Im Dienste Einer Staatsidee
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Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge Band 24 Herausgegeben von Gernot Gruber und Theophil Antonicek Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum Band 1 Elisabeth Fritz-Hilscher (Hg.) IM DIENSTE EINER STAATSIDEE Künste und Künstler am Wiener Hof um 1740 2013 Böhlau Verlag Wien Köln Weimar Gedruckt mit der Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung : Mittelmedaillon des Deckenfreskos im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ehemals Alte Universität) von Gregorio Guglielmi nach einem Programmentwurf von Pietro Metastasio (Rekonstruktion nach dem Brand von 1961 durch Paul Reckendorfer) © ÖAW © 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H., Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung : General Nyomda kft., H-6728 Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-78927-7 Inhalt Vorwort .................................... 7 Grete Klingenstein : Bemerkungen zur politischen Situation um 1740 ..... 11 Literatur Alfred Noe : Die italienischen Hofdichter. Das Ende einer Ära ......... 19 Wynfrid Kriegleder : Die deutschsprachige Literatur in Wien um 1740 .... 47 Kunst Werner Telesko : Herrscherrepräsentation um 1740 als „Wendepunkt“ ? Fragen zur Ikonographie von Kaiser Franz I. Stephan ............. 67 Anna Mader-Kratky : Modifizieren oder „nach alter Gewohnheit“ ? Die Auswirkungen des Regierungsantritts von Maria Theresia auf Zeremoniell und Raumfolge in der Wiener Hofburg .................... 85 Theater Andrea Sommer-Mathis : Höfisches Theater zwischen 1735 und 1745. Ein Wendepunkt ? ............................... 109 Claudia Michels : Opernrepertoire in Wien um 1740. Annäherungen an eine Schnittstelle ................................... 125 Marko Motnik : Der Tanz im Umfeld des Wiener Hofes um 1740 ....... 159 6 AugtorInhalt Musik Rudolf Flotzinger : „regula artis naturam imitatur et perficit“. Zur Grundlegung der Ersten Wiener Schule .................. 183 Elisabeth Fritz-Hilscher : Musik im Dienste einer Staatsidee. Aspekte höfischen Musiklebens zwischen 1735/1740 und 1745 ......... 209 Schlussdiskussion ................................ 227 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .................... 231 Personenregister ................................. 235 Abstracts .................................... 241 Vorwort Musik – Identität – Raum stehen seit 2007 als Forschungsschwerpunkt im Mittel- punkt der Arbeiten der Kommission für Musikforschung.1 Fragestellungen zu in ers- ter Linie kollektiver Identität und der Rolle, die Musik darin einnimmt, sollen an vier Fallbeispielen quer durch die Geschichte vom Spätmittelalter bis in die Zeitge- schichte diskutiert werden. Dass als Ausgangspunkt die habsburgischen Länder bzw. das Heilige Römische Reich und die Länder in deren Nachfolge im Zentrum ste- hen, ergibt sich aus der Wahl der sogenannten Schnittstellen-Zeiten : 1430 (die kurze Regierungszeit von Albrecht II. bzw. der Beginn der Regierung von Friedrich III.), 1740 (der Wechsel von Karl VI. zu Maria Theresia), 1848 (Revolution in Wien, Prag und Ungarn) und die Zeit der Suche nach einen „Neuen Österreich“ zwischen 1945 und 1955. Diese Zeiten wurden nach folgenden Gesichtspunkten ausgewählt : Es sollte auf mehreren Ebenen der Gesellschaft eine Hinterfragung des aktuellen Iden- titätskonstruktes stattfinden, wobei ein Ereignis der politischen Geschichte als Aus- gangspunkt angenommen wurde ; zudem sollte in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft in ihren für die jeweiligen Untersuchungszeiträume adäquaten Unter- gruppen Wandlungsprozesse stattfinden – nicht nur in der Kunst bzw. in Musik und Musikleben. Ein abschließender differenzierender Vergleich der Schnittstellen sollte der Frage nach Konstanten in der Bildung kollektiver Identitätskonstrukte und nach der Rolle, die Musik bei deren Entstehung bzw. Konstruktion und Erhaltung spielt und spielen kann, nachgehen. Können vier so weit auseinanderliegende Zeiten mit unterschiedlich strukturierten Gesellschaften überhaupt verglichen werden, deren „Wendeereignisse“ zudem von unterschiedlicher Intensität waren (vom punktuellen Ereignis Revolution 1848 bis zu einer zehnjährigen Besatzungszeit) ? Eine unterschiedlich dichte Quellenbasis macht es schwer, in allen Schnittstel- len „quer durch alle Gesellschaftsschichten“ nach Veränderungen in den Strukturen des Musiklebens und Musikerlebens zu forschen ; die Arbeiten an den ersten beiden Schnittstellen 1430 und 1740 werden sich daher gezwungener Maßen in erster Linie mit den Eliten der Gesellschaft auseinander setzten, da Quellenmaterial zur „Musik 1 Die Kommissionen für Musikforschung und Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wis- senschaften wurde mit 1. Jänner 2013 zu einem Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen unter der Leitung von Werner Telesko zusammengeschlossen. 