Poesie Aus Der Siedlung Die Unterschichtskultur Hat Ihre TV-Programme, Ihre Zeitungen, Ihre Reisen
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Kultur Gangsta-Rapper Massiv, Produzent Desue GHETTO-KULTUR Poesie aus der Siedlung Die Unterschichtskultur hat ihre TV-Programme, ihre Zeitungen, ihre Reisen. Vor allem hat sie Gangsta-Rapper, die sich in Berliner Straßenclans organisieren. Der neueste Star soll Massiv werden, ein ehemals krimineller Palästinenser. Von Philipp Oehmke AMIN AKHTAR on dem Plan für sein neues Leben sens einen Job erkämpft, von dem er nicht Wasiem war gerade erst Anfang zwan- erzählte Wasiem Taha seinen Eltern weiß, wie er auf Deutsch heißt, doch der zig, als das Jugendamt sagte, er habe Vzum ersten Mal vorletztes Jahr im damit zu tun hatte, Metallteile zu verzin- schon keine Perspektive mehr in Deutsch- Winter. Wasiem hatte, damals 22, seinen ken. Die Mutter hatte endlich ein bisschen land. Vater Hani und seine Mutter Hiam ins Deutsch gelernt, es gab Freunde. Niemals Zu dieser Zeit, vor ein paar Jahren, be- Wohnzimmer bestellt, in dem die Familie würden sie dieses Leben aufgeben, nur gann Wasiem, immer wieder nach Berlin damals zu viert lebte, die Eltern, Wasiem weil der Sohn etwas von – wovon? – von zu reisen. Manchmal blieb er zwei Wo- und seine Schwester Amani plus ein paar Gangsta-Rap redete. chen, andere Male monatelang. Er habe Katzen, eine Einzimmerwohnung in Pir- Ihr Sohn Wasiem ist in Deutschland ge- dort Freunde gefunden, berichtete er den masens in der Pfalz. boren, er ist die zweite Generation, die Eltern, Araber wie sie. Sie hätten ihm ge- Wasiem hatte sich genau überlegt, was anfällige, die radikalisierte, die im Wohl- holfen, in Berlin Fuß zu fassen, und ihn er sagen wollte, und wie immer sprach er standsrummel das Risiko nach unten ein- beschützt. Außerdem hat er dort angefan- mit seinen Eltern Arabisch, er sagte: „Vater, geht: in fanatische Glaubenszirkel, in gen, kleine Geschichten aus seinem Leben Mutter, ich möchte, dass wir nach Berlin Halbweltgeschäfte, in die Idee vom schnel- aufzuschreiben, über Messerstechereien, ziehen. Ich werde dort Gangsta-Rapper len Geld. Wasiem sollte alle Chancen ha- über Kokainhandel, Freunde im Gefängnis werden, ich werde Erfolg haben, reich wer- ben, sagt die Mutter, doch in den letz- und über „Nutten“. Diese Geschichten hat den und für euch alle sorgen können.“ ten Jahren hatte er sich zu einem Koloss er über HipHop-Beats gerappt und aufge- Die Mutter schüttelte den Kopf. Dann von 120 Kilo entwickelt, er hatte seinen nommen. fing der Vater an zu schreien. Ging denn Oberkörper mit Muskeltraining aufge- Und jetzt, sagte Wasiem an jenem Tag mit diesem, seinem einzigen Sohn alles pumpt, sich den Schädel rasiert und sich vor anderthalb Jahren im Wohnzimmer in schief? immer neue Zeichen und Bilder in die Pirmasens zu seinen Eltern, lasse sich in Die Familie Taha lebte seit über 25 Jah- Haut tätowieren lassen, die die Eltern Berlin für jemanden wie ihn als Gangsta- ren in Pirmasens. Sie ist dort heimisch ge- nicht verstanden. Wasiem hatte sein Geld Rapper Geld machen, viel Geld. worden, nachdem sie durch Zufall dort damit verdient, Drogen zu verkaufen, und Manager in Berlin sahen in ihm den Star, gelandet war, damals 1980, als sie wie vie- seine Freizeit damit verbracht, anderen der er immer sein wollte, und waren ent- le Palästinenser aus dem Südlibanon flie- die Köpfe einzuschlagen, er landete im schlossen, in ihn zu investieren – rund hen musste. Der Vater hatte sich in Pirma- Jugendarrest, später in Untersuchungshaft. 