Tätigkeitsbericht Tätigkeitsbericht 2002–2003 Stiftung2002–2003 zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Tätigkeitsbericht 2002–2003 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

Inhalt

Zum Geleit – Von Markus Meckel und Rainer Eppelmann 4

Einführung 10

1 Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 16 Zentrale Aufgaben und Gremien

1.1 Zentrale Aufgaben 16 1.2 Die Gremien der Stiftung 17 1.3 Finanzierung der Stiftung 19 1.4 Geschäftsstelle 20 1.4.1 Arbeitsbereiche 20 1.4.2 Archiv 22 1.4.2.1 Aufbau und Arbeit des Stiftungsarchivs 22 1.4.2.2 Beratung der aus der DDR-Bürgerbewegung hervorgegangenen unabhängigen Archive 24 1.4.3 Bibliothek 25

2 Arbeitsschwerpunkte 2002/2003 26

2.1 Fördertätigkeit 26 2.1.1 Grundsätze und Entwicklungstendenzen der Förderung 26 2.1.2 Vergebene Fördermittel 2002 und 2003 31 2.1.3 Einzelne Förderschwerpunkte 31 2.1.3.1 Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 31 2.1.3.2 Förderung von aus der Opposition und dem Widerstand gegen die SED-Diktatur hervorgegangenen Archiven, Dokumentationszen- tren und Zeitschriften 33 2.1.3.3 Filmförderungen 36 2.1.3.4 Ausstellungen 37 2.1.3.5 Förderung und Unterstützung der Opferberatung und -betreuung 39 2.1.3.6 Gedenkstätten 41 2.1.3.7 Wissenschaftsförderung 42 2.2 Eigene Aktivitäten 45 2.2.1 Schwerpunkt 2002/2003: 50. Jahrestag des Aufstands vom 17. Juni 1953 46 1 Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zentrale Aufgaben und Gremien 2 Arbeitsschwerpunkte 2002/2003 3 Perspektiven und Ausblick 4 Anhang

2.2.1.1 Hauptsächliche Aktivitäten 47 2.2.1.2 Fazit des Gedenktages 51 2.2.2 Das Spektrum der gesellschaftlichen Aufarbeitung 52 2.2.2.1 Präsentation von Dokumentarfi lmen mit anschließenden Diskussionen 52 2.2.2.2 Andere Publikumsveranstaltungen 54 2.2.2.3 Veranstaltungen für Multiplikatoren der gesellschaftlichen Aufarbeitung 57 2.2.3 Unterstützung der Opferberatung 63 2.2.4 Weiterbildungsprogramm 65 2.2.5 Publikationen 66 2.2.6 Relaunch www.stiftung-aufarbeitung.de 71 2.2.7 Internationale Beziehungen 72 2.2.8 Partner der Stiftung 75

3 Perspektiven und Ausblick 77

4 Anhang 79

Anhang 1 Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vom 5. Juni 1998 80 Anhang 2 Satzung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 83 Anhang 3 Mitglieder der Gremien: Rat, Vorstand, Fachbeiräte 87 Anhang 4 Einnahmen/Ausgaben 2002–2003 92 Anhang 5 Fördergrundsätze der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 93 Anhang 6 Hinweise für Antragsteller und Zuwendungsempfänger 96 Anhang 7 Geförderte Projekte 2002–2003 99 Anhang 8 Geförderte Projekte zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 120 Anhang 9 Stipendien und Stipendiaten 123 Anhang 10 Weiterbildungsseminare 2002–2003 126

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Zum Geleit Von Markus Meckel und Rainer Eppelmann

»Erich ... wer?« – diese Worte sind unter Regel: Der 50. Jahrestag des Volksaufstandes jungen Menschen 15 Jahre nach dem Fall der vom 17. Juni 1953 führte zu einer breiten Be- Mauer nicht selten zu hören. Selbst mit einem richterstattung und vielen Veranstaltungen. Foto des einstigen Staats- und Parteichefs der Der 17. Juni besitzt seit diesem Jubiläum einen DDR können Schüler längst nicht immer etwas neuen Stellenwert im öffentlichen Bewusst- verbinden. Das Ende der Teilung Europas, sein. Insbesondere das private Fernsehen Deutschlands und Berlins liegt 2004 gerade jedoch stilisierte die DDR erst unlängst zu einmal anderthalb Jahrzehnte zurück. Den- einer großen, gemütlichen Datsche. Aus- noch wirkt die DDR weit entfernt von unserem führlich widmeten sich »Ostalgie«-Shows den Alltag, von unserer heutigen Lebensrealität. Erfolgen beim Eiskunstlauf. Trabi-Vereine prä- Die DDR verblasst, scheint es zuweilen. Wenn sentierten sich, über Rotkäppchen-Sekt wurde Markus Meckel, MdB sie nicht gerade im gemütlichen Schummer- geplaudert. Von Wehrkundeunterricht und licht mehr verklärt als erklärt wird. Staatssicherheit aber war keine Rede. Wie sol- Die meisten Erwachsenen dürften wissen, len junge Menschen vor diesem Hintergrund was die SED war und was sich hinter der heute verstehen, weswegen die Menschen in Abkürzung Stasi verbarg. Ihnen dürfte der der DDR im Jahre 1989 auf die Straße gingen? Name Ulbricht ebenso etwas sagen wie Erich Wie sollen sie begreifen, warum wir uns in op- Honecker. Viele können vermutlich gar etwas positionellen Initiativen engagierten, Parteien anfangen mit dem Chruschtschow-Ultimatum gründeten, die den Macht- und Wahrheitsan- oder der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Aber spruch der Staatspartei infrage stellten? die Generation Einheit, die nach 1990 Gebo- So sehr Elternhaus und Medien gefragt renen? Zugegeben: Wer mit Internet und ICE sind – das Thema DDR muss vor allem in den aufgewachsen ist, wird die Zeit von Ideologie Schulen und Hochschulen behandelt werden. und Indoktrination nur schwer nachvollziehen Ansonsten besteht die Gefahr, dass die alles Rainer Eppelmann, MdB können. Wer kann es jungen Menschen ver- andere als gemütliche DDR allein als Aperçu denken, wenn sie bei dem Wort Bewegungs- erscheint, auf die Halloren-Kugel und deren freiheit zuerst an Billigfl üge denken? süßen Geschmack reduziert wird, dass Kli- Wie aber können wir ein Wissen über 40 schees über Fakten obsiegen. Leider ist die Jahre DDR, deutsche Teilung und ihre heute bisherige Bilanz im Bildungswesen bescheiden, noch spürbaren Folgen vermitteln – und zwar wie zwei Studien analysieren, die die Stiftung nicht nur zwischen Rügen und Zittau, sondern zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Auftrag ebenso zwischen Flensburg und Konstanz? Die gegeben hat. meisten Eltern und das Gros der Medien kön- Wichtige Teile der DDR-Geschichte wer- nen nur einen begrenzten Einblick in diesen den völlig ausgeklammert oder zumindest Teil der gesamtdeutschen Geschichte gewäh- ungenügend berücksichtigt, resümiert das ren. In den Medien wird schließlich immer Deutsche Institut für Internationale Pädago- weniger und dabei zunehmend positiv über gische Forschung. Demnach nennen Lehrpläne die DDR berichtet. Ausnahmen bestätigen die das Thema Repressionen in der DDR oder die

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Preface by Markus Meckel and Rainer Eppelmann

»Erich... who?« Fifteen years after the fall tory. After all, media reports on the GDR are of the Berlin Wall, these are common words simultaneously less frequent and more posi- heard from the mouths of young people. Even tive nowadays. Exceptions prove the rule: The when shown a photograph of the former GDR 50th anniversary of the national uprising on 17 Head of State and Chief Executive of the So- June 1953 was cause for broad press coverage cialist Unity Party of (SED), students and many events. Since this jubilee, the 17th are by no means always able to make a con- of June holds a new signifi cance in the pub- nection. In 2004, the demise of the division of lic’s awareness. Yet only just recently, private Europe, Germany, and Berlin lies merely one- television channels in particular conventiona- and-a-half decades in the past. Despite this, lised the GDR to a big cosy dacha. Nostalgic the GDR seems far away from our everyday TV shows extensively dedicated themselves life and present reality. At times it appears as to East German fi gure-skating triumphs. Tra- if the GDR is fading away – at least when it’s bant automobile clubs were presented while exceedingly romanticised in a placid twilight chats were held over a glass of Rotkäppchen instead of elucidated. sparkling wine – without any mention of Most adults are probably both aware of what the SED was and what the secret ser- vice’s abbreviation Stasi concealed. The name Ulbricht is most likely just as familiar as Erich Honecker. Many can probably even make some sort of association with the Khrushchev ultimatum or Wolf Biermann’s denaturalisa- tion. But the »unity generation« – those born after 1990? Admittedly, those who grew up with the Internet and ICE can, at best, only begin to comprehend the era of ideology and indoctrination with diffi culty. Who can blame young people when cheap airline tickets are the fi rst things that come to mind when »free- dom of movement« is mentioned? Yet how can we impart the knowledge of a 40-year long GDR history, as well as German division and its ongoing implications, and para-military education or national security. convey this knowledge not only from Rügen to Against such a background, how are today’s Zittau, but also from Flensburg to Konstanz? young people supposed to understand why the Most parents and a large proportion of the people of the GDR took to the streets in 1989? media can only provide very limited insight How are they to comprehend why we got in- into this chapter of reunifi ed German his- volved in oppositional initiatives, or founded

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Funktionsweise der Staatssicherheit »nur an Landes ist dieser Teil der Geschichte weit weg. wenigen Stellen«. Die Gesellschaftsgeschichte Doch sind die Diktatur in der DDR und die wird allein in Teilbereichen behandelt und die deutsche Teilung nicht Teil der gesamtdeut- Herausbildung der Opposition »nur unsystema- schen Geschichte? Geht sie nicht auch Bayern, tisch« aufgenommen. Der 17. Juni 1953 kommt Westfalen und Holsteiner an? Treffend kon- in Lehrplänen weder für Sozial- oder Gemein- statiert der Potsdamer Historiker Christoph schaftskunde noch für Politik oder Deutsch Kleßmann hinsichtlich der Beschäftigung mit vor. Diese Analyse ist umso erschreckender, da der DDR-Geschichte »einen Abschwung, wenn Lehrpläne meist weit mehr Themen anreißen auch noch keine Rezession«. als dies der Realität des Unterrichts entspricht. Leider ist es zudem bisher nicht gelungen, eine Verbindung zwischen der friedlichen Revolution in der DDR sowie den Oppositi- ons- und Freiheitsbewegungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas herzustellen. Dabei stehen die Ära Gorbatschow, das Wirken der polnischen Solidarnocz, die Zivilcourage von Vaclav Havel und seinem Umfeld oder das ungarisch-österreichische »Grenzfrühstück« doch in einem Kontext mit dem Mut von Op- positionellen in der DDR und den »Montagsde- monstrationen«. Die Idee des Runden Tisches haben wir aus Polen offenkundig »importiert«! Doch wo spielt dieser Gesamtzusammenhang eine Rolle? Umso erfreulicher ist es, dass im Jahr 15 nach den Revolutionen von 1989 Polen, Un- garn, Tschechien und die baltischen Staaten Konjunkturkurve des DDR-Themas Die Vermutung liegt nahe, dass mancher Schü- Mitglieder der Europäischen Union geworden im Lehrangebot ler niemals mit dem Thema DDR konfrontiert sind. Das »Europäische Haus« also wurde und (Anzahl der Lehrveranstaltungen ermittelt für 12 exemplarische Uni- wird. Derartige Unkenntnisse aber bereiten wird Realität. Ohne Grenzkontrollen von Tal- versitäten) den Boden für unzulässige Relativierungen linn nach Lissabon, von Berlin nach Warschau Quelle: DDR-Geschichte vermit- teln, hrsg. von Jens Hüttmann, und Gleichgültigkeit. Nicht nur im Osten des zu reisen, erscheint uns vielleicht gar schon Ulrich Mählert, Peer Pasternack, Landes. selbstverständlich. Das ist es aber nicht. Berlin 2004, S. 169 In der Lehre an den Universitäten verliert Die Ostdeutschen sind bereits ab 1989 viel das Thema DDR derweil an Bedeutung, wie gereist, vor allem gen Westen. Der westliche das Institut für Hochschulforschung an der Teil Europas interessierte sich hingegen we- Universität Halle-Wittenberg ermittelte. Es ist nig für Land und Leute hinter dem Eisernen zahlenmäßig etwa auf dem niedrigen Stand Vorhang. Doch die einstmals schweren Türen des Jahres 1990 angelangt. An mehr als der sind längst auch in östlicher Richtung geöff- Hälfte der 88 deutschen Universitäten wurde net! Immer mehr Deutsche verbringen ihren im Sommersemester 2001 keine Lehrveranstal- Urlaub nicht nur an der Algarve oder in der tung angeboten, die sich mit der DDR bzw. Toskana, sondern ebenso in Masuren, dem Rie- Ostdeutschland befasste. Jede zweite dieser sengebirge – und natürlich am Plattensee. Wer Veranstaltungen fand in den neuen Ländern dies noch nicht »gewagt« hat, sollte sich auf statt, wo jedoch nur jeder fünfte Student der Landkarte vergewissern: Prag lag schon eingeschrieben ist. Im Süden und Westen des immer westlicher als etwa Wien und Helsinki

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political parties that questioned the state courses offered at the other universities, one party’s claim to power and truth? of two was held in the New Laender, where, As much as the family home and media however, only every fi fth university student are in demand here, the GDR issue must be in Germany is matriculated. In the southern addressed fi rst and foremost by schools and and western part of our country, this chapter universities. If it is not, risk is run that the of German history seems very distant. But are GDR – anything but cosy – will leave on the GDR dictatorship and German division coming generations a singular impression not part of a reunifi ed Germany’s history? Do that’s been reduced to the sweetness of they not also concern Bavarians, Westphalians, Halloren chocolate, with clichés triumphing and Holsteiner? The Potsdam-based historian over facts. So far, a review of the education Christoph Kleßmann accurately states that system has, unfortunately, only yielded preoccupation with GDR history »might not moderate results, as two studies commissioned be in a recession, but it’s on a downswing.« by the Stiftung zur Aufarbeitung der SED- In addition, unfortunately no connection Diktatur (Federal foundation for research of between the peaceful revolution in the GDR the SED dictatorship) analyse. and the oppositional and peace movements in The DIPF (German institute for interna- Central and Eastern European countries has yet tional pedagogical research) summarises that been able to be successfully made. Yet the Gor- important parts of GDR history are completely bachev era, the effects of Polish Solidarnocz, excluded, or at least inadequately considered. the moral courage of Vaclav Havel and his po- According to the DIPF, syllabi broach the litical surroundings, or the Hungarian-Austrian subjects of repression in the GDR and the »border-breakfast« are all of the same context operating mode of national security »only in as the oppositional courage of protesters in very few sections«. Social history is covered solely in subsections, and the oppositional development is incorporated in the curriculum »only unsystematically«. June 17th 1953 is nei- ther found in the syllabi for social studies or civics, nor in politics or German. This analysis is even more alarming considering syllabi usu- ally touch upon many more topics than can actually be covered in classroom reality. It’s a fair guess that many young students are never confronted with GDR subject matter at all. Such ignorance, however, paves the path for invalid relativism and indifference – not only in the eastern part of Germany. Meanwhile, the Institute for Higher Educa- tion Research at the University of Halle-Wit- tenberg determined that the GDR subject is becoming less important in university teach- the GDR and at the »Monday demonstrations«. ing. Statistically seen, it’s at its lowest level Evidently, we »imported« the concept of the since 1990. At more than half of the 88 Ger- round table from Poland! But where does this man universities in the summer semester of overall context play a role? 2001, no course was offered that dealt with It’s all the more gratifying that 15 years af- the GDR or the eastern part of Germany. Of the ter the revolution, Poland, Hungary, the Czech

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öst licher als Warschau. Wer gar immer noch allen Teilen Deutschlands mehr denn je Not. in den Kategorien des Kalten Krieges denkt, Auch wenn der 50. Jahrestag des Aufstands sollte sich klar machen: Zu den längst geschaf- vom 17. Juni 1953 im Jahr 2003 gezeigt hat, fenen Realitäten zählt, dass Polen, Ungarn dass das öffentliche Interesse für unsere und Tschechien bereits fünf Jahre lang der gemeinsame Geschichte in Ost wie West NATO angehören. Wer dies 1989 prophezeit geweckt werden kann, hat die bisherige Aus- hätte, wäre wohl eher verrückt denn visionär einandersetzung mit der Geschichte der DDR genannt worden. Im Osten wie im Westen. und der deutschen Teilung offensichtlich nicht Was sind letztlich die Ursachen dafür, dass ausgereicht. Wir müssen Möglichkeiten fi nden, sich die Erinnerung an die Geschichte der SED- die geeignet sind, ein historisches Verständnis zu schaffen, das die Gegenwart zu erklären hilft. Eine Generation nach der friedlichen Revolution kann und sollte mehr denn je nach Formen der Auseinandersetzung mit der jüngs- ten deutschen Geschichte gesucht werden, die nicht nur die Geschichte der DDR, sondern auch die der alten Bundesrepublik umfassen und einen gesamtdeutschen Blick auf unsere im mehrfachen Wortsinn geteilte Geschichte gestattet.

Markus Meckel Vorsitzender des Stiftungsrats

Rainer Eppelmann Vorsitzender des Stiftungsvorstands Diktatur, der deutschen Teilung sowie deren friedliche Überwindung so unentschieden und verhalten ausgestaltet? Warum ist wenig ge- samtdeutsche Freude darüber zu vernehmen, dass gegenwärtig die erste Schülergeneration diesem Thema im Unterricht begegnet, die im Jahre 1989 geboren wurde? Weshalb wird der Mut jener derzeit nicht vernehmlich gefeiert, die im Herbst vor 15 Jahren einer waffenstar- renden Diktatur entgegentraten? Diese Fragen zeigen aus unserer Sicht, wie wichtig Initiativen in Ost wie West sind, uns unserer gemeinsamen Geschichte zu versi- chern. »Wer die Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zu- kunft nicht gestalten.« So abgedroschen dieser Satz erscheinen mag, so sehr kennzeichnet er die gegenwärtige Situation. Im 15. Jahr der deutschen Einheit tut historische Bildung in

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Republic, and the Baltic nations have become reunifi cation, historical education is in a bad members of the European Union. A »European state all throughout the country. Even when house« thus became and is becoming reality. the 50th anniversary of the national uprising Travelling from Tallinn to Lisbon or from Berlin on 17 June 1953 in 2003 showed that public in- to Warsaw without any border controls may terest for our common history can be aroused already even seem as a matter of course. Yet in both the East and West, the discussion on it is not. the history of the GDR and the German divi- East Germans already travelled a lot after sion has obviously been insuffi cient so far. We 1989, particularly westbound. Western Europe, have to fi nd suitable methods of creating a on the other hand, was hardly interested in historical understanding that helps explain the countries and people behind the Iron Cur- the present. One generation after the peace- tain. But the heavy gates to the East of days ful revolution we still have to seek for an past have also long since opened! More and intensive analysis of recent German history. more Germans not only spend their holiday We need a unifying view on our divided past in the Algarve or Tuscany, but also in Mazury, because this past encompasses both, East and the Giant Mountains, and of course, at Lake West. Balaton. Those who haven’t yet felt bold enough to do so, should convince themselves with a map: Prague always lied more westward Markus Meckel than Vienna, for example, and Helsinki always Chairman of the Foundation Board more easterly than Warsaw. Those who still think in Cold War categories should make it Rainer Eppelmann clear to themselves: it’s a long accomplished Executive Chairman reality that Poland, Hungary und the Czech Republic have been NATO members for fi ve years already. If anybody in either the East or the West had predicted this back in 1989, they probably would have been called crazy instead of visionary. Finally, why is shaping the remembrance of the history of SED dictatorship, the German division, and its peaceful overcoming so un- decided and restrained? Why is there so little reunifi ed-German joy heard when presently, the fi rst students to encounter this theme in school are those born in 1989? Why are there no audible celebrations in honour of the courage of those who, 15 years ago in autumn, confronted an arms-bearing dictatorship? From our perspective, all of this illustrates how important initiatives in the East and the West are to affi rm our common history. »Those ignorant of history cannot understand the present, or shape the future.« As banal as this may seem, this statement characterises the present situation. 15 years after German

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Einführung

Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der jüngsten deutschen Vergangenheit aufge- die 1998 vom Deutschen Bundestag gegründet zeigt und ein über aktuelle Einschaltquoten wurde, legt ihren zweiten Tätigkeitsbericht hinausreichendes Interesse an einer Beschäf- vor, der Auskunft über die Arbeit der Stiftung tigung mit den Hintergründen dieser Diktatur in den Jahren 2002 und 2003 gibt. und ihren Folgen für das heutige Deutschland Die Auseinandersetzung mit der Geschichte geweckt. der SED-Diktatur, der deutschen Teilung und Diese beiden Schlaglichter umreißen das ihrer Überwindung wurde in diesen beiden aktuelle gesellschaftliche und erinnerungs- Jahren von zwei Formen der historischen Er- strukturelle Umfeld, in dem sich die Stiftung innerung geprägt, die im Sommer und Herbst mit ihrer Arbeit in den Jahren 2002/2003 2003 in Konkurrenz zueinander standen. Auf bewegte. Die Stiftung Aufarbeitung soll zur der einen Seite stand das vielfältige Gedenken umfassenden Aufarbeitung von Ursachen, aus Anlass des 50. Jahrestages des Volksauf- Geschichte und Folgen der Diktatur in der standes vom 17. Juni 1953 in der DDR, das Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland bundesweit auf große Resonanz stieß. Über und in der DDR beitragen, die Erinnerung an 900 Ausstellungen, Veranstaltungen, Publika- das geschehene Unrecht und die Opfer wach tionen, TV- und Radioproduktionen griffen halten sowie den antitotalitären Konsens in 2003 dieses Thema auf. Nicht wenige dieser der Gesellschaft, die Demokratie und die inne- Angebote hatte die Stiftung Aufarbeitung re Einheit Deutschlands fördern und festigen. angeregt und teilweise auch fi nanziert. Erst- Diese gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben mals wurde ein Ereignis der (ost)deutschen der Stiftung wurden 1998 durch den Deut- Nachkriegsgeschichte als Teil der gesamtdeut- schen Bundestag fraktionsübergreifend for- schen Geschichte dargestellt und behandelt muliert. Der Auftrag der Stiftung sieht dabei und konkret in die Tradition der deutschen ausdrücklich eine internationale Perspektive Freiheitsbewegungen gestellt. Man gedachte vor. Durch Kooperationen mit Partnern aus dem Mut der Aufständischen und der Opfer Mittelosteuropa soll die Diktatur in der SBZ des Aufstands, der zudem in den Kontext der und DDR in den Kontext der stalinistischen Aufstände gegen die kommunistische Herr- Herrschaftssysteme des einstigen Ostblocks schaft in Mittelosteuropa der Nachkriegszeit gestellt werden. Dabei beschränkt sich die eingeordnet wurde. Stiftung nicht nur auf einen nach Osteuropa Auf der anderen Seite standen der Kinofi lm begrenzten Blick. Die Dimensionen des Kalten »Good bye Lenin« sowie die umstrittenen Krieges, der Teilung Europas und der Welt, »DDR-Shows«, die 2003 die öffentliche Aus- deren Frontlinien mitten durch Deutschland einandersetzung mit der SED-Diktatur auf liefen, sind unerlässliche Perspektiven, um die ganz eigene Weise anregten. Obwohl sich die Nachkriegsentwicklung in Deutschland wie Geister bei der Bewertung dieser beiden Phä- auch in Europa zu verstehen. In diesem Zu- nomene durchaus schieden, wurden durch sie sammenhang beginnt die Stiftung zunehmend neue Themen bei der Auseinandersetzung mit mit Institutionen und Initiativen in Westeuro-

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Introduction

The Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dik- of this dictatorship and its effects on modern- tatur, which was founded by the German Bun- day Germany that outdid current television destag in 1998, presents its second activity re- ratings. port offering information on the foundation’s These two highlights outline the current work in 2002 and 2003. social and remembrance-structural setting Over the course of these two years, the in which the foundation pursued its work in analysis of the history of the SED dictatorship, 2002/2003. The foundation’s purpose is to as well as German division and its overcom- comprehensively contribute to the critical re- ing, was infl uenced by two forms of historical view of the causes, history, and consequences remembrance that rivalled one another in the of the dictatorship in the Soviet zone of oc- summer and autumn of 2003. On one hand cupation in Germany and the GDR, to bear was the multifaceted commemoration of the remembrance of the victims and injustice 50th anniversary of the national uprising on done, and to facilitate and consolidate the 17 June 1953 in the GDR, which commanded anti-totalitarian consensus in society, demo- a great amount of nationwide attention. Over cracy, and the inner unity of Germany. These 900 exhibitions, events, publications, TV and tasks of the foundation are regulated by law radio specials were dedicated to this theme in and were drafted (cross-faction) in 1998 by 2003. The Foundation for research of the SED the German Bundestag. The foundation’s mis- dictatorship instigated many of these projects, sion explicitly foresees an international per- and even funded some of them. For the fi rst spective. Through cooperation with partners time ever, an incidence of (East) German post- from Central-Eastern Europe, the dictatorship war history was both represented and treated in the Soviet zone of occupation and the GDR as a part of (reunifi ed) German history, and is to be placed in the context of Stalinist rul- specifi cally contextualised in the tradition of ing systems of the former Eastern Bloc. In do- German liberation movements. The courage ing so, the foundation does not confi ne itself of insurrectionists and victims of the uprising to a limited »tunnel vision« of Eastern Europe. were commemorated, and the uprising itself The dimensions of the Cold War, the division was categorised within the context of upris- of Europe and the world, the front lines of ings against post-war communist governance which ran through Germany, are all perspec- in Central-Eastern Europe. tives vital to the comprehension of post-war On the other hand, the fi lm Good Bye, development in both Germany and Europe. Lenin! and controversial »GDR shows« on tel- In this regard, the foundation is establishing evision incited public discussion of the SED increased cooperation with institutions and dictatorship in their very own way in 2003. initiatives in Western Europe, USA, South Although opinions of these two phenomena Africa, and Latin America. greatly differ, they pinpointed new themes in This is where the foundation’s activities the analysis of the most recent German his- and project funding set in. Through its work, tory, and aroused an interest in the backdrops the goal of the foundation is to further the

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pa, den USA, Südafrika oder Lateinamerika zu effi zienten Vernetzungs- und Kommunikati- kooperieren. onsplattform entwickelt hat. Hier setzt die Stiftung mit ihren Angeboten Die Arbeit der Stiftung steht im Zeichen und Projektförderungen an. Sie will mit ihrer einer allmählich verblassenden Erinnerung Arbeit die Auseinandersetzung mit der jüngs- an die Diktatur in der DDR und die deutsche ten deutschen und europäischen Geschichte Teilung. Im Osten überlagern und verändern befördern. Durch und mit den verschiedenen die Probleme und Herausforderungen der Vorhaben und Projekten soll ein differenzier- Gegenwart zunehmend die Erinnerung an ter und vielfältiger Blick auf Ereignisse und die Zeit der Diktatur bis 1989. Im Westen geschichtliche Entwicklungen ermöglicht Deutschlands fi ndet sich nach wie vor die werden. Ebenso wie in den ersten Jahren der Auffassung, die Aufarbeitung der SED-Diktatur Arbeit zwischen 1998 und 2001 konzentrierte sei allein Sache der Ostdeutschen und kaum sich die Tätigkeit der Stiftung in den Jahren mehr als ein regionales Problem. Und in ganz 2002 und 2003 auf folgende Gebiete: Deutschland wächst eine Generation heran, Im Mittelpunkt der Stiftungsarbeit stand die über keine eigene Erinnerungen an und die Vergabe von Fördermitteln an Projekte Erfahrungen mit Diktatur und Teilung verfügt. Dritter, die im Sinne des Stiftungsauftrags Dies bedeutet für die Arbeit der Stiftung eine wirken. 2002/2003 wurden insgesamt 323 große Herausforderung. Zum einen muss sie Projekte gefördert. Darunter waren 28 Pro- mit ihren Aktivitäten der Tendenz entgegen- jekte zum 50. Jahrestag des Aufstandes vom wirken, die DDR-Vergangenheit zu verklären 17. Juni 1953; 28 Zuwendungen gingen an und zu verharmlosen. Zum anderen steht sie Archive der Opposition und des Widerstandes; gemeinsam mit anderen wichtigen Institutio- 55 Wissenschaftsprojekte, 150 Projekte der nen der Aufarbeitung und politischen Bildung Gesellschaftlichen Aufarbeitung bzw. politi- vor der Aufgabe, mit differenzierten und at- schen Bildungsarbeit (Filme, Veranstaltungen, traktiven Angeboten sowie Veranstaltungen Ausstellungen), 50 Publikationen, zahlreiche möglichst viele und insbesondere junge Men- Projekte im Bereich der Opferberatung und schen dazu anzuregen, sich mit der deutschen von Gedenkstätten wurden gefördert. Nachkriegsgeschichte zu beschäftigen. Die Darüber hinaus trat die Stiftung mit eige- Stiftung Aufarbeitung versteht sich im Kon- nen Aktivitäten an die Öffentlichkeit. text und in Kooperation mit anderen Einrich- Diese umfassten u.a. den Arbeitsschwer- tungen als Anlaufstelle und Ansprechpartner punkt 50. Jahrestag des Aufstandes vom für die Auseinandersetzung mit der zweiten 17. Juni 1953, die Unterstützung der Opferbe- Diktatur in Deutschland im 20. Jahrhundert. ratung, 30 Veranstaltungen verschiedenster Insbesondere haben sich in den vergangenen Art zu den unterschiedlichsten Themen, Publi- Jahren gute Kooperationsbeziehungen mit so kationen und wissenschaftliche Veranstaltun- wichtigen Einrichtungen der Aufarbeitung gen, Ausbau der internationalen Beziehungen wie dem Zeitgeschichtlichen Forum , zu Partnern in den ehemals kommunistisch der Bundeszentrale für politische Bildung mit beherrschten Ländern Europas sowie die Prä- seinem Präsidenten oder der Bundesbeauftrag- sentation der Stiftung im Internet. ten für die Stasi-Unterlagen entwickelt. Die Der erste, 2002 vorgelegte Tätigkeitsbericht Landeszentralen für politische Bildung und die bilanzierte den Auf- und Ausbau der Stiftung. Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Der nunmehr vorliegende zweite Tätigkeits- gehören ebenso zu den unersetzlichen wie bericht dokumentiert, dass sich die Stiftung bewährten Kooperationspartnern der Stiftung. als eine tragende Säule bei der Aufarbeitung Grundsatz der vielfältigen Kooperationen ist der SED-Diktatur etabliert und sich zu einer es, unter Wahrung eigener Selbständigkeit

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analysis of the most recent chapter in German is the sole affair of East Germans, and hardly and European history. Through various ven- anything more than a regional problem. And tures and projects, a differentiated, variegated throughout Germany, a generation is growing view of events and historical developments is up that has no memories or experience of its to be made possible. As in its fi rst years be- own of or with dictatorship or division. This tween 1998 and 2001, the foundation’s activi- presents a major challenge for the foundation. ties in 2002 and 2003 continued to focus on For one part, it must counteract the tendency the following areas: to transfi gure and play down the GDR’s past At the centre of the foundation’s work with its spectrum of activities. Secondly, was the allocation of funds to third-party together with other relevant institutions for projects that operate in the sense of the foun- critical analysis and political education, it is dation’s mission. Included among such were confronted with the task of motivating as 28 projects for the 50th anniversary of the many particularly young people as possible to uprising on 17 June 1953; 28 grants to archives engage in the refl ection of German post-war of the opposition and resistance; 55 academic history by offering differentiated and attrac- projects; 150 projects geared to social analy- tive activities and events. The foundation sis or political education, respectively (fi lms, sees itself in the context of and cooperation events, exhibitions); 50 publications. Nume- with other institutions as a contact point and rous projects in the area of victim counselling partner for the analysis of Germany’s second and memorials were also supported. 20th century dictatorship. Over the past few In addition, the foundation went public years, particularly good cooperative relations with its own activities including its core focus have evolved with important institutions for on the 50th anniversary of the uprising on critical research such as the Zeitgeschichtli- 17 June 1953, support of victim counselling, 30 events of all different kinds on various subjects, publications and academic events, expansion of international relations with partners in former communist ruled European countries, and the online presentation of the foundation on the Internet. The fi rst activity report released in 2002 surveyed the development and expansion of the foundation. This second activity report documents the establishment of the founda- tion as a supporting pillar of the critical analy- sis of the SED dictatorship that has developed into an effi cient networking and communica- tion platform. The foundation’s work is shadowed by the gradually fading memory of the dictatorship in the GDR and the German division. In the chen Forum Leipzig (Forum for Contemporary East, present day problems and challenges History), the German Federal Offi ce for Politi- increasingly overlie and modify the memory cal Education and its president, or the Federal of the dictatorship that lasted until 1989. In Commissioner for Stasi documents. The indi- Western Germany, the common opinion still vidual state offi ces for political education and held is that overcoming the SED dictatorship the State Commissioners for Stasi documents

