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Sendung vom 10.6.2011, 20.15 Uhr

Gunther Emmerlich Opernsänger und Moderator im Gespräch mit Hans-Jürgen Mende

Mende: Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, zum alpha-Forum, heute mit einem Gast, den man wohl kaum vorstellen muss, weil man ihn aus dem Fernsehen kennt und natürlich auch von Liveveranstaltungen. Manche kennen ihn vielleicht sogar noch von der Opernbühne. Gunther Emmerlich, vielen Dank fürs Kommen. Emmerlich: Ich grüße Sie. Mende: Sie sind ja fast schon so etwas wie hier zu Hause, denn es gibt da so bestimmte Traditionen, z. B. in Bad Wörishofen. Dort moderieren Sie seit vielen Jahren ein ganz spezielles Konzert. Emmerlich: Das sind mehrere Konzerte, die dort immer zu Pfingsten stattfinden, meistens sind es drei, manchmal auch nur zwei. Das sind, wenn man sie so nennen darf, kleine "Pfingstfestspiele". Ich bin dort schon mit Kollegen der Dresdner Staatskapelle gewesen, mit dem Rundfunkblasorchester , mit bekannten Tenören und Sopranistinnen. In diesem Jahr wird es einen Duettabend mit geben und einen Soloabend mit Arien und Liedern. Mende: Wie fühlt sich denn ein geborener Thüringer, der aber viele Jahre seines Lebens in Sachsen verbracht hat, in Bayern? Gefällt es Ihnen hier? Entdecken Sie Ähnlichkeiten zwischen den Landsmannschaften? Emmerlich: Also, wir sind ja beide Freistaatler, die Bayern und die Sachsen. In Dresden habe ich damals das Bayerische Fernsehen leider nicht sehen können. Man weiß vielleicht noch, dass das in Teilen Sachsen damals nicht ging, jedenfalls nicht in Dresden. Allerdings hieß Dresden damals ebenfalls "ARD", nämlich "Außer Raum Dresden", womit darauf angespielt wurde, dass sonst eben überall solche Sender wie der Bayerische Rundfunk zu empfangen waren. Dresden hatte deswegen ja auch den Beinamen "Tal der Ahnungslosen". Aber im Rundfunk habe ich viele "Bayern 3" gehört. Ehe ich selbst z. B. mit dem verdienstvollen Ado Schlier zu tun hatte, der ja über viele Jahre hinweg im Rundfunk und im Fernsehen Sendungen gemacht hat, kannte ich ihn bereits seit langen Jahren über seine Radiosendungen vom späten Abend in "Bayern 3". Mende: Ich habe mir gesagt, dass ich für die heutige Sendung mal keinen Zettel brauche und keine Stichwörter, denn wir beide machen das einfach so im Gespräch. Sie sind ja selbst ein alter Profi im Moderationsgeschäft: Wenn mir nämlich die Fragen ausgehen sollten, dann würden Sie bestimmt einspringen. Emmerlich: Es stimmt beides, ich bin alt und Profi. Mende: Ist es Ihnen denn selbst schon mal passiert bei einer Moderation, dass Sie plötzlich nicht mehr wussten, was Sie fragen sollten? Emmerlich: Dann habe ich einfach was anderes gefragt. Denn die Leute wissen ja nicht, was man fragen wollte. Insofern ist das auch niemandem aufgefallen. Das Entscheidende ist also das, was auch bei den Printmedien wichtig ist: Der Name muss stimmen und wenn man vom Geburtsort spricht, dann sollte auch der stimmen. Auch das Geburtsdatum sollte korrekt sein. Der Rest jedoch ist sozusagen "frei" und manchmal eher dem spontanen Einfall geschuldet. Man ist dann selbst überrascht von der Frage, die man da plötzlich stellt, obwohl man sie doch gar nicht stellen wollte. Mende: Geboren sind Sie in Eisenberg 1944. Emmerlich: Stimmt, Sie haben Ihre Hausaufgaben also gemacht. Mende: Wie ist es überhaupt mit dem Moderieren bei Ihnen? Wie kam es, dass der Sänger an der berühmten Dresdner Semperoper plötzlich auf die Bühne ging und nicht gesungen, sondern mit Menschen gesprochen hat? Emmerlich: Das fing schon relativ früh an. Ich habe in studiert und natürlich macht man dort zusammen mit Kommilitonen viele Veranstaltungen bei irgendwelchen Betriebsfesten oder anderen Feierlichkeiten. Da fühlte sich immer irgendjemand berufen, zwischendurch auch mal irgendwie so eine Kopfansage zu machen. Ich habe mir damals gedacht, dass man das doch auch ein bisschen anders machen könnte, als nur den Komponisten zu nennen und die Rolle, die mit dieser Arie verkörpert wird, die an diesem Abend gesungen wird. Das müsste doch ein bisschen pfiffiger zu machen sein. Da begann ich mich sozusagen mit diesem Seitenweg der Bühnenpräsenz zu beschäftigen, der ja dann irgendwann fast schon eine Hauptstraße wurde für mich. Das hat Spaß gemacht und ich habe gemerkt, dass man den Nerv der Leute gut treffen kann. Gut, man kann auch mal vorbeisegeln, aber im Laufe der Jahre lernt man doch einiges, um das zu vermeiden. Mende: Sind Sie jemand, der sich akribisch vorbereitet? Es gibt ja Moderatoren, die jede Frage auswendig lernen, die den kompletten Moderationstext auswendig lernen, wie das ein Schauspieler mit seiner Rolle macht. Oder sind Sie jemand, der eher spontan das fragt und tut, was ihm mehr oder weniger im Moment einfällt? Emmerlich: Theater ist ja Verabredung. Wenn man am Theater nicht alles ordentlich gelernt hat, dann ist man fehl am Platze. Wenn man Sendungen moderiert, dann muss es da schon ein gewisses Gerüst geben, ein Gerippe. Ich habe früher immer gesagt: "Man muss sich was in den Ärmel stecken, um am Ende beim Schütteln der guten Hoffnung sein zu können, dass da etwas rauskommt." Eine gewisse Vorbereitung muss also sehr wohl sein. Aber es muss schon auch ein Swing sein, d. h. es muss ein bisschen Raum für Improvisation geben – und nicht nur an der Stelle, an der einem nichts einfällt. Mende: Genießen Sie es denn, vor dem Publikum auf der Bühne zu stehen? Emmerlich: Ja. Das gilt aber generell, das geht mir beim Moderieren so wie beim Singen. Wenn man keine Freude daran hätte, eine Bühne zu betreten in der Hoffnung, dass einem viele zuhören und das vielleicht sogar als wohltuend empfinden, dann hätte man den falschen Beruf ergriffen. Als ich am Theater fest engagiert war, habe ich ja auch viel mit Schauspielern zusammengearbeitet, indem wir z. B. Programme erarbeitet haben. Das hat dann dazu geführt, dass bei