Gerhard Meier-Hilbert
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7 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial Gerhard Meier-Hilbert Das Hildesheimer Land stellt weder Naturlandschaft und infolgedessen auch einen naturräumlich noch einen politisch der Kulturlandschaft von Grenzlinien klar abgrenzbaren Raum dar. Gleichwohl durchschnitten [wird]“. Eine gewisse gehört es zu den zentralen Landschaften Einheit des Raumes besteht in der Niedersachsens: im Übergangsraum der Verzahnung von Tief- und Bergland, bei durch waldlose Weite gekennzeichneten der jedoch die Landschaftsgrenze zwi- agrar-günstigen Lößbörden am Südrand schen Hildesheim und SZ-Lichtenberg des norddeutschen Tieflandes zu dem relativ deutlich ausgeprägt ist. Zwischen durch Täler, Becken und waldreiche Deister und Elm als nördlichsten Aus- Höhenzüge kleingekammerten Berg- läufern des ostfälischen Berglandes bil- und Hügelland am Nordrand der deut- det das Innerstetal den größten natür- schen Mittelgebirgsschwelle. Im Über- lichen Zugang ins nordwestliche Harz- gangsbereich beider Landschaften liegt vorland, und hierbei nimmt die Stadt die alte Bischofsstadt Hildesheim, die Hildesheim eine typische Pfortenlage ein. heute mit weitgehend oberzentralen Funktionen ausgestattet ist. Die geogra- Wesentliche standort-bestimmende phische und topographische Situation ist und die Stadtentwicklung - im Zu- für einen Ortsfremden gut überblickbar sammenhang mit der Gründung des von der Autobahn-Raststätte „Hildes- Bischofssitzes Hildesheim im Jahre 815 - heimer Börde“ (BAB 7: Ostseite) oder von beeinflussende geographische Faktoren der Aussichtsplattform des St. Andreas- waren (Seedorf 1977, S. 208): Kirchturms in der Hildesheimer Innen- • ein wichtiger, die Furten im Taltrichter stadt. Von dort schweift der Blick nach der Innerste nutzender Flussübergang Südwesten zu den nahezu parallel ver- zwischen Rhein und Elbe (weiter zur laufenden Höhenrücken des Leine- Ostsee bzw. nach Ostmitteleuropa) Weser-Berglandes, nach Nordwesten direkt vor der Mittelgebirgsschwelle im zum Häusermeer bzw. zur Dunstglocke west-östlichen Verlauf eines alten der ca. 30 km entfernten Landeshaupt- Hellwegs, stadt Hannover, nach Nordosten in die • der Schnittpunkt dieser Straße mit sich bis zum Horizont erstreckende, fast einem nord-südlich, von der Nordsee ebene „Getreidesteppe“ der Lößbörde, über die Leipziger Tieflandsbucht bis in nach Südosten über das zwischen ver- das Sudetenvorland bzw. über die schachtelt erscheinenden Höhenzügen Hessischen Senken nach Süddeutsch- eingesenkte Innerstetal, hinter dem sich land verlaufenden Fernhandelsweg am die Harz-Hochfläche mit dem Brocken- östlichen, erhöht über dem Innerstetal massiv erhebt. gelegenen Rand der Lößplatten, • trockener Baugrund auf dem (z.B. ehe- mals zur Eroberung und zur Missio- 1. Die Lage des Raumes im naturräum- nierung des Sachsenlandes) strategisch lichen und zentralörtlichen Gefüge günstigen, ostwärts gerichteten Brü- ckenkopf und den dort das Innerstetal Nach Müller (1952, S. 14) gehört der begleitenden Flussterrassen, Hildesheimer Raum nahezu ganz zu • die Mittellage zwischen dem an Roh- Ostfalen, dessen Kern sich zwischen stoffen (Holz, Baustein, Ziegel, Ton, Leine und Oker befindet: „Es entspricht Salz, aber auch Wasserkraft u.a.m.) rei- der Lage unseres Gebietes..., dass in ihm chen Bergland und der fruchtbaren mannigfache Übergänge zu den benach- Lößbörde, deren Böden zu den besten barten Landschaftsräumen hinleiten und Deutschlands gehören, so dass das ... es hinsichtlich vieler Erscheinungen der natürliche Potenzial frühzeitig eine 8 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial hohe Bevölkerungsdichte mit lebhaf- fer der Gemeinde Landwehr (Eyershau- tem Warenaustausch und solider Kauf- sen, Ohlenrode, Wetteborn) tendieren kraft erlaubte. zum Mittelzentrum der ehem. Kreisstadt Bad Gandersheim. Den Kern des Hildes- Die während des Mittelalters beste- heimer Raumes bzw. des Landkreises bil- hende überregionale Bedeutung der det die Stadt Hildesheim (105.000 Einw.) Stadt Hildesheim ging aufgrund territori- an der Grenze der beiden naturräumlich aler Veränderungen in der Neuzeit unterschiedlich ausgestatteten Land- zurück. Insofern gelang keine adäquate schaften Hildesheimer Börde und Un- Expansion von Wirtschaft, Handel und teres Innerste-Bergland. Verkehr. Heute ist es aber vor allem die räumliche Nähe zu den Oberzentren Bei den nachfolgenden Darstellungen Hannover und Braunschweig, die den muss aus statistischen Gründen vielfach Einzugsbereich bzw. die „Reichweite“ auf den Landkreis Hildesheim und dessen von Hildesheim einschränkt. politische Grenzen zurückgegriffen wer- den, wenngleich dies aus geographisch- Der „Hildesheimer Raum“ kann also naturräumlichen oder -historischen As- weder in seinem natürlichen Gefüge pekten wenig