Urpfarrei Tuggen : von Kolumban und Gallus bis zum Reformator Jakob Kaiser

Autor(en): Hug, Albert

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Mitteilungen des historischen Vereins des Kantons Schwyz

Band (Jahr): 100 (2008)

PDF erstellt am: 01.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-169361

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http://www.e-periodica.ch Urpfarrei Tuggen: Von Kolumban und Gallus bis zum Reformator Jakob Kaiser

Albert Hug

Gallus und Kolumban zertrümmern Götzen in Tuggen. Johann Sebastian Herrsche malte das Bild, das sich in der Galluskapelle in St. Gallen befindet, in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

280 trifft sich bekanntlich nicht selten, dass ein regional Die Archäologie und die Namenforschung Hilty) weisen Eswohlbekanntes und weithin nicht in Zweifel gezogenes nach, dass die alemannische Siedlungstätigkeit in der historisches Ereignis in der Forschung auf wackligen Füssen heutigen Deutschschweiz nicht vor Ende des 6. Jahrhunderts steht, sich jedenfalls der Evidenz und einer lückenlosen einsetzte. Die von Walter Drack geleiteten archäologischen Beweisführung entzieht. Dies gilt bis zu einem gewissen Grad Grabungen anlässlich des Kirchenumbaus von auch für den vermuteten Aufenthalt der irischen Mönche 1958/59 stiessen auf eine Dreiergrablege vornehmer Kolumban und Gallus in Tuggen. Die Geschichte: 591 Alemannen mit Schmuck- und Waffenbeigaben. Dank dieser verliess Kolumban mit 12 Gefährten, darunter Gallus, seine Funde können die freigelegten Grundmauern einer Heimatinsel, mehr um «für Christus ins Exil» zu gehen als merowingischen Kirche in dieZeit zwischen 670 und 700 datiert mit der Absicht auf dem Festland zu missionieren. Die werden. Die Christianisierung erfolgt also in der zweiten Mönche gründeten mehrere Klöster, darunter Luxeuil. Wegen Hälfte des 7. Jahrhunderts. Man geht heute davon aus, dass Differenzen mit der kirchlichen und politischen der alemannische Grundherr, der diese Eigenkirche baute, Führung aus Burgund vertrieben, schickte sie König Theudebert der Beata-Landolt-Sippe, einem bedeutenden II. mit einem Missionsauftrag nach Alemannien. Ihr Grundherrengeschlecht im Zürichgau und im Thurgau, angehörte. Ziel war Italien. Der Weg sollte von Basel nach Zürich und Beata, die Gemahlin von Landolt, schenkte um 741 Güter von dort über die Bündnerpässe führen. Um 611 könnten imZürcher Oberland an dasFrauenklösterchen aufder sich die Mönche in Tuggen aufgehalten haben. Obwohl in Lützelau, dem sie als «ancilla Dei» wohl selbst vorstand. Bereits einer Urkunde 844) erwähnt,zogen dieMönche eine 744 verkauft Beata das Klösterchen auf der Lützelau und Klostergründung an diesem Ort kaum in Erwägung. Hingegen ihre Besitzungen an das Kloster St. Gallen. Den Erlös waren sie nach den Berichten zu schliessen bestrebt, die verwendete sie, wie es heisst, für eine Wallfahrt nach Rom, von Heiden zu bekehren und ihre abergläubischen Praktiken welcher sie und ihr Gemahl offensichtlich nicht mehr auszurotten. Ein zu rigoroses Vorgehen – «der selige Gallus zurückkehrten. In der Nachfolge der Beata-Sippe bildete die zündete in heiligem Zorn die Heiligtümer an und Mark Tuggen Obermarch) zunächst eine geschlossene versenkte im See, was er an Opfergaben darin fand» Walahfrid) Grundherrschaft. Durch Erbteilung im 8. Jahrhundert vollzog – liess die Bekehrungsaktion scheitern. Auch bei einem sich eine innere Gliederung in drei Höfe. Im Jahr 844 zweiten Missionsversuch in Bregenz war den Iren kein machte Wolfhart, der von der Beata-Landolt-Sippe Erfolg beschieden. Ohne Gallus, der fieberkrank zurückblieb, abstammte, eine Schenkung an die Abtei Bobbio, die aus zwei zog Kolumban mit den übrigen Gefährten in das Land der Teilen bestand, dem Hof und der Kirche Wangen und dem Langobarden, wo es in Bobbio Oberitalien) zur letzten Rikerhof – Riker war vermutlich sein Vater –, den Alpgebieten Klostergründung kam. in der heutigen Gemeinde Schübelbach und im Zum Wirken der beiden Heiligen in Tuggen verweist die Wägital. Der dritte Teil dieser Segmentierung war der Pfäferserhof. Forschung insbesondere auf vier Viten. Zwei von ihnen Das churrätische Reichsguturbar erwähnt für die erwähnen den Aufenthalt inTuggen: DieVita Sancti Galli des Jahre 842/843 unter den Gütern des Klosters Pfäfers den Reichenauer Mönchs Wetti und jene des Reichenauer Abtes Hof Tuggen und die Kirche. Walahfrid Strabo. DieseHeiligenlegendensindzwischen Im Verlauf der Jahrhunderte entstanden in der Urpfarrei 816 und 835 entstanden. Die wissenschaftliche Kontroverse Tuggen eine grössere Zahl von Kapellen und Kirchen. Sie um den Aufenthalt der Heiligen in Tuggen kann hier standen zunächst in einem Filialverhältnis zu Tuggen und nicht näher ausgebreitet werden. Das Ergebnis aus aktueller entwickelten sich erst allmählich und oft in langwierigen Sicht auf den Punkt gebracht: «Der Missionsaufenthalt Prozessen zu eigenständigen Pfarreien. Dazu einige des irischen Mönchstrupps in Tuggen ist somit nicht ohne Eckpunkte: In Tuggen, spätestens Ende des 7. Jahrhunderts weiteres als ungeschehen zu betrachten.» Mächler, analog Kläui, christianisiert, verweisen die Fundamente der ersten Kirche Hilty) Die erwähnte Zerstörung der heidnischen Heiligtümer um 670–690) auf eine rechteckige Saalkirche mit einer darf nicht beim Nennwert genommen werden. Ähnlich halbkreisförmigen Apsis. Um das Jahr 1100 entstand an wie bei Berichten über das Fällen kultisch verehrter gleicher Stelle eine zweite, wohl romanische Kirche. Im Westen Eichen handelt es sich um einen Topos, der dazu diente, das besass sie eine Vorhalle. Die dritte mittelalterliche Kirche Bild des Heiligen mit statusgebundenen Attributen wurde um 1350 in gotischem Stil gebaut. Im Osten ersetzte auszustatten. man die Apsis durch einen polygonalen Chor und baute an

