ISSN 0258–0802. LITERATÛRA 2008 50(5)

EINE FRAU IN DER KULTUR, DIE KULTUR EINER FRAU: CAROLINE VON HUMBOLDT

Elýbieta M. Kowalska Dozentin, Institut für Germanistik, Universität Rzeszów

„Karoline von Humboldt, die Mutter, ist eine weiterhin bei Caroline „das schöne, Geist und jener seltenen Frauen, auf deren Art Deutsch- Liebe blickende Auge [...], die kastanien- land unter allen mir bekannten Nationen braunen Haare [...], die Wangen [...] frisch vielleicht einzig das Recht hat, stolz zu sein. gerötet und den so ausdrucksvollen feinen Kenntnisreich in einem Grade, daß sie nur für Mund vom frohen, oft so reizend mutwilligen eine Gelehrte gehalten zu sein, wollen dürfte; Lächeln umspielt [...].“3 einen Verstand besitzend, der die Region nennt sie „ein unvergleichliches Geschöpf“ männlichen Ernstes und männlicher Um- und „lieblichen Genius“4. fassungskraft so erreicht, daß nur liebens- Die Gattin Wilhelm von Humboldts, des würdige Weiblichkeit es uns verbirgt, wie Staatsmannes und Sprachphilosophen, Schwä- bedeutend die Eroberungen auf diesem streng gerin des Forschers Alexander von Humboldt, von den Herren der Welt bestrittenen Boden schien also von ihren Zeitgenossen als eine seien; mit einem Sinn für das Höchste und außerordentliche Persönlichkeit wahrge- Schönste in Poesie und Kunst begabt, wie ihn nommen zu werden.5 der Himmel nur seinen Lieblingen verleiht; dazu kommt eine Persönlichkeit, welche diese 3 Ebd., 7. 4 seltenen Gaben des Geistes [...] mit dem Friedrich Schiller schreibt an seine spätere Frau Charlotte über Caroline: „Mit ihrem lichtvollen Blicke gewinnendsten Ausdruck einer Herzensgüte beleuchtet sie mir meine eigene Seele. Sie ist mir ein vereinigt...“1, so beschreibt die dänische lieblicher Genius, der selbst glücklich um den Schriftstellerin Friederike Brun die Glücklichen schwebt...“ (Hettler, 2001, 40, vgl., Gustav Sichelschmidt, Caroline von Humboldt: Ein Frauenbild „Stammutter einer der edelsten Familien aus der Goethezeit, Düsseldorf: Droste, 1989, 8). Deutschlands“, wie ein Biograph sie nennt.2 5 Aus der Sammlung der Notizen Varnhagens von Die soeben zitierte Autorin bewundert Ense ergibt sich Caroline als „la charmante fille du président“, „ein liebenswürdiges, idealisches Bild schöner Weiblichkeit“. Freilich kommen noch viele

