In Der DDR Gegen Nazi- Und Kriegsverbrecher Doch, Zugegeben, Das Ist Nur Die Eine Seite Der Geschichte
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Gespanntes Verhältnis Koloniales Schulwissen Merkwürdiges Etwas Friedliches Zusammenleben In Witzenhausen bereitete Viele glauben, dass »Dunkle von Christen und Muslimen man junge Menschen auf Materie« die Galaxien in Frankreich ist in weite das Leben in »Deutsch- zusammenhält. Aber sie zu Ferne gerückt. Seite 21 Südwestafrika« vor. Seite 25 finden, ist schwierig. Seite 26 Sonnabend/Sonntag, 17./18. September 2016 www.neues-deutschland.de Sieben Tage, sieben Nächte In seinem charmant erzählten naturwissenschaftlichen Rund- umschlag »Eine kurze Geschich- te von fast allem« beglück- wünscht Autor Bill Bryson zu- nächst die Leserinnen und Leser. Nicht etwa zum Kauf seines Bu- ches. Sondern dazu, dass sie es bis zur schlichten Existenz in der Gegenwart geschafft haben. Schließlich mussten dafür nicht nur die jeweiligen Eltern Krie- gen, Krankheiten und anderen Gefahren trotzen und sich zu- sammenfinden, sondern auch Großeltern, Ur-, Urur-, Ururur-, Urururur-, Ururururur- usw. -großeltern. Dass ausgerechnet die eigene Ahnenlinie seit Urzei- ten, als man noch nicht einmal von Menschen sprechen konnte, niemals abgebrochen ist, ist ein ungeheuerlicher Zufall. Eine Kurzrecherche ergibt, dass »neues deutschland« den Zufall und seine enorme Be- deutung für Zeitgeschehen und Weltgeschichte systematisch vernachlässigt und offenbar völlig unterschätzt. Im Schnitt taucht das Wort nicht einmal täglich in der Zeitung auf und – so die starke Vermutung – häu- fig davon noch in Floskeln wie »es kann kein Zufall sein, dass«. Ist der Zufall einmal augenfällig, weil jemandem der redensartli- che Blumentopf auf den Kopf fällt, wird er auf »Panorama« behandelt. Als politische Tages- zeitung – so dürfte ansonsten die Erklärung lauten – beschäf- tigt man sich naturgemäß mit Vorgängen, bei denen es sich nicht um Zufälle handelt. Genau hier liegt der Trug- schluss und wäre nach Bryson anzusetzen. Nicht wenigen Per- sonen aus Politik und Kultur, die an sich natürlich zielgerichtet und nicht zufällig handeln, könnte der Hinweis, dass ihr Dasein eigentlich völlig un- wahrscheinlich ist, zur ange- messenen Bescheidenheit ver- helfen. Ein einziger hungriger Säbelzahntiger vor zehn Millio- nen Jahren hätte genügt und der Diktator würde nicht diktie- ren, der Boss nicht befehlen und der Publizist nicht publizieren. Oder sogar alles zusammen. In dieser Ausgabe lesen Sie nun immerhin, dass aus dem kleinen Isaac um ein Haar kein großer Newton geworden wäre. Auch musste bekanntlich der Apfel vor seiner Nase ins Gras plumpsen und der Fensterladen ein Loch haben, damit er zu sei- nen bahnbrechenden Erkennt- SS-Panzergrenadier Heinz Barth wurde in der DDR 1983 zu lebenslänglich verurteilt und von der bundesdeutschen Justiz 1997 aus der Haft entlassen. Foto: dpa/Chris Hoffmann nissen kommen konnte. Diese wiederum wären beinahe mit einem Schmierzettel verloren gegangen. Letztlich wäre es also zigfach wahrscheinlicher, dass die Welt ohne Newton und ohne Gravitationsgesetz, Lichttheorie und Infinitesimalrechnung hätte auskommen müssen. Und ohne Gejagt – befragt das Rad und die Schwarzwälder Kirschtorte. Ohne