Frankfurter Allgemeine Zeitung · 20
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Z6 Bilder und Zeiten Frankfurter Allgemeine Zeitung · 20. Oktober 2007 · Nr. 244 Im Gespräch: Christian Stangl Laufen Sie Ihrem Körper davon, Herr Stangl? Flughafen München, Aussichts- re aufbaut. Bei meiner Mount-Everest-Bestei- gung war es so, dass ich nach fünf Monaten hügel: Mit lockeren Sätzen Training meine maximale Leistungsfähigkeit kommt ein schlaksiger Mann in innerhalb von 24 Stunden abrufen konnte. einer Fleece-Jacke die Treppe Sie laufen mit einem Traktorreifen im Schlepp- herauf, die Augen strahlen tau dreißig Grad steile Schotterhänge hinauf. blau, die Wangen sind hager – Damit ich einen erhöhten Widerstand habe, ja. Der ist mit dreißig Kilogramm sogar das ist Christian Stangl, der ziemlich erhöht. Aber wenn ich mit dem Ding schnellste Bergsteiger der vier Stunden zügig bergauf gehe, dann spüre ich am nächsten Tag einen Effekt. Welt. Und schnell kommt er auch zur Sache. Sie gehen vier Stunden lang mit diesem Trak- torreifen zügig bergauf? Ja. Ich nenne den Reifen übrigens die „Bes- tie“, weil ich so eine spezielle Form von Ag- gression gegen ihn entwickelt habe. Von Andreas Lesti 69 Kilometer und 11 500 Höhenmeter – wäre das Ihre Definition eines schönen Wandertags? Herr Stangl, sind Sie als Kind eigentlich gerne Diese Tour habe ich im Nationalpark Ge- gewandert? säuse in meiner Heimat Steiermark gemacht. Immer schon. Mit vierzehn bin ich allein Ich bin an der Grenze des Parks entlanggelau- losgezogen. Das wurde dann schnell exzessiv: fen und -geklettert, mit dem ersten Morgen- Ich bin einfach sieben Tage in eine Richtung licht aufgebrochen und mit dem letzten gewandert und habe drei Gebirgszüge über- Abendlicht zurückgekommen, in sechzehn schritten. Damals schon sehr schnell, es hat Stunden und vier Minuten. mich immer gefreut, wenn ich jemanden über- holt habe. Meine Mutter sagte immer: Kannst Sie laufen immer allein. Wie motivieren Sie du nicht auch mal wie ein normaler Junge in sich auf Ihren Touren? deinem Alter ausgehen und dich mit Mädchen Wenn ich stark sein will, spreche ich Rus- treffen – aber das hat mich überhaupt nicht in- sisch mit mir. Dann fühle ich mich wie ein Ka- teressiert. Meinen ersten Berg habe ich schon pitän auf einem russischen Atomeisbrecher. mit zwei Jahren gemacht. Aber das war kein Ich stehe auf dem Schiff, es geht voran, und richtiger Sky Run: Die letzten Meter zum Gip- vor mir bricht das Eis. Die russische Phonetik fel saß ich auf den Schulter meines Vaters. gibt mir das Gefühl, dass ich stark bin. Wenn ich Angst bekomme, fange ich dagegen an, Was ist denn ein richtiger „Sky Run“? Englisch zu sprechen. „Hey man, take care“ Beim Sky Running fällt einfach alles an und solche Sachen. Das ist alles total seltsam. Hilfsmitteln weg. Es gibt keinen künstlichen Sauerstoff – das sollte man sowieso ganz ver- Wann bekommen Sie Angst? bieten –, aber auch keine Proviantlager am In der Nacht. Ich will ja immer zur wärms- Berg und keine Zelte. Es gibt nur ein Basisla- ten Tageszeit am Gipfel sein, damit ich wenig ger und einen Gipfel, sonst nichts. Und diese Kleidung brauche. Deshalb muss ich meistens Distanz legt man so schnell wie möglich zu- durch die Nacht gehen. Und mit der Nacht rück. Es muss sich aber