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SWR2 Musikstunde Peter Ustinov zum 100. Geburtstag (1-5) Folge 2: Auf der Bühne und vor der Kamera

Von Antonie von Schönfeld

Sendung: 13. April 2021 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2021

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Ich bin Antonie von Schönfeld und und wünsche Ihnen guten Dienstag-Morgen! Die Musikstunde widmen wir in dieser Woche Sir Peter Ustinov: In der zweiten Folge heute geht es um den Schauspieler Ustinov: „Auf der Bühne und vor der Kamera“!

Als Peter Ustinov den Oscar für den besten Nebendarsteller im Film Spartacus bekommt hält er eine kleine Ansprache:

„Ladies and Gentlemen! Ich bin an einer englischen Schule erzogen worden und dort sind wir mindestens 15 Jahre lang darin unterrichtet worden, wie man mit Anstand verliert - ich habe also den ganzen Nachmittag damit verbracht, mich darauf vorzubereiten. - Jetzt weiß ich nicht wirklich, was ich sagen soll...“ so Ustinov. Diesen Worten folgt dann der übliche Dank ans Team und vor allem an alle anderen Aspiranten, an alle Kollegen, die er vielleicht durch das, was er gemacht habe, davor bewahrt habe, selbst zu gewinnen’.

Diesen Oscar für den besten Nebendarsteller in Spartacus erhält Ustinov 1961. Gut 20 Jahre zuvor steht in seinem Schulzeugnis an in folgende Warnung: „Peter zeigt viel Phantasie, die unbedingt gezügelt werden muss.“

Die Eltern haben - Gott sei Dank! - andere Ideen: Klop Ustinov, der Vater, und vor allem die Mutter Nadia Benoit folgen nicht dem Rat der Lehrer und zügeln Peter Ustinovs Phantasie‘, sondern lassen den Jungen mit 16, noch vor den Abschlussprüfungen, von der Royal School of St. Peter, der berühmten Westminster School abgehen. Und was er jetzt macht, beflügelt seine Fantasie eher: Peter geht fortan auf eine Schauspielschule und der Bühne und dem Spiel verfällt Ustinov sofort:

Musik 1 Noel Coward: 2´20 „Any little Fish” Ian Bostridge, Tenor Jeffrey Tate, Klavier EMI 5 57374 2, LC 6466

In ihrer Autobiographie „O diese Ustinovs“ erzählt Nadia Benoit: „...er war ein großartiger Unterhalter. (...)

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Er sang die (...) alten Lieder und kündigte sie auf Französisch an wie ein Conférencier in einem Kabarett: ‚Mademoiselle Yvette mit ihrem neuesten Lied ‚Quand je danse avec mon frisé‘, ein Schlager der Unterwelt, und dann die Lovely-Sisters mit ‚Farewell, my Bluebell‘, einem englischen Lied!’ Das erste sang er mit rauchiger Altstimme, das zweite im Falsett. Um eine Reihe Tänzerinnen anzudeuten, fuchtelte er (während er Klavier spielte) mit einem Bein im Rhythmus des Songs in der Luft herum. - Es war sehr komisch!“

Nadia Benoit spricht hier keineswegs über ihren Sohn Peter, nein, sie blickt zurück in die zwanziger Jahre und erzählt von ihrem Mann Jonah, Peters Vater, der von allen nur „Klop“ genannt wird. Das Talent zur Selbstdarstellung und zum Schauspielern und auch die Musikalität lagen in der Familie, der Hang zum Künstlerischen sowieso: Nadia Benoit war Malerin und Bühnenbildnerin und sie arbeitet später bei vielen Theaterproduktionen mit ihrem Sohn Peter zusammen.

Der Vater bezieht den Sohn früh schon mit in seine Späße ein: Wenn Gäste kamen - und die kamen oft zu den Ustinovs - hat er schon den Zweijährigen mit Hut und Krawatte ausstaffiert und vor die Gäste gestellt. Der Knirps warf sich dann immer in die Brust und schmetterte den einstudierten Satz: „Ich bin Lloyd George, und Ihr seid Schufte!“ Lloyd George war ein britischer Premierminister – und der kleine Peter muss diese Szene sichtlich genossen haben.

