ISSN 0948–2407 | 67485

DISPUT Wieder Krieg? MITGLIEDERZEITSCHRIFT DER PARTEI DIE LINKE SEPTEMBER 2014 2 EURO Fragt Luc Jochimsen und ver- weist auf verstörende Paral- lelen 1914 – 2014: Konfl ikte, Feindbilder und überall und immer wieder das Setzen auf Gewalt. 30

Europäische Linke

Was Saila und Michael, Mint- tu, Dagmar und Volodymyr verbindet, wie sie politisch aktiv geworden sind und was sie bewirken wollen. Eine kleine Umfrage. 34

Faszination Kunst

Ein Gespräch mit Klaus Bä- dicker über Knipsen, Foto- kunst als Waffe und vol- le Datenspeicher. Und über den Charme des Staubes, die kreative Unordnung 40

Waffen weg! Das Verbot aller Rüstungsproduktion und Rüstungs- exporte fordert DIE LINKE. Warum dies so dringend geboten ist, untersucht DISPUT KOMPAKT in dieser Ausgabe. Foto: Erich Wehnert INHALT

DISPUT bittet zu jeder Ausgabe eine Leserin bzw. einen Leser um eine kurze Vor-Lesung des aktuellen Heftes.

mer »selbstverständlicheres« Mit- und an Otto Grothewohl, der vor tel der Politik. DIE LINKE lehnt das 50 Jahren starb, passen zu diesem ab. Ebenso wie die Vorbereitung Rückblick. und Ermöglichung gewaltsamer Eine Publikation, die DISPUT heißt, Konfl ikt»lösung«. Dieser DISPUT be- muss von Diskussionen – gern leuchtet – und kritisiert – schwer- auch Kontroversen – um aktuel- punktmäßig, wie Waffenexporte wir- le Konzepte linker Politik geprägt ken: Sie verschärfen Konfl ikte, sie sein: Hier geht es immerhin um verleiten zur Anwendung dieser »Fä- »Freiheit statt Angst«, »ÖPNV-Flat- higkeiten«, sie verschaffen (aber rate für alle« und eine neue »Partei auch) der Waffenindustrie hohe Pro- neuen Typs«. rei Landtagswahlen fi t e . – Sachsen, Branden- Eine Diskussionsveranstaltung der ILJA SEIFERT IST MITGLIED DES burg, Thüringen – sind Bundestagsfraktion erinnerte an PARTEIVORSTANDES zu analysieren. Dieser die Heuchelei, die Lügen und auch DISPUT bietet dafür an die skrupellose Konsequenz der D Fakten und erste Bewertungen. »Krieg-Woller« vor 100 Jahren. Die Mit den sehr unterschiedlichen Friedensverteidiger waren mutig, DISPUT 9/2014 Ergebnissen werden wir uns noch aber viel zu schwach. Und es gibt er- längere Zeit gründlich befassen schreckende Parallelen zum Heute. müssen. Erinnerungen an die erste »Internati- VOR-GELESEN Weltweit wird Krieg ein im- onale«, die vor 150 gegründet wurde, VON ILJAVON SEIFERT ???

WAHLEN GESCHICHTE Einsatz und Ergebnisse 4 Foto: Gert Gampe Die erste Internationale 28

BÜRGER/INNENRECHTE MAHNUNG Freiheit statt Angst 10 Luc Jochimsen: Krieg und wieder Krieg? 30 ÖPNV Flatrate für alle 12 EUROPÄISCHE LINKE Solidarität heute 34 DISPUT KOMPAKT WAFFENEXPORTE ZEITGESCHICHTE STOPPEN! Ein kräftiger Händedruck: Tobias Pfl üger: Zentraler Ort der JEDEN MONAT Otto Grotewohl 36 Waffenproduktion 14 Jan van Aken: Das Geschäft mit AUS DEM HAUS 4 DEBATTE dem Krieg 16 PRESSEDIENST 8 Zu Benjamin-Immanuel Hoff: Jürgen Grässlin, Lehrer und DAS KLEINE BLABLA 9 Partei neuen Typs 38 Rüstungsgegner 18 CHRONIK ’89 13 Opfer deutscher Waffen: DEMNÄCHST 27 KUNST Mohamed Jama 22 POST 29 Klaus Bädicker über die Faszination Christine Buchholz: Mythos FEUILLETON 39 Fotografi e 40 »Schutzlücke« 24 NACHBELICHTET 45 LESEN 46 STIFTUNG INTERNATIONAL SEPTEMBERKOLUMNE 47 Ausstellung »politik macht Pressefest in Portugal 26 frauen« 44

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009510, [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 9: 15. September 2014. DISPUT 10/2014 erscheint am 16. Oktober

2 DISPUT September 2014 FRAGEZEICHEN

Barbara, wie lautet dein Lebensmotto?

Nicht unterkriegen lassen, es lohnt sich! Was hat dich in letzter Zeit am meis- ten überrascht? Dass die SPD in Bielefeld das Friedensfest zu 100 Jahre Ers- ter Weltkrieg unterstützt hat. Was ist für dich links? Orientierung an den In- teressen der Mehrheit, die von Besitz, Macht, Reichtum ausgeschlossen ist. Da- bei aber keine karitative Stellvertretungspolitik, sondern gemeinsame Entwick- lung von Aktionen und Protest. Solidarität ist unsere Stärke! Worin siehst du deine größte Stärke, deine größte Schwäche? Meine Stärke: Ich versuche, möglichst allen mit Respekt zu begegnen und sie ernst zu nehmen. Meine größ- te Schwäche: Mich interessiert zu viel und ich habe zu viele Ideen. Was war dein erster Berufswunsch? Starkstromelektrikerin Was regt dich auf? Wenn sich GenossInnen, womöglich öffentlich, niedermachen. Ich fi nde es wichtig, bei Problemen miteinander und nicht übereinander zu reden. Wovon träumst du? Von Frieden unter den Menschen und davon, dass alle in Würde und Respekt aufwachsen und leben können. Möchtest du (manchmal) anders sein, als du bist? Ein bisschen sportlicher wäre nicht schlecht. Vaterland, Mutterland, Deutschland – wie gern lebst du hier? Ich war viel in anderen Ländern und Kulturen unterwegs. Aber zuhause bin ich in Bielefeld. Da kenne ich mich aus, habe meine Freundinnen und Freunde. Wen oder was würdest du mit auf ei- ne Insel nehmen? Meine Familie, viele Bücher und meine Flöte. Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in deinem Leben? Bücher, Theater oder Musik hel- fen mir oft, neue Ideen zu entwickeln. Sie schaffen auch den Abstand, den man braucht, um sich vom Alltagsstress nicht unterbuttern zu lassen. Wovor hast du Angst? Vor Krieg und der Verrohung von Menschen. Worüber lachst du be- sonders gern? Am meisten wohl über mich selbst.

BARBARA SCHMIDT, GEBOREN 1954. SEIT 2004 IST SIE MITGLIED IM RAT DER STADT BIELEFELD, SEIT 2009 FRAKTIONSVORSITZENDE. DIE DIPLOM-SOZIOLOGIN ARBEITET ALS BÜROLEITERIN.

DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben.

DISPUT September 2014 3 WAHLEN

Sachsen Thüringen Brandenburg

30. August 2014 14. September 2014 14. September 2014

18,9 Prozent für DIE LINKE 28,2 Prozent für DIE LINKE 18,6 Prozent für DIE LINKE (2009: 20,6 %, 2004: 23,6 %) (2009: 27,4 %, 2004: 26,1 %) (2009: 27,2 %, 2004: 28,0 %) 309.581 Stimmen 246.728 Stimmen 183.172 Stimmen 27 Mandate im Landtag 28 Mandate im Landtag 17 Mandate im Landtag (2009: 29) (2009: 27) (2009: 26)

Wahlbeteiligung: 48,5 Prozent Wahlbeteiligung: 51,0 Prozent Wahlbeteiligung: 47,9 Prozent (2009: 52,2 %) (2004: 56,2 %) (2004: 67,5 %)

CDU: 39,4 % (–0,8 %) CDU: 33,5 % (+2,3 %) SPD: 31,9 % (–1,1 %) DIE LINKE: 18,9 % (–1,7 %) DIE LINKE: 28,2 % (+0,8 %) CDU: 23,0 % (+3,2 %) SPD: 12,4 % (+ 2,0 %) SPD: 12,4 % (–6,1 %) DIE LINKE: 18,6 % (–8,6 %) AfD: 9,7 % (+9,7 %) AfD: 10,6 % (+10,6 %) AfD: 12,2 % (+12,2 %) Grüne: 5,7 % (–0,7 %) Grüne: 5,7 % (–0,5 %) Grüne: 6,2 % (+0,5 %)

(vorläufi ge Ergebnisse)

Bodo Ramelow mit seiner Ehefrau Germana Alberti vom Hofe und Katja Kipping am Wahlabend in Erfurt Foto: DIE LINKE. Thüringen

4 DISPUT September 2014 AUS DEM HAUS

ch schreibe diesen Text am Wahl- Uhr und die Zahlen schwanken noch: abend der Landtagswahlen in Bodo Ramelow könnte der erste Brandenburg und Thüringen zwi- LINKE Ministerpräsident werden. Ich schen Interviews, neuen Hoch- bin sicher, dass dies auch die Bun- rechnungen und Gesprächen. desrepublik als Ganzes verändern IVieles von dem, was Wählerinnen würde. 25 Jahre nach der Wende er- und Wähler entschieden haben, wird reichten wir so ein weiteres Stück po- sich erst in den kommenden Tagen litischer Normalität. Unsere Angebo- sortieren – am Bild wird noch gemalt, te für eine solidarischere, gerechtere sozusagen. Politik sind da, und sie werden ange- Noch ist die Zeit nicht gekommen nommen. Klare Angebote an Wähle- sich zurückzulehnen, auf das Erreich- MATTHIAS HÖHN rinnen und Wähler machen, verläss- te zu blicken und durchzuatmen. lich sein, persönlich überzeugend – Noch zeigen sich die Möglichkeiten das zahlt sich aus. nur als das, was sie sind – Möglich- Wenn an einem Wahlabend wie die- keiten, Chancen, Hoffnungen. Licht sem viel Licht ist, ist naturgemäß Während also noch Geduld gefragt auch der Schatten nicht weit. Was ist, kann ich eines nicht tun: Abwar- und sich bei der Wahl in Sachsen be- ten und Tee trinken. Die Hände in den Schatten reits abgezeichnet hat, trübt auch die Schoß legen – ist nicht meins. Am Stimmung bei den Wahlen in Bran- liebsten möchte ich Hände schütteln! denburg und Thüringen: Die Wahl- Die Hände all jener, die in den ver- beteiligung ist erschreckend niedrig. gangenen Wochen unermüdlich und Wie soll Demokratie dauerhaft funk- oft in ihrem verdienten Urlaub unter- tionieren, wenn Menschen sich ihren wegs waren, die Infostände organ- taurant Sachsen erwärmen konnten. Mitbestimmungsmöglichkeiten ver- sierten, Material steckten, für DIE Da liegen die Dinge in Brandenburg weigern? Und wichtiger noch: Wie ge- LINKE auf Podien und in Diskussions- und Thüringen etwas anders. Rund winnen wir die zurück, die resigniert runden saßen. Die Hände all jener, um die Bundeshauptstadt könn- haben und sich abwenden? Hier sind die sich für uns und unsere Positio- te es eine Fortsetzung für die SPD/ wir aufgefordert, Antworten zu ge- nen stark gemacht, für uns gekämpft LINKE-Regierung geben: mathema- ben. Denn die Folgen niedriger Wahl- haben. Die Hände der Kandidatin- tisch reicht es, und die vergangenen beteiligungen zeigen sich in allen drei nen und Kandidaten, die Hände der rot-roten Jahre haben gezeigt, dass Bundesländern: die rechtspopulisti- Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer die Chemie stimmt - auch für weite- sche AfD zieht mit plattesten Parolen – in Sachsen, in Brandenburg und in re fünf Jahre. Die Bilanz dessen, was und vorgestrigen Ideen in die Landta- Thüringen. Euch gilt zuallererst mein auf den Weg gebracht wurde, kann ge ein. Die Auseinandersetzung mit Dank! sich sehen lassen, und Projekte für ihr dürfen wir nicht nur führen – wir Mein Dank geht natürlich auch an Ri- die Zukunft gibt es genug. Branden- müssen sie suchen, müssen aufklä- co Gebhardt, Christian Görke und Bo- burg steht besser da als vor fünf Jah- ren. do Ramelow. Alle drei haben, jeweils ren. Unser eigenes Wahlergebnis auf ihre ganz eigene Art, der LINKEN kann uns jedoch nicht zufriedenstel- MATTHIAS HÖHN IST BUNDESGESCHÄFTS- in ihren Ländern ein Gesicht gege- len. Das war ein bitterer Dämpfer, der FÜHRER UND WAHLKAMPFLEITER. ben. weh tut. Aber mein Wunsch ist: in Ru- Auch wenn wir in Sachsen ein wenig he analysieren und nicht in alte Mus- Foto: Erich Wehnert verloren haben, haben wir doch ge- ter fallen. Regieren ist nicht Mist! 500 genüber den düsteren Prophezeiun- Millionen mehr für die Kommunen, gen des Jahresanfangs enorm zuge- tausende neue Lehrkräfte, Erhalt aller legt. Es hätte auch für Sachsen die Krankenhäuser … – das ist viel mehr Chance auf einen politischen Wech- als nichts und schon gar kein Mist. sel gegeben – dass es nicht klappte, In Thüringen haben wir wieder ein war nicht unsere Schuld. Es war die starkes Ergebnis eingefahren, an dem Schwäche der möglichen Partner, die niemand einfach vorbeikommt. Bes- sich nie wirklich für die Optionen jen- ser als 2009, wer hätte das gedacht. seits des Kellnerpostens im CDU-Res- Ob es diesmal klappt? Es ist 20.35

DISPUT September 2014 5 WAHLKAMPF DIE LINKE im Bild

Einblicke in einen arbeitsreichen Sommer VON ANNELIESE KÜHN

und Kreise: Spaß hat es gemacht, das sagen alle, die mitgemacht ha- ben. Einen kleinen Eindruck davon zeigt DISPUT und wer noch mehr se- hen möchte, kann das auf den Inter- netseiten der Landesverbände, auf Flickr oder bei Facebook tun.

Danke allen Wahl- kämpferinnen und Wahlkämpfern in Sach- sen, Thüringen und Brandenburg.

Fotos: Thorsten Zopf (4), Thomas Singer (1)

un ist es vollbracht. Ein lan- länder. Nahezu flächendeckend ger Wahlkampfsommer geht wurde plakatiert, Tüten mussten N zu Ende. Unermüdlich enga- gepackt und verteilt werden, da gierten sich landauf landab Genos- wurde gekocht und gebacken, Info- sinnen und Genossen und stürzten stände Tag und Nacht durchgestan- sich mit Enthusiasmus und Durch- den, Drachenbootrennen bestritten, haltevermögen hinein in den Wahl- Steckaktionen und Kneipentouren kampf. Die Aktionen waren so bunt organisiert und und und … Eine Ge- und vielfältig wie die drei Bundes- meinsamkeit zog sich durch alle Ort

6 DISPUT September 2014 DISPUT September 2014 7 PRESSEDIENST

▀ ▀ Parteivorstand: Auf mehrheitsfähige Reformal- rer Matthias Höhn am 28. ▀ ▀ NSU: Es gibt kei- seiner Sitzung vom 30. Au- ternative für einen sozia- August: »Die Zahl der Ar- ne umfassende Klärung gust bis 1. September be- len und ökologischen Poli- beitslosen ist im August des NSU-Komplexes, auch fasste sich der Parteivor- tikwechsel. Unsere Partei stärker als üblich gestie- nicht durch die Bundesre- stand mit den meisten der will Motor für eine solche gen und liegt nun bei offi - gierung, schon gar nicht vom Hamburger und Ber- Gerechtigkeitswende wer- ziell 2,902 Millionen. Ohne durch die Ämter für Verfas- liner Parteitag an den Vor- den.« Es gehe um die Zu- Kosmetik an der Statistik sungsschutz – das beton- stand überwiesenen An- sammenführung von Pro- liegt sie sogar bei 3,67 Mil- te Petra Pau, Vizepräsiden- träge. Er fasste einen Be- test und Gestaltung. Im lionen, wie DIE LINKE auch tin des Deutschen Bundes- schluss zur EU-Freizügig- Vordergrund der Leitlini- in diesem Monat nachge- tages, am 22. August zum keit, nahm die Entwicklung en stehen die Umvertei- rechnet hat.« Die Erfolgs- NSU-Untersuchungsaus- der BAG Emanzipatorische lung des gesellschaftlichen geschichte, als die Kanzle- schuss im Thüringer Land- Linke zu einem bundes- Reichtums, der Ausbau rin Merkel die Entwicklung tag: »Bundeskanzlerin An- weiten Zusammenschluss der öffentlichen Daseins- Ostdeutschlands zeichne- gela Merkel hatte den Op- und die Gründung der BAG vorsorge und Infrastruk- te, sei am Arbeitsmarkt fern und Hinterbliebenen »Demokratie in der Türkei, im Februar 2012 in Demut Frieden in Kurdistan« zur vorbehaltlose Aufklärung Kenntnis und beschloss versprochen. Davon kann seine Terminplanung bis keine Rede sein. Der Ab- Mitte 2015. Ausführlich schlussbericht des Bun- wurde über die internati- destagsuntersuchungsaus- onalen Krisen diskutiert. schusses enthält knapp 50 Der Vorstand lehnt Waffen- drängende Schlussfolge- lieferungen grundsätzlich rungen. Der hat und insbesondere in den sie sich zu eigen gemacht. Irak ab. DIE LINKE wendet Umgesetzt wurde davon sich klar gegen eine neue bislang so gut wie nichts.« militarisierte Außenpolitik: »Im 100. Jahr der Wieder- ▀ ▀ Sachsen: Zur kons- kehr des Beginns des Ers- MIT JÜRGEN GRÄSSLIN tituierenden Sitzung der ten Weltkrieges und dem (GESPRÄCHSPARTNER VON GREGOR GYSI) neuen Landtagsfraktion 75. Jahrestag des Beginns UND KLAUS BÄDICKER am 2. September hob Ri- des Zweiten Weltkrieges co Gebhardt hervor, dass ist unser Petitum klar: Nie siehe Seiten 18–23 und 40–43 DIE LINKE im Sächsischen wieder Krieg und nie wie- Landtag für die offene Ge- der Krieg von deutschem sellschaft steht: »Wir ver- Boden aus!« Der Parteivor- treten eine Partei, die sich stand befasste sich wei- tur, die Zurückdrängung nicht ablesbar. Die Ar- als einzige der relevanten terhin mit dem »Motor-Pa- prekärer Arbeits- und Le- beitslosenquote liege dort Parteien zur Weltoffenheit pier« von Katja Kipping, bensverhältnisse, der Aus- mit 9,4 Prozent deutlich auf einem Wahlplakat be- Bernd Riexinger und Gre- bau von direkter Demokra- über der Quote der west- kannt hat. Als klare An- gor Gysi. tie, eine Energiewende hin deutschen Bundesländer sage, dass wir die sächsi- zu erneuerbaren Energi- (6,0%): »Auf dem Arbeits- sche Gesellschaft nicht als ▀ ▀ Partei: Die Partei- en, ein Europa des Wohl- markt verläuft auch im Jahr geschlossene Veranstal- vorsitzenden Katja Kipping stands und der Solidarität 24 nach der Wiedervereini- tung betrachten.« Sozialer und Bernd Riexinger sowie sowie Frieden und Gewalt- gung eine deutliche Trenn- Ausgleich sei das Kernthe- Fraktionsvorsitzender Gre- verzicht. linie zwischen Ost und ma. »Wir sind die Einzi- gor Gysi legten am 25. Au- West. Was für die politisch gen, die ohne Wenn und gust sieben Leitlinien für ▀ ▀ Arbeitslosigkeit: Verantwortlichen offen- Aber dafür streiten, dass eine Modernisierungsagen- Auf die deutliche Trennli- sichtlich der hinnehmbare dieser soziale Ausgleich da vor: »Dieses Land lei- nie zwischen Ost und West Normalzustand ist, ist für auch im Zusammenleben det an einem Gerechtig- auf dem Arbeitsmarkt ver- DIE LINKE ein unhaltbarer zwischen denen verwirk- keitsstau und braucht eine wies Bundesgeschäftsfüh- Zustand.« licht wird, die schon hier

