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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Naturhistorica - Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover

Jahr/Year: 2014

Band/Volume: 156

Autor(en)/Author(s): Müller Werner

Artikel/Article: Flora und Florenwandel im Stadtgebiet 55-68 55

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim Werner Müller

Zusammenfassung Innenstadt wie auch auf die naturnahen Ziel der vorliegenden Untersuchung ist Flächen an der Peripherie des Stadtgebie- es, die Arbeit an der Erfassung sämtli- tes. Die nachfolgenden Untersuchungen cher wildwachsender Gefäßpflanzen der der Phasen 2 und 3 belegen eine überra- Stadt Hildesheim in den Jahren 1993 bis schende Dynamik im Kommen und Ge- 1998 vorzustellen (Phase 1), die weitere hen der Arten, von denen weitere 93 für Entwicklung der Flora in den Folgejah- die Stadt Hildesheim nachgewiesen wer- ren zwischen 2002 und 2007 (Phase 2) so- den konnten. Auch erfuhren eine Reihe wie zwischen 2010 und 2012 (Phase 3) zu ursprünglich seltener Vertreter innerhalb verfolgen und mit den ersten Ergebnissen weniger Jahre eine außerordentlich rasche (Phase 1) zu vergleichen. Die insgesamt Ausbreitung. So bot es sich an, der Frage hohe Anzahl von zunächst 960 nachgewie- nach den Ursachen dieses Florenwandels senen Arten konzentriert sich ebenso auf nachzugehen und hierbei die Faktoren Kli- die Industrie- und Siedlungszentren der ma und Boden näher zu beleuchten.

Abstract

The intention behind the presented stu- the town of Hildesheim during the years dy is to show the work and recording of 1993 – 1998 (phase 1), to pursue the further all the vascular plants growing wild within development of the flora in the following

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 56 Werner Müller

years between 2002 and 2007 (phase 2), as in the coming and going of species from well as between 2010 and 2012 (phase 3) which a further 93 can be registered for the and to compare these with the first results town of Hildesheim. A number of previ- (phase 1). The high number of initially 960 ously rare examples have shown an excep- recorded species come from the industrial tionally rapid increase within just a few ye- and residential areas of the town centre as ars. So one must question the cause of this well as from peripheral areas of the town floral behaviour and examine more closely with natural growth. The following studies the factors Climate and Soil. of phase 2 – 3 show a surprising activity

Zur Topographie

Das Stadtgebiet Hildesheim mit seinen weitgehend auf die Uferbereiche der durch ca. 100 000 Einwohnern liegt im Grenzbe- Schwermetalle belasteten Innerste be- reich zwischen dem südniedersächsischen schränkt bleiben. An Umfang übertrifft die Berg- und Hügelland und der Börde, die von der Landwirtschaft genutzte Fläche zur norddeutschen Tiefebene überleitet. die Summe von Verkehrs- und Siedlungs- Seine höchste Erhebung hat das 92 km2 anteilen (952 ha und 2002 ha). große Areal mit 281 m üNN am Aussichts- Hervorzuheben bleibt als Grünland der turm des Sonnenberges. Von hier fällt die ehemalige Standortübungsplatz im Nor- Fläche bis auf 70 m üNN am Flussbett der den der Stadt, der mit seiner Ausdehnung Innerste ab, die in einer Länge von knapp von 276 ha durch die Fauna-Flora-Habi- 13 km die Stadt in Nord-Süd-Richtung tatrichtlinie einen besonderen Schutz er- durchquert. Neben weiteren Wasserläufen hielt, da er einer Vielfalt gefährdeter Tiere wie Trillkebach und , Kupferstrang (z. B. dem Urzeitkrebs Triops cancriformis) und Beeke ist das Siedlungsgebiet von ei- und Pflanzen (u. a. Orchideen) geeignete nem Netz aus Park- und Wallanlagen, Lebensräume bietet. Friedhöfen und eingeschlossenen Gehöl- Schließlich darf der hohe Waldanteil zen sowie Grünzonen durchzogen, die ca. Hildesheims mit einer Ausdehnung von 27 % der Stadtfläche einnehmen. Hier lie- 1872 ha (= 20,3 % des Gesamtareals) nicht gen sechs Naturschutzgebiete mit einer unerwähnt bleiben. Er verweist auf die Ausdehnung von 384,5 ha und an der Peri- besondere Lage der Stadt am Rande des pherie 13 unter Landschaftsschutz gestell- Mittelgebirges und markiert die Höhenzü- te Waldflächen von insgesamt 1330 ha. ge. Ihre charakteristischen Schichtkämme Betrachten wir die Nutzungsanteile des führen vom Buntsandstein des Hildeshei- Siedlungsraumes innerhalb der Stadtgren- mer Waldes mit seinen Hainsimsen-Bu- ze, so fällt zunächst mit 3347 ha (= 36,3 chenwäldern zum unteren und oberen Mu- %) die Landwirtschaft ins Auge (Abb. 1). schelkalk am Gall-, Rotts-, Lerchen- und Eine Ursache liegt in den Gebietsrefor- Finkenberg, auf dem die Haargersten- und men von 1965 und vor allem 1975, die das Seggen-Buchenwälder stehen, und weiter Stadtgebiet um fast das Vierfache seiner zum oberen Keuper von Mast- und Stein- Ausdehnung wachsen ließen. Der Zuge- berg und den Jurakalken des Knebelmas- winn betraf nicht zuletzt die Ackerflächen sivs. der Börde, während Wiesen und Weiden

