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Am rechten Rand 4 /98 1 Akademie der Politischen Bildung

Am rechten Rand 4 Analysen und Informationen August für die politische Bildung 1998

In unserer vierten Ausgabe beschäf- Verbindung mit „harmlosen“ Er- Inhalt tigt sich Armin Pfahl-Traughber scheinungen. Für den mit Esoterik „Gramscismus von 2 mit neurechten Strategien, das nicht Vertrauten werden hier wich- rechts?” Die Entwick- Werk Antonio Gramscis für das tige Hinweise zur Urteilsbildung lung einer Strategie rechte Lager zu nutzen. Die neue gegeben. der Kulturrevolution Rechte in Frankreich hat Gramsci Aus aktuellem Anlaß haben wir und die Rezeption schon seit längerem „entdeckt“. Mit Antonio Gramscis uns entschlossen, die in Sachsen- einer gewissen zeitlichen Verzöge- durch die Neue Rechte Anhalt so erfolgreiche „Deutsche rung begann in Deutschland eben- in Frankreich und Volksunion“ näher unter die Lupe falls eine Gramsci-Rezeption von Deutschland zu nehmen. Matthias Schmidt ana- rechts, die sich insbesondere auf lysiert Geschichte und Herkunft der Politische Klassiker 14 die im Werk Gramscis thematisierte DVU, ihre Wählerstruktur und bis- der Neuen Rechten – strategische Rolle der Intellektuel- herige politische Praxis. Er kommt Biographisch-politi- len konzentriert. Wir beginnen in zu dem Schluß, daß nach bishe- sche Portraits der dieser Ausgabe mit der Vorstellung rigen Erkenntnissen von der DVU geistigen Vorbilder einer Reihe von Vordenkern der keine ernstzunehmende Gefahr für einer rechtsextre- neuen Rechten. Diese „Klassiker unsere Demokratie ausgeht, vor mistischen Ideologie- von Rechts“ spielen bis heute in allem, wenn die demokratischen variante neurechten Diskursen eine erheb- Kräfte ernsthaft zusammenstehen Rechte Esoterik, 22 liche Rolle . Armin-Pfahl-Traughber und den vordergründigen Populis- Musik und Riefenstahl beschreibt Leben und Werk der mus dieser Partei offenlegen. Weit- bekannten Vilfredo Pareto und Ju- gehend unberührt von den Wahler- „Deutsche Volksunion“ 30 lius Evola. folgen der DVU bleibt allerdings die – eine unterschätzte Lutz Neitzert führt uns in die eso- Bedeutung und Funktion dieser Kraft im rechtsextre- men Lager? terische Szene ein, in der, von der Partei als Sammelbecken rechtsex- Öffentlichkeit weithin unbemerkt, tremistischer Orientierungen und Rezensionen 41 rassistisches und völkisches Ideen- möglicherweise Integrationsfaktor gut fortschreitende Aufnahme fin- der Rechten insgesamt. Redaktionelles 44 det, oft in schwer zu entwirrender Impressum 44

Dr. Johannes Kandel Prof. Dr. Thomas Meyer Leiter der Wiss. Leiter der Gustav-Heinemann-Akademie Akademie der Politischen Bildung 2 Am rechten Rand 4 /98

Armin Pfahl-Traughber „Gramscismus von rechts“? Die Entwicklung einer Strategie der Kulturrevolution und die Rezeption Antonio Gramscis durch die Neue Rechte in Frankreich und Deutschland.

Kaum einem anderen marxistischen Theoreti- der Person: Der 1891 in Sardinien geborene An- ker ist in den letzten Jahrzehnten eine so große tonio Gramsci2 interessierte sich vor allem für Aufmerksamkeit zuteil geworden wie Antonio Geschichte, Philosophie und Sprachwissenschaf- Gramsci. Orthodoxe Marxisten-Leninisten bezo- ten, studierte in der Industriemetropole Turin und gen sich ebenso auf ihn wie Vertreter der undog- näherte sich der Arbeiterbewegung an. 1913 wur- matischen Neuen Linken, sozialdemokratische de er Mitglied der Sozialistischen Partei, orien- Intellektuelle ebenso wie Anhänger einer „Theo- tierte sich innerhalb dieser am linken Flügel und logie der Befreiung“. Eine Besonderheit in der trat aufgrund seiner journalistischen Fähigkeiten Gramsci-Rezeption dürfte aber seine Rezeption in bereits 1915 in die Redaktion des Parteiorgans dem ihm genau entgegengesetzten politischen „Avanti“ ein. Dort veröffentlichte Gramsci nicht Lager sein: auch die intellektuelle extremistische nur tagespolitische, sondern auch kulturkritische Rechte hat Gramsci schon seit längerer Zeit für Artikel, wozu u.a. auch zahlreiche Theaterkritiken sich entdeckt und leitet ihre Strategie der Kul- gehörten, was veranschaulicht, daß er keines- turrevolution aus seinen Schriften ab. Zurückzu- wegs zu den ökonomiefixierten Parteivertretern führen ist diese irritierend anmutende Rezeption zählte. Dies zeigte sich auch bei Gramscis Wahr- auf die Erneuerung und Modernisierung des nehmung der Oktoberrevolution von 1917, die als Rechtsextremismus in Frankreich Ende der sech- gegen das Kapital gerichtet interpretiert wurde. ziger Jahre und die damit verbundene Herausbil- Damit meinte er sowohl den Kapitalismus als dung einer intellektuellen Neuen Rechten. Mit auch „Das Kapital“ von Karl Marx, wobei sich letz- längerer zeitlicher Verzögerung entwickelte sich teres auf die Ablehnung eines deterministischen, Anfang der achtziger Jahre auch in Deutschland mechanistischen und ökonomie-zentrierten Ge- eine ähnliche, wenngleich nicht so erfolgreiche schichts- und Gesellschaftsverständnisses zugun- Neue Rechte heraus. Auch sie bediente sich des sten der Bejahung der revolutionären Tat auch Werkes von Gramsci hinsichtlich der darin be- unter ungünstigen Rahmenbedingungen bezog.3 schriebenen strategischen Rolle der Intellektuel- len für politische Veränderungsprozesse zur Ent- Diese Einstellung verband sich indessen aber wicklung des strategischen Konzepts, das auch nicht mit einer Abkehr von marxistischem Gedan- ganz dezidiert als „Gramscismus von rechts“ 1 kengut, vielmehr näherte sich Gramsci immer bezeichnet wird. stärker diesem an. Davon zeugen seine Veröffent- lichungen aus dieser Zeit, aber auch die politi- 1. Antonio Gramscis Auffassungen über die schen Handlungen: In den Jahren zwischen 1918 Bedeutung und Rolle der Intellektuellen in und 1920 unterstützte Gramsci die Rätebewegung der Politik in Turin, u.a. auch publizistisch mit der Zeitschrift Bevor allerdings auf das damit Gemeinte näher „“. Bemerkenswert ist dabei, daß eingegangen wird zunächst noch einige Anmer- Gramsci darin nicht nur Texte zu tagespolitischen

kungen zur biographisch-politischen Entwicklung Fragen, sondern auch zu kulturellen Aspekten

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1 Vgl. Pour une „Gramscisme de Droite“. Acte du XVIe colloque national du G.R.E.C.E., Paris 1982. 2 Vgl. Giuseppe Fiori, Das Leben des , 1979; Christian Riechers, Antonio Gramsci. Marxismus in Italien, Frankfurt/M. 1970, S. 10-12 und 36-101. 3 Vgl. Antonio Gramsci, Die Revolution gegen das „Kapital“ (1917), in: Antonio Gramsci – vergessener Humanist? Eine Anthologie, Berlin 1991, S. 31-35. Am rechten Rand 4 /98 3

aufnahm. Dabei waren diese keineswegs im Sin- Entlassung verstarb Gramsci 1937 an den Folgen ne der Stillung eines dahingehenden Nachholbe- seiner schweren Haftbedingungen. darfs der Arbeiter ausgerichtet. Vielmehr sollten In eben jenen „Gefängnisheften“ finden sich ver- sie eigene Ausdrucks- und Kommunikationsfor- streut an den verschiedensten Orten Überlegun- men finden. Gleichzeitig versuchte Gramsci aber gen über das Verhältnis von Intellektuellen und auch bekannte Schriftsteller als Gastautoren für Politik sowie zur Bedeutung der kulturellen Sphä- „Ordine Nuovo“ zu gewinnen. Hier zeigte sich er- re für die politischen Auseinandersetzungen. Da- neut sein großes Interesse für kulturelle Aspekte bei zeigt sich, daß Gramsci zu den ersten west- und die damit zusammenhängende Rolle von In- lichen Marxisten gehörte, die bei Akzeptanz des tellektuellen in den politischen Auseinanderset- ökonomie-zentrierten Basis-Überbau-Modells von zungen. Nach dem Scheitern der Rätebewegung einer gewissen Eigenständigkeit des Überbau- sah Gramsci bereits 1921 das Aufkommen einer Bereichs ausgingen und auf dieser Ebene statt- faschistischen Diktatur, die der zwischenzeitlich findenden Entwicklungen eine wichtige Bedeu- zur neugegründeten Kommunistischen Partei tung für grundlegende politische Veränderungs- übergewechselte durch eine breite Bündnispoli- prozesse beimaß. Die damit zusammenhängen- tik verhindern wollte. In dieser Frage blieb Gramsci den Erkenntnisse stellten keineswegs Resultate allerdings zunächst isoliert und erst nach Musso- originärer Analysen dar; vielmehr handelte es linis Machtantritt gelang eine dahingehende Kor- sich um das Übertragen bestimmter historischer rektur der Parteilinie. Erfahrungswerte und analytischer Reflexionen auf Mittlerweile wurden die Handlungsmöglichkeiten die damalige Gegenwart. Konkret stellte Gramsci unter dem neuen Regime immer begrenzter, so sich die Frage, wie eine revolutionäre Verände- daß der mit Gramscis 1924 erfolgter Wahl in die rung in den westlichen Gesellschaften vorange- Führung der Partei erfolgte strategische Wechsel trieben werden könnte. Dazu untersuchte er dies- keine Erfolge mehr verzeichnen konnte. Die Be- bezügliche Rahmen- und Wirkungsbedingungen, woraus bestimmte strategische Überlegungen ab- mühungen der Umwandlung der noch kleinen geleitet wurden. Da diese zwar nicht allgemein, Partei in eine Massenpartei scheiterten ebenso aber doch weitgehend politik-neutral sind, kön- wie die Bündelung der gegen den Faschismus nen die damit verbundenen Handlungsanleitun- gerichteten politischen Kräfte. Gleichzeitig konsta- gen die vielfältigsten ideologischen und politi- tierte Gramsci in jener Zeit das Scheitern der in schen Strömungen bedienen – und genau dies der Folge der Oktoberrevolution aufkommenden macht Gramsci denn auch für die Vertreter der Hoffnungen der Linken auf eine Weltrevolution gegenwärtigen Neuen Rechten interessant. und der Übernahme der politischen Macht in Ita- lien. 1926 wurde Gramsci verhaftet und 1928 zu Der italienische Marxist entwickelte seine dahin- 20 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis gestatte- gehenden Überlegungen aus einer Interpretation te man ihm den Zugang zu Büchern und Nieder- der seinerzeitigen politischen Situation in Ruß- schriften von Analysen in Heften, woraus dann land einerseits und in den westeuropäischen Län- später die bekannten „Gefängnishefte“ entstan- dern andererseits. Eine binnen kurzer Zeit in ei- den. Dabei handelte es sich um eine Edition von ner Umbruchphase fast schon staatsstreichartig Gramscis fragmentarischen und skizzenhaften durchgeführte Revolution wie der der Bolschewiki Notizen, die Stellungnahmen zu den verschieden- sei nur unter bestimmten Rahmenbedingungen sten kulturellen, philosophischen, politischen, so- möglich, nämlich dem Fehlen oder der Unterent- zialen, sprachwissenschaftlichen und ökonomi- wicklung einer „società civile“ (zivilen Gesellschaft)5, schen Themen in Vergangenheit und (damaliger) worunter Gramsci einen den Staat als „società Gegenwart – und damit letztendlich auch seine politica“(politischer Gesellschaft) stützenden und

politische Theorie4 enthielten. Kurz nach seiner umschließenden gesellschaftlichen Bereich ver- ○○○○○○○○

4 Vgl. Sabine Kebir, Antonio Gramsci (1891-1937), in: Walter Euchner (Hrsg.), Klassiker des Sozialismus. Zweiter Band: Von Jaurès bis Marcuse, München 1991, S. 209-222; Ulrich Schreiber, Die politische Theorie Antonio Gramscis, Berlin 1982. 5 Vgl. Sabine Kebir, Gramsci's Zivilgesellschaft. Alltag, Ökonomie, Kultur, Politik, 1991, S. 48-73 und 93-114. 4 Am rechten Rand 4 /98

stand.6 Er zählte dazu etwa die Bibliotheken, munistischen Bewegung jener Zeit noch vorherr- Clubs, Kirchen, Gewerkschaften, Presseorgane schende Auffassung, revolutionäre Entwicklun- und Schulen, kurzum, alles was die öffentliche gen stünden unmittelbar bevor und soziale Krisen Meinung direkt oder indirekt beeinflußt. Über würden nahezu automatisch zum Untergang der diese Einrichtungen entsteht für Gramsci ein Kon- kapitalistischen Systeme führen, hielt er ange- sens, der den Staat über die von ihm ausgeübte sichts der beschriebenen Einschätzungen für illu- Gewalt hinaus in den Köpfen der Menschen vor sorisch. grundlegenden politischen Veränderungen schüt- Vor dem Hintergrund der Konzeption eines kultu- ze. Da eine solche zivile Gesellschaft im zaristi- rellen Stellungskrieges interessierte sich Gramsci schen Rußland lediglich in Ansätzen existierte, auch für den „senso comune“ (Alltagsverstand)8, bestand nur ein allmächtiger Staat, der in der der sich etwa in der Trivial- und Volkskultur ar- Phase militärischer und politischer Umbrüche tikulierte. In den frühen Zeitungsartikeln, aber binnen kurzer Zeit seiner Kraft beraubt war. Die- auch in den späteren „Gefängnisheften“ finden se Rahmenbedingungen ermöglichten es den Bol- sich immer wieder Ausführungen zu den dama- schewiki, den Staat in einer tagespolitisch gün- ligen Fortsetzungsromanen der Abenteuer-, Kri- stigen Situation handstreichartig in Besitz zu minal- und Liebesliteratur in den weit verbrei- nehmen. Gramsci benutzte für die Beschreibung teten populären Zeitschriften und Zeitungen, die dieses Vorgehens eine militärische Kategorie, in- Gramsci als einen wichtigen Faktor bei der Her- dem er vom „Bewegungskrieg“ sprach. ausbildung der Mentalität und Moralvorstellungen Demgegenüber müßte in den westeuropäischen des Volkes begriff. Zwar beklagte er einerseits das Ländern ein „Stellungskrieg“ 7 geführt werden: In geringe kulturelle und literarische Niveau, forder- deren Gesellschaften gab es in Gramscis Sicht te aber auch andererseits linke Schriftsteller dazu nämlich jene „società civile“ in Gestalt einerseits auf, sich dieses Genres zu bedienen, um darüber der Bedeutung oben genannter gesellschaftlicher politische Inhalte und Mentalitäten in ihrem Sin- Einrichtungen und andererseits im Vorherrschen ne an die Massen zu bringen. Dabei wollte Gramsci von Einstellungen, Handlungsweisen und Menta- hinsichtlich des Inhalts und Niveaus allerdings litäten, die den Staatsapparat resistenter gegen nicht auf der gleichen Ebene wie die bereits be- politische Umsturzversuche machen als ein rein kannten Fortsetzungsromane bleiben, vielmehr repressives System. Für Gramsci konnte ein mit sollten diese Autoren versuchen, die Auffassun- derartigen Formen von gesellschaftlichem Kon- gen der bestehenden Volkskultur kulturell anzu- sens gestützter Staat selbst in Krisenzeiten loyales heben und sie im sozialistischen Sinne zu verän- Potential mobilisieren und sich gegen potentielle dern. Längerfristig würde so eine Förderung die- Umbrüche stabilisieren. Die Verknüpfung dieser ser Volkskultur bis zur Verschmelzung mit der in kulturellen Rahmenbedingungen mit ökonomi- Gramscis Augen fortschrittlichen Hochkultur er- schen Kompromissen immunisierte für den ita- folgen. lienischen Marxisten die kapitalistischen Systeme Bestärkt sah sich der italienische Marxist in sei- in Europa im Unterschied zur Situation in Ruß- nen Auffassungen von der strategischen Bedeu- land vor einer erfolgreichen Revolution. Die Klas- tung des Alltagsverstandes für die Umsetzung senunterschiede seien dadurch zwar nicht auf- grundlegender politischer Veränderungen auch gehoben, allerdings kulturell und sozialpsycho- durch das Vorgehen der Faschisten: Einerseits logisch überdeckt. Insofern bestand Gramscis Stra- handelte es sich um ein hinsichtlich seiner Ursa- tegie auch darin, den hierbei zum Ausdruck kom- chen zu untersuchendes Massenphänomen, an- menden gesellschaftlichen Konsens durch einen dererseits bedienten sich Mussolinis Anhänger in längerfristig angelegten Kulturkampf zu delegi- ihrer populistischen Agitation erfolgreich Auffas-

timieren und aufzulösen. Die innerhalb der kom- sungen aus dem Alltagsleben zu propagandisti-

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6 Vgl. Christine Buci-Glucksmann. Gramsci und der Staat. Für eine materialistische Theorie der Philosophie, Köln 1981. 7 Vgl. Antonio Gramsci, Gefängnishefte Bd. 4. 6. und 7. Heft, Hamburg 1992, S. 816 und 873f. 8 Vgl. Antonio Gramsci, Gefängnishefte Bd. 1, 1. Heft, Hamburg 1991, S. 136 f.; vgl. auch Kebir, Gramsci's Zivilgesellschaft (Anm. 5), S. 115-154. Am rechten Rand 4 /98 5

schen Zwecken.9 Im Gegensatz zu den Faschisten auch im Sinne Gramscis die Aufgabe der Organi- ging es Gramsci allerdings nicht um einen bloßen sation des Kampfes um die kulturelle Hegemonie, instrumentellen Nutzen, sondern um eine intel- dessen Ausgangspunkt die Vermittlung zwischen lektuell-moralische Reform zur Bewußtwerdung Alltagsverstand und kritischem Bewußtsein zum der eigenen sozialen Interessen, die wiederum Vorantreiben der Politisierung der Massen sein auf die Verwirklichung des Sozialismus abzielen sollte. sollten. Das Vorherrschen entsprechender Ein- stellungen und Mentalitäten sah der italienische 2. „Kulturrevolution“ als Aufgabe der Marxist denn auch als unabdingbare Vorausset- Intellektuellen in der Politik zung für eine Revolution und den Machtwechsel Gramscis Auffassungen von der strategisch not- an. Eine prinzipielle Voraussetzung für die Erobe- wendigen Meinungsführerschaft in den Debatten rung der Macht bestehe darin, daß eine gesell- als unabdingbare Voraussetzung grundlegender schaftliche Gruppe bereits vorher kulturell füh- gesellschaftlicher Veränderungen waren, wie be- rend sei. Erst danach könne sie herrschen, müsse reits erwähnt, ebensowenig erstmalige Erkennt- 10 aber weiterhin führend bleiben. Mit anderen nisse wie die beschriebene Rolle der Intellektuel- Worten, die kulturelle Hegemonie müsse der poli- len als Akteure im Ringen um die inhaltliche 11 tischen Hegemonie voraus gehen. Vorherrschaft in den politischen Diskursen. Der Die Aufgabe der Erlangung dieser kulturellen italienische Marxist formulierte in den diesbe- Vorherrschaft im Sinne eines dominierenden Kon- züglichen Publikationen in Zeitungsartikeln und senses für bestimmte politische Einstellungen wies Notizen in den „Gefängnisheften“ lediglich die aus Gramsci einer besonderen Personengruppe zu: historischen Studien und politischen Diskussio- den Intellektuellen.12 Dazu zählte Gramsci aller- nen gewonnenen Einsichten, dies allerdings in dings nicht nur Publizisten und Schriftsteller, zwar fragmentarischer, aber doch systematischer sondern auch den Organisator einer neuen Kultur Form und eingebettet in einen gesamtgesellschaft- oder eines neuen Rechts, den Techniker in der lichen Rahmenkontext. Bei der Rezeption von des- Industrie oder den Wissenschaftler in der poli- sen diesbezüglichen Auffassungen der später noch tischen Ökonomie. Sie nehmen für ihn innerhalb näher vorzustellenden Intellektuellen müssen zwei der Gesellschaft aufgrund ihrer bindenden Funk- Ebenen unterschieden werden: die inhaltlich-poli- tion als Organisatoren der gesellschaftlichen tische und die instrumentell-strategische Aus- Reproduktion Schlüsselstellungen ein, was hin- richtung. Gramscis politische Zielsetzung lief län- sichtlich des politisch-strategischen Interesses gerfristig auf eine revolutionäre Umwälzung der insbesondere bezüglich der vertretenen kulturel- damaligen italienischen Gesellschaft im kommu- len und politischen Wertvorstellungen von beson- nistischen Sinne hinaus, was sich auch an be- derer Bedeutung ist. Vielfach seien diese Intellek- stimmten Aspekten der inhaltlichen Darstellung tuellen Angestellte der herrschenden Klasse, seiner Strategie zeigte, etwa bei der Betonung der gleichwohl schaffe sich auch jede andere Klasse Klassenkonflikte und der Orientierung auf die ihre eigenen Intellektuellen. Insofern könne we- Massen. Gleichzeitig handelt es sich bei der von der von einer einheitlichen Ausrichtung und Ho- Gramsci beschriebenen Vorgehensweise unter der mogenität von Intellektuellen noch von einer von Voraussetzung des Abstrahierens von diesen Be- gesellschaftlichen Gruppen unabhängigen Intel- sonderheiten um eine politik-neutrale Strategie, lektuellenschicht gesprochen werden. Die Intellek- also um eine Handlungsweise, der sich die ver-

tuellen der nicht-herrschenden Klasse hatten denn schiedensten politischen Kräfte bedienen können. ○○○○○○○○

9 Vgl. Kebir, Gramsci's Zivilgesellschaft (Anm. 5), S. 155-186. 10 Vgl. Antonio Gramsci, Gefängnishefte Bd. 1 (Anm. 8), S. 101; ders., Zu Politik, Geschichte und Kultur. Ausgewählte Schriften, Frankfurt/M. 1980, S. 277. 11 Vgl. Luciano Gruppi, Gramsci. Philosophie der Praxis und die Hegemonie des Proletariats, Hamburg 1977, S. 23-36 und 109-127. 12 Vgl. Antonio Gramsci, Gefängnishefte Bd. 7, 12. bis 15. Heft, Hamburg 1996, S. 1495-1532; vgl. auch Karin Priester, Studien zur Staatstheorie des italienischen Marxismus: Gramsci und Della Volpe, Frankfurt/m. 1981, S. 87-108. 6 Am rechten Rand 4 /98

