Schöner Ausblick und moderner Krieg. Zur Funktion des Alpinismus im Kontext des Ersten Weltkriegs in den Dolomiten, über Implementierung von Heldenbildern und im Spiegel einer romantisierenden kollektiven Erinnerung.

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Martin WASTLBAUER

am Institut für Geschichte Begutachter: Em.o.Univ.-Prof. Dr.phil. Dr.h.c. Helmut Konrad unter Mitbetreuung von: Mag. Dr.phil. Georg Hoffmann

Graz, 2017

Kurzfassung Der Alpinismus geriet im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem kulturellen Phänomen, welches, über gesellschaftliche Funktionen der Erholung und des Wettkampfes, in Verknüpfung mit politischen Dimensionen des Krieges und des Deutschnationalismus, im 20. Jahrhundert eine Neubewertung erhielt. Im bürgerlichen Deutschen und Österreichischen Alpenverein wurde eine umfassende Verbindung aus Krieg und Alpinismus ideologisch, wie auch institutionell suggeriert und damit erfahrbar. Die Affinität dieser Vorstellungswelten zueinander, verhalf einem „kriegerischen Alpinismus“, welcher weiterführend als kulturelles Konstrukt zu einem Leitbild von Kriegslegitimation wurde und Eingang in eine national geprägte Erzählung und Rezeption des Ersten Weltkriegs erhielt. Die daraus resultierende Mythisierung und Romantisierung des Alpenkriegs, wurde über propagierte Heldenbilder speziell in der Dolomitenfront verortet und gesellschaftliche Werte der Identität, Männlichkeit und des Nationalismus dadurch nachhaltig beeinflusst. Spuren dieser manifestierten Mythen sind heute noch, sowohl an Gedenkorten, wie auch im österreichischen kollektiven Gedächtnis zu finden.

I

Abstract At the end of the 19th century, alpinism turned into a cultural phenomenon characterized by the societal functions of recreation and competition. However, the movement experienced a revaluation by combining its original purpose with the political dimension of war and German nationalism in the course of the early 20th century. Within the civil German and Austrian Alpine Association, a comprehensive relation between war and alpinism developed, both on an ideological and institutional level. The mutual affinity between those conceptional worlds lead to the emergence of a “martial alpinism”, which became a prime model for the legitimization of war, and entered the nationally coined narration and reception of World War I. The resulting mythologization and romanticizing of the Alpine war was especially perceptible in propagandized heroic images of the front in the Dolomites, and had a lasting impact on the social norms of identity, masculinity and nationalism. Traces of these manifested myths can still be found to the present day at memorial sites, as well as in the Austrian collective memory.

II

Selbstständigkeitserklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, am: ______Unterschrift: ______

III

Inhalt Kurzfassung ...... I Abstract ...... II Selbstständigkeitserklärung ...... III Einleitung ...... 1 1. Das Phänomen des kulturellen Alpinismus ...... 15 1.1 Entwicklung des Alpinismus bis 1914 ...... 15 1.2 Motive des Alpinismus ...... 23 1.3 Manifestationen des Alpinismus ...... 28 1.4 Konstruktionen im Alpinismus ...... 35 2. Der Erste Weltkrieg in den Dolomiten ...... 40 2.1 Die Dolomitenfront ...... 40 2.2 Topgraphische Singularität ...... 46 2.3 Demographische Pluralität ...... 54 2.4 Alpenverein und Krieg ...... 61 3. Heldenbilder ...... 70 3.1 Männlichkeit ...... 70 3.2 Propaganda ...... 77 3.3 Heldenmythen im Gebirgskrieg ...... 85 4. Rezeption und Gedächtnis ...... 94 4.1 Romantisierender Mythos ...... 94 4.2 Ahistorische Kriegshistoriographie ...... 99 4.3 Gedenkorte, Denkmäler und manifestierte Mythen ...... 107 Resümee ...... 113 Literatur ...... 123

IV

Einleitung Doch hinter einer aufstrebenden Felsrippe — wie eine hochgetürmte alte Festungsmauer ragt sie aus dem Geröllfelde — hat sich ein Häuflein österreichischer Soldaten zuerst einfach, dann immer besser und fester, eingenistet, weit vorgeschoben, auf sich allein angewiesen, nur durch den dünnen Draht mit den ihrigen verbunden, nur Eis und Stein und Himmel um sich her — ein Dorn im Auge des Feindes — ein Wunder des Gebirgskrieges, wird die Kriegsgeschichte einmal melden.1

[…] Dort aber, wo einst der Kampf tobte, wird der lebensfrohe Gott Alpinismus zweierlei suchen: Kraft und geistige Gesundung aus der Tretmühle des täglichen Lebens und tiefe, dankbare Erinnerung an ein Heldentum, das auf jenen wilden Höhen mit unvergleichlicher Heimatsliebe seine Scholle verteidigte.2

Es sind Zeilen wie diese die in den Köpfen der Leser und Leserinnen gar abenteuerlich anmutende Bilder vom Gebirgskrieg in den Alpen entstehen ließen und lassen. Bilder von malerischen Höhenlandschaften in denen heldenhafte Männer, sich trotzig und entschlossen dem „Feind“ und gleichzeitig den sie umgebenden Naturgewalten entgegenstellen, um unter größten persönlichen Entbehrungen ihre „liebgewonnene Heimat“ zu verteidigen. Durch eine gezielte Implementierung und anschließende Tradierung dieses Bildes, über Generationen hinweg, hat sich diese Stilisierung teilweise bis heute als gültiges Verständnis vom Alpenkrieg im Ersten Weltkrieg festgesetzt. Der Mythos vom „heldenhaften Kampf der Bergführer“ lebt scheinbar nach wie vor fort. Wenn man nach den Gründen dafür sucht, ist man angehalten bei der Faszination, der Unwirklichkeit und der Unvorstellbarkeit der Bedingungen, die durch Bilder diesen Mythos betreffend ausgelöst werden, anzusetzen. Einerseits ist es der Krieg selbst, der bei Menschen ein gewisses Faszinosum auslösen kann, andererseits ist es die besondere Sphäre in der er sich abgespielt hat, der damit zusammenhängende breit verstandene Begriff des Alpinismus, ist jedoch wiederum selbst von Mythen und Legenden umrankt. Durch die einzigartige Vermengung dieser zwei affektierten Elemente, nämlich Krieg und Alpinismus, getragen von der Erzählung des heldenhaften einfachen Soldaten, in scheinbarer Erfüllung seiner selbstlosen Pflicht die

1 Leo Handl. Von der Marmolatafront. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1916. Band 47. S. 212-219. Österreichische Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 212, [http://anno.onb.ac.at/], eingesehen 3.10.2016 2 Gustav Renker. Der Krieg in den Bergen. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1916. Band 47. S. 219-236. ebd., S. 235 f. 1

Heimat zu verteidigen, hat demnach scheinbar zu einer beispiellosen Auffassung dieses Kriegserlebnisses geführt.

Impetus der vorliegenden Arbeit ist es demnach, gegenseitige Bedingungen und Einflussnahmen dieser Aspekte, deren kulturelle sowie politische Verbreitung und Verwendung durch institutionelle Träger und deren gesellschaftliche Aus- und Nachwirkung, nachvollziehbar zu machen.

Mit der Weltkriegsliteratur verhält es sich ähnlich wie mit Alpinismusliteratur, es gibt da wie dort eine schier unüberschaubare Fülle diesbezüglicher Publikationen – die sich bietenden Blickwinkel und die daraus ergebenden Fragestellungen sind mannigfaltig.

RAINER AMSTÄDTER gibt mit seinem Standardwerk3 über den Alpinismus einen breitgefächerten und tiefgreifenden Einblick über die politischen und kulturellen Ausprägungen und geht dabei den zentralen Motiven des gelebten Alpinismus auf den

Grund. Während DAGMAR GÜNTHER sich im Besonderen mit den soziokulturellen Einflüssen auf das Bürgertum und mit der gelebten Kultur im Alpinismus4 beschäftigt. Als Hauptträger dieses Phänomens lässt sich in Folge der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DÖAV) erkennen, der eine tragende Rolle in der Etablierung und Ausbreitung eines alpinen Verständnisses spielt. ANNELIESE GIDL zeichnet die Struktur, Organisation und Entwicklung des Vereins bis zum Ersten Weltkrieg5 ausgezeichnet nach, wahrt dabei aber einen distanzierten Blick auf Entwicklung, Tätigkeitsfelder und Ideologie des Vereins.

MARTIN ACHRAINER fällt hier ebenso eine bedeutende Rolle zu, da er sich in seinem Sammelband6 gezielt mit der antisemitischen und nationalistischen Grundhaltung des Vereins seit dessen Bestehungsgeschichte beschäftigt und dies differenziert darstellt.

Autoren wie PETER GRUPP schaffen es ein gutes Bild der Wirkweise des Phänomens7 aufzuzeigen, eine Affinität und eine Verwurzelung im Thema, ein alpinophiles Zugehörigkeitsgefühl wird jedoch ersichtlich. Diesbezüglich ist es in der Alpinismusliteratur8 und in einschlägigen Zeitschriften oft schwer die Inhalte differenziert

3 Rainer Amstädter, Der Alpinismus. Kultur - Organisation - Politik, Wien 1996 4 Dagmar Günther, Alpine Quergänge. Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870 - 1930), Teilw. zugl.: Florenz, Europ. Hochsch.-Inst., Diss., 1996 (Campus historische Studien Bd. 23), Frankfurt/Main 1998 5 Anneliese Gidl, Alpenverein. Die Städter entdecken die Alpen, Wien 2007 6 Martin Achrainer/Friederike Kaiser, Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen, 1918-1945, Köln 2011 7 Peter Grupp, Faszination Berg. Die Geschichte des Alpinismus, Köln-Wien u.a. 2008 8 Martin Scharfe, Berg-Sucht. Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus 1750 - 1850, Wien u.a. 2007; Martin Krauß, Der Träger war immer schon vorher da. Die Geschichte des Wanderns und Bergsteigens in den Alpen, München 2013; Gebhard Bendler, Alpinismus … eine spezifisch deutsche Kunst"?; Deutschnationalismus und Antisemitismus in den Innsbrucker Bergsteigervereinen 1869 - 1938 2009; Martina Kopf, Alpinismus – Andinismus. Gebirgslandschaften in europäischer und lateinamerikanischer Literatur (Schriften zur Weltliteratur), Stuttgart 2016; Bettina Hausler, Der Berg. Schrecken und Faszination, München 2 zu betrachten, da man, durch die Wahl der Fragestellungen und Blickwinkel auf die Untersuchungsgegenstände, den Autoren und Autorinnen oft ihre entstammten Metiers anmerkt und ihnen gewichtete Betrachtungsschwerpunkte nachweisen kann. Mystifizierungen und Glorifizierungen werden des Öfteren nicht aufgeschlüsselt, sondern eben fortgeführt. In den teils sehr umfangreichen Abhandlungen über den Alpinismus bleibt auffällig, dass der Krieg durchwegs als große Zäsur gesehen wird und dass, scheinbar dadurch geschuldet, der Entwicklung des Alpinismus in dieser Zeit eine Stagnation wiederfährt.9 Die Entwicklung und Weiterführung dieser Erscheinung und damit des Alpenvereins wird aber oftmals weitgehend ausgeblendet und der Empfindung des Autors nach, beinahe systematisch ausgespart. Daraus schälte sich auch die These, dass wohl der Krieg selbst als entscheidender Antriebsmotor für eine veränderte Gesellschaft und Neubewertung kultureller Phänomene wie der des Alpinismus diente. Als gemeinhin scheinbar akzeptierte Floskel in der Literatur, wird der Alpenkrieg als „Nebenschauplatz“10 im Ersten Weltkrieg wahrgenommen und ist doch als Thematik unwahrscheinlich präsent und gefragt, sieht man sich nur die zahlreichen Publikationen und Abhandlungen diesen betreffend an. Nicht der Krieg selbst wird zum Gegenstand wissenschaftlicher Diskurse, sondern sein ihm anhängender Mythos, durch die frei interpretierbare Verquickung von Kampf und Naturgewalten.11 Einschlägige Literatur über die Gebirgsfronten verschreibt sich dabei einer meist rein deskriptiven, militaristisch geprägten Sichtweise, was eine vermeintliche Entpolitisierung der Themeninhalte zur Folge haben kann.12 ALEXANDER

JORDAN und MANFRIED RAUCHENSTEINER gelten als Autoren exzellenter Werke über die Bedingungen und Gegebenheiten des Ersten Weltkrieg und im speziellen des Gebirgskriegs, bleiben bei ihren Untersuchungen aber weitgehend an der Oberfläche des Kriegsnarrativs, ohne zu sehr auf gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen, die dieser bewirkte,

2008; Sofie Mathoi, Subversive Alpenkunst, Diplomarbeit, Graz 2011; Ingeborg Schmid-Mummert, Licht und Schatten. Risikomanagement im Alpinismus des 19. Jahrhunderts, Zürich 2009; Andrea Hungerbühler, »Könige der Alpen«. Zur Kultur des Bergführerberufs (Materialitäten 19) 2013 9 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 355-363; Günther, Alpine Quergänge, S. 91-96; Hungerbühler, »Könige der Alpen«, S. 64-69 10 Oder gar als „Nebenkriegsschauplatz des Nebenkriegsschauplatzes“, nach: Erwin A. Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 347–366, hier S. 347 11 Klaus Eisterer, Tirol und der Erste Weltkrieg (12), Innsbruck-Wien 1995 12 Michael Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg. Ereignisse, Hintergründe, Schicksale (Haymon- Taschenbuch 164), Innsbruck-Wien 20141; Rudyard 1865-1936 Kipling, The war in the mountains, London 2015; Heinz von Lichem, Der einsame Krieg. Erste Gesamtdokumentation des Gebirgskrieges 1915/18 von den Julischen Alpen bis zum Stilfser Joch, München 1974; Hans-Joachim Löwer/Udo Bernhart, Die Alpenfront - einst und jetzt. Auf den Spuren des Gebirgskrieges 1915 - 1918, Bozen 20142; Uwe Nettelbeck, Der Dolomitenkrieg, Berlin 20142; Michael Wachtler/Günther Obwegs, Dolomiten - Krieg in den Bergen, Bozen 20054 3 einzugehen.13 Werke von NICOLA LABANCA, HERMANN J. W. KUPRIAN und OSWALD

ÜBEREGGER gewähren, in ihren Abhandlungen über Krieg und Kriegserfahrungen, differenzierte und bewusst diametral gerichtete Perspektiven auf dieselben Ereignisse.14 Diese Arbeit ist in ihrer Schwerpunktsetzung demnach vermehrt in den umfangreichen

Forschungsgebieten von KUPRIAN und ÜBEREGGER verortet, die sich im zentraleuropäischen Raum um eine umfangreiche Aufschlüsselung und Dechiffrierung von Mythen und Narrativen rund um die Rezeption und Tradierung von Erzählungen über den Ersten Weltkrieg auf einer vordergründig soziokulturellen, mentalitätsgeschichtlichen Ebene bemühen. Erfahrungen und Erleben von Krieg lassen sich in ihren Sammelbänden von verschiedenen Blickwinkeln – von Soldaten wie von Zivilisten und Zivilistinnen gleichermaßen – finden, dabei werden österreichische wie italienische Forschungsstände gezielt verknüpft und systematisch gegenübergestellt. Angelehnt an BERND HÜPPAUF, der in der deutschen Forschung zwischen einem Langemarck-Mythos und einem Verdun-Mythos unterscheidet15, die wesentlich auf die gesellschaftliche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in der Zwischenkriegszeit einwirkten, versucht diese Arbeit Parallelen und Ähnlichkeiten zu dem Mythos der österreichischen Gebirgskämpfer nachzugehen. Die Vermittlung dieser Mythen und die Manifestationen eben jener, lassen sich in der Verwendung von Heldenbildern festmachen, Konstruktionen und Funktionen von Heldentypen im Umfeld

13 Alexander Jordan, Krieg um die Alpen. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum und der bayerische Grenzschutz in Tirol, Zugl.: Universität Bamberg, Dissertationsschrift, 2007 (Zeitgeschichtliche Forschungen 35), Berlin 20081; Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, Wien 2013; Günter Bischof (Hrsg.), 1914: Austria-Hungary, the origins, and the first year of World War I (Contemporary Austrian studies 23), New Orleans, La.-Innsbruck 2014; Weitere tiefgreifende Überblickswerke zum Ersten Weltkrieg: Stefan Karner, Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen; neue Perspektiven (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung 27), Innsbruck 2014; Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914 - 1918, St. Pölten-Salzburg-Wien 2014; Oliver Janz, 14 - Der große Krieg (Schriftenreihe / Bundeszentrale für Politische Bildung 1395), Bonn 2013; Hans Magenschab, Der Grosse Krieg. Österreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Innsbruck 2013; D. Stevenson, Cataclysm. The First World War as political tragedy, New York 2004; Niall Ferguson/Klaus Kochmann, Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, München 20132 14 Hermann J. W. Kuprian (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006; Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014; Nicola Labanca/Oswald Überegger, Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914- 1918), Wien 2015; Oswald Überegger, Erinnerungskriege. Der Erste Weltkrieg, Österreich und die Tiroler Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit (Tirol im ersten Weltkrieg 9), Innsbruck 2011; ders. (Hrsg.), Heimatfronten. Dokumente zur Erfahrungsgeschichte der Tiroler Kriegsgesellschaft im Ersten Weltkrieg (Tirol im ersten Weltkrieg), Innsbruck 2006; ders. (Hrsg.), Zwischen Nation und Region. Weltkriegsforschung im interregionalen Vergleich; Ergebnisse und Perspektiven (Tirol im ersten Weltkrieg 4), Innsbruck 2004 15 Bernd Hüppauf, Schlachtenmythen und die Konstruktion des „Neuen Menschen“, In: Gerhard Hirschfeld (Hrsg.), "Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …". Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte N.F., 1), Essen 19931, S. 55 4 eines Krieges, lässt unter anderem RENÉ SCHILLING gut nachvollziehen.16 Die Verwendung dieser war vor allem eine Sache der Propaganda, die sowohl staatlich, als auch gesellschaftlich initiiert gewesen sein konnte.17 Die Etablierung dieser Bilder basierte auf einem konstruierten Verstehen von Männlichkeit, dafür bietet sich die umfassende

Forschung von CHRISTA HÄMMERLE und MARTIN DINGES an, neben den Erkenntnissen über die soldatische Männlichkeit, die schon von ERNST HANISCH eindrücklich festgemacht wurde.18 Öffentliche Repräsentanten dieser Männlichkeitsideale konnten während des Ersten Weltkrieges zu nationalen Heldenfiguren werden, die wirkmächtige Bilder vermitteln sollten, wie SCHILLING detailliert darlegt.19 Eine gezielte Verknüpfung von Krieg, Alpinismus und Propaganda in einer Instrumentalisierung über Mythenbildung, lässt sich dagegen in der Literatur selten festmachen, TAIT KELLER und RALPH ROTTE lassen hier stellenweise erkenntnisreiche Einblicke gewähren.20 Ältere Publikationen, wie die von

16 René Schilling, "Kriegshelden". Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813 - 1945, Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 2000 (Krieg in der Geschichte 15), Paderborn 2002; Renate Martinsen, Der Wille zum Helden. Formen des Heroismus in Texten des 20. Jahrhunderts 1990; Thomas Thiemeyer, Zwischen Helden, Tätern und Opfern. Welchen Sinn deutsche, französische und englische Museen heute in den beiden Weltkriegen sehen, in: Geschichte und Gesellschaft : Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 36 (2010), Nr. 3, S. 462–491; Ulrike Brunotte, Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 70), Berlin 2004; Helmut Fries, Die Kriegsbegeisterung von 1914. Ursprünge - Denkweisen - Auflösung (Die große Katharsis der Erste Welkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter; 1), Konstanz 1994; Hans-Georg Hofer, Nervenschwäche und Krieg. Modernitätskritik und Krisenbewältigung in der österreichischen Psychiatrie (1880 - 1920), Wien [u.a.] 2004 17 Joachim Bürgschwentner, Propaganda, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 277–302; Walter Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit". Medienverwaltung 1914-1918: Das Kriegspressequartier (KPQ) (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Sonderband 13), Innsbruck-Wien-Bozen 2016; Matthias Rettenwander, Stilles Heldentum? Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols im Ersten Weltkrieg (Tirol im ersten Weltkrieg 2), Innsbruck 1997; Oswald Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, in: Labanca, Überegger (Hg.) - Krieg in den Alpen 2015, S. 259–280; Hans Weigel/Walter Lukan/Max Demeter Peyfuss, Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos. Literarische und graphische Kriegspropaganda in Deutschland und Österreich, 1914-1918, Wien 1983; Anton Holzer, Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg; mit unveröffentlichten Originalaufnahmen aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Darmstadt 20072 18 Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien [u.a.] 2005; Martin Dinges/Marian Füssel/Nicole Grochowina/Christa Hämmerle/Bea Lundt/Martin Lücke/Michael Meuser/Andrea Moshövel/Miriam Rürup/Marc Schindler-Bondiguel/Sylka Scholz/Monika Szczepaniak/Almut Sülzle, Männer - Macht - Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute (Geschichte und Geschlechter), [Frankfurt am Main] 2005; Christa Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868- 1914/18)", in: Dinges (Hg.) 2005 - Männer,Macht,Körper, S. 102–121; dies., Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, in: Labanca, Überegger (Hg.) - Krieg in den Alpen 2015, S. 155–180; Joanna Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, in: Gerhard Baumgartner (Hrsg.), Militär, Krieg, Gesellschaft, Staat (Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9.1998,1), Wien 1998, S. 31–50; Thomas Kühne, "… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren" Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, in: Männergeschichte - Geschlechtergeschichte : Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt/Main [u.a.] 1996, S. 174–192; Wolfgang Schmale, Geschichte der Männlichkeit in Europa. (1450 - 2000), Wien [u.a.] 2003 19 Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 274-277; S. 316-375 20 Tait Keller, The Mountains Roar. The Alps During the Great War, in: Environmental History 2009 (2009), Nr. 14, S. 253–274; Ralph Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, Berlin 2014 5

BERNHARD TSCHOFEN, betreffend die Symbolträchtigkeit des Alpinismus und die Verwendung dieser im kriegerischen Duktus, haben weitgehend nichts von ihrer Gültigkeit verloren.21 Der Alpenverein wird in diesem Zusammenhang oftmals ausgespart, seinen

Aufwärtstrend erhält er nach GIDL und GÜNTHER im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges. Die Weiterführung dieser Mythen von der Zwischenkriegszeit, über die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart, welcher sich auch landschaftlich oder figürlich multiplizieren und ausdrücken können, zeigen hingegen CHRISTIAN RAPP und WERNER SUPPANZ eindrücklich auf.22

Um dem Mythos des Alpenkrieges auf die Spur zu kommen, ist man angehalten sich mit dem zugrundeliegenden Phänomen des Alpinismus differenziert auseinanderzusetzen. Der Alpinismus, der ausgehend vom frühen 19. Jahrhundert bis zum frühen 20. Jahrhundert eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht hat, welche zuerst von wenigen getragen zu einem wahren Massenphänomen geworden ist, zeugt sinnbildlich von der Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft in dieser Zeit. Neue Ideen und Geisteshaltungen, wie Aufklärung und deutscher Idealismus aus einem Liberalismus heraus, trieb die Menschen hinauf in die Berge, welche in den Jahrzehnten zuvor noch als unheilvolle und mystische Orte gemieden worden waren. Motive und Motivationen dafür präsentieren sich mannigfaltig: Von einem eigenen Individualisierungsdrang, über rein wissenschaftliche Zwecke, bis hin zur wahren Erfahrung der Natur als willentliche Abgrenzung, von einer sich scheinbar zu schnell entwickelnden Kultur und Leben im urbanen Umfeld. Spricht man im deutschen Raum von Alpinismus, kommt man nicht herum vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein, als größte und bedeutendste Institutionalisierung zu sprechen. Dieser überstaatlich agierende Verein bündelte die Massen, versorgte sie ideologisch mit einer sehr regen Publikationstätigkeit und zugleich institutionell mit einer Bändigung der Bergwelt, durch die Ermöglichung einer erleichterten Bereisbarkeit, wusste also die Vorteile der neuen industriegestützten Moderne geschickt mit traditionellen Sehnsüchten und Bedürfnissen zu vereinen. Der ganzheitliche Heilsanspruch des DÖAV und der deutschen Ausprägung des Alpinismus wird dabei erstmals klar ersichtlich, die einzigartige Sphäre der Bergwelt galt es

21 Bernhard Tschofen, Berg, Kultur, Moderne. Volkskundliches aus den Alpen, Wien 1999; ders., Aufstiege - Auswege. Skizzen zu einer Symbolgeschichte des Berges im 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Volkskunde: Beiträge zur Kulturforschung 89 (1993), Nr. 2, S. 213–232 22 Christian Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, in: Anton Holzer/Wieland Elferding (Hrsg.), Ist es hier schön. Landschaft nach der ökologischen Krise, Wien 2000, S. 231–247; Werner Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, in: Hermann J. W. Kuprian (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006; ders., Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, in: Labanca, Überegger (Hg.) - Krieg in den Alpen 2015, S. 307–330 6 zu wahren und zu schützen, denn sie versprach ebenso Schutz und Geborgenheit, wie auch Sinn und Identität, in einer sich schnell verändernden und technologisch voranschreitenden Welt, vor gesellschaftlichen Umbrüchen, wie Klassenkampf und vor Kapitalismus – er war kein Sportverband, er sah sich selbst als Verein mit hohen Zielen und Idealen.23 Der DÖAV – als bedeutendste institutionelle Manifestation des deutschen Alpinismus – und seine Publikationen dienen dieser Arbeit demnach als idealer Zugang und als zentrale Schnittstelle für die folgenden dargestellten Untersuchungen. Dem deutschsprachigen Alpinismus war es ein Anliegen nicht als Sporterscheinung aufzutreten, sondern als ein Wirken universell- persönlicher Höherentwicklung, welche sich erst mit dem zum Kampf gesteigerten Kräftemessen mit der Natur vollends entfalten konnte. Um all diesen unterschiedlichen Verlangen, Motivationen und Einflüssen der Moderne und der Vergangenheit Herr zu werden, suchten oder bedienten sich – vom hohen Vereinsfunktionär bis hin zum einfachen Wanderer – sinnstiftender Bilder, die Deutung und somit Halt in den Wirren einer bewegten Zeit spenden konnten. Diese konnten ebenso mannigfaltig sein, vom romantischen Landschaftsgemälde der Berge, bis hin zur Verkörperung eines echten Draufgängers, der sein Leben im berauschenden Kampf mit dem Berg aufs Spiel setzte. Die Männlichkeit und die mit ihr assoziierten Zuschreibungen, bekamen in Verbindung mit einem männerdominierten Vereinswesen und einer darin gelebten militanten Geselligkeit einen vordergründigen Stellenwert, vor allem in Bezug auf die symbolhafte – bzw. symbolhaft- instrumentalisierte – Sphäre der Alpen. So rasant die Entwicklung des Alpinismus in seinen Ideen und Strukturen vonstattenging, so plötzlich kam auch seine vermeintlich größte Zäsur, der Erste Weltkrieg. Das Phänomen des kulturellen Bergsteigens nahm aber, wie es in der Literatur von Zeit zu Zeit geschildert wird, keine „Auszeit“ und Stagnation in seiner Ausformung. Eher gegenteilig kann man wohl davon ausgehen, dass diese epochal gesehen kurze Zeitdauer von vier Jahren, wohl zu einem der wichtigsten beeinflussenden Faktoren für die Weiterentwicklung und Prägung des Alpinismus und in besonderem seiner Bergsteiger und -wanderer selbst gewesen ist. Denn es scheint, als setzte sich der Aufwärtstrend der alpinen Bewegung nach 1918 ungebrochen fort, der Gefahrenalpinismus erlebte erneut eine Hochkonjunktur und die Alpenvereine verzeichneten steten Zufluss, doch erhielt der ideelle Überbau des riesig erscheinenden Alpinismus einen neuen – durch den Weltkrieg verstärkten – Stützträger der Aggression, der Gewalt und der Eroberungslust. So spricht AMSTÄDTER in der Zwischenkriegszeit treffend von einem „heldischen

23 Über die kulthafte Betätigung des Bergsteigens in Alpinvereinen, siehe: Amstädter, Der Alpinismus, S. 136- 141; Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 83-87 7

Alpinismus“24. Dieser „heldisch“ gelebte und gefeierte Alpinismus dient als zentrale Fragestellung und Ansatzpunkt im Verständnis eines Zustandekommens einer bestimmten gesellschaftlichen Konstitution, welche geprägt von Werten und Einstellungen bis zum Zweiten Weltkrieg von faschistischen Erklärungsmodellen, wie dem Nationalsozialismus, schließlich wohlwollend empfangen und in ihre eigenen Erklärungs- und Deutungsmuster eingeschrieben wurde. Diese Arbeit ist bewusst auf die Dolomiten und Tirol verortet, da hier einerseits der Weltkrieg verspätet auf österreichischem „Heimatboden“ seinen Anlauf nahm und andererseits in den Zeiten nach dem Krieg, so die These, als Sinnbild – damit gleichzeitig in der Funktion eines legitimierenden Trostspenders – eines heldenhaft geführten Verteidigungskrieges Verwendung fand und dadurch einen fixen Platz im kulturellen Gedächtnis einnahm. Der Gebirgskrieg weckte und bündelte Interessen und tut dies bis heute, alleine schon wegen seiner völlig neuartigen Sphäre des Kämpfens und Ausharrens in Gebieten, die erst kurz zuvor vom Bürgertum erschlossen werden konnten, so blieb diesem etwas Mythisches, etwas Verklärendes anhaften. Mit der Verlagerung etwas so Weltlichen, Öffentlichen, wie das eines militärischen Konflikts zweier Nationen in eben diese Sphäre, ging dementsprechend eine grundlegende Neubewertung, ein Umdenken und damit eine Transformation der Bewertung und dem Verständnis von Krieg einher. Die Natur, die es vor dem Krieg noch zu erfahren und wahrzunehmen galt, wurde nun zu einer sprichwörtlichen Naturgewalt, die die Soldaten vor übermenschliche Herausforderungen stellte. So lässt es sich nachvollziehen, dass der Sprung von der gespielten Kriegsunternehmung, in die mit dem Kriegsausbruch real gewordene Kriegsbeteiligung, für viele Alpinisten ein leichter war und sich in den Köpfen der mit diesen in Kontakt stehenden Gesellschaft und Kultur eine Bereitschaft für den kriegerischen Ernstfall formte. Während des Ersten Weltkriegs wurde der bisher metaphorisch geführte Kampf mit dem Berg zum wahrhaftigen Krieg in den Bergen der eigenen Heimat. Der DÖAV und seine Alpinisten wurden, sofern man sich auf die einschlägigen Quellen verlässt, gleichsam zu wesentlichen Teilen in die Kampfhandlungen des Gebirgskriegs einbezogen und erwiesen sich in ihren jeweiligen Zuständigkeiten als wertvolle und willkommene Partizipanten. Die mystisch überhöhte, kulthafte Opferbereitschaft wurde verbunden mit einem gesteigerten Patriotismus und Nationalgefühl, gestärkt durch eine Defensivlegitimation der Verteidigung der eigenen Heimat zur wichtigen Moralstütze für Teile der habsburgischen Armee und der verweilenden „Heimatfront“. Dies betraf natürlich nicht nur Alpinisten und ihre Vereine die in ihren Tätigkeitsfeldern eine neue Bestimmung erkannten, sondern in entscheidendem

24 Amstädter, Der Alpinismus, S. 126 8

Maße auch die ansässige Bevölkerung. Vor allem da die Kriegserklärung vergleichsweise spontan und überraschend erfolgte und große Teile der k. u. k. Armee weit abseits der Heimat im Osten eingesetzt war und die Verteidigung der Heimat somit buchstäblich einer wehrhaften Zivilgesellschaft in Form der traditionsreichen Tiroler Standschützen überlassen wurde.25 Unterstützt von einem deutschen alpinen Regiment und den wenigen habsburgischen Reserveeinheiten bereitete man sich auf einen Verteidigungskrieg vor, der sich dem Geiste „von 1809“ bediente und damit die Kampfmoral wiederbeleben sollte. Es wurde damit eine „deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft“26, ganz im Sinne der alpinen Ideologie gelebt und gepflegt, die „deutsch besetzten Alpen“ sollten durch eine gemeinsame Verteidigung auch die ihren bleiben.27 Der Anfang einer Deutung eines „besonderen Kampfes“ der Alpennationen schien gemacht. Die tatsächliche Wahrheit war wohl eine andere, die Kämpfe waren von derselben menschenverachtenden Grausamkeit und Hartnäckigkeit wie auf den anderen großen Schlachtfeldern dieser Zeit, selbst die vormals unberührte und romantische Naturlandschaft musste sich dieser Härte beugen und unter ihr leiden, sie war nun vollends erobert und besetzt worden. Es erscheint, als diene die Verklärung als eine Verharmlosung der modernen Kriegsführung, weil sie nicht mit den gängigen Vorstellungen dieser speziellen Sphäre vereinbart werden konnte. Es galt für die Menschen während dem Krieg welche abseits der Fronten aushielten – und auch für die Menschen nach dem Krieg die in einer bestimmten Ohnmacht verharrten – einen Sinn in diesem Kriegsgeschehen und eine Nähe zu den beteiligten Soldaten zu finden. Wie also verband sich das kulturelle Phänomen des Alpinismus mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs und seiner neuen Formen? Wo manifestierte sich diese Verknüpfung topographisch, wurde die Dolomitenfront konstitutiver Gegenstand österreichischer Weltkriegserzählung? Bestimmten propagierte Heldenbilder und Männlichkeitsvorstellungen eine romantisierende Rezeption und geriet damit ein „kriegerischer Alpinismus“ zum Leitbild sinnstiftender Kriegslegitimation und Kriegsaffirmation?

25 Hierzu ausführlich: Christoph von Hartungen, Die Tiroler und Vorarlberger Standschützen. Mythos und Realität, in: Klaus Eisterer, Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck–Wien 1995, S. 61–105; Wolfgang Joly, Standschützen. Die Tiroler und Vorarlberger k.k. Standschützen-Formationen im Ersten Weltkrieg; Organisation und Einsatz (Schlern-Schriften 303), Innsbruck 1998 26 Roland Kaltenegger, Das deutsche Alpenkorps im ersten Weltkrieg. Von den Dolomiten nach Verdun, von den Karpaten zum Isonzo, Graz 1995, S. 29 27 Zu der „genuinen Waffenbrüderschaft“ zu der von vielen Alpenvereinsmitgliedern aufgerufen worden war siehe auch: Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 33 9

In der nachfolgenden Arbeit soll nachgewiesen werden, dass eine Legitimationsfunktion in Heldenbildern und in anderen Formen der Heldenerzählungen – wie beispielweise Heldendenkmälern – gefunden werden konnte. Die einzigartigen Umstände des Gebirgskampfes boten scheinbar genügend beispielhafte und symbolträchtige Gelegenheiten, einer heroischen Stilisierung gerecht zu werden. Es wirkt, als wurde der Überbau des Alpinismus mitsamt seinen Motiven, seiner kulthaften Betätigung, seiner Naturromantisierung und seiner Einbettung in einem kulturell umfassenden Vereinsleben, für viele Bürger und Bürgerinnen – vor allem in den Wirren der Nachkriegszeit – zu einer selbsterklärenden Deutung einer wahren Heimat. Einer Heimat die es wohl während des Krieges zu verteidigen galt und die es in der Erinnerung an diesen, zu wahren und im rechten Licht zu ehren bedurfte. Die Männlichkeit und ihre Tugenden – oftmals gelehrt und geehrt in alpinen Kreisen – wurden zu den glaubhaften Trägern dieser vermittelten Bilder, eine sich prophezeiende „Krise der Männlichkeit“28 schien damit überwunden zu sein. Die Propaganda wusste sich dieser zu bedienen und über Narrative wie Frontberichte und Postkarten – welche eine vermittelte Anknüpfung von Front und Heimat gewähren sollten – zeigten die Attribute der soldatischen Männlichkeit und damit zukunftsorientierte Hoffnung auf. Geschichten wie die des glorifizierten Heldentodes des Sepp Innerkofler, Inkarnation des scheinbar gutbürgerlichen Bergführers der für sein Land und seine Berge starb, standen in Hochkonjunktur.29 Alpinismus diente seit jeher als geeignetes Bedienfeld für die Entwicklung und „Nährung“, sowie Etablierung eines heroischen Kontextes. Der Impetus des Bergsteigers wurde in Einklang mit dem des Helden gebracht, beziehungsweise diesem annähernd deckungsgleich gemacht. Bewährung im Kampf, Opferbereitschaft und stereotype Verkörperung von physischen wie mentalen Idealen, waren Facetten die in beiden gesellschaftlichen Kontexten – Alpinismus wie Krieg – ihre Geltung und damit entsprechenden Anklang fanden. Es gilt nachfolgend aufzuzeigen was GÜNTHER schon exemplarisch in einem Satz formuliert hat: „Die Mythen des Alpinismus sind die Mythen des Gebirgskrieges“30. Die Bereitschaft und Forderungen danach diese Geschichten und Bilder wahrzunehmen, stiegen nach dem Krieg sogar noch an, man hatte den Krieg verloren und damit große Gebiete an die vermeintlich verhassten Italiener abgeben müssen. Das

28 Ausführlich dazu: Ute Frevert, Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Männergeschichte - Geschlechtergeschichte: Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt/Main [u.a.] 1996, S. 69–87; Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914– 1939; Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)" 29 Vgl. Markus Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, S. 371-388 30 Günther, Alpine Quergänge, S. 260 10

Hinnehmen dieser Verluste ohne jedoch im Kampfgebiet wirklich besiegt worden zu sein, ließen „Dolchstoßlegenden“ und einer generellen gesellschaftlichen und politischen Unsicherheit Form annehmen. Damit ging scheinbar auch ein Stück eigener nationaler Identität, die an diesen Bergen hing, verloren. Durch die sprichwörtliche Umformung des Gebirges wurden damit auch dessen Charakterzüge verändert, Ideologien fanden darin Anhaltspunkte und somit wurden sie zu einem sprichwörtlichen mächtigen „Bollwerk der Nation“ und das in ihrem Wesen als auch in ihrer Wahrnehmung.31 Für die transalpinen Nationen bargen die Berge in ihrer ambivalenten Erscheinung wichtige hochzuhaltende Werte der Identität und Nationalität, welche durch den hinzukommenden Charakter der Verteidigung noch weiter gesteigert und gefestigt wurden. Kriegsheimkehrer und verunsicherte Bürger und Bürgerinnen hielten das Bild vom heldenhaften Verteidigungskrieg hoch und suchten scheinbar erst recht nach Kriegsende darin Geltung und Halt. PFISTER spricht hierbei von einer „narzisstischen Kränkung“ durch die militärische Niederlage, die das Weltbild der Frontkämpfer nach einer anfänglichen Kriegsbegeisterung erschüttert hatte.32 Es scheint, als pflegte man in der Nachkriegszeit eine Erinnerung vom Gebirgskrieg in Form einer nahezu monumentalen Geschichtsauffassung von scheinbar tragender Bedeutung, obwohl in Wahrheit wohl jahrelang oft nur um wenige Meter und einzelne Gipfel gestorben wurde. Die Veteranen die in dieser einzigartigen Sphäre gekämpft hatten, welche in dieser ideologisch erzogen wurden und dies überstanden hatten, mussten demnach in der Vermittlung und Rezeption des Gebirgskampfes eine tragende Rolle spielen. Sogenannte Nachkriegsliteraten, wie FRITZ WEBER und LUIS TRENKER, die selbst an der Südwestfront gedient hatten, übernahmen Funktionen als Kulturträger, versorgten die Gesellschaft mit vielversprechenden Narrativen und starken Bildern, ähnlich wie es der Alpenverein mit seinen zahlreichen Publikationen tat. Ihnen gemein war eine stilistische „Kriegsberichterstattung“, auch die eines modern geführten Krieges, allerdings hat sich vordergründig das Bild eines romantischen, anachronistisch geführten Krieges in der Erinnerung an diesen verankert. Wollte nur das Heldenhafte gehört werden, wegen entsprechender sinnstiftender Faktoren, oder war es die Propaganda die nur eine bestimmte Vermittlung zuließ? Oder hat sich das imaginäre Bild vom Alpenkrieg mit der Zeit soweit verfremdet und wurde als Stilmittel selbst so umfassend stilisiert, dass es dadurch quasi verfälscht wurde? Der DÖAV erreichte und bediente während und nach dem Krieg vor allem

31 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 253 32 Vgl. Gertrud Ursula Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, in: Geschichte und Region 13 (2004), Nr. 1, S. 21–59, hier S. 28 11 seine „eigenen Kreise“, im Gegensatz dazu, wurden die Kriegsschriftsteller von einer breiteren Basis von Lesern und Leserinnen empfangen. Oftmals in Romanform oder gar in filmischer Ausführung gelangte diese Vermittlung in Vereinbarung gemeinsamer Ideologien und Anschauungen in nächster Konsequenz in nationalsozialistische Instrumentalisierungs- Willkür.

Im Rahmen der komparativen Vorgehensweise dieser Arbeit werden Forschungsstände und Untersuchungsergebnisse betreffend die thematischen Grundpfeiler der Fragestellung kapitelweise gegeneinander abgeglichen, zusammengeführt und sofern möglich, weitergeführt. Es gilt sich mit der vorliegenden Arbeit von einer rein deskriptiv agierenden

Überblicksgeschichte abzuwenden und inspiriert von KUPRIAN und ÜBEREGGER, sich einer mentalitätsgeschichtlichen und erfahrungsgeschichtlichen Dimension der Vergangenheitsdeutung anzunähern. Nachhaltige Entwicklungen der Gesellschaft und ihrer Lebenswelt lassen sich über Einflussnahmen auf deren Erinnerungs- und Erfahrungskultur nachweisen. Deren Anspruch auf „mikrogeschichtliche“33 Einblicke in die Vergangenheit, wurde zwar in den Ausführungen bedacht, kann dabei aber nur bedingt erfüllt werden, da sich mit universellen Konzepten und Phänomenen auseinandergesetzt wird, einerseits um einen forschungsgeschichtlichen Überblick zu gewährleisten, andererseits um Bedingungen, Brüche und Kontinuitäten zwischen diesen augenscheinlich und nachverfolgbar zu machen. Aus diesem Grund werden scheinbar „große“ Themenfelder zur Untersuchung herangezogen: Der Alpinismus ist nicht ohne seine soziokulturellen und politischen Ausprägungen zu verstehen, das Wesen des Gebirgskriegs nicht ohne den Alpinismus, die Nachkriegszeit nicht ohne die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – die gewählten Elemente bedingen sich gegenseitig und stehen in Relation zueinander und ließen sich vermutlich noch umfangreich ergänzen. Neben aktueller sekundärer Literatur und Forschung wurden zur Verdeutlichung der untersuchten Aspekte Publikationen des DÖAV, wie auch Bücher von Nachkriegsschriftstellern als Grundlage für Quellenzitate verwendet.34 Um einen Einblick in das Verhältnis und die Funktionsweise von Mythen im Zuge deren Einschreibung in ein

„kollektives Gedächtnis“ zu gewähren, wurde dies anhand der Theorien von ALEIDA

33 Vgl. hierzu Einleitung, in: Überegger, Erinnerungskriege, S. 7-14 34 Luis Trenker, Berge in Flammen. Ein Roman aus den Schicksalstagen Südtirols, Berlin 1935; ders., Helden der Berge, Berlin 1935; Fritz Weber, Alpenkrieg, Klagenfurt-Wien 1935; ders., Granaten und Lawinen (Tagblatt-Bibliothek 962/965), Wien u.a. 19321; ders., Das Ende der alten Armee. Österreich-Ungarns Zusammenbruch (Österreich-Bibliothek), Salzburg 1959; Luis Trenker, Meine schönsten Berggeschichten: Kameraden der Berge, München 1977; Aloys Dreyer, Der Alpinismus und der Deutsch-Österreichische Alpenverein. Seine Entwicklung - seine Bedeutung - seine Zukunft, Berlin 1909 12

ASSMANN und JAN ASSMANN argumentiert.35 Ähnliches gilt für die Theorie der

„hegemonialen Männlichkeit“ von ROBERT CONELL, die als Fundament der hier verwendeten Argumentation und der Auswahl diesbezüglicher, darauf zurückgreifender Autoren dient.36

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im Eingangskapitel mit dem Phänomen des Alpinismus, der als Basis für die weiteren Ausführungen und Einblicke gesehen werden kann, da er kulturell, institutionell und politisch weitreichende Ausprägungen und Ausformungen erfuhr. Neben einer politisch-kulturellen Komponente, die sich in der bestimmenden gesellschaftlichen Institution des DÖAV finden lässt und eine strukturgeschichtliche Betrachtung erfordert, kommt der Aspekt der ideengeschichtlichen Abhandlung über Motive und Symboliken, die sich schließlich ganzheitlich in vom Alpinismus konstruierten Rahmenbedingungen zusammenbringen lassen. Zudem gibt dieses Kapitel mit seiner Abhandlung gewissermaßen eine zeitliche Abfolge für die Entwicklung der Untersuchungsgegenstände vor. Im Zweiten Kapitel wird der Erste Weltkrieg mit seiner Verortung in den Alpen und der Vermengung von Alpinismus, Krieg und Kultur behandelt. Analog zum Alpinismus-Kapitel, wird einführend ein Überblick zu den Bedingungen der „Alpenfront“ und dem Verlauf dieser gegeben, um sich anschließend mit den erfahrungs- und wirkgeschichtlichen Gesetzmäßigkeiten des „einzigartig“ erscheinenden Gebirgskriegs zu befassen. Daneben werden die einzelnen kriegsgesellschaftlichen Parteien abgeklärt, die für die konstruierte Wahrnehmung der Front maßgeblich waren, wobei wiederum dem DÖAV eine gesonderte Aufmerksamkeit, wegen seiner impliziten Vermengung von Kultur und Krieg, zuteil wird. Im Dritten Kapitel erfolgen eingehende Betrachtungen kulturgesellschaftlicher Geschlechter- und Heldenkonstruktionen, die sich alle mehr oder minder gegenseitig bedingen und beeinflussen und somit konstitutiv für die Implementierung eines Heldenbildes sind. So werden die Themen Männlichkeit, Propaganda und Heroismus gesondert und dennoch übergreifend und ergänzend ausgeführt. Das Abschlusskapitel soll aus einer Vermengung aller vorhergehender Kapitel, die „Essenz“ bzw. die „Schnittmenge“ der Untersuchungen verdeutlichen und in der Darlegung der Wirkweise und Ausformung des „Mythos Alpenkrieg“, nachweisen. Dazu wird die Weiterführung dieser „konstruierten Erzählungen“ und die Bedeutung und Funktion dieser

35 Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, Teilw. zugl.: Heidelberg, Univ., Habil, 1992 (C. H. Beck Kulturwissenschaft), München 20063; Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (Beck'sche Reihe 1307), München 20137 36 Robert William Connell, Gender and power. Society, the person and sexual politics, Cambridge 1991 13 in der Zwischenkriegszeit erläutert und ein Ausblick auf eine vermeintlich problematische Erinnerungskultur über die Instrumentalisierung dieser Mythen geboten.

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1. Das Phänomen des kulturellen Alpinismus

1.1 Entwicklung des Alpinismus bis 1914 Um die Entwicklung des Alpinismus nachvollziehen zu können, muss man sich diesen als anthropologisch geformten und damit auch gesellschaftlich-kulturell genormten Begriff nähern. Die Alpen, beziehungsweise in engerem Sinn ihre Berge, sind schon seit Menschengedenken Teil der von Personen erlebten Umwelt, im wahrsten Sinne eine fixe Größe in der wahrgenommenen Landschaft. Was sich geändert hat, ist die Einstellung der Menschen zu diesen: mit der Ausweitung der menschlichen Tätigkeitsfelder auf die scheinbar unüberwindbare Unzulänglichkeit der Bergwelt, begann man diese neu zu kategorisieren und neu zu definieren. Aus einer individuellen Neuerfahrung, aus einer sprichwörtlichen Bewegung heraus in höhere Sphären, ausgehend von breiteren Bevölkerungsschichten, entstand der Alpinismus. In den nachfolgenden Kapiteln werden demnach sukzessive die Entwicklung des Alpinismus als massentaugliches Phänomen während des „Langen 19. Jahrhunderts“37, die damit eng-verknüpften Motive und Ideen der aufkeimenden Bergsteigerschaft, die konkreten Betätigungsfelder des Alpinismus in Vereinen und zuletzt der Hang zur Konstruktion von idealtypischen Geschlechtsbildern in diesen Kreisen erörtert.