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 57

Abb. 1 Nutzungsanteile Bebaute Fläche der Stadtfläche in Prozent.

Verkehrsfläche

Öffentliche Grünanlagen

Landwirtschaftsfläche

Wald

Gewässer

Sonstige 0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00%

Erste Phase der Kartierung

Während noch bis ins letzte Jahrhundert der amtlichen Stadtkarte Hildesheims eine floristische und vegetationskundli- 1 : 15 000. che Erforschung urbaner Lebensräume in Bei der Stadtgröße von 93 km2 (seit Deutschland kaum Beachtung fand, führ- 2004 noch 92 km2) ergaben sich insgesamt ten die gründlichen Untersuchungen von 113 (112) Felder, da die peripheren Raster- Scholz (1956) und Kunick (1974) in Berlin quadrate von dem Grenzverlauf der Stadt zu einem ersten Durchbruch (Sukopp & nicht selten durchschnitten und dadurch Wittig 1993). Inzwischen sind zahlreiche verkleinert wurden. Das Bemühen zielte Stadtfloren erschienen, so für Duisburg darauf, bis 1998 den gesamten Artenbe- (Düll & Kützelnigg 1987), Darmstadt stand Quadratfelder möglichst voll- ( Jung 1992), Bremen (Nagler & Cordes ständig einzufangen und zu beschreiben. 1993), Greifswald (König 2005), Leipzig Die Ergebnisse führten zu der ersten Flora (Gutte 2006), Coesfeld (Hübschen 2007), von Hildesheim, Müller (2001). Weimar (Kämpfe 2009) oder Hamburg (Poppendieck et al. 2010). Erste Ergebnisse Seit 1993 begannen auch in Hildesheim eine Arbeitsgruppe des Ornithologischen Insgesamt konnten am Ende der Unter- Vereins und weitere interessierte Mitarbei- suchungen 960 Sippen (Arten und Unter- ter, alle Gefäßpflanzen der Stadt möglichst arten) dokumentiert werden. Für eine jede exakt in einem Punktraster zu erfassen. beschreibt eine Punktrasterkarte ihr Vor- Wegen der zahlreichen, häufig wechseln- kommen im Stadtbereich. Weitere Infor- den Kleinstlebensräume gerade innerhalb mationen über die Vergesellschaftung jeder von Siedlungsflächen schien ein Rasternetz Sippe, die nachgewiesene Bestandsgröße auf Quadrantenbasis für eine genaue Dar- und erklärende Hinweise über Herkunft, stellung zu grobmaschig, deshalb wurden morphologische bzw. ökologische Beson- als Koordinaten die Gauß-Krüger-Feldli- derheiten einzelner Arten, ihre Bedeu- nien mit Quadratfeldgrößen von 1 km × tung für Medizin und Pharmazie, Bestim- 1 km zugrunde gelegt. Sie finden sich so- mungshilfen etc. schließen sich an (vgl. als wohl auf Messtischblättern als auch in Beispiel Abb. 2). Welche Verteilung weisen

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58 Werner Müller

84 84 258 121 129 130 • • ••

83 83 317 319 338 180 199 222 139 99 59 • • •••• 82 82 272 368 338 311 342 304 246 165 149 • • •• •• 81 81 87 105 287 184 319 231 367 269 279 170 219 135 • • •••• 80 80 116 188 181 370 306 268 414 239 222 195 149 161 115 • • • 79 79 149 179 301 373 314 275 372 335 252 278 228 185 114 • • ••• 78 78 145 333 257 332 286 310 297 352 240 265 386 360 271 156 • • • • ••• 77 77 258 222 317 365 317 261 299 336 299 203 313 254 142 • • • •

76 76 183 245 211 246 221 246 250 188 263 297 242 • • 75 75 227 227 223 285 211 182 176 215 271 • • ••

74 74 86 226 194 205

73 73 156 132 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 2 Punktrasterkarte vom Graugrünen Gän- Abb 3 Anzahl der Sippen, die in den einzelnen sefuß. Grün = Wald; Ocker (rot) = bebaute Fläche; Quadratfeldern nachgewiesen wurden. Die Rand- Gelb = Grünland, Acker. felder, die nicht die volle Größe besitzen, sind

grau unterlegt. Chenopodium glaucum L. – Graugrüner Gänsefuß.