Hier setzt die Gramsci-Rezeption der Neuen Rech- diesbezüglicher Gramsci-Rezeption um Fehl- ten in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch deutungen, die sich durch seine instrumentalisie- in Frankreich ein. Wegbereitend wirkte hier der renden Absichten zur Vereinnahmung des italie- theoretische Kopf der Nouvelle Droite, Alain de nischen Marxisten als strategisches Vorbild er- Benoist, der mit seiner besonderen Gramsci-In- klären lassen. terpretation das Konzept einer „Kulturrevolution Auch andere inhaltliche Aspekte von Gramscis von rechts“ entwickelte und den italienischen Auffassungen ignorierte die Rezeption der Neuen Marxisten als einen seiner politischen Klassiker Rechten aus gleichen Motiven. Dazu gehörte etwa benannte. Entsprechend tauchte Gramsci dann in die Ausrichtung auf die Massen und deren Alltags- den theoretischen Veröffentlichungen der Neuen verstand und der Anspruch Gramscis, eine An- Rechten im allgemeinen und Benoists im beson- hebung des Bildungsniveaus unterentwickelter deren neben Denkern wie , Vilfredo Schichten der Gesellschaften zu bewirken. Die Pareto oder Carl Schmitt auf.13 Was vor dem Hin- Frage, ob der italienische Marxist damit stärker tergrund von deren politisch ganz anderer Aus- die individuelle Emanzipation vorantreiben oder richtung in dem Kontext dieser gemeinsamen hierbei stärker eine parteiische Beeinflussung Zuordnung als geistige Bezugsgröße verwundert, bezweckte, soll hier nicht näher erörtert werden. erklärt sich durch eine rein instrumentelle, die Wichtig für den zu untersuchenden Kontext ist inhaltliche Ausrichtung bewußt ignorierende, teil- vielmehr die Ausrichtung auf unterschiedliche weise auch fehldeutende Rezeption des italieni- Zielgruppen. Gramsci ging es insbesondere um schen Marxisten. die unteren sozialen Schichten und deren Gewin- Zu letzterem gehört Benoists Darstellung von nung für kommunistische und sozialistische Poli- Gramsci als einem Gegner von Marx’ Basis- tik, der Neuen Rechten geht es um gesellschaft- Überbau-Theorie, die der als Basis verstandenen liche Multiplikatoren, also insbesondere um die ökonomischen Entwicklung die entscheidende Gewinnung von Intellektuellen, die kulturelle und Rolle bei historisch-politischen Veränderungen politische Meinungen durch ihre Berufstätigkeit zuschrieb und Ausdrucksformen von Kultur, Poli- weiter transportieren können. Dieser Unterschied tik und Religion als über verschiedene andere Be- gilt allerdings nicht für alle rechtsextremistischen dingungsfaktoren und Zwischenetappen letzt- Erscheinungsformen: Gramsci selbst hatte schon- endlich doch ökonomisch bedingte Überbau-Phä- auf die Orientierung am Alltagsverstand in der nomene begriff. Im Gegensatz zu Benoists Deu- populistischen Propaganda der italienischen Fa- tung lehnte Gramsci keineswegs diese Auffassung schisten hingewiesen. Mit ihrem elitären Politik- marxistischer Gesellschaftslehre ab, im Unter- verständnis sahen sowohl Konservative Revolu- schied zu den einseitig auf soziale und wirtschaft- tion als auch Neue Rechte nicht die Massen, son- liche Aspekte fixierten kommunistischen und so- dern die intellektuelle Elite als Zielgruppe ihres zialistischen Theoretiker seiner Zeit beschäftigte Wirkens an. er sich lediglich stärker mit den erwähnten kul- turellen Phänomenen und betonte deren beson- Völlig losgelöst von diesen und anderen inhalt- dere Bedeutung innerhalb des Basis-Überbau- lichen Aspekten von Gramscis Auffassungen ent- Modells, insbesondere vor dem Hintergrund stra- wickelte Benoist mit seiner Rezeption des italie- tegischer Überlegungen. Dabei betonte Gramsci nischen Marxisten seine Strategie einer „Kultur- aber immer die notwendige Anbindung morali- revolution von rechts“. In dem Aufsatz „Die kultu- scher Reformen an ein ökonomisches Reformpro- relle Macht“15 fragt er danach, ob die Wahlkämpfe

gramm.14 Insofern handelt es sich bei Benoists nicht als politische Resultate eines diffusen Han-

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13 Vgl. Alain de Benoist, Antonio Gramsci, in: ders., Aus rechter Sicht. Eine kritische Anthologie zeitgenössischer Ideen. Bd. 2, Tübingen 1984, S. 379-389. Der Band enthält über die Genannten hinaus noch Portraits u.a. zu Gustave le Bon, Arthur de Gobineau, Karl Haushofer und Ernst von Salomon. 14 Vgl. Antonio Gramsci, Zu Politik, Geschichte und Kultur (Anm. 10), S. 256f. 15 Vgl. Alain de Benoist, Die kulturelle Macht, in: ders., Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite, Krefeld 1985, S. 39-51. Am rechten Rand 4 /98 7

delns „metapolitischen“ Typs zu begreifen seien, manche Ansichten Gramscis als prophetisch er- das nicht im engeren Kreis der Parteistäbe ins wiesen: Werk gesetzt werde. Mit dieser Frage will Benoist Eine ganze Reihe von gesellschaftlichen und tech- die Existenz einer kulturellen Macht zur Sprache nologischen Entwicklungen in den fortgeschritte- bringen, die sich parallel zur politischen Macht nen Industriestaaten verstärkten noch die Rolle, installiert habe und dieser in gewisser Weise die die Intellektuellen im gesellschaftlichen Gefü- vorausgeht. In diesem Zusammenhang kommt es ge spielten. Dazu gehöre die Ausweitung des denn dann auch zur Rezeption Gramscis, der Bildungswesens, die Bedeutung der Massenme- Benoist als großer Theoretiker der „kulturellen dien und die wachsende Bedeutung der Freizeit. Macht“ gilt. Nach kurzen Anmerkungen zu des- Hierdurch ergibt sich für Benoist eine wachsende sen biographisch-politischer Entwicklung und Anfälligkeit der öffentlichen Meinung für eine der bereits erwähnten Fehldeutung hinsichtlich metapolitische Botschaft, deren Wirkung um so Gramscis Verständnis vom Basis-Überbau-Mo- größer sei, um so weniger ihr direkter und sugge- dell beschreibt Benoist durchaus zutreffend des- stiver Charakter nicht klar als solcher erkannt sen Auffassungen zu Staat und Zivilgesellschaft, werde und folglich nicht auf die selten rationalen zum Verhältnis von politischer und kultureller Widerstände stoße wie eine Botschaft mit einem Macht und der unterschiedlichen gesellschaft- direkten politischen Charakter. (Insbesondere lichen Rahmenbedingungen im seinerzeitigen dieser Aspekt spielt, wie später noch verdeutlicht Rußland und den damaligen westeuropäischen werden soll, für die Außenwirkung der Neuen Staaten. Hier setzt nun Benoists instrumenta- Rechten in Deutschland eine wichtige Rolle.) Der lisierende Deutung von Gramscis Auffassungen Pluralismus der liberalen Mächte steigere noch und deren beabsichtigte Anwendung auf die Situ- die Ausrichtung von Politik auf das beschriebene ation in den demokratischen Verfassungsstaaten Wirken der Intellektuellen, könne er zwar den der Nachkriegszeit ein: Besitz von Waffen oder die Verwendung von In Gesellschaften, wo jeder mehr oder weniger an Sprengstoff verbieten, aber nicht das Prinzip der den spontanen Weltanschauungen einer spezi- freien Meinungsäußerung antasten. So vollziehe fisch kulturellen Atmosphäre teilhabe, sei keine sich unter der Wirkung der kulturellen Macht die Übernahme der politischen Macht ohne vorhe- Umkehrung der ideologischen Mehrheit. Was rige Übernahme der kulturellen Macht möglich. Benoist hier mit indirektem kritischem Blick auf das Wirken der Linksintellektuellen beschrieb, Als Beleg für diese Auffassung sieht Benoist die übernahm er dann selbst für die Entwicklung französische Revolution von 1789 an, sei diese einer Strategie der „Kulturrevolution von rechts“, doch von einer „Revolution in den Geistern“ in deren konkrete Anwendung durch die französi- Form der Ideen der Aufklärung vorbereitet wor- sche Neue Rechte später noch beschrieben wer- den. Demgemäß schaffe ein politischer Umsturz den soll. keine Situation, er sanktioniere diese lediglich. Nach Gramsci könne es in entwickelten Gesell- Hier bedarf es allerdings noch einer allgemeinen schaften keinen gesellschaftlichen Übergang über Anmerkung zu den Voraussetzungen für die be- die direkte politische Auseinandersetzung, son- absichtigte Erlangung einer angestrebten kultu- dern nur über die Transformation der allgemei- rellen Hegemonie. Dieter Stein, Chefredakteur nen Vorstellungen geben. Parallel zur Parteiar- der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, bemerkte beit müsse es danach eine Kulturarbeit geben, bei dazu: „Inzwischen scheint sich diese Erkenntnis der die Intellektuellen die Aufgabe hätten, den wieder durchzusetzen, daß das Zentrum nicht Kulturkrieg zu gewinnen. Subjekt der Geschichte eine Partei sein kann, sondern ein vielfältiges seien demnach für Gramsci weder Fürst noch politisches, kulturelles und publizistisches ‚Ka- Partei oder Staat, sondern die mit der Arbeiter- pillarsystem‘ (Weißmann), durch das konserva- klasse verbundene intellektuelle Avantgarde, die tive Vorstellungen in breitere Schichten sickern durch langsame „Termitenarbeit“ wirkt. Betrach- können. Eine Partei, die sich als konservativ ver- te man sich diese Theorie der „kulturellen Macht“ steht, wäre diesem Vorfeld nicht überzustülpen, unter rein methodischen Aspekten, so hätten sich sondern diesem als parlamentarischer Arm un- 8 Am rechten Rand 4 /98

terzuordnen.“16 Diese Passagen veranschaulichen der Kulturrevolution“ an, beschrieben die Theo- noch einmal, daß es bei einem „Kulturkampf“ rien des italienischen Marxisten als Rettungs- nicht primär um Parteipolitik geht. Letzteres hat anker einer desillusionierten politischen Linken allenfalls instrumentelle Bedeutung für ersteres. und interpretierten sie gleichzeitig als für die Im Selbstverständnis sehen sich die Intellektu- eigenen politischen Strategien vereinnehmbar. ellen über der Ebene von Parteien stehend und In diesem Sinne argumentierte etwa 1980 in wollen sie den intellektuellen Eliten unterordnen. der Zeitschrift „Criticon“ der Publizist Günter K. Daß derartige Absichten, wie auch die nachfol- Platzdasch, der mit ironischen Kommentierun- genden Darstellungen und Erörterungen exem- gen die Schwierigkeiten dogmatischer Kommu- plarisch zeigen, in Geschichte und Gegenwart nisten bei einer Annäherung an Gramsci und des- immer gescheitert sind, soll hier zunächst nicht sen erwähnten Auffassungen zu Bewegungskrieg weiter untersucht werden. Indessen veranschau- und Stellungskrieg, Intellektuellen und Kultur- licht der Verweis auf die Akteure einer Strategie kampf skizzierte. Während eine lediglich hedo- der „Kulturrevolution“, daß hinsichtlich einer Be- nistische Hochschullinke intellektuell nicht zu ei- urteilung von deren Bedeutung nicht mit den ner Gramsci-Rezeption in der Lage sei, plädierte üblichen Kriterien für politischen Einfluß wie der Autor mit zustimmenden Verweisen auf Be- etwa Auflagenhöhe, Mitgliederzahl oder Wahler- noist für eine diesbezügliche strategische Verein- folge operiert werden kann. nahmung der strategischen Lehren des italieni- schen Marxisten durch die Neue Rechte. Gramsci- 3. Die politische Absicht einer Delegitimation Lektüre sei eine Erleuchtung, deren Leuchtkraft des demokratischen Verfassungsstaates man in soviel Finsternis nutzen sollte.18 Der Her- Über die lagerinterne und öffentliche Wirkung ausgeber von „Criticon“, Caspar von Schrenck- von Benoist wurde die Gramsci-Rezeption in dem Notzing, äußerte denn auch in der gleichen Aus- skizzierten Sinne auch in Deutschland bekannt. gabe unter der bezeichnenden Überschrift „Über So erschien etwa eine Textsammlung in deut- die Kulturrevolution zur politischen Revolution“, scher Übersetzung, herausgegeben von dem als die Zeitschrift „war mit Gramsci stets der Mei- hiesigem Vordenker der Neuen Rechten gelten- nung, daß die ideologische Mehrheit wichtiger ist dem Publizisten Armin Mohler unter dem be- als die parlamentarische.“19 In diesem Zitat arti- zeichnenden Titel „Kulturrevolution von rechts. kuliert sich nicht nur eine strategische Option, Gramsci und die Nouvelle Droite“. Darin war sondern – was für die spätere demokratietheo- Benoists strategische Option eingebettet in eine retische Analyse der Neuen Rechten von Bedeu- Kritik an der „alten Rechten“17, der er vorwarf, sie tung ist – auch eine Herabwürdigung politischer habe weder Wille noch Ziel. Ihr fehle es darüber Legitimität durch Wahlen und parlamentarische hinaus entsprechend auch an einer Strategie und Repräsentanz. Theorie. Benoist betonte demgegenüber die Eine derartige inhaltliche Zielrichtung muß aller- Notwendigkeit der Theoriearbeit, könne es doch dings nicht per se mit der Anwendung von kultur- ohne präzise Theorie kein wirksames Handeln revolutionärem Vorgehen im beschriebenen Sin- geben. Alle großen Revolutionen hätten lediglich ne verbunden sein, stellt doch die Absicht der Er- eine Entwicklung in die Tat umgesetzt, die sich langung einer geistigen Meinungsführerschaft in zuvor schon unterschwellig in den Geistern voll- der pluralistischen Gesellschaft ein legitimes Be- zogen habe. Derartige Auffassungen vom Primat mühen im politischen Diskurs dar. So haben sich der kulturellen vor der politischen Macht über- etwa auch die demokratischen Volksparteien in nahmen dann auch die Vertreter der deutschen der Bundesrepublik Deutschland in ihrem öffent-

Neuen Rechten. Sie sahen Gramsci als den „Vater lichen Wirken entsprechender Methoden bedient,

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16 Vgl. Dieter Stein, Niederwerfung der Konservativen, in: Junge Freiheit, Nr. 4/April 1992, S. 2. 17 Vgl. Alain de Benoist, Die alte und die neue Rechte, in: ders., Kulturrevolution von rechts (Anm. 13), S. 13-38. 18 Vgl. Günter K. Platzdasch, Antonio Gramsci. Der Vater der Kulturrevolution, in: Criticon, 10. Jg., Nr. 59/1980, S. 117-120. 19 Vgl. Critilo (Caspar von Schrenck-Notzing), Über die Kulturrevolution zur politischen Revolution, in: Criticon, 10. Jg., Nr. 59/1980, S. 107. Am rechten Rand 4 /98 9

insbesondere was Versuche der Besetzung und angeblichen Anzeichen eines undemokratischen Umdeutung von Begriffen angeht. Dies geschah Systems, um auf Basis dieser inhaltlichen Argu- nur in wenigen Fällen mit ausdrücklichen Rekur- mentation eine Strategie der Systemüberwindung sen auf die von Gramsci formulierte Strategie, einzufordern. Sie soll auf Basis der dargestellten was den Politologen Claus Leggewie dazu veran- Machtverhältnisse und Spielregeln entworfen laßte von einem „Gramscismus ohne Gramsci“20 werden und begibt sich mangels fehlender Mög- zu sprechen. Hierbei handelt es sich verständli- lichkeiten, in den Besitz der Medien zu kommen, cherweise um Anwendungen und Interpretatio- auf die Suche nach einem archimedischen Punkt, nen, die noch stärker aus dem eigentlichen inhalt- von dem aus das System aus den Angeln gehoben lichen und politischen Kontext der Analysen des werden könne. italienischen Marxisten als bei Benoists Interpre- Es müsse ein geistiges Samenkorn gelegt wer- tation herausgelöst sind. In diesem Sinne war und den, „das keimt, die verfilzten Machtstrukturen ist die Strategie der Kulturrevolution demokratie- durchdringt und schließlich den Deckel des selbst- wie ideologietheoretisch neutral. D.h. ebenso wie referentiellen Systems sprengt. … Wir müssen sie von der politischen Linken wie Rechten ge- uns eines integralen Wertes des parlamentari- nutzt wird, kann sie demokratische wie extremi- schen Systems bemächtigen und zum Angriffs- stische Zielsetzungen haben. Bei der Konserva- instrument umfunktionieren. … Ein solches Korn tiven Revolution in der Weimarer Republik und gibt es. Die ganze Eigenlegitimation des Bonner der Neuen Rechten in der Bundesrepublik Deutsch- Staates beruht auf dem Demokratieprinzip.“ Da- land zielte bzw. zielt die Anwendung der kultur- mit will Kunze im Sinne einer kulturrevolutionä- revolutionären Strategie auf die intellektuelle De- ren Strategie im politischen Diskurs arbeiten, was legitimierung der Wertvorstellungen des demo- später noch ausführlicher anhand der Umdeu- kratischen Verfassungsstaates 21 ab. tung des Demokratieverständnisses bei der Par- Ziel dieses Vorgehens war und ist letztendlich die lamentarismuskritik und der Plebiszitforderung Überwindung des jeweils bestehenden politischen aufgezeigt werden soll. Weiter heißt es bei ihm Systems, was vor dem Hintergrund taktischer bezüglich des Vorgehens: „Jede Strategie der Über- Rücksichtnahmen allerdings nicht immer deut- windung eines Herrschaftssystems muß mit sei- lich gesagt wird. Eine dahingehende Ausnahme ner Delegitimierung beginnen. Hauptwaffe ist der stellt der programmatische Beitrag „Wege aus Tabubruch. Er ist der erste Schritt zur nötigen der Systemkrise“ des Publizisten und Vertreters Umwertung der Werte. Diese beginnt mit dem der Neuen Rechten Klaus Kunze dar. Er beschreibt gezielten Lächerlichmachen der gegnerischen in diesem Text zunächst die Systemkrise in sei- Ideologeme, soweit diese nicht angeeignet und nem Sinne, wobei insbesondere dem Autor ne- umgepolt werden können, wie z.B. das Demo- gativ erscheinende Aspekte des Parteienstaates kratieprinzip. Ideen, Gedankengebäude, Ideolo- hervorgehoben werden wie mangelnde Mitbestim- gien und Weltanschauungen sind Waffen im zwi- mungsmöglichkeiten der Bevölkerung oder per- schenmenschlichen Machtkampf.“ sonelle Dauerverfilzung mit Parteimitgliedern. Die Kunze geht es mit seiner Delegitimierungsstrategie Entwicklung in Deutschland laufe auf einen ten- um das Aufbrechen eines angeblichen Interpre- denziell totalen Parteienstaat zu, die angebliche tationsmonopols von politischen Werten im Sinne Gewaltenteilung sei eine Lebenslüge des Systems des demokratischen Verfassungsstaates, die ihm und die Diskussionskultur gilt als von gesell- als Ausdrucksformen einer „Priesterherrschaft“ schaftlicher Selbstzensur geprägt. Zunächst stili- erscheinen: „So beruht der Herrschaftsanspruch siert Kunze also einzelne durchaus bedenkliche der Nutznießer des Parteienstaates auf allerlei und kritikwürdige Erscheinungsformen in der Fiktionen, an die man glauben oder es sein las-

existenten parlamentarischen Demokratie zu sen kann: etwa auf der Fiktion von Souveränität ○○○○○○○○

20 Vgl. Claus Leggewie, Kulturelle Hegemonie – Gramsci und die Folgen, in: Leviathan, 15. Jg., Nr. 2/1987, S. 285-304, hier S. 297-299. 21 Vgl. Uwe Backes, Rechts- und linksradikale Intellektuelle in Deutschland. Mechanismen zur Delegitimierung des demokratischen Verfassungs staates, in: Eckhard Jesse (Hrsg.), Politischer Extremismus in Deutschland und Europa, München 1993, S. 111-131. 10 Am rechten Rand 4 /98

des Volkes, der Vertretbarkeit von Interessen, der tes wurde anhand der Äußerungen von Klaus weitergehenden Fiktion, alle Interessen aller Bür- Kunze deutlich, daß für die Neue Rechte im Zu- ger könnten in einem einzigen Parlament zu- sammenhang ihrer kulturrevolutionären Absich- gleich repräsentiert sein, dem Dogma der Wahr- ten gerade das Demokratieprinzip jenes gegne- heitsfindung in parlamentarischer Debatte, dem rische Ideologem darstellt, welches vorrangig um- Glauben, glücklich könne man nur unter Geltung gepolt und angeeignet werden soll. Der Autor sah eines egalitär-egozentrischen Menschenrechts- darin nämlich jenen Kern, von dem aus das Sy- verständnisses werden und unter der Dunst- stem aus den Angeln gehoben werden könnte, glocke einer pseudo-humanitaristischen Zivilre- und zwar, weil die ganze Eigenlegitimation des ligion. Der theologische Kern der Menschenrechts- Bonner Staates auf dem Demokratieprinzip beru- und Demokratietheorie hat alle Säkularisierungen he. Daß Kunze seine politischen Absichten nicht überstanden.“ Ihn offenbaren will Kunze mit sei- in Richtung einer eindeutigen und fundamentalen ner Strategie der Systemüberwindung mittels Ablehnung der Demokratie begründet, versteht Tabubruch: Er „bedeutet demnach die gezielte sich angesichts der allseitigen positiven Berufung Zerstörung oder Umdeutung der tragenden Wer- auf diesen Begriff – selbst Diktaturen stellen sich te der Parteienherrschaft. … Diese zu zerstören nach außen als (wahre) Demokratien dar – von ist vordringlichste Aufgabe einer geistigen Par- selbst. Die beabsichtigte Umwertung des Demo- tisanentätigkeit.“22 kratiebegriffs erlaubt es in der Sicht des Autors darüber hinaus eine wichtige Wertvorstellung des Die Delegitimationsstrategie besteht demgemäß demokratischen Verfassungsstaates, das Reprä- in der Diffamierung oder Umdeutung von Wert- sentativprinzip zu delegitimieren. Der dabei erho- vorstellungen des demokratischen Verfassungs- benen Forderung nach Plebisziten könne man staates wie der von Kunze genannten: Demokra- denn auch nicht einen Verstoß gegen das demo- tieprinzip, Gleichheitsgedanke, Menschenrechte, kratische Dogma entgegenhalten.23 Repräsentativprinzip und Volkssouveränität. Aus- drucksformen im Sinne des gezielten Lächerlich- Bei der damit einhergehenden Argumentation spie- machens dieser von Kunze als gegnerische Ideo- len die Anhänger der Neuen Rechten das identitäre gegen das pluralistische Demokratieverständnis logeme bezeichneten Werte brauchen hier nicht aus. Mit ersterem ist ein von einem einheitlichen näher beschrieben und erläutert werden. Sie ste- Volkswillen und vorgegebenem Gemeinwohl aus- hen denn auch im Mittelpunkt bei der Vorstellung gehendes Verständnis von Demokratie im Sinne der ideologischen Grundauffassungen der Kon- einer Einheit von Regierenden und Regierten ge- servativen Revolution und der Neuen Rechten. meint, letzteres geht von der Existenz und Legiti- Demgegenüber verdient die Strategie der Umdeu- mität unterschiedlicher Interessen aus und sieht tung von Begriffen und deren Einbettung in einen im Gemeinwohl das jeweilige Ergebnis eines stän- politischen Diskurs gesonderte Aufmerksamkeit. digen gesellschaftlichen Diskussions- und Ent- 4. Verwendung des Demokratiebegriffs bei wicklungsprozesses. Dabei ist der Konkurrenzde- der Neuen Rechten mokratie auch das Repräsentativprinzip eigen, also die Vertretung von Interessen durch Parteien Bei der Neuen Rechten läßt sich der Versuch einer in Parlamenten, während beim identitären Ver- Umdeutung und Vereinnahmung politischer Be- ständnis von Demokratie davon ausgegangen wird, griffe am besten anhand des Verständnisses von daß der Volkswille nicht vertreten werden könne Demokratie und dessen diskursiver Verwendung und somit das Repräsentativprinzip als letztend- bei der Parlamentarismus- und Parteienkritik auf- lich nicht demokratisch abgelehnt wird. Anhän- zeigen. Bereits in den obigen Ausführungen zu ger dieser, insbesondere von Jean-Jacques den Absichten einer Delegitimation der Wertvor- Rousseau geprägten Auffassung streben häufig

stellungen des demokratischen Verfassungsstaa- durchaus glaubwürdig nach einer stärkeren Par-

