Graphik, Graphik, Du musst wandern ... Zur Einführung

Die 1982 am Fach Kunstgeschichte So beheimatet die Graphische Sammlung der Universität Trier gegründete des Fachs Kunstgeschichte der Universität Graphische Sammlung begeht im Jahre Trier heute nicht nur bedeutende Blätter der 2012 ihr dreißigjähriges Bestehen. Renaissance aus dem ehemaligen Besitz von Damit ist sie im Vergleich mit Sammlungen wie dem ehemals Königlichen anderen Universitätssammlungen eine Kupferstichkabinett Dresden oder solche vergleichsweise junge Institution, die des frühen 16. Jahrhunderts aus dem sich auch hinsichtlich ihrer Bestände und ehemals Königlichen Kupferstichkabinett deren Herkunft vielfach von anderen Berlin, dem Kupferstichkabinett Bern oder Einrichtungen ihrer Art in Deutschland den Nürnberger Museen, sondern vielfach unterscheidet. Geht etwa die Graphische auch Einzelblätter oder ganze Konvolute Sammlung am Fach Kunstgeschichte der aus bedeutenden Privatsammlungen des 18. Eberhard-Karls-Universität Tübingen bis 20. Jahrhunderts, etwa der der Brüder auf den Doublettenbestand des ehemals Goncourt oder der Sammlung Spatzier. Königlichen Kupferstichkabinetts in Sammlungen entstehen, wachsen teils Stuttgart, der heutigen Graphischen beachtlich und lösen sich vielfach wieder auf. Sammlung der Staatsgalerie, zurück, so Selbst aus den als nicht mehr veräußerlich speisen sich die mittlerweile knapp 5.300 geltenden Beständen der öffentlichen Blätter umfassenden Bestände an der Graphikkabinette werden von Zeit zu Zeit Universität Trier aus unterschiedlichen Doubletten ausgeschieden und wieder auf Quellen. Teils sind es Schenkungen ganzer die Wanderschaft durch die Portefeuilles Konvolute, sowohl thematischer als auch der aktiven Sammler geschickt. Graphik, künstlermonographischer Ausrichtungen, Graphik, Du musst wandern … Und einige teils Einzelblattstiftungen oder auf dieser Blätter haben in den letzten dreißig verschiedene Projekte gezielt bezogene Jahren ihren Weg nach Trier gefunden, Ankäufe im Kunsthandel gewesen, die zum wo sie nun in verschiedenen Ausstellungs- Zustandekommen der heutigen Sammlung und Publikationsprojekten Studierenden beigetragen haben. vielfach einen ersten direkten – und in Idee des Ausstellungsprojekts ist die Tatsache, den betreffenden Projekten mehrheitlich dass viele der in der Sammlung verwahrten auch einen konzeptionellen – Kontakt mit Meisterwerke über Sammlermarken druckgraphischen Originalen ermöglichen. oder Sammlerstempel, handschriftliche Beschriftungen oder Signaturen als Teile Stephan Brakensiek älterer Sammlungen dokumentierbar sind. Daniel Nicolaus Chodowiecki (1726-1801) Cäsars Zug über die Pyrenäen 1773 Radierung Provenienz: nicht identifizierte Sammlung

„Caesar hatte nach Spanien vorausgeschickt Chodowieckis (1726-1801). Zwar fertigte sechs Legionen [...]. Er war informiert er hauptsächlich Buchillustrationen an, worden, dass Pompeius durch Mauretanien doch widmeten sich diese aber meist dem mit seinen Legionen nach Spanien ziehe.“ bürgerlichen Leben des 18. Jahrhunderts. So berichtete Gaius Julius Cäsar um 49 v. Zeitgenossen charakterisierten Chodowiecki Chr. über seinen Feldzug gegen Pompeius als jemanden, der „alle Kupferstecher die im „Kommentar über den Bürgerkrieg“. jemals gelebt haben“ übertreffe und der Die Radierung zeigt den römischen als „Stifter einer neuen Kunstgattung in Feldherrn bei der Überquerung der Deutschland“ gelten mag. Begründet wird Pyrenäen. Auf der linken Seite des Bildes dies mit seinen lebensnahen Abbildungen, befehligt er mit großer Geste sein Heer, das die nahezu alle Bereiche der damaligen sich im Hintergrund lindwurmartig durch Gesellschaft durchdrangen. Zudem die felsige Gebirgslandschaft zieht. Hinter vermittelt nach Ernst Hinrichs kaum ein dem bewaffneten Reiter zur Linken Cäsars anderes Werk dieser Zeit so anschaulich befindet sich eine römische Standarte, die Werte und Prinzipien der Aufklärung. das so genannte Signum. In ersten, sehr In der Literatur werden Chodowieckis seltenen Abdrücken der Radierung wurde Darstellungen deshalb auch häufig als es durch ein weiteres Feldzeichen ergänzt, „Quellen und Bilddokumente behandelt, dessen Umrisse sich auch auf dem gezeigten die in zeit- und sittengeschichtlichen Blatt zwischen dem Soldaten und dem Betrachtungen als Belege und Illustrationen Heerführer noch schemenhaft erkennen dienen“ können. lassen. Die Radierung diente als Illustration einer Denkschrift zum Militär der Antike, Elisabeth Sgraja die der preußische Offizier Karl Theophil Guischard 1774 veröffentlicht hatte. Diese Art der Historiendarstellung ist jedoch nicht repräsentativ für das Werk des Berliner Kupferstechers Daniel Nikolaus François-Bernard Lépicié (1698-1755) nach Jean Siméon Chardin (1699-1779) Die Kinderfrau (La Gouvernante) 1739 Kupferstich Provenienz: Sammlung Edmond u. Jules de Goncourt, [L. 1089]

„Trotz des scheinheiligen Gesichtchens on, somit um eine Wiedergabe von Inhalt und der unterwürfigen Miene des Kindes und Gehalt des Werks eines anderen durch möchte ich wetten, dass es sich überlegt, den reproduzierenden Künstler. zu seinem Federballspiel zurückzukehren.“ Vielleicht spricht gerade diese Annahme Lé- picié eine besondere Rolle zu, da er nicht So lautet die Übersetzung des kleinen Verses nur durch kleine Verse, sondern auch durch unterhalb des Kupferstichs. Lépiciés freie handwerkliche Feinheit wusste, jene inter- Interpretation des Gemäldes von Chardin pretierenden Aspekte besonders hervorzu- scheint hier, wenn auch nicht bestimmend, heben. Denn während Chardins Gemälde in klaren Worten wiedergegeben. Während durch weiche Umrisse und milde Farbigkeit sich von Chardins Gemälde wohl ansatz- eine Form von Unschuld und Sanftmut ver- weise nur das von Lépicié exakt übernom- mittelt, besticht Lépiciés Darstellung dem- mene Hauptmotiv, die Tadelung des unge- gegenüber durch scharfe Linien und Kontu- zogenen Jungen durch seine Gouvernante, ren und verleiht ihr dadurch eine gewollte ablesen lässt, so bleibt das eigentlich tiefere Härte. Der Junge wirkt trotzig, vielleicht so- Verständnis der Darstellung hier verbor- gar sicherer in seinem Wollen, widerspens- gen. Erst die von Lépicié dem Bild in seiner tig und selbstgefälliger in seiner Haltung. druckgraphischen Reproduktion beigefüg- In jenem Zusammenspiel von Vers und sub- ten Worte dienten so dann als Schlüssel zur tiler klarer Linienführung bot Lépicié einen Interpretation des Werks und fordern den Zugang zum Bild und schuf eine Geschich- Betrachter geradezu auf, dem unschuldigen, te, die „es den Käufern der Stiche […]“ er- reuevollen Blick des Jungen zu widerstehen laubte, „ihre eigenen, oft nicht ästhetischen, und seine eigentliche Absicht, die Rückkehr »volkstümlichen« Sehweisen auf die Bilder zum Spiel, zu erkennen. Anhand dieses Bei- zu beziehen.“ spiels lässt sich der Begriff der ‚Reprodukti- on‘ in neuem Licht betrachten, geht es hier Anna Katharina Leis doch nicht mehr um die möglichst genaue Wiedergabe eines Kunstwerks in einem an- deren Medium, sondern vielmehr um eine – auch inhaltlich zu lesende – Interpretati- (1740-1799) Der Weg am Abgrund 1779 Radierung Provenienz: Sammlung Josef Heilmair (20. Jahrhundert), [nicht bei Lugt]