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und gegebener Profi le gemeinsam Synergie- aus welchen Gründen unterstützte, wer sich effekte zu nutzen und so die Auseinander- warum indifferent verhielt und wer sich ihr setzung mit Gegenwart und Vergangenheit widersetzte. Besonderen Stellenwert erfährt interessant und anregend zu gestalten. dabei der Anspruch, jene dem Vergessen zu Indem sie gegen eine verklärende Sichtwei- entreißen und an sie zu erinnern, die auf se auf die DDR eintritt, wird die Stiftung auch Grund ihres Widerstands und Widerspruchs in Zukunft ihrer moralischen Verpfl ichtung gegen die Diktatur oder aus reiner Willkür zu gegenüber den Opfern der Diktatur gerecht. Opfern wurden. Keineswegs im Widerspruch zu diesem Aus Sicht der Stiftung Aufarbeitung ist es zentralen Anliegen ist ein anderer Aspekt daher unabdingbar, dass eine lebendige und der Stiftungsarbeit zu sehen. Er zielt darauf pluralistisch strukturierte »Aufarbeitungsland- ab, die Lebensleistung vieler Ostdeutscher in schaft«, die sich seit 1989/90 herausgebildet ausgewogener Weise zu würdigen, die nach hat, auch künftig institutionell abgesichert der nationalsozialistischen Diktatur in eine wird. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche zweite Diktatur gerieten bzw. in sie hinein Aufgabe, die die Stiftung aufgrund der beste- geboren wurden. Die Stiftung will historisches henden Förderbestimmungen nicht allein wird Bewusstsein dafür schaffen, die deutsche lösen können. Hier gilt es einen Konsens zu Nachkriegsgeschichte als eine im doppelten fi nden, der die Beschäftigung mit der zweiten Wortsinne geteilte Geschichte zu verstehen: deutschen Diktatur als gesamtdeutsches Pro- Als Geschichte einer vier Jahrzehnte währen- blem und Herausforderung begreift. Hierfür den staatlichen Teilung und als eine Vergan- muss aber auch durch die unterschiedlichen genheit, die sich alle Menschen in Deutschland Träger eine gangbare Möglichkeit der Finan- – vor oder nach 1989 geboren – teilen. Dabei zierung und institutionellen Absicherung von wird es darauf ankommen, die Lebenswirk- Aufarbeitungseinrichtungen gefunden werden, lichkeiten in Ost wie West nach 1945 in ihrem die deren wichtige Arbeit auf eine gesicherte Wandel, in ihren Unterschieden aber auch in Grundlage stellt. ihren Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und zu erzählen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der zweiten Diktatur in Deutschland und der deutschen Teilung ist für die Stiftung Auf- arbeitung kein Selbstzweck. Die Arbeit und Fördertätigkeit der Stiftung ist darauf ausge- richtet, Antworten auf sich wandelnde Fragen an diese Geschichte anzubieten, historisches Wissen nicht nur zu schaffen, sondern in alle Bereiche der Gesellschaft zu vermitteln. Auf diese Weise soll nicht nur berichtet werden, »was war«, sondern auch erklärt werden, wa- rum vieles heute »so ist«. Die Vereinigungsge- sellschaft, die Stellung Deutschlands in Europa und der Welt, die gegenwärtige Wirtschafts- lage sind ohne historisches Wissen nicht zu erklären. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der zweiten Diktatur in Deutsch- land soll kenntlich machen, wer diese Diktatur

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are also among the foundation’s irreplace- indifferently and why, and who opposed it. able, reliable cooperative partners. The basic At the same time, special emphasis is placed principle of this manifold cooperation is to on wrestling from oblivion the commemora- utilise synergy effects together while ensuring tion of those who, due to their opposition to independence and existing profi les, in order to the dictatorship or pure arbitrariness, were make the analysis of past and present as inter- victimised. esting and stimulating as possible. From the foundation’s perspective, it is By counteracting the transfi gured view of therefore imperative that the spirited and the GDR, the foundation will continue in the pluralistically structured critical research future to meet its moral obligation to the vic- scene that has evolved since 1989/90 is also tims of the dictatorship. institutionally secured in the future. This is a Another aspect of the foundation’s work is collective social challenge, which, due to exist- by no means a contradiction to this central ing funding stipulations, the foundation will mission: to adequately recognise the lifetime not be able to solve on its own. A consensus achievements of many East Germans who that grasps the second German dictatorship as were catapulted or born into a second dicta- a collective German problem und challenge is torship after the end of the Nazi dictatorship. needed. For this purpose, however, the various The foundation seeks to develop a historical supportive institutions must fi nd a suitable consciousness that allows German post-war form of fi nancing and institutional safeguard history to be understood as a – literally speak- of critical research organisations that provide ing – twice divided history: as the history of a secure basis for their important work. a four decade long national division, and as a common past shared by all Germans, whether or not they were born before or after 1989. In doing so, it is vital that both the discrepan- cies and similarities of ever evolving post-war realities in East and West are elaborated and recounted. The critical analysis of the history of Ger- many’s second dictatorship and German divi- sion is no end in itself for the foundation. Its work and funding activities are geared toward offering answers to ever changing historical questions, and not only generating historical knowledge, but also imparting such knowledge to all areas of society. By these means, not only are reports made of »what once was«, but explanations are offered as to why so many things are »the way they are« today. Nei- ther reunifi ed society, Germany’s position in Europe and the world, nor the present eco- nomic situation can be elucidated without historical knowledge. A critical analysis of the history of Germany’s second dictatorship should clearly indicate who supported this dictatorship for what reasons, who behaved

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1. Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Zentrale Aufgaben und Gremien

1.1 Zentrale Aufgaben Diktaturen in Europa zu ermöglichen. Die Geschichte der zweiten Diktatur in Deutsch- Die Stiftung arbeitet auf der Grundlage ihres land lässt sich eben grade nicht als ein rein am 8. Juni 1998 vom Bundestag beschlossenen deutsches Phänomen beschreiben, sondern Errichtungsgesetzes, der am 23. Oktober 2000 bedarf der Einordnung in die historischen vom Stiftungsrat beschlossenen Satzung sowie Zusammenhänge von nationalsozialistischer den ebenfalls vom Stiftungsrat am 12. März Diktatur als Ursache und Ausgangspunkt für 2001 beschlossenen und im Sommer 2003 die Teilung Deutschlands und die Errichtung aktualisierten Grundsätzen für die Fördertä- einer neuen Diktatur – diesmal unter sowje- tigkeit mit ihren für Druckkostenzuschüsse, tisch-kommunistischen Vorzeichen – in einem Filmförderungen oder Tagungen vorgelegten Teil Deutschlands. Darüber hinaus ist jedoch Hinweisen.1 Die Stiftung setzt in ihrer inhalt- auch auf die Verortung der späteren DDR im lichen Arbeit entsprechend ihrem Errichtungs- kommunistischen Machtblock und im halb gesetz zwei Schwerpunkte. Sie unterstützt Europa umfassenden stalinistischen System und fördert – sowohl fi nanziell als auch ide- hinzuweisen. Schließlich und endlich darf ell – Projekte von Institutionen, die geeignet auch die Perspektive des Kalten Krieges nicht sind, im Sinne des Stiftungserrichtungsgeset- vernachlässigt werden. Des Weiteren tritt die zes zu wirken. Diese Projektvorhaben sind im Stiftung eigenständig bzw. in Kooperation mit gesamten Bundesgebiet, darüber hinaus aber anderen Einrichtungen und Partnern mit Ver- auch in anderen mittel- und osteuropäischen anstaltungen, Publikationen und einer Vielzahl Ländern angesiedelt. Erwartungsgemäß ist von Aktivitäten an die Öffentlichkeit. das Interesse an der Auseinandersetzung mit Die Stiftung hat inzwischen in allen der zweiten Diktatur des 20. Jahrhunderts ihr per Gesetz übertragenen Aufgabenbe- in Deutschland im Osten der Bundesrepublik reichen – wenn auch in unterschiedlicher größer als in den westlichen Bundesländern. Intensität – Aktivitäten entfaltet. Zahlreiche Mit Hilfe anderer Partnereinrichtungen hat Ausstellungen, Filme, Multimedia-Projekte, die Stiftung zudem begonnen, ihrem im Stif- Veranstaltungen, Publikationen und anderes tungserrichtungsgesetz verankerten Auftrag mehr kamen mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung der internationalen Arbeit zustande. Die Stiftung hat sich als Faktor der verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. So Aufarbeitung etabliert und ist als Vernetzungs- konnten einige Projekte in Ost- und Mittelost- und Kommunikationsplattform anerkannt. Ins- europa initiiert und erfolgreich durchgeführt besondere baute die Stiftung ihre Serviceange- werden. Hier liegt der Schwerpunkt der Stif- bote in vielfältiger Form aus. Künftig wird sie tungsarbeit darauf, Kooperationen zwischen ihre Arbeit verstärkt darauf ausrichten, zum deutschen und ausländischen Institutionen einen die bestehende Aufarbeitungslandschaft zu ermöglichen, Vernetzungen herzustellen mit ihren vielfältigen Institutionen und Ver- und einen gemeinsame Grenzen überschrei- einen weiter zu festigen sowie zum anderen 1 Siehe hierzu im Anhang, S. 93 ff. tenden Zugang zu Fragen der stalinistischen verstärkt in den Bereichen Internationale

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Zusammenarbeit und Wissenschaft aktiv zu sche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur werden. und ihren Folgewirkungen für das vereinigte Diese zentralen Aufgaben richten sich dar- Deutschland und spielt eine aktive Rolle bei auf, gemeinsam mit anderen Einrichtungen der Überwindung dieser Folgen. Sie versteht und in vielfältigen Formen zur umfassenden sich als Ansprechpartnerin und Mittlerin zwi- Aufarbeitung von Ursachen, Geschichte und schen gesellschaftlicher Aufarbeitung, Kultur, Folgen der Diktatur in der SBZ und in der Wissenschaft, Politik, Medien und der Öffent- DDR beizutragen und die Erinnerung an das lichkeit. Zudem leistet sie durch vielfältige geschehene Unrecht, die Opfer und den Wi- Veranstaltungen einen Beitrag zur Vernetzung derstand wach zu halten, den antitotalitären und Wissensvermittlung zwischen Projekt- Konsens in der Gesellschaft, die Demokratie trägern und Öffentlichkeit. und die innere Einheit Deutschlands zu festi- gen und die Folgen der deutschen Teilung zu überwinden. 1.2 Die Gremien der Stiftung Zwischen 1998 und dem Jahr 2003 konnte die Stiftung Aufarbeitung mehr als 800 Pro- Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- jekte mit ca. 8 Millionen Euro fördern. Diese tur ist als rechtsfähige bundesunmittelbare beschränkten sich nicht nur auf Projekte in Stiftung des öffentlichen Rechts Teil der Deutschland, sondern es wurden auch Initiati- – mittelbaren – Bundesverwaltung. Sie unter- ven und Vorhaben zur Auseinandersetzung mit steht der Rechtsaufsicht des Bundesministeri- der stalinistischen Herrschaft in mittel- und ums des Innern. osteuropäischen Ländern unterstützt, die zu einer Vernetzung zwischen deutschen und in Das höchste Organ der Stiftung ist der den jeweiligen Ländern tätigen Institutionen Stiftungsrat. Er beschließt über alle Fragen geführt haben. Dabei liegt der Schwerpunkt von grundsätzlicher Bedeutung, die zum der Projektförderung durch die Stiftung Auf- Aufgabenbereich der Stiftung gehören. Die arbeitung jedoch eindeutig auf der Förderung Mitglieder des Rates werden für die Dauer von Projekten in der Bundesrepublik. von fünf Jahren bestellt. Der Stiftungsrat, der Zudem entwickelte die Stiftung zahlrei- im Sommer 2003 zum zweiten Mal berufen che eigenständige Aktivitäten, die auf die wurde, besteht aus 13 Mitgliedern und ebenso Aufarbeitung der und Aufklärung über die vielen stellvertretenden Mitgliedern.2 Der nun- SED-Diktatur, die deutsche Teilung und ihre mehr zweite Stiftungsrat trat erstmalig am Folgen abzielen. Darüber hinaus trägt die Stif- 27. Juni 2003 zusammen. tung zur Ausgestaltung der Erinnerungskultur In seiner ersten Sitzung wählte der Stif- an die zweite Diktatur in Deutschland bei. Sie tungsrat Markus Meckel (MdB) zu seinem tritt mit Veranstaltungen, Wettbewerben und Vorsitzenden und Werner Schulz (MdB) zu Publikationen an die Öffentlichkeit. Sie wirkt dessen Stellvertreter. Die Zusammensetzung auf Bundesebene wie auch auf der Ebene der des Stiftungsrates ist durch das Errichtungsge- Länder als Lobbyist für eine vielfältige und setz geregelt. Danach gehören dem Stiftungs- anhaltende Auseinandersetzung mit der SED- rat Vertreter folgender Personenkreise an: Diktatur. Sie ist Anlaufstelle für die Medien, sie Vom Deutschen Bundestag werden nach berät Antragsteller bei der Projektkonzeption, der zum Zeitpunkt der Wahl bestehenden vermittelt Kontakte in und zwischen den ver- Zahl seiner Fraktionen Mitglieder in den Stif- schiedenen Bereichen der Aufarbeitung. tungsrat gewählt. Jede Fraktion im Deutschen 2 Die Mitglieder des ersten und zweiten Stiftungsrats und ihre Die Stiftung steht mit ihren vielfältigen Bundestag kann ein Mitglied vorschlagen. Stellvertreter sind im Anhang Aktivitäten für eine lebendige und pluralisti- Zum Zeitpunkt der Wahl der Mitglieder des aufgelistet. Siehe S. 87 ff.

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Berichtsjahren 2002/2003 fanden insgesamt fünf Sitzungen statt. Entsprechend seiner im Gesetz festgelegten Aufgabe befasst er sich mit grundsätzlichen Entscheidungen und Fra- gen der Stiftungspolitik.

Die Geschäfte der Stiftung führt der vom Stiftungsrat am 24. Juni 1998 erstmalig ge- wählte fünfköpfi ge Vorstand, der ebenso wie der Stiftungsrat für die Dauer von fünf Jahren bestellt wird. Der Vorsitzende des Vorstands ist Rainer Eppelmann (MdB), sein Stellver- treter Prof. Dr. Bernd Faulenbach. Weiter- hin gehörten dem Vorstand bis Januar 2004 Uwe-Bernd Lühr, Dr. Ehrhart Neubert und Gerd Poppe an. Dem 2004 gewählten Vor- stand gehören nun als neue Mitglieder Doris Liebermann und Dr. Hermann Rudolph an; Uwe-Bernd Lühr und Dr. Ehrhart Neubert schieden als Mitglieder aus. Der Vorstand führt die Geschäfte der Stiftung ehrenamtlich. Ihm obliegen die Be- ratungen und Entscheidungen über die Aus- gestaltung der konkreten Stiftungspolitik und Stiftungsarbeit, die Entscheidungen über die Vergabe der Fördermittel auf der Grundlage der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Vorbereitung von Grundsatzentschei- dungen des Rates. Dem Vorstand obliegt die Die Mitglieder des zweiten Stif- Stiftungsrates hatten die CDU/CSU, die SPD, Verantwortung für Fragen der Haushalts- und tungsrats und ihre Stellvertreter die FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen Frak- Personalentwicklung sowie der Koordinierung von links nach rechts: 1. Reihe: Markus Meckel (MdB, tionsstatus. der Gesamttätigkeit der Stiftung. Vorsitzender), Werner Schulz Darüber hinaus kann jede zum Zeitpunkt Der Vorstand vertritt die Stiftung gericht- (MdB, Stellv. Vorsitzender), Hans Altendorf, Michael Beleites, der Wahl bestehende Fraktion aus dem Kreis lich und außergerichtlich. Er tagt in regelmä- Marianne Birthler; jener Personen, die in Fragen der Aufarbeitung ßigen Abständen sechs bis sieben Mal im Jahr. 2. Reihe: Hartmut Büttner (MdB), Dr. Rainer Eckert, Otto Fricke der SED-Diktatur besonders engagiert und Zusätzlich trifft sich der Vorstand einmal jähr- (MdB), Hans-Joachim Hacker qualifi ziert sind, eine Person vorschlagen, die lich zu einer zweitägigen Klausurtagung, um (MdB), Klaus Haupt (MdB); vom Deutschen Bundestag gewählt wird. über grundsätzliche Fragen der Stiftungsarbeit 3. Reihe: Irmtraud Hollitzer, Dr. Bernd Hübinger, Barbara Kisseler, Die Bundesregierung ihrerseits entsendet zu beraten. Gerry Kley, Hartmut Koschyk so viele Mitglieder in den Stiftungsrat, wie Durch die Vorsitzenden von Rat und (MdB); 4. Reihe: Dr. Günter Kröber, Thomas zum Zeitpunkt der Wahl Fraktionen im Deut- Vorstand wird die Arbeit der beiden Ent- Krüger, Vera Lengsfeld (MdB), Dr. schen Bundestag bestehen. scheidungsgremien der Stiftung gemeinsam Knut Nevermann, André Schmitz; 5. Reihe: Silke Stokar (MdB), Ute Das Land Berlin entsendet ein weiteres koordiniert. Vogt, Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Mitglied. Weber, Reinhard Weißhuhn, Prof. Dr. Manfred Wilke Der Stiftungsrat tritt in der Regel zwei- Neben Rat und Vorstand verfügt die Stif- ohne Foto: Rainer Lingenthal mal pro Jahr zu Sitzungen zusammen. In den tung zur Unterstützung ihrer Tätigkeit über

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Fachbeiräte. Der Stiftungsrat beschloss auf berechtigt, Zuwendungen von dritter Seite seiner Sitzung vom 30. April 1999, für die (z.B. in Form von Spenden oder Sponsoring) einzelnen Haupttätigkeitsgebiete der Stif- anzunehmen. So erhielt die Stiftung im Jahr tung – Gesellschaftliche Aufarbeitung/Opfer/ 2002 für ihr Stiftungsvermögen eine Spende Gedenken, Archiv und Wissenschaftsförde- des Beamtenwirtschaftsbundes in Höhe von rung – je einen Fachbeirat mit beratender 256.000 ¤. Diese Spende wurde dem bereits Funktion einzurichten. Der Fachbeirat Wissen- angelegten Stiftungsvermögen in Höhe von schaftsförderung wird von Prof. Dr. Peter 2 Millionen ¤ hinzugefügt. Einnahmen aus Maser (Universität Münster) geleitet. Seine Stellvertreterin ist Frau Prof. Dr. Sigrid Meuschel (Universität Leipzig). Dem Fach- beirat Gesellschaftliche Aufarbeitung/Opfer und Gedenken steht der bekannte Publizist Dr. Karl Wilhelm Fricke vor. Ihn vertritt der Leiter der Gedenkstätte Normannenstraße, Jörg Drieselmann. Der Fachbeirat Archiv dem Stiftungsvermögen werden im Sinne des Die Mitglieder des Vorstands seit schließlich wird von Dr. Falco Werkentin Stiftungszweckes verwendet und fl ießen jähr- Januar 2004 von links nach rechts: (Stellvertretender Landesbeauftragter für lich in Form von Zinsen dem Stiftungshaushalt Rainer Eppelmann (MdB, Vorsit- die Stasi-Unterlagen Berlin) geleitet. Sein für die Finanzierung von Aufarbeitungsprojek- zender), Prof. Dr. Bernd Faulen- Tobias Hollitzer bach (Stellv. Vorsitzender), Stellvertreter ist vom Bür- ten zu. Doris Liebermann, Gerd Poppe, gerkomitee Leipzig/Museum in der »Runden Die Stiftung befi ndet sich in Hinblick auf Dr. Hermann Rudolph Ecke«. In den Fachbeiräten arbeiten namhafte ihre Finanzierung noch immer in der Auf- Vertreter aus Aufarbeitung, Wissenschaft und bauphase. Bei Gründung der Stiftung war Politik zusammen.3 Die Fachbeiräte tagen in eine mittelfristige Finanzplanung aufgestellt der Regel zweimal jährlich. worden, die von einem stufenweisen Ausbau Darüber hinaus gibt es einen ehrenamtlich der Finanzierung bis zum Jahre 2003 ausging. arbeitenden Beirat für die seit 2003 bei der 2003 sollte die Stiftung mit 5,1 Millionen ¤ ih- Stiftung angebundene »Gerda-und-Hermann- ren fi nanziellen Endausbau erreicht haben. Be- Weber-Stiftung«. reits im Jahr 1999 wurde diese Finanzplanung insoweit geändert, als die Stiftung nunmehr erst im Jahr 2007 ihre fi nanzielle Endausstat- 1.3 Finanzierung der Stiftung tung von 5,1 Millionen ¤ erreichen sollte. Im Haushaltsjahr 2003 musste die Stiftung zum Entsprechend ihrem Errichtungsgesetz er- zweiten Mal eine Absenkung ihres geplanten folgt die Finanzierung der Stiftung zum Aufwuchses hinnehmen. Der schließlich für überwiegenden Teil durch Mittel aus dem 2003 vom Bundestag verabschiedete Haushalt Mitglieder des Vorstands bis Bundeshaushalt. Darüber hinaus sieht das der Stiftung sah eine weitere Absenkung des Januar 2004 oben: Uwe-Bernd Lühr Stiftungserrichtungsgesetz den Aufbau eines Aufwuchses gegenüber der ursprünglichen Fi- unten: Dr. Ehrhart Neubert Stiftungsvermögens vor. Hierfür sollen im nanzplanung von 380.000 auf 250.000 ¤ vor. Rahmen der Verfügbarkeit Mittel aus dem so Statt der ursprünglich in der mittelfristigen genannten »Parteivermögen« entsprechend Finanzplanung vorgesehenen 4.018.000 ¤ dem Parteiengesetz der DDR vom 21. Februar Zuschuss aus dem Bundeshaushalt erhielt die 1990 verwendet werden. Eine Zuweisung Stiftung nur 3.880.000 ¤. Der Stiftung gelang dieser Mittel an die Stiftung konnte bis Ende es, diese de facto neuerliche Kürzung nicht auf 3 Die Mitglieder der Fachbeiräte 2003 wegen der noch andauernden Prozesse die von ihr geförderten Projekte umzulegen, sind im Anhang aufgelistet. nicht erfolgen. Darüber hinaus ist die Stiftung sondern durch Einsparungen in anderen Berei- Siehe S. 91.

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chen auszugleichen. So wurden bspw. Veran- nen fünfstelligen Eurobetrag zugewendet und staltungen abgesagt. Auch die für September diese zugleich als ihre Erbin eingesetzt. 2003 geplante Studienreise in die Republik Polen, um dortige Aufarbeitungsinitiativen und Institutionen und den Umgang sowie die 1.4 Die Geschäftsstelle Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit kennen zu lernen, musste auf Am 2. November 1998 hat die Geschäftsstelle 2004 verschoben werden. der Stiftung mit zunächst sechs Mitarbei- tern ihre Arbeit aufgenommen. Inzwischen Die Haushaltsansätze der Stiftung stellen sich arbeiten in der Geschäftsstelle der Stiftung wie folgt dar: 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese betreuen die Projektanträge und anfragende IST IST IST IST SOLL Institutionen, beraten in den vielfältigen T¤/Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 Fragen der Aufarbeitung und bereiten eigene Veranstaltungen und Publikationen vor. Die Ansatz in 2.983 3.317 3.445 3.825 4.195 Geschäftsführung obliegt seit dem 1. Juli 2002 Eigenmittel 0 102 97 109 102 Frau Dr. Anne Kaminsky. Die Geschäftsführung ist insbesondere für Gesamtmittel 2.983 3.419 3.543 3.927 4.297 die Umsetzung der Gremienbeschlüsse sowie die fachliche und organisatorische Betreuung Eine Übersicht über Einnahmen und Ausga- der Gremien verantwortlich. Zur Stiftung ben der Stiftung im Berichtszeitraum fi ndet gehören neben einem Archiv und einer Biblio- sich im Anhang auf Seite 92. thek drei inhaltliche Arbeitsbereiche sowie der Verwaltungsbereich. Zum Verwaltungsbereich der Stiftung gehören neben dem Justitiariat Die Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung für die Bearbeitung aller rechtlichen Belange in der Stiftung Aufarbeitung eine Sachbearbeiterin sowie zwei Bürosachbe- arbeiter und eine Vorzimmerkraft. Zum 20. März 2003 richtete das Ehepaar Ger- da und Hermann Weber die nicht rechtsfähige »Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung« in der 1.4.1 Die Arbeitsbereiche Verwaltung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ein. Zweck der Stiftung ist es, die Die Geschäftsstelle der Stiftung verfügt neben Geschichte des deutschen und internationalen dem Verwaltungsbereich über drei Arbeits- Kommunismus im 20. Jahrhundert aufzuarbei- bereiche bzw. Fachreferate, die von je ten. Sie soll insbesondere auch dazu beitragen, einem wissenschaftlichen Referenten geleitet Ursache und Wirkung der SED-Diktatur zu er- werden. Diese Arbeitsbereiche gliedern sich in hellen und diese in die Gesamtgeschichte des • Gesellschaftliche Aufarbeitung I mit den Kommunismus einzuordnen. Damit wird die Schwerpunkten Opfer und Gedenken, me- »Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung« den ge- diale Projekte und Oral History-Projekte setzlichen Auftrag der Stiftung Aufarbeitung (Dr. Sabine Roß); befördern, auch die Ursachen der SED-Dikta- • Gesellschaftliche Aufarbeitung II mit den tur sowie die Geschichte der kommunistischen Schwerpunkten politische Bildung, Publika- Diktaturen in Mittelosteuropa in den Blick zu tionen und Bibliothek nehmen. Gerda und Hermann Weber haben (Dr. Robert Grünbaum) sowie Gerda und Hermann Weber ihrer Stiftung mit der Einrichtung bereits ei- • Wissenschaftsförderung, internationale Zu-

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sam menarbeit und Förderung unabhän gi- weiteren sowie von Projekten zur DDR-For- ger Archive schung im engeren Sinne. Im Mittelpunkt (Dr. Ulrich Mählert). steht dabei die Förderung des wissenschaftli- chen Nachwuchses. Ziel ist es, eine dauerhafte Neben den wissenschaftlichen Fachreferenten Verankerung der Geschichte und Überwindung arbeiten in den Arbeitsbereichen Sachbear- der SED-Diktatur in der Wissenschaftsland- beiter und Bürosachbearbeiter, deren Haupt- schaft zu erreichen. Antragsteller fi nden in tätigkeit in der Beratung und Betreuung der diesem Fachbereich kompetente Beratung bei Antragsteller und Projekte besteht. der Konzeption und Realisierung von wissen- Der Bereich Gesellschaftliche Aufarbei- schaftlichen Kolloquien und Tagungen sowie tung I ist Ansprechpartner für Gedenkstätten, wissenschaftlichen Tagungs- und Archivreisen. Opferverbände und Initiativen, die an die Die Vergabe von Stipendien wird vom zustän- Dr. Anne Kaminsky Diktatur in der SBZ und DDR erinnern. Hierbei digen Referenten in Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführerin bildet die Unterstützung von Projekten der Fachbeirat Wissenschaft vorbereitet. Zudem Beratung und Betreuung von Opfern der SED- werden von diesem Bereich alle Fragen der Herrschaft einen Schwerpunkt. Darüber hinaus Internationalen Zusammenarbeit betreut und sind diesem Bereich die verschiedenen Arten der Aufbau und die Arbeit des Stiftungsarchivs medialer Projekte, wie z.B. Dokumentarfi lme, koordiniert. Ausstellungen und CD-ROMs, Erarbeitung von Das Tätigkeitsspektrum der Arbeitsbereiche Homepages sowie Oral History-Projekte zuge- bzw. Fachreferate umfasst: ordnet. In diesem Arbeitsbereich erfolgt auch • die Bearbeitung von Anträgen und An- die Betreuung der Presse- und Öffentlichkeits- fragen von Institutionen, Vereinen und arbeit einschließlich der Online-Redaktion für Verbänden, die Homepage der Stiftung. • die Beratung von Institutionen, Tätigkeitsschwerpunkt des Bereichs Ge- • die Erarbeitung von Grundsätzen, Materia- sellschaftliche Aufarbeitung II ist die För- lien, Publikationen, derung der politisch-historischen Aufklärung • konzeptionelle Arbeiten in den unter- über die SED-Diktatur sowie der Förderbereich schiedlichsten Bereichen der Stiftungstä- Publikationen. Antragsteller fi nden hier Be- tigkeit, ratungskompetenz bei der Konzeption und • die Konzeption, Organisation und Realisie- Realisierung ihrer politischen Bildungsarbeit. rung von Veranstaltungen und Weiterbil- Darüber hinaus wird Autoren von Publikati- dungsangeboten der Stiftung. onen, die dem Stiftungszweck entsprechen, Im Bereich der Fördertätigkeit sind die wissen- Beratung und Hilfestellung auf dem Weg vom schaftlichen Referenten – entsprechend ihrer Verfassen eines Manuskripts bis zu seiner Ver- inhaltlichen Zuständigkeit – die Ansprechpart- öffentlichung geboten. Im Fachbereich liegt ner bei der Vorbereitung von Projektanträgen auch die Zuständigkeit für die stiftungsei- durch Dritte. Sie bereiten in Abstimmung mit gene Publikationstätigkeit. Zudem wird hier der Geschäftsführung die Förderentschei- der Auf- und Ausbau der Stiftungsbibliothek dungen des Vorstandes inhaltlich vor und koordiniert. erarbeiten gemeinsam mit dem Sachbereich Das Fachreferat Wissenschaft/Interna- »Zuwendungsrecht« die Förder- bzw. ggf. tionale Zusammenarbeit/Archive befasst Ablehnungsbescheide der Stiftung. Die Refe- sich mit der Entwicklung von Strategien zur renten sind Ansprechpartner für Projektträger Unterstützung und Förderung von Wissen- der Stiftung während des Förderzeitraumes schaftsprojekten im Bereich der historischen und prüfen die inhaltliche Seite der späteren Kommunismus- und Diktaturforschung im Verwendungsnachweise. Nach Maßgabe ihrer

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zeitlichen und fachlichen Möglichkeiten bera- das Gesetz ganz allgemein die »Sicherung und ten die Referenten auf Wunsch die Partner der Sammlung, Dokumentation und Auswertung« Stiftung sowohl in der Phase der Antragskon- von Materialien vor, die dem Stiftungszweck zeption als auch während des Projektverlaufs. entsprechen. Darüber hinaus erarbeiten die Referenten Als Besonderheit legt das Gesetz schließlich Expertisen und Vorträge im Rahmen der Stif- fest, dass dem Archiv der Stiftung Archivgut tungstätigkeit. der beiden Enquete-Kommissionen des Deut- schen Bundestages, die sich in der 12. und 13. Wahlperiode mit der SED-Diktatur und 1.4.2 Archiv der Überwindung ihrer Folgen befasst haben, zugeordnet wird. Danach bewahrt die Stif- Für eine wirkungsvolle und wissenschaftlich tung jenes Schriftgut zu Forschungszwecken fundierte Aufarbeitung der Geschichte der »als Dauerleihgabe auf, das zur inhaltlichen SED-Diktatur sind neben der Auswertung der Vorbereitung der Kommissionsberichte und historischen Quellen staatlicher Provenienz Kommissionsanhörungen entstanden oder bzw. der Parteien und Organisationen in der gesammelt worden ist«. DDR – also deren Herrschaftsstrukturen –, Nicht zuletzt schließt die Archivarbeit der die von den entsprechenden Abteilungen des Stiftung neben der fi nanziellen Förderung der Bundesarchivs aufbewahrt werden, insbeson- Archive der Bürgerbewegung auch deren fach- dere auch die Nachlässe von Vertretern der liche Beratung und Anleitung ein.

1.4.2.1 Aufbau und Arbeit des Stiftungs- archivs

Der völlige Neuaufbau eines funktionstüchti- gen eigenen Archivs war und ist eine große Herausforderung für die Stiftung, zumal es zu- nächst von Seiten der unabhängigen Archive trotz der bestehenden gesetzlichen Grundlage prinzipielle Einwände gegen die Einrichtung eines Stiftungsarchivs gab. In den Jahren 1998 bis 2001 wurden die grundlegenden materiellen und personellen Voraussetzungen für das Archiv der Stiftung geschaffen und fachliche Kompetenz erworben. Entscheidend dafür waren die Einstellungen Opposition und des Widerstandes unerlässlich. eines wissenschaftlichen Archivars im Oktober Von dieser Erkenntnis getragen, fordert das 2000 und einer Archivmitarbeiterin im April Stiftungsgesetz den Aufbau und Unterhalt ei- 2001. Durch sie konnten in den vergangenen nes eigenen Archivs, in dem Materialien »ins- zwei Jahren nicht nur die Sammlungstätigkeit besondere über Opposition und Widerstand begonnen, sondern auch Beratungen von un- und über politische Verfolgung und Repression abhängigen Archiven und erste Erschließungs- sowie von sonstigem privatem Schriftgut« arbeiten im Stiftungsarchiv durchgeführt wer- gesichert, gesammelt, dokumentiert und aus- den. So konnten mehrere Bestände vollständig gewertet werden sollen. Darüber hinaus sieht bzw. teilweise erschlossen und durch Erstellen

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von Findbüchern für eine Benutzung zugäng- generinnerungen (zum 17. Juni 1953, zu lich gemacht werden. politischer Haft in der DDR, zum DDR-Alltag Das Stiftungsarchiv enthält gegenwär- etc.) im Aufbau. Zudem sammelt die Stiftung Foto aus dem Bestand Uwe Gerig: tig etwa 150 laufende Meter Akten und ca. exemplarisch anschauliche Zeugnisse für die Zaun und Wachturm bei Lochtum 12.000 Fotos. Insbesondere der Fotobestand wird bis 2008 auf insgesamt 1 Million Fotos anwachsen. Erschlossen sind davon bisher folgende Bestände: • Deposita von amnesty international (Kor- respondenz mit Gefangenen, Strafvollzugs- anstalten, dem MdI etc.); • die relevanten Unterlagen der Bürgerrecht- ler Rainer Eppelmann und Markus Meckel (aus der Zeit bis 1990); • ca. 4.000 Fotos zum Alltag in der DDR aus dem Privatarchiv des Fotojournalisten Uwe Gerig. Die restlichen ca. 5.000 Fotos des Bestandes (Dokumentation der innerdeut- schen Grenze um 1985) sollen sukzessive bis Ende 2005 erschlossen und digitalisiert werden. Die Sammlung von Prof. Werner Franke und Brigitte Beerendonk, zweier seit vielen Jahren engagierter und bekannter Kämpfer gegen Do- ping, zum Doping im DDR-Sport ist durch eine Abgabeliste vorläufi g erschlossen. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Bundestagsarchiv konnte 2003 auch eine Ei- nigung über die Unterlagen der Enquete-Kom- missionen erzielt werden. Seit Anfang 2004 werden diese im Stiftungsarchiv als Deposi- tum des Bundestagsarchivs verwahrt und sind durch eine Abgabeliste vorläufi g erschlossen. Um dieses Schriftgut wirkungsvoll zu ergänzen, wurden die Mitglieder beider En- quete-Kommissionen darum gebeten, ihre diesbezüglichen persönlichen Unterlagen dem Stiftungsarchiv zur Verfügung zu stellen. unterschiedlichen Auffassungen und Erschei- Bislang sind die entsprechenden Papiere von nungsformen dessen, was in der Gesellschaft Prof. Dr. Manfred Wilke (Forschungsverbund unter Aufarbeitung bzw. Auseinandersetzung SED-Staat an der FU Berlin) und Martin-Mi- mit der SED-Diktatur verstanden wird und chael Passauer (Generalsuperintendent Berlin) worin sich unterschiedliche Ansätze für Aufar- in der Stiftung eingegangen. beitungsstrategien widerspiegeln. Über die vorhandenen Bestände hinaus Voraussichtlich im Laufe des Jahres 2005 befi ndet sich eine Sammlung von Zeitzeu- wird der Stiftung das »Archiv unterdrückter Li-

23 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

teratur in der DDR« durch Prof. Ines Geipel und SBZ/DDR bis in die 1970er Jahre. Ebenso sind Joachim Walther übergeben. Kriterien für die Unterlagen von Personen oder Institutionen bis dahin im Rahmen eines von der Stiftung für die Sammlungstätigkeit des Stiftungsar- geförderten Projekts4 aufzunehmenden Texte chivs von Interesse, die von Westdeutschland aus auf publizistischem oder sonstigem Wege versucht haben, über die SED-Diktatur aufzu- klären und eventuell auch in die DDR hinein zu wirken. Die Nutzungsschwerpunkte liegen derzeit im Bereich der Vorlässe von Markus Meckel und Rainer Eppelmann sowie der Fotobestände.

