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Gerhard Meier-Hilbert

Gerhard Meier-Hilbert

7 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial Gerhard Meier-Hilbert

Das Hildesheimer Land stellt weder Naturlandschaft und infolgedessen auch einen naturräumlich noch einen politisch der Kulturlandschaft von Grenzlinien klar abgrenzbaren Raum dar. Gleichwohl durchschnitten [wird]“. Eine gewisse gehört es zu den zentralen Landschaften Einheit des Raumes besteht in der Niedersachsens: im Übergangsraum der Verzahnung von Tief- und Bergland, bei durch waldlose Weite gekennzeichneten der jedoch die Landschaftsgrenze zwi- agrar-günstigen Lößbörden am Südrand schen und SZ-Lichtenberg des norddeutschen Tieflandes zu dem relativ deutlich ausgeprägt ist. Zwischen durch Täler, Becken und waldreiche Deister und als nördlichsten Aus- Höhenzüge kleingekammerten Berg- läufern des ostfälischen Berglandes bil- und Hügelland am Nordrand der deut- det das Innerstetal den größten natür- schen Mittelgebirgsschwelle. Im Über- lichen Zugang ins nordwestliche - gangsbereich beider Landschaften liegt vorland, und hierbei nimmt die Stadt die alte Bischofsstadt Hildesheim, die Hildesheim eine typische Pfortenlage ein. heute mit weitgehend oberzentralen Funktionen ausgestattet ist. Die geogra- Wesentliche standort-bestimmende phische und topographische Situation ist und die Stadtentwicklung - im Zu- für einen Ortsfremden gut überblickbar sammenhang mit der Gründung des von der Autobahn-Raststätte „Hildes- Bischofssitzes Hildesheim im Jahre 815 - heimer Börde“ (BAB 7: Ostseite) oder von beeinflussende geographische Faktoren der Aussichtsplattform des St. Andreas- waren (Seedorf 1977, S. 208): Kirchturms in der Hildesheimer Innen- • ein wichtiger, die Furten im Taltrichter stadt. Von dort schweift der Blick nach der nutzender Flussübergang Südwesten zu den nahezu parallel ver- zwischen Rhein und Elbe (weiter zur laufenden Höhenrücken des - Ostsee bzw. nach Ostmitteleuropa) -Berglandes, nach Nordwesten direkt vor der Mittelgebirgsschwelle im zum Häusermeer bzw. zur Dunstglocke west-östlichen Verlauf eines alten der ca. 30 km entfernten Landeshaupt- Hellwegs, stadt Hannover, nach Nordosten in die • der Schnittpunkt dieser Straße mit sich bis zum Horizont erstreckende, fast einem nord-südlich, von der Nordsee ebene „Getreidesteppe“ der Lößbörde, über die Leipziger Tieflandsbucht bis in nach Südosten über das zwischen ver- das Sudetenvorland bzw. über die schachtelt erscheinenden Höhenzügen Hessischen Senken nach Süddeutsch- eingesenkte Innerstetal, hinter dem sich land verlaufenden Fernhandelsweg am die Harz-Hochfläche mit dem Brocken- östlichen, erhöht über dem Innerstetal massiv erhebt. gelegenen Rand der Lößplatten, • trockener Baugrund auf dem (z.B. ehe- mals zur Eroberung und zur Missio- 1. Die Lage des Raumes im naturräum- nierung des Sachsenlandes) strategisch lichen und zentralörtlichen Gefüge günstigen, ostwärts gerichteten Brü- ckenkopf und den dort das Innerstetal Nach Müller (1952, S. 14) gehört der begleitenden Flussterrassen, Hildesheimer Raum nahezu ganz zu • die Mittellage zwischen dem an Roh- Ostfalen, dessen Kern sich zwischen stoffen (Holz, Baustein, Ziegel, Ton, Leine und Oker befindet: „Es entspricht Salz, aber auch Wasserkraft u.a.m.) rei- der Lage unseres Gebietes..., dass in ihm chen Bergland und der fruchtbaren mannigfache Übergänge zu den benach- Lößbörde, deren Böden zu den besten barten Landschaftsräumen hinleiten und Deutschlands gehören, so dass das ... es hinsichtlich vieler Erscheinungen der natürliche Potenzial frühzeitig eine 8 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

hohe Bevölkerungsdichte mit lebhaf- fer der Gemeinde Landwehr (Eyershau- tem Warenaustausch und solider Kauf- sen, Ohlenrode, Wetteborn) tendieren kraft erlaubte. zum Mittelzentrum der ehem. Kreisstadt . Den Kern des Hildes- Die während des Mittelalters beste- heimer Raumes bzw. des Landkreises bil- hende überregionale Bedeutung der det die Stadt Hildesheim (105.000 Einw.) Stadt Hildesheim ging aufgrund territori- an der Grenze der beiden naturräumlich aler Veränderungen in der Neuzeit unterschiedlich ausgestatteten Land- zurück. Insofern gelang keine adäquate schaften Hildesheimer Börde und Un- Expansion von Wirtschaft, Handel und teres Innerste-Bergland. Verkehr. Heute ist es aber vor allem die räumliche Nähe zu den Oberzentren Bei den nachfolgenden Darstellungen Hannover und Braunschweig, die den muss aus statistischen Gründen vielfach Einzugsbereich bzw. die „Reichweite“ auf den Landkreis Hildesheim und dessen von Hildesheim einschränkt. politische Grenzen zurückgegriffen wer- den, wenngleich dies aus geographisch- Der „Hildesheimer Raum“ kann also naturräumlichen oder -historischen As- weder in seinem natürlichen Gefüge pekten wenig sinnvoll ist. Als Beispiel noch anhand seiner zentralörtlichen hierfür mag die mit Auflösung des Reichweite als abgrenzbare Raumeinheit Regierungsbezirks Hildesheim am definiert werden. Am besten lässt er sich 1.2.1978 vollzogene Gebietsreform die- durch den in den Jahren 1977 und 1981 nen, die z.B. den Südostteil der natur- nach einer Gebietsreform entstandenen räumlichen und historischen Landschaft Landkreis Hildesheim repräsentieren. dem Landkreis und Dieser nimmt mit einer Größe von 1205 damit dem Regierungsbezirk Braun- qkm den 18. Rang, mit einer Einwohner- schweig zuweist, den größeren Nord- zahl von 293.000 den 4. Rang in Nieder- westteil aber dem Landkreis Hildesheim sachsen ein und ist - abgesehen von den bzw. Regierungsbezirk Hannover. Bei Stadtkreisen - mit 243 Einw./qkm hinter dieser Art von Raumordnungspolitik dem Landkreis Hannover in Nieder- wurde der Ambergau willkürlich zerteilt sachsen am zweitdichtesten besiedelt. und sein Ostteil vom natürlichen Zen- Trotz der hohen Bevölkerungsdichte trum abgeschnitten. Dies ist gehören die Gemeinden Bockenem, ein Beispiel dafür, dass naturräumliches , , , , Gefüge und zentralörtliche Bereichs- , und Söhlde - und gliederung mitunter divergieren. damit fast die gesamte südöstl. Hälfte des Landkreises Hildesheim mit einem Fünftel dessen Einwohnerzahl - zum „ländlichen Raum“ gemäß Landesraum- 2. Die naturräumlichen Einheiten: ordnungsprogramm (RROP 2000, S. 90). Physiognomie und Reliefgenese

Die nahe gelegene Landeshauptstadt Hannover übt ihren Einfluss als Ober- 2.1. Die Lößbörde zentrum auf den gesamten Norden und Westen des Landkreises Hildesheim aus; die Einzugsbereiche hinsichtlich mittel- Die Börde nimmt die leicht nordwärts zentraler Funktionen zwischen beiden geneigten Ebenen zwischen der mehr Städten berühren sich längs einer Linie oder minder markant ausgeprägten Fuß- von über nach Sehnde. Im region der Mittelgebirgsschwelle und NO greift der Hildesheimer Raum in den der Geest ein. Sie ist die weithin mit Löß Landkreis Peine ein, im SO in den bedeckte Bergvorlandszone. Die Lößbör- Landkreis Wolfenbüttel, während im S den zwischen Flandern und der Ukraine und SW viele mittelzentrale Funktionen erreichen unterschiedliche Breite; im von wahrgenommen werden, die Hildesheimer Raum beträgt sie etwa 25 - im Raum um Delligsen sogar in den Land- 30 km. kreis Holzminden übergreifen. Die Dör- Die Landschaftsbezeichnung leitet Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 9

Abb. 1: Topographische Übersicht des Hildesheimer Raumes, Ausschnitt aus der Bezirkskarte 1 : 200.000 - Regierungsbezirk Hannover (nicht maßstäblich), vervielfältigt mit Erlaubnis des Herausgebers: LGN - Landesvermessung + Geobasisinformation Niedersachsen - 52-5339/01. 10 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 2: Lößverbreitung im Hildesheimer Raum (aus: Seedorf 1977, S. 166). sich von nddt. „bören“ (tragen, ertrag- mit Kalkhäuten überzogenen, 0,01 - 0,05 reich sein) ab und bezieht sich damit auf mm Ø großen Quarzkörnern. Die Löß- die feinkörnigen, steinfreien, leicht kalk- grenze fällt wahrscheinlich mit der Vege- haltigen, fruchtbaren Lehmböden auf tationsgrenze des ausgehenden Eiszeit- dem im Eiszeitalter angewehten Löß. Die alters zusammen: Nördlich davon sowie nördliche Lößgrenze (vgl. Abb. 2) im auf den die Flusstäler begleitenden Bereich von Peiner Geestplatte bzw. (Niederterrassen-)Schotterflächen und Hannoverscher Moorgeest (nddt. „güst“ auf den kühleren Höhen befand sich die = hochgelegenes, trockenes unfruchtba- vegetationslose bzw. vegetationsarme res Land) ist relativ scharf ausgeprägt, Frostschuttzone; dort bliesen die aus während im südlich anschließenden dem eisbedeckten Gebiet kommenden Bergland vor allem die ostexponierten Winde den Staub aus, während südlich Hänge (im Lee der Höhenzüge) sowie die davon in der Tundrenzone die Pflanzen- Mulden und Becken in unterschiedlicher, decke den eingewehten Staub auffing. südwärts allmählich abnehmender Mäch- Der hohe agrarwirtschaftliche Wert der tigkeit lößbedeckt sind. Die mittlere Löß- steinfreien Lößböden beruht sowohl auf Mächtigkeit liegt bei 2 m, schwankt aber ihrem Kalkgehalt als auch auf ihren zwischen 0,5 - 3 m, da regional - z.B. an günstigen physikalischen Eigenschaften: unteren Hangpartien und in Flusstälern - gute Durchlüftung, leichte Bearbeitbar- Schwemmlöß verbreitet ist. keit und gute Wasserkapazität, da die Löß besteht aus wind-abgelagerten, feinen Poren des Bodens auch bei anhal- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 11 tender Trockenheit in einer für die Nutzpflanzen noch erreichbaren Tiefe von kapillar aufsteigendem Wasser erfüllt sind. Unter steppenartigen Klima- bedingungen der frühen Nacheiszeit bil- deten sich auf dem Löß Schwarzerden bzw. unter feuchteren Bedingungen Parabraunerden. Schwarzerden sind sehr fruchtbare, im Oberboden (Ah-Horizont) stark humushaltige und dadurch schwarz-braun gefärbte Böden. Sie ent- stehen im heutigen Klima Nieder- sachsens nicht mehr (sog. Reliktböden). Seit dem um 5500 v.Chr. einsetzenden feucht-wärmeren Klima und infolge zunehmender Bearbeitung durch den Menschen unterliegen die Schwarzerden einer Degradation, d.h. im wesentlichen einer Kalk-, Ton- und Humusaus- waschung. Diese macht sich in einer Ausbleichung infolge Tonverarmung („Lessivierung“) des Oberbodens (Al- Horizont) bzw. mit Tonverlagerung in den Unterboden (Bt-Horizont) bemerk- bar; letzterer erhält dadurch und durch Abb. 3: Bodenprofile aus der Lößbörde, weitere verwitterungsbedingte chemi- Schwarzerde (oben), Parabraunerde sche Prozesse eine tiefbraune Farbe, die (unten); (aus: Seedorf/Meyer 1992, S. 181 an ähnliche Bodenhorizonte wie bei bzw. S. 179). Braunerden erinnert und zur Be- zeichnung „Parabraunerde“ führte.

Die Schwarzerden der Hildesheimer Börde gehören zu den fruchtbarsten Böden Deutschlands. Parabraunerden haben geringere, aber durchaus über- durchschnittliche Fruchtbarkeit.

2.1.1 Calenberger Börde

Beiderseits des Leinetals greift die Lößbörde tief in das sich hier nach Norden trichterförmig öffnende Leine- bergland ein. Die Lößauflagerung konn- te die von Tektonik oder Gestein beding- ten Strukturen nicht vollständig verhül- len. Einzelne Geländewellen sind durch ausstreichende, vornehmlich nach Nor- den geneigte Gesteinsschichten von der Trias bis zur unteren Kreide bedingt, andernorts entlang nord-südlich (= rhei- nisch) verlaufender Hebungslinien ragen Triasschollen als flache Hügel über die stark welligen Lößflächen: z.B. der Buntsandsteinsattel der Marienburg 12 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial nördl. Elze oder die Muschelkalkauf- te nahezu vollständig dem Ackerland wölbung der Giesener Berge (zwischen weichen; nur auf den genannten Höhen- Hildesheim und Sarstedt), nördl. von zügen und auf nassen Standorten mit Innerste und Bruchgraben fortgesetzt im vergleyten Böden blieben kleine Laub- Buntsandsteinsattel von Sehnde. mischwälder mit hohem Eichenanteil erhalten. Im natürlichen Überschwem- Der Pass von Himmelsthür, zwischen mungsgebiet der Leine sowie in den Hildesheimer Wald und Giesener Bergen grundwassernahen Niederungen Sehlder gelegen (vgl. hierzu Abschnitt 2.3), Bruch (südwestl. Elze; größtes zusam- bedingt einerseits die Kessellage von menhängendes Grünlandgebiet im Land- Hildesheim und stellt andererseits die kreis Hildesheim) und Entenfang (westl. Landschaftsgrenze zwischen Calenberger Groß-Giesen) sind noch naturnahe Auen und Hildesheimer Börde dar. Diese ver- vorhanden. Die Erhaltung dieser natur- läuft nordwärts über die Giesener Berge nahen Gewässerlandschaften steht im und dann am Ostrand der Leinetal- Vordergrund ökologischer Bemühungen niederung. Die Gödringer Hügel, mit ähnlich wie die behutsame landwirt- Erhebungen von 90 - 100 m NN und 15 - schaftliche Nutzung der Leineaue zwi- 30 m über den benachbarten Börden- schen Gronau und Elze. flächen, zählt man zur Hildesheimer Börde.

