Bauhaus- und Tessenowschülerinnen Ausdrucke dieser Arbeit wurden hinterlegt im Heinrich-Tessenow-Archiv (Kunstbibliothek , Stiftung Preußischer Kulturbesitz), im Archiv Berlin sowie im International Archive of Women in (IAWA), Virginia Polytechnic and State University, Blacksburg, VA / USA

Die Arbeit wurde 2006 mit dem Milka-Bilznakov-Award ausgezeichnet

Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Ingenieurwissenschaften (Dr.-Ing.) im Fachbereich Architektur - Stadtplanung - Landschaftsplanung der Universität Kassel vorgelegt von Corinna Isabel Bauer aus Neustadt an der Weinstraße

Kassel, im Juli 2003 Disputation am Fachbereich Architektur - Stadtplanung - Landschaftsplanung am 4.11.2003

Erste Gutachterin Prof. Dipl.Ing. Inken Baller Zweiter Gutachter Prof. Dr. Detlev Ipsen

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden.

Berlin, den 20.6.2003 Corinna Isabel Bauer „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.”

Walter Benjamin Bauhaus- und Tessenowschülerinnen Inhaltsverzeichnis

1 Was diese Untersuchung möchte - Ziele und methodisches Vorgehen 1 Worum geht es? Ausgangslage - Zum Forschungsstand: Bildungsforschung (2) - Professionsforschung / Professionalisierungsforschung (5) - Baugeschichts-forschung (7) - Rezeptionsgeschichtliche Aspekte - Rezeptionserwartungen (9) - Zu den Quellen, den Methoden und dem Aufbau der Arbeit (14) - Zu den Zielen der Arbeit (17)

2 Chancen und Möglichkeiten: Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 19 Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld Architektur (19) - Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ (22) - Häuser der Frau oder Häuser für Frauen? (26) - Architektinnen der Kaiserzeit - Architekturstudentinnen der Kaiserzeit (29)

3 Bilder und Images: Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 33 Das Berufsbild Architektin (33) - ‘Akademische’ und ‘neue’ Architekten (35) - Neue Bauaufgaben (37) - Architektinnen der Weimarer Republik (42) - Schaffende oder schöpfende Frauen? ‘Neues Bauen’, ‘neue Frauen’ und ‘die neue Wohnung’ (49) - Architekturstudentinnen der Weimarer Republik (53) - Zur Definition der Begriffe ‘Tessenow’- und ‘Bauhausstudentin’ (56)

4 Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 57 „Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“ (61) - Architekturinteressierte Studentinnen unter Walter Gropius (62), (71), Ludwig Mies van der Rohe (73) - Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte Architektur am Bauhaus? (78) - Wohnungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was studierten Studentinnen am Bauhaus? (84) - Studiendauer, Studienerfolge (91) - Studiensituationen (94) - Als Studentin am Bauhaus (99) - Resümee (104)

5 Architekturstudentinnen bei Tessenow 107 Das Architekturstudium an der TH Berlin-Charlottenburg (108) - Vom einfachen Bauen und vom harmonischen Menschen: Heinrich Tessenow als Lehrer (111) - Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte bei Tessenow? (115) - Handwerkerhäuser und Mädchenschulen: Was studierten Tessenowstuden- tinnen? (124) - Studiendauer, Studienerfolge (139) - „Straßige Straßen” und „weibliche Plätze”: Studiensituation - Studienklima (141) - Als Studentin im Seminar Tessenow (144) - Resümee (149)

6 Studengänge und Studentinnen im Vergleich 151 Kapitale im Vergleich (152) - Berufsvererbung und Studienwünsche (154) - Studienmotivationen und Lehrerwahl (155) - Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und Seminar (157) - Reale Aufgaben, reelle Entwürfe (160) - Studium oder ‘Schule’? (162) - Mädchen, Frauen, Kameradinnen (170) - Studiendauer und Studienerfolge (174) - Realitäten und Projektionen (175) - Ambitionen und Konsequenzen (178) - Resümee (179)

7 Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 183 Berufliche Ambitionen - berufliche Hemmnisse (186) - Beziehungen und Bezüge (190) - Das Kameradschaftsehemodell (193) - Berufseinstiege im Exil (195) - Berufswege außerhalb des Reiches (197) - Weiblicher Architekt oder Innenarchitektin? (198) - Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus (201) - Resümee (206)

8 Zum Einfluss der ‘Schulen’: Projekte, Bauten, Konzepte 209 Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkgebäude - Vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte (210) - Zeitgeist oder individuelles Statement? Wie planen und bauen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wann? (245) - Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? (250) - Resümee (262)

9 Vom Auftauchen und Verschwinden: Berufsverläufe und Lebenswege von Architektinnen 265 Lebenswege nach 1945 (266) - Berufsdauer - Berufsstatus (268) - Berufsfelder mit und ohne Dauer (274) - Insiderinnen und Outsiderinnen (277) - Berufs- strategien (281) - Berufswechsel - Berufsausstiege (285) - Berufswege und Familienwege (287) - Selfmade-Women in a Man-Made World? (293) - Resümee (300)

10 Resümee 307 Zusammenfassung (307) - Forschungsbedarf (317) - Schlussbemerkungen (319)

Anhang 321 Abkürzunge, Verzeichnis der Gespräche und Interviewsn (320) - Werkbiographien (321) - Literaturauswahl (415) „Research is something of which we are never completely in control. It leads us somewhere, but never to the place we thought we were going.” Beatriz Colomina1

Bauhaus- und Tessenowschülerinnen In den letzten Wochen meines Architekturstudiums an der Hochschule der Kün- jener Heinrich Tessenow zumindest an der TH Charlottenburg offenbar auch etli- ste Berlin stand nach der Abgabe meines eigenen Diplomentwurfs im Frühsom- che Studentinnen unterrichtet. Nur: Wer waren diese Architektinnen? Was, wie mer 1990 noch der obligatorische Abschlussvortrag nach frei wählbarem Thema und wo hatten die gebaut? Darüber ließen sich im Tessenow-Archiv keine Unter- aus. Angeregt durch die „Werkberichte von Architektinnen“ 2 und irritiert durch lagen finden. den Vorfall, dass bei Karen van Lengens Werkvortrag alle Professoren demon- Meine Neugier richtete sich auf die Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- strativ den Saal verlassen hatten, beschloss ich, meinen Abschlussvortrag der blik: wie hatte sich der Emanzipationsschub der zwanziger Jahre auf die Studen- historischen Dimension des Schaffens von Architektinnen zu widmen. In den Ber- tinnen desselben Faches unterschie dlicher Ausrichtungen ausgewirkt? Mein liner Bibliotheken ließ sich hierzu jedoch schlichtweg nicht mehr als die mir be- spezielles Interesse an den Tessenow- und Bauhaus-Schülerinnen war geweckt. reits bekannte und doch so ‘dünne’ „Architektinnenhistorie” finden. Nur zu Char- Mit ehemaligen Tessenowschülerinnen korrespondierte ich bereits als mich ein lotte Perriand hatte ich selbst etwas Material gesammelt und Eileen Gray war mir Reisestipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur 1995 - aufgrund Hans Tupkers Begeisterung für ihre Entwürfe - immerhin mehr als ein erstmals in die Lage versetzte, an verschiedenen Orten in Europa und den USA Begriff: Eine ungemein begabte Designerin, die ebenso extravagante wie ausge- Pläne, Bauten und Papiere einzusehen. Auf der Basis der Namen von jeweils trickste Möbel entworfen hatte. Architektin war sie offenbar auch, hatte dafür je- mehr als 30 Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen begab ich mich auf die Su- doch bei einer Architekturstudentin Privatunterricht genommen und offenbar nur che nach deren Verbleib nach dem Studium. Sie hatten manches Mal den Namen dann auch gebaut, wenn sie es selbst finanzierte. Hatte sie - oh Alptraum - etwa gewechselt, oft die Orte, gelegentlich den Beruf. Von keiner einzigen war ein keine AuftraggeberInnen gefunden? Oder vielleicht gebaut, aber fast nie publi- Nachlass vollständig öffentlich zugänglich, von einer einzigen war ein Werkkata- ziert? Auf diese Idee brachte mich eine Formulierung in einem - von der Fakultät log erschienen. Manch ehemalige dieser Architekturstudentinnen konnte und gerade abgelehnten - Forschungsantrag Karin Wilhelms. Dort war die Rede von wollte jedoch selbst Auskunft geben über ihre Studien- und Berufserfahrungen, einem ‘Schleier der Rezeption’, der erst ‘gelüftet’ werden müsse, bevor die histo- vereinzelt auch über Chancen und Hindernisse. rische Dimension des Schaffens von Architektinnen erforscht werden könne. So konnten im Laufe der Jahre zahlreiche Werkbiografien rekonstruiert werden. Damit kam die dunkle Ahnung auf, dass meine Neugier nicht innerhalb der ver- Diese können weder als vollständig noch als repräsentativ für die Generation die- bleibenden Studienwochen zu befriedigen sein würde. In Ermangelung von Alter- ser in Deutschland während der Weimarer Republik ausgebildeten Architektin- nativen recherchierte ich also zu Eileen Gray, begeisterte mich für ihre in „Wen- nen bezeichnet werden. Dennoch wird hier eine ganze Reihe bisher zumeist un- dingen” publizierten Arbeiten und fand auch persönliche Äußerungen, die eine bekannter Architektinnen sichtbar, ein Einblick in deren Lebenswege und beruf- um vieles spannendere Architektin erkennen ließen als dies die allzu voyeuristi- liches Wirken dokumentiert. Da aus der Neugier zwischenzeitlich eine Forschung sche Monografie Peter Adams andeutete. Mein Abschlussvortrag vor den Herren wurde, bilden diese Werkbiografien nun den Hintergrund, auf dem den Fragen Professoren, Ingeborg Kuhler war gerade erst berufen worden, wurde mit milder nach Ausbildungsprägungen, Lebensplanungen, Arbeits- und Entwurfsbedingun- Langeweile quittiert. Eine Diskussion kam nicht zustande. Erst anschließend im gen nachgegangen werden konnte. Anhand von Bauten, Projekten und Ideen Café Mittelaxe äußerte einer der Hochschullehrer eine Nachfrage, die dem fachli- kann - bei aller Unvollständigkeit - aufgezeigt werden, wie unterschiedlich Archi- chen Rahmen der Präsentation offenbar nicht entsprochen hätte: Ob ich bei mei- tekturstudentinnen der Weimarer Republik - ihr kulturelles Kapital -ihre Vorstel- nen Recherchen denn auch festgestellt habe, dass Gray Lesbe gewesen sei? lungen und Fähigkeiten an verschiedenen Orten der Welt über Jahrzehnte hinweg Angesichts dieser Mischung aus eingeschränktem Erkenntnisinteresse und de- einbrachten. Gerade diese Vielfalt, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, monstrativem Desinteresse setzte sich jedoch die Idee fest, dass einmal gründli- kulturellen und politischen Kontexte dieser Architektinnen führten Richtung cher zu recherchieren wäre, was ‘frühere’ Architekturstudentinnen gebaut haben. „somewhere, but never to the place we thought“. Und es ist unübersehbar, dass Aber wie lassen sich Bauten finden, wenn mensch noch nicht einmal die Namen über die hier vorgestellten Aspekte hinaus zahlreiche Fragestellungen entwickelt der Architektinnen kennt? Seit immerhin 80 Jahren hatten an deutschen Hoch- werden können, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der historischen schulen auch Frauen Architektur studiert. Was hatten die aus ihren Diplomen Dimension des Schaffens von Architektinnen erst begonnen hat.4 gemacht? Auf die Frage, was sie ihren Kolleginnen im Umgang mit der Frage nach der Ge- In Berlin gab es mit dem Bauhaus-Archiv immerhin einen systematischen Zugang schlechterrelevanz rate, antwortete Gae Aulenti 1988: „Erfolgreich bauen kann zu Studentinnendaten des Bauhauses. Aber welche dieser ‘Bauhäuslerinnen’ man nur, wenn man vergisst, dass man eine Frau ist.“ Dass sie erfolgreich bau- wurden Architektinnen? Ich erfuhr, dass sich in letzter Zeit die Nachfragen häuf- en kann, hat Aulenti vorgeführt. Und ihre kategorische Ablehnung der Reflexion ten, es aber definitiv keine richtigen Bauhaus-Architektinnen gebe. Eine architek- über die Gender-Dimension zeigt, dass sie sehr wohl darüber nachgedacht und tonische Diplomarbeit einer Bauhausstudentin lag dennoch im Archiv. auf dem Weg zum beruflichen Erfolg für sich selbst hier eine lauernde Gefahr Als Wolfgang Schäche erzählte, dass er bei der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft ausgemacht hat: Nur in dem sie ‘vergisst’, dass sie eine Frau ist, kann ‘man’ er- auch ehemalige Tessenowstudentinnen kennengelernt habe, bot sich aufgrund folgreich bauen. Heide Moldenhauer räsonierte 1992, dass Architektinnen die Er- der im dortigen Archiv vorhandenen SchülerInnenkartei ein erster konkreter An- fahrung, als Frau - insbesondere als Frau mit Kindern - immer auf Hemmnisse zu satzpunkt. Heinrich Tessenow selbst war mir kaum ein Begriff, obschon er ab stoßen, in Wut und Enttäuschung äußerten. Angesichts eines großen Verlangens 1926 an den Vereinigten Staatsschulen - einem Vorläufer der HdK - unterrichtet nach Realisierung eigener architektonischer Vorstellungen sei - in Reaktion auf hatte. Während meines ganzen HdK-Studiums war er nicht erwähnt worden, galt diese hemmenden Erfahrungen - im Zuge der neuen Frauenbewegung die For- er doch als ‘Traditionalist’, während sich die 1945 neubegründete Architekturfa- derung nach einem Sonderbereich für Architektinnen entstanden. Dieser „Spezia- kultät gerne in der Tradition der ‘klassischen Moderne’ verwurzelt sah.3 Nun hatte listenplatz“ manövriere Architektinnen jedoch wieder an den Rand des Berufes.5

Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne Die Suche nach möglichen, lebbaren, gar erfolgreichen Positionierungen von Ar- Für die großzügige Bereitstellung von Archivalien danke ich insbesondere Ines chitektinnen im Berufsfeld dauert an.6 Sie wird von konkurrierenden Lebensmo- Hildebrand von der Stiftung Schriftenarchiv Bauhaus , Elke Eckert vom dellen und häufig hochemotionalen Diskussionen überschattet. Dabei scheinen Bauhaus Archiv Berlin und Theodor Böll vom Heinrich-Tessenow-Archiv. Außer- die Wahrnehmungen von Architektinnen und die Sichtweisen auf Frauen im Be- dem unterzog sich Dr. Otto Kindt der Mühe, meine Suche nach Tessenows zahl- rufsfeld auf komplexe Weise mit den Schwierigkeiten dieser Suche verwoben, reichen Äußerungen über das Geschlechterverhältnis durch eine Zusammenstel- „intertwained“ (Linda Nochlin) oder „embedded” (Ruth Schwartz Cowan) zu sein. lung entsprechender Textstellen zu unterstützen. Ihnen allen verdanke ich auch zahlreiche Anregungen. Auch der Blick auf Architektinnen früherer Generationen kann sich diesen ver- schiedenen Sichtweisen nicht entziehen. Deshalb war ich ungemein erleichtert, Dass sich zumindest biografische Spuren der jüdischen Architekturstudentinnen als Angelika Wetterer aufzeigte, dass die Professionalisierungstheorie Schneisen rekonstruieren ließen, verdanke ich mehreren menschlichen Glücksfällen: PD Dr. in diesen Interpretations- und Wahrnehmungsdschungel schlagen kann, Struktu- Elisabeth Brachmann-Teubner von der Gedenkbuchdatenbank des Bundesar- ren hinter Berufskozdizes und (Legitimations-)Diskursen sichtbar werden lässt. Im chivs, Dr. Diane Spielman vom Leo-Baeck-Institut in New York, Dr. Antje Gerlach Sinne der Beleuchtung und Differenzierung struktureller Dimensionen von Ge- vom Institut für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Dr. Hermann Simon schlechterkonstruktionen in der Architektur wurde die vorliegende Untersuchung vom Centrum Judaicum und Prof. Julius Schoeps vom Moses-Mendelssohn- unternommen. Denn so dezisionistisch und pragmatisch Aulentis Statement auch Zentrum Potsdam unterstützten mich ebenso kenntnis- wie einfallsreich bei der sein mag, sobald der Diskurs über das Verhältnis von Frauen zu Architekturen in Suche nach den spurlos Verschwundenen. der Welt ist - und das war er mit dem Auftauchen der ersten Architektinnen im Und es war ein ganz besonderer Glücksfall, dass Despina Stratigakos rege Anteil Berufsfeld - ist er durch Tabuisierung nicht zum Verschwinden zu bringen. Und an dieser Forschung nahm, sich unsere Wege in den letzten Jahren mehrfach offenbar handelt es sich um einen dieser wirkmächtigen Legitimationsdiskurse, kreuzten: Durch ihre intensiven Forschungen zu Architektinnen im Deutschen Kai- die ein ganzes Berufsfeld geschlechterhierarchisch strukturieren, Architektinnen serreich wurden mancherlei Zusammenhänge erst erkennbar. vom Bauen abhalten und ihre Ideen, Projekte und Bauten zum Verschwinden bringen können. Eine vergleichende Betrachtung ehemaliger Bauhaus- und Tes- Bedanken möchte ich mich auch für anregende Diskussionen im DoktorandIn- senowstudentinnen eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, einmal nachzuse- nenkolloquium bei Detlev Ipsen, in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen- hen, was es mit den immer wieder akklamierten ‘Schulen’ in der Architektur auf forschung an der UniGH Kassel, der Arbeitsgruppe Frauen und Professionalisie- sich hat und wie verschiedene Haltungen in der Architektur mit der Gretchenfrage rung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung des Geschlechterverhältnisses - Geschlechtersymmetrie versus Geschlechter- am Fachbereich 1 der Technischen Universität Berlin. Die vorliegende Arbeit wä- hierarchie - korrespondieren. Die Beleuchtung von Genderaspekten in der Archi- re ohne einen Forschungszuschuss des Hessischen Ministeriums für Wissen- tektur ist deshalb weniger eine feministische Fingerübung anhand baugeschichtli- schaft und Kultur im Jahre 1995, sowie eine Assistentenstelle aus dem HSPII- cher Fragestellungen als die Suche nach der Konstruktion von Architektur, dem Programm im Land Berlin ab 1996 noch immer nicht zu einem ersten Abschluss Verhältnis von Produktion und Produkt, Berufsfeld und Rezeption und den hierbei gekommen. Hierfür möchte ich mich bei den zahlreichen Initiatorinnen und dem agierenden, i.d.R. nicht geschlechtslosen Individuen. Gerade die Wechselwirkun- Zentrum für Interdisziplinäre Frauenforschung und Genderstudies an der Hoch- gen und Widersprüche zwischen Haltungen und Ansprüchen in der Architektur schule der Künste Berlin bedanken. lassen Hemmnisse wie Möglichkeiten sichtbar werden. Prof. Inken Baller und Prof. Detlev Ipsen danke ich für ihr jahrelanges Vertrauen Eine retrospektive Untersuchung birgt jedoch keine Rezepte für die Gegenwart. in die Relevanz dieses Vorhabens, Prof. Elsa Prochazka und Prof. Maya Reiner Dies sei im Hinblick auf manche vorab geäußerten Erwartungen bereits an dieser für ihre eigenen Blickwinkel auf diese Forschung. Stelle nachdrücklich betont. Dennoch wurde diese Arbeit auch in der Hoffnung Diese Arbeit ist auch das Ergebnis von Hinweisen, Anregungen und Ermunterun- unternommen, dass auf der Basis historischer Erkenntnisse die Potentiale und gen zahlreicher Menschen aus meinem privaten Umfeld. Sie wurde darüber hin- Chancen von Architektinnen konkreter erkannt, initiiert, gefördert und genutzt aus in den Arbeitszusammenhängen, in denen diese Forschung nicht immer er- werden mögen. wünscht war, von einigen wichtigen Menschen gefördert. Ihnen sei auch an die- Die Rekonstruktionen der Werkbiografien waren nur deshalb möglich, weil man- ser Stelle herzlich gedankt. Namentlich nennen möchte ich Irene Schicker-Ney che der ehemaligen Studentinnen sowie ehemalige KommilitonInnen in zumeist und Peter Barozzi, ohne deren unerschütterliches Vertrauen in dieses Projekt die- langen Gesprächen zahlreiche Informationen und Details erinnerten. Viele Famili- se Dissertation nicht existierte. enangehörige dieser Architektinnen unterstützten mein Vorhaben mit Informatio- nen und Materialien, durch stunden-, oft tagelange Einsichtnahme in privat nach- gelassene Materialien. Ihnen allen verdanke ich meine wichtigsten Quellen und zahlreiche besondere Begegnungen. Berlin, im Juni 2003 Isabel Bauer

1 Colomina, Beatriz: Battle Lines E.1027, in: Hughes, Francesca (Hg.): The architect: reconstructing 3 Hier wurde „Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin“ von Christine Fischer- her practice, Cambridge, 1996, S.2 Defoy in den 1980er Jahren dokumentiert und analysiert. Vgl. Fischer-Defoy, Christine: Kunst

2 Initiiert und organisiert von einer kleinen Gruppe Architekturstudentinnen fand unter diesem Titel im Macht Politik. Berlin, 1987. Zum Umgang mit diesem Themenkomplex siehe auch das nicht minder Sommersemester 1990 eine Gastvortragsreihe am Fachbereich Architektur der HdK Berlin statt, bei spannende Buch derselben Autorin: „Kunst, im Aufbau ein Stein” Die Westberliner Kunst- und der u.a. Karen van Lengen, Ria Smit und Madeleine Steigenga, Claude Bétrix, Marianne Burkhalter Musikhochschulen im Spannungsfeld der Nachkriegszeit, Berlin, 2001 und Verena Dietrich Werkvorträge hielten. 4 Zum weiteren Forschungsbedarf siehe Kap. 10

5 Moldenhauer, Heide: Versprünge, Berlin, 1992, S.7

6 Deutsches Architektenblatt, H.3, 2000, S.3

Bauhaus- und Tessenowschülerinnen Diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die zahlreichen Hinweise und Informationen sowie die großzügige und geduldige Bereitstellung von Materialien und Archivalien durch die im folgenden genannten Privatpersonen und MitarbeiterInnen von Archiven. Ihnen allen - wie auch denen, deren Namen mir möglicherweise nicht erinnerlich ist - gilt mein besonderer Dank.

