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Sendung vom 4.12.2009, 20.15 Uhr

Irm Hermann Schauspielerin im Gespräch mit Gabi Toepsch

Toepsch: Herzlich willkommen zu alpha-Forum, heute ist bei uns die Schauspielerin Irm Hermann zu Gast. Frau Hermann, schön, dass Sie bei uns sind. Hermann: Guten Tag. Toepsch: Irm Hermann hat in unzähligen Kino- und Fernsehfilmen gespielt, darunter in 18 Fassbinder-Filmen. In jüngster Zeit haben wir sie auch in einem "Tatort" gesehen. Viele erinnern sich vielleicht an die Fernsehserie "Die Stein", in der sie als Sekretärin die Fäden gezogen hat. Und manche wissen auch, dass sie den Hörbuchpreis 2009 bekommen hat. Dazu noch herzlichen Glückwunsch, Frau Hermann. In diesem Hörbuch haben Sie einer schwierigen Gestalt der Zeitgeschichte Ihre Stimme geliehen. Hermann: Ja, der Emmy Göring. Toepsch: Wie haben Sie sich in diese Rolle hineingearbeitet? Hermann: Ich habe das Stück von Werner Fritsch gelesen und war mir natürlich bewusst, dass das keine leichte Sache sein wird. Man muss dabei unbedingt aufpassen, dass das nicht auf die falsche Fährte geführt wird und dann von der falschen Seite der Beifall kommt. Ich bin daher probehalber zum Werner Fritsch gegangen und habe zu ihm gesagt, dass ich ihm auf jeden Fall mal ein paar Seiten vorlesen möchte, um zu wissen, ob ich mit meiner Vorstellung von der Emmy Göring richtig liege, ob ich das Skript richtig interpretiere. Das habe ich also gemacht und nach einer halben Seite hat er bereits geschmunzelt: Es war sofort klar, dass ihm meine Interpretation sehr gut gefällt. Und so haben wir uns dann an diese Arbeit gewagt. Toepsch: Wie haben Sie das denn interpretiert? Denn das ist ja eine Frau, die sich selbst Jahrzehnte nach der Nazizeit immer noch in ihrer Fantasiewelt bewegt. Das ist doch schwierig, oder? Hermann: Ja, klar, aber das ist ja auch irgendwie eine Satire, denn diese Frau verdrängt ja nur. Es ist nicht so, dass sie nur verdrängen kann, aber sie hat halt nur verdrängt. Wichtig war eben, die Diskrepanz zwischen dem Dritten Reich samt den dazugehörigen schrecklichen Tatsachen und ihrer Welt, ihrer Erinnerung an das Dritte Reich aufzuzeigen: diese Heuchelei und diese Verlogenheit und dieses Schönreden von bestimmten Dingen. Ich habe mir jedenfalls gedacht, ja, das könnte man so machen, wie ich mir das vorstelle. Toepsch: Mussten Sie sich denn dafür noch einmal mit der Geschichte des Dritten Reichs befassen? Hermann: Nein, überhaupt nicht, gar nicht. Als ich den Text gelesen habe, wusste ich sofort, wie ich das sprechen muss. Toepsch: Ursprünglich wollten Sie gar nicht Schauspielerin werden bzw. Sie waren einfach keine Schauspielerin und hatten einen ganz anderen Beruf, als Sie in dieses Milieu gekommen sind. Hermann: Ja, ich habe mit noch nicht einmal 14 Jahren angefangen, Verlagskaufmann zu lernen, denn das hieß damals auch in meinem Fall tatsächlich noch Verlagskaufmann und nicht -kauffrau. Gelernt habe ich in München bei Thiemig, grafische Kunstanstalt und Buchdruckerei. Toepsch: Damals hat man mit 14 Jahren bereits eine Lehre angefangen? Heutzutage wäre das ja undenkbar. Hermann: Ja, so war das damals: Ich habe im August mit der Lehre begonnen und wurde erst im Oktober 14 Jahre alt. Ich bin allerdings schon mit knapp 5 Jahren in die Schule gekommen, denn mein Vater war schon ziemlich alt damals. Er war damals, als ich dann in die Lehre kam, bereits 70 Jahre alt, weswegen er der Meinung war, dass ich so schnell wie möglich eine Ausbildung machen müsse, damit mich meine Mutter nicht ernähren muss, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Toepsch: Sie mussten also so schnell wie möglich fertig sein mit der Ausbildung. Hermann: Genau. Das war ja auch noch in der Nachkriegszeit und insofern war das durchaus verständlich. An ein Studium wurde damals überhaupt nicht gedacht. Toepsch: In was für einer Familie sind Sie aufgewachsen? Hermann: Mein Vater arbeitete eben auch in einer grafischen Kunstanstalt, und zwar bei Mandruck in der Theresienstraße, wo wir auch wohnten. Er war dort Abteilungsleiter in der Montage. Das heißt, er brachte von der Arbeit dann auch immer Bögen mit diesen Kunstdruckkarten mit: z. B. Kunstdrucke von den Arbeiten von Wichmannn. Diese Bögen hat er dann am Sonntag immer ausgeschnitten und wir verwendeten diese Karten dann in der Familie als Postkarten. Meine Mutter war Friseuse und hatte einen Friseursalon, den sie dann aber nach dem dritten Kind aufgegeben hat. Toepsch: Nach Ihrer Lehre haben Sie jedoch die Branche gewechselt, wenn ich das richtig weiß. Hermann: Ich habe nach meiner Lehre noch ein Gesellenjahr gemacht, wie das damals üblich war. Anschließend ging ich für ein Jahr zur Industrie- und Handelskammer. Aber eigentlich wollte ich sowieso immer etwas anderes machen. Ich wusste aber nicht wie und was. Also ging ich nach Paris, wo ich eineinhalb Jahre lang als Au-pair-Mädchen arbeitete. Da mir das aber irgendwann auch nicht mehr genug war, ging ich nach England. Toepsch: Wie alt waren Sie damals? Hermann: Ich bin mit 