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begegnungen in MÜNCHEN SCHWABING Inhaltsverzeichnis

Vorwort 3 30. Lena Christ und Fanny Reventlow östlich der Ungererstraße 38 1. Gleich hinterm Siegestor fängt Schwabing an 4 31. Erich Kästner im Haus Fuchsstraße 2 39 2. Schönste Tochter Münchens 5 32. Erste Stationen Schwabing-West: Senatorin Julia Mann und Sohn Heinrich 40 3. Urzelle des Orts: St. Sylvester 5 33. Lenin schreibt seine Revolutionsfibel im Haus Siegfriedstraße 14 42 4. Idyllen des Geistes zwischen Schack- und Ohmstraße 6 34. Nobelpreisträger Max von Laues Einfall in der Siegfriedstraße 43 5. Visitenkarte Wilhelm Hausensteins: Ohmstraße 20 7 35. Ruth Schaumanns gewaltiges Schaffen am Nordrand Schwabings 44 6. Leopoldstraße 4 – Geldadel und Schönheitsköniginnen 8 36. „Erfreuliche Gottnähe“ 45 7. Maler und Modell: Corinths wildes Atelier an der Giselastraße 10 37. Hohenzollernstraße 23 – Oskar Maria Grafs Flucht 1933 46 8. Obere Kaulbachstraße: Hamsun aus Norwegen und Holm aus 12 38. Heisenbergs Zuhause 47 9. Jubilarin Ricarda Huch 12 39. Max Reger und Chirico im Anwesen Viktor-Scheffel-Straße 10 48 10. Polarisierung: Reichskanzler und Simpl-Verlag am Englischen Garten 14 40. Feodor Lynen – ein Schwabinger 49 11. Kaiserin und Kocherl am Chinesischen Turm 16 41. Weisgerber und Prévot nahe dem Hohenzollernplatz 50 12. Im Rumfordschlößl ißt der bayerische Adel die ersten Kartoffeln 18 42. Wahnmoching – Schwabylon 50 13. Der „König von Schwabing“ an der Martiusstraße 20 43. Wunderbares Paar: Charlott und Leonhard Frank 51 14. Loblieder auf Luise Halbe 21 44. Rilkes Liebesnest an der Schwabinger Dichtermeile 52 15. Der Dichter der DDR-Nationalhymne im Herzen Schwabings 22 45. Ainmillerstraße: Avenue der Dichter 53 16. Karl Valentin bei Papa Benz 23 46. Der „Zeus von Schwabing“ im Haus Römerstraße 16 54 17. Wunderbare Jahre der Ina Seidel im Haus Nikolaiplatz 1a 24 47. Die Franz-Joseph-Straße – Heimat der Simplicissimus-Stars 56 18. Die ersten Studentinnen 25 48. Wedekind und seine Lulu im Haus Franz-Joseph-Straaße 42 58 19. Ernst Tollers Verhaftung im Schlößl Suresnes an der Werneckstraße 26 49. Russische Revolutionäre 59 20. Bildhauerin Ludwigs II. 27 50. Der Blaue Reiter an der Friedrichstraße: Marc, Münter und Kandinsky 60 21. Schaurige Seestraße – Wahnsinnsarie in der Hochzeitsnacht 28 51. Der deutsche Montmartre 60 22. Wahre Märchen rund um das Standesamt an der Mandlstraße 30 52. Konradstraße 14: Domizil des Venezianers Wolf-Ferrari 62 23. Sündenfall zu Füßen der alten Dorfkirche St. Sylvester 32 53. „Eine Prinzessin von einer Frau“ 63 24. Schwabinger Abschaum 33 54. Die Georgenstraße, eine bekannte aber verkannte Meile 64 25. Die Seerose – Blüte seit über einem Jahrhundert 34 55. Russenabend bei der Herking 65 26. Die – ein Kind der Seerose 35 56. Wieder zurück am Siegestor – Brecht, Zoff und Zuckmayer 66 27. Farbige Momente kurz vor der Leopoldstraße 36 57. Die Akademie 67 28. Die Biene Maja 36 Anhang 68 29. Der Wedekindbrunnen 37 Referenzen / Bosseler & Abeking Profil 71/88

1 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, kein anderer Stadtteil der bayerischen Hauptstadt hat so die Phantasie beflügelt, ist so zum Mythos geworden wie Schwabing. Schlendert man heute durch seine Straßen, spürt man noch immer den Hauch einstiger Größe. Da steht der neogotische neben dem klassizistischen Prachtbau, dort die Jugendstilvilla. Sie zeugen von der Zeit, in der hier Dichter, Künstler, Revolutionäre zusammentrafen, in der sie Vergängliches wie Unsterbliches schufen.

Was, wenn diese Häuser sprechen könnten? Wenn sie erzählen könnten, was sich in ihren Wänden zugetragen hat? Sie könnten uns künden von weltoffenen Salons, geheimen Zirkeln, rauschenden Festen. Von künstlerischen Debatten, politischen Ränken, verschwiegenen Tête-à-Têtes. Von den einsamen Stunden, in denen neue Formen von Dichtung und Kunst entstanden, in denen die neueste Staats- oder gar Weltordnung ersonnen wurde.

In unserem aktuellen Band wollen wir Ihnen einige dieser Schwabinger Häuser vorstellen, samt der Geschichten, die sie erzählen könnten – Geschichten, die oftmals Geschichte atmen. Wir wünschen Ihnen eine unterhaltsame Lektüre!

