Pirker Der Nationalsozialismus
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Vorbemerkung Der Aufstieg des Nationalsozialismus war im Grunde nur infolge des «Anschlussverbotes» durch Peter Pirker die alliierten Mächte nach dem Ersten Weltkrieg als eigen- Zwei Bücher haben mich in der zweiten Hälfte der 1980er Bei den letzten freien Nationalratswahlen der Ersten Republik ständiger Staat entstanden. In Kärnten war der Deutschnati- ———————— Jahre für die politische Geschichte des Oberen Drautales (1918 – 1933) im Jahr 1930 bekamen die Nationalsozialisten onalismus zusätzlich durch eine starke Aversion gegen Wien interessiert: Das erste und bislang einzige Buch, in dem ein nur 3 % der Stimmen. Im selben Jahr begann ihr Aufstieg von gekennzeichnet, die noch wuchs, als die Metropole sozialde- Einheimischer offen Einblicke in den lokalen Nationalso- einer randständigen rechtsextremen Partei zu einer Mas- mokratisch regiert wurde. Doch die Rede von der Benachtei- zialismus gab, an dem er als Jugendlicher beteiligt war, war senpartei mit dem erklärten Anspruch auf die Übernahme ligung Kärntens war damals so wenig stichhaltig, wie heute.4 der autobiographische Bericht des Berger Bergbauern Arnulf der Staatsmacht. Die Partei schaffte es mit einfachen Erklä- Um Faktizität geht es aber nicht. Jeder Nationalismus benötigt Der Nationalsozialismus Fleißner «Wen Gott anspricht. Vom Nationalsozialismus zum rungen, klaren Feindbildern, radikalen Lösungsvorschlägen, Abgrenzungen, um ein – nach innen letztlich immer repressi- Glauben». Das zweite war eine 1988 erschienene Sammlung unermüdlicher Propaganda und unerschrockenem Aktivismus ves, nach außen letztlich immer aggressives – Gemeinschafts- im Oberen Drautal weitgehend autobiographischer Texte des aus Dellach im bei einem Großteil der Unzufriedenen, vor allem unter der Be- gefühl herzustellen. Der Kärntner Deutschnationalismus fand Drautal stammenden Journalisten Josef Nischelwitzer, der in amtenschaft, unter den LehrerInnen, StudentInnen, Handwer- seine äußeren Feinde in den Slowenen und in Wien.5 ———————— den 1930er Jahren als junger Arbeiter hier Widerstand gegen kern, Kaufleuten, schließlich Forst- und LandwirtInnen und Austrofaschismus und Nationalsozialismus zu organisieren auch der Arbeiterschaft, AnhängerInnen zu finden. Zu den Mit ihrem militanten Auftreten signalisierten die Nationalso- Aufstieg, Herrschaft, versuchte. Er überlebte acht Jahre Haft in verschiedenen Rahmenbedingungen des Erfolges der NSDAP gehört sicher zialisten, die 1930 in ganz Kärnten erst über 15 Ortsgruppen Konzentrationslagern. Beide Bücher hat mir mein Vater in die 1930 voll einsetzende globale Wirtschafts- und Finanz- mit nur 822 Mitgliedern verfügten, dass sie absolut gewillt Opposition und Widerstand die Hände gelegt. Er hat mir in der Folge auch geholfen, die krise. Kärnten war ein ökonomisch rückständiges Gebiet, mit waren, ihre Propaganda in die Tat umzusetzen – nicht nur den Kurrentschriften der Gendarmeriechroniken des Oberen Drau- noch stark feudalen Zügen. Mit einer Berufstätigkeitsrate von Juden die Schuld zu geben, sondern auch gegen sie vorzuge- tales zu entziffern, die der Ausgangspunkt für alle weiteren nur 43,5 % bildete Kärnten zusammen mit dem Burgenland hen, den «Anschluss» an Deutschland nicht nur herbeizuse- Forschungen gewesen sind. Dafür möchte ich mich bedanken.1 1934 das ökonomische Schlusslicht unter den österreichi- hen, sondern ihn herbeizuführen, nicht nur zu reden, sondern Eine wichtige Anregung waren etwas später die lokalhistori- schen Bundesländern.3 zu handeln und sie boten den Menschen an, an diesem Auf- schen Arbeiten des Außervillgratner Hinschauers Johannes E. bruch selbst teilhaben zu können, ihn miterleben zu können. Trojer, die kürzlich in einer Werkausgabe erschienen sind.2 Ein wesentlicher Ankerpunkt des Aufstieges der NSDAP war, Dieser Erlebnischarakter der politischen Propaganda der dass ihr Programm und ihre Propaganda an in der Gesellschaft NSDAP zog vor allem junge Männer an. Ich versuche im Folgenden einen Überblick über die lokale weit verbreitete Alltagsansichten anknüpften, diese bestä- Geschichte des Nationalsozialismus zu geben. Ich konzent- tigten, politisch radikalisierten und auf konkrete «Feinde» riere mich dabei auf politische Aspekte rund um das Projekt fokussierten. Das traf insbesondere auf den Antisemitismus Ein Flugblatt aus Oberdrauburg oder NS-Ideologie der Nationalsozialisten, durch Integration, Unterwerfung und zu, der den Juden die Schuld für Folgen von wirtschaftlichen und politisch-ökonomische Rahmenbedingungen Ausschluss eine deutsche Volksgemeinschaft zu schmieden, und sozialen Krisen, wie Arbeitslosigkeit, Geldentwertung sowie auf gegenläufige Handlungen von Eigensinn, Dissens, und Preisverfall gab und der eine lange religiöse Tradition im Von der Ideologie her war der