Jahresbericht 2018 Jahresbericht

Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Jahresbericht 2018 Schwerpunktthema: Wehrmacht und Verbrechen Gedenken Bewahren Forschen Bilden

Geschichte begreifen – für die Zukunft handeln.

Die Stiftung niedersächsische Gedenk­ Die Stiftung niedersächsische Gedenk- stätten verbindet staatliche Verantwortung stätten verwirklicht ihren Stiftungszweck und bürgerschaftliches Engagement für darüber hinaus durch die Auseinandersetzung mit den Ver­ • Zeitzeugengespräche, Film- und brechen des Nationalsozialismus und Theateraufführungen und Lesungen; die Würdigung der Opfer. Ihr Ziel ist die • Sonderausstellungen, wissenschaft- Förderung eines kritischen Geschichts-­ liche Tagungen und Netzwerktreffen; bewusstseins. • Projekte im Bereich Forschung, Vermittlung und Bildung; Die Stiftung ist Trägerin der Gedenk­ • Fortbildungen für Gedenkstätten- stätten Bergen-Belsen und Wolfenbüttel. mitarbeiter, Lehrkräfte und Multi- Zudem fördert und berät sie die weite­ plikatoren; ren Gedenkstätten sowie Erinnerungs­ • Publikationen und Informations- initiativen in Niedersachsen und betreibt materialien. eigene Forschungs- und Vermittlungs­ projekte zur Zeit des Nationalsozialismus und seinen Folgen. Inhalt

EDITORIAL...... 2 GEDENKSTÄTTE IN DER JVA WOLFENBÜTTEL...... 95 Allgemeiner Bericht...... 96 SCHWERPUNKTTHEMA Pädagogik allgemein und Statistik...... 98 WEHRMACHT UND VERBRECHEN...... 5 Wege der Erinnerung(en) – auf den Spuren der Wehrmacht und Verbrechen...... 6 Wolfenbütteler Juden...... 99 Der Truppenübungsplatz Bergen und die Kaserne Ideenwettbewerb zum Gedenkort für 217 Opfer der Bergen-Hohne 1935 bis 1945...... 12 Hinrichtungsstätte Wolfenbüttel...... 100 Wehrmacht und Kriegsgefangene: Ehemalige Inhaftierte und Familienangehörige...... 101 Verbrechen und Verstöße gegen Internationales Recht...... 18 Richtfest...... 102 Vollstreckung von Todesurteilen der Wehrmachtsjustiz im Neugestaltungsprojekt: Erarbeitung einer Strafgefängnis Wolfenbüttel und auf dem Schießstand neuen Dauerausstellung...... 103 Braunschweig-Buchhorst...... 24 „§ 175 StGB – 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der Bundes­ „Ich habe nur, wie jeder andere auch, meinen Dienst republik am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel“...... 106 gemacht.“ Wehrmachtssoldaten als KZ-Bewacher...... 30 „outSITE Wolfenbüttel: Das Strafgefängnis Wolfenbüttel Bildungsangebote am erweiterten historischen Ort. Das und sein Netzwerk im Land Braunschweig“...... 107 Thema Truppenübungsplatz und Kaserne Bergen-Hohne in gedenkstättendidaktischer Perspektive...... 36 GEDENKSTÄTTENFÖRDERUNG NIEDERSACHSEN...... 109 Täter, Mittäter und Zuschauer der NS-Verbrechen. Chancen Allgemeiner Bericht...... 110 und Risiken einer integralen Gedenkstättendidaktik...... 40 Dokumentation und Forschung...... 114 Tagung: Friedhöfe und Grabstätten von NS-Opfern 1 STIFTUNG...... 45 als Gedenk- und Lernorte...... 116 Bericht des Geschäftsführers ...... 46 Die Website „Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen“. Kalendarium der Stiftung...... 49 Ein Kooperationsprojekt zum Mitmachen...... 118 Publikationen der Stiftung...... 58 Qualifizierung und Vernetzung der Bildungsarbeit Veröffentlichungen und Vorträge sowie Lehraufträge der Gedenkstätten in Niedersachsen...... 120 von Beschäftigten der Stiftung und Mitarbeit in Gremien...... 58 Lernort zur Funktionsweise der NS-Diktatur: Der geplante Projekt KogA: Diskriminierung von Sinti und Roma durch Dokumentationsort zu den „Reichserntedankfesten“ staatliche Institutionen und der Kampf um Anerkennung am Bückeberg bei Hameln...... 122 und Teilhabe ...... 64 Förderung der Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Deportation der durch finanzielle Zuwendungen...... 124 niedersächsischen Sinti und Roma nach Auschwitz...... 66 Ein Curriculum für wissenschaftliche Volontariate GEFÖRDERTE GEDENKSTÄTTEN...... 129 in niedersächsischen Gedenkstätten...... 70 Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht...... 130 Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte...... 134 GEDENKSTÄTTE BERGEN-BELSEN...... 73 Gedenkstätte Esterwegen...... 138 Allgemeiner Bericht ...... 74 Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V...... 142 Die Wanderausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“...... 76 KZ-Gedenkstätte Moringen...... 146 Digitale Zugänge der Gedenkstätte Bergen-Belsen...... 82 Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel...... 150 Demokratie – Wo und wie? ...... 83 Archiv und Dokumentation...... 84 Impressum...... 154 Namensverzeichnis der Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen...... 87 Kriegsgefangenenlager...... 88 Bildung und Begegnung...... 89 Erwachsene als Zielgruppe für Bildungsangebote...... 90 Begegnungen mit Zeitzeug_innen in der Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen...... 92 Kooperation in der Bildungsarbeit – die Gedenkstätten Westerbork (Niederlande) und Bergen-Belsen...... 93

Editorial

Jens-Christian Wagner

2 Mit Sorge beobachten wir, dass die wurden – wie auch die Nazis 1933 ihre auch die Täter_innen, Mittäter_innen politische Stimmung in Deutschland, Macht in mehr oder weniger demokrati- und Zuschauer_innen in den Blick neh- Europa und der Welt immer weiter nach schen Wahlen sicherten (wenn auch in men und sich mit deren Motivation rechts in Richtung Nationalismus und einem Klima massiver Einschüchterung auseinandersetzen. Diese bestand aus Autoritarismus abdriftet. Seit 2018 ist und brutalen Terrors gegen ihre politi- einer diffusen Gemengelage aus ideo- mit der AfD erstmals in der Geschichte schen Gegner). Sicherlich sollte man logischer Überzeugung, Ausgren- der Bundesrepublik eine Partei, in der sich vor falschen historischen Analogien zungsdiskursen, Rassismus, Antisemi- rechtsextreme, rassistische, antisemiti- hüten. Die heutige politische Groß­ tismus, Indoktrination, Sicherheits- und sche und geschichtsrevisionistische wetterlage kann man mit der Situation Kriminalisierungsdiskursen, dem emo- Positionen mindestens geduldet werden, des Jahres 1933 nicht gleichsetzen. tionalen Angebot, „dazu zu gehören“, in sämtlichen Landesparlamenten wie Man kann aber vergleichen – und das Gruppendruck und Angst – vor dem auch im Bundestag vertreten. Munter ist die Aufgabe der Gedenkstätten. Sie Regime, aber auch vor den vermeint- wettern Politiker_innen der Partei gegen leisten historisch-politische Bildungs­ lich gefährlichen Ausgegrenzten und sogenannte Globalisten und meinen arbeit. Das ist freilich etwas anderes als Verfolgten. Mehrere dieser Faktoren damit nichts anderes als „die Juden“. In eine Art freiheitlich-demokratische waren gar nicht spezifisch national­ Italien hetzt ein Innenminister, in Ungarn Agitprop-Veranstaltung. Nicht um Über- sozialistisch determiniert und entfalten ein Ministerpräsident gegen Geflüchtete wältigung und Indoktrination geht es, auch heute noch oder wieder latent und Roma, in Österreich regieren die sondern um die Stärkung historischen oder sogar virulent Wirkung. Gerade Konservativen in einer Koalition mit Urteilsvermögens und die Vermittlung die Auseinandersetzung mit diesen rechtsextremen Burschenschaftern, in eines auf Reflexion beruhenden Ge- Themen, insbesondere der Mitmach­ Polen betreiben Nationalkonservative schichtsbewusstseins. Eines der wich- bereitschaft im Nationalsozialismus, den Abbau des Rechtsstaates, in Groß- tigsten Mittel dieser Bildungsarbeit ist bietet große handlungsorientierte britannien hetzten Nationalisten so lange der historische Vergleich: Was haben didaktische Potentiale mit Aktualitäts- gegen die Europäische Union, bis dass heutige antidemokratische Strömungen bezug – und das nicht im Sinne einer das Land diese nun verlässt, in Brasilien mit Ideologie und Praxis der NS-Diktatur sehr allgemeinen Form der Menschen- regiert seit Ende 2018 ein offen rechts- gemeinsam, was unterscheidet sie? rechtserziehung, sondern wissen- extrem agitierender Präsident. Im Mittelpunkt des Gedenkens ste- schaftlich sauber und differenziert Was daran am meisten irritiert, ist der hen die Opfer. Doch zeitgemäße Ge- herausgearbeitet aus dem konkreten Umstand, dass diese Leute, die die offene, denkstättenarbeit im Sinne von histo- historischen Beispiel und mit einem liberale Demokratie verachten, gewählt risch-politischer Bildung muss stärker stringenten Akteurskonzept. Wie das im Jahr 2018 im Einzelnen in Homosexuellenverfolgung in der frühen Wehrmacht und ihrer Verbrechen für die 3 den Gedenkstätten Bergen-Belsen und Bundesrepublik oder in der Gedenk-­ Bildungsarbeit in den niedersächsischen Wolfenbüttel und in den von der Stif- stätte Bergen-Belsen das Thema Wehr- Gedenkstätten. Ihren Autor_innen sei tung geförderten weiteren niedersächsi- machtsverbrechen. Letzteres geht ein- ebenso gedankt wie allen anderen Kol- schen Gedenkstätten umgesetzt wurde, her mit der Übernahme eines Gebäudes leg_innen inner- und außerhalb der Stif- zeigt der vorliegende Jahresbericht. In in der heutigen Niedersachsen-Kaserne. tung, die auch in diesem Jahr wieder mit mehreren Gedenkstätten wird derzeit Dort wurden kurz vor der Befreiung 1945 lesenswerten Beiträgen zeigen, wie breit an neuen Dauerausstellungen oder aktu- noch Häftlinge aus dem geräumten KZ gefächert und inhaltlich fundiert das Bil- ellen Wechselausstellungen gearbeitet Mittelbau-Dora untergebracht. Danach dungs- und Forschungsangebot in den (teils auch in Online-Formaten), und in war das Gebäude bis 1950 Teil des DP- niedersächsischen Gedenkstätten ist. den Bildungsabteilungen werden neue Camps Bergen-Belsen, in dem vor allem Formate eingeführt, die die Veränderung jüdische Überlebende auf ihre Auswan- des (geschichts)politischen Klimas be- derung nach Übersee oder nach Palästina rücksichtigen. Ein Trend ist dabei ganz bzw. ab 1948 in den neugegründeten eindeutig: Es geht nicht so sehr darum, Staat Israel warten mussten. die Quantität zu steigern, sondern die In dem Gebäude M.B. („Mannschafts- Qualität. Tages- oder Mehrtagesprojekte block“) 89 wird ab April 2019 eine Werk- bieten den Teilnehmenden deutlich bes- stattausstellung über die Geschichte sere und nachhaltigere Möglichkeiten, der Kaserne Bergen-Hohne und des sich im Sinne des entdeckenden Lernens Truppenübungsplatzes Bergen im Be- intensiver mit der Geschichte des Natio- sonderen und über die Geschichte der nalsozialismus und seiner Opfer ausein- Wehrmacht im Nationalsozialismus im anderzusetzen als die früher üblichen Allgemeinen informieren. Für uns ist die Standard-Führungen von ein bis drei Übergabe des Gebäudes durch die Bun- Stunden Dauer. deswehr an die Stiftung Anlass, dem Neben den zeitintensiven neuen Thema „Wehrmacht und Verbrechen“ Formaten wurden und werden auch in- in unserem Jahresbericht 2018 den jähr- haltlich neue thematische Formate ein- lichen Schwerpunkt zu widmen. Sieben geführt – in der Gedenkstätte in der JVA Essays vermitteln historische und didak- Jens-Christian Wagner auf dem Richtfest des neuen Dokumentationszentrums der Gedenkstätte in der Wolfenbüttel etwa zum Thema der tische Bezugspunkte zur Geschichte der JVA Wolfenbüttel • Jesco Denzel

Editorial 4 Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen

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Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Wehrmacht und Verbrechen

Jens Binner

6 Die Diskussion um das Verhältnis der gewichen. Einer der entscheidenden sen neuen Schwerpunktsetzungen. Die Wehrmacht zu den nationalsozialisti- Katalysatoren dafür war die sogenannte Wehrmachtsausstellung machte dann schen Verbrechen hat eine lange Tradition Wehrmachtsausstellung „Vernichtungs- auch für eine breitere Öffentlichkeit be- und viele Facetten. Über Jahrzehnte hatte krieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941- kannt, dass sich das Bild der Wehrmacht sich das Bild festgesetzt, dass die Solda- 1944“ des Hamburger Instituts für Sozi- gewandelt hatte und die Trennung zwi- ten der Wehrmacht an der Front rein alforschung, die ab 1995 gezeigt wurde.1 schen Wehrmacht und nationalsozialisti- militärisch gehandelt haben, während Im fachwissenschaftlichen Bereich war schem Regime eine rein künstliche war. die Verbrechen im Hinterland von SS, bereits seit Ende der 1970er Jahre eine In der Folge und nach weiter intensivier- Gestapo und ähnlichen Formationen neue Art der Militärgeschichte entwi- ten Forschungsanstrengungen setzte begangen wurden. Unter „Verbrechen“ ckelt worden, die sich nicht mehr auf die sich das Bild von der Wehrmacht als in- wurde dabei vorrangig derjenige Teil des Darstellung der militärischen Operatio- tegralem Bestandteil der nationalsozia- Holocaust verstanden, der sich in den nen beschränkte, sondern auch politi- listischen Herrschaft durch, die vor al- Vernichtungslagern im besetzten Polen schen, gesellschaftlichen, sozialen und lem in den besetzten Gebieten in ganz abspielte. Soldat der Wehrmacht gewe- kulturellen Aspekten Raum gab. Vor allem Europa die Verbrechen an den verschie- sen zu sein geriet so zum unangreifba- die ab 1979 erschienenen Bände der Reihe denen Bevölkerungsgruppen erst mög- ren Beweis einer Nichtbeteiligung an „Das Deutsche Reich und der Zweite lich gemacht hat, wenn sie nicht direkt den Verbrechen während des National- Weltkrieg“,2 die vom Militärgeschichtli- beteiligt war. sozialismus. Das Todesurteil für Wilhelm chen Forschungsamt des Bundesvertei- Es gab immer Stimmen, die weiter an Keitel im Nürnberger Hauptkriegsver­ digungsministeriums herausgegeben der Vorstellung eines Eigenlebens des brecherprozess störte dieses Bild kaum, wurde, orientierten sich explizit an die- Militärs in der Diktatur festhielten, bei weil Keitel vorrangig als ehrgeiziger Hit- der die Soldaten weiterhin als „unbe- 1 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Verbre- ler-Satrap wahrgenommen wurde, und chen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungs- fleckt“ von den Verbrechen des Regimes vom sogenannten OKW-Prozess der Alli- krieges 1941-1944. Ausstellungskatalog, 2. durchges. u. imaginiert wurden. Aber erst in den letz- erg. Aufl. 2002. ierten der Jahre 1947 bis 1949 fanden ten Jahren gewinnen diese Stimmen 2 Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. v. vor allem die Verteidigungsstrategien Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 10 Bde., Stutt- wieder an Resonanz, vor allem, weil der Angeklagten den Weg in die gart 1979-2008. Die Qualität der Bände ist dabei naturge- rechtspopulistische Bewegungen hier mäß unterschiedlich. So ist Band 8 aus dem Jahr 2007 Öffentlichkeit. über die Ostfront 1943/44 wieder weitgehend traditionel- ein Feld entdeckt haben, auf dem sie mit ler Militärgeschichtsschreibung verhaftet, die sich vor- Die Vorstellung von der „sauberen rangig der Schilderung der militärischen Operationen einfachen Schlagworten und unter Auf- Wehrmacht“ ist längst aufgebrochen widmet und dabei nolens volens die enge Verbindung gabe der mittlerweile im wissenschaftli- zwischen Wehrmacht und nationalsozialistischen Ver- worden und differenzierter Forschung brechen vernachlässigt. chen Bereich erreichten Differenzierung um Wählerstimmen buhlen können. So genüber der neuen Konkurrenz der be- terium Reichenau „haben nichts ver- 7 wurde Alexander Gauland, der Vorsit- waffneten Gruppen der NSDAP ansah, säumt, um die Wehrmacht frühzeitig zende der AfD, mit Sprechchören gefei- trifft man noch keine Aussage über das und nachhaltig nicht nur als verläßliches ert, als er auf dem Kyffhäusertreffen spätere Verhalten einzelner Soldaten der Instrument der Reichsregierung, son- 2017 seinen Stolz auf die Leistungen der Wehrmacht im Krieg. Und das Verhalten dern auch des Parteiführers Hitler zu deutschen Soldaten „in beiden Weltkrie- der militärischen Führung kann zudem präsentieren“.5 Weniger selbstverständ- gen“ verkündete.3 Diese Diskurse fallen keine Überraschung darstellen, wenn lich und somit stärker erklärungsbedürf- auf fruchtbaren Boden, weil die Mehr- man den biographischen und histori- tig ist die Beteiligung an erkennbar ver- zahl der Familien in Deutschland Solda- schen Hintergrund in Rechnung stellt. brecherischen Handlungen, wie sie vor ten der Wehrmacht unter ihren Vorfah- Fast alle Offiziere waren durch das allem während des Zweiten Weltkrieges ren hat, die in vielen Fällen auch Opfer Kaiserreich und den Ersten Weltkrieg vom Oberkommando der Wehrmacht der Kampfhandlungen wurden. Insofern geprägt, sahen die Monarchie als beste (OKW) bis hin zum einzelnen Soldaten rückt eine Verbindung zwischen Wehr- Staatsform an und verachteten die De- vielfach nachgewiesen ist. macht und Verbrechen auch die Beteili- mokratie, die sie für die Niederlage 1918 gung der deutschen Gesellschaft an den und den anschließenden „Schmach­ Verbrechen in den Blickpunkt, weil eine frieden“ von Versailles verantwortlich 5 Hans-Erich Volkmann, Von Blomberg zu Keitel – Die Externalisierung der Täterschaft in spezi- machten. Insofern kann es nicht verwun- Wehrmachtführung und die Demontage des Rechtsstaa- elle Gruppen wie die SS erschwert wird. dern, dass diese Kreise die Zerstörung tes, in: Rolf-Dieter Müller u. Hans-Erich Volkmann, Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 47- der Demokratie im Anschluss an die 65, hier S. 57. Wehrmacht und Nationalsozialismus bis Machtübernahme durch Adolf Hitler be- Adolf Hitler mit den neuernannten Generalfeldmarschäl- zum Zweiten Weltkrieg grüßten und ihren Platz unter der neuen len nach dem Sieg über Frankreich, 4.9.1940. Führung suchten. Das Militär „gehörte • Scherl; Süddeutsche Zeitung Photo Wenn man feststellt, dass die Reichs- zweifellos zu den politischen Siegern der Öffentliche Hinrichtung als Vergeltungsaktion in Pančevo (Serbien), 22.4.1941. Ein Angehöriger der wehr- und später die Wehrmachtsfüh- ‚nationalen Revolution‘“,4 und Reichs- Infanteriedivision „Großdeutschland“ erschießt Opfer, die nur verletzt worden waren. • Gerhard Gronefeld; rung sich sofort ab 1933 in den Dienst wehrminister Blomberg sowie der Chef Deutsches Historisches Museum der neuen diktatorischen Staatsführung des Ministeramtes im Reichswehrminis- Erschießung von Juden in Dubno (Sowjetunion), 1941. gestellt hat und als wichtigste Aufgabe Nach der Besetzung der Stadt erschossen deutsche 4 Jürgen Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine Soldaten 24 Juden, um Morde des sowjetischen Ge- die Sicherung ihrer Machtposition ge- strukturgeschichtliche Analyse (Beiträge zur Militärge- heimdienstes zu rächen. Die Beschriftung auf der schichte. Militärgeschichte kompakt, Bd. 2), München Rückseite lautet: „Juden schaufeln selbst Ihr Grab 3 https://www.youtube.com/watch?v=RCb4KWtzLyo, 22009, S. 21. Ebd., S. 3-17 auch eine knappe Darstellung (Dubno)“ • Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – ab 15:35 min. (Abruf 28.01.2019). des Verhältnisses der Reichswehr zur Weimarer Republik. RWB 26206/0001 und 0002

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 8 Exemplarisch für die ideologische Mannschaften“8 entlassen, bei denen es 1934 sah sich die Militärführung nicht Übereinstimmung großer Teile der sich ausnahmslos nicht um religiöse Ju- mehr in ihrer Alleinstellung als bewaff- Reichswehrführung mit dem National­ den handelte, sondern um Männer, die nete Macht gefährdet. Und die außen­ sozialismus kann für die frühe Phase der nach der neuen, rassistischen Definition politischen Schritte verfolgten Ziele, von Diktatur die Einführung des „Arier-Para- als nicht-arisch galten, weil sie Juden denen in der Wehrmacht lange geträumt graphen“ bei den Streitkräften im Jahr unter ihren Vorfahren hatten. Zwar gab worden war. Wiederbewaffnung, Remili- 1934 stehen.6 Ohne, dass dies von der es gegen die Blomberg-Direktive von tarisierung des Rheinlandes und schließ- neuen Regierung unter dem Reichskanz- 1934 noch vereinzelt Protest, jedoch lich die territoriale Expansion der Jahre ler Adolf Hitler gefordert worden war, nicht aus grundlegender Ablehnung des 1938/39 erfüllten Sehnsüchte, die im Of- weitete Reichswehrminister von Blom- Antisemitismus heraus, sondern vor al- fizierskorps und der Generalität allge- berg die Bestimmungen des „Gesetzes lem als Kritik am politischen Zugriff auf mein geteilt wurden. Die Blomberg- zur Wiederherstellung des Berufsbeam- die Personalhoheit des Militärs.9 In der Fritsch-Krise 1938 sorgte dann noch tentums“ mit einem Erlass vom 28. Feb- Folge wurden auch bei der starken per- einmal für die Klärung der Verhältnisse ruar 1934 auf das Militär aus. In der Folge sonellen Ausweitung der Wehrmacht, und beseitigte die zentralen Kritiker ei- musste bei allen Angehörigen der die sich vor allem in der Wiedereinfüh- ner Außenpolitik, die unweigerlich zum Reichswehr die „arische Abstammung“ rung der Wehrpflicht 1935 manifestierte, Krieg führen musste. überprüft werden. Diese vorauseilende die antisemitischen Bestimmungen un- Im Ergebnis war die Wehrmacht bei Anwendung politischer Intention stand hinterfragt angewandt.10 Beginn des Zweiten Weltkrieges kein in deutlichem Gegensatz zum Verhalten eigenständiger Machtfaktor mehr, son- während der Zeit der Weimarer Repub- Die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg dern als „zweite Säule“11 unverbrüchlicher lik, in der die Reichswehrführung ihre Bestandteil des nationalsozialistischen unpolitische Ausrichtung betont hatte, In den Jahren bis zum Beginn des Staates. Die Akzeptanz des Rassismus um nicht Partei für die Republik ergrei- Zweiten Weltkrieges fügte sich die als Grundlage Politik und die Aus- fen zu müssen.7 Im Ergebnis der Über- Wehrmachtführung weitgehend ge- sicht, langgehegte Eroberungsziele ver- prüfungen wurden „mindestens siebzig räuschlos in den nationalsozialistischen wirklichen zu können, die in Übereinstim- Offiziere, Unteroffiziere und Staat ein. Nach der Ausschaltung der SA mung mit der „Lebensraumpolitik“ vor- ­ zugsweise in Ostmittel- und Osteuropa 8 Ebd., S. 76. 6 Vgl. , Die Wehrmacht. Feindbilder, Ver- nichtungskrieg, Legenden, Frankfurt a.M. 2002, S. 74-94. 9 Ebd., S. 78-81. 11 Diskussion des Konzeptes der „zwei Säulen“ von „Volksgemeinschaft“ und Militär bei Förster, Wehrmacht 7 Ebd., S. 74f. 10 Ebd., S. 82f. (wie Anm. 2), S. 22-24. gesehen wurden, ließ etwaige völker- Registrierung und Entrechtung“.14 Ein Ver- hat die Wehrmacht bedenkenlos Mord- 9 rechtliche oder allgemeine moralische halten, das dann in der besetzten Sowjet- aktionen durchgeführt, vorrangig in der Bedenken mehr und mehr schwinden. union flächendeckend zu beobachten ist.15 Form völkerrechtswidriger und unver- Lange hat sich die Vorstellung gehalten, Wehrmachtseinheiten waren auch bei hältnismäßiger Vergeltungsaktionen.16 dass Wehrmachtseinheiten vorzugswei- den ab 1940 folgenden Feldzügen auf al- Dass es sich dabei in der Mehrheit se nach dem Überfall auf die Sowjetuni- len Kriegsschauplätzen an Verbrechen nicht um spontane Exzesstaten gehan- on an Verbrechen beteiligt waren, wobei beteiligt. Die Hierarchie der Opfer folgte delt hat, wie sie bewaffneten Konflikten häufig mitschwang, dass dies durch die dabei strikt den nationalsozialistischen regelmäßig zu eigen sind, sondern um besonders harten klimatischen und Ideologemen: Juden wurden überall eine bewusste Mittäterschaft aus dem Kampfbedingungen dort wesentlich mit- schikaniert, menschenunwürdig behan- Motiv der weltanschaulichen Überein- verursacht war. Mittlerweile wird jedoch delt, ermordet. Ähnlich ging es anderen stimmung, wird daran deutlich, dass die nicht mehr bezweifelt, dass bereits der aufgrund rassistischer Kriterien als Wehrmachtsführung umfassend in die Angriff auf Polen als „Auftakt zum nicht lebenswert eingestuften Gruppen Planungen der Verbrechen einbezogen Vernichtungskrieg“12 bezeichnet werden wie Sinti und Roma. Dazu trat eine aus war und auch eigeninitiativ tätig wurde. muss, weil es schon dort zu Massakern dem Überlegenheitsdenken des „Her- Dies zeigte sich erstmals nach der Zer- im Zeichen einer angeblichen Partisanen- renmenschen“ resultierende brutale schlagung Jugoslawiens in Serbien, wo gefahr, völkerrechtswidrigen Angriffen und unverhältnismäßige Reaktion auf die Wehrmacht selbständig mit der Er- durch die und einer Zusam- vermeintlichen oder tatsächlichen Wi- 13 16 Als Beispiel: Lars Hellwinkel, Gouesnou – ein Mas­ menarbeit mit SS-Mordeinheiten kam. derstand in allen Teilen des besetzten saker der deutschen Kriegsmarine in der Bretagne, in: Bereits in Polen „übernahm die Militär- Europa. Auch in Ländern wie Frankreich, Oliver von Wrochem (Hg.), Repressalien und Terror. „Vergeltungsaktionen“ im deutsch besetzten Europa verwaltung grundsätzliche Aufgaben bei das bis heute eher mit Wehrmachtssol- 1939-1945, Paderborn, 2017, S. 203-215. der Verfolgung von Juden, etwa deren daten unter dem Eiffelturm oder in Ca- zwangsweise Kennzeichnung, gesonderte fés auf dem Champs Elysee als mit Ver- brechen in Verbindung gebracht wird, Jüdische Zwangsarbeiter in Mogilew in der besetzten Sowjetunion, Juli 1941. Nach der Besetzung der Stadt 14 Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche ordneten die Wehrmachtsstellen die Kennzeichnung der Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Juden an und setzten sie zur Zwangsarbeit ein. • Propa- 12 Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Sowjetunion 1941-1944 (Quellen und Darstellungen zur gandakompaniefotograf Rudolf Kessler; Bundesarchiv Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt a.M. 2006. Zeitgeschichte, Bd. 71), München 22009, S. 54. Ebd. be- zeichnet Pohl Polen als „Exerzierfeld des ‚Rassenkrieges‘“. Originalbeschriftung: „Die letzten Sicherungskräfte 13 Vgl. die Beispiele in: „Größte Härte…“. Verbrechen verlassen das planmäßig zerstörte Gebiet“. Die Wehr- der Wehrmacht in Polen, September/Oktober 1939, hg. v. 15 Dazu detailliert: Il’ja Al’tman, Opfer des Hasses. Der macht verfolgte beim Rückzug aus der besetzten Sowjet- Deutschen Historischen Institut Warschau, Warschau Holocaust in der UdSSR 1941-1945 (Zur Kritik der Ge- union eine Politik der „verbrannten Erde“, September 2005. schichtsschreibung, Bd. 11), Gleichen/Zürich 2008. 1943. • Propagandakompaniefotograf Grönert; ullstein bild

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 10 fassung und Ermordung von Juden be- das Lebensrecht absprach.19 Kennzeich- Befolgung ausgegangen werden muss.21 gonnen hat.17 nend für die enge Zusammenarbeit zwi- Entgegen früherer Annahmen, dass Dennoch bedeutete der Überfall auf schen Wehrmacht, SS und den übrigen die Wehrmacht aufgrund der harten die Sowjetunion im Juni 1941 eine neue an der Ausbeutung der Sowjetunion be- Kämpfe mit der Roten Armee keine Ka- Qualität. Die Wehrmacht war bei der Pla- teiligten Stellen ist der Komplex der so- pazitäten gehabt hätte, um im Frontge- nung dieses neuartigen Raub- und Ver- genannten „verbrecherischen Befehle“, biet antijüdische Maßnahmen in die nichtungskrieges von Beginn an einbe- aus denen die Aufgabe von Beschrän- Wege zu leiten, ist heute vielfach nach- zogen. Dabei wurden die Ausplünderung kungen der Kriegführung aus ideologi- gewiesen, dass die Frontkommandeure des Landes unter Inkaufnahme einer schen Gründen hervorgeht.20 Nach 1945 während des Vormarsches flächende- großen Zahl von Hungertoten,18 die Er- wurde oft argumentiert, dass diese Be- ckend Ghettos einrichteten und die „ers- mordung der jüdischen Männer durch fehle auf der Truppenebene nicht zur An- ten Befehle zur ‚Kennzeichnung der Ju- SS-Einsatzgruppen und allgemein eine wendung gekommen seien, doch je ge- den‘ [.] fast überall von der Wehrmacht rücksichtslose Besatzungspolitik verab- nauer man diese Frage untersucht, erlassen“22 wurden. Am deutlichsten redet, die sich aus der Klassifizierung desto deutlicher wird, dass die Nicht­ wird die Verantwortung der Wehrmacht der einheimischen Bevölkerung als „Un- beachtung der Befehle Ausnahmen dar- jedoch bei der Behandlung der Kriegs- termenschen“ speiste und ihr letztlich stellt und von einer flächendeckenden gefangenen, weil es sich hier um eine Aufgabe in alleiniger Zuständigkeit der Wehrmacht handelte. Sie hat für die strikte Durchsetzung der rassistischen Hierarchie in den Lagern gesorgt, die 19 Zu diesem Komplex ist mittlerweile eine Fülle an Lite- ratur erschienen. Ältere Literatur in: Rolf-Dieter Müller u. eklatant unterschiedliche Todesraten zur Gerd R. Ueberschär, Hitlers Krieg im Osten 1941 – 1945. Ein Forschungsbericht, Darmstadt 2000. Umfassende Darstellung: Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die 21 Felix Römer, Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weiß- NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42, Paderborn u.a. russland 1941 bis 1944, Hamburg 2000 (Studienausga- 2008. be). Immer noch maßgeblich: Jürgen Förster, Das 17 Dazu die Pionierstudie: Walter Manoschek, „Serbien Unternehmen „Barbarossa“ als Eroberungs- und Ver- 22 Altman, Opfer (wie Anm. 15), S. 79. Vgl. auch ebd., ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Juden- nichtungskrieg, in: Horst Boog u.a., Der Angriff auf die S. 260: „Die Forschungen der letzten Jahre haben ge- vernichtung in Serbien 1941/42 (Beiträge zur Militärge- Sowjetunion (Das Deutsche Reich und der Zweite Welt- zeigt, dass Soldaten und Kommandeure der Wehrmacht schichte, Bd. 38), München 1993. krieg, Bd. 4), Frankfurt a.M. 1991 (Taschenbuchausgabe), eine aktive (manchmal initiierende) Rolle bei der Ver- S. 498-538. nichtung der Juden, insbesondere in der Anfangsphase 18 Alex J. Kay, Verhungernlassen als Massenmordstra- des Krieges gespielt haben. Denn die Wehrmacht richte- tegie. Das Treffen der deutschen Staatssekretäre am 20 Vgl. Rolf-Dieter Müller, Hitlers Wehrmacht 1935-1945 te in jedem besetzten Ort Kommandanturen ein, zu de- 2. Mai 1941, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 11 (2010), (Beiträge zur Militärgeschichte. Militärgeschichte kom- ren wichtigsten Aufgaben neben der ‚Verhaftung von H. 1, S. 81-105. pakt, Bd. 4), München 2012, S. 151-156. Partisanen‘ auch die ‚Isolation der Juden‘ gehörte.“ Folge hatte. Und über den umfassenden bereits hergestellten fachwissenschaft­ „Wehrmacht und Verbrechen“ bleibt da- Einsatz der Kriegsgefangenen sowohl in lichen Konsens auf breite gesellschaft­ her – auch außerhalb der Streitkräfte – den besetzten Gebieten als auch im liche Kreise erweitert. Auch bei der notwendig, um weitere Fortschritte im Reich ist sie ein zentraler Akteur des Bundeswehr ist eine gleichgerichtete Hinblick auf eine kritische Gesellschafts- Verbrechens der Zwangsarbeit.23 Entwicklung erkennbar. Nachdem es in geschichte des Nationalsozialismus zu Als Bilanz lässt sich festhalten, dass den Jahren nach der Gründung 1955 erreichen. die Wehrmacht an allen NS-spezifischen trotz des am demokratischen Staat ori- Verbrechenskomplexen beteiligt war entierten Konzeptes der Inneren Füh- und dass diese Beteiligung wesentlich rung zu zahlreichen zweifelhaften dadurch motiviert war, dass man die Bezügen etwa in Form von Kasernen­- ideologischen Grundsätze des NS-Staa- benennungen gekommen ist und ehe- tes teilte. Auch in das KZ-System war malige Wehrmachtsgeneräle noch lange die Wehrmacht substantiell einbezogen. über großen Einfluss verfügten,26 gilt Ohne sie hätte die Funktionsfähigkeit derzeit ein Traditionserlass, der eine vieler Lager nicht bis zum Kriegsende „kritische Auseinandersetzung mit der aufrechterhalten werden können.24 So- Vergangenheit“27 fordert und feststellt: mit ist auch die Suggestion, dass die „Die Wehrmacht diente dem nationalso- Wehrmachtssoldaten sich als Frontkämp- zialistischen Unrechtsregime und war in fer in einer denkbar weiten Entfernung dessen Verbrechen schuldhaft verstrickt von den Mordstätten der Konzentrations- […]. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zu lager befanden, zusammengebrochen. einem Instrument der rassenideologi- schen Kriegsführung.“28 Dieser Erlass Das Bild der Wehrmacht nach 1945 muss jedoch noch mit Leben gefüllt wer- den und die Widerstände scheinen nicht Nach 1945 hat es trotz des eingangs unerheblich zu sein. Dennoch schafft der erwähnten öffentlichkeitswirksamen Erlass eine klare Situation: „Der verbre- OKW-Prozesses der Alliierten sehr lange cherische NS-Staat kann Tradition nicht gedauert, bis eine Verbindung zwischen begründen. Für die Streitkräfte eines Wehrmacht und Verbrechen breit akzep- demokratischen Rechtsstaates ist die tiert wurde, und bis heute trifft diese Wehrmacht als Institution nicht Vorstellung vor allem außerhalb fach- traditions­würdig.“29 Exemplarisch für wissenschaftlicher Kreise auf teils hefti- die Entwicklung ist der Umgang mit den gen Widerstand, berührt sie doch in vie- Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944. len Familien den Kern einer möglichen Obwohl bereits der Traditionserlass der Beteiligung am Nationalsozialismus. Bundeswehr aus dem Jahr 1965 ihr Ver- 11 Bereitwillig gab man sich der Meinungs- halten lobend hervorgehoben hat, war führerschaft ehemaliger Generäle hin, die Verurteilung als vermeintliche Ver­ von denen die Wehrmacht nicht nur als räter in militärischen Kreisen lange weit rein kämpfende Truppe an der Front dar- verbreitet.30 Jüngste Untersuchungen gestellt wurde, sondern die auch be- zur Verbreitung rechtsextremistischer haupteten, dass die militärischen Erfolge Ansichten in der Bundeswehr zeigen, der Soldaten durch das dilettantische dass die Diskrepanz zwischen dem poli- Handeln der politischen Führung mit tisch Gewollten und dem täglich Geleb- Adolf Hitler an der Spitze zunichte ge- ten bedeutend bleibt. Insofern scheint es macht worden seien.25 Damit war eine noch nicht gelungen, die Worte des neu- größtmögliche Distanz zwischen Wehr- esten Traditionserlasses in soziale Praxis macht und NS-Staat hergestellt, die ihre zu übersetzen. Die Diskussion um Absicherung durch die Erzählungen der ehemaligen Soldaten im Familienkreis 26 Wolfram Wette, Die Bundeswehr im Banne des Vor- bildes Wehrmacht, in: Detlef Bald, Johannes Klotz u. fand, bei denen nur die Erlebnisse im Wolfram Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebat- Kampfgebiet oder in der alliierten ten und Traditionspflege, Berlin 2001, S. 66-115; vgl. auch: Ders., Wehrmacht (wie Anm. 6), S. 251-283. Kriegsgefangenschaft thematisiert 27 https://www.bmvg.de/resource/blob/23234/6a93123b wurden. e919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der- Dass die Leistung der sogenannten bundeswehr-data.pdf, S. 2 (Abruf 18.02.2019). „Wehrmachtsausstellung“ ab 1995 in 28 Ebd., S. 4. Zu kritisieren ist an diesem Erlass die For- mulierung der „schuldhaften Verstrickung“, weil sie die diesem Kontext trotz der im Detail be- ideologische Übereinstimmung zwischen Wehrmacht- rechtigten Kritik nicht hoch genug einge- führung und NS-Führung negiert. In die gleiche Richtung weist der irreführende Begriff des „Instruments“. schätzt werden kann, ist bereits erwähnt 29 Ebd., S. 6. Ausnahmen können nach Einzelfallprüfung worden. Erst sie hat den zu dieser Zeit für Personen zugelassen werden. Kritisch zu sehen ist, Festumzug für den ehemaligen Generalfeldmarschall dass im nächsten Abschnitt ähnliche Feststellungen für Erich von Manstein (Bildmitte im dunklen Anzug), die NVA getroffen werden und somit einer gleichsetzen- 4.5.1953. Erich von Manstein war 1948 wegen Kriegsver- 23 Vgl. dazu den Beitrag von Rolf Keller. den Relativierung zwischen Nationalsozialismus und brechen zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Bei einem DDR Vorschub geleistet wird. Genesungsaufenthalt in dem schwäbischen Dorf All- 24 Dazu detailliert der Beitrag von Jens-Christian Wagner. mendingen erreichte ihn die Nachricht der endgültigen 30 Vgl. dazu umfassend: Peter Steinbach, Widerstand Haftentlassung. Daraufhin organisierte der Bürgermeis- 25 Paradigmatisch: Erich von Manstein, Verlorene Siege, und Wehrmacht, in: Rolf-Dieter Müller u. Hans-Erich ter einen Festumzug zu seinen Ehren. • ap/dpa/picture Bonn 1955. Volkmann, Die Wehrmacht (wie Anm. 5), S. 1150-1170. alliance; Süddeutsche Zeitung Photo

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Der Truppenübungsplatz Bergen und die Kaserne Bergen-Hohne 1935 bis 1945

Jens-Christian Wagner

12 Schon 1933 arbeitete das NS-Regime sident von Hindenburg auf Adolf Hitler Das neu aufgerüstete Militär brauchte auf den Krieg hin. Es rief zur gewaltsa- vereidigt wurde. Im März 1935 verkünde- Kasernen und Übungsplätze. Überall im men Revision des Versailler Vertrages te das Regime die Wiedereinführung der Deutschen Reich wurden ab 1935 neue und zur Eroberung von „Lebensraum“ Wehrpflicht. Zugleich wurde die Reichs- Garnisonen geschaffen, und in weniger im Osten auf. Zugleich beschwor es das wehr in Wehrmacht umbenannt und besiedelten Gebieten wurden Truppen- Zerrbild einer angeblichen jüdisch-bol- stark ausgebaut: Ende 1935 umfasste übungsplätze eingerichtet. In der Lüne- schewistischen Weltverschwörung, die das Heer bereits über 500.000 Soldaten, burger Heide gab es mit dem Truppen- das Reich zerstören wolle. Ende 1938 waren es über 730.000. Die übungsplatz Munster bereits einen Luftwaffe wurde im Geheimen bereits großen Übungsplatz. 1934 kamen bei Die Führung der Reichswehr begrüßte ab 1933 aufgebaut; offiziell gab es sie ab der Reichswehr erste Überlegungen auf, die Machtübergabe an die Nationalsozia- März 1935. Mit dieser Drohkulisse ge- südlich davon, bei Bergen, einen weite- listen am 30. Januar 1933. Mit der neuen lang dem NS-Regime ohne Gegenmaß- ren Übungsplatz zu schaffen. Allerdings Regierung war sie sich darüber einig, nahmen der europäischen Großmächte war die Gegend besiedelt, wenn auch dass die Rüstungsbeschränkungen des 1936 die Remilitarisierung des Rheinlan- nicht dicht. Als in der Region Gerüchte Versailler Vertrages überwunden wer- des, 1938 der „Anschluss“ Österreichs aufkamen, dass ein Übungsplatz einge- den sollten. Nach dem Vertrag von 1919 und die Annexion des Sudetenlands so- richtet werden könnte, wurden einige durfte die Reichswehr als Berufsarmee wie 1939 die Besetzung des restlichen Bauern und lokale Parteifunktionäre nur eine Stärke von 100.000 Heeressol- Tschechiens. schnell aktiv und protestierten in Berlin daten und 15.000 Marineangehörigen – allerdings vergeblich. Ab 1935 wurden umfassen. Der Aufbau einer Luftwaffe Begleitend zu dieser Revisions- und durch die Reichsumsiedlungsgesell- war untersagt, außerdem gab es strikte Expansionspolitik rüstete das Deutsche schaft im Auftrag der Wehrmacht mehr Beschränkungen für Artillerie- und Reich ab Mitte der 1930er Jahre massiv als 3.600 Bewohner aus 25 Ortschaften Angriffswaffen. auf. Dafür steht nicht zuletzt der 1936 ins zwischen Bergen, Winsen und Falling- Leben gerufene Vierjahresplan, mit dem bostel gegen Entschädigung umgesie- Im Herbst 1933 verließ Deutschland die deutsche Wirtschaft binnen vier Jah- delt, um Raum für den bald größten den Völkerbund und die Genfer Abrüs- ren kriegsfähig gemacht werden sollte. Übungsplatz des Deutschen Reiches zu tungskonferenz. Zugleich begann das Dafür wurden überall im Reich neue schaffen. Regime teils offen, teils im Geheimen Rüstungsfabriken aus dem Boden den Ausbau der Reichswehr, die im Au- gestampft. Auch wenn die Nationalsozialisten in gust 1934 nach dem Tod von Reichsprä- der Region überdurchschnittlich viele Fuhrhop

Bockel Wense Dorfmark

Vierde Becklingen

Untereinzingen Obereinzingen Fallingbostel Oerbke Wardböhmen Bockhorn Böstlingen Oberdorfmark Bleckmar

Hartem Bergen Krelingen Hohne Ettenbostel

Belsen Westenholz Oberhode

Ostenholz

Meißendorf

Anhänger hatten, verlief die Räumung nen errichtet – die Truppenlager West Sportgelände für die Wehrertüchtigung 13 des Gebietes nicht konfliktfrei. Viele und Ost. Das „Westlager“ bei Oerbke und Soldatenfreizeit, zu dem auch ein Bauern konnten nicht verstehen, dass und Fallingbostel wurde zwischen 1937 Schwimmbad zählte. Ein Kino, betrieben sie ihre „Scholle“ nun trotz aller Blut- und 1942 errichtet. Es entstanden zahl- vom Schwager und der Schwester von und-Boden-Rhetorik und Bauern-Ro- reiche Kasernengebäude, Pferdeställe, Marlene Dietrich, und das 1940 errichtete mantik der Nationalsozialisten verlassen Garagen und Depots. Für die Unterbrin- Zelttheater boten den Soldaten Ablen- mussten. Vermutlich aus Protest gegen gung der beim Bau der Kaserne einge- kung vom Kasernen- und Übungsalltag. die Umsiedlung beschädigten Unbe- setzten Arbeiter ließ die Bauverwaltung kannte im Sommer 1936 auf dem am Nordostrand der Kaserne ein aus 32 Ab 1936 ermöglichte eine neu entstan- Übungsplatz die 1933 an den prähistori- Baracken bestehendes provisorisches dene Reichsbahn-Verladerampe, in etwa schen Sieben Steinhäusern gepflanzte Lager errichten. Hier richtete die Wehr- vier Kilometern Entfernung zur Kaserne „Hitler-Eiche“ und einen Hitler-Gedenk- macht nach Kriegsbeginn das Kriegsge- und am Stadtrand von Bergen gelegen, stein. Die Täter wurden von der Gestapo fangenenlager Stalag XI B Fallingbostel den uneingeschränkten militärischen nicht ermittelt. ein. 1941 entstand in direkter Nachbar- Waren- und Güterverkehr. Zusätzlich schaft zusätzlich das Stalag IX D Oerbke. entstand ein Scheibenhof, auf dem die Bereits 1936 begann der militärische Zielscheiben für den Schießbetrieb her- Übungsbetrieb auf Teilen des Platzes. Das „Ostlager“, auch „Lager Belsen“ gestellt und repariert wurden. Am Süd- 1938 war dieser dann im gesamten Um- genannt, entstand ab 1935 auf der Ost- rand der Kaserne ließ die Wehrmacht zu- fang für die Wehrmacht nutzbar und seite des Platzes zwischen den Ortschaf- dem eine Heeresmunitionsanstalt für die wurde 1940 noch einmal nach Westen ten Belsen und Hohne. Für die Unter- Lagerung von Infanteriemunition errich- vergrößert. Panzerarmeen sollten hier bringung von 15.000 Soldaten wurden ten. Schließlich entstand in unmittelba- den Angriffskrieg üben, zudem gab es insgesamt 91 Mannschaftsunterkünfte rer Nähe der Kaserne, gelegen in einem Schießbahnen für Artillerie- und Flugab- geschaffen. Für höherrangiges Militär- Richtfest in der Kaserne Bergen-Hohne, 19. Dezember wehrgeschütze. Neben Wehrmachtsver- personal plante der Architekt in einem 1935. • Privatsammlung Hinrich Baumann, Oerbke

bänden trainierten auf dem Platz auch gesonderten Areal kleinere Wohneinhei- Gemeindegrenzen im Bereich des Truppenübungsplat- Verbände der Waffen-SS. ten. Hinzu kam eine große Anzahl an Ge- zes Bergen, 1936. • nach Hinrich Baumann, Die Heidmark – Wandel einer Landschaft, Walsrode 2005 schäfts-, Wirtschafts-, Werkstatt- und Brückenbau über die neue Bahnstrecke für die Verlade- Zur Unterbringung der übenden Stallgebäuden, die zur Aufrechterhal- rampe des Truppenübungsplatzes, ca. 1935/1936. • Ab Einheiten wurden am West- und am tung des Kasernenbetriebes benötigt 1940 wurde die Rampe auch für ankommende Transpor- te von Kriegsgefangenen und ab 1943 von KZ-Häftlingen Ostrand des Platzes zwei große Kaser- wurden. Darüber hinaus gab es ein genutzt. • Privatsammlung Hinrich Baumann, Oerbke

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 14 Fichtenwald, ein Standortlazarett für den wurden. Seine eigentliche Bedeutung er- 5.600 sowjetische Kriegsgefangene, 142 Truppenübungsplatz Bergen. Hier wur- hielt der Platz aber wegen der „Russen- Italienische Militärinternierte sowie eine den später auch SS-Angehörige des KZ lager“, der Kriegsgefangenenlager, die Soldatin der polnischen Heimatarmee Bergen-Belsen behandelt. Tote wurden im Rahmen des Vernichtungskrieges ge- (Armia Krajowa), die meisten von ihnen auf einem deutschen Kriegsgräberfried- gen die Sowjetunion auf und nahe dem an den Folgen von Erschöpfung und hof in der Nähe bestattet. Platz durch die Wehrmacht eingerichtet Krankheiten. Sie wurden, wie die zuvor wurden. Allein zwischen Sommer 1941 schon Gestorbenen, auf dem Kriegsge- Der Bau der Kaserne verlief außeror- und Frühjahr 1942 starben in den vier fangenenfriedhof Hörsten, etwa 1,5 km dentlich schnell. Im Dezember 1935 wur- Lagern Stalag XI B Fallingbostel, Stalag südwestlich der Kaserne Bergen-Hohne de für den ersten Bauabschnitt bereits XI C Bergen-Belsen, Stalag XI D Oerbke gelegen, bestattet. Insgesamt ruhen das Richtfest gefeiert, und im Mai 1936 und Stalag X D Wietzendorf insgesamt dort etwa 20.000 Tote. bezogen die ersten Einheiten die neuen über 40.000 überwiegend sowjetische Unterkünfte. Die Arbeiter für die Groß- Kriegsgefangene an den Folgen von Noch mehr Menschen, etwa 52.000 baustelle waren etwa 1 km südlich der Hunger, Seuchen, Kälte und katastro- Männer, Frauen und Kinder, starben im Kaserne in Holzbaracken des „Heeres- phalen hygienischen Bedingungen. KZ Bergen-Belsen, das die SS im April Neubau-Material- und Arbeitslagers“ 1943 in einem Teil des bisherigen untergebracht. Nach Fertigstellung der Ab 1942 begann die Wehrmacht die Kriegsgefangenenlagers einrichtete. Das Kaserne wurden die Arbeiter 1938 abge- Behandlung der sowjetischen Kriegsge- KZ Bergen-Belsen unterschied sich deut- zogen. Das Heeres-Neubaulager wurde fangenen zu verbessern – die deutsche lich von anderen Konzentrationslagern. danach als Depot genutzt. 1940 brachte Rüstungsindustrie brauchte Zwangsar- Es bestand aus mehreren Teillagern mit die Wehrmacht in den Baracken ein Ar- beiter. Die noch arbeitsfähigen Gefange- unterschiedlichen Funktionen. Im soge- beitskommando mit französischen und nen der „Russenlager“ wurden nun in nannten Austauschlager waren insge- belgischen Kriegsgefangenen unter; im Arbeitskommandos überall in Nord- samt knapp 15.000 jüdische Geiseln Mai 1941 richtete sie hier das Stalag XI C deutschland überstellt. Das Stalag XI C untergebracht, die gegen deutsche Inter- Bergen-Belsen ein. Bergen-Belsen, ab 1943 ein Zweiglager nierte im Ausland oder gegen Waren des Stalag XI B Fallingbostel, diente nun ausgetauscht werden sollten. In das Während des Krieges lief der Übungs- als zentrales Lazarett für nicht mehr ar- Männerlager, eingerichtet im April 1944, betrieb auf dem Platz weiter – neu aus- beitsfähige Kriegsgefangene und Italie- wurden arbeitsunfähige und kranke gehobene Truppen mussten ausgebildet nische Militärinternierte. Zwischen April Häftlinge, darunter viele aus politischen werden, bevor sie an die Front geschickt 1942 und Januar 1945 starben hier etwa Gründen Inhaftierte, aus anderen Kon- zentrationslagern verlegt. In diesem Sie- die zwischen dem 8. und 11. April 1945 Häftlinge, die in der Kaserne an den Fol- 15 chen- und Sterbelager waren die Exis- in Bergen-Belsen eintrafen und von der gen der Haft gestorben sind. Sie waren tenzbedingungen am schlechtesten. Im SS in den Unterkunftsblöcken im Südteil nach der Befreiung von den Briten aus Sommer 1944 richtete die SS einen drit- der Kaserne untergebracht wurden. dem Hauptlager des KZ Bergen-Belsen ten Lagerteil ein, das Frauenlager. Hier Auch sie waren in einem erbärmlichen, in die Kaserne gebracht worden, um sie waren Frauen und Mädchen inhaftiert, wenn auch nicht ganz so schlimmen Zu- in dem dort eingerichteten Nothospital die von Bergen-Belsen aus zur Zwangs- stand wie ihre Leidensgenossen im na- zu pflegen. arbeit in Außenlager geschickt werden hen Hauptlager des KZ Bergen-Belsen. sollten. Weit mehr als 100 von ihnen starben in Auch alle anderen Überlebenden des den Tagen um die Befreiung am 15. Ap- KZ Bergen-Belsen brachten die Briten in Ab Ende 1944 wurde Bergen-Belsen ril, manche an den Folgen von Lynchjus- der Kaserne Bergen-Hohne unter. Wäh- Ziel von Transporten aus geräumten tiz unter den Häftlingen, die sich gegen rend die meisten Westeuropäer_innen frontnahen Konzentrationslagern. Im ehemalige Funktionshäftlinge („Kapos“) bis Sommer 1945 in ihre Herkunftslän- überfüllten Lager herrschten katastro- richtete. Sie wurden im Südteil der Ka- der zurückkehren konnten, blieben viele phale Bedingungen, sodass täglich hun- serne auf dem sogenannten Kleinen polnische und die meisten jüdischen derte Häftlinge an Hunger und Epidemi- Friedhof (früher auch als „Kapofriedhof“ osteuropäischen Überlebenden noch vor en starben. Nach der kampflosen bezeichnet) verscharrt. In unmittelbarer Ort – in der nun als Displaced Persons Übergabe des Lagers an die Briten am Nähe dieses Friedhofes entdeckten Bau- Camp genutzten Kaserne Bergen-Hohne. 15. April 1945 fanden diese im Lager ne- arbeiter im Herbst 1982 beim Bau einer Sie konnten oder wollten nicht in ihre ben mehr als 38.000 Überlebenden auch Sporthalle für die in der Kaserne unter- Heimat zurückkehren, und die Ausreise 10.000 über das gesamte Gelände ver- gebrachten britischen Truppen ein Mas- nach Übersee oder nach Palästina wurde teilte unbestattete Leichen vor. sengrab mit den Überresten von 64 Men-­ ihnen verwehrt. Das polnische DP-Camp schen. Sie konnten dem KZ Mittelbau- Postkarte mit Motiven der Kaserne Bergen-Hohne, 1938. Doch nicht nur im Lager Bergen-Belsen Dora zugeordnet werden und wurden im In der Mitte der Postkarte ist das Offiziersheim abgebil- det, in dem zahlreiche repräsentative Veranstaltungen befreiten die Briten Überlebende. Auch Januar 1983 auf dem Zelttheaterfriedhof stattfanden. Kurz nach der Befreiung des KZ Bergen-­ in der benachbarten Kaserne hatte die bestattet. Belsen nutzten die Briten auch dieses Gebäude als Nothospital zur Versorgung der befreiten Häftlinge. SS noch einige Tage vor der Befreiung • Gedenkstätte Bergen-Belsen

Häftlinge untergebracht. Es handelte Der Zelttheaterfriedhof wurde nach Postkarte mit dem Motiv des Lazarettes in der Kaserne sich um rund 15.000 Häftlinge aus dem der Befreiung im April 1945 angelegt. Bergen-Hohne, 1930/1940er Jahre. Nach 1945 hieß das Krankenhaus Glyn Hughes Hospital. geräumten KZ Mittelbau-Dora im Harz, Hier ruhen mehr als 4.000 ehemalige KZ- Heute ist es halb verfallen. • Gedenkstätte Bergen-Belsen

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 16 wurde 1946, das jüdische erst 1950 ge- Bergen-Belsen verbunden. Der Truppen- turstabes des KZ Bergen-Belsen bestat- schlossen. Bis dahin war die Kaserne mit übungsplatz wurde 1935 im Rahmen der tet wurden. zeitweise 12.000 Bewohner_innen die Aufrüstungs- und Kriegspolitik des NS- größte jüdische Gemeinde mit politi- Regimes eingerichtet. Hier übte die Viele Gebäude in der Niedersachsen- scher Selbstverwaltung in Deutschland. Wehrmacht den Angriffskrieg, dem ab Kaserne zeugen zudem vom Neubeginn 1939 Millionen Menschen auch jenseits jüdischen Lebens nach 1945. Das ehe- Nach der Schließung des DP-Camps von Kampfhandlungen zum Opfer fielen malige Offiziersheim der Wehrmacht, übernahmen britische Streitkräfte die – darunter Zehntausende Kriegsgefan- später Round House genannt, war, wie Kaserne. Erst siebzig Jahre nach Kriegs- gene, die in Lagern auf dem Übungs- das ehemalige Truppenkino, ein wichti- ende, 2015, gaben sie den Standort auf. platz untergebracht waren, und mehr als ger Versammlungsort des Selbstverwal- Seither nutzt die Bundeswehr die Kaser- 52.000 Häftlinge des KZ Bergen-Belsen. tungskomitees der jüdischen Überleben- ne. Derzeit sind dort u.a. ein deutsch- den. Auch kulturelle Veranstaltungen niederländisches Panzerbataillon und Die Spuren der Verbrechen rund um fanden hier zur Zeit des Displaced Per- die Feuerwehrschule der Bundeswehr die heutige Niedersachsen-Kaserne sind sons Camps statt. Außerdem wurden in stationiert. Auch die Kommandantur des unübersehbar. In der Gedenkstätte der Kaserne nach 1945 mehr als 1.500 NATO-Truppenübungsplatzes, dessen Bergen-­Belsen befinden sich die im April Kinder überlebender KZ-Häftlinge und Leitung 1958 von den Briten an die Bun- und Mai 1945 angelegten Massengräber Zwangsarbeiter_innen geboren – viele deswehr übergeben wurde, befindet mit Zehntausenden Toten. Die Toten des davon im Glyn Hughes Hospital, wie das sich in der Kaserne, die seit 2017 den Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen heute halb verfallene ehemalige Wehr- Namen „Niedersachsen-Kaserne“ trägt. wurden auf dem nahen Kriegsgefange- machtslazarett von den Briten genannt Der Übungsbetrieb findet weiterhin statt nenfriedhof Hörsten bestattet, und mit wurde. – für die Besucher der Gedenkstätte dem Zelttheaterfriedhof und dem Klei- Bergen-Belsen meistens unüberhörbar. nen Friedhof befinden sich zwei KZ- Ende April 2019 wird die Gedenkstätte Friedhöfe innerhalb des Kasernengelän- Bergen-Belsen das in der Kaserne gele- Fazit des. Schließlich gibt es nahe dem gene Gebäude M.B. 89, das ihr von der ehemaligen Lazarett noch den kleinen Bundeswehr mietfrei überlassen wird, Die Geschichte des Truppenübungs- deutschen Kriegsgräberfriedhof, auf für ihre Bildungsarbeit übernehmen. Das platzes und der Kaserne Bergen-Hohne dem neben deutschen und ungarischen Gebäude beherbergte in den letzten Ta- ist untrennbar mit der der Kriegsgefan- Soldaten auch Angehörige der SS- gen vor der Befreiung Häftlinge aus dem genenlager am Übungsplatz und des KZ Wachmannschaft und des Kommandan- KZ Mittelbau-Dora, und später, zur Zeit des DP-Camps, diente es als Unterkunft Regine Heubaum/Jens-Christian Wag- 17 für polnische und dann auch für jüdische ner (Hg.), Zwischen Harz und Heide. To- Überlebende. Mit der Übernahme des desmärsche und Räumungstransporte Gebäudes und des umliegenden Areals, im April 1945. Begleitband zur Ausstel- zu dem auch das Gebäude G.B. 6 gehört, lung, Göttingen 2015. in dem sich die Kommandantur des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen Vera Hilbich, Der „Friedhof der Na- befand, wird es möglich, diesen wichti- menlosen“ in Oerbke. Lokale Erinnerung gen Teil der Lagertopographie von und Auseinandersetzung nach Kriegsen- Bergen-­Belsen didaktisch zu nutzen und de, Göttingen 2017. in die Arbeit der Gedenkstätte zu integ- rieren – ein Meilenstein in der Entwick- Olaf Mußmann, Geschichte des Trup- Kommandantur des Stalag 311 (XI C) Bergen-Belsen, lung der Gedenkstätte Bergen-Belsen. penübungsplatzes Bergen, Münster ca. 1942. 1996. Im Hintergrund das Gebäude M.B. 89, das ab 2019 von der Gedenkstätte Bergen-Belsen als Bildungszentrum Weiterführende Literatur: genutzt wird. • Privatbesitz

Silke Petry/Rolf Keller, „Ruhet in Frie- Arbeitskommando sowjetischer Kriegsgefangener in Hinrich Baumann, Die Heidmark. Wan- den, teure Genossen...“. Der Friedhof der Kaserne, etwa 1941/1942. Von August 1941 bis zum 15. April 1945 war in der del einer Landschaft. Die Geschichte des des Kriegsgefangenenlagers Bergen- Kaserne auch ein Arbeitskommando sowjetischer Kriegsgefangener beschäftigt und untergebracht. Truppenübungsplatzes Bergen, Walsrode Belsen – Geschichte und Erinnerungs- • Privatbesitz 2005. kultur, Göttingen 2016. Blick auf den Zelttheaterfriedhof und das Zelttheater, ca. 1946. Die trotz der sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen Bergen-Belsen. Kriegsgefangenen­ Nicola Schlichting, Das Glyn-Hughes- und nach der Überführung auf das Kasernengelände lager 1940–1945, Konzentrationslager Hospital im jüdischen DP Camp Belsen, verstorbenen ehemaligen Häftlinge fanden ihre letzte Ruhestätte auf einem von den Briten angelegten Fried- 1943–1945, Displaced Persons Camp in: nurinst – Jahrbuch 2012. Beiträge zur hof. Da dieser in unmittelbarer Nähe zum Zelttheater lag, erhielt er den Namen Zelttheaterfriedhof. Bis 1950 1945–1950, Katalog zur Dauerausstel- deutschen und jüdischen Geschichte. wurden hier mehr als 4.000 Tote bestattet. Von etwa lung, hrsg. von der Stiftung niedersäch- Schwerpunktthema: Gesundheit, medizi- 3.300 Personen sind die Namen durch Listen überliefert. • Gedenkstätte Bergen-Belsen sische Gedenkstätten, Göttingen 2008. nische Versorgung, Rehabilitation, hrsg. Relief aus den 1930er Jahren am ehemaligen Offizierheim von Jim G. Tobias/ Nicola Schlichting, (heute Round House) in der Niedersachsen-Kaserne, 2019. S. 57-80. Das Hakenkreuz im Ehrenkranz wurde nach 1945 entfernt. • Jens-Christian Wagner, Stiftung niedersächsische Gdenkstätten

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Wehrmacht und Kriegsgefangene: Verbrechen und Verstöße gegen Internationales Recht

Rolf Keller

18 Während des Zweiten Weltkriegs ge- sorgung waren zu gewährleisten, eben- legationen des Internationalen Komitees rieten knapp zehn Millionen gegnerische so der Postverkehr mit der Heimat; dazu vom Roten Kreuz, deren Besuchsberichte Soldaten in deutsche Gefangenschaft. gehörte auch der Empfang von Lebens- den Heimatstaaten der Gefangenen Die größten Gruppen stellten die sowje- mittelpaketen. Alle Kriegsgefangenen zugingen. tischen (5,3 bis 5,7 Millionen) und franzö- mit Ausnahme der Offiziere durften zur Eine der Genfer Konvention konforme sischen Kriegsgefangenen (1,8 Millionen). Arbeit herangezogen werden, allerdings Behandlung der Gefangenen der »Feind- Für die Bewachung, Unterbringung, Ver- nicht zur Herstellung und zum Transport mächte« durch die Wehrmacht war sorgung und damit das Wohlergehen von Waffen oder Munition und zu sol- Voraussetzung für eine ebensolche Be- der Gefangenen war die Wehrmacht zu- chen Arbeiten, zu denen sie körperlich handlung der deutschen Soldaten in ständig. Neben der Verpflichtung zur nicht in der Lage waren. Wiederergriffe- gegnerischem Gewahrsam und musste Wahrung der allgemeinen Menschen- ne Flüchtlinge durften lediglich diszipli- daher im Interesse der deutschen Füh- und Völkerrechte war die deutsche Seite narisch bestraft werden (mit Arrest von rung liegen. Dennoch verweigerte die hierbei an internationale Verträge ge- höchstens dreißig Tagen). Eine Entlas- Wehrmacht bestimmten Gefangenen- bunden. In erster Linie sind hier die Haa- sung aus der Gefangenschaft war nur im gruppen aus unterschiedlichen Gründen ger Landkriegsordnung von 1910 und die Falle der Heimsendung oder nach Ende eben dies. Im Folgenden können nur die Genfer Konvention zur Behandlung der des Kriegszustandes vorgesehen. wichtigsten Verstöße und Verbrechens- Kriegsgefangenen von 1929 zu nennen. Im Deutschen Reich und den besetz- komplexe vorgestellt werden. Laut Artikel 2 der Genfer Konvention ten Gebieten richtete die Wehrmacht für So diente die Tatsache, dass die Sow- mussten Kriegsgefangene „jederzeit mit die Gefangenen so genannte Mann- jetunion das Genfer Abkommen noch Menschlichkeit behandelt und insbeson- schafts-Stammlager (Stalags) für Solda- nicht ratifiziert hatte, der NS-Führung als dere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidi- ten und Unteroffiziere sowie Offiziers­ ebenso willkommenes wie fadenscheini- gungen und öffentliche Neugier ge- lager (Oflags) ein. Rund 80% der Kriegs- ­ ges Argument, dessen Bestimmungen schützt werden.“ Die Gefangenen waren gefangenen waren allerdings in exter- im Falle der sowjetischen Kriegsgefan- „in Häusern oder Baracken unterzubrin- nen Arbeitskommandos in der Nähe ih- genen in entscheidenden Punkten zu gen, die jede mögliche Gewähr für Rein- rer Einsatzstellen z. B. in der Landwirt- missachten. Die italienischen Soldaten, lichkeit und Zuträglichkeit bieten. Die schaft, in der Industrie oder beim Bau die 1943 nach dem Bruch der Achse Ber- Räume müssen vollständig vor Feuchtig- untergebracht. Die Kriegsgefangenen­ lin–Rom und der Besetzung Norditaliens keit geschützt, genügend geheizt und lager und Arbeitskommandos wurden durch deutsche Truppen nicht zur Fort- beleuchtet sein“ (Artikel 10). Angemes- regelmäßig von ausländischen Kommis- führung des Kampfes an deutscher Seite sene Verpflegung und medizinische Ver- sionen inspiziert, insbesondere von De- bereit waren, wurden nicht als Kriegsge- fangene anerkannt, sondern als »Militä- widerfuhr Ende 1943 Hunderten von Ita- schen Zivilbevölkerung und der 19 rinternierte« deklariert, auf die die Gen- lienischen Militärinternierten, die in das Soldaten der Roten Armee zynisches fer Konvention nicht anzuwenden sei. KZ Mittelbau-Dora eingeliefert wurden. Kalkül. Auch als die sowjetischen Gefan- Die Mehrzahl der 1939 in Gefangen- Die Mehrzahl dieser Gefangenen ist in genen im Verlauf des Krieges als Ar- schaft geratenen polnischen Soldaten den Konzentrationslagern zur Zwangsar- beitskräfte für die Kriegswirtschaft wurde 1940 in den Zivilstatus „entlas- beit eingesetzt worden. Darüber hinaus immer wichtiger und daher besser be- sen“ und unterlag nun dem Sonderstraf- wurden zehntausende Kriegsgefangene handelt wurden, blieb ein gehöriger Teil recht für polnische zivile Zwangsarbeiter. in den Konzentrationslagern der SS der anfänglichen Vernichtungspolitik Den US-amerikanischen und briti- exekutiert. tägliche Praxis. Erst im August 1944 schen Gefangenen wie auch den Franzo- wurden beispielsweise die Verpfle- sen und Belgiern gegenüber wurden die Sowjetische Kriegsgefangene gungssätze der sowjetischen denen der Grundsätze des Genfer Abkommens da- übrigen Kriegsgefangenen angeglichen. gegen weitgehend beachtet, allerdings Mindestens 2,6, wahrscheinlich aber In den 1941 von der Wehrmacht einge- gab es auch hier Verstöße gegen die bis zu 3,3 Millionen sowjetische Kriegs- richteten, sogenannten „Russenlagern“ Bestimmungen. gefangene sind in deutschem Gewahr- gab es kaum feste Unterkünfte und Mög- Eine nicht bekannte, im sechsstelligen sam ums Leben gekommen. Allein bis lichkeiten zur Körperhygiene. Durch Bereich liegende Zahl insbesondere so- zum Frühjahr 1942 starben zwei Millio- unzureichende Versorgung wurde der wjetischer, aber auch polnischer, italieni- nen von ihnen vor allem an Entkräftung Hungertod der Gefangenen provoziert, scher, französischer, britischer und US- und Krankheiten aufgrund unzureichen- katastrophale hygienische Bedingungen amerikanischer Soldaten wurde von der der Unterbringung, Verpflegung und führten zu Seuchen und Epidemien. Auf Wehrmacht rechtswidrig an die Gestapo medizinischer Versorgung sowie durch Stalag XI B Fallingbostel 1939: Die polnischen Kriegs­ und die SS ausgeliefert. Tausende von Mordaktionen von Wehrmacht, Gestapo gefangenen wurden im Herbst 1939 zum Teil in Zelten Spaniern, die während des Bürgerkrie- und SS. Die sowjetischen Kriegsgefan- untergebracht. • Stiftung niedersächsische Gedenkstät- ten, Dokumentationsstelle Celle ges in den Reihen der republikanischen genen wurden zu Beginn des NS-Ver- Ein französischer Kriegsgefangener beim Straßenbau Truppen gekämpft hatten, nach dem nichtungsfeldzuges gegen die Sowjet- in der Innenstadt von Jever, 1940/41 • Schlossmuseum Sieg Francos nach Frankreich geflohen union in erster Linie als „slawische Jever und 1940 als Angehörige der französi- Untermenschen“, „bolschewistische „Russenlager“ Wietzendorf, Sommer 1941: Die Ge­ fangenen sind unter freiem Himmel untergebracht. schen Armee in deutsche Kriegsgefan- Mordbestien“ und „unnütze Esser“ be- • privat, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten genschaft geraten waren, wurden in das trachtet; in den deutschen Kriegsplanun- „Russenlager“ Wietzendorf, Herbst 1941 KZ Mauthausen deportiert. Ähnliches gen war das Massensterben der sowjeti- • Gemeinde Wietzendorf

