die Hindernisse der ersten Physikalischen Gesellschaft Rheinland-Pfalz die Genehmigung Nuchkriegsjahre sich verringerten und das Reservoir an vor- zur Abhaltung der Griin- tragbaren Ergebnissen nach dungsversamlung unter Ver- Zuhl und Niveau - erfreulich wendung der ,,Gottinger” Sat- rasch - anstieg. zung, sie fand am 29. April 1948 statt. Bereits am 16. Ja- nuar 1950 schlolj sie sich zum Bonner Tagung einen Teil rnit der Gesell- im September 1949 schaft Hessen zur Gesell- schaft Hessen-Mittelrhein, Dabei gab es auf diesen zum anderen Teil zur Gesell- Regionaltagungen manche schaft Wiirttemberg-Baden- Glanzlichter, beispielhaft sei Pfalz zusammen. 1950 ander- die Bonner Tagung der Deut- te auch die Gesellschaft in der schen Physikalischen Gesell- britischen Zone ihren Namen schaft in der Britischen Zone in ,,Nordwestdeutsch”. im September 1949 erwahnt, Erst am 7. Dezember 1949 zu der Bundesprasident Heuss konnte in der Vierzonenstadt wenige Tage nach seinem Berlin die Griindungsver- Amtsantritt gekommen war. sammlung und eine erste wis- Er gab seiner Freude dariiber senschaftliche Sitzung der Ausdruck ,,aus dem Raum Physikalischen Gesellschaft der Politik als Gast in den zu Berlin stattfinden. Carl Raum der Wissenschaft getre- Ramsauer, der zum Vorsit- ten sein zu konnen”, in einen Kreis ,,in dem ich seelisch, zenden gewahlt wurde, wies Otto Hahn (1879 - 1968) im Gesprach mit Lise Meitner (1878 - 1968). in seiner Begriiaungsanspra- Vier Jahrzehnte lang verkorperten sie eine fruchtbare wissenschaftliche auch wenn die(se) Wissen- che auf die groBe Tradition Ehe zwischen (Kern-) Physik und (Radio-) Chemie. schaft nicht die meine ist, der Urmutter der deutschen mich beheirnatet fuhlen darf’. Gesellschaften hin. Einen ersten Hohepunkt erlebte die Gesell- Die Wissenschaft, von der er aber ganz allgemein sagte, daR schaft, als sie im Mai 1951 zusammen rnit den Berliner Hoch- ,,die Niitzlichkeiten nie ihr Ziel sind, allerdings ihre Folgen sein schulen und den Chemikern eine ,,Woche der exakten Naturwis- konnen und diirfen”. senschaften” veranstaltete. Von 2454 Teilnehmern waren etwa Ein Hohepunkt der Bonner Tagung war auch die Verleihung 1000 aus der Ostzone gekommen. Otto Hahn sprach iiber Bei- der Max-Planck-Medaille an Otto Hahn und Lise Meitner, die spiele internationalter Zusammenarbeit, Carl Ramsauer iiber das beide - als Chemiker und Physikerin - vier Jahrzehnte die Thema ,,Berlin und die exakten Naturwissenschaften”. Erwin Radioaktivitat gemeinsam experimentell erforscht haben, durch W. Muller fiihrte sein Feldelektronenmikroskop vor und proji- ein bestialisches Regime aber auseinander gerissen worden zierte einzelne Molekiile an die Wand. Drei Nobelpreistrager, waren. Max von Laue, der die Verleihung vornahm, begriindete Otto Hahn, Max von Laue und Emil Warburg, lieBen die Erin- die von der urspriinglichen Bestimmung der Auszeichnung nerung an das Laue-Kolloquium der Berliner Physik in den abweichende Verleihung an expenmentelle Forscher - die Max- zwanziger und dreiljiger Jahren wach werden, wo meist sieben Planck-Medaille sollte hervorragende theoretische Arbeiten im Trager dieser hochsten wissenschaftlichen Auszeichnung in der Zusammenhang rnit der Planck-Konstante h wurdigen - rnit ersten Reihe den. einem diesbeziiglichen brieflichen Vorschlag von Max Planck, Der besonderen politischen Lage Berlins wegen hatte die der diese Bindung aufgehoben hatte. Viele mogen diese Doppel- Physikalische Gesellschaft zu Berlin in den folgenden Jahren verleihung als Genugtuung empfunden haben, da Lise Meitner, eine besondere Stellung unter den Regionalgesellschaften. die so oft als ,,Mitarbeiterin” von Otto Hahn bezeichnet worden Neben den ublichen Tagungen im Friihjahr und Herbst veran- ist und heute noch wird, mit dieser hochsten Auszeichnung der staltete sie jahrlich noch etwa acht ,,Sitzungen”, in denen ein bis Physikalischen Gesellschaft in den gleichen Rang rnit Otto zwei Themen in Vortragen abgehandelt wurden. Sie kniipfte Hahn eingereiht wurde.

F-110 Die Entdeckung der Kemspaltung durch Otto Hahn und Fritz 1920 gegrundet worden, weil die Zahl der in der technischen StraBmann und der Nachweis der dabei freiwerdenden Energie Praxis stehenden Physiker seinerzeit, auch als Folge des ersten durch Lise Meitner und Otto Frisch gehoren zu den groBen Weltkrieges, immer groBer geworden war und nunmehr die Zahl experimentellen Befunden dieses Jahrhunderts. Max von Laue derer ubertraf, die die ,,reine” ,,Universitatsphysik” betrieben, sprach von der ,,tiefen Tragik unserer Wissenschaft, daB sie ihre eine Physik, gekennzeichnet durch Relativitat, Quanten und hochste Popularitat in Verbindung rnit der furchtbarsten Waffe Atome, die im technischen Anwendungsbereich kaum eine erlangt hat”. Rolle spielte. Die in technischen Feldern arbeitenden Physiker SchlieBlich wahlte die Geschaftsversammlung den fruheren sahen ihre speziellen ,,klassischen” Interessen in der Deutschen Berater der Research Branch der Militkegierung in Gottingen, Physikalischen Gesellschaft nur mangelhaft vertreten, ,,was ins- Dr. Ronald Fraser, zum Ehrenmitglied, in dankbarer Wurdigung besondere in der Dominanz der ,,reinen” Vortragsthemen auf seiner Verdienste um die Gesellschaft, sowie um die naturwis- den Tagungen zum Ausdruck kame”. Obwohl die beiden senschaftliche Forschung in Deutschland; allerdings gestattete Gesellschaften schon in den zwanziger Jahren recht schnell wie- seine derzeitige Stellung als Liaison-Officer bei der UNESCO der schwesterlich zusammengewachsen waren und in der Zwi- in Paris ihm nicht, irgend eine Ehrung, von welcher Seite auch schenzeit die ,,modeme” Physik vielseitigen Eingang in die immer, anzunehmen, so daB die Gesellschaft zunachst darauf Technik gefunden hatte, schien es notwendig, die Grundsatzfra- verzichten muBte, ihn als Ehrenmitglied zu fuhren. gen: ,,Gibt es eine Technische Physik?” und ,,Gibt es einen Technischen Physiker?’ insbesondere irn Zusammenhang rnit Tagung Wurttemberg-Baden im Januar 1949 dem Gesellschaftsaufbau und der Physikausbildung - deren man sich ja besonders annehmen wollte - durch eine ausfuhrliche Auf der Tagung der Physikalischen Gesellschaft Wurttemberg- Diskussion zu klaren. Die Bejahung dieser Fragen hatte ja 1920 Baden im Januar 1949 legte der Vorsitzende der Gesellschaft, rnit zur Grundung der Deutschen Gesellschaft fur technische Erich Regener, der Gesellschaft eine umfangreiche Denkschrift Physik und zu einem eigenen Studiengang an den Technischen vor, in der auf die ungunstige Lage der Physik hingewiesen und Hochschulen gefuhrt. ihre Forderung dringend empfohlen wird. Darin wird betont, daB (I) infolge der raschen Entwicklung der letzten Jahrzehnte Gibt es eine Technische Physik und einen das experimentelle Arbeiten in der Physik wesentlich kompli- Technischen Physiker? zierter und dadurch teurer geworden ist, daB (2) eine groBere Okonomie der wissenschaftlichen Arbeit der Lehrkrafte durch Carl Ramsauer, der zwei Jahrzehnte Hochschullehrer fur Expe- Einstellung von mehr Hilfspersonal erstrebt werden murJ, darJ rimentalphysik und weitere zwanzig Jahre Forschungsleiter (3) an Universitaten und Hochschulen uberall neben dem Unter- eines grol3en Industrieunternehmens gewesen war, leitete die richt auch die Forschung gepflegt und vom Staate finanziell Diskussion zu dieser Frage rnit einem, zu diesem Zweck auch in unterstutzt werden muB und daB (4)groBere Freiheit in der Ver- den Phys. Blattern abgedruckten, Vortrag auf dem Intematio- waltung von Seiten der Ministerien sehr zur Arbeitsvereinfa- nalen KongreB fur Ingenieurausbildung 1947 in Darmstadt ein. chung beitragen wurde. Sie wurde am 31. Januar 1949 einstim- mig angenommen, allen Kultusministern, Wirtschaftsministern, Innenministem, Emahrungsministem und Finanzministem zuge- leitet und den Abgeordneten, Gewerkschaften und politischen Parteien zur Kenntnis gebracht. Der Vorstand der Physikali- schen Gesellschaft in Hessen und der Deutsche Verband Tech- nisch-Wissenschaftlicher Vereine schlossen sich der Denkschrift vollinhaltlich an. Diese EntschlieSung der Wurttemberg-Badischen Gesell- schaft zeigt deutlich, wie isoliert die Einzelgesellschaften nach auBen wirkten und in Erscheinung traten. Auch ein Brief Max von Laues an den in Berlin sehr aktiven Carl Ramsauer mag veranschaulichen, wie wenig man voneinander wuBte.

Zusammenschluk Eine oder zwei Gesellschaften?

Die zunachst besatzungsbedingte Aufspaltung in Zonen- und Landergesellschaften war von Anfang an als unbefriedigend einpfunden worden, der Wunsch nach einem ZusammenschlurJ wie ihn Erich Regener schon in 0 9 der ersten Nachkriegssat- zung zurn Ausdruck gebracht hatte, trat immer starker hervor und fand immer mehr Befiirworter, so daB schon nach 1946 unter den interessierten Mitgliedern und in den Gremien der Einzelgesellschaften eine rege Diskussion uber eine Neuord- nung einsetzte. In der Vergangenheit gab es ja nach 1920 zwei Carl Wilhelm Ramsauer (1879 - 1955) war von 1940 bis 1945 Vorsitzen- der der DPG und steuerte zusammen rnit dem Vorsitzenden der DGTP Gesellschaften, die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die von 1931 bis 1945 die Gesellschaft durch die Klippen der NS-Herr- Deutsche Gesellschaft fur technische Physik. Sollte man hieran schaft. Nach 1945 setzte er sich intensiv fur den Ausbau der Physik und anknupfen? Die deutsche Gesellschaft fur technische Physik war der Gesellschaft in Westberlin ein.

F-111 Ramsauer kritisiert zunachst, wie schon 1920 geschehen, die Eine von Ramsauer veranstaltete Umfrage bei etwa 35 Kolle- Bezeichnung ,,technixhe Physik” und ,,technischer Physiker”, gen aus Hochschule und Industrie und acht Firmen, sowie acht weil sie den Eindruck eines Gegensatzes zur wissenschaftlichen gezielte Anfragen von Vieweg ergaben eine iiberwiegende Physik erweckt. Er hebt dann hervor, dalj zwar vor dem ersten Zustimmung zu Ramsauers Meinung: ,,Es gibt nur eine Physik Weltkrieg der Physiker im technischen Bereich noch kaum eine und einen Physiker und eine Ausbildung”, wobei die Einbezie- Rolle gespielt hat, dalj aber in der Zeit danach und erst recht hung eines Technik-orientierten Wahlfaches in das Studium durchaus befiirwortet wird. Das bestatigte Ramsauers Forderung an die Ausbildung des Physikers, er sol1 studieren ,,erstens Phy- Fhgplah Buckeburg, 2.7.49 sik, zweitens Physik und drittens noch einmal Physik” und ent- spricht einer Aussage des Chemikers Carl Duisberg, des Griin- Lieber Kollege Ramsauer! ders der IG-Farben, der 1923 auf eine entsprechende Frage ,,was die Chemische Industrie von einem Physiker envarte” das In Berlin hSrfe ich gestern, es ware eine Bediner Physikalische Gesell- gleiche geantwortet und hinzugefiigt hatte ,,so tiefgreifend und schaft in der Bildung begriffen. Ob schon ein Vorstand existiert, ob weitgehend wie moglich”. schon ein Vorsifzender da ist, konnte ich nicht festsfellen. Jedenfalls sind Sie dariiber besser informierf. Darum biffe ich Sie um die Freund- Das Ergebnis dieses umfassenden Meinungsaustausches ver- lichkeif, die fdgende Nachricht an eine geeignefe Stelle zu befordem. anlaBte die Deutsche Physikalische Gesellschaft in der Briti- €5 sind Besfrebungen im Gange, die 5 Physikalischen Gesellschaften schen Zone auf ihrer Tagung vom 8. September 1948 zu einer der Westzonen (Ur thyem, in der Britischen Zone, fur Hessen, Rhein- Vorstandserklarung iiber die Physikausbildung, in der sie sich land-Pfalz und fur WurttembergBaden) zu einer Deutschen fhysikali- den Ausfiihrungen und dem Gesamtstandpunkt von Carl Ram- schen Gesellschaft zu verschmezen. Der seit dem 24. Mai 49 bestehen- sauer grundsatzlich anschloB. Im Auszug: 1.) Es gibt keine de deufsche Bundesstaat beseifigt a//ebisherigen politischen Hindemis- se. Ende Juli so// ein Treffen der 5 Vorsifzenden dieser Vereine in Miin- sogenannte ,,Technische” Physik, sondern nur eine Physik. 2.) chen zur Beratung uber diese Vereinigung sfattfinden. Will und kann sich Besondere Lehrplane sind nicht erforderlich. 3.) Hauptziel des auch die Berliner Physik. Ges. dem anschlieBen und einen Vertreter Studiums ist eine moglichst weitgehende und moglichst tiefge- nach Munchen schicken? hende Ausbildung. 4.) Pflege einiger technischer Gebiete ist erwiinscht. 5.) Die Durchfiihrung einer groljeren wissenschaftli- M/t bestem GruB verblelbe ich chen Arbeit ist das Hauptausbildungsmittel des Physikers. 6.) lhr ganz egebener Die Billigung der Punkte 1 bis 5 durch die befragten deutschen M. v Laue Firmen wird rnit Befriedigung zur Kenntnis genommen!

Dieser Brief Max von Laues an Carl Ramsauer zeigt, wie wenig die Physiker in den verschiedenen Teilen Deutschlands selbst noch 1949 Neuordnung durch einen Verband voneinander wullten. (Faksimile siehe Beitrag von H. Nelkowski) Das Ergebnis aller bisherigen Diskussionen zeigte, daJ bei der Neuordnung des Gesellschaftswesens die Griindung zweier heute der Physiker aus der Forschung, Entwicklung und sogar Gesellschaften in Ankniipfung an die zwanziger Jahre nicht viel der Fertigung in der Technik als ein wesentliches Element gar Zustimmung finden wiirde, wenn nur die Struktur der e i n e n nicht mehr wegzudenken ist. Der Physiker hat fur die werdende Gesellschaft ullen Anliegen und Bediirfnissen der anwendenden Technik - ggf. zusammen mit dem Ingenieur - technisches Physiker Rechnung tragen wiirde. Einem Vorschlag, eine Neuland zu bereiten. Dies kann er um so besser und nur, wenn Gesellschaft mit zwei Sektionen A ,,rein” und B ,,technisch” zu er auf solide physikalische Grundlagen zuriickgreifen kann, also griinden, muJte allerdings nachgegangen werden, obwohl auch allgemein-physikalisch ausgebildet ist. Die dieser Meinung ent- er nicht viel Aussicht auf Billigung erwarten lie$’. Der Wieder- gegensetzte Ansicht, daB der Physiker schon im Studium auch griindung einer Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die oder sogar vornehmlich in technischen Teildisziplinen ebenfalls ins Gesprach gebracht worden war, standen noch ,,geschult” werden mulj, die sich als selbstandige Techniken aus irnmer auJere Hindernisse entgegen, namlich die Existenz der der Physik heraus entwickelt und abgespalten haben, (Elektro- Besatzungszonen mit ihren auch untereinander nicht immer technik, Technische Optik, Kaltetechnik, Medizintechnik, und kooperativen Militarregierungen, die hier mehr, dort weniger viele andere) wiirde - so Ramsauer - gerade die Originalitat des mitbestimmten: Erich Regener schrieb einmul an Max von hue physikalischen Partners, die aus der grundlegenden Kenntnis der in Giittingen: ,, Wir haben hier keinen Dr. Fraser. ” So richteten Naturgesetze entspringt, beschneiden. Ramsauer forderte aus sich die die Vereinigung betreffenden Uberlegungen schon sehr diesen Griinden fur alle Physiker, gleich wo und wie sie ihre friih auf einen ZusammenschluJ der existierenden regionalen Wissenschaft ausiiben, ein einheitliches Studium, eine einheitli- Gesellschuften in einem ,,Verband”, der auch fur eine spatere che Ausbildung, wobei er die Vermittlung der Anwendung all- Angliederung regionaler und anderer Bereiche offen war, insbe- gemeiner Physik auf ausgewahlte technische Probleme als sondere mit Blick auf die Physiker und ihre Gesellschaften in durchaus erwagenswert einraumt. der sowjetischen Zone. Ramsauers Antipode, Richard Vieweg, Professor fir Tech- nische Physik in Darmstadt, spater (1951 - 1961) Prasident der Gestaltungsgrundsatze Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, verficht demgegen- iiber als Reprasentant den Standpunkt der Technischen Physik Damit war nun die Frage nach der Aufteilung der Kompetenzen als selbstandiger Domane. Werner von Siemens und viele von Verband und Einzelgesellschaften aufgeworfen, wie andere ,,technixhe” ,,Physiker” werden als Kronzeugen ange- sie schlieljlich ihren Niederschlag in einer Satzung finden fiihrt. muljte.