Der „Weg am Abgrund“ vergegenwärtigt ters entlang der abfallenden Felsen in den die Begeisterung Ferdinand Kobells für die Bildhintergrund gelenkt, wo man eine abre- Rheinlandschaft um seine Heimatstädte viaturhaft geschilderte Landschaft mit Bäu- Mannheim und Heidelberg. Das radierte men, Haus und Hügeln sieht. Die Tatsache, Werk dieses Künstlers besteht aus insge- dass der Blick hier nicht durch die – im samt 242 Blättern, die fast ausschließlich Vergleich zum Bildvordergrund – schemen- der Landschaft gewidmet sind. Das vorlie- hafte Schilderung festgehalten wird, erlaubt gende Blatt ist eine von vier Radierungen es dem Betrachter, beim Anschauen des einer Reihe und zeigt einen Weg am Ab- Blattes den Blick von der Figurengruppe grund. Fast unbedeutend, im Vergleich zu über die Naturlandschaft zum Hintergrund der sie umgebenen Landschaft, ist in der und wieder zurück wandern zu lassen. linken Bildhälfte eine Gruppe von Figuren Die von seinen Zeitgenossen viel gelobte platziert. Eine junge Frau unterhält sich Naturtreue und Detailgenauigkeit Kobells mit einem Mann, der auf einem Felsen ist an diesem Blatt überaus deutlich ables- sitzt. An der Hand hält sie einen kleinen bar. Jede mögliche Fläche ist durch feine Jungen, der sich einem Hund zuwendet. Linien gestaltet und ausgefüllt. Selbst im Diese Menschen bilden ein kompositori- Himmel hat Kobell die von den Wind- sches Gegengewicht zu dem Abgrund auf strömungen getriebenen Wolkenforma- der rechten Bildhälfte, auf den alle ande- tionen durch feine Linien ausgebildet. ren Bildelemente kompositorisch bezogen sind. Geleitet über die Äste der Bäume am Caroline Remy linken Bildrand wird der Blick des Betrach- Jonas Umbach (um 1624-1700) Ruinenlandschaft mit Denkmal 1678 Radierung Provenienz: Sammlung Justinus Kerner (19. Jhdt.), Budapest [L. 1567b]

Ein Künstler setzt sich scheinbar selbst ein der Radierung um ein Architekturcapriccio, Denkmal, in dem er sich auf dem die Kom- dessen Charakteristikum die additive Kom- position beherrschenden, wuchtigen Figu- bination vorhandener oder imaginärer Bau- rensockel im Zentrum einer „ruinierten“ denkmäler ist. Landschaft mit seinem Namen in großen In Augsburg, der Heimatstadt Umbachs, Lettern selbst verewigt. Obendrein fehlt der die er offenbar mehrmals zu Studienzwe- letzte Buchstabe seines Nachnamens: Nach- cken in die Niederlande und nach Italien lässigkeit kombiniert mit übersteigertem verließ, wird zu dieser Zeit der größte Teil Selbstbewusstsein? der Serien dieser Gattung produziert, ver- Laut Naglers Künstlerlexikon ist das Blatt legt oder kopiert, meist in druckgraphischer Teil einer Folge von acht kleinen Land- Form. Sie zeigen etwa im Bereich des Hir- schaften mit Ruinen und Monumenten. tengenres oder des Arkadischen – und Um- Jonas Umbach, der auch als Maler und bach kombiniert hier beides – die Macht Zeichner tätig war, folgt hier in etwa dem der Natur, der auch die Architektur nicht Gestaltungsprinzip, das Haas folgenderma- widerstehen kann, worin sich auch der Va- ßen beschreibt: „Auf der einen Seite schich- nitas-Gedanke, die Vergänglichkeit wider- tet er Ruinenteile auf, oder er stellt einen spiegelt. Zieht man zudem in Betracht, dass Baum, eine Mauer an den Bildrand näher das Prinzip des Capriccio in den Schönen dem Beschauer und deshalb deutlicher, Künsten allgemein die Freiheit „kreativer größer [...] dann lässt er auf der gegenüber Bocksprünge“ bietet, die bei gewöhnlichen liegenden Seite den Blick in die Landschaft Auftragsarbeiten nie gegeben ist – Umbach frei, durch die Staffagefiguren [...] mit Tie- war u.a. Hofmaler des Augsburger Bischofs ren nach hinten ziehen.“ Die Hell-Dunkel- –, so ließe sich auch das vermeintliche Ei- Wirkung wird fast ausschließlich durch genlob in eine gewisse Bescheidenheit mit Parallelschraffuren erzielt, wobei die bukoli- einer Prise Koketterie umdeuten. Glück- sche Idylle im Hintergrund durch die feine licherweise hatte dieser Künstler mit der Linienführung wie der Realität enthoben Einschätzung der Vergänglichkeit seines scheint. Fast scheint es, die lagernde Figur Namens Unrecht: Umbachs Graphiken er- auf dem Sockel hätte sich gerade erst dort- freuen sich unter Kennern und Sammlern hin umgewandt. Der Repoussoir-Effekt des bis heute nach wie vor großer Beliebtheit. dunkler gehaltenen Vordergrundes, der die Tiefenwirkung verstärken und den Blick in Gillian Hurt den Bildhintergrund lenken soll, wird da- durch noch intensiviert. Es handelt sich bei (1738-1814) nach (1736-1813) Porträt Salomon Gessner 1771 Kupferstich Provenienz: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg [L. 2809]

Der ebenfalls als Maler und Graphiker täti- seines zu porträtierenden Gegenübers, des- ge Schweizer Idyllendichter Salomon Gess- sen „wahren Geist“ im Porträt einzufangen ner wurde vermutlich zunächst im Zuge und widerzuspiegeln. Denn in der Epoche eines Auftrages des Leipziger Buchhändlers der Aufklärung stand die „Natürlichkeit“ Philipp Erasmus Reich unter 25 weiteren allgemein im Vordergrund. Sich seinen Bildnissen von Anton Graff für eine Gale- englischen Kollegen Joshua Reynolds in rie, bestehend aus berühmten Zeitgenossen Bezug auf Farbgestaltung und Kontrastset- – darunter Staatsmänner, Gelehrte, Dichter zung zum Vorbild erkoren, achtete Graff und Künstler – in einem Gemälde porträ- bei seinen Porträts speziell auf die jeweilige tiert. Dass neben europäischen Regenten typische Körperhaltung der zu porträtieren- in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den, sowie auf deren Gestik und Mimik, in auch vermehrt Gelehrte in Bildnissen fest- denen sich deren Charakter heraus kristalli- gehalten wurden, ist den epochalen geistes- sieren sollte. geschichtlichen Veränderungen während Als Freund von Graff war Bause mit dessen der Epoche der Aufklärung geschuldet. Die Fähigkeiten wohl vertraut, nicht zuletzt, Bürger dieser Zeit strebten nach neuem weil er hauptsächlich gerade dessen Porträts Wissen und entwickelten daraus ein völlig in den Kupferstich übertrug. So scheint es, neues, eben genuin bürgerliches Selbstver- dass er Graffs Stil exakt auf seine Reproduk- ständnis. Es etablierten sich neue, kritische tionsgraphiken zu übertragen vermochte. Wissenschaften, die sich von der Kontrolle der herrschenden Aristokratie weitgehend Sarah Kliebhan zu lösen versuchten. Sich einsetzend für die Verbreitung von Wissen und dem Hervor- rufen einer neuen Bildungshierarchie, wur- den diese Gelehrten für das Bürgertum und dessen weitere Entwicklung sehr wichtig. So scheint es nicht verwunderlich, dass sie nun auch vermehrt von Künstlern porträtiert wurden und dadurch einen zusätzlichen Be- kanntheitsgrad erlangten. Graff als klassischer Porträtist des 18. Jahr- hunderts besaß das in der Aufklärung gefor- derte Talent, nach eigehender Beobachtung Cornelis van Dalen II. (1638-1664) nach Peter Paul Rubens (1577-1640) Die vier lateinischen Kirchenväter Kupferstich Provenienz: Sammlung G.W. Günther (19. Jhdt.), Nürnberg [L. 1114] Lucas Vorsterman (1595-1675) nach Jacob Jordaens (1593-1678) Der Satyr beim Bauern um 1621 Kupferstich Provenienz: Sammlung Andreas Andresen (1828/30-1871), [L. 3280]