1 Gerüchte dazu, die nicht alle so freundlich sind: z. B. Hermann Hettler, Karoline von Humboldt. Ein dass eine Gräfin Goltz die Humboldts für „Parvenüs“ Lebensbild aus ihren Briefen gestaltet, München / erklärt habe; dass Caroline, früher so liebenswürdig, : Koehler & Amelang, 2001, 110-111. 2 mit dem Steigen ihres Mannes sich gegen die Leute Ebd., 7. immer mehr vornehm und stolz hielt (so Henriette 47 Und nicht viel anders von späteren Gene- aber schwankenden Jüngling“10 zu nennen. rationen. Der Biograph Hermann Hettler Ganz anders aber Caroline. Die Schicksale verkündet bei ihr die „gewinnende Liebens- des äußeren Lebens hätten sie zur „Dame der würdigkeit“, „verbunden mit anspruchsvollem großen Welt“ gemacht. „Die Freundschaft mit Wesen und feinem Taktgefühl“. „So durch- Schiller und Goethe, mit Künstlern wie Schick dringend ihr fast männlicher Verstand war, so und Rauch, die Stellung an der Seite des echt weiblich war ihr Empfinden. Ernst und Gatten, die Freuden und Leiden eines reichen Scherz, Humor und Ironie standen ihr Familienlebens, die tiefe Teilnahme an den gleichermaßen zu Gebot.“6 „Caroline von Geschicken von Staat und Volk“11, all diese Humboldt war in jeder Situation ihres Lebens Umstände hätten bewirkt, dass Caroline von mehr, als sie nach außen hin erscheinen mochte. Humboldt zu einer „wahrhaft großen Frau“ Auch in prekären Lagen erwies sie sich als eine geworden und durch „Verflochtenheit mit disziplinierte, auf jeden Fall aber noble dem wirklichen Dasein“ gekennzeichnet sei.12 Aristokratin des Herzens.“7 Bei Bio- oder eher Sie sei deshalb ein „Gegenpart“ Humboldts Hagiographen sind allerdings diese warmen gewesen.13 Worte kein Wunder, nicht überraschenderweise Halten wir die obigen Schilderungen auch wird auch nebenbei der Verstand als mehr für übermäßig schmeichelhaft, sie scheinen männliche Eigenschaft angesehen. doch den Kern der Wahrheit zu enthalten. Interessanter scheint daher die Meinung Zwar gibt es keine Bilder Carolines aus ihrer des für Humboldt oft ungerechten Autors Jugendzeit, aber all die Äußerungen weisen Siegfried August Kaehler zu sein. Er wendet darauf hin, dass sie, obwohl keine klassische Humboldt den wirklichkeitsfernen Idealismus Schönheit, doch mit viel Charme und vor ein und scheut nicht davor, ihn einen „Men- allem mit einer bezaubernden Persönlichkeit schenverächter“8, den „verwöhnten Günstling ausgestattet war, die es ihr möglich machte, des Schicksals“9, einen „faustisch gestimmten, als Frau von außerordentlicher Bildung Beziehungen zu den Größten ihrer Zeit Herz); dass aus ihr preußische Kadettenmutter aufrechtzuerhalten. geworden sei (Rahel Levin), u.a.m. („Die Varnhagen Dabei führte Caroline von Humboldt als von Ensesche Sammlung in der Königlichen Biblio- Frau eines Staatsmannes ein offenes Haus thek zu Berlin“, geordnet und verzeichnet von Ludwig Stern, Berlin: Verlag von Behrend & Co., 1911, und pflegte als Mutter von acht Kindern, die, Jagellonische Bibliothek Krakau, Handschriften- auch wenn sie meistens von Hauslehrern abteilung, vol. 91). Gustav Sichelschmidt meint: „Im unterrichtet wurden, doch nie eine andere Grunde bestand unter den maßgebenden Zeit- genossen, mit denen Caroline von Humboldt Kontakte Erzieherin als Mutter hatten, ein kultiviertes unterhielt, schon zu ihren Lebzeiten Einstimmigkeit Familienleben. Heute, wo so viele Frauen das darüber, in ihr einer der bedeutendsten Frauen, wenn sich zum Ermüden wiederholende Dilemma nicht sogar der bedeutendsten Frau der Goethezeit begegnet zu sein.“ (Sichelschmidt, 1989, 8) haben: Familie oder eigene Entwicklung, ist 6 Hettler, 2001, 29-30. 7 Sichelschmidt, 1989, 9. 8 Siegfried August Kaehler, 10 Ebd., 81. und der Staat, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11 Ebd., 99. 19632, 48. 12 Ebd., 99. 9 Ebd., 54. 13 Ebd., 116.