Herzlichst, Ihr Adrian Bosseler

3 Gleich hinterm Siegestor fängt Schwabing an

Das Siegestor, von vielen als Südgrenze Schwabings angesehen

4 Eine Schönheit reitet den Kentaur Ludwig Thoma in Berühmt sind aber nicht nur Akademie, Schwabing – dem weltbekannten Gemisch aus Kunst Urzelle des Orts: St. Sylvester und Boheme, Fasching und Verführung, Extravaganz Künstler- und Gelehrtenquartiere, sondern die und Revolution, Tummelplatz von Nobelpreisträgern und Faschingsbälle. Viele enden nach Darstellung Schwabing ist nicht nur der Himmel für bildhübschen Mädchen des Schriftstellers Uhde-Bernays oft „in zügel- Künstler und Gelehrte unserer Epoche, hier der Graf Rumford, Richard Nixon und Bankier losen Orgien“. Und der Budapester Arthur Ho- steht auch eine mittelalterliche Kirche, einst- James Loeb, die hübsche Marietta di Rigardo von litscher ergänzt: „Die Atelierorgien, in denen mals Sankt Ursula geweiht, jetzt St. Sylvester. den Philippinen, aus Thüringen Max Weber, Rosa kroatische Malschüler in römischen Togen ihre Urkundlich erwähnt wird Schwabing schon Luxemburg aus Polen, aus dem Rhein-Main-Ge- Verführungskünste an jenen Bremer und Basler 782, so spricht der Stadthistoriker Westen- biet die Nobelpreisträger Laue und Heisenberg, Patriziertöchtern erproben, die schreckhaft und rieder von einem „uralten Dorf“. Das Gottes- aus Ägypten die Dichterin Gabriele Reuter. Pi- doch abenteuerlüstern, als Nymphen des Wal- haus hat einen neuen Anbau, außen fallen casso schreibt 1897: „Hätte ich einen Sohn, der des verkleidet, Erfahrungen fürs Leben zu sam- die Epitaphien der Familie Gohren auf, alt- Ein Lied macht die legendäre Gisela besonders Maler werden will, so würde ich ihn nicht nach meln entschlossen sind.“ märkischer Adel (1287 erwähnt). Innen sehr bekannt: „Gleich hinterm Siegestor fängt Paris schicken, sondern nach München.“ Frau, die nicht zum Ziel ihrer Begierden schöne Verkündigung (vielleicht Schule Schwabing an.“ In Ludwig Thomas Roman kommt, gilt als verfemt. Und so erfährt mancher Ignaz Günther) und Rosenkranzmadonna Münchnerinnen lesen wir: „Hinter’n Siegestor Klatsch ein promptes Echo. Als der Philosoph (von Wolfgang Leuthner). siecht ma koan Münchna mehr. Nix wie Schla- „Schönste Tochter Münchens“ Ludwig Klages seine Schwester Helene einmal winer.“ Und er fährt fort: „Da war vor kurzer Zeit unverblümt anspricht, nicht unversehrt aus dem Am 21. November 1890 wird die Stadt Schwa- noch ein Dorf mit kleinen Häusern.“ Praktisch Fasching hervorgegangen zu sein, gibt sie ganz bing zur Hauptstadt München geschlagen. In beginnt der Mythos Schwabing mit der Einge- einfach eine Annonce auf: „Statt besonderer seiner Abschiedsrede betont Bürgermeister meindung 1890. „Ein neues Eden“, konstatiert Anzeige: Vorgestern raubte mir einer meiner nä- Alois Ansprenger, man werde trotz der Einge- der Kurländer Graf Keyserling. heren Bekannten das köstlichste Gut.“ Natürlich meindung „immer stolz sein auf Schwabing, Hier findet sich bald die Welt ein - aus Norwe- kennen die jungen Damen die Kontrazeption. das nach wie vor der Vereinigung mit München gen Nobelpreisträger Hamsun und Karikaturist Inbegriff der Schwabinger Boheme ist die uns gehört und uns gleich lieb ist, weil seines- Gulbransson, aus Rußland die Revolutionäre Le- Münchnerin Marietta di Monaco. Sie kennt gleichen nirgends mehr existiert“. Zur selben nin, Trotzki, Parvus und die Krupskaja, der Dich- sich am Montmartre genauso aus wie im Ha- Zeit bezeichnet ein Münchner Bürgervertreter ter Stephun und die Maler Kandinsky, Jawlensky fenviertel von Marseilles, sie „mischt“ den bie- den neuen Stadtteil als „die schönste Tochter und Werefkin, aus Brasilien eine Kaiserin und deren Schweizern auf und betört als „Mietzerl“ Münchens“. Und der Bürgermeister der kö- Julia Mann, aus Italien Romano Guardini, die so manche Größe. „Ich bin ein Knäuel von niglichen Hauptstadt, Johannes Widenmayer, schöne Prunetti, Komponist Wolf-Ferrari und Sinnlichkeit“, sagt sie von sich selbst, und ihre erklärt im Neuen Rathaus, man habe alle Ver- Maler Chirico, Paul Klee aus der Schweiz, Rilke makellose Figur ziert noch lange die Plakate anlassung, sich des neuen Stadtteils zu freuen“. aus Prag, Matisse aus Frankreich, aus den USA der Studentenbälle.

5 Idyllen des Geistes zwischen Schack- und Ohmstraße

Wer kennt es nicht das Haus mit der nackten mierte Karl Rahner sein Domizil. Er weiß sich kei- Victoria hoch oben am Runddach? Schackstra- nen Rat mehr, sieht er ja Tag für Tag auf dem Weg ße 2! Man munkelt von Heimlichkeiten, adeligen zur Universität die schlanken Studentinnen, die Eskapaden, wissenschaftlichen Größen, künstle- ihre Körperbräune schon mehr zeigen als bislang rischen Extravaganzen. Wir sind eben am Start schicklich. Was soll da eine Verdammnis, sagt er. nach Schwabing. Im Hof, der nach dem Süden Er kann nicht hin- aber auch nicht wegschauen! ausgerichtet ist, treffliche Sommerfeste, zu de- Ich sehe noch heute sein mißmutiges Gesicht. nen in den sechziger Jahren des letzten Jahr- Nach Schwabing zeigt die Kompaßnadel der hunderts die Starlets aus Film und Ateliers schon beiden Universitäten, deren Institute sich bis sehr offenherzig erscheinen. Hier wird über nach Garching erstrecken. 14 Nobelpreisträger neue Philosophen und Soziologen geredet, über lehren zeitweise an ihr (heute keiner mehr), dazu selbstherrliche Ordinarien und klerikale Politiker die Giganten der Geisteswissenschaften, allen in fremden Betten. voran Romano Guardini, Karl Bosl, Franz Schna- Ich wohne zu dieser Zeit als Student hier und bel, Wilhelm Hoegner. Sie warnen oft mit erhobe- bin oft dabei, wenn es darum geht, was man nem Zeigefinger vor drohenden Verkrustungen, nachher so macht. Denn Schwabing, das ist nicht vor dem Einfluß des Klerus und seiner blassen Eichstätt oder Freising, Schwabing präsentiert Epigonen mit Ehering, vor dem Freiburger Neu- sich nach wie vor als etwas ganz besonderes. ling, der sich für die Aktion Saubere Leinwand vor Da platzt Anfang August 1968 eine Nachricht in den Universitätsbrunnen positioniert – und sich den friedlichen Sommerhof: Der Papst verbietet lächerlich macht. in seiner Enzyklika Humanae vitae die Pille. Jetzt In den Hof an der Schackstraße winkt aber erlebe ich die hitzigsten Diskussionen in Schwa- auch immer noch das alte Schwabing der einsti- bing. Da sprechen wir mit vielen Philosophen, gen Göttinnen und Heroen, der Maler und Mo- Theologen, Schauspielern, Journalisten und den delle, der Revolutionäre und Redakteure des viel hübschen Studentinnen, vor allem mit den AStA- gepriesenen und geschmähten Simplicissimus, Mitgliedern, die Adressen von Ärzten ausgeben, der so manches Gebot Gottes außer Kraft oder die das von Rom verteufelte Medikament sofort die Vernunft dagegen setzte. verschreiben. Im Haus Schackstraße 2 selbst wohnt von 1901 Schwabing, ein Nachklang an meine Jugend! bis 1928 der Zoologe Richard von Hertwig, 1850 Man denkt hier so ganz anders als im Rest Bay- in Friedberg (Hessen) geboren, seit 1887 mit der Von traumhafter Schönheit – das Haus Schackstraße 2 direkt neben dem Siegestor erns. Im Haus Kaulbachstraße 31 hat der renom- um 16 Jahre jüngeren Julia Braun verheiratet.