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22 Vgl. Klaus Kunze, Wege aus der Systemkrise, in: Andreas Molau (Hrsg.), Opposition für Deutschland. Widerspruch und Erneuerung, Berg 1995, S. 202-223, hier S. 215-220. 23 Vgl. Klaus Kunze, Wege aus der Systemkrise (Anm. 22), S. 215f. Am rechten Rand 4 /98 11

tizipation der Bürger an Entscheidungsprozes- und des Parlamentarismus (legitime Herrschaft sen. Allerdings münden Versuche zur Schaffung der Repräsentanten über die Repräsentierten) einer Identität von Regierenden und Regierten befaßt hat, weiß natürlich, daß sie einander aus- sowie einer Vereinheitlichung des Volkswillens schließende Prinzipien beinhalten und daß ein mitunter in Systemen einer „totalitären Demokra- parlamentarisches System genau genommen eben tie“.24 keine Demokratie sein kann.“ Der Autor baut so- mit einen Gegensatz von Demokratie und Reprä- Die intellektuellen Gegner des demokratischen sentativprinzip auf und meint ähnlich wie sein Verfassungsstaates nutzten dieses unterschied- geistiges Vorbild Carl Schmitt, daß Demokratie liche Demokratieverständnis, um mit den Argu- den Parlamentarismus ausschließe. Hier eröffnet menten zugunsten der Identitätstheorie den re- sich entsprechend die Möglichkeit, im Namen der präsentativen Systemen den demokratischen Cha- so umgedeuteten Vorstellung einer identitären rakter abzusprechen. Mit dahingehenden Bezü- Demokratie gegen die bestehende repräsentative gen auf Rousseau argumentierte etwa der Staats- Demokratie zu agitieren. Kunze meint denn auch rechtler Carl Schmitt in seiner einflußreich wir- offen: „Die Parteienherrschaft beruht wesentlich kenden Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage auf dem strikten Repräsentativprinzip und die- des heutigen Parlamentarismus“ in der erweiter- ses Prinzip muß daher durchbrochen werden.“26 ten Auflage von 1926: „Die volonté générale wie Rousseau sie konstruiert ist in Wahrheit Homo- In Plesbisziten sieht er ein dahingehendes Mittel genität. Das ist wirklich konsequente Demokra- und bezieht sich in seiner Argumentation auf den tie. Nach dem Contrat sozial beruht also der Staat, Parteiensoziologen Robert Michels, dessen dies- trotz des Titels und trotz der einleitenden Ver- bezügliche Auffassungen ihn zu einem späteren tragskonstruktion, nicht auf Kontrakt sondern Anhänger der „Führerdemokratie“ im Sinne des wesentlich auf Homogenität. Aus ihr ergibt sich italienischen Faschismus werden ließen. Hinaus- die demokratische Identität von Regierenden und laufen würden Kunzes Forderungen auf eine Regierten.“ Mit diesem Verständnis behauptete völlige Entmachtung des gewählten Parlaments Schmitt dann auch einen Gegensatz von Demo- gegenüber der Regierung, womit ein tragender Pfeiler der Gewaltenteilung de facto ausgehebelt kratie und Liberalismus, die „voneinander ge- wäre. Dies bezweckt auch die Auffassungen, ei- trennt werden“ müßten, während er Diktaturen nen Präsidenten direkt vom Volk wählen zu las- zubilligte, sie seien „zwar antiliberal, aber nicht sen. Kunze dazu in einem anderen Beitrag: „Dürf- notwendig antidemokratisch“.25 Konsequenter- te das Volk dagegen seinen Präsidenten selbst weise lief hier denn auch das Plädoyer für ein wählen, der das Ganze repräsentiert und durch identitäres Demokratieverständnis auf die Recht- seinen Kanzler regiert, würden die Probleme gar fertigung der Diktatur hinaus, was später noch nicht auftauchen, die heute zur Forderung nach ausführlicher dargestellt werden soll. einem Mehrheitswahlrecht für den Bundestag Im gegenwärtigen Diskurs der Neuen Rechten der führen: Dem Parlament wäre die Bürde genom- Bundesrepublik Deutschland zur Parlamenta- men, für eine 'stabile Regierung' geradestehen zu rismus- und Parteienkritik wird mit oder ohne müssen und ungeniert könnten sich hier die direkten Bezug auf Carl Schmitts diesbezügli- vielfältigsten Interessen, Parteien und Meinungen che Auffassungen argumentiert. So bemerkt etwa tummeln. Stabil regiert würde anderswo!“27 Das Klaus Kunze in einem „Plebiszite als Weg aus dem Zitat zeigt deutlich, daß das Parlament zwar nicht Parteienstaat“ betitelten programmatischen Arti- direkt abgeschafft, aber auf eine verbale „Spiel- kel in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“: „Wer wiese“ herabgewürdigt werden soll, während die sich mit den Strukturmerkmalen der Demokratie politischen Entscheidungen auf ganz anderer

(Identität der Herrscher und der Beherrschten) Ebene fallen. ○○○○○○○○

24 Vgl. Jacob L. Talmon, Die Ursprünge der totalitären Demokratie, Köln/Opladen 1961. 25 Vgl. Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923/26), Berlin 1985, S. 20, 19 und 22. 26 Vgl. Klaus Kunze, Plebiszite als Weg aus dem Parteienstaat, in: Junge Freiheit, Nr. 10/Oktober 1992, S. 23. 27 Vgl. Klaus Kunze, Wer vertritt das Volk?, in: Junge Freiheit, Nr. 5/4. Februar 1994, S. 2. 12 Am rechten Rand 4 /98

Damit wird eben gerade nicht eine Präsidialde- kritik längerfristig mit den eigenen Grundposi- mokratie im Sinne von demokratischen Verfas- tionen in Einklang zu bringen. Daher erhält die er- sungsstaaten wie z.B. in den USA angestrebt, viel- wähnte Umpolung des Demokratiebegriffs hin zu mehr laufen die Forderungen auf eine Art Prä- einem Verständnis im Sinne von identitärer De- sidialsystem hinaus, welches sich durch eine sich mokratie auch eine wichtige Funktion für die als Plebiszit ausgebende Akklamation legitimiert. Außenwirkung, erlaubt sie doch die Verdammung Nicht zufällig hatte Carl Schmitt, auf den sich der bestehenden parlamentarischen Demokratie Kunze mit seinem Demokratieverständnis beruft, im Namen der Demokratie bei gleichzeitiger Igno- in der oben erwähnten Schrift davon gesprochen, rierung des eigentlichen extremistischen Hinter- daß das Volk seinen Willen durch selbstverständ- grundes. liches, unwidersprochenes Dasein ebensogut Je nach Bedeutung und Stellenwert der eigenen und noch besser demokratisch äußert als durch politischen Auffassungen im gesellschaftlichen ein Registriersystem geheimer Abstimmungen.28 Diskurs muß eine geistige Strömung wie die Neue Es geht dem Autor also offensichtlich mit der Rechte taktisch bedingte Rücksichten nehmen. Forderung nach Plebisziten nicht um die stärkere Von daher halten sich deren Vertreter in der Regel Partizipation von Bürgern an politischen Ent- hinsichtlich der Absichten und Folgen ihrer Kritik scheidungsprozessen, vielmehr sollen sie der Le- eher bedeckt, wie etwa auch Kunzes Veröffentli- gitimation eines starken Mannes an der Spitze des chungen zeigen: In bestimmten Phasen oder Pu- Staates dienen. In dieser Sicht besteht das Volk blikationsorganen formuliert er sehr deutlich die denn auch nicht aus mündigen, reflektierenden Absichten mit der Parlamentarismus- und Par- Individuen, sondern aus einer passiven Masse, teienkritik eine Systemüberwindung anzustreben, die sich lediglich im zustimmenden Zuruf, in der bei anderen Gelegenheiten hält er sich diesbe- Akklamation äußert. Allerdings werden derarti- züglich zurück und formuliert kaum von den er- ge Konsequenzen bei der beabsichtigten Verein- wähnten demokratischen Kritikern unterscheid- nahmung des Demokratiebegriffs von den Ver- bare Positionen zu den erwähnten Themenfeldern. tretern der Neuen Rechten nicht immer deutlich Im Kontext von Kunzes grundlegenden Auffas- formuliert. sungen hinsichtlich des antiparlamentarischen Häufig verwenden sie bei ihrer Parlamentaris- Demokratieverständnisses und der Orientierung mus- und Parteienkritik bei Äußerungen über den an den Lehren von Carl Schmitt zeigt sich aller- Einfluß der Parteien, deren Finanzierung aus dings der extremistische Hintergrund derartiger dem Staatshaushalt oder der Funktionsfähigkeit Meinungsäußerungen. Bei dem Verweis auf sol- des Parlaments auch Argumente, die von Demo- che, taktisch bedingte Rücksichtnahmen handelt kraten unterschiedlichster Couleur wie von Hans es sich keineswegs um eine Unterstellung. Karl- Herbert von Arnim oder Richard von Weizäcker. heinz Weißmann, ein anderer später noch näher Während diese Autoren jedoch eine Reform in vorzustellender Vertreter der Neuen Rechten, for- den genannten Politikfeldern im systemimanenten mulierte denn auch für das eigene politische La- Sinne anstreben, geht es den Anhängern der Neu- ger: „Die Fähigkeit, in die Offensive zu gehen, muß en Rechten um das Schüren von Ressentiments entwickelt werden und dazu die Fähigkeit, die gegen Parlament und Parteien, was letztendlich Situation zu beurteilen: ob hier der offene Angriff auf die von Kunze geforderte Systemüberwindung oder die politische Mimikry gefordert ist.“29 abzielt. Das Anknüpfen an einen in diesem Zu- sammenhang auch von Demokraten geprägten Um die im letzteren Sinne bewußt verborgen ge- Diskurs dient dabei dem Versuch, in eine breitere haltenen eigentlichen politischen Zielsetzungen gesellschaftliche Debatte hineinzuwirken, dort um von Diskursen aufzuschlüsseln, bedarf es der Ana- Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu werben und lyse der dabei angewendeten Methode der In-

die vorhandene Parlamentarismus- und Parteien- sinuation.

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28 Vgl. Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (Anm. 32), S. 22. 29 Vgl. Karlheinz Weißmann, Neo-Konservatismus in der Bundesrepublik. Eine Bestandsaufnahme, in: Criticon, 16. Jg., Nr. 96/1986, S. 176-178, hier S. 178. Am rechten Rand 4 /98 13

Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer defi- immer die Gefahr, daß in die jeweils analysierten nierte dieses Stilmittel wie folgt: „Insinuation wird Diskurse und Texte auch Absichten hineinin- gehandhabt als die starke und letztendlich ein- terpretiert werden, die der jeweilige Autor nicht deutige Andeutung des Gemeinten, die nichts of- notwendigerweise so gemeint haben muß. Hier fen läßt, ohne aber das Gemeinte zitierbar ein- bietet das Kriterium der Häufigkeit entsprechen- deutig zu sagen. Die Methode der Insinuation be- der Inhalte oder das der gezielten Plazierung be- ruht auf dem Prinzip, etwas in der Sache zu be- stimmter Positionen ein zuverlässiges Kontroll- haupten, ohne es in der Form beweiskräftig be- Kriterium. Hinzu kommt, daß dem geistesge- hauptet zu haben. Die Eingeweihten wissen, was schichtlichen und ideologischen Hintergrund der gesagt werden soll. Gegen jeden Außenstehen- jeweiligen Argumentationsmuster eine besonde- den kann das Gemeinte mit Verweis auf den nack- re Bedeutung zugemessen werden sollte, wie dies ten Wortlaut, wo es angebracht erscheint, be- oben anhand der Analyse von Kunzes Parlamen- stritten werden.“30 Allerdings besteht bei einem tarismuskritik geschehen ist. ■

darauf bezugnehmenden Analyseverfahren auch ○○○○○○○○

30 Vgl. Thomas Meyer, Methoden und Strategien. Insinuation als Stilmittel, in: Friedrich-Ebert-Stiftung /Akademie der Politischen Bildung (Hrsg.), Am rechten Rand, Analysen und Informationen für die politische Bildung, Bonn 1995, S. 18-19, hier S. 18. 14 Am rechten Rand 4 /98

Armin Pfahl-Traughber Politische Klassiker der Neuen Rechten – Biographisch-politische Portraits der geistigen Vorbilder einer rechtsextremistischen Ideologievariante

Vorbemerkung so großes Ansehen wie die erwähnten italieni- schen Autoren, gelten aber im öffentlichen wie Die als ein wichtiges publizistisches Forum der wissenschaftlichen Bewußtsein nicht primär als Neuen Rechten anzusehende Wochenzeitung intellektuelle Antidemokraten, sondern je nach „Junge Freiheit“ schrieb in einem Artikel: „Die Betrachter lediglich als interessante oder umstrit- Ideen neudeutscher Rechtsintellektualität ent- tene Intellektuelle. Vor diesem Hintergrund er- stammen – entgegen einem weitverbreiteten Miß- hellt auch die Beschäftigung mit den politischen verständnis – nur zu einem geringen Teil der fran- Klassikern der Neuen Rechten deren politischer zösischen ‚Nouvelle Droite‘ …; eher schon stehen Standort im Spannungsverhältnis von Demokra- sie den italienischen ‚Nonkonformen‘ nahe. Die tie und Extremismus. Diese geistigen Vorbilder soziologischen Analysen der Michels, Pareto, einer gegenwärtigen ideologischen Strömung des 1 Mosca …“ werden damit angesprochen. Daß Rechtsextremismus 2 sollen hier in einer Reihe diese italienischen „Nonkonformen“ intellektuel- von biographisch-politischen Kurz-Portraits vor- le Gegner des demokratischen Verfassungsstaa- gestellt werden. 3 tes und ideologische Sympathisanten und Weg- bereiter des italienischen Faschismus waren, Teil 1: Vilfredo Pareto problematisiert eine derartige Rezeption nicht. Den Anfang macht hierbei Vilfredo Pareto 4, der Offenkundig meint man, dies aufgrund von deren als Ökonom und Soziologe auch heute noch über spezifischer Wahrnehmung in der deutschen poli- ein nicht zu unterschätzendes Ansehen in den tischen und wissenschaftlichen Diskussion un- jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen verfügt. berücksichtigt lassen zu können, gelten doch die Auf seinen wirtschaftstheoretischen Analysen fu- genannten Personen als zwar umstrittene, aber ßen etwa die nach ihm benannten Bezeichnungen anerkannte soziologische Klassiker. In ähnlich „Pareto-Optimum“, was für ein bestimmtes Ver- einseitiger Form werden auch andere Intellektu- ständnis der modernen Wohlfahrtsökonomie steht, elle, die eine den Genannten verwandte politische und „Pareto-Verteilung“, womit sich eine Theorie Rolle und Wirkung hatten, als geistige Bezugs- der personellen Einkommensverteilung verbin- faktoren der Neuen Rechten genannt. det. Für die Soziologie gilt er als einer ihrer mo- Bei Vertretern der Konservativen Revolution der dernen Klassiker 5, wobei insbesondere seine Weimarer Republik hebt man etwa einseitig de- Handlungslehre, aber auch seine Elitetheorie von ren Differenzen zum Nationalsozialismus hervor, Bedeutung sind. Der Zusammenhang dieser Leh- ohne die mit diesem konform gehende Ablehnung re mit der Ablehnung des Parlamentarismus ei- des demokratischen Verfassungsstaates und Über- nerseits und der Bejahung antidemokratischer einstimmung in ideologischen Grundsatzfragen Elitenherrschaft andererseits soll im folgenden

zu problematisieren. Sie verfügen zwar über kein beschrieben werden.

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1 Jutta Winckler, Vor einem neuen 1968. Jetzt kommen die Rechtsintellektuellen, in: Junge Freiheit, Nr. 11/November 1992. 2 Vgl. zur diesbezüglichen Einordnung der Neuen Rechten: Armin Pfahl-Traughber, Antidemokratisches Denken in der Bundesrepublik Deutschland. Die Positionen der „Neuen Rechten“, in: Am rechten Rand, Nr. 3 /Oktober 1997, S. 2-11. 3 Vgl. auch als ein ähnliches Projekt: Kurt Lenk/Günter Meuter/Henrique Ricardo Otten, vordenker der Neuen Rechten, Frankfurt /M. 1997. 4 Vgl. Gottfried Eisermann, Vilfredo Pareto. Ein Klassiker der Soziologie, Tübingen 1987; Piet Tommissen, Vilfredo Pareto, in: Dirk Käsler (Hrsg.), Klas- siker des soziologischen Denkens, Bd. 1: Von Comte bis Durkheim, München 1976, S. 201-231. 5 Vgl. Raymond Aron, Hauptströmungen des modernen soziologischen Denkens. Durkheim – Pareto – Weber, Reinbek 1979, S. 96 -175. Am rechten Rand 4 /98 15

Zunächst aber einige Anmerkungen zur biogra- ziologisches Hauptwerk.7 1901 hielt er übrigens phischen Entwicklung: Der 1848 geborene Pareto auf Einladung des später noch vorzustellenden studierte am Polytechnikum in Turin und promo- Georges Sorel eine Gastvorlesung über die reine vierte 1869 mit einer Arbeit über die grundlegen- Wirtschaftstheorie in Paris. Nach der Emeritie- den Prinzipien der Theorie der Elastizität fester rung beschäftigte sich Pareto weiterhin mit wis- Körper. Danach arbeitete er als Ingenieur bei den senschaftlichen Fragen der unterschiedlichsten Römischen Eisenbahnen und wurde anschlie- Fachdisziplinen bis zu seinem Tod im August ßend Direktor einer Eisenbahngesellschaft. 1882 1923. bewarb Pareto sich vergeblich um das Abgeord- Kurz nach der Ernennung Mussolinis zum Mini- netenmandat im Wahlkreis Pisoja-Prato, womit sterpräsidenten ernannte man Pareto im Dezem- seine erste und einzige Erfahrung mit realer Poli- ber 1922 zum Vertreter Italiens in der Abrüstungs- tik verbunden war. Dieses auch als persönliche kommission des Völkerbundes und im März 1923 Niederlage empfundene Scheitern dürfte mit eine zum Senator. Damit stellt sich die Frage nach dem ablehnende emotionale Haltung gegenüber Wahl- Verhältnis Paretos zum Faschismus und umge- kandidaturen und der damit verbundenen politi- 8 schen Prinzipien geführt haben, mußte sich Pareto kehrt. Mussolini hatte eine Zeitlang Paretos Vor- doch auch selbst dieses vergebliche Bemühen er- lesungen in Lausanne besucht und sich von die- klären. Damit verbundene Eindrücke prägten auch sen – insbesondere bezüglich der sogenannten sein späteres soziologisches Werk, wo etwa be- realistischen Darstellung sozialer Prozesse und hauptet wird, die Plutokratie ließe nur die ihr Ge- deren Wahrnehmung über eine Elitetheorie – be- wissen und ihren Glauben um des Vorteils willen eindruckt gezeigt. Ein Lehrer-Schüler- oder gar Verratende als Angehörige einer herrschenden ein engeres persönliches Verhältnis scheint aber Elite zu.6 offenbar nicht bestanden zu haben. Pareto selbst nahm gegenüber der faschistischen Bewegung Autodidaktisch eignete sich Pareto ein umfassen- eine wechselhafte Auffassung an: Vor dem Regie- des Wissen zu den verschiedensten Themenge- rungsantritt Mussolinis herrschte eine reservierte bieten an, wobei er sich insbesondere für national- Einstellung vor, die danach in Form von anerken- ökonomische Theorie interessierte. 1893 wurde nenden Worten über das neue Regime stärkerer Pareto auf einen entsprechenden Lehrstuhl nach Zustimmung wich. Allerdings geschah dies im- Lausanne berufen, wo er bis 1911 wirkte. In jener mer noch – im Schwanken zwischen Hoffnung Phase veröffentlichte Pareto zahlreiche Bücher und Skepsis – mit Vorbehalten, insbesondere hin- und Zeitschriftenaufsätze zu den unterschiedlich- sichtlich der Befürchtung von kriegerischen Ver- sten soziologischen und ökonomischen Fragestel- wicklungen und der Einschränkung der Meinungs- lungen, wobei die den Marxismus als reine Utopie freiheit, wobei letzteres keineswegs grundsätz- entlarven wollenden Arbeiten einen thematisch lich mit einer Verteidigung des damit verbunde- herausragenden Stellenwert hatten. Zu den Haupt- nen Menschenrechts einher ging, was noch zu werken gehörten „Cours d’économie politique“ zeigen sein wird. (1896), eine Darstellung der neoklassischen Wirt- schaftswissenschaft, „Les systèmes socialistes“ Pareto selbst gehörte nach dem Regierungsantritt (1902), eine kritische Auseinandersetzung mit den Mussolinis zu den am intensivsten von Vertretern sozialistischen Lehren, „Manuale di economica des Regimes umworbenen Intellektuellen und politica“ (1906) zur politischen Ökonomie und Wissenschaftlern: In faschistischen Publikations- „Trattato di cociologia generale“ (1916), sein in organen erschienen Lobeshymnen auf ihn, sogar

über zweitausend Paragraphen gegliedertes so- die Bezeichnung „Karl Marx des Faschismus“ ○○○○○○○○

6 Vgl. Gottfried Eisermann (Hrsg.), Vilfredo Paretos System der allgemeinen Soziologie. Einleitung, Texte und Anmerkungen, 1962, S. 10f. und 238. 7 Vilfredo Pareto, Cours d’economie politique, Lausanne 1896/97; ders., Les systèmes socialistes, Paris 1902; ders., Manuale d’economia politica, Milano 1906; ders., Trattato di sociologia generale, Milano 1916. 8 Vgl. Gottfried Eisermann, Pareto, Pate des Faschismus, in: Forum, 1 Jg., Nr. 3 /1947, S. 11-14; Piet Tommissen, Vilfredo Pareto und der italienische Faschismus, in: Ernst Forsthoff/Reinhard Hörstel (Hrsg.), Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen zum 70. Geburtstag am 29. Januar 1974, Frankfurt/M. 1974, S. 365-391. 16 Am rechten Rand 4 /98

kursierte und Mussolini schlug ihn für hohe Eh- Derartige Sichtweisen prägten auch die Hand- rungen vor. Allerdings weigerte sich Pareto damit lungslehre, die zwischen logischen und nicht- verbundene Ernennungen anzunehmen oder um- logischen Handlungen unterschied: Erstere sah ging hierbei eigentlich notwendige Schritte. Die Pareto dann als gegeben an, wenn das erreichte Motive dafür bleiben im Unklaren, sie können Ziel mit dem von Handelnden verfolgten Zweck ebenso in politischen Differenzen wurzeln wie übereinstimmte. Demgegenüber seien nichtlogi- durch andersweitige private Belastungen begrün- sche Handlungen solche, deren Resultat nicht mit det sein. Nach Paretos Tod interessierten sich we- dem vom Handelnden verfolgten Zweck überein- der die faschistischen Ökonomen noch Soziolo- stimme. Entweder mangele es an einer vorsätz- gen sonderlich für dessen Werk, wenngleich da- lichen Absicht oder das vom Handelnden ange- hingehende Einflüsse in indirekter Form durch- strebte Ziel sei nicht zu erreichen. Pareto ging es aus feststellbar sind. Insbesondere die Elitetheo- dabei darum nachzuweisen, daß die nichtlogi- rie und die Marxismuskritik bildeten hier An- schen Handlungen bei den menschlichen Tätig- knüpfungspunkte für eine positive Rezeption keiten überwiegen. Kritikwürdig und verwerflich Paretos, der allerdings nicht als der Theoretiker erschien ihm dabei nicht der Tatbestand als sol- des Faschismus angesehen werden kann. Wich- cher, sondern der Versuch, nichtlogische Hand- tige im Folgenden noch näher darzustellende, lungen als logische zu rechtfertigen. So würden demokratietheoretisch bedeutsame Aspekte sei- etwa Handlungen als Ausdruck rationaler Er- nes Werkes machen ihn aber durchaus zu einem kenntnisse und Entscheidungen dargestellt, seien ideologischen Gegner der Wertvorstellungen ei- aber viel stärker durch Gefühle, Leidenschaften nes demokratischen Verfassungsstaates und da- und Triebe motiviert. Deren Verschleierung durch mit indirekt auch zu einem intellektuellen Weg- scheinbar logische Motive bezeichnete Pareto als bereiter des Mussolini-Regimes. Phänomen mit dem selbst geschaffenen Kunst- wort „Derivationen“, während er im Unterschied Ausgangspunkt von Paretos soziologischem Den- zu diesen pseudologischen die offen erkennbaren ken ist das am Ideal der exakten Naturwissen- nichtlogischen Handlungsmotive psychischer Art schaften ausgerichtete Bekenntnis zu einer rei- (Instinkte, Triebe etc.) mit der ebenfalls selbst nen Erfahrungswissenschaft, die sich normativen geschaffenen Bezeichnung „Residuen“ kennzeich- Bewertungen völlig entziehen sollte. Da er nichts nete. befürchte, erhoffe oder verlange, hielte ihn auch nichts davon ab, die Wahrheit zu sagen. Völlig frei Neben dieser Lehre von Handlungsmotivationen von Gefühlen und Werten müsse man sich gesell- kommt für Paretos Soziologie noch seiner Theorie schaftlichen Entwicklungen um einer wirklich von der Zirkulation der Eliten eine besondere wissenschaftlichen Darstellung und Analyse wil- Bedeutung zu: Im Unterschied etwa zur marxisti- len nähern; ein anders ausgerichtetes Wissen- sche Gesellschaftslehre, die die Geschichte als schaftsverständnis stellte er unter Ideologie- oder einen Kampf von Klassen deutete, sah Pareto die Religionsverdacht. Dabei problematisierte Pareto historische Entwicklung auf der politischen und verständlicherweise nicht den ihm selbst eigenen sozialen Ebene durch einen ständigen Wechsel Fanatismus und Sarkasmus, der immer wieder der Eliten gekennzeichnet. Derartige Entwicklun- bei der Beschreibung von konkreten Fallbeispie- gen würden von den Historikern nicht zur Kennt- len oder der Kommentierung von abgelehnten nis genommen; diese gingen fälschlicherweise Positionen zum Ausdruck kommt. Ein solches Wis- immer davon aus, Konflikte in der Geschichte senschaftsverständnis schließt darüber hinaus – seien vom Aufeinandertreffen von Aristokratie um eines angeblichen Realismus willen – die Gül- und Regierung einerseits und dem Volk anderer- tigkeit ethischer Werte aus. Eine Auffassung von seits geprägt. Demgegenüber meint Pareto, es sei der naturrechtlichen Begründung der Menschen- in Wirklichkeit anders: „1. Es handelt sich um rechte etwa steht solchen Positionen diametral einen Kampf zwischen zwei Aristokratien. 2. Die gegenüber und gilt in Paretoscher Sicht als bloßer an der Macht befindliche Aristokratie wechselt Humanitätsglaube. ständig; die heutige wird nach einem gewissen Zeitraum durch ihre Gegner ersetzt. … Ein Zei- Am rechten Rand 4 /98 17