Und doch möchte der Vater lieber, dass Peter Rechtsanwalt wird und nicht auf der Bühne steht. Die beiden haben oft ihre Differenzen, doch an seiner Berufswahl lässt Peter nicht rütteln. Rückblickend erzählt er, dass er zu seinem Vater gesagt habe, er würde nun einmal lieber zum Theater gehen und dass es ‚im Grunde genau das Gleiche sei, nur weniger gefährlich für seine Mitmenschen‘.

Ustinov liebt das Spielen und er liebt das Publikum – er muss auf die Bühne! Schon Ende der dreißiger Jahre beginnt seine ernsthafte Theaterlaufbahn. Da ist er noch keine zwanzig. - Neben dem Spiel auf den Brettern zeigt sich auch bald sein musikalischer Spieltrieb: Was der Vater konnte, kann auch der Sohn, nämlich witzig-komisch-absurd sein! Er zeigt es hier in zwei seiner drei „depressing love-songs“

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Musik 2 Peter Ustinov: 2´00 „Two depressing love-songs” aus: “Phoney Folk-lore” Peter Ustinov FRC6144, LC ?

Two depressing Love-Songs, eines aus Norwegen, eins aus Spanien - und eigentlich beide von und mit Peter Ustinov.

Ustinovs Ausbildung am London Theatre Studio beginnt eher merkwürdig: Zu Beginn des ersten Semesters soll sich jeder Student ein Tier aussuchen. Für die Dauer des ganzen Semesters dann, also für etwa drei Monate, soll er sich dann möglichst genauso verhalten wie das gewählte Tier: Der Leiter des Studios, Michael St. Denis, will dadurch die Beobachtungsgabe der angehenden Schauspieler schärfen.

In einer seiner One-Man-Shows erzählt Ustinov gerne davon: Er hatte eine Mitstudentin, die er als unglückliche Figur beschreibt: Sie hatte Akne, fettige Haut, wirkte anämisch und war einfach nicht besonders attraktiv. Schon bei seiner Beschreibung bekommt man unwillkürlich Mitleid mit ihr. Diese Mitstudentin kam aus Südafrika und entschied sich ausgerechnet für den Springbock. Laut Ustinov ist das ein Tier, das auf Fotos nie zu sehen ist: Es versteckt sich gerne hinter einem Felsblock oder springt ständig mit allen vier Hufen in die Luft. Die Mitstudentin sprang also wochenlang auf Tisch und Stuhl, hinauf und wieder herunter, stieg Treppen nur noch außerhalb des Geländers hinauf und war andauernd in Bewegung. Nach drei Monaten muss sie schließlich völlig am Ende gewesen sein, ging zurück nach Südafrika und ward nimmer gesehen.

Peter Ustinov selbst wählt klugerweise ein anderes Tier: Er entscheidet sich für den Salamander. In seiner Autobiographie erinnert er sich, dass dieses Geschöpf „drei Monate lang gemütlich in der Sonne vor sich hindöste, nur gelegentlich mal ein spöttisches Auge auf einen Lehrer riskierte oder mit der Zunge nach einer unvorsichtigen Fliege schnappte“, so Ustinov. Und er fügt hinzu: „Diese Übung verriet allerdings mit Sicherheit mehr von meinem Charakter als vom Innenleben einer Eidechse.“

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Musik 3 Noel Coward: 2´50 „Twentieth Century Blues” Ian Bostridge, Tenor Jeffrey Tate, Klavier EMI 5 57374 2, LC 6466

„Twentieth Century Blues” von Noel Coward mit Ian Bostridge und am Klavier Jeffrey Tate.

Der Schauspieler und Komponist Noel Coward war berühmt dafür, dass er sich in jedem seiner Stücke eine Rolle auf den Leib schrieb. Ein Schauspiel-Kollege fragte Peter Ustinov später, ob er es genauso wie er gemacht habe... Vielleicht war das (anders als bei Noel Coward) nicht immer Ustinovs Intention, aber es passt doch: Es gab immer eine Rolle in seinen Stücken, die ihm besonders lag.