Eine besondere Teillandschaft inner- 2.1.2 Hildesheimer Börde halb der Calenberger Börde bildet die ca. 5 (-10) m in diese eingesenkte, weitge- Zwischen den Giesener Bergen und den hend mit Wiesen und Weiden, man- Ausläufern der Lichtenberge dehnt sich cherorts auch mit ausgekiesten Seen im Bergvorland die Hildesheimer Börde bedeckte Leinetal-Niederung. Dort liegt aus, die ihre östliche Fortsetzung in der bei Ruthe mit 59 m NN der tiefste Punkt Braunschweiger Börde findet. des Landkreises Hildesheim. In den Darstellungen zur naturräum- Am Rand des Leinetals und zugleich lichen Gliederung (Meisel 1960; Müller an der Grenze von Calenberger und 1962) werden Braunschweiger und Hil- Hildesheimer Börde hat sich Sarstedt desheimer Börde zusammengefasst. Der (18.000 Einw.) zu einem Mittelzentrum Verstädterungsraum von und entwickelt, wird allerdings in dieser der Lößrücken von Ilsede gestatten je- Funktion (Reichweite) stark von doch eine weitere Untergliederung. Zur Hannover und Hildesheim beeinträch- Hildesheimer Börde (i.w.S.) sind demnach tigt. Die Unter-/Grundzentren Elze die plattigen bis welligen lößbedeckten (10.000 Einw.) und Gronau (15.000 Einw.) Landschaften des Flachlandes zwischen im Süden der Calenberger Börde besit- Gödringer Bergen und dem Lößrücken zen Teilfunktionen eines Mittelzentrums. von Ilsede zu zählen. Letzterer besitzt ein welliges, die Lößplatten um 20 - 30 m Bei Niederschlägen von 600 - 650 mm überragendes Relief, weil flachgewölbte haben sich auf dem Löß vorwiegend Kreiderücken relativ dicht unter der Braunerden entwickelt, in Mulden bei Oberfläche anstehen. In ähnlicher Weise Grund- oder Stauwassereinwirkung erstreckt sich der Nettlinger Rücken als Pseudogleye bis hin zu Gley- oder An- niedrige Schwelle ins Tiefland, aus der moorböden in den Talniederungen von bei Söhlde der Kreideuntergrund die Leine und Innerste. Auf den Fest- Lößdecke durchragt. Östlich des Nett- gesteinen trifft man basenarme Braun- linger Rückens folgt die von der Flöthe erde über Sandstein bzw. Braunlehm zur Fuhse entwässerte Teillandschaft der über Kalk- und Mergelgestein. Alle diese Lebenstedter Börde, die als Senke an Böden sind durch charakteristische einer im Tertiär letztmals wirksamen Horizontabfolgen gekennzeichnet (vgl. Störungslinie weit südwärts ins Berg- und Abb. 3, Abb. 7). Hügelland hineinreicht. Die natürliche Waldvegetation muss- Der zur Flöthe gezogene, das Lut- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 13 trumer Moor entwässernde Asselgraben gleyt sind. Die günstigen Boden- und stellt (nach Spreitzer 1931) den Unterlauf Klimaverhältnisse haben zu einer äußerst eines prä-eiszeitlichen Nettetales dar. Die intensiven landwirtschaftlichen Nutzung Innerste besaß prä-eiszeitlich ein Durch- geführt, so dass der Landschaftscharak- bruchstal im Salzgitterer Höhenzug, d.h. ter einer „Getreidesteppe“ entsteht. Es sie floss damals durch die Senke über den wird als Raumordnungsaufgabe (RROP heutigen Pass von Othfresen - Lieben- 2000, S. 16) angesehen, das „besonders burg ins norddeutsche Flachland und hochwertige Naturgut Boden“ in der nahm erst dort die auf. Vor dem Hildesheimer Börde in vorrangigem herannahenden elster-zeitlichen Eis Maße zu sichern und zu schützen; in den brach die Innerste ins Ringelheimer natürlichen Überschwemmungsgebieten Becken ein und benutzte das jetzige brei- der Innerste und in den grundwasserna- te, versumpfte Tal des Asselgrabens: das hen Bereichen der Niederungen sollten Tal einer Ur-Nette in einer rheinisch ver- die Ackernutzung reduziert sowie die laufenden Störungszone. Im Bereich der noch vorhandenen Eichen-Mischwälder unteren Innerste schnitt sich ein weiterer bzw. Hartholzauenwälder erhalten wer- Fluss in rückschreitender Erosion von den. Nordwesten her in den weichen Jura- Tonen zwischen Steinberg und Galgen- Die Hildesheimer Börde ist weitge- berg (im südlichen Stadtgebiet von hend ländlich geprägt: hier sind ca. Hildesheim) ein. Als vom herannahenden 3 - 5 % der Erwerbstätigen im primären saale-zeitlichen Eis der Ur-Nette und Ur- Sektor beschäftigt (Landkreisdurch- Innerste der Weg ins Flachland versperrt schnitt: 1,0 %), und die zentralen Orte wurde, kam es letztlich zu Überlauf- (Giesen, , , Schel- durchbrüchen in die Ausraumzone von lerten, Söhlde) sind infolge hoher Bevöl- Hildesheim. Die heutige Innerste ist dem- kerungsdichte zwar zahlreich, aber nur zufolge ein aus mehreren Urflüssen zu- auf der Stufe von Grund-/Unterzentren sammengesetzter Flusslauf. Die Talenge entwickelt. Insbesondere sind Giesen, von Astenbeck - Derneburg ist letztes Schellerten und Söhlde nur sehr schwach Zeugnis der im Eiszeitalter entstandenen ausgebildete Unterzentren. Durchbruchsstrecken. Ein Nutzungskonflikt entsteht derzeit Zahlreicher als in der Calenberger am nördlichen Stadtrand von Hildes- Börde dringen in der Hildesheimer Börde heim, wo auf besten Böden gemeinde- Salzstöcke bis nahe an die Erdoberfläche übergreifend mit günstigem Anschluss empor, so dass flache Höhenrücken die an Mittelland-Zweigkanal und Autobahn Börde reliefieren bzw. ältere Gesteins- ein neues großes Gewerbegebiet ausge- schichten die Lößdecke durchragen (z.B. wiesen wird. Dort ist auch ein Standort der von der B 1 überquerte Weißjurazug für ein Güterverkehrszentrum (Anlage westlich von Hoheneggelsen, die mit des kombinierten Ladungsverkehrs: KLV) einem Aussichtsturm bestandene Unter- vorgesehen (RROP 2000, S. 49). kreide-Kuppe des Lahbergs östl. Ilsede) oder oberflächennah anstehen (z.B. Oberkreide-Gruben bei Söhlde). Darüber 2.2 Das Berg- und Hügelland hinaus wird die sanft von 100 m NN im Süden auf 80 m NN im Norden abfallen- Im Berg- und Hügelland sind die lang- de Lößbörde von schmalen Bachtälern in gestreckten, ab 250 - 300 m NN bewalde- weitgespannte Mulden und Schwellen ten, überwiegend in NW-SO-Richtung gegliedert. (= herzynisch) verlaufenden Höhenrü- cken ein charakteristisches Landschafts- Bei Jahresniederschlägen von 550 - element - insbesondere wenn sie die 600 mm (nördl. von Hildesheim) bis 680 Flusstäler begleiten (Innerstetal zwischen mm (am Rand des Berglandes) haben sich Derneburg und Hildesheim, Leinetal zwi- in den trockenen Bereichen Schwarz- schen Freden und Brüggen). Bei geringer erden erhalten; sonst herrschen Para- Reliefenergie (100 - 150 m NN in den braunerden vor, die in Muldenlagen ver- Tälern, 300 - 400 m NN auf den Höhen) 14 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 4: Geologisches Profil durch den Hildesheimer Raum (aus: Seedorf/Meyer 1992, S. 71). sind die Rücken im Querprofil durchweg Bruchbildungen, die ihrerseits ein Mosaik asymmetrisch mit partiell relativ steil schräg gestellter, angehobener und geböschten Hängen. Sie sind daher - bei abgesenkter Schollen entstehen ließen der hohen Siedlungs- und Bevölkerungs- und weiterhin zum Aufreißen von dichte dieses Raumes - verkehrshinder- Gräben (z.B. Leinegraben südl. Nort- lich: von Landes- und nur wenigen heim), Überschiebungen (z.B. am Nord- Bundesstraßen kurvenreich überwunden, rand des Harz: Bruchstufe mit > 3000 m von der BAB 7 weiträumig umgangen, Sprunghöhe) und Verbiegungen von von der Bundesbahn-Neubaustrecke in Schichtpaketen führten. Zu Folge- zahlreichen Tunneln unterfahren. wirkungen der Saxonischen Bruchschol- lentektonik gehören u.a. die Mobili- Diese Oberflächenformen sind viel- sierung von Salzen in/aus der Zech- fach durch Salztektonik (vgl. Abb. 15), steinformation (vor ca. 250 Mill. Jahren bei Muldenstrukturen (z.B. im Kern des abgelagert) sowie die Reliefgenese von Hildesheimer Waldes) auch durch Salz- Schichtstufen bzw. -kämmen/-rippen auf auslaugung entstanden, teilweise unter- schräg gestellten Schichtpaketen. Ein stützt von der andernorts vorherrschen- gutes Beispiel für das Zusammenwirken den Reliefbildung durch „saxonische dieser beiden Faktoren bietet die un- Bruchschollentektonik“. mittelbare Umgebung von Hildesheim (vgl. Abb. 4): Salzaufpressungen unter Während der Perm-, Trias- und dem Hildesheimer Wald bewirkten eine Jurazeit (vor 290 - 150 Mill. Jahren) war beträchtliche Schrägstellung von Schich- die Erdkruste Norddeutschlands verhält- ten, so dass hier - ohne nennenswerte nismäßig stabil. Lediglich weiträumige Verwerfungen - über eine Distanz von und schwache („epirogenetische“) He- etwa 12 km in WSW-ONO-Richtung ein bungen und Senkungen hatten zu Schichtenpaket aus 100 Mill. Jahren Festlandsperioden (überwiegend mit Erdgeschichte schräg angeschnitten ist. Sandsteinablagerungen) und Meeres- Rein theoretisch bedeutet hier ein Schritt überflutungen (u.a. mit Salz-, Kalk-, von 60 cm einen Gang durch 500 Jahre Mergelablagerungen) geführt. Von der Erdgeschichte. späten Jura- über die Kreide- bis in die Tertiärzeit - also über ca. 120 Mill. Jahre Im warmfeuchten Klima des Tertiärs hinweg - war der südniedersächsische waren auf dem tektonisch vielfältig Raum als Fernwirkung der alpidischen strukturierten Relief Rumpfflächen ent- Gebirgsbildung tektonischen Spannun- standen. Während des Quartärs konnten gen entlang wesentlich älterer Störungs- - besonders im Wechsel von Kalt- und linien ausgesetzt: Pressungen und Zer- Warmzeiten - auf schräg gestellten rungen der Erdkruste führten zu Schichten unterschiedlicher geomorpho- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 15

Abb. 5: Schichtstufen und -rippen (aus: Seedorf/Meyer 1992, S. 102). logischer Widerständigkeit Verwitterung größeren Flüsse werden nämlich von ter- und fluviatile Ausräumung („Tiefen- rassenförmig angeordneten Resten alter erosion“) in den weicheren Schichten Talböden begleitet; sie zeugen davon, schneller voranschreiten, so dass letztlich dass die Täler nicht in einem kontinuier- die Dachflächen der härteren Schichten lichen Prozess entstanden sind. Phasen hervortraten und zu einer stufenförmi- der Eintiefung wechselten mit Stag- gen Anordnung in der Landschaft führ- nation oder Aufschotterung. Wäh- ten. Als Ergebnis präsentiert sich die sog. rend der Kaltzeiten des Quartärs wurde Strukturformenlandschaft des Berg- und durch Frostsprengung und Hang- bzw. Hügellandes. Bei einer Schichtneigung Wanderschutt viel Verwitterungsmaterial >10° tritt die stufenförmige Oberflächen- den Tälern zugeführt, das die Flüsse trotz struktur zurück: dann werden Schicht- der wasserreichen Sommermonate nicht kämme zum beherrschenden Land- abtransportieren konnten. Daher füllten schaftselement, bei noch größerem sich die Täler immer mehr mit Sand, Kies Neigungswinkel Schichtrippen. und Geröll auf. Bei wärmerem und feuchterem Klima gegen Ende einer Diese Strukturformen treten im Kaltzeit und aufkommender Vege- Hildesheimer Raum besonders gut dort tationsdecke erlahmte die Material- in Erscheinung, wo sie sich am Nordrand zufuhr, die Flüsse konnten sich einschnei- der Mittelgebirgsschwelle befinden, d.h. den, aber nicht die gesamten Tal- in der südlichen Umrahmung von füllungen ausräumen, so dass Reste des Calenberger und Hildesheimer Börde, ehemaligen Talbodens als Schotterter- sowie beiderseits der etwas tiefer ins Bergland eingeschnittenen Täler von Leine und Innerste. Bei den Struktur- formen treten die kompakten Bunt- sandsteinaufwölbungen nur an wenigen Stellen gerade noch an die Oberfläche (z.B. im Hildesheimer Wald); im darüber lagernden Gesteinspaket bilden harte Jura-(Malmkalk-) und Kreide-(Sandstein-) Schichten die Schichtkämme, während die harten Gesteine des Muschelkalks nur als untergeordnete Höhenzüge bzw. Kämme in Erscheinung treten.