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 20 dem Lagerfriedhof des Stalag XI C (311) Persönlichkeiten des sowjetischen Staa- det. Die Zahl der Opfer aus den Lagern Bergen-Belsen sind knapp 20.000 sowje- tes, „Intelligenzlern”, „Aufwieglern und Bergen-Belsen, Oerbke und Wietzendorf tische Soldaten begraben, gestorben fanatischen Kommunisten” sowie allen beträgt etwa 4.000. zumeist an Unterernährung, Ruhr oder Juden. Diese sogenannten Aussonde- Im Juni 1942 wurden die Aussonde- Tuberkulose. Am westlichen Rand des rungen wurden von der Gestapo durch- rungen zwar weitgehend eingestellt, Truppenübungsplatzes Bergen befindet geführt. Das OKW befahl den Komman- jedoch fanden in den Konzentrations­ sich der Friedhof des „Russenlagers“ danten der Kriegsgefangenenlager lagern weiterhin Exekutionen von XI D (321) Fallingbostel-Oerbke, auf engste Zusammenarbeit mit der sowjetischen Kriegsgefangenen wegen dem benachbarten Truppenübungsplatz Gestapo. Widerstandes, „hetzerischer Tätigkeit“, Munster der Friedhof des Stalag X D Die Gestapo Hamburg entsandte dar- Sabotage, wiederholter Flucht oder (310) Wietzendorf, beide mit jeweils aufhin Einsatzkommandos in die „Rus- „Verkehrs mit deutschen Frauen“ statt. 16.000 Toten. senlager“ Bergen-Belsen, Oerbke und Mit zunehmender Kriegsdauer wurde Dem vor allem durch unzureichende Wietzendorf. Die als “untragbar” Identi- dem Arbeitseinsatz allerdings immer Versorgung verursachten Massenster- fizierten wurden von der Wehrmacht for- mehr der Vorrang eingeräumt. Zehn­ ben gingen gezielte Mordprogramme mell aus der Gefangenschaft entlassen. tausende sowjetische Kriegsgefangene voraus. Der „Kommissarbefehl“ des Der Einsatzbefehl Nr. 9 ordnete deren wurden der Gestapo übergeben und als Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) Exekution in einem Konzentrationslager KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit einge- vom 6. Juni 1941 ordnete die Erschie- an. Die erste Gruppe von Ausgesonder- setzt. Grundlage für die Einweisung in ßung der Politoffiziere (Kommissare, ten aus dem Stalag X D (310) Wietzen- ein KZ waren entsprechende Vereinba- Politruks) der Roten Armee unmittelbar dorf wurde im August 1941 im KZ rungen zwischen dem OKW und dem nach der Gefangenenahme an. Die Zahl Neuen­gamme ermordet. Anschließend RSHA. der Opfer ist unbekannt. Unter den in war das KZ Sachsenhausen Ziel der Unter den sowjetischen Kriegsgefan- das Reichsgebiet transportierten Gefan- Sammeltransporte aus den Lagern in genen waren auch Frauen. Über die Be- genen vermutete das Reichssicherheits- Norddeutschland. Die Gesamtzahl der handlung der weiblichen Angehörigen hauptamt (RSHA) weitere gefährliche bis Mitte 1942 im Reichsgebiet ausge- der Roten Armee ist bisher nur wenig und „untragbare Elemente“ und befahl sonderten und ermordeten sowjetischen bekannt. Viele der oft als »Flintenwei- im Juli 1941 mit den Einsatzbefehlen Nr. Kriegsgefangenen beträgt mindestens ber« diffamierten Frauen wurden bereits 8 und 9 die „Säuberung“ der Lager von 38.000. Allein 19.000 Gefangene wurden im Frontbereich erschossen. Angehörige Partei- und Staatsfunktionären, Polit- in „Genickschussanlagen“ in den KZs von Nachrichten- und Sanitätseinheiten Kommissaren, leitenden und führenden Sachsenhausen und Buchenwald ermor- wurden in den Kriegsgefangenenlagern im Küchen- und Lazarettdienst einge- tulation der Italiener wurden daraufhin Kriegsgefangenenlager der Wehr- 21 setzt. Viele wurden später aus der etwa 4.000 Mann von Wehrmachtsolda- macht eingewiesen. Sie standen nach Gefangenschaft entlassen und in den ten regelrecht hingerichtet. Aufgrund deutscher Lesart jedoch nicht unter Status ziviler Zwangsarbeiterinnen über- solcher Kriegsverbrechen verloren dem Schutz der Genfer Konvention führt, andere der Gestapo übergeben 12.000 bis 13.000 italienische Soldaten und wurden in der Hierarchie der und zumeist in das Frauen-KZ Ravens- ihr Leben. Gefangenen weit unten angesiedelt. brück eingewiesen. Insgesamt geriet etwa eine dreivier- Schlechter als sie wurden nur die sow- tel Million italienischer Militärangehö- jetischen Kriegsgefangenen behan- Italienische Militärinternierte riger in deutsche Hände. Sie wurden delt. Ihre Todesrate war wesentlich vor die Alternative gestellt, entweder höher als die der französischen oder Nach dem Ende der deutsch-italieni- weiter an der Seite Deutschlands in britischen Gefangenen. schen Allianz und der Besetzung Nord- den neu aufzustellenden Streitkräften Im Spätsommer 1944 wurden die Ita- italiens im Spätsommer 1943 nahm die der Repubblica Sociale Italiana zu lienischen Militärinternierten schließ- Wehrmacht mehr als 600.000 italieni- kämpfen oder in Gefangenschaft zu lich bis auf die Offiziere zwangsweise sche Soldaten gefangen. Diese bekamen gehen. Die überwiegende Mehrzahl in den Zivilstatus überführt. nun die Quittung für den vermeintlichen verweigerte den weiteren Kampf für Verrat Italiens. Misshandlungen waren den Faschismus. Die NS-­Führung hat- an der Tagesordnung und häufig wurden te bereits beschlossen, die nicht zur Soldaten, die sich nicht sofort ergaben Kollaboration bereiten italienischen oder mit der Waffe in der Hand ergriffen Soldaten als Arbeitskräfte in das Notunterkünfte im „Russenlager“ Oerbke, Spätherbst 1941 • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Doku- wurden, von deutschen Einheiten brutal Deutsche Reich zu deportieren, wo mentationsstelle Celle ermordet. die Kriegswirtschaft dringend perso- Ausgesonderte sowjetische Kriegsgefangene im „Son- Viele der in Griechenland und auf dem nellen Nachschub benötigte. derpferch“ des Stalag XI D (321) Oerbke vor ihrer Depor- tation in das KZ Sachsenhausen • Stiftung niedersächsi- Balkan stationierten italienischen Einhei- Die italienischen Soldaten wurden sche Gedenkstätten, Dokumentationsstelle Celle ten widersetzten sich der Aufforderung nicht als gefangen genommene Ange- Beerdigung der sowjetischen Kriegsgefangenen auf zur Kapitulation. Auf der Insel Kephalo- hörige einer Feindmacht, sondern als dem Friedhof des Stalag X D (310) Wietzendorf im Winter 1941/42 • privat, Stiftung niedersächsische nia leistete die Division Acqui zehn Tage vorübergehend festgesetzte Soldaten Gedenkstätten lang Widerstand gegen die Entwaff- einer verbündeten Streitkraft betrach- Theaterensemble und Orchester französischer Kriegs­ nung, woraufhin Hitler befahl, dort keine tet und offiziell als „Militärinternierte“ gefangener im Stalag XI B Fallingbostel, ca. 1943/43 • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Dokumenta- Gefangenen zu machen. Nach der Kapi- bezeichnet. Dennoch wurden sie in die tionsstelle Celle

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 22 Jüdische Kriegsgefangene polnischen Kriegsgefangenen 1940 aller- gebrachten Handelsschiff aus dem La- dings entlassen und in den Zivilstatus ger Westertimke bei Bremen in das KZ Während die Wehrmacht wie darge- überführt wurden, gab es für die Juden Auschwitz deportiert. Eine Gruppe iri- stellt in Kooperation mit Gestapo und SS unter ihnen keinen Schutz mehr scher Zivilinternierter (und damit Ange- aktiv an der Aussonderung und Ermor- höriger eines neutralen Staates) wurde dung der Juden unter den sowjetischen Weitere Verstöße gegen von der Gestapo Bremen zur Zwangs­ Kriegsgefangenen beteiligt war, so dass internationales Recht arbeit beim Bau des Bunkers Valentin von diesen nur wenige das Kriegsende in das Arbeitserziehungslager Farge erlebten, blieben die nicht-sowjetischen Mit der zunehmenden Zahl der Flucht- eingewiesen. jüdischen Kriegsgefangenen weitge- versuche ab 1943 ging eine Radikalisie- Einen weiteren Verstoß gegen die hend verschont. Nicht zuletzt die Kont- rung der Gegenmaßnahmen und Sankti- Haager Landkriegsordnung und die Gen- rolle der Kriegsgefangenenlager durch onen der Wehrmacht und der Gestapo fer Konvention stellte der „Kommando- das Internationale Rote Kreuz, die auch gegen nicht-sowjetische Kriegsge- befehl“ Adolf Hitlers vom Oktober 1942 Schutzmächte und die Heimatstaaten fangene einher. Im März 1944 befahl das dar. Er ordnete an, dass Angehörige alli- bewahrte sie weitgehend vor einer OKW die Übergabe aller geflohenen und ierter Kommandotrupps unverzüglich zu schlechteren Behandlung. In den Lagern wieder ergriffenen Offiziere (mit Aus- töten oder dem Sicherheitsdienst des wurden die Juden allerdings häufig dis- nahme von britischen und US-amerika- Reichsführers SS (SD) zu übergeben sei- kriminiert, separiert und in besonderen nischen Offizieren) an den SD bzw. die en, da die Gegner angeblich Methoden Arbeitskommandos eingesetzt. Alle ser- Gestapo. Das RSHA ordnete deren Über- anwendeten, die außerhalb der üblichen bischen jüdischen Offiziere waren eine stellung in das KZ Mauthausen und Be- Kriegsführung waren. Es seien alliierte Zeitlang im Offizierslager Osnabrück handlung gemäß der „Aktion Kugel“ an, Befehle gefunden worden, in denen die konzentriert, genossen jedoch freie was ihre Exekution bedeutete. Kommandos angewiesen wurden, über- Religionsausübung. Auf dem Truppen- Auch einige der in Lagern der Kriegs- wältigte Gegner grundsätzlich zu töten. übungsplatz Bergen existierte ein jüdi- marine internierten Zivilisten und Besat- Daher solle von nun an mit alliierten sches französisches Arbeitskommando, zungsmitglieder von Kriegsschiffen „Sabotagetrupps“ ebenso verfahren von dem keine Übergriffe von Wehr- wurden Opfer der Missachtung inter­- werden, auch wenn es sich um unifor- machtsangehörigen überliefert sind. nationalen Rechts. Die Marine lieferte mierte Soldaten, Fallschirmspringer Der Kriegsgefangenenstatus bewahrte wiederholt jüdische Internierte an die oder Trupps ohne Waffen handele. Den die nicht-sowjetischen jüdischen Gefan- Gestapo aus; beispielsweise wurde ein Angehörigen der Kommandotrupps wur- genen also vor der Ermordung. Da die tschechischer Schiffsarzt von einem auf- de damit der Kombattantenstatus von vornherein aberkannt. Es sind mehrere Literaturauswahl Fälle von Tötungen belegt. Die Besatzungen von abgeschossenen Szymon Datner: Crimes against POWs. oder notgelandeten Flugzeugen der Alli- Responsibility of the Wehrmacht, Wars- ierten waren als Kriegsgefangene zu be- zawa 1964. handeln. Allerdings kam es seit 1943 Der Prozess gegen die Hauptkriegsver- wiederholt zu Tötungen und Misshand- brecher vor dem Internationalen Militär- lungen von Crewmitgliedern durch Ver- gerichtshof, Nürnberg 14. Oktober 1945 treter der NSDAP und Angehörige von -1. Oktober 1946, 42 Bde., Nürnberg Kriminalpolizei und Gestapo, in verein- 1947-1949. zelten Fällen auch durch Soldaten der Johannes Ibel (Hrsg.): Einvernehm­ Wehrmacht und Zivilisten. Diese Morde liche Zusammenarbeit? Wehrmacht, Ge- wurden von der NS-Führung ausdrück- stapo, SS und sowjetische Kriegsgefan- lich provoziert und gebilligt als Vergel- gene, Berlin 2008. tung und Rache an den so genannten Rolf Keller: Sowjetische Kriegsgefan- Terrorfliegern, die deutsche Städte in gene im Deutschen Reich 1941/42. Be- Schutt und Asche legten und angeblich handlung und Arbeitseinsatz zwischen im Tiefflug Jagd auf Zivilisten machten. Vernichtungspolitik und kriegswirt- Die ersten dokumentierten Fälle ereigne- schaftlichen Zwängen, Göttingen 2012. ten sich im Zusammenhang mit den ver- Reinhard Otto: Wehrmacht, Gestapo heerenden Bombenangriffen auf Ham- und sowjetische Kriegsgefangene im burg im Juli 1943, in der Nähe von deutschen Reichsgebiet 1941/42, Mün- Lübeck. Am 21. Mai 1944 befahl Hitler, chen 1998. abgeschossene feindliche Flieger in be- Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefan- stimmten Fällen ohne Standgericht zu genenpolitik des Deutschen Reiches erschießen. NSDAP-Reichsleiter Martin 1939 bis 1945, in: Jörg Echternkamp Bormann ließ die Gau- und Kreisleiter (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der am 30. Mai wissen, dass in Fällen von Zweite Weltkrieg, Band 9/2: Die deutsche Lynchjustiz an alliierten Fliegern von Kriegsgesellschaft 1939-1945. Ausbeu- polizeilicher und strafrechtlicher Verfol- tung, Deutungen, Ausgrenzung, Stutt- gung der dabei beteiligten „Volksgenos- gart 2005, S. 729-875. sen“ abgesehen werde. In einem Geheim- ­ Alfred Streim: Die Behandlung sowje- befehl untersagte das Oberkommando tischer Kriegsgefangener im „Fall Barba- der Wehrmacht Soldaten, sich gegen die rossa“. Eine Dokumentation unter Be- Bevölkerung zu stellen, wenn diese zur rücksichtigung der Unterlagen deutscher 23 „Selbsthilfe“ greife. Auf der Nordseein- Strafverfolgungsbehörden und der Ma- sel Borkum wurden am 4. August 1944 terialien der Zentralen Stelle der Landes- sieben Angehörige der Besatzung eines justizverwaltungen zur Aufklärung von notgelandeten US-Bombers von Ange- NS-Verbrechen, Heidelberg 1981. hörigen des Reichsarbeitsdienstes zu- Christian Streit: Keine Kameraden. nächst mit Schaufeln geschlagen, bis ein Die Wehrmacht und die sowjetischen unbeteiligter deutscher Soldat die Gefan- Kriegsgefangenen 1941-1945, 4. Aufl., genen schließlich erschoss. Die Gesamt- Bonn 1997. zahl der Opfer beträgt mindestens 500. Genfer Konvention zur Behandlung der Kriegsgefangenen: Reichsgesetz- blatt 1934, Teil II, Bl. 227-257. : Die italienischen Militärinternierten im deutschen Macht- bereich 1943-1945. Verraten – verachtet – vergessen, München 1990.

Italienische Militärinternierte bereiten sich im Stalag XI B Fallingbostel an provisorischen Kochstellen eine Mahlzeit, Winter 1944/45. • Vittorio Vialli

Fallingbostel, 23. April 1945: Nach der Befreiung des Lagers besuchen Italienische Offiziere die Gräber ihrer in Gefangenschaft verstorbenen 379 Kameraden. • Vittorio Vialli

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Vollstreckung von Todesurteilen der Wehrmachtsjustiz im Strafgefängnis Wolfenbüttel und auf dem Schießstand Braunschweig-Buchhorst

Anett Dremel, Martina Staats

24 Bereits kurz nach der Machtübernahme Der folgende Aufsatz thematisiert die 1939 traten in diesem Wehrkreis die Di- setzten die Nationalsozialisten die in der Vollstreckung von Todesurteilen an visionen Nr. 171 und Nr. 191 sowie das Weimarer Republik abgeschaffte Militär- Wehrmachtsangehörigen im Strafge- Gericht der Division Nr. 411 in Erschei- justiz wieder ein. In ihrer Umdeutung der fängnis Wolfenbüttel. Da ein geringer nung. Nach einer Umorganisation im Ereignisse machten sie die zu lasche Mili- Teil der wehrmachtsgerichtlich zum Herbst 1942 wurden diese Divisionen tärjustiz im Ersten Weltkrieg für die Nie- Tode Verurteilten zur Hinrichtung zum durch die Division Nr. 471 abgelöst. Das derlage des Deutschen Kaiserreichs mit- Wehrmachtsschießstand Braunschweig- zugehörige Divisionsgericht mit Sitz in verantwortlich. Diese war angeblich zu Buchhorst gebracht wurde, wird auch Hannover und einer Zweigstelle in milde gegen Deserteure vorgegangen.1 hierauf Bezug genommen. Braunschweig verhängte den überwie- Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges genden Teil der in Wolfenbüttel voll- versuchten die Militärjuristen diesen Vor- Strukturen der Militärjustiz im Land streckten Todesurteile. wurf von sich abzuwenden und gingen Braunschweig 1939-19453 strikt gegen Delikte wie „Fahnenflucht“, Hinrichtungsarten „Wehrkraftzersetzung“, „Verrat“ oder an- Das Deutsche Reich war seit den dere Vergehen von Militärangehörigen 1930er Jahren militärisch in verschiede- Für die Vollstreckung von wehr- vor. In der Konsequenz kam es zu einer ne Wehrkreise unterteilt. Das Gebiet des machtsgerichtlichen Todesurteilen wa- hohen Zahl von Verurteilungen und To- Landes Braunschweig zählte administra- ren drei Hinrichtungsarten vorgesehen: desurteilen. Nach aktuellem Forschungs- tiv zum Wehrkreis XI, der große Teile Das Erschießen, das Erhängen und das stand verhängte die Militärjustiz bis 1945 des heutigen Landes Niedersachsen so- Enthaupten. etwa 25.000 bis 30.000 Todesurteile ge- wie den Norden Sachsen-Anhalts um- Mit der Kriegsstrafverfahrensordnung gen Wehrmachtsangehörige, von denen fasste. Die Wehrkreisverwaltung befand (KStVO) von 1938 war im Regelfall das 18.000 bis 22.000 vollstreckt wurden.2 sich in Hannover. Braunschweig zählte Erschießen als Hinrichtungsart für neben Magdeburg zu den bedeutenden männliche Militärverurteilte festgelegt.4 1 Baumann, Ulrich/ Koch, Magnus: „kommt es auf Ein- Garnisonen des Wehrkreises. Ab Ende Es galt als soldatisch ehrenvoll und wur- zelheiten insoweit auch nicht an“. Drei Fallstudien in zeitgenössischer und erinnerungspolitischer Perspekti- de in den überwiegenden Fällen als Voll- ve; In: Dies.: „Was damals recht war…“. Soldaten und Zi- 3 Der strukturelle Aufbau der Militärjustiz im Raum des streckungsart verordnet. Als Hinrich- vilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008, S. 43. heutigen Niedersachsens und des nördlichen Teils Sach- sen-Anhalts wurde als Werkvertrag durch Lars Skowron- tungsorte nutzte die Wehrmacht 2 Klausch, Hans-Peter: Erschießen – Enthaupten – Er- ski im Auftrag der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel hängen. Hinrichtungsarten und Hinrichtungsorte der untersucht. Vgl.: Bericht von Lars Skowronski: Recher- innerhalb des Deutschen Reiches dafür ei- NS-Militärjustiz; In: Baumann, Ulrich/ Koch, Magnus: chen zur Militärjustiz im Wehrkreis XI auf dem Gebiet „Was damals recht war…“. Soldaten und Zivilisten vor des heutigen Bundeslandes Niedersachsen, Werkver- Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008, S. 79. trag, 2014. 4 RGbl. I 1939, S. 1457. gene Truppenübungs- oder Schießplätze. nis Wolfenbüttel, das besonders in den drei durch Erschießen.8 Mehr als 20 der 25 Aus „wichtigem Grund“ konnte auch Jahren 1943 und 1944 verstärkt von den 28 Todesurteile der Militärjustiz ergin- der Oberstaatsanwalt eines Landge- Kriegsgerichten zur Vollstreckung von gen wegen Fahnenflucht, in wenigen richtsbezirks um Vollstreckung von To- Todesurteilen genutzt wurde. Fällen in Verbindung mit Diebstahl, Raub desstrafen ersucht werden.5 Die Verur- oder Betrug. In den übrigen Fällen wur- teilten wurden dann an die Richtstätten Hinrichtungen im Strafgefängnis den die Wehrmachtsangehörigen wegen der zivilen Justiz übergeben, wo die Ur- Wolfenbüttel Plünderns, Mord oder Wehrkraftzerset- teile durch Enthaupten per Guillotine zung zum Tode verurteilt. vollstreckt werden sollten. Für den Zu- Das Reichsjustizministerium ließ im Das erste vollstreckte Urteil mit Bezug ständigkeitsbereich des Befehlshabers Herbst 1937 eine Hinrichtungsstätte im zum Strafgefängnis Wolfenbüttel war über das Ersatzheer galt ab Frühjahr Strafgefängnis Wolfenbüttel einrichten. die Erschießung des Soldaten Otto Kauf- 1943, dass fortan Todesurteile im Regel- Bis zur Befreiung des Gefängnisses im felt9 am 8. Januar 1940. Er wurde im fall durch Enthaupten vollstreckt werden April 1945 wurden dort 526 Menschen Dezember 1939 wegen Fahnenflucht, sollten. In vielen Richtstätten der zivilen hingerichtet. Weitere fünf Verurteilte aus schweren Rückfalldiebstahls, schweren Justiz wurden zudem zum Tode Verur- dem Strafgefängnis wurden auf dem Raubes und Notzucht [Vergewaltigung] teilte durch Erhängen getötet. Diese Me- nahe gelegenen Wehrmachtsschieß- verurteilt und zur Hinrichtung von der thode galt als besonders unehrenhaft. stand Braunschweig-Buchhorst erschos- Haft in Wolfenbüttel zum Wehrmachts- Der Tod wurde dabei durch Erdrosseln sen. Von diesen insgesamt 531 Hinge- schießstand Braunschweig-Buchhorst herbeigeführt und dauerte mehrere Mi- richteten waren 28 von Militärgerichten gebracht. Mit der Hinrichtung des Solda- nuten. Als Hinrichtungsart war das Er- verurteilt worden.7 hängen daher besonders qualvoll. Der Großteil der Hinrichtungen in Wol- 8 Bei den zwei anderen Erschießungsopfern mit Bezug zum Strafgefängnis Wolfenbüttel handelte es sich um Insgesamt wurden nach aktuellen fenbüttel wurde mit der Guillotine voll- belgische „Nacht-und-Nebel-Gefangene“, die durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurden. Da sie je- Schätzungen etwa 2.000 wehrmachtsge- streckt. Das betraf ebenso die militärge- doch Offiziere waren, wurden die Urteile vermeintlich richtliche Todesurteile durch Enthaupten richtlich Verurteilten, von denen 23 ehrenhaft durch Erschießen vollstreckt. (90-95 Prozent) oder Erhängen (5-10 Pro- durch Enthaupten starben. Lediglich 9 Vgl. Gefangenenpersonalakte von Otto Kauffelt, NLA zent) in den Richtstätten der Justiz voll- zwei wehrmachtsgerichtliche Urteile Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 206. streckt.6 Darunter auch im Strafgefäng- wurden durch den Strang vollstreckt, Die Hinrichtungsstätte im Strafgefängnis Wolfenbüttel, April 1945. • CEGESOMA Brüssel 5 Ebd. 7 Weitere acht Personen wurden von zivilen Gerichten (überwiegend dem Sondergericht Braunschweig) wegen Der Hinrichtungsraum mit der Guillotine. Fotograf: 6 Klausch, Hans-Peter: Erschießen – Enthaupten – Er- Wehrkraftentziehung, -verweigerung oder -zersetzung Howard Goodkind, vermutlich April 1945. • Privatbesitz hängen, S. 91. zum Tode verurteilt und in Wolfenbüttel hingerichtet. Tom Goodkind

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 26 ten Wilhelm Zimek10 folgte im Oktober zu anderen Hinrichtungsstätten gibt es teilt. Er wurde am 25. September 1944 1942 die erste Hinrichtung eines Militär- Hinweise darauf, dass das Erhängen bei von Hannover nach Wolfenbüttel ge- angehörigen im Strafgefängnis Wolfen- Militärpersonen durchgeführt wurde, die bracht und noch am selben Abend mit büttel. Er wurde wegen Fahnenflucht sich neben Fahnenflucht eines „gemei- der Guillotine hingerichtet. und fortgesetztem schweren Diebstahl nen“ Verbrechens schuldig gemacht hat- Bis zum Kriegsende 1945 wurden in durch das Divisionsgericht Nr. 166 in ten oder deren Verbrechen politisch mo- Wolfenbüttel keine weiteren Hinrich­ Bielefeld zum Tode verurteilt und am tiviert waren.13 Beides lässt sich für die tungen an Wehrmachtsangehörigen 9. Oktober ins Strafgefängnis Wolfen- Wolfenbütteler Fälle nicht nachweisen. vollstreckt. büttel eingeliefert. Noch am gleichen Zwar wurde Willi Straub wegen Mordes Abend wurde die Hinrichtung mit der angeklagt und verurteilt, dies galt jedoch Hinrichtungen auf dem Schießstand Guillotine vollstreckt. auch für mindestens zwei weitere Wol- Braunschweig-Buchhorst In den Jahren 1943 und 1944 wurden fenbütteler Fälle, in denen die Verurteil- insgesamt weitere 26 wehrmachtsge- ten jedoch mit der Guillotine hingerich- Der militärische Schießübungsplatz richtlich Verurteilte im Strafgefängnis tet wurden. Alfred Viktor Dziadek wurde war 1876 für die Garnison Braunschweig Wolfenbüttel oder auf dem Schießstand laut Aktenüberlieferung lediglich Fah- in der Buchhorst, einem Waldstück bei Braunschweig-Buchhorst hingerichtet. nenflucht zur Last gelegt, was ebenfalls Braunschweig-Riddagshausen angelegt Unter ihnen waren auch die einzigen be- für 13 weitere Verurteilte zutrifft, die und bis in die erste Hälfte des 20. Jahr- kannten Personen, die im Strafgefängnis nicht erhängt wurden. Weitere Verurtei- hunderts stetig bis auf zuletzt elf Schieß- per Strang exekutiert wurden. Es han- lungsgründe sind in den Akten nicht bahnen mit vier Kugelfangbauten erwei- delte sich dabei um die Soldaten Willi überliefert. tert worden. Der Schießplatz wurde von Straub11 und Adolf Viktor Dziadek12. War- Die letzte Hinrichtung eines Wehr- der Reichswehr, der Wehrmacht, Polizei um ausgerechnet sie in Wolfenbüttel er- machtsverurteilten in Wolfenbüttel war und Bundeswehr bis 1963/64 genutzt. hängt wurden, geht aus den vorhande- die Hinrichtung des 19-jährigen Alfred Heute sind nur noch vier massive Kugel- nen Akten nicht hervor. Bei Forschungen Posch14. Das Gericht der Division Nr. 471 fänge erhalten15, die inzwischen als Kul- in Hannover hatte ihn wegen Fahnen- turdenkmal nach Paragraf 3 NDSchG 10 Vgl. Gefangenenpersonalakte Wilhelm Zimek, NLA flucht am 18. März 1944 zum Tode verur- Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 315. 15 Nicht mehr vorhanden sind die Trennungswälle der Schießbahnen, die Schützenstande sowie alle Funk- 11 Vgl. Gefangenenpersonalakte Willi Straub, NLA 13 Klausch, Hans-Peter: Erschießen – Enthaupten – Er- tions- und Nebengebäude, wie Tischlerei, Kantine u.a. Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb.2 Nr. 280. hängen, S. 92. Vgl. Jung, Günter: Schießplatz Buchhorst östlich von Braunschweig-Riddagshausen. Gedenkort – Gedenkstät- 12 Vgl. Gefangenenpersonalakte Adolf Viktor Dziadek, 14 Vgl. Gefangenenpersonalakte Alfred Posch, NLA te – Kulturdenkmal nach NDSchG?, Lehre-Wendhausen NLA Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 53. Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 206. 2015. Leo Pionke19, Walter Siebert und die vom Volksgerichtshof Verurteilten Nacht- und Nebel-Gefangenen Arnould van de Walle20 und Marcel Wastelain21

Beispielbiographie Walter Siebert

Am 1. November 1940 musste der 20-jährige Walter Siebert22 zum Wehr- dienst einrücken. Im Anschluss an die Grundausbildung in Braunschweig kam er als Schütze einer Panzerjäger-Abtei- lung in der Sowjetunion zum Einsatz. Am 9. September 1942 erlitt er eine schwere Verwundung. Für seine Leistun- gen im Kriegseinsatz wurde er mit der Ostmedaille, dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen in Schwarz ausgezeichnet. Aktenkundig wurde Siebert Ende Sep- tember 1943, als ihn das Gericht der Di- vision Nr. 471 in Braunschweig wegen versuchten Diebstahls zu einer einjähri- gen Gefängnisstrafe und Rangverlust verurteilte. Von der Strafe musste er je- doch lediglich sechs Wochen als ver-

19 Leo Pionke, geboren am 9. April 1922 in Espenkrug, Obergefreiter beim Grenadier Regiment 467 in Blanken- burg/Harz, wurde vom Gericht der Division Nr. 471, Zweigstelle Braunschweig wegen „Fahnenflucht“ zum Tode verurteilt. Aus dem Untersuchungsgefängnis Braunschweig wurde Leo Pionke am 11. Juli 1944 in das Strafgefängnis Wolfenbüttel verlegt und von dort am 1. September 1944 zur Exekution abgeholt. Vgl. Gefan- genenpersonalakte von Leo Pionke, NLA Standort Wol- fenbütel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 201.

20 Arnould van de Walle, geboren am 3. Januar 1898 in 16 gelten. Am 16. November 2003 wurde richt der Division Nr. 191 mit Hauptsitz in Brügge, Belgien, Capitain Commandant, ehemaliger 27 die Gedenkstätte Buchhorst eingeweiht. Braunschweig und einer Zweigstelle in Oberleutnant der belgischen Streitkräfte, wurde am 19. September 1942 festgenommen, in das Strafgefan- Zuvor hatte sich auf Initiative des Frie- Magdeburg sowie das Gericht der Divi­ genenlager VII in Esterwegen gebracht und im Oktober 1943 als Widerstandskämpfer, Mitglied der „Weißen Bri- denszentrums Braunschweig e.V. die Ge- sion Nr. 471 mit Hauptsitz in Hannover gade“, vom Volksgerichtshof angeklagt. Er wurde am denkinitiative Buchhorst gebildet. Stu- und Zweigstellen in Braunschweig und 15. Februar 1944 vom 2. Senat des Volksgerichtshofs in Leer aufgrund von Feindbegünstigung nach § 91 b dierende der Hochschule für Bildende Magdeburg nutzten den Schießplatz als RStGB zum Tode verurteilt. Sein Antrag auf Strafmilde- rung wurde nicht berücksichtigt. Arnould van de Walle Künste Braunschweig hatten nach einer Vollstreckungsort ab Beginn des Jahres wurde am 16. Juni 1944 auf dem Schießplatz Braunschweig-­ künstlerischen Auseinandersetzung und 1940 bis zum Frühjahr 1945. Buchhorst erschossen. Da das Gerichtverfahren als „Ge- heim! N. N.-Sache Haft! Ausländer!“ behandelt wurde, Interpretation das Kunstobjekt „Rote Li- Neben den an Soldaten der deutschen erfuhr die Familie van de Walle erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von seinem Tod. Vgl.: R 3017/18523 17 nien“ sowie Installationen geschaffen. Wehrmacht vollstreckten Todesurteilen BA Berlin. Pfarrarchiv St. Petrus, Wolfenbüttel. Vgl. auch: Der ehemalige Schießplatz Braun- wurden auch Inhaftierte aus den besetz- Wilfried Knauer: Arnould van de Walle – ein belgischer Offizier als Opfer des NS-Justiz. In: Schießstand Buch- schweig-Buchhorst wird zukünftig für ten Gebieten, die von Kriegsgerichten horst. Braunschweig 2004. Ohne Paginierung. das Projekt „outSITE Wolfenbüttel“ in oder vom Volksgerichtshof verurteilt 21 Marcel Wastelain, geboren am 10. Juni 1906 in der Medienwand im neuen Dokumenta- worden waren, auf dem Schießstand Morlanwelz, Belgien, technischer Offizier, wurde ange- klagt wegen Kriegsspionage und Feindbegünstigung. tionszentrum der Gedenkstätte in der Braunschweig-Buchhorst erschossen. Der Volksgerichtshof Berlin verurteilte ihn am 21. März 1944 zum Tode wegen Feindbegünstigung nach § 91 b JVA Wolfenbüttel sichtbar und mit einer Bisher konnten für Braunschweig- RStGB. Nach Stationen in den Haftanstalten Lingen und Stele am historischen Ort erschlossen Buchhorst 25 Exekutionen nachgewiesen Bochum wurde er am 28. Mai 1943 nach Esterwegen überführt. Sein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Marcel werden. werden.18 Fünf zum Tode Verurteilte wa- Wastelain wurde am 1. Juni 1944 um 16.49 Uhr auf dem Schießplatz Braunschweig-Buchhorst erschossen und Während der NS-Zeit wurden an die- ren vor ihrer Hinrichtung im Strafgefäng- auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof beerdigt. Seine sem Ort Soldaten und Zivilisten als De- nis Wolfenbüttel inhaftiert: Otto Kauffelt, Leiche wurde am 8. Dezember 1948 von der belgischen Gräberkommission exhumiert. Vgl.: ITS Archivnummer serteure, Widerstandskämpfer oder 6113 und verschiedene Korrespondenzakten.

Kriegsgefangene erschossen. Militäri- 22 In der Ausstellung „Was damals Recht war“ wurde am Ausstellungsort Wolfenbüttel von Juni bis August sche Kriegsgerichte aus dem Wehrkreis 2015 Walter Siebert in einer Biographiestele thematisiert. XI, der Garnison Braunschweig, das Ge- Blick in den Innenhof der Strafanstalt Wolfenbüttel. Fotograf: Karl Lupfer, 1944. Im Vordergrund das soge- 16 Ebd. Vgl. auch: Schießstand Buchhorst. Ein Projekt nannte „Graue Haus“, zu sehen, in dem zum Tode Verur- der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, 18 Die Aktenüberlieferungen der Wehrmachtsgerichte teilte und „Nacht-und-Nebel“-Gefangene untergebracht Braunschweig 2004. Vgl. auch: Friedenszentrum Braun- sind jedoch nur fragmentarisch vorhanden. So sind für waren. • NLA Standort Wolfenbüttel, 50 Slg. 234 Nr. 36 schweig e. V. (Hrsg.): Gedenkstätte Buchhorst, 2004 das Gericht der Division Nr. 471 insgesamt 226 Akten er- (Faltblatt). Vgl. auch: www.vernetztes-gedaechtnis.de, halten. Diese sind zudem häufig Fahndungsakten, die im Porträtfoto Walter Sieberts, das in der Strafanstalt letzter Zugriff: 14. Februar 2019. Zuge der Ermittlung des Aufenthalts abgängiger Solda- Wolfenbüttel bei seiner Einlieferung angefertigt wurde, ten angelegt wurden und häufig nicht mit einem Urteil Sommer 1944. • NLA Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu 17 Vgl. besonders: Schießstand Buchhorst. schlossen. Vgl. Bericht von Lars Skowronski. Fb. 2 Nr. 261

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 28 schärften Arrest verbüßen, anschlie- Untersuchungsgefängnis Braunschweig Siebert, Walter 359/44 ist heute nachmit- ßend sollte sich Siebert im Einsatz an Rennelberg inhaftiert werden konnte.23 tag aus seiner Zelle I/14 durch den Fuß- der Front „bewähren“. Diesem Einsatz, Obwohl nicht alle Umstände der Deser- boden ausgebrochen. der ein hohes Risiko zu sterben darstell- tation Sieberts aufgeklärt werden konn- Hilfsw[achtmeister]. Grodd meldete te, entzog er sich durch Desertation. An- ten, verurteilte ihn das Gericht der Divi- mir gleich nach 15 Uhr, dass der Gefan- fang Januar 1944 wurde er festgenom- sion Nr. 471 in Braunschweig am 23. Juni gene von Zelle I/14 ausgebrochen sei. men und nach Kattowitz gebracht. Bei 1944 – nur zwei Tage nach seiner Einlie- Herr Grodd und ich nahmen sofort die dem Versuch, ihn nach Braunschweig zu ferung in die Untersuchungshaft – mit Verfolgung auf, suchten den Keller ab, überstellen, gelang es Siebert zweimal der Begründung „Fahnenflucht“ zum fanden S. versteckt hinten an der Wand, seinen Bewachern zu entfliehen, zuletzt Tode. unter der Eisenschiene [?] von Voigtlän- am 2. April 1944 auf dem Bahnhof in Der Gefangene wurde aus der Unter- der. An der rechten Hand hatte er noch Braunschweig. Er tauchte bis zu seiner suchungshaftanstalt Braunschweig in seine Fessel, die linke Hand war frei. S. endgültigen Festnahme im Juni 1944 in das Strafgefängnis Wolfenbüttel über- sind noch Fußfessel angelegt. der Stadt unter, arbeitete bei einem führt und kam dort am 11. Juli 1944 an. [Unterschrift]“24 Fuhrunternehmer und beging Diebstäh- Am Tag zuvor warnte die Untersuchungs­- Die Verurteilung zum Tode und die le, um an Lebensmittel zu gelangen. Als haftanstalt in Braunschweig in einem Hinrichtung vor Augen unternahm Sie- Motive für seine Desertation und seine Vermerk an das Gefängnis in Wolfenbüttel: bert einen im Grunde verzweifelten Aus- Fluchtversuche nannte er Sehnsucht „Größte Vorsicht! Ausbrecher!!“ Auf- bruchsversuch, indem er den Fußboden nach seiner Frau, Angst vor dem Ein­- grund der Fluchtgefahr war der Verur- seiner Zelle im Alten Haus durchbrach satz an der Front und vor erneuter teilte ständig gefesselt, was ihn aber und sich im Keller des Gefängnisses Bestrafung. nicht von weiteren Fluchtversuchen ab- versteckte. Walter Siebert wurde gefasst und am halten konnte. Eine Meldung über einen 21. Juni 1944 in die Untersuchungshaft- Ausbruchsversuch Walter Sieberts vom anstalt in Braunschweig verbracht. Zu- 23. Juli 1944 belegt dieses: vor hatte Kriegsgerichtsrat Höse, Ge- „Wolfenbüttel, d[en]. 23. Juli 1944 richt der Division Nr. 471, Zweigstelle Meldung Braunschweig, an den Generalstaatsan- Der zum Tode bestrafte Gefangene

walt geschrieben, damit Siebert als Un- 23 Hirte stimmte dem zu. Vgl.: Schreiben des General- tersuchungsgefangener wegen Über­ staatsanwalts Dr. Wilhelm Hirte an das Gericht der Divi- sion Nr. 471, Zweigstelle Braunschweig, 22. Juni 1944. 24 Gefangenenpersonalakte von Walter Siebert. Nds LA füllung der Wehrmachthaftanstalt im NLA Standort Wolfenbüttel: 34 A Neu Fb. 2 Nr. 261. – WO 42 A Neu Fb. 2 Nr. 261. Sein von seinem Rechtsanwalt Weich- 29 sel beim Gericht der Division Nr. 471 in Braunschweig eingereichtes Gnadenge- such blieb erfolglos. Walter Siebert wurde am 15. August 1944 um 6 Uhr „zur Vollstreckung des Urteils abgeholt“. Er wurde vom Strafge- fängnis Wolfenbüttel aus zum Schieß- platz Braunschweig-Buchhorst gebracht und dort um 7.39 Uhr von einem Exeku- tionskommando erschossen.

Meldung zur Flucht von Walter Siebert aus seiner Zelle im Strafgefängnis Wolfenbüttel, 23. Juli 1944. • NLA Standort Wolfenbüttel: 43 A Neu Fb. 2 Nr. 261

Die Gedenkstätte Schießstand Braunschweig-Buchhorst. • Jannik Sachweh

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen „Ich habe nur, wie jeder andere auch, meinen Dienst gemacht.“ Wehrmachtssoldaten als KZ-Bewacher

Jens-Christian Wagner

30 Als in den späten 1990er und frühen zählt insbesondere die Erkenntnis, dass infolge der Zwangsarbeit von Häftlingen 2000er Jahren überall in Deutschland er- im letzten Kriegsjahr ein großer Teil der in der Rüstungsindustrie wuchs der Be- bittert über die Ausstellung „Verbrechen Wachmannschaften und teils auch der darf an zusätzlichen Mitgliedern für die der Wehrmacht“ gestritten wurde, wur- Kommandanturstäbe nicht aus altge- Wachmannschaften ab 1942/43 deutlich: de ein Thema erstaunlicherweise ausge- dienten SS-Angehörigen, sondern aus Die Zahl der in den Konzentrationslagern klammert: die Tätigkeit von Wehrmachts-­ Soldaten der Wehrmacht bestand – so- inhaftierten Menschen stieg von ledig- soldaten als Wachpersonal in den Kon- wohl vom Heer als auch von der Luft- lich knapp 13.000 Ende 1938 über zentrationslagern. Auch in der Ausstel- waffe und der Marine. 224.000 im August 1943 und 524.000 im lung selbst wurde das Thema nicht er- Gegen Ende des Krieges waren die August 1944 auf über 714.000 im Januar wähnt – vielleicht eine Folge der bis Wachmannschaften der Konzentrations- 1945.3 Die meisten von ihnen waren dahin nur unzureichenden Erforschung, lager ein ziemlich bunt zusammenge- nicht in den Hauptlagern, sondern in den wesentlich wahrscheinlicher aber die würfelter Haufen, bestehend aus weni- Anfang 1945 über 700 Außenlagern un- logische Konsequenz des öffentlichen gen altgedienten „politischen Soldaten“ tergebracht, die in der Nähe der Rüs- Blicks auf die Konzentrationslager, die der SS und wesentlich mehr Reservisten, tungsbetriebe und der Baustellen für die gewissermaßen als exterritorialer „SS- „volksdeutschen“ SS-Freiwilligen, zahlreichen Industrieverlagerungsvorha- Staat“ wahrgenommen wurden.1 In den „fremdvölkischen Hilfswilligen“ (vor al- ben eingerichtet worden waren. vergangenen zwanzig Jahren wurden lem Ukrainern) und eben Wehrmachts- In den Außenlagern war der Bewa- jedoch mehrere Studien vorgelegt, die soldaten.2 Bereits mit dem Kriegsbeginn chungsaufwand im Vergleich zu den per- nicht nur verdeutlichen, welche starken 1939 waren viele Reservisten in die KZ- sonalsparend zu bewachenden Hauptla- Wechselbeziehungen der vermeintlich Wachverbände aufgenommen worden, gern überproportional groß – wegen der abgeschirmte „SS-Staat“ mit seinem während fronttaugliche SS-Angehörige nur improvisierten technischen Siche- gesellschaftlichen Umfeld hatte, son- in kämpfende Verbände überstellt wor- rungseinrichtungen (etwa elektrisch ge- dern auch, dass die Täterschaft in den den waren. Lediglich im Führerkorps der ladene Zäune), wegen der teils geringen Konzentrationslagern sich bei weitem Kommandanturstäbe waren überwie- Belegungsstärke der Lager (es gab Au- nicht auf die SS beschränken lässt. Dazu gend altgediente KZ-„Experten“ verblie- ßenlager mit nur einem Dutzend Häftlin- ben. Mit der Expansion des KZ-Systems gen, was das Zahlenverhältnis zwischen 1 So der Titel von Eugen Kogons wegweisender und über Jahrzehnte fast einzigen und mehrfach neu aufge- legten Monographie zur Geschichte der Konzentrations- 2 Vgl. Stefan Hördler, Wehrmacht und KZ-System. Zum 3 Zahlen nach Angelika Königseder, Die Entwicklung lager: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzent- Einsatz von Wehrmachtssoldaten in den KZ-Wachmann- des KZ-Systems, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), rationslager, München 1946. Ähnlich: Martin Broszat / schaften 1944/45, in: Beiträge zur Geschichte der natio- Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialisti- Hans Buchheim / Hans-Adolf Jacobsen / Helmut Kraus- nalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 13 schen Konzentrationslager, Bd. I, München 2005, S. 30- nick, Anatomie des SS-Staates, Olten-Freiburg 1965. (2012), S. 12-23, hier S. 12. 42, hier S. 37 f. Wachmannschaften und Häftlingen zu- auf zu drängen, dass von der Wehrmacht ten interministeriellen Krisengremium 31 ungunsten der Wachmannschaften ver- Soldaten älterer Jahrgänge zum KZ unter Leitung von Speers Stellvertreter änderte), und wegen des Umstandes, Auschwitz abkommandiert würden.4 Ob Karl Otto Saur, dessen Aufgabe die Stei- dass die Häftlinge nicht nur in den La- Himmler dieser Bitte nachkam, ist nicht gerung der Produktion von Jagdflugzeu- gern, sondern auch an ihren Arbeitsplät- bekannt. Außer Zweifel steht hingegen, gen war, welche die Luftwaffe zur Be- zen in Rüstungsbetrieben oder auf Bau- dass das Problem fehlender Wachmann- kämpfung der alliierten Luftüberlegen­- stellen und während der An- und schaften mit der Ausweitung des Häft- heit über dem Reich benötigte.5 Abmärsche dorthin bewacht werden lingseinsatzes insbesondere in der Luft- Wegen der Bedeutung dieser Bauvor- mussten. rüstung und bei den Untertagever­- haben war die Luftwaffe die erste Waf- Über das dafür nötige Bewachungs- lagerungen in den folgenden Monaten fengattung, die Soldaten zum Wach- personal verfügte die SS bei weitem immer drängender wurde. dienst in den Konzentrationslagern nicht. Deshalb improvisierte sie zu- Ein großer Teil der Verlagerungspro- abstellte – erstmals im KZ Flossenbürg nächst mit „volksdeutschen“ Freiwilli- jekte betraf die Untertageverlagerung ab Januar 1944, gefolgt von den Konzen- gen und ausländischen „Hilfswilligen“. von Luftrüstungsbetrieben bzw. den Bau trationslagern Mauthausen und Mittel- Doch zur Jahreswende 1943/44, als sich von Großbunkern für die Herstellung bau-Dora ab März 1944.6 Eine wichtige im Rahmen der geplanten Untertagever- von Jagdflugzeugen. Die Koordination lagerung der Rüstungsindustrie die Ein- dieser Bauvorhaben, die teils von der 5 Vgl. Wagner, Produktion, S. 86-93. richtung hunderter neuer KZ-Außenla- SS, teils von der Organisation Todt gelei- 6 Vgl. ebd., S. 309 f. sowie Hördler, Wehrmacht, S. 13. ger abzeichnete, reichte auch das nicht tet und immer mit Zwangsarbeitern aus Josef Fuchsloch als Angeklagter im amerikanischen mehr aus. In dieser Situation kam der SS den Konzentrationslagern umgesetzt KZ-Dora-Prozess in Dachau, 1947. Der Maurermeister Josef Fuchsloch (1896-1973) wurde Rüstungsminister zur Hilfe. wurden, oblag dem sogenannten Jäger- im Dezember 1944 als Oberfeldwebel der Luftwaffe zum „Schutzhaftlagerführer“ im Außenlager Harzungen des Im Zusammenhang mit der geplanten stab, einem Anfang März 1944 gebilde- KZ Mittelbau-Dora ernannt. Im Dora-Prozess wurde er Zwangsarbeit von 40.000 Insassen des freigesprochen. • NARA 4 Vgl. Schreiben Speer an Himmler, 15.12.1943, Bundes- KZ Auschwitz, für die das Bewachungs- archiv (BA) Berlin, R 3/1583, Bl. 32; ferner – auch im Fol- Luftwaffensoldaten (Bodenpersonal) als Wachmann- genden – Heinz Boberach, Die Überführung von Solda- schaft im KZ-Außenlager Bisingen, undatiert. personal fehlte, wandte er sich am ten des Heeres und der Luftwaffe in die SS-Totenkopf- ­ • H. Kelber, Museum Bisingen 15. Dezember 1943, nur wenige Tage Verbände zur Bewachung von Konzentrationslagern 1944, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 34 (1983), S. Keller der ehemaligen Lagerküche im KZ-Außenlager nach einer Inspektion im unterirdischen 185-190; Bertrand Perz, Wehrmacht und KZ-Bewachung, Ellrich-Juliushütte, 2014. in: Mittelweg 36 4 (1995), H. 5, S. 69-82; Marc Buggeln, In der Wachmannschaft des von Mai 1944 bis April 1945 KZ-Außenlager Dora, mit der Bitte an Arbeit & Gewalt. Das Außenlagersystem des KZ Neuen- bestehenden Lagers waren fast ausschließlich Luftwaf- SS-Chef Heinrich Himmler, beim Ober- gamme, Göttingen 2009, S. 430 ff.; Jens-Christian Wag- fensoldaten eingesetzt. Etwa 4.000 Häftlinge überlebten ner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göt- die Deportation nach Ellrich-Juliushütte nicht. kommando der Wehrmacht (OKW) dar- tingen 2015, S. 308-316, sowie Hördler, Wehrmacht. • Jens-Christian Wagner

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 32 Koordinierungsfunktion nahm der Jä- sche Juden über das KZ Auschwitz zur Dienst eingesetzt; ihre Zahl stieg im gerstab wahr, dem Vertreter sowohl der Zwangsarbeit in das Reich zu deportie- Herbst 1944 noch einmal an, als Solda- SS als auch des Reichsluftfahrtministeri- ren. Dieser Plan war ohne die Rekrutie- ten der Marine zur Bewachung von KZ- ums und damit der Luftwaffe angehör- rung zusätzlichen Wachpersonals nicht Häftlingen herangezogen wurden, die ten. Anfang März 1944 waren die Ver- umsetzbar. Anfang Mai 1944 befahl Hit- Panzergräben entlang der Nordseeküste handlungen zwischen der SS und der ler der Wehrmachtsführung daher, der bauen sollten. Sechs der dafür einge- Luftwaffe offenbar schon so weit gedie- SS 10.000 Soldaten des Heeres zur Ver- richteten KZ-Außenlager gehörten zum hen, dass ein Vertreter der Luftwaffe in fügung zu stellen.9 Eigentlich sollte es KZ-Komplex Neuengamme, sie wurden einer Sitzung des Jägerstabes die Ab- sich dabei um Soldaten handeln, die vor alle von der Marine bewacht. Auch bei stellung von zunächst 750 Luftwaffen- der heranrückenden Roten Armee von anderen Bauprojekten für Zwecke der soldaten zur Bewachung von 5000 KZ- der Krim nach Rumänien evakuiert wor- Marine wurden ihre Soldaten zur Bewa- Häftlingen auf den SS-Baustellen für den waren. Daraus wurde jedoch nichts. chung der KZ-Häftlinge herangezogen, den Jägerstab ankündigen konnte.7 Stattdessen überstellte das Heer ältere, etwa beim Bau des Bunkers Valentin in Damit war der Bedarf an zusätzlichen nicht fronttaugliche Soldaten an die SS. Bremen-Farge. Auch deshalb war der Wachmannschaften aber bei weitem Überwiegend handelte es sich um Män- Anteil von Marinesoldaten unter den von noch nicht gedeckt. Ende März 1944 war ner, die älter als 40 Jahre waren. der Wehrmacht an das KZ Neuengamme deshalb im Jägerstab bereits von 5000 Etwas jünger waren im Schnitt die abgegebenen Wachleuten mit mehr als Luftwaffensoldaten die Rede, die zur Be- Soldaten, die von der Marine zum Wach- zwei Dritteln sehr hoch – ein Spezifikum wachung der Konzentrationslager einge- dienst in den Konzentrationslagern ab- dieses Lagers.11 setzt werden sollten.8 gestellt wurden. Teilweise handelte es Obwohl bis Ende Juni 1944 insgesamt Bald rückte auch das Heer in den Fo- sich sogar um junge Rekruten, weil we- etwa 20.000 Wehrmachtsangehörige so- kus der SS-Führung. Die Entscheidung gen der vielen Schiffsverluste die Ein- wohl von der Luftwaffe als auch vom für den Einsatz von Heeressoldaten in satzmöglichkeiten für Marinesoldaten Heer und zu einem geringeren Teil auch den KZ-Wachmannschaften kam von beschränkt waren.10 Die ersten Marine- von der Marine zur Bewachung der Kon- höchster Stelle und stand im Zusam- soldaten wurden ab Mai 1944 im KZ- zentrationslager abgestellt worden sein menhang mit dem Plan, 100.000 ungari- sollten12, fehlte im Sommer 1944 noch 9 Vgl. Besprechungsniederschrift der „Führerbespre- chung“ am 9.5.1944, abgedr. in: Willy A. Boelcke, Willi A. immer Wachpersonal. Anfang August 7 Vgl. Jägerstab-Protokoll vom 6.3.1944, Bundesarchiv- (Hg.): Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg: Hit- Militärarchiv Freiburg (BA/MA), RL 3/1, Bl. 369. lers Konferenzen mit Albert Speer 1942-1945, Frankfurt/ Main 1969, S. 359. 11 Vgl. ebd., S. 432-437. 8 Vgl. Schnellbericht Jägerstab, 27.3.1944, BA Berlin, R 3/1756, Bl. 194. 10 Vgl. Buggeln, Arbeit, S. 436. 12 Vgl. Perz, Wehrmacht, S. 78 f. 1944 beschwerte sich der für das SS- nicht in jedem Lager gleich. Insbesonde- Hugo Schlegel.15 Außerdem wurden 33 Bauwesen zuständige SS-General Hans re in den Konzentrationslagern mit einer im Sommer 1944 mindestens 16 Wehr- Kammler im Jägerstab über die „katast- großen Zahl von Außenlagern, die im machtssoldaten zu den Wachmann- rophale“ Personallage bei den Wach- Rahmen des Jägerprogramms oder bei schaften in Bergen-Belsen versetzt, um mannschaften.13 Es wurden daher auch Industriebetrieben eingerichtet worden fronttaugliche junge SS-Angehörige zu in der Folgezeit noch zahlreiche weitere waren, stellten Wehrmachtssoldaten ei- ersetzen, die an die Front versetzt Wehrmachtssoldaten zum Dienst in den nen hohen Anteil der Wachtruppen – so wurden.16 Konzentrationslagern abkommandiert.14 etwa im Fall der Konzentrationslager Bu- Während die Luftwaffenangehörigen Ihre Gesamtzahl ist jedoch nicht be- chenwald, Mittelbau-Dora, Flossenbürg, in den KZ-Wachmannschaften zunächst kannt. Schätzungen gehen jedoch davon Mauthausen und Neuengamme. Im KZ nicht formell in die SS übernommen aus, dass im letzten Kriegsjahr vierzig Bergen-Belsen, das als Austauschlager wurden, drängte Himmler im Fall der bis fünfzig Prozent der Wachmannschaf- für jüdische Geiseln und als Siechenla- ten in den Konzentrationslagern aus ger für nicht mehr arbeitsfähige Häftlin- 15 Vgl. Alexandra Wenck, Zwischen Menschenhandel und „Endlösung“. Das Konzentrationslager Bergen-­ Wehrmachtssoldaten bestanden. Im De- ge eine Sonderrolle im KZ-System ein- Belsen, Paderborn 2000, S. 126 u. 131. Zu Meyer vgl. zember 1944 dürften somit rund 25.000 nahm und über nur drei Außenlager John Cramer, Belsen Trail 1945. Der Lüneburger Prozess gegen Wachpersonal der Konzentrationslager Auschwitz von der Wehrmacht abgestellte Solda- verfügte, war die Zahl der Wehrmachts- und Bergen-Belsen, Göttingen 2011, S. 380, Fn. 34. Schlegel war zuvor Lagerführer im Außenlager Harzun- ten als Bewacher in den Konzentrations-­ angehörigen dagegen recht klein. Erst gen des KZ Mittelbau-Dora gewesen und befehligte im lagern tätig gewesen sein. mit den Räumungstransporten in den April 1945 einen von drei Räumungstransporten, die die Insassen des Austauschlagers nach Theresienstadt brin- Der Anteil der Wehrmachtssoldaten letzten Kriegswochen gelangte eine grö- gen sollten. Schlegels Transport endete bei Farsleben. Vgl. Wenck, Menschenhandel, S. 370 (dort ist der Vorna- an den Wachmannschaften war jedoch ßere Zahl von ehemaligen Wehrmachts- me irrtümlich mit Heinz angegeben). soldaten, die die Transporte bewachten, 13 Jägerstab-Protokoll vom 3.8.1944, BA/MA, RL 3/9, Bl. 16 Vgl. ebd., S. 116. 94. nach Bergen-Belsen. Prominente Aus- nahmen sind der Führer der Wachkom- Zwangsarbeit unter Tage im KZ-Außenlager „Hecht“ in 14 Vgl. Perz, Wehrmacht, S. 79. Auch für den Bereich des Holzen (Kreis Holzminden). Zeichnung des Häftlings KZ Mittelbau liegen mehrere Berichte ehemaliger Wehr- panie Hauptmann bzw. SS-Hauptsturm- Camille Delétang, undatiert (1944/45). machtsangehöriger vor, die erst im Spätsommer und Das Lager „Hecht“ wurde von SS-Angehörigen und Herbst 1944 zur SS abgestellt wurden; vgl. etwa Willy führer Franz Jäckel (Juni 1944 bis Januar Wehrmachtssoldaten bewacht. • KZ-Gedenkstätte Mirbach, „Damit du es später deinem Sohn einmal er- 1945), sein Nachfolger SS-Hauptsturm- Mittelbau-Dora zählen kannst ...“. Der autobiographische Bericht eines Luftwaffensoldaten aus dem KZ Mittelbau (August 1944 führer Ernst Julius Curt Meyer (ab Janu- Leitungspersonal des KZ-Außenlagers an der Baustelle – Juli 1945), hrsg. und kommentiert von Gerd Halmanns, des Bunkers Valentin bei Bremen-Farge, Sommer 1944. Geldern 1997, sowie das Tagebuch des ehemaligen Luft- ar 1945) und der Mitarbeiter der Politi- Lagerführer war der von der Wehrmacht abkommandier- waffen-Angehörigen Rudolph Zseby, Dokumentations- schen Abteilung SS-Hauptsturmführer te Hauptmann Wahl (2.v.r.). Links zwei SS-Unteroffiziere; stelle der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora (DMD), P4, die Person rechts ist unbekannt. • Johann Seubert, Bd. 135. Denkort Bunker Valentin

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 10.000 Heeressoldaten, die im Mai und als Reservisten einberufen worden, und auch als Blockführer im Lager.24 Juni 1944 in die Konzentrationslager ab- zwar größtenteils zu den Landesschüt- Es ist also keinesfalls richtig, dass gestellt wurden, erfolgreich auf die so- zenverbänden, die seit Beginn des Krie- Wehrmachtsangehörige generell keinen fortige Überstellung in die Waffen-SS.17 ges im Reichsgebiet oder hinter der direkten Kontakt zu den Häftlingen hat- Allein deshalb ist die Frage nach der Ge- Front zu Sicherungsaufgaben und zur ten, wie es viele von ihnen später in samtzahl der in den Konzentrationsla- Bewachung von Kriegsgefangenen Vernehmungen durch deutsche oder gern eingesetzten Heeressoldaten kaum herangezogen worden waren. alliierte Strafverfolgungsbehörden be- zu beantworten – in den Personalaufstel- Mannschaftsdienstgrade wurden haupteten. Wie das Beispiel Hacks zeigt, lungen der SS-Totenkopfsturmbanne meist in größeren Kontingenten direkt konnten sie durchaus Posten innerhalb bzw. der SS-Wachkommandos wurde von der Wehrmacht zu den Konzentrati- des Häftlingslagers besetzen. In den KZ- selten nach Rekrutierungsfeldern onslagern versetzt. Die Gruppe dürfte Außenlagern standen Wehrmachtsoffi- unterschieden. ihnen einerseits in der neuen Umgebung ziere sogar nicht selten als Lagerführer Die meisten Mannschaftsdienstgrade und bei der ungewohnten Aufgabe einen an der Spitze der SS-Verwaltung und der und Unteroffiziere der Luftwaffe wurden gewissen Schutz vermittelt haben, ande- Wachtruppen. Für das KZ Neuengamme – wie zuvor schon die meisten Heeres- rerseits war hier der Anpassungsdruck führt Marc Buggeln dafür sieben Fälle Angehörigen – zum 1. September 1944 vermutlich größer als bei individuellen auf,25 und für das KZ Mittelbau-Dora in die SS übernommen, so etwa im KZ Überstellungen. Abweichendes Verhal- kann es in acht Fällen nachgewiesen Mittelbau-Dora, wo einige Monate zuvor ten, also etwa das Aufbegehren gegen werden.26 Noch höher ist vermutlich zur Bewachung mehrerer Außenlager den Dienst im KZ, dürfte durch die Ka- die Zahl der vormaligen Wehrmachts-­ ein eigenes Luftwaffen-Wachbataillon meraderie innerhalb dieser Männerbün- offiziere und -unteroffiziere, die nachge- aufgestellt worden war, das nun in die de wesentlich erschwert worden sein.21 ordnete Leitungsfunktionen innerhalb SS eingegliedert wurde.18 Offenbar nicht Unteroffiziers- und Offiziersdienstgrade der Lager wahrnahmen, etwa wie Wil- in die SS übernommen wurden lediglich durchliefen dagegen in den meisten Fäl- helm Hack als Blockführer. Auch als La- die Marine-Soldaten. Sie galten lediglich len nach ihrer Einberufung einen etwa gerärzte waren Wehrmachtsoffiziere bis- als in den Befehlsbereich des Reichsfüh- zweiwöchigen Kurzlehrgang in einem weilen eingesetzt, beispielsweise in den rers SS überstellt.19 größeren Konzentrationslager, meist in Mittelbau-Außenlagern Ellrich-Julius- Meist erhielten die von der Wehr- Sachsenhausen, Mauthausen oder in hütte und Harzungen, in denen die von macht übernommenen Soldaten nach Buchenwald, bevor sie einem Außenla- der Luftwaffe abgestellten Stabsärzte der formalen Überstellung zur SS auch ger zugeteilt wurden. So erhielt etwa der Dr. Günther Schneemann und Dr. Her- SS-Uniformen. Da es unter altgedienten aus dem Burgenland stammende Fried- bert Reiher Dienst taten. Letzterer galt SS-Angehörigen, die sich explizit als po- rich Teply im Juni 1944 als 58-jähriger unter den Häftlingen als korrekt, ersterer litische Soldaten und als Elite sahen, Reserve-Stabsfeldwebel seinen Einberu- war allseits gefürchtet und für die hohe aber Vorbehalte gegen ihre neuen Ka- fungsbescheid zu einem Landesschüt- Todesrate in Ellrich-Juliushütte meraden gab, setzte sich in den meisten zenverband in Österreich. Über Linz und mitverantwortlich.27 34 Lagern eine Regelung durch, nach der das KZ Mauthausen wurde er bald nach Als Lagerärzte oder Block- bzw. Lager- die von der Wehrmacht übernommenen Buchenwald versetzt, absolvierte dort führer waren die eingesetzten Wehr- Soldaten nicht wie die altgedienten SS- einen Kurzlehrgang zur KZ-Bewachung machtsoffiziere maßgeblich verantwort- Angehörigen den Totenkopf auf dem und kam schließlich zum Außenlager lich für die Gestaltung der Existenzbe-­ Kragenspiegel trugen, sondern ein dop- Rottleberode, in dem er als SS-Haupt- dingungen in den Lagern. Die Beispiele pelarmiges Hakenkreuz. In manchen La- scharführer die Leitung der Wachkom­ der genannten Lagerärzte Dr. Reiher und gern, wie etwa in Mittelbau-Dora, trugen panie übernahm.22 Ähnlich erging es Dr. Schneemann zeigen, dass sie ihre die Wehrmachtssoldaten auch, da SS- Wilhelm Hack, der im August 1944 als Handlungsspielräume dabei sehr unter- Uniformen nicht in genügender Zahl zur 49-jähriger Reserve-Unteroffizier zu den schiedlich nutzten – bisweilen zugunsten Verfügung standen, noch bis kurz vor Landesschützen einberufen und nach der Gefangenen, häufig aber auch zu de- Kriegsende ihre Luftwaffenuniformen sechswöchigem Aufenthalt in Sachsen- ren Nachteil. Aber auch die überwie- auf.20 hausen und Buchenwald Ende Septem- gend außerhalb der Häftlingslager bei ber 1944 als Postenführer nach Rott­ Bewachungsaufgaben eingesetzten Verhalten der Wehrmachtssoldaten leberode versetzt wurde.23 Anders als Mannschaftsdienstgrade konnten durch im KZ-Dienst viele andere Wehrmachtsangehörige ihr Verhalten die Existenzbedingungen wurde er nicht nur bei der Außenbewa- der Häftlinge und damit auch deren Ein Teil der zum KZ-Dienst abgestell- chung eingesetzt, sondern zeitweise Überlebenschancen beeinflussen. ten Wehrmachtsangehörigen hatte zu- Aufgrund der nur unzureichenden vor aktiven Dienst in der Wehrmacht ge- Quellenlage ist es nicht leicht, das Ver- leistet. Die weitaus meisten Wehrmachts-­ 21 Den Anpassungsdruck konnte Christopher Browning halten der zum KZ-Wachdienst abkom- als einen ganz wesentlichen Faktor für die Brutalisierung soldaten waren jedoch erst kurz vor der Hamburger Reserve-Polizisten herausarbeiten, die wäh- mandierten Wehrmachtsangehörigen zu rend des Krieges in Polen zu Massenmördern wurden; Versetzung in die Konzentrationslager vgl. Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. bewerten. Am ehesten geben die Berich- Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek bei Hamburg 21996, S. 229 f. 24 Hack selbst bezeichnete sich als „Barackenunteroffi- 17 Vgl. Vermerk Himmler für SS-Brigadeführer Fegelein, zier“; vgl. ebd. 9.5.1944, BA Berlin, NS 19/1922, Bl. 1; Schreiben Himmler 22 Vgl. Aussage F. Teply, 28.4.1947, National Archives an die Chefs des SS-Hauptamtes und des SS-WVHA, Record Administration (NARA), Microfilm Publication 25 Vgl. Buggeln, Arbeit, S. 437. 11.5.1944, ebd., Bl. 3. M-1079, Roll 5, Bl. 170 ff. Im Übrigen sollen auch die meisten anderen Angehörigen der Wachmannschaften 26 Vgl. Wagner, Produktion, S. 620 ff. 18 Vgl. Wagner, Produktion, S. 310 f. in Rottleberode Österreicher gewesen sein; vgl. Aussage W. Ulbricht (ehem. Kapo), 5.6.1974, BA Ludwigsburg, 429 27 Vgl. ebd., S. 277. Zur Geschichte des Außenlagers Ell- 19 Vgl. Buggeln, S. 433. AR-Z 192/72, Bl. 288 ff. rich-Juliushütte, das je zur Hälfte auf heute niedersäch- sischem und thüringischem Gebiet lag, vgl. Ders., Ellrich 20 Vgl. Hördler, Wehrmacht, S. 14, sowie Wagner, 23 Vgl. Aussage W. Hack, 23.4.1947, NARA, M-1079, 1944/45. Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer Produktion, S. 311. Roll 5, Bl. 229 ff. deutschen Kleinstadt, Göttingen 2009. te überlebender Häftlinge darüber Aus- der KZ-Insassen. Ein solches Schlupf- sche Motivation war dazu gar nicht nötig kunft. Diese schildern die Wehrmachts- loch konnte das Wegsehen sein oder die – wenn sie die Tat auch erleichterten, da angehörigen überwiegend als weniger Selbstobjektivierung, also der Versuch, sie das Verbrechen als rational „notwen- brutal als die Angehörigen der Toten- die eigene Person nicht als handelndes dig“ erscheinen ließen und eventuell kopf-SS. Dabei ist jedoch zu berücksich- Subjekt zu sehen oder darzustellen, son- noch vorhandene moralische Skrupel tigen, dass dies vor dem Hintergrund des dern als zum Funktionsträger und Be- wegwischten. Vergleiches mit der sonst von der SS ge- fehlsempfänger degradierten Spielball Noch ist das Wissen über das Verhal- wohnten Brutalität zu sehen ist.28 Und einer höheren Gewalt. ten der Wehrmachtssoldaten im KZ- selbst wenn sie sich nicht persönlich an Dabei gab es durchaus die Möglich- Dienst und die Beweggründe der Misshandlungen und Morden beteilig- keit, dem Dienst im KZ zu entgehen. So Soldaten, sich an Misshandlungen zu ten, stützen die zu den Konzentrationsla- will der von der Luftwaffe abgestellte beteiligen (oder eben auch nicht), recht gern abkommandierten Soldaten das La- zeitweilige Wachkommando-Führer im dünn. Dennoch sollten die vorliegenden gerregime der SS und damit auch die in Lager Ellrich-Juliushütte im August 1944 Befunde ausreichen, das öffentliche Bild den Lagern begangenen Verbrechen. auf eigenen Wunsch in eine Feldeinheit von den KZ-Wachmannschaften, das Trotzdem gab es einen generellen Unter- der SS versetzt worden sein, „um aus sich noch immer stark auf die SS be- schied zwischen den ehemaligen Soldaten dem KZ-Dienst wegzukommen“.31 Dieser schränkt, zu revidieren. Dazu müsste und den altgedienten SS-Angehörigen: Fall dürfte jedoch eine Ausnahme gewe- dieses Thema u.a. in den Ausstellungen Während letztere ihren Dienst freiwillig sen sein, bot sich mit dem Dienst im in den KZ-Gedenkstätten stärker präsen- versahen, waren die meisten Wehrmachts- Konzentrationslager doch immerhin die tiert werden. Weitere Forschungen hier- soldaten zum Wachdienst in den Lagern Chance, dem möglichen Tod an der zu bleiben überdies ein Desiderat, wie verpflichtet worden. Viele von ihnen be- Front zu entgehen. Andere Wehrmachts- überhaupt noch auf größerer empiri- wachten die KZ-Häftlinge nur widerwillig – angehörige versuchten daher, den Ein- scher Grundlage herausgearbeitet wer- gerade vor dem Hintergrund des nahen- satz im Konzentrationslager auf die eine den müsste, welche Bevölkerungs- und den Kriegsendes und der zu erwartenden oder andere Weise zu legitimieren, wenn Berufsgruppen in den Betrieb des KZ- Bestrafung durch die Sieger. Dass sie vielleicht auch nicht ganz so dreist wie Systems eingebunden waren. Schließ- sich mit dem Dienst im Konzentrationsla- der Luftwaffensoldat B., der die Recht- lich wurden die Wachmannschaften ger schuldig machten, muss den meisten mäßigkeit der Vorgänge in Ellrich nicht nur durch Wehrmachtsangehörige Wehrmachtsangehörigen bewusst ge- augenscheinlich überhaupt nicht infrage verstärkt, sondern u.a. auch durch Poli- wesen sein. Der Luftwaffensoldat Willy stellte: „Im Spätjahr 1944 wurde ich zu- zisten und Werkschutzangehörige. Dazu Mirbach vermutete gar eine bewusste sammen mit ca. 30 Kameraden nach Ell- liegen bislang aber kaum Forschungen Strategie der SS: „Wir waren zu der rich verlegt. In Ellrich war ein Häftlings- vor. Die Geschichte der NS-Konzentrati- Überzeugung gekommen, daß sich lager. Bei diesen Häftlingen handelte es onslager ist mithin noch lange nicht die SS langsam, aber sicher von dieser sich um Franzosen und Deutsche, die „ausgeforscht“ – und das nicht nur be- KZ-Angelegenheit absetzen wollte nach nicht arbeiten wollten. Man nannte die- züglich der Täter. dem Motto: ‚Den letzten beißen die Hun- ses Lager KZ.“32 Wieder andere stellten 35 de.‘ Rudi [ein weiterer Luftwaffensoldat, ihren KZ-Dienst nach dem Krieg als Nor- Anm. d. V.] war der Ansicht, daß wir bei malität militärischen Gehorsams dar: dem sich schon abzeichnenden Ende die „Ich habe damals nichts gemacht. Ich Prügelknaben sein würden.“29 habe nur, wie jeder andere auch, meinen Es war aber wohl nicht nur die Angst Dienst gemacht.“33 vor der Strafe, sondern auch ein Rest Ähnliches sagten nach dem Krieg vie- von moralischer Unversehrtheit, der ein- le Beteiligte an den NS-Verbrechen. Sie zelne Wehrmachtssoldaten unter der At- folgten dabei dem Mythos des „Befehls- mosphäre im Lager leiden ließ. Ein in notstandes“ und versuchten damit zu das KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte leugnen, dass sie durchaus Handlungs- abkommandierter Luftwaffensoldat spielräume hatten. Zudem war kein Mit- schrieb im Januar 1945 an seine Mutter: glied der Wachmannschaften gezwun- „Das Schlimmste ist, man wird hier gen, Häftlinge zu quälen oder gar zu ganz stur bei den Elendsgestalten. Der töten. Dennoch waren Misshandlungen schönste Tag wird einmal für mich sein, an der Tagesordnung, auch in den La- wenn ich einmal aus diesem Kazettlager gern, die von der Wehrmacht bewacht werde verschwinden können...“30 Was wurden. Der Täter war eben, wie Wolf- diesen Soldaten zu stören schien, war je- gang Sofsky zu Recht bemerkt hat, kein doch weniger das Verbrechen selbst als bloßer Untertan: „Er tat mehr, als er seine Präsenz – der Anblick der „Elends- mußte. Er tat, was er durfte, und er durf- gestalten“. Solange es Schlupflöcher der te alles.“34 Eine spezifisch nationalsozia- Wahrnehmung gab, herrschte allgemei- listische Indoktrination oder ideologi- ne Indifferenz gegenüber dem Leiden 31 Aussage Georg S., 25.7.1969, BA Ludwigsburg, 429 AR-Z 224/72, Bl. 408 ff. 28 Vgl. Wagner, Produktion, S. 313 ff. 32 Aussage Adolf B., 18.1.1968, ebd., Bl. 192. 29 Mirbach, Bericht eines Luftwaffensoldaten, S. 55. 33 Aussage Heinrich W. (ehem. Luftwaffen-Wachsoldat 30 Feldpostbrief Stefan Pauler, 15.1.1945, zit. nach Man- in Ellrich), 22.2.1968, ebd., Bl. 226 ff. fred Bornemann, Chronik des Lagers Ellrich 1944/45. Ein vergessenes Lager wird neu entdeckt, Nordhausen 1992, 34 Wolfgang Sofsky, Die Ordnung des Terrors: Das S. 25. Konzentrationslager, Frankfurt a.M. 1993, S. 318.