6 Damit sind wir schon in einer farbenprächtigen nen und brauchte kaum acht Tage, um mich ganz Geschichte, denn die Hausherrin ist die Tochter heimisch darin zu fühlen.“ Visitenkarte Wilhelm Hausensteins: Ohmstraße 20 der legendären Rosalie Braun-Artaria, Mitarbeite- Noch kurz zu ihrem Schwiegersohn Hertwig: Von 1925 bis 1932 wohnt der Kunsthistori- Bavaria. „Welche Weite des Umfangs am Rande rin der Gartenlaube und Verfasserin wunderbarer Er ist ein hervorragender Zoologe, Student des ker Wilhelm Hausenstein, 1882 in Hornberg dieses Gesichts, welche gleichsam landschaft- Memoiren. Sie schaut hier natürlich vorbei, ihr weltbekannten Ernst Haeckel in Jena, von ihm (Schwarzwald) geboren, im vierten, dann im liche Ausbreitung der Flächen! Mit welcher Porträt von Anselm Feuerbach hängt im Emp- „Goldjunge“ genannt. 1885 folgt Hertwig einem dritten Stock des Anwesens Ohmstraße 20. Er ursprünglichen Kraft (einer Kraft wie der des fangsraum der großen Wohnung im dritten Stock. Ruf nach München. Noch König Ludwig II. unter- ist der Essayist deutscher Städte, seine Bücher Gebirges und der Täler) erheben, wölben und Der Historiker Karl Alexander von Müller, Sohn schreibt das Dekret. Der Neuberufene gehört zu erreichen hohe Auflagen. In München widmet vertiefen sich die einzelnen Formen.“ Für Hau- des bayerischen Innenministers, hält sich ebenso den Glücksfällen der Universität. Sein Lehrbuch er sich zweier besonderer Mädchen, wie wir sei- senstein hat die Bavaria den „Kopf einer Löwin“. auf. Er berichtet in seinen Memoiren zum Jahr der Zoologie hält sich durch Generationen in vie- nen 1935 erschienenen Wanderungen entneh- Und weiter: „Die Macht der Gesundheit hat 1918: „Ende Juni sprachen mehrere flämische len Auflagen. In einer Würdigung seines Nachfol- men. Zur ersten Schönheit: „Im Hofgarten sitzt dies Gesicht geformt.“ Abschließend die heute Professoren in der Universität, anschließend gers liest man, unter ihm habe sich das Münchner sie, leise, mit wunderbar gefüllten Frauenarmen seltsam erscheinende Frage: „Ist es das Gesicht war ein Empfang bei dem berühmten Zoologen Zoologische Universitätsinstitut „für Jahrzehnte und Frauenschultern, mit vollkommener Brust, einer Frau, eines Mädchens? Man glaubt, bei- Hertwig. Seine Wohnung lag hoch oben im süd- zu dem größten und internationalsten akademi- herrlichen Hüften und edler Neigung des klar des zu sehen.“ westlichen Eckhaus der Schackstraße; wunderbar schen Zentrum der Zoologie“ entwickelt. umschriebenen Hauptes.“ Gemeint ist natürlich war, als wir in der anbrechenden Sommernacht Ja, und auch das darf nicht vergessen wer- Ludwig Schwanthalers hübsche Nymphe! ankamen, der Blick auf den erbleichenden Wol- den! Zwei Jahre wohnt mit dem Zoologen ein Und wir lauschen Hausenstein weiter: „Vor kenhimmel, vor dem das Siegestor als tiefschwar- Mann unter einem Dach, der die Löwen der der Brunnenfrau, vor ihrem gesenkten Antlitz ze Silhouette stand.“ Er bestaunt auch besagtes Feldherrnhalle schafft! Wilhelm Rümann, 1850 stehen, von der westlichen Sonne weggewen- Bildnis der Mutter der Hausherrin Julia. Sein Ur- in Hannover geboren. Weitere Werke, die heute det, die gelblichen Mauern des Basargebäu- teil: „Das eigentümlich Schöne an ihm war, daß jeder kennt: Der Latona-Brunnen vor dem Schloß des auf und schwingen sich die klassischen das Antlitz des Mädchens in einem leisen Schat- Herrenchiemsee, die Büste des U-Boot-Erfinders Bogen, zeichnen sich die Fensterrahmen mit ten ruhte, während das Hauptlicht sich herrlich Wilhelm Bauer im Deutschen Museum und das feinen Profilen, in verhaltener Art antikisch auf dem weißen Kleid über der Brust sammelte.“ Postgebäude an der Münchner Bayerstraße. geschmückt. Zur Linken und Rechten der Brun- Natürlich liegen die Lebenserinnerungen in Von seiner Wohnung aus macht sich Rümann nenfrau und ihrer Leyer, die ihre heimlich, nur der Wohnung auf. Ihnen ist zu entnehmen, daß oft zu Prinzregent Luitpold auf, dem er ein Denk- nachts, ganz leise wie im Geflüster gesungenen die 1840 in Mannheim geborene Schriftstellerin mal widmet. Einmal bekennt er, die „körperliche Lieder begleitet – zu beiden Seiten also stehen schon als 21jährige hier weilt. Wir lesen: „Das war Frische“ des greisen Wittelsbachers zu bewun- weithin die dichtbelaubten Bäume.“ nun freilich eine andere Luft und ein anderes Le- dern. Und er begründet diese Rüstigkeit: „Dieser Das zweite weibliche Exemplar, das Hausen- ben! Schon auf der kurzen Hochzeitsreise hatte Mann hat nie etwas gedacht. Hat prinzipiell nie steins ausschweifende Phantasie erregt, ist die Wilhelm Hausenstein ich das heitere, gemütliche München lieb gewon- und über nichts nachgedacht!“

