DFB.DE NATIONALSPIELER.DFB.DE 41 DFB.DE/DIE-MANNSCHAFT 2019

ZURÜCK IN DER GROSSE FUSSBALLER VON DER TRIBÜNE ALTEN HEIMAT IN GROSSEN ARENEN AUF DEN RASEN : Neuanfang Jürgen Klinsmann wurde und sein nach schwierigen Jahren 18 im „San Siro“ zum Weltstar 24 spezielles Länderspieldebüt 36 INHALT 2 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

18 Wieder da Hoch geflogen, tief gefallen, zurückgekämpft

40 Ein Leben für den Fußball 85 Jahre und Weise wie immer

12 Die Super-Starter Auch in dieser Liste thront Gerd Müller über allen INHALT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 3

24 „San Siro“ Jürgen Klinsmann über einen Mythos

EDITORIAL REPORTAGE SERIE: MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL „Der CdN liegt mir Eike Immel: sehr am Herzen“ 4 Neubeginn in der Heimat Konrad Weise: WILLKOMMEN Von den Rängen auf den Rasen ZURÜCK 18 „ES GING ALLES VIEL ZU SCHNELL“ 36 AKTUELL IM BLICKPUNKT SERIE: Auslosung der EURO-Gruppen MEIN LIEBLINGSSTADION AKTUELL IM BLICKPUNKT EINFACH Ein Besuch bei KANN JEDER 6 Jürgen Klinsmann über das San Siro SEIN WERK WIRKT „DAS STADION HAT NOCH IMMER Ade, Mannschaftsrat MICH IN EINEN 40 DIE HIERARCHIE RAUSCH VERSETZT“ 24 In eigener Sache IST FLACH WIE NIE 10 GEWACHSEN 44 Ready, set, goal REPORTAGE Regionales Treffen in SERGE UND DIE DAS BESTE SUPER-STARTER 12 Karriere nach ZUM SCHLUSS 46 der Karriere Regionales Treffen in REICH AN Mönchengladbach DIAGONALPÄSSE 50 ERFAHRUNG 28 Bilderbogen IN MEMORIAM GLADBACHER 51 DFB-ALL-STARS VOLLTREFFER 14 „Olli“ und „Odo“ mal RUNDE GEBURTSTAGE 52 CdN meets FdN wieder zusammen VERNETZUNG WIEDERVEREINIGUNG UNTER FREUNDEN 16 IM RONHOF 32 JUBILÄEN 53 EDITORIAL 4 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

„DER CDN LIEGT MIR SEHR AM HERZEN“

Liebe Freunde,

das Jahr 2019 war ein Jahr der Veränderungen. Der Begriff Zu den Veränderungen des zu Ende gehenden Jahres zählen „Umbruch“ wurde im Zusammenhang mit unserer National­ natürlich auch die Änderungen an der Spitze des DFB. An dieser mannschaft viel strapaziert, für meinen Geschmack ein Stelle richte nun ich als Präsident des DFB das Wort an Euch, in ­wenig zu viel. Wir alle haben gesehen, dass das neue meinem Lebensplan war dies nicht vorgesehen. Aber wie es so Gebilde mehr und mehr an Stabilität gewinnt. Die EM-­ ist – nicht alles ist planbar, manche Wendung kommt unvorher­ Qualifikationsspiele gegen Belarus und insbesondere gegen gesehen. Und ich kann sagen: Diese Geschichte hier ist für mich Nordirland haben gezeigt, dass diese Mannschaft Qualität Ehre, Herausforderung und Herzensangelegenheit zugleich. und Charakter hat und mitreißenden Fußball spielen kann. Wie weit das bei der EURO im kommenden Jahr führt? In den wenigen Wochen, die ich nun an der Spitze des Ver­ Ich finde, dass wir aktuell gut daran tun, uns ­einfach darüber bands stehe, habe ich erlebt, wie intensiv, vielseitig, fordernd zu freuen, mit wie viel Herz, Begeisterung und Spielfreude und schön diese Aufgabe ist. Ich habe schon diverse groß­artige die deutsche Nationalmannschaft zuletzt­ ­aufgetreten ist. Termine wahrnehmen können und tolle Veranstal­tungen besucht. Dass ist es, was wir auch in Zukunft sehen wollen. Dann Zu den Höhepunkten, liebe Ehemalige, ­gehörten für mich die ­werden wir auch bei der EURO­ und darüber­ ­hinaus eine gute Treffen in Eurem Kreis. In habe ich zum ersten Mal Rolle spielen können. das Miteinander erlebt, das im CdN herrscht. Für mich war es eine EDITORIAL CDN-MAGAZIN 41 | 2019 5

Freude zu spüren, wie groß die Verbundenheit unter Euch ist. und Euer Wissen sind für den DFB unverändert wertvoll, diese Über die Vergangenheit sprechen, die Gegenwart kommentieren, Kompetenz wird bei uns immer gefragt sein. über die Zukunft philosophieren, das alles mit Kompetenz und manchmal mit einem Augenzwinkern – für mich war es ein Ver­ Auch deswegen kann ich hier versprechen: Der Club der Nati­ gnügen, unter Euch so willkommen zu sein und mit Euch zu onalspieler liegt auch mir sehr am Herzen, ich werde diesen fachsimpeln und zu plaudern. Nicht anders war es in Mönchen­ Club immer unterstützen und freue mich schon jetzt auf ein gladbach und dann in Frankfurt beim letzten Treffen des Jahres. Wiedersehen im Jahr 2020. Ich ­habe mich sehr wohl und zugehörig gefühlt – vielen Dank dafür. Herzliche Grüße, Vor meinem Wechsel zum DFB hatte ich keine konkreten Ihr ­Vorstellungen von dem, was der Club der Nationalspieler alles leistet. Mittlerweile bin ich begeistert. Dass der DFB eine ­Einrichtung wie den Club der Nationalspieler hat, steht ­unserem Verband gut zu Gesicht. Das ist eine Frage des Fritz Keller ­Respekts, aber auch eine Frage von Klugheit. Eure Erfahrungen DFB-Präsident AKTUELL IM BLICKPUNKT 6 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

oachim Löw war immer ein großer ­gehörte Lahm in Bukarest bei der Auslo­ Mehr Qualität ist fast nicht möglich. ­Bewunderer der Fähigkeiten von sung der Gruppen der EURO­ 2020 zum Komplettiert wird die Gruppe nach den . Bei der Wahl zum illustren Kreis der Los-Feen. Und, das Playoffs im März 2020, wenn Island, JWeltfußballer ging sein Kapitän steht seit dem 30. Nov­ember 2019 fest: Ungarn, Bulgarien, Georgien, Weiß­ Jahr für Jahr leer aus, klar, Messi, Welt-Los-Fee des Jahrzehnts wird Lahm russland, Nordmazedonien oder das ­Ronaldo – es gab ­jeweils gute Gründe. nicht. Nicht für Löw. Kosovo sich das Vergnügen erspielen, Aber auf Strecke, so der Bundestrainer, sich bei der EURO mit Frankreich, Por­ sei dies ­ungerecht. Deswegen erfand In der rumänischen Hauptstadt wurde tugal und Deutschland zu messen. Löw flugs eine ­eigene Kategorie. der deutschen Mannschaft zunächst Für ihn, sagte Löw, sei Philipp Lahm Frankreich zugelost, dann schritt Legende Ans Limit gehen „der Weltfußballer des Jahrzehnts“. Der Lahm zur Tat und öffnete die Kugel, Weltfußballer des Jahrzehnts hat inzwi­ in der sich das Los mit der Aufschrift In den Minuten nach der Auslosung in schen mit dem Fußballspielen aufge­ ­„Portugal“ befand. Deutschland, Frank­ Bukarest spielte sich in Löw ein kleiner hört und sich anderen Projekten gewidmet. reich und Portugal in einer Gruppe, in Kampf ab. Es gab den einen Löw, der Geschäftsführer der deutschen EURO Titeln gesprochen: In der Vorrunde der Ronaldo, Mbappé und Griezmann vor GmbH ist er beispielsweise, dazu EURO- EURO 2020 trifft der Weltmeister von Augen hatte, auch das 2:4 in Botschafter der Stadt München und – 2014 auf den Weltmeister von 2018 gegen die Niederlande, und der seinen UEFA-Legende. In dieser Funktion und den Europameister von 2016. ehemaligen Kapitän tadelte. „Dafür ge­ AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 7

EINFACH KANN JEDER Bei der EURO 2020 trifft Deutschland in der Vorrunde auf Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal. Bei der EURO will die Mannschaft wieder eine gute Rolle spielen und die positive Entwicklung der vergangenen Monate fortsetzen. 2019 war ein Jahr des Umbruchs, 2020 wird ein Jahr der Chancen.

hörte er beim DFB eigentlich entlassen“, in seiner Rolle als DFB-Präsident, er bewältigen, große Spiele gegen große sagte Löw. Der andere Löw versah diese blickte nicht nur auf die Mannschaft, er Gegner. Seit der WM 2018 arbeitet die Aussage mit einem fröhlichen Lachen.­ blickte auf das gesamte Land. „Mit ­diesem sportliche Leitung daran, das Team so Es war der Löw, der die Entwicklung Los kann man sofort Fußball-Fieber in aufzustellen, dass es bei dieser paneuro­ ­seiner Mannschaft sah, das 8:0 ­gegen Deutschland entfachen“, sagte Keller. päischen Europameisterschaft konkur­ Estland, das 6:1 gegen Nord­irland, auch Und die Spieler? Freuen sich auf die renzfähig ist. Im Zuge dieses Prozesses die deutschen Fans bei den drei Heim­ ­Vergleiche auf Top-Niveau. „Das sind wurden zu Beginn des Jahres 2019 ­harte spielen im kommenden ­Sommer in natürlich ­absolute Kracher“, sagte Ilkay Entscheidungen getroffen und verkündet. München sah dieser Löw. Und dieser Gündoğan. „Der Vorteil wird aber sein, Löw hatte nach der WM beobachtet, wie Löw behielt schließlich die Oberhand. dass jedem zu 100 Prozent klar sein gut sich einige der jungen Spieler ent­ „Das ist die Hammergruppe schlechthin“, wird, von der ersten Sekunde an voll da wickelt haben, die Konsequenz daraus: sagte er. „Meine Vorfreude ist weiter sein zu müssen. Wer sich in dieser Er teilte Mats Hummels,­ Jérôme Boateng­ gestiegen – das sind super Paarungen. ­Gruppe behauptet, wird dann definitiv und Thomas Müller mit, dass er bis auf Da können sich die Fans drauf freuen. auch zu den absoluten Favoriten auf Weiteres auf ihre Dienste verzichtet. Der Jeder muss in dieser Gruppe­ ans Limit den Turniersieg gehören.“ Umbruch in der Nationalmannschaft ­wurde gehen. Wir müssen von Anfang an in die beschleunigt. Auch das Spiel sollte be­ Vollen gehen.“ Löws­ Chef sah es ähnlich. In einem halben Jahr hat die deutsche schleunigt werden, Löw wollte mehr Für Fritz Keller war es die erste Auslosung Nationalmannschaft große Aufgaben zu Tempo, mehr Handlungsschnelligkeit, AKTUELL IM BLICKPUNKT 8 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

mehr Zug. „Wir müssen unsere Idee so verändern, dass wir mehr Dynamik, Ziel­ strebigkeit und Schnelligkeit im Spiel 1 haben“, sagte Löw im März.

Zehn Spiele hat die deutsche National­ mannschaft seither absolviert. Mitunter fehlte die Konstanz, doch am Ende stimmte die Bilanz. 2019 stehen sieben Siege zu Buche, zwei Unentschieden und eine Niederlage. In der Qualifikation ­löste Deutschland damit noch vor den Niederlanden als Gruppenerster das ­Ticket für die Euro. Die Hausaufgaben „mehr Dynamik“, „Zielstrebigkeit“ und „mehr Schnelligkeit“ wurden erledigt. „Insgesamt bin ich zufrieden. Es war kein einfaches Jahr, es gab Rückschläge, es gab Widerstände. Und mit alldem ist die Mannschaft sehr gut umgegangen“, sagte Löw. 2 Der Bundestrainer spricht damit unter anderem die fast schon historische­ ­Häufung an Hiobsbot­schaften an. 2019 war auch ein Jahr der Verletzungen. ­Besonders schwerwiegend dabei natür­ lich die Kreuzbandrisse von Leroy Sané und Niklas Süle, aber auch unterhalb dieser Schwelle gab es immer wieder kleinere und mittlere Blessuren. Vor den Länderspielen im September summierte sich die Zahl der Ausfälle auf 13 – ein Rekord, auf den Löw gerne verzichtet ­hätte. „Wir haben es uns anders ge­ wünscht, aber es war schön zu sehen, wie die Mannschaft mit dieser Situation umgegangen ist“, sagte Löw. „Andere sind eingesprungen.“ Zu den Torschützen des Jahres gehören Spieler wie Nico Schulz, Marcel Halstenberg und Matthias Ginter, Emre Can kehrte in den Kreis der Mannschaft zurück, die Mischung aus Jugend und Erfahrung stimmte.

Gnabrys Top-Quote

Zu den Erkenntnissen des Jahres 2019 gehört, dass Gesetze aus dem Vereinsfuß­ ball in Abwandlung auch auf Ver­bands­ ebene gelten. „Müller spielt immer“, hatte Trainer einst für den FCB festgelegt. Für den DFB heißt es fast zehn Jahre später: Gnabry trifft immer. 13 Tore in 13 Länder­spielen stehen in der Statistik des Stürmers, nur drei ­andere Nationalspieler erzielten zu diesem ­Zeitpunkt mehr Tore als Gnabry (siehe 3 dazu den Beitrag auf den Seiten 12/13). AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 9

„WER SICH IN DIESER GRUPPE BEHAUPTET, WIRD DANN DEFINITIV­ AUCH ZU DEN ABSOLUTEN FAVO R I T E N AU F DEN TURNIERSIEG GEHÖREN.“ Ilkay Gündoğan

Nach Gnabrys Gala mit drei Toren gegen Nordirland gab es vom Bundestrainer ein Sonderlob. „Serge hat eine unglaubliche­ Klasse, man kann ihn anspielen, er ist tor­ gefährlich und eiskalt“, sagt Löw. „Was seine Quote betrifft: Die ist überragend.“

Im März gegen Spanien und Italien

2019 ist abgehakt, der Blick geht nach vorn. Nach der Auslosung von Bukarest wurden die Planungen für die EURO 2020 konkretisiert. Im Turnier geht es von Be­ ginn an gegen große Gegner, die Mann­ schaft wird dies dann bereits gewohnt sein. Schon seit Langem ist es Politik des DFB und der Sportlichen Leitung, in den Testspielen gegen Top-Teams anzu­ treten. Für das Frühjahr 2020 ist dieses Vorhaben mit Auszeichnung umgesetzt. Am 26. März trifft Deutschland in Madrid auf Spanien, fünf Tage später kommt es in Nürnberg zum Vergleich mit Italien. „Wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, Vereinbarungen mit diesen Verbänden zu erzielen“, sagt , DFB- Direktor Nationalmannschaften und Akademie. „Für die Fans sind diese 4 ­Spiele Highlights und natürlich ist es für unsere Mannschaft wertvoll, sich auf diesem Niveau zu messen.“ Wer im 1_Joshua Kimmich gehört zu den Führungsfiguren der Ernstfall gegen Portugal und Frankreich deutschen Nationalmannschaft. bestehen will, sollte in der Lage sein, in 2_Leon Goretzka traf in diesem Jahr viermal, war damit aller Freundschaft gegen Spanien und zweit­bester Torschütze hinter Serge Gnabry. Italien mitzuhalten – so sieht es auch 3_Zum Jahresabschluss gab es ein 6:1 gegen Nordirland, der Bundestrainer. „Wenn wir dieses entsprechend ausgiebig­ wurde gejubelt. ­Niveau erreichen wollen, müssen wir 4_Rückkehrer Emre Can beim Kopfballduell mit dem uns auch auf diesem Niveau messen. Nordiren George Saville. Ich traue meiner Mannschaft dies abso­ lut zu“, sagte Löw. Einfach kann jeder, die Nationalmannschaft will mehr.

Steffen Lüdeke AKTUELL IM BLICKPUNKT 10 CDN-MAGAZIN 41 | 2019 DIE HIERARCHIE IST FLACH WIE NIE

leider machen Leute, sagt man ja. In diesem Fall ­machen Kleider Leute zu Leitwölfen. Irgendwie. Die Ärmel der neuen Trikots der Nationalmannschaft­ Kenden mit ­einem schwarz-rot-goldenen Bündchen, und wer nur schnell hinblickt, kann diese durchaus für eine Spielführer­binde halten. Alle sind Kapitän, alle ­haben etwas zu sagen, alle führen – diese­ Botschaft der Trikots ist nicht ­gewollt, gedeutet werden kann sie gleichwohl. In diesen Zusammen­hang passt, dass der Verjüngung des Nationalteams zuletzt auch eine alte Einrichtung zum Opfer fiel: der Mann­ schaftsrat. Nach dem Verzicht auf die Dienste von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme ­Boateng waren von der teaminternen Einrichtung nur noch Manuel Neuer und Toni Kroos geblieben. Wichtige Auf­gaben hatte dieses Gremium nicht mehr, der Mannschaftsrat war ein Organ ohne Funktion, wie die Mandeln oder der Blinddarm. Mit den Spielern habe man dann besprochen, „dass ein ­klassischer Mannschaftsrat alter Prägung nicht mehr passend für unser Miteinander ist“, erklärte DFB-Direktor Oliver Bierhoff.