8 DISPUT September 2014 DAS KLEINE BLABLA

sind, die hierhergekommen zubauen und den Kom- sind und die zu uns kom- munen zu ermöglichen, men werden.« 12 der 27 Zeitnah Flüchtlinge dezentral und LINKE-Abgeordneten ge- menschenwürdig unterzu- hören erstmals dem Parla- bringen.« ment an. ▀ ▀ Berlin: Landesvorsit- ▀ ▀ Hessen: Zu einem urra, Frühstück am Sonntagmorgen: Kaf- zender Klaus Lederer und landesweiten Aktionstag fee, Brötchen und Eier sind ausnahms- Fraktionschef Udo Wolf vor den Jobcentern am 9. weise mal gleichzeitig fertig. Ich genieße bezeichneten den Rück- September hatte die hes- und höre Nachrichten: »… werden zeit- tritt von Klaus Wowereit sische LINKE aufgerufen. nah zu einer Lösung kommen.« Sicher als Regierender Bürger- Ziel des Aktionstages: In- Hkönnte es mal wieder um die Rentenangleichung zwi- meister am 26. August formation über die geplan- schen Ost und West gehen. Sogleich schalte ich den als gleichermaßen Aus- ten »Rechtsvereinfachun- Zwischenrufer aus der Nachrichtenredaktion ab. druck der schlechten Leis- gen« bei Hartz IV. Dazu Fern die Tage, in denen »zeitnah« noch keine Rol- tung wie des zerrütteten wurden Flugblätter verteilt le spielte. Jetzt ist immer alles zeitnah, was zwischen Zustands der regieren- und am 13. September In- gleich und irgendwann mal passiert – solange der Ka- den rot-schwarzen Koaliti- fostände in Fußgängerzo- lender nur den Hauch eines Zusammenhangs zwi- on, die keines der drängen- nen aufgebaut. Die stell- schen Ankündigung und Tat erkennen kann (siehe den Probleme der Stadt vertretende Landesvorsit- Rentenangleichung Ost und West). Dabei lässt das gelöst hat: »Der politische zende Gabi Faulhaber: »Auf Wort fröhlich Distanzen schrumpfen, wenn man den Anstand erfordert es jetzt, eine offene Stelle kommen Maßstab im Auge behält. Blickt man auf das Univer- dass mit dem Rücktritt des neun Arbeitssuchende. Da- sum in zeitlicher Gänze so darf man getrost formulie- Regierungschefs der Se- mit wird deutlich: Es gibt ren: Es gab den Urknall, und zeitnah wälzten sich Mi- nat und die Koalition den zu wenig Arbeit. Hier muss kroben durch den Karst. Weg für Neuwahlen frei- sich etwas ändern. Statt Das Schrumpfen des Zeitraums zwischen Ankündi- machen.« dass die Bundesagentur gung und Vollzug – dieses »Zeitnah« – baut Politikern für Arbeit die Gelder für eine willkommene Brücke so stabil wie der Rügen- ▀ ▀ Thüringen, Bayern: Wiedereingliederungsmaß- damm. »Da kümmern wir uns zeitnah drum!«, kann Nach mehr als 2.500 nahmen halbiert, sollte ein schon mal Legislaturperioden überdauern. Und ist Streikstunden an den Au- Investitionsprogramm auf im Ganzen bestenfalls so viel wert wie mein »gleich«, tobahnraststätten (DISPUT den Weg gebracht wer- wenn Mama bat, den Müll runterzubringen. Und es berichtete) ist die Autogrill den, das neue Arbeitsplät- wird noch bekloppter: Von dem in der Grammatik als Deutschland GmbH end- ze schafft.« Determinativkompositum geführten Wort lässt sich lich zu tarifvertraglich ge- auch noch der Superlativ bilden: am zeitnächsten. regelten Arbeitsbedingun- ▀ ▀ Bayern: Als völlig un- Ich wusste es immer: Manches ist gleicher als gleich. gen bereit. Das Unterneh- zureichend kritisierte Lan- Noch schneller als sofort, vermutlich. men hat gestern seinen dessprecher Xaver Merk Ein Roman von Michael Ende beschreibt, wie das Beitritt zum Bundesver- am 27. August die Auf- Mädchen Momo den Menschen die von den grauen band der Systemgastrono- nahmemöglichkeiten von Herren gestohlene Zeit zurückbringt. In meiner Fan- mie (BdS) angekündigt. Flüchtlingen: »Bayern muss tasie hält sie in ihren Händen das Wörtchen »zeitnah« Damit sollen die Arbeitsbe- Flüchtlingen eine ange- – dreht es, wendet es, beguckt es laaaange von allen dingungen der rund 1.300 messene Versorgung und Seiten … und lässt es als unbrauchbar und unnütz zu- Beschäftigten tarifl ich ab- Unterkunft sowie eine psy- rück. Das wäre schön. Auf bald! gesichert werden. Das war chologische und medizini- nur durch den mutigen Ar- sche Betreuung zur Verfü- DANIEL BARTSCH beitskampf und das Durch- gung stellen, um sie dann haltevermögen der Auto- zu integrieren. DIE LINKE grill-Beschäftigten in Thü- fordert das Land auf, mehr ringen und Bayern möglich. fi nanzielle Mittel zur Ver- fügung zu stellen, um die DISPUT stellt sich allmonatlich den Sprechblasenfragen ZUSAMMENSTELLUNG: Erstaufnahmezentren aus- unserer Zeit. Dafür die kleine Sprachglosse. FLORIAN MÜLLER

DISPUT September 2014 9 BÜRGER/INNENRECHTE

Angeprangert: die Rolle der Geheim- dienste, allen voran NSA und BND. Fotos: Erich Wehnert

10 DISPUT September 2014 Mehr als 6.500 MENSCHEN gingen am 30. August in Berlin auf die Straße und setzten unter dem Motto »FREIHEIT STATT ANGST« ein Zeichen für Grundrechte und gegen Massenüberwachung. Zum Bündnis der 80 Veranstalter gehörte DIE LINKE.

DISPUT September 2014 11 ÖFFENTLICHER NAHVERKEHR ÖPNV-Flatrate für alle Es gibt genug soziale, ökologische und volkswirtschaftliche Gründe für eine Offensive für »Mobilität für alle – mit weniger Verkehr« VON SABINE LEIDIG

berall steigen die Ticketprei- die Nutzer/innen (Autofahren ist teu- ÖPNV nicht »kostenlos« gibt, denn se, die Kommunen sind plei- er), Unfall-, Stau- und Umweltkosten ohne Finanzierung geht es nicht. Ü te, und nun soll es die Fahrt … Die »externen« Kosten fallen auf Und klar ist auch, dass für mehr öf- im öffentlichen Personennahverkehr ein Viertel, wenn ÖPNV statt Auto- fentlichen Verkehr mehr Geld nö- (ÖPNV) ticketfrei zum Nulltarif ge- verkehr rollt. Auf der anderen Seite tig ist. Wir kämpfen um die Verste- ben? Ist das eine absurde Idee, die entsteht Wertschöpfung in beträcht- tigung der Bundesmittel und damit ins Programm der LINKEN Eingang licher Höhe. Der Verkehrsbetrieb für eine Grundfi nanzierung. Wir wol- gefunden hat, oder zeitgemäße, radi- Nürnberg (VAG) zum Beispiel erwirt- len hohe Qualitätsstandards – so für kale Reformpolitik? schaftete 2009 mit jedem eingesetz- die Arbeitsbedingungen der Beschäf- Tatsache ist, dass in den meisten ten Euro einen Nutzen von fünf Euro. tigten. Das Angebot muss überall auf Kommunen das Geld für den ÖPNV Drei Viertel der Einnahmen der VAG die Mobilitätsbedürfnisse der Ein- nicht ausreicht – eine Querverbund- werden in der Region Nürnberg wie- wohner/innen hin ausgebaut wer- fi nanzierung via Stadtwerke funkti- der ausgegeben, an jedem Arbeits- den – auch in den ländlichen Räu- oniert nur noch selten; die Zuschüs- platz bei der VAG hängt ein weiterer men. Dazu gehören kurze Wege zur se vom Bund an die Länder reichen Arbeitsplatz in der Stadt. nächsten Haltestelle und abgestimm- nicht aus, und es ist unsicher, wie Also: Soziale, ökologische und te Taktzeiten. und ob sie über das Jahr 2019 hinaus volkswirtschaftliche Gründe für ei- Und wir schlagen vor, dass mit ei- fl ießen. Aber die Kosten steigen. Die ne ÖPNV-Offensive gibt es genug. ner Nahverkehrsabgabe so viel zu- Entwicklung in vielen Orten und Re- Und zwar mit dem Ziel: »Mobilität für sätzliches Geld eingenommen wird, gionen ist fatal: Fahrpreise werden alle – mit weniger Verkehr«. Aller- dass es große Schritte gibt. Eine sol- erhöht, und immer mehr Menschen dings bewirkt die herrschende Wirt- che zweckgebundene Abgabe ist können sich Bus- und Bahnfahrten schafts- und Verkehrspolitik das Ge- rechtlich möglich – das wurde erst gar nicht leisten; das Angebot wird genteil: Mit TTIP/TISA wird Druck kürzlich vom Deutschen Institut für ausgedünnt, notwendige Investitio- zur Privatisierung von öffentlicher Urbanistik (DIfU) untersucht. Es gibt nen unterbleiben, und die Attrakti- Daseinsvorsorge gemacht; der Wirt- gute, lebendige Beispiele: Die franzö- vität des ÖPNV leidet. Nach Berech- schaftsminister offeriert den Banken sische »Versement du travaille« (wird nungen der Friedrich-Ebert-Stiftung und Versicherungskonzernen profi ta- von Unternehmen mit mehr als zehn wären bis 2020 etwa 38,4 Milliarden ble Kapitalinvestitionen in Verkehrs- Beschäftigten bezahlt) hat zu einer re- Euro Investitionen für den kommu- infrastruktur (noch geht es um Stra- gelrechten Renaissance des öffentli- nalen Personennahverkehr erforder- ßenbau); Schuldenbremse und Fiskal- chen Verkehrs geführt, und in 18 Re- lich, um diesen Trend umzukehren. pakt bieten einen idealen Vorwand, gionen ist dieser für die Nutzer/in- Und das ist dringend nötig. öffentliche Aufgaben einzusparen nen kostenlos (eine erfolgreiche lin- Damit alle Einwohner/innen – und private Gewinnmöglichkeiten zu ke Losung in Aubagne lautet »liberté auch die Flüchtlinge, auch die von eröffnen. Worst Case (der ungünstigs- – egalité – graduité!«, was etwa heißt: Armut Betroffenen – an der Gesell- te Fall): Rentable Bus- und Bahnlinien Frei – gleich – umsonst!). Bei uns gibt schaft teilhaben können, müssen be- in den Ballungszentren werden zu ho- es Semestertickets, zu dem alle Stu- zahlbare öffentliche Mobilitätsange- hen Preisen von Privatunternehmen dierenden einen Beitrag zahlen, da- bote zur Verfügung stehen. Um die angeboten; der echte ÖPNV verküm- mit alle Studis umsonst öffentlich un- Lebensqualität für alle zu verbes- mert; die Einkommensschwachen terwegs sein können. Die Erfahrung sern, muss der öffentliche Verkehr werden weitgehend abgehängt, und mit Zeit- oder Umweltkarten und barrierefrei, dichter, besser, einfa- in den ländlichen, peripheren Regio- der Bahncard-100 zeigen, dass Leute cher, verlässlicher werden und Vor- nen bleiben die Menschen auf das ei- nicht unnötig umherfahren, wenn sie rang bekommen. So kann der schäd- gene Auto angewiesen. eine »Flatrate« für den öffentlichen liche motorisierte Individual-Ver- Verkehr haben. kehr deutlich reduziert werden – was Ein linkes Umlagemodell muss so- wichtig wäre für Klimaschutz, gegen Finanzierung zial »gepuffert« sein: Hartz-IV-Betrof- Lärm und Umweltverschmutzung. Ei- notwendig fene, Kinder oder Menschen in Not ne sozialökologische Alternative, die müssten von ihr befreit sein. So wäre auch volkswirtschaftlich von Vor- Dagegen stellen wir unser Modell: neben der Abgabe für Unternehmen teil ist, denn jeder Euro, der in den den solidarisch fi nanzierten öffentli- auch ein Nahverkehrsbeitrag denk- öffentlichen Verkehr investiert wird, chen Nahverkehr, den jeder und je- bar, der – ähnlich wie die Müllge- erzeugt Nutzen von drei bis vier Eu- de benutzen kann, ohne extra dafür bühr – pro Haushalt oder Einwohner ro: Ausgaben werden vermieden für zu bezahlen. Dabei ist klar, dass es erhoben wird. Damit müsste dann de-

12 DISPUT September 2014 neunundachtzig mokratische Mitwirkung verbunden sein (Mobilitäts-Beiräte, gewählte Ge- schäftsführungen in den lokalen Ver- VOR 25 JAHREN kehrsunternehmen, Initiativrechte von BürgerInnen …). Und es entstün- KURZE CHRONIK de der Anspruch auf ein angemesse- nes Angebot. Nun stellt sich die Frage, wie wir von der Idee zur Verwirklichung kommen. Da bietet sich derzeit die Strategie des »Präzedenzfalles« an. 02.09. DDR-Medien teilen mit, dass Erich Honecker »nach erfolgreicher In einzelnen Kommunen (wie Osna- Gallenblasenoperation« einen Genesungsurlaub angetreten hat. brück) besteht die Bereitschaft in 04.09. Leipzig: Erste Montagsdemo – 1.200 fordern nach Friedensgebet Stadtverwaltung und Verkehrsbe- in Nikolaikirche Reise- und Versammlungsfreiheit. trieb, ein Modellprojekt zu starten. 04.09. Aufruf »Für eine Vereinigte Linke in der DDR« Anderswo bietet sich die Möglich- 10.09. Gründungsaufruf für das Neue Forum, 30 Bürgerrechtler/innen keit zu breiten Bündnissen unter Ein- fordern »demokratischen Dialog«. schluss von Grünen und Piraten. Be- 10.09. Ungarn öffnet in der Nacht zum 11. September die Grenze. sonders interessant ist die Situation Zehntausende DDR-Bürger/innen überqueren sie in den folgen- in Thüringen, wo wir voraussicht- den Tagen Richtung Westen. lich demnächst (mit-)regieren wer- 11.09. Leipzig: Demonstration mit 1.300 Menschen nach Friedensgebet den und auf Landesebene die Wei- von Sicherheitskräften aufgelöst. chen gestellt werden könnten für die 12.09. Gründungsaufruf der Sozialdemokratischen Partei in der DDR: Umsetzung. für »eine ökologisch orientierte soziale Demokratie«. Beste Voraussetzungen hätte Er- 12.09. Gründungsaufruf der Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt«: furt, wo DIE LINKE mit »Flatrate für »Der Sozialismus muss nun seine eigentliche, demokratische Bus und Bahn!« erfolgreich in den Gestalt fi nden, wenn er nicht geschichtlich verlorengehen soll.« letzten Kommunalwahlkampf gezo- 12.09. Polen: Sejm bestätigt bürgerlich geführte Regierung Mazowiecki. gen ist. Sie hat dazu ein durchgerech- 14.09. Pfarrer Edelbert Richter gibt in Bonn Gründung der DDR- netes »Erfurter Modell« vorgelegt: Oppositionsgruppe »Demokratischer Aufbruch« bekannt: für eine Alle Erfurter/innen über 18 (mit so- »sozialistische Gesellschaftsordnung auf demokratischer Basis«. zialen Ausnahmen) zahlen 20 Euro 18.09. Resolution von DDR-Sängern und -Rockmusikern: »Es geht nicht monatlich als Nahverkehrsabgabe. um ›Reformen, die den Sozialismus abschaffen‹, sondern Refor- Hinzu kommen Einnahmen von Ein- men, die ihn weiterhin in diesem Land möglich machen.« pendlern, Parkraumbewirtschaftung, 18.09. Leipzig: Demonstranten rufen: »Wir bleiben hier!« (nicht mehr wie Car-Sharing, und die Zuschüsse vom bis dahin: »Wir wollen raus!«). Bund und Land bleiben erhalten. 19.09. Neues Forum beantragt als erste oppositionelle Gruppierung Ein solcher Vorreiter könnte unser Zulassung als Bürgervereinigung, am 23. September als »staats- sozialökologisches Profi l in der Pra- feindliche Plattform« abgelehnt. xis schärfen und Wind auf die Segel 20.09. BRD-Botschaft in Warschau wird wegen Überfüllung geschlossen. geben für die längst überfällige Ver- 22.09. Litauen: KP fordert ihre Selbstständigkeit und die Souveränität kehrswende. der Republik. PS: Für alle, die sich für die Er- 25.09. Leipzig: Bis zu 8.000 Menschen demonstrieren für Reformen gebnisse unserer Fachkonferenz zum und Neues Forum. nutzerfi nanzierten ÖPNV interessie- 29.09. 21 Vertrauensleute des VEB Bergmann Borsig (Berlin) schreiben ren, die wissen wollen, was sich wo an FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch: »Der Sozialismus muss zu tut, oder die sich allgemein zu sozi- einer neuen Attraktivität entfaltet werden, die alle motiviert, alökologischen Themen informieren sich mit ihm zu identifi zieren.« wollen, empfehle ich unsere Home- 30.09. Prag: Außenminister Genscher teilt in der BRD-Botschaft DDR- page: www.nachhaltig-links.de Bürgern mit, dass sie in den Westen können. Die Ausreise von 3.500 in Prag und 600 in Warschau erfolgt mit Sonderzügen über SABINE LEIDIG IST VERKEHRSPOLITISCHE DDR-Gebiet. SPRECHERIN DER BUNDESTAGSFRAKTION wird fortgesetzt ZUSAMMENSTELLUNG: FLORIAN MÜLLER

DISPUT September 2014 13 Fotos: Thomas Herbell DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN! G36, NH90, U214, 400M ...

Deutschland – ein zentraler Ort der Waffenproduktion VON TOBIAS PFLÜGER

achdem die Bundesregierung in Zulieferbetrieben – von Rüstungs- Die Konzerne entschieden hat, Waffen an produktion abhängen. Das ist natür- N die kurdischen Peschmerga lich politisches Wichtigmachen. Rea- und Firmen zu liefern und dies ausgerechnet am listisch sind Zahlen unter 100.000, die 1. September im Bundestag mit einer Bundesregierung spricht von 80.000 Im Folgenden einige Beispiele: Die Abstimmung unterstützen zu lassen, Beschäftigten. Allerdings sind auch Airbus Group (früher hieß der Kon- sind Rüstungsexporte und Rüstungs- diese Zahlen problematisch, da nicht zern EADS) ist der größte deutsche produktion wieder mehr im Fokus genau unterschieden wird zwischen bzw. deutsch-französische Rüstungs- der Debatte. Welche Rolle spielt die tatsächlicher Kriegswaffenprodukti- konzern (Firmensitze: München und bundesdeutsche Rüstungsindustrie? on und sogenannter Dual-Use-Produk- Toulouse), die Airbus Group wird tion, also Produkten, die sowohl zivil auch gerne als »Luftfahrtkonzern« be- als auch militärisch nutzbar sind, so- zeichnet. Die Airbus Group ist Herstel- Die Beschäftigten wie ziviler Produktion in Firmen, die ler von Großwaffen wie dem Eurofi gh- Rüstungsprodukte herstellen. Es kann ter, des Militärtransporter-Flugzeu- Es gibt viele Mythen, wie viele Men- von 20.000 Beschäftigten im Kernbe- ges Airbus 400M, dem militärischen schen im Bereich der Kriegswaffen- reich Kriegswaffenproduktion ge- Tankfl ugzeug Airbus 330, dem Kampf- industrie beschäftigt sind. Die Zahlen sprochen werden. Angesichts von 42 hubschrauber Tiger, dem Transport- schwanken enorm. Einer ihrer Lob- Millionen Erwerbstätigen sind die- hubschrauber NH90. Bei der Airbus byverbände, der Bundesverband der se 20.000 bis 80.000 Beschäftigte ge- Group werden auch Raketen, Überwa- deutschen Sicherheits- und Verteidi- ring. Als Umsatz der Rüstungsindust- chungssysteme und Militärelektronik gungsindustrie, spricht davon, dass so- rie wird die Summe von 23 Milliarden hergestellt. Der Umsatz wird mit 16,36 gar 300.000 (!) Beschäftigte – darunter Euro genannt. Milliarden Euro benannt.