F-112 Fur die Erhaltung einer starken Eigenstandigkeit der Regio- Sie begruBte den Zusammenschlulj, lehnte aber eine Aufteilung nalgesellschaften wurden verschiedene Grunde genannt: Die A/B ab. Die franzosische Zone (die Gesellschaft Wurttemberg- bessere Uberschaubarkeit eines kleinen Vereins, die Moglich- Baden umfal3te ja auch diese) vertrat Wolfgang Gentner als keiten zur Verwirklichung eigener Ideen und Organisationsfor- Freiburger Hausherr. Die Interessen der technischen Physik (der men ohne Einrede einer starken Zentrale; als besondere Beispie- ehemaligen Gesellschaft) wurden durch Hubert Schardin (Weil le wurden die Betreuung von ortlichen Schulen und die Tatig- am Rhein) wahrgenommen. Erfreulicherweise war die Ostzone keit in der ortlichen und regionalen Offentlichkeit angefiihrt. durch Friedrich Moglich (Berlin-Ost) prasent, der viel zu den Auf der anderen Seite versprach die Zusammenfassung aller Beratungen beitragen konnte. Es lagen zwei Satzungsvorschlage Physiker in einem starken Verband viel mehr Moglichkeiten vor, die - wie ein Teilnehmer gegen Ende der Sitzung feststellte einer breiten Forderung aller Belange der Physik und der Physi- - ,,sehr ahnlich waren und leicht ineinandergearbeitet werden ker im deutschen und - als nahe Hoffnung - internationalen konnten”. Raum. Die StoBkraft einer solchen Vereinigung in der Offent- Als erster Punkt wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Verein lichkeit war ohne Zweifel erheblich groljer als die der Regional- oder ein Verband gegriindet werden sollte, wobei der Unter- vereine, deren bisherigen Aktivitaten nicht allzuviel Beachtung schied gar nicht so recht klar war. Die Diskussion richtete sich geschenkt worden war. Die Zusammenarbeit mit Stellen des daher auf die Rechtsfahigkeit, da ja die Einzelgesellschaften Staates und der Wirtschaft sowie anderen wissenschaftlichen ebenfalls rechtsfiihige eingetragene Vereine waren. Man votierte Zusammenschliissen war leichter und konnte viel effektiver schlieljlich fiir eine Organisation mit einem Gesamtvorstand und gestaltet werden. Schlierjlich bot ein Verband aller Physiker lockeren regionalen Verbindungen. Die Klbng der Rechtsfra- eine viel giinstigere Moglichkeit, spezielle Interessen der Mit- gen iiberlielj man zu befragenden Juristen. Der Vertreter Bay- glieder zusammenzufassen. Das Spektrum der Teilgebiete der erns betonte dazu, daB seine Gesellschaft auf alle Falle in der Physik war ja so linienreich geworden, dalj die Struktur der alten Form weiterbestehen wolle. Vereinigung dem Rechnung tragen muljte durch eine Gliede- Friedrich Moglich berichtete, daB in der sowjetischen Zone rung in Teilbereiche, die in kleineren Zusammenschliissen - den schon ein Satzungsentwurf in Vorbereitung war, der drei Gesell- spateren Fachausschussen - die Teilgebiete besonders pflegten, schaften, Sachsen-Thuringen, Berlin-Brandenburg und Meck- ein Gedanke, der erst relativ spat in die vorbereitenden Sat- lenburg vorsieht und halt einen Beitritt dieser Gesellschaften zu zungsdiskussionen einging. Gewarnt wurde wiederum vor einer einem Verband am leichtesten durchfuhrbar, ,,sofern dessen Sat- zu starken Konzentration von Kompetenzen im Verband, der zungen entsprechend den gesellschaftlichen Verhaltnissen Dominanz einer Zentralstelle, wie sie friiher an Berlin kritisiert gestaltet sind”. Er legte Wert auf die Gleichberechtigung aller worden war. Einzelgesellschaften und eine ,,gebuhrende” Vertretung der Ost- gesellschaften im Vorstand des Verbandes. Er bittet, ,,heUte” Satzungsdiskussionen und Satzungsentwurfe einen Satzungsvorschlag zu erstellen, mit dem die Ostgesell- schaften operieren konnten. Von den Westvertretern wurde Diese Gedanken fanden ihren Niederschlag in mehreren Sat- Herrn Moglich der Wunsch auf den Weg gegeben, sich doch auf zungsentwiirfen der Vorstande der Einzelgesellschaften und von zwei, und damit groBere Gesellschaften zu beschranken, wobei einzelnen, besonders interessierten Kollegen, unter denen neben darauf hingewiesen wurde, daB sich im gleichen Sinne dem- vielen anderen vielleicht Max von Laue und Erich Regener nachst die Physikalische Gesellschaft Rheinland-Pfalz auflosen besonders genannt werden durfen. Zwar hatten viele zweiseitige wolle, wobei sich ,,fieinland” an Hessen, ,,Pfalz” an Wiirttem- Kontakte mit einem abstimmenden Gedankenaustausch bestan- berg-Baden angliedern wiirden. den, aber es war nun - 1949 - endlich an der Zeit, die Entwiirfe Ein zweiter Punkt betraf die Bildung zweier Sektionen zu vergleichen und kontroverse Meinungen auszudiskutieren. ,,rein” und ,,technisch” im zu grundenden Verband, wie sie in Im Jahre 1949 bot sich anlaBlich einer Tagung der Physikali- einem der vorliegenden Satzungsvorschlage enthalten war. Die schen Gesellschaft in Bayern Gelegenheit, eine gemeinsame sehr rege Diskussion ergab eine einhellige Ablehnung der Auf- Vorstandssitzung der deutschen Physikalischen Gesellschaften teilung und ebenso eine einhellige Befunvortung der Gleichbe- in Miinchen abzuhalten. Neben den zu jener Zeit bestehenden rechtigung aller Teilgebiete der Physik, die in der Satzung Gesellschaften war auch ein Vertreter der Ostzone eingeladen expressis verbis ausgesprochen sein und insbesondere in der worden und erschienen. Zu Beschliissen kam es noch nicht, es Zusammensetzung der Gremien zum Ausdruck kommen muB. wurde jedoch eine Kommission aus jeweils den beiden Vorsit- Die Vertretung eines ,,Industriephysikers” im Vorstand wird zenden der beteiligten Gesellschaften unter Vorsitz von Jona- gefordert. than Zenneck gebildet, die unter Verarbeitung der vielen Mei- Karl Wolf, der als Industriephysiker die Aufspaltung eben- nungsauBerungen ,,vorbereitende Verhandlungen uber den falls ablehnte, machte den Vorschlag ,,nach Bedarf Sektionen Zusammenschlulj der Gesellschaften fuhren” sollte. Sie sollte fur Spezialisten zu bilden, die im Rahmen des Verbandes ihre im Dezember 1949 erneut verhandeln und ,,Schritte tun, binnen eigenen Zusammenkunfte veranstalten konnen”. Dem Vorschlag eines Jahres den Zusammenschlulj derjenigen, die sich dazu wurde stattgegeben mit der MaBgabe, daB solche Arbeitsgrup- bereit erklart haben, herbeizufiihren”. pen oder Sektionen ,,auf Antrag einzelner Mitglieder durch den Die Tagung der Physikalischen Gesellschaft Wurttemberg- Vorstand sowohl im Gebiet der reinen als auch der angewandten Baden am 10. und 11. Dezember 1949 bot erneut Gelegenheit Physik gebildet werden sollen und von Zeit zu Zeit Arbeitsta- auch zu einer gemeinsamen Vorstandssitzung. Vertreten waren gungen abhalten konnen”. Damit waren die spateren Fachaus- die Physikalischen Gesellschaften in Bayern, Hessen, Rhein- schiisse als Glieder des Verbandes in die Satzungsdiskussion land-Pfalz und in der Britischen Zone. Die Gesellschaft zu Ber- eingefiihrt. lin bedauerte in einem Telegramm absagen zu mussen, da sie Ein weiterer Punkt betraf die Mitgliedschaft. Sollten die Ein- erst am Tage zuvor (7. Dezember 1949) gegriindet worden war. zelgesellschaften die Mitglieder aufnehmen und diese dann

F-113 automatisch Mitglieder des Verbandes werden, und kann der 15. Deutscher Physikertag Verband die Aufnahme ablehnen? Man war sich einig, daB dies nur unter Angabe von Grunden geschehen konne. Auch die Der 15. Deutsche Physikertag wurde am Mittwoch, dem 11. Zusammensetzung des Vorstandes und die Beteiligung der Ein- Oktober 1950, um 9.15 Uhr im Kerckhoff-Institut in Bad Nau- zelgesellschaften, sowie die Amter und deren mogliche Beset- heim durch Jonathan Zenneck eroffnet. Nach der BegriiRung der zung wurden erortert. etwa 500 Teilnehmer und Gaste fuhrte Zenneck u. a. etwa fol- SchlieRlich wurde vie1 Zeit der ,,Zeitschriftenfrage” gewid- gendes aus: ,,Die Physikerversammlung, die wir heute eroffnen, met, die aber in anderem Zusammenhang besprochen werden hat ihr besonderes Geprage. In ihr soll der Verband Deutscher muR. Physikalischer Gesellschaften aus der Taufe gehoben werden. Ganz jung ist der Taufling allerdings nicht, er hat, zoologisch ausgedruckt, schon verschiedene Larvenstadien durchgemacht. Griindung des Verbandes Nach 1945 wurde die Deutsche Physikalische Gesellschaft Deutscher Physikalischer Gesellschaften durch funf physikalische Gesellschaften abgelost, jetzt sollen sie wieder zusammengefaot werden. Es konnen leider nur die Die gemeinsame Freiburger Vorstandssitzung gab nun auch Gesellschaften von Westdeutschland sein. West und Ost sind Gelegenheit, einen lange gehegten Wunsch zu realisieren, in fur uns ja nicht nur verschiedene Himmelsrichtungen. Sie sollen Ankniipfung an die Tradition der friiheren Herbsttagungen eine nun nicht den SchluB ziehen, daR wir uns in dieser Versamm- gemeinsame Tagung aller Einzelgesellschaften zu veranstalten. lung hauptsachlich mit Organisations- und Satzungsfragen

Es wurde beschlossen, eine solche ,,groJ3e Physikertagung ” - befassen wollen. DaB die Wissenschaft nicht zu kurz kommen die erste nach dern Zweiten Weltkrieg und die funfzehnte in der soll, zeigt das Programm rnit etwa hundert Vortragen. Dies 1920 beginnenden Zahlung - vom Mittwoch, 11. Oktober bis zwingt uns zu Parallelsitzungen und mich zur Bitte, sich kurz zu Sonntag, 15. Oktober 1950 in Bad Nauheim abzuhalten. Sie fassen. Ich mochte diese Bitte durch mein Beispiel unterstrei- sollte zugleich die Griindungs- und erste Mitgliederversamm- chen und hiermit schlieBen.”

lung des ,, Verbandes Deutscher Physikalischer Gesellschaften ” Diesen einleitenden Worten folgten die ersten beiden zusam- sein. menfassenden Vortrage. Hans Kopfermann (Gottingen) sprach uber ,,Kernmomente und Kernmodelle”, danach Heinz Maier- Leibnitz (Heidelberg) uber ,,Physik extrem energiereicher Teil- Grundungsentwurf chen”. Weitere ,,Hauptvortrage” folgten im Laufe der Tagung von Michael Schon (Mosbach) uber ,,Kristallphosphore”, Albert Man hoffte, daR bis zur Nauheimer Tagung die Zenneck-Kom- Kochendorfer (Stuttgart) uber ,,Probleme und Ergebnisse der mission den Mitgliedern eine beschluBfahige Satzung wurde Plastizitatsforschung” und Richard Honerjager (Frankfurt) uber vorlegen konnen, nachdem die noch offen gebliebenen Fragen ,,Mikrowellenspektroskopie”. Erwin W. Muller (Berlin) trug geklart und die noch differenzierten Meinungen harmonisiert einen Experimentalvortrag uber ,,Sichtbarkeit einzelner Atome worden waren. Aber auch die Physiker machten keine Ausnah- und Molekule im Feldelektronenmikroskop” bei. Robert Pohl me von der Regel: Wie immer bei Satzungsdiskussionen, wurde (Gottingen) bemerkte im AnschluR an diesen Vortrag, darj noch weiter an Details gefeilt, so daB Mitte 1950 neben der ,,selbst die alteren unter den Anwesenden sich wohl kaum einer Zenneck-Fassung weitere funf Vorschlage vorlagen. Gelegenheit entsinnen konnten, bei der eine so grundlegende Doch das Wunder geschah: Eine am Vorabend der Nauhei- Erscheinung rnit einem solchen experimentellen Geschick einem mer Tagung einberufene gemeinsame Sitzung aller Vorstande so groBen Horerkreis vorgefuhrt worden sei”. Auf den Vortrag einigte sich einstimmig auf einen gemeinsamen Entwurf, der von Harry Lehmann (Jena) mul3te man ,,wegen Reiseschwierig- durch Einarbeitung der letzten Anderungsvorschlage Max von keiten” verzichten, desgleichen auf die Teilnehmer aus Rostock Laues in den Kommissionsentwurf entstanden war. Er wurde und Greifswald, da es im Lande Mecklenburg burokratische vervielfaltigt und jedem Teilnehmer der Grundungsversamm- Schwierigkeiten gegeben hatte. Trotzdem war aus der DDR eine lung am 13. Oktober vorgelegt. groBe Zahl herzlich begruBter Professoren, Assistenten und Die Fragen, die in der Vergangenheit am meisten in der Dis- Schuler anwesend. kussion gestanden hatten, loste der Entwurf durch die folgenden Das Vortragsprogramm beinhaltete Themen aus der theoreti- Bestimmungen: Als einer der Zwecke des Verbandes wird die schen, der reinen und der angewandten Physik und gab zum Einsetzung von Fachausschussen der reinen und angewandten ersten Ma1 einen Uberblick uber die Vielfalt qualifizierter physi- Physik festgelegt. Der Verbandsvorstand ist berechtigt, fur kalischer Forschung in (West-)Deutschland nach dem Kriege. besondere Aufgaben Ausschusse mit selbstandigen Befugnissen Obwohl - ganz im Sinne der neuen Satzung - alle Teilgebiete zu bilden. Die Einzelgesellschaften und deren Mitglieder wer- zu ihrem Recht gekommen waren, wurde der Wunsch laut, den den Mitglieder des Verbandes. Mitgliedschaft im Verband hat ,,technischen Anwendungen” kunftig noch groReres Gewicht Mitgliedschaft in einer Einzelgesellschaft zur Voraussetzung, beizumessen, was naturlich nicht als Sache der Tagungsleitung, sofern das Mitglied im Bereich einer solchen ansassig ist, sondern der Tatigen bezeichnet wurde. andernfalls ist direkte Mitgliedschaft im Verband moglich. Gegen die Aufnahme eines Mitgliedes in eine Einzelgesellschaft Grundungsversammlung kann der Verband Einspruch erheben. Die Satzungen der Ein- zelgesellschaften mussen im Einklang mit der Verbandssatzung Die ,,Griindungs- und Mitgliederversammlung” begann am Frei- stehen. Die Amter der beiden Vorsitzenden und der beiden tag, dem 13. Oktober 1950, um 9.15 Uhr. Der ,,Vater” der vor- Geschaftsfuhrer des Verbandes mussen mit je einem Vertreter gelegten Satzung schilderte kurz den muhsamen Weg zu der der reinen und der angewandten Physik besetzt werden. Vorlage und iibergab dann die Leitung der Diskussion an Walter

F-114 Weizel, den Vorsitzenden der groSten Einzelgesellschaft, der ein Stuck Ordnung in die Organisation der Forschung einge- Nordwestdeutschen. Nachdem ohne Widerspruch festgestellt bracht worden sei, betonte als Leiter der Wirtschaftsverwaltung worden war, dalj man auf eine ,,Lesung” verzichten wollte, des Landes Hessen die Bedeutung der Forschung fiir die Wirt- erlauterte Weizel anhand der Vorlage die wichtigen Paragra- schaft und beklagte, dal3 die Gesetze der Militarregierungen phen, brachte im Laufe der vorausgegangenen langen Diskus- noch immer Sorge bereiteten. sionen eingebrachte Altemativen zur Kenntnis und begrundete, Alsdann wurdigte Arnold Sommerfeld, der zur Freude aller auf Fragen und Bemerkungen eingehend, die schlieljlich getrof- unerwartet auf der Tagung erschienen war, die wissenschaftli- fene Wahl. Er bat die Versammlung im Namen aller Vorstande die Vorlage zu billigen. Sie wurde daraufhin mit groljer Stim- menmehrheit angenommen; der ,,Verband Deutscher Physikali- scher Gesellschaften” war ins Leben gerufen. Nun waren die Voraussetzungen fur die Wahl eines Ver- bandsvorstandes geschaffen. Wilhelm Adolf Jonathan Zenneck wurde zum ersten Vorsitzenden, Max von Laue zum zweiten Vorsitzenden gewahlt. Zenneck quittierte seine Wahl rnit den Worten: ,,kh danke Ihnen fur Ihr Vertrauen, aber ich teile es nicht.” Zu seinen Vornamen fugte er launig hinzu: ,,Mein Vater hat mir fur die verschiedenen Epochen meines Lebens den jeweils richtigen gegeben, bei der jetzigen dritten kommt es nicht mehr darauf an.” Mit der Griindung des Verbandes waren nun viele Fragen des Max-Planck-Medaille, 1928 gestiftet zum 70. Geburtstag von Max Ubergangs der beiden alten Gesellschaften zum Verband zu Planck, erste Verleihung 1929, wird jahrlich an einen Tbeoretiker ver- kliiren. Carl Ramsauer, Vorsitzender beider Gesellschaften bis liehen (zeitweise auch an Experimentatoren) fur Leistungen, die an 1945, berichtete anschlieljend uber die erforderlichen Abwick- Plancks Werk anschliefien. Seit 1955 rnit Urkunde und kuner Laudatio lungsvorgange. Danach sollten die Vorstande der beiden als handgeschrieben auf Pergament. Nach 1945 bis zur Wiedergrundung Notvorstande zunachst erhalten bleiben. Akten der beiden sind der Deutschen Physikalischen Gesellschaft verliehen an zum Teil vernichtet, zum Teil ohne Belang. Die Vermogen der 1948 Max Born 1956 Viktor F. WeBkopf DPG (50 000 RM) und des Max-Planck-Medaillen-Fonds 1949 Lise Meitner 1957 Carl Friedrich von Weiz- 28 000 RM) sind nur noch 3100 DM bzw. 1.00 DM wert. Die Otto Hahn sacker Banken wollen den Verband in diesem Zusammenhang als 7950 Pieter Debye 7958 Wolrgang Pauli Gustav Hertz 1959 Oskar Klein Rechtsnachfolger anerkennen. Die DGtP hatte wegen der uber- 1952 PaulA. M. Dirac 1960 LevD. Landau nommenen groljen Ausgaben im Zeitschriftenwesen (vor allem 1953 Walter Bofhe 1967 Eugene P. Wigner der ,,Physikalischen Berichte”) jahrlich ein hohes Defizit 1954 Enrico Fermi 1962 Ralph Kronig gehabt, das von Dr. Mey (Osram) ausgeglichen worden war. Bei 1955 Hans A. Bethe 1963 Rudolf E. Peierls den Verlagen Barth (Leipzig) und Vieweg (Braunschweig) bestanden noch Restkonten, die nach muhevollen Verhandlun- gen zur Bezahlung von Pensionsverpflichtungen verwertet wer- den konnten. che Leistung eines seiner ersten Schuler und seines ersten Assi- Von Bedeutung war das Vermachtnis von Frau Scheel, der stenten Pieter Debye, ganz in jenem eleganten Stil, wie er aus Witwe des ,,guten Geistes der DPG’ Prof. Dr. Karl Scheel seiner Vorlesung in Erinnerung war. Debye, der erst vor weni- (1866 - 1936), Oberregierungsrat an der Physikalisch-Techni- gen Monaten eine Europareise beendet hatte, konnte der Verlei- schen Reichsanstalt. Es betrug ursprunglich 100 000 RM und hung nicht beiwohnen. So schlolj Sommerfeld rnit den Worten: sollte ,,zum einen Teil” zur ,,Zahlung einer Pramie fur eine gute ,,Ich habe die Ehre, Herrn Professor Mayer aus Chicago die physikalische Arbeit an einen Physiker, der Mitlgied einer der Max-Planck-Medaille zu treuen Handen zu ubergeben. Wir beiden Gesellschaften ist” verwendet werden; der Zeitwert bedauern, daS sie sich durch einen Transmutationsprozelj, der betrug noch 4000 DM. Ramsauer schlug vor, die Erfullung des zwar nicht kernphysikalisch, aber politisch leicht verstandlich Vermachtnisses nach Klarung der Sachfragen rnit dem Testa- ist, aus Gold in Bronze verwandelt hat.” mentsvollstrecker einer spateren Zeit zu uberlassen. Seit 1958 ist es Grundlage des ,,Karl-Scheel-Preises”, der von der Physi- kalischen Gesellschaft zu Berlin an ,junge, in Berlin t;itige Phy- siker” vergeben wird. Das Leben des Verbandes im Spiegel seiner Tagungen Festsitzung Getreu der Tradition der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Im Anschlulj an die Griindungsversammlung fand um 11.15 Uhr (und der Gesellschaft fur technische Physik) hielt der Verband unter dem Vorsitz von Max von Laue die Festsitzung statt, in nun jedes Jahr wieder im Herbst eine Haupttagung ab. Die deren Mittelpunkt die Uberreichung der Max-Planck-Medaille Regionalgesellschaften tagten - wie friiher die Gauvereine - im an Pieter Debye (Ithaca, USA) stand. Nach der BegruSung Friihjahr, vielleicht auch einmal dazwischen. Eine Ausnahme durch den Burgermeister der Stadt Nauheim gab Regierungsdi- machte die Physikalische Gesellschaft in Berlin, die im Laufe rektor Frowein als Vertreter des Landes Hessen seiner Freude des Jahres mehrere Sitzungen mit ein bis zwei Vortragen durch- dariiber Ausdruck, dalj mit der Griindung des Verbandes wieder fiihrte.