chen, das fast immer die Dekadenz einer Aristo- eines modernen demokratischen Verfassungs- kratie ankündigt, ist das Eindringen humanitärer staates ebenso wie die Bejahung eines autoritären Gefühle und manierter Gefühlsduselei, die sie un- bis diktatorischen Systems. Derartige Positionen fähig machen, ihre Positionen zu verteidigen.“ 9 mußten sich nicht zwingend aus seiner Wissen- Insofern teilte Pareto diesbezüglich die Gesell- schaftsauffassung, Handlungslehre oder Eliten- schaft in drei Bereiche ein: die herrschende Elite, Theorie entwickeln, in ihnen waren aber entspre- die nicht-herrschende Elite und das Volk. Die chende Ansatzpunkte durchaus vorhanden: Durch nicht-herrschende Elite versuche im Namen des die Handlungslehre wurde etwa die Gültigkeit von Volkes die herrschende Elite zu stürzen, um selbst Normen wie den Menschenrechten als verschlei- herrschende Elite zu sein, um dann später wieder erte Ideologie objektiv in Frage gestellt, womit von einer anderen nicht-herrschenden Elite in eine tragende Wertesäule eines demokratischen dieser Funktion abgelöst zu werden. Verfassungsstaates delegitimiert wird. Mit dem Damit entwickelte Pareto ein primär auf macht- Paretoschen Wissenschaftsverständnis werden politische Veränderungen fixierte Sichtweise der historisch-politische Prozesse nur noch als An- historische Entwicklung, ähnlich der des von ihm wendung von oder Bemühungen um Herrschafts- verehrten Niccolò Machiavelli in dessen „Il Prin- techniken gesehen, womit sich automatisch ein cipe“. Die skizzierte Auffassung von der Zirkula- Votum zugunsten eines autoritären Machtsstaates tion der Eliten berücksichtigt darüber hinaus kei- verbindet. Und schließlich negiert die Elite-Theo- ne anderen Gesichtspunkte, sie kennt weder die rie mit der Auffassung vom Kampf zwischen herr- Problematik unterschiedlicher Legitimations- schender und nicht-herrschender Elite das Volk formen von politischer Herrschaft, ob demokra- als politischen Faktor, was bei Pareto dann auch tisch oder diktatorisch, noch vermag sie ein Ver- konsequenterweise in der Ablehnung des Gedan- ständnis von Fortschritt, etwa im Sinne einer kens von der Volkssouveränität führte. Verbesserung gesellschaftlichen und politischen In aller Deutlichkeit offenbarten sich die demo- Lebens, zu entwickeln. Geschichte erscheint in kratietheoretischen Konsequenzen derartiger Auf- dieser zyklischen Sicht als die ewige Wiederkehr fassungen Paretos in einem kurz nach seinem des Gleichen. Sinnstiftende Elemente menschli- Tode 1923 erschienenen kürzeren Aufsatz mit chen Handelns spielen dabei keine Rolle; im Ge- dem Titel „Pochi punti di un futuro ordinamento genteil, gelten sie doch allenfalls als verschleierter costitutzionale“ („Einige Bemerkungen zu einer Ausdruck von Emotionen oder als neue Form künftigen Verfassungsordnung“), der auch als einer Religion. Daß dies von den Anhängern da- „Politisches Testament“ des Autors gilt. Er will mit verbundener Auffassungen ganz anders ge- darin ähnlich wie Machiavelli in seinem „Il Prin- sehen wurde, nötigte Pareto nicht zu weiter- cipe“ einige Lehrsätze aus der geschichtlichen gehenden Überlegungen: Dies war für ihn Ideo- Erfahrung vortragen: Gewalt und Konsens sind logie, er betrieb Wissenschaft. Paretos diesbezüg- für Pareto die Fundamente der Regierung. „Des- liches Verständnis nahm denn auch nur die na- halb verdienen es die beiden wichtigsten, bisher türlichen Instinkte des Menschen als relevant vom Faschismus getroffenen Maßnahmen, daß wahr, womit sich auch erklärt, warum er mensch- man sie ohne Einschränkung lobe: die Gründung liches Miteinander in Geschichte und Gegenwart der nationalen Miliz und die Bildung der Regie- nur über eine herrrschafts- und machtpolitische rung, nicht durch Vertreter der parlamentari- Sicht interpretierte. schen Cliquen, sondern der im Lande bestehen- Derartige soziologische und wissenschaftstheo- den, großen Strömungen der Gefühle.“ Zwar meint retische Auffassungen machten sich konsequen- Pareto ganz in diesem Sinne, „… die Herrschaft terweise auch in Paretos politischen Einschätzun- des Volkes taugt wenig und die seiner Repräsen- gen und Positionen bemerkbar, offenbarte der tanten noch weniger“, das Parlament sei aber einflußreich wirkende Soziologe doch eine ableh- durchaus nützlich und erhaltenswert, allerdings

nende Haltung gegenüber den Wertvorstellungen nicht als politischer Entscheidungsträger, son- ○○○○○○○○

9 Vilfredo Pareto, Ausgewählte Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Carlo Mongardini, Frankfurt/M. – Berlin – Wien 1975, S. 130f. 18 Am rechten Rand 4 /98

dern lediglich als Forum für die Artikulation der einzig und allein, sich der demokratischen Ideolo- Gefühle, Interessen und Vorurteile der Massen: gie von der Souveränität der Mehrheit zu entle- digen. Das Ansehen, der Schein, sollen ihr blei- Denn, so Pareto: „Den Modus suchen, damit eine ben, weil dies mächtigen Gefühlen schmeichelt, übermächtige Kammer eine starke Mehrheit be- doch die Substanz gehöre einer Elite, weil dies … sitze, heißt, für den eigenen Schaden zu sorgen. … das Beste ist.“ 10 In diesem „Politischen Testa- Und auch wenn Ihr heute eine Mehrheit habt – ment“ betätigte sich der Autor also ganz offen als wer kann Euch sicherstellen, daß Ihr sie morgen Berater des faschistischen Mussolini-Regimes, noch werdet wahren können; die Erfahrung lehrt, dem es mit der Betonung der Notwendigkeit be- daß die großen Mehrheiten sich rasch auflösen.“ stimmter Freiheiten eben nicht um die Wahrung Die gegenwärtige Kammer sei für den Faschis- von Rechten, sondern um die effektvollere Absi- mus optimal, sie könne keinen Schaden anrich- cherung der sich gegen die Volkssouveränität ten. In diesem Sinne ruft Pareto auf: „Ersetzt die richtenden Elitenherrschaft ging. Impotenz der Kammer durch die Potenz einer Elite“. Eine solche könne allerdings auch nicht nur durch Gewalt regieren, sondern bedürfe des Teil 2: Julius Evola Konsenses. Um aber zu wissen, worin der Kon- Im Unterschied zu Pareto zählt der nächste hier sens der Mehrheit bestehe, sei eine Kammer zu porträtierende intellektuelle Sympathisant und überaus nützlich, ebenso die Pressefreiheit und Wegbereiter des italienischen Faschismus nicht das Referendum. All das gilt Pareto als Gradmes- zu den auch heute noch angesehenen soziolo- ser für die Akzeptanz der Regierung, der gegen- gischen Elitetheoretikern, handelt es sich doch über zwar Unmut geäußert werden könne, poli- bei Julius Evola11 um einen Kulturphilosophen, tisch wirkungsvolle oppositionelle Bestrebungen der mit seiner die ganze moderne Welt zugunsten gelte es aber zu unterdrücken: „Laßt die Raben der antiken Tradition verwerfenden Auffassung krächzen, aber seid unerbittlich in der Unterdrük- nur die Rolle eines Außenseiters spielte. Gleich- kung der Taten. Wer sie vollbringen will, muß wohl kommt ihm als kritischem Sympathisanten wissen, daß die Macht ihn ohne Barmherzigkeit des italienischen Faschismus im vorliegenden schlägt … und das Wahrscheinlichste ist, daß er Kontext aus mehreren Gründen Bedeutung zu: nicht einmal versucht, sie zu vollbringen.“ Evola wies nicht nur ideologische Gemeinsam- Insofern könne man auch großen Strömungen keiten zu den Jungkonservativen und National- von Gefühlen, seien diese philosophischer oder revolutionären der Weimarer Republik auf, son- religiöser Natur, einen Freiraum zur Artikulation dern verfügte auch über persönliche Kontakte geben, ohne den Verlust von Machtpositionen be- und publizierte in deren Organen (z.B. „Deutsches fürchten zu müssen. „Die schlimmsten Feinde Volkstum“, „Europäische Revue“, „Der Ring“, „Wi- einer Ordnung“, so Pareto, „sind diejenigen, die derstand“). Der gegenwärtigen Neuen Rechten in sie ins Extrem treiben wollen.“ Dies gelte es auch Deutschland und Europa gilt er als philosophi- bei der Reorganisation der kommunalen Insti- scher und politischer Klassiker, wie entsprechen- tutionen in Italien zu berücksichtigen. „Den be- de Nachdrucke und Rezeptionen zeigen. Und sten Wahlmodus für die kommunalen Räte zu schließlich muß darauf hingewiesen werden, daß suchen ist weniger dringlich, als die Methode zu Evolas spirituelle Auffassungen und Schriften ihm finden, die Macht dieser Räte zu begrenzen.“ auch in der gegenwärtigen esoterischen Szene Genau darauf komme es nämlich an, nicht mittels der westlichen Länder eine gewisse Aufmerk- repressiver Gängelung, sondern durch formale samkeit eingetragen haben. Vorschriften solle deren Wirkungsmöglichkeiten Der 1898 geborene Sohn einer sizilianischen Land- Einhalt geboten werden. Abschließend bemerkt adelsfamilie kam schon relativ früh mit futuristi-

Pareto: „Der Mittel sind unzählige, das Ziel ist schen Künstlerkreisen in Kontakt, wodurch er

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10 Vilfredo Pareto, Einige Bemerkungen zu einer künftigen Verfassungsordnung. „Politisches Testament“ (1923). Eingeleitet und übersetzt von Gün- ter Maschke, in: Etappe, Nr. 6/Dezember 1990, S. 92-96. 11 Vgl. H. T. Hansen, Julius Evoals politisches Wirken, in: Julius Evola, Menschen inmitten von Ruinen (1953), Tübingen 1991, S. 7-132; Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Europa. Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden, Bd. II, Heroldsberg 1982, S. 405-413. Am rechten Rand 4 /98 19

sich zum – zunächst nur kulturellen und sozialen herkommend, unser Blut und unseren Verstand – Bruch mit dem von ihm verachteten Bürgertum infiziert hat. … Anti-Europa, Anti-Semitismus, motiviert sah. Von daher schloß Evola, der im Anti-Christianismus – das ist unsere Losung.“ Ersten Weltkrieg als Artillerieoffizier kämpfte, Die Erstveröffentlichung in Italien erregte relativ auch ein zunächst angefangenes Ingenieurstu- großes Aufsehen und entsprechenden Unmut, dium nicht ab. Später wandte sich Evola wieder allerdings weder aufgrund der Ablehnung des vom Futurismus aufgrund dessen von ihm be- Demokratieprinzips noch dem Plädoyer für einen haupteten Mangels an echter Innerlichkeit ab und hierarchischen Führerstaat, sondern angesichts der abendländischen Mystik und östlichen Reli- der entschiedenen Ablehnung des Christentums gionen zu. Seit Mitte der zwanziger Jahre veröf- und dem Eintreten für das Heidentum. Im Text fentlichte er eine Reihe von Artikeln, Aufsätzen nahm Evola im Zusammenhang mit einer ganzen und Büchern, die für die Befreiung der traditionel- Reihe von antisemitischen Äußerungen auch eine len Magie von damals zeitgenössischen theoso- enge ideologische Verknüpfung der Ablehnung phischen Prägungen eintraten. 1927 gründete Evo- von Christentum und Judentum vor, meinte er la gar eine in diesem Sinne wirkende „Gruppe von doch etwa, ein radikaler Antisemitismus sei nur UR“, die sich nach inneren Umbrüchen und äuße- bei gleichzeitigem Anti-Christianismus möglich. rem Druck dann unter dem Namen „Krur“ neu Ein weiterer Grund für die Kritik an Evolas Plä- gruppierte und jeweils unter den Organisations- doyer für die Macht eines neuen Mittelalters und namen eigene Publikationsorgane herausgaben. einen Aufstand von barbarischer Reinheit waren Innerhalb dieser Gruppen wurden auch Riten die kritischen Bemerkungen zum italienischen Fa- vollzogen, welche den Mussolinischen Faschis- schismus, die sich allerdings lediglich darauf be- mus mit dem spirituellen Geist des antiken römi- zogen, daß deren Führer „von unten gekommene schen Imperiums beseelen sollten. Ähnliche Ziel- Leute, ohne Namen noch wahre geistige Tradi- setzungen verfolgten dann auch Evolas folgende, tion“ wären. Der Faschismus sei offenbar nicht zu mehr politisch ausgerichtete Schriften: interessieren für die „Schaffung einer Hierarchie 1928 erschien „Imperialismo Pagano“ (Heidni- im höheren Sinn, die auf rein geistigen Werten scher Imperialismus), worin der Autor den kultu- beruhte und nur Verachtung hätte für alle Beflek- rellen Niedergang Europas beklagte, deren Wur- kungen durch die ‚Kultur‘ und den modernen 12 zeln er in der antihierarchischen Haltung sah, Intellektualismus …“ welche auch zur Rückbildung der Kasten geführt Aufgrund dieser kritischen Anmerkungen stand habe. Darüber hinaus behauptete Evola die Un- Evola dem Mussolini-Regime ambivalent gegen- möglichkeit einer demokratischen Selbstregierung über: Einerseits erhoffte er sich eine Verbesse- und die Irrationalität des Gleichheitsgedankens, rung der politischen Situation in Italien im Sinne wobei letzteres sogar offen mit einer Rechtfer- seiner Auffassungen, gingen sie doch hinsichtlich tigung der Sklaverei verbunden wurde. Dem allen demokratietheoretischer Aspekte weitgehend mit stellte er das Plädoyer für die Rückorientierung an diesem konform. Andererseits mangelte es dem der nordisch-solaren Urtradition im Sinne einer Philosophen am Faschismus an einem elitären sakralen Monarchie gegenüber. Insgesamt ging und transzendentalen Element, welches er gern es dem Autor um das Wiedererstehen eines heid- durch seine geistige Wirkung im System implan- nisch geprägten, hierarchisch gegliederten anti- tieren wollte. Da Evola sich mit diesen Auffassun- ken imperialen Staatsmodells: „Wir rufen auf zu gen in einem lagerinternen Konfliktverhältnis mit einer entschlossenen, bedingungslosen, integra- den italienischen Faschisten befand, kam es ab len Rückkehr zur nordisch-heidnischen Traditi- und an zu Spannungen, die sich etwa in Angriffen on. Wir machen Schluß mit jedem Kompromiß, faschistischer Schlägertrupps gegen ihn oder in- jeder Schwäche, jeder Nachsicht gegenüber al- direkten Maßnahmen gegen seine Zeitschrift „La

lem, was, von der semitisch-christlichen Wurzel Torre“ ausdrückten. Gleichzeitig ermöglichten es ○○○○○○○○

12 Julius Evola, Heidnischer Imperialismus (1928), Leipzig 1933, S. 11 und 98. Die die Sklaverei rechtfertigende Passage findet sich auf S. 28. 20 Am rechten Rand 4 /98

Evola andere Teile der faschistischen Partei, seine Ordnung als über das Chaos siegreiche ‚Form‘ Positionen in regimetreuen Zeitungen wie etwa „Il und Verkörperung der metaphysischen Idee von Regime Fascista“ zu veröffentlichen. Als Ideen- Stabilität und Gerechtigkeit fand einen wesent- lieferant beteiligte er sich etwa auch am Aufbau lichen Ausdruck im Kastensystem. Die Aufteilung der „Scuola Mistica del Fascismo“ (Mystische der einzelnen Menschen auf Kasten oder andere Schule des Faschismus), die 1930 in Mailand zum gleichwertige Gruppen, entsprechend ihrer Natur Aufbau einer sprituell und weltanschaulich ge- und dem verschiedenen Rang der von ihnen aus- formten Ordenselite zur geistigen Führung des geübten Tätigkeiten, gemessen an reiner Geistig- Faschismus gegründet worden war. keit, findet sich mit feststehenden Grundzügen in 1934 veröffentlichte Evola mit „Rivolta Contro Il jeder höheren Form traditionaler Kultur und bil- Mono Moderno“ (Revolte gegen die modern Welt) det den Wesenskern der uranfänglichen Gesetz- sein kulturphilosophisches Hauptwerk. Darin be- gebung und gerechten Ordnung.“ 13 Die Zerstö- schrieb er den Übergang von der traditionellen rung des Kastenwesens und die Machtergreifung zur modernen Welt als kulturellen Verfall primär durch niedrige Schichten habe konsequenterwei- über esoterische und kulturphilosophische Aspek- se denn auch deren Geist inthronisiert, wodurch te, beklagt diesen dabei als Verlust der transzen- jedes sakrale und übernatürliche Element nur denten Dimension in Gesellschaft und Politik und noch auf die Religion und nicht mehr auf die ruft zur Revolte gegen die als Verfallsprodukt Politik Anwendung finden könne. angesehene Moderne – und damit auch zur voll- ständigen Verwerfung von all deren Wertvorstel- Zu persönlichen Begegnungen Evolas mit Musso- lungen auf. Dazu gehörte etwa auch das Prinzip lini kam es erst in den vierziger Jahren, wobei hier der Volkssouveränität: „Die Vorstellung, daß der das Interesse des Faschistenführers an Evolas Staat seinen Ursprung im demos hätte und in Rasselehre in dessen Buch „Sintesi di dottrina diesem auch das Prinzip seiner Rechtmäßigkeit della Razza“ (Synthese einer Rassenlehre)14 den und seines Zusammenhalts läge, ist eine ideolo- Anstoß gab. Im Unterschied zum nationalsoziali- gische Perversion, typisch für die moderne Welt, stischen Rasseverständnis war das faschistische und bezeugt im wesentlichen einen Rückschritt. zwar auch biologistisch, aber nicht ausschließlich Denn mit dieser Auffassung kehrt man zurück, biologistisch ausgerichtet, betonte Evola doch auch was für naturhafte soziale Formen ohne geistige die Bedeutung von geistigen und spirituellen Erhöhung charakteristisch war. Und daß nach- Qualitätsmomenten. Insofern war sein Antisemi- dem einmal diese Richtung eingeschlagen war, tismus nicht rein rassistisch motiviert, vielmehr man immer tiefer sinken mußte, bis zur kollekti- sah Evola in den Juden ein Synonym für und Weg- vistischen Welt der Massen und der absoluten bereiter der Moderne, was ihn allerdings auch Demokratie, ergibt sich aus einer natürlichen nicht daran hinderte, sich positiv auf primitive Notwendigkeit, nämlich aus dem Gesetz der fal- Verschwörungsauffassungen zu beziehen. Nach lenden Körper.“ Mussolinis Sturz von 1943 und dem Aufbau der Zentrale These von Evolas Ausführungen war die „Repubblica Sociale Italiana“ (RSI) bzw. der Re- über eine dualistische Darstellung vermittelte publik von Salò schlug Evola sich auf deren Seite. Ablehnung der modernen Welt zugunsten der tra- Vor dem alliierten Vormarsch floh er 1944 nach ditionellen Welt. Von daher können alle seine an- Wien, wo der Philosoph bei einem Bombenangriff erkennenden Aussagen und Beschreibungen zur schwer verwundet wurde. Bis zu seinem Lebens- traditionellen Welt als Evolas Auffassungen inter- ende blieb er fortan an beiden Beinen gelähmt. pretiert werden. Demgemäß plädierte er auch 1948 kehrte Evola nach längeren Krankenhaus- hier für einen sich primär sakral legitimierenden aufenthalten nach Rom zurück und ab 1949 betä- hierarchisch gegliederten und auf dem Kastenwe- tigte er sich bereits wieder als Autor in rechtsex-

sen aufbauenden Führerstaat: „Die traditionale tremistischen Zeitschriften.

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13 Julius Evola, Revolte gegen die moderne Welt (1934), Vilsbiburg 1993, S. 53f. und 123. 14 Julius Evola, Grundrisse der faschistischen Rassenlehre, Berlin 1942. Am rechten Rand 4 /98 21

1953 meldete sich Evola noch einmal mit einer fällt aber auch der Bezug auf verschwörungs- politischen Schrift mit dem Titel „Eli uomini e le theoretisches Denken auf, widmete Evola doch rovino“ (Menschen inmitten von Ruinen) zu Wort. ein ganzes Kapitel über den „Okkulten Krieg“ Er bemerkte im Vorwort zu einer späteren Neu- angeblichem konspirativem Wirken hinter den auflage, es habe seinerzeit die Chance der Her- Kulissen, wobei er sich sogar positiv auf die anti- ausbildung einer „Rechtsgruppierung“ gegeben: semitische Fälschung der „Protokolle der Weisen „rechts, nicht im politischen, sondern auch und von Zion“ bezog, welche für ihn „viele dem Gesetz vor allem im idealen und spirituellen Sinne. So und dem Geist Israels innewohnenden Ideen wi- hatte ich es für nützlich gehalten, die Grundsätze, derspiegeln“.15 Werte und Hauptlinien einer Staatslehre zu for- In den Kreisen, die Evola mit dem Buch anspre- mulieren, die dieser eventuellen Gruppierung die- chen wollte kam es aber kaum zu entsprechenden nen sollten …“ Entsprechend dieser Absicht und Rezeptionen. So nahm man ihn etwa in der neo- Zielsetzung gliederte sich das Werk, worin Evola faschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) zu den verschiedensten philosophischen, politi- (Italienische Sozialbewegung) kaum zur Kennt- schen, sozialen und wirtschaftlichen Themen pro- nis. Wenngleich deren langjähriger Parteivorsit- grammatische Positionen vorstellte. Inhaltlich for- zende ihn einmal als den „Mar- mulierte er dabei seine Ablehnung von Demokra- cuse der Rechten“ bezeichnet haben soll, galt Evo- tie, Gleichheitsprinzip und Individualismus, heißt la von den meisten MSI-Anhängern eher als der es doch etwa: „So ist jede Demokratie in ihrem bespöttelte „magische Baron“. Lediglich jüngere eigenen Prinzip eine Schule der Immoralität, eine militanter orientierte Rechtsextremisten bezogen Beleidigung der Würde und der inneren Haltung, sich positiv auf Evola. Allerdings blieb sein publi- wie sie sich für eine politische Klasse ziemen.“ zistisches Wirken ungebrochen, neben Artikeln oder „Wer Bewußtsein und Würde als Person be- und Aufsätzen erschienen mehrere Bücher zu sitzt, kann nicht anders, als sich beleidigt fühlen, ganz unterschiedlichen Themen, sei es die Meta- wenn, was als Gesetz für ihn zu gelten hat, ebenso physik des Sexus oder Ernst Jüngers Denken im für jeden anderen als Gesetz gilt …“ „Arbeiter“, eine Analyse des Faschismus oder Demgegenüber plädierte Evola auch hier wieder eine geistige Autobiographie. In den letzten Jah- für einen aristokratisch geführten imperialen und ren seines Lebens schrieb Evola gesundheits- organischen Staat, der im Sinne einer restaurati- bedingt nur noch für wenige Zeitschriften, ver- ven Revolution auf geistiger Ebene vorbereitet schiedene publizistische Projekte konnte er nicht werden sollte. Als ideologische Besonderheiten mehr abschließen und 1974 verstarb er. Noch vor kann darauf verwiesen werden, daß er wie schon und nach dem Tod zeigte sich Evolas stark mythi- in früheren Veröffentlichungen keinen – als Phä- sche Prägung, ließ er sich doch aufrichten, um nomen der Moderne angesehenen – Nationalis- stehend zu sterben, und veranlaßte, daß seine mus predigte, sondern einen auf Europa bezoge- Asche in einer Gletscherspalte des Monte Rosa nen Etatismus im Sinne von imperialen Reichs- versenkt wurde. ■

vorstellungen antiker Art vertrat. Darüber hinaus

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15 Julius Evola, Menschen inmitten von Ruinen (1953), Tübingen 1991, S. 133, 167, 176 und 326. 22 Am rechten Rand 4 /98