Nationalsozialismus nicht be- Entziehung und Widerstand. christlichen Glauben hatte. Auch der Nationalismus, der an sonders schwer zu begreifen, wie ein aus Oberdrauburg erhal- die Höherwertigkeit und Vorrangstellung der jeweils eigenen tenes Schulungsflugblatt der NSDAP aus den frühen 1930er Namen, die im Text unterstrichen sind, verweisen auf weitere Nation glaubt, war eine weit verbreitete Vorstellung. In Kärn- Jahren zeigt. Er baute im Grunde auf einem einfachen partiku- biographische und literarische Texte zur betreffenden Per- ten profitierten die Nationalsozialisten vom starken Protes- laristischen Konzept auf: Den «Eigenen» geben, den «Frem- son im zweiten Teil des Buches. Dort finden sich auch die tantismus und von einem Deutschnationalismus, der spätes- den» nehmen. Die Unterscheidung zwischen den «Eigenen» Quellen- und Literaturhinweise zu diesen Todesopfern des tens seit dem Konflikt mit Jugoslawien um die Grenzziehung und den «Fremden» war durch eine für die «Eigenen» attrak- Nationalsozialismus. nach dem Ersten Weltkrieg in allen großen politischen Lagern tive, naturgegebene Höherstellung gekennzeichnet. Die «Ei- vorhanden war und sich gegen das Slawische richtete. genen» waren all jene, die durch eine besondere Blutsqualität als «Arier» ausgezeichnet zur «deutschen Volksgemeinschaft» Ein genuin österreichischer Nationalismus in Abgrenzung zum gehörten. Staatsbürger konnte nur sein, wer Deutscher war, Deutschnationalismus hat sich in den 1920er Jahren in Öster- Volksgenosse nur, wer «deutschen Blutes» war. Die «anderen» reich kaum entwickelt, am wenigsten in Kärnten. Österreich wurden als «minderwertig» bezeichnet. Zu ihnen gehörten 26 27 «Fremdvölker», wie die Slawen, die unterworfen oder ausge- saischer Religion. Aber um Erfahrung geht es auch hier nicht. die NSDAP, insbesondere ihre bewaffneten Wehrverbände, Einbruch in die Gemeinden schlossen werden konnten. Die Nationalsozialisten postu- Antisemiten konstruieren sich ein abstraktes Bild von den die bodenständige SA und die elitäre SS, besonders für junge lierten ein Recht auf Kolonien und «Lebensraum» für die Juden, das der Abfuhr ihrer eigenen Nöte dient, wie der franzö- Männer interessant, die während des Ersten Weltkrieges von Im Jahr 1932 erzielten die Nationalsozialisten bei den Land- beabsichtigte Expansion der Deutschen. Sie setzten also von sische Philosoph Jean-Paul Sartre erkannt hat: «Der Hass des militärischen und autoritären Werten geprägt worden waren, tagswahlen in Niederösterreich, Wien und Salzburg und bei Beginn an auf Krieg und Unterwerfung. Auf dem Programm Antisemiten ist nicht durch seine persönliche Erfahrung mit selbst aber noch nicht am Krieg teilgenommen hatten. den Gemeinderatswahlen in Kärnten und der Steiermark stand zugleich die Entfernung alles «Fremden» aus Deutsch- den Juden geprägt, sondern durch seine Neigung, die Ursachen erste größere Erfolge. Im Hauptort des Oberen Drautales, in land. Die NSDAP propagierte das Verbot jeder Einwanderung seines eigenen persönlichen Scheiterns auf seine abstrakte Der Nationalsozialismus präsentierte sich als neue Bewegung, Greifenburg, erhielten sie 21 % der Stimmen, was gegenüber Nicht-Deutscher und die zwangsweise Abschiebung aller seit Wahrnehmung der Juden zu projizieren.» Der Osttiroler Berg- die sich von den «alten» großen politischen Bewegungen, den Nationalratswahlen von 1930 einen merklichen Zu- 1914 in Deutschland lebenden Nicht-Deutschen.6 bauer David Holzer erklärte den Antisemitismus der 1930er den Sozialdemokraten und den Christlich-Sozialen, radikal wachs bedeutete und erstmals drei Mandate im Gemeinderat Jahre ähnlich: Ein Bauer, der am Viehmarkt immer weniger für abgrenzte. Versprochen wurde ein Ende des Parteienstreits brachte.11 Die Marktgemeinde zählte zu dieser Zeit etwa 2.000 Ausgeschlossen sollten zudem all jene werden, die im Inne- sein Vieh bekam, gab dem Viehhändler, den er sich als Juden sowie der Interessenskonflikte zwischen Unternehmern und Einwohner. Die flächenmäßig kleine, eng bebaute Ortschaft ren der Gesellschaft als Gefahr für den Bestand der deutschen vorstellte, die Schuld an sinkenden Preisen und Absatzproble- Arbeitern und stattdessen eine zentralisierte Staatsmacht, die unter dem gleichnamigen Schloss war das Verwaltungs-, Han- Volksgemeinschaft identifiziert wurden: die «Zigeuner», all men, nicht dem ökonomischen Gesamtprozess, in dem seine Gegensätze und Konflikte durch diktatorische Eingriffe von dels- und Gewerbezentrum mit dem im Schloss amtierenden jene Deutschen, die psychisch krank waren oder nicht den Produktionsmethoden nichts mehr wert waren.7 oben schlagartig lösen würde. Darauf setzten vor allem jene, Bezirksgericht, zahlreichen Handwerksbetrieben, Gastwirt- Vorstellungen der Nazis entsprachen, wie ein Deutscher zu die Angst vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg