Flora Und Florenwandel Im Stadtgebiet Hildesheim 55-68 55

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Flora Und Florenwandel Im Stadtgebiet Hildesheim 55-68 55 ZOBODAT - www.zobodat.at Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database Digitale Literatur/Digital Literature Zeitschrift/Journal: Naturhistorica - Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover Jahr/Year: 2014 Band/Volume: 156 Autor(en)/Author(s): Müller Werner Artikel/Article: Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 55-68 55 Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim Werner Müller Zusammenfassung Innenstadt wie auch auf die naturnahen Ziel der vorliegenden Untersuchung ist Flächen an der Peripherie des Stadtgebie- es, die Arbeit an der Erfassung sämtli- tes. Die nachfolgenden Untersuchungen cher wildwachsender Gefäßpflanzen der der Phasen 2 und 3 belegen eine überra- Stadt Hildesheim in den Jahren 1993 bis schende Dynamik im Kommen und Ge- 1998 vorzustellen (Phase 1), die weitere hen der Arten, von denen weitere 93 für Entwicklung der Flora in den Folgejah- die Stadt Hildesheim nachgewiesen wer- ren zwischen 2002 und 2007 (Phase 2) so- den konnten. Auch erfuhren eine Reihe wie zwischen 2010 und 2012 (Phase 3) zu ursprünglich seltener Vertreter innerhalb verfolgen und mit den ersten Ergebnissen weniger Jahre eine außerordentlich rasche (Phase 1) zu vergleichen. Die insgesamt Ausbreitung. So bot es sich an, der Frage hohe Anzahl von zunächst 960 nachgewie- nach den Ursachen dieses Florenwandels senen Arten konzentriert sich ebenso auf nachzugehen und hierbei die Faktoren Kli- die Industrie- und Siedlungszentren der ma und Boden näher zu beleuchten. Abstract The intention behind the presented stu- the town of Hildesheim during the years dy is to show the work and recording of 1993 – 1998 (phase 1), to pursue the further all the vascular plants growing wild within development of the flora in the following Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 56 Werner Müller years between 2002 and 2007 (phase 2), as in the coming and going of species from well as between 2010 and 2012 (phase 3) which a further 93 can be registered for the and to compare these with the first results town of Hildesheim. A number of previ- (phase 1). The high number of initially 960 ously rare examples have shown an excep- recorded species come from the industrial tionally rapid increase within just a few ye- and residential areas of the town centre as ars. So one must question the cause of this well as from peripheral areas of the town floral behaviour and examine more closely with natural growth. The following studies the factors Climate and Soil. of phase 2 – 3 show a surprising activity Zur Topographie Das Stadtgebiet Hildesheim mit seinen weitgehend auf die Uferbereiche der durch ca. 100 000 Einwohnern liegt im Grenzbe- Schwermetalle belasteten Innerste be- reich zwischen dem südniedersächsischen schränkt bleiben. An Umfang übertrifft die Berg- und Hügelland und der Börde, die von der Landwirtschaft genutzte Fläche zur norddeutschen Tiefebene überleitet. die Summe von Verkehrs- und Siedlungs- Seine höchste Erhebung hat das 92 km2 anteilen (952 ha und 2002 ha). große Areal mit 281 m üNN am Aussichts- Hervorzuheben bleibt als Grünland der turm des Sonnenberges. Von hier fällt die ehemalige Standortübungsplatz im Nor- Fläche bis auf 70 m üNN am Flussbett der den der Stadt, der mit seiner Ausdehnung Innerste ab, die in einer Länge von knapp von 276 ha durch die Fauna-Flora-Habi- 13 km die Stadt in Nord-Süd-Richtung tatrichtlinie einen besonderen Schutz er- durchquert. Neben weiteren Wasserläufen hielt, da er einer Vielfalt gefährdeter Tiere wie Trillkebach und Beuster, Kupferstrang (z. B. dem Urzeitkrebs Triops cancriformis) und Beeke ist das Siedlungsgebiet von ei- und Pflanzen (u. a. Orchideen) geeignete nem Netz aus Park- und Wallanlagen, Lebensräume bietet. Friedhöfen und eingeschlossenen Gehöl- Schließlich darf der hohe Waldanteil zen sowie Grünzonen durchzogen, die ca. Hildesheims mit einer Ausdehnung von 27 % der Stadtfläche einnehmen. Hier lie- 1872 ha (= 20,3 % des Gesamtareals) nicht gen sechs Naturschutzgebiete mit einer unerwähnt bleiben. Er verweist auf die Ausdehnung von 384,5 ha und an der Peri- besondere Lage der Stadt am Rande des pherie 13 unter Landschaftsschutz gestell- Mittelgebirges und markiert die Höhenzü- te Waldflächen von insgesamt 1330 ha. ge. Ihre charakteristischen Schichtkämme Betrachten wir die Nutzungsanteile des führen vom Buntsandstein des Hildeshei- Siedlungsraumes innerhalb der Stadtgren- mer Waldes mit seinen Hainsimsen-Bu- ze, so fällt zunächst mit 3347 ha (= 36,3 chenwäldern zum unteren und oberen Mu- %) die Landwirtschaft ins Auge (Abb. 1). schelkalk am Gall-, Rotts-, Lerchen- und Eine Ursache liegt in den Gebietsrefor- Finkenberg, auf