1. September: Bekenntnis am Weltfriedenstag, 75 Jahre nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen. Foto: Erich Wehnert

14 DISPUT September 2014 2013 wurden deutsche Rüstungsexporte im Wert von 8,34 Milliarden Euro (2012: 8,87 Milliarden) genehmigt – 62 Prozent an Länder außerhalb der NATO.a

Der Spürpanzer Fuchs, aber auch len, Gewehre, Maschinengewehre) sofern sie sich zu einer Militärinter- Munition, Militärelektronik und Flug- hergestellt. Am bekanntesten sind die vention entschlossen haben, sucht abwehrsysteme werden bei Rhein- Sturmgewehre G3 und nun G36. Als die schwarz-rote Bundesregierung metall hergestellt. Das Gefechts- Mitarbeiterzahl wird 600 angeführt, nun nach Wegen, diesen Bereich übungszentrum in der Colbitz-Letz- der Umsatz dürfte bei ca. 250 Millio- vom Parlamentsvorbehalt auszuneh- linger Heide, ein hochtechnisierter nen Euro liegen. men. So heißt es im aktuellen Koali- Truppenübungsplatz, ist eingerichtet tionsvertrag: »Deshalb wollen wir ei- von Rheinmetall Defence. Der Düssel- ne Kommission einsetzen, die binnen dorfer Konzern soll einen Umsatz von Oligopole Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg 2,66 Milliarden Euro haben. fortschreitender Bündnisintegration Der Konzern Thyssen-Krupp Ma- Um die Rüstungsindustrie politisch und trotz Auffächerung von Aufga- rine Systems ist vielen noch nicht be- einzuordnen, ist es wichtig, ihre Struk- ben die Parlamentsrechte gesichert kannt. Er entstand aus der Fusion der tur zu verstehen. Im Deutschland des werden können. Die Kommission Thyssen-Krupp-Werften und der How- Jahres 2014 hat sich Stück für Stück wird darauf aufbauend Handlungs- aldtswerke-Deutsche Werft AG. Hier eine oligopolisierte Rüstungsindust- optionen formulieren.« werden die U-Boote U 212 und 214 riestruktur herausgebildet. Das heißt, Eines der wesentlichen »großen gefertigt. TKMS stellt auch Fregatten dass es zumeist in den einzelnen Be- Kooperationsprojekte«, die von Ash- und Minenräumschiffe her. Es werden reichen (Panzer, Handfeuerwaffen, ton vorgeschlagen werden, ist die 8.000 Mitarbeiter/innen genannt und Kriegsschiffe etc.) jeweils einige we- Entwicklung einer EU-Drohne. ein Rüstungsumsatz von 1,34 Milliar- nige bis einen Anbieter gibt, die zwar den Euro. häufi g keine Monopol-, aber eine Oli- Der Diehl-Konzern stellt unter an- gopolstellung haben. Der Staat ist so- DIE LINKE und derem die Lenkwaffe Iris-T als Rakete mit darauf angewiesen, die Kriegswaf- Rüstungsproduktion für Kampffl ugzeuge her, sie wird be- fen von diesen wenigen Anbietern zu nutzt beim Eurofi ghter, Tornado, der kaufen, was natürlich deren Stellung Im Bundestagswahlprogramm hat schwedischen Gripen oder den US- sehr stark macht. sich DIE LINKE sehr ausführlich mit Jets F-16 oder F-18. Außerdem Muniti- Rüstungsexporten und Rüstungspro- on, Panzerketten und Schutzsysteme. duktion beschäftigt: »Jede Waffe, die Der Umsatz im Kriegswaffenbereich Europäische aus Deutschland exportiert wird, wird mit 1,16 Milliarden Euro angege- Kooperation dient der Aufrüstung eines anderen ben, Beschäftigte: 12.000 Menschen. Landes, fördert Unterdrückung und MTU Aero Engines (Sitz: Mün- Im Bereich der Rüstungsindustrie macht es möglich, dass anderswo in chen) mit nominell 7.600 Mitarbeiter/ ist eine zunehmende Kooperation im der Welt Konfl ikte gewaltsam ausge- innen ist aktiv im Bereich von militä- europäischen Bereich festzustellen. tragen und Kriege geführt werden. rischen Flugzeugtriebwerken, am be- Dies soll weiter verstärkt werden, DIE LINKE fordert ein Verbot aller kanntesten die Triebwerke für den auch im Sinne einer Arbeitsteilung. Rüstungsproduktion und Rüstungsex- Eurofi ghter. Gemeinsam mit anderen Rüstungsgüter sollen gemeinsam an- porte – ohne Ausnahmen.« An ande- (im Konzernverbund Engine Alliance) geschafft und später genutzt wer- rer Stelle heißt es: »Als ersten Schritt ist MTU Aero Engines verantwortlich den (Pooling & Sharing). Zum EU-Gip- fordern wir das sofortige Verbot aller für die Triebwerke des militärischen fel der Staats- und Regierungschefs Exporte von Kleinwaffen und Waffen- Transportfl ugzeuges Airbus A380. Der beim Europäischen Rat am 19./20. fabriken. Es sind gerade diese soge- Umsatz im Kriegswaffenbereich: 640 Dezember 2013 hatte die damalige nannten Kleinwaffen – Sturmgewehre Millionen Euro. EU-Beauftragte für Außen- und Si- und Maschinenpistolen –, mit denen Ein zentraler Hersteller von Pan- cherheitspolitik, Catrine Ashton, ei- die meisten Menschen in den Kriegen zern und Panzerfahrzeugen ist nen Maßnahmenkatalog vorgelegt dieser Welt getötet werden, sie sind Krauss-Maffei Wegmann. Bei KMW mit dem Ziel, »Effi zienzsteigerungen« die Massenvernichtungswaffen des wird unter anderem der Leopard 2, ein für eine »Verbesserung« der militäri- 21. Jahrhunderts.« wichtiges Exportprodukt, in allen Vari- schen Fähigkeiten zu erreichen. Somit bleibt das Thema Rüstungs- anten produziert. Der Rüstungsumsatz Ein Kollateralschaden der europa- exporte ein Schwerpunktthema der wird mit 1,59 Milliarden benannt. weiten Rüstungskooperation zeich- LINKEN. Dazu kommt, dass DIE LIN- Wichtig als Rüstungsfi rma ist auch net sich bereits ab: Da gesichert wer- KE nun auch die Rüstungsproduktion Heckler & Koch, in Oberndorf am Ne- den soll, dass Staaten auf »gepoolte« und ihre Umwandlung in zivile Pro- ckar werden Handfeuerwaffen (Pisto- Kapazitäten zurückgreifen können, duktion verstärkt bearbeitet.

DISPUT September 2014 15 DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN! Das Geschäft mit dem Krieg

Deutsche Rüstungsexporte VON JAN VAN AKEN

ie hemmungslose Rüstungs- So liegt der Anteil der Einzelausfuhr- beste Kunde bei Munitionskäufen für exportpolitik der Bundesre- genehmigungen für Exporte in Dritt- Kleinwaffen waren die Vereinigten D gierung macht Deutschland länder regelmäßig bei über 50 Pro- Arabischen Emirate. An sie ging die seit Jahren zum weltweit drittgrößten zent, im Jahr 2013 bei 62 Prozent. Und Genehmigung für eine Million Stück Exporteur von Rüstungsgütern. Den- unter den Top 20 Empfängerländern Gewehrmunition, rund 19.000 Stück noch attestieren sich die verschiede- sind neun Drittländer, darunter Saudi- für Maschinenpistolen sowie 8,17 Mil- nen Bundesregierungen regelmäßig Arabien, Algerien, Katar, die Vereinig- lionen Stück Teile für Gewehrmuniti- eine restriktive und zurückhaltende ten Arabischen Emirate und Indone- on im Gesamtwert von 1,3 Millionen Rüstungsexportpolitik. Hierbei han- sien. Auch die gebefreudige Haltung Euro. Diese Liste ließe sich weiter fort- delt es sich schlicht und einfach um in Sachen Kleinwaffen gegenüber setzen (siehe Rüstungsexportberichte eine dreiste Lüge. dem Unrechtsregime in Saudi-Arabi- der Bundesregierung unter www. waf- Um dies zu erkennen, reicht ein en bezeugt alles andere als eine res- fenexporte.org/category/gesetze-nor- Blick in die Rüstungsexportberichte triktive Rüstungsexportpolitik. Al- men/ruestungsexportberichte/). der Bundesregierung. Merkel hat in lein im vorigen Jahr wurde die Aus- jedem Jahr ihrer Amtszeit im Schnitt fuhr von 18.201 Gewehren und rund Rüstungsexportgenehmigungen für 96.000 Bestandteilen für Gewehre so- Mittel der 8,16 Milliarden Euro durchgewinkt. wie 80.000 Teile für Maschinenpisto- Außenpolitik Zwischen 130 und 140 Länder sind je- len und 20 Maschinenpistolen im Ge- des Jahr Kunden der deutschen Rüs- samtwert von rund 34,8 Millionen Eu- tungsindustrie. Und im Rüstungs- ro genehmigt. Es gibt in Wirklichkeit keine echte exportbericht ist auch dokumen- Auch beim weltweiten Verkauf von Rüstungsexportkontrolle, und es gab tiert, dass in den letzten Jahren die Munition zeigt sich die Hemmungslo- bisher keine Regierung, die dies sub- Ausfuhren an sogenannte Drittstaa- sigkeit der Bundesregierung. Sie ge- stanziell ändern wollte. Moral, Men- ten, das heißt nicht NATO- und NA- nehmigte 2013 fast dreimal so viel wie schenrechte und Frieden bleiben bis TO-gleichgestellte Staaten, die Regel im Jahr zuvor (2013: 52,51 Millionen heute vollständig auf der Strecke. und nicht die Ausnahme darstellen. Euro, 2012: 18,04 Millionen Euro). Der Die Bundesregierung unterwirft ih- re Exportentscheidungen von Fall zu Fall einem Bündel unterschiedli- Wichtige Forderung der Friedensbewegung, Ostermarsch in am Main, 2012. cher Interessen: verteidigungs-, in- dustrie- oder außenpolitischen bzw. strategischen Interessen. Wenn die Bundesregierung sagt, die deutsche Bundeswehr solle unabhängig von ausländischen Lieferungen mit den modernsten Waffen und Waffensys- temen ausgestattet werden können, dann bindet sie sich eng an die ein- heimische Rüstungsindustrie. Diese Rüstungsindustrie will aber mit dem Verkauf von Waffen auch möglichst große Gewinne und Renditen für ih- re Teilhaber/innen erwirtschaften. Zudem kostet die Entwicklung neu- er Waffen nicht selten mehrere Mil- liarden Euro. Daraus ergibt sich das gemeinsame Interesse an den Expor- ten, denn eine größere Absatzmenge macht die Beschaffung billiger. Hier wird so argumentiert, als handle es sich um Kühlschränke und nicht um Rüstungsgüter. Foto: Dietmar Treber Die Lieferung von Waffen ist aber auch immer schon ein Mittel der Au-

16 DISPUT September 2014 Karikatur: Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH

ßenpolitik gewesen. Abhängig von Grenze benutzt, um sich ISIS oder Al- liert sind. Eine gesetzliche Veranke- dem jeweils defi nierten Interesse in Nusra anzuschließen. Der Konfl ikt in rung des Bestehenden wird also ent- dem Empfängerland oder in der Regi- Syrien hat sich mit jedem Jahr mehr gegen aller Beschwörungen keinerlei on fungieren Rüstungsgüter zum Bei- und mehr ausgeweitet. Die Waffenlie- Beschränkungen bringen. spiel als Bindemittel, Freundschafts- ferungen an die Aufständischen auf Ebenso steht es um die Erhöhung beweise oder als »Ertüchtigungsmit- der einen Seite und an die syrische der Transparenz gegenüber der Öf- tel«. Hier handelt es sich um nichts Regierung auf der anderen Seite ha- fentlichkeit bei Rüstungsexportent- anderes als um ein brandgefährliches ben zur weiteren Eskalation beigetra- scheidungen. Jedes Mehr an Transpa- Spiel, dessen gewalttätige Folgen im- gen. Und so werden auch die Waffen- renz ist begrüßenswert und absolut mer die Menschen – vor allem Zivilis- lieferungen an die kurdischen Pesch- notwendig, die wohlorganisierte Ge- tinnen und Zivilisten – anderswo tra- merga-Kämpfer keine Stabilität brin- heimniskrämerei in diesem Politik- gen müssen. gen. feld ist einer Demokratie absolut un- Waffenlieferungen tragen niemals Regelmäßig – und auch aktuell würdig. Allerdings gilt auch hier: Nur zur Stabilität einer Region bei. Das – entbrennt die Diskussion, gewis- durch echte Verbote von Rüstungs- wird auch im Irak offenkundig. Seit se Lieferungen stünden nicht im Ein- exporten kann diesem menschenver- 2006 hat die Bundesregierung Rüs- klang mit den Politischen Grundsät- achtenden Handeln ein Ende bereitet tungsgüter im Wert von über 430 Mil- zen zur Rüstungsexportpolitik der werden. lionen Euro an den Irak geliefert, dar- Bundesregierung, deren jetzige Fas- Minister Sigmar Gabriel hat nun unter Kampfhubschrauber! Nun noch sung auf Rot-Grün zurückgeht. Die groß angekündigt, die deutschen weitere Waffen in den Irak zu liefern, schlichte Wahrheit ist, dass alle Lie- Rüstungsexporte und insbesonde- ist ein Offenbarungseid der Bundes- ferungen, darunter die an Despoten re die von Kleinwaffen zurückfah- regierung. Seit Jahren versinkt der und an Länder in bewaffneten Aus- ren zu wollen. Den Beweis, dass es Irak mehr und mehr im Bürgerkrieg. einandersetzungen, im Einklang mit nicht nur Geplapper ist, ist er aller- Und auch die ISIS ist nicht erst ei- diesen Grundsätzen stehen. Das Prob- dings noch schuldig geblieben. Meint ne Erscheinung von gestern. Seit lem ist also nicht, dass sie keinen Ge- er es wirklich ernst, dann kommt er Langem ist es ein offenes Geheim- setzesrang haben, sondern dass hier um ein Verbot von Kleinwaffenexpor- nis, dass eine unüberschaubare An- Ausnahmen und Ermessensspielräu- ten, zumindest an Drittstaaten, nicht zahl fremder Militanter die türkische me so groß wie Scheunentore formu- herum.

DISPUT September 2014 17 DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN!

»Jeden Tag kämpft Jürgen Grässlin für eine Welt ohne Waffen. Und das seit 25 Jahren.« Deutschlandradio Kultur

ls wir unser Interview zugleich Lieferungen von Kriegs- ve Fluchthilfe bei massiver humani- geführt haben, waren waffen defi nitiv aus. Denn im Irak tärer Unterstützung. Weltfriedens- mögliche deutsche fehlt es an vielem, am allerwenigs- macht werden zu wollen, verlangt Waffenlieferungen ten aber an Kriegswaffen – zumal eine Vervielfachung humanitärer gegen den Vormarsch die USA, Frankreich, Großbritanni- Leistungen und der Flüchtlingsauf- Ader IS-Banden im Nordirak en und Italien zurzeit die Peschmer- nahme. noch kein Thema. Inzwischen ga hochrüsten. Deutschland dage- Laut einer Umfrage des Meinungs- wurden sie eins, weshalb ich gen sollte endlich politisch Einfl uss forschungsinstituts Forsa befürwor- diese Frage, ohne ins Detail nehmen auf die befreundeten Staa- teten im August 2014 gerade mal 30 der Kriegsursachen zu gehen, ten Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Prozent der Befragten Waffenliefe- nachschieben möchte: Womit Denn besagte Länder unterstützen rungen an die Peschmerga. Dagegen sollen sich die Bedrohten ver- die Terroreinheiten des »Islamischen lehnten 63 Prozent diese defi nitiv teidigen? Staats« mittels Ausrüstung bzw. Fi- ab. Im Sinne des Mehrheitswillens Die Bundesrepublik Deutschland nanzierung. der bundesdeutschen Bevölkerung muss endlich Verantwortung neu de- Ein Genozid muss aktiv verhin- ist die Bundesregierung aufgefor- fi nieren – und zwar als Weltfriedens- dert werden durch die Schaffung dert, den notleidenden Menschen im macht. Diese Zielvorgabe schließt von Fluchtwegen und durch akti- Irak sofort umfassend humanitär zu

Zwischen Schulhof und Friedhof: Der Lehrer Jürgen Grässlin als Chronist und Anwalt von Opfern deutscher Waffen

DISPUT September 2014 Foto: Stefan18 Richter JÜRGEN GRÄSSLIN

helfen, jedoch keinesfalls weitere 57, Lehrer, ist Bundessprecher mit der Kugel eines G3. Er überlebte, Kriegswaffen in das Pulverfass des der Deutschen Friedensge- hat nunmehr einen völlig zerdellten Nahen und Mittleren Ostens zu ex- sellschaft – Vereinigte Kriegs- Kopf und ist geistig behindert – aber portierten. dienstgegnerInnen (DFG-VK), er wird noch Jahrzehnte dahinvege- In der Welt, nicht allein im Sprecher der Kritischen Aktio- tieren, weil die übrigen Körperfunk- Nordirak und in Syrien, wird närInnen Daimler (KAD), Vorsit- tionen intakt sind. geschossen, abgeschossen, ge- zender des RüstungsInforma- Allein vom tödlichsten Unterneh- zündet, bombardiert … Mit sehr tionsBüros (RIB e.V.) und einer men in Europa – von der Firma viel Zynismus: Sind besonders der Sprecher/innen der Kampa- Heckler & Koch in Oberndorf am Ne- gewaltvolle Zeiten mit bruta- gne »Aktion Aufschrei – Stoppt ckar – liegen die Opferzahlen durch len Bildern für Friedensfreun- den Waffenhandel!«. Er ist Autor Exporte und Lizenzvergaben bei de wie Rüstungsgegner wenigs- zahlreicher kritischer Bücher weit mehr als zwei Millionen getöte- tens »aktivierende« Zeiten? über Rüstungsexporte sowie Mi- ter Menschen. Hinzu kommen Aber- Natürlich ist in Zeiten wie diesen litär- und Wirtschaftspolitik, da- millionen Verstümmelter und Trau- die Friedensbewegung verstärkt auf runter internationale Bestseller. matisierter. den Plan gerufen. Aber die Friedens- Zuletzt erschien das »Schwarz- Wie kommen Sie auf diese bewegung sollte nicht »nur« demons- buch Waffenhandel«. Zahl? trierend auf der Straße sein. Gerade Jürgen Grässlin lebt in Freiburg Objektive Zahlen über Opfer kann in der Zeit, da sich die Rüstungsin- und wurde unter anderem mit es nicht geben. Ich halte mich vor- dustrie und Schwarz-Rot neuerlicher dem »Aachener Friedenspreis« nehmlich an Opferzahlen humanitä- Aufträge für Waffenlieferungen an (2011) ausgezeichnet. rer Hilfsorganisationen. Denen glau- menschenrechtsverletzende Staaten www.juergengraesslin.com be ich mehr als Militärs, die Zahlen erfreuen, müssen wir mit Leserbrie- www.aufschrei-waffenhandel.de instrumentalisieren, je nach Bedarf fen, in Redebeiträgen, bei Abgeord- www.dfg-vk.de künstlich in die Höhe treiben oder netentreffen, aber auch mit gewalt- senken. freien Aktionen vor Waffenschmie- Wenn man diese Zahlen und den den und den Schaltzentralen der Weltmarktanteil von Heckler & Macht in Berlin präsent sein. Erfreu- Koch-Waffen zugrunde legt, stirbt licherweise ist die Friedensbewe- durchschnittlich alle 13 Minuten ein gung breit verankert in der Gesell- Seit gut zwei Jahrzehnten rei- Mensch durch eine Kugel aus dem schaft, national wie international. sen Sie in Krisen- und Kriegs- Lauf einer H&K-Waffe – und das seit Aber wir agieren nicht deshalb, weil gebiete und suchen dort nach mehr als einem halben Jahrhundert. irgendwo ein weiterer Krieg aus- Spuren deutscher Waffen. Tendenz steigend. bricht. Im Gegenteil: Mich schmerzt Brauchen Sie lange, um Opfer In deutschen Medien ist keine Rede unglaublich, was in weiten Teilen deutscher Waffenexporte zu davon, dass die tödlichste Form der der Welt läuft. fi nden? deutschen Außen-, Sicherheits- und Gegenwärtig toben mehr als 30 Krie- Leider nein. Wenn ich auf einem Wirtschaftspolitik – der Waffenhan- ge – und nur ein Teil der Gemet- Platz in irgendeinem abgelegenen del – diese unglaubliche Zahl an Op- zel wird in den Medien hierzulan- Dorf des Taurus-Gebirges in Tür- fern bewirkt. de abgelichtet. Gezeigt werden uns kisch-Kurdistan fünf Bilder von Waf- In Ihrem »Schwarzbuch Waf- Kriege dann, wenn westliche Inter- fen nach oben halte – die russische fenhandel«, 2013 erschienen, essen berührt sind, beispielsweise Kalaschnikow, die US-amerikani- haben Sie Opfern eine Stimme die Rohstoffzufuhr aus dem Nahen sche M16, das deutsche G3-Gewehr, und ein Gesicht gegeben ... und Mittleren Osten, primär Erdöl- das israelische Uzi, das belgische … und erstmals Täterprofi le erstellt! lieferungen. Makabrerweise werden FN FAL –, zeigen die Finger in 90 Ich habe ein Ranking von zehn Per- Waffenlieferungen vielfach als hu- Prozent der Fälle auf das deutsche sonen aufgestellt. Platz 3 im Politi- manitäre Militärleistung angeprie- Sturmgewehr: Durch das Gewehr kerranking: Gerhard Schröder, Platz sen, nimmt die Öffentlichkeit nicht verlor meine Tochter ein Bein! Mit 2: Helmut Kohl, Platz 1: Angela Mer- immer wahr, dass mit deutschen dieser Waffe wurde unsere Mutter kel. Viele dürften überrascht oder Waffen unglaublicher Schaden ange- erschossen! erschreckt sein, dass die drei letzten richtet wird. Immerhin ist Deutsch- Vor Ort stoße ich auf tieftraurige Ge- Kanzler die Hauptverantwortlichen land der drittgrößte Rüstungsexpor- schichten: In Nordsomalia bekam sind für die Beihilfe zum Massen- teur weltweit! ein junger Mann einen Kopfschuss mord mit deutschen Kriegswaffen. >

DISPUT September 2014 19 DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN!

