Zeichen Der Zeit : Verweigerte Trauerarbeit

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Zeichen Der Zeit : Verweigerte Trauerarbeit Zeichen der Zeit : verweigerte Trauerarbeit Objekttyp: Group Zeitschrift: Neue Wege : Beiträge zu Religion und Sozialismus Band (Jahr): 89 (1995) Heft 6 PDF erstellt am: 24.09.2021 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. 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Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch Willy Spieler Zeichen der Zeit Verweigerte Trauerarbeit Wie schwer die offizielle Schweiz sich fragen, wo die Schweiz alles daran setzte, tut, ihre Politik der Anpassung während der um die verfolgten Jüdinnen und Juden als Zeit des Nationalsozialismus und Faschismus «Flüchtlinge aus rassischen Gründen» wieder zu verarbeiten, haben die Gedenkanlässe ins Reich zurückschicken zu können? zum Ende des Zweiten Weltkriegs Gewiss, «der Bundesrat bedauert das am 8. Mai erneut bestätigt. Im Mittelpunkt zutiefst, und er entschuldigt sich dafür, im standen zwei bundesrätliche Reden, die Wissen darum, dass solches Verhalten ein unterschiedliches, ja gegensätzliches letztlich unentschuldbar ist». Doch schon Echo fanden: Während Bundespräsident im nächsten Satz entschuldigt sich der Kaspar Villiger für seine «Entschuldigung» Bundespräsident für seine Entschuldigung: gegenüber den Opfern des 1938 eingeführten «Wohl alle, die damals Verantwortung für Judenstempels breite Zustimmung unser Land trugen, richteten ihr Handeln erhielt, hat Bundesrätin Ruth Dreifuss mit nur nach dem Wohl des Landes aus, wie sie ihrem Hinweis auf das Anpassertum es empfanden und sahen. Sie heute an den bürgerlicher Eliten wütende Proteste ausgelöst. Pranger zu stellen, wäre ungerecht...» Was bedeuten diese unterschiedlichen Entweder haben Eduard von Steiger (BGB, Reaktionen? «Unfähigkeit zu trauern»? heute SVP) als Vorsteher des EJPD und Unverarbeitete Vergangenheit, die uns sein Polizeichef Heinrich Rothmund diese jederzeit wieder einholen kann? Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten, und dann ist solches Entschuldigung als Alibi? Versagen wirklich «unentschuldbar», oder wir versagen uns das Urteil über diese Die Entschuldigung des Bundespräsidenten antisemitische Kumpanei mit Nazideutschland, am 7. Mai im Bundeshaus hätte und dann gibt es auch nichts zu allerdings entschiedener ausfallen, mit der «entschuldigen». Villiger hat sich gleich für historischen Wahrheit genauer umgehen beide Varianten entschieden. Er hätte besser dürfen. Wenn Kaspar Villiger sagt: «Mit geschwiegen. Was ja auch seine der Einführung des sogenannten ursprüngliche Absicht war, da er bekanntlich Judenstempels kam Deutschland einem Anliegen nur des Kriegsbeginns und nicht auch des der Schweiz entgegen», so ist das eine Kriegsendes gedenken wollte... Verharmlosung. Es war das Eidgenössische Nicht entschuldigt hat sich der Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Bundespräsident für den Rest der historischen das Nazideutschland geradezu drängte, die Wahrheit. Nicht für die Kriegsgewinnler. Pässe deutscher Jüdinnen und Juden mit Denn: «Die Sorge unserer Wirtschaftsdiplomatie einem «J»-Stempel zu kennzeichnen. Es war stets nur die Sicherstellung ging bei diesem «Anliegen» also um der Versorgung, nicht die geldgierige nichts weniger als um «vorauseilende Kollaboration.» Nicht für den blühend-blutigen Unmenschlichkeit», wie Adolf Muschg an Waffenhandel mit den Achsenmächten. der Anderen Veranstaltung der SPS am Denn: «Nach den Siegen Hitlers müsste 7. Mai sagte. «Haben auch bei dieser Frage Deutschland mit Kriegsmaterial beliefert antisemitische Gefühle in unserem Land werden.» Nicht für die Unterdrückung mitgespielt?» Wie kann Villiger so naiv linker Parteien, während die Nazifreunde 188 noch bis Stalingrad ihr Unwesen treiben Teil der historischen Wahrheit zugelassen, durften, und nicht für die Knebelung jener der nicht mehr zu unterschlagen war. Aber Presse, die den verbrecherischen Charakter selbst diese halbherzige «Entschuldigung» des Naziregimes von allem Anfang an für «Unentschuldbares», über das wir uns durchschaute. Denn: «Die geistig-moralische dennoch «nicht zum Richter aufschwingen» Widerstandsfähigkeit der sollen, erweist sich als rhetorisches eingeschlossenen Schweiz gegen totalitäre Alibi. Es verschleiert, ja tabuisiert, was