H. HAUSWALD / OSTKREUZ H. HAUSWALD Freigelegter CIA-Tunnel: „Traum jedes Nachrichtendienstlers“

ZEITGESCHICHTE „Operation Gold“ Es war die aufwendigste Aktion der CIA in : Durch KEYSTONE einen Tunnel spionierten die Agenten auf der Ostseite Sowjetische Offiziere am Tatort der Stadt. Nun wird das Relikt des Kalten Krieges freigelegt. „Beeil dich, Mischa“

er Berliner CIA-Chef Bill Harvey Knapp sieben Monate lang hatten die Helmut Trotnow will im kommenden Jahr war gewarnt.Am 22.April 1956 um CIA und der britische Geheimdienst SIS an ein Stück des Bauwerks ausstellen. Der D0.50 Uhr entdeckten seine Beob- dem 583 Meter langen Tunnel gegraben, Tunnel ist immer noch in gutem Zustand, achter auf der anderen Seite des Eisernen der in den Berliner Ostsektor führte: direkt selbst Harveys Sandsackbarriere steht bis Vorhangs eine Reihe von Sowjetsoldaten, zu Fernmeldeleitungen der sowjetischen heute, nur das Schild ist weg. die mit Schaufeln und Hacken anrückten. Militärs. Fast ein Jahr lang konnten so die Pünktlich zur Öffnung des Tunnels er- Gut zwölf Stunden später standen die Westagenten Moskaus Truppen in der scheint zudem eine Dokumentation der Soldaten und ostdeutsche Geheimpolizi- DDR belauschen. Jeden Tag nahmen sie Akteure von damals. Die ehemaligen sten in jenem Tunnel, den Harveys Agen- 1200 Stunden Gespräche auf und druckten Agenten Sergej Kondraschow (KGB) und ten ausgehoben hatten. Leise zogen diese 300 Meter Telexe aus. 443000 Gespräche David Murphy (CIA) haben zusammen mit sich durch die enge Tunnelröhre zurück. wurden vollständig aufgezeichnet. dem Journalisten George Bailey bislang Dort, wo die Zonengrenze verlief, errich- Es war der spektakulärste Lauschangriff unbekannte Akten aus den Archiven von teten sie eine Sandsackbarriere, davor ein nach Kriegsende. Erstmals erfuhren Lon- CIA und KGB ausgewertet*. – in holprigem Deutsch – bemaltes Schild: don und Washington im Detail, wie viele Demnach war der Westen damals auf die „Sie treten jetzt in die amerikanischen Soldaten in der DDR stationiert waren. CIA Tunnelidee gekommen, weil die Sowjets Sektor hinein.“ Die Operation „Gold“ war und SIS verwirklichten „den Traum jedes seit 1948 für geheime Informationen auch am Ende. Nachrichtendienstlers“, räumt Ex-DDR- das alte Kabelnetz der Deutschen Reichs- Spionagechef Markus Wolf post nutzten. 1949 machten die Briten im „Amerikanische Radarstation“ noch heute neidvoll ein. besetzten Wien einen ersten Versuch. Sektorengrenze in Rudow Sichtbar ist von dem Heimlich buddelten sie sich aus ihrem Sek- stählernen Relikt des Kalten tor an die Leitungen in der sowjetischen Stachel- Krieges im Berliner Stadt- Zone heran. Drei Jahre lang ging alles gut, Friedhof draht Sand- bild nichts mehr. Die SED dann flog die Operation „Silber“ auf. säcke Schönefelder WEST-BERLIN ließ den Einstieg, den die Der US-Geheimdienstchef Chaussee Sowjets gegraben hatten, ließ sich von der Idee dennoch nicht ab- Sowjetische Klima- bald wieder zuschütten; das bringen und befahl die Operation „Gold“ Telefon- anlage leitungen OST-BERLIN Fundament des westlichen in Berlin. Die Aktion würde vom dortigen Verstärker- Eingangs wurde 1995 aus CIA-Vormann Bill Harvey geleitet. anlage der Erde gezogen. Mit den Briten war Harvey sich schnell Am Mittwoch voriger Wo- einig. Die CIA übernahm das Graben, der 1956 entdeckter che jedoch ließ das Berliner Stahltüren amerikanischer Spionagetunnel Alliierten Museum erstmals * George Bailey, Sergej A. Kondraschow, David E. Mur- phy: „Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheim- zum Anzapfen von Telefonleitungen seit 41 Jahren die Lauschröh- dienste im geteilten Berlin“. Propyläen Verlag 1997; 590 des sowjetischen Sektors re öffnen. Museumsdirektor Seiten; 58 Mark.