In einem schlicht wirkendem Innenraum die Rede des Mischwesens nachzusinnen. mit rustikalem Mobiliar hat sich um den Der Inhalt dieser Rede findet sich sinnge- in leichter Untersicht dargestellten Esstisch mäß unter dem Bildrand in lateinischer im Zentrum eine recht ungewöhnliche Ge- Sprache. Er beschreibt in aller Kürze die Es- sellschaft zusammengefunden – Menschen, senz der Geschichte, deren Quelle wohl in Tiere und ein Wesen, das weder das eine, einer Sprichwörtersammlung des Avianus noch das andere oder beides zu sein scheint, aus dem 4. Jahrhundert n.Chr. zu suchen und so nicht nur wegen seiner Größe die ist, die wiederum auf die Fabeln des Aesop auffälligste Figur des Ensembles bildet: Ein zurückgeht: Ein Satyr freundet sich mit ei- in die Jahre gekommener Satyr ist im Be- nem Menschen an. Um seine von der Kälte griff, sich vom Tisch zu erheben; etwas un- des Winters klammen Hände zu wärmen, gestüm zwar, doch seine Rechte kann den haucht der Mensch sie an. Auf die Frage des Hocker gerade noch am Umkippen hin- Satyrs, warum der Mensch dies täte, gibt dern. Den Betrachter mit dem rechten Auge der Mensch zur Antwort: „Um sie zu wär- direkt anblickend –das Linke ist nicht genau men.“ Zuhause bei dem Menschen wieder- zu erkennen –, hebt er den linken Arm zu um sieht der Satyr, wie der Mensch auf sein einem Redegestus, der an Personifikationen heißes Essen pustet. Wieder fragt der Satyr, der Dialektik erinnert. Gleichzeitig wird der was der Grund für dieses Tun sei. Diesmal Rede- zum Zeigegestus, indem er auf den bekommt er zur Antwort, dies geschähe Hahn im rechten oberen Bildrand weist. um die Speisen abzukühlen. Da dies dem Einen Gegensatz zum sokratischen Aus- Satyr zweideutig erscheint, spricht er: „Nun druck des Satyr bildet der Bauer mit sei- denn, ich kündige dir die Freundschaft auf, nem einfältigen Gesicht. Während er nach weil du aus dem selben Munde auf das Kal- vorn gebeugt auf seinen Löffel mit Brei te wie auf das Heiße bläst.“ pustet, blickt er den Satyr mit beiden Au- Die dargestellte Episode hat also die Ambi- gen an. Die Bildmitte, die den hellsten guität der menschlichen Natur zum Thema, Teil der Komposition darstellt, wird von welche im Bild am deutlichsten durch die einer Bauersfrau eingenommen, die in der beiden Tiere Hund und Hahn symbolisiert Bewegung ihres Rührlöffels innehält, und wird. Der Hund als Sinnbild der Treue; der überrascht den Worten des Satyrs zu lau- Hahn als Sinnbild des Verrats. Der Aufbau schen scheint. Auf ihrem linken Knie sitzt der Komposition zeigt deutlich parallel ge- ein Kleinkind – unter dem Tisch, als letzter setzte Diagonalen, so z.B. entlang des linken im engeren Ensemble, ein treu aber nicht Beines des Bauern über die rechte Schulter weniger einfältig blickender Jagdhund. Die des Satyrn, die ihre Entsprechung in der übrigen Anwesenden im Hintergrund: ein Diagonalen findet, die entlang des Rückens Greis in einem überdachten Korbstuhl, auf über den Kopf des Greises im Korbstuhl dem ein Hahn thront, sowie eine Frau mit läuft. einem Krug. Beide scheinen ebenfalls über Gillian Hurt (1712-1775) nach Rembrandt van Rijn (1606-1669) Bildnis einer reich geschmückten Frau mit Fächer 1763 Radierung Provenienz: Sammlung Familie J. Stinstra, (um 1800), [L. 2316]

Die bis zur Taille dargestellte Frau mit ih- derts. Den Umgang mit Grabstichel und rem Fächer wendet sich nach links. Ihr im Radiernadel lernte Schmidt bei dem Kup- Dreiviertelporträt geschilderter Kopf ist ferstecher Georg Paul Busch (†1756). Nach von langen, frisierten Haaren umgeben, einer dreijährigen Lehre dort und einer die an ihrem Rücken herabfallen und mit sechsjährigen Dienstzeit beim Militär ging einer Perlen- und Diamantenschnur ge- er nach Paris und machte dort als Künst- schmückt sind. An ihren Ohren und am ler Karriere. Erst 1744, nachdem der König Hals trägt die Dame ebenfalls aufwendigen von Preußen ihn zum Hofkupferstecher Schmuck. Zudem ist sie in einen fellbe- ernannt hatte, kehrte er in seine Heimat setzten Mantel gehüllt, der vor ihrer Brust zurück. Viele seiner Radierungen entstan- von einer Brosche aus Edelsteinen zusam- den in dieser Schaffensphase. Schmidt men gehalten wird. Über diesem Mantel gilt als einer der wichtigsten deutschen trägt sie wiederum zwei Goldketten, welche Rembrandtnachahmer des 18. Jahrhun- ebenfalls mit Edelsteinen besetzt sind. In derts, der vielfach auch Gemälde Remb- ihrer rechten Hand hält sie einen Fächer. randts mit der Radiernadel reproduzierte. Geschaffen hat diese Radierung Georg Friedrich Schmidt, der 1712 in Schöner- Anne Weydert linde bei Berlin geboren wurde. Er gehört neben , den er auch persönlich kannte, zu den wichtigsten deutschen Graphikern des 18. Jahrhun- Virgil Solis (1514-1562) Josua und David Kupferstiche Provenienz: Sammlung Luciana Simonetti (1917-2003), [L. 3616]

Der Anblick zweier alttestamentarischer nen, fast nur spielkartengroßen Blatt dar, Figuren in spätmittelalterlicher Rüstung stehend und gleichfalls gerüstet mit Wap- und umgeben von massivem Rollwerk mag penschild. Ihre überaus kriegerische Aufma- beim ersten Hinsehen befremdlich anmu- chung lässt die Helden betont martialisch ten: Doch das Selbstverständnis des tugend- erscheinen. Zu ihren Füßen gibt eine latei- hafter Ritters dieser Zeit, in dessen Gestalt nische Inschrift den jeweiligen Namen des Josua und David in diesen beiden Blättern Helden an. Die drei Ochsenköpfe auf dem von Virgil Solis auftreten, war insbesondere auf der Erde ruhenden Schild von Josua be- auf die Vergangenheit gerichtet: Er sah sei- ziehen sich auf eine vor allem in Deutsch- ne Ideale ebenso in den Helden des Alten land tradierte Darstellung Josuas und spie- Testaments wie etwa in seinen spätmittelal- len auf seine Zugehörigkeit zum Stamm terlichen ‚Zeitgenossen’. Ein Bildmotiv, das Ephraim an, der gemäß des Moses-Segens diese Vorstellungen zusammenfasst, kann als Symbol einen Ochsen hat. König Davids in dem Topos der ‚Neun Helden’ gefunden Schild, den er mit seiner rechten Hand vor werden, welcher Thema der Serie ist, aus der seiner Brust trägt, ziert eine Harfe. Dieses die beiden Blätter stammen. Instrument ist im wesentlichen Davids ein- In einer Vielzahl von Werken der bildenden ziges heraldisches Erkennungszeichen und Künste des ausgehenden Mittelalters und bezieht sich auf ihn als königlichen Sänger, der Frühen Neuzeit finden sich Darstel- Psalmendichter und auch als Propheten. lungen dieser Gruppe von neun Männern. Die Buchstaben auf den Schilden bedeuten Die ‚Neun Helden’ wurden dabei in Tria- indessen verschiedene Farben. den gruppiert, welche sich auf die im Mit- Solis’ figürliche Ausfertigung ist einerseits telalter bekannten Weltzeitalter bezogen: So deutlich beeinflusst von eine Serie mit glei- standen die drei heidnischen Helden Hek- cher Thematik von Hans Burgkmair d.Ä.; tor von Troja, Julius Caesar und Alexander andererseits spiegelt die ornamentale Rah- der Große für die Zeit vor der Offenbarung mung den wachsenden Einfluss der italie- Gottes an die Juden (ante legem – vor dem nischen Renaissance auf die deutsche Kunst Gesetz) oder die mittelalterlichen Helden des 16. Jahrhunderts wieder. König Artus, Kaiser Karl der Große und Gottfried von Bouillon für das christliche Nico Laninger Zeitalter ‚unter der Gnade’ (sub gratia). Dementsprechend verkörperten Josua und König David neben Judas Makkabäus als jüdische Triade des Alten Testaments die Weltalter unter dem Gesetz des Alten Bun- des (sub lege). Virgil Solis stellt in seiner Kupferstichserie jeden der neun Helden auf einem eige- Nicolaes de Bruyn (1570-1656) nach Maarten de Vos (1532-1603) Allegorie der Luft um 1600 Kupferstich Provenienz: Sammlung Luciana Simonetti [L. 3616] u. Kupferstichkabi- nett der Veste Coburg [L. 451a]