Privatpersonen Archive, Bibliotheken und Institutionen

Anna Abrahams, /NL Dr. Hilde Angelini, Taranto/I Ursula Appelbaum, Stein- Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin, Werner Hoffmann, Herr Limberg hagen Maria und Justine Auböck, Wien/A Esther Bánki, Nijmegen/NL Susie Barton, Archiv des Art Institute of Chicago, Bart H. Ryckbosch Chicago/IL Ingrid Basler, Berlin Dipl.Arch. Carl Bauer, Hannover (+) Prof. Saul Bellow, Archiv der Hochschule der Künste Berlin, Dr. Dietmar Schenk, Karen Krukowski Boston/MA. Asta Berling, Ehrenkirchen Gerda Bijhouwer, Wageningen/NL (+) Dipl.Ing. Lieselotte Boedeker, Tübingen (+) Peter Bogen, Hilchenbach Raymond T. Bowles, Bri- Archiv der Akademie der Angewandten Künste, Wien, Dr. Erika Patka, Silvia Herkt arcliff/NY Elfriede Brüning, Berlin Dr. Barbara Büttner, Halstenbek Dipl.Ing. Erwin Archiv der Akademie der Künste, Abt. Baukunst, Berlin, Dr. Matthias Schirren Busch, Krefeld (+) Dipl.Ing. Karl Buttmann, Wulsbüttel Alexander Canthal, Berlin Archiv der Deutschen Frauenbewegung, Kassel Christa Carras-Mory, Berlin (+) George Danforth, Chicago/IL Dore Dinkelmann-Möhring, Archiv der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, Dr. Angela Dolgner Waldbronn Herbert Ebert, Freital Dr. Gabriel Ehren, Essen Juliane Emmerich, Berlin Lothar Enders, Mannheim (+) Thomas B. Fenlon, Pelham/NY Hanne Fischer, Berlin Archiv der Technischen Universität München, Herr Bachmann Gerlind Fischer-Defoy, Hanau Prof. Hartmut Frank, Hamburg Dagmar Frowein, Berlin Archiv der Technischen Hochschule , Irmgard Rebel, Dr. Marianne Viefhaus Christa Fredenhagen, Dessau Paul Gaiser, Oberndorf Dr. Ute Georgeacopol-Winisch- Archiv Tettnang, Frau Dr. Barth hofer, Wien/A Hella Giesler, Siegen Barbara Grant, /GB Dr. Gabriele Grawe, Archiv der Universität der Technischen Hochschule Stuttgart, Dr. Norbert Becker Paris/F Dipl.Ing. Gert Grossmann-Hensel, Mülheim (+) Gisela Gunkel, Kassel Jürgen K. Gunkel, Grenzach-Wyhlen Mechthild und Jochen Gunkel, Titisee-Neustadt Hella von Archiv des Vereins der Bildenden Künstlerinnnen Berlin, Felicitas Rink dem Hagen, Berlin Dipl.Ing. Iwanka Hahn, Weßling Dr. Aurikel von Haimberger, Sidney/ Association of Collegiate Schools of Architecture, Washington D.C., Initiative of Architectu- CAN (+) Michael Hamburger, Berlin Prof. Asta Hampe, Hamburg Emil Bert Hartwig, ral Research, Michelle A. Rinehart Freinsheim Anja Hauptmann, Berlin Dr.Ing. Alexander Herde, Oldenburg Dipl.Ing. Avery Library, Columbia University New York, Janet Parks, Kitty Chibnik, Paula Gabbard Gertraude Herde, Oldenburg (+) Dipl.Ing. Barbara A. Heise, Syke Assy Henschel, Berlin Bauhaus Archiv Berlin, Dr. Magdalena Droste, Elke Eckert, Sabine Hartmann, Gisela Bre- Dipl.Ing. Robert Hermanns, Geldern Prof. Rudolf Hillebrecht, Hannover Dipl.Ing. Linde mer Hohn, Berlin Prof. Hubert Hoffmann, Graz/A (+) Beatrice Trum Hunter, Hillsboro/NH Sigrid Itting, Ludwigstadt Dipl.Ing. Johannes Josefek, Dortmund Prof. Ricardo Jagmetti, Bauhaus Schriftenarchiv Dessau, Ines Hildebrand, Margot Rumler Zürich Peter Karselt, Lindlar Christiane Kasparek, Grafing Dr. Otto Kindt, Hamburg Bennington College, Rebecca B. Stickney Ursula Kirsten-Collein, Birkenwerder Dr. Barbara Klain, Frankfurt/M. Dipl.Ing. Christa Berlinische Galerie, Helga Linnemann Kleffner-Dirxen, Münster Cordula Klov, Oberaudorf Peter Knaack, Siegen Ann S. Bundesarchiv Koblenz, Herr Pickro und Herr Postuper Koppelman, Yellow Springs/OH Axel Kreher, Wydenes/NL Ella Kreher, Wydenes/NL Günter Kühne, Berlin Dipl.Ing. Klara Küster, Grafing (+) Annemarie Lancelle, Berlin Bundeszentralregister Düsseldorf, Herr Holtwessels Helene Lauer, Wiesbaden Sibylle Lehmann, Berlin Dr. Helmut R. Leppien, Hamburg Bund Deutscher Architekten, Landesverband NRW, Frau Dr. Jöresen Barbara Linke, Saulheim Franz Lohmeyer, Aachen Robert MacDougall, Englewood/FL Bundesarchiv, Aussenstelle Berlin-Lichterfelde, Frau Maerten, Frau Meyburg, Herr Fehlauer Paul Makovsky, /NY Dr. Ursula Makovsky, Berlin Elisabeth Mann-Borg- Bundesarchiv, Aussenstelle Berlin, Gedenkbuchdatenbank, Dr. Elisabeth Brachmann-Teub- hese, Halifax/CAN (+) Claus-Peter von Mansberg, Lüneburg Dorette Martin, Wiesbaden ner, Frau Völschow Dipl.Arch. Annamaria Mauck, München (+) Ferdinand Mauck, München Marcello Mel- meluzzi, Rom/I Dr. Esther Menaker, New York City/NY Rouane Mendel, London/GB Busch Reisinger Museum, Cambridge/MA, Dr. Emily Norris Angelika von Mendelssohn-Siebert, Baku/UKR Prof. Grete Meyer-Ehlers, Berlin Prof. Case Western Reserve University, Cleveland/OH, Helen Conger Edina Meyer-Maril, Tel Aviv/IS Ingeborg Meyer-Rey, Berlin Ove Minsos, Edmonton/CAN Centrum Judaicum Berlin, Dr. Hermann Simon, Barbara Welker Roland Nachtigäller, Kassel Dipl.Ing. Ewa Oesterlen, Hannover Dipl.Ing. Friedrich Chicago Historical Society, Timothy J.Samuelson Oesterlen, Celle Helly Oestreicher, Amsterdam/NL Dipl.Ing. Herbert Osenberg, Köln Dr.Ing. Hildegard Oswald, Portland/OH Dr. Renate Petzinger, Wiesbaden Dr. Sabine Columbiana Library der Columbia University, New York City/NY, Rhea A. Pliakas, Lennea Plakolm-Forsthuber, Wien/A Christina van der Plas-Nau, Mill Valley/CA Mag.Arch. Anna- Anderson Lülja Praun, Wien/A Friederike Profeld, Kreuztal Betty Rahv, Newton Highlands/NJ Cooper Union, New York City/NY, Joyceann Greene Dipl. Arch. Hilde Reiss, Capitola/CA (+) Prof. Wolfgang Rindler, Richardson/TX Cornelia Deutsches Adelsarchiv, Marburg, Herr Dr. Franke Romani, Ascona/CH Prof. Wolfgang Schieder, Köln Manuela und Michael Schmidt, Sin- Deutscher Akademikerinnenbund, Dr. Ursula Huffmann delfingen Dipl.Ing. Sabine Schmidt, München Dipl.Ing. Helga Schmidt-Thomsen, Berlin Dipl.Ing. Beate Schnitter, Zürich/CH Georg Schromm, Wien/A Dr. Hardnack Graf v.d. Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/M., Archiv, Inge Wolf Schulenburg, Bad Salzuflen Dirk Schwiedergoll, Berlin Emira Selmanagic, Berlin Deutscher Lyzeumklub Berlin, Karen Hansel, Margaret Tratzsch Dorothea Siebert, Aken Dr. Thomas Siedhoff, Berlin Gesa Stark, Itzehoe Robin Stein, Deutscher Staatsbürgerinnenverband, Frau Amunat Stamford/CT Uta Steiss-Büchner, Freiburg Albrecht von Stosch, Trier Lynette Tanzer, Deutscher Werkbund Nordrhein-Westfalen, Hanns Uelner Briarcliff Manor/NY Dipl.Ing. Karl Tönnesmann, Jülich Albert Trübe, Aken Dipl.Ing. Fridel Vogel, Hilchenbach (+) Matthias Vogel, Siegen Prof. Clemens Weber, München Einwohnermeldeamt , Frau Posing Eva Weininger, New York City/NY Dr. Peter Weiß, Kassel Waltraud Windfuhr, Kassel Einwohnermeldeamt Berlin-Steglitz, Frau Lobrecht Gertrud Zauleck, Wetter Dipl.Ing. Karl Hermann Zehm, Berlin Christine Zwingl, Wien/A Einwohnermeldekartei der Stadt Wien/Magistratsabteilung 8, Herbert Koch

Genderaspekte im Spannungsverhältnis von Tradition und Moderne Exilarchiv in der Deutschen Bibliothek, Frankfurt/Main, Dr. Marie-Luise Hahn Social Security Administration, Baltimore/MA, Darell Blevins Gemeindearchiv Klein-Machnow, Frau Wehle Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Frau Dr. Winter Getty Center for the Arts and the Humanities, Santa Monica, Dr. Donald Anderle, Anne- Stadtarchiv Aken, Frau Lehmann Mieke Halbrook, Kristin A. Hammer Stadtarchiv Beeskow, Frau Fiedler Hansestadt Hamburg, Abt. Arbeit, Gesundheit und Soziales, Herr Conradt Stadtarchiv Dessau, Frau Dr. Jablonowsky, Frau Geiger Historisches Museum der Stadt Frankfurt/Main, Almut Junker, Dr. Kurt Wettengl Stadtarchiv , Frau Hoppe Institut für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin, Dr. Antje Gerlach Stadtarchiv Dortmund, Herr Buchholz Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main, Volker Harms-Ziegler Stadtarchiv Essen, Frau Vonrüden-Ferner Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner, Dr. Simone Hain Stadtarchiv Frankfurt/Main, Abt. Moderne Akten, Herr Dr. Schneider Institut für Zeitgeschichte, München, Gitta Grossmann Stadtarchiv Halle, Frau Ullrich International Archive of Women in Architectre, Blacksburg/VA, Prof. Milka Blitznakov, Laura Stadtarchiv Hannover, Herr Heine Smith Katz Stadtarchiv Hilchenbach, Herr Gämlich Johannisfriedhof Dresden, Friedhofsverwaltung, Frau Lindner Stadtarchiv Kassel, Herr Klaube Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt/Main, Michael Lenarz Stadtarchiv Kiel, Frau Klüver Jüdisches Museum Prag, Prof. Arno Parík Stadtarchiv Köln, Dr. Wolfram Hagspiel Katholisches Pfarramt St. Paulus, Berlin-Moabit, Frau Möller Stadtarchiv Krefeld, Herr Schulte Kirchenamt Aken, Edith Ulrich Stadtarchiv Lüneburg, Herr Dr. Reinhardt Kelvin Smith Library, Case Western Reserve University, Cleveland/OH, N. Sue Hanson Stadtarchiv Mainz, Frau Göbel Kirchenbuchamt Dresden, Frau Fehre Stadtarchiv Mannheim, Barbara Becker Köthen, Untere Denkmalschutzbehörde, Frau Hortig Stadtarchiv Oberhausen, Herr Dr. O. Dickau Kunsthalle Bielefeld, Wolfram Mandel Stadtarchiv Solingen, Annette Rosenkaymer Landesarchiv Berlin, Herr Dr. Wetzel, Frau Dr. Rousavy, Frau Dr. Schroll, Sylvia Fiedler, Stadtarchiv Zerbst, Herr Frankowski Lydia Kießling, Herr Mattschenz, Herr Schröder, Herr Krukowski Stadtbibliothek Berlin Mitte, Herr Dr. Rohrlach Landesverwaltungsamt Berlin, Frau Winn, Herr Bogdahn, Herr Koch Stadtgeschichtliches Museum Weissensee, Rudolph Kolitsch, Doris Kuhlmann Landeshauptarchiv Potsdam, Frau Dr. Nakath Standesamt Schleswig, Frau Hofbauer Leo Baeck Institute, New York, Dr. Diane Spielman Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Abt. Literatur, Dr. Maren Horn The Metropolitan Museum of Art, New York, Jared Aquino Stiftung Bauhaus Dessau, Dr. Harald Kegler Morgan Guarantee Trust, New York, Bernadette Traub Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Heinrich-Tessenow-Archiv, Theodor Böll Moses-Mendelssohn-Zentrum, Potsdam, Prof. Dr. Julius H. Schoeps Sylt-Archiv, Westerland, Frau Hegenberger Nederlands Architectur Institut, Rotterdam, Alfred Marks, Anneke Stedehouder Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Frau Fulsche, Frau Bock New School of Social Research, New York, Library and Archives, Carmen Henderschott Ungarisches Nationalarchiv, Budapest/U, Edit András Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Maria Wilflinger, Christa Bader-Reim Universitätsarchiv der Bauhausuniversität Weimar, Frau Eichert Planarchiv der TU Berlin, Herr Radecke University of New Hampshire, Milne Special Collections, Dimond Library, Daniel O. Cheever Robert L.Parkinson Library and Research Center, Circus World Museum, Baraboo, Fred Dahlinger Jr. Vassar-College, Poughkeepsie, AAVC Webmistress Sarah Lawrence College, Patricia F.Owen Walker Art Center, Minneapolis/MI, Jill Vetter, Martha Ruddy Salzburger Landesarchiv, Dr. Roswitha Preiß Werkbund-Archiv Berlin, Dr. Angelika Thiekötter, Laurie Stein