48 es wert, die Lebenskunst dieser Frau zu rativs erzogen und entwickelte ein außer- verfolgen, die es ihr möglich machte, beides auf ordentliches moralisches Pflichtbewusstsein, eine wundervolle Weise miteinander zu verei- das u. a. als Pflicht der Wohltätigkeit zum nigen, und das zu der Zeit, wo Weibern lediglich Vorschein kam. Dazu hatte sie ein gutes eine beschränkte Möglichkeit gegeben war, ihre Vorbild bei ihrem Vater, der sich des Rufes Zeitgeschichte zu beeinflussen. eines Wohltäters der Armen und Mäzens der Als ziemlich provozierenden Ausgangs- Gelehrten und Künstler erfreute. Als Guts- punkt können wir ihr Bekenntnis wählen, in fräulein in Burgörner übte sie karitative dem sie 1790 als junges Mädchen die Selbst- Tätigkeiten aus und wohnte im Haus ihres verwirklichung so präzisiert: „Ach, was ist das Vaters in kulturellen Gesprächen bei. Dasein des Weibes, wenn es nicht die Freude Zu beachten war schon damals ihre künstle- eines edlen Mannes ist? Wir haben keine rische Veranlagung: Sie studierte Bücher über Existenz wie diese, und es ist die schönste, die Zeichen- und Malkunst und kopierte auch uns die Natur gegeben hatte.“14 selbst kleinere Bilder16, Französisch und Es ist hier nicht der Ort, Frau von Hum- Klavier war eine Selbstverständlichkeit. boldts ausführliche Biographie zu präsen- Die Bekanntschaft mit Wilhelm von tieren. Beabsichtigt ist es nur, die prägnan- Humboldt wurde von einem Freund vermittelt testen Momente ihres Lebens darzustellen, in und sollte zunächst die Einbeziehung Caro- denen ihre innere Bildung besonders äußer- lines in den sog. Tugendbund, einen heim- lich wird; die Bildung in der Bedeutung, die lichen Bund zur inneren Vervollkommnung17, ihr Gatte Humboldt diesem Begriff gegeben zum Zweck haben. Die Verlobung fand statt, hat: „Wenn wir […] in unserer Sprache ob aus Humboldts Initiative, darüber besteht Bildung sagen, so meinen wir damit […] die eine Meinungsverschiedenheit. Siegfried Sinnesart, die sich aus der Erkenntniß und August Kaehler vertritt die Ansicht, eine dem Gefühle des gesammten geistigen und Freundin hätte dabei vermittelt18, nach sittlichen Strebens harmonisch auf die Hermann Hettler19 habe sich Humboldt zu Empfindung und den Charakter ergießt.“15 Karoline immer mehr hingezogen gefühlt.20 Einiges muss jedoch über das Leben Hierfür führt Hettler einen Briefauszug an Carolines gesagt werden. Fräulein Caroline von Dacheröden kam 1766 in Thüringen als 16 Hettler, 2001, 47. Tochter eines Freiherrn und einer Gräfin zur 17 Tilmann Borsche, Wilhelm von Humboldt, Welt. Sie wurde nach dem Prinzip innerer München: Beck, 1990, 21-22. 18 Vervollkommnung und kategorischen Impe- Kaehler, 1963, 79. 19 Hettler, 2001, 29. 20 „Von vornherein strebt Caroline Dacheröden auf die Vereinigung mit Humboldt hin; [...] Humboldt 14 Hettler, 2001, 42. aber weicht aus“, er hülle sich in Schweigen und zwar 15 Nach der leider nicht genug bekannten Triade „bewußt und hartnäckig“. „In dieser Lage greift die Humboldts: Civilisation, Cultur und Bildung (Wilhelm welterfahrene Caroline Lengefeld ein, da sie ihre von Humboldt, Über die Verschiedenheit des men- Freundin unter der unerwiderten Liebe leiden sieht. schlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Sie bringt durch ihre Vermittlung [...] die Verlobung Entwicklung des Menschengeschlechts, hrsg. von Humboldts mit Caroline Dacheröden [...] zustande“, Donatella Di Cesare, Paderborn/ München / Wien / lautet die Ansicht des ebenso strengen Kritikers Zürich: Schöningh, 1998, 160. Humboldts wie begeisterten Befürworters seiner Frau