Die imposante Gebirgskette der Alpen unterlag seit jeher einer wechselhaften und sich verändernden Wahrnehmung, wobei der Begriff „Alpen“ wahrscheinlich vom keltischen Wort „alb“ abgeleitet wurde, was so viel wie „Berg“ bedeutet.38 Wahrgenommen und als Teil eines Narratives verwendet, wurden die Berge allerdings seit jeher, oftmals als zentrales Element einer epischen Begebenheit, als symbolische Abgrenzung zu rationalen, irdischen Beziehungen. So stieg Moses auf den Berg, Hannibal überquerte die Alpen und der Olymp galt als Sitz der Götter – allenfalls beherrschte eine bestimmte Mystik die Erzählung. Die damit verbundenen Zuschreibungen und Deutungen die mit diesen Wahrnehmungen einhergingen werden im Folgenden Kapitel der Motive des Alpinismus nochmals aufgegriffen und näher beleuchtet. Nach GRUPP gilt Francesco Petrarca als Urheber der alpinen Idee, der bereits im 14. Jahrhundert, nicht aus einem religiös motivierten Anlass, sondern aus einem eigenen inneren „Verlangen“ heraus die Berge bestieg: Dieses

37 Unter dem „langen 19. Jahrhundert“ versteht man nach Eric Hobsbawm die Epochenphase von der französischen Revolution 1789, bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 und korreliert mit Bedingungen der Industrialisierung, Nationalisierung und Verbürgerlichung der Gesellschaft. Siehe hierzu: Eric Hobsbawm, Das lange 19. Jahrhundert, Darmstadt 2017 38 Vgl. Hausler, Der Berg, S. 6 15 persönliche Verlangen sollte einige Jahrhunderte später zur ureigensten, grundlegenden Idee des Alpinismus werden.39

In vorindustriellen Zeiten, oftmals noch geprägt von feudalen Strukturen, empfand man das zentral liegende Hochgebirge primär als Behinderung von Handels- und Reiserouten zwischen Nord und Süd, sowie West und Ost. Die Alpen waren für das menschliche Empfinden ein Ort des Schreckens, gefährlich, hässlich und unheimlich.40 Sie verkörperten das Unheilvolle, weil sie mit damaligen Erklärungs- und Deutungsmuster nur schwer, bis gar nicht zu erfassen und zu erklären waren. Das Gebirge wurde bewusst gemieden und daher versuchte man erst gar nicht etwas über dessen Beschaffenheit und Wesen in Erfahrung zu bringen. Selbst die dort ansässigen Bewohner der Gebiete kannten in der Regel die Berge nicht weiter, als ihr jeweiliger Erwerb als Jäger, Hirte oder Holzarbeiter sie eben in diese Regionen führen musste – eine freizeitliche Inanspruchnahme dieser fehlte noch völlig.41 Bereits während der Zeit des Humanismus und der Renaissance rückten die Alpen in das Interessensgebiet der Gelehrten, doch vorerst wurden überwiegend theoretische und weniger empirische Forschungen angestrebt und getätigt. Der Siegeszug des Alpinismus begann schließlich aus einem Antrieb heraus – der sich schließlich in einen regelrechten Eifer steigerte – die Welt zu erforschen und zu beschreiben: Das Credo der Naturwissenschaften setzte sich fortwährend ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in allen Lebens- und Öffentlichkeitsbereichen durch. Mit einer gesteigerten Individualitätsgeltung im Sinne der Aufklärung „tritt der Mensch zunehmend aus seiner engen mittelalterlichen Umgrenzung heraus, überschreitet persönliche und geographische Grenzen, erkennt sich selbst als Person und Individuum. Er entdeckt die Welt und will sie erobern und beherrschen.“42 Getragen wurde dieser Forscherdrang von gutsituierten, naturwissenschaftlich begeisterten Kreisen des Bürgertums, Adels und von Akademikern; die Bereiche der Geologie, der Botanik und der Geographie hatten Hochkonjunktur und so geriet in besonderer Weise das bis dahin weitgehend unerschlossene Gebirge in einen Forschungsfokus, welcher zur Folge hatte, dass nach und nach regelrechte Großexpeditionen für die Erklimmung der Gipfel ausgestattet wurden.43 Der frühe Alpinismus war demnach eine Angelegenheit des aufgeklärten, wohlhabenden Bürgertums Europas. Das zentralliegende Hochgebirge der Alpen war die letzte topographische Verortung der Natur,

39 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 26-27 40 Vgl. Mathoi, Subversive Alpenkunst, S. 14 41 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 17 42 Grupp, Faszination Berg, S. 25 43 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 25-27 16 die es noch zu unterwerfen galt. Die einhergehende Nutzbarmachung, gleich einer Domestizierung der bis dahin widerspenstigen Natur, sollte als Zeugnis der Erhabenheit des Menschen über eben diese dienen.44 Es wurde begonnen die Alpen zu vermessen, es wurden unzählige Zeichnungen und Karten angefertigt, in denen Höhen und Täler abgebildet wurden, es wurden Pflanzen der reichhaltigen Gebirgsflora gesammelt und systematisiert, genauso wurde mit Gesteinsproben verfahren. Nach GRUPP waren es besonders die Geographen und Topographen – oft im Auftrag ihrer absolutistischer Herrscher und im Sinne eines generellen Bürokratisierungs- und Vereinheitlichungsauftrags – die in ihrem Bemühen, mithilfe von Karten die letzten dunklen Flecken der (europäischen) Zivilisation zu beleuchten, einen sich gegenseitig bedingenden Mutualismus zwischen Wissenschaft und Bergsteigen schufen.45 Durch das anhaltende naturwissenschaftliche Interesse im Laufe des 18. Jahrhunderts, verlor man auch den bis dahin eingehaltenen respektvollen Abstand vor der Erhabenheit der Alpen und bevorteilte damit die „Herausbildung eines kommerziellen Bergsteigens“46. Zugleich erkannte der mündige Bürger in der Erforschung, Vermessung und der damit einhergehenden Eroberung der Alpen, das Erlebnis einer unentdeckten und intakten Natur.47 Nach und nach lernte man, in vorerst wohlsituierten Gesellschaftskreisen, die unberührte Natur zu schätzen und als positiven Zustand wahrzunehmen und beschränkte sich nicht mehr nur auf die Gebiete, die zuvor von Menschenhand gestaltet und „fügsam“ gemacht wurden. Das Erleben, des sich auf den Gipfeln bietenden Naturschauspieles, bekam sukzessive einen höheren Stellenwert, als das Sammeln von wissenschaftlichen Belegen. Selbst Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Edmund Burke in England, entdeckten die Vorzüge und Wirkungsweise dieser neuen Naturerfahrung und trugen somit maßgeblich zur Popularisierung der Alpen und des Bergsteigens bei.48 Die Entwicklung des Alpinismus beschleunigte und verdichtete sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rasant, Erstbesteigungen wurden zu einem neuen Messwert elitärer Anerkennung, durch zahlreiche Publikationen um und über Berge wurde große Aufmerksamkeit auf eben diese gelenkt. Neben legendären und oft sagenhaft-ausgeschmückten Berichten über Erstbesteigungen, ist es wichtig nicht außer Acht zu lassen, dass Gipfel durch Zweckbesteigungen, oder aus banalem sportlichen Ehrgeiz eventuell schon lange vorher erklommen werden konnten, nur die Lage der Dokumentation dieser Ereignisse war eine völlig neue.49 Selbst Mitglieder der

44 Scharfe, Berg-Sucht, S. 41 f. 45 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 51 46 Mathoi, Subversive Alpenkunst, S. 16 47 Vgl. ebd., S. 16 48 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 37 49 Vgl. ebd., S. 45 17

Herrscherhäuser und Monarchen ließen Berge nicht nur in ihrem Namen besteigen, sondern wollten selbst Teil dieser neuen Bewegung sein: Nicht allein wegen der Salonfähigkeit, sondern auch weil sie sich damit sinnbildlich über ihr beherrschtes Refugium hinaufschwingen wollten, sie konnten damit sprichwörtlich an der Spitze dieses stehen und dies als Ereignis in welcher Form auch immer breitenwirksam kommunizieren. Natürlich waren mit der zugrundeliegenden topographischen Kenntnisnahme, vor allem auf wirtschaftliche Gründe wie den Bergbau, oder die Erschließung von Jagdrevieren und in besonderem Maße auf militärische Absichten wie den Grenzschutz abgezielt worden.50 In Österreich tat sich Erzherzog Johann als berühmtester fürstlicher Bergsteiger – während des Tiroler Volkskriegs gehörte er schon zu den Förderern Andreas Hofers – hervor, er war demnach nicht nur Initiator von großen Erstbesteigungen, sondern konnte selbst viele „Gipfeleroberungen“ sein Eigen nennen und verkörperte damit schon ein frühes individuelles, alpines Interesse.51

Der Sturm auf die Gipfel wurde zu einem weltweiten Phänomen, angeführt von Europäern und getragen von deren aufklärerischen und imperialistischen Ideen – tatsächlich jedoch auf den Schultern von ortskundigen Einheimischen – sollten auch die höchsten Berge neuer Welten nicht lange unerobert bleiben, exemplarisch sei hier die Expedition von Alexander von Humboldt auf den südamerikanischen Chimborazo um 1800 genannt.52 Doch seine Anfänge hatte diese weltweite Euphorie in dem in der Mitte Europas liegenden Hochgebirge der Alpen, was sich selbstverständlich mit den europazentrierten Vorstellungen und Entwicklungen dieser Zeit deckt. Als eindeutigster und stichhaltigster Beweis dazu dient wohl der Begriff des Alpinismus selbst, der als Namensvetter der europäischen Alpen, bis zum heutigen Tage weltweit als General- und Universaldeutung und Begriffsbestimmung, die vielschichtigen Beziehungen und Tätigkeiten der Menschen mit den sie umgebenden Bergen, prägt und kennzeichnet. Gleichzeitig können die Engländer als Pioniere des gesellschaftlich breiter erlebten Alpinismus gesehen werden, ausgehend von „Gentlemen- Clubs“, in denen sich wie bereits skizziert elitäre Kreise formierten und den neu definierten

50 Vgl. ebd., S. 56 51 Erzherzog Johann von Österreich (1782-1859) war um eine wissenschaftliche Erforschung der Alpenländer interessiert, handelte damit scheinbar in einer Vorreiterrolle im Sinne des DÖAV. Zu seiner Verbundenheit zu Tirol siehe: Hans Kramer/Oswald von Gschliesser/Georg Mutschlechner, Erzherzog Johann und Tirol (Schlern-Schriften 201), Innsbruck 1959, S. 16 f.; Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 56 f. 52 Vgl. ebd., S. 43-44 18

„Playground of Europe“53 für sich entdeckten.54 Nach AMSTÄDTER kann der englische Drang auf die Gipfel der Alpen, oftmals als offen ausgetragener Wettstreit mit anderen Nationen, auch als Erscheinung eines britischen Imperialismus, welcher in den Alpen eine Form von Kolonialland sah welches es zu unterwerfen galt, verstanden werden.55

Es zeigte sich sehr bald, dass vor allem die sportlichen Engländer die Schweizer Bergwelt als unerforschtes Terrain, aber auch als abenteuerliche Herausforderung entdeckten. Ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts waren Alpenreisen ‚en vogue‘. Die Schweiz war noch nicht auf ihre verwöhnten Abenteurer eingestellt. Es gab kaum Herbergen, nur schlechte Straßen, unbequeme Betten und armseliges Essen. Man verstand sich nicht: die ‚seltsamen‘ Engländer und die ‚rauhen‘ Bergvölker. Aber es waren Abenteuer zu erleben, die man in ‚Merry Old England‘ erzählen konnte. Wichtig für die Erkundung des Alpenraums war der Ausbau des Schienennetzes. Die Eisenbahn ermöglichte das bequeme Herumreisen und brachte die Besucher in Bergregionen, die sonst nur unter großen Anstrengungen erreicht werden konnten.56

Der zunehmend größer werdende Strom von Bergbegeisterten musste demnach zu den von ihnen gewünschten Zielorten geleitet werden, was wiederum neue logistische Herausforderungen für die Fremdenverkehrsführung offenbarte.57 Mit dem stetigen Ausbau des Eisenbahnnetzes und mit der Erweiterung und Bereitstellung der Infrastruktur vor Ort, wie Unterkünfte, Gaststätten und Versorgungsläden, wurde eine bessere Erreichbarkeit und Aufwertung der oftmals isolierten und wenig beachteten Gebirgsregionen erreicht. Die Bergdörfer und ihre, für den Städter rückständig erscheinenden, Einwohner wurden schrittweise genauso in diesem sich etablierenden Alpinismus instrumentalisiert, wie die Berge an deren Fuße sie ruhten. Diese sich rasch durchsetzende Form eines frühen Tourismus begann zwar in der Schweiz, weitete sich aber alsbald auf die Ostalpen aus. Die Anfänge dieses Tourismus waren zwar oft noch rudimentär, vollzogen sich aber schnell einer wachsenden Aufmerksamkeit und professionalisierten Veränderung.58 Die überwiegende Mehrheit dieser Unternehmungen, wie beispielswiese auf den Mont Blanc, ging also von

53 Der Erstbesteiger mehrerer Schweizer Viertausender Sir Leslie Stephen bezeichnet die Alpen in seinem 1871 erschienen Klassiker des Alpinismus als "The Playground of Europe" mit selbigem Titel. Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 34. 54 Als Pionier der Alpen gilt der Engländer Edward Whymper (1840-1911), der neben seiner wissenschaftlichen Intention auch die Naturbegeisterung in den Bergen entdeckte. Die unbestrittene Vorreiterrolle der Briten bei der Entwicklung des Alpinismus bringt Grupp, Faszination Berg logisch mit den politischen Konflikten auf dem europäischen Kontinent, einer gesellschaftlichen Stagnation, einer Kontinentalsperre und der dadurch bedingten wirtschaftlich-industriellen Vorherrschaft des Empire mit der Herausbildung einer wohlhabenden Mittelschicht zusammen; siehe: Grupp, S. 60 f.; Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 12-15 55 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 34 56 Hausler, Der Berg, S. 125 57 Vgl. Hungerbühler, »Könige der Alpen«, S. 64; Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 30-37 58 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 49 19 den Engländern aus, sie brachten einerseits den Tourismus in die Berge und andererseits eine zukünftige alpinistische Grundkonstante und Bedingung für den ökonomischen Erfolg des Kletterns: die abenteuerliche Reiselust.59 Wurden die ersten großen Gipfel der West- und Ostalpen also noch für wissenschaftliche Messungen und Beobachtungen – vordergründig im Sinne der naturwissenschaftlichen Aufklärung – erklommen, veränderte sich die Idee des Alpinismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von der Motivation für ein größeres Ziel, wie das der Wissenschaft, bergzusteigen, zu einer individualitätsgelenkten Vorstellung der Eroberung der Höhen, zum Sport und Vergnügen.60 Diese beinahe nebenbei entdeckte Lust am Bergsteigen, geht dabei über die ursprünglichen Motive hinaus. Diese Entwicklung korreliert auch mit der Entstehung der alpinen Verbände, oft noch im Sinne des wissenschaftlichen Interesses gegründet, wurden sie bald zu Vereinigungen von begeisterten Bergsteigern, die diese Tätigkeit „um ihrer selbst willen“61 ausübten.

Die meisten Gipfel und Gebiete waren bald bestiegen und es war das Bergsteigen nicht mehr nur ein Anliegen von einzelnen waghalsigen Abenteurern. Doch erst mit der zunehmenden strukturellen Ausprägung des Alpinismus um 1850 – Ausbau des Schienenverkehrs, touristische Infrastruktur, gesellschaftliche Bündelung in alpinen Vereinigungen – kam es zur Ausformung der kurzen Epoche des „goldenen Zeitalter des Alpinismus“, ein elitär erscheinender Blütezustand vor der bald darauf einsetzenden Massenbewegung.62 Das von den Engländern implementierte System des Bergsteigens mit Hilfe von einheimischen Führern, führte zur Herausbildung eines Standes von Bergführern, mit denen man in relativer Sicherheit ein wahrhaftes Abenteuer erleben und sportliche Höchstleistungen vollbringen konnte. Das führerlose Bergsteigen nahm in dem Maße zu, in dem der sportliche Charakter der Unternehmungen anwuchs. Noch von überwiegend gut situierten Gesellschaftskreisen behauptet, fühlten sich die Bergsteiger noch als elitäre Gruppe, die ihre Sehnsuchtsorte nur mit Wenigen teilen mussten.63 Nach GRUPP ist das Ende der goldenen Blütezeit mit den Geschehnissen rund um die Erstbesteigung des Matterhorns um 1865 gleichzusetzen, bei denen der Alpinismus neue, zuvor nicht gekannte Ausformungen und Seiten zeigte: Fanatischer Ehrgeiz, persönliche Rivalität und nationalistische, bis hin zu ideologischen Einfärbungen ließen ihn in neuem Licht erscheinen.64 „Die Leistung und der Wettkampf,

59 Der Brite Albert Frederick Mummery (1855-1895) galt als Aushängeschild englischer Alpinistik und war an zahlreichen, oftmals enorm aufwendigen, internationalen Erstbesteigungen beteiligt. Vgl. ebd., S. 59 ff. 60 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 33 61 Grupp, Faszination Berg, S. 109; Amstädter, Der Alpinismus, S. 33 62 Siehe u.a.: Grupp, Faszination Berg, S. 58 ff.; Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 87-89 63 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 59-64 64 Vgl. ebd., S. 66 20 nicht nur mit dem Berg als ‚Gerät‘, sondern indirekt durch den Tourenbericht auch mit den Konkurrenten, verdrängen immer mehr die bisherigen bergsteigerischen Antriebe, den

ästhetischen Genuss an der Naturschönheit.“65 AMSTÄDTER trifft eine konvergente Periodisierung indem er die Zeit um 1870 als „Schwierigkeitsalpinismus“66 definiert, in dem es darum ging physisches Können mit mentalem Vermögen und Wertvorstellungen wie Entschlossenheit und Durchhaltevermögen zu kombinieren und in der Steilwand unter Beweis zu stellen. Diese Auszeichnungen steigerten sich schließlich in immer risikofreudigere „Grenzgänge“, eine zunehmend kulthafte Verformung des Sportsgeists, des „Gefahrenalpinismus“67 um die Jahrhundertwende waren die Folge. In dieser Zeit löste sich der Alpinismus gänzlich von seinen wissenschaftlichen Ursprüngen und spiegelte sich selbst in der Erprobung des menschlich Möglichen im herausfordernden Bergsteigen. Dies hatte zur Konsequenz, dass es in diesem Zeitraum vermehrt zu schicksalshaften Zwischenfällen, oft mit tödlichen Ausgang für einzelne Bergsteiger, oder ganzer Seilschaften kam, welche oftmals in Publikationen und Zeitungen öffentlich diskutiert wurden.68 Die Frage nach der Zweckhaftigkeit, da nun offen von der Wissenschaft abgekehrt, nach Sinn und Unsinn des Bergsteigens als Freizeitbetätigung per se, war gestellt. „Im Goldenen Zeitalter hatte das Bergsteigen etwas Spielerisches an sich gehabt […]. Mit dem heraufkommenden 20. Jahrhundert aber beginnt es eine Verbissenheit anzunehmen, die sich aus unterschiedlichen Gründen fortwährend weiter verstärken sollte.“69

Im „Schwierigkeitsalpinismus“ versuchte man entsprechend dem Begriff, nicht mehr nur die höchsten und mächtigsten Berge zu erklimmen, sondern auch wenig beachtete Nebengipfel, nicht mehr das „Was“, sondern das „Wie“ etwas bestiegen wurde, wurde zur entscheidenden Frage, aus Bergsteigen wurde Klettern. Man versuchte sich an schwierigsten Aufstiegswegen, an den steilsten und eisigsten Hängen. Mit der zunehmenden sportlichen Herausforderung in der Schwierigkeit des Aufstiegs, wurde auch erstmals bewusst und damit gewollt in der Bergsteigerschaft zwischen Spitzen- und Amateuralpinisten unterschieden. Auch eine geographische Verlagerung von den Westalpen hin zu den Ostalpen mit ihren einladend-abenteuerlichen und leichter zu bereisenden Kalkformationen, geht mit dieser

65 Amstädter, Der Alpinismus, S. 93 66 Diese von Amstädter getroffenen Einteilungen sind weniger durch zeitliche Zäsuren bestimmt, als mehr von kulturgesellschaftlichen Veränderungen die sich auf die „inneren“ Einstellungen der Alpinisten auswirkten und einen neuen „Geist“ in ihrer Ausübung suchten: ebd. S. 93-95 67 Ebd. S. 95-97 68 Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, in: Achrainer, Berg Heil!: Alpenverein und Bergsteigen 1918 - 1945, 2011, S. 87–174, hier S. 98 69 Grupp, Faszination Berg, S. 74 21

Entwicklung einher.70 Mit zunehmender Schwierigkeit und kalkulierter Waghalsigkeit, nahm auch die Verwendung und Weiterentwicklung technischer Hilfsmittel zu und in der gleichzeitigen Verweigerung der Bedienung dieser, konnten sich die Alpinisten nochmals weiter einander messen und voneinander differenzieren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die höchsten Gipfel der Welt, im Fahrtwasser des von Europa ausgehenden Imperialismus, nochmals im großen Stil von europäischen Alpinisten in Angriff genommen.71 Dabei lässt sich dieselbe, jedoch zeitlich verzögerte, alpine Entwicklung und Herangehensweise wie zuvor in den Alpen nachvollziehen: die Besteigung der höchsten Gipfel mit Hilfe von Führern, bei denen noch wissenschaftliche Aspekte eine vordergründige Rolle spielten, hin zu Unternehmungen auf bekannte oder niedrigere Berge mit einem sportlichen Selbstverwirklichungsdrang und persönlich auferlegten Schwierigkeitsanspruch.72

Den größten Teil der Personen die es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in die Berge trieb und dann schließlich auch das überwiegende Ausmaß der vielzähligen alpinen Vereinigungen ausmachten, verschrieben sich den Bergen aber nicht aus wissenschaftlichen Motiven, oder auf der Suche nach sportlichen Grenzerfahrungen, sondern aus dem einfachen Grund, der schon in der Anfangszeit seine Geltung fand, nämlich dem der banalen Freude und Lust am Erleben der Naturschönheit. Diese wurden mehr als Bergwanderer denn als Bergsteiger gesehen und machen bis heute das Groß der Bergbesucher aus. Die im Extremalpinismus tätige Bergsteigerelite empfand diesen, schon damals als Massenerscheinung wahrgenommenen, Andrang allerdings als störend und als Abkehr von der ursprünglichen alpinen Idee – Generationen verschiedener kultureller Prägung und unterschiedlicher Anschauungen trafen hier aufeinander.73 In Österreich entwickelte sich rund um Paul Preuß als ideologisches Vorbild die „Wiener Schule“ des Extrembergsteigens, welche sehr puristisch, also weitgehend ohne technischen Hilfsmitteleinsatz agierte und auf viel Kritik bei anderen Sektionen stieß.74 Die „Wiener Schule“ blieb auch nach dem Krieg alpin extrem eingestellt und münzte dies auch auf ihre politische Haltung und ideologische

70 Vgl. ebd., S. 67-71 71 So wurde 1903 beispielsweise der Uschba im Kaukasus bestiegen, was unter den Extrembergsteigern als großer Prestigeerfolg galt. Vgl. Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 93-95 72 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 76 73 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 235 74 Preuß, der in dieser Zeit als einer der führenden (auch ideologischen) Vertreter des Alpinismus galt, verunglückte 1913 selbst bei einem Alleingehunternehmen im Dachsteingebirge tödlich. Vgl. Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 96-98 22

Sicht um.75 Als verbindende Schnittstellen sollten weitestgehend die Alpinen Vereine fungieren. Von diesen sollten sich in Österreich mehrere unterschiedliche behaupten, der einflussreichste und auch institutionell größte, war und ist der DÖAV mit seiner Vielzahl an Sektionen. Bis 1914 war die Entwicklung des Alpinismus weitgehend abgeschlossen und seine vielschichtigen Ausprägungen und Aspekte waren fundiert, der „Verallgemeinerungs- und Verbreitungsprozess des Alpenvereins“76 war scheinbar erfüllt.

1.2 Motive des Alpinismus Die Motive der alpinen Ausübung in Geiste und Tat waren so zahlreich und unterschiedlich wie es die bergbegeisterten Menschen waren, die es im ausgehenden 19. Jahrhundert in die Alpen lockte.77 Um die Vielschichtigkeit und Komplexität einer solch universellen und zugleich individuellen Bewegung zu erfassen, muss man allerdings ein paar wesentliche Grundzüge und Beweggründe gesammelt betrachten. Wie bereits vorangegangen in der Entwicklung skizziert, waren die Alpen eine natürliche Barriere, die die Nord- und Südhälfte Europas voneinander trennte. Für Menschen die nicht in unmittelbarer Bergnähe lebten und aufwuchsen, waren diese Gebirge für lange Zeit eine „terra incognita", ein unheimliches, unentdecktes Gebiet, welches es so bestimmt wie möglich zu meiden und zu umgehen galt.78 Das Hochgebirge verlor ab dem 18. Jahrhundert seinen Schrecken und seine Bedrohlichkeit dadurch, dass sich der gebildete Bürger mit Hilfe der neu entdeckten Rationalität die Natur erklären konnte, „er konnte in sie hinausgehen, sie erforschen und ihren Ausblick genießen.“79 Die Menschen machten sich an eine Entzauberung der Bergwelt, man vertrieb sozusagen die Götter von ihrem angestammten Sitz und man schickte sich an, die wilde Natur zu domestizieren, sie zu zähmen.80 Der Mensch war demnach allmählich bereit, zum sprichwörtlichen Grenzgänger zu werden, er war bereit die Höhen der Berge zu erklimmen und er wollte wissen und erleben was diese für ihn zu bieten hatten. Man wollte die erlebten Eindrücke „über der Welt zu stehen“ teilen und festhalten, Landschaftsbilder von Bergen und Gipfeln wurden „en vogue“ und salonfähig und warben sozusagen erstmals für die Alpen als verheißungsvollen Erholungsraum. Das erweckte Verlangen nach schöner

75 Als Beispiel kann hier die Wiener Sektion „Reichensteiner“ rund um den Antisemiten Karl Sandtner dienen, die schon sehr früh um einen jüdischen Ausschluss im Gesamtverband warben. Vgl. ebd., S. 106-110 76 Günther, Alpine Quergänge, S. 77 77 Alle Motive und Motivationen die dem Alpinismus zugrunde liegen, oder die ihn beeinflussen auszuleuchten und zu analysieren, würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Siehe hierzu u. a.: Gidl, Alpenverein, S. 235: Zur Ambivalenten Einstellung zu Sport und Sportlichkeit im Alpinismus.; Vgl. Amstädter, Der Alpinismus; Vgl. Grupp, Faszination Berg; Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne 78 Vgl. Hausler, Der Berg, S. 6 79 Amstädter, Der Alpinismus, S. 25 80 Vgl. Scharfe, Berg-Sucht, S. 86 23

Aussicht – welche man nun auch selbst erleben wollte – manifestierte sich im Bau von

Aussichtswarten und zeugte von einem grundlegenden touristischen Bedürfnis.81 GÜNTHER spricht dabei von der „Kolonisierung der äußeren Natur“82 durch den Menschen, wobei Motive der Naturwissenschaft, des (technischen) Fortschritts und des „schönen Ausblicks“, sich gegenseitig bestimmten und ergänzten. Ein wesentlicher Faktor und Träger für die alpine Idee war also das Bürgertum, welches durch die Einbindung in alpine Vereine eine eventuelle Fluchtmöglichkeit vor den Forderungen und Zugeständnissen der Gesellschaft dieser Zeit für sich entdeckte. Der Alpinismus und die von ihm implizierte Sehnsucht nach der Unbekümmertheit der Bergwelt, kann nach PFISTER auch als Reaktion auf die bedrohlich empfundenen Modernisierungsprozesse im Zuge der Industrialisierung und der Urbanisierung gesehen werden.83 Die in kurzer Zeit in erheblichem Maße einsetzende Neubewertung von wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, verbunden mit Klassenkämpfen um die Jahrhundertwende, nahm – vor allem im Gegensatz zu vorindustriellen Zeiten – für das Verständnis der Menschen abstrakte Formen an: Orientierung in den Wirren dieser schnelllebigen Zeit bot die scheinbar unverrückbare Natur, Tourismus schien verloren geglaubte Vertrautheit anzubieten.84 Als ein weiterer durch die Industrialisierung tangierter Bereich, kann der des veränderten soziokulturellen Rhythmus von Arbeitszeit und Freizeit, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts als entscheidender Faktor in den vielfachen Vereinsbildungen, die sich touristischer oder freizeitlicher Betätigungen widmeten, gesehen werden.85

Der in der Sinnwelt des Alpinismus größtmögliche Kontrast, das Gefälle zwischen ‚Natur‘ und ‚Zivilisation‘, wird hier innerhalb eines fiktiven raum-zeitlichen Kontinuums aufgebaut und eingeebnet. Im simultanen Donnern von Lawinen und Eisenbahn-Lokomotive werden die Naturgewalt der ewigen Eisriesen und die (naturgleiche) Gewalt der flachländischen modernen Zivilisation unüberseh- bzw. -hörbar gleichgeordnet.86 Der von dem schnellen Zivilisationsfortschritt eingeschüchterte Stadtbewohner suchte im Alpinismus und der dadurch versprochenen Idee des Auffindens und Aufsuchens einer unberührten Natur, das Idyll einer traditionellen Lebenswelt. Die wilden Berge wurden zum sinnbildlichen Gegenstück der überkultivierten Stadt und verhießen Selbstverwirklichung und neue Erfahrungen. Eine Idealisierung und Romantisierung des Landlebens und speziell

81 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 87 82 Günther, Alpine Quergänge, S. 61 83 Vgl. Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 25 84 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 87 f. 85 Vgl. ebd., S. 50 86 Günther, Alpine Quergänge, S. 61 24 der Gebirgsregionen, mit ihren imposanten Gipfeln und der dadurch vermittelten friedlichen Abgeschiedenheit, wurde für den Stadtbewohner zur logischen Konsequenz, ohne jedoch die eigene urban-zivilisatorische Überlegenheit zu vergessen. Dies wurde gegenüber der oftmals als rückständig betrachteten Gebirgsbevölkerung durch „herrische“ Inbesitznahme und Aneignung von weltlichen Gütern zum Ausdruck gebracht. Die weitgehend neuen, bis dahin unerfahrenen Perspektiven auf bzw. von den Bergen, welche landschaftliche Schauspiele einer scheinbar unberührten Natur eröffneten, konnten den vermeintlich kultur- übersättigten Stadtmenschen neue überraschende Entdeckungen bieten und erweckten dabei neue Verlangen und Sehnsüchte – die Berge bargen unverhoffte spirituelle und romantische Qualitäten.87

Das neue Verhältnis zur Natur und zum Berg, das den (schillersch gesprochenen)‚vollendeten Bürger der Natur‘ auszeichnet, hat die Emanzipation von den alten Religionseffekten zur Voraussetzung, es gründet sich auf eine neue, die ‚aufgeklärte‘ Auffassung der Religion. Es geht also um die kulturelle Loslösung von alten Gefühlsbindungen und um ein neues, ein freies, befreites Verhältnis zur Natur und ihren Schrecken, und deshalb ist diese Debatte des 18 Jahrhunderts kein verschrobenes Spezialthema für Philosophen, sondern ein höchst bedeutsamer Beitrag zum Verständnis des frühen Alpinismus.88 Der Alpinismus wird demnach immer wieder als eine Art Religionsersatz für viele Bergbegeisterte gesehen und ist eng verbunden mit individueller Selbstbestätigung und Selbstfindung, mit Zuschreibungen von Leidenschaft, Verlangen und Sehnsucht, wobei der Übergang zur spirituellen Ebene, alleine schon wegen der symbolischen Gegebenheit, stets ein fließender war. Im Besonderen erwuchs aus diesen – hier positiv konnotierten Stigmatisierungen – nach und nach eine vor allem auch national verstandene Bedeutung und

Wertschätzung für Land und Leute. Nach GRUPP unterlag der Alpinismus einem Spannungsverhältnis gespeist aus Wissenschaft, Sport und Spiritualität, da durch die Bereitschaft alle Aspekte des Lebens und der Welt erklären und erforschen zu wollen, selbst die Religion ihrer Mysterien beraubt wurde.89 Genau dies sollte im 20. Jahrhundert zu einer schrittweisen „Resakralisierung“ 90 der Berge führen, man verfolgte eine mystische Überhöhung und Deutung und suchte die Verklärung einer zivilisatorischen Abgewandtheit der alpinen Sphäre. Der Alpinismus bekam dadurch die Funktion einer „Ersatzreligion und wurde zugleich zum Religionsersatz“91 in einer zunehmend aufgeklärten Welt, der Aufstieg

87 Vgl. Hausler, Der Berg, S. 131 88 Scharfe, Berg-Sucht, S. 103 89 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 62 f. 90 Ebd., S. 63 91 Amstädter, Der Alpinismus, S. 136 25 in die „heiligen Berge“ wurde zu einem pseudosakralen Erlebnis, welches gerne von den elitären Kreisen der Bergsteiger angenommen wurde, um sich von den wandernden Mengen abzugrenzen und zu differenzieren. Ein Übergang von der sportlich-leistungsorientierten Vorstellung, in den Bereich des kultischen und „heilsbringenden“ Alpinismus, der mit mythischen Zuschreibungen und Metaphern aufgeladen war, war getan.92 „Fallen wir, so zerschmettert nur das Niedere unseres Wesens, während unser Besseres den freiwillig angetretenen Weg zur Höhe, weit höher empor, über den Gipfel hinaus, fortsetzt.“93 Man suchte nach einem aus der deutschen Romantik entliehenem Streben nach Entgrenzung, unter Zuhilfenahme einer magisch-kultischen Zuschreibung der Natur, sollte der eigenen Sehnsucht in diesem symbolhaften Unendlichen, dem Ewigen ein Platz verschaffen werden, der eine Form der Erlösung und Erfüllung bot.94 In den deutschsprachigen Ländern reichte das Motiv der reinen Bergbegeisterung, oder das der Zivilisationsflucht, alleine nicht mehr aus, man wollte nach buchstäblich Höherem streben, dies korrelierte mit der Vorstellung, dass der Alpinismus nicht nur körperliche, sondern auch geistige Tugenden fördere. Man legitimierte die eigene kulthafte Obsession, die Bereitschaft das eigene Wohlbefinden für die Prämisse der „schönen Aussicht“ aufs Spiel zu setzen, mit der Förderung von tugendhafter Männlichkeit und man versuchte das vertikale Aufwärtsstreben mit der Veredelung der eigenen „Geistesstärke“ in Einklang zu bringen.95

Die Bezwingung eines scheinbar unüberwindbaren Gipfels und der damit verbundenen Deutung der menschlichen Überlegenheit über die wilde Natur, galt als weiteres zentrales Leitmotiv im Alpinismus. Die Ausprägung dieser Dominanz – die dem Motiv der Anstrengung als körperlich-geistige Qualität entsprungen war – konnte von einem rein sportlich motivierten Erfahren der Natur im gesellschaftlich akzeptierten Wandern, über abenteuerlustig getriebenes Leistungsbergsteigen, bis hin zu sinnbildlich „kriegerisch geführten“ Unternehmungen, mit einer zum Teil todesverachtenden Risikobereitschaft, äußerst vielseitige Facetten einnehmen. Vor allem im deutschsprachigen Raum, hatte die Idee vom gefährlichen „Grenzgängertum“ Hochkonjunktur:

Der weltanschauliche Selbstvervollkommnungsanspruch des deutschen Alpinismus, ‚durch Versuch und Irrtum‘ Erfahrung zu sammeln und in selbstzerstörerischen Freiheitswahn das

92 Vgl. ebd., S. 136 93 MDÖAV 1931, S. 53. zit. n. Günther, Alpine Quergänge, S. 181 94 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 27 95 Vgl. Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 215 26

eigene ‚Selbst‘ dem Todesrisiko einer haken- oder seillosen Bergtour gegenüber absolut zu setzen.96 Als einer der Begründer dieses modern empfundenen Alpinismus im deutschen Raum, gilt Hermann Freiherr von Barth, der viele Erstbesteigungen im Auftrag der Forschung machte, sich aber bald dem führerlosen Bergsteigen verschrieb und für das Erlebnis und für die Erfahrung des Kletterns zum reinen Selbstzweck warb.97 Persönliche Überwindung und Verwegenheit bei der Besteigung waren nach ihm neue, erstrebenswerte alpine Richtwerte. Die führende Persönlichkeit und Sprachrohr dieser aufkeimenden Bewegung des „Gefahrenalpinismus“, der die Ideen Barths weiterführte und belebte, war der Wiener Gymnasiallehrer Eugen Guido Lammer. Für ihn – der bewusst auf jegliche Hilfsmittel beim Klettern verzichtete – und stellvertretend für die junge Bergsteigerelite in den Alpen, war das extreme Bergsteigen zu einer erfüllenden Lebenseinstellung geworden, der erfahrene „Rausch“ am Berg zum höchsten persönlichen Gut. Er wurde zur Symbolfigur des heldenhaften Solisten in den Bergen, sein angestrebter Individualismus in der Eroberung der „heilen“ und „idealen“ Bergwelt, war gleich einem Vorbild für ein mittelständisches Bürgertum, welches um die Jahrhundertwende in Klassenkampf und Parteienbildung verstrickt war.98

Rotglühend lohte in meinem Busen die Sehnsucht nach alpiner Tat, unlöschbar der Durst nach Abenteuer und Todesgefahr. Ich war entschlossen, das Höchste zu wagen, mein Leben wieder und wieder auf des Messers Schneide zu setzen. […] Nichts mehr ließen wir gelten als das ungehemmte Ausleben der starken Persönlichkeit nach den innersten Gesetzen ihrer eigenen Natur.99 Lammer verherrlichte dabei den Tod nicht, vielmehr zog er aus der Anspannung der erlebten Gefahr, der Überwindung von Ängsten im Angesicht der Monumentalität der Bergnatur, eine erzieherische Kraft für die Tugenden des eigenen Individuums, das eigene Handeln sollte dabei helfen das Alltagsumfeld zu meistern.100 Die Intimität der Berge diente der persönlichen Charakterentwicklung dabei in der Funktion als Heilsanstalt, in der menschliche Verfassung und Persönlichkeit optimiert werden konnten.101

96 Amstädter, Der Alpinismus, S. 194 97 Hermann Freiherr von Barth-Harmating (1845-1876) und seine neuen Ideen und Einstellungen fanden zu Lebzeiten noch wenig Verständnis und Anhänger. Vgl. Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 87 f. 98 Eugen Guido Lammer (1863-1945) wurde, über die Ideen Barths, zum führenden Vertreter des Individualitätsgedankens mit gleichzeitiger Abgrenzungstendenz im Bergsteigen. Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 96 f. 99 Lammer, Jungborn, 1923, S. 109. Zit. n.: Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 89 100 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 175-177 101 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 254 27

Das Bergsteigen entwickelte – schon vor dem Krieg und entfaltete sich erst recht nach diesem in neuem Ausmaß – eine sprachliche Ausdrucksform der Kampfes- und Angriffslust, welches sich im führerlosen Klettern des „Gefahrenalpinismus“ spiegelte. Immer neue Herausforderungen wurden aufgesucht, dabei sollte den sich bietenden Gefahren getrotzt werden und durch gezieltes Training sollte die Unfallgefahr minimiert werden – eine neue Dimension der „Versportlichung“102 wurde erreicht. Vertreter der „Münchner Schule“ und der „Wiener Schule“, beides Zusammenschlüsse von jungen Extrembergsteigern, die überzeugt vom Führerlosen Bergsteigen waren – letztere gar weitgehend ohne Verwendung technischer Hilfsmittel – machten die Ostalpen zu ihrem Spielplatz der (Wehr- )Ertüchtigung.103 Diese Kampfesrhetorik manifestierte sich in einen regelrechten Körperkult, wobei Sport als kämpferisches Mittel zur Kräftigung von Geist und Körper fungieren sollte. Diese Form der ganzkörperlichen Ertüchtigung und der davon ausgehenden Faszination, sollte vor allem jugendliche Bergbegeisterte ansprechen und zeugte zugleich von einem wesentlichen neuen Fokus der Vereinstätigkeit des Alpenvereins in der Zwischenkriegszeit. Durch bergsteigerische Ertüchtigung und Erziehung sollte eine „Volksveredelung“, eine „Weiterentwicklung“ und somit in weiterer Folge eine Förderung des Deutschtums des Volkstums erreicht werden. Auch der Wettkampfcharakter des Alpinismus, der in der Rekordmanie des Schwierigkeitsbergsteigens seinen Ausdruck fand und einem starren Konkurrenzprinzip verhaftet war, welches sich aus der kapitalistisch- bürgerlichen Gesellschaft speiste, bekam nach dem Krieg eine neue Ausformung. Als Sammelbecken aller alpinistischen Motive und Motivationen fungierten die Alpin-Vereine, die die Basis der soziokulturellen Betätigung im Bergsteigen stellten.

1.3 Manifestationen des Alpinismus Spricht man über Bedeutung und Werdegang des deutschsprachigen Alpinismus in den Alpenregionen Europas, kommt man nicht umhin vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) zu sprechen, der diesen in seiner bürgerlichen Ausformung, seit frühesten Tagen entscheidend mitprägte. Dieser steht in der vorliegenden Arbeit als größter Träger und als gesellschaftlich-weitreichendste, strukturelle Ausprägung des gelebten Alpinismus symptomatisch für die Vielzahl der alpinen Verbände, die in der behandelten Zeit ihren Zulauf fanden. Zudem spielt der DÖAV als überstaatlicher, politisch agierender

102 Grupp, Faszination Berg, S. 72 103 Vgl. Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 95-111 28 und schließlich auch direkt in den Krieg involvierter Verein, eine zentrale und sinnbildliche Rolle in den folgenden Untersuchungen.

