Stadtbaukunst in Der DDR Der Frühen 50Er Jahre K 3/2009 - 1
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Sara Tazbir Stadtbaukunst in der DDR der frühen 50er Jahre k 3/2009 - 1 Sara Tazbir Stadtbaukunst in der DDR der frühen 50er Jahre Das Anknüpfen an den Reformstädtebau um 1900. Demonstriert am städtebaulichen Wettbewerb Dessaus. Einleitung genbewegung das Konzept des künstlerischen Städte- Der vorliegende Artikel hat zum Ziel, an ausgewählten baus. Der Stadtraum sollte als solcher wieder erlebbar Beispielen die Rezeption städtebaulicher Reform- gemacht und künstlerisch bewusst gestaltet werden bei gedanken der Jahrhundertwende im DDR-Städtebau gleichzeitiger Berücksichtigung der zeitgenössischen, der frühen 50er Jahre aufzuzeigen.1 Die Umstände und städtischen Lebenswirklichkeit. Der künstlerische Vorgänge in Städtebau und Architektur der 50er Jahre Städtebau differenzierte sich facettenreich aus: Seine in der DDR sind komplexer und differenzierter, als sie Bandbreite reichte von Camillo Sitte, 4 als einem Initia- bisher in der Forschung dargestellt worden sind.2 Die tor auf dem Feld der Stadtbaukunst und Vertreter einer einseitige Bewertung und Diskussion der sowjetischen praktischen Ästhetik, über Karl Henrici, 5 Anhänger Sit- Einflussnahme hat andere Ansätze und Gesichtspunkte tes, und dem Pragmatiker Theodor Fischer6 bis zur gänzlich ausgeblendet und vernachlässigt, was hiermit kunsthistorischen Reflexion über Stadtbaukunst eines nachgeholt, ergänzt und erweitert werden soll. Der Ver- Albert Erich Brinckmann.7 gleich städtebaulicher Theorien der Deutschen Bauakademie, vornehmlich am Institut für Theorie und Stadtbaukunst in der DDR: eine deutsche Tradition Geschichte der Baukunst erarbeitet, mit den Ausarbei- Nach 1945 stand man in der Stadtplanung in Deutsch- tungen von Albert Erich Brinckmann weist eine ver- land vor anderen Voraussetzungen. Die steinerne Stadt blüffende geistige Nähe auf, bei der zur Recht von einer lag in Trümmern. Fragen des Wieder- oder Neuaufbaus Wiederaufnahme bzw. Fortführung stadtbaukünst- standen neben den praktischen Belangen der lerischen Theorien im sozialistischen Gewand gespro- Wohnraumbeschaffung auf der Tagesordnung. Gleich- chen werden kann. zeitig wurden aber Stadtplanungsansätze und im ver- stärkten Maße die Architektur selbst – mit der Teilung Städtebau um 1900 Deutschlands 1949 endgültig – zu ideologischen Frage- Im Zuge der gravierenden sozialpolitischen und stellungen. Im Geplanten und Gebauten sollten sich der wirtschaftlichen Umwälzungen im 19. Jahrhundert in neue Staat und vor allem die neue Gesellschaftsform Europa wandelten sich das Gesicht und vor allem die widerspiegeln. Anzahl der Städte. Das schnelle Wachstum und der In dem sich 1949 neu konstituierenden Staat der enorme Menschenzustrom erforderten eine effiziente DDR war man schnell bemüht, für die neue sozialisti- Stadtplanung, um nicht im gänzlichen Chaos zu enden. sche Gesellschaft ein adäquates Stadtbild mit dazu In diesem Zusammenhang formierte sich der moderne gehörender Städtebautheorie zu formulieren. Bereits im Städtebau als neue, eigene Disziplin. Zuerst waren es Aufbaugesetz von 1950 ist die Wiedereinführung der die Ingenieure, die eine Stadtplanung vordergründig