49 Frau von Beulwitz an, der die Gefühle Vielleicht deswegen verdient es ihre Ehe, Humboldts zu Caroline dokumentiert: „...sie deren Schicksale sich in 7 Bänden veröffent- hören, sehen, mit ihr leben würde meinen lichter Briefe24 widerspiegeln, als vorbildlich Grundsätzen mehr Festigkeit, meinem Geiste bewundert zu werden. Dabei wird jedoch nicht überhaupt höhere Gesichtspunkte, meinem übersehen, dass die Beziehung manch Krise Handeln mehr Wirksamkeit und Kraft, überwinden musste. „Das Miteinanderleben meinem Herzen mehr Ruhe geben... Sie hat von zwei außergewöhnlichen Partnern, über für mich in ihrem Wesen etwas Unbe- deren karmische Zusammengehörigkeit kaum schreibliches, etwas Namenloses. Bald reißt noch ein Wort zu verlieren ist, konnte sich es sie über mich weg, bald zieht es mich mit einfach nicht so gänzlich unproblematisch so unendlicher Liebe an sie an, daß es ist, als abspielen, wie es uns eine alles beschönigende wäre ich Eins mit ihr...“21 Aber auch Hettler Humboldt-Legende gern einreden möchte. muss letzten Endes zugestehen: „Ein Hum- Die innere und äußere Freiheit, die beide sich boldt gibt seine persönliche Freiheit nicht so zu Beginn ihres gemeinsamen Weges, darin leicht für immer auf...“22 ihrer Zeit weit vorauseilend, zugestanden, Wie dem auch sei, die Hochzeit fand 1791 mußte jede konventionelle Vorstellung einer statt. Bloß waren weder Humboldt noch seine bürgerlichen Ehe sprengen und zwangsläufig Gattin dazu geneigt, ihre persönliche Freiheit auch innere Spannungen und Zeiten wachsen- aufzugeben: sie achteten gegenseitig die der Entfremdung hervorrufen. […] Daß diese Freiheit des Anderen und genossen sie selbst23. Ehe dann doch alle Zeitproben überstand, kann und muß man am ehesten noch der S. A. Kaehler (Kaehler, 1963, 79). Der Auszug aus inneren Kultur und der zunehmenden Reife einem Brief an Frau von Beulwitz soll die Gleich- 25 gültigkeit Humboldts bestätigen. Die Verlobung habe der beiden Partner zuschreiben.“ Ähnlich stattgefunden, „da Du und Karl die Idee gefaßt habt, daß Lina mit mir glücklich sein könnte. Du mußt 24 Sie wurden von ihrer Urenkelin veröffentlicht: gesehen haben, daß nicht eigentliche Liebe Lina an Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, mich und mich an sie knüpft [...] Nie lag dieser Wunsch hrsg. von Anna von Sydow, Ernst Siegfried, Berlin: in mir wie als Wunsch für mich, aber wenn Lina mein Mittler und Sohn, 7, 1906 ff. zu sein wünscht [...] so will ich es [...] Und ich liebe ja 25 keine andere, wenigstens keine, die ich besitzen Sichelschmidt, 1989, 11-12. Sehr elegant könnte.“ (Ebd., 79) Die fragmentarische Zitierweise kommentiert dies Varnhagen: „Mit größerer Grazie Kaehlers – bei dem Umfang des gesamten Brief- war noch niemand verheiratet, völlige Freiheit gebend wechsels der betreffenden Personen allerdings nicht zu und nehmend.“ (Sichelschmidt, 1989, 12) Humboldt vermeiden – ließ ihn aber die für seine Interpretation selbst betont immer wieder, dass „einer der Hauptzüge unbequeme Pointe dieses Briefes verschweigen: „Aber in ihr Ehrfurcht für jede innere Freiheit ist“ ich sah sie als K.s Verlobte an, darum lag nie jener (Sichelschmidt, 1989, 13). „Beide überstanden auf Wunsch in mir...“ (vgl. Hettler, 2001, 35). vorbildliche Weise alle Zerreißproben des Lebens, 21 Brief vom 23.01.1789 aus Göttingen an Frau indem sie ihre Ehe zu einem Kunstwerk erhoben“, von Beulwitz, vgl. Hettler, 2001, 29. schlussfolgert mit Recht Sichelschmidt, 1989, 14. 22 Ebd., 31. Ähnlich bei Gerold Tietz (Nachwort, Caroline von 23 Ein Brief Humboldts an Frau von Wolzogen Humboldt. Ein Leben in Briefen, Frankfurt am Main: vom 9. April 1829, den Varnhagen anführt, bestätigt Ullstein, 1991, 259-271): „Man hat von Wilhelm von dies: „Die Li wäre ohne diese Freiheit nichts gewesen, Humboldt gesagt, er selbst habe sein Leben als ein sie bedurfte dieses einen Elements, um ihr auf seltne klassisches Kunstwerk gesehen und gestaltet. Um Weise großes und liebendes Gemüth in aller Fülle der wieviel mehr gilt das für Caroline und ihr Bild einer Empfindung zu entfalten, und sie ehrte mit gleicher Ehe: Stets triumphierten Vernunft und der Wille zu Zartheit auch die Freiheit an Andern.