1.4.2.2 Beratung der aus der DDR-Bürger- bewegung hervorgegangenen unab- hängigen Archive

Neben der unmittelbaren Tätigkeit beim Auf- und Ausbau des Stiftungsarchivs bera- ten die Archivmitarbeiter der Stiftung auch unabhängige Archive bei deren Tätigkeit. Die und Autoren sind: Autoren ohne Publikation in Beratung erstreckt sich derzeit von konkreter der DDR, systematisch verschwiegene Autor- Einweisung in die Erschließungsarbeit über schaften, nach Flucht, Freikauf oder Ausbürge- die fachliche Unterstützung bei der Antrag- rung im Westen öffentlich nicht wahrgenom- stellung bis hin zur Information über Anbieter mene Autoren, lediglich in diversen Archiven archivspezifi scher Produkte. Das Bemühen vorhandene Texte und Werkergänzungen bei um Professionalisierung wird durch ein- oder entpolitisierten Teilveröffentlichungen in der mehrtägige Fortbildungsveranstaltungen wir- DDR. In dem »Archiv unterdrückter Literatur kungsvoll unterstützt. in der DDR« sollen die literarischen Primär- So sind erste Erfolge in den unabhängigen texte, die entsprechenden Biografi en der Au- Archiven zu verzeichnen. Insbesondere der von toren, das zeithistorische Hintergrundmaterial der Stiftung fi nanzierte Erwerb der Archivie- und Interviews mit noch lebenden Autoren rungssoftware »AUGIAS« schuf die Grundlagen oder nahen Zeitzeugen zu den damaligen für eine in die Erarbeitung von Findbüchern Schreibbedingungen, Lebensumständen sowie mündende Erschließungsarbeit. Damit kann politischen und ästhetischen Einstellungen der Beginn der notwendigen Abkehr von eher dokumentiert werden. Damit wird es erstmals dokumentarischen hin zu archivwissenschaft- möglich sein, sich einen umfassenden Über- lichen Prinzipien konstatiert werden. Dieser blick über die literarischen Formen und Inhalte Prozess wird ebenso durch breit frequentierte jenseits des offi ziellen DDR-Literaturkanons zu Weiterbildungsangebote unterstützt, die sich verschaffen. 2003 anlässlich einer zweitägigen Veranstal- Die generelle aktive Sammlungstätigkeit tung bspw. der Erschließung und Konservie- des Archivs konzentriert sich derzeit vorrangig rung von Fotos sowie der gemeinsam genutz- auf Material von politisch Verfolgten, die ihre ten Archivsoftware widmeten. zweite Heimat in Westdeutschland fanden, Darüber hinaus beteiligt sich das Archiv u.a. 4 Vgl. S. 34. sowie auf Opposition und Widerstand in der an der Bearbeitung von Projektanträgen archi-

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vischen Sachbezugs sowie an der Erarbeitung konnte in den vergangenen zwei Jahren er- von Bewertungs- und Erschließungsrichtlinien folgreich abgeschlossen werden. für die Justizakten zum DDR-Unrecht, um auf Damit im Zusammenhang machte die diese Weise auch diesen Bereich der Über- Stiftung Einrichtungen der gesellschaftlichen lieferung langfristig für die gesellschaftliche und wissenschaftlichen Aufarbeitung das rege Aufarbeitung zu sichern. genutzte Angebot, sich aus den von der Stif- tung nicht beanspruchten Beständen für ihre Bibliotheken geeignete Bücher auszuwählen. 1.4.3 Bibliothek Darüber hinaus erfuhren die Aktivitäten des »Bücherpfarrers« Martin Wekott aus Kathen- Neben dem Archiv wird seit August 1999 burg auf diese Weise Unterstützung. die Stiftungsbibliothek als wissenschaftli- Als Ergebnis der intensiven Arbeit entwi- che Spezialbibliothek zur Geschichte von ckelte sich die Stiftungsbibliothek zu einer Opposition und Repression in der SBZ/DDR arbeitsfähigen Einrichtung, die gegenwärtig unter Berücksichtigung der Entwicklung im über einen Bestand von ca. 33.000 Büchern kommunistischen Machtbereich auf- und verfügt. Davon waren bis Ende 2003 etwa ausgebaut. In diesem Rahmen sammelt sie 15.000 Titel (hauptsächlich Printmedien, in auch Literatur über den aus dem Westteil geringem Umfang audiovisuelle Medien) Deutschlands in die SBZ/DDR hinein wirken- mittels einer Bibliothekssoftware (Allegro-C) den Widerstand gegen die kommunistische erfasst und recherchierbar. Diktatur. Weiterhin erwirbt sie grundlegende Als moderne Bibliothek beschränkt sich das Literatur zu Opposition und Repression im Aufgabenspektrum nicht nur auf die Sammlung gesamten kommunistischen Machtbereich und Bereitstellung von Literatur. Vielmehr ent- sowie in der kommunistischen Bewegung vor wickelt sich die Stiftungsbibliothek zugleich 1945, um die äußeren Rahmenbedingungen immer mehr zu einem bibliothekarischen des Widerstandes in der SBZ/DDR zu erfassen und Interdependenzen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten etc. in den Blick nehmen zu können. Weitere Sammlungsschwerpunkte der Stiftungsbibliothek sind zudem die so genannte »graue Literatur« – Flugblätter und -schriften, Periodika sowie sonstige Unter- grundliteratur der Oppositionsbewegung in der DDR – und die Primär- wie auch die Sekun- därliteratur zum revolutionären Umbruch von 1989/1990 sowie zur Diskussion und Refl exion des Aufarbeitungsprozesses auf nationaler und internationaler Ebene. Einen großen Arbeitsaufwand für die Stif- tungsbibliothek brachte die Eingliederung der Bestände mit sich, die von den Bibliotheken des aufgelösten Bundesministeriums für in- nerdeutsche Beziehungen, des ehemaligen Informationszentrum zum Thema Opposition Innen- bzw. Kulturministeriums der DDR sowie und Repression in der SBZ/DDR. der Redaktionsbibliothek des »Deutschland Die Bibliothek ist gegenwärtig nach telefo- Archivs« übernommen wurden. Diese Aktion nischer Vereinbarung öffentlich nutzbar.

25 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

2. Arbeitsschwerpunkte 2002/2003

2.1 Fördertätigkeit Die Vergabe von Fördermitteln erfolgt nach 2.1.1 Grundsätze und Entwicklungs- den am 12. März 2001 vom Stiftungsrat bestä- tendenzen der Förderung tigten Fördergrundsätzen. Diese legen folgende wesentliche Kriterien5 für die Ermittlung der Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag Förderungswürdigkeit der jeweiligen Projekte fördert die Stiftung eigenständige und abge- fest: grenzte Projekte und Vorhaben, die sich mit 1. allgemein zugängliche Informations-, der Aufarbeitung von Ursachen, Geschichte Bil dungs- und Weiterbildungsangebote. und Folgen der Diktatur in der SBZ/DDR, der Hierzu zählen Eintages- und Abendver- deutschen Teilung und der deutschen Einheit anstaltungen, mehrtägige Fachtagungen, beschäftigen. Die Stiftung kann nicht zur Seminare, Workshops. Förderfähig sind Finanzierung des Grundhaushalts von Insti- auch öffentliche Gedenk- und Kulturveran- tutionen der gesellschaftlichen Aufarbeitung staltungen zur Erinnerung an Opposition der SED-Diktatur und der deutschen Teilung und Widerstand in der SBZ/DDR sowie an beitragen. Durch die Projektförderung der die Opfer der SED-Diktatur. Besonderen Stiftung soll die existierende Vielfalt der ge- Stellenwert genießt die Förderung von sellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Weiterbildungsangeboten für Projektträger SED-Diktatur nicht nur erhalten, sondern viel- im Bereich Gesellschaftliche Aufarbeitung, mehr ausgebaut und professionalisiert werden. Opfer und Gedenken; Motor und Rückgrat dieser gesellschaftlichen 2. Ausstellungen und andere geeignete Projek- Aufarbeitung sind die zahlreichen Vereine und te, die in die Öffentlichkeit wirken; Initiativen, die vor Ort, in den Städten und 3. Vorhaben zur Sammlung, Archivierung, Er- Gemeinden, gegen das Vergessen auftreten. haltung und Erschließung von Dokumenten Dabei erhofft sich die Stiftung, dass die von und Sachzeugnissen insbesondere der DDR- ihr geförderten Projekte zum Austausch und Opposition in privaten Archiven; zur Vernetzung zwischen gesellschaftlicher 4. Projekte zur Bewahrung mündlicher Über- und wissenschaftlicher Aufarbeitung beitra- lieferung (oral history) im Rahmen qualifi - gen sowie eine diesbezügliche internationale zierter Zeitzeugenbefragungen; Zusammenarbeit anregen. Damit sollen diese 5. Vorhaben zur Verbreitung quellengestütz- Themen dauerhaft und interdisziplinär sowohl ter Erkenntnisse zur Geschichte der SED- in der Gesellschaft als auch in der wissen- Diktatur in Form von Broschüren, Büchern, schaftlichen Forschung und Lehre verankert Filmen, neuen Medien, Lehr- und Lernmit- werden. Die Förderpraxis der Stiftung ist dem teln; Ziel verpfl ichtet, eine möglichst große Zahl 6. die Vergabe von Promotions- und Habilita- von Menschen in allen Teilen Deutschlands tionsstipendien zur Ausbildung des wissen- durch die von ihr geförderten Projekte zu schaftlichen Nachwuchses; 5 Wortlaut der Fördergrundsätze einer Auseinandersetzung mit der Geschichte 7. wissenschaftliche Vorhaben, die – im Sinne siehe Anhang, S. 93 ff. und den Folgen der SED-Diktatur anzuregen. des Stiftungsauftrages – der Vernetzung

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der Wissenschaftslandschaft dienen oder chertes Projektspektrum, zu dem sowohl Filme neue Quellen erschließen sowie thematisch als auch Ausstellungen, Internetangebote, einschlägige wissenschaftliche und publi- Dokumentationsprojekte, Publikationen oder zistische Publikationsvorhaben; Veranstaltungen gehören. Andererseits steht 8. Sachbeihilfen zur Deckung von Kosten für er für eine Vielzahl der unterschiedlichsten Reisen im Zusammenhang mit einem wis- Einrichtungen und Initiativen, denen oft au- senschaftlichen Vorhaben, Kosten für die ßer der Grundfi nanzierung kaum andere Finan- Beschaffung notwendiger Geräte, Kosten zierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. für Aufträge an Dritte. Eine Antragstellung Zu der insgesamt stark differenzierten von Einzelpersonen ist möglich. Gruppe der Antragsteller gehören u.a.: • Opferverbände und -vereine, die ihren Ergänzend dazu wurden für einige Förder- Ursprung in der Zeit stalinistischer Verfol- bereiche – z.B. die Finanzierung von Doku- gung nach 1945 haben und teilweise schon mentarfi lmen, die Vergabe von Druckkosten- 1950 gegründet wurden, wie z.B. die Verei- zuschüssen oder die Markierung historischer nigung der Opfer des Stalinismus oder der Gedenkorte – spezifi sche Kriterien festgelegt, Verein »Hilferufe von drüben«; die den besonderen Produktionsbedingungen • Vereinigungen, deren Wurzeln in die Bür- bzw. dem spezifi schen Charakter dieser Förde- gerbewegung der DDR und die Umbruchs- rungen gerecht werden. zeit 1989/90 zurückreichen, wie die Bür- gerkomitees, die Anti-Stalinistische Aktion Einen quantitativen Gesamtüberblick über die Berlin-Normannenstraße (ASTAK), Umwelt- Entwicklung der Projektförderung durch die bibliotheken oder Geschichtswerkstätten; Stiftung gibt die nachstehende Tabelle. • nach 1990 entstandene Vereine und Initi-

Jahr Anträge Bewilligungen Anzahl Betrag Anzahl % der Betrag % der (Mio ¤*) Anträge (Mio ¤*) Antrags- summe 1998** 118 0,707 57 48,31 0,619 87,55 1999 227 4,297 130 57,27 1,835 42,70 2000 249 4,233 165 66,27 1,949 46,04 Vergabe von Fördermitteln 1998 bis 2003 2001 242 4,191 152 62,81 1,999 47,70 * Wegen der Vergleichbarkeit für 2002 215 3,491 151 70,23 2,244 64,28 die Jahre 1998 bis 2001 in Euro 2003 248 4,039 163 65,73 2,325 57,56 umgerechnet. ** Umfasst nur den Zeitraum vom Gesamt: 1.299 20,958 818 62,97 10,971 52,35 1.11. bis 31.12.1998

Die Struktur des Förderungsfeldes ist unter ativen bzw. Projektzusammenschlüsse, die den verschiedensten Gesichtspunkten außer- sich mit spezifi schen Aspekten der gesell- ordentlich vielgestaltig. So verzeichnet der schaftlichen Aufarbeitung befassen; Bereich Gesellschaftliche Aufarbeitung, der • Institutionen der politischen Bildungsar- die gesamte Bandbreite vor allem nichtstaat- beit; licher Aufarbeitungsaktivitäten umfasst, laut • Antragsteller aus dem westlichen Teil der Stiftungsauftrag naturgemäß die meisten und Bundesrepublik, wie z.B. Seminargruppen zugleich auch verschiedenartigsten Anträge an Universitäten, die sich bspw. mit Veran- bzw. Antragssteller. Gekennzeichnet wird staltungen den Themen geteilte Vergangen- dieser Bereich einerseits durch sein breit gefä- heit und deutsche Einheit annehmen, oder

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Internationale Assoziation der Verbände politischer Häftlinge des Kommunismus.

Bedingt durch die Vielfalt der Vorhaben und Antragsteller variiert auch das Finanzvo- lumen der Anträge erheblich. Es bewegt sich zwischen Fördersummen von nur wenigen Hundert Euro für Kleinstprojekte, bspw. für das Schülerprojekt »Spurensuche« zum 17. Juni 1953 in Mühlhausen, und einem Antragsvolu- men von bis zu einer halben Million DM bzw. Viertelmillion Euro, bspw. bei der ASTAK oder der Robert-Havemann-Gesellschaft, die damit aufwändige Ausstellungsvorhaben oder Archiv- erschließungsprojekte durchführen. Darüber hinaus kann – das Jahr 2002 mit leichtem Rückgang ausgenommen – auch die Entwicklung der Zahl der Förderanträge, die bei der Stiftung seit 1998 (118) bis einschließlich 2003 (248) eingegangen sind, als ein weiteres Indiz für die Breite und die Konsolidierung der Aufarbeitungslandschaft angeführt wer- den. Die Entwicklung der Antragszahlen zeigt einerseits, dass die Beschäftigung mit der zweiten Diktatur in Deutschland durch die Tätigkeit der Stiftung auf ein breiteres gesellschaftliches Fundament gestellt werden konnte. Andererseits ist sie beredter Ausdruck dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem Leben in der Diktatur noch lange nicht an ihrem Endpunkt angekommen ist, sondern ein steigendes Interesse zu verzeichnen hat. So gingen bei der Stiftung im Verlauf ihrer fünfjährigen Tätigkeit insgesamt 1299 Anträ- Gruppen, die sich in den alten Ländern nach ge ein, was – berechnet für die Jahre 1999 1989/90 verstärkt mit der Wissensvermitt- bis 2003 – einen Durchschnitt von ca. 236 lung über das SED-Unrecht befassen; Anträgen pro Jahr ergibt. Die tatsächliche • Wissenschaftseinrichtungen; Verteilung auf die einzelnen Jahre wird durch • Museen und Gedenkstätten; das Diagramm »Anzahl der gestellten und • Projekte mit Partnern aus dem Ausland bewilligten Förderanträge 1998 bis 2003« auf wie Memorial (Moskau), die internationale S. 29 demonstriert. Begegnungsstätte Kreisau, dem Institut des Nationalen Gedächtnisses (IPN) in Die Anzahl der eingereichten Förderanträge Warschau, oder dessen Pendant in der übertrifft die ursprünglichen Erwartungen bei Tschechischen Republik (UDV), aber auch weitem. Bei Gründung der Stiftung 1998 war das Haus des Terrors (Budapest) sowie die prognostiziert worden, dass jährlich ca. 60 bis

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70 Anträge eingehen würden. Doch bereits im Tätigkeit des Archivs Bürgerbewegung Leipzig, Jahr 1998 mit seiner nur zwei Monate umfas- des Museums in der »Runden Ecke« (vormals senden Periode für Antragstellungen wurden Standort der Bezirksverwaltung Leipzig des an die Stiftung 118 Anträge auf fi nanzielle MfS) sowie der Umweltbibliothek Großhen- Unterstützung gestellt. 1999 war es dann nersdorf gesichert werden. Ein in Sachsen etwa die doppelte Menge. Es scheint sich abzuzeichnen, dass sich die Antragszahlen mit 300 geringfügigen Schwankungen zwischen 220 249 242 248 250 227 215 und 250 einpegeln werden. 200 165 163 Aber nicht nur die Zahl der bei der Stiftung 152 151 130 für die Jahre 2002 und 2003 eingegangenen 150 118 84 90 85 Anträge ist wieder angewachsen, auch die 100 64 97 Qualität der eingereichten Projektvorhaben 50 57 61 hat sich in positiver Weise entwickelt. An- 0 gesichts begrenzter Haushaltsmittel wird 1998 1999 2000 2001 2002 2003 dadurch der Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Antragstellern erhöht. Gleichzeitig Anträge bewilligt Differenz steigt die Zahl der Anträge, die nicht aus in- haltlichen Gründen, sondern wegen fehlender inzwischen verabschiedetes Errichtungsgesetz Anzahl der gestellten und Mittel abgelehnt werden müssen. »Stiftung Sächsische Gedenkstätten«, an des- bewilligten Förderanträge 1998 bis 2003 Während die Stiftung in der Anfangszeit ih- sen Zustandkommen die Stiftung Aufarbei- res Bestehens mit ihren Förderungen vor allem tung beratend beteiligt war, regelt in einem im Bereich der gesellschaftlichen Aufarbeitung mehrstufi gen Modell zu fördernder Einrichtun- auch dazu beitragen musste, den Erhalt von gen nunmehr u.a. auch die Finanzierung von Institutionen der Aufarbeitung zu sichern, hat Institutionen zur Aufarbeitung der Folgen des sich dies in den vergangenen Jahren geändert. Stalinismus und der SED-Diktatur. In Sachsen- Inzwischen konnten auch durch die Vermitt- Anhalt gelang es, zwei wichtige Institutionen lung und Bemühungen der Stiftung einige der Aufarbeitung – das Bürgerkomitee Magde- Vereine und Institutionen der Aufarbeitung burg und den Verein Zeitzeugen e.V. in Halle/ in eine mittelfristig gesicherte institutionelle Saale – in die institutionelle Grundsicherung Grundförderung durch ihre Sitzländer aufge- durch das Land aufzunehmen. nommen werden. Hier hat sich ein erfreulicher Ungeachtet dieser beachtlichen Fortschrit- Wandel vollzogen. In der Berichtsperiode konn- te bei der sicheren und vor allem auch kon- te unter Mitwirkung der Stiftung der Haushalt tinuierlichen Finanzierung der gesellschaftli- einiger durch ihre aktive und wirkungsvolle chen Aufarbeitungsinstitutionen gibt es noch Arbeit ausgewiesener Einrichtungen der ge- immer Archive, Bibliotheken, Museen und Ge- sellschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur denkstätten, die aus der DDR-Bürgerbewegung dadurch stabilisiert werden, dass die Grundfi - hervorgegangen sind, deren effektive Arbeit nanzierung der Institutionen nunmehr durch oder gar deren weitere Existenz aus fi nanzi- Landesmittel gewährleistet ist. Das betrifft ellen Gründen früher oder später vor dem Aus im Land Berlin die Anti-Stalinistische Aktion steht. Damit verbunden ist die Gefahr, dass mit ihrem Ausstellungsbetrieb im Haus I in der die lebendige und pluralistisch strukturierte Normannenstraße, dem ehemaligen Dienstsitz Aufarbeitungslandschaft aus fi nanziellen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Gründen beschnitten wird, was sich in Bezug und die Robert-Havemann-Gesellschaft. Im auf die bereits angeführten gegenwärtigen Freistaat Sachsen konnte auf diese Weise die und zukünftigen großen Herausforderungen

29 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

bei der Erfüllung des Stiftungsauftrages kon- Anträge ist die Stiftung bestrebt, ihr Handeln traproduktiv auswirken würde. Die dringend so transparent wie möglich zu gestalten und gebotene institutionelle Sicherung von Ein- – selbstverständlich – einen sparsamen, d.h. richtungen der Aufarbeitung über Projektför- effektiven Einsatz der der Stiftung anver- dermittel der Stiftung ist nicht möglich. Hier trauten öffentlichen Gelder zu gewährleisten. setzt das Errichtungsgesetz der Stiftung enge Dabei versteht sie sich vor allem im Bereich Grenzen. Es bedarf dringend weiterer Förderer der gesellschaftlichen Aufarbeitung in ihrem auf kommunaler und Länderebene. Verwaltungshandeln auch als Ansprechpartner Um eine sachgerechte Prüfung der Anträge und Dienstleister für Projekte und Vereine. Die zu gewährleisten, wurden 2001 verbindliche damit verbundene fachliche und fi nanzielle Endtermine für die Antragstellung eingeführt. Beratung der Projektträger trägt oftmals dazu Wegen der großen und weiter steigenden Zahl bei, Qualität und Ausstrahlung der einzelnen von Anträgen mussten diese Termine zum Projekte zu optimieren und den effektiven 1. Januar 2004 vom 30.9. auf den 31.8. verlegt Einsatz der Mittel zu verbessern. Diesem werden, um auch weiterhin eine Beratung der Ziel dienen auch die übergreifenden Wei- Projekte zu ermöglichen. Anträge für Förder- terbildungsangebote der Stiftung für in der mittel für das Folgejahr müssen gegenwärtig gesellschaftlichen Aufarbeitung haupt- oder im laufenden Jahr zu folgenden Fristen einge- ehrenamtlich Tätige. Insbesondere auf den reicht werden: Veranstaltungen zur Antragstellung sowie zur • bei Projekten mit einem Antragsvolumen Verwendungsnachweisprüfung werden den über 50.000 bis 30. Juni, Projekten Informationen und Hinweise gege- • bei Projekten mit einem Antragsvolumen ben, die sowohl eine effi ziente Projektplanung unter 50.000 bis 31. August, als auch eine ordnungsgemäße Abrechnung • Stipendienanträge bis 31. August. der erhaltenen Projektmittel ermöglichen. Eine besondere Verantwortung für alle an Jeweils im Dezember des laufenden Jahres der Vergabe von Fördermitteln beteiligten beschließt der Vorstand auf seiner letzten Mitarbeiter der Stiftung bzw. der Entschei- Sitzung über alle im Folgejahr zu fördernden dungsgremien ergibt sich aus dem Umstand, Projekte. Dieses Verfahren gewährleistet zu- dass trotz des kontinuierlichen Anstiegs der gleich allen Projekten Chancengleichheit beim bereitgestellten Fördermittel von 0,619 Mio. Zugang zu den zur Verfügung stehenden Pro- Euro 1998 auf 2,325 Mio. Euro im Jahr 2003 der jektmitteln und sorgt zudem für eine größt- Finanzbedarf der eingereichten qualifi zierten mögliche Planungssicherheit bei den Antrag Förderanträge nach wie vor den Förderetat der stellenden Institutionen. Stiftung deutlicht überschreitet (s. nachfol- Bei der Prüfung und Entscheidung über die gende Graphik).

5 4,297 4,233 4,191 4,039 4 3,491

3 2,462 2,284 1,999 2,244 2,325 2 0,707 1,949 2,192 1 1,835 1,714 0,619 1,247 0,088 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Beantragte und vergebene För- dermittel 1998 bis 2003 beantragte Mittel vergebene Mittel Differenz (in Mio. Euro)

30 1 Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zentrale Aufgaben und Gremien 2 Arbeitsschwerpunkte 2002/2003 3 Perspektiven und Ausblick 4 Anhang

2.1.2 Vergebene Fördermittel 2002 der sich damit im Prinzip nicht verändert und 2003 hat (21,2 bzw. 20,7 Prozent). • Die Wissenschaftsförderung nimmt mit ca. Einen Gesamtüberblick über die im Berichts- 10 Prozent weiterhin den dritten Platz ein, zeitraum ausgereichten Fördermittel und de- ihr Anteil an den Fördermitteln hat sich ren Aufteilung auf die einzelnen Förderschwer- minimal erhöht (2003 um 1,7 Prozent ge- punkte gibt die folgende Tabelle. genüber dem Vorjahr).

Förderbereich 2002 2003

Projekte (%*) Betrag (%*) Projekte (%*) Betrag (%*) (Mio. ¤*) (Mio. ¤*)

Gesamt 152 100 2,244 100 164 100 2,325 100

davon:

– gesellschaftliche Aufarbeitung 69 45,7 1,491 66,4 81 49,7 1,617 69,6

– Beratung und Betreuung von Opfern der SED-Dik- tatur sowie Gedenken an sie 45 29,8 0,475 21,2 52 31,9 0,481 20,7

– Wissenschafts förderung 26 17,2 0,178 7,8 29 17,8 0,220 9,5

– internationale Kooperation 12 8 0,113 5 2 1,2 0,009 0,4

Aus der Übersicht wird deutlich: • Der ohnehin geringe Anteil der internati- Aufteilung der Fördermittel • Die Gesamtzahl der eingereichten Anträge onalen Kooperation (5 bzw. 0,4 Prozent) 2002 und 2003 auf die Förder- schwerpunkte stieg von 151 Anträgen in 2002 auf 163 An- ist mit 4,6 Prozent verhältnismäßig stark träge in 2003. zurückgegangen. * Die Werte sind gerundet. Damit ist die durchschnittliche Förder- summe pro Projekt im Prinzip gleich ge- blieben (in 2002 erhielt jedes Projekt im 2.1.3 Einzelne Förderschwerpunkte6 Durchschnitt 14.900 ¤, in 2003 waren es 2.1.3.1 Gedenken an den Volksaufstand vom 14.300 ¤). 17. Juni 1953 • Im Bereich Gesellschaftliche Aufarbeitung stieg die Anzahl der eingereichten Anträge Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 gehört im Vergleich zu den anderen Förderberei- neben dem Mauerbau 1961 und der friedlichen chen mit 4 Prozent am deutlichsten an. Revolution von 1989 zu den bedeutendsten Entsprechend dem Stiftungsziel wurde Ereignissen in der Geschichte der DDR bzw. mit 69,6 Prozent auch der größte Anteil der SED-Diktatur. Sein Ausbruch und auch an Fördermitteln in 2003 an den Bereich sein Scheitern hatten gravierende Folgen gesellschaftliche Aufarbeitung vergeben; sowohl für die Politik der Herrschenden als gegenüber 2002 hat sich sein Anteil damit auch das Verhalten der Beherrschten bis zum leicht erhöht (3,2 Prozent). Untergang der DDR 1989. Alle Vorhaben im • Die Unterstützung der Beratung und Be- Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des treuung von Opfern der SED-Diktatur sowie Aufstandes bildeten daher den herausragenden 6 Gesamtaufstellung der Förder- des Gedenkens an sie erhielt nach wie vor Schwerpunkt der Tätigkeit der Stiftung in den projekte 2002 und 2003 den zweitgrößten Anteil an Fördermitteln, Arbeitsfeldern Projektförderung und eigen- siehe Anhang, S. 99 ff.

31 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

ständige Aktivitäten. Neben dem Gedenken an große öffentliche Wahrnehmung und ein hohes die Opfer unter den Aufständischen standen Zuschauerinteresse. Sie trugen dazu bei, dieses dabei folgende Aspekte im Mittelpunkt: Ereignis wieder ins Bewusstsein zurück zu ru- • dieses bisher zu wenig beachtete Schlüs- fen bzw. weiterhin nachhaltig zu verankern. selereignis der jüngsten deutschen Ge- Im Nachgang zum 50. Jahrestag des Volksauf- schichte einer breiten Öffentlichkeit in der standes sind diese Ausstellungen jedoch nicht gesamten Bundesrepublik nahe zu bringen in Kellern oder Archiven verschwunden, son- und die auf neuesten Forschungsergebnis- dern wurden teilweise an anderen Orten in sen beruhenden Kenntnisse darüber zu der Bundesrepublik oder im Ausland gezeigt. vermitteln; Besonders erfolgreich war die Ausstellung »Le- ben hinter der Zuckerbäckerfassade« von Ylva Queisser und Lidia Tirri. Sie wurde 2003 neben Berlin in Rom, Mailand und Triest präsentiert. Inzwischen tourt die Ausstellung erfolgreich durch Europa: 2004 wird sie in Frankreich, Italien, Russland und Spanien zu sehen sein. Vorgesehen sind weiterhin Neapel, Catania, Hongkong und Eisenhüttenstadt. Das Projekt erscheint geradezu als der Prototyp des bürgerschaftlichen Engagements für die Zeitgeschichte. Noch ohne gesicherte Finanzierung wurde das Vorhaben von den Verantwortlichen bereits vorangetrieben und dabei Beachtliches geleistet. 2003 konnte die Stiftung durch ihre fi nanzielle Unterstützung schließlich dazu beitragen, dass die Ausstel- • den Volksaufstand in die großen deutschen lung gezeigt werden konnte. und europäischen Demokratiebewegungen In methodischer Hinsicht war dieses Pro- einzuordnen; jekt eine besondere Herausforderung und von • die Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarischer Bedeutung. Die präsentierten zwischen dem Aufstand von 1953 und der persönlichen Erinnerungen von Erstbewoh- friedlichen Revolution in der DDR von 1989 nern der Stalinallee wurden in den histori- zu verdeutlichen. schen Kontext eingeordnet. Dabei ging es da- Projekte zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 rum, einerseits der Gefahr einer verklärenden waren der wichtigste Schwerpunkt der Stif- Sicht auf dieses symbolträchtige Bauensemble tungsarbeit in den Jahren 2002 und 2003. Al- (Symbol kommunistischer Herrschaft aber lein 29 Projekte mit einer Gesamtfördersumme auch Symbol für den Aufstand am 17. Juni von 565.085 ¤ wurden hier unterstützt. Einen 1953) zu entgehen und andererseits die erzäh- Überblick darüber gibt die im Anhang aufge- lenden Anwohner nicht zu denunzieren. Dass führte Aufstellung. es den Ausstellungsmachern gelungen ist, eine Insgesamt dreizehn Ausstellungen konn- solch differenzierende Aufarbeitung der DDR- ten mit Hilfe der Stiftung im Jahr 2003 zum Geschichte anzubieten, mag ein Eintrag ins Volksaufstand 1953 in der DDR realisiert wer- Gästebuch der Ausstellung in Berlin belegen: den. Die Vorhaben in Leipzig, Potsdam, Jena, »Ihr habt es geschafft, einen Blick aus der Karl- Eichsfeld, Görlitz, Berlin, Brandenburg/Havel, Marx-Allee auf eine Generation in einem Land Gifhorn und Eisenhüttenstadt erzielten eine in einer Straße zu werfen, der sehr viel erzählt.