F-115 Tagungen des Verbandes Deufscher Physikalischer Gesellschaften Akustik, Halbleiterphysik, Hochfrequenzphysik, Kernphysik und kosmische Strahlung, Kristallographie, Gasentladungen, 1950 Grundungstagung Bad Nauheim Polymerphysik und Tiefe Temperaturen. Karl Wolf wies noch 1951 Karlsruhe 1958 Essen einmal darauf hin, daB sie ,,nicht nur Bindeglied zwischen den I952 Berlin 1959 Berlin Fachspezialisten, sondern auch zwischen Wissenschaft und 1953 lnnsbruck 1960 Wiesbaden Industrie und deutscher und auslandischer Forschung” sein und 1954 Hamburg 1961 Wien 1955 Wiesbaden 1962 Sfutfgart die ,,Verbindung mit den Physikern in anderen Landern intensi- 1956 Miinchen 1963 Hamburg vieren” sollten. Es blieb auch nicht aus, daB - wie bei den spate- 1957 Heidelberg Wiedergriindung der DPG ren Tagungen auch - Anderungen der Satzung bei Bestimmun- gen, die sich als nicht praktikabel oder zweckmaRig herausge- stellt hatten, nowendig wurden. Karlsruhe 1951 Berlin 1952

,, Physikalische Verhandlungen ” als eigenstandige Zeitschrijt; Griindung der ersten Fachausschiisse International Union for Pure and Applied Physics: Internatio- nale Verantwortung fur den Frieden, Einladung zum Beitritt Die erste dieser Tagungen des Verbandes, die sechzehnte nach Beginn der Zahlung rnit der Jenaer Tagung 1921, fand im Sep- Die siebzehnte Tagung, 1952 in Berlin, glanzte durch eine bis tember 1951 in Karlsruhe statt. Hauptthemen waren Akustik, dahin nicht bekannte Teilnehmerzahl: 1543. Davon war etwa Kernphysik und Polymere. VermiBt wurden die Kollegen aus ein Drittel aus dem Osten gekommen. In Berlin traten neben der DDR, als einziger und zugleich Vortragender kam A. den zusammenfassenden Vortragen und den ,,Strewortragen” Losche aus Leipzig; die wachsende Ost-West-Spannung machte aus allen Gebieten erstmalig einige Fachausschusse rnit eigenen sich seit 1949 deutlich bemerkbar. Einen besonderen Akzent geschlossenen Programmen - es wurde darauf hingewiesen, dab erhielt die Tagung durch einen Nachruf von Werner Heisenberg geschlossene Programme keinesfalls geschlossene Veranstal- auf Arnold Sommerfeld, der im April durch einen schweren tung bedeuten durfte - in Erscheinung. Trotzdem musten die Verkehrsunfall in Munchen zu Tode gekonimen war. Nicht insgesamt 1 I3 Vortrage auf Parallelsitzungen verteilt werden. allein die Schilderung der grol3en wissenschaftlichen Leistung, auch die menschliche Warme in diesen Worten des Nachrufs des Schulers auf seinen Lehrer, der ihn so gerne zu seinem P. P. Ewald, Generalsekrefarder lUPAP 1947 Nachfolger gehabt hatte, was aber durch die Nazis verhindert worden war, wurde fur die Zuhorer zu einem Erlebnis. Die Die jungst verstarkf auftretende Jendenz, die Naturwissenschaften als Max-Planck-Medaille muBte wieder einmal in Abwesenheit der ein wesentliches Element in der Vorbereitung von Kriegen, und den Nafurwissenschaftler als ein Radchen im Getriebe def Milit~maschineris Ausgezeichneten verliehen werden: James Franck war im fernen zu betrachfen, kann nor verhindert werden durch stetge Gegenwirkung, Chicago, Gustav Hertz im noch ferneren ,,goldenen Kafig” auf an der sich die Unionen aktiv beteiligen miissen. Sonst wid die Lage der Krim geblieben. Jonathan Zenneck hielt einen offentlichen des Naturwissenschafflers von morgen nicht anders sein als die des Vortrag ,,Aus der Kinderstube der drahtlosen Telegraphie”, was Alchimisten fruherer Zeifen, der ins Gefangnis geworfen wurde, bis er auch den Bastlern der zwanziger Jahre den Kristall-Detektor bereif war, Gold zu produzieren. und die damit verbrachten Nachtstunden in Erinnerung rief. Mahnung des Vorsitzenden der IUPAP an die Naturwissenschaf‘tler in Die Mitgliederversammlung beschloB, ab 1952 allen Mitglie- aller Welt. dern die ,,Physikalischen Verhandlungen” kostenlos zu liefern. Die ,,Verhandlungen” waren 1883 ins Leben gerufen worden, um die Mitglieder uber das Geschehen - zunachst in der Berli- Die Berliner Tagung zeichnete sich auch durch ein interna- ner, dann in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft - zu tionales Ereignis aus. Der Verband war eingeladen worden, der informieren, hauptsachlich aber Eigenreferate der Autoren uber ,,International Union for Pure and Applied Physics (IUPAP)” ihre Vortrage, spater auch kurze Originalbeitrage zu publizieren. beizutreten, die 1922 in Brussel auf der Generalkonferenz des Im Jahre 1944 waren sie mit dem Heft 1 des 25. Jahrgangs der 1919 gegrundeten International Research Council (IRC) von den 3. Reihe erloschen. Nach 1945 hatte zunachst Ernst Bruche aus anwesenden Physikern gefordert und gegrundet worden war, mit personlicher Verbundenheit in den ,,Physikalischen Blattern” dem Ziel der Forderung des Internationalen Erfahrungsaustau- diese Aufgabe teilweise ubernommen und 1952 die ,,Physikali- sches in Forschung, Lehre und Verwaltung. Dreizehn Nationen, schen Verhandlungen” rnit Kurzberichten uber alle Tagungsvor- darunter die USA, GroSbritannien und Frankreich traten damals trage als Beilage zu den Physikalischen Blattern abgespalten. der Union bei; Deutschland war nicht vertreten. Im Laufe der Nach langen Diskussionen, die auch schon vor der Grundung Jahre waren Kommissionen rnit dem Auftrag der internationalen des Verbandes gefuhrt wurden, kam man iiberein, eine verkurzte Betreuung bestimmter Gebiete gebildet worden, z. B. 1931 eine ,,Verbandsausgabe” als selbstandige Zeitschrift herauszugeben, solche fur das Publikationswesen und fur Symbole, Einheiten die nur uber die Angelegenheiten des Verbandes sowie der und Nomenklatur (SUN). Alle drei Jahre fand eine Generalver- Osterreichischen Physikalischen Gesellschaft berichtete, woge- sammlung in den verschiedenen Beitrittslandern statt. Die gen die Bruchesche Gesamtausgabe Mitteilung uber insgesamt Schwierigkeiten des Zweiten Weltkrieges beschrankten die neun rnit der Physik verwandten Gesellschaften brachte. Tatigkeit der IUPAP und lieljen das Tagungsgeschehen 1937 bis Die in Bad Nauheim beschlossene Satzung hatle als wesentli- 1947 ruhen. P. P. Ewald, der in Stuttgart Theoretische Physik ches Element der Verbandsarbeit die Fachausschusse kreiert; in gelehrt hatte und 1937 nach CambridgeEngland, spater nach Karlsruhe wurden bereits acht davon eingesetzt, fur die Gebiete USA emigriert war, reorganisierte die IUPAP in den Jahren

F-116 1945 bis 1947. Eine Mahnung, die er 1947 aussprach, zeigt, wie MeR- und Regeltechnik, sowie Mathematische Maschinen ge- sehr sich die internationale Physikergemeinde ihrer Verantwor- griindet worden - tagten als solche, trotzdem muljten die Einzel- tung bewuljt geworden war. Die VI. Generalversammlung 1948 vortrage noch auf bis zu fiinf Parallelsitzungen verteilt werden. in Amsterdam beschaftigte sich daher auch eingehend mit der Frage: ,,In welchem Malje kann die internationale wissenschaft- Gemeinsame Tagung Wurttemberg-Baden-Pfalz liche Zusammenarbeit dazu beitragen, ein internationales und Hessen-Mittelrhein 1954 Bewuljtsein zu schaffen und den Frieden zu erhalten?’ Auf der ersten Nachkriegstagung 1947 in Paris wurde der Zusammenschlup Siidwest ? Vorschlag gemacht, die ehemaligen Feindstaaten zum Beitritt einzuladen ,,sobald die Friedensvertrage unterzeichnet sind”. Im Jahre 1953 planten die Regionalgesellschaften Wurttemberg- Die Mitgliederversammlung in Berlin nahm die Einladung Baden-Pfalz und Hessen-Mittelrhein - nach der Auflosung der der IUPAP zum Beitritt einstimmig an, worauf Deutschland auf Gesellschaft Rheinland-Pfaiz am 16. Januar 1950 hatte sich die seinen Antrag hin 1954 als 29. Mitglied aufgenommen wurde. Gesellschaft Hessen in Hessen-Mittelrhein umbenannt und den In Berlin wurde bereits ein ,,Nationales Komitee” gebildet, Teil der Mitglieder von Rheinland-Pfalz, der nicht zu Wiirttem- sowie gemeinsam rnit der Deutschen Gesellschaft fur Ange- berg-Baden gegangen war, aufgenommen - die Friihjahrstagung wandte Optik ein ,,Optisches Komitee” eingesetzt, das dem 1954 gemeinsam abzuhalten. Dem kam nun eine Einladung von Deutschen Nationalen Komitee fur Physik bestimmungsgemalj Kollegen der Universitat Saarbrucken in die Quere, die diese angeschlossen ist. Tagung gern in Saarbriicken gesehen hatten. In dieser Einladung Die Max-Planck-Medaille wurde Paul A. M. Dirac verliehen. steckte allerdings ein Politikum. Das ,,Saargebiet” war ja schon 1946 aus der franzosischen Besatzungszone und damit aus der Innsbruck 1953 Kompetenz des Alliierten Kontrollrats ausgegliedert worden, in dem Bestreben, es bei politischer Autonomie von Deutschland gemeinsam mit Osterreich; Brief an die Emigranten abzutrennen und wirtschaftlich an Frankreich anzuschlieljen. Die Universitat Saarbriicken war von Frankreich nach franzosi- 1953 tagten die Physiker zusammen rnit der Osterreichischen schem Vorbild gegriindet worden, ein ZusammenschluB der Physikalischen Gesellschaft in Innsbruck. Der Wunsch zu einer Physiker im Saargebiet existierte (noch) nicht. Die in diesem solchen gemeinsamen Tagung war schon einige Jahre alt, eben- so die Gesprache und Verhandlungen zu seiner Realisierung. Die lockere Stimmung im ,,BreinoBl” am Vorabend sorgte fur Die Deufsche Physikalische Gesellschaft und die Deufsche Gesellschaff einen guten Auftakt. Ein Kammerkonzert und Ausfliige auf das fur Technische Physik wurden 1945 aufgelost. Als beider Nachfolger Hafelekar und den Patscherkofel trugen ebenso zum charmanten dad sich der 1950 gegriindefe Verband Deufscher Physikalischer Ambiente der Tiroler Landeshauptstadt bei. Adolf Smekal eroff- Gesellschaftenbeirachten, dem z. Zf. die folgenden, nach 1945 gegrijn- nete die Tagung, erinnerte daran, dalj die osterreichischen Phy- deten Gesellschaften angehoren: Physikdische Gesellschaft in hyern, Physikalische Gesellschaft zu Berlin, Physikalische Gesellschaft Hes- siker im Gauverein Wien friiher zur Deutschen Physikalischen sen-Miltelfhein, Nordwesfdeutsche Physikalische Gesellschaft,Physikali- Gesellschaft gehort hatten, sowie an die grolje Tradition der sche Gesellschaft in Wurffemberg-Baden-Plz. osterreichischen Physik. Karl Wolf, der deutsche Verbandsvor- sitzende, dankte Staat, Land und Stadt ,,zu deren Bergen es uns Die in diesem Verbande zusammengeschlossenen deufschen Physiker immer wieder hinzieht”, griiljte die Kollegen aus der DDR und laden die ehemaligen Mifglieder der Deutschen Physikalischen Gesell- begriiljte, dalj in den letzten Jahren sich einige Moglichkeiten schaft und der Deutschen Gesellschaft fiir Technische Physik, welche jetzt im Auslande leben, zum Beitrift in den Verband ein. Sie wiirden sich fachlicher Zusammenarbeit rnit der DDR eroffnet haben, wobei sehr freuen, wenn die ehemaligen Mitglieder sich entschlieBen konnfen, er als Beispiel auf die gute Losung bei der gemeinsamen Her- dieser Einladung zu folgen. ausgabe der Physikalischen Berichte im (Ost-)Berliner Akade- mie-Verlag anfiihrte. Er hiel3 schlieljlich dankbaren Herzens die Wir bedauern auf das fiefste, daB viele der friiheren Mifglieder nach jetzt im Ausland lebenden Physiker in unserem Verband will- 1933 aus polifischen Griinden gezwungen wurden, aus den damaligen konimen, ,,die auf unsere kiirzliche Bitte hin, als ehemalige Mit- Gesellschaften auszuscheiden, und wir konnen versfehen, wenn diese glieder der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und der Einladung be; ihnen vielleicht zwiespdltige Gefiihle heworruff. Wir durfen aber versichern, daR beide Gesellschaffen sich solange als moglich Deutschen Gesellschaft fur technische Physik in den letzten bemuht haben, das Unrechf zu vermeiden, und wir bitten die frijheren Wochen ihren Beitritt zum Verband erklw haben”. Die Mitglie- Mifglieder, diese Einladung als Ausdruck unseres aufrichtigen Bestre- derversammlung beschlolj einstimmig, den Brief an die Emi- bens anzusehen, die unwiirdigen Vorgdnge der Hiflerzeif wieder gutzu- granten, der zunachst an die friiheren Mitglieder einzeln und machen, soweif uns dies mbglich isf. personlich gerichtet worden war, in den ,,Naturwissenschaften”, in ,,Nature” und in der Presse zu veroffentlichen. Wenn Sie sich entschlieRen, dem Verband als Mitglied beizutreten, so Karl Wolf iiberreichte dann dem wirklich anwesenden bitten wir Sie, diese Absichf dem Vorsifzenden mifzufeilen, der die Durchfijhrung der safzungsgemdfl vorgeschriebenen Formalifaten iiber- Walther Bothe die Max-Planck-Medaille; Max von Laue wiir- nehmen wird, digte das wissenschaftliche Werk des Laureaten, worauf dieser sich rnit einem Vortrag uber das Thema ,,Einige Probleme der Dr. Karl Wolf kosmischen Strahlung” bedankte. Vorsit2ender des Verbandes Deufscher Physikalischer Gesellschaften Die Hauptthemen der Innsbrucker Tagung befaljten sich rnit Heidelberg, Scheffelsfr. 2. Magnetismus, Spektroskopie, Teilchenbeschleuniger und Kom- Brief des Verbandes Deutscher Physikalischer Gesellschaften an die auf- munikationstheorie. Acht der elf Fachausschiisse - inzwischen grund der NS-Gesetze und des Drucks der Behorden auf eigenen Ent- waren noch die Ausschiisse GroBen, Einheiten, Symbole, und schlull ausgetretenen oder aus der DPG ausgeschlossenen Mitglieder.

F-117 Sinn ganz anderen Verhaltnisse liel3en bei den Vorstanden Die satzungsgemal3 notwendigen Vorstandswahlen ergaben Bedenken sowohl wissenschaftlicher als auch diplomatischer die erforderliche Stimmenmehrheit fur Richard Becker (Gottin- Natur aufkommen. Eine Ruckfrage beim Auswartigen Amt gen). Er hatte sich erst nach AuBerung erheblicher Bedenken ergab eine zuriickhaltende Empfehlung, so daR der Einladung zur Kandidatur bereit erklart. Karl Wolf wurde damit zweiter nicht gefolgt wurde. Erst nach der Ruckgliederung des Saarlan- Vorsitzender. Hermann Ebert wurde als ehrenamtlicher Haupt- des am 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik wurden die Saar- geschaftsfuhrer wiedergewahlt; man dankte ihm fur seine aufop- Physiker Mitglieder der nunmehr Hessen-Mittelrhein-Saar fernde nebenamtliche Erledigung der immer mehr werdenden genannten Gesellschaft. Aufgaben des Verbandes. Diese Tatsache war schon in der Ver- Die gemeinsame Tagung fand dann an der Wende ApriVMai gangenheit mehrfach diskutiert worden, wobei der Gedanke an 1954 in Stuttgart statt, auf der Martin Deutsch vom Massachu- eine hauptamtliche Geschaftsfuhrung und Geschaftsstelle venti- setts Institute of Technology einen zusammenfassenden Vortrag liert worden war. Es wurde daher eine Kommission eingesetzt, uber das Positronium hielt. Dieser gemeinsamen Tagung lag die dieses Gesamtproblem, insbesondere den Aufgabenumfang auch die Idee zugrunde, die beiden Gesellschaften zusammenzu- einer Hauptgeschaftsstelle, naher durchleuchten sollte. schlieljen. Neben der grol3en Nordwestdeutschen Gesellschaft Richard Becker starb bereits ein halbes Jahr nach Antritt sei- w&e dadurch ein etwa gleich groBes sudwestdeutsches Pendant nes Amtes im Mkz 1955. Der Tod dieses hervorragenden For- entstanden. Der Gedanke kam aber nicht uber Gesprache auf schers und Lehrers, dieses groRen Menschen, wurde in der Vorstandsebene hinaus, zeigt aber, da13 die Struktur des Verban- ganzen Physikerschaft zutiefst bedauert. Damit fie1 der Vorsitz des, die Unterteilung in Regionalgesellschaften, vielerorts als des Verbandes wiederum an Karl Wolf; er fuhrte das Amt bis nicht zweckmal3ig empfunden wurde. zum Herbst 1955. Die Diplomprufungskommission, eine der inzwischen auf Hamburg 1954 eine stattliche Anzahl angewachsenen Kommissionen, hatte dem Verband eine Empfehlung zur Ausbildung der Physiker in Geschafisstelle hauptamtlich; Vorsitzender R. Becker gestorben; Mathematik zur Veroffentlichung gegeben; sie sol1 hier wieder- Mathematik fur Physiker (Empfehlung) gegeben werden, weil sie eine Sorge betrifft, die heute ebenso wie damals existiert und weiter existieren wird: Im September 1954 traf man sich in Hamburg. Die vier Vormit- tage waren zusammenfassenden ,,Hauptreferaten” gewidmet, ,,Es ist notwendig, dal3 in Mathematik ein Kurs - eine wahrend sich an den Nachmittagen vier Fachausschiisse und geschlossene Gruppe - von Fundamentalvorlesungen gele- Einzelthemen die 131 angemeldeten Vortrage teilten. Damit war sen wird, der in jedem Jahr begonnen werden kann, in vier Semestern abgeschlossen ist und insgesamt mit Ubungen hochstens 25 Wochenstunden umfaRt. Die Kenntnis des Ehrenmitglieder der Physikalischen Gesellschaft 1945 - 1963 Stoffes dieser Reihe gilt als mal3gebend fur die Teilpriifung in Mathematik im physikalischen Diplomvorexamen”. 1945 bis 1949 von den Einzel- 1950 bis 1963 vom Verband gesellschaffen gewdhk gewdhlf: Die erweiterte Ausbildung in Mathematik wurde dadurch kei- I947 Hans Gerdien 1951 Max von Laue neswegs in Frage gestellt. Ludwig Prandtl Carl Ramsauer Hennann von Siemens €rich Regener Einstein-Feiern in Berlin Jonathan Zenneck 1954 Max Born 1948 OffoHahn Louis de Broglie Fianfzig Jahre Relaiivitatstheorie und Lichtquanienhypothese Lise Meitner 1955 Wdfher &the 1949 Ronald G. J. Fraser James Franck Walther Kossel Im Jahre 1905 hatte Albert Einstein in den ,,Annalen der Phy- 1956 €win Madelung sik” die beiden die Physik revolutionierenden Arbeiten ,,Uber Walter Schottky einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichts betreffenden 1957 Alexander Meissner heuristischen Gesichtspunkt” und ,,Zur Elektrodynamik beweg- 1963 Hermann Eberf ter Korper” veroffentlicht. Dieses 50jahrige Jubilaum war AnlaR zu zwei Feiern in Berlin. Die erste zum ersten Thema wurde am 18. Marz 1955 von der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin (West) in der Technischen Hochschule in Charlottenburg veran- in der wissenschaftlichen Gestaltung der Tagung der Alltag ein- staltet. Die Eroffnungsansprache hielt Max von Laue. Er konnte gekehrt. Das hohe Niveau der Vortrage wurde allgemein aner- zahlreiche Gaste aus nah und fern, vor allem solche aus ,,fur uns kannt. Der gesellige Teil dieser Tagung bestand in einer Damp- schwer zuganglichen Landern”, begriiRen. Besonders freute er ferfahrt aller Teilnehmer elbabwarts zum ,,Fahrhaus Luhe”. sich, viele Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft in der Dort wurden auch die Geschafts- und die Mitgliederversamm- Deutschen Demokratischen Republik, darunter insbesondere lung abgehalten. Dabei wurden Max Born und Louis de Broglie Gustav Hertz, willkommen heil3en zu konnen. Die zweite fand zu Ehrenmitgliedern gewahlt - nachdem zuletzt 1951 den am 19. Marz im Festsaal der ehemals PreuRischen Akademie ,,Griindern” Max von Laue, Carl Ramsauer und Erich Regener der Wissenschaften, Unter den Linden, zu Berlin (Ost) statt. Sie diese Auszeichnung zuteil geworden war. Man erfuhr weiter, wurde ausgerichtet von der Physikalischen Gesellschaft in der daR Enrico Fermi eine Woche zuvor in einem Sonderkolloqui- Deutschen Demokratischen Republik, abgestimmt mit, aber um in Heidelberg vom Verbandsvorsitzenden die Max-Planck- getrennt von der ersteren. In Charlottenburg hielt Max Born die Medaille iiberreicht bekommen hatte. Festrede uber das Thema ,,Einstein und die Lichtquanten”, in