Weniger auffällig als die Struktur- formen der Höhenrücken sind die Skulpturformen der Täler, deren Gestalt von den erodierenden, ggf. auch akku- Abb. 6: Die Entstehung von Schichtstufen mulierenden Flüssen bestimmt ist. Die (aus: Schrader 1957). 16 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 7: Bodenprofile aus dem Berg- und Hügelland, Rendzina (links), Braunerde (rechts); (aus: Seedorf/Meyer 1992, S. 182 bzw. S. 179). rassen erhalten blieben. In den quartären rücken/-hängen, die entweder keine Warmzeiten traten keine nennenswerten Lößauflagerung erhielten oder auf de- morphologischen Veränderungen ein: nen diese nur dünn war und abge- Bei ausgeglichener Wasserführung hat- schwemmt wurde. Auf Kalkgesteinen, ten die Flüsse etwa gleiches Abfluss- Mergeln oder Kalkschutt trifft man die verhalten wie heute. Da im Quartär ins- Rendzina als charakteristischen Boden: gesamt jedoch die Eintiefung überwog, unter einem stark humosen und von liegen die jüngsten Terrassen zuunterst: Rohhumusstoffen schwarz-grau gefärb- Die Ober-/Hochterrassenreste aus der ten, zudem meist steinigen Oberboden Elstereiszeit (vor ca. 350.000 - 250.000 (Ah-Horizont) folgt je nach Verwitte- Jahren) liegen im Leinetal bis zu 45 m rungswiderständigkeit des Ausgangs- über der heutigen Talaue, die saaleeis- gesteins dieses relativ bald darunter als zeitlichen Mittelterrassenschotter (vor C-Horizont. Als Pendant hierzu ist auf ca. 230.000 - 130.000 Jahren) etwa 15 m, quarzreichen Sandsteinen der Ranker die streckenweise vollständig erhaltene anzutreffen: ein mäßig saurer und nähr- weichseleiszeitliche Niederterrasse (vor stoffarmer Boden, daher wenig humus- ca. 100.000 - 10.000 Jahren) ca. 3 - 5 m, reich und überwiegend braun gefärbt. während der Auelehm (in der Talaue) Rendzina und Ranker sind flachgründig häufig erst infolge Bodenerosion seit der und bleiben bei bewegtem Relief dem ackerbaulichen Tätigkeit des Menschen Wald überlassen, insbesondere Ranker. abgelagert wurde. Bei fortschreitender Verwitterung und genügender Bodenstabilität - u.a. an fla- Die auf dem Auelehm bzw. auf der cher geneigten, unteren Hangbereichen lößüberdeckten Niederterrasse entwi- - kann sich die horizont-differenziertere ckelten Böden sind in der Regel recht Braunerde entwickeln: Unter einem fruchtbar. Anders verhält es sich mit den braun-grau gefärbten, humushaltigen Böden auf den Kalk- und Sandstein- Oberboden folgt ein deutlich zu erken- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 17 nender sepia- bis ockerbraun gefärbter das Flussnetz der Innerste deutlich zertalt etwa 2 - 10 dm mächtiger Unterboden und weiter untergliedert, und es schafft (Bv-Horizont). Dieser ist aufgrund der in seinem rheinisch-verlaufenden, das Verwitterungsvorgänge reich an Ton- Bördeland teilenden Hügelrücken der teilchen, die dem Boden eine fühlbare Giesener Berge jene Kulisse um die Stadt Bindigkeit verleihen und seine Fähigkeit Hildesheim, die der Volksmund als Lage zu Wasser- und Nährstoffbindung ver- „im Potte“ bezeichnet. bessern. Bei Tonauswaschung entstehen Parabraunerden bzw. auf sandreichen Naturräumliche Untereinheiten sind und sauren Gesteinen häufig nährstoff- die herzynisch verlaufenden Höhen von arme Podsole; bei letzteren ist der unte- Galgenberg - Vorholz, Hildesheimer re Horizont des Oberbodens auf 1 - 2 dm Wald, und sowie Mächtigkeit an Ton- und Humusstoffen Innerste- und Despetal, weiterhin die ausgewaschen, daher fahlgrau gebleicht, rheinisch verlaufenden Höhen der Giese- und die Einspülung bzw. Wiederaus- ner Berge und des Hainbergs sowie die fällung dieser Stoffe im Unterboden Täler von , Nette und Lamme. Diese bewirkte mitunter dessen Verfestigung. quer zueinander verlaufenden Sättel- und Muldenstrukturen bedingen an Im Bergland ist von den Schicht- Kreuzungen bzw. abgesunkenen Schol- kämmen hinab zu den Talauen eine sog. len die Becken von Bodenburg, Bocke- Bodencatena entwickelt: oben trifft man nem („Ambergau“), Rhüden und auf Rendzinen und Ranker, dann auf Lutter/Bbg. Insofern verliert der Hildes- Braunerden und Parabraunerden, in den heimer Wald als in sich abgeschlossenster Tälern auf anmoorige oder vergleyte Teil des Berglandes östlich der Lamme Böden. Ihnen entsprechen Wald - Acker - seine naturräumliche Bedeutung: Er löst Wiese als quasi-natürliche Nutzungs- sich in zahlreiche kleinere Höhenzüge streifen. auf, die durch Hochebenen bzw. Becken voneinander getrennt sind. Im Rhüdener Infolge der im Berg- und Hügelland und im Lutterer Becken liegt Relief- höheren Niederschläge haben sich in den umkehr vor: d.h. die tektonisch aufge- Beckenlandschaften von Calenberger wölbten Schichten (sog. „geologische und Innerste-Bergland auf den dortigen Sättel“) sind wegen ihrer wenig wider- Lößvorkommen Parabraunerden mit ent- ständigen Gesteinsbeschaffenheit (u.a. sprechender intensiver agrarischer Nut- Röttone des Buntsandsteins) ausgeräumt zung entwickelt. Aus dem Flugzeug be- und treten als Senken (sog. „morphologi- trachtet erweckt daher dieser nördliche sche Mulden“) hervor (vgl. Abb. 8). Streifen der Mittelgebirgsschwelle den Eindruck, als ob er von Bördeinseln In den größeren Becken haben sich durchsetzt sei. Aber gerade die Ausläufer Grund-/Unterzentren entwickelt, von intensiver agrarischer Nutzung bergen denen (14.000 Einw.) auch ökologische Probleme: Im ehem. und Bockenem (11.000 Einw.) Teil- Landkreis Alfeld (bis 1974), d.h. im funktionen eines Mittelzentrums besit- Wesentlichen in den naturräumlichen zen. Einheiten von Alfelder Bergland und Calenberger Bergland, sind ca. 70 % der Eine weitere geomorphologische agrarisch genutzten Flächen bodenero- Besonderheit liegt im Engtal der Lamme sionsgefährdet (RROP 2000, S. 108). bei Bad Salzdetfurth vor: Der Fluss hat hier entlang einer im Jungtertiär beleb- ten, rheinisch verlaufenden Störungslinie 2.2.1 Innerste-Bergland ein Durchbruchstal geschaffen, d.h. das Tal verläuft quer zur Hebungsachse des Im Hildesheimer Raum nimmt das Hildesheimer Waldes, so dass dessen Innerste-Bergland eine zentrale und cha- Schichten ‚durchbrochen‘ werden. Die rakteristische Position ein: Es gehört zu dabei angeschnittenen salzhaltigen den nördlichsten Ausläufern der deut- Zechsteinschichten werden vom Grund- schen Mittelgebirgsschwelle, ist durch wasser ausgelaugt, das dann als Sole im 18 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Taleinschnitt von Salzdetfurth zutage jedoch gehören diese Teillandschaften tritt. Seit dem 12. Jh. ist die Salzsiederei nicht mehr zum Hildesheimer Raum. dort nachgewiesen, aber auch andern- Lediglich der aus Sandsteinen der Unter- orts (z.B. in Rhüden, Heyersum) bestan- kreide aufgebaute, infolgedessen von den Salinen. schwach sauren, wenig basenhaltigen und somit wenig fruchtbaren Böden Aufgrund des reichhaltigen morpho- bedeckte und daher bewaldete Oster- logischen Formenschatzes und der da- wald liegt im Einzugsbereich und zum durch hervorgerufenen Kleinkammerung größten Teil im Landkreisgebiet von unterscheidet sich das Innerste-Bergland Hildesheim. Die herzynisch verlaufende von allen anderen Teillandschaften des Beckenzone von Lauenau - Bad Münder - Berg- und Hügellandes im Hildesheimer Coppenbrügge ist schon westwärts auf Raum. Das Landschaftsbild der Becken das Mittelzentrum Hameln ausgerichtet. erinnert stark an die Lößbörden des Flachlandes (z.B. die sog. Heberbörde Die Fußzone des Berglandes geht vie- südl. Lamspringe). Im Innerstetal ist - lerorts fast unmerklich in die Calen- dings - aufgrund der Schwermetall- berger Börde über, wenngleich bei stär- belastung aus dem ehem. Harzer kerer Hangneigung im Bergland eine Bergbau (vgl. Kap. 3.2) - nur eine einge- ackerbauliche Nutzung aus ökologischen schränkte landwirtschaftliche Nutzung Gründen (z.B. wegen Gefahr der Boden- möglich. Darüber hinaus sollte eine zu erosion) zu reduzieren ist. Vorrangig ist starke landwirtschaftliche Nutzung der jedoch die Erhaltung der bodensauren Fluss- und Bachauen reduziert werden, Buchenwälder auf den Schichtkämmen u.a. zur Landschaftspflege bzw. Re- bzw. der Erlen-Eschenwälder in den naturierung in den Überschwemmungs- Quellfluren, die beide als charakteristi- gebieten. sche Landschaftselemente des Calen- berger Berglandes zu betrachten sind. Infolge seines Vordringens in die Tieflandsregion stellt das Innerste- Bergland eine bevorzugte (Nah-)Er- 2.2.3 Alfelder Bergland holungslandschaft dar; diese Funktion wird verstärkt durch Bad Salzdetfurth als Neben der Hildesheimer Lößbörde Heilbad und Lamspringe als staatlich und ihrer Fortsetzung längs der Innerste anerkannten Erholungsort. Wegen der in das Berg- und Hügelland bildet das relativ dichten Besiedlung des Innerste- Alfelder Bergland die zweite Zentral- Berglandes bzw. seiner Nähe zu den landschaft des Hildesheimer Raumes. Großstädten Hildesheim und Salzgitter Dieser Landschaftscharakter kommt ei- ist es als sozioökologische Aufgabe anzu- nerseits dadurch zustande, dass dieser sehen, weitere Bereiche (z.B. Land- Teilraum mit dem Leinetal eine Achse schaftsräume zwischen Derneburg und besitzt und dass andererseits etwa senk- Schlewecke bzw. um Lamspringe mit den recht zu dieser Achse bei Alfeld eine Höhenzügen Heber und Rosenberg/Lot- Überquerung der das Tal begleitenden berg) als Vorsorgegebiete für Naher- Höhenzüge möglich ist, hingegen in der holung zu reservieren. südöstlichen Fortsetzung der Leine- talachse - d.h. oberhalb von Alfeld - eine Engtalstrecke liegt. Insofern weist Alfeld 2.2.2 Calenberger Bergland - naturräumlich gesehen - eine zentrale Lage auf. Das herzynisch verlaufende Im Osnabrücker und im Calenberger Leinetal ist durch Verwerfungslinien und Bergland dringt die deutsche Mittel- durch Salzauslagung im Untergrund tek- gebirgsschwelle am weitesten nordwärts tonisch vorgezeichnet. vor. Das Calenberger Bergland stellt eine nach fast allen Nachbarräumen hin sehr Teillandschaften rechts der Leine sind abgeschlossene Landschaft dar: be- die und der (aus sonders nach NO (Deister), N (Bücke- Mergelkalken der Oberkreide), getrennt berge) und W bzw. SW (Wesergebirge), - durch die Senke von Langenholzen. Die Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 19 links der Leine und südwestlich von Ith und Hils gelegene Eschershausener Senke gehört zwar naturräumlich noch zum Alfelder Bergland, tendiert zentral- örtlich aber zu den Einzugsbereichen der Mittelzentren Hameln bzw. Holzminden. Der relativ hohe Waldanteil des Alfelder Berglandes bedingt dort mancherorts lebhafen Naherholungsverkehr (z.B. Duinger Berge mit Bruchsee).

Ith und Hils bilden als sog. Ring- Abb. 8: Entstehung von Reliefumkehr gebirge mit ihren Schichtkämmen eine und Schichtkämmen (aus: Schrader deutliche Begrenzung des Hildesheimer 1957). Raumes nach Südwesten hin und weisen zudem die höchste Erhebung (Bloße Zelle 480 m) auf. Gleichwohl stellt dieser und Delligser Senke in Erscheinung. Im ellipsenförmige, außen aus harten Kal- nördlichen Teil wird das Muldeninnere ken des Oberjura, weiter im Inneren aus von der Saale entwässert, während im harten Sandsteinen der Unterkreide südlichen Teil Glene und Wispe durch bestehende Gebirgszug nur einen Teil rückschreitende Erosion zunächst in der einer größeren Raumeinheit dar: im Ith- Gebirgsumrahmung Durchbruchstäler Hils-Bergland liegt ein komplizierter Fall anlegen und dann die axial angelegte von Reliefumkehr vor (siehe Abschnitt Muldenentwässerung anzapfen und 2.2.1 und Abb. 9). umlenken konnten. Dabei kommt dem Durchbruchstal der Wispe besondere ver- Die geologisch älteren Schichten tre- kehrsgeographische Bedeutung zu, weil ten wegen ihrer harten Gesteine als das zwischen Greene und nur Gebirgsumrahmung der tektonischen 150 m breite Leinetal südlich dieser Eng- Mulde hervor, und das östliche Pendant stelle häufig überschwemmt war. Der zu Ith und Hils bilden Thüster Berg, alte Nord-Süd-Fernverkehrsweg mied das Duinger Berg und Selter. Die jüngeren, Durchbruchstal der Leine und gabelte über dem Hilssandstein abgelagerten sich in einen westlichen Zug - Unterkreideschichten sind wenig wider- Einbeck - Alfeld (heutige B 3), einen mitt- ständig, konnten deshalb ausgeräumt leren Zweig Northeim - Echte - Bad werden und treten als Wallenser Senke Gandersheim (B 248/445) - Lamspringe -