250000 Euro, viel Geld für einen Unbe- 180 der spiegel 16/2007 kannten. Doch deutscher Rap mit haar- sträubenden Texten – für die von der Kri- se geschüttelte deutsche Musikindustrie ist das ein Geschäft der Zukunft. In den USA gibt es Gangsta-Rap schon seit fast zwanzig Jahren, Stimmen aus den Ghettos von New York oder Los Angeles, die den Realitäten eines Landes geschuldet sind, das weitgehend auf soziale Siche- rungssysteme verzichtet. Bald erreichten diese Stimmen auch die Kinder der Mit- telschicht, die die gerappten Räuberge- schichten aus den fernen Ghettos mit der gleichen Lust konsumierten wie etwa einen Mafiafilm. Heute gehört Gangsta-Rap in den USA zu den lukrativsten Geschäftsfeldern einer gebeutelten Plattenindustrie. Er wird von wohlsituierten Familienvätern in den Chefetagen der Unterhaltungskonzerne verlegt, die in Krisenzeiten keine Rück- sicht mehr nehmen können auf den mora- lischen Gehalt dessen, was sie ihren Kin- dern anbieten. In Deutschland gab es das alles lange nicht. Deutscher HipHop kam von smarten Abiturienten aus der Provinz, in den Tex- ten ging es um Mädchen und um Liebe, um Spaß und manchmal sogar um Politik. Doch Deutschland hat sich in den letz- ten Jahren verändert. Da war der Schüler Robert Steinhäuser, der am Erfurter Gu- tenberg-Gymnasium 16 Menschen er- schoss. Da waren die Hilferufe der Lehrer an der Neuköllner Rütli-Schule. Dann vermeldete das Statistische Bundesamt, dass über zehn Millionen Menschen in Deutschland, das sind 13 Prozent, entwe- der arm oder von Armut bedroht seien. Als arm gelten in Deutschland Menschen, die über weniger als 571 Euro im Monat AUSSEHEN WÖRNER / AGGRESSIVES FLORIAN verfügen. Aggro-Berlin-Star B-Tight: „Das bisschen zeigen, was man hat“ Die Deutschen sahen sich plötzlich ei- nem „abgehängten Prekariat“ gegenüber, eine „besorgniserregend große Gewaltak- Hörer schockierend war. In dieses Terrain wie es die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer zeptanz“ unterscheidet. wollte sich Wasiem, der Junge aus Pirma- Studie nannte: Es bezeichnet Menschen, Das Berliner Landeskriminalamt (LKA) sens, nun also wagen. Er bat an jenem die den Anschluss verloren haben, schon kann Straßen in Neukölln, Kreuzberg oder Nachmittag in Pirmasens seine Eltern, ihm sozial ausgeschlossen sind – immerhin acht Schöneberg benennen, die für die Polizei zu vertrauen und mit ihm nach Berlin zu Prozent der in Deutschland lebenden Men- kaum noch kontrollierbar sind – die Rap- kommen. Wasiem sagt, er glaube an we- schen. Sie richten sich in einer eigenen, per bestätigen dies. In einem Gemein- nig, doch an eines ganz sicher: an Gott hermetischen Welt ein, Reiseveranstalter schaftssong einiger Berliner Untergrund- und an seine Familie. bieten schon Hartz-IV-Reisen an, und der Rapper heißt es: „Ich kann nicht ohne euch gehen“, sag- Milieuforscher Carsten Ascheberg iden- Kreuzberg, Neukölln, Schöneberg, Wed- te er damals zu seinen Eltern. Und zum tifiziert