281 Jakob Kaiser wird in Schwyz verbrannt. Detail der Bronzetüre am Südportal des Zürcher Grossmünsters, geschaffen von Otto Münch 1939). der Westseite eine Empore ein. Die Kirche erhielt den im von Pfäfers. Tuggen seinerseits verzichtete 1562 zwar auf die Kernnoch heute bestehenden Turm. Bis zumbarocken Neubau kirchlichen Rechte in , doch entliess es die blieb diese Kirche mit einigen Veränderungen erhalten. ehemaligen Pfarrkinder noch nicht gänzlich aus der Pflicht. Sie Von der Kirche Wangen, die 844 durch die oben genannte mussten bis 1644 für bestimmte Zwecke an den Unterhalt Schenkung an St. Peter zu Bobbio, der Grabstätte des hl. der Kirche Tuggen beisteuern. Die 1370 erstmals im «Liber Kolumban, fiel, spaltete sich im 9. oder 10. Jahrhundert Nuolen Marcarum» Verzeichnis der päpstlichen Zehnten) der als Kirche einer kleinen Grundherrschaft ab. Aus den Diözese Konstanz genannte Kapelle in Schübelbach war Filialkirchen der GrosspfarreiTuggen gingen erst in der frühen ebenfalls von Tuggen abhängig. Sie erhielt offenbar häufige Neuzeit selbstständige Pfarreien hervor. Die Abkurungen Zuwendungen und dürfte vielleicht schon um die erfolgten schrittweise und erstreckten sich meist über längere Jahrhundertmitte bestanden haben. Seit Beginn des 16. Jahrhunderts Zeit. Im Jahr 1368 erwarb das Kloster Einsiedeln den Hof suchte sich Schübelbach von Tuggen zu lösen. Ein Reichenburg. Mindestens teilweise gehörte er bereits im Jahr Abkurungsversuch von 1528 misslang. Doch wenig später, im 1300, als in einer Urkunde erstmals von der «burg ze Richenburg Jahr 1536, gewährte der Konstanzer Bischof Johannes IV. » die Rede ist, dem Kloster. Die von Tuggen abhängige Schübelbach eine Eigenständigkeit «in geistlichen Sachen» Laurentiuskapelle bestand sicher im 15. Jahrhundert. Den Zwar entstand nun zusammen mit Buttikon und Siebnen Bau einer eigenen Pfarrkirche bewilligte 1498 Abt Melchior eine quasi eigene Pfarrei. Trotzdem brauchten die Schübel-