mir die schauspielerische Seite dieses Berufs, die es beim Opernsänger ja auch gibt, noch etwas ausgeprägter wurde. Mende: Sie sind heute ja ein bekannter Mann: Können Sie eigentlich noch irgendwo durch die Stadt laufen in Deutschland, ohne erkannt und angesprochen zu werden, ohne gleich einen kleinen Menschenauflauf hervorzurufen? Emmerlich: In Dresden haben alle schon ein Autogramm, die eines wollen. Es ist ja angenehm, wenn die Leute einen erkennen, wenn sie einen freudig erkennen und nicht sagen: "Das ist doch dieser …! Ach du lieber Gott!" Das möchte ich logischerweise nicht so gerne haben. Aber wenn man zu mir sagt: "Sind Sie nicht manchmal im Fernsehen zu sehen?", dann bestätige ich das gerne, wenn es stimmt. Manchmal denken die Leute aber auch, dass ich das doch gar nicht sein könne. Ich habe zu einigen Begegnungen mit meinen Fans ja auch schon mal was aufgeschrieben. Einmal hat eine Frau zu mir gesagt: "Sie sind doch mein Fan!" Die Leute kommen in den Formulierungen auch manchmal ganz schön durcheinander. Ein anderer hat mich über den grünen Klee gelobt, sodass es schon fast zu viel war, denn allzu viel Lob verdirbt den Charakter, wie man weiß. Er wollte sein Lob dann beenden mit einer überaus schmeichelhaften Bemerkung über meine Stimme, aber er sagte: "Und Ihre Stimme! Die ist ja indiskutabel!" Was auch immer er damit ausdrücken wollte. Selbst loben will also gelernt sein. Mende: Bleiben wir doch mal bei diesem An-die-Öffentlichkeit-Treten: Ist das auch einer der Gründe dafür, warum Sie zwei Bücher geschrieben haben? Eine Autobiografie, die etwas untypisch ist, weil sie eigentlich nicht chronologisch vorgeht … Emmerlich: Das sind eher biografische Geschichten. Mende: Dieses Buch hier "Ich wollte mich mal ausreden lassen" kam 2007 heraus. Ich gebe zu, ich habe es als Mängelexemplar bekommen. Das heißt aber nicht, dass es auf dem Ramschtisch gelandet wäre, sondern es ist momentan vergriffen und kommt demnächst in einer neuen Auflage heraus. Emmerlich: Das wird dann die dritte Auflage sein. Das ist ja eigentlich das Gegenteil von Öffentlichkeits-Suche, denn beim Schreiben sucht man doch eher das stille Kämmerlein, um aufzuschreiben, was einen über die Jahre so bewegt hat. Es gibt ja viele Dinge, die man bestenfalls im Freundeskreis erzählen kann oder in der Familie. Aber es gibt eben auch ein paar Geschichten, bei denen man öfter mal zu hören bekommt: "Das solltest du mal aufschreiben!" Es kamen auch viele Verlage auf mich zu und meinten zu mir: "Sie gehören doch zu der Generation, die eine ganze Menge erlebt hat." Ich bin 1944 geboren und ich muss ja nicht chronologisch alles erzählen, was in diesen Jahren seit damals alles geschehen ist bis heute. Es war jedenfalls für die Verlage interessant, dass ich da mal was schreibe, vor allem auch zu den immer wieder sich wechselnden Situationen, in denen ich mich befunden habe, also über meine Zeit in der DDR, in der Wendezeit usw. Bei dieser Wende bin ich ja aktiv mit dabei gewesen, um die künftige Demokratie mitzugestalten. Da ist im Laufe meines Lebens doch einiges auf mich zugekommen. Aber ich dachte mir dann: "Ach, heutzutage schreiben doch schon 17-Jährige ihre Biografie, da musst du dich nicht auch noch einreihen." Also habe ich erst einmal dankend abgelehnt. Dann aber kam der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf aus Berlin auf die Idee, dass ich mal einzelne Geschichten aufschreibe. Und so ist es zu diesen Geschichten gekommen. Ich habe mir gedacht: Das machst du ja auch, wenn du auf der Bühne stehst, da erzählst du doch gelegentlich auch Geschichten. So habe ich mich also in einem Urlaub in Irland hingesetzt auf eine Veranda. Das Klima in Irland ist ja sehr günstig fürs Schreiben, wie der Gescheite weiß. Ich sagte mir: Wenn mir innerhalb der nächsten zwei Stunden nichts einfällt, was drei, vier Seiten füllt, dann lasse ich es einfach sein! Denn ich habe diesbezüglich ja keinerlei Ehrgeiz und Ambitionen. Aber siehe da, es macht mir ungeheuer viel Freude, das Schreiben. Das wusste ich nicht. Es macht mir auch sehr viel Spaß mit dem, was ich geschrieben habe, auf Lesereise zu gehen. Das mache ich dann mit unterschiedlichsten musikalischen Begleitungen. Die einfachste Variante: Wenn ich in irgendeiner Bibliothek oder in einem Buchladen lese, dann nehme ich die Gitarre mit und spiele und singe selbst, und zwar Lieder, die zu den Geschichten passen. Wenn der Rahmen etwas größer ist, dann mache ich das gelegentlich auch zusammen mit einem Pianisten, nämlich mit meinem langjährigen Begleiter Klaus Bender aus Dresden. Oder ich mache das gleich mit dem Swing Quartett Dresden: Das ist dann schon etwas opulenter und musikalisch auch breiter gefächert. Aber das macht alles ungeheuer viel Spaß und ich schreibe jetzt schon wieder am dritten Buch. Es interessiert mich zunächst einmal auch gar nicht, ob das irgendwer verlegen wird, denn das Schreiben an sich macht mir Spaß. Aber das wird schon jemand verlegen. Mende: Das zweite Buch kam 2010 heraus und trägt den Titel "Zugabe". Es finden sich darin weitere Geschichten, z. T. sehr lustige, z. T. auch sehr ernste. Es gibt da z. B. die Geschichte Ihrer Suche nach Ihrem verschollenen Vater, den Sie nie kennengelernt haben, denn er ist im Krieg vermutlich gefallen. Das ist also eine Mischung aus ernsten und heiteren Dingen. Ich habe beide Bücher nicht pflichtbewusst gelesen, sondern mit ganz großem Vergnügen. Ich habe … Emmerlich: Aber ein bisschen Pflicht war schon auch dabei, denn Sie mussten sich ja vorbereiten. Mende: Das war der Anlass, aber nur der Anlass. Es gibt ja auch Anlässe etwas zu lesen, bei dem man sich sagt: "Hoffentlich bin ich da bald durch!" Und es gibt andere Bücher, die einem wirklich Vergnügen bereiten. Ich habe sehr viel unterstrichen, während ich Ihre Bücher gelesen habe, weil ich mir gedacht habe: "Das muss ich mir merken!" Das sind wirklich zwei sehr