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Die Ärzte wurden 1982 von Bela B. (Dirk Felsenheimer, l.), 44, und (Jan Vetter, M.), 43, in West- gegründet. 1993 stieß Rodrigo González (r.), 39, dazu. Besonders in der Frühphase war die Band wegen deutlich sexueller Texte umstritten, inzwischen erreichen die Platten der Ärzte regelmäßig Platz eins der Charts. Am Freitag erscheint ihr neues “.

SPIEGEL: Wie kommt man da raus? Urlaub: Ich bin ein Jahr auf Weltreise ge- gangen. Ich hatte zwar nicht die Lust an der Musik, wohl aber die Lust an den Ärz- ten verloren. Als ich zurückkam, war ich mir auch nicht sicher, ob ich weitermachen wollte. Wir haben uns also erst mal getrof- fen und ausgekotzt. Das war ein sehr schö- nes Gespräch. SPIEGEL: Worum ging es? Urlaub: Es ging darum, dass nie einer von uns Halt geschrien hat, wenn es zu viel wurde. Weil jeder immer dachte: Ich sage jetzt nicht Stopp. Vielleicht tun’s ja die an- deren. Tat aber keiner. SPIEGEL: Der „Guardian“ berichtete kürz-

MANFRED WITT / VISUM WITT MANFRED lich, Forscher hätten herausgefunden, dass erstaunlich viele Popstars bereits mit An- fang vierzig sterben. POP Bela B.: Als ich 40 geworden bin, hat mein Vater mich angerufen, der mich sonst nie anruft, und mich gefragt, warum ich denn „Drei Stunden Sorglosigkeit“ noch leben würde. Offenbar hatte ich mit 16 getönt, dass ich mit 40 sowieso tot sein Die Gruppe Die Ärzte über das Rockstar-Dasein würde. Dass ich mir überhaupt nicht vor- stellen könne, so alt zu werden. mit Mitte 40, ihr gesteigertes Moralempfinden und den SPIEGEL: Die Band The Who hat 1965 pro- Sinn von politischen Botschaften klamiert „Hope I die before I get old“. Bela B.: Und das mit einigem Recht. Natür- SPIEGEL: Die Ärzte gibt es seit 25 Jahren, Hirn melken, das es noch nicht gab. Ich lich bringt man Musikern ab einem be- Sie selbst sind Mitte vierzig, doch auf Ihrer habe kein Problem damit, Allgemeinplätze stimmten Alter Misstrauen entgegen. Aber aktuellen Single „“ besingen Sie er- zu singen, wenn sie mir einfallen. „Ich lie- als beste Band der Welt, verdammt, da in- neut die Problemlage eines circa 16-Jähri- be dich, aber du liebst mich nicht“ zum teressieren einen doch Altersfragen nicht! gen. Interessiert Sie Ihre eigene Lebens- Beispiel. Das reicht doch vollkommen. SPIEGEL: Immerhin gehen auch Sie inzwi- welt nicht? SPIEGEL: Nur gibt es so ein Lied von Ihnen schen regelmäßig joggen. Urlaub: Wie viel Lebenswelt eines Mannes nicht. Bela B.: Stimmt. Diese Volkskrankheit. Ich Mitte vierzig kriege ich denn mit? Komme Urlaub: Jedenfalls unterwerfen wir uns hänge das eigentlich nicht gern an die ich von der Arbeit nach Hause zu meiner nicht mehr einem Originalitätszwang, wie große Glocke. Frau und den Kindern? Nein. Was könnte ich ihn früher an uns festgestellt habe. Urlaub: Wieso? Bald machen wir auch die- ich darüber singen? Ich kenne nichts aus Bela B.: Für mich bestand das Problem ses Schnellgehen mit den Skistöcken! dieser Welt, obwohl ich 43 bin. nicht im Zwang zur Originalität, sondern Bela B.: Ich nehme auch keine Drogen SPIEGEL: Aber die Probleme eines heute im Alltag mit der Firma, die Die Ärzte in- mehr, trinke wenig Alkohol. Und neulich 16-Jährigen kennen Sie? zwischen sind … habe ich sogar zum ersten Mal in der Ge- Urlaub: Die habe ich wenigstens mal vor SPIEGEL: … Sie haben eine eigene Platten- schichte der Ärzte für ein Konzert allein 100 Jahren erlebt. Ich muss aber auch sa- firma und kontrollieren von der Cover- Schlagzeug geübt. gen, dass ich mir den Alltag eines 40-Jähri- gestaltung über die Musik, die Produktion SPIEGEL: Fällt einem wenigstens das - gen nicht so spannend vorstelle. bis zur Pressearbeit alles selbst. Dadurch schreiben mit den Jahrzehnten leichter? SPIEGEL: Als vor gut 50 Jahren der moder- sind Sie komplett autark. Urlaub: Die Musik geht mir heute tatsäch- ne Pop erfunden wurde, hat niemand vor- Bela B.: Richtig, aber das macht es auch lich leichter von der Hand. Da genügt mir ausgesehen, dass all diese jungen, frischen sehr anstrengend. Bei mir hat das vor der inzwischen eine sehr geringe Inspiration, Musiker altern und Jahrzehnte später im- letzten Platte dazu geführt, dass mir die um ein ganzes Lied daraus zu machen. mer noch auf der Bühne stehen würden. Musik keinen Spaß mehr machte. Bela B.: Das hört man! Gerade für eine Band mit dem Origina- SPIEGEL: Und das sagen Sie so nebenbei? Urlaub: Das Texteschreiben wird allerdings litätsanspruch der Ärzte muss es äußerst Bela B.: Nein. Es war eine schlimme Er- schwieriger. Ich ertappe mich dabei, dass anstrengend sein, immer wieder auf Neu- fahrung. Man verdient sein Geld mit dem, ich denke: Oh, gute Idee. Und dann: Ach, es zu kommen. was einem eigentlich am meisten Spaß Mist, gibt’s ja schon. Und zwar von mir. Urlaub: Ich denke ja nicht: Scheiße, jetzt macht. Und dann macht es plötzlich keinen SPIEGEL: Vor über 20 Jahren haben Sie muss ich mir wieder irgendwas aus dem Spaß mehr. Stücke wie „“ veröffent-

