Literat 2008 50 5 Galutine.P65

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Literat 2008 50 5 Galutine.P65 ISSN 0258–0802. LITERATÛRA 2008 50(5) EINE FRAU IN DER KULTUR, DIE KULTUR EINER FRAU: CAROLINE VON HUMBOLDT Elýbieta M. Kowalska Dozentin, Institut für Germanistik, Universität Rzeszów „Karoline von Humboldt, die Mutter, ist eine weiterhin bei Caroline „das schöne, Geist und jener seltenen Frauen, auf deren Art Deutsch- Liebe blickende Auge [...], die kastanien- land unter allen mir bekannten Nationen braunen Haare [...], die Wangen [...] frisch vielleicht einzig das Recht hat, stolz zu sein. gerötet und den so ausdrucksvollen feinen Kenntnisreich in einem Grade, daß sie nur für Mund vom frohen, oft so reizend mutwilligen eine Gelehrte gehalten zu sein, wollen dürfte; Lächeln umspielt [...].“3 Friedrich Schiller einen Verstand besitzend, der die Region nennt sie „ein unvergleichliches Geschöpf“ männlichen Ernstes und männlicher Um- und „lieblichen Genius“4. fassungskraft so erreicht, daß nur liebens- Die Gattin Wilhelm von Humboldts, des würdige Weiblichkeit es uns verbirgt, wie Staatsmannes und Sprachphilosophen, Schwä- bedeutend die Eroberungen auf diesem streng gerin des Forschers Alexander von Humboldt, von den Herren der Welt bestrittenen Boden schien also von ihren Zeitgenossen als eine seien; mit einem Sinn für das Höchste und außerordentliche Persönlichkeit wahrge- Schönste in Poesie und Kunst begabt, wie ihn nommen zu werden.5 der Himmel nur seinen Lieblingen verleiht; dazu kommt eine Persönlichkeit, welche diese 3 Ebd., 7. 4 seltenen Gaben des Geistes [...] mit dem Friedrich Schiller schreibt an seine spätere Frau Charlotte über Caroline: „Mit ihrem lichtvollen Blicke gewinnendsten Ausdruck einer Herzensgüte beleuchtet sie mir meine eigene Seele. Sie ist mir ein vereinigt...“1, so beschreibt die dänische lieblicher Genius, der selbst glücklich um den Schriftstellerin Friederike Brun die Glücklichen schwebt...“ (Hettler, 2001, 40, vgl., Gustav Sichelschmidt, Caroline von Humboldt: Ein Frauenbild „Stammutter einer der edelsten Familien aus der Goethezeit, Düsseldorf: Droste, 1989, 8). Deutschlands“, wie ein Biograph sie nennt.2 5 Aus der Sammlung der Notizen Varnhagens von Die soeben zitierte Autorin bewundert Ense ergibt sich Caroline als „la charmante fille du président“, „ein liebenswürdiges, idealisches Bild schöner Weiblichkeit“. Freilich kommen noch viele 1 Gerüchte dazu, die nicht alle so freundlich sind: z. B. Hermann Hettler, Karoline von Humboldt. Ein dass eine Gräfin Goltz die Humboldts für „Parvenüs“ Lebensbild aus ihren Briefen gestaltet, München / erklärt habe; dass Caroline, früher so liebenswürdig, Berlin: Koehler & Amelang, 2001, 110-111. 2 mit dem Steigen ihres Mannes sich gegen die Leute Ebd., 7. immer mehr vornehm und stolz hielt (so Henriette 47 Und nicht viel anders von späteren Gene- aber schwankenden Jüngling“10 zu nennen. rationen. Der Biograph Hermann Hettler Ganz anders aber Caroline. Die Schicksale verkündet bei ihr die „gewinnende Liebens- des äußeren Lebens hätten sie zur „Dame der würdigkeit“, „verbunden mit anspruchsvollem großen Welt“ gemacht. „Die Freundschaft mit Wesen und feinem Taktgefühl“. „So durch- Schiller und Goethe, mit Künstlern wie Schick dringend ihr fast männlicher Verstand war, so und Rauch, die Stellung an der Seite des echt weiblich war ihr Empfinden. Ernst und Gatten, die Freuden und Leiden eines reichen Scherz, Humor und Ironie standen ihr Familienlebens, die tiefe Teilnahme an den gleichermaßen zu Gebot.