Nach zwei Jahren Schauspielschule wird Ustinov empfohlen, ein weiteres Jahr zu bleiben: „So wie du aussiehst und gebaut bist, weiß ich wirklich nicht, was aus deiner Zukunft werden soll“, so Michael St. Denis zu dem 18-Jährigen, nicht wirklich aufmunternd. St. Denis, der Leiter der Schule, war vom Temperament her das genaue Gegenteil von Ustinov und er hat wohl nicht recht gewusst, was er mit diesem Schüler anfangen sollte. Einen Vorschlag aber hat er: „Vielleicht die Clowns bei Shakespeare- aber die werden nicht alle Tage verlangt.“ Das sitzt. Trotzdem hat Ustinov im Rückblick gesagt, dass er dieser Schule viel verdankt, vor allem was die Arbeit an Stimme und Bewegung betraf.

Das komische Talent, die Lust am Spiel, das bringt Ustinov von sich aus mit: „Peter war damals zwar ein wenig übergewichtig, aber er war ein faszinierender Kerl“, erinnert sich eine Freundin, „Er zog sich höchst ungewöhnlich an und passte einfach in keinen Rahmen. Er floss geradezu über vor Stimmen und Typen und Charakterisierungen, sie quollen mit solcher Fülle und Esprit aus ihm heraus, dass ich einfach hingerissen war.“

Und so wie dieser Freundin geht es damals auch anderen. Zu seinen ersten Paraderollen gehören die Figur der „Madame Liselotte Beethoven-Fink“, eine alternde österreichisch-deutsche Sängerin für die Ustinov pseudo-schubertsche Passagen erfindet, und „The Bishop of Limpopo-Land“. Beide Gestalten beruhen auf realen Charakteren: Zu Schulzeiten hatte Ustinov in Westminster Abbey den Predigten eines Kolonialbischofs zuhören müssen, und dessen Ausführungen zur

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„Missionierung der schwärzesten Heidenkinder“ waren ihm lebhaft im Gedächtnis geblieben. Und ‚Limpopo‘ gibt es übrigens wirklich: Limpopo ist eine Provinz in Südafrika. Die Schubertsängerin wiederum beruht auf der Figur einer der damals führenden Altistinnen mit Namen „Madame Ernestine Schumann-Heink“. Das Publikum ist von beiden Monolog-Abenden hingerissen, doch Peters Vater, der sich immer noch nicht ganz mit der Berufswahl seines Sohnes angefreundet hat, Klop Ustinov, hat den Erfolg nur trocken kommentiert (im Tonfall von „ich-habe-es-ja-gewusst“): „Nicht mal richtiges Theater.... Variété!“

Hier eine alte Rundfunk-Aufnahme aus England, in der Madame Ernestine Schumann-Heink von Geburtstagen erzählt. Sie ist gerade 73 Jahre alt geworden und bringt sich selbst ein Geburtstags-Ständchen: das „Wiegenlied“ von Johannes Brahms. Die Tonqualität erklärt sich aus dem Alter der Aufnahme - sie stammt aus dem Jahr 1934:

Musik 4 Madame Schumann-Heink / Johannes Brahms: ca. 2´00 „Wiegenlied“ Ernestine Schumann-Heink, Alt mit Orchester BLA 103.006, LC ?

Ein Dank an Madame Ernestine Schumann-Heink vor Journalisten in einer 1934 aufgezeichneten Sendung zum 73. Geburtstag der Altistin. (Peter Ustinov übrigens hat im Rückblick einmal gesagt, er schäme sich dafür, wie er mit 19 die Grande Dame des Gesangs als „Madame Lieselotte Beethoven-Fink“ auf der Bühne persifliert habe. Sie muss wohl eine wunderbare Vorlage abgegeben haben, der er – jung wie er war - einfach nicht widerstehen konnte.)