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Es ist ein Blick auf eine Gesellschaft in ihren 17. Juni 1953 bis zum Herbst 89 – Widerstand Schattierungen. Nicht Ihr bewertet, sondern und menschliche Größe im Kampf gegen Dik- der Betrachter selbst.« tatur und Menschenrechtsverletzungen – ein Alle Ausstellungen hatten als Schwerpunkt Projekttag« veranstaltete der Geschichts-Leis- einen regionalen Bezug, wobei die regionalen tungskurs des Tilesius-Gymnasiums am 17. Juni Geschehnisse in Verhältnis zu anderen Er- 2003 einen Projekttag in der Aula ihrer Schule. eignissen des Aufstands in der DDR gesetzt Auf diesem Projekttag wurde eine Ausstellung wurden. Durch den Einsatz von medialen präsentiert, die die Schüler anhand von Ar- Elementen erreichten die Ausstellungen un- chivrecherchen und Zeitzeugenbefragungen terschiedliche Zielgruppen. So interessierten zusammengestellt hatten. Zentraler Punkt der sich vor allem auch Jugendliche zunehmend Ausstellung war das jugendliche Protestverhal- für dieses Thema, wie die Besucherstatistiken ten während des Aufstands von 1953. Weitere einiger Ausstellungen zeigen. Auch die von Bestandteile des öffentlichen Projekttages der Stiftung Aufarbeitung in Auftrag gegebe- waren: ein Konzert mit in der DDR verbotenen ne Umfrage bei FORSA belegt das gestiegene Musikern aus dem thüringischen Raum sowie Interesse gerade bei jüngeren Menschen. So eine Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen. Zu- zeigte die FORSA-Umfrage, dass der Kenntnis- sätzlich wurde eine CD-Rom erarbeitet. stand über den Volksaufstand in der DDR ge- rade bei Jugendlichen von 20 Prozent Anfang Juni 2003 auf nahezu 50 Prozent Ende Juni 2.1.3.2 Förderung von aus der Opposition 2003 stieg. 80 Prozent der in dieser Alters- und dem Widerstand gegen die gruppe Befragten plädierte zudem dafür, künf- SED-Diktatur hervorgegangenen tig diesen Tag dazu zu nutzen, an Opposition Archiven, Dokumentationszentren und Widerstand gegen die SED-Diktatur und und Zeitschriften die Opfer der zweiten deutschen Diktatur zu erinnern. In den anderen Altersgruppen lag Bereits in den frühen 1990er Jahren begannen dieser Wert bei 70 Prozent. ehemalige Protagonisten der DDR-Bürgerbe- Besonders erfreulich waren die Projektvor- wegung Dokumente und Materialien ihrer haben, die an Schulen und mit Schülergruppen politischen und kulturellen Arbeit zu sammeln aus Anlass des 50. Jahrestages des Volksauf- und zu archivieren. Es entwickelten sich »un- standes durchgeführt wurden. So führte das abhängige Archive« der DDR-Opposition auf Archiv Bürgerbewegung Leipzig ein Spuren- Vereinsbasis, die mittlerweile unwiederbring- sucheprojekt mit Gymnasien des ehemaligen liche historische Quellen verwahren. Diese Bezirkes Leipzig durch und konzipierte daraus ergänzen für die historische Aufarbeitung der gemeinsam mit den Schülern eine Ausstellung SED-Diktatur unverzichtbar die archivalische für die Schulen. Das Jugendhaus »Villa« in Rib- Überlieferung staatlicher Provenienz, welche nitz-Damgarten begab sich mit Schülern eben- in der Hauptsache die Perspektive der Herr- falls auf Spurensuche, um zu erkunden, was schenden, ihrer Macht- und Repressionsorgane in ihrer Region um den 17. Juni 1953 geschah. widerspiegeln. Daher betrachtet die Stiftung Auch die Evangelische Akademie Sachsen-An- die Unterstützung der entsprechenden Archi- halt und die Evangelische Akademie Thüringen ve als eines der wichtigsten Felder ihrer Förde- erarbeiteten in zwei Schülerprojekten neue rung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 hat sie Zugänge zum Thema 17. Juni 1953. so einen wesentlichen Beitrag geleistet, damit Beispielhaft sei hier auf ein Schulprojekt die Archive der Opposition ihre Arbeit nicht des Tilesius-Gymnasiums im thüringischen nur weiterführen konnten, sondern diese auch Mühlhausen verwiesen. Unter dem Titel »Vom professionalisierten. Die Förderung durch die

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Stiftung wurde dabei von der Prämisse gelei- DDR verfi lmt und digitalisiert werden soll. tet, dass die Erschließung der vorhandenen Mit ideeller und materieller Förderung der Bestände zügig abgeschlossen werden sollte, Stiftung Aufarbeitung entwickelte die Um- um einerseits die Materialien der Forschung weltbibliothek gemeinsam mit der TU Dres- und den Medien bereit stellen zu können. An- den und im Verbund mit den unabhängigen dererseits sollten die Vereine, die diese Archive Archiven einen Förderantrag an die Deutsche unterhalten, in die Lage versetzt werden, über Forschungsgemeinschaft (DFG). Ende 2003 die reine Erschließungstätigkeit hinaus ihrem hat die DFG erfreulicherweise diesem Antrag Selbstverständnis gemäß aktiv mit diesen stattgegeben, so dass das Projekt sowohl mit Materialien als Vermittler der politischen Bil- Mitteln der DFG als auch der Stiftung Aufarbei- dungsarbeit tätig zu werden. tung realisiert werden kann. Die Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft Hervorzuheben ist auch das von der Stif- (RHG) folgte dieser Prämisse und entwickelte tung geförderte Dokumentationsvorhaben, für die Jahre 2001 bis 2003 ein Erschließungs- das die Schriftsteller und Wissenschaftler konzept, das darauf ausgerichtet war, die Professorin Ines Geipel und Joachim Walter dort verwahrten und bis dahin noch nicht beim Verein des Autorenkreises e.V. Berlin ver- erschlossenen Dokumente aus Opposition folgen. Die Projektbearbeiter und Initiatoren und Widerstand gegen die SED-Diktatur – die des Vorhabens tragen derzeit eine einzigartige vornehmlich aus den 1980er Jahren stammen – Manuskriptsammlung für ein »Archiv der un- nach archivfachlichen Kriterien zu bearbeiten. terdrückten Literatur« zusammen. Dort wer- In vier von der Stiftung Aufarbeitung geför- den Texte und Gedichte archiviert, die in der derten Teilprojekten gelang es der RHG, dem DDR aus politischen Gründen nicht erscheinen gemeinsamen Ziel bis Ende 2003 wesentlich konnten. Darüber hinaus führen Geipel und näher zu kommen, diesen herausragenden Walter Interviews mit den noch lebenden Quellenbestand der interessierten Öffentlich- Autorinnen und Autoren. Die Sammlung wird keit zugänglich zu machen. Derzeit fördert die nach Abschluss des Projekts Ende 2004 in das Stiftung Aufarbeitung bei der RHG Anschluss- Archiv der Stiftung Aufarbeitung überführt. projekte, die bis zum Sommer bzw. Ende 2005 Zudem werden Frau Professor Geipel und Herr die aufwändige Erschließungsarbeit zu einem Walter bei der Büchergilde Gutenberg eine vorläufi gen Abschluss bringen werden. Auswahl der Texte edieren. Das Projekt hat Auf der Grundlage der Projektförderung bereits jetzt einen großen medialen Widerhall durch die Stiftung erschlossen auch das Archiv erfahren. Bürgerbewegung Leipzig, das Thüringer Archiv Darüber hinaus fördert die Stiftung Aufar- für Zeitgeschichte in Jena und das Archiv der beitung jedoch auch Dokumentationsvorhaben Bürgerbewegung Südwestsachsen (Werdau) im Bereich der gesellschaftlichen Aufarbeitung. mit dem Martin-Luther-King-Zentrum ihre Diese Vorhaben sind inhaltlich so vielfältig Bestände. wie ihre Trägereinrichtungen. Bei all diesen Das Förderziel der Stiftung Aufarbeitung, Projekten achtet die Stiftung darauf, dass die die Archivbestände abschließend zu bear- Gepfl ogenheiten wissenschaftlichen Arbeitens beiten, wurde seitens der Umweltbibliothek eingehalten werden. Beispielhaft sei hier auf Großhennersdorf bereits 2001 verwirklicht. ein umfängliches Interviewprojekt des Bundes Im Rahmen der Förderung in den Jahren 2002 katholischer Akademikerinnen verwiesen, in und 2003 entwickelte die Umweltbibliothek dem eine Vielzahl von Interviews mit Chris- Großhennersdorf ein ambitioniertes Projekt- tinnen in der DDR durchgeführt wurde. Die vorhaben, in dem in den Jahren 2004 und Interviews werden im Verlauf des Jahres 2004 2005 der gesamte politische Samizdat der in Form einer Publikation dokumentiert wer-

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den. Beim Verein Berliner Mauer e.V. förderte Von großer Bedeutung ist für die Stiftung die Stiftung wiederum eine Untersuchung zu Aufarbeitung eine aktuelle und regelmäßige Disziplinierungsmaßnahmen in den Grenztrup- Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangen- pen zur Durchsetzung des DDR-Grenzregimes. heit, wie sie in entsprechenden Zeitschriften Der Verein Politische Memoriale in Schwerin geleistet werden kann. Hierzu gehört bei- erarbeitete im Verlauf des Jahres 2002 eine spielsweise die von der Stiftung fi nanziell Dokumentation zum Strafvollzug in Bützow. unterstützte Zeitschrift »Horch und Guck«, Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. konnte mit die vom Bürgerkomitee 15. Januar e.V. her- Förderung der Stiftung Aufarbeitung die ausgegeben wird, deren Mitglieder aus dem Ergebnisse des internationalen Demokratie- Kreis der Besetzer der MfS-Zentrale in der Kolloquiums »Wieviel Wahrheit verträgt der Berliner Normannenstraße Anfang 1990 her- Mensch?« dokumentieren. vorgegangen sind. »Horch und Guck« ist eine Als beispielhaft kann auch das Projekt der wichtigsten und renommiertesten Periodi- des Vereins »Evangelisch-Freikirchliche Zeit- ka der Aufarbeitungslandschaft. Sie erscheint geschichte« bezeichnet werden, in dem ein vierteljährlich mit einer Aufl age von ca. 1.200 umfängliches Manuskript erarbeitet wurde, Exemplaren. Der inhaltliche Schwerpunkt der in dem nicht nur die Archive und Quellen zu jeweils als Themenheft erscheinenden Zeit- den Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden schrift liegt auf der Darstellung des Repressi- in der DDR beschrieben werden, sondern auch onssystems in der DDR und seiner Herrschafts- weiterführende Hinweise zu fi nden sind. Die strukturen, insbesondere des Ministeriums für Publikation soll Mitglieder dieser Kirche wie Staatssicherheit, sowie der Geschichte von auch außen stehende Wissenschaftler dazu Opposition und Alternativbewegungen. anregen, zu diesem Thema zu arbeiten. Auch die in Jena vierteljährlich mit einer Im Grenzbereich zwischen der Archivförde- Aufl age von 1.500 Exemplaren erscheinende rung und der Förderung der gesellschaftlichen Zeitschrift »Gerbergasse 18«, das »Forum für Aufarbeitung stand das Projekt der Evangeli- Geschichte und Kultur«, wird mit Unter- schen Kirchengemeinde Lieberose, in dem alle stützung der Stiftung Aufarbeitung von der verfügbaren Materialien zur Geschichte des Geschichtswerkstatt Jena e.V. und der Landes- Speziallagers Nr. 6 Jamlitz erschlossen, syste- beauftragten des Freistaats Thüringen für die matisch aufbereitet und für eine Publikation Stasi-Unterlagen gemeinsam herausgegeben. ausgewertet wurden. Gemeinsam mit »Horch und Guck« hat sich die Mit der Förderung verschiedener Projekte Zeitschrift einen festen und unverzichtbaren hat die Stiftung auch wieder die Arbeit des Platz in der gesellschaftlich-historischen Auf- vom Bürgerkomitee Sachsen-Anhalt getrage- arbeitungslandschaft zur DDR-Vergangenheit nen Dokumentationszentrums am Moritzplatz erarbeitet. Die inhaltlichen Schwerpunkte in Magdeburg unterstützt. Mit den Projekten haben regionale und überregionale Themen des Bürgerkomitees soll die Öffentlichkeit bspw. zur Arbeit des Ministeriums für Staats- über die Arbeitsweise, die Methoden, die sicherheit oder zum Sport und Doping in der Strukturen und Zusammenhänge zwischen der DDR zum Gegenstand. Dabei werden auch Arbeit der Staatssicherheit und repressiven reiche Anknüpfungspunkte für die wissen- Strukturen des DDR-Staatsapparates umfas- schaftliche Aufarbeitung geboten. So erschien send aufgeklärt und widerständiges Verhalten beispielsweise im Jahr 2003 aus Anlass des 50. der Menschen in der DDR dargestellt werden. Jahrestages des Volksaufstandes vom 17. Juni Die Ergebnisse werden durch Vorträge, Diskus- 1953 in der DDR eine Sonderausgabe der sionsforen, Ausstellungen sowie in verschiede- »Gerbergasse 18« mit einer deutlich erhöhten nen Publikationen vorgestellt. Aufl age.

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2.1.3.3 Filmförderungen Halle darstellt. Durch die Schilderungen der Zeitzeugen entstand in beiden Dokumenta- Im Rahmen ihrer Fördertätigkeit unterstützt tionen ein dichtes und nachdrückliches Bild die Stiftung auch die Erstellung von Doku- der damaligen Ereignisse. Hierbei wird dem mentarfi lmen. Die Zahl der Förderanträge in subjektiven Erleben und den Erinnerungen diesem Segment stieg in den letzten Jahren der Betroffenen breiter Raum eingeräumt kontinuierlich. Beispielhaft sei auf einige Do- und damit zugleich ihre Gedankengänge für kumentarfi lme verwiesen, die mit Unterstüt- die Nachwelt dokumentiert. Ein weiterer zung der Stiftung entstanden. Dabei bemüht 2003 geförderter Dokumentarfi lm beleuchtet sich die Stiftung, dass die von ihr geförderten Aufstieg und Fall von Rudolf Herrnstadt An- Filme im öffentlich-rechtlichen oder auch fang der 1950er Jahre, eingebettet in seinen privaten Fernsehen gesendet werden, um Lebensweg vom Journalisten der 1920er Jahre ein möglichst breites Publikum zu erreichen. beim Berliner Tageblatt, seine Zeit in Moskau Teilweise erzielten von der Stiftung geförderte und seine Stellung zur sowjetischen Führung, Dokumentationen bis zu 20 Prozent Sehbetei- seine Parteikarriere in der SBZ/DDR nach ligung im jeweiligen Sendegebiet, was etwa Kriegsende bis zu seinem Ausschluss aus der einer Million Zuschauer entsprach. Darüber Partei nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953. hinaus werden die Filme in öffentlichen Ver- Einbezogen werden die jeweils historisch anstaltungen mit Diskussionen und Vorträgen relevanten Entwicklungen. Zu Wort kommen vorgestellt, um möglichst Fragen und Pro- Zeitzeugen, wie etwa Wolfgang Leonhard und bleme der angesprochenen Themen in einen DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf. breiteren historischen Kontext einzuordnen Der Dokumentarfi lm »Schwierigkeiten mit und im direkten Gespräch zu diskutieren. Die der Wahrheit« von Kathleen Neuville und Stiftung vervielfältigt die Dokumentarfi lme Friedrich Herkt setzt sich mit Ereignissen rund und stellt sie Institutionen und Trägern der um die erste öffentliche Lesung des Buchs von politischen Bildungsarbeit sowie Interessier- Walter Janka »Schwierigkeiten mit der Wahr- ten zur Verfügung. Hierfür wird neben den heit« im Herbst 1989 im Deutschen Theater Filmen als VHS-Kopien oder DVD auch Zu- in Berlin auseinander. Nachdem das Buch satzmaterial, bestehend aus Dokumenten und von Walter Janka 1989 im Westen erschienen Hinweisen für den Einsatz in der schulischen war, löste eine öffentliche Lesung am 28. Ok- bzw. außerschulischen Bildungsarbeit, bereit- tober 1989 aus dem Buch mit Ulrich Mühe im gestellt. Die steigenden Anfragen zeigen ein Deutschen Theater, die auch im Rundfunk deutliches Interesse an diesem Material. übertragen wurde, eine Flut von Leserzuschrif- Wie in anderen Bereichen der Stiftungs- ten zu diesem Buch und zu den Erfahrungen tätigkeit standen auch die Filmförderungen von DDR-Bürgern im eigenen Land aus. Dort schwerpunktmäßig im Zeichen des Aufstands meldeten sich erstmals Bürger, die in den ver- vom 17. Juni. Gleich drei Produktionen ent- gangenen Jahren Repressalien erfahren hatten, standen mit Unterstützung der Stiftung zu zu Wort und schilderten ihre Erlebnisse, ihre diesem Themenschwerpunkt. So erstellte der Enttäuschung, Wut, innere Emigration und Verein Zeitgeschichte(n) e.V. Halle einen Zeit- Niedergeschlagenheit über die Verhältnisse in zeugenfi lm zum Volksaufstand vom Juni 1953 der DDR. Der Film stellt einige der sich damals im Bezirk Halle. Ebenfalls zum 17. Juni 1953 in Hörerzuschriften artikulierenden Personen, wurde ein Zeitzeugen-Filmprojekt gefördert, Szenen aus der Lesung im Deutschen Theater das unter dem Titel »...Agenten, Faschisten und Bilder aus dem Leben Walter Jankas vor. und Provokateure – Schicksalstag 17. Juni ’53« Im Jahr 2003 konnte mit Förderung der die Ereignisse in Görlitz, Jena, Leipzig und Stiftung im Vorfeld des 40. Jahrestages des

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Inkrafttretens der Anordnung über die Aufstel- darüber sinnieren, wie – keineswegs nur his- lung der Baueinheiten erstmals eine fi lmische torische – Inhalte an den Mann oder die Frau Darstellung zur Geschichte der Bausoldaten in gebracht werden können, beschränkt sich die der DDR erstellt werden. Im Zentrum des Films stehen drei Bausoldaten der 1960er, 1970er und 1980er Jahre und ihre Geschichte. Neben den Bausoldaten werden weitere Zeitzeugen wie Verantwortliche aus Kirche und Öffent- lichkeit zum Thema befragt. Zentrales Thema ist dabei das Spannungsfeld zwischen persön- lichen moralisch-ethischen Wertvorstellungen, berufl ichen Plänen und der sozialistischen Re- alität der harten Bestrafung von Verweigerern, in der sich die Betroffenen befanden. Zudem konnte in 2003 mit Fördermitteln der Stiftung der Dokumentarfi lm unter dem Stiftung keineswegs darauf, dieses moderne Arbeitstitel »Für Mick Jagger in den Knast« und vielseitige Darstellungsmittel für die Ver- begonnen werden, der sich dem im Oktober mittlung von Themen zur zweiten Diktatur in 1969 in der Hauptstadt der DDR kursierenden Deutschland einzusetzen. Dabei setzt die Stif- Gerücht über ein Konzert der Rolling Stones tung darauf, dass Ausstellungen in der Regel auf dem Dach des Springer-Hochhauses in un- alle Merkmale der neuen Medien bereits seit mittelbarer Nähe der Berliner Mauer widmet. langem praktizieren und im besten Sinne mul- Herkunft, Entstehung, Entwicklungen und timedialen Charakter haben. Ausstellungen Folgen des Gerüchtes werden im Film thema- bieten die Möglichkeit, Filme, Tondokumente, tisiert. Das Geschehen von 1969 wird dabei Archivmaterial wie auch Begleittexte in einer in den Kontext der Musikszene der 1960er Form aufzubereiten, die den Sehgewohnheiten Jahre in der DDR gestellt, das Verhältnis von der Gegenwart entspricht. Eine gut gemachte Jugendkultur und SED-Staat bildet ebenfalls Ausstellung bietet dem eiligen Besucher eine den Rahmen für die Ereignisse des Jahres 1969. schnelle Orientierung über das Thema. Und Hierbei wird das in den 1960er Jahren schwan- wer mehr Zeit mitbringt, der kann sich mit kende Verhältnis der Machthaber hinsichtlich dem Gegenstand der Ausstellung vertieft der Behandlung der entstandenen Beatszene auseinandersetzen. Dreidimensionalität, die beleuchtet – Repression oder Integration. Die im Internet oder auf CD-Rom nur mit erheb- Machthaber entschieden sich letztendlich lichem Aufwand und meist mit bescheidenem für eine Verbotsstrategie. Protagonisten des Resultat erreicht werden kann, ist in einer Films sind Zeitzeugen, die sich 1969 auf den Ausstellung durch Objekte und Installationen Weg in Richtung Springer-Hochhaus machten, erfahrbar. Auch die viel beschworene Interak- und auch ihre damaligen Gegner (Polizisten, tivität der neuen Medien ist in vielen Museen Kulturfunktionäre). und Ausstellungen bereits seit langem Alltag. Computer sind hier nur ein (!) Medium, das in die Ausstellung integriert werden kann und 2.1.3.4 Ausstellungen in aller Regel keinesfalls im Zentrum steht. Ausstellungen sind vor allem auch ein Ort der Obwohl seit mehreren Jahren »Multimedia« Kommunikation und dieses Potential wird zum Zauberwort für all das geworden ist, wohl nie von einem neuen Medium im Bereich womit Profi s der politischen Bildungsarbeit der historisch-politischen Bildungsarbeit er-

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setzt werden können. Wer die Besucherinnen didaktisch anzulegen. Im Jahr 2003 wurde und Besucher einer beliebigen Ausstellung die Neukonzeption dann umgesetzt, die neue beobachtet, wird zumeist feststellen, wie das, Ausstellung konnte im September 2003 durch was dort gesehen und gelesen wird, oft noch die Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in der Ausstellung kommentiert oder diskutiert des Landes Baden-Württemberg, Dr. Annette wird. Ausstellungen sind also im besten Sinne Schavan, eröffnet und der Öffentlichkeit über- ein modernes Instrument der Bildungsarbeit. geben werden. Und so hat die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur seit ihrem Bestehen zahlreiche Ausstellungen gefördert und damit oft erst Erinnerungsstätte Notaufnahmelager möglich gemacht. Marienfelde

Im ehemaligen Notaufnahmelager Marienfelde DDR-Museum Pforzheim bemüht sich seit 1993 ein ehrenamtlich arbei- DDR-Museum Pforzheim tender Verein darum, eine Erinnerungsstätte Mit Mitteln der Stiftung konnte bspw. eine einzurichten, um an jene Menschen zu erin- in Westdeutschland einzigartige Einrichtung nern, die nach der Teilung Deutschlands aus der gefördert werden: In Pforzheim befi ndet sich SBZ/DDR in den Westen fl üchteten. Zwischen das einzige DDR-Museum im südwestlichen 1945 und 1989 waren das fast vier Millionen Teil der Bundesrepublik, das von ehemaligen Menschen. Allein über eine Million Menschen DDR-Flüchtlingen und Betroffenen eingerich- wählte dabei den Weg über Westberlin. 1953 tet wurde. Das Museum ist in ehrenamtlicher wurde das Notaufnahmelager eingerichtet, Arbeit entstanden. Die Mitarbeiter legten um den Flüchtlingen eine erste Anlaufstelle zunächst ihren Schwerpunkt auf das Sammeln und Unterkunft im Westen zu sichern. 1990, Erinnerungsstätte von Objekten und Materialien aller Art, die das mit Herstellung der deutschen Einheit, wurde Notaufnahmelager Marienfelde SED-Unrecht, Opposition und Widerstand, Re- es als Aufnahmestelle für Spätaussiedler wei- pression und Unterdrückung in der DDR doku- tergeführt. Mit Unterstützung der Stiftung mentieren. Auf Grundlage der hieraus entstan- konnte bereits im Jahre 2001 die Erarbeitung einer fundierten Ausstellungskonzeption für die Erinnerungsstätte gewährleistet werden. Mit Hilfe dieses Konzepts und vielfältiger Un- terstützung durch das Land Berlin und die Stif- tung stellte schließlich der Bund im Rahmen seiner Gedenkstättenförderung Mittel für die Neugestaltung der Ausstellungen bereit.

Roger Loewig

Roger Loewig zählt zu den bekanntesten denen Sammlung wurde mit Unterstützung verfolgten Künstlern in der DDR. Der 1930 durch die Stiftung und die Stadt Pforzheim geborene Loewig hatte 1963 seine erste Aus- 2002 eine Überarbeitung und Neukonzeption stellung in einem Pfarrhaus, in der Arbeiten in Angriff genommen. Bei der Neukonzeption zur Berliner Mauer gezeigt wurden. Er wurde wurde insbesondere darauf geachtet, die wegen »staatsgefährdender Hetze und Propa- Ausstellung vor allem auch für Schulklassen ganda in schwerwiegendem Falle« verhaftet

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und 1964 zu drei Jahren Haft verurteilt und wagemutigen Aktionen abbaute. 1976 wurde erhielt Arbeitsverbot. 1972 konnte er mit Michael Gartenschläger durch ein Tötungs- Unterstützung durch die Bundesregierung kommando des MfS in einen Hinterhalt ge- nach Westberlin ausreisen. 1997 verstarb er in lockt und erschossen, als er versuchte, Minen Berlin. Sein Werk setzt sich mit elementaren des Typs SM 70 abzubauen. Die Ausstellung Fragen der Menschheit wie dem Umgang mit wurde zum Jahrestag des Mauerbaus am der Umwelt, gesellschaftspolitischen Fragen 13. August 2003 in der Gedenkstätte eröffnet nach der Stellung des Individuums in der Ge- und wird als Wanderausstellung seither an sellschaft als auch explizit Problemstellungen anderen Orten gezeigt. wie der Schuldfrage, Auseinandersetzungen mit Auschwitz und dem Nationalsozialismus, aber auch der deutschen Teilung und dem 2.1.3.5 Förderung und Unterstützung der Unrecht in der DDR auseinander. Nachdem Opferberatung und -betreuung die Stiftung bereits 1999 die Erschließung seines bildkünstlerischen Nachlasses gefördert Neben den vielfältigen Projekten, die sich mit hatte und im Jahre 2001 gemeinsam mit der der Geschichte der Diktatur in der SBZ/DDR Stiftung Stadtmuseum Berlin und der Roger- und ihren Ausprägungen befassen, legt die Loewig-Gesellschaft eine Jubiläumsausstellung Stiftung einen ihrer Förderschwerpunkte auf organisierte, schloss sich in 2003 die Förde- die Unterstützung der Opferbetreuung und rung einer »Projektwerkstatt« an. Diese hatte -beratung. Dabei gilt auch in diesem Bereich, zum Ziel, Werke von anderen unterdrückten dass die Stiftung nur einzelne abgegrenzte und politisch verfolgten Künstlern wie bei- und zeitlich befristete Vorhaben und Projek- spielsweise Sieghard Pohl oder dem polnischen te fi nanzieren und unterstützen darf. In den Künstler Stanislaw Kubicki vorzustellen. Jahren 2002 und 2003 förderte die Stiftung insgesamt 74 bzw. 80 Projekte, die die Un- terstützung der Beratung und Betreuung von Ausstellungsprojekt »MG – Leben und Ster- Opfern politischer Verfolgung zum Ziel hatten. ben zwischen Deutschland und Deutschland« Darunter befi nden sich Beratungsprojekte von Opferverbänden und Vereinen, die Betroffenen An der Gedenkstätte deutsche Teilung Marien- bei der Antragstellung nach den SED-Unrechts- born unterstützte die Stiftung im Jahre 2003 bereinigungsgesetzen helfen und ihnen dazu die Erarbeitung einer Ausstellung zum Leben verhelfen, nicht nur moralisch rehabilitiert, und Tod von Michael Gartenschläger, der mit sondern auch materiell für das erlittene Un- seinen spektakulären Aktionen an der inner- recht entschädigt zu werden. Für diese Bera- deutschen Grenze den Zorn der Machthaber in tungstätigkeit gewährt die Stiftung eine so ge- der DDR auf sich zog. Kaum 17 Jahre alt, war nannte »Beratungspauschale«, die für einzelne Gartenschläger 1961 als politischer Gegner des Beratungen gezahlt wird. Die Nachfrage nach Systems in der DDR zu lebenslänglicher Haft diesen Beratungspauschalen hat sich in den verurteilt worden. Nach seiner vorzeitigen vergangenen Jahren wie folgt entwickelt: Haftentlassung im Juni 1971 wurde er in die 2002: vier Anträge mit 5.400 ¤, 2003: sechs Bundesrepublik »abgeschoben«, wo er seinen Anträge mit 20.150 ¤. Die stark gestiegene Widerstand gegen das Regime in der DDR Nachfrage nach dieser Beratungspauschale in fortsetzte. Er wandte sich dabei insbesondere 2003 hängt u.a. auch mit dem ursprünglich gegen Menschenrechtverletzungen und führte für den 31.12.2003 vorgesehenen Ablauf der Aktionen gegen die Selbstschussanlagen an Rehabilitierungsfristen nach dem SED-Un- der innerdeutschen Grenze durch, die er in rechtsbereinigungsgesetz zusammen. Demzu-

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folge sollte die Frist, um Anträge auf eine Re- wird den dort Beschäftigten Unterstützung habilitierung für erlittenes Unrecht unter der bei der psychosozialen Betreuung von und SED-Diktatur stellen zu können, am 31.12.2003 dem Umgang mit Traumatisierten gegeben. enden. In diesem Zusammenhang startete die Das Projekt dient der Unterstützung und Stiftung eine »Beratungsinitiative«, um noch Förderung von Beratung und Betreuung von möglichst viele Betroffene darin zu unterstüt- Opfern politischer Verfolgung und Zersetzung zen, ihre Ansprüche geltend zu machen. in der DDR. Da der Verein »Gegenwind« bereits Darüber hinaus engagiert sich die Stiftung große Erfahrungen in diesem Bereich aufwies jedoch auch in Projekten, die dazu beitragen und als Partner von Ämtern und Behörden sollen, das Wissen und die Kenntnisse über bereits anerkannt ist, bot dieses Projekt eine die unterschiedlichen Formen politischer Ver- Möglichkeit, die Mitarbeiter von Ämtern und folgung in der SBZ/DDR und ihre psychischen Behörden bei ihrer schwierigen Arbeit zu un- und physischen Folgen bei den Betroffenen zu terstützen. erweitern. Die in diesen Projekten erzielten Darüber hinaus ist eine Publikation unter Ergebnisse und Erkenntnisse sollen dazu bei- dem Titel »Das späte Gift« von Stefan Tro- tragen, dass diejenigen, die über entsprechen- bisch in Vorbereitung, die sich mit diesen de Anträge von Betroffenen zu entscheiden Fragen beschäftigt und nach Erscheinen den haben, mit einem größeren Wissen über die Mitarbeitern von Beratungsstellen und Reha- vielfältigen Formen politischer Verfolgung und bilitierungsbehörden zur Verfügung gestellt deren Folgen an die Bearbeitung der Anträge werden soll. gehen. Leider ist es bisher noch immer nicht In einem weiteren, am »Behandlungszen- gelungen, eine gesetzliche Regelung zur Um- trum für Folteropfer« in Berlin angesiedelten kehr der Beweislast bei der Anerkennung von Projekt wurden Methoden der »operativen Psy- Haftfolgeschäden zu erreichen. Das heißt, die chologie« sowie anderer Psychotechniken der Betroffenen müssen noch immer selbst bewei- Staatssicherheit während der Untersuchungs- sen, dass körperliche oder seelische Schäden haft sowie deren Folgen untersucht – wider- ursächlich durch politische Verfolgung oder gespiegelt in lebensgeschichtlichen Interviews Haft entstanden sind. Um hier bei den die mit ehemals politisch Inhaftierten. Hierfür Anträge bearbeitenden Ämtern Wissen über wurden auch offi zielle Unterlagen aus dem die DDR und neue Erkenntnisse zu vermitteln, Stasiarchiv herangezogen, aus denen hervor- wurden u.a. die folgenden Projekte gefördert: geht, welche Methoden das MfS anwandte, um unliebsame Personen und Gegner zu »zer- setzen«. Auch diese Arbeit soll dazu beitragen, Psychosoziale Initiative Moabit das Wissen über die Methoden des MfS bei der Verfolgung von Regimegegnern zu erhöhen Bei diesem Projekt handelt es sich um die und dazu beizutragen, die Folgen, die solche Fortsetzung eines bereits in 2001 begonnenen Methoden bei den Betroffenen zeitigten, bei Projekts. In diesem Projekt wurde ein Fortbil- der Rehabilitierung und Entschädigung dieser dungsprogramm für Vereine, Verbände, Ämter Personen angemessen zu beachten. und Institutionen, die mit Opfern politischer Zu diesen Projekten gehören auch zwei Verfolgung arbeiten und diese betreuen, ent- vom Bürgerbüro Berlin zur Aufarbeitung von wickelt. Das Programm ist in 2001 angelaufen Folgeschäden der SED-Diktatur realisierte Do- und wurde in 2002 und 2003 fortgesetzt. In- kumentationsvorhaben über die Problematik nerhalb des Projekts werden Beratungsstellen, »Ausreise aus der DDR« und »Haftzwangsar- Ämter und Behörden aufgesucht, und nach de- beit«. Mit diesen Untersuchungen, die inzwi- ren spezifi schen Anforderungen und Anfragen schen auch veröffentlicht wurden, unterstützt

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die Stiftung Projekte zu bislang nur am Rande Untersuchungen zu »Erinnerungsorten der wahrgenommenen Verfolgten- und Opfer- DDR-Geschichte« und ihren unterschiedlichen gruppen. Dazu gehören auch jene, die dem Vermittlungsangeboten von Ausstellungen, Leben in der DDR – aus welchen Gründen auch über Zeitzeugenprojekten bis hin zur regio- immer – den Rücken kehren wollten und des- nalen und lokalen Spurensuche und -sicherung. halb verfolgt, diskriminiert, gesellschaftlich Mit Edgar Wolfrum kann auch heute noch geächtet oder kriminalisiert wurden. In diesen festgestellt werden, dass fast 15 Jahre nach Projekten wurden Betroffene befragt, welchen der friedlichen Revolution und der deutschen Repressalien sie als Ausreisewillige in der DDR Einheit deutsche Vergangenheiten und ihre ausgesetzt waren und welche Erfahrungen sie Bewertung noch immer heftig umkämpft nach ihrer Ausreise in der Bundesrepublik ge- macht haben. Eine weitere bislang wenig beachtete Erscheinungsform politischer Repression war die durch Inhaftierte in der Haft zu leistende Zwangsarbeit. Zu beiden Projekten legte das Bürgerbüro umfangreiche Studien vor, die im Herbst 2003 publiziert wurden.