Lutz Neitzert Rechte Esoterik, Musik und Riefenstahl

Das Esoterische hat Konjunktur in der rechten den in Hessen angestrengten und nun anstehen- Szene. den Strafverfahrens sein wird, liest man dort: Am 2. April beginnt vor dem Amtsgericht in „Der Roman JEDEM DAS SEINE behandelt die Neuwied der Prozeß gegen Trutz Hardo (alias dunkelsten Kapitel des Naziregimes und beleuch- Tom Hockemeyer). Auf einer eigenen Internet- tet den Holocaust aus karmischer Sicht. Dies dürf- homepage gibt er Auskunft zur Person (http:// te wohl das ungewöhnlichste und mutigste Buch www.geocities.com/athens/delphi/6457): sein, das je zu diesem Thema geschrieben wurde, wie schon der Titel – Inschrift des Lagertors des „TRUTZ HARDO – Reinkarnationstherapeut, KZs Buchenwald – ahnen läßt.“ Germanist und Autor wurde 1939 in Eisenach als zweiter Sohn des Apothekers und Dichters Klaus Bellmund und Karel Siniveer zitieren dar- Dr. Karl Ernst Hockemeyer geboren, der unter aus in ihrer Begleitpublikation zur WDR-Repor- dem Dichterpseudonym ‚Molar’ in der Nach- tage „Kulte, Führer, Lichtgestalten“ (München, kriegszeit bekannt geworden ist. 1982 gründe- 1997, S.205) den folgenden kurzen Dialog: te er den Verlag ‚Die Silberschnur’ mit heuti- „LESER: Warum mußten so viele Menschen über- gem Sitz in Güllesheim bei Neuwied am Rhein. haupt vergast werden? Dieser Verlag befaßt sich mit der Herausgabe AUTOR: Die meisten, die vergast wurden, mußten von Büchern zur spirituellen Bewußtseins- durch diesen Gewalttod noch nicht ausgegliche- erweiterung und Lebenshilfe. Als besondere nes Karma abtragen. Die hatten früher andere Publikationen seien fünf Bücher von Elisabeth Menschen getötet oder zugestimmt, daß andere Kübler-Ross und eines von Hermann Hesse Erdenbewohner, meist Juden und Minderheiten, genannt. In Kalifornien ließ er sich von der be- mit ihren Kindern dem Mob einer blutrünstigen rühmtesten Reinkarnationsforscherin Helen Menge zum Opfer fielen (…) Wambach in ein früheres Leben zurückbe- gleiten, und führte dort in einer Hypnosegrup- LESER: Dann ist jenes europäische Schicksal un- pe seine erste Gruppenrückführung in frühere ter dem Namen ‚Auschwitz’ im Grunde genom- Leben durch. Daraus erwuchsen, nach Deutsch- men ein welthistorisches Ausgleichen vorvergan- land zurückgekehrt, seine ersten öffentlichen gener Vergehen? Gruppenrückführungen, durch welche Trutz AUTOR: So könnte man das nennen!“ Hardo mit der Zeit zum bekanntesten Grup- Neben den diversen nordheidnischen Zirkeln im penrückführer Deutschlands wurde. Im No- Umfeld des Hamburger Anwalts Jürgen Rieger vember 1992 demonstrierte (er) in SAT1 (Ein- und seines (unlängst geschlossenen) Zentrums spruch) eine Zeitversetzung in die Zukunft, und „Heideheim e.V.“ im niedersächsischen Heten- zwar in das Jahr 3030. Im April 1994 war er in dorf: ‚Schreinemakers Live’ mit einer Gruppenrück- ■ führung zu Gast. Er führte auch Frau Schrei- „Nordischer Ring“ (Zeitschrift: „Nordische Zu- nemakers in zwei ihrer früheren Leben zurück. kunft“) In der Sendereihe ‚Mysteries’ trat er am 14. Au- ■ „“ gust 1997 bei RTL auf, wo er den Moderator ■ „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Jörg Draeger in ein früheres Leben zurück- Eugenik und Verhaltensforschung“, führte.“ (6.3.98) und den eher skurrilen Gesellschaften, die sich Über jenes Buch, welches Gegenstand des gegen zusammengefunden haben um das Ehepaar Sig- ihn vom Landesverband der jüdischen Gemein- run und Adolf Schleipfer: Am rechten Rand 4 /98 23

■ „Armanen-Orden“ Diskriminierung ist die grundlegende Fähig- ■ „ANSE/Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser keit, die menschliches Handeln auf den Gebie- Stammesverbände Europas“ (Zeitschrift: „Hu- ten der Kunst, der Religion, des Wissens, der ginn&Muninn“) Wirtschaft und der staatlichen wie bürgerli- gibt es die verschiedensten ideologischen Schu- chen Ordnung der Gemeinwesen erst ermög- lungszentren der Neuen Rechten: licht. ■ „Collegium Humanum“ in Vlotho (Leiter: Wer- DULDUNG – das Ertragen von fremden Ge- ner-Georg Haverbeck) wohnheiten, die das Recht des Dulders beein- trächtigen und nicht geduldet werden müssen. ■ „Thule-Seminar“ in Kassel (Leiter: Pierre Krebs) Die Beeinträchtigung ist durch Intoleranz ■ „Deutsches Kolleg“ (als Gründer und Leiter fun- beseitigbar (…) Das Deutsche Volk ist die freie giert der ehemalige SDS-Aktivist Reinhold Gemeinschaft germanischer Stämme zum Oberlercher) Schutze von Ehre, Leben und Besitz des Gan- zen und aller seiner Angehörigen…“ Das „Deutsche Kolleg“ stellt sich wie folgt vor: Bekannt sind inzwischen die unterschiedlichsten „…Deutsches Kolleg/Postfach 420613 12096 Internet-Foren: Berlin. Schulungsmappen können dort ange- ■ fordert werden… der Schulungsplan hat fol- „Thule-Net“ genden Aufbau: A. Einführungskurs: Reichs- (http://www.thulenet.com/thulenet.htm) bürgerkunde / B. Aufbaukurse: Gesellschafts- ■ „Quelle der Weisheit“ wissenschaften – 1. Politische Ökonomie (‚Das Anbei ein Auszug aus der Internetseite der Q.D.W. Kapital‘) 2. Rechts- und Staatstheorie (‚Die (http://www.taunet.net.au/pan/services.html): Demokratie‘) 3. System der gesellschaftlichen Bewußtseinsformen (‚Die Ideologie‘) 4. Sozio- „Q.D.W stands for Quelle Der Weisheit – a Ger- logie (‚Die Sozialisation‘) C. Führungskurs: Phi- man phrase for Source of Knowledge. The losophie – 1. Metaphysik – Negationslogik – Q.D.W Australia is a registered non-profit as- Reichstheologie 2. Erkenntnistheorie – Arbeits- sociation in the Northern Territory of Austra- logik – Handlungslogik – Verhaltenslogik – Ak- lia. It is maintained by a network of European tionslogik and Australian business people whose aim it is Den erfolgreichen Absolventen … erteilt das to spread out their experience and expertise ‚Deutsche Kolleg‘ die Reichsdozentur. Nach of how to establish a successful attitude and zwei Jahren ist zur Verlängerung der Reichs- image. We have members in Switzerland, Au- dozentur eine erneute Lehrprobe abzulegen. stria, , Africa, Sweden, New Zealand Das ‚Deutsche Kolleg‘ wird sich darum be- and Australia. mühen, dem Deutschen Volke eine wachsende What Services Do You Offer? Anzahl von politischen, gesellschaftlichen und Apart from Graphology, Body Language, Busi- philosophischen Lehrern bereitzustellen.“ (aus ness Psychology and Attitude for „Europa Vorn“/81-95) (Hervorh. L.N.) Achieving Success, we also can assist you with Bellmund/Siniveer (a.a.O.S.150 u. 156) zitie- speech coaching and public presentation trai- ren aus den erwähnten „Schulungsmappen“ ning. We also offer Private Counselling, Stress des Kollegs: Management, Mediation, Motivational Coa- ching, Vocational Guidance, Staff Selection, „Oberlercher äußert sich (zu) den Stichworten and Problem Solving. Diskriminierung und Duldung: Who Can Use Your Services? ‚DISKRIMINIERUNG – Kulturtugend. Abwer- tende Unterscheidung des Häßlichen vom Schö- School and university students, the unemployed, nen, des Bösen vom Guten, des Wahren vom people who want to change professions, who Falschen, des Schädlichen vom Nützlichen. Die have been promoted, those who have been 24 Am rechten Rand 4 /98

made redundant, those who want to further „FLUX is a postmodernist cultural review their career. Those in the legal profession and focusing on the creative tension between tra- police intelligence – in need of a criminal, fraud dition and modernity. Editor: Rik Contributors: and forgery analysis – a handwriting analysis is John Marshall, John Blower, Tony Wakeford the most accurate problem-solver. Personnel (Kopf der Band „Sol Invictus“ – L.N.), Mark Den- and human resource managers. Families, ton, Daniel Emerson Crowder and Greg Bear. prospective business partners, prospective love Contributions and feedback: [email protected] partners. Children whose parents want to dis- Items for review: BM-BOX4392, London cover and nurture their child’s talents when WC1N3XX, ENGLAND they are young and mentally flexible. FLUX is updated monthly, mid-month. If you Headquarters: Q.D.W Australia, GPO Box 3579, would like to be alerted when this has happened Darwin 0801, Northern Territory, Australia, join the mailing list. Q.D.W Australia, PO Box Q547, QVB Sydney WHAT’S NEW ? 1230, New South Wales, Australia, Q.D.W 99, Postfach 560255, D-22552 Hamburg, Germa- FEBRUARY 1998 MUSIC: JOY DIVISION Mark ny. Denton eulogises the retrospective boxed set. Contact Michael Walther at valhalla@taunet. CYBERSPACE: TECHNOTOYS Coping with the net.au to place an order today or for a free in- onslaught of consumer technology. troductory meeting with one of our consultants JANUARY 1998 The first edition of FLUX’s if you are interested in person-to-person tuition.“ monthly roundup, the new focus of our music (12.3.98) coverage as explained here. Weitere mit dem Q.D.W.-Netzwerk verbundene ART: TOR LUNDVALL Some new additions to Einrichtungen sind die Zeitschrift „Elite-QDW“, the permanent exhibition of paintings by the „Trojan Horse Press“, der „Pegasus Unlimited“ – Expressionist-inspired artist and musician. Buchversand/Hamburg, das „UFO-Internet Net- MUSIC: SPK A retrospective on the music and work“, das Projekt „Apocalypse now“ und die politics of these formative industrialists. „Baphomet-Bruderschaft“: „Wir, die Priester des Baphomet, stellen uns auf die Seite der reinen, MUSIC: ANASTASIA UPDATE A revised and weißen Rasse, der reinkarnierten Atlanter. Wir expanded page for the Balkan trio. bezeichnen uns als die letzten ‚echten‘ Menschen TABLE OF CONTENTS – The following is a auf dem Planeten Erde!“ (Bellmund/Siniveer, aaO. hierarchical listing of FLUX’s pages: S.171) THE INTERSECTION OF THE FUTURE / Neben diesen genannten Organisationen reicht MISCELLANY INDEX / ACTUALITY / CYBER- das Spektrum neofaschistischer Esoterik heute SPACE / EUROPA OBSCURA / THE RAVEN’S nahtlos verzahnt bis hin zu völkisch-mystischen CALL – ANGLO-SAXON BOOKS / THE RAVEN’S Skinhead-Gruppierungen und Heavymetal-Bands CALL – THE ODINIC RITE/HEATHEN / THE und bis hinein in die Szene der Darkwave-, Go- RAVEN’S CALL – REGIA ANGLORUM / EZRA thic-, Industrial- und Neofolk-Musik, z.B.: POUND / PERSONAE – LINKS / MUSIC INDEX / CONCERTS, TOURS AND EVENTS / ALLER- FLUX SEELEN / BLOOD AXIS / NICK CAVE AND THE Hier ein Auszug aus der FLUX-Internet-Home- BAD SEEDS / CURRENT 93 / CURRENT 93 page (http://easyweb.easynet.co.uk/~flux/ VIDEO REVIEW / THE DAWN / DEAD CAN index.htm), darin u.a. auch eigene Seiten der DANCE / DEATH IN JUNE/DOUGLAS P / DEATH Gruppe „Allerseelen“/Wien (http://easyweb. IN JUNE – OFFICIAL DISCOGRAPHY / MISERY easynet.co.uk/~flux/allersln.htm), sowie des (DEATH IN JUNE BOOK REVIEW) / DEATH IN Moerser Labels „CTHU-LHU-Records“( http:// JUNE AND FRIENDS LONDON CONCERT (JA- easyweb.easynet.co.uk/~flux/ctlrecad.htm): NUARY 1997) / DEUTSCH NEPAL / DOWN- Am rechten Rand 4 /98 25

Oswald Spengler, Stefan George, Ernst Jünger LOAD / ITN – DR CALIGARI / INTO THE oder Carl Schmitt zur antidemokratischen Stand- ABYSS / KRAFTWERK / LAIBACH / THE MOON ortbestimmung vordekliniert worden ist). LAY HIDDEN BENEATH A CLOUD / A NEW SOLDIER FOLLOWS THE PATH OF A NEW Nun vollzog und vollzieht sich aber in den faschi- KING / MOURNING CLOAK / NEW MIND/BIO- stischen und neofaschistischen Fraktionen der TEC / NON / OBERON / ONTARIO BLUE / Esoterik eine signifikante und den Kern dieses L’ORCHESTRE NOIR / SOL INVICTUS – IN THE Denkens offenlegende Umdeutung: das Eigentli- RAIN – REVIEW / PROPAGANDA MACHINE / che wird hier umstandslos definiert als das Eige- SILKE BISCHOFF / SOL INVICTUS/TONY ne – mit rassistischen und völkischen Konnotatio- WAKEFORD / ABOVE US THE SUN – REVIEW nen. Das synkretistische Prinzip, nach welchem / CUPID & DEATH (TONY WAKE-FORD) THE sich esoterische Zirkel (auch rechte) seit je ihr BLADE – REVIEW / SOL INVICTUS / TONY Weltbild aus den Ornamenten des west-östlichen WAKEFORD / TONY WAKEFORD ‚VOR TRU‘ Diwans zusammenstellen (und das jeder Esote- INTERVIEW / TONY WAKEFORD ‚BROWNBOOK‘ rik-Messe heute das Ansehen eines Supermarktes / SOMEWHERE IN EUROPE / WALDTEUFEL beliebiger Versatzstücke verleiht) wird eben an / CTHULHU RECORDS / NEW EUROPEAN RE- den Stellen plötzlich ignoriert oder negiert, wo es CORDINGS / STORM RECORDS / WORLD SER- darum geht, konkrete politische Inhalte zu ver- PENT DISTRIBUTION / CTHULHU RECORDS / orten: jenes synkretistische Prinzip, das etwa der EINSTURZENDE NEUBAUTEN…“ (11.3.98) New-Age-Idee (als einer, wie man leichtfertig un- terstellte, per se multikulturellen Weltanschau- Es stellt sich nun die Frage, welche spezifischen ung) ihren Platz innerhalb der Jugendbewegung Denkmuster innerhalb esoterischer Welterklä- der 60er Jahre gesichert hatte. rungsmodelle es sind, die sich mit dem politischen Credo und vor allem auch mit der Ästhetik des Schon die Begründerin der „Theosophie“ (bis heu- Neofaschismus anscheinend selbsttätig zusam- te eines der wichtigsten Bezugssysteme innerhalb menbringen lassen und das einmal abgesehen der esoterischen Szene), Helena Petrowna Bla- von den kaum verdeckten (und in vielen Studien vatsky, vollzieht Ende des 19. Jahrhunderts zum hinreichend offengelegten) personellen Verknüp- ersten Mal und vorbildhaft diese (in sich so absur- fungen zwischen den genannten Zirkeln und dem de) Volte: eingebettet in arabische Astrologie, fern- organisierten Rechtsextremismus, abgesehen östliche Meditationstechniken und andere exoti- auch von den expliziten historischen Bezügen sche Ingredienzen steht als zentrales Bekenntnis (zum einen zu den Mystikern des Nationalsozia- ihre so benannte „Wurzelrassenlehre“: lismus bzw. des Mussolini-Faschismus und zum „Ein Decimierungsvorgang findet über die ganze andern zu den Vordenkern der Konservativen Erde statt unter jenen Rassen, deren Zeit um ist. Revolution zur Zeit der Weimarer Republik) und Es ist ungenau zu behaupten, daß das Aussterben abgesehen von der per se obskurantistischen einer niederen Rasse ausnahmslos eine Folge der Grundperspektive dieser Lehren. von Kolonisten verübten Grausamkeiten…sei… Einen mir darüber hinaus wesentlich erscheinen- Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier den Verbindungsstrang möchte ich hier skizzie- usw. sterben alle aus. Die Flutwelle der inkarnier- ren: ten Egos ist über sie hinweggerollt, um in entwik- DAS EIGENTLICHE UND DAS EIGENE kelten und weniger greisenhaften Stämmen Er- fahrungen zu ernten; und ihr Verlöschen ist damit Alle Esoterik will sich verstanden sehen als die eine karmische Notwendigkeit.“ (Aus: Blavatsky Erhellung des Transzendenten und als die Eröff- „Die Geheimlehre“ – zit. nach Bellmund/Siniveer, nung eines Zugangs zum Eigentlichen hinter dem aaO., S.26) Profanen (das in der Rechten selbstredend und unvermittelt dann gleichgesetzt wird mit dem Vor allem über Rudolf Steiner (ein Renegat der Zivilisatorischen – wobei immer wieder bewußt „theosophischen Bewegung“ und Begründer der rekurriert wird auf jene Unterscheidung der Be- „Anthroposophie“) wurden solche Lehren ins 20. griffe Kultur vs. Zivilisation, die von Autoren wie Jahrhundert (und in einflußreiche gesellschaftli- 26 Am rechten Rand 4 /98

che Kreise) hineingetragen, bis in den späten 60er Geheimnisse des Dritten Reiches“ oder zum The- Jahren vor dem Hintergrund und angesichts der ma „Atlantis“ eben auch Musiken aus der neu- kosmopolitischen Jugend- und Popkultur dieser rechten Darkwave-/Neofolk-Szene – nebst ihrer völkische Zug aus dem Esoterischen weitgehend ideologischen Manifeste und Zeitschriften (z.B. ausgeblendet worden ist. Doch es ist eben nicht „Aorta“ und „Ahnstern“/Hrsg. Kadmon, alias verwunderlich, daß mit der Renaissance nationa- Gerhard Petak – Kopf der österreichischen Band listischer Weltanschauung und Politik auch diese „Allerseelen“). Manifestation des Rassismus erneut Raum greift. Die intellektuellen Wortführer der Neuen Rechten Mit der Deutung des Eigentlichen als des Eigenen bejubeln seit jüngstem die Wiederkehr des Pathos erhält nun auch der (oft animistisch angelegte) in der Jugendkultur der ausgehenden 90er Jahre Biologismus esoterischen Denkens eine neue/alte – ausgerechnet in der Rockmusik, dort also, wo sich pathetische Töne bislang, wenn überhaupt Schärfe und Zielrichtung. Zum einen liegt es, einmal, dann doch immer nur eher ungewollt wenn man postuliert, die eigenen völkischen einschleichen konnten. Und man konstatiert zu- Wurzeln ausgemacht und zur Richtschnur des gleich den Auszug der rechten Musik aus der eigenen Handelns erhoben zu haben, nahe, auch Schmuddelecke der Skinheads und der Neonazis: ökologisches Denken in diesen Kontext einzu- zwängen: „Abseits vom unappetitlichen Gegröle der (Skin-) Bands hat sich Unkonventionelles eine Plattform Umweltschutz wird dann zum Heimatschutz, und geschaffen: inmitten des Arkanums linksalterna- die Beachtung ökologischer Notwendigkeiten und tiven Bewußtseins …sprießen schwarze Blüten … Zusammenhänge wird dann eben begriffen als Die rechte Independent-Szene hat es sich in der … eine Restitution vermeintlicher Naturgesetzlich- remotesten Nische gemütlich gemacht: in der keiten (beschnitten auf darwinistische Überzeu- Schnittfläche von Nietzscheanischem Nihilismus, gungen und verortet im Blut und im Boden). Die Wagnerschen Mythen, okkulter Dunkelei und … Übersetzung dieser Ideen in sozialdarwinistische Heroismus”! (Junge Freiheit, 1.9.95) Gesellschaftsentwürfe vollzieht sich heute in den So kündigte die Zeitschrift „Junge Freiheit“ eine vom Ethnopluralismus der französischen „Nou- Reihe von Schallplattenprojekten an, die unter velle Droite“ inspirierten Intellektuellenzirkeln programmatischen Titeln wie „Im Blutfeuer” oder ebenso wie im schlichter gewebten Germanen- „Riefenstahl” deutsche, österreichische, italieni- kult. Und es ist bezeichnend, daß dieser Transfer sche, schwedische, tschechische, australische, eng- vor allem in den Kreisen jener neurechten Strate- lische und amerikanische Musikgruppen versam- gen erfolgt, deren erklärtes Ziele es ist, (als Stich- melten: „Von Thronstahl”, „Turbund Sturmwerk”, wortgeber) verstärkt Einfluß zu gewinnen auf die „Projekt Blauland”, „Ernte“, „Preussak”, „Voxus Ökologiebewegung (etwa im Umfeld der Zeit- Imp.”, „Nothwende”, „Allerseelen”, „Forthcoming schriften „Wir selbst“/Koblenz mit ihrem Vorden- Fire”, „Blood Axis” oder „Sol Invictus”. Und un- ker Henning Eichberg oder „Europa vorn“/Köln mißverständlich stellen die Musiker und Produ- mit ihrem Autor Hans Rustemeyer). zenten dabei selbst die Kontexte her, in welchen Auch an der Umsetzung in zeitgemäßere ästheti- man verstanden sein will, im Interview, im Internet sche Konzeptionen wird eifrig gearbeitet, wobei oder in (oft aufwendig produzierten) Begleitpubli- insbesondere die Independent-Rockmusikszene kationen: in den letzten Jahren als mögliches Einfallstor in „Es gibt nur wenige Künstler, die sich in den 30er den Blick geraten ist. Jahren einen großen Namen geschaffen hatten, Nimmt man einmal zum Exempel den aktuellen ohne sich später in täglicher Bußfertigkeit davon Katalog des einschlägigen VAWS-Verlags/Ver- zu distanzieren. Leni Riefenstahl ist.eine davon!. sandhandels (Werner Symanek/Bingen), so fin- (Wir) haben uns zusammengefunden, um dieser det man dort neben verstaubten Traktaten wie Frau ein … Denkmal zu setzen! (Buch zur Doppel- etwa des Runenforschers Guido von List, der CD „Riefenstahl“/VAWS 202) erwähnten Theosophin Blavatsky oder des Gral- Gelegentlich kokettiert man dabei zwar wohl- suchers Otto Rahn, neben Videos über die „UFO- kalkuliert auch einmal mit dem Reiz des Verbote- Am rechten Rand 4 /98 27