Hierarchie, ja oder nein und wenn ja, welche? Das Thema flammt in Fußball-Deutschland immer wieder mal auf. Die ­Diskussion war in größerer Heftigkeit zuletzt vor der WM 2010 geführt ­worden, als Philipp Lahm den verletzten Michael ­Ballack ablöste und einen anderen­ Führungsstil einführte – weniger­ von Körpersprache, von kraftvollen Gesten oder vom sogenannten „Zeichen­setzen“ geprägt, mehr von einer internen Kommunikation auf Augenhöhe, einem Stil, der zur ver­ jüngten Mannschaft und dieser neuen Generation zu passen schien. Das ­Nationalteam fuhr damit lange gut, ­allen voran mit dem WM-Sieg 2014. Wobei: Zumindest im knochenharten ­Finale gegen Argentinien wurde zum Kapitän der Herzen. In diesen 120 Minuten war Schwein­ steiger ein Anführer alter, ­heroischer Art. Und das war in diesem Spiel auch nötig.

Hierarchie-Experte

Wir fragen einen Hierarchie-Experten nach seiner Meinung in dieser Causa: Berti Vogts. Vogts hat die Entwicklungen über die Jahre verfolgt, er sieht die positiven Effekte hori­ zontaler Strukturen, aber er schränkt auch ein. „Das ist alles gut und schön, wenn es gut läuft“, sagt er. „Aber nur dann“. AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 11

Die deutsche Nationalmannschaft hat 2019 einen Umbruch vollzogen und dabei auch mit alten Traditionen gebrochen: Der Mann- schaftsrat wurde abgeschafft. Die Entwicklung des Stell­ver­ treter-­Gremiums der Nationalmannschaft ist auch Folge­ der Personalentscheidungen des Bundestrainers. Nur eine Randnotiz? Oder eine­ tiefe Zäsur?

Die Regel, dass einer­ das Sagen haben muss, damit ein Kollek­ „1994 hatten wir Klasse-Spieler, aber keine­ Mannschaft.“ Zwei tiv auf Probleme­ gut und schnell reagieren kann, steht in Jahre später zog er die Lehre. „1996, das war eine perfekte ­vielen ­Lebensbereichen außer Diskussion. Auf hoher See und Mannschaft. Ich hatte auf einige Spieler bewusst verzichtet“, Überlandflügen, bei Lebensrettern und Militäreinsätzen gibt sagt er, „und wurde­ kritisiert, weil wir so weniger individuelle es klare Befehlsketten, weil man im Notfall nicht erst mal Klasse hatten. ­Dafür aber eine Mannschaft.“ Mit ­großem ­Argumente austauschen und auf Augenhöhe diskutieren Teamgeist und klarer­ Hierarchie durch die Anführer Jürgen kann. Zum Glück geht es im Fußball nicht um Leben­ und Tod. Klinsmann und wurde diese Europameister. Aber auch spielend steht man unter Handlungsdruck und muss in unvorhersehbaren Situationen Entscheidungen Und wie verhält es sich mit den ange­blichen Äußerlichkeiten ­treffen, nicht nur für sich, auch fürs Team. und Ritualen der Fußballhierarchie? Kann man sie wenigstens daran festmachen? Dass die Jungen den Alten die Taschen Vogts hat das seit dem „Wunder von Bern“, das er als 7-Jähri­ tragen, die Schuhe putzen? Wieder fragen wir Vogts. „Das war ger in einer Gaststätte vor dem einzigen Fernseher seines schon früher ein Märchen“,­ sagt er. „Schon zu meiner Zeit als Heimatorts Büttgen sah, oft miterlebt. „In den Weltmeister­ Spieler hat jeder seine Tasche selber getragen. Nur für die teams von 1954 und 1974 gab es Persönlichkeiten, die in großen Kisten mit der Ausrüstung, die zu zweit getragen ­Extremphasen das Heft in die Hand nahmen und die Mann­ ­werden mussten, hieß das manchmal: Heute bist du dran, schaft geführt haben“, sagt er. 1974 tat er das selbst. mit anzupacken.“ Woraus sich der vielleicht haltbarste ­Hinweis ­Eigenmächtig entschied er, dass der Plan von Bundestrainer für eine funktionierende Hier­archie ableitet, egal wie flach Helmut Schön, den niederländischen Star Johan Cruyff erst oder steil: Ein Team gewinnt nur, wenn jeder bereit ist dreißig Meter vor dem ­eigenen Tor in Manndeckung zu ­anzupacken. Ob mit oder ohne Mannschaftsrat, ob mit einem ­nehmen, nicht aufging. Cruyff ließ sich weit fallen und ent­ oder mit elf Kapitänen. wischte Vogts mit dem Tempo, das er aus der Tiefe auf­nehmen Oskar Scheffer konnte, schon in der ersten Minute – Foul Hoeneß, Elfmeter, 1:0 für Holland. Nach wenigen Minuten beschloss Vogts, Cruyff über das ganze Feld zu ver­folgen. Er korrigierte seinen Trainer, entnervte den wichtigsten ­Spieler des Gegners, Deut­schland ­wurde in Deutschland Weltmeister.

Eine schwierige Phase

Die Sache mit den Hierarchien war und ist kompliziert, Vogts weiß dies sowohl aus leidvoller als auch aus freudvoller Erfahrung. „1994 hatten wir leider keine Hierarchie, sondern drei unterschied­ liche Gruppen“, erinnert sich Vogts. „Die Weltmeister von 1990, die jungen Nach­ rücker aus der und die Spieler aus der ehemaligen DDR. Das war eine der schwierigsten Phasen überhaupt. Wer sollte mit wem das Zimmer teilen? Alles war kompliziert.“ Sein Resümee:­ AKTUELL IM BLICKPUNKT 12 CDN-MAGAZIN 41 | 2019 SERGE UND DIE Gegen Nordirland erzielte Serge Gnabry in seinem 13. Länderspiel die Treffer 11, 12 und 13. Nur wenige vor ihm starteten derart treffsicher in die ersten 13 Spiele ihrer National­ mannschafts­karriere. Das CdN-Magazin stellt die Spieler vor, die nach 13 Länderspielen am häufigsten für Deutschland getroffen haben.

1_GERD MÜLLER. 62 Spiele, 68 Tore – Müller (rechts) ist unerreicht. 14 Tore in 13 WM-Spielen, neun Tore in sechs WM-Quali-Spielen, vier Tore in zwei EM-­ Spielen, zwölf Tore in zehn EM-Quali- Spielen und 29 Tore in 31 Freund- schaftsspielen. 16 2_RICHARD HOFMANN. Hofmann (Zweiter von links) traf in seinen ersten drei Spielen gar nicht, legte dann aber 1 los. Er traf gegen die Schweiz, gegen Schweden und gegen England jeweils dreimal. Seine Bilanz insgesamt: 24 Tore in 25 Länderspielen.

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4_EDMUND CONEN. Mit der Erfah- rung von nur einem Länderspiel fuhr Conen 1934 zur WM – und traf dort 14 häufiger als alle anderen Deutschen (viermal). In seiner Bilanz stehen 26 3_KARL HOHMANN. Zwei Dreierpacks Tore in 27 Länderspielen. beförderten Hohmann weit nach oben in dieser Wertung. Einer davon gelang 6 5_MAX MORLOCK. Morlock wurde ihm im ersten erst mit 25 Jahren Nationalspieler. deutschen WM- Dann aber richtig. Alleine im Rahmen Quali-Spiel über- der Quali für die WM 1954 gelangen haupt, dem 9:1 ihm sechs Treffer. Unvergessen auch gegen Luxemburg seine drei Treffer beim 7:2 im WM- 1934. Insgesamt Spiel gegen­ die Türkei. erzielte er bei 26 DFB-Einsätzen­ 6_SERGE GNABRY. Wer mit drei Treffern 20 Treffer. 13 startet, wie Gnabry beim 8:0 gegen­ San Marino, hat eine gute Basis ge- schaffen. Dass er Dreierpacks kann, hat er zuletzt beim 6:1 gegen Nord­ irland bestätigt. AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 13 SUPER-STARTER

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12 8 7_OTTO HARDER. Wer über Harder Nach seinem achten Einsatz ließ seine berichtet, muss die dunkle Seite Quote nach, danach traf er „nur“ noch ­erwähnen. Harder war zunächst zweimal. Macht: 16 Spiele, 13 Tore. ­Wachmann und später Kommandant ­mehrerer Konzentrationslager. Ein 9_HELMUT SCHÖN. Schön (rechts) 16 ­britisches Militärgericht verurteilte ­gehört zu den wenigen Spielern, die ihn 1947 als Kriegsverbrecher. mehr Länderspieltore als Länderspiele in ihrer Bilanz haben (16/17). Und das 8_JOSEF GAUCHEL. Gauchel traf gleich Ganze ging ja gleich gut los, als der bei seinem Debüt bei den Olympi- Dresdner 1937 in der WM-Qualifikation schen Spielen 1936 doppelt und gegen Schweden zwei Tore erzielte. ­erwies sich auch sonst als treffsicher. 9

11 11 12_HANS-JOACHIM KREISCHE. Kreische 10 gewann 1972 Bronze bei den Olympi- schen Spielen. 1974 stand er beim Spiel BRD – DDR auf dem Rasen und 12 jubelte­ über das Sparwasser-Tor. Seine Bilanz: 46 Spiele, 25 Tore. 10_FRITZ WALTER. Drei Tore im ersten Spiel, zwei Tore im zweiten Spiel. 13_KLAUS FISCHER. Erst mit 27 debü- ­Walter (Mitte) hat nicht lange benötigt, tierte Fischer im A-Team. Unter den elf um bei der Nationalmannschaft Fuß Toren in den ersten zehn Spielen (am zu fassen. Walter war Kapitän des ­Ende waren es 32 in 45) war auch das ­Wunders von Bern und ist bis heute Tor des Jahrhunderts“, erzielt 1977 in eine der größten Figuren in der Stuttgart gegen die Schweiz. ­Geschichte des deutschen Fußballs. 14_MIROSLAV KLOSE. Klose traf bei 11_WILLY TRÖGER. Seine 15 Spiele für seinem Debüt, einem 2:1 gegen Alba- die DDR hat Tröger (links) voll ausge- nien. Bei seinem letzten Spiel traf er kostet. Bemerkenswert: Der Stürmer nicht, wurde dafür aber Weltmeister. war eigentlich­ Torhüter. Die Um­ 2014 in Rio. Mit 71 Toren ist er deut- 13 schulung hatte eine dramatische scher Rekordtorschütze, dabei hat er ­Ursache, im Zweiten Weltkrieg riss ihm 16 Treffer im Rahmen von Weltmeister­ 14 ­eine Granate die rechte Hand vom Arm. schaften erzielt. Mehr als jeder andere. REGIONALES TREFFEN IN MÖNCHENGLADBACH 14 CDN-MAGAZIN 41 | 2019 GLADBACHER VOLLTREFFER

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1_Jörg Albertz, Stephan Paßlack, , . 6 2_, Kalle Del’Haye, Max Eberl. 3_, Gerd Zewe. 4_Berti Vogts, Horst Köppel. 5_Hartwig Bleidick, Herbert Laumen, 6_, Fritz Keller, Berti Vogts. 7 . 7_Margareta und Gerd Zewe. REGIONALES TREFFEN IN MÖNCHENGLADBACH CDN-MAGAZIN 41 | 2019 15 GLADBACHER VOLLTREFFER

Unten traf ein Gladbacher, oben trafen sich Gladbacher. Mit seinem 1:0 per Hacke sorgte Lokalmatador Matthias Ginter für den ­Dosenöffner; „ausgerechnet“ sagt man da. Ausgerechnet wurde später beim Regionalen CdN-Stammtisch auch, was der 4:0-Sieg gegen Belarus in Verbindung mit dem 2 ­torlosen Remis zwischen den Niederlanden und Nordirland bedeutet. Nicht nur Dosen öffneten sich, ganze Tore wurden aufgestoßen. Die Mannschaft sicherte sich das Ticket für die EURO 2020. Und so gab es auf dem Rasen, auf den Rängen und in den Reihen des CdN gute Gründe für eine gute Party.

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8_Stephan Paßlack, Oliver Bierhoff. 9_Rolf Königs, Hartwig Bleidick. 8 AKTUELL IM BLICKPUNKT 16 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

1_ (rechts) und 1 Moderator Pierre Klein. 2_ ist bester Laune. 3_DFB-Schatzmeister Dr. Stephan Osnabrügge, Josephine Henning,­ Sonja Fuß und Tobias­ Wrzesinski (von links). 4_Gerd Rossbach mit seiner Frau und FdN-Vorstands­ mitglied Hans-Lothar Hampe (von links).

VERNETZUNG UNTER FREUNDEN

Vor dem Länderspiel zwischen Deutschland und Belarus gab es in Mönchengladbach eine Premiere. Die DFB-Stiftung hatte geladen, unter­ dem Titel „FdN meets CdN“ trafen sich ­Freunde der Nationalmannschaft mit ­Vertretern des Clubs der Nationalspieler. AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 17

2 ast wie früher. Freunde der Natio­ die Veranstaltung. Mit Blick auf „Freunde“ nalmannschaft und Spieler der und „Frühere“ sagte er: „Das Format Nationalmannschaft im direkten dient dazu, dass wir Euch miteinander FAustausch, gutes­ Essen, gute Ge­ ver­netzen und den Freunden der spräche, gute Kontakte.­ In den ersten National­mannschaft die Wertschätzung Jahren nach Gründung des Vereins entgegenbringen, die wir leider nicht „Freunde der Nationalmannschaft“­ mehr dadurch ausdrücken können, dass (FdN) im Jahr 1978 waren Situationen wir zusammen mit der Nationalmann­ wie diese eher Regel als Ausnahme. schaft essen oder an der Bar ein Bier Man kannte und schätzte einander, trinken, wie das vielleicht in der Grün­ „Freunde“ – das war mehr als ein Label. dungszeit noch möglich war.“ Dr. Osna­ Mit der zunehmenden­ Professionalisie­ brügge betonte, wie wertvoll das rung auf allen Ebenen ging dieser enge ­Engagement des FdN für die Arbeit der Bezug mehr und mehr verloren. Die Stiftung ist und nannte als ein Beispiel­ „Freunde der Nationalmannschaft“ sind die Durchführung der Blinden-Fußball- 3 immer noch dicht dran, im Vergleich zu Bundesliga, die ohne die Mittel aus dem früher ist die Distanz allerdings erheb­ Kreis des FdN nicht möglich wäre. lich größer.­ Unter den „Freunden der „Schon seit Langem suchen wir deswegen National­mannschaft“ wird darüber nicht nach Formaten, um Ihnen die Bedeu­ geklagt, das Verständnis für die Belange tung zu geben, die Sie für die Stiftungen der Mannschaft ist groß. Und dennoch eindeutig haben. Dafür kann ich immer und natürlich ist der Wunsch nach ein wieder nur sagen: große, große Hoch­ wenig mehr Nähe vorhanden. achtung und vielen, vielen Dank.“

Umso wertvoller ist eine Veranstaltung Jens Nowotny sieht in diesem Veran­ wie „FdN meets CdN“, die im Vorfeld staltungsformat, das künftig jährlich des Länderspiels zwischen Deutschland durchgeführt werden soll, einen und Belarus im „Haus Erholung“ in ­Mehrwert in mehrere Richtungen. Er ­Mönchengladbach durchgeführt wurde. will Kontakte knüpfen, Netzwerke ver­ Viele „Freunde“ waren gekommen, der binden, ausbauen und aufbauen. „Die Club der Nationalspieler (CdN) war ver­ Freunde der Nationalmannschaft treten durch Jens Nowotny, den „Regional­ haben individuell und als Gemeinschaft vorstand“ für Nordrhein-Westfalen. Vor ein riesiges Netzwerk, mindestens Ort waren außerdem mit Josephine ­genauso gilt das für die Mitglieder des Henning und Sonja Fuß zwei ehemalige Clubs der National­ spieler­ und den CdN Nationalspielerinnen sowie die ehema­ an sich“, sagte Nowotny. „Wenn wir das ligen Nationalspieler miteinander kombinieren,­ ergibt sich und Michael Schulz. Geladen hatte daraus eine riesige­ Kraft. In Ver­bindung die DFB-Stiftung Sepp Herberger, deren mit dem DFB und der Herberger-Stiftung Haushalt zu großen Teilen aus den haben wir dann große­ Hebel,­ mit denen ­Mitgliedsbeiträgen der „Freunde der wir viel Gutes tun können. Für mich Nationalmannschaft“ finanziert wird. ist es ein Riesen-­Potenzial, das brach liegt und das wir heben wollen.“ In seiner Rolle als Vorstand der Sepp- Der Auftakt dafür ist gemacht. Herberger-Stiftung eröffnete DFB- 4 Schatzmeister Dr. Stephan Osnabrügge Steffen Lüdeke