2.1.3.6 Gedenkstätten

Das Gedenken und die Erinnerung an die NS- Terrorherrschaft und die SED-Diktatur, das Gedenken an die Opfer, an Opposition und sind. Dies äußerte sich auch in einem Begeg- Widerstand sind Teil des demokratischen nungsprojekt an unterschiedlichen Orten, die Selbstverständnisses der Bundesrepublik. Um exemplarisch für den Umgang mit und die Ver- diese Erinnerung in der Öffentlichkeit wach zu mittlung der SED-Diktatur stehen: In diesem halten, die Geschehnisse an historischen Or- vom Bildungswerk der Humanistischen Union ten zu dokumentieren sowie die historischen Nordrhein-Westfalen getragenen Projekt dis- Zusammenhänge aufzuzeigen und dauerhaft kutierten Mitarbeiter von Gedenkstätten, aus im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, der schulischen und außerschulischen Bildung unterstützt die Stiftung auf vielfältige Weise über die geschichtspolitische und moralische sowohl Gedenkstätten als auch derartige Ini- Bewertung der Jahre 1945 bis 1989. Dabei wa- tiativen. ren die Gedenkstätte Hohenschönhausen und In diesem Sinne hat unsere Stiftung bereits das Deutsch-Russische Museum Karlshorst jene in den Jahren 1999/2000 die »deutsch-deut- historischen Orte, an denen ein kontroverser sche Geschichtsarbeit« und die unverändert Austausch zwischen ost- und westdeutschen geteilte Erinnerungskultur, in der Unrecht und Teilnehmern geradezu herausgefordert wurde. Leid in der SBZ/DDR ihren Platz noch immer In den Jahren 2001 und 2002 wurde schließ- nicht gefunden haben, gefördert. So wurden lich ein Folgeprojekt zu »Erinnerungsorten der im Jahre 2002 insgesamt 16 Projekte mit ei- DDR-Geschichte« initiiert. Im Unterschied zum nem Volumen von 490.892 ¤, sowie in 2003 ersten Projekt nahmen die Träger hier eine weitere 29 Projekte mit einem Volumen von andere Perspektive ein: an konkreten histori- 706.345 ¤ gefördert. Hierzu gehörten sowohl schen Orten sollten konkrete Aufarbeitungs-

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formen und -angebote erkundet und diskutiert katalogisiert und beschrieben. In einem werden. Im Ergebnis des Projekts entstand ein anschließenden Projekt wird dieses Inventar vielschichtiger Band, der 2003 unter dem Titel in eine recherchierbare und internetfähige Da- »Deutsche Teilung, Repression und Alltagsleben. tenbank übertragen, die es Dritten ermöglicht, Erinnerungsorte der DDR-Geschichte« im Leip- per Mausklick die Bestände einzusehen und ziger Forum-Verlag veröffentlicht wurde. Die nach geeigneten Exponaten für Ausstellungen dort dokumentierten Beiträge zeigen, dass die etc. zu suchen. Ein anderes Projekt in diesem von konkreten Orten unterbreiteten Angebote Bereich ist die Finanzierung einer Schülergrup- für Schulen und außerschulische Bildungsar- penanalyse an der Gedenkstätte Moritzplatz in beit historisch-politisches Lernen ermöglichen. Magdeburg. Mit Hilfe dieser Analyse sollen ei- So unterschiedlich die Ansätze auch sind, ob nerseits die Erwartungen, mit denen Besucher politikgeschichtlich, biographisch oder ökolo- Stätten des SED-Unrechts besuchen, analysiert gisch-touristisch, sie alle tragen in ihrer Band- werden. Andererseits soll die Untersuchung breite und unterschiedlichen Herangehenswei- auch Aufschluss darüber geben, wie die dort se dazu bei, gesamtdeutsche Perspektiven auf befi ndlichen Angebote von den Besuchern die jüngste Geschichte zu eröffnen. wahr- und angenommen werden. Die Stiftung förderte jedoch nicht nur Pro- Die Stiftung förderte aber auch Ausstel- jekte, in denen die geschichtspolitische Arbeit lungsvorhaben, die sich mit so komplexen und Angebote an einzelnen Orten untersucht Geschehnissen wie bspw. der doppelten wurden. Sie trug vielmehr dazu bei, auch kon- Nutzung von Lagern sowohl in der Zeit des krete Einzelvorhaben an Gedenkstätten und Nationalsozialismus als auch nach 1945 durch Museen zu fi nanzieren. die sowjetische Besatzungsmacht beschäfti- Hierzu gehört an erster Stelle die Finanzie- gen. Hierzu gehörte die Unterstützung des rung von Projekten, die von der ASTAK in der Ausstellungsvorhabens zu den Lagern in Jam- Normannenstraße, dem Haus I und Sitz des litz-Lieberose, wo sich zwischen 1945 und 1947 einstigen Ministeriums für Staatssicherheit, das sowjetische Speziallager Nr. 6 befand. Dort durchgeführt werden. Gemeinsam mit dem unterstützte die Stiftung den Aufbau einer Berliner Landesbeauftragten für die Stasi- Dokumentationsstätte, in der Berichte von Unterlagen ist es mit Hilfe der umfänglichen Zeitzeugen und Überlebenden des Lagers ge- Förderung möglich, das Haus mit seinen sammelt und der Forschung erhalten werden. Ausstellungsetagen und Bildungsangeboten An der Gedenkstätte Buchenwald fi nanzier- für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. te die Stiftung die Erarbeitung eines Manus- Darüber hinaus wurden mit Unterstützung der kripts zum sowjetischen Lager in Landsberg/ Stiftung einzelne Veranstaltungen und Aus- Warthe, in dem nach Kriegsende zahlreiche stellungen wie bspw. die Sonderausstellung Menschen unter menschenunwürdigen Be- zum Traditionsverständnis des MfS erarbeitet. dingungen gefangen gehalten wurden und zu Die Stiftung trägt mit ihren Förderungen Tode kamen. auch dazu bei, die Arbeit der noch jungen Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur SED- Diktatur zu professionalisieren. So wurde im 2.1.3.7 Wissenschaftsförderung Museum in der »Runden Ecke« in Leipzig, das vom Bürgerkomitee Leipzig betrieben wird, Die Wissenschaftsförderung zählt zu den ein mehrjähriges Projekt zur Objektinventari- gesetzlichen Aufgaben der Stiftung zur Aufar- sierung gefördert. Im Rahmen dieses Projekts beitung der SED-Diktatur. Dennoch haben sich werden alle in den Depots des Museums be- die Gremien der Stiftung Aufarbeitung be- fi ndlichen dreidimensionalen Exponate erfasst, wusst dafür entschieden, vorläufi g grundsätz-

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lich keine Forschungsprojekte zu fördern, in von der Stiftung geförderte wissenschaftliche denen befristete Wissenschaftlerstellen zu fi - Nachwuchs stellt, umfassen politik-, wirt- nanzieren sind. Diese Entscheidung trägt dem schafts-, kultur- oder gesellschaftsgeschichtli- Umstand Rechnung, dass die jährlich verfüg- che Themenstellungen, Regionalstudien sowie baren Fördermittel der Stiftung Aufarbeitung deutsch-deutsche Perspektiven. Anfang 2004 bei weitem nicht dem vorhandenen Bedarf hatten vier Stipendiaten ihre Arbeit abge- entsprechen, der aus allen Förderbereichen auf schlossen, weitere Doktoranden standen zu dem Antragsweg an die Stiftung herangetra- diesem Zeitpunkt unmittelbar vor der Abgabe gen wird.7 Vor diesem Hintergrund würde eine ihrer Dissertation. »klassische« – und vor allem kostenintensive Erfreulicherweise hat sich der Kreis der Sti- – Projektförderung im Wissenschaftsbereich pendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung nicht nur mit der Gefahr einhergehen, dass die Aufarbeitung, die bundesweit ihre Projekte etablierten Fördereinrichtungen, wie etwa die verfolgen, mittlerweile fast zu einem »virtu- DFG oder die Volkswagenstiftung, unter Ver- ellen Promotionskolleg« entwickelt. Neben weis auf die Stiftung Aufarbeitung ihr diesbe- dem jährlich stattfi ndenden Kolloquium der zügliches Engagement einschränken könnten. Stipendiaten sowie der Internationalen DDR- Vielmehr würde eine erhebliche Ausweitung Forschertagung in Otzenhausen, die zu einer der Wissenschaftsförderung zwangsläufi g zu Anlaufstelle auch für die Nachwuchswissen- Lasten der Förderung der gesellschaftlichen schaftler der Stiftung geworden ist, treffen Aufarbeitung gehen. Diesen Institutionen ste- sich viele der jungen Kolleginnen und Kollegen hen jedoch ungleich weniger Fördermöglich- regelmäßig zum internen fachlichen Austausch. keiten außerhalb der Stiftung Aufarbeitung Im September 2004 richten die Stipendiaten zur Verfügung. Trotz dieser Selbstbeschrän- erstmals selbständig ein fachöffentliches kung hat sich die Stiftung Aufarbeitung in Kolloquium aus, in der die deutsch-deutsche den Jahren 2002 und 2003 mit der Unter- Nachkriegsgeschichte in ihrer »asymmetrisch- stützung von 26 bzw. 29 wissenschaftlichen verfl ochtenen Parallelität« in den Blick genom- Projekten (178.000 ¤ bzw. 220.000 ¤) zu men werden soll. Einen wichtigen Beitrag zur einem beachtlichen Fördergeber im Bereich Betreuung der Stiftungsstipendiaten leisten der Wissenschaft entwickelt. Die für 2004 schließlich die Mitglieder des Fachbeirates vorgesehenen 32 Projekte (304.862 ¤) belegen, Wissenschaft, die beim jährlichen Kolloquium dass die Stiftung auch weiterhin die Wissen- – aber auch darüber hinaus – als stets geduldi- schaftsförderung für einen unverzichtbaren ge Ansprechpartner für fachliche und methodi- Bestandteil ihres Wirkens hält. Das bestätigt sche Fragen zur Verfügung stehen. auch der Trend des Anteils der Wissenschafts- Einen Schwerpunkt bei der Wissenschafts- förderung an der Gesamtsumme, der 2002 7,8 förderung durch die Stiftung bilden wissen- Prozent, 2003 9,5 Prozent betrug und 2004 schaftliche Konferenzen und Kolloquien. Sie 12,5 Prozent betragen wird. sind oft durch einen breiten Teilnehmerkreis Seit 2001 hat die Stiftung zur Aufarbei- geeignet, Forschungsergebnisse nicht nur tung der SED-Diktatur insgesamt 37 Promo- innerhalb der Scientifi c Community, sondern tionsstipendien vergeben – davon fünf zum auch insbesondere an Multiplikatoren der Jahresanfang 2002 und acht zum Jahresanfang politischen Bildungsarbeit zu vermitteln. 2003. Die Arbeiten, die im Rahmen dieser För- Ein herausragendes Beispiel dafür ist die derung verfolgt wurden und werden, spiegeln alljährlich stattfi ndende Internationale DDR- gleichermaßen die Breite des Themenfeldes Forschertagung in Otzenhausen. Die Veran- wie des Auftrages der Stiftung Aufarbeitung staltung, die neben der Stiftung Aufarbeitung wider. Die Forschungsfragen, denen sich der von der Bundeszentrale für politische Bildung 7 Vgl. Grafi k S. 30.

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Die Bandbreite der Konferenzförderung Veranstalter/Veranstaltungstyp Thema spiegelt zugleich das breite thematische 2002 Spek trum wieder, das die DDR-Forschung Forschungsverbund SED-Staat an der Kalter Krieg und die westliche kennzeichnet. Einen Eindruck davon kann FU Berlin Friedensbewegung die Auswahl in der nebenstehenden Tabelle vermitteln. Historisches Seminar der Universität Geschichte der Generationen der Neben Konferenzen und Kolloquien fördert Leipzig DDR die Stiftung Aufarbeitung wissenschaftliche Institut für schleswig-holsteinische DDR-Bild in Schweden bzw. die Dokumentations- und Publikationsprojekte, Zeit- und Regionalgeschichte an der bilateralen Beziehungen der beiden insoweit diese auf umfängliche Vorarbeiten Universität Flensburg Staaten aufbauen oder durch vorhandenes Personal rea- Universität Tübingen Die Stasi als Thema in der Literatur lisiert werden können. Die Förderung umfasst Vorlesungsreihe im Rahmen des in der Regel Sachmittel, die für technische Studiums Generale Ausstattung oder Werkverträge aufgewendet werden können. Zu diesen Vorhaben zählen 2003 die Forschungen am Hochschulforschungsins- Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Musealisierung der deutschen titut Wittenberg, das in dem von der Stiftung Partizipation e.V., Recklinghausen Nachkriegs geschichte Aufarbeitung geförderten Projekt an die Ana- lyse der Lehrangebote anknüpfte, die im Jahr Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, »Überhaupt ist vieles viel 2002 auf großes öffentliches Interesse gesto- Partizipation e.V., Recklinghausen verschiedener« – East Germany ßen war. Im Folgeprojekt wurden 2002 und Revisited 2003 umfassende Befragungen von Forschern Universität Tübingen Die DDR im Spiegel ihrer Literatur und Lehrenden vorgenommen, die im Jahr 2004 veröffentlicht werden. Dem Ansatz der Universität Zur Ikonographie des zweiten Stiftung, durch wissenschaftliche Hilfsmittel deutschen Staates Forschung anzuregen, folgte das Projekt des Instituts für Sportwissenschaft Hannover, das Hannah-Arendt-Institut, Dresden Sowjetisches Besatzungsregime in eine umfassende Bibliographie zur Geschichte Österreich und in der SBZ/DDR von Körperkultur und Sport in der DDR erstell- Zentrum für Zeithistorische Sozialismus im Alltag: Diktatur und te. Einen Beitrag zur internationalen Zusam- Forschung, Potsdam Gesellschaft in der DDR und in der menarbeit bei der Auseinandersetzung mit Doktorandenkolloquium Volksrepublik Polen kommunistischen Diktaturen stellte das an der Universität Mannheim initiierte Forschungs- Auswahl von Konferenz- und anderen Förderern fi nanziert wird, besu- projekt zum stalinistischen Terror der 1930er förderungen durch die Stiftung chen jeweils etwa 120 Teilnehmer aus dem Jahre am Beispiel der NKWD-Kreisdienststelle Aufarbeitung In- und Ausland. Auf Empfehlung der Stiftung Kunzewo dar, das in Moskau durch Alexander Aufarbeitung nehmen an dieser Tagung seit Vatlin realisiert wurde und dessen Ergebnisse 2001 auch verstärkt Mitarbeiterinnen und Anfang 2004 als Monographie »Tatort Kunze- Mitarbeiter aus dem Bereich der so genann- wo – Opfer und Täter des Stalinschen Terrors ten »gesellschaftlichen Aufarbeitung« sowie 1937/38« im Basisdruck-Verlag erschienen sind. Stipendiaten der Stiftung teil, um dort ihre Ergänzend zu einer Habilitationsarbeit werden Arbeiten zu präsentieren. Im Jahre 2003 stand an der Humboldt-Universität zu Berlin einzig- sie unter dem Thema »Das war die DDR. DDR- artige Videoaufzeichnungen von Unterrichts- Forschung im Fadenkreuz von Herrschaft, Kul- stunden im Fach Geschichte digitalisiert und tur, politischem System, Geschichtsforschung, für die politische Bildungsarbeit aufbereitet, Wirtschaft und Außenpolitik.« die vor 1989 in einem universitären Schul-

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labor mit einer »normalen« DDR-Schulklasse unterschiedlichen Partnern unternommen. gehalten wurden. Eine studentische Initiative, Dabei haben sich neben herkömmlicheren der »Leipziger Kreis«, arbeitet seit dem Winter Formen der Kooperation wie gemeinsamen 2003 an einer interdisziplinären Studie über Veranstaltungen mit Trägern der politischen Feindbilder in der DDR, in der ein innovati- und wissenschaftlichen Bildungsarbeit – z.B. ver Zugang zum Thema gewählt wurde, der den Landeszentralen für politische Bildung, zeitgeschichtliche und künstlerische Heran- den Landesbeauftragten für die Unterlagen gehensweisen verknüpft. Die Technischen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Sammlungen der Stadt Dresden verfolgen seit DDR, Forschungseinrichtungen und Akademi- 2003 ein Projekt, in dem Zeitzeugen aus der en für politische Bildung in unterschiedlicher Computerindustrie und -forschung befragt werden sollen. Ein wichtiger Aspekt bei der Wissenschafts- förderung durch die Stiftung Aufarbeitung ist die Vergabe von Druckkostenzuschüssen, ins- besondere an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, da die Wissenschaftsver- lage aufgrund verschiedener Umstände zuneh- mend weniger in der Lage sind, zeithistorische Studien ohne Zuwendungen von dritter Seite zu veröffentlichen. Hier kann die Stiftung Aufarbeitung mit relativ geringen Mitteln dafür Sorge tragen, dass die Ergebnisse oft Trägerschaft sowie der Bundesbeauftragten jahrelanger Forschungsarbeit als Bücher er- für die Stasi-Unterlagen oder der Bundeszen- scheinen können. Die Bandbreite der von der trale für politische Bildung – vor allem Pro- Stiftung Aufarbeitung geförderten Publikatio- jekte bewährt, die die Stiftung Aufarbeitung nen spiegelt deren Aufl istung im Anhang zum mit Rundfunk- und Fernsehanstalten realisiert. Tätigkeitsbericht wider. Das betraf für die Jahre 2002 und 2003 ge- meinsame Vorhaben und Veranstaltungen insbesondere mit dem Deutschlandfunk, dem 2.2 Eigene Aktivitäten NDR sowie dem MDR. Durch die Kooperati- on mit diesen Medienanstalten konnte die Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag för- Reichweite der von der Stiftung organisierten dert die Stiftung nicht nur Projektvorhaben Veranstaltungen sowie von ihr initiierter bzw. Dritter, sondern tritt auch mit eigenen Akti- geförderter Projekte enorm erhöht werden. vitäten an die Öffentlichkeit. Diese reichen Auch wurden von der Stiftung geförderte von historisch-politischen und kulturellen Dokumentarfi lme von öffentlich-rechtlichen Veranstaltungen über diverse Medienprojekte Sendern ausgestrahlt und erreichten dort mit bis hin zu eigenen Publikationen und wissen- einer durchschnittlichen Sehbeteiligung um schaftlichen Tagungen. Sie umfassen aber auch die 20 Prozent jeweils mehrere Hunderttau- Maßnahmen zur Unterstützung der Diktatur- send bis über eine Million Zuschauer. Auch die opfer bis hin zu Projekten der internationalen mit den verschiedenen Sendeanstalten reali- Zusammenarbeit mit Partnern in den Ländern sierten Radioformate – beispielsweise mit dem des früheren kommunistischen Machtbereichs NDR zur »Aktion Rose«, dem DeutschlandRadio, in Europa. Alle diese Aktivitäten werden von dem MDR und dem NDR jeweils verwirklichte der Stiftung entweder in Eigenregie oder mit Aufrufe an Zeitzeugen im Zusammenhang mit

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dem 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 – hatten chen Feiertag erhoben worden war und bis eine starke Resonanz. All das hat dazu beige- 1990 begangen wurde, war die Erinnerung tragen, eine neue Qualität der öffentlichen an den eigentlichen Anlass für den Feiertag Wirksamkeit der Stiftung zu erreichen. weitgehend verblasst. Eine wichtige Aufga- be bei der Vorbereitung und Gestaltung des Jahrestages bestand daher darin, diese revo- 2.2.1 Schwerpunkt 2002/2003: lutionäre Erhebung gegen die SED-Diktatur 50. Jahrestag des Aufstands erinnerungspolitisch zu rehabilitieren und vom 17. Juni 1953 sie von den ideologisch geprägten Deutungen und Überlagerungen zu befreien, die sich auch Ebenso wie bei der Fördertätigkeit8 lag in in den zu Beginn der 1990er Jahre teilweise den Jahren 2002 und 2003 ein besonderer heftigen und kontrovers geführten Debatten Schwerpunkt der Stiftungsarbeit auf Veran- unter Zeithistorikern gezeigt hatten. staltungen und sonstigen Aktivitäten zum 50. Alle Unternehmungen im Zusammenhang Jahrestag des 17. Juni 1953. Bereits eineinhalb mit dem 50. Jahrestag des Volksaufstandes Jahre vor diesem Jubiläum begannen in der dienten letztlich dazu, die Bedeutung dieses Ereignisses für die an Volksbewegungen und Erhebungen gegen diktatorische Systeme und Zumutungen nicht eben reiche deutsche Nati- onalgeschichte ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und deutlich zu machen, dass es nach der niedergeschlagenen und gescheiterten Volkserhebung des Jahres 1953 den Menschen in der DDR erst durch die friedliche Revolution von 1989/90 endlich gelang, das Vermächtnis derjenigen zu erfüllen, die sich 36 Jahre zuvor auf die Straßen gewagt hatten, um für ihre Rechte und Freiheiten einzustehen. Um dieses große Ereignis bundesweit zu kommunizieren, begann die Stiftung bereits in den Jahren 2001/2002 damit, die Wis- senschaft, Institutionen der Aufarbeitung, Medien und die Politik für das Thema zu sen- sibilisieren und in mehreren Gesprächsrunden Stiftung die Vorbereitungen dafür. Dabei kam Projekte anzuregen. Am 49. Jahrestag des es insbesondere darauf an, dieses bedeutsame Aufstandes machte die Stiftung Aufarbeitung nationale historische Ereignis, das in der DDR schließlich mit einer Presseerklärung auf den bis zu ihrem Ende als »faschistischer Putsch« bevorstehenden »runden« Jahrestag, auf die diffamiert worden war und dort mit aller zu Bedeutung des Aufstandes für die gesamtdeut- Gebote stehenden Macht aus der Erinnerung sche Geschichte sowie die Förderungsmöglich- der Menschen als Aufstand gegen die SED- keiten der Stiftung Aufarbeitung aufmerksam. Diktatur getilgt werden sollte, wieder in das Das Echo war überwältigend. Seit 2002 konn- gesellschaftliche Gedächtnis zu rücken. Aber te die Stiftung eine ständig wachsend Anzahl auch bei den Bürgern der alten Bundesrepu- von Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Publi- blik, wo der 17. Juni am 4. August 1953 als kationsvorhaben, Filmprojekten etc. registrie- 8 Vgl. Punkt 2.1.3.1, S. 31 ff. »Tag der deutschen Einheit« zum gesetzli- ren, die bundesweit zum 50. Jahrestag, gleich

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mit welcher Finanzierung oder Trägerschaft, sieren und sich näher mit den Namensgebern vorbereitet wurden. Die so entstandene bun- und ihren ideologischen Positionen auseinan- desweite Übersicht wurde seit dem Frühjahr derzusetzen. 2003 über die Homepage der Stiftung im In- Der Aufruf wurde im Sommer 2002 an rund ternet publiziert und laufend aktualisiert. Bis 650 Kommunen im gesamten Bundesgebiet zum Sommer 2003 konnten schließlich mehr versendet. Eine Reaktion auf den Aufruf er- als 900 Veranstaltungen in der Datenbank re- hielt die Stiftung aus 65 Städten: Bis 19. Juni gistriert werden. Die hohen Zugriffszahlen auf 2003 meldeten 11 Orte eine Um- oder Neube- die Datenbank – die zeitweilig bei 150.000 bis 180.000 Zugriffen pro Monat lagen – zeig- ten, dass mit dem Angebot dazu beigetragen wurde, die Vorhaben bundesweit bekannt zu machen. Zuvor war im Frühjahr 2003 diese Übersicht mit über 700 Veranstaltungen als Broschüre erschienen, die mit einer Aufl age von 20.000 Exemplaren ebenfalls große Verbreitung fand.

2.2.1.1 Hauptsächliche Aktivitäten

Aufruf »Orte des Erinnerns«

Um die Erinnerung an den 17. Juni 1953 stärker nennung einer Straße oder eines Gebäudes. als zuvor im öffentlichen Raum zu manifestie- Weitere 12 Städte stellten eine Umbenennung ren, unterstützte und verbreitete die Stiftung oder Neubenennung in Aussicht und beauf- den Aufruf »Orte des Erinnerns«, der von tragten die entsprechenden Stadtgremien zahlreichen Prominenten aus Politik, Wissen- mit der Prüfung. Die restlichen 42 Gemeinden schaft und Medien unterzeichnet wurde. Zu antworteten, dass es aus unterschiedlichsten den Erstunterzeichnern gehörten Marianne Gründen nicht möglich sei, eine Um- oder Birthler, Christine Bergmann, Rainer Eppel- Neubenennung vorzunehmen. mann, Markus Meckel und Thomas Flierl, Karl Folgende Namensgebungen wurden voll- Wilhelm Fricke und Hans-Dietrich Genscher, zogen: Günther Jauch und Maybritt Illner ebenso wie • Berlin-Friedrichshain Sebastian Krumbiegel, Gunther Emmerlich, Pe- Der Platz vor dem Krankenhaus Friedrichs- ter Sodann und viele andere mehr. hain heißt nun: »Max-Fettling-Platz« Der Appell wandte sich im Sommer 2002 • Berlin-Pankow an alle Länderparlamente und Kommunalver- »Heinz-Brandt-Straße« tretungen. Diese wurden gebeten zu prüfen, • Dresden inwieweit geeignete Straßen und Plätze nach Hennigsdorfer Straße heißt nun: Protagonisten des 17. Juni benannt werden »Straße des 17. Juni« könnten. Mit Blick auf die ostdeutschen Kom- • Görlitz munen geschah das auch mit dem Ziel, die Platz zwischen Kaisertrutz, Humboldthaus noch weit verbreitete Benennung von Straßen und Reichenbacher Turm heißt nun: und Plätzen nach kommunistischen Führern »Platz des 17. Juni« und hohen Funktionären der SED zu themati- • Halle (Saale)

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Der Hallmarkt heißt nun: codes« aus. Mit dem Wettbewerb wurden »Hallmarkt – Platz des 17. Juni« Studenten von Kunst- und Filmhochschulen • Kiel aufgefordert, unter dem Thema »17. Juni In der Ratssitzung vom 12. Juni 2003 wurde 1953 – Ruf nach Freiheit und Demokratie« beschlossen, eine neue Straße nach den Plakate und kurze Filmspots einzureichen, Ereignissen von 1953 zu benennen mit denen an den Aufstand erinnert und das • Köln Interesse für eine Beschäftigung mit diesem Teile der sog. Westumgehung Köln-Kalk Ereignis geweckt werden sollte. Schirmherr heißen nun: »Straße des 17. Juni« dieses Wettbewerbs war der Bundespräsident • Leipzig Johannes Rau. Es beteiligten sich Studierende Ein Teil der Beethovenstraße heißt nun: künstlerischer Hoch- und Fachschulen aus dem »Straße des 17. Juni 1953« gesamten Bundesgebiet. Insgesamt gingen bei • Parchim der Stiftung über 85 Plakatentwürfe sowie vier Umbenennung einer Straße in Filmbeiträge ein. »Straße des 17. Juni 1953« Eine unabhängige Jury, in der Erika Gregor • Sandersdorf (bei Bitterfeld) (Freunde der Deutschen Kinemathek), Simone Benennung des Gemeindezentrums in der Warias (Vidicon GmbH), Ulrich Bülow (ZDF) Zscherndorfer Str. 156: und Prof. Hans-Joachim Kristahn (Universität »Haus Paul Othma« der Künste Berlin) vertreten waren, wählte • Stralsund die Preisträger aus. Da nur vier Filmspots ein- Ein Teil der Werftstraße vor dem Haupttor gereicht worden waren, verzichtete die Jury der Volkswerft Rostock GmbH heißt nun: einstimmig darauf, einen Filmpreis zu verge- »Platz des 17. Juni« ben. Unter den eingesandten Plakaten wurden schließlich drei Preisträger ausgewählt. Am Eine Um- oder Neubenennung stellten in 2. Mai 2003 zeichnete der Bundespräsident Aussicht: Altenburg, Bonn, Bonn-Rheinbach, Johannes Rau im Schloss Bellevue die Preis- Braunschweig, Bremen, Chemnitz, Heidelberg, träger aus und verlieh gemeinsam mit dem Kiel, Potsdam, Wolfen, Wuppertal. Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Rainer Trotz der relativ geringen Reaktion auf den Eppelmann die Preise. Aufruf, die auch dem nicht unbeträchtlichen Die drei Preisträger waren: Aufwand bei der Veränderung von Straßenna- 1. Preisträger: Wettbewerb geschichts-codes oben: 1. Preisträger: Britta Dudey, men geschuldet ist, kann dies als ein erster Britta Dudey, Jg. 1978, Berlin (Lette-Verein, Mitte: 2. Preisträger: Evangelos Schritt zu einer neuen Gedenkkultur gewertet Berufsfachschule für Grafi kdesign) Haritakis, unten: 3. Preisträger: Elena Reiniger werden, die die Freiheitsbewegung des Jahres 2. Preisträger: 1953 nunmehr endlich in gebührendem Maße Evangelos Haritakis, Jg. 1981, Berlin (Lette- einbezieht. Die Stiftung wird auch weiterhin Verein, Berufsfachschule für Grafi kdesign) dafür werben, dass im öffentlichen Raum Zei- 3. Preisträger: chen gesetzt werden, die an den Mut der Men- Elena Reiniger, Jg. 1981, Aachen (Fachhoch- schen erinnern, die sich gegen die Diktatur zur schule Aachen, Visuelle Kommunikation) Wehr gesetzt haben. Die Preisträgerplakate sowie 15 weitere von der Jury ausgewählte Arbeiten wurden nach der Preisverleihung schließlich als Wanderaus- Preisverleihung durch Bundes- Wettbewerb »geschichts-codes« stellung der Stiftung Aufarbeitung angelegt präsident Johannes Rau und den und in mittlerweile mehr als zehn Städten Vorstandsvorsitzenden Rainer Eppelmann am 2. Mai 2003 im Die Stiftung Aufarbeitung schrieb im Jahr in Deutschland sowie im Haus des Terrors in Schloss Bellevue 2002 erstmals den Wettbewerb »geschichts- Budapest ausgestellt.

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Buchausstellung und Bibliographie zum 17. Paul Othma (Bitterfeld), Max Fettling und Fritz Juni 1953 im Internet Hahn (Berlin) oder Heinz Grünhagen (Straus- berg). Gemeinsam mit dem DeutschlandFunk, Darüber hinaus präsentierte die Stiftung eine dem NDR und dem MDR wandte sich die Stif- virtuelle Ausstellung im Internet, die wichtige tung deshalb an die Öffentlichkeit und bat an Veröffentlichungen zum 17. Juni, die seit 1953 der Erhebung beteiligte und auch unbeteiligte bis zur Gegenwart erschienen sind, zeigte. Zeitzeugen, mit ihren Erinnerungen dazu bei- Damit dokumentierte diese Schau auch den zutragen, diese Lücken zu schließen. Die Re- Wandel bei der Rezeption des Volksaufstandes sonanz auf diesen Aufruf war überwältigend. im Laufe der Zeit. Ergänzt wird sie durch eine Hunderte Menschen schickten ihre persönli- umfassende Bibliographie zum Thema, die chen Erinnerungen, Briefe, Tagebücher oder auch über den speziellen Jahrestag hinaus als Dokumente an die Sender, die daraus nicht ständiges Angebot auf der Homepage der Stif- nur Hörsendungen produzierten. In bewährter tung zur Verfügung steht.9 Partnerschaft gab die Stiftung Aufarbeitung Ergänzend dazu gab die Stiftung im Früh- schließlich gemeinsam mit dem NDR Radio jahr 2003 eine umfassende Bibliographie zum Mecklenburg-Vorpommern eine Audio-CD zum 17. Juni 1953 in gedruckter Form heraus, die 17. Juni 1953 in Mecklenburg-Vorpommern mit mehrere tausend Bücher, Buch- und Zeitschrif- dem Titel »Ausnahmezustand. Der 17. Juni 1953 tenbeiträge, Zeitungs- und Zeitschriftenarti- in Mecklenburg und Vorpommern« heraus. kel verzeichnet, die seit 1953 erschienen sind. Eine weitere CD-Dokumentation über den Damit wird die Literatur zum Thema nahezu Aufstand in Thüringen, Sachsen und Sachsen- vollständig erfasst. Peter Bruhn, selbst ein Anhalt erarbeitete Stefan Nölke vom MDR Ra- Beteiligter am Aufstand vom 17. Juni, erarbei- dio Kultur, die mit dem Titel »Wir wollen freie tete diese Bibliographie in den vergangenen Menschen sein« erschien. Die Produktion des Jahrzehnten und widmete sie schließlich Fritz von Peter Sodann unterstützten Projekts des Hahn, einem der Wortführer des 17. Juni, der Deutschlandfunks und der Stiftung Aufarbei- als Bauarbeiter die Forderungen seiner Kolle- tung kam schließlich mit dem schlichten Titel gen am Haus der Ministerien formulierte und »17. Juni 1953. Zeitzeugen berichten« auf den deswegen später zu eineinhalb Jahren Zucht- Markt. Schließlich werden zum 41. Jahrestag haus verurteilt wurde. des 17. Juni im Jahre 2004 diese Erinnerungen in einem Sammelband veröffentlicht werden. Die Materialien werden im Archiv der Stiftung Suche nach Zeitzeugen aufbewahrt.