dem die Haargersten- und men von 1965 und vor allem 1975, die das Seggen-Buchenwälder stehen, und weiter Stadtgebiet um fast das Vierfache seiner zum oberen Keuper von Mast- und Stein- Ausdehnung wachsen ließen. Der Zuge- berg und den Jurakalken des Knebelmas- winn betraf nicht zuletzt die Ackerflächen sivs. der Börde, während Wiesen und Weiden Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 57 Abb. 1 Nutzungsanteile Bebaute Fläche der Stadtfläche in Prozent. Verkehrsfläche Öffentliche Grünanlagen Landwirtschaftsfläche Wald Gewässer Sonstige 0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00% Erste Phase der Kartierung Während noch bis ins letzte Jahrhundert der amtlichen Stadtkarte Hildesheims eine floristische und vegetationskundli- 1 : 15 000. che Erforschung urbaner Lebensräume in Bei der Stadtgröße von 93 km2 (seit Deutschland kaum Beachtung fand, führ- 2004 noch 92 km2) ergaben sich insgesamt ten die gründlichen Untersuchungen von 113 (112) Felder, da die peripheren Raster- Scholz (1956) und Kunick (1974) in Berlin quadrate von dem Grenzverlauf der Stadt zu einem ersten Durchbruch (Sukopp & nicht selten durchschnitten und dadurch Wittig 1993). Inzwischen sind zahlreiche verkleinert wurden. Das Bemühen zielte Stadtfloren erschienen, so für Duisburg darauf, bis 1998 den gesamten Artenbe- (Düll & Kützelnigg 1987), Darmstadt stand aller Quadratfelder möglichst voll- ( Jung 1992), Bremen (Nagler & Cordes ständig einzufangen und zu beschreiben. 1993), Greifswald (König 2005), Leipzig Die Ergebnisse führten zu der ersten Flora (Gutte 2006), Coesfeld (Hübschen 2007), von Hildesheim, Müller (2001). Weimar (Kämpfe 2009) oder Hamburg (Poppendieck et al. 2010). Erste Ergebnisse Seit 1993 begannen auch in Hildesheim eine Arbeitsgruppe des Ornithologischen Insgesamt konnten am Ende der Unter- Vereins und weitere interessierte Mitarbei- suchungen 960 Sippen (Arten und Unter- ter, alle Gefäßpflanzen der Stadt möglichst arten) dokumentiert werden. Für eine jede exakt in einem Punktraster zu erfassen. beschreibt eine Punktrasterkarte ihr Vor- Wegen der zahlreichen, häufig wechseln- kommen im Stadtbereich. Weitere Infor- den Kleinstlebensräume gerade innerhalb mationen über die Vergesellschaftung jeder von Siedlungsflächen schien ein Rasternetz Sippe, die nachgewiesene Bestandsgröße auf Quadrantenbasis für eine genaue Dar- und erklärende Hinweise über Herkunft, stellung zu grobmaschig, deshalb wurden morphologische bzw. ökologische Beson- als Koordinaten die Gauß-Krüger-Feldli- derheiten einzelner Arten, ihre Bedeu- nien mit Quadratfeldgrößen von 1 km × tung für Medizin und Pharmazie, Bestim- 1 km zugrunde gelegt. Sie finden sich so- mungshilfen etc. schließen sich an (vgl. als wohl auf Messtischblättern als auch in Beispiel Abb. 2). Welche Verteilung weisen Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 58 Werner Müller 84 84 258 121 129 130 • • •• 83 83 317 319 338 180 199 222 139 99 59 • • •••• 82 82 272 368 338 311 342 304 246 165 149 • • •• •• 81 81 87 105 287 184 319 231 367 269 279 170 219 135 • • •••• 80 80 116 188 181 370 306 268 414 239 222 195 149 161 115 • • • 79 79 149 179 301 373 314 275 372 335 252 278 228 185 114 • • ••• 78 78 145 333 257 332 286 310 297 352 240 265 386 360 271 156 • • • • ••• 77 77 258 222 317 365 317 261 299 336 299 203 313 254 142 • • • • 76 76 183 245 211 246 221 246 250 188 263 297 242 • • 75 75 227 227 223 285 211 182 176 215 271 • • •• 74 74 86 226 194 205 73 73 156 132 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 Abb. 2 Punktrasterkarte vom Graugrünen Gän- Abb 3 Anzahl der Sippen, die in den einzelnen sefuß. Grün = Wald; Ocker (rot) = bebaute Fläche; Quadratfeldern nachgewiesen wurden. Die Rand- Gelb = Grünland, Acker. felder, die nicht die volle Größe besitzen, sind grau unterlegt. Chenopodium glaucum L. – Graugrüner Gänsefuß. Vorkommen: An Ufern und auf Äckern; auf feuch- Die artenarmen Rasterfelder beschränken ten, nitratreichen Böden, besonders in der Börde, sich auf die ackerbaulich genutzten Flä- auf Zuckerrübenäckern, die mit Klärschlamm gedüngt sind. chen der Braunschweig-Hildesheimer und Vergesellschaftung: Mit Arten der Erdrauch-Wolfs- Calenberger Lössbörde mit geringer Di- milch-Gesellschaften, in Zweizahn-Knöterich-Ufer- versität der Pflanzengesellschaften (Abb. gesellschaften mit Rotem Gänsefuß (Chenopodium 3). rubrum), Vielsamigem Gänsefuß (Chenopodium polyspermum) und Dreiteiligem Zweizahn (Bidens Besondere Beachtung verdient, dass mit tripartita). 307 Sippen fast ein Drittel aller nach- Bestand: Verbreitet (42 %). Bestandsentwicklung gewiesenen Arten in nur 1 % – 4 % aller wird durch Düngung gefördert. Bemerkungen: Ein Therophyt, der als halotole- Rasterfelder gefunden wurde, d. h. für die rante Art auch auf salzbelasteten Böden wächst.
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