Die Füße stehen unsicher, der gesamte Kör- Vorstellung: Sie treten als Kraftquellen der per wankt, von awllen Seiten bläst der Wind vier Winde in Erscheinung, aus ihren Mün- – die linke Hand findet gerade noch Halt dern strömen kräftige, sinnreich erkennbar und stützt sich auf einem Wolkenpodest gemachte Luftböen. Einzig das Chamäleon, ab. Die zentral positionierte Figur in dem das Aer mit einem präsentierenden Gestus nach einem Entwurf des flämischen Malers in seiner rechten Hand hält, will sich auf Maarten de Vos angefertigten Kupferstichs den ersten Blick nicht so recht in das Gefüge von Nicolaes de Bruyn ist deutlich erkenn- der zahlreichen Sinnbilder der Luft einglie- bar den Wirkungen von stürmischen Natur- dern, tritt es doch ikonographisch vor allem gewalten ausgesetzt. Ebenso wird dem Be- aufgrund seiner Fähigkeit, die Farbe wech- trachter nicht zuletzt durch die zahlreichen seln und sich auf diese Weise verwandeln zu geflügelten Tiere und den in einer Wolke können, meist als Symbol der Auferstehung eingeschriebenen Titel Aer sofort unmiss- oder der Unbeständigkeit in Erscheinung. verständlich veranschaulicht, was das The- Aufschluss über die Verwendung des Cha- ma des Bildes ist. Und tatsächlich gehört die mäleons hier gibt eine antike Vorstellung, Darstellung zu einer vierteiligen Reihe zu der bereits bei Plinius beschrieben ist: „Es den Vier Elementen, in der de Vos die Ele- sitzt hoch mit stets offenem Maule, und mente Erde, Wasser, Luft und Feuer jeweils ist das einzige Thier, welches weder Speise allegorisch illustriert. De Vos versieht dabei noch Trank zu sich nimmt, sondern bloß ein szenisches Hauptmotiv mit einer orna- von der Luft lebt.“ So findet sich das Cha- mentalen Einrahmung und erzielt so eine mäleon ebenso in drei weiteren von de Vos plastische Bild-im-Bild-Wirkung. Verwen- gefertigten Elementallegorie-Reihen in der- dung findet hier ein zeitgenössisch überaus selben Funktion wieder. Die allegorischen verbreitetes Sinnbildsystem, nämlich das der Graphikserien der Zeit um 1600 – vor al- auf antike Vorlagen zurückgreifenden Per- lem aus den Niederlanden – verstehen sich sonifikation. Tugenden und Laster, Künste, als Veranschaulichung der allgemein gese- Wissenschaften, Tages- oder Jahreszeiten henen kosmologischen Ordnung der Welt. oder eben die Elemente erfreuen sich in der Die Serien selbst dienten dabei ebenso als Zeit des Manierismus großer Beliebtheit Instrumente der Ordnung und Vermittlung und erscheinen in vielen druckgraphischen von Wissen und waren daher meist zusätz- Serien. In dieser Darstellung tritt die Luft lich mit einer erläuternden Subscriptio in dem Geschlecht des lateinischen Begriffes Versform versehen. Ein derartiger Text fand Aer entsprechend als Männergestalt auf, die sich auch bei de Bruyns Stich, doch wurde sich in himmlischen Sphären befindet. Ein das Blatt der Graphischen Sammlung des im Hintergrund angedeuteter Regenbogen Fachs Kunstgeschichte beschnitten, so dass sowie die vier Windköpfe in den jeweiligen die Bildunterschrift heute fehlt. Ecken des Hauptmotivs unterstützen diese Nico Laninger Agostino Veneziano (1509-1536) nach Marcantonio Raimondi (1470/1482-1527/1534) nach Raffael (1483-1520) Mann, die Basis einer Säule tragend Kupferstich Provenienz: Königliches Kupferstichkabinett Dresden [L. 1645] Jan Fyt (1611-1661) Rastendes Pferd 1666 Radierung Provenienz: Sammlung Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770-1846), [L. 2529] und Königliches Kupferstichkabinett Berlin [L. 1606] Max Klinger (1875-1920) Ex Libris: Aus den Schriften der k. Sächs. Com- mission für Geschichte (Maschierende Lands- knechte) Radierung Provenienz: Sammlung Andres, [nicht bei Lugt] Georg Friedrich Schmidt (1712-1775) nach Rembrandt van Rijn (1606-1669) Der Philosoph in der Grotte 1768 Radierung Provenienz: Sammlung Karl J. Gottschein [L. 1169bis]

„Der Künstler, dessen Talent wir zu schät- mischen Regeln seiner Zeit gerecht werden zen unternehmen, ist einer der größten, konnte. Neben zahlreichen Radierungen dessen sich die Kupferstecherkunst zu interpretierte Schmidt ebenfalls Gemälde rühmen hat; er wusste die genaueste Rein- Rembrandts, deren Wirkung er unverfälscht lichkeit und zugleich die Festigkeit des wiedergeben wollte, wie es am Beispiel des Grabstichels mit einer Bewegung, einer ‚Philosophen in der Grotte’ ersichtlich wird. Behandlung zu verbinden, welche sowohl Die Darstellung zeigt einen alten Mann der kühn als abwechselnd und manchmal mit seinen Kopf nachdenklich auf seinen rechten Willen unzusammenhängend war, im- Arm stützt. Vor ihm verteilen sich auf einem mer aber vom höchsten Geschmack und Felsvorsprung Bücher, ein Helm und andere Wissen.“ So beschreibt Goethe seinen Gegenstände. Im Hintergrund erkennt man Zeitgenossen Georg Friedrich Schmidt. durch den Eingang zur Höhle eine bren- Die Kunst des Kupferstechers Schmidt nende Stadt mit Soldaten und Menschen. zeichnete sich durch ein stetig anwachsen- Es ist anzunehmen, dass Schmidt sich hier des Streben nach Vollendung aus. So war auch an der Radierweise Rembrandts ori- es auch nicht verwunderlich, dass er im entierte, sie jedoch, nach eigener Manier, Laufe seines Lebens mehrfach seine Hei- variierte. Betrachtet man das Blatt genauer, mat Berlin verließ, um unter bedeutenden so lassen sich gleichmäßige Kreuzschraf- Meistern zu lernen und sein Handwerk zu furen erkennen und Details, deren Bril- perfektionieren. Seine früheste Reise führte lanz durch scharfe Linien erzeugt werden. ihn nach Paris, wo er unter anderem sei- „Man kann […]“, so schreibt Goethe, nen späteren Freund, den Kupferstecher „[…] von diesem wundersamen Mann sa- Johann Georg Wille, kennenlernen sollte. gen, dass zwei der trefflichsten Stecher in Fassbar scheint sein Sinnen nach Vollkom- ihm verbunden seien. Wie er auch irgend menheit vor allem in seinen Arbeiten, die die Kunstart eines Andern nachahmt, tritt durch Rembrandt inspiriert wurden. Er er immer von seinem außerordentlichen ahmte nicht einfach nach, er nutzte die Vor- Geiste begleitet als Original wieder hervor.“ gabe als Inspiration für eigene Ideen und ergänzte das in seinen Augen ‚Fehlerhafte’ Anna Katharina Leis durch eine Darstellungsweise, die den akade- Edmund Schaefer-Osterhold (1880-1959) Im Urwald 1925 Holzstich Provenienz: Sammlung Lensing [nicht bei Lugt]