Getrieben von den Ideen des Liberalismus und getragen von Studenten, kam es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Donaumonarchie zu etlichen Vereinsgründungen.104 Ausgehend von den Städten, wurde dieser Entwicklungsprozess alsbald mit großer Wirkung auf die ländlichen Bereiche übernommen und die Vereinstätigkeit spielte eine zunehmend wichtige Rolle für die bürgerlich-gesellschaftliche Wahrnehmung.105

Die große Bedeutung von Vereinen scheint außer Frage zu stehen. Sie sind Träger der gesellschaftlichen Selbstorganisation, bilden Kommunikationsräume und bündeln Interessen. Sie bieten Geselligkeit, tradieren Deutungsmuster und stiften Identität.106 Es gehörte sozusagen für ein aktives Mitglied der Gesellschaft zum guten Ton Vereinsmitglied zu sein, es galt als Ausweis gesellschaftlicher An- und Zugehörigkeit. In der oben von BÖSCH beschriebenen Selbstorganisation, konnte man die vom Liberalismus übernommene Forderung nach Trennung von Staat und Gesellschaft erkennen. Gesellschaftlich beeinflussende Ideologien und geistige Strömungen waren verankert in einer Zuschreibung zu einer Gruppe, in der man durch In- oder Exklusion Anteil hatte, oder eben nicht.107

Der Deutsche Alpenverein wurde im Jahre 1869 von Studenten gegründet und wurde bereits 1873/74, mit dem 1862 gegründeten Österreichischen Alpenverein, zum „Deutschen und Österreichischen Alpenverein“ zusammengeschlossen und versinnbildlicht somit Zeit seines Bestehens eine überstaatliche Organisation. Der DÖAV war der mit Abstand größte, alpine Verein Europas und in den Jahren der Nachkriegszeit gar weltweit der mit den höchsten Mitgliedszahlen.108 Es bestanden in Österreich und Deutschland nebenbei auch noch zahlreiche andere alpine Vereine, die jedoch weit kleiner organisiert waren und oftmals als Sektionen in den Dachverein des DÖAV integriert wurden, pflegten sie doch gute Verbindungen und gemeinsame Interessen. Die Institution des Alpenvereins entfaltete im

104 Über die Funktion von „bürgerlichen“ Vereinen im zentraleuropäischen Raum, siehe: Dietmar Klenke, Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion. Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: Historische Zeitschrift : HZ 260 (1995), S. 395– 448; Nach Ende des Ersten Weltkriegs kam es zu einem neuerlichen Formierungsschub des bürgerlichen Vereinswesens, siehe: Frank Bösch, Militante Geselligkeit. Formierungsformen der bürgerlichen Vereinswelt zwischen Revolution und Nationalsozialismus, in: Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918 - 1939 (2005), S. 151–182 105 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 18 106 Bösch, Militante Geselligkeit, S. 151 107 Vgl. Heiss, S. 25, in: Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre 108 Martin Achrainer/Nicholas Mailänder, Der Verein, in: Achrainer, Berg Heil!: Alpenverein und Bergsteigen 1918 - 1945, 2011, S. 193–318, hier S. 199 29 beginnenden 20. Jahrhundert eine maßgebliche quantitative Größe und kulturelle Reichweite, die neben den freizeitlichen Betätigungen der Mitglieder, zunehmend auch ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen der Alpenländer bestimmte.109 Bis zum Ersten Weltkrieg wurde der Verein von einer bürgerlich-urbanen Mittelschicht, mit einer eindeutigen Gewichtung im Bildungsbürgertum, getragen. Der Verein ist grundsätzlich parlamentarisch-demokratisch organisiert und in eine Vielzahl von Teilvereinen, sogenannte Sektionen, untergliedert. Diese Sektionen sind bis zum heutigen Tag rechtlich selbstständig und können daher als weitgehend autonome Teilvereine angesehen werden. In der Gründung des Alpenvereins wurden von Anfang an die zwei wesentlichen Motive des Alpinismus vermengt: Zum einen der Zweck zur besseren Kenntnis der Alpen durch Erforschung und zum anderen die Faszination und Hingabe zu den Bergen zu fördern und zu verbreitern, was sich wiederum in einer erleichterten Zugänglichkeit zu diesen ausdrücken sollte. Der einsetzende Tourismus in den Gebirgsregionen, welcher zu einem entscheidenden ökonomischen Faktor für die Länder werden sollte, ja mehr noch Österreich schließlich eine bis heute anhaltende vermittelte, mit den romantischen Bergen assoziierte Identität stiften würde, war demnach eng mit einer der Haupttätigkeiten des Vereins verbunden.110 In den Jahren nach dem Zusammenschluss bis zum Ersten Weltkrieg erlebte der DÖAV, gleich wie das Phänomen des Alpinismus, einen ungeheuren Aufschwung, was sich in einer Vervielfachung der Mitgliederzahlen, sowie der Sektionengründung niederschlug: In nur vierzig Jahren expandierte der Verein von etwa 4.000 Mitglieder, auf über 100.000 Mitglieder.111 Nach dem Krieg avancierte der Alpenverein schließlich zu einem der weltweit größten alpinen Verbände, er erfüllte seinen Anspruch auf Überstaatlichkeit und gesamtgesellschaftliche Einbeziehung, mit mehr als 200.000 Mitgliedern in mehreren hundert Sektionen.112

Der DÖAV avancierte zum kulturellen „Heilsbringer“ des Alpinismus und seiner Anhänger, er zähmte und eroberte die unwegsame, aber zugleich ungeheuer faszinierende Bergwelt, Hütten und Wege ermöglichten ein bequemes Eindringen in weitgehend unbekannte Sphären und bildeten dort die Fundamente eines umfassenden Tourismus für die Gebirgsregionen. Die Verbreitungstendenz des DÖAV führte dazu, dass abgelegene

109 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 11 110 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 265 111 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 83 112 Die genauen Mitgliedszahlen sind in der Literatur uneinheitlich und die Angaben reichen von 180.000- 250.000 Mitglieder. Mitgrund dafür sind womöglich in dieser Zeit üblich gewesene Mehrfachmitgliedschaften in verschiedenen Sektionen. Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 21. 30

Regionen und ihre Bewohner Teil der modernen „Verwertungs- und Entwicklungsinteressen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“113 wurden. Sinnbildlich für die Heilsgestalt des Vereins waren auch seine Erkennungsmerkmale: Einerseits das „Berg Heil!“, eine Floskel die heute noch vielversprechend von den Wanderwegen her schallt, scheinbar unbekümmert und harmlos verwendet, als eine „schrecklich mutierte Worthülle, welche im Umkehrschub zum Unheil geworden ist“114 und zum anderen das eingängige Vereinszeichen des Edelweißes, welche beide in ihrer Funktion gleich, zu einem „Glaubensbekenntnis“ dieser höher erscheinenden Bewegung stilisiert wurden. Das Edelweiß sollte sich später als entscheidendes identitätsstiftendes Symbol – nicht nur für den Verein, sondern für die ganze österreichische Nation – erweisen, als figürliches Element Alpinismus und Heimat zusammenführen und somit von der kulturellen und geistigen Inbesitznahme der Alpen zeugen.115 Der Alpenverein wurde damit auch zum wichtigen Kulturträger, der nicht nur durch seine umfassenden periodischen Vereinspublikationen Anklang fand, sondern auch durch Vorträge, organisierte Unternehmungen und festliche Inszenierungen das Wohlwollen der Menschen generierte. Durch diese Einbeziehung und Durchdringung des kulturellen Umfelds der Alpenregionen, wurde die angestrebte „Veredelung“ des deutschen Volkstums und eine Ausbreitung der deutschen Kultur auf breiter Basis ermöglicht.116 Zudem wurde der Ausbau des Tourismus zu einem entscheidenden wirtschaftlichen Faktor für die Alpenländer, wobei der Alpenverein lernte dieses ökonomische Potential auf politischer Ebene vielseitig geschickt einzusetzen, um die eigene Wirkungsmächtigkeit weiter zu festigen.117 Der DÖAV suchte von Beginn an eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und staatlichen Organen und bemühte sich um gute Beziehungen mit Staats- und Landesregierungen. So waren zu den groß inszenierten Generalversammlungen des Alpenvereins stets Regierungsvertreter und andere hohe Beamte beider Reiche, Minister, oder ähnlich hohe Funktionäre eingeladen und anwesend.118 Diese Kooperation mit den Kaiserhäusern und die Förderung durch den Staat waren auf dem ökonomischen Erfolg des

113 Ebd., S. 66 114Rosemarie Lederer, Weibliches Körper(er)erleben am Berg. S. 135, in: Friedbert Aspetsberger (Hrsg.), Der Berg. Einige Berg- und Tal-, Lebens- und Todesbahnen; [in Verbindung mit der Sektion Klagenfurt im Österreichischen Alpenverein und der Kleinen Zeitung (Kärnten) veranstaltetes Symposion der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Klagenfurt], Innsbruck 2001 115 Das Edelweiß wirbt auch in der österreichischen Münzprägung als nationales Wiedererkennungsmerkmal, dem war so als Schilling (1 Schilling), wie auch heute in der Eurowährung (2 Cent). Über das Verhältnis der Alpenblumen mit einer nationalen Identifikation und Bedeutung dieser als „Hoheitszeichen“ und „Nationalsymbol“, ausführlich bei: Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 112-118; S. 254 116 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 66 117 Ebd., S. 52 118 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 105 31

Vereins basierend, Loyalität gegenüber dem deutschen bzw. österreichischen Kaiser waren demnach stark ausgeprägt und gehörten gar in die Statuten des Vereins. Diese wechselseitigen, nachhaltigen Beziehungen führten dazu, dass sich vereinsintern das starke Bewusstsein formierte, ein einflussreicher und elitärer Verein mit großer Wirkungskraft zu sein.119 Eine gegenseitige Kräftigung und Unterstützung wurde als tradiert und selbstverständlich gesehen, gleichzeitig aber proklamierte sich der Alpenverein selbst nach außen hin, als bewusst und bevorzugt unpolitischer Verein. Dem DÖAV lag demnach auch viel daran, nicht als politisches Instrument gesehen, sondern als kulturelles Phänomen verstanden zu werden. Die politische Wirkung im vermeintlich Unpolitischen konnte auch im gelebten Großdeutschtum des Vereins gesehen werden. Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, wurde aus dem Nationalismus „eine Art ziviler Religion die der Vergötterung der Nation“120 diente. Nationalismus wie Verein verwendeten Muster von Ausschluss und Zugehörigkeit, Feindbilder wie Heldenbilder und die Überwindung bzw. Instrumentalisierung dieser, stützten Überzeugungen.121 Die Vereinigung des deutschen und des österreichischen Alpenvereins 1873 und der gemeinsame Name sollten den gewünschten, doch verwehrten „großdeutschen“ Gedanken eindrücklich und bestätigend versinnbildlichen. War auf der nationalpolitischen Ebene die „kleindeutsche Lösung“ verfolgt worden, so erwies sich der DÖAV nach der staatsrechtlichen Trennung der beiden Staaten als „ideologischer Kit“ für die Mitglieder und fungierte als Modell einer von ihnen erstrebten politischen, wie kulturellen Wiedervereinigung.122 Nach dem Ersten Weltkrieg und des daraus resultierenden strikten Anschlussverbotes, stellte der weiterhin bestehende Verein umso mehr einen Ersatz auf emotionaler und symbolischer Ebene dar und erfüllte somit eine wichtige kompensatorische Funktion für die großdeutsche Idee.123 Selbst die vielfachen Errichtungen von Schutzhütten konnten, neben ihrer eigentlichen infrastrukturellen Funktion, als alldeutsche Symbole und Inbesitznahme von deutschem Gebiet in den Bergen gesehen werden: sie dienten der Sicherung von touristisch wertvollen

119 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 67 120 Livio Isaak Sirovich, „Irredenta“ und der Berg, S. 257. In: Friedbert Aspetsberger (Hrsg.), Der Berg: einige Berg- und Tal-, Lebens- und Todesbahnen. Innsbruck; Wien 2001 121 Vgl. Heiss, S. 25. In: Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre 122 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 290 f. 123 Befürworter der „großdeutschen Lösung“, angelehnt an die Begrifflichkeit von 1848, hielten den Staat Österreich nach dem Ersten Weltkrieg für nicht überlebensfähig und waren um einen Anschluss an Deutschland bemüht, siehe hierzu: Stefan Karner/Lorenz Mikoletzky, Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament, Innsbruck 2008, S. 15-25; Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 288- 290 32

Gebieten, beispielsweise in der Funktion als Abgrenzung zu italienischen Alpinverbänden.124

Dies bezeugte auch der Leitspruch, sozusagen das Credo des Vereins, dass „am Berg alle gleich sind“125, ungeachtet ihrer Abstammung, ihrer sozialen Herkunft, ihrer Konfession, ihrer Parteizugehörigkeit und ihres Geschlechts. Obwohl also gegründet und getragen von gut situierten Funktionären, war dem Alpenverein eine breite soziale Durchdringung aller Gesellschaftsschichten ein Grundanliegen, allerdings mit der gleichzeitigen Tendenz sich von „anders Denkenden“ abzugrenzen.126 Über ritualisierte Handlungen und genormte kulturelle Praxen – wie der Gebrauch von bestimmten Symboliken und Sprache – wurde eher ein exklusiver Konsens geschaffen, der elitäres Bewusstsein förderte.127 Eigentlich sollte das vereinigende Element einzig der Alpinismus mit der Begeisterung für die heimischen Berge und seiner Wert- und Ideenvorstellung sein. GÜNTHER spricht hierbei von einer „inneralpinistischen Harmonie“, von „sozialhygienischen Verheißungen“ und den damit verbundenen „ökonomischen Versprechungen“, gebündelt in einem vom Alpenverein vertretenen Fortschrittsgedanken.128 Der DÖAV verkörperte einen kulturellen Heilsanspruch, der sich in der Identität und Sinn spendenden Bergwelt, gegenüber einer vermeintlich erschreckenden Moderne manifestierte – er war demnach kein Sport-, sondern Kulturverein. Der DÖAV vollzog folgerichtig den schwierigen Spagat zwischen einer Vielzahl von Partnern und Partnerinnen eine positive und teils heilsversprechende Wirkmächtigkeit zu entfalten. Es schien als wären die Adeligen, die Politiker, die Berg-, sowie die Stadtbewohner, als auch die einfachen Vereinsmitglieder, alle gleichsam eingeladen in der Betätigung des Alpinismus, an dieser überkulturellen Bewegung, teilzuhaben. Der Alpinismus und mit ihm in enger Verbrüderung der Alpenverein, erhielt einen bürgerlichen Repräsentativitätsauftrag und wirkte zugleich als „gesellschaftsintegrierender und -transzendierender Faktor“129. Er wurde im Sinne des allgemeinen Fortschrittsgedankens in den Dienst der Menschheit gestellt und versprach damit „zivilisatorischen Fortschritt via Alpenverein“130.

124 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 148 125 Dieses inoffizielle Vereins-Motto sollte einem überkulturellen Universalitätsanspruch genügen. Siehe bei: Günther, Alpine Quergänge, besonders S. 64; auch S. 85; S. 326 126 Der Hang zur Exklusion lässt sich auch mit der Ausgrenzung der Frauen und einem zunehmenden Antisemitismus in Einklang bringen. Vgl. etwa bei Amstädter, Der Alpinismus, S. 139 ff. 127 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 14 128 Günther, Alpine Quergänge, S. 75 129 Ebd., S. 64 130 Ebd., S. 65 33

Die systematische Ab- und Ausgrenzung wurde beim DÖAV auch greifbar in Form eines früh einsetzenden Antisemitismus.131 Die zuerst nur von wenigen Teilsektionen durchgeführte Ausgrenzung von Juden in Form der Installation eines Arierparagraphen in Vereinsstatuten, wurde zum vereinsintern heftig umstrittenen Topos, wurde letztendlich aber durchgesetzte Konsequenz und war wohl ein entscheidender Schritt in nationalsozialistische Fahrtwasser. Es darf nicht verwundern, dass Nationalismus und Patriotismus vor allem nach dem Krieg zu ideologischen Hauptströmungen des Alpinismus wurden. Alpinismus wurde durch den Krieg und nach diesem zu einer Sache nationaler Notwendigkeit, Individualismus ordnete sich einem Pflichtbewusstsein und Gehorsam gegenüber Nation und „Volk“ unter.132 Nach dem Ende des Krieges, in dem der Alpenverein auf mannigfaltige Weise eingebunden war, blickte dieser desillusioniert und ernüchtert auf dessen Folgen, weite Teile der geliebten Berge und damit der Tätigkeitsfelder waren in feindliche Hand gefallen, Tausende im Krieg verwickelte Mitglieder gefallen, Hütten und Wege zerstört – eine pessimistische Grundstimmung machte sich in den Publikationen breit und entwickelte sich zu fortführender Radikalisierung.133 Die Mär der Dolchstoßlegende vom „Verrat im Hinterland“ nahm Form an:

Wohl mag dieses klaglose Sichhineinfinden in das unabänderliche Muß selbstverständlich erscheinen und Art des Soldaten ist es, für diese Pflichterfüllung keine Bewunderung von den Daheimgebliebenen zu erwarten. Eines aber muß gesagt sein: Wenn auch der einfachste Mann im Felde draußen die Notwendigkeit feines Ausharrens richtig erfaßt, warum fand man im Hinterlande nicht immer den gleichen Geist des Verständnisses? Oder meint man etwa, die Nahrungsmittelsorgen, bei denen übrigens noch kaum jemand verhungert ist, sind auch nur annähernd zu vergleichen mit den Entbehrungen und Opfern, die der Mann im Felde zu erbringen hat? Dieser kennt nicht das sinnlose Klagen, das man im Hinterlande leider von manchen Willensschwächen und noch mehr von denkunfähigen Menschen hören mußte. Hätte man diese nur für eines Tages Dauer auf einer hochgelegenen Grenzwarte im Schneesturme Posten stehen lasten — vielleicht hätten sie begriffen, daß ihre Schwachheit Hochverrat war — vielleicht aber auch wäre ihnen die Erleuchtung gekommen über die Größe ihrer Dankesschuld gegen die Wackeren dort oben, eine Schuld, die nimmer bezahlt werden kann!134

131 Bereits 1921 wurde in der Wiener DÖAV-Sektion „Austria“ der „Arierparagraph“ verabschiedet, welcher den Ausschluss aller Juden bestimmte. Diese rund 3000 ausgeschlossenen Juden gründeten daraufhin eine eigene Alpenvereinssektion namens „Donauland“ welche wiederum 1924 vom Gesamtverband ausgeschlossen wurde. Sehr detailliert dazu: Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 224-242 132 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 268-269 133 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 349; Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 195-197 134 Adolf Deye. Kriegsbilder aus den Hochalpen. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1917. Band 48. S. 162-177. Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 169 34

1.4 Konstruktionen im Alpinismus Die vielschichtigen und sich gegenseitig bedingenden und fördernden Motive, Einstellungen und Ausformungen im deutschsprachigen Alpinismus, eingebettet in heilsversprechenden und gesellschaftsformenden Vereinstätigkeiten, ließen bestimmte Bilder und stereotype Erscheinungen entstehen. Sehnsuchtsgedanken, Modernitäts-, und Zivilisationsflucht, wie individuelles Geltungsbedürfnis und gleichzeitige ideologische Abgrenzung ließen den (Extrem-)Alpinisten in bewusst konstruierte Rollen schlüpfen.

Der gelebte „Gefahren- und Heldenalpinismus“, der um die Jahrhundertwende einsetzte und sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts selbst in sprichwörtlich immer größere Höhen zwang, war eng mit einer bestimmten Vorstellung von Männlichkeit und Geschlechterwahrnehmung verbunden. Die Bergwelt war eine isolierte Sphäre, die Abgrenzung von alltäglichen Unzulänglichkeiten bot und tradierte Wahrnehmungen und Vorstellungen hütete und pflegte, sie war ein heilsversprechender Ort, welcher aufgeladen durch symbolhafte Zuschreibungen, Erkenntnis spenden konnte; sie war eine von Männern dominierte Welt.135 Schon im frühen 18. Jahrhundert waren es die Gemsjäger, die durch geradezu magisch anmutende Fähigkeiten in zivilisationsfremden Terrain, zu verwegenen und zugleich sonderlich-wirkenden Helden stilisiert wurden.136 Ein Deutungsrahmen der sich schließlich bei den Bergführern im bürgerlichen Alpinismus und bei dem Einsatz der Bergführer im Krieg in Gebirgskompanien weiterführen sollte.137 Der Alpinismus wurde seit jeher durch das männliche Geschlecht geprägt und die Praxis des Bergsteigens formte wiederum die ersehnte Männlichkeit, sie bildete einen als idealtypisch verstandenen Geschlechtscharakter.138 Durch die Überwindung von den größten Gefahren, die die Natur aufwarten konnte und in den Bergen allgegenwärtig waren, dem damit verbundenen Spiel mit der Todesangst und -sehnsucht, konnten sich Männer durch ungeahnte Möglichkeiten beweisen. Die schreckliche Faszination der Berge mit ihren sakralen Zuschreibungen, wie der sich bietenden Einsamkeit und der Nähe zum Himmel, bot genügend Interpretationsfreiheit in einem natürlichen Spielfeld für die „wahren“ Männer. Die innige Kameradschaft wurde durch die ständige Nähe einer existentiellen Bedrohung zu einem wichtigen Bestandteil innerhalb der Bergsteigerkreise, sie zelebrierten ihre eingeschworene

135 Dies spiegelt sich auch in den prozentualen Frauenanteilen in den Sektionen des DÖAV wider, bzw. deren Bereitschaft überhaupt Frauen aufzunehmen. Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 204-205 136 Vgl. Scharfe, Berg-Sucht, S. 51-52 137 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 359 138 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 157 35

Gemeinschaft durch die alpine Tätigkeit in der Seilschaft und in Konkurrenz mit anderen Seilschaften, indem sie ihr Leben buchstäblich in die Hände anderer lagen.139

Die „echten“ Alpinisten sahen sich als Elite in Geist und Körper – Körperbau und Charaktereigenschaften standen in enger Beziehung zueinander140 – das alpine Bergsteigen mit seinem zelebrierten Leistungsfanatismus trug das seine zum Verständnis einer kulturgesellschaftlichen Auslese, einer Distinktion zu den Massen bei.141 „Denn im Sinn- und Handlungssystem des legitimen Alpinismus gilt Gesundheit als Motor des kulturellen Fortschritts und der gesunde Körper ist Bedingung für geistige und auch moralische Höchstleistungen.“142 Das alpine Bergsteigen stählte demnach in ihren Vorstellungen den Willen und die Physis im Verständnis einer Moralhygiene gleichermaßen, analog dazu wurden typisch männliche Attribute als Tugenden gefördert und damit auch in den Kontext eines nationalen „Volkscharakters“ transportiert. Auch hier kann man eine Abgrenzung zu modernen urbanen Entwicklungen erkennen: Beamte und Angestellte, die keine vordergründig körperlich anstrengende Arbeit verrichteten, wurden als verweichlicht oder gar „weibisch“ angesehen.143 Es reichte nicht mehr sich als eine Nation im Geiste der „Dichter und Denker“144 zu präsentieren. Anfangs waren die Männer die die Berge eroberten Wissenschaftler, Sinnsuchende im Wahrnehmen der Natur, dann Sportler in der Austestung ihrer eigenen Grenzen im Erleben der Natur und schließlich stilisierte Helden in der persönlichen Entgrenzung in einer handlungsorientierten Beziehung zur Natur. 145

Es galt die Berge nicht nur zu erklimmen, es galt sie zu erobern, zu unterwerfen und damit fügig zu machen, die Berge wurden demnach in Sprachgebrauch und Deutung mit anthropomorphen Grundzügen ausgestattet. Nach SCHARFE entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert, in der Ausformung des Alpinismus zur Männlichkeitslegitimation, eine verrohte Tätigkeit des Bergsteigens, ein Geschlechterringen verkommen zu „schwach

139 Vgl. Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 37 140 Greitbauer teilte selbst noch in den 1950er Jahren physiologische Eigenschaften von Bergsteigern ihren psychologischen Charakterkonstitutionen zu und entwickelte somit wissenschaftliche Typenbeschreibungen basierend auf tradierten Motiven und Zuschreibungen. Vgl. Karl Greitbauer, Die Gestalt des Bergsteigers. Das alpine Geschehen im Lichte der Psychologie, Wien 1956 141 Vgl. Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 31 142 Günther, Alpine Quergänge, S. 178 143 Dies korreliert mit dem Sachverhalt, dass die meisten Beamten im 19. Jahrhundert vom Militärdienst ausgeschlossen waren. Vgl. Frevert, Soldaten, Staatsbürger, S. 81-83 144 Eine aus der Romantik und der Literatur entnommenen Begrifflichkeit, die auf den Charakter des „deutschen Wesens“ verweisen sollte. Siehe hierzu: Wolfgang Frühwald, Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker? Sammelband der Vorträge des Studium Generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2002/2003 (WS 2002/03), Heidelberg 2004 145 Über die Befähigung eines Helden im abgegrenzten Setting wirkmächtig zu handeln und zu bestehen, ausführlich im Kapitel „Heldenmythen“. Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 252 ff. 36 verhüllten Vergewaltigungsphantasien“146. Berge wurden demnach zu versinnbildlichten Frauenkörpern – die Natur als weibliche Gestalt galt es zu überwältigen zu finden in einer harten Bildsprache bzw. in der Betitelung von Gipfeln als Jungfrauen, deren unschuldige

Unberührtheit es durch eine Besteigung zu nehmen galt.147 Gleichzeitig sieht AMSTÄDTER den Alpinismus als enterotisierten Gegenpol – als Sphäre der Reinheit und Unverdorbenheit – gegenüber der sündhaften Stadt, mit einer Betonung der Männerdominanz unter Ausgrenzung der Frau als Bergkumpanin, entgegen der eigentlichen Auffassung des Alpenvereins, dass „am Berg alle gleich seien“, war die streng hierarchisierte Bergwelt eine Welt der Männer.148 Die kulturelle Praxis des Bergsteigens war seit ihren Anfängen eine stark männerdominierte, es gab zwar vereinzelt hervorragende und auch akzeptierte Bergsteigerinnen, doch im Großen und Ganzen kann man von einer „weiblichen Nicht- Existenz“149 im zeitgenössischen Verständnis des Alpinismus sprechen. Denn auch wenn Frauen auf Bergen und in den alpinen Vereinen grundsätzlich akzeptiert waren, so wurden sie dennoch in Sprachgebrauch und Kleidungsstil männlichen Charakterzügen angepasst.150

Eng verbunden mit männlichen Attributen, war die Konstruktion eines kriegerisch- pathetisch überhöhten Kultus im alpinen Grundverständnis verankert. Stoische Konsequenz im alpinen Streben, dazu bedingungslose Antriebs- und Widerstandskraft gegen auferlegte Strapazen, körperliche Zähigkeit und Gewandtheit, verbunden mit einem gelebten Spartanismus in Bedürfnislosigkeit und Opferbereitschaft in Einklang mit ausgeprägter Heimatliebe, gehörten zum Charakterrepertoire des idealen Bergsteigers.151 Der DÖAV sah es im Sinne des Alpinismus als seine Erziehungspflicht den eigenen Mitgliedern zur militärischen Männlichkeit – auf die hier später noch genauer eingegangen wird – zu verhelfen, sie zu „Kämpfern“ der Heimat (vor-)auszubilden.152 Kampfrhetorik und Kriegssymbolik waren im Alpinismus omnipräsent – Militärische Metaphern und eine gelebte männliche, spielerische Aggressionslust begleiteten die kulturelle Inbesitznahme der

146 Scharfe, Berg-Sucht, S. 95 147 Vgl. ebd. S. 94-95; Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 18; Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 133: Amstädter sieht auch eine Verbindung von Aggressivität im Sportkult und gestauter Sexualität, welche sich durch die Unterwerfung von versinnbildlichten Frauenkörper widerspiegelt. 148 Vgl. ebd., S. 132; Vgl. Günther, S. 155 149 Günther, Alpine Quergänge, S. 155 150 So wurde für das Klettern eine Hose als passende Kleidung für die Bergsteigerin erwartet und empfohlen, gleichsam sollten Frauen ein Röckchen mittragen um sich bei einem Hüttenaufenthalt entsprechend zeigen zu können. Auch die Modeindustrie bedachte nun die Hose als modische (Sport)Option. Vgl. Ingeborg Schmid- Mummert, Alltagstelegramme, in: Achrainer, Berg Heil!: Alpenverein und Bergsteigen 1918 - 1945, 2011, S. 17–75, hier S. 30-40 151 Vgl. Greitbauer, Die Gestalt des Bergsteigers. S. 343 152 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 341 37

Alpen: Berge wurden zu Festungen, die es zu erstürmen galt, man(n) musste sich rüsten und sich einer eisernen Disziplin rühmen können um es mit dem erhabenen „Feind“ aufnehmen zu können, um schließlich auch „Rache“ für die auferlegten Strapazen üben zu können.153 Es scheint, als setzte sich die Ansicht durch, dass Krieg die eigentliche Bestimmung des wahrhaften Alpinisten sei. Erstbegehungsversuche wurden immer waghalsiger und extremer, Seilschaften verbrüderten sich bei ihren aussichtslos anmutenden Unternehmungen „auf Leben und Tod“, ein Rückzug kam nur selten in Frage, wohl auch bewusst, dass falls sie verunglücken würden, ihr Tod als heldenhaft und als „Opfertod“ in den Dienst der Gesellschaft gestellt und ihnen ein weitreichender, verherrlichender Nachruf zuteil werden würde. Je härter und schwieriger sich ein Aufstieg gestaltete, desto größer schien die dadurch gewonnene Erfahrung und Wertschätzung. Es schien als würde sich die alpine Gesellschaft spielerisch auf den kriegerischen Ernstfall vorbereiten. So steht nach

AMSTÄDTER die Gesamtinstitution des DÖAV geschlossen hinter dem Kriegsgeschehen und es lassen sich diesbezüglich in den Vereinspublikationen während, wie auch nach dem

Krieg, keine kritischen oder ethischen Zweifel darin festmachen.154 Nach TSCHOFEN gab es ein einigendes Band aus Alpinismus und Krieg, der militärische Konflikt hatte demzufolge eine läuternde Natur inne, welche eine lang ersehnte Rückführung des Alpinismus auf seine eigentlichen Bestimmungen, wie der der „reinigenden“ nationalen Höherentwicklung ermöglichte.155 Nach dem Krieg wurde die Aggressionslust und Risikobereitschaft der Alpinisten gar erhöht, da diese oftmals selbst in den Gebirgskämpfen verwickelt gewesen waren und nun einen Platz in der sich neu orientierenden Gesellschaft suchten, in der Hoffnung ein berufliches wie persönliches Vorwärtskommen durch ihre alpinen Fähigkeiten zu meistern. Der Konkurrenzkampf im extremen Bergsteigen war populär und gesellschaftlich gefragt, spendeten sie doch Zerstreuung und eine Möglichkeit sich durch Taten zu profilieren. Eine wesentliche Neubewertung des Alpinismus fand dabei allerdings in der Verschiebung seiner Wirkung von einer Tätigkeit des reinen Selbstzweckes, hin zu einer Ausformung die stark von Nationalismus und Patriotismus bestimmt war, statt.156

Die Formung schließlich durch den Berg, diese harte Schule des Menschseins, prägt schließlich die Menschen mit dem gemeinsamen Ansatz zu Menschen mit der gemeinsamen Form der Lebensauffassung als ethische, ästhetische, religiöse bergsteigerische Existenz als Lebensganzes in Legierung mit dem beruflich-sozialen In-der-Welt-Sein […] in dem die Welt der Berge als das Etwas im Nichts des sonstigen Daseins sinnvoll und uns als Mensch

153 Vgl. Scharfe, Berg-Sucht, S. 94 f. 154 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 207 155 Vgl. Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 220 f. 156 Vgl. Grupp, Faszination Berg, S. 81 f. 38

enfaltend, menschlich weitend und vermenschlichend im höchsten Sinne eingebaut ist. […] Der Bergsteiger wird, was er ist. Er kommt aus gleicher Ausgangssituation durch das das menschliche Erlebnis in den Bergen dorthin, wohin die Existenzphilosophie durch Erkennen kommt: zum höheren Leben.157 Dieses Zitat verdeutlicht den ganzen, so schwer erfassbaren Komplex des Alpinismus mit seinem Facettenreichtum und lässt ihn als kontextualisiertes Wesen erscheinen. Der Alpinismus in seiner Eigenheit als gesellschaftliches Konstrukt, gespeist von pseudoreligiösen, selbstlegitimierenden und sinnstiftenden Komponenten, welches es erlaubte Extreme in verschiedensten Ausformungen und durch Zuschreibungen zuzulassen. Diese konnten sportlich im Extrembergsteigen, kulturell in einer militanten Geselligkeit, und politisch in völkisch beeinflussten Vereinen gefunden werden. Die Suche nach Sinn und Deutung von Kriegserlebnissen nahm vor allem in der Zwischenkriegszeit – und auch nach dem Zweiten Weltkrieg – neue, verstärkte Formen an, da die Alpen – ebenfalls als gesellschaftliches Konstrukt verstanden – die Identitätsmerkmale von „Heimat“ innehatten. Kulturelle Konstrukte wie es eben Krieg, Alpinismus und auch Männlichkeit waren, fungierten als sinnstiftende Elemente, welche von Pathos getragen und angetrieben wurden: „Alpinismus und Krieg sind funktionale Äquivalente in der Aufhebung von gesellschaftlichen Defizienzerfahrungen und stellen sich beide in den Dienst der individuellen und nationalen physischen und moralischen Regeneration.“158

157 Greitbauer, Die Gestalt des Bergsteigers, S. 356 f. 158 Fries 1994, S. 96. Zit. n. : Günther, Alpine Quergänge, S. 244 39

2. Der Erste Weltkrieg in den Dolomiten

2.1 Die Dolomitenfront Der Erste Weltkrieg auf Tiroler Boden brach nicht zeitgleich mit dem einer Kettenreaktion ähnelnden Verlauf von Kriegserklärungen und den darauffolgenden Offensiven um 1914 aus. Die Gebirgsfront in den Alpen, die die natürliche Grenze der Donaumonarchie zum benachbarten Italien darstellte, wurde erst im Frühjahr 1915 eröffnet. Italien das sich, nach der habsburgischen Kriegserklärung an Serbien infolge des Attentats auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, für neutral erklärt hatte und vor dem Krieg de facto ein Bündnispartner der Mittelmächte im Dreibund war, erklärte der Habsburgermonarchie am 23. Mai 1915 den Krieg.159 Dem Königreich Italien wurde im sogenannten „Londoner Vertrag“ territoriale Gebiete – welche in erster Linie das Trentino und Triest umfasste160 – von der Triple-Entente zugesprochen, sollten sie eine dritte Front im Südwesten gegen Österreich-Ungarn eröffnen und damit die großen Hauptfronten im Westen und im Osten Europas entlasten. Da sich Rom bis zuletzt in Verhandlungen mit Österreich-Ungarn befunden hatte, war der Schock in der Donaumonarchie zu Kriegsausbruch groß; der Wahrnehmung der Italiener als „Feiglinge“ und „Verräter“ war hierdurch ein Anfang gemacht – ein Bild das sich in der Erinnerung an den Krieg lange halten sollte.161 Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Laufe des Ersten Weltkrieges, zwischen den benachbarten Monarchien, lassen sich in erster Linie in zwei großen Kriegsschauplätzen verorten: Zum einen der sogenannten Isonzofront, die die Hauptlast der Kämpfe zu tragen hatte und zum anderen die Dolomiten- bzw. Alpenfront, an der sich nur vereinzelt größere Offensiven ereignen sollten.162 Die gesamte Front zu Italien verlief entlang der Tiroler Grenzgebiete, über den Karnischen Kamm und Tarvis und mündete schließlich in das Isonzo- bzw. das Piavegebiet. Die sogenannte „Tiroler Südwestfront“ nahm ihren Anfang im Westen beim Stilfser Joch im Ortlergebirge – Kämpfe auf dem namensgebenden Ortler (3.905m) sollten die am höchsten verorteten Kriegsgeschehen während des Ersten Weltkrieges sein – führte um das Trentino rund um Südtirol, weiter über

159 Über die diffizile und heikle Entscheidung für einen Kriegseintritt seitens Italiens, vgl. Janz, 14 - Der große Krieg, S. 215-218 160 Der Londoner Vertrag umfasste eine umfangreiche Liste an Zugeständnisse an Rom. Unter anderem die Abtretung des Trentino und des cisalpinen Teils von Tirol, ebenso Triest, Görz und Gradisca und weitere Gebiet in Istrien und Dalmatien; des Weiteren eine Aufforderung zur Flottenaktion im Mittelmeer und eine Verpflichtung der Entente keine Sonderfrieden mit den Mittelmächten einzugehen, sowie Kriegsentschädigungen. Siehe ausführlich: Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 383-389. 161 Vgl. ebd., S. 400 f. 162 Vgl. Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, S. 347 40 die Dolomiten und endete im Osten über dem Drei-Zinnen-Plateau schließlich beim Kreuzbergsattel.163 In der vorliegenden Arbeit wird vordergründig diese Tiroler Alpenfront behandelt, da sie trotz ihrer vergleichsweise geringeren militärischen Dimensionen, die Erinnerung und das Bild des „abenteuerlichen“ Krieges im Gebirge und den „verzweifelten Kampf auf österreichischem Boden“ bis heute maßgeblich prägt und bestimmt.164

Die Kriegserklärung erfolgte zwar relativ überraschend, doch hatte man insgeheim mit einem möglichen Angriff gerechnet und wurde von einigen Regierungsvertretern gar gewünscht, da vor allem nationalistisch-politische Spannungen und Ressentiments zwischen den Reichen existent und tief verwurzelt waren und gegenseitige territoriale Ansprüche erhoben wurden.165 So hatte man für den Fall eines italienischen Übergriffes – den sogenannten „Kriegsfall I“166 – seit Beginn des Krieges die Grenze nicht aus den Augen gelassen und mit dem Bau von Verteidigungsstellungen und Panzerwerken entlang dieser begonnen, welche man bewusst stellenweise hinter die offiziellen Grenzen verlegt hatte, einerseits um den Nachbarn nicht militärisch zu provozieren, andererseits um eine günstigere strategische Lage und eine bessere Versorgungsoption zu gewährleisten.167 Nach einer Proklamation Kaiser Franz Josephs durch den Gesandten Matscheko wird ersichtlich, dass die Eröffnung der Front im Herbst 1915 dennoch für viele unerwartet kam und man auf eine Abwendung, oder zumindest ein Hinauszögern des Krieges hoffte:

Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt. Ein Treuebruch, dessen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreiche Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden... Wir haben Italien nicht bedroht, sein Ansehen nicht geschmälert, seine Ehre und seine Interessen nicht angetastet... Wir haben mehr getan: Als Italien seine begehrlichen Blicke über unsere Grenzen sandte, waren Wir, um das Bündnisverhältnis und den Frieden zu erhalten, zu schmerzlichen Opfern entschlossen... Aber Italiens Begehrlichkeit... war nicht zu stillen. Und so muss sich das Schicksal vollziehen... Der neue heimtückische Feind im Süden ist kein neuer Gegner... Novara, Mortara, Custoza und Lissa... Ich grüße Meine kampfbewährten, siegerprobten Truppen, Ich vertraue auf sie und ihre Führer! Ich vertraue auf Meine Völker, deren beispiellosem Opfermute Mein väterlicher Dank gebührt... Franz Joseph m. p.168

163 Vgl. Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 197-200; Vgl. Schmidl, S. 357 164 Siehe dazu vor allem die umfassenden Forschungsbereiche von Kuprian und Überegger: Vgl. Anm. 14; auch die zahlreich verfügbare Front- und Militärliteratur zeugt von aktueller Beschäftigung mit der Thematik: Vgl. Anm. 12. 165 Italiens Status als Nationalstaat wurde durch mehrere militärische Konflikte mit der Habsburgermonarchie ausgefochten, wie der bedeutenden Niederlage der Österreicher in Solferino 1859. Gut zusammengefasst nachzulesen bei: Günther Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, in: Labanca, Überegger (Hg.) - Krieg in den Alpen 2015, S. 105–128 166 Ebd., S. 110 167 Vgl. Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 194 f. 168 Proklamation Kaiser Franz Josephs durch den Gesandten Matscheko, 1915. Zit. n.: Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 395 f. 41

Davon zeugte auch das kleine „Restheer“ auf österreichischer Seite, bestehend aus Reserveeinheiten und Landsturmregimentern, verteilt auf einer über 350 km langen Frontlinie, wobei die geringe Truppenstärke vor allem dem Abzug der k. u. k. Hauptstreitkräfte infolge der dringlicheren Benötigung auf den Schlachtfeldern Galiziens im Osten zuzuschreiben war.169 Die Italienischen Streitkräfte waren in drei- bis vierfacher Übermacht, was sich besonders in der Aufbringung der etwa 2.000 mobilen Geschützen bemerkbar machte.170 Doch gingen sie nur zögerlich in die Offensive, denn das Hauptaugenmerk der italienischen Heeresführung galt den östlichen, küstennahen Grenzgebieten um Görz/Gorizia und Triest/Trieste, da man sich hier nach Überwinden der vergleichsweise kürzeren Front am Isonzo-Fluss ein schnelles Vorstoßen in österreichische Kerngebiete erhoffte; im Abschnitt der westlichen Alpenfront wurde demnach vordergründig defensiv und mit abwartender Haltung vorgegangen.171 Gründe dafür waren einerseits die teils massiven Verteidigungsstellungen entlang der Front und mit Sicherheit die natürlichen „Barrieren“, die die zerklüftete Landschaft Tirols in sich barg, welche den logistischen Versorgungsaufwand immens vergrößerten und den Angreifern ein schwieriges Operationsfeld vorgaben. Andererseits überschätzte die italienische Heeresleitung möglicherweise – die in Wahrheit nur spärlich besetzten – Verteidigungsreihen der Österreicher in Anzahl, Ausrüstung und Ausbildungsstand. Während weiter östlich die ersten großen Isonzoschlachten geschlagen wurden, kam es infolge dessen entlang der Alpenfront zu örtlich beschränkten, nicht zusammenhängend-koordinierten Erstürmungs- und Eroberungsgefechten, um einzelne, strategisch wichtig gelegene, Gipfel und Grate.172 Einerseits ging es dabei um die Behauptung der Höhen, um damit die Täler und Pässe kontrollieren zu können, andererseits versuchten die Italiener damit eine günstige Vorstoßmöglichkeit nach Tirol vorzufinden. Diesen anfänglichen – Scharmützeln gleichenden – Auseinandersetzungen lag auch die kommende Verklärung und Gleichsetzung als oft zitierter „Krieg der Bergführer“173 zugrunde. Zum Teil war dies auch tatsächlich der Fall, da die Eroberung von ausgesetzten und schwer-zugänglichen Stellungen auf Bergen nur durch den Einsatz von erfahrenen Alpinisten und unter Zuhilfenahme

169 Vgl. Eisterer, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 27-30 170 Die k. u. k. Armee war allerdings besser mit Maschinengewehren und Handgranaten bestückt. Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 413 171 Vgl. Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, S. 348-349; Vgl. Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, S. 112 172 Vgl. Wolfgang Etschmann, Die Südfront 1915–1918, in: Klaus Eisterer, Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck–Wien 1995, S. 27–61, hier S. 30 173 Diese bezeichnende Formulierung ist zu finden bei: Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 417; Eisterer, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 30; Jordan, Krieg um die Alpen, S. 215 42 ausgebildeter Bergführer möglich war. Kleine und flexible, erfahrene und gut ausgebildete Einheiten waren im unzugänglichen Gelände effektiver, als große Truppenaufmärsche. Sogenannte „Fliegende Patrouillen“ deckten mit ihrer Präsenz mehrere Gipfel und Zinnen in einem Gebiet ab und erweckten so bei gegnerischen Aufklärern den Eindruck von besetzten Bergstellungen, die in realiter gar nicht besetzt werden konnten.174 Die überwiegend von nur vergleichsweise wenigen Soldaten durchgeführten militärischen Unternehmungen, waren jedoch meist nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt, so wechselten sich Angriffe und Verteidigungen auf beiden Seiten unter extremen Bedingungen ab und es verfestigte sich die Front schließlich in einen bis dahin nicht gekannten Stellungskrieg in eisigen Höhen – zu einer sprichwörtlichen „Front in Fels und Eis“.175 Stadtgleiche Stellungen und massive Artilleriebatterien wurden dabei auf den höchsten und unwirtlichsten Gipfeln der Alpen errichtet, um einen strategischen Vorteil gegenüber den oft in unmittelbarer Nähe verharrenden Feindestruppen zu wahren. Kämpfe im Gebirge fanden während des „Großen Krieges“ zwar auch an anderen Fronten statt, beispielsweise im Serbienfeldzug und im großen Stile auch in den Karpaten, doch waren diese – wenn auch hart geführte Kämpfe – zumindest zeitlich und räumlich begrenzte.176 Im Gegenzug dazu entwickelte sich der Gebirgskrieg zwischen Österreich-Ungarn und Italien zu einer dauerhaften Erscheinung, die sich schließlich bis zum Kriegsende mit traurig-trotziger Konstanz halten sollte.177 Die Hauptausformung des Krieges, als technologisch hochentwickeltes Massentöten, fand bis zum Sommer 1917 in den zwölf Isonzoschlachten – aber auch in einem tagtäglichen Stellungskrieg auf engstem Raum – seinen Ausdruck, bei denen unter enormen Verlusten und unter riesigem Materialaufwand, stellenweise nur um wenige Meter gekämpft und gestorben wurde. An der Tiroler Front kam es hingegen nur zu wenigen, größeren zusammenhängenden Militäraktionen, die aber hinsichtlich der hohen Verluste und der letztendlichen Erfolglosigkeit, der zuvor genannten Nachbarfront um nichts nachstanden. Eine davon war die Großoffensive in Südtirol im Frühsommer 1916: Nachdem Serbien im Osten als Gegner ausgeschaltet wurde, wurden Ressourcen für eine größere Operation frei, k. u. k. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf hatte sich aber mit dem Chef des deutschen Großen Generalstabs Erich Georg Anton von Falkenhayn aufgrund

174 Vgl. ebd., S. 233-234 175 Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, S. 357 176 Zu dem oftmals wenig beachteten Serbienfeldzug 1914/15, siehe: Stevenson, Cataclysm; Zum Kampf in den Karpaten ausführlich, Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 307-321 177 Vgl. Marco Mondini, Kriegführung: Die italienische Gebirgsfront, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 367–384, hier S. 368 43 verschiedener militärischer Interessenskonflikte überworfen. So ging Falkenhayn davon aus, dass die Kriegsentscheidung in Frankreich und über den Durchbruch bei Verdun fallen würde und wollte seine Truppen daher nicht zeitgleich für fremde Interessen opfern, Conrad hingegen sah die Ausschaltung Italiens als Priorität für ein späteres gemeinsames Vorgehen.178 Es kam zu keiner Einigung und in Folge des Bruchs zwischen den Generalstabchefs – und nachdem Falkenhayn letztendlich ein Eingreifen an der Westfront bevorzugt hatte – war es den Habsburgern alleine überlassen, einen vermeintlich entscheidenden Vorstoß gegen Italien zu wagen. Durch schwierigste Wetterlage und Problemen bei Logistik und Nachschub und der gleichzeitig drohenden „Brussilow- Offensive“ in Galizien, geriet die als „Strafexpedition“ bekannt gewordene Offensive ins Stocken und musste schließlich abgebrochen werden.179 Die Frühjahrsoffensive wurde und wird gerne als Prestigeerfolg der k. u. k. Armee gefeiert, das Aufgebot an Ressourcen, die Ausdehnung der zu verteidigenden Frontbereiche und die letztendlich nicht erreichten militärischen Zielsetzungen, lassen dies allerdings gegenteilig erscheinen.180 Zudem darf man hier nicht aus den Augen lassen, dass obwohl oft von der „ruhigeren“ Front die Rede ist, es dennoch ein durchgehend-geführter Stellungskrieg mit Gefechten unterschiedlicher Intensität war, der von den involvierten Soldaten alles abverlangte, wobei sich Phasen extremer Gewalt mit langen ruhigen, ereignislosen Perioden abwechseln konnten und eine ständige Angespanntheit bei den Betroffenen bewirkte. Obwohl in seiner militärischen Bedeutsamkeit und Reichweite oftmals als „Nebenkriegsschauplatz“ im Ersten Weltkrieg verstanden, war er dies für alle Beteiligten keineswegs, dies ist ein Mitgrund warum der Krieg schließlich in seiner Rezeption und in seiner Vermittlung – im Besonderen nach dem Krieg – eine besondere Rolle einnehmen sollte.

Die hohen Anforderungen, die der Gebirgskrieg in Sachen Logistik und Kriegspraxis an die Befehlshaber aller beteiligten Seiten stellte, wurden durch deren Unfähigkeit sich während der Dauer des Krieges einen anhaltenden militärischen Vorteil zu schaffen, offensichtlich.181 Die Heeresleitung auf österreichischer Seite hatte der österreichisch-ungarische Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf inne,182 der als herausragender

178 Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 524-526 179 Vgl. Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, S. 117-119; Vgl. Jordan, S. 254-257 180 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 272 f. 181 Vgl. Mondini, Kriegführung: Die italienische Gebirgsfront, S. 369 182 Franz Conrad von Hötzendorf (1852-1925) war Chef des Generalstabs der Armeen Österreich-Ungarns und seit 1916 Feldmarschall. Er wurde 1918 des militärischen Befehlsstandes enthoben und in den eines Grafen befördert. Ausführlich zu Conrad, bei: Lawrence Sondhaus, Franz Conrad von Hötzendorf. Architekt der Apokalypse (Geschichte), Wien-Graz 20031 44

Taktikexperte galt, diesem Ruf aber durch zweifelhafte operative Vorgehen an der Ost- und Südwestfront nicht gerecht werden konnte.183 Der Tiroler Landesverteidigungskommandant war General Viktor Dankl, der Kommandant der k. u. k. 5. Armee an der Isonzofront war General Svetozar Boroević von Bojna, der durch seine gewissenlose Konsequenz, in der Nachkriegserinnerung als „Löwe“ – als seltene heroische Verkörperung eines Kommandanten – einen Platz bekam.184 Auf der italienischen Gegenseite nahm Marschall Luigi Cadorna das Amt des Generalstabschef wahr. Beide, Cadorna wie Conrad, verfolgten die althergebrachte Kriegsführung einer Offensiv- und Durchhaltestrategie von frontalen Infanterieangriffen in Wellen, die den neuen modernen Verhältnissen des industrialisierten Krieges nicht mehr angemessen waren und der hunderttausende Menschenleben zum Opfer fallen sollten. Die Situation an der Alpenfront glich demnach bis zum Kriegsende einer Pattstellung, die Österreicher konnten die Grenzen weitgehend verteidigen, allerdings ihrerseits die Italiener nicht entscheidend zurückdrängen. Die Versorgungssituation wurde mit zunehmender Dauer des Krieges allerdings immer schlechter, Hunger, Kälte und Lawinen setzten den Soldaten streckenweise mehr zu, als die Gefechte selbst. Eng zusammenhängend mit diesen eklatanten Versorgungsengpässen war eine fortschreitende Kriegsmüdigkeit und eine damit einhergehende verminderte Kriegsbereitschaft der

Bevölkerung, hier im Besonderen in den italienischen Gebieten Tirols. Nach KUPRIAN wurde dort die staatlich-gesellschaftliche Entsolidarisierung der Bevölkerung, durch radikale militärische Suppression seitens der Staatsgewalt gegen vermeintlich aufkeimenden Irredentismus im Volk, nur beschleunigt.185 Die Desillusionierung – nach einer anfänglichen Kriegsbegeisterung 1914, welche sich auf polemische Art und Weise als „Augusterlebnis“186 in Wahrnehmung und Erinnerung einer militanten Gesellschaft manifestierte – war ein generelles Phänomen die Gesamtbevölkerung betreffend, welche sukzessive mit zunehmender Kriegsdauer voranschritt und schon nach den ersten Kriegsmonaten durch die herben Verluste an der Ostfront steten Zuwachs erfuhr.187

183 Realitätsferne und überbordende Risikobereitschaft wurden ihm schon zu Lebzeiten von Offizierskollegen vorgeworfen. Vgl. Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, S. 116 f. 184 Vgl. ebd., S. 113-115 185 Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 80 186 Die Kriegszustimmung erfolgte durch Einfluss vieler Faktoren und Strömungen. Darunter waren eine geistige „nationale Läuterung“, realpolitisches Handeln im Sinne eines „Befreiungsschlags“, der Glaube an ein kurzes Kriegsunternehmen und eine Kommunikation über und für den Krieg, getragen von der deutschsprachigen Bildungselite über Medien und Kunst. Genau und ausführlich nachzulesen, bei: Fries, Die Kriegsbegeisterung von 1914 187 Die Verluste an der Ostfront kamen, mit dem Ausfall von ca. 1.200.000 Mann, einem Trauma gleich von dem sich die k. u. k. Armee, sowie die Bevölkerung nicht mehr zur Gänze erholen sollten. Vgl. Hartungen, Die 45

Am 3. November 1918 wurde in der Villa Giusti der Waffenstillstand mit den Entente Mächten unterzeichnet, der mit dem nächsten Tage in Kraft treten sollte – durch ein Missverständnis befehligte das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando (AOK) aber die sofortige Niederlegung der Waffen – wodurch nochmals über 360.000 Soldaten widerstandslos in Kriegsgefangenschaft gerieten.188 Das italienische „Intervento“ kam nach Jahren erbitterten Krieges, ohne einen wirklichen Sieger und mit etwa 950.000 toten, vermissten, oder kriegsgefangenen Soldaten, davon waren etwa 40.000 Gefallene der Tiroler Front zuzurechnen, zu einem Ende. 189 Viele davon waren regional angestammte Tiroler und Vorarlberger Männer, in dieser Hinsicht war auch der DÖAV maßgeblich betroffen, da neben den infrastrukturellen Verwüstungen, viele der Gefallenen als Mitglieder im Verein tätig gewesen waren.