lesenswerte Bücher. Sie sagen, Sie schreiben jetzt bereits am dritten Buch. Werden das insgesamt so sieben, acht oder gar zehn Bände? Was glauben Sie? Wie viel haben Sie denn noch in petto? Emmerlich: Das weiß ich nicht, ich lege mich da nicht fest. Aber ich hätte ja ein armseliges Leben geführt, wenn mir schon bald nichts mehr einfallen würde. Im ersten Buch sind es 29 Geschichten, im zweiten ähnlich viele. Es wäre doch armselig, wenn ich insgesamt nur 58 nennenswerte Geschichten erlebt hätte in meinem Leben. Es geht ja nicht nur um Erlebtes und Gelebtes, sondern es geht auch um Erfühltes und Gedachtes. Mende: Auch um Durchdachtes. Emmerlich: Ja, manchmal sogar durchdacht. Manchmal gerät es aber auch ein wenig ins Essayistische. Auf jeden Fall hat man ein gewisses Mitteilungsbedürfnis und das Papier ist einfach auch so wunderbar geduldig. Mende: Ich würde gerne wissen, woher Ihr Mitteilungsbedürfnis kommt. Sie sind, wie gesagt, 1944 in Thüringen geboren. Gab es denn vorher in Ihrer Familie Musiker, Gaukler, Menschen, die es auf die Bühne gedrängt hat? Emmerlich: Ich habe mal so ein bisschen Ahnenforschung betrieben. Eigentlich müsste ich auf Ihre Frage jetzt mit Nein antworten: Mein Vater und mein Großvater drängten nicht auf die Bühne. Mein Großvater war Kolonialwarenhändler, mein Vater war immerhin schon gelernter Klavierbauer, d. h. da war schon ein bisschen was in der Richtung vorhanden. Meine Mutter wiederum spielte selbst blendend Klavier. Sie war keine Pianistin, aber sie hat wunderbar Klavier gespielt. Da ist mir doch schon einiges beigebracht worden an Musikalität und auch im Hinblick auf das musikalische Angebot überhaupt, denn sie hat klassische Sachen gespielt, hat aber auch mal das "Gebet einer Jungfrau" gespielt, also kitschiges Zeug aus der Kaiserzeit, was mir aber zu einer gewissen Zeit eben auch gefallen hat. Ich bin dann mit elf Jahren leider Vollwaise geworden und lebte von da an bei meiner Schwester und meinem Schwager. Mein Schwager war sehr begabt auf vielen Instrumenten, obwohl er etwas ganz anderes gelernt hatte. Er war Hoteldirektor, spielte aber Hawaii-Gitarre und Gitarre und Klavier und Geige usw. Er war es, der meine Musikalität entdeckt und mir eine Gitarre geschenkt hat. Und wenn man erst einmal eine Gitarre hat, dann singt man auch dazu. Was wiederum dazu führte, dass dann andere entdeckt haben, dass der Öffentlichkeit zumutbar sei, was ich da stimmlich absondere. Wie gesagt, ich habe ein bisschen Stammbaumforschung betrieben und bin mit Hilfe von Kirchenbüchern bis 1698 gekommen. Mein Großvater kam aus dem altenburgischen Raum und ist dann später nach Ostthüringen, nach Eisenberg gegangen. Na ja, Altenburg zählt selbstverständlich auch zu Ostthüringen, ist aber halt doch ein bisschen anders gelegen. In dieser langen Ahnenreihe war jedenfalls auch ein Hofmusikant mit dabei. Irgendwann wurde er jedoch rausgeschmissen und so wurde er Straßenmusikant. Aber auch das finde ich sehr sympathisch, denn von da kommen wir ja letztlich alle her. Mende: So ein bisschen sind Sie diesen Weg ja auch gegangen, wobei man Sie damals nach 20 Jahren im Ensemble der Semperoper aber nicht rausgeschmissen hat, sondern Sie haben den Vertrag von sich aus aufgelöst. Emmerlich: Ich hatte bereits einen unkündbaren Vertrag. Mende: Denn auch Sie wollten eher "auf die Straße", wollten sich einem wesentlich breiteren Repertoire widmen. Emmerlich: Das war damals von mir ja keine Entscheidung gegen die Oper, denn ich liebe die Dresdner Oper ja nach wie vor. Ich moderiere ja auch jedes Jahr den Semperopernball und singe dort auch noch gelegentlich als Gast. Meine Entscheidung, nach 20 Jahren den Vertrag aufzulösen, hatte einfach damit zu tun, dass ich all die Angebote, die ich bekommen habe, nicht mit meinem festen Engagement vereinbaren konnte. Ich bekam nicht nur vom Fernsehen Angebote, sondern auch von anderen Theatern und von Gastspieldirektionen usw. Deswegen war es dann sinnvoll, den festen Vertrag zu kündigen. Freilich haben mir damals alle abgeraten, wirklich alle: Niemand hat gesagt, dass das, was ich da jetzt machte, richtig sei. Dennoch war es richtig gewesen, so zu handeln. Manchmal ist eine Entscheidung auch gegen alle Ratschläge richtig. Mende: Sie haben also als Jugendlicher Musik in unterschiedlichsten Formen gemacht und z. B. auch als Knabensopran gesungen. Wie und wann kam es denn dazu, dass das Singen für Sie zu einer beruflichen Perspektive wurde? Ab wann haben Sie gesagt: "Ich will auf die Bühne, ich will Sänger werden!"? Emmerlich: Entdeckt worden ist meine Stimme zum ersten Mal im Schulchor, als ich in der Tat noch Sopran gewesen bin. Die Knabensoprane werden nach dem Stimmbruch ja meistens Bassisten und so war es auch bei mir. Mich hat die Musik, nachdem mir die Gitarre geschenkt worden war, eigentlich immer begleitet: Ich gründete in meinem Heimatort eine eigene Band, später dann auch in Jena und in Lobenstein. Während ich als Bauingenieur ausgebildet werden sollte, machte ich auch in nebenher Tanzmusik. Ich habe zur Gitarre aber auch andere Musik gesungen und hatte auch mal eine Bekanntschaft mit einem Pianisten, mit dem ich Kunstlieder gesungen habe. Mein Interesse ging also schon sehr in Richtung Musik. Aber das lief alles noch parallel zu meiner Berufsausbildung. Ein guter Freund von mir meinte dann irgendwann einmal, ich solle doch in Weimar an der "Hochschule für Musik Franz Liszt" wenigstens mal vorsingen, um dort feststellen zu lassen, ob meine Stimme ausbildungswürdig sei. Das tat ich dann und siehe da, man hat mich auch gleich immatrikuliert. Und so ist quasi aus meinem Hobby mein Beruf geworden. Die Vielseitigkeit, die Sie angesprochen haben, habe ich nicht bewusst angestrebt, sondern die hat sich einfach so ergeben. Durch die Zusammenarbeit mit Schauspielern habe ich das Chanson für mich als Sänger und nicht nur als Zuhörer entdeckt. Aus dem Grund