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Bildungsangebote am erweiterten historischen Ort. Das Thema Truppenübungsplatz und Kaserne Bergen-Hohne in gedenkstättendidaktischer Perspektive

Marc Ellinghaus, Nicola Schlichting

36 Das Gelände der Gedenkstätte Bergen-­ setzen, nehmen jährlich über 25.000 Teil- brechen. Die von den Nationalsozialisten Belsen entspricht derzeit der Fläche der nehmende die Bildungsangebote der und ihren Mittäter_innen verfolgten Men- Hauptlager des ehemaligen Kriegsgefan- Gedenkstätte wahr. Dabei bekommen schen, die in den Lagern litten und star- genenlagers und Konzentrationslagers sie die Gelegenheit, sich am histori- ben, sollten auf Häftlingskategorie und Bergen-Belsen. Das historische Lagerge- schen Ort mittels forschenden Lernens -nummer reduziert, sollten als Rechtsper- lände ist heute vor allem ein Friedhof für anhand der historischen Quellen selbst son, Subjekt und schließlich auch phy- die Mehrheit der Opfer des Konzentrati- ein Urteil über die Geschichte zu bilden sisch vernichtet werden. onslagers; die historische Bausubstanz und Schlüsse für sich und die Gegen- ist fast vollständig zerstört, wenige Fun- wart zu ziehen. Das gilt für mehrtägige Quellen, die von den Tätern umfang- damentreste erinnern an die Gebäude Seminare und Begegnungen genauso reich produziert wurden (wenn sie auch der Lager. Am Rande des Geländes lie- wie für kürzere Formate, in denen trotz mit Bezug auf das KZ Bergen-Belsen gen ein Dokumentationszentrum mit der knappen Zeit dennoch Gelegenheit kaum erhalten sind) – Akten, Pläne, Lis- Dauerausstellung und das Bildungszent- sein muss, historische Sachzeugnisse zu ten, aber auch Fotos – spiegeln diesen rum der Gedenkstätte. analysieren und Schlussfolgerungen aus Blick auf die Opfer wieder. Die Fotos, die diesen Quellen zur Diskussion zu stellen. alliierte Berichterstatter nach der Befrei- Die Erweiterung der Gedenkstätte um ung von den Leichenbergen und apathi- einen Standort auf dem Gelände der Dabei interessiert zuerst, was Kriegs- schen Überlebenden machten, brechen ehemaligen Wehrmachtskaserne Bergen- gefangene und Häftlinge des Konzentra- diese Reduktion nicht auf. Die Perspektive Hohne (heute Niedersachsen-Kaserne) tionslagers erlitten und wie die Überle- und Wahrnehmung der Kriegsgefange- bietet auch der Bildungsarbeit wichtige benden das Geschehene erlebt haben. nen und Häftlinge fehlt in diesen Quellen. neue Möglichkeiten. Deshalb sind die von Kriegsgefangenen Interviews und andere Selbstzeugnisse und Häftlingen angefertigten Berichte wie Tagebücher oder Zeichnungen erlau- Perspektiven und Selbstzeugnisse, Zeichnungen und ben die Beschäftigung mit den Lebens­ Fotografien sowie lebensgeschichtliche geschichten ehemaliger Häftlinge und Ausgangspunkte für die Bildungsar- Interviews mit Überlebenden zentrale Kriegsgefangener, die ganz bewusst nicht beit der Gedenkstätte sind das histori- Quellen, mit denen sich Teilnehmende in auf die Haftzeit in Bergen-Belsen be- sche Geschehen im Kriegsgefangenen- den Bildungsangeboten befassen. schränkt werden. Ein wichtiges Bildungs- und Konzentrationslager Bergen-Belsen Dafür gibt es viele Gründe. Nicht zuletzt ziel ist hier auch die Würdigung von Men- sowie dessen Folgen nach 1945. Um bedeutet es einen Versuch, die Perspektive schen, denen die Nationalsozialisten die sich mit diesen Themen auseinanderzu- der Täter_innen auf die Verfolgten zu Würde abgesprochen haben. Für eine Bildungsarbeit, deren Ziel die an historischen Quellen – Dokumente, Fo- Das Mannschaftsstammlager XI D 37 Unterstützung der Entwicklung eines kri- tos, Briefe und Zeitzeugeninterviews mit (321) Oerbke wurde im Frühjahr 1941 in tischen Geschichtsbewusstseins und die Anwohner_innen etwa, die den Teilneh- direkter Nachbarschaft des Mann- Befähigung zu einer historisch infor- menden der Bildungsveranstaltungen er- schaftsstammlagers Fallingbostel er- mierten Auseinandersetzung mit Ge- lauben, das Thema aus einer multipers- richtet und sollte 30.000 sowjetische schichte und Gegenwart ist, müssen je- pektivischen Sicht zu bearbeiten. Kriegsgefangene aufnehmen, von denen doch weitere Schritte folgen. Die Be­- am 11. Juli 1941 die ersten in Oerbke ein- schäftigung mit den NS-Verbrechen darf Während es für die Geschichte des trafen. Oerbke war eines der vier Kriegs- nicht bei dem stehen bleiben, was die KZ Bergen-Belsen an Selbstdokumenten gefangenenlager auf oder nahe dem Häftlinge und Kriegsgefangenen inner- von SS-Angehörigen weitgehend man- Truppenübungsplatz Bergen, deren Ge- halb der Lagergrenzen erlebt haben. Die gelt, gibt es für die Geschichte der schichte in der Ausstellung der Gedenk- Lager waren keine isolierten Kosmen, Kriegsgefangenenlager auf dem Trup- stätte Bergen-Belsen präsentiert wird. sondern vielfältig eingebunden in die penübungsplatz Bergen deutlich mehr Eine Vielzahl an Fotografien aus den Tätergesellschaft. Eine integrale Gedenk- Material, das für die Arbeit in Bildungs- Kriegsgefangenenlagern in der Lüne- stättendidaktik muss deshalb neben der veranstaltungen gut geeignet ist und burg Heide ist erhalten geblieben und Perspektive auf die Opfer (die als Akteure genutzt wird. Teil der Sammlung der Gedenkstätte. wahrgenommen werden müssen) auch Exemplarisch soll an dieser Stelle die Sie erlauben Rückschlüsse über die Vor- die Täter, Mittäter und Zuschauer in den Fotosammlung eines deutschen Solda- gänge in den Lagern, über das Leben Blick nehmen und sich mit der NS-Ideo- ten vorgestellt und deren Potential für und den Zustand der sowjetischen logie und den Ausgrenzungspraxen in die Bildungsarbeit erläutert werden. Kriegsgefangenen. Fragen nach der Ur- der NS-Gesellschaft auseinandersetzen Franz Josef Z. war Landesschütze. Lan- heberschaft (Wer?), vor allem nach der (siehe dazu den nachfolgenden Beitrag desschützenverbände bestanden aus Motivation (Wozu?) und nach den Hinter- von Jens-Christian Wagner). meist älteren und nicht fronttauglichen gründen, die zur Entstehung der Fotos Soldaten und wurden zur Bewachung führten (Wann? Warum? An wen?), Der Blick der Täter ist selbstverständ- von Kriegsgefangenen (und ab 1944 ermöglichen Teilnehmenden von Bil- lich auch in den aktuellen Bildungsange- auch von KZ-Häftlingen) abgestellt. dungsveranstaltungen sich im Sinne ei- boten der Gedenkstätte ein wichtiges Z. nahm als Angehöriger der Wach- nes forschenden Lernens ein Urteil über Thema. Gerade in Bezug auf die Kriegsge- mannschaft zwischen August und De- fangenen gibt es in der Sammlung der zember 1941 im Kriegsgefangenenlager Teilnehmende eines Studientages • Jesco Denzel Gedenkstätte Bergen-Belsen eine Vielzahl Oerbke mehrere Fotoserien auf. Geländeguide in der Gedenkstätte • Marc Ellinghaus

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 38 historische Sachverhalte zu bilden. Die Ergänzt und korreliert man diese Bil- Im Unterschied zum Gedenkstättenge- Fotografien des Landesschützen Franz der mit anderen Quellen, beispielsweise lände, auf dem es kaum bauliche Relikte Josef Z. sind besonders interessant, weil mit Stellungnahmen zu Besuchen von gibt, ist die ehemalige Wehrmachtska- sie der Gedenkstätte aus verschiedenen Deutschen bei den sowjetischen Kriegs- serne weitgehend im originalen Bauzu- Sammlungen überliefert wurden. gefangenenlagern von offizieller Seite, stand erhalten geblieben. Mit dem neuen Aussagen ehemaliger Anwohner_innen Bildungszentrum im Gebäude M.B. 89 Ein Bestand etwa befindet sich in Pri- und von Überlebenden, führt dies zu ei- kann die Gedenkstätte erstmals in ihrer vatbesitz und wurde durch einen Samm- ner Diskussion über das Bild, das sich Geschichte ein historisches Gebäude ler zur Verfügung gestellt, ein anderer die selbsternannten deutschen „Herren- nutzen. Das Haus gehörte im April 1945 konnte bei einer Internetauktion erstei- menschen“ von den sowjetischen zum sogenannten Kasernenlager, in dem gert werden. Verschiedene Bildunter- Kriegsgefangenen machten. Eingebun- die SS Häftlinge aus dem geräumten KZ schriften zu denselben Motiven lassen den wird diese Diskussion in die Frage, Mittelbau-Dora unterbrachte, anschlie- Rückschlüsse auf den Verbreitungsgrad wie weit die rassistische Ideologie der ßend diente es bis 1950 als Unterkunft der Fotografien zu und eröffnen die Dis- Nationalsozialisten in der deutschen für Displaced Persons. Zusätzlich ist das kussion darüber, in welchem Umfang Gesellschaft verankert war. Areal um M.B. 89 durch den Umstand die Deutschen über die Behandlung und historisch aufgeladen, dass das Neben- die Verbrechen an den sowjetischen Gebäude M.B. 89 gebäude (G.B. 6) die Kommandantur des Kriegsgefangenen informiert waren. Die Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen Bildunterschriften (z.B. „Russki kaputt” Im Frühjahr 2019 wird die Gedenkstät- beherbergte und dass sich in der Nähe zu einem Foto mit toten Kriegsgefange- te „M.B. 89“ in Betrieb nehmen, ein Ge- der Kleine Friedhof und der sogenannte nen oder „Todeskandidat” zu einem ext- bäude in der benachbarten, ehemaligen Zelttheaterfriedhof befinden, auf denen rem abgemagerten Mann, der merkwür- Wehrmachtskaserne nahe Belsen, die von 1945 bis 1950 4.500 Menschen be- dig inszeniert präsentiert wird), die sich zum dortigen Truppenübungsplatz ge- stattet wurden, die nach der Befreiung unter einem Teil der Fotografien befin- hört. Dort wird zunächst eine erste pro- an den Folgen der KZ-Haft gestorben den, ergänzen und kommentieren die visorische Ausstellung zur Geschichte waren. menschenverachtende, entwürdigende der Wehrmacht eröffnet. Zugleich wird Präsentation der Menschen und sind mit die Gedenkstätte mit ersten experimen- Mit der Ausdehnung der Bildungsan- ihrem geradezu lässig wirkenden Rassis- tellen Bildungsangeboten den Betrieb gebote der Gedenkstätte auf diesen mus und Zynismus schwer zu ertragen. des Bildungszentrums auf den zweiten zweiten Standort erweitert sich auch Standort ausdehnen. der Radius des zu betrachtenden histori- schen Ortes. M.B. 89 befindet sich im den vielfältigen Themen nicht gerecht kann man jetzt noch nicht wissen. Sicher Südosten der Kaserne und liegt damit werden, schon angesichts der Wege zwi- aber ist: Mit den längeren Bildungsange- etwa einen Kilometer nördlich des ehe- schen den einzelnen historischen Orten boten und erweiterten Perspektiven auf maligen Lagereingangs zum Kriegsge- und möglichen Stationen eines Besuchs. den gesellschaftlichen Kontext der NS- fangenen- und Konzentrationslager. Ge- Die Gedenkstätte bemüht sich ohnehin, Verbrechen wird das Bedürfnis und der genüber der Kaserne, an der Straße in den Anteil der mehrtägigen Programme Raum, auch die Gegenwartsbezüge der Richtung der nahegelegenen Kleinstadt bei den Bildungsangeboten zu erhöhen. Geschichte zu verhandeln und zu disku- Bergen, liegt das Dorf Belsen, beides Entsprechend sollen in der nächsten Zeit tieren, größer sein als je zuvor. war für Kaserne und Lager namensge- ein- und mehrtägige Angebote für aus- bend. Etwa zwei Kilometer weiter in gewählte Gruppen entwickelt, auspro- Richtung Bergen befindet sich die Ver­ biert, evaluiert und weiterentwickelt laderampe des Truppenübungsplatzes, werden. an der auch die Reichsbahn-Transporte mit Kriegsgefangenen und Häftlingen Darin müssen sich die skizzierten ankamen. Außerdem liegt auch der Perspektiven, Kontexte und Themen Friedhof, auf dem die Wehrmacht die vor wiederfinden. allem sowjetischen Opfer des Kriegsge- Auch die (digitalen) Werkzeuge der Bil- fangenenlagers begraben ließ, nicht dungsarbeit müssen dafür weiterentwi- weit von der Kaserne entfernt auf dem ckelt werden. Die Gedenkstätte arbeitet Truppenübungsplatz. auf dem historischen Lagergelände er- folgreich mit einem digitalen Gelände- Diese räumliche Nähe wird in Veran- guide, der es den Teilnehmenden er- staltungen, die mehrere dieser Orte ein- laubt, selbstgeführt den Ort zu erkunden beziehen, greifbar. Den Teilnehmenden und dabei Themen und Dokumente für kann vermittelt werden, dass die Lager- eine Diskussion durch die Gruppe zu fin- topographie von Bergen-Belsen sich den und auszuwählen. Dabei wird die eben nicht auf das ehemalige Kriegsge- Struktur des zerstörten, aber vollständig fangenen- und Konzentrationslager be- zugänglichen Lagers durch eine behut- schränkte, sondern auch die Kaserne, same digitale Rekonstruktion unmittel- einen Teil des Übungsplatzes und die bar vor Ort ersichtlich. Bahnhofsrampe umfasste. Nicht nur die Funktionsweise des Lagerbetriebes kann Die Lage in der Kaserne ist anders: das so deutlich anschaulicher vermittelt wer- Gelände ist nur zu einem kleinen Teil zu- den, sondern es wird vor allem der Blick gänglich (der größte Teil wird militärisch auf die Umgebungsgesellschaft des La- genutzt und ist damit für Besuchergrup- 39 gers gerichtet. Damit rücken sowohl die pen nicht erreichbar), eine digitale Re- Täter in SS und Wehrmacht als auch die konstruktion hätte hier daher eine ande- deutsche Gesellschaft stärker in den re Funktion - sie ersetzt sozusagen nicht Fokus. mehr Gebäude, die nicht vorhanden sind, sondern bietet einen virtuellen Zu- Thematisiert man den gesellschaftli- gang zu nicht begehbaren Räumen. Pro- chen Kontext der Lager, verlässt man totypisch entsteht bis April 2019 eine den Umkreis der Umzäunung. Dies auch entsprechende, multimediale Installati- buchstäblich tun zu können, bietet neue on im Gebäude M.B. 89. Sie wird es er- Möglichkeiten für die Bildungsarbeit. möglichen, nicht zugängliche Bauten in der Kaserne, etwa das Round House Lernlabor oder das Glyn Hughes Hospital, virtuell zu besuchen. Bis zu einer dauerhaften Erweiterung der Regelangebote von Bildungspro- In intensiven Tages- und Mehrtages- grammen an dem zu schaffenden Lern- programmen steigt auch der Anspruch ort ist es noch ein weiter Weg. Das Ge- an Umfang und Tiefe der Informationen bäude muss dafür umfangreich saniert in digitalen und analogen Bildungsmate- werden, Räume geschaffen, Programme rialien und schließlich gilt es, auch den entwickelt, Materialien erstellt, Mitarbei- Teilnehmenden Interaktions- und Gestal- ter_innen, Guides und Teamende weiter- tungsmöglichkeiten zu eröffnen, in die gebildet werden. die Ergebnisse ihrer Auseinanderset- zung mit dem Ort einfließen können. Da der umfassende Umbau des Ge- bäudes erst ab 2023 erfolgen soll, bietet M.B. 89 soll in den kommenden Jah- die kommende Aufbauphase Zeit für ex- ren ganz bewusst als Lernlabor genutzt perimentelles Arbeiten. Fest steht: In werden, um neue Formate und Inhalte kurzen, etwa halbtägigen Programmen auszuprobieren. Wie diese von den Teil- Das Gebäude M.B.89 auf dem Gelände der Niedersachen-­ wird man den historischen Orten und nehmer_innen angenommen werden, Kaserne • Jens-Christian Wagner

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen Täter, Mittäter und Zuschauer der NS-Verbrechen. Chancen und Risiken einer integralen Gedenkstättendidaktik

Jens-Christian Wagner

40 Die neuen Bildungsmöglichkeiten im Instrumentalisierung dieser Schicksale. päischen Juden sowie an den Sinti und Gebäude M.B. 89 der Niedersachsen-­ Auch dies ist ein Grund, den Blick auf die Roma, verbannte die Frage nach den Tä- Kaserne rücken in der Arbeit der Ge- Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten tern und ihren Motiven zeitweise in ein denkstätte Bergen-Belsen nicht nur das im Nationalsozialismus zu öffnen. „Niemandsland des Verstehens“ (Dan Thema Wehrmacht und Verbrechen, Sicherlich ist es richtig, der Perspektive Diner). Die Ehrfurcht vor den Opfern sondern allgemein die Frage nach der der Verfolgten insbesondere in den KZ- führte in den 1980er und 1990er Jahren Funktionsweise der NS-Gesellschaft Gedenkstätten breiten Raum zu geben. vielfach dazu, dass bei der Frage nach stärker nach vorne. Welche Chancen Immerhin ist es eine wesentliche Aufga- den Gründen für die Verbrechen von den bietet das? be der Gedenkstätten, die Opfer von Ent- „Grenzen des Verstehens“ die Rede war.1 Auch wenn das „Opfer“ auf Schulhö- rechtung und Verfolgung zu würdigen. Nach der Motivation der Täter zu fragen fen zum Schimpfwort geworden ist: Ge- Auch wenn sich die Gedenkstätten zu- und sich damit in ihre Denkwelt hineinzu- sellschaftlich ist es hoch angesehen und nehmend zu modernen zeithistorischen versetzen hielten viele für einen Affront hat ein breites Empathie- und Identifika- Museen entwickeln, bleiben sie doch gegenüber den Opfern. Doch dass der tionspotential. Um Opfer zu trauern oder Orte der Trauer um diejenigen, die in Blick auf die Täter die Erfahrung der Op- sich sogar mit ihnen zu identifizieren ist den Lagern gelitten haben oder um ihr fer nicht ausklammern musste, zeigte leichter als Fragen nach den Hintergrün- Leben gebracht wurden. Wenn an die- sich seit Beginn der 1990er Jahre in der den der Tat zu stellen, und dazu zählen sen Orten aus Geschichte gelernt wer- boomenden Täterforschung – zunächst insbesondere Fragen nach den Tätern, den soll, dann müssen jedoch auch Fra- zu bestimmten Tätergruppen und auch Mittätern und Zuschauern und ihrer Mo- gen nach der Täterschaft sowie nach Einzelpersonen im Sicherheits- und Ver- tivation. Zudem werden sämtliche Grau- dem ideologischen und gesellschaftsge- folgungsapparat sowie in der Wissen- zonen ausgeblendet, bezogen auf das schichtlichen Kontext gestellt werden, in schaft und in Unternehmen, später auch KZ-System etwa die ambivalente Rolle dem die Taten begangen wurden. Opfer in Ministerien und Behörden sowie in- der Funktionshäftlinge. Überhaupt gab es nicht ohne Täter. Erforderlich ist nerhalb der von den Nationalsozialisten macht der Opferdiskurs aus Menschen deshalb ein integrales Konzept der Ge- Objekte und verstellt den Blick auf die denkstättendidaktik, das neben der Pers- Verfolgten als Akteure. Genau darin läge pektive auf die Inhaftierten auch das aber ein handlungsorientierendes didak- gesellschaftliche Umfeld und die Täter-

tisches Potential. Zudem lässt der Fokus schaft in den Blick nimmt. 1 So der Titel eines Sammelbandes zum Thema: Hanno auf die Opferbiografien ohne deren Kon- Die Monstrosität der NS-Verbrechen, Loewy (Hg.), Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, Rein- textualisierung alle Spielräume für die insbesondere des Mordes an den euro- bek 1992. propagierten „Volksgemeinschaft“.2 Aber ist das eigentlich richtig so? Wel- das Morden fand nicht im gesellschafts- 41 Parallel zum Forschungstrend, diesem chen didaktischen Wert hat die Ausein- losen Raum statt. Wenn man aus der vielleicht sogar etwas vorausgehend, andersetzung mit den Tätern? Wenn heillosen Geschichte etwas lernen entstanden seit den 1990er Jahren ne- man im Sinne überwältigender Vermitt- möchte – Lernen im Sinne verhaltensre- ben den Gedenkstätten an Tatorten, ins- lungsstrategien davon ausgeht, dass Be- levanter Erkenntnis –, wenn also Ge- besondere den ehemaligen Konzentrati- troffenheit und die Empathie oder sogar denkstätten und Dokumentationsorte onslagern, auch Dokumentations- und die Identifikation mit den Opfern gegen Geschichtsbewusstsein vermitteln und Lernorte zu den NS-Tätern bzw. ihrer rassistische und demokratiefeindliche historisches Urteilsvermögen stärken Selbstinszenierung. Beispiele sind das Einstellungen immunisieren oder dass wollen, dann müssen sie sich mit der NS-Dokumentationszentrum der Stadt Gedenkstätten sich darauf beschränken Geschichte und Motivation der Täter, Köln oder auch der Dokumentationsort sollten, was anfangs ihre Hauptfunktion Mittäter und Zuschauer wie auch mit der „Topographie des Terrors“ in Berlin. war, nämlich Orte der Trauer und des Gesellschaftsordnung im Nationalsozia- An diesen Orten richtet sich das Gedenkens zu sein, dann braucht man lismus auseinandersetzen.4 Hauptaugenmerk auf die Täter, ohne die Auseinandersetzung mit den Tätern Einem solchen Verständnis von histo- dass ihre Opfer ausgeklammert werden. nicht. Im Gegenteil: Bei einem solchen rischem Lernen liegt die Überzeugung Mittlerweile spielt die Frage nach der Konzept stören sie nur. zu Grunde, dass Affirmation oder Ap- Motivation der Täter aber auch in den Es ist sicherlich richtig, die Geschichte pellation durch Reflexion ersetzt werden Opfer-Gedenkstätten eine wichtige Rolle. der NS-Verbrechen als heillos zu verste- müssen. Anders formuliert: Nicht Be- hen, heillos in dem Sinne, dass ihr keine kenntnis, sondern Erkenntnis ist das Ziel. 2 Vgl. exemplarisch Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker politische, religiöse oder metaphysische Das bedeutet, es werden nicht einfache der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt/Main 1991; Sinnstiftung innewohnt.3 Die Menschen Antworten gegeben und es wird auch Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. Das Re- serve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, in den Konzentrationslagern und Ghet- keine politische, moralische oder religiö- Reinbek 1993; Ulrich Herbert, Best. Biografische Studien tos oder an den Erschießungsgräben in über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, Bonn 1996; Karin Orth, Die Konzentrationslager-SS. Sozial- den besetzten Gebieten Ost- und Süd- 4 Vgl. Jens-Christian Wagner, NS-Gesellschaftsverbre- strukturelle Analysen und biographische Studien, Göt- chen in der Gedenkstättenarbeit, in: Detlef Schmiechen- tingen 2000; Michael Wildt, Generation des Unbeding- osteuropas sind einen sinnlosen Tod ge- Ackermann/Marlis Buchholz/Bianca Roitsch/Christiane ten. Das Führungskorps des Reichssicherheits­hauptamtes, storben. Dennoch hatten die Täter teil- Schröder (Hg.), Der Ort der „Volksgemeinschaft“ in der Hamburg 2002; Kathrin Kompisch, Täterinnen. Frauen im deutschen Gesellschaftsgeschichte, Paderborn 2018, Nationalsozialismus, Köln u.a. 2008; Norbert Frei u.a. weise durchaus rationale Motive, und S. 421-437. (Hg.), Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplo- maten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Mün- 3 Vgl. Volkhard Knigge, „Das radikal Böse ist das, was Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, 2018. Die chen 2010; Frank Bajohr/Michael Wildt (Hg.), Volksge- nicht hätte passieren dürfen.“ Unannehmbare Geschich- Kernausstellung wird gesellschaftsgeschichtlich durch meinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des te begreifen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016), das Thema Kindheit im Nationalsozialismus gerahmt. Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 2009. H. 3-4, S. 3-9. • Jens-Christian Wagner

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 42 se Heilsgeschichte präsentiert, wonach Ent­scheidungs- und Handlungsspielräu- grenzten), Gewöhnung an Gewalt, In- wir aus dem Dunkel der Vergangenheit me offengelegt werden: Nach der Rolle doktrination, Gruppendruck, Repression, in die leuchtende Zukunft gehen, wenn der Akteure ist zu fragen, und das gilt Ängste, autoritäres Denken und, nicht zu wir nur die richtigen Lehren aus der Ge- auch für die Verfolgten, die – wenn auch unterschätzen, durch (mediale) Sicher- schichte ziehen. Vielmehr geht es dar- sehr begrenzt – durchaus Handlungsoptio- heits- und Kriminalisierungsdiskurse um, Fragen aufzuwerfen: Wer hat etwas nen hatten und deshalb nicht als willenlo- aufgeladene Ausgrenzungspraktiken.5 getan (oder auch nicht getan), warum se Opfer dargestellt werden dürfen, die Die Massaker bei Kriegsende etwa, die hat er oder sie es getan, welche Folgen zur Schlachtbank geführt wurden. In die- nicht nur von SS- und Gestapoangehöri- hatte das für die Opfer, wer waren die sem Zusammenhang bietet insbesondere gen verübt wurden, sondern vielfach Opfer, in welchem Kontext geschahen der Blick auf widerständiges oder eigen- von „ganz normalen Deutschen“ im die Verbrechen? Und schließlich: Was sinniges Verhalten samt allen Grauzonen Volkssturm, der Polizei, der Feuerwehr geht uns das heute an? ein großes didaktisches Potential jenseits oder dem Technischen Hilfswerk, waren Mit Fragen wie diesen zum Nachden- vereinnahmender Losungen à la „ihr Ver- ganz wesentlich Folge der NS-Propagan- ken und ethisch fundiertem Handeln mächtnis lebt in unseren Taten fort“. da, die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter anzuregen, ist die Aufgabe der Ver­ Großes Potential bietet zudem die Fra- als derart gefährlich dargestellt hatte, mittlungsarbeit in den Gedenk- und Doku- ge nach den Gründen für die breite Mit- dass viele Deutsche annahmen, die Ver- mentationsstätten. Ihr Mittel ist nicht die machbereitschaft im Nationalsozialis- folgten würden nach ihrer Befreiung rau- pädagogische Überwältigung, die nur zur mus. Hier scheiden monokausale bend, mordend und brandschatzend Abwehr führen kann, sondern die selbst- Erklärungsmuster aus. Vielmehr lässt über sie herfallen. Die von der Goeb- bestimmte Reflexion der Vergangenheit. sich eine Gemengelage unterschiedli- bels-Propaganda seit 1943 bewusst ge- Grundlage dafür ist, dass die dem histori- cher struktureller, ideologischer, sozia- schürte Angst vor der Rache der Sieger schen Geschehen zugrunde liegenden Zu- ler, psychologischer und habitueller Fak- (ein zeitgenössischer Journalist nannte sammenhänge erläutert und strukturelle toren identifizieren. Genannt seien etwa das „Kraft-durch-Furcht-Propaganda“) Prozesse, ihre Entstehungsursachen und die ideologische Affinität (insbesondere tat ihr Übriges dazu.6 ihre Folgewirkungen an Beispielen ver- zu antisemitischen und rassistischen deutlicht werden. Dies ist explizite Aufga- Einstellungsmustern), materielle Verbes- 5 Vgl. Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. be der Historiker_innen. Bei der Vermitt- serungen, Zukunftsverheißungen und Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2015, S. 519 ff.

lung müssen verschiedene Sichtweisen Aufstiegserfahrungen, das emotionale 6 Vgl. ders., Mörderisches Ende. Todesmärsche, Räu- und Perspektiven der beteiligten Personen Angebot und die Überhöhung des Dazu- mungstransporte und die Auflösung der Konzentrations- lager, in: Konzentrationslager. Studien zur Geschichte und Personengruppen umrissen sowie gehörens (im Unterschied zu den Ausge- des NS-Terrors 1 (2015), S. 17-36, hier S. 32 ff. Beim Blick auf die genannten sehr he- unterlassenen Hilfeleistung schuldig, terogenen Faktoren zeigt sich, dass viele sofern dies nicht mit erheblichen Gefah- von ihnen gar nicht spezifisch national- ren für ihn selbst verbunden ist. Nun sozialistisch determiniert sind, sondern herrschte aber im Nationalsozialismus mehr oder weniger auch heute noch zu- kein Rechtsstaat, sondern eine brutale mindest latent ihre Wirkung entfalten – Diktatur. Wie ist also die ausbleibende man denke etwa an Ausgrenzungs- und Hilfeleistung zu bewerten? Welche Kriminalisierungsdiskurse gegenüber Handlungsoptionen gab es, ohne sich Zuwanderern oder Sinti und Roma. Ge- selbst in Gefahr zu bringen? Wie lassen rade die Auseinandersetzung mit der sich die Übergänge zwischen innerlich Mitmachbereitschaft im Nationalsozia- ablehnender Untätigkeit, indifferentem lismus bietet deshalb große handlungs- Zuschauen, zustimmender Komplizen- orientierte didaktische Potentiale mit Ak- schaft und aktiver Mittäterschaft definie- tualitätsbezug – und das immer vom ren? Hierüber lässt sich gerade auch mit historischen Ort ausgehend und damit Jugendlichen nicht nur lange, sondern jenseits falscher historischer Analogien auch konstruktiv diskutieren, und das oder mühsam herbeigezogener aktueller durchaus handlungsorientierend: Heute Geschehnisse, die mit den historischen herrscht in Deutschland keine Diktatur, Orten eigentlich nichts zu tun haben (je- die das Einschreiten gegen Gewalt, Ras- denfalls nicht auf den ersten Blick) und sismus und Antisemitismus zu bestrafen im schlimmsten Fall die NS-Verbrechen droht. zu bagatellisieren drohen. Und noch ein Mit einer solcherart in Ausstellungen Thema kommt hier hinzu: widerständi- präsentierten und in der Bildungsarbeit ges oder eigensinniges Verhalten. Gera- praktizierten differenzierten und diskur- de in der Frage, wer nicht mitgemacht siven Auseinandersetzung mit der Tä- hat oder sich sogar aktiv widersetzte, ter-, Mittäter- und Komplizenschaft und liegt ein handlungsorientiertes pädago- ihrer auch heute noch wirksamen Moti- gisches Potential. vationsstruktur können die Besuchen- Das setzt erstens voraus, dass der Ak- den in Gedenkstätten und an Dokumen- teursbegriff gestärkt wird. Auch dies ist tationsorten ohne den erhobenen zentraler Bestandteil eines kritischen Ge- Zeigefinger ermuntert werden, selbstkri- schichtsbewusstseins. Zweitens müssen tisch ihre eigene politische, ethische und das konkrete Handeln und die Biographi- soziale Haltung im heutigen Leben zu en der Handelnden gesellschafts- und hinterfragen. Damit ist der Aktualitäts- ideologiegeschichtlich kontextualisiert bezug der Gedenkstättenarbeit herge- 43 werden. Hier bieten die Ergebnisse der stellt, ohne durch eine sehr allgemeine Forschung der vergangenen zwanzig und affirmative Form der Menschen- Jahre zur von den Nationalsozialisten rechts- und Demokratieerzählung propagierten „Volksgemeinschaft“ gute die NS-Verbrechen bzw. ihre Opfer didaktische Anknüpfungspunkte, denn schlimmstenfalls zu instrumentalisieren es geht nicht darum, die Motivation ver- – so gut das damit verfolgte Ziel der meintlich pathologischer Exzess-Täter zu Menschenrechtserziehung auch gemeint hinterfragen, sondern die Funktionsweise sein mag. Und schließlich ist damit auch der NS-Gesellschaft in den Blick zu neh- die Frage beantwortet, die sich viele Ge- men, die radikal rassistisch organisiert denkstättenbesucher, vor allem die jün- war und auf den Wechselwirkungen zwi- geren, immer wieder stellen: Was geht schen Ausgrenzungspraktiken und Integ- uns heute, nach fast 75 Jahren, eigent- rationsangeboten beruhte. Die Ausein- lich noch die Geschichte der NS-Ver­ andersetzung mit den Tätern, Mittätern brechen und ihrer Opfer an? und Zuschauern der NS-Verbrechen muss deshalb immer eine gesellschafts- geschichtliche Perspektive haben – was nicht bedeutet, dass der individuelle Tä- ter deshalb gewissermaßen als Opfer seiner Zeit oder der gesellschaftlichen Verhältnisse damit von der Verantwor- tung für sein Tun freigesprochen wird. Ein besonderes Augenmerk – auch dies mit Aktualitätsbezug – ist schließ- lich den Zuschauern zu widmen, die sich nicht aktiv an den Verbrechen beteilig- ten. Juristisch gesehen machte und Aufbahrungsraum für Tote im ehemaligen Wehrmachts- macht sich jemand, der ein Verbrechen lazerett nahe der Kaserne Bergen-Hohne, 2018. • Jens-Christian Wagner, Stiftung niedersächsische beobachtet und nicht einschreitet, der Gedenkstätten

Schwerpunktthema Wehrmacht und Verbrechen 44 Stiftung

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Stiftung Bericht des Geschäftsführers

Jens-Christian Wagner

• Jens-Christian Wagner, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten • Werner Musterer, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Pressekonferenz zur Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-­ Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen, April 2018. Belsen“, 13. April 2018. Journalisten interviewen die Überle- benden Ivan Lefkovits und Julius Maslovat.

46 Angesichts der Zunahme rassistischer, waltungs-Team sorgt dafür, dass alles der Veranstaltungen zum 73. Jahrestag nationalistischer und antisemitischer reibungslos läuft und die uns zur Verfü- der Lagerbefreiung. Die in- und auslän- Einstellungen in Deutschland und Euro- gung gestellten Steuergelder nachhaltig dischen Medien berichteten breit über pa hat die Stiftung 2018 ihre Bemühun- und sinnvoll ausgegeben sowie ord- die Ausstellung, deren Realisierung von gen verstärkt, ihre öffentliche Präsenz nungsgemäß abgerechnet werden. Der der Bundesbeauftragten für Kultur und mit Bildungsangeboten und politischen Hausmeister und Kolleg_innen aus dem Medien und von der Klosterkammer Interventionen zu verstärken. Ziel ist es, Bereich Liegenschaften stellen sicher, Hannover gefördert wurde. Die Ausstel- in der Gesellschaft das kritische Ge- dass das frühere Lagergelände und der lung war von Beginn an ein Besucher- schichtsbewusstsein und historisches Friedhof in Bergen-Belsen einen ge- magnet. Keine andere Sonderausstel- Urteilsvermögen zu stärken. pflegten und seiner Geschichte entspre- lung, die seit 1990 in der Gedenkstätte chend würdigen Eindruck vermitteln. Bergen-Belsen gezeigt worden ist, hat Das „Tagesgeschäft“ der Stiftung bzw. Dieses Tagesgeschäft ist grundlegend eine ähnlich hohe Zahl von Besuchern ihrer Mitarbeiter_innen besteht darin, für unsere Arbeit, und doch ist es wenig gehabt. Zur Erhöhung der öffentlichen täglich Hunderte Menschen in Führun- schlagzeilenträchtig und findet auch in Aufmerksamkeit trug auch das Begleit- gen und Tages- oder sogar Mehrtages- Jahresberichten kaum Erwähnung. programm bei, das von lebensgeschicht- projekten didaktisch zu begleiten, wis- Umso mehr sei allen daran beteiligten lichen Vorträgen von Kinderüberleben- senschaftliche Anfragen zu beantworten, Kolleginnen und Kollegen für ihr Enga- den über Führungen und Vorträge der Schicksalsklärung von NS-Opfern zu be- gement gedankt! Kurator_innen und der Aufführung eines treiben, Überlebende und deren Ange- dokumentarischen Theaterstücks zur Le- hörige zu betreuen, an Ausstellungen Zusätzlich zu der basalen täglichen bensgeschichte eines Kinderhäftlings in und Publikationen zu arbeiten, Förderan- Arbeit gab es auch im Jahr 2018 etliche Bergen-Belsen bis hin zur Präsentation träge zu begutachten oder welche zu Leuchtturmprojekte, von denen einige eines Spielfilms zum Thema reichte. Ab schreiben (dazu gehören im Falle der Be- im Folgenden knapp dargestellt werden Oktober 2018 wurde die Ausstellung in willigung auch die lästigen Sachberichte sollen. der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück ge- und Verwendungsnachweise), Gedenk- zeigt, im April 2019 folgt eine dritte stätten und Initiativen zu beraten, Vor- In der Gedenkstätte Bergen-Belsen Station in St. Gallen in der Schweiz. träge zu halten oder unsere Websites war eines der am stärksten herausragen- und Social-Media-Auftritte zu aktualisie- den Projekte ohne Zweifel die Eröffnung Auf Initiative des Schlosstheaters Celle ren – letzteres nahezu rund um die Uhr, der Ausstellung „Kinder im KZ Bergen- wurde von der Gedenkstätte eine Aus- auch an den Wochenenden. Unser Ver- Belsen“ am 15. April 2018 im Rahmen stellung zum Thema „Kaserne, Kriegs- • Katrin Unger, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten • Jens-Christian Wagner, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

24. Oktober: Olaf Lentzen, Leiter des Bundeswehrdienstleis- Rekonstruierte Fahne des „Kazett-Theaters“ im Treppen- tungszentrums Bergen, und Dr. Jens-Christian Wagner, Ge- haus des Schlosstheaters Celle, September 2018. schäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, un- terzeichnen die Nutzungsvereinbarung für das Gebäude MB 89 in der Niedersachsen-Kaserne. Hintere Reihe (v.l.n.r.): Herr Bö- mer, Barbara Wießalla (Abteilungsleiterin im Bundesverteidi- gungsministerium), Oberst Jörg Wiederhold (Kommandeur des Truppenübungsplatzes Nord), Oberstleutnant Michael Helften- bein (Kommandant des Truppenübungsplatzes Bergen).

gefangenen- und Konzentrationslager, genutzten Teil der Kaserne abtrennen sowie Initiativen und Forscher_innen aus 47 DP-Camp. Bergen-Hohne 1935-1950“ er- wird, damit dieser von Besucher_innen ganz Niedersachsen die Website zu den arbeitet, die von September bis Dezem- frei betreten werden kann. In Betrieb ge- Novemberpogromen 1938 (www.pogro- ber 2018 in den Räumen des Schlossthe- nommen wird das Gebäude zum 74. Jah- me1938-niedersachsen.de). Auf dieser aters gezeigt wurde. Hintergrund für restag der Lagerbefreiung am 28. April Seite sind Informationen zu den Ge- diese Ausstellung war die Uraufführung 2019 mit der Eröffnung der Ausstellung schehnissen in derzeit etwa siebzig Or- eines Theaterstücks, das sich mit der Be- „Aufrüstung, Krieg und Verbrechen: Die ten in übersichtlicher und nach verschie- ziehung von Marlene Dietrich zu ihrer Wehrmacht und die Kaserne Bergen- denen Themen gegliederter Weise Schwester Elisabeth befasst, die wäh- Hohne 1935-1945“. abrufbar. Neben den Ereignissen im No- rend der NS-Zeit und in den ersten Jah- vember 1938 selbst werden die Vorge- ren nach dem Krieg zusammen mit ih- Im November 2018 jährten sich die schichte, die Folgen und das Thema rem Mann ein Kino in der Kaserne terroristischen antisemitischen Pogrome Spuren und Gedenken aufgegriffen. Die Bergen-Hohne betrieb. von 1938 zum 80. Mal. Die Novemberpo- Website soll zum einen verdeutlichen, grome stellten einen wichtigen Wende- dass in jenen Tagen in allen Teilen des Einen Meilenstein in der Entwicklung punkt auf dem Weg der Ausgrenzung, heutigen Bundeslandes Niedersachsen der Gedenkstätte Bergen-Belsen bedeu- Verfolgung und Ausplünderung zu- jüdische Menschen verhaftet, Wohnun- tete im Oktober 2018 die Unterzeichnung nächst der deutschen, dann der europäi- gen verwüstet und Synagogen in Brand einer Nutzungsvereinbarung mit der schen Juden dar, der im Holocaust ende- gesteckt wurden. Zum anderen soll aber Bundeswehr für die Überlassung des te. Mit den Novemberpogromen war auch vermittelt werden, dass es eine Gebäudes M.B. 89 sowie des vier weite- zweifelsfrei deutlich geworden, dass jü- sehr große Bandbreite an Ereignissen re Gebäude umgebenden Areals in der disches Leben im nationalsozialistischen gab, deren Ausprägung wesentlich Niedersachsen-Kaserne (ehemals Kaser- Deutschland nicht mehr möglich sein durch das Verhalten der lokalen Akteure ne Bergen-Hohne), das ab 2019 für die würde und nur die Emigration einen bestimmt war. Adressaten der Website Bildungsarbeit der Gedenkstätte genutzt Ausweg bieten konnte. sind neben allgemein Interessierten vor werden soll. Die Mietkosten für das Are- Um der Bedeutung dieses wichtigen allem auch Schülerinnen und Schüler, al und das Gebäude werden dankens- Jahrestages gerecht zu werden und ihn die im Rahmen des Geschichtsunter- werterweise von der Bundeswehr über- zugleich mit Inhalten zu füllen, erarbeite- richts dort erste Informationen finden, nommen, ferner trägt die Bundeswehr te die Abteilung Gedenkstättenförde- die Anreize zur vertiefenden Beschäfti- auch die Kosten für die Errichtung eines rung Niedersachsen zusammen mit Stu- gung mit der Thematik geben. Die Web- Zaunes, der den Bereich vom militärisch dierenden der Universität Hannover site soll in den kommenden Jahren kon-

Stiftung • Jesco Denzel, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten • Screenshot Website

Richtfest für das neue Dokumentationszentrum in der Ge- Screenshot der Website pogrome1938-niedersachsen.de, denkstätte in der JVA Wolfenbüttel, 26. September 2018. Detailbeitrag über Celle.

48 tinuierlich ausgebaut werden und am men von Gruppenbesuchen und nach Stiftung ihre Arbeit auf dem inhaltlichen Ende weit über 100 Orte vorstellen. Voranmeldung besichtigt werden können. Niveau von 2018 fortsetzen. Eine weitere wichtige Entwicklung für Eine deutliche Verbesserung für die Einer der wichtigsten Tage für die Ar- die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüt- Bildungsarbeit in den niedersächsischen beit der Stiftung im Jahr 2018 war der tel ist das Projekt „outSITE Wolfenbüt- Gedenkstätten (bzw. fördertechnisch 26. September. An diesem Tag wurde in tel“, das die für die Geschichte des Straf- präziser formuliert: in den Gedenkstät- Anwesenheit zahlreicher Gäste, darunter gefängnisses Wolfenbüttel wichtigen ten auf dem Gebiet des früheren König- der niedersächsische Kultusminister Außenorte, z.B. die Außenarbeitskom- reichs Hannover) bedeutet die Entschei- Grant Hendrik Tonne und der nieder- mandos, stärker im öffentlichen Be- dung der Klosterkammer Hannover, die sächsische Finanzminister Reinhold Hil- wusstsein verankern soll. Für das auf Bildungsarbeit mit Jugendlichen in den bers sowie zahlreiche Angehörige ehe- zwei Jahre ausgelegte Projekt, das im Gedenkstätten in den kommenden fünf maliger Häftlinge, das Richtfest für das Juli 2018 startete, stehen neben Eigen- Jahren mit einem Förderbetrag von ins- neue Dokumentationszentrum der Ge- mitteln der Stiftung Fördergelder von gesamt 1 Million EUR zu unterstützen. denkstätte in der JVA Wolfenbüttel ge- der Stiftung Braunschweigischer Kultur- Die Klosterkammer setzt damit ein wich- feiert. In dem Gebäude, das im Herbst besitz, der Braunschweigischen Stiftung tiges Zeichen für eine geschichtsbe- 2019 eröffnet werden soll, wird eine um- und des Asse-Fonds zur Verfügung. wusste und gesellschaftspolitische fassende Dauerausstellung über die Ge- Die finanzielle Ausstattung der Stif- Verantwortung. schichte von Justiz und Strafvollzug im tung ist in den vergangenen Jahren sei- Das ist auch das Ziel der Stiftung Nationalsozialismus sowie über deren tens des Landes und des Bundes zwar niedersächsische Gedenkstätten. Dem Kontinuitäten und Brüche in der frühen verbessert worden, hat aber mit der Rechtspopulismus, dem Rassismus und Bundesrepublik informieren (die Kolleg_ Ausweitung ihrer Aktivitäten nicht dem Antisemitismus will sie mit wissen- innen aus dem Neugestaltungsteam ar- Schritt gehalten. Das Jahr 2018 konnte schaftlich fundierter, quellengestützter beiten intensiv daran). Das Gebäude finanziell gerade noch gestemmt wer- und ethisch verantwortungsvoller Ausei- liegt zwar innerhalb der Justizvollzugs- den, doch für 2019 zeichnete sich ein nandersetzung mit der NS-Vergangen- anstalt, wird aber von Besuchern den- deutliches Defizit ab. Dem niedersächsi- heit begegnen – mit deutlichen Aktuali- noch ohne Kontrolle betretbar sein – schen Landtag ist die Stiftung deshalb tätsbezügen, aber jenseits falscher anders als die historischen Bauten inner- zu großem Dank verpflichtet, dass er die historische Analogien und ohne erhobe- halb des Gefängnisses, darunter die ehe- Finanzhilfe des Landes für 2019 in seiner nen moralischen Zeigefinger. Nicht Be- malige Hinrichtungsstätte, die aus Sicher­- letzten Sitzung im Jahr 2018 noch um kenntnis, sondern Erkenntnis ist das Ziel heitsgründen auch weiterhin nur im Rah- 750.000 EUR erhöht hat. Damit kann die der Bildungsarbeit der Stiftung. Kalendarium der Stiftung

Januar Februar 49

10. Januar: Presse-Vorstellung des Projektes „§ 175 StGB – 14. Februar: Die Niedersächsische Justizministerin Barbara 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der Bundesrepublik Havliza besuchte die JVA und die Gedenkstätte in der JVA Deutschland am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel“ Wolfenbüttel. Gemeinsam mit Gedenkstättenleiterin Martina in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Staats (r.) besichtigte sie auch das ehemalige Hinrichtungs- ­ gebäude. 14. Januar: Eröffnung der Sonderausstellung „Vom Schei- tern eines anberaumten Massenmordes – Bulgarien“ in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die Ausstellung der Berliner Ini- tiative „Courage gegen Fremdenhass e.V.“ wurde mit einem Einführungsvortrag des ehemaligen Staatsministers im Aus- wärtigen Amt, Gernot Erler, eröffnet.

Besuch Nds. Justizministerin • Lukkas Busche

23. Februar: In der Vortragsreihe „75 Jahre Ausschwitz-Er- lass. Kontinuitäten des Rassismus gegen Sinti und Roma“ wurde in der VHS Celle der Film „The Awakening“ gezeigt. Im Anschluss gab es die Möglichkeit zur Diskussion mit dem Re- gisseur Kenan Emini.

Stiftung März

4. März: Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der De- 27. März: Bereits zum 24. Mal fand der Gedenkgottesdienst portation deutscher Sinti und Roma nach Ausschwitz. Eine „Gegen das Vergessen“ in der St. Petrus Gemeinde Wolfen- Kooperation der Gedenkstätte Bergen-Belsen mit dem Nie- büttel statt. Im Mittelpunkt stand das Schicksal des im Wol- dersächsischen Verband deutscher Sinti e.V. sowie dem Fo- fenbütteler Strafgefängnis hingerichteten NN-Gefangenen rum für Sinti und Roma e.V. Anschließend wurde die Sonder- Wladimir Puchljakow. Martina Staats (Foto) schilderte den ausstellung „Von Niedersachsen nach Auschwitz. Die Anwesenden den historischen Hintergrund, anschließend Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus“ sprach Mechthild Ludwig-Mayer von der Gemeinde die Pre- eröffnet. digt. Im Rahmen des Gedenkgottesdienstes wurde auch die Ausstellung „Zelle 27“ über eine ehemalige Haftzelle gezeigt. 5. März: „Roma und Sinti in Bergen-Belsen“; Bei diesem Workshop setzten sich 15 Interessierte mit der Verfolgungs- geschichte von Sinti und Roma während des Nationalsozialis- mus sowie Kontinuitäten der Ausgrenzung nach 1945 bis heu- te in der Gedenkstätte Bergen-Belsen auseinander.

6. März: „Weiterleben nach der Befreiung: Displaced Per- sons in Bergen-Belsen 1945 – 1950“; Unter diesem Titel fand eine Fortbildung für außerschulische und schulische Multipli- kator_innen in der Gedenkstätte Bergen-Belsen statt. Die Ver- anstaltung vermittelte historische Grundlagen zur Geschichte der DPs sowie Fakten zum DP Camp Bergen-Belsen.

18. bis 24. März: Nach Treffen in der Ukraine und in Polen fand der dritte Teil der Jugendbegegnung „Die Geschichte beginnt in der Familie“ in Niedersachsen statt. In der Gedenk- Gedenkgottesdienst „Gegen das Vergessen“ • Lukkas Busche stätte Bergen-Belsen standen Geschichten von im Lager in- haftierten Familien im Fokus. Außerdem stellten sich die Teil- nehmenden gegenseitig Interviews mit Angehörigen zu den April Themen Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus und Stalinis- mus vor. Zudem erfuhren die Teilnehmenden mehr über die 5./6./7. April: In der Reihe „Film und Gespräch“ präsentierte Geschichte Hannovers zur Zeit des Nationalsozialismus. die Gedenkstätte Bergen-Belsen in Kooperation mit dem Kino achteinhalb Kultur e.V. den Film „Die Unsichtbaren – Wir wol- 50 len leben“ von Regisseur Claus Räfle, der sich auf Zeitzeug_ inneninterviews basierend dem weitgehend unbekannten Ka- pitel des jüdischen Widerstandes widmet.

8. April: Treffen mit Familienangehörigen von Hingerichte- ten und in der NS-Zeit Inhaftierten in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Nach dem traditionellen gemeinsamen Frühstück, bei dem Gelegenheit zum Austausch mit Gedenk- stätten-Mitarbeiter_innen bestand, führte Gedenkstättenpäd- agoge Gustav Partington über den Friedhof Lindener Straße. Anschließend fand die Kranzniederlegung im ehemaligen Hinrichtungsgebäude statt.

Teilnehmer_innen der deutsch-polnisch-ukrainischen Jugendbegegnung „Die Ge- schichte beginnt in der Familie“ während eines Rundgangs zum Thema „Hannover im Nationalsozialismus“ • Ela Pasternak

19. bis 29. März: Wie in jedem Jahr führte die Gedenkstätte Bergen-Belsen das Internationale Jugendworkcamp in Koope- ration mit dem Landesjugendring Niedersachsen e.V. durch.

Treffen mit Familienangehörigen • Lukkas Busche 12./13. April: Jahrestagung des Netzwerkes für Demokratie und Prävention in Hannover. Das Projekt KogA präsentierte sich und gab Auskunft zum Stand seiner Tätigkeiten.

15. April: Gedenkfeier zum 73. Jahrestag der Befreiung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen.

Ansprache von Gerd Klestadt bei der Gedenkveranstaltung der AG Bergen-Belsen an der Rampe • Martin Bein

Nachmittags wurde im Beisein vieler Überlebender des KZ Bergen-Belsen und ihrer Angehöriger die Sonderausstellung „Kinder in Bergen-Belsen“ eröffnet, die bis zum 30. Septem- ber in der Gedenkstätte gezeigt wurde.

16. bis 18. April: „Zeitzeug_innen im Dialog“; Nach der Ge- Ansprache von Dr. Andreas Eberhardt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ bei der Kranzniederlegung auf dem Kriegsgefan- denkfeier zum 73. Jahrestag der Befreiung Bergen-Belsens genenfriedhof Bergen-Belsen • Helge Krückeberg am 15. April trafen sich Zeitzeug_innen unter anderem mit Schüler_innen, Referendar_innen und Bundeswehrangehöri- gen in der Region Celle und Hannover. Zum Abschluss ihres Besuches kamen die Überlebenden und ihre Angehörigen mit Mitarbeiter_innen der Stiftung niedersächsische Gedenkstät- ten sowie geladenen Gästen zusammen.

Mai 51 3. Mai: Aufführung des Theaterstücks „Das Tagebuch des János Reisz, 1467 Kn.“ im Stadthaus Bergen, das mit Jugend- lichen unter der Regie des Theaterpädagogen Christian Tietz erarbeitet wurde. Der Überlebende Jovan Rajs, dessen Verfol- gungsgeschichte als Grundlage für das Stück diente, war per- sönlich anwesend und stand für Fragen zur Verfügung.

Die Freiwilligen Anna Kallenberger und Sven Bohnsack verlesen die Namen der im letzten Jahr Verstorbenen am Obelisken. • Martin Bein

Aufführung des Theaterstücks „Das Tagebuch des János Reisz, 1467 Kn.“ Ansprache von Prof. Dr. • Stephanie Billib Janine Marx-Moyse, Überlebende des KZ Bergen-Belsen, Mitglied der Amicale des Anciens Déportés de Bergen-Bel- sen (Frankreich), Mitglied des Stiftungsbeirates der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten • Helge Gaudlitz

Stiftung 17. Mai: 7. Wolfenbütteler Gedenkstättenforum zum Interna- 24. bis 27. Mai: Im Rahmen einer Fortbildungsfahrt waren tionalen Tag gegen Homo- und Trans*phobie. 22 freie Mitarbeiter_innen, abgeordnete Lehrer_innen und Mitarbeiter_innen der Gedenkstätte Bergen-Belsen zu Besuch in der Gedenkstätte Westerbork in den Niederlanden, um den historischen Ort und die Bildungsarbeit kennenzulernen.

7. Wolfenbütteler Gedenkstättenforum • Sarah Kunte

25. Mai: Besuch des Niedersächsischen Kultusministers Freie Mitarbeiter_innen, abgeordnete Lehrer_innen und Mitarbeiter_innen der Ge- Grant Hendrik Tonne in der Gedenkstätte in der JVA Wolfen- denkstätte Bergen-Belsen vor dem Eingang zum Ausstellungsgebäude der Gedenk- stätte Westerbork. • Daniel Tonn büttel (2.v.r.), der sich bei Bauprojektleiter Karl-Michael Heß (r.) auch über die Entwicklungen auf der Baustelle des Neu- baus informierte. Juni

4. Juni: Mitglieder des niedersächsischen Landtags besich- tigten die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel und die Bau- stelle für den Neubau. Gedenkstättenleiterin Martina Staats (r.) führte die interessierten Abgeordneten dabei auch durch das ehemalige Hinrichtungsgebäude.

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Besuch Nds. Kultusminister • Dr. Gustav Partington

Besichtigung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel • Sarah Kunte 15. Juni: Besuch des Kultusausschusses der SPD-Landtags- 27./ 28. Juni: Auf ihrer Sommerreise besuchte Landtagsprä- fraktion in der Gedenkstätte Bergen-Belsen, hier bei einer sidentin Dr. Gabriele Andretta (r.) auch die Gedenkstätte in Führung durch Dr. Jens-Christian Wagner (2.v.r.) durch die der JVA Wolfenbüttel und die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“.

Dr. Gabriele Andretta testet unter Anleitung des pädagogischen Mitarbeiters Reimar Fröhnel die Funktionsweise der Multitouchtische in der ehemaligen Gemeinschafts- Besuch des Kultusausschusses der SPD-Landtagsfraktion • Stephanie Billib haftzelle in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. • Sarah Kunte

18. bis 22. Juni: Unter dem Titel „Was bestimmt das Han- deln? Mechanismen, Strukturen und Gesellschaft im Natio- nalsozialismus“ führte die Gedenkstätte Bergen-Belsen ein mehrtägiges Seminar mit Soldat_innen der Fachschule der Luftwaffe Faßberg durch. Der Besuch fand im Rahmen der politischen Bildung der Bundeswehr statt.

Am 21. Juni fand die Fortbildung „Mit der Oberstufe in die Gedenkstätte Bergen-Belsen“ für Lehrer_innen der Sekundar- stufe II statt. Dabei wurde aufgezeigt, welche Möglichkeiten die Gedenkstätte bietet, um mit Schüler_innen an für das Kerncur- riculum relevante Themen der Oberstufe anzuknüpfen. 53 24. Juni: In Kooperation mit dem Stadtarchiv Celle, der Jüdischen Gemeinde Celle und der Gesellschaft für Christ- Dr. Gabriele Andretta besichtigt mit dem Geschäftsführer der Stiftung niedersächsi- lich-Jüdische Zusammenarbeit Celle e.V. organisierte die sche Gedenkstätten, Dr. Jens-Christian Wagner, die neueröffnete Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. • Jens Binner Gedenkstätte Bergen-Belsen eine Veranstaltung zum Thema „Schwierige Nachbarschaften“ mit einem Vortrag von Dr. Bianca Roitsch in der Synagoge in Celle. Juli

26. Juni: Öffentliche Preisverleihung im Lessingtheater der 1. Juli: Lesung aus der Autobiografie „Von Ungarn nach Stadt Wolfenbüttel für den Ideenwettbewerb zum Gedenkort Bergen-Belsen und zurück“ von Dr. Peter Lantos (Mitte), der für 217 Opfer der Hinrichtungsstätte in der JVA Wolfenbüttel, im Alter von fünf Jahren in das KZ Bergen-Belsen deportiert deren Leichname an das Anatomische Institut Göttingen ab- wurde. Aus dem Buch, das kürzlich in deutscher Sprache er- gegeben wurden. schien, las Bernd Horstmann

Preisverleihung Schülerwettbewerb • Sarah Kunte Lesung Lantos • Tessa Bouwman

Stiftung August

5. bis 7. Juli: Teilnahme und Werbung für das Projekt KogA 6. August: Gemeinsam mit den beteiligten Kooperations- im Rahmen einer Tagung an der Deutschen Hochschule der partnern Fabian Bruns (Stiftung Braunschweigischer Kultur- Polizei (DHP) in Münster zum Thema: Demokratie und Men- besitz, l.) und Landrätin Christiana Steinbrügge (Zukunfts- schenrechte – Herausforderungen für und an die polizeiliche fonds Asse und Die Braunschweigische Stiftung, r.) stellten Bildungsarbeit. Gedenkstättenleiterin Martina Staats, der wissenschaftliche Projektmitarbeiter Jannik Sachweh und Dr. Jens-Christian Vom 23. bis 27. Juli war eine Gruppe von Auszubildenden Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Ge- des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, denkstätten, in einer Pressekonferenz das Projekt „OutSITE Küsten- und Naturschutz (NLWKN) auf dem Gelände der Ge- Wolfenbüttel – Das Strafgefängnis Wolfenbüttel und sein denkstätte Bergen-Belsen tätig. Nach einer Einführung in die Netzwerk im Land Braunschweig“ der Öffentlichkeit vor. Geschichte des Ortes und dem Kennenlernen des Geländes leisteten die 16 Auszubildenden aus unterschiedlichen Lehr- berufen mit ihren Ausbilder_innen notwendige Pflege- und Erhaltungsarbeiten an historischen Fundamenten am Wasser- becken im ehemaligen Frauenlager sowie am Wasserbecken im ehemaligen SS-Bereich.

Pressekonferenz zum Projekt „OutSITE“ • Sarah Kunte

Am 8. August besuchten Teilnehmer_innen des US-ameri- kanischen „Nahum Goldman Fellowship“-Programms ge- meinsam mit der Präsidentin der „Memorial Foundation for Jewish Culture“, Marlene Bethlehem, dem niedersächsischen Auszubildende des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- 54 und Naturschutz (NLWKN) bei Pflege- und Erhaltungsarbeiten am Wasserbecken im Kultusminister Grant Hendrik Tonne und dem Präsident der SS-Bereich. • Sabine Lange Jüdischen Gemeinden Niedersachsen, Michael Fürst, die Ge- denkstätte Bergen-Belsen. 28. Juli bis 5. August: „Perspectives on the Holocaust. Dealing with mass atrocities and their global relevance“ – so 25. August: Der Child Survivor Alexander Wolf, Jahrgang lautete der Titel der Bergen-Belsen International Summer 1937, aus den Niederlanden besucht mit seiner Tochter die School, die zusammen mit der Bildungsstätte Anne Frank in Sonderausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, in der Frankfurt am Main durchgeführt wurde. Im Rahmen von auch sein Schicksal dokumentiert ist. Vorlesungen, Workshops und Führungen befassten sich die 20 internationalen Teilnehmenden mit der Vermittlung des Holocaust und anderer Massenverbrechen sowie mit der Frage, wie sich Gegenwartsbezüge herstellen und Vergleiche anstellen lassen, ohne die NS-Verbrechen zu verharmlosen.

Teilnehmende der Bergen-Belsen International Summer School 2018 „Perspectives on Child Survivor Alexander the Holocaust. Dealing with mass atrocities and their global relevance“. • Nils Hunold Wolf • Mariëlle Wolf September

19.August: Szenische Lesung zu Irma Grese in der Gedenk- 13. September: Zusammen mit dem Volksbund Deutsche stätte Bergen-Belsen. Mit Texten von und über Irma Grese Kriegsgräberfürsorge e. V. hat die Gedenkstätte Bergen-Belsen wurde die zum Mythos gewordene Täterin und ihre Beteili- einen Informationstag zur Geschichte des Kriegsgefangenen- gung an den NS-Massenverbrechen skizziert. lagers Bergen-Belsen durchgeführt. Den 15 schulischen Mul- tiplikator_innen wurden umfassende Hintergründe über die 29. August: 20 schulischen und außerschulischen Multipli- Verfolgung und die Lebensbedingungen der Kriegsgefange- kator_innen wurden die im Kontext der gleichnamigen Son- nen in Bergen-Belsen sowie Einblicke in die Bildungsarbeit derausstellung der Gedenkstätte Bergen-Belsen entstande- zu diesem Thema vermittelt. nen Bildungsmaterialien „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ vorgestellt.

30. August: Auf freiwilliger Basis haben 20 Schüler_innen der Oberschule Flotwedel in Eicklingen im Landkreis Celle in der Gedenkstätte Bergen-Belsen Strauchwerk und kleine Bäume an den Fundamentresten von Block 10 entfernt. Dank ih- res Einsatzes wurde das Ausmaß der ungefähr 18 mal 80 Meter messenden ehemaligen Häftlingsbaracke wieder deutlicher sichtbar. Durch Zeitzeug_innenentexte bekamen die Teilneh- mer_innen zudem einen Eindruck, unter welchen Bedingun- gen die Menschen in Block 10 im Konzentrationslager leben mussten.

Teilnehmende des Informationstages „Kriegsgefangene in Bergen-Belsen“ auf dem Kriegsgefangenenfriedhof Hörsten. • Maximilian Vogel

16. September: Vorführung des Spielfilms „Mein blauer Vogel fliegt“ (DDR 1975) und Gespräch mit dem Regisseur Celino Bleiweiss, der 1943 als Kind unter falscher Identität in das KZ Bergen-Belsen deportiert wurde.

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Schüler_innen der Oberschule Flotwedel aus Eicklingen entfernen Strauchwerk und kleine Bäume an den Fundamentresten des ehemaligen Block 10. • Daniel Tonn

Plakat Bleiweiss • Gedenkstätte Bergen-Belsen

17. September: Lehrer_innen mit Multiplikator_innenfunkti- on, wie Studienseminar- und Fachbereichsleiter_innen, konn- ten sich im Rahmen eines Informationstages ein Bild von den Möglichkeiten machen, die ein Besuch Bergen-Belsens bietet. Mit den Teilnehmenden wurde insbesondere thematisiert, wie der Besuch mit Referendar_innen als Lerngruppe gestal- tet werden kann.

Stiftung 23. September: Kammerkonzert und Lesung „Es ist gesche- 3. bis 14. Oktober: In Zusammenarbeit mit dem Niedersäch- hen, und folglich kann es wieder geschehen – Zu Geschichte sischen Kultusministerium und dem Niedersächsischen Lan- und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“ in der Ge- desamt für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) fand die denkstätte Bergen-Belsen. Rezitation: Roman Knizka, Musik dritte Fortbildungsfahrt für niedersächsische Lehrkräfte nach von Paul Hindemith, Pavel Haas und György Ligeti gespielt Israel mit einem mehrtägigen Programm in der Gedenkstätte vom Bläserquintett OPUS 45. Yad Vashem statt.

16. Oktober: Eröffnung der Sonderausstellung (u.a. mit den Zeitzeug_innen Pavel Kucera und Yvonne Koch) der Gedenk- stätte Deutscher Widerstand (in Kooperation mit dem Histori- schen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaf- ten) „Es lebe unsere gerechte Sache! Der slowakische Nationalaufstand 29 August bis 27. Oktober 1944“. Die Aus- stellung war bis zum 16. Dezember in der Gedenkstätte Bergen-Belsen zu sehen.

Roman Knizka und das Ensemble OPUS 45 • Helge Gaudlitz

26. September: Richtfest für den Neubau des Dokumenta­ tionszentrums (TP III.) der Gedenkstätte in der JVA Wolfen­- büttel.

Oktober

Ausstellung Slowakischer Aufstand 1944 • Martin Bein 9. bis 11. Oktober: Im Rahmen einer Kooperation mit der Gedenkstätte Westerbork in den Niederlanden nahmen 25 niederländische Referendar_innen in der Ausbildung zum 18. Oktober: Der Schauspieler Jürgen Beck-Rebholz las 56 Lehramt an Grundschulen an einem mehrtägigen Seminar in Auszüge aus Jean-Luc Bellangers: „Feindbegünstigung. Als der Gedenkstätte Bergen-Belsen teil. Eine entscheidende Fra- politischer Häftling im Strafgefängnis Wolfenbüttel“ in der ge war dabei, ob und wie dieser Ort des Massensterbens an- Buchhandlung Behr, Wolfenbüttel. gesichts des schwierigen Materials in der Ausstellung, mit Bildern und Filmaufnahmen von Leichen und Sterbenden, jüngeren Kindern vermitteln kann.

Lesung aus Jean-Luc Bellanger: Feindbegünstigung • Maria Bormuth

Niederländische Referendar_innen in der Ausbildung zum Lehramt an Grundschulen vor dem Eingang der Gedenkstätte Bergen-Belsen. • Maximilian Vogel Vom 24. bis 30. Oktober nahmen 16 Student_innen aus Nie- 20. bis 22. November: Fotoworkshop mit Schüler_innen dersachsen und der Region Perm in Russland am ersten Se- der Glockseeschule Hannover in der Gedenkstätte Bergen- minar des Begegnungsprogramms „Erinnerungskulturen im Belsen. Nachdem die Teilnehmer_innen mehr über die Ge- deutsch-russischen Vergleich“ in der Region Perm teil. Das schehnisse in dem ehemaligen Kriegsgefangenen- und Kon- Programm wird gemeinsam von der Gedenkstätte Bergen- zentrationslager Bergen-Belsen erfahren haben, vermittelte Belsen und der Gedenkstätte für die Opfer politischer Repres- ein professioneller Fotograf das manuelle Fotografieren mit sionen „Perm-36“/Russland durchgeführt. Im Mittelpunkt ste- einer Spiegelreflexkamera. Mit dem Wissen über den histori- hen der Besuch von Orten der Erinnerung und der Austausch schen Ort und dem aufmerksamen Blick durch die Kamera über die Themen Nationalsozialismus, Stalinismus und Zwei- suchten die Jugendlichen nach nicht alltäglichen Perspekti- ter Weltkrieg. ven in der Gedenkstätte und entwickelten Fotogeschichten.

Teilnehmer_innen des Begegnungsprogramm „Erinnerungskulturen im deutsch-­ Ergebnis des Fotoworkshops russischen Vergleich“ aus Niedersachsen und Perm in der Gedenkstätte für die Opfer politischer Repressionen „Perm-36“/Russland. • Daniel Tonn

Dezember November 6. bis 7. Dezember: Zweitägiger Workshop „Geschichte ver- 1. November: 8. Wolfenbütteler Gedenkstättenforum zum stehen – Toleranz leben“ mit Auszubildenden von MAN Aca- Thema: „Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nationalsozi- demy Salzgitter in Kooperation mit der Gedenkstätte in der alismus: Der Fall Berthold Mehm“. Nach einem Vortrag von JVA Wolfenbüttel. Erstmals wurde in diesem Rahmen auch 57 Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ein Streetart-Projekt mit dem Braunschweiger Künstler sprach Mehms gleichnamiger Enkelsohn im gutgefüllten ­Christian Grams durchgeführt. Ratssaal der Stadt Wolfenbüttel über das Leben seines Groß- vaters. Durch die Erklärungen von Reiner Lüdtke und Martina Staats wurde der Fall Berthold Mehm in einen regionalge- schichtlichen Kontext eingebettet.

5. bis 9. November: Präsentation der Ergebnisse des Projek- tes „Wege der Erinnerung(en) – auf den Spuren der Wol- fenbütteler Juden“ in einem leerstehenden Geschäft in der Wolfenbütteler Fußgängerzone. Das Projekt von Schülerinnen und Schülern des 12. Jahrgangs der IGS Wallstraße fand in Kooperation mit der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel statt.