“6 „Caroline von Geschicken von Staat und Volk“11, all diese Humboldt war in jeder Situation ihres Lebens Umstände hätten bewirkt, dass Caroline von mehr, als sie nach außen hin erscheinen mochte. Humboldt zu einer „wahrhaft großen Frau“ Auch in prekären Lagen erwies sie sich als eine geworden und durch „Verflochtenheit mit disziplinierte, auf jeden Fall aber noble dem wirklichen Dasein“ gekennzeichnet sei.12 Aristokratin des Herzens.“7 Bei Bio- oder eher Sie sei deshalb ein „Gegenpart“ Humboldts Hagiographen sind allerdings diese warmen gewesen.13 Worte kein Wunder, nicht überraschenderweise Halten wir die obigen Schilderungen auch wird auch nebenbei der Verstand als mehr für übermäßig schmeichelhaft, sie scheinen männliche Eigenschaft angesehen. doch den Kern der Wahrheit zu enthalten. Interessanter scheint daher die Meinung Zwar gibt es keine Bilder Carolines aus ihrer des für Humboldt oft ungerechten Autors Jugendzeit, aber all die Äußerungen weisen Siegfried August Kaehler zu sein. Er wendet darauf hin, dass sie, obwohl keine klassische Humboldt den wirklichkeitsfernen Idealismus Schönheit, doch mit viel Charme und vor ein und scheut nicht davor, ihn einen „Men- allem mit einer bezaubernden Persönlichkeit schenverächter“8, den „verwöhnten Günstling ausgestattet war, die es ihr möglich machte, des Schicksals“9, einen „faustisch gestimmten, als Frau von außerordentlicher Bildung Beziehungen zu den Größten ihrer Zeit Herz); dass aus ihr preußische Kadettenmutter aufrechtzuerhalten. geworden sei (Rahel Levin), u.a.m. („Die Varnhagen Dabei führte Caroline von Humboldt als von Ensesche Sammlung in der Königlichen Biblio- Frau eines Staatsmannes ein offenes Haus thek zu Berlin“, geordnet und verzeichnet von Ludwig Stern, Berlin: Verlag von Behrend & Co., 1911, und pflegte als Mutter von acht Kindern, die, Jagellonische Bibliothek Krakau, Handschriften- auch wenn sie meistens von Hauslehrern abteilung, vol. 91). Gustav Sichelschmidt meint: „Im unterrichtet wurden, doch nie eine andere Grunde bestand unter den maßgebenden Zeit- genossen, mit denen Caroline von Humboldt Kontakte Erzieherin als Mutter hatten, ein kultiviertes unterhielt, schon zu ihren Lebzeiten Einstimmigkeit Familienleben. Heute, wo so viele Frauen das darüber, in ihr einer der bedeutendsten Frauen, wenn sich zum Ermüden wiederholende Dilemma nicht sogar der bedeutendsten Frau der Goethezeit begegnet zu sein.“ (Sichelschmidt, 1989, 8) haben: Familie oder eigene Entwicklung, ist 6 Hettler, 2001, 29-30. 7 Sichelschmidt, 1989, 9. 8 Siegfried August Kaehler, Wilhelm von Humboldt 10 Ebd., 81. und der Staat, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11 Ebd., 99. 19632, 48. 12 Ebd., 99. 9 Ebd., 54. 13 Ebd., 116. 