Irm Hermann Schauspielerin Im Gespräch Mit Gabi Toepsch
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 4.12.2009, 20.15 Uhr Irm Hermann Schauspielerin im Gespräch mit Gabi Toepsch Toepsch: Herzlich willkommen zu alpha-Forum, heute ist bei uns die Schauspielerin Irm Hermann zu Gast. Frau Hermann, schön, dass Sie bei uns sind. Hermann: Guten Tag. Toepsch: Irm Hermann hat in unzähligen Kino- und Fernsehfilmen gespielt, darunter in 18 Fassbinder-Filmen. In jüngster Zeit haben wir sie auch in einem "Tatort" gesehen. Viele erinnern sich vielleicht an die Fernsehserie "Die Stein", in der sie als Sekretärin die Fäden gezogen hat. Und manche wissen auch, dass sie den Hörbuchpreis 2009 bekommen hat. Dazu noch herzlichen Glückwunsch, Frau Hermann. In diesem Hörbuch haben Sie einer schwierigen Gestalt der Zeitgeschichte Ihre Stimme geliehen. Hermann: Ja, der Emmy Göring. Toepsch: Wie haben Sie sich in diese Rolle hineingearbeitet? Hermann: Ich habe das Stück von Werner Fritsch gelesen und war mir natürlich bewusst, dass das keine leichte Sache sein wird. Man muss dabei unbedingt aufpassen, dass das nicht auf die falsche Fährte geführt wird und dann von der falschen Seite der Beifall kommt. Ich bin daher probehalber zum Werner Fritsch gegangen und habe zu ihm gesagt, dass ich ihm auf jeden Fall mal ein paar Seiten vorlesen möchte, um zu wissen, ob ich mit meiner Vorstellung von der Emmy Göring richtig liege, ob ich das Skript richtig interpretiere. Das habe ich also gemacht und nach einer halben Seite hat er bereits geschmunzelt: Es war sofort klar, dass ihm meine Interpretation sehr gut gefällt. Und so haben wir uns dann an diese Arbeit gewagt. Toepsch: Wie haben Sie das denn interpretiert? Denn das ist ja eine Frau, die sich selbst Jahrzehnte nach der Nazizeit immer noch in ihrer Fantasiewelt bewegt. Das ist doch schwierig, oder? Hermann: Ja, klar, aber das ist ja auch irgendwie eine Satire, denn diese Frau verdrängt ja nur. Es ist nicht so, dass sie nur verdrängen kann, aber sie hat halt nur verdrängt. Wichtig war eben, die Diskrepanz zwischen dem Dritten Reich samt den dazugehörigen schrecklichen Tatsachen und ihrer Welt, ihrer Erinnerung an das Dritte Reich aufzuzeigen: diese Heuchelei und diese Verlogenheit und dieses Schönreden von bestimmten Dingen. Ich habe mir jedenfalls gedacht, ja, das könnte man so machen, wie ich mir das vorstelle. Toepsch: Mussten Sie sich denn dafür noch einmal mit der Geschichte des Dritten Reichs befassen? Hermann: Nein, überhaupt nicht, gar nicht. Als ich den Text gelesen habe, wusste ich sofort, wie ich das sprechen muss. Toepsch: Ursprünglich wollten Sie gar nicht Schauspielerin werden bzw. Sie waren einfach keine Schauspielerin und hatten einen ganz anderen Beruf, als Sie in dieses Milieu gekommen sind. Hermann: Ja, ich habe mit noch nicht einmal 14 Jahren angefangen, Verlagskaufmann zu lernen, denn das hieß damals auch in meinem Fall tatsächlich noch Verlagskaufmann und nicht -kauffrau. Gelernt habe ich in München bei Thiemig, grafische Kunstanstalt und Buchdruckerei. Toepsch: Damals hat man mit 14 Jahren bereits eine Lehre angefangen? Heutzutage wäre das ja undenkbar. Hermann: Ja, so war das damals: Ich habe im August mit der Lehre begonnen und wurde erst im Oktober 14 Jahre alt. Ich bin allerdings