204 der spiegel 44/2007 Kultur licht, ein Lied, das den Geschlechtsakt zwi- als Sänger und Schlagzeuger der Ärzte, die dummen Neonazis. Das ist simpel, das schen Bruder und Schwester beschreibt mich über pubertierende Gangsta-Rapper kann man auf eine Zeile reduzieren. Alles und 1987 indiziert wurde. Wie blickt man aufzuregen. Aus mir ist schließlich auch andere ist viel zu komplex. eigentlich als Erwachsener auf solch eine kein schlechter Mensch geworden, und ich SPIEGEL: Gerade in letzter Zeit haben sich Hinterlassenschaft? habe eine Riesensammlung sehr fragwür- viele Musiker auf Klima- oder Anti-G-8- Urlaub: Tatsächlich denke ich heute: Wie diger Musik, wirklich superherbes Zeug. Konzerten engagiert. charmant. Eine so einfache Komposition. SPIEGEL: Während Sie sich früher keinerlei Urlaub: Stimmt, aber man bekämpft dort Ich weiß ja, dass ich den Song geschrieben bürgerlicher Moral verpflichtet fühlten, be- einen Gegner, der gerade nicht anwesend habe, bevor ich überhaupt jemals eine treiben Sie heute Ihre Tourneen klamm- ist, und zweitens sind Politiker als Prügel- nackte Frau gesehen hatte, nämlich mit 15. heimlich mit Ökostrom. Warum bekennen knaben ein viel zu einfaches Ziel. Ich mag Heute würde ich mir wahrscheinlich selber Sie sich nicht offen dazu? solche Veranstaltungen nicht. Natürlich im Wege stehen und mich so etwas wäre es denkbar, dass wir eine Pres- Simples nicht mehr trauen. sekonferenz gegen den G-8-Gipfel SPIEGEL: Ihre Rolle als Provokateure geben. Aber dann wären wir mit haben heute sogenannte Gangsta- Fakten bewaffnet. Rapper wie die des Labels Aggro González: Wir wurden für das Live- Berlin übernommen. Earth-Konzert in Hamburg auch Urlaub: Aber die provozieren aus angefragt. Wir haben geantwortet, Prinzip, um öffentliche Wahrneh- wir wären dabei, wenn sie das Licht mung zu bekommen. Bei uns war ausschalten und wir mit Akustik- die Provokation tatsächlich ein gitarren ohne Verstärker spielen Zufall. Als ich „Geschwisterliebe“ würden. Das wäre die einzige Art mit 15 geschrieben habe, wollte ich gewesen, konsequent zu zeigen: Wir niemanden provozieren. Ich wollte sind für Energiesparen. Darauf gab bloß ein Lied schreiben. es komischerweise keine Antwort. Bela B.: Na ja, wir haben damals über Bela B.: Richtig ist ja: Musiker, die „Geschwisterliebe“ innerhalb der auf eine Bühne gehen, können et- Band diskutiert. Und ich glaube was bewegen. Natürlich macht Bono schon, dass wir provozieren wollten. hin und wieder die richtigen Sachen Das ist ja auch legitim. Denn Musik oder spricht mit den richtigen Leu- ist für Jugendliche nur dann relevant, ten, aber das meiste ist Selbstdar- wenn die Eltern sie ablehnen. stellung. Es verkommt zu einer SPIEGEL: Wenn „Geschwisterliebe“ Form, der man misstrauen sollte. als charmantes Lied durchgeht, Urlaub: Ja, aber Bono hat Kontakte. kann dann ein Song gegen Schwule, Der kriegt halt den amerikanischen wie von dem Rapper G-Hot, nicht Vizepräsidenten ans Telefon. Seien auch als Kunst gelten? wir doch ehrlich: Wir sind die beste Urlaub: Nein. Das ist dumm und ge- Band der Welt, aber da endet es. schmacklos, finde ich. Als Mitglieder SPIEGEL: Herbert Grönemeyer argu- der Punkbewegung hatten wir natür- mentiert, wenn er seine Popularität lich vor 20 Jahren den klar besseren nutzen könne, in den „Tagesthe- Ansatz: Wir waren immerhin gegen men“ fünf Minuten daran zu erin-