Audrey Hep- burn und Wladimir Putin. Einer der international verfolgten Prozesse in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher Doch, zugegeben, das ist nur die eine Seite der Geschichte. war das Verfahren gegen Heinz Barth, den »Mörder von Oradour«. Nicht minder spektakulär Ohne Newton wäre Robert Hoo- ke allein das Gravitationsgesetz waren die Tribunale gegen den Auschwitz-Arzt Horst Fischer sowie gegen SS-Rottenführer zugeschrieben worden und Leibniz die Infinitesimalrech- Josef Blösche, der an der Liquidierung des Warschauer Ghettos und der Niederschlagung des nung. Und jemand mit einem Loch in der Jalousie hätte sich wohl bis heute auch noch ge- Warschauer Aufstandes beteiligt war. Ein Nazijäger berichtet. Seiten 18 und 19 funden. Regina Stötzel Seite 27 18 Die Woche Sonnabend/Sonntag, 17./18. September 2016 u neues deutschland * In Neubrandenburg wurde diese Woche, mit reichlicher Verzögerung, der Prozess gegen einen früheren SS-Mann aus Auschwitz eröffnet. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 3681 Fällen angelastet – ein Delikt, das für die bundesdeutsche Justiz erst seit knapp einem Jahrzehnt in Betracht kommt. Und doch scheint es, als sei sie erneut unwillig, einen Täter zu verurteilen. Wie verfuhr die DDR mit Naziverbrechern? Josef Blösche (rechts, mit MPi im Anschlag) bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos nach dem Aufstand, Mai 1943 Foto: imago/United Archives Kein Erbarmen mit den Mördern Dieter Skiba war einer der Nazijäger in der DDR. Wie das MfS nach faschistischen Tätern fahndete Herr Skiba, warum musste sich das wegen antifaschistischer Äußerun- sich nach massiven Protesten dazu Also, die in Waldheim Verurteilten chen. Wir beriefen uns zudem auf die Ministerium für Staatssicherheit gen denunziert sowie Zwangsarbei- durchringen, dass für Mord Nicht- waren wahrlich keine Unschulds- Verfassung der DDR, in der das Völ- auch mit der Fahndung nach Nazi- ter bei Fluchtversuchen und sogar ei- verjährung zu gelten hat. Für andere lämmer! In unserem Buch haben wir kerrecht als bindendes Recht be- und Kriegsverbrechern befassen? nen 13-jährigen Jungen erschossen, Tatbestände wie Totschlag war be- auf der Grundlage der Edition des stimmt worden ist, und orientierten Sind dafür nicht normalerweise ju- der vor Hunger einen Kürbis gestoh- reits 1960 Verjährung eingetreten. Amsterdamer Rechtsprofessors uns am Strafprozessrecht und dem ristische und polizeiliche Ermitt- len hatte. Er war dann für den BND Das eigentlich Problem aber war, Christiaan F. Rüter »DDR-Justiz und Strafgesetzbuch der DDR. lungsbehörden zuständig? unter dem Decknamen »Erbse« tätig. dass die Bundesrepublik schwer be- NS-Verbrechen« beispielhaft 91 sol- Erstens ist die DDR da keine Aus- 1952 wurde er wegen Spionage zu lastete und sogar schon verurteilte cher »Waldheim-Urteile« aufgelistet, Und westlich der Elbe? nahme gewesen, auch Israel schickte zehn Jahren Zuchthaus sowie wegen Nazis wieder in öffentliche und ge- die tatsächliche Beteiligung an Mas- In Westdeutschland sind die alliier- seinen Geheimdienst auf die Spur von Verbrechen gegen die Menschlichkeit heime Dienste nahm, u. a. in der Jus- senmorden oder Justizverbrechen ten Kontrollratsbestimmungen sofort Nazi- und