eine „hedonistische Unterschicht“ ding, Tempelhof, Moabit, MV, H-Town! Zeichen seiner Verbundenheit ließ Wasiem als „eine mörderische Zielgruppe“: Sie Kommt vorbei, probiert Berlin bei Nacht sich seine und die Initialen der Eltern auf sei konsumbegeistert und von Werbung aus den Oberarm tätowieren. HTWA steht da leicht zu überzeugen – und bleibt unter Schwule Touris, ihr seid zu mies nun und – riesig über die Brust geschrie- sich. Das Land blickt auf mehrere Millio- Geht in die falsche Ecke ben – die Heimat der Eltern: Palästina. nen Menschen, die der deutschen Mittel- seht, wie euer Blut fließt. schichtsdemokratie abhandengekommen Aus genau diesen von ihnen besunge- nderthalb Jahre später, im März 2007, sind – jede Menge Publikum für Typen wie nen Gegenden meldete sich im Jahr 2004 Aöffnet Wasiem in Berlin die Tür, eine Wasiem. das Plattenlabel Aggro Berlin und präsen- Zweizimmerwohnung in einem Wohnsilo Inzwischen reden Sozialforscher wie tierte Sido, einen Rapper, der stets mit ei- im Wedding, vierter Stock von 15, im Trep- zum Beispiel vom Heidelberger Institut ner Chrommaske vor dem Gesicht auftrat penhaus riecht es nach Müllfäule, ein alter Sinus Sociovision von einer „modernen“ und es mit schauderhaften Texten plötzlich Kühlschrank gähnt einen an, die Wände Unterschicht, die sich, so das Fazit der neu- in die Charts schaffte: In seinen Hits sind mit Filzstiften bekrakelt. esten Untersuchung, von der traditionellen „Mein Block“ und „Straßenjunge“ schick- „Hier wohnen nur Ausländer“, sagt Unterschicht unter anderem durch ein trot- te Sido Bulletins aus einer Realität im Wasiem, „und von zehn Menschen sind ziges „Underdog-Bewusstsein“ und durch Märkischen Viertel, die für die meisten zehn arbeitslos, das ist hier normal.“ Aber der spiegel 16/2007 181 Kultur HUGHES / LAIF PRESS / ACTION KRUG / G.OHLENBOSTEL F. Rivalen Sido, Bushido: Reich geworden mit Texten über Sex und Gewalt das genau ist das zentrale Milieu: Der Bushido übernommen, warf seine Marke- or dem Wohnsilo im Wedding steht Wedding ist eine repräsentative Adres- tingmaschine an und kreierte mit viel Mut Vim Halteverbot ein metallicblauer se für einen kommenden Gangsta-Rap- und Geschick den ersten richtigen Gangs- Mercedes, schwer und nagelneu. Den hat per, der Ausländeranteil liegt bei über 32 ta-Rap-Star. Wasiem bis auf weiteres gemietet, 1500 Prozent. Innerhalb von kürzester Zeit wurde Bu- Euro kostet ihn das im Monat, Wasiem hat Ein halbes Jahr hat es gedauert, dann shido mit vier Goldenen Schallplatten aus- schon einen Vorschuss bekommen. Jeden haben seine Eltern eingewilligt, seit fast gezeichnet, und von seinem aktuellen Al- Tag fährt er nun mit stolzer Brust in einem Jahr sind sie nun in Berlin; der bum konnte Universal mehr als 150000 Ex- diesem Mercedes nach Kreuzberg in das Vater hat seinen Job in Pirmasens auf- emplare verkaufen – es steht somit kurz Aufnahmestudio des Produzenten DJ De- gegeben, die Mutter die Freunde. Und vor der Auszeichnung mit Platin. sue, den die Sony BMG für ihn engagiert Wasiem hat ein paar neue Tätowierun- Spätestens seit diesen Erfolgen wollen hat. Desue ist einer der angesehensten und gen: „Blut gegen Blut“ ist auf dem linken die drei anderen großen Unterhaltungs- teuersten Produzenten für Rap-Musik