DIE STIFTUNG Die Geschichte der Sepp-Herberger-­Stiftung begann am 28. März 1977, dem 80. Geburtstag Sepp Herbergers. Das schönste Geschenk überbrachte der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger: Er gab die Gründung der Sepp-Herberger-Stiftung bekannt. Die Stiftung ist eine rechtsfähige Stiftung­ bürgerlichen Rechts und als gemeinnützig anerkannt. Sie besitzt zwei ­Organe, den Vorstand und das ­Kuratorium. Geschäftsführer ist Tobias Wrzesinski. Vorsitzender der Stiftung ist qua Amt der jeweilige DFB-Vize­präsident für Sozial- und Gesellschafts­politik. Die Arbeit der Stiftung gliedert sich in vier Schwerpunkt­ bereiche: ­Resozialisierung von Strafgefangenen, Behindertenfußball, Schule und Verein sowie das DFB-Sozialwerk. REPORTAGE 18 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

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WILLKOMMEN ZURÜCK

1_Heimat. Der elterliche Hof in Erksdorf wird 2 heute von Immels Schwester betrieben. 2_Der Bären Hof war Immels erste Station bei seiner Rückkehr nach Stadtallendorf. 3_Immel in seinem Element beim Training mit Kindern. REPORTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 19

534 Bundesligaspiele hat Eike Immel absolviert, nur sechs Fußballer weisen mehr auf. Mit dem VfB Stuttgart wurde er Deutscher Meister, 19 Länderspiele stehen in seiner Vita. Der großen Karriere folgte ein großer Knick. Nach schwierigen Jahren ist Immel zurück. Seine Geschichte gehört zu den besonderen des deutschen Fußballs.

nd dann sprudeln die Erinnerun­ Jugend des BVB, um Karriere als Fußball­ gen. Hier war das Zimmer der torwart zu machen. Mit 56, vor drei Großeltern, hinter dem Fester ­Jahren, kehrte er zurück, um sein Leben Udie Stube mit dem Fernseher. wieder zu ordnen. Da oben links, auf der Rückseite, da war das Kinderzimmer, sein Kinderzimmer. Die Geschichte von Eike Immel lässt Eike Immel (59) steht vor dem elter­ sich schnell erzählen. Fußballstar, lichen Hof in Erksdorf im Landkreis ­Nationaltorwart, Deutscher Meister, Marburg-Biedenkopf und reist 50 Jahre ­berühmt, reich; hoch geflogen. Danach: in die Vergangenheit. Er ist jetzt wieder Insolvenz, Drogen, Rotlicht, Dschungel­ Kind. Mit seinem Papa, der selber ein camp; tief gefallen. Immels Absturz guter und in der Gegend bekannter­ vollzog sich öffentlich, sein Scheitern Fußballer war, hat er auf dem Hof ge­ ­wurde ausgeschlachtet. Die Öffent­ spielt, mal auch in der Stube, in der eini­ lichkeit konnte sich an ­seinem Leid ges zu Bruch ging, mit Freunden auf der ­weiden, ­Immel hat viel und im Rück­ kurvigen Straße. Ein Unfall ist dabei nie blick zu viel mitgemacht und mit sich passiert, nur einmal, als der neugierige machen ­lassen. Nach und nach wurde Eike bei einem Radrennen, das vor dem es ruhiger­ um ihn, schließlich wurde Haus vorbeiführte, seine Neugier nicht es fast ganz still, sein Absturz­ war zügeln konnte, kam es zu einem ­auserzählt, die Tiefen ­seines Lebens Zusammen­stoß. „Ich hatte eine richtig ließen sich nicht weiter zu Schlagzeilen schöne Kindheit“, sagt Immel und meint und damit zu Geld machen. weniger den Zusammenstoß als sein Aufwachsen grundsätzlich. Und nun? Ist Immel wieder da. Beim Jahrestreffen des Clubs der National­ Auf dem Hof half er mit, manchmal gern, spieler im September in Hamburg im manchmal weniger, manchmal gar nicht. ­Rahmen des Länderspiels gegen die Es gab mal eine Zeit, in der der Plan von Niederlande tauchte er für viele über­ Immel Senior vorsah, dass Immel­ Junior raschend wieder auf. Zu den Überraschten den Hof später übernehmen würde. gehörte auch er. Mehrmals zuvor hatte „Mir war aber eigentlich immer klar, dass er die Einladung angenommen und in ich das verhindern will“, sagt Immel. letzter Sekunde einen Rückzieher ge­ Immel erinnert­ sich auch an seine macht. Diesmal nicht. Und Immel kann Furcht vor Einbrechern. Wieder zeigt er nicht genau ­begründen, warum. Es war auf das Fenster seines Kinderzimmers. einfach so weit. „Ich hatte immer Sorge, dass ein Ein­ brecher die Wand hochklettern und in Für ihn war dieser Schritt bedeutend. mein Zimmer kommen könnte“, sagt er. Vor allem die ausschließlich positive Ist nicht passiert. Nicht hier. Resonanz, die er erhalten hat. „Alle ­haben sich gefreut, mich zu sehen“, Vergangenheit und Gegenwart sagt er. Genauso war es wenig später in Dortmund­ und Frankfurt als er sich im Erksdorf in Stadt­allen­dorf – das ist für Rahmen der Regionalen CdN-Treffen bei Immel Vergangenheit und Gegenwart. den Länderspielen gegen Argentinien Mit 15 Jahren verließ er das Elternhaus und Nordirland schon wieder fast selbst­ und seinen Verein Eintracht Stadtallen­ verständlich im Kreis der ehemaligen dorf Richtung Dortmund, er ging in die Nationalspieler bewegte. REPORTAGE 20 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Immel ist also wieder da. Und mit ihm 1 viele Fragen. Wie geht es ihm, wie sieht sein Leben aus, was ist dran an den ­vielen Geschichten?

Das Treffen mit Immel beginnt im ­ Hotel Bären Hof in Stadtallendorf. Für ihn ist dieses Hotel wichtige Station ­seines Lebens, eine Zeit lang hat er hier gewohnt, mittlerweile wohnt er in einer Zwei-Zimmer-Wohnung ein paar ­Schritte entfernt. Im Restaurant des Bären Hofs aber ist er noch immer häufiger und gerngesehener Gast. So wie jetzt. ­Immel trinkt einen Schluck Kaffee, zieht die Tischdecke gerade und beginnt zu ­erzählen. Und je mehr er erzählt, je mehr zerbröseln die Vorurteile. Die schnell ­erzählte Geschichte hat in Wahrheit zu viele Facetten, um schnell erzählt­ zu ­werden. Immel weiß, welche Assoziationen viele Menschen noch immer ­haben, wenn sie den Namen Eike Immel hören. Er weiß auch, dass er diverse Fehler begangen­ hat und mehr als einmal falsch abgebogen ist. Aber er hat auch viele ­Sachen nicht gemacht, die ihm noch ­immer zur Last gelegt werden. 2 Lügen und Wahrheiten

Am meisten trifft ihn „die Kokain-­ Geschichte“, wie er es nennt. Immel war angeklagt, in ­einem Bordell in Schwerte in 78 Fällen Kokain für den Eigen­bedarf erworben zu haben. Der Prozess erregte Aufsehen, na klar – ein ehemaliger ­Nationaltorwart im Rotlicht- und Drogen­ sumpf. Weniger Aufsehen erregte sein kompletter Freispruch. Die Geschichte ist komplex, aber im Ergebnis ganz ­simpel. Die Haupt­belastungszeugin ver­ sicherte während des Prozesses an Eides statt, dass sie gelogen hat. „Ich habe nie Drogen genommen“, sagt Immel, „und ich war auch nie ein Puffgänger.“

Auf seine Zeit im Dschungel im Jahr 1_Sein größter Erfolg: Deutscher Meister 2008 blickt Immel differenziert. Er fin­ mit dem VfB Stuttgart 1991/1992. det nicht, dass er in Australien seine 2_Das erste Mal Bundesliga und dann gegen Würde verloren hat. Er war, wie er ist: die Bayern und den großen . offen, sympathisch, herzlich. Immel 3_Die Nummer 1 bei der Heim-EM 1988. glaubt schon, dass ihm sein Auftritt in In seiner Vita stehen 19 Länderspiele. der RTL-Show mehr Freunde als Feinde 4_Mit Hans van Breukelen (links) bei seinem Debüt gemacht hat. Aber Immel weiß auch, für Deutschland. Immel war damals­ 19 Jahre dass auf lange Sicht Bilder von Ratten, alt – bis heute war kein Torhüter bei seiner die über sein Gesicht laufen, keine Hilfe Premiere für Deutschland jünger als Immel. REPORTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 21

dabei sind, von den Menschen wieder als seriös wahrgenommen zu werden.

Neben den diversen Unwahrheiten, die über ihn kursieren, gibt es auch bittere Wahrheiten. Dazu gehört seine Insol­ venz, die Schulden. Und natürlich stellt auch er sich noch immer hin und wieder 3 die Frage, wie das passieren konnte und wo die Millionen geblieben sind. Ihm ­wurden falsche Investitionen, falsche Freunde und falsche Entscheidungen zum Verhängnis. Und seine Naivität. Nur ein Beispiel: Ziemlich am Beginn seiner Zeit in Dortmund, als die ersten großen Überweisungen auf seinem Konto ein­ gingen, unterliefen dem damals noch jungen Torhüter Fehler mit weitreichen­ den Folgen. Er investierte in Luxuswoh­ nungen, als Steuersparmodell war ihm dies empfohlen worden. Und weil ­Immel ungern halbe Sachen macht, investierte er richtig.­ Er kaufte nicht eine Immobilie wie andere, Immel schlug sechsfach zu. Das Problem mit den Wohnungen: Es waren Luxus-Wohnungen in Hagen- Haspe, einem sozialen Brennpunkt. Heute sagt Immel: „Das ist wie sozialer Wohnungsbau in Monte Carlo.“ Nur ­umgekehrt. Konnte nicht funktionieren, hat nicht funktioniert. Seine gesamten Einnahmen aus seiner Dortmunder Zeit von 1977 bis 1986 gingen letztlich dafür drauf. „Schöner Scheiß“, sagt Immel. Punkt. Ausrufezeichen.

Zwei Jahrzehnte Schmerzen

Beispiele wie diese finden sich viele. „Ich hatte zehn Lebensversicherungen“, sagt Immel. Und wenn es wahrschein­ lich auch nicht zehn waren, so lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass es eine Zeit gab, in der nur wenige Menschen so gut versichert waren, wie Eike Immel. Einmal hat ihm das sogar ge­holfen. Zu seiner Zeit in Dortmund ­wurde seine kind­liche Furcht vor einem Einbruch wahr, sein Haus wurde ­komplett ausgeräumt. „Versicherungen sträuben sich ja gern, Schäden zu übernehmen“, sagt Immel. „Aber ich war so gut ver­sichert – bei mir haben die sich das nicht mehr getraut.“

Immel lacht bei dieser Erzählung. Über­ 4 haupt ist das eine Botschaft des Gesprächs mit dem 19-maligen Nationalspieler. REPORTAGE 22 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Er hatte schwere Zeiten. Aber er ist nicht Telefon und wählte Immels Nummer. ­dieser Sache ist sein Selbstvertrauen gebrochen. Immel ist ­wieder da, ihm geht Der erste Versuch scheiterte. Immel unerschütterlich. Mit Torhütern arbeiten, es gut. „Ich hab’ wieder Bock“, sagt er fühlte sich nicht bereit für die Rück­kehr das kann er. „Ich weiß, wovon ich rede, und meint damit den Fußball und das in die Heimat, er traute sich nicht und ich weiß, wie Torhüter ticken. Ich erkenne Leben. Er hat sich herausgekämpft aus fürchtete, nicht überall mit offenen­­ Talent, ich erkenne Stärken und Schwä­ der Dunkelheit, für ihn scheint immer ­Armen aufgenommen zu ­werden. chen. Ich kann begeistern, ich kann häufiger das Licht. motivieren. Wenn mir etwas liegt, dann Als er noch ein Star war, berühmt und ist es die Arbeit mit Tor­hütern, darin bin Dafür gibt es viele Ursachen. Eine ist reich, da ließ er die ­Kontakte in die Hei­ ich einfach gnadenlos gut“, sagt er. seine zweite Geburt im Jahr 2016. So mat irgendwann abreißen. „Natürlich fühlt sich für Immel das schmerzfreie war das nicht richtig“, sagt Immel. Der Reiz des großen Fußballs Leben an, das ihm durch zwei künstliche Immel von heute kann dem Immel von Hüftgelenke wieder möglich ist. ­Wegen damals dieses Verhalten aber nach­ Bei Eintracht Stadtallendorf sind sie einer Hüftnekrose hatte er seine aktive sehen. Je berühmter­ er wurde, desto sich bewusst, dass nicht ausgeschlos­ Karriere 1996 nach Stationen bei Borus- anstrengender wurden die raren Augen­ sen ist, dass doch noch mal ein Verein sia Dortmund, dem VfB Stuttgart und blicke, die er zu Hause verbringen konnte. anklopft aus der großen oder zumin­ ­Manchester­ City beendet müssen. Die Immel war eine Attraktion, jeder wollte dest nicht kleinen Welt des Fußballs. Schmerzen wurden immer schlimmer, sich mit dem berühmten Torhüter Auch Immel schließt dies nicht aus, schließlich war er sogar nicht mehr in der schmücken. Immel erzählt es so: und natürlich würde es ihn reizen, sein Lage, als Trainer oder Torwart-Trainer zu ­„Gefühlt stand jedes Mal ein Klassen­ Können noch einmal auch auf anderem arbeiten. Zuvor hatte er dies erfolg­reich treffen an, wenn ich Zuhause in Erksdorf ­Niveau zu ­zeigen. Aber Immel ist auch getan. Etwa als verantwortlicher Coach war.“ Es sprach sich schnell herum, Realist. Er weiß um ­seine Vita, weiß um des VfR Heilbronn, mit dem er 1999 in wenn er mit einem seiner teuren Autos die Vorbehalte. Ihm ist bewusst, dass die Oberliga Baden-Württemberg auf­ auf dem elterlichen Hof parkte. Und Vereine leichtere Wege gehen können, stieg. Oder als Torwart-Trainer an der schnell standen neben seinem Auto als ihm eine Chance zu geben. „Ich Seite von bei Besiktas viele andere Fahrzeuge und aus dem weiß aber, dass es niemand bereuen Istanbul, Austria Wien und Fenerbahce ­gemütlichen Abend mit der Familie würde“, sagt er. Eines ist für ihn ganz Istanbul. Unter ihm wurde Volkan wurde unfreiwillig ein mittelgroßes klar: Sollte ihn der Weg doch noch Demirel­ türkischer Nationaltorwart,­ in Fest. „Es war dennoch falsch, dass ich ­einmal woanders hinführen – die Ver­ ­Österreich hatte er u. a. Robert Almer mich komplett zurückgezogen habe“, bindung nach Stadtallendorf wird er unter­ seinen Fittichen, der später Öster­ sagt Immel. „Es hätte auf ­jeden Fall ­einen nicht noch einmal ­abreißen lassen. reichs Nummer 1 wurde. Weg gegeben, dies anders zu lösen.“­ „Dieser Fehler passiert mir nicht noch einmal“, sagt er. Wie neu geboren Heute ist Immel sehr froh, dass er die Hilfe, die ihm in Stadt­allendorf angebo­ Bei der Frage, wo er sich in fünf Jahren Vor drei Jahren die überfälligen Opera­ ten wurde, nach einigem Zögern doch sieht, denkt Immel eine Weile nach und tionen im St. Josef Krankenhaus in ­angenommen hat. Über Wolfgang findet dann, dass er dieses Nachdenken ­Gießen, die für ihn ein körperlicher und Schratz, der im Vorstand von Eintracht überflüssig findet. „Ich muss hier nicht ­mentaler Befreiungsschlag waren. Seit­ Stadtallendorf sitzt, fand Immel auch weg“, sagt er. „Ich lebe im Heute und im dem Immel wieder schmerzfrei gehen den Weg in seinen alten Verein. Heute Heute fühle ich mich wohl.“ Auch privat kann, geht es mit ihm bergauf. „Es fühlt besteht sein Leben wieder zu 90 Prozent ist er glücklich. Er lebt gerne als Jung­ sich fantastisch an“, sagt er, „ich hätte aus Fußball. Wenn er nicht an seiner geselle, hat viel und guten Kontakt zu das schon viel früher machen sollen. Ich Biografie schreibt, steht er bei Eintracht seinen beiden erwachsenen Kindern habe 20 Jahre verloren wegen ­meiner Stadtallendorf auf dem Trainingsplatz­ und zu seiner Mutter. Und finanziell? starken Schmerzen. Ich konnte nicht und an den Wochenenden am Rande „Ich bin sehr zufrieden“, sagt Immel und mehr aufrecht stehen und bin ­gelaufen der ­Bande. Sieben Tage in der Woche ist tatsächlich zumindest nicht komplett wie ein Opa.“ arbeitet er als Torwart-Trainer für alle unzufrieden. Immel ist nicht reich, aber Torhüter des Vereins und als Chefcoach er hat gelernt, das Materielles nicht Ein weiterer Grund, warum Immel gut der Zweiten Mannschaft. Partiell gibt er glücksentscheidend ist. Er kann seine gelaunt in Stadtallendorf empfängt, auch individuelles Torwart-Training für Rechnungen bezahlen,­ der Kühl­ sitzt während des Gesprächs neben ihm Talente aus der Region. Die Qualität schrank ist voll, der Kleiderschrank im Bären Hof: Wolfgang Schratz. Der ­seiner Arbeit blieb in und um Stadt­ nicht leer. „Ich hatte schon erheblich Stadtallendorfer Unter­nehmer hat allendorf kein Geheimnis, immer häufiger mehr, ich hatte aber auch schon erheb­ ­Immels Sturz aus der Ferne verfolgt und ­wollen auch externe Talente davon lich weniger“, sagt Immel und schließt konnte nicht fassen, dass niemand dem ­profitieren. „Mir macht die Arbeit ­großen mit einem­ schönen Satz aus vier prominentesten Sohn der Stadt Hilfe Spaß“, sagt Immel. Er ist sonst ein Zweifler,­ ­Worten: „Mir geht es gut.“ zukommen ließ. Schließlich beschloss ein Grübler, die Nackenschläge haben er, dies selbst zu tun. Also griff er zum ihn nachdenklich gemacht. Aber in Steffen Lüdeke REPORTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 23 SERIE: MEIN LIEBLINGSSTADION 24 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

GROSSE SPIELER, GROSSE ARENEN: TEIL 1 – JÜRGEN KLINSMANN UND DAS SAN SIRO „DAS STADION HAT MICH IN EINEN RAUSCH VERSETZT“

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Nur ganz wenige Arenen der Welt können mit der Größe, dem extravaganten Erscheinungsbild und dem Charisma des Giuseppe-Meazza-­Stadions mithalten, das im Volksmund wie sein Stadtteil „San Siro“ heißt. Für Jürgen Klins­mann (55), der aktuell als Interimstrainer von Hertha BSC auf die ­Bühne Bundesliga zurückgekehrt ist, wurde das Stadion zur wichtigsten Station seiner Weltkarriere als Fußballer. SERIE: MEIN LIEBLINGSSTADION CDN-MAGAZIN 41 | 2019 25

2 Herr Klinsmann, bei Ihrem Europa-Trip im Spätsommer haben Sie in Mailand Station gemacht. Haben Sie dabei auch das „San Siro“ besucht? Ich war nicht im Stadion,­ aber es hat sich zufällig ergeben, dass ich mir diesen Palazzo des Fußballs noch mal sehr lan­ ge und sehr bewusst angeschaut habe.