7 Leopoldstraße 4 – Geldadel und Schönheitsköniginnen

strahlen „im etwas kokettischen Geschmack“, den „rosa Rosen, Mahagoni und Silber“ verschönern. Viele Zeitgenossen blendet dieser Luxus. So auch den Schweizer Dich- ter , der sich auf den Reichtum überhaupt keinen Vers ma- chen kann. „Damals“, so berichtet er, „erschien die Insel, deren Redakti- on in einem Palaste wohnte, wo Bediente herumstanden und sicher hie und da Baronessen verkehrten, was für mich fabelhaft war.“ Heymel sei „das Muster der Eleganz“, Schröder „sehr liebenswürdig“. Vor allem spiele letzterer „denkbar vornehm Piano“. Beide Hausherren, so vernehmen die Gäste, begeisterten sich schon auf der Schulbank für die Dichtkunst. Man spielte Stücke der Weimarer und Wiener Klassiker. Was ist das deshalb für eine Freude, als im Frühjahr 1900 im Palazzo Leopoldstraße 4 absteigt und erklärt, er wolle und werde mit dichterischen Beiträgen zur Insel übersetzen. In den Salons und Separees schätzt man allerdings neben Dramen auch Damen: Kurtisanen und Komtessen, Verheiratete und Vorstadtgrazien, Modelle, Malergattinnen und –töchter. Hoerschelmann rechnet Heymel und Schröder zu den „elegantesten Schwabingern, die es je gab“. Die von ihnen geladenen Gäste, so fährt er fort, treffen bei ihnen „schöne Frauen, schöne Pferde, schöne Blumen, englische Bücher in schmiegsamen Le- derbänden“. Die Krone der Schönheit und Liebenswürdigkeit erkennt man neidlos der unglaublich charmanten Florentinerin Gemma Pruneti zu, seit 1901 Ehefrau des witzigen Literaten und Lebemanns Otto Julius Bierbaum. Das erste große Literaturhaus Münchens im Schatten des Siegestors Dann der Fasching 1900! Die Fräulein lösen sich in der Dichterresidenz nicht nur von ihren wenigen Kleidern. Man spricht vom Fall so mancher Im elegantesten und luxuriösesten Haus Münchens versammeln sich um 1900 die reichsten und gescheitesten Männer und die höheren Tochter. Andererseits läßt auch die einfache Münchnerin den schönsten Frauen aus halb Europa. Hier wird die elitäre Literatur- und Kunstzeitschrift Die Insel redigiert, hier wird entschieden, was Schleier fallen, um sich gleichzeitig des Hungertuches zu entledigen. Und im Gewerbe ernst zu nehmen ist und was nicht. Die beiden Bremer Alfred Walter Heymel, wahrscheinlich ein illegitimer Sproß des Heymel himmelt aus diesen Reihen einen besonderen Engel an, der willig spanischen Königs Alfred XII., und der Literat Rudolf Alexander Schröder verwandeln 1898 das Gebäude in ein pompöses Parkschloß. und freiwillig gibt, was der Galan sucht. So kommt diese Göttin im Fa- Das Interieur stammt vom Wuppertaler Paul Ludwig Troost , der später die Luxusdampfer des Norddeutschen Lloyd ausstatten und sching 1900 in gesegnete Umstände und am 10. November mit einem Bu- das Haus der Kunst in München bauen soll. Die Salons, so berichtet der aus Estland stammende Maler Rolf von Hoerschelmann, ben nieder: Rudolf Vogel, „der groteske, hochbegabte Rudolf Vogel“ (Axel

8 seinen Liebschaften, seinen Festen, seinen Orgien.“ ßes Erbe war noch lebendig und schien gerade Was soll es? Die übrigen lieben das Milieu, „wie in jenem Moment erst mit seiner eigentlichen es bis dahin im lebensfrohen, aber unluxuriösen Wirkung hervorzutreten, unzählige neue Kräfte München nicht geschaut worden war“ (Hoer- waren am Werk, unübersehbare Entwicklungen schelmann). An der Bar – dem Stolz Heymels kündigten sich an.“ – werden die feinsten Getränke ausgeschenkt. Schließlich viel Wehmut! Schröder schwärmt Man gibt sich so, als sei man der Herrscher Bay- von seinen Gesprächen mit Hugo von Hof- erns, diskutiert über neue Anschaffungen und mannsthal, und Rainer Maria das nächste Fest. Alles scheint möglich zu sein. Rilke, von „den Weißwürstln beim Donisl“, von „Vielleicht würde man nächstens auch ein eige- „schwarzen Messen“, von den anmutigen Frau- nes Theater haben, vielleicht auch einmal Salz- enporträts des Malers Albert Keller, von „alko- burg kaufen und weiß Gott noch alles“, berichtet holbeflügelten nächtlichen Debatten – mit und ironisch der Wiener Schriftsteller Franz Blei. ohne G’schpusi“, von sommerlichen Kellergärten Doch man arbeitet auch bisweilen. Im klein- und winterlichen Faschingsfreuden.

Walter Heymel sten Zimmer wird Die Insel redigiert, die erstmals Otto Julius Bierbaum im Herbst 1899 erscheint. Heymel, Schröder und von Ambesser), vielen bekannt aus Filmen wie Bierbaum fungieren als Herausgeber. Der Mit- Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings. Ich denke oft an Piroschka oder Das Wirtshaus arbeiterstab (mit Dehmel, Liliencron, Rilke, We- Darin nimmt er auch Leben und Treiben im Haus im Spessart. dekind und Hofmannsthal etc.) kann sich sehen Leopoldstraße 4, das unter anderen pralle Venus- Dem süßen Leben mit all seinem Luxus und den lassen. Bei der graphischen Gestaltung wirken bilder und -statuen und der „nicht minder nackte verbotenen Früchten bleiben nur ganz wenige unter anderen die Maler Max Liebermann und Knabe von Xanten“ zieren, aufs Korn. Der Roman der Geladenen fern. Zu ihnen gehören die bei- Hans Thoma mit. Der große Hamburger Maler löst einen Skandal ohnegleichen aus. den Schriftsteller Stefan George und Richard Voß, und Baumeister Peter Behrens, im ersten Drittel Kurz nach Bierbaum verlassen auch Schröder der meint: „Lange Zeit wollte ich diesen heute so des 20. Jahrhunderts der führende deutsche Ar- und Heymel das große Schwabinger Haus ne- schmerzlich betrauerten Alfred Heymel nicht ken- chitekt, entwirft das bekannte Signet, das Segel- ben dem Siegestor. Rudolf Vogels Vater Heymel nenlernen; denn ich hatte über ihn des Tollen und schiff, das zur geheimnisvollen Insel aufbricht. fördert als Leiter des Insel-Verlages in Bremen Extravaganten gar zu viel gehört. Er war ein be- Dann 1902 ein Orkan! Die Insel versinkt plötz- die moderne Dichtung. Schröder entfaltet noch rühmter Herrenreiter und berüchtigter Lebemann lich im Meer der Eitelkeiten. Es kommt zu einem eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. In seinen und in jedem Sinn ein Ultramoderner. Auch ein Donnerwetter zwischen Heymel und Bierbaum, 1941 geschriebenen Erinnerungen meint er: „Die Dekadenter. Was also hatte ich mit ihm zu schaf- der daraufhin seinen viel beachteten Schlüssel- Zeit um die Jahrhundertwende war eine außer- fen? Ganz München sprach von seinem Reichtum, roman schreibt: Prinz Kuckuck – Leben, Taten, gewöhnlich reiche und glückliche; viel altes, gro- Gemma Prunetti (von Franz Stuck)