F-118 Berlin (Ost) sprach Leopold Infeld (Warschau) uber ,,Die Dies war notwendig geworden, weil die Anzahl der speziellen Geschichte der Relativitatstheorie”. Beide Gesellschaften hatten Themen der Fachausschusse immer starker angewachsen war Einstein eingeladen. In einem personlichen Brief an Laue - also und die Haupttagung zu sehr belastet hatte. Damit wurde ein nicht an den Vorsitzenden der (West-)Berliner Gesellschaft - Brauch begriindet, der auch spaterhin immer ofter gepflegt schrieb er: ,,Ich freue mich, daB ich in diesem aufiergewohnli- wurde, den Interessierten aber auch die Moglichkeit der Teil- chen Fall zu briiderlichem Zusammenwirken und nicht zu Kon- nahme an der Haupttagung bot. troversen Veranlassung gewesen bin.” Und weiter: ,,Alter und Diese bestimmte rnit ihren 1680 gezahlten Teilnehmern fur Krankheit machen es mir unmoglich, mich bei solchen Gelegen- die nachsten Tage das PuBere Bild der hessischen Landeshaupt- heiten zu beteiligen ... .” Er schlieBt: (ich habe gelernt) ,,daB wir stadt. Besonders herzlich wurde von allen Seiten Gustav Hertz von einer tieferen Einsicht in die elementaren Vorgange weiter begriiBt, der aus der Sowjetunion zuriickgekehrt war und an der entfernt sind, als die meisten Zeitgenossen glauben ... .” Tagung teilnehmen durfte. Sie wurde eroffnet durch eine kurze Max von Laue schlug der Charlottenburger Versammlung BegruBung durch Ministerprasident Zinn und eine Rede von vor, an Albert Einstein ein Telegramm zu senden: Kultusminister Hennig. Er begruBte, daR man die im 19. Jahr- hundert so beliebte Auseinandersetzung von exakter Wissen- ,,Die Physikalische Gesellschaft in der Deutschen Demo- schaft und metaphysischem Erleben zu uberwinden versuche kratischen Republik und die Physikalische Gesellschaft zu und auf dem Wege einer neuen Harmonisierung dieser beiden Berlin senden von ihren Feiern fur die Theorie der Licht- Urmachte sei. Er betonte die unerhorte Bedeutung der physikali- quanten und der Relativitatstheorie dem Manne, der vor schen Forschungsarbeit, wies jedoch im Hinblick auf die neu 50 Jahren beide ins Leben rief, in Dankbarkeit einen ehr- erschlossenen atomaren Krafte eindringlich darauf hin, daR die furchtsvollen GruB.” groBartigen Moglichkeiten nur dann der Menschheit Nutzen bringen kbnnten, wenn sie sich ihrer klug und mal3voll bediente, Es wurde von Hertz und von Laue unterzeichnet. Einstein starb weil dadurch auch die Moglichkeit der Zerstorung alles mensch- einen Monat danach am 18. April 1955 in Princeton. lichen Lebens auf der Erde in konkrete Nahe geriickt sei. Als Kultusminister, dem die Pflege des Geisteslebens anvertraut sei, Otto-Hahn-Preis wisse er sehr genau, daB die Pionierarbeit auf dem Gebiet der Physik einen Hauptanteil an den Anstrengungen des Volkes Stifrung, erste Verleihung an Lise Meitner beanspruchen diirfe. Die Ansprache, die von hohem Ethos getra- gen war, wurde vie1 beachtet. In Hamburg war beschlossen worden der Einladung der Gesell- Die ethische Verantwortung der Wissenschaft war 1955 schaft Hessen-Mittelrhein zu folgen und die Tagung 1955 (22. durch die Genfer Atomkonferenz erneut ins Licht der Offent- bis 28. September) in Wiesbaden abzuhalten. Der Tagung vor- lichkeit geriickt worden. Karl Wolf, der Verbandsvorsitzende, ausgegangen war eine Tagung der Gesellschaft Deutscher Che- stellte daher seine Eroffnungsansprache ebenfalls unter das miker in Miinchen, auf deren Festsitzung am 12. September - Thema: ,,Freiheit und Verantwortung des Wissenschaftlers” gemeinsam vom Deutschen Zentralausschulj fur Chemie und unter Zitierung der Verpflichtung der Gesellschaft und ihrer dem Verband Deutscher Physikalischer Gesellschaften - der Mitglieder durch den Q 2 der Satzung. Er sagte: ,,Otto-Hahn-Preis fur Chemie und Physik” gestiftet worden war und zum ersten Ma1 an die Physikerin Lise Meitner (Stockholm) ,,Dieses Bekenntnis ist bis heute unter den deutschen Phy- und den Chemiker Heinrich Wieland (Munchen) verliehen sikern lebendig geblieben. Mit auBerordentlicher Genugtu- wurde. Karl Wolf begrundete in seiner Ansprache bei der Uber- ung haben wir daher von der in der letzten Zeit machtig gabe der Auszeichnung an Frau Meitner die Schaffung eines wachsenden Aktivitat der Wissenschaftler aus aller Welt gemeinsamen Preises von besonderem Rang fur Chemie und in ihrem Kampf gegen den politischen MiBbrauch wissen- Physik rnit der Tatsache, daB die moderne Stoff-Forschnung schaftlicher Ergebnisse Kenntnis genommen. So hat uns grol3e und wichtige Grenz- und Uberschneidungsgebiete beider der Aufruf, den Bertrand Russel gemeinsam rnit neun Wissenschaften besitze, und daB zum Beispiel schwer zu ent- anderen Wissenschaftlern, darunter Albert Einstein, ausge- scheiden sei, welchem der beiden Facher man die fur das arbeitet und am 9. Juli 1955 in London verlesen hat, eben- Schicksal der Menschheit so bedeutenden Gebiete Radioaktiviat so rnit groBer Befriedigung erfullt, wie die Kundgebung und Kernspaltung zuordnen musse. Die Auszeichnung gelte der Nobelpreistrager auf der Insel Mainau anlal3lich ihrer ihrem Lebenswerk und ehre gleichermaBen die Forscherin und diesjahrigen Lindauer Tagung...... Nicht zuletzt haben den Menschen, zumal beides bei ihr unlosbar verbunden sei. wir rnit aufrichtiger Zustimmung die warnenden Worte ,,Bei voller Wahrung ihrer Selbstandigkeit hat sie ein Men- gehort, welche unsere beiden Ehrenmitglieder, die Nobel- schenalter hindurch in vorbildlicher gegenseitiger Erganzung preistrager Otto Hahn und Max Born, unabhangig vonein- mit Otto Hahn gemeinsam die Lehre von der Radioaktivitat ander und bei verschiedenen Anlassen an die Offentlich- machtig vorangetrieben”. keit gerichtet haben. Auch wir werden auf dieser Tagung uber EntschlieBungen beraten, die die Stellungnahme der Wiesbaden 1955 im Verband Deutscher Physikalischer Gesellschaften zusammengeschlossenen Physiker entsprechend der sat- Halbleitertagung; Verantwortung der Wissenschaftler; Ent- zungsgemaB iibernommenen Verpflichtung zu diesen Pro- schlieJung; Gedenken an Albert Einstein blemen offentlich dokumentieren sollen.”

An den beiden Tagen vor Wiesbaden hielt der FachausschuB Die EntschlieBung wurde von der Mitgliederversammlung ein- Halbleiter im benachbarten Mainz seine ,,eigene” Tagung ab. stimmig angenommen, und publiziert.

F-119 Karl Wolf wies dann darauf hin, dalj die Genfer Atomkonfe- Dieser Hauptvortrag ist ebenso wie diejenigen der 18. bis 28. renz mit ihrem offenen internationalen Austausch der wissen- Haupttagung in Tagungsbuchern publiziert worden, herausgege- schaftlichen Ergebnisse in allen Landern fur die deutschen Phy- ben von Ernst Bruche im Physik-Verlag, Mosbach/Baden. siker noch einen besonderen Aspekt habe. Sie zeigt das unerhor- Die Max-Planck-Medaille 1955 wurde Hans A. Bethe (Itha- te AusmaR des in anderen Landern in den vergangenen Jahren ca/N.Y .) verliehen. Friedrich Hund begrundete die Verleihung erzielten Fortschritts und das unerhorte AusmaB unseres eigenen und wurdigte das wissenschaftliche Werk des Laureaten. Dieser Ruckstandes. ,,Wir hoffen, daR rasche und klare Maljnahmen hielt anschlieljend an die Uberreichung der inzwischen durch unserer Regierung die Voraussetzungen schaffen werden, daR eine Rucktransmutation wieder aus Bronze in Gold verwandel- auch auf diesem Gebiet wieder deutsche Physiker ...... mitarbei- ten Medaille - eine ,,Firma” hatte das notwendige reine Gold ten durfen, und daR unsere staatlichen Stellen besonders sorg- gestiftet - einen Vortrag uber ,,Physik der z-Mesonen”. Dieser sam verfahren mogen bei der Auswahl ihrer wissenschaftlichen Hauptvortrag war einer der elf zusammenfassenden Berichte, Berater sowohl nach fachlichen als auch nach personlichen Qua- von denen drei weitere durch die auslandischen Kollegen J.V. litaten.” Dunworth (Harwell), 0. Dahl (Bergen) und Jakob Kistemaker (Amsterdam) erstattet wurden. 120 Einzelvortrage, deren The- men mit einem gewissen Schwerpunkt der Kernphysik angehor- ten, und teilweise den Fachausschussen Akustik, Hochpolymere Wir auf der Tagung des Verbandes Deufscher Physikalischer Gesell- und Tiefe Temperaturen zuzuordnen sind, rundeten das Pro- schaften am 25. September 1955 in Wiesbaden versammeffen Physiker gramm ab. haben die von 5ertrand Russell und neun anderen fiihrenden Nafutwis- Wegen des Todes von Richard Becker mul3te die Mitglieder- senschaftlem aus aller Welt unterzeichnete Resolution und den Mainau- versammlung einen neuen Vorsitzenden wahlen. Die Wahl fie1 er Appell von achtzehn dort versammelten Nobelpreistrigern zu Atom- riistung und Atomkrieg mit tiefer Befriedigung und voller Zustimmung auf Walther Gerlach (Munchen), der seinen Vorganger bedauer- zur Kenntnis genommen. te, nun noch eine weitere Wahlperiode als Stellvertreter amtie- ren zu mussen. Er dankte ihm mit den Worten: ,,Ich finde Wir wiederholen: ,,Aller kriegerischer Einsatz der heute mdglichen Waf- nichts, woruber ich den Mantel des Schweigens decken mul3te.” fen kann die Erde so sehr radioaMv verseuchen, daB ganze Vilker ver- Da die Mitgliederversammlung sich wegen der groRen Tages- nichtet wurden. In BuBerster Gefahr wird keine Nation sich den ordnung in die Lange zog, versuchte der Vorsitzende ein Abkur- Gebrauch irgendwelcher Waffen versagen, welche die wissenschaftliche zungsmittel: Er projizierte die Speisekarte des geselligen Technik erzeugen kann. Abends und hatte Erfolg. Daher miissen ale Nationen zu der Entscheidung kommen, freiwilig auf Die Wiesbadener Tagung fand grolje Anteilnahme in der die Gewalf als /emsMittel der Pditik zu verzichten. Sind sie dam Offentlichkeit und starken Widerhall in der Presse. nicht bereit, so werden sie aufhoren, zu existieren.” FachausschuR Kernphysik und die Grundung Die Physiker, die ihre Forschungsergebnissein den Dienst der Mensch- heit stellen, frlhlen sich veppflichtet,vor jeglichem MiBbrauch dieser von DESY Ergebnisse nachdriicklich zu wamen. Der deprimierende Eindruck, den das CERN-Symposium uber Hochenergie-Beschleuniger im Juni 1956 in Genf auf die weni- Die Wiesbadener EntschlieBung zu Atomriistung und Atomkrieg gen anwesenden deutschen Kernphysiker im Hinblick auf die Beschleuniger-Situation in der Bundesrepublik gemacht hatte, veranlaljte diese nach ausfuhrlichen Diskussionen zur Erstellung Die Eroffnungssitzung galt auch dem Gedenken an Albert eines Projekts uber den Bau eines 5-GeV-Elektronenbeschleuni- Einstein, der am 18. April 1955 gestorben war. Karl Wolf zitier- gers. Da Willibald Jentschke fur den Fall der Annahme eines te Aussagen Einsteins zur inneren Freiheit des wissenschaftli- Rufes nach Hamburg die Zusage fur den Bau eines ,,groBen” chen Menschen und schloR: ,,Einstein ist nicht mehr am Leben. Beschleunigers erhalten hatte, bot sich ein gemeinsames Unter- Sein energischer Wille, sich fur die Vernunft in der Welt einzu- nehmen in Hamburg an, das allen Hochschulen zuganglich sein setzen, sol1 uns ein bindendes Vermachtnis sein.” sollte. Naturlich muljten die Kernphysiker in Deutschland fur Die anschlieljende Gedenkrede hielt Max von Laue: ,,Albert ein solches Projekt gewonnen werden; der Fachausschulj Kern- Einstein und die Relativitatstheorie.” Nach einer knappen aber physik sollte daher sein Plazet geben und die breite Zustimmung pragnanten Schilderung des personlichen und wissenschaftli- seitens der Physiker dokumentieren. Erfahrungen fur ein solches chen Lebenslaufs bis zur Habilitation 1906 in Bern sagte Max Projekt waren in Deutschland nur sparlich vorhanden. Daher von Laue: ,,Sein weiterer Lebenslauf ist bekannt genug; ...... wollte man sich an ein Projekt von Stanley Livingston, der in Gehen wir nun zu seiner Forschung uber!” Er wahlte aus den Cambridge/Mass. ein 5-GeV-Elektronensynchrotron im Aufbau 313 Publikationen nur die beiden groRen, ,,welche heute ihr hatte, eng anlehnen und Livingston um Hilfe bitten, die dieser 50jahriges Jubilaum haben”, aus. Er beginnt: ,,Das Thema der auch groljzugig gewahrte. Der Fachausschulj Kernphysik hielt Relativitatstheorie ist das Problem einer sinnvollen Raum- und dann im Juli 1956 in Bonn, wo Wolfgang Paul ein 500-MeV- Zeit-Messung. Ich betone: Der Messung.” Synchrotron aufgebaut hatte, ein viertagiges Symposium ab, zu Wenn diese klare und prazise Aufgabe der Relativitatstheorie dem alle Interessierten eingeladen waren, und auf dem alle Pro- von Anfang an von ihren Widersachern klar erkannt worden bleme des moglichen wissenschaftlichen Programms, die techni- ware, dann waren der Physik und der Philosophie viele fruchtlo- schen, personellen, finanziellen Teilprobleme, auch im interna- se Diskussionen erspart geblieben. Man sollte sie daher jedem, tionalen Rahmen, ,,so gut wie moglich” durchdiskutiert wurden. der daruber redet, besonders den Lehrenden, zur Beherzigung Ein ArbeitsausschuR des Fachausschusses wurde eingerichtet, anempfehlen. der ein Memorandum ausarbeitete, das den Bau eines 5-GeV-

F- 1 20 Elektronensynchrotrons beinhaltete. Es fand die einmutige Billi- Brettl, das die Physikertagung geistvoll parodierte. Dabei wurde gung des Fachausschusses und wurde als befurwortendes Votum auch dem Tagungsgeschaftsfuhrer, Prof. Hermann Auer (Uni- der Physiker den Geldgebern bei den weiteren Verhandlungen versitat Munchen) gedankt mit einer Moritat nach dem Dreigro- mit vorgelegt. schen-Song des Macky Messer, in den auch die ,,sonst so trockenen” Physiker einstimmten: Munchen 1956 Dem Herrn Auer ist zu danken, Freie Forschung und Verantwortung; Ausstellung DaB die Tagung funktioniert. Seine Frau tat nicht ma1 wanken, Die Munchener Tagung 1956 muBte bereits an den Anfang des Wenn er manchmal explodiert. Monats September gelegt werden, weil Ende August in Gar- misch-Partenkirchen ein vom Verband fur die IUPAP durchge- Die Beschwingtheit des Abends dauerte offenbar am Mittwoch fuhrtes internationales Symposium uber Halbleiter und Phos- vormittag noch an. So schnell und reibungslos ist wohl noch phore stattfand und dessen Teilnehmem die Teilnahme an der keine Mitgliederversammlung verlaufen. Alle Abstimmungen Haupttagung ermoglicht werden sollte. Die den zusammenfas- ergaben Einstimmigkeit, sogar die nun schon zum wiederholten senden Berichten gewidmeten Vormittage fanden im erst kurz Male vorgelegte Satzungsanderung erlitt dieses fur den Vor- zuvor aus den Ruinen des zweiten Weltkrieges wieder erstande- stand erfreuliche Schicksal. Auf der Versammlung erfuhr man nen KongreBsaal des Deutschen Museums statt. Dort eroffnete auch, dal3 Erwin Madelung (Frankfurt) und Walter Schottky der Vorsitzende Walther Gerlach die Tagung und konnte viele (Pretzfeld) zu Ehrenmitgliedern gewiihlt worden waren und da13 Gaste aus dem Inland und Ausland, von der ,,Schwestergesell- die Max-Planck-Medaille Viktor WeiBkopf (Cambridge, schaft” in der DDR und viele Physiklehrer von den bayerischen Mass./USA) zuerkannt und bereits im Juni in Augsburg auf der Gymnasien, die durch einen BeschluB des Kultusministers Friihjahrstagung der Bayerischen Gesellschaft uberreicht wor- Unterrichtsbefreiung erhalten hatten, begriiBen. So erreichte die den war. Die Versammlung schloB - nach vollstandiger Erledi- Tagung insgesamt 2600 eingetragene Teilnehmer, eine Steige- gung der Tagesordnung - schon fruhzeitig, keiner wollte die rung um 50 % gegenuber der vorhergehenden. Nach ,,kurzen” nachmittagliche Ausflugsfahrt an und um den Tegernsee versau- BegruBungsansprachen ergriff der Vorsitzende das Wort und men. fuhrte u. a. insbesondere unter Hinweis auf den 0 2 unserer Sat- Die Munchener Tagung bot noch eine Besonderheit: Der zung etwa das folgende aus: Initiative von Hermann Auer war es zu verdanken, daB funfzig Durch die Tatigkeit der Physiker sollen Erkenntnis und Nut- Firmen, darunter auch einige aus der DDR, im Foyer des Kon- Zen der Erkenntnis gefordert werden. Dafur stehen an erster greBsaals ihre neuesten Gerate und Apparaturen fur Forschung Stelle als Grundaufgaben fur die freie Forschung und gegen den und Lehre ausgestellt hatten, kontrastiert rnit einigen histori- MiJ3brauch der Forschungsergebnisse einzutreten und tatig zu schen Exponaten des Deutschen Museums. Auch ein Gesprach wirken. Die freie Forschung hat eine materielle Seite, und wir der Diplomprufungskommission rnit jungen Physikern fand mussen groBe Mittel vom Volk erbitten, und dazu mussen wir grol3en Beifall und wurde entsprechend frequentiert. mehr als wir es bisher getan haben fur das Verstandnis der Not- wendigkeit solcher Mittel wirken, indem wir die Menschen an Heidelberg 1957 die Erkenntnisse und die Probleme heranfuhren. Das erlegt uns eine hohe Verantwortung auf. Wir haben strengstens zu priifen, Gottinger Erklarung; Sturz der Paritat ob die Anderungen an der Natur, in deren Ablauf wir eingreifen, verantwortbar sind. Oft macht man sich nicht klar, wie sehr Der Heidelberger Physikertag 1957 wurde eroffnet durch unsere Technik naturliche Verhaltnisse schon geandert hat. Die Walther Gerlach rnit einer Erinnerung an Kirchhoff und Bunsen, ,,unbegrenzten Moglichkeiten der Technik” sind zwar schon die Schopfer der Spektralanalyse, die ja auch Gerlachs ureigen- immer durch die Naturgesetze begrenzt, und hoffentlich auch stes Forschungsfeld war. Helmholtz, Lenard und Bothe als her- bald durch Ethik und Menschenwurde. ausragende Personlichkeiten der Heidelberger Physik wurden Die anschliefienden drei Hauptvortrage befaBten sich rnit der nicht vergessen. Der Kultusminister Dr. Simpfendorfer bezeich- Physik der Neutronen. Zwei Kollegen aus USA, C. G. Hull nete in seiner BegriiBung die Physiker als die ,,Bauleute einer (Cambridge) und G. H. Vineyard (Brookhaven), berichteten neuen Welt” und folgerte daraus die Bedeutung des Physik- iiber eine Entwicklung, an der - wie der Vorsitzende sagte - wir Unterrichts in der Schule. Rektor Reicke, der sich als ,,Laien- bisher wenig Anteil haben: Uber Neutronenbeugung und deren bruder” vorstellte, betonte, daB er sich rnit seiner Ansprache in Anwendungen. Weitere 17 zusammenfassende Berichte, darun- der ,,freien Wildbahn des Geistes” bewege. Walther Gerlach ter einer aus der DDR, waren ausgewogen uber die ,,reine” und wies weiter auf die materiellen Schwierigkeiten bei der Erful- die ,,technisch angewandte” Physik verteilt: Geo- und Kosmo- lung unserer Aufgabe, ,,die der Schopfer dem Geist des Men- physik, Ionosphare , Hochstvakuum, Material- und Werkstoff- schen gab” (Kepler) hin. Dabei hob er wieder einmal unsere prufung, Hochpolymere und technische Verwendung von Verantwortung hervor, wie sie in der mahnenden EntschlieBung Radioisotopen. An den Nachmittagen wurden 150 Einzelvortra- des Verbandes in Wiesbaden 1955 und in der Erklarung der ge geboten, darunter acht von Kollegen aus dem Ausland, funf- ,,Gottinger 18” manifestiert wurde. Er bestatigte im Namen der zehn von Kollegen aus der DDR; sie fanden im Physikalischen Unterzeichner diese Erklarung und bekraftigte die Wiesbadener Institut der Universitat Munchen (PIUM) statt. EntschlieBung von 1955; er widersprach Pascual Jordan, der Am Mittwoch gabs im vollbesetzten Lowenbrau-Keller einen sich in seiner Schrift ,,Wir mussen den Frieden retten” zu dem Munchener Abend, ein echt bayerisches Fest rnit Schmankerln Bekenntnis verstiegen hatte: ,,Wir mussen das deutsche Volk und Stimmung, die besonders angeregt wurde durch das PIUM- warnen vor den Ratschlagen des Gottinger Manifests.”

