Antike Und Mittelalter
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BEITRÄGE I. Antike und Mittelalter Tamás Adamik (Budapest) Horazens Hymnus auf Bacchus (2, 19) 1. Laut Walter Wili gehören das Staatslied und der Götterhymnus bei Horaz zusam- men, so wie bei den Römern Staat und Gott überhaupt. Es kann darnach nicht mehr verwundern, daß in der Liedersammlung sich elf Hymnen an Götter finden und zwölf ‘Staatsgedichte’; daß überdies der hymnische Anruf noch in acht weiteren Gedichten Form wurde und damit insgesamt ein starkes Drittel der Gedichte von festlich-staat- lich-göttlichem Charakter getragen ist“, schreibt er und betont: es sind neue Götter, denen gehuldigt wird“.1 Apollon, Diana, Merkur, Bacchus, Venus. Wenn es so ist, müssen die Hymnen, die auf diese Götter von Horaz gedichtet wurden, eine beson- dere Bedeutung haben. In meinem Beitrag möchte ich den Hymnus auf Bacchus behandeln, der sich im zwei- ten Buch der Oden befindet. Das zweite Buch hat eine besondere Eigenart: es ist das kürzeste, doch finden wir in ihm keine kurzen und keine langen Oden die kürzeste hat 20 Zeilen, d.h. 5 Strophen, die längste 40 Zeilen, also 10 Strophen. So ist in Hinsicht auf den Umfang das zweite Buch durch Zurückhaltung charakterisiert.2 Unser Hym- nus gehört mit 2, 17 (Ode an Maecenas) zu den mittellangen Oden des Buches: er hat 8 Strophen. Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, daß dieser Hymnus eben in einem Buch zu finden ist, für welches das Ebenmaß und die Zurückhaltung charakte- ristisch sind. Obwohl die Meinungen der Forscher über den Aufbau des Gedichtes auseinanderge- hen, suggeriert auch die Struktur des Hymnus Ebenmaß und Harmonie. Im großen und ganzen stimmen die Forscher darin überein, daß die zweistrophige Eingangsszene der erste Teil ist: Bacchum in remotis carmina rupibus vidi docentem, credite posteri, Nymphasque discentis et auris capripedum Satyrorum acutas. 1 WILI, WALTER: Horaz und die augusteische Kultur. Basel: Schwabe & Co., 1948, S. 193. 2 Vgl. QUINN, KENNETH: Horace, The Odes. Bristol: Classical Press, 1997, S. 196. 28 Tamás Adamik euchoe, recenti mens trepidat metu, plenoque Bacchi pectore turbidum laetatur, euhoe, parce Liber, parce gravi metuende thyrso! (1-8)3 Dies ist die Einführung, in der Horaz erzählt, daß er Bacchus gesehen habe, als er Nymphen und Satyrn Lieder lehrte. Daß sogar die tollen Satyrn die Ohren lernbegie- rig spitzen, beweist die Macht des Bacchus. Horaz glaubt sich in den bacchischen Thiasos aufgenommen und stößt dessen Schrei aus. Er fühlt ehrfürchtigen Schauer und freudige Erregung und fürchtet, daß ihn der Enthusiasmus völlig der Besinnung beraube, darum bittet er Bacchus ihn zu verschonen.4 Nach K. Quinn ist die 1. Strophe die Einführung, die 2. aber ist eine Verbindung zum Hymnus.5 H. P. Syndikus meint, die Strophen 3-8 bilden den zweiten Teil des Hymnus, darum zeigt der Aufbau des Gedichtes ein auffälliges Ungleichgewicht. Doch hebe der Dich- ter dieses Ungleichgewicht dadurch auf, daß in der 3. und 4. Strophe ein Übergang geschaffen ist“, indem die Sprechsituation eine andere sei: Horaz sagt bloß, er dürfe von dionysischen Themen singen. Das ermöglicht eine Steigerung in der 5. Strophe mit seinen wiederholten feierlichen Du-Anreden“6 – behauptet Syndicus. Vielleicht sind R. G. M. Nisbet und M. Hubbard7 sowie A. Kiessling und R. Heinze8 richtig der Ansicht, daß die 3. und 4. Strophe den zweiten Teil bilden: fas pervicacis est mihi Thyiadas vinique fontem lactis et uberes cantare rivos atque truncis lapsa cavis iterare mella, fas et beatae coniugis additum stellis honorem tectaque Penthei disiecta non leni ruina, Thracis et exitium Lycurgi. Der Dichter, von Bacchus geweiht, hat das Recht, Bacchus, seine Begleiter und seine Gaben, Wein, Milch und Honig zu besingen. Er darf von der vergöttlichten Gattin des Bacchus, Ariadne, und von Bacchus’ Feinden und Leugnern, Pentheus und Lycurgus, singen. Dieses Recht macht den Dichter so begeistert, daß er von jetzt an die Taten des Bacchus hymnisch hochpreist, wobei er sich spontan an die Gottheit selbst wendet. 3 Den lateinischen Text zitiere ich nach der Ausgabe: BORZSÁK, STEPHANUS: Horatius, Opera. Leipzig: Teubner, 1984. 4 Vgl. NUMBERGER, KARL: Horaz, Lyrische Gedichte. Münster: Aschendorff, 1972, S. 197-198. 5 QUINN: Horace, S. 236. 6 SYNDIKUS, HANS PETER: Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden. Bd. 1: Erstes und zweites Buch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972, S. 477. 7 NISBET, R. G. M.; HUBBARD, MARGARET: A Commentary on Horace: Odes. Book II. Oxford: Clarendon, 1978. 8 KIESSLING, ADOLF; HEINZE, RICHARD: Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden. Dublin; Zürich: Weidmann, 1966, S. 239. Horazens Hymnus auf Bacchus 29 Der inspirierte Schwung reißt den Dichter in eine Steigerung, deren Höhepunkt auf die 6. Strophe fällt. So machen die 5. und 6. Strophe den dritten Teil des Hymnus aus. A. Kiessling und R. Heinze,9 R. G. M. Nisbet und M. Hubbard10 halten die Zeilen 17-32 deshalb für den dritten Teil. tu flectis amnes, tu mare barbarum, tu separatis uvidus in iugis nodo coerces viperino Bistonidum sine fraude crinis. tu, cum parentis regna per arduum cohors Gigantum scanderet impia, Rhoetum retorsisti leonis unguibus horribilique mala, Das in zwei Versen dreimal wiederholte tu kennzeichnet deutlich den Beginn eines neuen Teiles: die Aretalogie des Bacchus, der auf seinem Zug nach Indien den Lauf der Ströme Hydaspes und Orontes aufgehalten hat. Giftige Vipern dienen zu Haarbändern der Mänaden und zeigen so ihre Göttlichkeit. Die Giganten türmten den Ossa und den Pelion auf den Olymp, um den Himmel zu stürmen, Bacchus aber nahm an der Gigan- tomachie teil und besiegte Rhoteus, einen der gewaltigsten Giganten. Obwohl die direkte Anrede fortläuft, geht die Aretalogie in eine Reflexion über Macht und Fähigkeiten des Bacchus über: er ist nicht nur der Gott des Weines, son- dern auch ein grausamer Kämpfer, er ist in Frieden und Krieg gleich groß“. Wie friedlich er ist, illustriert die letzte Strophe. Auf Grund dieser Änderungen im Ton des Gedichtes können wir die 7. und 8. Strophe als vierten11 und letzten Teil betrachten: quamquam choreis aptior et iocis ludoque dictus non sat idoneus pugnae ferebaris, sed idem pacis eras mediusque belli. te vidit insons Cerberus aureo cornu decorum, leniter atterens caudam et recedentis trilingui ore pedes tetigitque crura. Bacchus stieg in den Hades hinab, und dort besänftigte er schon durch seine Erscheinung den Cerberus. Als Bacchus den Hades wieder verließ, wurde Cerberus sogar noch friedlicher. So konnte Bacchus ungehindert aus dem Hades zurückkehren. 9 KIESSLING;HEINZE: Q. Horatius, S. 239. 10 NISBET; HUBBARD: A Commentary, S. 314. 