Am rechten Rand 4 /98 1 Akademie der Politischen Bildung Am rechten Rand 4 Analysen und Informationen August für die politische Bildung 1998 In unserer vierten Ausgabe beschäf- Verbindung mit „harmlosen“ Er- Inhalt tigt sich Armin Pfahl-Traughber scheinungen. Für den mit Esoterik „Gramscismus von 2 mit neurechten Strategien, das nicht Vertrauten werden hier wich- rechts?” Die Entwick- Werk Antonio Gramscis für das tige Hinweise zur Urteilsbildung lung einer Strategie rechte Lager zu nutzen. Die neue gegeben. der Kulturrevolution Rechte in Frankreich hat Gramsci Aus aktuellem Anlaß haben wir und die Rezeption schon seit längerem „entdeckt“. Mit Antonio Gramscis uns entschlossen, die in Sachsen- einer gewissen zeitlichen Verzöge- durch die Neue Rechte Anhalt so erfolgreiche „Deutsche rung begann in Deutschland eben- in Frankreich und Volksunion“ näher unter die Lupe falls eine Gramsci-Rezeption von Deutschland zu nehmen. Matthias Schmidt ana- rechts, die sich insbesondere auf lysiert Geschichte und Herkunft der Politische Klassiker 14 die im Werk Gramscis thematisierte DVU, ihre Wählerstruktur und bis- der Neuen Rechten – strategische Rolle der Intellektuel- herige politische Praxis. Er kommt Biographisch-politi- len konzentriert. Wir beginnen in zu dem Schluß, daß nach bishe- sche Portraits der dieser Ausgabe mit der Vorstellung rigen Erkenntnissen von der DVU geistigen Vorbilder einer Reihe von Vordenkern der keine ernstzunehmende Gefahr für einer rechtsextre- neuen Rechten. Diese „Klassiker unsere Demokratie ausgeht, vor mistischen Ideologie- von Rechts“ spielen bis heute in allem, wenn die demokratischen variante neurechten Diskursen eine erheb- Kräfte ernsthaft zusammenstehen Rechte Esoterik, 22 liche Rolle . Armin-Pfahl-Traughber und den vordergründigen Populis- Musik und Riefenstahl beschreibt Leben und Werk der mus dieser Partei offenlegen. Weit- bekannten Vilfredo Pareto und Ju- gehend unberührt von den Wahler- „Deutsche Volksunion“ 30 lius Evola. folgen der DVU bleibt allerdings die – eine unterschätzte Lutz Neitzert führt uns in die eso- Bedeutung und Funktion dieser Kraft im rechtsextre- men Lager? terische Szene ein, in der, von der Partei als Sammelbecken rechtsex- Öffentlichkeit weithin unbemerkt, tremistischer Orientierungen und Rezensionen 41 rassistisches und völkisches Ideen- möglicherweise Integrationsfaktor gut fortschreitende Aufnahme fin- der Rechten insgesamt. Redaktionelles 44 det, oft in schwer zu entwirrender Impressum 44 Dr. Johannes Kandel Prof. Dr. Thomas Meyer Leiter der Wiss. Leiter der Gustav-Heinemann-Akademie Akademie der Politischen Bildung 2 Am rechten Rand 4 /98 Armin Pfahl-Traughber „Gramscismus von rechts“? Die Entwicklung einer Strategie der Kulturrevolution und die Rezeption Antonio Gramscis durch die Neue Rechte in Frankreich und Deutschland. Kaum einem anderen marxistischen Theoreti- der Person: Der 1891 in Sardinien geborene An- ker ist in den letzten Jahrzehnten eine so große tonio Gramsci2 interessierte sich vor allem für Aufmerksamkeit zuteil geworden wie Antonio Geschichte, Philosophie und Sprachwissenschaf- Gramsci. Orthodoxe Marxisten-Leninisten bezo- ten, studierte in der Industriemetropole Turin und gen sich ebenso auf ihn wie Vertreter der undog- näherte sich der Arbeiterbewegung an. 1913 wur- matischen Neuen Linken, sozialdemokratische de er Mitglied der Sozialistischen Partei, orien- Intellektuelle ebenso wie Anhänger einer „Theo- tierte sich innerhalb dieser am linken Flügel und logie der Befreiung“. Eine Besonderheit in der trat aufgrund seiner journalistischen Fähigkeiten Gramsci-Rezeption dürfte aber seine Rezeption in bereits 1915 in die Redaktion des Parteiorgans dem ihm genau entgegengesetzten politischen „Avanti“ ein. Dort veröffentlichte Gramsci nicht Lager sein: auch die intellektuelle extremistische nur tagespolitische, sondern auch kulturkritische Rechte hat Gramsci schon seit längerer Zeit für Artikel, wozu u.a. auch zahlreiche Theaterkritiken sich entdeckt und leitet ihre Strategie der Kul- gehörten, was veranschaulicht, daß er keines- turrevolution aus seinen Schriften ab. Zurückzu- wegs zu den ökonomiefixierten Parteivertretern führen ist diese irritierend anmutende Rezeption zählte. Dies zeigte sich auch bei Gramscis Wahr- auf die Erneuerung und Modernisierung des nehmung der Oktoberrevolution von 1917, die als Rechtsextremismus in Frankreich Ende der sech- gegen das Kapital gerichtet interpretiert wurde. ziger Jahre und die damit verbundene Herausbil- Damit meinte er sowohl den Kapitalismus als dung einer intellektuellen Neuen Rechten. Mit auch „Das Kapital“ von Karl Marx, wobei sich letz- längerer zeitlicher Verzögerung entwickelte sich teres auf die Ablehnung eines deterministischen, Anfang der achtziger Jahre auch in Deutschland mechanistischen und ökonomie-zentrierten