Edmund Schaefer-Osterhold nimmt uns In Form und Inhalt der Graphik folgt mit auf eine Reise. In seiner Serie Erzäh- Schaefer-Osterhold hier dem Phänomen lungen aus dem Orient zeigt der Professor des Primitivismus, der bereits die expres- der Kunstgewerbeschule Charlottenburg sionistische Kunst prägte. Analog zur „ro- Genreszenen einer dem europäischen Be- mantischen Ideologie“ des aufkommenden trachter fremd erscheinenden Welt. Da- Tourismus gipfelte die koloniale Expansion bei handelt es sich jedoch weniger um des Imperialismus auch in der Kunst in dokumentarische Illustrationen, son- der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, die dern um Bilder, die die Erwartungen des man bei Naturvölkern zu finden glaubte. zeitgenössischen Publikums widerspie- Dieser Exotismus bestimmte nicht nur die geln – ein Merkmal, das bei vorliegender Themenfindung, sondern fand auch in der Graphik besonders in Erscheinung tritt. Technik Ausdruck. So ist die vorliegende Wir sehen eine Urwald-Lichtung, in der Graphik als Holzstich ausgearbeitet, der sich zwei einheimische Frauen fortbewe- es dem Künstler erlaubt, sowohl die Figu- gen, Körbe auf den Köpfen balancierend. ren wie auch die Baumstämme als schwar- Sie schreiten auf einer mit Farn bedeckten ze Flächen darzustellen, die durch weni- Lichtung, die sich dem Betrachter wie ein ge weiße Schraffuren Plastizität erhalten. Waldweg darstellt, der in einer Rechtskur- Damit entlehnt er nicht nur stilisieren- ve aus dem Unterholz in den Vordergrund de Elemente der als primitiv erachteten führt. Der Künstler lässt lediglich die Physi- Kunst der Naturvölker, sondern konstatiert ognomie der ersten Figur erkennen, die ih- gleichzeitig eine harmonische Verbindung ren Blick starr auf den Weg richtet, der am zwischen Mensch und Natur. Daneben Betrachter vorbei, aus dem Bild heraus zu waren es vor allem ethnographische Foto- verlaufen scheint. Mit freiem Oberkörper grafien, die den eurozentrischen Blick auf und einer anmutigen Haltung, die an antike Naturvölker zeigen, der mit „kulturellen Statuen erinnert, gibt sie der zweiten Frau Stereotypen“ einhergeht, die sich auch in die Richtung vor, die ihr mit verschränkten postkolonialer Zeit fortsetzen. In diesem Armen folgt. Im Vordergrund werden bei- Fall der Stereotyp der barbusigen Afrika- de von hohen Baumstämmen gerahmt, die nerin, die ihr Gepäck auf dem Kopf trägt. wie ein aufgezogener Vorhang die Sicht auf die Raumbühne freigeben und auf Höhe Nicole Fleckinger der Mittelachse des Bildes den Hintergrund bilden. Mit leichter Aufsicht wird der Be- trachter zum stillen Beobachter der Szene. Nicolaes Berchem (1620-1683) Flöte spielender Hirte und Spinnerin 1652 Radierung Provenienz: Sammlung Loys H. Delteil (1869-1927), [L. 1723]

1652 fertigte Nicolaes Berchem eine fünf- Berchem traf mit diesem Thema nicht zu- teilige Serie hochformatiger italianisieren- letzt den Geschmack der Zeit, waren doch der Hirtendarstellungen, zu denen diese Darstellungen von Hirten und ihren Her- Radierung das Titelblatt bildet. Ein frontal den in beschaulicher Umgebung beim eu- geschilderter musizierender Hirte und eine ropäischen Publikum des 17. Jahrhunderts spinnende Frau in Rückenansicht verwei- sehr beliebt. Denn nachdem es bereits seit len in einer von der Sonne durchfluteten der Renaissance, von Italien ausgehend, zu Architekturkulisse, ihre Herde hat sich einer positiven Neubewertung der Natur bereits träge rund um sie herum zur Rast kam, florierten seit Ende des 16. Jahrhun- niedergelassen. Eines der Rinder trinkt aus derts auch in den nördlichen Niederlanden dem Brunnen, auf dem der Hirte sitzt. Das Darstellungen solch poetischer Landschaf- Fell der Tiere ist, wie auch die Kleidung der ten mit friedlichen Motiven. Die negative Personenstaffage, in einzelnen, fein neben- Vorstellung einer wilden, scheinbar unbe- einander gesetzten Strichen ausgeführt und rührten Natur, wie sie noch in den vorange- lässt große, runde Flecken frei, um starke gangenen Jahrhunderten vorherrschte, wan- Sonneneinstrahlung zu suggerieren. Der delte sich hin zu einer Wahrnehmung der Einfall des Lichts und die daraus resultie- Natur als idyllische Umgebung, in die man renden tiefen Schlagschatten an der Hin- sich aus dem hektischen Leben der Stadt tergrundarchitektur erzeugen eine ruhige, zurückzuziehen konnte. Berchems Hirten verträumte Abendstimmung, in der sich die können dabei durch ihr einsames, sittsames Figuren idyllisch einpassen. Leben in freier Natur als Gegenpol zu den Die Darstellung der von südländischem vielfach als lasterhaft beschriebenen Stadt- Sonnenlicht umflossenen Hirtenszenen, bewohnern angesehen werden. Dadurch, wie dieses Blatt sie zeigt, spielt dabei in dass Berchem seine Hirten in einer fried- Berchems gesamtem Schaffen eine wesent- volle arkadische Landschaft anordnet, ver- liche Rolle. Er entwickelte solch pastora- herrlicht er die Harmonie der Natur und le Szenerien mit Hirten und ihren Tieren verklärt die Einfachheit des Landlebens, schließlich als sein eigentliches Spezialge- denn seine Hirten leben unbelastet von biet, das er mit großer Virtuosität wieder- mühsamer Arbeit zufrieden und glücklich. zugeben wusste. Obwohl vermutlich nie Er schildert so eine paradiesische, ungestör- selbst in Italien gewesen, schließt Berchem te Phantasienatur, in der der Mensch ohne sich damit an die niederländische Künstler- Sünden und Sorgen lebt. generation der sogenannten Italianisanten an, welche Italien als „Quelle künstlerischer Sabrina Oltmanns Schönheit“ ansahen und hauptsächlich idyllische, pastorale Landschaften fertigten. Augustin Hirschvogel (1503-1553) (Kopie) Selbstporträt 1548 Radierung Provenienz: Sammlung Karl August Meister (1818-1876), [L. 1808] Jacques Callot (1592-1635) (Kopie) Der verschwenderische Sohn erhält sein Erbe 1635 Kupferstich auf Pergament Provenienz: Sammlung Gustav von Rath (geb. 1888), [L. 2772]

„Ein Vater, den die Jahre mit Schmerz ge- fleht er Gott um Gnade an, und kehrt reu- beugt haben, überhäuft seinen Sohn mit mütig zu seinem Vater zurück, der ihn trotz Gütern, überhäuft ihn mit Unglück.“ Die- allem mit offenen Armen wieder aufnimmt. ses schlechte Omen bildet den Einstieg in An den Blättern Jacques Callots, der wohl die erste von neun Illustration Jacques Cal- zu den bedeutendsten Radierern und Kup- lots zum Gleichnis vom Verlorenen Sohn ferstechern seiner Zeit zu zählen ist, wurde (Lk. 11, 15-32). Jesus erzählt darin von ei- vor allem der Ausdruck seiner Darstellun- nem Vater, der zwei Söhne hat. Einer von gen sowie und ihr Wahrheitsgehalt gelobt. diesen lässt sich seinen Erbteil vorzeitig Einem breiteren Publikum wurde er vor auszahlen, um in ferne Länder zu reisen. allem durch seine Serien zu den Gräu- Genau diese Szene ist auf dem Kupferstich, eln des Dreißigjährigen Krieges bekannt. einer anonymen, wenn gleich zeitgenössi- Doch auch seine Darstellungen zu den schen, auf Pergament ausgeführten Kopie Schauspielern der Comedia del Arte sowie nach Callots Komposition, dargestellt. Die die Auftragsarbeiten für die von mehreren zu verteilenden Güter liegen auf dem Tisch Kupferplatten gedruckten Wiedergabe von im Bildmittelgrund oder befinden sich in Schlachten und Belagerungen wie der der mehreren Truhen, die herangetragen wer- Isle de Re oder von la Rochelle, waren weg- den. Vater und Sohn sind an den beiden weisend. Bei seinen Zeitgenossen hoch an- Tischenden mit mehreren Gehilfen damit gesehen, überdauerte sein Ruhm auch sei- beschäftigt, das Erbe aufzuteilen. Viele Ele- nen Tod. So sprach noch E.T.A. Hoffmann mente im Bild lassen auf den unglücklichen von ihm als seinem Seelenverwandten und Fortlauf der Geschichte schließen. So be- schrieb die „Fantasiestücke in Callots Ma- findet sich im linken Bildvordergrund am nier“ (1814/15), denen er eine Hommage Sockel der dort zu sehenden Säule etwa eine an den Künstler voranstellte. Figur mit gehörntem, ziegenartigem Kopf. Denn tatsächlich verschwendet der Sohn in Caroline Remy der Fremde seine nicht durch eigene Arbeit erworbenen Reichtümer, bis er schließlich als armer Schweinehirt endet. Erst dann Raphael Winter (1784-1852) Italienische Dorfansichten mit Maultieren 1831 Radierungen Provenienz: Sammlung Hieronymus von Bayer (1792-1876), [L. 1293] u. Sammlung Carl von Guérard († 1904), [L. 1109]