Mit einem Umfang von 135,1 Millionen Euro erreichte 2013 der Exporta deutscher »Klein«waffen (Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Maschinengewehre)a und Munition einen neuen historischen Höchstwert.a

Warum ist das so, wie kann es ro an der G36-Fabrik für das wahha- hundert, weil wir die Erfahrung ge- dazu kommen? bitische Herrscherhaus in Riad ver- macht haben, dass die Diktatur in Im Bereich Waffenhandel gibt es kei- dient. Ein einziges U-Boot von HDW, Saudi-Arabien Hunderttausende Ge- nerlei Demokratie. Die Bevölkerung Tochterunternehmen von Thyssen- wehre produziert. Erst wird die ei- bleibt außen vor, nicht mal die Abge- Krupp Marine Systems, in Kiel ist gene Armee, die die Opposition und ordneten im Bundestag dürfen mit- doppelt so teuer. Allerdings hat die demokratische Kräfte zusammen- bestimmen, ob Eurofi ghter nach Sau- Bundesregierung die ersten U-Boote schießt, hochgerüstet. Zugleich wird di-Arabien geliefert werden, was in an Israel verschenkt. Auf ihnen sind in Nachbarländern interveniert oder diesen Monaten passiert oder ob das israelische Atomwaffen stationiert. werden dortige Interventionen un- diktatorische Regime Boutefl ika in Wohin vor allem, einige Ziele terstützt. Saudi-Arabien lieferte be- Tunesien in den kommenden Jahren benannten Sie bereits, werden reits in Lizenz gefertigte G3-Schnell- Kriegswaffen im Wert von zehn Mil- deutsche Kriegswaffenausfuh- feuergewehre illegal in Bürger- liarden Euro erhalten soll. Vor weni- ren genehmigt? kriegsländer wie Sudan und Soma- gen Tagen erst hat Wirtschaftsminis- Seit Jahr und Tag nach Saudi-Ara- lia. Genau diese Diktatur hat eine ter Sigmar Gabriel (SPD) der Liefe- bien. 2008 genehmigten Kanzlerin G36-Lizenz erhalten. rung einer Panzer-Montagefabrik für Merkel und Außenminister Stein- Und wenn wir wissen, dass solche die Militärs in Algier zugestimmt. meier als Kanzlerin und Vizekanz- Waffen vier bis fünf Jahrzehnte pro- Demokratie ausgehebelt, Menschen- ler besagte Fabrikationsanlage für duziert werden und anschließend rechte nein danke! das G36, das modernste Sturmge- im Kriegseinsatz durchschnittlich Wer entscheidet denn darüber? wehr auf dem Weltwaffenmarkt. Das weitere 50 Jahre eingesetzt werden Ein innerer Zirkel von lediglich neun halte ich für den tödlichsten, folgen- können, ist das Handeln von Frau Leuten: Die Bundeskanzlerin, der Vi- schwersten Export in diesem Jahr- Merkel, Herrn Steinmeier und den zekanzler und sieben weitere Minis- terinnen und Minister bestimmen in geheimer Sitzung im Bundessi- cherheitsrat, welcher kriegführende Staat und welches menschenrechts- Vor der Rüstungsfi rma verletzende Regime deutsche Kriegs- Heckler & Koch, 2006: waffen erhält. Das hat mit Demokra- Jürgen Grässlin tie und Humanismus, mit Moral und präsentiert eine von Ethik absolut nichts zu tun. Es gibt FriedensaktivistInnen nur drei Gründe, so zu reagieren: zersägte H&K-Waffe. erstens Profi t, zweitens Profi t, drit- Foto: privat tens Profi t. Was mit Waffen an Leid an- gerichtet wird, sehen wir im Fernsehen (oder im Internet). Was Hersteller und Verkäufer an Waffen verdienen, ist un- bekannt. Um welche Summen geht es bei Pistolen, Gewehren, Minen? Ein neues G36-Sturmgewehr von Heckler & Koch kostet 3.000 bis 4.000 Euro – das hängt von der Ver- sion und von der bestellten Stück- zahl ab. Die schlimmste Form des Waffenexports ist die Lizenzverga- be: die Vergabe von Nachbaurech- ten und die Errichtung ganzer Fabri- kationsanlagen in kriegführenden, menschrechtsfeindlichen Ländern. H&K hat geschätzt 250 Millionen Eu-

20 DISPUT September 2014 »Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner wird Jürgen Grässlin genannt. Diesen Titel hat er sich hart erarbeitet.« Stuttgarter Zeitung

Rüstungsmanagern über fast ein de/Gesellschaftskunde und Kunst. lich halte – ist zu sagen: Denkt über Jahrhundert lang Beihilfe zum Mas- Wie reagieren Sie, wenn Kinder die Themen von Krieg und Frieden senmord. mit einer Spielzeugpistole auf- nach, beschäftigt euch damit, hört Entschieden in jenen geheimen kreuzen? Argumente und Gegenargumente Sitzungen des Bundessicher- In der Schule passiert das nicht. Als und entscheidet danach. Und so ent- heitsrates? Bub hab ich selbst mit einem rot be- scheiden sich die Allermeisten nach Genau dort. Alle brisanten Expor- malten Tomahawk »gekämpft«, stark den Diskussionen für ein Verbot von te müssen über den BSR gehen. Wir ausgeprägt aber waren die Kampfge- Killerspielen, gegen Auslandseinsät- Rüstungskritiker lesen dann irgend- lüste bei mir jedoch nie. ze der Bundeswehr und für eine zivi- wann danach in einem Rüstungsex- Man muss aufpassen: Drückt man le Friedenspolitik auf internationa- portbericht vom »Technologietrans- zu missionarisch, zu erwartungsvoll ler Ebene. fer« nach Saudi-Arabien. Mehr steht anderen seine Meinung auf oder in- Welche Erfahrung haben Sie da nicht. Die Rüstungsexportberich- doktriniert sie schlimmstenfalls, er- daraus gewonnen? te der Bundesregierung, die derzeit reicht man das Gegenteil von dem, Wenn man Kindern Bildung und jährlich und künftig halbjährlich er- was man will. Es gibt genug Fälle, Selbstbewusstsein mit auf den Weg scheinen sollen, sind sehr zweifel- wo der Vater bei der Bundeswehr Of- gibt, haben wir aufgeweckte, demo- haft. Oft genug sind sie Rüstungs- fi zier war und der Sohn Pazifi st wur- kratiefreundliche, friedliebende und export-Verschleierungsberichte. de. Es gibt allerdings auch die ge- fehlentwicklungs-kritische Kinder. Beispielsweise werden dort Dual- genteilige Entwicklung. Man muss Kinder, die aktiv für Umweltschutz, Use-Güter, die zivil wie militärisch den Kindern Freiheit zum Frieden für Frieden und für soziale Gerech- eingesetzt werden können und viel- lassen. Der vielfache Erfolg gibt mir tigkeit eintreten. fach militärisch verwendet wer- recht. Sie haben Ihre Interviews mit den, überhaupt nicht erwähnt, Ge- Wie sieht diese Art von Freiheit Opfern angesprochen. Wie lau- brauchtwaffen nur marginal aufge- bei Ihnen aus? fen diese Gespräche ab? führt, Firmen und konkrete Waf- Ein Beispiel von vielen: Stephan Mein Leben verläuft wie dieses In- fenbezeichnungen erst gar nicht Möhrle, ein Friedensfreund der terview: als permanenter Wechsel genannt. Deutschen Friedensgesellschaft der leidvollen Erfahrungen anderer Sie sind Lehrer. Mit großem DFG-VK, und ich haben gemeinsam und dem Versuch, für eine bessere Stundenplan? ein Planspiel entwickelt: »Sollen Kil- Welt einzutreten – zum Glück viel- Mit Leidenschaft und einem vollen lerspiele verboten werden?« Das Er- fach mit Erfolg. (lacht) Deputat. Dieser Beruf ist anspruchs- gebnis ist nicht vorgegeben, die Ju- Bei Gesprächen mit Opfern deut- voll und manchmal stressig. Ich übe gendlichen diskutieren nach inten- scher Gewehre will ich möglichst ge- ihn unglaublich gern aus, bin von siver Vorbereitung qualifi ziert mit- nau dokumentieren, wo deutsche Berufung Pädagoge. In den vergan- einander: Polizei, Eltern und das Kleinwaffen mit welcher Wirkung genen 18 Jahren war ich als SMV- Friedensforum sind für ein Verbot eingesetzt werden. Die Interviews Beauftragter des Regierungspräsi- – Hersteller, Verkäufer und der Ga- gehen vielfach bis an die Grenze des diums Freiburg für die Schülermit- meclub sind gegen ein Verbot. Drei Erträglichen und fi nden deshalb im verantwortung an rund 500 Schulen Kinder, die die Bundesstelle für ju- Beisein von ÄrztInnen oder Flücht- mit zuständig. Zudem bin ich Verbin- gendgefährdende Medien vertre- lingshelferInnen statt. Ich will wis- dungslehrer an unserer Schule. ten, entscheiden auf der Grundla- sen, wie wurde der Vater konkret Erstens gehört es zu meinen Le- ge der Argumente. Das Tolle daran erschossen, mit welcher Kriegswaf- benszielen, Kindern helfen zu wol- ist: Nicht ein einziges Mal – und wir fe, wurde der Brustkorb zerfetzt len. Und zweitens brauche ich nach haben bestimmt mit 50 und mehr oder ist der Kopf zerplatzt … Das ist all meinen Reisen durch Krisen- und Klassen und Jugendgruppen gespielt schier unerträglich, und manche Op- Kriegsgebiete als Ausgleich das Zu- – wurde für ein laxeres Gesetz be- fer müssen während des Interviews, sammensein mit Kindern. Deren züglich der gewaltverherrlichenden ich muss es so drastisch sagen, aufs Fröhlichkeit hilft mir, die Begegnun- Computerspiele entschieden. Das Blatt kotzen oder einmachen. gen mit den Opfern des Einsatzes haben die Kinder selbst so entschie- Oft war ich in der Situation, dass ich deutscher Waffen psychisch verar- den! mir gesagt habe, ich halte es nicht beiten zu können. Das heißt: Viel hilfreicher, als Kin- mehr aus: mit diesen zitternden, Welche Fächer unterrichten der beeinfl ussen zu wollen – was ich blass-bleichen, todgrauen Menschen. Sie? ohnehin für undemokratisch und Und ich wollte aufhören – kein ein- Deutsch, Erdkunde/Wirtschaftskun- für den Entwicklungsprozess schäd- ziges Mal aber meine Gegenüber. Im- >

DISPUT September 2014 21 DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN!

Einzelgenehmigungen im Wert von insgesamt 1,177 Milliarden Euro wurden in dena ersten vier Monaten 2014 – unter Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) – erteilt. Der Anteil der Drittländera beträgt 55 Prozent, voran Singapur, Südkorea, Brunei, Saudi-Arabien und Algerien.a

mer wieder fragen sie mich – mit Kampagne »Aktion Aufschrei – men? Schröder, Kohl und Merkel, Fi- anderen Worten, aber sinngleich: Stoppt den Waffenhandel!«, mit der scher, Steinmeier und auch Kauder Warum macht ihr Deutschen das? wir jetzt auch den Tätern Name und kennt man – doch man identifi ziert Warum liefert ihr Verbrechern die Gesicht geben. Dann landen wir bei sie nicht als Hauptverantwortliche Waffen für deren grausame Men- den Mitgliedern im Bundessicher- für den Waffenhandel. schenrechtsverletzungen? heitsrat, primär bei den Kanzlern. Aber die Rüstungsmanager, die Was antworten Sie ihnen? Und wir landen bei den Tätern in durch Rüstungsproduktion, hem- Dass ich die Frage weitergebe an der Rüstungsindustrie. mungslosen Export und Lizenzver- uns in Deutschland, die wir diesen Wer von denen ist der gefähr- käufe dazu beitragen, dass der Tod Waffenhandel verantworten oder lichste Manager in Deutsch- aus Deutschland in die Welt geliefert dulden. Und indem ich diese Politik land? wird, wer kennt die? aktiv bekämpfe. Aus meiner Sicht Andreas Hee- Sie sind einen Großteil des Ta- Unter anderem als Sprecher der schen. Wer aber kennt diesen Na- ges Lehrer, und einen weiteren

Manchmal schweigt er tagelang

Eines von unzähligen aufgewachsen, eine Schule hat er nie bracht, danach konnte die Familie nach Bürgerkriegsopfern in besucht. Als mein Ibrahim zehn Jah- Äthiopien fl iehen. re alt war, schloss er sich zusammen Vor sieben Jahren hat Mohamed ge- Somalia, getroffen durch mit seinen Brüdern der SNM an. Er hat heiratet. »In diesem Jahr war er noch bei einen G3-Kopfschuss: Schreckliches gesehen und erlebt, das Verstand«, erklärt seine Mutter. »Seine Mohamed Jama hat seine Psyche zerstört. Heute ist er Frau brachte drei Kinder zur Welt. Aber traumatisiert, verrückt, er braucht je- dann ging sie fort. Heute betreue ich den Tag seine Ration Khat, damit er Ru- Mohameds Kinder.« he gibt. Ich muss ihm mein gesamtes Sirat zögert eine Sekunde. »Im Krieg Geld geben, sonst bin ich meines Le- verpasste ihm jemand einen Kopf- Ich bin Sirat Jama (…) Es bens nicht sicher.« schuss. Man hat ihm eine Kugel ins Ge- ist unbeschreiblich, was Kurz berührt Sirat den Arm ihres hirn gejagt.« Als Mohamed seinen Kopf hier in kurzer Zeit mit Sohnes. Der rechts von ihr sitzende jun- dreht, wird die Schädelverletzung sicht- Waffen angerichtet wor- ge Mann mit dem grünen Hemd starrt bar: Links oberhalb des Ohres ist eine den ist«, sagt Sirat. »Vor apathisch ins Leere. Im schummrigen tiefe Einbuchtung, so groß wie das Ohr dem Krieg habe ich sieben Jungen ge- Licht ist seine Verletzung kaum erkenn- selbst. habt, vier von ihnen sind ums Leben bar. »Manchmal kann er reden, beson- gekommen. Der Siebzehnjährige und »Wie seine beiden Brüder ging Mo- ders wenn wir beide allein sind. Manch- der Einundzwanzigjährige starben als hamed Jama damals noch zur Schu- mal schweigt er tagelang.« Ein Wunder, SNM-Kämpfer, und meine vierzehn und le«, erzählt Sirat. »Zusammen mit neun dass er mit so einem Loch im Kopf über- sechzehn Jahre alten Buben wurden anderen Verwandten versuchte er bei haupt überlebt hat. 1988 im Klassenzimmer von Kugeln Kriegsbeginn 1988 nach Äthiopien zu Damit nicht genug. »Mein Mann ist durchsiebt – am selben Tag. Doch mei- fl iehen. Sechs Schüler wurden erschos- im Krieg geblieben. Als er noch Offi - ne toten Kinder haben keine Probleme sen, die übrigen waren verwundet und zier war, holten ihn Leute von der Re- mehr. Die Probleme haben wir, die wir hatten sich im Buschland versteckt, wo gierungsarmee, verhörten und verhaf- immer noch am Leben sind.« sie von Nomaden gefunden wurden. teten ihn. Deshalb ging er zur SNM und Die Kinder, die im Krieg groß gewor- Zwanzig Tage hatte ich nach meinem kämpfte gegen Siad Barre. Als Berbe- den sind, haben heute das Erwachse- Sohn gesucht. Dann hieß es, man ha- ra beschossen wurde, gab es keinen nenalter erreicht. Sirats Sohn Ibrahim be Verletzte gefunden. Ich eilte sofort Fluchtweg. Wir hatten keine Chance. ist heute dreiundzwanzig Jahre alt. »Er hin. Und da sitzt er jetzt.« Zur Genesung Auf der einen Seite ist nur Wasser. Auf ist in einer gewalttätigen Gesellschaft wurde Mohamed in ein SNM-Lager ge- der anderen Seite, in Richtung der äthio-

22 DISPUT September 2014 Seit 2010 soll das Verteidigungsministerium mehr als 700 Aufträge füra Rüstungsforschung (Gesamtvolumen: über 390 Millionen Euro) an Hochschulen und öffentliche Institutea erteilt haben. Geforscht wird u. a. an Drohnen-Schwärmen, »intelligenten« Geschossen und Militärrobotern.a

nicht unerheblichen Teil des Ta- tungsinformationsBüro oder die Kri- mir unglaublich den Rücken – und ges befassen Sie sich mit dem tischen Aktionäre Daimler. Oder für ich weiß, sie macht das gern. Dafür »Weltfrieden«. Wie ist das zeit- das nächste Buch. Im Schnitt habe bin ich ihr und anderen unendlich lich, auch kräftemäßig zu ver- ich sieben Tage die Woche je acht dankbar. einbaren? Stunden für die Friedensarbeit, und Ich stehe immer kurz nach sechs damit kann man eine ganze Menge Wer gegen Rüstungsgegner Grässlin Uhr auf – egal ob Weihnachten oder bewegen. klagt und gegen wen Rüstungsgegner Silvester – und gehe immer halb Um mich herum helfen ganz viele Grässlin klagt – und mit welchen Er- zwei ins Bett. Wenig Schlaf heißt Menschen: Mitstreiter, Freundinnen folgen –, ist im abschließenden zwei- bei mir viel Gesundheit, viel Le- und Freunde. Meine Frau ist in je- ten Teil des Interviews im Oktoberheft bensfreude, heißt richtig was schaf- der Hinsicht mein Korrektiv, ist mei- zu lesen. fen können: ob mit der »Aufschrei«- ne beste Freundin und Beraterin. Sie Kampagne, für die DFG-VK, das Rüs- hält mich voll in der Spur und stärkt INTERVIEW: STEFAN RICHTER