82 der spiegel 39/1997 Deutschland SIS das Anzapfen. Die Vorbereitungen be- gelegten Tunnelröhre noch heute zu sehen gannen 1953. Auf einem Militärgelände in sind, transportierten die Informationen zu der englischen Grafschaft Wiltshire hob den gut 600 Ampex-Tonbandgeräten in der der SIS einen Probetunnel aus und ließ „Radarstation“ am Einstieg des Tunnels. während der Arbeit Blinde darüber lau- Die Aktion war, schwärmt Markus Wolf fen. Die sollten feststellen, ob etwas zu noch heute, ein „technisches Wunder“. hören oder spüren war. Die wurde von der Entdeckung des Harveys Späher warben unterdessen in Tunnels völlig überrascht. „Beeil dich, den ostdeutschen Fernmeldeämtern Mit- Mischa!“ trommelte Stasi-Minister Ernst arbeiter der DDR-Post an. Die CIA-Agen- Wollweber im Morgengrauen des 22. April ten wollten wissen, wo sie die alten Reichs- 1956 Agentenchef Markus Wolf aus dem postkabel vom amerikanischen Sektor aus Bett, „du glaubst nicht, was sie gefunden am besten erreichen konnten. Schließlich haben.“ Wolf und Wollweber waren die er- wurde eine Altglienicker Wiese im Süden sten Deutschen im Tunnel. ausgewählt, in der Nähe des DDR- Die beiden wußten allerdings nicht, daß Flughafens Schönefeld. der sowjetische Geheimdienst über die Der Airport bot eine willkommene Tar- „Operation Gold“ bereits seit 1953 infor- nung. Die CIA baute ein Lagerhaus mit miert war. , britischer Dop- Radarantennen. Ihre sowjetischen Rivalen pelagent, hatte den Plan seinem Führungs- sollten glauben, den Amerikanern gehe es offizier Kondraschow verraten. Dessen um den Flugverkehr. Doch statt in den Vorgesetzter alarmierte sofort Marschall Himmel zu gucken, ließ Harvey in dem Andrej Gretschko, Oberbefehlshaber der zweistöckigen Bau Pioniere der US-Ar- sowjetischen Truppen in der DDR. mee im Erdreich wühlen. Doch der gestandene Heerführer durfte Eine eigens aufgestellte Waschmaschine den Tunnel nicht aufdecken. Berlins KGB- sorgte dafür, daß die Soldaten nicht in ver- Chef Jewgenij Pitowranow wollte seinen dächtig dreckigen Uniformen ins Freie tra- Meisterspion Blake keiner Gefahr ausset- ten. Der Aushub, 3100 Tonnen, landete zen. Später versuchte das KGB, die ab- im Lagerhaus, das zu diesem Zweck einen gehörten Informationen nachträglich zu entwerten, und ließ durchsickern, die Bot- Mit einem Sack schaften seien gezinkt gewesen. Davon will Zehnpfennigstücke durch das Blakes Führungsoffizier Kondraschow in seinem Buch nun nichts mehr wissen. Es Brandenburger Tor habe „keine Desinformation“ gegeben. Elf Monate und elf Tage mußte Gretsch- besonders tiefen Keller erhalten hatte. Der ko mit den Lauschern leben. Dann legte Tunnelbau war die „aufwendigste Aktion“ ein besonders kräftiger Frühlingsregen der Berliner CIA überhaupt, erinnert sich zahlreiche Leitungen durch Kurzschluß ihr Mitarbeiter Murphy heute. lahm. Nun hatten die Sowjets einen Anlaß Aus knapp 600 Meter Entfernung muß- zum Graben, der auch SIS und CIA ein- ten die Ingenieure der CIA ein fünf Zenti- leuchten mußte. meter breites Kabelbündel treffen. Für ihre Harvey, der die Fernmeldesonderkom- Berechnungen fehlte ihnen jedoch ein Be- panie kommen sah, wollte den Tunnel zugspunkt. Die Agenten täuschten deshalb sprengen. Zwölf Meter der Röhre hatte ein Baseballspiel vor und schlugen den Ball er mit Sprengstoff verminen lassen. Doch weit über die Sektorengrenze. Doch die der amerikanische Stadtkommandant ostdeutschen Grenzer, ausnahmsweise Charles Dasher war nicht in Kriegsstim- freundlich, warfen ihn zurück. mung: „Können Russen dabei ums Leben An die Stelle der sportlichen Lösung trat kommen oder verletzt werden?“ fragte er die 007-Variante. Zwei CIA-Männer, als vorsichtig. Harvey konnte das nicht aus- Offiziere verkleidet, fuhren nach Ost-Ber- schließen und mußte den Rückzug anord- lin – US-Militärs durften das. Die beiden si- nen, bis unter die Zonengrenze. mulierten in Sichtweite ihrer Kollegen über Dort, hinter der Sandsackbarriere, ver- den Leitungen eine Autopanne und ließen schanzte er sich mit einem schweren, wenn einen kleinen Gegenstand, der Radiowel- auch ungeladenen Maschinengewehr. Als len reflektierte, liegen. Das reichte aus. Im die sowjetischen Soldaten näher kamen, Februar 1955 wurde der Tunnel fertig- entsicherte er mit lautem Klacken. Die gestellt. Sowjets ließen sich bluffen und mach- Damit war der SIS an der Reihe. Einen ten halt. Monat brauchten die Briten, um die Ab- Der Tunnel, tönte das DDR-Fernsehen, hörkammer auszuheben und auszustatten. sei der „amerikanische Blinddarm des Kal- Experten der britischen Post zapften jede ten Krieges“ gewesen. Iwan Kozjuba, so- der 295 Telefonleitungen an. Zuschauen wjetischer Stadtkommandant, schickte sei- durften dabei nicht einmal die Amerikaner. ne Sekretärin mit einem Sack Zehn- Die Technik behielten die Briten für sich. pfennigstücke durch das Brandenburger Verstärker glichen den Spannungsabfall Tor zum Klassenfeind. Sie sollte die West- aus, den das Anzapfen mit sich brachte, presse anrufen und alarmieren. Doch statt und peppten die abgehörten Signale auf. sich zu entrüsten, fanden die Journalisten Daumendicke Leitungen, die in der frei- den Tunnel „wundervoll“. ™

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