An seinen ersten Bühnenauftritt vor einem zahlenden und anonymen Publikum erinnert sich Ustinov deutlich, aber es sind keine wirklich guten Erinnerungen: Ihn plagt Lampenfieber... In Tschechows Stück „Der Waldgeist“, eine frühere Version von „Onkel Wanja“, hat er eine Rolle, die ihn nur etwa alle zwanzig Dialogstellen etwas sagen ließ. Wenig Textanteil ist meist schwieriger, als wenn man ständig dran ist. In seiner Autobiographie schreibt er:

„Als sich der Vorhang hob, saß ich in der Hausjacke meines Großvaters auf der Bühne und tat so, als würde ich Schinken essen. Als einleitende Musik spielte man die Polonaise aus Tschaikowskys Eugen Onegin, und ich spüre heute noch die unterdrückte Panik, als sich die Schallplatte ihrem Ende näherte, höre das Rauschen des aufgehenden Vorhangs, sehe die Beleuchtung, die plötzlich angeht und uns ins Rampenlicht rückt und die undeutlich sich

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7 abzeichnenden Umrisse von Köpfen, die aussahen wie Pflastersteine in einer regnerischen Nacht...“

Musik 5 Peter Tschaikowsky: 4´35 Polonaise aus: „Eugen Onegin“ op. 24, 3. Akt Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden Leitung: Colin Davis SWR M0018075 014

Die „Polonaise“ aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“ - hier gerade gespielt vom Orchester des Royal Opera House Covent Garden unter Colin Davis.

Auf die kleine Rolle in Tschechows „Waldgeist“, die immer von dieser „Polonaise“ eingeleitet wurde, folgten rasch weitere Engagements, u.a. in „Pygmalion“ von George Bernard Shaw. „Pygmalion“ sollte in den 50er Jahren in der Musical-Version „My Fair Lady“ weltweit Erfolge feiern. Ustinov spielte hier Professor Higgins und das ‚Upper-Class Oxford English’ wird er geradezu zelebriert haben.

Die Mutter Nadia Benoit übrigens freut sich mit dem Sohn über die ersten Erfolge. Der Vater blickt weiterhin skeptisch und er liegt zunächst nicht ganz falsch damit: Ustinov erinnert sich, dass seine Gagen zu dieser Zeit kaum für mehr gereicht haben als für seine Londoner Bude - und einmal pro Woche einen mit Schokolade überzogenen Pfefferminz-Riegel! Anders sein Großonkel Alexandre Benoit. Der ist selber im Theater-Metier tätig und macht aus seiner Begeisterung für Peters Tätigkeit keinen Hehl:

„Seit Jahrhunderten atmet unsere Familie Theaterluft. Wir bauen Theater, wir dekorieren sie, schreiben Stücke für sie und dirigieren darin. Nun hat endlich einer von uns den Mut, selber auf die Bühne zu springen.“

Doch als Ustinov so richtig `auf die Bühne springen´ will, sich frei schwimmen will in der Welt des Theaters, da hat die Welt sich verändert: Es ist Krieg in Europa und eine ganze hoffnungsvolle Generation zieht nicht frei in die Welt hinaus, sondern gezwungenermaßen in einen weiteren so unsinnigen Krieg, wie Kriege unsinnig immer gewesen sind.

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Musik 6 John Foulds: 2´15 „Military” aus: Essays in Mode op. 78 (1928) Kathryn Scott, Klavier BIS-CD-933, LC 3240

Schütze Ustinov, Dienstnummer 6411 623 - so hat sich Ustinov im Januar 1942 in Canterbury zum Dienst beim Militär gemeldet. - „Military“ hieß das Klavierstück von John Foulds gerade gespielt von Kathryn Stott.