Vorkommen: An Ufern und auf Äckern; auf feuch- Die artenarmen Rasterfelder beschränken ten, nitratreichen Böden, besonders in der Börde, sich auf die ackerbaulich genutzten Flä- auf Zuckerrübenäckern, die mit Klärschlamm gedüngt sind. chen der Braunschweig-Hildesheimer und Vergesellschaftung: Mit Arten der Erdrauch-Wolfs- Calenberger Lössbörde mit geringer Di- milch-Gesellschaften, in Zweizahn-Knöterich-Ufer- versität der Pflanzengesellschaften (Abb. gesellschaften mit Rotem Gänsefuß (Chenopodium 3). rubrum), Vielsamigem Gänsefuß (Chenopodium polyspermum) und Dreiteiligem Zweizahn (Bidens Besondere Beachtung verdient, dass mit tripartita). 307 Sippen fast ein Drittel aller nach- Bestand: Verbreitet (42 %). Bestandsentwicklung gewiesenen Arten in nur 1 % – 4 % aller wird durch Düngung gefördert. Bemerkungen: Ein Therophyt, der als halotole- Rasterfelder gefunden wurde, d. h. für die rante Art auch auf salzbelasteten Böden wächst. Stadt Hildesheim als extrem selten einzu- Besondere Kennzeichen: Blätter oben kahl und stufen ist. Lediglich 146 Sippen (= 15,2 %) dunkelgrün, unten weißlich bemehlt. besiedeln wenigstens 60 % des Gebietes. 1 Wie steht es nun um den Bestand der in Niedersachsen gefährdeten Arten der „Ro- nun die nachgewiesenen Sippen auf den ten Liste“? 113 Rasterfeldern auf? Den Untersuchungen lag die bei der Ver- Die durchschnittliche Artenzahl liegt öffentlichung der Flora von Hildesheim bei 265 Vertretern, d. h. je km2 konnten – gemittelt – 265 Arten registriert werden. Tab. 1 Anzahl der Rote-Liste-Arten (nach In 29 Feldern (= 33,3 %) lag die Anzahl Gefährdungskategorien geordnet) und Anteil der bei über 300. Neophyten. 1 = vom Aussterben bedroht; 2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet; Diese Flächen liegen 1. in den Sied- 4 = potenziell gefährdet. lungs- und Industriezentren der Innen- stadt mit einer Vielzahl wechselnder Gefährdungskategorien 1 2 3 4 Kleinbiotope, 2. in den naturnahen Berei- Sippenzahl 7 47 121 2 chen, vor allem den Wäldern mit benach- davon Neophyten 1 – 2 9 10 2 bartem Grünland oder Halbtrockenrasen.

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• • •••• • • •• ••

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• • ••• • • • • •••

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Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 59

84 84 83 83 8

82 51 66 46 82 11 81 41 70 81 4 8 6

80 77 80 7 79 46 52 79

78 41 78 77 41 77 7

76 76 12 5 15 13

75 75 9 9 13 74 74 9 10

73 73 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 4 Quadtratfelder mit hohem Neophyten- Abb. 5 Quadratfelder mit niedrigem Neophyten- anteil. anteil.

(Müller 2001) gültige Aufstellung von Lebensräumen: Giesener Teiche, die Wäl-

Garve (1993) zugrunde. Während der An- der auf Muschel- und Jurakalken (Gall- teil bedrohter Arten für Niedersachsen und und Finkenberg) mit ihren Halbtrockenra-

Bremen bei 46 % der nachgewiesenen Sip- sen sowie der Knebel. pen lag, wurden für Hildesheim nur 177 Anders stellen sich die seit 1500 einge-

(= 18,4 %) als gefährdet eingestuft. Ihre wanderten bzw. eingetragenen Neophy- Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien ten (Neubürger) dar, deren Anteil bei 193 nennt Tab. 1. Die einzelnen Vertreter wur- Sippen (= 20,1 %) liegt und den Landes- den jeweils nur in weniger als 20 Raster- durchschnitt von 16,4 % deutlich über- feldern nachgewiesen, lediglich die Echte steigt. Besonders reich ist diese Gruppe in Schlüsselblume begegnete der Nord- und Innenstadt vertreten, wo (Primula veris) in 24, der Niederliegende Krähenfuß (Co- ausgedehnte Ruderalflächen vorherrschen, ronopus squamatus) in 25 und das Echte Ei- sowie im Ortsteil Sorsum (Abb. 4). Dem- senkraut (Verbena officinalis) sogar in 35. gegenüber zeigen die naturnahen Wälder Quadratfeldern (= 31 %). im Südwesten der Stadt, ebenso das NSG Die Frage nach den Stadtbereichen Giesener Teiche und auch die Ackerflä- mit hohem Anteil gefährdeter Arten chen einen nur geringen Neophytenanteil führt ausschließlich zu den naturnahen (Abb. 5).