Hatte sich bereits im Vorfeld gezeigt, wie schwer es war, Protagonisten des Aufstands Dokumentation zu Machtkämpfen in der namentlich zu benennen, wie wenig wir über SED nach dem 17. Juni 1953 die Biographien aktiv Beteiligter wissen, auch wenn sie wenigstens namentlich bekannt sind, Mit Förderung der Stiftung Aufarbeitung ent- und wie gering unsere Detailkenntnisse über stand zudem ebenfalls in Zusammenhang mit das Geschehene sind, so wurde dann bei der den Vorhaben zum 50. Jahrestag des 17. Juni unmittelbaren Vorbereitung des 50. Jahrestag in Koproduktion mit dem ORB eine TV-Doku- das Ausmaß der »weißen Flecken« in der Erfor- mentation über Rudolf Herrnstadt, die einen schung des Juni-Aufstandes erst recht deutlich. Schwerpunkt auf die Diadochen-Kämpfe im Kaum jemand kannte vor dem Frühjahr 2003 Politbüro in den Wochen nach dem 17. Juni die Namen von Aktivisten des Aufstandes wie legt. Herrnstadt, bis Juli 1953 Mitglied des ZK 9 www.stiftung-aufarbeitung.de

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und Kandidat des Politbüros der SED und als Präsentation einer Sondermarke zum 17. Juni solcher Chefredakteur des »Neuen Deutsch- land«, wurde zusammen mit dem damaligen Das Bundespräsidialamt und das Bundesmi- Stasi-Chef Wilhelm Zaisser »wegen partei- nisterium der Finanzen präsentierten in einer feindlicher Tätigkeit und Fraktionsbildung« als öffentlichen Veranstaltung am 5. Juni 2003 Rivale des in seiner Position wieder gefestig- im Schloss Bellevue eine Gedenkbriefmarke ten Walter Ulbricht aus seinen Ämter gejagt sowie Gedenkmünze zum 17. Juni 1953. Die und 1954 aus der SED ausgeschlossen. Stiftung Aufarbeitung hatte sich bereits im Jahr zuvor – wie auch weitere Einrichtun- gen und Aufarbeitungsinitiativen – an den Aufführung Doku-Drama »Der Aufstand« Bundespräsidenten und den Bundesminister der Finanzen mit der Bitte gewandt, in Er- Die Stiftung Aufarbeitung präsentierte am innerung an die Aufständischen des Juni 1953 21. Mai 2003 gemeinsam mit dem ZDF ein eine Sonderbriefmarke herauszugeben. Die vom Sender produziertes Doku-Drama »Der Erlöse aus der Sonderbriefmarke werden im Aufstand« im Kino International in Berlin. Vor Jahr 2004 über die Stiftung Aufarbeitung an voll besetztem Haus mit mehr als 600 Besu- die Union der Opferverbände kommunistischer chern wurde nach einem einleitenden Vortrag Gewaltherrschaft (UOKG) sowie das Bürgerbü- von Prof. Dr. Guido Knopp das 105-minütige ro e.V. Berlin weitergeleitet, um daraus Opfer Dokumentarspiel um die Ereignisse im Juni der Diktatur fi nanziell zu unterstützen. Wei- 1953 in Berlin in Anwesenheit von Schauspie- tere 250.000 ¤ aus diesen Erlösen werden zur lern und Beteiligten der Produktion aufgeführt Ausfi nanzierung der »Beratungsinitiative« der (Regie: Hans-Christoph Blumenberg, Mitwir- Stiftung eingesetzt. kende u.a.: Jürgen Vogel, Jan-Josef Liefers, Stefanie Stappenbeck, Uwe Bohm). Mit dem Besuch des Präsidiums der Internationalen Assoziation ehemaliger politischer Gefange- ner und Opfer des Kommunismus

Zu den Feierlichkeiten und Veranstaltungen anlässlich des 50. Jahrestages des Aufstands lud der Vorstand der Stiftung zur Aufarbei- tung der SED-Diktatur das Präsidium der Inter- nationalen Assoziation ehemaliger politischer Gefangener und Opfer des Kommunismus nach Berlin ein. Neben dem Präsidenten der Internationalen Assoziation, Jure Knezovic Tod Stalins als Prolog schildert der Film die aus Kroatien, folgten die Präsidiumsmitglieder Hintergründe, den Verlauf und die gewaltsa- Vilmos Vasvari aus Ungarn, Vanda Briediene me Niederschlagung des Massenprotestes. Die aus Litauen, Jan Vicen aus der Slowakei sowie authentisch rekonstruierten Spielszenen in die Herren Roland Bude und Günther Rudolph den Machtzentralen Ost-Berlins und Moskaus, der Einladung. Die Präsidiumsmitglieder be- in Fabriken und auf den Straßen der DDR sind suchten zahlreiche Veranstaltungen, sprachen eng verbunden mit Zeitzeugeninterviews und mit Vertretern des Bundestages und zahlrei- bislang unbekannten originalen Filmaufnah- cher Institutionen und Verbände, auf Podien men. diskutierten sie über die Erfahrungen mit Op-

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position und Widerstand in ihren Ländern und Insbesondere bei Jugendlichen und jungen nahmen im Deutschen Bundestag an der offi - Erwachsenen stieß der Gedenktag auf eine ziellen Feierstunde von Bundestag, Bundesrat starke Resonanz. Der Anteil der unter 30- und der Bundesregierung teil. Im Anschluss Jährigen, die das historische Datum richtig wurden sie vom Präsidenten des Deutschen einzuordnen wissen, stieg – so FORSA – im Bundestages, Wolfgang Thierse, empfangen. Verlauf des Monats Juni 2003 von 20 auf fast Im Gefolge der beeindruckenden Veranstal- 50 Prozent. tungen zum 50. Jahrestag, die das Präsidium miterleben konnte, beschloss die Internatio- Der 17. Juni 1953 war nale Assoziation, sich dafür einzusetzen, den Volksaufstand sonstiges weiß nicht 17. Juni zu einem europäischen Gedenktag für in der DDR den Widerstand gegen die kommunistischen %%% Diktaturen einzusetzen. insgesamt Anfang Juni *) 52 16 32 Ende Juni 68 16 16 Ost Anfang Juni 65 9 26 2.2.1.2 Fazit des Gedenktages Ende Juni 79 9 12 Hatte Anfang Juni 2003 nur jeder zweite Bun- West Anfang Juni 48 18 34 desbürger mit dem Datum 17. Juni 1953 etwas Ende Juni 65 17 18 anzufangen gewusst, sind mittlerweile zwei unter 30-Jährige Anfang Juni 20 8 72 von drei Befragten über den Volksaufstand in Ende Juni 48 15 37 der DDR vor fünfzig Jahren informiert. Dies 30- bis 44-Järige Anfang Juni 47 18 35 ergab eine FORSA-Umfrage10 im Auftrag der Ende Juni 63 17 20 Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. 44- bis 59-Jährige Anfang Juni 60 21 19 Damit können erstmals konkrete Aussagen Ende Juni 79 18 3 über die Wirkung von politischer Bildung und 60 Jahre und älter Anfang Juni 74 8 18 historischem Gedenken im Zusammenhang mit Ende Juni 83 15 2 einen historischen Ereignis getroffen werden. Hauptschule Anfang Juni 42 21 37 Die über 900 Veranstaltungen, Ausstellungen, Ende Juni 60 22 18 Bücher und Filme sowie eine beispiellose, bun- desweite Präsenz in allen Medien, zu deren mittlerer Abschluss Anfang Juni 50 8 42 Zustandekommen die Stiftungsarbeit einen Ende Juni 64 14 22 nicht unwesentlichen Anteil beitrug, haben Abitur/Studium Anfang Juni 65 15 20 das Ereignis in das öffentliche Bewusstsein Ende Juni 79 13 8 gerückt. Der enorme öffentliche Widerhall auf den Gedenktag ist, wie die Vorsitzenden von Auch die mehr als 30 Schulprojekte zum Kenntnisse über den 17. Juni ’53 Rat und Vorstand der Stiftung Aufarbeitung, Thema, die allein die Stiftung Aufarbeitung re- *) Die Daten Anfang Juni wurden die MdB Markus Meckel (SPD) und Rainer Ep- gistrieren konnte, zeigen, dass Jugendliche für im Auftrag der Berliner Zeitung pelmann (CDU) feststellten, ein ermutigendes Themen der deutschen Zeitgeschichte interes- erhoben. Zeichen dafür, »dass in unserer Gesellschaft siert werden können. Um so bedauerlicher ist die Bereitschaft besteht, die im doppelten es, dass die »Platzierung des Themas ›17. Juni Sinne geteilte Nachkriegsgeschichte als ge- 1953‹ in den Lehrplänen der Bundesländer ... samtdeutsche Geschichte zu begreifen«. Diese der historischen Bedeutung des Ereignisses für 10 Der 17. Juni 1953 und die Bereitschaft ist zugleich auch Ansporn und die gesamtdeutsche Geschichte nicht gerecht« deutsche Einheit: Kenntnisse und Einstellungen. FORSA- Herausforderung für die weitere erfolgreiche wird. Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Ulrich Umfrage vom 24. Juni 2003, Arbeit der Stiftung. Arnswald vom Deutschen Institut für Interna- www.stiftung-aufarbeitung.de

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tionale Pädagogische Forschung, Frankfurt/M., wenn das darin formulierte Ziel, die deutsche der eine von der Stiftung Aufarbeitung in Auf- Teilung zu überwinden, zum Wohle aller Deut- trag gegebene Studie vorlegte, für die er die schen 1990 endlich erreicht wurde. Die dem Präsenz der DDR-Geschichte in allen derzeitig Stiftungsrat angehörigen Vertreter der vier gültigen Lehrplänen analysiert hatte. Bundestagsfraktionen, Markus Meckel, Rainer Im unmittelbaren Anschluss an die Feier- Eppelmann, Werner Schulz, Hans-Joachim lichkeiten zum 50. Jahrestag des Aufstandes Hacker, Hartmut Koschyk und Klaus Haupt, vom 17. Juni 1953 startete die Stiftung Auf- haben sich deshalb an den Bundespräsidenten arbeitung eine außergewöhnliche Initiative, mit der Bitte gewandt, diesem Gedenktag um die vielfältige Medienberichterstattung durch eine neue Proklamation neuen Sinn zu aus Anlass des Jahrestages für die politische verleihen. Fortan sollte der Tag dazu genutzt Bildungsarbeit zu dokumentieren. In einem werden, um insbesondere in den Schulen an Rundschreiben an alle Tageszeitungen, Zeit- die vielfältigen Formen von Zivilcourage zu schriften sowie Rundfunk- und Fernsehsender erinnern, die zwischen 1945 und 1989 Men- lud die Stiftung dazu ein, die im Umfeld des schen gegen die kommunistische Diktatur 50. Jahrestages edierten Berichte an die Stif- widerstehen ließ, aber auch an die Opfer, die tung zu übersenden, damit diese zentral in dieser Oppositionsgeist forderte. einer Datenbank erfasst, archiviert und für die politische Bildung aufbereitet werden können. »DenkMal! – Der Volksaufstand vom 2.2.2 Das Spektrum der gesellschaft- 17. Juni 1953« lautet der Titel dieser Initiative, lichen Aufarbeitung die ohne Vorbild ist. In der zweiten Hälfte des 2.2.2.1 Präsentation von Dokumentarfi l- Jahres 2003 wurde eine Datenbank erstellt, in men mit anschließenden Diskussi- der zum Jahreswechsel 2.500 Artikel erfasst onen und verschlagwortet wurden. Rund 1.700 Ar- tikel konnten in dieser Datenbank als Volltext In den vergangenen Jahren ist es gelungen, pu- archiviert werden. An diesem Projekt beteilig- blikumswirksame Veranstaltungen mit großer ten sich mehr als 60 Medien. Die Datenbank öffentlicher Reichweite und Resonanz durch- wird im ersten Halbjahr 2004 auf der Home- zuführen und damit gleichzeitig eine neue, page der Stiftung zugänglich gemacht. Es ist lose Veranstaltungsreihe zu etablieren. Seit darüber hinaus geplant, eine Auswahl der Bei- 2002 werden in großen Berliner Kinos und an träge in einem Reader zu veröffentlichen, der anderen attraktiven und zentral gelegenen Or- insbesondere Schulen zur Verfügung gestellt ten von der Stiftung geförderte Dokumentar- werden soll. fi lme mit anschließender Podiumsdiskussion Der Erfolg der Aktivitäten zum 50. Jahres- unter Einbeziehung des Publikums präsentiert. tag des 17. Juni ist ein Ansporn dafür, diesen Der Andrang zu den Filmpräsentationen war Tag auch zukünftig zu nutzen, um an Oppositi- stets größer als die Besucherkapazität der on und Widerstand gegen die zweite deutsche jeweiligen Kinosäle (260 bzw. 320 Personen), Diktatur zu erinnern. Dafür sprechen sich so dass aufgrund des großen Interesses einige auch 70 Prozent der von FORSA Befragten aus. Veranstaltungen wiederholt werden mussten. Zwar ist der 17. Juni kein Feiertag mehr (und Insgesamt haben bisher zehn derartige Ver- über die Hälfte der Bundesbürger hält dies für anstaltungen stattgefunden, an denen über richtig), das Datum ist jedoch entsprechend 2.000 Besucher teilnahmen. Durch die außer- der Proklamation des damaligen Bundesprä- gewöhnlich große Resonanz der Filmpremie- sidenten Heinrich Lübke von 1963 nach wie ren in den Medien wurde deren Wirksamkeit vor ein offi zieller, nationaler Gedenktag, auch in der Öffentlichkeit noch beträchtlich erhöht.

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Da die meisten dieser Filme anschließend auch se stand. In diesem Festivalkapitel ging es um in öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt die Entdeckung einer »anderen Realität«, der wurden – insbesondere vom MDR, ORB, NDR Überwindung »weißer Flecken« und »schwar- und ARTE – wurden auf diese Weise weitere zer Löcher« ideologisch-politischer Verbote große Zuschauerkreise erreicht. Im Anhang sowie um die immer konsequenter betriebene befi ndet sich eine Übersicht über die von der Entmythologisierung der Sowjetgeschichte Stiftung geförderten und in öffentlichen Ver- und ihrer Rituale. Gezeigt wurden sechs Filme, anstaltungen zur Diskussion gestellten Filme.

Beteiligung an den Filmfestivals in Leipzig und Cottbus

2002 war die Stiftung zum ersten Mal mit eigenen Veranstaltungen bei den Filmfestivals in Leipzig und Cottbus vertreten. Damit möch- te die Stiftung ein neues Publikum erschließen und dazu beitragen, Themen der Aufarbeitung der SED-Diktatur zu verbreiten. Auf dem Internationalen Dokumentar- und Kurzfi lmfestival in Leipzig präsentierte die Stiftung in Verbindung mit der Leipziger DOK- Filmwochen GmbH den von Salzgeber & Co. Medien GmbH produzierten Film »Das Ministe- rium für Staatssicherheit – Alltag einer Behör- de« von Jan Lorenzen und Christan Klemke. Die Filmaufführung wurde – ebenso wie in Berlin – mit einer Podiumsdiskussion im vol- len Leipziger Kino abgerundet, an der neben dem Regisseur Jan Lorenzen der Kameramann die durch einleitende Beiträge kompetent ein- Peter Badel sowie das Vorstandsmitglied der geführt und im Anschluss an die Vorführungen Stiftung Aufarbeitung Dr. Ehrhart Neubert in Podiumsgesprächen unter reger Beteiligung teilnahmen. des Publikums diskutiert wurden. Auf einem Die große Resonanz der Veranstaltungen abschließenden, ganztätigen, international in Leipzig und Berlin veranlasste die für den besetzten Symposium wurde der Programm- Verleih des Films zuständige Firma schließlich schwerpunkt noch einmal in einem größeren dazu, ihn bundesweit in die Kinos zu bringen. Kontext verortet. Im Jahre 2003 konnte mit Unterstützung Das Festival des osteuropäischen Films in der Stiftung beim 46. Internationalen Leipziger Cottbus, einer Stadt mit 100.000 Einwohnern Festival für Dokumentar- und Animationsfi lm, in der deutsch-sorbischen Lausitz, wurde 1991 das unter dem Titel »Realität und Avantgar- gegründet (www.fi lmfestivalcottbus.de). Mit de – eine Retrospektive des sowjetischen Do- über 100 Filmproduktionen, die jedes Jahr auf kumentarfi lms zu den Russischen Kulturtagen dem Festival aus den 27 Nachfolgestaaten der in Deutschland« ein Programmschwerpunkt früheren sozialistischen Länder hier zur Auf- durchgeführt werden, der im Zeichen der Ent- führung kommen, ist es das größte Festival stalinisierungs- und Demokratisierungsprozes- mit osteuropäischen Filmen in Deutschland.

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Das Festival zieht jährlich über 11.000 Besu- Kooperation mit dem Amt für Staatssicherheit cher an. Im Jahr 2002 stand das 12. Festival verweigerten. im Zeichen polnischer Filme. Die Stiftung zur Auf einer zweiten Ebene zeigt der Film, Aufarbeitung der SED-Diktatur präsentierte wohin ein totalitärer Staat die Menschen mit am Samstag, dem 2. November 2002, in Ver- seiner menschenverachtenden Politik treiben bindung mit dem FilmFestival Cottbus den kann – Widerstand, Passivität, sozialer Abstieg polnischen Spielfi lm »Tam i z Powrotem« (The- oder aber – wie im vorliegenden Fall – Krimi- re and back again). Der Film ist eine eindringli- nalität. Der Film besticht dabei durch die ein- che Milieustudie des kommunistischen Polens drückliche Schilderung des Spannungsfeldes, der 1960er Jahre und schildert anschaulich die in dem sich die Hauptfi gur (ein polnischer Arzt, durch einen bekannten polnischen Schauspie- ler dargestellt) befi ndet – persönliches Glück und ethisch-moralische Wertsetzung. Im Anschluss an die Filmaufführung fand eine Podiumsdiskussion zum Thema »An- passung und Verweigerung« statt. An dieser Diskussion nahmen der Regisseur des Films Wojciech Wojcik, Prof. Dr. Peter Maser, der Vor- sitzende des Fachbeirats Wissenschaft der Stif- tung Aufarbeitung, Kornel Miglus, der Leiter der Filmabteilung des Polnischen Instituts in Berlin sowie Jürgen Vietig, der Leiter der Polen- Redaktion des Deutschlandfunks sowie Leiter der Politik-Redaktion des Deutsche-Welle-TV, teil. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Jacqueline Boysen, Deutschlandfunk. In 2003 sollte die Kooperation im Rahmen des Fokus »Neues Kino aus Russland« fortge- setzt werden. Aufgrund schwieriger und nicht zufrieden stellender Verhandlungen zwischen der Festivalleitung und den russischen Part- nern konnte der Fokus und damit die Ko- operationsveranstaltung nicht durchgeführt werden.

2.2.2.2 Andere Publikumsveranstaltungen Lebenswirklichkeit der Menschen in dieser Zeit. Gleichzeitig fi ndet eine moralische Ausei- »Es geht seinen Gang...« – Erich Loest, die nandersetzung mit der Frage statt, ob bzw. zu DDR und die Geschichte eines Romans welchem Preis ein Mensch bereit war, mit dem Amt für Staatssicherheit zusammenzuarbeiten. Termin: 9. April 2003 Es wird deutlich herausgearbeitet, dass nicht »Es geht seine Gang oder Mühen in unserer jeder zu einer solchen Zusammenarbeit bereit Ebene« nannte der Leipziger Schriftsteller war, es vielmehr immer wieder Menschen Erich Loest seinen vor 25 Jahren erschienenen gab, die sich trotz erheblichen Drucks einer Roman, der angesichts einer ins Leere laufen-

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den sozialistischen Staatsmaschinerie von der ter Schütt (ehem. Chefredakteur der Zeitung Entfremdung einer jungen Generation erzählt, »Junge Welt«) teilnahmen. Wer über vierzig die nach neuen Wegen sucht. Mit seiner sou- Jahre DDR und ihre Literatur Bilanz zieht, veränen, ebenso genauen wie unterhaltsamen kommt an »Es geht seinen Gang« nicht vorbei, Schilderung des Alltags in der DDR setzte so kann das Fazit der Gesprächsrunde benannt Loest Mitte der 1970er Jahre alles auf eine Kar- werden. te. Nach sieben Jahren Zuchthaus in Bautzen Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein und etlichen Jahren, in denen er sich durch die Konzert mit Wolf Biermann. Veröffentlichung von Krimis unter Pseudonym über Wasser gehalten hatte, schrieb er gegen die Tabus in der DDR an. Das auch heute noch Vor 35 Jahren in Prag: »Als nach dem Früh- viel gelesene Buch stellt eines der bedeutend- ling der Winter kam« sten Werke der kritischen DDR-Literatur dar; sein Autor gehört zu den wichtigsten »ge- Termin: 20. August 2003 samtdeutschen« Schriftstellern der Gegenwart. In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 Nach erheblichen Schwierigkeiten mit der rückten Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten DDR-Zensur erschien der Roman im April 1978 in die CSSR ein und beendeten gewaltsam die zeitgleich im Mitteldeutschen Verlag, Halle als »Prager Frühling« bezeichneten Reform- und bei der Deutschen Verlags-Anstalt, Stutt- versuche. Obwohl nicht direkt mit eigenen gart. Die politischen Auseinandersetzungen Truppen am Einmarsch beteiligt, gehörte die um das Buch waren erheblich und einer der DDR-Führung unter Walter Ulbricht zu den eif- zentralen Gründe für die Ausreise von Erich rigsten Befürwortern der als »Breschnew-Dokt- Loest in die Bundesrepublik. Während in der rin« bekannten sowjetischen Machtpolitik. DDR die Kulturbürokratie die Verbreitung Die Niederschlagung des »Sozialismus mit des viel gefragten Buches stoppte, erzielte es menschlichem Antlitz« löste bei den Menschen dagegen in der Bundesrepublik hohe Aufl agen, wurde Schullesestoff, in andere Sprachen übersetzt und verfi lmt sowie mit dem Hans- Fallada-Preis ausgezeichnet. Die anlässlich des Erscheinungsjubiläums gemeinsam mit dem Deutschlandfunk durch- geführte Veranstaltung sollte sowohl den Autor und sein Werk ehren, als auch den Blick auf die politische Wirkung und das kulturpo- litische Umfeld des Buches während seiner Erscheinungszeit lenken. Nach einer Würdi- gung durch den Vorstandsvorsitzenden Rainer Eppelmann las Erich Loest aus seinem Roman, in Ost und West nachhaltige Betroffenheit danach moderierte Fritz Pleitgen (Intendant aus. Auch in der DDR kam es vielerorts zu des WDR) eine Podiumsdiskussion zum Thema Protesten: Parolen wurden an Wände geschrie- »Das Ende der Illusionen. Geist und Macht in ben, Flugblätter verteilt, Dubcek-Rufe skan- der Ära Honecker«, an der Erich Loest, Karl diert – dies musste oftmals mit Haftstrafen Corino (Literaturkritiker aus Tübingen), Ehr- bezahlt werden. Bei vielen Menschen in der hart Neubert (Bürgerrechtler und Mitglied DDR gaben die Ereignisse in der CSSR einen des Vorstands der Stiftung Aufarbeitung), Rita entscheidenden Anstoß für ihren Weg in die Kuczynski (Autorin aus Berlin) und Hans-Die- Opposition.

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Zur Erinnerung an dieses bedeutsame Er- diesem Anlass Veranstaltungen. Der 9. No- eignis der europäischen Nachkriegsgeschichte vember 2003 stand im Zeichen der Frage luden die Stiftung Aufarbeitung, die Botschaft »Die DDR ist längst Kult?« und reagierte auf der Tschechischen Republik in Berlin und der das insbesondere in der zweiten Jahreshälfte Deutschlandfunk zu einer Diskussionsrunde durch zahlreiche »DDR-Shows« verbreitete in die tschechische Botschaft ein, die sich nostalgisch verklärte DDR-Bild. der Niederschlagung des »Prager Frühlings« Die gemeinsam mit dem Deutschlandfunk durch Truppen des Warschauer Paktes wid- im Roten Rathaus realisierte Veranstaltung, mete. Nach der Begrüßung durch den Bot- die im DLF übertragen wurde, diskutierte am schafter Dr. Boris Lazar diskutierten unter 14. Jahrestag des Mauerfalls mit Akteuren aus der Moderation von Dr. Jürgen Danyel (Zen- Medien, Wissenschaft, Bildung und Kultur trum für Zeithistorische Forschung Potsdam) über den gegenwärtigen und zukünftigen Um- Dr. Jaroslav Šonka (Studienleiter der Europä- gang mit DDR-Themen in der Öffentlichkeit. ischen Akademie Berlin), Jirì Loewy (ehemals Entgegen aller Befürchtungen in der Vergan- Vorstand der Exilorganisation der CSSD) und genheit haben im Jahr 2003 insbesondere die Dr. Ehrhart Neubert (Vorstandsmitglied der zahlreichen Veranstaltungen zum 50. Jahres- Stiftung Aufarbeitung). Begleitet wurde die tag des 17. Juni 1953, der große Erfolg des Diskussion durch die Einspielung von Rund- Films »Good bye, Lenin«, aber auch die »Os- funkbeiträgen zum Thema aus dem Archiv des talgie-Shows« diverser Fernsehsender gezeigt, Deutschlandfunks. dass das Thema DDR nicht tot ist. Welchen Stellenwert wird es jedoch in der Zukunft ein- nehmen? Wie sollte mit den Themen »Diktatur Matinee: Alles nur Geschichte(n)? Nachden- in der DDR« und »deutsche Teilung« in der ken über die Gegenwart eines untergegan- Öffentlichkeit adäquat umgegangen werden? gen Staates Wie kann die Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit gestaltet werden? Neben den thematischen Schwerpunkten ihrer Die Teilnehmer diskutierten zu folgenden Arbeit wendet sich die Stiftung in jedem Jahr Themen: +++ Lebensgefühl: Getrennt vereint? auch zu bestimmten, für die deutsche und eu- +++ Die DDR mehr als eine Fußnote? +++ »Die DDR ist längst Kult!« Rekonstruktion von All- tag und Politik +++ »Draußen vor der Tür?« Die Perspektive ehemaliger Oppositioneller sowie Opfer der SED-Diktatur +++.

Gemeinschaftsveranstaltung mit der Ge- denkstätte Deutscher Widerstand und dem Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand

Am 13. November 2003 schließlich veranstal- ropäische Geschichte bedeutenden Daten mit tete die Stiftung gemeinsam mit der Gedenk- Veranstaltungen an die Öffentlichkeit. Dazu stätte Deutscher Widerstand und dem Verein gehört neben dem 17. Juni, dem 13. August Aktives Museum einen Diskussionsabend zum und dem 15. Januar insbesondere der 9. No- Thema »Umgestoßene Steine – Die Schändung vember. Alljährlich realisiert die Stiftung zu eines jüdischen Friedhofs in Ost-Berlin 1988«.

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Dr. Annette Leo stellte ihre Forschungsergeb- 2.2.2.3 Veranstaltungen für Multiplikato- nisse zu einem Vorfall in der DDR vor. Damals ren der gesellschaftlichen Aufarbei- waren Schüler und ehemalige Schüler der Kurt- tung Fischer-Oberschule verhaftet worden, weil sie auf dem jüdischen Friedhof gegenüber ihrer 10 Jahre Enquete-Kommission »Erinnerung Schule mehr als hundert Grabsteine umgewor- als Auftrag« fen hatten. Dies war ein Skandal. Denn die Schüler und Lehrer der Kurt-Fischer-Oberschu- Termin: 12. März 2002 le in der Schönhauser Allee standen im Ge- Anfang der 1990er Jahre stellte sich der Deut- denkjahr 1988 (50. Jahrestag des 9. November sche Bundestag mit der Einberufung einer 1938) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Enquete-Kommission zur »Aufarbeitung von Staates und seiner Behörden. Es ging um den Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Ruf der DDR als der bessere deutsche Staat. Im Jahr 1988 war eine Geheimhaltung einer Friedhofsschändung mitten in Berlin nicht mehr möglich. Egon Krenz und Erich Honecker gaben »Verhaftungen wegen antisemitischer Ausschreitungen« bekannt, wobei kurz darauf eine angebliche Aussage eines Täters, die Anregung zur Tat sei aus dem BRD-Fernsehen gekommen, nachgeliefert wurde. So war ein Schauprozess mit harten Strafen für die be- teiligten Jugendlichen und eine Untersuchung ihres gesamten Umfelds durch verschiedene Deutschland« der als gesamtgesellschaftlich Behörden vorprogrammiert. Dr. Leo hat viele notwendig und dringend erachteten Aufgabe, aus dem Kreis der Beteiligten und dem Umfeld Ursachen, Geschichte und Folgen der zweiten interviewt und diese Aussagen der Aktenüber- Diktatur auf deutschem Boden aufzuarbeiten lieferung gegenüber gestellt. und die Erinnerung an die Opfer der SED-Dik- tatur und das geschehene Unrecht wach zu Das Spektrum der von der Stiftung – oft halten. Dieser Aufgabe widmete sich bis 1998 auch in Kooperation mit anderen Einrichtun- ebenfalls eine zweite Kommission, wobei de- gen und Medienpartnern – durchgeführten ren Schwerpunkt auf Fragen der »Überwindung Veranstaltungen hat sich in den vergangenen der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der Jahren ausgeweitet. Damit möchte die Stif- deutschen Einheit« lag. Aus diesem Anlass lud tung die Geschichte der deutschen Teilung die Stiftung Aufarbeitung am 12. März 2002 und der Diktatur in der SBZ und DDR mit all zu einer Abendveranstaltung in den Festsaal ihren Widersprüchlichkeiten und in ihrer gan- des Abgeordnetenhauses von Berlin ein. Diese zen Vielfalt in den Blick nehmen und in die Öf- war nicht nur dem Rückblick und einer Bilanz fentlichkeit transportieren. Ziel ist es, durch der Auseinandersetzung mit der zweiten deut- neue Themen und Veranstaltungsformen ein schen Diktatur im vergangenen Jahrzehnt ge- möglichst breites und nachhaltiges Interesse, widmet, sondern sollte auch Perspektiven für vor allem auch bei jüngeren Menschen, zu die weitere Arbeit der Stiftung eröffnen. Vor wecken, sich mit Fragen der jüngsten deut- allem auch Fragen der zeitgemäßen Gestaltung schen Geschichte auseinanderzusetzen und des Gedenkens und der Erinnerung an diese ihre Folgen bis in die Gegenwart hinein zu Diktatur sowie einer dauerhaften Verankerung thematisieren. im gesamtgesellschaftlichen Diskurs bildeten

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den thematischen Schwerpunkt der Veranstal- mit einzubeziehen, eigene Erfahrungen zu tung. Nach einer Begrüßung durch den Rats- vermitteln und zugleich die neu gewonnenen vorsitzenden der Stiftung Aufarbeitung Mar- Erfahrungen der östlichen Partner aufzuneh- kus Meckel und einem einleitenden Vortrag men. Dabei geht es sowohl um einen Erfah- von Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Elisabeth Noelle rungsaustausch als auch um den Aufbau von vom Institut für Demoskopie Allensbach folgte Netzwerken und Zusammenarbeit. eine Podiumsdiskussion, in der der Stand der In der Bundesrepublik wird das Thema Aufarbeitung und die Möglichkeiten, die Auf- »Aufarbeitung der SED-Diktatur« durch arbeitung nachhaltig in der gesamtdeutschen Enquete-Kommissionen, Forschungen, Bil- Erinnerungsarbeit zu verankern, debattiert dungsveranstaltungen, Gedenkstätten und wurde. Anschließend lud die Stiftung Aufar- Ausstellungen bearbeitet. Die Erinnerung beitung zu einem Empfang. an den Nationalsozialismus vollzieht sich in erprobten Strukturen und immer wieder neu entstehenden Foren, Gedenkstätten und For- Vermittlung von Geschichte und Wirkung schungen. In Mittel- und Osteuropa geschieht totalitärer Regime als Gegenstand der poli- die Aufarbeitung dieser Erfahrungen in bei tischen Jugendbildung in Gedenkstätten und weitem nicht so eingespielten Formen wie in Museen. der Bundesrepublik, ganz zu schweigen von Ein Vergleich der Situation in Deutschland der Vermittlung dieser historischen Erfahrun- und den mittel- und osteuropäischen Län- gen an junge Menschen. Während in Deutsch- dern. Internationaler Workshop in Kreisau/ land insbesondere seit den 1980er Jahren neue Krzyzowa/Polen Gedenkstätten entstanden sind – gerade auch an weniger bekannten und spektakulären Or- Termin: 23. bis 26. April 2003 ten – scheitern in Polen und Osteuropa viele In dem niederschlesischen Dorf Krzyzowa, Vorhaben an den beschränkten fi nanziellen das bis 1945 Kreisau hieß, ist heute in dem Mitteln. Dennoch gibt es eine Reihe von Initi- früheren Gutshof der Familie von Moltke ativen und Aktivitäten, deren Erfahrungen für eine internationale Bildungsstätte und eine einen gegenseitigen Austausch wertvoll sind. Gedenkstätte für Widerstand und Opposition Eine gemeinsame Tagung deutscher und gegen Diktaturen in Europa eingerichtet. Der mittel- und osteuropäischer Museumspädago- historische Hintergrund für die Einrichtung gen bzw. Gedenkstättenmitarbeiter(innen), dieser Gedenkstätte ist ein doppelter – zum die haupt- oder ehrenamtlich an diesen Fragen einen die Geschichte des »Kreisauer Kreises«, arbeiten, muss dieses Ungleichgewicht und eine demokratische Widerstandsgruppe ge- die unterschiedliche Ausgangslage berück- gen den Nationalsozialismus, entscheidend sichtigen. Das Thema des im Jahre 2003 zum geprägt durch Helmuth James Graf von Moltke, ersten Mal durchgeführten internationalen Hausherr in Kreisau seit 1928, zum anderen der Workshops wurde deshalb relativ offen gefasst »Völkerherbst« 1989 als Voraussetzung für die und sollte sich um die grundsätzliche Frage Demokratisierung Ost- und Mittelosteuropas drehen, wie sich die Erfahrung »Gesellschaft und die Einigung Europas nach Jahren der Tei- unter der Diktatur« – im Blick auf Opfer, Tä- lung durch Kalten Krieg, Eisernen Vorhang und ter und Widerstand – an junge Menschen Blockspaltung. In vielen gesellschaftlichen Be- vermitteln lässt, wie und mit welchen Zielen reichen besteht die Trennung Europas in West Lernprozesse gestaltet werden können und und Ost dennoch fort, und es ist insbesondere welche Erfahrungen dabei in den eingela- Aufgabe des Westens, die östlichen Partner zu denen Institutionen gemacht worden sind. unterstützen, sie in öffentliche Diskussionen Hierzu wurde anhand konkreter Methoden

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und Projekterfahrungen diskutiert, wie zum lichen Aufarbeitung sowie der Medien teil- Beispiel Zeitzeugenarbeit, multimediale und nahmen, wurde in der Vertretung des Landes Internet-Präsentationen, Film, Ausstellungen, Baden-Württemberg in Berlin der Sammelband Veranstaltungsformen etc. »Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung« Neben den Veranstaltern Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, der Evange- lischen Akademie zu Berlin, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin und der Stiftung Aufarbeitung waren Vertreter von Museen und Gedenkstätten sowie Einrichtungen der politi- schen Bildung aus der Republik Polen (IPN, Ge- denkstätte und Museum Auschwitz, Gedenk- stätte Treblinka), der Russischen Föderation (Gulag-Museum Perm, Memorial Moskau), aus der Ukraine und Weißrussland vertreten.

vorgestellt. Die umfangreiche Publikation der Bundeskongress der Verfolgtenverbände und Stiftung Aufarbeitung zieht eine breit gefä- Aufarbeitungsinitiativen cherte und eindrucksvolle Bilanz der DDR-For- schung seit 1990 und zeigt deren Perspektiven Termin: 23. bis 25. Mai 2003 auf.11 Der Sammelband, für den über fünfzig Unter dem Motto »Über Grenzen und Zei- namhafte Wissenschaftler des In- und Auslan- ten – Für Freiheit, Recht und Demokratie« des gewonnen werden konnten, ist aus Anlass trafen sich über 200 Vertreter von Verfolg- seines 75. Geburtstages Hermann Weber, dem tenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen in Nestor der DDR- und Kommunismusforschung Brandenburg a.d. Havel. Bei diesem 7. Bundes- in der Bundesrepublik, gewidmet. Neben der kongress, der wie in den Vorjahren gemeinsam Würdigung des Jubilars u.a. durch Rainer Ep- von der Konferenz der Landesbeauftragten für pelmann und Markus Meckel hielt Prof. Dr. Jür- die Stasi-Unterlagen und von der Stiftung gen Kocka einen viel beachteten Festvortrag. Aufarbeitung veranstaltet wurde, wurden Das anschließende Beisammensein bot den aus angesichts des 50. Jahrestages des 17. Juni allen Teilen der Bundesrepublik angereisten 1953 neben dem Volksaufstand in der DDR Wissenschaftlern, die das gesamte Spektrum auch die anderen Aufstände gegen die kom- der DDR-Forschung repräsentierten, vielfältige munistische Gewaltherrschaft in Osteuropa Diskussions- und Kontaktmöglichkeiten. ins Blickfeld gerückt. Darüber hinaus berieten Angeregt durch den Erfolg wird diese Ver- die Kongressteilnehmer über Möglichkeiten, anstaltung der Auftakt für nunmehr jährlich verstärkt zur Aufarbeitung des SED-Unrechts Ende August stattfi ndende zeitgeschichtliche beizutragen. Sommernächte der Stiftung sein, in denen Vertreter der Wissenschaft und der gesell- schaftlichen Aufarbeitung, von Verbänden Erste zeitgeschichtliche Sommernacht der und Vereinen mit Politikern und Medienver- 11 Stiftung Aufarbeitung tretern gemeinsam zu Themen und Fragen der Rainer Eppelmann/Bernd Faulenbach/Ulrich Mählert neueren Zeitgeschichte und der Diktaturerfah- (Hrsg.): Bilanz und Perspek- Termin: 21. August 2003 rungen miteinander ins Gespräch kommen und tiven der DDR-Forschung, Paderborn u.a. 2003; siehe Auf dieser Veranstaltung, an der mehr als 200 damit der Arbeit der Stiftung in den kommen- auch Abschnitt 2.2.5 Publikatio- Vertreter der DDR-Forschung, der gesellschaft- den Jahren neue Impulse verleihen. nen, S. 67.