Workshop „Geschichte verstehen – Toleranz leben“ • Simona Häring

Stiftung Publikationen der Stiftung

„Jahresbericht 2017“ Thomas Rahe, Jens-Christian Wagner „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ Herausgegeben von der Stiftung „Verfolgt als Zigeuner“ Begleitheft zur Ausstellung, niedersächsische Gedenkstätten Sinti und Roma im KZ Bergen-Belsen heraus­gegeben von Jens-Christian Wagner 172 Seiten 52 Seiten, Übersichtskarten in den 68 Seiten Schwerpunktthema: Kindheit im Umschlagklappen Celle, 2018 Nationalsozialismus Celle, 2018

58 Veröffentlichungen und Vorträge sowie Lehraufträge von Beschäftigten der Stiftung und Mitarbeit in Gremien

Veröffentlichungen Gring, Diana Keller, Rolf „Kinder im KZ Bergen-Belsen. Begleit- (zusammen mit Reinhard Otto) „Soviet Binner, Jens heft zur Ausstellung“ zusammen mit prisoners of War in SS Concentration „Russland heute – Zur Bedeutung der Jens-Christian Wagner, Hg. Stiftung nie- Camps: Current Knowledge and Research innenpolitischen Entwicklung Russlands dersächsische Gedenkstätten, Celle 2018. Desiderata“, in: Alex J. Kay/David Stahel für die Beurteilung der Außenpolitik“, in: „Special Exhibition: ‘Children in the (Hrsg.): Mass Violence in Nazi-occupied Hans-Heinrich Nolte, Rolf Wernstedt Bergen-Belsen Concentration Camp’”, Europe, Bloomington/Indiana 2018, (Hg.): Russlandbilder – Deutschlandbil- in: Memorial Auschwitz-Birkenau (Ed.): S. 123-146. der (Zur Kritik der Geschichtsschreibung, Memoria – Memory, History, Education, „Praca a wojna totalna – jency radziec- Bd. 15), Gleichen u. Zürich 2018, S. 27-44. 08 / May 2018, p. 10-13, Online Magazin cy w Rzeszy Niemeickiej 1941/1942“, in: „Peine. Mord an einem Siebzehnjähri- unter memoria.auschwitz.org. Centralne Muzeum Jencow Wojennych gen“, Website „Novemberpogrome 1938 „Die Ausstellung ‚Kinder im KZ Bergen- w Lambinowicach-Opole (Hrsg.): O nie- in Niedersachsen“; https://pogrome1938- Belsen‘“ zusammen mit Thomas Rahe, woli w 70 lat po wojnie. Studia i materialy, niedersachsen.de/peine/ (27.11.2018). in: Topografie des Terrors (Hg.): Ge- Opole 1017, S. 115-124. denkstätten-Rundbrief Nr. 192 (Dezem- „Sowjetische Kriegsgefangene und Grafe-Ulke, Bernd ber 2018), S. 11-20. ihre Überlebensstrategien“, in: N. M. (zusammen mit Tobias Neuburger Markdorf, H. Winkel, A, Hilger und D. und Daniel Tonn) „Aufklärungs- und Bil- Hummel, Juliane Stratievski (Hrsg.): Sowjetische Kriegs- dungsarbeit gegen Antiziganismus. Ein- „Ein Fall für Denkmalpfleger und His- gefangene – Widerstand, Kollaboration, blicke in das Projekt ‚Kompetent gegen toriker: Nachkriegszeitliche Ehrenmale Erinnerung. Materialien der internationa- Antiziganismus – Geschichte und Ge- und Grabsteine auf Friedhöfen der Opfer len wissenschaftlichen Konferenz, Novo- genwart‘“, in: Landeszentrale für politi- der NS-Diktatur“, in: Berichte zur Denk- sibirsk 2018, S. 187-192 (in russischer sche Bildung Baden-Württemberg (Hg.), malpflege in Niedersachsen 4/2018, und deutscher Sprache). Heft „Bürger & Staat“, 1/2018, Stuttgart hrsg. vom Niedersächsisches Landes- 2018, S. 85-93. amt für Denkmalpflege, Hameln 2018, S. 163-165. „Children in the Bergen-Belsen Jean-Luc Bellanger „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ Concentration Camp“ „Feindbegünstigung“ Als politischer Pädagogische Materialien Exhibition booklet edited by Häftling im Strafgefängnis Wolfenbüttel Box mit didaktischer Handreichung, Jens-Christian Wagner Schriftenreihe der Gedenkstätte in der historischen Einführungstexten und Englische Ausgabe JVA Wolfenbüttel, Band 1 Materialkarten für die Arbeit mit Quellen 68 Seiten 260 Seiten (Text- und Bilddokumente) Celle, 2018 Wallstein Verlag, Göttingen 2018 Herausgegeben von Joachim Kasten, Doreen Krohne und Thomas Rahe Celle, 2018

Neuburger, Tobias Joachim Kasten, Doreen Krohne und Lernort entsteht. Die Gedenkstätte KZ- 59 „Schlaglichter des Antiziganismus. Ein Thomas Rahe unter Mitarbeit von Tessa Außenlager Laagberg in Wolfsburg, Panorama zur Geschichte und Gegen- Bouwman und Diana Gring, Celle 2018. Frankfurt/New York 2018, S. 23-37. wart des Antiziganismus“, in: AStA Uni- (zusammen mit Jens-Christian Wagner) „Lernen mit Sachquellen in Museen versität Lüneburg (Hg.), Diskriminierung „‚Verfolgt als ‚Zigeuner‘. Sinti und Roma und Gedenkstätten. Fragen und Antwor- begegnen. Eine Auseinandersetzung mit im KZ Bergen-Belsen“, Celle 2018. ten einer interdisziplinären Tagung“, in: verschiedenen Diskriminierungsformen Lernen aus der Geschichte 1/2018 (On- und ihren Verschränkungen, Lüneburg Seybold, Katja line-Publikation: http://lernen-aus-der- 2018, S. 124-135. (zusammen mit Thomas Rahe) „Die geschichte.de/Lernen-und-Lehren/ „Hassverbrechen und Sondererfas- Gründung des Staates Israel und die content/13865). sung. In Europa erstarkt der Antiziganis- Auswanderung aus dem jüdischen DP- „‚Die SA Jesu Christi‘? Kirchen in der mus“, in: Jungle World, 31/2018. Camp Bergen-Belsen“, in: nurinst 2018. NS-Zeit“, in: Cellesche Zeitung, 27.1.2018. Beiträge zur deutschen und jüdischen (zusammen mit Thomas Rahe) „Ver- Rahe, Thomas Geschichte, Bd. 9, herausgegeben von folgt als ‚Zigeuner‘. Sinti und Roma im „Polnische und jüdische Displaced Jim G. Tobias und Nicola Schlichting, KZ Bergen-Belsen“, Celle 2018. Persons im DP-Camp Bergen-Belsen“, Nürnberg 2018, S. 105-118. „Travail forcé et génocide. Le système in: Horst Seferens (Hg.), Schwierige des camps de concentracion nazis en Nachbarschaft. Das Verhältnis deutscher Wagner, Jens-Christian temps de guerre“, in: Volkhard Knigge Städte zu „ihren“ Konzentrationslagern „NS-Gesellschaftsverbrechen in der (Hg.), Buchenwald. Ostracisme et violence vor und nach 1945, Berlin 2018, S. 76-89. Gedenkstättenarbeit“, in: Detlef Schmie- de 1937 à 1945. Catalogue de l’exposition (zusammen mit Katja Seybold) „Die chen-Ackermann/Marlis Buchholz/Bian- permanente du Mémorial de Buchen- Gründung des Staates Israel und die ca Roitsch/Christiane Schröder (Hg.), wald, Göttingen 2018, S. 259-270. Auswanderung aus dem jüdischen DP- Der Ort der „Volksgemeinschaft“ in der „Praca Przymusowa i ludobójstwo. Camp Bergen-Belsen“, in: nurinst 2018. deutschen Gesellschaftsgeschichte, System nazistowskich obozów koncen- Beiträge zur deutschen und jüdischen Paderborn 2018, S. 421-437. tracyjnych w czasie wojny“, in: Volkhard Geschichte, Bd. 9, herausgegeben von „Umgang mit baulichen Relikten in Knigge (Hg.), Buchenwald. Wykluczenie i Jim G. Tobias und Nicola Schlichting, der Gedenkstättenarbeit: Die Entwick- przemoc od 1937 do 1945 roku, Göttin- Nürnberg 2018, S. 105-118. lung in Niedersachsen“, in: Alexander gen 2018, S. 259-270. (Hg.) „Kinder im KZ Bergen-Belsen. Kraus/Aleksandar Nedelkovski/Anita Pla- (Hg.) „Kinder im KZ Bergen-Belsen, Pädagogische Materialien“, hg. von centi-Grau (Hg.), Ein Erinnerungs- und Begleitheft zur Ausstellung“, Celle 2018.

Stiftung Arieh Koretz „75. Jahrestag der Deportation der Gedenkstätte Bergen-Belsen „Bergen-Belsen. Tagebuch eines Sinti und Roma nach Auschwitz“ „Halbjahresprogramm“ Jugendlichen 11.7.1944 –30.3.1945“ Veranstaltungen und Projekte in April bis September 2018 Zweite Auflage Niedersachsen und Bremen Bergen-Belsen – Berichte und 29 Seiten Zeugnisse, Band 1 184 Seiten Wallstein Verlag, Göttingen 2018

60 (Hg.) „Children in the Bergen-Belsen tation des Gemäldes „Bacchanale“ von zum 20jährigen Bestehen des Förderver- Concentration Camp, Exhibition booklet“, Lovis Corinth im Niedersächsischen Lan- eins Gedenkstätte Ahlem, 2. September. Celle 2018. desmuseum Hannover, 24. Januar. Präsentation des Projektes „Website: „‚Ausländerkinder-Pflegestätten‘. Der „Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion Novemberpogrome 1938 in Niedersach- Mord an Neugeborenen ausländischer im nationalsozialistischen Deutschland“, sen“, Vortrag bei der Tagung „80 Jahre Zwangsarbeiterinnen im nationalsozia- Vortrag bei der Konferenz „Zwangsar- Reichspogromnacht“ der Ostfriesischen listischen Deutschland“, in: Jahresbe- beit 1939-1945. Geschichte und Erinne- Landschaft Aurich, 19. Oktober. richt 2017 der Stiftung niedersächsische rungen“, Deutsches Historisches Institut „Neue Forschungsergebnisse zum Gedenkstätten, Celle 2018, S. 34-37. Moskau, 12. März. Begriff der Volksgemeinschaft“, Vortrag „Robert Antelme: Das Menschenge- „Konzentrationslager und Gedenkstät- beim Seminar „Langzeitwirkungen des schlecht (1947)“, in: Markus Roth/Sascha te Bergen-Belsen“, Vortrag an der Histo- Nationalsozialismus – Nationalsozialis- Feuchert (Hg.), HolocaustZeugnisLitera- rischen Fakultät der Staatlichen Univer- mus und Volksgemeinschaft“, Internati- tur. 20 Werke wieder gelesen, Göttingen sität Kursk (Russland), 14 Mai. onales Haus Sonnenberg, 23. Oktober. 2018, S. 90-98. „Konzentrationslager und Gedenkstät- „Peine und der Nationalsozialismus“, „Gedenkkonzert Yehudi Menuhin“, in: te Bergen-Belsen“, Vortrag beim Runden Vortrag bei der Eröffnung der Ausstellung Werner Schmitt/Hendrik Feindt (Hg.), Tisch des Regionalzentrums für Oral His- „Das Braunschweiger Land im Nationalso- Zeichen setzen / Taking a Stand. Yehudi tory des Instituts für Hochtechnologie zialismus“ der Braunschweigischen Land- Menuhin und Benjamin Britten in Woronesch (Russland), 16. Mai. schaft, Kreismuseum Peine, 25. Oktober. Bergen-Belsen, Bern 2018, S. 60-65. „Anfeindung – Ausgrenzung – Depor- „Ein neues Bild des Stalinismus?“, Vor- „Das ‚Schland‘-Mal von Münchehof. tation: Die jüdische Familie Herzfeld und trag auf der Tagung „Geschichte als Deu- Ein außergewöhnliches Denkmal für das Kaufhaus Brunsviga in Peine“, Vor- tungsraum des Nationalismus“ des Ver- NS-Opfer“, in: Zeitschrift für Museum trag im Kreismuseum Peine, 21. Juni. eins für Geschichte des Weltsystems, und Bildung 84-85 (2018), S. 132-137. „Vom Verbündeten zum ‚Verräter‘ – Itali- Leibniz Universität Hannover, 27. Oktober. enische Kriegsgefangene im Stalag X B „Denkmale im öffentlichen Raum Vorträge Sandbostel“, Vortrag im Begleitprogramm und das Gedenken an die November­ der Ausstellung „Banditi e rebelli. Die itali- pogrome“, Vortrag im Ratssaal Uelzen, Binner, Jens enische Resistenza 1943-1945“, Gedenk- 9. November. „Alfred Michaelis Salomon: Unter­ stätte Lager Sandbostel, 21. August. „Die Reichspogromnacht in Peine“, nehmer – Kunstsammler – Opfer des KZ „Veränderungen in der Erinnerungs- Stadtrundgang des Arbeitskreises Ande- Bergen-Belsen“, Vortrag bei der Präsen- kultur“, Festvortrag anlässlich der Feier re Geschichte Braunschweig e.V. in Peine, 11. November. Gedenkstätte Bergen-Belsen „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ „Fortbildungsprogramm 2018“ „Halbjahresprogramm“ Ausstellung in der Gedenkstätte Abteilung Bildung und Begegnung Oktober 2018 bis März 2019 Bergen-Belsen vom 16. April bis der Gedenkstätte Bergen-Belsen 30. September 2019 15 Seiten Faltblatt zur Ausstellung

Dremel, Anett „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, Vor- beit“, veranstaltet von der Landeszentra- 61 „ ‚ [...] trotz der langen Schutzhaft nicht trag für die Regionalgruppe Rotenburg / le für Politische Bildung Rheinland-Pfalz), zur Einsicht gekommen [...]´ – Politische Wümme der ippnw (Internationale Ärzte Gedenkstätte SS-Sonderlager Hinzert/ Verfolgte im Strafgefängnis Wolfenbüttel für die Verhütung des Atomkrieges – KZ Hinzert, 12. November 2018. 1933 bis 1939“, Gedenkstätte KZ-Außenla- Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.), ger Braunschweig Schillstraße, 22. März. Gedenkstätte Bergen-Belsen, 10. Juni. Keller, Rolf „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, Einfüh- „Sowjetische Kriegsgefangene im NS- Gring, Diana rungsvortrag bei der Eröffnung der Aus- Lageruniversum“ (Symposium „Wehr- „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, Vor- stellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ machtslager für sowjetische Kriegsgefan- trag im Antikriegshaus Sievershausen, in der Mahn- und Gedenkstätte Ravens- gene im Dritten-Reich – Forschungsstand Lehrte, 28. Januar. brück, Fürstenberg, 13. Oktober. und Erinnerungspolitik“ an der Universi- „Zur Biografie von Gerd Klestadt“, „Bergen-Belsen und die Niedersachsen- tät Bielefeld 23./24. März 2018), Bielefeld, Einführungsvortrag bei der Gedenkfeier Kaserne – historischer Hintergrund und 24. März. der AG Bergen-Belsen zum Jahrestag aktuelle Bezüge“, Vortrag auf Einladung „Die Kriegsgefangenen der Wehr- der Befreiung, Bergen, 14. April. des Panzerbataillion 414 in der Nieder- macht 1939-1945 und die Genfer Kon- „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, Vor- sachsen-Kaserne, Bergen, 26. Oktober. ventionen“ (Fortbildungsveranstaltung trag auf Einladung der Ortsgruppe Old „‘Wir sollten da einfach sterben.‘ für wissenschaftliche Mitarbeiter_innen Tablers, Hannover, 8. Mai. Transporte von Frauen und Kindern aus und Guides des Dokumentationszent- „Bergen-Belsen und die Niedersach- dem KZ Ravensbrück in das KZ Bergen- rums Topographie des Terrors und des sen-Kaserne – historischer Hintergrund“, Belsen im Frühjahr 1945“, Vortrag auf Dokumentationszentrums NS-Zwangs­ Vortrag auf Einladung der Traditionska- dem wissenschaftlichen Colloquium arbeit Schöneweide), Berlin, 23. August. meradschaft Hänigsen-Burgdorf in der „Kinder in Konzentrationslagern“ der „Sowjetische Kriegsgefangene und Niedersachsen-Kaserne, Bergen, 15. Mai. Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, ihre Überlebensstrategien“ (Internatio- „Schwangerschaft und Geburt im KZ Fürstenberg, 10. November. nale wissenschaftliche Konferenz „Sow- Bergen-Belsen“, Vortrag auf der Fachta- jetische Kriegsgefangene. Widerstand, gung „Zwischen Verfolgung und ‚Volks- Hummel, Juliane Kollaboration, Erinnerung“ an der staat- gemeinschaft‘. Kindheit und Jugend im „Aspekte und Perspektiven im Um- lichen pädagogischen Universität Novo- Nationalsozialismus“, Gedenkstätte gang mit den archäologischen Relikten sibirsk), Novosibirsk, 23. Oktober. Bergen-Belsen, 1. Juni. in der Gedenkstätte Bergen-Belsen“ (Ta- „Ausbeutung und Vernichtung: Die gung „Archäologie und Erinnerungsar- Behandlung der sowjetischen Kriegsge-

Stiftung „Dokumentationszentrum/Friedhöfe“ „Dokumentationszentrum/Friedhöfe“ „Dokumentationszentrum/Friedhöfe“ der Gedenkstätte Bergen-Belsen der Gedenkstätte Bergen-Belsen der Gedenkstätte Bergen-Belsen in niederländischer Sprache in russischer Sprache in polnischer Sprache

62 fangenen in Deutschland 1941-1945“ (Ta- „Von der Tsiganologie zum Antiziga- schule , 25. Oktober. gung „Völkerrecht und Massensterben – nismus. Antiziganismusforschung als „Der Arbeitseinsatz sowjetischer Sowjetische Kriegsgefangene in den kritischer Perspektivwechsel, Vortrags- Kriegsgefangener im Regierungsbezirk Emslandlagern“ der Historisch-ökologi- reihe Einführung in die Antiziganismus- Osnabrück“ (Tagung „Völkerrecht und schen Bildungsstätte Papenburg in Zu- forschung“, Hessischer Landesverband Massensterben – Sowjetische Kriegsge- sammenarbeit mit der Gedenkstätte Es- Deutscher Sinti und Roma und TU Darm- fangene in den Emslandlagern“ der His- terwegen), Papenburg, 24. November. stadt, 15. Mai. torisch-ökologischen Bildungsstätte Pa- „Aufführungen des Antiziganismus. penburg in Zusammenarbeit mit der Neuburger, Tobias Bedeutungs- und Sinngehalt der ,Zigeuner‘-­ Gedenkstätte Esterwegen), Papenburg, „Von der religiösen Stigmatisierung Maskerade am Beispiel der Tiroler Fas- 24. November. zum Anti-Roma-Rassismus. Geschichte nacht um 1900“, Ringvorlesung „Kultu- „Der Kriegsgefangenenfriedhof und Gegenwart des Antiziganismus“, relle Begegnungen und Konflikte: Minori- Bergen-Belsen – Geschichte und Erinne- Veranstaltungsreihe „75 Jahre sierung, Repräsentation und Allianzen“, rungskultur“ (Vortrag und Führung im Auschwitz-­Erlass – Kontinuitäten des Institut für Sprachen und Literaturen, Rahmen einer Tagung des Netzwerks Rassismus gegen Sinti und Roma“, Universität Innsbruck, 24. Mai. Lagergemeinschaften), Bergen-Belsen Volkshochschule Celle, 13. März. „Anton Dörrer und die Tiroler Fast- (Hörsten), 1. Dezember. „Inventing Traditions. Die Tiroler Fast- nacht zwischen Erfindung und Tradition, nacht zwischen Erfindung und Tradition“, ca. 1900 bis 1950“, Tagung „Tirol zwi- Tonn, Daniel Zeitgeschichtetag 2018, Institut für Zeit- schen den Kriegen. Lebensgeschichten „Die Geschichte beginnt in der Fami- geschichte, Universität Wien, 5.-7. April. aus Tirol“, Universität Innsbruck, 8. Juni. lie…“. Deutsch-Polnisch-Ukrainisches „,Glück ohne Macht‘, ,Lohn ohne Ar- „,Trainer, du Zigeuner‘.“ Antiziganis- Jugendbegegnungsprojekt – Erkenntnis- beit‘, ,Heimat ohne Grenzstein‘. Kritische mus und Fußball, Fanprojekt Hannover, se und Erfahrungen. Vortrag beim 4. Fo- Theorie des Antiziganismus und das Ver- 4. September. rum „Zukunft der Erinnerung“, KZ-Ge- hältnis zu Antisemitismus und Rassis- denkstätte Neuengamme, 1. Mai. mus“, Ringvorlesung „Der Kopf der Petry, Silke Leidenschaft – Kritische Theorie und Ge- Gespräche mit Schülergruppen zur Ver- Unger, Katrin sellschaftskritik“, Institut für Politikwis- mittlung von Inhalten im Rahmen der jähr- (zusammen mit Vogel, Max) „Engage- senschaft, Universität Wien, 23. April. lichen Projektwoche der Oberschule Bad ment ohne Gesellschaft – Gesellschaft Fallingbostel zum Thema „Kriegsgefange- ohne Engagement“ Impulsvortrag bei nenlager in Fallingbostel/Oerbke“, Ober- der 2. Demokratiekonferenz der Projek- tes „Partnerschaften für Demokratie“, „Erkenntnis statt Bekenntnis. Gedenk- Lehraufträge an Hochschulen/ Bergen, 18. Oktober. stättenarbeit in Niedersachsen” auf dem Universitäten „Vermittlung zu historischen Themen - Vorbereitungsworkshop Yad Vashem für Skills in der Bildungsarbeit: Sprache, niedersächsische Lehrkräfte, Hannover, Neuburger, Tobias Selbstsensibilisierung und Reflexion“, 27. August. Seminar: „Was ist Gesellschaft? Ein- Input bei der Jahrestagung des Landes- Vortrag zum 79. Jahrestag des Beginns führung in die Soziologie“, Hochschule jugendring Hamburg, 16. November. des Zweiten Weltkrieges auf der zentralen Hannover, Fakultät V, Studiengang Sozi- Gedenkveranstaltung des DGB Südnie- ale Arbeit, Wintersemester 2018/19. Wagner, Jens-Christian dersachsen in Salzgitter, 1. September. „Lernen aus heilloser Geschichte. „Aufgaben und Perspektiven der Stif- Wagner, Jens-Christian Überlegungen zur Zukunft der Gedenk- tung niedersächsische Gedenkstätten“ Praxisseminar „Von der Ausgrenzung stättenarbeit“ in der Cohn-Scheune vor dem Lions-Club Celle, 3. September. zur Verfolgung: Die Novemberpogrome Rotenburg, 17. Januar. Vortrag Eröffnung des „Holocaust 1938 in Niedersachsen“ an der Leibniz Uni- „Erkenntnis statt Bekenntnis – Anmer- Exhibition and Holocaust Centre“ an der versität Hannover, Sommersemester 2018. kungen zu Gegenwart und Zukunft der Universität Huddersfield (England), Praxisseminar „Bergen-Belsen und die ‚Erinnerungskultur‘“ vor der Grünen Ju- 6. September. Wehrmacht. Erarbeitung einer Werk- gend in Hannover, 19. Januar. Vortrag zur Buchvorstellung „Die NS- stattausstellung zur Geschichte des „Was hat der Bückeberg mit Bergen- Reichserntedankfeste auf dem Bücke- Truppenübungsplatzes Bergen“ an der Belsen zu tun? Plädoyer für einen integ- berg 1933-1937“ von Bernhard Gelder- Leibniz Universität Hannover, Winter­ ralen Blick auf den Nationalsozialismus“ blom, 15. Oktober. semester 2018/19. beim öffentlichen „Fachforum NS-Doku- „Erinnerungsorte und ihre Rolle in der mentationsstätten“ in Hameln, 23. Januar. aktuellen politischen Erwachsenenbil- Mitarbeit in Gremien Gedenkfeier in der IGS Linden anläss- dung“ auf der Jahrestagung der LEB lich des „Tages des Gedenkens an die Niedersachsen in Hameln, 7. November. Staats, Martina Opfer des Nationalsozialismus“, Gruß- „Erkenntnis statt Bekenntnis. Plädoyer Beirat der Stiftung Gedenkstätte wort, Hannover, 7. Februar. für eine zukunftsfähige gesellschaftliche Lindenstraße Potsdam Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung Auseinandersetzung mit den NS-Verbre- Vertreterin des Arbeitskreises Gedenk- „Roter Winkel. Politische Häftlinge im KZ chen“ auf der Tagung „Die Bischöfe stätten an Polizei- und Justizhaftorten Bergen-Belsen“ in der KZ-Gedenkstätte Conrad Gröber und Joannes Baptista Vorsitzende des Kulturrates der Stadt Schillstraße, Braunschweig, 27. Februar. Sproll und der Nationalsozialismus“ in Wolfenbüttel „Musealisierung als Königsweg? Er- Meßkirch/Oberschwaben, 9. November. Vorsitzende des Arbeitskreises Andere fahrungen aus der Gedenkstättenarbeit“ „Rassismus und Vernichtungskrieg: Geschichte e. V., Braunschweig auf der Burg Ludwigstein (Witzenhausen), Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für 2. März. die deutsche Politik im Zweiten Welt- Wagner, Jens-Christian Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung krieg“ auf einer Tagung des Volksbun- International Committee of the 63 „Roter Winkel. Politische Häftlinge im des dt. Kriegsgräberfürsorge, der Stif- Auschwitz-Birkenau Foundation, KZ Bergen-Belsen“ im Museum Lüne- tung niedersächsische Gedenkstätten Warschau burg, 8. April. und des Heimatbundes Niedersachsen Leitungsgruppe Gedenkstätten und „Gedanken zum 73. Jahrestag des zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Erinnerungskultur beim Schleswig-­ Kriegsendes“, Rede zum Jahrestag des Weltkrieges, Hannover, 14. November. Holsteinischen Ministerium für Bildung, Kriegsendes bei einer Gedenkveranstal- „Über die opferzentrierte Erinnerung Wissenschaft und Kultur, Kiel tung des DGB in Braunschweig, 8. Mai. hinaus? Aufgaben und Problemfelder zu- Fachbeirat des Dokumentationsortes „Gedenkstättenarbeit und Diktaturer- künftiger Vermittlung von nationalsozia- NS-Zwangsarbeit, Berlin fahrungen in Deutschland“. Vortrag beim listischen Massenverbrechen“ auf einer Fachbeirat der Gedenkstätten Augusta- ­ Seminar „Transitional Justice“ der Ro- Tagung der Stadt Braunschweig zur lo- schacht und Gestapokeller Osnabrück bert-Bosch-Stiftung in Nürnberg, 18. Mai. kalen Erinnerungskultur, 23. November. Fachbeirat des Denkortes Bunker (zusammen mit Dr. Regine Heubaum) „Verfolgung, Widerstand und Täter- Valentin, Bremen „Massengrab am Grenzstreifen. Die Ge- schaft als Teil einer Gesellschaftsge- Fachkommission der Gedenkstätte schichte eines vergessenen Aschegra- schichte des Nationalsozialismus: Vor- Ahlem, Hannover bes im früheren KZ-Außenlager Ellrich- schläge für eine thematisch integrale Stiftungsrat der Stiftung Gedenkstätte Juliushütte“, Hannover, 14. Juni. Gedenkstättenarbeit“ vor der Stiftung Esterwegen „Lernen aus heilloser Geschichte. Ge- Adam von Trott in Imshausen, Fachkommission zur Neugestaltung der denkstättenarbeit in Niedersachsen“ im 26. November. „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg Kulturzentrum Hoya, 26. Juni. Kommentar zur Tagung „Die Kloster- Wissenschaftlicher Fachbeirat der KZ- Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung kammer Hannover im Nationalsozialis- Gedenkstätte Flossenbürg „Roter Winkel. Politische Häftlinge im mus“, Hannover, 28. November. Expertenkommission Dauerausstel- KZ Bergen-Belsen“ in der Gedenkstätte „Zwischen Opferzentrismus und Aus- lung International Tracing Service, Bad Ahlem, 8. Juli. einandersetzung mit der Täterschaft: Zu- Arolsen „(Re)Negotiating the past in Latin kunftsperspektiven der Gedenkstätten- Wissenschaftlicher Beirat des America with German help? Two examp- arbeit“ auf einer Tagung des Museums Museums Friedland les from Colombia and Chile” anlässlich Lüneburg zur lokalen Erinnerungskultur, Historische Kommission für Nieder- der International Bergen-Belsen Sum- 30. November. sachsen und Bremen mer School, 30. Juli. „V-Waffen und Verbrechen. Wernher von Braun und der Nationalsozialismus“ im Bomann-Museum Celle, 16. Dezember. Stiftung Projekt KogA Diskriminierung von Sinti und Roma durch staatliche Institutionen und der Kampf um Anerkennung und Teilhabe

Bernd Grafe-Ulke, Tobias Neuburger, Marion Seibel, Daniel Tonn

64 Das Bildungsprogramm des Projekts alismus wurde es dazu benutzt, jährige Geschichte habe. Auch in der „Kompetent gegen Antiziganismus – in hunderttausende Sinti und Roma als Gegenwart stünden Sinti und Roma bei Geschichte und Gegenwart“ richtete „kriminelle Zigeuner“ zu verfolgen und Polizei und Ermittlungsbehörden unter sich 2018 vorrangig an Mitarbeiter_innen zu ermorden. Weil Sinti und Roma einem Generalverdacht kriminell und für und Multiplikator_innen aus den Berei- fälschlicherweise unterstellt wurde, dass bestimmte Deliktformen verantwortlich chen Polizei, Justiz, Behörden und Ver- sie von Natur aus kriminell seien, wur- zu sein. Es wäre daher notwendig darauf waltung. Unter besonderer Berück­ den sie Opfer eines stufenweisen Geno- hinzuwirken, dass die Polizei, aber auch sichtigung der Rolle dieser staatlichen zids. Für dessen Planung und Organisati- andere öffentliche Behörden, Rassismus Institutionen stand die Auseinanderset- on war, neben der Rassenhygienischen als gesellschaftliches Phänomen aner- zung mit historischen und gegenwärti- Forschungsstelle (RHF), die pseudowis- kennen und sich nicht automatisch als gen Formen antiziganistischer Diskrimi- senschaftliche Daten über Sinti und frei von Rassismus ansähen; Rassismus nierung, Ausgrenzung und Verfolgung, Roma gesammelt und beurteilt hat, im Allgemeinen und Antiziganismus im sowie den dahinterliegenden Ideologien maßgeblich die deutsche Polizei verant- Besonderen müssten dabei nicht nur als im Fokus. Alle Teilnehmenden einte der wortlich. In der Nachkriegszeit wurde individuelles, sondern stets auch als Wunsch (mehr) Wissen über die Diskri- das Vorurteil des „kriminellen Zigeu- strukturelles Phänomen verstanden minierung von Sinti und Roma zu erlan- ners“ in der deutschen Gesellschaft be- werden. gen, in diesem Kontext sich und das ei- nutzt, um die NS-Verbrechen zu ver- gene Berufsfeld kritisch zu reflektieren harmlosen. So behauptete beispiels­- Dass der Schatten der NS-Zeit bis heute sowie praxisbezogene Kompetenzen weise der Bundesgerichtshof (BGH) in nachwirkt, stellte Alexander Diepold, gegen Antiziganismus für das eigene einem Urteil 1956, dass Sinti und Roma selbst Sinto und Geschäftsführer der Berufsfeld zu erwerben. „zur Kriminalität, besonders zu Dieb- Münchener Madhouse gGmbH, heraus. stählen und Betrügereien“ neigen wür- Diepold und sein Team unterstützen Laut der 2018 erschienenen „Mitte- den. Für dieses Skandalurteil entschul- Sinti und Roma unter anderem vor Sozi- Studie“ der Universität ist die digte sich der BGH erst 2016. algerichten beim „Durchkämpfen“ von gesellschaftliche Ablehnung von Sinti Anträgen auf krankheitsbedingte Er- und Roma weiterhin Realität. Unter an- Im Rahmen des KogA-Bildungspro- werbsminderungsrenten. Die Ange­ derem sind 60,4 Prozent der Befragten gramms führte der Berliner Politikwis- hörigen der Minderheit erlebten bei- davon überzeugt, Sinti und Roma neig- senschaftler Markus End aus, dass die spielsweise gerichtlich angeordnete ten zur Kriminalität – ein Vorurteil mit ei- Sonderbehandlung von Sinti und Roma Untersuchungen bei Gesundheitsämtern ner langen Geschichte. Im Nationalsozi- durch die Polizei eine über einhundert- häufig als Ausforschung und würden an die Untersuchungen der RHF in der NS- fen und die Bildungssituation von Sinti der Minderheit als Expert_innen ihres ei- 65 Zeit und die traumatischen Erlebnisse zu verbessern, bildet der Verein seit 2016 genen Lebens und selbstbestimmt über der Großeltern erinnert. Akteure der Do- in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Er- kollektive Erfahrungshintergründe spre- minanzgesellschaft müssten daher his- innerung, Verantwortung und Zukunft“ chen können. Mitarbeitende von Behör- torisch aufgeklärt und für die gegenwär- und der VHS Leer Sinti zu zertifizierten den sollten durch Schulungen das Miss- tige Situation der Sinti und Roma „Bildungsbegleiter_innen“ aus. Das trauen von Sinti und Roma gegenüber sensibilisiert werden. Auch im Bereich modulare Programm startete damit, das staatlichen Institutionen verstehen und Bildung seien die Folgen der NS-Zeit Selbstbewusstsein der Teilnehmenden ein Stück weit akzeptieren lernen, gleich- noch zu spüren, so Diepold. Damals zu stärken und ihnen Handlungskompe- zeitig aber ihren „Klient_innen“ zuhören wurden Kinder von Sinti und Roma ge- tenzen gegen Anfeindungen zu geben, und versuchen, für leise Töne sensibel zwungen die Schulen zu verlassen. Nach so Wagner. Im weiteren Verlauf würden zu sein. Am Ende des Bildungspro- 1945 hätten einige Überlebende ihre Kin- die Teilnehmenden zu pädagogischen gramms stellten sich die Teilnehmenden der aus Angst vor Diskriminierung nicht Mitarbeiter_innen an Grundschulen und ihre Konzepte für Fortbildungen, Fachta- mehr in die Schule gehen lassen, was ih- Schulen der Sekundarstufe I ausgebildet ge und Vorträge gegenseitig vor, die sie nen wiederum von der Mehrheitsgesell- sowie in den Bereichen Kommunikation, 2019, zum Beispiel mit Polizist_innen, schaft zum Vorwurf gemacht wurde – Konfliktlösung und Erste Hilfe geschult. Justizvollzugsbeamt_innen oder Mitar- bis heute müssten sich Roma und Sinti Das Projekt wurde von Stadt und Land- beitenden des Jobcenters umsetzen mit Zuschreibungen wie Bildungsferne, kreis unterstützt und Behörden wie das werden. Analphabetismus und Bildungsunwillen Jugendamt waren mit eigenen Angebo- auseinandersetzen. ten aktiv eingebunden. Der Politikwissenschaftler Markus End während seines Vortrags „Polizeiliches Handeln – Kontinuität und „Du kannst das nicht, du schaffst das Im Verlauf des Bildungsprogramms Wandel der Diskriminierung von Sinti und Roma“. nicht!“, das habe er schon als Kind in der haben die Teilnehmenden wichtige Er- • Daniel Tonn Grundschule immer zu hören bekom- kenntnisse für ihre Arbeit mit Sinti und Alexander Diepold (am Tisch hinten links sitzend) stellt die Beratung und Begleitung von Sinti und Roma im men. Damit leitete Michael Wagner, Vor- Roma und zum Thema Antiziganismus Kontext von Behörden und Verwaltung durch die Mad- sitzender des 1. Sinti-Vereins Ostfries- gewinnen können: So dürfe ihrer An- house gGmbH vor. • Marion Seibel land in Leer, seine Präsentation im sicht nach Roma und Sinti nicht eine be- Nadine Wagner (ganz rechts im Bild) berichtet über ihre Erfahrungen als Bildungsbegleiterin an Schulen im Rahmen des Seminars „Good Practices“ stimmte „Kultur“ zugeschrieben werden, Landkreis Leer. • Marion Seibel während des Bildungsprogramms ein. da dies die Basis für Diskriminierung dar- Titel der Praxiseinheit einer Teilnehmerin des Bildungs- Mit dem Ziel Antiziganismus zu bekämp- stelle. Vielmehr müssten Angehörige programms. • Marion Seibel

Stiftung Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Deportation der niedersächsischen Sinti und Roma nach Auschwitz

Rolf Keller, Tobias Neuburger, Thomas Rahe, Jens-Christian Wagner, Christian Wolpers

66 Im März 2018 jährte sich zum 75. Mal Die Stiftung niedersächsische Ge- Bergen-Belsen ist für die Bürger- die Deportation der Sinti und Roma aus denkstätten erinnerte im Winter und rechtsbewegung der Sinti und Roma ein Nordwestdeutschland. Am 16. Dezem- Frühjahr 2017/2018 mit einer Reihe von wichtiger, wenn nicht sogar zentraler ber 1942 hatte Heinrich Himmler mit Veranstaltungen und Projekten an den Ort: Die Mehrheit der Sinti und Roma, dem sogenannten Auschwitz-Erlass die 75. Jahrestag der Deportation der Sinti die vor der Auflösung des sogenannten reichsweite Deportation der Sinti und und Roma aus Nordwestdeutschland. Zigeuner-Familienlagers in Auschwitz- Roma in das Konzentrationslager Ausch- Hintergrund der Veranstaltungen war Birkenau und der Ermordung der letzten witz angeordnet. In Nordwestdeutsch- die Hoffnung, dass künftig das Schicksal Insassen im August 1944 in andere land wurde diese Anweisung im März der Sinti und Roma im Nationalsozialis- Konzentrationslager überstellt worden 1943 flächendeckend umgesetzt. Damit mus stärker in das öffentliche Bewusst- waren, gelangte gegen Kriegsende mit ging die nationalsozialistische Politik der sein rückt. Räumungstransporten in das KZ Bergen-­ Ausgrenzung und Entrechtung der Sinti Belsen. Das bedeutet, dass von den und Roma in die unterschiedslose Er- Gedenkveranstaltung in der wenigen Sinti und Roma, die die De­- mordung von Frauen, Kindern und Män- Gedenkstätte Bergen-Belsen portation in die Konzentrationslager nern jeden Alters über. Nur wenige soll- überlebten, fast alle in Bergen-Belsen ten diesen Genozid überleben. Die Einen besonderen Höhepunkt bildete befreit wurden. Das Lager hat für die Deportationen waren der Endpunkt einer eine trotz widriger Wetterbedingungen Überlebenden deshalb eine besondere gezielten Politik der Diskriminierung und sehr gut besuchte Gedenkveranstaltung Bedeutung. Aus diesem Grund fand hier Entwürdigung. Seit 1933 waren große am 4. März 2018 in der Gedenkstätte im Oktober 1977 auch eine erste große Anstrengungen unternommen worden, Bergen-Belsen. Hauptredner war Romeo Protestveranstaltung der Minderheit ge- um die nach den scheinwissenschaftli- Franz, Geschäftsführer der Hildegard- gen die fortdauernde Ausgrenzung statt. chen Kriterien der Rassenlehre als „Zi- Lagrenne-Stiftung, die bundesweit an Redner war damals, neben Simone Veil, geuner“ eingestuften Menschen zu be- die Verfolgung der Sinti und Roma im der junge Aktivist Romani Rose, der spä- stimmen und aus dem gesellschaftlichen Nationalsozialismus erinnert und mit ei- ter Vorsitzender des neu gegründeten Leben auszuschließen. Die Nationalsozi- nem breit aufgestellten Programm ge- Zentralrates der Sinti und Roma wurde. alisten konnten dabei an eine jahrhun- gen heutige Diskriminierung und Aus- Für die Gründungsgeschichte des Zent- dertealte Tradition von Vorurteilen und grenzung der Minderheit vorgeht. ralrates – wie überhaupt für die Bürger- Benachteiligungen anknüpfen. Ihre Maß- rechtsbewegung der Sinti und Roma – nahmen trafen daher auf eine breite Zu- war diese Veranstaltung gewissermaßen stimmung in der Gesellschaft. ein öffentlicher Gründungsakt. Broschüre „Sinti und Roma im Veranstaltungsreihe „75 Jahre Auschwitz-­ Im weiteren Verlauf der Reihe beglei- 67 KZ Bergen-Belsen“ Erlass – Kontinuitäten des Rassismus tete viele der Veranstaltungen die Frage gegen Sinti und Roma“ nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten: Unter den am 15.4.1945 im KZ Bergen- Anja Reuss vom Zentralrat Deutscher Belsen befreiten Häftlingen befanden Mit sechs Vorträgen, drei Tagessemi- Sinti und Roma widmete ihre Ausfüh- sich etwa 1.800 Sinti und Roma. Bei den naren und Workshops, einer Filmvorfüh- rungen in der VHS Hannover dem müh- meisten handelte es sich um deutsche rung und einer Ausstellung widmete samen Kampf der Überlebenden um Sinti, bei den übrigen vor allem um unga- sich die Veranstaltungsreihe „75 Jahre Anerkennung in der unmittelbaren rische Roma. Sie hatten bereits einen jah- Auschwitz-Erlass – Kontinuitäten des Nachkriegszeit – der Politikwissenschaft- relangen Verfolgungsweg durch mehrere Rassismus gegen Sinti und Roma“ der ler Markus End beschäftigte sich mit Konzentrationslager hinter sich, als sie, Geschichte und Gegenwart des Antiziga- Kontinuitäten polizeilicher Repression zumeist erst im März und Anfang April nismus in Deutschland und Europa. Die bis in die Gegenwart. Im Veranstaltungs- 1945, in das KZ Bergen-Belsen gelangten. Veranstaltungsreihe wurde vom Projekt zentrum „Rotation“ in den ver.di-Höfen „Kompetent gegen Antiziganismus“ illustrierte die Künstlerin Behar Heine- Eine von Thomas Rahe und Jens- (KogA) in Kooperation mit einer Vielzahl mann die Geschichte der Bürgerrechts- Christian Wagner verfasste Broschüre an Partnern, unter anderen dem Roma bewegung deutscher Sinti und Roma mit dem Titel „Verfolgt als ‚Zigeuner‘. Center Göttingen, Romane Aglonipe, und deren Kampf gegen die fortgesetzte Sinti und Roma im KZ Bergen-Belsen“, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und den Diskriminierung mit einer Vielzahl zeit- die im Frühjahr 2018 im Eigenverlag der Volkshochschulen in Hannover und Celle historischer Fotografien. Stiftung niedersächsische Gedenkstät- durchgeführt. ten erschien, zeichnet ihre Verfolgung Zum Auftakt zeichnete Frank Reuter und Ermordung im Nationalsozialismus von der Forschungsstelle Antiziganismus Titelblatt des Programmheftes „75. Jahrestag der und ihre Existenzbedingungen im KZ an der Universität Heidelberg anhand Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz“ – Ver- anstaltungen und Projekte in Niedersachsen und Bremen Bergen-Belsen nach. Auch die lange Ge- zentraler Dokumente und historischer Fo- Stilles Gedenken nach der Kranzniederlegung für die schichte des Kampfes der Überlebenden tografien die wesentlichen Entwicklungs- Opfer der Sinti und Roma. • Jesco Denzel um Entschädigung und Anerkennung als linien des NS-Völkermords an den Sinti Faltblatt zur Veranstaltungsreihe „75 Jahre Auschwitz-Er- NS-Verfolgte sowie die Kontinuitäten der und Roma nach. Mit einem beeindru- lass – Kontinuitäten des Rassismus gegen Sinti und Roma“ • Nils Merten, Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen Ausgrenzung von Sinti und Roma nach ckenden Einfühlungsvermögen berichte- 1945 werden dargestellt. Exemplarische te er im Kulturzentrum Pavillon aus zahl- Aufruf zu einer Gedenkkundgebung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen, 1979 • Stiftung niedersächsische Biographien runden die Broschüre ab. reichen Gesprächen mit Überlebenden. Gedenkstätten

Stiftung 68 Elizabeta Jonuz von der Hochschule Ausstellung „Aus Niedersachsen Tafeln über die weitgehend ausgebliebene Hannover diagnostizierte in den Räum- nach Auschwitz“ justizielle Aufarbeitung der Verfolgung lichkeiten des Migrantenvereins kargah und die Anfänge der Bürgerrechtsbe­ anhand von aktuellen Erhebungen einen In Zusammenarbeit mit dem „Verein wegung und Selbstorganisation der europaweit ausgeprägten und institutio- für Geschichte und Leben der Sinti und Sinti und Roma in der Bundesrepublik nellen Rassismus gegen Roma. Wie sich Roma in Niedersachsen e.V.“ wurde zu Deutschland. dieser gegen geflüchtete und abgescho- Beginn des Jahres die seit 2004 an vie- Die Eröffnung der Ausstellung fand bene Roma richtet, wurde bei der Vor- len Orten präsentierte Wanderausstel- am 4. März im Anschluss an die Gedenk- führung des Films „The Awakening“ und lung „Aus Niedersachsen nach Ausch- feier anlässlich des 75. Jahrestages der der anschließenden Diskussion mit dem witz“ zur Verfolgungsgeschichte der Deportationen der Sinti und Roma nach Regisseur Kenan Emini sowie im Rah- Sinti und Roma auf dem Gebiet des heu- Auschwitz in der Gedenkstätte Bergen- men einer Ausstellung des Roma Anti- tigen Landes Niedersachsen inhaltlich Belsen statt. discrimination Network an der VHS Celle grundlegend überarbeitet und ergänzt. beleuchtet. Die neu produzierte Ausstellung be- Sinti und Roma in Niedersachsen – Zum Abschluss der Veranstaltungsrei- steht nunmehr aus 28 thematischen Ta- Geschichte und Gegenwart he fand ein Tagesworkshop in der Ge- feln und jeweils drei Roll-ups mit exemp- denkstätte Bergen-Belsen statt, der sich larischen Biografien. Die inhaltlichen Die Abteilung Gedenkstättenförde- ausgehend von diesem historischen Ort Ergänzungen beziehen sich vornehmlich rung Niedersachsen (GFN) bietet regel- den Lebensschicksalen der Opfergruppe auf den weiteren (Verfolgungs-)Weg der- mäßig eine mehrtägige Informations- der Sinti und Roma näherte. In einem jenigen Sinti und Roma, die Auschwitz und Fortbildungsveranstaltung für letzten Vortrag skizzierte Tobias Neubur- überlebten und danach in andere Kon- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ger vom Projekt KogA an der VHS Celle zentrationslager – insbesondere Buchen- Gedenkstätten, Geschichtswerkstätten, die longue durée und geschichtlichen wald, Mittelbau-Dora und Ravensbrück – Initiativen, Museen, Archiven und ande- Metamorphosen des Antiziganismus. überstellt wurden. Dort mussten sie ren Einrichtungen an, die sich in Nieder- Zwangsarbeit leisten; viele von ihnen sachsen mit der NS-Geschichte und de- wurden sterilisiert und getötet. Ein Kapi- ren Folgen sowie mit Geschichtspolitik tel widmet sich dem letzten Ort des De- und Erinnerungskultur beschäftigen. Auf portationsweges vieler Sinti und Roma, der Tagung vom 9. bis 11. März 2018 in dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. Hannover, die in Kooperation mit der Die Ausstellung endet mit thematischen Gedenkstätte Ahlem, der Region Hanno- ver sowie dem Projekt „Kompetent der Kampf um die Anerkennung der Sinti 69 gegen Antiziganismus“ der Stiftung und Roma als Opfergruppe. Schließlich niedersächsische Gedenkstätten durch- kamen auch aktuelle Entwicklungen, geführt wurde, stand die Verfolgung der Problemstellungen und Lösungsansätze Sinti und Roma während der NS-Zeit im zur Sprache. Unter anderem stellten Ver- Mittelpunkt. Unter den rund siebzig Teil- treter der Sinti und Roma in Niedersach- nehmenden befanden sich auch viele sen eigene Bildungs-, Selbsthilfe- und Repräsentanten der Sinti und Roma. Für Theaterprojekte vor. die auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglichen Auftaktreferate konnten zwei ausgewiesene Wissenschaftler ge- wonnen werden. Dr. Karola Fings, stell- vertretende Direktorin des NS-Doku- mentationszentrums der Stadt Köln, referierte über den Völkermord an den Sinti und Roma und dessen pädagogi- sche Vermittlung. Dr. Frank Reuter, wis- senschaftlicher Geschäftsführer der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, zeigte „Kontinuitäten des Antiziganismus nach dem Ende der NS- Herrschaft“ auf. Anschließend wurden sowohl Ergebnisse der regionalhistori- schen Forschung (Beispiele aus Nord- Blick in die Wanderausstellung „Von Niedersachsen westdeutschland) als auch Angebote für nach Auschwitz“. • Jesco Denzel die Bildungsarbeit zum Thema vorge- Blick in die Ausstellung „Von Niedersachsen nach stellt. Auch die Entwicklung nach dem Auschwitz“ • Martin Bein Krieg wurde schlaglichtartig beleuchtet: GFN-Tagung „Sinti und Roma in Niedersachsen – Geschichte und Gegenwart“ im Haus der Region in Erinnerungskultur, Geschichtspolitik und Hannover, 9. Bis 11. März 2018 • Christian Wolpers

Stiftung Ein Curriculum für wissenschaftliche Volontariate in niedersächsischen Gedenkstätten

Katrin Unger

70 Fragt man in Gedenkstätten wissen- weiteren Gedenkstätte in Niedersachsen der jeweiligen Gedenkstätten einführen. schaftliche Mitarbeitende nach ihren durchgeführt werden. Seit September Gemeinsam mit den Mitarbeitenden vor Studiengängen, findet sich eine beacht­ 2018 steht der Stiftung Lager Sandbostel Ort werden unter anderem folgenden liche Vielfalt aus geistes- und sozialwis- dieser Platz zur Verfügung. Durch das Fragen erörtert: Was heißt es, an einem senschaftlichen Fächerkombinationen. Einwerben von zusätzlichen Geldmitteln Ort der vernichteten Beweise einem Um diese Interdisziplinarität für die kom- ist es zudem der Stiftung Gedenkstätte Sammlungsauftrag nachzugehen? Wel- plexen Aufgaben und Arbeitsbereiche in Esterwegen möglich, seit 2017 ebenfalls cher Umgang mit baulichen Überresten Gedenkstätten nutzen zu können, stellt ein Volontariat anzubieten. ist möglich – conservation as found, sich für eine zukunftsgewandte wie ge- Das 2-jährige Volontariat als Zeit der kontrollierter Verfall, Sanierung oder lingende Gedenkstättenarbeit die Frage, Aus-, Fort- und Weiterbildung von Wis- Rekonstruktion? Wie können Gegen- welche spezifischen Fertigkeiten und senschaftler_innen ernst nehmend, wer- wartsbezüge in der Bildungsarbeit ohne Kompetenzen Mitarbeitende in Gedenk- den Kenntnisse und Fähigkeiten vermit- Instrumentalisierung der Geschichte stätten in den verschiedenen Tätigkeits- telt, die eine selbstständige Tätigkeit im oder fehlgeleitete Analogiebildung aus- feldern benötigen. Die Stiftung nieder- wissenschaftlichen Betrieb von Gedenk- sehen? Darüber hinaus liegt besonderes sächsische Gedenkstätten bietet daher stätten ermöglichen sollen. Je nach Grö- Augenmerk auf den Zuständigkeiten der speziell zur Qualifizierung wissenschaft- ße der Einrichtung ist das Volontariat Stiftung niedersächsische Gedenkstät- licher Volontär_innen seit 2018 ein eige- mit dem Tätigkeitsschwerpunkt in einer ten als solche. Die Abteilung Gedenk- nes Curriculum an. Dies soll, ergänzend Abteilung angesiedelt oder mit einem stättenförderung Niedersachsen gibt zur eigenständigen Tätigkeit der Volon- definierten Aufgabenfeld ausgestattet. unter anderem Einblick in die Möglich- tär_innen und der fachlichen Profilierung Darüber hinaus formuliert sich für die keiten der Projektförderung durch finan- durch Schwerpunktsetzungen, als Mehr- Volontierenden der Anspruch, in der ge- zielle Zuwendungen oder die Weiterent- wert und Chance verstanden werden. samten Einrichtung Einblicke in die ver- wicklung der Bildungsarbeit durch die Seit 2012 können in der Stiftung nie- schiedenen Zuständigkeiten, Aufgaben Vernetzung der in der Vermittlung Täti- dersächsische Gedenkstätten junge wie Abläufe zu erhalten. Je nach Mög- gen. Im Bereich Kommunikation und Akademiker_innen in der Gedenkstätte lichkeit und Aufgabenfeld verantworten Veranstaltungen werden Strategien der Bergen-Belsen und in der Gedenkstätte die Volontär_innen auch eigenständige stiftungsweiten Öffentlichkeitsarbeit in der JVA Wolfenbüttel volontieren. Projekte und deren Umsetzung. vorgestellt und dargelegt, wie aus einer Durch zusätzliche Mittel der Stiftung nie- Das Curriculum umfasst derzeit drei- Idee ein Buch entsteht. Aspekte der Ver- dersächsische Gedenkstätten kann ein zehn Programmtage, die die Teilneh- waltung gehören ebenfalls dazu: Wie drittes Volontariat im Wechsel an einer menden in spezifische Fragestellungen wird eine Stiftung öffentlichen Rechts verwaltet oder wie entsteht ein Haus­- 71 haltsplan? Die Volontär_innen Ines Dirolf (Stif- tung Lager Sandbostel), Sarah Kunte (Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel), Anna-Lena Thöbben (Stiftung Gedenk- stätte Esterwegen) und Maximilian Vo- gel (Gedenkstätte Bergen-Belsen) begrü- ßen die Möglichkeit, durch das Curriculum eine Übersicht über die Ar- beitsfelder und Tätigkeiten der verschie- denen Einrichtungen zu erhalten, sich mit den anderen Volontär_innen und Mitarbeitenden der Gedenkstätten zu vernetzen, als Gruppe von Beschäftigten wahrgenommen zu werden sowie durch Feedback konstruktiv an der Durchfüh- rung des Curriculums beteiligt zu sein.

Katja Seybold (2. v.l.) erörtert auf dem Kriegsgefange- nenfriedhof Hörsten u.a. die Ideen für eine Neugestal- tung. • Maximilian Vogel

Klaus Tätzler führt in das Aufgabenfeld des Archivars ein und legt das Sammlungskonzept der Gedenkstätte Bergen-Belsen dar. • Maximilian Vogel

Auf dem Außengelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen vergegenwärtigen sich die Volontär_innen mit Hilfe historischer Fotografien die Geschichte und die Überformung des Geländes. • Maximilian Vogel

Stiftung 72 Gedenkstätte Bergen-Belsen

73

Gedenkstätte Bergen-Belsen Gedenkstätte Bergen-Belsen

Thomas Rahe, Katrin Unger, Jens-Christian Wagner

74 Einen Schwerpunkt der Arbeit in der 1990 eine solch hohe Besucherzahl zu Gedenkstätte anlässlich des Gedenkta- Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr verzeichnen. Das Begleitprogramm, an ges eine neue Broschüre zur Geschichte 2018 bildete das Projekt „Kinder im KZ dem sich auch Kinder-Überlebende des der Sinti und Roma im KZ Bergen-Belsen Bergen-Belsen“. Am 15. April 2018, dem KZ Bergen-Belsen beteiligten, fand veröffentlicht. 73. Jahrestag der Befreiung des KZ ebenfalls eine große Resonanz. Die Bergen-Belsen, wurde die von der Ge- Wanderausstellung wurde nach ihrer Von Oktober bis Dezember 2018 zeigte denkstätte Bergen-Belsen erarbeitete Präsentation in der Gedenkstätte die Gedenkstätte Bergen-Belsen eine Wanderausstellung zu dieser Thematik Bergen-­Belsen bis Ende März 2019 in von der Gedenkstätte Deutscher Wider- in Anwesenheit von mehr als zwanzig der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück ge- stand und dem historischen Institut der Kinder-Überlebenden des KZ Bergen- zeigt. Im Anschluss sind Stationen in der Slowakischen Akademie der Wissen- Belsen eröffnet. Die Anwesenheit der Schweiz vorgesehen. Parallel zur Wan- schaften gemeinsam erarbeitete Son- Gäste zur Ausstellungseröffnung konnte derausstellung wurden pädagogische derausstellung „‘Es lebe unsere gerechte für zahlreiche Zeitzeug_innen-Gesprä- Materialien zum Themenfeld „Kinder Sache!‘ Der slowakische Nationalauf- che in kooperierenden Schulen und im KZ Bergen-Belsen“ entwickelt, die so stand 29. August bis 27. Oktober 1944“. Bildungseinrichtungen in der Region konzipiert sind, dass sie sowohl in der Sie thematisiert ein zentrales Ereignis genutzt werden. schulischen wie auch der außerschuli- der slowakischen Zeitgeschichte, das in schen Bildung genutzt werden können. seiner Bedeutung dem nationalpolni- Die Ausstellung fand ein großes Me- schen Aufstand von 1944 in Warschau dienecho, auch weil sie die erste doku- Anlässlich des 75. Jahrestages der gleichkommt, aber hierzulande bisher mentarische Ausstellung in Deutschland Deportation der norddeutschen Sinti kaum bekannt ist. Ergänzt wurde die ist, die auf einer so breiten Quellen- und Roma nach Auschwitz-Birkenau Ausstellung für ihre Präsentation in Bergen- grundlage und mit einem so weit ge- fand am 3. März 2018 eine sehr gut be- Belsen um ein Kapitel zu Häftlingen aus spannten Themenspektrum die spezi­ suchte, zentrale Gedenkveranstaltung in der Slowakei im KZ Bergen-Belsen. fische Lebenssituation und der Gedenkstätte Bergen-Belsen statt. Verhaltensweisen von Kindern in einem Im Anschluss wurde im Forum der Ge- Begleitend zur Aufführung des Stücks NS-Konzentrationslager darstellt. Auch denkstätte die grundlegend überarbeite- „Fesche Lola, brave Liesel – Marlene das Besucherinteresse an dieser Son- te und aktualisierte Ausstellung „Von Dietrich und ihre verleugnete Schwes- derausstellung war bemerkenswert. Niedersachsen nach Auschwitz. Die Ver- ter“ wurde im Schlosstheater Celle eine Keine andere Sonderausstellung in der folgung der Sinti und Roma in der NS- eigens dafür erarbeitete Ausstellung der Gedenkstätte Bergen-Belsen hatte seit Zeit“ eröffnet. Zudem wurde von der Gedenkstätte Bergen-Belsen gezeigt, die sich dem lokalhistorischen Hintergrund konstruktion den Besucher_innen die des Theaterstücks widmete. Im Mittel- Geschichte der Kaserne und des Trup- punkt standen die Geschichte des KZ penübungsplatzes nebst weiterer, für die Bergen-Belsen und des Truppenübungs- Lagergeschichte Bergen-Belsen markan- platzes Bergen-Hohne sowie das dort ter Orte, vergegenwärtigen. 1945 eingerichtete DP-Camp Bergen-­ Das Gebäude soll in den kommenden Belsen. Jahren als Lernlabor genutzt werden. Dort sollen neue Formate ausprobiert Mit einer für diese Thematik neuen und neue Themen in die Bildungsarbeit Veranstaltungsform widmete sich die der Gedenkstätte integriert werden. Ins- Gedenkstätte Bergen-Belsen der Frage besondere die Militärgeschichte des Or- nach den Täterinnen und Tätern am Bei- tes wird dabei eine tragende Rolle spie- spiel der Biographie von Irma Grese, die len. Auch die Fragen nach der Motivation als 21-jährige ehemalige SS-Aufseherin des Mitmachens im Nationalsozialismus die jüngste Angeklagte im Lüneburger wie überhaupt nach der gesellschaftli- Bergen-Belsen-Prozess im Herbst 1945 chen Einbettung der NS-Verbrechen und war. Eine szenische Lesung skizzierte mit nach der Funktionsweise der NS-Dikta- Texten von und über Irma Grese eine tur sollen hier verstärkt thematisiert zum Mythos gewordene Täterin und werden. ihre Beteiligung an den NS-Massen- verbrechen. Eine erfreulich große Nachfrage fand das erstmals umgesetzte Jahrespro- Vom Publikum gut angenommen wur- gramm für Fortbildungen. Die ganztägi- de auch die von der Gedenkstätte Bergen-­ gen Veranstaltungen richten sich an Belsen konzipierte Wanderausstellung schulische wie außerschulische Multipli- „Roter Winkel. Politische Häftlinge im kator_innen und bilden vielfältige Themen KZ Bergen-Belsen“, die 2018 in der KZ- der historisch-politischen Bildungsarbeit Gedenkstätte Schillstraße in Braun- ab. Das offensive Fortbildungsangebot schweig, im Museum Lüneburg und in wurde darüber hinaus vielfach auch von der Gedenkstätte Ahlem gezeigt wurde. Studienseminaren oder anderen Lern- gruppen nachgefragt. Mit der Verleihung des Max-Herr- mann-Preises an die Arbeitsgemein- Die finanzielle Förderung des Landes schaft der Gedenkstättenbibliotheken Niedersachsen ermöglichte im Herbst wurde deren Arbeit im November 2018 2018 den ersten Teil des Begegnungs- 75 in Berlin öffentlich gewürdigt. Die Preis- programms für Studierende aus Nieder- verleihung trägt auch der spezifischen sachsen und der Region Perm (Russ- Bedeutung dieser Spezialbibliotheken land). Die Begegnung geht auf die 2017 Rechnung. So ist die Bibliothek der Ge- wiederaufgenommene Zusammenarbeit denkstätte Bergen-Belsen seit ihrem der Gedenkstätten für die Opfer politi- Aufbau Ende der 1980er Jahre in Nieder- scher Repression „Perm-36“ und Bergen-­ sachsen mittlerweile die Sammlung mit Belsen zurück, nachdem die Kooperation dem größten Bestand an Literatur zum 2015 aufgrund staatlicher Einflussnahme Gesamtspektrum der NS-Verfolgung in Perm vorübergehend erschwert wor- und ihren Folgen. den war. Die Studierenden widmen sich Erinnerungskulturen in Bezug auf Natio- Mit der Unterzeichnung der Mitbenut- nalsozialismus, Stalinismus und Zwei- zungsvereinbarung für das Gebäude tem Weltkrieg im deutsch-russischen M.B. 89 in der Niedersachsen Kaserne Vergleich. ist im Oktober 2018 nach vier Jahren Vorbereitung ein Meilenstein für die Ge- Die Bildungsarbeit der Gedenkstätte denkstätte Bergen-Belsen, insbesondere Bergen-Belsen möchte, ausgehend von für die weitere Arbeit der Abteilung Bil- der Geschichte des Ortes, mit ihren An- dung und Begegnung, erreicht worden. geboten und Veranstaltungen Prozesse Das Gebäude und das umliegende En- der Auseinandersetzung und Aufklärung semble sollen in den kommenden Jah- anregen. Aktuelle gesellschaftliche Dis- ren als weiterer Ausstellungs- und Lern- kurse motivieren viele Veranstaltungs- ort der Gedenkstätte wahrnehmbar teilnehmende wie Besucher_innen der werden. Am 74. Jahrestag der Befreiung Gedenkstätte dazu, eigene Standpunkte des KZ Bergen-Belsen wird die von Stu- im Sinne eines ethisch fundierten und dierenden der Universität Hannover er- kritischen Geschichtsbewusstseins zu arbeitete Ausstellung zu Wehrmacht finden und reflektierte Haltungen und his- und Kriegsverbrechen in M.B. 89 eröff- torisches Urteilsvermögen auszubilden. net. Des Weiteren wird eine digitale Re-

Gedenkstätte Bergen-Belsen Die Wanderausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“

Diana Gring

76 Die Gedenkstätte Bergen-Belsen hat Projektentwicklung ten und liegen noch längst nicht für alle erstmalig den jüngsten Opfern des Kon- Gruppen, Orte und Phasen der Verfol- zentrationslagers eine Ausstellung gewid- Die öffentliche und wissenschaftliche gung von Kindern vor. met. Erzählt wird die Geschichte der etwa Hinwendung zu Kindern als den jüngs- 3.500 Häftlinge unter 14 Jahren, die ten Verfolgten des nationalsozialisti- Das KZ Bergen-Belsen nahm im Sys- zwischen 1943 und 1945 im KZ Bergen-­ schen Regimes begann relativ spät und tem der Konzentrationslager insofern eine Belsen inhaftiert waren. Auf breiter ist erst in den letzten Jahren maßgeblich Sonderstellung ein, als dass es dort nicht Quellengrundlage und mit einem weit intensiviert worden. Über einen langen nur relativ viele Kinderhäftlinge gab, son- gespannten Themenspektrum stellt die Zeitraum hatte man die Kinder nicht als dern auch verhältnismäßig viele, die über- Wanderausstellung die spezifischen Le- eigenständige Gruppe wahrgenommen lebten.2 In den letzten Jahren hat die bensbedingungen und Verhaltensweisen und ihnen ihre spezifischen Erinnerun- Gedenkstätte Bergen-Belsen aus die- der Kinder in den Mittelpunkt. Die meis- gen weitestgehend abgesprochen. Kin- sem Grund die Kinderhäftlinge zu einem ten Jungen und Mädchen wurden als Ju- derhäftlinge haben in allen nationalsozi- Schwerpunkt in ihrer Forschungs- und den verfolgt, andere gehörten zur Gruppe alistischen Konzentrationslagern nur Sammlungstätigkeit gemacht. Die Grund- der Sinti und Roma oder waren zusam- wenige Spuren und historische Quellen lagen dazu schuf Dr. Thomas Rahe bereits men mit ihren Müttern zur Zwangsarbeit hinterlassen. Sofern sie nicht unmittel- in den 1990er Jahren mit mehreren Auf- verschleppt oder aus politischen Gründen bar der systematischen Vernichtung zum sätzen zum Thema.3 Durch die lebensge- inhaftiert worden. Ungefähr 200 Kinder Opfer gefallen sind, war ihr Überleben schichtlichen Interviews mit Überleben- kamen im KZ Bergen-Belsen zur Welt. innerhalb des Lagersystems meist nur den, die seit 1999 an der Gedenkstätte Etwa 600 Kinder brachte die SS dort um eine Frage des Zufalls oder Glücks, der ihr Leben. solidarischen Bemühungen von Mithäft- 2 Siehe zum historischen Hintergrund und zum aktuel- len Forschungsstand: Diana Gring / Thomas Rahe: Kin- Zwischen April und September 2018 lingen oder der Berechnung der SS. Die der als Häftlinge im KZ Bergen-Belsen, in: Jahresbericht wurde die Ausstellung unter dem Titel Quellenlage zu dieser jüngsten Häft- 2017. Schwerpunktthema: Kindheit im Nationalsozialis- mus. Hg. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, begleitet lingsgruppe ist im gesamten Forschungs- Celle 2017, S. 38-43; ebd: Kinder im KZ Bergen-Belsen, in: Kinder im KZ Bergen-Belsen. Begleitheft zur Ausstel- von einem umfangreichen Programm und und Gedenkstättenbereich eher lücken- lung. Hg. Jens-Christian Wagner, Celle 2018, S. 60-65. unter großem Interesse der Öffentlichkeit, haft und disparat, wie auch ein wissen­- 3 Siehe z.B.: Thomas Rahe: Jüdische Waisenkinder im im Forum der Gedenkstätte gezeigt.1 schaftlicher Workshop zeigte, der bereits Konzentrationslager Bergen-Belsen, in: Dachauer Hefte 14 (1998), S. 31-49; ebd.: „Ich wusste nicht einmal, dass 2013 in der Gedenkstätte Bergen-Belsen ich schwanger war“. Geburten im KZ Bergen-Belsen, in: 1 Teilpassagen des folgenden Textes erschienen zuerst durchgeführt wurde. Monografisch an- Claus Füllberg-Stolberg u.a. (Hg.): Frauen in Konzentra­ im Gedenkstätten-Rundbrief, Hg. Stiftung Topografie tionslagern. Bergen-Belsen – Ravensbrück, Bremen 1994, des Terrors, Nr. 192/2018, S. 11-20. gelegte Untersuchungen sind eher sel- S. 147-155. geführt werden, konnten in den vergan- konnten durch Recherchen in anderen In- gration und die Objekthandhabung als 77 genen Jahren die Erfahrungen und Erin- stitutionen und Archiven weitere wichtige bestes Konzept. nerungen einer Vielzahl von ZeitzeugIn- Erkenntnisse gesammelt und eindrucks- nen aufgenommen werden, die als Kind volle historische Bild-, Ton- und Textdoku- In den kommenden Monaten wurde in Bergen-Belsen waren. Unter den ak- mente gefunden werden. die Ausstellung in enger Zusammenar- tuell 453 audiovisuellen Interviews im beit zwischen dem Team der Gedenk- Bestand der Gedenkstätte befinden sich Produktion stätte Bergen-Belsen5 und der Firma IT’S 125 Interviews mit Child Survivors der ABOUT entwickelt und realisiert. Der Jahrgänge 1930 bis 1945. Dieser Bestand Nach den erfolgten Finanzierungszu- rege Austausch zwischen den Historike- und seine inhaltliche Auswertung liefer- sagen von der Bundesbeauftragten für rInnen und den GestalterInnen über in- ten ganz wesentliche Grundlagen für die Kultur und Medien und der Klosterkam- haltliche Strukturierung und Proportio- Erarbeitung einer Sonderausstellung zur mer Hannover für das Projekt konnte ein nierung, über den Einsatz grafischer und Thematik der Kinderhäftlinge und der beschränkter Wettbewerb mit fünf re- gestalterischer Elemente, über die Ob- Child Survivors.4 Gleiches gilt für die ent- nommierten Gestalterbüros durchge- jektdarstellung usw. erwies sich für alle sprechende Exponat- und Objektsamm- führt werden. Im Sommer 2017 wurde Beteiligten als bereichernd und gewinn- lung der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die Charlotte Kaiser mit ihrer Firma IT’S bringend und half, gemeinsam zu einem zunächst noch privilegierte Stellung der ABOUT (Berlin) als Gewinnerin gekürt. optimalen Ergebnis zu kommen. jüdischen Geiselhäftlinge im „Austau- Ihr Gestaltungsentwurf überzeugte schlager“ des KZ Bergen-Belsen erlaubte durch eine klare, nüchterne, zurückge- Parallel zur Ausstellung entstand eine den persönlichen Besitz von Büchern, nommene Formgebung, bei der jedoch projektbezogene Website, die im April Kleidung, Schreibutensilien, Spielzeug die dem Thema immanente Emotionali- 2018 gelaunched wurde. Unter dem Link etc., so dass in den vergangenen Jahren tät und der Aspekt der Individualität der www.kinder-in-bergen-belsen.de befin- einige dieser erhalten gebliebenen Origi- Opfer durch ein entsprechendes Farb- den sich in deutscher, englischer und nalobjekte von Child Survivors der Ge- und Grafikkonzept eingebunden wurden. niederländischer Sprache die wesentli- denkstätte übergeben wurden. Zusätzlich Die Jury bewertete das präsentierte En- 5 Zum Ausstellungsteam gehörten Dr. Jens-Christian semble aus Pult-, Hänge- und Standele- Wagner (als Projektleiter), Diana Gring (als Kuratorin), 4 Siehe auch: Diana Gring: Zwischen „Familie im La- menten für den Kapitelablauf, mit einem Dr. Thomas Rahe (als wissenschaftlicher Leiter der Ge- ger“ und „Lagerfamilie“. Kinder und ihre familiären Be- denkstätte) und Tessa Bouwman (als Volontärin). ziehungen in Videointerviews mit Child Survivors des Quader als Form des Gedenkens an die Konzentrationslagers Bergen-Belsen, in: Habbo Knoch / ermordeten Kinder sowie mit den prä- Plakat der Ausstellung • Gestaltung: It’s About Thomas Rahe (Hg.): Bergen-Belsen. Neue Forschungen, Göttingen 2014, S. 124-149. sentierten Lösungen für die Medieninte- Blick in die Ausstellung • Martin Bein