9 Maler und Modell: Corinths wildes Atelier an der Giselastraße

schnell seinen guten Ruf verspielt. Aktstudien und Frauenaffären wechseln wie die Jahreszei- ten, und Maler Corinth treibt es besonders bunt. Immer zeigen ihm die Zwanzigjährigen im Atelier, was er sehen, erleben und malen will. Da skizziert er dann „das gschamige Mädel“, ein „fröhliches Mädchen“ oder ein „erwachendes Mädchen“, das sich gerade von der Liege erhebt. Schwabing nä- hert sich nunmehr dem Montmartre und damit Corinths Unschuld: Innocentia seinem Zenith! Corinth malt die jungen Münchnerinnen, wie sie ihre langen Haare ordnen, sich an- oder aus- ziehen oder auf dem Bett strecken und recken – halb und ganz nackt. Sein Top-Modell ist die Nanni, die „von oben bis unten in festes kräftiges Fleisch gepackt“ ist. Wenn sie mit der Hand auf ihre nackten Schenkel patscht, klingt es „wie in der Küche, wenn fette Koteletten gehackt wer- den“. Besonders pikant die Bilder, auf denen das pralle Mädchen die Unschuld (gerne „Innocentia“ genannt) spielt und mit den Händen ihre schön- sten Stellen zu verdecken versucht, was ihr aber vor Corinth liegend oder stehend nicht so recht gelingt! „Schmetterndes Dichtergezwitscher“ im Haus mit der Nummer sieben Dem Lustmenschen aus Ostpreußen kommen Von den Fliegerbomben des letzten Krieges ziemlich verschont bleibt die Giselastraße, deren markantestes Haus die Num- dazwischen aber wieder ganz andere Gedanken. mer 7 trägt. Dort zieht im Herbst 1891 der Maler Lovis Corinth von Königsberg kommend ein. Er trifft und versteht sich Er malt mehrmals einen Blick aus dem Schwa- sofort mit dem Münchner Dichter Joseph Ruederer, der hier schon drei Jahre mit seiner Familie wohnt. Der Maler erzählt binger Atelierfenster in Richtung Norden. Da über den Dichter: „Und da er auch zu den Nörglern zählte, sympathisierten wir bald und mein Atelier klang bald von sieht man die rauchenden Schlote von Freimann, schmetterndem Dichtergezwitscher wider.“ Das Duett bereichert schnell Dichter Max Halbe. Kirchtürme und Bäume, freies Feld und niedrige Bald gesellen sich andere Künstler dazu. Sie bringen ihren Anhang weiblichen Geschlechts mit, und so hat das Haus Häuser. Auf seinem Selbstbildnis des Jahres 1896

10 zeichnet er sich als kräftigen, wohlbeleibten schaft. Natürlich bleiben beide Künstler noch in Mann (eine „bärenhafte Grazie“) mit Schnauz- brieflicher Verbindung. Einmal bekennt Corinth, bart, links neben ihm ein Skelett. Das Fensterge- seine Auftraggeber seien mit ihm zufrieden. Und stänge – mit dem Gitter eines Arbeitskäfigs zu er setzt hinzu: „Aber die wahre Liebe is et nich.“ vergleichen – quadriert die Bildfläche. Der Blick Kurz vor der Trennung bevölkern dann drei zum Fenster hinaus zeigt wieder die Schwabin- bedeutende Maler Rußlands die östliche Giesela- ger und Freimanner Szenerie um die Jahrhun- straße. Schon im November sehen wir Marianne dertwende. von Werefkin und ihren Freund Alexej Jawlensky. Schnell wenden sich aber wieder Corinths An- Ein halbes Jahr später zieht Landsmann Wassily und Aussichten. Nach den Angaben Ruederers Kandinsky in das Haus Nummer 28. Der halbe seufzt und säuft, liebt und leidet er so manche Blaue Reiter also in der Gieselastraße, vor allem Nacht. Und immer wieder kommt man auf die wenn man weiß, daß sich bei der Werefkin auch Künstlerfeste zu sprechen, auf denen es „Wein Paul Klee rumtreibt! Deren bekanntester Gast ist und Weiber“ in Hülle und Fülle gibt. Hier werden aber eine Italienerin, die weltberühmte Schau-

„furchtbare Batterien“ von Flaschen entkorkt, Joseph Ruederer (von Corinth) Corinth (Selbstbildnis) spielerin Eleonora Duse. und hier erwacht der Meister öfter nach „dump- „Nie wieder“, so berichtet Jawlensky, „habe ich fem Schlafe“ und findet neben sich „in der engen eine Gesellschaft kennengelernt, die mit solchen Bettstatt zu seinem uferlosen Staunen ein locke- Spannungen geladen war.“ Und er fährt fort: res Mädchen, das nur gegen prompte Bezahlung „Das Zentrum, gewissermaßen die Sendestelle die liebgewordene Stätte“ verläßt. der fast physisch spürbaren Kraftquellen, war die Trotzdem, Corinth wird in der Münchner Stadt Baronin“. Der Schreiber meint damit die Weref- nicht so richtig heimisch. Als „geborenen Preu- kin, über die er weiter berichtet: „Die zierlich ge- ßen“, wie er sich selber in seinen Aufzeichnun- baute Frau mit den großen dunklen Augen, den gen nennt, zieht es ihn nach Berlin. München vollen roten Lippen und der infolge eines Jagd- sieht er plötzlich nur noch als eine Stadt der „bö- unfalls verkrüppelten rechten Hand, beherrschte sen Erinnerungen“. Und Ruederer ist fast genau- nicht nur die Unterhaltung, sondern ihre ganze so frustriert. Sein Roman Ein Verrückter – Kampf Umgebung.“ und Ende eines Lehrers, den er 1894 im Haus Gi- Im August 1914 endet mit dem Ausbruch des selastraße 7 vollendet, wird zwar ein Erfolg, doch Ersten Weltkrieges die Russenidylle in der Gise- so richtig durchsetzen kann er sich nicht. Nach lastraße. Man muß Deutschland verlassen und sechs Jahren endet so eine wunderbare Freund- Marianne Werefkin (von Gabriele Münter) Alexej Jawlensky zieht an den Genfer See.

11 Obere Kaulbachstraße: Hamsun aus Norwegen und Holm aus Riga

Fast alles, was im 20. Jahrhundert Rang und Pariser Tänzerin Cléo de Mérode, „Schützenliesl“ Namen hat, wohnt für kurz oder lang in einem Coletta und Romano Guardini, den Prinzregen- Haus an der Kaulbachstraße – der Maler Fried- ten und Marietta di Monaco. rich August Kaulbach, Richarda Huch und Otto Nur ein Semester will der Jurastudent Korfiz Julius Bierbaum südlich der Veterinärstraße. Holm, 1872 in Riga geboren, an der Universität Dann im nördlichen Teil: Friedensnobelpreisträ- verbringen – und er bleibt ein Leben. Wir sehen ger Ludwig Quidde, Reichskanzler Hertling (von ihn zunächst im Haus Kaulbachstraße 49, dann ihm mehr im nächsten Kapitel), der Schauspie- an der Schackstraße, am 1. April 1898 im dritten ler Alois Wohlmuth, der amerikanische Bankier Stock des Hauses Kaulbachstraße 83. und Antikensammler James Loeb, Vera Brühne, Er avanciert in diesem Jahr zum Prokuristen die Lieblingstante Ludwig Thomas (Therese) und des Verlages Simplicissimus, für den er schon Literatur-Nobelpreisträger Knut Hamsun. Wie Gedichte verfaßt hat. In diesem Zusammen- sehen auf der Straße weiter die extravagante hang lernt er auch Langens Schwiegervater, den Schauspielerin Centa Bré, den Theaterprofessor norwegischen Nobelpreisträger Björn Björnson, Artur Kutscher, Henrik Ibsen, die langbeinige kennen.