Mohamed Jama: »Ich … keine Zukunft.« Foto: Jürgen Grässlin pischen Rückzugsgebiete, hatte sich die Armee verschanzt. Leute, die in diese Richtung fl iehen wollten, wur- den ganz einfach abgeknallt«, sagt Sirat. Heute ist Sirat Jama fünfundfünf- zig Jahre alt, erledigt den Haushalt al- leine und ist für neun Menschen ver- antwortlich. »Um uns alle am Leben zu halten, verkaufe ich Eiscreme.« Unvermittelt beginnt Mohamed zu sprechen. Stockend und schwer verständlich. »Warum bin … ich … nicht gestorben? Ich … kann nichts. Ich hoffe … ich sterbe. Ich will ster- ben.« Sirat scheint solche Gedanken zu kennen, sie macht ihm Mut. »Mein Sohn, wir haben Gott. Morgen kann alles besser sein.« Mohamed schüttelt den Kopf. »Ich … keine Zukunft. Wenn du mor- gen stirbst … wer wird sich dann … um mich kümmern?«

AUS: JÜRGEN GRÄSSLIN: »VERSTECK DICH, WENN SIE SCHIESSEN. DIE WAHRE GESCHICHTE VON SAMIIRA, HAYRETTIN UND EINEM DEUTSCHEN GEWEHR.« DROEMER KNAUR, MÜNCHEN 2003, GEKÜRZT

DISPUT September 2014 DISPUT KOMPAKT: WAFFENEXPORTE STOPPEN! Mythos »Schutzlücke«

Worum es bei der Aufrüstung mit Kampfdrohnen tatsächlich geht VON CHRISTINE BUCHHOLZ

ie Bundesregierung will die te. Dass Bundeswehrsoldaten auf Pa- Gründen eine immer wichtigere Rol- Bundeswehr mit Kampfdroh- trouille nur deshalb unter Beschuss le. Der eigentliche militärische Vorteil D nen ausstatten. Im ersten kommen, weil sie als Soldaten als Teil von Drohnen gegenüber Kampffl ug- Schritt sollen die Fluggeräte »bei Be- einer Besatzungsmacht in einem frem- zeugen liegt in der langen »Stehzeit«: darf« in Israel oder den USA geleast den Land operieren, setzen Fritz und Sie können stundenlang kreisen, um werden. Aber mittelfristig werde es von der Leyen voraus. Lagedaten am Boden auszuwerten. laut von der Leyen darum gehen, mit Wird ein Ziel identifi ziert, kann sofort anderen europäischen Partnern ein ei- gefeuert werden. genes waffenfähiges Modell zu entwi- Sofort Sie kommen in jenen asymmetri- ckeln. Was steckt dahinter? feuerbereit schen Kriegen zum Einsatz, wie sie DIE LINKE lehnt die Beschaffung die US-Armee in Afghanistan, Pakis- von militärischen Drohnen prinzipi- Tatsächlich aber sind die bevorzug- tan, Jemen oder Somalia führt. Dort ell ab. Denn diese Technologie ist un- ten Mittel bei Luftunterstützung Hub- steht ihr keine reguläre Armee gegen- trennbar mit dem Umbau der Bundes- schrauber und andere bemannte Flug- über, die über eine effektive Flugab- wehr zu einer weltweiten Interventi- geräte, die schneller, wendiger und wehr verfügt, sondern Aufständische

»Drohnen sind jedoch nicht sehr präzise, wie der Begriff ›gezielte Tötungen‹ vortäuscht. Deshalb werden Raketen mit besonders starker Sprengkraft eingesetzt. Die Folge sind überdurchschnittlich viele zivile Tote.«

onsarmee verknüpft. Die Ministerin präziser sind als Kampfdrohnen. In ei- bestreitet dies. Sie spricht von einer ner Antwort auf eine Große Anfrage »Schutzlücke« für die eigenen Solda- vom Mai 2013 konnte die Regierung ten, die es zu schließen gelte. nur zwei Fälle nennen, in denen US- Der Generalleutnant der Bundes- Drohnen zur Unterstützung von deut- wehr, Hans-Werner Fritz, erläutert, schen Truppen in Afghanistan in den Kampfdrohnen könnten Soldaten bei- letzten zehn Jahren angefordert wur- stehen, wenn diese in einem Einsatz den. unter Beschuss gerieten. Eine Drohne Militärische Kampf- und Aufklä- sei schneller als bemannte Fluggerä- rungsdrohnen spielen aus anderen

2424 DISPUTDISPUT SeptemberSeptember 2014 Im Jahr 2011 exportierten EU-Mitgliedsstaaten Rüstung im Wert vona 37,52 Milliarden Euro.

oder Guerilleros. Um diese in entlege- Die Bundesregierung will, dass nen und ausgedehnten Bergregionen Deutschland mit europäischen Part- zu bekämpfen, setzt die US-Armee nern in den Wettlauf um immer effek- Drohnen ein. tivere Kampfdrohnen einsteigt, um in Mit Kampfdrohnen greift sie so- Zukunft unabhängig von US-Techno- gar über Grenzen hinweg in Ländern logie an verschiedenen Schauplätzen an, in denen überhaupt keine eigenen der Welt asymmetrische Kriege füh- Truppen präsent sind, wie in Jemen ren zu können. Sie heizt damit eine in- oder Pakistan. Dort ermordet sie per ternationale Rüstungsspirale weiter Fernbedienung Menschen, die von Ge- an, gegen die sich Menschen und Initi- heimdiensten auf Todeslisten gesetzt ativen in vielen Ländern wehren. wurden. Am 4. Oktober fi ndet der erste Drohnen sind jedoch nicht sehr Globale Aktionstag gegen die Nut- präzise, wie der Begriff »gezielte Tö- zung von Drohnen zur Überwa- tungen« vortäuscht. Deshalb wer- chung und zum Töten statt. Nach den Raketen mit besonders starker einer Umfrage der ARD sind 64 Pro- Sprengkraft eingesetzt. Die Folge sind zent der Befragten gegen die Beschaf- überdurchschnittlich viele zivile Tote. fung von Kampfdrohnen und nur 30 Mit dem Schutz von Soldaten hat Prozent dafür. Zusammen mit der Frie- all das nichts zu tun. Stattdessen krei- densbewegung und der Kampagne ge- sen Kampfdrohnen hörbar, aber un- gen Drohnen unterstützt DIE LINKE sichtbar in großer Höhe über Regio- diese Proteste, so dass der öffentli- nen wie dem afghanischen Wardak che Druck noch größer wird – damit oder dem pakistanischen Wasiristan, druck auf die Menschen am Boden, die Bundesregierung nicht Milliarden wo sie die Bevölkerung in ständige auch wenn die »Piloten« am anderen in die Aufrüstung mit einer perfi den Angst versetzen. Dies erzeugt einen Ende der Welt nicht den Abschuss- Mordtechnologie steckt, die gar nicht unerträglichen psychischen Leidens- knopf drücken. erst zum Einsatz kommen darf.

Fotos: nerthuz/Fotolia.de, Erich Wehnert

DISPUT September 2014 25 INTERNATIONAL

Das größte Volksfest Portugals, das »FESTA DO AVANTE« fand zum 38. Mal in Seixal nahe Lissabon statt. Drei Tage lang haben Tausende aus aller Welt gefeiert, getanzt, diskutiert, gut gegessen und viel gelacht.

26 DISPUT September 2014 Foto: Irina Neszeri

Jubiläen und 14. Oktober 1964 Jahrestage Nikita Chruschtschow als KPdSU- Chef abgelöst, Leonid Breshnew zum Nachfolger gewählt. 20. September Weltkindertag (UN) 16. Oktober 1934 China: Beginn des »Langen 21. September Marsches« der Roten Armee Internationaler Friedenstag (UN) 21. September Termine Interkulturelle Woche (Beginn)

28. September 1864 19. September Gründungsversammlung der Plenarsitzung Bundesrat I. Internationalen Arbeiter- assoziation (IAA) in London 19. und 20. September Fest der Linken, Berlin 29. September Europäischer Tag der jüdischen 20. und 21. September Kultur Beratung Bundesausschuss, Berlin 3. Oktober Tag der deutschen Einheit 21. September Beratung der Kreisvorsitzenden, 3. Oktober 1889 Berlin Carl von Ossietzky (Schriftsteller, Journalist) geboren 21. September Schleswig-Holstein, Landespar- 6. Oktober 2004 teitag, Rendsburg, Hohes Arsenal US-Waffeninspekteur Charles Duelfer stellt fest, dass Irak 22. bis 26. September keine Massenvernichtungsmittel Sitzungswoche im Bundestag besessen hat. 27. September 7. Oktober 1949 Sachsen, Kleiner Parteitag Der Deutsche Volksrat konstitu- iert sich in Berlin zur Provisori- 29. September schen Volkskammer der DDR. Beratung Geschäftsführender Parteivorstand 8. Oktober 1984 Im Zwischenlager Gorleben 11. und 12. Oktober (Niedersachsen) trifft der erste Hessen, Landesparteitag, Atommülltransport ein. Wetzlar, Stadthalle

13. Oktober 1949 18. Oktober Gründung des Deutschen Ge- Beratung Parteivorstand werkschaftsbundes (DGB) in München 18. und 19. Oktober Bremen, Landesparteitag 14. Oktober 1954 Bundestag verabschiedet ZUSAMMENSTELLUNG: »Kindergeldgesetz«. DANIEL BARTSCH

DISPUT September 2014 27 GESCHICHTE Die erste Internationale Vor 150 Jahren wurde in London die Internationale Arbeiter-Assoziation gegründet VON RONALD FRIEDMANN

ihre französischen Kollegen: »Die Ver- Prinzipienerklärung, hatte Marx die treter Frankreichs, Italiens, Deutsch- Eroberung der politischen Macht zur lands, Polens, Englands, ja aller Län- »großen Pfl icht der Arbeiterklassen« der, wo sich ein Wille zum Wohle der erklärt. Vor allem aber warnte er da- Menschheit regt, sollen zusammen- vor, dass die »Mißachtung des Ban- treten […] Laßt uns unsere eigenen des der Brüderlichkeit, welches die Kongresse haben! Laßt uns über die Arbeiter der verschiedenen Länder großen Fragen sprechen, von denen verbinden und sie anfeuern sollte, in der Friede der Völker abhängt!« In allen ihren Kämpfen für Emanzipati- der französischen Antwort vom Ap- on fest beieinanderzustehen, [… un- ril 1864 hieß es, die »Arbeiter aller vermeidlich] die Vereitlung ihrer zu- Länder [müßten] sich vereinigen, um sammenhangslosen Versuche« durch einem verhängnisvollen System eine die herrschenden Klassen zur Folge unüberwindliche Schranke entgegen- hätte. zusetzen.« Sie schloss mit der Auffor- Marx forderte, anders als Lenin derung: »Retten wir einander durch knapp sechzig Jahre später im Hin- Solidarität!« blick auf die Dritte, die Kommunisti- Der Londoner Gründungskon- sche Internationale, zwar eine zent- gress beschloss nach einer lebhaften rale, aber eben keine zentralistische Debatte, das französische Antwort- Führung der lokalen Arbeiterorgani- schreiben zur vorläufi gen program- sationen. Trotzdem rief er so den mas- matischen Grundlage zu machen: »Da siven Protest der Anarchisten hervor, Gründung in London (Ausschnitt) [… dieses] Programm von Vorteil für die jede Form einer zentralen Füh- Repro aus: 150 Jahre deutsche Arbeiter- das arbeitende Volk ist, akzeptieren rung prinzipiell ablehnten. bewegung, Dietz Verlag Berlin, 1964 wir es als Grundlage einer interna- Die Auseinandersetzungen zwi- tionalen Vereinigung und beauftra- schen Marx und seinen Anhängern gen hiermit ein Komitee mit der Voll- auf der einen und den Anarchisten, macht, weitere Mitglieder zu ernen- ab 1868 unter dem maßgeblichen Ein- m 28. September 1864 trat nen und Statuten und eine Geschäfts- fl uss von Michail Bakunin, auf der in der Londoner St. Martin‘s ordnung einer solchen Assoziation zu anderen Seite bestimmten den ge- A Hall der Gründungskongress entwerfen.« samten weiteren Weg der Internati- der Internationalen Arbeiter-Assozia- Zu dem 32-köpfigen (provisori- onalen Arbeiter-Assoziation: Konnte tion zusammen, die sehr bald als Ers- schen) Generalrat, der in London man sich im September 1867, auf dem te Internationale bekannt wurde. Die gewählt wurde, gehörte Karl Marx. Kongress in Lausanne, noch auf den mehr als 2.000 Teilnehmer waren aus »Marx«, so schrieb Franz Mehring Kompromiss einigen, dass »die sozia- Frankreich, England, Irland, Italien, in seiner 1918 verfassten Marx-Bio- le Emanzipation der Arbeiter unzer- Deutschland, Polen und der Schweiz graphie, »dachte von seiner wissen- trennlich von ihrer politischen Eman- gekommen. schaftlichen Arbeit hoch genug, um zipation ist«, so wurde spätestens mit Erste Pläne, einen internationa- sie aller Vereinsspielerei voranzustel- den zwei getrennten Kongressen im len Dachverband der Arbeiterverei- len, die von vornherein aussichtslos September 1873 in Genf endgültig nigungen in aller Welt zu schaffen, erschien, aber er schob sie gern zu- klar, dass der Zerfall der Ersten In- waren bereits zwei Jahre zuvor, am rück, wo nützliche Arbeit für das Pro- ternationale nicht mehr aufzuhalten Rande der Weltausstellung in Lon- letariat zu verrichten war. Diesmal war. don, beraten worden. In diesen Plä- erkannte er, dass ›wirkliche Mächte‹ Trotz ihrer kurzen, nur neunjäh- nen kam die Erkenntnis zum Aus- im Spiel waren.« rigen Existenz war die Internationa- druck, dass die kapitalistische Ge- Ende Oktober 1864 legte Marx sei- le Arbeiter-Assoziation eine wichti- sellschaft einen internationalen Cha- nen Entwurf der Statuten und der »In- ge und notwendige Etappe in der Ge- rakter hatte und deshalb auch die auguraladresse der Internationalen schichte der internationalen Arbei- Arbeiterbewegung, die den Kapitalis- Arbeiter-Assoziation« vor, die am 1. terbewegung, denn sie lieferte nicht mus überwinden wollte, einen inter- November 1864 vom Generalrat mit zuletzt die Erkenntnis, dass eine po- nationalen Charakter haben musste. geringfügigen Änderungen einstim- litische Organisation ohne wirkliche Im November 1863 wandten sich eng- mig beschlossen wurden. Klarheit über Weg und Ziel auf Dauer lische Gewerkschaftsfunktionäre an In der Inauguraladresse, einer Art nicht bestehen kann.

28 DISPUT September 2014 POST

Eine zuverlässige Adresse, wenn’s um Nachfragen, Hinweise, Wünsche, Einwände, Vorschläge, Widersprüche geht: REDAKTION DISPUT DISPUT, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin oder [email protected] Foto: istockphoto.com

▀ Geld an genutzt werden. Auch die be von DISPUT bekommen ten die Abonnenten nicht Lichtmasten Umwelt würde sich freuen, (gefällt mir sehr). Beim Le- nur ein gedrucktes Exem- wenn DIE LINKE mit gutem sen kam mir die Idee, die plar, sondern kennen die Im »neuen deutschland« Beispiel voranginge. Ich eine oder andere Textpas- neue Ausgabe auch deut- war zu lesen: »Sachsens glaube nicht, dass die Pla- sage zu verwenden, um lich früher als die Leser, die Linke beklagen Schaden kate, teilweise fünf überei- noch mehr Menschen für sich für die kostenlose On- von 40.000 Euro durch nander an einem Mast, die die Inhalte unserer Partei line-Version entschieden Zerstörung« der Wahlpla- Bürger in ihren Wahlhand- zu gewinnen. Eine elektro- haben. kate. Was lernen wir dar- lungen beeinfl ussen. Die nische Fassung der Texte RONALD FRIEDMANN, aus? Großplakate könnte man wäre dabei sehr hilfreich. INTERNET-REDAKTEUR In den nächsten Jahren ja belassen. Das Thema Auf der Website der Bun- wird es noch schlimmer sollte unbedingt nach den despartei sind die Ausga- kommen, da der Rechts- Wahlen in den Vorständen, ben von DISPUT als PDF- Dank an ruck in Deutschland und Fraktionen usw. auf der Ta- Dateien zugänglich. Die ▀ Europa auf dem Vormarsch gesordnung stehen. aktuelle Ausgabe vom Au- SeniorInnen ist. Die Mitgliederzahlen Ich glaube, dass auch an- gust fehlt allerdings noch. »Zwanzig Jahre und mehr sinken und damit auch die dere Parteien in den Rat- Meine Frage und Bitte: Ist – ein Rückblick« ist ei- zur Verfügung stehenden häusern und Gemeinden es nicht möglich, die je- ne wunderbare Arbeit der Finanzen und die Anzahl offen für diese Überlegun- weils aktuelle Ausgabe von Senioren-Arbeitsgemein- der Akteure vor Ort. Ich bin gen sind. Außerdem könn- DISPUT bereits vorab ins schaft unserer Partei in schon immer gegen diesen te man ja mit den Gemein- Netz zu stellen? Diese Vor- Beeskow. Sie lassen mit ökonomischen und öko- den in Süddeutschland in gehensweise bietet auch vielen Beiträgen und Bil- logischen Unsinn. Kinder Erfahrungsaustausch tre- die Möglichkeit, Mitglie- dern die Jahre seit 1992 armer Eltern haben keine ten. der und Sympathisierende Revue passieren. Peer Jür- Chance auf eine Urlaubs- Wenn wir die Bürger für über die aktuelle Ausga- gens, unser Kreisvorsitzen- reise, und wir hängen das uns gewinnen wollen, dann be zu informieren und viel- der und Landtagsabgeord- Geld an Lichtmasten. nicht vier Wochen vor der leicht als Leser/innen zu neter, hat im Vorwort ge- In Bayern stellen Gemein- Wahl mit vollgehängten La- gewinnen. schrieben: »Als jemand, den Aufsteller an Kreuzun- ternenmasten, sondern mit HAJO ZELLER, MARBURG der heute politische Ver- gen usw. auf, auf denen je- unserer Arbeit an jedem antwortung trägt, kann de Partei ein Feld belegen Tag zwischen den Wahlen. Lieber Hajo, deine Überle- ich nur in tiefer Dankbar- kann. Diese werden nach ELLEN EICHHORN, CHEMNITZ gungen sind durchaus be- keit und mit großer Ehr- der Wahl von der Kommu- denkenswert. Es gibt aber furcht sagen: Das habt ihr ne wieder beräumt. Bei auch Argumente, die gegen toll gemacht! Danke! Bleibt den Landtagswahlen fand DISPUT deinen Vorschlag sprechen: uns noch lange erhalten, ich in Landshut, wo ich als ▀ DISPUT hat eine große Zahl so aktiv es geht – mit kriti- Helferin im Einsatz war, im Netz von Abonnenten (natürlich schem Geist und tatkräfti- die Lösung ideal. Die Stadt Ich habe heute mit der immer zu wenig), die für ihr ger Hand«. war nicht vollgemüllt. Post die neueste Ausga- Heft bezahlen. Dafür erhal- PETER HOCHMUTH Als ich diese Idee im Stadt- verband ansprach, war man der Meinung, ja dann müsste DIE LINKE neben der NPD hängen. Wie sieht es jetzt aus? Auf der Dres- dener Straße in Chemnitz ist unten das Plakat von Susi Schapper und darüber sind vier Plakate der NPD. Finanzen und der Ein- satz könnten auf ein Mini- mum reduziert und diese für sinnvollere Aktivitäten

DISPUT September 2014 29 MAHNUNG

Diskussion und Lesung aus historisch-aktuellem Anlass: 100 Jahre Kriegs- kredite – eine Veranstal- tung von Linksfraktion und Rosa-Luxemburg- Stiftung am 28. August im Bundestag. Fotos: Erich Wehnert

ie sich die Zeitungsschlag- zeilen gleichen, auch wenn W hundert Jahre dazwischen- liegen:

1914: • Russland verlegt Regimenter an die Westfront! • Frankreich plant Verrat an Deutschland! • Unser österreichisches Bruder- volk bedroht! 2014: • Putin bricht Völkerrecht • Merkel: NATO steht dem Baltikum bei • Tote Zivilisten bei Schlacht um Donezk • Waffen gegen »kriegerischen Flächenbrand« im Nahen Osten • Kurden sind die Infanterie des Westens.