„Die Menschen kennen zu lernen […] schen Sonnenlichts auf den Pferdekörpern, müsste man erst ein gründliches Studi- während die in den Blättern auftretende um über die Thiere machen, aus welchem Personenstaffage lediglich schematisch und einzeln und deutlicher die verschiedenen skizzenhaft angedeutet wird und motivisch Charactere hervorspringen, die vereint im in den Hintergrund tritt. So fallen dem Be- Menschengeschlechte liegen, wodurch die trachter die sich vom Hintergrund kaum lö- Menschenerkenntniß erleichtert werde.“ senden Menschen auf der Brücke des ersten Dieses Zitat von J.I. Gerning aus dem Jah- Blattes sowie der mit einem Hund spielende re 1806 über den deutschen Maler Johann Hirte auf dem anderen Blatt erst bei genau- Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) erer Betrachtung ins Auge. spiegelt die anthropomorphe Auffassung Die deutsche Tiermalerei des 19. Jahrhun- wider, welche in der Tierdarstellung bereits derts reagierte insbesondere auf die Gege- im 18. Jahrhundert gang und gäbe war. benheiten des ländlichen Alltagslebens und Dieser Ansicht über die Bedeutung von gab dieses, um über das reine Erfassen und Tierstudien im Vergleich zur Darstellung Dokumentieren hinauszugehen, betont von Menschen lässt sich auch das Schaffen erzählerisch wieder. Winter dokumentiert von Raphael Winter unterordnen, widme- und analysiert in seinen beiden Studienblät- te sich der Münchner Maler und Radierer tern den Pferdekörper, erfasst alle individu- doch schon sehr früh und Zeit seines Le- ellen Merkmale, zeigt ihn aus verschiedenen bens mit Vorliebe der Tiermalerei. Perspektiven und Blickwinkeln und fasst Die jährliche Zeit seines Erholungsurlaubs, diese vielfältigen Eindrücke in bukolischen die er als erster Lithograph der lithographi- Alltagsszenen mit mehreren Tieren zusam- schen Anstalt des königlichen Staatsrates er- men. Seine Tierdarstellungen beschreiben hielt, nutzte Wintter bevorzugt für Reisen, daher nicht zwangsläufig die Alltäglichkeit auf denen er zahlreiche Naturstudien anfer- der Kreatur, vielmehr inszeniert Wintter tigte. 1830 hielt er sich dabei zum zweiten diese – in einem idyllischen Rahmen zwar, Mal in Italien auf, wo eine zwölfteilige Serie jedoch mit der ausgeprägten Klarheit und mit Tierstudien entstand, der diese beiden Sachlichkeit der Biedermeierkunst des 19. Radierungen angehören. Beide Darstellun- Jahrhunderts. gen zeigen im Vordergrund beladene Pferde vor einer in mediterrane Gebirgslandschaf- Nico Laninger ten eingebetteten italienischen Architektur- kulisse. Mit technischer Präzision schildert Winter detailliert das Spiel des südländi- Andreas Achenbach (1815-1910) Scheveninger Fischweib 1839 Radierung Provenienz: Sammlung König Friedrich August II. von Sachsen (1797- 1854), [L. 971/972]

Den leeren Fischkorb fest umklammert ten Vertreter er gilt – wie etwa Rudolf Jordan in der rechten Hand, den linken Arm in vor allem in Form von Genrebildern dieser einem posierenden Gestus in Höhe der Thematik an. Achenbach unternahm schon Taille angewinkelt und das Gesicht mit ei- seit den Anfängen seiner Laufbahn zahlrei- nem auffallend breitkrempigen Hut vor der che Reisen und Studienfahrten. Diese führ- stark strahlenden Sonne geschützt; so prä- ten ihn unter anderem mehrmals nach Hol- sentiert sich Andreas Achenbachs ‚Scheve- land, wo er die Arbeiter und Arbeiterinnen ninger Fischweib’ dem Betrachter. Was für in den Häfen von Rotterdam, Amsterdam die Fischer und Fischerinnen im wirklichen oder in dem damals einfachen, ebenfalls Leben schwere Arbeit und einen harten von der Fischerei geprägten Dorfes Scheve- Überlebenskampf bedeutete, legt Achen- ningen mit eigenen Augen beobachten und bach als beruhigte Kulisse mit ausgeprägt studieren konnte. Den Großteil von Achen- erzählendem Charakter an. Während die bachs Oeuvre bilden zwar die Landschafts- formatfüllend im Vordergrund auftretende und Marinebilder, für die der Künstler in und in genauer Detailschilderung wieder- erster Linie Bekanntheit erlangte. Doch gegebene Figur für den Künstler regelrecht belegen Beispiele, wie diese im März 1839 posiert, scheint eine der Arbeiterinnen im angefertigte Radierung, jedoch auch, dass Hintergrund dieses Geschehen interessiert Achenbach neben der Malerei ebenfalls zu beobachten – eine weitere wagt einen auf graphischem Gebiet überaus produk- nur schüchternen Blick. Die übrigen Frau- tiv gewesen ist. Seine öfter auch scherzhaft en gehen indessen ihrer täglichen Arbeit angelegten Darstellungen des Fischerlebens nach. Hinter ihnen sind die Masten und oder seine Karikaturen dienten ihm dabei in Segel zweier Fischerboote zu erkennen so- der Regel nicht als Vorzeichnung, sondern wie zwei Möwen, die über der überaus be- besitzen oft, so schreibt Birgit Ponten, „ei- schaulichen, fast schon idyllisch und doch nen völlig selbstständigen Charakter und lebensnah wirkenden Szenerie kreisen. stehen in keinerlei Bezug zu seinen Ölbil- Die Schilderung von Szenen aus dem Leben dern.“ Sein schnelle Auffassungsgabe und der einfachen Fischer ist ein Motivkomplex, sein großes technisches Können offenbart der nicht nur von Achenbach gepflegt wur- sich dabei jedoch an vielen Stellen gerade in de. Ebenso näherten sich neben ihm noch Achenbachs graphischem Werk. zahlreiche weitere zeitgenössische Vertreter der Düsseldorfer Malerschule – welcher Nico Laninger Achenbach seine künstlerische Ausbildung verdankte und als einer deren bedeutends- Johann Georg Wille (1715-1808) nach Jean François Guillibaud (1718-1799) Karl Friedrich Markgraf von Baden und Hachberg 1745 Kupferstich und Radierung Provenienz: Sammlung Loys H. Delteil (1869-1927), [L. 1723] u. Samm- lung E. Fabricius († um 1920), [L. 847a]

Kennt man das Werk des deutschen Kup- ten von seinem Freund, denn Wille müsse ferstechers Johann Georg Wille, so mag glücklich sein, „[…] es so weit gebracht zu das hier gezeigte Porträt des Markgrafen haben, ein Porträtchen in 4° ohne Hände Karl Friedrich von Baden und Hachberg und Beywesen außzuschlagen, für welches eher unbedeutend wirken, jedoch zählt man Ihnen 500 luis d’or gebothen; dagegen es zu einer Vielzahl von bemerkenswert ich armer Teufel es mir 5 Jahre lang in Ruß- ausgeführten Porträts, die Wille den Weg land sauer werden laßen müssen, um etliche zum Titel „Graveur du Roi“ ebneten. fünf(zig?) tausend Livres zu verdienen […]“ Der Stich entstand in Willes früher Phase In Johann Georg Wille vereinen sich zwei in Paris. Es brauchte genau jene Zeitspan- entscheidende Gegensätze: Sein wohl wich- ne bis 1755, um ihn von einem einfachen tigstes Merkmal ist die erlangte Selbst- Waffengraveur zu einem etablierten und ständigkeit, die ihn zu einem mündigen, angesehenen Künstler seiner Zeit werden bürgerlichen Künstler erhob, und ihn zu lassen. Belohnt durch zahlreiche Auf- dazu befähigte, die Gedanken einer auf- träge und die Anerkennung, auf diesem geklärten Gesellschaft durch Handel und Gebiet erstklassig zu sein, konnte er sich Lehre zu verbreiten. Gleichwohl war er nach der Aufnahme in die Pariser Akademie auf die Vorzüge der Gesellschaft des Anci- jedem weiteren Porträtauftrag erfolgreich en Régime angewiesen. So war jede Form verweigern und sich ganz der Reprodukti- der Unabhängigkeit auch mit einer An- on ihm zeitgenössischer Gemälde widmen. passung an die Gesellschaft verbunden. Die bedeutende Stellung, die man unter den Zeitgenossen Wille zusprach, ermöglichte Anna Katharina Leis es ihm, sich auch als selbstständiger Kunst- händler zu etabieren. So spricht etwa Georg Friedrich Schmidt mit sehnsüchtigen Wor- Eugène Béjot (1867-1931) Der Hafen von Antwerpen 1923 Radierung Provenienz: Atelier Eugène Béjot, Paris [L. 225c]