Jubilarin Ricarda Huch Am 18. Juli 1924 feiert die Dichterin Ricarda Huch, eine gebürtige Braunschweigerin, im zweiten Gartenhaus Kaulbachstraße 35 ihren 60. Geburtstag. Ein Blumenmeer überflutet das ruhige Anwesen, natürlich fehlt der Dichter- lorbeer nicht. Der Postbote bringt ein Schrei- ben von , in dem steht: „Dies sollte ein deutscher Frauentag sein, und mehr als ein deutscher. Denn nicht nur die erste Frau Deutschlands ist es, die man zu feiern hat, es ist wahrscheinlich heute die erste Frau Euro- pas.“ Die Huch wohnt 16 Jahre an der Kaul- bachstraße. Ricarda Huch Das Wohnhaus von Korfiz Holm vor der Jahrhundertwende – Kaulbachstraße 83

12 mitten auf dem belebten Markusplatz: „Nur ja bachstraße 51a. Hier wird auch seine Novelle nicht zuviel ansehn!“ Sklaven der Liebe verlegt, ein Heftchen, das die Ein guter Freund ist in dieser Zeit der Schau- Zeitgenossen, vor allem die jungen Menschen, spieler Alois Wohlmuth, der von 1902 bis 1910 in den höchsten Tönen loben und so mancher im Haus Kaulbachstraße 63a wohnt. Der 1852 Schwabinger Literat zum Vorbild nimmt. in Brünn geborene Star der Münchner Bühne Der große Dichter des Nordens stirbt 1952 erlebt die Gründung des Simplicissimus mit und fast 93jährig. Zwei Jahre später bricht seine stellt in seinen Erinnerungen lapidar fest: „Ein Witwe Marie nach München auf. Sie liest aus künstlerisches Ereignis.“ Die Zeitschrift gehöre ihren Werken, und der SZ-Kritiker schreibt am seiner Meinung nach „im eminentesten Sinn mit 28. Oktober 1954, sie „vollzog die würdige Gei- zur großen Umwälzung auf dem weiten Gebiete sterbeschwörung mit dem nüchternen Gleich- der bildenden Kunst.“ mut einer bäuerlichen Königin“. Knut Hamsun Die Sensation aber ist im April 1896 die An- ist in dieser Zeit längst umstritten. Als Marie kunft des norwegischen Dichters Knut Hamsun. die zerstörte Kaulbachstraße hinaufgeht, nimmt

Knut Hamsun (von Gulbransson) Titelblatt Sklaven der Liebe Er wohnt bis zum Juni bei Langen im Haus Kaul- kein Passant Notiz von ihr.

„Und nun geschah es“, so schreibt Holm in sei- ihr hätte folgen sollen, vorsorglich schon in der nen Memoiren, „daß im Herbst des Jahres 1898 Schnellpresse.“ Kaiser Wilhelm auf die bekannte Palästinareise Die ganze Kampagne verfolgt Holm in seiner ging, die Mißfallen bei allen andern Mächten Wohnung im Haus Kaulbachstraße 83. Doch er weckte, und über die man auch in Deutschland erlebt auch schönere Zeiten. Kurzum, er erliegt sehr geteilter Meinung war.“ Holm weiter: „Das dem Reiz einer 28jährigen Witwe namens Au- mußte für den Simplicissimus ja ein gefundenes gusta. Eine wunderbare Frau, in die auch Lovis Fressen sein. Er brachte also eine Palästinanum- Corinth vernarrt ist und sie prompt in ihrer Lieb- mer heraus. Und jetzt zog das Gewitter auf, das lichkeit porträtiert!. 1899 wird geheiratet und, wir solange schon am Horizonte hatten drohen wie damals Brauch, die Hochzeitsreise Pfingsten sehen, ohne uns in unserm jugendlichen Leicht- 1900 nach Venedig angetreten. Wir hören dazu sinn viel darum zu scheren, und der Blitz schlug aus seiner Feder nichts von Flitterwochen, son- ein, und zwar gleich zweimal, Krach auf Krach. dern von „dem Besonderen dieser Stadt, das je- Die Palästinanummer wurde am Druckort Leip- dermann zur Stellungnahme reizt“. Unter ande- zig bei Erscheinen konfisziert, die Nummer, die rem rät man seiner ihm eben angetrauten Frau Augusta Holm (von Corinth) Korfiz Holm (von Gulbransson)

13 Polarisierung: Reichskanzler und Simpl-Verlag am Englischen Garten

Das Haus Kaulbachstraße 91, Sitz des Simplicissimus-Verlags und Wohnung des bayerischen Ministerpräsidenten

14 Gendarmen und Gewalt umringt. Er findet zwar Fall sagt eine halbnackte Herrschaftsdame zu im Publikum Gefallen, vor der Obrigkeit aber ihrem Dienstmädchen: „Wenn Sie wieder einen keine Gnade. Tragisch, daß er den Zusammen- Herrn unangemeldet hereinführen, kriegen Sie sturz des von ihm bekämpften Regimes nicht eine Ohrfeige – und zehn Mark extra.“ Beide Ka- mehr erleben darf! rikaturen in Details unten abgebildet! Trotz der Knebel und Drohungen steckt die Der Simplicissimus hat Freunde in ganz Eu­ Zeitschrift voller Geistesblitze und hinreißend ropa. Laut Leo Tolstoj ist er für künftige Histo- schöne Karikaturen, viele davon schon in Farbe. riker „die wichtigste und kostbarste Quelle“, die Neben den Heucheleien und Blödheiten der Po- ihnen ermöglicht, „nicht nur den Zustand der litiker wird vor allem die Moral der Spießbürger heutigen Gesellschaft kennenzulernen, sondern aufs Korn genommen. Der Prüderie setzt man auch die Glaubwürdigkeit aller übrigen Quel- äußerst frivole Szenen entgegen! Zwei Beispiele: len zu prüfen“. Um 1910 beträgt die Auflage Nach einem Faschingsball findet eine hübsche 100 000. Man kann ruhig von Sternstunden der Frau in ihrem Dekollete die Brille des Bezirks- Satire sprechen. Das Niveau wird nie mehr er-

Graf Georg von Hertling (Adelslexikon) Albert Langen (von Thomas Theodor Heine) amtmanns (heute Landrat). In einem anderen reicht!

