Baden-Württemberg
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Baden-Württemberg STAATSMINISTERIUM PRESSESTELLE DER LANDESREGIERUNG PRESSEMITTEILUNG Nr. 113/2007 12. April 2007 Ansprache des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther H. Oettinger anlässlich des Staatsakts zum Tod von Ministerpräsident a. D. Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Filbinger im Frei- burger Münster Verehrte liebe Frau Filbinger, liebe Familie Filbinger, ich grüße die fünf Kinder, 14 Enkelkinder, zwei Urenkel, und alle Angehörige, Herr Landtagspräsident, Herr Bundesminister, lieber Lothar Späth, lieber Erwin Teufel, verehrte Vertreter der Regierung und von Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, verehrte akti- ve und ehemalige Mitglieder der Landesregierung Baden-Württembergs, des Deutschen Bundestages und des Landtags von Baden-Württemberg, Herr O- berbürgermeister, Herr Weihbischof Klug, verehrte Vertreter der Kirchen, liebe Freunde und Weggefährten von Hans Filbinger, verehrte Trauergemeinde, Tief bewegt nehmen wir Abschied von Hans Karl Filbinger. In Trauer, aber auch voller Respekt und Hochachtung verneigen wir uns vor ei- ner großen Persönlichkeit, einem herausragenden Politiker und vor seinem Le- benswerk. Unser Mitgefühl und unsere aufrichtige Anteilnahme gilt Ihnen, liebe Frau Filbinger und gilt den Kindern, den Enkeln und den Angehörigen. In christli- cher Verbundenheit teilen wir Ihre Trauer, auch wenn wir wissen, dass Worte und Gesten über den schweren Verlust nicht hinweghelfen können. Die Nach- richt vom Tode Hans Filbingers hat uns alle tief bewegt. Viele sind heute hier, die Hans Filbinger nahestanden: Persönlichkeiten des öf- fentlichen Lebens, Weggefährten, Mitarbeiter von einst und Freunde. Aus Günterstal, aus Freiburg, aus Südbaden, aus Baden-Württemberg und weit darüber hinaus. Richard-Wagner-Straße 15, 70184 Stuttgart, Telefon (0711) 21 53 - 213, Fax (0711) 21 53 - 340 E-Mail: [email protected], Internet: http://www.baden-wuerttemberg.de 2 Auch viele Bürger im Land denken in diesen Tagen an Hans Filbinger. Die Reaktionen zeigen, welcher Respekt, welche Bewunderung, ja Zuneigung ihm zuteil geworden ist. Nichts macht augenfälliger, was er für unser Land war: ein großer und verdienter Demokrat. Eine öffentliche Autorität, erwachsen aus einem Lebenswerk, das für die hervorragende Entwicklung unseres Landes steht. Mit Hans Filbinger geht einer der Letzten, der den Aufbau unseres Landes nicht nur miterlebt, sondern auch entscheidend mitgestaltet hat. Ich maße mir nicht an, sein Leben und Wirken in wenigen Sätzen zusammen- fassen zu können. Aber klar ist: Hans Filbinger war mehr als nur ein großer Poli- tiker. Seine Person steht für beinahe 100 Jahre deutscher Zeitgeschichte! So blicken wir heute mit großem Respekt auf einen Mann, der alle Höhen und Tie- fen des letzten Jahrhunderts selbst erlebt hat. Auf einen Mann, • der noch im Kaiserreich in Mannheim geboren wurde, und der fünf Jahre alt war, als der Erste Weltkrieg zu Ende ging. • der in der Weimarer Republik heranwuchs und Zeuge des Untergangs der ersten Demokratie auf deutschem Boden war. • der 20 Jahre alt war, als Hitler die Macht ergriff und 32 Jahre alt, als der furchtbare Krieg sein Ende fand. Anders als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. Al- lerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen Andere. Wenn wir als Nachgeborene über Soldaten von damals urtei- len, dann dürfen wir nie vergessen: Die Menschen lebten damals unter einer brutalen und schlimmen Diktatur! Hans Filbinger wurde - gegen seinen Willen - zum Ende des Krieges als Marine- richter nach Norwegen abkommandiert. Er musste sich wegen seiner Beteiligung an Verfahren der Militärjustiz immer wieder gegen Anschuldigungen erwehren. Es bleibt festzuhalten: Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte. Und bei den Urteilen, die ihm angelastet werden, hatte er entweder nicht die Entscheidungsmacht oder aber nicht die Entscheidungsfreiheit, die viele ihm unterstellen. 3 Hans Filbinger hat mindestens zwei Soldaten das Leben gerettet: Einer von ih- nen, Guido Forstmeier, weilt noch heute unter uns und kann bezeugen, dass sich Filbinger dabei großer Gefahr ausgesetzt hat. Manfred Rommel hat dieser Tage bekräftigt, dass er Filbingers Rücktritt vom Amt des Regierungschefs nach wie vor nicht für erforderlich gehalten hat. Wie viele andere Menschen, die das Dritte Reich erlebt haben, sei er schicksalhaft in Situationen hineingeraten, die den Menschen heute zum Glück erspart bleiben. Hans Filbinger hat also die schreckliche erste Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht nur erlebt, er hat sie auch erlitten. Jahrzehnte später wurde ihm seine Mit- wirkung während der letzten Kriegswochen vorgehalten. Viele waren befremdet. Er