Ungezählt sind die Opfer an Gut und Blut, die wir gebracht haben. Mehr als Tausend unserer Mitglieder allein haben bereits den Heldentod fürs Vaterland erlitten. In die Trauer um sie mischt sich aber die Freude an den Siegen und die felsenfeste Zuversicht auf ein ruhmreiches Ende des Kampfes, das nicht mehr ferne schien. Da tritt ein neuer Feind in die Reihe der alten, der frühere Bundesgenosse. Durch ein Menschenalter im Schutze unserer Macht reich und stark geworden, begeht er das schmählichste Verbrechen gegen das Heiligste im Menschen - die Treue, und vergilt durch Verrat die Liebe, die wir Deutschen seit Jahrhunderten dem Lande Italien geschenkt haben. Auch uns Alpinisten schwoll neidlos das Herz, wenn wir, auf den Zinnen unserer Berge stehend, sehnsuchtsvoll hinabblickten auf das Land Petrarcas, das Land der blauen Seen, der dunkeln Pinien und Zypressen. Und jetzt streckt welsche Habgier die Hand aus nach unserer uralt deutschen Erde vom Brenner bis zur Bernerklause, nach den Bergen, die wir deutschen Alpinisten in treuer Arbeit uns gewonnen, nach dem Land, das uns ein Heiligtum deutschen Fühlens geworden ist. Er soll und wird's nicht haben. Noch lebt der Geist von 1809 und wer die Berge liebt, wird sie dem welschen Feinde wehren.190

2.2 Topgraphische Singularität Bei der zentralen Frage, warum der Gebirgskrieg als scheinbarer „Nebenkriegsschauplatz“ eine solche Mystifizierung und Monumentalisierung in der Erinnerung an diesen bis in die Gegenwart erfahren hat, ist man angehalten sich die lokale Sphäre seiner Abhandlung genauer anzusehen. Das Kriegsgeschehen war nicht extremer ausgeprägt als in den

Tiroler und Vorarlberger Standschützen, S. 64; Zur gesellschaftlichen Desillusionierung: Vgl. Überegger, S. 15-16, in: Labanca/Überegger, Krieg in den Alpen 188 Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 164 189 Vgl. ebd., S. 163 f.; Isabelle Brandauer, Kriegserfahrungen. Soldaten im Gebirgskrieg, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 385–400, hier S. 398 190 MDÖAV 1915, S. 109. http://www.literature.at/viewer.alo?objid=1026190&page=117&scale=3.33&viewmode=fullscreen. Aufruf (9.2.2017) 46 zahlreichen anderen Kriegsgebieten des Ersten Weltkriegs, umso extremer und entscheidender allerdings stellte sich der Raum und die Narrative dar, in dem es sich abgespielt hat. In der Literatur findet man die treffende Beschreibung dieses besonderen Raums, als Erschließung einer „dritten Dimension“ durch Menschenhand und den sich bietenden Vergleich der Inbesitznahme der Bergwelt, mit dem der Eroberung des Luftraums, oder dem Vordringen in Meerestiefen durch Unterseeboote.191 Die Bergwelt der Alpen als Kriegsschauplatz unterschied sich dabei in ihrer Eigenheit fundamental zu den Schlachtfeldern auf den weiten Ebenen im Westen und Osten. Wie in dem vorangegangenen Kapitel erläutert wurde, war die Bergwelt in ihrer Wirkung eine abgegrenzte Sphäre, die Zuflucht vor den Zugeständnissen einer modernen Zeit bieten konnte, die sakrale, heilsvermittelnde Zuschreibungen gewährte und die im Zuge von bürgerlichen Selbstverwirklichungsprozessen genutzt wurde. All dies zur Bedingung war allerdings eines: Die Welt der Berge war im Verständnis der Gesellschaft kein öffentlicher Raum, sie war nicht für jeden zugänglich, nicht für jeden zu erfassen – sie war also etwas Besonderes, sie war Natur und damit ursprünglich, wild und ungezähmt. Die Berge hatten seit jeher eine ungeheuer starke symbolische Wirkmächtigkeit, die vielfache Assoziationen und Interpretationen bewirkten. Sie lösten Faszination und Ehrfurcht bei den Menschen aus, durch ihren Ruf unbezwinglich und unverzeihlich zu sein.192 Das Bürgertum Europas hat die Dimension der Alpen erst verhältnismäßig spät – auf breiter Basis erst im Laufe des 19. Jahrhunderts – erschließen können, was einer anhaltenden Mystifizierung der Alpen zuträglich war. Durch den Krieg erfolgte allerdings eine regelrechte Entmystifizierung der Berge, die zwar auch schon vorher durch den Alpinismus stattgefunden hatte, allerdings auf eine spielerische Art und Weise – da sie die Menschen mit positiven Werten und Wirken affektierte – nun hatte sich etwas substanziell Negatives dazugesellt, nämlich Tod und Zerstörung. Doch nicht nur in psychologischer und philosophischer Wirkung und Deutung manifestierte sich der Krieg, vielmehr wurde er zur erfahrbaren Wirklichkeit. Es war kein Krieg um die Berge, es war ein Krieg in den Bergen. Ein länger stattfindender Krieg im Gebirge wurde vor 1914 nicht als tatsächlich möglich in Betracht gezogen – dies bestätigt auch die mangelhafte Vorbereitung und Rüstung auf diesen – tatsächlich wurden die

191 Vgl. Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, S. 357; Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 252 f. 192 Vgl. Schmid-Mummert, Licht und Schatten. Risikomanagement im Alpinismus des 19. Jahrhunderts, S. 219 47 höchsten Rüstungsausgaben für den Ausbau der Flotte aufgewandt, welche letztendlich nie wirklich zum Einsatz kam.193

Wer hätte vor zwei Jahren an zusammenhängende und derart stark ausgebaute Linien, an Verwendung von gehäuften Infanterie- und Artilleriemassen im schwierigsten Gelände gedacht! Ein Ringen um einzelne Felsköpfe, die mit höchstentwickelter Mineurtechnik — unzugänglichen Ritterburgen vergleichbar — stärker als ein modernes Panzerwerk ausgebaut sind, ist aus dem anfänglichen Drauflosgehen entstanden.194

Der Gebirgskrieg sollte sich schließlich einerseits als ungeheure logistische und operative Herausforderung an Planung und Durchführung herausstellen, andererseits sollte er den involvierten Personen aufgrund der extremen Beschaffenheit der Topographie, physisch wie mental, alles bis zum Äußersten abverlangen. Vor allem da nur ein Bruchteil der eingesetzten Personen auf beiden Seiten der Kämpfe konkrete alpine Erfahrung hatte, geschweige denn mit den Anforderungen, die ein Gebirgskrieg an sie zu stellen vermochte, vertraut war.195 Auch die Ausrüstung, die für einen erfolgreichen Einsatz in solch exponierten Höhenlagen von Nöten gewesen wäre, war unzureichend und mangelhaft.196 Um die Frontlinien effektiv mit Versorgungsgüter beliefern zu können, musste eine große Anzahl an Trägern diese Güter mühevoll und unter hohem Risiko,197 da diese Nachschubkolonnen mit hoher Priorität angegriffen wurden, zu den Stellungen geschleppt werden.198 Dies entsprach weniger einer modernisierten Kriegsführung, als eher einer tradierten Vorgehensweise – diese oft anachronistisch erscheinenden Bedingungen und Abläufe sollten als Charakteristika des Gebirgskriegs immer wieder anzutreffen sein, doch wie es noch aufzuzeigen gilt, war der Alpenkrieg in Wirklichkeit ein äußerst hoch technisierter Konflikt. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der Alpenvereine klar ersichtlich, auf die in einem folgenden Unterkapitel nochmals genauer eingegangen wird: Zum einen stellten sie kriegsbereite Freiwillige, die das Terrain und die Ansprüche, die von diesem an sie gestellt wurden, richtig einzuschätzen wussten, zum anderen – und wohl noch in erheblichem Maße von größerer Bedeutung – war die Inanspruchnahme der vom Alpenverein „gezähmten Natur“ und der geschaffenen Infrastruktur in Form eines weitreichenden Wegenetzes und

193 Vgl. Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, S. 111-119; Vgl. Schmidl, Kriegführung: Die österreichisch-ungarische ‚Südwestfront‘, S. 360-362 194 Leo Handl. Von der Marmolatafront II. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1917. Band 48. S. 149-162, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 149 195 Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 408-414 196 Vgl. Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 387-393 197 Diese Trägerkolonnen wurden aus Freiwilligen (z.B. Alpenvereinsmitglieder und Frauen) und untauglichen Militärdienstpflichtigen gebildet, zum größten Teil aber aus russischen Kriegsgefangenen. Materialseilbahnen wurden erst ab 1916 umfangreich eingesetzt. Nachzulesen bei: ebd., S. 391 f. 198 Vgl. Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, S. 114 48 der Besetzung von Schutzhütten, welche Soldaten und Offizieren Unterschlupf boten. Zudem erwiesen sich die zahlreich im Lauf der Alpenvereinsgeschichte angefertigten Kartierungen, Routen mit möglichen Alternativaufstiegen und alpinen Ratgeber als äußerst nützlich, um mit der Beschaffenheit der Alpen zurechtzukommen. Um einen Krieg in den Bergen aber überhaupt erst zu bedingen, musste zuerst durch Menschenhand massiv in die gegebene Natur eingegriffen werden. Es wurden Stellungen und Unterkünfte in Karstgestein und Fels geschlagen, in Höhen gelegen, die sonst nur einzelnen Alpinisten vorbehalten waren. Es wurden Stacheldrahtfelder angelegt und die teils stark ausgebauten Stellungen, veränderten die erlebte Landschaft – eine ureigene natürliche Landschaft – in ihren Grundfesten und ließ sie noch surrealer erscheinen, als sie es ohnehin schon war. Die weitläufigen Stacheldrahtverhaue konnten dabei wie dunkel glänzende Narben wirken, die die reinweißen Schneefelder der Berge durchzogen.199 Durch das schwere Geschützfeuer wurden die Berge noch weiter „verletzt“ – um bei der im Alpinismus üblichen anthropomorphen Verdeutlichung zu bleiben – Gipfel und Kämme wurden in ihrer Erscheinung entscheidend umgeformt, vor allem im Karst sollte sich das durch Artilleriefeuer verursachte Sperrfeuer aus Schrapnell und Gesteinssplitter als schrecklich effektiv und zugleich demoralisierend gegen Soldaten erweisen.200 Die Landschaft wurde im Stellungskrieg beständig von Menschenhand bearbeitet und so umgeformt, dass sie besser zu verteidigen war, nur um darauf wieder vom Feind in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Die ultimative „Schändung“ des Berges erfolgte allerdings durch die neu angewandte Taktik, Minengänge unter feindliche Gipfelstellungen zu graben und diese von innen heraus zu sprengen, dadurch wurden ganze Berggipfel pulverisiert – Gipfel die seit Ewigkeiten ihr Dasein fristeten, waren plötzlich nicht mehr. Berühmtestes und medial ausgeschlachtetes Thema war das Ereignis um den Col di Lana, eine stark befestigte Bergkuppe, die die Italiener trotz hoher Verluste – bei den Italienern war er nach Auffassung der Propaganda schon bald als „Col di Sangue“ (Blutberg) in Verruf, bei den Österreichern hingegen als „Eisenberg“ bekannt – nicht einzunehmen vermochten, welcher schließlich per Hand unterminiert und mitsamt der dort stationierten k. u. k. Kompanie gesprengt wurde.201 Dass

199 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 263 200 Um den schrecklichen Kopfverletzungen vorzubeugen, die an der Südwestfront in augenscheinlich hoher Anzahl auftraten und welche durch einprasselnde Querschläger, Steinschläge, Schrapnell und Steinsplitter verursacht wurden, wurde schließlich der Stahlhelm als Teil der Standardmontur in die Ausrüstung der k. u. k. Armee eingeführt. Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 38 201 Genau nachzulesen bei: Jordan, Krieg um die Alpen, S. 278-283 49 es auch auf der Gegenseite zu solchen Gipfelsprengungen gekommen ist, davon berichtet

WEBER am Beispiel des Monte Cimone:

Wir haben uns daher die Erlaubnis zu diesem Ausflug erwirkt, denn das Schauspiel einer Gipfelsprengung ist so einzigartig, daß man es nicht versäumen darf. […] Dennoch lassen wir keinen Blick vom Gipfel, unter dem der Tod auf der Lauer liegt. Viele Jahrtausende haben ihn so gesehen. Und weitere Jahrtausende werden sich über dem neuen Bild schließen. Dazwischen liegt ein Augenblick menschlichen Tuns, der Griff nach der Zündvorrichtung…202 Die Laufgräben, Kavernen, Minen und Tunneln auf und in den Bergen waren Dreh- und Angelpunkte bei Angriff wie Verteidigung, doch überdies hinaus verharrten, schliefen und lebten die Soldaten in ihnen. So wie CLAUSEWITZ schon in seinem Handbuch zur Kriegsführung über den Gebirgskrieg konstatierte:

Man suchte also das Heer mit einem tüchtigen Bodenabschnitt gewissermaßen zu kopulieren. Beide machten dann gemeinschaftliche Sache. Das Bataillon verteidigte den Berg und der Berg das Bataillon. So gewann die passive Verteidigung durch eine Gebirgsgegend einen hohen Grad von Stärke […]203 Der Berg wurde so auch zum bewohnten Raum, er wurde für die Einberufenen zum Alltag und die unentwegte Instandhaltung, Ausbesserung und Erweiterung, der für die Soldaten überlebenswichtigen Infrastruktur, wurde zu ihrem gewohnten Tagesablauf.204 Die Befindlichkeit der Soldaten korrelierte eng mit der qualitativen Beschaffenheit ihrer Unterkünfte: Schutz vor alles durchdringenden Umständen, wie Nässe, Kälte und Ungeziefer, bewahrte vor langwierigen Erkrankungen und gewährte damit eine kontinuierliche Einsatzbereitschaft an der Front.205 Doch nicht die Einzelleistungen der Kombattanten entschieden die Kämpfe, sondern der Einsatz von massiven Artilleriebatterien. Die Fähigkeit, welche Seite mehr Artillerie aufbringen, wer seine Fortifikationen besser ausbauen und wer die Versorgung seiner Truppen nachhaltiger aufrechterhalten konnte, sollte sich als kriegsbestimmend erweisen.206 Langeweile und ständige Anspannung setzten der Psyche des Soldaten ebenso zu, wie der Wirkungsbeschuss der Artillerie. Unterkunftsstollen wurden immer tiefer in die Gletscher getrieben um den nötigen Schutz vor eben diesen feindlichen Artilleriefeuern und vor Lawinen zu gewähren –

202 Man beachte die Formulierungen des „Ausflugs“ und des „Schauspiels“, welche dem Erzählten einen abenteuerlichen Anstrich geben. Weber, Alpenkrieg, S. 75 203 Carl von Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk; ungekürzter Text (Ullstein-Buch), Berlin 20034, S. 450 204 Vgl. Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 390 205 Vgl. ebd., S. 391 f. 206 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 167-169 50 teilweise lagen diese bis zu 40 Meter unter dem Eis.207 Obwohl der Krieg auf einer hunderte Kilometer langen Front vonstattenging, war es aufgrund der Beschaffenheit seines Austragungsortes, ein auf beschränkte Dimensionen konzentrierter und dadurch intimer Konflikt, bei dem in penibel begrenzten Räumen, sowohl gekämpft, als auch gelebt wurde. Die Berge wurden, sowohl sprichwörtlich über den Stellungsbau, als auch sinnbildlich über die Verankerung von Ideologien, befestigt – versprachen sie den Alpenregionen doch wichtige Zuschreibungen der Identität – die in einem nationalen Verteidigungswillen verortet wurden. In besonderem Maße betraf dies Tirol, schon vor dem Krieg galt dort die Bergwelt als umfochtenes Gebiet, die Barriere der Alpen war auch sprachliche Grenze zu anderen ethnischen und kulturellen Gruppen gewesen und wurde beispielsweise von italienischen Nationalisten als Abgrenzung – wie auch Erholungsraum – von den Habsburgern ersehnt.208 Die Berge wurden also geradezu zu Festungen ausgebaut und man verbündete sich sprichwörtlich mit der Natur um die Heimat zu schützen, die Zinnen der Gipfel wurden zu wahrhaftigen Zinnen des deutschen Kulturraums.209 Die „Unüberwindbarkeit“ der Berge wurde somit in ihrer Symbolkraft, wie auch im

Sprachgebrauch auf die Verteidiger und ihrer zu wahrenden Nationen übertragen. Für ENGLE bot die „schrecklich faszinierende“ Landschaft der Alpen – im Gegensatz zu den weiten Ebenen der trostlos erscheinenden anderen Kriegsfronten – mit ihren schneebedeckten Gipfeln und ihrer scheinbaren Reinheit für die Soldaten eine Möglichkeit, Gefühle der Sinnlosigkeit und Ohnmacht angesichts des Krieges zu unterdrücken und half so ihr Durchhaltvermögen in der Verteidigung der Heimat zu stärken.210 Bergidylle bei schönem Wetter und klarer Sicht konnte für die Soldaten auch Erholung bieten, ihnen Ruhepausen gönnen und den Krieg für kurze Zeit vergessen machen.

Neben dem Feind und der mangelnden Versorgung, war es vor allem die Natur selbst, von der eine latente Gefahr ausging. Obwohl zugleich schön und bekräftigend in ihrer Wirkung, war sie unerbittlich und rau, diese Gefühls-Konstante im Alpinismus wurde durch den Krieg umso deutlicher. Die Stellungen reichten bis auf über 3.000 Meter Höhe hinauf, gekämpft wurde bei Tag und bei Nacht und bei jeder Jahreszeit. Es war demnach in erster Linie ein menschliches Ringen mit der Natur. WEBER führt dazu mit Pathos aus:

207 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 288-290 208 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 257 209 Vgl. ebd., S. 253 210 Jason Engle, “This monstrous front will devour us all”. The Austro-Hungarian Soldier Experience, 1914- 15, in: Günter Bischof (Hrsg.), 1914: Austria-Hungary, the origins, and the first year of World War I (Contemporary Austrian studies 23), New Orleans, La.-Innsbruck 2014, S. 145–166, hier S. 158 51

Der Schnee steigt, er wird übermächtig, wird zur alles erdrückenden Last. Auf Schritt und Tritt folgt uns der weiße Tod. Wenige fallen nur durch die Waffe; der ungeheure Rest liegt erstickt, zermalmt unter der weißen Decke oder schlummerte sanft ins Jenseits hinüber: ermattet, eingeschlafen, erfroren. Der Schnee wird zur Qual. Er ist nicht mehr das Schicksal, gegen das man ankämpfen kann, er ist wie eine schleichende Krankheit, die einem den Willen lähmt, die den Menschen niederwirft wie langsam wirkendes Gift. Unsere Sorge ist ein Ringen mit der Zeit. Die Stunden kriechen, die Tage, die Wochen.211 Auch hier erfuhr der Krieg im Vergleich zu der Ost- und Westfront eine völlige Neubewertung, er fand zu großen Teilen in der vertikalen Ebene statt, alleine schon vorwärtszukommen bedeutete klettern zu müssen, der Umgang mit physikalischen Bedingungen wie Gleichgewicht war hier entscheidend, ganz zu schweigen vom alltäglichen Zurechtkommen im alles umgebenden Eis und Schnee.212 Sowohl Feindbewegungen, als auch der Frontverlauf waren bei den Schneemassen und bei schlechten Wetterbedingungen oftmals beinahe unsichtbar. Die Temperaturen fielen im Winter teilweise bis -40˚ Celsius und konnten im Sommer heiß und trocken werden, trotzdem mussten Soldaten in schlecht isolierten Unterkunftsstollen und in den Stellungsgräben, mit teils unzureichender Ausrüstung, für lange Zeit ausharren. Wind und Wetter wurden oft zum erbittertsten Feind der Soldaten, sowie die ständige, latente Gefahr von Lawinenabgängen. Der Winter 1916/17 war ein besonders harter, mit massiven Schneefällen und Temperaturstürzen, Kämpfe gegen die feindlichen Soldaten wurden eingestellt, der Überlebenskampf mit dem Berg indes aufgenommen.213

Da kam Anfang November 1916 der rauhe Wintersmann und trennte die erbitterten Kämpfer. Ein Höhepunkt des Gebirgskrieges war damit vorüber. Der Winter 1916/17 übertraf an Wildheit und Schneemengen seine Vorgänger seit wenigstens dreißig Jahren. Trotz der reichen Erfahrungen des Vorjahres in der Beseitigung der Lawinengefahr — Bau lawinengesicherter Unterstände und Einstellen jeden Personenverkehres — mußten wir nur zu sehr erfahren, daß wir noch lange nicht ausgelernt hatten. 214

Oftmals wird beim Lesen entsprechender Literatur215 der Eindruck vermittelt, dass mehr Soldaten durch Lawinenunglücke, den sogenannten „Weißen Tod“, starben als durch die Gefechte selbst, dies traf mit Sicherheit nicht zu, aber es war eine ständige, nicht zu

211 Weber, Alpenkrieg, S. 79 212 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 265 213 Vgl. ebd., S. 266 214Leo Handl. Von der Marmolatafront II. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1917. Band 48. S. 149-162, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 149 215 Vgl. u.a. bei: Etschmann, Die Südfront 1915–1918; Jordan, Krieg um die Alpen; Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918 52 unterschätzende Gefahr die regelmäßig ihren Tribut forderte.216 Nicht nur Menschenleben fielen der Witterung zum Opfer, auch die so mühsam errichteten Befestigungen und Unterkunftsstollen wurden dadurch immer wieder schwer in Mitleidenschaft gezogen, genauso wie die Funktionsfähigkeit der soldatischen Ausrüstung. Wenn Versorgungswege durch Lawinen, oder starken Schneefall abgeschnitten wurden, drohte den ausgesetzten Soldaten Hunger und weitere Entbehrungen – denn auch in ihrem Empfinden waren sie in diesen Lagen gänzlich von der Heimat abgeschnitten – Fatalismus hatte Hochkonjunktur: Das psychische Befinden der Soldaten sah sich durch die widrigen Umstände immer wieder entschieden geschwächt. In den Sommermonaten setzten Hitze und Wassermangel, die Gefahr von Blitzschlägen – die Artilleriebatterien auf den Gipfeln fungierten bei Gewittern wie überdimensionierte Blitzableiter – Murenabgänge nach starken Regenfällen, sowie ein generell erhöhtes Kampftreiben aufgrund der besseren Witterungsverhältnisse, den Kombattanten zu.217 Um in diesem unentwegt harschen Umfeld überleben zu können, musste eine gewisse ausgereifte Expertise angewendet werden, zum einen alpine Expertise die von Alpenvereinen und ihren Mitgliedern gestellt wurden, zum anderen das technische Knowhow, um überhaupt erst einen Krieg in diesen Lagen führen zu können. Angesichts der zuvor nicht bekannten und nicht beherrschten Art und Weise der Durchführung eines Gebirgskriegs, ging die technologische Entwicklung erstaunlich schnell vonstatten, vor allem, wenn man die widrigen Umstände, die die Bergwelt entgegenstellte, berücksichtigt. Es wurden Wasserleitungen und schließlich gar Stromleitungen und Telefonkabeln bis hinauf zu den höchst gelegenen Stellungen verlegt. Diese rasant ablaufenden Entwicklungen muss man sich in ihrer Gesamtheit nochmals vor Augen führen: Erst wenige Jahrzehnte vor dem Krieg wurde begonnen, die Berge zu erschließen und zu erforschen – sozusagen Licht ins Dunkel der Wissenschaft zu bringen – in kürzester Zeit folgten diesem die Massen an Bergbegeisterten und nach nur wenigen Kriegsjahren waren die Gipfel schließlich mit Elektrizität versorgt: Das metaphorische Licht wurde nun zu riesigen Scheinwerfern, welche ganze Schneefelder ausleuchteten. Waren die Alpinisten in den Jahren zuvor in die Alpen gepilgert, um vor der Industrie und vor dem Lärm zu flüchten, um sich selbst in der Abgeschiedenheit der Berge zu finden, so brachten sie nun durch den Krieg selbst all die Elemente der Moderne – dieser alpinen Urangst, der sie eigentlich entrinnen wollten – hinauf

216 Als größte Einzelkatastrophe erlangte das Lawinenunglück am Gran Poz im Dezember 1916 traurige Berühmtheit, bei der eine ganze Kompanie verschüttet wurde und welches zumindest 300 Menschenleben forderte. Nachzulesen bei: Jordan, Krieg um die Alpen, S. 294 f. 217 Vgl. ebd., S. 301 53 auf die Berge, trugen diese bis zu den entlegensten Gipfeln und veränderten damit ihre vertraute und liebgewonnene Szenerie maßgeblich.218

2.3 Demographische Pluralität So einzigartig die Sphäre des Alpenkrieges erscheinen mochte, so vielfältig waren die dort eingesetzten Truppenkontingente und Einsatzkräfte in ihrer Ausgestaltung. Denn auch in ihrer demographisch-heterogenen Zusammensetzung mochte die Tiroler Front als etwas Besonderes erscheinen.

Obwohl man präventive Maßnahmen in Rüstung und Verteidigung gegen Italien unternahm, war Österreich-Ungarn 1914 gezwungen das Hauptaufgebot der regulären Truppen Tirols nach Galizien und Serbien zu schicken. Eine etwaige Verteidigung gegen Süden oblag in etwa 20.000 Mann, bestehend aus nur bedingt einsatzbereiten Reservebataillonen der Kaiserjäger- bzw. Landesschützenregimenter.219 Da ein effektiver Grenzschutz im Kriegsfalle mit einer solch geringen Anzahl wehrfähiger Männer, auf einer derart lang gezogenen Front als unmöglich erschien, berief man sich in Tirol auf die Mobilisierung eines Landsturms, gleich einem wehrhaften „Volksaufgebot“.220 Dieses Aufgebot aus Freiwilligen bestand in erster Linie aus Mitgliedern der traditionsreichen Tiroler Schießstandschützen und Veteranenvereinen und wurde mit dem 19. August 1914,221 als „Standschützenkorps“ offiziell von der Heeresleitung vereidigt. Da die wehrpflichtigen Jahrgänge bereits in die Armee eingezogen worden waren, wurde hier vor allem auf eine Immatrikulation der 42- bis 60-Jährigen, sowie auf die unter 21-Jährigen Standschützen abgezielt.222 Sie sollten in erster Linie als Entlastung für die spärlichen k. u. k. Truppen dienen und strategisch wichtige Gebiete und Objekte in Grenznähe bewachen und bemannen. Reguläre Uniformen und moderne Bewaffnung gab es für sie dabei nur in unzureichender Menge, sie marschierten in ihren traditionsreichen Schützentrachten, Monturen und mit ihren technisch-veralteten

218 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 264 219 Genau genommen war es eine hastig zusammengezogene Ersatzstreitmacht bestehend aus den X. Marschbataillone der vier Kaiserjägerregimenter, der Landesschützen, der Salzburger- und Oberösterreichischen Regimenter, der Landsturmbataillone, sowie Reservebataillone und freiwillige Schützen. Vgl. Anton Bossi Fedrigotti, Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg, Graz 2009, S. 101-102; Vgl. Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 154 220 Die Auffassung als „letztes Aufgebot“ ist weniger eine moderne Interpretation, sondern wurde schon sehr zeitnah als solches verstanden. Vgl. dazu Trenkers Beschreibung der Standschützen: Trenker, Berge in Flammen, S. 137 221 Die Einbindung des Tiroler Schützenwesens in eine etwaige erforderliche Landesverteidigung, war schon 1913 formell geregelt worden. Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 403 222 Vgl. Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 162 f. 54

Mauser-Gewehren der Schützenstände auf.223 Als es schließlich zum Kriegsfall mit Italien kam, strömte – unter einer propagandistisch angeheizten Verteidigungsbereitschaft der Heimat vor den vermeintlichen italienischen „Verrätern“ – ein relativ großer Zustrom von

Alt und Jung an die Schießstände.224 Nach RAUCHENSTEINER waren der drohende Verlust Tiroler Landesgebiete verbunden mit einem Vergeltungsdrang gegenüber dem „als Verrat, als Perfidie empfunden Entschluss Italiens“ 225, Katalysatoren für eine neu entfachte Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung und gingen dabei weit über eine politische Motivation hinaus. Laut FORCHER umfasste das Standschützenkorps Mitte 1915 etwa 35.000 freiwillige Männer mit einem Altersspektrum, das angefangen von 16-Jährigen, bis in einzelnen Extremfällen bis hin zu 70-Jährigen rangierte, es standen somit stellenweise zwei Generationen zugleich unter Waffen.226 Die Regimenter des Korps durften ihre Kommandanten und Offiziere selbst aus ihren eigenen Reihen bestimmen, wobei diese Rollen meist von gesellschaftlich anerkannten Personen, die sich zuvor in der öffentlichen Wahrnehmung bewährt hatten, angenommen wurden. So wurden Wirte, Lehrer, Beamte und Bergführer, vordergründig wegen ihrer sozialen Kompetenz und ohne zuvor eine jahrelange militärische Ausbildung genossen zu haben, für die Dauer des Krieges zu Führungspersönlichkeiten. Diese ungewöhnlichen Eigenheiten in Organisation und Gestaltung der Standschützen, sowie deren unbestimmter Einsatz- und Verwendungszweck, führten zu vielen Spannungen zwischen diesen und regulären nicht alpenländischen Truppen.227 Den Standschützen wurde vom einfachen Soldaten, bis hin zum hierarchisch hochrangigen Militär, größtenteils sehr geringe Wertschätzung entgegengebracht, ob ihrem eigentümlichen Auftreten, der kaum gegebenen militärischen Ausbildung, den ungewöhnlichen Altersdurchschnitten, sowie der selbstgewählten Offiziersführung – alles Dinge die der gewohnten, althergebrachten Militärdoktrin und Heeresdisziplin fremd waren und für Misstrauen, bis hin zu offener Verachtung, sorgten.228 Mit Sicherheit mussten sie ein sonderliches Bild abgegeben haben, zu junge oder zu alte Männer – harte, kernig-

223 Vgl. ebd., S. 155-156; Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 404 224 Vgl. Hartungen, Die Tiroler und Vorarlberger Standschützen, S. 65-67 225 Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 403 f. 226 Die genauen Angaben der Truppenstärke sind nach Forcher nur schwer zu eruieren, da nicht alle Eingeschriebenen auch tatsächlich für den Front- und Felddienst tauglich waren und auch schließlich dort eingesetzt wurden. Viele wurden nach kurzem Präsenzdienst wieder ausgemustert. Nach Schätzungen wurden etwa 20.000 Standschützen in Kampfhandlungen verstrickt. Vgl. Forcher, S. 161 f. 227 Vgl. Joly, Standschützen, S. 22 f.; S. 78 228 Vor allem freiwillige „Welschtiroler“-Einheiten hatten unter einer Aversion seitens der Kommandobehörden zu leiden, da ihnen neben fehlender Disziplin, auch allgemeine Unzuverlässigkeit vorgeworfen wurde. Vgl. ebd., S. 75 55 menschliche Ebenbilder eines wild anmutenden Tirols – mit zusammengewürfelter Ausrüstung, in ihrer Erscheinung eigentlich Zivilisten, die dem Ruf der Nation zu den Waffen gefolgt waren und wild entschlossen waren, ihre heimatliche Scholle zu verteidigen. Dies war zumindest das Bild, das bald medienwirksam von Propaganda und Öffentlichkeit agitiert wurde und den Standschützen einen legendären Ruf einbrachte.

In den Schützengräben leben die Standschützen, die beinahe so gestellt aussehen wie die Defregger-Bilder […] Mit ihren derben Schuhen und ihren harten, schweren Gesichter, mit den großen Bärten und den kindlichen Blauaugen sehen sie fast unwirklich aus […] Künstlerisch wirken diese markigen mittelalterlichen Gestalten und dennoch ungeschlacht, treuherzig sind sie und doch mißtrauisch, kühn und doch vorsichtig, leidenschaftlich und doch bedächtig, poetisch und zugleich theatralisch und ehrlich, aber verschmitzt […]229 Zudem bedienten sie sich – mangels moderner Ausrüstung – anachronistisch wirkender Kampftaktiken und kämpften sprichwörtlich mit Stock und Stein in der Hand, dies stilisierte sie weiter zu echten Alpenkämpfern, was durch die Erlaubnis Edelweißabzeichen tragen zu dürfen, nur noch unterstrichen wurde.230 Eine schnell vonstattengehende Mobilisierung, ein enger gemeinschaftlicher Zusammenhalt und eine große Motivation ihre Pflicht zu erfüllen, sprach auf jeden Fall für den Bestand der Standschützen. Es setzte sich aber – und tut dies bis heute – die Ansicht durch, dass die Tiroler Front ohne den beispiellosen Einsatz der Standschützen nicht zu halten gewesen wäre, ein faszinierend-wirkender Umstand, der schon während den Kriegsjahren und weit darüber hinaus in den Jahrzehnten danach, propagiert und kommuniziert wurde.231

Um die Bündnispartner militärisch an der knapp besetzten Südwestfront zu entlasten, schickte Deutschland mit dem „Deutschen Alpenkorps“ eine eigens für den Gebirgskrieg geschulte Truppe in Divisionsstärke nach Tirol. Dieses Alpenkorps wurde teilweise aus sogenannten Bayrischen Schneeschuhbataillone geformt, welche wiederum nach dem Vorbild österreichischer Gebirgstruppen aufgestellt worden waren.232 All diese verschiedenen Kontingente hatten eine optimale Einsetzbarkeit im alpinen Raum zum Ziel, waren demnach auf infanteristische Bewegungstaktiken im engen Zusammenspiel mit begleitender Artillerie und der autarken Versorgung geschult, sowie im Stellungsbau spezialisiert. Sie sollten weitgehend selbstständig im Gebirge operieren können und waren

229 Alice Schalek, Tirol in Waffen, 1915. Zit. n.: Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 169 f. 230 Angeblich errichteten sie an Steilhängen künstliche Steinlawinen, die gegen Feindabteilungen eingesetzt werden konnten. Das Sujet des Stein-schleudernden Standschützen fand man auch in Form von Uniformabzeichen wieder. Vgl. Joly, Standschützen, S. 24 f. 231 Vgl. ebd., S. 76 f. 232 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 171-184 56 dementsprechend gut ausgerüstet. Bevorzugt eingegliedert wurden also Männer mit einschlägiger alpiner Erfahrung und solche, die mit den speziellen den Umständen erforderlichen Fertigkeiten ausgestattet waren, damit war neben dem physischen, immer auch das „geistige Rüstzeug“ gemeint:

Im November 1914 wurde in Bayern die Aufstellung eines Schneeschuhbataillons verfügt. Es bestand größtenteils aus Freiwilligen, zum kleineren Teil aus Ersatzreservisten, also aus gar nicht oder nur ganz kurze Zeit ausgebildeten Mannschaften. Aber es waren durchgehends im Schneeschuhlaufen geübte Leute, meist Alpinisten. Zudem hatten alle mindestens Mittelschulbildung, ein sehr großer Teil besaß akademische Bildung. Der hohe Durchschnitt der Intelligenz, der sportliche Einschlag, der die Spannkraft und den Ehrgeiz erhöhte, das Bewußtsein, den in Friedenszeiten als liebste Erholung betriebenen Sport nun dem Kriegszwecke dienstbar machen zu können und der ersten derartigen Truppe anzugehören, alles das gab der Truppe eine eigene Note, einen besonderen Geist und Zusammenhalt, weil er aus so vielseitigen Quellen floß.233

In dieser Beschreibung wird noch einmal die Bedeutung der körperlichen und geistigen Tugenden, vermengt mit den Motiven des Alpinismus, die von einem jungen wehrhaften Mann erwartet wurden, deutlich. Vielfach wurden die Rekruten für solche Gebirgstruppen demnach in den weitläufig existierenden Sektionen des DÖAV gesucht und gefunden, einmal mehr wurden bergsteigerische mit kriegerischen Elementen, sowie Charakteristika der Alpinisten mit denen der Soldaten vermengt. Die Mitglieder der jeweiligen Alpinvereine galten als „völkisch“, oder zumindest nationalistisch orientiert, daher galten diese als von Haus aus bereitwillige Mitstreiter und Verbündete, zudem konnte der von ihnen gelebte „Bergsteigermythos propagandistisch innen- und außenpolitisch genutzt werden“234. Das deutsche Alpenkorps war in seiner Zusammensetzung aus verschiedenen Truppenteilen Deutschlands zusammengewürfelt, wobei ein Großteil der Mannschaften aus Bayern stammte. So waren in diesem das berüchtigte bayrische Leib-Infanterieregiment „die Leiber“, sowie bayrische und preußische Jägerregimenter und Skibataillone und ein umfangreicher Tross aus Versorgungs- und Unterstützungseinheiten eingegliedert.235 Geführt wurde diese „Spezialtruppe“ von Generalleutnant Krafft von Dellmensingen und auch wenn, ob der hastigen Aushebung dieser Armee die tatsächliche Gebirgstauglichkeit fraglich war – vor allem da die Reichsdeutschen keine nennenswerte Erfahrung im Gebirgskrieg hatten – so war sie in Sachen Disziplin und Ausrüstung eine hoch

233 MDÖAV 1916, Bd. 42, S. 172 http://www.literature.at/viewer.alo?objid=1026191&page=184&scale=3.33&viewmode=fulltextview (Aufruf: 1.3.2017) 234 Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 50 235 Vgl. Bossi Fedrigotti, Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg, S. 103 f. 57 willkommene und effizient geführte Verstärkung. Die deutschen Truppen durften jedoch vorerst nur eine passive Verteidigungsrolle einnehmen, da sich Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell mit Italien im Krieg befand und es keine diplomatischen Folgen und Repressionen riskieren wollte.236 Das Alpenkorps in Tirol war eher zum Schutze des nahe gelegenen Bayerns gedacht, die militärische Funktion beschränkte sich demnach auf eine reine Präsenzwirkung, was auch der fehlende Einsatz dieser am Isonzo suggerierte. Da der zu erwartende italienische Großangriff ausblieb, nutzte das Alpenkorps seinen Frontaufenthalt zur Schulung und Training vor Ort, mithilfe der ansässigen Tiroler Bergführer, den alpinen Referenten und der Standschützen.237 Der Topos einer vermeintlich „großdeutschen Waffenbrüderschaft“ lässt sich hier abermals festmachen. Aus scheinbar eigener Erfahrung berichtet später Trenker: „Das war man schon aus Russland gewöhnt, Respekt zu haben vor den deutschen Brüdern und gut Freund mit ihnen zu sein, auch wenn man sich dann und wann ein bisschen hechelte und stichelte.“238 Die oft von den regulären österreichischen Mannschaften geschmähten Standschützen fanden in den bayrischen Entsatztruppen Kollegen in alpenländischen Geiste und Tat, mit der Begeisterung gemeinschaftlicher Ausübung von Interessen, wie der Erprobung im Hochgebirgsklettern.239

Mit dem Aufwachsen und Erstarken der gesundesten Bewegung, die der Mensch je zur Auffrischung seiner ausgepumpten Nerven erfand, des Alpinismus, kamen auch die einsamen Höhen selbst allmählich in den Gesichtskreis des strategischen Blickes. Schon bei den Manövern und kleineren Übungen der Truppen zeigte sich das, und zwar konnte man zweifellos seit Jahren eine wachsende Tätigkeit der Soldaten im Gebiete der Berge wahrnehmen. […] Die Mannschaft, teilweise auch die Offiziere, waren so durch jahrelange Übungen zu einer Gebirgstruppe ausgebildet worden, die — man darf das wohl ohne die zur Kriegszeit so beliebte Übertreibung sagen — in jeder Beziehung erstklassig war. Die Mannschaften der alpinen Regimenter und wohl auch ein Großteil der Offiziere waren dem Hochgebirgskrieg in jeder Hinsicht gewachsen und konnten der unvermeidlich näherrückenden Auseinandersetzung mit Italien ruhig entgegensehen.240

Es erscheint bei der Betrachtung einschlägiger Weltkriegsliteratur, als wäre der gute und freundliche Umgang, neben überschneidenden Interessen und Ideologien, wohl vor allem dadurch bedingt gewesen, dass beide Kontingente – also Standschützen und Alpenkorps – sehr eingeschworene und ihren Offizieren gegenüber loyale Mannschaften waren, was

236 Die Soldaten des Alpenkorps waren zwar immer wieder an Abwehrkämpfen beteiligt, doch durften sie nicht italienischen Boden betreten, konnten also an keiner Offensive teilhaben, wie es General Dankl mit der Marmolata-Offensive vorgehabt hatte. Genau nachzulesen bei: Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 412 237 Vgl. Kaltenegger, Das deutsche Alpenkorps im ersten Weltkrieg, S. 28-31 238 Trenker, Berge in Flammen, S. 100 239 Vgl. Hartungen, Die Tiroler und Vorarlberger Standschützen, S. 68; S. 81 f. 240 Gustav Renker. Der Krieg in den Bergen. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1916. Band 47. S. 219-236, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 219 58 wiederum ganz dem Sinne einer speziell organisierten Truppe, aus einem gewissen verbindenden Umfeld entsprach.241 Allgemein war die Kameradschaft ein zentraler Aspekt in der Befindlichkeit der Soldaten, welche auch Hierarchien festigte, wobei diese Hierarchien im Gebirgskrieg oftmals auch durch individuelle alpinistische Fähigkeiten bestimmt werden konnten. Im Gegensatz dazu, lag es in der komplexen Natur der k. u. k. Armee, in ethnischer Zusammensetzung und im jeweiligen Ausbildungsstand sehr heterogen in Erscheinung zu treten. Nicht zuletzt war es ein „Vielvölkerheer“, bestehend aus elf verschiedenen Nationalitäten und einer Vielfalt an Konfessionen, in welchem teilweise verschiedene Sprachen innerhalb einzelner Regimenter gesprochen wurde – wobei Deutsch die einzige gültige Dienstsprache war – was einem Einheitsgefühl, einem nationalen Zusammenhalt abtunlich war.242 Über die logischen Probleme der Verständigung innerhalb der Truppenkörper, gesellte sich die Angst der Heeresleitung vor einer möglichen verminderten Kampfbereitschaft, was wohl nicht verwunderlich scheinen mochte, kämpften sie doch in ihrer Empfindung für ein fremdes Land, was im schlimmsten Falle zur Aufgabe von Stellungen und Desertionen führen konnte. Die Vermischung der „Volksgruppen“ in den Truppen und die dadurch vielfach auftretenden Erschwernisse in der Führung dieser, wurde zwar anfänglich vom AOK vermieden, konnte aber durch große Verluste und Nachschubprobleme letztendlich nicht verhindert werden.243 Die eigentliche „Elitetruppe“ Tirols, die Kaiserjäger, stießen erst später an die Alpenfront, da sie zu Kriegsbeginn an die Ostfront beordert und dort mehrheitlich aufgerieben worden waren.244 Zwischen den Vorbildtruppen der Kaiserjäger und der „Bürgerwehr“ der Standschützen, standen zur Verteidigung die Tiroler Landesschützen – welche schon vor Kriegsbeginn zu einer zweckmäßigen Hochgebirgstruppe geformt worden war – und der aus älteren Jahrgängen bestehende Landsturm, sowie einzelne Schützenverbände aus Kärnten, Oberösterreich und Salzburg.245 Der Charakter der österreichisch-ungarischen Verteidigung gegen Italien nahm also immer mehr die Grundzüge eines bereitwilligen und rasch agierenden Milizheeres an,

241 Ob dies tatsächlich so der Fall war, oder aus tradierten Annahmen und Narrativen heraus entstand, hat sich dem Autor nicht gänzlich erschlossen. Erwähnungen zu finden bei: Bossi Fedrigotti, Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg, S. 160-170; Vgl. Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 180-182; Vgl. Joly, Standschützen, S. 76-78 242 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 160 f. 243 Vgl. Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 385; Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 242 244 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 216 245 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 161 f. 59 was einer Identifikation dieser „Bürger in Erfüllung der Pflicht“ mit der „Heimatfront“ immens zuträglich war.246

Auch auf italienischer Seite ließ sich der Typus des „Bergsteiger-Soldaten“ – in der Form der berüchtigten Alpini-Einheiten – finden. Wie der Name schon erahnen lässt, waren auch sie speziell für den Einsatz im Gebirge geschult und ausgebildet worden und wurden Gegenstand heldisch-legendärer Verklärung.247 Bei Nachkriegsliteraten wie Fritz Weber, der die Gebirgssoldaten generell glorifizierte und bewunderte, fanden auch sie ihre Anerkennung: „Daß der Gipfel verlorenging, war seiner besonderen Lage und dem Heldenmut der Alpini zuzuschreiben […].“248 Sie wurden wie ihre Pendants die Kaiserjäger bei Einsätzen in extremen, schwierigen Bedingungen eingesetzt und verkörperten ebenso die typisch-alpin kanonisierten Ideale. So ist immer wieder von den vermeintlich ehrenvollen Auseinandersetzungen der verfeindeten Gebirgstruppen zu lesen – gegenseitige Anerkennung, Respekt und Mitgefühl, schienen als passende Regungen eines als anachronistisch geführten Konflikts zu gelten. ROTTE spricht hierbei von einer, von den Besonderheiten des Gebirgskrieges bedingten, „alpinistischer Verbundenheit über die

Fronten hinweg“249. Auch GÜNTHER erkennt in dieser Weise, eine Entmilitarisierung der gegnerischen Gebirgssoldaten zu „sportlichen Konkurrenten“, mit der Deutung des Kampfes als ein „alpinsportliches Kräftemessen“250 zwischen diesen. Man darf hierbei auch nicht vergessen, dass noch zu Kriegsbeginn ein gewichtiger Teil der Soldaten der k. u. k. Regimenter aus dem italienischsprachigen Trentino kam, auch wenn diese Männer aus Sorge vor möglicher „Befangenheit“ versetzt wurden, verdeutlicht dies die engen überregionalen Beziehungen und Verflechtungen die in diesem Gebiet Bestand hatten.251 So erwiesen die italienischen Alpini angeblich auch Sepp Innerkofler die letzte Ehre und bestatten ihn angemessen und mit großem Respekt vor seiner Person und seiner Fähigkeiten, wie es sich scheinbar für einen Alpinisten und Helden eben gehörte.252 Ob dies tatsächlich so der Fall

246 Vgl. Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 385; Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 162 247 Critelli hat ein zu unserer österreichischen Auffassung korrelierendes Bild bezüglich der Mythisierung des Gebirgskrieges in der italienischen Historiographie nachgezeichnet, mit der typischen Ikonographie der Bergwelt, der Mythisierung der Alpini und dem Topos der Aufopferung. Vgl. Maria Pia Critelli, L’alpestre faccia dell’eroe. La montagna tra simbolo e panorama, in: Hermann J. W. Kuprian (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 61-72 248 Weber, Alpenkrieg, S. 64 249 Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 6 250 Günther, Alpine Quergänge, S. 261 251 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 163 252 Vgl. Hans Heiss/Rudolf Holzer, Sepp Innerkofler. Bergsteiger, Tourismuspionier, Held, Wien [u.a.] 2015, S. 94-96; Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 194 60 war, oder ob es sich nur um einzelne Äußerungen menschlicher Empathie in extremen Umständen, die sich ob ihrer Seltenheit auch noch gut medial ausschlachten ließen handelte, sei dahingestellt. Aufgrund ihrer alpinen Tätigkeit schienen die Alpini allerdings eine Sonderrolle in der österreichischen Wahrnehmung einzunehmen, ließ sie eine Wertvorstellung über der „normalen“ italienischen Bevölkerung beziehen. Denn diese wurde zum ideologischen Hauptfeindbild der Donaumonarchie schlechthin, wurden als „Verräter“, „Feiglinge“, „Neider“ und „Invasoren“ kommuniziert, welche die Hand gierig nach österreichischem Boden, Berg und Fluss ausstreckten. Italien wurde zum „uralten Erzfeind“ deklariert, dabei national stereotypisiert und damit auch zivilisatorisch defizitär dargestellt,253 wohl auch weil man erkannte, dass man damit einen neuen Kriegswillen in der eigenen Bevölkerung entfachen konnte. Diesbezügliche „Bilder“ – also ideologisch gerichtete Vorstellungen und Meinungen – konnten besonders im Dunstkreis des DÖAV gefunden werden.