Kaulbachstraße 91 – ein stattliches Haus, in Berliner Reichstag. Den Blick immer schön nach dem sich die gesellschaftliche und politische rückwärts gewendet – und das so lange, bis sich Kluft der wilhelminischen Epoche widerspiegelt 1918 Katastrophe und Revolution einstellen! wie sonst kaum mehr. Von 1907 bis 1913 wohnt Szenenwechsel, wenn wir das 1905 erschie- hier einer der größten Reaktionäre, der 1843 in nene Nachschlagewerk München und die Mün- Darmstadt geborene Georg von Hertling, von chener aufschlagen: „Simplicissimus, Redaktion: 1912 bis 1917 bayerischer Ministerpräsident Kaulbachstraße 91. Kunst, Satire. Erscheint auf und im letzten Kriegsjahr Reichskanzler, der Veranlassung der Königlichen Staatsanwalt- das ganze Elend der Zeit mit Völkermord und schaft jetzt in Stuttgart.“ Hinter dieser Mittei- Hungertod mitzuverantworten hat, aber nie zur lung verbirgt sich eine unbarmherzige Kne- Rechenschaft gezogen wird. belung der Presse durch reaktionäre Politiker Hertlings Aufenthalte im Haus am Rande des und Juristen. Die Redakteure stehen immer mit Englischen Gartens sind freilich nur sporadisch, einem Fuß im Gefängnis, Ludwig Thoma und ist er doch von 1909 bis 1912 der Vorsitzende Thomas Theodor Heine sogar mit beiden. Ver- der stockkonservativen Zentrumsfraktion im lagschef Albert Langen sieht sich nur noch von Karikaturen aus dem Simpliciissimus, der ständig die Doppelmoral der Zeit lächerlich macht (siehe Text oben)

15 Kaiserin und Kocherl am Chinesischen Turm

Ursprünglich „chinesische Pagode“ genannt, heute ein Wahrzeichen Münchens

16 Hier reitet der König und tanzt das Kocherl, hier gegner, der deutschen Patrioten und vor allem der trinkt der Münchner sein Bier und flaniert die Tiroler. Von hier aussehen sie nämlich in ihre Heimat, griechische Schönheitskönigin Katharina Botza- wo Andreas Hofer und seine Freunde gegen die Bar- ris, die Josef Stieler so schön für die Schönhei- barei Bonapartes kämpfen. Zu ihren großen Sym- tengalerie malt. Wir sehen Amelie, die Kaiserin pathisanten zählt vor allem der 23jährige Kronprinz von Brasilien, und Elisabeth (Sissi), die Kaiserin Ludwig, der spätere König Ludwig I. von Österreich, auf edlen Pferden im Damensat- Unter den Freiheitsliebenden entdeckt man auch tel. Letztere, eine waschechte Münchnerin, steigt ein Mädchen aus Frankfurt: Bettina von Brentano, auch ab und mischt sich unter die Landsleute. Der gerade mal 24 Jahre alt. Die Hübsche unterhält ei- Chinesische Turm, ein Platz der Demokratie und nen Briefwechsel mit Goethe, dem sie später ein- Völkerverständigung, der Feiertage und Früh- mal gibt, was er an Frauen so liebt. Ihre Schreiben lingsnächte! nach Weimar sind erschütternde Dokumente einer Genau am 28. September 1789 beginnen die fürchterlichen Zeit. Bettina steigt Anfang 1809 wie- kurfürstlichen Arbeiter mit dem Bau dieses Holz- derholt auf den „Chinaturm“. So lesen wir in einem turms, im Mai des darauffolgenden Jahres ist Brief vom 31. Januar: „Es hat mich hinaus getrieben Bettina von Brentano (Miniatur 1809) und Amelie von Brasilien (von Josef Stieler) man fertig damit. Natürlich ausgestattet mit ei- in den kahlen, englischen Garten, ich bin auf alle nem „Strahlableiter“ – also einem Blitzableiter! Freundschaftstempel, chinesischen Türme und Va- Eine höchst umstrittene Vorrichtung, denkt man terlandsmonumente geklettert, um die Tiroler Berg- nur an die Vorbehalte der Geistlichkeit. Als Kur- kette zu erblicken, die tausendfach ihre gespaltnen fürst Karl Theodor die „chinesische Pagode“ mit Häupter gen Himmel ragt.“ Am 26. März der Avis: den vielen „sinesischen Glocken zum Tempel“ „Heute morgen war ich draußen im beschneiten während seiner ersten Besichtigungsfahrt im Park und erstieg den Schneckenturm, um mit dem Mai 1790 sieht, ist er begeistert. Vom Turm aus Fernrohr nach den Tiroler Bergen zu sehen.“ genießt er die herrliche Sicht über seine Länder. Und am 20. April schreibt sie an Goethe, daß sie Tatsächlich sieht man an günstigen Tagen nach dem Polizeipräsidenten „meine Begeisterung für Freising und die Zugspitze. die Tiroler“ kundgetan habe, daß sie „alle Tage auf Der „Chinaturm“, unter dem seit 1989 wie- den Schneckenturm steige mit dem Fernrohr“. Und der der alljährliche Kocherlball stattfindet, also weiter: „Daß man heute aber eine Schildwache hin- das Morgenfest der Hausangestellten beider- gepflanzt habe, die mich nicht hinaufgelassen; ge- lei Geschlechts, hat dann eine große politische rührt über mein Zutrauen, küßt er mir die Hand und Symbolkraft. Er ist der Treffpunkt der Napoleon- verspricht mir, die Schildwache wegzubeordern.“ Kaiserin Elisabeth (Sissi) und die schöne Griechin Katharina Botzaris (von Stieler)

