Die Brieffreundin
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Dienstag, 23. Februar 2016 · Nr. 45 Lokales Mindener Tageblatt 3 Die Brieffreundin Vor 250 Jahren wurde die Tochter des Kammerpräsidenten von Dacheröden in Minden geboren. Als Ehefrau Wilhelm von Humboldts und Freundin Schillers und Goethes lebt Caroline von Humboldt bis heute in der Literatur fort. Von Jürgen Langenkämper Minden (mt). Sie war eine bemerkens- wert eigenständige Frau, der zwischen Aufklärung, Revolution und Roman- tik die Männer abwechselnd zu Füßen lagen oder ihrem Geist Tribut zollten. Vor 250 Jahren, am 23. Februar 1766, wurde Carolina Friederica von Da- cheröden in Minden als Tochter des höchsten preußischen Beamten im Fürstentum Minden geboren. Be- kannt wurde sie durch ihre Heirat mit dem preußischen Bildungsreformer, Universitätsgründer und Diplomaten Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und durch ihre rege Korrespondenz mit den Geistesgrößen ihrer Zeit, al- len voran Schiller und Goethe. Am 2. März 1766 ließen die Eltern ihr zweites Kind – zwei Jahre zuvor war der Bruder Ernst (1764-1806) in Minden zur Welt gekommen – in St. Martini taufen. Der Vater Karl Fried- rich von Dacheröden (1732-1809) war seit 1763 Präsident der preußischen Kriegs- und Domänenkammer in Minden, zu der bis zu ihrer Auflösung 1807 auch die Grafschaft Ravensberg gehörte. Die Jahre unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg waren kei- ne leichte Zeit für das schwer belaste- te Fürstentum. Die Wirtschaft lag dar- nieder, und die Finanzlage war schwierig – offensichtlich auch für die Verwaltung. Mal wurden Akten ange- mahnt, mal Ermittlungen gegen ihn geführt. Selbst einer der zahlreichen Taufzeugen seines Sohnes, Staatsmi- nister von Hagen, urteilte, dass von Dacheröden die Verwaltung „zu Min- den in 6 Jahren noch zur Zeit leider nicht in Ordnung bringen können“. Als der Jurist 1771 in Minden abge- löst wurde und Direktor der Neumär- kischen Kammer werden sollte, zog er sich mit Schulden und samt Familie auf seine Landgüter Burgörner, Aule- ben und Thalebra im Thüringer und Erinnerung: Das Herder-Gymnasium beherbergt eine Lithografie Wilhelm Wachs, die Caroline von Humboldt zeigt. MT-Foto: Alex Lehn Mansfelder Gebiet zurück. Caroline war gerade mal fünf Jahre alt. Einen prägenden Einfluss dürfte die Stadt als eher unwahrscheinlich gelten. sitz des Danckelmannschen Hofes ge- Kind Etikette und Anstand beibrach- vierte Tochter, Louise, zur Welt, die Minden kaum hinterlassen haben. Denn erst im selben Jahr hatte der Kri- blieben sein. Doch liegen dazu wider- te, aber Zuwendung und Zärtlichkeit kurz darauf starb. Auch der zwei Jahre Immerhin war es eine Kindheit in ei- minalrat von der Beck das Haus vom sprüchliche Überlieferungen vor. Bis vermissen ließ“. Ihre überdurch- später geborene Gustav starb im Fol- ner vollständigen Familie. Denn bald Freiherrn Spiegel erworben und 1794 soll der Jurist den für Mindener schnittliche Bildung verdankte Caro- gejahr. Fünf Kinder der achtfachen darauf, 1774, als die Familie gerade