habe ich mir dann auch auf diesem Gebiet ein gewisses Repertoire erarbeitet. Ich habe dann auch in manchen Szenen als Schauspieler mitgespielt, obwohl ich die Schauspielerei eigentlich gar nicht gelernt habe. Diese Seite hat mich, ich hatte das vorhin bereits angedeutet, immer sehr interessiert bei der Ausübung meines Berufs. Früher hat man bei der Tanzmusik ja auch durchaus mal gejazzt, d. h. man hat zumindest Swing gespielt. Gut, bis zum Modern Jazz oder dem Free Jazz ging es natürlich nicht. Ich habe über die Tanzmusik jedenfalls auch meine Liebe zum Jazz entdeckt und irgendwann ging es bei Gastspielen der Dresdner Staatsoper darum, dass man anschließend in den Hotels, in denen wir untergebracht waren, vielleicht aus den eigenen Reihen ein bisschen Musik macht: Jazzer, die irgendwann mal so etwas gemacht haben, erschnuppern sich ja sofort gegenseitig und so packte der Soloklarinettist sein Instrument aus und der Solotrompeter ebenfalls. Und so fand sich ganz schnell eine Jazzband zusammen. Daraus wurde die Semper-Hausband: jazzende Herren der hochwohllöblichen Dresdner Staatskapelle. So kam eben eines zum anderen. Meine Freundschaft mit Ludwig Güttler hat mich letztlich auch dazu gebracht, dass ich über die Jahre hinweg auch die Kirchenmusik gepflegt habe. Mende: Dieses Musizieren nach der eigentlichen Vorstellung hat Ihnen ja auch mal richtig Ärger eingebracht. Bei einem Gastspiel in St. Petersburg haben Sie alle zusammen mit den Musikern des Hotels, die dort Musik machen sollten, Musik gemacht und … Emmerlich: Ich hatte weniger Ärger als die russischen Musikerfreunde, die wir da kennengelernt hatten in diesem großen Hotel in St. Petersburg. Sie waren dort angestellt und haben gespielt. Irgendwann haben wir – also die Jazzer der Dresdner Staatskapelle – uns einfach dazugesellt. Ein Banjo stand auch irgendwo in einer Ecke herum: Das habe ich mir geschnappt. Und so haben wir eine Jamsession gemacht. Bei dieser Musik bleibt es natürlich nicht aus, dass man logischerweise eben auch amerikanische Titel spielt wie "Bourbon Street Parade" oder "Alexander's Ragtime Band" usw. Das war aber in der damaligen Sowjetunion nicht angesagt. Am Schluss dieser sehr, sehr schönen Jamsession, an der wirklich alle ihre Freude hatten, haben wir den russischen Kollegen auch noch unsere damals sehr modernen Treviraschlipse und Nylonhemden und unsere Mokassins usw. geschenkt, weil wir wussten, dass es das in der Sowjetunion nicht in dem Maße gibt wie in der DDR. Am nächsten Tag mussten uns die Musiker all das, was wir ihnen am Abend vorher geschenkt hatten, vor dem Hotel zurückgeben: unter Aufsicht der Leningrader Polizei! Die Musiker waren nämlich fristlos entlassen worden, weil sie amerikanische Titel gespielt hatten. Die Dinge, die wir ihnen gegeben hatten, mussten sie ebenfalls wieder zurückgeben, obwohl wir doch erklärtermaßen die Freunde aus der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik waren. Selbst dann, wenn da einer ein strammer DDR-Patriot gewesen wäre, er hätte es ab diesem Moment nicht mehr sein können. Mende: Dieser Deutschen Demokratischen Republik standen Sie sehr kritisch gegenüber. Das ist in Ihrem Buch immer wieder ein Thema. Emmerlich: Ich war kein Widerstandskämpfer, aber ich habe diesen Staat nicht direkt geliebt. Mende: Dieser Staat hat wiederum auch Sie sehr kritisch beäugt, d. h. es gibt eine ganz dicke Stasiakte über Sie mit 2000 Seiten. Sie haben einmal gezählt, wie viele IMs Berichte über Sie geschrieben haben. Was war das für ein Gefühl, als Sie sich diese Akten angesehen haben und dabei plötzlich feststellten: "Nein, auch der!"? Was ging da in Ihnen vor? Emmerlich: Wenn man das liest, dann weiß man gar nicht, wer das war, man ahnt es nur, weil ja nur bestimmte Leute in Frage kommen, wenn ganz konkrete Situationen beschrieben wurden. Da fragt man sich natürlich: "Wer war da dabei? Das kann doch nur der oder der oder der gewesen sein." Und dann bekommt man auch irgendwann den entsprechenden Klarnamen heraus. Ich habe von den 36 IMs, die über die Jahre hinweg Berichte über mich geschrieben habe, erst von 16 die Klarnamen erfahren. Bei 20 IMs weiß ich immer noch nicht, wer das gewesen ist. Ich muss aber dazu sagen, dass ich eigentlich nur kurz reingesehen habe in diese Akte, denn eigentlich ist das Schnee von gestern. Sie haben einen so großen Aufwand betrieben damit und es hat ihnen doch nichts genützt: Das ist die erfreulichste Botschaft bei der ganzen Geschichte. Aber ich wollte einfach wissen, wer es nicht war. Denn über die Jahre hinweg hat man doch viele verdächtigt und vielleicht auch zu Unrecht verdächtigt. Deswegen habe ich mir diesen Akt angesehen: Das war der Grund dafür gewesen. Die traurigsten Dinge dabei waren natürlich, wenn diese Minen so ganz nahe gezündet wurden, wenn es also Freunde waren, die als IM Berichte geschrieben haben. Das ist zwei, drei Mal tatsächlich der Fall gewesen. Schlimm war auch, wenn es Kollegen waren, mit denen man auch privat viel verkehrte, denen man also vertraut hat. Das war nicht so sehr erfreulich. Aber es ist ihnen ja auch allen nichts passiert. Ich hatte nur keine Lust mehr, mit diesen Leuten privat zu verkehren. Aber ich glaube, das kann man verstehen. Ich hatte in den 70er Jahren eine Skatrunde. Skat spielt man am besten zu viert, denn da macht es am meisten Spaß. Alle anderen drei waren bei der Stasi! Das wusste ich natürlich nicht. Das Lustige aber ist, dass sie das untereinander auch nicht wussten. Das war wirklich das Komische dabei: In meiner Akte habe ich wirklich von jedem der drei über jeden Skatabend einen Bericht gefunden. Jeder hatte darauf logischerweise einen anderen Blickwinkel. Das ist z. T. schmerzlich, aber auch amüsant. Mende: Sie haben dann doch auch Kritik geübt. Vorhin meinten Sie, Sie seien kein Widerstandskämpfer gewesen, aber Sie haben eben auch Bemerkungen gemacht in Ihrem beruflichen