17 Im Rumfordschlößl ißt der bayerische Adel die ersten Kartoffeln

Bauernhochzeit und Armensuppe vor und in einem Herrschaftshaus

18 Hier wohnt ein Genie, das die An- und Armut so bigotte Kurfürst Karl Theodor hinter Rumford, hochzeit im Freien. „Ganz mit den einheimischen Einer Schönheit ist eben immer ganz schnell ver- ebenso interessiert wie Labortests und Schießpul- der sich prompt im Englischen Garten niederläßt. Sitten und Gebräuchen und den kleidsamen ziehen! Die Fürstin gilt heute als Schirmfrau des ver, ein Amerikaner, der zu den großen Physikern Jetzt aber das delikate an der Sache! Der aufge- Volkstrachten!“ Inmitten des Zaubers entdeckt bayerischen Protestantismus, der von nun an all- der Zeit gehört, der die Grundlage der Wärmeleh- klärte Herr verwehrt dem Volk den Neubau, hier man auch Kurfürstin Marie Leopoldine, die 52 mählich Fuß faßt. re erarbeitet: Benjamin Thompson, 1753 in Mas- darf nur die Hautevolee eintreten. Ob er sich so Jahre jünger als ihr Eheherr Karl Theodor ist, den Und die erlebt bald im Zuge der politischen sachusetts geboren. Als junger Mann kämpft er in deren Rückendeckung verspricht? sie so gerne betrügt. Umwälzungen, wie Kriegsinvaliden in das Rum- Britisch-Amerika und Jamaika, segelt dann nach Wir wissen es nicht, doch Rumford macht Nach dessen Tod 1799 prägen dann die Aus- fordschlößl ziehen. Sie haben über Holz und Heu Europa, trifft als 31jähriger in München ein, avan- auch Ausnahmen. Eine junge Blondine, die ge- fahrten des neuen Herrscherpaares Max Joseph zu wachen, das zunehmend geklaut wird. Plötz- ciert zum Grafen Rumford und heiratet in zweiter währt, was er begehrt, ist auch ohne Titel stets und Caroline den Park. Im Nu gehören beiden die lich dann folgende Situation! Max Joseph, seit Ehe die Witwe des französischen Physikers Lavoi- willkommen! Der Hausherr hat seine erste Frau Herzen der Münchner. Was sind das für Festtage, 1806 König, hat gerade anspannen lassen, um sier, der 1794 unter der Pariser Guillotine endet. in Amerika zurück gelassen, die zweite kennt er wenn Majestäten erscheinen, wenn die Jugend im Park ausspannen zu können. Er will Blumen In Bayern sorgt sich Rumford vor allem um noch nicht. Und so pendelt sich eine Kuriosität tanzt und die Bürger Brotzeit machen, Kinder lär- pflücken. Doch sogleich steht ein Wächter hinter die Unterschicht. Es entstehen Fabriken, Schu- ein. Von den Mätressen des Kurfürsten nützt er mend spielen und die Glocken der Kirchen läuten. ihm. Welche Komik! Beschämt kehrt der Aufseher len, Armen- und Speisehäuser. Er kreiert die nach nach seinem Herrn gerne in seinem Palais deren Dann vergißt man sehr schnell, daß sich Caroline in das Rumfordschlößl zurück, das man nunmehr ihm benannte Suppe, entwickelt sparsame Öfen Bereitschaft zu weiteren Todsünden. kompromißlos zur Lehre Martin Luthers bekennt. „Invalidenhaus“ nennt. und läßt in einer Nacht- und Nebelaktion 2500 Wenn die Vorhänge zugezogen werden, dann Münchner Bettler verhaften und in Häuser brin- erstrahlt eine prächtige Innenarchitektur, die als gen, in denen man ein erträgliches Auskommen englischer Kolonialstil die Welt erobert. Als spä- hat. Auf seinen Befehl hin werden polizeiliche ter das Haus zugänglich wird, überschlagen sich Meldezettel eingeführt - und der Englische Gar- die Preislieder. „Einzig in seiner Art“, lesen wir im ten geschaffen. Eine Wohltat exakt im Revoluti- ersten Führer des Englischen Gartens. Vollendet onsjahr 1789! Rumford will die aufgebrachten wird das frühklassizistische Haus mit den sechs Gemüter beruhigen, was exzellent gelingt. Säulen und ionischen Kapitellen 1791. Im Spie- Argwöhnisch betrachtet indes der Klerus all die gelsaal a la Versailles finden 150 Personen Platz. Aktionen des blitzgescheiten Amerikaners prote- So ganz nebenbei werden dort auch Kartoffelge- stantischer Konfession im erzkatholischen Bay- richte serviert. ern. Als er gar die Kartoffel („Erdartischocken“) Aber nicht nur tapfere Leutnants und Mädchen einführt, um die Bevölkerung vor den Folgen der mit weiten Dekolletes finden hier Annehmlichkei- Getreidemißernten zu bewahren, tobt es von den ten, oft schaut auch der Kurfürst vorbei. Beglei- Kanzeln. Das sei ein Eingriff in Gottes Vorsehung, tet „von Amoretten, Grazien und Waldgöttern“, hören die Gläubigen. Doch tapfer steht der sonst verfolgt er 1795 vom Vestibül aus eine Bauern- Königin Caroline (von Josef Stieler) und Graf Rumford (von Ferdinand Miller)

19 Der „König von Schwabing“ an der Martiusstraße

Ist von Schwabing die Rede, so kommt der in tigte besonders die Phantasie der Frauen. Jene Prin- Güttland bei Danzig geborene Dichter Max Halbe zessin konnte man täglich im Nymphenburger Park so richtig ins Schwärmen. Den Stadtteil mit seinen sich zu Pferde tummeln oder lustwandeln sehen.“ extravaganten Kneipen, Künstlern und Kurtisanen Lesenswert auch Halbes Preislieder auf Mün- preist er mündlich und schriftlich. Insbesondere, chen: „Im Platzl beim Maibock erklang aus Hun- wenn er das Milieu der malenden Mannsbilder in derten von Kehlen das Lied vom Alten Peter, von den Schwabinger Werkstätten schildert. So lesen der grünen Isar und von der Gemütlichkeit, die in wir in seinen Erinnerungen: „Ein besonderes Bin- der Münchner Stadt nicht ausstirbt.“ Er hat den demittel zwischen Volk und Malertum war das Eindruck, wenn der Münchner sein Bier trinkt, „ist Modell, versteht sich, das weibliche. Sie zwitscher- das ein kultischer Akt“. Man müsse nur einem Gast ten in den Ateliers, brachten Leben in die Buden, im Hofbräuhaus zusehen, wenn er nach jedem waren ebenso anziehend wie ausgezogen. Ein Schluck seinen Blick zum Himmel richtet. Dann Parfüm von Leichtsinn und naiver Verderbnis um- wisse man, „daß es die Idee des Bieres an sich ist, witterte ihre blonden oder brünetten Persönchen. der dieser Opferakt gilt“. Höhere Töchter erröteten, wenn man von ihnen Der zugereiste Dichter lebt zunächst an der Gi- sprach, und machten ihnen ganz insgeheim, so selastraße, dann sehr lange im Haus Wilhelmstraße daß niemand es merkte, Gelegenheitskonkur- 2, wo es ihm sehr gut gefällt. Zu seinem Bedauern renz. So manches kleine Modell war nachher Frau wird ihm aber an Silvester 1936 dieser Mietplatz Kunstmaler oder gar Frau Professor geworden.“ gekündigt. „Am Mittag des gleichen Tages“, so Halbe hat engen Kontakt zu Lovis Corinth, der dies schreibt er, „hatte ich schon eine neue, auch recht ja alles bestens wissen muß. schöne Wohnung in der Martiusstraße, also ganz Ergreifend seine Jugenderlebnisse, die er jetzt in der Nähe, und noch fünf Minuten kürzer zum im Alter niederschreibt. Halbe erlebt noch König Englischen Garten.“ Der Dichter ist erleichtert. „Die Ludwig II. „Er fuhr stets im geschlossenen Wagen, Wohnung steht leer, und wir können so einziehen, vierspännig oder sechsspännig, aus. Ich habe ihn daß wir schon Ostern dort feiern können. Quod des öfteren so durch den Hofgarten oder durch felix faustumque fortunatumque sit.“ Auf Deutsch: den dazumal ganz menschenverlassenen Engli- Was glücklich, heilsam und gesegnet sein möge. schen Garten jagen sehen.“ Bald ist auch umgezogen. „Ich“, so meint der Halbe lernt auch Sophie, die Ex-Braut des Mär- nunmehr 70jährige Halbe nach dem Wohnungs- chenkönigs, kennen. „Man sprach so viel von seiner wechsel, „habe mich sehr schnell hineingefun- Residenz des ungekrönten Dichterkönigs Max Halbe an der Martiusstraße unglücklichen Verlobungsgeschichte; sie beschäf- den.“ Er fügt ironisch hinzu: „Wenn ich mich

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