“ (Die Varn- Maß und Ordnung über Gefühle und Leidenschaften, hagen von Ensesche Sammlung, vol. 91). die sie durchaus auch kannte.“ (Tietz, 1991, 268) 50 Gerold Tietz: „Eine Ehe im ausgehenden 18. griechische Altertum, woran die Gattin Jahrhundert, eine standesgemäße zumal, „eifrig“29 teilnahm. 1792 kam die Tochter wurde auch unter ‚Tugendbündlern‘ nicht im Karoline zur Welt. Inzwischen hatte Carolines Himmel geschlossen; und es bedurfte nicht Freundin F. Schiller geheiratet, und die erst der ‚Enthüllungen‘ der sadomasochis- Humboldts zogen 1794 nach , um der tischen Neigungen Wilhelm von Humboldts, befreundeten Familie näher zu sein. Dort um dies zu erkennen. Schon die Tatsache, daß wurde 1794 der Sohn Wilhelm geboren. Die beide Eheleute jahrelang getrennt voneinan- Familien Schiller und Humboldt wohnten am der lebten, deutet zumindest auf eine gewisse, Markt einander gegenüber und trafen sich fast auch innere Unabhängigkeit hin.“26 Den jeden Tag; Schiller arbeitete gerade an der Grund für die Standhaftigkeit der Ehe trotz literarischen Zeitschrift „Horen“, wo Hum- aller Hindernisse sieht Sichelschmidt im Ernst boldt einiges publizierte, und ab und zu kam und Pflichtbewusstsein Carolines: „Diese J. W. Goethe aus Weimar und trug Teile von gelernte Preußin war keinen Augenblick „Hermann und Dorothea“ vor. An allen entschlossen, mit dem Leben zu spielen, und Gesprächen nahm natürlich Caroline aktiv ganz im Gegensatz zu anderen ungewöhn- und begeistert teil.30 lichen Frauen ihrer Zeit trug sie ihre Ehe trotz 1795 begab sich die junge Familie nach mancher Krise bis zuletzt standhaft durch.“27 Tegel, im Herbst 1796 kehrte sie nach Jena Der Ordnungssinn Carolines – so Gerold zurück, wo Anfang 1797 das dritte Kind Tietz – mochte möglicherweise auch mit- Theodor geboren wurde. Es ist bemerkenswert, gewirkt haben: „Alles im Leben sollte seinen dass Frau Humboldt mehrmals während der festgesetzten Platz behalten: Caroline von Schwangerschaft und mit kleinen Kindern die Humboldt verkehrte mit Hoheiten und Anstrengungen der Reise im Pferdewagen zu Diplomaten, mit Bildhauern, Malern und ertragen hatte. Bald begab sich die Familie Dichtern, auch mit Juden und vor allem weiter auf Reisen: Humboldt zuerst nach Tegel, Jüdinnen – und sie schied diese Sphären Frau mit drei Kleinkindern und Schwager säuberlich voneinander. […] Für ihr eigenes Alexander nach Dresden, wo Caroline nicht Leben, für ihre Ehe zumal galt ein anderes nur die Kinder betreute, sondern auch jeden Gesetz: Ordnung mußte sein, vor allem nach Tag die Gemäldegalerie besuchte. Aus Wien außen; im Innern jedoch, zwischen Wilhelm berichtet Frau Humboldt: „Hier habe ich mich von Humboldt und ihr, herrschten Freiheit nicht recht in die große Welt geworfen [...] Ich und Unabhängigkeit, Gleichrangigkeit.“28 habe mit den Kunstsachen, deren es hier einen Die beiden Gatten lebten zunächst in Burgörner, in Muße, nach dem Prinzip: bilde dich selbst und wirke auf andere durch das, 29 Hettler, 2001, 64. 30 Gustav Sichelschmidt beschreibt die Beziehung was du bist. Im Verkehr mit dem Altphilo- Goethes zu Caroline wie folgt: „Goethe […] ließ sie logen F. A. Wolf studierte Humboldt das als durchaus gleichberechtigte und immer anregende Gesprächspartnerin neben sich gelten und fühlte sich von dem wenigen, was sie als knappen schrift- 26 Tietz, 1991, 268. stellerischen Extrakt ihres dem Geiste verpflichteten 27 Sichelschmidt, 1989, 9. Lebens zu Papier brachte, ungemein bereichert und 28 Tietz, 1991, 269. beglückt.“ (Sichelschmidt, 1989, 9).