48 es wert, die Lebenskunst dieser Frau zu rativs erzogen und entwickelte ein außer- verfolgen, die es ihr möglich machte, beides auf ordentliches moralisches Pflichtbewusstsein, eine wundervolle Weise miteinander zu verei- das u. a. als Pflicht der Wohltätigkeit zum nigen, und das zu der Zeit, wo Weibern lediglich Vorschein kam. Dazu hatte sie ein gutes eine beschränkte Möglichkeit gegeben war, ihre Vorbild bei ihrem Vater, der sich des Rufes Zeitgeschichte zu beeinflussen. eines Wohltäters der Armen und Mäzens der Als ziemlich provozierenden Ausgangs- Gelehrten und Künstler erfreute. Als Guts- punkt können wir ihr Bekenntnis wählen, in fräulein in Burgörner übte sie karitative dem sie 1790 als junges Mädchen die Selbst- Tätigkeiten aus und wohnte im Haus ihres verwirklichung so präzisiert: „Ach, was ist das Vaters in Erfurt kulturellen Gesprächen bei. Dasein des Weibes, wenn es nicht die Freude Zu beachten war schon damals ihre künstle- eines edlen Mannes ist? Wir haben keine rische Veranlagung: Sie studierte Bücher über Existenz wie diese, und es ist die schönste, die Zeichen- und Malkunst und kopierte auch uns die Natur gegeben hatte.“14 selbst kleinere Bilder16, Französisch und Es ist hier nicht der Ort, Frau von Hum- Klavier war eine Selbstverständlichkeit. boldts ausführliche Biographie zu präsen- Die Bekanntschaft mit Wilhelm von tieren. Beabsichtigt ist es nur, die prägnan- Humboldt wurde von einem Freund vermittelt testen Momente ihres Lebens darzustellen, in und sollte zunächst die Einbeziehung Caro- denen ihre innere Bildung besonders äußer- lines in den sog. Tugendbund, einen heim- lich wird; die Bildung in der Bedeutung, die lichen Bund zur inneren Vervollkommnung17, ihr Gatte Humboldt diesem Begriff gegeben zum Zweck haben. Die Verlobung fand statt, hat: „Wenn wir […] in unserer Sprache ob aus Humboldts Initiative, darüber besteht Bildung sagen, so meinen wir damit […] die eine Meinungsverschiedenheit. Siegfried Sinnesart, die sich aus der Erkenntniß und August Kaehler vertritt die Ansicht, eine dem Gefühle des gesammten geistigen und Freundin hätte dabei vermittelt18, nach sittlichen Strebens harmonisch auf die Hermann Hettler19 habe sich Humboldt zu Empfindung und den Charakter ergießt.“15 Karoline immer mehr hingezogen gefühlt.20 Einiges muss jedoch über das Leben Hierfür führt Hettler einen Briefauszug an Carolines gesagt werden. Fräulein Caroline von Dacheröden kam 1766 in Thüringen als 16 Hettler, 2001, 47. Tochter eines Freiherrn und einer Gräfin zur 17 Tilmann Borsche, Wilhelm von Humboldt, Welt. Sie wurde nach dem Prinzip innerer München: Beck, 1990, 21-22. 18 Vervollkommnung und kategorischen Impe- Kaehler, 1963, 79. 19 Hettler, 2001, 29. 20 „Von vornherein strebt Caroline Dacheröden auf die Vereinigung mit Humboldt hin; [...] Humboldt 14 Hettler, 2001, 42. aber weicht aus“, er hülle sich in Schweigen und zwar 15 Nach der leider nicht genug bekannten Triade „bewußt und hartnäckig“. „In dieser Lage greift die Humboldts: Civilisation, Cultur und Bildung (Wilhelm welterfahrene Caroline Lengefeld ein, da sie ihre von Humboldt, Über die Verschiedenheit des men- Freundin unter der unerwiderten Liebe leiden sieht. schlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Sie bringt durch ihre Vermittlung [...] die Verlobung Entwicklung des Menschengeschlechts, hrsg. von Humboldts mit Caroline Dacheröden [...] zustande“, Donatella Di Cesare, Paderborn/ München / Wien / lautet die Ansicht
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