Bauhaus- und Tessenowschülerinnen 1 Was diese Untersuchung möchte - Ziele und methodi- sches Vorgehen

Worum geht es? Ausgangslage – Zum For- schungsstand: Bildungsforschung (2) - Profes- sionsforschung / Professionalisierungsfor- schung (5) - Baugeschichtsforschung (7) - Re- zeptionsgeschichtliche Aspekte / Rezeptions- erwartungen (9) - Zu den Quellen, den Metho- haben, zumal hier Frauen erst nach der Wende zum den und dem Aufbau dieser Arbeit (14) - Zu den 20. Jahrhundert zum Studium in Deutschland zuge- Zielen dieser Arbeit (17) lassen worden waren.4 Um die Chance zu erhöhen, zahlreiche Architektinnen zu finden, richtete ich mein Interesse auf Architekturstudentinnen der Weimarer 1 Ihr Anteil stieg bundesweit auf fast 40%. An der TH Dresden Worum geht es? Republik. wurde im Studienjahr 1997/98 mit 50% der Studierenden erst- Diese Untersuchung entstand aus dem Erkenntnisin- Aus Mangel an Daten, Fakten und Quellen standen malig die Parität erreicht teresse an Chancen, Möglichkeiten und Ergebnissen am Anfang dieser Forschung zunächst eher grund- 2 Unter diesem Titel gab die Union International des Femmes der Partizipation von Frauen im Berufsfeld Architek- sätzliche Fragen. Welche Architektinnen gab es? Wa- d´Architectes, Sektion Deutschland 1984 „Eine erste Zusam- tur. Welche Architektinnen entwarfen und realisierten rum scheint es im 20. Jahrhundert in Deutschland so menstellung“ heraus. Für die etablierte Baugeschichtsforschung was, wann, wo, warum und unter welchen Umstän- wenige Architektinnen gegeben zu haben? Welche sind Architektinnen bis heute nahezu kein Forschungsbereich. den - und nicht zuletzt: wie? Frauen kamen auf die Idee, Architektur zu entwerfen, Vereinzelt tauchen Architektinnen namentlich in Lexika auf. Ar- Die seit den 1980er Jahren sichtlich steigende Anzahl Architektin zu werden? Welche Ausbildungswege chive erwägen die Aufnahme von Architektinnennachlässen. An von Architektinnen wie die Zunahme der Architektur- schlugen sie ein, welche Ausbildungsbedingungen fast allen Architekturfakultäten in Deutschland fanden in den studentinnen1 verstärkte die Neugier auf die „Archi- fanden sie vor? - Lag hier schon der Schlüssel zu ih- letzten Jahren Seminare über Architektinnen statt. Diese bleiben tektinnenhistorie“, zumal dem wachsenden Interesse rem “Verschwinden“? Daran schloss sich eine Reihe häufig - auf der Basis der wenigen vorhandenen idiografischen an Architektinnen erst wenige Versuche, die histori- von Fragen zur Professionalisierung und Etablierung Publikationen - den Ansätzen klassischer Baugeschichtsschrei- sche Dimension ihres Wirkens zu erforschen, gegen- von Architektinnen im Berufsfeld an: Wann, wo und bung verhaftet oder befragen unter Blickwinkeln der Genderfor- überstehen.2 wie arbeiteten sie im Berufsfeld? Mit welchen Auf- schung aktuell tätige Architektinnen. traggeberInnen konnten, sollten oder wollten sie Ar- 3 Bereits 1939 stellte Elisabeth Boedeker fest: „Architektinnen (..) Da Architektinnen augenscheinlich zu den unsicht- chitektur entwerfen und realisieren? Wie vertraten sie waren zahlenmäßig nicht zu ermitteln.” Boedeker, Elisabeth: barsten Berufsfrauen des 20.Jahrhunderts gehören3, ihre Interessen? Welchen Organisationen traten sie 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland, Hannover, 1939, L I - wählte ich für diese Arbeit den Quellenzugang, der bei? Wie reagierte der zuvor exklusiv männliche Be- Vgl. auch Reich, Doris: Architektinnen, eine Stecknadel im Heu- zumindest einen Ausschnitt der Spuren potentieller rufsstand auf die neuen Mitglieder? Welche Berufs- haufen? in: Schlüter, Anne (Hg.): Pionierinnen - Feministinnen - Architektinnen sichtbar werden lässt: Die Architektur- wege und Karrieren standen ihnen offen, welche blie- Karrierefrauen?, Pfaffenweiler, 1992, S.231-242 und Wetterer, fakultäten. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhun- ben ihnen verschlossen? Welche Perspektiven ent- Angelika: Architektinnen - eine unbekannte Größe, in: Stein, dert verfügten nur wenige Frauen über die Möglich- wickelten sie selbst? Welches berufliche, politische, Ruth Heidi / Angelika Wetterer (Hg.): Studierende und studierte keiten, sich Zugang zu höherer Bildung zu verschaf- feministische Selbstverständnis bremste oder beflü- Frauen, Kassel, 1994. fen. Schon aufgrund dieser Hürde konnten in den gelte ihre Berufswege? In welchem Verhältnis stan- 4 Dies bspw. im Unterschied zu der Schweiz, den USA, aber auch Jahren des deutschen Kaiserreiches nicht allzu viele den ihre Berufsvorstellungen zu ihren Lebenspla-nun- zu Finnland, wo Frauen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu- Studentinnen Architektur an Hochschulen studiert gen, ihren gelebten Leben? mindest ausnahmsweise zum Studium zugelassen wurden.

Ziele und methodisches Vorgehen 1 Lässt die augenscheinlich geringe Anzahl der Archi- der Durchsetzung von Bildungsrechten für Frauen tekturstudentinnen in der ersten Hälfte des 20.Jahr- resp. Mädchen kann inzwischen - rückblickend bis hunderts diese als Forschungsgegenstand zunächst ins 18.Jahrhundert - als erschlossen betrachtet wer- 5 Diese Annahme sollte sich als relativ erweisen. marginal erscheinen5, so stellt sich angesichts der den.12 Historische Forschungen zur Technikpräferenz 6 Zumal der fast obligatorische Namenswechsel bei Heirat ein Breite des Nichterforschten bei näherem Hinsehen bei Mädchen fehlen bisher. Auffinden ehemaliger Studentinnen erschwert. die Frage, welche Fokussierung einen befriedigen- 7 Vgl. hierzu Dietzsch, Folke: Die Studierenden des Bauhauses, Erkenntnisinteressen der Frauenforschung motivier- den Tiefgang erlaubt. Wo also bietet sich eine Chan- (Diss.) Weimar, 1990; Droste, Magdalena: Bauhaus 1919-1932, ten seit den späten 1970er Jahren erneut auch histo- ce, Architekturstudentinnen als potentiellen Architek- Köln, 1991; Baumhoff, Anja: Gender, Art and Handicraft at the rische Forschungsarbeiten zum ‘Frauenstudium’ in tinnen auf systematische Weise “auf die Spur zu Bauhaus, PhD. an der John Hopkins University Baltimore, 1994 Deutschland. Dabei wurde der Kampf um den Hoch- kommen“?6 8 Für diesen Hinweis danke ich Wolfgang Schäche. schulzugang dokumentiert, die Studiensituationen 9 Auch wenn gerade dieser Aspekt zunehmend kritischer beleuch- An der bekanntesten Gestaltungsschule des 20.Jahr- von Studentinnen in der Kaiserzeit und während der tet wird. Mit Women in the Metropolis - Gender and Modernity hunderts, dem Bauhaus, studierten bekanntermaßen Weimarer Republik beleuchtet.13 Die Forschungen in Weimar Culture (Ankum, Katharina von (Hg.), Berkeley, 1997) überdurchschnittlich viele Frauen.7 Auch im Seminar widmeten sich zunächst den Universitäten.14 Hier war erschien bspw. eine Sammlung kulturwissenschaftlicher Essays, Tessenow an der TH Charlottenburg lassen sich ab - dank der ersten Frauenbewegung - um 1899, und in denen Modernitätsdiskurse der Weimarer Zeit unter Gender- Mitte der zwanziger Jahre etliche Studentinnen nach- damit deutlich früher als an Technischen Hochschu- aspekten dekonstruiert werden. weisen.8 Warum auch nicht? Gilt doch die Weimarer len (1905-1909) der Zugang von Frauen zum Studium 10 Im Laufe dieser Forschung wurde klar, dass jede der eingangs Republik u.a. deshalb als historisch spannender Zeit- durchgesetzt worden. Inzwischen liegen aber auch genannten Fragestellungen eine eigene Untersuchung lohnen abschnitt deutscher Geschichte, weil sie auch Frauen - zumindest fragmentarische - Forschungsergebnisse würde. eine Teilhabe am politischen Leben in Aussicht stell- zu Studentinnen technischer Fächer an den Techni- 11 Wie bspw. Stücklen, Gerta: Untersuchung über die soziale und te.9 Doch warum studierten relativ viele Studentinnen schen Hochschulen Berlin, Darmstadt, Dresden, wirtschaftliche Lage der Studentinnen. Ergebnisse einer an der Architektur just bei jenem Heinrich Tessenow, der in Braunschweig, München und Stuttgart vor.15 Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin im Wintersemester 1913/14 seinen Schriften nicht nur ein unprätentiöses Bild Diese Forschungen über spezifische Chancen und veranstalteten Enquete, Göttingen, 1916; Knoblauch, Elisabeth: vom Bauen, sondern auch immer wieder das Wesen Rahmenbedingungen von Studentinnen wurden zu- Zur Psychologie der studierenden Frau, Leipzig, 1930. der Geschlechter thematisierte? Und warum studier- meist anlässlich von Hochschuljubiläen - in Ergän- 12 Vgl. bspw. Kleinau, Elke / Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der ten von den vielen Bauhausstudentinnen so wenige zung der Institutionengeschichte - unternommen. Sie Mädchen- und Frauenbildung, Frankfurt/M., 1996; Albisetti, Ja- Architektur? enden häufig mit dem Ende des Hochschulbesuchs, mes: Schooling German Girls and Women: Secondary and Hig- Aufgrund vorhandener Namenslisten der Studieren- da sie in der Regel auf universitären Archivquellen her Education in the Nineteenth Century, Princeton, 1988. den des Bauhauses wie im “Seminar Tessenow“ an basieren. Auch deshalb sind sie im Hinblick auf mo- 13 Soden, Kristine von: Zur Geschichte des Frauenstudiums, in: der TH Charlottenburg war ein erster Zugriff möglich. bile Architekturstudentinnen oft unbefriedigend. Denn diess./ Gabi Zipfel (Hg.): 70 Jahre Frauenstudium, Köln, 1979 Die Widersprüche und Fragen blieben. Zugespitzt auf die Auswirkungen des Studium auf die jeweilige Pro- 14 Hier existieren zahlreiche Quellen, vgl. bspw. Twellmann, Margit: Tessenow- und Bauhausstudentinnen ging ich man- fessionalisierung kann erst dann rekonstruiert und Die deutsche Frauenbewegung - Quellen 1843-1889, Meisen- chen der zuvor genannten Fragen nach.10 Hierdurch beurteilt werden, wenn das Wechselverhältnis von heim, 1972. wurde eine Präzisierung der Fragestellungen möglich. Ausbildung und Fachspezifika analysiert wird. Dies 15 Duden, Barbara / Hans Ebert: Die Anfänge des Frauenstudiums Dabei zeichnete sich ab, dass das Erfassen eines gelang in einem umfassenden Sinne erstmalig der an der TH Berlin, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Die Technische Querschnittes einer Generation auch methodische 1997 erschienenen Studie „‘Dem Zuge der Zeit ent- Hochschule Berlin Charlottenburg, Berlin, 1979, S.403-418; Vorteile birgt. sprechend....’ Zur Geschichte des Frauenstudiums in Peters, Dietlinde: Frauen an der Technischen Universität Berlin, Österreich am Beispiel der Technischen Universität in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999. Von der Bauakademie zur Wien“.16 „Sich bewähren am Objektiven“ überschreibt Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, S.518-530; Vief- Ute Georgeacopol-Winischhofer ihre darin enthaltene haus, Marianne: Frauen an der Technischen Hochschule Darm- Untersuchung zu Architekturstudentinnen der TH stadt, in: Emig, Brigitte / TH Darmstadt (Hg.): Frauen in der Wis- Zum Forschungsstand Wien zwischen 1919 und 1945, in der sie anhand 18 senschaft, Schriftenreihe Wissenschaft und Technik, Bd. 38, Bildungsforschung rekonstruierter Werkbiografien auch Berufswege Darmstadt, 1988, S.35-62; Scholz, Dorothea: 80 Jahre Frauen- Schon vor der Jahrhundertwende engagierten sich nachzeichnet. studium an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Feministinnen für Fragen der Frauen- resp. Mädchen- 1991, in: Reiche, Karin (Hg.): 90 Jahre Frauenstudium in Sach- bildung. Sie forderten die Einrichtung entsprechender Seit den 1980er Jahren erschienen Forschungsar- sen, Dresden, 1997; Eckhoff, Regina: Das Frauenstudium an der Schulen, forcierten Hochschulgründungen. Auch wis- beiten über Frauen in den freien und angewandten TH Braunschweig von der Kaiserzeit bis 1933, Braunschweig, senschaftliche Arbeiten, die sich insbesondere sozia- Künsten, deren zahlreiche Aspekte und Erkenntnisse 1993; Fuchs, Margot: Wie die Väter so die Töchter, Frauenstudi- len Fragestellungen widmeten, entstanden im ersten auch einem breiteren Publikum zugänglich wurden.17 um an der Technischen Hochschule München von 1899-1970, Drittel des 20. Jahrhunderts.11 Angesichts der politi- In kunsthistorischen Arbeiten wie in Künstlerinnen- (Faktum, Bd.7), München, 1994; Becker, Norbert: Exkurs: Das schen Option auf Geschlechtergleichheit - bei zuneh- monografien wird der Blick des öfteren auch auf die Frauenstudium an der Technischen Hochschule Stuttgart, in: mender Zersplitterung der Frauenbewegung - nahm Ausbildungsbedingungen gerichtet. Ins Blickfeld Fellmeth, Ulrich (Hg.): Margarete von Wrangell und andere Pio- das Interesse an diesen „Frauenfragen“ während der geraten hier zunehmend Gestalterinnen aus den an- nierinnen. Die ersten Frauen an den Hochschulen in Baden und Weimarer Republik offenbar ab. Ende der 1960er gewandten Künsten. Da im Bereich der Freien Kunst Württemberg”, Sonderband Hohenheimer Themen, 7.Jg., St. Jahre rückten Fragen der Mädchenbildung erneut ins exklusiv männliche Sphären besonders wirkungsvoll Katharinen, 1998, S.127-129, vgl. auch: Frauen an der TH Stutt- Blickfeld. Auch die historische Dimension der Mäd- diskursiv durchgesetzt bzw. aufrechterhalten wurden, gart, Ausstellungs-/ Forschungsprojekt, Stuttgart, 1998. chenbildung sowie die Rolle der Frauenbewegung bei suchen seit den 1990er Jahren etliche Forschungen