51 weit größeren Schatz gibt, als man gewöhnlich brachte. Die Strapazen der Reise habe sie, glaubt, aufs Vertrauteste gelebt...“31 betont Kaehler, „aus eigenem Forscher- Die Jahre ab 1797-1799 verbrachten die trieb“35 auf sich genommen: „Sie hatte die Humboldts in Paris. Zu Gast kamen bei ihnen Absicht, die Schätze der spanischen Galerien viele Leute der Kultur: M-me Récamier, nicht nur genießend zu sehen, sondern für sich Baron de Staël und die berühmte Schrift- und die Freunde in Deutschland zu studieren stellerin m-me de Staël, Graf Gustav von und zu beschreiben.“36 Dies hat sie auch Schlabrendorf, der Maler Gottlieb Schlick, getan. Carolines Beschreibung Raffaelscher der Bildhauer Friedrich Tieck und Wilhelm Bilder fand Goethe so vortrefflich, dass er sie von Burgsdorff. Die Person des letzteren in der Jenaischen Allgemeinen Literarischen weckt in der jungen Frau eine Leidenschaft, Zeitung 1809 veröffentlichte. die der so kritische S. A. Kaehler freilich nicht Während des zweiten Aufenthalts in Paris Caroline übel nimmt, sondern ihrem Mann, 1800-1802 entdeckte Frau Humboldt – gleich „dessen passive und egozentrische Art zu nach ihrer Niederkunft mit Adelheid – lieben war, welche Caroline v. Humboldt auf ausgestellte plastische Kunstwerke: die Venus den Abweg dieser Liason douloureuse vom Kapitol, die Amazone, den Apollo und führte“32. Die Untreue des Gatten wird zwar den Laokoon sowie das Gemälde der Ma- ähnlich mit Unbefriedigung erklärt. Für donna Raffaels. Sie veranstaltete für deutsche Humboldt gab es jedoch keine Rechtfer- Künstler eine Art Salon, wo sie Diskussionen tigung. Denn die Befriedigung der Wünsche über ästhetische Fragen anregte. Auch suchte müsste bei ihm notwendig darin bestehen, sie nach Gönnern für die befreundeten „die Herrschaft über eine weibliche Seele zu Künstler, die stets Eintritt ins Humboldtsche errichten.“33 Haus hatten, obwohl Frau Caroline ein fünftes 1799-1800 sehen wir die Familie in Spa- Kind erwartete: Gabriele, 1802. nien, teils im eigenen Wagen, teils – ohne Demnächst beobachten wir Caroline von Kinder – zu Pferd, schöne Gebirgslandschaft Humboldt als Gesandtenfrau in Rom. Sie bewundern. Wir können aber nur Kaehler beschloss dort zu empfangen. In Rom zu zustimmen, wenn er „die tapfere Frau von empfangen bedeutete jedoch nicht, essen zu Humboldt“34 preist, die während der Reise geben, es wurden lediglich Teeabende orga- schwanger war und kurz nach der Rückkehr nisiert, und wenn dazu noch wie bei Hum- ihr viertes Kind, die Tochter Adelheid zur Welt boldts Eis und Gebäck kamen, war das viel. Für Künstler, insbesondere Deutsche, machte 31 Brief an Charlotte Schiller vom 29. September dagegen Frau von Humboldt eine Ausnahme, 1797, zit. nach: Hettler, 2001, 79. sie wurden einmal die Woche zum Essen 32 Kaehler, 19632, 92. eingeladen. Darunter waren anzutreffen: der 33 Ebd., 97. Übrigens vertraut Caroline der befreundeten Rahel schon bald den Zustand ihrer dänische Bildhauer Albert Thorwaldsen, Gefühle für Burgsdorff an: „Ich liebe ihn nicht mehr. Landschaftsmaler Josef Anton Koch und Ich habe zu viel gelitten. [...] der goldne Zauber ist Johann Christian Reinhart, der Maler Fried- vorüber...“ An Rahel, 2. Februar 1799, in: Varnhagen von Ense, vol. 91. Allerdings zitiert H. Hettler den Brief ungenau, vgl. Hettler, 2001, 87-88. 35 Ebd., 176. 34 Kaehler, 19632, 176. 36 Kaehler, 19632, 176-177.