Kriegsverbrechern. Zwei- zum Tode verurteilt. Oder Kurt-Heinz tiz. Zum Beispiel Erich Anger, der in ahndeten. Nach dem bundesdeut- nach der Gründung der Bundesre- tens sind bis 1955 die Ermittlungen Wallesch, der als Wehrmachtsoffizier der Nazizeit als Staatsanwalt an mit schen Strafrechtlichen Rehabilitie- publik außer Kraft gesetzt worden. tatsächlich überwiegend von der Kri- an der Leningrader Front an der An- Todesurteilen endenden Verfahren, rungsgesetz vom 29. Oktober 1992 Schon Ende 1949/Anfang 1950 gab minalpolizei geführt worden. Und die ordnung von Exekutionen sowjeti- vor allem gegen Tschechen, mitge- gelten aber sämtliche Entscheidun- es dort eine Fülle von so genannten MfS-Verfahren standen ebenso wie scher Kriegsgefangener mitgewirkt wirkt hat und in der sowjetischen Be- gen der Waldheimer Prozesse als »mit Wiederaufnahmeverfahren, in denen diese unter staatsanwaltlicher Auf- hatte. Als Agent der »Organisation satzungszone in einem ordentlichen den Grundsätzen einer freiheitlichen vorherige Entscheidungen für nichtig sicht. Entsprechend einer Vereinba- Gehlen«, Vorläufer des BND, war er Verfahren 1948 zu zwölf Jahren rechtsstaatlichen Ordnung unver- erklärt wurden und bei denen etliche rung zwischen dem Innenministeri- beauftragt, in Leipzig eine »Nationa- Zuchthaus verurteilt wurde. Er wur- einbar« und die dort Verurteilten Freisprüche ergingen. um und dem MfS unmittelbar nach le Befreiungsarmee« aufzubauen. Er de Erster Staatsanwalt in Essen. nunmehr als »Opfer des Stalinis- Über drei Jahrzehnte war Dieter dessen Gründung im Februar 1950 war vom westdeutschen Geheim- mus«. Mit welcher Begründung? Skiba an der Fahndung nach NS-Tä- sollten noch anhängige und künftige dienst wegen seiner Vergangenheit Was heißt denn »ordentliches Ver- Außerdem: Die »Werwölfe« gab es Die Verurteilungen nach den Kont- tern beteiligt. Der Jurist, Jg. 1938, Verfahren wegen schwerer Nazi-Ver- zur Zusammenarbeit erpresst wor- fahren«? Gab es unordentliche? unbestreitbar. Sie waren u. a. in Leip- rollratsbeschlüssen seien rechts- war Mitarbeiter der Hauptabteilung brechen weiter von der Kripo bear- den, wie es sogar in der »Spiegel«-Se- Ich meine das im Gegensatz zu den zig, Hoyerswerda und Hennigsdorf staatswidrig gewesen. Oder auf IX/11 des Ministeriums für Staatssi- beitet werden, das MfS sollte sich nur rie »Pullach intern« von 1971 hieß. Waldheim-Verfahren 1950, die tat- sehr aktiv. Sie schossen auch auf sow- Grund von angeblicher Beweisnot. cherheit, die sich mit der Aufklärung um Fälle kümmern, die gegen alli- sächlich Ausnahmeverfahren waren. jetische Militärangehörige. »Wer- Oder weil es sich »nur« um Beihilfe und Ahndung faschistischer Untaten ierte Kontrollratsbestimmungen und Wurden angelastete Straftaten vor wölfe« gab es ebenso in West- zum Mord gehandelt habe. Und mit- befasste und deren Leiter er zum insbesondere die Interessen der sow- und nach 1945 in rechtsstaatlich Weil sie eine Schlussstrich-Menta- deutschland; bis 1949 wurden dort tels anderer juristischer Tricks. Schluss war. Gemeinsam mit seinem jetischen Besatzungsmacht verstie- getrennten Verfahren verhandelt? lität bedienten? auch mehrere verurteilt. Gewiss gab Kollegen Reiner Stenzel brachte er ßen, wie etwa »Handlungen gegen die Es gab vor allem in den 50er