Abb. 9: Blockbild der Ith-Hils-Mulde (aus: Seedorf 1977, S. 218). 20 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Hildesheim und einen östlichen Zweig Giesener Berge (bis 181 m NN) nördlich Northeim - Seesen (heute BAB 7), um ins des Passes von Himmelsthür einen ca. 5 Flachland zu gelangen. km weit in die Börde vorgeschobenen Ausläufer des Berglandes. Er ist in rheini- Zur ellipsenförmigen Umrahmung scher Richtung horstartig herausgeho- der Ith-Hils-Mulde gehört ein Muschel- ben, während das weitere Stadtgebiet kalk-Schichtkamm, der links der Leine im von Hildesheim in herzynischer Richtung Külf und rechts der Leine im Schwarz- gegliedert ist. kopf--Zug in Erscheinung tritt. Der Leinetal-Durchbruch in dem von wei- Südwestlich von Sorsum steigt die teren triassischen Gesteinen gebildeten Buntsandsteinaufwölbung des Hildes- Schichtrippenzug zwischen Schlehberg heimer Waldes im Escherberg auf 282 m und Steinberg südlich Alfeld war längs NN an. Die dem Hildesheimer Wald nord- einer Verwerfungslinie sowie durch Sub- östlich vorgelagerte Senke wird nach NW rosion (= unterirdische Auslaugung von über den Rössingbach zur Leine bzw. Zechsteinsalzen von der Oberfläche her) nach SO über die zur Innerste und Erosion (Ausräumung weicher entwässert. Im Landschaftsbild folgt Buntsandsteinschichten) möglich. dann die Stufenstirn der bewaldeten, vorwiegend aus Muschelkalk bestehen- Infolge seiner verkehrsgeographi- den Schichtrippe mit Gallberg und schen Bedeutung (vgl. Kap. 4.3) konnte Lerchenberg (243 m NN), auf deren sich Alfeld zum Mittelzentrum entwi- Rückhang (vgl. Abb. 5) sich die Stadtteile ckeln, das im Raum Delligsen bis in den Neuhof und Moritzberg erstrecken, Landkreis Holzminden reicht. Hinsichtlich wenngleich der Zierenberg (im nörd- ihrer Bevölkerungszahl (22.000 Einw. lichen Stadtteil Moritzberg) bereits dem bzw. 7,6 % der Landkreisbevölkerung) Rhät am Ostflügel der Giesener He- hat die ehem. Kreisstadt jedoch eine bungsachse angehört. Die sich in den überdurchschnittliche Bedeutung für das stadteinwärts folgenden wenig wider- Umland. ständigen unteren und mittleren Keuperschichten befindliche Ausraum- 2.3 Stadtgebiet von Hildesheim zone wird vom Trillkebach entwässert, der bei seinem Eintritt ins Stadtgebiet Das Stadtgebiet von Hildesheim bil- (Steinbergstraße) teilweise kanalisiert det zwar keine naturräumliche Einheit, verläuft. Nunmehr schon im engeren lässt aber die enge Verzahnung von Stadtgebiet von Hildesheim folgt der Börde und Bergland gut erkennen: Die Stirnhang zum bewaldeten Rhätsand- Ausläufer des Berglandes dringen ins steinkamm des Steinbergs (141 m NN) Stadtgebiet vor und ihre Hangfußlagen mit dem Stadtteil Ochtersum auf seinem sind bevorzugte Wohngebiete; im Rückhang. Der Keupersandstein des Norden und Osten der Stadt - mit gutem Steinbergs lieferte den Baustein für viele Anschluss an Autobahn und Mittelland- Hildesheimer Sakral- und Profanbauten. Zweigkanal - entstehen neue Gewerbe- gebiete auf besten Böden der Börde. Der Der Verlauf der B 243 im Stadtgebiet sog. Pass von Himmelsthür (99 m NN), von Hildesheim (Alfelder Straße) sowie über den die B 1 im Westen der Stadt der alte Verlauf des von Westen kom- führt, ist ein geomorphologischer Sattel: menden Fernhandelsweges (B 1 bzw. er teilt Calenberger Börde (im Westen) Elzer Straße) kennzeichnen sowohl den von Hildesheimer Börde (im Osten), Rand der Niederterrasse zur Innerste als zugleich aber auch die Börden von dem auch eine weite Ausraumzone in den südlich davon gelegenen Bergland. weichen Liastonen (Unterer Jura). Ehe- Westlich des Passes von Himmelsthür mals bestand dort ein Flussspal- weitet sich die Börde: Im sog. Güldenen tungsgebiet mit Inseln (Werdern) und Winkel greift die Calenberger Börde Furten. Noch heute künden Straßen- rings um den Stadtteil Sorsum etwa 4 km namen von dem im Mittelalter wüst weit trichterförmig nach Süden in das gefallenen Dorf Lutzingeworden, das Bergland ein. Andererseits bilden die oberhalb der Werder auf der Nieder- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 21 terrasse, etwa an der Stelle des heutigen hin gelegenen Aborte befanden. Friedhofs der Domgemeinde („Vier Linden“) lag. Von den vielen ehemaligen In das bereits außerhalb der mittelal- Flussspaltungen zeugen Innerstearme terlichen Gruppenstadt gelegene südöst- wie Blänkebach, Kupferstrang, Esels- liche Stadtgebiet reicht die wiederum graben, Mühlengraben usw. Es ist nicht bewaldete Weißjura-Schichtrippe von mehr nachweisbar (vgl. Uhl 1930), ob die Galgenberg - Spitzhut (207 m NN) mit heute vorhandene Laufrichtung der ihren Ausläufern bis zur „Steingrube“, Trillke schon früher so bestand, etwa als wo die harten Korallenkalke einstmals sog. verschleppte Mündung in einen abgebaut wurden. Die nordöstlich dieser Nebenarm der Innerste, oder ob nicht Schichtrippe bzw. auf ihrem lößbedeck- vielmehr ein Trillke-Schwemmkegel in ten Rückhang gelegenen Stadtteile der Nähe vom „Dammtor“ (vgl. die Uppen, Achtum, Einum, Bavenstedt und Höhenlinien in Abb. 10) eine besonders Drispenstedt gehören zur Hildesheimer günstige Furt ermöglichte. Börde. Die verstädterten, aber im Kern noch erkennbar mittel- bis großbäuer- Die Innerstefurten nutzte der alte lichen Haufendörfer befinden sich auf West-Ost-Handelsweg, an dessen östli- einer von ca. 125 m NN auf ca. 90 m NN chem Brückenkopf ein Wik der Kaufleute schwach geneigten Ebene. Der Übergang bestand („Alter Markt“). Von dort be- zur Börde vollzieht sich ohne nennens- stand ein bequemer, sanfter Anstieg auf werte Reliefunterschiede in der Oststadt das rechte Ufer der Innerste im Bereich und in der Nordstadt von Hildesheim. der zwischen Domhügel (im Süden) und Michaelishügel (im Norden) nur schwach Die für Hildesheim namensgebende ausgebildeteten Schichtrippe in Schie- älteste Siedlungsstätte war nach Ansicht fern des Unteren Jura. Die heutige Innen- mancher Autoren (u.a. Zoder 1957, S. 10) stadt bzw. die historische Altstadt (mit möglicherweise ein altsächsischer Einzel- „Almsstraße“ und „Hoher Weg“ als hof eines Hiltwin, auf den die Straßen Achse sowie mit der fast parallel östlich „Altes Dorf“ und „Ohlendorfer Straße“ dazu gelegenen „Osterstraße“ in Leiter- in der Nordstadt unmittelbar am Haupt- form - d.h. mittels sprossenförmig verlau- bahnhof hinweisen. Diese Siedlung be- fender Querstraßen - im Hochmittelalter fand sich offenbar an der Grenze der ergänzten Stadtanlage) befindet sich Treibe-Niederung zu den nördlich davon nordöstlich der Innerste bzw. östlich der gelegenen Lößplatten, auf die Steuer- in ihren Mühlengraben-Arm mündenden walder Straße bzw. Peiner Straße wenige Treibe. Diese Altstadt (ca. 90 m NN) liegt Dezimeter hinaufführen. im Wesentlichen auf der Mittelterrasse bzw. im Bereich der Doggertone Insofern hat die Stadt mehrere, weit- (Mittlerer Jura). Ihr Gelände ist oftmals gehend aus der naturräumlichen sumpfig und erfordert Betonpfeiler für Situation abzuleitende Siedlungszellen: die Fundamente mancher Hochbauten. das Alte Dorf und den Wik, bevor mit der Unmittelbar am Rande der Altstadt lie- Gründung des Bischofsitzes und der fen (heute kanalisierte) Bäche: im damit verbundenen Anlage der Dom- Norden und im Westen die Treibe - als burg der Eintritt in die historisch beleg- Hauptwasserader der Stadt - sowie die bare Stadtentwicklung erfolgte. Das Bild ihr nach kurzem Lauf zufließende Sülte der Gruppenstadt ergänzen dann die (vgl. Abb. 10; weiterhin Abb. 1 im Beitrag Altstadt, die aus einer Straßenzeile her- von A. Germer). Von den alten Bachläu- vorgegangene Brühl-Vorstadt (= Be- fen künden heute noch manche Namen: zeichnung für ein „Bruch“-, d.h. sumpfi- das „Sülte-Hotel“ an der Stelle eines ehe- ges Gelände), die vom St. Moritzstift an maligen, über der Sültequelle erbauten einem festen Innerste-Übergang („Berg- Klosters, die „Eckemekerstraße“ von der steinweg“ bzw. „Dammstraße“) an- Niederlassung der Weißgerber (nddt.: gelegte Dammstadt sowie die vom erchmeker) am Treibeufer sowie unweit Domprobst an der Stelle des ehemaligen davon der „Hückedahl“, an dem sich die Dorfes Losebeck angelegte Neustadt. am Rande der Dom-Immunität zur Treibe Die bis ins Stadtgebiet hineinreichen- 22 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 10: Reliefverhältnisse im Hildesheimer Stadtgebiet (aus: Uhl 1930, S. 35), vgl. hier- zu auch die Abb. 1 im Beitrag von A. Germer). den Wälder sind vorwiegend erst seit Stadtgebietes von Wald- und Erholungs- Mitte des 19. Jahrhunderts als forstwirt- flächen eingenommen. schaftliche Maßnahme entstanden. Zuvor bedeckten - während des Mittel- alters zunehmend - ausgedehnte Wei- 3. Klima, Wasser und Vegetation als den, Triften und Trockenrasen die umlie- landschaftsprägende Geoöko- genden Höhenzüge. Die Wälder, die faktoren1 heute den Kranz der Höhenzüge rings um das Stadtgebiet bedecken, sowie Neben den Oberflächenformen prägt Reste der Auwälder (Lönsbruch im Sü- die Pflanzendecke in entscheidender den, Haseder Busch im Norden) - jeweils Weise das Landschaftsbild. Allerdings in Teilbereichen zu Landschaftsschutz- wäre der Hildesheimer Raum - wie auch oder gar Naturschutzgebieten erhoben - weite Teile Mitteleuropas - ein eintöni- und die Wiesen im früheren Über- ges Waldland, wenn dieses nicht vom schwemmungsgebiet der Innerste sowie Menschen zurückgedrängt und in ein weiterhin die mit Grünanlagen und buntes Mosaik mit Äckern und Grünland Teichen durchsetzten ehemaligen Be- umgestaltet worden wäre. Infolge festigungswälle um die historische Alt- menschlicher Einflüsse ist vor allem in und Neustadt ergeben viel naturnahe den letzten 1200 Jahren allmählich die Ausstattung des Hildesheimer Stadtge- Natur- in eine Kultur- bzw. Wirtschafts- bietes. So werden immerhin 26 % des landschaft umgewandelt worden. Dabei Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 23 erfolgten jedoch so gravierende Einflüsse ähnlichen Werten - charakterisiert den in die ursprüngliche bzw. natürliche mittleren Ablauf der atmosphärischen Vegetationszusammensetzung, so dass Zustände und Witterungsvorgänge über diese heute nur anhand spezieller einen längeren Zeitraum. Aufgrund der Methoden (z.B. Pollenanalyse in datier- räumlichen Dimension gilt es, das baren Schichten, Rückschlüsse anhand Mesoklima zu erläutern, d.h. das durch gegenwärtiger Ersatzgesellschaften der Reliefeinflüsse, großflächige Bebauung Pflanzendecke) ermittelt werden kann. o.ä. geprägte Klima der (Teil-)Land- schaften. Eine ursprüngliche Vegetation zu rekonstruieren ist nahezu unmöglich, da Makroklimatisch gehört der Hildes- sich Erscheinungsbild und Zusammen- heimer Raum dem feuchtgemäßigten setzung der Pflanzendecke bereits vor Klima der Westwindzone an, bei dessen anthropogener Einflussnahme laufend, Ausprägung sich in Niedersachsen wenngleich nur allmählich, veränderten. geringfügige, die Ozeanität abschwä- Ursache hierfür sind vor allem Klima- chende Einflüsse bemerkbar machen. schwankungen der Nacheiszeit. Im Z. B. reduzieren milde Westwinde im Klimaabschnitt des Subboreal, das etwa Winter die Temperaturabnahme mit der der jüngeren Steinzeit und Bronzezeit Höhe auf 0,4 °C/100 m, die im Sommer entspricht, war hierzulande ein Eichen- 0,6 °C/100 m beträgt. Hingegen nehmen mischwald (mit Ulmen, Linden, Eschen, die Niederschläge mit der Höhe zu (vgl. Erlen) verbreitet. Erst um 1100 v.Chr., als Abb. 11), so dass das Klima gewisserma- das Klima im Subatlantikum etwas kühler ßen eine Funktion der Höhenlage ist und feuchter wurde, wanderte die heute bzw. die Niederschlagskarte teilweise die vorherrschende Buche ein. Demzufolge Reliefverhältnisse widerspiegelt. Nach können wir in der Gegenwart nur von Hoffmeister (1937) gehört der Hildes- einer „potenziellen natürlichen Vege- heimer Raum zwei “Klimakreisen“ an: tation“ sprechen, die sich an einem • Die Reliefabhängigkeit des Klimas im Standort unter derzeitigen Klimabedin- Berg- und Hügelland zeigt sich sowohl gungen - ggf. nach Durchlaufen entspre- in den Temperaturen als auch in den chender Sukzessionen (= Abfolgen von Niederschlägen. Tallagen um 100 m NN Entwicklungsstadien) - als Schluss- bzw. sind wegen winterlicher Kaltluftseen Dauergesellschaft einstellt und sich im kühler als gleiche Höhenlagen in der Gleichgewicht mit den aktuellen Geo- Börde. ökofaktoren befindet. Zu letzteren zäh- • Das Klima der Börde zeigt abge- len im wesentlichen Böden, Klima und schwächten ozeanischen bzw. subkon- Wasserhaushalt; auf die Böden im tinental getönten Einfluss: Die höheren Hildesheimer Raum wurde bereits im Jahresmitteltemperaturen kommen vor Abschnitt 2 eingegangen. allem wegen wärmerer Sommer zu- stande. Die den Tälern des Berglandes der Höhenlage nach entsprechenden Lößplatten sind niederschlagsärmer, 3.1 Wetter - Witterung - Klima wohl aber in der regenbringenden Winden stärker geöffneten Calen- Mit ‚Wetter‘ bezeichnet man einen berger Börde (teilweise > 700 mm) aktuellen Zustand der Atmosphäre (an etwas höher als in der Hildesheimer einem bestimmten Ort), der anhand von Börde (vgl. Tab. 2). messbaren oder beobachtbaren Klima- elementen (z.B. Temperatur, Nieder- Wärmebegünstigt - je nach Bebau- schlag, Wind) zu beschreiben ist. ungsdichte und Exposition um 1 - 3 °C im Witterung ist die über mehrere Tage Jahresmittel - ist die Stadt Hildesheim, oder sogar Wochen relativ beständige, deren wärmespeichernde Stein- bzw. typische Abfolge der atmosphärischen Asphaltoberflächen und wenig durchlüf- Zustände in einem Raum. Klima - erfass- teten Straßenzüge den Wärmeinsel- bar und darstellbar anhand von statisti- Effekt bewirken. schen Mittel-, Andauer-, Extrem- und Für weite Bereiche des Lebens und 24 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Tab. 1: Klimadaten von Hildesheim.

Tab. 2: Klimawerte aus dem Hildesheimer Raum.