Zweite und dritte Phase der Kartierung

Die Folgejahre nach Erscheinen der zwischen 2002 und 2007 insgesamt 80 neue Flora von Hildesheim (Müller 2001) boten Sippen nachgewiesen werden, die sich auf eine überraschende Entwicklung, mit der 60 der 112 Rasterfelder verteilen. Während kaum jemand gerechnet hatte: In einem Wälder und Äcker sich als weitgehend ständigen Kommen und Gehen von Ar- artenstabile Zonen darstellten, zeichneten ten zeigte die Flora bei einzelnen Vertre- sich Veränderungen im Stadtkern aus und tern eine ungeahnte Dynamik. So konnten betrafen die Randbezirke nur dort, wo sich

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 60 Werner Müller

Tab. 2 Die 13 neu nachgewiesenen Arten in den Jahren 2010 bis 2012

1 Venuskamm (Scandix pecten-veneris): 05.06.2010, 8 Ex. am Gallberg, Rasterfläche (RF) 62/80 (Müller)

2 Filz-Segge (Carex tomentosa): Juni 2010, Dominanzbestand auf 1,5 m2 am Gallberg, RF 62/79 (Burgdorf )

3 Gekielter Lauch (Allium carinatum): 05.08.2010, 6 Ex. am Einlauf des Eselgraben in die Innerste, RF 64/80 (Burgdorf )

4 Japanisches Liebesgras (Eragrostis multicaulis): 08.08.2010, ca. 100 Ex. an der Bavenstedter Straße, RF 66/81 (Feder, Bremen) 5 Bastard-Lichtnelke (Silene x hampeana): 16.08.2010, 15 Ex. im Hafenbereich, RF 63/83 (Hofmeister)

6 Müller-Stendelwurz (Epipactis muelleri): Sommer 2011, 1 Ex. am Westhang des Gallberges, RF 61/79 (Kunitz, Eberholzen)

7 Echter Alant (Inula helenium): 20.07.2011, wenige Ex. am Innerste-Ufer, RF 65/78 (Burgdorf ) 8 Sichelblättriges Hasenohr (Bupleurum falcatum): 03.08.2011, ca. 20 Ex. am Kamm und Nordfuß des Galgenberges, RF 68/78 (Bruns, Grein)

9 Großer Odermennig (Agrimonia procera): Sommer 2010 und 2011, zerstreut am Waldweg nahe der Beuster im Südwald, RF 59/75 und 60/75 (Grein)

10 Pimpernuss (Staphylea pinnata): September 2011, 4 Sträucher, dazu Jungwuchs auf dem Galgenberg, RF 67/78 (Lieb)

11 Dreiteiliger Ehrenpreis (Veronica triphyllos): seit 2010 (Grein), Mai 2012 (Müller) in nur 1 Ex. am Gallberg, nahe Kammweg an einem Rapsfeld, RF 62/80

12 Flachblättrige Mannstreu (Eryngium planum): 07.07.2012, ebenfalls 2013, ca. 25 Triebe an der Breslauer Straße auf einem Grünstreifen nördlich der Bahnlinie, RF 63/80 (Grein)

13 Peruanische Blasenkirsche (Physalis peruviana): Oktober 2012, 4 Ex. auf Schuttfläche im Bereich des Nordfriedhofs, RF 65/81 (Kunitz, Eberholzen)

Industrie- und Gewerbebetriebe nieder- gegenüberzustellen. Sie erschien im Jahre gelassen hatten. Das zentrale Rasterfeld 2010 in derselben Schriftenreihe Band 6, (64/80) mit Güterbahnhof, Industrie- und betitelt „Neues zur Flora von Hildesheim“ Wallanlagen, Friedhof, Schulhöfen und (Müller 2010). Gärten galt bereits in der Flora von Hil- Der Arbeit wurde das alte Grundmus- desheim (Müller 2001) mit 414 Sippen als ter der Kartierung im Gauß-Krüger-Ko- das artenreichste der Stadt (Abb. 3). Hier ordinatensystem zugrunde gelegt. Der An- konnten weitere 13 Sippen nachgewiesen spruch zielte nun nicht mehr darauf, alle werden – die höchste Zuwachsrate aller Sippen erneut zu erfassen. Vielmehr rich- Quadratfelder. tete sich das Augenmerk auf die Arten, die Angesichts dieser Beobachtungen war es angezeigt, dem alten Florenbestand von • seit 2002 für das Stadtgebiet neu nach- 2001 eine neue Kartierung vergleichend gewiesen werden konnten,

