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Faszination Raumfahrt Erleben! Viele Von Uns Waren Noch Gar Nicht Auf Der Welt, Da War Der Mensch Schon Auf Dem Mond

Faszination Raumfahrt Erleben! Viele Von Uns Waren Noch Gar Nicht Auf Der Welt, Da War Der Mensch Schon Auf Dem Mond

Der Verein zur Förderung der Raumfahrt VFR e.V. präsentiert:

Das Raumfahrtjahr 2004 kompetent und spannend dokumentiert von Eugen Reichl u.a. Autoren

22.06.: SpaceShipOne erreicht den Weltraum

01.07. :Raumsonde Cassini durchquert die Saturnringe

10.05.: Erster Flug des PHOENIX

04.10. Brian Binnie holt mit dem 2. Wettbewerbsflug den X-Prize

04.01.: „Spirit“ erfolgreich auf dem Mars gelandet

Mai: „Opportunity“ erforscht den Endurance Krater. 09.09. Bergung von Genesis scheitert

14.01.: US-Präsident Bush verkündet Amerikas neue Raumfahrt-Initiative

Faszination Raumfah2004rspacexpresst er raumfahrtchronikleben1 Jahr für Jahr: aktuelle Raumfahrtgeschichte aus erster hand!

Die faszinierende Welt der Raumfahrt im einzigen deutschsprachigen Raumfahrtjahr- buch. Rückblick und Ausblick. Nehmen Sie teil am spannendsten Abenteuer unserer Zeit...

Jedes Jahrbuch gibt es als kostenloses eBook und auch als hochwertige Printausgabe – im Vergleich zum Selber-Ausdrucken eine günstige, und vor allem attraktive Alternative. Downloads und

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eBook Edition, Juli 2007 Copyright © by VFR e.V.

Alle Rechte vorbehalten Initiator: Verein zur Förderung der Raumfahrt VFR e.V. (www.vfr.de) Lektorat: Heimo Gnilka und Hans Rauch Layout & Satz: Stefan Schiessl, Dachau (www.schiessldesign.de)

ISBN: 3-00-015723-9

2004 spacexpress raumfahrtchronik 3 inhaltsverzeichnis

Vorwort______5 Mut zur Lücke bei der Cassini/Huygens-Mission (Eugen Reichl) ______114 I. Teil – Chronik 2004 (Eugen Reichl) Schneller Späher (Eugen Reichl)______118 Januar______8 Neuer Horizont für Uranus Februar______17 (Eugen Reichl)______120 März______20 Es werde Licht April______26 (Eugen Reichl)______122 Mai______31 Genesis und der Andromeda-Virus oder „Das Debakel über Utah“ Juni______37 (Eugen Reichl)______128 Juli______44 X-Prize – Showtime in Mojave August______48 (Eugen Reichl)______134 September______53 X-Prize – Space Taxi to the sky (Eugen Reichl)______140 Oktober______57 Space Park Bremen – November______63 der kurze Traum vom All Dezember______68 (Horst Paczkowski und Björn Baumann) ______146 Raumstarts 2004______74 Sternschnuppen (Eugen Reichl)______152 Jahresrückblick Internationale Raumstation II. Teil – Themen im Fokus (Michael Schumacher)______154 Überblick: Fünf Sonden am Mars Schwergewicht mit Atemnot (Raimund Scheucher)______80 (Eugen Reichl)______158 Mars Express – Eine Basis auf dem Mond – Pionier der europäischen Planetenforschung der logische nächste Schritt (Ernst Hauber)______83 in der bemannten Raumfahrt (Florian Rueß)______160 Wasserstandsmeldungen vom Mars (Eugen Reichl)______88 Der Erbe von Sojus (Felix Korsch)______164 Sideslip auf dem Mars (Eugen Reichl)______92 Dreh das Ding doch mal kurz um, Joe (Eugen Reichl)______167 Landpomeranze auf dem Mars (Eugen Reichl)______96 „Alien vs. Predator“ oder „Das kosmische Internet?“ Die USA auf dem Weg zu Mond und Mars (Eugen Reichl)______170 (Raimund Scheucher)______100 NASA schließt Beurteilungsphase Diskussion um das neue des Westkursangebotes von (US-)Raumfahrtprogramm C. Columbus ab (Eugen Reichl)______176 (Hartmut E. Sänger)______105 Mc Neils Nebel: Die Story geht weiter Das Raumfahrtjahr 2004 (Eugen Reichl)______180 aus der ESA-Perspektive (Norbert Frischauf)______108 Ein langer Weg – Raumfahrtgeschichte in Jahrestagen Schwerelose Notfallmedizin (Andreas Rex)______184 (Gernot E. Grömer und Alexander Soucek)_ __112 Für die Wahrheit den Tod (Eugen Reichl)______194

4 spacexpress raumfahrtchronik 2004

In jeder Hinsicht beein- druckend waren auch die drei 100-Kilometer-Flüge von Burt Rutans suborbitalem Vehikel SpaceShipOne mit denen der ge- niale Konstrukteur den mit 10 Millio- vorwort nen Dollar dotierten X-Price gewann, Liebe Leser der Spacexpress und den Beginn einer neuen Ära in der Raumfahrtchronik 2004, Raumfahrt einläutete. die durchweg positiven Reaktionen auf unse- Aber auch vom ideellen Standpunkt her eher re Chronik 2003, und der Umstand dass wir nüchterne aber wirtschaftlich bedeutende das Buch im Laufe des Jahres zweimal nach- Ereignisse wie die Freigabe des Entwicklungs- drucken mussten, hat uns ermutigt, erneut eine auftrages für das Satelliten-Navigationssystem Chronik herauszugeben, in der wir umfassend Galileo waren für die deutsche und europäische über die Raumfahrtereignisse des abgelaufenen Raumfahrt von großer Bedeutung. Jahres berichten. Im Dezember erlebten wir die entsetz- In diesem Jahr wurden einige inte- liche Flutkatastrophe in Südostasien. ressante Missionen auf den Weg Bei Unglücken dieses Ausmaßes gebracht, wie wird deutlich, wie wichtig globale „Einstein“, der Umweltforschungs- Überwachungssysteme sind. Satel- satellit oder der amerika- litengestützte Beobachtungs- und nische Gammastrahlen-Explorer Kommunikationsmittel können Swift. Einige Raumfahrzeuge wa- dazu beitragen, das Ausmaß eines ren schon vor dem Jahr 2004 un- Ereignisses schnell und richtig ein- terwegs und erreichten in diesem zuschätzen, die Frühwarnzeiten er- Jahr ihre fernen Destinationen, wie heblich zu verkürzen und damit viele die Raumsonden Stardust und Cassini, Menschenleben zu retten. oder die beiden amerikanischen Mars- Und nun überlasse ich Sie der Raumfahrt- Exploration Rover Spirit und Opportunity. Und Chronik 2004, in der die wichtigsten Ereignisse des wieder andere begaben sich in diesem Jahr auf die vergangenen Jahres zusammengefasst sind. Sie ha- Reise zu ihrem Expeditionsort, wie die europäische ben damit die Möglichkeit, ein Jahr Raumfahrt noch -Sonde Huygens, die Huckepack mit Cassi- einmal Revue passieren zu lassen. Ergänzt wird die ni im -Mondsystem angekommen war, die Chronik wieder durch interessante Berichte und amerikanische Merkursonde Messenger die im Juli spannende Artikel zu ausgewählten Themen aus Cap Canaveral verließ um sich auf den Weg zum der Raumfahrt. Merkur zu machen, und die im März die lange Reise zum Kometen Churyumov-Gerasi- Viel Spaß beim Schmökern menko begann. wünscht Ihnen Ihr Bernhard Schmidt Vorsitzender VFR e.V.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 5

I. chronik 2004

6 spacexpress raumfahrtchronik 2004

2004 spacexpress raumfahrtchronik 7 Das Raumfahrtjahr 2004

Januar chen war unmöglich. Doch die kleine Sonde überlebte die Begegnung 02.01.2004 verschrammt, aber sonst unbeschadet. Fünf Stun- Raumsonde Stardust passiert Wild 2 den nach dem Vorbeiflug wurde der Partikel-Kollek- Am 2. Januar, exakt um 20:22 mitteleuropäischer tor wieder eingefahren und in der Rückkehr-Kapsel Zeit, nach einer Reise von vier Jahren und einer versiegelt. zurückgelegten Wegstrecke von 3.220.000.000 Ki- Nach dem „Close encounter“ trat Stardust seine lometern kam es zur Begegnung zwischen der Dis- zweijährige Heimreise an. Die Manöver zur genauen covery-Raumsonde „Stardust“ und dem Kometen Ausrichtung für die Landung werden 88 Tage vor 81P/Wild-2. 20 weitere Minuten dem Eintritt der Landekapsel in die Erdatmosphäre brauchten die Signale von Stardust, beginnen. Die entscheidende Phase startet aber um die Erde zu erreichen und dieses erst vier Stunden vor der Landung. Zu diesem Ereignis zu bestätigen. Zeitpunkt wird Stardust die Landekapsel freigeben. Alles klappte wie am Schnürchen. Gleich darauf wird die Raumsonde das so genannte „Der Ablauf der Begegnung hätte „Spacecraft divert maneuvre“ durchführen, denn auch in einem Märchen nicht bes- Stardust selbst wird nicht auf der Erde niedergehen, ser ablaufen können“, meinte Tom sondern knapp am Heimatplaneten vorbeifliegen. Duxberry, der Projekt-Manager des Stardust-Programms. „Wir haben 03.01.2004 Erste Aufnahmen des nicht nur die Proben, wir haben Weiterhin keine Nachricht von Beagle 2 Kometen Wild 2 auch die besten Bilder, die jemals Die europäische Marssonde Mars Express hat von einem Kometen gemacht wur- heute ein weiteres kritisches Triebwerksmanöver den“, berichtete Ray Newburn, einer der Projekt- erfolgreich durchgeführt, und damit die Bahnellipse wissenschaftler. um den Planeten Mars verkürzt. Heute um 14:13 Der Komet näherte sich der Flugbahn von Stardust mitteleuropäischer Zeit feuerte Mars Express das von schräg unten. Das Raumfahrzeug selbst musste Haupttriebwerk für fünf Minuten. Damit wurde der in einer genau definierten Raumlage verbleiben, Marsnächste Bahnpunkt von bislang 188.000 Kilo- um den ankommenden Partikelsturm mit seinen metern auf nunmehr nur noch 40.000 Kilometer Schilden abwehren zu können. Dann überholte verringert. Der niedrigste Bahnpunkt liegt nun bei der Komet die Raumsonde auf seinem orbitalen 250 Kilometern über der Marsoberfläche. Pfad und bewegte sich relativ zur Raumsonde nach Der endgültige soll einen bahnhöchsten schräg oben. Punkt von 11.000 Kilometern und einen niedrigsten Auf den insgesamt 72 Bildern, welche die Navi- von 300 Kilometern aufweisen. Dafür sind zwei gationskamera vom Kometen machte, sind Hügel, weitere Triebwerkszündungen notwendig. Eine am Senken und Kavernen erkennbar: Oberflächen- 7. Januar, die andere am 11. Januar. strukturen, die sich bildeten als in der Vergangenheit Dieser Orbit wird es Mars Express dann er- flüchtige Stoffe aus dem Himmelskörper ausgasten. möglichen, nicht nur seine Experimentiertätigkeit Mindestens fünf aktive „Jets“, wie die Stellen aus- aufzunehmen, sondern auch intensiv nach der strömenden Gases genannt werden, sind auf den Landesonde Beagle 2 zu suchen. Beagle 2, müsste Fotos ebenfalls zu erkennen. in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember auf dem Das Material, das aus dem Kometen strömt, mag Roten Planeten gelandet sein, aber derzeit fehlt von optisch dünn aussehen, aber ein Astronaut der sich ihm jede Spur. diesen Partikel mit der Vorbeifluggeschwindigkeit Besonders gut werden die Suchbedingungen am 7. von Stardust aussetzen müsste, würde von dem Januar um 13:15 mitteleuropäischer Zeit sein. Dann Teilchenschauer buchstäblich zerrieben werden. wird Mars Express den Die Gefahr war auch für die mit Schilden bewehrte vermuteten Landepunkt Raumsonde groß. Die Missionsplaner hatten eigent- von Beagle 2 in einer lich nicht vorgesehen, Stardust durch aktive Jets Entfernung von nur 315 fliegen zu lassen. Mehr noch, Jets waren gar nicht Kilometern passieren. erst erwartet worden, denn Wild 2 gilt wegen sei- ner relativ großen Entfernung zur Sonne als ziemlich ruhig. Der Komet hatte aber anderes im Sinn. Zwei der Jets musste Stardust durchfliegen, ein Auswei-

Beagle 2 Projektleiter Colin Pillinger und ein 8 spacexpress raumfahrtchronik 2004 1:1 Modell des Landers Das Raumfahrtjahr 2004

04.01.2004 der Solarzellenflächen zeigten sich keinerlei tech- Triumph für US-Raumfahrt: nische Probleme. Unter den ersten Daten waren Marsrover „Spirit“ erfolgreich im auch digitale Bilder der so genannten „hazard-avo- Gusev-Krater auf dem Mars gelandet idance camera“. Sie zeigten Teile des Rovers selbst Auf den Polstern gigantischer Airbags hüpfte der und die Umgebung bis zum Horizont. amerikanische Mars-Rover „Spirit“ heute in den Die Übertragung von Bildern bereits bei der ersten frühen Morgenstunden mitteleuropäischer Zeit zu sich bietenden Gelegenheit zeigte deutlich, dass einer erfolgreichen Landung auf dem Roten Pla- Spirit den Höllenritt zur Oberfläche des Roten neten. Bereits drei Stunden nach dem erfolgreichen Planeten in bester Verfassung überstand, und dass Abstieg zur Oberfläche des Mars sendete die Lan- sich nichts ereignete, was die anfänglichen Bodeno- perationen behindern würde. Die Landestelle erschien wesentlich weniger stei- nig als der mit Felsen übersäte Ort, an dem Mars Pathfinder im Jahre 1997 niederging. Vom wissen- schaftlichen Standpunkt aus ist der Gusev-Krater aber vielleicht sogar noch interessanter als dieser frühere Landeort. In den kommenden 24 Stunden wird die an einem 1,5 Meter hohen Masten montierte Panorama-Ka- Jennifer Trosper, Managerin der Spirit-Bodenoperatio- mera ein detailliertes 360 Grad-Bild der Landestelle nen umarmt Projekt Manager Peter Theisinger machen. Zusätzliche Foto- und Datenübermittlung wird später am morgen über die beiden im Orbit desonde erste Bilder zur Erde. Die schwarz-weiß- befindlichen Raumsonden Mars Global Surveyor Fotos zeigten, dass „Spirit“ in einer mit Steinen und Mars Odyssey stattfinden. Bis jetzt zeigen die übersäten Ebene gelandet ist, mit Blickrichtung auf Engineering-Daten von Spirit aber keine größeren die südlichen Wälle des Gusev-Kraters, die am Ho- Probleme. Die einzige Abweichung vom Normal- rizont erkennbar sind. zustand ist momentan nur der Power-Output, der um 17 Prozent geringer ist, als erwartet. Das Die spektakuläre Aktion mit den Airbags war der könnte aber einfach am schrägen Einstrahlwinkel Abschluss eines feurigen Spektakels, das weniger der Spätnachmittagssonne liegen oder am Staub in als eine Stunde zuvor mit der Trennung der Lande- der Atmosphäre, der von den derzeit im Norden kapsel vom Transfer-Modul begonnen hatte. Beim stattfindenden Staubstürmen herrühren könnte. Eintritt in die Atmosphäre des Mars heizte sich der Hitzeschild der Abstiegskapsel bis auf 1.800 Grad Die Telemetriedaten zeigten, dass der in den Air- Celsius auf. Die Geschwindigkeit betrug etwa 7 bags eingeschlossene Rover insgesamt sechsmal Kilometer pro Sekunde. Bei einer Geschwindigkeit aufsprang, bevor er nach einigen Rollbewegungen von etwa 1.800 Stundenkilometern wurde der Sta- um 5:35 mitteleuropäischer Zeit zur Ruhe kam. bilisierungsfallschirm ausgeworfen, kurz danach der Nur Minuten später meldete sich Mars Global Sur- Hauptfallschirm. veyor Mission Control über eine Standleitung beim Während der letzten Abstiegsphase geriet der Spirit-Team und sagte: „Wir haben eure Daten und am Fallschirm hängende Lander in eine Windböe. senden sie gleich rüber. Wir haben 23 Frames für Dadurch kam das Fahrzeug ins Schwingen, was euch, das könnten schon die ersten Bilder sein“. eine Gefahr für das finale Raketenbremsmanöver Die nächsten Daten, die über die Großanlage von bedeutet hätte. Dieses Manöver war so geplant, Goldstone kamen, zeigten, dass sich der Lander in dass der Lander einige Meter über dem Boden der Idealposition befand, mit der Basisplatte nach zum Stillstand kommt, explosionsartig die Airbags unten. Das bedeutete, dass der Aufrichtevorgang aufbläst und dann vom Fallschirm abhakt. Kleine Ra- entfiel, der andernfalls nötig gewesen wäre. Wegen ketentriebwerke dämpften aber diese Schwingbe- der Landung am späten Mars-Nachmittag hätte die- wegung und der Landevorgang konnte wie geplant ser Prozess so lange gedauert, dass Spirit an diesem abgeschlossen werden. Tag keine Daten mehr zur Erde oder zu den beiden Eine 12-minütige Übertragung erster Telemetrie- Mars-Orbitern hätte senden können. Misson Cont- Daten über den Mars Odyssee Orbiter der NASA rol hätte damit mehr als 14 Stunden lang Ungewiss- zeigte, dass Spirit in exzellenter Verfassung ist. Nach heit über das Schicksal der Sonde gehabt. dem Ablassen der Airbags, und dem Ausklappen

2004 spacexpress raumfahrtchronik 9 Das Raumfahrtjahr 2004

05.01.2004 06.01.2004 Nach dem Sturm in ruhigem Wasser Erste Detailbilder vom Gusev-Krater Nachdem Stardust dem Partikelsturm in der Koma „Spirits“ erste Farb-Schnappschüsse vom Mars des Kometen Wild 2 getrotzt hat, den die Raum- haben alle Erwartungen übertroffen und zeigen sonde mit der Sechsfachen Geschwindigkeit einer die Oberfläche des „Roten Planeten“ in subtilen Gewehrkugel durchquerte, begann der NASA- Farbabstufungen zwischen blau und ocker. Roboter nun mit seiner zwei Jahre dauernden und Das 12-Millionen-Pixel mehr als eine Milliarde Kilometer langen Rückreise Bild, tatsächlich ein Mo- zur Erde. saik von 12 Einzelbil- Die Telemetriedaten zeigten, dass die Raumsonde dern, ist von so hoher durch mehrere unterschiedliche Partikelwolken Qualität, dass die NASA flog. In mehr als 10 Fällen wurde dabei die erste in der Lage war, in ein- Lage des so genannten Whipple-Schildes durch- zelne Details „hineinzu- schlagen. zoomen“. Es zeigt die Oberfläche des Mars Stardust flog am 31. Dezember in die Koma von in absolut lebensechten Wild 2 ein, die Zone von Gas und Staub, die den Farben, so wie man sie Kern eines Kometen umgibt. Von diesem Zeitpunkt mit eigenen Augen se- an bewegte sich die Sonde mit dem nach vorne hen würde, wäre man in gerichteten Abwehrschild, um die empfindlichen In- der Region des Gusev- strumente vor dem Partikelstrom zu schützen. Die Detailfoto der Landestelle, Kraters. Begegnung zwischen der Sonde und den Kometen- aufgenommen von „Spirit“ partikeln verlief ein wenig anders, als sich Stardust Auf dem Bild sind auch Mission Control das vorgestellt hatte. Bergrücken erkennbar, die sich in einer Entfernung von etwa 25 bis 30 Kilometern erheben. Die Projektwissenschaftler nahmen vorher an, dass die Raumsonde einen zunächst dichter werdenden Der Schnappschuss ist ein Segment in einem vollen Partikelstrom durchqueren würde, dessen Dichte 360 Grad Panorama, das einen Elevationswinkel nach dem Durchflug wieder abnehmen sollte. Tat- von 45 Grad abdeckt. Die weiteren Bilder des sächlich war es aber so, dass es sich um einzelne, Panoramas befinden sich bereits im Speicher von geballte Partikelwolken handelte, zwischen denen „Spirit“, können wegen der begrenzten Übermitt- sich absolute Leerräume befanden. lungskapazität aber erst nach und nach zur Erde gesendet werden. Derzeit hat die Übermittlung von Stardust sammelte die Partikel, die mit einer Ge- Engineering-Daten immer noch Vorrang. schwindigkeit von 6,1 Kilometern pro Sekunde in den Kollektor einschlugen. Diese Proben werden Der Robot verbleibt momentan noch auf der Lan- zur Erde gebracht. Außerdem wurde mit den deplattform, soll aber mit seinen Ausflügen in die Bordinstrumenten „Sofort-Analysen“ gemacht. Zu- Umgebung in den nächsten Tagen beginnen. sätzlich machte das Raumfahrzeug mit der Navigati- „Opportunity“, ein zweiter, völlig identischer onskamera auch 72 bemerkenswerte Bilder vom 5 Roboter, wird den Mars am 25. Januar erreichen. Kilometer großen Nukleus von Wild 2. „Spirit“ war am Wochenende erfolgreich auf dem Wenige Minuten nach der geringsten Annäherung Mars gelandet, inmitten des Gusev-Kraters, etwa 15 richtete Stardust seine Richtantenne auf die Erde Grad südlich des Äquators. Opportunity wird auf und begann mit der Übermittlung der Daten. der anderen Seite des Mars landen, in einer Region Dieser Prozess dauerte über 30 Stunden und ver- namens Meridiani Planum, zwei Grad südlich des sorgte die Kometenwissenschaftler mit Material, das Äquators. sie nun für Jahre beschäftigen wird. Sechs Stunden nach der Begegnung mit dem Kometen fuhr Star- 09.01.2004 dust auch den Partikelkollektor ein und versiegelte Airbags im Weg – ihn im Erdrückkehr-Behälter. Diese Box, im inneren Aufbruch von Spirit verzögert sich der Rückkehr-Kapsel wird erst wieder im Januar Die Ingenieure im Kontrollzentrum der Flight Pro- 2007 in einem Clean Room des Johnson Space pulsion Laboratories in Pasadena, von dem aus die Center geöffnet werden, wenige Tage nachdem die beiden Mars-Landeroboter „Spirit“ und „Oppor- Kapsel in einem militärischen Sperrgebiet in Utah tunity“ überwacht werden, kämpfen derzeit mit gelandet ist. dem Problem, die Airbags unter der Landestufe voll einzuziehen. Diese Airbags sind im Wege, wenn

10 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

der Rover gerade- 10.01.2004 aus von der Rampe Präsident Bush sendet rollen soll. Es sind NASA zurück zum Mond aber andere Wege Mitte nächster Woche wird vom amerikanischen möglich, um die Lan- Präsidenten George W. Bush eine wichtige Ankün- destufe zu verlassen, digung zum weiteren Verlauf des amerikanischen und Missions Ma- Weltraumprogramms erwartet. Die neue Initiative nager Matt Wallace wird – obwohl das derzeit noch spekulativ ist – meint sogar, dass wahrscheinlich die folgenden Elemente beinhalten: „Spirit“ auch ein- 1. Fertigstellung der Internationalen Raumstation fach ohne Probleme Diese Fischaugen-360-Grad- mit Hilfe des Shuttles. Danach Einstellung des über den halb auf- Sicht zeigt links den Airbag, Shuttle-Programmes. Dieser Schritt würde be- geblasenen Airbag der momentan im Weg ist. deuten, dass nur noch etwa 20-25 Shuttle-Missi- rollen könnte. onen stattfinden werden, bevor die Raumfähren Die Missionsmanager wollen aber alle denkbare aus dem Verkehr genommen werden. Vorsicht anwenden, um den Missionserfolg nicht zu 2. Entwicklung eines bemannten Fahrzeugs, das gefährden. Keiner will, dass sich der Rover mit den momentan unter der informellen Bezeichnung Rädern womöglich in den Airbags verheddert. „Space Exploration Vehicle“ läuft. Dies wird eine In der Nacht gab Spirits Bordcomputer den Befehl, Kapsel oder ein Lifting Body sein, der eine gene- die Klappe, unter der der halb aufgeblasene Airbag relle Grundform hat, aber für die jeweiligen Mis- liegt, um 20 Grad nach oben zu heben und danach sionszwecke angepasst werden wird. Als erstes den darunter liegenden Airbag weiter einzurollen. wird dieses Fahrzeug etwa ab dem Jahre 2007 als Die Prozedur war aber nicht erfolgreich. Möglicher- „Crew Rescue Vehicle“ für die Raumstation zur weise sind die Straffbänder bei der Landung von Verfügung stehen. Etwa ab 2009 auch als „Crew den Führungsrollen gerutscht. Transport Vehicle“. Bis das neue amerikanische System einsatzbereit ist, sollen alle Transporte für Momentan sieht es so aus, als könnte der Lander die Stammbesatzungen der ISS vom russischen also nicht völlig sicher nach vorne über die Ram- Sojus-System übernommen werden. Alle we- pe hinunterrollen. Damit verbleiben die beiden sentlichen Versorgungsflüge vom europäischen anderen Optionen. Insgesamt hat der Lander drei ATV-System. Rampen. Der sicherste Abgang ist wahrscheinlich über die rückwärtige Rampe möglich. Dafür muss 3. Aus der Shuttle-Infrastruktur wird ein unbe- der Rover aber auf der kleinen Plattform erst eine mannter Schwerlastträger entwickelt, informell Drehung um 120 Grad durchführen. „Shuttle C“ genannt, der in der Lage sein wird, Nutzlasten von etwa 120-140 Tonnen in eine Erst aber muss der Rover „aufgestellt“ werden. niedrige Erdumlaufbahn zu bringen. Momentan liegt das Fahrzeug flach auf der Lan- deplattform, Vorder- und Hinterräder sind noch 4. Das „Space Exploration Vehicle“ wird als abgewinkelt und stehen nicht in Fahrposition. Dies Rückkehrfahrzeug für Tiefraumeinsätze weiter war für den Start, die Flugphase zum Mars und vor entwickelt. Einsätze dieser Art sollen zunächst in allem die Landung die sicherste Stellung. Am frühen hochexzentrische Erdorbits gehen, zu den Lag- Freitag wird der Computer eine Schraubenspindel range-Punkten, etwa ab dem Jahre 2013 wieder auslösen, die den Rumpf des Rovers anhebt. Erst zum Mond und etwa ab 2020 zum Mars . dann kann sich der untere Rumpfteil entfalten. 5. Die Rückkehr zum Mond soll im Zeitraum Die beiden Fronträder, die momentan unter dem 2013–2015 erfolgen. Dort wird in den darauf Rumpf liegen, können dann in ihre korrekte Position folgenden Jahren der Ausbau einer – möglicher- gefaltet werden. Sie klappen zunächst nach außen weise internationalen – Mondstation erfolgen, und dann in in einem Bogen unter den Rumpf. Da- die permanent besetzt sein soll. Der Mond wird nach wird die Spindel wieder etwas einfahren, und außerdem als Erprobungsstation für die Mars- den Rover auf den Rädern absetzen. Dann werden Infrastruktur dienen. Schnappschlösser einrasten und Räder und Rumpf im ausgefahrenen Zustand sichern. Schließlich wird 6. Etwa ab dem Jahre 2020 werden die bemannten die Spindel den ganzen Rover noch einmal anheben, Flüge zum Mars aufgenommen. Zunächst in eine um der Bodenkontrolle anzuzeigen, ob die Räder Umlaufbahn um den Roten Planeten, danach richtig eingerastet sind. werden Landungen durchgeführt.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 11 Das Raumfahrtjahr 2004

7. Zur Finanzierung dieses Programms wird Präsi- dent Bush im bestehenden Haushaltsjahr einen Nachschlag von 800 Millionen Dollar beantragen. Danach wird in den nachfolgenden Haushaltsjah- ren der NASA-Etat so lange jährlich um 5 % erhöht, bis er bei etwa 20-22 Milliarden Dollar jährlich stabilisiert wird.

11.01.2004 Erster Satellitenstart im Neuen Jahr erfolgreich Die „Startsaison“ des Jahres 2004 wurde mit einem erfolgreichen „Schuss“ von der äquatorialen Odys- sey-Meeresbasis im Pazifischen Ozean eröffnet, als eine Zenith 3SL einen Nachrichtensatelliten für Brasilien in den Orbit brachte. Der Start war am Sonntag um 5:13 mitteleuropäischer Zeit erfolgt, zu diesem Zeitpunkt war es am Startort später Bush und O‘Keefe während der Präsentation. Samstagnachmittag. Zugeschaltet Micheal Foale auf der ISS Die ukrainisch-russische Rakete brauchte 65 Mi- nuten um ihre Nutzlast im korrekten Transferorbit zeitaufenthalte auf dem Mond absolvieren können. abzuliefern. Von dort aus wird sich der von Space Die Raumstation wird zu einem reinen Life-Science Systems/Loral gebaute, knapp fünf Tonnen schwere Labor umfunktioniert, das hauptsächlich zur Er- Satellit selbständig in seine endgültige Position bei forschung der Auswirkungen von Strahlung und 63 Grad westlicher Länge bringen. Schwerelosigkeit im Weltraum dient. Dieses Wissen wird notwendig, um die kommenden Expeditionen Wenn alles glatt läuft, dann sollen in diesem Jahr in den erdfernen Weltraum, zum Mond und zum insgesamt sechs Sea-Launch Starts vom Pazifik aus Mars und schließlich darüber hinaus zu bewältigen. erfolgen. Sea-Launch will zukünftig auch Starts der Zenith 3SL von Baikonur aus durchführen. Um dies zu erreichen will der Präsident das NASA- Budget im laufe der nächsten Jahre um eine Mil- Der Satellit trägt zwei Namen: „ 14“ und liarde Dollar anheben, und zwar in Schritten von „Estrela do Sul 1“ und wird von „Loral Skynet“ 200 Millionen Dollar jährlich. 11 weitere Milliarden betrieben werden. Seine Aufgabe wird es sein, sollen durch programmatische Neuorientierung Brasilien mit dem Rest der Welt zu vernetzen. Das und die Einstellung von Projekten, die nicht mit der Raumfahrzeug ist mit 51 Ku-Band Transpondern neuen Initiative konsistent sind, frei werden. ausgerüstet und hat eine erwartete Lebensdauer von 15 Jahren. Für das dicht besetzte Auditorium im NASA Head- quarter in Washington waren Bush‘s Worte Musik Die nächste Mission des -Konsortiums in den Ohren. ist für den März geplant. „Heute verkünde ich einen neuen Plan zur Erfor- schung des Weltraums und zur Erweiterung der 14.01.2004 menschlichen Präsenz in unserem Sonnensystem“, Amerikas neue Raumfahrt-Initiative sagte Bush. „Wir werden sofort mit unseren An- Der amerikanische Präsident Bush ordnete gestern strengungen beginnen, unter Nutzung existierender einen scharfen Kurswechsel in der amerikanischen Programme und des vorhandenen Personals. Wir Raumfahrtpolitik an. Kernpunkte der neuen Doktrin werden stetige Fortschritte machen. Das Motto sind die Vollendung der Internationalen Raumstati- lautet: eine Mission, eine Reise, eine Landung nach on bis zum Jahre 2010, die Außerdienststellung des der anderen“. Shuttle und den Beginn der Entwicklung eines neu- artigen Raumfahrzeuges, das in der Lage sein wird, Das erste Ziel, so sagte er, sei die Vollendung des Menschen zum Mond und zum Mars zu bringen. Baus der Internationalen Raumstation um das Jahr 2010. Weiter meinte Bush: Weiter sieht der Plan vor, in längstens vier Jahren damit zu beginnen, mit unbemannten Rovern den „Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir den Mond zu erkunden, seine Ressourcen zu verzeich- im Einklang mit den Empfehlungen nen und Daten zu sammeln, wie Astronauten Lang- des Columbia Accident Investigation Board so

12 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

schnell wie möglich wieder zum Einsatz bringen. Das ganze Manöver dauerte nur 78 Sekunden. Das Hauptzweck des Shuttles in den nächsten Jahren erste Bild, das „Spirit“ danach machte, zeigte die wird die Vollendung des Baus der Internationalen nunmehr zurückgelassene Landestufe. Raumstation sein. Im Jahre 2010, nach fast 30 Ein- Die wissenschaftliche Hauptaufgabe für „Spirit“ ist satzjahren, wird der Shuttle aus dem aktiven Dienst es, herauszufinden, ob der Gusev Krater jemals genommen“. einen See enthalten hat. In den nächsten Tagen Zweites Ziel der Bush-Initiative ist es, ein neues wird der Rover in der Nähe der Landestufe bleiben, Raumfahrzeug zu entwickeln, das „Crew Explora- und dort wissenschaftliche Analysen durchführen. tion Vehicle“. Erste unbemannte Starts mit diesem Danach soll es zu einem Krater gehen, der etwa Fahrzeug sind bis zum Jahre 2008 vorgesehen. Be- 250 Meter entfernt ist. Die Wissenschaftler erhoffen mannte Missionen mit diesem neuen Fahrzeug sol- sich am Kraterrand „Auswurfmaterial“, das auf die len nicht später als 2014 beginnen. Das neue Raum- ursprüngliche Bodenbeschaffenheit des Gusev-Kra- fahrzeug wird in der Lage sein, Astronauten zur ters hinweist. Raumstation und wieder zurück zur Erde zu brin- Danach wird sich der Rover in die Richtung der gen, aber auch, wie Bush es emphatisch ausdrückte East Hills auf den Weg „zu Zielen jenseits des Erdorbits“. Damit wird es machen. Diese Bergket- das erste Raumfahrzeug mit diesen Fähigkeiten seit te ist allerdings mehr als den Tagen des Apollo Command Modules. drei Kilometer entfernt, Drittes Ziel ist die Rückkehr zum Mond bis längs- und die Distanz dahin tens 2020. Der Mond wird auch der Startpunkt ist fünfmal so weit wie für weitere Unternehmungen sein, zum Mars und die nominelle Fahrtstre- darüber hinaus. Auch zur Ausgestaltung dieses cke, für die der Rover Entwicklungsprozesses sagte Bush einige Worte. ausgelegt ist. Dieser So meinte er: „Beginnend nicht später als im Jahre Spirit blickt zurück auf Langstrecken-Treck 2008 werden wir eine Serie robotischer Missio- die Landestufe wird sehr von der Ver- nen zur Mondoberfläche unternehmen, um die fassung des Rovers ab- zukünftige menschliche Erforschung des Mondes hängen, und dem Laden einer speziellen Software, vorzubereiten. Unter Benutzung des „Crew Explo- die den Robot in die Lage versetzt, selbständig das ration Vehicle“ sollen ab 2015 zunehmend längere weit entfernte Ziel anzusteuern. bemannte Mondexpeditionen stattfinden, bis diese um 2020 in die Errichtung und den Bezug einer 20.01.2004 permanenten Mondbasis münden. Hubble dem Untergang geweiht Über die Natur und das Aussehen des „Crew Das wahrscheinlich bekannteste Raumfahrzeug Exploration Vehicle“ sind derzeit noch keinerlei De- der Welt, das „Hubble Space Telescope“ ist dem tails verfügbar. Auch nicht über die Frage, wie viele Untergang geweiht. Im Rahmen der Neustruktu- Astronauten es aufnehmen kann, wie es durch die rierung des amerikanischen Raumfahrtprogramms Atmosphäre fliegen wird und welches Trägersystem werden die programmatischen Weichen in eine es benutzen wird. Es könnte sowohl ein modulares andere Richtung gestellt. Damit ist der Shuttle System sein, das den jeweiligen Missionsanforde- jetzt nur noch Ausschließlich für den Aufbau der rungen angepasst wird, es könnte aber auch ein internationalen Raumstation vorgesehen. Nachdem monolithischer Design sein. es darüber hinaus jetzt eine neue NASA-Regel gibt, nach der bei so genannten „Solo-Missionen“ (das sind nach neuer NASA-Definition Missionen die 15.01.2004 nicht zur ISS führen) ein zweiter Shuttle für eine Spirit „on the road“ eventuelle Rettungsmission startbereit sein muss, NASA’s „Spirit“ Marsrover hat seine Landebasis bedeutet das, dass eine weitere Shuttle-Mission verlassen auf der er nach der geglückten Landung zum Hubble Space Teleskop finanziell als nicht im Gusev-Krater die letzten 12 Tage verbracht hat. machbar betrachtet wird. Die Missionskontroller hatten ihn in Nord-Nord- westliche Richtung geschickt, und damit befindet er Der Space Shuttle selbst wird – entsprechend dem sich jetzt etwa zwei Meter von der Landeplattform neuen Bush/NASA-Plan – im Jahre 2010 aus dem entfernt und führt die ersten Untersuchungen des aktiven Dienst genommen. Marsbodens durch. Aus diesem Grunde wurde die letzte „Shuttle Hub- Die Kontroller bezeichneten die Fahrt als die wich- ble Servicing Mission“, die für das Jahr 2006 vorge- tigsten 3 Meter in der Geschichte der Raumfahrt. sehen war, nicht mehr durchgeführt. Das wertvolle

2004 spacexpress raumfahrtchronik 13 Das Raumfahrtjahr 2004

Raumfahrzeug übermittelt worden war. Gestern hatte sich Spirit den ganzen Tag nicht gemeldet. In den heutigen frühen Morgenstunden kam immerhin eine Kurzmeldung vom Mars, dass er sich in „Safe Mode“ befindet. Nur ein paar Bit an Daten, fünf Mi- nuten lang wiederholt. Dies bedeutet auf jeden Fall, dass ein schweres Problem aufgetreten sein muss. Gegen 15:00 Uhr nachmittags (mitteleuropäischer Zeit) sendete Spirit erneut. Diesmal ein etwas längeres Protokoll, aber mit sehr geringer Übertra- gungsrate. Nicht mehr als 10 Bit pro Sekunde. Nach 10 Minuten verstummte die Sendung aber wieder.

Hubble-Space Teleskop nach der Wartung im Jahre Keiner hat irgendeine Ahnung was los ist, die meis- 2002 in der Nutzlastbucht der Raumfähre Columbia ten Techniker nehmen ein gravierendes Software- problem an. Die Hauptvermutung momentan ist Raumfahrzeug, das im Jahre 1990 in den Orbit ge- entweder eine Beschädigung der Missionssoftware bracht wurde, wird im Jahre 2008 kontrolliert zum oder des Computerspeichers. Möglicherweise ir- Absturz gebracht, vorausgesetzt es kann bis dahin gendeine Art von Kurzschluss. Das erste Problem, noch sicher betrieben werden. Dafür wird ein so das jetzt gelöst werden muss, ist es, Spirit zu über- genannter Space-Tug entwickelt, für etwa 300 Milli- reden, genügend Telemetrie zu übermitteln, damit onen Dollar, der mit einer 2-Rakete gestartet die Fehlersuche beginnen kann. wird, und dann an Hubble andockt. Dieser Space- Projektmanager Pete Theisinger sprach von einem Tug soll dann das Teleskop gezielt über dem Pazifik sehr schweren Problem, und dass es jetzt extrem zum Absturz bringen. Ohne den Space-Tug wird wichtig sei, Ruhe zu bewahren, bedacht und vor- das elf Tonnen schwere Teleskop etwa 2010 oder sichtig zu sein. 2011 von selbst abstürzen, dann aber unkontrolliert und womöglich über bewohntem Gebiet. In der Zwischenzeit nähert sich auch Opportunity, der zweite US-Rover dem Mars. Die Landung wird Momentan arbeiten nur noch vier von sechs in gut 36 Stunden stattfinden. Lagekontroll-Kreiseln, und auch andere Systeme könnten früher ausfallen. 26.01.2004 Im Jahre 2012 soll Hubble durch das James Webb Gelegenheit für Schwarzenegger Space Teleskop ersetzt werden. Das Webb Teleskop Kaliforniens neu gewählter Gouverneur Arnold ist allerdings durch Kostenüberschreitungen und Schwarzenegger und der frühere amerikanische wegen technischer Probleme gefährdet. Vizepräsident Al Gore waren unter den gespannt Das Hubble Space Teleskop war in den Jahren wartenden Gästen, die in den Jet Propulsion Labo- 1993–2002 insgesamt viermal gewartet worden. ratories in Pasadena die Landung des zweiten ame- Die fünfte Hubble-Inspektion war für das Jahr 2006 rikanischen Mars-Rovers verfolgten. Alles klappte geplant. Neben einem neuen Satz Lageregelungs- wie am Schnürchen. Die Auswertung der Teleme- kreiseln sollten die Astronauten den so genannten trie zeigte, dass die Landung von Opportunity weit „Cosmic Origins Spektrografen“ und den dritten weniger am Limit war, als vor drei Wochen bei der Ersatz für die „Wide Field/Planetary Camera“ ein- Zwillingssonde „Spirit“. bauen. Die Kreisel und beide Instrumente im Wert Die Erleichterung war Projektleiter Pete Theisinger von einigen dutzend Millionen Dollar sind bereits besonders deutlich anzumerken. Den wartenden fertig produziert und werden nun nicht mehr zum Journalisten sagte er bei der Pressekonferenz am Einsatz kommen. Sonntag früh: „Vor 36 Stunden war ich das letzte Mal hier auf dieser Bühne. Da hatten wir ‚Spirit‘ 23.01.2004 praktisch verloren und ‚Opportunity‘ hatte den Schwere Kommunikationsprobleme riskantesten Teil der ganzen Reise noch vor sich. mit Spirit Heute früh ist „Opportunity“ gesund auf dem An Bord des Mars-Rovers Spirit ist ein massives Mars angekommen und ‚Spirit‘ auf dem Weg der Kommunikationsproblem aufgetreten, womöglich Besserung“. ausgelöst durch einen fehlerhaften Datensatz der am Mittwoch, dem 19. Tag auf dem Mars, an das

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Tatsächlich verlief fahren, und dann nach marsianischem Mutterge- „Opportunity‘s“ Lan- stein zu suchen. Jetzt aber sind wir nach einer Reise dung wie am Schnür- von 450 Millionen Kilometer mitten in einem Krater chen. Die dynamischen gelandet, der exakt die Voraussetzungen mitbringt, Lasten und die Inan- die wir uns erhofft haben. Das Urgestein liegt direkt spruchnahme von Sy- vor uns“. stemreserven waren Die Auswertung des „Descent Imagers“ hat in der wesentlich geringer als Zwischenzeit ergeben, dass sich „Opportunity“ nur bei „Spirit“. Es traten etwa 500 Meter von einem noch wesentlich grö- keine unbekannten ßeren Krater entfernt befindet. Diese Strecke ist in atmosphärischen Phä- guter Reichweite der Fahrkapazität des Rovers. nomene auf, die noch vor drei Wochen zu Die Landschaftselemente, die auf den ersten einer gefährlich späten Fotos zu sehen sind, deuten bereits hin, dass sich Öffnung des Landefall- diese Gegend des Mars völlig von allen bisherigen schirms geführt hatte, Landestellen unterscheidet. Auf dem Boden sind und der Wind an der praktisch keine Steine zu erkennen, dafür aber eine Landestelle war so tiefrote, feinkörnige Struktur, die an eine Mischung gering, dass diesmal aus Talkum-Puder und nassem Sand erinnert. Am keines der Korrektur- Kraterrand sind Felsstrukturen erkennbar. Erstmals triebwerke gefeuert in der Geschichte der Marsforschung durch Lan- werden musste. Der desonden ist man damit auf felsiges Muttergestein Roter Sand dominiert den in den Airbags einge- gestoßen. Wenige Minuten nach der Landung ging Landeplatz hüllte Rover kam auch Gouverneur Arnold Schwarzenegger durch die Rei- wesentlich sanfter auf hen der Flugcontroller, schüttelte viele Hände und der Oberfläche auf, mit ließ sich Details auf den Monitoren erklären. Später, einer Belastung von nur drei „G“. Das ist nicht mehr, bei der Pressekonferenz gratulierte er noch einmal als wenn ein Mensch von einem niedrigen Schemel dem ganzen Team zu diesem grandiosen Erfolg. auf den Boden springen würde. Der Rover kann noch eine Aufprallbelastungen von 40 „G“ ohne 29.01.2004 Schaden überstehen. Es gab nur zwei kleinere Ab- Progress bringt Fracht zur Raumstation weichungen vom Nominalwert: „Opportunity“ kam Heute morgen ging eine Ladung lebensnotwen- nach dem Stillstand der Airbags auf der so genann- diger Güter und Ersatzteile von Baikonur auf die ten „Y-Seite“ zum liegen, und nicht wie „Spirit“ mit zweitägige Reise zur Internationalen Raumstation. der Bodenplatte nach unten. Die Korrektur einer Der Start des unbemannten Frachters mit der solchen Abweichung ist jedoch in der Grundpro- Bezeichnung „Progress 13P“ erfolgte um grammierung des Rovers beinhaltet. Er braucht nur 12:58 mitteleuropäischer Zeit. Als Träger eine Weile, um sich aufzurichten. wurde wie üblich die bewährte Sojus U Die zweite Abweichung bestand darin, dass zur gro- eingesetzt, die auch als Trägerfahrzeug für ßen Verwunderung der Ingenieure in Mission Con- die bemannten Sojus-Kapseln verwendet trol der Lander gar nicht mehr aufhören wollte, auf wird. Neun Minuten nach dem Lift-off seinen Airbags durch die Gegend zu rollen. Noch hatte das Raumfahrzeug eine elliptische 10 Minuten nach dem ersten Bodenkontakt stellten Anfangsbahn um die Erde erreicht. Das die Controller Bewegungen fest. Der Grund dafür Apogäum, also der bahnhöchste Punkt, wurde erst drei Stunden später klar, als „Opportu- betrug 261 Kilometer, das Perigäum, also nity“ die ersten Bilder sendete: Die in die Airbags der niedrigste Bahnpunkt lag bei 191 Kilo- eingehüllte Landestufe mit dem Rover war offen- metern. Die Inklination (die Bahnneigung sichtlich in gemächlichem Tempo in einen flachen, zum Erdäquator) betrug 51.65 Grad und etwa 20 Meter durchmessenden Krater gerollt, auf die Umlaufperiode knapp unter 89 Minu- dessen Grund er nun lag. Die Landung erfolgte 24 ten. Kilometer vom Zentrum der geplanten Landeellip- Sofort nach Erreichen der Umlaufbahn se entfernt. Steve Squires, Chefgeologe der Mission, wurden die Kommunikationsantennen meinte nach einem Blick auf die ersten Bilder von ausgefahren und die Solargeneratoren der Landestelle: „Ich habe mir in meinen kühnsten entfaltet. Das automatische Dockingma- Start von Träumen ausgemalt, dass wir vielleicht nahe genug növer am russischen Zvesda-Modul der Progress 13P an einem Krater landen könnten, um dorthin zu

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Internationalen Raumstation ist am Samstag um riegelt werden konnte. Die Hinterräder wurden am 14:15 Uhr mitteleuropäischer Zeit geplant. Donnerstag in die richtige Position gebracht, damit hatte das Fahrzeug seinen endgültigen Radstand er- Der Svesda-Docking-Port war bis gestern noch von reicht. Am Freitag wurde dann das mittlere Radpaar Progress 12P belegt gewesen. Der alte Progress- in die korrekte Position gebracht. Transporter war in den vergangenen Tagen mit Müll und nicht länger benötigter Ausrüstung beladen Ebenfalls am Freitag früh wurde der mehrgelenkige worden und hatte um 9:36 am 28. Januar von der Arm, der die wissenschaftlichen Instrumente für die ISS abgelegt. Gegen 14:00 fand der Retro-Burn statt, Nahuntersuchungen der Marsoberfläche und der und um 14:46 verglühte Progress 12P wie vorgese- Steine trägt, von den Transportsicherungen befreit hen über dem Pazifischen Ozean. und aus seiner Flugposition und in die „Fahrpositi- on“ transferiert. Wie aus dem Kontrollzentrum ver- Die neue Progress bringt etwa 2,4 Tonnen Material lautete, kann Opportunity wahrscheinlich bereits zur Raumstation, Darunter sind Dinge wie eine am Samstagabend oder am Sonntag früh eine erste neue Dichtung für das Beobachtungsfenster des kurze Strecke zurücklegen, wenn die Inbetriebnah- Destiny-Labormoduls, Ersatzteile für den Sauer- me weiterhin so reibungslos verläuft. stoffproduktionsgenerator vom Typ „Elektron“ sowie eine komplette „Elektron-Reserveeinheit“, Um das Herabrollen von der Landestufe zu un- Batterien für die Module Zarya und Zvesda, ein terstützen (die Ingenieure betrachten das als den neues Feueralarm-System, einen neuen Orlan- riskantesten Teil der Fahrt auf dem Mars) wurde die Raumanzug, Filme, Kameras, Kassetten, Trinkwasser, Landestufe instruiert, die Airbags auf der Rücksei- Lebensmittel, Kleidung, Hygiene-Artikel und viele te des Landers weiter einzuziehen, und dann die andere Dinge. rückwärtige Klappe wieder herunter zu lassen. Mit diesem Manöver sollte die Vorderseite der Lande- An Bord der Raumstation befindet sich seit No- stufe, von der Opportunity herunter rollen wird, vember die Expedition 8, bestehend aus Komman- etwas angehoben werden. Dadurch wird die Fahrt, dant Mike Foale und dem Flugingenieur Alexander die ansonsten relativ steil nach unten geht, etwas Kaleri. Sie werden im April von der Expeditionscrew ebener ausfallen. 9 abgelöst werden. Bei „Spirit“ hatte sich die Abfahrt von der Lan- Der heutige Start war der erste von mindestens destufe noch als recht schwierig dargestellt. Hier vier Progress-Starts in diesem Jahr. ragte einer der Airbags in die Abfahrtsrampe hinein. Dieser Airbag ließ sich auch nicht zurückziehen. 30.01.2004 Aus diesem Grund musste Spirit auf der kleinen Opportunity kurz vor der ersten Fahrt – Landestufe ein Wendemanöver um 115 Grad un- Spirit sendet wieder Bilder ternehmen, um auf einer seitlichen Rampe abfahren Der für den Transport zum Mars gesicherte und zu können. Für „Opportunity“ gibt es dagegen kein zusammen gelegte Rover „Opportunity“ hat den solches Hindernis. schwierigen „Entpackungsprozess“ nahezu hinter Der einen halben Planeten entfernte Rover „Spirit“ sich gebracht. Damit ist er schon fast in fahrtaugli- erhielt am Donnerstag Kommandos von der Erde, chem Zustand und könnte unter günstigen Umstän- den bereits in der Nacht von Samstag auf Sonntag die Landestufe verlassen und auf die Oberfläche des Roten Planeten rollen. Der komplexe Transformationsprozess begann schon unmittelbar nach der Landung am letzten Samstagmorgen. Die ersten Schritte waren das Entfalten der Solargeneratoren und das Ausfahren des Kameramasten. Die so genannte „High-Gain“ Antenne, in der Form eines riesigen Lolli konnte Anfang der Woche in Betrieb genommen werden, und die letzten Tage waren hauptsächlich vorgese- hen, Räder und das Radaufhängungssystem in die richtige Betriebsposition zu bringen. Opportunity wurde am Mittwoch mit einem elektrischen Mechanismus angehoben, damit die Vorderräder gedreht und die Radaufhängung ver-

Der mehrgelenkige Arm für Nahuntersuchungen 16 spacexpress raumfahrtchronik 2004 wird aktiviert. Das Raumfahrtjahr 2004

um seine wissenschaftliche Arbeit im Gusev Krater Februar nach den Computerproblemen der letzten Woche wieder aufzunehmen. Dabei wurden hauptsächlich 03.02.2004 Detail-Bilder von nahe gelegenen Steinen gemacht. Pärchenbildung Die Kontroller hofften darüber hinaus, die Daten Das chinesische Astronautencorps beginnt in des Mössbauer-Spektrometers und des Alphastrah- diesen Tagen mit dem Training zur nächsten be- len Spektrometers zu erhalten, die letzte Woche an mannten Mission, dem Flug „Shenzou 6“. Die 14 dem Stein namens „Adirondack“ gemacht worden Taikonauten, wie die Chinesen ihre Raumfahrer waren. Spirit hatte die Informationen zwar gesam- nennen, werden dazu in sieben Zweierteams aufge- melt, konnte sie aber wegen der Computerpro- teilt, von denen eines wenige Tage vor dem Start für bleme nicht mehr zur Erde übertragen. die Mission ausgewählt wird. Auch , der In dem Zusammenhang gab das Jet Propulsion Taikonaut der im vergangenen Oktober den ersten Laboratory bekannt, dass man immer noch keine chinesischen Raumflug durchgeführt hat, nimmt an vollständige Idee von der Natur der Computerpro- diesem Training teil. Das beendet vereinzelte Speku- bleme habe. Die Ingenieure wollen sicherheitshal- lationen, dass er als „Volksheld“ für die chinesische ber den gesamten Flash Memory des Rovers in den Regierung zu wichtig sei, um ihn erneut dem Risiko nächsten Tagen neu formatiere eines Raumfluges aussetzen zu wollen. Ein Datum für die Mission wurde noch nicht festgelegt. Fach- leute gehen davon aus, dass der Flug zwischen März 31.01.2004 und Mai nächsten Jahres stattfinden wird. Progress dockt an Der vor zwei Tagen in Baikonur gestartete russische Inzwischen gibt es auch Hinweise, dass sein Raumfrachter Progress 13P legte am Samstag wie Astronautencorps erweitert, und weitere Kandida- geplant an der Internationalen Raumstation an, und ten rekrutiert. Als Begründung wurde angegeben, lieferte der Expeditionscrew 8 Nahrungsmittel, dass alle gegenwärtigen Kandidaten bereits über 30 Treibstoff und andere Güter. Das automatische Jahre als seien, und man für die anstehenden Aufga- Dockingmanöver verlief problemlos. ben auch jüngere Kräfte brauche, die das Programm dann für längere Zeit begleiten können. In den letzten Monaten wurde bekannt, dass China vor dem Start von Shenzou 5 ein geheimes Ab- kommen mit der australischen Regierung getroffen hatte. Damit hätte das Raumfahrzeug im Notfall auch eine Landung in den australischen Outbacks durchführen dürfen. Weiter bestätigten chinesische Offizielle erneut frühere Meldungen, dass China beabsichtigt, bis spätestens zum Jahre 2020 Menschen auf dem Mond zu landen.

06.02.2004 1-3: Progress 13P wird in Baikonur mit der AMC-10 im Orbit Trägerrakete integriert. Der Vollmond strahlte hell über der Startrampe 36A auf der Cap Canaveral Luftwaffenbasis als eine Lockheed Martin 2AS heute früh um 0:46 Uhr Die neue Ladung erlaubt es dem orbitalen Außen- mitteleuropäischer Zeit mit dem 2.350 Kilogramm posten den Betrieb weiterzuführen, während die schweren Kommunikationssatelliten AMC-10 in NASA noch darauf wartet, dass die Shuttle-Flotte den Himmel donnerte. wieder flugbereit wird. Der Start hatte sich um 50 Minuten verzögert, weil Dies ist die 13. Progress welche die Station besich- ein Helium-Ventil nicht wie vorgesehen funktioniert tigt. Sie legte wie vorgesehen um 14:13 mitteleuro- hatte. Die Techniker konnten das Problem aber päischer Zeit am Svesda-Modul an. rechtzeitig beheben, und der Start konnte 20 Minu- ten vor dem Ende des an diesem Tag insgesamt 70 Minuten langen Startfensters durchgeführt werden. Die Trägerrakete lieferte ihre Nutzlast nach 50

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Minuten im vorge- 09.02.2004 sehenen Orbit ab, Spirit und Opportunity und erhöhte damit kommen in die Gänge die bemerkenswerte Die Forschungsarbeiten der beiden amerikanischen Erfolgsrate der Atlas Marsrover laufen derzeit auf hohen Touren. Spirit im auf nunmehr 69 er- Gusev-Krater scheint weitgehend wiederhergestellt folgreiche Starts in zu sein, wenngleich ein erneutes, allerdings wesent- ununterbrochener Reihenfolge. Tatsäch- lich ist noch nie eine Rakete der Typen Künst. Darstellung von AMC 10 im Orbit Atlas 2, 3 oder 5 ge- scheitert. Die Bodenstation in Uralla, Australien, stellte sofort nach der Trennung den Kontakt mit dem von Lock- heed Martin gebauten Satelliten her. In den nächsten Tagen finden mit den bordeigenen Triebwerken des Satelliten eine Reihe von Bahnan- Urgestein im Opportunity-Krater passungsmanövern statt. Momentan befindet sich der Raumflugkörper auf einem Übergangsorbit mit lich kleineres Softwareproblem die Abfahrt des Ro- einem bahnhöchsten Punkt von 35.805 Kilometern, vers zum nächsten Ziel um einen Tag verzögerte. einem niedrigsten Bahnpunkt von 186 Kilometern Am Samstag hatte Spirit die Detailuntersuchung und einer Inklination von 12,4 Grad zum Äquator. einem „Adirondack“ genannten Stein weitergeführt, Diese Bahn wird in den nächsten Tagen in eine in dem er mit dem so genannten „Rock Abrasion Kreisbahn in 35.800 Kilometer Höhe mit einer In- Tool“ ein drei Millimeter tiefes Loch in den grani- klination von 0 Grad geändert. Danach werden die tharten Fels gebohrt hatte. Der Felsen zeigte sich bislang nur teilentfalteten Solargeneratoren und alle von enormer Härte, und es dauerte drei Stunden, Antennen komplett entfaltet und das Raumfahr- bis eine Ausfräsung in dieser Tiefe erreicht wurde. zeug ausführlichen Tests unterzogen. Dieses Loch wurde anschließend mit den Analy- SES Americom hofft, den Satelliten spätestens An- segeräten die Spirit an Bord hat, genau untersucht. fang Mai in Betrieb nehmen zu können, um seinen Insbesondere mit Hilfe des Mössbauer-Spektrome- Vorgänger, Satcom C-4, bei der Parkposition 135 ters soll der genaue chemische Aufbau des Steines Grad West zu ersetzen. Von diesem Punkt aus erforscht werden. Ab heute wird Spirit sich dann versorgt SES Americom Kabel-Gesellschaften in auf den Weg zum „Bonneville“-Krater machen, der ganz Amerika. etwa 350 Meter entfernt ist. Es wird voraussicht- lich sieben bis zehn Tage dauern, bis dieser Krater Am 19. Mai soll AMC-10 Gesellschaft von AMC-11 erreicht ist. Unterwegs sollen an verschiedenen erhalten, der ebenfalls mit einer Atlas 2AS in den Positionen Pit-Stops vorgenommen werden, um Orbit gehen soll. AMC-11 wird Satcom C-3 erset- chemische Analysen und Panorama-Aufnahmen zu zen, der bei 131 Grad West steht. machen. Die beiden neuen Satelliten bieten etwa 20 Prozent Opportunity dagegen wird für die nächste Zeit mehr Leistung als ihre Vorgänger.. Jeder von ihnen an seinem Landeort verbleiben, und diesen weiter hat 24 C-Band Transponder und eine geplante Le- erkunden. Es hat sich von Anfang an gezeigt, dass bensdauer von 15 Jahren. der kleine Krater, in dem Opportunity nach der Der nächste Atlas start ist für den 12. März von Landung liegen geblieben ist, ideal für detaillierte Cape Canaveral aus geplant. Dann wird eine Atlas Forschungen geeignet ist. Insbesondere die Anwe- 3A Rakete den Kommunikationssatelliten MBSAT senheit von marsianischem Urgestein bringt die für die japanische Mobile Broadcasting Corporation Forscher in helles Entzücken. Dieses Gestein weist in den Orbit tragen. eine filigrane Schichtung und eine erhebliche Verwit- terung auf. Eine weitere Entdeckung wurde in den Ein weiterer japanischer Kommunikationssatellit, letzten Tagen gemacht: Mit dem Microscopic Imager Superbird 6 wird Mitte April mit einer Atlas 2AS wurden seltsame weiße Kügelchen im Boden ent- starten, und danach kommt der bereits erwähnte deckt, die in diesem Krater offensichtlich sehr häufig AMC-11 Start. sind. An Spirits Landestelle etwa kommen solche

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feindlicher Lenkwaffen und den Explosionen von Nuklearbomben Ausschau hält. Befördert wurde der Satellit von einer 400 Millionen Dollar teuren Lockheed Martin Titan 4B. Der Start erfolgte um 19:50 Uhr mitteleuropäischer Zeit (13: 50 Uhr Ortszeit). Startort war der Startkomplex 40 der Cape Canaveral Luftwaffenstation. Wenige Minuten nachdem der schwere Träger seinen Aufstieg in den trübgrauen Himmel be- gonnen hatte, lieferte die Titan die Boeing Inertial Upper Stage und den darauf montierten Defense Support Program-22 Satelliten in einem vorläufigen Parkorbit in einer niedrigen Erdumlaufahn ab. In den nächsten sechseinhalb Stunden führte der 100 Millionen Dollar teure IUS-Apogäumsmotor zwei Zündungen durch, mit denen der 256 Millionen Dollar teure Satellit in den geostationären Orbit Opportunity entdeckte diese Kügelchen gelangte. Danach trennte sich das Raumfahrzeug sicher von der Oberstufe und damit war der Start Kügelchen nicht vor. Die Wissenschaftler haben bis- knapp sieben Stunden nach dem Abheben von der lang noch keine Meinung zu diesem Phänomen. Rampe erfolgreich beendet. Opportunity wird in den nächsten Wochen nicht Die DSP-Satelliten werden von Northrop Grum- mehr als etwa 30 Meter im Inneren des Kraters man gebaut. Sie benutzen Infrarot-Teleskope um zurücklegen und soll dabei eine große Anzahl von die Hitzeentwicklung von Raketentriebwerke fest- Detail-Untersuchungen vornehmen. Danach wird zustellen und geben damit den Vereinigten Staaten erwogen, auch mit Opportunity „auf Strecke“ zu und ihren Alliierten Frühwarnmöglichkeiten über gehen, und einen weiteren, wesentlich größeren, mögliche bevorstehende Angriffe. Außerdem ist der aber etwa 500-600 Meter entfernten Krater an- Satellit auch in der Lage, weltweit alle nuklearen Ex- zusteuern. plosionen zu entdecken. Der 23. und letzte Satellit Die Fernerkundungs-Möglichkeiten beider Rover der DSP-Reihe soll im März 2005 mit einer Boeing werden letztendlich durch ihre technische Lebens- Delta 4-Heavy vom Cape aus gestartet werden. dauer, den jahreszeitlichen Wechsel auf dem Mars Danach wird eine neue Generation von Inrarot- und vor allen Dingen den Staubablagerungen auf Orbit-Detektoren zum Einsatz kommen. den Solargeneratoren begrenzt. Man geht derzeit Der Start am Samstag war der 24. und letzte Ein- davon aus, dass die beiden Rover jeweils etwa 90 satz einer IUS-Oberstufe. Der erste Einsatz dieser Tage lang voll funktionieren können, und dann nach Apogäums-Stufe fand im Jahre 1982 statt, damals und nach ihre Fähigkeiten einbüßen werden. Sobald vom Shuttle aus. Die IUS-Motoren flogen 15mal auf etwa die Stromaufnahme auf unter 600 Watt sinkt dem Shuttle, achtmal auf der Titan 4 und einmal auf (derzeit sind es 750 Watt) werden nicht mehr alle einer . Geräte betrieben werden können. Schließlich wird es durch Staubeinwirkungen oder die extremen Für die Titan 4 war es der drittletzte Einsatz. Das Fi- Temperaturwechsel zu mechanischen Schäden nale an der Ostküste soll am 1. Oktober stattfinden, kommen, und die Rover werden ihren Dienst wenn die Rakete mit einer geheimen Nutzlast des einstellen. Derzeit ist Spirit den 36. Tag auf dem National Reconnaissance Mars, Opportunity ist seit 16 Tagen auf dem Roten Offices startet. Endgül- Planeten. tiges Ende der Titan 4-Ära ist dann im nächsten Fe- bruar, mit einem Start von 16.02.2004 der Vandenberg Luftwaf- DSP 22 startet auf drittletzter Titan 4B fenbasis in Kalifornien. Die Der neueste US-Wachtposten im Weltraum Mission am Samstag war wurde am Samstag erfolgreich in seiner vorgese- der 37. Flug einer Titan 4 henen Position platziert. Er wird Bestandteil eines seit 1989, und der 26. der Weltraumüberwachungssystems, das in 36.000 DSP 22 – Künstlerische von Florida aus stattfand. Kilometer Höhe über der Erde nach startenden Darstellung

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19.02.2004 machen“ der Harpu- Putin beobachtet Start von 2405 nen. Hierbei handelt Unter Anwesenheit des russischen Staatspräsi- es sich um Objekte, denten Wladimir Putin startete gestern um 8:05 die kurz nach der mitteleuropäischer Zeit eine Trägerrakete vom Landung in die Ko- Typ M vom Kosmodrom in Plesetzk in metenoberfläche ge- Nordrussland. Es war der erste Start von dieser schossen werden, um nördlichen Startbasis in diesem Jahr, der zweite sicherzustellen, dass für einen Booster der Sojus-Baureihe und die erste der Lander fest veran- russische Militärmission des Jahres.. kert ist und der gerin- gen Schwerkraft auf Im Laufe des Jahres sind noch weitere acht Sojus- dem Kometen trotzt. Missionen geplant. Das Scharfmachen er- Putin kam einige Stunden vor dem Start in Plesetzk Künstlerische Darstellung folgt erst kurz vor dem an, und besichtigte die Rakete vor dem Start an der der Trajektorie von Rosetta Start, weil die Projek- Startrampe. Die Nutzlast ist ein Militärischer Kom- tile mit ihrer Pulverladung eine potenzielle Gefahr munikationssatellit des Molnija-Typs, die auf hoch- darstellen, insbesondere in direkter Nähe eines voll elliptische Bahnen über die Pole geschickt werden. betankten Satelliten und der Feststoffraketen. Die Molniya M kann etwa 2,2 Tonnen Nutzlast in Das Scharfmachen der durch Treibstoffladungen einen solchen Orbit befördern. Die Molniya-Kom- angetriebenen Harpunen geschah durch den Aus- munikationssatelliten wiegen aber in der Regel nur tausch von Steckern. Der bis gestern gesteckte etwa 1.900 Kilogramm. „Safe-Plug“, der verhindert hat, dass eine Spannung In der üblichen nichts sagenden militärischen Na- an die Zündvorrichtung gelangen kann, wurde mensgebung in Russland erhielt der Satellit diese gegen den „Arm-Plug“ ausgetauscht, der die elek- Bezeichnung... trische Verbindung prinzipiell herstellt. Aber erst in 10 Jahren, bei der Landung auf dem Kometen, kann durch ein beim Aufsetzen automatisch generiertes März Kommando eine Spannung an den Glühdrähten an- gelegt werden, die eine Zündung der Treibladungen bewirkt und die Geschosse in die Kometenober- 02.03.2004 fläche treibt. Vor dem Start sind diese Kommandos Beim dritten Anlauf zur Sicherheit aber noch nicht in den Bordcompu- endlich unterwegs ter geladen. Heute morgen startete um 8.17 Uhr MEZ mit Rosetta Der 5-Start begann mit der Zündung des eine der aufregendsten und Haupttriebwerkes „Vulcain“ der Unterstufe und anspruchsvollsten Weltraum- der nach 7 Sekunden anschließenden Zündung der missionen in der Geschichte Booster, nach 2 Minuten und 19 Sekunden erfolgt der Raumfahrt. Die Mission der deren Abtrennung, nach 3 Minuten und 11 Sekun- ESA besteht aus einem Orbiter G den die Abtrennung der Nutzlastverkleidung. Nach und der Landeeinheit . vor dem Start 10 Minuten und 30 Sekunden war die Unterstufe Ziel der Mission ist der Komet ausgebrannt und wurde abgesprengt. Danach flog Churymov-Gerasimenko, ein Himmelskörper mit die Oberstufe mit der Rosetta-Sonde antriebslos, rund vier Kilometer Durchmesser, der im Jahr 2014 aber gesteuert, um die Erde. Nach 1 Stunde, 56 erreicht und auf dem schließlich auch gelandet wer- Minuten und 37 Sekunden erfolgt die Zündung der den soll. Oberstufe, nach 2 Stunden, 14 Minuten und 55 Se- kunden wurde die Rosetta-Sonde abgetrennt – und Bei diesem Start wurde erstmals eine Ariane 5 in damit begann ihre zehneinhalbjährige Reise durch der verbesserten Version Ariane 5 G+ eingesetzt. unser Sonnensystem. Sie unterscheidet sich von der 16 Mal flugerprob- ten Grundversion Ariane 5 G durch Änderungen Schon Minuten nach der Abtrennung nahmen die in der Struktur, in der Oberstufe, in einer neueren Missionskontroller Kontakt mit der Raumsonde auf. Elektronik sowie in den modifizierten Feststoff- Nicht nur der Start selbst, sondern auch die Boostern. ersten Tage und Wochen danach sind kritisch für Sechs Tage vor dem Start wurde eine besonders die gesamte Mission. Rosetta muss präzise auf die kritische Aktivität erfolgreich absolviert. das „Scharf- richtige interplanetare Bahn gebracht werden, und

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die wichtigsten Systeme der Sonde sind in Betrieb in Berlin-Adlershof fotografiert. Unmittelbar nach zu nehmen. Die Bodenmannschaft beim European dem Aufsetzen auf der Kometenoberfläche werden Space Operations Centre (ESOC), dem Betriebs- Harpunen in den Boden geschossen, damit der zentrum der ESA in Darmstadt, hat folglich alle Lander der geringen Schwerkraft trotzt und nicht Hände voll zu tun. wieder im Weltraum verschwindet. Dann beginnt die erste wissenschaftliche Sequenz. Für den Lander steht bereits acht Stunden nach dem Start die erste Maßnahme auf dem Programm, Nach etwa fünf Tagen ist der Energievorrat der Pri- das Lösen der „Transportsicherung“. Dabei handelt märbatterien aufgebraucht. Der Lander wird dann es sich um vier massive Bolzen, mit denen der in eine Art Winterschlaf fallen, aus dem er wieder Philae-Lander fest an sein Rosetta-Mutterschiff erwacht, wenn der Komet näher zur Sonne kommt, geschraubt ist, um die mechanischen Belastungen es wärmer wird und der Solargenerator genug während des Starts abzufangen. Zum Lösen dieser Energie erzeugt. Dann kann die „Langzeitmission“ Bolzen werden Fäden durchgebrannt, die bis dahin beginnen, die einige Monate dauern wird. Federn in gespanntem Zustand gehalten haben. Das Die ESA-Gesamtkosten für die Rosetta-Mission be- Entspannen der Federn bewirkt die Freigabe der tragen rund 770 Millionen Euro. Dazu kommen die Bolzen. Danach ist es noch der Separationsmecha- Kosten für den Lander und für nationale Beiträge nismus, der den Lander während der nächsten 10 zu den jeweiligen wissenschaftlichen Experimenten, Jahre bis zur Landung am Mutterschiff festhält. so dass mit einem Gesamtvolumen von rund einer Sobald die Bahnmanöver abgeschlossen sind, Milliarde Euro zu rechnen ist. Als wissenschaftlich wird eine genaue Überprüfung aller Systeme von und industriell wichtigste Nation der Rosetta- Rosetta und seiner wissenschaftlichen Nutzlast Mission trägt Deutschland einen Beitrag von 290 durchgeführt. Diese Phase heißt „Commissioning“, Millionen Euro. und sie erstreckt sich bis Ende des Jahres. Die Inbe- triebnahme des Landers beginnt etwa 14 Tage nach dem Start und beschränkt sich zunächst auf die lebenserhaltenden Systeme wie Stromversorgung, Bordrechner, Temperaturregelung und Datenüber- tragung. Erst danach werden die wissenschaftlichen Instrumente überprüft. Während der langen Reise zum Kometen werden regelmäßig „Gesundheits-Checks“ am Lander durchgeführt. Zum Training und Know-how-Erhalt werden darüber hinaus die verschiedenen Missi- onsphasen an Simulatoren durchgespielt. Bei Ankunft am Kometen Churyumov-Gerasimen- ko im Jahr 2014 wird zunächst eine detaillierte Cha- rakterisierung seiner Eigenschaften vorgenommen. Vor dem Start wird letzte Hand an „Philae“ gelegt. Dazu zählt die Kartographie der Oberfläche, Be- stimmung seines Schwerefelds und der Staub- und 13.03.2004 Plasma-Eigenschaften. Auf dieser Basis wird der Lan- Atlas 3 bringt MBSat in den Orbit deplatz ausgewählt, es werden die für die Landung Eine Lockheed Martin Atlas 3 brachte in der Nacht erforderlichen Flugmanöver von Rosetta bestimmt vom Samstag zum Sonntag den „Mobile Broadcas- und der Separationsablauf wird festgelegt. ting “ in einen geostationären Transferorbit. Nach einem Bilderbuch-Countdown ohne Unter- Das Auslösen der Separationssequenz setzt einen brechungen, hob die 55 Meter hohe Rakete um 0: automatischen Prozess in Gang. Das ist notwendig, 40 Ortszeit (6:40 mitteleuropäischer Zeit) von der weil wegen des großen Abstands zur Erde die Licht- Startrampe 36B in Cap Canaveral ab. laufzeit für die einfache Strecke etwa 25 Minuten beträgt, zu lange, um interaktiv arbeiten zu können. Drei Minuten nach dem Lift-off wurde die ausge- Philae bekommt das Kommando, sich vom Orbiter brannte erste Stufe abgeworfen und das einzelne abzustoßen, dann bringt er sich in die Landekonfigu- Centaur-Triebwerk der Oberstufe für ein erstes, ration: Die Beine klappen aus, die wissenschaftlichen 9-Minütiges Brennmanöver gezündet, um einen Instrumente beginnen mit ihren Messungen, die Übergangsorbit zu erreichen. Nach einer Freiflug- Annäherung an den Kometen wird von der ROLIS- phase quer über den Atlantik führte die Centaur Kamera des DLR-Instituts für Planetenforschung ein zweites Brennmanöver durch. Danach war ein

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elliptischer geosynchroner Transferorbit mit einem Jetzt wird die Atlas 3 zugunsten der neuen Atlas 5 Apogäum von 35.800 Kilometern und einem Peri- auch schon wieder außer Dienst gestellt. Es wird gäum von 183 Kilometern erreicht. Die Inklination nur noch ein Start einer Atlas 3 stattfinden, und nach dieser zweiten Brennphase betrug 24,82 Grad zwar Anfang nächsten Jahres mit einer klassifizier- relativ zum Äquator. ten Nutzlast des U.S. National Reconnaissance Office, also einem Spionagesatelliten. Der nächste 29 Minuten nach dem Start wurde MSAT von der Start einer Atlas wird wieder mit dem älteren Trägerrakete freigegeben. Dies beendete den 70. Modell Atlas 2AS erfolgen. Mit diesem Träger wird erfolgreichen Start einer Atlas in ununterbrochener am 15. April der japanische Kommunikationssatellit Reihenfolge. Diese bemerkenswerte Erfolgsserie „Superbird 6“ von Cap Canaveral aus in den Orbit reicht inzwischen zurück bis ins Jahr 1993. gebracht. Die Rakete wird in diesen Tagen bereits Das Trägersystem Atlas ist nun kurz davor, den am Pad 36A montiert. Industrie-Rekord für die längste ununterbrochene Serie erfolgreicher Starts zu brechen. Diesen Re- 18.03.2004 kord hält bislang die inzwischen aus der Produktion startet mit Breeze M genommene , die in den Jahren 1995 bis Eine russische Proton Breeze M brachte in der 2003 74 erfolgreiche Starts in ununterbrochener Nacht von Montag auf Dienstag den Telekommu- Reihenfolge absolvierte. nikationssatelliten Eutelsat W3A in den Orbit. Der Der von Space Systems/Loral in Palo Alto, Kaliforni- mehr als 60 Meter hohe Booster startete um 0:06 en gebaute, 4150 Kilogramm schwere MBSat wird mitteleuropäischer Zeit vom Kosmodrom im kasa- sich in den nächsten Tagen selbst in den endgültigen chischen Baikonur. Der Kunde für diesen Flug ist die geostationären Orbit, in einer Kreisbahn von 35.800 in Paris ansässige Firma Eutelsat. bringen, und zwar auf einer Position, die bei 144 Im Rahmen der neunstündigen Mission, die nicht Grad östlicher Länge liegt. weniger als fünf Brennmanöver der Breeze M- Der Satellit wird von Oberstufe erforderte, wurde die Nutzlast erfolg- der „Mobile Broad- reich im vorgesehenen Orbit abgesetzt. casting Corpora- Der erreichte Orbit hatte einen bahnhöchsten tion“ in Tokio und Punkt von 35.600 Kilometern und einen niedrigsten der „SK Telecom“ Bahnpunkt von 4.000 Kilometern bei einer Inklinati- in Seoul gemein- on von 12.99 Grad zum Äquator. sam betrieben. Er soll MPEG-4 Videos, In den kommenden Tagen wird sich W3A selbst Audiosendungen in in einen geostationären Orbit in knapp 36.000 Künst. Darstellung von MBSat CD-Qualität und Kilometern Höhe befördern. W3A wird bei 7 Grad Daten an Mobilfunk- östlicher Länge stationiert, und von dort aus Euro- Nutzer, die mit Palm-Empfängern und Handys pa, den mittleren Osten und Afrika mit Telekommu- ausgerüstet sind, in Japan und Südkorea abstrahlen. nikationsdiensten verbinden. MBSAT trägt zwei Hochleistungstransponder für Der neue Nachrichtensatellit wurde von EADS die Direkt-Datenübermittlung. Ein Transponder gebaut. Das 4.250 Kilogramm schwere ist für die Abdeckung des japanischen Raumes, Raumfahrzeug hat eine Design-Lebensdauer von der andere für Korea bestimmt. Zwei zusätzliche 15 Jahren. Es ist dies der erste Satellit der Euro- leistungsschwächere Transponder liefern Daten an star 3000-Serie, der zum Einsatz kommt. W3A ist terrestrische Repeater-Netzwerke. mit 58 Ku- und Ka-band Transpondern sowie steu- Sobald MBSAT seine endgültige Position erreicht erbaren Abstrahlantennen hat, beginnt die Test- und Indienststellungsphase. ausgerüstet. 35 Transpon- Der offizielle Servicebeginn wird im Juli erfolgen. der sind dafür bestimmt, Der Start am Samstag war der fünfte einer Atlas die Dienste von Eutelsat 3 seit Einführung dieser Baureihe im Jahre 2000. W3 zu übernehmen. Die- Die Atlas 3 wurde als Übergangsmodell zwischen ser ältere Satellit, der 1999 den älteren Atlas-Varianten und der neuen Atlas 5 gestartet wurde, wird in eingeführt. Zweck dieser Version war es vor allen eine andere Orbit-Position Dingen, das neue russische RD-180 Triebwerk und gesteuert. die verlängerte Centaur Oberstufe im Einsatz zu Für den Bau des Satelliten erproben. Eine Proton/Breeze M Trägerrakete 22 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

sind eine ganze Reihe von EADS Firmen in ganz Eu- Dieser ältere Satellit wird ropa zum Einsatz gekommen. Die Solargeneratoren, nach der Ankunft von GPS alle Triebwerke und die Repeater-Ausrüstung kamen 2R-11 nur noch als Reser- aus dem deutschen Astrium Werk in Ottobrunn bei vesatellit verwendet. München, die Triebwerke stammen aus dem EADS- Der etwa 40 Millionen Eu- Werk in Lampoldshausen bei Heilbronn. ro teure GPS 2R-11 wur- Der Start am Dienstagmorgen war der erste de von Lockheed Martin Einsatz einer Proton in diesem Jahr. Die nächste Zi- gebaut. Er wird den Slot vilmission dieses Trägerraketen-Typs wird der Start 3 in der GPS-Bahnebene des Nachrichtensatelliten Intelsat 10–02 sein. C besetzen. Der Satellit mit der Gedenk-Plakette Vor 26 Jahren war der 22.03.2004 erste GPS Satellit mit einer Atlas-Trägerrakete von 50. GPS-Satellit im Orbit der Vandenberg Air Force Basis in Kalifornien aus in Als am 20. März eine Delta 2 Trägerrakete den 50. den Orbit gebracht worden. 11 weitere, so genann- Satelliten des Global Positioning Systems in den te Block 1 GPS Satelliten wurden dann bis 1985 Weltraum transportierte, war das nicht nur ein gestartet, wobei allerdings einer bei einem Fehlstart Jubiläum für die US-Luftwaffe, die dieses System verloren ging. betreibt. Es war auch gleichzeitig eine Ehrung für Das heutige operationelle GPS System erlebte sei- den Mann, der das System der „Leuchttürme im nen Erststart im Februar 1989. Alle GPS Satelliten Himmel“, wie er es genannt hatte, erdacht hatte. der neueren Generation waren mit Delta-Trägerra- Der geistige Vater des Systems war Dr. Ivan A. Get- keten gestartet worden: Neun Satelliten der Serie ting gewesen. Er war letzten Oktober im Alter von Block 2, 19 der Serie Block 2A und am gestrigen 91 Jahren gestoren. Getting hatte die theoretischen Samstag 11 der Serie Block 2R. Auch bei diesen 39 Grundlagen des Systems schon vor mehr als 30 Jah- Starts war ein Fehlstart dabei, bei dem der Satellit ren erarbeitet, und war danach unermüdlich tätig verloren ging. gewesen, um das System Realität werden zu lassen. Der nächste GPS Start soll am 20. Juli erfolgen. Der Zu Ehren Gettings befestigten die Techniker vor übernächste im September. dem Start eine Plakette am Satelliten. Die Inschrift auf dieser Plakette lautet: „Leuchttürme im Himmel, im Dienste der Menschheit: Dr. Ivan A. Getting 1912 26.03.2004 – 2003“. 10 Wochen Startverzug – 90 Wochen längere Reise GPS Satelliten senden kontiniuierlich Navigationssi- Der ohnehin schon sehr langen Reise der Disco- gnale zur Erde. Sie erlauben es Empfängern überall very-Raumsonde MESSENGER von der Erde zum auf der Welt, jederzeit exakt die Position und Zeit Merkur wurden in dieser Woche noch einmal zwei zu ermitteln. Die Signale sind so präzise, dass Zeit Jahre angehängt. Grund dafür ist die Entscheidung mit ihnen auf eine Millionstel Sekunde genau fest- der NASA, nicht das primäre Startfenster im Mai gestellt werden kann, Geschwindigkeiten bis auf wahrzunehmen, sondern das Reserve-Startfenster wenige Zentimeter pro Stunde und Orte mit einer im Juli. Dieses Startfenster wird eine erheblich um- Genauigkeit von zwei bis vier Metern. ständlichere Trajektorie erfordern. Der am 20. März gestartete Satellit trägt die Be- MESSENGER, die „MErcury Surface, Space ENvi- zeichnung GPS 2R-11. Nach dem Start um 18:53 ronment, GEochemistry and Ranging“ Raumsonde mitteleuropäischer Zeit von Cap Canaveral in Flo- soll das erste irdische Raumfahrzeug werden, das rida aus wurde er zunächst in einem Transferorbit auf eine Umlaufbahn um den innersten Planeten abgeliefert. Der niedrigste Bahnpunkt, das Perigäum, unseres Sonnensystems einschwenkt. Leider aber lag danach 165 Kilometer über der Erde, der höchs- wird die ursprünglich geplante Startgelegenheit te Bahnpunkt war bei knapp 17.000 Kilometern. ungenutzt verstreichen müssen, weil sich die Tech- In den folgenden Tagen wird der so genannte Kick- niker in letzter Minute einer Vielzahl unerwarteter Motor des Satelliten eingesetzt, um die Bahn bei Probleme insbesondere mit der Software gegenü- 17.000 Kilometern zu zirkularisieren. bersahen. Diese technischen Probleme werden den Beginn der Reise um 10 Wochen verschieben. GPS 2R-11 wird an seiner vorgesehenen Orbitpo- sition den schon etwas kränkelnden GPS 2A-19 Ursprünglich hätte der Start von Cap Canaveral ersetzen. Dieser Satellit tut bereits seit 11 Jahren aus an Bord einer Delta 2 „Heavy“ in einem 12- Dienst und hat eine labile Navigationsdateneinheit. tägigem Startfenster stattfinden sollen, das sich am

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startet, hätte die Trajektorie drei Vorbeiflüge an der Venus, im November 2004, im August 2005 und im Oktober 2006 beinhaltet. Bei zwei Vorbeiflügen am Merkur im Oktober 2007 und im Juli 2008 wäre weitere Geschwindigkeit abgebaut worden, bevor das Orbit-Insertion-Manöver, also das Einbremsen in die Umlaufbahn im Juli 2009 stattgefunden hätte. Die jetzt getroffene Entscheidung verlängert die Reisezeit bis zum Merkur-Orbiteinschuss um fast zwei Jahre. Unter dem neuen Plan wird MESSENGER ein Jahr nach dem Start einen Vorbeiflug an der Erde un- ternehmen, um Geschwindigkeit abzubauen. Zwei weitere Swing-by-Manöver an der Venus sind im Künst. Darstellung der Messenger-Sonde am Merkur Oktober 2006 und im Juni 2007 geplant. Danach finden drei Vorbeiflüge am Merkur statt, und zwar 11. Mai geöffnet hätte. Startfenster, insbesondere für im Januar und Oktober 2008, sowie im September Interplanetare Raumsonden, müssen aus himmels- 2009 bevor dann im März 2011 das Bremsma- mechanischen Gründen eingehalten werden. Nur növer für das Erreichen der Merkur-Umlaufbahn dann kann der Start mit einem gegebenen Träger stattfindet. erfolgen. Nachdem die Techniker nun dieses Datum wegen der vielen noch anstehenden Arbeiten nicht 27.03.2004 einhalten können, muss nun das Reservestartfenster Russland startet Militärsatelliten gewählt werden. Es öffnet sich am 30. Juli und ist Am Samstagmorgen, um 4:30 mitteleuropäischer 15 Tage lang offen. Dieses Startfenster ist aber viel Zeit brachte eine Proton K Block DM-Trägerra- weniger vorteilhaft als das Primärstartfenster. kete einen russischen Militärsatelliten in den Orbit. Die Raumsonde MESSENGER wurde bereits An- Startort war Baikonur in Kasachstan. Der Satellit fang März nach Florida gebracht und wird momen- trennte sich sechseinhalb Stunden nach dem Start tan im Reinraum der Firma Astrotech in Titusville, von der Trägerrakete. Wie üblich bei militärischen Florida für den Start vorbereitet. Gebaut wurde die Nutzlasten wurden auch dieses Mal keine weite- Raumsonde im Auftrag der NASA von den Labo- ren Angaben zum Typ und zur Verwendung des ratorien für angewandte Physik der Johns Hopkins Raumfahrzeugs gegeben. Lediglich die lakonische University in Laurel, Maryland. Bezeichnung Kosmos 2406. Aus der verwendeten Trägerrakete und den Bahnparametern lässt sich Innerhalb der generellen Startfenster, die durch die jedoch ableiten, dass es sich um einen militärischen Himmelsmechanik vorgegeben sind, gibt es, bedingt Kommunikationssatelliten der Globus-Reihe gehan- durch die Erdrotation jeden Tag ebenfalls nur ei- delt haben muss. Diese Satelliten werden von der nen wenige Sekunden dauernden Slot. Für einen NPO Prikladnoy Mekhaniki hergestellt. Der Start Start am 30. Juli ist das ein Zeitraum von nur 12 am Samstag war der zweite in nur elf Tagen, bei der Sekunden Dauer, der um 7:14:44 Uhr morgens mit- eine Proton K Block DM zum Einsatz kam. Damals teleuropäischer Zeit (das ist 2:17:44 Uhr morgens war der Kommunikationssatellit Eutelsat W3A in Ortszeit in Cap Canaveral) beginnt. Der Start wird den Orbit gebracht worden. von der Rampe 17B der Cap Canaveral Air Force Station erfolgen. 28.03.2004 Die Entsendung einer Raumsonde zum Merkur ist X-43A „Scramjet“ fliegt ähnlich energieaufwendig wie der Flug eine Sonde mit Mach 7 über Kalifornien zu den äußeren Planeten. Zusätzlich große Mengen Die X-43A, ein Experimentalflugzeug der NASA an Treibstoff verschlingt das Einbremsen in die Um- zur Erforschung des hypersonischen Geschwin- laufbahn. Allein dafür ist eine Geschwindigkeitsredu- digkeitsspektrums, wurde am 27. April erfolgreich zierung von 3.000 Kilometern pro Stunde notwen- erprobt. Der Messflug fand in 30 Kilometer Höhe dig. Die Flugbahn muss deswegen sehr sorgfältig über der kalifornischen Küste statt. Die Geschwin- gewählt werden, und nutzt die Schwerkraft der digkeit betrug über Mach sieben, also mehr als das inneren Planeten um Geschwindigkeit abzubauen. siebenfache der Schallgeschwindigkeit. Wäre MESSENGER wie vorgesehen im Mai ge- Booster-Zündung

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Das Experiment ist Teil des 250 Millionen Dollar teuren Hyper-X Programms der NASA, das alter- native Antriebstechnologien für den Zugang zum Weltraum und den Hochgeschwindigkeitsflug in- nerhalb der Atmosphäre untersucht. Ein Scramjet, also ein Supersonic Combustion Ramjet funktioniert durch die Verbrennung von Treibstoff in einem überschallschnellen Strom komprimierter Luft. Die Kompression dieser Luft wird durch die hohe Vorwärtsgeschwindigkeit des Luftfahrzeuges selbst bewirkt. Im Gegensatz dazu wird die Luftkompression bei normalen Turbinentriebwerken durch Turbinenschaufeln vor der Brennkammer erzeugt. Das Scramjet-Prinzip X-43A bei einem früheren Testflug unter dem Flügel ist in der Theorie wesentlich einfacher, erfordert des B-52B Trägerflugzeugs aber eine ausgefeilte aerodynamische Gestaltung Vehikels begann. Nach der Trennung vom Booster insbesondere im Bereich der Lufteinlässe und des beschleunigte das Fahrzeug im Steigflug weiter Verbrennungsraumes. Ein zusätzliches erhebliches und erreichte schließlich eine Geschwindigkeit von Problem stellt die Vollständigkeit der Treibstoffver- fast 8.000 Kilometern pro Stunde. Die Kontrolle brennung bei der hohen Durchflussgeschwindigkeit der Fluglage blieb exzellent, und am ende war ein der Luft dar. Zusätzlich benötigt ein Scramjet auch Geschwindigkeitsweltrekord für luftatmende Flug- eine sehr hohe Anfangsgeschwindigkeit um über vehikel aufgestellt worden. Der Scramjet arbeitete einen hohen Staudruck den Verbrennungsprozess allerdings nur für etwa 10 Sekunden. Danach war in Gang zu bringen. Um diese Ausgangsgeschwin- der Wasserstoff-Vorrat, der als Treibstoff diente, digkeit zu erreichen, wurde das knapp drei Meter verbraucht. lange Versuchsfahrzeug von einem feststoffgetriebe- nen Pegasus-Raketenbooster beschleunigt. In diesen 10 Sekunden konnten aber alle Testpara- meter abgearbeitet werden. Die Missionscontroller Die einstufige Pegasus war vom kalifornischen Luft- bekamen danach über Funk mehrere Minuten lang waffenstützpunkt Edwards von einer modifizierten Daten von der X-43A übermittelt, während diese B-52B auf eine Position 50 Meilen vor der südkali- im Gleitflug zur Erde zurück glitt. Nach etwa 12 fornischen Küste in eine Höhe von 12.000 Metern Minuten stürzte sie dann schließlich 720 Kilometer getragen worden. Dort wurde die Kombination aus vor der kalifornischen Küste ins Meer. Eine Bergung Pegasus und X-43A um 21:00 mitteleuropäischer war nicht vorgesehen. Zeit abgeworfen. Nach einem fünf Sekunden dau- ernden Freifall wurde der Motor der Pegasus für 80 Die X-43A und ihr Treibwerk wurden von ATK Sekunden gezündet. GASL, der früheren Firma „MicroCraft“ in Tullaho- ma, Tennessee, gebaut. Die Boeing Phantom Works Danach gab der Booster den 1,3 Tonnen schweren in Huntington Beach, Kalifornien konstruierten den Testflugkörper frei und der selbständige Flug des Hitzeschutz und die Bordysteme des Fahrzeugs. Der Booster-Treibsatz ist eine stark modifizierte Version der ersten Stufe des Kleinsatelliten-Trägers Pegasus, gebaut von der Orbital Sciences Corpora- tion in Chandler, Arizona. Die Wissenschaftler erhoffen sich, dass die Hy- per-X Technologien eines Tages zu verbesserten Raumfahrt-Antrieben führen. Die Hyperschall- Technologie bietet die Möglichkeit, Raumfahrzeuge flugzeugähnlich zu betreiben. Dazu kommen noch weitere Vorteile gegenüber traditionellen Rake- tensystemen: So haben heutige Raketen nur eine begrenzte Schubkontrolle und sie müssen schwere Sauerstofftanks mit sich tragen, da sie den Oxidator für die Verbrennung des Treibstoffs mitführen müs- sen. Luftatmende Triebwerke wie das der X-43A Modell der X-43A auf seinem Booster entnehmen den Sauerstoff der Luft. Die Gewichts-

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ersparnis könnte dazu dienen, die Nutzlastkapazität auf die Fahrt zum „Endurance Krater“ vor. Oppor- zu erhöhen, die Reichweite zu erweitern oder die tunity ist inzwischen seit 70 Tagen auf dem Mars und Größe des Fahrzeugs bei gleicher Nutzlastkapazität funktioniert weitgehend normal. Ein kleines „Ener- gegenüber einer konventionellen Rakete zu verrin- gieleck“ an einem Heizelement führt jedoch dazu, gern. Hyperschalltriebwerke sind allerdings nur in- dass permanent eine geringe Menge elektrischer nerhalb der Atmosphäre einsetzbar, wenngleich das Strom, 15 Watt, auch dann verbraucht wird, wenn bis in sehr große Höhen möglich ist. Im freien Welt- der Rover sich zu „Nachtruhe“ begibt, oder einfach raum aber muss nach wie vor auf die herkömmliche nur seine Batterien aufladen will. Antriebstechnologie zurückgegriffen werden. Beide Rover erhalten in den nächsten Tagen eine Der erfolgreiche Testflug kam nahezu drei Jahre neue Version ihrer Betriebssoftware und werden nachdem der erste Einsatz einer X-43A misslungen dazu jeweils vier Tage lang stillgelegt. Als erster wird war. Im Juni 2001 kam der Pegasus-Booster nur we- sich Spirit dem update unterziehen müssen. Dies nige Sekunden nach der Zündung von Kurs ab und wird zwischen Sol 93 und 97 stattfinden. Anschlie- musste zerstört werden. Dabei ging auch die erste ßend wird auch „Opportunity“ umgerüstet. X-43A verloren. Nach dem Reboot am Sol 97 wird sich Spirit auf den Weg zu den 2,1 Kilometer entfernten Colum- bia-Hills machen. Opportunity wird auf die 750 April Meter lange Strecke zum Krater „Endurance“ ge- hen und dabei an einigen geologisch interessanten 05.04.2004 Punkten „Boxenstops“ einlegen. Missionserfolg von Spirit offiziell Ursprünglich war die NASA davon ausgegangen, Spirit erwachte am Sol 91, dem 91. Missionstag auf dass technische und andere Probleme die Rover für dem Mars, und dem 5. April auf der Erde, als wäre mindestens ein Drittel ihrer Missionszeit von wis- es irgendein Tag auf dem Mars. Der Abschluss des senschaftlicher Arbeit abhalten würden. Bislang ist 90. Tages der Oberflächenoperationen markierte aber nur ein einziges größeres technisches Problem die Absolvierung des letzten der offiziellen Missi- aufgetreten, als Spirit am 18. Missionstag ein massi- ons-Erfolgskriterien für die Hauptmission von Spirit. ves Problem mit dem Computer Memory erlebte Das vorletzte Kriterium hatte der Rover schon zwei und danach für zweieinhalb Wochen außer Gefecht Tage eher abgearbeitet, nachdem eine Einzelfahr- war. Trotzdem arbeitete er doch an insgesamt mehr strecke von 50,2 Metern die bisher zurückgelegte Tagen als ursprünglich geplant. Gesamtdistanz über die 600-Meter Marke gebracht hatte. Sol 91 begann mit Panorama-Aufnahmen des Himmels und der umgebenden Landschaft sowie einigen Navigationsbildern der Landschaft östlich des Rovers. Dann komplettierte der kleine Roboter Messungen mit dem „Miniatur-Thermal-Emissions- Spectrometer“, die am Tag zuvor begonnen worden waren. Nach einem kurzen „Nickerchen“, notwen- dig zum Aufladen der Batterien, machte Sprit einige Aufnahmen für die Fahrstrecke des folgenden Tages und einige weitere Spektralaufnahmen interessan- ter Punkte vor dem Rover.

