Was Damals Rechtens War, Kann Heute Nicht Unrecht Sein

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Was Damals Rechtens War, Kann Heute Nicht Unrecht Sein JuristInnenbiografie JuristInnenbiografie »Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein« Zum Tod des ehemaligen Nazimarinerichters Hans Filbinger Für tagelange Aufregung in den bürgerlichen Medien sorgte die Rede des baden- württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger anlässlich der Trauer- feier mit anschließendem Staatsakt für den im Alter von 93 Jahren im April verstor- benen Ministerpräsidenten a. D. Hans Filbinger. Darin behauptete er, dieser sei Zeit seines Lebens ein ersichtlicher »Gegner des Nationalsozialismus« gewesen1. VON SONja MANgoLD Aufgrund der öffentlichen Reaktionen und nachdem Menschen beteiligt war, die sich dem faschistischen sogar Kritik in den eigenen Reihen laut geworden Krieg entziehen wollten. 1 Vgl. focus online, www. war, sah sich Oettinger schließlich gezwungen, seine Der Versuch Oettingers, einen Nazimilitär- focus.de/politik/deut geplante Reise nach Rom zum Geburtstag Papst Be­ richter posthum zum Widerstandskämpfer gegen schland/portraet_aid nedikts XVI. kurzfristig abzusagen und ließ seinen das NS-Regime zu erklären, scheint aber dann doch _52453 (abgerufen am Redenschreiber auf einen anderen Posten innerhalb ein bisschen zu »starker Tobak« gewesen zu sein 12. 4. 2007). 2 Vgl. Rainer Bal- des Staatsministeriums versetzen. und ist angesichts der historischen Fakten, gelinde cerowiak, Lehrstück Zuvor hatte es sich allerdings auch ein Groß- gesagt, abenteuerlich. Filbinger, in: junge teil der deutschen Presse in ihren Nachrufen nicht Welt vom 4. 4. 2007. nehmen lassen, die »Leistungen« des ehemaligen Filbinger im Dritten Reich 3 Siehe Fn 1. 4 Reinhard Mohr, »Landesvaters Baden-Württembergs« und CDU- Denn bereits als 20-Jähriger trat Filbinger dem Nachruf auf Hans Ehrenvorsitzenden Filbinger hervorzuheben, was Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund Filbinger, in: Spiegel die spätere einhellige Empörung über die Oettinger- bei und war in den Jahren 1935–1937 Mitglied des Online, www.spiegel. Rede unglaubwürdig erscheinen lässt.² »Die Ver- Freiburger SA-Studentensturms. Kommilitonen er- de/politik/deutsch land/0,1518,475319,00. dienste Hans Filbingers gelten als unbestritten«, so innerten sich später, wie Filbinger in dieser Zeit in html (abgerufen am betonte beispielsweise focus­online³ und der Spiegel brauner Uniform in der Universität erschien.⁵ Ent- 12. 4. 2007). bezeichnete den Lebensweg Filbingers beschöni- gegen seiner späteren Selbstdarstellung als »katho- 5 Artikel Hans Filbin- gend als »Teil des deutschen Dramas«⁴. lischer innerer Widerständler« begrüßte Filbinger ger, in: Wikipedia, Die freie Enzyklo- Dabei ist allgemein bekannt, dass Filbinger die Nürnberger Rassengesetze 1935 in einem Beitrag pädie. Bearbeitungs- als Marinerichter 1943–1945 an Todesurteilen gegen für eine Studentenzeitschrift mit folgenden Worten: 46 Ausgabe 15 | 2007 JuristInnenbiografie »Es gibt kein einziges Todesurteil, das ich in der Eigenschaft als Richter ge- sprochen hätte.« Filbinger am 10. Mai 1978 Die Verfügung der Urteilsvoll- streckung gegen den Matrosen Walter Gröger vom 15. März 145. Unterzeichnet von Marinestabsrichter Filbinger. »Erst der Nationalsozialismus schuf die geistigen eine Gefängnisstrafe gegen einen Matrosen wegen Voraussetzungen für einen wirksamen Umbau des antinazistischer Äußerungen aus und warf ihm im deutschen Rechts. Schädlinge am Volksganzen […] Urteil ein »hohes Maß an Gesinnungsverfall« vor. werden unschädlich gemacht.«⁶ Einen anderen Soldaten verurteilte er noch nach 1937 trat Filbinger der NSDAP bei und mel- Kriegsende zu 13 Monaten Gefängnis, weil dieser dete sich 1940 freiwillig zur Kriegsmarine. Dort sich von der Truppe entfernt hatte. Letzteres Urteil stand: 28. 