2 Was diese Untersuchung möchte 16 Mikoletzky, Juliane / Ute Georgeacopol-Winischhofer / Margit Pohl: „Dem Zuge der Zeit entsprechend....“ Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Technischen Uni- versität Wien, Wien, 1997 17 Wie bspw. Berger, Renate: „Und ich sehe nichts, nichts als die Malerei“, Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert, Köln, 1982; Design Center Stuttgart (Hg.): Frauen im Design - Berufs- bilder und Lebenswege seit 1900, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Stuttgart, 1989; Berlinische Galerie (Hg.): Profes- sion ohne Tradition - 125 Jahre Berliner Künstlerinnen, Katalog, Berlin, 1992 18 So bspw. Dolgner, Angela et. al.: Burg Giebichenstein, Halle, 1993, - siehe auch: Hoelscher, Petra: Die Kunstgewerbeschule Breslau, Wege einer Schule 1791-1933, Dissertation, Kiel, 1996 19 Vgl. FN 7 20 Huerkamp, Claudia: Bildungsbürgerinnen - Frauen im Studium und in akademischen Berufen 1900-1945, Göttingen, 1996 21 So bspw. Glaser, Edith: Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstudiums in Tübingen, Weinheim, 1992; Burchardt, Anja: Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896- 1918, Stuttgart, 1997; Körner, Marianne: Auf fremdem Terrain, Studien- und Alltagserfahrungen von Studentinnen 1900 bis 1918, Bonn, 1997 22 Torre, Susanna (Hg.): Woman in American Architecture, A Histo- ric and Contemporary Perspective, New York, 1977. An Mono- grafien sind zu nennen: Cole, Doris: Eleanor Raymond, Phila- diese Diskurse zu dekonstruieren. Und weil an Kunst- chen Entwicklungen zu werten. Die außergewöhnli- delphia, 1981, Davies, L.B.: Lilian Bridgman, (1866-1948), Ber- hochschulen und Akademien der Zugang von Frauen che Quellenlage nutzend schlägt Huerkamp den ent- keley, 1983; Holmes Bouteille, Sara: Julia Morgan (1872-1957), zum Studium in Deutschland besonders lange um- scheidenden Bogen zur Professionsforschung, be- New York, 1988; Gebhard, David: Lutah Maria Riggs (1896- kämpft war, verbirgt sich hier noch ein spannendes leuchtet anhand einzelner Biografien Berufsprofile 1980) A Woman in Architecture, Santa Barbara, 1992, Gruskin, Stück Institutionengeschichte, zumal von Seiten eben und Berufsverläufe von Ärztinnen und Juristinnen, Nancy B.: Building Context: The Personal and Professional Life dieser Institutionen bisher kein Versuch unternom- damit vergleichend auch Fachspezifika freier Berufe. of Eleanor Raymond, (1887-1989), Boston, 1998 men wurde, das ‘Frauenstudium’ institutionsbezogen In den 1990er Jahren erschienen außerdem erste 23 Schmidt-Thomsen, Helga: Frauen in der Architektur - Neue Be- aufzuarbeiten. In den letzten Jahren wurden verstärkt regional- und fachspezifische Untersuchungen zur rufswege seit der Jahrhundertwende, in: UIFA (Hg.): Architektin Forschungsarbeiten zu den Ausbildungs- und Schaf- Situation von Studentinnen während der Kaiserzeit.21 nenhistorie, Zur Geschichte der Architektinnen und Designerin- fensbedingungen von Künstlerinnen publiziert. Immer In den USA, wo sich Architektinnen ab der Mitte des nen im 20. Jahrhundert. Berlin, 1984, S.15-30, diess.: Leistun- mehr Arbeiten schenken auch der Situation von Stu- 19. Jahrhunderts nachweisen lassen, begann die For- gen im Licht der Öffentlichkeit, ibid. S.31-42 dentinnen Aufmerksamkeit, nennen Namen oder Bei- schung nach der historischen Dimension von Frauen 24 So bspw. Johnson, J. Stewart: Eileen Gray (1879-1976) - Desig- spiele.18 Für das Bauhaus legte Anja Baumhoff 1994 in der Architektur in den 1970er Jahren. 1977 wurde ner, New York, 1979; ETH Zürich (Hg.): Die Architektin Lux Gu- unter dem Titel „Gender, Art and Handicraft at the in New York „Women in Architecture“ publiziert, ein yer (1894-1955), Zürich, 1983; Boeminghaus, Dieter (Hg.): Zeit- Bauhaus“ eine erste Untersuchung vor.19 Versuch, eine chronologische Darstellung der Partizi- räume der Architektin Lucy Hillebrand (1906-1997), Stuttgart, Im gleichen Jahr schloss Claudia Huerkamp eine um- pation von Frauen in der amerikanischen Architektur 1983; Musée des Arts Decoratifs (Hg.): Charlotte Perriand (1903 fassende Studie zur Berufstätigkeit von Akademike- von den Anfängen bis zur Gegenwart mit Projekten -1999), Paris, 1985; Hoffmann, Klaus: Lucy Hillebrand - Wege rinnen ab. „Bildungsbürgerinnen - Frauen im Studium zu collagieren.22 Die deutsche Sektion der Union In- zum Raum, Göttingen, 1985; van Kessel, Ellen /Marga Kuperus: und in akademischen Berufen 1900-1945“ konfron- ternationale des Femmes Architectes gab 1984 die Margaret Staal-Kropholler(1891-1966), Rotterdam, 1986; Adam, tiert anhand eines außergewöhnlichen Quellenzu- „Architektinnenhistorie“ heraus. Im Rahmen dieser Peter: Eileen Gray, London, 1987; Günther, Sonja: Lilly Reich gangs eine Querschnitts- mit einer Längsschnittana- „ersten Zuammenstellung“, so der Untertitel, unter- (1885-1947), Stuttgart, 1988; Devolder, Anne-Mie / Hélène Da- lyse.20 Durch die vergleichende Betrachtung der Abi- nahm Helga Schmidt-Thomsen Recherchen zum men: Lotte Stam-Beese (1903-1988), Rotterdam, 1993; Allmay- turjahrgänge 1915-1945 eines Mädchengymnasiums Werdegang und Verbleib deutscher Architektinnen, er-Beck, et.al. vgl. FN 25; Bulant-Kamenova, Aneta / Daniela in Münster im Hinblick auf Studienfachpräferenzen, die seit der Jahrhundertwende das Berufsfeld betre- Denzel: Anna-Lülja Praun. Möbel, Einrichtungen, Bauten, Wien, Studienerfolge und Berufstätigkeiten gelingt es hier, ten hatten.23 1996; McQuaid, Mathilda (Hg.): Lilly Reich, New York, 1996; sowohl Generationenprofile von Abiturientinnen resp. Constant, Caroline / Wilfried Wang: Eileen Gray - Eine Architek- Seit den 1980er Jahren erschienen an verschiedenen Studentinnen zu erstellen, als auch bspw. Fächerprä- tur für alle Sinne, Tübingen, 1996; Renda, Gerhard (Hg.): Ger- europäischen Orten auch monografische Darstellun- ferenzen im Vergleich zu männlichen Studierenden trud Kleinhempel, 1875-1948. Künstlerin zwischen Jugendstil gen über Leben und Werk einzelner Architektinnen.24 wie in Relation zu ökonomischen und gesellschaftli- und Moderne, Bielefeld, 1998