Das bedeutet? Bei meinem Besuch in Mailand habe ich in der WhatsApp-Gruppe um unseren damaligen Kapitän meinen Wunsch für ein gemeinsames Abendessen geäußert. Irgendwo in ­einem Restaurant. Dabei sein sollte ­natürlich auch Ernesto Pellegrini, der Inter-Präsident jener Jahre. Er hat darauf bestanden, uns alle zu sich nach Hause einzuladen. Und Cio Pellegrini, Onkel Pellegrini, so nennen wir ihn noch heute wegen seines herzlichen, autoritären, ­großzügigen und fürsorglichen Wesens, wohnt in seiner Villa in unmittelbarer Nähe des Stadions. Von seiner Terrasse aus habe ich dann tatsächlich noch mal ­lange zu diesem Stadion hinübergeblickt.

Welche Gedanken gingen Ihnen dabei durch den Kopf? Das San Siro steht für mich für viele und große Emotionen und für viele Erlebnisse, die ich nie vergessen werde. Die großen Spiele mit Inter, die leidenschaftlichen Derbys gegen den AC Mailand und ­natürlich die unvergesslichen Auftritte mit unserer Nationalmannschaft wäh­ rend der WM 1990. Beim Anblick des San Siro habe ich große Dankbarkeit gespürt. Dafür, dass ich für diesen Klub spielen und ihn repräsentieren, Teil ­dieser Kultur und dieses Lebensstils sein durfte. Ein wunderbares­ Gefühl! Und mir wurde auch die große Bedeutung dieses Stadions für mich persönlich mal wieder sehr genau bewusst.

Welche Bedeutung genau? Das San Siro war im Rückblick das wich­ 3 tigste Stadion meiner Karriere. Für meine ersten Schritte als Profi im Ausland hätte ich mir nichts Besseres wünschen kön­ 1_3_In seinem „Wohnzimmer“ macht Jürgen Klinsmann eines nen. Im San Siro bin ich als Fußballer seiner besten Länderspiele. Im WM-Achtelfinale 1990 gegen gereift – und in meinen drei Jahren dort die ­Niederlande ist er kaum zu stoppen, trifft zum 1:0 und auch zu einem Führungsspieler im ist auch sonst die auffälligste Figur auf dem Rasen. ­Nationalteam geworden. SERIE: MEIN LIEBLINGSSTADION 26 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Können Sie sich noch an Ihre ersten Ein- für die Nationalmannschaft, einer EM- Auf unserem Weg zum Titel war das ein drücke in diesem Stadion ­erinnern? Teilnahme und einer Olympia-Medaille großer Vorteil. Schon der Anblick war absolut überwäl­ ein gewisses Selbstbewusstsein aufge­ tigend. Für mich war es die Ankunft in baut. Ich war einfach voller Energie und Unter den fünf „Heimspielen“ in Mai- der großen weiten Welt des Fußballs. Es Vorfreude und wollte allen zeigen: Hier land war das legendäre Achtelfinale war zwar nicht so, dass Stuttgart hin­ passe ich rein, ich bin bereit für euch. mit dem 2:1 gegen die Niederlande. term Mond lag. Wir hatten im Mai 1989 Mit den -Stars , Marco mit dem VfB hauchdünn das UEFA-Cup- Offiziell ist das San Siro nach Giuseppe van Basten und Frank Rijkaard. Auch Finale gegen Neapel mit Mara­dona, ­Careca Meazza benannt, einem der legendärsten aus Ihrer Sicht das beste Ihrer 108 und Carnevale­ verloren. Doch Mailand Torjäger Italiens. Hatte dies für Sie als ­Länderspiele? war mit diesem Fußball-Tempel einfach Stürmer eine Bedeutung? Es war sicherlich ein ganz außerge­ eine andere Dimension. Inter war italie­ Für mich als Angriffsspieler war dies wöhnliches Spiel für mich. Wegen Rudi nischer Meister und Supercupsieger, natürlich zusätzliche Motivation. Vor Völlers völlig unberechtigtem Platz­ Milan hatte den Europa­pokal der Landes­ ­allem aber bringt es den hohen Stellen­ verweis nach Rijkaards Spuckattacke meister gewonnen und den Weltpokal wert zum Ausdruck, den dieser Angreifer war ich vorne auf mich allein gestellt. geholt. Mailand war so etwas wie die und Torjäger im angeblichen Catenaccio-­ ­Daraus haben sich in diesem Spiel viele Kapitale des Weltfußballs. In dieses Fußball hatte. freie Räume für mich ergeben. Ich habe ­Stadion mit seinen mächtigen Zylinder­ mich plötzlich in einer fantastischen türmen und den gewaltigen Tribünen­ Wie blicken Sie heute auf Ihre erste Hochstimmung gefühlt, fast alles gelang. hineinzugehen und dort vor diesen Saison bei Inter, und welche Rolle Ich habe das 1:0 erzielt, danach gab es ­unglaublich begeisterungsfähigen Fans spielt diese bei dem, was im Sommer noch einen Pfostenschuss von mir. Da aufs Spielfeld zu laufen,­ gab mir vom 1990 bei der WM in Italien folgen sollte? war mir klar: Heute läuft das Ding für ­ersten Tag an einen immensen Schub. Ich habe bewiesen, dass ich auf diesem mich und für uns alle. Niveau mithalten kann. Als Mannschaft Wie kamen Sie mit dem hohen Anspruch war enttäuschend, dass wir in der ersten Im San Siro haben Sie 1991 mit dem in Mailand klar? Europapokalrunde an Malmö gescheitert 2:0 im Hinspiel auch die Grundlage Ich verspürte eigentlich keinen großen sind. Auch die Titelverteidigung in Italien gelegt für den ersten ganz großen Druck. Für mich war es vor allem eine ist nicht gelungen. Bei der WM war es ­Erfolg Ihrer Vereinskarriere: den Tri- Ehre, in diesem Stadion und für diesen dann so, dass wir in Mailand fünf Heim­ umph im UEFA-Cup gegen AS Rom. Verein auflaufen zu können. Mit meinen spiele hatten, durch unser Inter-Trio Den entscheidenden Moment hierfür 24 Jahren hatte ich mir durch meine mit Lothar Matthäus, Andy ­Brehme und gab es schon in der 2. Runde, als wir die Spiele für den VfB und meine Einsätze mir hatten wir die Tifosi im Rücken. 0:2-Niederlage bei Aston Villa im Rück­ SERIE: MEIN LIEBLINGSSTADION CDN-MAGAZIN 41 | 2019 27

1_Das Stadion wurde am 19. September 1926 in Betrieb genommen, damals mit einer Kapazität von 10.000 Plätzen. 1939 erhöhte ein Ausbau die Kapazität auf 55.000 Zuschauer. Mitte der 1950er- Jahre bot das Stadion rund 100.000 Plätze. Sein heutiges Aussehen (mit rund 80.000 Plätzen) erhielt das Stadion anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1990. 2_Das Team von Inter Mailand 1990: , , Sergio ­Battistini, , Aldo Serena, ­Giuseppe Bergomi (hinten von links); Alessandro ­Bianchi, Paolo Stringara, ­, Jürgen ­Klinsmann, ­Lothar Matthäus (vorne von links).

spiel mit 3:0 gutgemacht haben. Ich hatte zwei Trainerwechsel, was nicht funk­ früh mit einem kuriosen Tor im Fallen das tioniert hat. Außerdem war Lothar ver­ 1:0 erzielt. Mit 80.000 enthusiastischen letzt und mein Sturmpartner Aldo Fans im Rücken gerieten wir in eine solche ­Serena wurde verkauft, sodass ich Euphorie, dass wir nicht nur vom Sieg ­vorne auf mich allein gestellt war. Ich über die Engländer, sondern vom Gewinn habe dann Pellegrini um die Freigabe des UEFA-Cups fest überzeugt waren. ­gebeten, obwohl­ ich noch ein Jahr ­Vertrag hatte. Die letzte Saison war Welche Rolle spielen die Fans im San Siro? wirklich nicht erfreulich­ – unter dem Diese Stimmung in dieser Fußball-Oper Strich habe ich aber einen enormen aufzusaugen, ist jedes Mal ein großartiges Reife­prozess bei Inter erlebt. Italien Erlebnis. Daraus ergibt sich für die war damals das Nonplusultra im Welt­ GIUSEPPE ­Spieler eine nahezu persönliche Bezie­ fußball mit der als der besten hung zur Kurve und zu den Inter-Fans. Liga überhaupt. Mit einer besseren MEAZZA Ich erinnere mich noch genau an die Empfehlung hätte ich danach meine Giuseppe Meazza ist einer der erfolg­ Reaktion auf ein Fallrückzieher-Tor von Karriere nicht fortsetzen können. reichsten und populärsten Spieler der mir gegen Bergamo, das in Deutschland italienischen Fußballgeschichte, 1934 zum Tor des Jahres gewählt wurde. Die Demnächst soll das San Siro abgerissen und 1938 wurde er Weltmeister. In 53 Tribüne hinter dem Tor ist förmlich und durch ein neues Stadion ersetzt Partien für Italien gelangen ihm 33 Tore, ­explodiert. Den Tifosi konntest du direkt­ werden. Ein Prozess, den Sie mit Weh- damit ist er bis heute zweitbester Tor­ ins Gesicht­ und in die Augen schauen, mut begleiten? schütze der Nationalmannschaft hinter ihr Feuer und Temperament greifbar Mit Wehmut, wenn ich daran denke, was Luigi Riva (35). Mit 284 Treffern ist mit­erleben. Das Stadion hat mich häufig dieser gigantische Koloss bisher alles ­Meazza Rekordtorschütze seines lang­ in einen Rausch versetzt. ­erlebt hat. Doch wer den völlig ver­alteten Innenbereich der Arena kennt, die Kabi­ jährigen Vereins Inter ­Mailand und liegt Für Sie gab es im San Siro viele Höhe- nen, Gänge, Sanitär­räume und so weiter, in der ewigen Bestenliste der Tor­ punkte. Waren Sie trotzdem froh, Mai- der weiß, dass es absolut notwendig­ ist, schützen der Serie A mit 216 Toren land mit Ihrem Wechsel nach Monaco mit einer neuen Arena in ­eine neue Zeit zu ­neben José Altafini auf dem vierten 1992 hinter sich zu lassen? gehen. Für Inter ist dieser Schritt wichtig, Platz. Mit Inter wurde Giuseppe Meazza Mein letztes Jahr dort war insgesamt auch die Serie A wird davon profitieren. dreimal Italienischer Meister sowie ­ärgerlich. Zum einen ist die Mannschaft ­dreimal Torschützenkönig der Serie A. etwas zerfallen. Zum anderen gab es Interview: Wolfgang Tobien REPORTAGE 28 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

KARRIERE NACH DER KARRIERE: MARCO REICH UND SEIN GLÜCK IM SENIORENHEIM REICH AN ERFAHRUNG

Marco Reich hat ein Länderspiel für die DFB-Auswahl bestritten. Der 41-Jährige galt lange als eines der größten Talente im deutschen Fußball. Dieses Versprechen konnte er bis zum seinem Karriere­ende 2013 nicht einlösen. Warum eigentlich nicht? Inzwischen­ arbeitet­ er im Familienbetrieb seines Stiefvaters in der Seniorenpflege. Früher die Glitzerwelt Fußball, heute die Arbeit am ­Schreibtisch und mit älteren Menschen. Krasser könnte er Gegensatz kaum sein. Wie geht Marco Reich damit um? Ein Besuch in Meisenheim. REPORTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 29

eihnachten steht vor der Tür. Natürlich auch in Meisen­ heim, einem 3000-Einwoh­ Wner-Dorf in Rheinland-Pfalz. Der geschmückte Baum auf dem ­Marktplatz, der Nikolaus um die Ecke vor der Apotheke, es weihnachtet. Es herrscht ein reges Treiben, es wird ge­ werkelt, gebaut und geschraubt. Buden werden errichtet, später wird es hier Glühwein, Reibekuchen und kleine ­Geschenke zu kaufen geben. Die Ein­ wohner Meisenheims bereiten sich auf die wichtigsten Tage des Jahres vor: REICH AN Immer am zweiten Adventswochenende findet hier der Weihnachtsmarkt statt. Die Menschen aus dem Ort freuen sich auf die vielen Besucher aus der Region. ERFAHRUNG Marco Reich wird dann auch da sein. Nicht als Gast, sondern im Dienst. Der frühere deutsche Nationalspieler arbeitet seit 2013 im ambulanten Hilfezentrum in Meisenheim. 190 Senioren werden durch die Einrichtung betreut, und ­natürlich: das Ambulante Hilfezentrum Meisenheim wird sich auf dem Weih­ nachtsmarkt präsentieren. Ehrensache. Die Organisation ist ein Familienbetrieb. Reich ist über seinen Stiefvater zu dem Job gekommen. „Die Arbeit ist total ­anstrengend, aber extrem ausfüllend und macht mich glücklich“, sagt Reich. „Ich sehe es als wichtige Aufgabe an, älteren Menschen zu helfen, wenn sie nicht mehr alleine klarkommen.“

Gute Entscheidung

Als sich seine Karriere als Fußballer dem Ende entgegen neigte, bekam er das Angebot, in das Unternehmen einzu­ steigen. Reich musste kurz überlegen, aber dann hat er zugesagt. „Ich habe diese Entscheidung bis heute keinen einzigen Tag bereut“, betont er. Im ­Gegenteil: Reich geht auf in seiner ­Arbeit, er liebt es sich zu kümmern und Dinge anzustoßen, die das Leben ­anderer erleichtern. Einige der Senioren, die vom Personal betreut werden, kennt er schon sein ganzes Leben. Oder ­anders gesagt: Sie kennen ihn, seitdem er als kleines Kind auf den Straßen im Ort Fußball gespielt hat. Gemeinsam sind sie älter geworden. „Da ist natürlich eine sehr enge Beziehung entstanden. Uns ist es ganz wichtig, dass unsere Kunden von unseren Mitarbeitern wert­ geschätzt werden“, sagt Reich. REPORTAGE 30 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