6. 2007, betätigte er sich 1943–1945 im von Deutschland rechtfertigte Filbinger später bezeichnenderweise de.wikipedia.org/w/ besetzten Norwegen in verschiedenen juristischen wie folgt: Den Angeklagten hätten »keine ehren- index.php?title=Hans Positionen als Militärrichter oder Militärankläger. werten Motive getrieben«. Denn: »Er sah voraus, _Filbinger&oldid= dass das Unheil [also das Kriegsende!] für uns alle 33734853 (abgerufen »Der furchtbare Jurist« (1978) am 28. 6. 2007). unabwendbar geworden war und versuchte, für seine 6 Zit. n. Wolfram Es war das Verdienst des Schriftstellers Rolf Hoch­ Person möglichst günstig wegzukommen.«⁸ Wette, Filbinger huth die Rolle des damaligen baden-württember- Gegen Hochhuth klagte Filbinger teilweise – eine deutsche gischen CDU-Ministerpräsidenten Filbinger als erfolgreich auf Unterlassung vor dem Stuttgarter Karriere, Hannover 2006, S. 18. NS-Marinerichter der breiten Öffentlichkeit be- Landgericht, das ihm bescheinigte als NS-Jurist im 7 Vgl. ders., S. 17 f. kannt zu machen. In einem Artikel für Die Zeit be- Rahmen des damals geltenden Strafverfahrensrechts 8 D. Lachenmayer, zeichnete Hochhuth 1978 Filbinger als »furchtbaren gehandelt zu haben⁹. Hans Filbinger – mit Juristen«, der noch nach Hitlers Tod fanatisch Während Filbingers Prozesses gegen Hoch- 90 nichts dazugelernt, VVN-BdA-Flugblatt NS-Gegner und Wehrmachtsdeserteure verfolgte.⁷ huth wurden allerdings weitere Fälle bekannt, die 2003. Tatsächlich sprach Filbinger noch am 29. Mai 1945 seine Behauptung, er habe »während des ganzen 9 Siehe Fn 5. Ausgabe 15 | 2007 47 JuristInnenbiografie Dritten Reichs« seine »antinazistische Gesinnung len und Positionsverlust, setzt die vielen echten Wi- nicht nur« in sich »getragen, sondern auch sichtbar derstandskämpferInnen, die im Kampf gegen den gelebt«,¹⁰ ad absurdum führen. Kurz vor Kriegsende Faschismus ihr Leben riskierten, herab. verurteilte Filbinger zwei Matrosen wegen Fahnen- Festzuhalten bleibt, dass speziell im Fall Fil- flucht und Wehrkraftzersetzung zum Tode. Da die binger keinerlei Indizien für eine irgendwie geartete Urteile wegen erfolgreicher Flucht der Angeklagten Gegnerschaft zum Nationalsozialismus sprechen. nicht vollstreckt werden konnten, bezeichnete Fil- Hätte Filbinger 1933 antinazistische Bedenken ge- binger sie später als »bloße Phantomurteile«, die habt, wäre er Rechtsanwalt geworden und hätte allein »der Abschreckung gedient hätten«. nicht als Marinerichter und Wehrmachtsjurist Kar- 10 So Filbinger 1979 vor Aufgrund von entsprechenden Presseberich- riere gemacht. Wäre es ihm »zuwider«¹³ gewesen, der Presse, vgl. Wette, ten musste er schließlich allerdings auch einräumen, NS-Unrecht anzuwenden, hätte er sein Richter- a. a. O. (Fn 6), S. 18. 11 Vgl. John Philipp als Vertreter der Anklage die Todesstrafe für den amt irgendwann niedergelegt und nicht noch nach Thurn, Sauberer 22-jährigen Matrosen Walter Gröger gefordert zu Kriegsende fanatisch Urteile gegen »Deserteure« Richter, saubere haben, dem Desertionsabsichten zur Last gelegt und »Wehrkraftzersetzer« verhängt. Wehrmacht?, www.so wurden. Als Leiter des Exekutionskommandos ließ ziologie.uni-freiburg. Filbinger nach 1945 de/fachschaft/politik Filbinger das Urteil wenige Wochen vor Kriegsende /artikel_filbinger. zum prozessrechtlich frühstmöglichen Zeitpunkt – konsequent rechts außen php (abgerufen am selbst vollstrecken. Seiner reaktionären politischen Grundhaltung treu 27. 6. 2007). Das Bekanntwerden eines weiteren Todes- blieb Filbinger auch nach 1945. Zu den Markenzei- 12 So bspw. Wette, a. a. O. (Fn 6), S. 26. urteils und der vielzitierte Satz »Was damals rech- chen seiner Tätigkeit als CDU-Politiker und Mi- 13 So Günther Oettinger tens war, kann heute nicht Unrecht sein«, führten nisterpräsident von Baden-Württemberg gehören in seiner Trauerrede schließlich 1978 zum Rücktritt Filbingers vom Amt neben seiner Ablehnung der Ostverträge, die Ableh- bei Filbingers Beerdi- des Ministerpräsidenten. Noch Jahre später meinte nung der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ge- gung, vgl. Fn 1. 