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• in der Flora von Hildesheim (Müller Hierbei darf nicht übersehen werden, dass 2001) als „sehr selten“ (in nur 1 % – 4 % bereits seit dem Erscheinen der „Physi- der 113 (112) Rasterfelder dokumen- schen Briefe“ des Hildesheimer Jesuiten tiert) oder als „selten“ (in 5 % – 9 % der und Mathematikers Joseph Anton Cra- Rasterfelder vertreten) bezeichnet wor- mer (1792) zahlreiche Veröffentlichungen den waren, zur Hildesheimer Flora unsere Kenntnis • durch eine auffallend rasche Ausbreitung über die Pflanzenwelt der Stadt wesent- auffielen. lich bereichert hatten. So listete die Pub- likation Neues zur Flora von Hildesheim Die letzten Untersuchungen erfolgten in (Müller 2010) einen Verlust von 170 ver- den Jahren 2010 bis 2012. In diesem relativ missten bzw. ausgestorbenen Arten (= 16,3 kurzen Zeitraum konnte der Artenbestand %) auf. Von diesen konnten in den Jahren der Stadt um weitere 13 Sippen erweitert 2011 – 2012 mit dem Venuskamm (Scandix werden (Tab. 2). Fassen wir alle seit Beginn pecten-veneris) und der Filz-Segge (Carex der Untersuchungen 1993 registrierten tomentosa) zwei Arten wiederentdeckt wer-

Sippen zusammen, so wurden bislang 1053 den. Arten (mit Unterarten) nachgewiesen.

Ergebnisse und Analysen

Die vorliegende Kartierung eröffnet die Die neuen Arten

Möglichkeit, den gegenwärtigen Florenbe- stand der Stadt von 2012 mit dem Stand Im Zeitraum zwischen 2001 und 2012 aus der ersten Veröffentlichung der Flora wurden insgesamt 93 Arten neu entdeckt. von Hildesheim (Müller 2001) zu verglei- Sie verteilen sich vor allem auf die Innen- chen. stadtbereiche (Abb. 6). Der Südwesten mit

84 2 84 83 7 9 1 5 83 5 1

82 2 5 7 2 3 2 82 1 1 1 81 6 5 2 6 10 4 3 2 81 2 1

80 1 2 3 4 7 14 3 1 80 1 2 79 1 2 2 6 7 3 4 1 79 1 2 1

78 2 1 2 4 6 3 1 1 78 1

77 2 1 2 5 1 77

76 2 1 7 2 3 1 76 1

75 2 1 3 2 4 75 74 2 2 1 1 74

73 73 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 6 Verteilung der 93 neu nachgewiesenen Abb. 7 Anzahl der neu entdeckten Arten aus der Sippen auf die einzelnen Rasterfelder. Roten Liste in den einzelnen Rasterfeldern.

•••• • • • ▲ •••• Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 ▲ • • • • •••• • • • ▲ ▲ ▲ • ▲ • • • •• • • • ▲ •• ▲ • ▲ ▲ ▲ ••••