19 Jahren nach Paris gegangen. Toepsch: Da hatten Sie mit 19 Jahren schon ganz schön viel hinter sich: Schule, Ausbildung, Au-pair-Mädchen. Heutzutage ist es kaum denkbar, dass man mit 19 Jahren so viel auf die Reihe bringt. Hermann: Das würde ich nicht sagen. Wenn man sich die neuen Bundesländer anschaut, dann stellt man fest, dass dort die Jugendlichen z. T. bereits mit 17 Jahren ihr Abitur machen. Toepsch: Ja, das richtig. Hermann: Meine Söhne haben allerdings auch mit 19, 20 Jahren Abitur gemacht, weil sie erst mit sieben Jahren zur Schule gekommen sind. Anschließend haben sie dann erst noch den Zivildienst absolviert. Toepsch: Ich hatte Sie unterbrochen, Sie waren also in England. Hermann: In England war ich nur ein halbes Jahr, denn dort wurde ich sehr ausgebeutet: Ich musste den ganzen Tag kochen oder putzen. Zur Schule, um besser Englisch zu lernen, war es zu weit, und die Hausherrin war auch noch eine Schweizerin, die mit mir immer nur Deutsch gesprochen hat. Das war also nichts und ich ging wieder zurück nach Paris, weil meine Mutter eben immer gemeint hat, ich solle mich erst um eine neue Stelle kümmern, anstatt nach Hause zu kommen. Ich wusste aber nicht so recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Die Tätigkeit im Büro war jedenfalls auch nicht das Meine, das wusste ich immerhin. Ich wusste also nur, dass ich was anderes machen wollte, aber ich wusste nicht, was. Toepsch: Und dann kam der Wendepunkt. Hermann: Ich kam aus Paris zurück und fing beim ADAC in München an. Denn ich musste immer sofort eine Arbeit annehmen, ich hatte da überhaupt keine Wahl. Meine Eltern hätten mir niemals erlaubt, dass ich auch nur acht Tage zu Hause geblieben wäre. Morgens um sechs Uhr hieß es da bereits: "Wann suchst du dir eine Arbeit?" Ich habe also beim ADAC angefangen und bekam dort auch gleich einen ganz tollen Posten. Ich habe dann eine Anzeige gelesen und … Nein, ich muss mich korrigieren, ich war zuerst noch drei Jahre bei der Illustrierten "Quick". Die "Quick", die es heute ja nicht mehr gibt, war damals größer als der "Stern". Habe ich noch etwas ausgelassen? Aber ich muss hier ja auch gar nicht so genau meine Biografie herunterbeten. Toepsch: Obwohl das sehr interessant ist. Hermann: Jedenfalls war es so, dass damals, als ich bei der "Quick" war, in der "Süddeutschen Zeitung" eine Anzeige erschien: "Weltberühmter Schriftsteller sucht Sekretärin". Auf diese Anzeige habe ich mich natürlich sofort beworben, das ist klar. Die Anzeige aufgegeben hatte Ivar Lissner, Autor bei "Paris Match". Er schrieb damals außerdem sehr bekannte Bücher wie z. B. "Wir sind das Abendland" und lebte z. T. in Grünwald und z. T. in Vevey am Genfer See in der Schweiz. Unter 200 Bewerbungen – die hat es damals eben auch schon gegeben, denn das war schon eine sehr hervorgehobene Anzeige gewesen – hat er dann mich ausgewählt. Ivar Lissner war damals so um die Mitte 60 und wollte unbedingt ein ganz junges Mädchen als Sekretärin haben. Man war bei ihm aber überhaupt nicht gefährdet als Frau, er wollte einfach nur junge Mädchen um sich haben. So ähnlich wie vielleicht bei Balthus, der junge Mädchen gemalt hat und von dem man auch annehmen darf, dass da nichts gewesen ist mit den Mädchen. Ich ging also zum ihm nach Vevey in die Schweiz, wo wir den Anhang und das Namens- und Sachregister zu seinem Buch "Wir sind das Abendland" gemacht haben. Es hat sich dann aber so ergeben, dass eine alte Sekretärin doch bei ihm geblieben ist, weswegen dieser Job für mich nach sechs Wochen beendet war. Aber kurz vor meiner Abreise aus Vevey kam Susanne Schimkus zu Besuch, die er von irgendwoher kannte: Irgendjemand kannte auch damals schon immer irgendjemand. Sie war ebenfalls aus München und sie habe ich in München dann wiedergetroffen. Sie meinte zu mir, ich solle doch am Abend bei ihr vorbeikommen, denn sie bekäme Besuch von einem Schauspielerkollegen, der in ihrer Wohnung aus seinem Roman vorlesen würde. Ich ging also am Abend zu ihr in die Wohnung und der Kollege war eben dieser gewisse Herr Fassbinder, der dann die ganze Nacht aus seinem völlig unbekannten Roman vorgelesen hat. Ich fand das sehr spannend und sehr interessant. Nach ein paar Wochen lud sie mich wieder ein in den Jazzkeller in München. Dort gab es nämlich einen Dramatikerwettbewerb. Rainer hatte dafür sein Stück "Eine Scheibe Brot" geschrieben, wofür er den zweiten Preis bekommen hat. Sein Freund Christoph Roser hat dieses Stück auf der Bühne vorgetragen an diesem Abend, denn der Rainer wäre dafür viel zu scheu gewesen. Seine Mutter war an diesem Abend übrigens auch mit dabei. Toepsch: War ein schüchterner junger Mann? Hermann: Ja, Rainer war schüchtern, er war sogar sehr schüchtern. Toepsch: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Hermann: Er war ganz schüchtern und trank auch keinen Alkohol. Nur geraucht hat er damals schon viel. Er war sehr, sehr charmant, total zurückhaltend und hat immer nur mit seinen großen braunen Augen geguckt. Tja, ich war jedenfalls hin und weg. Toepsch: Sie sind