„Was den Künstler am meisten anzieht, das bis auf einige mit nur wenigen angedeuteten ist die Beziehung der Körper – das Wort Linien dargestellte Wolken beziehungsweise im physikalisch-mathematischen Sinne Wellen als nahezu vollkommen ungestaltet genommen – zu den Körpern, der Kör- erscheint. Der Hauptteil der Radierung ist per zu den Flächen, die streng architekto- im mittleren, zentralen Bildabschnitt plat- nische Auffassung der Verhältnisse, ohne ziert. Den Hafen hinterfängt ein dünner die man nie die Form und den Charakter Landstrich, der klar den Horizont begrenzt. einer Stadt dauernd gültig wiedergeben Einige Bäume durchbrechen die Hori- kann. Der Grundzug der Arbeiten unseres zontlinie und lockern den strengen geo- Radierers ist die vollkommene Ehrlichkeit.“ metrischen Aufbau der Komposition auf. Dies schrieb Henry Bataille 1901 über Die nicht verankerten Schiffe im Vorder- die Werke seines Freundes Eugène Béjot. grund befinden sich auf vier zum Horizont In dieser Radierung lässt sich der linear- parallel verlaufenden Linien. Die weißen geometrische Aufbau der Arbeiten von Segel stehen im Kontrast zu den schwarz Béjot, von dem Bataille spricht, sehr gut dargestellten Rümpfen. Zusammen mit nachvollziehen. Betrachtet man das Blatt, den ebenfalls gut zu erkennenden Tauen so wird man von unten oder von oben verstärken sie den stark geometrischen Auf- durch die Leere in das Bild hineinge- bau des Werkes noch einmal. Raumtiefe führt, trifft dann auf die ersten angedeu- entsteht in diesem Werk nicht durch Schat- teten Wellen bzw. Wolken, um schließ- tierung, sondern durch räumliche Überla- lich im Bildmittelpunkt die Schiffe und gerung und den Versatz der einzelnen Bild- den eigentlichen Hafen wahrzunehmen. gegenstände in Bezug auf den Horizont. Drittelt man die Darstellung in der Ho- rizontale, so lässt sich feststellen, dass der Susanne Winkler obere und untere Bereich der Komposition Heinrich Vogeler (1872-1942) Die Lerche 1899 Radierung Provenienz: Insel-Verlag [L. 2861a]

„Und sende lange meinen Blick nach oben“ teren Blättern in der Serie An den Frühling. – diese Szene, die in dem von Heinrich Vo- Dieses Mappenwerk enthält laut Heinrich geler besonders geliebten Brahmslied – Die Wiegand Petzet einige von Voglers schöns- Feldeinsamkeit – besungen wird, kann man ten Radierungen, deren Technik dieser erst deutlich auch in der vorliegenden Radie- auf Vorschlag Hans am Endes um 1894 bei rung erkennen. Bei der den Vordergrund diesem erlernt hatte. dominierende Figur, die dem Bild den Ti- Das Auffälligste an der Graphik ist ihre ge- tel gebenden Vogel – einer Lerche – nach- wollte Leere. Sie steht im starken Gegensatz schaut, handelt es sich um den Künstler zu der ornamentalen Fülle in den übrigen selbst. Heinrich Vogeler, geboren 1872 in Werken Vogelers aus dieser Zeit, wie z. B. Bremen, war ein bekannter Künstler des Der Märznacht, der letzten Graphik in der deutschen Jugendstils. Der überwiegende Serie, auf der ein mitten im Wald gelege- Teil seiner Werke besteht aus Graphiken, nes Haus zu sehen ist. Ein weiterer deutli- die Vogeler in Worpswede, einer kleinen cher Unterschied zu anderen Arbeiten des Künstlerkolonie in der Marschlandschaft Künstlers ist das Fehlen einer explizit aus- unweit von Bremen in der auch zeitweise u. gearbeiteten, floralen Rahmung des Bildes. a. Rainer Maria Rilke oder Fritz Overbeck wohnten, anfertigte. Caroline Braun Vogelers Darstellung in Biedermeiertracht mit langem Gehrock und Zylinder ist ty- pisch für seine Selbstbildnisse. Die Lerche erschien 1899 im Insel-Verlag mit neun wei- Karl Albert Eugen Schäffer (1780-1866) nach Franz Pforr (1788-1812) Wirtshausszene aus Götz von Berlichingen 1833 Radierung Provenienz: Sammlung Heinrich Stiebel (*1851), [L. 1367]

„Meine Neigung zieht mich in die Zeit des und schätzte, auf Reisen geschickt, zu Män- Mittelalters, wo sich die Würde des Men- nern, deren Urteil wichtig war. Goethe war schen noch in voller Kraft zeigt. […] der ein solcher Mann. Die Grundorientierung Geist dieser Zeit ist so schön und von den der damaligen Kunst, die Fäden welche die Künstlern so wenig benutzt […] in allem deutsche Kunst mit den Zentren Rom oder herrscht ein sinniges Wesen, das für die Wien verbanden, lag nicht bei einem gro- Kunst so sehr geeignet ist […].“ ßen Künstler oder einem Kunstmäzen, son- Dieses Zitat Franz Pforrs (1788-1812) steht dern bei einem Dichter, eben bei Goethe. in Bezug auf die Dichtung Goethes, denn in In der Zeichnung von Pforr und ebenfalls dieser war die Vorstellung einer jeden Seite in ihrer Übertragung in die Druckgraphik des spätmittelalterlichen Lebens gestaltet. wird der Typus des Götz von Berlichingen Franz Pforr, der die Vorlage für diese Radie- auf eine fast unbegreifliche Art ins Zahme rung anfertigte, gehört zu den romantischen überführt und dabei offensichtlich verspot- Malern und war inspiriert von den altdeut- tet. Die Komposition zeigt die Bauernhoch- schen Meistern und vom angeblichen Leben zeit aus der zweiten Szene des zweiten Akts. im Mittelalter. Er schloss sich mit Fried- Diese spielt sich im Schankraum einer Her- rich Overbeck (1789-1869) und anderen berge ab, Musik und Tanz werden vor dem Künstlern 1809 zum ‚Lukasbund‘ zusam- Gasthaus veranstaltet. Der Brautvater sitzt men. Dieser machte sich die Erneuerung mit Götz und Selbitz am Tisch, der Bräuti- der deutschen Kunst auf religiöser Grund- gam ist zu ihnen getreten. Götz als sanfter lage zur Aufgabe und stand im Widerstand Mann am Tisch oben schaut irgendwo hin, gegen den Pseudoklassizismus. Pforr selbst statt lebhaft und aufgebracht an der Erzäh- bestimmte diesen Bund und ebenfalls die lung von Bräutigam und Brautvater über Form der frühen Romantik nicht unwe- das Treiben der käuflichen Juristen teilzu- sentlich. Im Kreis des Lukasbundes hat nur nehmen. Neben ihm straft der Brautvater er dieses romantische Prinzip durchgeführt. seine erzählende Handhaltung durch seinen Zu seiner Zeit ‚wanderten‘ graphische schweigenden Mund. Kunstwerke vielfach, sie zirkulierten nicht nur im nächsten Freundeskreis und Be- Stefanie Reding kanntenkreis oder in Umkreis der Ateliers der Künstler. Sie wurden auch innerhalb ei- ner intellektuellen Schicht, die sich kannte Philips Galle (1537-1612) nach Maarten van Heemskerck (1498-1574) Hero und Leander Kupferstich Provenienz: nicht identifizierte Sammlung