Umfeld, mit denen Sie sich mit bestimmten Leuten gelegentlich direkt angelegt haben. Sie haben einmal mordsmäßigen Ärger bekommen mit einem Volkspolizisten, woraufhin Sie sogar interniert wurden und viele unschöne Dinge erleben mussten. Emmerlich: Ich war drei Wochen in Untersuchungshaft, das stimmt. Aber was heißt "angelegt"? Ich habe in meiner Eigenschaft als Moderator versucht, verbal die zweifellos vorhandenen Grenzen auszuloten. Ich habe testen wollen, wie weit man eigentlich gehen kann. Dafür musste man natürlich auch immer wieder übers Ziel hinausschießen, um diese Grenzen erspüren zu können. Es gab dann z. B. auch mal ein Auftrittsverbot für den Bezirk Gera, weil ich dort unbotmäßige Bemerkungen gemacht hatte. Das war aber doch örtlich begrenzt. Ich habe auch sonst ab und zu Schwierigkeiten bekommen und die Fernsehchefs haben z. B. zu mir gesagt: "Du hast doch eine so angenehme Stimme, du kannst doch auch über viel angenehmere Sachen sprechen. Du musst doch nicht über Engpässe reden und solche Dinge." Aber es war eben auch der kabarettistische Anreiz für mich. Mende: Sie haben z. B. auch mal Autogrammkarten verschenkt, auf denen stand: "Grenzenlose Grüße, Ihr Gunther Emmerlich". Emmerlich: Und das an der Grenze! Mende: Das war so die Art des Widerstandes, den Sie geleistet haben. Emmerlich: Dagegen konnte ja auch niemand was unternehmen. Das sind Formulierungen, die man nicht dingfest machen konnte. Ich kann ja z. B. auch jemanden grenzenlos lieben. Mende: Waren Sie also "nur" jemand, der ein etwas mutigeres Maul hatte, der Spaß daran hatte, die Oberen zu reizen und Grenzen auszutesten? Oder standen Sie der DDR tatsächlich sehr kritisch gegenüber? Waren Sie der Ansicht, dass das, was da in der DDR abläuft, einfach nicht korrekt ist? Emmerlich: Ich hatte einen Freundeskreis, in dem ich mich bewegte: Das waren Maler, das waren Ingenieure und Nachbarn, wenn wir uns zu Grillabenden oder einfach nur so zum Schwatzen getroffen haben. Und das waren alles Leute, die die DDR nicht besonders gut leiden konnten. Ich weiß gar nicht, woher nun plötzlich bei all diesen Ostalgikern diese Erinnerungen herkommen, die diesem System heute nachtrauern. Mir ist das unerklärlich. Ich habe damals diese Menschen nicht getroffen, keinen von denen. Vielleicht gab es sie ja nur in meinem Freundeskreis nicht, vielleicht lebten sie auch nicht in meiner Nachbarschaft. Aber ich kannte ja auch in anderen Nachbarschaften Leute, ich kannte auch Leute in anderen Freundeskreisen usw.: Auch dort gab es damals niemand, der von der DDR begeistert gewesen wäre. Die dicken Genossen hat man freilich ohnehin gemieden, weil man mit denen sowieso keine wirklichen Berührungspunkte hatte und dies auch gar nicht wollte. Und wenn es von Berufs wegen so einen Berührungspunkt doch mal gegeben hat, dann hat man versucht, das, was anzukreiden war – und da war eine Menge anzukreiden –, auch zur Sprache zu bringen. Da gab es die Vernagelten, aber es gab auch unter denen welche, mit denen man durchaus reden konnte, denn das waren eben nicht alles nur Vernagelte. Ich gebe zu, dass das jetzt ein sehr weites Feld ist: Es gab schon auch Gründe, in die SED zu gehen. Ich selbst war nicht drin, aber ich weiß, dass das auch bei mir hätte passieren können. Wir sind im Studentenklub in Weimar während der Studienzeit abends im Kasseturm gestanden und haben beim Bier wirklich ernsthaft darüber gesprochen, was sinnvoller ist: draußen zu bleiben und die Dinge, die einem nicht passen, anzumahnen, freilich mit relativ wenig Erfolgsaussichten, wie das in einer Diktatur halt so ist, oder in die Partei hineinzugehen und sie von innen aufzuknacken. Das haben dann ja auch viele so gemacht. Das kann man nicht verdammen, denn sie sind ja wirklich mit guter Absicht in die Partei gegangen. Aber sie sind dann alle gescheitert. Die meisten, von denen ich weiß, dass sie damals in die SED eingetreten sind, sind irgendwann mit mehr oder weniger Schwierigkeiten aus der Partei wieder ausgetreten, denn auch das war ja keinesfalls einfach. Wenn man nämlich erst einmal drin gewesen ist in diesem Gefüge, dann gab es eine Parteidisziplin: Da konnte man doch noch weniger anmahnen, als wenn man nicht drin gewesen ist, denn innerhalb der Partei wurde man dann einfach abgetan als jemand, der noch viel lernen müsse. "Viel lernen müssen" hieß in diesem Zusammenhang, dass man so lange "lernen" musste, bis man alles schön fand, was in der DDR stattfand. Und das konnten eben etliche nicht, die damals mit diesem Veränderungswillen eingetreten waren: Denn da war nicht alles schön. Mende: Es gab also über Sie eine sehr dicke Akte, man wusste, dass Gunther Emmerlich der DDR kritisch gegenübersteht: Dennoch haben Sie in der DDR eine große Karriere gemacht und sind auch im Fernsehen aufgetreten. Sie haben nämlich auch schon zu DDR-Zeiten große Sendungen moderiert. Wie passte das zusammen? Denn normalerweise würde man doch denken, dass die DDR jemanden wie Sie mit so einem losen Mundwerk doch eher kaltgestellt hätte. Emmerlich: Wie gesagt, ich bin kein Widerstandskämpfer gewesen. Sie wussten auch, das weiß ich auch durch meine Akte, dass ich ein loses Mundwerk hatte und dass ich nicht alles toll fand in der DDR, aber man war sich doch meiner sicher. Denn das Land war ja dicht! Viele Jahre war ich z. B. kein Reisekader, d. h. ich durfte bei Gastspielen der Dresdner Staatsoper im Ausland nicht dabei sein. Erst dann, als ich geheiratet hatte, Kinder kamen und wir ein Haus kauften, hat man mich zu Gastspielen in das nichtsozialistische Ausland reisen lassen. Aber nur mich alleine, nicht die Familie, denn die musste sozusagen als Pfand in der DDR bleiben. Man ging eben immer nur genau so weit, dass man mit den Gesetzen eben nicht direkt in Konfrontation geriet. Bis November 1989 hat man mein Telefon abgehört und hat man meine Briefe geöffnet und waren die IMs auf mich angesetzt. Wenn es nicht