heute noch hin und weg, oder? Hermann: Ja, aber heute selbstverständlich mit Einschränkungen, das ist klar. Toepsch: Wie sind Sie sich dann nähergekommen? Hermann: Kurze Zeit darauf rief mich Christoph Roser an und sagte: "Der Rainer will einen Kurzfilm drehen. Willst du nicht mitspielen?" Ich habe aber gesagt: "Ich kann nicht, ich muss arbeiten. Und ich weiß doch überhaupt nicht, wie das geht." Aber es war die Kamera bereits aufgebaut, der Kameramann Michael Fengler hatte auch schon das Licht und den Ton eingerichtet. Also habe ich diese eine kurze Szene gespielt in seinem Film "Stadtstreicher", dem ersten Kurzfilm von Rainer. Sein Freund war der Hauptdarsteller in diesem an sich stummen Film: Ich war die einzige Sprache in diesem Film. Wie gesagt, ich habe das dann nach Büroschluss gespielt. Und dabei habe ich, um es mit Marieluise Fleißer zu sagen, ein Feuer gefangen. Toepsch: Wie sind Sie sich denn da vorgekommen, als Sie auf einmal Schauspielerin waren? Hermann: Nun ja, ich habe mich immer als Laiin verstanden und nie als Schauspielerin, die ganzen Jahre über nicht. Ich habe mich auch immer gesträubt, wenn ich vor der Kamera etwas machen sollte. Ich bin sogar immer davongelaufen beim Drehen, weil ich so eine panische Angst hatte. Aber der Rainer hat das verstanden und mich dann immer wieder eingefangen, weil er mir hinterhergelaufen ist. Toepsch: War das generell die Angst vorm Schauspielern oder war das die Angst vor den Rollen? Denn Sie haben ja immer ganz bestimmte Rollen bekommen. Hermann: Diese Rollen habe ich mir ja nicht ausgesucht. Das konnte ich damals nicht, denn die hat Rainer immer für mich geschrieben, weswegen klar war, dass ich da immer mit dabei bin. In erster Linie waren das ja ohnehin keine großen Rollen, denn die hätte ich eh nicht tragen können, weil mir ja auch gar nicht wie den anderen dieses ganze Material zur Verfügung stand, die schon Klassiker studiert und gespielt hatten, die Sprechtechnik gelernt hatten usw. Das hatte ich alles ja nicht und insofern war ich natürlich immer äußerst verunsichert. Toepsch: Das waren zwar Nebenrollen, aber doch immer bestimmte Rollen: Eigentlich spielten Sie immer diese bürgerliche, etwas frustrierte Frau. Hermann: Das kann man so gar nicht sagen. Im ersten Film von Fassbinder "Liebe ist kälter als der Tod" habe ich eine Sonnenbrillenverkäuferin gespielt, die Uli Lommel, Hanna Schygulla und er nach allen Regeln der Kunst beklauen. Ich stehe da an einem Brillenverkaufsstand und jeder von den Dreien sagt, er möchte unbedingt diese und jene Brille probieren. Und währenddessen packen die anderen beiden hinter meinem Rücken jede Menge Sonnenbrillen ein oder setzen sie auf. Das hatte schon auch mit Komik zu tun. Ich glaube, ich war immer schon ein bisschen eine Komikerin – unfreiwillig. Toepsch: Und Sie waren eigentlich lange Zeit unfreiwillig Schauspielerin. Hermann: Auch das. Und ich habe mich auch immer verteidigt diesbezüglich und gesagt: "Ich muss das ja nicht können! Ich bin ja keine Schauspielerin!" Toepsch: Trotzdem waren Sie aber in dieser ganzen Truppe mit drin. Hermann: Ja, klar, das war unsere Familie. Toepsch: Wen hat diese Familie umfasst? Denn so eine ganz normale Familie war das ja nicht. Hermann: Die Familie rekrutierte sich aus dem Action-Theater, auf das wir dann gestoßen sind, bis das dann irgendwann zusammengeschlagen wurde von Horst Söhnlein. Er und die Ursula Strätz, die damals mit zusammen war, hatten das Action-Theater gegründet. Das war unsere Familie, zu der auch Kurt Raab gehörten, Hanna Schygulla, Marite Greiselis usw. Toepsch: In dieser Familie haben Sie dann aber ein ganz anderes Leben geführt als in Ihrer früheren Familie bzw. in Ihrer eigentlichen Familie. Hermann: Ja, Gott sei Dank. Toepsch: Was war das für ein Leben? Wie hat das ausgesehen? Denn selbst in der Retrospektive sieht dieses damalige Leben von außen betrachtet immer noch sehr, sehr wild aus. Hermann: Ja, für mich war das auch wild, das war schon ganz anders, das war schon ein wenig anarchisch. Toepsch: Was war daran besonders anarchisch? Hermann: Nun, es gab keine geregelten Zeiten, man frühstückte, wann man wollte und ging dafür auch oft in ein Café und diskutierte dort über Politik. Das war einfach so in den 60er Jahren: Der Gesprächsstoff war immer politisch, war immer hoch brisant. Es ging immer darum, was man sich alles ausdenken kann, um gegen diese Regierung, um gegen die Konventionen angehen zu können. Der Rainer hat damals wirklich alle 14 Tage ein neues Stück geschrieben. Toepsch: Sie haben vorhin gesagt, er sei ein schüchterner junger Mann gewesen. Wann hat er sich verändert? Oder war er bei der Arbeit anders? Wie hat er sich zu dem entwickelt, was man so in Erinnerung hat von ihm? Hermann: Es hat ihm dabei schon auch die Gruppe geholfen, denn er brauchte einfach immer vertraute Leute um sich, Leute, auf die er sich verlassen konnte. Das war selbstverständlich ein Geben und Nehmen: Die Leute liebten ihn und er liebte sie auch. Er brauchte sie auch, denn diese Gruppe war selbstverständlich