Krieg und wieder Krieg? Der austra- lische Historiker Christopher Clark hat in einem fast tausendseitigen Buch beschrieben »Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog«. Sein deutscher Titel: Die Schlafwandler. Es berichtet von den damaligen Entscheidungsträ- gern, welche Wege sie einschlugen in >

30 DISPUT September 2014 1914 – 2014 VON LUC JOCHIMSEN

DISPUT September 2014 31 MAHNUNG

Die außergewöhnliche Veranstaltung wurde bereichert durch Politiker/innen, Publizisten und Schriftsteller aus sehr verschiedenen Lagern: Jakob Augstein, Michel Friedman, , Gregor Gysi, Christoph Hein, Luc Jochimsen, Oskar Lafontaine, Ingo Schulze, Franz Sodann, Sahra Wagenknecht, Florian Weis, Roger Willemsen, Willy Wimmer. Fotos: Erich Wehnert

der internationalen Diplomatie, die Zeitpunkt des Paradigmenwechsels: gelische Kirche ist da wieder dabei. dann zur Kriegs-Diplomatie führte – Deutschland liefert nun, zusammen So hat der frühere Ratsvorsitzende eigentlich ein Widerspruch in sich – mit Frankreich und England und an- der EKD einen »Verantwortungspa- und schließlich in einen Weltkrieg. deren europäischen Staaten, Waffen zifi smus« gefordert, »der bewaffnete Wer mit dieser Methode die Nach- in den Irak, eine bereits waffenstar- Einsätze oder Waffenlieferungen zu richten des Sommers 2014 liest, ab- rende Region, deren Waffenarsenale humanitären Zwecken einschließen gleicht, zu analysieren versucht, ent- hin-und-her-erobert werden von un- könne.« Verantwortungspazifismus! deckt ein erschreckendes Szenario: terschiedlichen Kriegsparteien. Eine Orwell lässt grüßen. Er hat schon vor den Weg in kriegerisches Handeln Region, in der die notleidende Bevöl- Jahrzehnten eine Sprache entworfen, und – vorgeschaltet – in kriegeri- kerung alles andere braucht als Waf- in der »Frieden ist Krieg« und »Krieg sches Denken und Bewusstsein. fen: Nahrungsmittel, Medikamente, ist Frieden« einander gegenüberstan- So viele Parallelen! 1914: Kundge- Baumaterial, Schutz und Reparatur den. bungen gegen den Krieg in Deutsch- eines gigantischen, maroden Stau- In der »FAZ« vom 23./24. August land, Frankreich, Belgien. Es sind die damms … Wir aber liefern Waffen. schreibt der prominente Grüne Ralf sozialistischen und sozialdemokrati- Und an wen? Das wissen wir Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll- schen Arbeiterbewegungen, die sie selbst nicht so genau. An den in sich Stiftung (!): »Was uns die Ukraine an- organisieren und vorm Weltenbrand bereits zusammengebrochenen iraki- geht: Bislang tat sich die Bundesre- warnen. Aber Anfang August wer- schen Staat und seine vor der Terror- gierung schwer mit der Antwort auf den von den »Entscheidungsträgern« gruppe »Islamischer Staat« gefl üchte- den unerklärten Krieg Russlands ge- die Kriegserklärungen verschickt: te Armee? An die kurdischen Pesch- gen die Ukraine … es sind die Grund- an Russland, an Frankreich, danach merga-Einheiten der Autonomiere- werte Europas, für die in der Ukra- von Großbritannien an Deutschland gierung in Arbil, die nichts gegen die ine gekämpft und gestorben wird. … und auch das Parlament in Berlin, Menschenjagd der Brigaden »Islami- Wie kann uns das gleichgültig las- das kaiserliche, stimmt einstimmig scher Staat« auf die Yeziden unter- sen? Der Abschied von der Fiktion zu, obwohl in ihm die Sozialdemokra- nommen haben? An die kurdischen der deutsch-russischen ›Modernisie- ten die größte Fraktion stellen, jene Kämpfer der PKK, die seit 1993 in rungspartnerschaft‹ fällt schwer …« politische Partei, die 1871 entschie- Deutschland verboten ist und seit Aber, so der Tenor des Kommentars, den abgelehnt hatte, für den Krieg ge- 2002 von der Europäischen Union das muss jetzt endlich anders wer- gen Frankreich auch nur »einen Pfen- als »terroristische Organisation« ein- den. Am besten mit militärischem nig und einen Mann« bereitzustellen. gestuft ist? Wissen die »Entschei- Handeln, Waffenlieferungen mindes- Und 2014? Bevölkerungsumfra- dungsträger«, was sie tun, oder bewe- tens! gen im Juli und August ergeben ein gen sie sich wie »Schlafwandler« auf Am gleichen Tag bereitet uns klares mehrheitliches Nein zu einer einen uns alle erfassenden Krieg zu? auch die »Süddeutsche Zeitung« dar- Kriegsbeteiligung Deutschlands so- Seit dem 23./24. August 2014 kön- auf vor, was von den USA zu erwar- wohl in der Ukraine wie im Nahen nen wir in jeder Zeitung lesen, in je- ten ist: »Der nächste Krieg gegen den Osten. Und auch ein Nein zu Waf- der Nachrichtensendung hören und Terror. Barack Obama hat begon- fenlieferungen. Aber die »Entschei- sehen: Aus unterschiedlichen Krisen nen, sein Volk auf einen neuen Ein- dungsträger« entscheiden anders, in unterschiedlichen Regionen wer- satz vorzubereiten. Generalstabs- ohne das Parlament auch nur zu fra- den Kriege. Und wir werden aufge- chef Martin Dempsey und Verteidi- gen. Der 20./21. August 2014 ist der fordert mitzumachen. Auch die evan- gungsminister Chuck Hagel erklär-

32 DISPUT September 2014 ten jetzt, dass der ›Islamische Staat‹ ben gefüllt werden‹«, dann ist wohl gewinn für andere. Umbrüche. Neu- nur zu schlagen sei, wenn man auch die Frage erlaubt: Was heißt hier »Le- ordnungen, die keine sind. Und über- in Syrien eingreife. Viele Amerikaner ben«? Heißt »Leben« Krieg? 2014: Wie- all und immer wieder das Setzen auf fragen sich: Wo führt das alles hin? der Krieg? Gewalt. Da sind wir also 2014 wie- Droht ein neuer, ewiger Krieg?« Die Parallele zu 1914 ist verstö- der angelangt, in einer Zeit, da wir Viele Europäer fragen sich das rend: unübersichtliche, lang andau- uns an den Beginn des Ersten Welt- auch. Und wenn man sich dann noch- ernde Konfl ikte, die lokal oder regi- krieges vor hundert Jahren erinnern, mals die Aussage der Bundeskanzle- onal explodieren. Agieren von Ter- dem der mörderische Zweite folgte rin vom 19. August »NATO steht dem rorgruppen. Ein mörderisches At- und – zumindest in und für Europa Baltikum bei« vor Augen führt und tentat. Mörderische Enthauptungen. – die Hoffnung auf Frieden. Ein Trug- weiterliest, dass die Kanzlerin dezi- Gegenseitige Drohungen. Pfl ege von schluss? Nur dann nicht, wenn die diert erklärt »Der Bündnisvertrag der Feindbildern. Machtzusammenbruch Schlafwandler aufgeweckt werden Allianz müsse ›im Zweifelsfall mit Le- und damit die Hoffnung auf Macht- können.

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DISPUT September 2014 33 EUROPÄISCHE LINKE Aktiv und solidarisch

Junge Linke in Europa VON ANTJE KIND

uropa hat mannigfaltige und bunte Gesichter, und sehr viele E junge sind darunter. Das macht Mut – auch Mut und Lust, sich zu en- gagieren. DISPUT hat mal einige ge- fragt, was es war, das diese Leute da- zu gebracht hat, sich fürs Politikma- chen zu begeistern, wie sie dazu ka- men und was ihnen dabei heute im Jahr 2014 Solidarität bedeutet. Zum Glück gibt es ja viele Gelegenheiten, zu denen sich Genossinnen und Ge- nossen aus ganz Europa – junge und ältere – zusammenfi nden und sich für DISPUT ausfragen lassen. Dies- mal bot die Sommeruniversität der Europäischen Linken am Werbellin- see (Disput berichtete) den entspre- chenden Rahmen dafür. Die Stimmung während der Umfrage war so hei- Saila Ruuth (Linksbündnis, Finnland) Begonnen hatte es mit meiner Kandidatur ter wie das Wetter, der für den Stadtrat in meiner Heimatstadt Porvoo. Die Treffen und Aktionen unserer linken Blick über den Teller- Gruppe waren großartig, dadurch wurde ich regelrecht hineingezogen. rand in die anderen eu- Solidarität ist für mich eine selbstlose Gesinnung gegenüber anderen Leuten deiner ropäischen Töpfe extrem Klasse oder deines Geschlechts oder gegenüber Menschen, die zu kämpfen haben. Du spannend. Einen kleinen möchtest sie unterstützen, weil du es kannst, weil du die Zeit dazu hast und das Geld, Einblick gibt es hier: weil du etwas tun kannst.

Dagmar Schindler Ich bin als Kom- (beide KP Österreich) munistin geboren. Ich komme aus einer an- tifaschistischen Familie und setze jetzt quasi diesen Weg fort.

Michael Heindl Aktiv werden ließ mich, dass ich vor 15 Jah- ren keinen Weg mehr gesehen hab, wohin die produktiven Kräfte gehen und was mit dem Rest der Arbeitnehmer passieren soll. Das war der eigentliche Auslöser, der mich zur Partei gebracht hat.

34 DISPUT September 2014 Volodymyr Ischchenko (Ukraine) Ich bin kein Mitglied einer Partei, ich arbeite in einem linken unabhängigen For- schungszentrum. 2001 begann ich, mich poli- tisch zu engagieren: in der Bewegung gegen Präsident Kutschma, der des Mordes an einem Journalisten angeklagt war. Damals wurde die Grundlage gelegt für die spätere »Orange Revo- lution«. Die habe ich nicht unterstützt, weil ich mich linkeren Positionen zuwandte. Wir hatten ein Netzwerk marxistischer Gruppierungen. Sie sind ziemlich klein und ein wenig sektiererisch, aber ich wuchs einfach in dieses Milieu neuer - linker Hoffnungen hinein. Sie standen der offi ziellen Kommunistischen Partei kritisch gegen- über. Diese Bewegung wurde viel gemischter: aus Gewerkschaften, kleinen Parteien, NGO, Marxisten, Anarchisten, künstlerischen und in- tellektuellen Initiativen. Die Maidan-Situation und der Krieg spalteten die Bewegung mehr oder weniger. Sie wurde durch nationalistische Politik in entgegengesetzte Richtungen getrie- ben. Die Basis für unabhängige linke Positionen schrumpfte.

Fotos: Antje Schiwatschev

Minttu Silanpäa (Linksbündnis, Finnland) Ich enga- gierte mich zuerst in einer Umweltorga- nisation, das war wichtig. Aber irgendwann fand ich, dass das einfach nicht ausreicht – es gibt so viele andere Probleme auf der Welt. Ich wollte die Welt zu einem besseren Ort machen, und das will ich noch immer. Ich denke, dass es momentan zu wenig So- lidarität zwischen den Ländern gibt, we- gen der Krise. Und ich fi nde, wir sollten die internationale Kooperation zwi- schen den linken Parteien die- ser Länder ausbauen.

35 ZEITGESCHICHTE Ein kräftiger Händedruck Verstarb vor 50 Jahren: Otto Grotewohl, antifaschistischer Streiter gegen Militarismus und Krieg und erster DDR-Ministerpräsident VON WOLFGANG TRIEBEL

m September 2014 fällt der 50. To- zerreißen. In langen einsamen Stun- zu ihren Handlangern für einen Re- destag Otto Grotewohls – am 21. den kam mir meine Verlassenheit im- vanchekrieg machen können. Trotz I September 1964 – mit dem Ge- mer drückender und quälender vor dieser Einsichten gab es in KPD und denken an den 100. Jahrestag des Be- … In dieser Finsternis stand eines Ta- SPD gegenseitige Ressentiments aus ginns des Ersten Weltkrieges zusam- ges mein Freund Karl vor mir. Unse- der Zeit vor 1933 und Zweifel – auch men. Grotewohl und Krieg gehören re Übereinstimmung … verband uns bei Grotewohl –, ob die in Konzent- aber nicht zusammen. noch enger … Bis wir eines Tages zu rationslagern und Zuchthäusern ge- Einer seiner Lehrer, »dessen sprö- blutigem Sturmlauf ansetzten … Ein borene Idee von der Gründung einer de Freundlichkeit ich umso wärmer Ruf hinter mir. Ich lief zurück. Ein lan- einheitlichen sozialistischen Arbei- empfand … zeigte mir mit seiner un- ger Blick. Ein kräftiger Händedruck. terpartei in Deutschland unter den bedingten Wahrheitsliebe ein Stück Wir hatten uns alles, alles gesagt. Mir Bedingungen der Besatzungszonen Welt. Ich danke ihm … manchen gu- war, als hätte man ein Stück meiner vernünftig ist. Vom Sommer 1945 bis ten Ratschlag und manch aufrichti- Seele in Polen ins Grab gesenkt.«3 Februar 1946 wurde darüber in allen ges Trostwort.«1 Folgerichtig ging er Die Zeichnungen in seinem Kriegs- Besatzungszonen heftig gestritten, seit 1907 zum Bildungsverein Junger tagebuch belegen, der Krieg ging primär festgemacht an Otto Grote- Arbeiter und zur Braunschweiger Ar- auch an ihm nicht spurlos vorüber. wohl in Berlin und Kurt Schumacher beiterjugend. 1912 wurde er ihr Vor- Erster Weltkrieg, politische Hilf- in den Westzonen. Über Grotewohls sitzender. Die Arbeiterjugend stand losigkeit der Weimarer Demokra- Zustimmung zum Zusammenschluss der SPD nahe. Grotewohl war am tie und aufkommender Faschismus von KPD und SPD zur SED wurde viel 14. März 1914 in die SPD und in den prägten Grotewohls politisches Den- geschrieben, das ist aber hier nicht Buchdruckerverband eingetreten. ken und Handeln. In Braunschweig Thema. Laut Tagebuch widmete er sich von engagierte er sich als Abgeordne- Am 7. Oktober 1949 wurde Grote- »Anfang an … der Jugendarbeit … hier ter im Landtag und als Minister so- wohl Ministerpräsident der DDR. Sei- [fühlte ich] die Wurzeln meiner Kraft wie von 1925 bis 1933 im Deutschen ne gesellschaftlichen Grundpositio- liegen. Die Jugendbewegung wurde Reichstag für eine demokratische Bil- nen damals beruhten meines Erach- mir zur Lebensbedingung … ›Hier bin dung und Erziehung der Jugend und tens auf drei politisch-theoretischen ich Mensch, hier darf ich's sein‹.«2 die Trennung von Staat und Kirche. Überzeugungen. Grotewohl zog 1914 nicht freiwil- Die Nazis vertrieben Grotewohl Erstens: Deutsches Kapital und lig in den Krieg. Nach Verwundungen 1933 aus Braunschweig. Er hatte Mü- der mitläufi ge Beamtenapparat ha- und Erlebnissen an der Front schrieb he, seine Familie zu ernähren. Inhaf- ben wegen Mitwirkung bei der Vor- er 1918 in sein Kriegstagebuch: »Da tierungen von August 1938 bis März bereitung des Zweiten Weltkrieges kam der Krieg. Bald war ich mitten- 1939 und von November 1939 bis Fe- sowie der Duldung der barbarischen drin. Alles Heilige, alles Hohe und Ed- bruar 1940 hinderten ihn nicht, Ver- Kriegführung in den okkupierten le, Schöne und Wahre wollte in mir bindungen zu SPD-Mitgliedern zu hal- Staaten jedes Recht auf Führung der ten und zu helfen, wenn Angehörige verhaftet wurden. Grotewohls »neues politisches Le- ben« begann im Mai 1945. Bereits am 9. Mai 1945 trafen sich Otto Grote- wohl, Erich Gniffke und andere Par- Begeisterter teimitglieder. Fünf Wochen später, Zeichner und Maler am 17. Juni, begründete er den Aufruf des Zentralausschusses der SPD in Ein Großteil seines malerischen Berlin über die Errichtung einer an- Schaffens stammt aus der Zeit tifaschistisch-demokratischen Repu- des Zweiten Weltkrieges. In der blik. Deutschlandweit war er Reprä- Abgeschiedenheit des Schwarz- sentant der in Berlin wiedererstan- waldes entstand der Zyklus denen SPD. Obgleich darauf nicht »Menschen der Stille«. vorbereitet, stellte er sich dieser Auf- Repros: Otto Grotewohl, Skizzen, gabe. Grotewohl und viele Gleich- Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde. gesinnte hatten erkannt: Durch die Dietz Verlag Berlin, 1984 Spaltung der Arbeiterklasse hatten Kapital und Militärs die Nazipartei

36 DISPUT September 2014 ABOSCHEIN Ich abonniere DISPUT

Name, Vorname

Nation verloren. Die Arbeiterklasse nie das Ziel eines einigen friedlichen Straße, Hausnummer muss die Führung übernehmen. antifaschistisch-demokratischen Zweitens: Sozialismus kann in Deutschlands aufgegeben, Krieg soll- Deutschland nur unter Führung ei- te aus deutscher Außenpolitik gestri- PLZ, Ort ner einheitlichen Arbeiterpartei und chen sein. Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) im Bündnis mit anderen antifaschis- Für Grotewohl hieß Lehren aus der Zeitschrift DISPUT im tisch-demokratischen Kräften aufge- der Geschichte zu ziehen, jene Vor- baut werden. gänge zu erhellen, die zu den Folgen Halbjahresabonnement zum Preis von Drittens: Die einheitliche Partei nach 1918/1919 geführt haben. Bei der 12,00 Euro inkl. Versandkosten der Arbeiterklasse muss zu einer Analyse der »Fehler und Schwächen, das gesamte Volk repräsentieren- Überspitzungen und Übertreibungen« Jahresabonnement zum Preis von den Volkspartei entwickelt werden ist zu beachten, »aus welcher Vergan- 21,60 Euro inkl. Versandkosten und auf die Erhaltung der Einheit genheit jene handelnden und nicht- Deutschlands hinwirken. handelnden Arbeitermassen und Ar- und nutze den vorteilhaften Bankeinzug beiterführer kamen. Man muss fest- stellen, welche Ströme sie gespeist ha- Ströme ben, aus welchen ökonomischen und und Wurzeln sozialen Wurzeln sie ihre Kraft gezo- IBAN gen haben, aus welcher politischen Betrachtet man die politische Tätig- und geistigen Atmosphäre sie erleuch- keit der beiden ersten Nachkriegs-Re- tet und befruchtet wurden.«4 BIC gierungschefs – Adenauer in Bonn, Grotewohl in Berlin – rückblickend 1 Zitiert in: Wolfgang Triebel: Gelobt oder vor und nach 1949, dann fallen prin- und geschmäht. Wer war Otto Grote- zipielle Unterschiede auf. Adenau- wohl? Berlin 1998, S. 301. Diese Tage- bitte um Rechnungslegung er strebte die Westbindung der drei bucheintragung erfolgte etwa 1918. (gegen Gebühr) an meine Adresse. Westzonen an. Grotewohl initiierte 2 Ebenda, S. 302. die gesamtdeutsche Volkskongress- 3 Ebenda, S. 303. Das Abonnement verlängert sich bewegung für Einheit und gerechten 4 Otto Grotewohl: Dreißig Jahre spä- automatisch um den angegebenen Frieden, das entsprach dem Volkswil- ter. Die Novemberrevolution und die Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, len in Ost und West. Die Westmäch- Lehren der Geschichte der deutschen falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schriftlich kündige. te, Adenauer und Schumacher behin- Arbeiterbewegung. Erstausgabe Juli derten diese Bewegung in ihren Zo- 1948. Neuaufl age Dietz Verlag Berlin nen. Grotewohl hat bis zu seinem Tod 1952, S. 11/12.