Wirtschaftens (z.B. Landwirtschaft, Bau- geschlossene Schneedecke. Es gibt im und Transportgewerbe) ist die Frost- Mittel 19 Eistage im Jahr, an denen die gefährdung relevant, etwa die Dauer der Temperatur ganztägig im Minusbereich in der Regel frostfreien Zeit oder die bleibt. Ihnen stehen 25 sog. Sommertage durchschnittliche Anzahl der Tage mit gegenüber, an denen > 25 °C gemessen Frost. Dabei ist wesentlich, dass die werden, und 4 sog. Tropentage (> 30 °C). Klima- bzw. Temperaturwerte von den Beobachtungsstationen grundsätzlich in In der angewandten Klimatologie 2 m Höhe über dem Erdboden gemessen spielt die Vegetationsperiode eine Rolle: werden. Im Mittel über das Kreisgebiet das ist der Zeitraum, in dem die mittleren (Mittelhäuser 1957, S. 43 ff.; Evers 1964, Tagestemperaturen - ermittelt aus den S. 56 ff.) sind Fröste (Tagesminimum Messzeitpunkten/Stunden t = (t + t . m 7 14 unter 0 °C) in der Zeit vom 23.10. bis + 2 t21): 4 - den Wert von + 5 °C über- 24.04. zu erwarten, d.h. die mittlere steigen. Anfang, Ende und Andauer die- Dauer der frostfreien Zeit beträgt 181 ser so definierten Vegetationsperiode Tage (Hildesheim 189 Tage, vom 18.04. sind insbesondere für die Landwirtschaft bis 25.10.). Durchschnittlich treten Fröste bedeutsam, weil das Wachstum der meis- an 80 Tagen (Hildesheim: 71 Tage) auf. ten Pflanzen (insbes. der Gräser, d.h. des Gleichwohl sagen derartige Mittelwerte Getreides) diesen Schwellenwert erfor- wenig aus, da trotz ‚mittleren Endes‘ der dert. Die Vegetationszeit dauert in der frostfreien Zeit am 24.04. im Monat Mai Börde ca. 235 Tage, im Mittel ca. vom ‚im Mittel‘ noch ein Frosttag zu erwarten 21.03. - 14.11. (Hildesheim 231 Tage: vom ist! Hinsichtlich der Frostgefährdung 23.03. bis 13.11.), im Bergland in den gehört der Hildesheimer Raum zu den Tälern (um 100 m NN) ca. 230 Tage, auf klimagünstigen Regionen Niedersach- den Höhen bzw. an den Hängen (um 300 sens (z.B. zählt man in der zentralen m NN) ca. 215 - 220 Tage. Für anspruchs- Lüneburger Heide 100-120 Frosttage, in vollere Kulturen sind jedoch höhere Tem- der Diepholzer Niederung sogar ca. 150 peraturen erforderlich (z.B. 8-10°C für Tage). Schnee (mit > 0,1 mm Mais, 10 °C für Zuckerrüben). Die hierfür Niederschlagswert) ist in der Regel vom in Frage kommenden agrarwirtschaft- 14.11. - 07.04. zu erwarten, und zwar an lichen Termine lassen sich anhand Inter- 31 Tagen; in diesem Zeitraum liegt polation der Zeitdauer mit Temperaturen durchschnittlich an 35 Tagen eine > 10 °C ermitteln, die durchschnittlich in Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 25

Abb. 11: Mittlere Summen der Jahresniederschläge im Hildesheimer Raum (aus: Evers 1964). 26 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 12: Phänologische Jahreszeiten (aus: Seedorf/Meyer 1992, S. 237). die Zeit vom 28.04. bis 09.10. (162 Tage) sowie nach Sommer- und Winter- fällt. Gleichwohl ist zu beachten, dass sonnenwende; die meteorologischen vielerorts nicht die Klima-, sondern die Jahreszeiten beginnen definitionsgemäß Bodenverhältnisse (z.B. ist der Wasser- am 01.03., 01.06, 01.09. und 01.12. Diese haushalt abhängig vom Tongehalt) den Jahreszeiteneinteilung tritt uns nur Feldarbeiten Einhalt gebietet (vgl. den wenig in Erscheinung, wohl aber die phä- Beitrag von Voßeler). nologischen Jahreszeiten, d.h. die Zeit- einteilung des Jahres, die sich an den Eine wesentlich größere physiogno- Hauptentwicklungsphasen ausgewählter mische und zugleich klimaabhängige charakteristischer Pflanzen orientiert. Bedeutung als die Vegetationsperiode Danach beginnt der Vollfrühling mit der haben phänologische Daten. Für das Apfelblüte (vgl. Abb. 12 und 13): Als wär- Leben(sgefühl) in den gemäßigten mebegünstigt im Hildesheimer Raum Breiten ist vielfach der Wechsel der erweist sich die Lößbörde; im Berg- und Jahreszeiten und damit verbunden die Hügelland sind die Täler und Becken sog. „Aspektfolge“ der Landschaft we- bevorzugt und zeigen keine so große sentlich. Diese wiederum steht im Verzögerung in der Vegetationsent- Zusammenhang mit klimatischen Schwel- wicklung, wie man anhand der obigen lenwerten. Wir empfinden zwar schon im Klimadaten vermuten könnte. Dies liegt Februar oder März „frühlingshafte daran, dass der Frühling von Spanien Temperaturen“, aber viel deutlicher tritt sowohl durch Oberrheinebene und uns der Frühling bei der Laubentfaltung Hessisches Senkenland in das Berg- und von Waldbäumen oder bei der Blüte von Hügelland, als auch über die Kölner und Obstbäumen in Erscheinung. Mit der Münsterländer Bucht in das Bergvorland jährlichen bzw. jahreszeitlich gebunde- bzw. in die Börde „einzieht“; bei dem nen Wachstumsentwicklung von wild- SSW-NNO gerichteten Weg beträgt die wachsenden und kultivierten Pflanzen in Tagesleistung des Frühlingseinzuges Abhängigkeit von Witterung und Klima etwa 30 km in der Ebene bzw. etwa 30 m befasst sich die Phänologie. Die astrono- höhenwärts. Der Hochsommereintritt misch bestimmten Jahreszeiten richten beginnt mit Erntebeginn des Winter- sich nach den Tag-und-Nacht-Gleichen roggens; wegen der größeren Sommer- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 27

Abb. 13: Frühlingseinzug im Hildesheimer Raum (aus: Evers 1964). 28 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial wärme in den kontinentalen Klima- Flusses) abhängig, denn über Äckern bereichen dringt er von Osten kommend kann mehr Wasser verdunsten als über durch die Börde in das Berg- und Wäldern (z.B. beträgt die potenzielle Hügelland, etwa vom 24.07. - 30.07. ein. jährliche Verdunstung bei Wald- bedeckung mit Buchen etwa 360 mm, Wenngleich nicht den phänologi- über der beackerten Börde ca. 500 mm; schen Daten zuzurechnen, wohl aber Seedorf/Meyer 1992, S. 242 f.). sichtbares Zeichen von Witterung und Klima, ist die Anzahl der Tage mit Sobald das Wasserdargebot (z.B. aus Schnee. Stark-/Dauer-Niederschlägen, bei Schnee- schmelze) größer ist als das Aufnahme- vermögen des Bodens (sog. „Infiltra- 3.2 Gewässer und Wasserhaushalt tionsrate“), kommt es zum Oberflächen- abfluss. Ansonsten werden Bäche und Niederschlag (N), Verdunstung (V) Flüsse aus dem Grundwasser gespeist, und Abfluss (A) sind die bestimmenden das gelegentlich - in Quellen - an der Größen des Wasserhaushaltes (N = V + Oberfläche austritt. Wasserdargebot und A). Modifizierend wirken Rücklage (z.B. Abfluss (vgl. Tab. 3) sind im Winter am Speicherung im Bodenwasser oder in größten. Besonders wenn es nach Grund- einer Schneedecke) und Verbrauch (z.B. wassersättigung im niederen Berg- und von der Bevölkerung, von der Vege- Hügelland bei einsetzendem milden tation). Man muss dabei aber beachten, Frühlingswetter zur Schneeschmelze im dass wir zwar von „Wasserverbrauch“ Harz und zu gleichzeitigen Starkregen sprechen, tatsächlich aber der Wasser- kommt, führen die Nebenflüsse der Leine kreislauf ein geschlossenes Geoöko- und diese selbst rasch Hochwasser. Die system ist, in dem keine Glieder verloren Hochwässer sind heute weniger katastro- gehen oder ausscheren. Wir „verbrau- phal, seitdem Talsperren im Harz (an chen“ kein Wasser, sondern wir „gebrau- Innerste, Söse und Oder) sowie das Hoch- chen“ es und geben es nach Gebrauch wasserbecken von Salzderhelden (ein wieder in den Kreislauf zurück. Polder mit 37,4 Mill. cbm Fassungs- vermögen, 1986 fertiggestellt, ca. 24 km In der Landschaft sichtbares Glied des südl. von Alfeld) für eine ausgeglichene- Wasserkreislaufs ist der Abfluss in Bächen re Wasserführung von Leine bzw. und Flüssen. Deren Wasserführung ist Innerste sorgen. bedingt durch die unterschiedliche Höhe der Niederschläge (nach Raum und Zeit), Fast der gesamte Hildesheimer Raum wobei im Raum weitere Faktoren (z.B. entwässert in die Leine bzw. über die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Innerste (insg. 1254 qkm Einzugsgebiet) Sickerwasser; auf den Oberflächen- als deren Vorfluter. Lediglich von kleine- abfluss wirkende Reliefverhältnisse) ren Gebieten im Nordosten des Land- modifizierend sind. Weiterhin ist die kreises erfolgt der Abfluss über die Fuhse Wasserführung von der Gebietsver- zur Aller, aber dort in der Börde (zwi- dunstung (z.B. im Einzugsgebiet eines schen Lühnde und Söhlde) ist die

Tab. 3: Wasserführung der Flüsse. Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 29