Auf der anderen Seite des Roten Planeten, Im Me- Dahin soll Spirit, wenn alles gut geht. ridiani Planum, beendete am selben Tag der zwei- te Rover, Opportunity, seine Beobachtungen am „Bounce Rock“ und bereitete sich

Das Ziel, die Columbia Hills

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08.04.2004 strahl der Rakete sichtbar wurde und dann eine na- SpaceShipOne: hezu senkrecht in die Höhe steigende Rauchfahne, Dem Ziel einen Schritt näher die länger und länger wurde. Der kleine Punkt an Burt Rutan‘s Firmenteam von Scaled Composites der Spitze des Strahls stieg höher und höher. Die kam am 8. April dem Ziel, den mit 10-Millionen Zuschauer rund um den Tower brachen in Hochru- Dollar dotierten X-Price zu gewinnen, einen gro- fe aus, einige riefen „Gut gemacht, Pete“. ßen Schritt näher. Nach dem Brennschluss stieg SpaceShipOne An diesem Tag fand der zweite raketengetriebene antriebslos weiter und erreichte schließlich in 32 Testflug von SpaceShipOne statt. Die X-Price Foun- Kilometern Höhe den Scheitel der Parabel. An dation wird demjenigen das Preisgeld zukommen diesem Punkt war Siebolds Stimme über Funk lassen, dem es als erstem gelingt, ein Vehikel zu zu hören: „Der Himmel ist schwarz“. Er gab auch bauen, das drei Menschen auf eine Höhe von 100 einen kurzen Kommentar zum Verhalten des Rake- Kilometern bringt und dies innerhalb von zwei Wo- tenmotors ab als er sagte „Die Antriebsphase war chen mit demselben Fahrzeug wiederholt. außerordentlich ruhig“. SpaceShipOne erreichte bei dem Versuchsflug am Danach aktivierte Pete Siebold den „Feder-Mecha- frühen Donnerstagmorgen eine Höhe von 32 Kilo- nismus“, der die Tragflächen nach oben klappt, und metern. Die Brenndauer des Triebwerks betrug 40 das Fahrzeug in eine Schwerpunktlage bringt, in der Sekunden. Die erreichte Geschwindigkeit Mach 1,6. es für den Eintritt in die dichteren Schichten der Erdatmosphäre automatisch die richtige Position SpaceShipOne wird von einem Trägerflugzeug einnimmt. mit der Bezeichnung „White Knight“ in die Stra- tosphäre getragen, und dort ausgeklinkt. Bei den Wettbewerbsflügen soll danach das bordeigene Ra- ketentriebwerk das Fahrzeug auf Mach 4 beschleu- nigen und auf 100 Kilometer Höhe bringen. Nach Beendigung der Mission segelt SpaceShipOne ohne Antrieb, wie ein Segelflugzeug, zum Mojave-Airport zurück und setzt dort auf der Runway auf. Die beiden miteinander verbundenen Flugzeuge Sekunden nach der Zündung ist der Steigflug nahezu vertikal hoben kurz nach 7 Uhr Ortszeit vom Mojave-Flug- hafen ab. Nach einem etwa einstündigen Steigflug in Nach der Rückkehr in dichtere Luftschichten, etwa das an den Airport angrenzende militärische Sperr- in 14.000 Metern Höhe brachte der Pilot die Trag- gebiet wurde SpaceShipOne in 14.600 Metern flächen wieder in die Flugposition, flog im Gleitflug Höhe vom Trägerflugzeug ausgeklinkt. Danach sollte einen weiten Bogen um den Airport und führte sofort die Zündung des Raketenmotors erfolgen, eine perfekte Bilderbuchlandung direkt vor der ju- aber wegen einer Fluganomalie, die im Anschluss belnden Menge durch. an den Abwurf auftrat, einem Strömungsabriss, der ein starkes Rütteln verursachte, verzögerte sich Für einen Flug bis in 100 Kilometern Höhe wird die Zündung. Testpilot Pete Siebold musste die eine Brenndauer des Raketenmotors von knapp Lage erst untersuchen und wieder einen normalen unter 90 Sekunden notwendig sein, bei einer Flugzustand herstellen. Dies war zwei Minuten nach Abwurfhöhe des SpaceShipOne von 14.600 Me- dem Abwurf der Fall. Bis dahin war SpaceShipOne tern. Burt Rutans Team will sich der Zielmarke in schon auf 12.300 Meter gesunken. inkrementellen Schritten nähern. Beim nächsten raketengetriebenen Testflug, der in einigen Wochen Dann erfolgte die Zündung. Das Einsetzen des Ra- zu erwarten ist, wird die Brenndauer wahrschein- ketenmotors war auf dem Boden trotz der großen lich auf ca. 50 Sekunden erhöht werden. Dies dürfte Höhe und Entfernung deutlich zu hören. eine Geschwindigkeit von über Mach 2 und eine Obwohl der Flug vorher nicht angekündigt war, Flughöhe von annähernd 40 Kilometern zulassen. hatte sich die Durchführung des Versuches am Von den inzwischen 27 Teams in sieben Ländern, Flughafen und im Ort Mojave herumgesprochen. die am X-Price Wettbewerb teilnehmen, befinden Somit hatte sich eine erhebliche Zuschauermenge sich derzeit sechs in fortgeschrittenem Teststadium. eingefunden. Vor den Hangars und entlang der Run- Von diesen Teams ist Scaled Composites allerdings wayabsperrung bildeten sich große Trauben von deutlich am weitesten. In einigen Tagen wird aber Menschen, die dem Ereignis gebannt folgten. auch Armadillo Aerospace mit den Testflügen Ein Raunen ging durch die Menge, als der Feuer- beginnen.

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SpaceShipOne führte den ersten raketengetrie- Bahn hat einen niedrigsten Bahnpunkt (Perigäum) benen Flug am 17. Dezember des Vorjahres durch, von etwa 170 Kilometern über der Erde, während dem 100. Jahrestag des ersten Motorflugs der Ge- der höchste Bahnpunkt (Apogäum) bei 122.000 brüder Wright. Das Fahrzeug wurde dabei zum ers- Kilometern liegt. Die Inklination betrug beim Abset- ten privaten, nicht mit Regierungsgeldern gebauten zen des Satelliten 26,25 Grad zum Äquator. Überschallflugflugzeug. Die Missionsplaner optierten für diesen Orbit, der Damals war der Raketenmotor 15 Sekunden lang in am höchsten Bahnpunkt 80.0000 Kilometer höher Betrieb. SpaceShipOne hatte eine Geschwindigkeit ist als sonst, um für die bevorstehenden endgültigen von Mach 1,2 und eine Flughöhe von 22 Kilome- Bahneinschussmanöver möglichst wenig Treibstoff tern erreicht. Bei der Landung kam es zu einem zu verbrauchen. Dies ist einfach zu erklären: Je Zwischenfall, als das linke Fahrwerk einknickte, und höher das Apogäum liegt, desto niedriger ist die das Fahrzeug in den sandigen Belag neben der Piste Geschwindigkeit an diesem Bahnpunkt. Und desto rutschte. Pilot Brian Binnie wurde aber nicht ver- weniger Treibstoff ist notwendig um Manöver zur letzt und auch SpaceShipOne blieb, vom Fahrwerk Reduzierung der Änderung der Inklination vorzu- einmal abgesehen, weitgehend unbeschädigt. nehmen. Zwischen dem kommenden Sonntag und dem 5. 16.04.2004 Mai wird Superbird 6 ein halbes Dutzend Trieb- Japanischer „Superbird“ werks-Brennphasen durchführen, um schließlich startet von Cap Canaveral eine Kreisbahn in 35.600 Kilometern Höhe und Unterstützt von prächtigem Bilderbuchwetter eine Inklination von nahezu Null zu erreichen. und einem vollständig problemlosen Countdown Bis Ende Mai werden dann alle Antennen ausgefah- startete am Donnerstagabend um 20:45 Uhr ren, alle Systeme getestet und der Satellit über sei- amerikanischer Ostküstenzeit (1:45 am Freitag mit- ne endgültigen Position gesteuert sein. Etwa gegen teleuropäischer Zeit) eine Lockheed Martin Atlas Mitte Juni dürfte der Satellit dann in Betrieb gehen. 2AS mit dem japanischen Kommunikationssatelliten Seine Arbeitsposition wird dann auf 158 Grad öst- „Superbird 5“. Startort war die Rampe 36A der licher Länge liegen. Cap Canaveral Air Force Station. Sie liegt etwa 12 Kilometer südlich der beiden Shuttle-Startrampen. Das vom Boeing Unternehmensbereich „Satelliten- systeme“ gebaute Raumfahrzeug wird bei Indienst- Die Meteorologen stellung in „Superbird A2“ umbenannt. Danach hatten schon drei Tage beginnt es seinen für 12 – 15 Jahre terminierten vor dem Start ideale Einsatz. Wetterbedingungen vorausgesagt, ein sel- Eigentümer und Betreiber des Satelliten ist die in tenes Ereignis für das Tokio ansässige „Space Communications Corpora- gewöhnlich von schnel- tion“ (SCC). Er soll den im Jahre 1992 gestarteten len Wetterwechseln „Superbird A“ ersetzen. SCC hat noch keine Pläne geprägte Florida. Die für den weiteren Einsatz von Superbird A bekannt Superbird 6 im Orbit – Vorhersage traf exakt gegeben. Dieser Satellit hat noch einige Jahre aktive Künstlerische Darstellung ein und ein wunderbar Lebensdauer vor sich und wird wahrscheinlich auf klarer Himmel erlaubte einem Längengrad mit weniger hohem Kommuni- es Beobachtern des Starts, dem Aufstieg der Rakete kationsaufkommen eingesetzt. mehrere Minuten lang zu folgen. Bei Superbird 6 handelt es sich um ein Boeing 601- Eine gute halbe Stunde nach dem Lift-off setzte der Modell, das mit Ku- und Ka-Band Transpondern Träger seine Nutzlast exakt auf der vorgesehenen ausgerüstet ist. Er soll Kommunikationsdienste für Bahn ab. Damit war der 71. erfolgreiche Start einer Japan, Australien, Mikronesien, Hawaii, Taiwan, Korea Atlas in ununterbrochener Reihenfolge seit dem und Neuseeland leisten. Es ist dies der fünfte Satellit Jahre 1993 abgeschlossen. für SCC. Die anderen heißen Superbird A, B2, C und D. Mit einem Gewicht von etwa 3.170 Kilogramm gehört Superbird zur mittleren Gewichtsklasse Der Start am Donnerstag war der dritte Einsatz ei- bei den Kommunikationssatelliten. Er konnte den ner Atlas in den letzten drei Monaten. Der nächste vollen Nutzen aus der für diesen Start etwas über- Flug einer Atlas 2AS wird am 19. Mai erfolgen. Dann dimensionierten Kapazität der Atlas ziehen, die das ist ein Satellit der „US Cable Television“ mit der Raumfahrzeug in einen ungewöhnlichen „Supersyn- Bezeichnung AMC-11 an Bord. Der Liftoff wird von chronen“ Orbit brachte. Diese extrem elliptische der Rampe 36B stattfinden.

28 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

Der 30. und letzte Start einer Atlas 2AS wird dann im Juni von der Rampe 36A mit einer klassifizier- ten Nutzlast des National Reconnaissance Office erfolgen. Danach wird es nur mehr einen einzigen Start von der Anlage 36 aus geben. Anfang 2005 soll die letzte Atlas 3 vom Pad 36B in den Orbit gehen. Mit der „Pensionierung“ der Atlas-Versionen 2 und 3 wird auch die Startanlage 36 außer Dienst gestellt. Die Atlas 2 und 3 Serie wird danach durch die verschiedenen Varianten der Atlas 5 ersetzt. Und die starten in Cap Canaveral jeweils vom neuen Expedtionscrew 9. Startkomplex 41. Jahren Juri Gagarin zum ersten Weltraumflug in der Geschichte der Menschheit aufbrach. 18.04.2004 China startet zwei Kleinsatelliten Trotz eines Schneesturms am Wochenende hatte Eine chinesische Trägerrakete vom Typ Long March der Himmel rechtzeitig aufgeklart. Es war allerdings 2C brachte am Sonntag zwei kleine technologische bei Temperaturen um den Nullpunkt immer noch Demonstrationssatelliten in den Orbit. Der Start relativ kalt. Der Lift-off erfolgte auf die Sekunde erfolgte um 16:59 mitteleuropäischer Zeit vom pünktlich, und die Sojus erreichte acht Minuten und Startgelände in Xichang in Südwest-China. Der 40 Sekunden später einen ersten Übergangsorbit. größere der beiden Satelliten mit Namen „Tansuo Live-Fernsehbilder aus dem Raumfahrzeug während 1“ wiegt 204 Kilogramm und ist im Wesentlichen des Starts zeigten, dass alle drei Crew-Mitglieder in ein Erdbeobachtungssatellit. Er wurde vom „Harbin guter Stimmung waren. Alle drei lächelten, winkten Institute of Technolgy“ gebaut. Diese Institution wird in die Kameras und verfolgten ihre Checklisten. ihn auch betreiben. Der 45 jährige Padalka und der 37 Jahre alte Fin- Die zweite Nutzlast mit Namen cke, ein Oberstleutnant der US Air Force, werden „Naxing 1“ wiegt 25 Kilogramm als neunte Stammcrew ein halbes Jahr an Bord und wurde von „Aerospace der ISS verbringen. Andre Kuipers wird dagegen Tsinghua Satellite Technolo- am 30. April mit der bisherigen Expeditionscrew gies“ gefertigt. Betreiben wird 8, dem amerikanischen Kommandanten Michael diesen Satelliten die Universität Foale und Flugingenieur Alexander Kaleri zur Erde von Tsinghua. zurückkehren. Beide Satelliten sind Erpro- Padalka ist noch ein Veteran aus den Tagen der bungsträger für miniaturisierte russischen Raumstation Mir. 1999 hat er dort 198 Komponenten und Subsy- Tage verbracht. Fincke dagegen ist ein „Rookie“, Trägerrakete steme. Der Start war die erste ein Astronaut, der zu seinem ersten Flug antritt, vom Typ Langer chinesische Mission des Jahres ebenso wie André Kuipers. Nach einem ruhigen Marsch 2C 2004. Transferflug dockte die Sojus am 21. April um7: 01 mitteleuropäischer Zeit am Zarya-Modul der 21.04.2004 Raumstation an. Zu diesem Zeitpunkt flog die ISS Expedtionscrew 9 startet zur ISS gerade über Zentralasien. Eine Sojus-Trägerrakete mit der nächsten perma- Eine der kritischen Aufgaben der Expeditionscrew 9 nenten Crew der Internationalen Raumstation ist es, die Station für die Aufnahme des von der ESA startete am frühen Montagmorgen vom Russischen gebauten „Autonomous Transfer Vehicle (ATV)“ (aber in Kasachstan gelegenen) Kosmodrom in Bai- vorzubereiten. Dafür müssen Padalka und Fincke konur und eröffnete damit die Mission der neunten zwei Außenbordmanöver durchführen. Expedition zum orbitalen Außenposten. Das erste ATV mit Namen „Jules Verne“ soll im Der russische Kommandant Gennadi Padalka, Frühjahr nächsten Jahres an der ISS anlegen. Da- NASA-Flugingenieur Michael Fincke und der ESA- mit wird die Fähigkeit eröffnet, wesentlich mehr Astronaut Andre Kuipers hoben um 04:19 mittel- Versorgungsgüter und wissenschaftliches Material europäischer Zeit an Bord von Sojus TMA-4 von zum Außenposten zu bringen als bisher mit den der selben Startrampe ab, von der bereits vor 43 russischen Progress-Kapseln.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 29 Das Raumfahrtjahr 2004

Padalka und Fincke bilden nun schon die dritte Zweimann-Crew seit der Columbia-Katastrophe vor einem Jahr. Nachdem der Shuttle nach wie vor nicht im Einsatz ist, gibt es keine Möglichkeit eine Dreimann-Besatzung für längere Zeit zu versorgen. Die russischen Sojus- und Progress-Schiffe haben dafür nicht genügend Leistung. Und so lange der Shuttle am Boden ist, wird es auch keine Besucher für die Stammbesatzungen der Station geben. In der Dienstzeit von Padalka und Fincke sollen lediglich zwei Progress-Frachter die Station ansteuern. Künstlerische Darstellung von Gravity Probe B beim Erfassen des Leitsterns IM Pegasi. 22.04.2004 Ab 1963 hatte die NASA das Projekt als Forschungs- Gravity Probe B prüft Relativitätstheorie vorhaben finanziert. Im Jahre 1976 war mit der „Gravity Probe B“ einer der teuersten und tech- Gravity Probe A bereits auf wesentlich einfacherem nisch anspruchvollsten Forschungssatelliten die je Niveau ein erster Weltraumtest der Einsteinschen gebaut wurden, startete am 20. April um 17:57:24 Relativitätstheorie erfolgt. Damals sollte nachgewie- mitteleuropäischer Zeit an Bord einer Boeing Delta sen werden, dass die Zeit unter dem Einfluss der 2 7920 vom Startkomplex 2W der Luftwaffenbasis Schwerkraft langsamer vergeht. Gravity Probe A Vandenberg in Kalifornien. Das Startfenster war war mit einer Atomuhr ausgerüstet. Die suborbitale nur eine Sekunde lang. Nutzlast war damals von einer Blue -Rakete Einen Tag zuvor hatte der Start noch wegen starker vom NASA Versuchsgelände in Wallops Island in Höhenwinde abgesagt werden müssen. eine Erdentfernung von 10 000 Kilometer gebracht worden, dort wurde die Zeit mit einer identischen Dieser eine Tag war aber nicht mehr von Bedeu- Atomuhr auf der Erde verglichen. tung. Die fertige Raumsonde wartet schon seit vier Jahren auf den Start, aber technische Probleme Verglichen mit der kleinen Nutzlast auf der Höhen- verhinderten den Beginn dieser komplexen Mission forschungsrakete von damals ist der jetzige Ansatz immer wieder. um viele Größenordnungen aufwendiger. Getestet werden soll, wie sehr die Erde durch ihre Masse und Die Planung für diesen Forschungsflug geht sogar Rotation den Raum krümmt. Nach Einsteins Vorher- bis in die ersten Jahre des amerikanischen Raum- sagen dellt eine große Masse den Raum um sich he- fahrtprogramms zurück. Schon früh waren die Wis- rum ein, so dass sich andere Objekte auf die Masse senschaftler von der Möglichkeit fasziniert, mittels zu bewegen. Außerdem soll eine rotierende Masse eines Raumfahrzeugs die Verwerfung von Raum den Raum mit sich ziehen wie ein sich drehender und Zeit durch die Einwirkung der Gravitation zu Löffel den Sirup in einem Glas. Diese Raumverwin- messen. dung sollen mit der unfassbar genauen Messtechnik Die bereits 1959 vorgeschlagene Mission war we- der Gravity Probe B erfasst werden. gen der hochkomplexen Technik erst jetzt möglich Während der 18 Monate langen Mission soll geworden. So mussten zum Beispiel Methoden Gravity Probe B die Erde auf einer polaren Um- gefunden werden, flüssiges Helium lange Zeit zu laufbahn in 640 Kilometer Entfernung umkreisen lagern. Die Entwicklung der Gyroskope war ein an- und auch die allerkleinste Veränderung der Erd- deres Technologiegebiet, auf dem erst Durchbrüche anziehungskraft messen. Der Satellit ist mit vier notwendig waren. Die Gesamtkosten der Mission kleinen Hochpräzisionskreiseln ausgestattet, die mit werden über 700 Millionen Dollar betragen. einer Genauigkeit von 40 Atomlagen zu perfekten Mit seiner im Jahr 1916 veröffentlichten Allgemei- Kugeln gefräst wurden. Sie sind tiefgekühlt auf minus nen Relativitätstheorie revolutionierte Einstein das 271 Grad Celsius und in einem Vakuum versiegelt, Verständnis von Raum und Zeit. Die Theorie be- das noch zehn Mal besser ist als das Vakuum des sagt, dass die Zeit und der Raum durch die Präsenz erdnahen Weltalls in dem sich der Satellit befindet. von Materie beeinflusst werden. So können laut Einsteins Theorie zufolge sollen die Achsen der mit Einsteins Theorie schwere Körper, etwa die Erde, 10 000 Umdrehungen pro Minute rotierenden aufgrund ihrer natürlichen Anziehungskraft eine Quarzkreisel durch Schwerkraft und Rotation der Krümmung des Raumes verursachen. Erde im laufe der Zeit ganz leicht kippen.

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Das Gewicht des Raumfahrzeugs beträgt etwas Express-AM11 war von der russischen Firma Res- über drei Tonnen und es ist in etwa so groß wie hetnev und der französischen Firma Alcatel gebaut ein Lieferwagen. Zunächst findet eine zweimonatige worden. Er hat eine geplante Lebensdauer von 12 Indienststellungs- und Testphase der Präzisionsinst- Jahren. Eigentümer des Raumfahrzeugs ist die „Rus- rumente statt. Danach erfolgt über einen Zeitraum sian Satellite Communications Company“ (RSCC). von 13 – 15 Monaten die Datensammlung und Das Raumfahrzeug trägt eine Nutzlast von 26 danach wird weitere drei Monate lang ein so ge- C-Band und 4 Ku-Band Transpondern und wird nannter „Kalibrations-Datensatz“ zur Interpretation von einer Position in 96,5 Grad östlicher Länge der Grunddaten gesammelt. Telekommunikationsdienste für Russland und die Die erforderlichen Messgenauigkeiten sind unfass- Staaten der früheren Sowjetunion bereitstellen. bar. Nur zwei Beispiele, die den Komplexitätsgrad der Mission erahnen lassen: Nach Ablauf der mehr 30.04.2004 als einjährigen Datenerfassung dürfte sich die ku- ISS Crew sicher gelandet mulierte und mit hochpräzisen Kreiseln gemessene Nach dem Abschluss des Besatzungstransfers Abweichung aufgrund der Relativitätseffekte auf zwischen den ISS-Crews No. 8 und 9 landeten nur wenige Millibogensekunden kumuliert haben. der russische Kosmonaut Alexander Kaleri, der Eine Millibogensekunde - ein Millionstel Grad - ent- amerikanische Astronaut Michael Foale und Andre spricht etwa der Dicke eines menschlichen Haares Kuipers von der ESA am 30. April um 1:12 mittel- beobachtet aus 60 Kilometern Entfernung. Das europäischer Zeit mit Sojus TM-3 in der Steppe von gesamte Instrumentenpaket muss in dieser Zeit auf Kasachstan. eine Temperatur gekühlt bleiben, die 1,8 Grad Kel- vin nicht übersteigen darf. Und die vier Kreisel, das Die sichere Landung beendet eine erfolgreiche Herz des gesamten Versuches, rotieren während 195-Tage-Mission im Weltraum, die eine ganze der gesamten Mission in superflüssigem Helium 2 Reihe von Reparaturen an Bord der ISS und einen mit 10.000 Umdrehungen pro Minute. unvorhergesehenen Weltraum-Ausflug beinhaltete. Foale und Kaleri hatten die ISS Expeditionscrew 8 Die Relativitätstheorie ist eine der beiden Säulen gebildet, Kuipers war mit der neuen Crew beste- der modernen Physik. Wenn wir aber an sehr kleine hend aus dem russischen Kosmonauten Padalka Maßstäbe kommen, dann passt sie nicht mit der und dem Amerikaner Fincke neun Tage zuvor zur Quantentheorie zusammen. Ab einem bestimmten ISS gekommen. Punkt ist die Einsteinsche Relativitätstheorie nicht mehr wirksam. Wo dieser Punkt liegt, wissen wir Nach diesem Flug hat Foale bei 5 Einsätzen insge- noch nicht. Gravity Probe B könnte einen ersten samt 374 Tage im Weltraum verbracht. Er ist damit Hinweis dafür liefern. Rekordhalter unter den westlichen Astronauten und der erste, der bisher mehr als ein Jahr im Orbit war. Auf russischer Seite liegen allerdings 15 Kos- 27.4.2004 monauten vor ihm. Sein Bordingenieur Alexander Russischer Nachrich- Kaleri war schon insgesamt 611 Tage im Weltraum. tensatellit gestartet Aber auch mit dieser Leistung ist er nur an fünfter Eine Trägerrakete vom Stelle der von Russland dominierten „Weltraum- Typ Proton K - Block DM Rangliste“. brachte am frühen Diens- tagmorgen einen Telekom- munikationssatelliten in Mai den Orbit. Das Vehikel war um 21:37 mitteleuropä- ischer Zeit vom russischen 04.05.2004 Weltraumbahnhof Baiko- Sea Launch bringt DirecTV 7S in den Orbit nur aus gestartet. Dutzende von Gemeinden in den USA werden zu- künftig Abonnements-Fernsehen über einen neuen Sechseinhalb Stunden spä- Satelliten empfangen können, der am 4. Mai erfolg- ter wurde Express-AM 11, reich in den Weltraum gestartet wurde. Dort stößt der zweite in einer neuen er zu einer Flotte von Spezialsatelliten, welche diese Serie von insgesamt fünf Dienstleistung schon bisher an die amerikanischen Express-Satelliten im vor- Haushalte geliefert hat. gesehenen Übergangsorbit abgeliefert. DirectTV 7S, ein Satellit des DirecTV-Konsortiums,

Proton K 2004 spacexpress raumfahrtchronik 31 Das Raumfahrtjahr 2004

startete um 14:42 Uhr mitteleuropäischer Zeit 07.05.2004 von der im Zentralpazifik stationierten Odyssey Mars-Rover auf Großer Fahrt Hochseeplattform des Sea-Launch Konsortiums. Die beiden amerikanischen Mars-Rover Spirit und Trägerrakete war die bewährte Zenith 3SL, die das Opportunity haben zwar ihre berechnete Einsatz- Raumfahrzeug eine halbe Stunde später im geosyn- Lebensdauer auf dem Mars längst überschritten, chronen Übergangsorbit ablieferte. sind aber beide nach wie vor in großartiger Verfas- sung. Spirit hat inzwischen mehr als eine amerikani- Die Orbitparameter waren mit einem höchsten sche Meile zurückgelegt, also über 1.600 Meter und Bahnpunkt von 35,794 Kilometern über der Erde ist nun noch 1.700 Meter vom Fuß der Columbia- und einem niedrigsten Bahnpunkt von 200 Kilo- Hills entfernt. metern bei Null Grad Bahnneigung zum Äquator genau bei den vorgesehenen Werten. Gestern, am Sol 118, also Spirits 118 Tag auf dem Mars, erzielte er eine neue Rekordmarke für eine Das Aussetzen des 5.600 Kilogramm schweren Tagesfahrt mit einer zurückgelegten Strecke von Satelliten beendete die 12. erfolgreiche Mission für 92.4 Meter. Opportunity hatte vor einigen Wochen, das Sea Launch Konsortium in den vergangenen allerdings auf dem ungleich einfacheren Gelände fünf Jahren. Es war dies der 10. erfolgreiche Flug des Meridiani Planum an einem einzigen Tag 140 in Serie. Meter zurückgelegt. DirecTV 7S wurde von Space Systems/Loral ge- Insgesamt hat nun auch Opportunity schon mehr baut. Er hat eine Design-Lebensdauer von 15 Jahren als einen Kilometer Strecke zurückgelegt. und wird sich in den nächsten Tagen selbst in einen kreisförmigen Orbit in 36.000 Kilometern Höhe Vor einigen Tagen schon war Opportunity nach manövrieren. Seine Einsatzposition wird danach bei einer abschließenden 50-Meter Fahrt an seinem 119 Grad westlicher Länge liegen. Sol 94 an der Kante des Kraters Endurance ange- kommen. In den letzten Tagen hat der Rover von DirecTV ist ein Konkurrenzunternehmen zu den dort spektakuläre Bilder zur Erde gesandt. Die Be- Kabel-Fernsehgesellschaften in den USA. Das schaffenheit des Kraterbodens und der Wälle lassen Unternehmen hat momentan über 12,2 Millionen den Wissenschaftlern buchstäblich das Wasser im Kunden. Munde zusammenlaufen. Der Boden erscheint als DirecTV 7S ist der insgesamt achte Satellit in der wäre er gepflastert. Das bedeutet, dass der Boden Flotte des Unternehmens und der zweite der mit nicht aus dem Schutt des Kratereinschlags besteht, Hochleistungs-Spotbeams ausgerüstet ist. Er ist sondern offensichtlich aus Sedimentgestein. Das zu auch der dritte von Loral gebaute Satellit für diesen untersuchen wäre für die Wissenschaftler äußerst Kunden. Zwei weitere Raumfahrzeuge dieses Typs interessant. sind derzeit noch im Werk Palo Alto, in Kalifornien Opportunity sitzt derzeit einen halben Meter von im Bau, nämlich DirecTV 8 und DirecTV 9S. der Kraterkante entfernt, mit einer Neigung von 4,7 DirecTV 7S sollte eigentlich an Bord einer Ariane Grad nach hinten. Die Neigung nach unten direkt 5 gestartet werden. Wegen Terminschwierigkeiten vor dem Rover beträgt 18-20 Grad auf eine Länge im Start-Manifest von war das aber von etwa 17 Metern. In den nächsten Tagen wird nicht möglich und so wurde die Mission im Rah- Opportunity den Krater umfahren. Dann wird auch men eines Transfer-Abkommens von Sea Launch entschieden, ob und wenn ja wo er den Abstieg durchgeführt. Das rechtliche Gebilde unter dem nach unten wagen soll. Das Hineinfahren in den das durchgeführt wird ist die „Launch Services Krater ist dabei nicht das wesentliche Problem. Alliance“, die im letzten Jahr von Arianespace, dem Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, wieder Sea Launch Vermarkter Boeing Launch Services und herauszukommen. Bei dem relativ glatten Unter- Mitsubishi Heavy Industries mit ihrer H-2A Träger- grund entwickeln bei 20 Grad Steigung die Räder rakete gegründet wurde. kaum noch Traktion und es könnte dann sein, dass Opportunity bis zum Ende seiner Mission im Kra- Die „Launch Services Alliance“ steht im Wettbe- ter Endurance gefangen ist. Und das wäre nicht so werb mit „International Launch Services“, dem günstig, denn in der Ebene des Meridiani Planum gemeinsamen US/Russischen Unternehmen, das gäbe es noch viele interessante Punkte anzusteuern. vor einem Jahrzehnt gebildet wurde, um die Atlas Eines der Ziele mit Top-Priorität ist der nur etwa und Proton Raketen weltweit zu vermarkten. Auch 250 Meter entfernte Hitzeschild des Landers. Für ILS bietet eine gegenseitige Startgarantie an, die es spätere Marsmissionen wäre es wichtig zu sehen, erlaubt, Satelliten zwischen den beiden Raketenfa- in welchem Zustand er den feurigen Abstieg zur milien zu tauschen, wenn andernfalls Verzögerungen Marsoberfläche überstanden hat. beim Kunden drohen.

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10.05.2004 vor allen Dingen dazu, reale Daten zum Flug- und Erster Flug des PHOENIX ein voller Erfolg Landeverhalten zu gewinnen, die nicht simulierbar Der Prototyp eines künftigen wieder verwendbaren sind. Das System HOPPER wird auf einem vier Kilo- Raumtransporters ist am Samstag, dem 8. Mai 2004, meter langen Magnet-Schwebeschlitten horizontal starten und wird in der Lage sein, Nutzlasten von etwa 7,5 Tonnen in die niedrige Erdumlaufbahn zu bringen. HOPPER soll im Zeitraum 2015-2020 in Dienst gehen. Bei dem PHOENIX-Flugmodell, einer rund 1.200 Kilogramm schweren Aluminiumkonstruktion, sind die Trag- und Steuerungsflächen mit einer Spannweite von 3,9 Metern so klein wie möglich gehalten. Der Rumpf des PHOENIX dient während der Testflüge als Stauraum für das Avionik-, Naviga- tions- und Datenübertragungssystem sowie für die PHOENIX wird ausgeklinkt Energieversorgung. Ziel der PHOENIX-Flugerprobung sind Erkennt- sicher auf dem Testflughafen im nordschwedischen nisse über das Verhalten des Fluggerätes während Vidsel gelandet. Ein Schwerlast-Hubschrauber eines steilen Landeanflugs und dem automatischen transportierte PHOENIX auf eine Höhe von 2.400 Aufsetzen auf der Erde. In den nächsten Tagen sind Metern und klinkte ihn bei einer Geschwindigkeit drei weitere Testflüge geplant. Daran schließt sich von 145 Kilometern pro Stunde aus. Nach einem die umfangreiche Datenauswertung an. Auf der Ba- Freiflug mit Spitzengeschwindigkeiten von 450 Kilo- sis der dann gewonnenen Informationen wird das metern pro Stunde landete PHOENIX punktgenau System dann optimiert, und für Flüge aus größerer auf der Landebahn. PHOENIX korrigierte Bahnab- Höhe vorbereitet. Das könnten Abwürfe aus Stra- weichungen während der Flugphase und beim Auf- tosphären-Ballons oder von Überschallflugzeugen setzen automatisch und präzise. sein. Die Abwurfhöhe könnte bis zu 25 Kilometern betragen. Mittelfristig soll PHOENIX auch mit ei- Bei PHOENIX handelt es sich um einen so genann- nem eigenen Antriebssystem ausgerüstet werden. ten Technologie-Demonstrator. Eine im Verhältnis Die Kosten dieses Experimentalsystems betragen 1:7 verkleinerte Nachbildung des möglichen zu- rund 16 Millionen Euro. künftigen Raumtransporters „HOPPER“. Er dient

13.05.2004 New Mexico wird jährlichen X Prize Cup austragen Aller Voraussicht nach wird in diesem Jahr der Sieger des X-Price-Wettbewerbs die Preisgeldsumme von 10 Millionen Dollar kassieren. Nach derzeitigem Ermessen können das nur die Gebrüder Rutan von Scaled Composites mit ihrem SpaceShipO- ne sein. Sie können wohl höchstens noch durch einen Unfall aufgehalten werden. Gewonnen wird der X-Price von derjeni- gen privaten Organisation, der es gelingt, innerhalb von zwei Wochen mit dem- selben Raumfahrzeug zweimal eine Höhe von mindestens 100 Kilometern zu errei- chen. Die beiden Flüge müssen vor dem 1. Januar 2005 erfolgen. Nach den Statuten des X-Preises gibt es für die nachfolgenden Platzierungen keine Preisgelder. Aus diesem Grunde, und um PHOENIX-Flugmodell nach der Landung. den Wettbewerbszweck des X-Prices am

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Leben zu erhalten, hat die 27 Teams haben sich für den Ansari X-Price-Wett- X-Price-Stiftung schon vor bewerb angemeldet, allesamt potentielle Teilnehmer einiger Zeit die Austragung auch am X-Price Cup. eines jährlich stattfindenden Für diese Cup-Wettbewerbe wird es zunächst fünf „X Price Cups“ angekündi- Kategorien geben: gt. Jetzt sind Austragungsort und Austragungsmodus offi- Schnellste Zeit für die Absolvierung zialisiert worden. von zwei Flügen Der X-Price Cup soll im Maximale Anzahl von Passagieren pro Flug Sommer 2006 zum ersten Gesamtzahl von Passagieren während des Mal stattfinden. Veranstaltet Wettbewerbs wird der Wettbewerb im amerikanische Bundesstaat Größte erreichte Höhe New Mexiko und zwar X-Price Trophy Schnellste Zeit vom Start bis zur Landung angrenzend an das Rake- tentestgelände von White Sands. Dort steht ein In jeder Kategorie werden Punkte vergeben. Am fast 50 Quadratkilometer großes Gelände für die- Schluss wird es Gewinner in den Einzelkategorien sen Zweck zur Verfügung. Der Bundesstaat New und in der Gesamtwertung geben. Außerdem wird Mexico verpflichtet sich, die Errichtung der dafür eine Trophy vergeben, ein Wanderpokal, der für ein notwendigen Infrastruktur durchführen. Für diesen Jahr beim jeweiligen Gewinner verbleibt. Zweck sind vorab schon einmal 9 Millionen Dollar freigegeben worden. Weitere Geldmittel sollen spä- 14.05.2004 ter zugeordnet werden. Mike Melville an der Schon im Sommer nächsten Jahres wird am zu- Schwelle zum Weltraum künftigen Wettbewerbsstandort eine öffentliche Raumschiff-Konstrukteur Burt Raumfahrtausstellung stattfinden bei der auch Rutan, seine Firma Scaled Com- möglicherweise einige der zukünftigen Cup-Vehikel posites und deren Testpilot Mike bereits fliegen werden. Melville sind bei ihrem Vorhaben, als erstes Privatunternehmen ei- Die Entscheidung zugunsten der Durchführung ei- nen Menschen in den Weltraum nes jährlichen Wettbewerbs basiert auf einigen Ent- zu senden einen großen Schritt wicklungen aus der jüngsten Zeit. Zunächst hat der vorwärts gekommen. X-Price unerwartet eine Reihe neuer Sponsoren erhalten, die jeweils „namhafte siebenstellige Sum- Das von Microsoft Mitbegründer men“ eingebracht haben, wie es heißt. Unter ihnen und Milliardär Paul Allen finan- der Veranstalter der Champ Car World Series. Die zierte Raumfahrzeug „SpaceShi- beiden iranisch-stämmigen Unternehmer Anous- pOne“ erreichte während eines heh und Amir Ansari haben sogar einen derart Testflugs über der kalifornischen hohen Beitrag geleistet, dass daraufhin der X-Price Mojave-Wüste eine Flughöhe SpaceShipOne am in „Ansari X Prize“ umbenannt worden ist. von 65 Kilometern. Gipfelpunkt seiner Para- Die zweite wesentliche Entwicklung besteht darin, Seit den Flügen der X-15, mit bel-Bahn. Aufgenommen dass eine ganze Reihe von Teams zwar signifikante der die US-Air Force und die von einer Kleinkamera Forschritte mit ihren Projekten gemacht haben, NASA in den 60iger Jahren am rechten Flügel die aber nicht ausreichen werden, um zum einen Flugversuche unternahm, ist - die Gebrüder Rutan zu schlagen oder aber das vom milliardenteuren Shuttle einmal abgesehen Zieldatum des 1. Januar 2005 einzuhalten. Vor - weltweit kein wieder verwendbares, bemanntes allem das Kanadische Da-Vinci-Team und das ame- Systems in diese Bereiche vorgestoßen. Die drei Ex- rikanische Unternehmen Armadillo sind mit ihren emplare der X-15 hatten bei insgesamt 199 Flügen Originalfahrzeugen inzwischen in der kritischen 37mal eine Höhe von 65 Kilometern überschritten. Testphase, und werden die Flugerprobung in Kürze Scaled Composites ist nur eines von insgesamt 27 aufnehmen. Unternehmen aus verschiedenen Ländern, die mo- mentan um den X-Price kämpfen. Der Rekordflug begann am Donnerstag, dem 13. Mai, um 7:41 Ortszeit. Um diese Zeit startete die

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bringt AMC 11 in den Orbit Obwohl sich ihre Pensionierung schon am Horizont abzeichnet, hält Lockheed Martins Atlas 2AS ihre ta- dellose Startstatistik weiter aufrecht. Am Mittwoch, dem 19. Mai, brachte sie einen Telekommunikations- satelliten in den Orbit, der Fernsehprogramme an Kabelgesellschaften liefern soll. Der Countdown verlief problemlos, von einer halbstündigen Pause einmal abgesehen, die sich die Techniker in Denver erbeten hatten, um noch einmal die Testdaten einer anderen Rakete durch- Nach dem Flug berichtet Mike Melville (rechts) zugehen. Der Start erfolgte schließlich um 23:22 an Burt Rutan (links) mitteleuropäischer Zeit, das ist 17:22 Ortszeit, von der Startrampe 36B der Cap Canaveral Luftwaffen- basis in Florida. Kombination aus White Knight Trägerflugzeug mit SpaceShipOne unter dem Rumpf von der Runway Diese vorletzte Mission der Atlas 2AS, der ältesten des Mojave Airport. 50 Minuten nach dem Abheben und schwächsten Version der im Einsatz befindli- hatte das Gespann eine Höhe von 14.600 Metern chen Atlas-Varianten, war dem Transport des 2,5 erreicht. Brian Binnie am Steuer des White Knight Tonnen schweren AMC-11 Satelliten in den geo- drückte auf den Auslösehebel und gab SpaceShi- synchronen Transferorbit gewidmet. 28 Minuten pOne mit Mike Melville an den Kontrollen frei. nach dem Liftoff wurde der Start mit dem erfolg- reichen Aussetzen des Satelliten abgeschlossen. Zu Nach einem freien Fall von 10 Sekunden zündete diesem Zeitpunkt befand sich die Kombination von Melville das Triebwerk. Der Hybrid-Motor lief für Zweitstufe und Satellit gerade über Zentralafrika. 55 Sekunden. In einer Höhe von 49 Kilometern bei einer Geschwindigkeit von ca. 2.600 Stun- Die Atlas 2AS ist mit vier Thiokol-Feststoff-Zusatz- denkilometern stellte Melville den Motor wieder boostern ausgerüstet, die sie auffallend von anderen ab. Danach stieg das Fahrzeug antriebslos bis zur Atlas-Versionen unterscheidet. Sie ist seit dem Jahre Gipfelhöhe weiter. 1993 im Dienst und hat bei ihren insgesamt 29 Ein- sätzen eine 100-prozentige Erfolgsrate. Überhaupt Nach dem Flug berichtete der 62-jährige Mike ist das gesamte Programm aller Atlas-Varianten un- Melville: „Die Beschleunigung war enorm. Es ging gemein erfolgreich. Bei den bisher stattgefundenen sehr, sehr schnell fast senkrecht aufwärts“. Am 72 Starts aller Versionen der Atlas 2, 3 und 5 kam es Scheitelpunkt seiner ballistischen Flugkurve, in 40,3 zu keinem einzigen Fehlstart. Meilen Höhe, das sind 64,5 Kilometer, war Melville für ungefähr zwei Minuten schwerelos. Laut der et- Wenn AMC-11 in einigen Monaten seinen Dienst was subjektiven NASA-Definition wird ein Mensch antritt, wird der Satellit eine bedeutende Schaltstel- zum Astronauten, wenn er eine Flughöhe von 50 le für Kabelfernseh-Nutzer in ganz Nordamerika Meilen überschreitet. werden. Für den Gewinn des X-Price muss eine Höhe von Dutzende von Fernseh-Anstalten, wie zum Beispiel 62,5 Meilen erreicht werden, das Äquivalent von Discovery Channel, Lifetime Television, The Movie 100 Kilometern. Channel, MTV, Nickelodeon, The Science Channel, Showtime, The Learning Channel, TV Land, VH-1 Scaled Composites kündigte inzwischen an, nur und The Weather Channel senden ihre Programme noch einen weiteren Testflug durchzuführen. Dieser an AMC 11 und werden dann von diesem lan- Einsatz dürfte dann in eine Höhe von ca. 80 Kilo- desweit an die verschiedenen Kabelgesellschaften meter gehen und etwa in der ersten Juni-Woche übertragen. Insgesamt wird der Satellit 80 Millionen stattfinden. Haushalte mit Kabelfernsehen beliefern. Beobachter gehen davon aus, dass danach der erste AMC-11 wurde von der Trägerrakete auf einem der beiden X-Price-Wettbewerbsflüge am Sonntag, elliptischen Übergangsorbit abgesetzt. Der höchste dem 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag Bahnpunkt betrug 35.750 Kilometern der nied- stattfinden könnte. rigsten Bahnpunkt 186 Kilometer. Die Inklination betrug 12,4 Grad zum Äquator. In den kommenden 19.05.2004 Tagen wird der Satellit sein eigenes Triebwerk ein- Vorletzte Atlas 2AS setzen um den Orbit in 35.750 Kilometern Höhe zu

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zirkularisieren, und die Inklina- 20.05.2004 tion auf Null Grad zu bringen. Taiwans Rocsat 2 sicher Die Controller werden den im Orbit Satelliten danach vorüberge- Die erste Taurus XL Träger- hend auf eine Position über rakete, eine Kombination dem westlichen Längengrad aus der vom Flugzeug star- 146 manövrieren und dort tenden Pegasus XL und der die Funktionstests durchfüh- bisherigen Standard-Taurus ren. Nach Abschluss der Tests AMC 11 Rocsat 2 brachte den Erdbeobach- wird der Satellit nach 131 tungssatelliten ROCSAT 2 im Grad West transferiert. Auftrag der Taiwanesischen Weltraumbehörde in den Orbit. AMC-11 und sein Zwillingsbruder AMC-10, der bereits im Februar gestartet worden ist, ersetzen Nach einem ereignislosen Countdown, der wie am Satcom C-4, der sich dem Ende seiner wirtschaftlich Schnürchen ablief, startete die vierstufige Rakete nutzbaren Lebensdauer nähert. Die AMC-Satelliten sekundengenau um 18:47 Uhr mitteleuropäischer erzeugen etwa 20 Prozent mehr Energie als die Zeit (10:47 kalifornischer Ortszeit) von der Star- Satcoms, die sie ersetzen. Das Satellitenpaar war trampe 576E der Vandenberg Luftwaffenbasis in von Lockheed Martin auf Basis des A2100 Satelli- Kalifornien. tenbusses gebaut worden. Jeder der beiden Raum- Vierzehn Minuten später beendete der Träger seine flugkörper trägt 24 C-Band Transponder. Mission erfolgreich mit dem Aussetzen des Satelli- Die Atlas-Crew am Cape Canaveral hat aber jetzt ten im Orbit. noch keine Zeit den Erfolg zu feiern, denn die Der Start an diesem Donnerstag war von einiger Startkampagne für die 30. und letzte Atlas 2AS hat Bedeutung. Es ging nicht nur um die Einführung der bereits begonnen. XL-Version der Taurus, sondern um die Reputation Die Rakete war vor einigen Tagen vom Hersteller- der Taurus-Familie überhaupt, nachdem der letzte werk – Lockheed Martin in Denver – zum Cape Start vor fast drei Jahren in einem Fehlschlag geen- geliefert worden. Die erste Stufe wurde am 20. Mai det hatte. Diese Mission im September 2001 schei- an der Rampe 36A errichtet. Die Rakete soll am 30. terte, weil der Steuermechanismus der zweiten Juni mit einer geheimen Nutzlast National Recon- Stufe eine Fehlfunktion aufwies. Dadurch erreichte naissance Office in den Weltraum starten. die Rakete nicht genügend Geschwindigkeit und ge- langte dadurch nicht in den vorgesehenen Orbit. Diese Mission wird dann der endgültig letzte Flug der gesamten Atlas 2-Serie sein, welche die Varian- Das System wurde danach ausgetauscht. Jetzt wird ten 2, 2A und 2AS umfasste. ein Design verwendet, der aus dem amerikanischen Raketenabwehrsystem stammt, dem so genannten Die Atlas 3-Serie, ein Übergangsmodell zwischen „Ground-based Midcourse Defense Segment Mis- der Atlas 2 und der neuen Atlas 5, die hauptsächlich sile Program“. Dieses Design arbeitete beim Start deswegen konzipiert worden war, um das russische der Taurus XL jetzt fehlerlos. RD-180 Triebwerk im Flug zu testen, hat ebenfalls nur noch einen Einsatz vor sich. Dieser Flug soll im Die XL-Version der Taurus verwendet eine verlän- Januar nächsten Jahres wieder von der Rampe 36B gerte Zweit- und Drittstufe, die mit mehr Treibstoff am Cap Canaveral in den Weltraum gehen. Das ist gefüllt sind. Dadurch wird die Ge- dann gleichzeitig auch der letzte Start, der von der samtleistung des Trägers um 25 Pro- Startanlage 36 mit seinen zwei Rampen erfolgen zent verbessert. wird. Seit den frühen 60iger Jahren sind hier hun- Der 800 Kilogramm schwere Rocsat derte von Atlas-Raketen in den Orbit geschickt 2-Satellit wurde von Astrium in Fran- worden. kreich und Deutschland gebaut. Es ist In Zukunft wird Lockheed Martin ausschließlich die dies schon der zweite Erdbeobach- verschiedenen Versionen der Atlas 5 einsetzen. Und tungssatellit für Taiwan. diese Raketen werden ausschließlich vom neuen Der Satellit soll meteorologische Da- Startkomplex 41 auf die Reise ins All gehen. ten liefern, und dabei insbesondere das Phänomen der „Red Sprites“ beobachten. Das sind Blitze, die statt nach unten in Richtung Weltraum gehen. Darüber hinaus soll Rocsat 2 Taurus XL mit Rocsat 2 36 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

aber auch landwirtschaftliche Projekte unterstüt- zen, Umweltbeobachtungen machen, Daten für die Gebietsreform in Taiwan liefern und Naturkatastro- phen beobachten. Die Lebensdauer des Satelliten wird auf fünf Jahre veranschlagt. Das zukünftige Start-Manifest für die Taurus ist recht dünn. Derzeit sind nur zwei Starts für die NASA geplant: Im August 2007 das „Orbiting Car- bon Observatory“ und im Dezember desselben Jahres der „GLORY“-Satellit.

25.05.2004 Startvorbereitungen für Progress 14P ISS-Versorgungsschiff erfolgreich gestartet Ein russisches Frachtraumschiff, beladen mit Ver- die Erdatmosphäre durchführt. Progress 13P wird sorgungsgütern für die Internationale Raumstati- dann 30 Minuten nach dem „Deorbit-Burn“ in einer on, startete am 25. Mai in den Orbit. Der Lift-off Höhe von 100 Kilometern über dem Zentralpazifik erfolgte um 13:34 mitteleuropäischer Zeit vom verglühen. russischen Kosmodrom in Baikonur. Neun Minuten Nach wie vor ist die US Shuttle-Flotte in der Fol- nach dem Start hatte das Raumfahrzeug einen ge des Columbia-Unfalls auf dem Boden. Mit der Übergangsorbit erreicht. Gleich danach wurden die Wiederaufnahme der Flüge ist nicht vor Frühjahr Solargeneratoren entfaltet und die Navigationsan- nächsten Jahres zu rechnen. Damit hängt die Ver- tennen ausgefahren. sorgung der Raumstation jetzt schon das zweite Im Rahmen des ISS-Programms trägt das Fahrzeug Jahr komplett von den Flügen der russischen Pro- den Namen Progress 14P, die Bezeichnung für die gress-Schiffe ab. vierzehnte Progress-Mission zum Außenposten. In Die derzeitige Besatzung befindet sich seit vier der russischen Terminologie wird das Versorgungs- Wochen an Bord der Station. Fincke und sein schiff allerdings als Progress M-49 bezeichnet, denn Kommandant Padalka werden noch fünf weitere hier werden auch die Flüge zur alten Raumstation Monate Dienst tun, bis sie im November von der Mir mitgezählt. Expeditionscrew 10 abgelöst werden. Das vollautomatische Anlegemanöver um 15:55 mitteleuropäischer Zeit am Zvesda-Modul der Raumstation verlief problemlos. Wenige Stunden Juni später begannen Mike Fincke und Gennadi Padalka mit dem Entladen des Versorgungsschiffes. 03.06.2004 Der Docking-Port des Zvesda-Moduls war einen SpaceShipOne: Mission to Space am 21. Juni Tag vor dem Start von Progress 14P geräumt wor- Am 21. Juni wird Scaled Composites mit seinem den. Bis dahin war er mit Progress 13P belegt gewe- X-Price Vehikel „SpaceShipOne“ den Versuch un- sen. Die Astronauten hatten diese ältere Progress ternehmen, eine Flughöhe von 100 Kilometern zu zuvor noch mit Abfällen und nicht mehr benötigter erreichen. Der Pilot für diesen Flug wird erst kurz Ausrüstung aus der ISS beladen. vor dem Rekordversuch bestimmt werden. Nach der Trennung von der Raumstation wird die Bei drei vorausgegangenen Raketenflügen mit dem russische Bodenstation mit Progress 13P noch eine SpaceShipOne hatten Brian Binnie, Pete Siebold Woche lang Tests durchführen, um neue Verfahren und Mike Melville jeweils schon Rekorde für zivile für die Lagekontrolle und Treibstoff sparende An- Raketenflugzeuge erzielt. Zuletzt hatte Mike Melville flugmanöver zu erproben. Von diesen Testdaten am 13. Mai eine Flughöhe von 64,5 Kilometern und werden zukünftige Versorgungsflüge profitieren. eine Geschwindigkeit von 2.600 Kilometern pro Stunde erreicht. Am 3. Juni schließlich wird Progress 13P den so ge- nannten „Deorbit-Burn“ durchführen. Ein Brennma- Der Flug am 21. Juni ist der erste Einsatz, den növer, das die Orbitgeschwindigkeit des Frachters Scaled Composites im Voraus ankündigt. Bei allen soweit reduziert, dass er die Umlaufbahn verlässt bisherigen Flügen war das nicht der Fall gewesen. und einen kontrollierten, destruktiven Eintritt in Trotzdem hatten sich auch zu diesen Versuchen

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2406. Dieser Name ist vor einigen Monaten schon einmal einem Militärsatelliten gegeben worden, wodurch es zu einiger Konfusion gekommen ist. Bei dem Satelliten handelt es sich vermutlich um einen Elektronischen Aufklärungssatelliten vom Typ Tseli- na 2. Das Gewicht dieser Satelliten beträgt etwa 3.200 Kilogramm. Die in der Ukraine gebaute, zweistufig Zenith ist ein hoch automatisiertes Startvehikel, das seine ersten Einsätze in der Mitte der 80iger Jahre hatte. Nach einer Reihe spektakulärer Fehlstarts zu Be- Space Ship One wird für den Flug am 21.Juni vorbereitet ginn seiner Einsatzzeit entwickelte sich der Träger in den folgenden Jahren zu einem zuverlässigen schon immer große Zuschauermengen eingefun- Einsatzfahrzeug. den. Für den Flug am 21. Juni werden in Mojave, Eine dreistufige Version der Zenith wird von der dem Einsatzflughafen von SpaceShipOne und sei- Firma Sea Launch vermarktet, um kommerzielle nem Trägerflugzeug White Knight, mehrere zehn- Nachrichtensatelliten von einer seegestützten Platt- tausend Zuschauer erwartet. Schon Stunden nach form im Zentralpazifik aus in den Orbit zu bringen. der Ankündigung von Burt Rutan, dem Inhaber von Scaled Composites, waren alle Hotels und Motels im weiten Umkreis um Mojave ausgebucht. 12.06.2004 Cassini passiert Phoebe Der Versuch wird in den frühen Morgenstunden in 2.068 Kilometern Abstand stattfinden. Zunächst wird SpaceShipOne unter Mit dem Vorbeiflug am Saturn-Mond Phoebe hat dem Bauch des White Knight-Trägerflugzeugs auf die Raumsonde Cassini ihren ersten Forschungsauf- eine Höhe von etwa 14.500 Metern geschleppt. trag in ihrer vierjährigen Tour durch das Saturn-Sys- Dann wird das kleine Raketenflugzeug ausgeklinkt, tem durchgeführt. Das Deep-Space-Network der und der Pilot zündet das Hybrid-Triebwerk für etwa NASA erhielt die Bestätigung heute um 7:52 ameri- 80 Sekunden. Bei Brennschluss wird eine Flughöhe kanischer Westküstenzeit. Das Raumfahrzeug arbei- von etwa 65 Kilometern und eine Geschwindigkeit tet normal und ist in ausgezeichneter Verfassung. von 3.600 Stundenkilometern erreicht sein. Das Ve- hikel wird danach antriebslos bis in eine Höhe von Während der auf vier Jahre angesetzten Primärmis- 100 Kilometern steigen. Erst dann wird die gesamte sion wird Cassini den Saturn 76mal umkreisen, und Geschwindigkeit aufgezehrt sein und der Fall nach dabei 52 nahe Vorbeiflüge an sieben von Saturns 31 unten beginnt. Insgesamt soll der ganze Einsatz nicht bekannten Monden durchführen. mehr als etwa 85 Minuten dauern. Unten: Phoebe aus 32.500 Kilometern Entfernung Der Flug am 21. Juni gilt jedoch noch als Testflug. Es handelt sich also noch nicht um einen Wettbe- werbseinsatz für das Erreichen des X-Price. Dieser Flug, der nach den Statuten des X-Price nicht später als zwei Wochen nach dem ersten Flug wiederholt werden muss, soll zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt nach dem 21. Juni stattfinden.

10.06.2004 Zenith 2 bringt russischen Militärsatelliten in den Orbit Nach mehrfachen Verzögerungen in den letzten Monaten brachte am frühen Donnerstagmorgen eine Zenith 2 einen klassifizierten russischen Mi- litärsatelliten von Baikonur aus in den Orbit. Der Start erfolgte um 02:28 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Die Trägerrakete gab den Satelliten um 02:41 Uhr in einer niedrigen Erdumlaufbahn frei. Das Raumfahrzeug trägt die Bezeichnung Kosmos

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Obwohl dies der erste Vorbeiflug der gesamten Orbit statt. Dafür muss eines der beiden Haupt- Saturn-Tour ist, ist es doch die einzige Möglichkeit, triebwerke von Cassini für 96 Minuten feuern. Phoebe zu erkunden. Der Mond befindet sich weit- ab vom Planeten, und wenn die Raumsonde erst 17.06.2004 einmal in eine Umlaufbahn eingeschwenkt ist, wird Proton startet Intelsat 10-02 sie nicht wieder in diese entfernten Außenbereiche Der Satellitenoperator Intelsat, der in des Saturn-Systems kommen. diesem Jahr sein 40jähriges Bestehen Cassini flog am Freitag, dem 11. Juni in einer Ent- feiert, setzte eine russische Proton M- fernung von nur 2.068 Kilometern an dem dunklen Rakete ein, um in der Nacht von Mitt- Mond vorbei. Das Raumfahrzeug richtete seine In- woch auf Donnerstag seinen bislang strumente während des Vorbeifluges auf den Mond. größten und leistungsfähigsten Satel- Mehrere Stunden später richtete das Raumfahrzeug liten vom Kosmodrom in Baikonur in die Antenne zur Erde aus und begann mit der Da- den Weltraum zu bringen. tenübermittlung. Das Signal wurde von den An- Intelsat 10-02 verließ an der Spitze tennen des amerikanischen Deep Space Network der Trägerrakete die kasachische Step- in Madrid und in Goldstone, in der kalifornischen pe um 23.:27 mitteleuropäischer Zeit Mojave-Wüste aufgefangen. für den neunstündigen Transfertrip in Während des Vorbeifluges flog die Raumsonde mit die geosynchrone Übergangsbahn. Die Intelsat 10-02 einer Geschwindigkeit von 20.900 Kilometern pro Mission wurde vom Launch Provider startet mit einer Stunde relativ zum Saturn. Es war nach 23 Jahren „International Launch Services“ gema- Proton M zum ersten Mal, dass eine Raumsonde Phoebe nagt, der die russische Proton und die beobachtete. Beim Vorbeiflug von Voyager 1 im amerikanische Atlas-Rakete vermarktet. ILS wurde Jahre 1981 war der kleine Begleiter des Saturn vom amerikanischen Luft- und Raumfahrtkonzern aus einer Entfernung von 2.2 Millionen Kilometern Lockheed Martin und der russischen Firma Chruni- beobachtet worden, also aus 1000mal größerem tschew gegründet. Abstand als heute. Die dritte Stufe der Proton gab die vierte Stufe Als Phoebe im Jahre 1898 entdeckt wurde, war er vom Typ „Breeze M“ und den daran befestigten Sa- Saturns äußerster Mond. Das änderte sich erst mit telliten neun Minuten nach dem Start in einer nied- der Entdeckung einiger kleinerer Monde im Jahre rigen Erdumlaufbahn frei. Gleich danach feuerte die 2000. Phoebe ist beinahe viermal so weit vom Sa- Breeze M, um ein erstes Bahnanpassungsmanöver turn entfernt wie sein nächster größerer Nachbar, durchzuführen Japetus, und ist substanziell größer als jeder der an- In den darauf folgenden sechs Stunden zündete der deren Monde, die in vergleichbaren Entfernungen Breeze-Motor weitere vier mal, um den über fünf von Saturn kreisen. Tonnen schweren Intelsat-Satelliten nach und nach Bei einem Durchmesser in eine äquatoriale Bahn mit einem höchsten Bahn- von 220 Kilometer ro- punkt von 36.500 Kilometern und einem niedrigs- tiert er alle neun Stun- ten Bahnpunkt von 4.000 Kilometern zu bugsieren. den und 16 Minuten Die Freigabe des Satelliten von der vierten Stufe um seine Achse. Eine der Trägerrakete erfolgte schließlich 9 Stunden und Umrundung des Saturn 10 Minuten nach dem Abheben. dauert 18 Monate. Alle Monde des Saturn mit Der Satellit wird sich jetzt in den folgenden Tagen Ausnahme von Phoebe selbst in einen kreisförmigen Orbit in 35.600 Kilo- und Japetus umkreisen metern Höhe bringen. Die vorgesehene Orbitposi- Detail aus 11.900 km den Planeten in der Nä- tion über dem Äquator wird bei 1 Grad westlicher Entfernung he der Äquatorachse. Länge liegen. Danach beginnt eine ausgedehnte Phoebe‘s Orbit dagegen Testphase, die sich bis in den August hinein erstre- ist hochexzentrisch und überdies rückläufig. Ganz cken wird. Ab dann aber wird Intelsat 10-02 Fern- offensichtlich handelt es sich bei Phoebe um ein sehprogramme, Internet-Services und andere Tele- eingefangenes Objekt des Kuiper-Gürtels. kommunikations-Dienstleistungen für , Afrika und den Mittleren Osten bereitstellen. Bei Bedarf Nach dem Vorbeiflug an Phoebe ist Cassini auf di- kann der Satellit aber auch die Amerikanische rektem Kurs zum Saturn. Am 16. Juni ist ein letztes Ostküste und Indien erreichen. Mit größerer Leis- Bahn-Korrekturmanöver geplant. Am 1. Juli findet tungsfähigkeit und einer verbesserten Reichweite dann das kritische Einbremsmanöver in den Saturn-

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wird dieser Intelsat der neuesten Generation den ältern Intelsat 707 ablösen, der sich gegenwärtig auf der 1 Grad West Position befindet. Intelsat 707 wird ab August in einem Slot mit geringerem Kom- munikationsaufkommen Dienst tun. Intelsat 10-02 wurde von EADS Astrium auf Basis des 3000 Bus-Designs gebaut. Seine nomi- nelle Lebensdauer beträgt 13 Jahre. Das Kommuni- kationspaket beinhaltet 45 aktive C-Band Transpon- der und 16 aktive Ku-Band Transponder. Die Kommunikationsnutzlast und die Struktur wurden in England gefertigt. Solargeneratoren, Antennen, Repeater und Triebwerke stammen aus SpaceShipOne kurz nach der Triebwerkszündung. Deutschland, Italien und Kanada und Komponen- Rechts ist noch der White Knight zu sehen. ten der Elektronik-Ausrüstung wurde in Spanien produziert. Aus Frankreich stammt die Avionik. die Runway hinunter, und war um 6:47 Ortszeit Dort wurden auch die Endmontage und die Tests schließlich in der Luft. In weiten Kreisen schraubte durchgeführt. sich der White Knight danach eine Stunde lang hö- her und höher, um die geplante Abwurfposition in Für ILS war dies der 6. Start im Jahre 2004 und der 14.800 Metern Höhe zu erreichen 8. seit Dezember. Es waren dies sechs Atlas-Flüge und zwei mit der Proton. Der nächste Einsatz der Um 6:50 war die Abwurfposition in 14.500 Meter Atlas ist für den 30. Juni geplant. Diese Mission wird Höhe über der „Restricted Airspace“ der südlich aber nicht unter der Ägide von ILS ablaufen. Viel- von Mojave gelegenen Edwards Airforce Base er- mehr wird bei diesem Flug eine klassifizierte Nutz- reicht und nach einem kurzen Countdown klinkte last des Verteidigungsministeriums in den Orbit Matt Stinemetz das kleine Raumschiff aus. gebracht. Der nächste Proton-Start läuft dagegen SpaceShipOne war mit etwa 300 Kilogramm wieder über ILS, wenn der Kommunikationssatellit Polybutadien und etwa 1.500 Kilogramm Stickstoff- Amazonas am 25. Juli gestartet werden soll. tetroxid beladen. Genug, um das kleine Raumschiff auf eine Höhe von maximal 112 Kilometern zu 22.06.2004 bringen. SpaceShipOne: Kurztrip in den Weltraum Melvilles zahllose Trainingsstunden im Simulator Gestern hat SpaceShipOne, das X-Price Vehikel zahlten sich sofort nach der Zündung aus, denn, der Firma Scaled Composites in einem riskanten so berichtete er „Sofort nach der Zündung gab es Flug mit vielen Zwischenfällen als erstes privates einige Probleme, die hatten wir mit der Maschine bemanntes Raumfahrzeug die Schwelle zum Welt- noch nie gehabt“. Und weiter erzählte er: „Dieses raum erreicht. Mal, gleich nachdem ich das Triebwerk gezündet Die Mission begann kurz nach Sonnenaufgang. Etwa hatte, rollte das Vehikel scharf um 90 Grad nach gegen fünf Uhr morgens war die Kombination aus links. Ich trat in das Ruderpedal und dann rollte es White Knight, dem Trägerflugzeug des Raumschiffs, genauso scharf 180 Grad nach rechts. Und so was und dem unter dem Bauch der großen Maschine hat das Ding noch nie, wirklich nie zuvor getan. In aufgehängten SpaceShipOne aus dem Hangar von dem Moment langte ich zum Abbruchknopf, um Scaled Composites herausgerollt, und zur Tank- das Triebwerk sofort abzuschalten, wenn ich jetzt position auf dem Vorfeld geschleppt worden. Die die Kontrolle verlieren sollte. Aber es gelang mir Betankung dauerte etwa 25 Minuten. Erst dann wieder, die Maschine auszurichten und ich verän- kletterte Mike Melville in sein kleines Raumschiff derte die Trimmung um den richtigen Steigwinkel und einige Minuten später ließ Matt Stinemetz, der zu bekommen. Copilot des White Knight, die beiden Triebwerke an. Danach lief es ziemlich ruhig weiter“, fuhr Melville Die futuristisch aussehende Kombination setzte sich fort. „Wenn das Triebwerk schließlich den flüssigen langsam in Bewegung und rollte den Taxiway zum Treibstoff aufgebraucht hat, wird der gasförmige Ende der Runway 30 hinunter. Rest verarbeitet. Man hat dann das Gefühl in einem Um 6:46 Uhr Ortszeit gab Brian Binnie am Steuer Sportwagen mit defekter Kupplung zu sitzen. Es des White Knight Vollschub, zündete die Nachbren- gurgelt, stampft und läuft sehr ruckartig. Mal viel ner, mit infernalischem Lärm donnerte das Gespann Schub, mal wenig Schub, mal viel Schub. Das ist

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recht beunruhigend, denn die Maschine beginnt zu schlingern und man hat erheblich Probleme, damit fertig zu werden. Dann, fast schon bei Brennschluss, versuchte ich die Nase ein wenig nach oben zu trimmen, um mehr Höhe zu gewinnen. Und das war der Punkt, an dem das Problem mit der Trimmung auftauchte“. Bei Unterschallgeschwindigkeit kontrolliert der Pilot des SpaceShipOne seine Fluglage mit einem normalen Steuerknüppel, mit dem das kombinierte Höhen- und Querruder bewegt wird. Im Über- schallflug aber „kannst Du den Knüppel nicht mehr bewegen. Dann ist es, als wäre er in der Maschine fest geschweißt“, erläuterte Melville. „Bei diesen Geschwindigkeiten kann ich das Gerät nur mit der Trimmung fliegen. Nur so kann ich nicken, gieren und rollen. Aber jetzt steckte die Rolltrimmung fest. Ich wollte die Nase hochnehmen, aber das Flugzeug kippte nach rechts weg. Aber wir haben Gott sei Dank ein Reservesystem. Das aktivierte ich, und das funktionierte auch glücklicherweise, und somit war Mike Melville jubelt nach dem Flug der Tag gerettet“. Zutun des Piloten. Diese geniale Idee stammt von In der Freifallphase nach dem Brennschluss brachte Burt Rutan und ist ein technisches Novum. Melville das Fahrzeug mit den Lagekontrolldüsen, die nur für den Betrieb im Weltraum vorgesehen „Der Abstieg im „Feather-Mode“ war zunächst sehr sind, wieder in die normale Lage. Zusätzlich schal- angenehm“, berichtete Melville, „aber auch sehr tete er für den späteren Flug in der Atmosphäre aufregend. Beim Aufstieg unter dem Trägerflugzeug das Reserve-Trimmsystem ein. Die Fehlfunktion der hatte ich keine Angst gehabt, ich war höchstens ein Trimmung hatte SpaceShipOne aber in einer knap- wenig nervös. Dann, während des Raketenflugs pen halben Minute um mehr als 30 Kilometer vom nach oben hatte ich alle Hände voll zu tun, um die vorgesehenen Kurs entfernt. Maschine unter Kontrolle zu halten. Aber jetzt, auf dem Weg nach unten, war mir dann doch ziemlich Etwa am Punkt der Gipfelhöhe hörte Melville mulmig. Junge, ich sage euch, wenn Du mit dreifa- dreimal einen lauten Knall, der für weitere Be- cher Schallgeschwindigkeit nach unten fällst und unruhigung sorgte. Melville hatte keine Ahnung anfängst, auf die Atmosphäre zu treffen, dann ist das was vor sich gegangen war und konnte auch auf ein Höllenlärm. Ungefähr so, als würde Dich jemand seinen Instrumenten keine zusätzlichen Anomalien aus vollem Hals anbrüllen. An der Stelle dachte ich entdecken. Nach der Landung wurde aber festge- mir, whow, warum tu ich das hier eigentlich?“. stellt, dass die Triebwerksverkleidung verbeult war. Wie diese Beule entstanden ist, konnte noch nicht Dann musste ich die Flügel wieder gerade stellen festgestellt werden. und damit kam das Problem mit der Trimmung wie- der. Ich hatte die vorhin über das Reservesystem Obwohl sich in den wenigen Minuten des Fluges justiert, war aber nicht sicher, ob sie weiter funkti- eine haarsträubende Anomalie an die andere reihte onieren würde. Ich beschloss deshalb, die Maschine und Mike Melville alle Hände voll zu tun hatte, um mit der Trimmung die eingestellt war zu landen, und die Maschine unter Kontrolle zu halten, blieben ihm den Trimm-Aktuator nicht mehr anzufassen. Und doch ein paar Momente in denen er die Aussicht die Landung ging dann auch glatt.“ und die dreieinhalb Minuten der Schwerelosigkeit genießen konnte. Burt Rutan und Paul Allen, die den Flug vom Missi- on-Control-Container im Scaled Composites-Han- Schließlich war der Gipfelpunkt der Parabel über- gar aus beobachtet hatten, warteten jetzt am Rande schritten und der freie Fall nach unten begann. Für der Runway auf Melville. Um 8:15 Uhr setzte die den bevorstehenden Wiedereintritt in die Erdatmo- Maschine schließlich sanft auf. Die Ära der zivilen sphäre klappte Melville die Flügel um 65 Grad nach Raumfahrt hat damit begonnen. oben. Mit dieser Methode, „Feather-Mode“ genannt, stabilisiert sich das Fahrzeug automatisch auch ohne

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24.06.2004 darüber hinaus gegenwärtig vier Reservesatelliten Delta 2 Start mit im Orbit. GPS 2R-12 Ronald Reagan gewidmet Die Controller werden GPS 2R-12 in den Slot 4 Nach drei vergeblichen Anläufen wegen schlech- der Orbitebene E transferieren. In dieser Position ten Wetters startete am frühen Mittwochabend befindet sich gegenwärtig GPS 2A-16, der am 22. amerikanischer Ostküstenzeit eine Boeing Delta 2 November 1992 gestartet worden war und seit mit einem weiteren Satelliten des amerikanischen langem seine Design-Lebensdauer überschritten Global Positioning System zu einer Mission in den hat. Die meisten Systeme an Bord dieses Satelliten Orbit, die dem Andenken des kürzlich verstorbenen funktionieren zwar noch akzeptabel, aber in der Präsidenten Ronald Reagan gewidmet war. letzten Zeit hat die Präzision der an Bord befind- Zuvor war am Samstag, Sonntag lichen Atomuhr nachgelassen. und Montag der Countdown GPS 2A-16 wird ebenfalls auf dieser Position für jedes mal kurz vor dem Lift-off den Rest seiner nutzbaren Lebensdauer als Reser- abgesagt worden. Am Dienstag vesatellit verbleiben. Der Start am Mittwoch war bekam die Startmannschaft ei- insgesamt der 51. Start eines GPS Satelliten und nen Tag frei, bevor das Team am der 40. der mit einer Delta 2 Rakete durchgeführt Mittwoch einen neuen Versuch wurde. Es war dies die zweite von insgesamt drei unternahm, den Träger zu starten. geplanten Routine-Ersatzmissionen in diesem Jahr. Auch für diesen Tag waren die Am 20. März war GPS 2R-11 erfolgreich in den Wetterprognosen nicht gut gewesen. Orbit gebracht worden. Der Start der nächsten Aber gegen Mittag nahm der Optimismus zu, als Mission ist für den 22. September geplant. sich zeigte, dass die Gewitterfronten an diesem Tag Für Boeings Delta 2 war es der 111. erfolgreiche nicht in so dichter Folge wie in den Vortagen auf das Start, von insgesamt 113, die seit dem Jahre 1989 Cape zuzogen. Zwei Stunden vor dem Beginn des stattgefunden haben. Und es war der 58. erfolg- Startfensters wurde schließlich klar, dass man es an reiche Start in ununterbrochener Reihenfolge seit diesem Tag schaffen könnte. 1997 und der dritte Einsatz einer Delta 2 in diesem Die Rakete wurde betankt und den abschließenden Jahr. Tests unterzogen, während der Countdown an der Die nächste Delta 2-Mission ist für den 10. Juli Rampe 17B sich auf den Startzeitpunkt zu bewegte. geplant. An diesem Tag soll von der Luftwaffenbasis Am Startturm war ein großes Schild angebracht, Vandenberg in Kalifornien der NASA-Forschungs- mit der Aufschrift „Launch One For ‚The Gipper satellit AURA zur Erkundung der Erdatmosphäre in 1911-2004‘“ in Erinnerung an Präsident Ronald Re- eine polare Umlaufbahn gebracht werden. agan, der am 5. Juni gestorben war. In Cape Canaveral muss nach der GPS-Mission Der Start erfolgte um 18:54 Ortszeit (0:54 MEZ), die Startanlage 17B sehr schnell wieder auf Stand und die Delta 2 stieg schnell in den klaren Spätnach- gebracht werden, denn Anfang August soll von dort mittagshimmel. Mit dem 45 Millionen Dollar teuren eine Delta 2-Heavy den Merkur-Orbiter MESSEN- GPS 2R-12 Satelliten unter der Nutzlastverkleidung GER auf seine Reise in das innere Sonnensystem nahm die Rakete einen südöstlichen Kurs über den schicken. Atlantik. 25 Minuten nach dem Lift-off wurde der gut zwei Tonnen schwere Satellit in einer Bahn mit einem Scheitelpunkt von 17.600 Kilometern und 29.06.2004 einem niedrigsten Bahnpunkt von nur 160 Kilome- Zenith 3SL bringt tern freigegeben. Die Bahnneigung zum Äquator in den falschen Orbit betrug 39 Grad Ein Telekommunikationssatellit im gemeinsamen Besitz eines amerikanischen und eines chinesischen Ein bordeigener Kick-Motor wird in den nächsten Betreibers wurde am Donnerstagmorgen von einer Tagen die Umlaufbahn in 17.600 Kilometer Höhe Zenith 3SL des Sea Launch Konsortiums in einer zirkularisieren und die Inklination auf 55 Grad er- „suboptimalen“ Bahn ausgesetzt. Die Betreiber des höhen. Sobald der Satellit getestet ist, wird er in die Satelliten gehen derzeit davon aus, dass der Satellit amerikanische GPS-Konstellation eingereiht, und selbst die zu niedrige Bahnhöhe ausgleichen kann, einen älteren Satelliten ersetzen. aber trotzdem annähernd seine normale Betriebs- Das amerikanische Global Positioning System ver- lebensdauer erreichen wird. wendet 24 Einsatzsatelliten, die sich in sechs ver- Die Sea Launch Zenith 3 SL startete um 5:59 Uhr schiedenen Orbit-Ebenen befinden. Das System hat mitteleuropäischer Zeit von der Meeresplattform

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stammende „Breeze“-Oberstufe zu ersetzen. Die Controller versuchten herauszufinden, ob die Treibstoffreserven des Satelliten ausreichen, den Orbit auf die vorgesehene Bahn anzuheben, und danach trotzdem die volle wirtschaftliche Lebens- dauer zu erzielen. Das sieht momentan relativ günstig aus. Möglicherweise wird die wirtschaftli- che Lebensdauer des Satelliten statt 15 nur noch 13 Jahre betragen, im wesentlichen aber wird das Raumfahrzeug aber seine Mission erfüllen können. Bei Loral Space, dem Hersteller des Satelliten, und Loral Skynet, einem der beiden Betreiber, wurde bekannt gegeben, dass der Satellit „vorzeitig“ ab- gesetzt worden wäre. Diese eben so eigenartige wie irritierende Auskunft kann aber auch daraus resultieren, dass sie von jemandem gegeben wurde, der mit den raumfahrttechnischen Aspekten eines Satellitenstarts nicht vertraut ist. Im Übrigen, so wurde mitgeteilt, arbeiteten alle Systeme des ein- wandfrei, die Solargeneratoren sind ausgefahren und die Kommunikationsnutzlast wurde in Betrieb genommen. Der zweite Betreiber des Satelliten ist die APT Sa- Zenith 3 SL beim Start tellite Company Limited in Hongkong. Bei ihr läuft er unter dem Namen Apstar 5. APT wird zunächst Odyssee südlich der Hawaii-Inseln in Höhe des fast 70 Prozent der Kapazität des Satelliten nutzen. Äquators. Die erste und zweite Stufe der Rakete, ATP benötigt die Kapazität, um den 10 Jahre alten gebaut in der Ukraine, funktionierten normal. Auch Apstar 1 in absehbarer Zeit zu ersetzen. das erste Brennmanöver der in Russland gebauten Oberstufe vom Typ Block DM-SL lief einwandfrei Telstar18/Apstar 5 hat 38 C-Band und 16 Ku-Band ab, und platzierte den Satelliten nach einer ersten Transponder an Bord. Mit den C-Band Trans- Brennperiode in einem niedrigen Parkorbit. pondern wird der gesamte Südostasiatische und teilweise auch der Ozeanische Raum bedient. Der Nach einer 36-miütigen ballistischen Freiflugphase Ku-Band-Bereich deckt China, Indien, Taiwan, Hong- sollte das Triebwerk noch einmal für sechs Minuten kong und Korea ab. in Betrieb genommen werden, um einen elliptischen Transfersorbit mit einem höchsten Bahnpunkt von Sea Launch hatte geplant, den Satelliten Americas 35.768 Kilometern und einem niedrigsten Bahn- 8 für Intelsat in wenigen Wochen zu starten. Diese punkt von 760 Kilometern zu erreichen. Pläne werden jetzt wohl auf Eis gelegt sein, zumin- dest so lange, bis der Grund für das Teilversagen der 65 Minuten nach dem Start gab die Oberstufe den Block DM Stufe erkannt und behoben ist. fünf Tonnen schweren Telstar 18 frei. Sea Launch be- zeichnete in einer ersten Meldung den Start als er- Der Flug am Dienstag war der 14. Einsatz einer Sea folgreich. Einige Stunden später aber bestätigte Sea Launch Zenith 3 SL. Im Jahre 2000 war bereits eine Launch, dass das erzielte Apogäum, also der höchste Mission fehlgeschlagen, als es zu einer Fehlfunktion Bahnpunkt, beträchtlich niedriger war als vorgese- in der zweiten Stufe der Trägerrakete gekommen hen. Während das Perigäum fast bei den vorgese- war. Der ICO-Mobilfunksatellit stürzte damals in henen Werten war, wurden als höchste Bahnpunkt den Pazifik. lediglich 21.000 Kilometer erreicht, 15.000 Kilome- Beim ersten Sea-Launch Start dieses Jahres, bei ter weniger als der vorgesehene Wert. dem der ebenfalls von Loral gebaute Kommunka- Die Ingenieure suchen derzeit nach der Ursache tionssatellit Estrela do Sul gestartet wurde, kam es der Minderleistung. Die Block DM ist in der Vergan- ebenfalls zu einer Anomalie. Damals entfaltete sich genheit auf der Proton-Rakete schon mehrmals der einer der beiden Solargeneratoren des Satelliten Grund von Fehlschlägen gewesen. Bei Sea Launch nicht. Die Progammverantwortlichen gaben nie hatte man deswegen schon geplant, die Block DM bekannt, was dieses Problem verursacht hat. durch die zuverlässigere, ebenfalls aus Russland

2004 spacexpress raumfahrtchronik 43 Das Raumfahrtjahr 2004

30.06.2004 Juli Eine startet acht Satelliten Eine russische Trägerrakete vom Typ Dnepr, eine 01.07.2004 konvertierte Interkontinentalrakete vom Typ SS-18 Mut zur Lücke „Satan“, brachte gestern um 8:30 mitteleuropä- Für die Designer des Triebwerkssystems, dessen ischer Zeit insgesamt acht Kleinsatelliten in den Aufgabe es in der vergangenen Nacht war, die Orbit. Der Start erfolgte von einem Silo in Baikonur Raumsonde Cassini in die Umlaufbahn um den Pla- aus. Die Nutzlast wurde in einem sonnensynchro- neten Saturn einzubremsen, war der Druck enorm. nen Orbit in knapp 700 Kilometer Höhe abgeliefert. Das Cassini-Projekt ist mit Gesamtkosten von 3,3 Der größte der acht Raumflugkörper bei dieser Milliarden Dollar extrem teuer, und die Hoffnun- Mission war der 125 kg schwere „“, ein gen und Träume tausender von Ingenieuren und Satellit der französischen Raumfahrtbehörde, der Wissenschaftler hängen daran. Ein Versagen dieses elektromagnetische Signale erkennen soll, die bei Systems wäre nicht auszudenken. Erdbeben ausgesendet werden. Um in den gewünschten Orbit zu gelangen, musste das Triebwerk für 96 Minuten und 24 Sekunden feuern. Der Beginn der Zündung war durch die Bahnmechanik auf den 1. Juli um 4:35:42 Uhr mittel- europäischer Zeit fixiert. Hätte jetzt das Triebwerk nur für 85 Minuten oder weniger gearbeitet, dann wäre die Mission gescheitert. Ab der 85. Minute Brennzeit wäre zumindest ein halbwegs brauchba- rer Orbit erreicht gewesen. Das Brennmanöver hatte wenig Raum für Irrtümer. Auch beim Nominalablauf war es schon schwierig genug. Auch da gehörte schon ein Quentchen Glück dazu, dass alles klappte. Cassini brauchte das Der französische Satellit „Demeter“ Glück vor allem beim Durchqueren des Ringsys- tems. Zweimal musste sich die Raumsonde durch die Lücke zwischen dem F und dem G-Ring „quet- Weiter wurden drei kleine Kommunikationssatel- schen“. Das war zwar ein Spielraum von knapp liten für Saudi-Arabien, zwei argentinische Kommu- 30.000 Kilometern, aber angesichts der Tatsache, nikationssatelliten, ein italienischer Forschungssa- dass die Ringe über 400.000 Kilometer Gesamt- tellit und ein Urnenbehälter der Firma Celestis für breite haben doch recht wenig. Und ob diese Lücke Weltraum-Begräbnisse mitgenommen. Mit Ausnah- tatsächlich komplett leer war, ohne Weltraumschutt, me von Demeter wogen die anderen Nutzlasten wusste vorher auch keiner so ganz genau. jeweils weniger als 50 Kilogramm. Mit dem heutigen Start sind insgesamt vier Dnepr‘s eingesetzt wor- Von der Erde aus gesehen, näherte sich die Sonde den. 150 dieser ehemaligen Interkontinentalrake- dabei den Ringen von schräg unten. Zurzeit ist der ten liegen noch auf Lager. Der nächste Start ist für Saturn nämlich auf seinem Lauf um die Sonne um Herbst dieses Jahres vorgesehen. Die Dnepr, ihr einige Grad von der Erde „weg gekippt“. Die Annä- Nato-Codename zu Zeiten der Sowjetunion war herungsgeschwindigkeit relativ zum Saturn betrug „SS 18 Satan“, ist wegen ihrer speziellen militä- dabei 78.400 Kilometer pro Stunde. rischen Auslegung im Zivileinsatz besonders gut für Um 4:11 Uhr war die erste Durchquerung der Ringe Mehrfach-Satellitenstarts geeignet. sicher erfolgt. Jetzt orientierte sich Cassini neu. Das Als „Satan“ trug die Rakete Triebwerk zeigte jetzt in Flugrichtung und die An- 10 Wasserstoffbomben, die tenne nach hinten. Ursprünglich hatte die NASA sie auf unterschiedlichen Bah- geplant, während des Brennmanövers gleichzeitig nen absetzen konnte. Dieser wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen. Mehrfachadapter kann nun In diesem Fall hätte aber während der gesamten verschiedene zivile Nutzlasten kritischen Phase von sechs Stunden keinerlei Kon- aufnehmen und getrennt im takt zur Erde bestanden. Diese Idee ließ man fal- Orbit freigeben. len, nachdem im Jahre 1999 der Mars Polar Lander Start einer Dnepr wegen eben dieses Vorgehens spurlos verschollen war, ohne dass man je herausfand, was damals schief gegangen war. Die NASA suchte also nach

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war. 55 Minuten nach Beginn der Zündung konnte das Signal wieder klar empfangen werden, denn jetzt konnte die Raumsonde durch die so genannte Cassini-Teilung der Saturnringe angepeilt werden. 61 Minuten nach Beginn der Zündung verschwand das Signal abermals, als das Raumfahrzeug vom B- Ring verdeckt wurde. Danach bestand bis zur 89. Minute keine Verbindung mehr. Erst danach konnte das Dopplersignal wieder verfolgt werden. Die geringste Annäherung an den Saturn, knapp 20.000 Kilometer über der Wolkendecke wurde um 5:03 Uhr mitteleuropäischer Zeit erzielt, da lief Die ersten Fotos aus der Umlaufbahn. das Brennmanöver noch acht Minuten. Um 5 Uhr Cassini fotografiert die Ringe. 11 schaltete der Bordcomputer das Triebwerk wie- der ab. Die Geschwindigkeit der Raumsonde war einem Weg, mit dem sie zumindest einige wenige jetzt um 2.240 Kilometer pro Stunde gesunken. Un- Informationen über den Ablauf des Brennmanövers mittelbar nach Brennschluss schwenkte das Raum- erhalten konnte. Sollte das Raumfahrzeug verloren fahrzeug herum und richtete die Hauptantenne für gehen, dann ist es für zukünftige Missionen wichtig eine Minute zur Erde, um einen kurzen Statusreport zu wissen, ob es ein Problem mit dem Saturnringen zu übermitteln. Gleich danach rollte sich Cassini in gab oder aber ob die Technik an Bord versagte. eine Position, in der sie die nur 15.000 Kilometer tiefer gelegenen Ringe beobachten konnte. Die Um mit der Erde während des Brennmanövers Raumsonde wird während ihrer gesamten Primär- Kontakt zu halten gab es zwei Möglichkeiten: Die mission den Ringen nie wieder so nahe kommen, eine war, die Hochleistungsantenne während die- wie in dieser Phase. ser Phase auf die Erde auszurichten und Daten zu übertragen. Nachdem die aber fest mit der Struktur Um 5:32 Uhr drehte sich Cassini wieder in die des Raumfahrzeugs verbunden ist, hätte das auch Schutzstellung, mit der Antenne als Schild nach vor- bedeutet, dass das Haupttriebwerk nicht mehr ne gerichtet, und um 5:58 Uhr stieß die Raumsonde genau in den Geschwindigkeitsvektor gerichtet erneut durch die Lücke zwischen dem F und dem gewesen wäre. Die Folge wäre gewesen, dass viel G-Ring, diesmal im aufsteigenden Ast der Bahnellip- mehr Treibstoff für das Bremsmanöver hätte aufge- se um den Saturn. wendet werden müssen. Exakt um 7:00 mitteleuropäischer Zeit richtete sich Die NASA wählte deshalb die andere Möglichkeit Cassini wieder zur Erde aus, und begann für eine und beschloss, die so genannten Low Gain An- Zeitspanne von 19 Stunden und 30 Minuten Daten tenna einzusetzen. Auf die gewaltige Entfernung zur Erde zu senden. zum Saturn ist diese Antenne allerdings so leis- 31 Stunden nach dem Einschuss in den Orbit pas- tungsschwach, dass damit keine Daten übertragen sierte Cassini den Mond Titan in einer Entfernung werden konnten. Aber allein schon die Analyse von weniger als 330.000 Kilometern. Das war damit der Doppler-Verschiebung im Signalton zeigte an, der erste offizielle Vorbeiflug am Titan während ob und wann das Brennmanöver begann, wie sein dieser Mission, und die erste, die erprobte, ob Fortgang war, welche Bremsverzögerung auftrat die Kamera an Bord der Raumsonde die dunstige und wann es endete. Atmosphäre durchdringen kann. Nachdem sich Cassini für das SOI-Manöver positi- oniert hatte, begann die Sonde, das Trägersignal zu senden, das um 4:27 Uhr aufgefangen wurde. Mis- sion Control wusste damit, dass das Raumfahrzeug die erste Ringdurchquerung intakt überstanden hatte. Um 4:36 Uhr modifizierte sich das Signal wie vorhergesagt durch eine Veränderung in der Doppler- der Trägerwelle. Das Brenn- manöver hatte begonnen. Dreißig Minuten nach Beginn des Bremsmanövers kam es für 25 Minuten zu einem Blackout in der Signalübermittlung, weil Cassini jetzt durch den Saturnring A abgeschattet Künstlerische Darstellung der Titan-Landung.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 45 Das Raumfahrtjahr 2004

16.07.2004 tung und Analyse des Verschmutzungsgrades der Aura in der Umlaufbahn Erdatmosphäre liefern. Der Satellit ist dabei in Ein Weltraumobservatorium von der Größe eines der Lage zwischen industrieller und natürlicher Schulbusses mit der Aufgabe, die Erdatmosphäre Kontaminierung zu unterscheiden. genau unter die Lupe zu nehmen, startete heute Wie verändert sich das Erdklima? Das Raum- kurz nach Mittag mitteleuropäischer Zeit vom fahrzeug wird dazu die Treibhausgase und die Kalifornischen Weltraumbahnhof Vandenberg an Aerosoldichte in der oberen Troposphäre und in der Spitze einer Delta 2-Trägerrakte in eine polare der unteren Stratosphäre messen und die Was- Umlaufbahn. Der Start erfolgte nach einer langen serdampfdichte in hohen tropischen Wolken. Reihe frustrierender Starverschiebungen. Aura ist der dritte große Satellit im Rahmen In Vandenberg, an der amerikanischen des NASA Erdbeobachtungsprogramms. Die Westküste, war es zum Startzeitpunkt Flaggschiffmission „Terra“ läuft seit 1999, im noch Nacht, und so bot sich den Zu- Jahre 2001 wurde „Aqua“ gestartet um den schauern eine spektakuläre Lichtshow, Wasserkreislauf auf der Erde zu beobachten, und als die Trägerrakete unter lautem Knat- nunmehr eben „Aura“. tern in den Himmel stieg. Zehn Minu- ten später erreichte Aura, noch mit der Die Aura-Plattform wurde von Northrop Grum- zweiten Stufe der Trägerrakete verbun- man gebaut. Das Fahrzeug ist mir vier äußerst den, einen ersten Übergangsorbit. fortschrittlichen Instrumenten ausgerüstet: Eigentlich hatte Aura schon am 19. Juni Dem gemeinsamen amerikanisch/englischen starten sollen, aber eine ganze Reihe „High Resolution Dynamics Limb Sounder“, der technischer Probleme führten dazu, Spurengase, Temperatur und Aerosoldichte in dass der Beginn der Mission insgesamt oberen Troposphäre, Stratosphäre und Mesos- sechsmal verschoben werden musste. phäre misst. Aura während der Alles in allem bedeutete das eine Mis- Dem „Microwave Limb Sounder“, der die Missionsvorbereitung sionsverschiebung von einem Monat. Chemikalien misst, welche die Ozonschicht Knapp eine Stunde nach dem Lift-off wurde die zerstören. Außerdem misst er Spurenelemente zweite Stufe des Trägers über dem östlichen Zen- in den Eiswolken der oberen Atmosphäre, so- tralafrika erneut gezündet, um die gewünschte wie den Ausstoß vulkanischer Aerosole. Dieses Kreisbahn in knapp 600 Kilometern Höhe zu errei- Instrument wurde Jet Propulsion Laboratory der chen. In der 64. Flugminute öffnete die zweite Stufe NASA beigestellt. die Halteklammern und schob sich vorsichtig vom Das „Ozone Monitoring Instrument“ ist der Satelliten weg. Damit war der 3.100 Kilogramm Hauptsensor von Aura für die Beobachtung schwere Aura zu seiner auf mindestens sechs Jahre der globalen Veränderung in der Ozonschicht. dauernden Mission im Orbit abgeliefert. Das Instrument wurde von den Niederlanden Die Aufgabe von Aura ist es, die Veränderungen in gemeinsam mit Finnland gebaut der Zusammensetzung und der Chemie der Erd- Der „Tropospheric Emission Spectrometer“ atmosphäre zu messen und zu untersuchen. Dabei misst Ozon und andere Gase in der Troposphäre, liegen die Schwerpunkte nicht auf den Elementen und misst den Verschmutzungsgrad der Tropos- Sauerstoff und Stickstoff, sondern im Wesentlichen phäre. Auch dieses Instrument stammt vom JPL. auf den Veränderungen in der Zusammensetzung der Spurenelemente in der Atmosphäre, der Aero- Die „In-Dienststellungsphase“ von Aura wird vor- sole und der Staubpartikel. aussichtlich im Oktober beendet sein. Die 785 Millionen Dollar teure Mission soll insbe- Der heutige Start war der 114. Einsatz einer Delta 2 sondere die drei folgenden Fragen beantworten: und der vierte dieses Typs im laufenden Jahr. Damit hat der Träger auch 59 erfolgreiche Starts in unun- Erholt sich die Ozon-Schicht in der Atmosphäre? terbrochener Reihenfolge absolviert. Die Fähigkeit des Satelliten zur Untersuchung der Ozon-Chemie sollte die Wissenschaftler in Der nächste Start einer Delta 2 ist für den 2. Au- die Lage versetzen, Voraussagen über künftige gust vorgesehen. Dann wird die NASA-Raumsonde Veränderungen der Ozonschicht zu machen. MESSENGER auf den Weg zum Planeten Merkur gebracht. Die Rakete wird derzeit auf der Rampe Wie verlaufen die Prozesse, mit denen die Luft- 17B in Cap Canaveral errichtet. verschmutzung unter Kontrolle gebracht werden sollen? Aura wird eine tägliche globale Beobach-

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18.07.2004 22.07.2004 Ariane 5 bringt weltgrößten Russland startet Militärsatelliten Kommunikationssatelliten in den Orbit Mit einer Trägerrakete des Typs Kosmos-3M wurde Arianespace brachte heute Nacht den Kommunika- in der Nacht zum Donnerstag ein Militärsatellit vom tionssatelliten F2 des kanadischen Betreibers Raketentestzentrum Plesetzk in den Orbit gebracht. „Telesat Canada“ erfolgreich in den Orbit. Das Der Start erfolgte am Donnerstag um 20:46 Uhr 5.950 Kilogramm schwere Raumfahrzeug ist der mitteleuropäischer Zeit von der Rampe 132. Der größte kommerzielle Nachrichtensatellit der je Booster brachte das Raumfahrzeug mit der Bezeich- gestartet wurde. nung Kosmos 2407 in einen niedrigen Erdorbit. Der Zweck des Satelliten wurde - wie üblich von den Anik F2 wurde auf der Basis des Boeing 702 Sa- russischen Militärstellen - ganz in der Tradition der tellitenbus konstruiert und gebaut und trägt eine Sowjetzeit in wolkigen Bezeichnungen umschrieben. gemischte Nutzlast aus 32 Ku-Band Transpondern, Das Raumfahrzeug solle, wie es hieß, „eine militä- 38 Ka-Band Einheiten und 24 C-Band Transpon- rische Satellitenkonstellation“ verstärken. Aus den dern. Der Satellit soll ein breites Spektrum an Bahnparametern und der eingesetzten Trägerrake- Aufgaben abdecken, z.B. Bildungsfernsehen für ab- te kann jedoch mit Sicherheit geschlossen werden, gelegene Gegenden Kanadas zur Verfügung stellen, dass es sich bei dem künstlichen Himmelskörper Gesundheitsservices und Ferndiagnosen für kleine um einen Navigationssatel- Kliniken liefern und eine Vielzahl verschiedener e- liten der Parus-Klasse auf Basis Services übertragen. Er soll fünfzehn Jahre lang im der Kaur-1 Plattform handelt. Einsatz bleiben. Diese Satelliten werden von Der Einsatz war der insgesamt 163. Ariane-Flug NPO Prikladnoy Mekhaniki und der 15. erfolgreiche Einsatz einer Ariane 5 G. hergestellt und wiegen 820 Ki- Telesat Kanada war dabei zum fünften Mal Kunde logramm. Die angesprochene bei Arianespace. „militärische Konstellation“ ist das russische Äquivalent zum Die früheren Satelliten, die Ari- Kosmos-3M amerikanischen GPS. anespace für die in Ottawa be- heimatete Firma gestartet hat, Die Kosmos 3M ist ein Träger für kleinere Satelliten waren Anik F 1 im November die bei Polet hergestellt wird. Das Startgewicht der 2000, MSAT 1 im April 1996, Kosmos beträgt 109 Tonnen, die maximale Nutzlast Anik E1 im September 1991 in eine niedrige Erdumlaufbahn beträgt 1.500 Kilo- und Anik E2 im April 1991. gramm. Zu Zeiten der Sowjetunion war die Kos- mos einer der am häufigsten eingesetzten Träger, in Der Start von Flug 163 war den letzten Jahren flog diese Rakete im Schnitt aber durch einige kleinere Probleme nur noch ein- bis zweimal pro Jahr. Der Träger ist mehrmals verzögert worden. schon seit dem Jahre 1967 im Einsatz. Zweimal waren technische An- Künstlerische Darstel- omalien am Träger der Grund, lung von Anik 2 in der einmal spielte das Wetter nicht 26.07.2004 Umlaufbahn. mit. China bringt zweiten Double-Star in den Orbit Die nächste Arianespace-Mission findet erst im Heute um 9:05 mitteleuropäischer Zeit startete Oktober statt. Dieser Flug ist ein überaus kritischer die Chinesische Nationale Raumfahrtbehörde Einsatz. Es ist dies der zweite Test der neuen ECA- (CNSA) erfolgreich den Tan Ce-2 (was auf chine- Version mit verstärktem Haupttriebwerk (Vulcain sisch „Erforscher“ bedeutet), den zweiten von zwei 2) und kryogener Oberstufe. Der Erstflug der neu- Wissenschaftssatelliten, die im Westen unter der en Ariane 5 Version war im Dezember 2002 ge- Missionsbezeichnung „“ bekannt sind. scheitert, als es wenige Minuten nach dem Liftoff Damit wurde der nächste Meilenstein in diesem zu einem Bruch in der Expansionsdüse des Haupt- gemeinsamen wissenschaftlichen Programm zwi- triebwerks kam. Flug 164 wird zwei Nutzlasten tra- schen der ESA und chinesischen Weltraumbehörde gen, den Kommunikationssatelliten XTAR-EUR und erfolgreich absolviert. ein Satelliten-Gewichtsdummy von Kayser-Threde, der eine zweite Nutzlast simulieren soll. Das Raumfahrzeug wurde von einer vom Raumfahrtzentrum Taiyuan in den Orbit gebracht. Tan Ce 1 war bereits am 29. Dezember 2003 gestartet worden.