Gedenkstätte Bergen-Belsen 78 chen Informationen zur Ausstellung wie Die ersten beiden Kapitel der Ausstel- Stichworte gibt es einen filmischen Zu- ein Veranstaltungskalender, eine Foto­ lung führen in die Thematik ein und schaf- sammenschnitt mit Ausschnitten aus In- galerie, ausgewählte Pressematerialien, fen einen kontextuellen Rahmen. Das Ka- terviews. In jedem der fünf thematischen Beispiele der Berichterstattung sowie pitel „Kinder im Nationalsozialismus“ Blöcke befindet sich eine Medienstation, Hinweise auf zugehörige Produkte und informiert über die Inklusion und Exklusi- auf der jeweils vier Filme abrufbar sind. für Leihnehmer. Auch ein Begleitheft zur on von Kindern und skizziert kurz die Ver- In den zugehörigen Objektvitrinen sind Ausstellung entstand in deutscher und folgtengruppen, zu denen Minderjährige Repliken von einen Kinderschuh, einer englischer Sprache, ebenso wie eine gehörten. Ein Abriss der Lagergeschichte Puppe, einem Henkeltopf, einem Notiz- pädagogische Materialbox. und eine Übersicht zu den Kinderhäftlin- buch und einem Paar Kinderhandschuhe gen in diesem Lager bestimmen das Kapi- ausgestellt. Diese Nachbildungen sind Struktur und Inhalt tel „KZ Bergen-Belsen“. bewusst „neutralisiert“ hinsichtlich Far- be und Textur und eher als ein „Zitat des Die Ausstellung ist multiperspekti- Das Herzstück der Ausstellung stellen Objekts“ zu verstehen. visch angelegt und basiert auf einem fünf thematische Kapitelblöcke dar, in breiten Spektrum von Bild- und Text- denen die spezifische Lebenssituation Das nächste Kapitel informiert über quellen, das von Dokumenten, Häftlings- und die Erfahrungsräume von Kindern die Situation der überlebenden Kinder tagebüchern, Zeichnungen und Fotos im Lager vermittelt werden. Diese rei- nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen bis zu Erinnerungsberichten und wenige chen von der Beschreibung äußerer Be- im April 1945. Eindrückliche Tonquellen Tage nach der Befreiung entstandenen dingungen wie „Unterkunft“ oder „Klei- beinhalten russische und niederländi- Ton- und Filmaufnahmen reicht. Einen dung“ bis zu Aspekten des sozialen sche Gesänge und kurze Interviews, die wesentlichen Bestandteil der Ausstel- Lebens wie „Familie“, „Waisen“ oder ein britischer Journalist mit einigen Kin- lung bilden bislang weitestgehend un- „Hilfe“. Beleuchtet werden kindspezifi- dern im befreiten Lager aufgenommen veröffentlichte Ausschnitte aus Videoin- sche Themen wie „Schule“ und „Spiel“ hat. Thematisiert werden die medizini- terviews mit Child Survivors des KZ sowie psychische Reaktionsformen wie schen und sozialen Rehabilitationsmaß- Bergen-Belsen, die einen Einblick in die „Angst“, „Hoffnung“ oder „Phantasie“. nahmen, vor allem für die Waisenkinder, spezifischen Formen ihrer Wahrnehmun- Ebenso wird auf existenzgefährdende im Nothospital und im DP-Camp Bergen-­ gen und Reaktionen auf die Lebensbe- Faktoren wie „Hunger“, „Krankheit“ und Belsen bis Juni 1945. dingungen im Konzentrationslager „Gewalt“ eingegangen. Die Überleben- geben. den selbst schildern ihre damaligen Er- Eine Ausstellungsinstallation ist den lebnisse und Erinnerungen: Zu jedem der Hunderten Kindern gewidmet, die im KZ Bergen-Belsen um ihr Leben gebracht sind jeweils zeitgenössische Fotos aus sonders wichtiges und eindrückliches 79 wurden. An einem Quader mit umlau- der Verfolgungszeit und der Gegenwart. Ereignis, da sie zum ersten Mal über- fenden Monitoren sind Fotos und Tafeln Die Kinder von damals sind heute Men- haupt mit ihrer Lebensgeschichte eine mit kurzen biografischen Angaben zu schen in ihren siebziger und achtziger öffentliche Wahrnehmung und Würdi- den Verstorbenen zu sehen. Die Überlie- Lebensjahren. Die Beschäftigung mit gung erfuhren. ferung zur Identität dieser Kinder ist in ihrem besonderen Schicksal ist immer vielen Fällen nur bruchstückhaft, so gibt auch ein Wandeln zwischen Damals und Die Eröffnungsansprachen hielten es beispielsweise fast keine Angaben Heute, eine Bewegung auf verschiede- Hans-Christian Biallas, Präsident der und keinerlei Fotomaterial über sowjeti- nen Zeitebenen. Vierzehn Biografien Klosterkammer Hannover, und Wepke sche Kinder. Im Loop der Tafeln wird da- sind in Medienanwendungen über zwei Kingsma, Botschafter der Niederlande her immer wieder „Name unbekannt“ Touchscreens aufrufbar und geben Ein- in Deutschland, bevor Diana Gring in- eingeblendet, um an die Überlieferungs- blicke in Lebensläufe und Lebensstatio- lücken zu erinnern. nen der Kinderüberlebenden. Blick in die Ausstellung • Martin Bein

Pressekonferenz mit der Überlebenden Lous Steenhuis- Dem Ausstellungsteam war es wich- Eröffnung und Begleitprogramm Hoepelman, die als Vierjährige die Konzentrationslager Westerbork, Bergen-Belsen und Theresienstadt überlebte, tig, die Erzählung über die Kinderüberle- 13. April 2018 • Tessa Bouwman benden bis in die Gegenwart zu ziehen. Am 15. April 2018, dem 73. Jahrestag Eröffnungsveranstaltung, Ansprache von Wepke Kingma, So behandelt das nächste Kapitel die der Befreiung des KZ Bergen-Belsen, Botschafter der Niederlande, 15. April 2018 • Helge Krückeberg Child Survivors von Bergen-Belsen: ihre wurde die Sonderausstellung in feier­ Suche nach Familie und Identität, ihr lichem Rahmen in der Gedenkstätte Besucherandrang am Eröffnungstag, 15. April 2018 • Martin Bein Leben mit dem Trauma und ihr Weiter­ Bergen-Belsen im Beisein von 21 Child Der Überlebende Gerd Klestadt mit seiner Ehefrau leben mit der Erinnerung bis heute. Ex- Survivors eröffnet. Die Überlebenden Charlene (l.) und Diana Gring, Kuratorin der Ausstellung, emplarisch liegen zudem in einem Re- der Jahrgänge 1930 bis 1945 waren zu 15. April 2018 • Helge Gaudlitz galelement rund 20 Autobiografien und diesem Anlass aus den USA, den Nie- Die Überlebenden Susanna Christensen aus Schweden (links) und Julius Maslovat (Mitte) aus Kanada beim Bücher von Child Survivors des KZ derlanden, Australien, Kanada, Israel, Anschauen ihrer Biografien in einer Medienanwendung, Bergen-Belsen zur Lektüre bereit. der Schweiz, Luxemburg, der Slowakei, 15. April 2018 • Helge Gaudlitz Frankreich und Deutschland mit ihren Gershon Willinger, der als Kleinkind drei Konzentrations- lager überlebte, kam aus Kanada, um bei der Eröffnung Ein großer Screen führt mit Schwarz- Angehörigen angereist. Für einige der dabei zu sein. • Martin Bein weiß-Porträtbildern der Child Survivors Überlebenden war die Präsentation ihrer Nachbildung einer Lumpenpuppe aus dem KZ Bergen- in das Kapitel „Biografien“ ein: Zu sehen Biografie in der Ausstellung ein ganz be- Belsen. • Werner Musterer

Gedenkstätte Bergen-Belsen 80 haltlich in die Ausstellung einführte. Be- Dr. Peter Lantos, geboren 1939 in Un- Forschungsergebnisse aus den Bereichen sonders positiv überrascht wurden das garn und Überlebender des KZ Bergen- Inklusion und Exklusion von Kindern im Ausstellungsteam und die Gäste von Belsen, kam für eine Lesung und ein Zeit- NS-Regime, die das Ausstellungsthema in dem großen Interesse der Öffentlichkeit zeugengespräch aus London in die einen größeren gesellschafts- und sozial- und dem Medienecho. Im Vor- und Gedenkstätte. Seine Autobiografie „Von geschichtlichen Kontext einbetteten. Nachgang zur Eröffnungsveranstaltung Ungarn nach Bergen-Belsen und zurück. gab es eine umfangreiche regionale und Eine Zeitreise“, verfasst 2006, erschien Stationen überregionale Berichterstattung in Fern- kürzlich in deutscher Sprache in der Schrif- sehen, Hörfunk, Internet und den tenreihe der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die Mahn- und Gedenkstätte Ravens- Printmedien. Der Regisseur Celino Bleiweiss, Jahr- brück war die zweite Station für die gang 1937, wurde nach der Ermordung Wanderausstellung. Dort fand am 13. Ok- Als Begleitprogramm fanden von April seiner Eltern 1943 mit einer falschen Iden- tober 2018 in einem feierlichen Rahmen bis September 2018 verschiedene Veran- tität in das KZ Bergen-Belsen deportiert. die Eröffnung statt. Die inhaltlich-thema- staltungen zum Ausstellungsthema Er zeigte seinen Spielfilm „Mein blauer tische Verbindung zum KZ Ravensbrück statt. Das Recherche-Theater-Projekt Vogel fliegt“ (DDR 1975) über eine Gruppe ist insofern sehr eng, als dass viele Kin- „Das Tagebuch des János Reisz“ richte- polnischer Jugendlicher im Konzentrati- derhäftlinge sowie schwangere Frauen te sich an Jugendliche. Es erzählt die Ge- onslager und beantwortete danach Fra- und Mütter mit Kleinkindern im Frühjahr schichte von Jovan Rajs, der im Alter gen zu seiner besonderen Lebensge- 1945 von dort in das Frauenlager des KZ von elf Jahren in das KZ Bergen-Belsen schichte und seinem künstlerischen Werk. Bergen-Belsen deportiert worden wa- deportiert worden war und dort ein Ta- ren. Bis Ende März 2019 war die Aus- gebuch verfasste. Der Zeitzeuge war bei Zudem fand in der Gedenkstätte Ber- stellung in Ravensbrück zu sehen, be- der Aufführung anwesend und stand für gen-Belsen ein wissenschaftlicher Work- gleitet von einem wissenschaft­lichen Fragen zur Verfügung. shop in Kooperation mit der Gedenkstätte Colloquium und Lesungen zum Thema Am Internationalen Museumstag Neuengamme zum Thema „Zwischen Ver- Kinderhäftlinge. stand die Sonderausstellung im Mittel- folgung und ‚Volksgemeinschaft‘. Kindheit punkt: Bei KuratorInnenführungen wur- und Jugend im Nationalsozialismus“ Vom 12. April bis 29. September 2019 den einzelne Themen, Exponate und statt.6 Vorgestellt und diskutiert wurden präsentiert das renommierte Historische Biografien vorgestellt und Einblicke in und Völkerkundemuseum Sankt Gallen 6 Die Tagungsinhalte sollen 2019 in einem Themenheft die Forschungs- und Entwicklungsge- der „Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen (Schweiz) die Ausstellung. Das Begleit- schichte des Projekts gegeben. Verfolgung“ (Hg. KZ-Gedenkstätte Neuengamme) veröf- programm umfasst dort verschiedene fentlicht werden. Veranstaltungen mit Child Survivors des Häftlingen des Konzentrationslagers Die Begegnungen und Gespräche mit KZ Bergen-Belsen und zu den stadtge- Bergen-Belsen zu vermitteln und zu ver- den Zeitzeug_innen fanden an 14 Schu- schichtlichen Bezügen. Weitere Präsenta- deutlichen, wie diese Verfolgungserfah- len in der Region, darunter Oberschulen, tionsorte in der Schweiz und in Deutsch- rungen das weitere Leben geprägt ha- Gymnasien, berufsbildende Schulen wie land befinden sich in der Planung. ben. Schüler_innen können sich in Integrative Gesamtschulen; dem Studi- Kleingruppen oder individuell mit den enseminar Celle für das Lehramt an Doreen Krohne, Joachim Kasten, Quellen beschäftigen, Differenzierungen Gymnasien; dem Niederländischen Tra- Tessa Bouwman: Bildungsmaterial nach Lerngruppen sind ohne weiteres ditionsverein Bergen e.V.; der Fachschule „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ möglich. Die Materialsammlung kann im der Luftwaffe in Faßberg sowie in der Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Niedersachsen Kaserne statt. Die Ge- Die Bildungsmaterialien „Kinder im KZ Nationalsozialismus sowohl als Einstieg spräche wurden in englischer, niederlän- Bergen-Belsen“ entstanden im Kontext in das Thema als auch zur inhaltlichen discher und deutscher Sprache geführt. der gleichnamigen Sonderausstellung der Vertiefung im Laufe des Unterrichtspro- Zur Vorbereitung der Treffen wurden Gedenkstätte Bergen-Belsen zu diesem zesses verwendet werden. den Einrichtungen Kurzbiografien der Thema. In der Materialsammlung sind so- 2018 wurden bereits zwei Fortbildun- Gesprächspartner_innen zur Verfügung wohl Text- als auch Bildquellen enthalten. gen für Lehrer_innen zu dem Material gestellt und Hinweise gegeben, wie die und dem Thema Kinder im KZ Bergen- Teilnehmenden Fragen formulieren und Die Grundidee hinter dem vorliegenden Belsen durchgeführt, wobei die Reaktio- an die Überlebenden stellen können. Die Material besteht darin, die Aussagen der nen der Teilnehmenden durchweg sehr Gäste wurden von Mitarbeiter_innen der Häftlinge bzw. Überlebenden in alltägli- positiv waren. Für das kommende Jahr Gedenkstätte begleitet und die etwa neun- che Tätigkeiten zu klassifizieren. Folgende stehen weitere Fortbildungstermine auf zig Minuten langen Gespräche wurden Tätigkeitsbereiche sind zur Gliederung dem Programm. durch diese moderiert. Für die Teilneh- des Materials herangezogen worden: menden, die die Gedenkstätte im Vorfeld essen und trinken; fühlen; helfen; hoffen, Katrin Unger: Zeitzeug_innen im Dialog – des Gespräches bereits besucht hatten, wünschen, feiern; leben; leiden; lernen Ein Begegnungsprogramm wurde durch die Begegnung das Wissen und spielen; sterben; und dann …? Diese zur Geschichte des Konzentrationslagers ausgewählten Tätigkeitsbereiche geben Mit dem nahenden Ende der Zeitzeug_ Bergen-Belsen um die Perspektive der zentrale Bedürfnisse von Kindern gemäß innenschaft sind Begegnungen mit Über- jeweiligen biografischen Erinnerung er- der Bedürfnispyramide des US-amerika- lebenden der nationalsozialistischen Ver- weitert. In den Gesprächen entstanden nischen Psychologen Abraham Harold folgung immer weniger präsent. In der für alle Beteiligten bewegende und ein- Maslow (1908- 1970) wieder. Ausgewählte Bildungsarbeit der Gedenkstätten ist drucksvolle Momente. Quellen wurden den Bereichen zugeord- dies in den letzten Jahren vermehrt Das Besuchsprogramm der Gäste en- net, um den Schüler_innen einen themati- wahrnehmbar, obwohl Begegnungen dete mit einem Get Together in der Ge- schen Zugang zu bieten. Ergänzt werden und Gespräche mit Zeitzeug_innen aus denkstätte Bergen-Belsen. Diese hatte die historischen Quellen durch 20 Biogra- verschiedenen Gründen an nur sehr we- neben den Überlebenden und ihren An- 81 fien von Child Survivors des Konzentrati- nigen Orten eine Art Standardrepertoire gehörigen, Kooperationspartner_innen onslagers Bergen-Belsen, um so auch die waren. Vielen Überlebenden ist es ein und Mitarbeiter_innen der Stiftung nie- Möglichkeit eines biografischen Zugangs großes persönliches Anliegen, ihre Le- dersächsische Gedenkstätten eingela- zu schaffen. bens- und Leidensgeschichten zu erzäh- den. Es gab Zeit, die vielen Eindrücke len und somit zu bewahren und weiterzu- der vergangenen Tage Revue passieren Selbstzeugnisse von Häftlingen sind geben. Auch aus diesem Grund werden zu lassen, sich die erstellte Dia-Show an- in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte autobiografische Zeugnisse in videogra- zusehen, Erinnerungen fotografisch fest- Bergen-Belsen von zentraler Bedeutung. fierten lebensgeschichtlichen Interviews zuhalten, an frühere Begegnungen anzu- Für das publizierte Material wurden da- festgehalten und beispielsweise in Aus- knüpfen und neue Kontakte entstehen zu her zum einen Auszüge aus Zeitzeug_in- stellungen gezeigt. Diese persönlich vor- lassen. Für viele noch nicht lange in der nenberichten von damals erwachsenen getragenen Erlebnisberichte sind ein Gedenkstätte Bergen-Belsen Tätige wa- Häftlingen ausgewählt, die aus ihrer Per- Zugang zur Auseinandersetzung mit ren die Begegnungen in diesen Tagen spektive über die Situation von Kindern Geschichte und strahlen für die Zuhören- ein Kennenlernen der Personen, über die in Bergen-Belsen berichten. Zum ande- den häufig besondere Beweiskraft aus. sie in Bildungsveranstaltungen berich- ren enthält es Zitate aus Interviews und Sie machen die oft abstrakten histori- ten oder die sie bisher selbst nur aus schriftlichen Erinnerungsberichten von schen Ereignisse trotz oder wegen der lebensgeschichtlichen Videointerviews Child Survivors des Konzentrationsla- subjektiven Darstellung (be-)greifbarer. oder biografischen Zeugnissen kannten. gers Bergen-Belsen, die in den letzten Die Anwesenheit von mehr als zwanzig Wir alle haben uns sehr über das Ken- Jahrzehnten geführt wurden und die vor Kinder-Überlebenden des KZ Bergen-­ nenlernen und das Wiedersehen gefreut allem die Folgen der Verfolgung ein- Belsen zur Eröffnung der Ausstellung und hoffen, dass es solche Gelegenhei- drucksvoll widerspiegeln. Daneben ent- „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ ermög- ten alsbald wieder gibt. hält das Material Bildquellen wie Fotos, lichte in den Tagen rund um die Gedenk- Zeichnungen und Dokumente, die größ- feier am 15. April 2018 zahlreiche Begeg- tenteils von Überlebenden zur Verfügung nungen und Gespräche mit Zeitzeug_innen gestellt wurden. und ihren Angehörigen. Die Gäste nah- Ziel der vorliegenden Materialauswahl men zumeist lange Anreisen nach Celle Kinderüberlebende des KZ Bergen-Belsen, die am ZeitzeugInnen-Programm teilgenommen haben, ist es, Schüler_innen der Sekundarstufen in Kauf und der Dank der Gedenkstätte 17. April 2018. • Jesco Denzel I und II – unabhängig von der jeweiligen Bergen-Belsen geht an die Spender_in- Box mit pädagogischen Materialien zu „Kinder im KZ Schulform – die Lebensbedingungen von nen, die diese Besuche finanziell ermög- Bergen-Belsen“ • Diana Gring licht haben. Gedenkstätte Bergen-Belsen Digitale Zugänge der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Stephanie Billib

82 Um eigene Erfahrungen – vor allem lung der Ortsgeschichte nur beiläufige Informationen und Erfahrungen nahe- aus dem Vermittlungskontext – mit aktu- Erwähnung findet. bringen können, die zu einem größeren ellen wissenschaftlichen Diskursen im Solche persönlichen und gesellschaft- Verständnis der Geschichte des Ortes Themenfeld des Digitalen zu verschrän- lichen Tendenzen festzustellen und führen. Was davon ist ein sinnvolles ken und auch die Entwicklung von An- sichtbar zu machen, ist Aufgabe der eu- Hilfsmittel vor Ort und wo ist der Zu- wendungen daraus mitgestalten zu kön- ropäischen Projektpartner. Auf einer ge- gang über das Onlineangebot der Ge- nen, war die Gedenkstätte in diesem meinsamen Plattform sollen entspre- denkstätte geeignet? In dieser ersten Jahr an zwei internationalen Projekten chende Aspekte der einzelnen Orte Projektphase wurden Ideen gesammelt beteiligt. wahrnehmbar werden, bestimmte Mus- und kleinere Ansätze umgesetzt. So ent- Im EU-geförderten Projekt iC-ACCESS ter werden ortsunabhängig oder -über- standen zum Beispiel kurze Wegstrecken geht es um verschiedene Stränge der Er- greifend deutlich. Mit digitalen Rekonst- mit 360-Grad Fotografie, die nun mit Do- innerung an die Geschehnisse an einem ruktionen der verschiedenen Lagerorte kumenten verknüpft werden können und Ort. Untersucht werden mehrere histori- werden eine räumliche Orientierung und dann auf der Website angeboten wer- sche Orte in ganz Europa, dazu gehören ein Verständnis der Örtlichkeit ermög- den. Ebenfalls im Entstehen ist eine klei- Westerbork, Bergen-Belsen, Treblinka, licht. Über Hinweise auf Quellen und ne Sound-App, die bauliche Strukturen Jasenovac, Falstad, Lety und Jachimov. Materialien sollen Nutzende der Platt- in Geräuschen darstellt. So könnten Ele- Die Erinnerung an unterschiedliche, sich form inspiriert werden, verschiedene mente wie Zäune oder Baracken über zum Teil überlagernde Phasen der Ver- Perspektiven kennenzulernen und die Geräusche auch für Sehbeeinträchtigte folgung und Unterdrückung ist nicht ho- Konstruktion von anerkannter Erinne- die Vorstellung von den physischen Di- mogen, sondern knüpft an persönliche rung zu entschlüsseln. Die Plattform soll mensionen des Lagers erleichtern. und kollektive Erklärungsmuster an. Da- zum Ende der Projektlaufzeit im Oktober Wie bereits bei der Entwicklung der Ta- bei werden manche Aspekte einer Orts- 2019 online gestellt werden. blet Application ist es auch bei diesen bei- geschichte heruntergespielt, verdrängt, Darüber hinaus war die Gedenkstätte den und zukünftigen Projekten das Bestre- ausgeblendet oder heroisiert und be- im britischen Projekt ‚Virtual Holocaust ben der Gedenkstätte Bergen-Belsen, die tont. Das kann zum Beispiel in Bergen- Memoryscapes‘ beteiligt, das sich auf Möglichkeiten digitaler Angebote auszulo- Belsen die Geschichte der sowjetischen Neuengamme und Bergen-Belsen als ten und ihre Form und Einsatzmöglichkei- Kriegsgefangenen sein, die im Bewusst- von britischen Truppen befreite Orte be- ten selbst mitzugestalten und zu prägen. sein vieler Besuchender nicht verankert zieht. Hier geht es um die Frage, in wel- ist oder die Existenz des Lager für Mo- cher Form digitale Hilfsmittel und An- Bergen-Belsen Tablet App • Stephanie Billib lukken in Westerbork, das in der Darstel- wendungen dem Besuchenden Rauminstallation Westerbork • Stephanie Billib Demokratie – Wo und wie?

Leyla Ferman

Das Jugendforum Bergen, in dem fast 20 Jugendliche zwischen 14 und 27 Jah- ren mitarbeiten, will die Interessen von Jugendlichen in Bergen umsetzen. Ge- meinsam mit der Gedenkstätte Bergen- Belsen und der Stadt Bergen hat das Ju- gendforum am 26. August den ersten „Tag der Vereine – Verein(t) in Bergen“ auf dem Friedensplatz und dem Markt- platz in Bergen veranstaltet. Mehr als zwanzig Vereine, unter anderem aus den Bereichen Kultur, Sport, Frauen und Reli- gion, konnten mehr als 500 Besucher_in- nen ihre Angebote vorstellen. Angeregt vom Jugendforum Bergen setzte die Partnerschaft für Demokratie am 25. Juni mit verschiedenen Träger_innen einen methodisch und didaktisch vielfältigen Workshop-Tag mit den 8. Klassen der Im mittlerweile zweiten Jahr besteht innen der Hinrich-Wolff-Schule und der Anne-Frank-Oberschule um. In den 83 die im Bundesprogramm „Demokratie le- Eugen-Naumann-Schule. Durch Einzel- Workshops wurde zu den Themen ben!“ geförderte „Partnerschaft für De- und Gruppenangebote konnten persönli- Rechtsextremismus, Cyber-Mobbing, mokratie in Bergen“. Dabei handelt es che Stärken der Kinder gefördert und ein Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus sich um eine Kooperation zwischen der Gemeinschaftsverhalten erreicht wer- sowie Diversität gearbeitet. Gedenkstätte Bergen-Belsen und der den. Empathiefähigkeit fördern, aufein- 2019 wollen der Begleitausschuss und Stadt Bergen, die im Rahmen des Bun- ander zugehen, sich wertschätzen und das Jugendforum Kinderrechte in den desprogramms „Demokratie leben!“ vom tolerieren – das sind Ziele verschiedener Fokus ihrer Arbeit rücken. Das Jugend- Bundesministerium für Familie, Senioren, Projekte: Die Evangelische Jugend St. forum plant zudem ein Konzert für Viel- Frauen und Jugend gefördert wird. Das Lamberti Bergen hat mit ihrem Projekt falt mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Projekt zielt darauf ab Demokratie und „We4All“ Tools zur Förderung von Wie in diesem Jahr sollen für diese Pro- Teilhabe zu fördern, Diskriminierung ab- Teamfähigkeit und interkulturellen Kom- jekte wieder Menschen aus der lokalen zubauen und Rechtsextremismus vorzu- petenzen angeschafft und angewendet. Zivilgesellschaft gewonnen werden. beugen. Zu diesem Zweck wurden 2017 in Die Gedenkstätte Bergen-Belsen und die Bergen ein Begleitausschuss, bestehend Jugendfreizeitstätte „Bergwerk“ in Ber- www.demokratieinbergen.de aus zwölf Mitgliedern aus der Zivilge- gen haben einen Hochseilparcours ge- sellschaft, Verwaltung und Politik, sowie schaffen, um über den Ansatz der Erleb- ein Jugendforum gegründet. nispädagogik demokratisches Gemein­- schaftsverständnis zu fördern. Die Ge- „Ein starkes Ich in einer starken Grup- meinde der Eziden in Bergen e.V. suchte pe – in Vielfalt und Einheit“ – diese Defi- nach Geschichten in allen 13 Ortsteilen nition von Demokratie hat der Begleit- Bergens – denn die mutigen Geschich- ausschuss seinen Entscheidungen über ten von damals sind demokratische Er- die Bewilligung von Projektanträgen zu- rungenschaften von heute. Cybermob- grunde gelegt. Auf der 2. Demokratie- bing hetzt und schließt aus. Um sich konferenz am 18. Oktober wurden selbst davor zu schützen, aber auch um die bewilligten Projekte im Stadthaus anderen zu helfen, hat der Elternverein Teilnehmer_innen der 2. Demokratiekonferenz in Bergen Bergen vorgestellt. Der Caritasverband der Anne-Frank-Oberschule im Rahmen im Oktober 2018. • Leyla Ferman. Celle Stadt und Land e.V. erreichte mit eines Workshops Schüler_innen und El- Ankündigung für einen Workshop-Tag an der Anne- „Eine Welt der Vielfalt“ Grundschüler_ tern erreicht. Frank-Oberschule Bergen, Juni 2018. • Leyla Ferman.

Gedenkstätte Bergen-Belsen Archiv und Dokumentation

Klaus Tätzler

84 Im Arbeitsbereich „Archiv und Doku- denkstätte. Der Zuwachs (82 Exponate) Außerdem wurden in allen Samm- mentation“ wurden im vergangenen in der musealen Sammlung durch Fund- lungsbereichen wieder zahlreiche Kor- Jahr 102 Besucher betreut. Davon waren stücke vom Gelände sowie durch Ankauf rekturen, Ergänzungen und Überarbei- etwa die Hälfte Studenten und Wissen- von seltenen historischen Dokumenten tungen bereits vorhandener Daten schaftler, die die Bestände der Gedenk- und Publikationen fiel durch die lange vorgenommen. stätte und die Beratungsmöglichkeiten Haushaltssperre in diesem Jahr geringer Viel Arbeitszeit wurde auch für die für verschiedene Forschungsprojekte als in den Vorjahren aus. Gleichwohl gab Mitarbeit an mehreren aktuellen Aus- wahrnahmen. Die weiteren Besucher es auch wieder einige sehr interessante stellungsprojekten verwendet, dazu teilten sich in sehr unterschiedliche Inte- Einzelobjekte, so erhielt die Gedenkstät- gehörten vor allem die Ausstellung ressengruppen auf, insbesondere kamen te beispielsweise eine historische Aus- „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, die viele Angehörige von britischen Solda- gabe des Kinderbuches „Cin-Cin“ als Begleitausstellung zum Theaterstück ten, die an der Befreiung des KZ Bergen- Geschenk der Familie Kucera aus der „Fesche Lola, brave Liesel – Marlene Belsen beteiligt waren, in die Gedenk- Slowakei, die nahezu identisch mit dem Dietrich und ihre verleugnete Schwes- stätte. Von einigen erhielt die Gedenk­- Exemplar ist, aus dem Lydia Kucera ih- ter“ im Celler Schlosstheater und die stätte Fotos und Dokumente für die rem Sohn Pavel im KZ Bergen-Belsen Ausstellung zum Slowakischen National­- Sammlungen. vorlas. Im Bereich der Aktensammlung aufstand. Zu den Alltagsaufgaben gehörte auch und der schriftlichen Augenzeugenbe- Vorwiegend ging es dabei um Recher- wieder die Beantwortung von ca. 500 richte wurden 18 bzw. 36 neue Datensät- che, Bereitstellung und Aufarbeitung schriftlichen und telefonischen Anfragen ze angelegt. Charakteristisch für die Zu- von Materialien und Rechteklärung, aber aus einem breiten Spektrum von sehr gänge in diesem Jahr ist vor allem der auch um Organisation, Gestaltung und unterschiedlichen Interessen – vom his- Umfang und die Vielfalt der Themen. Als die Vermittlung und Pflege von Kontak- torischen Detail bis hin zur Lieferung Beispiele sollen hier genannt werden: ten u.a. zu Überlebenden, Autoren, For- von Materialien. 2018 wurden etwa 900 das Tagebuch / Aufzeichnungen aus schern und Institutionen. Auch die Nach- neue Datensätze in den Archivdatenban- dem DP Camp Bergen-Belsen von Ra- bereitung der Ausstellungseröffnung ken angelegt. Davon entfiel der größte chela Bryk / Ray Kaner (über 150 Blatt) „Kinder im KZ Bergen-Belsen“ und der Teil, über 700, auf das Fotoarchiv, vor- und Rolf Wernstedts Sammlung zu Re- Gedenkveranstaltung im April waren wiegend bezogen sich die Erfassungen nata Laqueur, einer Überlebenden des sehr aufwendig und nahmen viel Zeit in auf Fotos zur Familiengeschichte ehema- KZ Bergen-Belsen. Dieses Konvolut ent- Anspruch, insbesondere die Zusammen- liger Häftlinge und DPs und auf die Do- hält vor allem Korrespondenz aus den stellung und der Versand von ausge- kumentation der Geschichte der Ge- 1980er bis in die frühen 2000er Jahre. wählten Fotos und des Pressespiegels. Im ersten Halbjahr 2018 waren durch- wortung von Anfragen Überlebender Jahr wurde die Arbeitsgemeinschaft der gehend PraktikantInnen im Arbeitsbe- und Angehöriger und für die wissen- Gedenkstättenbibliotheken (AGGB) aus- reich „Archiv und Dokumentation“ tätig. schaftliche Forschung hat sich dieser gezeichnet. Die Preisverleihung fand am Sie bedeuteten zwar einen erheblichen Aktenbestand in vielerlei Hinsicht für die 30. November 2018 im Dietrich-Bonhoef- Organisations- und Betreuungsaufwand, Arbeit der Gedenkstätte von herausra- fer-Saal der Staatsbibliothek Berlin statt. aufgrund ihrer Ausbildung und/oder ih- gender Bedeutung erwiesen. Iris Berben hielt die Laudatio, für den rer persönlichen Kenntnisse konnten Der materielle Zustand ist allerdings musikalischen Rahmen sorgte das Diplo- aber mit ihrer Unterstützung auch einige problematisch. Bei vielen Dokumenten matische Streichquartett. zusätzliche Arbeiten erledigt werden – war die Papierqualität ohnehin schon vor allem im Bereich der Inventarisie- sehr dürftig. Mittlerweile sind viele Ein- Die Preisträger 2018 rung und Übersetzung. So wurde z.B. zelblätter über 50 oder 60 Jahre alt und der „Nachlass Gundermann“, der aus häufig sehr fragil. Seit 2007 gibt es im- Die Arbeitsgemeinschaft der Gedenk- Unterlagen zur Gestaltung der ersten merhin die Möglichkeit, die Materialien stättenbibliotheken (AGGB) wurde 1998 Dauerausstellung der Gedenkstätte in den konservatorisch anspruchsvoll als offener Zusammenschluss von Bib- Bergen-Belsen von 1966 besteht, zum ausgestatteten Sammlungsräumen der liotheken von Gedenkstätten, Dokumen- ersten Mal systematisch erfasst und Gedenkstätte zu lagern, was unter ande- tationszentren, Forschungseinrichtun- verzeichnet. rem klimatische Kontrolle, kein natürli- gen und Geschichtsvereinen gegründet. Wie in den vergangenen Jahren konn- ches Licht und Zugänglichkeit nur bei Neben dem allgemeinen Ziel ein Forum ten auch wieder konservatorische Maß- Bedarf durch Archivpersonal bedeutet. zum fachlichen Austausch und zur Ko- nahmen an einigen gefährdeten Doku- Auf diese Weise konnte der drohende operation zu schaffen, war von Beginn menten durchgeführt werden. Verfall immerhin gravierend verlang- an ein zentrales Anliegen von allen Be- samt werden. teiligten die Entwicklung eines Online- Digitalisierung der Akten des Da die Notwendigkeit und Verpflich- Verbundkataloges. Auf diese Weise Irgun Sherit Hapleta tung zur Erhaltung des Bestandes aber sollten die häufig sehr spezifischen Be- weiterhin besteht, haben wir uns ent- stände miteinander vernetzt werden und Vor etwa zwanzig Jahren erhielt die schlossen, in den kommenden Jahren sowohl für die beteiligten Mitarbeiten- Gedenkstätte Bergen-Belsen einen um- zumindest eine Digitalisierung durchzu- den und Institutionen untereinander als fangreichen Aktenbestand aus dem führen. Ohne den Anspruch einer kon- auch für externe NutzerInnen als ein zu- Besitz des Irgun Sherit Hapleta, einer servatorischen Behandlung aufzugeben, sätzliches Instrument zur Orientierung in Organisation der Überlebenden des kann auf diese Weise zumindest erst ein- den Beständen und bei der Recherche Konzentrationslagers Bergen-Belsen in mal der Verlust der Inhalte verhindert dienen. Israel. werden. Aktuell sind im Verbund-Katalog 22 Es handelt sich um Entschädigungsak- Mit dem ZAC / Zentrum für Arbeit und der beteiligten Bibliotheken vertreten. ten von 2191 Einzelpersonen, die als Ju- Beratung Celle, einer Einrichtung der Le- Der Katalog wird regelmäßig aktualisiert den im KZ Bergen-Belsen und häufig benshilfe Celle, konnte ein kompetenter und ist ohne Beschränkungen für jeden 85 auch noch in anderen nationalsozialisti- Partner gefunden werden, der verläss- Nutzer über das Internet einsehbar schen Lagern gefangen gehalten, be- lich und kostengünstig bereit war, diese (aggb-katalog.de). droht, gedemütigt und misshandelt wur- Aufgabe zu übernehmen. Zudem erleich- Im Selbstverständnis der Mitarbeiten- den. Vorwiegend in den 1950er und tert die örtliche Nähe die Transportwege den verstehen sich die Bibliotheken auch 1960er Jahren bemühten sich die Betrof- und erlaubt nahezu jederzeit einen un- als ein Begegnungs- und Konfrontati- fenen um Hilfeleistungen und Entschädi- komplizierten und schnellen Zugriff auf onsort mit der Vergangenheit. gungszahlungen durch die Bundesrepu- die Bestände, die sich in Bearbeitung be- „Gedenkstättenbibliotheken sind also blik Deutschland. Viele wurden dabei finden. Bisher wurden die ersten zehn keineswegs Orte des Büchersammelns durch den Irgun Sherit Hapleta unter- der etwa 70 Kartons, die Einzelakten mit allein. Sie sind in ihrem Selbstverständ- stützt. Die Übergabe dieser Korrespon- jeweils ca. 50-70 Blatt enthalten, im ZAC nis wichtiger Bestandteil der Aufarbei- denzen war mit der Auflage verbunden, bearbeitet. Die vorliegenden Resultate tung und der Information für alle und sie zu erhalten, zu erschließen und für sind durchweg hervorragend, die Zu- wahrlich nicht zuletzt für die nächste Ge- die wissenschaftliche und familiäre sammenarbeit verläuft sehr gut. Eine neration, die keine Zeitzeugen mehr ken- Forschung bereitzustellen. zweite Tranche, die elf Kartons umfasst, nenlernen kann.“, so André Schmitz, der Mit viel Aufwand wurde über mehrere wurde Ende November zur Bearbeitung Juryvorsitzende und Vorsitzende der Jahre hinweg eine Erfassung und Ver- übergeben. Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V. zeichnung des gesamten Bestandes in einer FAUST-Datenbank vorgenommen. Verleihung des Max-Herrmann-Preis Zur Biografie von Max Herrmann Zudem wurde das biografische Daten- 2018 an die Arbeitsgemeinschaft der material ausgewertet und mit dem Na- Gedenkstättenbibliotheken Der jüdische Literaturwissenschaftler mensverzeichnis der Häftlinge des Max Hermann (1865-1942) gründete 1923 Konzentrationslagers Bergen-Belsen ab- Der Max-Herrmann-Preis des Vereins an der Humboldt-Universität zu Berlin geglichen. Bisher unbekannte Namen der Freunde der Staatsbibliothek ist das weltweit erste theaterwissenschaft- konnten dabei neu aufgenommen wer- die wichtigste Auszeichnung, die in den, an vielen Stellen wurden zudem Deutschland für Verdienste um das Bib- Alexandra Wenck in der Bibliothek der Gedenkstätte Bergen-Belsen bei Recherchen zur 2., überarbeiteten Ergänzungen und Korrekturen in der liothekswesen vergeben wird. Zu den und ergänzten Auflage ihres BuchesZwischen Men- schenhandel und ‚Endlösung‘ – Das Konzentrationslager bestehenden Access-Datenbank des prominenten Preisträgern gehören u.a. Bergen-Belsen“ • Klaus Tätzler Namensverzeichnisses vorgenommen. Paul Raabe, Günter de Bruyn, Wim Wen- Arbeitsplatz zur Digitalisierung der Irgun Akten im ZAC. Als eine zentrale Quelle bei der Beant- ders und Klaus Wagenbach. In diesem • Nils Parade

Gedenkstätte Bergen-Belsen 86 liche Institut. Nach der Machtergreifung Corinna Rathjen: Bibliothek der gesucht werden kann. Zudem kann über der Nationalsozialisten verlor Max Herr- Gedenkstätte Bergen-Belsen drei weitere Computer auf die themati- mann 1933 seine Professur an der Fried- schen und biographischen Medienstati- rich-Wilhelms-Universität in Berlin. Die Der Bestand der Gedenkstättenbiblio- onen sowie auf die Vertiefungsstatio- materielle Situation der Eheleute Herr- thek Bergen-Belsen ist im vergangenen nen der Dauerausstellung zugegriffen mann verschlechterte sich im Laufe der Jahr um insgesamt 205 Titel angewach- werden. Das Angebot wird durch einen 1930er Jahre zusehens. Alle Gelegenhei- sen, von denen 75 durch Kauf, der Rest DVD-Player, mit dem Filme oder lebens- ten zur Emigration schlug Herrmann aus durch Schriftentausch mit anderen Insti- geschichtliche Interviews abgespielt und verfolgte stattdessen weiterhin mit tutionen sowie Schenkungen erworben werden können, komplettiert. Insgesamt großer Zielstrebigkeit seine Studien. wurde. Der Gesamtbestand an Literatur bietet die Bibliothek sechzehn Dazu gehörte u.a. die regelmäßige Nut- beläuft sich somit inzwischen auf fast Leseplätze. zung der Preußischen Staatsbibliothek. 11.000 Titel, darunter 35 Zeitschriften Doch durch die sich ständig verschär- sowie ca. 50 DVDs bzw. CDs mit Bezug Die Präsenzbibliothek der Gedenkstät- fenden Repressionen des nationalsozia- zum Nationalsozialismus. Der aktuelle te Bergen-Belsen ist an drei Tagen in der listischen Regimes wurde ihm der Bibliothekbestand ist über den Katalog Woche, jeweils montags, dienstags und Zugang sukzessive immer stärker be- der Arbeitsgemeinschaft der Gedenk- donnerstags, von 10.00-16.30 Uhr öffent- schränkt und schließlich ganz verwehrt. stättenbibliotheken (AGGB) im Internet lich zugänglich und kann in diesem Zeit- Anfang September 1942 wurden die unter www.aggb-katalog.de jederzeit raum von allen interessierten Besuchern, Eheleute Max und Helene Herrmann ge- einsehbar. Schülern, Studenten oder Wissenschaft- meinsam mit Helenes Schwester in das lern genutzt werden. KZ Theresienstadt deportiert. Max Herr- Die Anzahl der Bibliotheksnutzer ist im mann starb dort, schon wenige Wochen Vergleich zu den Vorjahren nahezu kons- später, am 17. November. Helene Herr- tant geblieben und bewegt sich in einer Verleihung des Max-Herrmann-Preises an die Arbeits­ gemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken am mann und ihre Schwester wurden am Größenordnung um 220. Neben der an- 30. November 2018 im Dietrich-Bonhoeffer-Saal der Staatsbibliothek Berlin. 16. Mai 1944 weiter nach Auschwitz de- gebotenen Literatur und den zur Verfü- Von links nach rechts: portiert. Beide überlebten nicht. gung stehenden digitalen Materialien André Schmitz, ehemaliger Kulturstaatssekretär von Berlin und erster Vorsitzender des Vorstandes der bietet die Bibliothek seit diesem Jahr „Freunde der Staatsbibliothek“, Irmela Roschmann-Stel- tenkamp, Bibliotheksleiterin Zentrum für Antisemitis- auch den Zugang zu einer neuinstallier- musforschung, Berlin, Monika Sommerer, Bibliothekslei- ten Recherchestation, an der in einer terin Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, im Hintergrund Mitarbeiter weiterer Gedenkstättenbib- Faust-Datenbank nach Archivmaterialien liotheken. • Hagen Immel, SBB-PK Namensverzeichnis der Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen

Bernd Horstmann

Wenige Tage vor dem Eintreffen der Dr. Jakob Kumoch, Botschaft der Re- Besucherbetreuung 87 britischen Armee ließ die SS die Regist- publik Polen in der Schweiz ratur des Konzentrationslagers Bergen- Eidgenössisches Department für aus- 93 Besucher_innen konnten 2018 Belsen verbrennen. Damit stand die um- wärtige Angelegenheiten, Bern durch die Kolleg_innen in diesem Ar- fassendste namensbezogene Quelle Margith-Horváth-Stiftung (KZ-Außen- beitsbereich betreut werden, zumeist nicht mehr zur Verfügung, als die Ge- lager Walldorf), Mörfelden-Walldorf Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die denkstätte Anfang der 1990er Jahre mit als Angehörige ehemaliger Häftlinge ei- der Erarbeitung eines Namensverzeich- Beantwortung namensbezogener nen persönlichen Bezug zum Ort Bergen-­ nisses der Häftlinge begann. Die Samm- Anfragen Belsen haben. In kleiner Zahl waren lung von Quellen aus anderer Über­ Überlebende des Konzentrationslagers lieferung ist seitdem von besonderer 2018 beantwortete der Arbeitsbereich zu Besuch. Außerdem wurden Histori- Bedeutung. Nur mittels umfangreicher Namensverzeichnis insgesamt 724 ex- ker_innen, Journalist_innen und andere Recherchen in Gedenkstätten und Archi- terne Anfragen (689 im Vorjahr). Diese Forschende bei ihren Recherchen in un- ven und durch die Unterstützung von lassen sich vier Gruppen zuordnen: serer Sammlung unterstützt. Überlebenden, Angehörigen ehemaliger 1. Überlebende des KZ Bergen-Belsen (51), Häftlinge oder anderen Einzelpersonen 2. Angehörige oder Nachkommen ehe- kann dieser Mangel zumindest teilweise maliger Häftlinge (368), aufgefangen werden. 3. Gedenkstätten, Initiativen, Historiker, Auf der anderen Seite erhalten häufig Journalisten, interessierte Privatperso- Einrichtungen und Forschende Daten- nen, Studierende, etc. (266), bankauszüge aus dem Namensverzeich- 4. Behörden und Suchdienste (39). nis für ihre Projekte. Beispielhaft für das Mit der 2017 erfolgten Einsetzung einer vergangene Jahr seien genannt: Kuratorin für den Themenkomplex Michael Gelber (Transporte von Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen Westerbork nach Bergen-Belsen), werden – anders als in den Vorjahren – Niederlande Anfragen und Besuche von Angehörigen Arbeitskreis KZ Limmer, Hannover dieser Verfolgtengruppe nicht mehr von Verein „Gestrandeter Zug“ (Häft- diesem Arbeitsbereich bearbeitet. lingstransport aus Bergen-Belsen), Wolmirstedt

Gedenkstätte Bergen-Belsen Kriegsgefangenenlager

Katja Seybold

sucherleitsystems, die Erstellung eines Totenbuches und damit die Überarbei- tung der bereits vorhandenen Gräberlis- te wie auch die Entwicklung eines Kon- zeptes für den Kriegsgefangenenfriedhof als Lernort umfassen soll. Um für Letzte- res Bedarfe zu ermitteln, fand am 13. Sep- tember ein Infotag zum Thema „Kriegs- gefangene in Bergen-Belsen“ für schu­- lische Multiplikator_innen statt. Im Mit- telpunkt der Veranstaltung stand das Kennenlernen des Ortes mit einem Be- such der Dauerausstellung und des Kriegsgefangenenfriedhofs. Der Infotag sollte grundlegende Fakten zum Thema vermitteln und damit Anknüpfungspunk- te für zukünftige Gedenkstättenbesuche schaffen. Es handelte sich um eine Ko- operationsveranstaltung mit dem Volks- 88 Seit 2017 ist nach langer Vakanz die Runder Tisch Hörsten bund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Kurator_innenstelle zum Themengebiet e.V. Der VDK hat ein Tonziegel-Projekt „Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen“ Am 26. August 2016 konstituierte sich für Schulen initiiert, mit dessen Hilfe besetzt. Neben der Forschung und Ver- unter Federführung der Stiftung nieder- die Namen verstorbener sowjetischer mittlung zur Geschichte und Nachge- sächsische Gedenkstätten der Runde Kriegsgefangener auf Friedhöfen kennt- schichte der eng miteinander verbunde- Tisch „Friedhof Hörsten“. Er dient einem lich gemacht werden. nen Kriegsgefangenenlager Bergen- Austausch zwischen Personen, die sich ­Belsen, Oerbke, Fallingbostel und Wiet- aus unterschiedlichen Perspektiven mit Busexkursion zu den Friedhöfen der zendorf gehört dazu ebenso die Aufar- dem Friedhof des ehemaligen Kriegsge- ehemaligen Kriegsgefangenenlager beitung der Geschichte des Truppen- fangenenlagers Bergen-Belsen beschäf- übungsplatzes Bergen und der Kaserne tigen. Zum interdisziplinären Teilneh- Wie bereits in den Jahren 2015 und Bergen-Hohne (heute Niedersachsen- merkreis gehören Vertreter_innen des 2017 ist für Sonntag, 23. Juni 2019 eine Kaserne). nds. Ministeriums für Inneres und Sport Busexkursion zu den Friedhöfen der ehe- (zuständiger Träger des Friedhofs), dem maligen Kriegsgefangenenlager Bergen- Beantwortung namensbezogener An­ Staatlichen Baumanagement Lünebur- Belsen, Fallingbostel-Oerbke und Wiet- fragen und Besucherbetreuung ger Heide, dem Volksbund Deutsche zendorf geplant. Hierfür fanden im Kriegsgräberfürsorge e.V., der Arbeits- Berichtsjahr Vorbesprechungen und ers- Im Jahr 2018 wurden 46 Anfragen zum gemeinschaft Bergen-Belsen e.V. und te Planungen statt. Nähere Informatio- Thema Kriegsgefangene und Kriegsge- der Abteilungen Gedenkstättenförde- nen zur diesjährigen Fahrt entnehmen fangenschaft beantwortet. Davon entfie- rung, Bildung und Begegnung sowie Sie bitte zu gegebener Zeit den verschie- len 34 Anfragen auf die Schicksalsklä- Forschung und Dokumentation der Stif- denen sozialen Medien der Stiftung nie- rung sowjetischer, polnischer, belgischer tung niedersächsische Gedenkstätten. dersächsische Gedenkstätten/Gedenk- und französischer Kriegsgefangener wie Seit der konstituierenden Sitzung fan- stätte Bergen-Belsen und der Presse. auch italienischer Militärinternierter. Zu den und finden regelmäßige Treffen und den Aufgaben gehörte auch die Betreu- zusätzliche Austausche einzelner, inner- ung von acht Besucher_innen, zumeist halb des Runden Tisches gegründeter Angehörige oder Nachkommen ehemali- Arbeitsgruppen statt.

ger Kriegsgefangener und italienischer Ziel des Runden Tisches ist die Erstel- Kränze, die im April 2018 im Rahmen der Gedenkfeier Militärinternierter. lung eines Masterplans, der die Gestal- zur Befreiung des KZ Bergen-Belsen am Mahnmal der Trauernden auf dem Kriegsgefangenenfriedhof Bergen- tung des Friedhofes inklusive eines Be- Belsen abgelegt worden sind. • Katja Seybold Bildung und Begegnung

Marc Ellinghaus und Katrin Unger

Die finanzielle Förderung des Landes Niedersachsen ermöglicht die Aufnahme einer Kooperation zwischen den Gedenkstätten Perm 36 (Russland und Bergen-­ Belsen). Studierende tauschen sich zu Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit aus. • Daniel Tonn

Die Teilnehmenden der Bergen-Belsen International Summerschool besuchen die Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt/Main. Im Lernlabor „Anne Frank. Morgen mehr“ gibt es einen regen Austausch über Bildungsarbeit mit digitalen Medien. • Nils Hunold

Die große Mehrheit der Teilnehmerin- auch eine Idee, wie man diesen Fragen Mehr und mehr nutzen ehemalige Teil- 89 nen und Teilnehmer an den Bildungsan- nachgehen könnte. nehmende an Bildungsangeboten der Ge- geboten der Gedenkstätte Bergen-Belsen Daher rührt das Bemühen, möglichst denkstätte und viele andere eine noch in- besuchen die Gedenkstätte für etwa vielen Gruppen längere Programme in tensivere Möglichkeit der Auseinander­- dreieinhalb Stunden. In dieser Zeit kann Bergen-Belsen anbieten zu können: Stu- setzung mit der Geschichte: eine Mitarbeit ein grober Überblick über die Lagerge- dientage, die Zeit für einen thematischen in der Gedenkstätte. Das beginnt mit schichten angeboten werden, können – Schwerpunkt, Kleingruppenarbeit oder einem Zukunftstag oder Schüler_innen- ausgehend vom Vorwissen und den In- die intensivere Auseinandersetzung mit Praktikum und geht bis hin zu einem Frei- teressen der Teilnehmenden – kurze etwa Selbstzeugnissen und Interviews willigen Sozialen Jahr in der Gedenkstät- Gespräche ein wenig historischen Kon- ehemaliger Häftlinge ermöglichen. Oder te. 2018 beendeten unsere Freiwilligen text vermitteln. Vor allem kann ein Ein- Seminare, die Methodenwechsel und Sven Bohnsack und Anna Kallenberger druck von der heutigen Gedenkstätte am Ortswechsel erlauben, Ruhephasen bie- ihr FSJ und werden schwer vermisst. historischen Ort und ein Einblick in die ten und damit auch neben einer ersten Viele ehemalige Freiwillige und Prakti- umfangreiche Dauerausstellung gewon- Verarbeitung des Gesehenen und Ge- kant_innen aus Schule und Universität nen werden. So erfreut wir über jede lernten eine zweite Reflexion der eige- sind noch weitere Jahre für die Gedenk- Gruppe sind, die diese Möglichkeit nutzt, nen Haltung ermöglichen. stätte, etwa als freie Mitarbeitende im Be- sich mit Bergen-Belsen auseinanderzu- Deshalb arbeitet die Gedenkstätte mit sucher_innendienst, aktiv. Das Netzwerk setzen: Meistens wäre immer noch etwas der Vorbereitung des Ausbaus eines his- wächst – auch um ehemalige Volontär_in- anzusehen, ein Thema zu vertiefen, eine torischen Gebäudes auf dem Gelände nen: Tessa Bouwman wechselte nach ih- Frage zu erörtern, eine Quelle näher zu der ehemaligen Wehrmachtskaserne rem Volontariat in der Gedenkstätte als untersuchen, wären noch Schlussfolge- zum Bildungs- und Tagungszentrum an Elternzeitvertretung in das Team der rungen zu ziehen und Standpunkte zu der Verbesserung der Bedingungen für Abteilung Bildung und Begegnung. reflektieren. ein breites Angebot an Mehrtagessemi- Nach zwölf Jahren in der Bildungsarbeit Daher bemühen wir uns in allen Bil- naren, Tagungen und internationalen Be- der Gedenkstätte und vielen Jahren mehr dungsangeboten, am Ende eines Pro- gegnungen. Neben weiteren Perspekti- in der Jugendarbeit zu Bergen-­Belsen hat gramms die Möglichkeiten des Weiterar- ven auf den Ort und neuen thematischen sich schließlich unsere Kollegin Sabine beitens und –forschens anzubieten, um Zugängen bietet dieses Projekt die Aus- Lange aus dem Tagesbetrieb der Ge- den Teilnehmenden zu ermöglichen, ne- sicht auf Räume und Bewegungsspiel- denkstätte verabschiedet, bleibt uns aber ben ihren Tageseindrücken neue Fragen raum für die Betreuung vieler zusätzli- hoffentlich noch als freie Mit­arbeiterin bei mitzunehmen. Und zudem vielleicht cher Seminargruppen. vielen Gelegenheiten erhalten.

Gedenkstätte Bergen-Belsen Erwachsene als Zielgruppe für Bildungsangebote

Daniel Tonn

90 Die Gedenkstätte Bergen-Belsen bie- Seminar „Was bestimmt das Handeln? verübten Massenverbrechen und gehen tet zu verschiedenen Themen ein- oder Mechanismen, Strukturen und Gesell- den folgenden Fragen nach: Welche mehrtägige Veranstaltungen für Erwach- schaft im Nationalsozialismus“ Strukturen und Prozesse in der Gesell- sene an. Einige Angebote adressieren schaft haben diese Verbrechen ermög- interessierte Einzelpersonen mit unter- Seit 2017 führt die Gedenkstätte das licht? Wie ist es psychologisch zu erklä- schiedlichen Hintergründen, andere dreitägige Seminar „Was bestimmt das ren, dass „normale“ Menschen in so nehmen bestimmte Berufsgruppen in Handeln? Mechanismen, Strukturen und großer Zahl getötet haben? Unter wel- den Blick, wie etwa Militär, Polizei, Justiz Gesellschaft im Nationalsozialismus“ chen Bedingungen kam es zu Wider- oder soziale Arbeit. Ein breites Angebot mit Soldat_innen der Fachschule der stand seitens der Täter_innen und wel- richtet sich außerdem an schulische Luftwaffe Faßberg durch. Der Besuch in che Rolle hat die „Zivilgesellschaft“ Multiplikator_innen. Allen Bildungsver- Bergen-Belsen findet im Rahmen der po- gespielt? Am Ende reflektieren und dis- anstaltungen für Erwachsene ist ge- litischen Bildung der Bundeswehr statt. kutieren die Teilnehmer_innen darüber, mein, dass die Teilnehmer_innen Wissen Nach dem Kennenlernen der Geschichte welche Bedeutung die gewonnenen Er- über die komplexe Geschichte Bergen- des historischen Ortes setzen sich die kenntnisse für ihren (Dienst-)Alltag und Belsens als Kriegsgefangenen- und Kon- Teilnehmer_innen eigenständig mit den die Gesellschaft insgesamt haben (soll- zentrationslager sowie Displaced Persons Lebensläufen und den Verbrechen von ten). Darüber hinaus überlegen sie, wie Camp und deren Wirkungs­geschichte SS-Männern und Aufseher_innen des KZ jede_r Einzelne gefährliche Entwicklun- erlangen. Auch die Geschichte der Ge- Bergen-Belsen auseinander. Im Zentrum gen erkennen und sich bestimmten denkstätte wird thematisiert. Ferner er- dieses Seminarteils stehen Diskussionen menschenfeindlichen Strukturen und arbeiten sie sich eigenständig Themen, über Freiwilligkeit, Handlungsspielräume Mechanismen entgegenstellen kann. wenden Analyse- und Urteilsfähigkeiten und persönliche Verantwortung einzel- an oder entwickeln diese fort, reflektie- ner Täter_innen. Ferner erwerben die Studientag zur Verfolgung von „Krimi- ren und diskutieren über für sie relevan- Teilnehmer_innen Wissen über den nellen“ im Nationalsozialismus te Fragestellungen. Hier folgen einige „Bergen-Belsen-Prozess“ in Lüneburg Beispiele für diese Veranstaltungen. 1945 und die Folgen der mangelnden Dieser Studientag richtet sich vorran- Ahndung von NS-Verbrechen für die gig an Personen, die für die Justiz oder Opfer und deren Angehörige sowie für Polizei arbeiten und hat zum Ziel, auf die die Gesamtgesellschaft. Außerdem be- Geschichte der bislang ignorierten Op- fassen sie sich mit den von der SS, der fergruppe der „Kriminellen“ aufmerk- Polizei und der Wehrmacht in Osteuropa sam zu machen. Im Fokus stehen sowohl Bildungsarbeit. Für interessierte Multi- plikator_innengruppen besteht zudem die Möglichkeit, gesonderte Termine für eigene Fortbildungen zu vereinbaren. Im Rahmen dieser Fortbildungen können sich die Teilnehmer_innen mit Themen tiefergehend auseinandersetzen, die für ihr Berufsfeld besonders relevant sind: Hier kann beispielsweise die Rolle staat- licher Institutionen bei der Verfolgung bestimmter Gruppen im Nationalsozia- lismus aufgegriffen und der Frage nach- gegangen werden, welche Bedeutung das Handeln der Akteure in der Vergan- genheit für das eigene und institutionel- le Selbstverständnis heute hat. Mit den Angeboten für Erwachsene möchte die Gedenkstätte der Tatsache gerecht werden, dass lebenslanges die formalen und rechtlichen Hintergrün- Belsen. Geschichten von Verfolgung, Lernen für immer mehr Menschen von 91 de ihrer KZ-Haft als auch die dahinter Erinnerung und Aufarbeitung“. Die Teil- Bedeutung ist. Die Vielfalt der in Bergen- stehenden Konzepte zur Kriminalitätsbe- nehmer_innen setzen sich mit der Ver- Belsen verhandelbaren Themen und kämpfung. Anhand von Biographien folgungsgeschichte von Sinti und Roma Fragestellungen bietet zudem interes- werden individuelle Verfolgungsschick- während des Nationalsozialismus sowie sante Anknüpfungspunkte für Einrich- sale verdeutlicht und in die Geschichte Kontinuitäten der Ausgrenzung nach tungen der Erwachsenenbildung, wovon des KZ Bergen-Belsen eingebettet. Auch 1945 bis heute auseinander. Sie erkun- nicht zuletzt die stetig wachsenden Be- der Ausschluss der als „kriminell“ Ver- den die Dauerausstellung, besuchen das suchsanfragen zeugen. Das Wissen um folgten aus der materiellen Entschädi- historische Lagergelände und nähern Mechanismen von Ausgrenzung, Ent- gung und der Gedenkkultur wird thema- sich anhand verschiedener Quellen dem rechtung und Verfolgung im Nationalso- tisiert. In einem weiteren Schritt können Leben und Schicksal der Betroffenen an. zialismus kann den Blick für gegenwärti- die Teilnehmenden über verschiedene Anhand von Fallbeispielen tauschen sie ge Formen von Rassismus und gruppen- ­ (auch aktuelle) Vorstellungen vom Um- sich außerdem über die vielfältigen For- bezogener Menschenfeindlichkeit im be- gang mit Straftätern diskutieren, ohne men von Diskriminierung und Ausgren- ruflichen und sozialen Umfeld schärfen. dabei die Unterschiede zwischen den zung („Antiziganismus“) von Roma und Praktiken im Nationalsozialismus und Sinti in der Gegenwart aus. der heutigen Demokratie zu nivellieren. Fortbildungen für Multiplikator_innen Workshop „Roma und Sinti in Bergen- der Erwachsenenbildung Belsen. Geschichten von Verfolgung, Erinnerung und Aufarbeitung“ Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ver- anstaltet regelmäßig Fortbildungen und Die Gedenkstätte veranstaltet regel- Informationstage, die sich an Multiplika- mäßig Workshops mit thematischen und tor_innen der Erwachsenenbildung rich- Bildungsmaterialien zum Studientag „Kriminelle“. • Daniel Tonn methodischen Schwerpunkten für Men- ten. Die Teilnehmer_innen dieser Ange- schen mit Interesse an Geschichte, wo- bote gewinnen einen Überblick über das Teilnehmende des Workshops „Roma und Sinti in Bergen-Belsen“ auf dem historischen Lagergelände bei kein bestimmtes Vorwissen voraus- jeweilige Thema beziehungsweise die vor dem Gedenkstein für die Familie Steinbach. • Sven Bohnsack gesetzt wird. Ein Beispiel für einen Geschichte des Ortes und diskutieren solchen Themenschwerpunkt ist der und erproben verschiedene methodi- Teilnehmende der Fortbildung „Bergen-Belsen als Ort des Erinnerns“ für Multiplikator_innen der schulischen Workshop „Roma und Sinti in Bergen- sche und thematische Zugänge für die und außerschulischen Bildung. • Daniel Tonn

Gedenkstätte Bergen-Belsen Begegnungen mit Zeitzeug_innen in der Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Petra Höxtermann und Nicola Schlichting

92 Am 16. April 2018 sprach die Bergen- die Erinnerung beeinflusst. Die Aussa- Eine andere Möglichkeit mit Zeitzeug_ Belsen-Überlebende Hetty Verolme vor gen von Zeitzeug_innen sind daher als innenberichten zu arbeiten, unabhängig Schüler_innen des Hermann-Billung- historische Quellen kritisch und in ihrem von deren Anwesenheit, bietet das Vi- Gymnasiums (HBG) in Celle. Als 14-Jäh- Kontext zu bewerten. Da die Zeitzeug_ deoarchiv der Gedenkstätte mit rund rige war sie mit ihren Eltern und Brüdern innen bei den Zuhörer_innen oft starke 450 Interviews, die im Laufe der letzten in Amsterdam von den Nationalsozialis- emotionale Reaktionen hervorrufen, zwanzig Jahre entstanden sind und die ten verhaftet und nach Bergen-Belsen liegt darin deren große Stärke und Lebensgeschichten von Überlebenden deportiert worden. Hetty hatte Glück: gleichzeitig die große Herausforderung für spätere Generationen aufbewahren. Auch beide Brüder und die Eltern über- in der Arbeit mit ihnen. Die Interviews erweitern die methodi- lebten die Shoah. 1954 wanderte sie Bergen-Belsen-Überlebende stehen schen Zugänge für die Bildungsarbeit nach Australien aus und baute sich dort zudem nicht jederzeit als Zeitzeug_innen enorm, indem sie die Komplexität des ein neues Leben auf – auch davon be- zur Verfügung und können daher keine Themas mit Einzelschicksalen verbin- richtete sie den Schüler_innen der Klasse Konstante in der Bildungsarbeit darstel- den. Es geht nun um eine konkrete 10B des HBG. len. Im April 2018 hatte die Gedenkstät- Person, die all das so schwer zu Verste- Die Vermittlung persönlicher Erlebnis- te, anlässlich einer Sonderausstellung zu hende und Greifbare erlebt hat. Die In- se ermöglicht Schüler_innen einen Kindern im KZ Bergen-Belsen, die zum terviews und die Auseinandersetzung emotionalen Zugang zu geschichtlichen 73. Jahrestag der Befreiung des Konzen- mit ihnen sind daher eine wertvolle und Geschehnissen sowie eine konkrete Per- trationslagers Bergen-Belsen eröffnet wichtige Komponente der Bildungsar- spektive darauf, was eine Bereicherung wurde, zahlreiche Überlebende einge­ beit der Gedenkstätte Bergen-Belsen der Bildungsarbeit darstellt. Zeitzeug_in- laden, von denen einige in diesem Rah- und einer multiperspektivischen, quel- nengespräche bedürfen einer guten in- men Gespräche in Schulen, Studiense- lenbasierten Geschichtsbetrachtung. haltlichen Vor- und Nachbereitung und minaren und mit Soldat_innen führten. auch die Grenzen und Schwierigkeiten Vielen Überlebenden ist es ein Anliegen, müssen mit den Schüler_innen themati- über ihre persönlichen Erlebnisse sowie siert werden. Erinnerungen von Zeit- ihren Umgang damit zu erzählen. Hetty zeug_innen sind immer subjektiv und Verolme beeindruckte ihre Zuhörer_in- Hetty Verolme stellt Schüler_innen des Hermann-Bil- daher nie allgemein oder für größere Zu- nen mit ihrer Energie und Lebensfreude. lung-Gymnasiums in Celle ihr Buch „Wir Kinder von Bergen-Belsen“ vor. • Petra Höxtermann sammenhänge gültig. Zudem liegen sie Ihr Lebensmotto, niemals die Hoffnung oft lange zurück, was, wie auch das im aufzugeben, gab sie den Jugendlichen Nicola Schlichting von der Gedenkstätte Bergen-Belsen stellt Hetty Verolme Schüler_innen vom Hermann-Bil- Laufe des Lebens erworbene Wissen, mit auf den Weg. lung-Gymnasium in Celle vor. • Petra Höxtermann Kooperation in der Bildungsarbeit – die Gedenkstätten Westerbork (Niederlande) und Bergen-Belsen

Nicola Schlichting

Zwischen den Gedenkstätten Wester- Birkenau deportiert wurden und deut- Art und Inhalte der Bildungsmaterialien 93 bork und Bergen-Belsen besteht eine sche SS-Männer zu sehen. aus, die in der Gedenkstätte genutzt wer- enge geschichtliche Verbindung. Wester­ In der Gedenkstätte Westerbork spie- den. Währenddessen sind Schüler_in- bork war zunächst ein niederländisches len die Aufnahmen eine wichtige Rolle: nen, die Bergen-Belsen besuchen, min- Internierungslager für jüdische Deutsche Im Außengelände etwa werden großfor- destens 14 Jahre alt. Ob und wie man und wurde später von den deutschen matige Standbilder gezeigt, was den Be- diesen Ort des Massensterbens ange- Besatzern als Durchgangslager für De- sucher_innen helfen soll, sich einen Ein- sichts des schwierigen Materials in der portationen in die Konzentrations- und druck vom Ort zu verschaffen. Sie sind Ausstellung, mit Bildern und Filmaufnah- Vernichtungslager genutzt. Von hier gin- aber auch für die Bildungsarbeit der Ge- men von Leichen und Sterbenden, jünge- gen auch zahlreiche Transporte nach denkstätte Bergen-Belsen wichtig. Mit- ren Kindern vermitteln kann, war Thema Bergen-Belsen. In den Biographien vie- hilfe dieser Aufnahmen können Fragen für eine mehrtägige Fortbildung der Ge- ler Opfer und Überlebender des KZ zum Zusammenhang und System der denkstätte Westerbork in der Gedenk- Bergen-Belsen spielen beide Orte eine Lager, aber auch zu den Täter_innen und stätte Bergen-Belsen für angehende nie- bedeutende Rolle. Als Gedenkorte äh- Opfern aufgeworfen werden. derländische Grundschullehrer_innen im neln sich Westerbork und Bergen-Belsen Aufgrund der engen historischen Be- Oktober. Schon im Mai 2018 fuhren dann zudem in ihrem Außengelände, wo keine züge kooperieren auch die Bildungsab- 22 in der Bildungsarbeit der Gedenkstät- baulichen Relikte mehr an die ehemali- teilungen beider Gedenkstätten. Große te Bergen-Belsen Aktive nach Wester- gen Lager erinnern. Unterschiede gibt es in der Zusammen- bork, um den Ort und die dortige Bil­ Die Gedenkstätte Westerbork verfügt setzung der Schulgruppen, die die Ge- dungs­arbeit kennenzulernen. über ein für beide Orte zentrales Doku- denkstätten besuchen - in den Nieder- Die Kooperation setzt Impulse für die ment: Filmaufnahmen, unter anderem landen werden der Zweite Weltkrieg und Bildungsarbeit in beiden Gedenkstätten. über die Abfahrt eines Transportes aus der Nationalsozialismus bereits in der Sie bietet reichlich Anlass zu Austausch Westerbork, die der Häftling Rudolf Grundschule behandelt, so dass die Kin- und Diskussion. Sie wird in den kom- Breslauer im Auftrag der Lager-SS ange- der meist schon im Alter zwischen zehn menden Jahren weitergeführt und aus- fertigt hat. Diese Aufnahmen sind die und zwölf Jahren Westerbork besuchen. gebaut werden. einzigen dieser Art, die überliefert sind. Dies, sowie die Tatsache, dass in Wester-­ Freie Mitarbeiter_innen, abgeordnete Lehrer_innen und Sie zeigen einen Zug aus Personenwa- bork als ehemaliges Durchgangslager Mitarbeiter_innen der Gedenkstätte Bergen-Belsen auf dem Gelände der Gedenkstätte Westerbork. gen mit Ziel Bergen-Belsen und Vieh- die Geschichte der Ermordung von Ju- • Daniel Tonn waggons mit Ziel Auschwitz. Es sind Sinti, den und Jüdinnen, Sinti und Roma vor Niederländische Referendar_innen in der Ausbildung Roma und Juden, die nach Auschwitz- allem indirekt Thema ist, wirkt sich auf zum Lehramt an Grundschulen arbeiten mit der Tablet- Application in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. • Maximilian Vogel Gedenkstätte Bergen-Belsen 94 Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

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Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Martina Staats

96 Im Jahr 2018 bildete das Richtfest für dem Innenausbau begonnen. Die Eröff- an der Teilnahme an Veranstaltungen, den Neubau des neuen Dokumentati- nung ist für den Spätherbst 2019 geplant. Führungen, Seminaren und Workshops. onszentrums einen wesentlichen Mei- Auch 2018 ist die gute Zusammenar- Nicht alle Anfragen konnten und können lenstein für das Projekt der Neugestal- beit zwischen Gedenkstätte, JVA, Staat- erfüllt werden. Wir haben uns u.a. über tung der Gedenkstätte in der JVA lichem Baumanagement Braunschweig, die Besuche der Landtagspräsidentin Wolfenbüttel. Vor den Baubeteiligten, Niedersächsischem Kultusministerium, Dr. Gabriele Andretta, des Kultusminis- Handwerkern und geladenen Gästen Oberfinanzdirektion bzw. Niedersächsi- ters Grant Hendrik Tonne, der Justizmi- wurden nach einer Begrüßung durch schem Landesamt für Bau und Liegen- nisterin Barbara Havliza, von Landtags- Baudirektor Thomas-R. Popp (Staatli- schaften (NLBL) sowie dem Architektur- abgeordneten der Region ches Baumanagement Braunschweig) büro Winkelmüller und dem Ingenieur­- Braunschweig-Wolfenbüttel sowie von die Grußworte gesprochen: Es redeten büro iwb hervorzuheben. Kolleg_innen der Gedenkstätten Prag- der niedersächsische Finanzminister Bei der Erarbeitung der Dauerausstel- Pankratz, Ahlem, Moringen und Linden- Reinhold Hilbers, der niedersächsische lung sind ebenfalls zusammen mit dem straße und den Besuch der Archivschule Kultusminister Grant Hendrik Tonne, die Gestaltungsbüro büroberlin und unter- – Universität Marburg gefreut. Leiterin der Gedenkstätte Martina Staats, stützt von der Internationalen Experten- Ausgeweitet wird die Arbeit der Ge- der Geschäftsführer der Stiftung nieder- kommission für die Neugestaltung der denkstätte durch zwei Drittmittel­projekte: sächsische Gedenkstätten Dr. Jens- Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel „Der Paragraf 175 des Strafgesetzbu- Christian Wagner und der Anstaltsleiter gute Fortschritte erreicht worden: Die ches in der Bundesrepublik: Verurteilun- der JVA Wolfenbüttel Dieter Münzebrock. Ausstellungsobjekte und -dokumente gen und Strafvollzug am Beispiel des Anschließend folgte der Richtspruch in sind festgelegt und viele der Ausstel- Gefängnisses Wolfenbüttel“ war ein Ko- Anwesenheit zahlreicher Gäste, unter lungstexte geschrieben worden. Von operationsprojekt mit dem Queeren denen sich auch Familienangehörige der großer Bedeutung ist hierbei die Unter- Netzwerk Niedersachsen e. V. Anlässlich NS-Justizopfer aus Dänemark und Bel­ stützung durch die Familienangehörigen des Internationalen Tages gegen Homo– gien befanden. ehemaliger Gefangener, die für lebens- und Transphobie am 17.5.2018 fand das Der Neubau hat sich unter der Baupro- geschichtliche Interviews zur Verfügung 7. Wolfenbütteler Gedenkstättenforum jektleitung von Karl-Michael Heß, Staat- standen und der Gedenkstätte Objekte mit einer Filmvorführung sowie der Aus- liches Baumanagement Braunschweig, als Geschenke oder Leihgaben für die stellungseröffnung „§ 175 – Geschichte trotz sehr anspruchsvoller Betonagear- Dauerausstellung übergeben haben. und Schicksale“ des Berliner Historikers beiten gut entwickelt: Nach Errichtung Insgesamt besteht ein großes Interes- Hans Kremer mit der Vorstellung regio- des Rohbaus wurde mittlerweile mit se an der Arbeit der Gedenkstätte und naler LGBTIQ-Projekte statt. Eine Bro- schüre dokumentierte die Veranstaltung. 97 Die Forschungsergebnisse des einjähri- gen Projektes liegen seit Januar 2019 in einer Publikation vor. Das zweijährige Projekt „outSITE Wol- fenbüttel. Das Strafgefängnis Wolfen- büttel und sein Netzwerk im Land Braun- schweig“ ist ein Kooperationsprojekt mit Die Braunschweigische Stiftung, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbe- sitz und der Stiftung Zukunftsfonds Asse für die Region GmbH. Nach einer erfolg- reichen Projekt- und Mitarbeitervorstel- lung des neuen Projektes „outSITE“ am 6. August berichteten TV und Printmedien.