war betroffen und gekränkt. Mit seinem Rücktritt zog er eine weitreichende Konsequenz. Für mich und meine Generation ist es leicht, die Kriegszeit zu beurteilen. Viel- leicht aber in Wahrheit schwer oder auch unmöglich, weil wir sie nicht erleben mussten. Und wir nicht ermessen können, wie brutal und diktatorisch die Um- stände damals gewesen sind. Hans Filbinger hat vor allem viel dazu beigetra- gen, dass die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts in unserem Land einen ganz anderen, einen guten Verlauf genommen hat. Er war ein Mann der ersten Stunde. Es gibt nur wenige, die von Beginn an und bis heute um das Wohl unse- res Landes so besorgt und so erfolgreich tätig waren wie er. Unser Land, Baden- Württemberg, stünde heute nicht so gut da, wenn er nicht seine ganze Kraft, seine Ideen und Ideale, seine geschichtliche Erfahrung und sein Können einge- bracht hätte. Hans Filbinger war bereits in jungen Jahren von jenem Denken getragen, das später den Aufbau Baden-Württembergs, aber auch Deutschland im Ganzen ermöglicht hat. Welches Denken meine ich dabei? Er kam bereits in den Jahren der Weimarer Zeit zu der Überzeugung, dass der Totalitarismus von rechts und auch von links nur verhindert oder überwunden werden kann, wenn sich die Deutschen wieder auf die Traditionen der christlich- bürgerlichen Kultur besinnen. Er hat aus der Erfahrung von Weimar gelernt, 4 dass eine Demokratie nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Bürger zu rechtsstaatlichem Bewusstsein und zu humanen Werten erzogen, und wenn sie mit einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung vertraut gemacht werden. Filbinger hat deshalb den Nationalsozialismus immer verachtet. Die Weltan- schauung war für jemanden wie ihn, der aus einem katholischen Elternhaus stammte und der sich als gläubiger Christ verstand, schlichtweg unerträglich. Hans Filbinger hat aus diesem Glauben heraus gehandelt und in der Zeit des Nationalsozialismus großen Mut bewiesen: • er hat im katholischen Schülerbund „Neudeutschland“ mitgewirkt; • er hat als Leiter des Bezirks Nordbaden die Gleichschaltung mit der Hit- lerjugend bekämpft; • er hat seine Kommilitonen zur Standhaftigkeit gegen die NS-Vertreter aufgerufen; • er wurde dafür von den Nazis auf die schwarze Liste der Regimegegner gesetzt. • Der Jugendbund, dem er angehörte, wurde schließlich im Jahre 1939 durch die Gestapo verboten und die Begegnungsstätte als „staatsfeindli- ches Vermögen“ beschlagnahmt. Schon zwei Jahre vor dem Krieg ging Hans Filbinger in den Kreis um den be- rühmten katholischen Publizisten Karl Färber und den Dichter Reinhold Schnei- der, die sich in erklärter Gegnerschaft zum Regime befanden. Freunden und Verwandten hat er oft erzählt, wie prägend dieser Freiburger Kreis für ihn gewe- sen ist und wie viel er ihm verdanke. Er wirkte darüber hinaus in einem weiteren Kreis mit, der für die Entwicklung der freiheitlichen Bundesrepublik von größter Bedeutung gewesen ist. Ich meine den Kreis um Walter Eucken und Franz Böhm, jenen Begründern der „Freiburger Schule“, die bereits während des Krieges das Konzept des Ordoliberalismus entwickelt hat, woraus später die Soziale Marktwirtschaft entstand. All dies zeigt: Hans Filbinger war bereits in jungen Jahren von einem christlich-freiheitlichen Geist geprägt. Und er ist diesem Geist, dem Geist von Freiburg, sein Leben lang treu geblieben! Hans Filbinger hat später in allen Funktionen - als Wirtschaftsanwalt, als Stadtrat, als Staatsrat, als Abgeordneter, als Innenminister und auch als Regierungschef - vor allem 5 als Regierungschef - wesentlich daran mitgewirkt, dass diese Ordnung der Freiheit nicht Theorie blieb, sondern Wirklichkeit geworden ist. Viele werden es nicht wissen: Aber Hans Filbinger hat nicht als Politiker, son- dern als Wissenschaftler begonnen. Es war kein Geringerer als Walter Eucken, der den Studenten Filbinger an der hiesigen Hochschule im Jahre 1934 an das Seminar für „Recht der Wirtschaftsordnung“ berufen hat. Seine wissenschaftli- che Arbeit in Euckens Seminar war von der Absicht getragen, die Macht der großen Wirtschaftskonglomerate, die sich in Weimar so unheilvoll auswirkte, zu brechen und den Aufbau einer mittelständisch geprägten Wirtschaft zu beför- dern. Auch war es sein Ziel, dass der Grundsatz von Treu und Glauben in der Wirtschaft wieder Einzug hält und das Verhalten der Unternehmer durch ein E- thos getragen wird. Nach dem Krieg war Hans Filbinger gerade dabei, sich als Wissenschaftler und als Wirtschaftsanwalt einen Namen zu machen, als seine berufliche Entwicklung eine Wendung nahm. 1952 bot ihm der Freiburger Abgeordnete der CDU, Dr. Kopf, an, ein Mandat als Stadtrat von Freiburg anzustreben. Hans Filbinger musste sich entscheiden. Und er hat sich entschieden. Herausforderungen ist er niemals