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Double Star ergänzt die Konstellation „Clu- ster“ der ESA und wird die Interaktion zwischen dem Sonnenwind und dem irdischen Magnetfeld erforschen. Die Positionen und die der beiden Double Star Satelliten wurden sorgfältig definiert, um die Magnetosphäre in einem größeren Maßstab erforschen zu können als dies mit den Cluster-Satelliten alleine möglich ist. Die Beteiligung der ESA an dieser Mission besteht aus acht wissenschaftlichen Instrumenten, von de- nen sieben baugleiche Einheiten bereits an Bord der vier Cluster Satelliten sind. Zusätzlich leistet die MESSENGER am Merkur. Künstlerische Darstellung ESA einen Beitrag zum Bodensegment und hält für täglich vier Stunden Kontakt mit den Satelliten über Das Startfenster war an diesem Tag und den Fol- die ESA-Tracking-Station in Villafranca, Spanien getagen nur 12 Sekunden lang offen, und die Mög- lichkeit, die 1.100 Kilogramm schwere Raumsonde Die Geschichte der wissenschaftlichen Zusam- auf die Reise zu bringen, bestand überhaupt nur bis menarbeit zwischen der Volksrepublik China und zum 13. August. Danach hätte die Konstellation der der ESA reicht schon lange zurück. Das erste inneren Planeten einen Start erst wieder ein Jahr Zusammenarbeits-Abkommen wurde schon 1980 später erlaubt. unterzeichnet, um den Austausch wissenschaftlicher Informationen zu erleichtern. Dreizehn Jahre später MESSENGER hat eine lange Reise vor sich, über 7,8 fokussierte sich die Zusammenarbeit auf die Clus- Milliarden Kilometer Wegstrecke, denn aus Kosten- ter-Mission mit der Aufgabe, die Magnetosphäre gründen muss die Sonde die Economy-Route zum der Erde zu studieren. Im Jahre 1997 lud die CNSA sonnennächsten Planeten nehmen. die ESA ein, sich am Vorhaben „Double Star“ zu Bislang hat erst ein einziges Raumfahrzeug Merkur beteiligen. Eine Vereinbarung darüber wurde am 9. besucht. Das war Mariner 10, die in den Jahren Juli 2001 unterzeichnet. 1974 und 1975 den Planeten dreimal in geringer Acht Stunden nach dem Start entfalteten sich die Entfernung passiert hatte, ohne dabei in eine Um- langen Stäbe an denen sich die be- laufbahn zu gelangen. Mariner 10 konnte nur eine finden. In den nächsten Seite des Planeten fotografierten. Die andere Hälfte Wochen werden die ist nach wie vor unbekannt. Subsysteme des Raum- MESSENGER soll nun Merkur erstmals aus einer fahrzeugs gecheckt und Umlaufbahn unter die Lupe nehmen. Die 400 Mil- die Instrumente nach lionen Dollar teure Mission der Discovery-Klasse und nach in Dienst ge- kann dieses Ziel nur durch den Einsatz kompakter stellt. wissenschaftlicher Instrumente, die Nutzung leicht- Tan Ce 2 gewichtiger Materialien und einem innovativen Flugplan erreichen. MESSENGER soll mit seinem Kamerasystem nicht nur tausende von Bildern der gesamten Planeteno- August berfläche sammeln, es sollen auch große Mengen von Messdaten durch andere Instrumente gewon- 03.08.2004 nen werden. Dabei werden Fragen zur geologischen Bote zum Merkur unterwegs Geschichte des Planeten, zur Natur seiner dünnen Am 3. August, um 2:15:65 Uhr amerikanischer Ost- Atmosphäre und Magnetosphäre untersucht. küstenzeit, brach die Raumsonde MESSENGER, die Konstruiert und gebaut wurde die Raumsonde bei MErcury Surface, Space ENvironment, GEochemist- den „Applied Physics Laboratories“ der John Hop- ry and Ranging Mission, zu einer sechseinhalb Jahre kins Universität in Baltimore, Maryland. Aufgrund dauernden Reise auf. Ihr Ziel: Der Planet Merkur. der enormen Anforderungen ist MESSENGER ein Der Abgesandte der NASA begann seine Reise zwar kleines, aber ungewöhnlich komplexes Raum- zum Götterboten der griechischen Mythologie un- fahrzeug geworden. Die Sonde ist im Grunde eine ter der Nutzlastverkleidung einer Trägerrakete vom Box von 1,27 Metern Länge, 71 cm Höhe und 1,05 Typ „Delta 7925 H-9.5“.

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Komplexe Trajektorie zum Merkur

Metern Breite. Die Struktur des Raumfahrzeugs knapp 3 Quadratmeter groß, und der nominale besteht hauptsächlich aus Graphit-Cyanat-Ester Strombedarf, den sie im Merkurorbit zur Verfügung (GrCE) Verbundmaterial. stellen, beträgt 450 Watt kann aber bei Bedarf bis auf 640 Watt gesteigert werden. Sie könnten in Eine große zylinderförmige Halbschale sorgt für den Höhe der Merkurbahn sogar bis zu 2000 Watt pro- Sonnenschutz. Zwei Solargeneratoren ragen seitlich duzieren, allerdings brauchen die Instrumente von vom Zentralkörper weg. Außerdem gibt es einen MESSENGER nicht soviel Strom. In der Merkurbahn 3.6 Meter lagen Ausleger an dem sich das Magne- werden die Sonnenpaddel so gedreht, dass nur et- tometer befindet. wa 30 Prozent des einfallenden Sonnenlichtes zur Die Gesamtmasse des Raumfahrzeugs beträgt ex- Stromerzeugung verwendet werden können. Die akt 1.102 kg, davon sind 602 kg Treibstoff, Oxidator Generatoren mussten überdimensioniert ausgelegt und Helium. Diese enorme Menge an Treibstoff werden, weil sie ja auch während des Transferfluges erlaubt eine kumulierte Geschwindigkeitsänderung auch auf Höhe der Erdbahn dem Raumfahrzeug ge- von über 8.000 Kilometern pro Stunde, aufgeteilt nügend Strom zur Verfügung stellen müssen. auf die fünf großen Bahnkorrekturen und das finale Die Paneele sind zu 65 Prozent mit Sonnenreflek- Einbremsmanöver in den Merkurorbit. toren belegt, zu 35 Prozent mit Galliumarsenid/ Das Haupttriebwerk leistet 650 Newton Schub Germanium-Solarzellen. Jeweils zwei Reihen Re- und wird mit Stickstofftetroxid und Hydrazin be- flektoren wechseln mit einer Reihe Kollektoren ab. trieben. Für die Lageregelung gibt es noch 4 Trieb- 23 Amperestunden Strom können in einer Nickel- werke, die jeweils 22 Newton Schub leisten und 10 Hydrogen-Batterie gepuffert werden, die 22 Zellen Triebwerke von jeweils 4 Newton Schub. Für die in 11 Kammern enthält. Regelung der Raumlage ist zusätzllich aber noch ein Die Kommunikation von und mit der Erde läuft Kreiselsystem an Bord. im so genannten X-Band über eine Reihe von Das Raumfahrzeug ermittelt seine Raumlage mit- Antennen mit hoher, mittlerer und niedriger Über- tels eines Sternensensors, einer Trägheitsplattform tragungsleistung. Erstmals wird eine steuerbare so und sechs Sonnensensoren. Die Stromversorgung genannten „Phased-Array-Antenne“ eingesetzt, erfolgt durch zwei Solargeneratoren, die gedreht welche die bislang gebräuchlichen Parabolantennen werden können, um die Temperatur der Paneele ersetzt. und den Stromoutput zu regulieren. Sie sind jeweils

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Die Raumsonde ist mit den folgenden wissenschaft- lichen Instrumenten ausgerüstet: „Mercury Dual Imaging System (MDIS)“. Ein be- wegliches CCD-Kamerasystem mit Weitwinkel und Telefähigkeiten. Damit kann die Oberfläche Merkurs in schwarzweiß, in Farbe und Stereo abgebildet werden. Das maximale Auflösungs- vermögen beträgt 6 Meter pro Bildelement. Das Gammastrahlen- und Neutronenspektro- meter (GRNS). Mit der Gammastrahlenkom- ponente können chemische Elemente in der „Innenleben“ von MESSENGER Kruste von Merkur festgestellt werden. Mit dem Neutronen-Spektrometer sucht MESSENGER Fünfzehn Mal wird MESSENGER die Sonne umkrei- nach Wasserstoff im Boden, um mögliche Was- sen, bis er sich so tief in die Gravitationssenke der servorkommen zu erkennen. Sonne hinuntergeschraubt hat, dass das entschei- dende „Orbit-Insertion-Maneuvre“, das Einbrem- Das Röntgenstrahl-Spektrometer (XRS). Dies ist sen in den Merkur-Orbit, erfolgen kann. Hier die ein Spezialgerät, mit der die Elemente-Komposi- wesentlichen Meilensteine: tion im obersten Millimeter der Merkur-Oberflä- che gemessen werden kann. 3. August 2004: Start vom Cap Canaveral Der Laser-Höhenmesser (MLA). Misst die Zeit, 8. Januar 2005: Vorbeiflug an der Erde im Abstand die ein Laserstrahl zum Boden und zurück be- von ca. 2.850 Kilometern. nötigt. Mit diesem Gerät kann ein Höhenprofil 24. Oktober 2006: Vorbeiflug an der Venus in der Merkuroberfläche angefertigt werden. Die 3.600 Kilometern Abstand Genauigkeit beträgt 30 Zentimeter auf 1000 Kilometer Messdistanz. 6. Juni 2007: Vorbeiflug an der Venus in 300 Kilo- metern Abstand Das „Atmospheric and Surface Composition Spectrometer (MASCS)“. Misst die chemische 15. Januar 2008: Vorbeiflug am Merkur in ca. 200 Zusammensetzung der Atmosphäre und be- Kilometern Abstand. stimmt Mineralien auf der Oberfläche. 6. Oktober 2008: Vorbeiflug am Merkur in ca. 200 Diese fünf Experimente sind im Inneren des Zen- Kilometern Abstand. tralkörpers der Raumsonde untergebracht. 30. September 2009: Vorbeiflug am Merkur in ca. Ein weiteres Experiment, das „Energetic Particle 200 Kilometern and Plasma Spectrometer (EPPS)“ ist außen an 18. März 2011: Einschuss in die Merkur-Umlauf- die Seite des Raumfahrzeugs montiert. Das EPPS bahn vermisst die Magnetosphäre des Merkur, und Zwischen den Vorbeiflügen an den Planeten finden das Magnetometer (MAG) befindet sich am die fünf großen interplanetaren Kurskorrekturen ende des 3.6 Meter langen Auslegers und unter- statt, bei denen das Haupttriebwerk jeweils für sucht Merkurs Magnetfeld. mehrere Minuten arbeiten wird. Für eine Reihe von weiteren wissenschaftlichen Am 18. März 2011 wird dann MESSENGER‘s Experimenten wird die existierende Kommunikati- Haupttriebwerk mehr als ein Drittel des gesamten onsausrüstung verwendet. Einmal im Orbit um den Treibstoffvorrates während eines 15-Minütigen Merkur wird MESSENGER acht Stunden täglich Brennmanövers verbrauchen. Wenn alles nominal Daten zur Erde übermitteln, immer dann, wenn er verläuft ist dann ein elliptischer Orbit erreicht, der in der Nähe des Scheitelpunkts seiner Bahnellipse 80 Grad zum Merkur-Äquator geneigt ist. Der um Merkur ist. Nachdem die Distanz zwischen Erde niedrigste Punkt dieses so genannten „12-Stunden- und Merkur zwischen 86 und 211 Millionen Kilome- Orbits“ wird 200 Kilometer über der Oberfläche tern schwankt, ist auch die Datenübertragungsrate bei 60 Grad nördlicher Breite liegen, um hoch unterschiedlich. Wenn der Planet am nächsten ist, auflösende Bilder des 1.350 Kilometer durchmes- dann können 104.000 Bit pro Sekunde übermittelt senden Caloris-Beckens zu erhalten, des größten werden. Am erdfernsten Punkt sinkt die Übertra- bekannten Oberflächenmerkmals des Planeten. gungsrate auf ganze 10 Bit pro Sekunde.

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05.08.2004 50“. In Russland werden auch die Progress-Frachter Amazonas erfolgreich gestartet mitgezählt, die im Rahmen des Mir-Programms Der Telekommunikationssatellit Amazonas des Hi- gestartet wurden. spasat-Konsortium wurde heute morgen um 0:32 Die neue Progress hat eine Ladung von gut 1,5 Uhr mitteleuropäischer Zeit von Baikonur aus mit Tonnen so genannter „trockener“ Materialien der einer Proton M Breeze M in den Orbit gebracht. verschiedensten Art an Bord, dazu etwa 450 Liter Entwickelt und gebaut wurde der 4,5 Tonnen Wasser, gut 50 Kilogramm Sauerstoff und Stickstoff schwere Satellit von EADS Astrium. und 750 Kilogramm Treibstoffe. Als Einsatzlebensdauer sind 17.5 Jahren veran- Das vollautomatische Anlege-Manöver am russi- schlagt. Die Solar Generatoren haben im entfalte- schen Zvezda-Docking Port ist für Samstagmorgen, ten Zustand eine Spannweite von 35 Metern, ihre um 7:02 Uhr, geplant. Dieser Docking-Port war bis „end-of-life“-Leistung liegt bei 9.5 Kilowatt. zum 30. Juli noch von Progress 14 P (M-49) belegt Amazonas wird auf 61 Grad West operieren und gewesen. Dieser Frachter wurde kurz vor dem Ab- ist mit 51 Hochleistungs-Transpondern ausgerüstet. legen von den Astronauten noch mit Abfall aus der Damit werden Kommunikationsdienste zwischen Station voll geladen. Danach koppelte das Raum- Nord- und Südamerika, aber auch ein transatlan- fahrzeug ab, feuerte die Retro-Triebwerke und tischer Link nach Spanien durchgeführt. Amazonas verglühte kurz danach über dem Südpazifik. stellt im wesentlichen ein transatlantisches Nach- Nachdem die U.S. Shuttle-Flotte noch bis in das richtenmedium für die spanisch sprechende Welt nächste Frühjahr hinein am Boden bleiben muss dar. In diesem Sinne wird der Satellit eine Vielzahl und das europäische ATV noch nicht im Einsatz ist, verschiedener Kommunikationsdienstleistungen ist die Versorgung der Internationalen Raumstation ermöglichen, angefangen von TV-Übertragungen weiterhin vollständig auf das russische Progress- über Firmen-Datenverkehr, Telefonservices und System angewiesen. Die gegenwärtigen Bewohner Internetzugang. der Station, die Expeditionscrew 9 bestehend aus Amazonas basiert auf dem erfolgreichen Eurostar Commander Gennady Padalka und Bordingenieur 3000-Bus von EADS Astrium, einer der weltweit Michael Fincke befinden sich seit vier Monaten erfolgreichsten Kommunikations-Satellitenfamilien. an Bord der Station. Ihr Dienst dauert noch zwei Bislang wurden 38 Eurostar-Raumfahrzeuge aus- weitere Monate. geliefert, von denen 25 bereits gestartet wurden. Zusätzlich zur normalen „trockenen Ladung“ bein- Anders als manche andere Baueinheiten der Eu- haltet die Fracht einige Ersatzteile für die beiden rostar-Familie, die für die Lageregelung auch Ionen- amerikanischen Raumanzüge an Bord der Station. Triebwerke verwenden, ist Amazonas ausschließlich Beide sind defekt. Weitere Ersatzteile sind für das mit chemischen Antrieben bestückt. russische Lebenserhaltungssystem der Station be- stimmt, das in letzter Zeit einige Probleme aufwies. 11.08.2004 Außerdem sind bereits Versorgungsgüter und Klei- Cargo-Schiff auf dem Weg zur dung für die Expeditionscrew 10 im Gepäck. Diese Internationalen Raumstation Mannschaft, bestehend aus Commander Leroy Ein unbemanntes Versorgungsschiff mit knapp drei Chiao und Flugingenieur Salizhan Sharipov wird im Tonnen Versorgungsgütern, Ausrüstungsgegenstän- Oktober zur Station starten und dann Padalka und den und Treibstoff begann heute seinen dreitägigen Fincke ersetzen. Transferflug zur ISS. Der Start erfolgte um 7:03 Uhr vom Kosmodrom in Baikonur an der Spitze einer 29.08.2004 dreistufigen Sojus U-Trägerrakete China startet Wissenschafts-Satelliten Neun Minuten nach dem Lift-off hatte das Raum- China startete am Sonntag vom Startzentrum in fahrzeug einen ersten Übergangsorbit erreicht und Jiuquan, im Nordwesten des Landes, einen rück- die Solargeneratoren ausgefahren. Zum Zeitpunkt kehrfähigen Forschungssatelliten. Als Trägerrakete des Starts flog die Station südwestlich von Baikonur fungierte ein modifiziertes Modell der bewährten in einer Höhe von knapp 400 Kilometern. Long March 2C. In der so genannten „Assembly-Sequenz“ der ISS FSW 19, wie der Satellit lakonisch kurz bezeichnet läuft der Frachter unter der Bezeichnung „Progress wird, ist bereits der 19. Satellit der wieder aus der 15P“, ist also das fünfzehnte Versorgungsschiff, das Umlaufbahn zurückkommen wird. Die chinesischen zum Außenposten gesendet wird. Die Russen da- Offiziellen gaben die Missionsdauer mit „einigen gegen bevorzugen die Bezeichnung „Progress M Tagen“ an, und der Zweck des Raumfahrzeugs

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wird mit Landvermessung, Kartographierung und Die Experten sind sich ziemlich einig darüber, dass wissenschaftlichen Experimenten angegeben. Mit es sich bei der geheimen Nutzlast um einen Relay- einiger Sicherheit dürfte sich aber eine militärische satelliten handelt, der eine Direktbildübermittlung Aufklärungsaufgabe hinter der wissenschaftlichen von Fotoaufklärungssatelliten ermöglicht, die sich Maskerade verbergen. Über die technischen Daten auf polaren Bahnen bewegen. Relaysatelliten dieses wurde daher auch nichts bekannt gemacht. Die Typs laufen unter dem Code-Namen „Quasar“. Long March 2C in der Version SD, die hier ver- Der Start am Dienstag war der zweite Einsatz einer wendet wurde, kann zwei Tonnen Nutzlast in eine Atlas für diesen speziellen Bahntyp, obwohl dies nie niedrige Erdumlaufbahn befördern. offiziell bestätigt worden ist. Eine Atlas 2 flog jeden- Der Start von FSW 19 war der 78. Einsatz einer falls bereits im Jahre 1998 im Auftrag des National Long-March-Trägerrakete seit 1970 und die 36. er- Reconnaissance Office, kurz NRO, in dieselbe Bahn. folgreiche Mission in ununterbrochener Reihenfolge Es wird allgemein angenommen, dass die amerika- seit dem letzten Fehlstart einer Long-March, der nische Regierung zwei Satellitenkonstellationen für sich im Oktober 1996 ereignet hatte. Datenübertragungszwecke betreibt: Eine in einem Molnija-Orbit, die andere in einem regulären geo- stationären Orbit. 31.08.2004 Mit einem Rekord in den Ruhestand Wie üblich gab aber auch dieses Mal das NRO Mit einer Mission für das amerikanische National keinerlei Informationen über Art und Aufgabe des Reconnaissance Office verabschiedete sich die Satelliten an die Presse. Lockheed Martin Atlas 2 Trägerrakete in den Ruhe- Die Centaur-Oberstufe gab die geheime Fracht 74 stand. Sie brachte bei einem Start kurz nach Son- Minuten nach dem Lift-off über dem Südpazifik frei. nenuntergang in Cap Canaveral einen klassifizierten Damit war der insgesamt 73. erfolgreiche Einsatz Spionagesatelliten in den Weltraum. einer Atlas seit dem Jahre 1993 bei ebenso vielen Mit einem Gesamtschub Starts beendet. von über 320 Tonnen, Beim Start am heutigen Dienstag kam etwas Weh- erzeugt von den MA-5A mut bei den Technikern und Ingenieuren auf. Als Haupttriebwerken und die Stufen und Boostermotoren in den ersten fünf den beiden Feststoff- Minuten nach dem Start einer nach dem anderen Zusatzraketen, don- abgeworfen wurden, markierte jeder einzelne die- nerte die 47 Meter ho- ser Abwürfe den Schlussstrich unter ein Kapitel At- he Atlas 2AS um 19:17 las-Geschichte. Die von Thiokol hergestellten Fest- Uhr US-Ostküstenzeit stoffmotoren waren bei insgesamt 30 Missionen in von der Rampe 36A in den vergangenen 11 Jahren zum Einsatz gekommen, den Himmel über Flo- Die letzte Atlas 2 startet und die von Rocketdyne-Triebwerken angetriebene rida. erste Stufe war nicht weniger als 576mal im Einsatz Nach vier aufeinander folgenden Startverschie- gewesen, zum ersten Mal im Jahre 1957. bungen wegen kleinerer technischer Probleme und Das Atlas Programm befindet sich derzeit in der schlechtem Wetter klappte der Start beim fünften Transferphase zum Einsatz der nächsten Träger-Ge- Versuch. neration, der Atlas 5. Diese Variante benutzt nicht Die Flugbahn dieser letzten Atlas 2 war ungewöhn- mehr die Rocketdyne-Triebwerke, sondern bringt lich. Normalerweise startet praktisch jede Atlas die wesentlich leistungsfähigeren russischen RD- vom Cape nach Osten oder Südosten, um in eine 180 Haupttriebwerke von Energomash zum Einsatz. äquatoriale Bahn um die Erde anzusteuern. Bei die- Dazu kommt, je nach Mission, eine unterschiedliche ser letzten Mission war das aber anders. Die Bahn Palette völlig neu entwickelte Feststoffbooster vom ging in steiler Inklination entlang der US-Küstenlinie amerikanischen Hersteller Aerojet zur Anwendung. nordwärts. Der Grund: An der Spitze der Rakete Der erste Start eines Trägers der Atlas 2 Familie befand sich eine geheime Nutzlast, die in einen so fand im Dezember 1991 statt. Insgesamt kam diese genannten Molnyia-Orbit gebracht werden musste. Version 63 mal in den Versionen Atlas 2, 2A und Dieser Orbit-Typ ist benannt nach der sowjetischen 2AS für Kommerzielle Kunden, das amerikanische Satellitenklasse, die diese Bahn erstmals benutzte. Militär und die NASA zum Einsatz. Es ist dies ein steil elliptischer Orbit, bei dem der bahnhöchste Punkt mehrere zehntausend Kilome- Schon während der Betriebszeit der Atlas 2 wur- ter über dem Nordpol liegt. de eine Übergangsversion zur Atlas 5 entwickelt, die Atlas 3. Sie basiert noch weitgehend auf den

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erprobten Systemen der Atlas 2, benutzte aber 09.09.2004 bereits das RD-180 Triebwerk. Die Atlas 3 wurde Fehlschlag auch für die NASA bislang fünfmal erfolgreich gestartet. Die neue Atlas Gut drei Jahre nach dem Start in Cap Canaveral, am 5, die jetzt alle früheren Atlas-Versionen ablösen 8. August 2001, kehrte die Raumsonde Genesis am wird, hat inzwischen drei Einsätze absolviert. 8. September zur Erde zurück. Die erhoffte trium- phale Rückkehr aber scheiterte zum Entsetzen der Der nächste Start einer Atlas wird im Dezember Projektwissenschaftler auf den letzen Metern der stattfinden. Dann wird eine Atlas 5 den Kommuni- Mission auf dramatische Weise. kationssatelliten AMC 16 starten. Mitte Januar wird dann der letzte Einsatz einer Atlas 3 erfolgen. An Höhepunkt der Landesequenz im Stil Bord wird dann wieder eine Nutzlast des National eines James-Bond-Movies sollte ein Auf- Reconnaissance Office sein. sehen erregendes Bergungsmanöver im Luftraum über dem amerikanischen Bundesstaat Utah werden. Dieses Ma- September növer ging jedoch fürchterlich schief. Geplant war, dass professionelle Stunt- 07.09.2004 Piloten mit Hubschraubern die Rück- Fehlschlag für Israel kehrkapsel der Raumsonde in der Luft Israel startete gestern eine Trägerrakete vom Typ abfangen sollten. Das Raumfahrzeug Shavit von der Luftwaffenbasis Palmachin. An Bord hatte Probenmaterial aus dem Son- war der 50 Millionen Dollar teure Aufklärungssatel- nenwind an Bord, eingefangen während lit 6. Dieser Satellit war erstmals mit neu ent- des mehr als zweijährigen Aufenthaltes So hätte die wickelten Allwetter-Infrarotsensoren ausgestattet. in einem so genannten Halo-Orbit um Bergung eigentlich Seine Hauptaufgabe hätte in der Überwachung des den Lagrange-Punkt 1, außerhalb der laufen sollen – Iranischen Atomprogramms bestanden. Strahlungs- und Magnetfelder der Erde. das Bild stammt Leider endete die Mission mit einem Fehlschlag, Bei der Planung der Mission standen von einer Übung als die von Raphael gebaute dritte Stufe nicht zün- die Genesis-Ingenieure vor einer en- dete und der Träger vor der algerischen Küste ins ormen Herausforderung: Wie kann man die win- Mittelmeer stürzte. Das Israelische Verteidigungs- zigen »Sonnenpartikel« mit einer Gesamtmasse ministerium und der Hauptauftragnehmer, Israeli von wenigen Sandkörnern sicher bergen und dabei Aircraft Industries, leiteten eine Untersuchung des eine Kontaminierung durch irdische Stoffe und eine Fehlschlages ein. Derzeit ist Ofeq 5 noch im Einsatz Veränderung durch zu harte Stöße bei der Landung und soll dies auch mindestens bis 2006 bleiben. vermeiden? Die Lösung fand die NASA in einem Somit besteht momentan keine unmittelbare Auf- aufwendigen Trapezkunststück: eine Bergung in der klärungslücke. Luft mittels Helikopter. Wo sich Action-Filmer auf Spezialeffekte, Stunt- Experten und beliebig viele Szenenwiederholungen verlassen, musste das Genesis-Team sorgfältig planen, koordinieren und testen, um die Risiken bei der Bergung zu minimieren. Denn anders als die James-Bond-Regisseure hatten die NASA-Experten exakt einen Versuch. Keinen mehr. Im Training klapp- te noch alles vorbildlich. Doch in der Praxis lief dann alles ganz anders ab, und die Hubschrauber kamen nie zum Einsatz. Der Bergungsprozess wurde schon im April dieses Jahres eingeleitet, als - noch 1,5 Mil- lionen Kilometer von der Erde entfernt - der Par- tikelkollektor an Bord der Raumsonde im Sample Return Container verstaut wurde. Einige Stunden vor dem Eintritt in die Erdatmosphäre trennte sich die kleine Landesonde von Genesis. Das Mutterfahrzeug passierte die Erde am 8. Sep- tember gegen 18:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit in geringem Abstand und wurde danach in einen Archivaufnahme des Starts einer Shavit-Rakete Sonnenorbit gesteuert.

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20.09.2004 Indien im Weltraum erfolgreich Heute brachte Indien einen Kommunikationssatel- liten mit der Bezeichnung EDUSAT in den Orbit. Als Träger wurde die erste Serienversion des „Ge- osynchronous Satellite “, kurz GSLV eingesetzt. EDUSAT ist der erste Satellit des Landes, der ausschließlich für Bildungs-Services vorgesehen ist. Der Start erfolgte vom Weltraumzentrum Sa- tish Dhawan auf der Insel Sriharikota. Es war dies der erste operationelle Flug der GSLV und der dritte Einsatz dieses Modells überhaupt. EDUSAT befindet sich jetzt in einem geostationären Trans- ferorbit mit einem niedrigsten Bahnpunkt von 180 Die traurige Realität. Die Rückkehrkapsel liegt Kilometern und einem höchsten Bahnpunkt von zerschmettert auf dem Boden 35.985 Kilometern. Die Inklination beträgt derzeit 19,2 Grad, die Orbit-Periode beträgt 10,5 Stunden. Praktisch zur gleichen Zeit trat die Rückkehrkapsel Das 414 Tonnen schwere und 49 Meter lange GSLV 120 Kilometer über Oregon in die Erdatmosphäre mit dem 1.950 Kilogramm schweren EDUSAT an ein. Die Geschwindigkeit betrug zu diesem Zeit- Bord hob um 16:01 Uhr Ortszeit von der Rampe in punkt über 40.000 Kilometer pro Stunde. In 33.000 Sriharikota ab. 17 Minuten nach dem Liftoff war der Metern Höhe über dem Luftraum von Utah, hät- Transferorbit erreicht. te die 200 Kilo schwere Kapsel einen kleinen Pi- lotschirm auswerfen sollen, der das Raumfahrzeug stabilisieren und verlangsamen sollte. Diese Ballute hätte dann in 6.000 Metern Höhe einen Gleitschirm aus dem Fallschirmcontainer gezogen. Ein Bergungshelikopter wäre dann in den Gleitpfad der Rückkehrkapsel eingeflogen und hätte das Ge- rät in der Luft abgefangen. Danach wäre das ganze Paket in einen Behälter an Bord des Hubschraubers gezogen und dort versiegelt worden. Mit dieser GSLV beim Start aufwendigen Prozedur hätte man sicher gestellt, dass die wertvolle Fracht so unberührt wie möglich Die Startsequenz begann 4,8 Sekunden bevor der im Labor in Houston abgeliefert worden wäre. Die Countdown Null erreichte. Zu diesem Zeitpunkt Proben sind so fragil, dass die NASA noch nicht ein- zündeten die vier mit Flüssigkeitstriebwerken be- mal eine normale Fallschirmlandung auf dem Boden triebenen Booster der ersten Stufe, jeder mit 40 riskieren wollten. Tonnen hypergolen Treibstoffen befüllt (Hydrazin und N2O4, also Stickstofftetroxid). Genau zum Die ganze Aktion ging jedoch dramatisch schief und Zeitpunkt Null und nach Bestätigung, dass die vier brachte die mehrjährige, fast 300 Millionen Dollar Booster ordnungsgemäß liefen, zündete der 138 teure Mission zu einem extrem enttäuschenden Fi- Tonnen schwere Feststoff-Zentralmotor. Unmittel- nale. Der Eintritt in die Erdatmosphäre funktionier- bar darauf stieg der GSLV in den Himmel. Die Zen- te, aber der Pilotschirm wurde nicht ausgeworfen. tralstufe war nach 104 Sekunden ausgebrannt. Die Damit war auch der Auswurf des Hauptschirms Booster trugen die leere Stufe aber noch weitere blockiert. Die Kapsel schlug mit 310 Kilometern 46 Sekunden nach oben, bevor sie zusammen mit pro Stunde, lediglich abgebremst durch die Luft- der Zentralstufe abgeworfen wurden. reibung, in den Wüstenboden von Utah ein, wo sie zerbrochen einen guten Meter tief in den Boden Gleich darauf erfolgte die Zündung der zweiten vergraben liegen blieb. Stufe und noch einmal wenig später der Abwurf der Nutzlastverkleidung. Die zweite Stufe war 4 Ob das missglückte Landemanöver eine Aus- Minuten und 48 Sekunden nach dem Lift-Off aus- wirkung auf die Rückkehrkapsel der Raumsonde gebrannt und wurde abgeworfen. Fünf Minuten und „Stardust“ haben wird, die im Januar 2006 Proben vier Sekunden nach dem Start zündete die dritte vom Kometen Wild 2 zur Erde bringen soll, steht Stufe, die mit flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff noch nicht fest. betrieben wird. Brennschluss der dritten Stufe war

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16 Minuten und 39 Sekunden nach dem Liftoff. Die Start war um 18:50 mitteleuropäischer Zeit erfolgt, zu diesem Zeitpunkt erreichte Geschwindigkeit das entspricht 20:50 Moskauer Zeit. Die Nutzlast betrug 10,2 Kilometer pro Sekunde. wurde neun Minuten später im Orbit abgeliefert, ein Hinweis darauf, dass eine niedrige Erdum- 16 Minuten und 54 Sekunden nach dem Start wur- laufbahn angesteuert wurde. Das de EDUSAT von der dritten Stufe der Trägerrakete Raumfahrzeug wird die Bezeichnung freigegeben. Kurz nach der Freigabe wurden auch Kosmos 2410 bekommen. Aufgrund die beiden Solargeneratoren automatisch ausgefah- der Bahn, des eingesetzten Trägers ren. In den kommenden Tagen wird der Orbit von und der Masse des Raumfahrzeuges EDUSAT vom gegenwärtigen elliptischen Orbit kann man mit einiger Sicherheit den zum endgültigen kreisförmigen geostationären Schluss ziehen, dass es sich bei dem Orbit angehoben. Objekt um einen Foto-Aufklärer Die Orbit-Position auf der Sojus U der Kobalt-Klasse handelt. EDUSAT danach positi- oniert wird ist 74 Grad 27.09.2004 Ost. An dieser Stelle wird China startet erneut er sich mit KALPANA-1 rückkehrfähigen Satelliten und INSAT-3C einen Slot China startete heute erneut einen wissenschaft- teilen. EDUSAT, eine Ei- lichen Satelliten vom Jiuquan-Testzentrum in Nord- genentwicklung des ISRO china. Als Trägerrakete wurde eine Satellitenzentrums in Ban- EDUSAT eingesetzt. Bei der Nutzlast handelt es sich wieder galore, trägt fünf Ku-band um einen Satelliten, der mit einer Probenrückführ- Transponder, einen Ka- Kapsel ausgestattet ist, inzwischen schon der 20. Band Transponder und sechs C-band Transponder. dieser Serie. EDUSAT wird mit dem INSAT-System gekoppelt, das bereits über 130 Transponder im C-Band be- Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua gab reitstellt. bekannt, dass die Aufgaben des Satelliten „wissen- schaftliche und technologische Experimente, geolo- gische Untersuchungen der Erde und Kartografie 23.09.2004 sei, eine recht nichtssagende Erläuterung mit en- Russland startet zwei Militärsatelliten ormem Interpretationsspielraum, die eher auf eine Eine leichte Trägerrakete vom Typ Kosmos-3M militärische Verwendung des Satelliten schließen brachte gestern Abend zwei russische Militärsatel- lässt. Der Satellit soll bereits in „einigen Tagen“ wie- liten in den Orbit. Der Booster hob vom nordrus- der zur Erde zurückkehren, berichtet Xinhua weiter. sischen Kosmodrom in Plesetsk um 19:14 Ortszeit Der Start war der 80. Einsatz einer Rakete der Long ab. Die beiden Satelliten wurden als Kosmos 2408 March Trägerraketenfamilie, die allesamt vom Welt- und Kosmos 2409. Die russischen Offiziellen gaben rauminstitut Shanghai entwickelt werden. Es war die keine weiteren Informationen über die Aufgaben 38. erfolgreiche Mission in ununterbrochener Folge der Satelliten und die Umlaufbahn heraus. Aus den seit dem Jahre 1996. verfügbaren Daten, der eingesetzten Trägerrakete und der Bahnneigung kann davon ausgegangen Am Samstag, den 25. September, hatte China seinen werden, dass es sich um Mobilfunksatelliten vom 19. Rückkehr-Satelliten nach insgesamt 27 Tagen im Typ handelt. Die Russen besitzen ein militäri- Weltraum wieder zur Erde zurück gebracht. sches Kommunikationsnetz ähnlich dem westlichen Iridium-System. Der Start war der zweite Einsatz einer Kosmos 3M in diesem Jahr. Im Juli brachte eine Trägerrakete dieses Typs einen militärischen Navigationssatelliten in den Orbit.

24.09.2004 Zweiter Start von Plesetzk in zwei Tagen Am Freitagabend brachte eine Trägerrakete des Ty- ps Sojus U vom russischen Weltraumbahnhof Ple- setzk aus einen nicht näher spezifizierten Satelliten in den Orbit. Es ist dies der zweite Start von die- ser nördlichen Raketenbasis in nur zwei Tagen. Der Start der CZ-2D von Jiquan

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30.09.2004 Space Taxi to the sky I Der erste X-Price Wettbewerbsflug ist gestern erfolgreich „über die Bühne“ gegangen. SpaceShip One hatte ja bereits im Juni seinen Jungfernflug ins All unternommen. Den Probeflug für den X-Price Wettbewerb, sozusagen. Am Steuer war damals der 62jährige Mike Melville, und nach dem haarsträu- bend gefährlichen Einsatz hatte der damals gemeint, diese Aufregung sei nichts mehr für ihn und für die Wettbewerbsflüge überließe er seinen Platz im Cockpit einem Jüngeren. Somit tippte diesmal jeder auf einen anderen Pilo- ten, und dafür konnten bei Scaled nur Brian Binnie oder Peter Siebold in Frage kommen. Wie beim Ein- Mike Melville bei der satz im Juni hatte Scaled Composites in der Besat- Pressekonferenz nach dem Flug zungsfrage wieder dicht gehalten und den Namen des Piloten vorher nicht genannt. Zur grenzenlosen vollführte dabei ein kleines Sieges-Rollmanöver“. Überraschung der SpaceShipOne-Fangemeinde Das war eine drastische Verniedlichung. Auf den stieg dann auch diesmal der breit grinsende Mike Bildern der Cockpit-Kamera, die eine Direktüber- Melville vor einer riesigen Menschenmenge in sein tragung aus dem Inneren des Raumschiffs lieferte, Vehikel, winkte den Zuschauern noch einmal zu und hatten die Zuschauer an den Bildschirmen den entschwand unter dem Rumpf des White Knight- Eindruck, als würde Mike Melville in einem Mixer Trägerflugzeugs in den Himmel über Mojave. rotieren. Es wäre nicht Mike Melville gewesen, wenn er nicht Melville beschrieb das, was vom Boden aus ziem- auch diesen Flug – natürlich unbeabsichtigt – zum lich übel aussah mit den Worten „Und dann kam Drama gemacht hätte. da eine kleine Rollbewegung rein. Das war etwas In 14.000 Metern Höhe klinkte Matt Stinemetz, unerwartet, aber es machte mir keine allzu großen der Copilot von White Knight, sein Baby aus, und Sorgen. Ich denke, dass das für die Leute unten ganz Sekunden später zündete Melville das Triebwerk nett aussieht, wenn ich da oben ein paar Rollen von SpaceShipOne. drehe“. Sicherlich die Untertreibung des Tages, denn mit immer noch laufendem Raketentriebwerk Die ersten vierzig Sekunden verliefen scheinbar - die Geschwindigkeit näherte sich der dreiein- problemlos. Aber dann passierte auch hier das halbfachen Schallgeschwindigkeit - schraubte sich Unerwartete, und den Zuschauern der Fernsehü- SpaceShipOne in 29 schnellen Rollen buchstäblich bertragung gefror das Blut in den Adern. Gut sicht- in den Himmel hinein. bar begann sich eine Schaukelbewegung um die Längsachse aufzubauen, bis das Fahrzeug schließlich Der Grund dafür war eine ganze Weile nicht klar. komplette Rollen vollführte. Eine nach der anderen. Melville gab aber zu, dass er das Problem selbst un- Immer mehr und immer schneller. Der Live-Kom- beabsichtigt hervorgerufen haben könnte. „So was mentator des X-Price Webcast rief: „Oh, oh, oh, oh, kann in meinem Alter schon mal passieren“, grinste das scheint mir kein geplantes Manöver zu sein“. er. Burt Rutan erklärte es bei einer Pressekonfe- renz heute. Nachdem die Rollbewegung einmal Auch den Beobachtern auf dem Boden war sofort eingeleitet war, konnte sie wegen der fehlenden klar, dass etwas nicht stimmte. Die bis dahin in gera- Atmosphäre mit den aerodynamischen Rudern des der Linie senkrecht nach oben strebende Rauchfah- Fahrzeugs nicht mehr beendet werden. Kaltblütig ne begann plötzlich die Form eines Korkenziehers wartete Melville in seinem wild rotierenden Fahr- anzunehmen. zeug so lange ab, bis er sicher war, die notwendige Aber „Zivilaustronaut“ Mike Melville bekam das Höhe erreichen zu können. Erst als er in der 76. Fahrzeug auch diesmal wieder unter Kontrolle, wie schon damals im Juni. Nach der Landung war er so cool, wie man es von einem „Space Cowboy“ erwartet: „Da oben wurde ich ein bisschen über- rascht“, sagte er als er aus dem Vehikel stieg. Das Schiff „hat angefangen sich ein wenig zu drehen und

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Sekunde der Brennphase das Triebwerk abstellte, konnte er das Rollkontrollsystem betätigen, kleine Raketentriebwerke, welche die Raumlage des Fahr- zeugs regeln. Und damit gelang es Melville schließ- lich, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Danach verlief der freie Fall zunächst aufwärts in der Wurfparabel und danach wieder abwärts ohne weitere Probleme. Die Radarauswertung zeigte, dass 102,9 Kilometer Höhe erreicht wurden, mehr als ausreichend um die Wettbewerbsbedingungen zu erfüllen. Der Raketenmotor hätte ein Potential von 90 Sekunden Brennzeit gehabt, ein Beleg dafür, welche Reserven noch in dem System sind. Wahrschein- lich sind mit SpaceShipOne Flughöhen von 130 Kilometern möglich, wenn nur ein Pilot fliegt, kein Kurz nach der Trennung. SS1 in der Bildmitte strebt Ballast mitgenommen wird und die Brenndauer des nach oben, das Trägerflugzeug White Knight kurvt Triebwerks voll genutzt wird. nach links und rechts ist der Kondensstreifen des Tatsächlich zeigte eine eingehende Untersuchung Alpha Jet Begleitflugzeuges zu sehen. von SpaceShipOne nach dem Flug, dass das Fahrzeug keine „squawks“ hat, wie Melville es Melville war an den Kontrollen des Trägerflugzeugs, ausdrückte. Womöglich war also doch Melville un- als die Kombination um 5 Uhr 49 morgens Ortszeit beabsichtigt in eines der Ruder getreten. Nachdem von der Rollbahn in Mojave abhob. die Sicherheitssysteme von SpaceShipOne ihre Nach Mike Melvilles aufregenden Flügen vom Juni Zuverlässigkeit bewiesen hatten, gab Burt Rutan und dem ersten X-Price Flug vom 29. September bekannt, dass der zweite X-Price-Flug wie geplant blieb Brian Binnie, dem Piloten des zweiten Fluges am Montag, dem 4. Oktober stattfinden sollte. nichts anderes übrig, als auf andere Weise Furore zu machen. Oktober Wo Mike Melville durch Dramatik bestach, glänzte Brian Binnie durch Exzellence. Bei einem perfek- ten Flug mit einer Triebwerksbrenndauer von 84 05.10.2004 Sekunden erreichte Binnie eine Höhe von 112,2 Space Taxi to the sky II Kilometern, weit über die Anforderungen des X- Damit hatte schon niemand mehr so recht gerech- Price hinaus, und brach damit selbst den 40 Jahre net. Es war eine echte Überraschung, als Burt Rutan alten Höherekord der X-15. in den frühen Morgenstunden des 4. Oktober die Wahl des Piloten bekannt gab: den 51jährigen Brian Mojave Aerospace Ventures, das gemeinsame Binnie. Jeder der anwesenden Journalisten hätte Unternehmen von Burt Rutan und Paul Allen hat sein letztes Hemd dafür verwettet, dass Melville damit seinen ersten „Return on Investment“ er- auch den zweiten X-Price Flug durchführen würde. zielt, die 10 Millionen Dollar Preisgeld des X-Price Dies ungeachtet seiner eigenen Aussagen, sich auf Wettbewerbs. keinen Fall ans Steuer zu setzen. Schließlich hatte er das letztes Mal ja auch behauptet. Binnie hatte das Vehikel während des Testpro- gramms auch schon mehrmals geflogen. Und auch ihm wäre die Rollneigung des Fahrzeugs einmal beinahe zum Verhängnis geworden, als nach dem ersten Überschallflug der Maschine im letzten Dezember sich das Vehikel bei der Landung so sehr aufschaukelte, dass beim Aufsetzen das Fahrwerk einknickte, und Binnie von der Piste schlitterte. Am Mittwoch hatte Binnie noch den White Knight Nach der Landung: gesteuert. Nun waren die Rollen vertauscht. Mike Brian Binnie winkt mit der amerikanischen Flagge.

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14.10.2004 onsantennen und die Docking-Sonde ausgefahren. Neue Crew auf dem Weg zur ISS Der Start war der vierte in den letzten beiden An der Spitze einer Trägerrakete des bewährten Jahren, in dem ein amerikanischer Astronaut mit an Typs Sojus U brachen heute morgen die nächsten Bord einer Sojus war. Solange die Shuttle-Flotte in Langzeitgäste der Internationalen Raumstation zu der Folge des Columbia-Desasters weiter am Bo- einem mehr als sechsmonatigen Trip auf. Die Raum- den steht, ist das russische Raumfahrzeug die ein- kapsel Sojus TMA-5 startete um 5:06 mitteleuro- zige Option, um Menschen zur ISS zu bringen. Das päischer Zeit von der Startrampe „Juri Gagarin“ vollautomatische Dockingmanöver am Pirs-Modul in Baikonur und erreichte neun Minuten später, soll am Samstagmorgen um 6:25 stattfinden. nach einem problemlosen Aufstieg, einen ersten Chiao und Sharipov werden die folgenden acht Übergangsorbit. Der kalte, klare Morgen bot den Tage damit verbringen, die Raumstation von der Zuschauern des Starts perfekte Beobachtungsbe- Expedition 9 Crew, bestehend aus Kommandant dingungen, und die flackernde orange Flamme der Gennady Padalka und Flugingenier Mike Fincke mit Kerosin und Sauerstoff arbeitenden Triebwerke zu übernehmen. Der „Besucher“ Shargin ist an konnte mehrere Minuten lang beobachtet werden. diesem Prozess nicht beteiligt und soll eine Reihe Video-Kameras im Inneren des Crew-Moduls von Experimenten durchführen, bevor er dann am zeigten den Kommandanten der Expedition 10, 23. Oktober mit der Expeditionscrew 9 wieder in den Amerikaner Leroy Chiao, Sojus-Pilot und Kasachstan landen soll. Flugingenieur Salizhan Sharipov und den „Besuchs- Die Crew Nummer 10 wird insgesamt 193 Tage kosmonauten“ Juri Shargin, wie sie die Checkliste an Bord der Station verbringen. Highlights in dieser durchgingen und die Instrumente überwachten, Zeit sind die Ankunft von zwei unbemannten Ver- während die Rakete in den Himmel stieg. sorgungsschiffen sowie die Durchführung von zwei Unmittelbar nach dem Erreichen der Umlaufbahn Außenbordmanövern. Chiao und Sharipov sollen trennte sich die dritte Stufe der Trägerrakete vom am 25. April 2005 wieder zur Erde zurückkehren. Raumschiff, und die beiden Solargeneratoren wur- Damit wird auch diese Besatzung nicht die Ankunft den entfaltet, um das Fahrzeug mit Energie zu ver- eines Shuttles an der Station erleben. Dies dürfte sorgen. Gleich danach wurden auch die Navigati- erst ihren Nachfolgern beschieden sein, der Expedi- tionscrew 11, die im Mai nächsten Jahres, wenn alles wie geplant läuft, die Discovery und ihre Besatzung in Empfang nehmen wird.

15.10.2004 Proton bringt AMERICOM 15 in den Orbit Der amerikanische Nachrichtensatellit AMERICOM 15, kurz AMC 15, der Kunden in den Vereinigten Staaten mit Home-Entertainment und Breitband- Dienstleistungen versorgen soll, wurde heute in den Nachtstunden mit einer russischen Proton-Rakete erfolgreich im vorgesehene Orbit abgesetzt. Die Mission begann gestern Nacht um 23:23 mittel- europäischer Zeit im russischen Weltraumzentrum Baikonur in Kasachstan. Nachdem die drei unteren Stufen der Proton ihre Arbeit erfolgreich abge- schlossen hatten, waren noch drei Brennmanöver der Breeze M Oberstufe notwendig, um den gut vier Tonnen schweren Satelliten in einem geosta- tionären Transferorbit abzuliefern. Diese Aufgabe war um 6:18 mitteleuropäischer Zeit heute morgen abgeschlossen. AMC 15 ist mit 12 Ka-Band Transpondern und 24 Ku-band Transpondern ausgerüstet. Der Satellit wird sich in den kommenden Tagen Der Startkomplex aus ungewöhnlicher Perspektive. selbst in den geostationären Orbit manövrieren,

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und eine vorläufige Positi- on über dem Äquator bei 136 Grad westlicher Länge einnehmen. Etwa ab dem 23. Oktober beginnen aus- gedehnte „In-orbit-tests. Nach Abschluss dieser Tests, in etwa sieben Wo- chen, wird der Satellit auf 105 Grad westliche Länge transferiert, und dort sei- Sojus TMA 4 im Anflug an die ISS nen Dienst aufnehmen. ISS verbringen und wissenschaftliche Experimente Gebaut wurde das Raum- durchführen. Shargin wird nur acht Tage bleiben und fahrzeug von Lockheed mit der scheidenden Expeditionscrew 9 zur Erde Startvorbereitungen Martin, Besitzer des Ku/ zurückkehren. Ka-band Satelliten ist SES für AMC 15 Diese Mannschaft, bestehend aus dem Russen AMERICOM die ihren Gennady Padalka und dem NASA-Astronauten Sitz in Princeton, New Jersey hat. Der Hauptkunde Mike Fincke, befindet sich seit April an Bord der für AMC 15 wird die Firma DISH Network sein, Station. Die Expeditionscrew 9 wird die Station am die Millionen von Amerikanern mit Fernseh- und 23. Oktober in der selben Sojus verlassen, mit der Rundfunkprogrammen über kleine Heimantennen sie zur ISS geflogen war. Die Landung soll um 2:23 versorgt. Uhr nachts in Kasachstan stattfinden. Der 44jährige Kommandant der Expeditionscrew 16.10.2004 10, Leroy Chiao wird auch die Rolle des NASA Problematisches Docking-Manöver Wissenschafts-Offiziers an Bord wahrnehmen. Die Raumkapsel Sojus TMA-4 mit der 10. ständigen Auch der 40jährige Sharipov hat zwei Pflichten Besatzung der Internationalen Raumstation, beste- bei dieser Mission, zum einen als ISS Flugingenieur hend aus dem amerikanischen Astronauten Leroy und zum anderen als Kommandant der Sojus beim Chiao und dem russischen Kosmonauten Salizhan Hin- und Rückflug. Chiao ist ein Veteran aus drei Sharipov legte am Samstag um 18:16 mitteleuropä- Shuttle-Flügen. Sharipov ist Oberst der Russischen ischer Zeit am Zarya-Port der ISS an. Luftwaffe und hat einen Raumflug auf seinem Kon- Sharipov steuerte die Sojus auf den letzten Metern to. Bei der Mission STS-89 im Jahre 1998 war er mit der Handsteuerung zur Station, nachdem das mit an Bord der Raumfähre Endeavour bei einer automatische Kurs-Rendezvoussystem in der letzten Mission zur Raumstation Mir. Anflugphase eine Fehlfunktion zeigte. Die Crew Chiao und Sharipov sind schon die vierte Zwei- hatte das manuelle Andockmanöver in den Wo- personen-Crew der ISS. Nach dem Unfall der chen vor dem Flug ausgiebig trainiert und das Columbia am 1. Februar 2003 legten die Partner Manöver erfolgte ohne weitere Probleme. Es ist des Raumstationsprogramms fest, dass wegen der derzeit noch nicht klar, warum die Fehlfunktion begrenzten Mengen an Versorgungsgütern, die nach auftrat. Möglicherweise handelt es sich um ein Pro- dem Ausfall des Shuttles zur Raumstation gebracht blem mit der Rendezvous-Software. Auf jeden Fall werden können, die Raumstation solange nur mit begann das Fahrzeug in der letzten Phase vor dem zwei Astronauten besetzt werden kann, bis die Andocken zu beschleunigen anstatt abzubremsen, Shuttle-Flüge wieder aufgenommen werden. so dass Sharipov gezwungen war, die Automatik stillzulegen. 17.10.2004 Etwa drei Stunden nach dem Anlegemanöver öff- Abriss auf Chinesisch neten die Besatzungsmitglieder die Luken zwischen Die „erfolgreiche“ Rückkehr einer chinesischen den beiden Raumfahrzeugen. Weltraumkapsel zur Erde endete mit dem etwas Die Sojus TMA Kapsel mit der Expeditionscrew unglücklichen Teilabriss eines Wohnhauses in China. 10 war am Donnerstagmorgen vom Kosmodrom Glücklicherweise wurde bei dem bizarren Ereignis in Baikonur aus gestartet. Zusammen mit Sharipov niemand verletzt. Der 20. rückkehrfähige Satellit und Chiao ist auch der Oberst der russischen Chinas, FSW-20 (Fanhui Shi Weixing-20, das bedeu- Streitkräfte Yuri Shargin mit an Bord. Die Expediti- tet „Rückkehrfähiger Testsatellit) kam vorgestern onscrew 10 wird etwa sechs Monate an Bord der um 10:43 Pekinger Ortszeit, aus der Umlaufbahn

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knapp, krachte durch das Dach eines vierstöckigen Gebäudes und kam im Hausflur zu liegen. Die Lan- deeinheit schlug ein mehr als 40 Quadratmeter großes Loch in den Dachstuhl, verstreute Kacheln und Ziegeln im weiten Umkreis und zerstörte ein Bett. Glücklicherweise war niemand im Raum, als die Kapsel herunterkam. Im Gebäude selbst und in der Nachbarschaft wurde niemand verletzt. Etwa 10 Minuten nach dem Crash waren Polizei, Feuerwehr und Sanitäter an Ort und Stelle. Kurz danach traf auch der Bergungstrupp mit heulenden Die Rückkehrkapsel in der Ruine des Gebäudes Motoren ein. Eine riesige Menschenmenge hatte sich ebenfalls eingefunden und die Polizei hatte Pro- bleme, die vielen Schaulustigen zurückzudrängen. zurück, nachdem er zuvor 18 Tage lang im Welt- raum gewesen war. Nach dem ursprünglichen Plan hätte die Kapsel vom Helikopter eingehakt und dann zur Militärbasis Der Start des Satelliten war am 27. September an nach Chengdu transportiert werden sollen. Unter Bord einer Long March 2D-Rakete erfolgt. Startort den geänderten Bedingungen war das aber nicht war das Jiuquan Satellitenstartzentrum in der Inne- möglich. Der Abwindstrom des Helikopters hätte ren Mongolei. dem ohnehin schon schwer beschädigten Gebäu- Die Mission ging offensichtlich planmäßig vonstat- de sonst womöglich noch den Rest gegeben und ten, die Landung der Rückkehrkapsel, die nur einen vielleicht sogar noch Gebäude in der Nachbarschaft Teil des Satelliten ausmacht, verlief dann allerdings gefährdet. nicht sonderlich exakt nach Plan. Nach kurzer Diskussion ließ die Stadtverwaltung Die Bergungsoperation begann um 9:30 Uhr deshalb einen Kran kommen, der sich allerdings als Ortszeit, als vier Militärhubschrauber mit Bergungs- nicht leistungsfähig genug herausstellte. Gegen 13: experten und Journalisten an Bord bei dichtem 50 Uhr schließlich kam ein schwerer 50-Tonnen- Nebel von einem Flughafen eines nördlichen Kran, den sich die Behörde von einer Straßenbau- Vorortes von Chengdu starteten. Um 10:10 waren Gesellschaft geborgt hatte. die Hubschrauber 150 Kilometer östlich der Stadt Der Gemüsemarkt musste geräumt werden, da und begannen über dem vorgesehenen Landege- sonst das schwere Fahrzeug nicht an den Ort des biet im Landkreis Pengxi zu kreisen. Um 10:22 Geschehens gekommen wäre. Und schließlich, nach fingen die Helikopter ein Signal des offensichtlich etlichen Versuchen, konnte die Kapsel um 15:37 - am Fallschirm hängenden Satelliten auf. Zu diesem völlig unbeschädigt - aus dem zerstörten, offenen Zeitpunkt bewegte sich die Kapsel in Richtung Dach des Gebäudes herausgehievt werden. Daying, einem der westlichen Nachbar-Landkreise von Pengxi. Aber fünf Minuten später, um 10:37 Chen Zugui, der Chefkonstrukteur an der chi- verloren die Helikopter die Peilung zur Kapsel. nesischen Akademie für Weltraumtechnologie, Die Besatzung schob das auf das schlechte Wetter, und zuständig für das FSW-Satellitenprogramm, berichtete den Verlust des Signals an die Komman- erklärte, dass man sich über den Zwischenfall dozentrale und flog dann zum Flughafen in Suining, keine Gedanken machen sollte. Chen erläuterte, etwa 50 Kilometer südlich. Dort landeten die vier dass ungewöhnliche Höhenwinde und eine kleine Helikopter gegen Mittag, um aufzutanken. Abweichung bei der Retro-Zündung dazu führten, dass das Raumfahrzeug die vorgesehene Landezone Während dieser Aktion erreichte das Team über verließ. Diese Landezone sei immer ein nur dünn Funk die Nachricht, dass die Kapsel um 10:43 Uhr besiedelter Bereich, aber gelegentlich könne es das Dach eines Gebäudes in einem Dorf in Daying schon mal zu einer Abweichung kommen. durchschlagen hatte. Das Bergungsteam stieg in einige Autos und fuhr mit Höchstgeschwindigkeit Chen führte weiter aus, dass es noch nie bei den dorthin. bislang 20 Landungen von Rückkehrkapseln Perso- nen zu Schaden gekommen sein. Er gab allerdings Zur selben Zeit, als die Helikopter nach Suining zu, dass die Beendigung der FSW 20 Mission doch flogen, hatte das Geschehen in Daying seinen Lauf recht ungewöhnlich gewesen sei. genommen. Die am Fallschirm hängende Kapsel trieb auf einen Gemüsemarkt zu, verfehlte diesen

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20.10.2004 2C im Orbit China startete am Dienstag um 9:20 Uhr Ortszeit den ersten regulären Serien-Wettersatelliten der Fengyun-Serie. Fengyun-2 C (FY2C), wie der Satellit bezeichnet wird, wurde mit einer vom Raumfahrtzentrum in Xichiang aus in den Weltraum gebracht. Das knapp 1,4 Tonnen schwere Raumfahrzeug erreichte 24 Minuten nach dem Lift-off den geo- stationären Transferorbit. In den kommenden Tagen wird er auf 105 Grad östlicher Länge über dem Nachtlandungen – Keineswegs „All“-Täglich. Äquator positioniert werden und kann dann von dieser Position aus ein Drittel der Erdoberfläche Yuri Shargin um 2:36 morgens mitteleuropäischer überwachen. Zeit Bodenkontakt, dreieinhalb Stunden nachdem das Fahrzeug von der ISS abgekoppelt hatte. China hat in den Jahren 1997 und 2000 bereits zwei Vorserien-Einheiten der Fengyun 2-Satelliten Die Expeditionscrew 9 war damit 188 Tage im in den Orbit geschickt, Fengyun 2 A und 2 B. Weltraum, 186 davon an Bord der Internationalen FY2C entspricht inzwischen dem internationalen Raumstation. Mike Fincke beendete damit seinen Standard für Wettersatelliten. Er wird rund um die ersten Raumflug, Padalka seinen zweiten. Uhr meteorologische Informationen liefern, Daten Der Bergungstrupp hatte mit Temperaturen unter über Meeresströmungen und -Temperaturen, Wol- dem Gefrierpunkt und einer steifen Brise zu kämp- kenbildung u.ä. . fen, aber die Sojus TMA-4 beendet ihren Abstieg Seit 1988 hat China schon durch die Erdatmosphäre problemlos. Allerdings insgesamt acht Wettersa- kippte sie nach dem Aufsetzen um, da der Fallschirm telliten der Serien Fengy- nicht sofort abgesprengt werden konnte und dieser un 1 und 2 gestartet. Die die Kapsel dann im böigen Wind umwarf. FY1-Serie sind Satelliten, Fincke und Padalka waren am 18. April zum Labor welche die Erde auf einer gestartet. Sie werden jetzt durch die Expedition 10 niedrigen polaren Umlauf- ersetzt, bestehend aus Kommandant Leroy Chiao bahn umkreisen. Die FY2- und Flugingenieur Salizhan Sharipov, die am 14. Ok- Serie ist dagegen im geo- tober zusammen mit Juri Shargin an Bord von Sojus Fengyun 2C beim Start stationären Orbit plaziert. TMA-5 zur ISS aufgebrochen waren. China hat bekannt gege- ben, in den kommenden Jahren weitere Satelliten 28.10.2004 des Typs FY2 zu starten und ein kontinuierlich arbei- Cassini‘s verwirrende Beobachtungen tendes System von Wettersatelliten zu etablieren. Nach jahrelanger gespannter Erwartung sandte die Raumsonde Cassini in der Nacht zum Mittwoch 23.10.2004 erste Nahaufnahmen des smog-verhangenen Sa- ISS Crew kehrt sicher zur Erde zurück turn-Mondes Titan zur Erde. Die Bilder vermittelten Die russische Raumkapsel Sojus TMA-4 landete am den Planetenwissenschaftlern auf der Erde einen Samstagmorgen in Zentralasien und brachte die ersten Eindruck der fremdartigen Landschaft. Aber neunte Crew der Internationalen Raumstation nach dieser Eindruck sorgte sowohl für Begeisterung als sechs Monaten im Weltraum sicher zur Erde zurück. auch für Verwirrung. Mit an Bord war auch der russische Kosmonaut Juri Die Bilder zeigen scharf voneinander getrennte sehr Shargin, der lediglich einen achttägigen Kurzaufent- helle und sehr dunkle Gegenden, die von einer halt an Bord der Station absolviert hatte. dünnen Lage aus trübem, durchsichtigem Ma- In einer der relativ seltenen Nacht- terial bedeckt sind. Diese milchige Schicht landungen hatte die Sojus TMA-4 wird vermutlich durch die Atmosphäre, Kapsel mit dem russischen Kom- noch unbekannte Oberflächenrückstän- mandanten Gennady Padalka, de oder etwas ähnlichem verursacht. dem NASA Flugingenieur Micha- el Fincke und dem Kosmonauten Titan: Cassini lässt erste Details erkennen.

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auf den Radarbildern keinerlei exakt definierte Features ausgemacht werden. Carolyn Porco meinte weiter „Wir werden wohl noch einige weitere Vorbeiflüge abwarten müssen, bevor wir eine genaue Ahnung bekommen, was da unten vor sich geht“. Wichtige Daten, vor allen Dingen von der Dichte der Atmosphäre, lieferte Cassini bei diesem ers- ten Vorbeiflug für die Europäische Landesonde Huygens, die im Januar auf dem Saturn-Mond niedergehen soll.

30.10.2004 Russland startet Telekom-Satelliten Eine russische Proton-DM Trägerrakete mit einem Inlands-Telekommunikationssatelliten wurde heute in den frühen Morgenstunden vom Weltraumbahn- Kontrastverstärktes Radarbild. hof Baikonur in Kasachstan aus gestartet. Hell ist raues Terrain, dunkel ist glattes Gelände. Der Start erfolgte um 0:11 mitteleuropäischer Zeit, Am Südpol des Titan erscheint auf den Bildern eine und der Übergangsorbit, in dem der Satellit von der 1000 Kilometer durchmessende Wolkenformation. Trägerrakete freigegeben wurde, war um 6:45 am Auf den Bildern sind keinerlei Krater erkennbar, was Samstagmorgen erreicht. darauf hindeutet, dass die Oberfläche des Mondes Der 2.540 Kilogramm schwere Satellit ist mit 28 geologisch sehr jung ist und dass sich dort tek- Transpondern ausgestattet. Neun davon arbeiten tonische, vulkanische oder Ablagerungsprozesse im C-Band, 18 im Ku-Band und einer im L-Band. abspielen, welche die Oberfläche immer wieder umgestalten. Die Bilder konnten keine klaren Hinweise darüber geben, ob es auf der Oberfläche des Titan Seen oder Teiche aus flüssigem Methan, Äthan oder ähn- lichen Stoffen gibt. Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass es solche geologischen Strukturen geben muss, angesichts der extrem niedrigen Tem- peraturen, des hohen atmosphärischen Druckes und der vielen Hydrocarbonate, die auf der Ober- fläche und in der Atmosphäre vorhanden sind. Um es kurz zu machen: Titan widerstand fürs erste dem Ansturm der Wissenschaftler, und die sind damit nahezu genauso ratlos wie zuvor. Die Rakete wird aufgerichtet Der Vorbeiflug am Mittwochmorgen, in einem Express AM-1 wird auf 40 Grad östlicher Länge sta- Abstand von nur 1200 Kilometern war der erste tioniert werden. Der Start war der 247. erfolgreiche von insgesamt 45 Begegnungen, die für die Primär- Einsatz einer Oberstufe der Typen D und DM, und mission geplant sind. Cassini machte bei diesem der sechste Start einer Proton in diesem Jahr Vorbeiflug mehrere hundert Bilder durch verschie- dene Filter. Dabei wurden vor allem Wellenlängen Express AM-1, so die Bezeichnung des Satelliten, gewählt, die es ermöglichten, durch die dichte Wol- wurde von der russischen Firma Reshetnev in kenschicht des Titan zu blicken. Krasnoyarsk, in Sibirien gebaut. Der Kommunika- tionssatellit soll Fernseh- und Radioprogramme, „Trotzdem aber“, wie es Carolyn Porco, eine der Internet und Telefonservices für Russland zur Ver- leitenden Wissenschaftler des Missionsteams aus- fügung stellen. drückte, „wissen wir nicht genau, auf was wir da eigentlich blicken“. Radardaten von Cassini sollen die Lücken füllen. Allerdings sind auch diese Bilder nichts weniger als geheimnisvoll. Es konnten auch

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November Es wird weithin angenommen, dass Yang Liwei der Kommandant dieser Mission sein wird. Insgesamt befinden sich derzeit 14 chinesische Astronauten 01.11.2004 im Training. 6 mit zwei Astronauten über fünf Tage geplant Chinas zweiter bemannter Raumflug wird voraus- 06.11.2004 sichtlich fünf Tage dauern und zwei Astronauten in Lightshow über Cap Canaveral den Orbit bringen. Der Flug dürfte wahrscheinlich Nach nervenzermürbend langer Wartezeit auf der im Oktober nächsten Jahres stattfinden. Startrampe und zwei unkomfortablen „Close en- counters“ durch zwei gewaltige Hurricanes don- Zum ersten Mal werden die beiden Raumfahrer nerte heute in den frühen Morgenstunden eine dann auch ihre Raumanzüge ablegen, und in das Boeing Delta 2 in den Orbitmodul umsteigen. Yang Liwei, der erste chi- Himmel und setzte kurz nesische „Taikonaut“, wie in China die Astronauten darauf erfolgreich einen genannt werden, hatte seinen Sitz in neuen Satelliten für das vor einem Jahr weder verlassen, noch hatte er sich GPS System der ameri- seines Raumanzugs entledigt. kanischen Luftwaffe aus. Yang hatte letztes Jahr die Erde in 21 Stunden 14 Die 40 Meter hohe, mal umkreist. China war damit nach der Sowjetuni- blauweiße Rakete ver- on und den USA erst die dritte Nation geworden, ließ die Startrampe 17B die einen bemannten Raumflug aus eigenen Mitteln um 1:39 amerikanischer durchführt. Ostküstenzeit und Der Flug von Shenzhou VI wird eine wesentlich tauchte die Nacht über komplexere Mission sein, als die frühen Flüge der Florida für eine halbe Russen oder Amerikaner. Zum Vergleich dazu: der Delta 2 mit GPS 2R-13 Minute in blendend hel- zweite amerikanische Raumflug, der in den Orbit während des Starts les Licht. ging, war eine Solo-Mission von Scott Carpenter, 25 Minuten später wurde der von Lockheed Martin der die Erde dreimal umkreiste. Auch der zweite so- gebaute GPS 2R-13 von der dritten Stufe der Trä- wjetische Flug, mit Kosmonaut German Titow, war gerrakete freigegeben. Dies markierte den 61. er- ein Soloflug, der aber immerhin schon 24 Stunden folgreichen Start eine Delta 2 in ununterbrochener dauerte. Erst im Jahre 1964 wurde erstmals eine Reihenfolge in einem Zeitraum von nunmehr sie- mehrköpfige Crew in den Weltraum gestartet. ben Jahren. Das chinesische Design ist wesentlich fortschritt- Der 45 Millionen Dollar teure GPS Satellit wird in licher als die Konstruktionen der USA und der den kommenden Wochen auf seine endgültige Po- UDSSR in den sechziger Jahren. Sie sind sogar mo- sition in der GPS-Konstellation manövriert. Sobald derner und vor allen alle Checks abgeschlossen sind, wird er dann den äl- Dingen größer, als die testen Satelliten ersetzen, der derzeit im Netzwerk derzeit in Russland arbeitet. GPS 2R-13 wird dann den Slot 1 in der eingesetzten Sojus- Orbitebene D besetzen und die Aufgaben von GPS Kapseln. 2A-11 übernehmen, der im Juli 1991 gestartet wor- Während bei den den war. Dieser Satellit war ursprünglich für eine Russen beispielsweise Lebensdauer von sieben Jahren ausgelegt worden, das Service-Modul in geht aber erst jetzt, nach über 13 Jahren im Dienst, der Erdatmosphäre in „Ruhestand“. Dieser Satellit läuft inzwischen fast verglüht und nur wäh- nur noch mit Reservesystemen und hat seine tech- rend des eigentlichen nische Grenze erreicht. bemannten Raum- Die amerikanische GPS-Konstellation umfasst 24 fluges eingesetzt wird, Primärsatelliten sowie in der Regel sechs Reserve- ist das chinesische einheiten, die auf sechs orbitale Ebenen aufgeteilt Service-Modul eine sind. GPS-Satelliten werden in regelmäßigen Ab- selbständige Einheit ständen gestartet, um das Navigationssystem funkti- die viele Monate lang onsfähig und voll bestückt zu erhalten. eigenständig operie- ren kann. Der heutige Start war der insgesamt 52. eines Shenzhou-Raumschiff. Oben: Orbital-Modul, Mitte: Rückkehrkapsel, Unten Service-Modul 2004 spacexpress raumfahrtchronik 63 Das Raumfahrtjahr 2004

GPS-Satelliten und der 41. bei dem eine Delta 2 als Träger eingesetzt wurde. Es war dies auch der 13. Start und letzte Start der so genannten „Block 2R“-Serie. Jetzt wartet eine Serie von acht so genannten „Block 2R-Modernized“ Satelliten auf ihren Einsatz. Der erste befindet sich derzeit in der Endabnahme bei Lockheed Martin und wird in Kürze nach Cap Produktion der Sojus beim Hersteller Samara Canaveral verschifft. Der Start ist für den Februar vorgesehen. dem Namen „Oblik“. Der Start hatte sich aufgrund von technischen Problemen um einige Wochen Auch der nächste Einsatz einer Delta 2 steht unmit- verzögert. telbar bevor. In der nächsten Woche soll von Cap Canaveral aus das Gammastrahlen-Observatorium Die Sojus 2-1a verließ die Startrampe am Kosmo- SWIFT der NASA mit einem Träger dieses Typs drom von Plesetzk um 20:30 mitteleuropäischer gestartet werden. Zeit. Zehn Minuten später wurde der Satellit in der vorgesehenen Umlaufbahn ausgesetzt. Die einzige Aufgabe des künstlichen Erdtrabanten war, die wäh- 07.11.2004 rend des Starts gemessenen Telemetriewerte der China startet dritten ZY-2 Satelliten neuen Trägerrakete zu speichern, Vibrationspegel China brachte gestern den dritten Erderkundungs- und Temperaturen zu messen und diese nach Er- satelliten des Typs ZY-2 mit einer reichen der Umlaufbahn zur Erde zu senden. Die Trägerrakete erfolgreich in eine Erdumlaufbahn. Der Daten werden für die endgültige Qualifikation des Start erfolgte um 11:10 Ortszeit vom Weltraum- Trägers benötigt. bahnhof Taiyuan in Nordchina. Die Mission war der erste Schritt in einem umfang- 12 Minuten nach dem Start gab die Trägerrakete reichen Modernisierungsprogramm für die Sojus den Satelliten frei. U, einem Träger der seit den sechziger Jahren im ZY-2 wird hauptsächlich für Landver- Weltraumprogramm der UDSSR und Russlands messung, Umweltüberwachung und im Einsatz ist. Die Sojus 2-1a hat neben einer Umweltschutz, Stadtplanung, Erntevor- leistungsstärkeren Version der Erst- und Zweit- hersagen, Desaster Monitoring sowie für stufentriebwerke auch ein wesentlich verbesser- wissenschaftliche Zwecke verwendet. tes digitales Kontrollsystem an Bord. Damit sind Lagekorrekturen wesentlich präziser und schneller China hatte den ersten und zweiten durchzuführen, und die Bahntrajektorie kann ge- Satelliten dieses Typs am 1. September nauer bestimmt werden. Damit wird es der Rakete 2000 und am 27. Oktober 2002 in den ermöglicht, später auch mit einer neuen, vier Meter Orbit geschickt. Beide Flugkörper sind durchmessenden Nutzlastverkleidung, zu fliegen. Start von ZY-2 nach wie vor aktiv und senden ihre Da- Die Nutzlastkapazität verbessert sich gegenüber ten zur Bodenstation. der Basisversion um ca. 800 Kilogramm. Verglichen mit seinen beiden Vorgängern ist der Der nächste Verbesserungsschritt wird mit der So- dritte Satellit jedoch technologisch und leistungs- jus 2-1b erzielt, die Mitte 2006 ihren Erstflug haben mäßig erheblich verbessert. soll. Dann wird auch die dritte Stufe verbessert, was Die Long-March 4-B ist eine verbesserte Version die Nutzlastkapazität um weitere 300 Kilogramm der ursprünglichen Long March 4. Der Start am steigern soll. Samstag war der 82. eine Long March insgesamt, Diese komplett modernisierte Sojus-Version soll und der 40. erfolgreiche Start in ununterbrochener dann unter anderem von einer modifizierten Start- Reihenfolge seit 1996. anlage in Kourou eingesetzt werden. Europäische und Russische Teams sind derzeit dabei, die ehema- 09.11.2004 lige -Startanlage für die Sojus zu modifizie- Modernisierte Version ren. Arianespace wird dann in der Lage sein, eine der Sojus U erfolgreich komplette Palette von Trägersystemen anzubieten. Eine modernisierte Version der russischen Stan- Angefangen von der für kleine Nutzlasten dard-Trägerrakete Sojus U unternahm am Montag über die Sojus 2 für die mittlere Kategorie bis hin einen erfolgreichen Qualifikationsflug. An Bord be- zum Schwerlastträger Ariane 5. fand sich ein 6,5 Tonnen schwerer Testsatellit mit

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17.11.2004 Hauptziel der ersten Missionsphase, die mit der An- Europa erreicht den Mond kunft auf der Mondumlaufbahn abschließt, war die Am 16. November 2004 absolvierte die ESA- Erprobung neuer Technologien. Insbesondere das Raumsonde SMART-1 ihre erste Mondumkreisung solarelektrische Antriebssystem wurde auf der über – ein bedeutender Meilenstein für die erste von 84 Millionen km langen spiralförmigen Flugbahn Europas kleinen Missionen für fortgeschrittene zum Mond eingehend getestet. Diese Entfernung ist technologische Forschung (SMART). mit einer interplanetaren Reise vergleichbar. Zum ersten Mal wurden von einem elektrisch angetrie- Während der Reise der Sonde zum Mond und benen Raumfahrzeug Swingby-Manöver ausgeführt, ihrer Vorbereitung auf die bevorstehenden wissen- die sich bei der Annäherung an den Mond dessen schaftlichen Experimente wurden mit Erfolg eine Anziehungskraft zunutze machten. Der erfolgreiche Reihe neuer Technologien erprobt, die den Weg für Abschluss dieser Erprobung ist entscheidend für künftige interplanetare Missionen ebnen. den Einsatz von Ionentriebwerken für künftige in- SMART-1 hat am 15. November um 18.48 Uhr MEZ terplanetare Missionen. ihren ersten mondnächsten Punkt in rund 5 000 km Als Vorbereitung zur wissenschaftlichen Beobach- Entfernung von der Mondoberfläche erreicht. We- tungsphase wurden auf der Reise vier miniaturi- nige Stunden zuvor - um 6.24 Uhr MEZ - war der sierte Instrumente, die zum ersten Mal im All zum Ionenantrieb der Sonde aktiviert worden und wird Einsatz kamen, bereits ersten Tests unterzogen: die nun für das heikle Manöver der Stabilisierung der AMIE-Kamera, die bisher die Erde, den Mond und Sonde in der Mondumlaufbahn gezündet. zwei totale Mondfinsternisse aus dem Weltraum Während dieser entscheidenden Phase wird das aufgenommen hat, die Rönteninstrumente D-CIXS Triebwerk während der kommenden vier Tage fast und XSM sowie das Infrarot-Spektrometer SIR. ununterbrochen laufen und anschließend für eine Insgesamt hat SMART-1 332mal die Erde umrun- Reihe kürzerer Schübe gezündet, um SMART-1 auf det und dabei 289mal seine Triebwerke gezündet, immer engere Umlaufbahnen um den Mond und die etwa 3700 Stunden lang in Betrieb waren. schließlich auf ihre endgültige Einsatzbahn zu beför- Verbraucht wurden hierfür lediglich 59 kg Xenon- dern. Ab Mitte Januar wird die Sonde den Mond Treibstoff (von insgesamt 82 kg). Das Triebwerk hat auf einer Bahn zwischen 300 km (über dem Süd- bis jetzt absolut einwandfrei funktioniert, so dass die pol) und 3 000 km (über dem Nordpol) umrunden Sonde den Mond zwei Monate früher als erwar- und mit ihren wissenschaftlichen Beobachtungen tet erreichen konnte. Der verbleibende Treibstoff beginnen. ermöglichte den Wissenschaftlern, die Höhe der endgültigen Mondumlaufbahn erheblich zu verringern. Durch die größere Nähe zur Mondoberfläche werden noch gün- stigere Bedingungen für die im Januar beginnenden wissenschaftlichen Beo- bachtungen erreicht.

18.11.2004 Neuer Rekord für Hyper-X Angetrieben von einem luftatmenden „Supersonic Combustion Ramjet“- Triebwerk, kurz „Scramjet“ genannt, erreichte das vier Meter lange Hyper- X-Forschungsflugzeug der NASA am 16. November eine Geschwindigkeit von knapp Mach 10, also dem 10-fachen der Schallgeschwindigkeit. Das Fluggerät, das auch unter der Bezeichnung X-43A bekannt ist, war zuvor von der ersten Stufe eines Pegasus-Boosters auf die notwendige Ausgangshöhe und Ge- schwindigkeit gebracht worden. Wie die Standard-Pegasus wurde auch die X-43/ Smart im Mondorbit. Künstlerische Darstellung. Pegasus-Kombination von einem B-52

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letzten Jahren zusehends auf Kleinsatelliten und hat in der Vergangenheit bereits eine ganze Reihe ver- schiedener Typen in den Orbit gebracht.

20.11.2004 Schneller Späher Am 20. November um 18:16 Uhr mitteleuropä- ischer Zeit startete mit dem Gammastrahlenob- servatorium Swift das bedeutendste astronomische Weltrauminstrument dieses Jahres zu einer mindes- X-43A startet durch zum Rekordflug tens zweijährigen Mission in die Erdumlaufbahn. Um 19:52 war der vorgesehene Orbit 600 Kilometer Trägerflugzeug der NASA über der kalifornischen über der Erdoberfläche erreicht. Eine Stunde später Pazifikküste westlich der Edwards Airforce Basis für entfaltete Swift seine beiden Solargeneratoren. den Einsatz in etwa 12.000 Meter Höhe gebracht Die von Aero Astro in den USA gebaute astrono- und dort abgeworfen. mische Plattform ist ein Forschungssatellit der Me- Bei dem Flug wurde der bisherige Geschwindig- dium-Explorer-Klasse. Seine Hauptaufgabe ist es, die keitsrekord für luftatmende Antriebe gebrochen. Geheimnisse der rätselhaften Gamma-Strahlenaus- Diesen Rekord war erst im März von einer anderen brüche, kurz Bursts genannt, zu untersuchen. Swift X-43 A aufgestellt worden. Damals wurden Mach soll diese Bursts im optischen- und im ultravioletten 6,83 erreicht. Da Scramjet-Triebwerke beträchtlich weniger bewegliche Teile als traditionelle Turbojet-Motoren besitzen und anders als Raketentriebwerke keinen Oxidator für die Verbrennung mitzuführen brau- chen (den beziehen sie aus der Luft), könnten sie zukünftig als Startstufe kleinerer, einfacherer und preiswerterer Raumfahrzeuge dienen. Die Scram- jet-Technologie ist allerdings noch nicht bis zur Einsatzreife gediehen. Das X-43A System wurde von den Boeing Phan- tom Works zusammen mit ATK für die NASA entwickelt und gebaut. Die Konstruktion und das Gesamt-Management führte Boeing durch. ATK war für die Herstellung des Vehikels zuständig und der Booster stammt von der Orbital Sciences Corporation.

19.11.2004 China startet erneut einen Kleinsatelliten China hat erneut erfolgreich einen wissenschaftli- chen Kleinsatelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Als Trägerrakete kam eine Long-March 2C zum Einsatz. Der „Experimentalsatellit Nummer zwei“, wie das Raumfahrzeug etwas kryptisch bezeichnet wurde, hob um am 18. November um 18:45 Ortszeit vom Xichang Satellitenstartzentrum in Südwestchina in der Provinz Sichuan ab und erreichte knapp zehn Minuten später den vorgesehenen Orbit. Die Mission soll neue Satellitentechnologien erpro- ben, die insbesondere für Erdbeobachtungszwecke zum Einsatz kommen. China spezialisiert sich in den Swift in der Montagehalle

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Bereich sowie im Röntgenspektrum beobachten, unmittelbar nachdem sie aufgeflammt sind. Gamma-Bursts erzeugen für kurze Zeit mehr Energie, als der gesamte Rest des Universums zu- sammen. Diese immer noch rätselhaften Ereignisse geschehen im Durchschnitt etwa einmal pro Tag. Die Verteilung ist komplett zufällig. Es können sich durchaus drei Bursts innerhalb von einer Stunde er- eignen, und danach wieder eine Woche lang keiner. Sie dauern von einigen Millisekunden bis zu einigen hundert Sekunden. Bis zum heutigen Tag sind lediglich ein dutzend Gamma-Strahlen-Bursts gleichzeitig im sichtbaren Licht und im Röntgenspektrum erfasst worden. Mit Swift wird sich das ändern, denn bei diesem Satelli- ten sind die Beobachtungsinstrumente miteinander gekoppelt. Damit wird für jedes Burst-Phänomen, das Swift untersucht, ein vollständiger Datensatz entstehen. Gamma-Bursts wurden im Juli 1967 durch einen Zufall von amerikanischen Vela-Satelliten entdeckt. Deren Aufgabe war es, eventuelle Nuklearexplosi- Swifts Start mit einer Delta II-Rakete onen in der Erdatmosphäre festzustellen. Es dau- erte zwei Jahre, bis den Militärs klar war, dass die für ein solch flüchtiges Phänomen. Hier wird Swift mysteriösen Signaturen, die sie auffingen, nicht von aber selbst aktiv. An Bord des Satelliten befinden unidentifizierten Kernwaffentests in der Erdatmos- sich sechs so genannte Reaction control wheels, phäre kamen, sondern dass sie aus dem Weltraum Schwungräder, mit denen sich das Weltraumobser- stammten. Erst weitere vier Jahre später wurde vatorium in maximal 75 Sekunden auf jeden Punkt diese Informationen vom Militär deklassifiziert und des Himmels ausrichten kann. konnten damit veröffentlicht werden. Sobald sich Swift in Position gebracht hat, wird Seit damals sind die Phänomene mit einer ganzen er das Phänomen mit seinen drei Instrumenten Reihe von Raumfahrzeugen untersucht worden. untersuchen, dem XRT (für X-Ray Telescope), also Die bekanntesten waren wohl das Compton-Ob- dem Röntgenstrahlen-Teleskop, mit UVOT (für servatorium der NASA, das inzwischen nicht mehr Ultraviolet/Optical Teleskope), einem Teleskop, das im Dienst ist, und der Forschungssatellit Integral den ultravioletten und optischen Wellenbereich der ESA. abdeckt, und das baugleich mit dem Instrument ist, Der Gammastrahlen-Detector von Swift, mit dem das sich auch an Bord des europäischen Röntgen- Namen BAT (das Akronym steht für Burst-Alert Te- teleskops XMM befindet, und eben BAT, dem Burst lescope), ist etwa dreimal sensitiver als der Detek- Alert Telescope selbst. tor des Compton-Teleskops, das in den neunziger Die meisten Gammastrahlen-Bursts dauern nur Jahren im Einsatz war. BAT wird in der Lage sein, zwischen zwei und zehn Sekunden. Das bedeutet, einen Gamma-Burst mit einer Genauigkeit von we- dass das Aufflammen dieser Bursts nur dann auf- niger als vier Bogensekunden festzustellen, und wird gefangen werden kann, wenn Swift zufällig in diese diese Position innerhalb von maximal 20 Sekunden Himmelsregion blickt. Die Chance dafür beträgt nach Beginn des Bursts zur Erde übermitteln. etwas mehr als 15 Prozent. Während der Primär- Die Astronomen auf der Erde werden dann mit mission von Swift sollte das aber immerhin einige diesen Daten versuchen, so schnell wie irgend Dutzend Mal gelingen. Von einer weitaus größeren möglich erdgebundene Teleskope auf das Phäno- Zahl dieser extrem kurzen Bursts wird Swift aber men auszurichten. Das ist ein Prozess, der unter den „Afterglow“, das „Nachglühen“ auffangen. Das sehr günstigen Umständen in wenigen Minuten Nachglühen entsteht, wenn die Gammastrahlung ablaufen kann. Manchmal dauert es aber einen Tag des Ursprungsobjektes durch Materiewolken oder mehr, bis ein Großteleskop für diesen Zweck teilweise abgeblockt wird. Dieses Phänomen kann verfügbar ist. Das ist natürlich entschieden zu lange noch Tage und Wochen nach einem Gammastrah-

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len-Ausbruch andauern. Der erste jemals registrier- te Afterglow im Röntgenbereich wurde von dem italiensichen Forschungssatelliten „BeppoSAX“ am 28. Februar 1997 registriert, als dieser den Gamma- Burst GRB979228 beobachtete. Die Wissenschaft ist sich bis zum heutigen Tag nicht sicher, was die Gammastrahlen-Bursts auslöst, denn die Datenbasis ist wegen der Flüchtigkeit des Phä- nomens sehr klein. Man geht aber davon aus, dass es mehrere Arten von Bursts gibt, die auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sind. Die gängigste Version ist der Kollaps überschwerer Sterne zu schwarzen Lö- chern, sie könnten aber auch durch die Kollision zweier Neutronensterne, zweier schwarzer Löcher oder dem hypothetischen und noch nicht durch direkte Beobachtung bestätigten Verdampfen eines schwarzen Lochs hervorgerufen werden. Swift wird im Schnitt jeden Tag etwa 50 Kilobyte an Daten für die so genannten „Quick-reaction-alerts“ über die Datenrelay-Satelliten der NASA senden. Immer dann also, wenn es gilt, innerhalb von Se- X-43A startet durch zum Rekordflug kunden die Astronomen auf dem Boden von einem neuen Gamma-Burst zu benachrichtigen. Seine erwies - überhaupt nicht existierte. Es stellte sich eigenen Beobachtungen speichert Swift dagegen heraus, dass der Sensor selbst defekt war. Das zur an Bord und übermittelt sie erst dann, wenn er die Verfügung stehende Startfenster an diesem Tag war Bodenstation überfliegt. Dann kann er pro Überflug zwei Stunden und vierzig Minuten lang und musste bis zu 6 Gigabyte an Daten übermitteln. Die „Hei- fast komplett in Anspruch genommen werden. matbasis“ für Swift wird die von Italien betriebene Bodenstation in Malindi in Kenia sein. Diese Station Tatsächlich erfolgte der Start dann um 13:07 Uhr wird übrigens auch regelmäßig bei Ariane-Starts zur mitteleuropäischer Zeit, nachdem endgültig fest- Datenübermittlung eingeschaltet. stand, dass das Ventil in Ordnung war. Das war dann bereits um 7:07 Uhr morgens in Cap Canaveral, Swift kostet alles in allem etwa 200 Millionen und damit erfolgte der Start letztendlich nicht Euro. Die Projektwissenschaftler hoffen, dass sie nachts, sondern bei Tageslicht. Die große Rakete mit in der zweijährigen Primärmission etwa 200 Gam- einem Gesamtschub von 500 Tonnen, erzeugt vom ma-Bursts direkt beobachten können. Da diese Haupttriebwerk der Unterstufe und den beiden 20 Strahlungsereignisse ja nur sporadisch auftreten, Metern großen Feststoffboostern, donnerte mit oh- bleibt Swift einiges an „Freizeit“. Die wird Swift renbetäubendem Lärm in den Morgenhimmel. dazu nutzen, eine Durchmusterung des ganzen Himmels im Röntgenbereich vornehmen. Die Wis- Weniger als dreißig Sekunden nach der Zündung senschaftler gehen davon aus, dass sie mit Swift‘s entschwand der Träger aus der Sicht der Zuschauer. Hilfe über 400 neue supermassive schwarze Löcher Mit Hilfe der Bahnverfolgungskameras war es aber finden werden. möglich, das Ausbrennen und den Abwurf der Booster zu sehen, und später auch, wie sich der Na- senkonus von der Rakete trennte, die erste Stufe Dezember ausbrannte und abgeworfen wurde, und schließlich auch noch die Zündung der Centaur-Oberstufe. 17.12.2004 Die Centaur führte zwei Brennmanöver durch, die Atlas 5 erneut erfolgreich durch eine 90-minütige Freiflugphase getrennt wa- Der Start einer Lockheed Atlas 5 mit dem Kom- ren. Um die hohe Leistungsfähigkeit der Rakete voll munikationssatelliten Americom 16 (AMC 16) war ausnutzen zu können, hatten die Missionsdesigner für 10:42 mitteleuropäischer Zeit geplant, verschob geplant, den 4,5 Tonnen schweren Kommunikati- sich aber, als ein Sensor einen Defekt an einem Flüs- onssatelliten auf einen optimierten Orbit mit einem sigsauerstoff-Ventil meldete, der - wie sich später höheren Perigäum und einer geringeren Inklination

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zu steuern als sonst bei Missionen in den Transferorbit üblich ist. Im End- effekt bedeutete das aber auch, dass die Drift-Phasen länger als normal dauerten. Eine Stunde und 49 Minuten nach dem Start gab die Centaur-Stufe AMERICOM 16 frei und schloss da- mit die 74. erfolgreiche Atlas-Mission in ununterbrochener Reihenfolge seit dem Jahre 1993 ab. Es war dies auch das dritte Raumfahrzeug für den in Princton, New Jersey ansässigen Sa- tellitenbetreiber SES AMERICOM in diesem Jahr, das mit einer Atlas gestar- tet wurde. Die Solargeneratoren von AMC 16 sind nach der Freigabe von der Träger- rakete bislang nur teilentfaltet worden. Die volle Entfaltung der Generatoren sowie der Kommunikationsantennen soll in etwa 10 18.12.2004 Tagen erfolgen. Das Raumfahrzeug wird den vorge- Sieben auf einen Streich sehenen geostationären Orbit in einigen Wochen Mit ihrem gestrigen erfolgreichen Flug brachte erreichen und dann auf einer Position von 82 Grad eine europäische Trägerrakete vom Typ Ariane 5G westlicher Länge über dem Äquator ausgedehnten sieben Satelliten gleichzeitig in einen sonnensyn- Tests unterworfen. Danach wird der Satellit auf sei- chronen Orbit. ne endgültige Position bei 85 Grad West verscho- Nach dem Start vom Raumflughafen in Franzö- ben. Die Indienststellung des Satelliten soll in etwa sisch-Guayana schlug die Ariane 5 Generic eine zwei Monaten erfolgen. nordwärts gerichtete Flugbahn ein, um zunächst Der Hauptnutzer von AMC 16 wird EchoStar‘s ihre Hauptnutzlast - die aus Frankreich stammende DISH Network Direktfunk-Unterhaltungs-Service militärische Helios 2A Aufklärungsplattform - und sein, der in den USA derzeit etwa eine Million danach sechs weitere Kleinsatelliten auszusetzen. Es Abonnenten hat. war der 16. erfolgreiche Flug einer Ariane 5. AMC 16 wurde von Lockheed Martin auf Basis des Im Gegensatz zu Missionen in den geostationären A2100AX Satellitenbus-Designs gebaut. Er hat 12 Orbit, die meist ein mehrstündiges Startfenster Ka-band Spotbeams und 24 Ku-Band Transponder haben, hatte der heutige, nordwärts gerichtete Flug für Breitband-Kommunikation und Fernsehübertra- Nummer 165 eine präzise Vorgabe für den Mo- gungsservice auf kleine Hausantennen. ment der Zündung des kryogenen Triebwerks: 13: 26 Uhr, Lokalzeit Kourou. Die Ariane 5 war bereit – Das Atlas-Programm konnte mit diesem erfolg- und hob genau zur richtigen Zeit ab unter dem reichen Start die Rekordmarke der europäischen sonnigen Himmel von Französisch-Guayana. Ariane 4-Trägerrakete einstellen, die allerdings nicht mehr im Dienst ist. Die Atlas erzielte den Rekord Helios 2A, die Hauptnutzlast dieses Flugs, ist das mit den Modellen 1, 2, 3 und 5. dritte Mitglied in der Familie der militärischen Heli- os-Beobachtungssatelliten, die alle mit Ariane-Rake- Der nächste Start für Lockheed Martin wird der ten gestartet wurden. Helios 1A wurde 1995 mit sechste und letzte Flug der Atlas 3 sein. Am 27. Flug 75 in den Orbit gebracht, gefolgt von Helios 1B Januar soll eine klassifizierte Nutzlast des amerika- im Dezember 1999 mit Flug 124. In beiden Fällen nischen National Reconnaissance Office von Cap kam die Ariane 4 zum Einsatz. Der heutige Satellit Canaveral aus in den Orbit gebracht. Der nächste eröffnet die zweite Generation der Helios-Familie. Atlas 5 Start ist vorläufig auf den 10. März termi- Sein Startgewicht betrug 4,2 Tonnen. niert und wird dann einen kommerziellen Satelliten für INMARSAT in den Orbit befördern. Die Helios 2A-Plattform wurde in einem Pro- gramm mit Belgien und Spanien unter französischer Führung entwickelt und gebaut. Projektmanager

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ist Frankreichs DGA („Defense Procurement Agency“), mit der französischen nationalen Raum- fahrtagentur CNES Hauptverantwortlicher für den Satelliten und den Start. Der Satellit wurde von EADS Astrium hergestellt. Die Kosten belaufen sich auf etwa 1 Millarde Euro. Die Ariane 5 setzte Helios 2A eine Stunde nach dem Abheben aus, kurz darauf in einer schnellen Folge auch die sechs kleineren Zusatznutzlasten von Flug 165, die auf einer ringförmigen Verteilerplatte namens ASAP (Ariane Structure for Auxiliary Pas- sengers) montiert waren. Den Anfang machte Nanosat, ein Mikrosatellit, der vom nationalen aeronautischen Technologie-Institut von Spanien, INTA, entwickelt und gebaut wurde. Ihm folgten zwei ELINT-Kleinsatelliten der DGA gleichzeitig. Anschließend wurden die anderen beiden Essaim-Satelliten ausgesetzt. Das Schlusslicht bildete , ein Kleinsatellit der CNES zum Studium des Erdklimas. Arianespace-Geschäftsführer Jean-Yves Le Gall dankte dem Startteam für eine perfekte Mission. In einem Gespräch mit Reportern im Anschluss an den Start sagte Le Gall, dass die nächste Ariane- space-Mission - der mit Spannung erwartete zweite Startversuch der neuen „Ariane 5 ECA“-Version mit maximal 10 Tonnen Nutzlast - für den 11. Feb- ruar 2005 geplant ist.