F-121 Zu diesem war es gekommen, nach- dem 1956 Politiker und hohe Militars zunachst leise, dann immer lauter gefor- dert hatten, daB auch die Bundeswehr Die Giiffinger Erklarung mit ,,modernsten Waffen” ausgerustet werden musse, und in diesem Zusam- Die Plane einer afomaren Bewaffnung der Bundeswehr effullen die unferzeichnefen Afomfor- menhang rnit dem Gedanken taktischer scher mif fiefer Sorge. Einige von ihnen haben den zusfandigen Bundesministerien ihre Nuklearwaffen ,,gespielt” wurde. Die Bedenken schon vor mehreren Monaten mifgefeilf. Heute isf die Debatte uber diese frage Sorge der Kernphysiker, vor allem der- allgemein geworden. Die Unferzeichnefen fuhlen sich daher verpflichfef,ihrerseifs auf einiqe Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleufe wissen, die aber der Offenflichkeit noch nicht hm- jenigen, die in dem neu geschaffenen reichend bekannt zu sein scheinen. Bundesministerium fur Atomfragen unter Minister StrauB im Arbeitskreis Kemphysik beratend tatig waren, veran- Ersfens: Takfische Afom waffen haben die zersforende Wirkung normaler Afombomben. Als fakfisch bezeichnef man sie, um auszudrucken, daB sie nicht nur gegen menschliche Sied- laBte viele Diskussionen unter diesen lungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesefzt werden sollen. Jede einzelne und fuhrte zu einem unergiebigen und faktische Afombombe oder -granafe hat eine ahnliche Wirkung wie die ersfe Afombombe, die unerfreulichen Briefwechsel mit dem Hiroshima zerstotf hat. Da die taktischen Afomwaffen heufe in grol3er Zahl vorhanden sind, Minister, in dem die Argumente des wurde ihre zerstorende Wirkung im ganzen sehr vie1 grdBer sein. Als klein bezeichnef man spateren Manifests teils wortlich enthal- diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen enhickelfen sfrafegischen Bom- ben, vor allem der Wassersfoffbomben. ten waren. Als dann schlieRlich Bundes- kanzler Adenauer in Anwesenheit der Presse sagte ,,Die taktischen Atomwaf- Zweitens: fur die Enfwicklungsmoglichkeif der lebensausrottenden Wirkung der sfrafegi- fen sind im Grunde nichts anderes als schen Afomwaffen ist keine nafurliche Grenze bekannt. Heute kann eine faktische Afornbom- be eine kleinere Sfadf zersforen, eine Wassersfoffbombe aber einen Landstrich von der eine Weiterentwicklung der Artillerie”, GroBe des Ruhrgebiefes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreifung von Radioakfi- entschloB man sich, aufklarend an die vifat konnte man mif Wassersfoffbomben die Bevolkerun der Bundesrepublik heufe schon Offentlichkeit zu gehen. Die Tagung des ausrotten. Wir kennen keine fechnische Mliglichkeif, gror4e Bevolkerungsmengen vor dieser Fachausschusses ,,Kernphysik und kos- Gefahr sicher zu schutzen. mische Strahlung” am 10. und 11. April 1957 in Bad Nauheim, auf der der GroB- Wir wissen, wie schwer es isf, aus diesen Tatsachen die polifischen Konsequenzen zu zie- teil der Unterzeichner anwesend war, hen. Uns als Nichtpolifiker wird man die Berechfigung dazu absfreiten wollen. Unsere Tifig- bot die Gelegenheit, eine von C. F. von keif, die der reinen Wissenschaff und ihrer Anwendung gill und bei der wir viele junge Men- Weizsacker aufgrund der vorausgegan- schen unserem Gebief zufdhren, beladt uns aber mif einer Veranfwotfung fur die mliglichen Folgen dieser Tafigkeif. Deshalb konnen wir nicht zu allen polifischen Fragen schweigen. genen Gesprache vorbereitete Formulie- rung in einer langen Abendsitzung am 11. April noch einmal griindlich durch- Wir bekennen uns zur freiheif, wie sie heufe die wesfliche Welt gegen den Kommunisrnus zudiskutieren und zu redigieren. Sie vetfriff. Wir leugnen nicht, daB die gegenseitige Angst wor den Wassersfoffbombenheufe wurde am 12. April durch den Fern- einen wesenflichen Beifrag zur Erhalfung des Friedens in der ganzen Welt und der freiheif in einem Teil der Welt leisfef, Wir halfen aber diese Ad, den Frieden und die Freiheif zu schreiber des Gottinger Max-Planck- sichern, auf die Dauer fur unzuverlassig. Und wir halfen die Gefahr im Falle ihres Versagens Instituts an die Presse gegeben. fur fddlich. Das Jahr 1957 war das Jahr des Stur- zes der Paritat. Dieses die Physik revo- Wir fuhlen keine Kompefenz, konkrefe Vorschlage fur die Polifik der GroBrnachfe zu lutionierende Ereignis fand seinen Nie- machen. Fur ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daB es sich heufe noch derschlag am Beginn der Tagung rnit am besfen schufzf und den Weltfrieden noch am ehesfen forded, wenn es ausdrucklich und zwei Vortragen von Viktor WeiSkopf freiwillig auf den Besifz von Atornwaffen jeder Art verzichtef. Jedenfalls ware keiner der (Cambridge/Mass.) ,,Der Sturz der Unterzeichnefen bereif, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsafz von Afom- Paritat”, in dem er in meisterlicher waffen in irgendeiner Weise zu befeiligen. didaktischer Weise dem ,,physikalischen Mittelstand” das Phanomen und seine Gleichzeifig betonen wir, da0 es aul3ersf wichfig ist, die friedliche Verwendung der Atom- Bedeutung nahe brachte, und von Her- energie mif allen Miffeln zu fordern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken. wig Schopper (Erlangen), der unter dem Thema ,,Weiteres zur Paritatsfra- ge”, die bis dahin vorliegenden bestati- Frifz Bopp, Max Born, Rudolf Fleischmann, Walfher Gerlach, Otto genden Experimente erlauterte. Unter Hahn, Otto Haxel, Werner Heisenberg, Hans Kopfermann, Max von den dreizehn zusammenfassenden Vor- Laue, Heinz Maier-Leibnitz, Josef Mattauch, Friedrich-Adolf Panefh, tragen fand man auch einige uber Wolfgang Paul, Wolfgang Riezler, fritz StraBmann, Wilhelm Walcher, Carl-friedrich von Weizsacker, Karl Witfz. Umweltprobleme und Radioaktivitat. Weitere Einzelvortrage zu diesen The- men zeigten, daB sich die Physiker und ihre Tagungen zunehmend auch diesen Problemen zuwandten. Die Max- Die ,,Gottinger Erklarung” vom 12. April 1957, rnit der sich achtzehn deutsche Physiker gegen jeg- Planck-Medaille erhielt Carl-Friedrich liche Beteiligung an der Erprobung, der Herstellung oder dem Einsatz von Atomwaffen ausspra- von Weizsacker (Hamburg), naturlich chen, ist ein herausragendes Zeugnis fur aktiv wahrgenommene Verantwortung der Wissenschaft.

F- 122 wieder in Gold. Einen Tag widmete die Schulkommission den Am Nachmittag des 25. April veranstaltete der Verband Physikern an den Ingenieurschulen mit Fragen und Diskussio- Deutscher Physikalischer Gesellschaften eine Festsitzung in der nen uber deren Physik-Unterricht. Eine hervorragend organisier- KongreBhalle Berlin (West). Sie muljte aus dem KongreBsaal te Ausstellung informierte uber die schnelle Entwicklung auf wegen des groljen Zustroms in die Vorhalle und den Theatersaal dem Gebiet der technischen Hilfsmittel. Der Gesellschaftsabend ubertragen werden. Ferdinand Trendelenburg, der Verbandsvor- im Schlolj, in dessen Hof fur die Teilnehmer ein groljes Feuer- sitzende, betonte in seiner Eroffnungsansprache die fundamenta- werk abgebrannt wurde und den die jungen Heidelberger Physi- le Bedeutung von Plancks Lebenswerk, das durch die Stiftung ker durch ein Kabarett auflockerten, dessen Themen vom homo der Max-Planck-Medaille greifbar in der Erinnerung bleibt, und heidelbergensis zu Bunsen und Kirchhoff und vom Werbefunk verkiindete die diesjahrige Verleihung an Wolfgang Pauli, der zum ,,Kanzler und seinem Physiker” reichten, rundeten die sie aber, weil in den USA, leider nicht in Empfang nehmen gelungene Tagung ab. konnte. Werner Heisenberg spannte in seinem Festvortrag uber ,,Die Hundertster Geburtstag von Max Planck Plancksche Entdeckung und die physikalischen Grundfragen der Atomlehre” einen weiten Bogen von der Atomphysik der grie- Gemeinsame Feiem Ost-West; Magnus-Haus und Max-Planck- chischen Philosophen zum Wirkungsquantum h als Kennzeichen Bibliothek der Atomistik der Strahlungsenergie. Er stellte seinen Versuch fur eine Grundgleichung der Materie - in der Presse ,,die Welt- Im Jahre 1958 jahrte sich der Geburtstag von Max Planck, formel” genannt - vor, als Versuch, der noch der Prufung geboren am 23. April 1858 in Kiel, zum hundertsten Mal. Fur bedurfte. die Deutsche Akademie der Wissenschaften in Berlin (Ost) - in Gustav Hertz sprach anschlieBend uber die ,,Bedeutung der der Nachfolge der PreuBischen Akademie der Wissenschaften, Planckschen Quantentheorie fur die experimentelle Physik”, deren Sekretiir Max Planck von 1912 bis 1938 gewesen war -, Wilhelm Westphal wurdigte aus langer Bekanntschaft und den Verband Deutscher Physikalischer Gesellschaften und die Freundschaft den Menschen Max Planck. Er betonte, dalj sein Physikalische Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Leben auf zwei Saulen geruht habe, der Musik und dem Gottes- Republik war dies ein AnlaB, am 24. und 25. April dieses Man- glauben. Nur sie hatten ihm geholfen, die vielen schweren nes gemeinsam zu gedenken, der zu den bedeutendsten Physi- Schicksalsschlage mit nahezu unbegreiflicher Fassung und ohne kern aller Zeiten zu rechnen ist und fur Akademie und Gesell- Bitterkeit zu tragen. schaft so fruchtbar gewirkt hat. Am Nachmittag des 24. April Die Festsitzung war durch Mozarts Adagio und Fuge in c- hatte die Akademie zu einer Festsitzung in der Deutschen moll eingeleitet und durch das Brandenburgische Konzert Nr. 3 Staatsoper Unter den Linden eingeladen. Die Zahl der Teilneh- von J. S. Bach, das Planck so sehr geliebt hatte, beschlossen mer, die weither aus Ost und West gekommen waren, war so worden. grolj, daB die 1400 Platze des Hauses nur etwa die Halfte der Von der Offentlichkeit wurde die Max-Planck-Feier als grolj- Interessenten aufnehmen konnten. Neben dem Prasidium der te wissenschaftliche Veranstaltung seit Kriegsende bezeichnet. Akademie und dem Vorstand der DDR-Gesellschaft hatten Lise Meitner, Otto Hahn und Max von Laue auf der Buhne Platz Essen 1958 genommen. Max Volmer, der Prasident der Akademie, eroffnete die Sitzung und gab das Wort dem Vizeprasidenten, der Max Kosten der Forschung; Entschliejungen Plancks Tatigkeit in der PreuBischen Akademie wurdigte. Max von Laue hielt die Festrede uber Plancks wissenschaftliches Die nachste Tagung, 1958, war ins Zentrum der Industrie, die Werk, insbesondere seinen Kampf um ein Strahlungsgesetz, das nach Kriegszerstorung wiedererstandene Groljstadt Essen, die exakten Messungen der spektralen Strahldichte des gelegt worden, in das Bundesland, das aufgrund seines Wirt- Schwarzen Korpers prazise beschreiben konnte. Lange verhaftet schaftswunder-Reichtums besonders forschungsfreudig war. Es in der klassischen Thermodynamik, hatte sich Planck mit Boltz- gab dort einen eigenen Staatssekretar fur Forschung, Leo manns Verknupfung von Entropie und Zustandswahrscheinlich- Brandt, dessen segensreiche Wirkung viele Spuren hinterlassen keit angefreundet, bis er schlieBlich den ihm so widernaturlich hat. Er begruBte namens der Landesregierung die Tagung, erscheinenden, aber erfolgreichen Schritt zur Quantelung der sprach uber die Kosten der ,,heutigen” Forschung und meinte - Energie seines Oszillators tat, ein Schritt, der ihm sein ganzes indem er verschiedene Vergleichszahlen heranzog - das sei Leben lang unbehaglich blieb. Vorgetragen am 14. Dezember ,,nicht weiter schlimm”. Die Einstellung seines Landes kenn- 1900 in einer Sitzung der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, zeichnete er durch ein Zitat seines Ministerprasidenten Karl erblickte die neue Naturkonstante h das Licht der wissenschaft- Arnold: ,,Ihr Wissenschaftler sagt uns, was Ihr braucht. Ihr muljt lichen Welt. deutlich sprechen, daB etwas geschehen muB, und was gesche- Als Abschlulj der Festsitzung uberreichte Otto Hahn als Pra- hen muB. Unser Land wird es tun”. Bei solchem Willkommen sident der Max-Planck-Gesellschaft der Akademie eine Planck- vergalj man gerne die kontemplative Ruhe friiherer Tagungsor- Buste und die soeben erschienenen drei Bande ,,Abhandlungen te, beschaulicher kleiner Bader, in denen die wenigen hundert und Vortrage von Max Planck”. Teilnehmer noch Platz finden konnten - gegenuber den gemes- Anschlieljend wurden der Physikalischen Gesellschaft in der sen an den letzten Tagungen ,,wenigen” 1700 dieser Tagung. DDR das Magnus-Haus und die aus Ruljland zuruckgekehrte Ferdinand Trendelenburg, der in Heidelberg zum Vorsitzen- Max-Planck-Bibliothek ubergeben. Lise Meitner sprach dabei den gewahlt worden war, zeigte anhand historischer Beispiele uber ihre personlichen Erinnerungen an Max Planck. Der erste wie Physikalische Erkenntnisse zu groljartiger technischer Ent- Tag schlolj mit einer Festauffuhrung der Oper ,,Iphigenie in wicklung gefuhrt haben, nicht die Sorge uber die Gefahren ver- Aulis” in der Staatsoper. schweigend, die jene uns heute bescheren. Der Oberburgermei-