Ge- eine ähnliche, wenngleich nicht so erfolgreiche schichts- und Gesellschaftsverständnisses zugun- Neue Rechte heraus. Auch sie bediente sich des sten der Bejahung der revolutionären Tat auch Werkes von Gramsci hinsichtlich der darin be- unter ungünstigen Rahmenbedingungen bezog.3 schriebenen strategischen Rolle der Intellektuel- len für politische Veränderungsprozesse zur Ent- Diese Einstellung verband sich indessen aber wicklung des strategischen Konzepts, das auch nicht mit einer Abkehr von marxistischem Gedan- ganz dezidiert als „Gramscismus von rechts“ 1 kengut, vielmehr näherte sich Gramsci immer bezeichnet wird. stärker diesem an. Davon zeugen seine Veröffent- lichungen aus dieser Zeit, aber auch die politi- 1. Antonio Gramscis Auffassungen über die schen Handlungen: In den Jahren zwischen 1918 Bedeutung und Rolle der Intellektuellen in und 1920 unterstützte Gramsci die Rätebewegung der Politik in Turin, u.a. auch publizistisch mit der Zeitschrift Bevor allerdings auf das damit Gemeinte näher „Ordine Nuovo“. Bemerkenswert ist dabei, daß eingegangen wird zunächst noch einige Anmer- Gramsci darin nicht nur Texte zu tagespolitischen kungen zur biographisch-politischen Entwicklung Fragen, sondern auch zu kulturellen Aspekten ○○○○○○○○ 1 Vgl. Pour une „Gramscisme de Droite“. Acte du XVIe colloque national du G.R.E.C.E., Paris 1982. 2 Vgl. Giuseppe Fiori, Das Leben des Antonio Gramsci, Berlin 1979; Christian Riechers, Antonio Gramsci. Marxismus in Italien, Frankfurt/M. 1970, S. 10-12 und 36-101. 3 Vgl. Antonio Gramsci, Die Revolution gegen das „Kapital“ (1917), in: Antonio Gramsci – vergessener Humanist? Eine Anthologie, Berlin 1991, S. 31-35. Am rechten Rand 4 /98 3 aufnahm. Dabei waren diese keineswegs im Sin- Entlassung verstarb Gramsci 1937 an den Folgen ne der Stillung eines dahingehenden Nachholbe- seiner schweren Haftbedingungen. darfs der Arbeiter ausgerichtet. Vielmehr sollten In eben jenen „Gefängnisheften“ finden sich ver- sie eigene Ausdrucks- und Kommunikationsfor- streut an den verschiedensten Orten Überlegun- men finden. Gleichzeitig versuchte Gramsci aber gen über das Verhältnis von Intellektuellen und auch bekannte Schriftsteller als Gastautoren für Politik sowie zur Bedeutung der kulturellen Sphä- „Ordine Nuovo“ zu gewinnen. Hier zeigte sich er- re für die politischen Auseinandersetzungen. Da- neut sein großes Interesse für kulturelle Aspekte bei zeigt sich, daß Gramsci zu den ersten west- und die damit zusammenhängende Rolle von In- lichen Marxisten gehörte, die bei Akzeptanz des tellektuellen in den politischen Auseinanderset- ökonomie-zentrierten Basis-Überbau-Modells von zungen. Nach dem Scheitern der Rätebewegung einer gewissen Eigenständigkeit des Überbau- sah Gramsci bereits 1921 das Aufkommen einer Bereichs ausgingen und auf dieser Ebene statt- faschistischen Diktatur, die der zwischenzeitlich findenden Entwicklungen eine wichtige Bedeu- zur neugegründeten Kommunistischen Partei tung für grundlegende politische Veränderungs- übergewechselte durch eine breite Bündnispoli- prozesse beimaß. Die damit zusammenhängen- tik verhindern wollte. In dieser Frage blieb Gramsci den Erkenntnisse stellten keineswegs Resultate allerdings zunächst isoliert und erst nach Musso- originärer Analysen dar; vielmehr handelte es linis Machtantritt gelang eine dahingehende Kor- sich um das Übertragen bestimmter historischer rektur der Parteilinie. Erfahrungswerte und analytischer Reflexionen auf Mittlerweile wurden die Handlungsmöglichkeiten die damalige Gegenwart. Konkret stellte Gramsci unter dem neuen Regime immer begrenzter, so sich die Frage, wie eine revolutionäre Verände- daß der mit Gramscis 1924 erfolgter Wahl in die rung in den westlichen Gesellschaften vorange- Führung der Partei erfolgte strategische Wechsel trieben werden könnte. Dazu untersuchte er dies- keine Erfolge mehr verzeichnen konnte. Die Be- bezügliche Rahmen- und Wirkungsbedingungen, woraus bestimmte strategische Überlegungen ab- mühungen der Umwandlung der noch kleinen geleitet wurden. Da diese zwar nicht allgemein, Partei in eine Massenpartei scheiterten ebenso aber doch weitgehend politik-neutral sind, kön- wie die Bündelung der gegen den Faschismus nen die damit verbundenen Handlungsanleitun- gerichteten politischen Kräfte. Gleichzeitig konsta- gen die vielfältigsten ideologischen und politi- tierte Gramsci in jener Zeit das Scheitern der in schen Strömungen bedienen – und genau dies der Folge der Oktoberrevolution aufkommenden macht Gramsci denn auch für die Vertreter der Hoffnungen der Linken auf eine Weltrevolution gegenwärtigen Neuen Rechten interessant. und der Übernahme der politischen Macht in Ita- lien. 1926 wurde Gramsci verhaftet und 1928 zu Der italienische Marxist entwickelte seine dahin-
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