2.4 Alpenverein und Krieg Ein gütiges Geschick hat uns Kaiserjäger nach schweren Zeiten, nach Überwindung fast übermenschlicher Anstrengungen im Kampfe gegen den mächtigen russischen Koloß wieder der Heimat zurückgegeben, und uns nach einem der schönsten Erdflecke der Tiroler Grenzberge gebracht. Hier war Gelegenheit, die langjährig erworbenen alpinen Kenntnisse und Fähigkeiten nutzbringend fürs Vaterland zu verwerten und zugleich dem D. u. O. Alpenverein, der durch seine zielbewußte Kulturarbeit unseren Gebirgskrieg für uns außerordentlich erleichterte und siegreich unterstützte, durch ein ausgedehntes neues Wegnetz und durch andere umfassende Bauten den durch die Kriegsfurie verursachten Schaden auszugleichen, ja, wie ich glaube, mitzuhelfen an einem Werke, das für die weitere Entwicklung unseres Vereins von ungeheurem und ungeahntem Vorteile und Nutzen sein wird.254 Der DÖAV verstand sich selbst in seinen Aufgaben als überkultureller, heilsbringend agierender Verein, dieser Anspruch sollte sich auch während des Krieges nicht verändern, neue Tätigkeitsfelder und Herausforderungen wurden durch diesen bereitwillig in Angriff genommen. Der Krieg selbst wurde im Zuge systematischer „völkischer“ Agitation oftmals als Chance gesellschaftlicher Läuterung, als „Korrektiv“255 wirtschaftlicher und kultureller Krisen begriffen – Deutungsmuster, die sich auch in den Motiven des Alpinismus spiegeln. Der Alpenverein diente als zentrale Schnittstelle dieser Einstellungen und gebarte sich in einer offenen Bereitschaft am Krieg teilzuhaben.256 Die immer weiter zunehmende

253 Vgl. Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 39 254 Handl. Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 213 255 Bürgschwentner, Propaganda, S. 291 256 Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 193 f. 61

Erschließung der Alpen war schon vor dem Krieg ein Dorn in den Augen vieler Mitglieder, Massentourismus und Überbevölkerung auf Hütten Symptome einer inneralpinistischen Modernisierungskrise.257 Gleichzeitig war der Verein wie die Gebirgsregionen vom lukrativen Fremdenverkehr abhängig, durch den Kriegsausbruch kam dieser aber letztendlich vollends zu erliegen, was auch die Vereinstätigkeit negativ beeinflusste. Dennoch blickte man im Verein vor und nach dem Krieg auf revitalisierend-verheißende Kräfte durch diesen:

Die neu entstandenen Straßen in den Bergen waren fast ausnahmslos in guter Deckung gebaut. Der Krieg hat unseren Alpentälern Straßen gebracht, deren geplante Anlegung in Friedenszeiten die Köpfe manch ehrsamer Gemeindemitglieder erhitzte, Gebirgswege, die, oft geplant, der schmale Säckel irgendeiner Alpenvereinssektion verweigerte. Der Krieg hat für die Erschließung unserer Berge mehr getan, als es jahrzehntelange Friedensarbeit hätte leisten können.258

Auch hier lässt sich der Topos der Erneuerung durch den Krieg finden, ähnlich der gesellschaftlichen Auffassung des reinigenden „Stahlgewitters“ zu Kriegsbeginn, sowie der Rückbesinnung auf das Ursprüngliche, das Natürliche – auch wenn sich dies als fundamentaler Trugschluss herausstellen sollte, angesichts der Ausformung des Gebirgskriegs und der damit einhergehenden Umformung der Landschaft. Der DÖAV war sich um seine Vorbildwirkung und seinen Einfluss auf verschiedenste Bevölkerungsschichten bewusst, einerseits durch seine schiere infrastrukturelle und personelle Spannweite, andererseits durch seine veröffentlichten Publikationen.259 Daher muss auch seine Rolle im Krieg – oftmals in der Literatur stiefmütterlich behandelt260 – gesondert betrachtet werden. „Wenn der Alpinist jetzt den Pickel mit dem Schwert vertauscht, so bleibt seine Arbeit dem gleichen Ideal geweiht. Es ist Kulturarbeit hier wie dort.“261 Höhere Ziele zu erreichen wurde mit Kulturstreben und Militarismus vereinbar gemacht: „Krieg und Kultur wurden miteinander gleichgesetzt. Der Krieg sollte der Beförderung der Kultur dienen.“262 Großdeutsche Einigkeit und grenzübergreifende Verbundenheit wurden im Alpenverein auf vielen Beziehungsebenen gelebt und gepflegt,

257 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 261-263 258 Handl, 1916, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 225 259 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 255 260 Selbst die umfangreichen Abhandlungen von Amstädter, Der Alpinismus und Achrainer/Kaiser, Berg Heil!, beschäftigen sich in erster Linie mit der Entwicklung und den Einflüssen des Vereins vor bzw. nach dem Ersten Weltkrieg und weniger mit der direkten Einflussnahme durch den Krieg. Ausnahmen hierzu sind Gidl, Alpenverein, auf institutioneller und Günther, Alpine Quergänge, auf kultureller Basis und Auswirkung. 261 MDÖAV 1914, Nr.17/18, Digitalisierung und elektronische Archivierung, ALO - Austrian Literature Online, S. 230, [http://www.literature.at/collection.alo?objid=1026764], eingesehen 3.10.2016 262 Max Scheler, Der Genius des Krieges,1915, S. 49. Zit. n.Fries, Die Kriegsbegeisterung von 1914, S. 178 62 man sah sich in den Sektionen eine wichtige prämilitärische Vorreiterrolle erfüllen und eine erzieherisch, kriegerisch-wirkende Vorarbeit leisten, was schließlich im Ersten Weltkrieg durch das militärische Bündnis der beiden Kaiserreiche auf realpolitischer Ebene realisiert wurde.263

Freudig erkennen wir, daß das Übergewicht völkischer Lebenskraft auf der Seite des Deutschtums liegt; nicht allein die Überlegenheit der deutschen Faust hat dies gezeigt, sondern noch mehr jene alles erstarkende Urkraft, die dem deutschen Denken zugrunde liegt. Dieses Denken in seiner Klarheit, Gradheit und Rechtlichkeit, das nur allzusehr der welschen Auffassung widerspricht, wurde von jeher — und nicht nur von den Bergsteigern — als ein Spiegelbild der im Hochgebirge und seinen Naturkräften versinnbildlichten unpersönlichen, freien Herrschermacht betrachtet. So ist auch der Kampf in den Bergen für den Deutschen derjenige, der am meisten seine begeisterte Kampffreudigkeit erwecken konnte, und gar wir Bergsteiger erträumten es uns wohl schon, bevor die Zeit gekommen war, als höchstes Glück und herrlichstes Ziel unseres Strebens, unsere eigenste und eigentlichste Heimat, die Berge, mit dem Einsatz von Blut und Leben verteidigen zu dürfen.264 Es sei hier noch einmal verdeutlicht, dass der DÖAV einem Konglomerat aus unzähligen Mitgliedern, mit unterschiedlichen Einstellungen und Ideologien, entsprach. Kritische Stimmen wurden innerhalb der Mitglieder in den Jahren vor dem Krieg, ob einer zu politischen Haltung des eigentlich strikt unpolitischen Vereins, laut.265 In der Agitation für eine Kriegsbeteiligung standen daher vermehrt die Topoi des Erhalts des Deutschtums und des Schutzes der deutschen Berge im Vordergrund, so konnte man sich eher auf kulturelle Beweggründe – denn auf politische – berufen und das durch den Krieg vermehrt politische Auftreten des Vereins rechtfertigen.266 Der Krieg beschleunigte eine Radikalisierung im Verein und stärkte die Überzeugung einer kulturellen Überlegenheit, erst recht durch den „Überfall“ der italienischen „Verräter“.267 „Zahn um Zahn mußte dem frechen Eindringling herausgebrochen werden, bis unsere herrlichen Zinnen mit unserem Herzblut zurückgewonnen waren.“268 Die physisch-moralische – wie auch charakterliche, deutsch nationale Überlegenheit – wurde im Besonderen auch auf die Fähigkeiten der Alpinisten, die in den Krieg zogen, übertragen, jeder einzelne von ihnen wurde in den Vereinsschriften zum verwegenen, opferbereiten Helden hochstilisiert:269

Den Italienern wurde es scheinbar in den eisigen Herbststürmen da oben zu kalt […] Was den Italienern nicht gelungen war, vollbrachten unsere heldenmütigen Kärntner

263 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 320-322 264 Deye, ZDÖAV 1917, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 162 265 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 322 266 Vgl. ebd., S. 323 267 Vgl. ebd., S. 324 268 Handl, ZDÖAV 1916, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 214 269 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 325 f. 63

Landesschützen: sie hielten den Gipfel von 2494 m Höhe den ganzen Winter. Es ist ein leichtes Ding, an einem sonnigklaren Wintertage eine Höhe zu erreichen, um abends wieder beim warmen Tee im Tale zu sitzen; Tag und Nacht jedoch, bei Schneesturm und furchtbarer Kälte in einer elenden Baracke zu hausen, dazu gehört mehr Heldentum, als die Alpinistik von Balmat angefangen bis auf die Höchstleistungen eines Dülfer und Preuß zeigte, womit die großen Taten jener leider schon toten Bergheroen auf keine Weise herabgesetzt werden sollen.270

Die Publikationen des Vereins nahmen durch den Krieg einen neuen gesonderten Stellenwert ein, dadurch, dass die Mitglieder in ihrer Vereinstätigkeit stark eingeschränkt wurden und nicht einmal mehr noch Hauptversammlungen abgehalten wurden, wurden die Schriften zum bedeutendsten Organ des Vereins und sollten über diesen Weg alle weitverstreuten Mitglieder erreichen – selbst den Soldaten an der Front wurden die Mitteilungen bis in die Stellungen zugesandt.271 Um die Versorgung und Bereitstellung der Publikationen zu gewährleisten wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um die durch den Krieg aufgeworfenen logistischen Probleme zu überwinden, wurden nach GIDL streckenweise bis zu 60% der Vereinseinnahmen dafür aufgewendet.272 Die Vereinsschriften entwickelten durch den Krieg eine zunehmende Radikalisierung in Tonart und Inhalt, auch zu finden im Schriftbild, welches von nun an von der Frakturschrift geprägt war und den „deutschen Charakter“ der Blätter symbolhaft unterstreichen sollte.273 Die Publikationen waren nicht direkt der k. u. k. Kriegspropaganda unterstellt, was auch deren Probleme mit den Zensurmaßnahmen verdeutlichte, immerhin wurde vermehrt vom Alpenkrieg und dem Alltag der Soldaten in diesem berichtet.274 Allerdings arbeiteten sie durch einen kriegsbejahenden und positiven Grundton im Einklang und in Funktion mit dieser. Eine alpinistisch fokussierte Kriegsberichterstattung bestimmte von nun an die Mitteilungen und die Zeitschrift des DÖAV, die den Kampf um die eigenen deutschen Berge – verteidigt von heimischen Bergführern – greifbar und mitverfolgbar machen sollten.

Man möge nur bedenken, wie viel Hände und Füße von Zwei- und Vierfüßlern, Seilbahnen usw. in Tätigkeit sein müssen, um nur einem Soldaten auf einer Höhenstellung das Leben zu ermöglichen. Gebirgsungewohnte Soldaten haben öftere Ablösung nötig, denn gar viele unserer herrlichen Gebirgstruppen sind im Kampfe gegen das Zarenreich, sie sind in der Ebene und im Sande fürs Vaterland geopfert worden. Gebt uns die Kaiserjäger und

270 Renker, ZDÖAV 1916, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 224 271 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 336 f. 272 Vgl. ebd., S. 337 273 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 246; Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 337; Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 220 274 Über das schwierige Verhältnis von staatlicher und Vereins-Propaganda, siehe mehr dazu im Kapitel Propaganda. Der Verein pflegte gute Beziehungen zu den Zensurleitstellen und man versuchte diese davon zu überzeugen, dass man für die „selbe Sache“ kämpfte. Die Schriften konnten durch die Zensurmaßnahmen erst mit erheblicher Verspätung erscheinen. Genauer nachzulesen in: Gidl, Alpenverein, S. 337 f. 64

Landesschützen wieder und wie ein Sturm werden die verräterischen Eindringlinge hinweggefegt sein!275 Der Alpenverein sah es als seine (kultur-)erzieherische Aufgabe der „Heimatfront“ einen Eindruck vom Krieg in der Bergwelt zu gewähren, so wie er es seit jeher gemacht hatte, verstand er es als seine Pflicht, Aufklärung zu betreiben und Narrative und Bilder vom Kriegsgeschehen zu spenden und zu kreieren. Er fungierte damit als vermeintlich „unabhängiger“ Haupterzähler vom Gebirgskrieg für die Heimat, wurde dadurch scheinbar einmal mehr zum bedeutenden Kulturträger.

Deine Westabstürze versinken in langen Schutthalden, zwischen denen sich schmale Rasenzungen hineinschieben; wo die Lawinen und Steinschläge ein sicheres Plätzchen ließen, recken sich uralte, wetterharte Blitzzirben- und Wetterlärchen-Einsiedler, zerzaust und zerschlagen, wie alte, erprobte Krieger, zum tiefblauen Firmament empor.276 Die Berichte lesen sich wie Erlebnisaufsätze, mit lautmalerischer Sprache wurde von vermeintlichen „Ereignissen“ und heroischen Taten von der Front berichtet. Unterstützt wurden die reißerischen Erzählungen – in denen stets der vereinte deutsche Kampfeswille den Italienern gegenüber im Vorteil stand – von Impressionen der Front in Form von Fotografien, oder Illustrationen.277 Diese vermittelten meist ein glorifizierendes, oder ästhetisierendes Bild der vermeintlichen Gegebenheiten, so waren Geschützstellungen, Kavernen und kameradschaftliche Szenen, typische Motive in zumeist lautmalerischer Kulisse. Damit wurde auch wieder mehr oder weniger subtil die Bedeutung der Vereinsarbeit und der Alpinen Referenten verdeutlicht, die diese „Wunder“ der Technik in den unwirtlichen Höhen überhaupt erst möglich gemacht hätten. Das zivilisatorische Fortschrittsdenken des Vereins fand Einzug in die Erzählungen, versinnbildlicht in der eingesetzten Technik in der Beherrschung der Natur: „Mythologeme der technischen Welt verliehen dem Höhenkult eine zusätzliche Facette“278. Der DÖAV gab sich also in seinen Schriften nicht nur als eindeutig involviert preis, er stellte sich über dies hinaus, als bedeutender Stützpfeiler und Träger eines „Großdeutschen Kampfeswillens“ im Krieg dar.

An unsere Mitglieder! Die Völker der beiden verbündeten Reiche sind gerufen in den Kampf für die Ehre und zum Schutz des Vaterlands. Begeistert folgen wir alle dem Ruf unserer Kaiser. Der Kampf mit den Gewalten der Alpennatur hat uns gestählt für den Kampf mit unseren Feinden und gegen die Mühsal der kommenden Zeit. Jeder von uns wird, wohin immer ihn das Vaterland stellt, in freudiger Hingabe seine ganze Kraft einsetzen und Gut

275 Leo Handl. Von der Marmolatafront. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1916. Band 47. S. 212-219. Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 213 276 Handl, ZDÖAV 1916, ebd., S. 212 277 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 351-354 278 Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 59 65

und Blut aufopfern in der Liebe zur Heimat. Vor bald einem halben Jahrhundert haben sich Deutsche und Österreicher begeistert in der Liebe zu unseren Alpen vereint im Deutschen und Österreichischen Alpenverein: heute kämpfen die Völker beider Reiche Schulter an Schulter gegen den gemeinsamen Feind.279 Dieser Einblick aus einer Vereinspublikation 1914, lässt die innere Bereitschaft des deutschen Alpinismus für den drohenden Krieg gut erahnen. Die Kaisertreue und patriotistisch agitierte Vaterlandsliebe der Vereinsmitglieder wurde angerufen, genauso wie der vereinigende Glaube an ein großdeutsches Vorgehen. AMSTÄDTER sieht einen grundsätzlichen ideologischen, wie strukturellen Konsens zwischen deutschen Alpinismus und Militärwesen, welcher sich durch ein reges Engagement des DÖAV für Kriegsvorbereitungen und in der Zusammenarbeit mit militärischen Leitstellen bestätigte. Eine direkte Unterstützung des Militärs, durch die Zurverfügungstellung von Schutzhütten und die Übernahme unmittelbarer, militärischer Aufträge, wurden seitens der Alpinverbände getätigt, was eine gewisse Konsequenz innehatte, wurden sie doch durch den drohenden Gebirgskrieg in ihren Arbeits- und Interessensfeldern maßgeblich tangiert.280 Der DÖAV unterstützte die Kriegsunternehmung einerseits durch finanzielle Hilfen – beispielsweise über Widmungen an das Rote Kreuz – andererseits durch Appelle an die Mitglieder sich als Freiwillige zu melden und „zu den Waffen zu greifen“.281 Der Verein versorgte die Truppen zudem mit umfangreichen Sachspenden wie Decken, Terrain-geeigneter Kleidung, Vereinskarten und alpiner Ausrüstung. 282

Es ist zu hoffen, daß später, wenn die Zeit gekommen sein wird, kritische Rückblicke und Erwägungen anzustellen, die Bedeutung, die dem Alpinismus hierbei zukommt, auch in Deutschland von den maßgebenden militärischen Stellen erkannt und gewürdigt werde. Daß sich der D.u.Ö. Alpenverein mit seinen 70.000 reichsdeutschen Mitgliedern an den Erfolgen der deutscher Truppen im Gebirgskriege ein besonderes Verdienst zuerkennen darf, bedarf nach allem Gesagten keiner weiteren Erörterung.283 Durch den Krieg waren unzählige Hütten und ein weit ausgedehntes Wegenetz der Berge in Gefahr, oder bereits unmittelbar im Kriegsgebiet gelegen. Neben der materiellen Sorge waren der Alpenverein und seine Mitglieder somit auch auf einer ideologischen Ebene betroffen, denn galten diese Werke als Zeichen der Errungenschaft über die ungezähmte Natur und als de facto deutsche Inbesitznahme des alpinen Refugiums. So wurden diese infrastrukturellen Gegebenheiten, mangels touristischer Nutzung, bereitwillig einer

279 MDÖAV 1914, Bd. 40, S. 201 280 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 203 f. 281 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 245 282 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 336-339 283 MDÖAV 1917, Bd. 43, Nr. 15/16, Digitalisierung und elektronische Archivierung, ALO - Austrian Literature Online, S. 103 66 militärischer Obhut unterstellt und man konnte sich im Gegenzug damit rühmen, einen gewichtigen Verdienst in der Kriegslogistik geleistet zu haben.284 Bergführer, meist Mitglieder des Alpenvereins, wurden zur Ertüchtigung von Hochgebirgskompanien konsultiert – da sich der Ausbildungskanon von Bergführern und Gebirgstruppen weitgehend glich – und wurden als Offiziere in diesen eingesetzt, sie wurden zudem für „guerillaähnliche Instruktions- und Führerdienste an der Tiroler Front“285 herangezogen und damit auch direkt militärisch instrumentalisiert.

Wer wie ich, lange an der Hochgebirgsfront stand, konnte verfolgen, wie beide Parteien in diesem Vernichtungskrieg sich die größte Mühe gaben, die furchtbaren Naturgewalten des Hochgebirges ebensosehr zum Schaden des Feindes wie zum eigenen Nutzen in Dienst zu stellen. Daraus geht hervor, welch ungeheuren Wert die alpine Kriegserfahrung hat!286 Von zentraler Bedeutung stellten sich allerdings die spezifischen Kenntnisse des DÖAV von der Beschaffenheit des Terrains und der Gegend heraus. Die umfangreichen wissenschaftlichen Daten die in der Vereinsgeschichte gesammelt wurden, die detaillierten Landschaftskarten, das Wissen um geologische Eigenheiten und Verzeichnisse von Höhlen und natürlichen Deckungen – das alles ließ sich in einem umfassenden „alpinen Knowhow“ wiederfinden, welches sich in einem neuen militärischen Operationsgebiet und dem Ausbau und der Befestigung desselben, als mehr als willkommen erwies.287 Die alpine, sowie die infrastrukturelle und personelle Expertise der Alpenvereine wurde somit zu einem wichtigen strategischen Faktor im Ersten Weltkrieg. Diese Rolle übernahmen sogenannte Alpine Referenten in den einzelnen Frontabschnitten, sie waren alpine Fachberater, welche eng mit führenden Militärs zusammenarbeiteten und hohes Ansehen unter diesen genossen.288 Leo Handl war Kaiserjäger und in diesem Sinne Kommandant einer k. u. k. Bergführer Kompanie und fungierte als „Berichterstatter“ für den DÖAV, darüber hinaus war er Diplomingenieur und zeigte sich maßgeblich verantwortlich für die Konzipierung und Konstruktion von Stollen und Baracken im Eis des Marmolata Gletschers.289 Er verkörperte damit geradezu paradetypisch die „Amalgamation“ aus Alpinismus und Militärwesen in Person:

Krieg und Wissenschaft eng vereint und sich gegenseitig unterstützend, das gibt einen guten Klang! In der gemütlichen Stube der verschneiten „Handl-Hütte" am Gletscherrand feierten unter dem Krachen der italienischen Granaten wir Jungen mit den Alten bei Tiroler

284 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 345 285 Amstädter, Der Alpinismus, S. 204 286 Handl, ZDÖAV 1917, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 156 287 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 340 f. 288 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 293 289 Vgl. ebd., S. 289 67

Rebensaft die feierliche Stunde als Pioniere der Eiswelt, als eifrige Mitglieder des alten und ewig jungen D. u. Ö. Alpenvereins.290 Auch Gustav Renker wurde als Alpiner Referent, als Träger alpinen Knowhows, zur unmittelbaren Unterstützung des Militärs im Kriegsgebiet eingesetzt und tat gleichzeitig Dienst als Berichtschreiber für die Vereinsschriften. Renkers Aufsätze von der Front glichen minutiösen Beschreibungen der dortigen Verhältnisse, der Behausungen und Stellungen und betonte dabei immer wieder die Pionier- und Ingenieursleistungen des Vereins, die diesen Krieg in seinen Augen erst erträglich machten. Interessanterweise berichtet er sehr ausführlich von den modernen Facetten des Krieges und den qualvollen Seiten des Gebirgskrieges – vor allem im Kampf gegen die Natur – im Gegensatz zu seinem Kollegen Handl, der sich in typischer Manier den in den Schriften gängigen Heldenerzählungen hingab. Er war begeistert von der eingesetzten Technik und Ingenieurskunst und selbst die Sprengung des Col di Lana wurde von ihm als technische Meisterleistung bewundert:

Man denke nur an die großen Bohrmaschinen; man denke des weiteren an die verschiedenen Arten der Sprengmittel, die Wege und Kavernen in den hatten Fels bauten. Man entsinne sich auch der italienischen Meisterleistung der Minierkunst, die den Gipfel des Col di Lana in die Luft sprengte, eine Tat, die beinahe wie ein Märchen des Julius Verne klingt, und der wir, wenn auch vom Feinde geleistet, doch unsere gerechte Anerkennung nicht versagen dürfen. Um so weniger, als ja dann auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden auch die Unsrigen durch die Sprengung des Cimonegipfels bewiesen, daß uns der welsche Gegner in keiner Weise überlegen ist. Die Technik im Kriege, uns Laien nur in ihrer Wirkung, nicht aber in ihren komplizierten Ursachen sichtbar, hat im Hochgebirge sowohl bei uns wie bei dem Feinde soviel Wunderbares geleistet, daß alles Wissenswerte daran erst durch fachmännische Erklärungen der Menschheit geoffenbart werden kann.291 Der Anteil der aktiv am Kampf teilnehmenden Mitglieder war, im Gegensatz zur Stimmung und Eindruck die in den Schriften vermittelt wurde, allerdings eher gering, so rückten grobgeschätzt etwa 20% der tauglichen, männlichen Mitglieder ein.292 Dennoch, in den Augen des DÖAV konnte man aus den eigenen Vereinsreihen das beste Soldatenmaterial stellen, körperlich ertüchtigt, entbehrungsfreudig und todesverachtend, aber auch mit edlem Charakterzug ausgestattet und zur großmütigen Kameradschaft erzogen.293 Die Verquickung von Soldat und Bergsteiger vollzog sich als selbstverständliche Konsequenz zum Typus des

290 Leo Handl. Von der Marmolatafront II. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1917. Band 48. S. 149-162. Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 160 291 Gustav Renker. Der Krieg in den Bergen. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1916. Band 47. S. 219-236. ebd., S. 230 292 Der Prozentsatz der jeweils eingerückten Männer war von Sektion zu Sektion sehr unterschiedlich, waren es in Innsbruck etwa 50 %, so waren es in Bozen vergleichsweise nur 10 % der jungen Männer. Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 334 293 Vgl. ebd., S. 341-343 68 heldenhaften Gebirgskämpfers, selbst die Symbolik teilte man sich schon seit jeher – das Abzeichen in Form des Edelweiß wurde vom DÖAV und von den Kaiserjägern gleichermaßen getragen und war somit ein Erkennungszeichen, das auf mehreren Bedeutungsebenen funktionierte. Der Kriegsaufruf folgte demnach als sportlich überzeichnete Herausforderung: „Es geht zum Gipfel! Einem Gipfel, dessen Aussicht so weit und schön und groß ist, daß die kühnste Erwartung neben ihr verblaßt. Daneben aber klafft der fürchterlichste Abgrund. Glückauf, ihr tapferen Gipfelstürmer! Zeigt, was ihr in der Schule der Berge gelernt habt!“294

294 MDÖAV 40, 1914, S. 231 69

3. Heldenbilder

3.1 Männlichkeit Die konstruierte Männlichkeit kann sowohl im Alpinismus, als auch im kriegerischen Wirken, als eine durchgängige Konstante gesehen werden, als ein verbindendes und sich gegenseitig bedingendes Merkmal dieser zwei Kategorien. Wie bereits ausgeführt, war die Bergwelt ebenso als Männerdomäne verstanden, wie es als selbstverständlich galt, dass der Krieg eine reine Männersache war. Kriegführung galt als bestimmender Ritus des Mannseins, als Prüfung zur geltenden Machtausübung und des männlichen Ansehens im gesellschaftlichen Gefüge.295 Geschlechterrollen und Männlichkeitsmuster blicken auf eine lange Geschichte zurück und wurden je nach zeitlicher, oder kultureller Periode unterschiedlich hegemonialisiert.296 Nach der Theorie von CONNELL zur hegemonialen Männlichkeit, ist sie eine relationale Kategorie, abhängig von der Einbindung in ein Kollektiv und von herrschenden gesellschaftlich-soziostrukturellen Ungleichheiten.297 Die Etablierung von patriarchalischer Männlichkeit kann demnach nur in einer konträren Beziehung zur Weiblichkeit entstehen, gestützt durch Formen von Macht- und Gewaltausübung.298 Eingeübt und etabliert wurde männliches Verhalten und Auftreten in soziohomogenen Bünden, wie es vor allem ab dem späten 19. Jahrhundert die bürgerlichen Vereine waren.299 Charakteristika solcher Vereine waren, neben gemeinsamen ideellen Anschauungen und Betätigungen, im Besonderen eine sozioökonomische bzw. kulturelle Solidarität, die sich in einer exemplarisch männlichen Kameradschaft bemerkbar machte. Egal ob Studenten-, Turner-, Schützen-, oder Alpinvereine, sie alle inszenierten eine treue Kameradschaft und eine damit einhergehende, starke verbindende Einigkeit.300 Oftmals waren es Jugendliche, die diese „Spielregeln“ der Männlichkeit in den Vereinen erlernten

295 Vgl. Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, S. 32 296 Hanisch unterscheidet in seinem Werk fünf große Kategorien betreffend Männlichkeitsmuster, die in ihrem jeweiligen historischen Kontext Verwendung fanden: Den Krieger, den Liebhaber, den Vater, den Berufsmenschen (Homo Faber) und den Sportler. Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 17-413 297 Siehe dazu ausführlich: Connell, Gender and power; Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868- 1914/18)", S. 103 f. 298 Ähnlich dazu, die These Simone de Beauvoirs zur Männlichkeit als soziales Konstrukt, welches durch die Abgrenzung und Auseinandersetzung von und zur Weiblichkeit entworfen und geformt wird. Vgl. Connell, Gender and power, S. 98; Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek bei Hamburg 197156. 299 Vgl. Hanisch, S. 12 300 Obwohl nicht alle Vereine reine Männerbünde waren, sowie auch der DÖAV, agierten sie als solche und konzentrierten sich auf eine Hervorhebung des Männlichen, bzw. auf eine Abgrenzung zum Weiblichen. Im DÖAV lag der Frauenanteil vor dem Ersten Weltkrieg im einstelligen Prozentbereich (etwa 5 %), um 1935 stieg der Frauenanteil, in Korrelation mit dem Frauenwahlrecht, auf 23,5 % an. Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 129 f.; Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 204-206 70 und diese später im tatsächlichen Ernstfall des Krieges vermeintlich zu gebrauchen und anzuwenden wussten. Das Vereinswesen bereitete in mancher Hinsicht die Männer auf den Militärdienst vor, nicht nur ideell, sondern auch physisch, durch eine regelrechte Züchtigung des Körpers. Die Kameradschaft unter Soldaten im Kriege war von zentraler Wichtigkeit um mit den harten Bedingungen, die dieser an sie stellte, fertig zu werden und konnte auch über die Wahrnehmung „ihrer“ Männlichkeit von anderen Außenstehenden entscheiden.301 Nach

HANISCH war die militärische Männlichkeit keine wilde, sondern eine gezähmte und disziplinierte – dabei waren nach preußischem Vorbild Wehrhaftigkeit, Kameradschaft, Treue und Ehre ausschlaggebende Größen und Bedingungen.302 Durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, wurde im 19. Jahrhundert die Basis für die umfassende Entfaltung einer militärischen Männlichkeit im Bürgertum geschaffen – ein kriegerischer Geist sollte dadurch wieder im „Volk“ geweckt werden, der verbindlich jeden Mann, jeglicher sozialer Herkunft, heimsuchte und militärische Vorstellungen predigte.303 Das Militär hatte daher auch eine wesentliche Erziehungsaufgabe männlicher Tugenden, Rekruten – junge Männer die einen Drang zur Individualität hatten – mussten militärischen und nationalen Werten angepasst, „gleichgeschaltet“ werden, neben einer körperlichen Ertüchtigung, betraf dies auch geistige Qualitäten und Wesenszüge, die mit überstehenden (staatlichen) Institutionen und deren traditionalistischen Konzepten, in Einklang gebracht werden wollten.304 Ideen von Staat, Nation, Volk und Reich wurden dem Soldatenbürger greifbar vergegenwärtigt. Bis zu einem gewissen Grad geschah dies bereits innerhalb der Vereine, als eine Art Früherziehung, das Militär war in weiterer Folge die „Schule der Männlichkeit“ und mehr noch, eine „Schule des Volkes“.305 Die erlernten Tugenden und Sekundärtugenden, der nunmehr „ganzen Männer“, sollten also als Selbstverständlichkeit in das bürgerliche Leben transferiert werden und in diesem angewendet werden und vice versa.

Der Mann als Soldat und Staatsbürger, der Nation, dem Vaterland, der Volksgemeinschaft ergeben und sie verkörpernd – diese Konstruktion war keine Erfindung der

301 Vgl. Kühne, "… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren" Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, S. 183 302 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 17 f. 303 Vgl. Frevert, Soldaten, Staatsbürger, S. 72-81; Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 105-107 304 Vgl. Monika Szczepaniak, Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges. Konstruktionen und Dekonstruktionen, Würzburg 2011, S. 236 305 Die Begrifflichkeit der „Schule der Männlichkeit“ geht nach Frevert auf den Berliner Universitätsprofessor Friedrich Paulsen zurück. Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 108 f.; Frevert, Soldaten, Staatsbürger, S. 82 71

Nationalsozialisten, sondern hier nur besonders schnörkellos herauspräpariert. Sie stammte auch nicht aus der germanischen Urzeit, sondern aus dem 19. Jahrhundert.306 Die Männlichkeit des Alpinisten lässt sich in vielen Dingen mit der Männlichkeit des Kriegers in Einklang bringen, sowohl in körperlicher, als auch moralischer Codierung, wobei das Hochgebirge die Erziehungstätigkeit als Schule dieser Tugenden übernahm.307 Die Bereitschaft zum „Kampf“, gepaart mit todesverachtenden Mut und heilsversprechenden Vorstellungen, ließ sich nicht zufällig im „Heldischen Alpinismus“ wiederfinden, die Militarisierung der Männlichkeit im Alpinismus über Alpinvereine, war schon lange vor dem Krieg im Gange. HAUSLER sieht in dieser Paarung eine „Vermengung von Darstellungskategorien“308, bedeutungsschwangere Symbolsprache der männlichen Domäne wurde über Heilsvorstellungen, mit der ohnehin symbolstarken Präsenz des Alpinismus in kitschigen Dimensionen zusammengeführt. Das Risikobergsteigen diente dabei einer gesteigerten „Bildungsfähigkeit von Mannestugenden“309, durch das Erklimmen von Gipfeln über schwierige Nebenrouten, wurden auch persönliche Ängste und Unsicherheiten überwunden. Vor dem Ersten Weltkrieg waren es Vereine wie der DÖAV, die das Bürgertum an das Militär annäherten, die das Verständnis einer kriegerischen Männlichkeit als anzustrebendes Universalbild geltend machten.310 Der Sport diente der Aufrechterhaltung körperlicher Idealvorstellung und Haltung, (Todes)Mut und Wehrhaftigkeit wurden in einer zunehmend militärisch geprägten Gesellschaft hoch angerechnet, soldatische Symbole, wie die als Uniformen wirkenden Trachten der Schützen, zeugten auch im Zivilleben von einer Verhaftung im Militärischen und Patriotismus, sowie Nationalismus waren vereinigende Anschauungen.311 Auch wenn diese Projektionen oft romantisch und mit spielerischer Naivität nach außen getragen wurden, lässt sich durch diese „militärische Prägung“ eine gewisse kulturelle und gesellschaftliche Vorbereitung auf den kommenden Weltkrieg nachzeichnen. Die anfänglich geschürte Kriegsbegeisterung lässt sich demnach wohl auch auf die zivile Militarisierung in den Vereinen rückführen. Vor dem Krieg galten militärisches Auftreten und soldatische Repräsentation bei öffentlichen

306 Ebd., S. 83 307 Vgl. Gidl, Alpenverein, S. 234; Günther, Alpine Quergänge, S. 249 308 Hausler, Der Berg, S. 193 309 Amstädter, Der Alpinismus, S. 57 310 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 21 311 Vgl. ebd. S. 19-21; Vgl. Jakob Vogel, „En revenant de la revue“ Militärfolklore und Folkloremilitarismus in Deutschland und Frankreich 1871–1914, in: Gerhard Baumgartner (Hrsg.), Militär, Krieg, Gesellschaft, Staat (Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9.1998,1), Wien 1998, S. 9–30, hier S. 13. In: ÖZG, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. Militär Krieg Gesellschaft Staat. 9. Jg. Heft 1/1998. Vogel hat dieses gesellschaftliche Phänomen als „militärisches Folklore“ bezeichnend für alle größeren Nationen gültig nachweisen können. 72

Militärfesten und Vereinsfeiern mit Vereinskapellen und Paraden als große Spektakeln und verhalfen zu einer umfassenden gesellschaftlichen Popularisierung.312 Die militärische Dimension der Männlichkeit wurde dadurch gefeiert und emporgehoben, Uniformierung und stramme Körperhaltung verhalfen einer gesellschaftlichen Hierarchisierung durch Ein- und Ausgrenzung, wie beispielsweise von Frauen, der „gemeine“ Soldat verkörperte den „ganzen“ Mann.313 Gesellschaftlicher Militarismus bestimmte in dieser Zeit also die wichtigsten Dimensionen der Männlichkeit, er gab dem Konstrukt nicht nur Werte und Normen vor, gewährte Hierarchie und Machtausübung, sondern bestimmte auch Ästhetik und Erscheinung des männlichen Körpers.314

In erster Linie hatte das Militär, sowie das Groß der Männervereine, die Funktionen von Männerbunden inne: „Herrschaftssicherung durch Machtkontrolle und Geheimnistuerei, Dramatisierung der männlichen und Entwertung der weiblichen Geschlechtsrolle, Hierarchisierung des Geschlechtsverhältnisses durch Aussonderung und Ausgrenzung der Frauen.“315 Der harte Körper, die eiserne Disziplin, der felsenfeste Wille waren, so scheint es, gesellschaftlich akzeptierte Größen von Männlichkeit. Sie hatten etwas Vertrautes, etwas Tradiertes, bargen einen symbolstarken Ausdruck. Schon in der eingehenden Bildsprache wurde und wird die grundlegende Bedeutung der Körperlichkeit und der Anpassung dieser, entsprechend der umgebenden soziokulturellen Strukturen, für das Verstehen von Männlichkeit als Konstrukt ersichtlich.316 Feigheit und ersichtliche Zeichen von körperlicher Schwäche standen dem als minder geschätzte, feminisierte Werte gegenüber. Bequemlichkeit und Zögerlichkeit konnten, genauso wie ein gering ausgeprägter Körperbau, als Zeichen von Unmännlichkeit gedeutet werden. Nach HANISCH wurden solche Zuschreibungen der Körper- und Nervenschwäche im erstarkenden Antisemitismus – aus einer Angst vor der Moderne und Unsicherheit vor der Zukunft – systematisch auch auf gesellschaftliche Randgruppen, wie die der Juden, angewandt.317 Männlichkeit wurde somit auch national und schließlich „völkisch“ besetzt. Liebe zur Heimat und Liebe zum Volk gehörten scheinbar ebenso zur männlichen Grundausrüstung, wie die körperliche

312 Vgl., ebd. S. 10 f.; S. 21 313 Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 115; Vgl. Natali Stegmann, Kriegsdeutungen, Staatsgründungen, Sozialpolitik. Der Helden- und Opferdiskurs in der Tschechoslowakei 1918-1948 (Neuzeit 10-2012), Munich, Germany 2010, S. 67 314 Vgl. Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, S. 49 315 Amstädter, Der Alpinismus, S. 133 316 Vgl. Connell, Gender and power. Zit. n.: Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 104 317 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 28 73

Ertüchtigung. Übergreifende hegemoniale Männlichkeitsbilder konnten demnach mit der Entstehung von modernen Nationalstaaten korrelieren, wohl selbst – wenn auch nicht so umfassend – in der immensen ethnischen und kulturellen Heterogenität der Habsburgermonarchie.318 Das Konzept einer übergeordneten Männlichkeit, welches als staatlich-ziviles Leitbild funktionieren sollte und dementsprechend popularisiert wurde, lässt sich stellenweise bei den heimatverteidigenden k. u. k. Soldaten in den Alpen finden.319 Der Kaiser stellte sich selbst gerne als oberster Soldat und Mann der Monarchie dar, als patriarchalischer Vorstand eines ehrenvollen und geeinten Reiches. Mit dem Idealbild der militärischen Männlichkeit, wurde gleichzeitig und selbstbedingend eine Heroisierung des wehrhaften Mannes transportiert und diese wurde vor allem vom Bürgertum getragen. Die Bezeugung von Tapferkeit und Mut konnten in den Truppenkörpern zu Solidarität und Kameradschaft führen, Feigheit gleichzeitig zu Ausschluss und Diffamierung.320 Davon waren auch Offiziere nicht gefeit, im Umkehrschluss konnten sich aber einfache Soldaten nachhaltiger als „wahre Helden“ beweisen, Hierarchien wurden durch Bewährung im soldatischen Umfeld umgeworfen und neu bewertet.321 Ähnliches scheint sich mit den Standschützen und Bergführern nachvollziehen zu lassen: Wurden sie anfangs noch belächelt, bewiesen sie durch ihr „männliches“ Auftreten, ihrer Entschlossenheit und ihrer Erfahrung im Operationsgebiet, ihre Brauchbarkeit und ihren Mehrwert im Krieg. Der Krieg selbst offenbarte überdies hinaus, noch eine weitere „Krise der Männlichkeit“: Der technisierte, anonyme Massenkrieg kannte keine ritterlichen Spielregeln, keinen rechtschaffenen Ehrenkodex mehr, bei denen sich Männer durch Heldentaten und individuelle Leistungen beweisen und auszeichnen konnten, die neue Art der Kriegsführung verwundete die Soldaten nicht nur physisch, vielmehr brach die Gewalt sie auch psychisch – die Auffassung von Männlichkeit am Schlachtfeld wurde zerrüttet und vollends umgeworfen.322 Nach BOURKE reagierten die Soldaten auf die neuen Bedingungen des Krieges auf unterschiedliche Weise: Einerseits die Männer, die sich weiterhin auf ihre Kriegsbegeisterung stützten, daneben die Männer, die sich fatalistisch und stoisch ihrem

318 Die Vielfalt betraf Ethnien, Religionen und Kulturen gleichermaßen. Die durch die allgemeine Wehrpflicht einberufenen jungen Männer entsprangen elf unterschiedlicher Nationalitäten. Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 106-108 319 Vgl. ebd., S. 106 320 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 38 f. 321 Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 84 322 Auch hier wird der zunehmenden und völlig neuartigen Mechanisierung des Tötens eine wichtige Rolle in Bezug auf die Auswirkung auf die Männlichkeit zugesprochen. Vgl. Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, S. 33; Vgl. Szczepaniak, Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges, S. 239 74

Schicksal hingaben und letztendlich die Männer, die die Hoffnung verloren und ihren Geist bzw. ihren Körper aufgaben.323 Die letzteren waren eben jene Männer, welche als „Kriegssimulanten“324 – sich selbst also vorsätzlich verstümmelten, oder erkrankten, oder mit der Option der Desertion – in Kauf nahmen, ihr soziales Geschlecht der militärischen Männlichkeit abzulegen und lieber ihren Körper vor einer möglichen Vernichtung retteten. Der Abwertung der Männlichkeit noch nicht genug, wurden „Kriegszitterer“, als vermeintliche Simulanten, in der Donaumonarchie mittels Elektroschocktherapie „behandelt“.325

Gegen Kriegsende war die Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus dahin und der Unmut gegenüber den vermeintlich feigen Offizieren groß. Die Offiziere und der Adel wurden demnach ihrer männlicher Identität beraubt, die regulären Mannschaften hingegen als zähe Heldenkämpfer und/oder Opferhelden im Nachkriegs-Österreich besungen.326 Obwohl sich nach dem Krieg in Österreich eine pazifistische Überzeugung breitmachte, waren die heimkehrenden Männer kriegerisch kultiviert worden, hatten durch extreme Bedingungen und Gewalterfahrungen die soldatische Männlichkeit verinnerlicht und durch die Erzählungen der „Heldengeschichten“, wurde das Konstrukt dieses Männerideals, sich ständig selbst-wiederholend, weitergeführt und ausgebaut.327

Es gab einen weit verbreiteten Hass auf den Krieg, einen Hass auf die alte Herrschaft und die alte Armee, aber der Pazifismus drang nicht sehr tief; die militärische Männlichkeit wurde kaum in Frage gestellt. [...] Die Aufgabe der Volkswehr bestand im Grunde darin, die wilde Männlichkeit der Revolution in die gezähmte Männlichkeit der militärischen Disziplin zurückzuführen. Allerhöchster Kriegsherr war nun nicht der Kaiser, sondern die Republik, das Parlament.328 Einmal mehr waren es Vereine und Männerbünde, in denen die frustrierten und unsicheren Kriegsheimkehrer und andere Männer, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter fanden, in denen Kameradschaft und politische Ansichten – die nun oft dem Deutschnationalismus nahestanden – hochgehalten werden konnten.329 Unzählige Männer sind durch den Krieg

323 Vgl. Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, S. 33 324 Das „Simulantentum“ ging in allen Armeen soweit, dass jeweils rigorose staatliche Gegenmaßnahmen zur Unterbindung dieses eingeführt wurden. Ärzte wurden speziell angehalten und ausgebildet um Simulanten zu erkennen bzw. das Vergehen bei ihren Patienten herauszulocken. Neben harten Strafen konnte die Untauglichkeit auch nach dem Krieg die Verweigerung eines Arbeitsplatzes und damit einhergehend Gesellschaftsausschluss bedeuten. Vgl. ebd. S. 34-40. 325 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 172 f.; Vgl. Hofer, Nervenschwäche und Krieg, S. 281 326 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 40-43 327 Vgl. ebd., S. 50 f. 328 Ebd., S. 51 329 Vgl. ebd. S. 52-55 75 verkrüppelt worden. Die Kriegsversehrten genossen zwar in der Bevölkerung, zeitweise aus Mitgefühl, Respekt und Ansehen als „Helden“ – als Männer die Opfer für das Vaterland gebracht hatten –, für sie selbst bedeutete das allerdings wenig und mit dem Einzug des Alltags, fielen die Kriegsveteranen in den Augen der Öffentlichkeit der Vergessenheit heim, was sich auch in schlechter Versorgung und fehlender sozialer Unterstützung bemerkbar machte.330 Als neue Zielgruppe einer kulthaften, militärischen Männlichkeit ließ sich nach dem Krieg verstärkt die aus dem Bürgertum kommende Jugend gewinnen. Einmal mehr war es eine „martialisch gesteigerte Kameradschaft“, die einladend wirkte und Geborgenheit versprach.331 Denn nach KÜHNE versprach die geschützte Sphäre der Kameradschaft, die Möglichkeit seiner Emotionalität freien Lauf zu lassen, auch mal weinen, oder Schwäche zeigen zu dürfen und somit als gesellschaftliches Ventil zu fungieren.332 Kameradschaft konnte somit in ihrer Wirkung auch als diametrales Gegenstück zur eigentlich erwarteten Männlichkeit dienen. Die aufkeimende Jugendbewegung in den österreichischen Vereinen war besonders empfänglich für die Heldengeschichten, sie hatte das starke Mannesbild als Vor- und Leitbild, in einer Zeit gesellschaftlicher Unsicherheit – politischer Extremismus und militärischer Kultus schienen hier einmal mehr Antriebskräfte für eine Neuinterpretation des Alpinismus gewesen zu sein.333 Der spielerische Kampf und das tradierte Männerbild, wie sie beispielsweise im „Risikoalpinismus“ des DÖAV zu finden waren, übte auf die junge Generation große Faszination aus.