F-123 ster bat in seiner Ansprache daher auch die Physiker ,,den Ver- tung von fast zwei Jahrhunderten einer bliihenden Wissenschaft antwortlichen den Wunsch ans Herz zu legen, die wissenscahft- ins BewuRtsein der bekanntlich nicht sonderlich geschichtsver- lichen Ergebnisse weise zum Wohle der Menschheit zu verwen- bundenen Physiker. An den Anfang stellte er Alexander von den”. Er trug damit Eulen nach Athen, denn wiederum war vom Humboldt, der als universeller Naturforscher nicht allein von Vorstandsrat eine Entschliefiung vorbereitet und von der Mit- der Physik in Anspruch genommen, durch seine weltweiten For- gliederversammlung beschlossen worden, die die fruheren War- schungen zum Erdmagnetismus und zum Polarlicht jedoch zum nungen wiederholten. Fach gezahlt werden darf. Er erwahnte Christian Poggendorf, Sie fand wenig Resonanz in der Offentlichkeit: ,,Die Welt” der ein halbes Jahrhundert die physikalische Literatur, insbeson- widmete ihr gerade eine kleine Notiz neben einer groB aufge- dere die ,,Annalen der Physik”, betreut hatte. Er nannte Gustav machten Reportage uber eine daneben stattfindende Tagung des Magnus, der das Demonstrationsexperiment in den Unterricht ,,Verbandes der Zwillinge”. Unsere ,,Nachricht” war offenbar eingefuhrt und ein Institut, das heutige ,,Magnu-Haus”, gegriin- nicht so ,,schlecht”, daB sie geeignet gewesen wiire, als ,,gute” det hat, die Geburtsstatte der Physikalischen Gesellschaft und - Nachricht herausgestellt zu werden. durch deren Griinder - der ,,Fortschritte der Physik”. Hermann Der Mitgliederversamrnlung lag auch eine EntschlieBung vor, von Helmholtz hat dort seine Arbeit iiber ,,die Erhaltung der in der ,,die Parlamente und Regierungen eindringlich gebeten Kraft” vorgetragen und war als Freund von Werner Siemens an werden, die Mittel zur Verfugung zu stellen, die notwendig der Grundung der Physikalisch-TechnischenReichsanstalt betei- sind, den physikalischen Nachwuchs griindlich auszubilden und ligt, die zum Vorbild aller ahnlichen Anstalten anderer Staaten in die Forschungsarbeit einzufuhren”. Man durfte sicher sein, wurde. Helmholtz war ihr erster Prasident und hatte bedeutende daB diese Bitte im Land des Tagungsorts auf ein offenes Ohr Physiker und herausragende Personlichkeiten als Nachfolger, treffen wurde. bis die Reihe 1933 abbrach: Friedrich Kohlrausch, Emil War- Die Wichtigkeit des fortdauernden Hinweises auf die Gefah- burg, Walther Nernst, Friedrich Paschen. Gustav Kirchhoff, der ren der Kernwaffen und der radioaktiven Verseuchung machte Schopfer der Gesetze der Stromverzweigung und der Theorie ein zusammenfassender Vortrag von Boris Rajewsky (Frankfurt der Beugungserscheinungen, Rudolf Clausius, dem grundlegen- a. M.) zum Thema ,,Strahlenverseuchung bei biologischen de Erkenntnisse zur Thermodynamik zu verdanken sind, und Geweben” deutlich , erganzt durch einen Film uber die langsa- August Kundt mit seinen Schwingungsexperimenten wirkten in me Zerstorung einer Menschenhand. Weitere zwolf Hauptvor- Berlin, Eugen Goldstein entdeckte die Kanalstrahlen, Heinrich trage, darunter funf von Kollegen aus dem Ausland, berichteten Rubens, Otto Lummer, Ferdinand Kurlbaum und Peter Prings- uber aktuelle Probleme aus Gebieten quer durch die Physik. heim fuhrten die exakten Untersuchungen der Strahlung des Erwahnt seien: R. Hofstadter (Stanford) ,,Zur Struktur der Schwarzen Korpers durch, die Max Planck zu seinem Bruch mit Nukleonen”, H. K. Paetzold und H. Zschorner (Weissenau) den klassischen Prinzipien zwangen. Paul Drude mit seiner ,,Beobachtungen von kunstlichen Erdsatelliten”, L. NCel (Gre- Elektronentheorie, Walther Nernst mit dem Dritten Hauptsatz noble) ,,Probleme des Magnetismus”, P. Aigrain (Paris) sind ebenfalls Glieder dieser langen Reihe. Fritz Haber, Erfinder ,,Halbleiterprobleme”, C. H. Townes (New York) ,,Fortschritte der Ammoniak-Synthese, war der erste Leiter des ersten Kaiser- auf dem Gebiet der Mikrowellenspektroskopie”, L. Brillouin Wilhelm-Instituts in Berlin. Hans Geiger, James Franck, Gustav (New York) ,,Informationstheorie und das Grundproblem der Hertz, Eduard Gruneisen verbrachten alle entscheidende Jahre Bewertung von Beobachtungen in der Physik’. 150 Einzelvor- ihres Forscherdaseins in der damaligen Reichshauptstadt. Albert trage, zum Teil in sechs Fachausschussen, rundeten das Pro- Einstein schuf in Berlin die Allgemeine Relativitatstheorie, Max gramm ab. Drei Vortrage waren der Lehrerfortbildung gewid- von Laue baute das Gebaude der Rontgen- und Elektroneninter- met. ferenzen aus. Auch Erwin Schrodinger und Walther Bothe fin- Die Max-Planck-Medaille war schon im April an Wolfgang det man zeitweise in Berlin. Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Pauli (Zurich) verliehen worden; sie sollte ihm anlafilich StraBmann und ihr Kaiser-Wilhelm-Institut fur Chemie bedurfen Plancks 100. Geburtstag uberreicht werden. Pauli, der sich nur der Nennung, urn die Bedeutung ihrer Arbeiten ins Gedacht- damals in den USA aufhielt, konnte wegen dringender Verhin- nis zu rufen. derung in Zurich auch diesmal nicht zu der Uberreichung nach Wenn man die Leistungen ,,Berlins” in der und fur die Phy- Essen kommen. sik ins Gedachtnis ruft, so darf ein ganz wichtiger Pfeiler unse- Unter den gesellschaftlichen Veranstaltungen ist besonders rer Wissenschaft nicht vergessen werden, die zahlreichen For- ein Kammermusikabend des Folkwang-Kammerorchesters her- schungsstatten der Industrie und viele damit verbundene angese- vorzuheben, zu dem die Firma Krupp in die Villa Hugel einge- hene und einflufireiche Personlichkeiten, wie Georg Gehlhoff, laden hatte. Hans Gerdien, Karl Wilhelm Hawser, Alexander Meissner, Karl Mey, Carl Ramsauer. stellvertretend genannt fur viele andere. Berlin 1959 Im AnschluR an seine Eroffnungsansprache uberreichte Fer- dinand Trendelenburg die Max-Planck-Medaille an Oskar Klein, Historischer Riickblick; Film uus der Vergangenheit; Geschafts- Stockholm, der sich mit einem Vortrag ,,Zur Theorie der Ele- fiihrung und Hauptgeschaftsfiihrer mentarteilchen” bedankte. Einen weiteren Hohepunkt stellte der anschlieRende Vortrag von Peter Debye (Ithaca, N.Y.) uber Zum zweiten Ma1 nach 1952 wurde 1959 Berlin als Tagungsort seine Arbeiten zur ,,Strukturbestimmung mittels Streustrahlung” gewahlt, diejenige Stadt, die die groBte Tradition der Physik in dar. Weitere zehn zusammenfassende Vortrage zu ,,reinen” und deutschen Gauen besitzt. Ferdinand Trendelenburg, der Ver- ,,anwendungsbezogenen” Gebieten und 1 55 Einzelvortrage, dar- bandsvorsitzende, machte daher einen historischen Ruckblick unter viele in den Fachausschul3sitzungen Tiefe Temperaturen, auf die Beitrage der Berliner Physiker und ihrer Physik zum Metallphysik, Kurzzeitphysik und insbesondere Kernphysik Hauptgegenstand seiner Ansprache und rief damit die Bedeu- erganzten das wissenschafliche Programm. Vier Vortrage in

F- 124 einer Nachmittagssitzung dienten der Information und Weiter- worden war, Anlalj zur Riickschau gegeben. Wichtiger schien bildung der Lehrer. ihm, die Anwesenheit unserer ,,Forderer und NutznieBer”, des Ein besonderes Vergniigen bereitete die Vorfiihrung eines Kultus- und Wirtschaftsministers, zu nutzen ,,aus AnlaB des Films rnit Aufnahmen von den Physikertagungen 1932 bis 1936, Geburtstages einige Betrachtungen anzustellen, uber die Aufga- den Ernst Bruche aus alten Negativen zusammengeschnitten ben, die unserem Verband aus der gegenwiirtigen Situation der hatte, weil das Original im Krieg zerstort worden war. Er lie& Physik erwachsen”. Dabei vergalj er nicht, zuvor Max von gewiirzt durch humorvolle Kommentare, viele Kollegen aus Laues, des ,,champion of freedom”, zu gedenken, der am 24. jenen Jahren, die nicht mehr unter den Lebenden weilten, sowie April 1960 gestorben war und dem der Verband und seine Vor- die Atmosphiire jener Tagungen wieder lebendig werden. ganger so viel zu verdanken haben. Die falligen Neuwahlen bestimmten Wilhelm Walcher, Mar- Eine der wichtigsten Aufgaben des Verbandes ist die Infor- burg, zum Vorsitzenden des Verbandes; Ferdinand Trendelen- mation aller Physiker - 1700 Teilnehmer, darunter 110 aus der burg ubernahm das Amt des Stellvertreters. Hermann Ebert DDR, waren in Wiesbaden anwesend - uber Stand und Fort- nahm seine Wiederwahl zum Hauptgeschaftsfuhrer des Verban- schritt des Faches in seiner ganzen Breite. Dabei konnte er des mit der Einschrankung an, dalj er sich nach zwei Jahren anhand des Programms auf die bisherigen Erfolge hinweisen, zuriickziehen wolle. wobei es wieder gelungen war, hervorragende Vertreter ihres Damit wurde die in den Jahren davor immer wieder aufge- Teilgebietes aus dem Ausland zu gewinnen. Es referierten worfene Frage nach der Gestaltung der Geschaftsfiihrung aktu- zusammenfassend H. Bommel und B. Matthias (Murray Hill), ell, die natiirlich auch eng verbunden ist mit der Struktur der Gesellschaft. Hermann Ebert hatte seit der Griindung des Ver- bandes sein Amt neben seiner Tatigkeit als Oberregierungsrat in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt gefuhrt. Der Umfang seiner Tatigkeit fur den Verband war von Jahr zu Jahr gewachsen. In seinem Jahresbericht 1957/58 hatte er schon die Vielzahl der Aufgaben des Hauptgeschaftsfiihrers, wie sie aus der Satzung erwachsen, genannt. Ihre Realisierung beanspruchte einen steigenden Zeitaufwand und immer groljer werdenden Einsatz. Der Hauptgeschaftsfuhrer hat alle Vorstands- und Vor- standsratangelegenheiten vorzubereiten, bei allen Sitzungen die- ser Gremien des Verbandes und der Einzelgesellschaften dabei zu sein und die Beschlusse durchzufiihren, den damit zusam- menhangenden Schriftwechsel mit nationalen und internationa- len Institutionen zu fiihren und die an Zahl immer mehr werden- den ,,Glieder” des Verbandes zu betreuen. 1959 existierten bereits sechzehn Fachausschusse, fiinf Ausschiisse fur Sonder- Gesprach am Wiesbadener Gesellschaftsabend. Von links nach rechts: aufgaben, eine Arbeitsgemeinschaft, das Deutsche Nationale Ferdinand Trendelenburg, Frau Busch, Hermann von Siemens, Hans Komitee der IUPAP rnit neun Kommissionen, die Preiskomi- Busch. tees. Die Vorbereitung engerer Verbindungen rnit anderen wis- senschaftlichen Gesellschaften erforderte zahlreiche miindliche und schriftliche Verhandlungen, die sehr zah verliefen. Hinzu G. Cocconi und V. Telegdi (Genf), A. Kastler (Paris), E. Tren- kam viel Routinearbeit und anderes. delenburg jr. (Balzers), A. van Trier und H. Vink (Eindhoven), Dies alles erforderte viel Neuordnung im Verband. Sie wurde hinter deren Berichten diejenigen aus dem Verbandsgebiet kei- dem neuen Vorsitzenden in den SchoB gelegt, fur ihn ,,nicht so neswegs zuriicktreten muljten: A. Ehmert (Gottingen), R. Grem- schlimm”, weil sie ihm schon lange am Herzen lag. melmaier (Erlangen), H. Maier-Leibnitz (Miinchen), G. Pfotzer Die Berliner Tagung wurde von den Teilnehmern als sehr (LindadHarz) und H. Wolter (Marburg). Ein offentlicher anregend empfunden, nicht hingegen von der Offentlichkeit. Die Abendvortrag von J. Bartels (Gottingen) spannte einen weiten lokale Presse hatte - im Gegensatz zu allen vorhergehenden Bogen ,,Vom Geophysikalischen Jahr zur Weltraumforschung”. Tagungen - keine Notiz davon genommen. Dazu kamen 155 Einzelvortrage, zum Teil in FachausschuBsit- zungen. 1st das genug? Wiesbaden 1960 Der Vorsitzende forderte eine Ausweitung dieser Informati- onstatigkeit: Fachvortrage und offentliche Vortrage auch auljer- Zukunfts-Plane und Aufgaben; IUPAP-Generalversarnmlungin halb des Friihjahrs- und Herbsttagungsgeschehens an markanten Ottawa; Aufnahme der DDR; Diskussion mit DDR-Vertretern; Orten auljerhalb der Hochschulstadte; Intensivierung der Fach- Neuordnung des Verbandes ohne DDR; Physikpreis; Saar- ausschuljarbeit und der Arbeit der Arbeitsgemeinschaften durch briicker Vereinbarung Einrichtung von kleinen (Diskussions-)Tagungen und Sitzun- gen, Symposien iiber aktuelle Spezialprobleme rnit 20 bis 40 Ein Bericht iiber die Wiesbadener Tagung 1960 spricht von Teilnehmern; Pflege der Lehrerfortbildung, in kleineren ,,Gym- einem neuen Stil: Reduktion der BegriiBungsansprachen bis auf nasialbereichen”, die die Physiklehrer in angemessenen Abstain- die des Kultusministers, weniger riickschauende Betrachtung in den in Kontakt mit dem Fortschritt der Wissenschaft halt. Er der Eroffnungsansprache des Vorsitzenden, statt dessen Vor- wunschte sich weiter ,,eine periodisch erscheinende Zeitschrift, schau und Entwicklung von Zukunftsplanen. Dabei hatte die die jedes Mitglied erhalt, rnit zusammenfassenden Berichten Tatsache, dalj der Verband gerade vor zehn Jahren gegriindet von hohem Niveau, klar und verstandlich fur den Nicht-

F- 125 spezialisten geschrieben Die Besten sollten es als eine ehren- wurde und daB keinerlei Aussicht auf eine ,,wissenschaftliche volle Aufgabe ansehen, solche Berichte zu verfassen. Er ging Gemeinsamkeit” gleich welcher Art bestehen wiirde. Dies war weiter auf die Ausstattung der Hochschulen und Schulen fur den dann auch der Grund, warum der Vorsitzende in Vorstandsrat Physikunterricht, auf die Betriebsmittel fur die Forschung und und Mitgliederversammlung vorschlug, diesen Gedanken fallen die Forschung in den groBen Zentren ein: ,,Die Spur, in der wir zu lassen und eine Neuordnung der Physikergesellschaft ohne fahren, ist schmal.” Dabei hoffe er, daS die zustandigen Kom- Rucksicht auf die DDR vorzunehmen. missionen ihre bew2hrte und erfolgreiche Arbeit rnit tatkraftiger Der Vorsitzende hatte in seiner Ansprache eine Anzahl von Unterstiitzung durch den Verband in Zukunft intensivieren Planen und Wiinschen vorgetragen, die nach einer Neuordnung konnten. ,,Ich sage das alles ...... weil ich hoffe, daR es an das verlangten. Sein Ziel war die ,,Deutsche Physikalische Gesell- Ohr der Offentlichkeit dringt ...... dazu haben wir die Presse schaft” mit einer zentralen Geschaftsstelle und einem hauptamt- geladen ...... , die ich bitte, unser Sprachrohr zu sein.” Er sprach lichen Geschaftsfuhrer, bei denen alle ,,Angelegenheiten” wis- natiirlich auch vom Geld, das dies alles kosten wiirde, was ein senschaftlicher und verwaltender Art zusammenliefen, wieder ausfuhrlicher Diskussionsgegenstand der Mitgliederversamm- erstehen zu lassen. Davor lag aber die finanzielle Schwache des lung wurde. Verbandes - und das bedeutete erst einmal einen Griffin die AnschlieSend wurde bekannt gemacht, daB die Max-Planck- :igene Tasche. Nachdem er die bereits vorgetragenen Plane Medaille Prof. Dr. Lev. D. Landau (Moskau) verliehen worden loch einmal erlautert hatte, forderte er offentliche Untersutzung war. Er nahm diese Auszeichnung, ,,die dem Andenken eines Fur diese Aufgaben, ,,die nicht internem Vereinsinteresse ent- der groRten Physiker gewidmet ist”, wie er schrieb, ,,mit groBer springen, sondern von aufierordentlichem offentlichen Interesse Freude an”. Er wollte gerne nach Wiesbaden kommen, um die iind - sofern man den Auswirkungen wissenschaftlicher Betati- Medaille personlich entgegenzunehmen, muBte aber spater absa- gung uberhaupt ein offentliches Interesse zuerkennen will”. gen. Sie wurde ihm im Juni 1961 durch den deutschen Bot- ,,Wir konnen aber nur fordern, wenn wir selbst an die Grenze schafter in Moskau bei einem Empfang in dessen Residenz in ies Moglichen gehen.” Er schlug vor, den Jahresbeitrag von Anwesenheit mehrerer namhafter sowjetischer Gelehrter uber- DM lo,-, wie er seit 1954 bestand, ab 1961 auf DM 36,- (maxi- reicht. Werner Heisenberg wiirdigte die Personlichkeit und die mal, rnit entsprechenden Staffelungen) zu erhohen. Lange und Arbeit des Preistragers. teilweise heftige Diskussionen fuhrten schliefllich dazu, dal3 Die Tagesordnung der Mitgliederversammlung enthielt eini- man sich auf DM 30,- einigte (243 ja, 63 nein, 26 Enthaltun- ge - auch in der Versammlung noch hinzugefugte - Punkte, die gen). Die Zahl der Protest-Austritte aus dem Verband (trotz des eine langere Dauer erwarten lieBen, insbesondere nachdem eine Hinweises auf ein Packchen Zigaretten pro Monat) wurde durch ebenfalls lange Vorstandsratssitzung vorausgegangen war. die Anzahl der Neueintritte reichlich wettgemacht. Zur Diskus- Neben den ublichen Punkten gab es da einen Bericht uber die sion aller Fragen der Neuregelung des Verbandes wurde ein Generalversammlung der IUPAP vom 7. bis 9. September in AusschuB eingesetzt, bestehend aus dem Verbandsvorsitzenden, Ottawa, auf der eine Delegation bestehend aus dem Vorsitzen- und dem Hauptgeschaftsfuhrer sowie je einem Vertreter der den (Walcher) und den Herren Ebert, Hilsch, Mattauch, Stille Einzelgesellschaften. und Trendelenburg den Verband vertrat. Auf dieser Versamm- Ein weiterer Vorschlag des Vorsitzenden wurde von der Mit- lung stand ein Antrag auf Aufnahme der Physikalischen Gesell- gliederversammlung positiv aufgenommen. Die damalige Deut- schaft in der DDR zur Entscheidung; ihm wurde rnit Zustim- sche Physikalische Gesellschaft hatte 194 I beschlossen, Arbei- mung der Verbandsdelegation entsprochen. Diese Versammlung ten junger Physiker durch zwei Preise auszuzeichnen, und zwar beschloB auch die Einfuhrung einer neuen Atommassenskala, durch die Planck-Stiftung die beste Arbeit auf dem Gebiet der basierend auf dem Nuklid “C, die, in Abstimmung mit der theoretischen Physik (,,Preis der Planck-Stiftung”) und durch die IUPAC, die bis dahin etwas verschiedenen Skalen, basierend Deutsche Physikalische Gesellschaft die beste Arbeit aus dem auf I6O und nd‘O,vereinheitlichen sollte. Demzufolge entstand Gebiet der experimentellen Physik (,,Preis der Deutschen Physi- auch eine neue Atommassenkonstante muund eine neue Mol- kalischen Gesellschaft”). Beide Preise wurden 1942 erst- und, definition. Ferdinand Trendelenburg wurde zu einem der Vize- wegen der Kriegs- und Nachkriegsverhaltnisse, letztmalig ver- prasidenten gewahlt, weitere neun Deutsche zu Mitgliedern ver- liehen. Der Vorsitzende schlug vor, den ,,Preis der Deutschen schiedener IUPAP-Kommissionen erkoren, Paul Gorlich (Jena) Physikalischen Gesellschaft”, ohne Auftrennung in die beiden in die Kommission Spektroskopie entsandt. Teilgebiete, wiederaufleben zu lassen. Die Meinung war Die Anwesenheit der DDR-Delegation (Buchner als Sekretar, zunachst nicht einhellig, ,,weil es ja schon ahnliche Preise R. Rompe (Berlin), P. Gorlich (Jena), W. Macke (Dresden)) gabe”, der Vorschlag wurde schlierjlich aber doch einstimmig nutzte der Verbandsvorsitzende zu einer Aussprache iiber angenommen, rnit der MaBgabe, daS die benotigten Mittel ein- Grundsatzfragen und lud beide Delegationen am Abend in sein geworben werden konnen. Hotelzimmer ein. Er hatte - trotz labour day - fur ausreichend Eine lebhafte Diskussion entfaltete eine der Mitgliederver- Whisky gesorgt, um die Atmosphare zu lockern. Trotzdem, und sammlung vorgelegte Stellungnahme zu der ,,Rahmenvereinba- obwohl alte Bekannte mit teils alten freundschaftlichen Bezie- rung zur Ordnung des Unterrichts auf der Oberstufe der Gymna- hungen zusammengekommen waren, blieb das Klima kuhl. sien” entsprechend einem BeschluB der Kultusminister vom 30. Bekanntlich war ja seinerzeit einer der Grunde, einen Verband September 1960. Danach sollte zwar im mathematisch-naturwis- von ,,selbstandigen” Einzelgesellschaften zu etablieren, die senschaftlichen Gymnasium Physik - aber kein anderes natur- Hoffnung doch noch einmal die Physiker aus dem Osten mit wissenschaftliches Fach - bis zur 13. Klasse als Kernfach ihrer Gesellschaft zum Beitritt gewinnen zu konnen. Die lange gefuhrt, in den beiden sprachlichen Gymnasialformen aber in und trotz aller Reserviertheit freundliche Diskussion dieses der 11. bis 13. Klasse die Naturwissenschaften nur mehr als Abends zeigte aber, daB es sich bei einem ,,AnschluR” gar nicht Wahlfach gelehrt werden. Das erinnerte ein wenig an vergange- um eine Sachfrage, sondern um ein reines Politikum handeln ne Zeiten, wo der ,,feine” Mann Geisteswissenschaftler, nicht