zur Wende gekommen wäre, wenn die DDR diesen Widerstand hätte niederschlagen und weiter existieren können, dann wäre ich laut Akte in ein Internierungslager gekommen: in der Nähe von Eisenberg im Holzland, nämlich in Tautenhain. Das ist aus meiner Akte ersichtlich. Man hat mich davor Karriere machen lassen, weil ich ja "nur" gesungen und moderiert habe. Es gab ja auch welche, die in diesem Unrechtsstaat Recht studiert haben: Das ist doch noch etwas anderes – aber ich will hier keine Namen nennen. Mende: Haben Sie sich denn auch mal konkret bedroht gefühlt? Emmerlich: Ja, wir hatten schon manchmal Angst, richtig Angst. Meine Frau wollte auch unbedingt die Ausreise beantragen. Ich war aber dagegen und die Gründe will ich auch ganz offen benennen: Man bleibt ja nicht mit großer Hingabe in einer Gesellschaftsordnung, sondern man bleibt mit großer Hingabe in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Gegend, in einer bestimmten Landschaft mit einer bestimmten Architektur und umgeben von Verwandten und Freunden. Und ich hatte ja auch einen Beruf, der mich ausgefüllt hat: Die Semperoper ist für mich wirklich ein wichtiger Grund gewesen zu bleiben. Harry Kupfer, der damals in Dresden inszeniert hat, war so ein Grund und in späteren Zeiten auch andere Leute wie Professor Herz oder Ruth Berghaus und etliche andere. Auch aus dem Westen kamen Regisseure zu uns und arbeiteten mit uns, während einige unserer Regisseure auch im Westen inszeniert haben. Kupfer hat z. B. auch in Bayreuth inszeniert. Das heißt, wir waren da an der Semperoper schon auch so ein bisschen eine Insel der Seligen. Mende: Sie hatten sozusagen doch ein wenig Narrenfreiheit als Künstler? Emmerlich: Ja, natürlich. Ich beschreibe in meinem ersten Buch eine Situation, die in einem hoch wichtigen VEB-Betrieb, in dem wie z. B. bei VEB Kombinat Robotron in Dresden bestimmte elektronische Anlagen hergestellt werden, nicht ohne großes Nachspiel über die Bühne gegangen wäre. Ich mache es kurz: Da hat einer von der SED-Bezirksleitung einen extrem langweiligen Bildungsvormittag gepredigt – ich hoffe, wir hier unterscheiden uns mit unserem Gespräch im Hinblick auf das Bildungsfernsehen. Sein ganzer Vortrag bestand eigentlich nur aus Überschriften aus dem "Neuen Deutschland". Das war wirklich gähnend und ätzend. Ein hochwohllöblicher Kammersänger, nämlich Werner Haseleu, hat sich dann aber erhoben und mit herrlich bassiger Stimme gesagt: "Mein Herr, Sie unterfordern uns intellektuell derartig, dass ich Sie bitten möchte, Ihr Buch zuzumachen und zu gehen. Hier sitzen lauter Leute, die studiert haben. Sie bringen es einfach nicht!" Mende: Und was passierte dann? Emmerlich: Wir haben daraufhin alle auf den Tisch geklopft als Zeichen der Zustimmung. Der Heini von der SED-Bezirksleitung stand auf, klappte sein Buch zu und ging. Es gab ja nur wenige Kammersänger, die in der SED waren – das waren wirklich nur ganz, ganz wenige, denn man musste eben auch noch ein bisschen singen können und nicht nur in der Partei sein; auch das war ein Vorteil des Theaters in der DDR. Von diesen wenigen Kammersängern haben wir dann erfahren, dass es danach diesbezüglich innerparteilich große Diskussionen gegeben hat. Aber man wusste nicht so genau, wie man damit nun umgehen soll, ob man nur den Kollegen Haseleu bestrafen soll oder gleich alle, die geklopft haben. Aber es war ihnen auch klar: Wenn man alle bestrafen würde, dann hätte man die Bude gleich schließen können. Denn geklopft hatten eben alle. Also hat man hinterher einfach so getan, als hätte das nie stattgefunden. Mende: "Ein bisschen singen können" ist leicht untertrieben, denn Sie haben eine tolle Karriere gemacht als Sänger, vor allem an der Semperoper. Sie haben große Mozartpartien gesungen, haben Rossini gesungen usw. Sie haben dann parallel dazu angefangen, in der DDR eine Fernsehkarriere zu starten. Wie haben Sie denn damals die Wende im Jahr 1989 erlebt? Wir hier im Westen kennen diese Zeit ja nur aus unserer westlichen Sicht. Aber ich denke, auf der anderen Seite der Mauer hat das doch ganz anders ausgesehen. Emmerlich: Ja, logisch. Das ging damit los, dass, wie sicherlich jedem erinnerlich, in Ungarn gewisse Dinge passierten. Noch früher gab es Ereignisse in Polen, aufgrund derer man bereits ahnen konnte, dass es auch bei uns eventuell gewisse Veränderungen geben könnte. Mende: Das lag also bereits in der Luft? Man spürte das bereits? Emmerlich: Das lag seit den frühen 80er Jahren in der Luft, also seit in Polen Solidarnosc gegründet worden ist. Danach kamen die Umwälzungen in Ungarn und das Ganze kulminierte dann darin, dass der ungarische Außenminister Gyula Horn mit dem Bolzenschneider ganz einfach die Grenzbefestigungen zerschnitt. Das führte dazu, dass viele DDR-Bürger nach Ungarn gefahren sind, um von dort aus abzuhauen. Die Führung der DDR aber hat das alles gar nicht so richtig zur Kenntnis nehmen wollen. In der Zeitung stand nur, dass das alles irregeführte Leute seien, die mit Mentholzigaretten gefügig gemacht worden wären. Das war natürlich alles erstunken und erlogen. Später dann gab es die bekannten Ereignisse in der Prager Botschaft und irgendwann hat dann auch das Volk der DDR gedacht: "So, jetzt müssen wir einfach mal auf die Straße gehen!" Mende: Und was haben Sie gedacht? Emmerlich: Da bin ich dann mit auf die Straße gegangen. Ich bin von Anfang an mit dabei gewesen und habe dann auch die Künstlerdemo in Dresden moderiert, weil man meinte, dass ich der geeignete Mann dafür sei. Das habe ich auch sehr gerne getan. Wir hatten natürlich auch furchtbar viel Angst, denn in dieser Zeit gab es ja nicht nur die schwer bewaffnete Nationale Volksarmee, sondern es war auch noch die Sowjetarmee im Lande. Wir wussten nicht, wie das ausgehen wird. Wir wollen dem Herrgott und vielen anderen danken, dass es glimpflich ausgegangen und gut gegangen ist. Mende: Das heißt, in dieser