Eine riesige Sehnsucht umkreiste eine neue Gemeinschaft und das ‚neue Reich‘. Der Weg war kurz, vom Gelände- zum Kriegsspiel, von der ‚Kluft‘ zur Uniform, vom Wanderschritt zum Marschtritt. Das Jugendreich wurde militanter. Das entsetzliche Leiden des Krieges verlor seine Kraft und Anschaulichkeit in der Erinnerung.334 Existierten vor dem Krieg mehrere Ausprägungen von Männlichkeit nebeneinander, so wurde durch den Krieg die militärische Männlichkeit, zur hegemonialen Männlichkeit. Die dementsprechenden Bilder und Narrative der „ganzen“ Männer, versinnbildlicht vom Soldatenbürger, der bereit gewesen war, für „Gott, Kaiser und Vaterland“ einzustehen,

330 Vgl. Bourke, Männlichkeit, Krieg und Militarismus in Großbritannien 1914–1939, S. 41-47 331 Die Schützengrabengemeinschaft wird in der Kriegserinnerung zum männlichen Deutungsrahmen. Vgl. Kühne, "… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren" Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, S. 174-180 332 Siehe hierzu „Kameradschaft als soziale Praxis“ bei: ebd. S. 180-184 333 Zur neubewertenden Einstellung gegenüber der Jugend im Alpenverein: Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 207-210 334 Hanisch, Männlichkeiten, S. 60 76 wurden medial kontrolliert reproduziert und massenwirksam gemacht, waren damit ein Anliegen der Propaganda.335

3.2 Propaganda Der Erste Weltkrieg war nicht nur in der Art seiner Kriegsführung völlig neuartig, sondern auch in dessen Vermittlung an die in der jeweiligen Heimat Zurückgelassenen, bzw. an Außenstehende. Der Krieg selbst war, wohl durch seine Eigenheit als monumentaler Konflikt, ein auf Informationen und Meinungen bezogener, was wiederum die aufkommende Bedeutung der Kriegsberichterstattung untermauert. Unterschiedlichste mediale Kommunikationsmittel wurden durch die Kriegspropaganda erprobt und im Zuge dieser eingesetzt, in diversen kulturellen Bereichen wie der Malerei, Fotografie, Film, Musik, Theater und Bildhauerei.336 Neue Medien wie der Film, die zuvor keine nennenswerte Nutzung hatten, wurden im Laufe des Krieges zu regelrechten Massenphänomenen, die durch ihren ungewohnt hohen Grad an gesellschaftlicher Reichweite und Durchdringung, das wechselseitige Verhältnis von Medien und Menschen neu bedingte.337 BUSSEMER versucht die komplexe Natur des Propagandabegriffes so zusammenzufassen:

Propaganda kann als die in der Regel medienvermittelte Formierung handlungsrelevanter Meinungen und Einstellungen politischer oder sozialer Großgruppen durch symbolische Kommunikation und als Herstellung von Öffentlichkeit zugunsten bestimmter Interessen verstanden werden. Propaganda zeichnet sich durch die Komplementarität vom überhöhten Selbst und denunzierendem Fremdbild aus und ordnet Wahrheit dem instrumentellen Kriterium der Effizienz unter. Ihre Botschaften und Handlungsaufforderungen versucht sie zu naturalisieren, so dass diese als selbstverständliche und naheliegenden Schlussfolgerungen erscheinen.338 Die Fülle der zur Verfügung stehenden Eindrücke, Vorstellungen und Informationen den Krieg betreffend, bedurften – aus Sicht einer kriegsführenden Nation – einer interessensgeleiteten Bündelung und Weitergabe. Die Aufgabe der Propaganda war es salopp gesagt Meinungen, Ansichten und Einstellungen zielgruppengerecht und meist staatlich – auf jeden Fall aber politisch – gelenkt beim Empfänger ankommen zu lassen. Aufgrund ihrer Funktionsweise der gerichteten Beeinflussung, ließe sie sich auch mit

335 Vgl. Hämmerle, Zur Relevanz des Connell'schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868-1914/18)", S. 118 336 Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 9 337 Vgl. ebd., S. 16 338 Bussemer hat diese Definition selbst als Versuch einer Super-Definition entworfen und darauf geachtet gängige Definitionen und Konzepte von Propaganda darin zu vereinen. Thymian Bussemer, Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 20151, S. 29 f. 77

Formen von Werbung vergleichen, oder wie BÜRGSCHWENTNER es treffend formuliert, mit „PR“ (Public Relations) in die heutige Welt übersetzen.339

Der staatliche Propagandaapparat war zu Kriegsbeginn noch nicht voll ausgebildet, sondern wuchs, wie die verwendeten Medien mit den Erfahrungswerten, die gemacht wurden, mit, „vielmehr glich der Bereich der patriotischen Agitation und gesellschaftlichen Mobilisierung einem Experimentierfeld“340. Propagandaarbeit war einerseits, die gezielte Herstellung und Verbreitung „positiver“ Inhalte und andererseits die Eindämmung „negativer“ Inhalte, in der Habsburgermonarchie waren diesbezüglich das k. u. k. Kriegspressequartier (KPQ) und das k. u. k. Kriegsüberwachungsamt (KÜA) als Leitstellen dafür vorgesehen.341 Das KPQ unterstand direkt dem AOK und weitete sich von einer kleinen Stelle, die sich um die Belange der Kriegsberichterstatter kümmern sollte, schnell zu einem umfassenden Informations-Verteilerzentrum aus – anfänglich waren etwa ein Dutzend Personen darin tätig, zu Kriegsende weitete sich die Zahl der dort Angestellten auf etwa 900 Menschen aus, die ihren Dienst in zwölf Abteilungen verrichteten.342 Unter den dort Beschäftigten war ein breites Spektrum von Interessengebieten abgedeckt, es waren neben Journalisten und Offizieren, auch Künstler, Fotografen, Wissenschaftler und Schriftsteller – etwa auch so namhafte wie , und – für die Propagandaarbeit tätig.343 Viele dieser Schriftsteller waren in der sogenannten „Literarischen Gruppe“ des Wiener Kriegsarchivs tätig – sozusagen eine Splitterfraktion und helfende Hand des KPQ – und waren vor allem um eine populär- literarische Propaganda-Pressearbeit bemüht.344 Aus der sprunghaft vollzogenen Entwicklung des KPQ zu einer Zentrale der Kriegspropaganda, lässt sich der durchschlagende Erfolg und die Erkenntnis der Bedeutung der Propagandabemühen nachvollziehen, welche anfänglich noch von leitendeten Stellen belächelt, oder gar als unethisches, unmilitärisches Kriegsmittel gesehen worden waren.345 Das KPQ war nicht nur Kontrollorgan für jegliche Nachrichten und Bilder, die der Presse zur Verfügung gestellt

339 Bürgschwentner, Propaganda, S. 277 f. 340 Ebd. S. 278. 341 Vgl. ebd., S. 279 342 Vgl. ebd., S. 280; Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 15; Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 266 343 Die Gründe für die Mitarbeit vieler namhafter Künstler und Schriftsteller im KPQ waren vielfältig und nicht immer patriotischer Natur, manche sahen es als Aufstiegsmöglichkeit, andere wollten ganz einfach einem Frontdienst entgehen: Vgl. ebd., S. 266; Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 67-74 344 Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 64 f. 345 Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 267 78 wurden, es war auch zentraler Produzent für eigens hergestellte Propagandamaterialien.346 Durch die rege Produktivität, wie die der Kunstgruppe des KPQ, welche auch Gemälde und andere Bilder schufen, sollte auch der Eindruck eines nach wie vor hohen, nationalen Kunstniveaus proklamiert werden.347 Dadurch, dass alle Informationen betreffend den Krieg diese organisierten Schnittstellen zwischen Front und Heimat passieren mussten und diese über die Zulässigkeit der Inhalte bestimmten, war die Zensur allgegenwärtig und integrativer Bestandteil ihrer Arbeit. Opfer der Zensur wurden vor allem Informationen, aus denen vermeintliche Feindesaugen militärische Informationen und Vorhaben hätten ablesen können, sowohl schriftlicher als auch bildlicher Natur. Die Bereitschaft zur umfassenden Zensur steigerte sich stetig und nahm immer neue Ausmaße an, so wurden teilweise gar Städte- oder Landschaftsansichten zensuriert. An der Tiroler Front wurde nach

BÜRGSCHWENTNER gar die Abbildung deutscher Truppen untersagt, aus Sorge damit ein falsches Bild von der Wehrhaftigkeit der eigenen Streitkräfte zu vermitteln und damit womöglich die Kampfmoral deren zu untergraben.348 Natürlich funktionierte die Kontrollschnittstelle in beide „Richtungen“, so wurden auch Informationen aus dem Hinterland kommend, inspiziert und auf zu deutliche Aussagen von Missständen oder Unzufriedenheit kontrolliert, diesmal um die Kampfbereitschaft an der Front nicht zu gefährden und um ein Bild einer geeinten und willensstarken Nation zu wahren – Friedenswünsche wurden ebenso ungern vernommen, wie Berichte über etwaige mangelnde Versorgungslagen in der Heimat.349 So gewissenhaft und penibel die Maßnahmen der Zensur durchgeführt wurden, so rückständig und verhalten blieb man bei der gezielten Durchführung einer Auslandspropaganda, was vermutlich einer fehlenden Professionalisierung und unzureichenden Modernisierung diesbezüglicher Infrastruktur geschuldet war.350 Erst ab 1917 wurde eine nach außen gerichtete Propagandatätigkeit intensiviert und ein bis dahin weitgehend fehlendes gemeinsames Vorgehen bzw. eine Gleichschaltung mit der Deutschen Kriegspropaganda forciert.351 Dass die Propagandamaschinerie noch nicht ein, völlig in alle Teile der Monarchie eingreifendes, institutionalisiertes Wesen behauptete, zeigt sich auch wiederum in einem Blick auf Tirol, die Zensur ausgenommen, gab es dort keine direkt vom KPQ angeführte Einrichtung, die

346 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 280 347 Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 113 348 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 284 349 Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 54 f.; Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 284 350 Das Bemühen der Entente Mächte um eine erfolgreiche Auslandspropaganda war viel professionalisierter und weit ergiebiger und nachhaltiger ausgestaltet: Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 266 f. 351 Vgl. Reichel, "Pressearbeit ist Propagandaarbeit", S. 86-88 79 sich der Propagandaarbeit – wie der Mobilmachung der Öffentlichkeit – annahm, dies oblag der Eigenständigkeit verschiedener Akteure und beruhte auf individuellen Initiativen unterschiedlicher, gesellschaftlicher Organisationen.352 Der hohe Wirkungsgrad eines „Augusterlebnis“ von 1914 – welches vor allem das Bildungsbürgertum emotional vereinnahmte – lässt sich so mehr in dem Schaffen von populärer Literatur und Kunst verorten, als in „gezielter“ Propaganda.353 Die Motivationen, die hinter diesen Trägern standen, waren vielschichtig und tangierten Bereiche, die nicht (nur) einen Staatsnutzen zum Ziel hatten, sondern auch eigene Antriebe und Interessen. Vergleicht man dazu die Wirkweisen patriotischer Vereine, wie es der DÖAV einer war, ist es tückisch Bestimmungen und Begrifflichkeiten der Propaganda, von denen einer militanten Kultur und Gesellschaft zu differenzieren, es kann mehr als eine „Fortführung der Vorkriegsagitation unter anderen Rahmenbedingungen“354 gedeutet werden. Die Vereinsschriften des DÖAV, die Mitteilungen und die Zeitschrift des DÖAV, welche zwar eindeutig propagandistisch wirkten – immerhin ließen sie mit ihren „Geschichten von der Front“, eindeutige und sprichwörtliche Bilder in positiver Darstellung unter einer breiten Zielgruppe entstehen – waren nicht Teil staatlicher Propaganda, sie waren ein eigenes „System“, welches genauso der Zensur unterlag. Oftmals war es patriotischer „Kitsch“, der ursprünglich gar nicht als Propaganda gedacht war, aber dieser dennoch diente, da seine Botschaft ebenfalls über den Weg der Emotionalisierung an die Adressaten vermittelt wurde.355 Die Motive waren in vielen Belangen deckungsgleich – Mobilisierung der Bürger, Steigerung des Kampfeswillens, Stützung des Durchhaltevermögens – und im Sinne des „Vaterlandes“, doch oftmals ausgehend von selbstbestimmten Initiatoren. Als treffendes Beispiel kann hier, die von vielen „völkischen“ Vereinen beschworene Anrufung des „Deutschtums“ in ihren Propagandastücken gelten, die somit auch einen überstaatlichen Anspruch innehatten und erfüllten.356 Die Kriegspropaganda kann in ihrer Wirkweise als Idee eines funktionalisierten „Infiltrationssystems“357 verstanden werden, welches die Gesellschaft möglichst breit einnehmen sollte – von der Kirche, über Beamte, bis hin zum Nachbarn und der Nachbarin nebenan und deren Kindern. Vor allem der jüngeren Generation wurde vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt, Schulbücher wurden mit patriotischen Inhalten gefüllt, Lehrer

352 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 286 353 Vgl. Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 21; Überegger spricht in diesem Zusammenhang von einem „freiwilligen Part“ der Elite am Propaganda „System“: Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 264 354 Bürgschwentner, Propaganda, S. 289 355 Vgl. Weigel/Lukan/Peyfuss, Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos, S. 39 356 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 290 357 Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 263 80 und Lehrerinnen gezielt nach deren Ideologie ausgewählt und in Schulen und Vereinen wurde eine vormilitärische Erziehung erprobt.358

Die ideelle Funktion der Kriegspropaganda bestand dabei in der Legitimation des Krieges, in der Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts und in der kulturellen Sinnvermittlung, während sich die praktische Funktion der Kriegspropaganda auch in der ganz banal erscheinenden Werbung für die Finanzierung des Krieges und die breit gefächerten Kriegsfürsorge-Maßnahmen erschöpfte.359 Die Finanzierung des Krieges sollte in der österreichischen Reichshälfte teilweise durch insgesamt acht Kriegsanleihen unterstützt werden, welche zugleich einem propagandistischen Zwecke dienten, da sie einerseits in der eigenen Bevölkerung Zuversicht und Akzeptanz vermittelten, andererseits wurden nach außen hin patriotische Verbundenheit und Kampfwille transportiert.360 Durch die Kriegsanleihen konnte die „Heimatfront“ – besonders da seit dem Kriegseintritt Italiens die Bevölkerung unmittelbar betroffen war – ihren Obolus leisten und damit Teil der viel agitierten Opferbereitschaft für das „Vaterland“ werden. Als eine der Hauptaufgabengebiete der habsburgischen Kriegspropaganda, stellte sich die Propagandaarbeit gegen Italien heraus. Vor dem italienischen Kriegseintritt war die Agitation vor allem diplomatisch geprägt und um eine Aufrechterhaltung der italienischen Neutralität bemüht – oder versuchte das Nachbarreich versteckt aufzufordern, an der Seite der Mittelmächte zu kämpfen – nach der Kriegserklärung der Italiener an die Doppelmonarchie, konnte die Deckung fallen gelassen werden und alle bestehenden Ressentiments, gegenüber dem vormaligen Bündnispartner, propagandistisch breit ausgeschlachtet und neu entflammt werden.361 Der „Verrat“ wurde als Beweis der nationalen Schwäche des Gegners verkauft, vorsätzliche Diskreditierung der italienischen und Radikalisierung der eigenen Bevölkerung waren erklärte Ziele – das „Intervento“ avancierte zur einmaligen Gelegenheit für die „Heimatfront-Propaganda“.362 Die Versinnbildlichung einer „Heimatfront“ erwies sich als Bedienfeld zentraler Wichtigkeit für die Propaganda, die tatsächlich schon 1915 weit vorangeschrittene Kriegsmüdigkeit und Desillusionierung unter der Bevölkerung musste ausgeblendet werden, stattdessen musste Einigkeit und Zusammenhalt hinter allen Kriegsanstrengungen propagiert werden, die „Heimatfront“ sollte – wie es der Name aufdringend suggeriert – als aktiver Teil der kämpfenden Armee

358 Vgl. Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 76 359 Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 263 360 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum?, S. 185 361 Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 269-272; Überegger, Erinnerungskriege, S. 237 362 Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 274 f. 81 wahrgenommen werden, als moralische Stütze und Beistand dieser.363 Die Propaganda verstand sich in ihrem Wirken als ein Appell an das Durchhaltvermögen, als ein Beweis der Nervenstärke, nicht nur einer multinationalen Armee, sondern auch seiner Bevölkerung betreffend.364 Im Falle der Tiroler Standschützen wurde das Bild von Zivilisten unter Waffen, als wirkmächtiges Propagandasujet eines „letzten Aufgebots“, gegen einen scheinbar übermächtigen italienischen Angreifer grobschlächtig ausgereizt.365 Dieses Bild sollte bis weit nach dem Krieg bestand haben, wie uns TRENKER bestätigt:

Die Begeisterung, die im August des Vorjahres die Länder durchbraust hatte, schien erneut aufzulodern. Sie brach aus einer gewissen Verzweiflung hervor und war kein von leicht bewegten Massen angeblasenes Strohfeuer, sondern eine von plötzlichem Sturmwind angefachte Glut. Im ganzen Lande sammelten sich die Helfer, die Verteidiger, das letzte Aufgebot. […] Der kaum nestflügge blutjunge Enkel marschierte neben dem weißbärtigen Großvater, der junge Bruder mit dem Älteren […] der Knecht mit dem Bauern, der Schüler mit dem Lehrer. Der Sechzehnjährige mit dem Siebziger und mit allen der Pfarrer des Dorfes.366

ÜBEREGGER zeichnet dies als „Strategie der Melodramatisierung“ nach: „Der Standschützen-Mythos als Variante des Gebirgskrieger-Mythos suggerierte demnach eine besondere, tirolspezifische Qualität menschlicher Selbstaufopferung, eingebettet in den traditionellen Diskurs regionaler Wehrhaftigkeit.“367 Der Kampf um die Heimat wurde als Verteidigungskrieg propagiert, der einem auferlegt wurde, so konnte man die Kriegsschuld dem Gegner zuweisen und gleichzeitig unter der Bevölkerung zum „gerechten Krieg“ ausrufen, die abstrakte Vorstellung davon, wurde nun zu einem „konkreten Kriegsalltag“ auf Gebieten, die der Öffentlichkeit aus Friedens- und Freizeit nur allzu gut bekannt waren.368 Durch diese topographische Verortung und dem „neuen alten“ Gegner Italien, drängte sich die Instrumentalisierung einer Feindwahrnehmung Italiens als Erzfeind förmlich auf. In Anknüpfung an historischen Vorbildern und Traditionen belebte man damit den latenten „Geist von 1809“, das „ganze Tiroler Volk“ sollte in einer geeinten deutschnationalen Verteidigungsbereitschaft mobilisiert werden.369

So gleicht denn die Lage, in der das Land Tirol in diesem Frühjahr 1915 steht, ganz jener in dem verhängnisvollen Frühling 1809 […] Tirol ganz auf sich selbst gestellt, gezwungen mit jungen Buben und alten Männern die Grenzen zu verteidigen. Nach dem gleichen Gesetz, mit dem man 1809 alles, was Waffen tragen konnte, zum Kampfe aufrief, bietet man nun die

363 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 297 364 Vgl. Hofer, Nervenschwäche und Krieg, S. 269 365 Vgl. Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 33 366 Trenker, Berge in Flammen, S. 76 367 Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 274 368 Vgl. ebd., S. 273; Joly, Standschützen, S. 73 369 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 291 82

letzte waffenfähige Mannschaft des Landes auf […] Sie brauchen keine Befehle und Weisungen. Sie wissen es geht um Tirol. Der alte Heldengeist von 1809 ist ihnen lebendig.370 Der Mythos rund um Andreas Hofer und seinen Freiheitskampf erfreute sich schon um die Jahrhundertwende großer Beliebtheit in der Kulturarbeit.371 Die Verklärung der kämpferischen Vergangenheit des „Tiroler Volkes“, wurde nun als ideologischer Kitt gegen Kriegsmüdigkeit und für Durchhalteparolen propagiert.372

So wie die Väter am Berg Isel geopfert hätten, hätten die Enkel den Col di Lana zum Opferstein, zum Hochaltar des Vaterlandes geweiht, um mit Lavaströmen von Blut die deutsche Heimaterde reinzuwaschen vom Schmutze der Verräter.373 Die transzendente Heldenfigur Andreas Hofers geriet zum Testimonial Tiroler Kriegspropaganda, sein Abbild fand sich auf Ansichtskarten, seine Zitate fanden Verwendung in Werbung für die Unterzeichnung von Kriegsanleihen, seine Geschichten dienten der rhetorischen Untermauerung von Ansprachen und Reden.374 Als gängige Topoi, der wie auch immer gelenkten Kriegspropaganda, wurden Deutungsmuster der österreichischen Soldaten als Helden, die Verteidigung der Heimat, sowie verunglimpfende Feindbilder instrumentalisiert. Die Legitimation des Krieges wurde in der Kriegspropaganda, einerseits durch den Verweis auf dessen Notwendigkeit, andererseits durch eine stilisierte „Verharmlosung oder Glorifizierung des Kampfes in Wort und Bild“375 erreicht. Als bedeutendes Medium der Bildsprache fungierten dabei unter anderem die Feldpostkarten, welche gleichzeitig als wichtiges Element der Kriegsfürsorge dienten. Die Korrespondenz über Feldpostkarten, stellte die wichtigste Verbindung für Frontsoldaten mit ihren Angehörigen dar, sie gewährte den Dienenden Ausflüchte in ihr „wirkliches Leben“ und hatte somit auch einen therapeutischen Nutzen.376 Überwiegend fanden sich darauf Illustrationen abgebildet, die stark romantisierende, kitschig anmutende Szenen zeigten. Ästhetische Landschaftskulissen wurden meist mit dem Topos des opferbereiten Soldaten, eingefügt in einer symbolstarken Bildkomposition, wirkmächtig vermengt. Der Gebirgskrieg wurde als anachronistisch geführtes Geplänkel in idyllischer Umgebung

370 Trenker, Helden der Berge, S. 137-138 371 Andreas Hofer „der Sandwirt” (1767-1810) war Gegenstand zahlreicher „Anno-Neun-Stücke“ in Theater und Literatur. Siehe hierzu ausführlich: Meinrad Pizzinini, Andreas Hofer. Seine Zeit - sein Leben - sein Mythos, Innsbruck [u.a.] 20103, S. 292-315 372 Vgl. Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 46 373 Bruder Willram, Tiroler-Grenzwacht im Süden. Zit. n.: Eberhard Sauermann, Literatur, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, S. 303–317, hier S. 305 374 Vgl. Rettenwander, Stilles Heldentum?, S. 192 375 Bürgschwentner, Propaganda, S. 292 376 Vgl. Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 395 83 vermittelt, die Soldaten nach männlicher Idealvorstellung abgebildet, die ihre Überlegenheit in erhöhten Positionen und wehrhaften Posen verdeutlichten. Die moderne Ausformung des Krieges mit seinen Gräben, Geschützstellungen und seiner Todesmaschinerie, wurde weitgehend ausgeblendet, interessanterweise findet sich die technische Dimension aber zeitweise auf Kriegsfotografien wieder, wobei dabei aber auf eine gekonnt ästhetisierende Inszenierung der modernen Technologie, in Verbindung mit einer romantischen (Berg)Kulisse, gesetzt wurde.377 Verwundung und Tod wurden, wenn überhaupt, dann nur glorifizierend dargestellt, die Verwundeten waren dabei gut versorgt und der Tod trat nur unter dem Beisein von Kameraden ein – oder mit der Gewissheit für ein höheres Wohl zu sterben.378 Sowie die eigenen Soldaten stets als tugendhafte Helden und „Mannsbilder“ überzeichnet wurden, so wurden Feinde als regelrechte Antihelden, als abstrakte Karikaturen ihrer selbst dargestellt, wobei ihnen sowohl schwächliche Physis, als auch verwerfliche Wesenszüge unterstellt wurden – das Feindbild des Italieners als tückischen Attentäter, der einem von hinten in den Rücken fällt, war weit verbreitet.379 Die Diskreditierung der Feinde, durch karikaturenhafte Überzeichnung und in Form von Spottgedichten, die die eigene Kulturstufe über die der Gegner stellte, fand großen Anklang in der Gesellschaft.380 Auch im Alpenverein bediente man sich „poetischer“ Kriegsaufruhr, sowie Ottokar Kernstock mit seinem Gedicht „Den Helden des D. u. Ö. Alpenvereins“:

Als friedlich noch gerastet in der Scheide Das Schwert, das jetzt wie ein Despot regiert, Als man nur Krieg im grauen Lodenkleide Mit den Dämonen des Gebirgs geführt, Um über Eisgefilden und Moränen sich zu erobern eine Welt des Schönen — Schon damals ward der Rütlibund gegründet, Der Deutschland und Altösterreich verbündet.

Nun gilt's, mit Blut das Bündnis zu besiegeln, Und sieh', die Unsern gehn wie Löwen drauf Und pflanzen auf erstürmten Leichenhügeln Die gelb-schwarz-weiß-rotfarbne Fahne auf. Das Seil, das an den Führer knüpft die Kühnen, heißt deutsche Treue, und das Wort, das ihnen Einst über Schrofen half und Gletscherspalten, Ist heut' ihr Schlachtruf: Mutig durchgehalten!

Ihr aber, todeswunde Kampfgefährten, Blutzeugen deutscher Freiheit, schlaft in Ruh'!

377 Vgl. Bürgschwentner, Propaganda, S. 293 378 Vgl. ebd., S. 294 379 Vgl. ebd., S. 297 380 Vgl. Kuprian/Überegger (Hrsg.), Katastrophenjahre, S. 17 84

Ihr in die ew'ge Heimat Heimgekehrten, Euch rufen wir ein dröhnend Bergheil! zu. Denn ihr erstiegt den Gipfel der Vollendung, Vollbracht ist glorreich Eure Erdensendung. Gott lohn's euch, frühverklärte Bundesbrüder! Bergheil! — Hoch droben sehen wir uns wieder.381

Der neue Kriegsschauplatz in den Alpen und der „neue“ Feind wurden, ob der Möglichkeit ihrer symbolträchtigen Verwendung, gerne und oft als Gegenstände propagandistischer

Verdeutlichung herangezogen. In Tirol lässt sich nach SAUERMANN eine hohe Popularität und damit einhergehende starke Verbreitung von Kriegslyrik und Kriegskunst nachzeichnen, welche aus einer Agitation eines Verteidigungskriegs – unter Miteinbeziehung eines wehrhaften Tiroler Volkes – gegen einen verräterisch agierenden Aggressor resultierten.382 Letztendlich wurde auf breiter Basis Mythenbildung betrieben, welcher es in der Nachkriegsliteratur und teilweise bis heute sehr schwer war sich zu entziehen, oder wie

HANS WEIGEL es pointiert: „Weil alles nachher sehr arg war, wird das Vorher glorifiziert.“383

3.3 Heldenmythen im Gebirgskrieg Um einen Mythos gesellschaftlich greifbarer und erfahrbarer zu machen, kann die Funktion eines Helden, oder eines Heldenbildes, Abhilfe schaffen. Doch wie lässt sich ein so universell angewandtes Konzept, eine so vielschichtige Zuschreibung wie „Held“ bestimmen? Einen Ansatz dafür liefert HEGEL:

Heroen... Individuen, welche aus der Selbständigkeit ihres Charakters und ihrer Willkür heraus das Ganze einer Handlung auf sich nehmen und vollbringen und bei denen es daher als individuelle Gesinnung erscheint, wenn sie das ausführen, was das Rechte und Sittliche ist.384 Im Alpinismus bestimmten ideelle, als auch gesellschaftliche Konstruktionen die Wahrnehmung und die Narrative, welche maßgeblich von der topographisch singulär wirkenden Verortung dieses Phänomens bedient wurden. Das Deutungsmuster, das Konstrukt des Helden wurde gespeist, aus dessen individuellen Fähigkeiten, aus den männlich konnotierten Qualitäten, aus einem ihm definierenden Gesellschaftskonzept politischer, oder sozialer Ordnung, wie Staat und Heimat und schließlich aus

381 Ottokar Kernstock, Den Helden des D. u. Ö. Alpenvereins. Gekürzte Fassung des Gedichts abgedruckt in: MDÖAV 1915, Digitalisierung und elektronische Archivierung, ALO - Austrian Literature Online, S. 110 382 Vgl. Sauermann, Literatur, S. 315 383 Weigel/Lukan/Peyfuss, Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos, S. 5 384 Hegel 1972, S. 205f. Zit. n.: Martinsen, Der Wille zum Helden, S. 16 85 gesellschaftlichen Adressaten und Sendern, die die Steuerung der Heldenverehrung trugen.385 Durch den Krieg kamen auf mehreren Ebenen neue Deutungs- und Erklärungsmuster hinzu, welche wiederum zur Entstehung, oder Neubewertung gewisser Konstrukte führten: Zum allgegenwärtigen Topos an der Alpenfront sollte dabei die Darstellung des einfachen Soldaten als nationalen Helden werden. Eine öffentlich wirksame heldische Verehrung suchte sich ein geeignetes Bedien- und Handlungsfeld und fand diese, über die entsprechenden örtlichen Rahmenbedingungen des Krieges gegen Italien, im Alpinismus. Der Bergsteiger stand über einen kriegerischen Kultus ohnedies schon in auratischer Nähe zum (Kriegs)Helden. Der Alpinist galt als „echter Mann“, Abenteurer und Individualist, „der zu diesem Krieg nicht gezwungen, nicht extern diszipliniert werden müsse, sondern Ziele und Wille verinnerlicht und die Anliegen der militärischen Führung zu seinen eigenen gemacht hätte.“386 Der Pickel des Bergsteigers wurde zum symbolischen Schwert und schlug ihn damit, auch sinngemäß, zum duellsuchenden Ritter: Metaphern die Abenteuer und Heldentum versprachen.387 Die Südwestfront und die Alpen wurden als österreichisches Kerngebiet wahrgenommen, mit dem sich die Bevölkerung identifizierte, dies und die Eigenheiten der scheinbar auf individualistischen, auf alpin-sportiven Leistungen beruhenden Kriegsführung, ließen eine eindrückliche Überhöhung und Heroisierung wirksam werden.388 Es scheint, dass vor dem Krieg der Übergang vom Bergsteiger zum Helden vor allem in alpinen Kreisen stattfand, durch den Krieg diese Transformation allerdings auf einer breiteren, gesellschaftlichen Basis ihre Akzeptanz fand.

Die Einzigartigkeit und Besonderheit der neuartigen Räume, der bereits erwähnten „neuen Dimensionen“, die im Ersten Weltkrieg erschlossen wurden, boten den dort agierenden Soldaten Möglichkeiten sich zu profilieren, sich damit von der – sprichwörtlich – grauen Masse der anonymen Soldatenscharen und des sie umgebenden massenhaften Todes abzuheben.389 Tradierte Moralvorstellungen eines heroischen Einzelkämpfers, der sich im ehrenhaften – ritterlich anmutenden – Kampf „Mann gegen Mann“, in eben diesen neubesetzten Sphären beweisen musste, fanden dort Anklang.390 Der Zweikampf, der

385 Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 20 f. 386 Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 239 387 Diese Metapher von Pickel und Schwert und Alpinist und Ritter findet sich auch immer wieder in den Vereinsschriften: Vgl. Anm. 261; Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 248 388 Vgl. Rotte, Kriegsideologie und Alpinismus, S. 32 f. 389 Die Felduniformen der k. u. k. Armee waren alle in einem einheitlichen Feldgrau und Schnitt gehalten. Der einzelne Soldat ging also optisch sprichwörtlich in der grauen Masse seines Kontingents und seiner Felsumgebung auf, wurde somit weiter seiner Individualität beraubt. Nachzulesen bei: Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 387. 390 Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 253 86 dadurch suggerierte Duellcharakter, der auf eine lange Tradition zurückblickte, stand in starker Opposition zur Wahrnehmung der modernen „anonymen“ Kriegsführung.391 „Alte“, anachronistisch-wirkende, Konzepte des militärischen Konflikts trafen auf neue Technologien, eingesetzt in einem zuvor unbekannten, topographisch-abgegrenzten Setting. Diese Kombination, aus menschlicher Handlungsfähigkeit unter Verwendung moderner Geräte, in neuartigen Tätigkeitsfeldern, bot reichlich gesellschaftlich interpretierbaren Kontext.392 Zuvor definierte sich der Kriegsheld über individuelle Tapferkeit, Einzelleistung und Gewaltbereitschaft, durch den Ersten Weltkrieg verband sich dieser Habitus mit dem, der professionellen Bedienung und Beherrschung der neuen Kriegsgeräte und Techniken.393 Es scheint, als musste „der neue Held“ in seinem Leistungs- und Tugend-Kanon körperlich militärisch bestehen, zugleich intellektuelle Qualitäten aufweisen können und musste letztendlich auch genuin technisch versiert sein. Folglich wurden in diesen Bereichen der Kriegsführung, wie es der Luftkampf und U-Boot Gefechte, aber auch der Kampf auf den entgrenzten Gipfeln der Alpen waren, der Mythos vom Heldentum greifbar.394 Bewährten sich Individuen durch ihre geschickte Interaktion in extremer Umgebung, wurden sie zu „Ritter der Lüfte“ und „Wölfe der See“: Sie nahmen damit breitenwirksame, öffentliche Rollen ein und genossen einen Status, der „in gleicher Weise kaum in Relation zu ihrer militärischen Bedeutung stand“395. Laut SCHILLING beruhte die Faszination für die Helden auf einer Sympathie ihrer Technik(beherrschung), welche in Staunen versetzen konnte.396 Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Geschicke und Fähigkeiten der Gebirgskrieger, wohl in ähnlichem romantischen Lichte erblickt werden konnten: Das Ringen um Berggipfel erhielt einen abenteuerlichen Anstrich, Patrouillen fanden sich in Handgemengen wieder, die mit dem Gegner von Angesicht zu Angesicht stritten, gleich einem ritterlichen Duell, bei dem die Geschickteren die Oberhand behielten. Der Tod hatte hier noch einen persönlichen, unvermittelten Charakter, es war kein anonymes Schlachten.397 Der Krieg, der eigentlich

391 Vgl. Nicole-Melanie Goll, ‘Our Weddigen’. On the Construction of the War Hero in the k.u.k. Army. The ‘Naval Hero’ Egon Lerch as an Example, in: Günter Bischof (Hrsg.), 1914: Austria-Hungary, the origins, and the first year of World War I (Contemporary Austrian studies 23), New Orleans, La.-Innsbruck 2014, S. 213– 233, hier S. 218 f. 392 Vgl. Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, S. 376 393 Vgl. Szczepaniak, Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges, S. 238 394 Vgl. hierzu: Fernando Esposito, „Über keinem Gipfel ist Ruh’“. Helden- und Kriegertum als Topoi medialisierter Kriegserfahrungen deutscher und italienischer Flieger, in: Hermann J. W. Kuprian (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 73–90 395 Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 239 396 Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 254 397 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 259 87 nach nur kurzer Zeit hätte vorbei sein sollen und sich schließlich als Menschen und Material vernichtender Massenkrieg zu erkennen gab, der von riesigen Heeren und dauerndem Artilleriefeuer bestimmt war, bekam durch die bewusste Fokussierung auf individuelle Leistungen eine ersehnte, erfahrbare Gegengewichtung, zum ansonsten anonymen Sterben auf den großen Schlachtfeldern.398 Das Chaos, die Unüberschaubarkeit der modernen Kriegsführung, wirkte sich gleichsam auf den inneren Zustand der Menschen aus – Unverständnis und Desorientierung herrschten in der Bevölkerung vor – durch überschaubare Einzelleistungen wurden auch Eindrücke der Ordnung und Orientierung vermittelt, der Krieg wurde dadurch auf Begreifbares reduziert.399 Das KPQ erkannte – genauso wie gesellschaftlich motivierte und initiierte Propaganda – die Brauchbarkeit und Zweckmäßigkeit solcher Bilder und Geschichten und fing an, diese immer mehr zu instrumentalisieren. Denn nach SCHILLING existiert die Bestimmung „Held“ nicht eigenständig, sie ist „immer die diskursive Zuschreibung eines oder mehrerer Beobachter, also eine narrativ verfasste soziale Konstruktion.“400 Diese Bildkonstruktionen wurden mannigfaltig und auf verschiedenste Arten und Weisen der verfügbaren Medien kommuniziert, so dienten Vereinspublikationen, Tagesjournale und Belletristik, ebenso als Sprachrohr, wie Film und Fotografie. Die immer weiter perfektionierte Vernichtungsmaschinerie führte zu einer zusehenden Irrelevanz des Individuums – welche diametral dem Individualitätsgedanken im Alpinismus gegenüberstand – wobei hier anachronistische Betrachtungen von Geschichten eines ritterlichen Heldenmuts, über öffentliche Kommunikationswege Abhilfe schaffen und regenerativ wirken konnten, indem man eine moralische Flucht in vertraute Vergangenheitsdeutung möglich machte.401 Dabei kam nicht nur dem Kämpfer, oder dessen heldenhafte Einzelleistung eine besondere Würdigung zu, sondern in besonderem Maße auch dem topographischem Raum, in dem er sich zu profilieren wusste. Die Verbindung vom Kampf gegen die Naturkräfte und dem Kampf gegen den Feind, vorgeführt in einer Duell-ähnlichen Austragung, wurde zu einem hochwirksamen Sinnbild für die edlen Ziele der heldenhaft agierenden Soldaten gleichermaßen, wie für den deutschen Alpinismus im Allgemeinen.

Der alpinistische Habitus ist demnach in jeder Lebenslage wirklichkeitsverbürgend. Man schlägt sich damit gleichzeitig zum kaltblütigen Ritter ohne Furcht und Tadel, spielt die existentiellen Extrembedingungen herunter, bleibt durch die quasi-ästhetische Distanzierung vom Kriegsgeschehen souverän. Die gebührende Inszenierung einer schönen, alpinistisch

398 Vgl. Mondini, Kriegführung: Die italienische Gebirgsfront, S. 374 f. 399 Vgl. Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 235 400 Schilling, "Kriegshelden", S. 23 401 Vgl. Fries, Die Kriegsbegeisterung von 1914, S. 239-241; Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 253 88

brauchbaren Kriegslandschaft verschleiert, transzendiert, entpragmatisiert die Kriegswirklichkeit.402 Alpinisten hatten den Kampf mit dem Berg schon vor dem eigentlichen Krieg aufgenommen, sie waren ein eingeschworener Männerbund, sahen sich selbst als elitäre Gruppierung mit besonderen charakterlichen Fähigkeiten an und brachten dabei einen stark nationalen, deutschpatriotischen Willen mit sich.403 Von vielen wurden sie, ob ihrer bergsteigerischen Fixation, zuvor als „Bergfexen“, oder lebensmüde Vagabunden betrachtet, nun wurde ihre Expertise, ihr antrainiertes „Rüstzeug“ durch den Krieg in einen neuen Rahmen, einer neuen Ordnung angenommen und benötigt.404 Alpines Knowhow – also bergsteigerisch technische Ingeniosität – wurde zur wertvollen Qualität im heroischen Leistungskontext. Ob in Ausbildung, Aufklärung, oder im Einsatz taktischer Manöver, sie wurden strategisch gebraucht, waren gefragt, wurden zu einer tatsächlichen Elite und damit schlussendlich zu potenziellen Helden.405 Heroentum wurde mit der Alpenfront in narrative Wechselwirkung gesetzt:

Heroische Personen, heroische Leistungen, heroische Momente werden unter Vernachlässigung einer differenzierten Sichtweise mystifiziert. Das Heroische dient der Verankerung von Wertvorstellungen, von denen dann wiederum Verhaltensmuster begleitet und durchgesetzt werden.406 Der Gebirgskrieg verlangte den Soldaten, durch seine exponierte Lage und seiner Art- Besonderheit, nicht nur physisch vieles ab, sondern auch psychisch: Abgeschiedenheit, schlechte Versorgung, „unsichtbare“ Gegner und unverzeihliche Naturbedingungen, sowie der Bruch mit gewohnten Tagesrhythmen, forderten einen starken Willen und eine gewisse körperliche Anpassung der dienenden Männer. Wer diese Charakterentwicklung mit sich brachte, oder sie sich aneignete und dies vermeintlich gut verkraftete, war in den Augen seiner Mitmenschen ein echter Grenzgänger und Soldat. Wer sich in diesen lebensfeindlichen und unter extrem-wirkenden Umständen behaupten konnte, dabei scheinbar nicht einmal unter den „Waffen der Natur“ einzuknicken gedachte und in letzter Folge bereit war, für die Verteidigung der Heimat sein Leben zu geben, dem lag es nicht

402 Ebd., S. 257 403 Diese Aussage kann als Conclusio Amstädters Ausführungen über Männlichkeit im Alpinismus gesehen werden. Vgl. beispielsweise Amstädter, Der Alpinismus, S. 133 404 Nicolas Mailänder hat diesbezüglich eine aufschlussreiche historische Entwicklung, von den Anfängen des führerlosen Bergsteigens, bis hin zum „Bergvagabundentum“ in der Zwischenkriegszeit nachgezeichnet. Vgl. Nicholas Mailänder, Spitzenbergsport, S. 87-174 405 Vgl. Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, S. 379 406 Anton Pelinka, Tabus in der Politik Zur politischen Funktion von Tabuisierung und Enttabuisierung, in: Peter Bettelheim/Robert Streibel/Hellmut Butterweck (Hrsg.), Tabu und Geschichte. Zur Kultur des kollektiven Erinnerns, Wien 1994, S. 21–29, In: Peter Bettelheim/Robert Streibel/Hellmut Butterweck (Hrsg.), Tabu und Geschichte. Zur Kultur des kollektiven Erinnerns, Wien 1994, hier S. 24 89 fern als Held wahrgenommen zu werden. HOFER führt eine kategorische Unterscheidung zwischen dem Typus des „Dolomitenkämpfers“ und des „Isonzokriegers“ auf, beide wurden über Zuschreibungen spezifischer, lokal-geprägter Nervenstärken als Heldenbilder etabliert.407 Solch eine eindeutige Distinktion ist zwar fragwürdig – dafür ähnelten sich die Fronten in ihren Extremen und Umständen zu sehr – die Heldenbestimmungen lassen sich aber in verbindenden Elementen zusammenführen, wie in denen des Ausharrens, der Defensivbereitschaft und in bestimmten Männlichkeitsvorstellungen. In gewisser Weise machten also erst die mannigfaltigen Gefahren der Berge, in Verbindung mit kulturellen Identifikationsmustern, wie denen des „einfachen Mannes“, der für seine Berge und sein Land kämpfte, gewöhnliche Männer zu heldenhaften Soldaten – militärische Aspekte, wie Training und Kampfgeschick, spielten dabei eine untergeordnete Rolle.408 Nach

SZCZEPANIAK lassen sich für Deutschland und Österreich unterschiedlich kultivierte Heldenbilder bestimmen, auch wenn dies generell gesehen und kulturwissenschaftlich so zu vertreten ist, kann man den Gebirgskrieg hier wohl als Besonderheit herausnehmen.409 Der Kampf im und mit dem Gebirge ließ ein eigenes Heroismuskonzept entstehen, eine Art Mischform der bestehenden, bedingt durch die Einzigartigkeit der Verhältnisse – es wurde nicht mehr nur für Gott und Kaiser gekämpft, sondern für transzendentere – dem Alpinismus nahe stehende – Paradigmen, wie Heimat und Nation. Um als (Opfer)Held anerkannt zu werden, musste man „Leistungen für das Gemeinwesen“ – bis hin zum körperlichen Opfer – erbringen und für die Werte der umgebenden Gesellschaftsordnung einstehen.410 Der eintretende Tod in der bis zuletzt gewissenhaft durchgeführten Ausübung seiner Vaterlandspflicht – also in diesem Sinne für Gott, Kaiser und Heimat – konnte als endgültige (öffentliche) Legitimation zur nachhaltigen Heldenverehrung, weiterlebend auch in der Nachkriegserinnerung, werden – so geschehen etwa bei Sepp Innerkofler und Egon Lerch.411 Diese zwei Figuren waren sozusagen die Prototypen des österreichischen Nationalhelden, beide aus ihrer jeweiligen, für sie stehenden Domäne entliehen – der eine focht hoch oben zwischen den Bergspitzen, der andere im U-Boot in den Tiefen der See – sie waren

407 Der Dolomitenkämpfer war demnach aktiv, heimatverbunden, stoisch und körperlich. Der Isonzokrieger passiv-leidend, diszipliniert und daher ein echter „Nervenkrieger“. Vgl. Hofer, Nervenschwäche und Krieg, S. 273-277 408 Vgl. Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 267 409 Zu den Unterschieden und den jeweiligen Charakteristika der deutschen und der österreichischen männlichen Heroismuskonzepte: Vgl. Szczepaniak, Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges, S. 238-246 410 Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 25 411 Goll, ‘Our Weddigen’ und Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, geben in ihren jeweiligen Abhandlungen aufschlussreiche Einblicke zu der Heldenfunktion und Heldenbestimmung Lerchs, respektive Innerkoflers. 90

Heldenfiguren, die schon während des Krieges von der Heeresleitung regelrecht kultiviert wurden. Die Aufarbeitung und Vorbereitung einer Kriegsgeschichtsschreibung über „populärwissenschaftliche Darstellungen“, wurde seitens des Wiener Kriegsarchivs schon für 1914 vorgesehen und forciert.412 Eine wirkliche propagandistische Funktion sollten sie allerdings erst in der Nachkriegszeit bekommen, so geschehen in der Instrumentalisierung unter nationalsozialistischer Herrschaft.413 Innerkofler wurde nicht wegen seiner militärischen Aktionen zum Held, er wurde durch die Verbindung verschiedener gesellschaftlicher Akzeptanzebenen, verbunden mit persönlichen Tugenden, zu einem. Nach

WURZER war er in erster Linie nicht Soldat, er war vor allem charismatischer Bergführer, traditionsbewusster Standschütze und ortsbekannter Hüttenwirt – die Fortführung im Soldatentum war demnach logische Konsequenz. Er war also schon in der Vorkriegszeit ein bekannter Mann der lokalen Öffentlichkeit und brachte damit die nötigen „Bauteile“ mit, um Subjekt einer heldischen Verehrung zu werden.414 Der damals 51-jährige, wurde Kommandant einer „Fliegenden Patrouille“ auf der Zinnenhochfläche – da dieses als Wirt der Dreizinnenhütte auch in Friedenszeiten sein Wirkgebiet war – und unter seinem Kommando standen mehrheitlich alpin erfahrene Standschützen für Aufklärungs- und Präsenzmanöver.415 In der Literatur wird Innerkofler neben seinen Fähigkeiten im zivilen Leben, auch im Krieg als echter Tausendsassa dargestellt, als geborener Anführer, fähiger Schütze – trotz fehlender militärischer Ausbildung – als mutiger Bergsteiger und sogar als gerissener Stratege.416 Innerkofler wurde schließlich bei einem militärischen Gipfel- Unternehmen am Paternkofel tödlich verwundet und da die Todesursache nicht eindeutig geklärt werden konnte, wurde selbst sein Tod zu einem Mysterium, welches bis heute in der Rezeption um ihn, Gegenstand zahlreicher Spekulationen ist.417

Einer der Besten aus dem Kreise unser [sic] bewährtesten Bergführer und einer der besten Söhne Tirols ist einer Feindeskugel erlegen. […] Die S.[ektion] Hochpustertal meldete über Innerkoflers Heldentod das Folgende: „Sepp Innerkofler, der weit bekannte, allgemein beliebte, beste unserer Bergführer, zugleich langjähriger Wirt unserer Dreizinnenhütte und

412 Die Ausarbeitung einer heroisierenden Militärgeschichtsschreibung fiel unter anderem der „Literarischen Gruppe“ zu. Siehe dazu Kapitel „Propaganda“. Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 64 413 Siehe auch am Beispiel der Heldenverehrung Egon Lerchs bei: Goll, ‘Our Weddigen’, S. 213-233 414 Vgl. Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, S. 375 415 Die „Fliegenden Patrouillen“ hatten als Aufgabe von Gipfel zu Gipfel zu ziehen und damit dem Feind besetzte und bemannte Stellungen vorzutäuschen, wo eigentlich keine Besatzungskräfte vorhanden waren. Neben diesen Täuschungsmanövern galten diese alpinen Gänge natürlich auch der Aufklärung. Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 234; Vgl. Heiss/Holzer, Sepp Innerkofler, S. 75 416 Ebd., S. 71-103 417 Nach Schätzungen soll es bis zu 30 verschiedene Versionen und Interpretationen zum Umstand des Ablebens von Sepp Innerkofler am Paternkofel geben. Die Bandbreite der Darstellungen reicht dabei vom heldenhaften Ansturm gegen Feindesstellungen, über einen möglichen Zweikampf, bis hin zu versehentlichem Beschuss („friendly fire“) aus eigenen Reihen. Vgl. ebd., S. 92-96 91

Besitzer des ,Dolomitenhofes' im Fischleintal, ist in der Nacht vom 3. zum 4. Juli [1915] in Ausführung eines Befehles als Standschütze bei einem Angriff gegen die Italiener auf dem Paternkofel den Heldentod für das Vaterland gestorben.418

Zentraler Kernpunkt der Kriegsmythen im Alpenraum, war ganz klar die Verteidigung der eigenen heimischen Grenzen in quantitativer Unterzahl. In der Narration der soldatischen Defensivleistung konnten sich heldische Tugenden erst voll entfalten – der Topos vom Opfer, welches Gewalt zur Friedenssicherung gegen einen Aggressor wendet, war eingängig und wirkmächtig.419 Durch die Verschiebung der Front in Höhenlagen wurde die Abwehrstärke dieser, im Vergleich zum Flachland, um ein Vielfaches vergrößert. Wenige Männer konnten weitläufige Gebiete sichern und halten, zugleich waren im unzugänglichen Gelände Manöver von kleinen Kampfabteilungen, als von großen Truppenkontingenten, bevorteilt.420 Die Leistungen der grenzverteidigenden Soldaten wurden glorifiziert, die der Italiener auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit abgetan. Als besonders wirkmächtiges Beispiel diente dabei die Verteidigung der Tiroler Front durch das Standschützenkorps zu Kriegsbeginn. Auf einer über 350 Km langen Front, stellten sich um die 35.000 Mann – nach

FORCHER kamen dabei also „bei Kriegsbeginn ein Mann auf zehn Meter Front“421 – zwei kompletten italienischen Armeen gegenüber. Dieses rasch zusammengekratzte „letzte Aufgebot“ der Österreicher bestand mehrheitlich aus den bereits erwähnten freiwilligen Standschützenregimenter, ihrerseits Sinnbild der wehrhaften Tiroler Männer, die sich trotzig einer feindlichen Übermacht in den Weg stellten. Dass es nie zu einem konzentrierten Angriff seitens der Italiener kam – dem diese spärliche Verteidigung in realiter nichts entgegensetzen hätte können – tat diesem, von da an verankerten, heroischen Impetus der „Trotzburg Tirol“ keinen Abbruch. Es wurde vielmehr eher dem „feigen“ Charakter der Italiener zugeschrieben, dass sie sich beim Anblick der entschlossenen Verteidiger vom vermeintlich unverteidigten Tiroler Gebiet abwandten und sich ein neues Operationsgebiet suchten. Besonders verwegene Standschützen waren auch immer wieder Teil der später berühmt berüchtigten Freiwilligenkommandos, wenn es um die, aussichtslos erscheinenden, Einnahmen feindlicher Höhenstellungen ging. Zum Zeitpunkt des Kriegseintritts Italiens, herrschten unter der österreichisch-ungarischen Führung schlechte Moral und Pessimismus vor, aufgrund der massiven numerischen Überlegenheit und der moderneren Ausrüstung der

418 MDÖAV 1915, Bd. 41, Nr.13/14, Digitalisierung und elektronische Archivierung, ALO - Austrian Literature Online, S. 138 419 Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 433 f. 420 Vgl. Jordan, Krieg um die Alpen, S. 214 421 Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg, S. 173 92

Italiener, glaubte man denen nicht wirklich was entgegensetzen zu können und rechnete mit einem desaströsen Fortgang des Krieges.422 Wurde die Motivation der Soldaten zu Kriegsbeginn noch durch einen „Kaisermythos“ hochgehalten, wurde dieser im Süden des Reiches alsbald von einem wirksameren Heldenmythos abgelöst, denn die Verteidigung der Heimat war unmittelbarer. Heimat wurde von den Soldaten individuell und direkt verstanden, Heimat konnte das eigene Dorf, der nächstgelegene Berg, das unweite Tal, oder die Berghütte mit dem schönen Ausblick sein – Instinkte der Tapferkeit und Opferbereitschaft, wurden durch emotionale Verbindungen und Erfahrungen berührt.423 Neben der Bereitschaft zur Vaterlandsverteidigung, wurde also der Topos der Freiwilligkeit, aus der diese entsprang, zu einer wesentlichen Voraussetzung für eine künftige heldische Verehrung.424 Der unverhoffte Erfolg in der entbehrreichen, aber wirksamen Verteidigung der Grenzen, ließ Hoffnung keimen und diese Mentalität des „Ausharrens“, über eifrige Propagandaarbeit, gezielt in legendären Geschichten manifestieren.