Dietrich Küssner, Oktober 2018, Braunschweig • Olaf Markmann

Feierten das Richtfest des Dokumentationszentrums Wolfenbüttel (v.l.n.r.): Landtagsabgeordneter Christoph Bratmann (SPD); Karl-Michael Hess, Staatliches Bauma- nagement Braunschweig; Landtagsvizepräsident Bernd Busemann (CDU); Kultusminister Grant Hendrik Tonne; Finanzminister Reinhold Hilbers; Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel; Thomas Popp, Leiter des Staatlichen Baumanagements Braunschweig; Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten; Dieter Münzebrock, Anstaltsleiter der JVA Wolfenbüttel; Architekt Henner Winkelmüller. • Jesco Denzel

Familienangehörige beim Richtfest für das neue Doku- mentationszentrum. • Jesco Denzel

Führung einer Schulklasse über den Friedhof Lindener Straße in Wolfenbüttel. • Gustav Partington

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Pädagogik allgemein und Statistik

Reimar Fröhnel, Ulrike Pätzold Prote

98 In der Gedenkstätte in der JVA Wolfen- Doch nicht nur Schüler_innen, son- Conny Schmidthals: Nationale Erinne- büttel arbeiten vier abgeordnete Lehrkräf- dern auch erwachsene Besucher_innen rungskulturen im Vergleich – ein deutsch- te aus verschiedenen Schulformen als pä- informieren sich in der Gedenkstätte polnisches Schüler_innenprojekt dagogische Mitarbeiter_innen. Sie bieten über die Geschichte von Strafvollzug Führungen, Workshops sowie ganze Se- und Justiz in der NS-Zeit. Ihr Anteil be- Im Rahmen eines vom deutsch-polni- minartage an und führen weitere pädago- trägt 36 Prozent. Interessierte Wolfen- schen Jugendwerk geförderten, größer gische Projekte durch. Eine wichtige Be- bütteler Bürger_innen nehmen ebenso angelegten Austauschprogramms be- sonderheit sind die gemeinsamen Füh­- wie unterschiedlichste Besuchergrup- schäftigte sich eine deutsch-polnische rungen und Seminartage der JVA und der pen aus der Erwachsenenbildung städti- Schüler_innengruppe aus Göttingen und Gedenkstätte. scher und anderer Bildungsträger die Lublin intensiv mit den Ausprägungen der Conny Schmidthals (Geschwister- Angebote wahr. Ferner gehören Auszu- nationalen Erinnerungskulturen. Nach Scholl-Gesamtschule, Göttingen), bildende und Lehrer_innen im Rahmen Stationen in Berlin und Göttingen besuch- Dr. Gustav Partington (Gymnasium von Lehrerfortbildungen dazu, ebenso te die binationale Gruppe zur vertiefenden Neue Oberschule, Braunschweig), Reimar wie Gruppen ehemaliger Flüchtlinge, Auseinandersetzung mit der Thematik die Fröhnel (Hauptschule Sophienstraße, die in Integrationskursen mehr über die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Braunschweig) und Robert Heldt (IGS deutsche Geschichte erfahren möchten. Über die Beschäftigung mit dem Themen- Wallstraße, Wolfenbüttel) betreuen die Der Anteil von Privatpersonen liegt bei feld Justiz im Nationalsozialismus wurden verschie­denen Gruppen und Projekte. ca. 30 Prozent. Große Nachfrage besteht nicht nur Unterschiede in den national Insgesamt sind 125 Führungen mit ver- für das Angebot der öffentlichen Füh- vorherrschenden Narrativen aufgegriffen, schiedenen Gruppen durchgeführt wor- rungen. Die Teilnehmerzahl dabei ist auf sondern auch, ausgehend von der Ver- den. Der Anteil von Schulklassen beträgt 15 Personen begrenzt. Um mehr Interes- gangenheit, Stereotypisierungstenden- hierbei 29 Prozent. Die Schüler_innen be- sierten eine Teilnahme zu ermöglichen, zen, das Thema Ausgrenzung und Un- suchen die Gedenkstätte im Rahmen des wird mit Eröffnung des neuen Dokumen- gleichbehandlung im Allgemeinen sowie regulären Unterrichts, aber auch als Pro- tationszentrums eine Ausweitung der Auswirkungen von (Zwangs-)Migration jektarbeit. Dabei stammen sie nicht nur öffentlichen Führungen im kommenden thematisiert. Zu diesem Zweck waren im aus dem Nahbereich rund um Wolfenbüt- Jahr angestrebt. Vorfeld Arbeitsmaterialien ins Polnische tel, sondern kommen unter anderem auch übersetzt worden, so dass die polnischen aus Göttingen und Lüchow. In der multi- Schüler_innen – ebenso wie die deut- medialen Lernumgebung können sie über schen – eigenständig recherchieren biografische oder thematische Ansätze konnten. den historischen Ort erschließen. Wege der Erinnerung(en) – Dabei wurde die Kommentarfunktion auf den Spuren der Wolfenbütteler Juden nicht nur dazu genutzt, knappe Hinter- grundinformationen zur Verfügung zu stellen, sondern mitunter auch, um den Robert Heldt, Conny Schmidthals eigenen Emotionen während der Re- cherche Ausdruck zu verleihen.

Während der Gedenkwoche der Stadt Wolfenbüttel wurde eine Fotoinstallati- on im öffentlichen Raum gezeigt, die nicht nur an die Ereignisse der Novem- berpogrome 1938, sondern auch an die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden in der NS-Zeit im Allgemeinen erinnert. In einem leerstehenden Geschäft in der städtischen Fußgängerzone wurden Fo- tos bzw. die geposteten Bilder aus dem Instagram-Account als Dauerschleife auf eine Leinwand in einem Schaufenster projiziert. Die Art der Installation diente dabei nicht nur dazu, ein breites Publikum zu erreichen. Mit der Schaufensterscheibe sollte auch ein Gegenstand aufgegriffen werden, der in der Erinnerung von Zeit- genossen eine zentrale Rolle spielt und für viele zum Symbol dieser „Kristall- nacht“ geworden ist. Schließlich präsentierten die Schüler_ innen die Projektergebnisse im Rahmen einer vom Bündnis gegen Rechtsextre- mismus und der Stadt Wolfenbüttel vor- bereiteten Gedenkstunde anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome, Das Projekt zeigt beispielhaft, wie sich sprechendes, im Alltag von Jugendlichen bei der der ehemalige Bundesaußenmi- 99 pädagogisches Arbeiten in der Gedenk- etabliertes Kommunikationsmedium. nister Sigmar Gabriel die Gedenkrede stätte erfolgreich in Kooperation mit Neben der Gedenkstätte und der betei- hielt. mehreren Institutionen durchführen und ligten Schule, der IGS Wallstraße Wolfen- mit der Verwendung von internetbasier- büttel, wurden weitere Projektpartner Conny Schmidthals und Robert Heldt ten Medien verbinden lässt. gewonnen, die für die Recherche und Do- stellten das Schüler_innenprojekt zudem kumentation der Schüler_innen eine un- am 13. November auf der Fachtagung Projektgenese verzichtbare Rolle spielen sollten: das Nie- der Konrad-Adenauer-Stiftung „Be- dersächsische Landesarchiv – Standort standsaufnahme der Holocaust-Vermitt- Anlässlich des 80. Jahrestages der Wolfenbüttel, das Bürgermuseum Wolfen- lung in Deutschland“ in Berlin vor. Novemberpogrome 1938 fanden im Rah- büttel sowie die Stadt Wolfenbüttel. Der Instagram-Account ist unter fol- men einer Gedenkwoche in der Stadt Als Projektabschluss wurde eine Fahrt gendem Link einsehbar: https://www.in- Wolfenbüttel verschiedene Veranstal- nach Buchenwald organisiert. Der stagram.com/wege_der_erinnerungen_ tungen statt, in deren Ausgestaltung Schwerpunkt der Besichtigung der KZ- projekt/. auch die Gedenkstätte in der JVA Wol- Gedenkstätte begründete sich in der Aus- fenbüttel einbezogen war. Ausgehend richtung des Projekts auf der Geschichte von der Tatsache, dass das damalige der 10.000 jüdischen Häftlinge, die unmit- Strafgefängnis während der November- telbar nach den Novemberpogromen im Ins Polnische übersetzte pädagogische Materialien. pogrome eine für die Nationalsozialisten KZ Buchenwald festgehalten wurden. • Conny Schmidthals wichtige Funktion erfüllte, entstand die Der an die Gedenkstätte abgeordnete Lehrer Dr. Gustav Idee, diese Ereignisse mit Hilfe eines Dokumentation: (Ge)Denkanstöße geben Partington gibt Schülerinnen und Schülern zum Beginn eines Workshops eine räumliche Orientierung. Schüler_innen-Projekts aufzuarbeiten • Simona Häring und dabei neue Wege der Projektdoku- Neben herkömmlichen Projekttagebü- Auszubildende der MAN Academy Salzgitter recherchie- mentation zu beschreiten. Die Art der chern erfolgte die Dokumentation der ren während des in Kooperation mit der JVA Wolfenbüt- tel durchgeführten Workshops „Geschichte verstehen – Projektdokumentation und -präsentation Recherche- bzw. Projektergebnisse in Toleranz leben“ an den Multi-Touch-Tischen. über Instagram trug dabei dem immer zeitgemäßer und damit schüleraktivie- • André Pause stärker eingeforderten Anspruch an digi- render Form über die Internetplattform Eine Passantin betrachtet die Projektpräsentation in der Schaufensterscheibe. • Robert Heldt tales Lernen der Schüler_innen Rech- Instagram: die Schüler_innen veröffent- nung. Sie nahm mediale Gewohnheiten lichten Fotobeiträge in dem Projekt-Ac- Die Schüler*innen nutzten die Möglichkeiten von Insta- gram auch, um Kreativität und Ästhetik in das Projekt von Jugendlichen auf und nutzte ein an- count und kommentierten ihre „Posts“. einfließen zu lassen. • Gedenkstätte Buchenwald

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Ideenwettbewerb zum Gedenkort für 217 Opfer der Hinrichtungsstätte Wolfenbüttel

Simona Häring, Gustav Partington

100 Das im Folgenden vorgestellte Projekt tel nahm diese Anregung auf und schlug & Bus AG Salzgitter sowie einem Fachbe- verdankt seine Entstehung der für die Ge- einen Ideenwettbewerb unter weiterfüh- rater Kunst begutachtete. denkstätte besonders wichtigen Zusam- renden Schulen für interessierte Schü- menarbeit mit Angehörigen der NS-Justi- ler_innen ab der 10. Klasse vor, um einen Die Preisverleihung zopfer. Es verdeutlicht, wie fruchtbar die solchen Erinnerungsort auf dem Gräber- Am 26.06.2018 fand die öffentliche erfolgreiche Kooperation verschiedener feld 13a des Hauptfriedhofs zu schaffen. Preisverleihung im Lessingtheater Wol- Institutionen verlaufen kann. Eingebunden wurde weiterhin der fenbüttel statt. In ihren Reden erläuterte langjährige Projektpartner der Gedenk- Gedenkstättenleiterin Martina Staats die Historischer Hintergrund stätte MAN Truck & Bus AG Salzgitter, Genese des Projektes, betonte Bürger- Die nach Urteilen der nationalsozialisti- dessen Auszubildende Messingplaketten meister Thomas Pink die Relevanz des schen Justiz im Strafgefängnis Wolfenbüt- herstellen werden, damit an jede Person Erinnerungsortes für die Stadt Wolfen- tel Hingerichteten wurden nur zum Teil auf dieser Opfergruppe individuell erinnert büttel, verdeutlichte Ausbildungsleiter Friedhöfen bestattet. Mindestens 217 Lei- werden kann. Hans-Werner Ruhkopf die Bedeutung chen wurden nicht beerdigt, sondern an des Projektes für MAN und erklärte das Anatomische Institut Göttingen abge- Verlauf des Projektes Fachberater Rolf Behme die Entschei- geben. Ihr weiterer Verbleib ist unbekannt, Nach der Versendung entsprechender dungen der Jury. Ein abschließender da ein Bombentreffer während des Krie- Einladungen an alle weiterführenden Empfang, der allen Beteiligten die Gele- ges die Unterlagen, die darüber Auskunft Schulen in Braunschweig und Wolfen- genheit bot, nochmals miteinander ins geben könnten, zerstört hat. büttel meldeten sich insgesamt 103 Gespräch zu kommen, rundete die be- Schüler_innen aus vier Schulen zu dem sonders gelungene Veranstaltung ab. Genese des Projektes Wettbewerb an. Sie erhielten eine Füh- Nach technischer, finanzieller und or- Anlässlich des Familientreffens 2017 rung durch die Gedenkstätte und zum ganisatorischer Prüfung durch die Stadt baten Familienangehörige der nach Göt- Gräberfeld, wo Eberhard Marquordt von Wolfenbüttel soll einer der ausgewähl- tingen überführten Opfer darum, ange- der Friedhofsabteilung der Städtischen ten Entwürfe in den kommenden Jahren sichts fehlender Gräber eine Erinne- Betriebe Wolfenbüttel die besonderen realisiert werden. rungsstätte als Ort der Trauer und des Bedingungen des Ortes erläuterte. Gedenkens einzurichten. Insgesamt wurden letztlich 33 Wettbe- Dieser Wunsch wurde erstmals durch werbsbeiträge von 75 Schüler_innen ein-

Martina Staats bei dem jährlichen Ge- gereicht, die eine Jury mit Vertreter_innen Jury-Sitzung am 30.05.2018 • Gustav Partington denkgottesdienst 2017 in der Öffentlich- der Stadt Wolfenbüttel, der Gedenkstätte Preisverleihung im Lessingtheater Wolfenbüttel keit kommuniziert. Die Stadt Wolfenbüt- in der JVA Wolfenbüttel, von MAN Truck • Sarah Kunte Ehemalige Inhaftierte und Familienangehörige

Martina Staats

Ein wichtiges Anliegen der Gedenk- Ferner wurde die Durchführung von fangenen gerichteten, unzensierten 101 stätte ist weiterhin die Intensivierung lebensgeschichtlichen Interviews mit Briefen, eigentlich Kassiber, berichtete er des Kontaktes zu Familienangehörigen Zeitzeug_innen und Familienangehöri- von seinen Gefühlen, seiner Verzweiflung, von Hingerichteten und im Strafgefäng- gen der zweiten und dritten Generation seiner – vergeblichen – Hoffnung zu über- nis Wolfenbüttel Inhaftierten. Am 9. Ap- fortgesetzt. Ausschnitte aus einigen die- leben. Diese Briefe wurden 1948 bei der ril fand ein gut besuchtes Begegnungs- ser Interviews werden in der neuen Dau- Exhumierung eines anderen in Magde- treffen, das dritte „Familientreffen“, erausstellung gezeigt werden. burg beerdigten belgischen Gefangenen statt. Nach dem gemeinsamen persönli- Auf einer Interviewreise nach Brüssel gefunden. Der Gedenkgottesdienst wurde chen Austausch, einem Bericht über die war es mir möglich, auch ein Interview erneut von der Kolpingfamilie, der Kir- Arbeit der Gedenkstätte und Informatio- mit Marie José Constance Demaret, der chengemeinde St. Petrus, amnesty inter- nen über die Fortschritte bei der Neuge- Witwe des belgischen Widerstands- national und der Gedenkstätte konzipiert staltung erläuterten Alexandra Hupp, kämpfers Dr. André Charon, zu führen. und durchgeführt. Eine kleine Sonderaus- Stadt Wolfenbüttel, und Gedenkstätten- Leider verstarb Frau Demaret am 1. Ja- stellung mit einer Zellentür und Dokumen- mitarbeiter_innen am Gräberfeld 13a auf nuar 2019. Wir fühlen uns in Trauer ver- ten zur Zelle Nr. 27, eine der ehemaligen dem Städtischen Friedhof das Stelen- bunden mit ihrem Sohn André Charon sogenannten Todeszellen in Hafthaus 1, projekt zur Erinnerung an die der Anato- und seiner Familie. Das lebensgeschicht- war ergänzend im linken Seitengang der mie Göttingen übergebenen Hinge­- liche Interview ist umso mehr ihr wichti- St. Petrus-Kirche zu sehen. richteten. ges Vermächtnis für die Arbeit in der Auch am Richtfest des neuen Doku- Gedenkstätte. mentationszentrums nahmen Familien- angehörige teil. Gedenkgottesdienst Im Frühjahr 2018 erschienen im Göt- tinger Wallstein-Verlag die Lebenserin- Der 24. Gedenkgottesdienst „Gegen nerungen Jean-Luc Bellangers unter das Vergessen der Opfer im Wolfenbütte- Besucher_innen vor den Tafeln der Ausstellung „Zelle 27“, die anlässlich des Gedenkgottesdienstes in der dem Titel „Feindbegünstigung – Als ler Strafgefängnis während der Zeit des St.-Petrus-Kirche gezeigt wird. • Lukkas Busche politischer Häftling im Strafgefängnis Nationalsozialismus“ am 27. März in der Marie José Demaret, April 2018, Brüssel. Wolfenbüttel“. Das Buch wurde am 18. Ok- St. Petrus-Kirche erinnerte in besonderer • Standbild aus dem Interview tober in der Buchhandlung Behr in Wol- Weise an den mit 33 Jahren hingerichte- Beim gemeinsamen Frühstück im Lessingcafé in Wolfen- fenbüttel mit einer ausgebuchten Le- ten NN-Gefangenen Wladimir Puchlja- büttel haben Familienangehörige und Mitarbeiter_innen der Gedenkstätte die Möglichkeit zum persönlichen sung öffentlich vorgestellt. kow. In 22 an einen belgischen Mitge- Austausch. • Lukkas Busche

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Richtfest

Sarah Kunte

102 Am Donnerstag, dem 26. September Zeitzeugen versterben. Daher ist die Ge- Auf Besonderheiten des NS-Strafvoll- 2018, fand das Richtfest für das neue Do- denkstättenarbeit so wichtig. Hass, Frem- zugs ging auch Dr. Jens-Christian Wag- kumentationszentrum der Gedenkstätte denfeindlichkeit und Intoleranz dürfen in ner, Geschäftsführer der Stiftung nie­- in der JVA Wolfenbüttel statt. Geladen unserer Gesellschaft keinen Platz haben!“ dersächsische Gedenkstätten, ein und hatte das Staatliche Baumanagement Diesen Worten des Finanzministers veranschaulichte seine Darstellung Braunschweig. Unter den rund 120 Gäs- schloss sich auch Kultusminister Tonne durch Rezitation ausgewählter Strophen ten waren sowohl Vertreter_innen aus in seinem Grußwort an: „Gerade in der des „Klagelieds der Schwerverbrecher“. Lokal- und Landespolitik, Mitarbeiter_in- heutigen Zeit brauchen wir mehr Lernor- Zudem hob auch er die Bedeutung der nen regionaler Kultureinrichtungen als te, die ein Erinnern für die Zukunft mög- Gedenkstätte vor dem Hintergrund des auch Angehörige von ehemaligen Inhaf- lich machen.“ Es sei nicht nur die Auf­ Erstarkens populistischer Strömungen tierten des Strafgefängnisses. Diese wa- gabe der Gedenkstätten, sondern der und rechtsnationaler Parteien hervor. ren teilweise eigens anlässlich des Richt- gesamten Gesellschaft, an das Schicksal Auch der Leiter der JVA Dieter Münze­ festes aus Belgien, Norwegen und ganz der Opfer des Nationalsozialismus zu er- brock richtete ein Grußwort an die An- Deutschland angereist. innern und zugleich nach der Motivation wesenden, in dem er nochmals die be- Nach der Begrüßung folgten zunächst von Tätern, Mittätern und Zuschauern zu sondere Lage des Neubaus verdeutlichte. die Reden des niedersächsischen Finanz-­ fragen, um „das Urteilsvermögen zu Für den Richtspruch des Poliers der Bau- ministers Reinhold Hilbers und des nie- stärken und ein kritisches historisches stelle versammelten sich die Gäste auf dersächsischen Kultusministers Grant Bewusstsein zu prägen“, so der Kultus- der Freifläche vor dem Neubau. Nach Hendrik Tonne, die insbesondere die in- minister weiter. Gedenkstättenleiterin dem offiziellen Programm ermöglichten ternationale Bedeutung des entstehen- Martina Staats sprach in ihrem Grußwort die Mitarbeiter_innen des Neugestaltungs­- den Dokumentationszentrums hervorho- über die Inhalte der neuen Dauerausstel- projektes den anwesenden Familienan- ben. Beide betonten zudem mehrfach die lung. Neben den Spezifika nationalsozia- gehörigen einen ersten Rundgang durch Relevanz der Gedenkstättenarbeit in der listischer Justiz und Strafvollzugs stün- die künftigen Aus­stellungsräume. heutigen Zeit: den insbesondere Kontinuitäten und Der niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne „Gerade aktuelle Ereignisse zeigen uns, Brüche in der Gesetzgebung sowie der richtet ein Grußwort an die Anwesenden. • Jesco Denzel wie wichtig es ist, eine Erinnerungskultur Umgang mit der NS-Vergangenheit im Richtkranz am neuen Dokumentationsgebäude. in unserem Land wach zu halten. Die Ge- Zentrum. Auch die Folgen, die Hafterfah- • Jesco Denzel

denkstätten, die an die Verbrechen der rungen und Hinrichtungen für nahe An- Angehörige ehemaliger Gefangener und Mitarbeiter_in- NS-Zeit erinnern, müssen immer mehr die gehörige teilweise bis heute hätten, wür- nen der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel und des Neugestaltungsprojektes besichtigen die Baustelle. Rolle des Mahnens übernehmen, weil die den in der Ausstellung betrachtet. • Jesco Denzel Neugestaltungsprojekt: Erarbeitung einer neuen Dauerausstellung

Anett Dremel, Thomas Kubetzky, Janna Lölke, Martina Staats, Ina Stenger

Martina Staats Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfa- Rahmenbedingungen für die Hinrichtun- 103 len unternommen. gen während der NS-Zeit thematisiert. Bei der Erarbeitung der neuen Dauer- Eine Präsentation erster Recherche­ Im Zentrum stehen hier die Akteure: die ausstellung wurden die Recherchen in ergebnisse erfolgte mit dem Vortrag Besucher_innen erfahren anhand ausge- Archiven und die inhaltlichen Festlegun- über politische Gefangene im Strafge- wählter Kurzbiographien etwas über be- gen weitergeführt. Mittlerweile sind die fängnis Wolfenbüttel zwischen 1933 und teiligte Richter und Staatsanwälte an genauen Kapitelgliederungen abge- 1939 in der Gedenkstätte KZ-Außenlager den urteilenden Sondergerichten. Au- stimmt und bereits verschiedene Aus- Braunschweig Schillstraße. ßerdem werden in Form von Funktions- stellungstexte geschrieben und teilweise Für die Dauerausstellung wurde in die- biographien weitere an den Hinrichtun- ins Englische übersetzt. Die Ausstel- sem Jahr die detaillierte Gliederung der gen beteiligte Personengruppen vor­- lungsgestaltung wurde mit dem Gestal- Ausstellungskapitel festgelegt und es gestellt: Gefängnisbedienstete, Seelsor- tungsbüro büroberlin fertig abgestimmt. wurden die Exponate und Dokumente ger, Ärzte. Auch über den Scharfrichter Die Leistungsverzeichnisse für die Aus- ausgewählt, die zukünftig zu sehen sein und seine Gehilfen können sich die Be- schreibung der Vergabe an die verschie- werden. Mit den Exponaten – insbeson- sucher_innen informieren. denen Gewerbe für die Ausstellung wur- dere auch den Leihgaben von Familien- Ergänzt wird dieser Teil durch eine den erstellt. Nach der Überarbeitung des angehörigen ehemaliger Gefangener – Auswahl von Dokumenten und Grafiken, Bauzeit-Planes soll die Eröffnung des kann in der künftigen Ausstellung nicht die den Ablauf der Hinrichtungen und Dokumentationszentrums im Spätherbst nur das Verwaltungshandeln themati- die Behandlung der Verurteilten verdeut-­ 2019 stattfinden. siert, sondern auch der Blick auf die lichen. ganz persönlichen Auswirkungen dieses Der zweite, innere Teil dieses Ab- Anett Dremel Handels für die Gefangenen geweitet schnitts ist ganz den Biographien hinge- werden. richteter Personen gewidmet. Hier kön- Im Zentrum der Erarbeitung des Kapi- nen in einer multimedialen Präsentation tels zum Strafgefängnis Wolfenbüttel in Thomas Kubetzky aus 25 beispielhaften Biographien ein- der Zeit zwischen 1933 und 1945 stand zelne Schicksale intensiver nachvollzo- die Sichtung von Verwaltungsakten im Der Ausstellungsteil zu den zwischen Der Neubau des Dokumentationszentrum nach dem Niedersächsischen Landesarchiv – 1937 und 1945 im ehemaligen Strafge- vollständigen Abbau der Gerüstanlagen, November 2018. • Sarah Kunte Standort Wolfenbüttel. Darüber hinaus fängnis Wolfenbüttel hingerichteten Per- wurden aber auch Recherchereisen zu sonen ist in zwei Bereiche gegliedert. In Anett Dremel informiert über ihre Arbeit am Kapitel „Strafgefängnis Wolfenbüttel im Nationalsozialismus“. weiteren Archiven in Niedersachsen, einem äußeren Wandbereich werden die • Lukkas Busche, Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 104 gen werden. Neben einer Auswahl per- 1920er Jahren und stellt digitalisierte der frühen Bundesrepublik während der sonenbezogener Dokumente erhalten Gerichtsakten im Online Portal des Inter- 1950er und 1960er Jahre beschäftigen die Besucher_innen biographische Infor- nationalen Strafgerichtshofs (http:// können. mationen zum Schicksal der ausgewähl- www.legal-tools.org/browse/) für die Kontinuitäten sind nicht nur an der über ten Person. weitere Forschung zum Download bereit die NS-Zeit hinausgehenden Beschäfti- In dieser Gruppe sind auch Personen – so auch die Akten des Wolfenbüttel- gung von Richtern und Staatsanwälten erfasst, die von der NS-Militärjustiz zum Prozesses, der 1950 vor einem Kriegsge- festzumachen. Auch einige Strafrechts­ Tode verurteilt wurden und teilweise in richt in Brüssel stattfand. Sechs frühere paragraphen, die diese Juristen bis in die Wolfenbüttel, teilweise auf einem Bedienstete des Strafgefängnisses stan- 1960er Jahre hinein anwandten, ent- Schießstand bei Braunschweig hinge- den damals wegen Mordes und Gefan- stammten der NS-Zeit. So hatten natio- richtet wurden. genenmisshandlung vor Gericht. Die Ge- nalsozialistische gesetzliche Regelungen richtsakten enthalten eine Fülle bisher gegen „Gewohnheitsverbrecher“ (Para- Janna Lölke unbekannten Materials und stellen eine graph 20a) und homosexuelle Männer wertvolle Quelle für unsere Recherchen (Paragraph 175) sogar über die Gründung Eine große Hilfe bei den 2018 durchge- dar. Das Neugestaltungsprojekt bekam der Bundesrepublik Deutschland 1949 hi- führten Recherchen im Bereich „Befrei- die umfangreichen digitalisierten Akten naus Gültigkeit. Vor dem Hintergrund des ung, Kriegsende, Besatzung“ zum Thema freundlicherweise schon vor der Veröf- Kalten Krieges wurde 1951 zudem das po- „Wolfenbütteler Gefängnispersonal vor fentlichung im Onlineportal zur Verfü- litische Strafrecht gegen Kommunisten Gericht“ war der neu geknüpfte Kontakt gung gestellt, so dass sie bereits für die eingeführt. In der Folge saßen erneut zum belgischen Forschungsprojekt JUS- Ausstellung ausgewertet werden konnten. Menschen wegen politischer Betätigung INBELLGIUM (https://jusinbell.hypotheses. Für das Jahr 2019 ist ein gemeinsamer oder homosexueller Handlungen im org/) – ein interdisziplinäres Projekt aus Workshop geplant, um den Austausch Strafgefängnis Wolfenbüttel in Haft. Mitgliedern der Freien Univer­sität Brüs- weiter voranzutreiben. Die strafrechtliche Verfolgung und die sel (ULB), des Belgischen Staatsarchivs, Haftbedingungen dieser Gefangenen- der Katholischen Universität Leuven und Ina Stenger gruppen in der frühen Bundesrepublik der Philipps-Universität in Marburg (In- sind weitestgehend Forschungsdesidera- ternational Research and Documentati- Die Besucher_innen werden sich in te, denen das Neugestaltungsprojekt am on Center for War Crimes Trials). JUSIN- einem Ausstellungskapitel mit den Kon- lokalen Beispiel des Strafgefängnisses BELLGIUM beschäftigt sich mit Kriegs­- tinuitäten und Brüchen in Justiz und Wolfenbüttels auch dieses Jahr anhand verbrecherprozessen in Belgien seit den Strafvollzug zwischen der NS-Zeit und von Archivrecherchen nachgegangen ist. In der Ausstellung werden diese Ge- werden. Der Innenbereich ist den Famili- 105 fangenengruppen durch spannende Do- enangehörigen der Justiz-Verurteilten kumente der Gefängnisverwaltung und gewidmet. Auch deren Leben wird teil- des Haftalltages, private Erzählungen, weise bis heute von der NS-Verfolgung Objekte und Fotos veranschaulicht. Dazu beeinflusst. Objekte und Interviewaus- gehört beispielsweise das lebensge- schnitte stellen dieses dar. schichtliche Interview eines ehemaligen politischen Gefangenen. Auch über die Brüche zwischen NS- Zeit und früher Bundesrepublik wird die Ausstellung anhand lokaler Beispiele informieren. Die Söhne des damaligen Anstaltslei- ters Walter Herrmann übergaben dem Neugestaltungsprojekt außerdem einen Teilnachlass ihres Vaters. Die Dokumen- te seines Nachlasses bieten spannende Einblicke in den damaligen Strafvollzug.

Martina Staats Dr. Thomas Kubetzky stellt den Bereich „Hinrichtungen im Nationalsozialismus“ vor. • Anett Dremel, Gedenk- stätte in der JVA Wolfenbüttel

Im Kapitel „Raum für Erinnerungen“ Blick in eine Gemeinschaftszelle der politischen Gefan- wird an der Außenwand die Geschichte genen im Strafgefängnis Wolfenbüttel, 5. April 1957. • Privatbesitz Willi Gerns des Umgangs mit dem historischen Ort, André Charon und Marie José Demaret mit Objekten aus der Errichtung der Gedenkstätte sowie dem Nachlass von André Charon, die sie der Gedenk- der gesellschaftlichen und politischen stätte für die neue Dauerausstellung zur Verfügung stellen. • Olaf Markmann Anerkennung in der Bundesrepublik von Aus den Gerichtsakten zum Kriegsverbrecher-Prozess in der NS-Zeit Justiz-Verurteilten als NS- gegen den früheren Anstaltsleiter Karl Lupfer und Opfer anhand einer Exponatwand – er- weiteres Gefängnispersonal. • State Archives of Belgi- um, Cour Militaire de Bruxelles, Prosecutor v. Lupfer et al., gänzt von medialen Berichten – gezeigt case 182/B/1950, 05.12.1950

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel „§ 175 StGB – 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der Bundesrepublik am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel“

Maria Bormuth

106 Mit dem Projekt „§ 175 StGB – 20 Jahre Das Projekt „§ 175 StGB – 20 Jahre le- Maria Bormuth: Ein Mann, der mit ei- legitimiertes Unrecht in der Bundesrepu- gitimiertes Unrecht in der Bundesrepub- nem anderen Mann Unzucht treibt […], blik am Beispiel des Strafvollzugs in lik am Beispiel des Strafvollzugs in Wol- wird mit Gefängnis bestraft. „§ 175 StGB Wolfenbüttel“ hat die Stiftung nieder- fenbüttel“ legte dabei den Forschungs- ­ – 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der sächsische Gedenkstätten einen Beitrag schwerpunkt erstmals auf den Strafvoll- Bundesrepublik am Beispiel des Straf- zur Aufarbeitung der Geschichte von zug der aufgrund von § 175 in der Bun- vollzugs in Wolfenbüttel“. Celle 2019. Männern geleistet, die in der Bundesre- desrepublik Deutschland zwischen 1949 (Schriften der Gedenkstätte in der JVA publik Deutschland wegen homosexuel- und 1969 verurteilten Männer. Die Frage- Wolfenbüttel, Band 2) ler Handlungen verurteilt wurden. Das stellung nach ihren Haftbedingungen Darüber hinaus bietet die Gedenkstät- Projekt wurde in der Gedenkstätte in der wurde dabei am Beispiel des Strafvoll- te ab 2019 einen Workshop für Schüler_ JVA Wolfenbüttel umgesetzt und durch zugs in Wolfenbüttel untersucht. innen und interessierte Gruppen zur Ge- das Niedersächsische Ministerium für Durch die vertrauensvolle Zusammen- schichte des § 175 an. Dabei werden Soziales sowie die Stiftung niedersäch- arbeit mit dem Niedersächsischen Lan- auch die Erkenntnisse zur Haftunterbrin- sische Gedenkstätten finanziert. desarchiv – Standort Wolfenbüttel konn- gung und den Haftbedingungen für auf- Der § 175 wurde 1872 im Deutschen ten Gefangenenpersonalakten und staat-­ grund von § 175 verurteilte Männer im Reich in Kraft gesetzt. Er galt in unter- liche Dokumente der Jahre 1949 bis 1969 Gefängnis in Wolfenbüttel thematisiert. schiedlichen Formen bis 1994. Die von eingesehen werden. Persönliche Berich- Interessierte an der Publikation und / den Nationalsozialisten im Jahr 1935 te, Dokumente oder Zeugnisse von ehe- oder dem Workshop wenden sich bitte verschärfte Form wurde von der Bun- mals im Strafgefängnis Wolfenbüttel in- an: [email protected] desrepublik bis 1969 beibehalten. Ein haftierten Männern sind trotz zahlreicher Rehabilitationsgesetz für die Männer, die Aufrufe bisher nicht vorhanden. Es konn- ­ in der Bundesrepublik wegen des § 175 ten jedoch Männer gefunden werden, verurteilt wurden, gibt es erst seit 2017. die aus anderen Perspektiven über den Im Zuge der Diskussion und der Verab- Untersuchungszeitraum berichten. So

schiedung dieses Gesetzes wurden im ist u.a. festzustellen, dass Männer, die Publikation "‘Ein Mann, der mit einem anderen Mann letzten Jahr einige Projekte begründet, nach § 175 oder § 175a verurteilt wur- Unzucht treibt [...], wird mit Gefängnis bestraft‘. § 175 StGB – 20 Jahre legitimiertes Unrecht in der Bundesre- die sich mit der Geschichte der wegen den, in Einzelzellen unterbracht werden publik am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel“, 2019. • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten § 175 in der BRD verurteilten Männer be- sollten. Die Forschungsergebnisse sind fassten und befassen. im Januar 2019 in einer Publikation vor- Maria Bormuth moderiert das 7. Wolfenbütteler Gedenk- stättenforum anlässlich des Internationalen Tages gegen gelegt worden: Homo- und Trans*phobie. • Sarah Kunte „outSITE Wolfenbüttel: Das Strafgefängnis Wolfenbüttel und sein Netzwerk im Land Braunschweig“

Jannik Sachweh

Das Strafgefängnis in Wolfenbüttel schweig, der Buchhorst, gebracht. Neben Die Stiftung Braunschweigischer Kul- 107 war die zentrale Haftanstalt des ehemali- deutschen Soldaten betraf dies unter an- turbesitz, Die Braunschweigische Stif- gen Freistaates Braunschweig. Neben derem auch Gefangene aus Belgien. tung und die Stiftung Zukunftsfonds den Gebäuden in Wolfenbüttel verfügte Ziel des auf zwei Jahre angelegten Asse fördern das Projekt mit insgesamt das Strafgefängnis jedoch zusätzlich Projektes ist die Erforschung dieser Orte 165.000 €. über Außenorte, die über den ganzen sowie die Errichtung eines Leitsystems Freistaat Braunschweig verteilt waren. für Besucher_innen. Ausgewählte Plätze Dies waren sowohl weitere Haftorte, wie sollen durch Stelen mit Informationen das Gefängnis in Braunschweig in der zum jeweiligen Ort in der Landschaft Rennelbergstraße, als auch Arbeitsorte, sichtbar werden. Durch das Projekt ‚out- an denen so genannte Außenkomman- SITE Wolfenbüttel‘ wird dieses Netzwerk dos des Strafgefängnisses Wolfenbüttel historischer Orte erkennbar. Im neuen den Arbeitseinsatz der Gefangenen or- Dokumentationszentrum der Gedenk- ganisierten und überwachten. stätte in der JVA Wolfenbüttel werden In diesem Zusammenhang wurden die die Forschungsergebnisse des Projektes Häftlinge im Verlauf des Zweiten Welt- gleich im Eingangsbereich platziert. Eine krieges zunehmend in der Kriegswirt- interaktive Medienwand wird die Außen- schaft eingesetzt. So mussten sie bei- orte und die Vernetzung des Strafge- spielsweise in den letzten Monaten des fängnisses vermitteln und detaillierte In- Krieges auch an Projekten zur Unterta- formationen bieten. Zusätzlich sollen die geverlagerung von Rüstungsproduktion Ergebnisse des Projekts Bestandteil der teilnehmen. Weitere Stätten, die mit Bildungsarbeit der Gedenkstätte in der Die Kugelfänger auf dem ehemaligen Schießplatz der dem Strafgefängnis Wolfenbüttel in Ver- JVA Wolfenbüttel werden. Die Besu- Wehrmacht in der Buchhorst in Braunschweig. Ein Ort, an dem auch Inhaftierte aus Wolfenbüttel hingerichtet bindung standen, sind Hinrichtungs- und cher_innen können ab 2020 selbst mit wurden. • Jannik Sachweh, Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Beerdigungsorte. Soldaten, die von der Dokumenten, Bildern und Karten arbei- Wehrmachtsjustiz zum Tode verurteilt ten sowie einen Bezug zur eigenen Le- Detailansicht der „Gerechtigkeitssäule“ vor dem Amts- gericht Helmstedt, geschaffen durch den Bildhauer worden waren, wurden teilweise auch in benswirklichkeit herstellen. Eine zusätzli- Siegfried Neuenhausen 1985. Dem Thema "Justiz im Nationalsozialismus" gab der Künstler in diesem Mahn- Wolfenbüttel inhaftiert und von dort zur che Publikation ermöglicht eine vertiefte mal breiten Raum. Die Rolle des angrenzenden Gefäng- Vollstreckung der Urteile zu einem Auseinandersetzung mit den Ergebnis- nisses während des Nationalsozialismus wird im Projekt „outSITE Wolfenbüttel“ näher untersucht. Schießplatz in einem Wald in Braun- sen der historischen Forschung. • Jannik Sachweh, Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 108 Gedenkstättenförderung Niedersachsen

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Gedenkstättenförderung Niedersachsen Gedenkstättenförderung Niedersachsen

Rolf Keller

110 Die Abteilung Gedenkstättenförde- konzeptionelle und förderungsspezifi- benau bei den Überlegungen und Pla- rung Niedersachsen bietet vielfältige sche Aspekte. Oft geschieht dies durch nungen zur Einrichtung einer Gedenk- Formate und Serviceleistungen zur Un- intensive Vor-Ort-Beratung und/oder ak- stätte in der ehemaligen Oberschule in terstützung und Vernetzung der Gedenk- tive Beteiligung in lokalen/regionalen Liebenau. Das Projekt wurde auch auf stättenarbeit, der Erinnerungskultur so- Gremien oder Arbeitsgruppen. den beiden Sitzungen der Wissenschaft- wie der Forschung zur Geschichte des lichen Fachkommission diskutiert, und Nationalsozialismus in Niedersachsen Die Abteilung ist durchgehend einge- am 18. Dezember reisten Arnold Jürgens, an. Dies beinhaltet finanzielle Zuwen- bunden in Projekte verschiedener Ge- Dr. Rolf Keller und Dr. Jens-Christian dungen für Gedenkstätten und Initiati- denkstätten. Christian Wolpers begleite- Wagner zu einem Gespräch mit dem ven sowie Angebote in den Bereichen te ein Bildungsprojekt der Gedenkstätte Landrat des Landkreises Nienburg und Beratung und Fortbildung, Bildung und Braunschweig-Schillstraße zur künstleri- dem Vorstand des Vereins Dokumentati- Vermittlung sowie Forschung und schen Auseinandersetzung mit den NS- onsstelle Liebenau über Konzept und Fi- Dokumentation. Verbrechen. Am 15. Januar veranstaltete nanzierungsmöglichkeiten nach Nien- Über die beiden im Berichtsjahr durch- die KZ-Gedenkstätte Moringen ein burg. Der Arbeitskreis Stadtgeschichte geführten niedersachsenweiten Tagun- „Kick-off-Meeting“ zu konzeptionellen e.V. hatte 2017 ein Beratergremium zur gen zu den Themen „Sinti und Roma in Fragen der geplanten Neugestaltung der Erweiterung und Neugestaltung der Ge- Niedersachsen – Geschichte und Gegen- Gedenkstätte, an dem Arnold Jürgens, denkstätte KZ Drütte eingerichtet, in wart“ sowie „Friedhöfe als Gedenk- und Dr. Rolf Keller und Dr. Jens-Christian dem die Stiftung durch Juliane Hummel Lernorte“ wird an anderer Stelle in die- Wagner teilnahmen. Sie diskutierten au- vertreten ist. Sie nahm 2018 regelmäßig ser Publikation berichtet. ßerdem bei zwei Besuchen vor Ort mit an den Sitzungen des Gremiums teil. Ein Arbeitsschwerpunkt aller Mitarbei- dem Projektteam die Ausstellungspla- terinnen und Mitarbeiter der Abteilung nung für die Gedenkstätten Gestapokel- Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Beratung und Unterstützung von ler Osnabrück und Augustaschacht Ohr- der Abteilung waren außerdem an der Gedenkstätten, Vereinen, Initiativen, beck und berieten mit den Vertreter_innen Konzeption und Durchführung verschie- Kommunen und anderen Akteuren, die der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüne- denster Workshops, Ausstellungsprojekte, sich der Erforschung, Dokumentation burg den Entwurf für den Förderantrag, Outdoor-Gestaltungen, Veröffentlichun- und Vermittlung der NS-Geschichte in der 2019 bei der Beauftragten des Bun- gen etc. an vielen Orten in unterschiedli- Niedersachsen mit dem Schwerpunkt des für Kultur und Medien eingereicht cher Weise beteiligt. An dieser Stelle Widerstand und Verfolgung widmen. werden soll. Ebenso begleiteten sie die kann lediglich eine kleine Auswahl vor- Dies betrifft historische, pädagogische, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Lie- gestellt werden: Am 11. April besuchten Dr. Rolf Keller ten aus dem Bundesgebiet Juliane Bunker Valentin, der zum Thema „Mari- 111 und Christian Wolpers die Ausstellung Hummel und Dr. Rolf Keller für die Ge- nerüstung und Zwangsarbeit“ arbeiten- nebst Sammlung zum Schicksal von denkstättenförderung Niedersachsen den Vereine und Initiativen, der Denk- Cato Bontjes van Beek im gleichnamigen sowie Prof. Dietmar von Reeken von der malpflege aus Bremen und Nieder­- Gymnasium in Achim sowie den Ort Fi- Wissenschaftlichen Fachkommission sachsen sowie Juliane Hummel, Dr. Rolf scherhude, wo eine Gedenk- und Doku- der Stiftung niedersächsische Gedenk- Keller und Dr. Jens-Christian Wagner mentationsstätte für die Widerstands- stätten teil. Im Nachgang erarbeitete der von der Stiftung niedersächsische Ge- kämpferin eingerichtet werden soll, die Verein Gedenkstätte KZ Engerhafe auf denkstätten beteiligt. Die etwa zwanzig- hier einen Teil ihrer Jugend verbrachte. Grundlage der Ergebnisse des Work- köpfige Runde war sich einig, dass mit Die dortige Initiative hatte dazu eingela- shops und der Empfehlungen der Ex- der Veranstaltung ein Impuls gegeben den und um Beratung gebeten. pert_innen ein Grobkonzept für die wei- wurde, den Prozess in den kommenden teren Planungen. Jahren aktiv voranzutreiben. Am 21./22. Juni veranstaltete der Ver- ein Gedenkstätte KZ Engerhafe bei Au- In Kooperation mit dem Denkort Bun- Am 2. November fand in Jever ein rich einen Workshop, der die Fortent- ker Valentin organisierte die Abteilung Workshop statt, der vor allem das Konzept wicklung der Gedenkstätte zum Thema Gedenkstättenförderung am 28. Sep- für die künftige historische Dokumentati- hatte. Angestrebt wird eine institutionell tember 2018 einen Workshop zur „Er- on im Gröschlerhaus zum Inhalt hatte. Mit verankerte Einrichtung mit festem Per- schließung der Rüstungslandschaft den Vereinsmitgliedern diskutierten Prof. sonal, einer Sammlung und Ausstellung Schwanewede für die historisch-politi- Dietmar von Reeken und Dr. Miriam Rürup zur Geschichte des Ortes sowie einem sche Bildungsarbeit“, um die zwischen- von der wissenschaftlichen Fachkommis- pädagogischen Angebot. Auch das ehe- zeitlich ins Stocken geratenen Überle- malige KZ-Gelände wird in die Neukon- gungen zur Nutzung der „Rüstungs­- Dauerausstellung über das Schicksal von Cato Bontjes zeption integriert. Die Abteilung Ge- landschaft“ nach dem Abzug der Bun- van Beek im gleichnamigen Gymnasium in Achim, 11. April 2018 • Rolf Keller denkstättenförderung ist an diesem deswehr wieder aufzunehmen und den Gedenkbucheintrag für Cato Bontjes van Beek in der Prozess intensiv beteiligt und unterstütz- Austausch zwischen den verschiedenen Liebfrauenkirche in Fischerhude • Rolf Keller te diesen Workshop durch finanzielle regionalen Akteur_innen fortzusetzen. Janine Doerry und Dr. Michel Gander erläutern die Förderung, Beratung bei der Konzeption, An den Diskussionen über die Rahmen- Planungen für die inhaltliche Bespielung der Räumlich- keiten im Augustaschacht Ohrbeck, 31. Mai 2018 Rekrutierung externer Referenten, Mo- bedingungen, Ressourcen, Konzepte • Rolf Keller deration und Diskussion. An dem Work- und Perspektiven waren Vertreter der Ortsbegehung am Augustaschacht am 13. August 2018 shop nahmen neben weiteren Fachleu- Gemeinde Schwanewede, des Denkorts • Rolf Keller

Gedenkstättenförderung Niedersachsen 112 sion sowie Arnold Jürgens von der Abtei- Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ru- pogrome 1938 in Niedersachsen“ einge- lung Gedenkstättenförderung. Im Vorfeld hen. Die Umbettung der Ausländer von bunden. Die Tätigkeiten umfassten histo- hatte Dr. Rolf Keller am 29. August eine verschiedenen Friedhöfen im Wendland rische Forschung und Archivrecherchen, Bereisung der vom Gröschlerhaus betreu- auf diese, noch während der NS-Zeit als Text- und Bildredaktion, das Verfassen ten und dokumentierten „Erinnerungsorte „Heldengedenkstätte“ eingerichtete Anla- von Beiträgen, die Mitarbeit bei der im Landkreis Friesland“ durchgeführt und ge, hatte 2013 für erhebliches Aufsehen Website-Realisation sowie die Online- ­ bei dieser Gelegenheit mit den Akteuren gesorgt; insbesondere die Bestattung un- Redaktion. Perspektiven der inhaltlichen und finanzi- ter einem im November 1944 errichteten ellen Unterstützung durch die Stiftung Holzkreuz mit der Inschrift „Euer Opfer- Von Januar bis Oktober 2018 nahm besprochen. gang heißt Ehr‘ und Ruhm – Unser Opfer- Juliane Hummel die Betreuung des Twit- Auch Kommunen und Landkreise haben dank ein Heiligtum“ hatte seinerzeit für ter-Kanals der Stiftung wahr. Es gelang in den letzten Jahren verstärkt um Unter- Proteste gesorgt. In einer daraufhin von den neuen Account, der Themen und stützung durch die Stiftung nachgefragt. der Gemeinde eingerichteten Arbeits- Nachrichten zur Erinnerungsarbeit in Juliane Hummel beriet die Stadt Hannover gruppe war die Stiftung durch Dr. Rolf Niedersachsen verbreitet, gut einzufüh- bei der Neugestaltung des Geländes des Keller vertreten. Mit der Aufstellung der ren und aufzubauen. Damit konnten früheren KZ Ahlem, die Stadt Goslar im Tafeln fand das Projekt seinen Abschluss. nicht nur neue Interessenten für die Ar- Zusammenhang mit dem Abbruch der beit der Stiftung gewonnen werden, Fundamente der sogenannten Goslar-Hal- Im Kontext der Gedenkstätte Bergen- sondern auch neue überregionale Kon- le und den Landkreis in Fragen Belsen steht das Projekt zur Entwicklung takte geknüpft und der Austausch mit der Neugestaltung des Friedhofs Oerbke. eines Masterplans für den Kriegsgefan- Gedenkinitiativen auch außerhalb Nie- Außerdem war sie Mitglied der Projekt- genenfriedhof Hörsten. Die Abteilung dersachsens intensiviert werden. gruppe „Gedenk- und Lernort KZ-Außen- (Juliane Hummel, Silke Petry, Dr. Rolf lager Laagberg“ in Wolfsburg. Keller) war an der Weiterentwicklung der Auf Initiative von Miriam Litten vom Juliane Hummel, Silke Petry und Dr. Konzeption zur Neugestaltung der Anla- Niedersächsischen Landesinstitut für Rolf Keller leisteten redaktionelle Unter- ge beteiligt. 2018 fanden mehrere Sit- schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) stützung bei der Formulierung der Texte zungen und Workshops dazu statt. in Hildesheim wurde ein landesweites für sieben Informationstafeln auf dem mediales Dokumentationsprojekt zum „Ehrenhain“ in Gartow im Kreis Lüchow- Juliane Hummel, Silke Petry und Dr. Thema „Stille Helden“ in Angriff genom- Dannenberg, auf dem sowohl deutsche Rolf Keller waren außerdem intensiv in men, das auch auf die Beteiligung von Soldaten als auch ausländische zivile das Projekt für die Website „November- Schülerinnen und Schülern zielt. Der Be- griff „Stille Helden“ bezeichnet Perso- Auseinandersetzungen um den jekts verliefen jedoch ergebnislos. Un- nen, die während der NS-Diktatur ver- Bückeberg terstützung kam von den Lehrkräften folgten oder von Verfolgung bedrohten aus der Region. Die Fachgruppen Ge- Menschen halfen, indem sie ihnen z. B. Das von der Stiftung niedersächsische schichte der Schulen und Studiensemi- Lebensmittel, Arbeit und Verstecke ver- Gedenkstätten geförderte Projekt „Do- nare im Landkreis Hameln-Pyrmont ga- schafften oder die Flucht ermöglichten. kumentation Bückeberg“ des Vereins für ben eine entsprechende gemeinsame In einem ersten Schritt wurde sondiert, Regionale Kultur- und Zeitgeschichte Ha- öffentliche Erklärung ab. in welchem Umfang derartige Fälle in meln endete im März. Wesentlicher In- Wegen der massiven Auseinanderset- Niedersachsen bekannt und überliefert halt war die Entwicklung eines Konzepts zungen wurde auch die Landespolitik auf sind. Im November wurden Gedenkstät- für ein historisch-topographisches Infor- den Bückeberg aufmerksam. Die AfD- ten, Vereine, Initiativen und Archive in mationssystem auf dem Gelände der Landtagsfraktion kritisierte die Pläne, Niedersachsen und Bremen um entspre- „Reichserntedankfeste“ 1933-1937. Die Grüne, SPD und schließlich auch die CDU chende Hinweise auf vorhandene Infor- Kosten sind mit 450.000 € veranschlagt, äußerten sich dagegen zustimmend. Am mationen, Publikationen, Quellen oder von denen ein Drittel durch Fördermittel 17. August fand auf Antrag der Fraktion Dokumentationen gebeten. Bis zum Jah- der Stiftung niedersächsische Gedenk- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ziel einer resende gab es eine große Zahl von stätten finanziert werden soll. Im Okto- politischen und finanziellen Unterstüt- Rückmeldungen mit vielen Beispielen ber erschien als letztes Ergebnis des zung der Bückeberg-Planungen eine für „Stille Helden“ und einem durchweg Projekts die Publikation „Die NS-Reichs- Anhörung im Kultusausschuss des Nie- positiven Feedback zur Projektidee. erntedankfeste auf dem Bückeberg 1933- dersächsischen Landtages statt. Die Dis- 1937“ von Bernhard Gelderblom. kussion der Parlamentarier wird Anfang Im Themenbereich Kriegsgefangene/ Der Kreistag des Landkreises Hameln- 2019 fortgesetzt werden. Kriegsgefangenenlager hat die Stiftung Pyrmont stimmte noch im März der Im November gelang es dem Landrat niedersächsische Gedenkstätten eine Gründung einer „Bückeberg gGmbH“ schließlich, mit Vertretern der Gegner ei- weit über Niedersachsen hinaus gehende als Träger des künftigen Dokumenta- nen Kompromiss zu erzielen und er er- Reputation, was sich in entsprechenden tions- und Lernorts und der Bereitstel- wirkte die Zustimmung zur Realisierung Kontakten widerspiegelt. Zur weiteren lung von anteiligen Mitteln für die Reali- des Informationssystems mit geringfügi- Einbindung in das deutsch-russische Er- sierung des Informationssystems zu, gen Änderungen, woraufhin die Gegner schließungsprojekt „Sowjetische und letzteres unter der Voraussetzung, dass massive Kritik an ihren Verhandlungs- deutsche Kriegsgefangene und Internier- auch der Bund sich beteilige. Auf Antrag führern übten. te“ wurde der Abschluss einer Kooperati- des Landkreises bewilligte der Haushalts-­ Im Dezember stimmte der Kreistag onsvereinbarung zwischen der Stiftung ausschuss des Bundestags im Juni dem Gesamtkonzept und der finanziellen niedersächsische Gedenkstätten und dem 725.000 € aus Bundesmitteln für zusätzli- Beteiligung an der Bückeberg gGmbH Deutschen Historischen Institut Moskau che Infrastrukturmaßnahmen als Ergän- zu. Letztere befindet sich seit dem sowie dem Volksbund Deutsche Kriegs- zung des Informationssystems am Berg. 1. Januar 2019 in Gründung. gräberfürsorge e.V. vereinbart. Im Zusam- Die massive öffentliche Kritik an dem 113 menhang mit diesem Großprojekt stand Projekt nahm indes nicht ab. Es kursierte Einrichtung eines wissenschaftlichen auch die Teilnahme von Dr. Rolf Keller an eine Unterschriftenliste gegen das Vor- Volontariats der Internationalen wissenschaftlichen haben. AfD, Freie Wähler und CDU bean- Konferenz „Sowjetische Kriegsgefangene tragten im Gemeinderat Emmerthal eine Das mit der Wissenschaftlichen Fach- - Widerstand, Kollaboration, Erinnerung“ Bürgerbefragung. In Leserbriefen wur- kommission zur Förderung und Fortent- im Oktober an der staatlichen pädagogi- den die angeblich hohen Kosten, die wicklung der Gedenkstättenarbeit in schen Universität Novosibirsk. Ausweitung der Planungen, die ver- Niedersachsen abgestimmte mittelfristi- Am 23. und 24. März war Dr. Rolf Kel- meintliche Überformung des Berges, die ge Konzept zur „Förderung der Gedenk- ler Teilnehmer und Referent auf einem mangelhafte Informationspolitik der Pla- stättenarbeit in Niedersachsen“ vom Symposium der Universität Bielefeld, ner und eine fehlende Bürgerbeteiligung Dezember 2016 sieht die Einrichtung das im Kontext der Pläne zur Neugestal- beklagt. Außerdem wurde die Besorgnis wissenschaftlicher Mitarbeiterstellen in tung der Dokumentationsstätte Stalag VI K zum Ausdruck gebracht, der Bückeberg den niedersächsischen Gedenkstätten in (326) Senne stand. Am 23. August führte könne ein Anziehungspunkt für Neonazis Form eines Volontariats vor. Die Volon- er auf Bitten des Dokumentationszent- werden. In den sozialen Netzwerken tärsausbildung soll auch der Nach- rums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schö- wurden einige Gegner des Projektes wuchsförderung für die Gedenkstätten neweide (Stiftung Topographie des Ter- deutlicher: Etliche Kommentare offen- dienen. Nachdem das Land Niedersach- rors) eine Fortbildungsveranstaltung für barten Ressentiments gegen jede kriti- sen den Förderetat erhöht hat, stehen die wissenschaftlichen und pädagogi- sche Auseinandersetzung mit dem die notwendigen Mittel zur Verfügung. schen MitarbeiterInnen zum Thema Nationalsozialismus. Die WFK hat die Einrichtung einer ersten Wehrmacht, Kriegsgefangene und Gen- Der Landrat Tjark Bartels, der Verein Volontärstelle in der Gedenkstätte Lager fer Konvention mit den Schwerpunkten für Regionale Kultur- und Zeitgeschichte Sandbostel empfohlen. Die Stelle konnte italienische Militärinternierte und sowje- Hameln und die Stiftung niedersächsi- zum 1. September 2018 besetzt werden. tische Kriegsgefangene durch. sche Gedenkstätten versuchten ihrer- seits, die Öffentlichkeit umfassend über die Planung und die Chancen des Projek- Diskussionsrunde in Engerhafe am 21. Juni 2018 tes zu informieren, u. a. mit mehreren • Jens-Christian Wagner

öffentlichen Veranstaltungen in Emmert- Besichtigung des Panzergrabenmahnmals bei Aurich, hal und Hameln („Bückeberg-Dialog“). 22. Juni 2018 • Rolf Keller Gespräche mit den Gegnern des Pro- Tagung in Novosibirsk 22. Oktober 2018 • Rolf Keller

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Dokumentation und Forschung

Silke Petry

114 Der Arbeitsbereich Dokumentation Kriegsgräberstätten und Luftaufnahmen Die Nachfrage nach Auskünften war und Forschung bietet Gedenkstätten, der deutschen Luftwaffe zwischen 1939 2018 gleichbleibend hoch. So wurden Vereinen und Initiativen, Wissenschaft- und 1945. Darüber hinaus erhielt die Do- 121 schriftliche, sowie eine Vielzahl tele- lern und interessierten Einzelpersonen, kumentationsstelle von verschiedenen fonischer Anfragen zu verschiedensten Kommunen und Bildungsträgern Unter- regionalen Forschern Fotografien und thematischen Aspekten beantwortet stützung und Beratung bei der Aufarbei- Dokumente mit Bezug zur jüdischen Ge- (v. a: Kriegsgefangenenlager und Wehr- tung, Dokumentation und Vermittlung schichte, Zwangsarbeit und Kriegsge- macht, Konzentrationslager und SS, Civil der Geschichte der NS-Zeit in Nordwest- fangenschaft sowie zur Geschichte von Internment Camps, Displaced Persons, deutschland. Darüber hinaus ist die Do- Friedhöfen und Kriegsgräberstätten in einzelne Verfolgtengruppen, Gestapo, kumentationsstelle in ein internationales Niedersachsen. Widerstand, NS-Kultstätten, Kriegsver- Netzwerk von Gedenkstätten und For- brecherprozesse, Friedhöfe und Gräber- schungseinrichtungen eingebunden. Die Präsenzbibliothek der Dokumenta- felder, Archivwesen und Quellenbestän- tionsstelle sammelt Publikationen vor al- de, Recherchemöglichkeiten, Auswertung Dokumentationsstelle Widerstand und lem zum Schwerpunkt NS-Zeit und Fol- und Dokumentation). Im Bereich der Verfolgung 1933-1945 auf dem Gebiet gen in Nordwestdeutschland. 2018 Schicksalsklärung wurden 27 Anfragen des Landes Niedersachsen wurden 137 Titel neu aufgenommen. aus dem Ausland bearbeitet, die vor al- Der Bestand umfasst rund 6200 Druck- lem sowjetische, außerdem slowakische Die archivalische Sammlung der Do- werke, außerdem Zeitschriften und au- und französische Kriegsgefangene so- kumentationsstelle umfasst Reprodukti- diovisuelle Medien. Im Berichtsjahr wur- wie italienische Militärinternierte betra- onen (Kopien, Mikrofilme, Scans) von de die Möglichkeit einer online-Recherche fen. Mehrere Besucher bzw. Besucher- schriftlichen Quellen und Fotografien über den Katalog der Arbeitsgemein- gruppen haben darüber hinaus vor Ort aus Archiven im In- und Ausland sowie – schaft der Gedenkstättenbibliotheken in den Beständen der Dokumentations- in geringerem Umfang – auch originale (AGGB) eingerichtet. Die Arbeitsgemein- stelle recherchiert. Außerdem wurden Unterlagen wie Nachlässe, Fotografien schaft der Gedenkstättenbibliotheken Fotos aus den Beständen der Dokumen- und Alben. Im Berichtszeitraum wurden wurde 1998 auf Initiative der Gedenk- tationsstelle für Ausstellungen und Pub- die Bestände durch Recherchen im nie- und Bildungsstätte Haus der Wannsee- likationen zur Verfügung gestellt. dersächsischen Ministerium für Inneres Konferenz, Berlin und der Stiftung Topo- und Sport sowie im Bundesarchiv in Ko- graphie des Terrors, Berlin ins Leben Einen inhaltlichen Schwerpunkt der blenz erweitert. Dabei handelt es sich gerufen. Mitglieder sind Bibliotheken von Arbeit im Bereich Forschung und Doku- um Dokumente zu niedersächsischen Institutionen oder einzelne Personen. mentation bildete weiterhin der Themen­ bereich Kriegsgefangene. Vor allem die Eyselheide-Sportplatz in der Stadt Gif- auf Nachfrage beim Volksbund Deutsche 115 sowjetischen Kriegsgefangenen als horn beigesetzt worden. Heute wird das Kriegsgräberfürsorge mitgeteilt worden, größte Opfergruppe in Niedersachsen Gelände als Sportanlage genutzt; Doku- dass auf dem „Russenfriedhof Munster“ stehen zunehmend im Fokus der For- mente zum Verbleib der Toten waren in infolge der Neugestaltung der Anlage schung und des bürgerschaftlichen En- Gifhorn nicht mehr aufzufinden. „Wo kein Platz mehr vorhanden sei. Die Um- gagements. Der wissenschaftliche Aus- sind die Toten geblieben?“ – Das war die bettung der Toten erfolgte dann schließ- tausch nimmt national und international Frage, mit der sich der ehemalige Bür- lich im Januar 1959 auf den Friedhof des zu. In diesem Zusammenhang wurden germeister der Stadt Gifhorn und Mit- ehemaligen Stalag XD (310) in Wietzen- mehrere Projekte intensiv unterstützt, glied der örtlichen Geschichtswerkstatt dorf. Damit konnte das Rätsel um den u. a. eine Publikation über das Gefange- an die Dokumentationsstelle wandte. Verbleib der verstorbenen Kriegsgefan- nenlager und die Kriegsgräberstätte in Recherchen in der archivalischen Samm- genen endgültig geklärt werden. Heemsen/Rohrsen und eine Untersu- lung der Dokumentationsstelle ergaben, chung über das Wifo-Tanklager in Hitza- dass die Stadt Gifhorn 1955 beim Regie- cker, bei dessen Bau zahlreiche Zwangs- rungspräsidenten in Lüneburg die Um- arbeiter eingesetzt waren. Inhaltliche bettung der Leichen beantragt hatte. Unterstützung erhielt auch die Gemein- Das Gebiet sollte als Baugelände für In- de Wietzendorf bei der Erarbeitung ei- dustrie- und Wohnanlagen genutzt wer- nes Flyers zum Kriegsgefangenenlager den. Noch im selben Jahr erfolgte die X D (310) Wietzendorf. Die Dokumentati- Ablehnung des Antrags mit der Begrün- onsstelle stellte hierfür außerdem zahl- dung, dass ausländische Kriegstote nach reiche historische Fotografien zur Möglichkeit zunächst nicht umgebettet Verfügung. werden sollten, da wahrscheinlich die Heimatstaaten nach und nach von sich Aufklärung bei der Suche nach ver- aus eine Zusammenlegung ihrer Toten schwundenen Gräbern von 198 sowjeti- veranlassen würden. Nach erneuter An- schen und 13 polnischen Kriegsgefange- frage im Jahr 1958 wurde der Antrag auf nen erhielt die Geschichtswerkstatt Umbettung auf die Kriegsgräberanlage

Gifhorn. Die Gefangenen waren im April in Munster genehmigt. Kurz darauf Artikel in der Aller-Zeitung vom 14. November 2018 über 1945 ums Leben gekommen und zu- schrieb der Regierungspräsident Lüne- die Recherchen der Gifhorner Geschichtswerkstatt. • Aller-Zeitung, 14. November 2018, Text Uwe Stadtlich, nächst in Sammelgräbern hinter dem burg an den Landkreis , ihm sei Fotos Cagla Canidar / Manfred Birth

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Tagung: Friedhöfe und Grabstätten von NS-Opfern als Gedenk- und Lernorte

Juliane Hummel

116 Am 14. Juni fand zum achten Mal, Außenlagers Ellrich-Juliushütte entstan- in Niedersachsen zu konstatieren.2 diesmal in der neuen Volkshochschule den und ein mögliches Asche-Massen- Zum Schluss des Programms gab Joa- Hannover, eine niedersachsenweite Ta- grab auf niedersächsischem Gebiet am chim Puppel, im Niedersächsischen Mi- gung zum Thema „Friedhöfe und Grab- früheren DDR-Grenzstreifen dokumen­- nisterium für Inneres und Sport zustän- stätten von NS-Opfern als Gedenk- und tieren. dig für Kriegsgräberangelegenheiten, Lernorte“ statt. Etwa 50 Teilnehmer_in- Zu einer längeren Diskussion über Input für eine Diskussionsrunde zum nen folgten der Einladung. denkmalpflegerische Belange führte ein Thema „Metalldiebstähle auf Friedhö- In mehreren Beiträgen wurden For- Vortrag von Walter Schiffer, der seine fen“. Insbesondere die Friedhöfe im schungsergebnisse und Projekte aus Forschungen zu den hebräischen In- Emsland waren davon wiederholt be- verschiedenen Regionen vorgestellt. So schriften auf Grab- und Gedenksteinen troffen. So wurden etwa auf dem Fried- referierte Michael Quelle über die „ver- des DP-Friedhofs in Bergen-Hohne und hof Esterwegen Gedenktafeln gestohlen. schwundenen Gräber“ von Zwangsar- auf dem Gelände der Gedenkstätte Herr Puppel fragte, wie man in diesem beiterinnen und ihren Kindern im Land- Bergen-Belsen vorstellte.1 Dabei wurde Fall mit Ersatz umgehen soll: Kommt kreis Stade. Bernhard Gelderblom deutlich, dass insbesondere die Stelen eine 1:1-Reproduktion in Frage, auch sprach über den langwierigen Prozess, aus der unmittelbaren Nachkriegszeit ei- wenn die Inschriften der Tafeln inzwi- am Gräberfeld der etwa 300 Opfer des nem immer rascheren Verfall ausgesetzt schen wissenschaftlich überholt sind? Zuchthauses Hameln auf dem Friedhof sind und dringend Maßnahmen zu ihrer Soll der Ersatz aus geringwertigeren Ma- Am Wehl einen Gedenkort einzurichten. Dokumentation und – falls möglich – zu terialien hergestellt werden, damit der Dieser konnte im April 2018 schließlich ihrem Erhalt ergriffen werden müssten. Anreiz zum Diebstahl gemindert wird? fertiggestellt und somit der Entwurf der Diese Feststellung beschränkt sich aber Die Diskussion im Forum erbrachte kei- Preissiegerin eines Schülerwettbewerbs nicht nur auf die Grab- und Gedenkstei- ne einheitliche Meinung zur idealen realisiert werden. ne in der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Vorgehensweise. Dr. Alexander Kraus stellte seine Re- sondern ist auch auf anderen Friedhöfen cherchen über die Entstehung der Ge- und Gräbern der Opfer des NS-Regimes denkstätte für die Opfer der NS-Gewalt- herrschaft in Wolfsburg vor. Dr. Regine Heubaum und Dr. Jens-Christian Wag- 2 Siehe dazu auch Juliane Hummel: „Ein Fall für Denk- ner referierten über bisher unbekannte 1 Walter Schiffer: Das Andenken verlängern. Grab- malpfleger und Historiker: Nachkriegszeitliche Ehrenma- Fotografien, die unmittelbar nach steininschriften der jüdischen Displaced Persons auf le und Grabsteine auf Friedhöfen der Opfer der NS-Dik- dem Zelttheaterfriedhof in Bergen-Belsen. Mit Fotogra­ tatur“, In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen Kriegsende auf dem Gelände des KZ-­ fien von Stefan Breuel. Lich/Hessen, 2017. Heft 4/2018, S. 163-165. Insgesamt bot die Veranstaltung den 117 Akteur_innen von Initiativen, Verbänden und Institutionen aus ganz Niedersach- sen auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit zu Information, Fortbildung und Vernetzung sowie ein Forum zum fachlichen Austausch.