Seine Erfahrungen beim Royal Sussex-Regiment weiß Peter Ustinov später für seine Stücke und für seine Rollen zu nutzen: Manche der Geschichten, Typen und zum Teil absurden Momente verwendet Ustinov beispielsweise in seiner Satire auf das Militär „Viva Max!“ aus dem Jahr 1969. Doch zunächst leidet er unter der neuen Situation, unter den Zwängen: unbesonnener Patriotismus und Heldenmut sind ihm fremd. Noch 60 Jahre später ist „Militär“ ein Reizwort für ihn: „Ich habe das Militär gehasst, ununterbrochen wurde man von Leuten angebrüllt, denen jede normale Konversationsfähigkeit abging.“ und: „Im Krieg weiß man verdammt gut, dass man die heilige Pflicht hat, den anderen zu töten, bevor man die Zeit hat herauszufinden, ob man gemeinsame Interessen hat oder nicht.“

Ein Satz, in dem die ganze Absurdität des Einander-Totschießens liegt...

Den Rang „Schütze“ sollte Ustinov während des ganzen Krieges beibehalten, doch er hat Glück: Seine Fähigkeiten als Autor und Schauspieler erlösen ihn schon 1942 aus dem direkten Dienst. Vom Army Council genehmigt wird er Mitglied einer neu gegründeten Filmeinheit der Armee: Sie soll die Truppe unterhalten und motivieren. Es entstehen Filme wie „“, „Hello Fame“, „One of our Aircraft is missing“ und „Mein Kampf - My Crimes“. Ustinov kann hier unter schwierigen äußeren Bedingungen im eigenen Metier Erfahrungen sammeln.

In seiner neuen Funktion beim Film arbeitet Ustinov, der einfache Soldat, zusammen mit Obersten und Generälen. Im Heer ist es allerdings höchst ungewöhnlich, dass ein so niedriger Dienstgrad wie ein Schütze mit den Ranghöchsten Militärs zu tun hat. Um hier Probleme zu vermeiden wird Ustinov kurzerhand zum Burschen von erklärt: der war damals schon ein etablierter Filmstar - und vor allem war er „Oberst“, und dass dieser „Bursche“ seinem Vorgesetzten nicht die Stiefel auszog, sondern mit ihm zusammen hinter

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9 geschlossenen Türen Drehbücher schrieb und Rollen einstudierte, das störte dann niemanden.

Musik 7 John Foulds: 4´41 „English Tune with Burden” op. 89 Kathryn Scott, Klavier BIS-CD-933, LC 3240

Noch einmal John Foulds – „English Tune with Burden“ op. 89, was soviel heißt wie „mit Refrain“.

John Foulds, 1880 in Manchester geboren, gestorben 1939, gehört zu den englischen Komponisten, die in Ustinovs Jugend in London viel gespielt wurden, heute aber kaum mehr präsent sind: Foulds war ein umtriebiger Cellist und Komponist, offen für Einflüsse von östlicher Musik; erfolgreich war er vor allem als Komponist sogenannter leichter Musik, Foulds schreibt aber auch Musik für das Theater, beispielsweise für Stücke von George Bernard Shaw. In der Londoner Theater- und Musikszene dieser Zeit greifen die Künste ineinander.

Auf einem Foto von Anfang der vierziger Jahre, schwarz-weiß, lehnt der junge Peter Ustinov an einem Bücherregal, in den Händen ein aufgeschlagenes Buch. Mit hochgezogenen Augenbrauen, im Mundwinkel eine brennende Zigarette, scheint er interessiert zu lesen. Natürlich posiert er und weiß genau, dass er fotografiert wird, - und der Betrachter meint dieses leise ironische und durchaus auch selbstironische Lächeln zu spüren, ...wenn er denn nur einmal die Augenlider heben würde. Trotz der Pose ist es ein sehr lebendiges und aussagekräftiges Bild: Ustinov erstes Theaterstück „The House of Regrets“ ist schon geschrieben (und wird gelobt, bevor es auf die Bühne kommt!) und sogar seine Rolle als in den Agatha-Christie-Krimis in den 70er Jahren ist der Haltung nach – allerdings nicht der Figur! nach - schon vorstellbar, wenn man diesen so wohlig-selbstbewusst wirkenden jungen Mann da so sieht...