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dem Hildesheimer Wald, ebenso der Osten der Stadt und schließen naturnahe (oligo- mit der Börde und dem Knebelmassiv las- hemerobe) Lebensräume wie die Giesener sen einen nur geringen Artenzuwachs er- Teiche und den Standortübungsplatz ein. kennen. Unter den 93 Neunachweisen befinden Neue Fundorte der als „sehr selten“ sich lediglich 34 indigene (seit der Jung- oder „selten“ eingestuften Sippen steinzeit im Land ansässige) Sippen, wäh- rend der überwiegende Teil – das sind 59 Gemeint sind jene 413 Arten, deren Arten (= 63,4 %) – aus etablierten oder Vorkommen in der Flora von Hildesheim unbeständigen Neophyten (Neubürgern) (Müller 2001) nur in 1 % – 4 % der Ras- besteht. Bei der Zuordnung des Sichel- terfelder (= sehr selten) oder in 5 % – 9 % Hasenohrs (Bupleurum falcatum) erscheint (= selten) nachgewiesen wurden. 211 die- die Herkunft ungeklärt. Die im Osten be- ser Vertreter (= 51,1 %) hatten weitere Ras- heimatete Art findet sich in Niedersachsen terfelder erobert. Die Beobachtung belegt fast ausschließlich am Rande des mittel- eine überraschende Ausbreitungstendenz deutschen Trockengebietes zwischen Elm gerade auch der im Stadtgebiet raren Ar- und Bad Harzburg (Garve 1994), ragt hier ten. Dennoch verlangt die Aussage eine allerdings nach Westen bis an die Gren- nicht unwesentliche Differenzierung. Fil- ze Salzgitters (TK 25 3828/4). Ihre nur tern wir aus der „Zuwachsrate“ der 211 2,5 – 3 mm langen, glatten und geflügel- Sippen die gefährdeten Arten der „Roten ten Spaltfrüchte (Doppelachänen) werden Liste“ heraus, so erhalten wir einen Anteil durch Wind und Tiere verbreitet. Da ist es von 17,5 %. Bei der Gesamtzahl der 413 durchaus denkbar, dass sich das Hasenohr Vertreter betrug er jedoch noch 25,9 %. über die vorhandene Entfernung von ca. 30 Demnach steht die Ausbreitungstendenz km westwärts ohne Einwirken des Men- der Arten der „Roten Liste“ deutlich hinter schen ausgebreitet hat und für die Hil- derjenigen der nicht gefährdeten Pflanzen desheimer Pflanzenwelt als indigen einzu- zurück. stufen ist, zumal die Art auch im Alfelder Anders verhält es sich bei den „Neubür- Raum neu nachgewiesen werden konnte gern“ der Stadt, den Neophyten. Ihr An- (Doebel, Alfeld, mündliche Mitteilung.). teil unter den 413 Sippen beträgt 32,4 %. Wie hoch ist der Anteil gefährdeter In der Ausbreitungsgruppe der 211 Vertre- Sippen der „Roten Liste“? Diese erschien ter liegt aber ihr Bestand bei 37,4 %. Die- 2004 in einer überarbeiteten Form (Gar- se Werte belegen eine um mehr als 13 % ve 2004), die für unsere weiteren Untersu- erhöhte Ausbreitungstendenz der Neophy- chungen sowie die Veröffentlichung Neues ten (Abb. 8). zur Flora von Hildesheim (Müller 2010) genutzt wurde. Danach gehören aus dem Arten mit rascher Ausbreitung Zugewinn der 93 neuen Arten nur 18 (= 19,4 %) der aktualisierten Roten Liste an. Ein Vergleich der Kartierungsergebnisse Sechs von ihnen sind der Gefährdungs- der Flora von Hildesheim (Müller 2001) kategorie 2 („stark gefährdet“) zugeord- mit denen der Publikation Neues zur Flo- net, die übrigen 12 der Kategorie 3 („ge- ra von Hildesheim (Müller 2010) bot ein fährdet“). Die Wuchsorte verteilen sich auf überraschendes Bild: Bestimmte Arten, 14 der 112 Quadratfelder (Abb. 7), sie lie- deren Vorkommen ursprünglich in den gen überwiegend im Westen und Norden Rasterfeldern als nur selten oder spärlich

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 63

Abb. 8 Prozentualer Anteil der Rote-Liste-Arten und der Neophyten aus der Gruppe der „seltenen“ und „sehr seltenen“ Sippen in Müller (2001) und aus dem Anteil der „seltenen“ und „sehr seltenen“ Arten mit neuen Fundorten (=Zuwachsgruppe). a: Rote-Liste-Arten in Müller( 2001), b: Rote-Liste- Arten in der Zuwachsgruppe, c: Neophyten in Mül- ler (2001), d: Neophyten in der Zuwachsgruppe. Abb. 9 Kleines Liebesgras (Eragrostis minor). eingestuft werden konnte, überzogen an- schließend innerhalb weniger Jahre gro- ße Teile der Stadt. Als Beispiele seien drei delte ursprünglich nur 12 % der städti- Süßgräser, ein Korbblütler und ein Vertre- schen Rasterfelder. Wenige Jahre später ter der Nelkengewächse genannt: hatte es die gesamte Innenstadt erobert (Abb. 10). Der Flächenanteil des Feder- • Kleines Liebesgras (Eragrostis minor) schwingels (Abb. 11) stieg von 11 % auf • Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia 29 % (Abb. 12a), der der Borstenhirse myuros) (Abb. 13) von 10 % auf 23,2 % (Abb. 12b) • Grüne Borstenhirse (Setaria viridis) und der des Greiskrautes (Abb. 14) von • Schmalblättriges Greiskraut (Senecio 5 % auf 44 % (Abb. 15a). Ähnlich breitete inaequidens) sich das Bruchkraut (Abb. 16) von 6 % auf • Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra) 18 % aus (Abb. 15b). Worin könnten die Ursachen dieser fast explosiven Vermeh- Das Kleine Liebesgras (Abb. 9) besie- rung liegen?