422 Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 - 1918, S. 410 f. 423 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 30 424 Vgl. Nils Arne Sørensen, Zwischen regionaler und nationaler Erinnerung. Erster Weltkrieg und Erinnerungskultur im Trentino der Zwischenkriegszeit, in: Hermann J. W. Kuprian (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 397–412, hier S. 399 93

4. Rezeption und Gedächtnis

4.1 Romantisierender Mythos Schlägt man den Wortbegriff Mythos nach, wird unter anderem folgende Definition vorgeschlagen: „Person, Sache, Begebenheit, die (aus meist verschwommenen, irrationalen Vorstellungen heraus) glorifiziert wird, legendären Charakter hat.“425 Einen Mythos kann man in seiner Funktionsweise und Charakteristik als gesellschaftlichen Anpassungsrahmen verstehen, als Versuch individueller Sozialisierung, durch den Entwurf eines verklärten Bildes, beispielsweise einer heroischen Erzählung, oder Deutung wird im bürgerlichen Konsens ein Gegenentwurf evoziert, welcher als Wirklichkeitsalternative für das Gesellschaftsumfeld angeboten wird.426 Diese Entwürfe reichten von der Heimat, über den gerechten Verteidigungskrieg, zum Heldenbild des opferbereiten Bürgersoldaten, bis zur Umdichtung zum Sieg ‒ Hand in Hand mit Dolchstoßlegende und Revanchismus – dies alles sollte nicht nur einer Legitimation dienen, sondern auch vor einer noch weiteren Desillusionierung schützen, sollte Identität und Würde spenden und Geltung verschaffen.

Entscheidend für die Mythenbildung ist das Verhältnis von kollektiven, rückblickenden Bestimmungskategorien, wie Gedächtnis, Erinnerung und Geschichte zueinander. Nach

ASSMANN bedingen sich die Kategorien von Geschichte und Gedächtnis gegenseitig in einer Abgrenzung voneinander, das eine konstituiert das, was das andere nicht zu sein vermag.427 Da die beiden Konzepte aber dennoch auf vielen Ebenen miteinander verwoben sind, gelangt

ASSMANN zu einer Aufteilung in ein Funktionsgedächtnis, ein bewohntes Gedächtnis, welches selektiv, wertvermittelnd, sinngebend und an ein Trägermedium gebunden ist und in ein Speichergedächtnis – ein unbewohntes Gedächtnis welches gleichwertend, wahrheitsermittelnd, ungeformt und von einer bestimmten Gruppe losgelöst ist.428 Von einem kollektiven Gedächtnis, oder Gruppengedächtnis spricht man, wenn die Gruppe durch Erinnerungen genormt wird und vice versa, wobei dies durch bestimmende Symbole und Zeichen möglich ist – Symbole bieten jedem einzelnen ein Stück der gemeinsamen Identität und somit einen Anteil am kollektiven Gedächtnis.429 Ein Beispiel hierfür wäre wiederum der Alpinismus, der als kulturelles Phänomen diesbezüglich viele anschauliche Ansatzpunkte bietet. „Das Gedächtnis produziert Sinn, und Sinn stabilisiert das Gedächtnis.

425 http://www.duden.de/rechtschreibung/Mythos (Aufruf: 8.7.2017) 426 Vgl. Martinsen, Der Wille zum Helden, S. 20 427 Vgl. Assmann, Erinnerungsräume, S. 130 428 Vgl. ebd., S. 133-134 429 Assmann frei nach Maurice Halbwachs und Pierre Nora, Vgl. ebd., S. 131 f. 94

Es ist stets Sache einer Konstruktion, einer nachträglich hinzugeschaffenen Bedeutung.“430 Das Funktionsgedächtnis ist ein „erlerntes“ Gedächtnis, konstruiert durch bewusste Auswahl und Verknüpfung von Elementen und dient einer Legitimation, Delegitimation und Distinktion, „aus diesem konstruktiven Akt geht Sinn hervor, eine Qualität, die dem Speichergedächtnis grundsätzlich abgeht.“431

Das kulturelle Funktionsgedächtnis ist an ein Subjekt gebunden, das sich als dessen Träger oder Zurechnungssubjekt versteht. Kollektive Handlungssubjekte wie Staaten oder Nationen konstituieren sich über ein Funktionsgedächtnis, in dem sie sich eine bestimmte Vergangenheit zurechtlegen. Das Speichergedächtnis dagegen fundiert keine Identität.432 In der Ersten Republik, einer „neuen“ Nation im Schatten eines verlorenen Krieges und einer einstigen Monarchie, musste das Funktionsgedächtnis neu besetzt werden, um Sinn zu schaffen, um Identität zu spenden – eine zentrale Rolle spielten dabei Wahrnehmungen und Erinnerungen an diesen Krieg. Vor allem da es auch zu einer zunehmenden Entfremdung – angetrieben durch desillusionierend wirkende Kriegserfahrungen – zwischen Front und Heimatfront gekommen war, die im Zusammenspiel mit schlechter Versorgungsgrundlage, einer Kriegsaufgabe zuspielten.433 Eine umfassende nationale Mythenbildung sollte hier wohl entsprechend entgegenwirken. In der Erinnerungskultur etablierte sich zugleich und bedingt durch andere Elemente der Mystifizierung, der Glaube an eine „im Felde unbesiegten“434 Armee, die Kriegsmüdigkeit und Desillusionierung ausklammerte und die Niederlage damit marginalisierte, sie regelrecht negierte.435 Im deutschsprachigen Raum wurde nach dem Ersten Weltkrieg also nicht wirklich die Sinnhaftigkeit, der durch den Krieg entfesselten Massenvernichtung, in Frage gestellt, sondern die Kriegserfahrungen und Erinnerungen wurden eher durch heroische Kontextualisierung und gelebten Revanchismus aufgearbeitet, welche eine neuerliche nationale Selbstbehauptung ermöglichen sollten.436 In Österreich empfand man die Friedensbestimmungen von Saint-Germain-en-Laye, die unter anderem die Abtretung der Tiroler Gebiete südlich des Brenners an die Italiener bestimmte, als ungerecht. Diese wurden meist hochemotional kommuniziert.437 Auch innerhalb des

430 Ebd., S. 136 431 Ebd., S. 137 f. 432 Ebd., S. 137 433 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 179 434 Die Deutung der „im Felde unbesiegten Armee“ war eng mit der Dolchstoßlegende verknüpft und sollten als Legitimationsideologie und Bekräftigung nationalkonservativer Kräfte bei den Verlierermächten dienen. Als deutsche Interpretation, vgl.: Gustaf von Dickhuth-Harrach, Im Felde unbesiegt. Der Weltkrieg in 28 Einzeldarstellungen, München 1920 435 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 178; Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 88 436 Vgl. Thiemeyer, Zwischen Helden, Tätern und Opfern, S. 483 437 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 308 95

Alpenvereins geriet die „Südtirolfrage“438 zum ständigen Thema, das Elitebewusstsein des Vereins wurde nun auf (deutsch)nationale Belange und Werte ausgeweitet, den Eindruck einer vaterländisch wehrhaften Konstante, in scheinbar politisch unsicheren Zeiten, vermittelnd. Laut GÜNTHER wurden dabei „die alpinistischen Lieblingskollektive ‚Volk‘ und ‚Nation‘ nach dem Muster einer männlichen Kriegergemeinschaft zugeschnitten.“439 Die Mythen um Andreas Hofer und Sepp Innerkofler wurden in der deutschalpinen Ideologie erzählwirksam vereinigt und wurden im Alpenverein, durch ihre freiwillige Intention den „Heimatboden“ zu verteidigen, gleichsam „zur Ikone des völkischen Revanchismus um Südtirol“440.

[…] so wird der Freiheitskampf Tirols […] als eine kleine, todbereite Schar freiwilliger Kämpfer, meist Bergbauern, die für den Kriegsdienst an der russischen oder serbischen Front zu alt oder untauglich gewesen waren, einer großen, wohlgerüsteten Armee den Einmarsch in die Berge Tirols verwehrte, in der Gestalt Sepp Innerkoflers fortleben. Als Italien Österreich den Krieg erklärte, war Sepp Innerkofler schon fünfzig Jahre alt […] und wie Andreas Hofer überall in Tirol bekannt, geachtet […]441 Die „Heimat“ wurde nach dem Krieg zu einer diffusen Vorstellung einer schwer definierbaren Begrifflichkeit, der keine hegemoniale Erinnerung zugrunde lag. Für die Soldaten war die Heimat nicht mehr dieselbe, auf deren Aufruf sie in den Krieg gezogen waren, das Kaiserreich existierte nicht mehr, sie kehrten in eine neue Nation heim.442 Im Nachkriegsösterreichs standen sich die Sozialdemokratische Partei, die dem Krieg und der Monarchie gegenüber kritisch eingestellt waren, die Christlichsoziale Partei, mit konservativ vaterländischer Kriegsdeutung und die Deutschnationale Partei, mit großdeutsch völkischer Sicht auf den Krieg, gegenüber. Die heroisierende Kriegsdeutung der beiden rechten Lager setzte sich in der „bürgerlichen“ Erzählung durch, der Fortbestand der Nation wurde über die Niederlage gestellt und mit einem Deutschtum konnotiert, welches den Ersten Weltkrieg als vorrangig „deutsches“ Narrativ etablierte – unter Ausblendung eines eigentlich multinational geführten Krieges der k. u. k. Armee.443 „Der Krieg in den Alpen wurde als Krieg der ‚österreichischen Deutschen‘ erzählt“444, die „Heldentruppen“ der Kaiserjäger

438 Große Teile der Wirk- und Arbeitsgebiete kamen dem DÖAV durch den „Verlust“ Südtirols nach Kriegsende abhanden. Neben dem Gebietsverlust ging auch alpine Infrastruktur in erheblichem Maße in italienischen Besitz über. Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 196; Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 272 439 Ebd., S. 275 440 Amstädter, Der Alpinismus, S. 245 441 Trenker, Helden der Berge, S. 128 442 Vgl. Stegmann, Kriegsdeutungen, Staatsgründungen, Sozialpolitik, S. 65 443 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 309 444 Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 435 96 und Standschützen, als deren Inkarnation im Krieg. Die verklärende kollektive Erinnerung, bei der man ausgewählte Inhalte wiedergab und reproduzierte und andere ruhen ließ, führte demnach zu einer gewissen Identitätsbildung.445 Die Basis für die Entwicklung einer nachhaltigen politischen und öffentlichen Identität, war durch den Krieg – mit seinen schwer zu begreifenden, oftmals ambivalenten und unwirklich erscheinenden Eigenheiten und Ausprägungen – auf ein schwaches Fundament gestützt, konkrete Vorstellungen und Zuschreibungen, die eindeutig zuordenbar waren und damit die harte Realität erleichterten, wurden in Mythen verpackt und sollten ein kollektives Gedächtnis bestimmen.446 Im „autoritären Ständestaat“447 ging es um die Proklamation einer wehrhaften „Österreich- Ideologie“ im kollektiven Gedächtnis, welches vor allem über eine „monumentalistische Geschichtsauffassung“ getragen wurde, die sich in einer überbordenden Sprache manifestierte und den „österreichischen Anteil“ am Weltkrieg als weltbewegendes Ereignis ausformulierte.448 „Der sprachliche Gestus der Monumentalität und die Archaisierung des Krieges“449 sollte damit eine bürgerliche Wertanbindung an österreichischen Grund und Boden schaffen, gleichzeitig aber auch einen Fortbestand der Wertvorstellung und der Bedeutung der Monarchie suggerieren. Im „Austrofaschismus“ sollte also die Mythenbildung gezielt einem „Österreichtum“ zuspielen und die Monarchie positiv konnotiert in Erinnerung behalten. Das Motiv der Ehre kam hier als tragendes Element hinzu, der Krieg war zwar verloren, aber die Armee war ehrenvoll und ruhmreich niedergegangen, wie es auch die Donaumonarchie tat – Kompensation und Kontinuität gingen über symbolische Verknüpfungen Hand in Hand.450 „Im Rahmen einer sich zunehmend verselbständigenden Dynamik emanzipierten sich die dem Mythos zugrundeliegenden fundierenden Erzählungen immer mehr von realen Verhältnissen an der Gebirgsfront und den konkreten Kriegserfahrungen.“451 Da wie theoretisch bereits

445 Vgl. Kühne, "… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren" Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, S. 189 446 Vgl. Richard Bessel, Die Heimkehr der Soldaten. Das Bild der Frontsoldaten in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik, in: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch … : Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs (1993), S. 221–240, hier S. 236 447 Der „Österreichische autoritäre Ständestaat“ hatte von 1934-1938 Bestand. In der Forschung gibt es breite Debatten um die Begriffsbestimmung der Zeit des „Ständestaates“. So werden unter anderem Bestimmungen als „Kanzlerdiktatur“ oder „Austrofaschismus“ diskutiert. Siehe hierzu: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy, Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933-1938. Vermessung eines Forschungsfeldes; Lucile Dreidemy/Richard Hufschmied/Agnes Meisinger/Berthold Molden/Eugen Pfister/Katharina Prager/Elisabeth Röhrlich/Florian Wenninger/Maria Wirth (Hrsg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte. Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert, Wien-Köln-Weimar 2015; Karner/Mikoletzky, Österreich. 90 Jahre Republik 448 Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 427-429 449 Ebd., S. 429 450 Vgl. ebd., S. 435 451 Überegger, Erinnerungskriege, S. 241 97 ausgeführt, Geschichte mit Gedächtnis untrennbar verbunden ist, musste man die Geschichte komponieren, sie sich zurechtlegen, um in rechter Erinnerung bleiben zu können. So wie es

HIRSCHFELD für den Langemarck-Heldenmythos bestimmt, geht es auch bei der nationalen Anrufung des Gebirgskrieger-Mythos darum, nachhaltig zu vermeiden, nicht aus der Geschichte „herauszufallen“.452 Der Langemarck-Mythos versuchte den nationalen Opferhelden im kollektivem Gedächtnis Deutschlands zu etablieren, scheiterte im Anschluss an den Weltkrieg vorerst aber an den zeitnahen Erinnerungen an den verlustreichen Stellungskrieg, der Mythos vom „Krieg der Bergführer“ – dem teilweise ein ähnlicher Heldentypus zugrunde lag – hatte aufgrund seines alpinen „Settings“, seiner ahistorisch wirkenden Bedingungen, unmittelbarere Wirkung.453 Der Gebirgskriegs-Mythos wurde zwar auch erst während der „Kanzlerdiktatur“ endgültig verankert, es scheint aber, als wurde sich seiner, über verbindende Motive schon seit dem Krieg und darüber hinaus bedient. Der Alpinismus, der durch den Ersten Weltkrieg erfolgreich das Natürliche mit dem Modernen verband, wurde durch seine Aufstiegsmetaphern zu einem zentralen Leitbild „innerer, moralischer Aufrüstung“ für die Erste Republik.454

Die Nachkriegsgesellschaft musste also mit der Niederlage und mit den erlebten Kriegserfahrungen unterschiedlichen Ausmaßes umgehen lernen. Sinn und Deutungsgeber, welche Vertrautheit und Geborgenheit spendeten, wurden gesucht und in Denk- und Handlungsmustern wie dem Alpinismus – der die Alpen und seine Gipfel seit jeher als ureigenste Heimat proklamierte – gefunden. Eskapistisch wirkende Zuschreibungen der reinigenden Natur, der läuternden Sphäre der Bergwelt, waren vielversprechend. Symbolstarke und erzählwirksame Elemente sind über ihre Repräsentativität konstitutiv für die Etablierung einer Identität.455 Das Konzept der heilsversprechenden Landschaft wurde somit auf ganz unterschiedliche Weise instrumentalisiert, sie konnte propagiert werden im Sinne einer gesellschaftlichen Mobilisierung, konnte in ihrer Wirkung gleichzeitig aber zu einer Distanzierung vom Kriegsgeschehen führen. Selbst eine alpine Kriegslandschaft konnte, durch eine gekonnt-überformte Inszenierung, über die Kriegswirklichkeit hinwegtäuschen und diese nachhaltig entpragmatisieren.456 So vielfach geschehen bei Fotografien und Abbildungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren und eine

452 Vgl. Hirschfeld (Hrsg.), "Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …", S. 54 f. 453 Der Langemarck-Mythos kam erst nach und nach in der Weimarer Republik zu tragen. Im Gegensatz dazu wurde über die habsburgische Kriegspropaganda eine vergegenwärtigte Kriegsgeschichtsschreibung forciert. Vgl. Schilling, "Kriegshelden", S. 252-253; Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 64-67 454 Vgl. Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 226 f. 455 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 61 456 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 257 98

ästhetisierte Kriegslandschaft wiedergaben.457 Die Monumentalität der Alpen repräsentierte symbolhaft die scheinbare Unnachgiebigkeit der Gebirgshelden und vermittelte nationale Beständigkeit in der Nachkriegszeit.458 Die Perzeption der Bergwelt durchlief folglich eine grundlegende Veränderung, die Alpen, die vor dem Krieg einer Sphäre der Freiheit und der Zivilisationsflucht entsprachen, wurden nun zu einer Zufluchtsstätte und einer Basis für nationales Gedankengut, welches sich um Eroberungsfantasien und Revanchismus kreiste.459 Das vereinigende Band aus kriegerischem Kultus und Bergsteigen konnte in diesem Revanchismus weitergelebt, durch Metaphern, Rituale und Symbole gestützt und angetrieben, sollte in der Zwischenkriegszeit vor allem auch die Jugend erreicht werden.460 Für diese war die alpin-geprägte Erinnerungskultur und Lebenswelt scheinbar reizvoll und identitätsspendend. Die völkische Erziehung wurde in die Vereinssatzungen des DÖAV geschrieben, der Antisemitismus nahm fortschreitend zu und Versionen einer „Dolchstoßlegende“ wurden vereinsintern auf Versammlungen und über Publikationen rezitiert.461 Radikalismus wurde im Alpenverein und in der Öffentlichkeit in gleichem Maße populär, wie die literarische Aufarbeitung der „unverdienten“ Kriegsniederlage, wobei dem Alpenkrieg hier ein ungleich höherer Stellenwert und Zuwendung als „Geschichtsträger“ entgegengebracht wurde.

Während an der West- und Ostfront, sowie am Isonzo die ungeheuren Schlachten des Weltkrieges tobten, schlugen sich in den Felsbastionen der Dolomiten Österreicher und Alpini. Unsere Kämpfe im Hochgebirge waren reich an dramatischen Situationen. Unendlich blutig war das Ringen um besonders wichtige Berge.462

4.2 Ahistorische Kriegshistoriographie

Das Schrifttum ist nach ASSAM ein bedeutendes Medium des Gedächtnisses, es dient diesem als Stütze und zum Zwecke der Verewigung, es wirkt aber zugleich auch als Gefahr, weil die Funktion des Gedächtnisses auf die Schrift „externalisiert“ werden kann, die

457 Über öffentliche, propagandistische und private Fotografie im Ersten Weltkrieg, deren Bedeutung, Verwendung und Einsatz, exzellent ausgeführt bei: Holzer, Die andere Front 458 Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 433 459 Vgl. Keller, The Mountains Roar, S. 254 460 Vgl. Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 51; Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 239 461 Im Jahr 1919 wurden die sogenannten „Nürnberger Leitsätze“ im gesamten Alpenverein beschlossen, diese sollten die Grundsätze zur alpinen Tätigkeit und Arbeit neu festlegen und bestimmen. In diesen Leitsätzen ist unter anderem die Rede vom Bergsteigen als Mittel zur „Wiederherstellung der sittlichen Kräfte des deutschen Volkes“, der Alpinismus wurde demnach als das wichtigste Mittel dazu angesehen. Vgl. Achrainer/Mailänder, Der Verein, S. 218-228 462 Einleitend aus dem Vorwort von Berge und Flammen, wird der Mythos des Alpenkrieges unwillentlich zusammengefasst.Trenker, Berge in Flammen, S. 5 99

Verantwortung sozusagen auf diese übertragen wird: Die Schrift dient der Speicherfunktion, ersetzt aber nicht die Erinnerungsfunktion.463 Wie die Schrift können auch Bilder und der Körper, als Metaphern und Medien des Gedächtnisses angesehen werden, welche sich wechselseitig beeinflussen und übersetzen lassen und zeugen damit von der Komplexität des kulturellen Gedächtnisses – so können auch Traumata als „Körperschriften“ gesehen werden, welche durch Gewalteinwirkung eingeschrieben werden und eine Identitätsbildung erschweren.464 Nach FRIES hatte einschlägige „kriegsaffirmative“ bzw. „kriegsapologetische“ Literatur ‒ vor, während und nach dem Krieg ‒ konstitutive Einflussnahme und Bedeutung in der Vermittlung des Ersten Weltkriegs auf die Bevölkerung, bezogen auf „Auflage, Verbreitung und Rezeption“ dieser, durch Zeitungen, Zeitschriften und Bücher.465 Einer sachlich begründeten Diskursanalyse wurden dadurch enge Grenzen gesetzt, einerseits durch fehlende kritische Selbstreflexion seitens der Erzähler, andererseits waren die kompensatorischen Funktionen der (literarischen) Nacherzählungen in der Zwischenkriegszeit einfach wirkmächtiger.466 Dabei wurde auf unterschiedlichste Literaturgattungen zurückgegriffen, von Kriegs- und Spottgedichten, über Berichte und Aufsätze, bis hin zu Erzählungen in Romanform, wurde sich mit Erfahrungen und Erlebnissen den Krieg betreffend auseinandergesetzt und diente damit einer enormen gesellschaftlichen Verbreitung. In den 30er Jahren wahren selbst Schul- und Jugendbücher um eine heroische Reminiszenz des Krieges und um eine kollektive Identifikation mit der Armee der untergegangenen Monarchie bemüht.467 Schon während dem Krieg kam dem Aufbau und der Komposition eines Bildes eines besonderen Kampfes, einem „Krieg der Bergführer“ eine hohe Bedeutung zu, dieser wurde vor allem durch das Medium der Kriegsberichterstattung getragen, die entweder von gesellschaftlichen Organisationen wie dem DÖAV, oder staatlich durch das KPQ bzw. dem Kriegsarchiv geleitet wurden. Alice Schalek war beispielsweise eine Kriegsberichterstatterin des KPQ, die direkt von der Front berichtete und so schon unmittelbar während den Kriegstagen ein

463 Vgl. Assmann, Erinnerungsräume, S. 184 f. 464 Vgl. ebd., S. 220 f.; S. 248 465 Ausführlich dazu bei: Helmut Fries, Euphorie - Entsetzen - Widerspruch. Die Schriftsteller 1914 - 1918 (Die große Katharsis der Erste Welkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter; 2), Konstanz 1995, S. 21 f. 466 Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“; Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 71 467 Suppanz führt hier als Beispiele gleichsam das Jugendbuch Helden der Ostmark (1937), wie das Schulgeschichtsbuch Vaterlandskunde (1938) an, welche beide einen eingeschränkten Diskurs zuließen und als Regime-Propaganda gewertet werden können. Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 430 f. 100

„stimmiges“ Vorstellungsbild bei den Adressaten vermittelte.468 In der Zwischenkriegszeit kam der Pflege bestimmter Bilder durch Literaten eine besondere Bedeutung bei, welche oftmals selbst im Krieg tätig waren und nun von einem professionellen – aber selbstbestimmten – Standpunkt aus, ein Geschichtsbild kultivierten und dadurch die

Überlieferung dieser Ereignisse streckenweise bis heute prägen.469 ÜBEREGGER weist diese selektiv agierende Formung der Erinnerung, an einen heldenhaften und glorreichen Krieg, als „Offiziersgeschichte“ aus, die vordergründig geschichtspolitisch motiviert war.470 Offiziere die durch die Niederlage ihre monarchisch-militärische Zugehörigkeit verloren hatten, die in ihrem Status öffentlich von der jungen Republik angeprangert wurden, versuchten sich in einem neuen Tätigkeitsfeld und hofften auf eine Wiederherstellung ihrer Reputation, gleichzeitig war ihr Blick aber auf eine idealisierte Vergangenheit fokussiert.471 Das Erinnerungsbild der Öffentlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde demnach weniger von der anonymen Masse der kriegsinvolvierten Soldaten und Zivilisten – also der Opfer – hochgehalten, sondern zunehmend von Offiziersveteranen, die aus einer ideologischen und medial gestützten Perspektive ihre Kriegserfahrungen und Erinnerungen verarbeiteten.472 „Die literarische Apologetik lieferte wichtige sinnstiftende Deutungen des Krieges, beeinflusste die Wahrnehmung seiner realen Auswirkungen und appellierte an das Verhalten des einzelnen.“473 Die Federführenden waren meist selbst bekennende und aktive Alpinisten – ein Umstand der heute noch ein Groß der Alpinliteratur bestimmt – und setzten den Bergsteigertypus als ein selbstbestimmtes, entschlossen agierendes Subjekt in Szene, genormt von Deutungsmustern eines „Risikoalpinismus“ und „Heldischen Alpinismus“.474 Erzählungen wurden und werden also nachhaltig von individuellen Erfahrungen und Vorstellungswelten bestimmt:

[…] an individual’s experience is a result of his or her interpretation, actions, and perception (internalization) of events, which are influenced by objective factors such as time, as well as subjective factors such as their environment. As individuals internalize their experiences and

468 Alice Schalek (1874-1956) war die einzige weibliche Kriegsberichterstatterin im KPQ und berichtete vor allem von den Gebirgsfronten. Vgl. hierzu: Alice Schalek, Tirol in Waffen. Kriegsberichte von der Tiroler Front, München 1915 469 Vgl. Stegmann, Kriegsdeutungen, Staatsgründungen, Sozialpolitik, S. 75 470 Vgl. Labanca/Überegger, Krieg in den Alpen, S. 10 471 Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 84 f. 472 Bessel bestimmt diese Entwicklung für die Nachkriegsgesellschaft in der Weimarer Republik, welche sich in dieser Hinsicht jedoch mit der österreichischen Nachkriegszeit in Einklang bringen lässt. Vgl. Bessel, Die Heimkehr der Soldaten, S. 278 473 Fries, Euphorie - Entsetzen - Widerspruch, S. 23 474 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 260 101

attitudes, values, and behaviors become entrenched, they find expression in society through institutions, symbols, images, rituals, and in oral and written language.475

Nachkriegsliteraten wie Fritz Weber und Luis Trenker personifizierten durch ihr Schrifttum eine „Wesensverwandtschaft zwischen dem Künstler und dem Soldaten“476 und suggerierten damit auch eine besondere Kompetenz, über diesen zu berichten und diesen richtig zu deuten. Immerhin waren sie selbst im Alpenkrieg gewesen, hatten diesen selbst erlebt und gespürt, hatten sich in diesem also scheinbar „bewährt“, sie konnten damit ihre Erfahrungen aus erster Hand und vermeintlich unverfälscht dem Leser und der Leserin näherbringen. Sie fungierten als „militärische Augenzeugen“477 einer Nachkriegsgesellschaft und gewährten persönliche, wie auch militärische Einblicke und Interpretationen über ausgewählte Darstellungen und selektive Erinnerungen vom Kriegsalltag. Selbst in der Politik bediente man sich dieses Repräsentations-Kniffes: So wurden im österreichischen autoritären Regime Führungspersönlichkeiten bewusst mit ihren Fronteinsätzen im Ersten Weltkrieg in Verbindung gebracht und ihre Leistungen in diesem hervorgetan und sollten damit ehrenvolle Versprechungen von Führungsqualitäten, Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft in sich tragen.478 Beispielsweise wurde auch der militärische Habitus des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, als höchster Vertreter einer Frontgeneration, – so betrieb er zeitweise eine Selbstdarstellung als „Heldenkanzler“ in Kaiserjägeruniform – als legitimierende Statussicherung instrumentalisiert.479

Fritz (Friedrich) Weber, der als Offizier der Artillerie von 1915-1918 an der Südwestfront diente, veröffentlichte in den 30er Jahren eine Bandbreite an Weltkriegsliteratur480 und avancierte damit neben Luis (Alois Franz) Trenker – der wie Weber demselben k. u. k. Festungsbataillon Nr. 6 angehörte – wohl zum wichtigsten Träger einer hegemonialen

Erinnerungskultur der Nachkriegszeit – HÄMMERLE bezeichnet ihn überspitzt gar als „Remarque der österreichischen Militärgeschichte“ 481. Dazu passte es, dass er den Krieg

475 Sonderforschungsbereich 437 Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit: http://www.uni- tuebingen.de/SFB437/index.htm, zit. n.: Bischof (Hrsg.), 1914: Austria-Hungary, the origins, and the first year of World War I, S. 146 476 Vgl. Fries, Euphorie - Entsetzen - Widerspruch, S. 46 477 Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 66 478 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 310 f.; S. 323-325 479 Dollfuß (1892-1934) war an der Dolomitenfront als Kaiserschütze und als Kommandant einer Maschinengewehrabteilung im Einsatz. Vgl. Suppanz, „Die große Tat will große Erben“. Der Erste Weltkrieg im Alpenraum in den Gedächtniskonstruktionen des „autoritären Ständestaates“, S. 436 f. 480 Vgl. Anm. 34; Viele dieser Schriften werden noch immer, oder wurden bis unlängst neu aufgelegt. Auch dies zeugt von einer nach wie vor ungeminderten Bereitschaft diese Geschichten zu hören. Vgl. Luis Trenker, Berge in Flammen. [der Roman über den Gebirgskrieg in den Dolomiten 1915 - 17], München 2014 481 Christa Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ". Die Männlichkeit des k. u. k. Gebirgskriegers in der soldatischen Erinnerungskultur, in: Hermann J. W. Kuprian 102 nicht verschönerte, sondern im Gegenteil bewusst und sehr dezidiert Gewalt ausformulierte, er scheinbar ehrlich von der Vernichtungsgewalt der modernen Waffentechnik berichtete. „Das Licht wendet, zuckt über den Boden. Ein Mensch liegt da, nein, der Oberkörper eines Menschen, ein entsetzlicher, bluttriefender Klumpen.“482 Er war allerdings strikt in einem militärischen Habitus und Geschehen verhaftet und war deren Bedingungen treu ergeben. Er stellte zwar strategische Befehle und Anordnungen der oberen Führung in Frage, aber nicht den Krieg an sich, bewährte sich scheinbar bereitwillig und aufopfernd in diesem und fügte sich somit, im Empfinden seiner Rezipienten und Rezipientinnen, dem Mythos der „unbesiegten Armee“ und revanchistischen Vorstellungen nahtlos an.483 Webers Aufgabe, so scheint es, war es den „heldenhaften Kampf“ der einfachen österreichischen Soldaten – ihn als „Augenzeugen“ miteingeschlossen – „richtig“ zu erinnern, darin Vertrautes zu bieten und Kritikern einen Gegenbeweis zu erbringen:

Alle die laienhaften Behauptungen, es gebe im modernen Krieg keine Tapferkeit, über Sieg oder Niederlage entscheide nur Zufall und Technik, werden an diesem einen, wie an tausend anderen Beispielen zunichte. Die Umklammerung des Cimonegipfels, das zweimonatliche Ringen um diesen Berg, seine Wiedereroberung und das Festhalten bis zum Zusammenbruch der Armee, das alles ist ein Heldenlied von unverwelklicher Größe.484 Die Kriegskameradschaft avancierte in seinen und Trenkers Erzählungen zu einem der wichtigsten wiederkehrenden Topoi, wenn auch mit militärisch-hierarchischen Einschränkungen und zeugten von einem wehrhaften „Wir-Gefühl“, selbst in aussichtlosen Lagen – ein Umstand der auf nationale Tragweite umgelegt werden konnte und sollte.

Nur wer, in einem Betonkasten eingesperrt, tage- und wochenlang das Höllenkrachen einer schweren Beschießung mitgemacht hat, kann den Männern von Lusern gerecht werden. Die Besatzung bestand aus den gleichen verläßlichen und tapferen Soldaten wie die der anderen Werke. Alle Schuld trifft den Kommandanten. Sein Versagen läßt den Wahnsinn losbrechen. Es war ein verhängnisvoller Fehler, daß man die Offiziere für solche Posten nach dem Rang und nicht nach ihrer Eignung bestimmte. Nur Menschen mit eisernen Nerven halten diese Form des Kampfes aus.485 Der Mythos der Schützengrabengemeinschaft war ein oft rezitiertes Sinnbild, die Verbindung von Kameradschaft und kriegerischer Männlichkeit, angesichts einer unmittelbaren, alles vereinnahmenden, aber gleichzeitig distanzierten Kriegsführung, war

(Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 42–58, hier S. 36 482 Weber, Granaten und Lawinen, S. 14 483 Vgl. Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ", S. 55 484 Weber, Alpenkrieg, S. 67 485 Weber, Granaten und Lawinen, S. 24 103 eindrücklich.486 Die kriegsaffirmative Literatur zeichnete sich nicht durch ein systematisches verschleiern und totschweigen der Unzulänglichkeiten des Krieges aus, aber durch ein Hervorheben des kollektiven Heroentums, versinnbildlicht in einer soldatischen Kameradschaft. Im Zuge dieser kollektiven Anrufung wurden damit auch stark deutschnationale Tendenzen ersichtlich, wenn darin die österreichischen und deutschen Truppen als hegemonial, heroisches Konglomerat soldatisch-männlicher Tugenden nachgezeichnet, Truppen aus anderen Teilen der Monarchie hingegen aber weitgehend ausgeblendet, oder diffamiert wurden.487

Zu den Ärmsten der Armen, die gegen Feind und Krankheit, Nervenmarter und Erschöpfung um den Besitz dieses Schutthaufens ringen, gehören dreißig junge Slovenen […] Da keine Zeit geblieben ist, sie im Waffendienst entsprechend auszubilden, fällt ihnen der bitterste Teil der Verteidigung, der Dienst als Träger, zu. Wenn draußen Tag herrscht, sieht man sie nicht. Sie hausen in einem Kellerloch und verschlafen die Schreckensbilder ihrer Nächte […] Nie treten sie einzeln auf, sondern immer zusammengedrängt wie eine Herde, die sich vor einem Gewitter fürchtet.488 Die Standschützen hingegen wurden Gegenstand verklärender Bewunderung, ob ihrer mangelhaften Ausrüstung, aber dafür mit Kampfeswillen, was wiederum in Analogie mit den der italienischen Armee unterlegenen k. u. k. Streitkräfte, hinsichtlich Anzahl und Material, gebracht wurde.489 Die Werke von Weber und Trenker formten ein starres Bild der militärischen Männlichkeit, dem sie zur Deutung einer „hegemonialen Männlichkeit“ verhalfen.490 Durch Formen der narrativen Ausklammerung, Weglassung und Umdeutung von Kriegsgräuel, technisierter Massenvernichtung und immanenter psychischer, oder physischer Auswirkungen auf Beteiligte, wurde in der Nachkriegsliteratur ein ganz bestimmter hegemonialer Soldatentypus installiert, der wiederum nach typisch männlichen Zuschreibungen verlangte und von der „stählernen“ Natur des soldatischen Körpers und seiner Nerven zeugte.491 Dies sollte, einer durch die Kriegsniederlage verlorengegangenen Männlichkeitsidealisierung, eine neuerliche Möglichkeit zur Identifikation verschaffen.492 Der Alpenkrieg geriet über ein heroisiertes Soldatentum und über den Impetus der „Bewährung“, zu einer Deutung als Abenteuer.493 Dadurch sollte der überspitzte Eindruck

486 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 275 487 Vgl. Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ", S. 49 488 Weber, Granaten und Lawinen, S. 42 489 Vgl. Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ", S. 50 f. 490 Siehe dazu auch die Ausführungen zur hegemonialen kriegerischen Männlichkeit im Kapitel „Männlichkeit“. Vgl. ebd., S. 46-48 491 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 170 492 Vgl. Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ", S. 48 493 Vgl. ebd., S. 51 104 entstehen, dass der Soldat von der Niederlage nicht gebrochen und gedemütigt, sondern gestärkt und willensstark, wie von einem „Ausflug“, heimkehrte:

Die Mythen vom Helden als Bergsteiger und vom Bergsteiger als Helden hatten durch die Niederlage nichts von ihrer Attraktivität verloren; vielmehr boten sie sich der nach Visionen und Identifikationsangeboten Ausschau haltenden Bewegung des Alpinismus abermals an. Was zur symbolischen Sühne im Frieden taugte, könnte man sagen, erfüllte seinen Zweck erst recht nach einem verlorenen Krieg.494 Der zuvor erwähnte Bergsteigertypus und der Soldatentypus wurden als weitgehend inhärent dargestellt, ihre Abgrenzung zueinander war demnach fließend und kaum greifbar, ihre Schnittmengen hingegen etablierten nachhaltig das symbolträchtige Bild des Gebirgskriegers. Die Aufwertung des heroischen Gebirgskämpfers funktionierte nicht nur wegen der Anrufung männlich-militärischer Tugenden – welche charakterliche Wertvorstellungen mit individuellen Fähigkeiten vereinten – sondern auch, wegen dessen Einschreibung in eine spezielle Topographie. Wie bereits ausgeführt, war die Bergwelt genau diese einzigartige Wirksphäre, die ihre eigenen mystischen Gesetzmäßigkeiten hatte, die genauso Natur und Erholung, wie auch Abenteuer und Schrecken bringen konnte – vor allem anderen aber, spendeten die Berge als Erinnerungsorte seit jeher Identität und vermittelten ein Heimatsgefühl. Die Entbehrungen, die Soldaten im Gebirgskrieg gegenüber der Natur leisten mussten, zeugten – in der propagandistischen zeitgenössischen, wie auch in der Nachkriegserzählung – von einem höheren Sendungsbewusstsein, als ihre eigentlichen militärischen Taten, der passiv verkommene Stellungskrieg bekam somit wieder eine aktive, leistungsorientierte Note. Dies ist zwar im Grunde genommen widersprüchlich, da die Leistung des Soldaten auf einer passiven (körperlichen) Haltung, des Ausharrens und Durchhaltens in Stellungen und Kavernen, beruhte, wurde aber gekonnt mit den Vorstellungen eines Abwehrkampfes, eines „Aushaltens bis zuletzt“ verwoben – der Verdienst der Soldaten lag hier mehr in der willentlichen Entschlossenheit und Bereitschaft die Heimat zu verteidigen.495 Die Rezeption des Heldentums der proaktiven Tat wich, durch die Technisierung und Immobilität des Krieges, dem eines „Heldentums der Askese“496. Der aktive Part des Krieges und seiner Soldaten wurde im Mythos Gebirgskrieg, in Form eines spannungserzeugenden Duellcharakters, ausgebaut und fortgeführt, sei es im metaphorischen (Überlebens-)Kampf der Soldaten gegen den Berg und seiner Gefahren, oder dem tatsächlichen Kampf gegen feindliche Patrouillen, die zu vermeintlich ritterlichen

494 Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 221 495 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 268 f. 496 Fries, Die Kriegsbegeisterung von 1914, S. 242 105

Zweikämpfen um einzelne Gipfeln stilisiert wurden – nach GÜNTHER können diese Erzählungen als „Selbstmystifizierungen“, oder einfach als alternative „Wirklichkeitsentwürfe“ 497 gesehen werden.