Vortrag von Dr. Regine Heubaum (Gedenkstätte Mittel- bau Dora) • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Vortrag von Walter Schiffer (Borken) • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Pausengespräche: Bernhard Gelderblom (Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln) und Dr. Rolf Keller (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten) • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Die Website „Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen“. Ein Kooperationsprojekt zum Mitmachen

Jens Binner

118 Die Novemberpogrome 1938 bilden lokalen Erkenntnisse zusammenzufassen Die Startseite der neuen Homepage eine wichtige Wegmarke der antisemiti- und allgemein zugänglich zu machen. https://pogrome1938-niedersachsen.de/ schen Politik im nationalsozialistischen Heutzutage ist der geeignete Weg dazu vermittelt auf den ersten Blick zwei der Deutschland. Sie bedeuten den endgülti- eine Homepage, auf der Informationen Kernaussagen des Projektes, die mit den gen Übergang von der Diskriminierung ohne großen Aufwand ergänzt und ge- Stichwörtern Ubiquität und Varianz be- und Ausgrenzung mit vorwiegend büro- ändert werden können. nannt werden können. Die Karte im obe- kratischen und juristischen Mitteln zur Eine erste Bestandsaufnahme ergab, ren Teil der Startseite macht mit ihrer offenen Gewaltanwendung, Vertreibung dass es rund 100 Orte in Niedersachsen Vielzahl an markierten Orten in allen Tei- und Deportation. Am Ende steht der Völ- gibt, zu denen mehr oder weniger aus- len des Bundeslandes Niedersachsen kermord an den europäischen Juden mit führliche Informationen vorliegen. Um deutlich, dass das Geschehen in den No- seinen Millionen von Opfern. diese große Anzahl von Beiträgen bewälti- vembertagen 1938 nicht auf einige grö- Aufgrund der herausragenden Bedeu- gen zu können, musste ein breiter Kreis ßere Orte beschränkt war. Vielmehr gab tung der Novemberpogrome für die Ra- von Mitwirkenden gewonnen werden. es überall Ausschreitungen gegen die dikalisierung der antisemitischen Politik Den Grundstock bilden dabei Beiträge, die jüdische Bevölkerung, selbst wenn es im nationalsozialistischen Deutschland von Studierenden der Leibniz Universität sich nur um wenige Personen oder ein- sind die Ereignisse für die überwiegende Hannover im Rahmen eines Seminars des zelne Familien handelte. Mehrzahl der niedersächsischen Ort- Geschäftsführers der Stiftung niedersäch- Im unteren Teil der Startseite werden schaften bereits seit längerer Zeit gut sische Gedenkstätten, Dr. Jens-Christian die Orte, zu denen ausführliche Beiträge erforscht. In vielen Fällen ist es jedoch Wagner, verfasst wurden. Weitere Beiträ- vorliegen, mit je einem Foto und einer schwierig, Zugang zu diesen For- ge stammen von Gedenkstätten, Initiati- „Schlagzeile“ präsentiert. Die Schlagzei- schungsergebnissen zu finden. So ist ven und Einzelpersonen, die sich zum Teil le benennt in einer knappen Formulie- vieles in sogenannter „grauer Literatur“ seit mehreren Jahrzehnten mit der Ge- rung eine Besonderheit der Ereignisse in in geringer Auflage und im Selbstverlag schichte des jeweiligen Ortes beschäfti- dem jeweiligen Ort. Dadurch wird auf ei- veröffentlicht worden, viele Ergebnisse gen. Außerdem wurden durch Mitarbei- nen Blick deutlich, dass es eine große wurden auch in Ausstellungen präsen- ter_innen der Stiftung niedersächsische Varianz bei den konkreten Geschehnis- tiert, die längst nicht mehr zu sehen Gedenkstätten Kurzbeiträge für Orte sen gab und die „Aktionen“ nicht gleich- sind. Daher entstand in Zusammenarbeit verfasst, aus denen nur wenige Informa- förmig nach Befehlen übergeordneter mit Gedenkstätten und Initiativen in Nie- tionen bekannt sind oder für die noch Stellen abliefen. Dies zu betonen ist zen- dersachsen die Idee, aus Anlass des 80. niemand gefunden werden konnte, der tral, weil damit gezeigt wird, dass es be- Jahrestages der Novemberpogrome die einen ausführlichen Beitrag verfasst. deutende Handlungsspielräume der lokalen Akteure gab, die ganz wesentlich Um die Übersichtlichkeit zu gewährleis- Farben arbeitenden Design vom Gestal- das Ausmaß der Zerstörungen und Schi- ten, finden sich alle Abschnitte auf einer tungsbüro ermisch aus Hannover gestal- kanen vor Ort bestimmt haben. Gleich- Seite und können jeweils ausgeklappt tet ist, war ausgesprochen positiv. Be- zeitig soll die Visualisierung der Varianz werden, um die volle Textlänge sichtbar sonders die Möglichkeit des Vergleichs zum „Stöbern“ einladen. Die meisten zu machen. Die Fotos und Dokumente der Vorgänge in den einzelnen Ortschaf- Nutzer_innen der Homepage werden ge- lassen sich vergrößert betrachten, sind ten wurde hervorgehoben, da bisher zielt nach einem bestimmten Ort su- jedoch gegen einfaches Herunterladen häufig vorschnell angenommen wurde, chen. Durch die Schlagzeilen, die in geschützt. dass die Novemberpogrome im Wesent- manchen Fällen bewusst uneindeutig Die neue Homepage verfolgt nicht zu- lichen gleich abgelaufen sind. Die diffe- gehalten sind, soll Interesse daran ge- letzt didaktische Zielsetzungen. So ist es renzierte Betrachtung bei klarer Benen- weckt werden, sich auch die Beiträge zu etwa für Schulklassen möglich, leicht ei- nung der Verantwortlichen wird als anderen Orten anzuschauen. nen ersten Überblick über die Ereignisse bedeutender Mehrwert eingestuft, der Getrennt werden die beiden Bereiche vor Ort zu gewinnen und auf diese Weise auch der Forschung neue Impulse geben der Startseite durch zwei übergreifende die Lokalgeschichte in den Geschichtsun- kann. Artikel. Ein Beitrag informiert allgemein terricht zu integrieren. Auch vergleichen- über die Novemberpogrome 1938 und de Fragestellungen können mit wenig nennt aktuelle Literatur dazu. Der andere Aufwand bearbeitet werden. Und viel- Text schildert die Entstehung der Home- leicht wird eine Schüler_innengruppe so- page als „Kooperationsprojekt zum Mit- gar dazu angeregt, einen Beitrag über ih- machen“ und macht auf diese Weise ren Heimatort zu verfassen, wenn sie Möglichkeiten und Grenzen der Beiträge feststellt, dass er bisher nur mit einem deutlich. Kurzbeitrag oder noch gar nicht berück- Die Orientierung auf der Startseite er- sichtigt ist. folgt über die Karte, eine aufklappbare Die Homepage ist nicht abgeschlossen, alphabetische Namensliste am Rand sondern als dynamisches Projekt ange- oder die Schlagzeilen im unteren Be- legt. Zum einen können Beiträge ergänzt, reich, die bei jedem neuen Aufruf der erweitert oder aktualisiert werden. Zum Seite in einer anderen Reihenfolge prä- anderen sind Funktionserweiterungen sentiert werden. Alle ausführlichen Bei- möglich. So wurde verschiedentlich der träge sind nach einem einheitlichen Wunsch geäußert, Veranstaltungen anzu-

Schema untergliedert. Einleitend finden kündigen. Dies soll im Laufe der weiteren Screenshot des oberen Teils der Startseite mit der sich immer knappe Informationen über Arbeit umgesetzt werden und bietet dann Karte und den markierten Orten die Entwicklung der jeweiligen jüdischen die Möglichkeit, aus aktuellem Anlass er- Screenshot des unteren Teils der Startseite mit den „Schlagzeilen“ der Beiträge Gemeinde vor 1933. Dann folgen die Ab- neut auf die Homepage hinzuweisen. schnitte „Die Ereignisse im November Das Feedback auf die Homepage, die Brennende Synagoge in Hannover am 10. November 119 1938. • HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum 1938“ und „Folgen“, die den Zeitraum in einem zeitgemäß luftigen und mit Hannover 1938 bis 1945 behandeln und durch Bio- graphien von Opfern und anderen Han- delnden ergänzt werden. Bedeutsam ist der Punkt „Justizielle Ahndung“, zu dem in vielen Fällen neues Quellenmaterial erhoben wurde. Es zeigt sich, dass es in den Jahren nach Kriegsende zahlreiche Ermittlungsverfahren gegeben hat, die jedoch nur selten zu Verurteilungen mit hohem Strafmaß geführt haben. Ab- schließend werden „Spuren und Geden- ken“ behandelt. Dabei wird deutlich, dass oftmals erst jahrzehntelanges bür- gerschaftliches Engagement dazu ge- führt hat, dass angemessene Erinne- rungsorte geschaffen werden konnten. Ergänzend finden sich am Schluss Anga- ben zu weiterführender Literatur und Links, um auf die vielen lokalen Internet- auftritte hinzuweisen. Auf diese Weise ist es möglich, vertiefende Informatio- nen sowie Ansprechpartner_innen zu finden.

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Qualifizierung und Vernetzung der Bildungsarbeit der Gedenkstätten in Niedersachsen

Christian Wolpers

120 Kürzung der Ressourcen die Beratung und Weiterqualifizierung Ein immer wichtiger werdender der Kolleginnen und Kollegen in den nie- Aspekt ist in der Frage zu finden, in Die personelle Ausstattung im Bereich dersächsischen Gedenkstätten (festes welcher Form die historisch-politische Pädagogik ist im Verlauf des Jahres 2018 Personal, abgeordnete Lehrkräfte, Hono- Bildung an Gedenkstätten aktuelle politi- reduziert worden. Das Ressort ist seit rarkräfte, Ehrenamtliche) kann nur noch sche Themen aufgreifen kann und soll. dem 1. August 2018 nur noch unterhälf- bedingt erfolgen. Rechtspopulistische Tendenzen in der tig besetzt. In den Vorjahren stand hier- Gesellschaft sind auch bei Gedenkstät- für auf dem Wege der Beurlaubung eine Forum Bildungsarbeit tenbesucherinnen und -besuchern volle Stelle zur Verfügung. Eine Fortset- wahrnehmbar und die Auseinanderset- zung dieser Praxis ist vom Kultusminis- Zu Beginn des Jahres fand im Rahmen zung damit stellt in Bildungsveranstal- terium und der Schulbehörde Abt. Lüne- des „Forums Bildungsarbeit“ in Zusam- tungen eine Herausforderung dar, die burg abgelehnt worden. Die Möglich-­ menarbeit mit der Gedenkstätte Bergen- offensiv angenommen werden muss. keiten der fachlichen Unterstützung und Belsen ein Fortbildungsseminar zum Vernetzung der pädagogischen Arbeit Thema „Verunsichernde Orte“ in Hanno- Themenschwerpunkt Sinti und Roma der niedersächsischen Gedenkstätten ver statt. Im weiteren Verlauf des Jahres durch die Abteilung GFN wurden damit ließ sich keine weitere Fortbildungsver- Im März fanden drei thematische Ver- stark eingeschränkt. Auf der anderen anstaltung mehr realisieren, was zum ei- anstaltungen statt, die die Verfolgungs- Seite ist der Bedarf der Gedenkstätten in nen dem frühen Sommerferienbeginn geschichte von Sinti und Roma in der Niedersachsen an fachlicher Begleitung und zum anderen der mehr als halbier- NS-Zeit in den Blick genommen haben. weiter gestiegen, nachdem auf Beschluss ten Arbeitszeit geschuldet war. Am 4. März fand in der Gedenkstätte des Niedersächsischen Landtages die Folgende Themen standen im Kontext Bergen-Belsen eine Gedenkveranstal- Mittel für die Förderung von Gedenk- Bildung und Vermittlung außerdem tung anlässlich des 75. Jahrestages der stättenfahrten und die Entwicklung päd- im Blickpunkt: „Inklusive Angebote in Deportation der niedersächsischen Sinti agogischer Angebote der Gedenkstätten Gedenkstätten“, Bildungsarbeit an Ge- und Roma in das Vernichtungslager in den letzten Jahren schrittweise ver- denkstätten als Teil des bundesweiten Auschwitz-Birkenau statt. Im Anschluss vierfacht worden sind. Geplante Vorha- Aktions­plans „Bildung für nachhaltige wurde die aktualisierte Wanderausstel- ben und Angebote konnten - wenn über- Entwicklung“ sowie „Peer-Learning als lung „Von Niedersachsen nach Auschwitz“ haupt - nur ansatzweise umgesetzt Methode und Modell für demokratisches eröffnet. Die Jahrestagung der Abteilung werden. Die Begleitung von Bildungs- Lernen“. GFN vom 9. bis 11. März hatte außerdem projekten ist zukünftig nicht gesichert; den Titel „Sinti und Roma in Nieder- sachsen – Geschichte und Gegenwart“. Netzwerktreffens am 29. und 30. Okto- in Zusammenarbeit mit der Gedenkstät- 121 Neben vielen fachhistorischen Themen ber (ebenfalls in Düsseldorf) nieder. te Ahlem in Hannover durchgeführt. Das standen stets Fragen nach Vermittlungs- Seminar in Israel fand vom 3. bis zum möglichkeiten in der Bildungsarbeit an Fortbildung Yad Vashem 14. Oktober statt. Gedenkstätten und Schulen wie auch Qualifizierungsmöglichkeiten für Vertre- Seit 2016 organisiert die Stiftung nie- ter_innen der Minderheit im Zentrum der dersächsische Gedenkstätten (Abteilun- Diskussionen. gen Bildung und Begegnung/Bergen- Belsen und GFN) zusammen mit dem Zusammenarbeit mit Gedenkstätten und MK und dem NLQ eine Fortbildung für bundesweite Kooperationen niedersächsische Lehrerinnen und Leh- rer in der Gedenkstätte Yad Vashem. Der thematische Schwerpunkt „Sinti Diese Fortbildung fußt auf einer Koope- und Roma“ sowie die Vorarbeit zum rationsvereinbarung, die das MK und die Yad-Vashem-Vorbereitungsseminar Gedenkstätte Yad Vashem im Mai 2016 brachten eine Intensivierung der Zusam- geschlossen haben. Ziel ist u. a. die isra- menarbeit mit der Gedenkstätte Ahlem elische Erinnerungskultur zur Shoah ken- sowie mit der Gedenkstätte Salzgitter- nenzulernen sowie Rückschlüsse auf Drütte mit sich. Daneben wurde ein den Umgang mit Erinnerung und Ge- neues Bildungsprojekt (Kunst und künst- denkstätten in Deutschland zu ziehen. lerische Arbeit) in der Gedenkstätte Bestandteile der Fortbildung sind ein je Schillstraße intensiv begleitet. zweitägiges Vor- und Nachbereitungsse- Die bundesweite Mitarbeit in der minar – vorzugsweise im Kontext einer „AG Gedenkstättenpädagogik“ und niedersächsischen Gedenkstätte – sowie im „Netzwerk historisch-politische Bil- ein Seminar in der Gedenkstätte Yad Dr. Jens-Christian Wagner bei seinem Einführungsvor- dungsarbeit zur Verfolgung der Sinti und Vashem (fünf Tage) und ein eintägiges trag vor Teilnehmenden der Yad Vashem Fortbildung. • Christian Wolpers Roma“ schlug sich in der Beteiligung an Seminar an einem nichtstaatlichen Bil- Teilnehmende der Yad Vahem Fortbildung in Gedenk- der Vorbereitung und Durchführung des dungs- und Erinnerungsort in Israel. Für stätte Ahlem. • Christian Wolpers Gedenkstättenseminars Pädagogik vom die Fortbildung 2018 wurde das Vorbe- Screenshot der Website „www.geschichte-bewusst- 28. bis 30. Juni in Düsseldorf und des reitungsseminar am 27. und 28. August sein.de“

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Lernort zur Funktionsweise der NS-Diktatur: Der geplante Dokumentationsort zu den „Reichserntedankfesten“ am Bückeberg bei Hameln

Jens-Christian Wagner

122 Zwischen 1933 und 1937 organisierte Verein für Regionale Kultur- und Zeitge- die Pläne (siehe dazu den Bericht von das NS-Regime am Bückeberg bei Ha- schichte Hameln e.V. den Hügel und sei- Rolf Keller, S. 115). Nach wiederholten meln jeweils im September oder Okto- ne Geschichte in das öffentliche Be- Informations- und Diskussionsveranstal- ber die sogenannten Reichserntedank- wusstsein zurück. tungen einigten sich Landrat Bartels und feste. Die Spektakel mit Aufmärschen, Mit Unterstützung des Landkreises die Kritiker des Projektes Ende 2018 auf Hitler-Huldigung, Militärvorführungen, und der Stiftung niedersächsische Ge- einen Kompromiss. Die ohnehin behut- reichlichem Alkoholausschank und einer denkstätten sowie weiterer Förderer ent- samen Eingriffe in das Landschaftsbild kräftigen Portion Blut-und-Boden-Propa- wickelte der Verein in den vergangenen sollen reduziert werden, zudem soll im ganda sollten die ländliche Bevölkerung Jahren u.a. mittels eines Ideen- und Rea- etwa fünf Kilometer vom historischen an das Regime binden. Bis zu einer Milli- lisierungswettbewerbes für Ausstel- Ort entfernten Museum für Landtechnik on Menschen sollen an den Festen teil- lungs- und Landschaftsgestalter ein und Landarbeit Börry eine zusätzliche genommen haben, die in den frühen Konzept für einen Dokumentationsort Ausstellung zur Geschichte des Bücke- Jahren der NS-Diktatur neben den Bückeberg (Infos hier: www.dokumenta- bergs im NS entstehen. Reichsparteitagen einen wichtigen Bau- tion-bueckeberg.de). Auf der Grundlage Die Stiftung niedersächsische Ge- stein für die Formierung der propagier- eines Gestaltungskonzeptes der Arbeits- denkstätten, in deren wissenschaftlicher ten „Volksgemeinschaft“ bildeten. Zur gemeinschaft Jung / Ermisch / Kerck aus Fachkommission das Projekt in den ver- Popularisierung der Reichserntedankfes- Hannover sollen in den kommenden gangenen Jahren mehrfach besprochen te und der dort verbreiteten Ideologie Jahren bauliche Spuren aus den 1930er wurde, stellte sich von Beginn an hinter trug auch der Umstand bei, dass die Jahren am Bückeberg sichtbar und zu- die Pläne für einen Dokumentationsort Feste reichsweit im Rundfunk übertra- gänglich gemacht und mittels eines Info- am Bückeberg. Nicht ganz unerheblich gen und Filmaufnahmen in den Wochen- systems erläutert werden. Die baulichen ist dabei die Begrifflichkeit: Es geht dort schauen gezeigt wurden. Eingriffe sollen dabei sehr behutsam nicht um die Einrichtung einer Gedenk- Trotz oder vielleicht auch gerade we- und zurückhaltend erfolgen. Neben den stätte. In einer Gedenkstätte werden die- gen der Bedeutung des Bückebergs für bereits genannten Förderern hat auch jenigen, die am historischen Ort Opfer die Popularität des NS-Regimes lag die- der Bund eine finanzielle Unterstützung von NS-Verbrechen wurden, gewürdigt. ser nach 1945 jahrzehntelang im erinne- des Projektes zugesagt. Der Bückeberg ist dagegen ein Ort natio- rungskulturellen Dornröschenschlaf. Für die Akteure und die Förderer über- nalsozialistischer Selbstinszenierung. Erst seit dem Beginn der 2000er Jahre raschend regte sich jedoch ab Ende 2017 Niemand, jedenfalls nicht die Stiftung, holten der Historiker Bernhard Gelder- in der Region, insbesondere in der Ge- will derer gedenken, die dort den Natio- blom und der von ihm mitgegründete meinde Emmerthal, Widerstand gegen nalsozialismus gefeiert haben. dazu zu gehören und als vermeintliche arisch-nordische „Herrenmenschen“ das Recht zu haben, sich über andere (soge- nannte Gemeinschaftsfremde und Volks- feinde) zu erheben – seien es Juden, Sinti und Roma, Kranke und Schwache oder auch ausländische Zwangsarbeiter. Manchmal machen wir den Fehler, die Zeit des Nationalsozialismus nur von ih- rem Ende her zu denken – von den Lei- chenbergen in den befreiten Konzentra- tionslagern. Diese Verbrechen waren so monströs, dass sie sich der Erklärbarkeit und Darstellbarkeit zu entziehen schei- nen. Und sie überlagern das Geschehen in den 1930er Jahren – die schleichende Ausgrenzungspolitik, die von einer lan- gen Gewöhnungsphase begleitet wurde und sich erst Ende der 1930er Jahre zur offenen Verfolgung und während des Krieges zum Völkermord radikalisierte. Manches, was Mitte der 1930er Jahre geschah, wirkt vor dem Hintergrund der Leichenberge von Bergen-Belsen noch eher harmlos. Das mag, wenn man es isoliert betrachtet, insbesondere für den Bückeberg gelten, jenes in den Augen vieler Zeitgenossen vermeintlich unbe- lastete bierselige braune Bergfest. Doch hier wurde die „Volksgemeinschaft“ ein- geübt, eine Gemeinschaft, die während des Krieges vor allem über die gemein- same Komplizenschaft zusammengehal- ten wurde. Der Bückeberg war der An- Auch wenn sich die Gedenkstätten zu- der Zeit. Hundertausende jubelten ihrem fang und Bergen-Belsen das Ende 123 nehmend zu modernen zeithistorischen „Führer“ am Bückeberg zu und fühlten ein- und derselben Entwicklung. Sie Museen entwickeln, bleiben sie doch sich als Teil einer großen Bewegung. gehören untrennbar zusammen. Orte der Trauer um diejenigen, die dort Dabei war allen klar, dass die propa- Aus diesem Grund begrüßt es die Stif- gelitten haben oder um ihr Leben ge- gierte Volksgemeinschaft sich vor allem tung niedersächsische Gedenkstätten, bracht wurden. Wenn an diesen Orten darüber definierte, wernicht dazu gehö- wenn die Gedenkorte in Niedersachsen aus Geschichte gelernt werden soll, ren durfte. Zehntausende politische um einen wichtigen Dokumentationsort dann müssen jedoch in Zukunft viel stär- Gegner, vor allem Sozialdemokraten und am Bückeberg ergänzt werden, denn nur ker als bisher auch Fragen nach der Tä- Kommunisten, waren seit 1933 in KZs der integrale Blick auf die Gesamtheit der terschaft sowie nach dem ideologischen und Gefängnissen inhaftiert; und als am NS-Verbrechen und auf die Mitmachbe- und gesellschaftsgeschichtlichen Kon- 6. Oktober 1935 das dritte Reichsernte- reitschaft in der Bevölkerung lassen eine text gestellt werden, in dem die Taten dankfest gefeiert wurde, waren nur drei wirklich tiefgreifende, kritische Auseinan- begangen wurden. Wochen zuvor in Nürnberg die berüch- dersetzung mit den NS-Verbrechen zu. Hier kommt der Bückeberg ins Spiel – tigten Rassengesetze verabschiedet Am Bückeberg wird gefragt, wieso es so- nicht als Gedenkstätte, sondern als Lern- worden, die den deutschen Juden end- weit kommen konnte und wie die NS-Ge- ort zur Funktionsweise der NS-Diktatur. gültig die Bürgerrechte nahmen und die sellschaft, die radikal rassistisch organi- Die „Reichserntedankfeste“ stehen ex- juristische Grundlage für ihre Ausgren- siert war, funktionierte. Das ist zukunfts­ emplarisch für die Früh- und Formie- zung, Verfolgung und schließlich Ermor- feste, handlungsorientierte Gedenkstät- rungsphase der von den Nationalsozia- dung schufen. tenarbeit, die alles in den Blick nimmt: die listen propagierten „Volksgemeinschaft“. Auf dem Bückeberg wurde, wie in Täter, ihre Opfer und die Gesellschaft, die Während sich die Maifeiern auf dem Berlin und Nürnberg – wie auch im die Verbrechen möglich machte. Tempelhofer Feld in Berlin an die Arbei- Kleinen an zahllosen anderen Orten in terschaft richteten und die Reichspartei- Deutschland – die Grundlage gelegt für tage in Nürnberg an uniformierte Partei- die Formierung der Tätergesellschaft. gliederungen, galten die Reichsernte­- Viele, wenn auch nicht alle, die auf dem Themeninsel am Infopfad über den Bückeberg. Gestal- dankfeste der ideologischen Einbindung Bückeberg ein vermeintlich harmloses tungsentwurf • Arbeitsgemeinschaft Jung / Ermisch / Dröge + Kerck, 2017 der ländlichen Bevölkerung. Und das ge- Fest feierten, wurden später zu Tätern – Propaganda-Postkarte zu den Erntedankfeiern auf dem lang recht gut: Offenbar traf das emotio- im besetzten Osten oder auch an der Bückeberg • Sammlung Gelderblom nale Angebot des Regimes, dazu zu ge- „Heimatfront“. Sie wurden zu Tätern, Uniformierte Formationen auf dem Mittelweg beim hören, mitmachen zu dürfen, den Nerv weil ihnen das Regime das Gefühl gab, Reichserntedankfest 1934. • Sammlung Gelderblom

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Förderung der Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur durch finanzielle Zuwendungen

Arnold Jürgens

124 Der Stiftung niedersächsische Ge- Gedenkstätten Bergen-Belsen und Pädagogik und Kulturwissenschaften denkstätten stehen verschiedene Mög- Wolfenbüttel geflossen. Außerdem von Hochschulen in Niedersachsen so- lichkeiten der finanziellen Förderung der wurde das Neugestaltungsprojekt der wie Fachleute aus den Bereichen Ge- Gedenkstättenarbeit und Erinnerungs- Gedenkstätten Gestapokeller Osna- denkstättenarbeit, jüdische Geschichte kultur zur Verfügung: brück und Augustaschacht Ohrbeck und Archivwesen an. • Projektförderung inkl. institutioneller mit 104.700 € gefördert. Förderung und Schwerpunktförde- • Förderung von Gedenkstättenfahrten Projektförderung, Institutionelle Förde- rung von Gedenkstätten und pädagogischen Projekten rung, Schwerpunktförderung 2018 standen hierfür 450.000 € zur Das Land Niedersachsen hat den Etat Verfügung. Insgesamt wurden Zuwen- zur Förderung von Gedenkstättenfahr- Entsprechend dem Förderkonzept der dungen für 24 Vorhaben an 16 Träger ten im Haushaltsjahr 2018 auf 200.000 € Stiftung erhalten die Gedenkstätten in vergeben. Der Großteil der Mittel wur- erhöht. Mit Zustimmung des Stiftungs-­ Salzgitter-Drütte und Moringen eine ins- de für die institutionelle Förderung der rates wurden die Mittel je hälftig für titutionelle Förderung. Die gewährten Gedenkstätten Salzgitter-Drütte und die Förderung von Gedenkstättenfahr- Mittel dienen in erster Linie der Finanzie- Moringen sowie für die Finanzierung ten sowie die Verbesserung der Be- rung von Personalstellen im Bereich Lei- der Leitungsstellen in den Gedenkstät- treuungsangebote in den Gedenkstät- tung und Verwaltung. Neben der Stif- ten Esterwegen (DIZ Emslandlager), ten durch zusätzliche Honorarkräfte tung niedersächsische Gedenkstätten Sandbostel, Augustaschacht Ohrbeck, und die Weiterentwicklung pädagogi- tragen vor allem die Stadt Salzgitter und Liebenau und Lüneburg aufgewendet. scher Formate verwendet. der Landkreis Northeim die Kosten für • Förderung von Neugestaltungsprojek- den Unterhalt der jeweiligen Gedenk- ten und Sanierungsmaßnahmen Bei der Verwendung der Fördermittel stätte. Die Bereitschaft zur dauerhaften Jährlich stehen 1 Mio. € für größere In- wird die Stiftung niedersächsische Ge- Unterstützung der Gedenkstätten wird vestitionen in den Gedenkstätten be- denkstätten von den Mitgliedern der in entsprechenden Kooperationsverein- reit. Diese stehen nicht allein für die „Wissenschaftlichen Fachkommission barungen zwischen der Stiftung, den Gedenkstätten in freier Trägerschaft, zur Förderung und Fortentwicklung der Kommunen und den Trägervereinen sondern auch für die von der Stiftung Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen“ festgehalten. getragenen Einrichtungen zur Verfü- (WFK) beraten. Die Empfehlungen der Die Gedenkstätten Esterwegen (DIZ gung. Im Berichtsjahr ist der überwie- WFK sind die Grundlage für die Förder- Emslandlager) und Sandbostel erhalten gende Teil der Mittel in Sanierungs- entscheidungen der Stiftung. Der WFK eine Schwerpunktförderung, insbeson- und Neugestaltungsmaßnahmen der gehören Professor_innen für Geschichte, dere durch die (anteilige) Finanzierung der jeweiligen Leitungsstellen. Außer- dem umfassende Beratung und Informa- in Auftrag gegebene Fotoserie entstand 125 dem werden die Projektleitungsstellen tion in konzeptionellen, inhaltlichen, or- 1935. Sie sollte dazu dienen, der Öffent- der im Aufbau begriffenen Dokumenta- ganisatorischen und formalen Fragen lichkeit im In- und Ausland den Eindruck tions- und Gedenkstätten in Osnabrück/ an. Die Anträge werden in den Sitzun- geordneter Verhältnisse im Lager zu ver- Ohrbeck (Augustaschacht), Liebenau gen der WFK beraten. mitteln. Das Fotoalbum enthält daher und Lüneburg gefördert. Voraussetzun- Zuschüsse wurden 2018 unter ande- unverfänglich erscheinende Aufnahmen gen für die Aufnahme in die Schwer- rem für folgende Projekte gewährt: des Lagers, der Arbeitsorte der Häftlinge punktförderung sind die historische Be- Die „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüne- und einzelne Häftlingsportraits. Ausge- deutung und Exemplarität des Ortes, die burg hat mit der Erfassung von Patien- blendet bleiben die wahren Lebensver- wissenschaftliche wie pädagogische tendaten der ehemaligen Provinzial-, hältnisse der Häftlinge, die von schwerer Qualität der Arbeit der Dokumentations- Heil-, und Pflegeanstalt Lüneburg aus körperlicher Arbeit, Unterversorgung, und Gedenkstätte, eine breite Basis bür- dem Zeitraum 1901 bis 1945 begonnen. Misshandlungen und gezielten Mordak- gerschaftlichen Engagements und die Durch diese Maßnahme sollen fundierte tionen geprägt waren. Im Rahmen der Beteiligung weiterer Geldgeber aus der Aussagen zur Belegung der Anstalt, der Region an der Gesamtfinanzierung der Herkunft und dem Schicksal der Patien- Blick in die Sonderausstellung "Mit den Augen der Täter. Ein Fotoalbum über das Konzentrationslager Esterwegen Einrichtung. Entwicklungen und Konzep- ten sowie der Sterblichkeit in den unter- 1935" in der Gedenkstätte Esterwegen. te der schwerpunktgeförderten und im schiedlichen Zeitphasen gewonnen wer- • Dr. Sebastian Weitkamp, Stiftung Gedenkstätte Esterwegen Aufbau befindlichen Gedenkstätten wer- den. Diese Daten sind eine wichtige Schüler_innen der Alexanderschule Wallenhorst zeigten den regelmäßig in der WFK vorgestellt Grundlage für die Erarbeitung der Inhal- in Kooperation mit dem Verein Maro Dromm Sui-Gene- und diskutiert und die Einrichtungen ent- te für die künftige Dauerausstellung. Da- ris in der Gedenkstätte Ahlem ein Theaterstück zum Leben und Schicksal der Sintezza Erna Lauenburger. sprechend beraten. neben erhalten die pädagogischen Mit- • Hale Lachnit, Maro Dromm Sui-Generis e.V.

Weitere Zuwendungen erfolgen über arbeiter einen gezielten und schnellen Schüler_innen setzten sich auf der Grundlage histori- das Instrument der Projektförderung. Zugriff auf beispielhafte Biographien für scher Quellen mit dem Alltags- und Arbeitsleben polni- scher Zwangsarbeiter_innen in Braunschweig auseinan- Die Stiftung niedersächsische Gedenk- die didaktische Vermittlung von der und verarbeiteten ihre Eindrücke mit künstlerischen Mitteln. • Gerald Hartwig, Gedenkstätte KZ-Außenlager stätten gewährt Gedenkstätten, Verei- Inhalten. Braunschweig Schillstraße nen, Geschichtswerkstätten und Initiati- Schüler_innen des Projektes "Erinnerung italienischer ven finanzielle Zuschüsse für Projekte Die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen Zwangsarbeiter-innen in Schwanewede und in der Region" in einer Videoschaltung mit Orlando Materassi, zur NS-Geschichte und Erinnerungskul- hat eine Wanderausstellung mit Fotogra- dem Sohn des ehemaligen Zwangsarbeiters Elio Mate- tur in Niedersachsen. Im Vorfeld bietet fien aus dem KZ Esterwegen erarbeitet. rassi, und Monica Marini, der Bürgermeisterin der Stadt Pontassieve. • Dr. Adrienne Körner, Dokumentations- die Stiftung den Antragstellern außer- Die vom Reichspropagandaministerium und Lernort Baracke Wilhelmine

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Veranstaltungen € 7.000

Institutionelle Förderung Ausstellungen, Gedenkstätten Dokumentations- und € 122.000 Moringen und Salzgitter-Drütte Rechercheprojekte € 89.000

insgesamt € 445.500

Personalkostenzuschüsse Gedenkstätten Esterwegen (DIZ Emslandlager), Sandbostel, Augustaschacht (Ohrbeck), Lüneburg und Liebenau € 227.500

126 Ausstellung ist diesem Umstand Rech- Der Ökumenische Arbeitskreis Syna- Förderung von Gedenkstättenfahrten nung getragen worden, indem durch gogenweg Norden e.V. ist aus einer Ar- und pädagogischen Projekten Kommentierungen, historische Kontex- beitsgruppe hervorgegangen, die sich tualisierungen und Lebensgeschichten seit 1985 für die historisch-politische Bil- Im Berichtsjahr wurden 273 Fahrten zu einzelner Häftlinge die realen Verhältnis- dungsarbeit in Erinnerung an die jüdi- Gedenkstätten in Niedersachsen bezu- se im Lager gegenübergestellt werden. schen Bürgerinnen und Bürger der Stadt schusst, an denen rund 15.500 Schüle- Die Eröffnung der Ausstellung fand am Norden einsetzt. Die Arbeit des Vereins rinnen und Schüler teilnahmen. 6. Mai 2018 statt. hat sich seit ihrem Bestehen in einer Durch die Erhöhung der Mittel für die Vielzahl von themenbezogenen Projek- Förderung von Gedenkstättenfahrten für Der Heimat- und Bürgerverein Ritter- ten niedergeschlagen. Zu einem festen Schulklassen und außerschulische Ju- hude e.V. entwickelte ein Internetportal, Programmpunkt im Jahresablauf sind gendgruppen hat die Zahl der Anträge das über Ereignisse, Personen und Orte die Gedenkfeiern aus Anlass des Novem­- aus den Schulen und damit die Nachfra- informiert, die im Zusammenhang mit berpogroms 1938 geworden. Wegen ge nach Betreuungsangeboten in den der Geschichte des Nationalsozialismus des anstehenden 80. Jahrestages des Gedenkstätten stark zugenommen. Aus im Landkreis Osterholz von Bedeutung Novem­berpogroms am 9. November diesem Grund wurde erneut ein Teil der sind. Die Informationen werden in einer 2018 sollte eine Ausstellung erarbeitet Mittel für die Finanzierung von zusätzli- digitalen Karte des Landkreises mit wei- werden, die auf der Grundlage von neu- chen Honorarkräften in den niedersäch- tergehenden Hinweisen bereitgehalten. eren Forschungsergebnissen die Ereig- sischen Gedenkstätten verwendet. Diese In einem ersten Arbeitsschritt wurden nisse erstmals wissenschaftlich fundiert Form der Unterstützung zur Verbesse- bereits vorhandene Erkenntnisse in das darstellt. Die lokal-historischen Bege- rung der Betreuungsangebote ist von Internetportal eingepflegt. Ergänzungen benheiten wurden durch eine Kontextu- den Gedenkstätten sehr begrüßt wor- werden im Zuge zielgerichteter Recher- alisierung der reichsweiten Geschehnis- den. Die Gedenkstätten haben zusätzli- chen in einschlägigen Archiven vorge- se in einen Gesamtzusammenhang che Honorarkräfte angeworben und in nommen. Weitere Einträge ergeben sich gestellt. Anders als bisher sollten Ver- Fortbildungen auf die pädagogische Ar- aus der Zuarbeit von ehrenamtlich Täti- antwortung und Täterschaft von Einzel- beit mit unterschiedlichen Besucher- gen. Ein Redaktionsteam sorgt für die personen und Organisationen themati- gruppen vorbereitet. Die Zahl der Be- notwendige Qualität der Beiträge und siert werden. Die Perspektive der treuungen in den Gedenkstätten konnte ihre einheitliche Bearbeitung. jüdischen Opfer wird in Form von bei- durch die Erhöhung der Honorarmittel spielhaften Biographien und Augen­ für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbei- zeugenberichten vermittelt. ter deutlich erhöht werden. Gleichzeitig können mit Hilfe der zu- In Kooperation mit dem DenkOrt Bunker sätzlichen Mittel neue Bildungskonzepte Valentin, dem Nationalen Verband ehe- entwickelt und unter anderem die Erar- maliger italienischer Häftlinge national- beitung adressatenorientierter Bildungs- sozialistischer Lager (ANEI) sowie italie- angebote gezielt unterstützt werden. So nischen und deutschen Schülerinnen haben die Geschichtswerkstätten Göt- und Schülern wurde mit den Arbeiten tingen und Duderstadt für die Daueraus- für eine Dokumentation zum Schicksal stellung zur NS-Zwangsarbeit in Südnie- dieser Personengruppe in Form einer dersachsen in der BBS II in Göttingen Ausstellung und eines Films begonnen. ein Bildungs- und Vermittlungskonzept erarbeitet. Auf Basis des Konzeptes wur- Die „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüne- den für die pädagogische Arbeit mit burg e.V. führte in Kooperation mit dem Schülerinnen und Schülern der „Muse- Deutsch-Polnischen Jugendwerk ein Fol- umskoffer“ als neues Bildungsmaterial geprojekt zur Fortbildung von Multiplika- entwickelt und produziert. toren (u.a. Lehrer aus Deutschland und Polen) zu den Themen NS-„Euthanasie“, Der Arbeitskreis Andere Geschichte Sozialpsychiatrie und Menschenrechte Braunschweig e.V. hat ein Konzept für durch. Das mehrtägige Methodensemi- ein Bildungsmodul für Schülerinnen und nar verweist auf die Möglichkeiten zur Schülern ab der 9. Klasse entwickelt, das Wahrnehmung von Angeboten zur histo- interdisziplinär angelegt ist und Aspekte risch-politischen Bildung und zur Ge- der historisch-politischen Bildungsarbeit denkstättenpädagogik. Zudem dient das mit künstlerischen Gestaltungsmöglich- Seminar der Entwicklung von Bildungs- keiten verknüpft. Durch den Gebrauch formaten zur Betreuung multinationaler unterschiedlicher Arbeits- und Ver- Besuchergruppen in der Gedenkstätte. brauchsmaterialien und die Auseinan- Die Veranstaltung ergab Hinweise auf dersetzung mit der Geschichte der NS- notwendige Ergänzungen und Präzisie- Zwangsarbeit am Beispiel von Einzel­- rungen in der Methodenanwendung. schicksalen ehemaliger Zwangsarbeite- rinnen und Zwangsarbeiter soll ein kriti- Der Verein Maro Dromm – Sui Generis sches Geschichtsbewusstsein entwickelt e.V. tritt für die Erforschung und Vermitt- bzw. gefördert werden. Das Bildungs- lung der Geschichte, Sprache und Kultur modul wird in Zusammenarbeit mit ei- der Sinti und Roma in Deutschland ein. ner Kunstpädagogin entwickelt, die au- Er möchte die kulturelle Identität der ßerdem die Schülerinnen und Schüler in Sinti und Roma befördern und setzt sich 127 den praktischen Arbeiten berät und gegen deren Diskriminierung und Verfol- unterstützt. gung ein. Durch eine Vielzahl von Veran- staltungen und Projekten weist der Ver- Die Gedenkstättensparte der Heimat- ein auf bestehende Probleme hin und freunde Neuenkirchen e.V. betreut den versucht durch einen kommunikativen Dokumentations- und Lernort „Baracke Austausch die Verständigung zwischen Wilhelmine“ in Schwanewede. Der Ver- Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft ein hat ein historisch-politisches Bil- zu verbessern. dungsprojekt mit Schülerinnen und In dem Projekt waren Kulissen für das Schülern der Waldschule Schwanewede Theaterstück „Unku – die Geschichte der und italienischen Jugendlichen aus der Erna Lauenburger“ entworfen und her- Toskana gestartet. Das Vorhaben soll auf gestellt worden. Die Aufführung des die Ergebnisse des Projektes „In Ricordo“ Theaterstücks fand am 3. März 2018 in aufbauen. In dem abgeschlossenen Pro- der Gedenkstätte Ahlem aus Anlass des jekt befassten sich die Jugendlichen mit 75. Jahrestages der Deportation der Sin- dem Schicksal von italienischen Militä- ti und Roma in das Vernichtungslager rinternierten, die beim Bau des U-Boot Auschwitz statt. Beteiligt waren Schüle- Bunkers „Valentin“ eingesetzt waren. rinnen und Schüler der Hauptschule Aus dem Projekt entstanden eine Roll- Wallenhorst. Die Schule ist 2010 als up-Ausstellung und ein Kurzfilm mit bei- „Schule ohne Rassismus – Schule mit spielhaften Biographien. Das Projekt er- Courage“ ausgezeichnet worden. Seit- hielt den Demokratiepreis des Förder­- dem besteht eine Schüler-AG, die sich in programms „Demokratisch Handeln“. wechselnder Zusammensetzung und un- Die Projektergebnisse und die verstetig- terschiedlichen Formen mit Vorurteilen ten Kontakte nach Italien bildeten den und deren Bekämpfung beschäftigt. Die Ausgangspunkt für eine umfassendere Kooperation zwischen dem Verein und Beschäftigung mit den in der Region der Schule besteht bereits seit einigen Schwanewede zur Zwangsarbeit einge- Jahren. setzten Frauen und Männern aus Italien.

Gedenkstättenförderung Niedersachsen 128 Geförderte Gedenkstätten

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Geförderte Gedenkstätten Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

Dr. Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

www.gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de

Die Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht werden im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert. “Warum schreibst Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht du mir Zur Hüggelschlucht 4 nicht” D – 49205 Hasbergen Post aus dem Tel.: +49 (0) 5405 – 895 92 70 Vergessen Fax: +49 (0) 5405 – 895 92 71 24-06/31-10 2018 [email protected] www.gedenkstaetten-augustaschacht- www.deutschland-nederland.eu osnabrueck.de

130 Die Arbeit an der neuen Dauerausstel- in der Region Osnabrück – so nah – so Landkreis Osnabrück übergab am lung der Gedenkstätten Gestapokeller fern“ statt. An der Eröffnung der nieder- 23. August das Werk „Niedergang“ der und Augustaschacht, zwei temporäre ländisch-deutschen Ausstellung „Warum Künstlerin Maria Feldkamp aus Osna- Ausstellungen und besondere internati- schreibst du mir nicht? Post aus dem brück der Gedenkstätte Augustaschacht onale Begegnungsprojekte wie das „La- Vergessen“ am 24. Juni nahm neben der als Dauerleihgabe. Am selben Tag be- bor Europa“ standen in diesem Jahr im Kuratorin Mirjam Huffener von der nie- gann ein Recherche- und Bildungspro- Mittelpunkt. derländischen Lotty Veffer Foundation jekt zur Geschichte des Augustaschach- Die Osnabrücker Künstlerin Renate auch Hendrik Willem Gaertman aus den tes mit über 50 Schüler_innen und Hansen zeigte ihre für die Gedenkstätte Niederlanden teil. Sein Vater wurde Op- Lehrer_innen der Oberschule Hasber- Augustaschacht entwickelte Ausstellung fer des Arbeitserziehungslagers Ohr- gen, der Sophie-Scholl-Schule Georgs- „Lieder zur Nacht – was bleibt, wenn es beck. Die Ausstellung war bis zum 31. marienhütte, der Realschule Georgsma- dunkel wird“ vom 21. Januar bis zum Oktober zu sehen. Die Präsidentin des rienhütte und des Gymnasiums Oesede. 17. Juni in der Gedenkstätte. Auf der Niedersächsischen Landtages, Dr. Gabri- Auf großen Zuspruch stieß außerdem Gedenkfeier für die Opfer des Arbeitser- ele Andretta, besuchte zu einem Aus- der Informationsstand der Gedenkstät- ziehungslagers Ohrbeck am 8. April tausch über die Zukunft der Gedenkstät- ten am 9. September auf der Landesgar- referierte Dr. Marcus Meyer über das tenarbeit die Gedenkstätten am 29. Juni. tenschau in Bad Iburg. Vom 2. bis zum Arbeitserziehungslager Bremen-Farge. An den Workcamps in Zusammenarbeit 7. Oktober setzte ein Workcamp der CAJ Vom 23. bis zum 26. April und vom 12. mit „Service Civil International“ und Osnabrück die Grabungen fort. Mit För- bis zum 19. November unterstützen Ge- „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ dermitteln des Amtes für regionale Ent- denkstättenmitarbeiter den vom Osna- nahmen im Juli und August 23 junge wicklung und der Gemeinde Hasbergen, brücker Kantor der jüdischen Gemeinde Freiwillige aus zehn Ländern (Belarus, sowie mit Unterstützung der Georgsma- initiierten Verein „Drei Stufen“ bei der Deutschland, Estland, Frankreich, Russ- rienhütte GmbH konnte im Oktober ein Entwicklung eines Erinnerungsprojektes land, Spanien, Syrien, Türkei, Tschechi- öffentlicher Rastplatz neben der Ge- am Standort der erhaltenen Fundamente en und der Ukraine) teil. Angeleitet von denkstätte Augustaschacht errichtet der zerstörten Synagoge im lettischen zwei Mitarbeiterinnen der archäologi- werden. Die geringe Übertragungsrate Ort Viski. Ein trilateraler Jugendaus- schen Denkmalpflege in Stadt und Land- der bestehenden Internet­verbindung tausch der Alexanderschule in Wallen- kreis Osnabrück legten sie weitere be- der Gedenkstätte Augustaschacht ver- horst mit Schulen aus Olsztyn (Polen) baute Flächen des früheren Dampf­- anlasste den Landkreis Osnabrück zur und Riwne (Ukraine) fand vom 28. bis maschinen- und Wohnhauses neben der Förderung des Anschlusses an das Breit- zum 30. Mai zum Thema „Zwangsarbeit Gedenkstätte Augustaschacht frei. Der bandnetz. In Zusammenarbeit mit der Die niederländisch-deutsche Ausstellung „Warum schreibst du mir nicht? Post aus dem Vergessen“, die vom 24. Juni bis zum 31. Oktober in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war, erzählt mit authentischen Briefen und Postkarten aus Ghettos, Konzentrationsla- gern und weiteren Verfolgungsstätten die Geschichte von Verfolgung und Vernichtung während des Zweiten Weltkrieges. Im Mittelpunkt stehen die Geschichten von fünf Menschen, die verfolgt wurden oder geflohen waren. Aufgenommen wurde auch die Geschichte von Hendrik Willem Gaertman aus den Niederlanden, der im Arbeitserziehungslager Ohrbeck um sein Leben gebracht wurde. Auf dem Flyer sind Wolfgang Maas Volkshochschule Osnabrück und dem sich auf einen dreijährigen Entwick- und Thea Windmuller zu sehen. • Einladungsflyer 131 Kulturgeschichtlichen Museum/Felix- lungsdienst mit Schwerpunkt Erinne- Die Präsidentin des Niedersächsischen Landtages, Nussbaum-Haus veranstalteten die Ge- rungskultur in Guatemala vorzubereiten. Dr. Gabriele Andretta (3.v.l.), beim Besuch der Gedenk- stätte Gestapokeller am 29. Juni im Gespräch mit den denkstätten insgesamt sechs Vorträge, Im Rahmen des europäischen Freiwilli- Vorständen des Gedenkstätten Gestapokeller und eine Filmvorführung und elf Zeitzeug_ gendienstes arbeiteten nacheinander Augustaschacht e.V.: Georg Hörnschemeyer und Brigitte Lenz-Gust. • Dr. Michael Gander innengespräche. zwei Männer aus Russland als Freiwilli- Vom 28. Juli bis zum 11. August fand ein deutsch-rus- Die Gedenkstätten erreichten mit ihrer ge von „Aktion Sühnezeichen Friedens- sisch-ukrainisches Workcamp in der Gedenkstätte Arbeit 7.200 Menschen. Erneut förderte dienste“ in den Gedenkstätten. Die bei- Augustaschacht in Kooperation mit Service Civil Interna- tional und dem Deutschen Roten Kreuz in Holzhausen die Stiftung niedersächsische Gedenk- den Gedenkstätten sind außerdem in statt. Trotz der drückenden Temperaturen beteiligten sich die sechs Frauen und zwei Männer aus Russland, der stätten die bei den Bildungsangeboten der Osnabrücker Trägergemeinschaft Ukraine und der Türkei mit unerschöpflichem Engage- eingesetzten Honorarkräfte. Am 26. Ja- „9. November“, im „Initiativkreis Stol- ment an den archäologischen Grabungen. In den Gesprä- chen spielte auch der schwelende bewaffnete Konflikt in nuar nahmen die Gedenkstätten an einer persteine“ und im Beirat des niederlän- der Ostukraine eine wichtige Rolle. Mit viel Respekt wurden die verschiedenen Erfahrungen, auch die von der Podiumsdiskussion im niederländischen dischen Museums „Markt 12“ in Aalten Flucht einer ukrainischen Teilnehmerin aus ihrer Heimat- Aalten anlässlich der Eröffnung der aktiv. Sie nahmen an niederländischen stadt Donezk, besprochen. Förderer waren die Stadt Georgsmarienhütte, der Landschaftsverband Osnabrü- Ausstellung „Warum schreibst Du mir Gedenkfeiern im Nationalmonument cker Land e.V. und die Stiftung Deutsches Holocaust-­ Museum. Am 10. August entstand dieses Foto von den nicht?“ teil. Im November folgten zwei Kamp Amersfoort und für Hannie Schaft Teilnehmer_innen und den Mitarbeiter_innen der Stadt- Vorträge zur lokalen Erinnerung an die in Haarlem teil. und Kreisarchäologie Osnabrück. • Dr. Michael Gander Zerstörung der Osnabrücker Synagoge Die Erstellung und Auswahl der Inhalte Mit viel Freude und Zuversicht blickt der Vorstand des Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V. auf im Rahmen des Herbstworkshops des der neuen Dauerausstellung in den Ge- die vor allem mit der neuen Dauerausstellung verbunde- Arbeitskreises „Geschichte der Juden“ denkstätten Gestapokeller und Augusta- nen Aufgaben in seiner neuen Amtsperiode bis 2020. Vor seiner Sitzung am 4. Juni im Schloss Osnabrück stellte der Historischen Kommission für Nie- schacht ist in 2019 die Hauptaufgabe der sich der Vorstand zum Gruppenfoto auf: Peter Kreipe, Dr. Stefan Wiese, Brigitta Rüschemeyer, Heiner Trimpe- dersachsen und Bremen und zu den öf- Gedenkstättenarbeit. Weiterhin soll ein Rüschemeyer, Georg Hörnschemeyer, Brigitte Lenz-Gust, fentlichen Interessen am Osnabrücker Bildungsprojekt mit vier Schulen ver- Dr. Klaus Lang, Hannah Bennhold-Rohwer, Dr. Ute Vergin, Jennifer Gebhardt, Jutta Keil (v.l.n.r.). • Dr. Michael Gander Synagogengrundstück im Rahmen der schiedener Schulformen aus der Umge- Zum Auftakt des Recherche- und Bildungsprojektes Ausstellung „Alles brannte!“ Drei Schü- bung der Gedenkstätte Augustaschacht zur Geschichte des Augustaschachtes trafen sich am ler_innen absolvierten Praktika in den fortgesetzt werden. Drei internationale 23. August über 50 Schüler_innen und Lehrer_innen der Oberschule Hasbergen, der Sophie-Scholl-Schule Gedenkstätten. Zum zweiten Mal hospi- und regionale Jugendworkcamps sollen Georgsmarienhütte, der Realschule Georgsmarienhütte und des Gymnasiums Oesede mit ihren Schulleitern und tierte eine Mitarbeiterin der Arbeitsge- 2019 weitere archäologische Freilegun- Kreisrat Matthias Selle in der Gedenkstätte Augusta- meinschaft für Entwicklungshilfe e.V. für gen auf dem Gedenkstättengelände schacht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollen auch für die neue Dauerausstellung der Gedenkstätten genutzt zwei Wochen in den Gedenkstätten, um durchführen. werden. • Dr. Michael Gander

Geförderte Gedenkstätten Die Gedenkstätten beriefen eine Fachjury, die nach der Präsentation der eingereichten Räume erzählen Gestaltungsentwürfe am 15. Februar einstimmig einen Entwurf auswählte. Den Vorsitz führte Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (2.v.l.). Weiterhin gehörten der Jury an: Prof. Dr. Dietmar von Reeken, Michael Gander Professor für Geschichtsdidaktik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1.v.l.), Johanna Wensch, Kuratorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (4.v.l.), Heinrich Trimpe-Rüschemeyer, Schatzmeister des Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V., Brigitte Lenz-Gust, Schriftführerin des Gedenkstätten Gestapokel- ler und Augustaschacht e.V. und Dr. Michael Gander, Geschäftsführer des Gedenkstät- ten Gestapokeller und Augustaschacht e.V. (3.v.l.). • Dr. Matthias Gafke

In der Gedenkstätte Gestapokeller legte die Restauratorin Christiane Maier einen Teil der früheren Türlaibung einer der fünf Zellen der Gestapo Osnabrück frei, die nach dem Krieg zugesetzt wurde und hinter einem Putz nicht mehr sichtbar war. Die Maßnahme fand in Abstimmung mit Dr. Kerstin Klein, Niedersächsisches Landesamt für Denkmal- pflege, Helena Ammerich, Teamleiterin Städtische Denkmalpflege Osnabrück und Daniela Rosom, Abteilungsleiterin der Bauplanung und Tischlerei der Universität Osnabrück, statt. • Dr. Michael Gander

132 … – diesem Leitgedanken folgt das rückgebaut, um insbesondere den Raum gewonnen werden. Sehr ertragreich bei Gestaltungskonzept der Bremer Agentu- der Lagerwachen mit seiner Zugangstür der Auswertung der Gestapokartei war ren GfG / Gruppe für Gestaltung und ob- und den benachbarten neuen Besucher- die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Chris- lik identity design, die am Ende des Aus- empfang sichtbar zu machen. Die Um- toph Rass von der Universität Osna- schreibungsverfahrens im Februar auf baumaßnahmen wurden gefördert von brück, die im Jahr 2019 weiter ausge- Empfehlung der Fachjury den Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung baut werden soll. Ein Rechercheauftrag zur Gestaltung der neuen Dauerausstel- für Kultur und Medien und der Stiftung zum Zusammenwirken von Polizei und lung der Gedenkstätten Gestapokeller niedersächsische Gedenkstätten. Auch Gestapo wird noch im Januar abge- und Augustaschacht erhalten haben. Die im Schloss Osnabrück konnte im Rah- schlossen werden. Bedeutende Bestän- Wände der historischen Räume der Ge- men einer im Dezember begonnenen de von audiovisuellen Interviews mit denkstätten sollen weitgehend frei ge- restauratorischen Befundsicherung, die Zeitzeug_innen, die überwiegend nicht lassen werden. Die Ausstellungselemen- von der Stadt Osnabrück gefördert wur- mehr leben, machten die regionalen For- te werden dafür in der Raummitte de, das Verständnis für den historischen scher Dr. Volker Issmer, Dr. Michael Kai- positioniert und vertiefende Inhalte in Ort durch die teilweise Freilegung einer ser und Dr. Peter Marchal zugänglich. digitale Geräte verlagert, zudem werden nach dem Krieg zugesetzten Zellentür Viele Angehörige von Verfolgten und die Freilegungen und das Außengelände erhöht werden. auch Gestapo-Mitarbeitern unterstützen des Augustaschachtes zum integralen Die Erarbeitung der Inhalte zum Aus- zudem die Ausstellungsarbeit. Teil der Ausstellung gemacht. stellungsthema „Polizeigewalt und In 2019 werden die finale Auswahl der Für die Umsetzung dieses Gestaltungs­- Zwangsarbeit“ wurden durch Archivar- Exponate und die abschließende Erstel- konzeptes wurden im November und De- beiten und biografische Recherchen des lung der Ausstellungsinhalte erfolgen. zember im Erdgeschoss des Augusta- Projektteams im In- und Ausland, durch Die Eröffnung der Ausstellung in deut- schachtes, mit Zustimmung des wissen- Rechercheaufträge zu Gefangenen und scher, niederländischer und englischer schaftlichen Beirates des Wachen des Arbeitserziehungslagers Sprache ist für den April 2020 geplant. Ausstellungsprojektes, zwei ergänzende (AEL) Ohrbeck in Italien, Belarus, der Uk- Das Projekt wird gefördert durch die Be- Baumaßnahmen zum besseren Ver- raine, Polen und Dänemark sowie zu Ar- auftragte der Bundesregierung für Kul- ständnis des historischen Ortes und zur beitserziehungslagern im besetzten Eu- tur und Medien, die Stiftung niedersäch- Stärkung der Wahrnehmung des Aus- ropa weitgehend abgeschlossen. Dabei sische Gedenkstätten, den Landkreis stellungsanfanges umgesetzt. Dazu wur- konnten viele neue Erkenntnisse über Osnabrück, die Stiftung der Sparkassen den einzelne in der Nachkriegszeit ein- Gefangene des AEL Ohrbeck und über Osnabrück und die Stiftung Stahlwerk gezogene Wände ganz oder teilweise das Personal der Gestapo in Osnabrück Georgsmarienhütte. Unheard Traces – Ungehörte Spuren

Michael Gander

Junge Menschen aus 16 europäischen genotten über den Zweiten Weltkrieg und Auseinandersetzung mit den Auswirkun- 133 Ländern trafen sich im Rahmen des „Euro-­ die deutsche Besatzung der Ukraine bis gen des Krieges, der ungeheure Zerstö- päischen Kulturerbejahres – Sharing Heri- zu den aktuellen Konflikten in Georgien rung und menschliche Verluste verur- tage“ zu einem „Labor Europa“ vom und Armenien reichten. Dies geschah in sacht, haben die Jugendlichen eine 16. bis zum 26. August in Osnabrück. Die einer bemerkenswert achtungsvollen Ausstellung entwickelt, die die Erfahrung Gedenkstätten Gestapokeller und Au- Weise. Gemeinsam setzten sie sich auch von Verlust, Schmerz, aber auch Hoff- gustaschacht richteten gemeinsam mit mit dem Felix-Nussbaum-Haus und den nung an konkreten Objekten anschaulich Dr. Thorsten Heese vom Museumsquar- Gedenkstätten Gestapokeller und Augus- macht. Der Künstler Guglielmo Manenti tier Osnabrück ein Labor zu Krieg und taschacht auseinander, um schließlich in hat die Geschichten dieser Objekte in Frieden in der Geschichte aus. drei Arbeitsgruppen Konzepte für eine Zeichnungen übersetzt und ihnen damit Die Resonanz auf die internationale Ausstellung mit allen Geschichten und eine noch stärkere visuelle Präsenz verlie- Ausschreibung war unerwartet groß. Gegenständen zu entwickeln. Drei geeig- hen. Die Gruppe der Jugendlichen hofft, Aus 29 Bewerbungen wurden 16 Teilneh- nete Ausstellungsideen entstanden, aber damit einen Denkanstoß zu geben und mer_innen aus Armenien, Deutschland, nur eine Idee konnte umgesetzt werden. Gespräche über ein friedliches Miteinan- Frankreich, Georgien, Italien, Rumänien, Die jungen Menschen lösten diese der in Europa anzuregen.“ Serbien, Slowenien, Spanien, Tschechien schwierige Entscheidung durch eine von Das Projekt wurde von der Beauftrag- und der Ukraine ausgewählt. Als Gast allen respektierte Abstimmung und setz- ten der Bundesregierung für Kultur und nahm zudem ein junger Mann aus Korea ten dann gemeinsam das ausgewählte Medien, der Egerland Stiftung und dem teil, der eine außereuropäische Perspek- Konzept mit dem Titel „Unheard Traces – Land Niedersachsen gefördert. tive in das Labor einbrachte. Aus Sizilien Ungehörte Spuren“ um. Die Ausstellung Der Zugang zur Ausstellung „Unheard Traces – Unge- kam der Künstler Guglielmo Manenti, der wurde vom 25. August bis zum 13. Sep- hörte Spuren“ im Haus der europäischen Geschichte in Brüssel am 18.09.2018. • Dr. Michael Gander die Geschichten der jungen Menschen in tember im Museumsquartier Osnabrück eindrucksvolle Zeichnungen übersetzte. gezeigt und fand viel Lob. Besonders mo- Beim Aufbau der Ausstellung im Museumsquartier Osnabrück am 24. August helfen alle Teilnehmer_innen Alle Teilnehmer_innen brachten einen tivierend für das ganze Labor war, dass mit. Hier sind aktiv: Yurii Veselskyi, Irene Di Giorgio, Heorhi Borysov, Sophia-Diana Brings, Seung Hwan Ryu Gegenstand mit, der für sie mit einer per- das Haus der europäischen Geschichte in (v.l.n.r.). • Dr. Michael Gander sönlichen oder auf ihr Heimatland bezo- Brüssel zusagte, die Ausstellung vom 18. Bei der Eröffnung der Ausstellung am 24. August: genen Geschichte von Krieg und Frieden September bis zum 14. Oktober als erste Nils-Arne Kässens (Direktor des Museumsquartiers Osnabrück), Dr. Michael Gander, Tanja Vaitulevich (Wiss. verbunden war. In Workshops erzählten externe Sonderausstellung in den eige- Projektmitarbeiterin der Gedenkstätten Gestapokeller sie sich gegenseitig ihre zumeist sehr be- nen Räumen zu zeigen. Im Brüsseler Be- und Augustaschacht), Dr. Thorsten Heese (Kurator Stadtgeschichte des Museumsquartiers Osnabrück) wegenden Geschichten, die von den Hu- gleitheft zur Ausstellung heißt es: „In (v.l.n.r.). • Museumsquartier Osnabrück

Geförderte Gedenkstätten Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte

Maike Weth, Leiterin der Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte

Die Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte wird im Rahmen der Schwer- punktförderung der Stiftung niedersäch- sische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert.

Gedenk und Dokumentationsstätte KZ Drütte Wehrstraße 29 D – 38226 Salzgitter Tel.: +49 (0) 5341 – 4 45 81 Fax: +49 (0) 5341 – 17 92 13 [email protected] www.gedenkstaette-salzgitter.de

134 Am 13. März 2018 verstarb Elke Zacha- Der große Verlust von Elke Zacharias vorbereitet und begleitet. Die jungen Er- rias, Leiterin der Gedenk- und Dokumen- war prägend für die Gedenkstättenarbeit wachsenen setzten sich 2018 mit Begeg- tationsstätte KZ Drütte. Mehr als 25 Jah- im Jahr 2018 (und darüber hinaus). Das nungen zwischen Aktiven aus der Ge- re war die Historikerin beim Trägerverein Team der Gedenkstätte musste neu auf- denkstätte und Überlebenden der drei der Gedenkstätte angestellt. Eine ihrer gestellt werden. Die Leitung der Gedenk- Außenlager im Salzgittergebiet ausein- ersten Aufgaben war es, Überlebende stätte wurde von Maike Weth übernom- ander. Dieses Thema war der verstorbe- der Konzentrationslager im Salzgitterge- men. Die Historikerin ist seit 2008 bei nen Gedenkstättenleiterin eine Herzens- biet zu finden und zu interviewen. 1994 der Gedenkstätte KZ Drütte tätig und angelegenheit und wir freuen uns, dass übernahm sie dann die Leitung der Ge- hatte zuletzt die Assistenzstelle inne. wir 2019 im Andenken an Elke Zacharias denkstätte, die sie im Wesentlichen mit- Diese wurde nun von Dr. Teri Arias Ortiz dieses Thema mit Unterstützung der konzipiert hatte und war von nun an für übernommen, die bereits seit einigen Stiftung niedersächsische Gedenkstät- das umfangreiche Aufgabenfeld in und Jahren in verschiedenen Projekten der ten im Rahmen eines Interviewprojektes rund um die Gedenkstätte in Salzgitter Gedenkstätte gearbeitet hat. Die Stif- noch einmal aufgreifen und vertiefen verantwortlich. Ihre Arbeit war von ihrer tung niedersächsische Gedenkstätten können. Leidenschaft und ihrem Engagement ge- ermöglichte für Mai bis Dezember eine Neben zwei weiteren einwöchigen Se- prägt, die sie auch in ihre Tätigkeit bei Aufstockung der Assistenzstelle um minaren wurden 2018 etwa 25 Studien- der Interessengemeinschaft niedersäch- 50%. Damit war es möglich, dass Dr. Ari- tage durchgeführt. Die Tendenz zu län- sischer Gedenkstätten und im Stiftungs- as Ortiz sich intensiv in die neuen Aufga- geren Bildungsveranstaltungen in der beirat der Stiftung niedersächsische Ge- benfelder einarbeiten konnte. Trotz der Gedenkstätte setzte sich also auch 2018 denkstätten einbrachte. Ihr Tod bedeutet hohen Arbeitsbelastung konnten alle ge- fort. Dafür wurde überwiegend von den für uns das Ende einer 28-jährigen er- planten Veranstaltungen und fast alle beiden für die pädagogische Arbeit frei- folgreichen und engen Zusammenarbeit, Bildungsangebote durchgeführt werden. gestellten Lehrkräften an neuen Bildungs-­ das Ende vieler Freundschaften, das Letzteres war vor allem auch durch zu- angeboten und Materialien gearbeitet. Ende einer von Respekt, Achtung und sätzliche Honorarkräfte möglich, die Im Rahmen der konzeptionellen Vorar- Gemeinschaft erfüllten Zeit. Wir haben über entsprechende Zuwendungen der beiten zur Neugestaltung der Gedenk- uns so an ihren Humor, ihre Verlässlich- Stiftung niedersächsische Gedenkstät- stätte fanden mehrere Sitzungen mit ei- keit, ihr Engagement, ihre Kreativität, ih- ten finanziert werden konnten. nem wissenschaftlichen Beirat statt. Das ren Ideenreichtum und ihr Fachwissen Das jährlich stattfindende Seminar mit Gremium wurde über die inhaltlichen gewöhnt, dass ihr Tod eine riesige Lücke Auszubildenden der Salzgitter Flachstahl Planungen und den Stand der Vorarbei- hinterlässt. GmbH wurde noch von Elke Zacharias ten informiert. In anschließenden Dis- kussionen wurden Empfehlungen zur spielsweise mehrmals nach Bad Arolsen 135 Konzeption und die weiteren Schritte er- zum International Tracing Service. Dort arbeitet. Im August 2018 konnte schließ- wurden auch stichprobenartig Namen lich eine auf 30 Jahre festgelegte Nut- geprüft, die aus Listen in sechs Folianten zungsvereinbarung für alle derzeitigen der Reichswerke „Hermann Göring“ ent- und künftigen Räume unter der Hoch- nommen wurden. Diese Folianten lagen straße unterzeichnet werden. Damit bis zu diesem Zeitpunkt unentdeckt bei wurde ein weiterer wichtiger Schritt in der Deutschen Rentenversicherung in Richtung Neugestaltung getan. Hannover. 2018 erreichten wieder viele Anfragen Die konstante Öffentlichkeitsarbeit der von Angehörigen die Gedenkstätte KZ Gedenkstätte zeigt seit Jahren eine ste- Drütte, von denen einige auch Salzgitter tig steigende positive Entwicklung in der besuchten. So kamen im Oktober bei- Region und darüber hinaus. So beziehen spielsweise rund 40 Familienmitglieder zum Beispiel die Tourist Information und von Joseph Albertus Bos, der im KZ Wa- der Besucherdienst der Salzgitter AG die tenstedt/Leinde verstorben ist und auf Gedenkstätte in ihre Angebote ein, etwa Leben!? Besonderes Konzert des Treppenhausorches- dem Friedhof Jammertal beigesetzt wur- in öffentliche und nichtöffentliche Werks-­ ters in der Gedenkstätte zum Gedenktag am 27. Januar 2018. • Jörg Dreyer de. Seine Angehörigen erfuhren erst führungen. Im Jahr 2018 ergaben sich so Gedenkstunde am 11. April 2018. Die Auszubildenden 2017 von seinem Grab. Wie sich anhand etwa 35 zusätzliche Termine. präsentieren ihre Ergebnisse aus dem Seminar zum der vorliegenden Unterlagen nachvoll- Die Arbeit der Gedenkstätte KZ Drütte Thema „Begegnungen“. • Jörg Dreyer ziehen lässt, wurde bei der früheren Su- profitiert von guten Kooperationen und Kooperation zwischen dem Betriebsrat der Salzgitter Flachstahl GmbH und dem Arbeitskreis Stadtgeschichte che der zweite Vorname vorangestellt. enger Vernetzung mit anderen Gedenk- e.V. Mehr als 30 Ehrenamtliche legten in mehreren So war es jahrzehntelang nicht möglich, stätten, Bildungsträgern und Einrichtun- Stunden Arbeit einen großen Teil der Grabtafeln auf dem Friedhof Jammertal frei. • Teri Arias das Grab zu finden. Um diese und alle gen. Forschungsarbeit, interne Weiter- Objekte Archiv • Maike Weth anderen Anfragen so ausführlich wie bildungen und der Austausch von möglich beantworten zu können, wer- Wissen befördern die Arbeit vor Ort, Seit Juli 2018 weisen zwei Tafeln am ehemaligen Gelän- de des KZ Salzgitter-Bad auf die Geschichte des Ortes den Recherchen im eigenen Archiv, aber verlangen aber auch finanziellen, zeit­ hin. Die Tafeln wurden von der Stadt Salzgitter aufge- stellt, die Texte verfasste Elke Zacharias. unter Umständen auch in anderen Archi- lichen und personellen Einsatz. • Eberhard Schoppe ven durchgeführt. 2018 fuhren die Mitar- Familienmitglieder von Joseph Albertus Bos am Grab beiterinnen der Gedenkstätte dafür bei- auf dem Friedhof Jammertal. • Familie Bos

Geförderte Gedenkstätten Neue Ergebnisse zum Friedhof Jammertal

Maike Weth

136 Im Jahr 2015 besuchte die Familie Pie- kumente, die erst 2016 durch die Ge- ihre Überreste an einer völlig anderen tersma aus den Niederlanden Salzgitter, denkstätte Dachau übergeben wurden. Stelle, als angegeben. Zudem wurden nachdem sie erst im Oktober 2014 von Es handelt sich dabei um Material aus zusätzlich 30 nicht verzeichnete Leichen der Beisetzung ihres Angehörigen auf dem Bestand des Forensikers Günter auf dem Feld Ib gefunden. dem Friedhof Jammertal erfahren hat. Schulz, der in der Nachkriegszeit bun- Nachdem alle Leichen auf Feld Ib ex- Wouter Pietersma starb am 7. April desweit Exhumierungen begleitete. humiert worden waren, überführte man 1945 im KZ-Außenlager Watenstedt/ Hierbei war besonders der Bericht über die identifizierten Franzosen in ihr Hei- Leinde und wurde laut der Friedhofsun- die Exhumierungen auf dem Friedhof matland. Alle anderen wurden wieder terlagen auf Feld Ib, Reihe 4, Grab G Jammertal durch die Franzosen auf dem Friedhof Jammertal beigesetzt. bestattet. wesentlich. Allerdings nicht an der ursprünglichen Bereits während des Besuchs kam die Laut der vorliegenden Unterlagen sol- Stelle, sondern in einem Bereich auf Frage nach einer Exhumierung von Wou- len auf dem Feld Ib 63 Leichen in fünf Feld III. An welcher Stelle Wouter Pie- ter Pietersma auf. Elke Zacharias äußer- Reihen bestattet worden sein. Vor Be- tersma beigesetzt wurde, lässt sich nicht te damals ihre Bedenken: eine exakte ginn der offiziellen Ausgrabungen waren mehr nachvollziehen, da er, wie viele an- Lage des Grabes lässt sich heute nicht auf diesem Feld bereits zwei Franzosen dere Opfer, als unbekannt bestattet und mehr feststellen und eine Exhumierung privat exhumiert worden: Henri Vaillant neu verzeichnet wurde. Diese Tatsache würde die Ruhe der umliegenden Toten und Ernest Mathieu. Es war also noch wurde auch seiner Familie mitgeteilt, die stören. Die Familie zeigte Verständnis, mit 61 Leichen zu rechnen. Bereits nach Verständnis für die problematische Situ- wünschte sich aber zumindest eine dem Öffnen des Grabes A in Reihe 1 ation hatte. Grabplatte für Wouter Pietersma. Die- wurde deutlich, dass die Unterlagen feh- Dafür lassen sich heute über die ge- sem Wunsch konnte entsprochen lerhaft waren. Denn, statt wie erwartet fundenen Häftlingsnummern einige Na- werden. die Überreste von Beno Alexandrovic zu men zuordnen. So gehörte beispielswei- Im August 2018 erreichte die Gedenk- finden, wurde festgestellt, dass dieses se die Nummer 31225 zu Henri Vaillant, stätte über die Stadt Salzgitter die Infor- Grab unberührt war. Nach und nach die 32097 zu Ernest Mathieu. mation, dass die Umbettungspläne der wurden alle Gräber auf dem Feld geöff- Familie weiterhin bestünden und es wur- net und weitere Fehler in den Aufzeich- de um eine Stellungnahme gebeten. Da- nungen aufgedeckt. So konnten einige Grabplatte von Wouter Pietersma auf dem Feld Ib des für wurden von den Mitarbeiterinnen Personen zwar identifiziert werden – Friedhofs Jammertal. • Elke Zacharias noch einmal alle vorliegenden Unterla- beispielsweise anhand gefundener Gedenksteine auf dem FH Jammertal auf Feld III gen gesichtet. Darunter fielen auch Do- Nummernmarken -, allerdings lagen • Elke Zacharias Bildungsurlaub „Wege und Spuren – KZ-Häftlinge im Salzgittergebiet“

Dr. Teri Arias Ortiz

Ein seit Jahren prägender Teil der Bil- Ernährungsbedingungen im ehemaligen Auf einer Rundfahrt durch Salzgitter ha- 137 dungsarbeit in der Gedenkstätte KZ KZ Drütte sowie mit der Möglichkeit zu ben die Teilnehmer_innen viel für sie Neu- Drütte ist der Bildungsurlaub „Wege und Außenkontakten auseinandergesetzt; auf es in der Region entdeckt: das Wohnlager Spuren“. Er fand wieder in der zweiten dem Platz des ehemaligen Frauenlagers 35 in Heerte oder das erste Gebäude der Septemberwoche statt und bot den Teil- KZ Salzgitter Bad wurden nicht nur die Hauptverwaltung der Reichswerke „Her- nehmer_innen die Möglichkeit, Neues allgemeinen historischen Informationen, mann Göring“ am „Gummibahnhof“ in über die Geschichte Salzgitters, über sondern auch die Biographien von Zora Salzgitter-Watenstedt. Um eine breiter ge- ihre Arbeitsorte und auch über ihren ei- Sekardi und der überlebenden Stefka fächterte Vorstellung der NS-Geschichte genen Wohnsitz herauszufinden. Es wur- Frangez präsentiert; auf dem Gelände in der Region zu erhalten, hat die Gruppe de herausgearbeitet, wie sich mit der des ehemaligen KZ Watenstedt/Leinde auch die Gedenkstätte in der JVA Wolfen- Gründung der Reichswerke „Hermann haben die Teilnehmer_innen von der Ge- büttel besucht. Göring“ die Struktur der Region verän- schichte der Überlebenden Martin van Dieses Bildungsangebot der Gedenk- derte, wie sich das spätere Stadtgebiet Gent und Eva Timar erfahren, die Jahre stätte KZ Drütte hat sich in mehreren Be- zu einem wesentlichen Teil im NS-Wirt- nach Kriegsende in Videointerviews über reichen der Arbeit in Salzgitter etabliert, schaftssystem entwickelte, dass viele ihr persönliches Schicksal berichtet ha- besonders als Bildungsangebot der IG Barackenlager parallel zur geplanten NS- ben; auf dem 1943 eingerichteten „Aus- Metall Salzgitter-Peine. Teilnehmer_in- Musterstadt entstanden, woher ihre Be- länderfriedhof Jammertal“ haben sich nen aus verschiedenen Betrieben und in wohner kamen, wie und warum sie in zwei Gruppen sowohl mit den Biographi- verschiedenen Funktionen erhalten mit das Deutsche Reich gekommen sind, en von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeitern dem Bildungsurlaub die Chance, nicht wann und wofür die drei KZ-Außenlager und Zivilarbeitern als auch mit der Ge- nur die Geschichte der Region kennen- im Salzgittergebiet errichtet wurden. schichte der vier Mahnmale und des zulernen, sondern auch neue Netzwerke An unterschiedlichen Orten setzen sich Friedhofes – auch als Teil der NS-Verbre- aufzubauen. Jedes Jahr finden einige die Teilnehmer_innen mit Biografien ehe- chen – auseinandergesetzt; auf dem Teilnehmer_innen damit auch den Weg maliger KZ-Häftlinge und anderen Materia- Friedhof Westerholz trug eine Gruppe die zum direkten Engagement in der lien auseinander, um Themen wie „Le- Biographien von Opfern und Überleben- Gedenkstätte. ­ benswege der Häftlinge“, „das Netzwerk den des ehemaligen Arbeitserziehungs- Gedenkstätte KZ Drütte: Gruppenarbeit der Teilnehmer_ der Verfolgung und KZ-Zwangsarbeit“ und lager/Lager 21 in Hallendorf vor, wie Innen des Bildungsurlaubs „Wege und Spuren“. • Teri Arias „Umgang mit Erinnerung“ zu bearbeiten. etwa die von Martha Fuchs, die von 1951 In der Gedenkstätte haben sich ver- bis 1966 als erste Frau Oberbürgermeis- Friedhof Westerholz: Teilnehmer_Innen des Bildungs­ urlaubs „Wege und Spuren“ präsentieren ihre Arbeits­ schiedene Gruppen mit den Arbeits- und terin der Stadt Braunschweig war. ergebnisse. • Cora Serbser

Geförderte Gedenkstätten Gedenkstätte Esterwegen

Dr. Andrea Kaltofen, Geschäftsführerin der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen

Kurt Buck, Geschäftsführer Aktionskomitee DIZ Emslandlager e.V.