14 Vgl. Thorsten Fuchs- Filbinger dazu in seinem autobiographischen Buch genüber Polen sowie die Abschaffung der Verfassten huber, Ein patholo- Die geschmähte Generation, »Opfer der Stasi« und Studierendenschaft 1977 in einer baden-württem- gisch gutes Gewissen, »einer beispiellosen linken Rufmordkampagne« ge- bergischen Hochschulreform. in: Jungle World worden zu sein.¹¹ Für letzteres rühmt sich Filbinger in sei- Nr. 38 / 10. 9. 2003, www.jungle-world. nem Buch Die geschmähte Generation, dadurch die com/seiten/2003/37/ »Entscheidungsspielräume« »Macht der revolutionären Kreise« und »anarchis- 1607.php (abgerufen des NS-Richters Filbinger tische Umtriebe« an den baden-württembergischen am 27. 6. 2007). Bis heute ist die Frage, ob Filbinger als Richter und Hochschulen gebrochen zu haben.¹⁴ In den Zeiten 15 Vgl. Wette, a. a. O. (Fn 6), S. 14. Ankläger der NS-Militärjustiz eigene Handlungs- des Radikalenerlasses ließ Filbinger 70 000 Bürger- 16 Sehenswert auch die spielräume hatte, Gegenstand der öffentlichen Dis- Innen überprüfen und Dossiers über »unbequeme« vom Studienzen- kussion. Besonders von linksliberalen Historikern JournalistInnen anfertigen.¹⁵ 1979 gründete Filbin- trum Weikersheim wird dabei der Vorwurf an Filbinger erhoben, er ger »mit Freunden zusammen« das Studienzentrum unterhaltene Webpage www.hans­filbinger.de, habe bestehende Entscheidungsspielräume nicht Weikersheim, ein Think Tank der Neuen Rechten, die neben einer Fülle zugunsten der Angeklagten genutzt, da er keinerlei welches bis heute als Bindeglied zwischen rechtskon- von geschichtsrevisio- Nachteile bei milderen Urteilsvoten zu befürchten servativen und neofaschistischen Kreisen fungiert.¹⁶ nistischem Gedan- gehabt hätte.¹² Dies unterstellt erstmal, dass Filbin- Das ganze Ausmaß der Tätigkeit Filbingers kengut den
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    Filbinger Am 16. März 1945, sieben Wochen vor Kriegsende, stand der wegen Fahnen- flucht zum Tode verurteilte deutsche Matrose Walter Gröger mit verbundenen Au- gen auf dem Richtplatz der Festung Akershus in Oslo. »Der leitende Offizier las dem Verurteilten die Urteilsformel und die Bestätigungsverfügung vor. Der 33-jäh- rige Walter Gröger schwieg. Der Feldgeistliche trat zu ihm und redete auf den jun- gen Mann ein, doch auch auf ihn reagierte der zum Tode Verurteilte nicht. Das Vollzugskommando nahm Aufstellung. Der Offizier gab das Kommando ›Feuer!‹ Es war genau 16.02 Uhr. Gröger starb um 16 Uhr 04.« So steht es im Protokoll. Und weiter heißt es dort: »Der Sanitätsoffizier stellte den Tod fest. Die Leiche wurde durch das Wachpersonal gesargt und zum Zwecke der Bestattung abtrans- portiert.« Der leitende Offizier bei der Vollstreckung des Todesurteils war derselbe Staats- anwalt beim Feldkriegsgericht, der die Todesstrafe beantragt hatte und der dafür gesorgt hatte, dass ein vorausgegangenes milderes Urteil, das auf acht Jahre Zuchthaus gelautet hatte, verschärft wurde. Sein Name steht unter dem Protokoll: Dr. Hans Filbinger, Marinestabsrichter. Dieser Mann war nun Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Und das Urteil vom März 1945, das er zu verant- worten hatte, lag auf Christian Ebingers Schreibtisch. Er hatte es nicht ausgegra- ben, das hatte der Schriftsteller Rolf Hochhuth geschafft, der im Rechtsstreit mit Filbinger lag, weil er auch andere Episoden aus dessen Zeit als Kriegsrichter ans Licht gebracht und ihn deshalb einen »furchtbaren Juristen« genannt hatte. Filbin- ger gehöre hinter Gitter, meinte der Schriftsteller, der Ministerpräsident sei »nur auf freiem Fuß dank des Schweigens derer, die ihn kannten«.
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