282 bacher noch viel Geduld, bis die endgültige Abtrennung den spätmittelalterlichen Frömmigkeitsformen verbundene vollzogen war. 1641 brach ein erbitterter Streit aus, weil die Glaubenskrise. Jakob Kaiser stammte aus . Er neue Pfarrei eine Friedhofmauer in Tuggen mitfinanzieren studierte mit anderen Schweizern an der Universität Krakau. sollte. Die angerufene Schwyzer Obrigkeit erklärte zwar Wann und wo er zum Priester geweiht wurde, ist nicht Schübelbach für eigenständig, auferlegte ihm aber doch – bekannt. Als Anhänger Zwinglis wirkte er zunächst als Pfarrer letztmals –die geforderte Leistung. In einem neuen Konflikt auf der Ufenau, ab 1522 in Schwerzenbach und später auch verlangte die Abtei Pfäfers das Recht der Pfarrwahl. Der in Oberkirch bei Kaltbrunn. «Die Eidgenössischen Schwyzer Rat bestätigte 1644 seinen Entscheid und 1652 Abschiede» dokumentieren die Teilnahme Kaisers an der Berner kaufte die Pfarrgemeinde Schübelbach «von der Abtei alle Disputation 1528), einer der grössten Kundgebungen Rechte, Besitzungen und Zinsen in der Landschaft aus.» der Reformation. Er war auch massgeblich beteiligt an der Mächler, Festschrift) In Siebnen stand vermutlich bereits Reformation des Gasterlandes. Über seinem reformatorischen um 1370 eine Kapelle als Filiale von Tuggen. Seit dem Wirken in der March liegt der Schleier des Schweigens, Beginn des 17.Jahrhunderts stand derPfarrer von Schübelbach was ohne Zweifel mit der dezidierten Haltung der in der Pflicht, wöchentlich in der neu erbauten Kapelle eine Schwyzer Obrigkeit für den katholischen Glauben zu tun Messe zu halten. Im 18. Jahrhundert bestellte die Siebner hat. Dennoch: «Tatsache ist, dass Kaiser Tuggen zum Genosssame einen Frühmesser. Nach dem Bau einer neuen Protestantismus überführte.» Rey) Die geografische Lage Tuggens, Kirche wurde Siebnen am 25. Juli 1927 zur selbstständigen wie auch der Immobilienbesitz von Zürchern in der Pfarrei erhoben. Buttikon gehörte bis 1538 zur Pfarrei Tuggen, Gemeinde, dürften einen, wenn auch nur einen kurzfristigen dann zu Schübelbach. Die Genosssame baute 1635 eine 1529), Kryptoprotestantismus in der Gegend als Kapelle. Geweiht war sie dem hl. Magnus, der mithelfen wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Festnahme des Prädikanten sollte, die Gegend von einer jahrelangen Käfer- und Mäuseplage hatte für die Schwyzer Regierung hohe Priorität. Am 22. zu befreien. 1967 wurde Buttikon von Schübelbach Mai 1529 war es soweit: Im weiteren Umfeld der Grinau – abgetrennt und ist seither eine eigene Pfarrei. Über die nicht klar nachgewiesen, ob auf Schwyzer oder auf St. Galler Zugehörigkeit des Wägitals zu Tuggen bestand im späten Uznach/Eschenbach) Boden – kam es zur Verhaftung Mittelalter eine gewisse Unklarheit. Der Ablassbrief vom Kaisers und dann zur Überführung nach Schwyz. Eines 2.6.1345 spricht zwarunmissverständlich von der Kapelle in Kapitalverbrechens beschuldigt wurde er – trotz heftiger als einer Filiale von Tuggen. Wenn demgegenüber diplomatischer Interventionen –am 29. Mai alsKetzer verbrannt. im Jahr 1364 der Bischof von Konstanz ausserdem auch Die Proteste brachen auch nach Jakob Kaisers Tod nicht ab Rechte der Pfarrherren von , Altendorf und Wangen und sie dürften die Spannungen zwischen den katholischen an Talbewohnern geltend machte, so bezogen sich diese und den protestantischen Orten im Vorfeld des Ersten Kappeler wohl auf Personen, die aus diesen Pfarreien ins Wägital Krieges noch zusätzlich angeheizt haben. abgewandert waren. Die Abkurung erfolgte schrittweise zwischen 1365 und 1568. Mit der kirchlichen Teilung des Literatur Wägitals im Jahr 1776 wurde auch zu einer selbstständigen Pfarrei erhoben. – Mächler Josef, Geschichte der Gemeinde Schübelbach, Ein kurzer Exkurs zu Jakob Kaiser aus der Zeit der Lachen 1979. Reformation beschliesst diesen Beitrag. Das kirchliche Leben in – Hilty Gerold, Gallus in Tuggen. Zur Frage der der Grosspfarrei Tuggen verlief im ausgehenden Mittelalter deutschromanischen Sprachgrenze im Linthgebiet vom 6. bis mit ähnlichen positiven und negativen Vorzeichen wie zum 9. Jahrhundert, in: Vox Romanica 44 1985), anderswo im schweizerischen Raum.Historisch belegt sind nur S. 125–155. spektakuläre Einzelheiten, etwa Turbulenzen bei der Besetzung – Hasler Kaspar/Jörger Albert/Mächler Josef/Schmid Felix, der Pfarrstelle, wofür Ende des 14. Jahrhunderts der Die Pfarrkirche St. Konrad zu Schübelbach. Festschrift päpstliche Günstling Rudolf Hüsli und ein Jahrhundert später zur Vollendung der Restaurierung 1976–1978, Schübelbach der Pfründenjäger Rudolf von Tobel sorgten. Stärker 1978. bestimmt war die Vorstufe zur Reformation wohl eher von den – Rey Alois, Neues über Jakob Kaiser, den Reformator zunehmend angespannteren Beziehungen zwischen der Kirche von Kaltbrunn und Tuggen, in: MHVS 75 1983), und der weltlichen Obrigkeit, aber auch durch die mit S. 131–147.

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