um einen hohen Berg kommt die Urangst: wenn die Sonne unter- handeln, mindestens 4000 Meter – sonst wäre geht und du allein bist auf 7900 Metern. Um es ja ein gewöhnlicher Berglauf. drei, vier Uhr morgens kommt die Kälte dazu. Aber Angst und Kälte treiben dich weiter – da Sie kommen gerade aus Nepal und haben dort willst du gar nicht stehenbleiben. Und ehe du den 8201 Meter hohen Cho Oyu bestiegen. müde wirst, geht schon wieder die Sonne auf. Wie lange haben Sie dazu gebraucht? Fünfzehn Stunden und sechs Minuten, non- Machen Sie denn nie eine Pause? stop vom Basislager zum Gipfel. Nie! Ich bleibe nicht mal stehen, um zu trin- ken. Ich habe ein spezielles System, so dass Die Besteigung eines Achttausenders ist für ich im Gehen trinken kann. die meisten Menschen unerreichbar, für viele Bergsteiger ein Lebensziel. Und Sie machen Ihre Ausrüstung umfasst einen Skistock, ein das – wie auch schon den Mount Everest – als paar Salzkekse, Kohlehydratgel und etwas zu Tagestour? trinken. Sonst nichts. Passieren darf da nichts. Genau. Wenn ich mir den Fuß verstauche, dann habe ich ein ernsthaftes Problem. Ich habe ja Zu Reinhold Messners Zeiten war es eine Sen- auch kein Funkgerät dabei. Das ist eine Ge- sation, ohne Sauerstoff überhaupt auf Achttau- wichtsfrage: Das wiegt auch drei- oder vier- sender zu steigen. Das reicht heute nicht mehr, hundert Gramm. Und ich habe ja sowieso kei- um von sich reden zu machen. Rennen Sie des- ne Zeit zum Telefonieren. wegen auf Berge? Kopieren will ich nicht, deswegen inter- Denken Sie nie über einen Unfall nach? essiert mich die Besteigung der Achttausen- Mit Unfall und Tod setze ich mich seit 24 der im klassischen Stil nicht. Heute kann ich Jahren auseinander. Damals bin ich mit einem raufgehen, wo ich will, da war sicher schon ei- Freund in eine Lawine gekommen. Ich hatte ner oben. Da halte ich es lieber mit Che Gueva- mir den Oberschenkel gebrochen. Es gab nur ra: Seien wir realistisch, versuchen wir das Un- uns zwei, auf 6000 Meter. Als er mich allein ge- mögliche. Leider muss ich wie Messner da- lassen hat und abgestiegen ist, um Hilfe zu ho- mals ständig erklären, welchen Sinn das hat. len, dachte ich: Das war’s. Ich hatte wirklich mit dem Leben abgeschlossen. Und dann kam dieser Song: „I like to be under the sea, in an Und welchen Sinn hat das? Octopus’s garden in the shade“. Ich habe kei- Ich weiß natürlich, dass es den Verlauf der ne Ahnung, von wem der idiotische Song ist. Welt nicht beeinflusst. Aber um den Alpinis- mus weiterzuentwickeln, gibt es eben nur die Schwierigkeit, den Stil und die Geschwindig- Von den Beatles. Ihr Bergsteigerkollege Joe keit. Meine Sache sind der Stil und die Ge- Simpson hat auch einmal geschrieben, dass schwindigkeit. Und so stelle ich auch Rekorde ihm in der Todesangst das Lied „Brown Girl auf. Paul Preuß, ein österreichischer Alpinist, in the Ring“ von Boney M. durch den Kopf hat um die Jahrhundertwende gesagt: Sport ging. Und weil er nicht zu einem furchtbar ohne Rekord ist ein Begriff ohne Inhalt. schlechten Song sterben wollte, schöpfte er nochmals Kraft und überlebte. Das kann ich total verstehen. Total! Offen- Illustration Burkhard Neie/xix Ist Sky Running die ehrlichste Form des Berg- bar gibt es einen Mechanismus, der die letzten steigens? Momente ins