22.12.2004 Schwergewicht mit Atemproblemen Den Jungfernflug einer Groß-Trägerrakete hat es in Cap Canaveral schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Und so wurde der Start der ersten Delta 4 Heavy von zahllosen Zuschauern an den Stränden von Cocoa Beach, Titusville, Merritt Island, Melbourne und an den Beobachtungspositionen am Cap Canaveral mit großer Spannung erwartet. Der erste Einsatz von Boeings neuer schwerer Trägerrakete begann mit einem atemberau- benden Liftoff am späten Nachmittag des 21. Dezembers. Am Ende blieb die Rakete allerdings unter der erwarteten Leistung und der Testsatellit und die beiden an Bord befindlichen Nanosatel- liten erreichten den vorgesehenen Orbit nicht. Trotzdem bezeichnete Boeing den Flug als Erfolg. Mehr zu diesem Thema auf Seite 156.

Delta 4 Heavy auf dem Weg zur Startrampe.

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23.12.2004 Es ist derzeit noch nicht klar, ob der erzielte Orbit Russischer Frachter auf dem Weg zur ISS für die Missionsdurchführung von Sich-1M ausreicht Ein russischer Raumfrachter vom Typ Progress star- oder ob es dem Satelliten möglich ist, aus eigener tete heute mit einer wichtigen Nutlast, bestehend Kraft den vorgesehenen Arbeitsorbit zu erreichen. aus Lebensmitten und anderen Versorgungsgütern zur Internationalen Raumstation. 25.12.2004 Das Versorgungsfahrzeug mit der Bezeichnung Cassini Orbiter schickt Progress 16 verließ die Startrampe am russischen Huygens-Lander zum Titan Kosmodrom in Baikonur an der Spitze einer russi- Mehr als sieben Jahre war die europäische Titan- schen Sojus-Trägerrakete auf die Minute pünktlich Landesonde Huygens mit dem Saturn-Orbiter Cas- um 23:19 mitteleuropäischer Zeit. Neun Minuten, sini verbunden. In den frühen Morgenstunden des nach der Trennung von der dritten Stufe der Träger- ersten Weihnachtsfeiertages erfolgte jetzt die Tren- rakete, hatte der Frachter erfolgreich einen ersten nung. In einem perfekt durchgeführten Manöver Übergangsorbit erreicht. wurden kleine Sprengkapseln gezündet, welche die Nabelschnur zwischen den beiden Raumfahrzeu- Der heutige Versorgungsflug ist für die Besatzung gen durchtrennten und einen Federmechanismus der ISS von besonderer Bedeutung. Die derzeitige auslösten, der die Huygens-Sonde langsam vom permanente Crew der ISS, bestehend aus Komman- Cassini-Mutterfahrzeug wegdriften ließ. Zusätzlich dant Leroy Chiao und dem russischen Flugingenieur gab Cassini seiner Landesonde noch ein „Rotati- Shalipan Sharipov ist bereits seit einigen Tagen auf onsmoment“ von sieben Umdrehungen pro Minute „halbe Ration“, weil speziell die Nahrungsmittel- mit, um das Fahrzeug mit einer Drallstabilisierung vorräte an Bord knapp werden. Sollte Progress 16 zu versehen, denn Huygens selbst hat keinerlei nicht erfolgreich am Samstag an der Station anlagen, Lagekontrolltriebwerke um seine Raumlage zu würde das bedeuten, dass nur noch Nahrungsmittel korrigieren. für 14 Tage an Bord wären. In diesem Fall müsste die Station evakuiert werden und die Expediti- Nun wird Huygens für etwas über drei Wochen onscrew 10 müsste zur Erde zurück ehren. Es ist alleine dem geheimnisvollen Saturnmond Titan vorgesehen, dass Progress 16 am 25. Dezember um entgegentreiben, bis es in den Mittagsstunden des 0:31 mitteleuropäischer Zeit am Zvesda-Modul der 14. Januar (mitteeuropäischer Zeit) zum Eintritt Raumstation anlegt. Chiao und Sharipov würden in die oberen Atmosphärenschichten des von dann mit dem Entladen der Versorgungsgüter am undurchsichtigen Wolken verhangenen Himmels- 26. Dezember beginnen. körpers kommt. An Bord des Progress-Frachters befinden sich Die Trennung erfolgte am 25. Dezember um 2.270 Kilogramm Fracht, darunter Nahrungsmittel 4:07 mitteleuropäischer Zeit. Zu diesem Zeitpunkt für 112 Tage, wissenschaftliche Gerätschaften und bestand kein Radiokontakt mit der Sonde. Kurz ca. 600 Kilogramm Treibstoff. danach meldete sich Cassini aber und bestätigte die erfolgreiche Trennung. Die Telemetriedaten deuten darauf hin, dass alles perfekt verlief. 24.12.2004 Beobachtungssatellit im falschen Orbit Später am 25. und nochmal am 26. Dezember ge- Russland startete am Freitag eine Zyklon 3 Träger- lang es Cassini, einige Bilder von der davondriften- rakete mit dem 2,3 Tonnen schweren russisch-uk- den Huygens-Landesonde zu machen. Das letzte rainischen Forschungssatelliten Sich-1M sowie dem der Bilder machte Cassini, als Huygens bereits 52 rein ukrainischen Technologie-Satelliten MS-1TK an Kilometer entfernt war. Bord. Der Start erfolgte vom Kosmodrom in Bai- Am 14. Januar, um 11:13 mitteleuropäischer Zeit, konur um 12:20 mitteleuropäischer Zeit, 42 Minu- soll Huygens die obersten Schichten der Titan- ten später erreichten die Satelliten den Orbit. Atmosphäre erreichen. Die relative Geschwindig- Bei den beiden Raumfahrzeugen handelt es sich um keit zur Titan-Oberfläche wird dann etwa 21.500 Erdbeobachtungssatelliten. Wie einen Tag später be- Kilometer pro Stunde betragen. Innerhalb von kannt wurde haben die beiden Satelliten allerdings zwei Minuten wird Huygens dann alleine durch die nicht den geplanten Orbit erreicht. Die dritte Stufe atmosphärische Reibung auf eine Geschwindikgeit der Trägerrakete erreichte nicht die vorgesehene von 1500 Kilometer pro Stunde abgebremst. Dann Brenndauer und schaltete das Triebwerk etwa eine wird der erste von insgesamt drei Fallschirmen Minute zu früh ab. ausgeworfen, um den zweieinhalbstündigen Abstieg durch die dichte Kohlenwasserstoff-Atmosphäre bis zum Boden durchzuführen.

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Cassini trennt sich von Huygens – Künstlerische Darstellung

72 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

Während dieser Phase wird Huygens Daten an typ wiegt 1.480 Kilogramm. Das Glonass-System ist Cassini übermitteln, der dann etwa 60.000 Kilo- das Gegenstück zum amerikanischen GPS-System meter von Titan entfernt auf Empfangsposition und zum zukünftigen europäischen Satellitennaviga- ist. Die Daten werden von Cassini auf den Fest- tionssystem mit Namen Galileo. Derzeit befinden plattenrekorder gespeichert und später zur Erde sich 24 aktive GLONASS-Satelliten im Orbit. übertragen. Die Trennsequenz begann, als die Cassini/Huygens- Kombination am 16. Dezember das so genannte Ein Beitrag von Eugen Reichl. Orbital Trim Maneuvre Nummer 8 durchführten, Der Autor arbeitet bei der EADS Space Trans- eine knapp 85 Sekunden dauernde Zündung des portation in München. Als langjähriger Vorstands- Haupttriebwerks, welche die beiden noch zusam- rat im Verein zur Förderung der Raumfahrt VFR mengekoppelten Fahrzeuge auf einen Kollisionskurs e.V. ist er u.a. für die Spacexpress News zuständig, mit Titan brachten. die die Grundlage dieser Chronik bilden. Eugen Am 27. Dezember wird Cassini, nunmehr alleine, Reichl ist zudem ständiger Raumfahrt-Berichter- das Haupttriebwerk erneut feuern, um sich wieder statter des Star Observer, schreibt in Fachpublika- vom Kollisionskurs weg zu bringen. tionen über Raumfahrt und hält Vorträge.

Hauptquellen für News und Bilder: ESA News, NASA News, Boeing, SSC‘s Space Diary, Space Chronicle, Space Today by Florida Today, CNN Space News, Spacer Online News und VFR-Quellen.

Proton K bei der Montage.

26.12.2004 Russland startet drei Navigationssatelliten Russland ist dabei, sein Netz an Navigationssatelli- ten, das sich nach dem Untergang der Sowjetunion mehr oder weniger aufgelöst hatte, langsam wieder aufzubauen. Seit einigen Jahren wird dieses Netz regelmäßig ergänzt und erneuert. Die bislang jüngste dieser Erneuerungsmaßnahmen fand am Sonntag mit dem Start einer Proton K statt. Dabei wurden drei weitere Einheiten für dieses Sa- tellitennetz mit der Bezeichnung Glonass in den Orbit gebracht. Bei den Raumfahrzeugen handelte es sich um zwei Satelliten des Standardtyps sowie ein Raumfahrzeug der neuen Generation mit der Bezeichnung Glo- nass-M. Sie laufen unter der militärischen Bezeich- nung Uragan 796, 797 und Uragan M 712. Offiziell wurden sie, einer russischen Tradition folgend, nur lakonisch als Kosmos 2411 - Kosmos 2413 bezeich- net. Die beiden Satelliten des älteren Typs haben ein Gewicht von jeweils 1.415 kg, der neuere Satelliten-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 73 Das Raumfahrtjahr 2004 raumstarts 2004 Im Jahr 2004 wurden insgesamt 53 Orbi- reiche Jungfernflug der Delta 4 Heavy. Der Träger talstarts und zwei Raumsondenmissionen erreichte den vorgesehenen Orbit nicht ganz, der durchgeführt, acht Weltraummissionen Fehler scheint aber kleinerer Art zu sein, und eine weniger als im Vorjahr. weitere Testmission ist nicht vorgesehen. 2004 sah auch die erfolgreichen Flüge von SpaceShipOne. Russland und die Ukraine brachten dabei sechs Drei dieser kurzen Suborbital-Einsätze führten in verschiedene Trägertypen zum Einsatz: Sojus (in Höhen über 100 Kilometer. Zwei davon wurden den Varianten Sojus U, FG, Sojus 2 und Molnija), in einem Zeitraum von nur fünf Tagen im Rahmen Proton (Versionen Proton K und M), Zyklon (Ver- des X-Price-Wettbewerbs durchgeführt. Die Ak- sionen 2 und 3), Kosmos 3M, Zenith 2 und Dnepr. tivitäten der Volksrepublik China nahmen stark zu. Insgesamt führten Russland und die Ukraine 23 Or- Insgesamt fanden 8 Starts auf vier verschiedenen bitalmissionen durch, zwei mehr als im Vorjahr. Wie Trägerraketen-Typen statt: Long-March 2C, 3A, 2D schon Vorjahr sorgte auch in 2004 ausschließlich und 4B In Europa wurde nur eine rein kommerzi- Russland für den Zugang zur ISS. Allein für diesen elle Mission durchgeführt, nachdem es 2003 noch Zweck wurden sechs Flüge durchgeführt. Die Pro- vier waren und 2002 sogar 12. Zusammen mit den ton führte vier kommerzielle Flüge durch, nachdem beiden Flügen für Regierungsinstitutionen (Franzö- im Jahr zuvor nur eine kommerzielle Proton-Mis- sisches Militär und ESA) fanden somit insgesamt nur sion stattgefunden hatte. Die Zyklon 3 hatte bei drei Ariane 5-Flüge statt. Nach zwei Starts im Jahre ihrem einzigen Einsatz in diesem Jahr nur einen 2003 führte Indien im vergangenen Jahr nur einen Teilerfolg zu verzeichnen, als ein Erdaufklärungssa- Start durch. Der erste israelische Satellitenstart seit tellit wegen einer zu kurzen Brennzeit der dritten 2002 endete im einzigen kompletten Fehlschlag des Stufe in einem zu niedrigen Orbit strandete. Der Jahres, als am 6. September die dritte Stufe einer Satellit konnte die zu niedrige Bahn allerdings selbst Shavit-Trägerrakete nicht zündete, und der Träger korrigieren. Komplett erfolgreich war dagegen der mit dem Satelliten an Bord vor der algerischen Kü- Jungfernflug der Sojus 2 1A. Die USA starteten ste ins Mittelmeer stürzte. acht verschiedene Trägertypen im Jahre 2004: At- las 5, 3A und 2AS, Delta 2, Titan 4B, Delta 4H, Taurus und 3SL (der eigentlich ein ukrainischer Booster

ist, aber durch das von Boeing domi- Schiessldesign nierten amerikanischen Sea-Launch Konsortium technisch betreut und vertrieben wird). Die US-Aktivitäten waren deutlich schwächer als im Vor- jahr. 2003 hatten noch 26 Weltraum- starts stattgefunden, in diesem Jahr waren es nur noch 19. Im Dezem- ber erfolgte der nur teilweise erfolg-

Datum Start- Träger Nutzlast Masse Mission Auftrag- Kunde platz in kg nehmer

Bemannte Missionen und unbemannte Unterstützungsflüge 29.01.2004 Baikonur Sojus U Progress 7 250 Cargo, ISS RKK Energiya Rosavia- M1-11 Servicing kosmos 19.04.2004 Baikonur Sojuz FG Sojus TMA-4 7 250 Bemannt, ISS RKK Energiya FKA, NASA 25.05.2004 Baikonur Sojus U Progress M49 7 283 Cargo, ISS RKK Energiya Rosavia- Servicing kosmos 11.08.2004 Baikonur Sojus U Progress M50 7 250 Cargo, ISS RKK Energiya Rosavia- Servicing kosmos 14.10.2004 Baikonur Sojuz FG Sojus TMA-5 7 250 Bemannt, ISS RKK Energiya FKA, NASA 23.12.2004 Baikonur Sojus U Progress M51 7 250 Cargo, ISS RKK Energiya Rosavia- Servicing kosmos

74 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

Datum Start- Träger Nutzlast Masse Mission Auftrag- Kunde platz in kg nehmer

Militärische Missionen 14.02.2004 Cap Titan 402B/ DSP-22 2 380 Frühwarnsatellit Northrop NSA Canaveral IUS Grumman 18.02.2004 Plesetsk Molnija Molnija-1T 1 900 Military NPO Lavochkin VKS M/2BL Communications 20.03.2004 Cap Delta 2- Navstar (GPS 2 032 Global Positioning Lockheed U.S. Air Force Canaveral 7925-9.5 2R-11) Martin 27.03.2004 Baikonur Proton Kosmos 2406 2 400 Military NPO VKS K/DM-2 Communications Prikladnoy Mekhaniki 28.05.2004 Baikonur Zsyklon 2 Kosmos 2407 3 150 Signal Intelligence KB Arsenal Russian Navy 10.06.2004 Baikonur Zenith 2 Kosmos 2408 3 200 Frühwarnsatellit NPO Yuzhnoye VKS 23.06.2004 Cap Delta 2- Navstar (GPS 2 032 Global Positioning LM Missiles & U.S. Air Force Canaveral 7925-9.5 2R-12) Space 22.07.2004 Plesetsk Kosmos 3M Kosmos 2409 820 Military Navigation NPO VKS Prikladnoy Mekhaniki 31.08.2004 Cap Atlas 2AS Nemesis 2 500 Military Lockheed NRO Canaveral (NRO L-1) Martin 06.09.2004 Palmahim Shavit 1 Ofek 6 200 Military Israel Aircraft Tsahal Observation Industries 23.09.2004 Plesetsk Kosmos 3M Kosmos 2410 450 Military NPO VKS + Kosmos Communications Prikladnoy 2411 Mekhaniki 24.09.2004 Plesetsk Sojus U Kosmos 2412 6 700 Military TsSKB-Progress VKS Observation 06.11.2004 Cap Delta 2- Navstar 61 2 032 Global Positioning Lockheed U.S. Air Force Canaveral 7925-9.5 (GPS 2R-13) Martin 17.12.2004 Kourou Ariane 5G+ Helios 2A 4 200 Military Remote EADS Astrium DGA Sensing Essaim 1 + 480 Frühwarnsatellit EADS Astrium DGA Essaim 2 + Essaim 3 + Essaime 4 Parasol 125 Aeronomie CNES CNES 20 Technologie INTA INTA 25.12.2004 Baikonur Proton Kosmos 2411 4 310 Positioning NPO KNITs K/DM-2 + Kosmos Prikladnoy 2412 + Mekhaniki Kosmos 2413

Wissenschaftliche Missionen 02.03.2004 Kourou Ariane 5G+ Rosetta + 3 165 Kometen-Orbiter Astrium ESA Philae 18.04.2004 Xichang Long March Experiment 229 Scientific Harbin Institute Harbin Institute 2C Satellite I + experiments of Technology of Technology Nano-satellite I + Qinghua + Qinghua University University 20.04.2004 Vanden- Delta 2- Gravity Probe 3 314 Fundamental- Lockheed NASA berg 7920 B physik Martin

2004 spacexpress raumfahrtchronik 75 Das Raumfahrtjahr 2004

Datum Start- Träger Nutzlast Masse Mission Auftrag- Kunde platz in kg nehmer

15.07.2004 Vanden- Delta 2- Aura 2 967 Aeronomie Northrop NASA berg 7920 Grumman 25.07.2004 Taiyuan Long March Tan Ce 2 660 Plasma Science Aerospace China 2C Dongfanghong Aerospace Satellite Ltd. Corp. 02.08.2004 Cap Delta 2H- Messenger 1 066 Merkur-Orbiter John Hopkins NASA Canaveral 7925 University Applied Physics Laboratory 08.09.2004 Taiyuan Long March SJ-6A + SJ-6B 1 230 Science? Shangai & China 4B Plasma Science? Chinese Aerospace Academy Corp. of Space Technology 20.11.2004 Cap Delta 2- Swift 1 331 Astrophysics Spectrum Astro NASA Canaveral 7420 28.12.2004 Plesetsk Zyklon 3 Sich 1M + MS- 2 328 Oceanography / NPO Yuzhnoye NKAU 1TK Technology 20.05.2004 Vanden- Taurus XL RoCSat 2 760 Earth Observation EADS Astrium NSPO berg 3210 29.06.2004 Baikonur Dnepr 1 Demeter 125 Seismologie CNES CNES SaudiSat 2 + 59 Science + Riyadh Space Riyadh Space SaudiComsat 1 Communications Research Research + SaudiComsat Institute Institute 2 UniSat 3 + 24 Science + „La Sapienza“ „La Sapienza“ AmSat OE Amateur Radio University of University of Rome Rome LatinSat C + 24 Messaging Aprize Satellite Aprize Satellite LatinSat D Argentina 29.08.2004 Jiuquan Long March FSW-19 2 000 Remote Sensing Chinese China 2C Academy Aerospace of Space Corp. Technology 27.09.2004 Jiuquan Long March FSW-20 3 000 Remote Sensing ? Chinese China 2D Academy Aerospace of Space Corp. Technology 19.10.2004 Xichang Long March FY 2C 1 380 Meteorologie Shangai Institute China State 3A of Satellite Meteorological Engineering Administration 06.11.2004 Taiyuan Long March Zi Yuan 2-3 1 360 Remote Sensing Chinese China 4B Academy Aerospace of Space Corp. Technology 18.11.2004 Xichang Long March Shiyan Weixing 300 Remote Sensing Chinese Dongfanghong 2C 2 Technology Academy Satellite Co. of Space Technology

76 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Das Raumfahrtjahr 2004

Datum Start- Träger Nutzlast Masse Mission Auftrag- Kunde platz in kg nehmer

Kommerzielle Missionen 11.01.2004 Odyssey Zenith 3SL Estrela do Sul 4 694 Communications Space Systems/ Loral Skynet do Launch 1 (Skynet Brazil Loral Brasil Platform 1, ) 05.02.2004 Cap Atlas 2AS AMC-10 (GE- 2 340 Communications Lockheed SES Americom Canaveral 10) Martin 13.03.2004 Cap Atlas 3A MBSAT 1 4 143 Mobile Space Systems/ Mobile Canaveral Broadcasting Loral Broadcasting Corp. 15.03.2004 Baikonur Proton M Eutelsat W3A 4 250 Communications EADS Astrium Eutelsat 16.04.2004 Cap Atlas 2AS Superbird 6 3 100 Communications Boeing Space Canaveral Communi- cations Corp. 26.04.2004 Baikonur Proton Express AM-11 2 542 Communications NPO PO Kosmiches- K/DM-2M Prikladnoy kaya Sviaz Mekhaniki 04.05.2004 Odyssey Zenit 3SL DirecTV-7S 5 483 Direct Space Systems/ DirecTV Inc. Launch Broadcasting Loral Platform 19.05.2004 Cap Atlas 2AS AMC-11 2 316 Communications Lockheed SES Americom Canaveral Martin 16.06.2004 Baikonur Proton M Intelsat 10-02 5 575 Communications EADS Astrium Intelsat 29.06.2004 Odyssey Zenit 3SL Apstar 5 4 640 Communications Space Systems/ APT Satellite Launch Loral Platform 18.07.2004 Kourou Ariane 5G+ Anik F2 5 950 Communications Boeing Télésat Canada 04.08.2004 Baikonur Proton M 4 545 Communications EADS Astrium 20.09.2004 Srihari- GSLV GSAT 3 1 950 Telecomm. for ISRO ISRO kota Educational Purpose 14.10.2004 Baikonur Proton M AMC-15 4 021 Communications Lockheed SES Americom Martin 29.10.2004 Baikonur Proton Express AM-1 2 542 Communications NPO PO K/DM-2M Prikladnoy Kosmicheskaya Mekhaniki Sviaz 17.12.2004 Cap Atlas 5/521 AMC-16 4 200 Communications Lockheed SES Americom Canaveral Martin

Testflüge 08.11.2004 Plesetsk 2-1A Oblik GVM 6 450 Dummy TsSKB-Progress VKS Observation Satellite 10.12.2004 Cap Delta 4H/ Demosat 5 993 Dummy Payload ? USAF Canaveral 4050H (USA-181) 3CSat 1 + 30 Technology New Mexico New Mexico 3CSat 2 State University State University + University of + University of Colorado Colorado

Ein Beitrag von Eugen Reichl

2004 spacexpress raumfahrtchronik 77

78 spacexpress raumfahrtchronik 2004

II. themen im fokus

2004 spacexpress raumfahrtchronik 79 Mars

und Mars Odyssey 2001 interessante Daten und Bilder zu Erde. Somit waren von Januar bis Dezem- überblick: ber 2004 fünf Marssonden aktiv. Das ist trotz des Ausfalles von 2 Sonden, mit denen es 7 gewesen fünf sonden wären, immer noch Rekord. Noch nie wurde ein Objekt außerhalb der Erde von so vielen Sonden am mars gleichzeitig unter die Lupe genommen. Im Verhältnis zu den Viking-Mars-Missionen oder Im Zielanflug der Galileo-Mission zum Jupiter oder der gegen- Wie bereits in der spacexpress chronik 2003 be- wärtig laufenden Huygens-Cassini-Mission zum richtet, waren im Dezember 2003 fünf Raumson- Saturn, gehören die genannten Marssonden zu den im Endanflug auf den Roten Planeten. Bis 25. Klein- bzw. Billig-Missionen, bei denen die Anzahl Januar 2004 hatten drei davon ihr Ziel erreicht. Die und Größe der Messinstrumente und Kameras sehr japanische Nozomi flog am 14. Dezember am Mars beschränkt sind. Diese sind außerdem in der Regel vorbei und die europäische Landesonde Beagle 2 Weiterentwicklungen aus anderen Raumsonden, zerschellte höchstwahrscheinlich auf der Marsober- um Zeit und Kosten zu sparen. fläche als sie am 31. Dezember 2003 zur Landung

ansetzte. Leider gab es nie ein Funksignal von Beagle 2, so dass wir auf Mutmaßungen angewiesen sind. Dass die beiden misslungenen Forschungssonden NASA zu den billigsten Raumfahrtprojekten aller Zeiten gehörten, ist kein Zufall. Das Geld für die Entwick- lung von Raumfahrzeugen geht fast vollständig an die Entwicklungsingenieure und Wissenschaftler, die den Großteil ihrer Zeit Qualitätssicherungsmaß- nahmen widmen. Kosten können praktisch nur re- duziert werden, wenn diese Maßnahmen reduziert werden. Dadurch wächst aber das Risiko für die entsprechende Mission. Außerdem scheinen 100 kg für eine Raumsonde das untere Limit zu sein. So waren die Chancen des 60 kg leichten Beagle 2, auch nur die Landung heil zu überstehen, bestenfalls 50 %. Die Chancen von Nozomi dafür, die Marsum- laufbahn zu erreichen, dürften kaum größer gewe- sen sein. Leider wurden keine Schwestersonden parallel gestartet, um die Risiken auszugleichen. Im Gegenteil konnten beide Sonden gerade eben noch von Ihren jeweiligen Trägern mitgenommen werden. Details eines Mars Exploration Rovers Die japanische Sonde von ihrer schwachbrüstigen Feststoff-Startrakete, die europäische vom Mars- Die Ergebnisse Satelliten Mars Express, bei dem noch ein paar Dass die Raumfahrtprogramme in den USA we- Kilogramm übrig waren. Kurz: hochgepokert und sentlich besser in der Öffentlichkeit präsentiert verloren. Die Enttäuschung bei den beteiligten Wis- werden als in Europa zeigte sich, als die Raumfahrt- senschaftlern und in der Öffentlichkeit war dennoch ingenieure des JPL schon einen Tag nach der jewei- hoch, weil von den Risken kaum gesprochen wurde, ligen Landung ihrer Rover das erste Panoramabild wohl aber vom hohen Nutzen der wissenschaftli- der Landestellen live und landesweit im Fernsehn chen Geräte an Bord der beiden Sonden. zeigten. Die Experimentatoren aus Europa, die Begeisterungsstürme gab es im Gegensatz dazu bei über verschiedene nationale Institute verstreut sind, den drei anderen Missionen. Der europäische Mars- hielten sich wochenlang sehr bedeckt und die ESA Satellit Mars Express und die beiden Mars-Rover kommt nur über die Experimentatoren an die Bil- Spirit und Opportunity der USA funkten im Jahr der und ausgewerteten Messdaten. So präsentierte 2004 Daten und Bilder zur Erde, die unser Bild vom die ESA vier Wochen nach dem Einschwenken in Mars in ein neues Licht rückten. Zusätzlich sendeten die Umlaufbahn die ersten Bilder von Mars Express die beiden – bereits seit 1998 und 2002 operieren- auf einer Pressekonferenz. Die DLR veröffentlicht den – Marssatelliten Mars Global Surveyor (MGS) seither alle zwei bis drei Wochen neue Bilder und

80 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Mars NASA deckte auch im Gusev-Krater Wasserspuren, wenn auch weniger deutlich als Opportunity auf der Tief- ebene Meridiani Planum am Marsäquator. Die Kamera auf Mars Express ist in der Lage so- wohl in Stereo, wie auch auf vier verschiedenen Wellenlängen Aufnahmen mit 10 Metern Auflösung zu machen. Da diese Wellenlängen nicht auf das menschliche Auge, sondern auf möglichst hohen wissenschaftlichen Output ausgelegt sind, werden die Bilder von Mars Express in der Regel farblich korrigiert. Außerdem können Teleaufnahmen mit bis zu 2 Meter Auflösung gemacht werden, die im Kontext der normal aufgelösten Bilder eingebettet sind. So erhielten wir während des ganzen Jahres 2004 atemberaubende 3D-Aufnahmen. Nach Ende der regulären Missionsdauer von einem Marsjahr Opportunity entdeckte kugelige Hämatitkonkretionen in (687 Tagen) sollen 80 % der gesamten Marsoberflä- kleinräumiger Schrägschichtung che auf diese Weise kartographisch erfasst sein. Die Datenmenge erschlägt allerdings die Wissenschaft- Ergebnisse (http://www.dlr.de/mars-express). Das ler. So wird die Auswertung aller Daten wohl noch JPL tat dies nach der Landung ihrer Rover fast täg- Jahre in Anspruch nehmen. lich (http://marsrovers.jpl.nasa.gov). Eine fantastische Messung lieferte ein anderes Allerdings ist es offensichtlich, dass in den USA Messinstrument auf Mars Express: das Fourier- viel Show gemacht wird, während in Europa mehr Spektrometer maß Methan in der Marsatmosphäre, Wert auf die Qualität der Messergebnisse und de- das sich in diesen Mengen nur wenige Jahrhunderte ren Interpretation gelegt wird. Hinzu kommt, dass halten kann. Es sind nur zwei Ursachen dafür denk- die wichtigsten Messinstrumente der Mars-Rover bar: vulkanische Aktivität oder der Stoffwechsel von aus Deutschland stammen: das Mößbauer- und Lebewesen. Was das Ganze noch interessanter das Alpha/Röntgen-Strahlen-Spektrometer sowie macht, ist die Tatsache, dass Mars Odyssey 2 Jahre wesentliche Teile der Elektronik der Kameras. lang vergeblich nach Hot Spots gesucht hat, die ein Hinweis für vulkanische Restaktivitäten wäre. Während der erste Rover Spirit im Gusev-Krater anfangs wenig Aufregendes entdeckte, gelang mit Wie ein Spezialist für pharmazeutische Reinräume der Landung von Opportunity im wahrsten Sinne mir versicherte: wenn es jemals Leben auf dem Mars des Wortes ein Glückstreffer. Das erste Bild, das er gegeben hat, existiert es noch heute. Die Frage ist zur Erde sendete, zeigte auf der Innenwand eines nur noch, ob das Leben auf dem Mars jemals Fuß Kraters eine Schichtstruktur wie aus dem Bilderbuch. fassen konnte. Weitere unbemannte und bemannte Der Rover fuhr diese Schichtstruktur ab

und untersuchte mit seiner Armwippe ESA einige besonders interessante Stellen. Die Mikroskopkamera zeigte typische Hohlräume im Gestein, die durch He- rauslösung von tafeligen Sulfatkristallen entstanden sein müssen. Noch interes- santer war aber die Entdeckung kleiner Kügelchen, die aus Hämatit bestehen. Diesen sind in geschichtetem Gestein eingelagert. Deshalb haben selbst die größten Zweifler zugegeben, dass flüs- siges Wasser an dieser Stelle mehrere 10.000 Jahre geflossen sein muss, viel- leicht sogar mehrere 100.000 Jahre. Bis- her war es immer umstritten gewesen, ob jemals flüssiges Wasser für mehr als ein paar Minuten oder Stunden über die Reull Vallis in 3D – erstellt mit Daten von Mars Express Marsoberfläche geflossen ist. Spirit ent-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 81 Mars NASA

Weg von Opportunity bis Sol324 (1 Sol = 1 Marstag)

Missionen werden dieser Frage nachgehen.

Auf der Erde lebt eine unglaubliche Anzahl von Ein- NASA zellern in großen Tiefen unter der Erdoberfläche. Es ist sogar eines der wahrscheinlichsten Szenarien für die Entstehung des Lebens, dass dieses sich im Ge- stein gebildet hat. Deshalb könnten auch unter der Marsoberfläche Lebewesen existieren, wo sie vor großen Kälteschwankungen und der gefährlichen Strahlung von der Sonne und aus dem Weltraum geschützt wären. Die beiden Rover haben Ende 2004 bereits das Weg von Spirit von Sol 155 bis Sol 343 Vierfache ihrer nominellen Lebensdauer erreicht und fahren immer noch von Messstelle zu Mess- stelle, um uns mit Daten über das Marsgestein zu Ein Beitrag von Raimund Scheucher. versorgen. Die Technik der Rover hat schon im Der Autor ist Diplom Physiker und als Softwa- August ziemlich unter den harten Umweltbedin- re-Ingenieur im Luftfahrbereich tätig. Er ist seit gungen auf dem Mars gelitten, wo der Winter im 1982 Mitglied der Wissenschaftlichen Arbeitsge- Juli Einzug gehalten hat. Mit Geduld und Finesse ist meinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt es den JPL-Leuten aber gelungen, ihr „Leben“ bis (WARR) und ist Gründungsmitglied der Mars zum Jahresende 2004 zu verlängern. Sie sollen auch Society Deutschland e.V. Er hat seit 1999 zahlrei- 2005 noch einige hundert Meter weit fahren und che Artikel und Vorträge über die unbemannte zahlreiche Messungen durchführen. und bemannte Erforschung des Mars verfasst.

Die Mars Society – Gemeinschaft von Mars-Enthusiasten Die Mars Society ist eine internationale Vereini- gung Menschen aller Couleur und Ausbildung, die sich für den Planeten Mars interessieren. Die Vereinigung wurde am 15. August 1998 in Boulder, Colorado (USA) von Marsforschern und -Enthusiasten aus allen Herren Länder gegrün- det. Die Mars Society Deutschland e.V. verfolgt neben ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Kontakten zu Politikern technische Mars-Projekte, wie die Mars-Ballon-Mission ARCHIMEDES und die Mars-Simulations-Station EuroMars. Weitere Infos unter www.MarsSociety.de

82 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Mars mars express – pionier der europäischen planetenforschung

die Erforschung der Planeten, Monde, Asteroiden ESA und Kometen aber bisher mit Ausnahme der Missi- on Giotto zum Kometen Halley vernachlässigt hat- ten. Für sie war Mars Express doppelte Premiere: die erste ESA-Mission zu einem anderen Planeten, und zugleich die erste so genannte Flexi-Mission. Mit diesem Begriff werden Missionen bezeichnet, die in sehr kurzer Zeit und mit geringen Kosten re- alisiert werden. Die Zeit vom ersten Konzept bis zum Start betrug nur 5 Jahre, eine Rekordzeit in der Planetenforschung. Die Wurzeln für Mars Express reichten jedoch weiter zurück, nämlich zur zunächst sowjetischen, danach russischen Sonde Mars96. Auf dieser komplexen Mission befanden sich mehrere (west-)europäische Instrumente. Nach dem Schei- tern von Mars96 (die Sonde konnte wegen eines Fehlers der Startrakete nicht aus der Erdumlauf- bahn in Richtung Mars gebracht werden und stürzte kurz danach zur Erde zurück) existierten jeweils Mars Express im Marsorbit mit ausgefahrener noch die Duplikate dieser Instrumente, weswegen MARSIS-Antenne, künstlerische Darstellung sich die ESA zu einer relativ kleinen und kosten- günstigen Mission entschloss, um ihren Einsatz doch Am 2. Juni 2003 startete in Baikonour (Kasachstan) noch zu ermöglichen. Mars Express sollte damit die eine Soyuz-Rakete mit einer Fregat-Oberstufe. Ihre globalen Aspekte der Mars96-Mission abdecken. Nutzlast bestand aus der 1223 kg schweren Son- Zusätzlich wurden auf Anraten der International de Mars Express. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Mars Exploration Working Group (IMEWG) zwei Obwohl alle 26 Monate die Gelegenheit besteht, weitere wichtige Forschungsthemen hinzugefügt: Sonden zu unserem Nachbarplaneten zu senden, Wasser und Leben. Die beratenden Gremien der bestehen jeweils Unterschiede in der exakten Kon- ESA gaben dazu ihr ausdrückliches Einverständnis stellation der Planeten. Im Sommer 2003 war die und erklärten Mars Express zu einem Teil des Wis- Entfernung zwischen Erde und Mars ungewöhnlich senschaftsprogramms der Agentur. gering, weswegen der Mars mit bloßem Auge be- Die Sonde erreichte nach knapp 7 Monaten den sonders gut sichtbar war. Es bestand die Gelegen- Mars und schwenkte am 25. Dezember 2003 in ei- heit, Sonden mit relativ schwerer Nutzlast (bei glei- ne Umlaufbahn um den Planeten ein. Zuvor war chen Kosten) zum Mars zu senden, und sowohl die der Lander Beagle-2 abgetrennt worden, der re- ESA als auch die NASA nutzten diese Gelegenheit. lativ spät zu der ursprünglichen Nutzlast hinzuge- Die Amerikaner setzten auf ein ambitioniertes Pro- fügt worden war. Sein wissenschaftliches Hauptziel jekt mit gleich 2 Marsfahrzeugen, die - gemäß dem bestand in der Suche nach Leben. Dazu sollte mit Motto der US-Marsforschung „Follow the water“ einer Reihe von hoch entwickelten Instrumenten - vor allem nach Spuren von Wasser suchen sollen. nach Stoffwechselprodukten vergangenen oder ge- Es war allerdings, auch wenn der Begriff in der Welt- genwärtigen Lebens gesucht werden. Leider emp- raumforschung eigentlich keinen Platz hat, fast schon fing die Bodenstation der ESA in Darmstadt nicht „Routine“, denn die NASA hatte vorher, beginnend das erwartete Signal nach dem vorherberechneten in den 1960er Jahren, schon mehrere erfolgreiche Zeitpunkt der Landung. Da kein Funkkontakt wäh- Orbiter und Lander zum Mars geschickt. Anders die rend der Abstiegs- und Landephase vorgesehen Europäer, die vorher zwar eine Reihe sehr erfolg- war, blieb bis heute offen, was zum Scheitern von reicher Astronomie-Missionen durchgeführt hatten,

2004 spacexpress raumfahrtchronik 83 Mars

ESA tet, dass die ESA in Kürze ihr Einverständnis zu einer Verlängerung um ein weiteres Marsjahr geben wird. Dies würde zu einer erheblich größeren Daten- menge und einer verbesserten globale Abdeckung durch die Instrumente führen. Zudem könnte Mars Express dann für einen gewissen Zeitraum parallel zur NASA-Mission Mars Reconnaissance Orbiter (Start: 2005) operieren, was wegen der unmittelbar vergleichbaren Daten der verschiedenen Instru- mente von hohem wissenschaftlichen Interesse wäre.

Die fehlgeschlagene Teilmission Beagle II in künst. Darstellung DLR/Astrium Beagle-2 führte. Ein Report der ESA stellt fest, dass die Unternehmung von Anfang an unter Zeit- und Geldmangel litt. Insbesondere die Entwicklung des Systems mit den Airbags, das die kritische Landung hätte bewerkstelligen sollen, sei riskant gewesen. Auch beim britischen Management der Sonde seien Die hochauflösende Stereokamera HRSC. Mängel offensichtlich gewesen (Nature 429, 330, 2004). Es ist zu bedauern, dass die exzellenten In- HRSC (High Resolution Stereo Camera) strumente, darunter ein beim Deutschen Zentrum ist eine hoch auflösende Stereokamera, eines der für Luft- und Raumfahrt entwickelter Mechanismus wichtigsten Instrumente auf Mars Express. Das am zur Probennahme im Marsuntergrund, wegen mög- Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ent- licherweise dieser Probleme nicht zum Einsatz kom- wickelte Instrument stellt ein in dieser Form bislang men konnten. einmaliges Experiment dar: Zum ersten Mal auf Abgesehen von der fehlgeschlagenen Landung von einer Weltraummission bildet eine Spezialkamera Beagle-2 glückten jedoch alle Manöver bei der An- eine Planetenoberfläche systematisch in drei Di- kunft am Mars. Die Sonde wurde nach und nach mensionen und in Farbe ab. Die Ergebnisse ermög- in einen elliptischen (250 × 10.142 km) Orbit mit lichen die Beantwortung fundamentaler Fragen zur einer quasi polaren Inklination (86.35°) und einer geologischen und klimatischen Geschichte unseres Periode von 6.75 h gebracht, der für die wissen- Nachbarplaneten. Die räumliche Auflösung der Ste- schaftlichen Untersuchungen sowie für die geplante reobilder übertrifft bisherige topographische Daten Kommunikation mit Beagle-2 und den beiden ame- bei weitem und erlaubt es den Geowissenschaft- rikanischen Rovern optimiert worden war. Obwohl lern, Details mit einer vertikalen Genauigkeit von beispielsweise die Kamera der Sonde bereits am zehn bis 40 Metern zu analysieren. Als besondere 19. Januar 2004 die ersten, spektakulären Bilder Spitzenleistung enthält die Kamera ein zusätzliches, der Marsoberfläche machte, nahmen die optischen extrem hoch auflösendes Teleobjektiv. Mit diesem Instrumente des Orbiters erst im Juni 2004 ihren Super Resolution Channel (SRC) wird die Abbil- Routinebetrieb auf. Diesen Umstand verdankte sie dung von zwei bis drei Meter großen Objekten einer Reihe von Uberprüfungen der verschiedenen möglich sein, die in den Kontext der farbigen Ste- Funktionen von Sonde und Instrumenten (com- reodaten der HRSC eingebettet sind. Damit lassen missioning phase), die in den ersten Monaten in sich beispielsweise Felsbrocken in der Größe einer der Umlaufbahn durchgeführt wurden. Die Daten Garage oder Schichten in Sedimentgesteinen iden- von Mars Express werden von Bodenstationen tifizieren. Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen der ESA in New Norcia (Australien) und Madrid Auswertung liegt in der geomorphologischen Ana- empfangen. Die NASA unterstützt die ESA, indem lyse des Oberflächenreliefs. Die ersten Ergebnisse sie die Kapazitäten des Deep Space Networks zeigen, dass der Vulkanismus auf dem Mars sehr (DSN) mit seinen großen 70 m-Antennen teilweise langlebig gewesen sein muss und bis in die jüngste für den Signalempfang zur Verfügung stellt, was zu Vergangenheit andauerte. Ebenfalls sehr jung sind einer erheblichen Vergrößerung des übertragbaren Oberflächenformen, die von Gletschern gebildet Datenvolumens führt. Die vorgesehen nominale worden sein könnten und Zeugnis über die be- Dauer der Mission liegt bei einem Marsjahr (687 wegte klimatische Geschichte des Roten Planeten Tage oder etwa zwei Erdjahre), aber es wird erwar- ablegen (Neukum et al., Nature, im Druck).

84 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Mars ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum) ESA/DLR/FU Berlin (G.

Diese 3D-Ansicht der Marsschlucht Ophir Chasma wurde aus Stereodaten der HRSC-Kamera berechnet

Omega (Observatoire pour la der Daten von HRSC, deren Schwerpunkt auf ho- Minéralogie, l´Eau, les Glaces et l´Activité) her dreidimensionaler räumlicher Auflösung liegt, ist ein abbildendes Spektrometer im sichtbaren und mit den farblich hoch aufgelösten Bildern von Ome- nahen Infrarotbereich. Das Instrument erzeugt nicht ga ist besonders vielversprechend, weswegen eini- nur Punktspektren, sondern flächenhafte Bilder ge Wissenschaftler an beiden Instrumenten beteiligt („abbildend“). Die Analyse der Spektren zwischen sind. Ein früher Höhepunkt der Untersuchungen 0.38 und 5.1 µm erlaubt die Kartierung der mo- von Omega war der erstmalige direkte Nachweis lekularen und mineralogischen Zusammensetzung von Wassermolekülen auf der Marsoberfläche im der Oberfläche und der Atmosphäre. Der Mars soll Bereich des Südpols (Bibring et al., Nature 428, dabei global mit einer Auflösung von 2-5 km pro 627-630, 2004). Vorher war lediglich auf Grundlage Bildpunkt erfasst werden. Lokal können sogar we- indirekter Hinweise vermutet worden, dass unter sentlich höhere Auflösungen von wenigen Hundert der jahreszeitlich veränderlichen CO2-Eiskappe Metern erreicht werden. Die kombinierte Analyse Wassereis zu finden ist.

ASPERA (Analyser of Space Plasmas and Energetic Ions for Mars Express) soll die Wechselwirkung zwischen der Atmosphä- re und dem interplanetaren Medium (wie etwa dem Sonnenwind) untersuchen. Es besteht aus 4 Detektoren: Zwei messen den Fluss energetischer (energiereicher) neutraler Atome (ENA), und zwei

ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum) ESA/DLR/FU Berlin (G. Spektrometer messen jeweils Ionen und Elektro- nen. Da der Mars kein globales Dipol-Magnetfeld besitzt, sondern lediglich lokale Magnetisierungen der Kruste, trifft der Sonnenwind im wesentlichen ungehindert auf die Ionosphäre, die Exosphäre und Abbildung 3: Marsmond Phobos, die obere Atmosphäre. ASPERA konnte nachwei- beobachtet von der HRSC-Kamera. sen, dass Sonnenwind-Ionen tief in die Ionosphäre

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von Mars vordringen und dort zum Verlust plane- Temperaturverteilung in der unteren Atmosphäre tarer Sauerstoff-Ionen ins Weltall führen (Lundin et (von der Oberfläche bis in etwa 40-60 km)- vor al., Science 305, 1933-1936, 2004). Dieser Prozess gesehen. Zudem werden zeitliche Veränderungen könnte dazu beigetragen haben, die vermutlich einst in der Häufigkeit kleinerer Bestandteile der Atmo- dichtere Atmosphäre des Roten Planeten beträcht- sphäre wie etwa Wasser und Kohlenmonoxid ge- lich zu erodieren. messen und die Größe sowie die chemische Zu- sammensetzung von Aerosolen untersucht. Großes Aufsehen erregte im März 2004 die Mitteilung, PFS SPICAM (SPectroscopy for the habe wiederholt Spuren von Methan in der Atmo- Investigation of the Characteristics sphäre über bestimmten Regionen der Marsober- of the Atmosphere of Mars) fläche nachgewiesen (Formisano, Science, veröf- ist ein weiteres Instrument, das sich bereits an Bord fentlicht online am 28. Oktober 2004; doi: 10.1126/ von Mars96 befand. Es besteht aus zwei Spektro- science.1101732).. Da Methan auf der Erde nur als metern, jeweils einer im ultravioletten und im in- Folge von Lebewesen und Vulkanausbrüchen ent- fraroten Wellenlängenbereich. Ziel ist die Untersu- steht und zudem in der derzeitigen Marsatmosphä- chung der Atmosphäre, insbesondere die Verteilung re schnell zerfällt, ist diese Entdeckung in jedem Fall von Ozon, die vertikale Struktur von Druck und extrem interessant: Bestätigen sich die Ergebnisse Temperatur sowie die Ionosphäre. Der bevorzugte (die übrigens unabhängig von PFS auch mit Tele- Aufnahmemodus von SPICAM ist die so genann- skopen von der Erde aus erzielt wurden) endgültig, te Stern- oder Sonnenokkultation. Dabei wird ein würden sie auf Leben auf dem Mars oder auf sehr Stern (stellar occultation) oder die Sonne (solar jungen Vulkanismus hinweisen. occultation) beobachtet, während sie vom Instru- ment aus gesehen allmählich vom Mars verdeckt werden (Okkultation). Zunächst wird der Refe- renzkörper (Stern oder Sonne) direkt gemessen, dann beschreibt seine scheinbare Bahn einen „Ab- stieg“ durch die Marsatmosphäre, er wird also durch sie hindurch beobachtet, bis er zuletzt hinter dem Planeten verschwindet. Die Veränderung des Sternspektrums während des Durchgangs durch die Marsatmosphäre erlaubt Aussagen über ihre Zusammensetzung und ih- re vertikale Struktur. Erstmals wurden Okkultationsmessungen im 18. Jahr- hundert durchgeführt. Man stellte fest, dass die Helligkeit des Sterns Spica bei einer Mondokkultation abrupt abnahm. Daraus schloss man korrekt, der Mond kön- ne keine Atmosphäre haben, da andernfalls die Lichtbrechung in der Atmosphäre zu einer konti- ESA nuierlichen Abnahme der Helligkeit führen müsste. Der Name SPICAM ist ein Tribut an diese frühen Anwendungen der Okkultationsmethode. MARSIS wird nach PFS (Planetary Fourier Spectrometer) Wasser und Eis unter der Marsoberfläche suchen. ist ein Spektrometer, das im infraroten Wellenlän- genbereich arbeitet und für atmosphärische Unter- suchungen ausgelegt ist. Das Ziel ist ein besseres MARSIS (Mars Advanced Radar for Verständnis der Entwicklung des Klimas und der At- Subsurface and Ionosphere Sounding) mosphäre, insbesondere unter Berücksichtigung der ist ein Novum in der Marsforschung: Erstmals soll Rolle von Wasser. Dazu sind kontinuierliche, über ein Radargerät die obere Marskruste nach Wasser einen längeren Zeitraum reichende globale Beo- und Eis durchsuchen. Radarstrahlen werden von bachtungen (Monitoring) der dreidimensionalen Grenzflächen reflektiert. Eine derartige Grenz-

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fläche ist beispielsweise die Oberfläche. Interes- ESA santer sind in diesem Fall allerdings Grenzflächen im Untergrund. Die sehr langwelligen Signale von MARSIS können bis zu einige Kilometer tief in den Untergrund eindringen und dort reflektiert wer- den. Eine mögliche unterirdische Grenzschicht stellt beispielsweise der Grundwasserspiegel dar. Ob und in welcher Tiefe Grundwasser oder Eis vorkommt, ist seit langer Zeit eine intensiv diskutierte Frage in der Gemeinde der Marsforscher. Als einziges Expe- riment an Bord von Mars Express wurde MARSIS Schemazeichnung des MaRS-Experiments allerdings noch nicht in Betrieb genommen. Grund sind die insgesamt 40 m langen Antennen des Ra- nun der Doppler-Effekt, der dadurch entsteht, mit dars: Kurz vor der geplanten Ausbreitung der wäh- hoher Genauigkeit analysiert, lassen sich die Mas- rend der Transferphase zwischen Erde und Mars senanomalien kartieren. Der stark exzentrische Or- selbstverständlich zusammengefalteten Antennen bit von Mars Express ist für die globale Analyse des stellte sich bei neuen Simulationen heraus, dass Schwerefeldes ungeeignet, weswegen MaRS vor die mechanischen Auswirkungen auf die Sonde bei allem lokale Massenanomalien untersucht. der Entfaltung eventuell stärker sein könnten als Die täglich erzeugte Datenmenge liegt bei mehre- ursprünglich angenommen. Die Antennen werden ren Gigabit. Die Daten aller Experimente werden nämlich nicht langsam und kontinuierlich ausge- nach einer gewöhnlich sechsmonatigen Sperrfrist fahren, sondern mittels eines Federmechanismus` der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Dies ge- sprunghaft herausgeschnellt. Als dieser Vorgang we- schieht über das Planetary Science Data Archive gen einer anderen Mission, auf der sich Antennen (PSA), in dem die Daten archiviert werden. Das des selben Herstellers befinden, mit aktualisierten Format der Daten entspricht dem des Planetary Computerprogrammen erneut berechnet wurde, Data System (PDS), über das die NASA die Daten stellte sich eine Diskrepanz zu den früher ermit- ihrer Missionen verfügbar macht. telten Werten heraus. Die Entfaltung der Antennen wurde verschoben und wird nun nicht vor dem Jahr 2005 stattfinden.

MaRS Ein Beitrag von Ernst Hauber. (Mars Express Orbiter Radio Science) Der Autor ist Geologe am DLR-Institut für ist ein Experiment ohne Instrument. Die Daten sind Planetenforschung. Er leitet die Arbeitsgruppe die Radiosignale, die von der Sonde zur Erde gefunkt Geowissenschaften innerhalb des HRSC-Projek- werden. Wenn die Erde von der Sonde aus gesehen tes und ist für die wissenschaftliche Aufnahmepla- beinahe hinter dem Mars steht, laufen die Signale nung verantwortlich. durch die Marsatmosphäre und werden von ihr be- einflusst. Die Analyse dieser Modifikationen erlaubt es, vertikale Profile von Dichte, Druck und Tempe- Deutsches Zentrum ratur innerhalb der Marsatmosphäre abzuleiten. Die für Luft- und Raumfahrt e.V Bestimmung von Dichteprofilen der Elektronen in- Das DLR ist das nationale Zentrum der BRD nerhalb der Ionosphäre ist ebenso möglich wie die für Luft- und Raumfahrt und beschäftigt sich Untersuchung, inwieweit es tageszeitliche und sai- mit umfangreichen Forschungs- und Entwick- sonale Veränderungen bei der Wechselwirkung zwi- lungsprojekten in nationaler und internationaler schen der Ionosphäre und dem Sonnenwind gibt. Ein Kooperation. Über die eigene Forschung hinaus weiteres Ziel des Experimentes ist die Analyse des ist das DLR als Raumfahrtagentur im Auftrag der Schwerefeldes des Roten Planeten. Dessen Masse Bundesregierung für die Umsetzung der deut- ist nicht homogen verteilt, da Schwankungen der schen Raumfahrtaktivitäten zuständig. Das DLR Krusten- bzw. Lithosphärenmächtigkeiten sowie der dient wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und Topographie (Vulkane, tiefe Schluchten) Anomalien gesellschaftlichen Zwecken. Ziel ist es, mit den des Schwerefeldes verursachen. Insofern folgt die Mitteln der Luft- und Raumfahrt unser Leben zu Geschwindigkeit einer Raumsonde auf ihrer Bahn bereichern, zur Sicherung und Gestaltung unserer um den Planeten nicht den idealen Kepler´schen Zukunft beizutragen. Zweikörpergesetzen, wobei die Variationen der Weitere Infos unter www.dlr.de Geschwindigkeit den Anomalien entsprechen. Wird

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wasserstands- meldungen vom mars NASA

Die Beweiskette wird immer länger. Tag zusammen, und die charakteristische Rissbildung für Tag kommen neue Daten vom Roten entsteht. Der Mars aber ist unbekanntes Terrain, Planeten, die nichts anderes aussagen als: und die Wissenschaftler wollen sich nicht zu vor- Hier gab es einst Wasser in Hülle und Fül- schnellen Vermutungen hinreißen lassen. Denkbar, le. Mehr noch: erhebliche Mengen dieses wenngleich wenig wahrscheinlich, wäre es immerhin Wassers scheinen nach wie vor da zu sein, auch, dass die Strukturen durch einen Meteoriten- zum Teil nur wenige Zentimeter unter der einschlag in der Nähe verursacht worden sind, der Oberfläche. Die beiden amerikanischen ein seismisches Beben auslöste und die Steine in Mars-Rover Spirit und Opportunity und dieser Form gebrochen hat. Europas Orbitsonde Mars Express senden Hat aber die Rissbildung tatsächlich mit Wasser zu überzeugende Daten zur Erde. tun, und diese Annahme wird bei weitem favorisiert, Eher zufällig stieß NASA‘s Mars Rover Opportu- dann wirft das neue Fragen auf. Warum, beispiels- nity auf einen Stein, der darauf hinweist, dass die weise, sind nur einige wenige Steine so geformt Geschichte des Wassers auf dem Roten Planeten und nicht alle? Welche Fakten stützen die These, komplexer ist als ursprünglich angenommen. Der dass einst im Endurance-Krater Wasser stand? Nun, kleine Robot bewegte sich gerade vom recht tücki- zum einen hat man eine chemische Veränderung schen, sandigen Terrain am Grund des Endurance festgestellt, die mit der Kratertiefe zunimmt. So Kraters weg, als ein Felsbrocken in Sicht kam, den ist zum Beispiel der Chlor-Gehalt von Escher, der die Wissenschaftler Escher nannten. Escher ist von fast ganz unten am Kraterboden liegt, weit höher, Rissen durchzogen und im Boden versenkt wie eine als von Steinen in der Nähe der Kraterkante. Der Steinplatte in einem Gartenweg. Die Wissenschaft- Schwefelgehalt ist dagegen geringer, als von Steinen ler vermuten, dass seine Risslinien entstanden, weil weiter oben. Ganz offensichtlich sind also die un- der Felsen lange Zeit mit Wasser voll gesogen war. ten liegenden Felsen chemisch verändert worden. Wenn sich das bestätigt, wäre es der Hinweis auf mindestens eine weitere „Wasserepisode“ in der Geschichte des Roten Planeten. Sie hätte sich erst NASA ereignet, nachdem der Endurance Krater entstan- den war. Der Rover hatte schon früher Beweise dafür gefunden, dass es bereits vor der Bildung des Endurance Kraters Wasser im Meridiani Pla- num gegeben haben muss. Wasser, das schließlich austrocknete und die flache, eintönige Sandwüste zurückließ, die wir heute dort sehen.

Rätselhafter „Escher“ Eschers Morphologie erinnert stark an Lehm, der in der Sonne getrocknet ist. Auf der Erde wäre die Herkunft einer solchen polygonalen Struktur keine Frage: Es kann sich dabei eigentlich nur um ein „Wasser-Phänomen“ handeln. Wenn auf der Erde ein mit Wasser voll gesogener Stein austrock- Oppotunity: Dieses Bild zeigt „Escher“ net, dann reduziert sich sein Volumen, er zieht sich am südwestlichen Kraterhang von Endurance.

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Spirit: Das beeindruckende „Cahokia“-Panorama, Der dunkle, aufgewühlte Boden rechts ist die Stelle, an der die Ingenieure einige Fahrversuche mit Spirit machten, um das Friktionsproblem am rechten Vorderrad zu untersuchen. Es ist benannt nach einer archäologischen Fundstätte in den USA. Das Panorama besteht aus 470 Einzelaufnahmen, die in sechs optischen Fre- quenzbereichen angefertigt wurden. Es dauerte bis zum Sol 237 (dem 2. September) bis es komplett zur Erde übertragen war. In Farbe unter„http://marsrovers.jpl.nasa.gov/gallery/press/spirit/20041007a/05-JB-01-Cahokia_Pan-A249R1.jpg“ (50MB)

Und als logische Erklärung bietet sich ein längerer Aus dieser Klemme kann vielleicht Wopmay hel- Kontakt mit Salzwasser an. Um Escher genauer zu fen, ein Felsen ganz in der Nähe von Escher. Die untersuchen, bohrte Opportunity mit dem „Rock Wissenschaftler sind der Meinung, dass er einige Abrasion Tool“, kurz RAT genannt, ein Loch und Ähnlichkeiten mit Escher hat, und den Vorteil, dass platzierte das Mössbauer-Spektrometer an der er im Gegensatz zu diesem frei in der Landschaft präparierten Stelle. Leider entzieht sich der Stein steht. Wopmay, das nur nebenbei, ist benannt nach Analysen an anderen Stellen, denn er ist, wie gesagt, dem legendären Kanadischen Buschpiloten Wilfrid flach im Boden eingegraben und kann deshalb nicht Reid „Wop“ May. Wopmay also könnte Antworten vollständig untersucht werden. auf die Fragen geben, die Escher unbeantwortet gelassen hat. Und er ist für Opportunity wahrscheinlich die NASA vorletzte Station im Endurance-Krater. Danach ist Auswurfmaterial genau unterhalb des Burns Cliffs an der Reihe, und dann begibt sich der kleine Rover zum Escape Hatch, einer Route, die aus dem Kra- ter hinausführen soll. Der Anstieg zum Kraterwall wird schwierig, es geht mit 25 - 30 Grad nach oben, und das ist am absoluten Steiglimit des Robots. Ge- lingt der Aufstieg, dann ist das nächste Ziel etwa 250 Meter entfernt: Der im Januar bei der Landung abgeworfene Hitzeschild. Danach stehen die Pläne noch nicht genau fest. Sollte der Rover weiter so gut funktionieren wie bisher, dann wird wahrschein- lich eine lange Überlandfahrt eingeplant. Der Krater Victoria, sechsmal größer als „Endurance“ und etwa fünf Kilometer entfernt, wäre ein interessantes Ziel.

Spirit stößt weiter vor Auf der anderen Seite des Mars erforscht Spirit Opportunity: Dies ist wieder eines der relative derzeit den Hügel West Spur in den Columbia Hills, wenigen „Echtfarben-Bilder“. Es zeigt Wopmay. etwa dreieinhalb Kilometer von seiner Landestelle Die ungewöhnliche, klumpige Form des Steines ist im Gusev-Krater entfernt. Dort hat Spirit deutliche hier gut erkennbar. Gut zu erkennen, die düstere Hinweise gefunden, dass in den Bergen einstmals Szene. Über allem dräut das „Burns Cliff“, die Wasser vorhanden gewesen sein muss. Ein völliges steilste Formation im Endurance Krater. Rätsel ist es allerdings, warum man Indizien dafür

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nicht auch in der Ebene entdeckt hat. Ein Um- Der Wasser-Beweis stand, der dem gesunden Menschenverstand doch Wissenschaftler der Universitäten von Kalifornien etwas zuwider läuft. Die „Wasserindizien“ in den und Indiana sind in ihren Labors der Frage nach- Columbia-Hills sind so zahlreich, dass es den Wis- gegangen, ob die Existenz von Salzen tatsächlich als senschaftlern bislang nicht einmal gelungen ist, einen Beweis für Wasser auf dem Mars gewertet werden „trockenen“ Vergleichsstein zu finden. Ausnahmslos kann. In verschiedenen Versuchsanordnungen alle sind mit Salzablagerungen „kontaminiert“. „Seit wurden dabei Magnesiumsalze, wie sie die beiden die Grenzlinie von der Ebene zu den Hügeln über- Rover auf der Oberfläche des Roten Planeten in schritten wurde, haben wir nicht einen einzigen un- großer Menge festgestellt haben, verschiedenen veränderten Stein mehr gefunden“, sagte Dr. Steve Temperatur-, Druck- und Feuchtigkeitsverhältnissen Squyres von der Cornell Universität in Ithaka, New ausgesetzt, um ihren Sättigungsgrad mit Hydraten York, der Chefwissenschaftler des Mars Exploration unter Marsbedingungen zu simulieren. Rover Programms. „Wir haben einen interessanten Die Wissenschaftler entdeckten, dass die Beschaf- Job vor uns, jetzt herauszufinden, was dieses son- fenheit der Kristallstruktur und der Wassergehalt derbare Ergebnis erzeugt hat“. Weitere Hinweise der Salze von der Dauer des Aussetzens von zur Entschlüsselung dieses Rätsels und zur Formu- Wasser abhängt, und sie entdeckten auch, dass lierung einer plausiblen geologischen Historie der Magnesiumsalze genügend Wasser zurückhalten Gusev-Ebene und der Columbia-Hills könnten in können, um die Beobachtungen von Mars Odyssey den geschichteten Gesteinsformationen liegen, die und Mars Express, die hohe Konzentrationen von Spirit mit seinen Kameras weiter bergauf gesich- oberflächennahem Wasserstoff beobachtet haben, tet hat. Das nächste Ziel liegt somit noch höher zu untermauern,. Die Bandbreite der Untersu- in den Columbia Hills, und als „Fernziel“, wenn es chungskriterien war dabei sehr weit. Sie reichte von der Rover noch schaffen kann, wird der Gipfel des Temperaturen von unter -170 Grad Celsius und at- Husband Hill angepeilt, der höchsten Erhebung in- mosphärischen Drücken, die bei nur einem Zehntel nerhalb des Gusev Kraters. In den letzten Wochen des heutigen Luftdrucks auf dem Mars liegen, bis hat Spirit von der Anhöhe des West Spur Hügels hinauf zu Temperaturen von 25 Grad Celsius und aus ein neues Großpanorama angefertigt, eine gran- 1000 Millibar, also den durchschnittlichen Bedingun- diose Landschaftsaufnahme mit klarer Sicht bis hin gen auf der Erde. zum 80 Kilometer entfernen Wall des Gusev Kra- ters. Dieses Landschaftsbild hat den Namen Caho- Die Experimente belegen, dass Studien marsiani- kia bekommen. scher Salze wesentliche Informationen über die hydrogeologische Geschichte des Roten Planeten In der Zwischenzeit versuchen die Rover-Ingeni- liefern können. Die Resultate zeigten aber auch, eure die genaue Natur einiger Fehlfunktionen zu dass wegen der Leichtigkeit, mit welcher sowohl verstehen, von denen Spirit immer häufiger heim- Wasserentzug als auch Wasseraufnahme in Magne- gesucht wird. Manche der Probleme, wie kürzlich siumsulfatsalzen stattfindet, die Mineralogie der Stei- ein Steuerungsdefekt, verschwinden auch wieder ne wesentlich besser „in situ“, also „vor Ort“ unter- ganz plötzlich, nur um eine Weile später erneut sucht werden sollte, als wenn man erst Proben aus aufzutauchen. Bislang konnte aber immer um das dem Marsboden entnimmt und sie dann zur Erde Problem „herum gearbeitet werden“, wie es der transportiert und sie auf dieser Reise erheblichen Rover Ingenieur Jim Erickson beschrieb. Gerade als Belastungen aussetzt. „Schon alleine der Transport“, diese Zeilen entstehen, fährt Spirit im so genannten so die etwas umständliche Aussage im Bericht, „Tank Mode“, also im „Panzer-Modus“, denn an „wird mit einiger Sicherheit die Proben so verän- zwei Rädern ist die Einzelansteuerung ausgefallen. dern, dass keine zuverlässigen wissenschaftlichen Bis das Problem erkannt und behoben ist, bewegt Aussagen über die hydrogeologischen Veränderun- sich der Rover mit sechs quasi zusammengekoppel- gen auf dem Mars mehr getroffen werden können. ten Rädern und ändert die Richtung durch gegen- Diese für Veränderungen ihrer Umweltbedingungen läufige Radbewegungen auf den beiden Seiten. Das sehr empfindlich reagierenden Proben werden auf funktioniert, macht es aber etwas schwieriger, kleine der Erde in einem modifizierten Status ankommen, Zielpunkte exakt anzusteuern. Im Kontrollzentrum wenn nicht außerordentliche Anstrengungen unter- in Pasadena regt sich aber niemand über solche nommen werden, um die Umweltbedingungen des kleinen Gebrechen auf: „Wir werden jetzt mehr Mars während der gesamten Rückführung zur Erde und mehr solcher Problemchen kommen sehen“ im Probenbehälter aufrecht zu erhalten“. meinte Erickson. „Die Garantie für die Rover ist längst abgelaufen, und wir können uns auf keinen Einfacher ausgedrückt: Am vernünftigsten ist es, die Fall beklagen. Die Mission hat bisher alle unsere Proben direkt vor Ort zu untersuchen. Auf dem Erwartungen bei weitem übertroffen“. Mars selbst. Und am besten von Menschen.

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Auch Mars Express schicht-Konzept: Geothermische Wärme von unten findet Hinweise auf Wasser bewirkt, dass Wasser und im Wasser gebundenes Auch Europas Orbitsonde „Mars Express“ liefert Material sich nach oben bewegen. Wegen der sehr einen stetigen Strom von Daten zur Erde. Erst niedrigen Temperaturen an der Oberfläche ge- kürzlich stellte das Raumfahrzeug fest, dass sich friert diese Mischung aber, bevor sie ans Tageslicht Konzentrationen von Wasserdampf und Methan kommt. Es bildet sich eine Eisschicht knapp unter bemerkenswert überlappen. Diese Resultate liefer- der Oberfläche. Spuren davon diffundieren aber in te der Planetary Fourier Spectrometer(PFS) eines die Atmosphäre und können von den Raumsonden der Mars Express Bordinstrumente. angemessen werden. PFS beobachtete, dass in einer Höhe von etwa 10- Die Frage, die das impliziert, lautet also: Könnte 15 Kilometern über der Oberfläche Wasserdampf irgendeine Form bakteriellen Lebens im Wasser gleichmäßig und gut vermischt in der Atmosphäre unter der Eisplatte existieren? Könnte dieses bakte- vorkommt. Nahe an der Oberfläche aber ist der rielle Leben Methan und andere Gase produzieren, Wasserdampf in drei breiten äquatorialen Zo- die dann an die Oberfläche und in die Atmosphäre nen wesentlicher höher konzentriert. Diese drei getragen werden? PFS hat noch Spuren weiterer Regionen sind Arabia Terra, Elysium Planum und Gase in der marsianischen Atmosphäre entdeckt. Arcadia-Memnonia. In diesen Gebieten ist die Ein Bericht über die neuen Erkenntnisse ist mo- Konzentration zwei bis dreimal höher als in ande- mentan in der Prüfung. Aber erst zukünftige Lande- ren beobachteten Regionen. Diese Gegend mit missionen können diese Fragen wohl definitiv klä- Wasserdampfkonzentrationen korrespondiert mit ren. Eine noch genauere Analyse des Marsbodens genau den Orten, in denen die NASA Raumsonde auf Spuren von Wasser wäre mit der speziell dafür Mars Odyssey Wassereis nur wenige Zentimeter konstruierten MARSIS-Antenne möglich. Aber die unter der Oberfläche festgestellt hat Entfaltung dieser Antenne wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Mars Advanced Radar for Subsurface and Ionosphere Sounding, kurz MARSIS, NASA wird ab 2005 mittels niederfrequenter Radiowellen nach Anzeichen von Wasser im Boden suchen, sei es gefroren oder flüssig. Mehr dazu auf Seite 81.

Die Roadshow geht weiter Auf der Oberfläche des Roten Planeten geht die Roadshow weiter. Es gibt keine Möglichkeit abzu- schätzen, wie lange Spirit und Opportunity noch im Dienst bleiben und arbeiten können. Die Leitung der NASA-Leitung hat inzwischen einer weiteren Missionsverlängerung zugestimmt und dafür Geld- mittel bis zum 31. März zur Verfügung gestellt. Die Energiesituation bei Spirit lag Anfang November Arabia Terra (Aufnahme von Mars Global Surveyor) bei den erwarteten Werten. Die Solargeneratoren ist eine der drei äquatorialen Regionen in denen PFS erzeugten etwa 400 Wattstunden pro Tag. Bei sowohl Wasserdampf als auch Methan-Konzentrati- Opportunity dagegen gab es aus heiterem Him- onen entdeckte. Die beiden anderen Gegenden sind mel eine dramatische Verbesserung. Die tägliche Elysium Planum und Arcadia Memnonia. Energieerzeugung ist von unter 600 Wattstunden auf über 700 Wattstunden gestiegen. Der Grund Die Analysen mit dem PFS bestätigten auch, dass dafür ist unbekannt, es wird aber spekuliert, dass Methan nicht gleichmäßig in der Atmosphäre ver- ein Windstoß den Staub von den Solarzellenflächen teilt ist, sondern wie der Wasserdampf in einigen geweht hat. Die Energiesituation ist jetzt wieder Gebieten besonders hoch konzentriert vorkommt. so gut wie etwa 10 Wochen nach Missionsbeginn. Und die Felder mit der höchsten Methankonzen- Trotzdem müssen wir uns immer vor Augen halten: tration stimmen dabei genau mit den Gegenden Beide Rover sind weit jenseits ihrer Design-Le- überein, in denen sowohl Wasserdampf als auch die bensdauer. Doch solange sie funktionieren geht die Wassereis-Vorkommen festgestellt wurden. Diese Roadshow auf dem Mars weiter. Und das Thema enge räumliche Beziehung deutet auf eine gemein- der Show lautet: Die Suche nach dem Wasser. same Quelle im Untergrund hin. Dazu gibt es auch schon Theorien, wie das derzeit diskutierte Eis- Ein Beitrag von Eugen Reichl

2004 spacexpress raumfahrtchronik 91 Mars sideslip auf dem mars NASA

„Screenshot“ vom Bildschirm der Rover-Fahrer. Mit diesen Hilfsmitteln legen sie die Fahrtstrecke fest, schreiben ihre Programme und senden sie an die Rover auf dem Mars

Was Michael Schuhmacher und Rubens Barichel- dem es mit der direkten Methode nicht geklappt lo recht ist, sollte den Fahrern der amerikanischen hat, fährst Du jetzt den Berg schräg hinauf“. Op- Mars-Rovern Spirit und Opportunity nur billig sein. portunity befolgte den Rat, und diesmal war das Wenn die einen mit ihren Ferraris um die Kurve Manöver erfolgreich. Sicherheitshalber positionierte driften, warum nicht auch die Fahrer der Mars-Ro- er sich gleich neun Meter vom Kraterwall entfernt, ver. Allerdings: Ein paar kleine Unterschiede gibt es bevor er seine Erfolgsmeldung zur Erde sandte. doch. Deutlich zeigte sich das beim ersten Versuch von Opportunity, den Wall des kleinen „Eagle-Kra- ters“, in dem er sich seit der Landung am 28. Januar NASA aufhielt, zu erklimmen, um in der Ebene des Meridi- ani Planum neuen Zielen entgegen zu rollen. Am 56. Sol war der tapfere kleine Rover willens und bereit, den Befehl der Missionskontroller zum Ver- lassen des Kraters auszuführen. Leider aber endete der Versuch kurz unter der Kraterkante. Da kam er nämlich ins Rutschen. Die Räder drehten leer durch, Opportunity driftete seitlich ab und musste sein Unterfangen für diesen Tag einstellen und auf weitere Instruktionen von der Erde warten. Um den Rover zu motivieren sandten die Missions- kontroller am morgen darauf das entsprechende Wecklied zum Mars: ‚Slip Sliding Away‘ von Simon and Garfunkel. Danach gab es Instruktionen zur Problemlösung. Die Anweisung, die er von seinen „Fahrern“ auf der Erde erhielt, war in etwa: „Nach- Erster Versuch, da hinaufzufahren, gescheitert

92 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Mars

Nicht nur Opportunity‘s Räder hatten es schwer, werkstelligen haben die Fahrer des Rovers die Mög- auf der sandigen Oberfläche Tritt zu fassen. Auch lichkeit, vorauszusagen, wann und wo der Rover ins der Bordcomputer hatte ein erhebliches Problem Rutschen kommen kann oder wann der Boden zu damit, zu begreifen, dass er sein Ziel noch keines- weich oder bröselig ist, als dass die Räder die nötige wegs erreicht hatte und ein zweiter Anlauf nötig ist. Traktion entwickeln könnten. Er war felsenfest davon überzeugt, dass er es gleich Rover-Fahrer Eric Baumgartner drückt das so aus: beim ersten Mal geschafft hatte. „Wir haben hier keine „Cruise control“ und wir können auch nicht einfach kräftig aufs Gaspedal drü- Messung der zurückgelegten Strecke cken, um mit einem Extraschwung (wörtlich sagte Wie ein Auto auf der Erde, so hat auch jeder der Baumgartner: „extra-oompf“)den Berg hinauf- und beiden Marsrover einen Distanzmesser an Bord. über die Kraterkante hinwegzurasen. Wenn wir ein Damit wird die zurückgelegte Strecke gemessen bestimmtes Ziel erreichen wollen, das an einem und die gefahrene Gesamtdistanz registriert. Die Hang liegt, müssen wir den Entfernungsmesser des Umdrehung eines Rover-Rades entspricht dabei Rovers überlisten, um auch genau an diesem Ziel ziemlich genau 80 Zentimetern. Wenn sich die anzukommen. Wir müssen abschätzen, was für eine Räder zehnmal gedreht haben, ist der Rover der Bodenbeschaffenheit wir haben, wie groß die Hang- begründeten Meinung, dass er nunmehr acht Meter neigung ist, wie die Traktion der Räder ausfallen zurückgelegt hat. wird. Und wenn wir diese Daten haben, dann müs- sen wir den Rover eben weiter oder kürzer steuern, Als sich Opportunity‘s Räder zehnmal drehten, und als die tatsächliche Distanz zum Ziel ist.“ der Bordcomputer bei jeder Umdrehung 80 Zen- timeter zurückgelegte Wegstrecke abhakte, kalku- Ach ja, und dann gibt es noch einen kleinen Un- lierte der Bordcomputer mithin, dass nunmehr der terschied zu Schuhmacher und Barrichello: Die Kraterwall überwunden sei. Tatsächlich hatte er aber Höchstgeschwindigkeit des Rovers beträgt nicht nur die halbe Distanz geschafft, weil sich die Räder viel mehr als etwa einen Meter pro Minute. Etwa die Hälfte der Zeit leer durchgedreht hatten, und so schnell wie ein irdischer Marienkäfer, wenn er obendrein war durch das Wegrutschen am Hang zu Fuß geht. auch noch die Fahrtrichtung verändert worden. Keine Kristallkugel nötig

NASA Um das „wie weit“ oder „wie kurz“ herauszufinden brauchen die Fahrer der Rover keine Kristallku- gel. Die „Mobility Experts“ wie sie sich selbst nennen, haben sich eine Software entwickelt, mit der sie die entsprechenden Voraussagen tref- fen können. Aber wie genau ist die Voraussage mit dieser Software? Bekanntlich kann bei einem Com- puter-Programm der Output nicht besser sein als der Input. „Rub- bish in, rubbish out“, nennen das die Techniker. Um zu verhindern, dass das Programm nur „rubbish“ ausspuckt, unternahmen die Inge- nieure eine Grunddatensammlung für ihre Software. Das machten sie Der „Mobility-Plot“. Links die Fahrtstrecke in Prozent. vergangenen Herbst, während die Unten der Steigungsgrad. beiden Rover auf dem Weg zum Mars waren. Den Distanzmesser überlisten Um das Ganze so realistisch wie möglich zu ge- Nun, das Entkommen aus dem Krater war eine stalten, benutzten sie ein Modell des Roboters: schwierige Aktion. Die Fahrer des Rover waren Mit denselben Abmessungen, dem selben Gewicht, sich im Klaren darüber, dass derlei passieren konnte. den selben Rädern. Die Ingenieure nannten dieses Meist aber klappt das An- und Abfahren am Berg Testvehikel liebevoll ihren „SSTB-lite“. Das steht für auch auf dem Mars recht gut. Und um das zu be-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 93 Mars

Wie weit rutschen die Rover? NASA Mit den Tests existierte damit ein Satz vertrauens- würdiger Mobilitätsdaten. Die Ergebnisse zeigten den Rover-Fahrern, dass der Roboter bei einer Ab- wärtsfahrt im Winkel von 15 Grad für jeden Meter den er durch seine Radumdrehungen registriert, zusätzliche 25 Zentimeter rutschen wird. Diese Mobilitätskurve verläuft nicht linear. Bei einer Hangneigung von 20 Grad wird der Rover schon 55 Zentimeter für jeden „gerollten“ Meter abrutschen. Bergauf ist das noch wesentlich schlimmer. Bei Die Mobility-Experten im Testbed einer 20 Grad Aufwärtsfahrt wird der Rover pro gerolltem Meter nicht weniger als 90 Zentimeter zurückrutschen, gewinnt also nur ganze 10 Zenti- „Surface System TestBed“, also in etwa „Oberflä- meter Strecke. chen-Systemprüfgerät“. Das „lite“ bedeutet, dass dieses Ding keines der Ausrüstungsgegenstände des „Für den Bodentyp, in dem sich Opportunity be- „richtigen“ Rovers mitführt: Keine Hochleistungsan- wegt, ist die Grenze wo schließlich gar nichts mehr tenne, keine Panorama-Kamera, keinen Kamera- geht bei 25 Grad Steigung erreicht. Ganz gleich, wie masten, keinen Robot-Arm, nichts. Nur Gewichte, oft sich die Räder drehen“, erklärte Baumgartner“ damit die Masseverteilung stimmt. Der Kraterwall, aus dem sich Opportunity befreien Wichtiges Zubehörteil des „TestBed“ ist ein Sand- wollte, hatte nun eine durchschnittliche Steigung kasten. Dieser Sandkasten ist auf eine in drei Achsen von 22 Grad. An einigen Stellen aber auch offen- beweglich Plattform montiert und gefüllt mit einer sichtlich mehr als das. So genau konnte das zuvor 20 Zentimeter-Schicht an trockenem, losen Sand. nicht gemessen werden. Glücklicherweise gab es Dieser Sand hat in etwa die Beschaffenheit, die man aber noch einen weniger steilen Ausgang. Andern- braucht, wenn man auf dem Bau Beton anrührt. falls wäre Opportunity in dem Krater gefangen Schlichter Bausand also. Bei den Tests ermittelten gewesen. die Fahrer mit dieser Ausrüstung die Grunddaten für ihr Programm. Sie zeichneten exakt auf, um Spirit gegen Opportunity wie viel der Rover bei verschiedenen Neigungs- Eric Baumgartner ist nur einer von insgesamt acht winkeln rutschte. Wie er sich beim bergauf- und Rover-Fahrern. Es gibt vier für Spirit und vier für bergabfahren verhielt. All das gaben sie in ihren Opportunity. Für jeden Arbeitstag auf dem Mars, Computer ein. müssen pro Rover mindestens zwei Fahrer im Team Dazu Eric Baumgartner: „Wir hätten nie erwartet, von Jennifer Trosper, der Leiterin der Bodenoperati- dass sich Rutschverhalten des Rover am Meridiani onen, verfügbar sein. Planum beinahe identisch mit unseren Sandkas- tenversuchen war. Das hat uns deswegen so überrascht, weil der Boden auf dem Mars nicht das NASA geringste mit irdischem Sand zu tun hat. Vor allem hinsichtlich der Mineralien aus denen er besteht und wie er entstand. Was wir daraus gelernt haben ist, dass die primäre Charakteristik von irgendwelchem losem Boden hinsichtlich der Frage wie der Rover darauf fah- ren wird nur von der Charakteristik der Reibung der Bodenpartikel bestimmt wird. Und dabei ist es ziemlich egal, aus was der Boden letztendlich besteht“.

Eric Baumgartner an seinem Arbeitsplatz

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Während Baumgarter den Rover Opportunity Sandkasten auszuprobieren. Aber dafür ist in der fährt, ist sein Kollege Dr. Chris Ledger für die Navi- Praxis einfach nicht genug Zeit, um jedes Mal zu gation von Spirit zuständig. Er scherzt: „Ich kann es einer Testvorrichtung zu sprinten um die Komman- noch gar nicht fassen, dass ich für diesen Job auch dosequenzen auszuprobieren. Die Zeitpläne sind noch Geld bekomme. Es ist wirklich eine Menge extrem eng, es gibt nur einige wenige Kommunikati- Spaß, zur Arbeit zu gehen und dann den Rover zu onsfenster zum Mars am Tage, und zu diesen Termi- fahren“. nen müssen die Bewegungsequenzen stehen. Und dann ein wenig ernster „Die Fahrer der beiden Für jede einzelne Bewegung des Rovers werden im Rover haben völlig unterschiedliche Erfahrungen Schnitt 20 verschiedene Simulationen durchgeführt, wegen des unterschiedlichen Terrains in dem sich um herauszufinden was der beste Weg für jedes die beiden Marsfahrzeuge bewegen. An der Op- Segment der Fahrt ist. Steht die Wegstrecke, dann portunity-Landestelle ist es ein bisschen, wie wenn werden die Rutsch-Schätzungen noch in die Befehle man auf Schnee fährt. Die Traktion dort ist sehr eingefügt. gering, man muss enorm aufpassen, dass der Rover Die Fahrer benutzen diese Schätzungen dann, um nicht ins Rutschen gerät. den Rover - scheinbar - vor dem angepeilten Ziel An der Landestelle von Spirit liegen massenhaft anzuhalten, wenn es einen Berg hinunter geht, so Steine in allen Größen herum. Hier ist es, wie mit dass der Rover dann quasi den Rest der Strecke auf einem Monster-Truck im Felsengelände herumzu- sein Ziel zurutscht. gurken“. Und wenn das Ziel bergauf liegt, dann machen die Chris Ledger beschreibt Spirits Reise als eine Kom- Ingenieure das Gegenteil. Der Rover bekommt bination von ausdauerndem Studium der Bilder der den Befehl, weiter zu fahren, als das Ziel eigentlich beiden Navigationskameras der Rover, teilweise entfernt ist. Innerhalb von vier bis fünf Stunden blindem Fahren, wenn das autonome Navigations- jeden Tag haben die Fahrer mehrer hundert Pro- system des Rovers die Fahrt bestimmt und dann grammzeilen zu schreiben, damit der Rover an die wieder stotterndem Ruckeln Zentimeter für Zenti- Traum-Location der Wissenschaftler kommt. Ohne meter, um sich exakt an ein bestimmtes Zielobjekt die vorher festgelegten Rutsch-Schätzungen wären heranzutasten, um dort die Arbeitsgeräte einsetzen wir hier fast jeden Tag in höllischen Problemen. zu können. Und wenn nicht grade Kraterwälle zu überwinden Tatsächlich könnten die Landeplätze der beiden Ro- sind, dann sind die Schätzungen sehr präzise. Bei ver unterschiedlicher nicht sein. Meridiani Planum einer 15 Meter langen Berg- und Talfahrt, wie sie zeigt sich als düster-rote, steinlose Sandwüste, wie Opportunity schon einige Male durchgeführt hat, sie in jeden Science-Fiction-Film passen könnte. ist die Ungenauigkeit bei unter 50 Zentimetern. Das Das Gusev-Becken, in dem sich Spirit aufhält ist eine Fehlermarge von drei Prozent. Bei so einer wirkt dagegen eher wie eine beliebige Gegend im Fahrt rutscht aber Opportunity zwischen 10 und Landesinneren von Sizilien oder in Utah. So lernen 17 Prozent. Ohne unser Vorhersageprogramm hät- die beiden Rover-Fahrteams völlig unterschiedliche ten wir eine Fehlerquote von bis zu 2,6 Metern auf Lektionen und können sich mit ihren Erfahrung 15 Meter. Das würde in der Praxis jeweils bedeu- austauschen. Der glückliche Umstand dieser völlig ten, dass wir einen zusätzlichen Tag auf dem Mars unterschiedlichen Bodenformationen ist auch als brauchen, um den Rover dann so genau an einen Lern-Lektion für zukünftige Rovermissionen von Stein oder eine Bodenstelle heranzubringen, dass unschätzbarem Wert. die Spektrometer, das Rock-Abrasion Tool oder das mini-TES eingesetzt werden können. Auf die Plätze, fertig, los… Vielleicht ist der Vergleich mit Michael Schuhmacher Um brauchbare Fahr-Kommandos an Spirit und und Rubens Barichello doch nicht so passend. Ein Opportunity senden zu können benötigen die Formel 1 Rennen würde sich wahrscheinlich ganz Fahrer eine ausgefeilte Software, die im Jet Propul- schön hinziehen, wenn die beiden Piloten für jedes sion Laboratory der NASA entwickelt wurde. Mit kleine Wegstück erst mehrere hundert Zeilen eines diesem Programm wird auf Basis der Bilder der Na- Programmes erstellen müssten. vigationskameras der Rover eine dreidimensionale Simulation des Terrains und der in diesem Terrain Ein Beitrag von Eugen Reichl möglichen Bewegungen durchgeführt. Natürlich wäre es auch möglich, all die möglichen Bewegungen in unserem nun schon bekannten

2004 spacexpress raumfahrtchronik 95 Mars landpomeranze auf dem mars Das ungemein erfolgreiche Mars-Rover

Projekt der NASA war das ganze Jahr NASA 2004 über in den Schlagzeilen. Es braucht eine Menge begabter Menschen, um einen solchen Erfolg sicher zu stellen. Einer von ihnen ist Jennifer Trosper, verantwortliche Managerin für die Bodenoperationen der beiden Rover. Für Jennifer Harris Trosper war es ein langer Weg vom Landmädel, das auf einem Bauernhof in der Nähe der Kleinstadt Fostoria im amerikanischen Bundesstaat Ohio aufwuchs, zur leitenden Mana- gerin im 820 Millionen Dollar teuren Projekt der Jennifer Trosper mit Marsrover-Modell amerikanischen Mars-Rover. Das Mädchen war talentiert, das Zu ihrer damaligen Entscheidung meinte erkannten Eltern und Freunde sie:„Technik hat mich immer interessiert. Mir ge- von Anfang an, und wenn je ein fiel es, technische Probleme zu lösen. Ich war Problem sie ständig begleitete, immer von Herausforderungen fasziniert und dann waren das ihre vielen In- ich wollte auf keinen Fall etwas versäumen, teressen. Jennifer Trosper hat das mir zum einen Spaß machte und mich heute eine hohe Reputation zum anderen brennend interessierte“. als Ingenieurin. Aber sie ist auch eine begabte Pianistin, spricht Und weiter: Trosper im fließend Russisch, und war wäh- Massachusetts Institute of Technology MIT Technology Massachusetts Institute of Volleyball-Dress rend ihrer Hochschulzeit eine „Ich liebte das MIT und das Leben in Bosten. Es der besten amerikanischen Vol- ist ein wunderbarer Platz. Ich war ja eine richtige leyball-Spielerinnen, die heute als sportliche Legen- Landpomeranze und noch nicht besonders weit de einen Ehrenplatz in der „Academic All-America herumgekommen. Die Jahre am MIT haben meine Hall of Fame“ innehat. Welt erheblich vergrößert.“ Jennifer Trosper erblickte am 1. August 1968 das Bereits in den letzten beiden Studienjahren arbei- Licht der Welt und verbrachte die ersten Lebens- tete sie in den Space Systems Laboratories des jahre auf der Farm ihrer Eltern. Die Grundschule MIT an der Entwicklung von kraftreflektierenden konnte sie noch an ihrem Heimatort absolvieren, Handsteuerungen für den Einsatz in bemannten aber für ihre High-School-Zeit musste sie ins 20 Raumfahrzeugen. 1990 schloss Jennifer Trosper ihr Kilometer entfernte Jerry City pendeln, in die Studium am MIT mit dem Diplom als Raumfahr- Elmwood High School. Ihr Interesse für Raumfahrt tingenieurin ab und nahm sich eine „Auszeit“. Sie wurde früh von ihrem Vater geweckt, der in den arbeitete für eine Weile als Campleiterin in einer fünfziger Jahren, bevor er sich in Ohio niederließ, Jugend-Freizeiteinrichtung und unterrichtete dort bei Lockheed als Entwicklungsingenieur für Raketen Bogenschießen. gearbeitet hatte. Nach insgesamt drei Jugendcamp-Monaten stieg Gegen Ende ihrer College-Zeit schwankte Jennifer Jennifer bei der NASA ein. Sie bekam einen Job eine Weile in ihrer Entscheidung, die Musik zu ihrem bei den Jet Propulsion Laboratories in Pasadena Hauptlebenszweck zu machen, und klassisches Piano als System-Ingenieurin für die Stromversorgung zu studieren. Schließlich entschied sie sich aber doch von Raumfahrzeugen. Ab 1993 arbeitete sie am für die Technik und ging 1986 an das weltbekannte Raumsondenprojekt Cassini und entwickelte für Massachusetts Institute of Technology (MIT). Bis 1990 dieses Vorhaben Software für die Lageregelung und studierte Jennifer Trosper dort Luft- und Raumfahrt- die Flugsteuerung der Raumsonde. 1994 nahm sie wissenschaften. Und im Nebenfach Musik. sich wieder eine Auszeit, ging nach Russland und

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unterrichtete dort ein Jahr lang für eine private muss ich die Leute erst recht motivieren. Zusätzlich Institution Englisch. bin ich aber auch komplett damit beschäftigt, her- auszufinden, was schief gelaufen ist“. „Die russische Kultur hat mich immer interessiert. Sie ist so unterschiedlich von unserer und ich wollte Bei den bisherigen Bodenoperationen des Rovers immer einmal da hin. Alles war damals im Umbruch Spirit hatte sie von beidem ihren Anteil zu leisten. und das ganze Land hat sich gerade neu orientiert. Ihr großer Auftritt kam, als Spirit schon zu Beginn Es war eine aufregende Zeit dort. der Bodenoperationen nahe dran war, sich für im- mer zu verabschieden. Als ich das Jet Propulsion Laboratory verließ sagten sie mir: ‚Wir können Dir keinen Job garantieren, Interessant ist auch ihre Antwort auf die Frage, wie wenn Du zurückkommst‘. Deshalb schickte ich kurz so ein normaler Missionstag für sie verläuft. bevor mein Jahr in Russland um war, eine Postkarte „Unsere Arbeitstage sind den Sol‘s, den Marstagen, und fragte, ob sie was für mich hätten. Und ich angepasst. Und die dauern 40 Minuten länger als war noch kaum zu Hause, da riefen sie mich auch die Tage auf der Erde. An sich bin ich zuständig für schon an. Sie sagten: wir haben eine neue Mission, die Operationen beider Rover, aber die Probleme Mars Pathfinder. Hast Du Interesse? Und ob ich das werden dazu tendieren, dass sie bei Spirit eher auf- hatte“. treten als bei Opportunity. Einfach deshalb, weil er Ein wichtiger Einschnitt in ihrem beruflichen Leben schon drei Wochen länger auf dem Mars ist, als sein waren die beiden gescheiterten Mars-Missionen Counterpart. Ich richte meinen Arbeitsrhythmus des Jahres 1999. Die NASA war in der Krise. deswegen schwerpunktmäßig nach Spirit aus. In den nächsten Jahren musste die amerikanische Momentan (am 23. Februar) bedeutet das, dass ich Weltraumbehörde ihre Reputation in der Marsfor- etwa gegen ein Uhr nachts aufstehe. Dann fahre ich schung wieder zurückgewinnen. Das „Mars Explo- etwa 30 Minuten lang zur Arbeit. Das ist die einzige ration Rover Program“ wurde ins Leben gerufen. Zeit des Tages, an dem ich die Welt um mich herum Jennifer Trosper war hier zunächst zuständig für die sehen kann, denn den ganzen weiteren Arbeitstag System-Tests und wurde dann zur verantwortlichen verbringe ich in den fensterlosen Kontrollräumen. Managerin für die Bodenoperationen der Rover auf Gleich nachdem ich gekommen bin, setzen sich die der Marsoberfläche ernannt. Projektverantwortlichen zu einem einstündigen Gefragt, wie ihre Disposition in den Tagen vor der Meeting zusammen, bei dem die Entwicklungen der Landung von Spirit war, meinte sie: letzten Stunden an alle kommuniziert werden. Um diese Zeit befindet sich der Rover Opportunity ge- „Wir waren nervös… extrem nervös. Wir hatten rade in der zweiten Hälfte seines Arbeitstages. Spirit alles so oft überprüft, wir hatten unzählige Projekt- hat um diese Zeit in der Regel „Nachtruhe“. besprechungen während der Entwicklungsphase nur um sicher zu gehen, dass wir den Status des Dann machen wir für unseren Teil, also die Boden- Vorhabens genau kannten und sicher waren, dass operationen, ein einstündiges „command approval wir alle Risiken genau verstanden hatten. meeting“ für den jeweiligen Sol. Wir besprechen die Befehle, die wir an die Rover übermitteln wollen. Wir waren uns im Klaren darüber, dass dies die Wir gehen alle Sequenzen des Tages durch, disku- Mission war, die entweder das amerikanische Mar- tieren Kriterien für Entscheidungen, die wir treffen sprogramm wieder auf die Füße bringt oder es aber müssen, und so weiter. endgültig zerstört. Das war vielleicht der stressigste Teil an der ganzen Sache. Ich schlief während der Danach gehe ich in den Missions-Unterstützungsbe- Tage vor der Landung von Spirit nicht gut, vor allem reich zu meinem Team. Dort informiere ich meine deswegen, weil ich wusste, dass wir in dieser Phase Leute über die Entscheidungen, die im Programm- nicht mehr viel zum Erfolg der Mission beitragen Managment getroffen wurden, und bespreche mit konnten. Ich verbrachte die Nächte in Selbstanalyse ihnen weitere Entscheidungsvorschläge. Danach und fragte mich, ob wir auch wirklich alles getan setzen wir uns mit den Leuten vom Deep Space hatten in diesen dreieinhalb Jahren, damit die Sache Network in Verbindung und gehen noch mal die jetzt funktionierte. Glücklicherweise war es so“. Daten durch, die wir an unsere Rover übermitteln wollen. Bei den Bodenoperationen der beiden Mars Rover ist Jennifer Trosper der Boss von 280 Wissenschaft- In der Regel etwa 5 Stunden nachdem ich gekom- lern und Ingenieuren. Dazu meint sie: men bin, wecken wir Spirit. Um die selbe Zeit etwa geht Opportunity schlafen. Mein Hauptjob besteht „Solange alles gut geht, besteht mein Job darin, die momentan darin, alle Funkkommandos, die wir an Leute zu motivieren. Läuft es schlecht, na ja, dann

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mir weit mehr als nur technische Dinge über das NASA Raumfahrzeug gelehrt. Und wenn ich konkret sein soll: Diese Zeit hat mich gelehrt zuzuhören, geduldig zu sein, Aufgaben zu strukturieren, klar zu sprechen und klar zu denken. Ich weiß gar nicht, wo ich da beginnen und wo ich enden soll. Eines aber ist sicher. Ich habe in diesem Projekt mindestens soviel über Menschen gelernt wie über den Mars. Als nach der erfolgreichen Landung des Rovers Spirit Präsident Bush beim Missionsteam anrief, um zu gratulieren, sprach er auch mit Jennifer Trosper. Trosper auf einer Pressekonferenz Sie fragte den Präsidenten, ob er denn nicht Lust hätte, den Rover einmal selber zu steuern. Worauf er meinte: „Lust habe ich schon, aber garantieren die Rover übermitteln, zu prüfen und zu genehmi- kann ich für nichts“. gen. Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist es, alle Anomalien zu klären, die im Betrieb der (Die Passagen in wörtlicher Rede stammen aus Rover auftreten. Täglich finden mehrere Kommuni- einem Interview der Alumni Association des kationssessions statt, dazwischen handeln die Rover Massachusats Institute of Technology, das Jennifer selbständig. Trosper im Januar gab. Dazu kommen Aussagen, die sie bei Pressekonferenzen der NASA gemacht Etwa gegen ein Uhr mittags besprechen wir die hat. Sie sind weitgehend wörtlich, in einigen Fällen Aktionen für den nächsten Tag auf der Basis des- sinngemäß übersetzt und stellenweise gekürzt wie- sen, was am gegenwärtigen Tag passiert ist. Dieses dergegeben). Meeting dauert zwischen ein und drei Stunden, je nachdem wie die Dinge laufen. Irgendwann um diese Zeit findet auch die Übergabe an das zweite Ein Beitrag von Eugen Reichl Team statt. Zusätzlich gibt es jeden zweiten Tag eine Pressekonferenz. Wenn das vorbei ist, dann nehme ich mir Zeit, um mit meinen Team-Mitgliedern zu sprechen, Statusberichte an meine Chefs zu schreiben, Voice- Mail-Nachrichten zu versenden, und e-Mails zu schreiben. Nach ca. 18 Stunden verlasse ich Mission Control, fahre wieder 30 Minuten heim, dusche und gehe schlafen. Tags darauf dasselbe, nur 40 Minuten zeitversetzt.. Und die Frage, was sich Jennifer Trosper als bleiben- de Erfahrung nach dem Abschluss dieser Mission erhofft: Wie so oft ist auch hier das Lernen in den Arbeits- prozess eingebettet. Und ich habe immens viel in den letzten dreieinhalb Jahren gelernt. Mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Die jetzt laufen- den Bodenoperationen der beiden Rover betrachte ich als Belohnung für die dreieinhalb Jahre Entwick- lungsarbeit. Jeden Tag erleben wir neue Sensationen und bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen. Es ist unglaublich spannend. Das ganze Projekt, hat mich vom ersten Tag an für immer verändert. Die Menschen, die Herausforde- rungen, die Entscheidungen, der Stress, die vielen Meetings waren alle unbezahlbar. Und sie haben

98 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Mars Anzeige

2004 spacexpress raumfahrtchronik 99 Kurswechsel der USA die usa auf dem weg zu mond und mars 3. Entwickle innovative Technologien, Fachwissen

NASA und Infrastrukturen sowohl für die Forschungs- aktivitäten als auch als Entscheidungshilfen für die Zielorte der bemannten Erforschung. 4. Fördere internationale und kommerzielle Betei- ligungen an der Erforschung, um die Interessen der USA an Wissenschaft, Sicherheit und Öko- nomie zu unterstützen. Außerdem hat der Präsident gefordert, das Space Shuttle zu einem sicheren Flugbetrieb zurückzuführen und die Raumstation (ISS) damit zu vollenden. Hierbei werden sowohl die inter- Bush-Rede am 14.Januar 2004 nationalen Verpflichtungen erfüllt wie auch ein Forschungsprogramm in der ISS durchgeführt, das Die Anweisungen des Präsidenten der USA die zukünftigen bemannten Flüge im Sonnensystem Nachdem die bemannte Raumfahrt der USA sich erleichtern soll. seit 1972 damit begnügte, in einem engen Kreis um Nach Fertigstellung der ISS wird das Space Shuttle die Erde zu fliegen, hat der Präsidenten der Vereinig- System außer Dienst gestellt. ten Staaten von Amerika im Januar 2004 Anweisung gegeben, das Raumfahrtprogramm der USA neu Der Präsident hat 19 spezifische Aufgaben um- aufzusetzen, um Entdeckungen auf Mond, Mars und rissen, die zusammengenommen den Zeitplan, darüber hinaus in den Mittelpunkt zu stellen. Die den Umfang und die Umsetzung der Vision zur Wissenschaft soll zurückstehen und bemannte Flüge Weltraumerforschung definieren. Diese Aufgaben zu Mond und Mars ins Zentrum rücken. Die NASA zielen ab auf stellt hierzu umfangreiche Informationen im Internet 1. Forschungsaktivitäten in der Erdumlaufbahn zur Verfügung [1]. Der Unterschied zu früheren Raumfahrt-Initiativen der USA zu Mond und Mars 2. Weltraumforschung jenseits der Erdumlaufbahn ist sowohl der Kosten- wie auch der Zeitplan. Die 3. Fähigkeiten zum Transport in den Weltraum, NASA erhält nur eine geringe Budget-Aufstockung welche die Forschungen ermöglichen und der erste bemannte Flug zum Mond soll zwi- schen 2015 und 2020 stattfinden. Die hierfür -ver 4. Internationale und kommerzielle Beteiligung wendete Hardware soll zum Teil auch für die Flüge zum Mars (und darüber hinaus) verwendet werden. Die Ergebnisse der Präsidentenkommission Am 14. Januar 2004 hat Präsident George W. Bush Am 27. Januar 2004 unterzeichnete Präsident Bush eine neue Vision für Amerikas ziviles Raumfahrtpro- eine „Excutive Order“, in der er eine Kommission gramm verkündet, die nach bemannten und unbe- ins Leben rief, um Vorschläge zu erarbeiten, wie das mannten Missionen zum Mond, Mars und darüber neue Raumfahrtprogramm der USA implementiert hinaus verlangt. Er setzte vier Ziele werden soll [1]. 1. Implementiere ein lange anhaltendes und finan- Die neun Kommissare kamen aus der Industrie, ziell tragbares, bemanntes und unbemanntes von Regierungsstellen, akademischen Einrichtungen Programm zur Erforschung des Sonnensystems und dem Militär. Zusammengenommen haben sie und darüber hinaus. Erfahrungen auf den Gebieten Weltraumarbeiten, Technologie, Weltraumwissenschaft und Führungs- 2. Erweitere die menschliche Präsenz auf das ganze stab der Bundesregierung der USA. Sonnensystem, beginnend mit der Rückkehr zum Mond bis 2020 als Vorbereitung für die bemann- Die Kommission legte am 16. Juni 2004 ihren 64- te Erforschung des Mars und anderer Zielorte seitigen Abschlußbericht vor: A Journey to Inspire, im Sonnensystem. Innovate and Discover [1, 2]. President’s Commis-

100 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Kurswechsel der USA NASA

2004 spacexpress raumfahrtchronik 101 Kurswechsel der USA

sion on Moon, Mars and beyond hat in den 120 Galaxien, Sterne und Planeten für die Zukunft Tage zwischen ihrer ersten Besprechung und dem und unseren Platz im Universum Abschlussbericht zahlreiche öffentliche Hearings Ausbildungsinitiativen zur Unterstützung der Ju- abgehalten, bei denen 96 Leute befragt wurden, gend and Lehrer zur Vorbereitung der nächsten die Universitäten, Firmen, den Medien, Lehrer, Generation von Weltraumforschern. Studenten, Unternehmer, Astronauten, Gewerk- schaften, Regierungsstellen, Agenturen der Bundes- Dieses Programm muss von hoher nationaler regierung, internationaler Raumfahrtorganisationen Priorität sein, um sein Überleben über Jahrzehnte und Berufsverbänden angehörten. zu sichern. Hierzu muss es zu einem dauerhaften Wechselspiel zwischen Präsident, Kongress und Auf der Website der Kommission trafen über 6000 dem amerikanischen Volk kommen. Im Weißen geschriebene Inputs ein. Die Kommentare der Öf- Haus soll ein permanentes Space Exploration fentlichkeit zeigten eine 7:1 Zustimmung zur neuen Steering Council eingerichtet werden, das die Raumfahrt-Vision. NASA unterstützen soll. Die Kommission stellt fest, dass die geplanten Umstrukturierung der NASA zur Ausrichtung Entdeckungsreisen vitale nationale Zielsetzungen auf die neuen Anforderungen. Eine Vergabe von auf der Erde erhalten und fördern werden. Dies Aufträgen an den Bestbieter unter zahlreichen geschieht durch Firmen und nicht-kommerziellen Vereinigungen Inspiration der Jugend sich auf technischem Ge- soll für die NASA zur Regel werden. Klare Defi- biet zu engagieren. nition der Aufgaben und Zuständigkeiten für die verschiedenen Teilbereiche unter Vermeidung Generierung ökonomischen Gewinns durch die von Überlappungen. Schaffung neuer Jobs

Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit der Industriel- Umformung der NASA-Zentren, so dass sie von len Basis auf dem Weltmarkt der Öffentlichen Hand finanzierte Forschungs- und Klare Wahrnehmung der Führerschaft der USA Entwicklungszentren darstellen. Als Beispiel hierfür sei das JPL genannt, das zum Massachusetts Institute Erhöhung des Wohlstandes und der Lebensqua- of Technology (MIT) gehört aber für die NASA alle lität aller Amerikaner unbemannten Marssonden entworfen, zusammen mit der Industrie gebaut und sie während des ge- samten Fluges und am Mars betreut hat. Hierzu sind allerdings einige fundamentale Ände- rungen notwendig, auf welche die Kommission im Die Verwaltung und der Kongress sollen zusammen Einzelnen eingeht. Die Kommission schreibt dabei mit der NASA drei neue NASA-Organisationsein- keine Programm- oder gar Missionsdetails vor, stellt heiten schaffen: aber Grundprinzipien auf. 1. Technischer Beirat – soll die Verwaltung wie auch Nutzung und Förderung einer robusten natio- der NASA-Führung bei technologischen und nalen und internationalen Raumfahrtindustrie. Risiko-Minderungs-Plänen beraten. Der internationale Aspekt soll zum Einen welt- 2. Unabhängige Kostenschätzung – verbessert Rea- weit vorhandenes Know-How nutzen und zum lismus, Sorgfalt und Genauigkeit. Anderen US-Firmen zu globalen Investitionen ermutigen. 3. Forschung und Technologie – kümmert sich um hoch riskante Technologie-Entwicklungen und Erstellung einer entdeckungsbasierten Wissen- solchen mit hoher Anschubfinanzierung, bei schaftsagenda rund um die Themen denen regelmäßig Fehler toleriert werden. Ursprünge – die Anfänge des Universums, Die NASA soll unter anderem folgende Prinzipien unseres Sonnensystems, anderer Planeten- bei der Entwicklung befolgen systeme und des Lebens. Ansatz „System von Systemen“ Evolution – wie sich die Bestandteile des Universums mit der Zeit verändert haben, Taktik der spiralförmigen evolutionären Entwick- einschließlich der dabei aufgetretenen physi- lung, d.h. von einem Prototyp zum nächsten, wo- kalischen, chemischen und biologischen Pro- bei die Qualifikation des Systems über mehrere zesse und der Abfolge der Hauptereignisse. dieser Zwischenschritte stattfindet und nicht in einem Durchgang wie üblicherweise im Luft- und Schicksal – was lehrt uns die Geschichte der Raumfahrtbereich.

102 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Kurswechsel der USA

Verlass auf Hauptsystem-Integrateure Autonome Systeme und Robotik – um komple- xe Raumfahrtsysteme zu überwachen, zu warten Unabhängige technische und kostenmäßige und wo möglich zu reparieren. Bewertungen Erfassung und -auswertung der wissenschaftli- Die NASA soll umgehend Projektteams abstellen, chen Daten – leichtgewichtige temperaturtole- die sich mit allen Schlüsseltechnologien befassen, rante strahlungsgehärtete Sensoren. die das neue Raumfahrtprogramm überhaupt erst ermöglichen. Die Kommission hat für den Anfang Verminderung des biomedizinischen Risikos – Schlüsseltechnologien auf 17 Gebiete identifiziert, Weltraummedizin; Fernüberwachung, -diagnose ohne ihnen Prioritäten zuzuweisen. und -behandlung. Finanziell tragbare Schwerlast-Träger-Fähigkeit Umgestaltbarer Raumhafen und Kursbereichs- – Technologien für einen robusten finanziell technologien – Infrastruktur am Startplatz und tragbaren Zugriff von Frachten in die niedrige zur Kursüberwachung für das Crew Exploration Erdumlaufbahn. Vehicle und hochentwickelter Schwerlastträger- raketen. Hochentwickelte Strukturen – extrem leichte multifunktionale Strukturen mit modularen Automatisches Rendezvous und Docking – für Schnittstellen, die nach dem Bausteinprinzip die bemannte Flüge und unbemannte Probenrück- Grundlage für hochentwickelte Raumfahrzeuge holmissionen. legen. Nutzung Planetarer Ressourcen (planetary in Weltraumtaugliches wiederverwendbares situ resource utilization – ISRU) – um es uns Haupttriebwerk für das Crew Exploration schlussendlich zu ermöglichen, die Nabelschnur Vehicle, das hohe Beschleunigungen und viele zur Erde zu trennen. Lebenszyklen aushält. Hochentwickelte Energieversorgung und An- Jedes dieser Themengebiete soll ein Projektteam triebe – primär nuklear thermisch und nuklear der NASA bearbeiten und dabei nach folgendem elektrisch. Schema vorgehen: Management von kryogenen (d.h. tiefkalten) Einleitende Bewertung Flüssigkeiten – Kühltechnologien für hochpräzise astronomische Sensoren und hochentwickelte Entwicklung einer Roadmap, d.h. eines Ablaufpla- Raumfahrzeuge wie auch Treibstoffspeicherung nes, der zu einer Heranreifung der benötigten und -transfer im Weltraum. Technologien führt. Große Optiken – für die Weltraumteleskope Integration dieser Technologien in die Weltraum- und -detektoren der nächsten Generation forschungsarchitektur. Formationsfliegen – für astronomische Plattfor- Entwicklung eines Planes für den Transfer eines men zur Interferometrie im freien Weltraum und passenden Teiles dieser Technologien an die Pri- zur Auffindung von planetaren Körpern. vatwirtschaft. Kommunikation mit hoher Bandbreite – optische und hochfrequente Mikrowellensysteme für er- höhte Datentransferraten. NASA Atmosphäreneintritt, -abstieg und Landung – Präzisionsanflug und -landung auf planetaren Körpern mit hoher und niedriger Anziehungs- kraft. Geschlossene Lebenserhaltungssysteme und Bewohnbarkeit – Recycling von Sauerstoff, Kohlendioxid und Wasser für lang andauernde Aufenthalte im Weltraum. Aus dem reichen Schatz an Studien: Systeme für den Aufenthalt außerhalb des Nur wenige Kilometer vom Apollo-Landeplatz in Raumfahrzeuges – umfasst die Raumanzüge der der Taurus Littrow Region gewinnt eine Mondberg- Zukunft, die speziell für produktive Arbeit auf bau-Einrichtung Sauerstoff aus der vulkanischen planetaren Körpern entwickelt werden. Oberfläche des östlichen Mare Serenitatis.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 103 Kurswechsel der USA

Die NASA hat im Jahr 2004 bereits früh mit der Die NASA fährt seit Februar 2004 das bisherige Umsetzung dieser Forderungen begonnen. Als Raumfahrtprogramm herunter, um 11 Milliarden erste zentrale Punkte wurden dabei die Themen US-$ für das neue Programm frei zu machen. Denn Schwerlasttransport in den Weltraum und Energie- es müssen neue Raumfahrzeuge entwickelt werden, versorgung mit Kernspaltungsreaktoren bearbeitet, die es Forschern ermöglichen, persönlich jenseits da Entscheidungen auf diesen Gebieten erheblichen der Erdumlaufbahn tätig zu werden. Hierbei soll Einfluss auf das Design und die Implementierung nicht auf Einzelaktionen aufgebaut werden, sondern der Weltraumerforschungsarchitektur und weitrei- eine permanente Präsenz auf dem Mond und im- chende Bedeutung auf zukünftige Entwicklungsko- merwiederkehrende Missionen zum Mars und an- sten und -möglichkeiten haben. deren Himmelskörpern eingerichtet werden. Boeing und Lockheed

NASA Martin haben bereits im Februar 2004 Konzepte zu Raumfahrzeugen vor- gestellt, die auf ihren größten Trägersystemen basieren [3, 4]. Allerdings wäre hierbei die Monta- ge von dutzenden Ele- menten nötig, die einzeln in die Umlaufbahn be- fördert würden. Deshalb befürwortet die NASA einen neuen Großträger, der möglichst auf vor- handenen Elementen Diese Geldbeträge hat die NASA von 2004 bis 2020 vorgesehen. aufbauen soll, um Kosten zu sparen. Im September Die ersten Schritte der NASA und Industrie präsentierten die Raumfahrtfirmen der USA schon Das neue NASA-Budget beträgt für 2004 bis 2009 konkretere Konzepte, die allerdings oft gegensätz- 86 Milliarden US-$. Das sind wertberichtigt 80 % liche Standpunkte widerspiegelten. Die NASA des durchschnittlichen jährlichen NASA-Budgets, sammelt diese Konzepte und wird sie 2005 harmo- das zwischen 1962 und 1972 zur Verfügung gestan- nisieren. Die erste Space Exploration Conference den hat, als das amerikanische Raumfahrtprogramm wird vom 30. Januar bis 1. Februar 2005 in Florida mit Mercury, Gemini und Apollo bemannt und mit abgehalten. zahlreichen Mond- und Planetensonden unbe-

mannt, den Weltraum gestürmt hat. Aufgrund des Weiterführende Informationen Lerneffektes, den die NASA und ihre Partnerfirmen (Boeing, Lockheed Martin, usw.) seit den 60er [1] http://www.nasa.gov/missions/solarsystem/ Jahren durchgemacht haben, müsste dieses Budget explore_main.html ausreichen, um zum Mond zurückzukehren und ein [2] http://www.nasa.gov/pdf/60736main_M2M_re- bemanntes Marsprogramm durchzuführen. port_small.pdf [3] http://boeingmedia.com/images/ search.cfm?product_id=1525 [4] http://www.ast.lmco.com/cev/

Ein Beitrag von Raimund Scheucher. John Frassanito & Associates John Frassanito &

Studie eines Shuttle-Ablegers

104 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Kurswechsel der USA diskussion um das neue (us-)raumfahrt-programm Was man auch sonst von Präsident Geor- den diese Projekte mit beliebigen künftigen Raum- ge W. Bush halten mag: Zweifellos ist der fahrtmissionen gerechtfertigt. Kurswechsel der US-Raumfahrtpolitik ein Im Vergleich sind die Arbeiten während der elektrisierendes Aufbruchssignal für die Apollo-Ära zielgerichtet, während der Shuttle- Raumfahrtfreunde aus aller Welt. Auch der Ära aber eher zufällig ausgewählt. Während des VFR e.V. fühlt sich angespornt. Bei der Dis- Apollo-Programms betrug das durchschnittliche kussion, Formulierung und Promotion eines jährliche NASA-Budget inflationsbereinigt etwa 17 ehrgeizigen eigenständigen deutschen und Milliarden Dollar, nur etwa 10% mehr als das der europäischen Raumfahrtprogramms wer- letzten Jahre. den wir uns tatkräftig beteiligen. Wenn Sie selbst einen Beitrag dazu leisten wollen, Während des Apollo-Programms wurden Mercu- wenden Sie sich bitte an uns unter info@ ry-, Gemini-, Apollo-, Skylab-, Ranger-, Surveyor- vfr.de oder diskutieren Sie mit im vereinsü- und Mariner-Missionen geflogen und die Pioneer-, bergreifenden Forum www.raumcon.de. Viking-, and Voyager-Missionen entwickelt. Dazu wurden kryogene Triebwerke, Schwerlastträger, nu- Als Einstieg in diese spannende Diskussion kleare Triebwerke, nukleare Reaktoren für den Welt- machen wir Sie an dieser Stelle mit zwei raum, Radioisotopen-Generatoren, Raumanzüge, interessanten Standpunkten vertraut: Zu- Lebenserhaltungssysteme, Rendezvous-Techniken, nächst die (zusammengefassten) Aussagen Techniken zur weichen Landung, Techniken zur von Dr. Robert Zubrin, Chef von Pioneer interplanetaren Navigation, Techniken zur Daten- Astronautics und Präsident der Mars So- übertragung im Weltraum, Rückkehrtechnologien ciety. vor dem Haushaltsausschuss des US und mehr entwickelt. Außerdem entstanden das Senats vom 29. Oktober 2003. An- Cape Canaveral-Startgelände, die Infra- schliessend folgt ein Kommentar struktur zur Satellitenbeobachtung, unseres Autors Hartmut E. das Johnson Space Center sowie Sänger. (die Red.) das Jet Propulsion Laboratory. Im Vergleich wurden zur 1. Warum NASA Shuttle-ära mit gerade drei scheitert die NASA? Flügen das Hubble Space Wir kennen bisher zwei Ar- Teleskop eingerichtet und beitsweisen der NASA. Ein- repariert, mit einigen wei- mal zur Apollo-Ära, die von 1961-1973 der Raumfahrt- behörde wesentliche Erfolg Klare Aussage im Logo des bescherte. Dann seit 1974 „NASA Office of Exploration“ die Shuttle-Ära. Seit der Zeit Es gilt das neue Mantra: stecken wir mit der Raumfahrt in „Earth. Moon. Moon. Mars. Beyond.“ einer niedrigen Erdumlaufbahn fest. teren Flügen die Raumstation teilwei- Während der Apollo-Ära arbeitete die se aufgebaut und etwa ein halbes Dutzend Agentur auf folgende Weise: Zuerst wurde ein interplanetarer Sonden gestartet. Aus den zahllosen Ziel für die bemannte Raumfahrt gewählt, dann ein Technologieprogrammen dieser Zeit entstanden bis Plan zum Erreichen des Ziel definiert und endlich heute aber keine sichtbaren Beiträge. die dafür notwendigen Entwicklungen ausgesucht. Die notwendigen Entwicklungen wurden realisiert Während der Shuttle-Ära wurden große Summen und schließlich die Mission geflogen. ausgegeben ohne damit Ergebnisse zu erzielen. Allerdings liegt die Schuld nicht nur bei der NASA, Zur Shuttle-Ära änderte sich die Vorgehensweise auch die Politik hat dazu wesentlich beigetragen. deutlich. Technologien und Geräte wurden entspre- Während sich der NASA-Direktor Shean O’Keefe chend den Wünschen beteiligter Forschungs- und im Kongress unangenehmer Fragen stellen musste, Entwicklungsgruppen ausgesucht. Danach erst wur-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 105 Kurswechsel der USA

beschloss der gleiche Kongress wiederum einen dern und ausreichenden Vorräten. Eventuell könnte Shuttle-Nachfolger ohne irgendwelche Ziele für in diesem Modul, wenn es über ein Stahlseil mit der diesen zu definieren, praktisch als Selbstzweck. ausgebrannten Oberstufe des Trägers verbunden ist, durch eine Drehbewegung künstliche Schwer- kraft erzeugt werden. Während der bemannte Trä- 2. Welches Ziel sollen wir auswählen? ger nahe dem vorausgeschickten Rückkehrfahrzeug Um irgend etwas im Weltraum zu erreichen, müs- landen würde, sollte das weitere Ausrüstungsmodul sen wir uns ein Ziel wählen. Meine direkte Antwort einige 100 km entfernt landen und die nächste ist: Menschen innerhalb einer Dekade zum Mars! Mission vorbereiten. So könnten in zweijährigem Warum gerade der Mars? Der Mars ist noch er- Abstand Teams zur Erkundung aufbrechen, dem reichbar und bietet ein wissenschaftliches, soziales Mars über eineinhalb Jahre einigermaßen komfor- und für die Zukunft der Menschheit interessantes tabel untersuchen und seine Erforschung etwa mit Ziel. Das wissenschaftliche Ziel wird vor allem von der Erforschung des Erdmonds zur Apollozeit ver- der Möglichkeit bestimmt, auf dem Mars Spuren gleichbar machen. Ein erster Außenposten auf dem früheren Lebens zu finden und damit den Beweis Mars wäre so noch zu unseren eigenen Lebzeiten zu erbringen, dass wir nicht das einzige Leben im und mit verfügbaren Technologien möglich! Universum darstellen. Das soziale Ziel ist die neue Herausforderung, die die Menschheit benötigt. Menschen wachsen an Herausforderungen und 4. Was muss der Kongress beschließen? degenerieren ohne sie. Ein Marsprogramm wäre Das zivile US-Raumfahrtprogramm steckt in einer eine Einladung zum Abenteuer, eine Einladung an Krise. Deshalb schlägt die NASA zur Nachfolge des die Jugend zu allen lebenswichtigen Disziplinen Shuttles ein „Orbital Space Plane“, eventuell eine unserer Kultur. Der wichtigste Grund für den Mars Kapsel auf einer Atlas oder Delta-Rakete vor. Diese ist aber die Tür, die uns der Mars für unsere Zukunft würde die Transportkosten zu einer Raumstation öffnen könnte. Der der Erde nicht unähnliche Mars auf 1/5 senken. So vernünftig dieser Vorschlag wäre, mit seinen vorhandenen Ressourcen ist im Vergleich so würde er doch einige hunderttausend mit dem zu unserem Erdmond ein potentieller Träger auch Shuttle verknüpfte Arbeitsplätze kosten. Also wird künftigen Lebens. auch ein komplexeres und sehr viel aufwendigeres Minishuttle verfolgt. Das ist aber der falsche Ansatz Der Mars ist Wissenschaft, der Mars ist Herausfor- und der Kongress sollte ihn nicht beschließen. Wir derung und der Mars ist Zukunft. Deshalb ist der haben diesen Ansatz schon als Shuttle-Ära be- Mars unser Ziel. schrieben und er würde auch die Reichweite des Fluggerätes auf die Erdumlaufbahn beschränken. 3. Wie kommen wir zum Mars? Zudem würden die hohen notwendigen Entwick- Trotz der großen Entfernung sind wir heute für lungskosten den Bau eines zusätzlichen Schwerlast- einen bemannten Flug zum Mars besser gerüstet trägers erschweren. Anstatt 17 Milliarden Dollar für als wir dies 1961 vor der Mondlandung waren. ein OSP Programm sollte der Kongress besser je 30 Wir können den Mars innerhalb eines Jahrzehnts Millionen für zwei konkurrierende Teams beschlie- erreichen. ßen, um so möglichst effizient die Komponenten für ein Marsprogramm zu planen, das uns innerhalb von Der Weg dorthin führt über ein Minimalkonzept, 10 Jahren zum Ziel führen könnte. Noch einmal, der wie es unter dem Namen „Mars Direct“ schon Kongress sollte nicht in Dinge, er sollte in einen Plan bekannt wurde. Dazu gehört ein Schwerlasträger, investieren. eventuell auf Basis des Shuttles, dessen 40 Tonnen Nutzlast nach 8 Monaten Flugzeit an Fallschir- men hängend auf dem Mars landen würden. Die 5. Zusammenfassung. Nutzlast bestünde aus einem unbetankten Rück- Die Erde ist nicht die einzige Welt. Es gibt zahlrei- kehrfahrzeug zusammen mit der Ausrüstung, um che weitere Planeten in unserem Sonnensystem, vor Ort den notwendigen Treibstoff zu gewinnen Millionen Planeten im nahen interstellaren Raum, sowie zwei Erkundungsfahrzeugen. Nach der Lan- Hunderte Milliarden in der gesamten Galaxie. dung würde ein mitgebrachter Nuklearreaktor den Die Herausforderung diese zu erreichen und zu Prozess der Treibstoffgewinnung anwerfen. Zehn besiedeln ist keineswegs jenseits unserer endgülti- Monate später, nachdem 108 Tonnen an Treibstoff gen Möglichkeiten. Wenn wir Raumfahrer werden, erfolgreich erzeugt wurden, würden zwei weitere eröffnen wir uns die Möglichkeit für eine weitest- Schwerlastträger folgen. Einer mit einem weiteren reichende menschliche Zukunft jenseits unserer Rückkehrfahrzeug und der Ausrüstung, der andere heutigen Vorstellungskraft. Wir werden die Türe mit einem Wohnmodul mit 4 Besatzungsmitglie- öffnen für eine neue Dimension der menschlichen

106 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Kurswechsel der USA

Kultur. Wir waren einmal eine kleine Gruppe von ruhmreiche Vergangenheit als an die Möglichkeiten Stämmen am Afrikanischen Rift. Wären wir damals unserer Zukunft erinnern sollten. Lassen Sie uns dort geblieben, wir wären heute immer noch dort. die amerikanische Tradition ehren, indem wir sie Wir haben die Herausforderung aufgenommen fortsetzen und uns neue Welten für unsere Nach- und unsere moderne Kultur entwickelt. Wenn wir kommen eröffnen wie unsere Vorfahren sie für uns in den Weltraum aufbrechen, wird sich die Ent- geöffnet haben. wicklung unsrer Möglichkeiten ähnlich dramatisch fortsetzen. Deshalb glaube ich, dass unser heutiges Beisammensein nicht das Ende, sondern der Beginn einer Geschichte ist, dass wir uns weniger an eine Ein Beitrag von Hartmut E. Sänger

Einige Anmerkungen zur Rede Robert Zubrins vor dem US-Senat. Die eigentliche Kritik, daß Projekte heute eher von technischen Konzepten als von der Anwendung diktiert werden, beschreibt eine der großen Hürden der Raumfahrt welche die Entwicklung stagnie- ren lässt und leider nur zu wahr ist. Ebenso wurden die Gründe für die Raumfahrt, die wissenschaftlichen und sozialen Aspekte regel- recht visionär beschrieben und damit deren künftig notwendiger Erfolg zwingend gerechtfertigt. Weniger zwingend sind allerdings die Vorschläge für ein künftiges Programm. Wenn Mars Direkt auch einerseits eine faszinierende Referenz ist, so wurden hier viele Aspekte recht unkritisch behandelt. Mars Direkt würde für die USA und selbst für eine internationale Gemeinschaft noch eine Anstren- gung bedeuten. Die tatsächlichen Unfallrisiken des Konzepts sind aber doch so beträchtlich, daß sie sich nur schwer in einem so großen und zivilen Gemeinschaftsprojekt darstellen lassen. Gleichzeitig würde die notwendige Konzentration auf die benötigte Hardware fast alle weiteren bemannten Raumfahrtprojekte in den Hintergrund drängen. Es gäbe also nur noch bemannte Starts in zwei- jährigen Rhythmus mit einer vermutlich für die Öffentlichkeit schnell nachlassenden Attraktivität des Programms. Der bewußte Aufbruch in den Weltraum kann aber nur funktionieren, wenn die Welt daran teilnimmt, wenn die Geschehnisse wirklich präsent sind. Die heutige Raumfahrt krankt vor allem am Transportaufwand für die ersten 300 Kilometer, und viele der oft erfolglosen Forschungsvorlagen der letzten beiden Dekaden hatten durchaus eine Exis- tenzberechtigung. Leider waren die verschiedensten Einflußnahmen weit weniger kompetent als die ursprünglichen Vorlagen. So gilt es jetzt also aus all den theoretisch vorhandenen Kenntnissen heraus die richtigen Entscheidungen zu treffen, zu erkennen, welche Ziele realistisch sind und welche Hard- ware machbar ist. Aber nicht nur das Shuttle kostet Geld, auch die derzeit favorisierten ballistischen Träger sind inzwischen tief in die roten Zahlen gerutscht und den militärischen Anwendern wäre ein weiteres Finanzierungsprogramm sicher höchst willkommen. So ist es kaum verwunderlich, daß die vorhandenen EELVs die einzige Vorgabe für die 11 Studien zum geplanten Crew Exploration Vehicle um ein künftiges Mond- und Marsprogramm waren, mit der die NASA jetzt landesweit die Industrie beauftragt hatte. Wiederverwendbare Raumtransportsysteme, hierzu zählen auch Konzepte wie das russische MAKS oder das ehemalig US ALSV, zielen auf höhere Flugraten bei allerdings kleineren Nutzlasten. Aber nur so läßt sich die Raumfahrt auch für mehr Menschen erschließen. Nur so kann der Sprung in die Umlaufbahn eher in den Bereich von Privatwirtschaft und auch Tourismus gebracht werden. Die weiteren Möglichkeiten sind bekannt: Der „Umsteigebahnhof“, der „Shuttleverkehr“ zu unserem Erdmond und eines Tages auch zum Mars. Raumfahrt sollte dem Menschen die Zukunft weisen. Die eher schlichten Erfolge der letzten De- kaden bringen diese Forderung in Gefahr. Trotzdem verlangt der weitere Weg jetzt ein sorgfältiges Augenmaß. Innerhalb der Forschungsgemeinschaften dieser Erde hat die bemannte Raumfahrt starke Konkurrenz. Das Buhlen um Mittel wird weiter gehen und die bemannte Raumfahrt kann sich hier nur erfolgreich durchsetzten, solange sich möglichst viele mit den Zielen identifizieren können. Wie sagte Robert Zubrin sinngemäß: Der Erfolg der Raumfahrt ist für unsere Zukunft lebensnotwendig.

Ein Beitrag von Hartmut E. Sänger

2004 spacexpress raumfahrtchronik 107 Europa im All das raumfahrtjahr 2004 aus der esa-perspektive Das Jahr 2004 beginnt mit ESA einem positiven Knalleffekt für die ESA. Die Nachricht, dass „Mars Express“ Wasser auf dem Mars gefunden hat, verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und in Windeseile ist die ESA in aller Munde. Da nützt es auch nichts, dass die NASA recht kleinka- riert feststellt, dass „Mars Odyssey“ schon im Jahre 2002 solch eine Messung angestellt hat - zumindest für einige Tage macht die ESA und mit ihr die gesamte Raumfahrt (positive) Schlagzeilen. Dabei hatte Mars Express zu Beginn eigentlich nicht unter einem guten Stern gestanden, denn als im Dezem- ber 2003 die englische Landeeinheit „Beagle 2“ ver- lorengegangen ist, schien beinahe vergessen wor- den zu sein, dass der Orbiter und nicht der Lander 90% der Mission zum roten Planeten ausmachten. Aufgrund der notorisch miserablen PR-Arbeit der Teil der Rosetta-Mission: ESA allerdings, war es für Colin Pillinger, den Beagle Der „Philae“-Lander untersucht den Kometen – 2 Projektleiter, ein Leichtes, das Medienvakuum um künstlerische Darstellung. diese erste (!) europäische Marsmission zu füllen. Sie machten ihren Job so gut, dass das mediale Das nächste positive Ereignis, das aber wesentlich Interesse an der Mission sich annähernd reziprok weniger Schlagzeilen als der Wasserfund von „Mars zur Missionspriorität verhielt; zu guter Letzt glaubte Express“ machte, war der Start von „Rosetta“ am wahrscheinlich die ganze Welt, dass die Europäer 2. März 2004, der bis dato ambitioniertesten Ko- eine Landemission zum Mars durchführen. metensonde. Nachdem der Start auf Grund eines Fehlstarts der Ariane 5 um 13 Monate aufgescho-

ESA ben worden war, musste ein neuer Zielkomet und einen neue Flugbahn gefunden werden, denn das Starfenster zu 46P/Wirtanen hatte man leider ver- passt. Letzten Endes fiel die Wahl auf 67P/Churyu- mov-Gerasimeno, den die 3000 kg schwere Sonde im Mai 2014 erreichen soll. Mehr als ein Jahr soll sie ihn umkreisen und beobachten während er sich sei- nem sonnennächsten Punkt (dem Perihel) nähert und dieses auch durchfliegt. Aber es kommt noch besser: im November 2014 soll Rosetta eine kleine Landeeinheit „Philae“ auf dem Kometenkern abset- zen – zumindest eine Woche lang soll der 100 kg schwere Lander den Kern vor Ort untersuchen und dazu auch Bohrungen bis in 20 cm Tiefe anstellen. Ende März macht „Mars Express“ nochmals Schlagzeilen, als Methan in der Marsatmosphäre entdeckt wird, das, falls es nicht durch tektonische Prozesse erzeugt werden sollte, eine heiße Spur zu Leben darstellen könnte. Das OMEGA-Instrument von Mars Express mit einer Aufnahme des Mars-Südpols. Rechts das Am 19. April meldet sich wieder einmal das „ESA- sichtbare Spektrum, mittig die Konzentration von Direktorat für bemannte Raumfahrt“ zu Wort als André Kuipers, ein niederländischer Astronaut zu CO2-Eis und links das Wasser-Eis.

108 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Europa im All

ESA Im Juli 2004 kommt das ATV (Automated Transfer Vehicle), ein 20750 kg schweres unbemanntes Ver- sorgungsraumschiff für die ISS, das vollkommen au- tonom mit der ISS docken wird und an dieser bis zu sechs Monate angedockt bleiben soll, für extensive Tests zurück zu ESTEC, dem Wissenschafts- und Technologiezentrum der ESA in Noordwijk, Nie- derlande. Während der folgenden sechs Monate wird das ATV auf Herz und Nieren geprüft, bevor „Jules Verne“, so der Name des ersten von sieben ATVs, im Sommer 2005 seine erste Mission auf ei- ner Ariane 5 ECA zur ISS unternehmen wird. Auf dem Programm standen unter anderem Leckage Tests, Thermal- und Vibrationstests auch akustische Tests. Speziell letztere sind kritisch, wird doch das André Kuipers auf der ISS. ATV beim Start einem Geräuschpegel von 145 dB (!) ausgesetzt, solch eine Lautstärke übertrifft selbst einer 11-Tage Mission auf die ISS fliegt. Die Missi- die eines Pink Floyd Rockkonzerts um das hundert- on trägt den bezeichnenden Namen „DELTA“ und fache! wird als eine der erfolgreichsten ESA-Missionen in die Geschichte eingehen und erneut die gute Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland ESA demonstrieren. Wie auf der ISS üblich erstreckten sich die Experimente auf die Gebiete der Human- physiologie, Biologie, Mikrobiologie, Physik, Erdbe- obachtung, Bildung und Technologie – das mediale Interesse war naturgemäß vor allem in den Nieder- landen enorm. Am 1. Juli geht ein Aufatmen durch die Wissen- schaftlergemeinde in Europa, als „Cassini/Huygens“ sicher den Eintritt in den Saturnorbit schafft. Die 3 Mrd. Dollar teure NASA-ESA-Doppelmission soll zumindest 4 Jahre den Herrn der Ringe aus nächster Nähe beobachten und vor allem das größte Rätsel des Sonnensystems – Titan – entschlüsseln helfen. Dazu soll der 318 kg schwere ESA-Lander „Huy- ATV „Jules Verne“ in der Montagehalle gens“ am 14. Januar 2005 auf dem zweitgrößten Mond des Sonnensystems landen und während des Auch die Leckagetests sind kritisch, denn das ATV ist Abstiegs die 300 km mächtige Stickstoffatmosphäre eben nicht nur einfach ein unbemanntes Raumfahr- genauestens analysieren, die laut Ansicht mancher zeug sondern wird, sobald es an der ISS angedockt Wissenschaftler verblüffend ähnlich zu jener der Ur- hat, Teil der Raumstationstruktur werden, eine Art Erde sein könnte. 480 Millionen Euro hat Europa in weiteres Modul, das die Astronauten immer wieder „Huygens“ investiert, ein Pappenstiel verglichen zu mal besuchen werden, um Güter aller Art aus- und den Erkenntnissen, die wir durch die Sonde gewin- auch wieder einzuladen. Neben dieser Nachschubs- nen können: wie ist die Atmosphäre beschaffen, wie funktion hat das ATV aber auch noch eine weitere sieht die Oberfläche von Titan wirklich aus und gab wichtige Aufgabe zu erfüllen: das Beschleunigen der bzw. gibt es Leben auf Titan? Internationalen Raumstation, um diese vor einem verfrühten Wiedereintritt bzw. Absturz zu bewah- ren. Sobald die ISS einmal ihre endgültige Größe ESA erreicht hat – dann hat sie immerhin eine Masse von 455 Tonnen – reichen weder Space Shuttle, Progress noch Sojus aus, nur mehr das ATV ist dann noch in der Lage den notwendigen Schub aufzubrin- gen. Nachdem es diese Aufgabe erfüllt hat wird es „Huygens“ nähert sich Titan, von der ISS abkoppeln und zur Erde zurückkehren, künstlerische Darstellung. allerdings destruktiv, d.h. es wird – mit Müll von der

2004 spacexpress raumfahrtchronik 109 Europa im All

ISS beladen – so in die Erdatmosphäre eintreten, ESA dass es vollkommen beim Wiedereintritt verglüht – die perfekte Müllverbrennung sozusagen... Im August 2004 düst „Nuna 2“ durch die skan- dinavischen Länder Norwegen und Schweden und demonstriert den Stand der Solarzellentechnologie in Europa. Das Solarzellenmobil hatte im Oktober 2003 die „World Solar Challenge“ in Australien gewonnen und die internationale Konkurrenz auf die Plätze verwiesen. Damals hatte das Auto 3010 km in nur 31 Stunden und 5 Minuten zurückgelegt und einen neuen Weltrekord aufgestellt. Es wäre auch noch schneller gegangen, denn „Nuna 2“ Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen. kann eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h (!) erreichen, allerdings beschränkten die australischen

Behörden die max. Geschwindigkeit auf 100 km/h, ESA um das Unfallrisiko in Grenzen zu halten, schließlich unterscheiden sich die Straßen durch den australi- schen Outback doch deutlich vom Standard einer mitteleuropäischen Flughafenpiste... Am 19. Oktober 2004 wird das Columbus Kon- ESA

Columbus als Teil der ISS, künstlerische Darstellung.

Am 15. November 2004 tritt mit „SMART-1“ die erste ESA-Sonde in den Mondorbit ein. Nach einer Serie komplexer Flugmanöver und einer immens langen Flugzeit von über einem Jahr - bedingt durch ESA

„Nuna II“ auf großer Fahrt.

trollzentrum in Oberpfaffenhofen eingeweiht. Auch wenn der Start des ESA-Moduls „Columbus“ für die ISS noch immer nicht klar ist – alles hängt davon ab, wann das Space Shuttle wieder einsatzbereit ist – so wird das Columbus Kontrollzentrum bereits im April 2005 zum ersten Mal seine Pflichten wahr- nehmen, wenn die zehntägige ISS-Mission von Ro- berto Vittori von hier aus überwacht werden wird.

Pikantes Detail am Rande: das ESA-Modul heißt Raumsonde „SMART-I“, künstlerische Darstellung. deswegen „Columbus“, weil es bereits im Jahre 1992 – zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas – im Orbit sein sollte, damals den Ionenantrieb – wird SMART-1 in den nächsten übrigens noch an der US-europäisch-japanischen Wochen und Monaten sein Ionentriebwerk nun Raumstation „Freedom“... dazu verwenden um sich immer näher an unseren Trabanten „heranzuspiralen“. Die ersten wissen-

110 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Europa im All

ESA dauernde Reise zu Titan anzutreten. Langsam um die eigene Achse rotierend (mit 7 Umdrehungen pro Minute) wird „Huygens“ am 14. Januar 2005 mit ca. 6 km/s auf die Titanatmosphäre treffen. In- nerhalb von nur 3 Minuten wird die Sonde auf 400 m/s abgebremst. In 160 km Höhe öffnet sich der Pilotfallschirm, 2,5 Sekunden später wird die Heckab- deckung und der Hitzeschuldschild abgeworfen und der Hauptfallschirm mit 8,3 m Durchmesser öffnet sich; nun beginnen die wissenschaftlichen Messungen. Fünfzehn Minuten später – in einer Höhe von 120 km – wird der Hauptfallschirm durch einen kleineren Fallschirm ersetzt, um die Sinkgeschwindigkeit zu erhöhen und den Flug durch die Atmosphäre zu begrenzen. Geht alles gut so soll „Huygens“ nach einer Abstiegsdauer von 140 Minuten mit einer Restgeschwindigkeit von 6 m/s auf der Titanober- ESA-Direktor Jean-Jacques Dordain mit Günter Ver- fläche aufsetzen bzw. aufschlagen. Nun beginnt die heugen in seiner neuen Eigenschaft als Kommisar erweiterte Mission, die eigentlich nur durch die für Wirtschaft und Industrie. Lebensdauer der Batterien begrenzt wird. Da den Batterien nach spätestens 153 Minuten der Saft schaftlichen Beobachtungen sollen im Januar 2005 ausgeht, verbleiben „Huygens“ vermutlich gerade beginnen, wenn SMART-1 in einer polaren Umlauf- mal drei Minuten auf der Titanoberfläche, nicht viel bahn von 300 km (lunarer Südpol) und 3000 km aber genug, um herauszufinden, ob es auf Titan nun Höhe (lunarer Nordpol) angelangt ist. Die Suche wirklich die vermuteten Äthanseen und die langket- nach dem vermuteten Wassereis in den permanent tigen Kohlenwasserstoffmoleküle gibt. Während es dunklen Kratern in der Nähe der beiden Pole steht langsam dunkel um die erste europäische Sonde auf im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses. einem anderen Himmelskörper wird, wird „Cassini“ Da der 300 x 3000 km Orbit nicht stabil ist, soll die empfangenen Daten an die Erde weitersenden, SMART-1 nach sechs Monaten Beobachtung den um das Rätsel von Titan wieder ein Stückchen näher Orbit wieder verlassen und in eine höhere Umlauf- an seine endgültige Lösung heranzuführen... bahn „zurückspiralen“, sollte die wissenschaftliche Mission verlängert werden. Am 25. November 2004 findet – relativ unbe- NASA achtet von der Öffentlichkeit – das erste europäi- sche Weltraumkonzil in Brüssel statt. Repräsentan- ten aller 27 EU- und/oder ESA-Mitgliedsstaaten kommen zusammen, um über die Schaffung eines europäischen Weltraumprogramms zu diskutieren. Letzten Endes soll dieses die Wissenschaft und Industrie, aber auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterstützen. Die zur Zeit prominentesten Vertreter dieses neuen Denkansat- zes sind Galileo, das europäische Satellitennavigati- onsprogramm, das am 21. Dezember 2004 mit der Fotomontage von Saturn Unterzeichnung eines 150 Millionen Euro-Vertrages und seinen größeren Monden in eine weitere Phase zur endgültigen Fertigstellung im Jahre 2008 eingetreten ist (die ersten beiden Ein Beitrag von Norbert Frischauf Testsatelliten sollen Ende 2005 gestartet werden), Dipl.-Ing. Norbert Frischauf ist Hochenergiephy- aber auch die GMES Initiative für die globale Beo- siker und Elektroniker und arbeitet seit mehreren bachtung für Umweltschutz und Sicherheit, welche Jahren als Berater von Booz Allen Hamilton für im September 2004 gestartet worden ist. die Europäische Weltraumorganisation. Anfangs Am 25. Dezember 2004 steht wieder einmal als Avionik-Ingenieur im Rahmen des ATV-Projek- die europäische Wissenschaft im Vordergrund, tes und seit Herbst 2001 als Systemingenieur für „Huygens“ löst sich von „Cassini“, um seine 22 Tage zukünftige Technologien und Missionen.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 111 Europa im All parabelflüge für das leben – schwerelose notfallmedizin 93 Parabeln, 30 Minuten Schwerelosigkeit ESA und ein Patient: Für zukünftige Langzeit- Weltraummissionen ging ein internationa- les Team junger Wissenschafter im Rahmen der 37. professionellen Parabelflugkampa- gne der Europäischen Weltraumorganisa- tion ESA in die Luft. Das Ziel: die Überle- benschancen der Astronauten bei einem medizinischen Notfall zu verbessern. Ein Bericht über ein ungewöhnliches Experi- ment und das Gefühl der Schwerelosigkeit. Extremsituationen erzeugt man einfach: man gebe einem medizinischen Laien ein Laryngoskop und einen Endotracheal-Tubus in die Hand sowie 20 Sekunden Zeit, lege vor ihn einen Patienten in lebensbedrohlicher Situation und schalte dann die Schwerkraft aus. So, fast so, geschehen vor kurzem in 7000 Metern Höhe über der französischen Atlantikküste, an Bord des Experimentalflugzeuges der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA. Ein internationales Team junger Wissenschaftler aus verschiedensten Disziplinen war angetreten, um in einem Experiment erstmals weltweit einen be- sonderen Aspekt der Notfallmedizin für zukünftige Raumflüge zu erforschen: Beatmungstechniken im Zustand der Schwerelosigkeit.

Hintergrund: Einmal Intubieren, bitte. Einen Patienten mittels Plastikschlauch künstlich zu beatmen nennt der Mediziner „Intubation“. Das Ar- Künstliche Beatmung in der Schwerlogiskeit – beiten in der Schwerelosigkeit hält eine Vielzahl un- Früher oder später wird es einmal notwendig werden. gewöhnlicher Herausforderungen bei diesem Stan- dard-Eingriff parat. Wie fixiert man innerhalb von Raumfluges – erzwungene Isolation, Geräuschpegel Sekunden einen bewusstlosen frei schwebenden Pa- der Bordsysteme, Stress, Schwerelosigkeit – verbun- tienten, während man selbst kopfüber von ihm weg- den mit einem plötzlich auftretenden Notfall kann zutreiben droht? Übliche Beatmungstechniken und also eine gefährliche Mischung erzeugen. Statistisch Handgriffe werden plötzlich unpraktisch bis unmög- gesehen kommt es alle zweieinhalb Jahre zu einem lich. Die außergewöhnliche Situation während eines medizinischen Notfall an Bord eines Raumschiffes, der den Einsatz von lebensrettender medizinischer Ausrüstung notwendig macht. Extrapoliert man ESA Besatzungsgröße und Bordzeiten für die voll ope- rationelle Phase der Internationalen Raumstation (ISS), wird es sogar alle fünf Jahre notwendig sein, einen Astronauten zurück zur Erde zu evakuieren, um ihn dort zu behandeln. Doch das ist noch nicht alles. An Bord einer zukünftigen bemannten Mission zum Mars wird die Besatzung faktisch komplett auf sich selbst angewiesen sein. Ein Arzt wird im Fall des Das Experimentalflugzeug der ESA Falles nicht notwendiger Weise zu jeder Zeit zur

112 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Europa im All

Verfügung stehen, das bedeutet, dass auch medizi- ESA nisch unerfahrene Besatzungsmitglieder gezwungen sein könnten, Sofortmaßnahmen durchzuführen.

ADAMA – das Advanced Airway Management Experiment: Um einen der fehlenden Mosaiksteinchen im not- fallmedizinischen Bild der Raumfahrt zu liefern, den- jenigen betreffend künstliche Beatmung, traten also vier Weltraumenthusiasten mit einem beachtlichen Am Boden wird zunächst gründlich trainiert. Team im Hintergrund an. Gernot Grömer, Astro- nom, und Alexander Soucek, Jurist, aus Österreich, rabeln aber frei schwebend, damit beide Optionen Cristina de Negueruela, Telekommunikationsfach- für zukünftige Ernstfälle hinreichend erprobt wer- frau aus Spanien, und Michael Thomsen, Elektroinge- den konnten. Bis zum Augenblick der Rückkehr aus nieur aus Dänemark. Ein durchdachter Ansatz: Um der Schwerelosigkeit musste zumindest der Tubus eine realistische und repräsentative „Astronauten- derart in der Luftröhre des Patienten fixiert sein, crew“ darzustellen und gleichzeitig den Aspekt zu dass Kontroller und Assistent während der danach betonen, dass auch und gerade medizinische Laien folgenden einminütigen Pause mittels Stethoskop lebensrettende Maßnahmen beherrschen müssen, und Messcomputer den Erfolg der Intubation prü- war dieses Team ideal aufgebaut: eine wissenschaft- fen konnten. In der Luft zu schweben wie ein Fisch liche, zwei technische und eine nicht-technische im Wasser ist eines der berauschendsten Gefühle, Ausbildung – vier Kandidaten aus drei Staaten, jeder die man sich vorstellen kann. Man realisiert, dass mit zusätzlicher Ausbildung im Bereich der Welt- man von Geburt weg an die Schwerkraft unseres raumwissenschaften. Doch zunächst verwandelten Planeten gebunden war – und plötzlich, wenn auch sich die Crew-Mitglieder selbst in „Patienten“: Alle nur für Sekunden, fehlt diese Einschränkung. Im Dre- vier Test-Intubatoren wurden im Vorfeld der Flüge hen und Schweben verschwimmen so manche An- intensiv trainiert, unter anderem durch Kurse in haltspunkte: Fixiert nun der Intubator den Patienten Anatomie und Physiologie, Atemwegsmanagement oder hält der Patient als lebendiger Haltegriff den sowie Notfallmedizin, durch Intubationstraining an Intubator bei der Stange? Hört der eigene Magen verschiedenen Simulatoren, Assistenz im Kranken- irgendwann auf zu fallen, wie viel Blut strömt noch haus-Anästhesiebereich während Operationen so- im Kopf? Und wann ist man schon jemals hilflos wie wie viele Stunden Unterwassertraining. Speziell das ein Baby mitten in der Luft gehangen, ohne vor- Arbeiten in drei Dimensionen unter Wasser wird wärts oder rückwärts weiter zukommen und nicht im Allgemeinen als nächste Annäherung an das Ge- einmal auf den Boden zu fallen?! fühl der Schwerelosigkeit im Weltraum verstanden. Mit Hilfe des Teams der Wasserrettung Innsbruck konnte ein komplettes Training in vier Metern Tiefe absolviert werden, das viel Aufschluss über die Ab- läufe des Experimentes gab. Ein Beitrag von Gernot E. Grömer und Alexander Soucek Mag. Alexander Soucek arbeitet bei der ESA in Atem anhalten und einsteigen. Frascati/Italien als Weltraumjurist. Mag. Gernot Nach einem halben Jahr der Vorbereitung und nach Grömer (ÖWF) studierte Astrophysik an der Absolvierung der Flugtauglichkeitsprüfungen kam Uni Innsbruck und Notfallsanitäter im Rettungs- der Zeitpunkt, atemlos zu werden: die Flugwoche dienst; er simulierte 2003 in der Wüste von der 37. ESA Professional Parabolic Flight Campaign Utah eine Mars-Expedition, beide waren in der im Juni 2004 in Bordeaux, Frankreich. Im Moment, Adama Flight Crew. als das Flugzeug sich im abenteuerlichen Winkel von 47 Grad aufbäumte, der Triebwerksschub schlag- artig zurückgenommen wurde und der Airbus in Österreichische Weltraum Forum ÖWF freien Fall überging, hob sich das Quartett wie von Das ÖWF ist eine nationale Plattform für Geisterhand bewegt vom Boden. Getestet wurden Raumfahrtexperten, der Öffentlichkeit und der in den insgesamt 93 Parabeln zwei unterschiedliche nächsten Generation, die auch selbst bei welt- Intubationstechniken, das Intubationsphantom und raumbezogenen Aktivitäten tätig ist. der Intubator waren während 45 Parabeln durch Mehr Infos unter www.oewf.org Haltegurte in der Kabine festgeschnallt, in 45 Pa-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 113 Raumsonden mut zur lücke bei der cassini/huygens-mission

eines der beiden Haupttrieb-

NASA werke der Sonde für mehr als nur ein paar Sekunden in Betrieb war. Damals, beim so genannten Deep Space Maneuvre, noch im inneren Sonnensystem, hatte der Mo- tor für 87 Minuten gearbeitet und die Geschwindigkeit der Raumsonde um 1.600 Kilo- meter pro Stunde erhöht. Zur Erleichterung aller lief das Triebwerk an diesem 27. Mai, fünf Jahre und sechs Mo- nate nachdem es zum letzten Mal in Betrieb war, ohne Pro- bleme. Die Generalprobe für den Einschuss in den Saturn- Orbit war erfolgreich.

Cassini/Huygens schwenkt in einen Orbit um den Saturn ein. Alptraum eines Klempners Am Schluss lastete die ganze Verantwor- Das Antriebssystem der Raumsonde ist der Alp- tung auf dem Triebwerkssystem. Und es er- traum eines Klempners. Es gibt nicht nur eine ein- forderte den „Mut zur Lücke“. Die sportive zelne Rohrleitung von den Tanks zu den Ventilen Entscheidung der Missionsplaner, für das und weiter zu den Triebwerken, sondern viele alter- Bremsmanöver in die Saturn-Umlaufbahn nierende Pfade und viele Back-up Ventile für jeden zweimal durch die nur 30.000 Kilometer denkbaren Notfall. Das Antriebssystem kann eine breite Lücke zwischen dem F und dem G- ganze Reihe von Anomalien bewältigen. Wegen Ring zu fliegen, bereitete den Programm- den besonderen Anforderungen der Mission ist verantwortlichen in den Stunden vor der Cassini eines der wenigen Raumfahrzeuge, das zwei entscheidenden Triebwerkszündung einige voneinander unabhängige Haupttriebwerke hat. Bauchschmerzen. Doch dann ging alles nach Für die Designer des Triebwerkssystems, das die Plan… Robotsonde letztendlich in die Umlaufbahn ein- Am 27. Mai hatte der Bordcomputer der Raumson- bremsen musste, war der Druck ungeheuer. Das de Cassini das Haupttriebwerk A für sechs Minuten Cassini-Projekt ist astronomisch teuer, es kostet 3,3 und zwei Sekunden gefeuert und damit das Raum- Milliarden Dollar, und die Hoffnungen und Träume fahrzeug auf den Kurs für das Rendezvous-Manöver tausender von Ingenieuren und Wissenschaftler hän- mit dem Saturn-Mond Phoebe gebracht. Gleichzei- gen daran. Ein Versagen dieses Systems wäre nicht tig war diese Kurskorrektur aber auch bereits das auszudenken. Um in den gewünschten Orbit zu ge- Feintuning für den Saturnorbit-Einschuss in den langen, musste das Triebwerk für 96 Minuten und frühen Morgenstunden des 1. Juli. 24 Sekunden feuern. Der Beginn der Zündung war durch die Bahnmechanik auf den 1. Juli um 4:35:42 „Trajectory Correction Maneuver 20“ wie die Mis- Uhr mitteleuropäischer Zeit fixiert. Hätte jetzt das sionscontroller in Pasadena die Zündung nannten Triebwerk nur für 85 Minuten oder weniger gear- war relativ kurz, aber auch überaus kritisch, denn es beitet, dann wäre die Mission gescheitert. Ab der war das erste Mal seit einem halben Jahrzehnt, dass

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85. Minute Brennzeit wäre zumindest ein halbwegs Nummer sicher gehen. Bevor die Sonde die Ebene brauchbarer Orbit erreicht gewesen. Die Last der der Ringe durchquerte, wurde das Fahrzeug mit Verantwortung lag dabei auf REA-A, der „Rocket der Hauptantenne in Flugrichtung geschwenkt. So Engine Assembly A“. Immerhin, das Vertrauen in die konnte sie die empfindlichen Instrumente wie ein Antriebseinheit war recht hoch. Aber fast seit Beginn Schutzschild abschirmen. Das half zumindest gegen der Reise befand sich eine Fehlfunktion im System. Mikrometeoriten. Aber schon ein Staubpartikel von Ein bekannter Fehler zwar - in einem Heliumventil der Größe eines Hirsekorns hätte die Raumsonde - um den man „herumarbeiten“ konnte, aber im- unweigerlich zerstört. merhin etwas, das nicht nominell funktionierte. Und Cassini hätte auch auf die Durchquerung des inne- dann war da die Software. Für keine Weltraum- ren Ringes verzichten können. Es gab noch einen mission wurden jemals so komplexe Programme alternativen Pfad kurz hinter der Bahn von Mimas. erstellt. Jeder Computer-Experte weiß, dass auch Zwar hätte das Raumfahrzeug auch hier durch die in den bestgetesteten Programmen, wenn sie nur Ringe kreuzen müssen, zwischen dem E und dem komplex genug ist, unentdeckte „Bugs“ lauern, die F-Ring, an dieser Stelle wäre aber die Lücke größer sich stets im unpassendsten Moment bemerkbar und die Wahrscheinlichkeit für gefährliches Material machen. Die Software-Designer der Cassini-Mission geringer gewesen. Aber dann wäre das Bremsma- verkündeten deshalb auch ganz öffentlich und ohne növer suboptimal ausgefallen und es wären kaum Scheu, dass sich in solch komplexen Programmen noch Treibstoffreserven verblieben. Je näher die unausweichlich auch Fehler verbergen werden. Alles Sonde das Bremsmanöver am Saturn durchführ- wurde zwar ein ums andere Mal getestet, im Simu- te desto effizienter war es vom Standpunkt der lator in Pasadena. Sogar künstlich Fehler wurden Treibstoffnutzung. Und je größer die verbleibenden eingebaut, um ihre Auswirkung zu prüfen. Aber das Treibstoffvorräte sind, desto länger kann dann die hier war jetzt das wirkliche Ding. Immerhin waren eigentliche Forschungsmission im Saturn-System die Programme laufend verbessert worden. Beim dauern. Und es gibt noch einen weiteren, ebenso Start vor sieben Jahren hatte sich nur eine Basis- wichtigen Grund, möglichst nahe an den Ringen Software an Bord befunden. Seitdem sind immer und am Saturn vorbeizukommen: der wissenschaft- wieder neue Programm-Patches zur Raumsonde liche Nutzen. geschickt worden. Zweimal wurde sogar die kom- plette Software durch einen neuen Release ersetzt. Wie die Aufnahmen von Phoebe schon gezeigt haben, ist die Kamera an Bord der Raumsonde ein wunderbares Gerät. Es hat eine hervorragende Wenig Raum für Irrtümer Auflösung, und mit einem solchen Instrument die Das Bremsmanöver hatte wenig Raum für Irr- Ringe aus nächster Nähe ins Visier zu nehmen, sollte tümer. Auch beim Nominalablauf war es schon für absolut fantastische Bilder sorgen. Damit konnte schwierig genug. Auch da gehörte schon ein man dem Steuerzahler zeigen, wofür sein Geld ver- Quentchen Glück dazu, dass alles klappte. Cassini wendet worden ist. brauchte das Glück vor allem beim Durchqueren des Ringsystems. Zweimal musste sich die Raum- sonde durch die Lücke zwischen dem F und dem Nur sporadischer Kontakt zur Erde G-Ring „quetschen“. Das war zwar ein Spielraum Um 4:11 Uhr war die erste Durchquerung der Rin- von knapp 30.000 Kilometern, aber angesichts der ge sicher erfolgt. Jetzt orientierte sich Cassini neu. Tatsache, dass die Ringe über 400.000 Kilometer Das Triebwerk zeigte jetzt in Flugrichtung und die Gesamtbreite haben doch recht wenig. Und ob Antenne nach hinten. Ursprünglich hatte die NASA diese Lücke tatsächlich komplett leer war, ohne geplant, während des Brennmanövers gleichzeitig Weltraumschutt, wusste vorher auch keiner so ganz wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen. genau. Von der Erde aus gesehen, näherte sich die In diesem Fall hätte aber während der gesamten Sonde dabei den Ringen von schräg unten. Zur Zeit kritischen Phase von sechs Stunden keinerlei Kon- ist der Saturn nämlich auf seinem Lauf um die Son- takt zur Erde bestanden. Diese Idee ließ man fallen, ne um einige Grad von der Erde „weggekippt“. Die nachdem im Jahre 1999 der Mars Polar Lander Annäherungsgeschwindigkeit relativ zum Saturn wegen eben dieses Vorgehens spurlos verschollen betrug dabei 78.400 Kilometer pro Stunde. Bereits war, ohne dass man je herausfand, was damals die Raumsonden Pionier 10 und 11 und auch Voy- schief gegangen war. Die NASA suchte also nach ager 2 flogen durch die Lücke zwischen dem F und einem Weg, mit dem sie zumindest einige wenige dem G-Ring, ohne dass es, abgesehen von einem Informationen über den Ablauf des Brennmanövers sprunghaften Anstieg der Mikro-Meteoritenhäufig- erhalten konnte. Sollte das Raumfahrzeug verloren keit, ein Problem gegeben hätte. Die Missionsplaner gehen, dann ist es für zukünftige Missionen wichtig von Cassini wollten aber trotzdem möglichst auf zu wissen, ob es ein Problem mit dem Saturnringen

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gab, oder aber ob die Technik an Bord versagte. werk umschaltet und mit dem Brennmanöver fort Eine Einflussmöglichkeit von der Erde bestand fährt. Aber durchgeführt wäre es auf jeden Fall wor- in dieser kritischen Phase sowieso nicht. Dafür den, selbst bei schwerwiegenden Fehlfunktionen an sind die Signal-Laufzeiten zu lange. Das Licht und der Raumsonde. Wenn während des normalen Be- damit auch die Funksignale brauchen 84 Minuten triebs ein Problem am Raumfahrzeug auftritt, dann von der Raumsonde zur Erde und ebenso lange versetzt der Bordcomputer normalerweise das wieder zurück. Damit bestand keine Chance, dass Fahrzeug in einen Zustand, den die Missionscontrol- die Missionskontroller bei einem akuten Problem ler „Safe Mode“ nennen, in einen Sicherheitsmodus eingreifen konnten. also. Für das Eintreten in diesen Sicherheitsmodus gibt es zahllose Möglichkeiten, abhängig von der Art Um mit der Erde während des Brennmanövers des Fehlers. Das Resultat ist immer dasselbe. Cassini Kontakt zu halten gab es zwei Möglichkeiten: Die stellt seinen Forschungsbetrieb ein, sucht nach der eine war es, die Hochleistungsantenne während Sonne (und hat damit automatisch die ungefähre dieser Phase auf die Erde auszurichten und Daten Ausrichtung zur Erde, denn von Cassinis Warte aus zu übertragen. Nachdem die aber fest mit der ist die Erde nie mehr als sechs Grad von der Sonne Struktur des Raumfahrzeugs verbunden ist, hätte entfernt). Und dann schaltet das Raumfahrzeug auf das auch bedeutet, dass das Haupttriebwerk nicht eine niedrige Datenübertragungsrate um und war- mehr genau in den Geschwindigkeitsvektor gerich- tet auf Instruktionen. tet gewesen wäre. Die Folge wäre gewesen, dass viel mehr Treibstoff für das Bremsmanöver hätte Wegen der großen Entfernung zum Saturn und aufgewendet werden müssen. Deshalb ging die der langsamen Kommunikationsrate während NASA zu „Plan B“ über und beschloss, die so ge- des Safe-Mode hätten die Ingenieure auch im nannten „Low Gain Antenna“ einzusetzen. Auf die günstigsten Fall 48 Stunden benötigt, um Cassini gewaltige Entfernung zum Saturn ist diese Antenne wieder in den Normalbetrieb zu bringen. Würde allerdings so leistungsschwach, dass keinerlei Daten das Raumfahrzeug aber während des überaus kri- übertragen werden konnten. Aber allein schon die tischen Saturn-Bahnmanövers in Safe-Mode gehen Analyse der Doppler-Verschiebung im Signalton und das Triebwerk stilllegen, dann wäre die Mission zeigte an, ob und wann das Brennmanöver begann, gescheitert. Aus diesem Grund war für die Zeit des wie sein Fortgang war, welche Bremsverzögerung SOI-Manövers die Fehlerschutz-Software stillgelegt, auftrat und wann es endete. mit Ausnahme der Module, die benötigt wurden, um Anomalien während des Brennmanövers selbst zu regeln. Hätte etwa der Einschlag eines Mikrome- SOI - Saturn Orbit Insertion teoriten das Triebwerk A beschädigt, dann hätte der Das SOI Manöver (für Saturn Orbit Injection) ist Computer innerhalb von 10 Minuten auf das zweite eines von nur drei so genannten „kritischen“ Se- Triebwerk umschalten und das Brennmanöver quenzen, die in die Missions-Software von Cassini fortsetzen können. Die Einschussbahn wäre dann eingebaut sind. Als kritische Sequenz gilt ein Ablauf, nicht mehr optimal gewesen, es wäre viel vom Re- der ordnungsgemäß durchgeführt werden muss, servetreibstoff verbraucht werden, aber die Mission damit der Missionserfolg sichergestellt ist. Die wäre gerettet gewesen. erste dieser Sequenzen war der Start zur Venus vor sieben Jahren, die zweite war das Einbremsen in die Umlaufbahn um Saturn und die verbleibende Planmäßiger Ablauf dritte Sequenz ist die Huygens Datenübertragungs- Nachdem sich Cassini für das SOI-Manöver posi- Sequenz am 14. Januar 2005. tioniert hatte, begann die Sonde, das Trägersignal zu senden, das um 4:27 Uhr aufgefangen wurde. Das SOI Manöver ist aber insofern einzigartig, als Mission Control wusste damit, dass das Raum- dass es das einzige Manöver während der ganzen fahrzeug die erste Ringdurchquerung intakt über- Mission war, das zu einem exakt definierten Zeit- standen hatte. Um 4:36 veränderte sich das Signal punkt stattfinden musste. Es kann nicht verschoben wie vorhergesagt durch eine Veränderung in der werden, sonst ist die Mission gescheitert. Hätte das Doppler-Modulation der Trägerwelle. Das Brenn- Brennmanöver nicht funktioniert, wäre die Sonde manöver hatte begonnen. Im Kontrollzentrum am Saturn vorbei geflogen und in den Weiten des brandete kurz Applaus auf. Dreißig Minuten nach Alls verschwunden. Der Bordcomputer wurde des- Beginn des Bremsmanövers kam es für 25 Minuten halb instruiert, das Brennmanöver auf keinen Fall zu zu einem Blackout in der Signalübermittlung, weil stoppen. Ganz gleich welcher Fehler auch immer Cassini jetzt durch den Saturnring A abgeschattet auftreten mag. Es gibt zwar einige Notfallszenarien, war. 55 Minuten nach Beginn der Zündung konnte in denen der Bordcomputer das Brennmanöver das Signal wieder klar empfangen werden, denn kurz anhalten kann, dann auf das Reserve-Trieb-

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jetzt konnte die Raumsonde durch die so genannte Geschwindigkeit der Raumsonde um weitere 1.400 Cassini-Teilung der Saturnringe angepeilt werden. Kilometer pro Stunde reduziert wird. Die Missions- 61 Minuten nach Beginn der Zündung verschwand planer nennen das Manöver PRM, die Kurzform von das Signal abermals, als das Raumfahrzeug vom „Perigee Raise Manöver“, bei dem der niedrigste B-Ring verdeckt wurde. Danach bestand bis zur Bahnpunkt in etwa auf die Höhe der Titan-Bahn 89. Minute keine Verbindung mehr. Erst danach angehoben wird. konnte das Dopplersignal wieder verfolgt werden. Am 26. Oktober 2004 passiert Cassini den Titan Die geringste Annäherung an den Saturn, knapp erstmals wirklich nahe, in nur 1.200 Kilometern 20.000 Kilometer über der Wolkendecke wurde Entfernung und am 13. Dezember noch einmal in 5:03 mitteleuropäischer Zeit erzielt, da lief das 2.340 Kilometern Entfernung. Brennmanöver noch acht Minuten. Um 5 Uhr 11 schaltete der Bordcomputer das Triebwerk wieder Am ersten Weihnachtsfeiertag soll die Freigabe der ab. Die Geschwindigkeit der Raumsonde war jetzt europäischen Titan-Landesonde Huygens erfolgen. um 2.240 Kilometer pro Stunde gesunken. Am 1. Januar passiert Cassini den Mond Japetus in Unmittelbar nach Brennschluss schwenkte das 65.000 Kilometern Entfernung. Raumfahrzeug herum und richtete die Hauptan- Der Abstieg der Landesonde Huygens auf die tenne für eine Minute zur Erde, um einen kurzen Oberfläche des geheimnisvollen Titan soll dann Statusreport zu übermitteln. Gleich danach rollte während des dritten nahen Rendezvous mit Titan sich Cassini in eine Position, in der sie die nur 15.000 am 14. Januar 2005 geschehen. Während Huygens Kilometer tiefer gelegenen Ringe beobachten konn- den Abstieg zur Oberfläche des Mondes unter- te. Die Raumsonde wird während ihrer gesamten nimmt, hält Cassini den Funkverkehr mit dem Lan- Primärmission den Ringen nie wieder so nahe der aufrecht. Das Mutterschiff kommt dabei dem kommen wie in dieser Phase. Titan nur auf 65.000 Kilometer nahe. Am 15. Febru- Um 5:32 Uhr drehte sich Cassini wieder in die ar erfolgt der nächste Vorbeiflug an Titan, diesmal in Schutzstellung mit der Antenne als Schild nach vor- 950 Kilometern Entfernung. Bei jedem dieser nahen ne gerichtet, und um 5:58 Uhr stieß die Raumsonde Vorbeiflüge macht Cassini Radaraufzeichnungen erneut durch die Lücke zwischen dem F und dem von dem Mond, die jeweils etwas weniger als ein G-Ring, diesmal im aufsteigenden Ast der Bahnel- Prozent der Oberfläche erfassen. lipse um den Saturn. Exakt um 7:00 mitteleuropäi- Am 17. Februar und am 19. März finden zwei scher Zeit richtete sich Cassini wieder zur Erde aus, Vorbeiflüge am Mond Enceladus statt. In 1.180 und und begann für eine Zeitspanne von 19 Stunden 500 Kilometern Abstand. und 30 Minuten Daten zur Erde zu senden. 31 Stunden nach dem Einschuss in den Orbit passierte Am 31. März und am 16. April ist wieder Titan an Cassini den Mond Titan in einer Entfernung von der Reihe und am 14. Juli noch einmal Enceladus. weniger als 330.000 Kilometern. Das war damit der Am 22. August und am 7. September ist erneut erste offizielle Vorbeiflug am Titan während dieser Titan das Ziel, am 24. September Tethis in 33.000 Mission, und die erste, die erprobte, ob die Kamera Kilometer Entfernung, am 26. September Hyperion an Bord der Raumsonde die dunstige Atmosphäre in 950 Kilometern Abstand und am 11. Oktober durchdringen kann. Dione in nur 500 Kilometern. Am 28. Oktober holt Cassini wieder am Titan Die ersten 18 Monate im Saturn-System Schwung und erreicht am 26. November Rhea. Den Während diese Ausgabe für den Druck vorbe- Abschluss der Mondbegegnungen des Jahres 2005 reitet wird, besteht kein Kontakt zur Raumsonde, macht wieder Titan am 26. Dezember in einem denn zwischen dem 4. und 11. Juli verschwindet Abstand von 10.400 Kilometern. der Saturn von der Erde aus gesehen hinter der Sonne. Doch am 12. Juli sollte sich Cassini wieder in Dieses gewaltige Programm ist aber nur der Pasadena melden und dann beginnt die eigentliche Auftakt einer noch viel längeren Expedition. So vierjährige Primärmission. Sehen wir uns die Ziele lange sie dauert werden wir regelmäßig von Saturn, der ersten eineinhalb Jahre, bis zum Dezember seinen Ringen und seinen geheimnisvollen Monden 2005, einmal an: berichten. Am 23. August steht ein weiteres extrem wichtiges Manöver an. An diesem Tag muss das Haupttrieb- werk ein letztes Mal in Aktion treten. Es ist dies ein 51 Minuten langes Brennmanöver, bei der die Ein Beitrag von Eugen Reichl.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 117 Raumsonden NASA schneller späher Am 20. November um 18:16 mitteleuropä- ischer Zeit startete mit dem Gammastrah- lenobservatorium Swift das bedeutendste astronomische Weltrauminstrument des Jahres zu einer mindestens zweijährigen Mission in die Erdumlaufbahn. Um 19:52 war der vorgesehene Orbit 600 Kilometer über der Erdoberfläche erreicht. Eine Stun- de später entfaltete Swift seine beiden So- largeneratoren. Die von Aero Astro in den USA gebaute astrono- mische Plattform ist ein Forschungssatellit der Me- dium-Explorer-Klasse. Seine Hauptaufgabe ist es, die Geheimnisse der rätselhaften Gamma-Strahlenaus- brüche, kurz Bursts genannt, zu untersuchen. Swift soll diese Bursts im optischen- und im ultravioletten Bereich, sowie im Röntgenspektrum beobachten, unmittelbar nachdem sie aufgeflammt sind. Gamma-Bursts erzeugen für kurze Zeit mehr En- ergie, als der gesamte Rest des Universums zu- sammen. Diese immer noch rätselhaften Ereignisse geschehen im Durchschnitt etwa einmal pro Tag. Die Verteilung ist komplett zufällig. Es können sich durchaus drei Bursts innerhalb von einer Stunde er- eignen, und danach wieder eine Woche lang keiner. Sie dauern von einigen Millisekunden bis zu einigen hundert Sekunden. Bis zum heutigen Tag sind le- diglich ein dutzend Gamma-Strahlen-Bursts gleich- zeitig im sichtbaren Licht und im Röntgenspektrum erfasst worden. Mit Swift wird sich das ändern, denn bei diesem Satel- liten sind die Beobachtungsinstru- mente miteinander gekoppelt. Da- mit wird für jedes Burst-Phänomen, das Swift untersucht, ein vollständiger Datensatz entstehen. Gamma-Bursts wurden im Juli 1967 durch einen Zufall von amerikanischen Vela-Satelliten entdeckt. Deren Aufgabe war es, eventuelle Nuklearexplosionen in der Erdatmosphäre festzustellen. Es dauerte zwei Jahre, bis den Militärs klar war, dass die mysteriösen Signaturen, die sie auffingen, nicht von unidentifizierten Kernwaffentests in der Erdatmosphäre kamen, sondern dass sie aus dem Weltraum stammten. Erst weitere vier Jahre später wurde diese Informationen vom Militär deklassifi- ziert und konnten damit veröffentlicht werden. Künstlerische Darstellung von SWIFT.

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Seit damals sind die Phänomene mit einer ganzen te Afterglow im Röntgenbereich wurde von dem Reihe von Raumfahrzeugen untersucht worden. Die italiensichen Forschungssatelliten „BeppoSAX“ am bekanntesten waren wohl das Compton-Observa- 28. Februar 1997 registriert, als dieser den Gamma- torium der NASA, das inzwischen nicht mehr im Burst GRB979228 beobachtete. Dienst ist, und der Forschungssatellit Integral der Die Wissenschaft ist sich bis zum heutigen Tag nicht ESA. sicher, was die Gammastrahlen-Bursts auslöst, denn Der Gammastrahlen-Detector von Swift, mit dem die Datenbasis ist wegen der Flüchtigkeit des Phä- Namen BAT (das Akronym steht für Burst-Alert Te- nomens sehr klein. lescope), ist etwa dreimal sensitiver als der Detek- Man geht aber davon aus, dass es mehrere Arten tor des Compton-Teleskops, das in den neunziger von Bursts gibt, die auf unterschiedliche Ursachen Jahren im Einsatz war. BAT wird in der Lage sein, zurückzuführen sind. Die gängigste Version ist der einen Gamma-Burst mit einer Genauigkeit von we- Kollaps überschwerer Sterne zu schwarzen Lö- niger als vier Bogensekunden festzustellen, und wird chern, sie könnten aber auch durch die Kollision diese Position innerhalb von maximal 20 Sekunden zweier Neutronensterne, zweier schwarzer Löcher nach Beginn des Bursts zur Erde übermitteln. oder dem hypothetischen und noch nicht durch Die Astronomen auf der Erde werden dann mit direkte Beobachtung bestätigten Verdampfen eines diesen Daten versuchen, so schnell wie irgend schwarzen Lochs hervorgerufen werden. möglich erdgebundene Teleskope auf das Phäno- Swift wird im Schnitt jeden Tag etwa 50 Kilobytes an men auszurichten. Das ist ein Prozess, der unter Daten für die so genannten „Quick-reaction-alerts“ sehr günstigen Umständen in wenigen Minuten über die Datenrelay-Satelliten der NASA senden. ablaufen kann. Manchmal dauert es aber einen Tag Immer dann also, wenn es gilt, innerhalb von Se- oder mehr, bis ein Großteleskop für diesen Zweck kunden die Astronomen auf dem Boden von einem verfügbar ist. Das ist natürlich entschieden zu lange neuen Gamma-Burst zu benachrichtigen. Seine für ein solch flüchtiges Phänomen. Hier wird Swift eigenen Beobachtungen speichert Swift dagegen aber selbst aktiv. An Bord des Satelliten befinden an Bord, und übermittelt sie erst dann, wenn er die sich sechs so genannte Reaction control wheels, Bodenstation überfliegt. Dann kann er pro Überflug Schwungräder, mit denen sich das Weltraumobser- bis zu 6 Gigabyte an Daten übermitteln. Die „Hei- vatorium in maximal 75 Sekunden auf jeden Punkt matbasis“ für Swift wird die von Italien betriebene des Himmels ausrichten kann. Bodenstation in Malindi in Kenia sein. Diese Station Sobald sich Swift in Position gebracht hat, wird wird übrigens auch regelmäßig bei Ariane-Starts zur er das Phänomen mit seinen drei Instrumenten Datenübermittlung eingeschaltet. untersuchen, dem XRT (für X-Ray Telescope), also Swift kostet alles in allem etwa 200 Millionen dem Röntgenstrahlen-Teleskop, mit UVOT (für Euro. Die Projektwissenschaftler hoffen, dass sie Ultraviolet/Optical Teleskope), einem Teleskop, das in der zweijährigen Primärmission etwa 200 Gam- den ultravioletten und optischen Wellenbereich ma-Bursts direkt beobachten können. Da diese abdeckt, und das baugleich mit dem Instrument ist, Strahlungsereignisse ja nur sporadisch auftreten, das sich auch an Bord des europäischen Röntgen- bleibt Swift einiges an „Freizeit“. Die wird Swift teleskops XMM befindet, und eben BAT, dem Burst dazu nutzen, eine Durchmusterung des ganzen Alert Telescope selbst. Himmels im Röntgenbereich vornehmen. Die Wis- Die meisten Gammastrahlen-Bursts dauern nur senschaftler gehen davon aus, dass sie mit Swift‘s zwischen zwei und zehn Sekunden. Das bedeutet, Hilfe über 400 neue supermassive schwarze Löcher dass das Aufflammen dieser Bursts nur dann auf- finden werden. gefangen werden kann, wenn Swift zufällig in diese Himmelsregion blickt. Die Chance dafür beträgt Ein Beitrag von Eugen Reichl. etwas mehr als 15 Prozent. Während der Primär- mission von Swift sollte das aber immerhin einige Dutzend Mal gelingen. Von einer weitaus größeren Zahl dieser extrem kurzen Bursts wird Swift aber den „Afterglow“, das „Nachglühen“ auffangen. Das Nachglühen entsteht, wenn die Gammastrahlung des Ursprungsobjektes durch Materiewolken teilweise abgeblockt wird. Dieses Phänomen kann noch Tage und Wochen nach einem Gammastrah- len-Ausbruch andauern. Der erste jemals registrier-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 119 Raumsonden neuer horizont für uranus folgen, ist also nur noch weniger als ein

NASA Jahr entfernt. NH 1 soll dann im Februar 2007 einen nahen Vorbeiflug am Jupiter unternehmen, um kräftig Schwung zu holen, und Pluto und seinen Mond Cha- ron im Juli des Jahres 2015 erreichen. Nach der ersten Detailerkundung dieses äußersten Planeten unseres Son- nensystems und seines Mondes soll NH 1 danach noch ein oder zwei kleinere Objekte des Kuiper-Gürtels ansteuern. Die Ziele dafür liegen noch nicht fest. Verglichen mit den meisten bisherigen Tiefraumsonden wie Voyager, Galileo oder Cassini ist NH 1 nur ein sehr kleines Raumfahrzeug und vergleichswei- se preiswert obendrein. NH 1 wiegt voll betankt nur 465 Kilogramm. Sie ist damit vergleichbar mit den Pioneer-Sonden der frühen siebziger Jahre. NH 1 trägt sieben hoch miniaturisierte Instrumente, mit deren Hilfe man fundamental neue Erkenntnisse über den Aufbau des Son- nensystems erwartet. Die Sonde wird nur 13 Monate nach dem Start von der Erde bereits den Jupiter erreicht haben. Um sie auf ein so enormes Tempo zu beschleunigen benötigt sie eine norma- lerweise völlig überdimensionierte Trä- gerrakete, nämlich eine Atlas 551. Zum Vergleich dazu: Dieser Träger wird auch Sehr schöne künstlerische Darstellung in einem allerdings reichlich eingesetzt, um im nächsten Jahr den überfüllten Kuiper-Belt. sechsmal schwereren Mars Reconnais- sance Orbiter auf den Weg zum Roten Planeten zu bringen. Die Mission hat schon viele Namen erhal- ten. Am bekanntesten ist sie wahrschein- Der amerikanische National Research Council be- lich immer noch unter der Bezeichnung zeichnete NH 1 als die bedeutendste Mission der Pluto-Express: Die erste Raumsonde mit näheren Zukunft für die Planetenforschung. Schon dem Auftrag, den äußersten Planeten des früh entstand deshalb die Idee, die Sonde nicht wie Sonnensystems und seinem mysteriösen ursprünglich geplant, als Einzelmission zu fliegen, Mond zu untersuchen und danach eine er- sondern einer alten Tradition der NASA folgend, als ste Erkundung von Objekten des Kuiper- Doppelmission zu projektieren. Ein Konzept dafür Gürtels vorzunehmen. entstand vor etwa zwei Jahren. Damit war das Pro- jekt New Horizon 2, kurz NH 2, geboren. Die NASA wählte Pluto-Express im Jahre 2001 als erste Mission im Rahmen des neu gegründeten NH 2 wird, wenn die derzeitige Planung gehalten New Frontier-Programmes aus, und gab ihr dann werden kann, im Jahre 2008 starten. Auch sie macht die Bezeichnung New Horizons 1, kurz NH 1. sich auf den Weg zum Jupiter. Sollte bis ende 2009, Die Vorbereitung dieser Mission macht gute Fort- also bis zu dem Zeitpunkt an dem NH 2 den Jupiter schritte, trotz einiger technischer und programma- erreicht, ein technisches Problem bei NH 1 auftre- tischer Probleme. Große Teile der Hardware sind ten, kann NH 2 als Reservesonde die Pluto-Mission inzwischen fertig. Der Start soll im Januar 2006 er- übernehmen, wenngleich dann ein wesentlich

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längerer Flugweg eingeschlagen werden müsste. Das nominale Startfenster wird sich für einige Wo- Sollte NH 1 danach scheitern, dann kann NH 2 chen im Jahr 2008 öffnen, ein Reservestartfenster immer noch die Kuiper-Belt Mission retten. Die liegt im Jahr 2009. Wie bei NH 1 wird auch NH 2 Überlegung für ein solches Vorgehen ist, dass die eine schnelle Direktroute zum Jupiter nehmen, und Pluto-Sonde mehr als neun Jahre lang unterwegs auch die zweite Sonde wird zunächst am Riesenpla- sein wird, um ihr erstes Ziel zu erreichen, und noch neten Schwung nehmen, dann aber nicht auf eine einmal signifikant länger, um danach ein Kuiper-Belt Bahn in Richtung Pluto, sondern auf eine Trajektorie Objekt zu erreichen. Diese Reise ist weiter und in Richtung Uranus umgelenkt. Diese Uranus-Pas- dauert länger als je zuvor für ein Raumfahrzeug, sage wird dann eine Mission für sich selbst sein. um das Primärziel zu erreichen. Die Risiken für ein Wenn NH 2 im Jahre 2014 den Uranus erreicht einsames einzelnes Raumfahrzeug bei einer solchen - vorausgesetzt der Start erfolgt 2008 - wird er Mission sind offensichtlich. den blaugrünen Methanriesen mit seinen derzeit In der Vergangenheit hat sich die NASA schon bekannten 17 Monden in einer weitaus vorteil- öfters bei hoch riskanten Einsätzen dadurch ab- hafteren Position antreffen, als Voyager 2 vor 30 gesichert, dass sie zwei Raumfahrzeuge zu einem Jahren beim einzigen bisherigen Uranus-Vorbeiflug. bestimmten Ziel gesendet hat. Diese Zwei-Raum- Damals war der Südpol des Planeten fast direkt zur fahrzeuge-Strategie war insbesondere in den frühen Sonne ausgerichtet und Voyager durchflog den Ura- Tagen der Raumfahrt im Mariner-Programm sehr nus und sein Mondsystem fast im rechten Winkel, nützlich. Von den Raumsonden Mariner 1 und 2, eine denkbar schlechte Position für eine ausgiebige die während des gleichen Startfensters zur Venus Erkundung. Diesmal ist Uranus fast eine viertel Son- entsandt wurden, erreichte nur Mariner 2 ihr Ziel. nenumrundung weiter, und die Planetenebene liegt Ähnlich war es bei den Marssonden Mariner 3 und nahezu in der Flugbahn. NH 2 kann also das gesam- 4. Nur Mariner 4 erreichte den Mars. Und von den te Mondsystem in ganzer Breite durchqueren. baugleichen Marssonden Mariner 8 und 9 konnte Anders als beim kurzen Vorbeiflug von NH 1 am nur Mariner 9 seine Mission erfüllen. kleinen Pluto wäre Uranus schon Tage vor der Mindestens genauso oft waren aber beide Raum- größten Annäherung Bild füllend vor der Kamera fahrzeuge erfolgreich. Voyager 1 und 2, Viking 1 und von NH 2. 2 oder die beiden Mars Exploration Rover sind Die Schwerkraft des Uranus biegt die Flugbahn von ein Beispiel dafür. In diesen Fällen war die weitaus NH 2 schließlich so, dass eines der interessantesten größere Datenausbeute der Lohn für die höheren der derzeit bekannten Kuiper-Belt Objekte ange- Gesamtkosten. Und gerade die beiden Marsrover steuert werden kann: 1999 TC36. Dieses Objekt ist zeigen, dass durch eine erfolgreiche Doppelmission mit einem geschätzten Durchmesser von 400-500 völlig unerwartete Ergebnisse erzielt werden kön- Kilometern nicht nur ein wahrer Mammut, sondern nen. Ergebnisse, die einen ganz anderen Gesamt- es handelt sich auch noch um ein binäres Objekt, Kontext herstellen, als eine Einzelmission. also einen Planetoiden, der seinerseits einen Mond Ähnlich soll es auch mit NH 2 werden. Sind beide besitzt. Sonden erfolgreich, dann kann mit dem zweiten TC 36 ist zehnmal größer als jedes Kuiper-Belt Raumfahrzeug eine wesentlich bessere wissen- Objekt, das NH 1 möglicherweise erreichen kann. schaftliche Basis für das Verständnis des äußeren Selbst der Mond von TC 36 ist noch doppelt so Sonnensystems geschaffen werden als mit einer groß wie jedes mögliche NH 1 Zielobjekt. Nach TC Einzelmission. 36 würde NH 2 weiterfliegen zu einem oder zwei NH 2 wird signifikant weniger kosten als die erste weiteren Objekten mit Durchmessern zwischen 50 Sonde, denn hier könnten alle Ersatzgeräte der und 100 Kilometern. Alles in allem könnte NH 2 ersten Sonde verwendet werden. Die Missions- drei, vier oder vielleicht sogar mehr Kuiper-Belt- kontrolle kann ohne wesentlichen Mehraufwand für Objekte erreichen. NH 1 vielleicht eines, mit Glück dasselbe Geld eine zweite Mission steuern, und so zwei. geht das New Horizon Team davon aus, dass für die Die Reise von NH 2 wäre ein Flug, angefüllt mit NH 2 Mission nur etwa 40 Prozent der Kosten von interessanten Ereignissen. Für manchen Planeten- NH 1 anfallen werden. wissenschaftler stellt sich NH 2 inzwischen schon Vor wenigen Wochen wurde NH 2 vom amerika- als die interessantere der beiden Missionen dar. nischen Senat abgesegnet und wird in die NASA- Budgetplanung aufgenommen. Die Mission könnte damit in Vorbereitung gehen. Wie wird dieser Flug nun aussehen? Ein Beitrag von Eugen Reichl.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 121 Raumsonden NASA es werde licht

Künst. Darstellung der Sonde WMAP am Lagrange Punkt 2

Neueste Forschungen haben ergeben, dass eben noch nicht existent, dehnte sich mit unge- von der Entstehung des Universums bis heurer Geschwindigkeit aus, dem viel-milliardenfa- zum Aufleuchten des ersten Sternes etwa chen der Lichtgeschwindigkeit. Scheinbar jenseits 200 Millionen Jahre vergangen sind. Der aller Naturgesetze. Doch nicht Dinge bewegten junge Kosmos hatte die „Dark Ages“ über- sich mit aberwitziger Geschwindigkeit, sondern der wunden. Das Zeitalter der leuchtenden Raum selbst. Sterne begann. Die Periode der Inflation, wie die Kosmologen die- ses rätselhafte Ereignis bezeichnen, war unfassbar Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. kurz. Schon 10-34 Sekunden nach seinem Beginn Und die Erde war wüst und leer, war sie auch schon wieder vorbei. Die Ausdehnung und es war finster in der Tiefe; des Raums ging jetzt zwar weiter, gerann aber und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. nach diesem vehementen ersten Ausbruch zu (Bibel: Genesis) der stetigen Expansion, die den Kosmos seitdem vergrößert. Das Universum war geschaffen. Die Naturkraft, Einst war die Zeit, da Ymir lebte. eben noch eins, war im Moment nach der Inflation Da war nicht Sand, noch See, noch Meereswogen, gespalten in vier getrennte Wechselwirkungen. Nicht Erde fand sich noch oben Himmel, Nur gähnender Abgrund und Gras nirgendwo. In den ersten Millionstel Sekunden seines Seins war (Edda: „Der Seherin Spruch“) der Kosmos extrem heiß und hell. Es gab weder Protonen noch Neutronen. Das Universum war angefüllt mit einer unfassbaren Menge an Strahlung und einer dazu vergleichsweise geringen Menge an Die Zeugung der Materie Quarks. Die Ahnung, dass der Kosmos aus einem unbe- Dieses anfängliche Strahlungsfeld, die kosmische kannten „Nichts“ gezeugt wurde, ist tief in allen Hintergrundstrahlung, gibt es noch heute. Und Religionen der Welt verwurzelt. In ihren Über- noch immer füllt es den gesamten Raum. Doch ist lieferungen und heiligen Büchern versuchen sie seine Energie jetzt, dank der Expansion des Univer- diese Urzeugung in Worte zu fassen. Die benutzten sum, auf nur noch 2,7 Grad über dem absoluten Metaphern unterscheiden sich, aber der Sinngehalt Nullpunkt gesunken. der Aussagen ist gleich: Zunächst war das „Nichts“. Dann kam der Moment der Schöpfung… Die in den Strahlungskosmos der ersten Mikrose- kunde eingestreuten Quarks bestanden zur einen Der Beginn des Seins des Kosmos, der Zeitpunkt Hälfte aus normaler Materie, zur anderen Hälfte an dem unser Universum in seine Existenz barst, aus Antimaterie. Allerdings nur fast, denn es exis- war das kataklysmische Ereignis schlechthin. In tierte ein winzig kleiner Überhang hin zur normalen einem einzigen unfassbar kurzen Moment brach Materie. Dieser Überschuss war so klein, dass auf das Raum-Zeit-Kontinuum auf, und das Universum,

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etwa dreißig Millionen Antimaterie-Quarks dreißig Meer aus Wasserstoff- und Heliumkernen, geringen Millionen und ein Materiequark kamen. Mengen von Deuterium und Lithium, aus Photonen und freien Elektronen. Innerhalb der nächsten Millisekunden in der Existenz unseres Universums vernichtete sich Materie- und Antimateriequarks und trugen damit einen winzi- Und Gott sprach: gen Teil zum schon vorhandenen Strahlungsmeer Es werde Licht! Und es ward Licht. bei. Nur dieses dreißig Millionstel an überzähligen Und Gott sah, dass das Licht gut war. Quarks blieb erhalten. Aus diesem scheinbar so Und Gott schied das Licht von der Finsternis kläglichen Rest besteht heute die gesamte Materie und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. des Kosmos. (Bibel: Genesis) Die Vernichtung fast aller Materie- und Antimate- riequarks war 30 Mikrosekunden nach dem Urknall abgeschlossen. Unmittelbar danach verbanden sich Bis Börs Söhne den Boden erhoben, die restlichen Quarks zu Protonen und Neutronen. Sie, die das mächtige Midgard schufen. Der Überhang an Strahlung blieb aber unfassbar Die Sonne von Süden schien auf die Felsen Und noch war das Universum erfüllt von Licht. groß. Auf jedes Proton oder Neutron an normaler Und dem Grund entgrünte grüner Lauch. Materie kommen etwa eine Milliarde Photonen und (Edda: „Der Seherin Spruch“) eine womöglich noch größere Zahl an Neutrinos. Etwa eine Sekunde nach dem Urknall war die Tem- Die Dark Ages peratur soweit gesunken, dass ein Teil der Protonen Die Hitze im frühen Universum war so groß, dass und Neutronen zu Helium-, Deuterium- und Lithi- alle Elemente in ständiger Wechselwirkung waren. umkernen verschmelzen konnte. Das Deuterium Strahlung und Materie waren eng gekoppelt. Ein wiederum fusionierte fast sofort zum größten Teil undurchsichtiges Gewitter ständiger Interaktionen zu Helium. Dieser Vorgang hielt für etwa dreieinhalb von Strahlung und Materie war im Gange. Unter Minuten an und brach abrupt ab, als die Temperatur den Bedingungen dieses so genannten thermischen des Kosmos soweit gesunken war, dass eine Fusion Gleichgewichtes dehnte sich das Universum immer dieser Elemente nicht mehr möglich war. In dieser weiter aus und kühlte dabei ab. Zeit, nicht länger als ein olympischer 1.500-Meter- Lauf, waren die Urelemente des gesamten Kosmos Die Monotonie wurde nur durch geringfügige entstanden. Schwankungen in der Hintergrundstrahlung des Universums gestört, Überreste aus der kurzen in- Schwerere Kerne wie Kohlenstoff oder Sauer- flationären Phase der ersten Nanosekunden. stoff konnten aber zunächst nicht entstehen. Sie wurden erst im Zeitalter der leuchtenden Sterne 379.000 Jahre nach dem Urknall fand das Zeitalter geschaffen. des Gleichgewichts ein jähes Ende. Die kurze Ära der „Rekombination“ begann. Zu diesem Zeitpunkt Nach diesen ersten fulminanten Minuten stellt sich hatte sich die Temperatur des Universums auf etwa im jungen Universum ein Zustand relativen Gleich- 3000 Kelvin abgekühlt. Damit war es jetzt kühl ge- gewichts ein. Der Raum war nun ein ungeheures nug dafür, dass sich die herumschwirrenden Elektro- nen an die freien Protonen binden konnten. NASA Die Prägung der Urmaterie war nun abgeschlossen. Der eben entstandene neutrale Wasserstoff bildete nun drei Viertel der vorhandenen normalen Mate- rie im Universum. Fast der gesamte Rest bestand aus Helium. Bei der Zeugung der Materie im frühen Universum entstand aber nicht nur baryonische Materie, also die Materie die wir kennen und die aus Neutronen und Protonen besteht. Wir wissen heute, dass di- ese „gewöhnliche“ Materie nur etwa vier Prozent der Materie im Universum ausmacht. Zusätzlich gibt es im Universum große Mengen an „dunkler“ baryonische Materie, also „normale“ Materie die Darstellung zum Alter des Universums. keine oder nur sehr geringe Strahlung versendet.