Versuchungen im eigenen Land war und ist darüber hinaus zu verarbeiten und als eine grossartige kollektive Leistung Schuld anzuerkennen wäre: den unseres Volkes.» (Oder spricht hier Villiger Antisemitismus und weitere Ursachen einer mit Absicht nicht auch von der Regierung, willfährigen Kollaboration mit dem wohl wissend, wie diktatorisch sie sich Naziregime, die weit über das hinausging, was gebärdete?) nötig war, wenn man schon den Widerstand «Auch die Kritiker», meint Villiger, nicht wagen wollte und konnte. «müssen die Antwort aufdie Frage letztlich schuldig bleiben, ob und wie die Schweiz Verdrängte Vergangenheit auf andere Art hätte überleben können.» Darauf hat bereits 1945 Leonhard Ragaz Ganz anders die Rede, die Ruth Dreifuss erwidert, dass es tatsächlich keinen andern am 8. Mai in Thun gehalten hat. Statt wie Weg als den der «Anpassung» gegeben Villiger zu fragen, ob beim Judenstempel habe. «Aber nicht, weil er der bessere «antisemitische Gefühle» mitgespielt hätten, gewesen wäre, sondern weil wir, so wie wir nannte sie diesen «eine antisemitische sind und waren, nicht fähig gewesen wären, Ungeheuerlichkeit, für die es auch den andern zu gehen.» Und noch ein angesichts der sehr schwierigen Zeit aus «Aber» fügte Ragaz hinzu: «Aber - und das heutiger Sicht keine Rechtfertigung geben ist ein starkes Aber! - sollen wir daraus darf». Statt wie der Bundespräsident die nachträglich, uns selbst und andere «geldgierige Kollaboration» zu leugnen, belügend, einen Weg der Ehre machen?» sprach die Sozialdemokratin von Geschäften (NW 1945, S. 323). «mit Fluchtgeld, Raubgold von KZ- Im letzten Heft unserer Zeitschrift hat Opfern und Warfen». Und an Stelle des der Historiker Stefan Mächler empfohlen, uneingeschränkten Lobes für «die das damalige Verhalten der Schweiz «nach geistigmoralische Widerstandsfähigkeit der politischer Scham und Schuld» zu eingeschlossenen Schweiz» gab es in der unterscheiden: «Scham wäre dort angebracht, Dreifuss-Rede «Anpasser und Demokra- wo die Schweiz nicht anders konnte, weil tieabbauer noch und noch». Die Bundesrätin die objektiven Anforderungen ihre Fähigkeit dachte dabei «nicht in erster Linie an überstiegen; Schuld dort, wo sie zwar die fanatisierten Fröntier, sondern an über die Mittel für ein anderes Verhalten Vertreter bürgerlicher Eliten». Es folgte die verfügte, aber diese nicht ausschöpfte» Mahnung: «Dass ihre Haltung auch im (NW 1995, S. 147). Die Schweiz habe «zu Bundesrat stark vertreten war, soll uns stets dem tatsächlichen Zwang und Druck von wachsam halten.» aussen noch viel aus dem Eigenen Doch soviel Wachsamkeit darf nicht hinzugefügt, viel Feigheit vor allem», urteilte sein, auch nicht angesichts historisch schon Ragaz. «Auch unter Zwang und gesicherter Wahrheit. «Man kann nicht den Druck» gebe es «noch die Wahl einer Zweiten Weltkrieg zum Wählkampfschlager doppelten Haltung: einer der Würde und machen», wetterte der Generalsekretär einer der Unwürde.» Die Schweiz habe der CVP. «Wahlpolitische Propaganda» sei «die zweite Haltung gewählt». das gewesen, meinten auch der Generalsekretär Der Bundespräsident hat es nicht für der FDP und die Generalsekretärin nötig gefunden, zu dieser Unterscheidung der SVP. Offenbar ist die historische Wahrheit der Geister beizutragen. Er hat nur jenen erst dann gefährlich, wenn ein Mitglied 189 des Bundesrates sie ausspricht. Mögen Wer will..., aber warum wollen gerade die noch so viele Historiker und Historikerinnen Nachfahren jener Parteien nicht, die sich sich um die traurige Vergangenheit der gegenüber dem faschistischen Ungeist als Schweiz im Zweiten Weltkrieg bemühen, zu wenig immun erwiesen haben? Hätte solange diese Forschungsergebnisse auf diese Verarbeitung der Vergangenheit die Universitäten beschränkt bleiben, sind Konsequenzen, die Parteisekretäre von Amtes sie unbedenklich. Was es zu verhindern wegen scheuen? gilt, ist ein neues Geschichtsbild, das den Wie müsste zum Beispiel die CVP den Mythos einer demokratischen und politischen Katholizismus ihrer Vergangenheit widerständigen, der «bewaffneten Neutralität» aufarbeiten? In diesem Heft verpflichteten Schweiz erschüttern könnte. (S. 166) wird Karl Barth zitiert, für den das Was ganz und gar nicht zu diesem Mythos Unheil des Faschismus damit beginnt, dass passt, sind die Anpasser,
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