schon mit knapp 5 Jahren in die Schule gekommen, denn mein Vater war schon ziemlich alt damals. Er war damals, als ich dann in die Lehre kam, bereits 70 Jahre alt, weswegen er der Meinung war, dass ich so schnell wie möglich eine Ausbildung machen müsse, damit mich meine Mutter nicht ernähren muss, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Toepsch: Sie mussten also so schnell wie möglich fertig sein mit der Ausbildung. Hermann: Genau. Das war ja auch noch in der Nachkriegszeit und insofern war das durchaus verständlich. An ein Studium wurde damals überhaupt nicht gedacht. Toepsch: In was für einer Familie sind Sie aufgewachsen? Hermann: Mein Vater arbeitete eben auch in einer grafischen Kunstanstalt, und zwar bei Mandruck in der Theresienstraße, wo wir auch wohnten. Er war dort Abteilungsleiter in der Montage. Das heißt, er brachte von der Arbeit dann auch immer Bögen mit diesen Kunstdruckkarten mit: z. B. Kunstdrucke von den Arbeiten von Wichmannn. Diese Bögen hat er dann am Sonntag immer ausgeschnitten und wir verwendeten diese Karten dann in der Familie als Postkarten. Meine Mutter war Friseuse und hatte einen Friseursalon, den sie dann aber nach dem dritten Kind aufgegeben hat. Toepsch: Nach Ihrer Lehre haben Sie jedoch die Branche gewechselt, wenn ich das richtig weiß. Hermann: Ich habe nach meiner Lehre noch ein Gesellenjahr gemacht, wie das damals üblich war. Anschließend ging ich für ein Jahr zur Industrie- und Handelskammer. Aber eigentlich wollte ich sowieso immer etwas anderes machen. Ich wusste aber nicht wie und was. Also ging ich nach Paris, wo ich eineinhalb Jahre lang als Au-pair-Mädchen arbeitete. Da mir das aber irgendwann auch nicht mehr genug war, ging ich nach England. Toepsch: Wie alt waren Sie damals? Hermann: Ich bin mit 19 Jahren nach Paris gegangen. Toepsch: Da hatten Sie mit 19 Jahren schon ganz schön viel hinter sich: Schule, Ausbildung, Au-pair-Mädchen. Heutzutage ist es kaum denkbar, dass man mit 19 Jahren so viel auf die Reihe bringt. Hermann: Das würde ich nicht sagen. Wenn man sich die neuen Bundesländer anschaut, dann stellt man fest, dass dort die Jugendlichen z. T. bereits mit 17 Jahren ihr Abitur machen. Toepsch: Ja, das richtig. Hermann: Meine Söhne haben allerdings auch mit 19, 20 Jahren Abitur gemacht, weil sie erst mit sieben Jahren zur Schule gekommen sind. Anschließend haben sie dann erst noch den Zivildienst absolviert. Toepsch: Ich hatte Sie unterbrochen, Sie waren also in England. Hermann: In England war ich nur ein halbes Jahr, denn dort wurde ich sehr ausgebeutet: Ich musste den ganzen Tag kochen oder putzen. Zur Schule, um besser Englisch zu lernen, war es zu weit, und die Hausherrin war auch noch eine Schweizerin, die mit mir immer nur Deutsch gesprochen hat. Das war also nichts und ich ging wieder zurück nach Paris, weil meine Mutter eben immer gemeint hat, ich solle mich erst um eine neue Stelle kümmern, anstatt nach Hause zu kommen. Ich wusste aber nicht so recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Die Tätigkeit im Büro war jedenfalls auch nicht das Meine, das wusste ich immerhin. Ich wusste also nur, dass ich was anderes machen wollte, aber ich wusste nicht, was. Toepsch: Und dann kam der Wendepunkt. Hermann: Ich kam aus Paris zurück und fing beim ADAC in München an. Denn ich musste immer sofort eine Arbeit annehmen, ich hatte da überhaupt keine Wahl. Meine Eltern hätten mir niemals erlaubt, dass ich auch nur acht Tage zu Hause geblieben wäre. Morgens um sechs Uhr hieß es da bereits: "Wann suchst du dir eine Arbeit?" Ich habe also beim ADAC angefangen und bekam dort auch gleich einen ganz tollen Posten. Ich habe dann eine Anzeige gelesen und … Nein, ich muss mich korrigieren, ich war zuerst noch drei Jahre bei der Illustrierten "Quick". Die "Quick", die es heute ja nicht mehr gibt, war damals größer als der "Stern". Habe ich noch etwas ausgelassen? Aber ich muss hier ja auch gar nicht so genau meine Biografie herunterbeten. Toepsch: Obwohl das sehr interessant ist. Hermann: Jedenfalls war es so, dass damals, als ich bei der "Quick" war, in der "Süddeutschen Zeitung" eine Anzeige erschien: "Weltberühmter Schriftsteller sucht Sekretärin". Auf diese Anzeige habe ich mich natürlich sofort beworben, das ist klar. Die Anzeige aufgegeben hatte Ivar Lissner, Autor bei "Paris Match". Er schrieb damals außerdem sehr bekannte Bücher wie z. B. "Wir sind das Abendland" und lebte z. T. in Grünwald und z. T. in Vevey am Genfer See in der Schweiz. Unter 200 Bewerbungen – die hat es damals eben auch schon gegeben, denn das war schon eine sehr hervorgehobene Anzeige gewesen – hat er dann mich ausgewählt. Ivar Lissner war damals so um die Mitte 60 und wollte unbedingt ein ganz junges Mädchen als Sekretärin haben. Man war bei ihm aber überhaupt nicht gefährdet als Frau, er wollte einfach nur junge Mädchen um sich haben. So ähnlich wie vielleicht bei Balthus, der junge Mädchen gemalt hat und von dem man auch annehmen darf, dass da nichts gewesen ist mit den Mädchen. Ich ging also zum ihm nach Vevey in die Schweiz, wo wir den Anhang und das Namens- und Sachregister zu seinem Buch "Wir sind das Abendland" gemacht haben. Es hat sich dann aber so ergeben, dass eine alte Sekretärin doch bei ihm geblieben ist, weswegen dieser Job für mich nach sechs Wochen beendet war. Aber kurz vor meiner Abreise aus Vevey kam Susanne Schimkus zu Besuch, die er von irgendwoher kannte: Irgendjemand kannte auch damals schon immer irgendjemand. Sie war ebenfalls aus München und sie habe ich in München dann wiedergetroffen. Sie meinte zu mir, ich solle doch am Abend bei ihr vorbeikommen, denn sie bekäme Besuch von einem Schauspielerkollegen, der in ihrer Wohnung aus seinem Roman vorlesen würde. Ich ging also am Abend zu ihr in die Wohnung und der Kollege war eben dieser gewisse Herr Fassbinder, der dann die ganze Nacht aus seinem völlig unbekannten Roman vorgelesen hat. Ich fand das sehr spannend und sehr interessant. Nach ein paar Wochen lud sie mich wieder ein in den Jazzkeller in München. Dort gab es nämlich einen Dramatikerwettbewerb. Rainer hatte dafür sein Stück "Eine Scheibe Brot" geschrieben, wofür er den zweiten Preis bekommen hat. Sein Freund Christoph Roser hat dieses Stück auf der Bühne vorgetragen an diesem Abend, denn der Rainer wäre dafür viel zu scheu gewesen. Seine Mutter war an diesem Abend übrigens auch mit dabei. Toepsch: War Rainer Werner Fassbinder ein schüchterner junger Mann? Hermann: Ja, Rainer war schüchtern, er war sogar sehr schüchtern. Toepsch: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.