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COBE und WMAP NASA bringen Licht ins Dunkel Die Schwankungen im heutigen kosmischen Hin- tergrund sind der Abdruck der Schwankungen, die vorlagen, als Materie und Strahlung zuletzt in Berührung waren. Weil die Schwankungen in der Materiedichte schließlich zur Bildung der ersten Sterne führten, können wir aus den Schwankungen im Mikrowellenhintergrund ablesen, welches die Anfangsbedingungen für die Bildung von Sternen, Galaxien und noch größeren Strukturen waren. Materieverteilung im Universum Die Astronomen, die sich mit dieser frühen Phase des Universums beschäftigen, standen vor einem Und dann gibt es - wahrscheinlich - noch eine sehr fundamentalen Problem: Wie beobachtet man exotische, ebenfalls „dunkle“ Materie, die weder aus etwas, das existierte bevor die ersten Sterne Licht Neutronen noch aus Protonen besteht. Die Suche produzierten. Doch die Wissenschaft fand eine nach dieser geheimnisvollen dunklen Materie ist ei- Lösung für dieses Problem: man kann die ersten ne ganz eigene spannende Geschichte. Atome des frühen Universums beobachten, indem 379.000 Jahre nach dem Urknall waren damit man die „Schatten“ observiert, die sie werfen. die Voraussetzungen geschaffen, die schließlich Wie ist das zu verstehen? Um diese „Schatten“ zwangsläufig zur Bildung der ersten Sonnen führen zu sehen muss ein Beobachter die Mikrowellen- mussten. Hintergrundstrahlung des Kosmos beobachten. Mit der Bildung der Wasserstoffatome klarte, bild- Die Strahlung, die von der Geburt des Universums lich gesprochen, die Sicht plötzlich auf. Es war als übrig geblieben ist. wäre eine undurchdringlich blendende Blitzefront Das Hilfsmittel zur Auffindung dieser Strahlung wa- plötzlich verschwunden, und hätte der klaren, ren zwei Raumfahrzeug: der „Cosmic Background dunklen Nacht Platz gemacht. Explorer“, kurz COBE und ihr Nachfolger, die „Wil- Das Meer der Photonen war nun nicht mehr in kinson Microwave Anisotropy Probe“ (WMAP). Wechselwirkung mit der Materie und strömte Diese beiden Raumfahrzeuge machten sich auf ungehindert durch den Raum. Doch das Verschwin- die Suche nach dem ältesten Spuren des Lichts den der Interaktionen hatte eine bedeutende Folge: im Universum. Den letzten sichtbaren Überresten Es wurde Nacht im Universum. Die „Dark Ages“ des Big Bang. begannen. Erst seit die Bildung der Materie abgeschlossen war, 379.000 nach der Geburt des Universums, kann die vom Big Bang verbliebene kosmische Hintergrund- Und Gott sprach: strahlung seit nunmehr nahezu 13,3 Milliarden Es werde eine Feste zwischenden Wassern, Jahren ungehindert durch den Raum streifen. Mit die da scheide zwischen den Wassern. der Zeit begegneten einige der Photonen dieser Da machte Gott die Feste und schied das Wasser Strahlung Ansammlungen von Wasserstoffgas und unter der Feste von dem Wasser über der Feste. wurden von diesem absorbiert. Indem man nun Und Gott nannte die Feste Himmel. nachsieht, wo es Regionen mit weniger Photonen (Bibel: Genesis) gibt, also Regionen, die vom Wasserstoff abgeschat- tet sind, können die Astronomen Rückschlüsse auf die Materieverteilung im jungen Universum Die Sonne von Süden, des Mondes Gesellin machen. Hielt mit der Rechten den Himmelsrand, Sonne wusste nicht, so sie Sitz hatte, Um die Photonen der kosmischen Hintergrund- Mond wusste nicht, was er Macht hätte, strahlung absorbieren zu können, muss die Tempe- Die Sterne wussten nicht, wo sie Stätte hätten. ratur des Wasserstoffs niedriger sein als die Tempe- (Edda: „Der Seherin Spruch“) ratur der Kosmischen Hintergrundstrahlung. Diese Bedingungen existierten nur, als das Universum zwi- schen 20 und 100 Millionen Jahre alt war, lange vor der Bildung von Sternen oder gar Galaxien. Damit ist hier eines der Zeitfenster definiert, in das COBE und WMAP hineinsehen konnten.

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Welches Weltraumteleskop ist für welches Licht „zuständig“? Diese Grafik zeigt WMAP im Vergleich mit dem Hubble Teleskop (HST) und mit dem für 2011 geplanten James Webb Teleskop.

Doch speziell WMAP, der ja der Nachfolger von schweren Elemente, die in der zweiten Sternen- COBE war, kann noch mehr. Die Raumsonde kann generation beobachtet werden, nicht von so ex- nicht nur die ungefähre Masseverteilung des Was- trem massiven Sternen verursacht werden kann. serstoffs im frühen Universum bestimmen, sie kann Sterne mit einer solchen Masse enden nach un- auch die Überreste ionisierter, also elektrisch ge- serem heutigen Wissen in schwarzen Löchern und ladener, Gase, die zwischen den Galaxien treiben, reissen fast alles, was sie jemals an schweren Ele- feststellen. menten produziert haben, mit sich. Die Forschung geht daher heute in die Richtung zu erkunden, ob WMAP fand heraus, dass die Ionisierung Sterne mit dem 20 bis 100 fachen Mas- des intergalaktischen Gases etwa se unserer Sonne ebenfalls das 200 Millionen Jahre nach dem beobachtete Verhältnis von Urknall begann. Damit ist schweren zu leichten Ele- der Zeitpunkt definiert, menten produziert haben an dem die ersten könnten, gleichzeitig aber Sterne zündeten. Die- auch den von WMAP be- ser Prozess kann nach obachteten Ionisierungs- heutiger Erkenntnis nur grad geschaffen haben von sehr massereichen kann. Möglich wäre das, denn Sternen erreicht worden die Verteilung der Sterntypen sein. Sternen von der 200 bis muss im frühen Universum wesentlich 500fachen Masse unserer Sonne. NASA anders gewesen sein als heute. In der Gegenwart ist Und hier ein kleiner Exkurs, der belegt, dass WMAP es so, dass die Anzahl an Sternen zunimmt, je weniger nicht nur Fragen beantwortete, sondern auch neue Masse sie haben. Sterne mit 100 Sonnenmassen und aufwarf, denn die Beobachtungen der „Wilkinson mehr sind in unserer Galaxis extrem selten. Microwave Anisotropy Probe“ führen zu einem Doch zurück in unser dunkles Universum kurz nach Problem: Es besteht darin, dass das Verhältnis der dem Zeitpunkt der „Rekombination“.

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die frühen Protogalaxien ein wenig, ganz langsam Und Gott sprach: nur, aber immerhin hatten sie einen geringen Dreh- Es werden Lichter an der Feste des Himmels, impuls. Und unter dem Einfluss der Schwerkraft die scheiden Tag und Nacht zogen sich diese Galaxienkeime zusammen. Der und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre, Drehimpuls blieb erhalten, und es bilden sich ganz Und seien Lichter an der Feste des Himmels von selbst scheibenartige Strukturen, die ersten dass sie scheinen auf die Erde. Protogalaxien. Und in ihnen molekulare Wolken, (Bibel: Genesis) gewaltige Ansammlungen von Gasmolekülen. Weniger als 200 Millionen Jahre nach der Entste- Zum Richterstuhl gingen die Weisen hung des Universums waren diese Molekülwolken alle Hochheilige Götter hielten Rat bereit für die Geburt des ersten Sternes. Der Nacht und dem Neumond gaben sie Namen Benannten Morgen und Mittag auch. Zwielicht und Abend, die Zeit zu messen. (Edda: „Der Seherin Spruch“) Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser Von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen Die Bildung der Galaxien Auf Erden unter der Feste des Himmels, Nun, da ihnen die Elektronen nicht mehr ständig Und Gott segnete sie und sprach entrissen wurden, konnten die neu gebildeten Seid fruchtbar und mehret euch. Atome langsam unter dem Einfluss der Schwerkraft (Bibel: Genesis) zusammenfinden. Die Vorstellungen über die Bildung von Galaxien haben sich in den letzten Jahren gewaltig geän- Seh aufsteigen zum anderen Male dert. Die früheren Modelle zogen nur „normale“ Land aus Fluten, frisch ergrünend leuchtende Materie in Betracht. Man ging schon Fälle schäumen, es schwebt der Aar, damals aber davon aus, dass geringfügige Dichte- Der auf dem Felsen schwankungen im Urgas schließlich zur Bildung Fische weidet von Galaxien geführt hätten. Doch haben neuere (Edda: „Der Seherin Spruch“) Berechnungen ergeben, dass die Zeiträume für die Galaxienbildung viel zu lang gewesen wären, wenn Vom Protostern zur ersten Sonne nur normale Materie im Spiel gewesen wäre. In den großen Molekülwolken mit Materialansamm- Wie wir heute wissen, dauerte es aber bis zur lungen in der Masse vieler Millionen Sonnen kam Entstehung der ersten Protogalaxien nur wenige es zu stärker kondensierten kleineren Bereichen, hundert Millionen Jahre, und somit sind diese die in der ganzen gesamten Wolke verteilt waren. Dichteschwankungen auf der Basis der leuchten- Diese Kernbereiche waren durchsetzt mit Mag- den Materie viel zu winzig, um in so kurzen Zeit- netfeldern, die eine wichtige Quelle des Drucks räumen ihr gestaltendes Werk zu vollenden. Der sind. Sie bewahren die Kernbereiche zunächst vor Schlüssel zu diesem Geheimnis liegt darin, dass die dem Gravitationskollaps. Aber dieser Widerstand leuchtende Materie nur die Spitze des Eisbergs im dauerte nicht ewig, denn die Magnetfelder wander- Universum ist. Ausschlaggebend bei der Formation ten langsam nach außen und die Zentralbereiche der Galaxien ist vielmehr die dunkle Materie. Sie wurden immer dichter. ist der eigentliche Kondensationskeim für die Ga- Sobald die Magnetfelder den Kernbereich der Mole- laxienbildung. külwolke verlassen hatten, wurde diese schnell dicht Der Astronom Martin Rees hat die leuchtende und schwer, und fiel schließlich in sich zusammen. Materie mit dem „Schaum in der Brandung“ eines Der Keim für den ersten Stern war damit gelegt. dunklen Ozeans verglichen. Eine Metapher, welche Die Kernbereiche der Molekülwolke, die zur Ge- die Bedeutung der dunklen Materie, des eigentli- burt eines Sternes führen, sind niemals völlig ruhig. chen Meeres also, gut beschreibt. Sie haben immer einen Drehimpuls, durch den sie, Die geheimnisvolle dunkle Materie hat jedenfalls solange sie eine große Wolke bilden, extrem lang- den größten Beitrag dazu geleistet, dass die Bildung sam rotieren. Vielleicht eine Rotation pro Jahrmilli- der ersten Galaxien nach kosmischen Zeitmaßstä- on. Doch wie wir wissen, bleibt dieser Drehimpuls ben geradezu fulminant ablief. bei der Kontraktion erhalten. Somit dreht sich der Kern einer molekularen Wolke beim Kollabieren Unter dem Einfluss der dunklen Materie rotierten

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NASA

Diese von WMAP aufgenom- mene Mikrowellen-Aufnahme des Himmelsglobus schneller und schneller. Auch fällt nicht die gesamte zeigt die Verteilung des Lichts um ca. 379.000 Jahre Masse der Wolke komplett auf den entstehenden nach dem Urknall. Stern, sondern die Materie sammelt sich, wie schon zuvor bei der größeren Einheit der Galaxien zum ne Energie noch aus der gravitativen Kontraktion. größten Teil in einer Scheibe an, die den Protostern Eines Tages jedoch war er weit genug geschrumpft. umgibt und begleitet. Sein Kern war jetzt so heiß, dass die Fusion des Das Objekt In der Mitte des kollabierten Gaswir- Wasserstoffs in Gang kam. Erstmals seit den Tagen bels war nun von einer dichten Gas- und Staubhülle des Urknalls zündete das atomare Feuer wieder. umgeben, die nach innen strömte. Sie war so dick, Der erste Stern war geboren und bald schon, und dass sie keinen Blick auf den sich bildenden Stern in immer schnellerer Folge, blitzten überall im Uni- zugelassen hätte. versum auch anderswo helle Sterne in blauen Gas- Dies war der Zeitpunkt, an dem der entstehende wolken auf. Das dunkle Zeitalter war vorüber. Das Stern erstmals zu strahlen begann. Allerdings nicht Zeitalter der leuchtenden Sterne hatte begonnen. in einem Bereich, den das menschliche Auge wahr- nehmen kann, sondern im Infrarotbereich. Ein Beitrag von Eugen Reichl. Innerhalb relativ kurzer Zeit nahmen Leuchtkraft und Masse des Protosternes zu. Von dem sich bildenden Stern ging ein starker Sternenwind aus, der durch den auf den Stern einprasselnden stürmi- NASA schen Gasregen hindurch nach außen blies. Dieser „Sonnenwind“ bewirkte, dass der erste Stern im Laufe der Zeit immer weniger mit der Molekül- wolke verknüpft war, aus der er entstanden war: Der Stern löst sich von seiner Geburtsstätte ab. Obwohl der noch in der Bildung befindliche Stern schon leuchtete, hatte er nicht von Anfang an die Beschaffenheit, die notwendig war, um durch das Verschmelzen von Wasserstoff zu Helium Energie Die Zündung der ersten Sterne, vor etwa zu erzeugen. Zu Beginn seines Lebens bezog er sei- 200 Millionen Jahren.

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Die Genesis-Kapsel nach dem Einschlag in den Wüstenboden von Utah. Im Hintergrund die beiden Helikopter, welche die Kapsel eigentlich aus der Luft hätten auffangen sollen. genesis und der andromeda-virus oder „das debakel über utah“ Es hätte der krönende Abschluss einer na- der Rückkehrkapsel verstaut. Seit diesem Zeitpunkt hezu reibungslosen Mission werden sollen. befand sich Genesis auf einer komplizierten Rück- Drei Jahre hatte Genesis im Weltraum kehrbahn zur Erde. verbracht, 1,5 Millionen Kilometer von der Es war dies die erste so genannte „Sample Return Erde entfernt. Die Aufgabe, jenseits der blo- Mission“ der NASA, seit die Crew von Apollo 17 ckierenden Strahlungs- und Magnetgürtel im Dezember 1972 gut 100 Kilo Gestein aus dem der Erde: Das Sammeln von Partikeln aus Taurus Littrow Mondgebirge zur Erde gebracht dem Sonnenwind. Im April dieses Jahres hatte. Dieses Mal waren es nur wenige hundertstel fuhr Genesis die Kollektoren wieder ein Gramm, doch dafür umso hochklassigeres Material und trat den Heimflug an, um die 264 Mil- lionen Dollar teure Mission zu einem krö- Am 8. September war der Tag des Wiedereintritts nenden Abschluss zu bringen. Doch dann in die Erdatmosphäre gekommen. In einem spekta- kam es anders… kulären Manöver sollte der 205 Kilogramm schwere Proben-Kanister in der Form einer kleinen fliegen- den Untertasse über der „U.S. Air Force Utah Test Der Plan … and Training Range“ von einem Hubschrauber aus Genesis war im Juli 2001 in den Weltraum gestartet der Luft geborgen werden. Dieses unbewohnte mi- und hatte seitdem fast die gesamt Zeit außerhalb litärische Sperrgebiet liegt in den Großen Salzseen, des Magnetfeldes der Erde verbracht, am Librati- gut 100 Kilometer westlich von Salt Lake City. onspunkt 1, um dort Partikel des Sonnenwindes in speziellen Sammelvorrichtungen, den Kollektoren, Jedes der fünf Kollektorpaneele besteht aus einer einzufangen. Die fünf Kollektorpaneele der Raum- Vielzahl hexagonaler Plättchen aus Silikon, Gold, sonde waren insgesamt 850 Tage lang geöffnet ge- Saphir, und anderen Materialien. Diese wesen. Im April dieses Jahres wurden sie wieder in Plättchen, Wafers genannt, dienen als Trägermaterial

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Raumsonden Teile der Genesis-Kapsel im Clean-Room. NASA

2004 spacexpress raumfahrtchronik 129 Raumsonden NASA Um 17:55 Zeit sollte die Kapsel über Salem in Ore- gon in 120 Kilometern Höhe auf die Erdatmosphäre treffen. Zwei Minuten und sieben Sekunden später, nun schon über dem Luftraum von Utah, und noch mit hoher Überschallgeschwindigkeit unterwegs, hätte dann, laut Plan, die Kapsel in 33 Kilometer Hö- he einen ersten Pilotschirm auswerfen sollen, eine so genannte Stabilisierungsballute, um die Dreh- und Trudelbewegung des Fahrzeug aufzuheben und die Kapsel abzubremsen. Sechs Minuten danach, in 6.100 Metern Höhe, wäre dann der Hauptfallschirm auszuwerfen gewesen, ein matratzenförmiger, steuerbarer Paragleiter. Und danach, so war es vorgesehen, sollte die Kapsel lang- sam in weiten Kreisen über dem Zielgebiet dem Boden entgegen sinken und auf den Helikopter warten, der sie dann in etwa 2.500 Metern Höhe So hat Genesis in den vergangenen zwei Jahren Material aus einfangen sollte. dem Sonnenwind eingefangen. – Künstlerische Darstellung. Dieses Bergungsmanöver war elfmal geübt worden, die Erfolgsrate in diesen Übungen lag bei glatten für die eingefangenen Sonnenpartikel. Die Wafers 100 Prozent. hatten die lange Reise durch den Weltraum unbe- schadet überstanden. Um zu verhindern, dass die fragile Fracht bei der Landung zerbrach, oder dass … und die Wirklichkeit eine Kontaminierung durch irdische Stoffe erfolgte, Schon beim alten preußischen Militärstrategen hatte die NASA das in der Vergangenheit bei Mili- Clausewitz ist nachzulesen, dass ein Plan in der Re- tärsatelliten über hundert Mal erfolgreiche Luftber- gel die erste Feindberührung nicht übersteht. Und gemanöver gewählt. so war es auch hier. Dabei muss man, um gerecht zu sein, konstatieren, dass die ersten Abschnitte Das Genesis Raumfahrzeug sollte die kleine Lan- der Landung wie am Schnürchen verliefen. Das desonde gegen 14:00 mitteleuropäischer Zeit „Aufspinnen“, die Trennung vom Mutterfahrzeug, „aufspinnen“, das heißt in Rotation versetzen, um das Divert-Manöver, der Eintritt in die Erdatmo- dadurch eine Drallstabilisierung herbeizuführen. sphäre über Oregon, alles „Right on the Money“, Vierzehn Umdrehungen pro Minute sollten es sein. wie Mission Control zu diesem Zeitpunkt bekannt Danach würde Genesis die Kapsel freigegeben gab. „Genau im Ziel“ war die Raumsonde, und das worauf diese antriebslos der Erde entgegenstür- war nicht übertrieben. Fast auf den Meter präzise zen sollte. Das Mutterfahrzeug sollte dann ein flog die Landesonde im berechneten Eintrittskanal, so genanntes „Divert-Manöver“ durchführen, in während sich ihre Außenhülle auf mehrere tausend geringem Abstand die Erde passieren und in einen Grad Celsius aufheizte. Beifall brandete unter den Sonnenorbit einschwenken. Missionswissenschaftlern auf, als die Long-Range- Tracking-Kameras der NASA die Kapsel einfingen. Doch der Beifall wurde schnell spärlicher und ebbte schließlich ab.

NASA Für einige Augenblicke entstand völlige Stille im Kontrollraum, Sekunden, in denen den Projektin- genieuren klar wurde, dass auf den Monitorbildern etwas nicht stimmte. Da war die Kapsel, die sich immer noch vierzehnmal pro Minute drehte, so wie Genesis sie freigegeben hatte. Und sie taumelte. Und da war kein Fallschirm. Und dann lief alles ab wie in einem der billigen Hol- lywood-Movies, wie sie in vergangenen Jahrzehnten reihenweise gedreht worden sind. Der Kurs der Kapsel blieb „Right on the money“. Exakt im Ziel So hätte die Bergung eigentlich laufen sollen krachte sie in den Boden von Utah, mit 320 Kilo-

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metern pro Stunde, lediglich gebremst durch die mal schief gehen kann, dann bleibt die Frage, wie die Luftreibung. Dort blieb sie, etwa einen Meter tief Landung einer sehr simplen und kleinen Raumkap- eingegraben, zerschmettert liegen. sel auf dem Planeten Erde scheitern kann. Ein Ver- fahren, das bei dutzenden bemannten Raumkapseln Vielleicht erinnern sich hier die Science-Fiction Fans in den Programmen Mercury, Gemini und Apollo an einen Film mit dem Titel „Andromeda-Tödlicher und in über hundert unbemannten Rückkehrkap- Staub aus dem All“ (Original-Titel: The Andromeda seln in den Programmen Discoverer, Corona und Strain), eine Low-Budget Produktion aus den frühen Keyhole immer prächtig funktioniert hat. Siebzigern, in denen schlechte Schauspieler, miese Kulissen und ein lächerlicher Plot die Handlung Die harte Wahrheit lautet: Im Raumfahrtgeschäft bestimmen: der Wiedereintrittskörper eines mys- ist nichts Routine. In den Jahren 1960-1980 mögen teriösen Militärsatelliten kommt vom Kurs ab und viele Dutzend Spionagekapseln am Fallschirm hän- wird von irgendeinem neugierigen Idioten geöffnet. gend aus der Luft geborgen worden sein, praktisch Eine tödliche Form von Weltraum-Viren kommt jede Woche eine, aber das sagt nichts über die Zu- frei und rafft die Einwohner eines nahe gelegenen verlässigkeit eines neuen Designs, das im Jahre 2000 Örtchens dahin. Nur zwei Bewohner überleben, ein produziert worden ist. Die 2000er Kapsel braucht kleines Baby und ein betrunkener alter Mann. Und neue Teile von neuen Herstellern, weil die Teile, die der Virus breitet sich aus… in den Sechzigern erhältlich waren, nirgendwo mehr aufzutreiben sind, außer vielleicht in irgendwelchen Die Kapsel im Film sah der Genesis-Kapsel verblüf- CIA-Museen. Das neue Design muss von Grund auf fend ähnlich, und auch der Film-Absturz erfolgte in neu qualifiziert und vor allem getestet werden. Und genau dem gleichen Gebiet in Utah. Es hat in der um einen vernünftigen Test durchzuführen, müssten Filmgeschichte der letzten Jahrzehnte eine ganze eigentlich Versuchsflüge im Weltraum durchgeführt Reihe schlechter Movies gegeben, die auf wirklichen werden. Aber für die gibt es kein Geld. Raumfahrtereignissen basierten. Dies ist aber der erste Fall, dass ein aktuelles Raumfahrtereignis einen schlechten Hollywood-Schinken kopiert. NASA Sie werden sich fragen, was der Handlungsrahmen dieses Films mit der Genesis-Kapsel zu tun hat? Noch nicht einmal der bornierteste Raumfahrtgeg- ner würde Moleküle aus dem Sonnenwind mit ei- ner möglichen Verseuchung der Erde in Verbindung bringen. Aber dazu kommen wir gleich, denn zuerst sollte uns die Frage interessieren:

Wie konnte das passieren? Wie wir jetzt wissen, wurde das Fallschirmsystem der Genesis-Kapsel nie aktiviert. Auch die Pyros, kleine Explosivladungen, deren Aufgabe das Her- ausfeuern der Fallschirme aus den Kanistern gewe- sen wäre, wurden nie scharf gemacht. Somit war die Das vorgesehene Landeprofil. Die Bergung aus der Luft ist Vorsicht der Bodencrews, die es noch Stunden nach notwendig, um die Proben nicht zu kontaminieren dem Absturz nicht wagten, die Kapsel anzurühren, unbegründet. Das Signal vom Bordcomputer konn- Das militärische Corona-Programm in den frühen te nicht ausgeführt werden, weil, wie es derzeit aus- sechziger Jahren hatte unglaubliche 13 Fehlschläge sieht, die Batterien oder die Leitungsbahnen defekt in ununterbrochener Folge zu verzeichnen, bis das waren. Die Pyros erhielten keinen Strom und konn- Landeverfahren mit dem Abwurf einer kleinen Kap- ten nicht abgefeuert werden. Kein Strom - Keine sel vom Satelliten, dem Eintritt in die Erdatmosphä- Pyros - Kein Fallschirm. So einfach ist das. re, dem Entfalten eines Pilotschirmes, dem Entfalten Zynische Berichterstatter in der Fachpresse haben eines Hauptschirmes und der anschließenden Ber- mit sardonischem Unterton gemein, dass die NASA gung aus der Luft auch klappte. wohl ein „Landeproblem“ hat. Wenn man jetzt aber Know-How, wie jegliche geistige und manuelle die Columbia als Ausnahme sieht und den Mars Fertigkeit, ist etwas das verloren geht, wenn man Polar Lander, den die NASA im Jahre 2001 auf dem es nicht ständig benutzt. Es ist nicht konservierbar. Roten Planeten zerschmetterte, als schwieriges Wenn vor dreißig Jahren jede Woche eine Rück- exoterrestrisches Manöver entschuldigt, das schon

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ste von Utah. Gleich nach dem Absturz wurde von NASA den NASA-Offiziellen das bei Fehlschlägen übliche Beschönigungsritual in Gang gesetzt. Die Manager behaupteten, dass trotz des Crashs immer noch eine große Anzahl wertvoller Daten aus der völlig zertrümmerten und mit Schmutz angefüllten Kapsel gewonnen werden können. Es sind dies die selben Leute, welche die Errichtung eines Reinraumes der Klasse 10 am Johnson Space Center gefordert und durchgesetzt haben, weil sie behaupteten, dass schon die Kontaminierung mit wenigen Mikro- Die zertrümmerte Genesis-Kapsel wird von den gramm Schmutz die Proben völlig unbrauchbar Projektwissenschaftlern untersucht machen würde. Und es sind dieselben Leute, die darauf bestanden, dass die Kapsel aus der Luft auf- gefangen werden muss, weil sie behaupteten, schon kehrkapsel sicher geborgen werden konnte, dann der leichte Stoß einer normalen Fallschirmlandung bedeutet das nicht, dass die NASA das auch heute würde die Proben unweigerlich zerstören. noch kann, denn sie hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht. Beschämend für die Amerikaner ist Kein Wissenschaftler, der etwas auf seinen Ruf hält vielleicht nur, dass eine Nation wie China das Ver- wird nun auch nur einen Pfifferling auf die Daten fahren routinemäßig und perfekt beherrscht. Gera- geben, die jetzt möglicherweise als „Wissenschaftli- de als diese Zeilen geschrieben wurden, kam der cher Output“ dieser Mission publiziert werden. chinesische Forschungssatellit FSW 19 wieder zur Immerhin gab ein NASA-Sprecher gewunden zu, Erde zurück und landete problemlos am Fallschirm. dass „wir nun in einer Situation sind, in der die Wissenschaftler mit wesentlich größeren Konta- Schönfärberei der NASA minierung der Proben arbeiten müssen, als wir Der Fehlschlag ist äußerst schmerzhaft, denn Ge- ursprünglich geplant hatten“. Und weiter: „Die nesis adressierte wichtige wissenschaftliche Ziele. Missionsplaner haben in ihren Szenarios die Mög- Man darf einen starken Skeptizismus über die zur lichkeit ins Auge gefasst, dass die Genesis-Kapsel Zeit publizierte Zusammensetzung der Solaren ungebremst aufprallen könnte und der Landestoß Photosphäre hegen. In der Vergangenheit gab es nicht durch das Fallschirmsystem gemildert wird. alle paar Jahre neue Modelle über die Komposi- Der Notfallplan dafür existiert, er ist festgelegt tion des Sonnenmaterials, insbesondere die Ver- und unglücklicherweise müssen wir ihn jetzt an- teilung der von Sauerstoff-Isotopen. Das Gebiet wenden“. ist ein Spielfeld kosmochemischer Theoretiker, die sich mit immer neuen Hypothesen überbieten. Die Der Andromeda-Virus Genesis-Mission versprach jetzt diesem endlosen All das ist schon deprimierend genug. Aber es Zyklus von Irrtümern und Vermutungen ein Ende kommt noch zwei Stufen schlimmer. Stufe eins: zu setzen, in dem sie erstmals direkte Proben aus Eine sehr ähnliche Kapsel wie die von Genesis ist der solaren Photosphäre zur Erde bringen sollte. an Bord der Raumsonde Stardust auf dem Weg zur Jetzt liegt dieser Traum zerschmettert in der Wü- Erde. Es handelt sich dabei um einen Behälter in der sich Proben von Interstellarem Staub und vor allem Partikel aus dem Schweif des Kometen Wild 2 be-

NASA finden, den die Sonde bei einem nahen Vorbeiflug am 2. Januar dieses Jahres eingesammelt hat. Diese Kapsel soll am 15. Januar 2006 ebenfalls in Utah landen. Die Chancen stehen gut, dass auch diese Rückkehrkapsel den gleichen Defekt in sich trägt wie die Genesis-Kapsel. Die Ingenieure untersuchen das Problem zwar momentan wie wild, aber wenn dann in 14 Monaten die Landung ansteht werden sie nichts anderes tun können als die Finger zu kreu- zen, und zu hoffen, dass es diesmal klappt. Der Rein-Raum in dem die erste Untersuchung der Und damit kommen wir zur Stufe zwei, in der das Genesis-Kapsel stattfand „Andromeda-Movie“ wieder ins Spiel kommt. In

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Das Genesis-Fiasko NASA macht die Kontaminie- rungs-Maßnahmen jetzt zu einem noch hei- ßeren Eisen. Man stelle sich nur vor, zu welch hysterischem Aufschrei es in der Öffentlichkeit gekommen wäre, hätte Genesis eine Sample- Return-Kapsel mit Bo- denproben vom Mars abgesetzt. Die wäre in der Zwischenzeit vom Wind gleichmäßig über Salt Lake City verstreut gewesen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die ersten Stimmen laut Genesis Principal Investigator and Lead Scientist Dr. Don Burnett werden, das Mars Sam- versucht zu retten, was zu retten ist. ple Return Programm einzustellen, mit dem den letzten Jahren denkt die NASA, aber auch die Hinweis auf die äußerst unzuverlässige Art der Pro- ESA, zunehmend über so genannte „Mars Sample benrückführung am Beispiel von Genesis. Man kann Return-Missions“ nach, Missionen, bei denen Bo- darauf warten, dass die ersten Boulevard-Blätter in denproben vom Mars in unbemannten Kapseln zur der nächst besten Saure-Gurken-Zeit das Thema Erde gebracht werden. In den Planungen dafür wur- aufgreifen und in balkendicken Lettern die Absicht den alle möglichen exotischen Fragen untersucht der NASA anprangern, die Erde mit Mars-Mikroben und diskutiert. Niemand hatte sich aber bis jetzt ei- zu verseuchen. nen Kopf über die Details der Rückkehrkapseln ge- macht. Das war schließlich auch kein Problem, denn Es gibt Optionen mit denen eine Mars Sample „das haben wir ja schon in den frühen sechziger Return-Mission die Erdlandung vermeiden kann, Jahren mit Discoverer und Corona gemacht“. angefangen von komplexen Aerobraking-Manövern und anschließender Untersuchung des Materials Die Auswirkungen des Genesis-Crashs für das in der Raumstation bis hin zu Behandlung des Ma- Mars Sample Return Programm sind noch unab- terials mit Gamma-Strahlen. Im einem Fall tauscht sehbar. Noch ist die Öffentlichkeit noch nicht drauf man ein unzuverlässiges Rückkehrverfahren gegen aufmerksam geworden, und die Wissenschaftler, ein anderes ein (Mars Odyssee ist wegen eines die an der Durchführung dieses Programms in- Irrtums in der Anflugtrajektorie in der Atmosphäre teressiert sind, halten still. Nicht zu unrecht, denn des Mars verglüht) braucht aber trotzdem noch viel sie haben jetzt ein Problem mit einem Ei, das sie Zusatztreibstoff, den man erst zum Mars und dann sich selbst gelegt haben. Seit 15 Jahren werden sie wieder zurück transportieren muss. Im anderen Fall nicht müde der Öffentlichkeit zu versichern, dass zerstört man genau das, was man eigentlich finden mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendeine Form von will: Proben von Leben auf dem Mars. Befriedigen mikrobiotischem Leben auf dem Mars existiert. kann keine der Alternativen. Leben, das in der Form von Viren oder Prionen oder vielleicht auch noch simpleren Bio-Bausteinen In der Zwischenzeit sind zwei unabhängige Un- vorkommen mag. tersuchungsgremien eingesetzt worden um den Absturz von Genesis zu untersuchen. Noch ist Je mehr die Menschen bereit sind, das zu glauben, nicht mit letzter Sicherheit bekannt, was an diesem desto mehr werden sie sich vor einem möglichen Mittwoch, dem 9. September, schief ging. Sicher ist Szenario à la „Andromeda-Virus“ ängstigen. Die jedoch eines: Dieser Fehlschlag hat Auswirkungen NASA ist auf den Zug aufgesprungen und hat in weit über das Discovery-Programm und den Auf- den letzten Jahren eine richtiggehende Bürokratie trag der Raumsonde Genesis hinaus. implementiert, die sich mit der Frage befasst, wie Proben einer Mars Sample Return Mission zu be- handeln sind, um Gefahren für die Biosphäre der Erde auszuschließen. Ein Beitrag von Eugen Reichl.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 133 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

Die Show beginnt Die Mission begann kurz nach Sonnenaufgang. Etwa x-prize gegen fünf Uhr morgens war die Kombination aus White Knight, dem Trägerflugzeug des Raumschiffs, und dem unter dem Bauch der großen Maschine showtime aufgehängten SpaceShipOne aus dem Hangar von Scaled Composites herausgerollt und zur Tank- in mojave position auf dem Vorfeld geschleppt worden. Die Betankung dauerte etwa 25 Minuten. Erst dann Am 21. Juni unternahm SpaceShipOne eine histo- kletterte Mike Melville in sein kleines Raumschiff rische Stippvisite in den Weltraum. Nur ein kurzer und einige Minuten später ließ Matt Stinemetz, der Flug, doch hochriskant und gespickt mit gefährlichen Copilot des White Knight, die beiden Triebwerke Zwischenfällen. Pilot Mike Melville überstand das an. Die futuristisch aussehende Kombination setzte Abenteuer aber unbeschadet und machte damit sich langsam in Bewegung und rollte den Taxiway Raumfahrtgeschichte. Hier unser Report und die zum Ende der Runway 30 hinunter. Als Melville die Kommentare des Piloten. riesige Menschenmenge bemerkte, die sich entlang der Absperrungen postiert hatte, öffnete er eine Luke und winkte hinüber. An der Wendeposition Karneval in Mojave am Ende der Startbahn blieb der White Knight In der Nacht war der tags zuvor noch sehr böige schließlich stehen. und heftige Wind abgeflaut. Schon in den Stunden vor dem Einsetzen der Dämmerung konnte man „Als wir den Taxiway hinunterrollten, war ich richtig eine endlose Schlange von Schweinwerferlichtern erschrocken über die Zuschauermassen, die entlang auf der California Highway 14 aus Los Angeles se- des Zaunes standen und riefen und winkten“, sagte hen. Signal für die Ankunft tausender von Menschen. Melville in der Pressekonferenz nach dem Flug. „Es Als dann die Sonne über den Techachipi Mountains war einfach großartig. Es ist ein wirklich gutes Ge- aufging waren die beiden einzigen Verkehrsadern fühl auf diese Weise bestätigt zu bekommen, dass nach Mojave so mit Autos, Vans, Pick-up Trucks wir hier etwas tun, das die Menschen interessiert und Wohnmobilen voll gestopft, dass der Verkehr und bewegt. Schon deswegen bin ich heilfroh, dass zeitweise zum Erliegen kam. wir trotz der kritischen Momente erfolgreich waren und alle miteinander Freude an dem Tag hatten“. Der Sheriff von Kern County in CNN: „In den frü- hen Morgenstunden ging auf den Highways 14 und 58 buchstäblich nichts mehr. Auf beiden Straßen Start in den Weltraum betrug der Rückstau über drei Kilometer“. Auf dem Vor dem Kombi aus White Knight und Space- Gelände des Mojave Airports wurden die Besu- ShipOne hatten zwei Begleitflugzeuge Aufstellung cherströme professionell kanalisiert. Hunderte von genommen, die jetzt starteten: eine in Deutschland VIP‘s waren für diesen Event angereist, unter ihnen gebaute Kunstflugmaschine vom Typ Extra und ei- aktive und ehemalige NASA-Astronauten wie Shut- ne Beechraft Starship. Dann gab Brian Binnie am tle-Commander Scott Horowitz und Edwin Aldrin, Steuer des White Knight Vollschub, zündete die der zweite Mensch auf dem Mond. Auch einige Nachbrenner, mit infernalischem Lärm donnerte Kongressabgeordnete hatten es sich nicht nehmen das Gespann die Runway hinunter und war um 6:47 lassen, die historische Stunde mit zu erleben. Der Ortszeit schließlich in der Luft. Wenige Minuten da- bekannteste und beliebteste unter ihnen war dabei nach startete ein weiteres Begleitflugzeug, ein ehe- sicher Senator Dana Rohrbacher, der in den USA maliges deutsches Kampfflugzeug vom Typ Alpha Jet, für seine aktive Raumfahrtförderung bekannt ist. eine Düsenmaschine. In weiten Kreisen schraubte Die Szene verbreitete den Flair einer großen Flug- sich der White Knight danach eine Stunde lang hö- show: halb öffentliches Festival halb Medienzirkus her und höher, um die geplante Abwurfposition in und beim Morgengrauen hatten sich etwa 20.000 14.800 Metern Höhe zu erreichen Menschen eingefunden. Dazu hunderte von Repor- „Nach dem Abheben war für mich kaum was zu tern und Fotografen. Eltern pilgerten Hand in Hand tun. Brian und Matt steuerten den White Knight mit ihren Kindern in die abgesperrte Zuschauerzo- und ich saß einfach da und wartete“, sagte Melville. ne, die sich entlang des Taxiways erstreckte. Viele „Man kommt sich dabei recht einsam vor. Kaum trugen Klappstühle bei sich, Kühltaschen, Rucksäcke einer redet mit Dir, und da kommt man schon ins oder einfach Plastiktüten mit Kartoffelchips und Grübeln und fragt sich, ob auch alles gut gehen Mineralwasser. Kurzum: es herrschte Volksfeststim- wird“. Melville wurde erst dann in die Abläufe mung. Showtime in Mojave. eingebunden, als der White Knight eine Höhe von

134 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

13.300 Metern passiert hatte. An diesem Punkt ben, könnten wir das gar nicht leisten. Jeder von uns begann Brian Binnie die Checkliste für den Abwurf (neben Mike Melville sind das Brian Binnie, Dough durchzugehen. Melville justierte die Roll-, Gier- und Shane und Pete Siebold) hat hunderte von Simula- Nicktrimmung, um die Maschine für die Zündung tionen hinter sich. Wenn irgendjemand ohne dieses des Raketenmotors exakt auszurichten. Danach Training, und sei er der weltbeste Pilot, einfach nur löste er die Sicherung, die bis zu diesem Zeitpunkt in das Ding springen und loslegen würde, wäre au- ein unbeabsichtigtes Zünden des Raketenmotors genblicklich ein toter Mann“. verhindert hatte. Dann, nach einem kurzen Countdown, exakt um 6: Gefährliche Momente 50 Uhr Kalifornischer Ortszeit, klinkte Matt Stine- Melvilles zahllose Trainingsstunden zahlten sich aus, metz das kleine Raumschiff aus. „Ich war bereit“, denn, so berichtete er „sofort nach der Zündung sagte Melville. „Sofort nach der Freigabe vom Trä- gab es einige Probleme, die hatten wir mit der Ma- gerflugzeug drückte ich auf den Zündknopf. Dann schine noch nie gehabt. lehnte ich mich zurück und wartete. Es dauert Dieses Mal, gleich nachdem ich das Triebwerk ge- etwas über eine Sekunde bis das Triebwerk Schub zündet hatte, rollte das Vehikel scharf um 90 Grad entwickelt“. SpaceShipOne war mit etwa 300 Ki- nach links. Ich trat in das Ruderpedal und dann rollte logramm Polybutadien und etwa 1.500 Kilogramm es genauso scharf 180 Grad nach rechts. Und so Stickstofftetroxid beladen. Genug, um das kleine was hat das Ding noch nie, wirklich nie zuvor getan. Raumschiff auf eine Höhe von maximal 112 Kilo- In dem Moment langte ich zum Abbruchknopf, um metern zu bringen. das Triebwerk sofort abzuschalten, wenn ich jetzt „Sobald das Triebwerk feuert geht die Post ab“, die Kontrolle verlieren sollte. Aber es gelang mir erzählte Melville. „Die Beschleunigung ist fulminant wieder, die Maschine auszurichten und ich verän- und der Andruck pflastert Dich augenblicklich mit derte die Trimmung, um den richtigen Steigwinkel fast 4 g in den Sitz. Du passt auf wie ein Schießhund, zu bekommen. Danach lief es ziemlich ruhig weiter“, damit Du die Kiste auch perfekt unter Kontrolle ha- fuhr Melville fort. „Wenn das Triebwerk schließlich st und hast das Gefühl, wenn Du jetzt auch nur das den flüssigen Treibstoff aufgebraucht hat, wird der Geringste falsch machst, dann holt Dich der Teufel. gasförmige Rest verarbeitet. Man hat dann das Ge- Es passiert so viel in so kurzer Zeit, und das alles ex- fühl in einem Sportwagen mit defekter Kupplung akt zu steuern ist eine absolut schwierige Aufgabe. zu sitzen. Es gurgelt, stampft und läuft sehr ruckartig. Ohne das intensive Training, das wir absolviert ha- Mal viel Schub, mal wenig Schub, mal viel Schub. Das Scaled Composites

Das Innenleben von SpaceShipOne in einer Ghosting-Ansicht

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somit war der Tag gerettet“. Burt Rutan sagte nach der Landung, sei- ne Ingenieure würden „das Schiff sehr sorgfältig auseinander neh- Scaled Composites men und genau nachsehen, dass wir hier nicht etwas Wesentliches übersehen haben. Momentan aber glauben wir, dass einer der beiden Trimm-Aktuatoren eine Fehlfunk- tion aufwies. Das bedeutete, dass wenn wir den Nickwinkel trimmen wollten, das Fahrzeug zu rollen begann“. In der Freifallphase nach dem Brennschluss brachte Melville das Fahrzeug mit den Lagekontroll- düsen, die nur für den Betrieb im Weltraum vorgesehen sind, wie- der in die normale Lage. Zusätzlich schaltete er für den späteren Flug in der Atmosphäre das Reserve- Trimmsystem ein. Die Fehlfunktion der Trimmung hatte SpaceShipO- ne aber in einer knappen halben Minute um mehr als 30 Kilometer vom vorgesehenen Kurs entfernt. Etwa am Punkt der Gipfelhöhe hörte Melville dreimal einen lau- ten Knall, der für weitere Beunru- higung sorgte. Melville hatte keine Ahnung was vor sich gegangen war, und konnte auch auf seinen Instru- menten keine zusätzlichen Anoma- lien entdecken. Nach der Landung Flugprofil für White Knight und SpaceShipOne. wurde aber festgestellt, dass die Triebwerksverkleidung verbeult ist recht beunruhigend, denn die Maschine beginnt war. Wie diese Beule entstanden ist, konnte noch zu schlingern und man hat erheblich Probleme, da- nicht festgestellt werden. mit fertig zu werden. Obwohl sich in den wenigen Minuten des Fluges Dann, fast schon bei Brennschluss, versuchte ich die eine haarsträubende Anomalie an die andere reihte, Nase ein wenig nach oben zu trimmen, um mehr und Mike Melville alle Hände voll zu tun hatte, um Höhe zu gewinnen. Und das war der Punkt, an dem die Maschine unter Kontrolle zu halten, blieben ihm das Problem mit der Trimmung auftauchte“. doch ein paar Momente, in denen er die Aussicht Bei Unterschallgeschwindigkeit kontrolliert der und die dreieinhalb Minuten der Schwerelosigkeit Pilot des SpaceShipOne seine Fluglage mit einem genießen konnte. normalen Steuerknüppel, mit dem das kombinierte Wie alle neuen Astronauten konnte auch Melville Höhen- und Querruder bewegt wird. Im Über- der Versuchung nicht widerstehen, einige Experi- schallflug aber „kannst Du den Knüppel nicht mehr mente mit der Schwerelosigkeit zu machen. „Ich bewegen. Dann ist es, als wäre er in der Maschine langte in meine Tasche und nahm einige M&M fest geschweißt“, erläuterte Melville. „Bei diesen Candies heraus, alle in verschiedenen Farben, und Geschwindigkeiten kann ich das Gerät nur mit der ließ sie vor meinem Gesicht herumfliegen“ sagte Trimmung fliegen. Nur so kann ich nicken, gieren Melville. „Und diese kleine Bonbonwolke drehte und rollen. Aber jetzt steckte die Rolltrimmung sich vor mir herum wie ein Mobile aus bunten fest. Ich wollte die Nase hochnehmen, aber das Kristallen und ich war so fasziniert, dass ich fast Flugzeug kippte nach rechts weg. Aber wir haben vergaß das Flugzeug zu steuern“. An dieser Stelle Gott sei Dank ein Reservesystem. Das aktivierte der Pressekonferenz stieß ihn Burt Rutan mit dem ich und das funktionierte auch glücklicherweise,

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Ellbogen leicht in die Seite und grinste „Das war aus vollem Hals anbrüllen. An der Stelle dachte ich der Zeitpunkt, als wir versuchten, mit Dir Kontakt mir, whow, warum tu ich das hier eigentlich?“. Dann aufzunehmen, und sich keiner gemeldet hat“. musste ich die Flügel wieder gerade stellen, und da- mit kam das Problem mit der Trimmung wieder. Ich hatte die vorhin über das Reservesystem justiert, Zurück zur Erde war aber nicht sicher, ob sie weiter funktionieren Schließlich war der Gipfelpunkt der Parabel über- würde. Ich beschloss deshalb, die Maschine mit der schritten und der freie Fall nach unten begann. Für Trimmung, die eingestellt war, zu landen und den den bevorstehenden Wiedereintritt in die Erdat- Trimm-Aktuator nicht mehr anzufassen. Und die mosphäre klappte Melville die Flügel um 65 Grad Landung ging dann auch glatt.“ Burt Rutan und Paul nach oben. Mit dieser Methode, „Feather-Mode“ Allen, die den Flug vom Mission-Control-Container genannt, stabilisiert sich das Fahrzeug automatisch im Scaled Composites-Hangar aus beobachtet auch ohne Zutun des Piloten. Diese geniale Idee hatten, warteten jetzt am Rande der Runway auf stammt von Burt Rutan und ist ein technisches Melville. Um 8:15 Uhr setzte die Maschine schließ- Novum. lich sanft auf. Minuten später wurde die Maschine „Der Abstieg im „Feather-Mode“ war zunächst sehr von der Rollbahn vor die Zuschauerabsperrung angenehm“, berichtete Melville, „aber auch sehr geschleppt und Melville kletterte heraus. Nach ei- aufregend. Beim Aufstieg unter dem Trägerflugzeug ner Umarmung mit Allen und Rutan rief Melville hatte ich keine Angst gehabt, ich war höchstens ein den Reportern zu: „das war eine absolut überwäl- wenig nervös. Dann, während des Raketenflugs tigende Erfahrung, absolut fantastisch“. Und dann nach oben hatte ich alle Hände voll zu tun, um die kam Edwin Aldrin auf ihn zu, der zweite Mensch Maschine unter Kontrolle zu halten. Aber jetzt, auf auf dem Mond, und gratulierte ihm mit dem Wor- dem Weg nach unten, war mir dann doch ziemlich ten: „Willkommen im Club, Mike“. Trotz der Pannen: mulmig. Junge, ich sage euch, wenn Du mit drei- Mike Melville erzielte an diesem 21. Juni 2004 eine facher Schallgeschwindigkeit nach unten fällst und Flughöhe von über 100 Kilometern. Die Ära der zi- anfängst, auf die Atmosphäre zu treffen, dann ist das vilen Raumfahrt hat damit begonnen. ein Höllenlärm. Ungefähr so, als würde Dich jemand

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2004 spacexpress raumfahrtchronik 137 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

Weltraum und zurück in 88 Minuten 7:36 Die Flughöhe der Kombination beträgt 11.000 Hier ist die Chronologie des historischen Fluges von Meter. Die Starship bleibt jetzt zurück, sie SpaceShipOne. Die Zeitangaben sind in amerikani- kann mit den Steigraten des White Knight scher Westküstenzeit. und des Alpha Jet nicht mithalten. Alle Syste- me sind einsatzbereit. 6:47 TAKEOFF! Die kurze aber geschichtsträchtige Reise von SpaceShipOne und White Knight 7:47 Die Flugkontrolle gibt bekannt, dass der Ab- beginnt. Der Abwurf wird in etwa einer wurf in drei Minuten erfolgt. Stunde erfolgen. Minuten vorher sind zwei 7:49 Go für den Abwurf. Die Menschen unten der drei Begleitflugzeuge gestartet, eine starren nach Südosten in die Sonne, schirmen Kunstflugmaschine vom Typ Extra und eine die Augen ab und versuchen die Flugzeuge Beechcraft Starship. weit oben in der Stratosphäre auszumachen. 6:58 Das dritte Begleitflugzeug, ein Alpha-Jet, hebt Schließlich geht ein Raunen durch die Menge, ab. Das kleine Düsenflugzeug wird den Ab- als ein dünner Rauchstrahl sichtbar wird. Die wurf in großer Höhe beobachten. Menschen am Boden wissen, dass Brian Bin- nie den Raucherzeuger an Bord des White 7:00 White Knight, mit SpaceShipOne unter Knight aktiviert hat. Er soll den Menschen dem Bauch, schraubt sich in weiten Kreisen unten anzeigen, dass der Abwurf in 15 Se- in den Himmel. Die Kombination wird von kunden stattfindet. der Starship begleitet, die Extra bleibt zurück. Der Abwurf soll über der Sperrzone der Air 7:50 ABWURF! Copilot Matt Stinemetz hat Force, südlich von Mojave erfolgen. Dies stellt SpaceShipOne mit Mike Melville an Bord sicher, dass bei einem Unfall mit einem mög- ausgeklinkt. Melville zieht die Nase der lichen Absturz keine Menschen am Boden kleinen Maschine nach oben und keine fünf gefährdet werden. Die Zuschauer blinzeln in Sekunden später beginnt der Raketenmotor den Himmel und versuchen die Maschinen zu feuern. Das ist jetzt vom Boden aus gut zu mit den Augen zu verfolgen. Hunderte von sehen. Kameras mit Teleobjektiven sind nach oben 7:51 Das Triebwerk ist in Betrieb und Space- gerichtet. ShipOne bewegt sich mit fulminanter Ge- 7:03 Der Alpha-Jet hat zu den beiden Fluggeräten schwindigkeit an der Spitze eines gut sichtba- aufgeschlossen. Die drei Luftfahrzeuge sind ren Feuerstrahls und einer lang gestreckten aber mit bloßem Auge kaum noch auszuma- Rauchwolke fast senkrecht nach oben. chen. Es sind nur noch graue kleine Punkte 7:52 T+plus 45 Sekunden. Das Triebwerk feuert im blauen Himmel, die höher und höher weiterhin. Kurz danach ist das tiefe Grollen steigen. des Raketentriebwerks auf dem Boden zu 7:08 Das Duo aus White Knight und SpaceShipO- hören. Die unglaubliche Beschleunigung und ne ist jetzt etwa 7.000 Meter über Mojave. Geschwindigkeit des Fluggerätes sind auch von unten gut wahrnehmbar. 7:17 Die beiden Vehikel sind jetzt seit dreißig Mi- nuten in der Luft. Für die Bestimmung der 7:52 T + 76 Sekunden. Brennschluss. Höhe 55,8 erreichten Flughöhe wird ein Präzisionsradar Kilometer, Geschwindigkeit 3.446 Kilometer von der südlich gelegenen Edwards Airforce pro Stunde. SpaceShipOne befindet sich Basis aus eingesetzt. Die Luftwaffe meldet jetzt im freien Fall auf dem aufsteigenden Ast das Gerät einsatzbereit und bestätigt die seiner parabolischen suborbitalen Bahn. Und Erfassung der Flugzeuge. Mike Melvill ist schwerelos. 7:26 White Knight mit SpaceShipOne, die Starship 7:53 Spontaner aber zurückhaltender Applaus und der Alpha-Jet sind jetzt genau über dem brandet am Boden auf. Die Spannung in den Flugplatz von Mojave. Die Flugzeuge selbst Gesichtern der Menschen lässt aber nicht sind praktisch nicht mehr erkennbar, hinter- nach. Sie alle wissen, dass dies erst der erste lassen jetzt aber lange weiße Kondensstreifen Teil war und in den nächsten Minuten noch im Himmel. Sie kreuzen jetzt noch einmal große Gefahren auf Mike Melville warten. nach Westen und fliegen dann zum „Rest- 7:54 Melville steigt in seinem kleinen Schiff wei- ricted Airspace“ der Edwards Airforce Base terhin antriebslos nach oben. Er meldet sich hinüber. bei der Bodencrew und teilt mit, dass er alles unter Kontrolle habe. Es ist aber noch unklar, ob er sein Ziel erreichen wird.

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7:55 In einer Höhe von 100,1 Kilometern wird 8:15 Fahrwerk raus und LANDUNG! Space- der Scheitelpunkt der Parabel überschritten. ShipOne ist sicher zur Erde zurückgekehrt! Melville betätigt den „Feather“-Mechanismus. 8:16 SpaceShipOne ist auf der Landebahn des 7:56 Der Fall nach unten beginnt. Melville spürt Mojave Airports ausgerollt und steht jetzt jetzt die einsetzende Bremsverzögerung. genau auf der Center-Linie. Burt Rutan und Paul Allen strecken die Fäuste in die Luft. 7:57 SpaceShipOne befindet sich bei zunehmen- der Geschwindigkeit im freien Fall nach unten. Beim Auftreffen auf die oberen Schichten der Ein Beitrag von Eugen Reichl. Atmosphäre wird das kleine Raumfahrzeug wieder so schnell sein, wie beim Brennschluss. Noch keine Höhenangaben von Edwards. 7:58 Die Verzögerungskräfte an Bord von Space- ShipOne betragen jetzt über 5 G. Kommentar: Stunt oder historischer Meilenstein? 7:59 Das White Knight Trägerflugzeug kreist Die Bedeutung des Fluges von SpaceShipOne bereits wieder über dem Flugplatz. Auch an die Grenze zum Weltraum wurde von vielen SpaceShipOne ist jetzt wieder vom Boden Kommentatoren mit den Schlüsselmeilensteinen aus zu sehen, zumindest mit dem Feldstecher. der Luftfahrtgeschichte verglichen. Mit dem ers- Die Höhe beträgt noch etwa 14.000 Meter ten Motorflug der Gebrüder Wright im Jahre und sie befindet sich in steilem Sinkflug aus 1903 oder der Überquerung des Atlantik durch Süden in Richtung Mojave. Über den Köpfen Charles Lindberg im Jahre 1927. Wie damals die der Zuschauer hallt das dumpfe „Bum-Bum“ Leistung von Lindbergh wird auch heute die Leis- des Überschallknalls. tung von Melville von den Kritikern als nutzloser 8:02 Das kleine Raumfahrzeug ist noch 10.000 Stunt ohne jeden praktischen Nutzen gesehen. Meter hoch. Die Geschwindigkeit liegt jetzt Die Nörgler von damals wurden bekanntlich dra- wieder unterhalb der Schallgrenze. Noch matisch widerlegt. Aber die Kritiker irren durchaus ist unklar, ob Melville eine Höhe von 100 nicht immer. Kilometern erreicht hat. Das Begleitflugzeug Vor genau 25 Jahren kreuzte ein zerbrechliches meldet sichtbare Thermaleffekte an der Na- Flugzeug namens „Gossamer Albatross“ über den se. Sonst scheint alles in Ordnung zu sein. Englischen Kanal, angetrieben nur von der Muskel- 8:04 Die Menschen unten warten darauf, dass kraft seines Piloten. Für diesen Flug gewann der SpaceShipOne landet und dass eine Höhen- Designer, Paul MacCready, den Kremer-Price. Man angabe über die Lautsprecher kommt. Bei erwartete allseits, dass danach die Anzahl muskel- dem Ereignis heute ist ein Offizieller der FAA kraftbetriebener Leichtflugzeuge explosionsartig anwesend, der amerikanischen Luftfahrtbe- in die Höhe schießen und eine stetige Weiter- hörde, der die Angaben des Airforce Radars entwicklung erfolgen würde. Doch es kam anders. verifiziert. Die Anzahl muskelkraftbetriebener Fluggeräte lag im letzten Vierteljahrhundert ziemlich genau bei 8:06 Jetzt kommt die offizielle Meldung. Gesichert Null. Der Flug des Albatros war tatsächlich nur ein ist, dass eine Höhe von 62 Meilen, also 99 Stunt und sonst nichts. Kilometern überschritten wurde. Eine genaue Höhenangabe liegt aber noch nicht vor. Die Frage lautet also: Ist SpaceShipOne näher an der Spirit of St. Louis oder an der Gossa- 8:09 SpaceShipOne ist jetzt vom Boden aus gut zu mer Albatross? Immerhin kann man zumindest sehen und befindet sich schon im Endanflug vorsichtig optimistisch sein, dass sich aus diesem zur Landung. Flug tatsächlich ein solider Markt entwickeln wird. 8:11 Dick Rutan gibt bekannt, dass während des Gewissheit gibt es dafür aber nicht, angesichts der Fluges einige Probleme aufgetreten seien. enormen bürokratischen, finanziellen und auch Genaue Angaben wurden aber nicht ge- technischen Hürden, die noch verbleiben. Es wird macht. Er spricht von „Knallgeräuschen“. Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern, bis wir die tatsächliche historische Bedeutung von Mike 8:12 SpaceShipOne fliegt jetzt parallel zur Lan- Melvilles Flug vom 21. Juni kennen werden. debahn, beschreibt eine 180-Grad-Kurve und schwebt auf das Landebahnende der Runway 30 zu. Ein Beitrag von Eugen Reichl.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 139 Weltraumtourismus & private Raumfahrt x-prize space taxi Airport Mojave to the sky

Sonnenaufgang über Mojave

Mike Melville und Brian Binnie holen für Was macht die alte Navy-Flugbasis aus den Jahren Mojave Aerospace Ventures den X-Price. des zweiten Weltkriegs, 160 Kilometer nördlich Burt Rutan, Paul Allen und Charles Bran- von Los Angeles gelegen, zu dieser „Location aller son gründen Virgin Galactic. Robert Bige- Locations“, wie der Airport-Manager Stuart Witt low entwickelt ein Raumstationsmodul und sagt? Nun, hier finden weltbewegende, besser noch stiftet den America Space Price. Ein neuer „weltraum-bewegende“ Ereignisse statt. Hier hat Abschnitt der bemannten Raumfahrt hat sich die Creme de la Creme der privat finanzierten begonnen. Doch der Eintritt in diese neue Raumfahrt angesiedelt. Zehn Unternehmen dieser Ära war nichts weniger als dramatisch… völlig neuen Sparte haben sich in den letzten Jahren hier niedergelassen. Am bekanntesten ist sicher Sca- led Composites, die Firma der Gebrüder Burt und Mojave im Aufbruch Dick Rutan, den Erbauern von SpaceShipOne. Auf den ersten Blick ist der Mojave Airport eine unordentliche Ansammlung von kilometerlangen Der Geist, der in Mojave herrscht, ist nur noch mit Runways, Wellblech-Hangars, Flugzeugen und der Stimmung auf der Edwards Air Force Base in Flugzeugteilen. den späten vierziger Jahren zu vergleichen. Als Edwards noch nicht Edwards hieß sondern Muroc. Mojave läuft bei den Piloten unter der Bezeichnung Und diese legendäre Luftwaffenbasis, in der über „Mojo“. Der Platz ist wegen des nicht vorhandenen zwanzig Jahre lang immer neue Geschwindigkeits- Passagierverkehrs bei ihnen hoch beliebt. Hier, in und Höhenrekorde aufgestellt wurden, in der etwa der Abgeschiedenheit dieser Wüstenregion treffen der legendäre Chuck Yeager zum ersten Über- sie sich regelmäßig mit allen Arten von Flugvehikeln, schallflug aufbrach und die X-15 an die Grenze zum vielen davon selbst gebaut, zu ihren Happenings. Weltraum vorstieß, diese Edwards Air Force Basis Aber seit einer Weile ist es aus mit der gepflegten ist der nächstgelegene Nachbar von Mojave. Ruhe. Bald schon wird die verschlafene Provinzpiste in einem Atemzug mit Cap Canaveral, Baikonur Mojave ist ein magischer Ort für die Pioniere der oder Kourou genannt werden. Luft- und Raumfahrt. Der Ort, den Stuart Witt als „Tunnel zum Mond“ bezeichnet. Der Ort, an dem Den technokratischen, kalt-abweisenden Habitus in kleinen Technologie-Schmieden hoch motivierte dieser Lokationen wird der Weltraumbahnhof im Leute die erste Generation ziviler Spaceliner entwi- Wilden Westen aber wohl nie annehmen. Der ckeln und testen. Der Magie dieses Ortes konnte Betrieb auf Mojave ist hemdsärmlig. Immer sieht es sich wohl auch die amerikanische „Federal Aviati- aus wie in einer riesigen Bastelbude, wie in einem on Administration“ nicht verschließen, Kinderzimmer ewiger Jungens. In den Werkstätten und so erhielt Mojave vor einigen und Wellblechschuppen entlang der Hauptrollbahn laufen verschwitzte Mechaniker und Ingenieure in verschwiemelten T-Shirts und ölverschmierten Blaumännern herum und schrauben an Space-Ve- hikeln und Raketentriebwerken. Das ist Mojave. Die Keimzelle für die Weltraumreisen der Zukunft. Airport Mojave

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Monaten die Lizenz als „The nation‘s first inland schauern noch einmal zu und entschwand unter .“ dem Rumpf des White Knight-Trägerflugzeugs in den Himmel über Mojave. Die Menschen hinter den Weltraumprojekten von Mojave sind eine elitäre Gruppe von Space Cow- Es wäre nicht Mike Melville gewesen, wenn er nicht boys und schillernden Charakteren. Manche sind auch diesen Flug – natürlich unbeabsichtigt – zum hart und verwittert wie die Wüste selbst, Leute wie Drama gemacht hätte. Burt Rutan und Mike Melville. Andere sind exzentri- In 14.000 Metern Höhe klinkte Matt Stinemetz, sche Milliardäre, die mehr Geld wie Heu haben und der Copilot von White Knight sein Baby aus, und die Vorstellung, was sie damit machen könnten: Sich Sekunden später zündete Melville das Triebwerk die Science-Fiction Träume ihrer Jugend erfüllen. von SpaceShipOne. Sie sind die Leute, die den „X Prize“ finanzieren, der demjenigen 10 Millionen Dollar verspricht, der mit dem ersten privat entwickelten Raumschiff in einem suborbitalen Flug eine Höhe von 100 Kilometern erreicht, und das innerhalb von zwei Wochen wiederholt. Scaled Composites Dieser Wettbewerb verhilft in diesen Wochen und Monaten einer ganz neuen Industrie auf die Sprün- ge, einer Industrie, die Raumfahrt preiswert und kommerziell lukrativ macht und sie dem normalen Bürger öffnet. Das Restaurant am Mojave Airport heißt „Voyager Restaurant“. Es ist nach einem anderen Rekordflug- zeug von Burt Rutan benannt. Mit dieser Maschine Mike Melville besteigt SS1. flog Burt‘s Bruder Dick und seine Pilotin Jeannie Yeager im Jahre 1986 rund um die Welt. In neun Die ersten vierzig Sekunden verliefen scheinbar Tagen. Ohne zu landen und aufzutanken. problemlos. Aber dann passierte auch hier das Unerwartete, und den Zuschauern der Fernsehü- Und jetzt sitzen im „Voyager Restaurant“ die bertragung gefror das Blut in den Adern. Gut sicht- Journalisten und Space Junkies bei Chicken Wings bar begann sich eine Schaukelbewegung um die und Budweiser, bei Chili und Coors, klönen über Längsachse aufzubauen, bis das Fahrzeug schließlich die Rutans und ihre Flüge und lästern über die komplette Rollen vollführte. Eine nach der anderen. schwerfällige NASA, die auch mit astronomischen Immer mehr, immer schneller. Der Live-Kommenta- Geldmitteln nichts zuwege bringt, was sie ihrem tor des X-Price Webcast rief: „Oh, oh, oh, oh, das Traum näher bringt. Dem Traum einer Welt in der scheint mir kein geplantes Manöver zu sein“. kommerzieller Raumflug so alltäglich ist wie heute Linienflüge in der Luftfahrt. Auch den Beobachtern auf dem Boden war sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Die bis dahin in gera- der Linie senkrecht nach oben strebende Rauchfah- 29. September: Mike Melville im Mixer ne begann plötzlich die Form eines Korkenziehers SpaceShipOne hatte bereits im Juni seinen Jung- anzunehmen. fernflug ins All unternommen, den Probeflug für den X-Price Wettbewerb. Am Steuer war damals Aber „Zivilaustronaut“ Mike Melville bekam das der 62jährige Mike Melville, und nach dem haar- Fahrzeug auch diesmal wieder unter Kontrolle, wie sträubend gefährlichen Einsatz hatte er gemeint, schon damals im Juni. Nach der Landung war er so diese Aufregung sei nichts mehr für ihn, und für cool, wie man es von einem Space Cowboy erwar- die Wettbewerbsflüge überließe er seinen Platz im tet: „Da oben wurde ich ein bisschen überrascht“, Cockpit einem Jüngeren. sagte er als er aus dem Vehikel stieg. „Das Schiff „hat angefangen sich ein wenig zu drehen und vollführte Dieser erste Wettbewerbsflug fand am 29. Sep- dabei ein kleines Sieges-Rollmanöver“. tember statt. Wie beim Einsatz im Juni hatte Scaled Composites dicht gehalten und den Namen des Das war eine drastische Verniedlichung. Auf den Piloten vorher nicht genannt. Zur grenzenlosen Bildern der Cockpit-Kamera, die eine Direktüber- Überraschung der Fangemeinde stieg auch diesmal tragung aus dem Inneren des Raumschiffs lieferte, der breit grinsende Mike Melville vor einer riesigen hatten die Zuschauer an den Bildschirmen den Ein- Menschenmenge in sein Vehikel, winkte den Zu- druck, als würde Mike Melville in einem Mixer rotie-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 141 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

de Untersuchung von SpaceShipOne nach dem Flug, dass das Fahrzeug keine „squawks“ hat, wie Melville es ausdrückte. Womöglich war also doch Melville unbeabsichtigt in eines der Ruder getreten. Nach- Scaled Composites dem die Sicherheitssysteme von SpaceShipOne ihre Zuverlässigkeit bewiesen hatten, gab Burt Rutan bekannt, dass der zweite X-Price-Flug wie geplant am Montag, dem 4. Oktober stattfinden sollte.

Mit „Virgin Galactic“ in den Weltraum Auf den Leitwerken von SpaceShipOne und sei- SpaceShipOne im Weltraum. nem Trägerflugzeug, dem White Knight, konnten die staunenden Zuschauer ein völlig neues Emblem bewundern. Ein rotes Logo mit der Aufschrift: Virgin ren. Melville beschrieb das, was da vom Boden aus Galactic. Am Montag vor Mike Melvilles erstem X- ziemlich übel aussah mit den Worten „Und dann Price Flug hatten Sir Richard Branson, der Eigentü- kam da eine kleine Rollbewegung rein. Das war mer der Fluglinie Virgin Atlantic und Burt Rutan vor etwas unerwartet, aber es machte mir keine allzu der Presse bekannt gegeben, dass sie gemeinsam großen Sorgen. Ich denke, dass das für die Leute mit Paul Allen ein neues Unternehmen gegründet unten ganz nett aussieht, wenn ich da oben ein paar hätten: Virgin Galactic. In zwei bis drei Jahren würde Rollen drehe“. Sicherlich die Untertreibung des Ta- das Unternehmen mit den weltweit ersten suborbi- ges, denn mit immer noch laufendem Raketentrieb- talen Weltraumflügen für Normalbürger beginnen. werk - die Geschwindigkeit näherte sich der Drei- einhalbfachen Schallgeschwindigkeit - schraubte sich Der Bau des ersten Raumschiffes, das den Namen SpaceShipOne in 29 schnellen Rollen buchstäblich VSS Enterprise tragen soll, wird in wenigen Mona- in den Himmel hinein. ten beginnen. Es handelt sich dabei, so hört man, um eine maßstäbliche Vergrößerung des bewährten Der Grund dafür war eine ganze Weile nicht klar. SpaceShipOne Designs. Melville gab aber zu, dass er das Problem selbst unbeabsichtigt hervorgerufen haben könnte. „So- was kann in meinem Alter schon mal passieren“, grinste er. Burt Rutan erklärte es einen Tag später. Nachdem die Rollbewegung einmal eingeleitet war,

konnte sie wegen der fehlenden Atmosphäre mit Scaled Composites den aerodynamischen Rudern des Fahrzeugs nicht mehr beendet werden. Kaltblütig wartete Melville in seinem wild rotierenden Fahrzeug so lange ab, bis er sicher war, die notwendige Höhe erreichen zu kön- nen. Erst als er in der 76. Sekunde der Brennphase das Triebwerk abstellte, konnte er das Rollkontroll- system betätigen, kleine Raketentriebwerke, welche die Raumlage des Fahrzeugs regeln. Und damit gelang es Melville schließlich, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Das Logo des neuen Unternehmens Virgin Galactic. Danach verlief der freie Fall zunächst aufwärts in der Wurfparabel und danach wieder abwärts ohne Offiziell wird Virgin Galactic Anfang 2005 seinen weitere Probleme. Die Radarauswertung zeigte, Geschäftsbetrieb aufnehmen. Nach einer Testphase dass 102,9 Kilometer Höhe erreicht wurden, mehr sollen die ersten bezahlten Flüge ab 2007 starten. als ausreichend, um die Wettbewerbsbedingungen Die drei Unternehmensgründer werden zunächst zu erfüllen. etwa 100 Millionen Dollar in das gemeinsame Un- ternehmen stecken. Nach Aufnahme der Flüge Der Raketenmotor hätte ein Potential von 90 geht Virgin davon aus, dass innerhalb weniger Jahre Sekunden Brennzeit gehabt, ein Beleg dafür, welche etwa 3000 zivile Astronauten mit der Enterprise Reserven noch in dem System sind. Wahrscheinlich und ihren vier geplanten Schwesterschiffen in den sind mit SpaceShipOne Flughöhen von über 130 Ki- Weltraum befördert werden. lometern möglich. Tatsächlich zeigte eine eingehen-

142 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

Ein Flug mit Virgin Galactic wird in der ersten nichts anderes übrig, als auf andere Weise Furore Zeit preislich bei etwa 175.000 Euro liegen. Zum zu machen. Vergleich dazu: Die einzige Möglichkeit für einen Wo Mike Melville durch Dramatik bestach, glänzte Raumflug derzeit besteht bei einem Mitflug inei- Brian Binnie durch Exzellence. Bei einem perfek- nem russischen Sojus-Raumkapsel. Der Preis dafür ten Flug mit einer Triebwerksbrenndauer von 84 beträgt 20 Millionen Dollar. Immerhin allerdings für Sekunden erreichte Binnie eine Höhe von 112,2 einen Orbitalflug und nicht einen vergleichsweise Kilometern, weit über die Anforderungen des X- kurzen suborbitalen Weltraumhüpfer wie ihn die Price hinaus, und brach damit selbst den 40 Jahre VSS Enterprise durchführen wird. alten Höherekord der X-15. Doch zurück zum X-Price Wettbewerb, Teil 2 Mojave Aerospace Ventures, das gemeinsame Un- ternehmen von Burt Rutan und Paul Allen hatte 4. Oktober: Brian Binnie in neue Höhen einen ersten Return on Investment erzielt, die 10 Millionen Dollar Preisgeld des X-Price Wettbe- Damit hatte schon niemand mehr so recht gerech- werbs. net, und es war eine Überraschung, als Burt Rutan in den frühen Morgenstunden des 4. Oktober die Wahl des Piloten bekannt gab: den 51jährigen Brian 50 Millionen für den America Space Price Binnie. Jeder der anwesenden Journalisten hätte Und dann gab es in diesen historischen Tagen noch sein letztes Hemd dafür verwettet, dass Melville Robert T. Bigelow, Milliardär und Inhaber der Firma auch den zweiten X-Price Flug durchführen würde. Bigelow Aerospace. Wie die Space Cowboys von Dies ungeachtet seiner eigenen Aussagen, sich auf Mojave ist auch er der Meinung, dass die NASA keinen Fall ans Steuer zu setzen. Schließlich hatte er ein maroder und unbeweglicher Moloch ist und das letztes Mal ja auch behauptet. dass die Raumfahrt niemals vorankommen wird, solange sie von einer Regierungsbehörde betrie- ben wird. Deswegen muss seiner Ansicht nach von privater Seite etwas getan werden. Und aus diesem Grund hat er klammheimlich Raumstationsmodule entwickeln lassen, die völlig revolutionär sind. Sie

Scaled Composites sind nämlich aufblasbar. Quasi ein Luftballon im Weltraum, dessen Innenraum bewohnbar ist. Jedes seiner Raumstationsmodule wird zusammengefaltet in den Weltraum transportiert und erst dort auf- gepumpt. Und jedes der Module hat ein Volumen von 330 Kubikmetern. Das Dreifache des größten Moduls der ISS.

Brian Binnie in SpaceShipOne Auf dem Boden ist bereits alles fix und fertig ent- wickelt. Jetzt stehen die Weltraumtests an, die soll nächstes Jahr beginnen. Dazu werden zwei Testmo- Binnie hatte das Vehikel während des Testpro- dule mit dem Namen Genesis gestartet, die jeweils gramms auch schon mehrmals geflogen. Und auch ein Drittel der endgültigen Größe haben werden. ihm wäre die Rollneigung des Fahrzeugs einmal beinahe zum Verhängnis geworden, als nach dem ersten Überschallflug der Maschine im letzten De- zember sich das Vehikel bei der Landung so sehr aufschaukelte, dass beim Aufsetzen das Fahrwerk

einknickte und Binnie von der Piste schlitterte. Aerospace Bigelow Am Mittwoch hatte Binnie noch den White Knight gesteuert. Nun waren die Rollen vertauscht. Mike Melville war in den Kontrollen des Trägerflugzeugs, als die Kombination um 5 Uhr 49 morgens Ortszeit von der Rollbahn in Mojave abhob. Nach Mike Melvilles aufregenden Flügen vom Juni und dem ersten X-Price Flug vom 29. September blieb Brian Binnie, dem Piloten des zweiten Fluges Künstlerische Darstellung der Bigelow-Raumstation

2004 spacexpress raumfahrtchronik 143 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

Die Starts dafür hat Bigelow bereits bestellt. Einer Ab 2008 könnte dann die erste Serien-Einheit ge- wird an Bord einer SpaceX Falcon V erfolgen, dem startet werden. Sie trägt den Namen Nautilus und Produkt einer weiteren Newcomer-Firma im Welt- sie benötigt eine schwere Trägerrakete. Dafür hat Bi- raumgeschäft, und ein zweier Start wird mit einer gelow schon einmal eine Option auf eine russische russischen Dnepr stattfinden. Den Gedanken, seine Proton angemeldet. Die erste Funktionseinheit wird Raumfahrzeuge an Bord der astronomisch teuren zunächst wohl unbemannt betrieben, aber Bigelow Standardraketen der Typen Delta und Atlas von Bo- hat schon Maßnahmen getroffen, dass längstens ab eing und Lockheed zu starten, weist Bigelow weit 2010 seine Station auf jeden Fall bemannt wird. von sich. Die ersten Testmodule dienen für Funkti- Es gibt nämlich derzeit noch ein kleines Problem für onstests. Sie sind nicht bewohnbar, und sie werden seine Station, die aussieht wie ein überdimensiona- mit einer reinen Stickstoffatmosphäre aufgepumpt. les Michelin-Männchen. Abgesehen von der russi- Danach folgt ein Testmodul in einer Größe von 45 schen Sojus existiert kein Transportmittel für den gewöhnlichen Bürger in den Weltraum. Der Shuttle ist für Zivilisten tabu und soll im Jahre 2010 sowieso außer Dienst gestellt werden. Ein Shuttle-Nachfol- ger wird nicht vor 2014 seinen Dienst aufnehmen, und wird - ganz nebenbei - 100 Millionen Dollar für jeden Passagier in den Orbit teuer sein. Um dieser Misere abzuhelfen hat Robert T. Bigelow Space Exploration Technologies Space Exploration

Zeichnung der Falcon-Rakete. Aerospace Bigelow

% des Basismoduls. Diese Testeinheit namens Gu- Testmodell in Normalgröße ardian soll 2007 starten. Und dieses Modul wird bereits ein vollständig funktionierendes Lebenser- einen neuen Wettbewerb ins Leben gerufen, den haltungssystem beinhalten und mit einer Sauerstoff- America Space Prize. Dieser Preis ist mit 50 Milli- Stickstoff-Atmosphäre betrieben. Es könnte also onen Dollar dotiert und es bekommt ihn derjeni- im Prinzip schon bewohnt werden. Dieses Lebens- ge, dem es bis zum Ende des Jahres 2010 gelingt, erhaltungssystem wird derzeit bei der deutschen ein bemanntes Raumschiff in den Orbit zu bringen, EADS entwickelt. das 5-7 Menschen transportieren und an Bigelows Station andocken kann. Die 50 Millionen sind da- bei der weitaus kleinere Teil des zu erwartenden Kuchens, denn der Gewinner bekommt zusätzlich noch eine Vertragsgarantie für die Durchführung der Transportflüge zur Nautilus. Der neue Wett-

Bigelow Aerospace Bigelow bewerb bringt Herausforderungen mit sich, welche die des X-Prices bei weitem in den Schatten stellen. Es muss ein Vehikel entwickelt werden, das nicht nur Mach 3.5 erreicht, sondern die 25-fache Schallge- schwindigkeit. Es muss in mehreren hundert Kilo- metern Höhe an Bigelows Station andocken und vor allen Dingen den Wiedereintritt mit 28.000 Kilometern pro Stunden überleben. Burt Rutan hat schon bekannt gegeben, dass er sich als natürlichen Anwärter auf den America Space Price sieht. Die Pläne für sein Fahrzeug, so sagt er, sind bereits fertig.

Verkleinertes Testmodul der Bigelow-Raumstation vor der Erprobung in der Vakuum-Kammer. Ein Beitrag von Eugen Reichl.

144 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt Anzeige

Vorankündigung für März 2006 Flug zur totalen Sonnenfinsternis an die türkische Riviera

Nach der mitteleuropäischen Finsternis vom 11.August 1999 verdunkelt der Mond am 29. März 2006 ein weiteres Mal, fast vor unserer Haustür gelegen, die Sonne. Die größt- mögliche Finsternisdauer kann am optimalsten im Herzen der türkischen Riviera, im Gebiet zwischen den Touristikorten Antalya und Alanya beobachtet werden. Hier scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne, daher ist eine gewisse Wettersicherheit, wolkenfreier Himmel, gegeben. Neben dem Höhepunkt der Reise, Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis, wartet die Gegend außerdem mit einer Fülle von natürlichen und historischen Stätten auf (z.B. Antike Theater-, Mausoleum-, Bad-,Tempel-, und Kirchenstätten. Die wunderschönen Wasserfälle von Manavgat.) Neben den vielfälti- gen kulturellen Möglichkeiten, bietet sich aber auch für den sportlich Ambitionierten reichlich Möglichkeit, z.B. morgens skilaufen, nachmittags im Mittelmeer schwimmen. Bergsteigen und wandern. Unser Ziel für eine Woche ist, genau im Zentralgebiet der Sonnenfinsternis gelegen, in der von Antike und Moderne geprägten Gegend von Side. Da erwartungsgemäß diese Mittelmeer - Sonnenfinsternis nicht nur bundesweit stark bebucht werden wird, wäre eine unverbindliche Anmeldung zu dieser Studienreise sehr sinnvoll (Vorabreservierung eines gewissen Flug/Hotelkontigentes durch den Reiseveranstalter. Eine verbindliche Anmeldung würde dann im September 2005 möglich sein.

Vorläufige Reisedaten: Preis: Reisedauer - 1 Woche zwischen 450 und maximal 499 Euro Abflug am 25. oder 26. März 2006 je nach Teilnehmerzahl pro Person im Reiseveranstalter: Benzer Touristik GmbH Doppelzimmer. Einzelzimmeraufschlag Flug von Hannover nach Antalya und unter 100 Euro. zurück; Bustransfer ins Hotel Teilnehmerzahl: Unterbringung: zur Zeit noch unbegrenzt In einem 4-5 Sterne Strandhotel (All Inclusive) in der Umgebung Kontakt: von Colakli und Kumköy, Reisekosten- Wolfgang Meirich [email protected] rücktrittsversicherung, Sonnenfinsternis Alter Weg 4 b Fax: 05172-6033 T-Shirt und Kappe 31241 Ilsede

2004 spacexpress raumfahrtchronik 145 Weltraumtourismus & private Raumfahrt space park bremen – der kurze traum vom all schätzte Investitionssumme 122 Mio. Mark. Da kein

NAFS Investor für den Bau gefunden werden konnte kam im Sommer 1995 die Idee auf, Gesellschafter für die Finanzierung zu suchen. Im Gespräch waren hier unter anderem die DASA, HVG und Köllmann. Die DASA beschloss jedoch schon Anfang 1996 defi- nitiv, sich nicht an den Investitionen zu beteiligen. Anfang 1996 bis Mitte 1997 wurde dann der von der Köllmann-Gruppe entwickelte Vorschlag neben dem Raumfahrt-Park auch andere Dienstleistungen wie Hotels, Themengastronomie, Einkaufsmeile, Ki- nos, Clubs usw. in das Konzept mit einzubeziehen diskutiert. Bis Ende 1998 / Anfang 1999 geht das Ringen um Konzepte, Investoren und Finanzen wei- ter. Mittlerweile sind auch die Dresdner Bank und die Degi, Tochtergesellschaft der Dresdner Bank für Im- mobiliengeschäfte, mit im Boot. Im Dezember 1998 kauft die Degi das Grundstück und übernimmt die Bau-Investitionen. Im Juni 2000 ist es dann soweit, der symbolische erste Spatenstich wird gemacht. Gebaut wurde nun ein Space Park mit Einkaufsmei- le, Hotel, Kino und natürlich dem Space Center. Der Bau wurde begleitet von immer neuen Diskusionen und Problemen bei der Finanzierung. Die Kosten Das Wahrzeichen des Space Park Bremen: der stiegen raketengleich ( man möge mir diesen Aus- Nachbau einer ARIANE 44LP die gleichzeitig die druck bitte verzeihen ). Der Bau lief aus bautech- Attraktion „Space Shot“ im Service-Tower verbirgt. nischer Sicht für ein Projekt dieser Größe recht rei- bungslos und fast ohne große Verzögerungen ab. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Beteiligten noch sehr Als die ersten Informationen über den Bau des zuversichtlich. Die Verhandlungen bezüglich der Ver- Space Park Bremen an die Öffentlichkeit drangen mietung der Geschäfte und des Betriebs der Hotels löste dies in der Gemeinde der Raumfahrtbe- schienen erfolgversprechend. geisterten natürlich eine Welle von Spekulationen aus. Was würde dort wohl wirklich entstehen ? Als die Köllmann AG im März 2002 mitteilt, daß sie Nach und nach gab es immer mehr und konkretere den Weiterbau nicht mehr finanzieren kann, wird Informationen. Ein riesiger Komplex auf einem Are- in einer Rahmenvereinbarung zwischen Degi und al von 26 Hektar war im Entstehen. Das Projekt der Stadt Bremen der Weiterbau des Space Park sollte Geschäfte, Hotels, einen Entertainment-Park, ein IMAX-Kino sowie das Cinespace Multiplexkino unter einem Dach vereinen. Zunächst aber ein kur- zer Abriß der Vorgeschichte der keinen Anspruch

auf Vollständigkeit erhebt. Etwa Mitte der 90er Jahre Björn Baumann entstand die Idee zum Space Park. Die damaligen Planungen sahen ein reines Freizeitzentrum ohne Einkaufspark vor. Zu diesem Zeitpunkt waren unter anderem auch noch ein Space Camp mit Astro- nautentraining ( ähnlich den Space Camps in den USA ) sowie ein Kuppelkino geplant. Prognosti- zierte Eckdaten: 1,3 Mio. Besucher pro Jahr sowie zusätzlich 20.000 Besucher des Space Camp. Ge- schätzte Anzahl neuer Arbeitsplätze rund 1600, ge- Zu den einzelnen Attraktionen gelangt man durch Gänge wie diesen. Man hat fast das Gefühl sich durch eine riesige Raumstation zu bewegen. 146 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

vereinbart. Die Kosten wollen sich Degi und Bre- men teilen.

Was hier gebaut wurde ist vom Feinsten. Die Björn Baumann futuristische Architektur des Gebäudes und jede Menge High-Tech im Inneren sind allein schon beeindruckend. Beeindruckend sind allerdings auch die Baukosten, sie werden vorsichtshalber mit „über 500 Mio. Euro“ beziffert. Bei der Vermarktung des Einkaufsbereiches ist der Degi leider kein Erfolg beschert und so beschließt man das Space Cen- ter allein zu eröffnen. Somit stehen rund 44.000 Quadratmeter Verkaufsfläche leer und verursachen obendrein auch noch Kosten. Die Nachfrage nach Die Launch-Control des Space-Shot Zimmern war vorsichtig ausgedrückt weniger als Tower befindet sich ein mit Sitzplätzen ausgestat- mäßig. Kein gutes Omen ... teter Lift, mit dem die Besucher auf über 55 Meter Am 19.12 2003 um 11 Uhr war es dann soweit, Höhe gezogen werden und anschließend im freien das Softopening des Space Park oder besser gesagt Fall für einige Augenblicke das Gefühl der Schwere- losigkeit erleben können. Im Stargate-3000 können jeweils max. 40 Besucher in einem von drei High-Tech-Simulatoren phantas- tische Abenteuer aus der Stargate-Welt erleben. Björn Baumann Basierend auf der TV-Serie Stargate-SG1 wurden hier völlig neue Abenteuer entwickelt und keine bestimmten Serien-Abenteuer aufgegriffen. Die Besucher werden in einen Wettlauf einbezogen, um der „fiesen“ Satrah den Schlüssel zum Stargate abzujagen. Wie schon gesagt dient die TV-Serie hier nur als Basis und die Figuren und Handlung wurden speziell für das Startgate-3000 erdacht. Im Borg Encounter taucht der Besucher in die Welt Der Eingang zum Space Center ( innerhalb des Space Park ) vermittelt den Eindruck man würde unter einer riesigen Rakete hindurch gehen. Björn Baumann des Space Center erfolgte. Auf ca. 22.000 Quadrat- metern „Vergnügungsfläche“ wurden zahlreiche Attraktionen geboten, die zum Teil einzigartig in Europa waren. Allein in den ersten 3 Stunden ver- zeichnete man rund 1500 Gäste. Die Softopening- Phase, während derer die Eintrittspreise noch re- duziert waren, diente vorwiegend der technischen Feinabstimmung der einzelnen Attraktionen. Am 12. Februar 2004 erfolgte dann die große, feier- liche Eröffnung. Bereits im März 2004 wird offiziell Das Tor zu den Sternen: bekannt, daß sich die Dresdner Bank so schnell wie Das Stargate im „Stargate 3000“ möglich von dem Projekt trennen will. der TV-Serie Star Trek Voyager ein. Das mit 250 Plät- Nun aber endlich ein kleiner Überblick zen ausgestattete 4D-Actiontheater bietet neben über die Attraktionen des Space Center: den bekannten 3 Dimensionen eine vierte, fühlbare Gleich am Haupteingang steht das Wahrzeichen des wie z.B. Vibrationen, Luftbewegungen und Ähn- Space Park, ein über 60 Meter hohes 1:1 Modell liches. Die Ausstattung des Kinos wurde unter der einer ARIANE 44LP. Sie stellt auch gleichzeitig eine Leitung des bekannten Star Trek Produktionsdesig- der Attraktionen, den Space Shot, dar. Im Service- ners Herman Zimmerman erstellt. Hier wird jeder

2004 spacexpress raumfahrtchronik 147 Weltraumtourismus & private Raumfahrt NAFS Björn Baumann

Das von EADS Space Transportation zur Verfügung gestellte 1:1 Mockup des PHOENIX hängt einsam in einer Halle an der Decke.