Datum, 1. Unterschrift

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

Datum, 2. Unterschrift

Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de

DISPUT September 2014 37 DEBATTE Milieus und Parteireform Parteientwicklung und der politische Raum der LINKEN. Zu einem lesenswerten Buch von Benjamin-Immanuel Hoff VON JAN MAROSE

n welchem Zu- Im Unterschied dazu führt uns eigenen Handelns oder auch Misser- sammenhang ein zweiter Punkt weiter. Hoff un- folge offensiv zum Thema machen I stehen die ak- terscheidet drei Idealtypen von Par- sollte (»zu sich selbst in Opposition tuelle Debatte teien aus der Parteienforschung: die treten«). Diese Diskussion über die über die Entwick- professionelle Wähler- bzw. Medien- Kriterien »guten« linken Regierens lung der Partei, kommunikationspartei, die moder- sollte – auch im Zusammenhang mit die Veränderun- ne Kaderpartei und die partizipative den Fragen der Parteientwicklung – gen der verschie- Mitgliederpartei. Partizipative Mit- fortgesetzt werden. denen politischen gliederpartei – verstanden als nor- Nachdem im zweiten Kapitel die Milieus der eige- matives Programm – bedeute für gesellschaftlichen Milieus, aus de- nen Wählerschaft DIE LINKE, »im emphatischen Sinne« nen die Wählerinnen und Wähler der und die innerpar- Mitgliederpartei sein zu wollen, die LINKEN stammen, im Sinne eines Li- teilichen Konfl ikt- Mitglieder als Legitimationsgrundla- teraturüberblicks erläutert werden, lilinien i dder LINKENLINKEN? Dieser Frage geht ge zu verstehen und zu fördern, die wird im dritten Kapitel ein Modell Benjamin-Immanuel Hoff in seinem Rechte der Mitglieder zu stärken und entwickelt, das die innerparteilichen neuen Buch »DIE LINKE: Partei neu- Mitgliederentscheide über Grundfra- Konfl iktlinien zu verstehen hilft. Die en Typs« (VSA, 2014) nach. Insbeson- gen wie zum Beispiel Regierungsbe- Dichotomien Ost vs. West, ehemalige dere Kapitel 3 sollte als Grundlagen- teiligungen zu etablieren, schließlich PDS vs. ehemalige WASG, Reformer text Eingang in die politische Bil- die Mitglieder als Akteure zu begrei- vs. Traditionalisten, von denen die dungsarbeit der Partei fi nden. fen, die »soziales Kapital« aufbauen mediale Berichterstattung, aber oft Im ersten Abschnitt steht die der- (kurz: im positiven Sinne »Kümme- auch die innerparteilichen Zuschrei- zeitige Organisationsdebatte der rerpartei« zu sein). bungen ausgehen, würden der Kom- LINKEN im Zentrum. Anknüpfungs- plexität nicht gerecht. Dagegen be- punkt ist das von den Parteivorsit- trachtet Hoff die Flügel und Akteure zenden im November 2013 vorge- Drei der Partei in einem dreidimensiona- legte Diskussionspapier »Verankern, Dimensionen len Raum. Auf der ideologischen Ach- verbreiten, verbinden«. Dabei möch- se werden die Positionen zur Refor- te ich auf drei Fragestellungen näher Die Orientierung an »der gesellschaft- mierbarkeit des Kapitalismus abge- eingehen. lichen Partei« und die Merkmale ei- bildet. Wird man als Akteur auf der In der Auseinandersetzung mit ner »partizipativen Mitgliederpar- linken Seite verortet, ist man eher dem Strategie-Papier der Vorsitzen- tei« stehen sicherlich nicht gegenei- skeptisch, was die Reformierbarkeit den, die sich auf den Begriff der ge- nander. Im Gegenteil, beide Schwer- des Kapitalismus betrifft. Das ent- sellschaftlichen Partei bei Gramsci punkte sollten in unserer Diskussion sprechende Politikkonzept heißt Wi- beziehen, kritisiert Hoff, dass des- verknüpft werden, um DIE LINKE als derstand. Demgegenüber vertreten sen leninistisches Parteiverständnis »aktive Mitgliederpartei« weiterzu- Akteure auf der rechten Seite eher bewusst ausgeblendet wird (womit entwickeln. eine reformistische Kapitalismuskri- auch der Titel zu spielen scheint). So Der dritte Aspekt umfasst die Fra- tik. Das entsprechende Politikkon- richtig Hoffs Hinweis ist, dass »trotz ge der Regierungsbeteiligung. Unab- zept ist Transformation. Auf der ho- aller politischen Bildungsarbeit da- hängig davon, ob eine parlamentari- rizontalen Achse wird angenommen, von ausgegangen werden kann, dass sche Mehrheit (plus Reformprojekte) dass eine postmaterialistische Orien- nur eine Minderheit in der Linkspar- oder eine gesellschaftliche Mehrheit tierung mit einem eher egalitär-par- tei genauere Kenntnis über Gramsci (plus Linksregierung als »hegemoni- tizipativen Politikstil und umgekehrt haben wird«, so fraglich ist seine Kri- ales Projekt«) notwendig sei, wäre eine materialistische Orientierung tik an dieser Stelle. Die Vorsitzenden die Frage spannender, welche Kri- mit einem eher hierarchischen Poli- schreiben, dass sich DIE LINKE in ei- terien linkes Regierungshandeln er- tikstil verknüpft ist. Mit dieser ori- nem »anderen historischen Kontext« füllen müsste, um Teil einer gegen- ginellen und durchaus überzeugen- befi ndet als jenem, in dem Gramsci hegemonialen Strategie zu werden den Strukturierung des politischen seine Vorstellungen für eine revolu- bzw. zu bleiben. Hier lässt sich an die Raumes lassen sich bestimmte Kon- tionäre Partei entwickelt hat. Außer- Überlegungen von Tom Strohschnei- fl iktlagen in der LINKEN plausibler dem gelte für sie bei allen organisa- der, aber auch zuletzt von Raul Zelik, erklären. Einige Akteure werden zu- torischen und strategischen Heraus- anknüpfen. Beide plädieren (bei al- dem verwundert sein, wie nah bzw. forderungen: »keine Aktivierung oh- len Unterschieden) dafür, dass eine wie entfernt sie von anderen Akteu- ne Demokratisierung«. Linksregierung die Begrenztheit des ren verortet werden.

38 DISPUT September 2014 FEUILLETON

or zehn Jahren brann- bar. Die Truppen der USA wussten te in Weimar eine der gar nicht, was sie zwischen Euphrat ältesten und schöns- und Tigris an Natur- und Kunstschät- ten Bibliotheken, die zen pulverisierten. Nur weil es hieß, »Anna-Amalia«. Der da regiert ein Diktator, der ABC-Waf- VDachstuhl und die oberste Galerie fen hortet! Solche Waffen fand man des Rokokosaals standen in Flam- nie. Aber die ersten Bibliotheken der men. 900 Menschen eilten zur Menschheit wurden zu Asche. Rettung der Bücher und Kunstwer- Wer Öl ins Feuer gießt, wird zum ke herbei. Sie bargen tausende Brandstifter. Bei der Anna-Amalia-Bi- Gauck erinnerte an Willy Bände. 50.000 Bücher wurden ein bliothek vermutet man marode Strom- Brandts Kniefall in Warschau. Dass Raub der Flammen. Die Bibliothek kabel und beklagt den endlosen Streit Brandt nach Unterzeichnung der gehört zum Unesco-Weltkulturer- um die Kostenträger. Jeder Auslands- Ostverträge als »Verzichtspoliti- be. Die Restauration der geschä- einsatz der Bundeswehr kostet mehr. ker« in Bonn ausgepfi ffen wurde, digten Bücher kann noch fünfzehn In Weimar kommen nun die 23.000 ist vergessen? Dass die DDR Jahr- Jahre dauern. Die Mühen und Er- schwer verletzten »Aschebücher« ins zehnte früher als die BRD die Oder- folge der Restauratoren sind jetzt Labor. Blatt für Blatt aufweichen, rei- Neiße-Grenze anerkannte auch? in einer Ausstellung in Weimar zu nigen, trocknen, mit Papierbrei und Polen und die Bunderepublik sind sehen. hauchdünnem Japanpapier stabilisie- nun NATO-Partner und richten ih- Unter den schwer beschädig- ren. Werke zur Naturkunde, Noten- re Lautsprecher gegen Russland. ten Büchern fand man ein Werk blätter, uralte Landkarten, Erstaus- Gauck sagte, dass die Partner- von Nikolaus Kopernikus aus dem gaben von Goethe, Schiller, Wieland, schaft mit der EU »von Russland de Jahr 1543. Der Astronom fand her- Herder … facto aufgekündigt wurde.« Wenn aus, dass sich die Erde um die Son- Herder war Theologe – wie der man hinterher den Generalsekre- ne dreht und nicht umgekehrt. Das Bundespräsident, der zum 75. Jahres- tär der NATO sprechen hört, fehlt wurde zum Fundament für ein neu- tag des deutschen Überfalls auf Po- nur noch der Satz, dass ab morgen es Weltbild und bewies, wie auch len in Danzig sprach: »Heute dürfte es zurückgeschossen wird. Aber die Darwin: Die Welt ist erkennbar und in Deutschland nur wenige Menschen Bundesregierung betont ja, dass damit veränderbar – im Guten wie geben, die persönliche Schuld für es bei der Militarisierung der Au- im Bösen. die Verbrechen des NS-Staates tra- ßenpolitik um »humanitäre Hilfe« Ach, wenn es doch jeder begrei- gen.« Wirklich? Weil der Henker von geht: Verbandszeug, Haferfl ocken fen würde! Gerade heute, wo nach Warschau, SS-General Reinefarth, als und Waffen. den zwei blutigsten Weltkriegen Bürgermeister von Sylt in Ehren be- Herder schrieb vor 200 Jahren manche Politiker einen dritten her- graben wurde? Weil die Chefs der De- in seinen »Briefen zur Beförderung beireden. Überall, wo es nach Öl gussa, die das Zahngold der KZ-Häft- der Humanität«: »Der Krieg, wo er riecht oder geostrategische Vortei- linge eingeschmolzen haben, ihre Tre- nicht erzwungene Selbstverteidi- le winken, da wird Krieg gemacht. sorschlüssel an würdige Nachfolger gung ist …, ist ein unmenschliches, Der Irak gilt als eine Wiege der abgaben? Weil die Neonazis, die in al- ärger als tierisches Beginnen …« Menschheit. Aber nach drei Golf- len deutschen Landen aufmarschie- Nachzulesen in der Anna-Amalia- kriegen wurde er fast unbewohn- ren, noch nicht im Bundestag sitzen? Bibliothek.

JENS JANSEN Illustration: Ale Sund

Das Gedächtnis der Menschheit

DISPUT September 2014 39 KUNST

Ein Gespräch mit Klaus Bädicker über Knipsen, Fotokunst als Waffe und volle Datenspeicher

ir leben in Zeiten verschiedene Perspektiven ka- te: wohlbekannte Motive von der milliardenfa- men ins Spiel, Kompositionen, völlig unerwarteten Positio- chen schnellen Licht und Schatten, Inszenie- nen zu fotografi eren. Hast du Digitalfotogra- rungen. Haben dich diese Pi- auch diesen »anderen« Blick fi e und erleben oniere und Meister der Foto- oder Instinkt, ein Motiv zu ent- Wtrotzdem die Faszination des kunst irgendwie beeinfl usst? decken? Fotos – von Werbung, Medien Immer wenn ich in der Bergstraße Irgendwann steht man wieder auf bis Kunst. Wie erklärst du dir in Berlin-Mitte das Haus Nummer einem Hof und schaut unwillkür- diese Wirkung? 70 erreiche, läuft mir ein Schauer lich nach oben, nimmt die Kame- Ein gutes Foto kann wie ein Roman den Rücken herunter. Hier stand vor ra und hält diesen Eindruck fest. sein, es kann dir einen besonderen über 100 Jahren Heinrich Zille und In den sich abzeichnenden Kontu- Augenblick, deine Umwelt oder ei- machte ein Foto vom Erdgeschoss, ren des Hauses zeigt sich die Gestal- nen Menschen für dein Leben fest- von Souterrain und Hochparterre. tungskraft und -motivation des Bau- schreiben. Gute Fotokunst zeigt Au- Daraus entstand eine sozialkritische meisters. Billige Mietskaserne mit genblicke, die ein Einzelner sah, fest- Zeichnung zwischen Himmel und Lichtarmut oder großzügige Herr- hielt, weitergab und unser Leben Hölle. Das hat mich tief beeindruckt: schaftswohnanlage. Das entstande- bereichern. Als Augenschmaus, geis- sein bewusst gesuchtes Motiv. ne Foto beschreibt das nachdrück- tige Nahrung. Aber es sind auch die Bilder von lich in seinen Schwärzungen und Bei der Werbung schreit mich eher Titzenthaler oder Schwarz, die die Lichtern. Und ich hatte den Ehrgeiz, ein Foto an, es ist zumeist gestellt, Stadt unserer Eltern, mein Berlin, so viele Höhen wie möglich zu er- auf vordergründige Beweggründe ablichteten – so wie sie war, später reichen, ob Rotes Rathaus, Fernseh- aus. Weil das aber funktioniert, wird in großen Bereichen unterging. Und turm, Marienkirche, Goldelse oder auch da das Foto leider eingesetzt. das in beeindruckender Qualität, Sophienkirchturm. Von oben ist al- Schade. Lichtstimmung und Blickwinkel. Ich les viel freundlicher, viel spannen- Der Siegeszug der Fotografi e habe diese Bilder immer und immer der. Das hat mich ungeheuer beein- im 20. Jahrhundert begründe- wieder betrachtet und deren Kom- fl usst und bereichert, Frosch oder te sich auch aus der dokumen- position als Lernprozess für mich ge- Vogel zu sein. tierenden Glaubwürdigkeit der sehen. Wann ging es los mit »knip- Bilder, zum Beispiel bei Hein- Die berühmten Majakowski- sen«, was war dein erster Foto- rich Zille, August Sander, Tina Aufnahmen von Rodtschenko apparat? Modotti, Alexander Rodtschen- sind immer noch modern und Mein erster geliehener Fotoappa- ko. Doch dann kam schon der faszinierend. Seine Städtebil- rat war schon eine Praktika PLC1, Wandel im visuellen Denken, der ebenso. Wie er selbst sag- also eine Spiegelrefl exkamera. Da

40 DISPUT September 2014 »Kindern gefällt immer das Grau und der Charme des Staubes, die kreative Unordnung. Heute dürfen Häuser ja nicht mehr altern, es cremt allerorts.«

sieht man sofort, was später auf dem hart und zeigen Missstände hat. Diese Bilder sind ein Teil Negativ sein wird. Du kannst also ohne Retusche. Foto ist Waf- der Auseinandersetzung und schon bewusst auswählen. Damit ha- fe. Deine Bilder, dazu gibt es Protest. Wie kam es zu diesen be ich 1964 in Weimar meine ersten verschiedene Bücher (spezi- Arbeiten, und wie sind noch Bilder gemacht. ell »Berlin – die alte Mitte von heute die Reaktionen darauf? Im Stile von »Kuhle Wampe« 1984 –1994«), zeigen Kulturge- Ein kluger Direktor des VEB Kom- entstand die Arbeiterfotogra- schichte, wie sie sich in vielen munale Wohnungsverwaltung Ber- fi e. Ihr Slogan: Wir belichten deutschen Städten abgespielt lin-Mitte, einst Studienfreund in Wei- >

Hausputz in der Linienstraße, Berlin-Mitte, 1987 Fotos: Klaus Bädicker, privat

DISPUT September 2014 41 KUNST

Straßenfest am Arkonaplatz, Berlin-Prenzlauer Berg, 1988 »Jibt dir Foto: Klaus Bädicker det Leben een Puff, denn weine keene Träne! Lach dir’n Ast und setz dir druff und baumle mit de Beene.« mar, André Janka, fragte mich, ob es mehr gewusst zu haben. Andere äu- eine Aufgabe für mich sein könnte, ßern, ich würde die Bilder bewusst in seinem Informationszentrum in in Grau halten, um so die Zustände Heinrich Zille der damaligen Wilhelm-Pieck-Straße in der DDR zu dramatisieren. Kin- Berliner Zeichner und Fotograf für Tafeln mit Bildern zuständig zu dern gefällt immer das Grau und sein. In diesem Zentrum sollten den der Charme des Staubes, die krea- Menschen aus Mitte sachkundig die tive Unordnung. Heute dürfen Häu- bert Schwarz fotografi erte so. Das Modernisierungsvorhaben erläutert ser ja nicht mehr altern, es cremt fand ich damals überzeugend. Eines werden. Dazu zählte die Beschrei- allerorts. Tages fand ich einen Schuhkarton bung der bislang unzureichenden Es fällt auf, dass ein großer Teil mit vielen aussortierten Negativen. Wohnzustände und in Gegenüber- deiner Themen direkt mit Städ- Darauf waren dann doch Menschen, stellung deren Überwindung durch ten, Architektur und Kiezen zu die ich fl eißigst zur 750-Jahr-Feier bereits vollzogene Modernisierun- tun hat. Menschen fotografi erst Berlins fotografi ert hatte. Also doch gen oder innerstädtische Plattenbau- du kaum. Dafür gibt es eine Er- Menschenbilder, aus der Mitte. ten. Ich sagte begeistert zu. Also zog klärung? Dann machst du aber auch ich mit einer inzwischen Praktika Ich warte tatsächlich meist, bis alle »Gefälliges«, Tür, Tore und PLC2 und Pentaconsix und zeichne- Menschen aus meinem beabsichtig- Fenster in Dänemark, Herren- te die Realität auf. ten Bild verschwunden sind. Heute häuser und Sonnenuntergänge Heute stehen sehr unterschiedlich bereue ich diese Idee, über die De- mit Meer. Es soll nicht abfällig empfi ndende Menschen vor mei- tails am Haus, Gardinen, Blumentöp- klingen, aber neben den harten nen ausgestellten Bildern. Einige fe, Werbeschilder das darin vorhan- Bildern brauchst du dann auch seufzen und meinen, das so nicht dene Leben sprechen zu lassen. Al- etwas »Romantisches«?