Kunst in den Städtebau dezidiert formuliert. So heißt es nach technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunk- unter §12, Punkt 1 des Aufbaugesetzes: «Für den Auf- ten vollzogen und der Stadt, aufgrund von fehlenden bau der Städte nach den fortschrittlichen Erkenntnissen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, mit dem Bebau- der Wissenschaft, Technik und Kunst sind die besten ungsplan nur ein grobes Gitternetz zugrunde legen Fachkräfte des Städtebaus und der Architektur heran- konnten. Der Grund und Boden der Stadt verkam zum zuziehen.»8 Spekulationsobjekt, die «Stadt als Kunstwerk» wurde Die Aufgaben und Ziele des Städtebaus und seiner zur «Stadt als Geschäft».3 Von dieser Situation ausge- stadtbaukünstlerischen Komponenten sind ausführli- hend formierte sich im städtebaulichen Diskurs als Ge- cher in den 16 Grundsätzen des Städtebaus als allge- Sara Tazbir Stadtbaukunst in der DDR der frühen 50er Jahre k 3/2009 - 2 meingültige Richtlinien für den Aufbau der kriegszer- mischte. Edmund Collein18 konstatierte dazu: «Bei der störten Städte definiert worden.9 Mit diesen bekannte Anlage dieser Mietskasernenviertel trat an die Stelle man sich zur kompakten, geschlossenen Stadt mit ei- städtebaukünstlerischer Erwägungen die nackte Profit- nem hierarchisch gegliederten und künstlerisch be- gier der Bodenspekulation.»19 Zudem wurden speziell wusst gestalteten Stadtraum. Zwar sind die Grundsätze moderne Städtebautheorien, die wie die Konzepte der auf der Reise nach Moskau10 entstanden, sie können Gartenstadt oder des Zeilenbaus ebenso als Antworten aber inhaltlich nicht als reiner sowjetischer Import ange- auf die Situation um 1900 erarbeitet worden waren, ver- sehen werden. Dass es in der stadtbaukünstlerischen worfen und als «formalistisch», in ihrer Form schema- Auseinandersetzung sehr wohl andere Bezugspunkte tisch und allgemeingültig deklassiert.20 gab, verdeutlicht exemplarisch eine Aussage Gerhard Das aggressive Gebaren der Bodenspekulation ist 11 Strauss‘, von 1953 bis 1958 Direktor des Instituts für um 1900 ebenso vehement kritisiert worden, verbunden Theorie und Geschichte der Baukunst an der Deut- mit dem Wunschgedanken einer allumfassenden schen Bauakademie. In seiner Rezension zu Brinck- Planungshoheit zugunsten einer einheitlichen Stadt- manns Baukunst bezeichnet er «A. E. Brinckmann und gestalt.21 Aufgrund fehlender Eingriffsmöglichkeiten in damit ein[en] Deutsche[n]» als den «Bahnbrecher» der die Privatparzelle wurde ein Kompromiss zwischen Stadtbaukunst und folgert, «daß man in der sozialisti- öffentlichen und privaten Interessen angestrebt, indem schen Sowjet-Union die Einheit von Architektur und Stadtbaukunst vor allem auf öffentlichen Plätzen prakti- Städtebau bereits seit langem in ihrer Bedeutung er- ziert werden sollte.22 Brinckmann reißt in Platz und Mo- kannt und deshalb schon frühzeitig Arbeiten von A. E. nument den Gedanken einer ordnenden Macht noch Brinckmann übersetzt hat.»12 zaghaft an,23 wohingegen er in den folgenden Publika- tionen klarere Worte findet. Im letzten Absatz zur eng- Der Antiliberalismus im Städtebau lischen Stadt des 18. Jahrhunderts schreibt er: «Aber Gemeinsames städtebauliches Feindbild, sowohl in der suchen nicht auch wir statt