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Gedenkveranstaltung und Tagung anlässlich Zwar hatte es in sowjetischen Zwangsar- des 50. Jahrestages des Häftlingsaufstands beitslagern schon vordem vereinzelt Streiks im sibirischen Strafl agerkomplex Workuta und Unruhen gegeben, aber erstmals in ihrer Geschichte brach am 22. Juli 1953 ein organi- Termin: 15./16. September 2003 im Festsaal sierter Massenstreik im Schacht 7 in Workuta des Berliner Abgeordnetenhauses aus. Die Gefangenen dort legten die Arbeit Die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfür- nieder, sie bildeten ein Streikkomitee und sorge e.V., dem Institut für Zeitgeschichte verlangten, ihre Forderungen einem offi ziellen (München), der Union der Opferverbände kom- Vertreter des Obersten Sowjets der UdSSR oder munistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG), des Politbüros des ZK der KPdSU unterbreiten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten (Dres- zu können. Die Erklärung dafür, dass es gerade den), der Lagergemeinschaft Workuta/GULag in Workuta, der sowjetischen Zwangsarbeits- Sowjetunion, der Stiftung Aufarbeitung lagerregion nördlich des Polarkreises, zu den (Berlin), dem Verein Gegen Vergessen – für dramatischen Vorgängen gekommen war, ist Demokratie e.V. (Berlin) sowie der Gedenk- gewiss in der politisch und sozial brisanten stätte Hohenschönhausen (Berlin) gemeinsam Zusammensetzung der Lagerbelegschaft zu su- organisierte und durchgeführte Tagung erin- chen. Hier waren neben kriminellen Elementen nerte zum ersten Mal nach 50 Jahren umfas- einerseits Kriegsgefangene konzentriert, ande- send an den Häftlingsaufstand in Workuta, rerseits Internierte des NKWD/MWD sowie einem Lagerkomplex des sowjetischen GULag. Zivilgefangene, die von sowjetischen Militär- Es wurde der Opfer des Aufstands gedacht, tribunalen verurteilt worden waren. Menschen aber auch die Geschichte des Aufstands und aus Ost- und Westeuropa waren hier gefangen, des sowjetischen Gulag-Systems in größere neben Russen, Ukrainern und Georgiern haupt- historische und politische Zusammenhänge sächlich Balten, Polen, Tschechen und Slowa- eingeordnet. Neben Zeitzeugen waren russi- ken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren – und sche und deutsche Historiker eingeladen, den Deutsche. Viele Gefangene verstanden und aktuellen Forschungsstand vorzustellen und zu verhielten sich als bewusste politische Häftlin- diskutieren. ge. Unter den Zivilgefangenen aus dem sowje- Eine Tagung über den Häftlingsstreik in tischen Besatzungsgebiet bzw. seit 1949 aus Workuta vor fünf Jahrzehnten im Zusammen- der DDR waren Menschen aller Berufsgruppen hang mit der Erinnerung an den Aufstand vom und Gesellschaftsschichten vertreten, unter 17. Juni 1953 – worin liegt ihr Sinn? Beide ihnen Hunderte von Oberschülern, Studenten Geschehnisse verbindet die historische Ge- und Hochschullehrern aus sozialdemokrati- meinsamkeit, dass öffentlicher Massenprotest schen und bürgerlichen Milieus, die wegen ih- und kollektiver Widerstand auch unter den res Widerstands gegen die Besatzungsmacht Bedingungen des Stalinismus Ereignis werden und die Diktatur der SED verfolgt und nach konnten – im Archipel GULag wie im Staat Workuta verbracht worden waren. Auch in der SED. Die politische Signalwirkung, die von ihren Reihen entwickelten sich Bereitschaft beiden Ereignissen ausging, erreichte interna- und Initiative zum Streik, der sich nach dem tionale Dimensionen. Möglich wurde das bis 22. Juli auf weitere zehn Schächte ausweitete, dahin Undenkbare in einer Situation, die in darunter auf Schacht 29. Als hier in den letz- Moskau durch Diadochenkämpfe unter den ten Julitagen Verhandlungen des Streikkomi- Erben Stalins gekennzeichnet war und die in tees mit einer Untersuchungskommission des den Satelliten-Staaten der Sowjetunion unter MWD aus Moskau unter Leitung von Armee- den Herrschenden politische Verunsicherung general I.I. Maslennikow gescheitert waren, heraufbeschworen hatte. erging am 1. August 1953 die Aufforderung an

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die auf der Lagerstraße des Lagers Nr. 10 und insbesondere im Schulunterricht. Im Jahr 2002 dem angrenzenden Sportplatz versammelten hatte die von Dr. Peer Pasternack in Zusam- Häftlinge, das Lager unverzüglich zu verlassen. menarbeit mit der Stiftung Aufarbeitung am Ohne Erfolg. Sicherheitstruppen des MWD um- Hochschulforschungsinstitut Halle-Witten- stellten daraufhin das Lager, sie durchbrachen berg erarbeitete Studie »Gelehrte DDR« für das Lagertor und setzten ihre Kalaschnikows Aufmerksamkeit gesorgt. Diese kam zu dem gegen die Versammlung der Streikenden ein. Ergebnis, dass das Lehrangebot der deutschen Über 60 Tote – wahrscheinlich mehr – und Hochschulen und Universitäten zum Thema 120 Schwerverwundete bedeckten hernach DDR-Geschichte und deutsche Teilung nach den Lagerplatz. Der verzweifelte Massenpro- einem wahren »Boom« in den 1990er Jahren test der Geschundenen und Ausgebeuteten in mittlerweile wieder auf den vergleichsweise Workuta war blutig niedergeschlagen worden. geringen Stand von 1990 zurückgegangen Hafterleichterungen und Entlassungen, die in ist. An zahlreichen Universitäten konnten bei der Folgezeit gleichwohl einsetzten, sollten der Auswertung der Vorlesungsverzeichnisse die Opfer zumindest in Teilen rechtfertigen. keine einschlägigen Lehrangebote verzeichnet Der Aufstand in Workuta stand keineswegs werden. nur zeitlich im Kontext der Juni-Erhebung in Im Jahr 2003 wurde Dr. Ulrich Arnswald Mittel- und Ostdeutschland. Ebenso war ein vom Deutschen Institut für Internationale kausaler Zusammenhang dadurch gegeben, Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main dass in dreistelliger Zahl von sowjetischen von der Stiftung Aufarbeitung mit einer Ex- Militärtribunalen verurteilte Aufständische pertise beauftragt, in der der Stellenwert des aus der DDR zur Zwangsarbeit nach Workuta Themas DDR-Geschichte in den Lehrplänen der überstellt worden waren. Indem sich ihre deutschen Bundesländer ermittelt werden soll- Nachrichten von der Erhebung des 17. Juni im te. Die Studie, die im Jahr 2004 veröffentlicht Lager verbreiteten, bestärkten sie die Häftlin- werden soll, macht deutlich, dass insbeson- ge in ihrem Willen zum Widerstand. dere die Themen Opposition und Widerstand sowie parteistaatliche Repressionen in den Lehrplänen nur unzureichend berücksichtigt Internationale DDR-Forschertagung Otzen- werden. hausen

Seit Beginn der 1990er Jahre wird die kleine Umgang mit dem Thema DDR und deutsche Gemeinde Otzenhausen im Saarland jeweils Teilung in Unterricht, Bildung, Forschung im November für vier Tage das Zentrum der und Lehre DDR-Forschung. Dann tagt die Internationale DDR-Forschertagung, zu deren Veranstalter- Mit zwei Veranstaltungen wandte sich die kreis die Stiftung Aufarbeitung seit dem Jahr Stiftung Aufarbeitung im Jahre 2003 diesem 2000 zählt.12 großen Thema zu. Hierzu gehörte die gemein- sam mit dem Hochschulforschungsinstitut HoF in Wittenberg veranstaltete Tagung »Die Die DDR im Unterricht und in der Hochschul- Zukunft eines untergegangenen Staates. Die lehre DDR als Gegenstand von Forschung, Lehre und politischer Bildung« vom 27. Februar bis Ein besonderes Augenmerk widmet die Stif- 2. März 2003 ebenso wie die gemeinsam mit 12 Ausführlicher dazu siehe Ab- tung Aufarbeitung der Vermittlung des Themas der Bundeszentrale für politische Bildung und schnitt 2.1.3.7 Wissenschafts- DDR-Geschichte in der Hochschulehre sowie der Landeszentrale Sachsen-Anhalt für politi- förderung, S. 42 ff.

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sche Bildung vom 16. bis 18. Oktober 2003 in ten, sondern vor allem beispielhafte Konzepte den Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale der historisch-politischen Bildungsarbeit zur durchgeführte Konferenz »DDR-Geschichte Geschichte der DDR aus der schulischen Praxis, zwischen Bewahren und Verdrängen. Pers- aus der Museumsarbeit, aus der Gedenkstät- pektiven deutsch-deutscher Erinnerungs- und tenarbeit und der musisch-kulturellen Arbeit Bildungsarbeit«. vorgestellt und gemeinsam von Praktiker/ Die Themen »deutsche Teilung« und »Ge- innen aus den genannten Arbeitsbereichen schichte der DDR« sind in allen Budesländern diskutiert. Bestandteil der Curricula in den Fächern Seit 2003 arbeitet die Stiftung Aufar- Geschichte und Politische Bildung. Die Dar- beitung in einer Arbeitsgemeinschaft des stellung und Vermittlung dieser Themen ist in Geschichtslehrerverbandes und des Zentrums den einzelnen Bundesländern, ihren Curricula für Zeithistorische Forschung mit, die das Ziel und Schulbüchern und schließlich vor allem in verfolgt, ein neues wissenschaftlich-didakti- der schulischen Praxis sehr unterschiedlich. So sches Konzept zur Vermittlung der doppelten klafft denn zwischen der Fülle der zu den bei- deutschen Nachkriegsgeschichte für die For- den Themen angebotenen Materialien, der in schung und (!) den Unterricht zu entwickeln. den Lehrplänen benannten Stoffsammlungen Erste Ergebnisse werden im Jahr 2004 vorge- und ihrer tatsächlichen Umsetzung in die Un- stellt werden. terrichtspraxis eine beachtliche Lücke. Bei allen Tagungen zu diesem Thema ging es um die Frage, welchen Platz können und Oral history und Gedenkstättenarbeit müssen die Geschichte der DDR, Fragen der Teilung und der Einheit im Unterricht einneh- Ebenfalls zum dritten bzw. vierten Mal war men? Mit welchen Fragen der inhaltlichen und die Stiftung in den Jahren 2002 und 2003 didaktischen Umsetzung des Themenfeldes Mitveranstalterin der Tagung »oral history »Geschichte der DDR« sehen sich Lehrerinnen und Gedenkstättenarbeit«, die jeweils am und Lehrer aber auch Schulbuchautoren und dritten Wochenende im September in Berlin Didaktiker konfrontiert? Welche Medien und stattfi ndet. Auf diesen Workshops treffen sich Angebote stehen für einen interessanten Un- Vertreter von Gedenkstätten aus der gesamten terricht zur Verfügung? Welche Erfahrungen Bundesrepublik und diskutieren über methodi- haben Schule und politische Bildung in den sche Fragen der Arbeit mit Zeitzeugen an Ge- vergangenen Jahren beim Umgang mit diesen denkstätten und in Projekten der oral history. Themenstellungen gemacht? Wie kann ein Im Jahre 2002 war der Workshop, der vom nachhaltiges Interesse gerade bei der jüngeren 26. bis 28. September stattfand, dem Thema Generation an der Geschichte eines Landes »Weltbild, Rechtfertigungsstrategien, Selbst- geweckt werden, das es nicht mehr gibt, das und Fremdbild der Täter« gewidmet. Dabei allenfalls in der Erinnerung der in ihm aufge- ging es in vergleichender Perspektive von wachsenen Generationen lebendig wird? Nationalsozialismus und SED-Diktatur um das All diese Fragen werden auch noch dreizehn Selbstbild von Tätern, ihre kollektiven und Jahre nach Wiederherstellung der deutschen individuellen Rechtfertigungsstrategien und Einheit unvermindert kontrovers diskutiert; die Schwierigkeiten, vor denen Mitarbeiter ebenso unterschiedlich sind die daraus ent- in Projekten der oral history stehen, wenn sie wickelten Arbeitskonzepte in Bildung und For- gerade Personen aus diesem Kreis befragen. schung. So wurden auf den Veranstaltungen Im Jahre 2003 stand der Workshop un- nicht nur akademische Vorträge zum Stellen- ter dem Thema »Gedenkstättenarbeit und wert dieser Themen in der Geschichte gehal- oral history – Zeitzeugen an Gedenkstätten

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im Kontext von politischer Bildungsarbeit, Beratung Tätige, mit ihrer seit dem Jahre 2002 Multimedia-Einsatz und Ausstellungskon- laufenden »Beratungsinitiative« sowie mit der zeptionen«. Er fand am 25./26. September inzwischen in der dritten Aufl age vorliegen- in Berlin statt. Im Rahmen des Workshops den »Übersicht über Beratungsangebote«, die beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und auch im Internet abrufbar ist und laufend Teilnehmer mit Fragen der Verwendung von aktualisiert wird, weitere Angebote auf die- Zeitzeugeninterviews an Gedenkstätten und sem Gebiet, die einzelnen Betroffenen helfen, ihrer Nutzung durch Besucher. Im Mittelpunkt aber auch die in Ämtern, Behörden oder Ver- des Workshops wurden vor dem Hintergrund bänden Tätigen bei ihrer schwierigen Arbeit des Verlustes ganzer Zeitzeugengenerationen unterstützten sollen. Diesem Ziel dienen auch die vielfältigen Einsatz- und Verwertungsmög- die inzwischen zweimal pro Jahr angebotenen lichkeiten für Interviews diskutiert. Neben all- Weiterbildungsveranstaltungen der Stiftung, gemeinen methodischen Fragen bei der Arbeit auf denen verschiedene Fragen der Beratungs- mit Zeitzeugen an Gedenkstätten und in der tätigkeit thematisiert und von kompetenten politischen Bildung wurden an konkreten Fall- Referenten mit den Teilnehmern diskutiert beispielen aus der Gedenkstättenpraxis neuere werden. Diese Weiterbildungen beschäftigten Erkenntnisse zur Diskussion gestellt. sich bspw. mit Fragen der Möglichkeiten und Die steigende Nachfrage nach diesen Work- Grenzen von psychosozialer Arbeit mit Opfern shops und die wachsenden Teilnehmerzahlen politischer Verfolgung im Rahmen ehrenamt- – am Workshop 2003 nahmen fast 60 Personen licher Arbeit, Behandlungsmöglichkeiten von teil – hat dazu geführt, dass inzwischen der politisch Traumatisierten oder dem bisher Charakter des Workshops zu Gunsten einer gesetzlich nicht ausreichend geregelten The- Fachtagung aufgegeben werden musste, um ma der Anerkennung von Haftfolgeschäden. allen Interessenten auch die Teilnahme zu Diese Veranstaltungen werden nicht nur von ermöglichen. ehrenamtlich arbeitenden Beratern und Be- treuern aus den Opferverbänden und Vereinen aufgesucht, sondern auch von Mitarbeitern in 2.2.3 Unterstützung der Opferbera- Versorgungsämtern und Rehabilitierungsbe- tung hörden oder Beratungsstellen der unterschied- lichsten Träger wahrgenommen. Zu den wichtigsten Aufgaben im vereinten In diesem Zusammenhang hat die Stiftung Deutschland gehört es, jene Menschen zu re- auch bei der Caritas ein Weiterbildungsprojekt habilitieren und ihnen zu ihrem Recht zu ver- unterstützt, das zur Qualifi zierung von Bera- helfen, die in der SBZ/DDR verfolgt wurden. tern unterschiedlicher Träger im Hinblick auf In der Praxis zeigt sich dabei immer wieder, spezifi sche Verfolgungsformen und deren Fol- dass zwischen den Erwartungen der Betrof- gen in der DDR-Diktatur beitragen soll. fenen und den gesetzlichen Regelungen eine erhebliche Lücke klafft. Die Unterstützung der Beratung und Be- »Beratungsinitiative« treuung von Opfern politischer Verfolgung in der SBZ/DDR nimmt in der Arbeit der Stiftung Neben der bereits im Teil Projektförderungen einen wichtigen Platz ein. Nicht nur fl ießen ca. beschriebenen Gewährung von Pauschalen in 30 Prozent aller ausgereichten Fördermittel in Höhe von 15 Euro pro Beratungsfall, die über Projekte, die diesem Anliegen dienen. Darüber die Opferverbände an zumeist ehrenamtlich hinaus bietet die Stiftung mit ihren Angebo- tätige BeraterInnen ausgereicht werden, hat ten zur psychologischen Supervision für in der die Stiftung im Jahre 2002 eine »Beratungsiniti-

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ative« initiiert. Mit diesem, damals vorerst auf der Beratung tätigen Personen diese Supervisi- zwei Jahre angelegten Projekt fördert die Stif- on wahrgenommen werden kann. tung über die jeweiligen Landesbeauftragten Die von der Stiftung im Jahre 2000 erstmals mit je 25.000 ¤ pro Landesbeauftragten und vorgelegte Übersicht über Beratungsangebote, Jahr die Beratung über Fragen von Rehabili- die bundesweit über Ansprechpartner und tierung nach den SED-Unrechtsbereinigungs- Institutionen informiert, bei denen entweder gesetzen und zur Anspruchsberechtigung von psychologische, amtliche oder rechtliche Hilfe- einzelnen Betroffenen. Der Erfolg des Projek- stellung erlangt werden können oder aber die tes hat die Annahme bestätigt, dass noch viele für eine Rehabilitierung oder materielle Ent- Betroffene bisher entweder zu wenig über die schädigung notwendigen Schritte eingeleitet Möglichkeiten wussten, sich für politische werden müssen, erfreut sich inzwischen in der Verfolgung rehabilitieren und entschädigen dritten Aufl age mit weit über 10.000 Exemp- zu lassen, oder aus den unterschiedlichen laren weiterhin großer Nachfrage. Gründen von einer Antragstellung abgesehen hatten. Mit diesem Projekt wurden bun- desweit mehrere Tausend Bürgerinnen und Gutachten Haftfolgeschäden Bürger erreicht und ihnen Unterstützung bei der Beantragung geleistet. Diese bestand Viele in der SBZ/DDR politisch Verfolgte und sowohl in der Hilfe beim Ausfüllen der ent- Repressierte leiden noch heute schwer unter sprechenden Formulare und Schreiben, aber den Folgen der staatlichen Willkür. Viele der auch beim Zusammenstellen bzw. Beschaffen Betroffenen waren wegen ihres widerständi- der für eine erfolgreiche Rehabilitierung not- gen Auftretens, ihrer Zivilcourage und ihres wendigen Unterlagen. Anfänglich war dieses Handelns gegen das SED-Regime lange Jahre Beratungsprojekt bis zum ursprünglichen unter oftmals unmenschlichen Haftbedingun- Ablauf der Fristen für die Antragstellung nach gen inhaftiert. Sie fühlen sich bis heute unge- dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz am recht behandelt, da sie im Verlauf ihrer Bemü- 31.12.2003 befristet. Mit der Verlängerung der hungen und Verfahren um Rehabilitierung und Antragsfristen bis zum 31.12.2007 hat auch die Entschädigung oftmals bittere Erfahrungen Stiftung ihre Beratungsoffensive um weitere und Demütigungen erleben mussten. Eines vier Jahre verlängert. der schwer wiegenden Probleme dabei ist die Des Weiteren fi nanziert die Stiftung psy- Frage der Anerkennung haftbedingter Gesund- chologische Supervision für Mitarbeiter von heitsschäden nach dem strafrechtlichen und Beratungsstellen oder in der Beratung ehren- verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge- amtlich Tätigen. Diese Supervisionsmöglich- setz. Die Ämter und Behörden sind laut Gesetz keiten, die von professionellen Psychologen verpfl ichtet, von den Betroffenen einen Nach- bzw. Psychotherapeuten durchgeführt werden, weis zu verlangen, dass ihre gesundheitlichen können ganz nach den Bedürfnissen der sie in Schäden in einem eindeutigen Kausalzusam- Anspruch nehmenden Personen gestaltet wer- menhang mit der erlittenen Haft bzw. Verfol- den. Die Stiftung ist hier auf Wunsch bei der gung stehen. Da ein solcher Nachweis nach so Auswahl eines Therapeuten behilfl ich und ver- vielen Jahren praktisch nicht mehr beizubrin- mittelt Ansprechpartner, die bereits Erfahrung gen ist, werden die meisten Fälle abgelehnt. im Umgang mit SED-Unrecht und den damit Lediglich fünf Prozent der gestellten Anträge verbundenen spezifi schen Verhaltensweisen werden einer Statistik der Landesbeauftragten haben. Insbesondere stellt die Stiftung in die- für die Stasi-Unterlagen zufolge anerkannt. sem Bereich jedoch die fi nanziellen Mittel zur Darüber hinaus hat die Stiftung eine bun- Verfügung, damit von den entsprechenden in desweite Auswertung der Rehabilitierungs-

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Statistiken vorgenommen, die weiterhin 2.2.4 Weiterbildungsprogramm laufend aktualisiert wird. Dabei ging es zum einen darum, festzustellen, wie sich rein Im Jahre 2002 begann die Stiftung ihr Weiter- quantitativ die Anträge und Erfolgsaussichten bildungsprogramm, das sich mit insgesamt 13 auf eine Rehabilitierung nach den einzelnen Veranstaltungen zu den unterschiedlichsten Bundesländern entwickelt haben und weiter Themen an Projektträger, Vereine und Insti- entwickeln und in welcher Höhe an eine Re- tutionen der Aufarbeitung im weitesten Sinne habilitierung anschließend materielle Entschä- digungen gezahlt werden. Es ging aber auch darum, festzustellen, welche Gründe einer erfolgreichen Rehabilitierung entgegenstehen. Das Ergebnis dieser Auswertung kann auf der Homepage der Stiftung eingesehen werden.

»Opfer ohne Lobby«?

Das von Jörg Siegmund verfasste Buch »Opfer ohne Lobby? Ziele, Strukturen und Arbeitswei- se der Verbände der Opfer des DDR-Unrechts« wurde am 3. Dezember 2002 im Ferdinand- Friedensburg-Saal des Roten Rathauses vorge- stellt. Neben der Vorstellung dieser Publikati- on, in der die Arbeit und Wirkungsweise der Verfolgtenverbände des SED-Unrechts kritisch analysiert wurde, diskutierten Hans Koschnick, Vorstandsvorsitzender des Vereins Gegen Ver- gessen – Für Demokratie, Horst Schüler, Vor- standsvorsitzender der UOKG, der Autor und Rainer Eppelmann, Vorstandsvorsitzender der richtete. Auch im Bereich der Weiterbildung Stiftung Aufarbeitung, darüber, wie sich die arbeitet die Stiftung Aufarbeitung mit den Opfer der Diktatur der SBZ/DDR Gehör ver- unterschiedlichsten Partnern aus politischer schaffen können. Stehen sich deren Verbände Bildung, Kultur, gesellschaftlicher Aufarbei- bei dieser Aufgabe manchmal selbst im Wege? tung oder den Medien zusammen. Die Veran- Wie können Politiker und die Öffentlichkeit staltungsangebote weisen stets einen konkre- für dieses Thema interessiert werden? Auf all ten Praxisbezug auf. Die Bandbreite reicht von diese Fragen geht Jörg Siegmund in seinem Informationsveranstaltungen zum Antragspro- Buch ein. zedere und der Verwendungsnachweisführung bei der Stiftung Aufarbeitung über Fragen der Ebenfalls zu diesem Bereich gehört, dass Opferberatung bis hin zu Weiterbildungen im sich die Stiftung in dem 2002 gegründeten Bereich Archiv- und Bibliothekswesen, Presse- Arbeitskreis »AK SED-Gedenkstätten« enga- und Öffentlichkeitsarbeit und Oral History so- giert, in dem sich zahlreiche Gedenkstätten wie Arbeit in Ausstellungs- und Filmprojekten. zusammen geschlossen haben, um gemeinsam Das Seminarprogramm richtet sich in erster die Aufarbeitung der SED-Diktatur in unter- Linie an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schiedlichen Formen voran zu bringen. von Projekten bzw. Einrichtungen, die von

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der Stiftung Aufarbeitung gefördert werden, schichte der DDR und der deutschen Teilung sowie an andere Multiplikatoren im Bereich verwiesen wird. Der Kalender 2003 hatte der gesellschaftlichen Aufarbeitung. den Schwerpunkt Opposition und Repression. Die Stiftung entwickelte damit zielgrup- Der für 2004 nunmehr vorliegende Kalender penorientierte Veranstaltungsangebote, die hat seinen Schwerpunkt auf Ereignissen der gemeinsam mit Dritten oder in Eigenregie friedlichen Revolution und der Umbrüche in umgesetzt werden. Die Bandbreite dieser Ost- und Südosteuropa im Herbst 1989, deren Veranstaltungen reicht von Informationsange- Wiederkehr 2004 begangen wird. Der für das boten zu Verwendungsnachweisführung und Jahr 2005 derzeit vorbereitete Kalender wird Antragstellung über Fragen der Opferberatung, seinen Schwerpunkt auf die Themen deutsche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Einheit und europäische Einigung legen. Weiterbildungen im Archiv- und Bibliotheks- wesen.13 Schriftenreihe »Gelebte Geschichte«

2.2.5 Publikationen Die Stiftung Aufarbeitung sammelt in ihrem Archiv autobiographische Erinnerungen, die Die Stiftung tritt Zeit ihrer Existenz mit vom Leben in der SBZ und DDR erzählen. Diese eigenen Publikationen an die Öffentlichkeit. authentischen Berichte sind eine wichtige Neben Einzelwerken gehören dazu Periodika Quelle für die Auseinandersetzung mit der (Newsletter »Aktuelles aus der DDR-For- jüngsten deutschen Vergangenheit. Um die schung«) und Handbücher, die inzwischen Lebenszeugnisse einer breiteren Öffentlichkeit Standardwerke wurden und regelmäßig zugänglich zu machen, werden in der Schrif- aktualisiert werden. So liegt inzwischen die tenreihe »Gelebte Geschichte« in unregelmäßi- »Übersicht über Beratungsangebote für Opfer gen Abständen ausgewählte Autobiographien politischer Verfolgung der SBZ/DDR-Diktatur« und Erinnerungsberichte veröffentlicht. in dritter, überarbeiteter Aufl age, das »Vade- Im Jahr 2003 erschien als Band 1 der Reihe mekum DDR-Forschung« ebenfalls in dritter, »Mit dem ›Moskau-Paris-Express‹ in die Freiheit. ergänzter und überarbeiteter Aufl age vor. Eine Flucht von Ost nach West« von Karl-Heinz Richter. Spannend und authentisch erzählt Richter darin die dramatische Geschichte sei- Newsletter »Aktuelles aus der DDR-For- ner risikoreichen Flucht im Jahr 1964 gemein- schung« sam mit anderen Ostberliner Jugendlichen über den Bahnhof Berlin-Friedrichstraße. Der von der Stiftung herausgegebene Newslet- ter erscheint dreimal jährlich in der Zeitschrift Deutschland Archiv und informiert unter ande- Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenk- rem über neue Forschungsprojekte, Publikatio- stätten und Museen zur Diktatur in SBZ und nen, Veranstaltungen etc. DDR. Hrsg. von Annette Kaminsky im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Stiftungskalender und der Bundeszentrale für politische Bildung, Forum Verlag Leipzig 2004. 13 Zu den Themen der einzelnen Im Herbst 2002 konnte die Stiftung für 2003 Veranstaltungen des Weiterbil- dungsprogramms siehe Anhang, erstmals ein Kalendarium vorlegen, in dem Die Arbeiten für diese Publikation wurden im S. 126 f. Tag für Tag auf historische Ereignisse der Ge- Herbst 2003 abgeschlossen. Zum Jahresende

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2003 lag dieses Buch, das die Beschreibung von über 350 Erinnerungszeichen und Gedenk- stätten an die kommunistische Diktatur ent- hält und in Kooperation mit der Bundeszen- trale für politische Bildung entstand, gedruckt vor. Die Bandbreite der Erinnerungsorte reicht von staatlich fi nanzierten Gedenkstätten und Museen, privat initiierten Dokumentations- zentren und Dauerausstellungen über Skulp- turen und Erinnerungslandschaften bis hin zu Gedenktafeln und -steinen, die ganz allgemein an stalinistische Willkür und Verbrechen oder die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft zur DDR-Forschung. Wer immer sich mit der erinnern. Geschichte der deutschen Teilung und der Inzwischen wird eine zweite, erweiterte SED-Diktatur beschäftigt: Hier kann er die und ergänzte Aufl age dieses wichtigen Nach- einschlägige Literatur prägnant und auf dem schlagewerks vorbereitet, da inzwischen be- neuesten Stand erschließen. reits wieder über 100 neue Gedenkorte in der gesamten Bundesrepublik – Ost wie West – er- mittelt werden konnten. Übersicht über Beratungsangebote für Opfer politischer Verfolgung in der SBZ/DDR Stiftung Aufarbeitung, 3., erweiterte und über- Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung arbeitete Aufl age, Berlin 2002. Im Auftrag der Stiftung Aufarbeitung hrsg. von Rainer Eppelmann, Bernd Faulenbach, Ulrich Den Opfern diktatorischer Willkür und jenen, Mählert, Paderborn 2003. die Widerstand leisteten und dafür büßen mussten, soll die inzwischen in der dritten Über tausend Forschungsprojekte zur DDR Aufl age vorliegende Broschüre eine Orientie- sind seit der Wiedervereinigung im In- und rungshilfe bei der Realisierung ihrer rechtli- Ausland auf den Weg gebracht worden. Ihre chen Ansprüche, bei der Rehabilitierung und Erträge füllen ganze Bibliotheken. Trotz die- der Suche nach geeigneten Ansprechpartnern ser üppigen und vielgestaltigen Gemengelage geben. Sie richtet sich nicht nur an Opfer poli- gibt es immer noch Desiderate, die dringend tischer Verfolgung und deren Angehörige, son- gefüllt werden müssen. So ist dieser Band dern auch an in der Beratung Tätige. Angebote doppelt angelegt: Er blickt zurück, er ordnet zur juristischen, psychologischen und sozialen und bilanziert. Und er blickt nach vorn, zeigt Hilfe, Betreuung und Beratung sind in dieser Perspektiven auf und fragt nach neuen The- Übersicht nach Bundesländern alphabetisch menstellungen. Entstanden ist die erste um- aufgeführt und ermöglichen eine schnelle und fassende Bilanz der DDR-Forschung. unkomplizierte Orientierung zu bestehenden In diesem Band – der zu Ehren des 75. Institutionen. In diesem Band sind all jene Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Initiativen, Vereine, Verbände und staatlichen Weber, dem Nestor der DDR-Forschung Stellen alphabetisch aufgeführt, die auf die erschienen ist – ziehen 55 namhafte Wis- eine oder andere Art und Weise Hilfe und senschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Beratung leisten. Zur besseren Übersicht Bilanz der DDR-Forschung. Der Band enthält sind die geltenden gesetzlichen Regelungen eine Bibliographie mit mehr als 2.000 Titeln aufgeführt.

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Jörg Siegmund: Opfer ohne Lobby? Vademekum DDR-Forschung Ziele, Strukturen und Arbeitsweise der Verbände Ein Leitfaden zu Archiven, Forschungsinstituten, der Opfer des DDR-Unrechts, Berliner Wissen- Bibliotheken, Einrichtungen der politischen schafts-Verlag GmbH, Berlin 2002. Bildung, Vereinen, Museen und Gedenkstätten, hrsg. von Ulrich Mählert, 3., ergänzte und über- Seit den 1950er Jahren haben sich Opfer der arbeitete Aufl age, Berlin 2002. SED-Diktatur in Verbänden zusammenge- schlossen – zunächst in der Bundesrepublik Das Vademekum DDR-Forschung ist ein be- und seit 1990 auch in den neuen Ländern –, währter und zuverlässiger Wegweiser durch um die historische Aufarbeitung des politi- die vielfältige Aufarbeitungslandschaft. Es ver- schen Unrechts zu fördern, das Gedenken an zeichnet mehr als 550 Archive, Bibliotheken, die Opfer wach zu halten und die rechtliche Forschungseinrichtungen, Institutionen der und soziale Betreuung der Mitglieder sicher- politischen Bildung, Geschichtsvereine, Muse- zustellen. Im Mittelpunkt der Untersuchung en und Gedenkstätten sowie Fachzeitschriften stehen die Organisationsstrukturen und die und Fördereinrichtungen im In- und Ausland. Entwicklung dieser Verbände; sie geht auf die Das Vademekum ist neben der Druckfas- Arbeitsweise und die Rahmenbedingungen, sung zugleich über die Homepage der Stiftung die Probleme und Hindernisse in der Arbeit nutzbar. der Verbände ein.