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Vor Kurzem ist eine Bewohnerin im Alter Bei Reich kommt man um den Früher- spricht er in kurzen Sätzen, man merkt von 101 Jahren gestorben. Reich war Heute-Vergleich einfach nicht herum, ihm an, wie dicht die Erinnerung ist. bewegt, der Verlust ging ihm nah. Bei dafür sind die Gegensätze zu stark: Reich geht mit, fast so, als würde er das aller Professionalität lässt es sich nicht ­Früher war der Rasen war sein Arbeits­ Spiel noch einmal erleben:­ „Es war super, verhindern, dass emotionale Verbin­ platz, heute ist es der Schreibtisch. einfach groß­artig. Ich bin immer noch dungen entstehen. Und Reich findet, ­Früher hat er am Ball sein Geld verdient, stolz darauf. Bei der Nationalhymne dass das gut so ist. „Unsere Kunden heute am Computer. Früher ist er hatte ich Gänsehaut.­ Ich habe richtig wachsen einem in den Jahren natürlich ­seinem Job im gleißenden Licht der gut ­gespielt. Es war einer der schönsten ans Herz“, sagt er. Der Tod ist ein ständiger Scheinwerfer nachgegangen, heute Tage ­meines Lebens.“ Das Spiel endete Begleiter in seinem neuen Leben. „Es kann er nahezu unter Ausschluss der 3:3. Reich machte im Laufe der zweiten tut weh, wenn Menschen irgendwann Öffentlichkeit arbeiten. Bei Reich gibt Halbzeit Platz für . für immer gehen“, sagt er. „So traurig es oft nur diese Extreme. Gut oder das auch in jedem einzelnen Fall ist: Es schlecht, Sieg oder Niederlage, Held Reich war auf dem Zenit seiner sport­ gehört leider dazu.“ oder Depp – das Mittelmaß ist in ­seinem lichen Laufbahn. Damals dachte man, es Leben deutlich unterrepräsentiert. Jetzt würde noch viel mehr kommen. Reich Nach dem Ende seiner Karriere hat ist er wieder ein Held, nicht in der galt als eines der größten Talente in Reich einen Schnitt gemacht, wie er ­großen Fußballwelt, aber dort, wo er gar Deutschland. Im Jahr zuvor war er krasser kaum hätte sein. Die Fußballszene, kein Held sein muss – Zuhause. ­sensationell Meister geworden mit dem die bunte Unterhaltungsindustrie, die 1. FC Kaiserslautern – als Aufsteiger. Ein manchmal auch eine Scheinwelt ist, hat Länderspiel gegen Kolumbien Jahr später verließ er die Pfalz und er verlassen. Aus eigenen Stücken, das wechselte für die damalige Rekordablöse­ ist ihm wichtig, nicht fremdbestimmt. Er Reich ist ganz früh ganz nach oben ge­ summe von mehr als drei Millionen Euro hätte weitermachen können, aber er spült worden. Er war gerade erwachsen zum 1. FC Köln. Danach ging es langsam wollte nicht mehr. Er wollte nicht schon geworden, da kannte ihn schon ganz aber stetig bergab. In Köln wurde er nicht wieder den Verein wechseln, wieder eine Deutschland. Er ist talentiert, fleißig glücklich, danach in konnte er sich neue Heimat finden. Er wollte in seine und willensstark. Es ist die beste Kombi­ nicht durchsetzen. Er ging nach England, echte Heimat, nach Hause. Nach Statio­ nation, um seine Ziele, seine Träume zu kam zurück nach Deutschland, wieder nach nen in Deutschland, England, Polen und verwirklichen. Ein Länderspiel für die England, nach Polen, nach Österreich – Österreich hat er deshalb im Jahr 2013 deutsche Nationalmannschaft hat Reich dort endete seine Profi­karriere 2013. den vielleicht wichtigsten Vertrag ­ bestritten – am 9. Februar 1999 gegen seiner Karriere als Marco Reich unter­ Kolumbien im ­Rahmen der USA-Reise. Warum nicht alles gelang? Warum nicht schrieben – im ambulanten Hilfezentrum Der Tag wird ihm immer in Erinnerung noch mehr? Warum haben öffentliche für Senioren in Meisenheim. bleiben. Wenn Reich davon erzählt, Erwartungshaltung und eigene Leistungen REPORTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 31 2

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1_Marco Reich mit seiner Frau Christina. 2_Im Seniorenheim mit Siglinde Weißmann, einer Patientin. 3_Das Büro ist sein Reich. 4 4_Die passende Literatur steht griffbereit.

nur selten zueinander gepasst? Die anstrengung, physisch wie psychisch. ein extrem wichtiger Ausgleich zum All­ ­Fragen haben ihn lange begleitet. Eine Aber nachdem er das geschafft hatte, tagsstress. Ich brauche die Bewegung, zufriedenstellende Antwort darauf hat er war er nicht mehr zu stoppen. Wie an um fit zu bleiben“, sagt Reich. „Es macht nicht gefunden. „Ein Problem war definitiv, guten Tagen auf dem Fußballplatz. mir unglaublich viel Spaß, mit den Jungs dass ich zu ungeduldig war“, sagt Reich. auf dem Platz zu stehen.“ Er hat das Kapitel längst geschlossen.­ Für ihn hat sich der Aufwand gelohnt. Die Fragen stellen sich nicht mehr für ihn. Wenn er heute aus dem Fenster seines Beruflich beginnt für ihn am 1. Januar Außerdem stimmt es ja auch: Wer ihn Büros schaut, sieht er den Marktplatz ein neues Kapitel. Kein neuer Lebens­ kritisiert, muss das auf hohem Niveau von Meisenheim. Die historische Alt­ abschnitt, aber eine tiefgreifende machen. Reich hat 143 Begegnungen in der stadt, die direkt zu seinen Füßen liegt, ­Veränderung wird es schon sein: Reich Bundesliga be­stritten, er war National­ ist gut erhalten, der Krieg hat die wird die Leitung des ambulanten spieler, deutscher Meister mit Kaiserslau­ ­Gegend verschont. Manche Gebäude ­Pflegediensts übernehmen. Bisher war tern, Double-­Sieger mit Werder Bremen, könnten die Kulisse für Weihnachts­ er als Kaufmann im Gesundheitswesen Pokalsieger in Polen. Scheitern geht anders. märchen darstellen, die am Heiligen vor allem für die administrativen und Abend im Fernsehen laufen, romantisch, organisatorischen Belange der Einrichtung Neue Aufgabe ab 2020 kitschig, aus der Zeit gefallen. Reich verantwortlich. Personalbetreuung, wohnt mit seiner Frau und seinem elf­ neue Kollegen einstellen, Urlaubsver­ Der Start in die Karriere nach der Karriere jährigen Sohn Ron, der ebenfalls ein waltung, Buchhaltung, Kontaktpflege war kein Selbstläufer. Reich musste erst guter Fußballer ist, in der Nähe. Hat Ron zu den Krankenkassen, Abrechnungen. wieder das Lernen lernen. Auf der Schul­ das Talent seines Vaters geerbt? Vieles Solche Dinge bestimmten seinen Alltag. bank sitzen, mehrere Stunden dem spricht dafür: „Mainz und Kaiserslautern Zukünftig wird Reich weniger operativ ­Unterricht folgen, Prüfungen schreiben­ – haben sich bereits nach ihm erkundigt. arbeiten, sondern eher strategisch typische Dinge, die für ­jeden Auszubil­ Aber wir wollen lieber, dass er bei uns im ­denken. Übertragen auf den Fußball denden Normalität sind, waren für Reich Dorf spielt. Hier ist er der Ron, dort wäre könnte man sagen: Im Betrieb ist er echte Herausforde­rungen. Seine Schul­ er der Ron Reich. Diesen Druck wollen ­zukünftig der Spielmacher, der die zeit war mindestens 15 Jahre her. Als wir ihm ersparen. Das hat noch Zeit.“ ­Faden zusammenhält, der die Defensive Reich 2013 alles auf Anfang stellte, war ordnet, der die Offensive unterstützt, er zunächst wie ein Auto, das einen Reich selber kickt noch bei seinem der Mitspieler und Kollegen perfekt ­langen und kalten Winter nicht bewegt Heimat­verein SG Schmittweiler-Call­ ­einsetzt. Früher auf dem Platz war das worden war. Er brauchte einen Start­ bach. Seit sieben Jahren spielt er dort. so. Heute am Schreibtisch ist das schon impuls, um in Gang zu kommen. Er In dieser Zeit ist die Mannschaft dreimal wieder so. Der Kreis hat sich geschlossen. musste die ersten Hindernisse noch aufgestiegen, aus der Kreisliga B bis in mühsam überwinden. Es war eine Kraft­ die Landesliga. „Der Fußball ist für mich Sven Winterschladen DFB-ALL-STARS 32 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

WIEDER- VEREINIGUNG­ IM RONHOF 1

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1–3_ und Oliver Neuville sorgen mit ihrer Co-Produktion ­gegen Polen im zweiten Gruppen- spiel der WM 2006 für einen der ­großen emotionalen Höhepunkte des Sommermärchens. DFB-ALL-STARS CDN-MAGAZIN 41 | 2019 33

Der Anfang ist gemacht. Das erste Länderspiel der neuen Blicken wir zurück: Dortmund am DFB-All-Stars gegen die Azzurri Legends im Oktober in Fürth 14. Juni 2006. Deutschland gegen ­Polen. Das zweite Gruppenspiel dieser war ein tolles Event. Fortsetzung folgt? David Odonkor und Heim-WM geht mit 0:0 in die Nach­ Oliver Neuville zum Beispiel, seit ihrem Paukenschlag gegen spielzeit. Das Team von Bundestrainer Jürgen Klinsmann hatte viele Chancen Polen das Traumpaar des Sommer­märchens 2006, hoffen vergeben, ein Treffer wurde wegen auf weitere Legendenspiele.­­ ­Abseits nicht anerkannt, und und waren am Aluminium des gegnerischen Tors ge­ s gibt sie im Abwehrbereich. scheitert. Wenige Sekunden noch zu ­„Katsche“ Schwarzenbeck (Der spielen, Deutschland drückt, das Sta­dion Putzer des „Kaisers“) und Franz brodelt, die Spannung ist greifbar. Da EBeckenbauer bleiben in bester spielt im Mittelfeld einen Erinnerung. Sie sind im Mittelfeld zu Querpass zu Bernd Schneider und nun finden wie „Hacki“ Wimmer, der uner­ geht es schnell. Schneider spielt einen müdliche Dauerläufer, und Günter genialen Heber in die Tiefe, 90 Minuten ­Netzer, der unumschränkte Spielge­ und 46 Sekunden sind gespielt. stalter. Man entdeckt sie auf der Außen­ bahn und im Sturmzentrum. Zum Bei­ Traumpaar in zehn Sekunden spiel und („Manni Flanke, ich Kopf, Tor!“). Und Was danach folgte, war für die meisten, immer wieder sichtbar werden sie im die damals dabei waren, im WM-Stadion Angriff. Wie Siggi Held, der schnelle in Dortmund oder vor dem Bildschirm Linksaußen, und der westfälische Sturm­ daheim oder dem Public Viewing­ einer tank Lothar „Emma“ Emmerich („Gib der emotionalsten Momente­ dieses mich die Kirsche“) oder zuvor in Dort­ ­WM-Turniers. Die Szene, die die Arena mund die unvergessenen Jürgen Schütz erbeben ließ. Auftritt ­David Odonkor. und Timo Konietzka; „Max und Moritz“, Auf der rechten Seite sprintet der Dort­ so hießen sie beim BVB. Ganz beson­ munder, in der 68. Minute eingewechselt, ders aber auch beim Hamburger SV: in „seinem“ Stadion ­allen davon und „Charly“ Dörfel, Schlitzohr und Hoch­ passt mit dem ersten Ballkontakt per­ begabung über links, und , fekt nach innen. Dort ist Oliver Neuville, der wuchtige Vollstrecker in der Mitte. in der 71. Minute ins Spiel geschickt, in Position gelaufen und vollendet die Traumpaare, so werden sie genannt. Flanke zum 1:0-Sieg. Es war der Urknall ­Legendäre Duos, die, mit unterschied­ des Sommer­märchens, eine Explosion lichen Qualitäten ausgestattet, ­einander der ­Gefühle. „Nie zuvor und nie wieder ideal ergänzen und perfekt miteinander habe ich einen­ solchen Ausbruch an harmonieren. Hin und wieder hat es Jubel und Begeisterung erlebt“, sagt ­eine Zeit lang gedauert, bis sie zueinan­ Neuville noch heute. „Odo und Olli“ – in der gefunden haben. Dann aber waren nur zehn Sekunden wurde an jenem 14. sie über viele Jahre in einer Partner­ Juni ein neues Traumpaar geboren. Zwei schaft miteinander verbunden, die mit ­Einwechselspieler sind bis heute als ihrer Effizienz und Produktivität in die WM-Helden in Erinnerung geblieben. Fußballgeschichte eingegangen ist. „Klinsmanns Joker stechen in letzter Minute“, titelte die dpa damals. Bisweilen aber, wenn auch höchst sel­ ten, kommt es vor, dass ein solches 13 Jahre danach haben die drei Akteure Traumpaar gewissermaßen über Nacht wieder zusammengefunden. Jürgen auf der großen Bühne des Fußballs er­ Klinsmann und seine beiden Joker von scheint, ja sogar nur wenige Sekunden 2006 gehörten zu den Protagonisten benötigt, um mit einem unglaublichen des Legenden-Länderspiels der neuen gemeinsamen Paukenschlag seinen DFB-All-Stars gegen die Azzurri Legends. Platz im kollektiven Gedächtnis der Am 7. Ok­tober 2019 kam es in Fürth Fußball-Anhänger zu finden. Wie David zum ­ersten Aufschlag dieser neuen Odonkor und Oliver Neuville während DFB-Mannschaft – und die Premiere war der WM 2006 in Deutschland. ein voller Erfolg. DFB-ALL-STARS 34 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Für die Spieler war es eine Art Zeitreise, Mönchengladbach auch um die Integra­ es war ein bisschen wie früher. Mit dem tion der „Legionäre“ kümmert, plauderte­ Abspielen der Nationalhymnen. Mit mit Cannavaro über dessen ­Trainer-­ Massimo Busacca, einem ehemaligen Engagement in China. Auch Klins­­mann FIFA-Schiedsrichter aus der Schweiz als und setzten­ als eins­tige Unparteiischem. Mit einer Mixed Zone Italien-Profis ihre Sprachkenntnisse ein. für die Interviews nach dem Spiel. Mit allem Drum und Dran. „Fast hatte ich Auch später im Teamhotel wurde deut­ den Eindruck, dass ich jetzt doch noch lich, dass die Gründung der DFB-All-Stars mein 70. Länderspiel absolvieren kann“, bei den Spielern auf große Gegenliebe sollte Neuville hinterher sagen. Das, so stößt. Der Morgen begann schon zu Neuville, „lag auch an einer ganz ­starken grauen, als „Odo“, „Asa“, Torsten italienischen Mannschaft, vielen Welt­ ­(Odonkor, Asamoah und Frings) und meistern von 2006 und mit dem großen ­andere gegen 4 Uhr noch zusammen­ Bruno Conti, von dem ich als Teenager in saßen und sich über alte Zeiten unter­ den 80er-Jahren geschwärmt habe.“ hielten. Klar, dass sich nicht nur Neuville und Odonkor schon auf das nächste Begeistert war auch Odonkor. „Wir hatten Spiel der DFB-All-Stars freuen. Beim DFB eine coole Truppe mit einer perfekten sind entsprechende Aktivitäten schon in 1 Mischung aus drei Spieler-Genera­tionen. der Planung. „Wir hatten viel Spaß, das Das Ganze war eine tolle Sache. Ich kam auch beim Spiel rüber, obwohl ­habe mich pudelwohl gefühlt. Es war ­natürlich auf beiden Seiten keiner ver­ etwas ganz Besonderes, was Berti Vogts lieren wollte“, sagt Odonkor. „Es wäre mit unserer Mannschaft und der DFB mit schön, wenn es eine Fortsetzung gibt, dieser Veran­staltung zustande gebracht egal, ob auswärts oder zu Hause, und haben. Ich bin sehr dankbar, dass ich wenn dann auch wieder Jürgen ­Klinsmann dabei sein durfte“, sagte er. mitmachen würde.“

Ein Remis mit zwei Gewinnern Für Neuville und Odonkor war es ein besonderes Erlebnis, mit Klinsmann auf In einer Szene ganz am Anfang des Spiels dem Rasen zu stehen. Beim Sommer­ kam sogar ein wenig Erinnerung an 2006 märchen war er ihr Trainer, nun war er auf, an die Sequenz, als das Traumpaar ihr Mitspieler. „Ich wusste anfangs gar Odonkor und Neuville entstand. 13 Jahre nicht, wie ich ihn ansprechen sollte“, danach sind zwar alle etwas langsamer berichtet David Odonkor, „Jürgen oder geworden. Doch unter den nicht mehr Trainer, weil der große Respekt immer ganz so Raschen ist Odonkor, den Dedê, noch da ist. Beim Spiel habe ich tat­säch­ sein brasilianischer Mitspieler beim BVB, lich ein paar Mal ‚Trainer‘ gerufen“. Ein einmal als den „schnellsten Spieler, den Trainer, zu dem er auch mit Dank­barkeit ich je gesehen habe“, bezeichnete, noch aufblickt: „Wenn Jürgen 2006 nicht immer der Flinkste. Auf diese Weise ließ ­Nationalcoach gewesen wäre, ­hätte ich er in Fürth Fabio Grosso, der 2006 im jene WM wohl nicht und dann auch Halbfinale mit seinem Tor zum 1:0 für nicht so gespielt.“ Italien Deutschlands WM-K.o. eingelei­ 3 tet hatte, in einem Sprintduell auf der Neuville kann nicht nur mit dem legen­ rechten Seite hinter sich. Wieder flankte dären Tor auf seinen Anteil am Sommer­ er präzise nach innen. Dort aber war dies­ märchen 2006 verweisen. Ihm hat Trainer mal nicht Neuville, sondern Fabio Canna­ Jürgen Klinsmann dazu mit Einsätzen­ in varo die (ungewollte) Anspielstation. Der allen sieben WM-Spielen 2006 sein Ver­ 1/4_Ein paar mehr Kilo, aber nicht weniger Weltfußballer 2006 besorgte per Eigen­ trauen geschenkt. Zudem schloss sich Ballgefühl: Oliver Neuville. tor die deutsche Führung. für ihn im Oktober 2019 mit Blick auf 2_Weltmeister-Gemisch. Die DFB-All- die Personalie­ Klinsmann ein Kreis. Stars und die Azzurri-Legends beim Das 3:3 am Ende stellte alle Beteiligten 1997 wurde er zum ersten Mal ins Auf­ gemeinsamen Foto. zufrieden und sorgte für gute Stimmung gebot der Nationalmannschaft berufen. 3_Jürgen Klinsmann hat David Odonkor beim anschließenden deutsch-italie­ „Ich kam zwar nicht zum Einsatz, doch 2006 zum Nationalspieler gemacht, nischen „Get together“ im Ronhof-­­­­ ich weiß noch genau, dass Jürgen 13 Jahre später sind beide Team­ Sta­dion. Neuville, der in der italienischen damals­ der Kapitän der Mannschaft war. kollegen. Schweiz aufgewachsen ist, vier Spra­ Und jetzt in Fürth war er es wieder.“ 5_Hinfallen, aufstehen, losrennen. chen beherrscht und sich daher als An Tempo hat Odonkor fast nichts ­Mitglied im Trainerstab bei Borussia Wolfgang Tobien ­eingebüßt. DFB-ALL-STARS CDN-MAGAZIN 41 | 2019 35

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SERIE: MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL „ES GING ALLES VIEL ZU SCHNELL“

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Konrad Weise (68) hat insgesamt 86 Länderspiele für die DDR-Nationalmannschaft bestritten. Das Auswahl-Debüt des langjährigen Abwehrspielers des FC Carl Zeiss gehört zu den besonderen Geschichten des deutschen Fußballs – Weise kam am 27. Juli 1970 in Jena beim Treffen der DDR-Nationalmannschaft mit dem Irak als 18-Jähriger zu seinem ersten ­Länderspiel, ohne im Kader für die Begegnung gestanden zu haben. Und ohne zuvor auch nur ein Spiel in der DDR-Oberliga absolviert zu haben.