Wasserscheide im Landschaftsbild kaum mit/zu sog. „Energieversorgern“. In der wahrzunehmen. Am deutlichsten ist die Lößbörde treten nur sehr wenige Wasserscheide zwischen Leine und Quellen aus, und die Grundwasservor- Innerste - zugleich als Grenze zweier kommen sind gering, weil die dünne naturräumlicher Untereinheiten des Schicht an Lockermaterial auf den Berg- und Hügellandes - ausgeprägt. Die Festgesteinen wenig Wasserspeicher- Grenzen der meisten (anderen) Natur- kapazität besitzt. Nur in den Tal- landschaften korrespondieren wenig mit niederungen der die Börde durchziehen- dem Verlauf von Wasserscheiden: z.B. den Flüsse ist Wassergewinnung aus den entwässert die Saale (insg. 210 qkm Schotterterrassen möglich; allerdings Einzugsgebiet) sowohl Calenberger entfällt hierfür das Innerstetal wegen Börde wie Calenberger Bergland, das Ith- Belastung des Wassers mit Schwer- Hils-Bergland wird von mehreren kleinen mineralen aufgrund von Abwässern aus Flüssen entwässert (von denen nur Glene den Abraumhalden des ehemaligen und Wispe ein starker unter-/geglieder- Harzer Bergbaues. Weil die im Innerste- tes Flussnetz mit markanten Durch- tal abgelagerten Pochsande und -schläm- bruchstälern in der Schichtrippen- me früher bei Hochwässern aufgewühlt, landschaft westlich von Alfeld besitzen). auf den Auwiesen wieder abgelagert Ziemlich eindeutig ist die Entwässerung und für das Weidevieh schädlich waren, der Hildesheimer Börde, die nahezu legte man an Mittel- und Unterlauf der gänzlich über den Bruchgraben (236 qkm Innerste Dämme an, die Überschwem- Einzugsgebiet) zur Innerste erfolgt. mungen verhindern sollten. Die mesozo- Neben den bereits genannten Flüssen ischen Gesteine des Berglandes eignen haben Nette und Lamme als linksseitige sich - bis auf die hartes Wasser führenden Nebenflüsse der Innerste (mit 310 qkm Malmkalke und die schwach eisenhalti- bzw. 154 qkm) ein nennenswertes Fluss- gen Rhätsandsteine - durchweg nur netz mit deutlich ausgeprägten Tälern im mäßig oder gar nicht zur Wasser- Bergland entwickelt; z.B. vergrößert sich gewinnung (Mittelhäuser 1957, S. 56 ff.; das Einzugsgebiet der Innerste nach Evers 1964, S. 74). Die im Berg- und Zufluss der Nette von 415 qkm auf 725 Hügelland austretenden Hangschutt- qkm. Die Lamme besitzt das größte, quellen sind für größere Wasserver- gänzlich im Landkreis Hildesheim gelege- sorgungsanlagen zu unbeständig. ne Einzugsgebiet. Mancherorts besteht wegen oberflä- chennaher Salzaufwölbungen die Ver- Wenngleich die Flüsse mit ihren brei- salzungsgefahr von Grundwasser. ten Tälern insbesondere im Berg- und Hügelland die Raumnutzung (zur Anlage In der Hildesheimer Börde ist vor von Siedlungen, Äckern und Wiesen) ent- allem für den Bruchgraben und seine scheidend und sichtbar beeinflussen, so Zuflüsse eine Verbesserung der Ge- ist im hydrogeographischen Sinne auch wässergüte, in anderen Bereichen (z.B. eine „unsichtbare“ Komponente im für die im Niedersächsischen Fließ- Wasserhaushalt lebens- bzw. kulturraum- gewässerschutzprogramm aufgeführten relevant: das Grundwasser. Nicht überall Flüsse Leine, Haller, Saale und Fuhse) sind reichen die Niederschläge aus, um die Maßnahmen zur Verbesserung der öko- Wasserversorgung für Bevölkerung, logischen Gewässerfunktion notwendig Landwirtschaft und Industrie sicherzu- (RROP 2000, S. 27). Dazu zählt außer ver- stellen. Vor allem die Lößbörden emp- besserter Abwasserbehandlung (vor Ein- fangen geringe Niederschläge und gehö- leitung in die Vorfluter) zur Erzielung ren zu den Wassermangelgebieten. Die einer Gewässergüteklasse II (gering Einzel- und Gruppen-/Gemeindeversor- belastet, d.h. nahe der ursprünglichen gung gab es noch bis zur Mitte des 20. Situation vor Eintritt nachhaltiger Jhs., aber inzwischen gibt es überall menschlicher Beeinflussung) vor allem gemeindeübergreifende Wasserbeschaf- eine Renaturierung von Gewässern (d.h. fungsverbände (z.B. „Borsumer Kaspel“ Rückbau von Begradigungen, Anlage in dem Wassermangelgebiet der Hildes- von Gewässerrandstreifen mit standort- heimer Börde) bzw. Zusammenschlüsse gerechtem Bewuchs, insbesondere als 30 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Pufferzone gegen die angrenzenden Hügellandes einerseits und den Wäldern Nutzungen). Uferrandstreifen können auf den Höhen des Berg- und Hügel- den Schadstoffeintrag bei Oberflächen- landes andererseits recht deutlich. abfluss verringern. Insbesondere ist bei den gefällsarmen Böden und Flüssen der Die im Postglazial vorhandenen Börde (Dingelber Klunkau, Dinklarer Laubmischwälder wurden zuerst und zu- Klunkau, Bruchgraben, Fuhse, teilweise nehmend in den Lößbörden und -becken auch Haller und Saale) ein besonderer wegen der dort großen Boden- Biotopschutz notwendig, damit alle fruchtbarkeit gerodet und landwirt- naturraum-typischen Lebensgemein- schaftlich genutzt: beginnend vor ca. schaften von der Quelle bis zur Mündung 6500 Jahren, zunehmend in der Land- erhalten und gesichert, ggf. auch wieder- nahmezeit (ca. 300 - 500 n.Chr., nach der hergestellt werden. Völkerwanderung) bis in die mittelalter- liche Rodezeit (1100 - 1350), als die Besondere Schwierigkeiten waren zur Umwandlung in eine offene Kultur- Wasserversorgung der Stadt Hildesheim landschaft sich bis in die flacheren unte- zu überwinden. Lange Zeit kam man mit ren Lagen des Berg- und Hügellandes (bis den Brunnen und Quellen im Stadtgebiet fast 300 m NN) durchgesetzt hatte und aus, die Einwohnerzahl des Mittelalters die Zeit mit Siedlungsgründungen im (1520: ca. 11.000 Einw.) wurde erst 1803 Wesentlichen abschloss. In der Folgezeit wieder erreicht und verdoppelte sich entstand eine - besonders in der Löß- jeweils bis 1871 und bis 1905. 1900 er- börde - monotone Kulturlandschaft mit schloss man die Ortsschlumpquelle am äußerst intensiv genutzten Ackerflächen Nordhang des Galgenberges (vgl. Abb. und hohen Erträgen an Weizen, Gerste 10) zur Wasserversorgung der wachsen- und Zuckerrüben. Diese Bördelandschaft den Stadtbevölkerung. Wegen der gerin- wird manchmal als „Kultursteppe“ be- gen Grundwassermengen in der näch- zeichnet, obwohl diese Benennung sten Umgebung war man gezwungen, ab etwas irreführend ist, weil mit dem geo- 1911 die Kiese des Leinetals bei Poppen- zonalen Begriff „Steppe“ eine extensive burg (südlich ) zur Wasser- Weidenutzung verbunden ist. gewinnung heranzuziehen, bevor die Stadt 1933 an die Fernwasserleitung aus Die potenzielle natürliche Vegetation der Sösetalsperre im Harz angeschlossen kann dort nur über die Wildkräuter- und wurde. Inzwischen dient auch die - heutigen Ersatz-Pflanzengesellschaften talsperre zur Trinkwasserversorgung, die erschlossen werden: Eichen - (Rot-)Bu- im Hochbehälter Petze (im Hildesheimer chen - Mischwälder, durchsetzt mit Hain- Wald ca. 10 km südl. von Hildesheim) buchen, Eschen, Linden, Bergahorn und Verbindung zu Sösewasser bekommt. Ulmen setzen die Klimax-, d.h. Schluß- gesellschaft der (sich einer ggf. gegen- 3.3 Verbreitung und Zusammensetzung wärtigem Urwaldzustand nähernden) der Vegetation Vegetationsdecke der Börde zusammen. Die mit Auelehm bedeckten Niede- Die Vegetation setzt sich aus unter- rungen wären mit Eichen-Hainbuchen- schiedlichen Pflanzengesellschaften zu- wäldern, die Gleyböden der feuchten sammen, die den jeweiligen geoökologi- Niederungen mit Erlen-Eschenwäldern schen Standortbedingungen angepasst und Bruchwiesen bedeckt. Wenn z.B. sind. Zur Charakterisierung des Natur- nach Rodung der Eichen-Hainbuchen- raums ist nicht die aktuelle, in unter- wälder Jahrzehnte oder gar Jahrhunder- schiedlicher Intensität anthropogen ver- te lang Wiesen und Weiden bestanden, änderte Vegetationsdecke heranzuzie- nach deren Umbrechen heute ggf. hen, sondern die potenzielle natürliche Maisanbau vorherrschend ist, künden Vegetation. Bei der Vegetationsbe- Waldziest, Weißklee, Vogelmiere und deckung des Hildesheimer Raumes ist der andere Wildkräuter als sog. Ersatz- Gegensatz zwischen der von Äckern und gesellschaft von der in den einstigen Wiesen bedeckten Offenlandschaft der Wäldern vorhandenen Krautschicht. Börden und der Täler des Berg- und Über 15 % Steigung bzw. >10° Nei- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 31 gung bleiben die Hänge und anschlie- diesbezüglichen Prägungen bzw. Ent- ßenden Höhenzüge des Berg- und scheidungen des Menschen lag nämlich Hügellandes vorwiegend einem von oft ein vom natürlichen Potenzial des Waldstreifen durchsetzten Weide- und Raumes, von der technischen Machbar- Wiesenland, über 30 % Steigung fast keit, von sozialen oder politischen ausnahmslos dem Wald überlassen, in Faktoren u.a.m. beeinflusstes Motiv dem die Rotbuche dominiert. In diesem zugrunde. Zur Befriedigung ihrer Da- Wald sind bei lehmig-feuchtem Kalk- seinsgrundbedürfnisse brauchten die (im untergrund mitunter Eschen, Bergahorn kulturgeographischen Sinn) vorzeitlich und Hainbuchen sowie eine artenreiche lebenden Menschen vorrangig Be- Krautschicht, hingegen auf sonnigen tro- hausungen sowie Flächen zum Erwerb ckenen Höhen und Hängen eine gut ent- von Nahrung. Insofern sind Siedlung(en) wickelte Grasschicht, auf Sandsteinen und Wirtschaft(sformen) in einer Region untergeordnet Traubeneichen, nahezu in gewissem Grad von deren physisch- ohne Strauchschicht und nur mit spär- geographischer Ausstattung abhängig. licher Krautschicht, verbreitet. Auf der frühen Entwicklungsstufe Im Hildesheimer Raum sind also alle von sesshaften Ackerbauern war die typischen Ausprägungen von Rotbuchen- Siedlungsgunst mit der Bodengüte für wäldern vertreten. Äcker und Wiesen sowie der Möglichkeit zur Wasserbeschaffung verbunden. Im Die heutige Waldzusammensetzung Laufe der Zeit wandelten sich die entspricht nur selten der potenziellen Kriterien und Maßstäbe für die Nut- natürlichen Vegetation. Bereits im zungsintensivierung von Räumen: z.B. Mittelalter traten Verschiebungen im erfuhren die bodenbegünstigten Land- Artenbestand ein: zur Mast und als schaften infolge der Industrialisierung Bauholz besaß die Eiche einen hohen während des 19. Jh. eine Umbewertung, Wert, als Brennholz die Buche. Bereits weil nicht mehr die Bodengüte für unter Buchenhochwald zeigten sich erste Bevölkerungsdichte und Siedlungslage Bodenverschlechterungen, z.B. in der entscheidend war, sondern Rohstoff- Verdichtung von Lößböden. Von der frü- vorkommen und Verkehrslage. her schonungslosen Nutzung der Bu- chenwälder künden Bergnamen wie Im Folgenden gilt es zu analysieren, „Bloße Zelle“ im Hils bzw. bis in die heu- welche Vernetzung zwischen Geoöko- tige Zeit erhaltene Trockenrasenflächen und Soziofaktoren besteht und die dar- mit Schlehen und Weißdorn. Mit aus resultierenden Raummuster ein- Einführung einer geregelten Forst- schließlich der raumgestaltenden und wirtschaft im 18./19. Jh. hat sich - insbe- raumdifferenzierenden Prozesse zu sondere auf Sandsteinuntergrund - die erläutern. Artenzusammensetzung der Buchen- wälder wesentlich verändert, indem standortfremde Nadelwälder - vornehm- lich mit Fichten, gefolgt von Kiefern und 4.1 Natürliche Grundlagen für Ent- Lärchen - angepflanzt wurden. Die her- stehung und Verteilung der nach mancherorts vorherrschenden Siedlungen Fichtenwälder sind ökologisch ausge- sprochen labil und zeigen relativ starke Innerhalb des relativ dünn besiedel- Waldschäden. ten Bundeslandes Niedersachsen (166 Einw./qkm; BRD 220 Einw./qkm) hebt sich der Hildesheimer Raum - wie auch ande- 4. Physisch-geographische Einflüsse auf re Regionen in Südost-Niedersachsen - als die Kulturlandschaft überdurchschnittlich bevölkert hervor (Landkreis Hildesheim 243 Einw./qkm). Die Wirksamkeit zahlreicher physi- Darüber hinaus bestehen große Unter- scher Geofaktoren ist häufig im Bild der schiede in der Bevölkerungsdichte (vgl. Kulturlandschaft nachvollziehbar. Den Seedorf 1996, S. 43): In der Hildesheimer 32 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Börde steigt die Bevölkerungsdichte stel- Urkundenforschung die Frage nach dem lenweise auf >500 Einw./qkm, in der Alter der Siedlung beantworten. Als Calenberger Börde und in den meisten nämlich die schriftliche Überlieferung Tälern des Berg- und Hügellandes liegt einsetzte, waren die meisten Dörfer in sie bei 200 - 500 Einw./qkm, in den ande- der Börde und auf den Talterrassen des ren Gebieten des Berg- und Hügellandes Berglandes schon vorhanden. bei 100 - 200 Einw./qkm, fällt dann aber mit zunehmender Höhenlage - insbeson- In vielen Fällen hilft die Orts- dere im Mittelwert der heutigen Orts- namenkunde weiter, weil die Namens- teile von Gemeinden im südwestlichen gebung von Orten - ähnlich wie heute Alfelder Bergland - auf unter 50 die Vornamen von Kindern - Modeströ- Einw./qkm ab. mungen unterlag bzw. stammesgebun- den erscheint und sich somit retrospektiv Von der Bevölkerungsdichte (gemes- Zeitspannen zuordnen lässt (vgl. Tab. 4). sen in Einw./qkm) zu unterscheiden ist die Siedlungsdichte, die den mittleren Dabei ist auffällig - und dies lässt sich Abstand der Siedlungen (ggf. auch exemplarisch um die Stadt Hildesheim gemessen in der Anzahl der Orte auf aufzeigen - , dass die „germanische 1 qkm) angibt. Auch unter letztem Schicht“ vor allem auf den Lößplatten Aspekt wiederholt sich das Raummuster, auftritt. In der nachfolgenden Land- wenngleich in abgeschwächter Wertig- nahmezeit wurden wohl die etwas keit: In der Hildesheimer Lößbörde sind schwereren Böden, z.B. außer den Löß- die Siedlungen 2 - 3 km, im Alfelder börden die Becken des Berg- und Hügel- Bergland doppelt so weit voneinander landes sowie die lößlehmbedeckten entfernt. Mit abnehmender Siedlungs- Niederterrassen besiedelt, in der Aus- dichte ist also eine wesentlich stärker sin- bauzeit die breiteren Täler des Berg- und kende Bevölkerungsdichte zu konstatie- Hügellandes und letztlich die Hanglagen ren. Diese Relation bedeutet zugleich, erst in der Rodezeit. Dabei gründete man dass mit abnehmender Siedlungsdichte vielerorts auch Dörfer in Lagen, die sich auch die Siedlungsgröße abnimmt. später als ungünstig (bezüglich Relief, Bodengüte usw.) erwiesen und deshalb Derzeit ist im Alfelder Bergland ein wieder aufgegeben wurden. relativer Rückgang der Einwohnerzahlen festzustellen. Die Gemeinden dort sind Dies geschah in der sog. Wüstungs- aufgrund ihrer ungünstigen topographi- periode seit Mitte des 14. Jahrhunderts. schen Lage trotz der Nähe zur Eisenbahn- Die Gründe dafür mögen vielfältig sein: Hauptstrecke Hannover - Göttingen bzw. Krankheiten und Seuchen, Umsiedlung zu den Bundesstraßen B 3 und B 240 nur und Ballung (z.B. bei Anlage der Hildes- relativ schlecht an das überregionale heimer Neustadt) oder Abwanderung Verkehrsnetz angebunden. (aus Hörigendörfern), Agrarkrisen (z.B. Konsumentenschwund nach Bevöl- Große Siedlungs- und Bevölkerungs- kerungsverlusten), Kriege (z.B. Hildes- dichte in der Hildesheimer Börde waren heimer Stiftsfehde), Fehlgründungen ursprünglich bedingt durch Bodengüte (z.B. zu ungünstig im Bergland gelegen) und intensive Landwirtschaft; heute u.a.m. In den meisten Fällen wurden im kommen Verkehrsgunst und Arbeits- Hildesheimer Raum nur die Siedlungs- möglichkeiten als Pendler im Städte- stellen, gelegentlich - und dies betrifft trapez Hannover - Braunschweig - Salz- insbesondere die höheren Hang- sowie gitter - Hildesheim hinzu. Bei der Erst- die peripheren Tallagen des Berglandes - besiedlung, d.h. bei der Anlage der auch Siedlungen samt ihren Fluren ver- Dörfer, war die Nährfläche eine lebens- lassen. Stellenweise fiel die Hälfte aller notwendige Größe. So verwundert es Siedlungen wüst. Mitunter zeugen noch nicht, dass die Dörfer in der bodenbe- Flur- und Straßennamen von den einsti- günstigten Lößbörde durchweg älter als gen Siedlungen (z.B. die Straße „Hohn- im Bergland sind. Nur in wenigen Fällen sen“ in Hildesheim von dem am Hochufer kann aber im Hildesheimer Raum eine der Innerste gelegenen „Hohenheim“; Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 33

1. Germanische Schicht (i.a. vor 300 n.Chr.) a) -ithi („Siedlungsstelle) 4 -the, -ede, ...: z.B. Sehlde, Söhlde, Förste , Hasede, Elze, Ilde, Heinde, Dingelbe (aus: Elvethe) b) -aha („Wasserlauf“), -lar („Weideplatz“): z.B. Dinklar c) -bergen (im Flachland „an verborgener Stelle“) 4 -berg: z.B. Rautenberg, Ahrbergen

2. Landnahmezeit (etwa 300-500 n.Chr.) a) -mar („feuchtes Gelände“): z.B. Soßmar, Bettmar b) -stede (Stätte, Siedlung in offener Landschaft) 4 -stedt, -ste, ...: z.B. Ahstedt, Sarstedt, Hackenstedt, , Wallenstedt, Graste c) -ingen („Familiensiedlung“) 4 -ing, -ern, ...: z.B. Wülfingen, Rössing, Gödringen, Störy (aus: Störingen), Bönnien (aus: Buningen) d) -heim („kleine Gruppensiedlung“, Einzelhof) 4 -um, -hem, -en, -esse, ...: z.B. Hildesheim, Barnten, Harsum, Garbolzum, Garmissen, Giesen, Breinum, Sibbesse, Sehlem, Bockenem, Warzen, Wesseln (aus: Wesselheim), Bledeln

3. Ausbauzeit (etwa 500-800 n.Chr.), altsächsischer Landesausbau in frühmittelalter- licher Rodezeit a) -dorf („Gruppensiedlung“): z.B. Grasdorf, Gestorf b) -hausen („Gruppensiedlung“) 4 -sen, -se: z.B. Wendhausen, Lübrechtsen, Habarnsen, Jeinsen

4. Rodezeit (etwa 800-1200, teilweise bis 1350) a) -loh, -lah („kleiner Wald“): z.B. Bilderlahe, Haverlah b) -rode: z.B. Barienrode, Henneckenrode, Everode, Roth, Rott c) -holzen: z.B. , Eberholzen, Langenholzen d) -feld („ebenes Ackerland“): z.B. Barfelde, Westfeld, Alfeld e) -bach, -beeke („kleiner Wasserlauf im Waldland“) 4 -beck, -eke: z.B. Astenbeck, Esbeck, Lobke f) -berg, -burg („Anhöhe, geschützter Platz“): z.B. Hallerburg, Bodenburg, , Schulenburg, Poppenburg, Lichtenberg g) -stein („felsige Höhe“): z.B. Wispenstein h) -hof, -hofen: z.B. Neuhof i) -hagen („abgegrenzte Gemarkung“, teilweise mit besonderen Rechten ausge- stattet): z.B. Nienhagen, Marienhagen

Tab. 4: Altersschichten von Ortsnamen im Hildesheimer Raum.