auch seine Familie. Ansonsten hatte er nämlich, im Gegensatz zu mir, keine andere. Meine Familie war sehr kleinbürgerlich gewesen, während er ja doch mehr oder weniger wild aufgewachsen ist. Toepsch: Was hat denn Ihre Familie zu Ihrem Leben gesagt? Oder wusste die gar nichts davon? Hermann: Die haben das sporadisch schon mitgekriegt und fanden das natürlich ganz furchtbar. Meine Mutter hat rundweg zu mir gesagt: "Also, du kannst doch gar keine Schauspielerin sein! Dafür musst du doch mindestens ausschauen wie Uschi Glas!" Wenn man also nicht ausschaute wie Uschi Glas, dann konnte man nicht Schauspielerin sein, ihrer Meinung nach. Wie man weiß, war Uschi Glas aber auch keine Schauspielerin – aber das macht ja nichts. Toepsch: Rainer Werner Fassbinder kommt ja in der Retrospektive rüber wie ein Tyrann, obwohl Sie gesagt haben, dass er eigentlich sehr schüchtern gewesen ist. Wie kam es, dass er sich dann so anders entwickelt hat? Hermann: Das hat sich dann im Umfeld von Action-Theater bzw. Antitheater gebessert: Er hat sich so langsam etabliert und konnte dort dann seine Unsicherheit ein bisschen ablegen. Er war einfach geschützt in diesem Kreis. Und er hatte einfach immer Ideen, wie und was zu tun sei: Er sprühte immer vor Ideen und war regelrecht vollgepackt mit Ideen! Als er dann anfing, seinen ersten Spielfilm zu machen, nämlich "Liebe ist kälter als der Tod" kamen zum ersten Mal Uli Lommel und Katrin Schaake mit in diesen Kreis dazu. Die waren fremd, die waren praktisch betriebsfremd. Das war ein Einbruch, durch den aber auch eine Öffnung geschah. Für viele war das aber sehr schmerzhaft, weil es plötzlich um etwas anderes ging als um eine politische Idee: Es ging von da an schon auch ein bisschen um Karriere und um mehr Öffentlichkeit. Toepsch: Wie haben Sie das damals denn finanziell geschafft, wenn solche Filme gemacht wurden? So, wie sich das anhört, war das Leben in dieser Familie eher Boheme als bürgerlich. Hermann: Das war es allerdings. Wir haben von der Hand in den Mund gelebt. Toepsch: Und sie alle mit ihm? Oder hatten z. B. Sie noch Ihren bürgerlichen Beruf nebenher? Hermann: Nein, nein, ich musste dann aufhören. Ich sollte nämlich eine Agentur für Schauspieler gründen. Ich bin damit auch wirklich durch Deutschland gereist und habe alle Fernsehanstalten und Besetzungschefs besucht und abgegrast, und zwar im Hochsommer, wo sie freilich alle in Urlaub waren. Toepsch: Sie haben quasi die Filme dann verkauft? Hermann: Nein, die Schauspieler: Hanna Schygulla, Susanne Schimkus, Fassbinder selbst. Auch Jochen Busse wollte damals in diese Agentur, denn ich kann mich noch erinnern, wie er damals in der Ainmillerstraße zu Besuch war. Toepsch: Wenn man so zurückblickt, dann war das eine Agentur mit hochkarätigen Schauspielern. Hermann: Ja, aber als ich damals die Fotos vorlegte, hieße es nur: "Ich kann Ihnen nur eines sagen, mit dieser Landpomeranze da, dieser – wie heißt sie? – Hanna Schygulla, machen Sie keinen Stich!" Das war so die allgemeine Meinung über die Leute, die ich vertreten habe – und die dann alle weltberühmt wurden. Toepsch: Das heißt, sie sind damals niemanden sozusagen "losgeworden". Hermann: Niemanden. Nur am Ende bei Willy Schlenter in der Bavaria in München hat es geklappt: Er hat den Fassbinder engagiert für eine Staudammserie, die damals gedreht wurde. Rainer fuhr allerdings vor den Dreharbeiten nach Griechenland und kam dann nicht, weil er dort irgendwie festgehalten wurde. Das Team hat dann vom Bodensee aus angerufen und nachgefragt, wo denn Herr Fassbinder bliebe. Ich habe nur geantwortet: "Das würde ich auch gerne wissen!" Denn ich hatte ihm ja bereits eine Bundhose gekauft, die er für diese Dreharbeiten brauchte, und rote Wadlstrümpfe und Haferlschuhe. All das hatten wir vorher extra gekauft und das lag nun alles bei mir zu Hause in Erwartung dieses Drehs. Toepsch: Kam das dann noch zustande? Hermann: Nein, er wurde selbstverständlich sofort umbesetzt. Er hatte eine durchgehende Rolle und war bei Drehbeginn nicht da und auch nicht zu erreichen: Da wurde sofort jemand anderer für ihn engagiert. Toepsch: Es ging dann chaotisch weiter. Das war ja auch eine Zeit der Drogen. Hermann: Die Drogen kamen erst sehr, sehr viel später. Wir gingen zuerst einmal nach Bremen, weil Rainer dort etwas inszeniert hat. Toepsch: Da gingen Sie immer alle miteinander hin, da waren Sie immer als Clan unterwegs? Hermann: Teils, teils. Ich selbst war immer dabei. In Bremen war die Hanna nicht mit dabei. Peer Raben war am Anfang auch immer mit dabei. Peer Raben war ohnehin seine graue Eminenz: Er war einfach sein festes "Standbein", denn Peer Raben hat ihm immer die Musik komponiert und ihn auch immer beraten in Bezug auf irgendwelche Ideen und Konzeptionen. Toepsch: Wenn Sie sagen, dass Sie immer mit dabei gewesen sind: Was war denn die Faszination, die Magie dieses Regisseurs? Hermann: Mich hat mehr der Mensch Rainer Werner Fassbinder interessiert oder der Junge mit Namen Fassbinder. Ich sage absichtlich nicht "Mann", sondern "Junge", weil er für mich immer ein lieber böser Junge war. Toepsch: Wie soll man das verstehen? Hermann: Sie wissen doch selbst, wie Kinder sind: Die können ganz lieb sein und dann können sie aber auch gegen die Mama boxen und schreien: "Du bist böse, du bist böse!". Toepsch: Kann man sagen, dass das eine Hassliebe gewesen ist? Hermann: Nein, nein, das ist ein völlig falscher Begriff. Hassliebe hatte ich zu ihm nie. Ich hatte mich einfach total verliebt ihn damals: Ja, ich habe ihn eben geliebt. Toepsch: Es hat Sie nicht gestört, dass er auch homosexuell war? Hermann: Er war auf jeden Fall bisexuell, weil ich sonst nicht so lange mit ihm zusammen gewesen wäre. Toepsch: Klar, o.k. Hermann: Natürlich hat mich das in gewisser Weise immer wieder irritiert. Dieses Bisexuelle hat mich schon immer irgendwie gestört. Toepsch: Aber das war eben die Zeit, in der so etwas einfach akzeptiert worden ist, auch von Ihnen. Hermann: Ja, weil das andere ja auch spießig gewesen wäre. Und man wollte nicht spießig sein. Außerdem habe ich in gewisser Weise auch immer gehofft, dass sich das vielleicht doch mal ändert. Toepsch: Haben Sie das tatsächlich gehofft? Hermann: Ja, so naiv war ich tatsächlich. Toepsch: Wie lange denn? Ihre Beziehung ging ja über einige Jahre. Hermann: Ich war schon so sieben Jahren mit ihm verbandelt … Toepsch: Das verflixte siebte Jahr. Hermann: Nein, es ging einfach auseinander mit uns beiden, als er anfing, Drogen zu nehmen. Mit den Drogen war das einfach nicht mehr lustig: Er war dann nicht mehr erreichbar für mich. Toepsch: Sie haben sich da völlig rausgehalten? Hermann: Ich vertrage das nicht! Ich kann bei so etwas gar nicht mitmachen, weil ich das nicht vertrage. Toepsch: Es ist die Frage, ob das überhaupt jemand verträgt. Hermann: Ich hätte das jedenfalls gar nicht annehmen können, das ging nicht. Toepsch: Sie haben aber trotzdem weiter gespielt, denn Sie haben in 18 Filmen bei ihm mitgespielt. Für Ihre erste Hauptrolle haben Sie dann auch gleich einen Preis bekommen. Hermann: Ja, das war für den "Händler der vier Jahreszeiten". Toepsch: Ab wann waren Sie denn selbst überzeugt, dass Sie tatsächlich schauspielern können? Hermann: Beim zweiten Bundesfilmpreis zehn Jahre später, bei dem Film "Fünf letzte Tage" von . Das ist ein Kammerspiel über die "Weiße Rose" mit Lena Stolze als . Aber so genau kann ich das gar nicht sagen, denn ich hatte auch davor schon ab und zu das Gefühl, dass ich das jetzt doch schon ein bisschen kann. Toepsch: Preisgekrönt und ein "bisschen können", ist sehr bescheiden. Hermann: Ja, aber so ist das. Toepsch: Haben Sie diese Selbstzweifel heute noch? Hermann: Ja, doch, immer wieder. Es gibt Aufgaben, bei denen ich weiß, dass andere das bravourös schaffen würden und die immer noch nicht mein Bier sind. Toepsch: Sie haben sich schließlich getrennt von Fassbinder und haben dann nicht nur mit Percy Adlon, sondern auch noch mit vielen anderen Regisseuren gearbeitet. Wie kam es denn zu der Trennung von Fassbinder, wie haben Sie das geschafft? Hermann: Er hat mir im Grunde genommen meinen neuen Mann zugeführt. Wir waren 1974/75 im Theater am Turm in Frankfurt. Da musste ich natürlich auch mit dabei sein, das ist klar, aber auch Gottfried John war mit dabei, Margit Carstensen, Karlheinz Böhm, Brigitte Mira usw. Das muss man sich mal vorstellen: Wir waren 25 Leute! Er wurde – weil das dort zu der Zeit genauso wie am Schauspiel Frankfurt mit Palitzsch, Neuenfels usw. ein Mitbestimmungsmodell war – dann gezwungen, ein Kindertheater zu engagieren. Dafür hat er aus Berlin "Hoffmanns Comic Teater" engagiert, also den Peter Möbius und den Dietmar Roberg. Und der Dietmar Roberg ist dann mein Mann geworden. Wir haben dort im ersten Stück zusammen gespielt, in dem Stück "Germinal": Er war in diesem Bergarbeiterdrama mein Liebhaber und Peter Möbius mein Ehemann. Wenn der eine auf Schicht ging, kam der Liebhaber und umgekehrt. In diesem Jahr sind wir uns näher gekommen, der Dietmar und ich. Er ist bis heute mein Mann, wir haben zwei Söhne und ich bin sehr glücklich und dankbar darüber. Toepsch: Sie sind dann quasi aus diesem wilden Leben wieder zurück in eine relativ bürgerliche Familie. Denn von da an haben Sie Familienzeit gemacht. Hermann: Die Sehnsucht nach einem Mann, auf den ich mich verlassen kann, und letztlich auch nach Zweisamkeit und Familie war sicherlich in mir drin gewesen. Aber diese Sehnsucht habe ich in der Zeit, in der ich mit dem Rainer zusammen war, total verdrängt. Toepsch: Sie haben dann Rainer Werner Fassbinder nur noch von der Ferne betrachtet? Hermann: So lange ging das dann gar nicht mehr. Wir haben 1976 – ich glaube, es war 1976 – im Schauspiel Hamburg "Frauen in New York" gemacht. An sich hatte er mich für dieses Stück nicht engagiert. Aber eine Schauspielerin in Hamburg hat sich nach drei Wochen auf einmal geweigert, diese Rolle zu spielen, weil sie meinte, dass das Stück frauenfeindlich sei, weswegen sie nicht mehr mitmache. Toepsch: Aber er war doch ein Macho, oder? Das muss ich jetzt schon noch mal