Herr Weise, ein Debüt aus dem Nichts, wie ist dieser kuriose Umstand zu erklären? Kurios ist wirklich das richtige Wort dafür! Die DDR-National­ mannschaft spielte in Jena gegen den Irak und ich saß eigent­ lich als ganz normaler Zuschauer auf der Tribüne.

2 Sie saßen arglos auf der Tribüne und hatten keinen ­Gedanken an einen Einsatz? Nee, nicht im Traum!

Und dann? In der ersten Halbzeit sprach mich ein Betreuer der National­ mannschaft an und fragte im Auftrag des Auswahltrainers, ob ich mein Zeug und meine Schuhe dabei hätte. Ich solle mich in der Pause ganz schnell umziehen und mit Beginn der zweiten Hälfte auf die Bank setzen. Der Grund war, dass sich das ­Länderspiel ganz anders als gedacht entwickelte. Die Iraker haben geholzt wie verrückt. Soweit ich mich erinnern kann, gab es im Laufe der 90 Minuten einen Platzverweis und einige wüste Szenen. Nationaltrainer hatte wohl in erster Linie etwas Sorge um seine etablierten Spieler – und so kam es eben zu meiner überraschenden „Nachnominierung“.

Warum hat der Trainer in dieser Situation ausgerechnet an Sie gedacht? Georg Buschner war Trainer der Oberliga-Mannschaft von Carl Zeiss Jena, erst kurz zuvor hatte er zusätzlich auch noch die DDR-Auswahl übernommen. Im Juli 1970 lud er den ­Kaderkreis zu einem Vorbereitungslehrgang ein; praktischer­ 3 weise fand der in Jena statt. Die 18 Nationalspieler wurden aus ­trainingsmethodischen Gründen durch drei Nachwuchs­ spieler ergänzt – ich war einer davon. Und das Freundschafts­ 1_Konrad Weise ist häufiger und gern spiel gegen den Irak fand im Rahmen dieser Tage statt. gesehener Gast bei Länderspielen. 2_3_Er kam, traf und siegte. Bei seinem Debüt Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie – zarte 18 Lenze jung – noch markierte Weise (Zweiter von links) den nicht einmal ein Oberliga-Spiel bestritten. Hatte Buschner 5:0-Endstand. Sie vor allem wegen Ihrer Erfolge mit der Junioren-Auswahl auf dem Zettel? Natürlich! 1969 hatten wir beim UEFA-Turnier in der DDR – das war praktisch eine Junioren-Europameisterschaft – die Silber­ medaille gewonnen. Übrigens nach Los-Entscheid, das Elfmeter­ schießen kam ja erst etwas später. 1970 – ich war inzwischen Kapitän der Mannschaft – holten wir in Schottland den Titel. Wieder nach Los-Entscheid! Das Abschneiden war Buschner natürlich nicht verborgen geblieben. SERIE: MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL 38 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Es waren sehr gute Jahrgänge damals. Von der Tribüne auf den Platz und dann als Verteidiger ein Auf jeden Fall! 1969 gehörten u. a. , Dixie Dörner Tor gemacht. Wie viel Lob haben Sie für Ihre Premiere vom oder dazu. Ein Jahr später Reinhard Häfner, Trainer erhalten? Jürgen Pommerenke oder Gerd Kische. Alle schafften wenig Lob? Nach dem Spiel kam Trainer Buschner zu mir und meinte: später den Sprung in die Oberliga und auch in die National­ „Äh, Du bist jetzt noch kein Nationalspieler! Das bestimme mannschaft. ich, wie es weitergeht!“

Aber niemand so schnell wie Sie. Sie wurden von jetzt auf Und wie ging es weiter? gleich zum Nationalspieler. Hatte dies den Vorteil, dass Sie Mit einer ziemlich langen Geduldsprobe! Buschner ließ mich vor Ihrem Debüt nicht einmal Zeit hatten, besonders auf­ monatelang schmoren. Ich spielte in der Zweiten Mannschaft geregt zu sein? von Jena und musste in Böhlen, Steinach oder Tiefenort ran. Genau, es ging alles viel zu schnell. In der 65. Minute wurde Bei allem Respekt. Als einziger Spieler unserer Gold-Truppe ich eingewechselt. Rechtsverteidiger sollte ich spielen. von Schottland! Am liebsten wäre ich sofort zu einem anderen ­Allerdings zog es mich in der Schlussphase immer wieder mit Verein gewechselt. nach vorn. Der Gegner war ja dezimiert. So gelang mir dann auch das Tor. Wolfram Löwe war bis zur Grundlinie durch­ Das ging in der DDR aber nicht so einfach! gebrochen und spielte mir den Ball genau auf den Fuß. Es war nahezu unmöglich! Nach ein paar Monaten aber raunte Ich hatte keine Mühe, zog volley ab – zum 5:0-Endstand. Das mir Buschner ins Ohr: Weise, Du kriegst Deine Chance! Nicht ich das alles noch genau weiß, liegt aber auch daran, dass ich für ein Spiel – sondern über einen längeren Zeitraum! ­insgesamt nur zwei Länderspiel-Tore geschossen habe. Im April 1971 hat die Geduldsprobe dann ein Ende, nach Es gab gegen den Irak neben Ihrem Debüt von der Tribüne zehn Monaten Pause kamen Sie zu Ihrem zweiten Länder- noch eine Besonderheit: Elf der 16 eingesetzten Spieler spiel. Im Mai folgte in ihrem 3. Länderspiel eine große ­waren Zeiss-Kicker aus Jena. So eine Quote ist bis heute ­Bewährungschance vor großer Kulisse. einmalig im deutschen Fußball. Ja, mir war ziemlich mulmig. Wir spielten vor 100.000 Jena war damals die dominierende Mannschaft im DDR-­ ­Zuschauern im Leipziger Zentralstadion in der EM-Qualifi­ Fußball. Man muss außerdem wissen, dass mit Wolfgang kation gegen Jugoslawien. Ich sollte Linksaußen Dragan Blochwitz (Magdeburg), Helmut Stein (), ­Dzajic beschatten.­ Das war für mich 90 Minuten lang der (Zwickau), Lothar Kurbjuweit (Riesa) oder ­blanke Horror! Dzajic hat mich richtig zur Minna gemacht, (Karl-Marx-Stadt) in den Jahren zuvor einige gute Fußballer aber Buschner wechselte mich nicht aus. Nach nur 20 Minuten nach Jena gewechselt waren. Das gab es ja nicht so oft im lagen wir 0:2 zurück, mein Duell gegen Dzajic war spiel­ Osten und war in dieser Form einmalig. entscheidend.

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Am Ende hieß es 1:2. Für Sie war dieses Spiel dennoch der der Halbzeit mit 2:0 geführt. Mit einem Sieg wären wir Durchbruch im Nationalteam. Buschner setzte nun auf Sie. 1980 zur Europameisterschafts-Endrunde nach Italien ge­ Ja, der Trainer nahm mich in der Spielauswertung sogar in fahren. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz. Schutz. Ab diesem Moment hatte ich als junger Verteidiger Tscheu La Ling hatte mich im Vorbei­laufen mit dem Ellbogen meinen Stammplatz, sowohl im Verein als auch in der Auswahl. getroffen, der Schiedsrichter hatte aber nichts gesehen. Ich ging wie ein Boxer zu Boden und musste vom Platz Es folgten 1972 die Olympischen Spiele in München mit der ­ge­tragen werden. Ich war für einen Moment richtig be­ Bronzemedaille und zwei Jahre später die WM-Endrunde. nommen. Als ich mit einem Verband zurück aufs Spielfeld Es war eine tolle Zeit! Ich habe bei der WM beispielsweise wollte, glaubte ich, im falschen Film zu sein: Rot! Der Schiri ­gegen Johan Cruyff und Gerd Müller gespielt. Anderen den hatte eben nichts gesehen, wollte aber das Spiel so nicht Ball abzujagen, war mir wirklich eine Freude. entscheiden.­ Deshalb flogen wir beide.

Es waren die goldenen Jahre im DDR-Fußball, gekrönt Am Ende ging das Spiel 2:3 aus, der EM-Traum war damit ­wurde diese Zeit vom Olympiasieg 1976. Auf dem Weg ­geplatzt. Das war bestimmt bitter, denn noch eine Chance zum Triumph in Montreal waren Sie als einziger Akteur dieser Art sollten Sie nicht mehr bekommen. in allen elf Qualifikations- und Endrundenspielen jeweils Wir haben durch diese Aktion völlig den Faden und dann über die volle Zeit dabei. Es hätte deutlich schlechter folge­richtig auch das Spiel noch verloren. La Ling rühmte ­laufen können. sich später, er hätte etwas machen müssen, um dem Spiel Natürlich braucht man immer ein bisschen Glück. Dazu gehört eine Wende zu geben. Für uns war das wirklich extrem zum Beispiel auch, dass man von Verletzungen verschont ärgerlich.­ bleiben muss. In der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Montreal habe ich übrigens mein zweites Länder­ 1981 folgte der Abschied aus der Nationalmannschaft, spiel-Tor erzielt, das war im Herbst 1975 gegen die Tschecho­ 1986 war dann ganz Schluss, mit 35 Jahren. Sind Sie ins­ slowakei in Brünn. Der Olympiasieg wurde natürlich zum gesamt zufrieden mit Ihrer Auswahl-Karriere, die ja sehr ­absoluten ­Höhepunkt meiner Laufbahn! Im Finale haben wir außergewöhnlich begann? gegen den WM-Dritten Polen auch die vielleicht beste Auf jeden Fall! Nach dem turbulenten Auftakt habe ich zehn ­Leistung einer DDR-Nationalmannschaft gebracht. Jahre in der Nationalmannschaft spielen dürfen. 86 Länder­ spiele kamen da zusammen und ich hatte tolle Fußballer an Nach dem Triumph 1976 mussten Sie aber auch ein paar meiner Seite, Dixie Dörner, Jürgen Croy – ich könnte noch unangenehme Erfahrungen im Nationaltrikot machen. viele andere aufzählen. Das war eine sehr schöne Zeit! Der schlimmste Moment war der Platzverweis im Spiel ­gegen die Niederlande. Wir haben im Zentralstadion kurz vor Interview: Uwe Karte

3 1_Weise wirft sich in den Schuss von Gerd Müller (links). 2_Mit (rechts) bei den Olympischen Spielen 1972. 3_Olympiasieger 1976: Torwart Jürgen Croy, , Hans-Jürgen Dörner, Konrad Weise, Lothar Kurbjuweit und Reinhard Lauck (von links). 4_Im Zweikampf mit Johan Cruyff.

4 85. GEBURTSTAG DIETRICH WEISE 40 CDN-MAGAZIN 41 | 2019 SEIN WERK WIRKT NOCH IMMER

Dietrich Weise blickt mit seinen 85 Jahren zurück auf ein erfülltes Leben. Viele Nationalspieler, einige Vereine und der deutsche Fußball insgesamt haben ihm viel zu verdanken. Ein Besuch in Neckarsulm, dort, wo alles angefangen hat.

as Lächeln wollte gar nicht mehr ­Opfer hat es auch gefordert, dieses nun passen seine Weggefährten ein ­weichen aus seinem Gesicht, ­Leben. Die Familie sei immer etwas zu bisschen auf ihn auf und sind ihm den ­ganzen Nachmittag nicht. kurz gekommen, hat er schon vor zehn ­zuweilen behilflich. Nach einer ­Augen- DAn dem Samstag vor seinem Jahren gesagt. Einiges ging zu Bruch, und einer Herz-OP fällt eben ­alles etwas 85. Geburtstag, den Dietrich Weise am und einige Brüche hat er auch bis heute schwerer, und so leisten die Schütz­ 21. November gefeiert hat, war der nicht kitten können. linge von einst gern Chauffeurdienste, erfolgreichste DFB-Jugendauswahl­ ­Erinnerungshilfe und so manches mehr. trainer wieder voll in seinem Element. An diesem Samstag im November steht Im Kreis von rund 20 alten Wegbegleitern Weise noch einmal im Mittelpunkt. Erst Europameister, dann Weltmeister sah er ein Fußballspiel­ der Oberliga Die Sportunion Neckarsulm feiert das Baden-­Württemberg, SU Neckarsulm Double aus Landespokalsieg und Auf­ Wir reden mit Weise über die Entwick­ gegen den 1. CfR Pforzheim, 600 stieg in die 1. Amateurliga der damaligen lung des Fußballs und über die vielen ­Zuschauer. In der Halbzeit wurde er in Spielvereinigung Neckarsulm vor 50 Spieler, die unter ihm besser wurden, ­einem grünen Retro-­Wagen der Marke Jahren und lud alle ein, die daran beteiligt große Karrieren machten und zu National­ NSU Prinz 1000, der in den 60er-Jahren waren. Und Dietrich Weise, der daran spielern avancierten. Bernd Hölzenbein, in Neckarsulm ­serienmäßig ­produziert nicht beteiligt war. Jedenfalls nicht Gerd Zewe, Lothar Matthäus, Rudi Völler, wurde, einmal um den Platz gefahren. ­direkt, aber natürlich irgendwie schon. ­Andreas Brehme, Thomas Berthold und Eine ­Ehrenrunde mit 85 – ­welchem Fuß­ „Er hat als Spieler-Trainer die Basis für viele andere mehr. Nur zu gern erzählt baller ist das schon beschieden? Von alles gelegt“, versichert Dieter Doll­ Weise von den goldenen Achtzigern, als den Rängen­ prasselte der Applaus – mann, einst Spieler unter Weise. Kurz der deutsche Jugendfußball zum ersten und Weise winkte freundlich. Gut 45 vor dem großen Jahr der Neckarsulmer Mal Weltspitze war. Weise hatte immer Minuten später­ endete das Spiel schied­ zog es Weise zu höheren Aufgaben. ein Herz für die Jugend, das zeichnete lich-friedlich, 1:1, aber das war an ­diesem ­Otto Knefler, Trainer in Kaiserslautern, ihn aus – und das zeichnete sich für den Tag der Nostalgie­ nur Nebensache. hatte Weise bei der Ausbildung zum DFB aus. Bis zum Jahr 1981 hatte es noch Fußballlehrer in Köln kennen und keine Titel für die deutschen Jugend­ Ein Leben für den Fußball ­schätzen gelernt und holte ihn zu sich, nationalmannschaften gegeben. Dann denn er brauchte einen Assistenten. kamen die „Weise-Bubis“, wie der Boule­ Hier, in Neckarsulm, hat alles angefangen. „Er war mein großer Lehrer“, sagt Weise vard sie nannte, und wurden (als U 18) im Nach seiner Flucht aus Weißenfels in im Interview mit DFB.de Juni im eigenen Land Europameister der DDR 1958 begann für ihn auf ­diesem und (als U 20) in Australien Weltmeister. Sportplatz ein neues Leben. Und der Wir haben Dietrich Weise nicht ganz für Blick zurück rechtfertigt allemal ein uns allein an diesem Nachmittag in den Weise war also erfolgreicher Nach­ ­zufriedenes Lächeln. Bis hierhin war es Katakomben des Neckarsulmer Stadions.­ wuchstrainer beim DFB, wir kommen ein Leben mit und für den Fußball. Ein Dieter Dollmann, Ex-Profi der Stuttgarter noch darauf zurück. Doch zuvor schon ­wenig Wehmut schwingt auch mit in Kickers, und Eugen Lieb sitzen­ mit am und auch danach hat er große Spuren ­Weises Blick, denn, leider, ein paar Tisch. Früher hat er auf sie aufgepasst, auch in der Bundesliga und im Ver­ 85. GEBURTSTAG DIETRICH WEISE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 41

einsfußball hinterlassen. Je zweimal coachte er den 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Frank­furt und einmal die Düsseldorfer­ Fortuna. Insgesamt saß er in 361 Bundesliga­ ­spielen auf der Bank. Viermal erreichte Weise mit seinen Mannschaften das DFB-Pokalfinale, zweimal (1974 und 1975 mit Frankfurt) gewann er es. Und immer hatte er seine Mannschaft hinter sich, weil er kein ­Diktator war, Weise war das Gegenteil der damals noch angesagten Schleifer­ typen wie , , Gyula Lorant oder . Weise sagt heute: „Meine Stärke war: Ich konnte mich schnell auf Spieler einstellen und habe ihnen ihre Freiheiten gelassen. Und ich habe Fehler immer mehr bei mir ­gesucht als bei den Spielern.“