11 Numberger teilt den Hymnus auch in vier Teile: Horaz, S. 200: Die Ode umfaßt 2 Teile von je 4 Str.; die ers- ten 4 Str. stellen sozusagen die ‘Einführung’ zur hymnischen 2. Gedichthälfte dar. Die ‘Einführung’ ist in sich wieder 2 mal 2 Str. abgeteilt [...]. Der eigentliche Hymnus auf Bacchus (v. 17-32) ist gleichfalls in 2 Strophen- dyaden gegliedert“. Quinns Einteilung ist anders, Horace, S. 236: Stanza 1, introductory; Stanza 2, bridge to hymn; Stanzas 3-6, hymn; Stanza 7, lucid interval; Stanza 8, hymn concluded“. Auch nach Viktor Pöschl hat der Hymnus vier Teile: Die Dionysosode des Horaz (c. 2, 19). – In: Hermes 101 (1973), S. 208-230, hier S. 223: Wir haben also einen klaren Aufbau: dreimal zwei Strophen, die miteinander kontrastieren“, d.h. Strophe 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6; und der vierte Teil ist: Strophe 7 und 8. 30 Tamás Adamik 2. Was die Interpretation dieses Hymnus betrifft, betonen die früheren Kommentato- ren (Ussani12, Kiessling, Heinze) die Ernsthaftkeit der Inspiration und Ekstase, die Bacchus dem Dichter eingeflößt habe. So sei das Gedicht kein allgemeines Lied, son- dern ein persönliches Bekenntnis des Dichters. Kiessling und Heinze vergleichen unseren Hymnus mit dem bakchischen Liede 3, 25: dort ein Versuch, den Moment der Ekstase, gleichsam die Geburtswehen eines Gedichts, zu veranschaulichen; hier die freudig und feierlich erregte Stimmung dessen, der sich seiner göttlichen Gabe bewußt geworden ist: Der verschiedene Bau des Liedes entspricht der Verschie- denheit der Stimmung: hier strenge Bindung der Perioden an den Strophenschluß, dort freieste Bewegung; dort ein ungegliedert fortströmender Sang, hier abgewogene Symmetrie.“13 Sie verweisen auf die griechischen Parallelen und auf die Taten, die der Gott auf Erden, im Himmel und in der Unterwelt vollbracht hat. Die neueren Kommentatoren nuancieren diese Interpretation weiter. E. Fraenkel14 und K. Numberger richten die Aufmerksamkeit auf das Ungewöhnliche, das Bacchus lehrt: Bacchus spielt hier die für ihn ungewöhnliche Rolle des Gottes der Poesie und des Chorführers der Musen.“15 Nisbet und Hubbart heben hervor und illustrieren mit Beispielen, daß Horaz nicht wenige griechische und lateinische Modelle für einen Hymnus auf Bacchus hatte. Dann stellen sie die Frage, ob die Ode eine tiefere Absicht hat. Es ist klar, antworten sie, daß Bacchus die Quelle der Inspiration für die Dichter des augusteischen Zeitalters war, weil er schon in dem klassischen Griechenland von den Dichtern als der Patron der Dithyrambe, der Tragödie und der Komödie betrachtet wurde. In der hellenistischen Epoche beschäftigten sich die Technitae des Dionysos nicht nur mit dem Drama, sondern mit allen Formen der Musik und der Dichtung. Kallimachos assoziierte Dionysos mit Apollo und den Musen und bezeichnete ihn als Quelle der Inspiration. All dies erkläre, warum Horaz als Thema seiner Ode Bacchus wähle, es aber nicht so ernst nehme, wie einige Forscher denken. Horazens Vision ist nur literarisch, keine wahrhafte Epiphanie. Er erwähnt die Inspiration nur in der zweiten Strophe, in 3, 25 scheint die Inspiration vielleicht zu feierlich zu sein. Nisbet und Hubbard schließen ihre Interpretation der Ode wie folgt ab: The craftsman who moulded the Ode to Bacchus was an Apollonian not a Dionysiac, a Gray not a Schiller; his controlled ecstasy implied no commitment but was contrived with cal- culating deliberation; unlike the fasting Bacchae, when he shouted ‘Euchoe’ he was well fed (Juv. 7, 62) and in his right mind.“16 Auch E.