sinnvoll ist. Als Beispiel noch anhand seiner zentralörtlichen hierfür mag die mit Auflösung des Reichweite als abgrenzbare Raumeinheit Regierungsbezirks Hildesheim am definiert werden. Am besten lässt er sich 1.2.1978 vollzogene Gebietsreform die- durch den in den Jahren 1977 und 1981 nen, die z.B. den Südostteil der natur- nach einer Gebietsreform entstandenen räumlichen und historischen Landschaft Landkreis Hildesheim repräsentieren. Ambergau dem Landkreis Goslar und Dieser nimmt mit einer Größe von 1205 damit dem Regierungsbezirk Braun- qkm den 18. Rang, mit einer Einwohner- schweig zuweist, den größeren Nord- zahl von 293.000 den 4. Rang in Nieder- westteil aber dem Landkreis Hildesheim sachsen ein und ist - abgesehen von den bzw. Regierungsbezirk Hannover. Bei Stadtkreisen - mit 243 Einw./qkm hinter dieser Art von Raumordnungspolitik dem Landkreis Hannover in Nieder- wurde der Ambergau willkürlich zerteilt sachsen am zweitdichtesten besiedelt. und sein Ostteil vom natürlichen Zen- Trotz der hohen Bevölkerungsdichte trum Bockenem abgeschnitten. Dies ist gehören die Gemeinden Bockenem, ein Beispiel dafür, dass naturräumliches Duingen, Freden, Holle, Lamspringe, Gefüge und zentralörtliche Bereichs- Schellerten, Sibbesse und Söhlde - und gliederung mitunter divergieren. damit fast die gesamte südöstl. Hälfte des Landkreises Hildesheim mit einem Fünftel dessen Einwohnerzahl - zum „ländlichen Raum“ gemäß Landesraum- 2. Die naturräumlichen Einheiten: ordnungsprogramm (RROP 2000, S. 90). Physiognomie und Reliefgenese Die nahe gelegene Landeshauptstadt Hannover übt ihren Einfluss als Ober- 2.1. Die Lößbörde zentrum auf den gesamten Norden und Westen des Landkreises Hildesheim aus; die Einzugsbereiche hinsichtlich mittel- Die Börde nimmt die leicht nordwärts zentraler Funktionen zwischen beiden geneigten Ebenen zwischen der mehr Städten berühren sich längs einer Linie oder minder markant ausgeprägten Fuß- von Elze über Sarstedt nach Sehnde. Im region der Mittelgebirgsschwelle und NO greift der Hildesheimer Raum in den der Geest ein. Sie ist die weithin mit Löß Landkreis Peine ein, im SO in den bedeckte Bergvorlandszone. Die Lößbör- Landkreis Wolfenbüttel, während im S den zwischen Flandern und der Ukraine und SW viele mittelzentrale Funktionen erreichen unterschiedliche Breite; im von Alfeld wahrgenommen werden, die Hildesheimer Raum beträgt sie etwa 25 - im Raum um Delligsen sogar in den Land- 30 km. kreis Holzminden übergreifen. Die Dör- Die Landschaftsbezeichnung leitet Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 9 Abb. 1: Topographische Übersicht des Hildesheimer Raumes, Ausschnitt aus der Bezirkskarte 1 : 200.000 - Regierungsbezirk Hannover (nicht maßstäblich), vervielfältigt mit Erlaubnis des Herausgebers: LGN - Landesvermessung + Geobasisinformation Niedersachsen - 52-5339/01. 10 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial Abb. 2: Lößverbreitung im Hildesheimer Raum (aus: Seedorf 1977, S. 166). sich von nddt. „bören“ (tragen, ertrag- mit Kalkhäuten überzogenen, 0,01 - 0,05 reich sein) ab und bezieht sich damit auf mm Ø großen Quarzkörnern. Die Löß- die feinkörnigen, steinfreien, leicht kalk- grenze fällt wahrscheinlich mit der Vege- haltigen, fruchtbaren Lehmböden auf tationsgrenze des ausgehenden Eiszeit- dem im Eiszeitalter angewehten Löß. Die alters zusammen: Nördlich davon sowie nördliche Lößgrenze (vgl. Abb. 2) im auf den die Flusstäler begleitenden Bereich von Peiner Geestplatte bzw. (Niederterrassen-)Schotterflächen und Hannoverscher Moorgeest (nddt. „güst“ auf den kühleren Höhen befand sich die = hochgelegenes, trockenes unfruchtba- vegetationslose bzw. vegetationsarme res Land) ist relativ scharf ausgeprägt, Frostschuttzone; dort bliesen die aus während im südlich anschließenden dem eisbedeckten Gebiet kommenden Bergland vor allem die ostexponierten Winde den Staub aus, während südlich Hänge (im Lee der Höhenzüge) sowie die davon in der Tundrenzone die Pflanzen- Mulden und Becken in unterschiedlicher, decke den eingewehten Staub auffing. südwärts allmählich abnehmender Mäch- Der hohe agrarwirtschaftliche Wert der tigkeit lößbedeckt sind. Die mittlere Löß- steinfreien Lößböden beruht sowohl auf Mächtigkeit liegt bei 2 m, schwankt aber ihrem Kalkgehalt als auch auf ihren zwischen 0,5 - 3 m, da regional - z.B. an günstigen physikalischen Eigenschaften: unteren Hangpartien und in Flusstälern - gute Durchlüftung, leichte Bearbeitbar- Schwemmlöß verbreitet ist. keit und gute Wasserkapazität, da die Löß besteht aus wind-abgelagerten, feinen Poren des Bodens auch bei anhal- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 11 tender Trockenheit in einer für die Nutzpflanzen noch erreichbaren Tiefe von kapillar aufsteigendem Wasser erfüllt sind. Unter steppenartigen Klima- bedingungen der frühen Nacheiszeit bil- deten sich auf dem Löß