Mögliche Ursachen des Florenwandels

Faktor Klima Greiskraut – an Mauerfüßen, Weg- und Straßenrändern oder im Industriegelände. Alle fünf Sippen besiedeln Ruderalflä- Dem entspricht das ökologische Verhalten chen auf eher trockenem Boden, wach- dieser fünf Arten: Es verweist auf ähnliche sen häufig in Pflasterfugen oder auch im Ansprüche (Licht-, Wärme- und Trocknis- Bahnschotter sowie – mit Blick auf das zeiger), wie sie Ellenberg et al. (1992) mit

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84

83 • •••• 82 • • ▲ ••••

81 ▲ • • • • •••• 80 • • • ▲ ▲ ▲ • 79 ▲ • • • •• • 78 • • ▲ •• ▲ • 77 ▲ ▲ ▲ ••••

76 ▲ ▲ • •• •• ▲ 75 •••

74

73 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 10 Verbreitung des Kleinen Liebesgrases.  = altes, in Müller (2001) genanntes Vorkommen,

• = neues Vorkommen.

• ▲ ▲ ▲ ▲ •

▲ ▲ ihren Zeigerwerten für Licht (L), Tem- • • • ••• Abb. 11 Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia peratur (T) und Feuchtigkeit (F) in einer • ▲ ▲ myuros) . ▲ ▲ neunstufigen Skala differenziert zur Dar- stellung gebracht haben (Tab. 3). ▲ ••

• • • •• Gegenüber den 1990er-Jahren begann Faktor Boden das dritte Jahrtausend mit trockenen, hei- • • •

ßen und sonnenreichen Sommertagen. Da Die industrielle Entwicklung sowie drängt sich die Hypothese auf, ob nicht der der Verkehr gerade in städtischen Berei- oft zitierte Klimawandel zu dieser Ent- chen, dazu die Mineralstoffdüngung in der wicklung beigetragen haben könnte. Landwirtschaft haben infolge freigesetzter

84 84 ▲

83 83 ▲

82 82 • ▲ ▲ ▲ ▲ • ▲ ▲ • ▲ •

81 ▲ ▲ 81 ▲ ▲ ▲ • • • ••• • •• 80 80 • ▲ ▲ ▲ • 79 79 ▲ ▲ • • ▲ ••

78 78 ▲ •• 77 77 • • • •• • • •

76 76 • • • • • 75 75 ▲

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73 73 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 12a Federschwingel in alten () und neuen Abb. 12b Borstenhirse in alten () und neuen (•) Rasterfeldern. (•) Rasterfeldern.

▲ ▲ • ▲ •

▲ ▲ ▲ Naturhistorica BERICHTE• DER NATURHISTORISCHEN•• GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 ▲ • ▲ • • ••

• • •

• • ▲

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 65

▲ • • • • • ▲ •••

▲ • • • • •••• ▲ Abb. 13 Grüne Borstenhirse (Setaria viridis). Abb. 14• Schmalblättriges• • • Greiskraut•• (Senecio•• ▲ inaequidens)• . • • ••• •• • •• • ▲

• • •••

Stickstoffoxide eine unmittelbare Aus- Zeigerwerte von Ellenberg • •et al. (1992) wirkung auf die Zusammensetzung des Auskunft. Zu berücksichtigen sind die

Bodens (Lerch 1991, Sukopp & Wit- Stickstoff (N)- und die Reaktionszahl (R), tig 1993). Über das Verhalten der Pflan- wobei N 1 als stickstoffarm, N 9 als über- zen als Antwort auf die sich ändernden mäßig stickstoffreich, R 1 als stark sauer, Standortbedingungen geben auch hier die R 9 als basenreich gilt.

84 84

83 ▲ 83 • • 82 82 • • • ▲ ••• • •

81 ▲ 81 ▲ ▲ • • • • •••• • • • ••• 80 80 • • • • ▲ •• •• ▲ ▲ 79 79 ▲ ▲ ▲ ▲ • • • ••• •• • 78 78 • •• • ▲ • 77 77 • • ••• • •

76 76 • • • 75 75

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73 73 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Abb. 15a Greiskraut in alten () und neuen (•) Abb. 15b Bruchkraut in alten () und neuen (•) Rasterfeldern. Rasterfeldern.

• • Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 156 · 2014 ▲ ▲ • • • ••• ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ • • • •

66 Werner Müller

Verdrängung dieser Arten geführt haben. Ein bemerkenswertes Spektrum weist die aktuelle Flora (Müller 2010) auf. Zu- nächst stellen wir den nach der Kartierung 10 häufigsten Sippen der Stadt die Arten gegenüber, die nur in einem Quadratfeld gefunden wurden, keine Wasserpflanzen sind, nicht zu den Neophyten zählen, da deren Einbürgerung evtl. noch nicht ab- geschlossen ist, und im Rasterfeld selbst nicht als Einzelpflanzen oder in geringer Abb. 16 Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra). Individuenzahl auftreten (Tab. 4). Die „top ten“ der im gesamten Stadtbe- Stark belastete Böden weisen einen er- reich verbreiteten Arten zeigen Stickstoff- höhten Stickstoffanteil auf und führen zu zahlen nicht unter 6, ihr gemittelter Wert einer Verschiebung der Reaktionseigen- (7,7) weist sie als ausgesprochene Stick- schaften zu höheren Werten hin (Wit- stoffzeiger aus. Demgegenüber liegen die tig 1991). Dadurch erfolgt ein sukzessiver Zeigerwerte der im Stadtgebiet nur sehr Wandel des Artenspektrums, bei dem For- rar vertretenen Sippen zwischen 2 und 5 men mit höheren Zeigerwerten für R und und erreichen nur in einem Fall eine 6. Ihr N in ihrem Konkurrenzdruck die Vorherr- Durchschnittswert beträgt 4,0 (d. h. auf schaft gewinnen und andere Sippen ver- stickstoffarmen bis nur mäßig stickstoffrei- drängen. chen Böden). Betrachten wir zunächst den Faktor Die dargestellten Werte lassen eine An- Stickstoff: Wie bereits dargestellt, gelten z. passung erkennen, bei der sich auf hohe Z. im Stadtgebiet 168 Sippen als verschol- Stickstoffzahlen ausgerichtete Arten auf len bzw. ausgestorben. Deren Zeigerwerte Kosten von Vertretern mit geringerer für N zeigen, dass es sich weit überwiegend Stickstofftoleranz etablierten. um Arten stickstoffarmer Böden handelt: Signifikante Werte zeigen auch die Re- 49 % weisen Zeigerwerte von N 1 – N 3 aktionszahlen (R). Hier fällt vor allem auf, auf, und nur 19 % besiedeln stickstoffrei- dass die häufigen Vertreter der Flora zu che Böden (Abb. 17). Hier könnte eine 70 % ein indifferentes Verhalten (x) auf- wachsende Stickstoffbelastung zu einer weisen, d. h. sie ertragen in einer weiten

Tab. 3 Zeigerwerte für Licht (L), Temperatur (T) und Feuchtigkeit (F) bei ausgewählten Arten mit starker Ausbreitungstendenz.

Zeigerwerte LTF Kleines Liebesgras (Eragrostis minor) 8 7 3 Grüne Borstenhirse (Setaria viridis) 7 6 4 Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia myuros) 8 7 2 Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens) 8 7 3 Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra) 8 6 3

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Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim 67

Artenzahl Abb. 17 Stickstoff- 40 zahlen der ausgestor- benen bzw. verscholle- 35 nen Sippen.

30

25

20

15

10

5

0 N 1N 2N 3N 4N 5 N6 N 7N 8N 9 N 1 – N 3: 76 Sippen (49 %) N 7 – N 9: 29 Sippen (19 %)

ökologischen Amplitude eine ebenso sau- Bodenverhältnisse der Stadt im Hinblick re wie basische Bodenreaktion. Ein Ver- auf die Zeigerwerte für R den häufigen re- gleich zu den R-Werten der seltenen aktionstoleranten Vertretern der Hildes- Arten erscheint aus diesem Grunde frag- heimer Pflanzenwelt einen bevorzugten würdig. Es wird dennoch deutlich, dass die Lebensraum bieten.

Tab. 4 Gegenüberstellung häufiger und seltener Arten mit ihren Zeigerwerten für R und N.

Die 10 häufigsten Arten Seltene Arten (in fast allen Rasterfeldern) RN (nur in einem Rasterfeld) RN Acker-Distel (Cirsium arvense) x 7 Sumpffarn (Thelypteris palustris) 5 6 Löwenzahn (Taraxacum officinale agg.) x 8 Langblättriges Hasenohr 9 5 (Bupleurum longifolium) Große Brennnessel (Urtica dioica) 7 9 Sumpf-Sternmiere (Stellaria palustris) 4 2 Vogelmiere (Stellaria media) 7 8 Wimper-Segge (Carex pilosa) 5 5 Kriech. Hahnenfuß (Ranunculus repens) x 7 Steife Segge (Carex elata) x 5 Kletten-Labkraut (Galium aparine) 6 8 Hirsen-Segge (Carex panicea) x 4 Einjähr. Rispengras (Poa annua) x 8 Faden-Binse (Juncus filiformis) 4 3 Gew. Beifuß (Artemisia vulgaris) x 8 Heil-Ziest (Betonica officinalis) x 3 Spitz-Wegerich (Plantago lanceolata) x x Bitterkraut-Sommerwurz 7 5 (Orobanche picridis) Gew. Knäuelgras (Dactylis glomerata) x 6 Stängelumfassendes Hellerkraut 8 2 (Thlaspi perfoliatum)

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