fragen. Hermann: Er hat Frauen geliebt auf der Bühne! Das war ganz toll. Toepsch: Auf der Bühne? Hermann: Ja, natürlich. Er liebte Frauen und er hat sie auch ganz toll präsentiert. Sie mussten immer ganz toll sein. Barbara Sukowa, Gisela Uhlen, Margit Carstensen waren also alle bereits mit dabei in Hamburg in diesem Stück. Ich kam hinzu und bin eingesprungen in diese Inszenierung "Frauen in New York", die ein riesengroßer Erfolg wurde. Ich glaube, Zadek hatte damals die Intendanz inne in Hamburg in der Zeit. Im Herbst 1976 bin ich dann schwanger geworden, weil 1977 mein erster Sohn zur Welt kam. Toepsch: Es ging dann auch relativ schnell abwärts mit Fassbinder von da an. Hermann: Ja, das stimmt. Als ich ein Kind bekam, bedeutete das die endgültige Trennung für ihn. Von da an hat er mich nicht mehr besetzt – außer in "Lili Marleen" für einen Auftritt als Krankenschwester. Toepsch: Haben Sie denn sein Ende irgendwie kommen sehen? Denn Fassbinder war ja ein Mensch, der quasi an beiden Enden brannte. Sie haben ja schon gesagt, dass er immerzu Ideen produzierte usw. Haben Sie sich vorgestellt, dass es eines Tages mit ihm zu Ende gehen würde? Hermann: Das hat jeder gedacht, wirklich jeder, der mit dabei war. Aber es gab keine Möglichkeit, ihn davon abzuhalten. Gewarnt wurde er von allen Seiten immer wieder, aber er war dafür einfach nicht empfänglich. Toepsch: Sie haben dann eine Auszeit genommen und sind nach Indien gegangen. Hermann: Das stimmt, das muss irgendwie 1975 oder 1976 gewesen sein, als ich vier Monate nach Indien ging. Toepsch: Das war irgendwie so der Trend damals. Hermann: Ich bin nicht auf der Suche nach einem Guru dort gewesen. Ich hatte damals einfach nur in München mit der Kostümbildnerin Ellen Eckelmann zusammengewohnt: Deren Mann und deren Kind waren in Auroville, also in der Stadt des Zukunftsmenschen. Toepsch: Genau, die es heute auch noch gibt. Hermann: Ich bin mit ihr zusammen dorthin gefahren und wollte eigentlich nur zwei Wochen lang bleiben, aber ich blieb dann doch viel länger. Toepsch: Waren Sie denn auch von der "Mutter" beeindruckt, die da geherrscht hat? Hermann: Die lebte da schon nicht mehr. Ich bin immer nur an das Grab von Sri Aurobindo geradelt. Dazu habe ich immer das Fahrrad genommen, denn das waren ja immer sechs Kilometer durch die Wüste von Auroville nach Pondicherry. Toepsch: Was war denn das Besondere für Sie an dieser Stadt, die es ja heute noch gibt? Hermann: Diese Freiheit, diese geistige Freiheit und dass es keinerlei Zwänge gab. Es gab wirklich überhaupt keinen Zwang, von nichts und niemandem. Man war wirklich selbstbestimmt. Das ist aber etwas, mit dem man erst einmal umzugehen lernen muss. Man wurde also nicht indoktriniert im Hinblick auf irgendeine Religion oder einen Glauben usw. Ich habe in einem Baumhaus gewohnt mit vielen Geckos drin und es gab ein kleines Gästehaus, in dem man essen konnte. Und dann habe ich sehr viele Bäume gepflanzt. Es gibt dort ja auch ein Meditationszentrum mit dem Namen "Matrimandir": An dem haben wir immer gebaut, und zwar immer dann, wenn es mal Strom gab. Denn es gab ja nicht immer Strom. Ich habe dabei quasi Mörtel gemischt, Steine und Kies usw. zusammengemischt. Toepsch: Was haben Sie denn aus dieser Zeit mit nach Europa genommen für sich selbst? Hermann: Eine Menge, das war wirklich sehr einschneidend für mich und auch lebensbegleitend. Ich habe in Delhi dann auch meinen Meister getroffen. Mein Mann, der damals allerdings noch nicht mein Mann war, kam dann auch nach Delhi. Wir waren dann noch sechs Wochen lang zusammen dort in diesem Ashram in Delhi. Das begleitet uns bis heute. Toepsch: Sie sagten, Sie haben Ihren "Meister" getroffen. Wie soll ich das verstehen? Hermann: Das ist ein spiritueller Meister. Andere würden vielleicht "Guru" sagen, mir aber ist das Wort "Meister" lieber. Zu ihm gekommen war ich bereits 1973, als Rainer Langhans von Fassbinder als Regieassistent engagiert worden ist. Langhans war eine Art Coach und hat uns immer wieder mal von seinem Meister erzählt. Ich wusste natürlich überhaupt nicht, was das ist. Durch Langhans bin ich jedenfalls auf diesen Meister gekommen und bei ihm quasi hängengeblieben. Toepsch: Haben Sie da meditiert mit ihm? Hermann: Ja, er ist damals auch sehr oft nach Deutschland gekommen und wir sind dann in Deutschland auch viel zusammen gereist. Ich fühle mich dadurch jedenfalls irgendwie beschützt. Toepsch: Aufgewachsen sind Sie ja katholisch: War Ihnen da Ihr Katholizismus nicht im Weg? Hermann: Nein, eigentlich nicht. Ich bin ja im Grunde genommen heute noch katholisch: Im Herzen bin ich katholisch und werde es auch immer bleiben. Ich meine damit die Angst, die man bereits als Kind eingeimpft bekommt: diese Angst vor der Todsünde, vor dem Fegefeuer, vor der Hölle usw. Diese Angst und die damit zusammenhängenden Schuldgefühle begleiten mich auch mein Leben lang. Toepsch: Ich dachte immer, im bayerischen Katholizismus wäre das eher weniger der Fall, weil der doch eher ornamental ist. Hermann: Nein, die Beichte ist