Das Drama um die Liebesgeschichte von Vorzeichnung Maarten van Heemskercks Hero und Leander offenbart sich in der zen- verwendet, der als Haarlemer Romanist in tralen Bildfigur des mit erhobenen Armen seinen Römischen Skizzenbüchern über- in den Hellespont springenden Helden. wiegend Veduten und Darstellungen anti- Von der Liebe zur Priesterin der Aphrodite, ker Bauwerke und Statuen gezeichnet hatte, Hero, nach Sestos getrieben, sehen wir in sich aber auch vielfältig mit der Wiedergabe der Simultandarstellung die komplette Sage antiker Geschichten und allegorischer Dar- bis zu ihrem tragischen Ende nacherzählt. stellung in manieristischer Formulierung Wie im folgenden Zitat beschrieben – „Sing beschäftigte. Auch Heemskercks klassische mir, Göttin, geheim wie im Fackelschein Ideale korrespondieren mit der Bekanntheit der Eroten Nachts übers Meer ein Schwim- und Popularität der Sage, die schon in den mer den Weg zur Umarmung gefunden Schriften der bedeutenden römischen Auto- …“ – war Leander schon früher von Heros ren Vergil, Ovid und Statius ihren Nieder- Fackel zu ihr geleitet worden. Jetzt stürme schlag fand. Die lateinische Bildunterschrift zwar das Meer, so schreibt er ihr nach lan- auf dem Stich von Galle ist allerdings so in ger Abwesenheit, dennoch könne er nicht keinem der drei literarischen Werke zu fin- länger fernbleiben und wolle in nächster den. Sie gibt allerdings den Teil der Sage in Nacht kommen; und wenn er verunglücke, Kurzform wieder, der auf dem Kupferstich empfehle er ihr seine Seele. Wie beschrieben selbst dargestellt ist. kann man den schwimmenden Leander in den Wellen erkennen und rechts oben im Annika Keßler Bild die erloschene Fackel am Leanderturm. Darunter auf der Landzunge, das Ende: Hero findet den verunglückten Leander und folgt ihm in den Tod. Die Sage ist im Kupferstich sehr genau und detailreich ausgearbeitet. Dies ist ty- pisch für den Kupferstecher Philips Galle (1537-1612). Als Vorlage hat Galle eine Georg Friedrich Schmidt (1712-1775) nach Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774) Sarah übergibt Hagar an Abraham 1773 Radierung Provenienz: Sammlung Karl J. Gottschein [L. 1169bis]

Die Radierung von Georg Friedrich hintergrund hervorschaut. Das Zur-Seite- Schmidt ist die druckgraphische Reproduk- Ziehen eines Vorhangs symbolisiert in den tion eines Gemäldes von Christian Wilhelm Bildkünsten der Frühen Neuzeit zumeist Ernst Dietrich. Sie schildert eine Szene aus einen Tabubruch. Die das Geschehen be- dem Alten Testament, über die an zwei Stel- obachtende oder belauschende Person len im Buch Genesis berichtet wird: Sarah macht den Betrachter oftmals, in dem sie kann Abraham keine Kinder gebären und so ihn ansieht, zum Komplizen. Die Heim- sieht es der Rechtsbrauch vor, dass sie ihm lichkeit des Geschehens wird zudem noch ihre jüngste Sklavin Hagar zur Frau gibt, dadurch weiter betont, dass die Übergabe so dass sie ihnen als Leihmutter ein Kind Hagars in einem privaten Raum stattfindet, schenken solle. Hagar wurde nun tatsäch- der Öffentlichkeit also verborgen bleibt. lich sehr bald schwanger und achtete ihre Das Gemälde weißt, wie selbstverständlich Herrin danach weniger. Sarah ärgerte sich auch dessen Reproduktion, viele typische sehr darüber und sprach empört mit Abra- Merkmale der barocken Kunst auf. Starke ham, der ihr riet, sie für ihr herablassendes Kontraste von Licht und Schatten sowie Verhalten zu bestrafen. Daraufhin floh Ha- die individualisierte Darstellung der Fi- gar in die Wüste, wo ihr ein Engel Gottes guren und ihrer Gesichter gehören dazu. erschien, der ihr mitteilte, dass sie wieder Georg Friedrich Schmidts Oeuvre beläuft umkehren solle und aus ihrem Sohn eine sich auf etwa 300 Blätter. Er wählte, ne- große Nachkommenschaft entstehen werde. ben einer deutlichen Vorliebe für Werke Ihren Sohn solle sie Ismael nennen, er wür- Rembrandts, auch Gemälde und Zeich- de ein streitbarer Mensch. Und so tat sie, nungen weiterer berühmter Künstler als wie ihr befohlen wurde, kehrte zurück und Vorlagen, so u.a. von Anthonis van Dyck gebar Abraham, der zu diesem Zeitpunkt (1599-1641) oder Christian Wilhelm Ernst bereits 86 Jahre alt war, seinen ersten Sohn. Dietrich (1712-1774). Letzterer, der Maler Dargestellt ist eine Interieur-Szene. Es ist des hier reproduzierten Gemäldes, war wie der Moment, als Sarah Abraham ihre Magd Schmidt ebenfalls Radierer und galt neben Hagar übergibt. Der Hund auf der linken Schmidt als einer der wichtigsten Rem- Seite neben der Personengruppe symboli- brandt-Nachfolger im 18. Jahrhundert. siert dabei Liebe und Treue. Er hat zudem auch die ikonographische Bedeutung des Wachens vor dem Bösen. Auffällig ist zu- Sophie Krieger dem der heimliche Beobachter der Szene, der hinter dem Vorhang im rechten Bild- Zacharias Dolendo (1561-um 1600) nach Karel van Mander (1548-1606) Die Grablegung um 1596 Kupferstich Provenienz: Sammlung Reverend J. Burleigh James [L. 1425]

„Nun befand sich an dem Ort, wo er an betten. Weitere Personen nehmen an dem den Pfahl gebracht worden war, ein Garten Geschehen teil. Ihre Gesichter wirken in und in dem Garten eine neue Gedächtnis- sich versunken und erschöpft. Ihre Augen gruft [...]. Dorthin also legten sie Jesus“ liegen tief in ihren Höhlen und die Augen- (Joh. 19, 41-42). Das Thema dieses Blattes brauen sind voller Sorge hochgezogen. Zwei von Zacharias Dolendo nach einer Vorlage Frauen, die erhöht auf einem Felsvorsprung von Karel van Mander ist die Grablegung stehen, scheinen nicht dazu zu gehören. Jesu Christi. Der Stich steht jedoch nicht Vielleicht handelt es sich hier um eine Si- für sich allein. Vielmehr ist er Teil eines multanerzählung, denn laut dem Lukas- 14 Blätter umfassenden Passionszyklus‘. Evangelium sollen Frauen am Morgen nach Entstanden ist er in den Niederlanden um der Grablegung mit Ölen zur Gruft gekom- 1600. Zu dieser Zeit führte die Reformati- men sein. on in den Niederlanden wie in fast ganz Eu- Im Hintergrund öffnet sich der dunkle ropa zu schwerwiegenden politischen und Zugang zur Grabeshöhle, welcher nahezu konfessionellen Umwälzungen. „Die Kunst den gesamten Bildhintergrund einnimmt. der Reformationszeit ließ an religiösen Bil- Der Betrachter wird über das Gewand ei- dern einzig die Passionsthematik zu, da ner ihm abgewandten Frau in die Szene hi- nach Martin Luther der Mensch nur durch nein geleitet. Sein Blick wird so zum Leib seinen Glauben, die Gnade Gottes und das des Leblosen gelenkt, der das Zentrum der Opfer Christi befreit werde [...].“ Komposition bildet. Auf diese Weise wird Die Trauer und der Schmerz um den Tod eine Diagonale gebildet, die durch die halb- des Gottessohns wurden innerhalb der Pas- kreisförmige Höhlenöffnung weiter geführt sion vor allem in den Szenen zur Kreuzi- wird. So entsteht eine Sogwirkung, die den gung und der Beweinung dargestellt. Die Blick in die Dunkelheit des Ganges führt. Atmosphäre bei der Grablegung ist jedoch Er ist ein Motiv für die Endlichkeit des eine etwas andere. Hier werden die Hoff- Lebens. Die Angst vor dem Tod, kann nur nungslosigkeit und die Niedergeschlagen- durch den Glauben an die Auferstehung ge- heit der Menschen zum Ausdruck gebracht, mildert werden. Doch noch ist das Wunder die ihren Heiland verloren glauben. In Do- nicht geschehen. lendos Stich wird dies deutlich. In einem Felsenraum sehen wir den Leich- Sophia Hodge nam Christi gehalten von Joseph von Ari- mathaea und einem zweiten Mann vor einem steinernen Sarkophag. Sie sind im Begriff, den erschlafften Körper zur Ruhe zu Trier 2012