gleich weiter verkauft. Wo von Da- Verhältnisse ansehnlichen Besitz an line dem jungen Hauslehrer Zacharias Mutter überlebten jedoch und lebten nach Erfurt gezogen war, starb im Al- seinen Nachfolger von Becker, den der Vater 1778 einstellte. zeitweise mit ihr vom Vater getrennt. ter von 37 Jahren die Mutter Ernesti- Breitenbauch vermietet Der wahrhaft lebensbestimmende Lieblingsstadt Carolines war Rom, ne, geborene Gräfin Hopfgarten. haben. Womöglich erwarb Einschnitt erfolgte zehn Jahre später, wo sie mehrfach zwischen 1801 und Eine Beziehung zu Minden blieb Etikette und Anstand beigebracht, aber die Familie von Borries als die nun 22-Jährige den fast andert- 1819 wohnte und wo ihr Mann preußi- gleichwohl. Denn Karl Friedrich von Zuwendung und Zärtlichkeit vermisst 1796 den Besitz. Ab 1797 halb Jahre jüngeren Wilhelm von scher Gesandter war. Dort wurde ihr Dacheröden hatte im Geburtsjahr Ca- gehörte er mit Häusern Humboldt kennenlernte. Am 24. Au- Haus zu einem gesellschaftlichen rolines den nach dem früheren Besit- und Hinterhäusern dem gust 1788 begann eine 40 Jahre wäh- Mittelpunkt und zu einem Anzie- zer benannten Danckelmannschen Geheimen Kriegs- und Do- rende Korrespondenz, die, lange nach hungspunkt für deutsche Künstler. Hof in der Kampstraße, heute Nr. 25 mänenrat Hoffbauer. beider Tod und von der Enkeltochter Nach dem Tod ihres Vaters 1809, bis 31, gekauft. Offenbar war das Ge- cheröden zuvor gewohnt hatte, ist – Nach dem Tod der Mutter nahm der Anna von Sydow heraus- bäude mit einer Hypothek belastet, auch wegen der bei ihm angemahn- Vater für seine einzige Tochter eine gegeben und „bereinigt“, denn es wurde nicht zur Schuldentil- ten fehlenden Unterlagen für den französische Erzieherin, Madame sieben Bände und rund gung herangezogen. Dass Caroline Adressenkalender – unerforscht. Dessault, ins Haus, die, wie die Biogra- 3000 Seiten füllen sollte. „Er starb 1835 in Schloss Tegel, nachdem hier geboren wurde, muss aufgrund Auch nach seinem Fortgang aus fin Dagmar von Gersdorff (siehe Kurz- Am 29. Juni 1791 heiratete er sich durch den Gang zu ihrem Grab des frühen Geburtstages im Februar Minden soll von Dacheröden im Be- Interview auf Seite 2) schreibt, „dem das Paar. Die Korrespondenz Ca- eine Erkältung zugezogen hatte“ roline von Humboldts er- schöpfte sich aber bei Wei- Caroline von Humboldt. Eine Auwahlbibliographie. tem nicht in Briefen an ih- ren Gatten. Zum Kreis der Brieffreun- dessen Alleinerbin sie durch den Tod ■ Anna von Sydow (Hrsg.) (1907- ■ Gustav Sichelschmidt (1989), de zählten die Dichterfürsten Johann ihres kinderlosen Bruders 1806 wur- 1918), Wilhelm und Caroline Caroline von Humboldt. Ein Wolfgang von Goethe (1749-1832) und de, war Caroline von Humboldt auch von Humboldt in ihren Briefen, Frauenbild aus der Goethezeit, Friedrich Schiller (1759-1805), der eine finanziell selbstständig. So war sie es, 7 Bände, Zeller. Droste Verlag. Jugendfreundin Carolines, Charlotte die Kunstwerke für das Humboldt- von Lengefeld (1766-1826), heiratete. sche Schloss Tegel erwarb. Dort lebte ■ Herbert Nette (Hrsg.) (1956), Wil- ■ Jutta von Simson (Hrsg.) (1999), Zum Kreis der Korrespondenzpartner des Paar – allen Unkenrufen zum helm und Caroline von Humboldt. Caroline von Humboldt und Chris- zählten neben vielen Frauen auch Trotz, die immer wieder eine bevor- Ein Leben in Briefen, Diederichs. tian Daniel Rauch. Ein Briefwech- zahlreiche Männer, zu denen Caroline stehende Scheidung prophezeien sel 1811-1828, Gebr. Mann Verlag. Liebesbeziehungen unterhielt – mit wollten – ab 1819 Seite an Seite bis zu ■ Ilse Foerst-Crato (Hrsg.) (1975), Duldung ihres Mannes, der seiner- ihrem Tod am 26. März 1829. Wilhelm Frauen zur Goethezeit. Ein Brief- ■ Hermann Hettler (2001), Karoline seits Freiräume für erotische Aben- starb sechs Jahre später am 8. April wechsel: Caroline von Humboldt von Humboldt. Ein Lebensbild aus teuer nutzte. 1835, „nachdem er sich durch den und Frederike Brun, Selbstverlag. ihren Briefen gestaltet, Koehler & Zeitweise lebte das unkonventio- Gang zu ihrem Grab eine Erkältung Amelang. nelle Paar, teils bedingt durch diplo- zugezogen hatte“, wie Dagmar von ■ Marianne Nordsiek (1976), Die matische Tätigkeiten Wilhelm von Gersdorff schreibt. Schulbildung der bürgerlichen ■ Beate Neubauer (2007), Elisabeth, Humboldts in preußischen Diensten, In Minden war ab Dezember 1967 Frau im 19. Jahrhundert am Jugendbildnis: Die Mindener Münz- Caroline, Gabriele und Constanze. teils aus freier Entscheidung, getrennt das frühere Lyzeum nach der gebür- Beispiel der Mindener Töchter- freunde gaben 1976 einen Ge- Die Frauen der Familie von Hum- – was wiederum die Korrespondenz tigen Mindenerin benannt. Seit 1988 schule 1826-1909. Ein Beitrag schichtstaler zum 150-jährigen Be- boldt, Ebersbach & Simon. beflügelte. So hielt sich Caroline von ist das Caroline-von-Humboldt- zum hundertfünfzigjährigen Be- stehen des Caroline-von-Humboldt- 1797 bis 1801 in Paris auf. Von dort un- Gymnasium dem Herder-Gymnasi- stehen des Caroline-von-Hum- Gymnasiums heraus. MT-Foto: Lehn ■ Hazel Rosenstrauch (2009), Wahl- ternahmen beide eine mehrmonatige um angegliedert, das auf seiner Inter- boldt-Gymnasiums, in: Mindener verwandt und ebenbürtig. Caroli- abenteuerliche Spanienreise. Die Rei- netseite an den Geburtstag erinnert. Mitteilungen 48, S. 29-64. ne und Wilhelm von Humboldt. seschilderungen und Kunstbeschrei- ■ Marianne Fleischhack (1979), Eichborn-Verlag. bungen schätzte Goethe sehr und ver- ■ http://www.herder-gymnasium- ■ Ilse Foerst-Crato (1977), Karl Frauen als Partner. Drei Lebens- öffentlichte sie auszugsweise. minden.de/wbs/index.php?opti- Friedrich von Dacheröden, in: bilder: Coretta King, Haruko Ka- ■ Dagmar von Gersdorff (2011), 1804, nach dem Tod des ältesten on=com_content&view=arti- Mindener Mitteilungen 49, gawa, Caroline von Humboldt, Ev. Caroline von Humboldt. Eine Sohnes Wilhelm (1794–1803) Italien cle&id=488:caroline-von-humboldt- S. 131-136. Verlagsanstalt. Biographie, Insel-Verlag. entfliehend, brachte Caroline in Paris vor-250-jahren-geboren&ca- in Abwesenheit des Gemahls ihre tid=88&Itemid=478.