die Beichte und man bekommt einfach gelehrt, dass man lässliche Sünden beichten kann … Ich glaube halt inzwischen nicht mehr daran, dass ich dann, wenn ich dem Pfarrer meine Sünden aufgesagt habe, wirklich davon befreit wäre. Toepsch: Aber es ist doch so im Katholizismus: Wenn man wirklich bereut, dann ist man doch tatsächlich befreit von diesen Sünden. Hermann: Ja, schon, aber man darf sie nicht wiederholen! Toepsch: Nach dieser Zeit und nach Ihrer Familienzeit haben Sie natürlich auch wieder als Schauspielerin gearbeitet und auch unzählige Filme gedreht. Ich habe hier eine ganze Seite mit Filmen, in denen Sie mitgespielt haben. Welche Filme waren denn für Sie die besonders interessanten Filme? Oder sollten wir vielleicht lieber von den Regisseuren sprechen? Hermann: Wir können ruhig von den Filmen sprechen, denn das impliziert dann ja auch die Regisseure. Ich würde sagen, dass der "Zauberberg" für mich der nächste wichtige Film gewesen ist. Denn dieser Film hatte für mich auch eine private Besonderheit. Geißendörfer hat den "Zauberberg" verfilmt und die Dreharbeiten gingen über neun Monate: Als ich anfing zu drehen, war ich mit meinem zweiten Sohn, dem Fridolin, im dritten Monat schwanger und habe dann fast bis zum neunten Monat gedreht. Insofern ist dieser Film für mich schon auch gravierend. Ich fand natürlich auch den Stoff sehr, sehr toll. Ballhaus hat damals die Kamera gemacht und … Toepsch: Aber auch das war ja doch wieder so eine relativ morbide Atmosphäre. Hermann: Sie meinen das Sanatorium? Toepsch: Ja, genau. Hermann: Ich selbst war aber nur heiter. Wir waren dort alle heiter, denn das war schon eine sehr schöne Drehzeit. Das war damals unglaublich viel schöner als die Dreharbeiten heutzutage. Toepsch: Was war damals anders? Hermann: Man hatte Zeit, man hatte einfach sehr viel mehr Zeit! Toepsch: Das heißt, man hat sich Zeit genommen. Hermann: Ja, man hat sich Zeit genommen. Die Drehorte waren natürlich auch sehr schön. Toepsch: In letzter Zeit haben Sie auch sehr viel mit Schlingensief gemacht. Hermann: Ja, das stimmt. Aber davor würde ich gerne noch den Loriot erwähnen und seinen Film "Papa ante Portas". Einige Jahre danach habe ich "Willi und die Windzors" mit Hape Kerkeling als Regisseur gemacht. Den Hape finde ich ebenfalls große Klasse: Ich bin eine große Anhängerin von ihm. In diesem Film habe ich die Queen Elizabeth gespielt, was mir eine große Freude war. Toepsch: Können Sie denn seine Begeisterung für diesen Pilgerweg nach Santiago de Compostela nachvollziehen? Hermann: Als sein Buch "Ich bin dann mal weg" herauskam, habe ich es mir sofort gekauft. Ich habe es zufällig in einer Buchhandlung in Köln entdeckt und es sofort gelesen. Daraufhin habe ich aber auch sofort meinen persönlichen Schluss daraus gezogen, dass ich selbst so etwas nie machen werde. Toepsch: Warum? Hermann: Ich finde es einfach abartig, diese Stationen, die er da erlebt hat, und diese vielen Menschen und diese Unterkünfte und immer nur Caffè Latte und immer nur irgendwelche Sandwiches, von denen er immer wieder schreibt. Ich glaube, um wirklich Gott zu finden, muss ich da nicht hin. Nein, das würde ich nie machen. Toepsch: Sie haben vorhin gesagt, dass man sich früher beim Drehen mehr Zeit genommen hat. Woran liegt es, dass das heute nicht mehr so ist? Hermann: Das liegt natürlich am Geld, weil die Produktionen immer mehr Geld scheffeln wollen und deswegen alle würgen. Die Schauspieler werden gewürgt, das ganze Team wird ausgesogen bis aufs Blut. Früher gab es z. B. auch noch Wiederholungshonorare; die gibt es heute auch nicht mehr, denn heute ist alles buy out. Ich habe letztes Jahr z. B. "Schokolade für den Chef" gedreht mit Götz George. Ich glaube, das ist inzwischen schon 20 Mal gesendet worden – wenn das reicht. Aber ich habe dafür halt nur einmal Gage bekommen. Früher jedoch hat es Wiederholungshonorare gegeben, was aber leider geändert worden ist. Toepsch: Wann hat das angefangen? Hermann: Ich glaube, es hat in den 90er Jahren anfangen, dass das nicht mehr Usus war: Da wurde dieser Passus einfach gestrichen. Ich nehme an, dass sich da alle Fernsehanstalten und auch die Produktionsfirmen abgesprochen haben. Da kann ich natürlich nicht hinter die Kulissen schauen. Toepsch: Welche Rollen haben Sie am liebsten gespielt? Hermann: Immer ganz unterschiedliche. Ich habe meine Rolle im "Händler der vier Jahreszeiten" genauso gerne gespielt wie die Queen Elizabeth oder diese Else Gebel in "Fünf letzte Tage", diese Zellengenossin von Sophie Scholl. Ich spiele gerne Rollen, bei denen ich menschlich sein kann: Das ist für mich intensiver und auch schöner als dann, wenn ich einfach nur irgendetwas abliefere. Verstehen Sie, was ich meine? Natürlich habe ich im Laufe der Jahre schon gelernt, dieses oder jenes als Schauspielerin auch wirklich "abliefern" zu können. Aber ich will das eigentlich nicht, ich will nicht einfach nur etwas "abliefern". Toepsch: Sie sind also viel lieber mitten drin in der Figur. Wie wirkt sich denn das auf Ihr sonstiges Leben aus, wenn