8 Elisabeth Fritz-Hilscher des Volkes“ nur sehr gering und zufällig bzw. in Darstellungen aus der Perspektive der Oberschicht überliefert ist. Aus diesem Grund wurde für den Workshop zur Schnittstelle 1740, der Basis die- ses Bandes ist, der Hof in Wien als Ausgangspunkt genommen, da anzunehmen ist, dass der Regierungswechsel von Karl VI. auf Maria Theresia hier unmittelbar auf das Selbstverständnis und die Eigendefinition der Dynastie und des Hofes und in der Folge auch auf Hofkünste und Zeremoniell gewirkt hat. Um aus dem barocken Verständnis von Repräsentation und Zeremoniell als Basis der Identitätskonstruktion nicht nur der Habsburger-Dynastie, sondern der gesamten Elite unterschiedliche Bestrebun- gen von Kontinuität und Wandlung herausfiltern zu können, sollte neben Fragen der politischen Identität und der Anwendung unterschiedlicher Herrschaftsmodelle (Klingenstein) vor allem die „klassischen“ Hofkünste zu Wort kommen. Endete mit dem Tod Karls VI. tatsächlich schlagartig das frühneuzeitliche Herrscherverständnis mit allen Metaphern panegyrischer Überhöhung ? Wie nützten und benützten die junge Regentin und ihr Mann die Hofkünste (wurden sie überhaupt noch benützt) ? Dass es in theresianischen Zeitalter zu grundlegend Wandlungen in unterschied- lichen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft gekommen ist, steht außer Zweifel. Es stellt sich jedoch die Frage, wann diese Prozesse begonnen haben (viele haben ihre Wurzeln schon in der Spätzeit der karlinischen Regierung) und warum sie erst ab den 1750er Jahren nachhaltig zum Durchbruch kamen. Hier haben sich im Laufe des Workshops wie in den ergänzenden Arbeiten von Rudolf Flotzinger und den beiden Werkvertragsnehmern, Claudia Michels und Marko Motnik, interessante Parallelen gezeigt : Zwar wurde in den ersten Jahren bis zur Kaiserkrönung Franz I. Stephan, die ganz der Herrschaftssicherung gewidmet waren, nach außen hin althergebrachte Formen der Eigendarstellung und des dynastischen Selbstverständnisses verwendet, jedoch weniger aufgrund persönlichen Eigenverständnisses der Regentin (Maria The- resia distanzierte sich zunehmend von der frühneuzeitlichen kaiserlichen Amtsethik, in noch stärkerem Maße Franz I.), als aufgrund pragmatischer Überlegungen, da es angeraten schien, in Zeremoniell und vor allem in der Repräsentation nach außen Kontinuität zum „vorigen guten Regiment“ zu signalisieren, solange das aktuelle der Thronerbin noch nicht gesichert war : So wurde auf die bewährte Panegyrik der Li- bretti und Huldigungsgedichte Pietro Metastasios ebenso gesetzt wie auf traditionelle Formen repräsentativer Öffentlichkeit, wie dem feierlichen Besuch von Gottesdiens- ten und Andachten in der Stadt, oder Karussells und Schlittenfahrten des Hofes, die ebenfalls zu Teilen im öffentlichen Raum der Stadt stattfanden – nur die große Oper wurde erstaunlich schnell aus der Unmittelbarkeit des Hofes entlassen. Auch der rasche Bezug der traditionellen kaiserlichen Gemächer war ein deutliches Signal in Richtung Kontinuitäts- und kaiserlichen Machtanspruch. Vorwort 9 Als kurzes Fazit dieses Workshops und als Ausgangspunkt für weitere Arbeiten an der Schnittstelle 1740 kann festgestellt werden, dass sich der Wechsel der Herrschaft von Karl VI. zu Maria Theresia weder (propagandistisch) völlig unvorbereitet noch im Sinne eines Bruches vollzogen hat ; einzig im Bereich der Hofmusikkapelle kam es mit dem Herrscherwechsel fast zeitgleich durch den Tod von Kapellmeister (1741) und Vizekapellmeister (1736) bzw. zahlreiche Pensionierungen (1740) auch zu einem Wechsel in entscheidenden Positionen und in der Folge mit dem Antritt einer jünge- ren Generation zum Durchbruch eines moderneren Stiles auch in der Musik zu den großen zeremoniellen Anlässen (der neue Stil hatte schon seit den 1730er Jahren ne- ben dem traditionellen großen Repräsentationsstil am Hof existiert, erhielt nun aber aufgrund seiner geänderten Funktionalität eine Aufwertung). Wie weit die „höfische Peripherie“, der Adel abseits des Hofes, Stifte und Klöster, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder neu konstituierende Bürgertum etc. sich von die- sem Wechsel in der Regierung in ihrer persönlichen Lebenswelt und ihrem Selbstver- ständnis und dessen musikalischen