Die Gedenkstätte Esterwegen wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten in besonderer Weise gefördert.

Gedenkstätte Esterwegen Hinterm Busch 1 D – 26897 Esterwegen Tel.: +49 (0) 5955 – 98 89 50 [email protected] www.gedenkstaette-esterwegen.de

138 Als die 94-jährige Holocaust-Überle- oder Partner_in begleitet. Dabei zeigen Die Erfahrungen aus den Begegnun- bende Erna de Vries am 1. Februar zum sich insbesondere die aus dem Ausland gen mit Angehörigen fließen unmittel- inzwischen vierten Mal anlässlich des anreisenden Angehörigen und Besu- bar in die Vermittlungsarbeit und insbe- Gedenktages für die Opfer des National- cher_innen beeindruckt von der Bereit- sondere in die pädagogische Arbeit mit sozialismus in der Gedenkstätte über schaft zur Aufarbeitung dieses dunklen Jugendlichen ein. Allein 351 Schulklas- ihre Erinnerungen an die Deportation Kapitels deutscher Geschichte und sei- sen aus Niedersachsen, Bremen, den und die Zeit in den Lagern Auschwitz- ner Darstellung in Esterwegen. Ähnlich Niederlanden und zunehmend auch aus Birkenau und Ravensbrück sprach, beeindruckt von der Gedenkstätte war Nordrhein-Westfalen nahmen in diesem lauschten mehr als 900 Besucher_innen, die niedersächsische Landtagspräsiden- Jahr an mindestens dreistündigen päda- darunter viele Jugendliche und Familien tin Gabriele Andretta bei einem Besuch gogischen Programmen teil. Durch die mit Kindern, ihrer Erzählung. In ganz in Esterwegen am 28. Juli. Ihre Sommer- finanzielle Förderung der Stiftung nie- kleinem Kreis dagegen fand am 8. Mai reise in mehrere Gedenkstätten in Nie- dersächsische Gedenkstätten konnten wie seit vielen Jahren der Besuch des dersachsen sah sie auch als Zeichen für neben den hauptamtlichen Mitarbeiter_ 93-jährigen Dänen Karl Salling Møller, das Bewahren der Erinnerungskultur für innen sieben Honorarkräfte, davon vier ehemaliger Häftling des Außenlagers die nachfolgenden Generationen. pensionierte Lehrer und drei Historike- Versen des KZ Neuengamme, statt. Hierfür sehr wichtig sind die zahlrei- rinnen, eingesetzt werden, so dass täg- Doch bilden Besuche von Zeitzeug_in- chen Begegnungen mit Nachfahren, die lich bis zu fünf mehrstündige Führungen nen in der Gedenkstätte oder gar Veran- besonders in den Sommermonaten die möglich waren. staltungen mit ihnen heute die Ausnah- Gedenkstätte besuchten. Sie berichten Mit jeweils ca. 60 Gästen gut besucht me. Inzwischen sind es die Kinder, Enkel vom Umgang der 2. und 3. Generation waren die Eröffnungen der Sonderaus- und Urenkel, die sich auf Spurensuche mit dem Schicksal ihrer Väter oder Groß- stellungen: Am 21. Januar „‘Was konn- begeben. Manche kommen, oft zum wie- väter. Nicht selten können sie dabei ten sie tun?‘ – Widerstand gegen den derholten Male, mit einer Reisegruppe – neue Erkenntnisse über einzelne Gefan- Nationalsozialismus 1939-1945“, eine wie im September zunächst der dänische gene der Emslandlager weitergeben. Wanderausstellung der Stiftung 20. Juli Freundeskreis der Landsforeningen af Häufig aber steht auch die jahrzehnte- 1944 in Zusammenarbeit mit der Ge- kz-fanger fra Neuengamme und im sel- lange Tabuisierung vieler Verfolgungs- denkstätte Deutscher Widerstand und ben Monat für vier Tage die luxemburgi- schicksale nicht nur in der bundesdeut- am 6. Mai die erste große eigene Son- sche Fédération des Enrôlés de Force schen Nachkriegsgesellschaft, sondern derausstellung „Mit den Augen der Tä- Victimes du nazisme. Andere wiederum auch innerhalb der eigenen Familie und ter – Ein Fotoalbum über das Konzentra- werden nur von Familienangehörigen des Freundeskreises im Mittelpunkt. tionslager Esterwegen 1935“. Am 12. August erinnerte Fietje Ausländer vor Celle) und Reinhard Otto (Lemgo) be- fürsorge e.V. initiierten Projekts „Na- 139 mehr als 70 Interessierten an das vor 85 schäftigten sich in ihren Vorträgen mensziegel“ für jeden Toten, mit dem Jahren im Konzentrationslager Börger- mit der Behandlung der sowjetischen sie sich näher beschäftigt haben, eine moor entstandene „Moorsoldatenlied“. Kriegsgefangenen in Deutschland, ih- Ziegelplatte mit seinem Namen und dem Die aus dem benachbarten Sedelsberg rem Arbeitseinsatz im Regierungsbezirk Geburts- und Sterbedatum an, die dann stammende Marion Erdmann, Gattin des Osnabrück und ihren Transporten in auf dem Friedhof aufgestellt wird. deutschen Botschafters in der Türkei, Konzentrationslager. Martin Koers (Ge- Beide Schulen werden dieses Projekt trug auf der Veranstaltung eine türkische denkstätte Esterwegen) stellte sein Dis- in den kommenden Jahren fortsetzen. Version dieses Liedes vor, die sie 2017 sertationsvorhaben zu diesem Thema mit Studierenden der Hacettepe-Univer- vor. Während einer Exkursion zu drei der sität in Ankara erarbeitet hatte. sechs sog. „Russenfriedhöfe“ (Wesuwe, Im Mittelpunkt des von der Historisch- Fullen und Dalum) informierte Ann Kat- Ökologischen Bildungsstätte (HÖB) in rin Düben (Leipzig), die über die Erinne- Papenburg und der Gedenkstätte vom rungskultur in Bezug auf die Emslandla- 23. bis 25. November angebotenen Se- ger 1945 bis 2011 promoviert, über die minars „Völkerrecht und Massenster- mehrfachen Umgestaltungen der ben“ stand das Schicksal der mit mehr „Kriegsgräberstätten“ nach 1945. als 20.000 Toten zahlenmäßig größten Auf zweien dieser Friedhöfe, Oberlan- Opfergruppe der Emslandlager, der sow- gen und Fullen, haben Schüler_innen jetischen Kriegsgefangenen. Ein einfüh- des Gymnasiums Haren und der Anne- Besuch der Landsforeningen af kz-fanger fra Neuen­ render Vortrag von Kurt Buck informier- Frank-Schule Meppen begonnen, dort gamme – Vennekredsen aus Dänemark am 5. September • Madita Hagen te über die unterschiedliche Behandlung beerdigten und bisher als „unbekannt“ der polnischen, französischen, sowjeti- geltenden sowjetischen Kriegsgefange- 8. Mai: Karl Salling Møller mit seiner Tochter (re.), dem Enkelsohn seines inzwischen verstorbenen Kameraden schen und italienischen Kriegsgefange- nen ihre Namen und damit einen Teil ih- Henning Jensen (li.) sowie Marianne Buck und Fietje Ausländer (Gedenkstätte) • Kurt Buck nen in den neun, im September 1939 rer Würde zurückzugeben. Dazu erhalten vom Oberkommando der Wehrmacht sie von der Gedenkstätte Informationen Von Schüler_innen der Anne-Frank-Schule Meppen auf dem sog. „Russenfriedhof“ aufgestellte Namensziegel eingerichteten Kriegsgefangenenlagern und Kopien von Personalkarten oder • Kurt Buck im Emsland und in der Grafschaft Ben- Sterbeurkunden dort Beerdigter. An- Auf dem Lagerfriedhof Wesuwe, einer sowjetischen theim. Silke Petry, Rolf Keller (beide Stif- schließend fertigen sie im Rahmen des Kriegsgäberstätte, berichtet Ann Katrin Düben über die Umgestaltungen der Gräberanlage nach 1945. tung niedersächsische Gedenkstätte, vom Volksbund Deutsche Kriegsgräber- • Kurt Buck

Geförderte Gedenkstätten „Dir sitt net vergiess“ – Eine Erinnerungsreise

Kurt Buck

140 Der im luxemburgischen Binsfeld ge- An einem 1985 auf der „Begräbnisstät- Bereits einige Monate vorher, am borene Fernand Kohnen (1921-2002) te Esterwegen“ von ehemaligen Zwangs- 24. August 1944, waren sieben Luxem- wurde nach der Eingliederung seines rekrutierten eingeweihten Denkmal, das burger aus dem Strafgefangenenlager Landes in das Deutsche Reich 1942 zur die Form des Grossherzogtums Luxem- Börgermoor auf dem damaligen Wehr- Wehrmacht eingezogen. Nach einem burg hat, wurden Kränze der Luxembur- machtsschießplatz in Lingen-Schepsdorf Fluchtversuch verurteilte ihn ein Kriegs- ger Regierung und der Fédération nieder- hingerichtet worden. Diese Erschießung gericht wegen Desertion zu acht Jahren gelegt. Am anschließenden Empfang in von insgesamt zehn Luxemburgern (drei Zuchthaus. Am 21. März 1944 wurde er der Gedenkstätte nahmen u.a. der aus wurden in Siegburg hingerichtet) war in das Strafgefangenenlager Aschendor- Berlin angereiste Luxemburger Botschaf- von Reichsführer-SS Heinrich Himmler fermoor eingeliefert, schließlich in das ter Jean Graff, die Bundestagsabgeordne- als Racheakt für das Attentat auf den Wehrmachtgefängnis Torgau-Fort Zina te Gitta Connemann, der stellvertretende Ortsgruppenleiter der Volksdeutschen transportiert und von dort der „Bewäh- Landrat Willfried Lübs, der Vizepräsident Bewegung in Junglinster (LUX) am rungstruppe 500“ zugeführt. des Niedersächsischen Landtages Bernd 20. Juli 1944 angeordnet worden. Er überlebte und nahm in den 1990er Busemann und der Landtagsabgeordnete Heute erinnert in Schepsdorf ein Ge- Jahren an mehreren Treffen ehemaliger Bernd-Carsten Hiebing teil. Graff erinner- denkstein sowohl an die ermordeten Lu- „Moorsoldaten“ in Papenburg teil. te an die fast 3.000 gefallenen Zwangsrek- xemburger wie auch an die am 7. August Fast 30 Jahre später, vom 20. bis 23. rutierten aus Luxemburg und die etwas 1943 an gleicher Stelle erschossenen September 2018, unternahmen 30 Teil- mehr als 10.000 „Lëtzebuerger Jongen“, zwölf Mitglieder der belgischen Wider- nehmer_innen der luxemburgischen die zur Teilnahme an einem verbrecheri- standsgruppe De Zwarte Hand, die zuvor Fédération des Enrôlés de Force Victi- schen Krieg gezwungen worden waren. als „Nacht-und-Nebel“-Gefangene im mes du nazisme auf den Spuren ihrer Erny Lamborelle, Präsident der Fédérati- Strafgefangenenlager Esterwegen inter- Vorfahren eine Erinnerungsreise zu den on, regte neue Forschungen über die in niert gewesen waren. Moorlagern im Emsland. Mit dieser Rei- den Moorlagern inhaftierten 108 Luxem- In Anwesenheit von Lingens Bürger- se gedachten sie der 108 kriegsgericht- burger an, auch wenn bekannt sei, dass meister Heinz Tellmann legte die Fédéra- lich verurteilten „Lëtzebuerger Jongen“, die meisten von ihnen aus dem Emsland tion auch an diesem Gedenkstein einen die 1944/45 in diesen Lagern gelitten in das Zuchthaus Sonnenburg deportiert Kranz nieder und versprach ein Wieder- hatten, nachdem sie zuvor nach der Be- worden seien. Dort wurden alle 819 Ge- kommen spätestens im Jahr 2020. setzung ihres Landes in die Deutsche fangenen, unter ihnen 91 Luxemburger, in Die Delegation der Fédération des Enrôlés de Force Wehrmacht zwangsrekrutiert worden der Nacht zum 31. Januar 1945, zwei Tage Victimes du nazisme • Kurt Buck

waren. vor der Befreiung, ermordet. Jean Graff, Botschafter des Großherzogtums Luxem- burg in Berlin • Kurt Buck Sonderausstellung „Mit den Augen der Täter – Ein Fotoalbum über das Konzentrationslager Esterwegen 1935“

Sebastian Weitkamp

David Rosenbaum ist Häftling im KL Was die Propagandafotos nicht zeig- Die beabsichtigte Wirkung der NS-Fo- 141 Esterwegen. Im Oktober 1935 steht er – ten, war die Gewalt im Lager, die Schika- tos wurde dabei durch erklärende Texte vorgeführt von der SS – auf der Lager- nen der Wachmannschaften bei der sowie durch Dokumente und Aussagen straße, ein Fotograf des Reichspropa- Zwangsarbeit, die harte Bestrafung von ehemaliger Häftlinge gebrochen, die den gandaministeriums macht eine Auf­- Häftlingen oder den Tod. David Rosen- Besucher_innen vor Augen führten, was nahme von ihm. Dieses Foto hat sich in baum war einer der Häftlinge, die ihre nicht auf den Fotos zu sehen ist: die Ge- einem Album bis heute erhalten. Haft im KL Esterwegen nicht überlebten. walt und die Lebensumstände der Das Ministerium von Joseph Goebbels Über seinen Werdegang ist trotz intensi- Inhaftierten. benötigte Material, um der Kritik im Aus- ver Recherche nur wenig bekannt. Der land an den Lagern und der Verfolgung 1880 geborene Rosenbaum war Händler politischer Gegner und anderer „Volks- und jüdischen Glaubens. Über seine feinde“ zu begegnen. Der Öffentlichkeit Haftgründe liegen keine gesicherten An- im In- und Ausland sollten saubere, or- gaben vor. Im Juni 1936 – acht Monate dentliche Konzentrationslager präsen- nach der Aufnahme des Fotos – starb er tiert werden, deren Häftlinge zum unter ungeklärten Umständen im Lager. Schutz der „Volksgemeinschaft“ inhaf- Das Bild im Album dürfte sehr wahr- tiert waren. Aus diesem Grund kamen scheinlich das letzte sein, das ihn lebend zwei Fotografen ins Lager und machten zeigt. mehr als 120 Aufnahmen von Baracken, Die Gedenkstätte Esterwegen hat nun, Zwangsarbeit und Häftlingen. mit Unterstützung der Stiftung nieder- Das so entstandene, heute im Bundes- sächsische Gedenkstätten, der Emslän- archiv in Berlin verwahrte Fotoalbum ist dischen Sparkassenstiftung und der eines der wenigen Bilddokumente über Emsländischen Landschaft e.V. das his- das KL Esterwegen aus der Zeit von torische Album zum Gegenstand einer 1934 bis 1936. Es enthält einige später Sonderausstellung gemacht. Diese wur- sehr bekannt gewordene Aufnahmen, de am 6. Mai 2018 eröffnet und zeigte wie die des Lagertors mit SS-Runen die Propagandaaufnahmen im ursprüng- Alfred Kaufmann, Sohn des 1943 im KZ Auschwitz ermordeten Franz Kaufmann, vor dem Foto seines oder des Friedensnobelpreisträgers Carl lichen Kontext des Fotoalbums. Die Aus- Vaters anlässlich der Ausstellungseröffnung am 6. Mai von Ossietzky als Häftling. stellung ist auf diese Weise ein „begeh- 2018 • Hedwig Ahrens bares“ Album. Titelbanner der Sonderausstellung • Kurt Buck

Geförderte Gedenkstätten Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Martin Guse, Leiter der Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Die Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau wird im Rahmen der Schwer- punktförderung der Stiftung niedersäch- sische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert.

Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. Königsberger Straße 15 D – 31618 Liebenau Tel.: +49 (0) 5023 – 1575 [email protected] www.martinguse.de/pulverfabrik Jugend-AG im Internet: www.japl.de

142 Im Jahr 2018 arbeitete der Projekt­ im Februar 2018 führte die Dokumentati- Jugendlichen aus Belarus, Ukraine, Polen koordinator im kommunalen Gremium onsstelle im Einvernehmen mit der „Eick- und Deutschland an das Thema „NS- „Bildungs- und Begegnungszentrum hofer Heide GmbH & Co. KG“ insgesamt Zwangsarbeit in der Pulverfabrik Liebe- Liebenau“ mit, das umfangreiche Sanie- 54 Führungen für Klein- und Großgrup- nau“ dokumentiert wird. rungsmaßnahmen im Bereich der Liebe- pen sowie Schulklassen durch. Die Ab- Im Bereich der „Schicksalsklärung“ stie- nauer Grundschule vorsieht und von sprachen ermöglichten zudem ausge- gen die Aufgaben weiter deutlich an. Fa- kommunaler Seite auch den Umbau eines dehntere Streckenführungen auf dem milienangehörige der ehemaligen NS- Teilbereiches der bisherigen Hauptschule zwölf Quadratkilometer großen Werks- Zwangsarbeiter_innen fragten schriftlich zur Gedenkstätte koordiniert. Hinsichtlich komplex und die Nutzung von zusätzli- oder fernmündlich nach Informationen der geplanten baulichen Maßnahmen chen ehemaligen Produktionsgebäuden oder sie besuchten die Dokumentations- wurde der entsprechende Antrag beim für die Bildungsarbeit. Die Nachfrage und stelle, wie Jan Wink und sein Sohn David Amt für regionale Landesentwicklung aus die Zahl der Besucher_innen stiegen im aus den Niederlanden am 29. und 30. Au- ZILE-Mitteln (EU) positiv beschieden. Al- Jahr 2018 deutlich. gust. Jeanine Marciniak aus Frankreich lerdings sind diese Mittel laut Förderbe- Die vereinsinterne Jugend-Arbeitsge- legte zusammen mit ihren sechs Söhnen stimmungen erst im Jahr 2020 abrufbar. meinschaft wurde mehrfach unmittel- am 1. November erstmals am Grab ihres Aufgrund dieser Auszahlungsmodalitäten bar in die Vermittlungsarbeit eingebun- Vaters Stefan Tarapacki Blumen nieder – der EU-Förderung und der Sanierung der den, indem sie im März bei einer Tagung der gebürtige Pole starb im Alter von 33 Grundschule können die Umbaumaß- im belarussischen Minsk referierte oder Jahren am 30.12.1942 im „Arbeitserzie- nahmen zur Gedenk- und Bildungsstät- die beiden Projekttage mit einer örtli- hungslager“ Liebenau. Jahrelang suchte te auch erst dann beginnen. chen Jugendfeuerwehr beziehungsweise die Familie vergeblich – unter anderem im Im Bereich der Bildungs- und Vermitt- den fünfzig Gästen vom „Geschichtsver- tschechischen und im österreichischen lungsarbeit wurde die Zugänglichkeit zum ein Minden“ im Juni direkt mitgestaltete. Liebenau. Nun schloss der Informati- ehemaligen Gelände der Pulverfabrik Lie- Auch bei den „Internationalen Begeg- onsbesuch, der von Frau Nathalie Le- benau (mit den bis heute erhaltenen 400 nungstagen der Dokumentationsstelle tierce-Liebig vom Internationalen Such- Produktionsgebäuden) im Jahr 2018 er- Pulverfabrik“ im Mai wirkte sie aktiv mit. dienst Arolsen begleitet wurde, die heblich ausgeweitet. Die mehrmonatigen Gruppenmitglieder beteiligten sich an der schmerzende Lücke im Familienge- Kooperationsgespräche mit den damals Vorbereitung der für 2019 vorgesehenen dächtnis. Am 29. und 30. November potentiellen neuen Eigentümern des Ausstellung zum „Internationalen Ju- besuchte die Familie Kardol aus den Werksareals erwiesen sich als besonders gendfotoworkshop 2014“, in der die Niederlanden die Dokumentationsstel- fruchtbar: Nach dem Eigentümerwechsel damalige fotografische Annäherung von le. Iryna Kardol suchte nach den Spu- ren ihres ukrainischen Großonkels, der (Ukraine). Im August 2019 sollen zu­- 143 als Zwangsarbeiter in der Pulverfabrik dem die ersten Namenstafeln auf der eingesetzt war. Er kehrte nicht in die Kriegsgräberstätte Hesterberg ange- 21. April: Projekttag für die Jugendfeuerwehr Pennig- Heimat zurück, sein etwaiger Tod in Lie- bracht werden. sehl. Nach dem Besuch des ehemaligen Werksgeländes benau ist nicht dokumentiert, so dass wir schlossen sich Vorträge und Austausch mit Mitgliedern der Jugend-­AG an. Einige der Teilnehmer_innen nahmen zu seinem Schicksal gemeinsam recher- später an der Internationalen Begegnungswoche vom chieren werden. Mai 2018 teil. • Jugendfeuerwehr Pennigsehl Im gesamten Jahresverlauf unterstützte 29. Juli: Arbeitseinsatz der vereinsinternen Jugend-Ar- beitsgemeinschaft beim „Friedensplatz Liebenau“. Auf die Dokumentationsstelle ehemalige dem Schulhof Liebenau, dem ehemaligen Standort des „Arbeitserziehungslagers“, erinnert er an die Todesop- Zwangsarbeiter_innen mit finanziellen fer des Lagers. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik oder medizinischen Hilfsmitteln. Die mit Liebenau e.V. Migrant_innen und Flüchtlingen aus den 29. August: Jan Wink aus den Niederlanden besuchte die Dokumentationsstelle zum zweiten Mal, diesmal mit Landkreisen Nienburg und Diepholz im Sohn David. Er überreichte dabei die Kopie eines Tage- Jahr 2017 begonnenen und in 2018 fortge- buch seines Vaters Harm Wink, der als Zwangsarbeiter in der Pulverfabrik eingesetzt war. • Dokumentationsstel- führten Informationsprojekte zur NS-Ge- le Pulverfabrik Liebenau e.V. schichte werden in Kooperation mit den 16. Oktober: An diesem Tag wurde eine von mehreren Partnerorganisationen „Stolpersteine Informationsveranstaltungen für Migrant_innen und Flüchtlinge aus der Region durchgeführt. Stolzenau“ und „Alte Synagoge Peters­ • „Liebenau hilft…“, Liebenau hagen“ auch im Jahr 2019 fortgesetzt. Mit 1. November: Jeanine Marciniak besuchte mit ihren dem Marion-Dönhoff-Gymnasium Nien- sechs Söhnen und Frau Letierce-Liebig vom Internatio- nalen Suchdienst Arolsen auch den „Friedensplatz“ burg/Weser wird die langfristige, kontinu- Liebenau. Am 30.12.1942 war ihr Vater im „Arbeitserzie- hungslager“ ermordet worden. • Dokumentationsstelle ierliche Projektarbeit ab dem 2. Halbjahr Pulverfabrik Liebenau e.V. 2019 ebenso angestrebt, wie die Koopera- 2. November: Tony Marciniak präsentierte ein Foto tion und der Austausch mit weiteren Ge- seines Großvaters Stefan Tarapacki. Am 30.12.1942 starb er im Alter von 33 Jahren im „Arbeitserziehungslager“ denkorten und –initiativen in der Region Liebenau. Er hinterließ Frau und Tochter Jeanine, die Nienburg, Minden und Porta Westfalica nun mit ihren Söhnen erstmals sein Grab besuchte. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. aufgenommen wurde. Das internationale 10. November: Beim Aktionstag mit dem Evangelischen Jugend-Kunstprojekt startet im April 2019 Jugenddienst des Kirchenkreises Nienburg/Weser werte- – in Kooperation mit den Kunstschulen ten die jugendlichen Teilnehmer_innen verschiedene Karteikarten aus • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Mittelweser, Minsk (Belarus) und Schostka Liebenau e.V.

Geförderte Gedenkstätten Internationale Tagung in Minsk (Belarus)

Martin Guse

144 Vom 20. bis 23. März 2018 reisten vier NS-Zwangsarbeit in der Pulverfabrik. Sie gegenwartsbezogenen Schlussfolgerun- Mitglieder der Jugend-Arbeitsgemein- berichteten außerdem von den Anfän- gen sich aus dem Lernen über die NS- schaft mit dem Geschäftsführer der Do- gen ihrer Vorgänger im Jahr 2002 bis zu Verbrechen für sie ergeben. Sie formu- kumentationsstelle nach Minsk (Bela- ihren eigenen, heutigen Aktivitäten. Sie lierten als abschließendes Sektions-­ rus), um an der Tagung „Menschlichkeit verwiesen auf ihre Gespräche mit ehe- Statement den Wunsch, dass internatio- in den Jahren der Unmenschlichkeit – maligen Zwangsarbeiter_innen und nale (Jugend-) Begegnungen zu Frage- Bewahrung der Erinnerung in der sowje- deutschen Zeitzeug_innen, den integra- stellungen von NS-Verbrechen und Men- tischen und postsowjetischen Zeit an die tiv ausgerichteten Hintergrund ihrer Zu- schenrechtsverletzungen ausgeweitet Opfer unter den Zivilisten während des sammenarbeit, die von ihnen erarbeite- und nachhaltig gefördert werden Zweiten Weltkriegs: historischer, päda- ten Ausstellungen und Modelle und sollten. gogischer und soziokultureller Kontext“ erzählten vor allem über die 19, bisher teilzunehmen. Insgesamt wirkten 110 stattgefundenen, international zusam- Teilnehmer_innen aus Belarus, der Ukra- mengesetzten Zeitzeugen- und Jugend- ine, Russland und Polen an insgesamt begegnungen mit Gästen aus Belarus, neun Sektionen mit. Neben Impulsvor- der Ukraine, Russland, den Niederlan- trägen und Diskussionsrunden, in deren den, Polen und Israel. Verlauf die aktuellen Differenzen in den Im zweiten Abschnitt der Sektion 9 „Erinnerungspolitiken“ der ehemaligen diskutierten die – dann vorwiegend stu- Staaten der Sowjetunion deutlich wur- dentischen –Teilnehmer_innen über ihre den, besuchten die Teilnehmer_innen persönliche Auseinandersetzung mit die Gedenkfeier der staatlichen Gedenk- Krieg und NS-Verbrechen. Sie bearbeite- stätte „Chatyn“, die als zentraler Erinne- ten sowohl die Fragestellung, ob „Wie- rungsort für alle Opfer der deutschen dergutmachung“ und „Versöhnung“ im 21. März: Eröffnungsplenum der Tagung in Minsk Besatzung konzipiert ist. Wortsinne möglich seien, als auch die • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Im ersten Abschnitt der Sektion 9 Chancen, Motivlagen und Grundlagen 21. März: Nach der Teilnahme in Sektion 9 wurde mit „Kann internationale Jugendbildungsar- einer internationalen Jugendbildungsar- Frau Prof. Elena Schewtschuk (3. Von links) von der Fakultät Sozialpädagogik der staatlichen Universität beit zur NS-Zwangsarbeit sinnvoll sein beit zu dieser Thematik. Sie arbeiteten Brest (Belarus) und ihren Student/innen eine Zusam- menarbeit mit der Dokumentationsstelle diskutiert. und gelingen?“ vermittelten die Liebe- sehr engagiert und offenbarten eine • Angelica Anoshko, „Verständigung“ Minsk nauer Jugendlichen einen Überblick hohe Bereitschaft zur Partizipation – zum 22. März: Gedenkfeier Chatyn: Fragment des Außengelän- über die historischen Hintergründe zur Beispiel auch zur Frage, ob und welche des. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. Internationale Begegnungstage Mai 2018

Martin Guse

Vom 04. bis zum 10. Mai 2018 reisten gang 1923) lernten sich bei der Zwangs- dem fand am 08. Mai 2018 eine Ge­ 145 Simon Brouwer und seine Schwester arbeit in der Pulverfabrik Liebenau ken- denkfeier auf der Kriegsgräberstätte Hildah erstmals aus den Niederlanden nen. Noch in Liebenau verlobten sie Hesterberg statt, wo die 2.000 Todesop- nach Liebenau. Mit ihren Ehepartner_in- sich, wobei sie eine Uhr gegen entspre- fer der NS-Zwangsarbeit in Liebenau be- nen begegneten sie dem 92-jährigen chende Ringe eintauschten, die ein ver- stattet wurden. Zeitzeugen Karl Payuk, der 22-jährigen sierter Zwangsarbeiter aus Produktions- Begegnungswochen dieser Art sollen Natalia Derevyanko (beide Ukraine), ei- resten der Pulverherstellung fertigte. Im in den kommenden Jahren zum regel- ner Jugendgruppe der Internationalen Frühjahr 1945 gelang den Verlobten die mäßigen Bestandteil der Arbeit vor Ort gesellschaftlichen Vereinigung „Verstän- Flucht aus den Liebenauer Lagern und werden, zumal auch die Nachkommen digung“ aus Belarus und interessierten schließlich erreichten sie unter riskanten weiterer ehemaliger Zwangsarbeiter/­ Schüler_innen aus Liebenau und dem Begleitumständen die Heimat des jun- innen aus der Ukraine, Polen, Italien, Landkreis Nienburg/Weser. gen Mannes. Am 21. Juni 1945 heirate- Frankreich und den Niederlanden ihr ten sie im niederländischen Rottum besonderes Interesse bekundet haben. Während Karl Payuk als ehemaliger (Heerenveen-Süd). Ihren Kindern berich- Häftling des „Arbeitserziehungslagers teten sie frühzeitig über die sehr belas- Liebenau“ und der Konzentrationslager tenden Umstände der NS-Zwangsarbeit Neuengamme, Drütte und Bergen-Belsen in der Pulverfabrik. Zinja starb im Jahr berichtete, informierte Natalia mit Be- 1993, Kees zehn Jahre später. richten, Dokumenten und Fotos über Die Gäste informierten sich in Daten- das Familiennarrativ zu Verfolgung und banken und dem Archiv der Dokumenta- NS-Zwangsarbeitseinsatz ihrer Großtan- tionsstelle über entsprechende Nach- te Katerina und weiterer Familienange- weise zur jeweiligen Familiengeschichte höriger. und überbrachten ihrerseits persönliche Der aus Stahlresten der Pulverproduktion gefertigte Verlobungsring von Cornelis Brouwer. • Hildah Brouwer Dokumente und historische Fotografien (Niederlande)

Simon Brouwer berichtete in einem aus dem Familienbesitz. In der ehemali- 8. Mai: Simon Brouwer (Niederlande) berichtete mit reichhaltig bebilderten Vortrag zur Le- gen Pulverfabrik, an den früheren Stand- Fotos und Dokumenten über den Lebensweg und die NS-Zwangsarbeit seiner Eltern. • Dokumentationsstelle bensgeschichte seiner Eltern: Die 1925 orten von acht Fremd- und Zwangsarbei- Pulverfabrik Liebenau e.V. geborene Ukrainerin Evgenia Tkatschen- terlagern und bei unterschiedlichen 8. Mai: Gedenkfeier auf der Kriegsgräberstätte Hester- ko (Rufname Zinja) und der Niederländer Vorträgen verschafften sie sich zusätzli- berg. Dort wurden 2.000 Todesopfer der NS-Zwangsar- beit bestattet. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Cornelis Brouwer (Rufname Kees, Jahr- che Hintergrundinformationen. Außer- Liebenau e.V.

Geförderte Gedenkstätten KZ-Gedenkstätte Moringen

Dr. Dietmar Sedlaczek, Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen

Die KZ-Gedenkstätte Moringen wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten in besonderer Weise gefördert.

KZ-Gedenkstätte Moringen Lange Straße 58 D – 37186 Moringen Postanschrift: Postfach 1131, D – 37182 Moringen Tel.: +49 (0) 5554 – 2520 / 8807 / 2504 [email protected] www.gedenkstaette-moringen.de www.warumerinnern.wordpress.com https://twitter.com/MoMemorial www.facebook.com/moringenmemorial www.erinnernsuedniedersachsen.de

146 Zu den Höhepunkten des Jahres 2018 operation mit der Geschwister-Scholl-­ Jahren neu recherchiert worden waren, in zählt die Benennung der Mittelschule in Schule in Göttingen und dem XXX Lice- der zentralen Namensdatei des ITS über- Gersthofen (Bayern) nach der Wider- um Ogólnokształcące im. księdza Jana prüft. Für über 300 Häftlinge ließen sich standskämpferin Anna Pröll (1916-2006). Twardowskiego in Lublin (Polen) erfolg- Vorgänge und Dokumente ermitteln, dar- In einem Festakt am 19. November 2018 te ein Jugendaustausch. In diesem Jahr unter T/D-Fälle [Tracing/Documentation = wurde Anna Pröll als Vorbild für Zivilcou- fand die Begegnung in Deutschland statt, Suche/Dokumentation; Anfragen von rage und den Kampf gegen rechtsradikale im nächsten Jahr reisen die deutschen Überlebenden und Angehörigen werden Tendenzen gewürdigt. Anna Pröll, hinter Schüler_innen nach Polen. Im Mittelpunkt beim ITS unter dieser aus der unmittelba- ihr lag bereits eine mehrjährige Einzelhaft des Projektes steht die Idee des gemeinsa- ren Nachkriegszeit stammenden Abkür- im Frauen-Gefängnis Aichach, war von men Geschichtslernens, die auch die un- zung registriert] und Briefe ehemaliger Mai 1936 bis Juni 1937 Häftling im Frauen- terschiedlichen Muttersprachen der Ju- Häftlinge. Zahlreiche Dokumente geben KZ Moringen gewesen. Bis zu ihrem Tod gendlichen mit einbezieht. Auskunft über das Schicksal der Häftlinge im Jahr 2006 engagierte sie sich in der KZ- Neben den Angeboten von Führungen nach ihrer Haft in Moringen. Viele von ih- Gedenkstätte Moringen wie auch in der und Projekttagen wächst die Bedeutung nen erfuhren weiter Verfolgung und wa- Lagergemeinschaft. Immer wieder traf sie der dezentralen Vortrags- und Theater- ren in weiteren Konzentrationslagern in- sich mit Jugendlichen zu Zeitzeugen­- angebote. Zwölf öffentliche Veranstaltun- haftiert; Moringen war für viele Häftlinge gesprächen. gen fanden 2018 in der Gedenkstätte so- der Beginn ihrer Verfolgungsgeschichte. Im Fokus der Aufmerksamkeit stand wie an anderen Orten in der Region statt. Einen spektakulären Fund machte die auch 2018 die Bildungsarbeit. Insgesamt Auch in diesem Jahr beteiligte sich die Ge- Gedenkstätte im Magistratsarchiv der haben 95 Gruppen an Führungen teilge- denkstätte mit speziellen Angeboten am Stadt Moringen, wo in einem bislang un- nommen und unterschiedliche themati- internationalen Museumstag und am Tag zugänglichen Raum ein Teil der Korres- sche Angebote der Gedenkstätte genutzt. des offenen Denkmals. pondenz der Stadt Moringen mit dem Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl Recherche, Forschung, Vorträge: Im Konzentrationslager und dem DP-Camp der zum Teil mehrtägigen Projekte für Niedersächsischen Landesarchiv Han- entdeckt wurde. Schulen aus Niedersachsen und anderen nover und im ITS in Bad Arolsen führte 2018 erschien die Dissertation von Bian- Bundesländern von 12 auf 21. Mit zehn die Gedenkstätte ein von der SnG geför- ca Roitsch zum Umfeld der Lager Bergen- Aufführungen des Klassenzimmerstücks dertes 15-tägiges Rechercheprojekt durch. Belsen, Esterwegen und Moringen. Die „Die Besserung“ erreichten wir 832 Besu- Hierbei wurden u.a. 780 Namen des frü- Mitarbeiter der Gedenkstätte waren zu cher_innen. Daneben bot die Gedenkstät- hen KZ und achtzig Namen von Häftlingen verschiedenen Vorträgen eingeladen: te sieben öffentliche Führungen an. In Ko- des Jugend-KZ, die in den vergangenen Arne Drolder berichtete im Januar in Pa- penburg im Rahmen der Tagung der Inter- tiert. Beide Ausstellungen zeigen Doku- onsplans (LAP) des Bundesprogramms 147 essengemeinschaft niedersächsischer Ge- mente aus dem Archiv der Gedenkstätte. „Demokratie leben! – Aktiv gegen Rechts- denkstätten über das Netzwerk Topografie 2018 waren an der Gedenkstätte ein extremismus, Gewalt und Menschen- der Erinnerung in Südniedersachsen. Dr. mehrmonatiges studienbegleitendes feindlichkeit“ im Landkreis Northeim. Dietmar Sedlaczek hielt zum Holocaustge- Praktikum sowie ein Schülerpraktikum denktag im Rahmen des Bündnisses 27. angesiedelt. Januar im Alten Rathaus in Göttingen ei- Das Jahr 2018 war geprägt von den Vor- nen Vortrag über Sinti als Häftlinge im Ju- arbeiten für den Ausbau der Gedenkstätte Sue Wood aus Großbritannien, Enkelin von August Witte gend-KZ Moringen. Vor Studierenden der am historischen Ort. Im Januar fand ein (1933 Häftling im frühen KZ Moringen), besucht gemein- sam mit ihrem Partner die KZ-Gedenkstätte Moringen. Universität Hildesheim sprach er im April Kickoff-Meeting zur Planung des neuen Mitarbeiter_innen zeigen ihnen die Gedenkstätten und über „Zeitzeugenschaft – aktuelle Heraus- Lernortes statt. In der Diskussion erhielt führen sie über das ehemalige Lagergelände. Zuvor hatte Frau Wood im Archiv der Gedenkstätte nach forderungen in der Erinnerungskultur“ das vorgestellte Konzept für die geplante Dokumenten über ihren Großvater gesucht. Schick- salsklärung ist ein bedeutender Teil der Arbeit der und in Göttingen im August anlässlich der neue Dauerausstellung von den vertreten- Gedenkstätte. • Jakob Frost Eröffnung einer Ausstellung zum „Roma den Expert_innen viel Bestätigung. Botschafter_innen der Erinnerung besuchen die KZ-Ge- Genocide Remembrance Day“ über die In über sechzig Newslettern unseres denkstätte Moringen. Im Rahmen eines Wochenend- workshops waren 27 Jugendliche des Kreisjugendrings Deportation von Sinti aus dem Jugend-KZ Netzwerkes Topografie der Erinnerung. aus Dortmund nach Moringen gekommen. In ihren Moringen nach Auschwitz. Gedenken und Erinnern in Südniedersach- Händen halten sie ihre Beiträge für unseren Blog „war- um erinnern“. • Arne Droldner. Die Ausstellung „Denn bin ich unter das sen (www.erinnernsuedniedersachsen. Deutsch-polnischer Jugendaustausch. Die von Cornelia Jugendamt gekommen“ - Bremer Jugend- de) informierten wir über erinnerungskul- Schmidthals (KZ-Gedenkstätte Moringen) organisierte fürsorge und Heimerziehung 1933-1945, turelle Veranstaltungen in Südnieder­- Schüler_innen-Begegnung besucht die KZ-Gedenkstätte Moringen. Im nächsten Jahr reisen die deutschen weist auch auf zehn Bremer Jugendliche sachen. Jugendlichen zu einem Gegenbesuch nach Lublin (Polen). • Miriam Hockmann hin, die im Jugend-KZ Moringen inhaftiert Der Leiter der Gedenkstätte ist Mitglied waren. Die Ausstellung „Spuren der NS- im Sprecherrat der Interessengemein- Am 27. Juni 2018 besuchte die Landtagspräsidentin, Frau Dr. Gabriele Andretta, die KZ-Gedenkstätte Morin- Verfolgung“ im Museum August Kestner schaft niedersächsischer Gedenkstätten gen. Die Landtagspräsidentin wurde begleitet von der Landtagsabgeordneten Frauke Heiligenstadt. Im Mittel- in Hannover geht an ausgewählten Objek- und Initiativen zur Erinnerung an die NS- punkt des Austausches stand die Bildungsarbeit der ten der Geschichte von NS-Raubkunst Verbrechen. In dieser Funktion nimmt er Gedenkstätte vor dem Hintergrund eines erstarkenden Antisemitismus und zunehmender rechtsextremer nach. Eines der Objekte ist ein Buch von auch einen Sitz im Beirat der Stiftung nie- Erscheinungen. • Arne Droldner

Hannah Vogt, das ihr bei der Inhaftierung dersächsische Gedenkstätten wahr. Darü- Am 20. Juni 2018 besuchte eine internationale Richter- abgenommen worden war. Hannah Vogt ber hinaus sind Leitung und Assistenz der delegation die KZ-Gedenkstätte Moringen. Die Vertreter kamen aus Polen, Portugal, Rumänien und Deutschland. war 1933 im frühen KZ Moringen inhaf- Gedenkstätte Mitglieder des Lokalen Akti- • Jakob Frost

Geförderte Gedenkstätten Geschichtslernen mit neuen Medien am historischen Ort

Dietmar Sedlaczek

148 Geschichtslernen mit neuen Medien len finden sich Bleistiftzeichnungen und mal eine KZ-Gedenkstätte besucht ha- am historischen Ort. Eine App soll Besu- -aufschriften sowie handschriftliche Ein- ben und welches Gefühl sie mit dem cher_innen helfen, den Dachboden in ritzungen. Die älteste Aufschrift ist da- Besuch der KZ-Gedenkstätte Moringen der ehemaligen Kommandantur zu tiert auf das Jahr 1885. Auf einer Bohlen- verbinden. Sie erfahren dann auch, wie erschließen. wand im Verteilerflur lautet eine Inschrift sich andere User_innen geäußert haben. Fünf Studierende der Pädagogischen „6 Monate / Arbeitshaus / wegen Zuhäl- „Zielsetzung ist es hierbei“, so der Pro- Hochschule Weingarten haben im Rah- terei“. Ebenfalls auf einer Bohlenwand jektbericht, „dass aufkommende Fragen, men ihrer Bachelorarbeit eine interaktive im Verteilerflur findet sich eine weitge- Gefühle und Gedanken der Besucher App für die KZ-Gedenkstätte Moringen hend unkenntlich gemachte Inschrift, bzw. der Jugendlichen kanalisiert wer- entwickelt. Auf der Grundlage eines von deren letzte Zeile gerade noch erkennbar den und fester Bestandteil des Besuches ihnen in Zusammenarbeit mit der KZ- ist: „Schutzhaft 1933“. Ein außen an einem sein können.“ Die Entwickler_innen der Gedenkstätte Moringen erstellten inhalt- Dachfenster angebrachter Rink weist auf App betonen, dass „mit diesem Konzept lichen Konzepts erarbeiteten sie einen die Befestigung einer Fahnenstange hin. das informelle, selbstgesteuerte und so- Prototyp in Form einer Web-App. Ziel- Die Holz und Wandinschriften sind mit ziale Lernen realisiert werden [soll]“. Es gruppe der Anwendung sind Jugendli- den bloßen Augen nur schwer zu erken- gehe weniger um das Vermitteln von che, die die Hauptbesuchergruppe der nen. Mittels QR-Codes können an diesen Fakten und formalem Wissen, sondern Gedenkstätte ausmachen. Stellen nun Informationen abgerufen „vielmehr um das Schaffen von tieferge- Die App soll Besucher_innen helfen, werden. Sowohl das Sichtbarmachen als hendem Verständnis für den Ort und der sich den Dachboden in der ehemaligen auch die Kontextualisierung der Relikte Geschichte der inhaftierten Menschen.“ Kommandantur zu erschließen. Dieser stehen im Vordergrund der medialen Er- zeigt verschiedene Spuren, die auf die schließung, aber auch eine Reflexion des Geschichte der unterschiedlichen Ein- eigenen Erinnerungsprozesses. Hier richtungen hinweisen, die hier nachein- zeigt sich der Ansatz der angehenden ander in den vergangenen zwei Jahrhun- Medienpädagog_innen aus Weingarten:

derten bestanden haben. Im Rahmen Die App möchte, dass die Besucher_in- Lokaltermin auf dem Dachboden der ehemaligen Kom- einer 2017 durchgeführten bauhistori- nen ins Gespräch kommen und sich über mandantur. Kim-Sina Engelhart, Leonie Heiberger (rechts im Bild), Manuel Heim, Hannah Husemann (beide schen Untersuchung erfolgte eine Be- ihre eigenen Einstellungen und Gefühle links im Bild) und Laura Kramuschka, Studierende der Pädagogischen Hochschule Weingarten recherchieren standsaufnahme der Ausstattung und austauschen. So werden z.B. zu Beginn für die Entwicklung einer App zum Geschichtslernen in der historischen Oberflächen des Dach- die User_innen, die in Kleingruppen ar- der KZ-Gedenkstätte Moringen. • Dietmar Sedlaczek geschosses. Auf zahlreichen Holzpanee- beiten sollen, gefragt, ob sie schon ein- Screenshots • KZ-Gedenkstätte Moringen Das Überwinden der Sprachlosigkeit. Erstes Treffen der Generationen in der KZ-Gedenkstätte Moringen.

Dietmar Sedlaczek

Vom 26. bis 27. Oktober 2018 haben Strafe bekam. Viele Monate dauerte Tochter ergänzte in der Diskussion, dass 149 Angehörige ehemaliger Häftlinge der nach der Befreiung der Weg in seine sie sich gewünschte hätte, frei von die- drei Moringer Konzentrationslager die Kärntner Heimat. Sprechen konnte er sem Thema zu sein. Am Ende des Podi- KZ-Gedenkstätte Moringen besucht. Für über das Erlebte nicht, drängender war umsgesprächs, an dem sich auch Besu- viele war es ihr erster Besuch in Morin- der Aufbau einer Existenz. Seine Eltern, cher und Gäste intensiv beteiligten, war gen. Sie wollten den Ort sehen, an dem so berichte hingegen Josef Pröll, beides deutlich geworden, dass es ein großes ihre Eltern oder Großeltern gelitten hat- Widerstandskämpfer, die einen Vater Bedürfnis gibt, sich über die erfahrene ten. Gefolgt waren sie einer Einladung und zwei Brüder in Dachau und Buchen- Verfolgung von Angehörigen und auch der Moringer Lagergemeinschaft und wald verloren hatten, mussten über die über den familiären wie gesellschaftli- der Gedenkstätte. Das Treffen der Gene- erlebte Verfolgung und Haft sprechen chen Umgang in der Bundesrepublik rationen war eingebunden in eine Reihe und banden ihn als Sohn mit ein. Für ihn bzw. in der DDR mit den NS-Verbrechen von Veranstaltungen, darunter eine Auf- waren sie Helden, doch andere bezeich- und seinen Opfern auszutauschen. Zum führung des Theaterstücks „Die Besse- neten sie abfällig als „KZler“. Freia Har- Abschluss der zweitägigen Veranstal- rung“ und ein Rundgang über das ehe- barts Vater gehörte zu den politischen tung wurde an der Gedenktafel an der malige Lagergelände, die auch für ein Häftlingen, die bereits 1933 verhaftet ehemaligen Kommandantur ein Kranz interessiertes Publikum geöffnet waren. und ins KZ-Moringen gesperrt worden niedergelegt. Nach diesem erfolgrei- Den Auftakt machte ein Podiumsge- waren. Auch nach der Haft blieb er poli- chen Auftakt steht fest: im nächsten spräch mit Vertreterinnen und Vertretern tisch aktiv, erfuhr wieder Haft, diesmal Jahr wird es wieder ein Treffen der Ge- aus dem Kreis der anwesenden Angehö- im KZ-Sachsenhausen, wo er 1945 die nerationen geben. rigen. Ernst Blajs, ehemaliger Häftling Befreiung erlebte. Zurück kam er als ge- des Jugend-KZ und gemeinsam mit sei- sundheitlich und seelisch gebrochener nem Bruder in Moringen inhaftiert, Haft- Mensch. 1964 verstarb er an den Folgen Podiumsgespräch mit Ernst Blajs, ehemaliger Häftling grund Partisanenunterstützung, war in der Haft. Hier und auch in der Familie des Jugend-KZ, und Angehörigen ehemaliger Häftlinge im Rahmen des Treffens der Generationen: (v.l.n.r.) Begleitung einer Schwiegertochter aus von Dieter Kömmler, aufgewachsen in Gerlinde Nadrag-Blajs, Ernst Blajs, Dr. Dietmar Sedla- czek (Gesprächsführung), Dieter Kömmler, Freia Harbart Kärnten angereist. Eindringlich berichte- der DDR und Enkel von Anna Krölke, die und Josef Pröll. • Miriam Hockmann te der 90-jährige von der Haft im Ju- ebenfalls bereits 1933 Häftling in Morin- Öffentlicher Rundgang über das ehemalige Lagerge­ gend-KZ, davon, dass einmal ein ihm ge- gen gewesen war, sprachen die Eltern lände mit Arne Droldner. Ernst Blajs spricht über seine Erfahrungen. • Dietmar Sedlaczek stohlener Löffel nicht nur dazu führte, nur mit anderen Leidensgenossen über dass er nicht mehr essen konnte, son- die Haft. In der Familie von Freia Harbart Kranzniederlegung vor der Gedenktafel an der ehemali- gen Kommandantur zum Abschluss des Treffens der dern auch, dass er eine drakonische war das Thema ein Tabu und ihre eigene Generationen. • Dietmar Sedlaczek

Geförderte Gedenkstätten Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel

Andreas Ehresmann, Geschäftsführer Stiftung Lager Sandbostel Leiter Gedenkstätte Lager Sandbostel

Die Gedenkstätte Lager Sandbostel wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk-

stätten in besonderer Weise gefördert. Begrüßung des Gedenkstättenleiters bei der Gedenkver- anstaltung am 73. Jahrestag der Befreiung des Stalag X B Sandbostel. • Gerd Krützfeld

Kranzniederlegung des niedersächsischen Kultusminis- ters Grant Hendrik Tonne anlässlich des 73. Jahrestags der Befreiung des Stalag X B Sandbostel. • Gerd Krützfeld Gedenkstätte Lager Sandbostel/ Jugendliche des 9. Internationalen Jugendworkcamps Stiftung Lager Sandbostel legen die Bodenplatte einer abgerissenen Unterkunfts- Greftstraße 3 baracke frei. • Andreas Ehresmann D – 27446 Sandbostel Das traditionelle niederländische „Dodenherdenking“ (Totengedenken) der „Nederlandse Traditie Vereniging Tel.: +49 (0) 4764 – 22 54 810 Seedorf“, NTVS (Niederländische Traditionsvereinigung [email protected]­ Seedorf e.V.) am 4. Mai 2018 findet regelmäßig in der Gedenkstätte Lager Sandbostel statt. www.stiftung-lager-sandbostel.de • Andreas Ehresmann

150 Das Jahr 2018 war in der Gedenkstätte Darüber hinaus konnten wir im Herbst sowjetischen Kriegsgefangenen sowie Lager Sandbostel vor allem durch einen erstmals eine Stelle im Rahmen eines Fragen der Geschichtsvermittlung. In ih- sehr erfreulichen Personalzuwachs ge- Freiwilligen Sozialen Jahrs „Politik“ in der rem Volontariat möchte sie nun diesen prägt. Nachdem die Stiftung niedersäch- Gedenkstätte ausschreiben. Mit Marie- Fragen weiter nachgehen. sische Gedenkstätten bereits 2017 einen Claire Müller haben wir eine hochenga- Die Gedenkstätte Lager Sandbostel Antrag auf Förderung von Honorarkräf- gierte Jugendliche aus einer Nachbar- hat also im letzten Jahr einen deutlichen ten im gedenkstättenpädagogischen Be- gemeinde dafür gewinnen können. Die Personalzuwachs erhalten und dadurch reich bewilligt hatte, hatten wir zunächst Initiative ging vom Gedenkstättenverein auch eine deutliche Personalverjüngung große Schwierigkeiten geeignete Perso- Sandbostel e.V. aus, der gemeinsam mit erfahren. nen zu finden, die in das abgelegene der St. Lamberti-Kirchengemeinde Sel- Diese Personalverjüngung hat schon Sandbostel kommen. Nunmehr konnten singen und einer großzügigen Spende erste Ergebnisse gezeitigt, denn im letz- wir aber mit Jan Dohrmann und Nele Ei- des örtlichen EDEKA-Marktes Böttjer die ten Jahr konnten wir eine Facebook- und lers zwei studentische Mitarbeiter_innen Finanzierung sicherte. Ende des Jahres Instagram-Präsenz aufbauen. Diese So- gewinnen, die unsere pädagogischen zeichnete sich ab, dass die FSJ-Stelle nun cial Media-Seiten werden von unseren Angebote mit zusätzlich angebotenen auch längerfristig verstetigt werden kann. jungen Kolleginnen und Kollegen be- Projekttagen unterstützen. Eine weitere neue Stelle konnte durch treut. Detaillierter berichtet darüber Jan Im Frühsommer des vergangenen Jah- eine Förderung der Stiftung niedersäch- Dohrmann in dem Projektbericht zu den res wurde dann auch erfreulicherweise sische Gedenkstätten realisiert werden. sozialen Medien. entschieden, die zunächst auf fünf Jahre Ebenfalls zum Herbst hin konnten wir ein Zum Jahresende haben wir dann un- befristete Stelle einer friedenspädagogi- zweijähriges wissenschaftliches Volon- seren langjährigen Stiftungsvorsitzen- schen Fachkraft, die Michael Freitag-Pa- tariat in der Gedenkstätte Lager Sand- den Detlef Cordes in den wohlverdienten rey seit dem 1. März 2014 besetzt, um bostel ausschreiben. Die Ausschreibung Ehrenamtsruhestand verabschiedet. Als weitere zwei Jahre zu verlängern. Mög- ist auf sehr große Resonanz gestoßen neuen, ebenfalls ehrenamtlich tätigen lich gemacht hat die Fortsetzung dieser und wir hatten die Qual der Wahl. Vorsitzenden konnten wir Günther Jus- Arbeit der neueingerichtete Fonds „Frie- Schließlich haben wir uns für die Bremer ten-Stahl aus Bremervörde begrüßen. denswege“ der Ev.-luth. Landeskirche Historikerin Ines Dirolf entschieden. Vor Generell ist den ehrenamtlichen Unter- Hannover. In diesem Zusammenhang ist dem Volontariat beschäftigte sie sich in stützerinnen und Unterstützern wie in der Gedenkort Sandbostel als einer von ihrem Geschichtsstudium und als freie jedem Jahr gar nicht genug zu danken. sechs Friedensorten von der Landes- Mitarbeiterin am Denkort Bunker Valen- Ohne diese freiwillige und hoch enga- kirche ausgezeichnet worden. tin insbesondere mit der Geschichte der gierte Arbeit, sei es bei der Unterstüt- zung der pädagogischen Aufgaben, in bauhütte Stade haben wir seit 2017 eine Cornu, zitiert hat, in der dieser die grauen- 151 der Bibliothek oder beim Aufräumen und sehr fruchtbare Zusammenarbeit und vollen Zustände in Sandbostel schildert. Pflegen des Gedenkstättengeländes, mittlerweile ist bereits der dritte Jahrgang Der französische Generalkonsul Laurent würde so manches in der Gedenkstätte von Bundesfreiwilligen in der Denkmal- Toulouse betonte in seinem Grußwort, nicht möglich sein. pflege bei Einsätzen in der Gedenkstätte dass die Erinnerung an den Nationalsozia- Die Besuchszahlen sind im vergange- aktiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des lismus, an die Shoah, an dem Zweiten nen Jahr unverändert auf hohem Niveau ehemaligen französischen Kriegsgefan- Weltkrieg und an die Lager sehr aktuell bei etwa 12.000 Besucherinnen und Be- genen Bernard Le Godais haben wir die- seien. Die Erinnerung daran diene nicht suchern geblieben. Aufgeteilt sind diese, sen Veranstaltungsraum in einer kleinen nur als nötiges Hindernis gegen das Ver- wie in jedem Jahr, in drei große Grup- Gedenkveranstaltung ihm gewidmet und gessen und nicht nur als Erfahrungsschatz pen: Schulklassen, Konfirmandengrup- in Bernard Le Godais-Saal umbenannt. aus der Vergangenheit. Vielmehr sei sie, pen und Einzelbesucher. Auch im ver- Auch im letzten Jahr haben uns wieder so der Generalkonsul „auch ein Mittel zur gangenen Jahr sind etwa 600-700 aus­- zahlreiche Jugendliche und Schulklassen Zukunftsgestaltung und damit eine ländische Besucherinnen und Besucher, bei Arbeitseinsätzen unterstützt. Unter Grundvoraussetzung des Zusammenle- oftmals Angehörige von ehemaligen anderem haben die Teilnehmerinnen und bens!“ „Daher“, so bekräftigte Laurent Kriegsgefangenen oder KZ-Häftlingen, Teilnehmer des 9. Internationalen Jugend­- Toulouse, „dürfen (wir) also nie verges- in die Gedenkstätte gekommen. workcamps aus sieben Ländern die Fun- sen, was hier geschah, weil hier wie in al- Das Veranstaltungsprogramm war im damentplatten einer ehemaligen Unter- len anderen Gedenkstätten, die Wurzeln letzten Jahr wieder sehr umfangreich kunftsbaracke freigelegt. unseres friedlichen Europas liegen.“ und wir haben uns gefreut, dass wir viele Eindrucksvoll war die wieder gut be- Eine weitere wichtige Gedenkveran- Menschen zu den Lesungen, Puppenthe- suchte Gedenkfeier anlässlich des 73. Jah- staltung richteten wir am 77. Jahrestag ater, Sonderausstellungen und Vorträgen restags der Befreiung der Kriegsgefange- des Überfalls auf die Sowjetunion am im Andachtsraum der ehemaligen katho- nen und KZ-Häftlinge im Stalag X B. Aus 22. Juni 1941 aus. Auf dem ehemaligen lischen Kirche aus dem DDR-Notaufnah- der Kreispolitik hat der Landkreisvertreter Lagerfriedhof würdigten der Vizekonsul melager begrüßen konnten. im Kuratorium, Dr. Marco Mohrmann und Oleg Yakimovich vom Generalkonsulat Dieser Raum ist zu weiten Teilen im aus der Landespolitik der niedersächsi- der Russischen Föderation in Hamburg vergangenen Jahr von jugendlichen Frei- sche Kultusminister Grant Hendrik Tonne und Peter Wanninger von der Arbeitsge- willigen der Mobilen interkulturellen Ein- gesprochen. Sehr gefreut hat uns, dass meinschaft Bergen-Belsen in ihren An- satztruppe (Mobi) der Jugendbauhütte Julie Berron aus einer Rede ihres Großva- sprachen die verstorbenen sowjetischen Stade renoviert worden. Mit der Jugend- ters, des französischen KZ-Häftlings Roger Kriegsgefangenen.

Geförderte Gedenkstätten Die Gedenkstätte in den sozialen Medien

Jan Dohrmann

152 Schon seit Jahren sind es nicht mehr lebendenverbänden und anderweitig In- dem Interessierte seit einem halben Jahr die konventionellen Websites, die im In- teressierte. Sie kamen aus Frankreich, jederzeit die Möglichkeit haben, das Ge- ternet den Takt bestimmen, sondern die dem Vereinigten Königreich, Italien, Ser- denkstättengelände selbstständig zu er- sozialen Netzwerke Facebook, Twitter bien, Schweden, den Niederlanden und kunden. Geocaching ist eine digitale und Instagram. Diese Entwicklung ha- Deutschland. Schnitzeljagd, die mithilfe eines GPS- ben auch Gedenkstätten und Museen Siehe: www.facebook.com/ Geräts oder eines Smartphones und zu- schon längst erkannt – für die Umset- gedenkstaettelagersandbostel gehöriger App durchgeführt wird. Ziel zung fehlt es jedoch oft an Personal mit ist es, einen versteckten Behälter, den Know-How und Zeit. Diese Lücke konn- Im Oktober folgte die Registrierung Cache, zu finden und sich in ein Logbuch ten wir im Jahr 2018 durch studentische auf einer zweiten Social-Media-Platt- einzutragen, um die erfolgreiche Suche Mitarbeit und der Einrichtung einer FSJ- form: Instagram ist bildorientierter als zu dokumentieren. Stelle schließen. Facebook, wird vorwiegend mit dem Um den Cache in der Gedenkstätte zu Smartphone bedient und spricht eine finden, muss während eines Rundgangs Seit März 2018 ist die Gedenkstätte deutlich jüngere Zielgruppe an. Auf Ins- über das Gelände eine Reihe von Fragen mit einer neuen Seite auf der Social tagram gibt es zudem regelmäßig Aktio- beantwortet werden. Aus den Einträgen Media-Plattform Facebook vertreten. Im nen, bei denen Beiträge zu einem Thema auf der dazugehörigen Homepage lässt Dezember haben schon mehr als 300 mit einem gemeinsamen „Hashtag“ ge- sich ableiten, dass die meisten der Geo- Personen die Facebook-Seite der Ge- kennzeichnet werden. Wir haben mit der cacher sich nach dem erfolgreichen Auf- denkstätte mit „Gefällt mir“ markiert. Aktion „#timetorespond“, die anlässlich finden des Caches noch länger in der Ge- Dank des regen „Teilens“ der Inhalte er- des 80. Jahrestages der Novemberpog- denkstätte aufgehalten und sich über die reichten unsere Beiträge regelmäßig rome veranstaltet wurde, ein Zeichen Geschichte des Ortes informiert haben. mehrere Hundert Facebook-Nutzer. Den gegen Antisemitismus gesetzt und uns Siehe: www.geocaching.com/geo- Beitrag mit der höchsten Reichweite ha- an der Aktion gegen Rassismus und cache/GC7MMCQ_stalag-x-b-sandbostel ben mehr als 1700 Menschen gesehen. Hass in den sozialen Medien unter dem Darüber hinaus bietet Facebook eine Titel „#unfollowme“ beteiligt. Nachrichtenfunktion an. Diese niedrig- Siehe: www.instagram.com/ Das Erscheinungsbild der neuen Facebook-Seite schwellige Möglichkeit der Kontaktauf- gedenkstaettelagersandbostel • Screenshot Facebook

nahme mit der Gedenkstätte nutzten vor Beitrag der Gedenkstätte zu der Hashtag-Aktion allem Angehörige ehemaliger Häftlinge, Ein weiteres digitales Projekt in der „#timetorespond“ • Screenshot Instagram aber auch Fachleute, Vertreter von Über- Gedenkstätte ist das „Geocaching“, bei Einblick in die Geocaching-App. • Jan Dohrmann Das Archiv der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Ronald Sperling

Im Jahr 2018 ist die Archivierung von mehrere neue Bestände eingegangen. Beide Fälle zeigen, dass in Heimatstu- 153 historischen Dokumenten und Personen- Beispielsweise übergab die Regional- ben, auf Dachböden oder Bauernhöfen daten der Gedenkstätte Lager Sandbos- forscherin Debbie Bülau einen umfang- immer wieder und immer noch wichtige tel weiter vorangeschritten. Vornehm­ reichen Bestand mit Dokumenten aus Zeugnisse zur Geschichte des Kriegsge- liches Ziel war es weiterhin, die dem Nachlass eines ehemaligen Wach- fangenenlagers zu finden sind, die oft- Personen- und Dokumentendatenban- soldaten, der unter anderem im Kriegs- mals in Vergessenheit geraten sind, für ken zu vervollständigen. Hierzu sind die gefangenenlager Sandbostel eingesetzt uns aber wichtige Exponate darstellen. Personendaten aus den Gräberlisten der war. Aus anderer Quelle erhielten wir Bei den konservatorischen Problemen Kriegsgefangenen, die der Genfer Kon- das Tagebuch eines weiteren Wachsol- im Objektearchiv (viele Metallgegen- vention entsprechend behandelt wur- daten zugesandt und der örtliche Pastor stände haben Rost angesetzt und zerfal- den, in die Datenbank aufgenommen Manfred Thoden hat der Gedenkstätte len langsam) sind wir in diesem Jahr ei- worden. Zudem wurden die Datensätze eine größere Anzahl Zeichnungen des nen großen Schritt weiter gekommen. der sowjetischen Kriegsgefangenen um französischen Kriegsgefangenen und Durch eine umfangreiche Förderung der Neueinträge ergänzt. ausgebildeten Künstlers Robert Lepel- Hermann Reemtsma Stiftung konnte da- Diese Personendaten sind eine wichti- tier übergeben. Auch haben wir dieses mit begonnen werden, einen beträchtli- ge Quelle für die Beantwortung der vie- Jahr zwei wichtige Exponate erhalten, chen Teil der Objekte und Artefakte kon- len Schreiben von Angehörigen mit die wir nun in unserer Ausstellung prä- servatorisch zu behandeln. Mit der Bitten um Schicksalsklärung. Auch in sentieren: Vom Vorsitzenden des Hei- Reinigung, dem Entrosten und dem Kon- diesem Jahr erhielten wir wieder zahl­ matvereins Helmste e.V., Reiner Klind- servieren sind die Voraussetzungen ge- reiche Anfragen aus der ganzen Welt. In worth, haben wir als Dauerleihgabe eine schaffen, die Objekte dauerhaft und ad- mehreren Fällen konnten wir zur Klärung Barackentür des ehemaligen sowjeti- äquat archivieren zu können. des Schicksals ehemaliger Kriegsgefan- schen Kriegsgefangenenarbeitskom- gener und KZ-Häftlinge mit entscheiden- mandos aus Helmste bekommen. Die den Hinweisen beitragen. Tür weist noch kyrillische Schriftzeichen

Insgesamt ist die Zahl der Anfragen an der sowjetischen Kriegsgefangenen auf. Konvolut eines Teils der Zeichnungen des ehemaligen das Archiv im vergangenen Jahr 2018 Jan Peter Höft vom Heimatverein Brest französischen Kriegsgefangenen und Malers Robert Lepeltier. • Andreas Ehresmann mit etwa 200 Anfragen stabil geblieben. e.V. hat uns als Dauerleihgabe das Origi- Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann (links) und Neben dem Ausbau der Personenda- nalschild des Kriegsgefangenen-Arbeits- Archivar Ronald Sperling zeigen, wo das neu überge- tenbank und der dadurch möglichen kommandos aus Brest-Aspe überlassen. bene Hinweisschild des Kriegsgefangenen-Arbeits- kommando Brest-Aspe in der Dauerausstellung gezeigt Schicksalsklärung sind im Archiv auch werden wird. • Debbie Bühlau

Geförderte Gedenkstätten Impressum

154 Herausgeber Konzept und Redaktion: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Jens Binner, Kerstin Gade, Jens-Christian Wagner Im Güldenen Winkel 8 D – 29223 Celle Mitarbeit: Tel.: +49 (0) 5141 – 933 55-11 Stephanie Billib, Jens Binner, Maria Bormuth, Tessa Bouwman, Fax: +49 (0) 5141 – 933 55-33 Kurt Buck, Jan Dohrmann, Anett Dremel, Andreas Ehresmann, www.stiftung-ng.de Marc Ellinghaus, Leyla Ferman, Reiner Fröhnel, Michael Gander, [email protected] Bernd Grafe-Ulke, Diana Gring, Martin Guse, Simona Häring, Robert Heldt, Petra Höxtermann, Bernd Horstmann, Juliane Celle 2019 Hummel, Arnold Jürgens, Andrea Kaltofen, Joachim Kasten, Rolf Keller, Doreen Krohne, Thomas Kubetzky, Sarah Kunte, Fotos Cover: vgl. Seite 118, 97, 66, 38, 33 Tobias Neuburger, Teri Arias Ortiz, Ulrike Pätzold-Prote, Gustav Partington, Silke Petry, Thomas Rahe, Corinna Rathjen, Jannik Sachweh, Nicola Schlichting, Conny Schmidthals, Dietmar Sedlaczek, Marion Seibel, Katja Seybold, Ronald Sperling, Martina Staats, Klaus Tätzler, Daniel Tonn, Katrin Unger, Jens- Christian Wagner, Sebastian Weitkamp, Maike Weth, Christian Wolpers

Graphische Gestaltung: ermisch | Büro für Gestaltung

Druck: Gefördert über die Stiftung niedersächsische gutenberg beuys feindruckerei gmbh Gedenkstätten aus Mitteln des Landes Nieder- sachsen und aufgrund eines Beschlusses des Bildrechte: Deutschen Bundestages durch die Beauftragte Soweit nicht anders angegeben, liegen die Bildrechte der Bundesregierung für Kultur und Medien. bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Dokumentations- und Gedenkstätten in Niedersachsen und Bremen

4 1 2 5 6 Oldenburg Bremen 3

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9 Wolfsburg 15 8 Hannover Osnabrück 16 Braunschweig 12 13 14

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1 „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg 10 KZ-Gedenkstätte Moringen 21339 Lüneburg 37086 Moringen

2 Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen 11 Erinnerungsstätte Lenner Lager für die Opfer der NS-„Euthanasie“ 37627 Lenne 26160 Bad Zwischenahn-Ofen 12 Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße 3 Gedenkstätte Esterwegen 38102 Braunschweig 26897 Esterwegen 13 Gedenk- und Dokumentationsstätte 4 Gedenkstätte Lager Sandbostel KZ Drütte 27446 Sandbostel 38239 Salzgitter

5 Denkort Bunker Valentin 14 Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 28777 Farge-Rekum 38300 Wolfenbüttel

6 Dokumentations- und Lernort 15 Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeiter Baracke Wilhelmine auf dem Gelände des Volkswagenwerkes 28790 Schwanewede-Neuenkirchen 38436 Wolfsburg

7 Gedenkstätte Bergen-Belsen 16 Gedenkstätten Gestapokeller 29303 Lohheide und Augustaschacht e.V. 49076 Osnabrück 8 Gedenkstätte Ahlem 30453 Hannover

9 Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau 31618 Liebenau Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Jahresbericht 2018