52 rich Tieck und der Historien- und Porträt- schweren Verlust waren Theodor, Karoline maler Gottlieb Schick, der Baukünstler und Adelheid ebenfalls schwer erkrankt, Schinkel u. a. Zu Teeabenden erschien genauso wie das italienische und das deutsche natürlich ein weiterer Kreis: „Herzoginnen, Mädchen, die beim Haushalt halfen und auf Fürsten, Kardinäle, die höchsten Sterne der die kleine Gabriele aufpassten. So musste Gesellschaft, geistige und künstlerische Frau von Humboldt, die tapfere, Tag und Größen bewegten sich da in zwanglosem Nacht allein die Kranken pflegen und sich um Verkehr.“37 den Haushalt kümmern, indem sie den gerade Als Schutzengel der Künstler hat Frau zahnenden Säugling Gabriele ständig bei sich Humboldt nicht nur bewirkt, dass die Künstler hatte. mindestens einmal in der Woche reichlich Mit dem immer noch kranken Theodor gegessen haben, sie hat auch für Brennholz fuhr Frau Humboldt nach Deutschland und im Winter für sie gesorgt; manchmal bezahlte dann nach Paris, wo sie 1804 die Tochter Luise sie auch ihre Schulden38 . Dies Verhalten zur Welt brachte; das kleine Mädchen müssen wir als Resultat ihrer Erziehung im verstarb, ohne dass Humboldt, der in Italien tätigen Christentum, ihrer Vorliebe zur Kunst blieb, es je gesehen hatte. Nach der Rückkehr und ihrer natürlichen Veranlagung ansehen nach Rom bekam Caroline 1806 wieder ein und achten. Obwohl sie Kunst zu schätzen Kind, die erneute Hoffnung; im Alter von zwei wusste, trug ihr Interesse daran keinen Jahren riss der Tod aber auch den kleinen schöngeistigen Charakter. Durch ihre Wohl- Gustav. „Wilhelm, Luise und Gustav sind mir tuerei trug sie übrigens dazu bei, dass Kunst- auf das schmerzlichste entrissen worden, und werke, u. a. auf ihre Bestellung, entstehen obschon mir noch vier Kinder bleiben, konnten. glauben Sie, daß ich dem Schicksal trauen Daneben genoss Frau von Humboldt kann?“40 Belohnt wurde die schmerzgebeugte selber die Kultur Roms: die Kunstsammlun- Mutter wieder 1809 mit dem Sohn Hermann. gen im vatikanischen Museum mit Werken der „Wehe dem, der den Schmerz scheut, er wird altgriechischen Kunst wie der Gipsabguss der ihn nie besiegen lernen...“ schrieb Frau Pallas Athene von Velletri, und die Werke Caroline, tapfer wie sie war, am 10.11.1808 Michelangelos sowie Raffaels in der Sixtini- an ihren Mann. schen Kapelle. „Solch hoher Kunstgenuss war Unter diesen Schicksalsschlägen und für Frau Karoline Erholung von den Sorgen Freuden vergaß Frau von Humboldt nicht die um den großen Haushalt, wozu auch der Künstler. Im Laufe der Jahre begann sie selbst Unterricht der Kinder zu rechnen war, solange als Kunstmanager und Gönner zu wirken. ein Hauslehrer fehlte.“39 Durch Carolines Vermittlung fertigte der Diese glückliche Zeit unterbrach die Maler Gottlieb Schick Illustrationen für unerwartete Krankheit und der Tod des Alexander von Humboldts Reisebeschreibung ältesten Sohnes Wilhelm. Nach diesem an. In ihrem Auftrag malte er Familienbilder: ihr Porträt mit dem Sohn Theodor, ein Porträt