Ziele und methodisches Vorgehen 3 Dabei ist die Arbeit der ‘Forschungsgrup-pe Lihotzky’ hervorzuheben, da in der Werkbiografie „Margarete Schütte-Lihotzky, Soziale Architektur, Zeitzeugin eines Jahrhunderts“ eine außergewöhnli-che Berufsbiografie im jeweiligen politischen und ge-sell- schaftlichen Kontext dargestellt wird.25 Dennoch folgt auch diese Monografie gängigen Narrationsmu- stern.26

Wie aber könnte das Schaffen von Architektinnen so 25 Allmayer-Beck, Renate / Susanna Baumgartner-Haindl / Marion beschrieben werden, dass auch das Wechselverhält- Lindner-Gross / Christine Zwingl: Margarete Schütte-Lihotzky nis von Werk und Berufsfeld in den Blick kommt? (1897-2000). Soziale Architektur, Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Einen solchen Versuch unternahm Sabine Plakolm- Wien, 1993 Forsthuber. In ihrer Forschungsarbeit „Künstlerinnen 26 Ist die Ehrung des Besonderen aufgrund der Verknüpfung mit in Österreich 1897-1938, Malerei - Plastik - Architek- einer Einzelausstellung anlässlich des 95. Geburtstages allzu tur“ diskutiert sie sowohl die Problematik idiografi- verständlich, so verwundert doch die Konstruktion dieser Singu- scher Darstellungen als auch die sozialhistorische Di- larität: Peter Noever sieht in ihr fälschlicherweise die erste Frau, mension gängiger Rezeptionsmuster im Hinblick auf die an der Wiener Kunstgewerbeschule studierte (ibid., S.7), die die Wahrnehmung des künstlerischen Schaffens von Forschungsgruppe Schütte-Lihotzky bezeichnet sie - ebenso Frauen. Dank dieser Herangehensweise gelingt es unrichtig - als „erste Architektin Österreichs“; (ibid., S.8) - Damit ihr, Wahrnehmungsmuster zu analysieren und in Fra- bleibt auch diese umfassende Darstellung zwangsläufig idiogra- ge zu stellen. Unter dem Stichwort „Funktionalität fisch, werden die Ausgrenzungen aus dem Berufsfeld, wie sie und Eleganz im privaten Raum“ widmet sie ein gan- gerade Schütte-Lihotzky aufgrund ihrer klaren politischen Posi- zes Kapitel der Analyse von Bauten und Projekten tion in extremer Form trafen, auch retrospektiv tabuisiert. österreichischer Architektinnen.27 27 Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstlerinnen in Österreich 1897- 1938, Malerei - Plastik - Architektur, Wien, 1994. Bereits 1988 hatte sie Österreichische Architektinnen der Zwischenkriegszeit vorgestellt in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denk- malpflege, 47.Jg., H.3/4, Wien, 1988, S.171ff.

4 Was diese Untersuchung möchte Professionsforschung - renzierungen von Berufsfeldern manches Mal bereits Professionalisierungsforschung anhand von Berufszählungen beschreiben lassen, Wurde bei der Erforschung von Berufen und Berufs- sind diese Daten für die Architektinnenforschung un- feldern - wie in so vielen Wissenschaftsbereichen - brauchbar, da ihre Erhebung bereits geschlechter- das Geschlecht lange Zeit nicht thematisiert, so blie- kodiert erfolgt.31 ben damit Männer der „Normalfall“, implizit die Norm. Zunehmend mehr SoziologInnen und [Kunst-]Histo- Auch hier wurden im Zuge der ersten Frauenbewe- rikerInnen entdeckten in der Professionsforschung gung wissenschaftliche Arbeiten angeregt, die erst- spannende „Schlachtfelder des Geschlechterkamp- malig Arbeitsbereiche von Frauen analysierten.28 fes“. Konfrontiert mit Hierarchien innerhalb von Be- Dokumentiert wurde die historische Dimension von rufsfeldern, die allzu deutlich geschlechtsspezifisch Frauenarbeiten bspw. anlässlich der Ausstellung „Die strukturiert sind, konzentriert sich die feministische Frau in Haus und Beruf“ 1912. Für diese Präsentation Professionsforschung auf die Konstruktionen dieses wurden Leistungen von Frauen sowie ihr Anteil an Machtgefälles. Status, Habitus und Repräsentation verschiedenen Berufen systematisch aufbereitet. Im wurden zu den Begriffen, anhand derer das „doing 28 So wie bspw. die Forschungen von Gertrud Dyhrenfurth: Die Rahmen einer zwei Jahre später stattfindenden Aus- gender“ - das aktive Herstellen von Geschlechterhier- hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unter- stellung in Leipzig folgte auch die Präsentation der archien - innerhalb der Berufsfelder und der sie legi- rock-, Schürzen- und Tricotkonfektion, Leipzig, 1898; diess.: wissenschaftlich recherchierten, historischen Leistun- timierenden Diskurse untersucht wird. Während die Ergebnisse einer Untersuchung über die Arbeits- und Lebens- gen von Malerinnen, Schriftstellerinnen und Kompo- Professionsforschung die Ausbildung als konditiona- verhältnisse der Frauen in der Landwirtschaft, Jena, 1916. nistinnen.29 Auch in den folgenden Jahrzehnten riss le, quasi lineare Vorstufe einer Erwerbstätigkeit be- Kisker, Ida: Die Frauenarbeit in den Kontoren einer Grossstadt. das Forschungsinteresse nie gänzlich ab, verengte greift, analysiert die Professionalisierungsforschung Eine Studie über die Leipziger Kontoristinnen, Tübingen, 1910 sich jedoch - von wenigen Ausnahmen abgesehen - den Ausbildungsprozess als ein Segment eines Be- 29 Der hierzu erschienene Katalog dokumentiert zumindest die auf ‘Frauenberufe’.30 Die Fokussierung des forschen- rufsfeldes. Die Frage, wie - auch und gerade unter Namen der Erforschten. den Blicks auf vermeintlich geschlechtsspezifische Genderaspekten - aus Menschen „professionals“ 30 Eine dieser Ausnahmen ist bspw. die von Edith Krull an der Phi- Berufsfelder erbrachte kaum neue Erkenntnisse, trug werden, ist in den freien Berufen mit ihrem hohen An- losophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelm Universität Berlin jedoch zur Genderisierung von Berufsfeldern bei, da teil an Autonomie - Selbstdefiniton und Selbstkon- eingereichte Dissertation: Das Wirken der Frau im frühen deut- hierbei Geschlechterrollen sowohl rekonstruiert wie trolle - besonders interessant. Denn für diese Berufs- schen Zeitschriftenwesen (18.Jh.), Berlin, 1939. zementiert wurden. gruppen wird mit Hilfe sog. Gesellschaftsverträge im- 31 Mit Hilfe bspw. der Kategorie „mithelfende Familienangehörige“ Im Unterschied zu anderen Berufen, wo sich ge- mer wieder jener Konsens zwischen Gesellschaft und wurden Architektinnen statistisch zum Verschwinden gebracht, schlechtsspezifische Verschiebungen und Ausdiffe- Berufsgruppe ausgehandelt, der dieses Berufsfeld wenn sie in Partnerschaft mit einem Mann ein Büro betrieben.

Ziele und methodisches Vorgehen 5 nachhaltig strukturiert.32 Materiell und diskursiv wird Baugeschichtsforschung dabei zwischen verschiedenen Interessenlagen ver- Die deutsche Architekturgeschichtsschreibung hat mittelt, wobei das Aushandeln dieser Konsense in Si- keine Nestorinnen. Architektinnen und ihr Schaffen tuationen gesellschaftlichen Umbruchs besonders wurden von der bis in die fünfziger Jahre frauenfreien 32 was bspw. dadurch sichtbar wird, dass die Honorarordnungen deutlich sichtbar wird. Architekturkritik weitgehend übersehen, blieben da- freier Berufe durch das Parlament festgelegt resp. genehmigt mit auch in Baugeschichtsschreibungen bis Ende der werden. Hierbei werden auch die Hierarchien innerhalb des je- Es gibt neuere, historische Forschungen zur Profes- 1980er Jahre unerwähnt.39 Auch BauhistorikerInnen weilgen Berufsfeldes, die Abgrenzung und Verfassung einzelner sionalisierung von Frauen in freien Berufen, in Tech- und ArchitektInnen kennen Architektinnen und deren Statusgruppen festgelegt. nik und Naturwissenschaften.33 Bisher konnte die Pro- Schaffen oft nur auf familiärer oder lokaler Ebene. 33 Böge, Sybille: Weibliche Juristen? Eine historisch-soziologische fessions- und Professionalisierungsforschung bei Ar- Und selbst in interessierten Kreisen sind die Vielzahl Analyse des Zugangs von Frauen zu juristischen Professionen, chitektinnen - aus Mangel an systematischen Quellen der Architekturstudentinnen und Architektinnen vor Kassel (Mag.) 1992; Risch, Gabriele Erika: Auf der Suche nach und Dokumentationen - nur auf einzelne „historische dem 2. Weltkrieg - ihre Existenz, ihre Bauten, ge- der Geschichte der Zahnärztinnen in Deutschland, (Diss.) Mün- Schlaglichter“ zurückgreifen.34 Dabei führte das nicht schweige denn mögliche Qualitäten ihres Schaffens - ster , 1992; Brinkschulte, Eva: Weibliche Ärzte, Berlin, 1993; Ko- verfügbare Wissen über die „Spezies“ Architektin zu quasi unbekannt. blitz, Katja: Kuriosum und Konkurrentin - Juristinnen auf dem abenteuerlichen Spekulationen, die den Blick auf die Vormarsch, in: Bock, Petra /Katja Koblitz (Hg.), Neue Frauen historische Dimension des Schaffens von Architektin- Versuchten Forscherinnen in den 1980er Jahren ein- zwischen den Zeiten, Berlin, 1995, S.129-151; etc. - Tobies, Re- nen nicht erweitern, sondern erneut zu verstellen dro- zelne Aspekte der Baugeschichte feministisch zu be- nate: „Aller Männerkultur zum Trotz“ - Frauen in Mathematik hen35, so, wenn bspw. die Tätigkeit von Architektin- leuchten, so geschah dies in der Regel in Reaktion und Naturwissenschaften, Frankfurt/M., New York, 1997 nen in den Weltkriegen oder während des National- auf diese frauenfreie Baugeschichte. Es erschienen 34 Vgl. Reich, 1992: Architektinnen - eine Stecknadel im Heuhau- sozialismus ausgeblendet oder die Partizipation an „Women in American Architecture“, „Pioneering Wo- fen? - Wetterer, 1994; hinsichtlich der engen Lichtkegel dieser berufsständischen Organisationen mit der Präsenz im men Architects from Finland“, „Women in American „Schlaglichter“ vgl. bspw. Dietrich, Verena: Architektinnen, Berufsfeld gleichgesetzt wird.36 Gerade „Schreibtisch- Architecture 1888-1988“, „Women in Danish Archi- Stuttgart, 1986, S.19-20 forschungen“ sind auf erschlossene Daten angewie- tecture“, „Am Rande der Profession - Frauen als Ar- 35 So, wenn Helga Schmidt-Thomsen aus einer Wahrnehmung ei- sen, laufen damit Gefahr, aus Einzelfunden Befunde chitektInnen in Finnland von 1850 bis 1910“ und „Les ne Feststellung macht: „Mit Architektur beschäftigten sich am zu konstruieren und tappen immer wieder in die Fal- premières Femmes d´Architecture et leurs precurseu- Bauhaus nur ganz wenige Frauen: Vera Meyer-Waldeck, Friedl len herrschender Rezeptionsmuster.37 Und auch femi- ses“, „Frauen im Design“ und die bereits eingangs Dicker, Lotte Gerson.“ Architektinnenhistorie, 1984, S.11. nistische Forschungen, die Interessen und Tätigkeits- erwähnte „Architektinnenhistorie“.40 Bei näherer Be- 36 Der prozentuale Anteil von Architektinnen in Berufsvereinigun- bereiche als vermeintlich geschlechtsspezifische ex- trachtung dieser Publikationen fällt auf, dass es sich gen und Standesorganisationen wird regelmäßig und hartnäckig plizit in Frage stellen, neigen in ihren Erklärungsmu- in der Regel um die Addition von Werkbiografien mit mit ihrem Partizipationsgrad am Berufsfeld gleichgesetzt. So stern zur Reifizierung von Geschlechterklischees.38 einem Exkurs zur Ausbildungssituation der dokumen- verwechselt Regina Mentner Repräsentanz mit Präsenz, wenn tierten Gestalterinnen und Architektinnen handelt. An Wie also lässt sich ein soziohistorischer Beitrag zur sie anhand der Kurzbiografien in der Architektinnenhistorie die einen architekturkritischen Vergleich wagten sich nur Bau- und Architektinnengeschichte schreiben, der die Behauptung aufstellt, dass die Auswahl quantitativ und qualita- Lang-Jacob und Suominen-Kokkoinen, die hierfür Filter der Wahrnehmungsmuster durchkreuzt, aus de- tiv deutlich mache, wie „viele“ Frauen international in diesem stärkere zeitliche Eingrenzungen in Kauf nahmen. ren Scheinlogiken ausbricht? Der sich nicht in der Berufsfeld tätig gewesen seien. Architektinnen - gab es sie? in: Addition von Einzelschicksalen erschöpft oder im Ge- Mentner, R.: Lebensräume für Frauen zwischen Fremdbestim- genzug in die Fallen hagiografischer Betrachtung mung und Selbstverwirklichung, Dortmund, 1995, S.134. Und tappt? Der Projekte und Bauten nicht auf Illustratio- Doris Reich hält es „aus gesellschafts- und frauenpolitischer nen soziologischer Analysen schrumpft und die Ent- Sicht nicht für wünschenswert, daß Frauen im Militärdienst tätig stehungsbedingungen in den Blick bekommt? Und ist sind“, (Reich, 1992, S.236ff.). Da sie architektonische Beiträge - es möglich, nach just jenen baugeschichtlichen Re- vermeintlich „dienstverpflichteter” - Architektinnen nicht sucht, geln zu analysieren und zu würdigen, deren Konven- findet sie sie auch nicht. tionen solch kategorische Blindheit bisher regel(ge)- 37 So kommt Ute Georgeacopol-Winischhofer anhand der von ihr recht erzeugte? rekonstruierten Werkbiografien von Architektinnen zu dem Er- gebnis, dass sich „ein buntes Bild vielfältiger, unterschiedlichs- ter Neigungen, Begabungen und Ziele“ ergebe und anhand der analysierten Aufgabenstellungen und Themenbereiche zu dem Schluss, dass das gängige Klischee eines von Architektinnen bevorzugten Arbeitsbereiches revidiert werden müsse. (Geor- geacopol-Winischofer, 1997, S.199) Dennoch beginnt ihr Absatz über freischaffende Architektinnen mit dem Satz: „Die Wohnung (..) war zweifellos jener Bereich der Architektur, dem Frauen zu- erst und vorzugsweise ihr Interesse widmeten.“ ibid., S.187 38 So bspw. „Tatsächlich studierten nur wenige Frauen am Bau- haus Architektur, was sich unter anderem auf weibliche Sozia- lisationsbedingungen und gesellschaftliche Vorurteile zurückfüh- ren läßt.“ Volland, 1989, S.15