nen bzw. des Gerade-noch-Erlaubten: etwa wenn Arthur Moeller van den Bruck oder auch von Mus- sich eine australische Formation den Namen solini’s Hausphilosoph Julius Evola – als Motto „Strength through Joy” („Kraft durch Freude” genommen für eklektizistisch überladene Rock- also) gibt oder eine italienische firmiert als „Swir- musiken. ling Swastikas” („Wirbelnde Hakenkreuze”), wenn „Hier redet das Leben selbst, und der Urgrund des das „Horst Wessel-Lied” zitiert oder Klaus Barbie, roten Blutes zaubert seine bunten Bilder!” (Ernst der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon, besun- Jünger/im Begleitheft zur CD-„Im Blutfeuer“) gen wird. Zumeist jedoch sucht man es zu vermei- den, sich in dieser Art als Neo-Nationalsozialisten Das Leben selbst … Das Blut … Der Urgrund …! zu präsentieren. Stattdessen beruft man sich mit Keine Parolen, sondern ominöse Formeln. Bedacht auf jene Riege unorthodoxer Faschisten, Hier ein Textauszug aus dem Lied „Sonnenwen- die (aus unterschiedlichen Gründen) nicht zu poli- de” der Gruppe „Ernte“: tischen Funktionären des Dritten Reiches gewor- „Feuer künden Sonnenwende, Funkengarben treibt den sind oder die gar – als unerwünschte Kon- der Wind, Frühlingstage sind zu Ende, bald die kurrenz in den eigenen Reihen – Opposition zum Erntezeit beginnt … Durch das Dunkel, durch die Hitlerregime waren (wie etwa Ernst Röhm oder Helle, ewig kreist des Jahres Rad. Und durch auch Gregor und ). Dunkel und durch Helle kämpfen wir um unsern So bezieht die englische Gruppe „Death in June” Pfad. Sonnenwende bringt kein Ende, ruft uns auf ihren Namen ausdrücklich auf den Putschversuch zu neuer Tat. Die in Nacht und Not sich fanden, und die Hinrichtung des SA-Führers Röhm im stehen treu zu aller Zeit, die das Dunkel überwan- Juni 1934. den, bleiben stets zur Tat bereit.“ (CD-„Im Blut- Was nun die Bezugnahme auf eine Figur wie Leni feuer”/CTHULHU-Records CR17) Riefenstahl anbetrifft, so eröffnet dies (wie er- Alle Diktatoren und politischen Aggressoren die- wünscht und vorhergesehen) eine Diskussion mit ses Jahrhunderts wußten solche Semantik in ih- unabsehbaren Fronten. Zum einen scheint ihre rer Propaganda einzusetzen. Und es ist nicht Ge- Ästhetik ja längst rehabilitiert und findet sich schichte. Auch im ehemaligen Jugoslawien spie- wiederaufgegriffen in der Werbung ebenso wie len die Kriegstreiber wieder auf solch einer Kla- im Videoclip – oder man denke nur an die Medien- viatur. (Und es ist gewiß kein Zufall, daß das er- inszenierungen großer Sportereignisse oder (an- klärte musikalische Vorbild all dieser Bands eine no 1998) politischer Wahlkämpfe. Zum andern Gruppe aus dem heutigen Slowenien ist, mit Na- spiegelt sich in ihren Filmen und Fotobänden auf men „Laibach”). 1992, zur Hochzeit des Bürger- schillernde Weise jener so schwer faßbare Grat, kriegs, gaben die Musiker von „Death in June“ in an welchem das fraglos Positive (die Idealisierung Zagreb ein Konzert vor kroatischen Frontsolda- des Schönen, Starken, Jungen und Gesunden) be- ten und ehrten die HOS-Milizen (in denen Rechts- ginnt, seine Kehrseite (die Verachtung des Nicht- extremisten aus ganz Europa mitmarschierten) Schönen, des Nicht-Starken, des Nicht-Gesun- als die „Märtyrer des Abendlandes“. Dazu die den) heraufzubeschwören. „Junge Freiheit“: Hoch im Kurs als Stichwortgeber stehen daneben „ ‚Allerseelen‘ und die technosophische Tonkunst! natürlich auch hier die Vertreter der Konserva- Wenn man die Augen schließt, führen einen diese tiven Revolution und der völkischen Jugendbewe- Klänge direkt an das Lagerfeuer alter Volksstäm- gung. Immer wieder finden sich Zitate oder über- me, die noch wissen, wie man durch das Tor zu nommene Gedanken von Carl Schmitt (dessen höheren Dimensionen tritt. ‚Konservative Avant- These, wonach die notwendige Unterscheidung garde‘ meint (Kadmon). In seiner Schriftenreihe in Freund und Feind das eigentliche Wesen des ‚Aorta‘ beschäftigt (er) sich mit esoterisch-histori- Politischen ausmache, die nazistische Staatsrechts- schen Themen: ein Beitrag über Leni Riefenstahls lehre fundierte), etwa aus Alfred Rosenberg’s Film ‚Das blaue Licht’ findet sich neben einem Buch über den „Mythus des 20. Jahrhunderts”, Text über den theo- und ariosophischen Maler Oswald Spengler’s Traktat über den „Untergang Fidus“. (als nacktbadender Volksgesundheitsapo- des Abendlandes” sowie Zitate von Ernst Niekisch, stel ein Idol des jungen Hitler /L.N.). „Der Runen- 28 Am rechten Rand 4 /98

kundige Karl Maria Wiligut.“ (Himmler’s Mysti- ligiösen: Nach dem Gesetz der Trägheit und Schwe- ker und Schöpfer des SS-Totenkopfringes/L.N.) re müssen den Kräften der Tiefe andere entgegen- wird ebenso vorgestellt wie der Gründer der … wirken, die nach oben ziehen!“ (Josef Sellmair im ‚Eisernen Garde‘ Rumäniens, Corneliu Codreanu Buch zur „Riefenstahl“– CD) … (Vor allem) Wiligut spielt für ‚Allerseelen‘ eine Immer wieder rekurriert man auf eine vorgeb- besondere Rolle. Für das neueste Projekt … liefert liche Naturgesetzlichkeit deren Gebote die moder- der Gedichtzyklus (‚Gotos-Kalanda‘) des Völki- ne Gesellschaft mißachte und die es wiederherzu- schen die textliche Grundlage. Er besingt die ger- stellen gelte, gleich so, als sei das Zusammenleben manischen Monate von Hartung bis Julmond. Zu der Menschen in den komplexen Lebenswelten härtestem Industrial-Gewitter…!” (Junge Freiheit, des ausgehenden 20. Jahrhunderts nach archai- 38/95) schen Mustern zu durchschauen oder gar zu or- Während hier ganz bewußt (und bis zur Groteske) ganisieren. der anachronistische, völkisch-romantische Sprach- „ ‚Neuer Adel, den ihr suchet/führt nicht her von stil (quasi liturgisch) rezitiert wird – wobei durch- Schild und Krone/stammlos wachsen im Gewüh- aus einkalkuliert ist, damit nicht von jedem so le/seltne Sprossen eignen Ranges/und ihr kennt ganz ernst genommen zu werden (eine Abgren- die Mitgeburten/an der Augen wahrer Glut‘! – zungsstrategie, die ja auch in anderen Jugend- diese Verse Stefan Georges können als Leitidee subkulturen immer wieder angewandt wurde und von ‚Forthcoming Fire‘ dienen … Als drohende wird!). Während man hier also versucht, eine und zugleich zukunftverheißende Losung eröff- Aura des vorgeblich Nicht-Modernen zu kreieren, nen sie das Stück ‚Germania Incognita‘ … (das) sind, wie erwähnt, andere Zirkel dabei, die dahin- geheime Deutschland … jenseits vom Nazitum terstehenden weltanschaulichen Positionen in und dem, was sich Demokratie schimpft!” (Junge nüchternere Tonlagen zu übersetzen und sie für Freiheit, 6/96) aktuelle politische, soziale und kulturelle Debat- ten umzuformulieren. Sozialdarwinistische Ideen Hier ein Textauszug aus dem Lied „Mitternachts- werden gemünzt auf die Diskussionen um den So- berg“ der Gruppe „Forthcoming Fire“: zialstaat oder um die Entwicklungshilfe. In die- „Vom Mitternachtsberg erhebt sich die Glut, ent- sem Zusammenhang dann steht als aktuell bri- gegen der Spötter Zorn. Im Schöpfungslicht strahlt sante Forderung die „Festung Europa“, deren Er- neu der Tag und segnet das reifende Korn. Im Mit- richtung durch geopolitische, historische, kultu- ternachtsberg glüht schwarzer Stein wie die Son- relle und rassistische Argumente legitimiert wer- ne so weiß. Von dort aus waren wir gesandt, das den soll. Auch in der Musik taucht diese Vorstel- Starre zu brechen wie Eis. Im Mitternachtsberg lung auf: in Gruppennamen wie „Heiliges Euro- brennt ein Feuer so tief, denen die auserkorn. Im pa“, in Szenezeitschriften wie „Europafront“ oder Namen dessen, der uns berief, sehn wir einander „Europakreuz“ und als zentrales Thema der rezi- verschworn … von kommender Frucht raunt die tierten nordisch-germanischen Mythen. Saat. Mir träumt von Ernte und leben – Wille Ein starker Staat mit einer neuen, machtbewuß- befiehl mich zur Tat!“ (CD-„Riefenstahl“/VAWS ten Elite wird beschworen und das Hierarchische 202) als das einzige dem Menschen naturgegebene „Seele – Feuer – Licht – Bewußtsein, eine geistige, Ordnungsprinzip: eine seelische Erhebung. Diejenigen, von denen „Es läßt sich kein Aufbau denken ohne Stufung. die letzten Geistträger unserer Kultur sagten, sie Ohne Aufblick zum Hervorragenden, zum Über- seien zur Elite berufen. Diejenigen, die sich die ragenden gibt es keine Bildung. Die Tatsache der Kraft erkämpft haben, aus dem tiefsten Dunkel … Vermassung, der inneren und äußeren Nor- kommend Sinn und Aufgabe in eine Zeit hineinzu- mierung, erfordert die Bildung der Elite. Span- tragen. Ich kenne viele, die auf der Suche nach nung ist Grundgesetz alles Lebendigen – (das) gilt Seele nicht mehr auf das Bestehende setzen, für jeden Lebensbereich, im Politischen wie im sondern auf alles, was zu schaffen und zu erwir- Geistigen, besonders aber im Kulturellen und Re- ken ist … ‚Schließe die Tore, baue den Staat!‘ sagt Am rechten Rand 4 /98 29

Gottfried Benn. ‚Deutschland wird in seinem in- Kontexte die alten Vorlagen und geraten in die nersten Unschuldigen, in seinem Allergeheimsten gleichen Widersprüchlichkeiten: mit Originaltö- neu entstehen … (‚Germania Incognita‘) … Ich nen aus Filmen, Wochenschauen, Hörspielen und glaube an die Reinheit und den Lichtgehalt dieser Reden, mit pseudosakralen Synthesizerklängen geschändeten Nation. Ihre Geisteskultur, die eine und Chorälen, mit Wagner, Marsch und Fanfa- liebende ist, kann und darf nicht länger unter- ren, unterlegt mit im Technosound stilisierten drückt werden. Es ist das verzehrende Feuer, das futuristischen Maschinen-Rhythmen sucht man wir durch Welt und Winter tragen … Das Ewige auf manierierteste Art das Archaische als das will wieder Anteil am Leben haben, es bahnt sich Schroffe, das Authentische und – widersinniger- seinen Weg … Die selten schöne dunkle Facette weise – als das Unwandelbare und Zeitlose vorzu- unserer Kultur hat es nicht nötig, sich im Wettlauf stellen. (Solche Collagen sind im modernen Ton- mit Trends oder Moden nach den Zügen zu rich- studio der denkbar billigste Weg zum Bombast!) ten … Mein Wesen ist opferbereit. Ich werde mich Nun hat aber das Absurde der Idee den Reiz den Erfordernissen opfern … Da greift das Schick- faschistischer Inszenierungen – von der Sonn- sal ein. Darin weht aber auch erkämpfte Freiheit, wendfeier bis zum Reichsparteitag – niemals dis- mein Wort erheben zu können gegen alles, was kreditieren können! vor der aufgehenden Sonne keinen Bestand ha- Notabene: Im Frühjahr 1996 präsentierte die ben darf!” (Junge Freiheit, 23.2.96) Zeitgeist-Redaktion der „Jungen Freiheit” ihre Seele, Feuer, Licht, Blut, Sturm, Schicksal & Op- jüngste Entdeckung: fer, das Ewige und das Geheime – Kultur versus „Böse – weil diese Zeit es nicht anders verdient: Zivilisation, Volk versus Gesellschaft, Empfin- ‚RAMMSTEIN‘! … Harte, deutschsprachige Mu- dung versus Verstand, Erde versus Asphalt.! Pa- sik … mit Top-Ten-Potential … (Das) Ganze ir- thos ist seit je der naive Versuch, das Unübersicht- gendwo zwischen Heavy(metal), Techno und liche, Widersprüchliche und Unbehagliche in gro- Marschmusik, dazu geeignet, den Soundtrack zum ßen Worten zu bannen! Und als fataler Reflex auf Abgang dieses Jahrhunderts abzugeben. Ramm- die Ungemütlichkeit der Moderne ermöglichte stein sind vermittelnder Katalysator … Daher dies in unserem Jahrhundert immer wieder den Daumen hoch für Rammstein und all dem, was in verhängnisvollen Kurzschluß zwischen Kunst/ ihrem Fahrwasser auf uns zukommen mag“! Kultur/Ästhetik und Politik. Gerade das Niemals- (Junge Freiheit, 29.3.96) Konkretwerden, das Unbestimmte des patheti- schen Duktus bildet sprachlich das ideale Milieu, Ohne hier die (notwendige) Debatte um das Phä- um Machtpolitik zu kaschieren und zu verbergen nomen „Rammstein“ weiterführen zu wollen – die hinter naturlyrischen/esoterischen Tönen und Prognose der „Jungen Freiheit“, die jedenfalls ebenso banalen wie fatalen Dualismen: das Helle stimmte: kaum: ein Jahr später eroberte man die und das Dunkle, das Natürliche und das Un- Hitparaden und füllt seither die Stadien – ebenso Natürliche, das Gesunde und das Entartete, das wie die Seiten der „Bravo”! Eigene und das Fremde, das Eigene als das Ei- (PS: Einige Texte zum Thema „Rechte Musik“ fin- gentliche! Die musikalischen Stilmittel rekapitu- den sich auch auf der Internetseite des Autors: lieren dabei auf gleiche Weise wie die Texte und http://home.rhein-zeitung.de/~dneitzert) ■ 30 Am rechten Rand 4 /98

Matthias Schmidt 1 „Deutsche Volksunion“ – eine unterschätzte Kraft im rechtsextremen Lager?

Nachdem die „Deutsche Volksunion“ (DVU) 1995 1. Entwicklung der ”Deutschen Volksunion” in Bremen (2,5 Prozent)2 und 1996 in Schleswig- Holstein (4,3 Prozent)3 an der 5-Prozent-Hürde Gründung als Verein gescheitert war, fühlten sich diejenigen bestätigt, Im Vorfeld der Bundestagswahl 1969 sammelten die meinten, daß die 1987 in Bremen begonnene sich große Teile des rechtsextremen Lagers hin- „Karriere“ der DVU in Landesparlamenten nur ter der „Nationaldemokratischen Partei Deutsch- eine relativ kurze Episode darstellen könnte. Le- lands” (NPD), wurde doch nach einigen Erfolgen diglich den „Republikanern“ wurden reale Wahl- bei Landtagswahlen der Einzug dieser Partei in chancen eingeräumt, der „Deutschen Volksunion“ den Deutschen Bundestag erwartet. Allerdings wurde ein baldiges Ende prophezeit. Erste Zwei- scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent – wenn auch fel an dieser Einschätzung kamen bereits bei den knapp – an der Fünf-Prozent-Hürde, sie geriet in Hamburger Bürgerschaftswahlen 1997 auf, als eine tiefe innerparteiliche Krise, die ihren Zerfall die DVU in vier Bezirksversammlungen Mandate erwarten ließ.7 Der Münchner Großverleger Ger- erlangte und den Einzug in die Bürgerschaft nur hard Frey nutzte diese Situation als Chance, sei- um wenige Stimmen verpaßte.4 Als die Partei nen publizistischen Bemühungen eine politische dann bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt Plattform zu geben, und ergriff zusammen mit am 26. April 1998 12,9 Prozent der abgegebenen dem Vorsitzenden der 1962 gegründeten „Aktion Stimmen auf sich vereinigen konnte – einem Er- Oder-Neiße“ (AKON), Erwin Arlt, die Initiative zur gebnis, welches im Nachkriegsdeutschland bis- Gründung der „Deutschen Volksunion e.V.“, wel- her noch keine rechtsextreme Partei auf Landes- che am Vorabend des hundertsten Jahrestages ebene erreicht hat – und mit 16 Abgeordneten in der Errichtung des Bismarkschen Reiches am den Magdeburger Landtag einzog,5 war fast allen 16.1.1971 im Münchner Hotel „Deutscher Kaiser“ klar, daß sich die „Deutsche Volksunion“ nicht im vollzogen wurde. Die Vereinigung stellt sich selbst Niedergang befindet. Dieses soll zum Anlaß ge- als „die führende überparteiliche Bewegung der nommen werden, die Partei einer genaueren Be- verfassungstreuen Rechten und freiheitlichen Mit- trachtung zu unterziehen. Im folgenden wird den te“ dar. In Wirklichkeit sammeln sich dort rechts- Fragen nachgegangen, woraus die DVU entstan- konservative und rechtsextreme Kräfte, die natio- den ist, wie sie sich entwickelt hat, wer sie wählt nalistisches Gedankengut vertreten und an die und wie sie bisher in den Parlamenten gearbeitet Formen des rechtsextremen „Kulturkampfes“ her- hat.6 angeführt werden sollen. Zur Frage der Organisa- tionsform wurde im Gründungsaufruf festgestellt, daß die DVU solange keine Partei werden wolle, wie die CDU/CSU in den Grundsatzfragen der

Deutschlandpolitik die Rechtsansprüche wahre.8

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1 Der Autor, Jahrgang 1967, studierte von 1989 bis 1997 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Politikwissenschaft, Soziologie und Er- ziehungswissenschaft. Promotion zum Dr. phil. mit einer Untersuchung über die Parlamentsarbeit der DVU im Schleswig-Holsteinischen Landtag. 1992 bis 1995 studentischer Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der WWU Münster (Jugendgewalt, Kriminalität), seit 1995 Geschäftsfüh- rer der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Münster, seit 1998 Vortragstätigkeit für die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung über die DVU. 2 Vgl.: Statistisches Landesamt Bremen (1995), S. 4. 3 Vgl.: Statistisches Landesamt Schleswig-Holstein (1996), S. 4. 4 Vgl.: Deutsche Presseagentur (1997), in: Frankfurter Rundschau vom 23.9.1997. 5 Vgl.: Deutsche Presseagentur (1998), in: Frankfurter Rundschau vom 28.4.1998. 6 Hierbei wird im wesentlichen auf das im Herbst 1998 erscheinende Buch von Obszerninks und Schmidt zurückgegriffen. 7 Vgl.: Pfahl-Traughber (1993), S. 59. 8 Vgl.: Assheuer/Sarkowicz (1990), S. 34, Biemann /Stein (1990), S. 28-29, Linke (1994), S. 15, Schmidt (1997), S. 27-41. Am rechten Rand 4 /98 31

Ihre politischen Forderungen schreibt die „Deut- de“ und als Mittel bezeichnet hatte, um vom deut- sche Volksunion“ in „Aktionsprogrammen“ fest. schen Volk finanzielle Wiedergutmachung zu er- Der Bayerische Verfassungsschutz charakterisiert pressen, erhielt er ein unbefristetes Aufenthalts- die dort propagierten Inhalte als „agressive Ideo- verbot in Deutschland, welches am 22.3.1996 logie-Parolen“9, das schleswig-holsteinische In- vom Verwaltungsgericht München bestätigt wur- nenministerium hebt die klar ausländerfeindli- de.14 Seit der Gründung der DVU als Partei tritt chen Forderungen hervor, die einen latenten Ras- der Verein kaum noch öffentlich in Erscheinung, sismus widerspiegeln würden.10 Das Oberlandes- seine Aktivitäten beschränken sich seitdem im gericht Hamm schloß aus den Aussagen der DVU, wesentlichen auf Spendenaufrufe und Anzeigen daß ihr Bekenntnis zum Grundgesetz der Bundes- für Beitrittserklärungen in den Wochenzeitungen republik Deutschland nur die verfassungsfeindli- von Gerhard Frey.15 che Zielsetzung der Organisation verschleiere.11 Allerdings ist der Verein spätestens seit einer Aus dem Verein entwickelte sich zu keiner Zeit Satzungsänderung per 20.12.1988 für die Partei eine agile politische Kraft. Bis heute ist er lediglich ein wichtiger Rekrutierungsmechanismus: Die eine Sammelorganisation der zahlenden „Kartei- Vereinsmitglieder gehören nach Vollendung des leichen“ und Leser der von Frey verlegten Publi- 16. Lebensjahres automatisch auch der Partei an, kationen geblieben. Die Mitglieder erwarten als sofern sie nicht ausdrücklich widersprechen. Die- passive Beitragszahler nichts oder nur wenig von ser Automatismus ist rechtlich bedenklich, da zu der DVU e.V., es ist ihnen nur wichtig daß es die einem Parteibeitritt auch immer eine deutliche DVU und die Frey-Publikationen überhaupt gibt Willensbekundung des potentiellen Mitglieds ge- und daß öffentlich ausgesprochen wird, was sie hört. Diesem Gebot trägt die Satzung des Vereines denken.12 Bis Ende der 80er Jahre führte der DVU nicht ausreichend Rechnung.16 Verein Kundgebungen durch. Hauptredner war Aktionsgemeinschaften als Vorfeldorganisa- bis zu seinem Tod im Dezember 1982 der Wehr- tionen machtsoberst Hans-Ulrich Rudel, dessen „un- sterbliche Dienste“ im Abschuß von 519 sowjeti- Als Koordinierungsstelle für die „national-freiheit- schen Panzern während des II. Weltkrieges be- liche Rechte“ wurde im Januar 1972 unter maß- stünden. Rudel verherrlichte bis zu seinem Tod geblicher Beteiligung von Gerhard Frey der „Frei- den Nationalsozialismus: So erklärte er 1950 in heitliche Rat“ gegründet. Es entstand ein Netz- der in Argentinien verlegten Publikation „Wir werk rechtsextremer Organisationen, von wel- Frontsoldaten zur Wiederaufrüstung“, daß der chem Frey den Vorsitz übernahm und in welchem deutsche Angriff auf die Sowjetunion nicht nur die DVU e.V. dominierte. Forderung dieses Bünd- eine Verteidigungsmaßnahme gewesen sei, son- nisses war ein Ende der „Manipulationen“ bei den dern es habe sich um einem „Kreuzzug“ zum Verjährungsfristen für Kriegsverbrechen ver- Wohle Europas und darüber hinaus für die ganze bunden mit einer Generalamnestie für alle bis Welt gehandelt.13 Ihm folgte als Hauptredner der 1945 geschehenen „direkt oder indirekt politi- DVU der britische Revisionist , wel- schen Delikte.“ Nachdem der „Freiheitliche Rat“ cher die abstruse These vertritt, daß Hitler die im April 1972 erfolgreich einen „Marsch auf Bonn“ Judenvergasungen nie angeordnet, ja selbst nie organisiert hatte, setzte ein Zerfallsprozeß ein, etwas davon gewußt habe. Nachdem Irving 1990 der daraus resultierte, daß nur die wenigsten

in Weinheim öffentlich den Holocaust als „Legen- Funktionäre dazu bereit waren, sich dauerhaft ○○○○○○○○

9 Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz (1992), S. 10. 10 Vgl.: Innenminister des Landes Schleswig-Holstein (1992), S. 2. 11 Vgl.: Biemann/Stein (1989), S. 5. 12 Vgl.: Assheuer/Sarkowicz (1990), S. 35 und Backes /Jesse (1989/1990), S. 89. 13 Vgl.: Assheuer/Sarkowicz (1990), S. 35 und Huhn (1986), S. 78. 14 Vgl.: Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (1997), S. 118. 15 Vgl.: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz (1992), S. 11. 16 Vgl.: Bayerisches Staatsministerium des Innern (1997): S. 45 und Schmidt (1997), S. 32. 32 Am rechten Rand 4 /98

der publizistischen und politischen Dominanz Landtagswahl 1986 als auch bei der Bundestags- von Frey unterzuordnen. Hieraus zog der DVU- wahl 1987 zur Wahl der „Nationaldemokraten“ Vorsitzende 1979 die Konsequenzen und leitete aufrief. Die „Nationaldemokraten“ befanden sich die Auflösung des Bündnisses im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt im Niedergang: Seit 1983 Restrukturierung seiner Anhängerschaft ein.17 liefen ganze Kreisverbände zu den neugegründe- ten „Republikanern“ über. Diese Schwäche wollte So wurden als Vorfeldorganisationen der DVU Frey dazu nutzen, um auf diese Einfluß zu gewin- „Aktionsgemeinschaften“ gegründet oder nach nen und sie für seine Interessen einzuspannen. vorheriger Selbständigkeit aufgesogen: die „Volks- Mit Erfolg: Schon im März 1986 vereinbarten bewegung für Generalamnestie“ (1979), die „Ak- Martin Mußgnug, NPD-Vorsitzender, und der tion Oder-Neiße“ (1980), die „Initiative für Auslän- DVU-Vorsitzende eine Kooperationsvereinbarung, derbegrenzung“ (1980), die „Aktion deutsches die am 2.4.1987 von den Präsidien der „National- Radio und Fernsehen“ (1981), der „Ehrenbund demokraten“ und der am 5.3.1987 von Frey ge- Rudel – Gemeinschaft zum Schutz der Frontsolda- gründeten Partei „Deutsche Volksunion – Liste D“ ten“ (1983) und der „Schutzbund für Volk und beschlossen wurde. Die DVU-Liste D sollte die Kultur“ (1984). Diese Organisationen dienen der finanziellen Mittel aufbringen, die NPD die Hand- finanziellen und ideellen Unterstützung der In- arbeit vor Ort leisten. Mal sollte die DVU-Liste D, teressen ihres Mentors Frey, in denen weder kon- mal die NPD kandidieren, nie beide gleichzeitig. tinuierliche Willensbildung noch politische Akti- Die Wahllisten wurden in einem Reißverschluß- vität stattfindet. Die Anziehungskraft und Gefähr- verfahren besetzt, so daß sich auf den Listen lichkeit dieser „Aktionsgemeinschaften“ besteht immer auch die nicht angetretene Partei wieder- darin, daß sich ihre Aussagen nur auf Teilberei- fand. Beide Parteien legten großen Wert darauf, che rechtsextremer Agitation beziehen und bei daß sie trotz ihrer Kooperation ihre organisato- isolierter Betrachtungsweise vielfach nicht er- rische Eigenständigkeit bewahren wollten.19 kennen lassen, welche Grundhaltung hinter an- scheinend unverfänglichen – auch Nichtextre- In einigen Landesverbänden der „Nationaldemo- misten vermittelbaren – Forderungen steht. Wenn kraten“ formierte sich zunehmender Widerstand eine Person, die sich nur für ein bestimmtes The- gegen das Bündnis mit der DVU-Liste D: Gerhard ma interessiert, erst einmal Mitglied einer Ak- Frey wolle daraus nur seinen persönlichen Vorteil tionsgemeinschaft ist, wird sie schnell an die DVU ziehen, auch werde von ihm eine Auflösung der insgesamt herangeführt und letztendlich auch für NPD durch Fusion mit der DVU-Liste D betrieben. sie rekrutiert.18 Der krasse Widerspruch zwischen der vereinbar- ten partnerschaftlichen, arbeitsteiligen Zusam- Parteipolitisches Engagement menarbeit der beiden Parteien und dem starken Gerhard Frey erklärte 1986, daß das Ausbleiben Mißtrauen der einen Parteibasis gegenüber der der versprochenen „Wende“ und das „völlige Ver- anderen führte zur Beendigung der Kooperation, sagen der Regierung Kohl“ in den Feldern der die sich am 16.12.1991 in der Umbenehnnung Deutschland- und Ostpolitik, der inneren Sicher- der DVU-Liste D in DVU auch formal manifestier- heit sowie der Begrenzung des Ausländerzuzu- te.20 ges die Gründung einer neuen Partei erfordere. Programmatik Allerdings wollte Frey keine Zeit dabei verlieren, eine eigene Parteiorganisation aufzubauen. Statt- Das Programm der „Deutschen Volksunion“ ist dessen betrieb er eine deutliche Annäherung an bewußt allgemein gehalten, die rechtsextreme

die NPD, indem er sowohl bei der Bayerischen Grundhaltung der Partei ist nicht ohne weiteres