Aber doch, der Krieg dort oben im großen Rußland, von dem man hin und wieder hörte, war etwas ganz anderes. Dort verbissen sich Armeen ineinander, hier nur Patrouillen, dort eroberte man Provinzen, hier Felsecken, dort fielen hunderte, wenn hier ein Mann verblutete.498 Die Erinnerungen an den Krieg wurden bestimmt von der Brauchbarkeit und dem jeweiligen ideellen Wert, die diese Erinnerung mit sich brachte, für Alpinisten waren dies Topoi der sportlichen Herausforderung, von den Zaubern und Schrecken der Natur, sowie die Front- und Bergkameradschaft – Bestimmungen von Sieg und Niederlage waren dadurch im Rückblick nicht mehr konstitutiv.499 Der Krieg galt den Männern zur Bewährung, der Gebirgskrieg aber als Erprobung, angesichts der ultimativen Herausforderung.500 Dem Alpinismus wurden seit jeher umfassende moral-hygienische Eigenschaften zugeschrieben, so erzählt auch Paul Jacobi, in den MDÖAV, von den revitalisierenden Kräften und bringt diese mit der Sehnsucht nach nationaler Wiedererstarkung zusammen:

Schwere, dunkle Wolken sind heraufgezogen über Deutschlands Himmel und haben ihm die Sonne des Sieges verdunkelt. Eine drückend schwüle Atmosphäre lastet über dem geliebten Vaterland und lähmt die Energie der Schaffenden. Da gilt es, Bergsteiger zu sein und alle Kräfte der Bergsteigernatur heraufzuholen aus der Tiefe der Seele und mit ihnen jenen unüberwindlichen Drang zur Höhe, der dieser Seele innewohnt. Steif hält den Nacken der Bergsteiger, es komme, was da wolle. Regen und Sturm und Schnee und Eis, sie können ihn nicht aufhalten in seinem Drang nach oben, und nur vor einem beugt er sich, dem Allbezwinger Tod. Drum wollen und werden wir den Kopf nicht senken in den Tagen nationalen Unglücks […] Und wenn des Alltags Sorge und Beschwerde uns zu Boden zu drücken drohen, dann wollen wir uns daran erinnern, daß wir Bergsteiger sind, und uns aufrichten an bergsteigerischer Sitte und Art und gemeinsam, treue, feste Kameradschaft haltend, wieder zur Höhe streben.501

Nach TSCHOFEN diente die alpinistisch-kriegerische Gebärdung, welche sich vereinsintern in teils offener radikaler Haltung und öffentlich in umfangreicher nationaler Mythenbildung erschließt, dem Umgang mit einer „unbestimmten Form von Schuld“502. Die Kriegsschuldzuweisung wurde über den Topos des „gerechten Verteidigungskrieges“ ja

497 Günther, Alpine Quergänge, S. 269 498 Trenker, Berge in Flammen, S. 95 499 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 270 f. 500 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 326 501 MDÖAV 1919, Bd. 35, Nr. 1/2, S. 3. Paul Jacobi, Alpine Zukunftsgedanken. 502 Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 218 106 schon seit jeher abgewiesen.503 Über metaphorische Instrumentalisierung wurden die alpinen Tugenden und das bergsteigerische vertikale Aufwärtsstreben, einer nationalen Aufwertung und in der Funktion einer moralischen Stütze, eingeschrieben. Extremalpinismus, als zivilisatorische Orientierung in gesellschaftlich unsicheren Zeiten, als Trivialisierung – im Sinne eines sportlichen Abenteuers – und zugleich Transzendierung – über den Opfertod der Bergsteigersoldaten für die Heimat – der schwer verdaulichen Kriegsrealität, diente normativ für die Kriegserinnerung, wurde dadurch, einer Verharmlosung gleichend, auf das Erinnerungswürdige reduziert.504 Letzten Endes waren Mystifizierungen in literarischer, wie tradierter Form, als „Bewältigungsstrategie[n] im Kontext einer revanchistisch motivierten ideologischen Radikalisierung“505 zu sehen, welche sukzessive in extremere deutschnationale Gefilde verleiten konnten, was sich, anhand der Werdegänge vieler Offiziere und Funktionäre des Alpenvereins im Nationalsozialismus, nachvollziehen lässt. Die Werke der Nachkriegsliteraten wurden im Nationalsozialismus weniger instrumentalisiert, als übernommen, der aggressiv mythisch heroische Tenor und das deutschnationale Gedankengut dieser, passte sich gut in die Ideologiewelt Hitlers ein.506

4.3 Gedenkorte, Denkmäler und manifestierte Mythen Gedenkstätten und Denkmäler wurden und werden in ihrer Funktion als „stumme Zeugen“, immer wieder Gegenstand vieler Kontroversen, entfesseln in ihrer Passivität Vorwürfe der Politisierung, beziehungsweise Entpolitisierung507 und können mahnende, oder auch belastende Erinnerungen in sich tragen.508 Denn auch Orte können nach ASSMANN Objekte

503 Vgl. Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 90; Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 238 504 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 270 f. 505 Überegger (Hrsg.), Zwischen Nation und Region, S. 86 506 Weber stand auch politisch und ideologisch den Nationalsozialisten nahe und war auch eingeschriebenes NSDAP Mitglied. Vgl. Hämmerle, "Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe … ", S. 55-57 507 Zur Gefahr der Entpolitisierung durch perspektivische Vermittlung und Ausstellung: Vgl. Thiemeyer, Zwischen Helden, Tätern und Opfern, S. 472 508 Auf die komplexen Wirkweisen des Zusammenspiels der Erinnerungs- und Denkmalkultur und das darin enthaltene Potential zur Kontroverse, kann in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Es gibt hier eine Fülle hervorragend aufgearbeiteter Literatur. Ausführlich hierzu: U.a. Joachim Giller/Hubert Mader/Christina Seidl, Wo sind sie geblieben? Kriegerdenkmäler und Gefallenenehrung in Österreich (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien (Militärwissenschaftliches Institut) 12), Wien 1992; Heidemarie Uhl, Gedenkstätten und Erinnerungskultur, in: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Polen und Österreich : Bestandsaufnahme und Entwicklungsperspektiven ; [Tagungsband zur Konferenz vom 9. - 10. September 2010 in der Polnischen Akademie der Wissenschaften - Wissenschaftliches Zentrum in Wien], Frankfurt am Main 2013, S. 173–186 ; Stefan Riesenfellner/Heidemarie Uhl/Christian Ehetreiber, Todeszeichen. Zeitgeschichtliche Denkmalkultur in Graz und in der Steiermark vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Kulturstudien : Sonderband 19), Wien u.a. 1994; Heidemarie Uhl, Vom "ersten Opfer" zum Land der unbewältigten Vergangenheit. Österreich im Kontext der Transformationen des europäischen Gedächtnisses, in: Arbeit am europäischen Gedächtnis : Diktaturerfahrung und Demokratieentwicklung ; [das 9. Internationale Symposium der Stiftung Ettersberg im Oktober 2010 …], Köln [u.a.] 2011, S. 27–45 107 kultureller Erinnerungen sein, welche in diesen lokal verankert sind, diese damit verkörpern und somit an eine normative Vergangenheit anknüpfen, ähnlich wie dies Symbole vermögen.509 Gedenkorte können besonders eindrücklich wirken, da sie durch eine bestimmte Diskontinuität geprägt sind: Geschichte hat hier gestoppt, oder eine eklatante Veränderung erfahren, welche sich beispielsweise in Ruinen vergegenständlichen können – sie sprechen vor allem ein Vergangenheitsbewusstsein an.510

Gedenkorte sind solche, an denen Vorbildliches geleistet oder exemplarisch gelitten wurde. Mit Blut geschriebene Einträge wie Verfolgung, Demütigung, Niederlage und Tod haben im mythischen, nationalen und historischen Gedächtnis einen prominenten Stellenwert.511 Erinnerungsorte können etwas vermitteln, wozu andere Medien nicht imstande sind, sie generieren eine lokal-verhaftete Aura, ein Umstand den sich Tourismus, Bildungsinstitutionen, Museumspädagogik und Gedenkstätten bei der Instrumentalisierung historischer Schauplätze zunutze machen, wobei der Anspruch auf Authentizität dabei aber nicht gewährleistet werden kann – da es ein genuin Unmöglicher ist.512

Während über das Geschichtsbewusstsein einer Nation die chronologisch geordneten Geschichtsbücher Aufschluss geben, findet das Gedächtnis einer Nation seinen Niederschlag in der Gedächtnislandschaft seiner Erinnerungsorte. Die eigentümliche Verbindung von Nähe und Ferne macht diese zu auratischen Orten, an denen man einen unmittelbaren Kontakt mit der Vergangenheit sucht. Die Magie, die den Erinnerungsorten zugeschrieben wird, erklärt sich aus ihrem Status als Kontaktzone.513

ÜBEREGGER spricht in diesem Zusammenhang von „Erinnerungslandschaften“, welche lokal und regional variierende Deutungsrahmen formten und zuließen, das Krieger- bzw. Gefallenendenkmal ist nach ihm nur ein Teil dieser spezifischen Landschaft.514 Diesbezüglich setzte sich auch in der Denkmalkultur eine heroisierende Darstellung der Kriegserinnerung, in Form von Kriegerdenkmälern, durch. „Gleichzeitig kompensierte man die alptraumhafte Erfahrung der Massenvernichtung durch eine Heroisierung des Kriegstodes.“515 So wie später in der Zweiten Republik der staatliche Wiederaufbaugedanke durch gezielten Einsatz von Symboliken und Sprachgebrauch einer „Opferthese“516 unterstellt wurde, kam in der Ersten Republik und im „Austrofaschismus“ der Heldenthese

509 Vgl. Assmann, Erinnerungsräume, S. 299 510 Vgl. ebd., S. 309 511 Ebd., S. 328 512 Vgl. ebd., S. 331-333 513 Ebd., S. 337 514 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 130 f. 515 Giller/Mader/Seidl, Wo sind sie geblieben?, S. 59 516 Instrumente dieser Erinnerungsargumentation waren neben einer „Opferrhetorik“ im Speziellen Denkmäler. Hierzu ausführlich: Vgl. Uhl, Vom "ersten Opfer" zum Land der unbewältigten Vergangenheit, S. 32 f. 108 und der „Siegniederlage“ besondere Aufmerksamkeit und Pflege zu. Den gefallenen Soldaten, die im Verteidigungsdienst für ihr Vaterland ihr Leben ließen, wurden Heldendenkmäler gesetzt, diese dienten „als architektonisch-ästhetischer Ausdruck der Kontinuität zur Habsburgermonarchie“517 und brachten einmal mehr eine deutsche Auffassung des Krieges zum Ausdruck. Die Vaterlandsverteidigung geriet zum patriotischen Ideal:

Das traditionelle soldatische Männlichkeitsideal ‒ schön und erhaben sei es, für das Vaterland zu sterben ‒ setzte sich wieder durch. Auf die Massenvernichtung des Ersten Weltkrieges reagierte man nicht mit einer kollektiven Trauerarbeit, sondern kompensierte sie durch die Heroisierung der toten Krieger: Die Toten kehren in den Denkmälern und Heldenfeiern zurück. [...] Der Schmerz über den Verlust mythologisierte sich im Opfertod der Pflichterfüllung.518 Das Kriegerdenkmal sollte somit auch die Funktion eines künftigen Mahnmals erfüllen und Vorbildcharakter suggerieren, es verkörperte – teils sinnbildlich – den heldisch-militärischen Soldaten und seine Werte und fügte sich somit, in eine erneut militaristische Gesellschaft, ein.519 Die diffizile Frage, der durch die Kriegerdenkmäler vermittelten Botschaft und die ihnen anhaftende Ideologisierung, wird dadurch ersichtlich – war der erinnerte Opferheld freiwillig und in wissentlicher Pflichterfüllung gestorben, oder auf staatlich gesellschaftlichen Befehlsdruck hin?520 Der beispiellose Gefallenenkult anhand heroischer Charakterisierung, hielt in der Nachkriegszeit auch in die pseudosakrale Auffassung der Bergwelt Einzug. Kriegsgefallenen-Denkmäler wurden, für eine gleichsam zerrüttete Alpin- Gesellschaft nach dem Krieg, zu einem beschwichtigenden Mittel der Kommunikation und zu einem Ausdruck eines „völkischen“ Glauben und von allen alpinen Vereinen großzügig verwirklicht.521 Die Denkmäler auf Gipfeln, Schutzhütten und Wegrändern erinnerten – und tun dies oft noch bis heute – an die „Opfertode“ der Soldaten im „großen Verteidigungskrieg“. Die Einweihungen dieser, wurden wiederum meist mit großen Massenkundgebungen und Inszenierungen verbunden, die in immer wiederkehrenden Phrasen auf die „Blutopfer“ verwiesen und an die Pflichterfüllung des gemeinen Bergsteigers und im Besonderen der Jugend erinnerten – einzig die sozialistischen

517 Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 311 518 Hanisch, Männlichkeiten, S. 56 519 Vgl. ebd., S. 56 520 Zugleich wurde der Heldentod in seiner Bedeutung über den Tod des Zivilisten gestellt. Vgl. Giller/Mader/Seidl, Wo sind sie geblieben?, S. 8 f. 521 Vgl. Amstädter, Der Alpinismus, S. 245-248 109

Naturfreunde distanzierten sich von diesen „Events“ und traten offiziell gegen die Errichtung von Kriegerdenkmälern und für Frieden und Ruhe ein.522

Nach 1945 wurden viele Erinnerungsorte und Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkriegs, von denen des Zweiten Weltkriegs einvernommen, wurden über den Topos des Leids und des Verlusts ganzheitlich angeglichen.523 Sie wurden sozusagen in ihrer (Be)Deutung „überschrieben“ und wurden als Denkmäler eines unbestimmten, ganzheitlichen

„Weltkriegs“ wahrgenommen. Wie SUPPANZ herausgearbeitet hat, erfolgte die Manifestierung der Erinnerung im öffentlichen Raum vordergründig in Bezug auf den Krieg gegen Italien, so lassen sich namentliche Einschreibungen, wie „Conrad-von-Hötzendorf Straßen“ und „Col-di-Lana Straßen“, oder aber auch „Südtirolerplätze“ – die auf solidarische Art und Weise an die Abtrennung Südtirols gedenken sollen – finden, wobei sich eine Dominanz in der Repräsentation der Dolomitenfront, gegenüber der Isonzofront, feststellen lässt.524 Scheinbar war die heroisiert und ästhetisiert erinnerte – oder besser ausgedrückt, vermittelte – Front für öffentliche Zwecke geeigneter, als eine Front der Massenschlachten, welche in auratischer Nähe zur West- und Ostfront stand. Der „Kriegsnebenschauplatz“ erfuhr einmal mehr einen Vorzug im kollektiven Gedächtnis. Die Bestimmung der Alpenfront als Nebenschauplatz ist fraglich und kritisch zu sehen, was allerdings sicher nicht in plausibler Relation zueinanderstand, war die Thematisierung und überbordende Narration über diesen Krieg in verschiedensten Medien, im Hinblick zu seiner eigentlichen militärischen Relevanz und Ausprägung.525 Die Reflexion der Kriegserlebnisse oblag in großen Teilen den populären Werken, der bereits erwähnten „Gebirgskriegerautoren“, welche innere Orientierung und vielversprechenden Zukunfts-Ausblick, in der Verwendung identitätsstiftender Gebirgslandschaften als Erinnerungsorte – die positive Konnotationen innehatten – gewährten.

Das Gebiet, in dem jetzt noch der Krieg tobt, geht meiner Meinung nach einer großen Zukunft entgegen. Nicht allein die gewaltige Schönheit der Berge, die ja schon früher Reisende hierher lockte, wird von neuem ihre Anziehungskraft ausüben, sondern die ganzen, gewaltigen Anlagen, die der Krieg geschaffen hat, und noch schafft, sind eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges und gewiß wird es niemand versäumen, durch eigenen Augenschein sich von den Denkmälern der großen Zeit zu überzeugen. Auf neuen Wegen

522 Vgl. ebd., S. 248 f. 523 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 312; Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 13 524 Die Benennungen und Widmungen dieser öffentlichen Räume fielen in den meisten Fällen in die Zeit des österreichischen autoritären Ständestaates. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 321 525 Vgl. Mondini, Kriegführung: Die italienische Gebirgsfront, S. 373 110

werden neue Menschen, ein kraftvolles, sieggestärktes Geschlecht, zur Höhe steigen; die Wunden, die der Krieg schlug, werden vernarben und ‚neues Leben blüht aus den Ruinen‘. Dort aber, wo einst der Kampf tobte, wird der lebensfrohe Gott Alpinismus zweierlei suchen: Kraft und geistige Gesundung aus der Tretmühle des täglichen Lebens und tiefe, dankbare Erinnerung an ein Heldentum, das auf jenen wilden Höhen mit unvergleichlicher Heimatsliebe seine Scholle verteidigte.526 „Die schöne Aussicht“ war seit jeher zentrales Leitmotiv im Alpinismus, verhieß Rückberufung zum Natürlichen und versprach gleichzeitig Sehnsuchtsgefühle. Der Anblick ließ Sorgen des Alltags vergessen und ausblenden, der thematische Bogen dieses alpinistischen Grundsatzes, lässt sich bis zum heutigen Fronttourismus in den Bergen spannen und offenbart zugleich die essentielle Gefahr der Mythisierung. Denn der vermeintlich schöne Ausblick, von diesen Gedenkorten und Erinnerungslandschaften, bleibt bestehen, mehr noch, wird ihm durch die Hervorhebung des „Besonderen“ zusätzliche Bedeutung beigemessen und kann den alpinen Frontstellungen somit einer neuerlichen (ungewollten?) Romantisierung hingeben. In den Dolomiten und am Isonzo gibt es unzählige thematische Aufbereitungen des Alpenkriegs – von Freilichtmuseen, über begehbare Kriegsklettersteige und Kavernen, bis hin zu sogenannten Friedenswegen – die den Besuchern einen Eindruck von den Bedingungen an der „Alpenfront“ vermitteln sollen.527 Ein Eindruck, der ‒ bei dem Besuch der Anlagen bei Schönwetter, als Ziel eines Ausflugs und eingebunden in eine malerische Berglandschaft ‒ wohl nur schwer mit Vorstellungen der „Front in Fels und Eis“, in Einklang zu bringen ist. Die freizeitliche Erfahrung eines historisch kontextualisierten Naturerlebnisses, gleicht einer „modernen Pilgerfahrt“528 und führt ferner zu einer schleichenden „Touristifizierung des Krieges.“529 Dieser „Touristifizierung“ wurde von der Propaganda schon während des Krieges eine besondere Bedeutung beigemessen und schließlich ab den 1920er Jahren umgesetzt, das moderne Schlachtfeld auf „geschichtsträchtigem“ Boden, zeugt in einer umgeformten, verzerrt wirkenden Kriegslandschaft, auch von menschlichem Vermögen und kann somit als Mahnmal, oder zugleich als Überhöhung, dienen.530 Der Tourismus macht es sich zum Anliegen, Kultur über ritualisierte Handlungs- und Aufbereitungsformen zugänglich zu machen, speziell in der alpinen Touristik wird nicht die reine Besichtigung, sondern das individuelle erleben und erfahren einer ästhetisierten Verschmelzung von Natur und

526 Renker, Krieg in den Bergen, ZDÖAV 1916, 47, Nationalbibliothek, ANNO - AustriaN Newspapers Online, S. 235 f. 527 Auch in der touristischen Vermittlung liegt dabei eine Überrepräsentation in den Dolomiten vor. Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 329 f. 528 Überegger, Erinnerungskriege, S. 236 529 Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 245 530 Vgl. Holzer, Die andere Front, S. 304-307 111

Geschichte, zum erklärten Zweck und Ziel.531 Wie RAPP schon eindrücklich festhielt, generiert man mit der Restaurierung eines Gedenkortes, wie beispielsweise bei ehemaligen Frontstellungen in den Dolomiten geschehen, ein Konstrukt des Denk- und Erinnerungswürdigen, man unternimmt eine „Dechiffrierung der Kriegsschauplätze“, da sich die Natur ihr angestammtes Gebiet und ihren Boden stellenweise wieder gänzlich zurückerobert hat und das „Historische“ somit nicht mehr eindeutig wahrnehmbar ist.532

[…] Anlagen, die schon ihrer Intention nach als Provisorien errichtet worden waren, [wurden] nun in dauerhafte Monumente verwandelt. Das militärische Zerstörungswerk wurde zum archäologischen Rekonstruktionswerk, der Schützengraben zum Exponat, der Kriegsschauplatz zum musealen Parcours.533 Das Freilichtmuseum „Museum 1915-1918“, im kärntnerischen Kötschach-Mauthen, schreibt sich auf die Fahnen: „In unserem Museum steht der Mensch, der einfache Soldat, im Mittelpunkt – in seiner Konfrontation mit einem Abschnitt europäischer Zeitgeschichte, der die Welt veränderte.“534 Auch wenn hier dem Verein der Dolomitenfreunde, welcher das Museum und die Ausstellungen kuratiert, hier in keiner Weise Kriegsaffirmation unterstellt werden soll, so wirft es doch Fragen auf. Über den Anspruch des Museums einer vermeintlich authentischen Vermittlung der Front über Fotos, Dokumente und Nachbauten von Stellungsanlagen(!) und mit der oben zitierten Anrufung des „einfachen Soldaten“, in einem weltverändernden Ereignis, lauert einmal mehr die Gefahr der „Monumentalisierung“, birgt die Versuchung einer selektiven Erinnerung, einem faszinierenden Mythos zu erliegen. Um es mit RAPP zu argumentieren: „Denn die rekonstruierten Stellungen erzählen gerade von dem nicht, was sich in und zwischen ihnen ereignet hat, sondern ‚befestigen‘ in erster Linie das, was der Krieg verschont und ausgelassen hat.“535 Die Kriegserfahrungen, die die Soldaten im Ersten Weltkrieg erdulden mussten, können nicht authentisch „vor Ort“ wiedererinnert, können nicht „wiederbelebt“ werden und sollten es womöglich auch nicht, sie sollten, vielleicht besser, ruhen gelassen werden. Denn die geschichtswissenschaftliche Historiographie bemüht sich nach Kräften, um eine differenzierte Aufarbeitung der Gedächtniskultur und der Rezeption des Ersten Weltkriegs – auch um die seiner „Helden“.

531 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 278 f. 532 Vgl. Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 232 f. 533 Ebd., S. 233 534 Einleitende Überschrift der Homepage unter dem Reiter „Museum” https://www.dolomitenfreunde.at/museum (Aufruf: 14.08.2017) 535 Ebd., S. 235 112

Resümee Es erscheint, als stoße man auf ein wiederkehrendes Muster der Ambivalenz, bezüglich Deutungen, Auffassungen und Argumentationen von Krieg und Alpinismus, welches sich durch beinahe alle Untersuchungsgegenstände als roter Faden gezogen und in diesen bestätigt hat. Diese konkrete Widersprüchlichkeit der Interpretationen, scheint dabei nicht nur beiläufig, sondern im Wesen der Thematik selbst verwurzelt zu liegen: Ob nun im Alpenverein, der unpolitisch-politisch agierende Verein, der eigentlich klassenlos dachte, aber dessen Agenda sich neben Naturschutz, Lebensgefühl und Touristik, auch um Nationalismus, Revanchismus und Antisemitismus kreiste. Oder sei es die mythisierend betriebene Verklärung, eines eigentlich hochtechnisierten Krieges, auf ahistorische und tradierte Art und Weise, um Kriegserfahrungen zu versinndeutlichen. Der Mythos des Gebirgskrieges selbst, der als anachronistisches Konzept selbst schon widersprüchlich ist, war auch in seiner Rezeption ambivalent, wie durch Literatur und Publikationen belegbar ist, war der hohe Grad an Technisierung und Modernisierung angepriesen und bekannt, in der Erinnerung an diesen, aber ausgespart, da er wohl nur schwer mit den Vorstellungen und Empfinden der Öffentlichkeit, in Einklang gebracht werden konnte. Im Zuge dieser Verklärungen wurde, der unter den schrecklichen Ausformungen des Krieges erbärmlich leidende Soldat, über die Anrufung eines Heldentums greifbar gemacht und ihm ein heroischer Status nachgesagt, obwohl er in realiter zu passivem Ausharren verdammt war. Sei es auch die Verdeutlichung des Nationalismus und Deutschtums im öffentlichen Diskurs, in einem riesigen, anonym geführten, auf Schultern multinationaler Armeen ausgetragenen und auf monarchischen Prinzipien und Vorstellungen beruhenden Ringens. Auch die nationale Identitätssuche nach dem Krieg unterlag einer grundlegenden Widersprüchlichkeit, welche über eine Glorifizierung und Umdeutung der tatsächlichen Niederlage in einen vermeintlichen Sieg greifbar wird, was wiederum radikale Ideen und Anschauungen anfeuerte.

Aus dem Aufbau und der Abhandlung der einzelnen Kapitel dieser Arbeit und in Rückbesinnung auf die eingangs zitierte Aussage „der Mythos des Alpinismus ist der Mythos des Gebirgskriegs“536 wird ersichtlich, dass durch den Ersten Weltkrieg eine umfassende „Synthese aus Alpinismus und Krieg“537 hervorging, die sich in der Entwicklung des Alpinismus und seiner kulturellen Formen abzeichnete und sich im Krieg generierte. Nach

536 Vgl. Anm. 30 537 Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 221 113 dem Krieg, wurde dieser Mutualismus weitergelebt und in neue Formen der alpinen Risikobereitschaft und der Jugenderziehung eingeschrieben. Die militärische Männlichkeit – die den Duktus der körperlichen Erscheinung und das Verständnis von „Mannsein“ bestimmte – war ein Abbild dieser Synthese. Andere Ausformungen fand man in radikalen und deutschnationalen Deutungsmustern, die bei der Mythenbildung und Identitätssuche unterstützend wirkten.

Der Alpinismus wurde zu einem kulturellen Phänomen, das über seine Zuschreibungen und Eigenheiten von einer gesellschaftlichen Höherentwicklung versprach, gleichzeitig Möglichkeiten zur Individualität gewährte, überdies hinaus als Sehnsuchts- und Rückzugsort diente und damit die Rahmenbedingungen, für ein identitätsspendendes Bild österreichischen Kernlandes, vorgab. Durch eine Symbolträchtigkeit und Mystik, die im Wesen der Sphäre der Bergwelt selbst lag und die durch eine Handhabung dieser – beispielsweise über Betätigungen wie Bergsteigen, oder kulturelle Einbindung in Vereinen, oder Traditionen – Ein- und Ausgrenzung in eine kollektive, alpine Gemeinschaft ermöglichten, wurde dieses Heimat-Verständnis nachhaltig geschärft. Denn das, was nach dem Krieg mit den Bergen geschah, sollte auch mit der nationalen Identität geschehen, so wie die Berge ihrer mystischen Erscheinung beraubt worden waren und es nun darum ging diese neu zu entfachen, so sollte auch für die Bevölkerung innere Ordnung, Geltung und alter Ruhm neu gefunden werden.538 Die Alpen ließen sich mit einem Verständnis von „Heimat“ gut in Einklang bringen, erwiesen sich, über ihre symbolstarken Charakteristika, als konstitutiv für die Identifikation mit der österreichischen Nation. Die Bergwelt war seit jeher ein Refugium und versprach Zuschreibungen von Trost, Orientierung und Wiedererstarkung, über Symboliken und dem Hochhalten von verlorengegangen geglaubten Idealen. Aufbereiter dafür war seit Ende des 19. Jahrhunderts der DÖAV, egal ob über Aspekte des Fremdenverkehrs, Naturschutzes, Hüttenwesens, oder auch über Volkskundliches, wie Schrifttum und Kunst, er stand in engem „Pakt“ mit den Alpen und war in diesem Sinne maßgeblich an der Konstruktion einer „Alpen-Heimat“ beteiligt.539 Der Alpenverein war damit auch Erziehungsstätte für seine Mitglieder und diese waren ‒ frei nach dem universalistischen Leitsatz des DÖAV ‒ „am Berg alle ohne Unterschiede“, die verbindende Kraft war die Liebe zum Bergsteigen und der sich darbietenden Natur, dabei wurde scheinbar klassen-, parteien- und konfessionslos gedacht, der Verein schien legitimierender und unterstützender Faktor, für eine scheinbare Optimierung des

538 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 263 539 Vgl. ebd., S. 256 f. 114 menschlichen Charakters und der gesellschaftlichen Moral, zu sein.540 Der DÖAV vermittelte mit seinen direkten ‒ als auch indirekten ‒ Teilhaben am Kriegsalltag eine Verquickung, eine enge Zusammenarbeit und Involvierung in der militärischen Heimatverteidigung. Diese Haltung entstand aus einer Konsequenz des eigenen Verständnisses des Vereins heraus, ein wichtiger kultureller Träger, mit einflussreicher politischer Wirkungsfähigkeit, zu sein. Es konnte und sollte der Eindruck entstehen, dass ohne die Mühen und Opfer des Vereins, der Krieg in den Alpen gar nicht erst möglich gewesen wäre und fungierte damit als bedeutendes Teilstück in der Umdichtung zum „Sieg“ im Kampf um die Alpen. Neben der direkten Beteiligung am Krieg, durch Einsatz von alpiner Expertise, von Bergführern, von infrastruktureller Unterstützung und Vergütung durch Sachspenden, fungierte der DÖAV vor allem als Trägermedium in der Vermittlung des Krieges ins Hinterland. Er positionierte sich als „Haupterzähler“ und berichtete in dieser Funktion vom Kriegsalltag, stellte Fotos, Malereien und Gedichte zur Verfügung und spendete damit maßgeblich Sinnbilder – er beflügelte damit die Entfaltung des Mythos vom Bergsteigersoldaten als „Bürgerhelden“. Die Bereitschaft vieler Menschen außergewöhnliche Geschichten, besonderer Männer in einem soziokulturell umformenden Ereignis, wie es der Krieg war, zu hören, um dem schwer zu verstehenden Schrecken ein vertrautes Gesicht zu geben, es damit zu verwirklichen, wirkt damit bis heute ungebrochen. Es scheint, als dienten auf diese Weise Duelle zwischen Alpinisten als romantische, konstruierte Ideen, die den Versuch verkörperten, über die eigentliche Unmenschlichkeit des Krieges, mitsamt seinen Gräueltaten, hinwegzutäuschen.541

All diese Bedingungen und die Tatsache, dass alpin geschulte Männer wie zivile Bergführer, in den Kämpfen in unwegsamen und gefährlichen Gelände besonders gefragt waren, ließ der Genese eines Mythos, von einem „besonderen Kampf“, sich selbst bedingen und nähren und von Anfang entstehen. Die Entschlossenheit und Waghalsigkeit, gegenüber der tristen und nichts-verzeihenden Natur des Hochgebirgskrieges, boten zumindest Raum für Deutung und Interpretation eines Kampfes für eine höhere Sache und war somit auch ein Beweis für die Gültigkeit des grausamen Sterbens im ewigen Eis. Es reichte nicht mehr, dass der Kampf um die Gipfel nur mehr ein rein symbolischer war, welcher durch Rekorde bewiesen werden konnte; durch den „Großen Krieg“, der selbst in den Bergen verortet war und fundamentale Krisen in der Selbstwahrnehmung und der Suche nach Identität von Nationen und ihren Gesellschaften, sowie deren Bürgern und Bürgerinnen, nach sich zog, wurde das

540 Vgl. Günther, Alpine Quergänge, S. 64 f. 541 Vgl. Goll, ‘Our Weddigen’, S. 218 115

Konkurrenz-Denken im Mühen und Streben um die Gipfel, auch und gerade fernab der Heimat, zu einem nationalistisch eingefärbten Beweisen der eigenen Gültigkeit und des ungebrochenen Fortbestehens der Nation.

Ja, man kann aus einer bestimmten Perspektive einen „Krieg der Bergführer“ erkennen und dieser lässt sich auch in Einzelfällen nachweisen, aber es war ein lokal und temporär stark begrenztes Geschehen, wobei die militärische Bedeutsamkeit oft nicht gegeben und nachwirkend war. Dieses Konstrukt wurde als Deutungsrahmen allerdings auf den ganzen Konflikt umgelegt und somit in ein neues Verständnis von Krieg transferiert. Die Wirklichkeit war dem so fern wie nur möglich. Der Gebirgskrieg stellte sich als ein hoch technisierter Krieg heraus, der vermehrt noch auf einen immobilen Stellungskampf, mit all seinen Ausformungen technischer Expertise setzte. Die Leiden der Soldaten, unter diesem in die Höhe verlagerten, industriell bestimmten Konfliktes, waren enorm, durch den massiven Einsatz der Artillerie wurde das ohnehin schon fordernde, natürliche Umfeld weiter gegen sie aufgebracht, umherfliegende Gesteinssplitter, Lawinenabgänge, Steinschläge und damit verbunden die dauernde Angst, in den eigenen, mühevoll errichteten Kavernen verschüttet und lebendig begraben zu werden, waren ständig zugegen. Der „heldenhafte“ Kampf mit Feind und Natur, wurde im Konkreten oft ein Kampf mit Kälte und Nässe, mit Durst, Krankheiten und Ungeziefer.542 Einzelne, gut positionierte MG-Nester waren in der Lage, im Alleingang ganze Offensivvorhaben des Gegners aufzuhalten. Entgrenzte Gewalt wurde auch im Gebirgskrieg zu einem bestimmenden Charakteristikum: Gasangriffe, durch die unmittelbare Nähe der Fronten bedingte Nahkämpfe in Laufgräben, Rollbomben, bis hin zu Minensprengungen ganzer feindlicher Stellungen, lassen die Ausweglosigkeit und Verzweiflung anhand der angewandten Methoden nur erahnen. All diese Aspekte lassen den Krieg im Gebirge sehr viel näher zu den „Stahlgewittern“ im Westen und im Osten rücken und lassen die Interpretation eines romantischen „Krieges der Bergführer“ nur noch zweifelhafter erscheinen. Das Wesen des industrialisierten Kriegs, des Maschinenkriegs, der alle Kriegsgebiete ganzheitlich eingenommen hatte und sie damit den Schrecken Verduns gleichsetzte, war in vielen Fällen unvereinbar mit den Vorstellungen und Emotionen, die man mit der heimatlichen Alpenwelt verband und wurde daher Ziel einer Verharmlosung und Verklärung. Die auf anonyme Destruktion ausgerichtete Waffentechnik,

542 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 30; Vgl. Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 387-396 116 die so gar nichts mit der intimen Naturerfahrung in den Bergen gemein hat, wurde vielfach ausgeblendet, oder in der Erinnerungskultur paraphrasierend umgedeutet.543

Man sehnte sich nach Vertrautem, nach tradierten Vorstellungen, die Sinn und Orientierung spendeten. Aus diesem Grund ist der Verbindung der Kriegsgeschehen mit seiner lokalen Verortung eine besondere Wirkkraft beizumessen. Die Alpen waren Sehnsuchtsorte, die verhältnismäßig erst kurz zuvor, aber umfassend, kulturell besetzt worden waren. Die unerträglichen Bedingungen der neuen Kriegsführung, das Ausgeliefertsein und die Verdammung zu einer ausharrenden Passivität, wurden im Gebirgskrieg in einen neuen, pseudoaktiven Kontext gestellt. Diese Aktivität wurde in der soldatisch-männlichen Bewährung, in einer entgrenzt wirkenden, naturellen Umgebung gefunden, welche darüber hinaus noch als „Vaterland“ empfunden und gedeutet wurde. Der „Kampf“ mit dem Berg fungierte als Ersatz des Kampfes „Mann gegen Mann“, neben Patrouillengängen und tatsächlichen kämpferischen Betätigungen, konnten somit auch Alltäglichkeiten wie der Kavernenbau, oder das Schneeschaufeln als handlungsorientierte Aktionen gelten. Die Beherrschung des Körpers, die Bewahrung der Nervenstärke, konnten mit den Tugenden des klassisch männlichen Kriegshelden vereinbart und in dem Kriegertypus des Bergsteigersoldaten gefunden werden. Das Bild des männlichen Bergsteigers, das Konstrukt des Alpinisten, galt für viele als unverrückbare, zuverlässige Konstante in gesellschaftlich unsicheren Zeiten. Sie und der sie umnebelnde Heldenmythos dienten Teilen des österreichischen „Volkes“ als mentale Stütze, als ideelle Wiederaufrüstung.544

Tirol nahm eine bedeutende Stellung in der Produktion und Verbreitung von Kriegsliteratur und dadurch in der Vermittlung von akzentuierten „Kriegsbilder“ ein. Der Topos der Verteidigung der Heimat, gegen einen verräterischen Aggressor, wurde von der Kriegspropaganda ständig neu aufgegriffen. Eine Legitimierung des Krieges und die gleichzeitige Ausklammerung des wirklichen Kriegsalltags und seiner Gräuel, gingen dabei Hand in Hand. Mystifizierte Heldenbilder entstanden auf Rückbesinnung an traditionsreiche Vorbilder, in der Verbindung mit neuen „völkischen“ Ideen, so rückte die Instrumentalisierung des „Heldentodes“ des Standschützen Sepp Innerkoflers, während und nach dem Krieg, in das glorifizierende Licht und in die emotionale Nähe eines Andreas Hofer.545 Innerkofler stand Pate für einen aufkeimenden Mythos der „Bergsteiger-Krieger“:

543 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 168 f. 544 Vgl. Hanisch, Männlichkeiten, S. 62 545 Vgl. Überegger, Kulturelle Mobilisierung. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien, S. 274 117

Diese verbanden Tugenden aus allen anerkannten Disziplinen eines Helden – entnommen aus dem Katalog des sportlich-militanten deutschen Alpinismus – sie waren männlich, opferbereit und todesverachtend, waren patriotisch, oder gar deutschnational, sie bewährten sich im bürgerlichen Umfeld und in der zivilen Welt genauso, wie in dem Habitus des Soldatentums und des Krieges. Dem Heldenbild des Gebirgskriegers, als besonderen Soldaten- und damit Männlichkeitstypus, war die Aufgabe zuteil, den Kriegswillen und die Motivation an der tatsächlichen Front, sowie an der „Heimatfront“ hoch zu halten und vor allem um eine Entsolidarisierung, zwischen Soldaten und Hinterland, über Faszination und Bewunderung entfachende Deutungen und Erzählungen, zu vermeiden.546 Heldenbilder sollten damit auch die propagandistisch gelenkte Funktion eines Vermittlers, eines Mediators, zwischen Front und Hinterland einnehmen, um einer drohenden Entfremdung entgegenzuwirken.547 Propaganda, die sowohl staatlich als auch öffentlich-gesellschaftlich initiiert gewesen sein kann, bemächtigte sich dabei vor allem einer überbordenden Emotionalisierung, bei der Verarbeitung von Kontexten des Kriegsalltags zu brauchbaren Öffentlichkeitsbildern. Diese waren bei der Darstellung eines „verräterischen italienischen Erzfeindes“, oder aber auch in der heldenhaften Verteidigungsleistung eines „geeinten Volkes“, zu finden. Es scheint, als wären damit die einfachen Männer, die in den entgrenzt- wirkenden Höhen für die Heimat starben, über kollektive Anrufungen der „Bewährung“, der „Freiwilligkeit“ und der „Männlichkeit“, zu wahrhaften Helden gemacht worden.

Durch den Kriegseintritt Italiens geriet der Krieg ins Interessensfeld Gesamtösterreichs, der Krieg war nun nicht mehr fern und abstrakt, sondern betraf plötzlich Kerngebiete der Heimat, die Fronten im Gebirge „überschrieben“ die Kriegserinnerungen der russischen und serbischen Feldzüge, diese Unmittelbarkeit und Emotionalisierung durch die Nähe des Krieges führten, über die Kriegsjahre hinaus, noch viele Jahrzehnte und stellenweise bis heute, zur besonderen Deutung des Krieges und in der Erinnerung an diesen.548 Um es polemisch auszudrücken, wurde im alpinen Verständnis der ehemalige „Playground of Europe“ damit zu einem „Battlefield of Europe“. Dass der Erste Weltkrieg keine Stagnation, sondern Antrieb für den Alpinismus bedeutete, lässt sich auch über die Grundlagen – die dieser für ihn schuf – erahnen, Techniken und Systeme, die für den Krieg konzipiert waren, wurden nun der Ziviltechnik zugeführt, als Beispiele können die kulturelle Vereinnahmung

546 Vgl. Hofer, Nervenschwäche und Krieg, S. 276 547 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, S. 8 548 Vgl. Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, S. 317 118 der Seilbahnen und des Skilaufs dienen.549 Die gerühmte Erneuerung und gesellschaftliche Läuterung ‒ via Alpenverein ‒ kann hier in Form technischer Errungenschaften gefunden werden, wenn auch in einen neuen zivilen Kontext überführt. Diese Bedingungen verdeutlichen einmal mehr ein ambivalentes Wesen aus Naturverbundenheit, Fortschrittswillen und alpinistischer Kulturmaxime. Durch die technischen Meisterleistungen und Überwindungen der natürlichen Grenzen, konnte auch die Bedeutung und die Leistung des Vereins unterstrichen werden. Der Umstand des Krieges bot dem Alpinismus, sich in positiver Art und Weise in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu etablieren und wurde dadurch utilitaristisch vereinnahmt. In ähnlicher Weise galt dies auch für die Alpinisten selbst, wurden sie zuvor oft noch ob ihrer Leidenschaft belächelt, waren sie – in ihrem Empfinden nach – im Krieg gebraucht und wegen ihrer Fähigkeiten wertgeschätzt und vielseitig eingesetzt worden. Der im Alpinismus implementierte Leistungsgedanke und die Anrufung des Individualismus, führten zur Interpretation des Krieges als „Unternehmen“, als „Abenteuer“ und ermöglichte somit gleichzeitig eine bessere Identifikation mit der Armee und den Soldaten. Der zivilisatorische Fortschrittsgedanke wurde über Aufstiegsmetaphern und vertikalem Aufwärtsstreben im Bergsteigen, mit einem nationalen Aufwärtstrend im Schatten der Niederlage in Verbindung gebracht, der Krieg dabei einmal mehr als Korrektiv gedeutet.

Die bereits angesprochene Ambivalenz findet sich auch in den Erzählungen der Kriegsheimkehrer und Nachkriegsliteraten, welche aus einer Faszination heraus von den modernen Seiten des Großen Krieges berichteten – diese waren der Öffentlichkeit also durchaus bekannt und zugänglich. Die Elemente der erfahrenen Wahrnehmung, von Raum und sich bietender Landschaft, speisten maßgeblich das soldatische Erfahren von Krieg – wobei die Heimkehrenden nach dem Krieg ja mitverantwortlich für die Perzeption desselben waren – für sie bekam dieser Kampf eine eigene abgegrenzte Dynamik und Deutlichkeit, wurde damit zu einer parallel erlebten Wirklichkeit und erhielt somit eine gewisse Transzendenz. Dies mag auch für die Soldaten an anderen Fronten so zutreffen, doch bestimmte deren jeweilige Umwelt, verbunden mit den dort gemachten Erfahrungen, schließlich die Narration des Erlebten. So berichtet Weber von der Blutrünstigkeit und menschenverachtenden Wirkung der Waffentechnik, kann sich dabei einem kriegerischen Duktus und Kultus nicht entziehen und stellt den Krieg – stellvertretend für große Teile der österreichischen Nachkriegsgesellschaft – nicht wirklich in Frage, sondern nur dessen

549 Vgl. Tschofen, Berg, Kultur, Moderne, S. 197 119

Ausgang.550 Auch in DÖAV-Publikationen ist die Faszination für Technik und Moderne ständig präsent, standen diese Errungenschaften doch auch für die Leistung und Zukunft des Vereins, aber waren sie doch eigentlich diametral dem alpinistischen Grundsatz der Erhaltung der Natur entgegengesetzt. Die Kriegsberichte in diesen Schriften, waren keine rein romantischen, anachronistisch wirkenden Heldengeschichten vom ritterlichen Kampf auf Berggipfeln, sondern im Wesentlichen auch Berichte eines hochmodernen Krieges. Eine Sinndeutung und legitimierende Bestätigung des Krieges, wurde allerdings in einem anderen, scheinbar passenderen Bild gefunden, welches das kollektive Gedächtnis stellenweise „überschrieb“, oder zumindest veränderte. Erfahrungen, die man selbst in der Natur, in der „Heimat“ vor dem Krieg gemacht hatte, konnten hierfür normativ wirken. Es war wohl genau diese Diskrepanz, diese Verheißung dieser graumelierten Deutungsbereiche, die nicht eine Entscheidung in Schwarz, oder Weiß zu denken und zu handeln erforderten, die verlockend waren, diese Abweichungen zwischen angerufenem Mythos und tatsächlicher Realität, die nach dem Krieg eine breite politische und kulturelle Wirkmächtigkeit entfalten konnte.551

Der Gebirgskriegs-Mythos nährte ein kompensatorisches Verständnis, von der als Sieg empfundenen Niederlage, vor allem über eine gesteigerte Defensivmentalität, die einen gerechten Verteidigungskrieg heraufbeschwor, die in Korrelation mit der Anrufung einer gegnerischen militärischen Übermacht stand, welche wiederum die Überzeugung von der eigenen zivilisatorischen und mentalen Überlegenheit, in der Abwehr dieser, stützte.552 Der Soldat und die Heimat waren „Opfer“ „neidischer Invasoren“, gegen die man widerwillig – aber bestimmt – Gewalt aufbringen musste. Aus diesem Topos der Verzweiflungshaltung entsprang also eine trotzige Verteidigungsbereitschaft, daraus wurde eine Emphase des Durchhaltens und aus diesem wurde wiederum eine Legitimation für den Kriegsfortlauf, für die Soldaten bekam der Krieg eine gewisse Sinnhaftigkeit, sie wussten, für was sie kämpften. Diese Legitimation setzte sich auch in der Nachkriegszeit fest, wenn es darum ging, die zerbrochen und erloschen geglaubte Nation wieder in bedeutsamen Licht erstrahlen zu lassen. Durch eine eingehende Beschwörung der Helden des Gebirgskriegs, bannte man die Gefahr von der Geschichte übergangen zu werden.553 „Der Mythos der Gebirgsfront konnte noch zu einem Zeitpunkt als Nachweis der eigenen militärischen und nationalen

550 Vgl. Giller/Mader/Seidl, Wo sind sie geblieben?, S. 71-111 551 Vgl. Bessel, Die Heimkehr der Soldaten, S. 270 552 Vgl. Hofer, Nervenschwäche und Krieg, S. 278 553 Vgl. Hirschfeld (Hrsg.), "Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …", S. 54 f. 120

Unüberwindlichkeit gepflogen werden, als die neuen nationalen Grenzen und politischen Konstellationen dem längst widersprachen.“554 Spricht man vom Mythos Gebirgskrieg, handelt es sich genaugenommen um ein Gefüge vieler verschiedener Mythen und kultureller Einflüsse, die sich gegenseitig bedingen, tangieren und bestimmen. Dabei gaben sich ein Heimatmythos, eingebettet in einer verklärten Alpinwelt, ein Heldenmythos mit einhergehender Heldenverehrung und ein Mythos einer militärischen Männlichkeit, verbunden mit einer völkischen Wehrhaftigkeit, die Klinke in die Hand und trafen dabei auf Formen von bürgerlichen Nationalismus und Radikalismus. Bei aller Dechiffrierung der Erinnerungen und der unterschiedlich manifestierten Erfahrungen an den Krieg, sei hier nicht außer Acht gelassen, dass eine Reminiszenz an die friedlich schönen Begebenheiten in diesem, wie sie in der guten Kameradschaft unter Soldaten, bei ereignislosen Patrouillengängen in idyllischer Bergkulisse, oder im Kontakt mit der „Heimat“ gefunden werden konnte, eine leichtere und eindrücklichere war und daher auch einer individuellen, protektiv-wirkenden Selektivität in der Erzählung unterlag. Eine Reminiszenz an tradierte Deutungsmuster vom ehrenhaften Kampf „Mann gegen Mann“, schützte also vor Desillusionierung eines menschenverachtenden, Vorstellungen übersteigenden Kriegsgeschehens. Der „Krieg der Bergführer“ erfuhr schon während des Krieges eine umfassende Mystifizierung, welche nach dem Krieg durch Nachkriegsliteraten und Weltkriegsveteranen – Bestimmungskategorien die sich oftmals vereinen ließen – in einer populärwissenschaftlichen Kriegserinnerungskultur wieder aufgegriffen und ausgebaut wurden. In diesem Mythos des Gebirgskriegs, wurden scheinbar widersprüchliche, ambivalente Sinn- und Deutungsmuster vereinigt, die dem eigentlichen Kriegsgeschehen entgegengesetzt waren, die die Realität de facto verschleierten. Sie wurden mit Vorstellungen eines gerechten Abwehrkampfes, eines aufopfernden Einsatzes des „letzten Aufgebots“ der Standschützen, eines ehrenvollen Gefechts – gleich einem ritterlichen Duell – und einer Rekurrenz der Taten von „1809“ wirkmächtig vermengt und in ein nationales Heroentum eingeschrieben; die dadurch entstehenden ideologisch aufgeladenen Sujets konnten omnipotent – im Sinne einer Verallgemeinerung – wirken und sollten einer emotional erschütterten Öffentlichkeit über die tatsächlichen Kriegsgräuel hinweghelfen.555 Dies lässt sich gleichsam für den Alpinismus – der noch dazu dem Vaterland, der Nation verbürgt war – bestimmen, die Verklärung, die auf so vielen Ebenen betrieben wurde, sollte dazu dienen, den Bergen wieder zu einer Mystik zu verhelfen, die sie durch den Krieg und

554 Rapp, The Last Frontiers Landschaft zwischen Krieg und Erinnerungskultur, S. 242 555 Vgl. Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, S. 166 f. 121 den damit einhergehenden fundamentalen Eingriffen – gleich einer Entzauberung – eingebüßt hatte.556 Durch den Krieg, der Beteiligung an diesem und einer festen, vereinsinternen ideologischen Verankerung, waren im DÖAV die Weichen seiner Zukunft und der des Alpinismus gestellt. Durch schrittweise Radikalisierung, geförderter Jugendarbeit und Mythenpflege, die allesamt einem Revanchismus dienten, gelangte man unweigerlich in nationalsozialistische Fahrtwasser.557 Die systematischen, in alpinem Konsens verwurzelten, Überhöhungen – des über sich Hinauswachsens, der Aufopferung für ein höheres Ziel – waren in der Zwischenkriegszeit gefragt und wurden gefördert, bis zu einer letztendlichen Verzerrung des implementierten Heldenbildes, zu dem eines Übermenschen im Nationalsozialismus und der damit einhergehenden Legitimation der Überlegenheit der arischen Rasse.558

Der scheinbar „unbedeutende“ Krieg war demnach sehr wichtig für die kulturelle Prägung und für die Etablierung einer nationalen Identität des Nachkriegsösterreichs. Manche dieser Anschauungen sind, gleich einer Einfärbung, wohl bis heute – in Literatur wie Trivialmedien gleichermaßen – erhalten geblieben, sei es ein Fortleben und nicht totzukriegen, als Mythos vom „Krieg der Bergführer“, sei es eine Faszination mit der Bergwelt in Verbindung mit der Unbegreiflichkeit eines Kriegserlebnisses in eben dieser, oder eine etwaige Form der Monumentalisierung des Kampfgeschehens während des Kriegs, in der Erinnerungskultur an diesen. Weltkriegspublikationen, wie die von Trenker und Weber, werden noch immer, oder wurden bis unlängst neu aufgelegt, was wiederum für eine nach wie vor ungeminderte Bereitschaft diese Geschichten zu hören, bürgt. Dass der Ruf und das Verlangen nach historisch abenteuerlicher „Unterhaltung“, nach wie vor ihre Geltung haben, davon zeugt auch ein auflebender Weltkriegstourismus in den Alpen, welcher die alten Gebirgsstellungen fremdenwirtschaftlich zugänglich macht. Dieser dient mit der Vermengung der drei zuvor genannten Aspekte – Mythos, Faszination, Erinnerung – als Zeuge eines gegenwärtigen kulturell-gesellschaftlichen Impetus, sich damit auseinanderzusetzen. Doch sollte dies auf einer differenzierten und methodischen Art und Weise ermöglicht werden, um nicht wieder bereits akzentuierten Bildern und Konstruktionen zu erliegen. Die Intention der Auseinandersetzung und des Diskurses mit der Vergangenheit und den Erinnerungen, sollten auf einer Dechiffrierung beruhen, statt auf einer fortdauernden ästhetischen Codierung.

556 Vgl. Tschofen, Aufstiege - Auswege, S. 229 557 Vgl. ebd., S. 222 558 Vgl. Pfister, Sportfexen, Heldenmythen und Opfertod: Alpinismus und Nationalsozialismus, S. 52 122

Literatur

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