Zersplitterung wieder aus- DDR als auch im Reformstädtebau um 1900, war der gleichende Zusammenfassung in jeder Hinsicht? Und liberale Städtebau mit seiner fragmentierten Stadt- hat nicht der Sozialismus hier eine seiner wichtigsten gestalt und Beliebigkeit an Formen in der Architektur- Aufgaben zu suchen? Wie nun, wenn damit auch die sprache, der zu einem Niedergang der Stadtbaukunst neue architektonische Form gewonnen würde?»24 geführt habe. Die zeitgenössische Kritik der Akteure um Mehrfach betont er, dass die einheitliche Gestaltung 1900 an der Stadtgestalt lässt sich mit den Schlag- früherer Zeiten nur durch eine «zentrale Kraft» möglich worten «Langeweile» und «Motivenarmut»,13 «Herz- gewesen sei, die zudem einen schöpferischen Geist losigkeit»,14 «Begradigungswahn»15 und dem Vorwurf besaß: «Etwas aber war nötig, damit diese natürlichen des Schematischen16 wiedergeben. Bezeichnender- und künstlerischen Veranlagungen zu solchen Leis- weise charakterisierten beide, die Theoretiker der Deut- tungen sich umformen konnten, wie wir sie in Rom be- schen Bauakademie wie auch die Reformstädtebauer, wundern: eine einheitliche Lenkung aller Kräfte durch das ausgehende 19. Jahrhundert in Bezug auf Architek- eine zentrale Kraft, die selbst schöpferisch veranlagt tur und Städtebau mit dem Wort «Verfall».17 Die ver- war. Die unbedingte Notwendigkeit einer solchen Zen- heerenden Fehlleistungen des kapitalistischen Städte- tralisierung für alle künstlerischen Leistungen im Städ- baus bzw. dessen vorliegendes Erbe in der DDR galt es tebau beweist das 18. Jahrhundert, den Gegenbeweis zu überwinden und, auf Grundlage eines antiliberalen erbringt gleich darauf im neunzehnten die vielköpfige Städtebaus, wieder Stadtbaukunst zu praktizieren. Dies Zusammensetzung der städtischen Magistrate. Und im bedeutete, zu einer künstlerischen Gestaltung des 20. Jahrhundert sehen wir nur dort gute Leistungen ent- Stadtraumes zu gelangen und diesen einheitlich als stehen, wo es gelingt, eine ähnliche schöpferisch Gesamtkunstwerk auf- und zusammenzufassen. begabte, nicht einmal notwendig schöpferisch tätige 25 Die Kritik in der DDR bezog sich generell auf den als Zentralgewalt zu schaffen.» kunst- und inhaltslos empfundenen kapitalistischen, Dieser um 1900 zaghaft, teilweise mit Fragezeichen liberalen Städtebau, der die Mietskaserne hervorge- als Lösung angedachte Antiliberalismus wurde in der bracht hatte, in die sich – gemäß ihrem sozialistischen DDR dagegen verwirklicht. Unter Punkt III, §14, Punkt Staatsverständnis – eine generelle Kapitalismuskritik (2) des Aufbaugesetzes ist die Grundlage zur «Inan- Sara Tazbir Stadtbaukunst in der DDR der frühen 50er Jahre k 3/2009 - 3 spruchnahme» der im Aufbaugebiet liegenden Flächen, derer Stelle bezog sich Strauss hinsichtlich des Ein- ohne eine eindeutige Klärung der Entschädigung, ver- flusses der Gesellschaft auf das Bauschaffen auf ankert worden.26 Damit war die rechtliche Grundlage Grundgedanken Brinckmanns. In seiner Rezension zu für die staatliche, auf Einheit bedachte Planungshoheit Brinckmanns Buch Baukunst ergänzte er den Aus- gesetzt. Der Antiliberalismus als Grundlage der Stadt- spruch Brinckmanns, «man baut so, wie man sich baukunst konnte nun, unter den veränderten