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17 Vgl.: Assheuer/Sarkowicz (1990), S. 34 und Backes/Jesse (1989/1990), S. 89. 18 Vgl.: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz (1992), S. 10-11, Stöss (1989), S. 186 und Pfahl-Traughber (1993), S. 58. 19 Vgl.: Innenminister des Landes Schleswig-Holstein (1992), S. 2, Pfahl-Traughber (1993), S. 60-61, Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz (1992), S. 1-2 und Stöss (1989), S. 188. 20 Vgl.: Innenminister des Landes Schleswig-Holstein (1992), S. 2 und Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz (1992), S. 7. Am rechten Rand 4 /98 33

erkennbar. Obwohl es keine Forderungen nach Abhängig von Gerhard Frey einem völkisch geprägten Führerstaat im Sinne Fast jede wichtige Entscheidung wird in der „Deut- eines Neo-Nationalsozialismus enthält, ist es ex- schen Volksunion“ von Gerhard Frey getroffen, trem national-konservativ ausgerichtet und weist selbst engste Mitarbeiter führen die von ihm eine fatale Nähe zum Programm der NSDAP vom getroffenen Entscheidungen lediglich aus. Inner- 25.2.1920 auf. In 25 ebenfalls meist kurzen Kapi- parteiliche Kritik an der Dominanz des Bundes- teln werden bei den Nationalsozialisten“ fast die- vorsitzenden hat kaum eine Chance, verfügt die- selben Themenbereiche abgehandelt, identisch ser doch über die entscheidenen organisatori- beginnend mit der Homogenität Deutschlands schen Kompetenzen, kontrolliert die der Organi- und der Forderung nach einer Gleichbehandlung sation zuzurechnende Presse und verfügt über gegenüber anderen Nationen. Auch die NSDAP den Faktor, der die DVU erst handlungsfähig wollte nur für „deutsche Volksgenossen“ politi- macht: Kapital.23 So finanziert Gerhard Frey die sche Rechte gelten lassen, sie sah ebenfalls Partei- DVU durch Kredite, die sich 1998 auf über acht en und Parlamente als Gefahr für die Rechte der Millionen Mark belaufen, alleine 1996 mußte die Bürger an. Weitere Ähnlichkeiten finden sich bei „Deutsche Volksunion“ 418.000 DM Zinsen an den Aussagen zur „Volksgesundheit“ und zur ihren Vorsitzenden Zahlen. Diese Situation si- „Schaffung einer deutschen Presse“. Neben die- chert die Führungsrolle von Frey: mögliche Nach- sen Übereinstimmungen gibt es auch Unterschie- folger würden einer überschuldeten „Parteiruine“ de in manchen Details, wobei der wichtigste in der vorstehen.24 Sprache liegt, welche im DVU-Programm wesent- lich konzilianter und hinsichtlich einer verfas- Die Finanzressourcen des am 18.02.1933 in Cham sungsrechtlichen Bewertung unverfänglicher ist.21 geborenen promovierten Rechts- und Staatswis- senschaftlers Gerhard Frey entstammen seiner Die rechtsextreme Grundhaltung der „Deutschen Unternehmensgruppe, für welche die im Famili- Volksunion“ ergibt sich viel deutlicher aus den enbesitz befindlichen Frey-Kaufhäuser den Aus- Inhalten ihrer publizistischen Sprachrohre Deut- gangspunkt bildeten. Hinzu kommen der Druck- sche National-Zeitung und Deutsche Wochen- schriften- und Zeitungsverlag GmbH - hier er- Zeitung/Deutscher Anzeiger. Dort werden in ei- scheinen die Deutsche National-Zeitung und die ner dichten Abfolge von Schlagzeilen und Artikeln Deutsche Wochen-Zeitung, deren wöchentliche mit subtilen Methoden antisemitisch gefärbte Auflage vom Verfassungsschutz auf insgesamt Botschaften verbreitet, systematisch Versuche etwa 60.000 Exemplare geschätzt wird - sowie unternommen, in revisionistischer Absicht die der Freiheitliche Zeitungsverlag GmbH, welcher geschichtliche Einmaligkeit des nationalsoziali- nationale Literatur mit dem Schwerpunkt Zweiter stischen Holocaust durch eine Gegenüberstellung Weltkrieg vertreibt und zu dem auch der Reise- mit Verbrechen anderer Völker zu relativieren dienst Deutsche Reisen gehört. Zum Besitz von und demokratische Politiker mit dem Ziel diffa- Frey und Familie gehören darüber hinaus allein miert, das Vertrauen in der Bevölkerung gegen- in Westberlin mehr als 20 Mietshäuser und min- über den gewählten Repräsentaten zu erschüt- destens 80 weitere Immobilien u.a. in Ostberlin, tern, um damit letztendlich die freiheitliche de- München, Lübeck und in den neuen Bundeslän- mokratische Grundordnung als Ganzes in Miß- dern. Anfang der neunziger Jahre wurde das Ver- kredit zu bringen.22 mögen des DVU-Bundesvorsitzenden auf rund

500 Mio DM geschätzt.25 ○○○○○○○○

21 Vgl.: Innenminister des Landes Schleswig-Holstein (1992), S. 3 und Gessenharter (1991), in: Frankfurter Rundschau vom 12.10.1991. 22 Vgl.: Bundesministerium des Innern (1997), S. 126-127, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (1997), S. 63-64 und Sächsisches Staats- ministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (1997), S. 31. 23 Vgl.: Pfahl-Traughber (1993), S. 57. 24 Vgl.: Schimmöller (1998), in: Der Spiegel vom 04.05.1998, S. 31. 25 Vgl.: Linke (1994), S. 67-79 und Schmidt (1997), S. 69-74. 34 Am rechten Rand 4 /98

2. Die Parteiorganisation Neue Entwicklungen: Stammtische und Internet Die „Deutsche Volksunion“ war 1996 zusammen mit den „Republikanern“ die mitgliederstärkste Unterhalb der Landesebene sind laut Satzung rechtsextreme Partei in der Bundesrepublik, wo- Kreisverbände vorgesehen, auch ist die Grün- bei bei der DVU einschränkend angemerkt wer- dung von Bezirks- und Ortsverbänden möglich. den muß, daß bei den Mitgliederzahlen alle „na- Soweit diese formal bestehen, findet dort keine tional-freiheitlichen“ Organisationen – also auch kontinuierliche Verbandsarbeit statt, die eigent- Verein und Aktionsgemeinschaften – Berücksich- liche Parteiarbeit wird von der Münchner Bun- tigung finden, die über die Satzungen eng mit- deszentrale geleistet.27 Allerdings wurde in letzter einander verknüpft sind. Die Mitgliederentwick- Zeit bundesweit die Schaffung von Stammtischen lung der DVU ist für die letzten Jahre als stark vorangetrieben, welche in der Regel monatlich rückläufig zu bezeichnen, von 1994 bis 1996 ging stattfinden. Anfang 1998 existierten bundesweit die Zahl der Mitglieder von 20.000 auf 15.000 zu- 40 solcher Stammtische, hiervon lediglich acht in rück. Dieser Rückgang resultiert insbesondere den fünf neuen Ländern. Interessant ist hierbei aus dem Ausbleiben der Wahlerfolge in Bremen die Entwicklung in Sachsen-Anhalt, wo seit Ja- (1995) und Schleswig-Holstein (1996), aber auch nuar 1998 vier solcher Treffpunkte bestehen, wel- aus der Unzufriedenheit einiger Mitglieder mit che als Anlaufstelle für potentielle Wahlhelfer im dem selbstherrlichen Führungsstil des Bundes- Landtagswahlkampf eine nicht zu unterschät- vorsitzenden. Es bleibt abzuwarten, ob der Wahl- zende Rolle gespielt zu haben scheinen. Anson- erfolg der rechtsextremen Partei in Sachen-An- sten liegt der Schwerpunkt eindeutig in Bremen, halt (1998) zu einer Wende bei der Mitgliederent- Hamburg, Niedersachen und Nordrhein-West- wicklung führt. falen. Allein in Hamburg bestehen mittlerweile Ihre erste Gliederung auf Landesebene gründete fünf „Klönschnacks“ vor allem in den Stadtbe- die DVU 1987 in Bremen, mit dem Landesver- zirken, wo die DVU in die Bezirksversammlungen band Nordrhein-Westfalen konnte 1989 der Auf- eingezogen ist. Dieses deutet darauf hin, daß bau in Westdeutschland abgeschlossen werden. DVU-Fraktionen und -Parlamentsgruppen als Nach Herstellung der Deutschen Einheit verlief Basis für den Aufbau von Parteistrukturen die- 28 der organisatorische Aufbau in den neuen Bun- nen. desländern sehr schleppend, dennoch konnten Seit 1997 ist die „Deutsche Volksunion“ über eine dort in den Jahren 1991 und 1992 flächendek- Homepage ihrer Landesverbände Niedersachsen kend Landesorganisationen formal gegründet wer- und Nordrhein-Westfalen im Internet vertreten. den. Einschränkend muß hier angemerkt wer- Neben der Informationsvermittlung dient das den, daß die ostdeutschen Landesverbände mit Internet der Partei insbesondere zur Koordinie- Ausnahme von Berlin und Sachsen 1996 über 50 rung ihrer Aktivitäten sowie dem Ausbau ihrer oder weniger Mitglieder verfügten, was dokumen- Organisationsstrukturen: Unter der Rubrik „DVU- tiert, daß dort bisher keine funktionsfähigen Struk- Direkt“ finden sich die Anschriften der Partei turen aufgebaut werden konnten. Ein Blick auf die „auch in ihrer Nähe“, über Stammtische und Ver- Entwicklung von 1992 bis 1996 zeigt in Ost- anstaltungen wird bei „DVU-Veranstaltungen“ deutschland einschließlich Berlin überdurch- informiert. Beim Landtagswahlkampf 1998 in schnittliche Verluste auf niedrigem Niveau: Dort Sachsen-Anhalt suchte die „Deutsche Volksunion“ gingen die Mitglieder von 3.300 auf 1.270 um 61,5 erstmalig via Internet nach Wahlhelfern. So wird Prozent zurück, während der Rückgang im We- diese Informationstechnologie systematisch zur sten 38,7 Prozent (von 20.000 auf 12.260) be- Überwindung der Organisationsschwäche ge-

trug.26 nutzt.29

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26 Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder für die Jahre 1992 bis 1997. 27 Vgl.: Schmidt (1997), S. 59. 28 Vgl.: Deutsche National-Zeitung vom 17.10., 24.10., 7.11., 28.11. und 12.12.1997 sowie die Internet-Seiten der DVU-Landesverbände Niedersach- sen und Nordrhein-Westfalen (http://www.dvu.net /treffen.htm). 29 Vgl.: http://www.dvu.net /index.html. Am rechten Rand 4 /98 35

3. Wahlteilnahmen Bayern verzichtete die Partei darauf, an der Land- tagswahl 1998 teilzunehmen, da dort die CSU Die DVU nimmt seit 1987 regelmäßig an Wahlen bereits einen Rechtsruck vollzogen habe.32 teil, wobei sie zumindest in Norddeutschland so- wohl auf kommunaler als auch auf Landesebene 4. Wählerstruktur zahlreiche Mandate erringen konnte: Bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft Bremische Bürgerschaftswahl 1987 = 3,4 Pro- 1987 erzielte die DVU-Liste D ihre besten Ergeb- zent (Landtag 3, Bremerhavener Stadtverord- nisse in Ortsteilen mit niedrigem sozialen Status, netenversammlung 2 Sitze); welche überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit, Armut und Unterversorgung betroffen waren, wo Bremische Bürgerschaftswahl 1991 = 6,2 Pro- ein hoher Anteil von Arbeitern, Erwerbslosen und zent (Landtag 6, Bremer Stadtbürgerschaft 4, Sozialhilfebeziehern wohnen. Der Ausländeran- Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung 5 und Stadtbremische Beiräte 11 Sitze); teil hatte – so die Analysen – auf das Wählervo- tum keinen Einfluß. Mehr als die Hälfte der Wäh- Landtagswahl Schleswig-Holstein 1992 = 6,3 ler waren 60 Jahre und älter, mit zwei Dritteln Prozent (6 Sitze); waren Männer deutlich überrepräsentiert. Auf- Hamburger Bürgerschaftswahl 1993 = 2,8 Pro- fällig war das schlechte Abschneiden der DVU- zent (Bezirksversammlungen 2 Sitze); Liste D bei jungen Leuten: weniger als fünf Pro- zent der Stimmen kamen von Wahlberechtigten Bremische Bürgerschaftswahl 1995 = 2,5% bis 25 Jahre.33 Bei den Wahlen zur Bremischen (Stadtbremische Beiräte 6 Sitze); Bürgerschaft 1991 ergab sich insbesondere bei Wahl zur Bremerhavener Stadtverordnetenver- der Altersstruktur der Wähler eine wesentliche sammlung 1995 = 5,7% (3 Sitze); Veränderung. Erreichte die DVU-Liste D 1987 ih- Hamburger Bürgerschaftswahl 1997 = 4,9% re Höchstwerte bei den über 60jährigen, waren es (Bezirksversammlungen 13 Sitze); 1991 die jüngeren Wähler: Bei durchschnittli- chen 6,18 Prozent erzielten DVU und „Republika- Landtagswahl Sachsen-Anhalt 1998 = 12,9% ner“ bei den männlichen Jungwählern 17,6 Pro- (16 Sitze). zent. Darüber hinaus fiel auf, daß die Hochburgen der Rechtsextremisten einen überdurchschnitt- So ist die „Deutsche Volksunion“ seit 1987 unun- lichen Ausländeranteil, einen hohen Anteil von terbrochen in Volksvertretungen präsent, aller- Arbeitern sowie eine im Durchschnitt geringe dings zeitweise nur auf kommunaler Ebene.30 formale Bildung der Einwohner aufwiesen.34 Die- Bisher investierte die Partei nur dort in Wahl- se Wählerstruktur bestätigte sich insbesondere kämpfe, wo sie mit einer Beteiligung an der vom bei den Wahlen in Schleswig-Holstein (1992)35 Wahlergebnis abhängigen staatlichen Parteien- und Hamburg (1997). finanzierung gemäß § 19 Parteiengesetz rechnen konnte. Diese belief sich 1996 auf 921.233,82 DM, Ein ähnliches Wählerprofil ergab sich auch bei im folgenden Jahr auf 884.310,69 DM.31 Obwohl den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am die DVU 1998 zunächst nur in Sachsen-Anhalt bei 26.4.1998. Der typische DVU-Wähler war jung, Wahlen antreten wollte, hat sie ihr dortiger Erfolg männlich, Arbeiter, Auszubildener oder arbeits- kurzfristig im Mai 1998 dazu veranlaßt, sowohl los. Bei durchschnittlichen 12,9 Prozent kam die bei der Landtagswahl 1998 in Mecklenburg-Vor- DVU bei den unter 18- bis 24jährigen auf 28 Pro- pommern, der Bundestagswahl 1998 als auch bei zent, bei den Männern dieser Altersgruppe sogar

der Europawahl 1999 anzutreten. Lediglich in auf 32 Prozent. Überdurchschnittlich schnitt die ○○○○○○○○

30 Vgl.: Schmidt (1997), S. 40. 31 Vgl.: http://www.bundestag.de/datbk/pf_dvu.htm. 32 Vgl.: Deutsche National-Zeitung vom 8. und 15. Mai 1998 und O.V. (1998), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.5.1998. 33 Vgl.: Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen (1989), S. 16-31. 34 Vgl.: Schmidt (1997), S. 161. 35 Vgl.: Schmidt (1997), S. 94-95. 36 Am rechten Rand 4 /98

Partei auch bei den Arbeitslosen (19 %) und Arbei- nuskripte. Altermann verweigerte sich der haus- tern (23 %), am schlechtesten bei den Rentnern halts- und finanzpolitischen Diskussion, was auf- mit weniger als fünf Prozent ab.36 Die Wahlfor- grund der angespannten Finanzlage Bremens be- scher stellen einschränkend fest: „Allerdings sind sonders unverständlich war, aber wohl Ausfluß die meisten nicht verbohrte Ideologen, sondern der Überforderung des Abgeordneten war.39 Protestwähler. Die Plakate der DVU: ‚Diesmal An der Qualität der Parlamentsarbeit der DVU än- Protest wählen‘ und ‚Laß dich nicht zur Sau ma- derte sich auch 1991 nichts, als sie in Fraktions- chen‘ haben ihren Nerv getroffen. Die wenigsten stärke in die Bremische Bürgerschaft einzog. Den trauen den von ihnen gewählten radikalen Par- größten Teil ihrer Energie steckte die Fraktion in teien die Lösung der Probleme zu; dazu wären Reden im Plenum der Bürgerschaft, wobei aller- sogar nach ihrer Meinung andere Parteien eher dings Landes- und Kommunalpolitik kaum eine geeignet, sofern sie sich nur für den kleinen Mann Rolle spielten: Die Themenliste der Wortbeiträge einsetzten.“37 war extrem beschränkt, nach kürzester Zeit kam An dieser Stelle sei angemerkt, daß die DVU als man auf die Themen Ausländer und Asyl zu anti-intellektuell – hier sei u.a. an die Parolen- sprechen. Die DVU-Abgeordneten waren nicht an Wahlkämfe erinnert - gekennzeichnt werden kann. konkreten Problemlösungen interessiert, zu den Beispielhaft sei eine Überschrift in der Deutschen für jedes Landesparlament wichtigen Themen- National-Zeitung vom 24.4.1998 zitiert: „Immer feldern Verkehr, Finanzen, Wirtschaft und Um- nur Akademiker und Beamte in die Parlamente?“ welt wurde sich nicht geäußert. Die selbe Themen- Dieses schlägt sich auch in der Wählerstruktur palette fand sich auch in den Anträgen der Rechts- wieder, in der beispielsweise Akademiker stark extremisten wieder, welche überwiegend in Mün- unterrepräsentiert sind. So wählten arbeitslose chen verfaßt, nach Bremen gefaxt und dort nur Akademiker in Sachsen-Anhalt überwiegend noch form- und fristgerecht eingebracht werden PDS! 38 mußten. In einigen Ausschüssen waren die Ver- treter der „Deutschen Volksunion“ überhaupt nicht 5. Die bisherige Parlamentsarbeit anwesend, in anderen selten. Wenn sie anwesend waren, schwiegen sie. Nachfragen stellten die gro- Bremen ße Ausnahme dar. Insgesamt kann hier von einer Mit dem 1925 geborenen Schiffsbauingenieur a.D. Arbeitsverweigerung in den Ausschüssen gespro- und Kriegsveteran der Marine Hans Altermann chen werden.40 Darüber hinaus machte die DVU- zog 1987 der erste Abgeordnete der DVU-Liste D Fraktion durch die Zweckentfremdung öffentli- in ein Parlament ein. Der sowohl parlamentarisch cher Mittel auf sich aufmerksam. So stellte der wie auch politisch völlig unerfahrene Rentner be- Bremische Staatsgerichtshof im Oktober 1996 in schränkte sich im wesentlichen darauf, seinen seinem Urteil fest, daß für rund 144.000 DM Zei- dürftigen Kenntnisstand durch Anfragen zu ver- tungserzeugnisse beim DVU-Bundesvorsitzenden bessern. Wenn Altermann überhaupt Anträge Frey erworben wurden, was eine unzulässige stellte, waren sie fast immer formal unzulässig Parteienfinanzierung darstellt. Darüber hinaus oder wurden als inhaltlich unbedarft bzw. dema- seien 207.000 DM an Sachverständige und Ho- gogisch zurückgewiesen. Insbesondere bei sei- norarkräfte gezahlt worden, ohne daß hierfür Be- nen Debattenbeiträgen – Schwerpunkte waren lege vorgelegt werden konnten oder Arbeitser- die Ausländer- und Asylpolitik – war der Abgeord- gebnisse sichtbar gewesen wären. So wurde die nete von der DVU-Bundeszentrale abhängig: Er DVU-Fraktion bzw. -Gruppe zur Rückzahlung

verlas in der Regel in München erstellte Redema- von 262.000 DM verurteilt.41 Hervorzuheben ist

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36 Vgl.: Deutsche Presseagentur (1998), in: Frankfurter Rundschau vom 28.4.1998. 37 Reumann (1998), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.4.1998. 38 Vgl.: Deutsche Presseagentur (1998), in: Frankfurter Rundschau vom 28.4.1998. 39 Vgl.: Butterwegge/Meier (1997), S. 76-123. 40 Vgl.: Grabler/Kuhn (1993), S. 9-10 und Schmidt (1997), S. 164-173. 41 Vgl.: Stengel (1996), in: Frankfurter Rundschau vom 21.10.1996. Am rechten Rand 4 /98 37

der rasche Zerfall der DVU-Fraktion: Kurz nach daß sie sich an der inhaltlichen Ausschußarbeit so der Wahl, im Oktober 1991 verließ Hans Alter- gut wie gar nicht beteiligt haben. Die DVU-Frak- mann als erster Abgeordneter die Fraktion, mit tion brachte eine sehr große Zahl von Parlaments- dem Austritt von Peter Nennstiel im Januar 1993 initiativen – bis zu 32 in nur einem Monat – in den verlor die „Deutsche Volksunion“ ihren Fraktions- Landtag ein, welche den Kieler Abgeordneten per status. Die Abgeordneten begründeten ihren Fax aus der Münchner DVU-Bundeszentrale zu- Schritt vor allem mit der Bevormundung der geleitet wurden. Der Historiker Michael Salewski Fraktion durch die DVU-Bundeszentrale.42 erkannte in diesem Vorgehen starke Ähnlichkei- Seit der Bürgerschaftswahl 1995 verfügt die DVU ten mit der Parlamentsarbeit der Nationalsoziali- in Bremen nur noch über kommunalpolitische sten, die ebenfalls eine große Anzahl von Anträ- Mandate. So ist sie derzeit mit jeweils einem gen einbrachten, verbunden mit dem Ziel, das Vertreter in sechs stadtbremischen Beiräten ver- Parlament durch Überlastung zu blockieren und 44 treten, welche bisher kaum an der Arbeit teilge- als „Quasselbude“ zu diffamieren. Wie in Bre- nommen haben, in Einzelfällen nicht einmal er- men so kam es auch in Schleswig-Holstein bei der schienen sind.43 In Bremerhaven ist die „Deutsche DVU-Fraktion zu finanziellen Unregelmäßigkei- Volksunion“ noch mit einer dreiköpfigen Gruppe ten. Bei einer Sonderprüfung beanstandete der in der Stadtverordnetenversammlung präsent, Landesrechnungshof das Schalten von Anzeigen welche ihre altbekannten Themen „Altparteien“ in Blättern von Gerhard Frey (181.000 DM), die ko- und Ausländer mit örtlichen Problemen verknüpft, stenlose Verteilung von Werbeexemplaren Freys was allerdings nicht dazu geführt hat, daß sich die (100.000 DM), die Beschaffung von Wappen, Wim- Rechtsextremisten zu einem bedeutsamen kom- peln und Videos aus Unternehmen Freys für ei- munalpolitischen Faktor entwickelt haben. nen fünfstelligen Betrag sowie teilweise überhöh- te Gehälter für Beschäftigte der Fraktion. Die Schleswig-Holstein Kieler Staatsanwaltschaft stellte allerdings die Überraschend zog die DVU 1992 auch in den Ermittlungen gegen die ehemaligen DVU-Abge- Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. Ähnlich ordneten ein, da der Druck aus der Münchner wie in Bremen beteiligten sich die rechtsextremen Parteizentrale so groß gewesen sei.45 Gerade 1992 Abgeordneten auch in Kiel kaum an der parla- in den Landtag eingezogen, löste sich die rechts- mentarisch-inhaltlichen Auseinandersetzung, zu extreme Fraktion nach dem Übertritt von zu- Fachfragen bzw. zur eigentlichen Landespolitik nächst drei Abgeordneten zur „Deutschen Liga blieben konstruktive Beiträge aus. In den Reden für Volk und Heimat“ am 26.5.1993 auf – wie auch spielten Ausländer stets die zentrale Rolle: Selbst in Bremen wegen der Bevormundung durch die wenn das diskutierte Thema überhaupt keinen Münchner DVU-Bundeszentrale.46 Bezug zum Bereich Ausländer hatte, versuchte Hamburg die „Deutsche Volksunion“, wieder zu diesem Thema zu kommen, was teilweise zu kuriosen Bereits 1993 zog die „Deutsche Volksunion“ mit und makabren Reden geführt hat. So wurden zwei Abgeordneten in die Bezirksversammlung Ausländer, insbesondere Asylbewerber, für fast Bergedorf ein, wo sie sich über Jahre weder mit alle Probleme des Landes verantwortlich gemacht. Anträgen noch über Anfragen an der politischen Bei der Ausschußarbeit ist anzumerken, daß die Arbeit beteiligt hat. Erst seit 1996 hat sie einige Rechtsextremisten recht häufig fehlten. Wenn sie Anträge gestellt, die mit der Bezirkspolitik nichts an den Sitzungen teilnahmen, meldeten sie sich zu tun hatten und die offensichtlich von der DVU-

fast nie zu Wort, so daß festgestellt werden muß, Bundeszentrale vorgefertigt worden waren.47 ○○○○○○○○