Zeit sind Sie dann doch ein Stück weit zum bekennenden Widerstandskämpfer geworden. Emmerlich: Ja, in dem Moment sind aber alle, die keine Feiglinge waren und entsprechend getickt haben, auf die Straße gegangen. Es waren ja nicht alle Bürgerinnen und Bürger in der DDR, aber es waren doch viele, die auf die Straße gegangen sind. Bei der Demo damals habe ich die Angst von uns allen vor diesen vielen bewaffneten Streitkräften und sonstigen Organisationen angesprochen. Das hatte zur Folge, dass am nächsten Tag zwei hohe Offiziere der NVA, also der Nationalen Volksarmee der DDR, zu mir nach Hause gekommen sind, um mich zu beschwichtigen: Ich solle doch keine Angst haben, denn auch bei der Armee gäbe es nun solche Veranstaltungen, gäbe es Demos, auch dort sei der Funke nun angekommen. Das fand ich ganz toll – nicht nur wegen der Angst, die sie damit zerstreut haben, sondern auch deswegen, weil das jetzt offenbar das ganze Land ergriffen hatte und selbst diejenigen, die für die Ordnung im alten Sinne zuständig waren, "von der Fahne gingen". Mende: Wann sind Sie dann zum ersten Mal über die offene Grenze gefahren? Emmerlich: Ich war in dem Moment, in dem die Grenze geöffnet wurde, in Dresden in der Semperoper mit einer Fernsehsendung beschäftigt, die zwei Tage später stattfinden sollte. Darüber habe ich logischerweise schon öfter sprechen müssen. Von dem Moment an, in dem Schabowski das gesagt hat, waren alle weg, von den Kameraleuten bis zum einfachsten Kabelträger. Sie fuhren alle von Dresden nach Berlin und ich stand mit dem Regisseur alleine da. Ich wäre am liebsten auch nach Berlin gefahren, aber ich musste ja zwei Tage später die Sendung moderieren. Deswegen haben wir an diesem Abend halt nur so ein paar "Trockenübungen" gemacht, um die Zeit der Probe einigermaßen sinnvoll hinter uns zu bringen. Die Sendung später hat dann aber doch wunderbar geklappt. Die Freude war jedenfalls sehr groß und ich selbst bin wenige Tage nach dieser Sendung auch nach Berlin gefahren. Mende: Anscheinend – von unserer westlichen Sicht aus – ging dann nach der Wende Ihre Karriere übergangslos weiter. Sie konnten im wiedervereinigten Deutschland an Ihre Erfolge in der DDR anknüpfen, es kamen Vertragsangebote von westdeutschen Fernsehanstalten, Tourneeveranstaltern usw. Was hat Ihnen diesen Übergang so leicht gemacht, Ihrer Meinung nach? Weil man wusste, dass der Emmerling kein Parteimitglied gewesen ist und keine Ämter innegehabt hatte, dass er der DDR sehr kritisch gegenübergestanden hatte? Emmerlich: Ich denke, es wird z. T. schon eine Rolle gespielt haben, dass ich aus deren Sicht kein so angepasster Typ war, um das mal ganz salopp zu sagen. Und ich denke, dass meine Vielseitigkeit im musikalischen Bereich dabei schon auch eine Rolle gespielt hat. Das praktiziere ich ja auch bis zum heutigen Tage, und dies nicht nur vor Fernsehkameras, sondern noch viel mehr – und das war immer so – draußen auf Konzerten, Lesungen usw. Ich gebe Konzerte der unterschiedlichsten Art, bin also nicht nur an Pfingsten in Bad Wörishofen, wo in diesem Jahr übrigens auch die Petersburger Philharmonie dabei sein wird, sondern ich gebe auch Orchesterkonzerte mit den Kollegen der Staatskapelle usw. Das ist wirklich meine Hauptbetätigung. Bei mir war es immer so, dass circa 15 Prozent meiner Arbeit Fernsehen war und 85 Prozent Konzert- und Theatertätigkeit. Da gibt es nach wie vor unheimlich interessante Angebote, sodass ich die Freude habe, mir das aussuchen zu können. Mende: Sehr vielseitig sind Sie auch bei der Wahl Ihrer Sopranistinnen, mit denen Sie singen. Sie singen mit Deborah Sasson und mit Eva Lind. Gibt es denn da keine Eifersüchteleien zwischen den beiden? Emmerlich: Normalerweise kommt so etwas tatsächlich vor: Es gibt in der Opernliteratur ja auch einschlägige Duette, bei denen es dann immer darum geht, wer von den beiden die erste Sängerin ist. Nein, zwischen diesen beiden Damen gibt es das nicht. Vom Verhältnis zwischen anderen Damen weiß ich das wohl, aber deren Namen sage ich nicht – obwohl ich ihn richtig aussprechen könnte. Mende: Ihre Vielseitigkeit ist wirklich erstaunlich. Man kann Sie einladen zu einem Liederabend, an dem Sie Schuberts "Winterreise" singen. Bei Kirchenkonzerten singen Sie Arien von Händel und Bach. Aber Sie singen eben auch Volkstümliches und mit diesen … Emmerlich: Nein, Volkstümliches singe ich nicht. Mende: Sie singen Volkslieder und moderieren volkstümliche Sendungen mit Schlagern usw. Emmerlich: Ich moderiere die "Krone der Volksmusik" im Januar eines jeden Jahres, bei der die Besten der Besten sich zusammenfinden. Wir machen da eine Sendung für die ARD, für die sich immerhin zwischen sechs und sieben Millionen Menschen interessieren. Das ist ja doch eine erstaunliche Zahl und ich mache das auch ganz gerne. Mit selbst geht diese intellektuelle Überheblichkeit gegenüber dieser Musik ab – obwohl ich das Rüstzeug dafür hätte. (lacht) Mende: Obwohl das alles ja nur mehr schwer zu unterscheiden ist: Was ist Volkslied? Was ist Schlager, Chanson? Was ist volkstümliche Musik? Emmerlich: Die Grenzen sind mittlerweile total verschwommen. Gerade in diesem Jahr waren die "Höhner" mit dabei, Frank Zander usw. Da ist auch schon Dr. Michael Kunze aus München ausgezeichnet worden für seine Verdienste um das deutsche und internationale Musical. Es ist auch schon das Ensemble ausgezeichnet worden, das in Hamburg das Udo-Jürgens- Musical aus der Taufe gehoben hat. Es trat die Gruppe "Riverdance" bei dieser Sendung auf usw. Das heißt, die Grenzen sind wirklich sehr verschwommen. Alles, was eine größere Akzeptanz hat, findet sich dort wieder. Mende: Eva Lind, die neulich ebenfalls bei uns zu Gast gewesen ist, hat gesagt, sie liebe einfach diese Bandbreite: Sie kann sich selbst aussuchen, was sie singen möchte, d. h. ihre Entscheidungsfreiheit ist viel größer als dann, wenn sie Mitglied in einem Opernensemble