den Staat, die Bullen und das System. ARCHIV HAMBURG / JAZZ BILD ULLSTEIN nern, dass der Westen sein Verspre- Wir waren gegen die da oben. Und Bürgerschreck Die Ärzte*: „Wir waren gegen das System“ chen gegenüber Afrika nicht einhält, nicht gegen Schwule oder Frauen. dann habe er etwas Sinnvolles getan. Bela B.: Ich habe letztes Jahr in einer Bela B.: Wir möchten uns nicht als Gut- González: Was ist denn daran sinnvoll, dass Jugendzeitschrift geblättert, in der ein menschen aufspielen. Ich habe neulich mit der abends fünf Minuten in den „Ta- Interview mit Freunden von einem in jemandem von Attac gesprochen, die fin- gesthemen“ auftritt? Was ist daran sinn- Deutschland ziemlich populären Aggro- den auch, dass wir mit dem Umwelten- voll, dass Bob Geldof mit ein paar anderen Berlin-Rapper zu lesen war. Diese Freun- gagement offensiv umgehen sollten. Aber Zombies auf der Bühne ein Stück trällert? de wurden dazu befragt, was sie schätzen dann wird es irgendwann auch beliebig. Die Musiker nutzen dieses Öffentlichkeits- an dem Rapper. Ihre Antwort war: „Ja, Urlaub: Es gibt ja viele Sachen, für und ge- vehikel für sich, weil sie wissen: Oh, wir das ist total geil, der reißt immer zwei gen die es sich zu kämpfen lohnt. Aber kommen damit vielleicht in die Abend- Nutten auf, und eine gibt er mir ab.“ Da letzten Endes sind wir eine Band von und nachrichten. habe selbst ich gezuckt und gedacht: Das für Hedonisten. Man soll zum Ärzte-Kon- Urlaub: Damit sind wir wieder bei den finde ich nicht gut! Meine neunjährige zert gehen in der Absicht, es sich drei Nachteilen des Älterwerdens. Mit 18 oder Nichte liest so etwas völlig unreflektiert Stunden lang gutgehen zu lassen. Und ich 20 ist dir die Komplexität der Welt egal, und erklärt mir dann noch, Tokio Hotel blicke nicht ins Publikum und denke: Hof- weil du sie noch nicht erfahren hast. finde sie scheiße, denn die seien doch fentlich gehen die alle wählen. Es geht um Deswegen sind deine Texte, wenn sie schwul. Interessanter Standpunkt für eine drei Stunden Sorglosigkeit. unschuldig sind, auch glaubwürdig un- Neunjährige. SPIEGEL: Das heißt, Rockmusik sollte auf schuldig. Wenn ich jetzt einen unschul- Urlaub: Jetzt hör auf mit deiner Nichte! politische Inhalte besser verzichten? digen Text schreibe, dann schwingt all Merkst du nicht, die wollen uns in die Alt- Urlaub: Man muss politische Themen sehr das mit, worüber wir uns in den vergan- und-konservativ-Falle laufen lassen. stark vereinfachen, um sie in Rockmusik zu genen zehn Minuten zu fünft echauffiert SPIEGEL: Eigentlich reden Sie jetzt genauso, verarbeiten. Das einzige Thema, das sich haben. Das macht es für mich tatsächlich wie die Eltern, die sich früher über Die vielleicht für einen Rocksong eignet, sind schwieriger, einen ausschließlich fröhli- Ärzte beschwert haben. chen Text zu schreiben. Interview: Christoph Dallach, Bela B.: Das ist ein Problem. Denn tatsäch- * Farin Urlaub, der damalige Bassist Sahnie, Bela B. bei Philipp Oehmke lich verbietet mir mein Selbstverständnis einem Fernsehauftritt 1985.

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