„Feldberg“ westlich Hackenstedt; „Dahl- straßen einen runen- oder S-förmig senkrug“ des ehemaligen Dalenhusen abgeknickten Verlauf. Ähnlichen nördlich Bockenem). Grundriss weisen auch alte, in Becken oder auf Talterrassen gelegene Dörfer Von besonderem siedlungsgeogra- des Berg- und Hügellandes auf (z.B. phischen Interesse sind Lage und Grund- Nette). Die topographische, d.h. im riss vieler Dörfer in der Hildesheimer Gegensatz zur großräumig-geographi- Börde. Insbesondere längs der B 1 - deren schen die „kleinräumige“ Lage dieser Verlauf einen alten Fernhandelsweg Dörfer ist häufig die Grenze zwischen widerspiegelt - liegen viele uralte Dörfer einem äußerst flachen Lößrücken und abseits von Durchgangsstraßen (z.B. der weitgespannten Senke mit einem Dinklar, Dingelbe, Söhlde). Weiterhin kleinen Wasserlauf. zeigt die Führung der heute diese Dörfer durchziehenden Landes- und Kreis- Die Grundrisse der Dörfer im Hildes- 34 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 14: Sackgassendorf Bettrum, vergr. Ausschnitt aus der topograph. Karte 1 : 25.000, Bl. 3827 Leben- stedt-West). heimer Raum repräsentieren heute ellipsenförmige Anordnung der alten durchweg den Typ des Haufendorfes. Hofstellen aus (vgl. den Namen „Ring- Dieser wird aber nicht erst infolge jünge- straße“ in Lechstedt) oder einen bis in rer Ausbauten erzeugt - wie sie vor- heutige Zeit noch frei gebliebenen oder nehmlich in der zweiten Hälfte des 20. (heute) mit Gemeineigentum (Schule, Jahrhunderts entstanden -, sondern er Feuerlöschteich, Kriegerdenkmal, ...) lässt sich sowohl bei einem Gang durch besetzten Platz („Thie“) in der Dorfmitte die Dörfer anhand von altersher über- (vgl. Dinklar). Die Kirche sollte man kommener Lage und Anordnung der eigentlich in der Mitte des so rekonstru- mittel- bis großbäuerlichen Höfe als auch ierten Urdorfes vermuten: etwa am Thie deren Darstellung im Kartenbild erken- oder nahe der Mitte des zuvor erläuter- nen. Man kann feststellen, dass sich häu- ten Straßenknicks; in sehr vielen Fällen fig eine lokale Verbindungsstraße im liegt sie jedoch am Rande dieses Dorf „verliert“: dass z.B. eine Straße - Urdorfes. Evers (1951; 1957; 1964) spricht und das dürfte die älteste sein - direkt ins daher vom „Sackgassendorf“, das in ger- Dorf hineinführt, die andere(n) - offen- manischer oder früher Landnahmezeit bar später angelegte(n) - Straße(n) aber angelegt, bei dem die Kirche aber erst an die Peripherie des alten Dorfes führt später - d.h. bei/nach der Christianisie- (führen), so dass eine nachträglich herge- rung - hinzugefügt wurde. Urform dieses stellte Verbindung zwischen diesen bei- Dorfes dürfte daher ein Platzdorf einer den Wegen den zuvor beschriebenen Siedlergruppe gewesen sein, die ihr Dorf Straßenknick bewirkt. Dieses Urdorf ggf. mit einer alle Höfe umschließenden zeichnet sich häufig durch ring- oder Hecke umgab. In diese Rund-/Platzdörfer Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 35 führte wohl nur eine Sackgasse hinein, Mühlen, Konservenfabriken, Fleischver- welche die Verbindung zum nächstgele- arbeitung u.a. zurück, die heute nur genen regionalen Verkehrsweg herstell- noch punktuell vorhanden sind und auf te. den agraren Gunstraum hinweisen.

Dieser aus Lagekriterien abgeleitete Früher mehr als heute besaß das Vor- Erklärungsansatz korreliert gut mit der kommen von Bodenschätzen standort- Ortsnamenforschung: dass die meisten prägende Wirtschaftskraft. Nieder- Dörfer in der Börde und viele auf den sachsen gilt als das reichste und bedeu- Talterrassen des Berg- und Hügellandes tendste Rohstoffland in der Bundes- „den älteren und ältesten, vorchrist- republik (Seedorf/Meyer 1992, S. 140 ff.; lichen und vorfränkischen Altersgruppen 1996, S. 425 ff.), wobei im Hildesheimer angehören und dass sie sich im Einzelnen Raum eine große Vielfalt dieser Rohstoff- nach der Gunst der örtlichen und ver- vorkommen vorhanden ist. Sie haben kehrlichen Bedingung in ein wohlgeord- allerdings - sowohl regional als auch netes System einfügen lassen“ (Evers bundesweit - in der zweiten Hälfte des 1979, S. 34). 20. Jhs. eine starke Umbewertung hin- nehmen müssen, so dass Rohstoff- An und um die den Dorfkern bilden- gewinnung und -verarbeitung vielfach de Gehöftgruppe erfolgten Weiterent- zur Bedeutungslosigkeit verfielen. wicklung und Ausbau der Dörfer meist Landesweit fiel der Industriezweig durch Reihung der Gehöfte. Das Urdorf Bergbau zwischen 1950 - 2000 vom 3. auf lag gewöhnlich an der Grenze vom den 14. Rang, die Gewinnung und Acker- zum ehem. Wiesenland, wie das Verarbeitung von Steinen und Erden vom an der Lage von Bettrum (vgl. Abb. 14) 7. auf den 12. Rang, die Feinkeramik- am sanft geneigten Hang zu einer Quell- und Glasindustrie vom 14. auf den 15. mulde erkennbar ist. Die räumliche Rang. Für die genannten Industrien Entwicklung der Dörfer hat sich zumeist besaß bzw. besitzt der Hildesheimer in Richtung zu den Niederungen vollzo- Raum reiche Rohstoffvorkommen. gen (Schrader 1957, S. 95). Von den unterirdischen Lagerstätten haben die Stein- und Kalisalze größte Bedeutung. Sie wurden in mehrmaligen 4.2 Natürliche Grundlagen für die Zyklen infolge wiederholter, fast voll- Wirtschaftsentfaltung ständiger Eindampfung salzhaltigen Wassers in flachen Meeresbecken wäh- Auf die Bodengüte als wichtigen rend der Zechsteinzeit abgelagert. Seit landschaftsbestimmenden Geofaktor im 1195 ist die Salzgewinnung aus Sol- Hildesheimer Raum wurde im Rahmen brunnen in Bad Salzdetfurth bezeugt; des vorliegenden Beitrags mehrfach hin- um die Wende des 19./20. Jahrhunderts gewiesen; weitere Zusammenhänge sind kam der Kaliabbau in größerem Umfang im Beitrag von W. Voßeler „Landwirt- hinzu. Die im Landkreis gelegenen schaft“ erläutert. Bergwerke Salzdetfurth und Giesen lie- ferten immerhin in den 1950er Jahren Von der Verarbeitung landwirtschaft- zusammen 13 % der westdeutschen bzw. licher Produkte künden hohe Getreide- 4 % der Welterzeugung. Heute ist der silos bzw. Mühlen sowie die während der Kalibergbau jedoch auf dem Weltmarkt herbstlichen Kampagne rauchenden nicht mehr konkurrenzfähig, so dass die Schornsteine von Zuckerfabriken, von Bergwerke stillgelegt sind. Gleichwohl denen derzeit nur noch Nordstemmen, künden die weithin im Flachland sichtba- Harsum und Clauen (Lkr. Peine) bei den ren grau-weißen Abraumhalden von Rationalisierungs- und Konzentrierungs- Giesen und Sehnde vom Reichtum des maßnahmen übrig geblieben sind. Aus Untergrundes. Im Bergland befanden denselben Gründen ging die Anzahl der sich u.a. bei Diekholzen, Eime, Godenau noch bis in die 1960er und 1970er Jahre und Freden Kalischächte. zahlreichen Standorte mit Molkereien, Vom Emsland bis ins Wendland trifft 36 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Abb. 15: Geologisches Profil durch die Salzaufwölbung des Hildesheimer Waldes am ehem. Kalibergwerk Salzdetfurth (aus: Seedorf 1977, S. 206). man in Niedersachsen auf reiche Betriebe nur noch in Sarstedt, Alger- Erdölvorkommen, die in mehreren geo- missen und Coppengrave verblieben. logischen Epochen (hauptsächlich Oberer Belange des Natur- und Gewässer- Keuper bis Unterkreide) sedimentiert schutzes stehen heute einer Ausweitung und später infolge (vorwiegend salz-)tek- von Ton-, Sand- und Kiesabbau entge- tonischer Bewegungen in Speicher- gen. Gleichwohl sind im Landesraum- gesteinen aufgefangen wurden. Infolge ordnungsprogramm Vorranggebiete für pilz- und hutförmiger Aufwölbungen der Rohstoffgewinnung festgelegt (z.B. Salzstöcke kam es zur Schrägstellung von Sande und Kiese in der Leine-Niederung Schichten und längs Verwerfungsspalten bei Alfeld/Föhrste, Nordstemmen/Rös- zu Aufstiegsbahnen für Erdöl aus den sing, in der Innerste-Niederung bei ursprünglichen Muttergesteinen in Fang- Giesen/Ahrbergen), weil ihre Nutzung räume bzw. Speichergesteine an den einen wesentlichen Beitrag zur (über-)re- Salzstockrändern. In solchen Unter- gionalen Wirtschaft darstellt. Art und grundstrukturen befinden sich (ehem.) Umfang der Rohstoffgewinnung müssen Erdölfördergebiete bei Mölme und bei jedoch mit anderen öffentlichen Be- Hohenassel. langen (Wasserwirtschaft, Siedlungs- flächenausweisung,...) abgeklärt werden. Die bedeutendsten oberirdischen Nutzungskonflikte ergeben sich z.B. Lagerstätten sind die Sande und Kiese in beim Tonabbaugebiet Moorberg (östl. Schmelzwasser- und Flussterrassen-Ab- Sarstedt) aufgrund siedlungsstruktureller lagerungen. Großflächiger und tiefgrei- Entwicklungsbelange des Mittelzentrums fender Abbau im Raum Giften/Sarstedt Sarstedt oder im Kreideabbaugebiet süd- führte dort zu einer ausgedehnten Seen- lich Söhlde (s.u.) aufgrund des westlich platte. Auch andernorts zeugen Seen angrenzend geplanten Naturschutzge- vom Sand- und Kiesabbau sowie von bietes „Bettrumer und Himstedter Lah“ Tongruben; allerdings sind von den frü- (Restwaldflächen in der Börde). her zahlreichen Ziegeleien größere Zu weiteren Rohstoffsicherungs- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 37 gebieten zählen die aus dem Tertiär strukturierungen (vgl. Meier-Hilbert stammenden, hochwertigen Glassande 1987). Die Grenzen naturräumlicher bei Duingen; sie bilden die Grundlage für Großeinheiten sind häufig natürliche die Spezial-Glasindustrie in Grünenplan. Leitlinien für Verkehrswege: so auch die Bergvorlandzone für den West-Ost- Ähnlich wie die Tongruben waren Verkehr. früher Steinbrüche aus dem Landschafts- bild nicht wegzudenken, aber auch In urgermanischer Zeit bestand zwar Letztere sind inzwischen auf wenige schon ein Fernhandelsweg vom Rhein an Standorte zurückgedrängt. Von größerer die Ostsee, der am Pass von Neuekrug Bedeutung sind die Abbaustellen von (heute B 248) in den Hildesheimer Raum Oberjura-Kalken bei Marienhagen (am führte (Müller 1952, S. 217), aber bedeut- Thüster Berg/Duinger Berg) und in nord- samer waren später die nach Osten zie- westlicher Fortsetzung davon die Stein- lenden Fortsetzungen des westfälischen brüche von Salzhemmendorf, die im Hellweges: der südliche Strang über Landschaftsbild nicht zu übersehen sind; Höxter - Gandersheim - Seesen, der mitt- das gilt auch für die Muschelkalk-Stein- lere Strang über Hameln - Hildesheim brüche bei Upstedt (am südöstlichen und der nördliche Strang über Minden - Ausläufer des Hildesheimer Waldes) Sarstedt - Hildesheim. Sie alle führten sowie die einst für den Hildesheimer weiter zum Elbe-Übergang bei Magde- Raum wichtigste oberirdische Fest- burg: die beiden letztgenannten östlich gestein-Lagerstätte der Oberkreide- von Hildesheim als Bergvorlandweg über Kalke und -Mergel bei Söhlde. Diese Nettlingen - SZ-Salder zum Oker-Über- wurden recht merkwürdig erschlossen: gang bei Ohrum (5 km südl. Wolfen- als im Jahre 1817 ein Söhlder Gastwirt büttel), oder als Bördeweg über Kemme zufällig die auf seinem Acker befind- (lat. Lehnwort: „Weg“) - Vechelde zum lichen Kreidesteine mit dem Messer zer- Oker-Übergang nach Braunschweig, der schabte, das feine Pulver mit Öl aus sei- seit ottonischer Zeit an Bedeutung ner Küche vermengte und die so erzeug- gewann. te Masse als Fensterkitt verwendete. In den folgenden Jahrzehnten stellte man Diese große mitteleuropäische Ver- Schlämmkreide, Schreibkreide und kehrsleitlinie wäre für sich allein nicht so Düngemittel her, aber heute wird die bedeutsam, wenn sie im Hildesheimer bundesweit einzigartige Lagerstätte Raum nicht auf einen anderen wichtigen hauptsächlich zur Erzeugung von Zu- Fernverkehrsweg stieße: die Nord-Süd- schlagstoffen in der Chemischen und Verbindung von der Nordsee bzw. von Papier-Industrie genutzt. Weiterhin wer- Skandinavien in das süd- und mitteldeut- den Kreidekalke an der nördlichen Peri- sche Hinterland. Im Gegensatz zu ande- pherie des Hildesheimer Raumes westlich ren mitteleuropäischen Nord-Süd-Ver- von Lehrte abgebaut für die Zement- kehrsstrecken (z.B. an Rhein, Elbe, Oder) industrie von Sehnde-Höver und Hanno- ist der Verkehr zu einer Überquerung des ver-Anderten. Mit Kreidekalken verge- niedersächsischen und hessischen Berg- sellschaftete Gipsvorkommen im Raum landes gezwungen, weil das Wesertal Stadtoldendorf sind Grundlage für die nicht weit genug südwärts in die dortige Baugipsindustrie. Mittelgebirgsschwelle zurückgreift, zu- dem eng und gewunden ist. Dem- gegenüber ist das geradlinige Leinetal 4.3 Natürliche Leitlinien für Verkehrs- verkehrsgünstiger. Die natürlichen Leit- wege linien für den aus vor- und frühgeschicht- licher Zeit überkommenen Nord-Süd- Der Hildesheimer Raum hat in charak- und West-Ost-Verkehr - heute etwa ge- teristischer Weise Anteil an den beiden kennzeichnet anhand der Bundesstraßen Mitteleuropa durchziehenden Haupt- B 1 und B 3 - verliefen ehemals zwischen verkehrsrichtungen. Diese hatten im Elze und Nordstemmen gebündelt, um Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeu- den Leineübergang an der Stelle des spä- tung und erfuhren demzufolge Um- teren Königsgutes und der heutigen 38 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Domäne Poppenburg zu benutzen. Bis der Umgebung von Peine gemieden Elze soll die älteste Fluss-Schifffahrt auf wurde und erst ab dem 18. Jh. mit wach- der Leine gereicht haben (Mittelhäuser sender Bedeutung von Hannover an Ein- 1957, S. 146). Dem Taltrichter der Leine fluss gewann. Führten also in vor-/früh- zwischen Schulenburger Berg und Hil- geschichtlicher Zeit die ältesten West- desheimer Wald kommt also in höchstem Ost-Straßen noch mitten durch das Maße verkehrsbündelnde Kraft zu. Hügelland, so verlaufen die jüngsten Schlüsselfunktion für die in historischer Verkehrsverbindungen im Tiefland. Zeit mit der Bevölkerungs- und Sied- lungsdichte wachsende Handels- und In ähnlicher Weise hatte die Fixierung Verkehrsbedeutung hatte die aus macht- des Nord-Süd-Verkehrs auf die heutige politischen Erwägungen zunächst links B 3 geopolitische Hintergründe: Von den der Leine in der Nähe eines alten fränki- drei mittelalterlichen Strängen (vgl. Ab- schen Königshofes und Wik-Ortes errich- schnitt 2.2.3) war der Weg Northeim - tete, im Hildesheimer Raum älteste Einbeck - Alfeld - Hannover zwar der kür- Mutterkirche in Elze bzw. die Ver- zeste, aber er musste das überschwem- lagerung des geistlichen Zentrums durch mungsgefährdete Leinetal über die steile Errichtung eines Bischofssitzes in Hildes- zwischen Einbeck und Alfeld heim (815) rechts der Innerste und damit umgehen. Um die Frachtwagen auf die in das von Sachsen bewohnte Land vor- Straße Northeim - Seesen zu zwingen, dringend. Die geopolitische Bedeutung ließen die Braunschweiger Herzöge den der Leinepforte bei Elze wird dadurch weitgehend auf ihrem Territorium be- gekennzeichnet, dass Herzog Otto 1292 findlichen Abschnitt Einbeck - Alfeld ver- vor ihrem Nordeingang (östl. des Dorfes fallen. Seit 1768 aber begannen die Schulenburg) die Feste Calenberg erbau- Kurfürsten von Hannover die Straße über te; sie wurde oft umkämpft und belagert Alfeld planmäßig als erste Kunststraße (Hildesheimer Stiftsfehde, Dreißig- ihres Territoriums auszubauen, ließen jähriger Krieg). ihre Strecken zwischen Northeim - Gandersheim bzw. Northeim - Seesen Die Stiftungen von Kirchen und verfallen und zogen den Nord-Süd- Klöstern sowie die Errichtung von Verkehr zunehmend auf die „moderne“ Bischofssitzen als kultische Mittelpunkte Straße. und letztlich die Gründung von Märkten und Städten hatte den zuvor bestehen- Die ehemalige Verkehrsgunst von den Fernhandelswegen teilweise neue Hildesheim ist schon eingangs dieses Bei- Ziele gegeben. trages analysiert. Sie dauerte an, bis die Straßenverbindungen im Eisenbahn- Der Verlauf der meisten Bundes- zeitalter eine Neu- bzw. Umbewertung straßen (B 1, B 3, B 6, B 248) orientiert erhielten. Hannover wurde 1636 sich an alten Fernhandelswegen, und sie Residenzstadt, ab 1837 Zentrum des erlauben - da sie im Flachland bzw. in Königreiches Hannover, und nach an- breiten Tälern verlaufen - einen relativ fänglichem Zögern des Königs gegen- raschen Verkehr. B 240, B 243, B 444 und über den rauchenden und lärmenden B 494 dienen hauptsächlich dem Regio- Lokomotiven wurde 1843-1847 die nalverkehr und sind auch unter verkehrs- Haupteisenbahnstrecke in West-Ost- historischem Aspekt von untergeordne- Richtung wegen der Steigungsempfind- ter Bedeutung. Wesentlich erscheint eine lichkeit des Bahnverkehrs im Flachland frühneuzeitliche Umorientierung des gebaut und über Hannover geführt. West-Ost-Verkehrs (Müller 1952, S. 221): Allerdings wurde Hannover nicht Über die heutige B 1 und somit über Streckenknoten, sondern diese wurden Hildesheim ging früher auch der Verkehr außerhalb der Hauptstadt in Wunstorf, von Braunschweig nach Hannover. Die Lehrte und Nordstemmen geplant. Die mittelalterliche Straße über Peine (heuti- zunächst über Lehrte - Hildesheim - ge B 65) besaß nur lokale Bedeutung, Nordstemmen geführte Nord-Süd- weil sie vom Fernverkehr wegen der aus- Strecke baute man 1853 endgültig im gedehnten sumpfigen Niederungen in Leinetal. Damit war Hannover zum Kno- Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 39 tenpunkt des modernen Verkehrs gewor- verhältnissen orientiert und daher das den. Der Bau des Mittellandkanals und Bergland in technisch aufwändigen der Autobahn Oberhausen - Berlin (1938 Brücken- und Tunnelbauten durchzieht. bzw. 1939 fertiggestellt) erfolgte eben- Beim Eintritt ins Berg- und Hügelland falls im Flachland über Hannover. Beide (bei Sorsum westl. von Hildesheim) baute unterstrichen die Bedeutung des West- man eine Einschleifung in die Eisen- Ost-Durchgangsverkehrs in Deutschland bahnstrecke nach Hildesheim, damit man vor dem Zweiten Weltkrieg. den Nord-Süd-Güterverkehr über Lehrte - Hildesheim an der Landeshauptstadt Während der deutsch-deutschen vorbeiführen konnte. Diese Sorsumer Teilung (1945 - 1990) kam es zu einer Kurve erwies sich bei der Inbetriebnahme Umstrukturierung der Verkehrsströme. der Neubaustrecke im Jahre 1991 als vor- Die Leinetalstrecke war die am weitesten teilhaft zur Anbindung des seit der deut- östlich, im „freien Europa“ verlaufende schen Wiedervereinigung rasch ange- Nord-Süd-Achse. Bei zunehmender Mo- wachsenen Berlin-Verkehrs. Zur besseren torisierung des Personen- und Güterver- Anbindung an die 1999 eröffnete kehrs wurde zunächst im Jahre 1962 zwi- Schnellstrecke Hannover - Berlin muss die schen Hildesheim und Hannover der letz- Bundesbahnstrecke Hildesheim - Glei- te Lückenschluss der Autobahn Hamburg dingen (- Braunschweig) in den nächsten - Frankfurt - Basel vollzogen. Sie umgeht Jahren (2002 - 2006) zweigleisig ausge- das enge Leinetal weiträumig, orientiert baut werden. Der ICE-Regelhalt in Hildes- sich eher am Nettetal ohne dessen direk- heim bedingt einen (nachrangigen) te Benutzung, weil nunmehr der Kunst- Schienenverkehrsknoten mit Ausstrah- trassenbau die Reliefhindernisse von lung in das nördliche Harzvorland (Goslar Höhenrücken und Becken im Bergland - Halle) und in das Weserbergland (Ha- mit Rampen und Brücken zu überwinden meln - Herford). Die Mittelzentren Alfeld vermochte. Eine Anbindung des ostnie- und Sarstedt sind hingegen nur unzurei- dersächsischen Raumes an die BAB 7 bie- chend in das Fernverkehrsnetz eingebun- tet die sog. Salzgitter-Spange der BAB den. 39, welche u.a. die Fahrzeit Hildesheim - Braunschweig um ein Drittel gegenüber Der Rückblick auf die historische Ent- der B 1 verkürzt. wicklung des Verkehrsnetzes hat erge- ben, dass die überregionalen Verkehrs- In der Nachkriegszeit hatte auch die stränge erst seit Mitte des letzten Jahr- Nord-Süd-Eisenbahnstrecke stark an Be- hunderts nicht mehr den natürlich vorge- deutung gewonnen. Die Leinetalstrecke zeichneten Leitlinien folgen. Im Hildes- hatte eine Leistungsfähigkeit von 240 heimer Raum lässt sich neben der mehr- Zügen pro Tag, aber um 1980 verkehrten fachen Umorientierung der Verkehrs- dort täglich 350 Züge. Ein viergleisiger ströme auch eine Umbewertung der Ver- Ausbau schied aus technischen und wirt- kehrsträger anhand des Verkehrsnetzes schaftlichen Gründen aus, und man plan- nachweisen. Neben den zuvor erwähn- te daher seit 1971 einen völligen Neubau ten, während der zweiten Hälfte des 19. einer Bundesbahn-ICE-Schnellstrecke Jhs. gebauten überregional wichtigen zwischen Hannover und Würzburg. Die West-Ost- und Nord-Süd-Eisenbahnlinien Streckenführung sollte einerseits die wurde der Hildesheimer Raum von wei- benachbarten Oberzentren miteinander teren Strecken erschlossen, die allerdings verbinden, andererseits durch möglichst - vor allem zwischen den 1960er bis dünn besiedeltes Gebiet führen; weiter- 1980er Jahren - teilweise wieder stillge- hin mussten - um hohe Geschwindig- legt wurden. Es handelte sich dabei fast keiten zu erreichen - enge Kurvenradien kaum um Verbindungs- bzw. Stich- und bereits mäßige Steigungen vermie- bahnstrecken in der Börde (Hildesheim - den werden. Ergebnis kontrovers geführ- Hohenhameln - Hämelerwald, Peine - SZ- ter Diskussionen (mit Bürgerbeteiligung Broistedt) sondern vor allem um solche in u.a.m.) war die Festlegung einer Kunst- den Tälern des Berg- und Hügellandes trasse, die sich noch weniger als der (Elze - Gronau - Bodenburg, Bodenburg - Straßen-/Autobahnverkehr an Relief- Bad Gandersheim, Voldagsen - Duingen - 40 Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial

Delligsen, Derneburg - Bockenem - Einheiten auf Blatt 99 (Göttingen). Geo- Seesen, Derneburg - SZ-Lebenstedt - BS- graphische Landesaufnahme 1 : 200.0000. Broitzem, SZ-Ringelheim - Hahausen), so - Bonn/Bad Godesberg. dass letztgenannter Bereich des Hildes- Hövermann, J. / Tietze, U. (1957): Die natur- heimer Raumes besonders unter dem räumlichen Landschaften Niedersachsens. sog. Rückzug der Bahn aus der Fläche - In: Geogr. Rundschau 9, S. 163 - 168. gelitten hat, denn ÖPNV mit Bussen bie- Meier-Hilbert, G. (1987): Entwicklung und tet nahezu keine Zeitvorteile. Umstrukturierung der Verkehrswege im südöstlichen Niedersachsen. - In: Hildes- Anmerkungen heimer Beiträge zu den Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Bd. 25, S. 138 - 157. 1 Zur Beschreibung und Erklärung des (natür- Meisel, S. (1966): Die naturräumlichen Ein- lichen) Potenzials eines Raumes sollte man heiten auf Blatt 86 (Hannover). Geo- den Begriff „Geoökofaktor“ verwenden, graphische Landesaufnahme 1 : 200.000. - weil die ‚Natur‘-Faktoren (Klima, Wasser, Bonn/Bad Godesberg. Boden) ggf. anthropogen verändert sind. Meyer, B. / Roeschmann, G. (1971): Die Lößbörde am Nordrand der Mittel- Quellen und Literatur deutschen Schwelle. Das Schwarzerde- gebiet um Hildesheim. - In: Mitt. der Bartels, G. (1967): Geomorphologie des Hildes- Deutschen Bodenkundl. Gesellsch. 13, S. heimer Waldes (=Göttinger Geograph. 287 - 310. Abhandl., Heft 41). - Göttingen. Meyer-Hartmann, H. / Schäfer, P. (1980): Hil- Brosche, K.U. (1968): Struktur- und Skulptur- desheim. Unser Landkreis in Luftbildern. - formen im nördlichen und nordwestlichen Hildesheim. Harzvorland (= Göttinger Geograph. Mitschein, S. (1954): Die Landschaft der Hildes- Abhandl., Heft 45). - Göttingen. heimer Börde und ihrer Randgebiete. - Dahm, C. (1960): Landschaftsgliederung des Diss. TH Hannover. Innerste-Berglandes. - In: Jahrbuch der Mittelhäuser, K. (Hg., 1957): Der Landkreis Geogr. Gesellsch. zu Hannover für 1958/59, Alfeld (= Amtl. Kreisbeschreibung, Bd. 14). S. 7 - 159. - Bremen-Horn. Evers, W. (1935): Grundzüge einer Hydrogeo- Müller, T. (1952): Ostfälische Landeskunde. - graphie des Niedersächsischen Berglandes. Braunschweig. - In: Geographische Wochenschrift 3, S. Müller, T. (1962): Die naturräumlichen Einhei- 680 - 681. ten auf Blatt 87 (Braunschweig). Geo- Evers, W. (1951): Ortsnamen und Siedlungs- graphische Landesaufnahme 1 : 200.000. - gang im mittleren Ostfalen. - In: Berichte Bonn/Bad Godesberg. zur Deutschen Landeskunde 9/II, S. 388 - Reichsamt für Wetterdienst (Bearb., 1939): 405. Klimakunde des Deutschen Reiches, Bd. 2: Evers, W. (1957): Grundfragen der Siedlungs- Tabellen. - Berlin. geographie und Kulturlandschaftsfor- RROP: Landkreis Hildesheim (Hg., 2000): schung im Hildesheimer Land. - Bremen- Regionales Raumordnungsprogramm. Ent- Horn. wurf Juli 2000. - Hildesheim. Evers, W. (Hg., 1964): Der Landkreis Hildes- Schrader, E. (21957): Die Landschaften Nieder- heim-Marienburg (= Amtl. Kreisbeschrei- sachsens. Ein topographischer Atlas. - bung, Bd. 21). - Bremen-Horn. Hannover. Evers, W. (1974): Erläuterungen zum Blatt Seedorf, H.H. (1977): Topographischer Atlas L 3926 Bad Salzdetfurth der Top. Karte Niedersachsen und Bremen. - Neumünster. 1 : 25.000. - In: Deutsche Landschaften, Bd. Seedorf, H.H. / Meyer, H.H. (1992/1996): 2, Bad Godesberg, S. 7 - 37. Landeskunde Niedersachsen. - 2. Bde., Hartmann, W. (1937): Ortsnamen und Neumünster. Siedlungsgeschichte zwischen Hildes- Spönemann, J. (1970): Die naturräumlichen heimer Wald und Ith. - In: Alt-Hildesheim Einheiten auf Blatt 100 (Halberstadt). Geo- 16, S. 3 - 8. graphische Landesaufnahme 1 : 200.000. - Hoffmeister, J. (1937): Die Klimakreise Nieder- Bonn/Bad Godesberg. sachsens. - Oldenburg. Spreitzer, H. (1931): Die Talgeschichte und Hövermann, J. (1963): Die naturräumlichen Oberflächengestaltung im Flußgebiet der Geographische Strukturen: Das natürliche Potenzial 41

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