Hier treffen sich Realität und Fiktion. Im Galaxie Express kann man eine atemberauben- de virtuelle Reise durch den Weltraum machen. Er- reicht wird dies durch eine Art VR-Helm den man während der Fahrt trägt. Im Inneren des Helms befindet sich ein Monitor auf dem man den Film des Fluges sehen kann. In perfekter Kombination Die Borg sind bereits unter uns. mit dem Film „rast“ die Achterbahn mit immerhin Dieses Exemplar bewegte sich völlig 35 km/h über die mehr als 500 Meter lange Strecke. ungehindert durch das Space Center Man hat tatsächlich den Eindruck man würde mit einem lichtschnellen Superraumschiff durch das All echte Star Trek Fan auf seine Kosten kommen. rasen, hindurch durch kosmische Nebel, Felder aus Mission Control: Die unter Mitwirkung von EADS Gesteinsbrocken und Staub, vorbei an Galaxien und Space Transportation, Bremen erstellte Mission Planeten. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis das Control ermöglicht dem Besucher mitzuerleben wie man auf keinen Fall verpassen sollte. der Start einer realen Rakete abläuft. In der nach- Im IMAX-Kino mit seiner 500 Quadratmeter gro- empfundenen Mission Control ( Missionskontroll- ßen Leinwand können die Besucher Kino total erle- zentrum ) können auf mehreren Konsolen die ben und das in 2D und 3D. Kurz zur Erläuterung für wichtigsten, ständig aktualisierten Parameter der alle, die noch keinen 3D IMAX-Film gesehen haben: kurz vor dem Start befindlichen Rakete ( einer Beim IMAX-System wird nicht das alte Rot/Grün- ARIANE 5 ) abgelesen werden. Auf einer riesigen Verfahren verwendet sondern ein Polarisationsver- Bildwand werden die entsprechenden Bilder bzw. fahren bei dem die benötigten Brillen klare Gläser Filme gezeigt. Ich als „waschechter“ Raumfahrtfan haben. Der Effekt ist atemberaubend und die Far- muß sagen, daß ich teilweise wirklich das Gefühl ben naturgetreu. Ein weiterer großer Vorteil dieses gehabt habe, mich live in der Mission Control zu Verfahrens ist der, dass der gewünschte Effekt auch befinden. Wie zu hören war, sollen hier auch echte bei den Menschen erreicht wird, die auf Grund Live-Übertragungen von Starts der ARIANE-Rake- unterschiedlicher Sehkraft der Augen oder einer ten zu sehen gewesen sein. Sehschwäche beim Rot/Grün-Verfahren keinen In einer weiteren Halle, durch die gleichzeitig der 3D-Effekt sehen können. Zugang zum IMAX-Kino führt, war ein 1:1 Mockup Im Cinespace Multiplexkino können in 10 Sälen bis des Forschungsflugkörpers PHOENIX zu sehen. Er zu insgesamt 2600 Personen recht bequem Platz wurde dem Space Center von der EADS Space nehmen. Transportation Bremen zur Verfügung gestellt. Leider war die Halle ansonsten leer, wäre aber Neben diesen Attraktionen gibt es noch eine ideal gewesen, um hier eine Ausstellung zur realen Mondlandschaft, die aus weichem Material gestaltet Raumfahrt zu präsentieren, was wohl auch schon in wurde, um Verletzungen zu vermeiden, als Spielwelt Erwägung gezogen worden war. für die Kleinen. Im Laufe des Betriebs kam dann wohl irgendwann

148 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

der Gedanke auf, sich auch vermehrt der realen Es versteht sich wohl von selbst, daß das Space Raumfahrt zu nähern. Der Anfang war ja ohnehin Center allein, trotz einigermaßen gutem Geschäft, schon mit der Mission Control und dem PHOENIX den gesamten Space Park durch seine Mietzah- gemacht worden. Man integrierte zeitlich begrenzte lungen nicht unterhalten konnte. So mussten sich Sonderausstellungen zu aktuellen Themen aus der die Betreiber nach nur 283 Tagen Betrieb einge- realen Raumfahrt in das Space Center. Als Beispiel stehen, das die „Mission Space Park“ gescheitert sei hier die Sonderausstellung zum 35. Jahrestag der ist – zumindest vorerst und so schlossen sich die ersten bemannten Mondlandung am 21.07.1969 Tore des Space Parks am Abend des 26. September genannt, an der auch das National Archives For 2004 für unbestimmte Zeit. Spaceflight mit einigen Exponaten beteiligt war. Hier hatte man gute Arbeit geleistet. Zu sehen wa- Gibt es eine Zukunft für den Space Park ? ren unter anderem ein originalgetreuer Nachbau Wenn die Informationen, die man der Lokalpresse des LRV, des Mondautos, das ab der Mission von entnehmen kann stimmen, laufen bereits wieder Apollo 15 auf dem Mond benutzt wurde, ein guter Verhandlungen mit einigen Interessenten, die den Nachbau des Druckanzuges, den die Astronauten Space Park eventuell übernehmen würden. So tau- auf dem Mond trugen und Etliches mehr. chen die Namen von Carlo Petri, Geschäftsführer Auch war es den Verantwortlichen des Space Cen- des Bremer Erlebnis-Museums „Universum“ und ter mehrfach gelungen, bekannte Persönlichkeiten sogar der EADS Space Transportation immer wie- wie z.B. Edwin „Buzz“ Aldrin ( er war der zweite der in der Presse auf. Die britische European Space Mensch der 1969 den Mond betrat ) oder Erich Center Inc. zeigte ebenfalls Interesse. Nach deren von Däniken für einen Auftritt zu gewinnen. Erfolg- Vorstellung könnte „das größte und modernste versprechende Verhandlungen mit Neil Armstrong, Raumfahrtmuseum außerhalb der USA“ im Space dem ersten Menschen der den Mond betrat und Park entstehen, so Professor Christian Gibler von Tom Hanks ( bekannt u.a. aus dem Film „APOLLO der European Space Center Inc. Wie weiter zu 13“ und der dokumentarischen Serie „From The hören war, wäre ein Wiedereröffnungstermin in der Earth To The Moon“ bei der er auch an Buch und ersten Jahreshälfte 2005 nicht unrealistisch. Sollte es Regie beteiligt war ) liefen, als die finanziellen Mittel tatsächlich zu einer Kooperation zwischen Space- erschöpft waren und der Space Park geschlossen Center, Universum und EADS kommen oder das wurde – sehr, sehr schade !! Konzept der European Space Center Inc. umgesetzt werden, würde der Space-Park seinem Namen alle Aus meiner Sicht war man mit diesem Konzept auf Ehre machen. Hoffen wir also das Beste ... einem Weg, der das Space Center auch für Leute, die sich ausschließlich für die reale Raumfahrt interessie- Auch aus anderen, wie es so schön heißt „gewöhn- ren, attraktiv gemacht hätte. Die richtige Mischung lich gut informierten Kreisen“ ist immer wieder zu aus realer Raumfahrt, Science-Fiction, Information und hören, dass man die erste Jahreshälfte 2005 für Vergnügen hätte ein Erfolg werden können. einen realistischen Termin für eine Wiedereröffnung hält. Hoffentlich ist dies nicht nur Zweckoptimismus, denn Ende März 2005 würden die Lizenzen für z.B.

NAFS das IMAX-Kino, Stargate 3000 u.a. auslaufen, wenn sie nicht mehr benutzt werden. Weiterhin war aus diesen Quellen zu hören, dass bereits wieder Bautä- tigkeiten im Space Park laufen. Nähere Einzelheiten konnte oder wollte man aber nicht weitergeben..

ein Beitrag von Horst Paczkowski und Björn Baumann (Fotos) Im Vordergrund der Nachbau des „Mondautos“ der Der Autor ist stolzer Besitzer des umseitig vor- von der Firma OMEGA, die auch die Uhren, die die gestellten National Archives For Spaceflight. Astronauten auf dem Mond trugen, geliefert wurde. Herr Baumann kennt sich in den europäischen Im Hintergrund der Nachbau des „Mondanzugs“. Freizeitparks bestens aus und betreibt die Web- Beide Nachbauten sind im Maßstab 1:1. site www.freizeitpark-welt.de

2004 spacexpress raumfahrtchronik 149 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

Hier noch einige Kurzbeschreibungen und Kontaktadressen von anderen Raumfahrtausstellungen und –Sammlungen in Deutschland

Deutsche Raumfahrtausstellung Auto & Technik Museum Sinsheim e.V. Morgenröthe-Rautenkranz e.V. Das Auto & Technik Museum Sinsheim ist zwar Die Deutsche Raumfahrtausstellung Morgenröthe- in erster Line, wie der Name schon sagt, auf Rautenkranz e.V. entstand bereits zu DDR-Zeiten Fahrzeuge, Flugzeuge und andere atmosphäri- und war damals vorwiegend Sigmund Jähn gewid- sche Fluggeräte sowie erdgebundene Technik met. Fast seine komplette Kosmonauten-Ausrüs- im allgemeinen spezialisiert, hat aber in seiner tung ist hier zu sehen. Im Laufe der Jahre hat sich Außenstelle in Speyer auch einiges für den die Ausstellung jedoch gewandelt und präsentiert Raumfahrtbegeisterten zu bieten. Einer der The- sich heute mit einem guten Überblick der inter- menbereiche befasst sich auch mit der Raumfahrt nationalen Raumfahrt in Modellen und Originalen. und dort ist eine große Zahl an Modellen von internationalen Raumfahrzeugen zu sehen. Die Kontakt neueste Attraktion ist die „Orbitale Moden- Deutsche Raumfahrtausstellung schau“, hier gibt es verschiedene Raumanzüge Morgenröthe-Rautenkranz e.V., und Zubehör zu bestaunen. Der „größte Wurf“ Bahnhofstraße 8 ist dem Museum aber im Jahre 2004 gelungen. 08262 Morgenröthe-Rautenkranz Es konnte einen originalen Buran, das russische Tel: +49 (0) 37465 2538 Gegenstück zu Space Shuttle in Bahrain ausfindig eMail: [email protected] machen und erwerben. Es handelt sich vermutlich Web: www.morgenroethe-rautenkranz.de/ um den Buran 002, eine Testversion des Buran, ausst.htm ausgerüstet mit eigenen Jet-Triebwerken für sub- orbitale Testflüge von denen er etwa 25 erfolg- reich absolvierte. Wann diese Top-Rarität aber in Herman-Oberth- Speyer zu sehen sein wird ist noch nicht bekannt. Raumfahrt-Museum e.V., Feucht Das Museum widmet sich, wie der Name schon Kontakt vermuten lässt, vorwiegend dem Leben und Auto & Technik Museum Sinsheim e.V. Werk von Herman Oberth. Hier gibt es viele Museumsplatz zum Teil wohl einzigartige Exponate zu diesem 74889 Sinsheim Thema zu bestaunen. Aber auch die internatio- Tel: +49 (0) 7261 92990 nale Raumfahrt kommt hier nicht zu kurz. E-Mail: nur über die Website Web: www.museum-sinsheim.de Kontakt Herman-Oberth-Raumfahrt-Museum e.V., Pfinzingerstraße 12 – 14 Sammlung des 90537 Feucht Space Service International, Mittweida Tel: +49 (0) 9128 3502 Der Space Service International besitzt die wohl eMail: [email protected] größte Raumfahrtsammlung. Herr Tasillo Römisch, Web: www.oberth-museum.org Besitzer der Sammlung, bat aber aufgrund schlech- ter Erfahrungen mit der Berichterstattung über seine Sammlung hier keine weiteren Einzelheiten National Archives For Spaceflight, zu veröffentlichen. Bei Interesse ist jeder herzlich Bad Oeynhausen eingeladen, Herrn Römisch zu kontaktieren. Das National Archives For Spaceflight ist eine pri- vate Sammlung zum Thema internationale Raum- Kontakt fahrt. Sie umfasst Bücher, Videoaufzeichnungen, Tasillo Römisch Modelle und Originale aus diesem Bereich. Die Space Service International Sammlung ist zwar, wie schon gesagt, privat kann Rochlitzer Straße 62 aber bei Interesse und nach Terminvereinbarung 09648 Mittweida auch besichtigt werden. Tel: +49 (0) 3727 90811 eMail: [email protected] Kontakt Web: www.space-service-intl.com Horst Paczkowski wMail: [email protected] Web: www.raumfahrt-museum.de ein Beitrag von Horst Paczkowski

150 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Weltraumtourismus & private Raumfahrt Anzeige (in eigener Sache) Faszination Raumfahrt erleben! Viele von uns waren noch gar nicht auf der Welt, da war der Mensch schon auf dem Mond. Viele von uns wuchsen mit Büchern über ferne Welten auf und ein Raumschiff namens Enterprise flog für die nächste Generation. Heute, im frühen 21. Jahrhundert werden die Weichen für die Raum- fahrt im nächsten Jahrtausend gestellt. Es gibt viele gute Gründe, wis- senschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle, die dafür sprechen, dass die Raumfahrt in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen sollte als bisher. Unser Ziel im VFR e.V. ist es, die Raumfahrt als faszi- nierende Herausforderung für die Menschheit zu propagieren Vorankündigung VFR-Tour ‘05 und unseren Teil zu ihrer Weiterentwicklung beizutragen. Wir möchten die Spannung, die Begeisterung und das Interesse an Die Vorbereitungen laufen auf dieser neuen Grenze den Menschen durch unsere Aktionen Hochtouren – der VFR geht im und Informationen weitervermitteln. Dabei richten wir uns Fühsommer wieder auf große vor allem an die »interessierten Laien« in allen Bevölkerungs- Raumfahrt-Studienreise! gruppen sowie an die Entscheidungsträger in der Politik, den Diesmal sind u.a. im Programm: Medien und im Bildungswesen. Unsere besondere Aufmerk- Technikmuseum Sinsheim samkeit gilt der Jugend. Wir bringen Raumfahrt-Insider mit der ESTEC & Space Expo Noordwijk Öffentlichkeit zusammen, organisieren Ausstellungen, Vorträge EADS & Airbus Bremen in Schulen, Filmpremieren, Studienfahrten und vieles mehr. Museum Peenemünde Getreu unserem Motto »Faszination Raumfahrt Erleben!« tragen wir durch diese Öffentlichkeitsarbeit selbst etwas zum Aktuelle Infos erhalten Fortschritt der Raumfahrt bei. Statt nur passiv die Medien zu Sie über den Spacexpress konsumieren, sind wir als Raumfahrt-Fans damit Teil dieses Newsletter auf www.vfr.de grössten aller Abenteuer geworden. Das Potenzial des VFR e.V. sind seine Mitglieder mit ihrem Engagement, ihren Ideen und Begabungen. Nehmen Sie also Kontakt mit uns auf, wenn Sie zum Thema Raumfahrt einen kompetenten Ansprechpartner suchen oder sich selber engagieren wollen.

Verein zur Förderung der Raumfahrt e.V. Postfach 801966 • 81619 München www.vfr.de • eMail: [email protected]

2004 spacexpress raumfahrtchronik 151 Weltraumtourismus & private Raumfahrt

dustrie, meint Chafer. Sterben muss schließlich jeder einmal, und von den Lieben, die für immer von stern- uns gehen, hätte so mancher zu Lebzeiten nur zu gerne einen Flug ins All unternommen. Aber es gab schnuppen einfach zu wenige Stellenangebote für Astronauten. Und erst die Anforderungen, die man erfüllen muss, So mancher Raumfahrt-Fan bedauert die das kann kaum ein Lebender schaffen. Aber einen quälend langsamen Fortschritte bei der Er- Toten fragt keiner nach dem Fliegerärztlichen Taug- oberung des Weltraums. Alles dauert viele lichkeitszeugnis, 3000 Flugstunden auf Hochleis- Jahre, alles ist viel zu teuer, alles ist in staat- tungsjets, einer mehrjährigen Praxis als Testpilot und licher Hand. So kann sich keine prosperie- zwei Diplomen in Ingenieurswissenschaften. rende Weltraum-Industrie entwickeln, die Charlie Chafer jedenfalls ist überzeugt, dass „Space doch erst der Schlüssel für neue Expediti- Funerals“ ein sehr lebendiges Business sind. Und so onen zu den Planeten und eines Tages auch praktisch, weil es inkrementell wachsen kann, stellt zu den Sternen sein wird. er sich vor: Die Sache wird mit der Zeit bekannter, mehr und mehr Leute lassen sich auf diese Art beerdigen, Space Services kauft mehr und mehr Raumtransporte, die wiederum werden durch die steigende Nachfrage billiger, andere Kunden - wissenschaftliche und private - können sich dann

SPACE SERVICES INC. INC. SERVICES SPACE ebenfalls Raumtransporte leisten, die Preise sinken weiter, und voila, der Grundstein für ein eigenstän- diges, außerstaatliches Weltraumbusiness ist gelegt. Die Toten haben den Lebenden einen letzten Dienst erwiesen. Chafer ist seiner eigenen Aussage nach ein Hard- core-Raumfahrtfan, und, merkt er nicht ohne Stolz an: Trotz der Aufregung über Weltraumtourismus, Trauerzeremonie vor der Rakete. privat finanzierte, wiederverwendbare Raumfahr- zeuge und anderes Raumfahrtbusiness, das sich Und so mancher hat sich schon gefragt, welchen nach und nach, aber leider nur mit gletscherhaft Beitrag er persönlich leisten kann, um die Sache ein langsamer Geschwindigkeit zu entwickeln scheint, wenig voran zu treiben. ist Space Services derzeit die einzige kommerzielle Raumfahrtfirma, die wirklich im Hier und Jetzt ar- Auch Charlie Chafer hat darüber nachgedacht. Und beitet und der privaten Raumfahrtindustrie echte eine Firma gegründet: Space Services Incorporta- Aufträge für gutes Geld verschafft. Alles paletti ted nennt er seine Geschäftidee, um der privaten also, und die einzige nicht ganz so rosige Seite an Raumfahrtindustrie auf die Sprünge zu helfen. Sein der Sache ist - aber das hatten wir ja schon - dass Produkt: Weltraumflüge für jedermann. Genau ge- damit momentan weiterhin die einzige Chance für sagt vermarktet Charlie Chafer die ultimative und den Normalbürger unmittelbar an einer Weltraum- finale Raumfahrtanwendung. Space Services Incor- mission teilzunehmen darin besteht, tot zu sein. portated hat ihren Sitz in Houston, Texas. Das Wort Service hat im Englischen viele Bedeutungen. Es Für umgerechnet 4.000 Euros füllt Space Services kann ganz allgemein eine Dienstleistung bezeichnen. eine Kapsel in der Größe eines Lippenstifts mit Oder auch, und da sind wir beim Kern der Sache, sieben Gramm Asche des Verstorbenen ab, packt einen Gottesdienst oder ein Begräbnis. das Ganze mit einigen dutzend anderen Kapseln in einen Kanister und arrangiert dann, dass dieses Machen wir es kurz: Space Services Incorporated ist Paket in den Weltraum geflogen wird. Die Ange- ein Bestattungsunternehmen, und damit ist die Sa- hörigen werden eingeladen, dem Start der Rakete che nicht ganz genau das, was die Raumfahrt-Freaks beizuwohnen und anschließend an einer kleinen eigentlich im Auge hatten, als sie Raumflüge für alle Gedenkfeier teilzunehmen, sobald die lieben forderten, um zum einen das private Raumfahrt- Freunde und Verwandten im Himmel angekommen business anzukurbeln und zum anderen endlich sind. Als kleines Andenken für die Hinterbliebenen das staatliche Monopol für den Raumtransport zu gibt es noch ein Erinnerungsvideo vom Start. Wem brechen. Aber es ist schließlich doch egal wo man 4.000 Euro zu teuer sind: Space Services bietet anfängt, mit dem Aufbau der privaten Raumfahrtin- auch eine Sparversion an. Für etwa 700 Euro kann

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man ein Gramm Totenasche in einem Behälter von der Größe einer Armbahnduhrenbatterie in den Weltraum schicken. Chafer denkt praktisch und meint, dass die Begräbniskosten im Weltraum nicht INC. SERVICES SPACE höher sein sollten, als für ein Begräbnis auf der Erde. Deswegen hat er als Bestattungsunternehmer nicht nur die Luxusvariante im Angebot, sondern auch was für den schmaleren Geldbeutel. Space Services, in informierten Kreisen besser bekannt unter dem Namen Celestis Incorporated - diesen Namen führte das Unternehmen bis vor einiger Zeit - hat seinen Begräbnisservice bisher viermal durchgeführt. Eigentlich hätten es schon fünfmal sein sollen, aber bei einem Start, im Sep- tember 2001, erreichte die Rakete nicht den vor- gesehenen Orbit. Wenn so was passiert, und in der Raumfahrt ist das ja immer mal möglich, verspricht die Firma einen kostenlosen Wiederholungsflug. Wir erinnern uns, es sind nur maximal sieben Gramm Asche pro Verstorbenen dabei. Da bleibt schon was übrig, und man kann das Ganze ruhig noch einmal probieren, wenn es nicht gleich beim ersten Anlauf klappt. Das letzte (ungewöhnliche) Geleit. Die nächste Mission, die Nummer sechs, wird eine sehr bedeutungsvolle sein. Weniger für die Kunden langsam alternden Baby-Boomer, die sich für ihre selbst - für die läuft es nach dem gewohnten Schema letzte Stunde mal was anderes gönnen wollen, als - als für die private Raumfahrtindustrie an sich. Die das übliche traditionelle Begräbnis. Diese Kunden sterblichen Überreste von 125 Personen - da sind sichern sich schon jetzt, noch zu Lebzeiten, ihr ganz auch die vom Fehlstart im Jahre 2001 noch einmal persönliches Startfenster. Vor allem in Asien und den mit dabei - dürfen beim Erstflug der brandneuen USA besteht eine enorme Nachfrage, aber die Kun- Falcon X an Bord sein. Das ist die Trägerrakete, mit den kommen auch aus Argentinien, Kanada, Frank- der der junge e-Business Unternehmer Elon Musk reich, Deutschland, Großbritannien und Mexiko. die großen Raumfahrtkonzerne herausfordern will. Eine Reihe von Leuten haben übrigens schon vor Der Flug ist für ende Februar geplant. Celestis und Space Services Weltraumbegräbnisse Der Aschecontainer von Space Services wurde im bekommen. Allerdings eher durch gute Beziehun- Dezember in die neue Rakete integriert. Space Ser- gen als durch einen regulären Bestatter. Die Asche vices hofft auf eine lang dauernde Partnerschaft mit des Star-Trek Erfinders Gene Roddenberry etwa der Raketenfirma aus El Segundo in Kalifornien. Fürs kam in den Weltraum, weil sie ein alter Freund erste sind drei- bis vier Starts jährlich geplant. Die von ihm dorthin mitnahm. Rein zufällig war der Nachfrage ist übrigens enorm und die Interessen- Freund Astronaut bei der NASA. Und die Asche tenliste wird immer länger. Hauptkunden sind die des berühmte Kometenforschers Eugene Shoe- maker wurde von seinen ehemaligen Kollegen in die Raumsonde Lunar Prospector gepackt, bevor die zum Mond startete. Mit solchen Kollegen- und Freundeskreisen können die meisten von uns nicht aufwarten, aber für uns Normalbürger wird es zu- künftig Charlie Chafer als Anlaufstelle geben. Space SPACE SERVICES INC. INC. SERVICES SPACE Services Incorporated erfüllt für die Frau und den Mann von der Straße endlich den lebenslangen Traum von Flug in den Weltraum.

Die Nutzlast: Kapseln mit der Asche Verstorbener. Ein Beitrag von Eugen Reichl.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 153 ISS jahresrückblick internationale raumstation Unruhiger Jahresbeginn holten Abschalten von Elektron führten. Aber bis Die achte Stammbesatzung, Kommandant Michael zum Feststellen der Ursache führte das Ersetzen Foale und Bordingenieur Alexander Kaleri, mag sich verschiedener Einzelteile nicht zur erfolgreichen einen ruhigeren Beginn des Jahres 2004 gewünscht Reparatur, die erst nach einer systematischen Un- haben, aber wenige Tage nach Foales 47. Geburtstag tersuchung bewerkstelligt wurde. am 6. Januar wurde eine leichte Abnahme des At- Mit der Rückkehr zur Erde an Bord der Sojus mosphärendruckes der International Space Station TMA-3 beendeten Foale und Kaleri am 30. April (ISS) festgestellt. Foale und Kaleri untersuchten einen 195tägigen Aufenthalt im Weltraum, der am Ventile und Dichtungen auf Undichtigkeit und 18. Oktober des letzten Jahres begann. Die neunte bemerkten am 11. Januar ein zischendes Geräusch, Stammbesatzung erreichte mit der sechsten Be- das ein undichter Kondenswasserablassschlauch an suchsbesatzung Bordingenieur André Kuipers an einem Fenster des Labormoduls Destiny machte. Bord der Sojus TMA-4 am 21. April die ISS. Kuipers Nach Entfernen des Schlauches stabilisierte sich der kehrte nach der Ausführung der Dutch Expedition Atmosphärendruck der ISS wieder. Die Progress For Life Science, Technology And Atmospheric M1-11 brachte am 31. Januar neben Ausrüstungs- Research (DELTA) mit Foale und Kaleri zur Erde gegenständen, Versorgungsgütern und Treibstoffen zurück. einen neuen Schlauch zur ISS. Am 21. April schaltete sich zum Abschied der Nicht nur technische sondern auch personelle Un- achten Stammbesatzung ein Control Moment regelmäßigkeiten traten mit dem Beginn des Jahres Gyroscope (CMG) ab, das mit drei anderen die ISS 2004 auf. Für die neunte Stammbesatzung waren im Weltraum ausrichtete. Weil mit zwei funktionie- Kommandant William McArthur und Bordingeni- renden CMGs das Minimum erreicht wurde, wurde eur Waleri Tokarew nominiert. Aus medizinischen eine EVA notwendig, um zur Reparatur des Strom- Gründen wurde McArthur am 12. Januar durch Le- kreises ein Remote Power Control Module (RPCM) roy Chiao ersetzt. Am 6. Februar wurden schließlich zu ersetzen. Am 27. Mai brachte die Progress M-49 Kommandant Gennadi Padalka und Bordingenieur Ausrüstungsgegenstände, Versorgungsgüter und Michael Fincke zur neunten, und Kommandant Treibstoffe zur ISS und Fincke wurde am 18. Juni Chiao und Bordingenieur Salishan Scharipow zur zum zweiten Mal Vater. zehnten Stammbesatzung nominiert. Die erneute Umstellung der Stammbesatzungen begründete sich in der jahrelangen gemeinsamen Vorbereitung der Nominierten. NASA

Vaterfreuden im Weltraum Am 26. Februar führten Foale und Kaleri die erste Extravehicular Activity (EVA) ohne eine dritte Per- son aus, die sich in der ISS aufhielt. Sie erhielten die Anweisung, die EVA früher als vorgesehen zu been- den, als Kaleri die Bildung von Wassertropfen innen auf dem Visier und die Erhöhung der Temperatur meldete. Nach Abschluss der 235minütigen EVA, Am 27. Mai nähert sich die Progress M-49 mit während der Experimente am Versorgungsmodul Ausrüstungsgegenständen, Versorgungsgütern und Swjesda ersetzt wurden, stellte Foale bei Kaleri Treibstoffen für die neunte Stammbesatzung der ISS. einen Knick in einem Kühlschlauch fest. Wie ein roter Faden zieht sich auch die Reparatur Vier Weltraumspaziergänge des Sauerstofferzeugers Elektron durch das erste der neunten Stammbesatzung Quartal des Jahres 2004. Durch Elektrolyse, die Zer- Die erste EVA wurde am 24. Juni nach 14 Minu- legung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, ten abgebrochen, weil eine starke Abnahme des das durch Pumpen und Ventile fließt, entstandenes Sauerstoffdruckes in Finckes Anzug durch einen Kaliumhydroxid bildete Luftblasen, die zum wieder-

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Diese Computergrafik zeigt den Zustand der ISS Ende Dezember 2004.

ungeschlossenen Sauerstoffflussschalter festgestellt am 17. September den undichten Kondenswasser- wurde. Erste Unregelmäßigkeiten traten am 19. ablassschlauch, der zu Beginn des Jahres 2004 zur Mai auf, als an Padalkas amerikanischem Anzug der Abnahme des Atmosphärendruckes der ISS führte, Kühlwasserfluss nicht funktionierte und führten und installierte zum Schutz eine Abdeckung. zum Wechsel zu russischen Anzügen verbunden mit einer mehrtägigen Verschiebung der EVA. Die Weihnachtsmann bringt zweite EVA wurde schließlich am 30. Juni nach 340 Verpflegung für zehnte Stammbesatzung Minuten erfolgreich abgeschlossen. Zum ersten Mal Für die zehnte Stammbesatzung begannen die Un- kontrollierten sowohl das russische als auch das regelmäßigkeiten vor der Ankunft an Bord der ISS. amerikanische Mission Control Center (MCC) ge- Anfangs auf den 9. Oktober festgesetzt, führte die meinsam eine EVA. versehentliche Zündung einer Explosivladung, die Padalka und Fincke ersetzen während einer 270mi- dem Abstoßen des Orbitalmoduls der Sojus TMA-5 nütigen EVA am 3. August Experimente an Swjesda im Falle einer erfolglosen Abkopplung von der ISS und installierten Ausrüstungen für das Automated dient, zu einer Verschiebung des Aufbruchs zur ISS Transfer Vehicle (ATV) Jules Verne. Am 14. August auf den 11. Oktober. Aber die Undichtigkeit einer erreichte die Progress M-50 mit Ausrüstungsgegen- Membran eines Wasserstoffperoxidtanks für die ständen, Versorgungsgütern und Treibstoffen die ISS. Triebwerke des Rückkehrmoduls der Sojus TMA-5 Fincke reparierte am 23. August durch Ersetzen ei- führte schließlich zu einer Verschiebung auf den 14. ner Kühlwasserpumpe, die an Bord der Progress M- Oktober, weil der Wasserstoffperoxidtank durch 50 zur ISS transportiert wurde, eine Extravehicular einen anderen der Sojus TMA-6 ersetzt werden Mobility Unit (EMU). Während der vierten, 321mi- musste. nütigen EVA am 3. September führten Padalka und Am 16. Oktober erreichten die zehnte Stamm- Fincke Wartungen am Kontrollmodul Sarja aus und besatzung mit der siebten Besuchsbesatzung, installierten Antennen für Jules Verne an Swjesda. Bordingenieur Juri Schargin an Bord der Sojus Am 8. September schaltete sich Elektron aufgrund TMA-5 die ISS. Während der Annäherung musste der Verunreinigung einer Wasserstoffleitung durch Scharipow die manuelle Kontrolle übernehmen, Kaliumhydroxid ab, funktionierte aber nach einer weil die Geschwindigkeit der Annäherung durch mehrwöchigen Reparatur wieder. Fincke ersetzte die automatische Kontrolle überschritten wurde.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 155 ISS NASA Schargin kehrte mit Padalka und Fincke an Bord der Sojus TMA-4 am 24. Oktober zur Erde zurück, die sich 188 Tage im Weltraum aufhielten. Als erster amerikanischer Weltraumfahrer stimmte Chiao am 31. Oktober aus dem Weltraum durch Electronic Mail (EM) bei der Präsidentenwahl mit. Während eines 21minütigen Manö- vers koppelten Chiao und Schari- pow an Bord der Sojus TMA-5 am NASA 29. November vom Kopplungsmodul Blick in die Zukunft: Trainingsleiter Paul Williamson Pirs ab und anschließend an Sarja an, bedient in einer Simulation den kanadischen Roboterarm um Pirs für zwei EVAs im nächsten von einem Mockup des „Cupola“ Moduls aus. Diese Kup- Jahr zu nutzen. Am 26. Dezember pel wird ab 2009 den Astronauten eine Rumdumsicht auf wird die Progress M-51 neben Weih- die ISS gewähren und die Koordination von Außeneinsät- nachtsgeschenken Ausrüstungsge- zen erleichtern. genstände, Versorgungsgüter und Treibstoffe zur ISS transportieren. auszuführen. Schließlich zwangen vier Stürme die National Aeronautics and Space Administration Erreicht die Progress M-51 mit ihrer (NASA), die Wiederaufnahme der Missionen am 112 Tage reichenden Verpflegung die 29. Oktober zwischen den 12. Mai und den 3. Juni ISS nicht, werden Chiao und Scha- des nächsten Jahres zu verschieben, weil auch das ripow zum Anfang des Jahres 2005 Astronaut Leroy Chiao Kennedy Space Center (KSC) zeitweilig geschlossen zur Erde zurückkehren müssen, weil mit Weihnachtsdeko wurde und die Vorbereitung des Space Shuttle Dis- sich die Verpflegung an Bord der ISS im Destiny Modul covery auf die Mission Space Transportation System ihrem Ende neigt. Eine Rückkehr der (STS) 114 ruhte. zehnten Stammbesatzung zur Erde ist aber unwahr- scheinlich, nicht zuletzt aufgrund der Zuverlässigkeit Krikaljow und Phillips werden nach einem 175tä- der Progress. Eine erfolgreiche Ankunft der Pro- gigen Aufenthalt im Weltraum am 7. Oktober des gress M-51 zu Grunde gelegt, sieht das nächste Jahr nächsten Jahres zur Erde zurückkehren. Als erster für die ISS folgendermaßen aus: russischer Weltraumfahrer wird Krikaljow sechs Missionen im Weltraum ausgeführt haben. Außer- dem wird er sich insgesamt 799 Tage im Weltraum Wiederaufnahme der aufgehalten haben: Weltbestleistung! Am 22. Okto- Space Shuttle Missionen ber des nächsten Jahres wird Jules Verne zur ISS Chiao und Scharipow werden am 25. Januar und aufbrechen, um als erstes europäisches Weltraum- am 25. März des nächsten Jahres zwei EVAs aus- fahrzeug Ausrüstungsgegenstände, Versorgungsgü- führen. Für die elfte Stammbesatzung wurden am ter und Treibstoffe zu transportieren. 23. November Kommandant Sergej Krikaljow und Bordingenieur John Phillips nominiert. Ihr Aufenthalt im Weltraum wird am 15. April des nächsten Jahres beginnen. Die achte Besuchsbesatzung, Bordinge- nieur Roberto Vittori wurde am 10. Dezember Ein Beitrag von Michael Schumacher. nominiert und wird mit der elften Stammbesatzung Der Autor betreut auf www.raumfahrer.net die an Bord der Sojus TMA-6 zur ISS aufbrechen. Vittori Rubrik Internationale Raumstation und berichtet wird am 25. April des nächsten Jahres mit der zehn- wöchentlich im In Space Magazin über die Aktivi- ten Stammbesatzung an Bord der Sojus TMA-5 zur täten der Stammbesatzungen. Erde zurückkehren, die sich 193 Tage im Weltraum aufgehalten haben wird. Raumfahrer.net Und wie sieht es mit der für das letzte Drittel des ...ist ein Projekt von interessierten Menschen, die Jahres 2004 vorgesehenen Wiederaufnahme der über den deutschsprachigen Raum verteilt leben Missionen der Space Shuttles aus? Am 19. Februar und Spaß daran haben, in ihrer Freizeit gemein- wurde die zwischen dem 12. September und dem sam an einem der größten deutschsprachigen 10. Oktober festgesetzte Wiederaufnahme der Internetportale zu Raumfahrt und Astronomie Missionen zwischen den 6. März und den 18. April zusammenzuarbeiten. des nächsten Jahres verlegt, um die Empfehlungen Mehr Infos unter www.raumfahrer.net des Columbia Accident Investigation Board (CAIB)

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Die Cupola an ihrem überwältigendem Bestimmungsort – künstlerische Darstellung

2004 spacexpress raumfahrtchronik 157 Raumfahrttechnik schwergewicht mit atemnot

Den Jungfernflug einer Groß-Trägerrakete

hat es in Cap Canaveral schon seit Jahr- BOEING zehnten nicht mehr gegeben. Und so wur- de der Start der ersten Delta 4 Heavy von zahllosen Zuschauern an den Stränden von Cocoa Beach, Titusville, Merritt Island, Melbourne und an den Beobachtungsposi- tionen am Cap Canaveral mit großer Span- nung erwartet. Der erste Einsatz von Boeings neuer schwerer Trägerrakete begann mit einem atemberaubenden Liftoff am späten Nachmittag des 21. Dezembers. Am Ende blieb die Rakete allerdings unter der erwarteten Leistung, und der Testsatellit und die beiden an Bord befindlichen Nanosatelliten - er reichten den vorgesehenen Orbit nicht. Trotzdem bezeichnete Boeing den Flug als Erfolg. Um 17:50 Ortszeit, nach einer Reihe von Verzöge- rungen, hatte der Countdown den Zeitpunkt Null erreicht. In diesem Moment zündeten die RS-68 -Triebwerke in den beiden so genannten Com- mon Core Boostern und in der der Zentralstufe. Startvorbereitungen für die neue Delta IV Heavy. Diese Antriebseinheiten sind nichts anderes als drei zusammengekoppelte erste Stufen. Sie sind exakt Pad 37 entzündete. Eine derart heftige Verpuffung baugleich, nur mit dem Unterschied, dass auf dem war sicher nicht im Sinne der Erfinder gewesen, zentralen Element noch eine Oberstufe sitzt. Etwa und dürfte den Boeing-Technikern Anlass für Nach- vier Sekunden nach der Zündung der Motoren, besserungen an der Startanlage geben. Aus diesem ihrem Hochlaufen, und ihrer Überprüfung durch tosenden Feuerinferno schlich nach endlosen Se- die Computerbänke im Kontrollbunker, wurden kunden schließlich die rußgeschwärzte Rakete mit die Haltebolzen gesprengt, die das Raumfahrzeug quälender Langsamkeit den Startturm entlang. Man die letzten Monate bei der Bodenerprobung auf hatte beinahe den Eindruck, das mächtige Vehikel dem fahrbaren Starttisch festgehalten hatten und könnte dem übermächtigen Zug der Schwerkraft die über 800 Tonnen schwere Rakete donnerte nicht entkommen. auf einem golden flackernden Feuerschweif schier unerträglich langsam in den klaren, blauen Himmel. Interessant für den kundigen Beobachter war nicht Eines war sofort offensichtlich: gegen diese Rakete nur die angsteinflössende Verpuffungsreaktion am ist der Shuttle ein leichtfüßiger Sprinter. Boden, sondern auch der Umstand, dass die Trieb- werke einen gigantischen, mehr als 50 Meter langen, Mit der Delta 4 Heavy ist allerdings auch erstmals golden-flackernden Feuerstrahl hinter sich ließen. seit den Tagen der Saturn wieder ein großer Trä- Dazu muss man wissen, dass Raketenmotoren, die ger ohne Feststoff-Zusatzbooster unterwegs. Al- mit Sauerstoff und Wasserstoff betrieben werden, lein schon durch das Zeitlupenhafte dieses Starts normalerweise eine praktisch unsichtbare Flamme war der Anblick ungemein spektakulär. Und gleich produzieren. Die Verbrennung bei den RS-68 Mo- beim Abheben kam es auch zur ersten Anomalie toren läuft jedoch sehr sauerstoffreich ab, und des- - weniger kundige Beobachter fürchteten schon wegen entsteht dieses unwirkliche Bild, das sicher das Schlimmste - denn das Fahrzeug war sofort mit zum beeindruckendsten gehört, was man seit nach der Zündung der Motoren fast vollständig von vielen Jahren bei einem Raketenstart gesehen hat. Flammen eingehüllt, als sich freier Wasserstoff am Mit einem Verbrauch von drei Tonnen Treibstoff pro

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Sekunde gewann der gewaltige Booster schließlich lassen. Nur der Umstand, dass das Raumfahrzeug den Kampf gegen die Schwerkraft, als nach dem ein experimentelles Ionentriebwerk an Bord hatte, Verlassen des Startturms der Schub auf volle Leis- rettete die Mission damals doch noch. tung erhöht wurde. Die amerikanische Luftwaffe hatte für diesen Die Bahnverfolgungskameras blieben der Rakete Demonstrationsflug 141 Millionen Dollar bezahlt. dann für nahezu vier Minuten auf den Fersen und Zweck der Mission war es, die Rakete zu testen, zeigten noch, wie die beiden Common-Core-Boos- bevor man ihr wertvolle militärische Nutzlasten ter die Triebwerke abschalteten und schließlich von anvertrauen wollte. Eine äußerst sinnvolle Entschei- der Zentralstufe abgeworfen wurden. Allerdings dung, wie sich gezeigt hat. Obwohl die Ursache der kräuselten auch hier Sorgenfalten die Stirn der Inge- Minderleistung noch nicht klar ist, zeigten sich Bo- nieure, denn der Brennschluss kam acht Sekunden eing und die Air Force zuversichtlich, den oder die zu früh, ein erneuter Hinweis, dass nicht alles nach Fehler beheben zu können, ohne dass ein weiterer Plan gelaufen war. Nachdem 90 Sekunden später teuerer Testflug notwendig wird. Bereits in diesem auch die Zentralstufe ausgebrannt war, zündete die Jahr sind zwei Einsatzflüge geplant, im August und ebenfalls mit Sauerstoff und Wasserstoff betriebe- im Dezember sollen ein militärischer Frühwarnsa- ne Oberstufe für eine auf knapp sieben Minuten tellit und eine klassifizierte Nutzlast des National angesetzte Brennperiode, um einen anfänglichen Reconnaissance Office mit der Delta 4 Heavy in Parkorbit um die Erde zu erreichen. Der geplante den Orbit gebracht werden. Zeitpunkt für den Brennschluss kam und ging vorbei Beim Teststart am 21. Dezember waren insgesamt ohne dass die Stufe aufhörte zu feuern, wieder ein drei Satelliten an Bord. Eine davon war eine gut Beleg dafür, dass die erste Stufe nicht die vorge- sechs Tonnen schwere instrumentierte Dummy- sehene Leistung erzielt hatte, und nun der Bord- Nutzlast, ein Vehikel namens DemoSat, im Grunde computer versuchte, die Minderleistung über eine nichts anderes als eine zwei Meter hohe und 1,5 längere Brenndauer der Zweitstufe auszugleichen. Meter durchmessende Aluminiumtrommel gefüllt Nach 45 Minuten zündete die Oberstufe erneut mit 60 Eisenstäben als Ballast. Sensoren an diesem für die zweite von drei Brennperioden, um den Dummy sammelten während des Aufstiegs Daten gewünschten geostationären Orbit zu erreichen. über Vibrationen, Temperaturen und Drücke sowie Die zweite Brennphase sollte einen elliptischen über die auftretenden Schockmomente bei den Übergangsorbit mit einem niedrigsten Bahnpunkt Stufentrennungen. Neben Demosat waren aber bei 266 Kilometern und einem höchsten Bahn- auch zwei richtige Satelliten an Bord, Kleinsatelliten punkt bei 36.400 Kilometern erzielen, bei einer mit Namen und Sparky. Sie waren in Zu- Bahnneigung von 27,3 Grad zum Äquator. Diese sammenarbeit zwischen den Universitäten von Ari- Übergangsbahn wurde exakt erreicht. Allerdings für zona, New Mexiko und Colorado gebaut worden. einen hohen Preis. Ursprünglich hätten die beiden Kleinsatelliten an Bord der Raumfähre Columbia fliegen sollen, waren Es folgte nunmehr eine fünfstündige „Coast-Phase“, damals aber nicht rechtzeitig fertig geworden. Jetzt in der die Rakete in freier Drift zum Apogäum, also teilten die beiden Kleinsatelliten das Schicksal ihres dem höchsten Bahnpunkt trieb. Dort sollte eine damals vorgesehenen Trägervehikels: Sie erlebten letzte Brennphase die Bahn zirkularisieren, und die einen „Destructive Reentry“, wie es in der NASA- Inkliniation auf 10 Grad senken. Aber jetzt zeigte Terminologie heißt. sich, dass die verlängerten Brennzeiten der ersten und zweiten Brennphase der zweiten Stufe den Auch wenn bei diesem Erstflug nicht alles nach Plan Treibstoffvorrat zu sehr beansprucht hatten. Das lief wird die Delta 4 Heavy in der amerikanischen dritte und abschließende Brennmanöver hätte Space Exploration Initiative eine bedeutende Rolle eigentlich drei Minuten und 14 Sekunden dauern spielen. Ihr spektakulärer Start wird ein gewohntes sollen, aber bereits nach zwei Minuten und zwanzig Bild in den zukünftigen Raumfahrtanstrengungen Sekunden ging der Oberstufe der Sprit aus. Das Re- der NASA sein, und man wird sie schon bald in sultat war ein Orbit mit einem bahnhöchsten Punkt Verbindung bringen mit der Rückkehr zum Mond von 36.400 Kilometern und einem niedrigsten und den Flügen zum Mars. Bahnpunkt von 19.000 Kilometern. Geplant war da- Die Delta 4-Heavy ist in ihrer jetzigen Version in gegen ein kreisförmiger Orbit in 36.400 Kilometern. der Lage etwa 23 Tonnen Nutzlast auf eine niedrige Bei einem kommerziellen Start wäre die Mission als Erdumlaufbahn zu bringen, etwa 13 Tonnen in den Fehlschlag gewertet worden. Eine ähnliche Minder- geostationären Transferorbit, 11 Tonnen auf eine leistung hatte beispielsweise vor zweieinhalb Jahren Mond-Fluchtbahn, und 8 Tonnen zum Mars. beim Start einer Ariane 5 den Technologiesatelliten Artemis in einem zu niedrigen Orbit stranden Ein Beitrag von Eugen Reichl.

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eine basis auf dem mond – der logische nächste schritt in der bemannten raumfahrt

Abbildung 1: Vanderbilt Mondstation aus aufblasbaren “Kissen”-Modulen

Vor über drei Jahrzehnten war der letz- mit heutiger Technologie prinzipiell möglich ist und te Mensch auf dem Mond. Auch nach der nur wenige Tage dauert. Die Apollo-Missionen be- Apollo-Ära gab es immer wieder Vorschläge antworteten viele Fragen über unseren Trabanten. für bemannte Mondstationen. Waren die Doch wir haben längst nicht alle Geheimnisse gelüf- Gründe vor allem zu Zeiten des Kalten Krie- tet. Die geringe geologische Aktivität auf dem Mond ges eher politisch, so gelten heute Astrono- ermöglicht es uns, weit in die Geschichte des Son- mie, Tourismus oder die Vorbereitung von nensystems zurückzublicken und der Entstehung Missionen zum Mars als Argumente für die unserer Welt auf den Grund zu gehen. Die Narben Rückkehr von Menschen auf den Erdtraban- von Milliarden Jahre alten Asteroideneinschlägen ten. Vor allem das neue Explorations-Pro- sind selbst von der Erde aus zu sehen. Diese Krater gramm der NASA, aber auch chinesische sind Zeugnis dafür, wie oft und in welcher Größe und europäische Raumfahrtpläne, sehen den das innere Sonnensystem – einschließlich unserer Aufbau einer permanenten Basis auf dem Erde – im Laufe der Zeit bombardiert wurde. Die- Mond im Zeitraum bis etwa 2025 vor. se Krater genauer zu untersuchen könnte die noch immer offene Frage nach den Massensterben auf Woher kommt das neu entfachte Interesse an un- unserem Planeten beantworten. serem Trabanten? Warum nicht im relativ sicheren Erdorbit bleiben oder gleich direkt zum Mars flie- Eine Besiedlung des Mondes wäre gleichzeitig der gen? Die Argumente für eine Rückkehr zum Mond Beginn eines Langzeit-Programms, um das Über- sprechen für sich: leben der menschlichen Spezies zu sichern. Auch viele andere wissenschaftliche Disziplinen würden Der Mond bewegt sich um die Erde in einer mittle- von einer Mondstation profitieren: ren Distanz von etwa 373.000 km. Diese relativ ge- ringe Entfernung bedeutet, dass ein Flug zum Mond Astronomie, Biologie, Physik, Paläontologie, Plane-

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wie z.B. Tourismusangebote sind essentiell für die Finanzierbarkeit und den dauerhaften Erfolg einer Besiedlung des Mondes.

Bigelow Aerospace Bigelow Bauen auf dem Mond ist eine Herausforderung. Das Anwenden von Prinzipien, die beim Bauen auf der Erde gelten, ist sehr schwierig, denn auf dem Mond herrschen völlig andere Randbedingungen. So ist Abbildung 2: Die aufblasbaren “Nautilus”-Module zum Beispiel die Schwerkraft um 5/6 reduziert. im Test, siehe auch Seite 141 Durch das Fehlen einer Atmosphäre steht eine bemannte Station unter Innendruck, dessen Opti- tenkunde und sogar Exobiologie. Neue Erkenntnisse mum bei etwa 70 kPa liegt. Gleichzeitig muss aber in den Felder Psychologie und Soziologie wären die auch ein eventueller Druckverlust berücksichtigt Folge. Optische Teleskope profitierten von der Ab- werden. Strahlung, Mikrometeoriten und extreme wesenheit einer Atmosphäre und wären auf der Temperaturschwankungen (100°C im Sonnenlicht, erdabgewandten Seite sogar vor allen Störsignalen -150°C im Schatten) sind zu berücksichtigen. Eine von der Erde geschützt. Weitaus größere und leich- Überschüttung mit einer 3m mächtigen Schicht aus ter zu unterhaltende und reparierende Anlagen als Mondsand scheint die wirtschaftlichste Lösung zu z.B. das Hubble Space Telescope könnten gebaut sein, um die Basis und deren Bewohner vor diesen werden. Sie könnten auch leichter vor Strahlung, Gefahren zu schützen. Geringes Eigengewicht und Weltraumschrott und Mikrometeoriten geschützt einfacher Aufbau der Konstruktion sind wichtige werden, die Teleskope in der Erdumlaufbahn plagen. Kriterien, um Transportkosten und Außeneinsätze Der Mond ist reich an Rohmaterialien. Mondsand der Astronauten auf ein Minimum zu reduzieren. und -gestein, der sog. Regolith, enthält Eisen, Alumi- Mögliche Baumaterialien müssen in von der Erde nium, Silikon, Titan, Sauerstoff und Spuren von Was- importierte und lokal produzierte unterschie- serstoff, Kohlenstoff, Platin, Helium-3 und Stickstoff. den werden. Zur ersten Gruppe zählen vor allem Erfahrung mit den nötigen Technologien um diese Leichtmetalle, Membrane und Verbundwerkstoffe. Rohstoffe zu gewinnen, könnte eine Mondbasis un- Aus dem Mondgestein lässt sich eine Vielfalt von abhängig von Unterstützung von der Erde machen Metallen gewinnen, aber Regolith kann auch direkt und bei entsprechendem Produktionsvolumen so- zu Blöcken, Glasprodukten oder sogar Beton verar- gar Exporte ermöglichen. Auf jeden Fall können beitet werden. Eine Mondstation wird eine evoluti- alle diesbezüglichen Technologien für eine bemannte onäre Entwicklung durchlaufen. Diese Entwicklung Marsmission, wie in-situ Ressourcennutzung und Le- kann in drei Hauptphasen unterteilt werden, in je- benserhaltungssysteme, hier getestet und verfeinert der dieser Phasen wird sich notwendigerweise eine werden. Ist man erst einmal dem Schwerefeld der andere Generation von Habitat-Konstruktionen Erde entkommen, benötigt man nur wenig Energie, durchsetzen. Die erste Generation wird aus kom- um sich im Sonnensystem fortzubewegen. Auf dem plett vorgefertigten und ausgerüsteten Modulen, Mond gebaute Raumfähren könnten diesen Vorteil ähnlich wie bei der internationalen Raumstation nutzen. Auch deshalb ist der Mond das perfekte ISS, bestehen. Dadurch wird eine erste Präsenz und Sprungbrett zum Mars. Wirtschaftliche Aktivitäten Operationskapazität geschaffen. In der zweiten Pha- se lunarer Besiedlung werden größere Module nö- Abbildung 3: tig, die in Teile zerlegt auf der Erde vorgefertigt und Seilkonstruktion für eine Basis in einem Mondkrater. NASA

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auf dem Mond zusammengebaut werden. Anlagen zur Produktion von indigenen Materialien ermög- Ruess lichen in der dritten Phase die Konstruktion von Habitaten unter ausschließlicher Verwendung von auf dem Mond produzierten Bauteilen. Die ersten Mondbasis-Module werden also einfache Zylinder mit beschränktem Durchmesser sein. Doch wie könnten weiterführende Konzepte der zweiten und dritten Generation aussehen? Aus der Vielfalt der möglichen Lösungen kristallisie- ren sich vier unterschiedliche Konstruktionstypen Abbildung 4: Querschnitt einer Aluminium-Konstrukti- heraus: on, geschützt durch Regolith in Sandsäcken • Aufblasbare Strukturen

• Seil-Konstruktionen Ruess • Starre Tragwerke • Unterirdische Konzepte Aufblasbare Module ermöglichen eine sehr leichte Konstruktion, die sich einfach und schnell auf der Mondoberfläche aufbauen lässt. Baumaterial sind dabei vor allem textile Membrane. Diese sind sehr empfindlich, so dass mehrere Schichten nötig sind. Druckverlust ist bei derarti- gen Konstruktionen kritisch und muss im Entwurf Abbildung 0.5: Rendering der Aluminium- berücksichtigt werden. Mit dem Entwurf des „Trans- Konstruktion, ohne Regolith-Aufschüttung hab“ - einem aufblasbaren Modul zur Erweiterung der ISS konnten erste Erfahrungen zum benötigten

Schichtaufbau gesammelt werden. Leider kam das Hoerz Modul nie über das Entwurfsstadium hinaus. Sehr viel versprechend scheint in diesem Bereich der privat finanzierte „Nautilus“-Entwurf von Bigelow Aerospace zu sein, eine konsequente Weiterent- wicklung des NASA-„Transhab“ (Abbildungen 1 und 2). Niedriges Eigengewicht ist ebenfalls ein Vorteil der Seiltragwerke. Mit ihnen sind sehr große Spannweiten möglich, jedoch benötigt man eine Sekundärkonstruktion für den Raumabschluß, deren Robustheit für die Widerstandsfähigkeit der Gesamtkonstruktion entscheidend ist. Eine mögli- Abbildung 6: Schnitt durch eine che Anwendung zeigt Bild 3. Lava-Röhre mit möglichen Habitat-Modulen Bei den starren Tragwerken kann man sich eines rei- Habitat-Module mehr benötigt werden (vgl. Bild 6). chen Erfahrungsschatzes bedienen. Sie sind generell Sehr progressive und unkonventionelle Ideen wur- sehr robust und benötigen keine Nebenkonstruk- den als Ergebnisse des von der „Lunar Explorers tionen. Diese Vorteile bezahlt man allerdings mit Society“ 2002 in den Niederlanden veranstalteten höherem Eigengewicht. Die Abbildungen 4 und 5 und durch die ESA gesponsorten „Lunar Base De- beschreiben einen Entwurf aus Aluminium. sign Workshop“ präsentiert. Architektur-Studenten Eine komplett andere Idee stellen die Untergrund- aus 16 Nationen entwarfen in diesem mehrtägigen Konzepte dar. Auf dem Mond werden extensive Workshop Mondstationen, die für verschiedene Systeme von Lava-Röhren vermutet, die natür- Nutzungen optimiert wurden. Gerade die mobilen lichen Schutz vor den meisten Einwirkungen bieten Stationen und Kombinationen der o.g. Konzepte könnten. Spekulationen sehen sogar die Möglichkeit, erscheinen hier sehr viel versprechend (siehe Bil- diese Röhren unter Druck zu setzen, so dass keine der 7 und 8). Die meisten dieser Entwicklungen

162 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Raumfahrttechnik LBDW scheinen jedoch nicht auf alle wichtigen Randbedingungen, v.a. dem Schutz vor Strahlung und Mikrometeoriten, im Detail ein- zugehen. Fast allen gezeigten Entwürfen ist eines gemeinsam: Ausgereifte Plä- ne zur Erschließung des Mondes Abbildung 7: und dessen wirtschaftlicher Nut- Ein Modell der Kopernikus-Mondstation. zung in einem ganzheitlichen Konzept fehlen. Gute Ideen sind erkennbar, doch gibt es noch

LBDW viel Spielraum für die detaillierte Planung eines finanzierbaren Besiedlungs-Szenarios. Vielleicht leben und arbeiten Menschen dann schon bald auf dem Mond – ein Gewinn für die gesamte Menschheit.

Ein Beitrag von Florian Rueß. Der Autor, Dipl.-Bauingenieur der Universität Stuttgart, beschäftigte sich im Rahmen seiner Diplomarbeit 2004, betreut von Prof. Benaroya, Rutgers University, mit Konstruktion und Entwurf Abbildung 8: von Mondstationen und Die Tycho-Kugel: präsentierte seine Ergebnisse Eine mobile Station unter anderem auf der Earth zum Abbau von He , 3 & Space Conference 04 in einem Rohstoff für Houston, Texas. Derzeit ist Fusionsreaktoren Herr Rueß in einem Ingenieur- büro für Tragwerksplanung in Stuttgart tätig. NASA

Abbildung 9: NASA-Impression einer möglichen Basis auf dem Mond.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 163 Raumfahrttechnik der erbe von sojus Hilfe eines Gleitschirmsystems. Das bisherige Fluchtturm-Rettungssystem (SAS)

RKK Energija wird beibehalten. Es sitzt auf der Nase des 9,8 Ton- nen schweren lifting bodies auf. Dieser bietet Platz für fünf Personen – zwei Piloten und drei Passagiere, wahlweise Wissenschaftler oder Touristen. Im rück- wärtigen Bereich ist Platz für bis zu 700 Kilogramm Nutzlast, die auch einen oder zwei weitere Passa- giere beinhalten kann. Am hinteren Ende schließt das Servicemodul mit einer Masse von 4,7 Tonnen an. Es entspricht im wesentlichen einer Sojus-Orbitalsektion, dient als Wohnsektion und beherbergt neben Wasser- und Sauerstoffvorräten auch einen Kopplungsapparat. Die Triebwerke für Bahnmanöver samt Tanks mit dem benötigten Treibstoffvorrat sind außen in einer technischen Sektion angebracht. Das Servicemodul ist zudem mit zwei Solarpaneelen ausgestatten. Der Gesamtverband wiegt knapp 15 Tonnen, ist 10 Meter lang bei einem maximalen Durchmesser von 3,06 Meter und einem druckluftbeaufschlagten Innenvolumen von 20 Kubikmetern. Die Vorräte reichen bei einer Standardkonfiguration für einen zehntätigen autonomen Flug aus. Vor der Rückkehr Bilder vom 1:1 Mock-Up. wird das Servicemodul abgekoppelt und verglüht in der Erdatmosphäre. Der lifting body dagegen ist Die russische Raketenschmiede RKK Energi- wiederverwendbar. Er soll bis zu 25 Flüge absolvie- ja enthüllte am 17. Februar 2004 einen Plan ren können, ohne jeweils größeren Inspektionen für ein neues bemanntes Raumfahrzeug – und Reparaturen zu bedürfen. technisch angelehnt an die Sojus-Kapseln, äußerlich aber eher einem Raumgleiter Offene Optionen ähnelnd. Die Vorarbeiten am Reißbrett, die Ein noch ausstehendes Problem ist die Suche nach bereits vier Jahre Vorlauf haben und einem einem passenden Träger. Die bisherigen Sojus- Auftrag der russischen Raumfahrtbehörde Raumfahrzeuge, mittlerweile als vierte Modifikati- Rosaviakosmos folgten, scheinen bereits onen (Sojus-TMA) im Einsatz, glichen sich allesamt weit gediehen. Das zumindest suggerieren in Gesamtmasse und Basisdurchmesser. Damit war erste Fotos eines Mock-ups. Grund genug es möglich, über Jahrzehnte hinweg die Sojus-Trä- also, einen detaillierteren Blick auf und in gerrakete als Startgerät zu nutzen, anstatt jedesmal „Kliper“ zu werfen. ein komplett neues Trägersystem zu entwickeln. Die Informationslage ist leider, wie so oft in der rus- Kliper jedoch ist nicht nur größer, sondern auch sischen Raumfahrt, relativ rar. Alle Angaben beruhen gut doppelt so schwer wie ein Sojus-Raumschiff. entweder auf den wenigen offiziellen Verlautba- Keine im Einsatz befindliche R7-Version könnte rungen der russischen Seite oder sind Spekulation. dies bewältigen. Steht der Abschied von der alten Letztlich scheinen auch Pläne für mehrere Konfigu- „Semjorka“ an? rationen vorzuliegen. Äußerlich ähnelt Kliper einem Dies wäre nur eine Option. Generell stehen ver- so genannten lifting body. Damit lässt sich bei der schiedene Träger für Kliper zur Verfügung. Das Werk Rückkehr bedingt in den Kurs durch die Atmosphä- Chrunichew projektiert mit der eine gan- re eingreifen; nach beiden Seiten sind Korrekturen ze Träger-Familie als Nachfolger der ukrainischen um bis zu 500 Kilometer möglich. Hierdurch wä- Zenit-Rakete und der Proton-Serie in einem Nutz- re es kein Problem, auf russischem statt auf kasa- lastbereich von 10 bis 25 Tonnen. NPO Juschnoje chischem Territorium zu landen. Dies geschähe mit

164 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Raumfahrttechnik

gemeinsam mit der ESA projektierte Crew Return Vehicle (CRV) ersatzlos gestrichen und um das

RKK Energija Orbital Space Plane (OSP) ist es erstaunlich ruhig geworden. Möglich also, dass die Russen Partner für die Entwicklung ihres Raumfahrzeuges finden werden - zum Beispiel bei der ESA, mit der be- reits umfangreiche Kooperationsvereinbarungen bestehen, etwa, was die Nutzung des europäischen Weltraumbahnhofs in Kourou (Französisch Guaya- na) angeht. Die NASA dagegen wird schwerlich auf ein eigenständiges bemanntes System verzichten wollen. Attraktiv werden könnte Kliper jedoch auch für finanzstarke Investoren aus der Privatwirtschaft, Dieses 3D-Modell wurde bereits im russischen sollte sich ein aussichtsreicher Markt für den „Welt- Fernsehen vorgestellt. raumtourismus“ formieren. Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf der Ent- (Dnjepretrowsk, Ukraine) wiederum bietet mit der wicklung eines Flaggschiffes für das durch Finanz- Zenit-2 eine potentielle Startmöglichkeit. Diese engpässe gebeutelte russische Raumfahrtprogramm. weist jedoch mit einer Reihe von Fehlversuchen Realisieren die Russen Kliper, besitzen sie auf einen eine katastrophale Startbilanz auf, gilt also als un- Schlag einen bedeutenden Entwicklungsvorsprung tauglich für bemannte Missionen. vor allen anderen Raumfahrtnationen. Der Abschied Die dritte und wahrscheinlichste Option ist die von den alten Kapseln wäre vollzogen. Neue Mög- Entwicklung der „Onega“, benannt nach einem rus- lichkeiten böten sich, denn mit den Abmessungen sischen Fluss. Dieses Energija-eigene Produkt würde eines Sechs-Mann-Raumschiffes könnten auch län- auf der Sojus-Rakete beruhen, diese allerdings um gere Flüge im All durchgeführt werden, unabhängig eine neue leistungsstarke Oberstufe, betrieben mit von einer Raumstation. Kliper könnte die Basis für flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff, erweitern. ein Raumschiff für lunare oder gar interplanetare Hinzu käme eine verstärkte Basisstufe. Die damit Flüge werden. Davon träumen die russischen In- verbundene Leistungssteigerung würde zugleich genieure, aber das ist noch Zukunftsmusik. Derzeit darauf abzielen, nicht mehr auf das Kosmodrom orientieren sich alle Bemühungen ganz pragmatisch in Baikonur angewiesen zu sein, welches bekannt- an der Nutzbarkeit für die Internationale Raumsta- lich in Kasachstan liegt und den Russen horrende Kosten verursacht. Bereits 2007 könnte Onega zur Verfügung stehen.

Internationale und interplanetare Ambitionen Konkrete Entwürfe für ein neues bemanntes Welt- raumfahrzeug, wie sie in Form Klipers von russischer Seite vorliegen, erscheinen zum jetzigen Zeitpunkt besonders aussichtsreich. Alle europäischen Pläne für ein bemanntes System liegen auf Eis – nach dem Sterben des einstigen ESA-Prestigeprojekts „Hermes“ blieb auch das Manned Space Trans-

portation System (MSTP) ein papiernes RKK Energija Projekt und brachte keine konkreten Ansätze hervor. Die US-Amerikaner suchen schon seit längerer Zeit nach einem Nachfolger für das angeschlagene Space Shuttle – zuletzt wurde das

Explosionszeichnung der Module von Kliper.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 165 Raumfahrttechnik

hängt alles von der Finanzierung ab, und de- Vergleich: Sojus TMA Kliper ren Sicherung steht noch in Frage. Benötigt werden umgerechnet knapp 300 Millionen Gesamtlänge: 6,98 m 10,00 m Euro – ein vergleichsweise bescheidener Be- trag. Alexander Iwantschenkow, einst mit Sig- max. Durchmesser: 2,72 m 3,06 m mund Jähn im All und noch immer Ingenieur bei RKK Energija, meinte unlängst bei einer Startmasse: 7,22 t 14,6 t Tagung, Kliper könnte bei Bereitstellung der benötigten Gelder in fünf Jahren zu einem Anzahl Module: 3 3 Erststart aufbrechen, der reguläre Flugbe- trieb könnte gegen 2012 aufgenommen wer- Besatzung: 3 5-7 den. Dann ist ein weiteres Jahrzehnt vorbei und es ist definitiv an der Zeit für eine neue Innenvolumen: 9 m³ 20 m³ Generation bemannter Raumschiffe. Nutzlast: 0,1 t 0,7 t ein Beitrag von Felix Korsch. Flughöhe 407 km 700 km Der Autor, 18, ist Schüler am Ostwald- Gymnasium in Leipzig. Schon seit Jahren autonome Flugdauer: 14 d 20 d interessiert er sich für die Raumfahrt. Er ist Mitglied der dt. Raumfahrtaufstel- passive Flugdauer: 200 d > 200 d lung in Rautenkranz und Redakteur bei Raumfahrer.net.

tion. Kliper wäre ein Zubringer mit großer Kapazität und könnte als Rettungsboot im Katastrophenfall mindestens 200 Tage lang an der ISS angekoppelt bleiben.

Probleme und Perspektiven Das Grundproblem der ISS ist mit dem Bau des Kliper jedoch nicht zu lösen. Bis zum letztlichen Lift-off für den Sojus-Nachfolger werden noch Jahre vergehen, sollte Kliper nicht das unselige Schicksal vieler anderer ambitionierter Projekte ereilen. Eine Beseitigung der latenten Unterfinanzierung der ISS und der zum Teil akuten Versorgungsengpäs- se benötigt raschere Lösungen. Allerdings weist Kliper in die richtige Richtung: mit ihm stünde ein Raumschiff der vierten Generation zur Verfügung, dessen technische und praktische Möglichkeiten die der Sojus-Kapseln übersteigen würden und dessen Betrieb gleichsam ökonomischer wäre als der des Space Shuttles. Der wohl wesentlichste Vorzug aber ist die sichere Technik. Es ist ein Stück alter russischer Raumfahrt- tradition, Bewährtes zu bewahren. Anstatt einen kompletten Neuanfang zu konzipieren, werden sich etablierte Technologien aus dem Sojus-Programm auch im Kliper wiederfinden lassen. Letztlich baut dieses Projekt auch darauf auf, bereits vorhandene Trägertechnologie weiter zu verwenden; eben die Elemente, die sich über Jahrzehnte bewährt haben und als besonders sicher gelten. Auch die Entwick- lungskosten lassen sich damit minimieren. Derzeit

166 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Raumfahrttechnik Nasawatch.com dreh das ding doch mal kurz um, joe Raumfahrttechnik genießt den Ruf, höchste Wochenende oder wie sie am Samstag die scharfe technische Standards mit äußerster Ar- Braut in der Disco klargemacht haben. beitspräzision und überlegener Professio- Dann gehen sie rüber in den kleinen Umkleide- nalität zu verbinden. Weltklasse an Qualität. raum, ziehen sich ihre Bunny-Suits an, wie sie ihre Geniale Ingenieure. Und wenn‘s wirklich Reinraumklamotten nennen, und schlurfen durch mal schief geht, dann nur, weil man sich an die Schleuse. Im weißgetünchten Reinraum werfen der Grenze des technisch Machbaren einen sie einen flüchtigen Blick auf ihr „Baby“, den ultra- Schritt zu weit vorgewagt hat. modernen, brandneuen, Hightech-Wettersatelliten Vergessen Sie‘s ruhig. Die meisten teuren Fehl- der nächsten Generation namens „NOAA-N Pri- schläge in der Raumfahrt passieren nicht im un- me“: sechs Meter hoch, drei Tonnen schwer und so erforschten Grenzland zu einer neuen technischen teuer wie sein Gewicht in Platin und Edelsteinen: Dimension, sondern ganz saublöd bei Alltagsbe- 275 Millionen Dollar. schäftigungen einfach deswegen, weil auch hier nur Seit sie ihn am Freitagnachmittag verlassen haben Menschen wie Du und ich arbeiten. So wie neulich steht das Raumfahrzeug auf dem „Turn over cart“, an einem Montagmorgen bei Lockheed in Sunnyva- einem Dreiachsen-Drehtisch, der dazu dient den le, Kalifornien. Schauplatz: das Integrationsgebäude Satelliten so zu positionieren, dass man bequem für Forschungssatelliten. dran arbeiten kann. Und damit er nicht herunterfällt Gähnende, noch etwas verschlafene Menschen ist er da mit 24 Bolzen fixiert. Normalerweise. tröpfeln nach und nach in die kleine Küche gleich Auf dem kleinen Arbeitstisch an der Hallenwand neben dem Eingang, holen Tassen aus dem Hänge- liegt eine Mappe mit einer Montageanleitung. Vom schrank, rühren Milch, Kaffee und Zucker zusammen Freitagnachmittag ist noch die Seite aufgeschlagen, und klönen ein bisschen über das Baseballspiel vom die das Laden der Batterien beschreibt. Okay, an der

2004 spacexpress raumfahrtchronik 167 Raumfahrttechnik

Stelle geht‘s also weiter. Einer der Techniker, nennen vity Switches bis ins allerkleinste Detail beschreiben. wir ihn Jim, guckt flüchtig in das Dokument, wedelt Doch der Feierabend ist nah und die Liebste wartet mit der Hand zu seinem Kollegen, der schon sich an schon beim Italiener um die Ecke. der Fernbedienung für den Drehtisch zu schaffen Der Techniker dreht das kleine Bauteil ratlos in der macht, gähnt noch einmal herzhaft und meint: „Also Hand. Die beiden Enden sehen sich aber auch so weiter mit der Batterie. Dreh das Ding doch mal was von ähnlich. Er setzt das Gerät in die Elektro- kurz um, Joe“. nikbox ein. Es passt nicht gleich im ersten Versuch. Und Joe tut, wie ihm geheißen, drückt ein paar Der Mann, nennen wir ihn Joe, kratzt sich am Kopf, Knöpfe, Stromkreise schließen sich, ein Elektromo- runzelt die Stirn, und fragt schließlich seinen Kol- tor summt, der Drehtisch setzt sich in Bewegung legen: „He Jim, der Fummel will einfach nicht rein. und beginnt langsam zu rotieren…und der Alp- Was soll ich denn machen“? Und der meint nach traum jedes Raumfahrtingenieurs wird wahr…der einem flüchtigen Blick: „Dreh das Ding doch mal Satellit rutscht an die Kante der Plattform, verharrt kurz um, Joe“. dort einen Moment und kippt dann vornüber und Und der Produktsicherungs-Ingenieur war mal wie- kracht einen Meter tiefer auf den Hallenboden. Ein der Kaffeeholen. Der Fehler alleine hätte im Übri- Raumfahrzeug im Preis eines Ozean-Liners hat nur gen die 250 Millionen Dollar Teure Genesis-Sonde noch Schrottwert. noch gar nicht zum Absturz bringen müssen. Dumm gelaufen. Aber wie gesagt, auch in der Das passierte erst, weil die Lockheed-Ingenieure Raumfahrt arbeiten nur Menschen. Für das ein Reservesystem konstruierten, dessen Logik Handling dieses Satelliten gibt es Vorschriften, die exakt genauso funktionierte wie die des Haupt- ganze Schrankwände füllen. Was nichts hilft, wenn systems. Und für das auch exakt baugleiche Teile sie keiner liest und sich keiner dran hält und der benutzt wurden, die exakt vom gleichen Techniker Produktsicherungs-Ingenieur, dessen Aufgabe es ist, exakt genauso falsch eingebaut wurden. jeden Schritt der ausführenden Techniker genau zu beobachten, immer noch im Vorraum in seinem Mindestens fünf Kubikmeter an Konstruktionsvor- Kaffee rührt und von den Mädels in der Disco schriften schreiben detailliert vor, dass ein Reser- schwärmt. vesystem aus Sicherheitsgründen erstens komplett anders konstruiert sein muss als das Primärsystem, Und wie kam es dazu? In der Nachbarhalle sollte ein und dass es zweitens auch Bauteile von einem an- anderer Satellit auf einen ähnlichen Drehtisch mon- deren Hersteller benutzen muss. tiert werden, aber irgendjemand hatte die Haltebol- zen verlegt. Kein Problem, dachten sich die Leute. Aber der Produktsicherungs-Ingenieur war zu der Im Nebenraum steht ja NOAA-N, und da sind die Zeit wahrscheinlich grade auf der Krankenstation, Kollegen schon im Wochenende. Der Techniker um seine Koffeinvergiftung kurieren zu lassen. kam also rüber, schraubte die Stifte bei NOAA-N Wir in Europa sollten darüber nicht in Häme heraus und in seinen eigenen Drehtisch wieder ausbrechen. Wir haben unseren eigenen Anteil hinein. Und dann vergaß er die ganze Sache. an derlei Missgeschicken. Der Autor dieser Zeilen Die Firma Lockheed scheint besonders anfällig für hat den Ablauf des Beagle 2-Vorhabens in einem menschliche Schwächen dieser Art zu sein. Vor Bericht des Star Observer am Anfang des Jahres mit kurzem haben wir über den dramatischen Absturz einigen kritischen Worten bedacht. Monate bevor der Landekapsel von Genesis berichtet. War in mei- der offizielle Untersuchungsbericht erschienen ist. nem Artikel im November die Fehlerursache noch Inzwischen ist der Bericht zwar fertig, aber er wur- Spekulation, gibt es jetzt Gewissheit: Irgendjemand de nie vollständig veröffentlicht. Und das aus gutem hat die so genannten „Gravity-Switches“ verkehrt Grund, denn das Projekt war eine Katastrophe von herum eingebaut. Das sind diese kleinen Sensoren, vorn bis hinten. die beim Auftreffen auf die Erdatmosphäre die Lan- Die wenigen Ausschnitte, die an die Öffentlichkeit desequenz auslösen. kamen, waren immerhin drastisch genug formuliert. Und wie konnte das passieren? Na, in etwa so: Ein Wenn etwa beschrieben wird, dass die Projektlei- ratloser Techniker sitzt vor der Elektronikbox der tung gut daran getan hätte, sich um die technischen Raumsonde Genesis und ist grade dabei das Ding Probleme von Beagle 2 zu kümmern, als auf Pro- einzubauen. Das Gerät ist winzigklein und an jedem motiontouren durch die Fernsehanstalten Europas Ende ragt ein Draht raus. Schwer zu erkennen, was zu tingeln, oder dass das Finanzierungskonzept der denn nun vorne und was hinten ist. Die Schränke Landesonde nur als abenteuerlich bezeichnet wer- um den Techniker herum sind zwar bis zur Decke den konnte. Aus Kosten- und Zeitgründen startete hin voll mit Dokumenten, die den Einbau des Gra- die kleine Sonde praktisch ohne Reserve-Systeme,

168 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Raumfahrttechnik

ences bei der NASA anrief und zähneknirschend NASA erklärte, dass der Satellit auf keinen Fall gestartet werden dürfe, denn bei der Ankunft im Orbit hätte er wahrscheinlich nur noch Schrottwert. Wie sich herausstellte, hatte Orbital, Hersteller der Trägerra- kete, vor etwa einem Jahr das Design des Zünders Nasawatch.com der zweiten Stufe geändert. Mit der Nebenwirkung, dass die dynamischen Lasten für die Nutzlast nun wesentlich höher waren. DART aber war noch für den alten Design ausgelegt. Der Skandal dabei ist nicht etwa darin zu sehen, dass eine solche Sache überhaupt passiert. Der liegt vielmehr darin, dass das Problem seit über einem DART in künstlerischer Darstellung. Jahr bekannt war, und erst buchstäblich in letzter Sekunde zugegeben wurde. Es ist nicht nachzuvoll- und auf die kann man nun mal nicht verzichten bei ziehen, was in den Offiziellen dabei vorgegangen einer Landung auf dem Mars, wie das Beispiel von ist. Kopf einziehen und durch? Das kann es nicht Spirit und Opportunity zeigt. sein, denn wenn die Trägerrakete gestartet wäre, und nur einen wertlosen Metallhaufen im Orbit Man kann sich gut vorstellen, wie der Verantwort- abgeliefert hätte, wären die Konsequenzen noch liche, der mit dem Bau der Sonde beauftragten schlimmer gewesen. Firma, auf die ESA-Prozeduren deutete, die penibel ausgearbeitete Tests, Reservesysteme und Qualitäts- Nein, die Sache ist viel banaler. Menschlicher. Die kontrollen vorschreiben, und wie Colin Pillinger oder Übermittlung dieser absolut wichtigen Information, einer seiner Ingenieure mit den Augen rollen und die einen 85 Millionen Dollar teuren Satelliten ins dem Mann den Rat gaben: „Lass Dich von diesen Pa- Verderben geschickt hätte, wurde schlichtweg pieren doch nicht beeindrucken. Wenn‘ s Dich stört, vergessen. Das offizielle NASA-Statement zu dem dann dreh das Ding doch einfach um, Joe“. Vorfall lautete tags darauf lakonisch: „Eine Überprü- fung der projektierten Belastungsparameter, welche Vor ein paar Tagen gab es das neueste Highlight während der Trennung der ersten von der zweiten in der unendlichen Geschichte von Fehlern in der Stufe der Pegasus-Trägerrakete auf die Nutzlast Raumfahrt, die hinter verschlossenen Toren pas- einwirken, ergab, dass diese neu evaluiert werden sieren. DART, eine wichtige Technologie-Mission müssen, um den Missionserfolg sicherzustellen“. Die für die Erprobung automatischer Rendezvous- Formulierung ist ein diplomatisches Meisterwerk. Techniken, wichtig zum Beispiel für die Rettung In der Realität, so wird kolportiert, hat NASA des Hubble-Space-Teleskops, welche die NASA ja Administrator O‘Keefe ins Telefon gebrüllt, dass die nun von einem Roboter anstatt von Astronauten Fenster klirrten. durchführen lassen will. Sei‘s wie‘s sei. Rakete und Satellit werden jetzt Die B-52 mit der Pegasus-Trägerrakete unter dem erstmal demontiert. Dann wird man die Dokumen- Flügel war buchstäblich schon auf dem Weg zur tation durchgehen, und dann werden die Techniker Rollbahn, als der Vizepräsident von Orbital Sci- dran gehen, eine Lösung zu finden, bei der mög- lichst wenig geändert werden muss. Die Geschichte wird sich in einem stillen Cleanraum abspielen. Es NASA werden Techniker um den Satelliten herum stehen, sich am Kopf kratzen und darüber nachsinnen, wie sie das Problem lösen können. Und schließlich wird einer die entscheidende Idee haben und zu seinem Kollegen sagen: „Dreh das Ding doch mal kurz um, Joe“.

Ein Beitrag von Eugen Reichl.

Pegasus vor der Montage an die B-52.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 169 Leben im All schiessldesign

„alien vs. predator“ oder „das kosmische internet?“

Satellitenbilder enthüllen in den Tiefen vs. Predator“. Das Movie hat zwar eine enorme der Antarktis eine altertümliche Pyrami- Mängelliste, aber für den Hardcore-Science-Fiction de, verborgen unter Eis und Schnee. Eine Fan bringt das völlig sinnfreie Spektakel trotzdem Expedition macht sich auf den Weg. Sie fin- Spaß. In Sachen Monster-Design gibt es allerdings den das Grauen, denn mit allem haben die nichts Neues zu vermelden. Die Aliens sehen ge- Wissenschaftler gerechnet, nur nicht mit nauso aus, wie man sie aus den Kinofilmen mit Si- der ultimativen Schlacht zwischen Alien gourney Weaver kennt, und die Predators wirken, und Predator. Die Menschen geraten zwi- als hätte die Rasse zu viele Rastafaris assimilieren schen die Fronten der außerirdischen Aus- müssen. Offensichtlich ist ihnen ihr Erstkontakt mit einandersetzung. Ihre Zahl dezimiert sich Arnold Schwarzenegger vor einigen Jahren nicht gut rasch… bekommen. Das in etwa ist der ziemlich haarsträubende Plot Eine Umfrage in den Vereinigten Staaten ergab eines Films, der in diesen Tagen in unseren Kinos übrigens, dass etwa 80 Prozent der Amerikaner an anläuft, der Science-Fiction Horror-Streifen „Alien intelligentes Leben irgendwo im Weltraum glauben

170 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Leben im All

(etwas spöttische Kenner der amerikanischen Po- Die Drake-Formel war lange Zeit das Mantra all de- litszene behaupten dagegen, dass gerade mal 30 rer, die nach Extraterrestrischem intelligentem Le- Prozent der Amerikaner davon überzeugt sind, dass ben suchen. Aber da war immer ein etwas schlech- intelligentes Leben auch in Washington existiert). tes Gefühl dabei und das nicht ganz unbegründet. Denn auch die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Doch stellen wir uns die Frage einmal ernsthaft: Ist bestimmtes Ereignis in unserem Leben stattfindet, das Weltall lebensfeindlich und sind wir Menschen liegt praktisch bei Null. Trotzdem passieren solche nur das Produkt eines aberwitzigen Zufalls, oder Dinge immerzu und in jedem Augenblick. aber ist das Universum ein „Bio-Kosmos“, der Leben, auch intelligentes Leben, in Hülle und Fülle Die Wahrscheinlichkeit, dass ich heute um 6:31 Uhr hervorbringt? in einem Hotelzimmer in einem kleinen Ort bei Heilbronn aufgewacht bin, erfordert zunächst, dass Die Meinungen darüber sind geteilt. Für die einen ist mich meine Firma auf eine Dienstreise geschickt der Kosmos ein feindliches Umfeld, voller Schwar- hat. Die Voraussetzung dafür ist wiederum, dass zer Löcher, unbewohnbarer Planeten, explodieren- ich überhaupt in diesem Unternehmen bin, was der Sterne und gähnender, kalter Leere. Für die wiederum erfordert, dass ich diesen Beruf gewählt anderen ist er von einer göttlichen Kraft allein für habe, was wiederum mit einer ganz bestimmten das Leben geschaffen worden. Entscheidung an einem verregneten Nachmittag Und manches an eben dieser Sicht der Dinge ist des Jahres 1972 in Verbindung steht, die ich so nicht nicht von der Hand zu weisen. Nur ein Argument getroffen hätte, wenn ich in der letzten Mathematik- von vielen: Der Urknall hatte genau die richtige Klausur in der 12. Klasse eine bessere Note gehabt Stärke, um es dem Universum zu erlauben, ge- hätte, und so weiter. mächlich zu expandieren. In einem Ausmaß das für Unmittelbarer betrachtet erfordert mein Aufwa- die stetige Evolution von Leben gerade richtig ist. chen, dass ein anderer Hotelgast zu dieser frühen Wäre der Urknall stärker ausgefallen, dann wäre Morgenstunde mit seinem Koffer vor meinem der Kosmos leer. Wäre er schwächer gewesen, Hotelzimmer vorbeirumpelte, was er deswegen tat, wäre das Universum wieder in sich zusammen weil seine erste Besprechung an diesem Tag eine gefallen. Lauern also vielleicht doch Predator und Stunde früher angesetzt wurde als ursprünglich Alien schon an der nächsten Ecke auf uns? geplant, was darauf zurückzuführen ist, dass ein japanischer Geschäftsmann ein früheres Flugzeug Wahrscheinlichkeit „1“? nach Osaka nehmen muss, was nicht der Fall gewe- Wie wahrscheinlich ist intelligentes Leben im sen wäre, wenn nicht die Frau des Geschäftsmannes Universum, oder, räumlich etwas eingegrenzter, in einen Autounfall gehabt hätte, und so weiter und unserer Galaxis? Seit mehr als 30 Jahren wird diese so fort. Schätzung mit Hilfe der so genannten Drake-Glei- Wir sehen, Ereignisse mit extrem geringem chung dargestellt, benannt nach dem Astronomen, Wahrscheinlichkeitsgrad passieren unentwegt, der sie entwickelt hat. Die Rechnung ist eine Multip- und im Grund haben alle Ereignisse nur eine ver- likation von Wahrscheinlichkeiten, die in Bruchteilen schwindend geringe Wahrscheinlichkeit tatsächlich ausgedrückt werden: Der Bruchteil der Sterne, die einzutreten. Der Schlüssel in dieser Betrachtung wahrscheinlich Planetensysteme haben. Der Bruch- liegt natürlich darin, dass die oben geschilderten teil der Systeme, die wahrscheinlich erdähnliche Ereignisse miteinander verknüpft sind. Sie sind Planeten haben. Davon wieder der Bruchteil der nicht unabhängig. Es sind so genannte bedingte Sterne, die lange genug stabil bleiben, damit sich Wahrscheinlichkeiten. Die bloße Multiplikation der Leben entwickeln kann. Der Bruchteil der Lebens- Einzelwahrscheinlichkeiten wird damit zu Nonsens formen, die Intelligenz entwickeln, und so weiter. führen, und in gewisser Weise tut es das bei Drakes Ganz gleich, wie man die Einzelwahrscheinlichkeiten berühmter Formel auch. bewertet, das Ergebnis wird stets eine sehr kleine Die Wahrscheinlichkeit, dass ich zu einem bestimm- Zahl sein. Denn jede einzelne dieser Wahrschein- ten Zeitpunkt unvermittelt einen Fluch ausstoße, ist lichkeiten ist geringer als 1. Und das Produkt einer sehr gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir zu Multiplikation vieler Zahlen, die kleiner sind als 1, einem bestimmten Zeitpunkt kochenden Kaffee wird sehr, sehr klein sein. Am Schluss hat man somit über die Hose schütte, ist auch nicht sehr hoch. die Anzahl der Planeten übrig, die in unserer Galaxis Die kombinierte Wahrscheinlichkeit aber, nämlich, intelligentes Leben beherbergen können. Und das dass ich fluche nachdem ich mir kochenden Kaffee ist eine sehr geringe Anzahl von Planeten. auf die Hose geschüttet habe, liegt, zumindest bei meinem Naturell, bei ziemlich genau 1.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 171 Leben im All

Ebenso mag die Wahrscheinlichkeit, dass ein poten- das Radio-Kommunikationsfenster beginnt sich be- tiell für Leben geeigneter Planet Meteoriten- und reits jetzt, kaum 100 Jahre nachdem es sich geöffnet Kometen-Einschläge lange genug übersteht, damit hat, auch schon wieder zu schließen. Wir schicken sich intelligentes Leben entwickeln kann, sehr gering heute kaum noch energiereiche Radiostrahlung sein. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sonnen- hinaus in den Weltraum. Wir haben Kommunikati- system einen Planeten von der Größe Jupiters onssatelliten, an die wir nur sehr schwache Signale in seinem äußeren Bereich aufweist, ist vielleicht zu senden brauchen. Diese Satelliten verstärken ebenfalls recht gering. Gibt es aber einen solchen die Signale und schicken sie wieder zurück zur Planeten in einem System mit vielen Meteoriten, Erde. Die Kommunikation mit Raumsonden im dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf dem tiefen Weltraum werden wir schon in wenigen lebensfreundlichen Planeten auch Leben entwickeln Jahrzehnten nur noch über bleistiftdicke Laser-Links kann extrem hoch, denn der Großplanet wird die abwickeln. Und der nächste große Schritt in der meisten davon ablenken. Kommunikationstechnik macht uns für Wesen im Weltraum vollständig unhörbar. Kommunikation Die oft bemühte Wahrscheinlichkeitsrechnung und mittels Quantenteleportation. wahrscheinlich auch Drakes Formel helfen uns nicht weiter, denn es gibt einen ganz wichtigen Faktor, den Wir können davon ausgehen, dass das „Funkzeit- wir nicht vergessen dürfen. Die schlichte Tatsache, alter“ einer technischen Zivilisation nur sehr kurz dass wir existieren. Wir sind eine intelligente Le- ist, und dann von etwas anderem abgelöst wird. Ist bensform im Weltraum. Somit wissen wir eins mit dem so, dann wäre unsere SETI-Suche sinnlos, denn Sicherheit. Die Wahrscheinlichkeit für intelligentes wir beschränken uns auf die Suche nach Zivilisati- Leben im Weltraum ist größer Null. onen, die sich gerade in diesem extrem schmalen „Funk-Fenster“ befinden. Das schmale Fenster Das Projekt SETI (Search for Extraterrestrial Intel- Eines ist damit gewiss: Das Universum, und damit ligence) setzt auf eben dieses Funkfenster. Inzwi- unsere Galaxis, kann intelligentes Leben hervorbrin- schen seit 40 Jahren und bisher ohne Erfolg. In all gen. Eine Sicherheit aber, dass wir diese intelligenten diesen Jahrzehnten hat sich die Computerleistung Lebensformen auch entdecken, ist deswegen noch dramatisch verbessert, die Suchprogramme sind lange nicht gegeben. Dafür gibt es viele Begründun- unvergleichlich diffiziler als früher, und wo anfangs gen, und eine der schwerwiegendsten wollen wir nur einzelne Sterne auf einzelnen Frequenzen abge- kurz einmal beleuchten. fragt wurden, werden heute tausende von Sonnen in schneller Folge auf tausenden von Frequenzen Sollten wir in den nächsten Jahrzehnten eine au- gescannt. ßerirdische Zivilisation entdecken, dann müsste sie zwei Bedingungen erfüllen, ohne die wir sie nicht SETI ist eine der transzendentalsten wissenschaft- wahrnehmen können. Zum einen muss es sich um lichen Unternehmungen überhaupt. Wir glauben eine technische Zivilisation handeln, und zum ande- einfach, dass es irgendwo in der Galaxis intelligente ren muss sich diese technische Zivilisation gerade Lebewesen geben könnte und verlassen uns auf eben in dem winzigkleinen Zeitabschnitt befinden, astronomische Beobachtungen, Schlussfolgerungen in dem sie ein „Radio und TV-Leuchtturm“ ist, in und eine ganze Menge Wunschdenken. der sie also ihre kosmische Umwelt mit starken Ra- Man muss sich darüber im Klaren sein, dass trotz dio-Signalen „kontaminiert“. Sie müssten damit im aller technischen Fortschritte das Programm SETI in gleichen schmalen Fenster ihrer Entwicklung sein, in seiner jetzigen Ausprägung nur geringe Aussicht auf dem wir uns selbst befinden. Andernfalls verfehlen Erfolg hat. Es gibt so viele Sterne, so viele mögliche wir uns mit Sicherheit. Frequenzen und nur so wenig verfügbare Zeit, dass Nun bedenken Sie, wie klein dieses Fenster ist, ver- man die Wahl treffen muss, was man wann und wo glichen mit der Zeit, seit es Leben auf der Erde gibt. absucht. Dabei kann das elektromagnetische Spek- 3,9 Milliarden Jahre lang beherbergte dieser Planet trum nicht im Entferntesten komplett überwacht nichts anderes als Mikroben. Und auch an den etwa werden. Beispielsweise würden wir es nicht mitbe- sechshundert Millionen Jahren in denen die Erde im kommen, wenn E.T. im Infrarotbereich sendet oder heutigen Sinne „erdähnlich“ war, hat unsere Spezies im Bereich der Millimeter-Strahlung. Sendungen weit weniger als ein Promille ihren Anteil gehabt. dieser Art werden von der Atmosphäre absorbiert, und sind nur im Weltraum festzustellen. Stellen Sie sich vor, eine andere Zivilisation im Welt- raum sucht nach intelligentem Leben im Radiospek- Aber auch, wenn wir eines Tages das SETI-Pro- trum, und peilt zu diesem Zweck die Erde an. Diese gramm im Weltraum fortsetzen, was ist, wenn E.T. intelligente Rasse muss sich mächtig beeilen, denn in irgendeiner uns unbekannten Weise sendet?