6 Was diese Untersuchung möchte 39 Dies im Unterschied zu bspw. den USA, wo u.a. Catherine Bau- er, Sibyl Moholy-Nagy und Margaret McCausland seit den vier- ziger Jahren regelmäßig in verschiedenen Zeitungen und Zeit- schriften kritische Fachartikel zu historischen und aktuellen Ar- chitekturfragen publizierten und dabei auch Architektinnen und In letzter Zeit erscheinen verstärkt Artikel und Essays, Mittlere ist schon das Schlechte“ formulierte Sabine deren Schaffen mit ins Blickfeld rückten die das Manko der dünnen Quellenlage positiv wen- Plakolm-Forsthuber unter Bezug auf Adorno die Ein- 40 zu Torre vgl. FN 24; Museum of Finnish Architecture / Architecta den: Einzelaspekte aus Leben und Werk einzelner Ar- sicht, dass ein Paradigmenwechsel in der Bauge- (Hg.): Profiles. Pioneering Women Architects from Finland, Hel- chitektinnen werden unter Verzicht auf ein Gesamt- schichtsschreibung nicht möglich sei, da durch das sinki, 1983; American Architectural Foundation: „That Excep- bild baugeschichtlich analysiert.41 Despina Stratiga- Festhalten an der Darstellung des Besonderen nur ei- ’tional One´” Women in American Architecture 1888-1988, Wa- kos schloss 1999 eine umfangsreiche Forschungsar- ne Umkehrung der Prärogative postuliert werde.44 Die shington, 1988; Bay, Helle / Lisbet Pepke, Dorte Ratje, Nina beit zu Architektinnen im deutschen Kaiserreich ab.42 Konstruktion von Singularität lässt sich denn auch in Torgern, Jette Wagner: Women in Danish Architecture, Kopen- Diese Untersuchung erlaubt, dank Materialfülle wie nahezu jeder monografischen Darstellung finden. „Im hagen, 1991; Suominen-Kokkoinen, Renja (Hg.): „The Fringe of Konsistenz, auch eine baugeschichtliche Einordnung Falle von Eileen Gray steht die bescheidene Quantität a Profession - Women as Architects in Finland from the 1890s der dort dokumentierten Bauten von Architektinnen. in scharfem Kontrast zu der außergewöhnlichen Qua- to the 1950s, Helsinki, 1992; Lang-Jacob; Evelyne: Les premiè- lität: Qualität von solchem Rang, dass sie zu den Sichtbare Belege eines architektonischen Schaffens res Femmes d´Architecture et leurs precurseuses, Diss., Genf, Meistern des Neuen Bauens gezählt zu werden ver- wecken das Interesse. Sie sind i.d.R. der Anlass, um 1990; zu Frauen im Design vgl. FN 17 dient, so schmal auch ihr Beitrag sein mag“, schreibt nach den Hintergründen, Motivationen und Zielen 41 Siehe hierzu bspw.: Huber, Dorothee: Die Architektin Lux Guyer Joseph Rykwert 1971, und damit über 30 Jahre dieses Schaffens zu forschen. Für die Rezeptionsge- (1894-1955), in: Kritische Berichte, 14.Jg. H.3, Marburg 1986, nachdem Eileen Gray´s Wirken zum letzten Mal in schichte wie die akademische Diskussion sind mono- S.25ff.; Ehringhaus, Sybille, 1986 vgl. FN 81; Mathilda McQuaid, Fachkreisen überhaupt zur Kenntnis genommen wur- grafische Darstellungen überaus wichtig.43 1996 vgl. FN 24; Colomina, Beatriz: Battle Lines: E.1027, in de.45 Die Wiederentdeckung dieses Werkes sollte Hughes, 1996, S.2-25 Monografien basieren zumeist auf einem Interesse an noch einmal zwanzig Jahre dauern und zeigt, dass 42 Stratigakos, Despina: Skirts and Scaffolding: Women Archi- einer singulären Person, einem singulären Werk. Die auch die zeitgenössisch bereits erkannte Qualität ei- tects, Gender and Design in Wilhelmine Germa“, PhD, Bryn Identifikation mit Werk oder Leben geht häufig über nes Schaffens nicht vor dem ‘Vergessen der Bauge- Mawr, 1999. Bezeichnenderweise wurde diese grundlegende die akademische Betrachtung hinaus, wird jedoch schichte’ schützt, selbst wenn das Werk „so anders, Arbeit von einer Anthropologin an einem Frauencollege in den nicht immer reflektiert. Und die Kenntnis vieler Details so prophetisch [ist], daß es früher oder später Ge- USA in Angriff genommen. Sie unterzog sich der Mühe, die bis führt manches Mal dazu, dass Monografien tenden- genstand eines Kultes werden mußte.“ 46 Aber auch 1918 an Technischen Hochschulen des Deutschen Reiches in- ziell idiografisch, wenn nicht hagiografisch geraten: jenseits von Kult und Prophetie geben uns Projekte skribierten Architekturstudentinnen zu erfassen, ihre Studien- Das “Wissen“ über Person und Werk dient, weit über und Bauten von Architektinnen Aufschluss über Sinn dauer und -erfolge zu dokumentieren und mit räumlichen Ent- eine Dokumentation hinaus, der Plazierung von Werk und Zweck, Absicht und Ergebnis. Wir müssen sie würfen von und für Frauen in der Kaiserzeit zu kontrastieren. und Person in der Baugeschichte. Damit tritt eine - dafür lediglich lokalisieren, dokumentieren, datieren 43 Da sie verschriftlicht und vervielfältigt leichter zugänglich sind möglichst geniale - KünstlerInnenpersön-lichkeit aus und analysieren. als zeitgenössische Fachzeitschriften oder Archive dem Schatten des “allgemeinen“ Kunst- resp. Mit dem Aufblühen der Sozialgeschichte als Alltags- 44 Plakolm-Forsthuber, 1993, S.17; (Th.W. Adorno, 1972, S.280) Baugeschehens und wirft fortan selbst Schat-ten. geschichte rückten zunehmend auch Rahmenbedin- 45 Eileen Gray ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 90 Jahre alt. Ihre Ideen und Werke werden zum Bestandteil eines gungen und Entstehungszusammenhänge künstleri- Rykwert, Joseph: Zwei Häuser von Eileen Gray, in: derss.: Orna- Orientierungssystems, dessen Differenzierun-gen scher Produktion ins Blickfeld. Anfang der 1980er ment ist kein Verbrechen, Köln, 1983, S.81ff. - Reprint eines durch Identifikation und Abweichung von bereits Jahre erreichte dieses Erkenntnisinteresse auch die Aufsatzes, der 1971 in Perspecta erschienen war (H.13/14) bekanten, erforschten und bewerteten Haltungen be- Architektur. So entstand bspw. die Ausstellung „Au- 46 Rykwert, 1983, S.81 - Diese Halbwertzeit scheint bzgl. der Bau- stimmt werden. tobiographische Architektur“, die Werke ausgewähl- ten von Architektinnen besonders kurz zu sein „Approximationswerte sind der Kunst fremd, das ter Architekten mit Selbstzeugnissen konfrontierte.47 47 Ausstellungskatalog, Bonnefantenmuseum, Maastricht, 1988