Der große Durchbruch folgt knapp zehn Jahre später, und das ist dann Ustinovs Paraderolle als Kaiser Anfang 50er in Hollywood in dem Monumental-Epos „Quo Vadis“:

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Musik 8 Miklós Rózsa: 2´07 „Prélude” The Royal Philharmonic Chorus The Royal Philharmonic Orchestra Leitung: Miklós Rózsa SWR M0290731 001

Die Rolle des Kaiser Nero in „Quo Vadis“ ist die einzige, für die Peter Ustinov jemals vorgesprochen hat.

Regisseur Mervyn Leroy war angetan von Ustinovs wohl ziemlich verrückter Darbietung, zögerte jedoch, ihn zu verpflichten: Man hielt den Schauspieler mit 30 für zu jung, um die Rolle des wahnsinnigen Kaisers zu spielen. Ustinov erwidert daraufhin, sollte MGM den Film noch einmal verschieben (die Planungen im Vorfeld liefen seit Jahren), dann wäre er womöglich zu alt für die Rolle, schließlich sei Nero mit 31 Jahren gestorben. Prompt kommt ein Telegramm mit der Zusage: „Historische Nachforschungen bestätigen Ihre Angaben - Stopp - die Rolle gehört Ihnen!“

Das Epos wurde in Rom gedreht und der Tag, an dem in der Handlung Rom brannte (ein Modell der Stadt brannte wirklich), muss der heißeste Tag des Jahrhunderts gewesen sein, dazu überall die Feuerschalen, in denen es loderte, und die Scheinwerfer mit Licht und Wärme von oben. Ustinov erinnert sich zeitlebens lebhaft an die Umstände des Drehs, an die gute Atmosphäre genauso wie an die Anstrengungen: Lästig muss beispielsweise der grüne Schweiß gewesen sein, der ihm permanent ins Gesicht lief: Die Farbe kam vom minderwertigen Metall in seinem Lorbeerkranz...

Oder Szenen wie die, in der das ganze Gebäude wackelte, weil der Regisseur - ebenfalls in Schweiß gebadet - gerade auf das Gebäude klettert und Nero-Ustinov zu zischt:

„Don´t forget, Darling, you are responsible for this!“ (Vergiss nicht, Schätzchen: Für das hier bist Du verantwortlich!)

Unvergesslich Ustinovs Gesang zur Leier mit dieser eigentlich guten Stimme, die in dieser Szene absichtlich eher roh, eben ein bisschen verrückt klingen soll: „O züngelnde Flammen, o himmlische Macht!“

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Dieses Lied ist allerdings nicht Teil des Soundtracks und fällt damit unter amerikanisches Filmrecht, - wenn Sie Nero/Ustinov also singen hören wollen, empfehle ich unbedingt einen Filmabend mit mal wieder „Quo Vadis. Wir hören stattdessen den „Assyrischen Tanz“ aus der Filmmusik von Miklos Ròzsa:

Musik 9 Miklós Rózsa: 1´54 „Assyrian Dance” The Royal Philharmonic Orchestra Leitung: Miklós Rózsa SWR M0290731 008

Der „Assyrische Tanz“ aus der Filmmusik von Miklos Ròzsa zu „Quo Vadis“ mit dem Royal Philharmonic Orchestra.

Bei den Kollegen war Ustinov als der Schauspieler bekannt, bei dem man nie recht wusste, was er im nächsten Moment machen würde, dem man aber wahrlich keinen Mangel an Inspiration vorwerfen konnte und der trotzdem ein zuverlässiger Schauspiel-Partner war.

Auf „Quo Vadis“ folgen u.a. als Filmrollen wie - „Wir sind keine Engel“ (mit und ), - „“ (Regie Max Ophüls, für Ustinov der humorvollste Regisseur, mit dem er je zusammengearbeitet hat), - „Spartacus“ (ein früher Film von ) und „Topkapi“ - für beide gab es einen Oscar - und „“ von 1962 nach der dramatischen Geschichte von Herman Melville. Zu seinen Kollegen gehörte die erste britische Schauspieler-Riege: Lawrence Olivier, Alec Guiness, , David Niven usw.

Für Ustinov war „Billy Budd“ ‚ sein bester Film‘ , - er schrieb das Drehbuch, produzierte, inszenierte und spielte die Rolle des Käpt´n Vere.