Mission Klassenerhalt

1969 wurde er mit gerade mal 34 Jahren ziemlich schnell ins kalte Wasser geworfen, damals in Kaiserslautern. Vier Spiele vor Schluss wurde ihm die Aufgabe übe­r­ tragen, den Klassenerhalt zu sichern – er schaffte es. Danach musste Weise zurück ins zweite Glied, ehe im März 1971 sein zweiter Interimsjob beim FCK in die Festanstellung als Cheftrainer führte. Nun gewöhnte sich auch die Fachwelt an den Sachsen aus der zweiten Reihe. 1969 hatte ihn der Kicker noch Dieter Weise getauft, 1971 dann Lothar Weise. Es dauerte eben etwas, bis er 85. GEBURTSTAG DIETRICH WEISE 42 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

1 sich einen Namen machte. Bei den Spie­ lern aber hatte er gleich einen Stein in Brett. Der Jugoslawe Idriz Hosic wurde so zitiert: „Ich habe in meiner ganzen Laufbahn noch keinen Trainer erlebt, der so ­verständnisvoll und einfühlend die Stimmung­ seiner Spieler zu beurteilen vermag, wie Dietrich Weise. So wie es jetzt ist, gehen wir alle für ihn durchs Feuer.“ 1_Weise und Zewe mit Düssel- Weise ließ Nähe zu, mit seinem Stil war dorf im Viertelfinale des er der Zeit voraus. Der Spiegel schrieb DFB-Pokals 1977/1978. 1987 über ihn: „Immer war es ihm 2_Weise mit Andreas Brehme im ­zuwider in der Trainerbranche, jener FCK-Pokalspiel gegen den KSC. Schaubude der Schreihälse und exzen­ 3_Weise mit Bernd Hölzenbein trischen Gestalten, als ein typischer (links) bei . ­Vertreter seines Fachs zu gelten.“ Zu den 4_Europameister mit der U 18. härtesten Maßnahmen, zu denen er je Weise (links), gegriffen haben soll, gehörte es, dass er (rechts) und . 1983 beim FCK Andreas Brehme und 5_Weise 1981 mit seiner Welt- Dieter Kitzmann wegen zu langer Haare meister-Mannschaft. zum Friseur schickte. Als es im selben Jahr in Kaiserslautern einmal kriselte 4 und die Presse forderte: „Weise, hau endlich mal auf den Tisch“, da winkte er nur ab: „Ich ändere mich nicht mehr.“

Aus Düsseldorf zum DFB

Nach sieben Jahren als Cheftrainer in der Bundesliga verließ er 1978 Düsseldorf und ging zum DFB, denn, so sagt er noch heute mit funkelnden Augen, „ich wollte mal was gewinnen mit einer ­jungen Mannschaft.“ Das ist ihm gelungen, wenn auch nicht auf Anhieb. Zu seinen ersten Schützlingen zählten die Spieler des Jahrgangs 1960/61; Lothar Matthäus und Rudi Völler waren darunter. Den ­Titel aber holte er mit den 63ern, trotz aller Schwierigkeiten. Besonders vor Wir sprechen viel über damals und auch Schotten spielen? Aber ich sah, dass er dem strapaziösen Australien-Trip, für ein wenig über heute, über schwierige andere Qualitäten hat.“ Auch der filigrane den das Team bis zur Ankunft zwölfmal Spieler und große Talente. Weises Faible Techniker Falkenmayer brachte es zum die Gangway von Flugzeugen besteigen für Talente, wirft Eugen Lieb ein, ver­ Nationalspieler, 1984 stand er in Jupp musste, wurde ihm die Unterstützung danke Weltmeister Thomas Berthold Derwalls EM-Kader. versagt. „Die Vereine gaben ihre Spieler übrigens seine große Karriere. Weise nicht heraus für die U 20-WM. Ich wollte habe als Eintracht-Trainer Franz Becken­ Nachwuchskonzept im Ruhestand einen ­, Reinhold bauer immer in den Ohren damit Mathy oder mitnehmen, aber ­ge­legen, Berthold mit erst 21 Jahren Die Fähigkeit, mit Geduld etwas aufzu­ die Bundesliga ging eben vor. Da habe mit nach Mexiko zu nehmen. Weise bauen, verhalf ihm auch zu seinen inter­ ich halt meine U 18 genommen“, be­ ­schmunzelt dabei bestätigend vor sich nationalen Jobs am Abend der Karriere. richtet Weise. Dass die mit Abstand hin und schwärmt auf die Frage nach 1987 nahm er ein Angebot aus Ägypten jüngste Mannschaft das Turnier gewann, dem größten Talent unter seiner Ägide an und wurde mit Al-Ahly Kairo 1988 war ­eine große Bestätigung für Jugend- lieber von Ralf Falkenmayer, dem anderen Asien-Cup-Sieger und 1989 Meister Freund Weise: „Dass wir Weltmeister Überflieger in seiner zweiten Frankfurter und Pokalsieger. Diese Triumphe brach­ wurden, ist nur gelungen, weil jeder Zeit (1983 – 86). „Er war ja nur ein ­Hänfling, ten ihm den Job des ägyptischen Natio­ ­jeden kannte. Das war gewachsen und und alle fragten mich: Was willst Du mit naltrainers ein, den er aber nur kurz be­ kein Zufall.“ dem, wenn wir gegen ­Italiener oder kleidete. Denn Europa rief wieder, wenn 85. GEBURTSTAG DIETRICH WEISE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 43 2

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auch nicht gerade eine Hochburg des 1996 setzte sich der Pionier und Konzept, für 3,2 Millionen DM sollten Fußballs. Das kleine Liechtenstein such­ ­Entwickler zur Ruhe, aber ruhig blieb landesweit 120 Stützpunkte errichtet te einen Nationaltrainer, Günter Netzer er nicht. Im Oktober 1997 legte er werden, auf dass kein Talent unentdeckt vermittelte den Kontakt und Weise dem DFB, der sich damals um den­ bliebe, bloß weil es am falschen Ort ­reizte die Aussicht, etwas aufzubauen. Er Nachwuchs für die Nationalmann­ wohne. Weise selbst kümmerte sich begründet seinen damals mit allgemei­ schaft sorgte, ein Konzept vor, be­ ­darum, dass Bürgermeister im Winter ner Verwunderung begleiteten Schritt: titelt mit „Maßnahmen zur effektiven Turn­hallen öffneten und Platzwarte ihre „Bei Liechtenstein hat mich gereizt, ob ­Talent­sichtung und Förde­rung“. Seine Rasenplätze freigaben. Er warb Ex-­ es wirklich machbar war. Die hatten ja Kernthesen: zu wenig Ballschulung Nationalspieler als Stützpunkttrainer an nie auch nur ansatzweise die Chance der Jugend,­ kein flächendeckendes und so bekamen 3.000 Talente jede gehabt, an einem Turnier teilzunehmen. ­Scouting-System. Woche zwei Stunden zusätzliches Es hat mich am meisten überrascht zu ­Training. Es war der letzte Liebesdienst sehen: Die sind ja gar nicht so schlecht.“ Das Papier blieb noch ein Weilchen Dietrich Weises, der nach seinem Sie waren sogar so gut, Irland die Teil­ ­liegen, doch als Deutschland bei der ­Triumph von 1981 das Bundesver­ nahme an der EM 1996 zu vermasseln WM 1998 im Viertelfinale mit der ältes­ dienstkreuz erhielt, für die Fuß­ball­ durch ein 0:0 in Vaduz, wo auf Betreiben ten Mannschaft der DFB-Historie aus­ jugend, die ihm stets am Herzen lag. Weises hin ein Stadion gebaut wurde, in schied, holten­ sie es aus dem Tresor. dem sie heute noch spielen. Das DFB-Präsidium genehmigte Weises Udo Muras INSIDE CDN 44 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

IN EIGENER SACHE: CDN-MAGAZIN 2019 MIT NEUEN ELEMENTEN GEWACHSEN

Informieren. Kommentieren. Memorieren. Mit diesem Dreisatz startete vor elf Jahren die Geschichte des CdN-Magazins. Was als Newsletter begann, hat sich zu einem ambitionierten Hochglanzprodukt entwickelt. 2019 hat das Magazin grafisch und thematisch noch einmal an Form und Format gewonnen.

ie Geschichte des CdN-Magazins Newsletter, sondern wurde erstmals als ­Fußball und dieses be­sondere Heft ­begann im Jahr 2008, kurz nach Magazin für die Mitglieder des CdN über den Fußball und über besondere der Gründung des Clubs der ­verschickt. Seither wurde das Produkt Protagonisten des Fußballs sind für DNational­spieler. Ausgabe Nr. 1 Ausgabe für Ausgabe inhaltlich und Gärtner eine Herzensangelegenheit. wurde als Info­broschüre per Newsletter ­optisch weiterentwickelt. Aktuelles Die WM 1990 wurde für ihn, wie er sagt, ohne besondere grafische Gestaltung ­Beispiel in der vorliegenden Nr. 41: die „zum Schlüssel­erlebnis“. Und die Welt­ ­online an die CdN-Mitglieder verschickt. neue Serie „Mein Lieblingsstadion“ mit meister von Rom um Matthäus,­ Völler, Was folgte, war die Erkenntnis, dass viele Jürgen Klins­mann und dem „San Siro“ in Klins­mann, Brehme, Kohler oder Buch­ der ­ehemaligen Nationalspieler noch Mailand zum Auftakt. wald bilden (neben den einstigen ­keinen ­Internet-Zugang hatten,­ noch keinen ­Größen der Frankfurter Eintracht) seine PC besaßen. Daher wurden die Berichte „Die Publikation ist mir ans Herz ge­ persön­liche Heldengalerie. zusätz­lich ausgedruckt, manuell zusammen­ wachsen, sie ist eines meiner persön­ geheftet und per Post versandt. Verbunden lichen Lieblingsprodukte“, sagt Ralf Für das Redaktionsteam der Direktion mit dem Vorsatz, bald ein reines Print­ Gärtner (59). Als Grafik-Chef der Öffentlichkeit und Fans des DFB stellt produkt zu ­schaffen, das sich in den hohen ­Druckerei Braun & Sohn, die für die sich vor jeder der vier jährlichen Aus­ Anspruch der DFB-Publikationen fügt. technische Herstellung des CdN-Maga­ gaben die Grundsatzfrage: Was sind die zins ver­antwort­lich ist, hat Gärtner alle Themen, Vorhaben und Ereignisse, die Gedacht, getan. Die Ausgabe Nr. 10 Entwicklungsschritte des CdN-Maga­ einen ehemaligen Nationalspieler inte­ ­erschien im April 2012 nicht mehr als zins mitgetragen und mitgestaltet. re­ssieren? Und: Wie sollte das Magazin INSIDE CDN CDN-MAGAZIN 41 | 2019 45

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JAHRESTREFFEN DREI JAHRZEHNTE SCHNELLER TRAF IN HAMBURG FALL DER MAUER KEIN ANDERER Abschied von Dr. Rauball Erinnerungen aus Ost und Uwe Rahn spricht über und Premiere von Immel 14 West mit Doll und Littbarski 26 sein erstes Länderspiel 34

und seine Seiten aussehen, damit es Nr. 1 noch 22 Seiten, sind mittlerweile ­verschiedenen CdN-Veranstaltungen die Ex-National­spieler anspricht? zwischen 50 und 60 Seiten die Regel. wie den Regionalen Treffen und dem Das CdN-Magazin ist groß geworden. großen Jahrestreffen. Informieren über In Folge dessen wurde das Magazin in Mehr und mehr Seiten brachten mehr runde Geburtstage und spezielle Jubi­ den vergangenen elf Jahren immer wieder und vielfältigere Inhalte mit sich, neue läen der Mitglieder. Leider aber auch modifiziert – mit insgesamt drei großen Perspektiven auf vergangene Ereignisse über Todesfälle.­ Daneben kommentieren Relaunches. Die jüngste optische Ver­ wurden geschaffen, neue Ideen wie die das ­Magazin und kompetente „Ehemalige“ änderung erfolgte 2018 mit modernen, kürzlich erfolgte Gründung der DFB-­ das Geschehen in der aktuellen National­ dem generellen DFB-Look entsprechen­ All-Stars in entsprechend umfangreiche mannschaft und im Weltfußball allge­ den, Gestaltungselementen. Hierbei gibt Berichterstattung dargestellt. Dazu mein. Darüber hinaus werden historische das grafische „Spielfeldelement“ vielen ­wurde die Klammerbindung durch die Ereignisse, besondere Geschehnisse, Seiten optischen Halt, getragen werden Klebebindung ersetzt, was eine noch spezielle Lebensläufe und Vorkommnisse die Beiträge zudem von der „Bilderwelt“ höhere Wertigkeit ergibt. der Vergangenheit des Fußballs in einander anstoßender und angrenzen­ ­Erinnerung gerufen. Und das mithilfe der Fotos und Illustrationen. Jeder Neuanfang ging mit der Rückbe­ von Interviews und Texten anerkannter sinnung auf den ursprünglichen Grund­ ­Autoren. Für das CdN-Magazin und Im Laufe der vergangenen elf Jahre ist satz einher: Informieren. Kommentieren. ­seine Macher gilt: Alte Helden haben das Produkt gewachsen; auch tatsäch­ Memorieren. Informieren zum Beispiel immer Konjunktur. lich. Betrug der Umfang von Ausgabe über Zeitpunkt, Ort und Ablauf der Wolfgang Tobien REGIONALES TREFFEN IN FRANKFURT 46 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

3 REGIONALES TREFFEN IN FRANKFURT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 47 1 DAS BESTE ZUM SCHLUSS

Die Zutaten für einen gelungenen Jahresabschluss: Ein begeisterndes Spiel der Nationalmannschaft,­ große Wieder­ sehensfreude der ehemaligen National­ spieler beim CdN-Treffen und dazu­ mit Serge Gnabry ein Protagonist auf dem ­Rasen, der in Frankfurt beim 6:1 gegen Nord­irland die Phantasien beflügelte.

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1_Präsidiale Elf: Thomas Berthold, Hans-Peter Briegel, DFB-Präsident Fritz Keller, , , Karlheinz Förster, , , Peter Reichel, Erwin Stein, Friedel Lutz (von links). 2_Rudi Bommer mit Tochter. 3_, . 4_, Rudi Völler.

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1_ Bernd Nickel, Andreas Möller, Peter Reichel. 2_ Dieter Müller und Johanna Höhl. 3_ Christa und Jürgen Sparwasser. 4_ Eike Immel, Petra und Hans-Peter Briegel. 5_ Fredi Bobic, Max Eberl. 5

as letzte Regionale Treffen des CdN im Jahr 2019 fand abwartend. Doch seitdem hat der CdN, der mit seinem­ beson­ in Frankfurt am Main statt, dort, wo aus Sicht der Clubs deren Feeling für mich immer wichtiger wird, alle Erwartungen der Nationalspieler alles angefangen hat. In der übertroffen. Ich fühle mich hier inzwischen wie in einer Familie. D­Commerzbank-Arena war der Club der Nationalspieler Weil wir alle den gleichen Background ­haben: unsere National­ 2008 auf Initiative des damaligen DFB-Generalsekretärs Wolf­ mannschaft.“ gang Niersbach gegründet worden. Und so führte der Spielort dazu, dass so Mancher den Blick noch einmal zurückwarf. Und die spielte beim Jahresabschluss so überzeugend, begeis­ ­„Eine grandiose Idee, die sich in den vergangenen elf Jahren ternd und ­konstant wie lange nicht. Allen voran ein Spieler zu einer tollen Institution entwickelt hat. Sehr gerne komme brillierte: Serge Gnabry. Begeistert von dessen Auftritt waren ich immer wieder zu diesen­ CdN-Treffen, egal wo“, sagt Uwe insbesondere drei Ehemalige, die als Abwehrspieler die Leis­ Bein elf Jahre nach der Gründung. Ein anderer Weltmeister tung eines Stürmers besonders ­treffend beurteilen können. von 1990, Guido Buchwald, gibt gerne zu, dass er bei der Schließlich ist es ihre Aufgabe, den Wirkungskreis der Angrei­ ­Geburt des CdN etwas skeptisch war. „Ich war 2008 zunächst fer einzuschränken, sie „auszuschalten“ und am Torerfolg zu REGIONALES TREFFEN IN FRANKFURT CDN-MAGAZIN 41 | 2019 49

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1_Guido Buchwald, Marc-André ter Stegen. 2_ und Karlheinz Förster. 3_Daniela Wittmann und 5 Ralf Weber. 4_Andreas Möller und Thomas Berthold. 5_Helga und Friedel Lutz. 6 6_Jutta und Bernd Hölzenbein.