42 Vgl.: Butterwegge/Meier (1997), S. 86-91 und Grabler/Kuhn (1993), S. 6-8. 43 Schreiben von Erich Röper, Geschäftsführer der CDU-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, an den Autor vom 15.4.1997. 44 Vgl.: Schmidt (1997), S. 102-126. 45 Vgl.: Höver (1995), in: Das Parlament vom 24.11.1995 und Christen (1996), in: Holsteinischer Courier vom 08.6.1996. 46 Vgl.: Schmidt (1997), S. 135-144. 47 Vgl.: Brinkmeier/Geisler (1997), in: Hamburger Abendblatt vom 23.09.1997. 38 Am rechten Rand 4 /98

Seit September 1997 ist die DVU mit insgesamt 13 6. Eine ernstzunehmende Gefahr für die Abgeordneten in den vier Bezirksversammlun- Demokratie? gen Bergedorf, Harburg, Mitte und Wandsbek vertreten, die bei Sitzungen – auch in den Aus- Bisher hat es die „Deutsche Volksunion“ trotz ih- schüssen – nur sehr selten fehlen. Während die rer Abgeordneten in Landesparlamenten und Rechtsextremisten in den Sitzungen der Versamm- Kommunalvertretungen nicht geschafft, das poli- lungen regelmäßig vorgefertigte Texte verlesen, tische System zu schwächen oder ein bedeutsa- schweigen sie – scheinbar wegen Überforderung mer Faktor im politischen Geschäft zu werden. – in den Fachausschüssen. In ihren Anträgen Dieses lag in erster Linie an der Kontrolle bzw. behandeln die rechtsextremen Fraktionen über- Fernlenkung der Abgeordneten vor Ort durch die wiegend bezirkliche Angelegenheiten wie Lärm- Münchner Parteizentrale, wo die Verantwort- schutz oder aber auch Ampelschaltungen, aller- lichen – abgesehen von den Hamburger Bezirks- dings findet sich in den DVU-Initiativen auch die versammlungen – nicht in der Lage waren, eine altbekannte Propaganda wieder: Es wird über ortsbezogene Politik vorzubereiten. Da sich in der mangelnde Sozialverträglichkeit bei der Unter- Folge dieser Tatsache Redebeiträge oder auch bringung von Sinti und Roma geklagt,48 auch wird Anträge vorwiegend mit Themen befaßten, die über Roma-Kinder berichtet, die für Einbrüche außerhalb der jeweiligen Kompetenzen der Par- ausgebildet und eingesetzt würden.49 Ausländer lamente lagen, verpaßten die rechtsextremen Ab- seien eine Ursache für jugendliche Gewalt,50 auch geordneten durch den Mangel an ortsspezifischen würden „endlose Abschiebeverfahren ausländi- Know-how die Chance, auf konkrete Politik vor scher Straftäter“ auf immer weniger Verständnis Ort Einfluß zu gewinnen. In Situationen, wo die in der Bevölkerung stoßen.51 Selbst auf der Ebene DVU z.B. durch das Einbringen einer großen Zahl der Bezirksversammlungsfraktionen ist die Kon- von Parlamentsinitiativen die Landtagsarbeit blok- trolle durch die DVU-Bundeszentrale sicherge- kieren wollte, um den Nachweis zu erbringen, stellt: Der Hamburger Landesvorsitzende Hein- daß Parlamente keine Probleme lösen könnten, rich Gerlach, zugleich Vorsitzender der DVU- verhinderte das gemeinsame und routinierte Rea- Fraktion in Wandsbek, ist enger Vertrauter von gieren aller demokratischen Fraktionen einen Gerhard Frey und koordiniert die Arbeit an der Erfolg dieser Strategie, indem sie in einer konzer- Elbe. Die beabsichtige Einrichtung nur einer Frak- tierten Aktion stets gemeinsam die deutliche Ab- tionsgeschäftsstelle für alle vier Hamburger Frak- grenzung zu den Extremisten herausgestellt ha- tionen erleichtet durch die somit geschaffene zen- ben. Auch wenn die DVU jetzt mit 16 Abgeordne- tralistische Struktur die Überwachung der Arbeit ten in den Magdeburger Landtag eingezogen ist, der rechtsextremen Abgeordneten in den jewei- sollte man die daraus resultierende Gefährdung ligen Bezirken noch zusätzlich.52 Für Hamburg für unsere freiheitliche demokratische Grundord- muß hervorgehoben werden, daß es dort die nung angesichts der Qualifikationen der neuen „Deutsche Volksunion“ erstmalig geschafft hat, Abgeordneten nicht zu hoch einschätzen: „Die eine Politik zu konzipieren, die auf die örtlichen DVU schickt eine skurile Truppe in den Magde- Gegebenheiten ausgerichtet ist. burger Landtag. Vom mutmaßlichen Stasi-IM bis zum verurteilen Pistolenschwinger ist alles da- bei.“ 53 Da sollte es den anderen Fraktionen nicht schwer fallen, sich als bessere Alternative darzu-

stellen. ■

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48 Vgl.: Bezirksamt Wandsbek (1998): Vorlage 15/0415 vom 30.3.1998. 49 Vgl.: Bezirksamt Wandsbek (1997): Vorlage 15/0199 vom 11.12.1997. 50 Vgl.: Bezirksamt Mitte (1997): Drucksache 16/15/97 vom 29.10.1997. 51 Vgl.: Bezirksamt Wandsbek (1998): Vorlage 15/0312 vom 23.1.1998. 52 Vgl.: Schreiben des Senatsamtes für Bezirksangelegenheiten an die Bürgerschaftskanzlei, die Justizbehörde und die Bezirksämter vom 09.03.1998. 53 Schimmöller (1998b), in: Der Spiegel vom 4.5.1998, S. 32. Am rechten Rand 4 /98 39

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Rezensionen

Adolf-Grimme-Institut (AGI): Medienpaket „Rechts- einer gleichnamigen Fachtagung des Adolf- radikalismus und Fernsehen“. Marl: Adolf-Grim- Grimme-Instituts zu Karriereverläufen rechter me-Institut, 1996. und rechtsgerichteter Jugendlicher in spezifischen Preise im Einzelnen (Kosten zzgl. Versand, Men- Medienumgebungen und Musikszenen. Sachkun- genrabatt auf Anfrage): dige Autorinnen und Autoren erörtern Darstel- lungsweisen des Rechtsextremismus in jugend- Gesamtpaket: 2 Themenhefte, 1 Buch, 6-teilige attraktiven Genres der Print-, Audio- und TV-Me- Videoedition (Materialien I bis IX), DM 250,–; dien sowie deren Auswirkungen auf (rechts- Printmedien: 2 Themenhefte, 1 Buch (Materialien orientierte) Heranwachsende. Das Themenheft I bis III), DM 50,–; „Mit neuen Medien gegen Neue Rechte“ (Materia- Videoedition: 6-teilige Videoedition (Materialien lien II; 95 Seiten) dokumentiert eine Konferenz IV bis IX), DM 210,–. des Marler Medieninstituts mit derselben Pro- grammatik. Expertinnen und Experten für digita- Zu beziehen über: Adolf-Grimme-Institut, Post- le, netzwerkgestützte sowie interaktive Medien fach 11 48, D-45741 Marl, Fax: 0 23 65/91 89 89. stellen Beispiele für die politische Bildungsarbeit Im Jahre 1996 legte das Adolf-Grimme-Institut im Umgang mit rechten und neonazistischen (AGI) in Marl, getragen vom Deutschen Volkshoch- Online-Agitationen vor. Ein Anhang mit Angaben schul-Verband e.V., das Medienpaket „Rechtsra- zu Literatur, Projekten und Adressen vervollstän- dikalismus und Fernsehen“ vor. Dieses – in vielen digt die Beiträge. In dem Sammelband „Zwischen Belangen richtungsweisende – Unternehmen re- Skandal und Routine?“ (Materialien III; 224 Sei- sultiert aus einem Projekt der Marler Medienfor- ten) untersuchen und bewerten Vertreterinnen scher, das vom Bundesministerium für Bildung, und Vertreter aus den Bereichen Journalismus, Wissenschaft, Forschung und Technologie (bmb+f) Regie, Medienwissenschaft, -kritik und -pädagogik unterstützt wurde. Das gesamte Medien- und historische und aktuelle fiktionale respektive non- Produktkonzept setzt sich aus neun Materialien, fiktionale Film- und Fernsehproduktionen, die sich sprich zwei Themenheften, einem Buch sowie mit Formen des Rechtsradikalismus befassen. einer sechtsteiligen Videoedition, zusammen. Darüber hinaus werden zentrale Gesichtspunkte Die aus drei Teilen bestehenden Printmedien des der Medienwirkungsforschung und -pädagogik Paktes bieten Analysen, Dokumentationen und erläutert. Evaluationen zum Themenkomplex Gesellschaft Die sechsteilige Videoedition (VHS) mit farbigem – Rechtsextremismus – Medien. Sie ermöglichen, AV-Material vermittelt in guter technischer Qua- je nach Rahmenbedingung, Einsatzgebiet, Er- lität Eindrücke von Rechtsextremismus-Darstel- kenntnisinteresse sowie Lernziel, einführende, lungen in diversen Genres und Sujets. Ferner bie- vertiefende und/oder ergänzende Auseinander- ten die berücksichtigten Exempla beste Voraus- setzungen mit Ausprägungen des Rechtsradika- setzungen zur medienanalytischen sowie -kriti- lismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutsch- schen Reflexion auf Ansätze der Fernsehbericht- land. Ein Hauptaugenmerk richtet sich auf die erstattung, filmischen Dokumentation, Spielfilm- verschiedenen Funktionen der öffentlichen Aus- und Spotästhetik sowie -dramaturgie. Jedem Video- legung durch Medien, insbesondere durch das band ist eigens eine brauchbare Broschüre beige- Fernsehen, dem nach wie vor die Rolle des gesell- legt, die kontextuelle, analytische und didaktische schaftlichen Leitmediums zugeschrieben wird. Hinweise zum jeweiligen Thema zur Verfügung Das Themenbändchen „Chaos, Randale, Rechts- stellt. rock“ (Materialien I; 36 Seiten) vereinigt Beiträge 42 Am rechten Rand 4 /98

Das Tape „Berichterstattung über die Rostocker Ereignishaftigkeit jener fremdenfeindlichen Um- Pogrome – August 1992“ (Materialien IV; 9 Minu- triebe des Jahres 1992 hinausweist. Die Kassette ten) hat markante Ausschnitte aus drei Fernseh- „Dann eben mit Gewalt“ (Materialien IX; 82 Mi- produktionen (RTL, ZDF, ARD) zu diesen erschüt- nuten) hat einen mehrfach ausgezeichneten Spiel- ternden fremdenfeindlichen Aggressionen zum film von Rainer Kaufmann (ZDF/arte) mit einer Gegenstand. Die ausgewählten TV-Sequenzen ver- hochkarätigen Besetzung zum Inhalt. Das Werk anschaulichen, daß durch Anwendung bestimm- schildert die Geschichte einer politischen Verfol- ter Präsentationscodes unterschiedlich akzentu- gung im rechtsextremistischen Umfeld. Der Film ierte AV-Bilder zur Lage von Asylbewerbern und stellt sowohl individual- als auch gruppenpsy- Anwohnern in Rostock-Lichtenhagen erzeugt chologische Probleme von Eifersucht und Freund- werden. Das Video „Berichterstattung über Rech- schaft, Anpassungsdruck und Willensfreiheit, Haß te Gewalt“ (Materialien V; 37 Minuten) besteht und Liebe sowie Gewalt und Gewaltlosigkeit in aus vier Beiträgen aus politischen Fernsehmaga- den Vordergrund der Handlung. zinen öffentlich-rechtlicher sowie privatwirtschaft- Das Medienpaket „Rechtsradikalismus und Fern- licher Programmveranstalter (ARD, ZDF, RTL, sehen“ des Adolf-Grimme-Instituts vermag als ein SAT.1). Diese Beispiele beschäftigen sich mit vielseitig einsetzbares und sich ergänzendes Lehr- Aspekten des Entstehens und Umsichgreifens und Lernmittel zu überzeugen. Die in sich stimmi- von Rechtsextremismus und lassen kritische Zu- ge Konzeption eignet sich in besonderer Weise schauerinnen und Zuschauer nach dem bewuß- zur Aneignung von Medienkompetenz in den Be- ten und angemessenen Einsatz von dokumenta- reichen der schulischen und außerschulischen risch-informatorischen Stilmitteln im Fernsehen Bildungsarbeit, der politischen Fort- und Weiter- sowie deren Folgen und Konsequenzen fragen. bildung sowie der medientheoretischen, -kriti- Die Kassette „Medien gegen Rassismus“ (Materia- schen und nicht zuletzt -praktischen Schulung. lien VI; 7 Minuten) bietet fünf kurze Spots der Die Materialien gewähren aufschlußreiche Ein- gleichnamigen medien- und senderübergreifenden blicke in die Konzeption, Produktion und Rezep- Initiative „Medien gegen Rassismus“, womit sich tion von Film- und Fernsehbeiträgen. Dabei be- viele Prominente solidarisch erklärten. Diese Ex- schränken sie sich nicht darauf, lediglich Trends emplare befördern die Dialogbereitschaft über und Tendenzen in den journalistischen, doku- Gegensätze bzw. Zusammenhänge von Rassis- mentarischen und fiktionalen Genres und Sujets mus, Moralität, Emotionalität, Rationalität sowie medien- und gesellschaftskritisch zu betrachten, Medialität. Das Tape „Jugend-Videogruppen ge- sondern sie lassen zudem die Journalisten und gen Rassismus und Vorurteile“ (Materialien VII; Regisseure einzelner Filme sowie Fernsehsen- 11 Minuten) vereint fünf Spots von Jugendlichen. dungen selbst zu Wort kommen, wodurch die Die qualitativ hochwertigen Kurzbeiträge geben Übereinstimmung von Aussage und Werk über- treffliche Lehrmaterialien zur Auseinanderset- prüfbar ist. Somit wird eine Sichtweise auf das zung mit Rassismus-, Stigmatisierungsdiskursen Mediengeschehen, auf persönliche Motivationen, und Stereotypenbildungen ab. Des weiteren mo- Positionen sowie Interessen ermöglicht, die an- tivieren sie Jugendliche dazu, selbst in Form von sonsten eher verstellt ist. videogestützten Eigenproduktionen kreaktiv zu Die verschiedenen Materialien erschließen ein werden. breites Spektrum der Film- und Fernsehwirklich- Bei dem Videoband „Wer Gewalt sät – von Brand- keit hinsichtlich der Darstellung von Rechtsradi- stiftern und Biedermännern“ (Materialien VIII; 44 kalismus und Rassismus: angefangen von der Minuten) handelt es sich um eine beklemmende Entwicklung des Film- und Fernsehdokumenta- Fernsehdokumentation von Gert Monheim (WDR) rismus in Ost- und Westdeutschland über Doku- über den Ausbruch von Haß und Gewalt gegen- mentationen, Reportagen und tagesaktuelle Be- über Flüchtlingen in Rostock-Lichtenhagen. Es ist richterstattungen bis hin zu Fernsehspielen und ein hervorragendes Anschauungsstück über die Themenspots. Zu einer Einordnung in umfassen- politischen Zusammenhänge, das weit über die dere Zusammenhänge tragen die Übersichts- Am rechten Rand 4 /98 43

beiträge über die Rechstextremismusberichter- Helmut Reinalter/Franko Petri/Rüdiger Kaufmann stattung, zur Wirkungsforschung, zur Medien- (Hg.) Das Weltbild des Rechtsextremismus. Die nutzung sowie zur praktischen und reflektieren- Strukturen der Entsolidarisierung. Innsbruck/ den Medienpädagogik bei. Wien, 1998. (Studien-Verlag)

Alles in allem bietet das Medienpaket zahlreiche Der vorliegende Reader ist entstanden aus Semi- konstruktive Ansätze der Auseinandersetzung mit naren, Vorträgen, Workshops und Diskussionen, dem Thema Rechtsradikalismus. Solche ein- die der Senatsarbeitskreis der Leopold-Franzens drucksvollen Beispiele des Lernens und Arbeitens Universität Innsbruck zum Themenschwerpunkt im Medien- und Produktverbund – gerade gegen „Entsolidarisierung und Bedrohung der Demo- Rechtsextremismus und Rassismus bzw. für De- kratie. Bedingungen, Strukturen und Wirkungen mokratie und Toleranz – seien der Nachahmung rechtsextremen Denkens“ 1996 und 1997 ange- empfohlen. boten hat. Ein breites Spektrum an Themen wird Christian Filk angesprochen: Rechtsextremismus – Begriff, Tadi- tionen und Strukturen, das biologische Menschen-

bild des Rechtsextremismus, Irrationalismus, Eso- ○○ terik und Okkultismus im rechtsextremen Den- ken, die „Neue Rechte“ und der Revisionismus, Sprache und Medien, der akademische Rechts- extremismus, Entsolidarisierung und Gewalt ge- gen das „Fremde“. Im deutschsprachigen Raum findet man selten eine derartig komprimierte, mannigfache Erscheinungsformen und Struktu- ren des Rechtsextremismus umfassende, Analy- se. Die ersten drei Teile des Readers (Gesellschaft im Wandel, Rechtsextremismus: Begriff, Traditio- nen und Strukturen, Das biologische Menschen- bild des Rechtsextremismus) bieten durchaus be- kannte Tatsachen, gut aufbereitet, allerdings strek- kenweise in schwer verständlicher wissenschaft- licher Diktion. Aber der Band richtet sich ja auch in erster Linie an die akademische community.

Im vierten Teil (Das Weltbild des Irrationalismus) ragt der Beitrag von Karin Liebhart deshalb her- vor, weil man hierzulande nur wenig von den Bezügen des Rechtsextremismus zu Esoterik und Okkultismus liest oder hört. Die Autorin macht zu Recht auf bedenkliche Erscheinungen in der seit den achtziger Jahren populären „New Age“ und Esoterik Welle aufmerksam und thematisiert das verstärkte Auftreten von Geheimgesellschaften, neuheidnischen Bünden und die Verehrung ger- manischer Mythologie. Die Erwähnung von Ro- senkreutzern, Theosophie und Anthroposophie und den Produktionen Capras u.a. in diesem Zu- sammenhang ist sicherlich sehr kontrovers zu diskutieren, nützlich ist es allemal, auch auf ras- sistische und eurozentrische Elemente etwa im Denken Rudolf Steiners aufmerksam gemacht zu 44 Am rechten Rand 4 /98 haben oder die tendentiell fatalistischen Tenden- Redaktionelles zen in Capras neuem Wendezeit-Denken aufzu- zeigen. Für das Denken der „Neuen Rechten“, In der letzten Ausgabe (ARR 3/1997) wurde irr- (Teil 5) deren Begriff und Denken Heribert Schiedel tümlicherweise der Beitrag von Afred Schobert problematisiert und bei ihr ideenpolitisch eher „Geheimnis und Gemeinschaft“ abgedruckt, der „alt-rechte“ Positionen ausmacht, ist auch der bereits 1997 in der Festschrift für Siegfried Jäger „Ethnopluralismus“ als Gegenstand des „rassisti- (Wissenschaft macht Politik. Intervention in ak- schen bzw. neorassistischen Diskurses“ (Gero Fi- tuelle gesellschaftliche Diskurse, hrsgg. von Ga- scher) nicht unbedeutend. Wo Kulturen zu quasi- briele Cleve u.a., Münster, 1997) erschienen ist. biologischen Entitäten stilisiert und interkul- tureller Dialog als gefährliche „Vermischung“ und Wir bedauern dieses Versehen und werden den „Überfremdung“ denunziert werden, da entsteht ursprünglich vorgesehenen Beitrag von Alfred „Apartheid“ als Modell neuer Weltordung. Die Schobert „Graswurzelrevolution von rechts?“ mit Nutzung moderner Informations-u. Kommunika- Einverständnis des Autors zu einem späteren tionsmedien durch rechtsextremistische Kreise Zeitpunkt veröffentlichen. schreitet rasch fort und so ist der Beitrag von Peter Wir weisen darauf hin, daß der Beitrag von Armin Mayr im Teil 6 (Sprache und Medien) sehr nütz- Pfahl-Traughber „Die Neonationalsozialisten- Sze- lich, um Argumentations-u. Kommunikationsstra- ne nach den Verbotsmaßnahmen“ (ARR 3/1997) tegien kennenzulernen. Im Teil 7 (Akademischer usrprünglich für das „Jahrbuch Extremismus & Rechtsextremismus) zeigen Michael Gehler und Demokratie“ bestimmt war, von uns durch ein Dietrich Heither auf, daß die studentische Rechts- Versehen vor Erscheinen im „Jahrbuch“ abge- extremismus-Szene beileibe keine vernachlässi- druckt wurde. Wir bitten dieses Versehen zu ent- genswerte Größe ist. Im letzten, 8. Teil (Entsoli- schuldigen. darisierung und Gewalt gegen das „Fremde“), sticht der sehr grundlegende Beitrag von Bern- hard Rathmayr hervor, der – weit im geschichtli- chen Rückblick ausholend – Zivilisierung und Impressum Ästhetisierung der Gewalt in der europäischen Geschichte beschreibend, aufzeigt, daß in einer Herausgeber: Friedrich-Ebert-Stiftung Situation, wo der „zivilisatorische Gewaltkonsens Godesberger Allee 149 unserer Gesellschaften brüchig (…), angreifbar, 53175 Bonn provozierbar“ geworden ist, weil Ohnmacht und Akademie der Politischen Bildung das Gefühl von Ausliefertsein an anonyme, büro- Telefon (02 28) 88 30 kratische Strukturen voranschreiten, rechtsex- Telefax (02 28) 88 36 95 treme Ideologie eintritt: „Rechtsradikale Gewalt- http://www.fes.de taten sind … für die Gegenwart typische Gewalt- © 1998: Friedrich-Ebert-Stiftung formen, die historische Muster gesellschaftlicher Gewaltregulierung aufgreifen und auf diese Wei- Redaktion: Prof. Dr. Thomas Meyer se zur Blockierung und Zerstörung humaner Ent- Dr. Johannes Kandel wicklungspotentiale im Zivilisationsprozeß bei- Layout: Pellens Kommunikationsdesign, tragen.“ (s.490) Bonn

Eine insgesamt blendende aspektreiche Analyse Druck: satz + druck gmbh, Düsseldorf gegenwärtiger Rechtsextremismusphänomene, die lesenswert ist. Man wünschte sich eine ähn- Printed in Germany 1998 lich breitgefächerte Analyse und Darstellung mög- ISSN 1431-102X licher gesellschaftlicher Gegenreaktionen und Bewältigungsstrategien. Die Redaktion