F- 126 Naturwissenschaftler, war. Andererseits sprachen bose Zungen das die Deutschen seitdem rnit Erlaubnis der Osterreicher auch vom neusprachlichen Typ als Dolmetscherschule. zu dem Ihren gewahlt haben. Das Gewicht, das das offizielle In der einstimmig verabschiedeten Stellungnahme begruBte Osten-eich der Tagung zumaB, driickte sich darin aus, daB Bun- der Verband zwar die Einfuhrung der Physik als Kernfach im desprasident Scharf den Ehrenschutz und die Bundesregierung mathematisch-naturwissenschaftlichenTyp, mifibilligte aber den rnit Bundeskanzler Gorbach an der Spitze das Ehrenprasidium Wegfall aller naturwissenschaftlichen Pflichtfacher in den Ober- ubernommen hatten. Die Anziehungskraft der Stadt, die seit klassen der anderen Gymnasien. Er begriindete dies rnit der gei- Jahrhunderten zu den Zentren deutscher Kultur gehorte, manife- stesgeschichtlichen Aufgabe unserer Zeit als Bruckenschlag stierte sich in der Teilnehmerzahl: 2600 Physiker, einschlieBlich zwischen geistigem Gehalt der naturwissenschaftlichen und der ortsansassigen, fuhlten sich durch das Programm zu einem technischen Erkenntnisse und dem uberlieferten klassischen Besuch angeregt. Sie wurden bei der Eroffnungssitzung im Gehalt der europaischen Kultur. Er forderte, daB beim AbschluB Konzerthaus vom Vorsitzenden der Osterreichischen Gesell- des Gymnasiums jedem Abiturienten die Wahl des Studienfa- schaft, Fritz Regler, herzlich begrust. Er hob insbesondere den ches freistehen musse. hohen Informationswert der zwolf zusammenfassenden Vortrage Die Resolution wurde dem Sekretariat der Standigen Konfe- hervor, die das immer breiter werdende Gebiet der Physik renz der Kultusminister telegraphisch zugesandt sowie DPA zur umspannten. Besonders erfreut war er, daB diese alle in deut- Veroffentlichung ubergeben. scher Sprache gehalten wurden, was fur die Wiener Hochschu- Auch in Wiesbaden zeigten vierzig Firmen in einer Ausstel- len AnlaB war, in der Tagungswoche fur die Physikstudenten lung ihre Produkte, darunter IBM ihren neuesten GroBrechner. die Vorlesungen ausfallen zu lassen. Der deutsche Vorsitzende Der geselligen Begegnung dienten eine Rheinfahrt nach AB- bedankte sich bei der Staatsregierung und den Kollegen fur die mannshausen im modernsten und groBten Schiff der Rheinflotte glanzende Vorbereitung der Tagung und erinnerte an die alten und zwei Opernabende. guten Beziehungen zwischen den deutschen und osterreichi- schen Physikern, die 1920 dazu gefuhrt hatten, daB sich die Wien 1961, gemeinsam mit Osterreich Osterreicher als Gauverein der Deutschen Physikalischen Gesellschaft anschlossen. Er rief ins Gedachtnis, da13 das Institut Physikpreis-Erstverleihung;Ebert 65 Jahre alt; Ausscheiden als fur Radium-Forschung der Wiener Akademie der Wissenschaf- Hauptgeschaytsfuhrer; Neuordnungsdiskussion; Haushalt ten das erste Institut fur Kernphysik der Welt sei, gegriindet zu einer Zeit, als es den Begriff Kernphysik noch gar nicht gab. Nachdem seit der gemeinsamen Tagung in Innsbruck acht Jahre Ein Dokument fur weit vorausschauende Wissenschaftsforde- vergangen waren, wiinschten sich beide Seiten wieder einmal rung. Er lenkte die Aufmerksamkeit unter anderem auch auf die gemeinsam zu tagen. Die Osterreicher luden daher ein, im die Osterreicher ebenso bedruckenden Nachwuchsprobleme. Herbst 1961 nach Wien zu kommen. Es war nicht das erste Mal, Wenig zufriedenstellende Studienmoglichkeiten, mangelnde daB man in der ,,Kaiserstadt" zusammenkam, bereits 1832 hatte Ausstattung mit Mitteln fur Lehre und Forschung, geringe Aus- der Kaiser die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte, sichten auf eine angemessene Tatigkeit nach dem Studienab- in der die Physiker damals eine eigene Sektion bildeten, einla- schlul3, aber auch eine Unterbewertung der Lehre gegenuber der den lassen. Und 1913 war man ebenso herzlich aufgenommen Forschung etwa bei der Ausbildung der Lehrer, bei der Verfas- worden wie nunmehr 1961. Uberall in der Umgebung der sung von Lehrmaterial, bei der Heranbildung von Hilfskraften Tagungsstatten griiBte die ,,Flagge der Physik", das @, das die fur den Physiker im Labor unter einem neuen Berufsbild wuBte Wiener Kollegen zum Emblem der Tagung gemacht hatten und er zu rugen. Der Vertreter des Kultusministers zeichnete dann

Professor Regler bei der Be- griiRung der Caste der Festsit- zung bei seiner Ansprache: ,,Ich hoffe, daR Sie, meine liehen Freunde aus der Bundesrepublik Deutschland, sich auch in Wien wohlfiihlen und daR Sie auch un- sere Stadt, unsere Umgebung und unsere kulturellen Veranstaltun- gen besuchen werden. Vorne rechts: Der osterreichische Bun- desprasident Scharf.

F- 127 ein Bild der Geschichte der Physik und ihrer bedeutenden Zunachst konnte der Vorsitzende dem treuen Paladin vieler Akteure in Osterreich. Der Bundesprasident riihmte schliefilich Jahrzehnte, dem Hauptgeschaftsfiihrer Hermann Ebert, zum 65. die Donaustadt als besonders geeigneten Ort fur Kongresse. Geburtstag gratulieren, den er am 18. Juni gefeiert hatte. Er ,,Nicht nur die Walzerseligkeit kennen wir in Osterreich, son- nahm dies zum AnlaR, seine Verdienste zu wiirdigen und ihm dern auch die Gliickseligkeit, die nach Epikur durch die Genau- den Dank des Verbandes und seiner Vorganger auszusprechen. igkeit der naturwissenschaftlichen Forschung ausgelost wird.” Im Jahr zuvor war eine Kommission zur ,,Neuordnung des Er bat die Physiker, sich ihrer Verantwortung bewuBt zu sein: Verbandes” eingesetzt worden. Sie hatte bereits mehrfach getagt und dem Vorstandsrat auf seiner Tagung im Friihjahr ein ,,Moge das Gewissen keines Physikers mit der Verantwortung ~~ fur die perfekte Vernichtung Memorandum vorgelegt, in von Menschenleben belastet dem noch einmal die Aufga- werden.” Er erklarte die ben der Gesellschaft zusam- Tagung fur eroffnet. mengestellt und zu deren Die Max-Planck-Medaille Bewaltigung eine hauptamt- 1961, Eugene P. Wigner lich besetzte eigene Ge- (Princeton) verliehen, wurde schaftsstelle empfohlen wa- ihm anschlieBend vom Vor- ren. Die Diskussion in jener sitzenden iiberreicht; sein Sitzung ging schlieBlich im wissenschaftliches Werk wiir- wesentlichen um den ,,Grad digte Friedrich Hund. Wigner der Zentralisierung”, weil bedankte sich mit einem Vor- manche Einzelgesellschaften trag iiber ,,Theorie der quan- Befiirchtungen iiber ihre tenmechanischen Messung”. Eigenstandigkeit auBerten. Der im Vorjahr gestiftete Nachdem alle anderen fur Preis des Verbandes Deut- eine wohlorganisierte Zentra- scher Physikalischer Gesell- le gewonnen waren, zogerten schaften konnte dank eines zuletzt noch die Bayern. Da Beitrages des ,,Stifterverban- schlug der Vorsitzende vor, des fur die Deutsche Wissen- doch einmal die echten Bay- schaft” in Hohe von DM ern um ihre Meinung zu fra- 5000 an zwei junge Physiker, gen - er hatte den Eindruck Ekkehart Kroner, Stuttgart, gewonnen, daR das bayeri- und Hugo Friedmann, Miin- sche Element unter den Ver- chen, vergeben werden. Den tretern jener Gesellschaft AbschluB der Eroffnungssit- unterreprasentiert war. Da zung bildete ein Vortrag von stellte sich heraus, daR nur E. G. D. Cohen (Amsterdam) ein einziger Bayer anwesend iiber ,,Neuere Entwicklungen war - der Vorsitzende - und der statistischen Mechanik der war ,,dafiir”. Der Bann der irreversiblen Prozesse”. war gebrochen. Die Mitglie- Die weiteren drei Vormit- derversammlung nahm eine tage waren neun Berichten Empfang der Vortragenden der Wiener Tagung bei Bundeskanzler vorbereitete Satzungsande- iiber Teilgebiete vorbehalten. Gorbach in der Hofburg. Die Tischrunde des Kanzlers unter dem Bild rung betreffend die Ge- Sie fanden im Konzerthaus von Kaiser Franz Joseph. schaftsfiihrung an, die die statt, ,,ungestort” durch Paral- Voraussetzung fur die weite- lelsitzungen und daher allen ohne Abhaltung zuganglich, soweit ren Arbeiten der Kommission war, und beauftragte die Kom- nicht das hervorragend ausgewahlte und organisierte Rahmen- mission, eine Satzung fur das Gesamtkonzept auszuarbeiten. programm eine starkere Anziehung ausiibte. Diese hielt sich Die Folgen dieses Beschlusses wurden im Tagesordnungs- jedoch in Grenzen, so daR es nicht notig war - wie man in der punkt ,,Haushalt” offenbar. Die Einnahmen des Verbandes hat- Chronik der Naturforscherversammlung von 1832 liest - ,,dem ten sich zwar durch die im Jahr zuvor erhohten Mitgliedsbeitra- zerstreuenden Moment, das der Reiz der alten Kaiserstadt in die ge und die trotz dieser MaBnahme gestiegene Mitgliederzahl rege Beteiligung an den Sitzungen zu bringen drohte, durch eine erhoht, auf der Ausgabenseite standen dem gegeniiber aber die geistvolle BuBrede” entgegenzuwirken. neuen Posten Hauptgeschaftsstelle, Ausbau der Physikalischen Die fast 300 Einzelvortrage, teilweise in fiinf Fachausschus- Verhandlungen (sie waren 1961 in neuem Gewand mit vielen sen und einer Arbeitsgemeinschaft in je vier nachmittaglichen Verbandsnachrichten erschienen), stakere finanzielle Forderung Parallelsitzungen zusammengefaBt, fanden in Horsalen der Phy- der Fachausschiisse und Kommissionen (und damit Verbesse- sikalischen Institute der Universitat statt. 33 Vortrage mufiten rung ihrer Arbeitsfahigkeit), Intensivierung der nationalen und leider gestrichen werden; sie waren von Kollegen aus der DDR internationalen Zusammenarbeit, so daR der Haushalt ohne ein- angemeldet worden, die ,,Ausreiseerlaubnis” war ihnen aber im zuwerbende Zuschiisse nicht auszugleichen war. Die Mitglieder- letzten Moment entzogen worden. versammlung machte die Auflage, da13 zur Finanzierung der Die gut besuchte Mitgliederversammlung wies ein reichhalti- Geschaftsstelle die anderen Wiinsche entsprechend beschrankt ges Programm mit wichtigen Tagesordnungspunkten auf. werden miifiten.

F- 128 Die Mitgliederversammlung verabschiedete auch einstimmig gelwirtschaft der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre eine neue EntschlieSung zur Saarbriicker Rahmenvereinbarung zufugten. Er sprach von den Sorgen der Physiker, ihren Verband zur Ordnung des Unterrichts auf der Oberstufe der Gymnasien, kraftvoll und wirksam zu gestalten, von dem mangelnden Inter- weil die Wiesbadener EntschlieSung bei den zustandigen Stellen esse staatlicher Stellen und demgegeniiber der wachsenden Auf- keine Beachtung gefunden hatte, obwohl der Verband keine geschlossenheit der Industrie fur seine Anliegen. Er rugte das eigenen Fachinteressen verfolgt hatte. Saarbrucker Abkommen der Kultusminister, empfahl, dieses Da die Amtszeit des Vorstandes abgelaufen war, muBte ein Experiment zu lassen, und verriet den Politikern, ddPhysiker neuer gewahlt werden. TurnusgemaB war ein in der Industrie gewohnt wiiren, Experimente, die nicht gelingen, abzubrechen tatiger Physiker an der Reihe. Die Wahl fie1 auf Konrad Rut- und aufzugeben. Er benutzte die gunstige Gelegenheit, dem hardt, Geschaftsfuhrer der W. C. Heraeus GmbH, Hanau. Er Ministerprasidenten das amerikanische Beispiel vor Augen zu schlug als Schriftfuhrer Karl-Heinrich Riewe, Patentingenieur in fuhren, wo ein feststehender Anteil des offentlichen Einkom- seinem Hause, vor, der auch Hermann Ebert zur Seite stehen mens fur die Wissenschaft bestimmt ist. Kiesinger, der ,,extra sollte, nachdem dieser sich noch ein weiteres Jahr als Hauptge- von einer Reise zuriickgekehrt war, um den heimlichen Herren schtiftsfuhrer zur Verfiifung gestellt hatte. der Erde seine Reverenz zu erweisen”, konterte mit der Ankiin- Wenn auch gesellige Begegnung von 2800 KongreBbesu- digung: ,,In der morgigen Besprechung der Kultusminister wird chern nur in kleineren Gruppen moglich ist, so hatten es die der von hemVorsitzenden geforderte feste Betrag fur die Wis- Veranstalter doch verstanden, an einem Abend alle zusammen- senschaft festgelegt werden.” Trotz dieser erfreulichen Aussage zubringen. Beide Gesellschaften hatten alle Tagungsteilnehmer rief sie bei den berufsmaBig skeptischen Physikern leichte bis zu einer Festvorstellung von Beethovens ,,Fidelio” in die Staats- schwere Zweifel hervor. Ein Verbandsmitglied bemerkte in der oper eingeladen, die den Ansturm gerade zu fassen vermochte. Pause dazu: ,,Gelin@ das nicht und wird die Physik in Deutsch- An einem anderen Abend empfing der Bundeskanzler die Vor- land in ihrer Bedeutung weiter unterschatzt, dann konnen uber stande, Vorstandsrate und Vortragenden zu einem Bankett in kurz oder lang nicht nur die physikalischen Institute, sondern der Hofburg. Man wahnte sich wie 1913 beim Empfang bei auch die Finanzmter zumachen.” Hofe. Als nach dem offiziellen Teil Bundeskanzler Gorbach die Der Oberbiirgermeister begruBte die Teilnehmer in seiner Herrschaften seines Tisches fragte, ob er sie noch zu einem Stadt und, an Ruthardt gewandt, ,,falls es noch gestattet ist, Heurigen einladen diirfte, murjte der deutsche Vorsitzende GriiB Gott”. Er bedauerte, dalj die Physiker die Welt schneller ,,bedauern, weil er bis Mitternacht bei einem Polizeirevier einen entwickelt hatten, als die Politiker es vermochten, sie in Ord- Strafzettel wegen Falschparkens einlosen musse”. Der Bundes- nung zu halten.” Er vergaB nicht, die Physiker auf das Cannstat- kanzler fragte ihn, ob man es als nachteilig fur das Ansehen der ter Volksfest hinzuweisen, das doch eine wahre Entspannung osterreichischen Justiz empfinden wurde, wenn er die Angele- nach all den vielen Vortragen sein konnte. genheit regeln wurde. Der sogleich damit beauftragte personli- Nach diesen heiteren Stunden wurde es ernster. Der Vorsit- che Referent kam nach wenigen Minuten zuruck: ,,Herr Bundes- zende uberreichte die Max-Planck-Medaille an Ralph Kronig kanzler, eine Empfehlung vom Herrn Polizeiprasidenten, die (Delft), und die Physikpreise des Verbandes an Dr. Gernot Graff Sache geht in Ordnung”. Die Tagung fand ihren Ausklang am (Bonn) und Dr. Siegfried Wilking (Karlsruhe), deren Vergabe letzten Abend mit einem allgemeinen Heurigen-Besuch. wieder durch den Stifterverband ermoglicht worden war. Die Wiener Presse hatte von der Tagung kaum Notiz genom- Nach einer Pause begann der ganze Ernst des Lebens: R. men. Dies veranlaBte den Hauptgeschaftsfuhrer zu einer Anfra- Kronig hielt den ersten zusammenfassenden Vortrag uber ge bei einer groBen Tageszeitung. Die Antwort: ,,Wir konnen ,,Elektrische Leitung bei ungeordneter Lage der Atome” und nicht uber jedes Konzert und jeden KongreB berichten.” eroffnete damit den wissenschaftlichen Teil der Tagung. Sieb- zehn zusammenfassende Vortrage standen auf dem Programm, Stuttgart 1962 so daB auch die ersten Stunden der Nachmittage dafur in Anspruch genommen werden muSten, was wiederum eine Ver- Lockere EroDung; Abend-Experimentalvortrag;Verbandsor- mehrung der Zahl der Parallelsitzungen fur neun Fachausschus- ganisation; finanzielle Voraussetzungen; Ubergangsregelung se, eine Arbeitsgemeinschaft und funf weitere ,,Gebiete” mit Hauptgeschaftsstelle; groJe offentliche Resonanz ihren 240 Beitragen nach sich zog. Die Themen der Hauptvor- trage waren breit gestreut, die Anwendungsbezuge kamen nicht Die 27. Physikertagung versammelte wiederum etwa 2400 Teil- zu kurz. Die Biophysik kam mit einem Vortrag zu Wort, die nehmer in der baden-wurttembergischen Landeshauptstadt. Thematik ging sogar weiter bis in die Biologie hinein, als Max Rings um die Liederhalle, in deren Beethoven-Saal die Tagung Delbriick, Koln, die Frage stellte ,,Inwiefern ist die Biologie fur eroffnet wurde, prangte das grol3e @, von dem bose Zungen als den Biologen viel zu schwer?’. Er mag bei der Formulierung einer doppelhenkligen Phiole sprachen. Der Verbandsvorsitzen- seines Themas an David Hilbert gedacht haben, der einmal de, Konrad Ruthardt, eroffnete den Reigen der Ansprachen, der gesagt hatte ,,Die Physik ist fur die Physiker viel zu schwer”. fast zwei Stunden dauerte, aber wegen der lockeren Atmosphiire Die enge Verkniipfung von ,,reiner” und ,,angewandter” Physik im Nu voruberging. Der Schwabe Ruthardt begrul3te namlich zeigte der Leiter des AEG-Forschungsinstituts Frankfurt, Karl den schwabischen Ministerprasidenten Kiesinger und den Steimel, in seinem Vortrag ,,Die Stellung der Industrieforschung schwabischen Oberburgermeister Klett ,,auf schwabisch”, was in Forschung und Technik” auf. wiederum den Ministerprasidenten veranldte, ,,sein Manuskript Den offentlichen Abendvortrag bestritt Walther Gerlach mit in der Tasche zu lassen” und in gleicher Weise und im gleichen einer Experimentalvorlesung uber ,,Die Entwicklung der kunst- Stil zu antworten. Ruthardt hatte namlich ,,kein Blatt vor den lichen Beleuchtung”. In weiser Voraussicht war eine Wiederho- Mund genommen”. Als leitender Industriemann hatte er es lung am darauf folgenden Abend eingeplant, was sich als richtig leichter, den Finger in die Wunden zu legen, die staatliche Man- envies, weil das Auditorium an beiden Abenden bis auf den lez-