wäre und nur über das Schwarze Brett erführe, welche Partien sie im nächsten Jahr singen soll. Ist das etwas, das auch Sie reizt, weil Sie da viel mehr Möglichkeiten haben, weil da die Bandbreite so herrlich weit ist? Emmerlich: Diese Vielseitigkeit hat sich, wie ich vorhin bereits gesagt habe, im Laufe der Jahre, im Laufe der Jahrzehnte so ergeben. Sie hat den Vorteil, dass man wirklich mehrere Leben gleichzeitig leben kann. Es fährt sich einfach nichts fest, es gibt nichts, was in der soundsovielten Wiederholung dann irgendwann ermüdend werden würde. Vor vier Tagen war ich in Berlin im Französischen Dom und habe dort ein Kirchenkonzert gesungen. Am nächsten Tag habe ich eine Lesung gemacht. Darauf folgte ein Konzert mit einem Chor und einem Orchester, bei dem ich wieder ein völlig anderes Repertoire gesungen habe. Es folgte erneut ein Kirchenkonzert im Ruhrgebiet und jetzt sitze ich hier bei Ihnen und das macht auch Spaß und ist auch wieder etwas anderes. Mende: Ihr Kalender ist also proppenvoll. Ich habe irgendetwas von 300 Terminen im Jahr gelesen. Emmerlich: Na, knapp! Wir wollen nicht übertreiben. Mende: Vor einiger Zeit erlebten Sie einen kleineren, genauer gesagt sogar einen größeren Knock-out. Haben Sie Ihr Pensum nun tatsächlich reduziert, wie Sie sich das damals vorgenommen haben? Oder geht es einfach so weiter? Emmerlich: Das nehme ich mir immer wieder vor. Aber es wird immer wieder nichts daraus. Ich glaube, Arbeit, die Freude macht, ist nicht schuld an der Krankheit, die man plötzlich mal hat. Ich habe mich damals auch nur drei oder vier Tage aus dem Verkehr genommen. Mende: Sie sind, wie man vielleicht auch sagen kann, aus dem Verkehr "genommen worden". Emmerlich: Ich wollte eigentlich gleich weitermachen, aber der Arzt hat mir das verboten. Mende: Sie haben vorhin gesagt, wie wichtig Ihnen Ihre Familie ist, aber als ich gelesen habe, was Sie alles machen, habe ich mir gedacht: "Der hat doch überhaupt keine Zeit für die Familie." Wie machen Sie das? Emmerlich: Nun, da es bei mir in der Familie bereits eine nächste Generation gibt, die ich logischerweise nicht so häufig sehe … Mende: Sie haben inzwischen sechs Enkel, wenn ich richtig informiert bin. Emmerlich: Ja, es sind sechs Enkel. Ich gebe zu, sie kommen natürlich schon ein bisschen zu kurz. Das hat einfach mit dem Beruf zu tun, aber ich versuche die wenige Zeit, die ich in Dresden bin, doch bei den Enkeln zu sein. In Eisenberg wird es dann noch komplizierter: Aber da Eisenberg Gott sei Dank an der Autobahn liegt, biege ich natürlich jedes Mal ab, wenn ich da vorbeikomme. Aber insgesamt ist das in meinem Beruf generell ein Problem, das will ich überhaupt nicht schönreden. Mende: Könnten Sie denn ein "Nichts" überhaupt ertragen? Denn die wenige freie Zeit, die Sie haben, füllen Sie jetzt auch noch mit dem Schreiben von Büchern. Sie schreiben, wenn ich das richtig weiß, sogar noch mit der Hand. Emmerlich: Ja, ich schreibe alles mit der Hand. Im Buch sind die Buchstaben dann aber schon gedruckt! Mende: Könnten Sie denn ein "Nichts", ein Leben ohne Programm überhaupt ertragen? Emmerlich: Nein, das könnte ich nicht. Einen richtigen Plan B hat jemand, der so arbeitet wie ich, natürlich nicht. Aber ich mache, wenn ich Freizeit habe, einfach viele Dinge sehr gerne. Ich spiele gerne Tischtennis, ich wandere gerne, ich fahre im Winter gerne Ski. Übrigens auch Abfahrt, was man mir gar nicht so zutrauen würde. Das sieht grauenvoll aus, aber ich komme heil runter. Mende: Schnell sind Sie ja alleine aufgrund der Masse. Emmerlich: Ja, das stimmt, dadurch habe ich auch schon mal einen ehemaligen Weltmeister geschlagen: weil ich einfach bedeutend schwerer bin als er. Wir sind da einfach Schuss runtergefahren und logischerweise musste ich da gewinnen. Ich habe da tatsächlich, wie sein Name schon sagt, den Hansi Hinterseer hinter mir gelassen. Aber ich will jetzt mal ernsthaft auf Ihre Frage eingehen. Mein damals noch halbwüchsiger Sohn hat mich eines Tages mal, als er im Flur meinen Koffer stehen sah, gefragt: "Kommst du oder gehst du?" Das hat mir dann doch wehgetan. So ein Beruf, wie ich ihn ausübe, ist in der Tat nicht dafür da, das Leben eines Heimchen am Herd führen zu können. Aber ich liebe meine Kinder und ich denke mal, auch sie können mich ganz gut leiden. Bei meinen Enkeln hoffe ich, dass ich jetzt in der Folgezeit doch etwas mehr Zeit haben werde. Mende: Welche Fernsehsendung würden Sie gerne noch moderieren oder auch erst einmal entwerfen? Und welche Opernpartie, welches Lied würden Sie, wenn Sie die freie Auswahl hätten, gerne noch singen? Ich sehe in Ihnen z. B. ganz klar einen "Hans Sachs". Emmerlich: Das wäre dann aber doch ein heldischer Bassbariton und der bin ich eigentlich nicht. Ich bin eher ein tiefer Bass und insofern wäre z. B. der "Ochs" doch eher noch ein Traum von mir. Im Musicalbereich würde ich gerne noch "Der Mann von La Mancha" singen und den "Alexis Sorbas": Das sind die beiden Partien, die ich sozusagen noch auf der Liste stehen habe. Ich habe auch noch ein paar Angebote von Sachen bekommen, die Uraufführungen wären. Aber darüber will ich jetzt selbstverständlich nicht sprechen, denn dafür ist es einfach noch zu früh. Mende: Welche Fernsehsendung würden Sie denn gerne kreieren und dann auch moderieren wollen? Emmerlich: Wir sind jetzt dabei, etwas Neues zu erarbeiten, und insofern kann man da noch nicht allzu viel sagen, aber ich möchte ganz gerne auch mal diejenigen befragen, die sonst immer die Fragen stellen. Dazu würden am Ende dann auch Sie gehören. Mende: Und wir würden die Plätze tauschen. Emmerlich: Ja, wir würden einfach die Plätze tauschen. Mende: Ich danke Ihnen ganz herzlich fürs Kommen und wünsche Ihnen alles Gute. Ihnen, meine Damen und Herren, auch ein herzliches Dankeschön für Ihr Interesse. Emmerlich: Es war sehr angenehm, danke.

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