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Mit Gravitationswellen, mit Partikelstrahlung oder Vielleicht lässt man uns auch in Ruhe, weil wir mit Methoden, für die uns noch nicht einmal eine zu interessant sind. Man lässt uns vielleicht eine Bezeichnung eingefallen ist. ungestörte Entwicklung durchlaufen, damit wir wichtige wissenschaftliche Daten über eine In jedem Fall ist SETI die Suche nach der Nadel im einzigartige evolutionäre Entwicklung liefern. kosmischen Heuhaufen. Wir werden vielleicht also behandelt wie eine Und eine besonders wichtige Betrachtung bleibt geschützte Art im Naturreservat. Die Erde als völlig außen vor: eine Zivilisation muss nicht not- bessere Serengeti. wendigerweise eine „Technische Zivilisation“ sein. Vielleicht hören wir auch nichts, weil wir einfach Hätte vor zwei, drei oder vier Jahrtausenden eine zu primitiv sind. intelligente Rasse auf einem Planeten von Tau Ceti oder Eridani die Erde angefunkt, niemand Vielleicht sind sie zu tausenden unter uns, und hätte geantwortet. Weder die Römer noch die wir bemerken sie nicht. Men in Black lässt grü- Griechen noch die Phönizier noch die Chinesen ßen. der Ming Dynastie hätten irgendeine Ahnung davon Vielleicht sind sie auch einfach nur höflich und gehabt, dass jemand mit ihnen Kontakt aufnehmen wollen uns nicht stören. will. Die „Funkverbindung“ dieser Zivilisationen be- stand aus Semaphoren, geschwenkten Fahnen und Vielleicht waren sie auch schon vor drei Milliar- reitenden Boten. Und damit ist im Weltraum kein den Jahren hier, haben ein paar Fotos von den Staat zu machen. netten kleinen Einzellern geknipst, ihren Abfall gewissenhaft entsorgt und sind dann wieder abgereist. Die interstellare Autobahnausfahrt Aber vielleicht brauchen wir gar nicht aktiv zu Dieses „vielleicht“ könnte man noch eine ganze suchen. Vielleicht kommen sie ja auch zu uns. Holly- Weile fortführen, aber alles in allem scheint der wood versucht uns das schon seit Jahrzehnten ein- Schluss nicht abwegig, dass wir uns nicht gerade in zureden. Und auch wenn man die Kintopp-Aliens unmittelbarer Nähe eines interstellaren Autobahn- nicht so sonderlich ernst nimmt, die Frage muss knotens befinden. auf jeden Fall gestattet sein: Sind sie vielleicht tat- sächlich schon da, und wir bemerken es nur nicht? Das kosmische Internet Und wenn ja, sind sie uns feindlich oder freundlich Vielleicht ist auch ein ganz anderer Ansatz nötig. gesinnt. Predator oder ET? Alien oder die „Dritte Denn selbst wenn 1.000 intelligente Spezies je- Art“? Die Klingonen oder die Vulkanier?. mals die Milchstraße besiedelt haben, dürfte heute Sollten uns tatsächlich die E.T.‘s besuchen, dann tun nichts mehr von ihnen übrig sein. Ab und zu mag sie es ganz offensichtlich nicht, indem sie sich in ge- sich mal die eine oder andere dieser Zivilisationen waltigen Raumschiffen mit brüllenden Triebwerken auch tatsächlich begegnet sein, aber angesichts der und dem orgelnden Tosen verdrängter Luftmassen Abgründe von Zeit und Raum ist es wohl die Regel, kühn auf die Erde herabstürzen. Das hätten wir doch dass jede für sich alleine war, und dass, auch wenn wohl bemerkt. Wenn sie uns besuchen, dann wohl wir das als tragisch betrachten, auch wir alleine sind. eher mit Produkten der Nanotechnologie, klein, fein Es mag vorher Zivilisationen in der Milchstraße ge- und unsichtbar. Oder sonst wie gut getarnt. geben haben, und es mag nach uns welche geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine zweite oder dritte technische Hochzivilisation gleichzeitig mit der un- Und wenn sie hier sind, seren aktiv ist, ist eher gering. Auf der Erde überlebt oder zumindest um uns wissen, eine bestimmte Spezies durchschnittlich zwei Milli- warum melden sie sich dann nicht bei uns? onen Jahre. Manche kürzer, einige länger. Der Nean- Vielleicht rufen uns die Außerirdischen nicht, weil dertaler beispielsweise musste schon nach 200.000 sie uns langweilig finden. Wir sind vielleicht ein- Jahren das Feld der Geschichte räumen. Den Homo fach nicht interessant genug. Vielleicht drängeln erectus gab es 1,4 Millionen Jahre. Unsere Spezies, sich Millionen von Zivilisationen in der Galaxis, Homo sapiens sapiens ist seit 200.000 Jahren auf darunter viele völlig durchschnittliche wie eben der Bühne des Geschehens. Wenn wir ein typisches wir Erdlinge und man betrachtet uns nur mit je- Beispiel sind, könnten wir noch ungefähr weitere 1,5 nem Interesse, das wir selbst der fünfmillionsten Millionen Jahre existieren. neu entdeckten Insektenart im brasilianischen Unsere Galaxis dagegen existiert schon weit über Dschungel entgegenbringen. 10.000 Millionen Jahre. Die 1.000 angenommenen Zivilisationen der Milchstraße sind entstanden,

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haben ihre Blütezeit erlebt und sind wieder ver- Server des kosmischen Internets, absichtsvoll plat- gangen, ohne jemals eine der anderen Zivilisationen ziert von einem unserer galaktischen Vorfahren vor gesehen zu haben. Aber vielleicht gibt es doch eine Jahrmilliarden. Unsere Aufgabe wird es sein, mit In- Chance all diese Zivilisationen kennen zu lernen. telligenz und Energie den Einstieg in dieses Netz zu Trotz der Abgründe von Raum und Zeit. finden. Das Passwort für den Log-in. Dann werden wir Zugang zu allen Daten über alle Intelligenzen Jede intelligente Spezies, die lernt, das Alter von haben, die jemals in unserer Galaxis gelebt haben. Sternen und Galaxien zu bestimmen, muss zu einer ähnlich ernüchternden Schlussfolgerung kommen Diese Möglichkeit mag manchem ernüchternd, wie wir. Selbst wenn eine Zivilisation dank geschickt ja sogar enttäuschend erscheinen. Kontakt mit gesteuerter Evolution volle 10 Millionen Jahre einem Daten-Server statt mit einem leibhaftigen auf Sendung bleibt, existiert gegenwärtig nur ein Alien. Aber überlegen sie es sich doch einmal so: Promille der Zivilisationen, die je unsere Galaxis die Sache hätte in einen gewissen Vorteil, wenn die bewohnt haben. Und womöglich sind das wir allein. Begegnung mit der „dritten Art“ auf der Langstre- cke und virtuell passiert und nicht von Angesicht Alle anderen sind Vergangenheit. Die Frage ist: Sind zu Angesicht. all diese vielen Zivilisationen der Vergangenheit schweigend gegangen, oder haben sie etwas hinter- Denn Besuchern gegenüber sollten wir nicht allzu lassen. Ein Vermächtnis an die Zukunft. Aufzeichnun- vertrauensselig gegenübertreten. Es gibt nur weni- gen über sich, ihre Gedanken und ihre Leistungen. ge plausible Gründe, warum Aliens persönlich hier aufkreuzen sollten. Fragen Sie sich doch einmal, wel- Intelligenz bringt das Wissen um die eigene Ver- chen Grund Pizarro hatte, die Inkas zu besuchen? gänglichkeit mit sich. Sie liefert aber auch die Mittel diese Vergänglichkeit zu überwinden. Man kann daher annehmen, dass der Wunsch nach Unsterb- lichkeit unter intelligenten Wesen weit verbreitet Ein Beitrag von Eugen Reichl. ist. Sie mögen sich Denkmäler und Mausoleen errichten, aber eines Tages verwittern auch diese. Postscriptum: Fortgeschrittene Spezies werden sich wahrschein- Die verblüffende Idee mit dem „Galaktischen lich dafür entscheiden ihr Wissen, ihre Erfahrungen Internet“ wurde bereits Mitte der siebziger Jahre und Träume weiterzugeben. Sie werden langlebige des letzten Jahrhunderts von dem bekannten Maschinen bauen und Datenspeicher. Sie werden Luft- und Raumfahrtjournalisten Timothy Ferris Mittel und Wege ersinnen diese Maschinen und erdacht, Jahrzehnte bevor sich das Internet tat- Datenspeicher zukünftigen Bewohnern der Milch- sächlich etablierte. straße zugänglich zu machen. Sie werden ihre Da- tenspeicher in den Weltraum senden. Eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht deswegen dafür, dass ein erster Kontakt zu außerirdischen Lebewesen mit Maschinen erfolgen wird. Mit den Schaltstellen und Datenspeichern des galaktischen Internets, zu dem vielleicht schon seit Milliarden von Jahren intelligente Lebewesen in der Spanne ihrer Existenz immer weitere Bausteine und Daten beitragen. Diese Maschinen sind keiner biologischen Abnut- zung unterworfen. Sie können sich selbst repro- duzieren und sie können warten, Jahrmillion um Jahrmillion. Sie sind die unsterblichen Sendboten der vergangenen Zivilisationen unserer Milchstraße. Und wenn man sie entdeckt und das richtige Pass- wort nennt, dann werden sie uns antworten. Am Wahrscheinlichsten erscheint deswegen nicht, dass Predators die Erde zu Jagdausflügen besuchen, sondern dass irgendwo da draußen, vielleicht gar nicht so weit entfernt, eines von Millionen kosmi- scher Terminals auf uns wartet. Der nächstgelegene

2004 spacexpress raumfahrtchronik 175 Glosse nasa schließt beurteilungsphase des westkurs-angebots von c. columbus ab. Was wäre wohl aus den Unternehmungen Missionsbeschreibung: der großen Forschungsreisenden gewor- Der Projektleiter (PL) schlägt vor, die Gewürzinseln den, wenn die Prüfung- und Genehmigungs- (Molukken) dadurch zu erreichen, dass er, ausge- institutionen der damaligen Zeit im Stil hend vom kastilischen Hafen Palos de la Frontera, heutiger Forschungsbehörden agiert, oder über einen Versorgungsstop auf den Kanarischen sagen wir besser „verhindert“, hätten? Inseln den großen Ozean in Richtung Westen durchquert. Einer ersten Explorationsflottille, be- Wir schreiben das Jahr 1491. Ein gewisser Chris- stehend aus drei Schiffen, würden danach größere tophorus Columbus, Nautiker am Seeinstitut von Handelsflotten folgen. Ziel des Unternehmens ist Genua und Admiral zur See, hat bei den Vereinigten es, langfristig das Monopol der Organisation Ge- spanischen Königreichen, Kastilien und Aragonien, würzexportierender Länder zu brechen. die Pläne für eine Aufsehen erregende Forschungs- expedition vorgelegt. Sein Antrag wurde daraufhin vom Auswahlkomitee der NASA geprüft, der 1. Auswertung der Nationalen Aragonisch-Kastilischen Seeforschungs wissenschaftlichen Aspekte des Antrages Administration. Der nachfolgend abgedruckte Schlussbericht wurde an den Selektionsausschuss Der Selektionsausschuss der NASA fand eine be- für die Genehmigung von Forschungsvorhaben im unruhigende Anhäufung fragwürdiger Referenzen, Rahmen des „Programa de la exploración del mar“ unzuverlässiger Daten und signifikanten Unter- ihrer königlichen Majestäten von Kastilien und Ara- lassungen in der wissenschaftlichen Ausarbeitung gonien übermittelt... und Begründung des Unternehmens. Dies betraf hauptsächlich drei Schwerpunkte:

Der Prüfbericht Astronomie: Der PL hat Quellen ausgewählt, die von den kleins- ten in der Literatur beschriebenen Erdumfängen Einführung: ausgeht. Ein Erddurchmesser von annähernd 40.000 Die Nationale Aragonisch-Kastilische Seefor- Kilometern wird seit den Schriften von Erathoste- schungs-Administration (NASA) hat den vorlie- nes als relativ wahrscheinlich angenommen. Dies genden Antrag einer „Schnelleren, besseren und ist bei weitem mehr als der Wert, den der PL in billigeren See-Route mittels der Durchquerung seinem Antrag genannt hat. Es ist zu vermuten, dass des Westozeans zur Erreichung der Gewürzinseln die niedrigen Werte deswegen gewählt wurden, um (Molukken)“ im Detail untersucht und stellt hiermit die Reisezeit kürzer erscheinen zu lassen als sie tat- ihren Bericht über das Ergebnis vor: sächlich ist, mit dem Zweck, dadurch die Entschei- dung des Auswahlkomitees günstig zu beeinflussen. Zu bewertendes Angebot: NASA -C.C.-Westozean-1491 Geografie: Bei der Abschätzung der Größe der eurasischen Titel des Antrages: Landmasse hat der PL dagegen auf den größten in „Erforschung einer schnelleren, besseren und billi- der Literatur verfügbaren Wert zurückgegriffen. Ins- geren Seeroute zu den Gewürzinseln“. besondere bemüht er Schätzungen äußerst unzu- verlässiger Autoren, wie etwa die seines Landsman- nes M. Polo, der von sich behauptet, die eurasisiche Projektleitung: Landmasse bis zu deren Ende bereist zu haben. Admiral zur See C. Columbus vom Genuesischen Institut für Ozeanautik

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reise zu den Gewürzinseln auf einem be- stimmten Breitengrad mit Rückenwind zu fahren. Diesen Rückenwind hätte er aber auch auf der Rückreise, wenn diese nur auf einem anderen, höheren Breitengrad statt- findet. Eine Annahme, dass der Wind einmal nach Westen, einige Breitengrade weiter nörd- lich aber nach Osten verläuft, ist ebenso absurd wie lächerlich. Das Untersuchungs- gremium bestand bei diesem Sachverhalt auf einer zusätzlichen Anhörung von C.C. um seine „vertraulichen“ Daten einer nä- heren Prüfung zu unterziehen. Dabei stellte sich heraus, dass seine Angaben aus anek- dotenhaften Erzählungen ungebildeter Fi- scher stammten. Wir fordern in dem Zusammenhang, dass jeglicher zukünftige Antrag dieser Art nicht mehr zur Prüfung zugelassen wird, wenn es nicht auf qualifizierten Windmessungen beruht, die von ausgebildeten Meteorolo- gen erstellt, und von einem unabhängigem Expertengremium begutachtet wurde.

Geophysik: Das dem Angebot zugrunde liegende Erd- modell ist in hohem Maße asymetrisch. Al- le Kontinente konzentrieren sich auf eine Hemisphäre, alle Ozeane auf die andere. Dazwischen gibt es keine weitere Land- masse. Eine Erde in dieser Konfiguration ist in hohem Maße instabil und kann aus diesem Grunde nicht als das feststehen- de Zentrum der himmlischen Sphären im Einklang mit den Vorschriften der heiligen Mutter Kirche dienen. Die vom Auswahl- komitee konsultierten Experten nehmen überwiegend an, dass es derzeit noch unbekannte Kontinente in den Ozeanen geben muss, um das Bei Richtigstellung der beiden oben genannten Ab- Verhältnis zwischen Land- und Seemasse zu sta- schätzungen dürfte die Reisestrecke nicht, wie von bilisieren. Diese Landmasse wird demzufolge eine C. Columbus geschätzt, nur etwa 5.000 Kilometer unüberwindliche Barriere für die vorgeschlagene betragen, sondern realistisch gesehen mindestens Mission darstellen. 18.000 Kilometer.

2. Auswertung des Meteorologie: Technischen Gehalts des Antrages Die im Angebot genannte, überaus optimistisch geschätzte Reisegeschwindigkeit der Flottille geht Die von der NASA durchgeführte technische Ana- ebenfalls von extrem unzuverlässigen Quellen aus. lyse des Vorhabens ergab zahllose Schwachstellen, Sie basieren auf „vertraulichen“ Informationen über von denen hier nur die wichtigsten genannt seien: die Windströmungen des Westozeans. C.C. nimmt in seiner Ausarbeitung eine hypothetische Luftströ- mung an, die er die „Handelswinde“ nennt. Diese Lebenserhaltungssysteme: würden es seinen Schiffen erlauben, auf der An- Unter zu Grunde Legung einer realistischen Missi-

2004 spacexpress raumfahrtchronik 177 Glosse

onsdauer ist es offensichtlich, dass beim heutigen Navigation: Stand der Schiffsbautechnik die angemessene Im Angebot C.C‘s wird keine Methode beschrieben, Menge von Nahrung, Wein und Wasser noch nicht wie die Ozeanauten den erreichten Längengrad einmal für eine Minimalcrew mitgeführt werden bestimmen können. Dies ist jedoch ein essentieller kann. Die Planung des Projektleiters hypothetische Aspekt für eine Langzeitmission nach Westen mit Vor-Ort Ressourcen wie etwa die sagenumwobe- permanent fehlender Landsicht. nen Inseln namens „Antillen“ als Versorgungsbasis zu nutzen sind viel zu spekulativ um als Grundlage Missionsarchitektur: für eine bemannte Mission dienen zu können. Die vorgeschlagene Zusammensetzung der For- schungsflotte bestehend aus zwei Karavellen mit Medizinische Aspekte: geringem Tiefgang für Pfadfinder-Zwecke (im Portugiesische Forschungsresultate zeigen, dass Angebot als Nina und Pinta bezeichnet) und ei- lange Reisen über das offene Meer zu einer allmäh- nem Schwerlastträger (im Angebot „Santa Maria“ lichen und nachhaltigen Schwächung des Immunsys- genannt) für die logistische Unterstützung hat tems führen. In wissenschaftlichen Dokumenten, die gewisse operationelle Vorteile gegenüber einer ho- von unseren Agenten abgefangen werden konnten, mogenen Flotte. Das Angebot versäumt aber das wurde darauf hingewiesen, dass die Gesundheit erheblich erhöhte Missionsrisiko dieser Variante zu der Crew insbesondere durch ein Syndrom na- adressieren. Ein Ausfall des Schwerlastträgers führt mens „Skorbut“ gefährdet ist. Die Ursache dieser unausweichlich zu einem Totalverlust der gesamten Erkrankung ist unbekannt, steht aber offensichtlich Mission, da die meisten Versorgungsgüter und Aus- mit der Länge einer Seereise in Zusammenhang. rüstungsgegenstände der Expedition in diesem ein- Gegen diese Krankheit existiert kein Gegenmittel. zelnen Fahrzeug konzentriert sind. Der Verlust des Die nähere Untersuchung dieses Problems wird Schiffes wird die eventuell überlebenden Seeleute Gegenstand einer Forschungsreihe sein, die auf der Pfadfinder-Schiffe einem siechenden Tod durch der Ozeanischen Forschungsstation der Vereinigten Hunger und Durst aussetzen. Königreiche durchzuführen ist. Bis zur Lösung dieses Problems kann damit eine Langzeitmission über das offene Meer keinesfalls genehmigt werden. 3. Auswertung des programmatischen Gehaltes des Antrages Kommunikation: Die derzeit existierenden Zwei-Wege-Kommunika- tionsmöglichkeiten zwischen der Missionskontrolle Finanzierung: und der Expeditionsflotte sind unzureichend. So- Der PL drückt sich in der Identifizierung der Fi- wohl die Nachrichtenverbindung mittels Brieftau- nanzierungsquelle unklar aus, scheint aber im we- ben als auch die Back-up Lösung über Flaschenpost sentlichen auf eine Art „Friedensdividende“ durch ist in hohem Maße unzuverlässig, insbesondere das sich abzeichnende Ende der Maurenkriege zu bei Langstreckenmissionen. Letztendlich bedeutet spekulieren. Dieses Ansinnen muss aber abgelehnt dies, dass mangels fehlender Kommunikation mit werden, da es die soziale Stabilität der beiden dem Missionskontrollzentrum die Ozeanauten Königreiche gefährdet. Bei diesem Plan würde eine vollständig auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen große Anzahl entlassener Soldaten durch die Flure sein würden. wandern, die sich keine Hoffnung auf einen Zivilbe- ruf machen könnten. Eine Finanzierung durch eine Die bisherige Selektion von Ozeanauten durch die Sonderbesteuerung auf Pfeffer und Gewürznelken NASA wurde schwerpunktmäßig auf Fähigkeiten erscheint uns dem Zweck angemessener. wie „Einholen von Leinen“, „Reffen von Segeln“ oder „Erklettern von Wanten“ ausgelegt. Unter dem neuen Szenario wäre jetzt ein ausgedehntes Zeitplan: Zusatztraining in linguistischen Fähigkeiten, sowie Der vorgeschlagene Zeitplan für die erste bemann- auf dem Gebiet der Diplomatie notwendig. Für den te Expedition zu den Gewürzinseln (Start 1492, Fall des Scheiterns letzterer ist ein Spezialtraining Rückkehr 1493) ist außerordentlich optimistisch. im Gebrauch militärischer Ausrüstung erforderlich. Die Planungstafeln des NASA-Hauptquartiers bele- Diese Schulungs- und Trainingsmaßnahmen wür- gen, dass das nautische Personal ihrer beiden Majes- den die Missionskosten ungebührlich in die Höhe täten Administration bis etwa 1508 vollständig mit treiben. dem Aufbau der Ozeanischen Forschungsstation ausgelastet ist.

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Küsten-Anlagen: fertigung ihrer Existenz durch ein eigenes Großfor- Der Vorschlag des PL die gesamte Mission von dem schungsprogramm untermauern, wozu das geprüfte unbedeutenden kastilischen Hafen in Palos aus Vorhaben als geeignet erscheint. Dies vor allem im durchzuführen wird absehbar nicht die notwen- Licht der jüngsten Unternehmungen des König- dige politische Unterstützung finden. Dadurch ist reiches Portugal vor allem mit der spektakulären die langfristige Stabilität des Programms gefährdet. Mission „Afrikanische Seeroute nach Indien“. Wir Wir schlagen deshalb vor, Anlagen für die Wartung, schlagen daher ein fünfstufiges Alternativprogramm den Bau und die Versorgung der Schiffe entlang der vor, und stellen es ihren königlichen Majestäten zur gesamten Küste an verschiedenen Hafenstädten zu Genehmigung anheim: etablieren. Diese Hafenstädte sollten unter dem 1. Ein technisches Vorläuferprogramm speziell auf Einfluss wichtiger Adelsfamilien stehen. Aus poli- dem Gebiet der Navigation ohne Landsicht tischen Gründen sollte zusätzlich darauf geachtet unter besonderer Berücksichtigung der Längen- werden, dass mindestens 40 % der Missionskosten gradbestimmung, sowie der Entwicklung von im Königreich Aragonien ausgegeben werden. Lebenserhaltungssystem für Langzeit-Seemissio- nen unter Einbeziehung der Ozeanischen For- Management: schungsstation im Zeitrahmen etwa ab 1508. Die vorgeschlagene Management-Struktur, mit 2. Durchführung einer Reihe unbemannter Missio- einem „Admiral zur See“ der alle Aspekte der nen zur Erforschung der Meeresströmungen und Mission direkt kontrolliert ist im gegebenen poli- Windbedingungen im Westozean im Zeitraum tischen Umfeld nicht durchführbar. Auf keinen Fall 1515-1530. kann ein Nicht-Spanier von niederer Geburt eine solche Position innehaben. Eine politisch sensible 3. Phasenweiser Beginn bemannter Missionen mit Mission dieses Charakters erfordert einen Missi- zunehmendem Komplexitätsgrad etwa 1530- ons-Manager von königlichem Geblüt, bevorzugt 1540 mit dem Zielpunkt „Kanarische Inseln“. aus dem Herzogs-Stand, sowie einen Stab von 4. Ausbau der kanarischen Inseln als „Absprung- Subsystem-Verantwortlichen aus dem Stand des basis über den Westozean“ etwa im Zeitraum niederen Adels. 1540-1560. Dabei Erprobung der Expeditions- ausrüstung für die Westozean-Durchquerung. Human Resources: 5. Beginn bemannter Missionen über den Westoze- Im Angebot ist die gesetzlich vorgeschriebene an etwa ab 1560. Quotenregelung für die Beschäftigung von Vete- ranen aus den Maurenkriegen sowie für kriegsbe- Ein Programm mit diesen vernünftig terminierten schädigte Galeerensklaven nicht erfüllt worden. Als und politisch durchsetzbaren Vorgaben würde eine inadäquat erkannt worden sind auch die Sicher- adäquate Basis für eine langfristig angelegte und auf heitsmaßnahmen gegen die potentielle Infiltration Expansion bedachte spanische Seemacht bilden. von Häretikern in das Projekt. Der ungebührliche Dieser Plan ist wesentlich besser als der nur auf Schwerpunkt des Angebotes auf die kommerzielle kurzfristigen Profit ausgerichtete Antrag des C.C. Seite des Unternehmens erfordert eine Überprü- Die Zukunft, die Größe und die Bedeutung der fung durch die Heilige Inquisition der Mutter Kirche. Vereinigten Spanischen Königreiche erfordern Auch eine Untersuchung der Person des PL durch nichts Geringeres. die Heilige Inquisition erscheint in diesem Zusam- menhang als ratsam. Ein Beitrag von Eugen Reichl.

Postscriptum: Empfehlung des Ausschusses Die Metapher mit Christopher Columbus existiert in der Raumfahrtgemeinde schon lange. Ich selbst Das Auswahlkomittee der Nationalen Aragonisch- habe sie seit Anfang der 90iger Jahre in leicht ver- Kastilischen Seeforschungs Administration kommt ändertem Bild immer wieder in Publikationen und nach eingehender Prüfung des Antrags zum Schluss, Vorträgen genutzt. Für die vorliegende Betrachtung dass der von C.C. vorgeschlagene Plan in seiner stammt die Idee von Jeffrey F. Bells, Außerordent- jetzigen Form undurchführbar ist. Trotzdem ist die licher Professor für Planetologie der Universität zu Grund liegende Idee einer Westroute zu den von Hawaii in Manoa, dessen ebenso kritische wie Gewürzinseln attraktiv und sollte weiter gefördert unterhaltsame Betrachtungen zu Astronomie und werden. Insbesondere sollte die NASA die Recht- Astronautik ich sehr schätze.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 179 Astronomie mc neils nebel: die story geht weiter Der sensationelle Zufallsfund des Ama- ge, das besonders auf den Bildern mit den längeren teur-Astronomen Jay McNeil sorgte in der Belichtungszeiten deutlich zu erkennen war. Der Folge für hektische Aktivität bei den Pro- komische Fleck war ziemlich klein, trotzdem aber fis. McNeil‘s Nebel scheint sich zur wah- auffällig. Zu auffällig jedenfalls, als dass es unbemerkt ren Jahrhundert-Entdeckung zu mausern, geblieben sein könnte. einem Rosetta-Stein für die Entschlüsse- Jay McNeill holte sich die Disketten des „Digital Sky lung der Geheimnisse der Entstehung von Survey“, und begann Bilder dieser Himmelsregion Sternen und Planetensystemen. Doch be- herunterzuladen. Der „Digital Sky Survey“ ist ein ginnen wir von vorne… Katalog, der mit einem modernen 1,2 Meter-Te- Die Geschichte begann am 21. Januar dieses Jahres, leskop in unterschiedlichen Wellenlängen erstellt in einer klirrekalten Winternacht, wie sie typisch ist worden ist. McNeill war sicher, dass das seltsame für die ländliche Region des westlichen Kentucky. Ei- Objekt dort verzeichnet sein würde. Zu seiner ne Kaltfront war grade durchgezogen und hatte den großen Verwunderung aber war auf den Bildern an Himmel kristallklar geputzt. Die Temperaturen lagen dieser Stelle nichts zu finden, und nun begann sein in der Gegend von minus 20 Grad und ein steifer Adrenalinpegel langsam zu steigen. Westwind ließ jedem der sich draußen aufhielt, die Jetzt war es eindeutig an der Zeit, eine professionel- scharfe Kälte bis auf die Knochen spüren. le Datenbasis zu Rate zu ziehen. Jay McNeill wählte sich über das Internet in einen extrem detaillierten Die Entdeckung Online-Katalog ein. Tatsächlich zeigte sich an der Jay McNeil hatte sich zu Weihnachten ein kleines Stelle des Nebelfleckchens ein Objekt, ein extrem Instrument geleistet, einen Drei-Inch Apochromat schwaches Herbig-Haro-Objekt, ein kleiner, knoten- Refraktor von Takahashi, den er bei Astromart ge- förmiger Emissionsnebel, bekannt als HH 22. Die- kauft hatte. Seitdem war das Wetter nicht sonder- ses Objekt war so schwach, dass es im Digital Sky lich gut gewesen, und so war es an diesem Abend Survey nicht erschien, und McNeil wusste sofort, erst die dritte Gelegenheit, das neue Instrument dass er es auf gar keinen Fall mit seinem winzigen auszuprobieren. McNeil hatte vor, die Weitwinkel- 7,5 cm Amateurfernrohr erfasst haben konnte. Fähigkeiten des kleinen Teleskops zusammen mit ei- Jetzt war ihm völlig klar, dass sich an dieser Stelle ner CCD-Kamera auszuprobieren, und dafür schien des Himmels etwas Spektakuläres ereignet haben ihm ein bekanntes und besonders häufig fotogra- musste. Vor allem aber, dass es erst vor sehr kurzer fiertes Objekt am besten geeignet. Damit ließ sich Zeit passiert sein konnte, sonst wäre es schon von die Qualität seiner eigenen Aufnahmen mit denen anderen Beobachtern bemerkt worden. anderer Amateure und Profis vergleichen. Die Wahl So tat er den nächsten Schritt: Er sandte seine war leicht, sie fiel wie von selbst auf Messier 78, den Daten einem Freund, dem professionellen Astro- Orionnebel, ein wunderschönes, komplexes Objekt nomen Brian Skiff vom Lowell Observatorium in und eines der bekanntesten Beobachtungsziele am Flaggstaff. Innerhalb von wenigen Minuten kam die Winterhimmel für Amateurastronomen. Allerdings Antwort: „Schick Deine Beobachtung sofort an Bo hatte McNeil an diesem Abend nicht besonders Reipurth“. Reipurth ist Professor an der Universität viel Zeit. Anderntags hatte er geschäftlich einiges zu von Hawaii, Autor des Katalogs der Herbig-Haro- tun und musste dafür fit sein. Deswegen konnte er Objekte, und eine der führenden Kapazitäten auf sich nicht die halbe Nacht um die Ohren schlagen. dem Gebiet der frühen Sternevolution. So machte er nur wenige Aufnahmen mit einer Gesamtbelichtungszeit von etwa 90 Minuten und Zu McNeil‘s nicht geringer Überraschung meldete benutzte dabei verschiedene Filter. sich auch Reipurth fast sofort. Er sprach die Ver- mutung aus, dass möglicherweise ein tief in einen Die nächsten Tage war Jay McNeil beruflich ziemlich Materienebel eingebetteter Sternenfötus, der zu- eingespannt und so wurde es der 29. Januar, bis er vor nur im Infrarot- und Radiospektrum bemerkt die Bilder auslesen, bearbeiten und mit den vielen worden war, für diesen neuen Nebel verantwort- anderen Bildern vergleichen konnte, die er von lich sein könnte. Bo Reipurth hatte im Jahre 1986 M 78 besaß. Und fast augenblicklich stach ihm ein im Orion bereits ein ähnliches Ereignis beobachtet. eigenartiges aussehendes, längliches Objekt ins Au-

180 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Astronomie DIese von Russel Croman zusammengestellte Serie von Amateuraufnahmen dokumentiert den Helligkeitszuwachs des Nebels zwischen Januar 2002 und Februar 2004. (in Zeilen von Links nach Rechts)

Russell Croman, www.rc-astro.com

2004 spacexpress raumfahrtchronik 181 Astronomie

Er erklärte Jay McNeil dass diese Ereignisse extrem Aufflammens beobachtet wird, ist es doch der erste selten sind, und dass in der gesamten Geschichte solche Ereignis, das in modernen Zeiten erfolgt. Mit der Astronomie erst weniger als ein Dutzend davon den heutigen technischen Hilfsmitteln ist es mög- beobachtet worden sind. Er bestand darauf, dass lich, einen Stern nicht nur im Wellenspektrum des McNeill seine Beobachtung sofort der Internationa- sichtbaren Lichtes zu beobachten, sondern auch in len Astronomischen Vereinigung melden sollte. anderen Spektralbereichen, wie dem Radio-, dem Infrarot- und dem Röntgenbereich. Insbesonde- An diesem Punkt begann die Geschichte für Jay re die Beobachtungen des „Flare-up“, also des McNeill langsam surreale Züge anzunehmen, wie „Aufflammens“ im Röntgenbereich, die jetzt zum er später berichtete. Innerhalb von weniger als 24 ersten Mal bei einem neugeborenen Stern gemacht Stunden war aus der Hinterhofbeobachtung mit werden können, liefern neue Informationen über einem schwachbrüstigen Amateurinstrument ein die Entwicklung der frühen Sonne und den Prozess weltweit betriebenes Großprojekt geworden. Bo der Planetenbildung. Bei FU-Orionis-Sternen sind Reipurth und seine Kollegen beobachteten das die Ausbrüche im Röntgenspektrum nur sehr kurz. Objekt inzwischen mit ihrem 2,2 Meter-Teleskop Sie können sich innerhalb weniger Monate um ein auf Hawaii, und Reipurth veranlasste außerdem, Vielfaches verstärken, und dann wieder unter die dass das 8,2-Meter Gemini-Teleskop ebenfalls Wahrnehmbarkeitsschwelle auch der sensibelsten darauf ausgerichtet wurde. Die besondere Ironie Messinstrumente sinken. der Geschichte ist, dass Jay McNeil über 20 Jahre lang zahllose Stunden mit viel größeren Teleskopen arbeitete. Er hatte dabei immer weit entfernte Ga- Schon seit Jahrzehnten aktiv laxien unter die Lupe genommen, in der Hoffnung Die Astronomen begannen jetzt, älteres Bildma- als erster einen sterbenden Stern - eine Supernova terial durchzusehen, auf dem diese Region in den - zu entdecken. Nicht zuletzt, wie er offen zugibt, mit vergangenen Jahrzehnten abgelichtet worden war. dem Hintergedanken, dass sein Name damit in der Und tatsächlich, bei der Durchsicht alter Himmels- Geschichte der Astronomie verewigt bleiben wür- fotografien bis zurück in die fünfziger Jahre des de. Doch nie hatte er Glück. Die Entdeckung kam, letzten Jahrhunderts ist an dieser Stelle gelegentlich als er am allerwenigsten damit gerechnet hatte, als ein Objekt zu identifizieren, das den Namen V1647 er eines der bekanntesten Objekte am Himmel be- Orionis bekommen hatte. Dieses Objekt war be- obachtete Das Objekt war ganze 1.300 Lichtjahre reits in der Vergangenheit aktiv. Ein größerer Flare entfernt und somit ganz in der galaktischen Nach- hat offensichtlich im Jahre 1965 stattgefunden. Al- barschaft der Erde, noch im selben Spiralarm. Und lerdings war dieses Objekt auch sehr lichtschwach, es war kein sterbender Stern den er fand, sondern wenig auffällig, und wurde in den vergangenen einer der ganz am Anfang seines Lebens stand. Jahrzehnten keiner besonderen Aufmerksamkeit für würdig erachtet. Auch im November 2002 wurden von dieser Region Röntgenaufnahmen gemacht. Die Story geht weiter Damals wurde mit Hilfe des Weltraumteleskops Seit der Entdeckung von McNeils Nebel im Januar „Chandra“ nach jungen Sternen gesucht, die im ist viel geschehen. Die Profis haben ihre Bildarchive Röntgenspektrum strahlen. Dabei wurde auch durchgesehen, und es zeigte sich, dass der Stern, der V1647 wieder unter die Lupe genommen. Er war den Nebel beleuchtet, erstmals im November letz- damals aber unauffällig, und war im Röntgenspekt- ten Jahres - unbeachtet von allen Amateuren und rum kaum wahrzunehmen. Profi-Astronomen - erfasst worden war. Trotz der Tatsache, dass hunderte von Teleskopen jede Nacht Anfang März, bald nach McNeils Entdeckung, wur- den Himmel absuchen ist die Entdeckung eines neu de dieser Stern erneut von Chandra angemessen: aufgeflammten Sterns ein extrem seltenes Ereignis. Ergebnis: Er strahlte nun im Röntgenspektrum über Tatsächlich passierte das in den letzten hundert fünfzig Mal stärker als zuvor. Dies stützte die Theorie Jahren genau zweimal. weiter, dass die gegenwärtige Röntgen-Ausbrüche in ursächlichem Zusammenhang mit dem Aufflammen Was McNeils Stern aber darüber hinaus so be- des Sternes stehen. Und dies hatte wiederum dazu sonders macht - neben der Tatsache dass es sich geführt, dass der zuvor unsichtbare Nebel nunmehr bei ihm um einen extrem jungen Stern handelt beleuchtet wurde. Bis zum Ende des Monats hatte - ist der Umstand, dass er nahezu dieselbe Masse die Röntgen-Aktivität aber schon wieder substanziell wie die Sonne haben dürfte. Wir haben somit ein abgenommen. Gleichzeitig war die Leuchtkraft auch Beispiel für die ersten Lebenstage unserer eigenen im sichtbaren und infraroten Bereich wieder stark Sonne vor Augen. Obwohl der Stern in McNeils gesunken. Während des Sommers konnten die Be- Nebel der insgesamt dritte dieser so genannte obachtungen am Objekt nicht mehr weiter geführt FU-Orionis-Sterne ist, der zum Zeitpunkt seines

182 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Astronomie NASA

Die Aufnahme des orbitalen Röngtenstrahlen- observatorium CHANDRA zeigen die neuen Sterne deutlich.

werden. Der Orion stand zu dieser Zeit zu dicht an terschiedlichen Rotationsraten führen dazu, dass die der Sonne und war daher nicht zu beobachten. Vor Magnetfelder sich verwirbeln und schneiden und allem nicht von Chandra, das auf keinen Fall in die dabei Energie aufbauen. Diese Energie wird schließ- Nähe der Sonne blicken darf, um die Optik nicht zu lich in einem hochenergetischen, Röntgenstrahlen ruinieren. Man darf höchst gespannt sein, wie sich produzierenden Ausbruch freigegeben, ein heftiger das Objekt jetzt im Herbst darstellt, wenn die Beo- Prozess bei dem die Magnetfelder wieder in ihren bachtung mit Großinstrumenten wieder möglich ist. ursprünglichen stabilen Zustand zurück fallen. Wäh- Um das gewaltige Ausmaß der Röntgenstrahlenaus- rend solcher Ereignisse können große Menge von brüche zu erklären, ist ein neuer Erklärungsansatz Gas und Staub in den Stern stürzen, die dann auch notwendig. Viele Sterne, auch die Sonne, produzie- zu markanten Ereignissen im normal-optischen und ren Röntgenstrahlung mit einem Mechanismus, der infraroten Bereich führen. Solch eine Gas- und von der Rotationsgeschwindigkeit des Sterns und Staubansammlung kann sich auch in Zukunft jeder- der Tiefe der Konvektion abhängt. Das Ausmaß der zeit ereignen. Dieses Szenario mag erklären, warum Röntgenstrahlung bei V1647 Orionis ist aber viel zu sich die Helligkeit von McNeills Nebel im Laufe der hoch, als dass sie durch diesen traditionellen Mecha- Zeit verändert. Er ist schwach sichtbar in Aufnah- nismus erklärt werden könnte. Inzwischen gilt als men aus den sechziger Jahren, aber völlig unsichtbar gesichert dass V1647 eine protoplanetare Scheibe in Bildern aus den fünfziger und neunziger Jahren. aufweist - eine diskusförmige Staubschicht, die sich Im Oktober wird McNeills Nebel und mit ihm vom Äquator der Sonne nach außen hin ausbreitet. V 1647 Orionis wieder von Chandra zu beobach- Sie besteht aus Gas und Staub, die von der Ster- ten sein. Beobachtungszeit für das Weltraumteles- nenbildung her übrig geblieben sind. Aus ihr können kop ist bereits vorgebucht. sich eines Tages dann eventuell Planeten formen. Der Flare, den McNeill aufzeichnete, wurde durch Die Beobachtung eines Amateurs hat die professio- eine plötzlich auf die junge Sonne einstürzende La- nelle Astronomie in die Lage versetzt, den Stand wine aus Staub und Gas aus eben dieser protopla- der Erkenntnis auf dem Gebiet der Sternenbildung netaren Scheibe hervorgerufen. entscheidend zu verbessern. Es sieht ganz danach aus, als wird McNeils Nebel in Zukunft ein be- Normalerweise sind das Magnetfeld des Sternes vorzugtes und dauerndes Beobachtungsobjekt und das Magnetfeld der zirkumstellaren Staub- darstellen. Jay McNeils Wunsch ist damit in Erfüllung scheibe miteinander gekoppelt. Dies hat einen re- gegangen. Sein Name wird in die Geschichte der gulierenden Charakter und bewirkt, dass das der Astronomie eingehen. Materialtransfer von der Staubscheibe in die Sonne in einem stetigen Prozess abläuft. Dieser langsame, permanente Materialeinfall kann sich aber wesent- lich beschleunigen, wenn sich an irgendeiner Stel- le der Staubscheibe größere Ansammlungen von Material bilden. Auslöser für so ein Ereignis ist, dass in der Folge dieser Materialverklumpung die Staub- scheibe und der Stern selbst mit unterschiedlichen Ein Beitrag von Eugen Reichl. Geschwindigkeiten zu rotieren beginnen. Die un-

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photos.com ein langer weg... raumfahrtgeschichte in jahrestagen

Für den Geschmack der meisten Raum- Letztes Jahr: 22. Jan. 2003 fahrtfreunde entwickeln sich die Dinge ja im Das vermutlich am weitesten von der Erde ent- Schneckentempo. Was trösten die kleinen fernte künstliche Objekt: Die wahrscheinlich letzten Fortschritte, wenn der Mensch eigentlich Signale von Pioneer 10 werden fast 31 Jahren nach längst auf dem Mars hätte landen sollen? Da ihrem Start aus über 12 Mrd. km Entfernung auf der tut es einmal gut, diesen Kalender hier zu le- Erde empfangen sen. VFR-Mitglied Andreas Rex zeigt im Fol- Vor 37 Jahren: 27. Jan. 1967 genden wie viele Raumfahrtjubiläen es in der Beim Brand in Apollo1 kommen drei Astronauten noch recht kurzen Raumfahrt-Geschichte ums Leben (Grissom, White, Chaffee) bereits zu begehen gibt. (die Red.) Vor 18 Jahren: 27. Jan. 1986 Erstmals passiert eine Raumsonde den Planeten Januar Uranus: Voyager 2 Vor 5 Jahren: 27. Jan. 1999 Vor 45 Jahren: 2. Jan. 1959 Der erste taiwanesische Satellit startet in den USA: Erste Sonde auf dem Weg zum Mond: 1 ROCSAT (UDSSR) verfehlt den Erdtrabanten Vor 18 Jahren: 28. Jan. 1986 Vor 32 Jahren: 5. Jan. 1972 Das Space Shuttle Challenger explodiert 74 Se- US-Präsident Nixon kündigt die Entwicklung eines kunden nach dem Start; alle 7 Besatzungsmitglieder Raumtransporters offiziell an: Das Space Shuttle sterben wird gebaut Vor 40 Jahren: 29. Jan. 1964 Vor 35 Jahren: 15. Jan. 1969 Erster gemeinsamer Satellit von USA und UDSSR: Erste Kopplungsmanöver (Sojus 4 u. 5), bei denen Echo 2 zwei Kosmonauten außerhalb umsteigen

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Vor 46 Jahren: 31. Jan. 1958 ten Discovery (STS-82) Erster amerikanischer Satellit im Orbit: Explorer 1; Vor 43 Jahren: 12. Feb. 1961 Entdeckung des irdischen Strahlengürtels ein langer weg... Erste Venussonde gestartet: Sie fällt aus und fliegt Vor 43 Jahren: 31. Jan. 1961 am 19. Mai 61 an der Venus vorbei Der Affe SAM wird mit einer Mercury-Kapsel sub- Vor 59 Jahren: 14. Feb. 1945 raumfahrtgeschichte orbital in den Weltraum geschossen und lebend Letzter Start einer A4 von Peenemünde; bis zum geborgen Kriegsende werden 20.000 Zwangsarbeiter bei in jahrestagen Vor 38 Jahren: 31. Jan. 1966 ihrer Produktion gestorben sein. Erste weiche Landung einer Mondsonde: Luna 9 Vor 2 Jahren: 15. Feb. 2002 (UDSSR) sendet 3 Tage Bilder von der Mondober- In Kourou erfolgt der 116te und letzte Start einer fläche Ariane 4 Vor 18 Jahren: 19. Feb. 1986 Februar Start des Hauptmoduls der Raumstation MIR Vor 42 Jahren: 20. Feb. 1962 Vor 70 Jahren: 1. Feb. 1934 Erster Amerikaner im Orbit: John Glenn mit der Der VfR (Verein für Raumschiffahrt) löst sich auf. Mercury-Kapsel Friendship 7 (Mercury-Atlas 6) Erst 1988 gründet sich in München der heutige VFR e.V. Vor 58 Jahren: 21. Feb. 1946 Das gesamte Peenemünder Team um Wernher von Letztes Jahr: 1. Feb. 2003 Braun erreicht White Sands Ein Space Shuttle verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre und mit ihm 7 Astronauten: Vor 5 Jahren: 23. Feb. 1999 Columbia (STS-107) Erster Satellit Südafrikas wird auf der Spitze einer Delta II in den Orbit gebracht: SUNSAT 1 Vor 20 Jahren: 3. Feb. 1984 Das MMU wird erprobt: Zum ersten mal fliegt ein Vor 38 Jahren: 26. Feb. 1966 Astronaut wirklich frei im All: Mc Candless mit der Erster Start einer Saturn 1B (Trägerrakete z.B. für Challenger (STS-41B) Apollo 7) Vor 10 Jahren: 3. Feb. 1994 Vor 45 Jahren: 28. Feb. 1959 Erster russischer Kosmonaut an Bord eines Shuttles, Erste polare Umlaufbahn mit Satellit Discoverer 1 Krikaljow in der Discovery (STS-60) (USA) gelungen Vor 9 Jahren: 3. Feb. 1995 Erstmals fliegt eine Pilotin ein Space Shuttle: März Eileen Collins steuert die Columbia (STS-63) Vor 4 Jahren: 4. Feb. 2000 Vor 81 Jahren: 1. Mrz. 1923 Die erste Sonde umkreist einen Asteroiden: Das Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ NEAR-Shoemaker erforscht den Asteroiden Eros von Hermann Oberth erscheint Vor 30 Jahren: 5. Feb. 1974 Vor 51 Jahren: 1. Mrz. 1953 Erstmals Bilder von der Venus-Atmosphäre: Die Entwicklung der Saturn-Raketen wird beschlos- Mariner 10 liefert Bilder aus nur 5760 km Abstand sen und begonnen Vor 5 Jahren: 7. Feb. 1999 Vor 22 Jahren: 1. Mrz. 1982 Die erste Mission, die Staub von einem Kometen Venus 13 (UDSSR) liefert das erste Farbpanorama mitbringen wird: Stardust von der Venusoberfläche Vor 19 Jahren: 8. Feb. 1985 Vor 35 Jahren: 3. Mrz. 1969 Erster brasilianischer Satellit wird mit einer Start zur ersten Erprobung der Mondfähre im in den Orbit befördert: BRASILSAT 1 Erdorbit (Apollo 9) Vor 34 Jahren: 11. Feb. 1970 Vor 25 Jahren: 5. Mrz. 1979 Japan bringt seinen ersten Satelliten in den Erdorbit: Erste Nahaufnahmen der Monde des Jupiter errei- Osumi auf eigener Trägerrakete 4S-5 chen die Erde: Voyager 1 (USA) Vor 7 Jahren: 11. Feb. 1997 Vor 42 Jahren: 7. Mrz. 1962 Wirklich eine Raumstation: 13 Raumfahrer gleich- Start des ersten Sonnenobservatoriums: zeitig im All; an Bord der MIR und der angekoppel- OAO 1 (USA)

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Vor 70 Jahren: 9. Mrz. 1934 April Juri Gagarin wird in Kluschino (UDSSR) geboren Vor 44 Jahren: 1. Apr. 1960 Vor 37 Jahren: 10. Mrz. 1967 Erster Wettersatellit im All: Tiros 1 (USA) Erster Testflug der russischen Mondflugeinheit UR- 500/L-1 im Erdorbit: Kosmos 146 (unbemannt) Vor 45 Jahren: 2. Apr. 1959 Die ersten sieben Astronauten der USA werden Vor 44 Jahren: 11. Mrz. 1960 bekannt gegeben Erster (absichtlicher) künstlicher Planet: Pioneer 5 startet zur Umrundung der Sonne Vor 15 Jahren: 2. Apr. 1989 Der erste schwedische Satellit erreicht die Umlauf- Vor 73 Jahren: 14. Mrz. 1931 bahn auf einer : TELE-X Offizieller Start der ersten deutschen Flüssigkeitsra- kete durch Johannes Winkler in Dessau Vor 39 Jahren: 3. Apr. 1965 Erster Satellit mit einem elektrischen Triebwerk in Vor 18 Jahren: 14. Mrz. 1986 der Umlaufbahn: Snapshot Erstes echtes Rendezvous einer Sonde mit einem Kometen: Giotto (ESA) besucht Halley Vor 39 Jahren: 6. Apr. 1965 Start des ersten kommerziellen, geostationären Vor 78 Jahren: 16. Mrz. 1926 Kommunikationssatelliten: Early Bird (USA) Erster Start einer Flüssigkeitsrakete durch Robert H. Goddard (USA) Vor 20 Jahren: 6. Apr. 1984 Die erste Reparaturmission im All: Der Satellit Vor 38 Jahren: 16. Mrz. 1966 Solar-Maximum wird durch die Crew von Space Erstes Kopplungsmanöver im All: Gemini 8 und eine Shuttle Challenger (STS-41C) eingefangen, repa- Agena-Stufe (USA) riert und wieder ausgesetzt Vor 46 Jahren: 17. Mrz. 1958 Vor 75 Jahren: 10. Apr. 1929 Satellit 1 (USA) entdeckt die Birnenform Vermutlich erster Start einer deutschen Flüssigkeits- der Erde rakete von Friedrich Wilhelm Sander Vor 39 Jahren: 18. Mrz. 1965 Vor 43 Jahren: 12. Apr. 1961 Erster Mensch fliegt frei im All: Alexeij Leonow Juri Alexejewitsch Gagarin ist der erste Mansch steigt aus Woschod 2 zu einem 10minütigen Welt- im Orbit raumspaziergang aus Vor 23 Jahren: 12. Apr. 1981 Vor 92 Jahren: 23. Mrz. 1912 Erster Flug eines Space Shuttles (STS-1): Columbia Wernher von Braun wird in Wirsitz/Posen geboren mit den Astronauten Young und Crippen umrundet Vor 39 Jahren: 23. Mrz. 1965 36mal die Erde Erster bemannter Start des Gemini-Raumschiffes Vor 44 Jahren: 13. Apr. 1960 (USA): Gemini 3 mit Grissom und Young; erster Start von Transit 1B (USA): Erste Navigationshilfe Flug mit Bahnänderungen aus dem All für Schiffe und Flugzeuge Vor 3 Jahren: 23. Mrz. 2001 Vor 30 Jahren: 13. Apr. 1974 Die MIR kommt auf den Schrott: Sie verglüht ge- Erster rein privat finanzierter Satellit geht seiner steuert in der Erdatmosphäre nach 3,5 Billionen Aufgabe als Nachrichtensatellit nach: Westar 1 km Flug Vor 12 Jahren: 14. Apr. 1992 Vor 36 Jahren: 27. Mrz. 1968 Der 50. Ariane-Start erfolgt in Kourou Juri Gagarin verunglückt tödlich bei einem Übungs- flug Vor 54 Jahren: 15. Apr. 1950 Das Raketenteam aus White Sands wird nach Vor 30 Jahren: 29. Mrz. 1974 Hundsville übersiedelt Erste und lange Zeit einzige Mission zum Merkur: Mariner 10 passiert den innersten Planeten zu- Vor 34 Jahren: 15. Apr. 1970 nächst in 703 km Abstand Apollo 13 verunglückt auf dem Weg zum Mond. Die Welt bangt vereint: Die Besatzung überlebt Vor 38 Jahren: 31. Mrz. 1966 Der erste künstliche Mondsatellit wird in der Vor 58 Jahren: 16. Apr. 1946 UDSSR abgeschossen: Luna 10 erster Start einer A4 in White Sands Vor 2 Jahren: 16. Apr. 2002 Der 150ste Arianestart in Kourou

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Vor 33 Jahren: 19. Apr. 1971 Vor 55 Jahren: 11. Mai. 1949 Start der ersten Weltraumstation: Saljut1 (UDSSR) Cape Canaveral wird als neues Raketentestgelände von den USA ausgewählt Vor 29 Jahren: 19. Apr. 1975 Auch Indien spielt mit: Erster indischer Satellit (Ary- Vor 35 Jahren: 14. Mai. 1969 abhata) startet in der UDSSR MBB wird gegründet Vor 37 Jahren: 23. Apr. 1967 Vor 31 Jahren: 14. Mai. 1973 Erster Flug eines Sojus-Raumschiffes; bei der Lan- Start der ersten US-Raumstation Skylab auf der dung kommt Kosmonaut Komarow ums Leben letzten Vor 34 Jahren: 24. Apr. 1970 Vor 44 Jahren: 15. Mai. 1960 China beginnt, Raumfahrtnation zu werden: Erster Erstes Raumschiff in einer Umlaufbahn, nur mit chinesischer Satellit „Der Osten ist rot“ fliegt auf einem Dummy („Mannequin“) besetzt: Korabl einer CZ-1 in die Umlaufbahn 1 (UDSSR) Vor 14 Jahren: 25. Apr. 1990 Vor 41 Jahren: 15. Mai. 1963 Astronomie im All: Erstes Weltraumteleskop Letzter Flug einer Mercury-Kapsel; an Bord: Gordon (Hubble) wird mit Shuttle-Flug 31 gestartet Cooper; er stirbt im Alter von 77 Jahren im Herbst 2004 Vor 48 Jahren: 26. Apr. 1956 Karl Stöckel erhält Patent auf sein Hauptstrom- Vor 17 Jahren: 15. Mai. 1987 triebwerk, der aktuellen Technologie von Raketen- Erster Start der russischen Schwerlastrakete triebwerken Energija Vor 11 Jahren: 26. Apr. 1993 Vor 30 Jahren: 17. Mai. 1974 D2-Mission startet mit Hans Schlegel und Ulrich Erster geostationärer Wettersatellit: SMS 1 (USA Walter an Bord Vor 35 Jahren: 18. Mai. 1969 Vor 8 Jahren: 26. Apr. 1996 Start zur ersten Erprobung der Mondfähre im Mond- Die Raumstation MIR wird nach 10 Jahren fertig orbit (Apollo 10) gestellt: Modul Priroda koppelt an Vor 20 Jahren: 22. Mai. 1984 Vor 31 Jahren: 27. Apr. 1973 Erster kommerzieller Flug einer europäischen Trä- ELDO-Rat löst nach 11 Fehlstarts das Trägerpro- gerrakete (AR1/V9) gramm Europa auf Vor 44 Jahren: 24. Mai. 1960 Vor 3 Jahren: 28. Apr. 2001 Start des ersten militärischen Frühwarnsatelliten: Der erste „privat bezahlte“ Flug ins All: Der Ameri- Midas 2 (USA) kaner Dennis Tito erkauft sich mit über 22 Mio. US$ Vor 43 Jahren: 25. Mai. 1961 für 10 Tage einen Platz in der ISS J. F. Kennedy kündigt in einer denkwürdigen Rede Vor 58 Jahren: 29. Apr. 1946 die Mondlandung an Kontrollratgesetz verbietet u.a. jede Raketenfor- Vor 31 Jahren: 25. Mai. 1973 schung in Deutschland. Die erste Skylab-Besatzung betritt die US-Raum- Vor 6 Jahren: 29. Apr. 1998 station Erster agyptischer Satellit an Bord einer Ariane 4 auf Vor 18 Jahren: 31. Mai. 1986 dem Weg in den Weltraum: NILESAT 101 Erster Flug einer Ariane 2 (AR2/V18)

Mai Juni Vor 15 Jahren: 1. Mai. 1989 Vor 38 Jahren: 2. Jun. 1966 Gründung der DASA als dt. Pendant zur NASA. Erste weiche Landung einer amerikanischen Sonde Vor 49 Jahren: 5. Mai. 1955 auf dem Mond, noch unbemannt: Surveyor 1 Pariser Verträge treten in Kraft: u.a. Raketenfor- Letztes Jahr: 2. Jun. 2003 schung ist wieder möglich Erste Mars- und Planetenmission der Europäer: Vor 43 Jahren: 5. Mai. 1961 Mars Express der ESA startet in Baikonur Erster Amerikaner im All: Alan B. Shepard auf bal- listischer Bahn

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Vor 39 Jahren: 3. Jun. 1965 überlebt die Besatzung von Sojus 11den Wieder- Erster Amerikaner frei schwebend bei einem EVA eintritt in die Erdatmosphäre nicht: Pazajew, Dobro- im All: Edward White in Gemini 4 wolski und Wolkow sterben an Embolie Vor 77 Jahren: 5. Jun. 1927 Oberth, Nebel, Riedel und Valier gründen den VfR Juli (Verein für Raumschifffahrt) Vor 40 Jahren: 5. Jun. 1964 Vor 47 Jahren: 1. Jul. 1957 Erster Start einer ELDO-Europa-Rakete Das Internationale Geophysikalische Jahr beginnt (Blue Streak) - und mit ihm das Wettrennen im All Vor 42 Jahren: 7. Jun. 1962 Vor 43 Jahren: 1. Jul. 1961 Die NASA beschließt das Mondorbit-Rendezvous- Gründung der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungs- Verfahren ring Nord (ERNO) Vor 16 Jahren: 15. Jun. 1988 Vor 7 Jahren: 4. Jul. 1997 Erster Start einer Ariane 4 (AR44LP/V34) Sonde Pathfinder setzt ihr Gefährt Sojourner auf dem Mars aus Vor 41 Jahren: 16. Jun. 1963 Erste Frau im All: Valentina Tereschkowa in Wostok 6 Vor 42 Jahren: 10. Jul. 1962 Erster privater Satellit in der Erdumlaufbahn (Nach- Vor 27 Jahren: 16. Jun. 1977 richtensat. Telstar 1 von AT&T) Todestag Wernher von Brauns Vor 4 Jahren: 12. Jul. 2000 Vor 21 Jahren: 16. Jun. 1983 Russisches Modul Swesda startet von Baikonur und Eine Ariane 1 befördert ihren ersten Satelliten in bildet den Integrationsschritt 4 der ISS den Orbit: den Eurpäischen Nachrichtensatelliten ECS1/EUTELSAT Vor 39 Jahren: 16. Jul. 1965 Erster erfolgreicher Start einer Proton-Rakete Vor 21 Jahren: 18. Jun. 1983 (UDSSR) Erste US-Amerikanerin im All: Sally Ride an Bord der Challenger (STS-7) Vor 35 Jahren: 16. Jul. 1969 Start zur ersten Landung von Menschen auf dem Dieses Jahr: 21. Jun. 2004 Mond: Armstrong, Aldrin, Collins Das erste privat finanzierte Raumschiff erreicht bei einem Parabelflug mit 103km Höhe den Weltraum: Vor 29 Jahren: 17. Jul. 1975 Spaceship One, gesteuert durch Mike Melville Amerikanisch-sowjetisches Rendezvous: Apollo ASTP und Sojus 19 koppeln an Vor 7 Jahren: 25. Jun. 1997 Erster großer „Auffahrunfall“ im All: Der Frachter Vor 25 Jahren: 18. Jul. 1979 Progress M-34 rammt die MIR Das erste All-Radioteleskop wird an Bord von Saljut 6 den Betrieb aufnehmen Vor 110 Jahren: 25. Jun. 1894 Hermann Oberth wird in Siebenbürgen geboren Vor 24 Jahren: 18. Jul. 1980 Erster indischer Satellit im Erdorbit: Rohini 1 auf Vor 9 Jahren: 27. Jun. 1995 eigener Trägerrakete SLV-3 Zum ersten Mal koppelt ein Shuttle (Atlantis) an die MIR an Vor 40 Jahren: 20. Jul. 1964 In Wallops Island wird das erste elektrische Trieb- Vor 43 Jahren: 28. Jun. 1961 werk in einem 50minütigem Parabelflug gestestet Die Bundesrepublik beschließt den Beitritt zur ELDO Vor 35 Jahren: 20. Jul. 1969 Erste Landung von Menschen auf dem Mond Vor 40 Jahren: 28. Jun. 1964 (Apollo 11): Neil Armstrong & Edwin „Buzz“ Aldrin Start von Ranger 7, die am 30.6. vor dem Aufschlag auf dem Mond die ersten Nahaufnahmen sendet Vor 28 Jahren: 20. Jul. 1976 Erste weiche Marslandung der USA: Viking 1 sucht Vor 53 Jahren: 30. Jun. 1951 nach ALFs nach 67 erfolgreichen Flügen wird in den USA das V2-Folgeprogramm eingestellt Vor 43 Jahren: 21. Jul. 1961 Zweiter Amerikaner im All: Die Kapsel von Virgil I. Vor 33 Jahren: 30. Jun. 1971 Grissom versinkt im Meer Bei der Rückkehr von der Raumstation Saljut 1

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Vor 41 Jahren: 23. Jul. 1963 Vor 14 Jahren: 18. Aug. 1990 Erste transatlantische Übertragung einer Fernseh- Erster norwegischer Satellit auf einer Delta II er- sendung via Telstar reicht den Orbit: Marcopolo Vor 5 Jahren: 23. Jul. 1999 Vor 44 Jahren: 20. Aug. 1960 Erste Kommandantin eines Space Shuttles: Eillen Die erste Rückführung von Lebewesen gelingt: Collins an Bord der Columbia (STS-93 Die Hunde Belka und Strelka verlassen gesund Sputnik 5 Vor 20 Jahren: 25. Jul. 1984 Die erste Frau schwebt frei im All: Swetlana Sawitz- Vor 39 Jahren: 21. Aug. 1965 kaja steigt aus dem Orbitalkomplex Sojus T-11/12 Erster Einsatz einer Brennstoffzelle zur Energiever- und Saljut 7 aus sorgung im All: Gemini 5 startet Vor 41 Jahren: 26. Jul. 1963 Vor 41 Jahren: 22. Aug. 1963 Start des ersten erfolgreichen geostationären Satel- Erstmals ist ein Amerikaner mit einem Flugzeug im liten: Syncom 2; er ist 39 kg schwer All: Pilot Walker wird mit einer X-15 im Parabelflug zum Astronauten Vor 33 Jahren: 26. Jul. 1971 Erstes Mondauto startet mit Apollo 15 zum Mond: Vor 6 Jahren: 25. Aug. 1998 Lunar Rover Erster Satellit Taiwans/Singapurs startet: ST1 auf einer Ariane 4 Vor 42 Jahren: 26. Aug. 1962 August Erste erfolgreiche Venussonde gestartet: Mariner 2 (USA) fliegt am 14.12.62 in 33600km an der Vor 45 Jahren: 2. Aug. 1959 Venus vorbei Erster künstlicher Planet: Luna 1 (UDSSR) verpasst den Mond und wird in einer Sonnenumlaufbahn Vor 26 Jahren: 26. Aug. 1978 enden Erster Deutscher im All: Sigmund Jähn startet in Sojus 31 in den Orbit Vor 20 Jahren: 4. Aug. 1984 Erster Start einer Ariane 3 (AR3/V10) Vor 11 Jahren: 28. Aug. 1993 Auch Asteroide können Monde haben: Galileo Vor 43 Jahren: 6. Aug. 1961 findet Mond Dactyl beim Asteroiden Ida Zweiter Russe im All: German Titow umkreist 17mal die Erde mit Wostok 2 Vor 5 Jahren: 28. Aug. 1999 Neuer Rekord: Sergej Adwejew landet gesund auf Vor 45 Jahren: 7. Aug. 1959 der Erde und hat bei mehreren Flügen insgesamt Explorer 6 fotografiert zum ersten mal die Erde 743 Tage im All verbracht aus dem Weltall Vor 8 Jahren: 29. Aug. 1996 Vor 23 Jahren: 7. Aug. 1981 Erster argentinischer Satellit steigt auf einer russi- Erster bulgarischer Satellit fliegt an Bord einer Wo- schen Molnija bis in den Orbit stok ins All: Bulgaria 1300 Vor 30 Jahren: 30. Aug. 1974 Vor 10 Jahren: 10. Aug. 1994 Erster Satellit der Niederlande kommt auf dem Erster türkischer Satellit fliegt auf einer Ariane 4 ins Rücken einer Scout-Rakete ins All: ANS All: Turksat 1B Vor 9 Jahren: 31. Aug. 1995 Vor 44 Jahren: 12. Aug. 1960 Erster chilenischer Satellit: FASAT-Alpha erobert auf Start von Echo 1 (USA), erster passiver Nachrich- einer russischen Zyklon-3 das All tensatellit Vor 42 Jahren: 12. Aug. 1962 Erster Gruppenflug zweier Raumschiffe: Wostok 3 September mit Nikolajew und 4 mit Popowitsch nähern sich auf 5 km Vor 25 Jahren: 1. Sep. 1979 Erster erfolgreicher Vorbeiflug einer interplanetaren Vor 38 Jahren: 13. Aug. 1966 Sonde am Saturn: Pioneer 11 sendet 440 Bilder aus Erste Mondsonde erreicht den Mondorbit: Lunar 21.000 km Abstand Orbiter

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Dieses Jahr: 6. Sep. 2004 Oktober Zum ersten mal kehrt eine Sonde vom Lagrange- Punkt L1 zurück und bringt Sonnenmaterie zur Vor 46 Jahren: 1. Okt. 1958 Erde zurück: Genesis Die NASA (National Aeronautics and Space Admi- nistration) wird gegründet Vor 45 Jahren: 12. Sep. 1959 Erster Satellit schlägt hart auf dem Mond auf: Luna Vor 62 Jahren: 3. Okt. 1942 2 (UDSSR) Erster erfolgreicher Start einer A4 in Peenemünde Vor 45 Jahren: 12. Sep. 1959 Vor 37 Jahren: 3. Okt. 1967 Erste erfolgreiche Mondsonde gestartet: Luna 2 Erstmals wird mit einem Flugzeug Mach 6,7 erreicht schlägt hart auf (7272,7 km/h): Eine X-15 hält diesen Rekord, bleibt bis zum ersten Space Shuttle Start 1981 bestehen Vor 56 Jahren: 17. Sep. 1948 Erster Start einer R-1 (russischer Nachfolger der Vor 47 Jahren: 4. Okt. 1957 V2) in Kapustin Jar Erster künstlicher Satellit im Erdorbit: Sputnik 1 (UDSSR) Vor 45 Jahren: 17. Sep. 1959 Erster Flug einer X-15 aus eigener Kraft Dieses Jahr: 4. Okt. 2004 Der legendäre X-Prize wird durch Space Ship One Vor 147 Jahren: 17. Sep. 1857 mit dem zweiten regulären Flug ins All (112 km Konstantin Ziolkowski wird in Ishewskoje geboren Höhe) gewonnen Vor 69 Jahren: 19. Sep. 1935 Vor 45 Jahren: 7. Okt. 1959 Todestag Ziolkowskis Erste Bilder von der Rückseite des Mondes: Luna 3 Vor 16 Jahren: 19. Sep. 1988 (UDSSR), gestartet am 4.10.59 Erster israelischer Satellit: OFEQ 1 auf eigener Vor 36 Jahren: 11. Okt. 1968 Trägerrakete Shavit Erster bemannter Start eines Apollo-Raumschiffes Vor 34 Jahren: 20. Sep. 1970 (Apollo 7) Die UDSSR holt sich ihre Gesteinsproben unbe- Vor 40 Jahren: 12. Okt. 1964 mannt vom Mond: Luna 16 landet weich und kehrt Start des ersten Raumschiffs mit 3 Mann Besatzung: am 24.9. Zur Erde zurück Komarow, Feoktistow, Jegorow in Woschod 1 hat- Vor 36 Jahren: 21. Sep. 1968 ten aus Gewichtsgründen keine Raumanzüge und Einmal Mond und zurück: Sonde 5 (UDSSR) was- Rettungsmöglichkeiten sert nach einer Umrundung des Mondes sicher im Vor 35 Jahren: 13. Okt. 1969 Indischen Ozean, leider unbemannt Drei bemannte Raumfahrzeuge gleichzeitig im All: Vor 7 Jahren: 23. Sep. 1997 Sojus 6,7 und 8 100. Start einer Ariane in Kourou Vor 57 Jahren: 14. Okt. 1947 Vor 21 Jahren: 26. Sep. 1983 Charles Yeager durchbricht als erster Mensch die Der erste wirklich wichtige Einsatz einer Rettungs- Schallmauer mit einer X-1 rakete: Bei der Explosion der Tragerrakete von So- Vor 35 Jahren: 14. Okt. 1969 jus T-10A rettet sie Titow und Strekalow das Leben 9 sozialistische Länder schließen sich zu einer For- Vor 11 Jahren: 26. Sep. 1993 schungsgemeinschaft zusammen und starten ihren Erster portugisischer Satellit: POSAT fliegt auf einer ersten gemeinsamen Satelliten: Interkosmos 1 Ariane 4 ins All Vor 75 Jahren: 15. Okt. 1929 Vor 74 Jahren: 27. Sep. 1930 Uraufführung von Frau im Mond Nebel und Riedel gründen den Raketenflugplatz Vor 46 Jahren: 15. Okt. 1958 Berlin-Tegel Die erste X-15 verlässt den Produktionshangar Vor 41 Jahren: 28. Sep. 1963 Vor 7 Jahren: 15. Okt. 1997 Das erste ‚Atomkraftwerk‘ fliegt ins All: Die Kern- Erstmals startet eine Mission zum Saturn, die eine energiequelle SNAP-9A speist den militärischen Sonde zum Eintauchen in die Atmosphäre des Gas- Satelliten Transit 5B (USA) planeten aussetzen wird Vor 27 Jahren: 29. Sep. 1977 Letztes Jahr: 15. Okt. 2003 Start der ersten Raumstation zur Ankopplung meh- China ist endgültig dritte Weltraummacht: Taikonaut rerer Raumschiffe: Saljut 6 (UDSSR) Yang Liwei umkreist 14mal die Erde

190 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Geschichte

Vor 75 Jahren: 16. Okt. 1929 November Oberths ‚Kegeldüse‘ wird patentiert Vor 42 Jahren: 1. Nov. 1962 Vor 41 Jahren: 16. Okt. 1963 Start der ersten Marssonde (UDSSR); fällt aus und Die ersten Überwachungssatelliten für unterirdi- fliegt am 11.6.63 am Mars vorbei sche Atombombenversuche starten: Vela 1 und 2 Vor 41 Jahren: 1. Nov. 1963 Vor 29 Jahren: 22. Okt. 1975 Poljot 1 (UDSSR) wird der erste manövrierbare Erstes Panorama-Foto von der Venus-Oberfläche: Satellit im All Venera 9 (UDSSR) Vor 17 Jahren: 1. Nov. 1987 Vor 58 Jahren: 23. Okt. 1946 Start des ersten deutschen Fernsehrundfunksatel- Ca. 20.000 deutsche Techniker und Wissenschaftler liten TV-SAT1 werden u.a. zur Arbeit am sowjetischen Raketen- programm deportiert Vor 4 Jahren: 2. Nov. 2000 Die erste Mannschaft besiedelt die ISS: Shephard, Vor 44 Jahren: 24. Okt. 1960 Gidzenko und Krikalev Die Nedelin-Katastrophe: Beim ersten Startversuch explodiert eine R-16 auf dem Testgelände von Tjura Vor 47 Jahren: 3. Nov. 1957 Tam; 92 Tote Erstes Lebewesen in einem Orbit: Polarhündin Laika; sie stirbt nach kurzer Zeit qualvoll durch Vor 36 Jahren: 24. Okt. 1968 Überhitzung 199ster und letzter Flug eines X-15 Raketenflug- zeugs Vor 33 Jahren: 5. Nov. 1971 Erster Start einer Europa 2 Vor 43 Jahren: 27. Okt. 1961 Erster Start einer Saturn 1 (Juno5) Vor 86 Jahren: 6. Nov. 1918 Robbert Goddard führt seinen ersten Raketenpro- Vor 40 Jahren: 28. Okt. 1964 totypen vor (Feststoff) Start der ersten Marssonde, die Fotos von seiner Oberfläche sendet: Mariner 4 fliegt in 9900 km am Vor 35 Jahren: 8. Nov. 1969 Mars vorbei und sendet 22 Bilder Erster deutscher Satellit erreicht die Umlaufbahn: Azur 1 - er ist 71 kg schwer - startet auf einer Scout Vor 13 Jahren: 29. Okt. 1991 vom kalifornischen Vandenberg Jupitersonde Galileo fotografiert den Asteroiden Gaspra Vor 20 Jahren: 8. Nov. 1984 Erstmals werden Satelliten geborgen und zur Erde Vor 6 Jahren: 29. Okt. 1998 zurückgebracht: Palaba und Westar 6 mit STS-51A Bislang der älteste aktive Raumfahrer fliegt mit 77 Jahren an Bord der Discovery (STS-95) zum Vor 37 Jahren: 9. Nov. 1967 zweiten mal ins All: John Glenn, 1962 der erste Erster Start einer Saturn V Amerikaner im Orbit Vor 38 Jahren: 11. Nov. 1966 Vor 37 Jahren: 30. Okt. 1967 Letzter Flug eines Gemini-Raumschiffes: Gemini 12 Erste Kopplung zweier Satelliten: KOSMOS 186 mit Lovell und Aldrin und 188 (UDSSR) Vor 24 Jahren: 12. Nov. 1980 Vor 19 Jahren: 30. Okt. 1985 Voyager 1 fliegt an Saturn vorbei und liefert erste Start der D1-Mission mit Reinhard Furrer und Ernst Nahaufnahmen, auch von seinen Monden Messerschmid Vor 33 Jahren: 13. Nov. 1971 Vor 7 Jahren: 30. Okt. 1997 Mariner 9 beginnt mit der Kartographierung des Erster erfolgreicher Flug einer Ariane 5 (AR502/ Mars (USA) V101) Vor 44 Jahren: 14. Nov. 1960 Vor 42 Jahren: 31. Okt. 1962 Die erste geglückte Rückführung eines Körpers aus Der erste Erdvermessungssatellit startet: Anna 1B dem All zur Erde: Der Wiedereintrittskörper von (USA) Discoverer 13 Vor 39 Jahren: 15. Nov. 1965 Russlands erste erfolgreiche Venus-Sonde startet; Venus 2 passiert den Planeten am 27.2.66 in 24.000 km

2004 spacexpress raumfahrtchronik 191 Geschichte

Vor 30 Jahren: 15. Nov. 1974 Dezember Erster spanischer Satellit erreicht mit Hilfe der US- Rakete -Delta die Umlaufbahn: Vor 45 Jahren: 1. Dez. 1959 Die ersten 20 Kosmonauten wurden aus 3000 Piloten ausgesucht Vor 16 Jahren: 15. Nov. 1988 und offiziell ernannt Die russische Raumfähre Buran wird mit einer En- ergija-Trägerrakete zu einer 2fachen Erdumkreisung Vor 33 Jahren: 2. Dez. 1971 gestartet - unbemannt und gleichzeitig ihr einziger Erste weiche Landung einer Sonde auf dem Mars und letzter Flug (Mars 3 / UDSSR) Vor 39 Jahren: 16. Nov. 1965 Vor 14 Jahren: 2. Dez. 1990 Russlands zweite erfolgreiche Venus-Sonde startet Der erste Journalist berichtet aus dem All: Der Japa- (Venus 3); sie zerschellt auf der Venus ner Akiyama startet mit Sojus TM-11 zur MIR Vor 34 Jahren: 17. Nov. 1970 Vor 31 Jahren: 4. Dez. 1973 Erstes ferngesteuertes Mondmobil beginnt seine Erster erfolgreicher Vorbeiflug einer interplanetaren 11monatige Entdeckungsfahrt auf dem Mond: Lu- Sonde am Jupiter: Pioneer 10 nochod 1 (UDSSR) Vor 6 Jahren: 4. Dez. 1998 Vor 11 Jahren: 20. Nov. 1993 Erstes amerikanisches Modul (Unity) der ISS startet Erster mexikanischer Satellit: Solidaridad 1 mar- im Shuttle (STS-80) schiert auf einer Ariane 4 ins All Vor 26 Jahren: 5. Dez. 1978 Vor 6 Jahren: 20. Nov. 1998 Beginn der Kartographierung der Venus mittels Erstes Modul der internationalen Raumstation wird Radar durch Pioneer-Venus 1 (USA), gestartet am mit einer Proton-Rakete in den Orbit gebracht: 20.5.78 Sarija bildet den Grundstein der ISS Vor 9 Jahren: 7. Dez. 1995 Vor 5 Jahren: 20. Nov. 1999 Erste „Landung“ einer Sonde auf dem Jupiter: Das erste unbemannte Raumschiff aus China PROBE trennt sich von GALILEO und taucht in beginnt die erfolgreiche Erprobung im Erdorbit: seine Atmosphäre ein Shenzhou Vor 30 Jahren: 10. Dez. 1974 Vor 16 Jahren: 22. Nov. 1988 Start der ersten deutschen Sonnensonde: Helios 1 Der VFR (Verein zur Förderung der Raumfahrt e.V.) Vor 5 Jahren: 10. Dez. 1999 wird in München gegründet Das erste Röntgenteleskop der ESA startet in den Vor 71 Jahren: 25. Nov. 1933 USA: XMM Erster Start einer 2-Komponenten-Flüssigkeitsrake- Vor 16 Jahren: 11. Dez. 1988 te in der UDSSR (GIRD-X) Der erste europäische Fernsehsatellit, den „Jeder- Vor 39 Jahren: 26. Nov. 1965 mann“ empfangen kann, geht in seine geostationäre Der erste französische Satellit wird gestartet: Umlaufbahn: Astra 1A Asterix 1 auf eigener Trägerrakete Diamant Vor 43 Jahren: 12. Dez. 1961 Vor 16 Jahren: 26. Nov. 1988 Erster Amateurfunk-Satellit im All: OSCAR 1; Her- Der erste ESA-Astronaut: Der Franzose Chretien stellkosten: 64 US $ fliegt mit Sojus TM-7 Vor 42 Jahren: 12. Dez. 1962 Vor 51 Jahren: 28. Nov. 1953 Der erste Start von 5 Satelliten gleichzeitig auf Die letzten deutschen Techniker und Wissenschaft- einem Träger gelingt (USA) ler kehren aus der UDSSR zurück Vor 34 Jahren: 12. Dez. 1970 Vor 21 Jahren: 28. Nov. 1983 Der erste Start eines Satelliten von einer schwim- Erster westdeutscher Astronaut im All: Ulf Merbold menden Plattform aus: Explorer 42 auf einer Scout- startet mit dem ESA-Spacelab im Space Shuttle Trägerrakete (STS-9) Vor 16 Jahren: 12. Dez. 1988 Vor 37 Jahren: 29. Nov. 1967 Zum ersten mal startet - noch unbemannt - Erster australischer Satellit wird auf einer Redstone die verbesserte Sojus-Kapsel: Sojus-TM ins All befördert: WRESAT

192 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Geschichte

Vor 81 Jahren: 15. Dez. 1923 Hermann Oberths Buch „Die Rakete zu den Plane- NASA tenräumen“ wird veröffentlicht Vor 71 Jahren: 15. Dez. 1933 Eugen Sänger publiziert sein wegweisendes Werk „Raketenflugtechnik“ Vor 40 Jahren: 15. Dez. 1964 San Marco 1, der erste italienische Satellit wird in den USA gestartet Vor 34 Jahren: 15. Dez. 1970 Vermutlich erste weiche Landung auf der Venus: Venera 7 übermittelt noch für 23 Minuten Daten (UDSSR) Vor 20 Jahren: 15. Dez. 1984 Erste Sonde auf den Weg zum Halleyschen Kome- ten: Vega 1 (UDSSR) Vor 39 Jahren: 16. Dez. 1965 Erstes Rendezvous zweier bemannter Raumfahr- zeuge: Gemini 6 und 7 Vor 46 Jahren: 18. Dez. 1958 Erster aktiver Nachrichtensatellit erfolgreich gestar- tet (USA) Vor 46 Jahren: 18. Dez. 1958 Das Militär zieht nach: Erster militärischer Satellit schaut auf die Erde (Score / USA) Vor 32 Jahren: 19. Dez. 1972 Glückliche Rückkehr der letzen ‚Mondbesucher‘ zur Erde: Apollo 17 wassert im Pazifik Vor 70 Jahren: 20. Dez. 1934 Das in Kummersdorf bei Berlin entwickelte Aggre- gat 1 startet erfolgreich auf Borkum Vor 36 Jahren: 24. Dez. 1968 Die ersten Manschen kreisen um den Mond (Apol- lo 8): Bormann, Lovell, Anders Vor 25 Jahren: 24. Dez. 1979 Erster erfolgreicher Start einer Ariane-Rakete (AR1/L01) Vor 15 Jahren: 28. Dez. 1989 Todstag Hermann Oberths Vor 15 Jahren: 29. Dez. 1989 Erster thailändischer Satellit: Thaicom 1 wird auf einer Ariane 4 in den Orbit geschossen

Ein Beitrag von Andreas Rex.

2004 spacexpress raumfahrtchronik 193 Geschichte für die wahrheit den tod

Am 17. Februar 1600 wurde der Denker, griechische Denker, wollten damit in der Antike eine Schriftsteller, Utopist und geniale Kosmolo- geometrisch befriedigende Theorie für die Unregel- ge Giordano Bruno nach achtjähriger Haft mäßigkeiten der Planetenbewegung schaffen. in Rom auf dem Campo dei Fiori als Ketzer Das Gebilde jedoch war ungemein umständlich verbrannt. Die Zeit war noch nicht reif für und komplex. Der Herkunft des Ptolemäus wäre seine Erkenntnisse. Es durfte nicht sein, was der Begriff „arabesk“ am besten angemessen. Es das enge Weltbild und die Machtstrukturen funktionierte wie eine Art Riesenrad. Die Erde im der Kirche untergraben hätte. Noch nicht. Mittelpunkt, am Außenring die Gondeln, die sich aber jeweils um eigene Mittelpunkte drehten. Es 14. Januar 1599 war das Prinzip der Epizyklen. Insgesamt gab es in Sitzung der Inquisition. Bruno wird - wie den kirchlich anerkannten Modellen des 16. Jahr- schon oft seit seiner Verhaftung im Mai hunderts 40 davon, wenn man das Rad, an dem die 1592 – mit seinen häretischen Aussagen Fixsterne durch das All gedreht wurden, mitrech- konfrontiert. Die Untersuchungskommissi- nete. Diese aus unserer heutigen Sicht zwar geo- on verliest ihm noch einmal die Vorwürfe. metrisch äußerst trickreiche, aber an den wirklichen Gegebenheiten gemessen wahrhaft hirnverbrannte Die Kirche hatte ihn nie begriffen. Alles was ihr heilig Theorie, fiel mit einem Schlag weg, wenn man ein- war, verspottete Bruno. Was sie zu wissen glaubte, fach die Sonne statt der Erde in den Mittelpunkt stellte er in Frage. Alles von dem sie überzeugt war, setzt, und die Erde und die anderen Planeten mit widerlegte er. Er erhob Möglichkeiten zur Gewiss- unterschiedlichen Geschwindigkeiten um diesen heit, die der Kirche nicht einmal des Nachdenkens neuen Mittelpunkt kreisen ließ. Plötzlich klärte sich Wert waren. alles. Alles wurde einfach. Alles war logisch. Eigent- Ein Leugner kirchlicher Wahrheiten aber musste lich göttlich. Es gab - für die Kirche - nur ein einziges dem höllischen Feuer übergeben werden. Die Hin- wesentliches Problem damit: Die Erde stand nicht richtung durch die Heilige Mutter Kirche war dabei mehr im Mittelpunkt des Universums. nur der Vorgeschmack auf die ewige Strafe Gottes. Bruno gefiel der Gedanke. Er machte Gott, seinen Dazu bedurfte es des Scheiterhaufens. Ohne den Gott, groß wie nie zuvor. Bruno griff den Gedan- Scheiterhaufen wäre die Kirche nicht imstande, ken auf und entwickelte ihn weiter. Er sprach von wahrhaft göttliche Strafen auszusprechen.Noch im einer unendlichen Anzahl von Welten. Er sprach ausgehenden 16. Jahrhundert weigerte sich die Kir- vom Weltall als einem Gott im Werden. Er sprach che zur Kenntnis zu nehmen, was immer offensicht- davon, dass die sechs Tage der Schöpfung bildlich licher wurde. Für sie galt nach wie vor das Weltbild zu verstehen seien, und dass sie immer noch an- des antiken Ägypters Ptolemäus. Immerhin hatte sie dauerten. Er verlachte die Abrahamskundler und zu diesem Zeitpunkt unsere Welt schon als Kugel biblischen Buchhalter, die das Alter der Welt auf Tag begriffen, das war vertretbar, galt doch die Kugel als und Stunde genau wussten, vor allem aber, dass es die Ideale Form.Die Erde als schwerstes Element nicht mehr als 8000 Jahre sein konnten. Er sprach stand dabei wie selbstverständlich im Mittelpunkt von einer unendlichen Fülle von Möglichkeiten. Er des Universums, umgeben von den Elementen des sprach von der göttlichen Aufgabe, sich selbst zu Wassers, der Luft, des Feuers und des geheimnisvol- verwirklichen und zu vervollkommnen. len Äthers, aus dem auch die Auferstehungsleiber der Verstorbenen bestehen sollten. Bildlich gespro- chen verstand die Kirche das Weltall als eine Art Zwiebel. Eine Anzahl kristallener Hohlkugeln lager- Frecher Frevel in den Augen der Kirche. ten sich um die Erde, und in diese Sphären waren Seine Worte bei einer der Vernehmungen, am 2. die Sterne eingeschlagen wie silberne Nägel. Juni 1592 in Venedig, sind überliefert. Er sagte sie dem Inquisitor Giovanni Gabriele di Saluzzio, der Um das Offensichtliche zu erklären, also warum sein Todesbote sein sollte. Überliefert sind sie vom sich der gesamte Himmel vor unseren Augen dreht, apostolischen Nuntius Ludovico Taberna, dem Bei- wurde eine hoch komplizierte Mechanik erdacht. sitzer des Verhörs, der damals das Protokoll führte. Ausgehend von der äußersten Sphäre, welche die Die ersten Sätze lauten wie folgt: Hauptrichtung bestimmte, unterlagen alle anderen Sphären einer Drehbewegung. Ptolemäus, aber auch „Ich glaube an ein unendliches Universum.

194 spacexpress raumfahrtchronik 2004 Geschichte

Ich halte es der göttlichen Güte und Macht Mit diesem Bekenntnis war er des Todes, aber es für unwürdig, wenn sie unzählige Welten dauerte noch acht lange Jahre bis zu seiner Hinrich- erschaffen kann, aber nur eine endlich tung. Acht Jahre, in denen die Kirche den Anschein begrenzte Welt erschafft. Daher habe ich eines ordentlichen Prozesses erwecken wollte, der stets behauptet, dass unzählige andere letztendlich doch nur eine Farce war, mit einem Er- Welten, ähnlich dieser Erde existieren, gebnis, das vom ersten Tage an vorbestimmt war. welch‘ letztere ich mit Pythagoras nur für einen Stern halte, wie die zahllosen 4. Februar 1599 anderen Planeten und Gestirne. Alle diese Unter dem persönlichen Vorsitz von Papst unzähligen Welten machen eine unendliche Clemens VIII findet die Verhandlung des Gesamtheit aus im unendlichen Raum, und Heiligen Officiums im Fall Bruno statt dieser heißt das unendliche All, so dass doppelte Unendlichkeit anzunehmen ist, Brunos simple, einleuchtende und logische Erklä- nach Größe des Universums und nach Zahl rung des Kosmos war gefährlich. Er stieß die Kirche der Weltkörper. In diesem unendlichen All und mit ihr die selbst ernannten Vertreter Gottes setze ich eine universelle Vorsehung, kraft aus dem Zentrum des Alls. Es kreiste nicht mehr deren jegliches Ding lebt und sich bewegt alles um sie. Sie waren nicht mehr das Maß aller und in seiner Vollkommenheit existiert…“ Dinge. Sie rückten an den Rand. Für sie durfte die Welt nur so groß sein, dass ihr kleiner Geist sie auch überschauen konnte. Und so glauben sie lieber an silbergenagelte Sterne und Planeten an ihrem kindlichen Karussell, als dass sie die Augen für die unendlichen Weiten des Universums öffneten, und ihren Geist und Verstand für einen wahrhaft mächti- gen Gott und Herrscher des Universums und nicht für ihren ewig eifersüchtigen, rachedurstigen, frau- enfeindlichen orientalischen Provinzfürsten in den Wolken, der nichts anderes war als die lächerliche Parodie ihrer eigenen pubertären Machtvorstel- lungen. Für Bruno war Gott „keine Intelligenz außerhalb der Welt, die diese im Kreise dreht und leitet. Würdiger muss es für ihn sein, das innere Prinzip der Bewegung zu bilden, eine Natur aus sich, von eigener Art, eine Seele für sich, an der alles teilhat, soviel in seinem Schloss und Leibe lebt.“

5. April 1599 Die Anklageschrift gegen Bruno wird fertig gestellt.

Bruno war ein unbequemer Mensch. Er war ar- rogant, grob, streitsüchtig und anmaßend. Er war leichtsinnig. Er reizte seine Diskussionsgegner. Er war intellektuell überlegen, und ließ es seine Kombat- tanten fühlen. Er ging keinem Streit aus dem Wege. Wenn er der Meinung war, sein Gegenüber sei ein Esel, dann bezeichnete er ihn auch so. Es war die Zeit in der Kopernikus bereits ein heliozentrisches schiessldesign Weltbild propagierte und auch andere Astronomen langsam die Unstimmigkeiten des ptolemäischen Weltbild erkannten, die sich mit der Epizyklenthe- orie nicht mehr wegrechnen ließen. Während Kopernikus aber vorsichtig war, weil er

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sich der Tragweite und der Gefährlichkeit seiner Er- ihm der Unterleib verkohlt, mit Zangen werden ihm kenntnisse bewusst war, war Bruno spontan, emoti- alle Nägel an den Zehen und Fingern gezogen. onal und nicht einsichtig in die Zwänge seines Um- Anfang 1593 wird Bruno von Venedig an Rom feldes. Bruno nahm die gedankliche Tragweite des ausgeliefert. Im dortigen Gefängnis herrschen ent- Kopernikanischen Weltbildes auf, und entwickelte setzliche Zustände. Er darf weder schreiben noch es weiter. Mit Bruno hatte das ptolemäische, geo- lesen. Er leidet an Unterernährung, denn damals zentrische Weltbild endgültig abgedankt. In diesem mussten Angehörige für das Essen eines Häftlings Sinne ist Bruno ein wichtiges Bindeglied zwischen aufkommen und Giordano Bruno hatte niemanden. Kopernikus, Galilei und Kepler. In diesen Jahren im Kerker in Rom werden die Bruno lebte mit Volldampf. Er musste seine Erkennt- Zeugenaussagen gegen ihn zusammengetragen. Die nisse loswerden, und wenn er dabei unterging, dann Aussagen werden von Kardinal Robert Bellarmin mit fliegenden Fahnen. Obwohl, auch er wurde untersucht, dem Leiter des Inquisitionsverfahrens. schwach. Vorübergehend. Am 30. Juli 1592, bald Es ist derselbe Robert Bellarmin, der elf Jahre später nach dem Beginn seines Prozesses, brach er zusam- das Strafverfahren gegen Galilei eröffnen wird. men, leistete Abbitte und widerrief teilweise, so wie Galilei einige Jahrzehnte später. Aber das war nur eine vorübergehende Schwäche. Bruno war schonungslos polemisch und häufig be- 21. Dezember 1599 leidigend. Über die Mönche sagte er: „Bei Hesekiel (Kapitel 23, Vers 20) steht geschrieben: Groß wie Bruno wird dem Ordensgeneral der Do- Eselsfleisch ist ihr Mannesfleisch und dick wie eine minikaner, Hippolytus Maria Beccaria und Pferderute ihr Glied“, darum, so meinte er „solle dem Procurator Paul Isario della Mirandola man den Mönchen den Unterhalt nicht länger in vorgeführt. fetten Pfründen, sondern in Hafer und Heu ent- richten“. Die biblischen Wunder bezeichnete er als An Weihnachten 1599 erhält Giordano Bruno in Scharlatanerie und Humbug und er verhöhnte die seinem Kerker 300 Blatt Papier, eine Feder, Tinte Päpste, welche die Worte der Apostel als unum- und Streusand. In diesem Moment wusste er, dass stößliches Gesetz betrachteten, „weil sie die wirren sein Tod beschlossen war. Acht Jahre hatte er um Visionen eines epileptischen Anfalles der ganzen das Papier gebeten, acht Jahre war es ihm verwei- Welt zur Vorschrift machen wollen“. gert worden. Manchmal machte er einfach nur schlechte Witze. Seine Hinrichtung findet aber nicht, wie er dachte, Dem Nobile Zuane Mocenico, der ihn in Venedig am Morgen des Neujahrstages 1600 statt, sondern an die Kirche verriet, sagte er einmal auf die Fra- sie verzögert sich noch einmal um fast sieben ge, was er denn beim Karneval in Venedig zu tun Wochen. gedenke: „Ich werde mich als Satyr verkleiden und alle schönen Mädchen in den Wald zerren“. Ein alberner Scherz, schon angesichts der Tatsache, dass es in ganz Venedig keinen Wald gibt. Doch derlei 20. Januar 1600 Aussagen waren später gewissenhaft in seiner Anklageschrift aufgelistet und wurden gegen ihn Nach Entgegennahme des Berichtes des verwendet. Dominikanergenerals Beccaria entscheidet Clemens VIII „in dieser Sache die letzten Schritte zu tun und unter Anwendung der 9. September 1599 angemessenen Formalitäten das Urteil zu Kardinal Bellarmin weist die sprechen“. Verteidigung Brunos zurück. Papst Clemens VIII lässt es sich nicht nehmen, und Noch eine Weile nach seiner Festnahme hofft leitet am 20. Januar 1600 persönlich die Sitzung der Bruno auf eine Begnadigung durch den Papst. Der Heiligen Inquisition. Bruno übergibt eine Denk- Florentiner Ippolito Aldobrandini ist seit Januar schrift. Er hat sie in den Tagen nach dem 21. Dezem- 1592 als Clemens VIII im Amt und gilt als gebilde- ber angefertigt. Sie wird ungelesen beiseite gelegt. ter, weltoffener Mann. Der Dominikanerorden, der die Inquisition selbst Doch die Hoffnung schwindet bald. In Venedig wird betreibt, hat - zumindest das muss man ihm zugute Bruno der Tortur unterworfen. Mit Pechfackeln wird halten - nichts unversucht gelassen, noch in letzter

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Stunde den „verirrten Bruder in Christo“ zu bekeh- der Urteilsverkündung aufgesprungen sei, und ren. Die Dominikaner waren alles in einem: Kläger, dem Offizium entgegenschleuderte: „Mit größerer Henker, Vermittler, Retter. Furcht wohl sprecht ihr mir das Urteil, als ich es empfange“. Doch die Sturheit des Ketzers ist offensichtlich. Und so fällt der Papst persönlich das Urteil. Er „ordnete Nach der Urteilsverkündung wird Bruno in den an und befahl, dass der Fall zu Ende geführt werde Torre di Nona gebracht, dem Gefängnis gegenüber unter Anwendung der angemessenen Formalitäten der Engelsburg gelegen. Der Tag der Verbrennung und dass das Urteil verkündet werde und der wird auf den 12. Februar gelegt, doch dieser Tag besagte Frater Jordanus der weltlichen Gewalt kommt und geht, ohne dass die Hinrichtung statt- überantwortet werde“. findet. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.

8. Februar 1600 17. Februar 1600

Im Palast des Kardinals Madruzzi verliest Giordano Bruno wird in Rom auf dem der Rechtsprokurator Giulio Materenzii Campo dei Fiori auf dem Scheiterhaufen das Urteil. Die Hinrichtung wird auf den 12. verbrannt. Februar 1600 festgelegt. Am Samstag, dem 19. Februar 1600 erscheint in Die „angemessene Formalität“ findet am 8. Februar den Avvisi di Roma, der römischen Zeitung, folgen- 1600 statt. Giordano Bruno wird zur Urteilsverkün- der Bericht: Der abscheuliche Dominikanerbruder dung in den Palast des Kardinals Madruzzi geführt, von Nola, über den wir schon früher berichtet dem Vorsitzenden des Heiligen Offiziums. Kniend, haben, wurde am Donnerstagmorgen auf dem im Gewand seines Ordens, empfängt er das Urteil, Campo dei Fiori bei lebendigem Leib verbrannt. verlesen von Rechtsprokurator Giulio Materenzii. Er war ein ungemein halsstarriger Ketzer, der aus Es lautet: Tod auf dem Scheiterhaufen wegen acht- seiner eigenen Eingebung verschiedene Dogmen facher Häresie. gegen unseren Glauben fabrizierte, besonders aber gegen die heilige Jungfrau und andere Heilige. Der Auszüge aus der Urteilsschrift: „Mit diesem Akte Elende war so hartnäckig, dass er gewillt war, dafür fällen wir das Urteil gegen den Bruder Giordano zu sterben… Bruno und erklären ihn als verstockten und hart- näckigen Häretiker, nachdem wir alle kirchlichen Es gibt auch einen Augenzeugenbericht vom letzten Maßnahmen und Bestimmungen des heiligen Weg Brunos. Er stammt von Kaspar Schopp von der Kanons, des Rechts und der Kirchenverfassung Bruderschaft des Heiligen Johannes, deren Aufgabe herangezogen haben, die sich mit der Behandlung es war, einem Hinzurichtenden in seiner letzten solcher überführten, unbußfertigen, hartnäckigen Stunde nach Art der Kirche beizustehen. Auszüge und widerspenstigen Ketzer befassen….Von nun aus seinem Bericht lesen sich so…Um sechs Uhr an sollst Du ausgestoßen sein aus unserer priester- abends versammelten sich die Trostspender und lichen Gemeinschaft und aus unserer heiligen und der Kaplan in San Orsola und gingen hinüber zum unbefleckten Kirche, deren Gnade du nicht mehr Gefängnis im Turm von Nona. Dort betraten sie würdig bist. Wir verfügen hiermit und ordnen an, die Kapelle und sprachen die üblichen Gebete für dass Du hiermit der Gerichtsbarkeit des hier an- den zum Tod verurteilten Giordano Bruno, einem wesenden Gouverneurs von Rom übergeben wirst, verstockten Ketzer. Er wurde von unseren Brüdern auf dass die Strafe an Dir vollzogen wird, die Du in großer Liebe ermahnt. Wir riefen zwei Patres der verdienst…Weiterhin verdammen wir, verwerfen Dominikaner, zwei von den Jesuiten, zwei von der wir und verbieten wir alle Deine Bücher und Schrif- Neuen Kirche und zwei von der Kirche des Heiligen ten als ketzerisch und irrig und bestimmen, dass alle, Hieronymus. Sie zeigten ihm mit großem Eifer und welche entweder bereits im Besitze oder in Zukunft mit großer Belehrsamkeit seinen Irrtum. Er jedoch zu Händen des Heiligen Offiziums kommen wer- beharrte bis zum Ende in seiner verdammten den, öffentlich vernichtet und auf den Stufen von Widerspenstigkeit…er ließ in seiner Halsstarrig- Sankt Peter verbrannt werden mögen“. keit auch nicht ab, als ihn die Gerichtsdiener zum Campo dei Fiori führten. Dort wurde er entkleidet, Es wird berichtet (und Bert Brecht benutzt dieses an einen Pfahl gebunden und bei lebendigem Leibe Zitat auch in seinem Stück „Im Mantel des Ketzers“ verbrannt… aus dem Jahre 1939) dass Giordano Bruno nach

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Jahrhunderte später

Giordano Bruno mag ein schwieriger Mensch gewesen sein, eines war er aber gewiss nicht: Ein Gotteslästerer. Bruno war ein zutiefst von Gott beseelter Mensch. Un- endlich viel gläubiger als die engstirnigen Buchhalter göttlicher Offenbarungen und Weisheiten die über ihn richteten.

Giordano Bruno war kein Astronom. Aber er war ein konsequenter Theologe und Kosmologe. Seine vielleicht größte wissenschaftliche Bedeutung liegt darin, eine Epoche von 2000 Jahren überwunden zu haben, in der es so gut wie keinerlei wissenschaftli- chen Fortschritt gab. Am 9. Juni 1889 sollte auf dem Campo dei Fiori zu Ehren von Giordano Bruno ein Denkmal enthüllt werden. Papst Leo XIII, gerühmt für Fortschritt- lichkeit, soziales Wesen und Weitsicht, fühlte sich bemüßigt, zu dieser Zeremonie ebenfalls einen Beitrag zu liefern. Es bestand aus einem Mahn- und Warnschreiben an die Gläubigen der katholischen Kirche, das pflichtgemäß auf allen Kanzeln der Welt verlesen wurde. Darin bezichtigte er Giordano Bruno eines sittenwidrigen Lebens, der Feindschaft gegen die Kirche, der Häresie und der Glaubensab- trünnigkeit. Er nannte ihn einen Materialisten und Atheisten ohne besondere menschliche oder geistige Eigenschaften und fügte hinzu: „Bruno hat weder irgendwelche wissenschaftlichen Leistungen aufzuweisen, noch hat er sich irgendwelche Ver- dienste um die Förderung des öffentlichen Lebens erworben. Seine Handlungsweise war unaufrichtig, intolerant, verlogen und vollkommen selbstsüchtig“. Erst anhaltende internationale Proteste verhin- derten, dass das Denkmal wieder beseitigt wurde. Neben vielen anderen hatten sich z.B. Victor Hugo, Georg Ibsen und Ernst Haeckel für das Denkmal eingesetzt. Im Jahre 1930 wurde Kardinal Bellarmin, einer der Unterzeichner des Todesurteils von Giordano Bru- no, und der Verantwortliche für das Verfahren gegen Galileo Galilei, heilig gesprochen. Giordano Brunos Schriften standen noch bis zum Jahre 1965 auf dem Index.

Ein Beitrag von Eugen Reichl.

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