37 Hettler, 2001, 121. 38 Ebd., 214. 40 2.04.1808 an Schweighäuser, in Hettler, 2001, 39 Hettler, 2001, 126-127. 189. 53 der Tochter Karoline in natürlicher Größe und das schöne Gewand. Wie göttlich diese Statue das Brustbild Frau Carolines mit Schleier. Für ist, wie sie leicht von dem Fußgestell, obgleich ihren Mann bestellte Frau von Humboldt bei sie mit beiden Füßen darauf steht, einem Schick ein Doppelporträt der Adelheid und entgegen zu schweben scheint, wie sie schön Gabriele. Bald bekam sie vom Bildhauer und im höchsten Sinne des Wortes graziös ist, Rauch eine Figur Adelheids in Ton, die sie kann ich nie genug sagen.“41 später in Marmor ausführen ließ. Die Statue Thorwaldsens42, die Frau von Nach Jahren kam Frau Humboldt mit den Humboldt so beeindruckt hatte, ließ Wilhelm heranwachsenden Töchtern nach Rom wieder von Humboldt nach ihrem Tode 1829 auf eine und verkehrte weiterhin oft mit Künstlern. Säule an Carolines Grab in Tegel setzen, und Der Maler Wilhelm Schadow malte auf ihren bis heute erhebt sich die Spes über Carolines Auftrag ein Bildnis Gabrieles. Insbesondere Ruhestätte. Aus der Hoffnung der Gra- aber bewunderte Caroline eine neue Statue natblume entkeimen auch heute noch Früch- von Thorwaldsen, die sie in Marmor bestellte: te: Die Nachkommen wissen genauso wie die „...die Hoffnung, die in der Rechten die Ahnfrau Bildung mit Natürlichkeit zu ver- Granatblume hält, still erhoffend, dass aus ihr einen, woraus der echte Adel des Geistes die Frucht entkeime. Mit der Linken hebt sie entsteht.

A WOMAN IN THE CULTURE, THE CULTURE OF A WOMAN: CAROLINE VON HUMBOLDT

Elýbieta M. Kowalska Summary

The subject of this presentation is Wilhelm von Caroline von Humboldt. She was the ancestress of Humboldt’s wife, Alexander von Humboldt’s sister- one of the most respected and best German noble in-law, a close female friend of Lotte Schiller and of families, a mother of eight children, an intellectually her sister, , held in high gifted woman, in which the German ideals of fe- regard by Goethe, admired by Schiller, the former mininity were fulfilled, who knew to lead the salons Fräulein von Dacheröden from Erfurt, the future and to talk about arts and literature.

Gauta 2008-11-05 Anschrift der Verfasserin: Priimta 2008-11-27 Instytut Filologii Germañskiej Uniwersytet Rzeszowski Aleja Rejtana 16c, 35-959 Rzeszów, Polen E-Mail: [email protected]

41 An Friederike Brun, Hettler, 2001, 286-287. 42 In einer marmornen Ausführung von Friedrich Tieck.

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