­hindern: Guido Buchwald, Karlheinz Förster und Hans-Peter von hoher ­internationaler Klasse in den Achtzigern, befand Briegel. „Serge Gnabry ist ein idealer Stürmer fürs Konterspiel, nach ­Gnabrys Dreier-Pack: „Mit seiner Eiseskälte beim Ab­ für noch wichtiger aber halte ich ihn im gegne­rischen Straf­ schluss hat er alle Vor­aussetzungen zum Weltklassespieler.“ raum. Dort ist er mit seiner tollen Technik bei der Ballannah­ me und Ballmitnahme und mit seinem blitz­schnellen Ab­ Serge Gnabrys fulminante Vorstellung in Verbindung mit schluss ­unheimlich schwer zu verteidigen“, sagt Buchwald. dem insgesamt begeisternden Auftritt einer spielfreudigen Wenn beim eigenen Angriff in der gegnerischen Abwehr ­Nationalmannschaft sorgte für Party-Stimmung bei den scheinbar alle Türen ins Schloss gefallen sind, ist Gnabry in ­deutschen Fans. Und natürlich auch im Kreis des Clubs der den Augen von Förster, Europameister von 1980 und Vize­ Nationalspieler beim Regionalen Treffen. Erfolgreicher und weltmeister 1982 und 1986, ein perfekter „Panzerknacker“. schöner hätte der ­Jahresabschluss 2019 für die aktuellen und „Weil er mit seinem Tor-Drang immer sofort ­abzieht“, sagt ehemaligen Nationalspieler­ nicht sein können. Förster. „Dabei ist er kein Büffel und dennoch ein Draufgänger mit enormer Durchsetzungskraft.“ Briegel, ein Defensiv-­Athlet Wolfgang Tobien DIAGONALPÄSSE 50 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

Beinlich zurück Cacau und bei Hansa Keller stellen Integrations- 138 Punktspiele hat Stefan Beinlich für den FC Hansa Rostock absolviert, nun kehrt er konzept vor zurück. Beinlich ist neuer Leiter des Nach­ Gemeinsam mit wuchsleistungszentrums von ­Hansa Ros­ DFB-Präsident tock. Für Rostock, Bayer Leverkusen,­ Hertha­ Fritz ­Keller und BSC und den Hamburger­ SV kam der ge­ der Integrations­ bürtige Ost-Berliner bei insgesamt 288 beauftragten der Bundesliga­spielen (56 Tore) zum Einsatz. Bundesregierung, Annette Widmann-­ Mauz, hat Cacau in Berlin das über­­arbeitete Integrations­ Cacau, Fritz Keller und Annette Widmann- konzept des DFB vor­gestellt. Der Inte­ Mauz bei Türkiyemspor Berlin. grationsbeauftragte des DFB sagte im Rahmen der Veranstal­tung „Integration worden. 2005 fand das erste Spiel in der im Dialog“ auf dem Vereins­gelände von neuen Arena statt. Möglich gemacht ­Türkiyemspor Berlin,­ dass es eines der wurde die Namens­änderung durch eine Ziele sei, mehr Menschen mit Migrations­ Stadionpartnerschaft mit dem Biotechno­ hintergrund sowie Frauen für ehrenamt­ logie-Unternehmen CSL Behring. Berühmt Stefan Beinlich liche Tätigkeiten zu gewinnen. wurde und ist das Stadion Wankdorf durch das WM-Endspiel 1954 zwischen Fritz neuer Chef der Scouting- Podolski baut eine Deutschland und Ungarn, das Helmut Abteilung in Bremen Multifunktionshalle Rahn mit seinem legendären Treffer zum 3:2 entschied – einer der großen Momen­ Neue Aufgabe für . Seit Derzeit spielt in Japan te der deutschen Fußball-­Geschichte. Ende November ist der 22-malige bei Vissel Kobe Fußball. Nebenbei hat Nationalspieler­ neuer Leiter der Scouting-­ der Ex-Nationalspieler sein nächstes Abteilung von Werder Bremen. Fritz bleibt großes Projekt bekannt gegeben. In Havertz drittbester der Werder-Familie damit erhalten. ­seiner Heimatstadt Köln errichtet der Nachwuchs-Spieler der Welt ­Zwischen 2006 und 2017 bestritt er 288 34-Jährige eine Multifunktionshalle, Kai Havertz von Bayer Leverkusen ­wurde Erstligaspiele für Werder und ist Ehren­ die auf den Namen „Straßenkicker ­Base“ von der italienischen Sportzeitung spielführer des norddeutschen Traditions­ getauft wird. Sieben Soccer-Courts auf ­„Tuttosport“ für das Jahr 2019 als dritt­ klubs. Vor seiner Anstellung als Leiter 5.100 Quadratmetern laden Fußball­ bester Nachwuchsspieler der Welt unter der Scouting-Abteilung hatte er ein spieler jeden Alters zum „kicken“ ein. 21 Jahren ausgezeichnet. 40 weltweit aus­ ­Trainee-Programm im Management des „Ich möchte nicht nur Sportlern ein gesuchte­ Fußball-Journalisten beteil­ igten­ Vereins absolviert. ­neues Zuhause geben, sondern auch sich an dieser Wahl, die der Portugiese eine Möglichkeit schaffen, etwas für die João Félix von Atlético Madrid vor Jadon Kids in Köln zu tun und meine Stiftungs­ Sancho von gewann. arbeit und mein soziales ­Enga­gement in und für meine Heimatstadt weiter aus­ zubauen“, sagte Podolski.

Comeback des Wankdorf-Stadions Das altehrwürdige Wankdorf-Stadion ist zurück – zumindest dem Namen nach. Wie die Young Boys Bern mitteilten, wird das Stade de Suisse ab der Saison 2020/21 Stadion Wankdorf heißen. Das Stade de Suisse war 2001 nach dem Abriss­ des alten Stadions Wankdorf erbaut Clemens Fritz Kai Havertz IN MEMORIAM CDN-MAGAZIN 41 | 2019 51

Norbert Eder Horst Freitag Klaus Thiele

* 7. November 1955 * 20. November 1930 * 25. Februar 1934 † 2. November 2019 † 22. September 2019 † 23. November 2019

Im Herbst seiner Fußball-Karriere schien Schnell, wendig und technisch versiert – Sein Länderspieldebüt absolvierte Klaus für die Sonne so hell wie als vielversprechender Rechtsaußen Thiele am 1. Mai 1958 in Tirana gegen nie zuvor. Auslöser waren zwei denk­ wurde Horst Freitag 1954 aus Gera nach Albanien (1:1). Seine Nominierung war würdige Anrufe. Der erste kam im Früh­ Aue delegiert. In der Rückrunde der Folge seiner starken Leistungen als jahr 1984 von Uli Hoeneß mit dem ­Saison 1954/55 wurde Freitag zum ­Torwart von Wismut Karl-Marx-Stadt. ­Angebot des Wechsels zum FC Bayern. Stammspieler und stand nur deshalb Mit Wismut gewann er 1957 die DDR- Nach 301 Erst- und Zweitligaspielen für nicht im Aufgebot der Pokalsiegerelf Meisterschaft. Thiele glänzte auch inter­ den 1. FC Nürnberg folgte „Meister 1955, weil er sich vier Tage zuvor im national, sowohl im Europapokal der Eder“ mit 28 Jahren dem Ruf aus Training einen Wadenbeinbruch zuge­ Landesmeister als auch später im ­München. Das zweite Telefonat führte zogen hatte. 1956 und 1957 hatte der ­Messepokal, dem Vorgänger des UEFA- er am 27. April 1986 mit DFB-Teamchef abseits des Spielfelds zumeist in sich Cups. 1959 gewann Thiele mit Wismut . Zwei Wochen später gekehrte ­Flügelspieler wesentlichen Karl-Marx-Stadt erneut den Meistertitel bestritt Eder – als 30-Jähriger – seine Anteil am Gewinn der DDR-Meister­ und wurde zum ernsthaften Rivalen für ersten Länderspiele gegen Jugoslawien schaft und bestritt­ am 10. März 1957 in die damalige DDR-Torwart-Ikone Karl- und die Niederlande. Wenig später Ost-Berlin sein erstes und einziges Heinz Spickenagel von Vorwärts Berlin. stand er bei allen sieben Partien bei der ­Länderspiel beim 3:0-Sieg gegen Sein bestes von insgesamt vier Länder­ WM in Mexiko auf dem Rasen. Danach ­Luxemburg an der Seite von ­Größen wie spielen absolvierte Thiele am 12. August sagte Eder schon wieder „Servus“ zum „Moppel“ Schröter oder . 1959 beim Länderspiel unter Flutlicht Nationalteam. Beim FC Bayern blieb der Es war das erste Spiel der DDR gegen gegen die Tschechoslowakei anlässlich Unterfranke noch zwei weitere Jahre eine westeuropäische Mannschaft. des Turn- und Sportfests, als er mit und gewann insgesamt dreimal die 1963 beendete Freitag nach 140 Ober­ ­tollen Paraden der DDR-Mannschaft Meisterschaft und einmal den DFB-­ liga-Spielen (34 Tore) seine Laufbahn und ­einen 2:1-Sieg sicherte. Seine Ober- Pokal. Nach der Karriere arbeitete er in ­arbeitete bis zu seiner ­Pensionierung als liga-Laufbahn beendete Thiele 1968 Rosenheim als Trainer und betrieb mit Sportlehrer. Freitag war sportbegeistert, mit 34 Jahren. Danach arbeitete­ er als seiner Frau einen Blumenladen. Eder die Faszination für den Fußball und viele Bergmann für die SDAG Wismut. Am starb am 2. November nach langer andere Sportarten prägte sein Leben. Er 23. November 2019 starb Thiele im schwerer Krankheit – mit nur 63 Jahren. wurde 88 Jahre alt. ­Alter von 85 Jahren in Aue.

Norbert Eder Horst Freitag Klaus Thiele JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE 52 CDN-MAGAZIN 41 | 2019

RUNDE GEBURTSTAGE*

(in Klammern Anzahl der Länderspiele) * im 4. Quartal 2019

85 Jahre 50 Jahre 1

HELMUT KAPITULSKI (1) am MICHAEL TARNAT (19) am 27. Ok­ 29. September; ROLF GEIGER (8) tober; (61) am am 16. Oktober; THEO KLÖCKNER 10. November; JÖRG HEINRICH (2) am 19. Oktober; H A N S - G E O R G (37) am 6. Dezember; KLUPEL (1) am 12. November; HEINZ (2) am 9. Dezember; ­ LEMANCZYK (2) am 13. November. (43) am 26. Dezember.

80 Jahre 40 Jahre

BERND BAUCHSPIESS (1) am PATRICK OWOMOYELA (11) am 10. Oktober; GÜNTHER BERNARD 5. November. (5) am 4. November.

2 3 75 Jahre

HERBERT WIMMER (36) am 9. November; (23) am 19. November; (3) am 27. November; BERND DÖRFEL­ (15) am 18. Dezember; HARTWIG BLEIDICK (2) am 26. Dezember. 5

70 Jahre

DIETER SCHNEIDER (3) am 20. Oktober; BERND CULLMANN (40) am 1. November; WILFRIED GRÖBNER (8) am 18. Dezember; JOSEF KAPELLMANN (5) am 7 19. Dezember; (45) am 27. Dezember. 6

60 Jahre

RONALD KREER (65) am 10. No­ vember; (2) am 17. November; (21) am 22. Dezember; W O L F G A N G ROLFF (37) am 26. Dezember. JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE CDN-MAGAZIN 41 | 2019 53

JUBILÄEN*

(Spieler mit 5 und mehr Länderspielen) * im 4. Quartal 2019

Debütantenball Debütantenball Abschiedsspiel vor 60 Jahren (1959) vor 40 Jahren (1979) vor 40 Jahren (1979)

WILLI SCHULZ (insgesamt 66 HANS-PETER BRIEGEL (72, HERBERT ZIMMERMANN (14, ­Länderspiele, Alter und Verein beim 24 Jahre, 1. FC Kaiserslautern) am 25 Jahre, 1. FC Köln) am 22. Dezember 1. Länderspiel: 21 Jahre, Union Günnig­ 17. Oktober gegen Wales (5:1); gegen die Türkei (2:0). feld) am 20. Dezember gegen Jugo­ MIRKO VOTAVA (5, 23 Jahre, slawien (1:1). ­Borussia Dortmund)­ am 21. November gegen die UdSSR (3:1). Abschiedsspiel vor 30 Jahren (1989) Debütantenball vor 50 Jahren (1969) Debütantenball MATTHIAS DÖSCHNER (40, vor 30 Jahren (1989) 31 Jahre, ) am FRANK GANZERA (13, 22 Jahre, 15. November gegen Österreich (0:3); Dynamo Dresden) am 8. Dezember (17, 29 Jahre, Eintracht DIRK STAHMANN (46, 31 Jahre, ­gegen den Irak (1:1); JOACHIM Frankfurt) am 4. Oktober gegen Finn­ 1. FC Magdeburg) am 15. November STREICH (102, 18 Jahre, FC Hansa land (6:1); HENDRIK HERZOG gegen Österreich (0:3); RONALD Rostock) am 8. Dezember gegen den (7, 20 Jahre, FC Dynamo Berlin) am KREER (65, 30 Jahre, 1. FC Loko­ Irak (1:1). 25. Oktober gegen Malta (4:0). motive Leipzig) am 15. November ­gegen Österreich (0:3); ­ (7, 24 Jahre, FC Bayern 4 Debütantenball München) am 15. November gegen vor 25 Jahren (1994) Wales (2:1).

FREDI BOBIC (37, 22 Jahre, VfB Stuttgart) am 12. Oktober gegen Abschiedsspiel Ungarn (0:0). vor 25 Jahren (1994)

MARTIN WAGNER (6, 26 Jahre, Debütantenball 1. FC Kaiserslautern) am 12. Oktober vor 20 Jahren (1999) gegen Ungarn (0:0); THOMAS BERT- HOLD (62, 30 Jahre, VfB Stuttgart) am FRANK BAUMANN (28, 24 Jahre, 18. Dezember gegen Albanien (2:1). SV Werder Bremen) am 14. November gegen Norwegen (1:0). Abschiedsspiel vor 20 Jahren (1999) Abschiedsspiel vor 50 Jahren (1969) CHRISTIAN NERLINGER (6, 26 Jahre, Borussia Dortmund) am (insgesamt 9. Oktober gegen die Türkei (0:0). 8 34, Länderspiele, Alter und Verein beim letzten Länderspiel: 29 Jahre, 1_Theo Klöckner. FC Chemie Halle) am 19. Dezember 2_Bernd Bauchspieß. ­gegen Ägypten (3:1); GERHARD 3_Michael Tarnat. KÖRNER (33, 28 Jahre, FC Vor- 4_Ronald Kreer. wärts Berlin) am 19. Dezember gegen ­ 5_Herbert Wimmer. Ägypten (3:1). 6_Klaus Fischer. 7_Jens Lehmann. 8_Hans Dorfner. DER DFB WÜNSCHT ALLEN CDN-MITGLIEDERN UND IHREN ANGEHÖRIGEN EIN FROHES WEIHNACHTSFEST UND EINEN GUTEN JAHRESWECHSEL. HERAUSGEBER Deutscher Fußball-Bund Otto-Fleck-Schneise 6 60528 Frankfurt/Main Telefon: (0 69) 67 88-0 Telefax: (0 69) 67 88-2 04 E-Mail: [email protected] www.dfb.de

PROJEKTLEITER CLUB DER NATIONALSPIELER Michael Kirchner (DFB)

VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT Michael Herz

KONZEPTION Steffen Lüdeke, Wolfgang Tobien

REDAKTIONELLE MITARBEIT Gereon Tönnihsen

AUTOREN Wolfgang Tobien, Steffen Lüdeke, Oskar Scheffer, Uwe Karte, Udo Muras, Sven Winterschladen

BILDQUELLEN Getty Images, imago, Picture Alliance, Ullstein, Thomas Böcker

GESAMTHERSTELLUNG Braun & Sohn Druckerei GmbH & Co. KG Am Kreuzstein 85, 63477 Maintal

Die Ausgabe Nr. 41/2019 des CdN-Magazins ist, ebenso wie alle bisherigen Ausgaben, online ­unter „www.nationalspieler.dfb.de“ abzurufen. DFB.DE NATIONALSPIELER.DFB.DE DFB.DE/DIE-MANNSCHAFT