1951 schreibt Benjamin Britten über dieselbe Geschichte eine Oper. Ihr liegt allerdings ein eigenes Libretto zugrunde, mit dem Drehbuch hat es nichts zu tun. Dem Filmkomponisten gefiel Brittens Musik nicht. (u.a. mit Anthony Hopkins übrigens hat Ustinov später für die BBC sehr beliebte musikalische Bühnenprogramme produziert.)

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Britten seinerseits trifft in dem ihm eigenen Tonfall sehr wohl die Dramatik der Geschehnisse um den jungen Vortoppmann Billy Budd, der letztlich zu Unrecht zum Tode verurteilt wird. Im Chor „Here, lads, here“ hat Britten ein Matrosenlied verarbeitet.

Musik 10 Benjamin Britten: ca. 4´10 Here, lads! Here! Come here!” aus: „Billy Budd” op. 50 Gentlemen of the Hallé Choir & Northern Voices Hallé Orchestra Leitung: Kent Nagano Warner 2564 67266-0, LC

Ein Ausschnitt aus der Oper „Billy Bud“ von Benjamin Britten mit den Männerstimmen des Hallé Choirs, den Northern Singers und dem Hallé Orchestra, die Leitung hatte Kent Nagano.

Brittens Oper und Ustinovs zehn Jahre später gedrehter Film „Billy Budd“ basieren auf derselben Erzählung, jedoch auf unterschiedlichen Libretti bzw. Drehbüchern. Sängern aber, die in den 60er, 70er Jahren die Opernpartie des Billy Budd singen sollten, wurde gern geraten, sich vorher den Film anzuschauen, der würde die Dramatik der Handlung gut wiedergeben.

Dem breiten Publikum ist Ustinov als Filmschauspieler vor allem in den Rollen des „Nero“ und - viel später - als „Commissaire Hercule Poirot“ im Gedächtnis geblieben (in den Verfilmungen nach ). Das wird ihm allerdings nicht gerecht: Ustinovs künstlerisches Spektrum ist ungleich größer und viele der weit über 30 Filme, in denen er mitgespielt hat, lohnen die Wiederentdeckung. In seiner allerletzten Rolle spielt er 2003, ein Jahr vor seinem Tod, Friedrich den Weisen neben Joseph Fiennes als Luther.

Die vielen Rollen in seinen Dokumentationen, die meist für das Fernsehen gedreht wurden, führen in den nächsten Bereich des Künstlers als Autor: in solchen Dokumentationen war Ustinov als eine Art Reiseführer (mit Kamera) unterwegs in einem fremden Land (beispielsweise Russland) oder einer fernen Epoche und stellt dabei aus seinem Blickwinkel Land und Leute oder einen Komponisten und sein Werk vor.

Wo und wie auch immer er jedoch unterwegs war: Bei Ustinov mischen sich die verschiedenen Begabungen und Talente immerzu, und es ist schwierig, die einzelnen Genres sauber gegeneinander abzugrenzen: Der Schauspieler wird zum Regisseur, der Autor zum Erzähler, der Librettist wiederum zum Schauspieler.

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Morgen in der SWR 2-Musikstunde wird der Schwerpunkt auf dem Schriftsteller Ustinov liegen. Ich vermute aber, dass es ihm vermutlich sowieso ein besonderes Vergnügen war, alles immer zusammenzubringen in diesem typischen Bühnen-Unterhalter-Gemisch, das nur er verkörpern konnte. Und in fast allen seiner Rollen findet sich auch immer etwas von dem Connaisseur, der die Musik besonders geliebt hat.

Musik 11 Benjamin Britten: 2´50 „Frolicsome Finale” aus: Simple Symphony op. 4 (1933-34) Camerata Nordica Leitung: Terje Tonnesen BIS 2060, LC 3240 AUF ZEIT FAHREN!

Mit einem Satz aus der Simple Symphony von Benjamin Britten geht die SWR2 Musikstunde heute zu Ende: Die Camerata Nordica spielte „Frolicsome Finale“.

Ich bin Antonie von Schönfeld, sage Tschüss und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

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