F- 129 ten Platz gefullt war. Gerlach fuhrte im Rahmen seiner vielen lung dieses Problems war im Gange, konnte aber noch nicht Demonstrationen, die von Faradays Kerze bis zur modernen abgeschlossen werden. Daher wurde - so berichtete Ruthardt Hochstdrucklampe gingen und wie am Schnurchen abliefen, weiter - eine Ubergangsregelung getroffen. Die Herren Dr. auch die Resonanzfluoreszenz der Na-D-Linien im Na-Dampf Karl-Heinrich Riewe, Hanau und Baudirektor Dipl. Ing. Her- vor. Rudolf MoBbauer gestand, daB er sie viele Jahre nach sei- mann Franke, Stuttgart, der Tagungsgeschaftsfuhrer der Stutt- ner Entdeckung der Kernresonanzfluoreszenz an diesem Abend garter Tagung war, werden nebenamtlich, unter Aufteilung der zum ersten Ma1 gesehen hatte. Mit groBem Bedauern muljte zur Kompetenzen, die Arbeiten versehen. Zur Neugestaltung des Kenntnis genommen werden, daB Eberhard Buchwald, der einen Verbandes lag ein Entwurf der Satzungskommission vor, die Goethe und Newton versohnenden Beitrag ,,Zur Farbenlehre” wichtigen Punkte wurden vorgetragen und rege diskutiert, mit bringen wollte, den Zaun zwischen Jena und Stuttgart nicht der Bitte, weitere Vorschlage und Wunsche der Kommission hatte iiberwinden konnen. schriftlich einzureichen. Einer der Diskussionspunkte war der Das zentrale Thema der Mitgliederversammlung, die von 359 Name der Gesellschaft: ,,Deutsche Gesellschaft fur Physik”, Mitgliedern besucht war, waren naturlich wieder die ,,Fragen oder ,,Gesellschaft Deutscher Physiker” (in Anlehnung an die nach der Verbandsorganisation”. Ruthardt gab einen Bericht Chemiker) oder ,,Deutsche Physikalische Gesellschaft” (wie bis uber sein erstes Jahr als Verbandsvorsitzender, in dem er sich 1945). Die letztere Benennung war schon von einer breiten ganz mit den Ideen zur Neuordnung des Verbandes identifiziert Mehrheit bei Umfragen der Regionalgesellschaften bevorzugt hatte. Als wichtigste Aufgabe nannte er die Schaffung der finan- worden, sie wurde in die Satzung aufgenommen. ziellen Voraussetzungen zur Durchfuhrung der Plane, an erster Einige Tagungen der letzten Jahre hatten in der Offentlichkeit Stelle die Einrichtung einer hauptamtlichen Geschaftsstelle. Da wenig Beachtung gefunden. Daher wurden alle Medien schon angesprochene ,,offentliche Stellen” wenig Verstandnis gezeigt Wochen zuvor mit reichlich Informationsmaterial versehen. Die hatten, kam er zu der Uberzeugung, daB ,,wir die Dinge in erster Physikalische Gesellschaft Wiirttemberg-Baden-Pfalz veranstal- Linie von uns aus regeln mussen”. Bei der Industrie habe er hin- tete zwei Tage vor der Tagung, und der Verbandsvorsitzende gegen weitgehende Zustimmung gefunden und auch schon wahrend der Tagung je eine Pressekonferenz. Der Erfolg war Beitrage erhalten. Dabei seien immer wieder die altbekannten unerwartet groR. Von einem einschlagigen Bur0 gingen 280 Wunsche betreffend die Anwendungsorientierung der Gesell- Ausschnitte aus Zeitungen von Flensburg bis Konstanz ein. schaft geauBert worden, er legte sie der Gesellschaft erneut und fur die Zukunft ans Herz. Der Schatzmeister teilte mit, daB die Hamburg 1963 Finanzlage sich durch die Ruthardt-Aktion befriedigend ent- wickelt habe. Dazu seien alte Quellen zu starkerer Schuttung Bundesminister fur Forschung; wissenschaftliches Programm; erschlossen worden in Form von Standmieten fur die Ausstel- ii’fentlicher Experimentalvortrag; BeschluJfassung uber die lung - in Stuttgart hatten 42 Firmen ausgestellt - und in Annon- neue Satzung; ungebetene Gaste; Neuwahl des Prasidenten; cen im Programmheft der Verhandlungen. Dadurch konnte der konstituierende Sitzung des Vorstandsrats der wiedererstande- Haushalt 1961162 mit etwa 230 000 DM bilanzieren, 1960/61 nen Deutschen Physikalischen Gesellschaft waren es noch etwa 160 000 DM gewesen. Ein Vortrag von 100 000 DM aus 196 1/62 auf 1962/63 war ein gutes Anfangs- ,,Mit groBer Spannung und Erwartung kamen 1963 die Physiker polster fur die einzurichtende Hauptgeschaftsstelle. Die Rege- in Hamburg zusammen, denn neben den wissenschaftlichen

Eroffnung der Stuttgarter Phy- sikertagung. In der ersten Reihe (v. 1. n. r.): Wilhelm Walcher, Martin Kersten, Ministerprasi- dent Kurt-Georg Kiesinger, Kon- rad Ruthardt, Oberhurgermeister Klett als aufmerksame Horer der BegruRung durch den Tagungs- leiter.

F-130 Die Bundesrepublik hat endlich ein Ministerium fur wissenschaftliche Forschung. Minister Lenz (am Rednerpult) kam nach Hamburg und sprach zu den Physikern.

Vortragen sollte als wichtigstes Ereignis die Neuordnung des Nach weiteren Ansprachen uberreichte der Vorsitzende die Verbandes nun endgultig beschlossen und wieder eine einheitli- Max-Planck-Medaille an R. Ernst Peierls, Birmingham, die Lau- che ,,Deutsche Physikalische Gesellschaft” gegriindet werden.” datio sprach Werner Heisenberg. Der anschlieljend vergebene So beginnt ein Bericht uber die Hamburger Tagung. Sie wurde Physikpreis ging in diesem Jahr an zwei Gruppen ,,junger Phy- - wie ublich - eroffnet durch einen Festakt im Auditorium siker” fur gemeinsame Arbeiten: Dr. Ernst Feldtkeller und Dr. Maximum der Universitat. In seiner Eroffnungsansprache konn- Ekkehard Fuchs einerseits und Dr. Joachim Heintze und Dr. te der Vorsitzende, Konrad Ruthardt, vor allem den Bundesmi- Volker Soergel andererseits. nister fur wissenschaftliche Forschung, Hans Lenz, begruljen. Das wissenschaftliche Programm wurde eingeleitet durch Das war das zweite wichtige Ereignis dieser Tagung: Die Bun- einen Vortrag von Emst Peierls zum Thema ,,Die Wmeleitung desrepublik hatte nun endlich den schon lange geforderten For- in nichtmetallischen Kristallen”. Ein weiterer zusammenfassen- schungsminister - und der war sogar zur Physikertagung der Vortrag von Albrecht Unsold (Kiel) uber die ,,Physik der gekommen. So hatte Ruthardt fur seine auch von anderen schon Sonne” fand am Vormittag nicht mehr Platz und muBte auf den so oft geauljerten Klagen iiber das ungeniigende Interesse der Anfang der Nachmittagssitzung verschoben werden. Sehr Politik an der Forschung die erste Adresse vor sich, und er nutz- bedauert wurde, dalj sowohl ein fur den Abend des Eroffnungs- te die Gelegenheit. Er konnte im Gegensatz dazu vielen Indu- tages geplanter offentlicher Vortrag von Ernst Stuhlinger vom striefirmen fur reger gewordene Unterstutzung danken, die sie amerikanischen Raumfahrtzentrum uber das ,,Saturn- und dem Verband hatten zuteil werden lassen. Minister Lenz unter- Mondlandeprojekt” als auch sein zusammenfassender Bericht strich die Forderung des Vorsitzenden und bekannte sich zu der uber ,,Wissenschaftliche Erkenntnisse der Raumfahrt” ausfallen Aufgabe der Regierung und seines Hauses, die Wissenschaft in mufiten, weil Stuhlinger nicht abkommlich war. Die extraterre- noch groBerem MaBe zu fordern. Er meinte, dalj wohl in der strische Physik war aber immerhin noch durch einen Vortrag Kernphysik Ansatze vorhanden seien, die sich mit dem Ausland uber die hochste Erdatmosphiire von H. K. Paetzold vertreten. messen konnten, daB die erweiterte Aufgabe seines Ministeri- Auch ein weiterer Ausflug in die ,,Nachbarschaft” Biologie, die ums aber der ganzen Wissenschaft zu dienen habe. Ruthardt ,,Molekularen Systeme als Generatoren mechanischer Energie” ging auch ausfuhrlich auf kritische Stimmen ein, die im (Werner Kuhn), konnte wegen Verhinderung des Vortragenden Anschlulj an die Stuttgarter Tagung gegen die Physik und die nicht gemacht werden. Dalj man sich die technischen Anwen- Arbeit der Physiker laut geworden waren, die sogar bis zum dungen hatte angelegen sein lassen, dokumentierten drei Vortra- Vorwurf gingen, dalj die Physiker den Weg zur Unmenschlich- ge von Wolfgang Finkelnburg (Erlangen) uber ,,Kernreaktoren, keit beschritten hatten und den Untergang der Welt vorbereite- gegenwMiger Stand einer von Physikern geschaffenen Tech- ten. Er setzte sich ausfuhrlich mit solchen Vorwiirfen auseinan- nik”, von H. Kaufmann uber ,,Das Informationsmd der Nach- der und trat ihnen mit der Meinung entgegen, dalj die richtige richtentechnik als physikalische GroBe” und von Werner Kleen Anwendung der Naturwissenschaften die beste Voraussetzung (Miinchen) uber ,,Neue Anwendung physikalischer Effekte in fur einen wahrhaften Humanismus sei. ,,Dazu gehort auch, auf der Nachrichtentechnik”. Weitere funf Hauptvortrage aus den der ganzen Erde die Bedingungen fur ein menschenwurdiges Gebieten Tiefe Temperaturen, Ferromagnetismus, Optik und Dasein zu schaffen.” Er machte deutlich, dal3 sich die Physiker Elektronenoptik, und Elementarteilchen infonnierten uber Fort- ihrer Verantwortung voll bewuBt seien und vor dem Miljbrauch schritte auf diesen Gebieten. Auch an die Lehrer war gedacht der Ergebnisse ihrer Arbeit immer wieder durch eindringliche worden, denen am letzten Tag vier Vortrage, zum Teil mit offentliche Appelle gewarnt hatten. Experimenten, geboten wurden.

F-131 Wieder waren zahlreiche Kurzvortrage angemeldet worden. schaften hatten jeweils zu den Vorschlagen und Formulierungen Sie gehorten teilweise in den Bereich von fiinf Fachausschussen Stellung genommen und sie schlieljlich gebilligt. In Wien und und wurden in deren Sitzungen abgehandelt, zum anderen Teil Stuttgart hatten wesentliche Teile der neuen Satzung schon die wurden sie, nach Gebieten zusammengef&t, an den Nachmitta- Zustimmung der Mitgliederversammlung gefunden. Nun lag der gen dargeboten. Zur Bewaltigung des groBen Angebots waren neunte Entwurf vor. Er war allen Mitgliedern zugesandt wor- wieder drei bis funf Parallelsitzungen an den Nachmittagen den; man hoffte auf Verabschiedung. Dank zugiger Lesung in notig. der Versammlung war die Zahl der Wortmeldungen gering, Fra- Fur den Donnerstag abend 20 Uhr war ein offentlicher Expe- gen und Einwande konnten prazise beantwortet und gegebenen- rimentalvortrag von Wilhelm Walcher (Marburg) uber das falls noch beriicksichtigt werden. In weniger als zwei Stunden Thema ,,Elektromagnetische Wellen” angekundigt worden. war die Vorlage paragraphenweise und dann als ganzes unter Bereits um 19.30 Uhr war der GroBe Horsaal des Physikali- groljem Beifall der Versammlung bei einer Stimmenthaltung schen Instituts gefullt, um 19.45 versuchte der Hausherr durch angenommen worden. Die wesentlichen Neuerungen: Verdrangung der Studenten etwas mehr Platz fur die Tagungs- teilnehmer zu schaffen, was wiederum den Vortragenden veran- Es gibt wieder eine ,,Deutsche Physikalische Gesellschaft” IaBte anzukundigen, dalj er den Vortrag am nachsten Abend DPG. Regionale Glieder in Form von Regionalverbaden wiederholen wurde. Die wiederurn groBe Fulle zeigte das und Bezirksvereinen konnen als Zusammenfassung regio- erfreuliche Interesse am Demonstrationsexperiment. An mecha- naler Mitglieder der DPG gebildet werden. Die Mitglied- nischen Pendeln, einfachen, gekoppelten, linearen, ebenen und schaft besteht in der DPG. Die gesarnten Verwaltungsge- dreidimensionalen Pendelketten wurden die Grundphanomene schafte sind unter einem hauptamtlichen Hauptgeschafts- gezeigt und die Grundbegriffe erlautert. Mit elektromagneti- fuhrer in der Geschaftsstelle zentral zusammengefal3t. Diese unterstutzt samtliche Glieder auch bei ihrer wissen- schaftlichen Tatigkeit. Die Anzahl der fachlichen Gliede- rungen und Kommissionen wird den Bedurfnissen ent- sprechend verrnehrt. Der Vorstand wird auf sieben Mit- glieder vergrooert, der Vorstandsrat dagegen verkleinert; damit waren arbeitsfahige Gremien geschaffen.

Nun konnte also die fallige Neuwahl des Vorsitzenden, nach der neuen Satzung des ,,Prasidenten” (diese Bezeichnung wurde in Anlehnung an die anderen Gesellschaften gewahlt) vorgenom- men werden. Erster Prasident wurde Fritz Bopp (Miinchen), Vizeprasident Konrad Ruthardt, weitere Vorstandsmitglieder Werner Kleen (Munchen) und Martin Kersten (Braunschweig). Der Vorsitzende hatte dann die Freude mitzuteilen, dalj Her- mann Ebert als Dank fur seine langjahrige und aufopfernde Tatigkeit als Hauptgeschaftsfuhrer zum Ehrenmitglied vorge- schlagen worden war. Die Mitgliederversammlung bestatigte den Vorschlag rnit groBem Beifall einstimmig. Der Bericht des Schatzmeisters war sehr erfreulich. Die Ein- nahmen im Geschaftsjahr waren erheblich hoher als angesetzt, was auf Zahlungen fur Standmieten, Anzeigen und Industrie- Hermann Ebert (1896 - 1983), von 1950 bis 1963 ehrenamtlicher Haupt- spenden zuruckzufuhren war, sodaR die Bilanzsumme etwa geschaftsfuhrer des VDPG, Ehrenmitglied 1963, hat sich immer voll fur die Sache der Gesellschaft eingesetzt und sich hohe Verdienste um das 340 000 DM betrug, mit einem Bestand von etwa 125 000 DM. Publikationswesen und die Dokumentation (Physikalische Berichte) In der Mitgliederversammlung wurde noch angeregt, dal3 erworben. auch jungere Mitglieder in die Gremien der Gesellschaft aufge- nommen werden sollten, was einmutigen Beifall fand. Wahrend der Satzungsdiskussion gab es eine unvorhergese- schen 3cm-Wellen wurden die analogen elektromagnetischen hene Unterbrechung. Auf der Empore erschien eine groBere Schwinger, die rlumliche Ausbreitung von Wellen, rnit einem Menschenzahl. Der Vorsitzende wies auf die geschlossene gebundeten Strahl Ausbreitung, Beugung, Streuung und anderes Gesellschaft hin und daR die im Gange befindliche Abstimmung demonstriert. An einern Gittermodell rnit Gitterabstand drei gestort wurde. Einer der ,,Eindringlinge” teilte mit, dalj sie eine Zentimeter konnten der ,,Laue”-Versuch, an linsenformigen Gruppe Wissenschaftler aus der Sowjetunion seien, die die Korpern mit verschiedener Massenbelegung die ,,Hofstadter”- Hamburger Universitat und deren Auditorium maximum besich- Versuche vorgefuhrt werden. tigen wollten. Da erhob sich Hauptgeschaftsfuhrer Riewe und Die sehr gut besuchte Mitgliederversammlung, von der richtete auf Russisch BegriiRungsworte an die Gruppe, die vom gesagt wurde, dal3 sie in die Geschichte der Gesellschaft einge- sowjetischen Fuhrer der Gmppe in dieser Sprache erwidert wur- hen wiirde, verzeichnete als wichtigsten Tagungsordnungspunkt den. Das stimmte manchen nachdenklich, weil ein sowjetischer ,,Fragen der Verbandsorganisation: Neuordnung des Verbandes, Kollege, der zu einern Hauptvortrag eingeladen war, nicht BeschluBfassung uber die neuen Satzungen”. Dariiber ist in die- gekommen war. sem Bericht schon vie1 gesagt worden. Die Neuordnungskom- Auch das gesellige Moment war in Hamburg zu seinern mission hatte haufig getagt, die Vorstande der Einzelgesell- Recht gekornmen. Ein besonderer Hohepunkt war die Auf-

F-132 fuhrung von W. A. Mozarts Oper ,,Die Entfuhrung aus dem ersneinen in zwolf Heften jiihrlich. Tagungsberichte, Sitzungs- Serail” im neuerstandenen Opernhaus. Gelegenheit zu frohli- bechte der verschiedenen Gremien und deren Beschliisse, Ver- chem Zusammensein gab der Gesellschaftsabend auf dem bdsnachrichten, kurze Eigenreferate der auf allen Tagungen Hotelschiff Orion, das sich aus diesem AnlaR noch einmal gehltenen Vortrage vermittelten den Mitgliedern einen umfas- besonders herausgeputzt hatte: Es war sein letzter ,,Auftritt”, senen Einblick in das Verbandsleben. Seit 1964 in Physikali- denn wenige Wochen spater trat es seine letzte Fahrt zum Ver- sch Verhandlungen der DPG umbenannt, mul3ten sie Ende schrotten an. 196 aus finanziellen Griinden ihr Erscheinen einstellen. Fur den Vorstandsrat ,,neuen Rechts” war die Tagung weder am Freitag noch am Samstag zu Ende. Am Sonntag vormittag fand er sich unter dem neuen Prasidenten zu seiner konstitu- Bidnachweis ierenden Sitzung zusammen. Eine Bestandsaufnahme aufgrund der neuen Satzung gab Richtlinien fur die weitere Arbeit. S. D8, 109, 11 1, 125, 127, 128, 130, 131 : Phys. BlatterDPG- Arniv S. 10: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Ausblick S. 15: DPG Bad Honnef S. 32: PTB-Archiv Die altehrwurdige DPG war nun wiedererstanden, nach der Bedruckung jedes einzelnen durch das Dritte Reich, aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges. Die Nachkriegsperiode mit ihrer Zersplitterung hatte ein Ende gefunden. Vie1 war schon erreicht. Es war gelungen, alle Physiker in einer Gesellschaft zu vereinen, und die Moglichkeit zur Befriedigung der Wunsche aller Teilgebiete durch die FachausschuR-Gliederung zu schaf- fen. Die mogliche regionale Struktur milderte den notwendigen Zentralismus, der fur die Erfullung der vorhandenen und die Losung der Zukunftsaufgaben unerlal3lich war: die Ordnung des Zeitschriftenwesens, ein Informationsorgan fur alle Mitglieder, regelmaige Fortbildung durch Symposien und ,,Schulen”, das Zusammenwirken mit den nationalen und internationalen wis- senschaftlichen Verbanden, das Hineinwirken in Politik und Gesellschaft, die Betreuung der Mitglieder und vieles andere forderten die Pflege und den Ausbau vorhandener Bahnen und die Erschliel3ung neuer Wege. Wilhelm von Bezold schlol3 seine Rede aus AnlaR der 50- Jahr-Feier der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin mit dem Wunsch. der auch unser immenvahrender sei:

,,Junge aufstrebende Krafte haben die Gesellschaft gegriindet und ihr das Leben eingehaucht, junge aufstre- bende Krafte mussen sie erhalten und immer weiterem Gedeihen zufuhren.”

Literaturhinweis

Fur die ersten Jahre nach 1945 findet man viele Hinweise und kurze Berichte von Ernst Bruche in den ,,Physikalischen Blat- tern”. Seit 1950 hat Briiche in den Physikalischen Blattern - teilweise als Beilage zu den Physikalischen Blattern - die 1882 gegrundeten ,,Verhandlungen” in seinem Privatverlag wieder aufleben lassen. Er berichtete regelmaig uber das Geschehen in den Einzel-/ Regional-Gesellschaften und im Verband, sowie uber das physikalische Geschehen in Nachbargesellschaften. 1952 wurden von diesen allgemeinen Verhandlungen die ,,Phy- sikalischen Verhandlungen Verbandsausgabe” abgespalten, in denen nur uber den Verband VDPG und seine Glieder sowie uber die Osterreichische Physikalische Gesellschaft berichtet wird. Sie sind vom Verband allen Mitgliedern kostenlos zuge- stellt worden. Ab 1961 erhielten sie ein neues Gewand und

F-133 Guntar Feldmann / Adobe Stock / Adobe Feldmann Guntar

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