Sie in so einer Figur drinstecken? Kann man die am Abend abgeben und sie am nächsten Morgen quasi wieder anziehen? Wie macht man das als Schauspieler? Ich stelle mir das ganz schwierig vor. Hermann: Es kommt darauf an, wie lange man das spielt. Wenn man ein Theaterstück längere Zeit spielt oder eine große Rolle in einem Film, dann färbt das schon ein bisschen ab auf mein Privatleben. Es kann sein, dass dann mein Ton ein bisschen schärfer wird – oder ich spreche gar privat in der Sprache des Stücks. Ich habe z. B. einmal in Bremen in einem Stück von Werner Schwab gespielt, der ja eine ganz komplizierte Sprache hat, eine ganz malerische Sprache. Ich spreche dann auch privat in diesen Sätzen. Toepsch: Tatsächlich? Hermann: Ja, das unterläuft mir dann einfach. Toepsch: Welche Rolle haben Sie noch nie gespielt, die Sie aber gerne spielen würden? Hermann: Das überlasse ich einfach dem Schicksal. Toepsch: Haben Sie keine Wunschrollen? Hermann: Nein, ich wünsche mir das nicht. Denn ich bin in meinem Leben zu dem Schluss gekommen: Nichts wünschen, du wirst für alles bestraft! Man weiß einfach nicht, wofür es gut ist, wenn ein Wunsch in Erfüllung geht. Wichtig ist wirklich nur, dass ich offen bin und dass ich das annehmen kann, was auf mich zukommt. Und wenn mir etwas nicht gefällt, dann sage ich auch Nein. Toepsch: Das müssen Sie mir jetzt noch einmal erklären: Sie haben Angst, dass ein Wunsch sich erfüllt und dann ganz andere Folgen haben könnte? Hermann: Genau. Das ist mir in meinem Beruf schon zwei Mal passiert: Ich hatte mich eingemischt und gesagt, dass ich etwas Bestimmtes gerne spielen würde. Die Bedingungen waren dann aber katastrophal. Toepsch: Was war das z. B.? Hermann: Z. B. Mary Ward, also Maria Ward, die Gründerin der Englischen Fräulein. Als ich das dann gespielt habe, hat das von der Regie her, von den Partnern, von der Kamera usw. überhaupt nicht funktioniert. Toepsch: Und wann ist Ihnen das zum zweiten Mal passiert? Hermann: Das kann ich heute nicht mehr genau sagen, aber ich habe einfach das Gefühl, dass es nicht gut ist, wenn man sich auf diesem Gebiet etwas wünscht. Toepsch: Das heißt, Sie lassen das auf sich zukommen. Hermann: Ja. Toepsch: Wie kam die Zusammenarbeit mit Schlingensief zustande? Hermann: Er kam in den 80er Jahren auf mich zu, als ich an der Freien Volksbühne bei Neuenfels gespielt habe. Ich habe an der Volksbühne vier Jahre gespielt und diese vier Jahre waren eine sehr schöne Zeit: Die Kinder waren noch klein und ich hatte noch viel Zeit für sie, weil ich nicht ständig oder en suite gespielt habe, ich habe stattdessen vielleicht nur zwei Stücke im Jahr gemacht. In dieser Zeit kam der Christoph, der damals noch ganz jung war, eines Tages auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht bei ihm in einem Film spielen würde. Dieser Film damals – Volker Spengler spielte auch mit – hieß "Schafe in Wales". Ich habe das also gemacht und fand das völlig irre: Mich hat das wirklich total fasziniert. Toepsch: Kann man da Parallelen finden zwischen dem einen ungewöhnlichen Regisseur namens Fassbinder und dem anderen namens Schlingensief? Hermann: Christoph ist auf alle Fälle ungewöhnlich als Regisseur: in seiner Person, in seinem Denken, in seiner Arbeitsweise. Er arbeitet allerdings völlig anders als Fassbinder. Fassbinder hat Männchen ins Regiebuch gemalt, während der Christoph immer spontan arbeitet. Das heißt aber auch, dass man ihm sehr schnell folgen muss. Toepsch: Manchmal lässt er seine Stücke z. B. auch von hinten spielen. Hermann: Die "Berliner Republik" haben wir mal in der zweiten Vorstellung tatsächlich rückwärts gespielt. Man muss also sehr flexibel sein bei Christoph; die Arbeit mit ihm ist immer ein Sprung ins kalte Wasser. Toepsch: Ist das eher Stress oder eher Spaß? Hermann: Halb und halb, je nachdem. Es kommt dabei schon auch auf die eigene Verfassung an. Toepsch: Was machen Sie denn, wenn Sie mit der Familie nichts zu tun haben, wenn Sie nicht Theater spielen, keinen Film drehen? Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Oder gibt es bei Ihnen keine Freizeit? Hermann: Doch, natürlich gibt es Freizeit, jede Menge sogar. Wir haben ein Ferienhaus in Franken, wo wir sehr häufig sind. Dort gibt es im Garten sehr viel zu tun. Mein Hauptspaß aber ist das Wandern: Mein Mann und ich wandern viel, gehen viel in die Berge. Die Gartenarbeit, die frische Luft, das Wandern und auch das Joggen und Schwimmen habe ich schon sehr gerne. Toepsch: Was wird Ihr nächstes Projekt sein? Hermann: Ich werde mit "Mea Culpa" von Schlingensief im Herbst 2009 an der Bayerischen Staatsoper in München sein. Ich bin sehr gespannt, wie die Münchner das aufnehmen werden, denn in Wien war das ein großer Erfolg. Toepsch: Da dürfen wir alle gespannt sein. Ich bedanke mich recht herzlich für das Gespräch. Das war das alpha-Forum, zu Gast war die Schauspielerin Irm Hermann. Ich bedanke mich bei Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, und bis zum nächsten Mal.

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