Tragikomische zieht. Alles an Hilfestellung ist für mich kein fai- rer, ehrlicher Stil. Die ganze Lagertaktik, die gen und Schlamm. Oben auf dem Hochmoor steigt, muss bei 4000 Meter einen Akklimatisati- Im November fliegen Sie in die Antarktis, um seit fünfzig Jahren herrscht – das brauche ich waren es dann nur noch zehn Grad, und das in onstag einlegen. Deswegen brauchen normale den Mount Vinson, den Letzten der „Seven alles nicht mehr. Die Energie, die andere für der nassen Kleidung – das war schon hart. Zur Person Menschen sechs Tage. Sie haben es in nicht mal Summits“, zu besteigen. das Errichten von Lagern einsetzen, stecke ich sechs Stunden gemacht. Wie geht das? Ein harter Brocken. Langer Anmarsch, wie in den Aufstieg. Außerdem ist Sky Running í Der Österreicher Christian Stangl wurde Trotzdem haben Sie wieder einen Rekord auf- Die Frage kann ich nicht beantworten und beim Denali, wo ich vom Flugplatz bis zum ökologisch vorbildlich. Man weiß ja, wie viel 1966 in der Obersteiermark geboren. Er gilt gestellt. auch nicht Martin Burtscher, mein Höhenme- Gipfel 24 Kilometer laufen musste. Und niedri- von den Lagern auf dem Berg liegenbleibt. als neuer Superstar der Bergsteigerszene. Ja, und viel besser, als ich je zu träumen ge- diziner der Uni Innsbruck: Offenbar bin ich so ge Temperaturen: Wenn du in den Schatten der wagt hätte. schnell, dass mein Körper gar nicht bemerkt, Berge kommst, sinken die Temperaturen von Wie war das, sind Sie irgendwann aufgewacht í Stangl nennt sich „Skyrunner“: Bei dieser was mit ihm passiert. Bevor die Akklimatisati- minus zwanzig auf minus vierzig Grad Celsius. und haben gesagt: Ich bin jetzt Sky Runner? neuen Form des Alpinismus geht es darum, Wie ist es, plötzlich ein Filmstar zu sein? on eintritt, bin ich schon wieder unten. Die Und dann die Wandhöhen! Die sind alle 2000 Das war 2002 am Aconcagua in Südameri- möglichst hohe Berge möglichst schnell zu Ach, mir ist das eigentlich alles zu viel. Und Höhenkrankheit tritt meist nachts in den La- Meter hoch. Lauter Eiger-Nordwände. ka. Da habe ich gemerkt, wie schnell ich sein besteigen, und das möglichst naturbelassen wenn ich mir alle meine Reisen leisten könn- gern auf. Und das gibt es bei mir ja nicht. Ich kann: Ich bin in vier Stunden und 25 Minuten – ohne Träger, künstlichen Sauerstoff, Lager, te, würden wir jetzt gar nicht hier sitzen. Viele überspringe sozusagen die Inkubationszeit Der Rekord steht bei 26 Stunden, hoch und hoch. Bis dahin war ich Elektrotechniker. Da- Zelte und auch ohne Funkgerät. Leute sagen, ich sei naiv und verkaufe mich der Höhenkrankheit. runter. Für Sie wieder nur eine Wandertour? mals habe ich mich entschieden, als Profi wei- nicht gut. Aber mir ist das schon lästig, wenn Nein, das wird ganz, ganz knapp. Mir geht terzumachen, als Sky Runner eben. Dann ka- í Momentan rennt Stangl auf die höchsten ich auf einer Berghütte plötzlich von Wild- Beim Höhenbergsteigen spricht man über es aber auch noch um meine Gesamt-Auf- men die Rekorde am Elbrus und am Mount Bergen der sieben Kontinente, sechs davon fremden gefragt werde, wo die nächste Tour 7000 Metern von der „Todeszone“, weil der stiegszeit der „Seven Summits“. Die liegt jetzt Everest und schließlich die Idee mit den „Se- hat er schon in Rekordzeit bestiegen: den hingeht.