42 DISPUT September 2014 »Da genügen Wäscheleine und viele Bilder aus der Mitte zu DDR-Zeiten, von Laterne zu Laterne gespannt. Derweil sie hängt, bin ich unterwegs im angrenzenden ›Scheunenviertel‹ mit besagter Foto- bildmappe unter dem Arm. Begleiter gewünscht.«

wohl so, dass es kaum noch ein Fach Fotografi e einführen wol- unbearbeitetes Bild gibt, ganz len? Damit Kinder und Jugendli- ohne PC-Einsatz, dass Smart- che nicht nur das schnelle Han- phones Fotoapparate »erset- dy-Foto machen, sondern Fo- zen« und dass das tolle Gefühl tografi e als Kunstform und als ausgestorben ist, die Abzüge Teil der kulturellen Bildung ver- aus dem Labor zu bekommen standen wird. und die Tüte mit den Abzügen Zum Glück gibt es noch genügend in der Hand zu haben. Tausen- gute Lehrer, die von sich aus der Fo- de Banalbilder in der Cloud sind tografi e Raum in der künstlerischen ja wohl was anderes, als ein Bildung einräumen. Es gibt Volks- gegenständliches Bild an der hochschulen, wo sogar ich mit ei- Wand zu haben, im Album oder nem Foto-Kurs liebäugele. In der in einer Ausstellung. Ich vermu- Schule gibt es das Fach Ethik. Da ge- te, du würdest am liebsten alle hört das Bild in politischer oder äs- deine Bilder ausstellen wollen? thetischer Aussage sowieso hinein. Für ein größeres öffentlich einsehba- Vielleicht entstehen dann weniger res Portfolio hatte mir vor drei Jah- »Selfi es«, die wohl ihre Berechtigung ren mein Sohn Florian eine Websei- haben, aber eben in höherer Quali- te programmiert. Da ist ein Quer- tät. Und manch ein Nachkommender schnitt meiner Arbeiten zu sehen. meint es dann ernst mit der Fotogra- Das erweitere ich von Zeit zu Zeit, fi e als Argument oder notfalls Waf- immerhin sind es schon jetzt meh- fe gegen unendlich viele Missstände rere Tausend Fotos. Cloud ist nicht auf dieser unserer Erde. mein Ding, ist mir zu anonym. Und Wann sehen wir die nächste es gibt bei mir zu Hause jede Menge Ausstellung von dir? Papierbilder, die ich als »Sicherungs- Es werden gleich zwei nacheinander kopie« und in die Hand nehmbar werden. aufbewahre. Auch als fassbares Erbe Eine Eintagsausstellung (die den für die Kinder. gleichen Ernst erfordert) wird am Ausstellungen sind immer eine gro- 20. September vor der Volksbüh- Weniger die Romantik oder Gefällig- ße Herausforderung, sich selbst ge- ne in Berlin zum Fest der Linken zu keit, mehr die schönen Blicke, die ei- genüber und dem Betrachter zur sehen sein. Da genügen Wäschelei- nem in einer Stadt vorenthalten wer- Selbstbewertung. Sie machen Sinn, ne und viele Bilder aus der Mitte zu den. In ihr gibt es kein: »Eine Villa führen immer zu Gesprächen am DDR-Zeiten, von Laterne zu Laterne im Grünen mit großer Terrasse, vorn Bild. Meine gute Erfahrung. Und ich gespannt. Derweil sie hängt, bin ich die Ostsee, hinten die Friedrichstra- gehe dann gerne mit den »alten« Auf- unterwegs im angrenzenden »Scheu- ße«, da musst du schon ans Meer. nahmen unter dem Arm in die Wirk- nenviertel« mit besagter Fotobild- Übrigens sind Türen der Willkom- lichkeit, im Vergleich das Erreich- mappe unter dem Arm. Begleiter ge- mensgruß des Hauses. Je schöner te gemeinsam zu bewerten. So habe wünscht. Tür oder Tor, desto willkommener ich es bei fast allen Ausstellungen Und für den April 2015 konzipiere könntest du sein. Und das uns um- gehalten. ich gerade eine Ausstellung in den gebende Land Brandenburg hat ja Auch bei der Fotografi e lässt Gängen der Volkshochschule Mit- auch viele schöne Häuser. Auf mei- sich ein Prozess beobach- te mit dem Titel »Straßengefl üster«. ner Internetseite (www.baedicker. ten, der einerseits permanent Die möchte ich mit Studenten der de) sind bislang mehr Zugriffe auf die Fototechnik, Bildbearbei- FU Berlin, die sich vor Kurzem von die Herrenhäuser des Landes Bran- tung verbessert und anderer- vielen Straßen in Mitte »etwas ins denburg als auf die Spandauer und seits nicht adäquat zur Verbes- Ohr fl üstern« ließen, gemeinsam ma- Rosenthaler Vorstadt. Ich bin den- serung der Qualität, zur künst- chen. Das ist genau der richtige Ort. noch Berliner mit Geist und Seele, lerischen Reife und visuellen Genau da, wo auch Fotografi e unter- wohne mittlerweile im Land Bran- Denkweise führt. Würdest du, richtet wird. denburg. als Bildungsminister in einem Zurück zum Handwerk. Es ist ja Rot-Rot-geführten Land, das GESPRÄCH: GERT GAMPE

DISPUT September 2014 43 STIFTUNG Einblicke

Ausstellung »politik macht frauen« im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin VON CHRISTINE GOHSMANN

chätze gehören gehoben und nikation und Trialon Marketing und verdienen es, angemessen prä- Kontakt Kommunikation GmbH für die Un- S sentiert zu werden! Nur so er- terstützung. Die Erfahrungen aus der fährt die Welt vom Wert der ange- Rosa-Luxemburg- Präsentation der Ausstellung wäh- häuften Reichtümer, und der Eigen- Stiftung e. V. rend des Tages der Archive und den tümer kann sich der Anerkennung Archiv Demokratischer folgenden Wochen zeigen, dass sich ihres Wertes versichern!1 Sozialismus über die Dokumente, deren Auswahl Bei den angesprochenen Schätzen Christine Gohsmann und Präsentation gut ins Gespräch handelt es sich um die Quellen und Telefon 030/44310131 kommen lässt – nicht nur mit Besu- Dokumente zur Geschichte der Par- [email protected] cherinnen und Besuchern, sondern tei DIE LINKE, ihrer Quellorganisati- auch mit den porträtierten Politike- onen PDS und WASG und derer zur rinnen! Geschichte der politischen Grund- Zwei der insgesamt 18 Ausstel- strömung des Demokratischen Sozi- lungstafeln wurden am Stand der alismus. Das Archiv Demokratischer Rosa-Luxemburg-Stiftung während Sozialismus (ADS) ist das für diese Werner, Gesine Lötzsch, Christa Luft des Parteitages im Mai 2014 in Ber- Materialien zuständige Archiv. Seine und Rosel Neuhäuser. Neben biogra- lin gezeigt. Das ADS freut sich, die Aufgabe besteht im Sichern, Bewah- fi schen Informationen sind auf den Ausstellung ab 30. September im ren und Erschließen der Dokumente Tafeln Angaben zu Ämtern und The- Rosa-Luxemburg-Saal des Karl-Lieb- in analoger und digitaler Form. Wer men der politischen Arbeit erfasst. knecht-Hauses in Berlin präsentie- als Benutzer/in Einsicht in die Be- Aus der Arbeit des Parteivorstandes, ren zu können. Wir wünschen uns ei- stände ADS nimmt, bekommt einen der Gruppe bzw. Fraktion der PDS im nen lebendigen Austausch über die- Eindruck von der Vielfalt des Quel- Deutschen Bundestag sowie aus den ses Themenfeld der Parteigeschich- lenmaterials. Neben den Aktenbe- Büros der Abgeordneten wurden Do- te und die ausgewählten Dokumente. ständen geben Flyer, Flugblätter, Fo- kumente ausgewählt, die über die ge- Wir hoffen, dass sich die Akteurin- tos und Plakate etc. Auskunft über sellschaftspolitischen Debatten jener nen und Akteure der Politik ange- Initiativen, Aktionen und Kampag- Zeit Auskunft geben. Ausstellungen spornt fühlen, uns die Dokumente nen der jeweiligen Periode der Par- haben den Nachteil, dass durch den ihrer Arbeit zu übergeben, damit sie teigeschichte. vorhandenen Platz Grenzen gesetzt bei ähnlichen Gelegenheiten in ange- Die Archivarinnen und Archiva- sind, also zwangsläufi g eine Auswahl messenem Rahmen präsentiert wer- re des ADS haben Anfang 2014 den getroffen werden muss. Es kann aber den können. Sie können so die histo- bundesweit veranstalteten Tag der immer nur das gezeigt werden, was rische Forschung und die politische Archive zum Anlass genommen, eine tatsächlich den Weg in Archiv gefun- Bildungsarbeit unterstützen und da- Ausstellung zu konzipieren, um auf den hat! zu beitragen, dass ein vielschichtiges interessante Dokumente und Aktio- Das ADS bedankt sich bei Media- Bild der gesellschaftlichen Realität nen aufmerksam zu machen. Unter Service GmbH Druck und Kommu- entsteht. dem Thema »politik macht frauen« Wir wünschen der Ausstellung wählten sie aus den erschlossenen viele Besucherinnen und Besucher Beständen des Zeitraums 1989/90 und hoffen auf eine breite Resonanz! bis 2002 diejenigen Archivalien aus, Es ist vorgesehen, dass die Ausstel- die die Aktivitäten der Abgeordne- lung »politik macht frauen« im An- ten, Politikerinnen und Mitarbeite- schluss an die Präsentation im Karl- rinnen auf den Themenfeldern Frau- Liebknecht-Haus republikweit auf en, Geschlechterverhältnisse und Fa- Wanderschaft geht. Wer einen Ein- milie aus ihrer Sicht am nachhaltigs- druck von den Tafeln und den prä- ten präsentieren. Im Plakatfundus sentierten Dokumenten gewinnen fanden sich eindrucksvolle Motive, möchte, kann sich unter http://www. die in die Ausstellung integriert wer- rosalux.de/stiftung/archiv/archiv/ den konnten. Exemplarisch wurden ausstellung-politik-macht-frauen. Tafeln zu Politikerinnen zusammen- html informieren. gestellt, von denen im Archiv Unter- lagen vorhanden sind: Petra Bläss, 1 Siehe DISPUT 3/2012: »Schatzkam- Dagmar Enkelmann, Heidi Knake- mern der Parteigeschichte«

44 DISPUT September 2014 NACHBELICHTET

ARTHUR PAUL

Kampfhunde mit Brille

as sieht doch schlimm er erweitert nicht, sondern wartet, Die Plätze für Lückenbauten wer- aus, sagen viele. Aber bis die Preise klettern. Drum malten den rar und die Makler-Haie im- die Graffi ti-Sprayer »böse Buben« einen Immobilien-Hai mer mehr. Die letzten freien Groß- dachten: Die schlim- an die Wand (oben zerstückelt). Da- fl ächen zeigen meist mehr Wut me nackte Wand zu die Kampfhunde mit Brille (oben als Kunst. Ein Wandspruch mahnt: D muss bunt werden. Die Betrach- und unten rechts). Und sie schrie- »Die Grenze verläuft nicht zwi- ter fragen: Was soll das Chaos ben das Wort Dreck dazu. schen Ost und West, sondern zwi- von Buchstaben? Da gibt es aber Das war keine hirnlose Kleckserei. schen Oben und Unten!« auch Spezialisten für Fassaden- Das war bittere Gesellschaftskri- In Bayern und Tirol werden die gestaltung, die berichten: Diese tik. Vor vielen Jahren meinten Stadt- Lüftlmaler verehrt. In Mexiko sind Brandschutzwand war mal von planer: Da sollten Berufskünstler die Wandbilder von Rivera und einem Nachbarhaus verdeckt. helfen. Veredeln ist besser als ver- Siqueiros ein Tourismus-Mag- Dann schlug eine Bombe ein. dammen! Sie sorgten für Förder- net. Die »Mauergalerie« in Berlin In den Großstädten hatten vie- geld. Und so entstanden in Berlin macht sich bezahlt. Für Anfänger le Straßenzüge solche »Zahnlü- 480 Fassadenbilder, von denen ei- aber gilt: Eure Übungen an Wohn- cken«. Als hier die Trümmer weg- nige beachtliche Wirkung hatten: häusern sind zu geistlos und zu geräumt waren, kaufte einer das Ein Dampfer kreuzt die Straße. Ein teuer! billige Grundstück zur Erweite- Reißverschluss teilt die Wand ... Die- rung der Fabrik nebenan. Doch se Bilder sind nun aber verwittert. Foto: Gert Gampe

DISPUT September 2014 45 LESEN

Erwachsen werden im Jahr 1989

zu mindestens drei Jah- GELESEN VON feinsinnig und differenziert ren »Ehrendienst« in der INGRID FEIX erzählt. Er schafft es, un- NVA verpfl ichten. Wenn aufdringlich verschiede- er das nicht tut, so der ne Charaktere wie auch Lehrer, kann er aber sei- die normalen Probleme nen Germanistikstudien- mit dem Erwachsenwer- platz »vergessen«. Daniel den zu zeigen. Es stecken macht die Bekanntschaft haben. Dass hier reale Per- sehr viele kleine Beobach- mit Leuten einer Gruppe sonen und Vorgänge mit tungen des Alltagslebens Oppositioneller, die dabei einer fi ktiven Geschichte in seinen Bildern. »Für uns PM HOFFMANN/ sind, das Neue Forum als verknüpft sind, macht das Kinder war es einfach nur BERND LINDNER eine Plattform demokrati- Ganze für Leute, die dabei eine Kindheit in einem klei- HERBST DER scher Erneuerung zu or- waren, auch zu einem Erin- nen Land«, hat Mawil ein- ENTSCHEIDUNG ganisieren. Gegen den Wi- nerungsbüchlein. mal ganz unprätentiös ge- CH. LINKS VERLAG derstand des Vaters, ei- sagt. 96 SEITEN, 14,90 EURO nes Hochschullehrers, benso um Erinnerun- Während es in »Herbst und auch aus Sympathie gen geht es bei der der Entscheidung« in ers- für eine der Bürgerrecht- E Graphic Novel »Kin- ter Linie um die politi- icht nur in Zeitun- lerinnen ist Daniel fortan derland« von Mawil, der schen Ereignisse im Herbst gen und Zeitschrif- bei den Montagsdemons- eigentlich Markus Witzel 1989 geht, machen sie bei N ten ist die Comic- trationen an der Nikolai- heißt und ein autobiogra- Mawil den Hintergrund Geschichte inzwischen kirche dabei. Die Ereignis- fi sches Album zum Jahr aus. Sie prägen die Stim- eine feste Rubrik, auch se überschlagen sich, und 1989 gezeichnet und ge- mung des Buches. »Kinder- immer mehr Buchverla- während die Bürgerrecht- textet hat. Sein Protago- land« ist kein Kinderbuch, ge versuchen, mit Gra- ler noch über Strukturen nist, Mirco, geht erst in auch wenn es auf den ers- phic Novels neue Leser und Ziele diskutieren, hat die siebente Klasse, lebt ten Blick so wirken mag, für sich zu gewinnen. Wer auf der Straße längst die in Ostberlin und gehört zu es steckt viel freundliche mit Mickey Mouse und Euphorie für die Westmark den eher Unauffälligen, zu Ernsthaftigkeit darin, man Superman aufgewachsen gesiegt. Daniel sieht sich den Nerds. Er ist ein guter kann es aber gut mit Kin- ist, fi ndet vielleicht später am Ende wieder vor eine Schüler, außer vielleicht in dern ansehen. über diese Form auch Zu- Entweder-Oder-Entschei- Sport, ein bisschen klei- Mawil ist inzwischen gang zu anderen Themen, dung gestellt, will aber et- ner als die anderen Jungs, zu einem der wichtigsten mag der Gedanke dahin- was »dazwischen«. Der vi- wird nie so richtig ernst ge- Zeichner und Autoren von ter sein. So kommt es, sionäre letzte Satz in der nommen, auch nicht von Gaphic Novels geworden, dass selbst der 25. Jah- Geschichte heißt: »Träum den Mädchen. Die Lehre- auch weil er ein guter Be- restag des Falls der Mau- weiter, Junge! Die Würfel rin sieht in ihm ein Vorbild, obachter der Realität ist. er in Zeichengeschich- sind doch längst gefallen!« die Mitschüler nennen ihn ten auftaucht. Jedenfalls Was in dem Buch ziemlich einen Schisser. Für den stellt nun erstmals der holzschnittartig in Bild und Pubertierenden ist dies Ch. Links Verlag, bekannt Wort erzählt wird, wirft ein wichtiger Sommer, er für politische und zeitge- ein Schlaglicht auf Leute muss und will sich bewei- schichtliche Literatur, eine und Ereignisse, die inzwi- sen, und zwar an der Tisch- Graphic Novel vor. »Eine schen für heute 25-Jährige tennisplatte. Als er es fast Geschichte aus der Fried- nicht nur einer grauen Vor- geschafft und ein Tisch- lichen Revolution 1989« zeit angehören. Von die- tennisturnier an der Schu- wird vom Zeichner PM sen Geschehnissen weiß le organisiert hat, bei dem Hoffmann und dem His- kaum noch einer etwas, er sich und anderen be- toriker Bernd Lindner er- wie aktuelle Umfragen be- weisen will, was in ihm zählt. legen. Das erklärt wohl steckt, kommt der Mauer- Daniel, ein 17-jähriger auch, warum die Autoren fall dazwischen. Was hier MAWIL Leipziger Abiturient, will diese Bildgeschichte in ei- nur grob als Geschich- KINDERLAND sich nicht, wie die ande- nen ungewöhnlich üppigen te skizziert ist, hat Mawil REPRODUKT VERLAG ren Jungen seiner Klasse, textlichen Rahmen gestellt auf knapp 280 Seiten sehr 280 SEITEN, 29 EURO

46 DISPUT September 2014 SEPTEMBERKOLUMNE

as geplante Freihandels- gegen Warnungen vor den Folgen des abkommen zwischen der Rauchens oder für das Recht auf Ver- Europäischen Union und seuchung des Amazonas durch Öl- den USA, TTIP (Transatlan- konzerne. Besonders betroffen von tic Trade and Investment diesen privaten Schiedsverfahren war DPartnership), ist ein Freifahrtschein Argentinien nach dem notwendigen für die rücksichtslose Profi tmaximie- Schuldenschnitt von 2002. Die aktu- rung internationaler Konzerne. Den elle partielle Staatspleite Argentini- Gesellschaften auf beiden Seiten des ens wurde zwar vor einem regulären Atlantiks wird durch TTIP die Möglich- US-Gericht erzwungen – der Fall zeigt keit genommen, Menschen und Um- aber, dass das Kapital auch die Pleite welt durch Gesetze dagegen zu schüt- eines ganzen Staates in Kauf nimmt, zen. Betroffen sind Arbeitsrechte, wenn es nur Profi t verspricht. Sozialstandards, Umweltschutzvor- Weil der EU-Kommission und der US- schriften, Schutzvorschriften für den Regierung die Brisanz des Abkom- Einsatz von Giftstoffen oder Banken- mens bekannt ist, sollte es in weniger regulierungen – dies sind »nicht-ta- als zwei Jahren in Geheimverhandlun- rifäre Handelshemmnisse«, die durch gen durchgepeitscht werden. Der EU- das TTIP eingeschränkt oder beseitigt Chefunterhändler Ignacio García Ber- werden sollen. EU-Handelskommis- cero versicherte den USA schriftlich, sar Karel De Gucht sagte im Oktober dass der Öffentlichkeit bis zu 30 Jah- 2013: »Regulatorische Hindernisse re lang keine Dokumente zugänglich sind schwerer zu beseitigen als tradi- sein sollen. Auch Abgeordnete in der tionelle Handelshemmnisse. Es wird EU und den USA haben keine Einsicht nicht einfach werden, aber es wird in den Verhandlungsstand. Während sich lohnen.« die Informationen vor der Öffentlich- Es wird sich tatsächlich lohnen, aller- keit wie in einem schlechten Spiona- dings alleine für die großen Konzerne gefi lm gesichert werden, haben die als der treibenden Kraft hinter TTIP. Konzernlobbyisten uneingeschränk- Die Menschen in der EU und den USA ten Zugang. dagegen werden den Preis zahlen für Aber es formiert sich Widerstand ge- deren steigende Profi te. gen das TTIP. So haben sich rund 150 SAHRA WAGENKNECHT Teil des TTIP sind auch private Nicht-Regierungsorganisationen aus Schieds verfahren. Dieses Instru- 18 EU-Ländern zu einer Europäischen ment wurde für Geschäfte in Entwick- Bürgerinitiative zusammengeschlos- lungsländern eingerichtet, auf deren sen, um TTIP zu stoppen. In der Ver- TTIP – ein Rechtssicherheit sich die Konzerne gangenheit war es einer ähnlichen nicht verlassen wollten. Was dort für Bürgerinitiative gelungen, die Privati- Freifahrtschein die Konzerne gut funktionierte, soll sierung von Wasser in der EU zu ver- für Konzerne nun auch in der EU und den USA ein- hindern. Auch DIE LINKE unterstützt geführt werden: Eine Handvoll priva- den Widerstand gegen TTIP. Die Ver- ter Anwälte klüngelt anstelle eines handlungen sollen bis zum Jahr 2015 Gerichts und unter Ausschluss der Öf- abgeschlossen werden. Es bleibt fentlichkeit, ob ein Gesetz den Pro- noch Zeit, diesen Freifahrtschein für fi t von Konzernen schmälert. Die Ent- internationale Konzerne zusammen scheidungen dieser Schiedsgerichte mit Gewerkschaften und sozialen Be- sind bindend für den Staat, der im Ge- wegungen aufzuhalten. Seien es TTIP, gensatz zu den Konzernen dort nicht TiSA oder CETA: Grundsätzlich müs- klagen darf. In Zukunft müsste so je- sen diese undemokratischen und ge- de politische Entscheidung vorab ge- meinwohlgefährdenden Freihandels- prüft werden, ob sie möglicherweise abkommen verhindert werden, wollen die Geschäfte eines Konzerns betrifft. wir soziale Errungenschaften nicht zu- Mit solch einem Vertrag wäre kaum gunsten der Profi tmaximierung gro- ein sozialer Fortschritt der letzten ßer Konzerne aufgeben. hundert Jahre legal gewesen. Die Zahl dieser Verfahren hat in den letzten SAHRA WAGENKNECHT IST ERSTE zehn Jahren massiv zugenommen. Ge- STELLVERTRETENDE VORSITZENDE DER klagt wurde gegen den Atomausstieg, BUNDESTAGSFRAKTION. Foto: DIE LINKE

DISPUT September 2014 47 SEITE ACHTUNDVIERZIG

Die schönsten Kinderwitze und Rätsel für Erstleser

© Arena Verlag, Würzburg, 2014 136 Seiten, 5 Euro ISBN 978–3–401–70248–3