Videoedition der Stiftung Peter Bruhn: 17. Juni 1953. Bibliographie Berliner Wissenschafts-Verlag 2003. Von der Stiftung geförderte Filmdokumenta- tionen werden in einer eigenen Videoedition Der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR präsentiert und können – sofern nicht anders jährte sich im Jahre 2003 zum fünfzigsten Mal. angegeben – bei der Stiftung erworben wer- Dieses Ereignis war für die Erinnerungskultur den. Bisher liegen die folgenden Filme auf des vereinten Deutschlands von herausragen- Video vor: der Bedeutung – die deutsche Geschichte ist nicht reich an Zeugnissen kollektiven Widerstands gegen Diktatur und autoritäre Vorwurf Sabotage. Der Brückeneinsturz von Herrschaft. Peter Bruhn nahm am Demons- Zeulenroda trationszug der Bauarbeiter am 16. Juni 1953 Eine Dokumentation von Friedrich Herkt und teil. Er verfolgte nach seiner Flucht nach Kathleen Newill, Berlin 2002. Westdeutschland als Bibliograph die neu er- scheinende Literatur zu diesem Ereignis und Zeulenroda, Thüringen, am 13. August 1963. erstellte hieraus die vorliegende umfangreiche Die Bauarbeiten für die neue Stauseebrücke Bibliographie. Sie umfasst für die Jahre von sind in vollem Gange. Plötzlich die Katastro- 1953 bis 2003 mehr als 2.300 bibliographische phe: Ein riesiges Brückenteil knickt ab und Angaben, die durch Kapitelüberschriften und reißt vier Menschen in den Tod. Der materielle teilweise detaillierte Annotationen ergänzt Schaden ist immens. Sofort sind Kripo und werden. Ein umfangreiches Themenverzeich- Stasi zur Stelle. Ein Unglück am Jahrestag des nis und ein Personenregister machen die Bibli- Mauerbaus kann für das Ministerium für Staas- ographie zu einem unverzichtbaren Wegweiser sicherheit kein Zufall sein. Der Film schildert für alle, die sich zukünftig mit dem Thema die nachfolgenden Ereignisse in eindrücklicher befassen wollen. Weise.

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»Dann standen wir vor dem Nichts...« – Ent- Ausnahmezustand. Der 17. Juni in Mecklen- eignungswelle an der Ostsee im Jahre 1953. burg und Vorpommern Eine Dokumentation von Reinhard Joksch, Berlin Hrsg. vom NDR-Landesfunkhaus Mecklenburg- 2002. Vorpommern und der Stiftung Aufarbeitung, 2003. Im Juli 1952 beschließt die 2. SED-Parteikon- ferenz den Aufbau des Sozialismus in der DDR. Für das Hörfunkprojekt »Erinnerungen für Die Staatspartei verschärft den Kampf gegen die Zukunft« von NDR 1 Radio MV haben die eigene Bevölkerung. Im Frühjahr 1953 läuft sich Zeitzeugen erinnert – an den Ausnah- die »Aktion Rose« an. An der Ostsee werden mezustand, das Versammlungsverbot, die Aus- u.a. mehr als 440 Pensionen und Hotels ent- gangssperre, verhängt von den sowjetischen eignet. Hunderte Menschen werden verhaftet Militärkommandanten am 17. Juni, außerdem und wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen an die damaligen Rundfunkberichte vor allem nicht selten zu langen Haftstrafen verurteilt, des Nordwestdeutschen Rundfunks, war doch aus ihren Häusern vertrieben oder zur Flucht der RIAS im Norden der DDR oft nur schlecht nach Westdeutschland gezwungen. Bis heute zu empfangen. sind die Nachwirkungen dieser Enteignungs- Die vorliegende Doppel-CD dokumentiert aktion spürbar. Der Film veranschaulicht staat- die Ereignisse vom Juni 1953 und die Folgen liche Willkür anhand einzelner Schicksale. für die Menschen im Norden der DDR. Die Audiodokumentation ist eine Gemeinschafts- produktion der Stiftung Aufarbeitung und des CDs NDR-Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpom- mern. 17. Juni 1953 – Zeitzeugen berichten Hrsg. vom Deutschlandfunk mit Unterstützung der Stiftung Aufarbeitung, 2003. Wir wollen freie Menschen sein. Der 17. Juni 1953 in Mitteldeutschland »Sehr geehrter Herr Sodann, heute habe ich , Stiftung Aufarbei- Ihren Aufruf im Deutschlandfunk gehört. Was tung, 2003. ich vom 17. Juni 1953 zu berichten weiß, ist Ein Hörbuch von Stefan Nölke. nicht spektakulär, aber vielleicht ein Mosaik- stein.« So oder so ähnlich beginnen viele Brie- Was geschah wirklich am 17. Juni 1953 und fe, die im Deutschlandfunk eingegangen sind. wer waren die Protagonisten des Aufstandes? Etwa 450 Hörer sind dem Aufruf des Schau- Ein ganzes Team von MDR-Kultur-Journalisten spielers und Regisseurs Peter Sodann gefolgt. war mehrere Monate in Sachsen, Sachsen-An- Ungefähr 75 Prozent haben mit ihrem Brief halt und Thüringen unterwegs, um Zeitzeugen ihre Erinnerungen an den 17. Juni geschickt, des 17. Juni 1953 ausfi ndig zu machen. Unter die sie auf unsere Bitte hin zu Papier gebracht anderem ist es den Journalisten gelungen, die haben. Andere haben ihre früher verfassten noch lebenden Streikführer aus Halle, Görlitz Texte geschickt, Tagebücher und Briefe, oder und Jena zu ihren damaligen Erlebnissen zu sich zum Gespräch angeboten. befragen. In zwölf Beiträgen kommen ebenso Die Einsendungen der Hörerinnen und eine ganze Reihe namhafter Historiker sowie Hörer waren die Grundlage für die Produktion. prominente Zeitzeugen wie Egon Bahr und Hinzu kamen mehr als 50 Interviews mit Zeit- Ericht Loest zu Wort. Sie schildern eindrucks- zeugen und historische Originaltöne aus der voll den mutigen Kampf und den Freiheitswil- damaligen Zeit. len der Aufständischen.

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»Das wird man nie wieder los«. Die »Aktion Tagung und hat diese Audio-Dokumentation Rose« an der Ostsee 1953 im Rahmen des Hörfunkprojektes »Erinne- Hrsg. vom NDR-Landesfunkhaus Mecklenburg- rungen für die Zukunft« erarbeitet. Die CD ist Vorpommern und der Stiftung Aufarbeitung, eine Gemeinschaftsproduktion der Stiftung 2003. Aufarbeitung und des NDR-Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern. Februar 1953: An der Ostseeküste der DDR be- ginnen Volkspolizisten mit der Durchsuchung von Hotels, Pensionen, Gaststätten und klei- Ermutigung im Steinbruch der Zeit. Wolf nen Betrieben. Es ist der Beginn der »Aktion Biermann Rose«. Über 400 Menschen werden verhaftet, Live-Mitschnitt des Konzertes im Berliner En- verurteilt und enteignet. Sie sollen gegen semble am 16. 11. 2001. Wirtschaftsgesetze der DDR verstoßen haben. Von Deutschland nach Deutschland. In Wirklichkeit hatten sie nur Schmalztöpfe, 25 Jahre Biermann-Ausbürgerung. Eine Do- eingewecktes Obst oder Kartoffeln im Keller. kumentation Der SED-Führung geht es um die Enteignung Hrsg. von der Stiftung Aufarbeitung, Berlin 2002. der privaten Ferienunterkünfte an der Küste. »Das wird man nie wieder los« – für eine Im Jahr 2001 jährte sich das Kölner Konzert Sendung des Hörfunkprojektes »Erinnerungen von Wolf Biermann, das die SED-Führung zum für die Zukunft« auf NDR 1 Radio MV haben Anlass nahm, den unbequemen Sänger und sich Betroffene und Zeitzeugen an die »Aktion Dichter aus der DDR auszuweisen, zum 25. Rose« 1953 erinnert. Mal. Aus diesem Anlass erinnerten die Stif- Die vorliegende CD ist eine Gemeinschafts- tung Aufarbeitung und der Deutschlandfunk produktion der Stiftung Aufarbeitung und des gemeinsam an die historische und kulturelle NDR-Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpom- Dimension des Ereignisses mit einer Podiums- mern. diskussion und einem Live-Konzert von Wolf Biermann im Berliner Ensemble. Aus der Ver- anstaltung gingen zwei Audio-CDs hervor, die Die Gegenwart der Vergangenheit – The pre- zum einen die Diskussion am Nachmittag und sence of the past zum anderen das Konzert von Wolf Biermann Eine Tagungsdokumentation, hrsg. von der Stif- am Abend dokumentieren. tung Aufarbeitung und dem NDR-Landesfunk- haus Mecklenburg-Vorpommern, 2002. »Es geht seinen Gang...«. Erich Loest, die Diese Audio-CD geht auf eine Tagung zurück, DDR und die Geschichte eines Romans die von der Stiftung Aufarbeitung, dem Ins- Hrsg. von der Stiftung Aufarbeitung und titut für Geschichte und Biographie der Fern- dem Deutschlandfunk, 2003. universität Hagen und der Bundeszentrale für politische Bildung vom 23. bis 25. Mai 2002 Im April des Jahres 1978 erschien der Roman durchgeführt wurde. »Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Auf der Konferenz referierten und disku- Ebene« von Erich Loest. Aus Anlass des fünf- tierten mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und undzwanzigjährigen Jubiläums luden die Stif- Wissenschaftler sowie ca. 150 Gäste aus 16 tung Aufarbeitung und der Deutschlandfunk Staaten im ehemaligen Staatsratsgebäude der am 9. April 2003 zu einer Veranstaltung ein, DDR in Berlin. Das Landesfunkhaus des NDR in die sowohl den Autor und sein Werk ehren, Mecklenburg-Vorpommern berichtete über die als auch den Blick auf die historisch-politische

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Tragweite des damaligen Geschehens lenken Neubert, bis Anfang 2004 Vorstandsmitglied sollte. Erich Loest las aus seinem Roman, der der Stiftung, und Prof. Dr. Manfred Wilke, von der Entfremdung einer jungen Generation Mitglied des Stiftungsrates, aufgenommen, erzählt, die nach neuen Wegen sucht, und mit die nunmehr das Jahrbuch gemeinsam mit dem er gegen die Tabus in der DDR anschrieb. Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Weber, Dr. Jan Die politischen Auseinandersetzungen um das Foitzik, Prof. Dr. Horst Dähn, Dr. Bernhard Buch waren erheblich und einer der zentralen Bayerlein und Dr. Ulrich Mählert herausgeben. Gründe für die Ausreise von Erich Loest in die Bundesrepublik 1981. Die daran anschließende Podiumsdiskussion widmete sich dem Thema 2.2.6 Relaunch »Das Ende der Illusionen. Geist und Macht in www.stiftung-aufar beitung.de der Ära Honecker«. Die vorliegende CD dokumentiert die Ver- Im Frühjahr 2003 wurde die Homepage der anstaltung im Roten Rathaus von Berlin. Stiftung Aufarbeitung nach einem kompletten Relaunch der Öffentlichkeit präsentiert und zur Verfügung gestellt. Neben einer Neuge- Ausblick: staltung des Designs wurde die Menüführung deutlich erweitert und nutzerfreundlich Jahrbuch für Historische Kommunismusfor- gestaltet. Damit stellt die Stiftung auf ihrer schung Website nun ausführliche Informationen über die Stiftung und ihre Gremien, über die För- Im Jahr 2003 wechselte das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung in die Trägerschaft der Stiftung Aufarbeitung. Das 1993 von Professor Dr. Dr. h.c. Hermann Weber an der Universität Mannheim gegrün- dete Jahrbuch hat sich mittlerweile zu einer international anerkannten Publikation entwi- ckelt, die die Geschichte des Kommunismus in ihrer gesamten Breite mit einem beständigen Schwerpunkt auf die DDR-Geschichte in den Blick nimmt. Mit dem Wechsel zur Stiftung Aufarbeitung, in deren Auftrag das Jahrbuch ab 2004 erscheint, verfügt die Stiftung nun- mehr über ein eigenes Periodikum, das die Möglichkeit bietet, die Geschichte der SED- Diktatur in den europäischen Kontext und in dermöglichkeiten bei der Stiftung (per Down- die Geschichte des internationalen Kommu- load können Formulare zur Antragstellung, nismus einzuordnen. Mit dem Newsletter für Mittelabforderung und zur Verwendungsnach- internationale Kommunismusforschung, der weisführung herunter geladen werden), über im Anhang des Jahrbuches erscheint, unter- Veranstaltungen und Weiterbildungen sowie streicht die Stiftung ihren Anspruch, Dienst- über die Publikationen der Stiftung bereit. leister für Forschung und Medien zu sein. In Auf der Startseite informiert ein historisches den Herausgeberkreis wurden Professor Dr. Kalendarium Tag für Tag über Ereignisse aus Bernd Faulenbach, stellvertretender Vor- Opposition, Repression und Widerstand in standsvorsitzender der Stiftung, Dr. Ehrhart der DDR.

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Eine Suchfunktion bietet die Möglichkeit, Zugriffszahlen auf die Homepage verzeichnet die gesamte Website der Stiftung nach Stich- werden. Weitere Datenbanken und Infor- worten zu durchsuchen und erleichtert damit mationssegmente, die die Stiftung auf ihrer die Suche nach Inhalten und Informationen Homepage in der Zukunft anbieten wird, sind der Website. Zudem erleichtert eine Sitemap in Vorbereitung und dienen nicht zuletzt dazu, den Zugriff auf das Informationsangebot der auch mit diesem Instrument die Funktion als Website. Dienstleister und Anbieter von Informationen Zahlreiche Online-Datenbanken ermögli- zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu erfüllen. chen der interessierten Öffentlichkeit den schnellen Zugriff. So kann zum Beispiel durch das in einer Datenbank erfasste »Vademekum 2.2.7 Internationale Beziehungen DDR-Forschung« auf mehr als 350 Adressen und Informationen zu Einrichtungen der Der Ausbau und die Pfl ege internationaler DDR-Forschung oder in der Online-Version des Kontakte bei der Aufarbeitung der Diktatur- biographischen Handbuches »Wer war wer in geschichte im europäischen und außereuro- der DDR?« auf mehr als 3.500 biographische päischen Maßstab ist ein Schwerpunkt der Angaben zugegriffen werden. Stiftungsarbeit, die ihr gesetzlicher Auftrag Unter der Rubrik »Dokumentation« kann vorsieht. Bisher konzentrierte sich die Stif- Zugriff genommen werden auf Informationen tung vor allem auf den Aufbau arbeitsfähiger zum Archiv der Stiftung sowie zu ihrer Bibli- Strukturen in der Bundesrepublik selbst und othek und auf das Online-Archiv mit Angaben setzte ihre knappen personellen und fi nanzi- zu vergangenen Aktivitäten der Stiftung. Die- ellen Ressourcen vor allem im Inland ein. Mit ser Bereich wird künftig noch stark erweitert der Stabilisierung der Stiftungsarbeit und dem und zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten im- personellen Aufwuchs konnte jedoch auch die plementiert werden. internationale Arbeit stärker in den Blick ge- Darüber hinaus bietet die Stiftung unter nommen werden. Auch wenn die Förderung ihrer Rubrik »Service/Wegweiser« umfangrei- von Projekten mit internationalen Partnern, che Serviceangebote, die auf verschiedene die derzeit kaum zwei Prozent der ausge- Datenbanken der Stiftung verweisen, Such- reichten Fördermittel ausmacht, sich nicht maschinen und Linkkataloge zu Archiven, im gleichen Maße ausweiten wird wie bspw. Bibliotheken, internationalen Einrichtungen, andere Förderbereiche der Stiftung, wird die Institutionen der politischen Bildungsarbeit Stiftung künftig diesem Gebiet größere Auf- u.v.m. umfassen. merksamkeit widmen. Derzeit konzentriert Einführende Informationen zur Stiftung sich die Arbeit in diesem Bereich auf folgende und ihren Aufgaben wie Fördermöglichkeiten Aktivitäten: sind zudem auch auf englisch und russisch auf der Website einzusehen. Kontaktseiten mit Informationen zu Lage und Anfahrt zur Länderschwerpunkte Geschäftsstelle sowie einem Mailformular für den Nutzer runden das Angebot der Homepage Die Stiftung wendet sich jährlich anderen ab. Die Homepage der Stiftung wird laufend »Länderschwerpunkten« zu, um Kontakte aktualisiert, weitere online-Angebote werden zu dortigen Aufarbeitungsinstitutionen zu realisiert werden. Vor allem durch das Angebot knüpfen, einen Überblick über den Stand der der Veranstaltungs-Datenbank mit den rund Auseinandersetzung mit der kommunistischen 900 Aktivitäten aus Anlass des 50. Jahrestages Vergangenheit zu erreichen und auch Kontak- des 17. Juni 1953 konnten deutlich steigende te zwischen anderen deutschen und ausländi-

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schen Partnern zu ermöglichen. Während der erste Länderschwerpunkt im Jahr 2002 Tsche- chien galt, ist der nächste Länderschwerpunkt Polen gewidmet. Neben einer Übersicht über die dortige Aufarbeitung führt die Stiftung jeweils mehrtägige Studienfahrten durch.

Studienfahrten der Stiftung

Im Programm der Stiftung werden künftig Studienreisen in ehemalige Staaten des Ost- blocks einen festen Platz einnehmen. Anliegen der Fahrten ist es, Multiplikatoren aus allen Bereichen von Wissenschaft über Medien bis hin zur Politik und zu MitarbeiterInnen von Aufarbeitungseinrichtungen auf den mehr- tägigen Fahrten einen Überblick über die Gedenkstätten, Wissenschaftseinrichtungen »Aufarbeitungslandschaften« in den einzelnen und Medien. Mit Unterstützung des Goethe- postsozialistischen Staaten und den Umgang Instituts sowie des Prager Instituts für Zeitge- mit den Hinterlassenschaften der kommunis- schichte konnte für die Reise ein Besuchspro- tischen Regime zu ermöglichen. Dabei werden gramm entwickelt werden, das Gespräche und für jedes Land für die Aufarbeitung wichtige Vorträge in unabhängigen und staatlichen und typische Aufarbeitungsinstitutionen von Archiven sowie den Besuch von Museen und Archiven über Forschungseinrichtungen bis Gedenkstätten umfasste. Ein Kernstück des hin zu Gedenkstätten und Opferverbänden Programms war eine deutsch-tschechische vorgestellt, Diskussionen organisiert und viel- Podiumsdiskussion am 25. Oktober 2002 zum fältige Kontakte vermittelt. Stand und den Perspektiven der Aufarbeitung Die kritische Auseinandersetzung mit der kommunistischer Vergangenheit in beiden kommunistischen Vergangenheit bleibt auch Ländern, an der rund 100 tschechische Gäste in Zukunft eine Herausforderung, der sich die teilnahmen. Der Empfang der deutschen Bot- Bürgerinnen und Bürger jener Staaten stellen schaft im Anschluss an das Podiumsgespräch müssen, die sich bis 1989/90 der sowjetischen wurde von den deutschen und tschechischen Herrschaft ausgesetzt sahen. Hierfür bedarf es Besuchern für einen intensiven Austausch nach Auffassung unserer Stiftung des grenz- genutzt, der den Boden für weitere deutsch- überschreitenden Erfahrungsaustausches, der tschechische Kooperationen bereitete. nicht nur für alle Beteiligten Anregungen Die für 2003 ursprünglich vorgesehene bietet, sondern auch Mut machen kann, den Studienfahrt nach Polen musste wegen der beschrittenen Weg fortzusetzen. Haushaltskürzungen von 130.000 ¤ verscho- Vom 23. bis 25. Oktober 2002 führte die ben werden. Sie fi ndet nunmehr, passend zum Stiftung ihre erste Studienreise in die Tsche- 15. Jahrestag der Revolutionen in Mittel- und chische Republik durch. Anlass war der 25. Osteuropa und der Überwindung der kommu- Jahrestag der Gründung der Charta 77. Zum nistischen Diktaturen sowie dem EU-Beitritt Teilnehmerkreis der Studienreise zählten Polens und der EU-Osterweiterung, vom 10. rund dreißig Vertreterinnen und Vertreter bis 15. Mai 2004 statt und führt über Posen zeitgeschichtlicher Initiativen, Museen und nach Warschau.

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Projekte zur internationalen Vernetzung Diese Arbeit wird durch Kooperationen mit Partnern in den mittelosteuropäischen Die Stiftung Aufarbeitung misst der in- Ländern ergänzt. Bereits im Jahr 2002 konnte ternationalen Vernetzung von Forschung, aus Anlass der Studienreise nach Prag eine Gedenkstättenarbeit und gesellschaftlicher Zusammenstellung auf der Homepage der Aufarbeitung größte Bedeutung bei. Die Aus- Stiftung Aufarbeitung veröffentlicht werden, einandersetzung mit den kommunistischen für die das Prager Institut für Zeitgeschichte Diktaturen im 20. Jahrhundert darf sich nicht die Archive, Bibliotheken, Forschungseinrich- auf die nationale Nabelschau beschränken. tungen, zeitgeschichtlichen Initiativen und Vor diesem Hintergrund entwickelte die Stif- Opferverbände sowie Museen und Gedenkstät- tung in den Jahren 2002 und 2003 eine Reihe ten zur kommunistischen Diktatur in der CSSR von Initiativen, die im eigenen Haus oder in recherchiert hat. Das Willy-Brandt-Zentrum in Kooperation mit Dritten auf den Weg gebracht Breslau erarbeitete eine solche Dokumentati- wurden. Im Jahr 2003 wurden in der Stiftung on im Verlauf des Jahres 2003, die im ersten die Arbeiten an einer Dokumentation aufge- Halbjahr 2004 als Broschüre erscheinen wird. nommen, die europaweit Erinnerungszeichen Ebenfalls im Jahr 2003 wurden in Rumänien und Gedenkorte erfasst, die an Verfolgung, die Arbeiten an einer diesbezüglichen Pu- Opposition und Widerstand im kommunisti- blikation aufgenommen, die ebenfalls 2004 schen Machtbereich erinnern. erscheinen wird. Darüber hinaus erarbeitet die Stiftung ent- sprechend ihrem Profi l als Dienstleistungs- und Vernetzungseinrichtung a) ein internationales Veranstaltungen mit internationalem Profi l »Vademekum der Kommunismusforschung«, In 2002 organisierte die Stiftung eine inter- nationale Oral-History-Konferenz zum Thema »Umbruch in Osteuropa und kollektives Ge- dächtnis«. Die internationale Konferenz »Die Gegenwart der Vergangenheit« fand vom 23. bis 25. Mai 2002 im ehemaligen Staatsrats- gebäude am Schlossplatz 1 in Berlin-Mitte statt. Hierzu hatte das Institut für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen als Vertreter der »International Oral History Association« in Verbindung mit der Stiftung b) einen internationalen Gedenkortführer zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der sowie c) in Kooperation mit der Internatio- Bundeszentrale für politische Bildung einge- nalen Assoziation der politischen Häftlinge laden, um über den Transformationsprozess einen Überblick über die in anderen Ländern in Ost- und Mitteleuropa und seine subjektive geltenden Regelungen zu Rehabilitierung und Verarbeitung zu debattieren. Über 200 Wis- Entschädigung von Opfern kommunistischer senschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Regime. Einen ersten Überblick ermöglicht Europa und Übersee diskutierten dort unter das von der Stiftung auf ihrer Homepage ein- dem großen Thema »Die Gegenwart der Ver- gerichtete »Internationale Partnerforum«. Die gangenheit« über das historische, politische Dokumentationen für Polen und Rumänien und mentale Erbe, das die kommunistischen liegen inzwischen vor oder stehen kurz vor Regime in Ost- und Südosteuropa hinterlassen dem Abschluss. haben und das heute die dortigen Entwicklun-

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gen – auch auf dem Wege zu einem geeinten Zusammenarbeit mit der Internationalen und demokratischen Europa – beeinfl usst. Assoziation politischer Häftlinge und Opfer Diskutiert wurden die persönliche und des Kommunismus kollektive Erinnerung an die Zeit vor, in und nach den Umbrüchen, die biographischen und Darüber hinaus steht die Stiftung mit der familiären Veränderungen durch diese System- Internationalen Assoziation ehemaliger politi- brüche sowie die individuelle Orientierungssu- scher Häftlinge und Opfer des Kommunismus che in der »neuen Zeit«. Dabei steht die »Un- gleichzeitigkeit« der Entwicklung politischer Strukturen und persönlicher Orientierungen im Mittelpunkt. Ziel der Konferenz war der Vergleich des Transformationsprozesses in den verschiedenen Ländern Ost- und Mitteleuro- pas. Die Ergebnisse der Konferenz wurden vom Norddeutschen Rundfunk in einem Feature zusammengefasst und ausgestrahlt. Zusätzlich entstand eine Audio-CD.

Kooperation mit dem Haus des Terrors in Budapest

Mit dem Haus des Terrors in Budapest wurde in Verbindung, mit der gemeinsam eine Über- eine Kooperation vereinbart, deren Grund- sicht über die einzelnen nationalen Regelun- sätze derzeit auf Arbeitsebene vorbereitet gen für Rehabilitierung und Entschädigung werden. Im Haus des Terrors war bspw. im erarbeitet wird. Sommer 2003 die Plakatausstellung der Stif- tung zum 17. Juni 1953 zu sehen. 2.2.8 Partner der Stiftung

Zusammenarbeit mit dem Cold War Interna- Auch in den vergangenen beiden Jahren hat tional History Project (CWIHP) die Stiftung ihrem gesetzlichen Auftrag »in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen Im Sommer 2003 nahmen das internationale auf dem Gebiet der Aufarbeitung der SED-Dik- Kalte-Kriegs-Projekt in Washington D.C. (USA) tatur Beiträge zur umfassenden Aufarbeitung und die Stiftung erste Arbeitskontakte auf, von Ursachen, Geschichte und Folgen der Dik- um gemeinsam eine Datenbank zu erstellen, tatur in der Sowjetischen Besatzungszone in in der ergänzend zu der Sammlung von Gedenk- Deutschland und in der DDR zu leisten und zu orten und Erinnerungszeichen im ehemaligen unterstützen, die Erinnerung an das gesche- kommunistischen Machtbereich Museen und hene Unrecht und die Opfer wach zu halten Gedenkstätten erfasst werden sollen, die welt- sowie den antitotalitären Konsens in der Ge- weit an die kommunistischen Regime und ihre sellschaft, die Demokratie und die innere Ein- Opfer sowie auch an den großen historischen heit Deutschlands zu fördern und zu festigen« Komplex des Kalten Krieges, der die Welt nach (§ 2 Nr. 1 des Errichtungsgesetzes), Rechnung dem Zweiten Weltkrieg in feindliche Lager getragen – insbesondere durch die vielfältige spaltete, erinnern. Kooperation mit anderen Institutionen der

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Aufarbeitung in allen gesellschaftlichen Be- sprengen, deshalb seien nur einige exemp- reichen. Der Erfolg der Stiftungsarbeit wird larisch und in alphabetischer Reihenfolge sich letztlich nicht nur an der Ausstrahlung benannt, mit denen in den vergangenen zwei der eigenen Aktivitäten der Stiftung messen, Jahren gemeinsame Veranstaltungen durchge- sondern vor allem an der Arbeit ihrer vielfäl- führt wurden: tigen Partner im Bereich der Initiativen, der Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unter- Opferverbände, der politischen Bildung sowie lagen, Bundeszentrale für politische Bildung, Centrum für angewandte Politikforschung, Deutschlandfunk, Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Forschungs- verbund SED-Staat, Gedenkstätte Moritz- platz Magdeburg, Hannah-Arendt-Institut Dresden, Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig/Bonn, Institut für Zeitge- schichte München/Außenstelle Berlin, Kon- rad-Adenauer-Stiftung, die Landeszentralen für politische Bildung, die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Polnisches Institut, Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinne- rung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Universität Rostock, Verein Berliner Mauer e.V., Verein »Gegen Vergessen – für Demokra- tie e.V.«, Verein »Politische Memoriale e.V.«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Zentrum für in- ternationale Beziehungen Warschau, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.

der Wissenschaft, die ihrerseits in der Stiftung einen verlässlichen, keineswegs unkritischen Partner fi nden, der die gemeinsame Aufgabe fi nanziell, konzeptionell wie auch ideell nach Kräften unterstützt. Die Stiftung hat durch ihre Projektförde- rungen und die zahlreichen Veranstaltungen, die sie gemeinsam mit anderen Kooperati- onspartnern organisiert und ausgerichtet hat, einen hohen Grad an Vernetzung mit Einrichtungen der politischen Bildungsarbeit im In- und Ausland, Aufarbeitungsinitiativen und anderen Organisationen, die sich der Auf- arbeitung der SED-Diktatur widmen, erreicht. Sie alle hier aufzuzählen, würde den Rahmen

76 1 Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zentrale Aufgaben und Gremien 2 Arbeitsschwerpunkte 2002/2003 3 Perspektiven und Ausblick 4 Anhang

3. Perspektiven und Ausblick

Der fünfzigste Jahrestag des Volksaufstandes und Oppositionsgeist bei der Auseinanderset- vom 17. Juni 1953 hat im Jahre 2003 gezeigt, zung mit der zweiten Diktatur in Deutschland dass die jüngere deutsche Geschichte, die einzubeziehen, gehört zu unseren Aufgaben in deutsche Teilung und die Gestaltung der den nächsten Jahren. deutschen Einheit lebendige Themen sind Die Stiftung sieht ihre Aufgaben dabei auch und immer wieder neue und aktuelle Fragen künftig nicht nur darin, als Fördermittelgeber aufwerfen. Sicher wird sich das immense In- für die unterschiedlichsten Projekte und Trä- teresse, das Öffentlichkeit, Medien und Politik gerinstitutionen im In- und Ausland, die sich in seltener Einmütigkeit vereinte, in diesem mit den Formen und Folgewirkungen stalinis- großen Ausmaß nicht auf Dauer aufrechter- tischer Herrschaft in Deutschland und Europa halten lassen. Aber es zeigt dennoch, dass das befassen, zur Verfügung zu stehen. Vielmehr Interesse an der jüngsten Vergangenheit nicht wird die Stiftung auch künftig ihr Profi l als nachlässt. Die Stiftung zur Aufarbeitung der Dienstleister und Vermittler zwischen den SED-Diktatur möchte mit ihrer Arbeit dazu verschiedenen Akteuren auf allen gesellschaft- beitragen, nicht nur die Auseinandersetzung lichen Gebieten schärfen und ihre Möglichkei- mit der DDR und der deutschen Teilung sowie ten, Aktivitäten anzuregen, zu vernetzen und der Wiedervereinigung und der Gestaltung der zu koordinieren, wahrnehmen. Einheit in gesamtdeutscher und europäischer Schließlich wird der Erfolg der Tätigkeit der Perspektive zu befördern. Vielmehr möchte sie Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag den nicht nur an der Qualität der von ihr selbst Blick auch auf die über vierzig Jahre währende geleisteten Arbeit und der von ihr geförderten Herrschaft kommunistischer Diktaturen in Projekte gemessen werden, sondern auch da- einem Teil Europas richten und diese in einer gesamteuropäischen Perspektive angemessen verorten. Zugleich ist die Stiftung bestrebt, den Blick über den deutsch-deutschen Tellerrand hinaus vor allem nach Mittel- und Osteuro- pa zu weiten und die Erfahrungen unserer Nachbarn im Osten Europas in ausreichendem Maße einzubeziehen und für Diskussionen in Deutschland nutzbar zu machen. Viel zu oft gerät noch aus dem Blick, dass die DDR Teil des kommunistischen Machtbereichs unter sowjetischer Vorherrschaft war, dass sie eine unter vielen kommunistischen Diktaturen in Europa war. Diese Erfahrungen mit Unterdrü- ckung und Verfolgung wie auch Bürgermut

77 Tätigkeitsbericht der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2002–2003

ran, welchen Platz die DDR und die deutsche Die Stiftung hat sich zu einer lebendigen Teilung in der noch zu schreibenden gesamt- und produktiven Stätte der Auseinanderset- deutschen und europäischen Nachkriegsge- zung mit der SED-Diktatur entwickelt und schichte erhalten. als Partner der vielfältigsten Ansätze der Im Zentrum der Stiftungsarbeit wird auch Aufarbeitung etabliert. Diesem Anspruch will weiterhin die Projektförderung stehen, die die Stiftung mit ihrer Arbeit auch künftig ge- insbesondere im Bereich der Gesellschaftlichen nügen. Ziel ist es, die Auseinandersetzung mit Aufarbeitung in den vergangenen Jahren einen der SED-Diktatur als ein gesamtgesellschaftli- erfreulichen und sichtbaren Professionalisie- ches Anliegen zu popularisieren und mit viel- rungsschub erfahren hat. Das von der Stiftung fältigen Aktivitäten eine breite Öffentlichkeit entwickelte breite Weiterbildungsangebot für dafür zu interessieren, sich mit der jüngsten von ihr geförderte Projekte und Einrichtungen deutschen Vergangenheit zu befassen. der Gesellschaftlichen Aufarbeitung wird wei- ter ausgebaut werden, um die gute Qualität der bisherigen Förderungen weiter zu erhöhen und die Ausstrahlung der Projekte zu erwei- tern. Diese Angebote werden auch zukünftig in Kooperation mit vielfältigen Partnern ange- boten, um eine weitere Vernetzung zwischen den unterschiedlichsten Einrichtungen in Ost wie West zu erreichen und auszubauen. Gleichzeitig will die Stiftung in den kom- menden Jahren noch stärker als bisher in der Öffentlichkeit mit hochrangigen und publi- kumswirksamen Veranstaltungen präsent sein. In den nächsten Jahren stehen mit dem 15. Jahrestag der friedlichen Revolution und des Mauerfalls 2004 und der deutschen Einheit 2005 wie auch dem 60. Jahrestag des Kriegs- endes von 1945 wiederum Jahrestage an, zu denen der Blick erneut auf die Werte von De- mokratie und Freiheit gelenkt werden kann. Darüber hinaus wird die Stiftung ihre Akti- vitäten gemeinsam mit Partnern aus den Län- dern des einstigen Ostblocks verstärken, um mit gemeinsamen Veranstaltungen, Publika- tionen und Projekten die Auseinandersetzung mit Formen und Ausprägung kommunistischer Herrschaft im 20. Jahrhundert anzuregen und die Vernetzung von Institutionen in den un- terschiedlichen Ländern zu befördern. Die Stiftung will auch künftig dazu beitra- gen, mit ihren Angeboten die öffentliche Dis- kussion über die zweite deutsche Diktatur und die deutsch-deutsche Teilungsgeschichte in ihrer europäischen Dimension wach zu halten.

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