Ziele und methodisches Vorgehen 7 Ohne strukturelle Kategorien dient hier der Alltag je- tigen Person geschuldet, ihr eigenes Schaffen bleibt doch nur als Folie der Genialität der KünstlerInnen- dementsprechend unerwähnt.56 Sabine Plakolm- persönlichkeit. Die alltäglich notwendigen Vorausset- Forsthuber verfolgte und dokumentierte 1995 den 48 So bleibt auch die Monografie über Schütte-Lihotzky zwangs- zungen einer mehr oder minder genialen Produktion Weg der Wiener Architektin Liane Zimbler im ameri- läufig idiografisch, selbst wenn berufliche und politische Rah- bleiben außen vor, die notwendigen Rahmenbedin- kanischen Exil.57 Myra Warhaftig rekonstruierte die menbedingungen explizit thematisiert werden. gungen künstlerischer Schaffensprozesse tabuisiert. Biografien von Lotte Cohn, Elsa Gidoni und Judith 49 Vgl. FN 44 Selektionskriterium bleibt das Singuläre legitimiert Stolzer-Segal im Rahmen ihrer Forschungen zu den 50 So bildet bspw. der Wettlauf öffentlicher Ehrungen für Schütte- durch das Besondere.48 Lebenswegen emigrierter ArchitektInnen in Palästi- Lihotzky exemplarisch das Verhältnis von Berufsstand und Ar- na.58 Die Forschung über die aus Zentraleuropa emi- chitekturkritik ab: Die öffentliche Wahrnehmung erfolgt dann, Plakolm-Forsthuber hat plausibel dargestellt, dass grierten Architektinnen steht noch am Beginn. wenn sie mehr Reputation als Risiken verspricht, angesichts des auch eine sozialwissenschaftliche Betrachtung nur außergewöhnlich hohen Lebensalters das Risiko schwindet, der Aufrechterhaltung der herrschenden „Ästheti- Das Bauhaus gilt als die besterforschteste Schule in dass die so Geehrte aufgrund der Ehrungen berufliche Ansprü- schen Theorie“ dient.49 Solange die Entstehungsbe- der Architekturgeschichte. Und obwohl er nicht annä- che könnte. „Grete Schütte-Lihotzky wurde in Wien nicht ver- dingungen von Architektur sowie die Mechanismen hernd so oft thematisiert wurde, kann auch der Aus- wöhnt, ihr Kampf um die Freiheit Österreichs nicht belohnt und der Selektion und Selbstrekrutierung der Architekten- bildungsrahmen an der TH Charlottenburg als doku- ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in Anspruch genommen.“ schaft tabuisiert bleiben50, bleibt auch eine sozialge- mentiert gelten. Ideen- wie stilgeschichtlich rekurriert Daraus zieht Friedrich Achleitner den „befriedigenden“ Schluss, schichtlich orientierte Professionsgeschichte ge- die Architekturkritik wie die Baugeschichte häufig auf „daß Wien mit ihr keine Ausnahme gemacht habe.“ (Achleitner schlechtsblind. ‘Schulen’.59 Neben der Referenz auf Einzelpersonen in: Allmayer-Beck, et.al., 1993, S.11) Die Schließungsmechanis- stehen Ortsnamen stellvertretend für die Fakultäten Auch die Faschismusforschung erreichte die Bauge- men des Berufsfeldes bleiben tabuisiert. an der jeweiligen TU resp. TH.60 Einigen wenigen Pro- schichte.51 Es entstanden Arbeiten wie „Architects of 51 Den frühesten Zugang legte Barbara Miller Lane vor: Architec- fessoren wird damit ein entscheidender, i.d.R. visuell Fortune“, „Bauhaus-Architekten im 3. Reich“, „Bauen ture and Politics in 1918-1945, Cambridge, 1968 unverkennbarer Einfluss auf Baukultur und Bauge- im Faschismus“ und die Längsschnittsanalyse „Deut- 52 Nerdinger, Winfried: Bauhaus-Architekten im 3. Reich in: Ner- schichte zugeschrieben. Ähnlich wie der Geschlech- sche Architekten 1900-1970“.52 Hier werden architek- dinger, W. (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, terdiskurs basiert das Denken in Architekturschulen tonische Haltungen vor dem Hintergrund politischer München, 1993, S.153-178; Durth, Werner: Deutsche Architekt- auf einer dualen Logik. Meister und Schüler gewinnen wie persönlicher Integrität, die Assimilationsbereit- en 1900-1970, Braunschweig, 1986; Hochman, Elaine: Archi- in einem wechselseitigen Prozess an Profil. Als schaft erfolgreicher Architekten unter politisch extre- tects of Fortune: Mies van der Rohe and the Third Reich, New selbstreferentielles System verwischt das Wahrneh- men Rahmenbedingungen beleuchtet. Besonders bri- York, 1990; Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, men und Denken in ‘Schulen’ jedoch fortwährend Ur- sant, damit baugeschichtlich besonders umstritten, Wien, 1998; sache und Wirkung: Meisterschulen produzieren Mei- sind diese Erkenntnisse regelmäßig dann, wenn aus 53 Selbst die Tätigkeit Gerdy Troosts wurde bisher nicht erforscht. sterschüler - und vice versa. Dieser Prozess dient ihnen Rückschlüsse auf ideengeschichtliche Pro- 54 Forschungen zu Vertreibung und Remigration setzen manches weniger der Erkennbarkeit als der Unterscheidbarkeit grammatiken gezogen werden. Architektinnen im Na- Mal auf regionaler Ebene an, auch hierbei geraten Architektin- von anderen Schulen, Schülern oder gar Autodidak- tionalsozialismus waren bisher kein Thema.53 nen nur ausnahmsweise ins Blickfeld. Vgl. Kunstamt Schöne- ten.61 Dementsprechend wird nur selten der Versuch berg: Orte des Erinnerns, Berlin, 1995 oder Verein Aktives Mu- Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen wie bspw. unternommen, die konstitutiven Elemente überhaupt seum (Hg.): 1945: Jetzt wohin?, Berlin, 1995 Schriftstellerinnen, Ärztinnen, Fotografinnen, Juristin- zu benennen.62 Und auffällig empfindlich (re-)agieren 55 So bspw. Grawe, Gabriele: Call for Action - Bauhausnachfolge nen oder Kunstwissenschaftlerinnen sind die Berufs- Schulen immer dann, wenn es um Repräsentation in den USA, Diss., Berlin, 1997; Hahn, Peter: Bauhaus und Exil: wege exilierter Architektinnen bisher kaum Gegen- und öffentliche Darstellung geht. So wird zwar man- Bauhaus-Architekten und Designer zwischen Alter und Neuer stand wissenschaftlicher Forschungen geworden.54 ches Mal nach dem (tat)sächlichen oder ideellen Ein- Welt, in: Barron, Stephanie / Sabine Eckmann (Hg.): Exil. Flucht Dementsprechend wenig ist auch über Remigratio- fluss von Schulen auf Schüler gefragt63, das Phäno- und Emigration europäischer Künstler 1933-1945, München, nen bekannt. Die Emigrationsforschung - seit den men Schule wird aber i.d.R. nicht systematisch er- 1997, S.211-223 1960er Jahren in Deutschland sukzessive institutio- forscht: ‘Schulen’ sind offenbar primär Referenz- 56 Unter den 6000 Auswahlbiografien bei Röder / Strauß lassen nalisiert - hat gerade in den letzten zehn Jahren an- systeme der Architekturwahrnehmung und Außen- sich nur zwei Architektinnen finden. Ihr Anteil liegt bei den 8000 gesichts ausdifferenzierter Fragestellungen neben darstellung, deren Relevanz so allgemeingültig ist, Erhebungsbögen der Jewish Research Foundation etwas höher. einer Reihe lexikalischer Werke und Übersichtsdar- dass die Frage nach ihrer Konsistenz bestenfalls 57 Plakolm-Forsthuber, Sabine: Ein Leben, zwei Karrieren, Die Ar- stellungen auch eine ganze Reihe höchst detaillierter nachrangig beantwortet wird. Erst ein Vergleich von chitektin Liane Zimbler, in: Boeckl, Matthias: Visionäre und Ver- Forschungen hervorgebracht, bleibt in der Regel je- ‘Schulen’ über die Zeit der Ausbildung hinaus erlaubt triebene, Wien, 1995, S.295-309 doch der malestream-Definition von Wichtigkeit ver- jedoch die Beantwortung der Frage, in wieweit Aus- 58 Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, 1996. War- haftet.55 So lassen sich vereinzelt Architektinnen als bildungsprägungen, ‘Schulen’ und ‘SchülerInnen’ - haftig nennt darüber hinaus im Architektenverzeichnis Dora Gad Gattinen oder Mütter bedeutender Emigranten finden. jenseits selbstreferentieller Legitimationsdiskurse - [Goldberg] und Helene Roth Ihre Erwähnung ist ihrer persönlichen Nähe zur wich- bestehen. 59 wie bspw. historisch auf die Schinkel-Schule. Während ‘Schü- ler’ sich zumeist bekannten Lehrern zuzuordnen wissen, dient die baugeschichtliche Einordnung als ‘Schüler’ i.d.R. dem Auf- zeigen einer ‘Prägung’. Im Unterschied dazu verweisen topo- grafische Bezeichnungen wie die Berliner oder die Stuttgarter, die Darmstädter oder die Eindhovener Schule, etc. i.d.R. auf kollegial inszenierte Markenzeichen.

8 Was diese Untersuchung möchte 60 so wird bspw. der Berufung Theodor Fischers 1901 an die TH Rezeptionsgeschichtliche Aspekte - gen Präsenz in Fachzeitschriften zeichnet sich ab, Stuttgart die Bedeutung einer ‘Wende’ im Architekturunterricht Rezeptionserwartungen dass Architektur von Architektinnen bei der Kritik und zugesprochen. „Mit der Ankunft Fischers (1901) (..) verband sich Nicht nur zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden Ar- somit anschließend in der Baugeschichtsschreibung eine Wende sowohl im Lehrbetrieb an der Hochschule, als auch chitektinnen von Kollegen wie in der Öffentlichkeit als nur selten Beachtung findet. Augenfällig scheint sich in der Architekturauffassung. (..) Seine neuen, von Städtebau außergewöhnliche Frauen wahrgenommen. Geradezu hierdurch der Eindruck zu bestätigen, dass Architek- und Werkkunde geprägte Lehrmethode, machte die Stuttgarter systematisch scheint Architektinnen damit die Mög- tinnen ebenso marginal am Berufsfeld partizipierten. Hochschule in wenigen Jahren zum Anziehungspunkt“, Nerdin- lichkeit verstellt zu sein, primär fachbezogen wahrge- Diese Untersuchung verfolgt die Hypothese, dass ger, 1988, S.13. Theodor Fischer (1862-1938) unterrichtete 1901 nommen zu werden, sich als normale Frauen in ei- dieser Eindruck weniger der realen Partizipation von bis 1908 an der TH Stuttgart, 1909 bis 1929 an der TH nem normalen Beruf zu bewegen. Ein Durchbrechen Architektinnen als vielmehr einer exkludierenden Re- München dieses Rezeptionsmusters scheint nahezu unmöglich. zeption geschuldet ist.65 Um dies zu überprüfen, den 61 Im Sinne der Abgrenzung von weniger erkennbaren Formationen Institutionelle Quellen (Prüfungsberichte, Protokolle möglichen ‘Schleier der Rezeption’ lüften zu können, 62 So bspw.: „Es wäre einmal interessant festzustellen, inwieweit u.ä.) spiegeln bereits während der Weimarer Republik bleibt nur der Zugang über Quellenmaterial.66 bei denjenigen, die sich selbständig weiter entwickelt haben, die Realität des Frauenstudiums in einer seltsam ver- eine Bindung der Stuttgarter Schule vorhanden ist. Sicher wird zerrten Weise. Nun, da das Recht zu studieren ge- Zu den vermeintlich authentischen Quellen werden sie nachzuweisen sein.“ Graubner, Gerhard: Paul Bonatz und setzlich auch Studentinnen einschliesst, verschwin- manches Mal Autobiografien gerechnet.67 Schon an seine Schüler, Stuttgart, 1931, S.4 den ihre Namen in Protokollen und Berichten. Marti- der vergleichsweise geringen Anzahl von Autobiogra- 63 Wie jüngst auch Engstfeld, Hans-Joachim: Lehre, Lehrer und na Fuchs kommt anhand der Quellen im Archiv der fien von Architektinnen wird deutlich, dass Architek- Wirkungen: Die Poelzig- und Tessenow-„Schule“ in: Schwarz, TH München zu dem Ergebnis, dass diese „gegen tinnen kaum einen Grund oder Anlass sahen, ihre be- Karl (Hg.): 1799-1999 Von der Bauakademie zur Technischen den Strich gelesen“ werden müssen, „um Aussagen rufsbiografischen Erfahrungen zu dokumentieren oder Universität Berlin, Berlin, 2000, S.224-238 zu finden, die sich für eine Geschichte des Frauen- zu veröffentlichen.68 Eine Autobiografie, wie sie bspw. 64 Fuchs, 1994, S.68. Im Unterschied zur Kaiserzeit, wo Anträge studiums interpretieren“ lassen.64 Spuren einzelner von Karola Bloch vorliegt, beschäftigt sich nur am von Studentinnen gestellt und verhandelt werden mussten, sich Architektinnen lassen sich ab 1908 in Tages- und Rande mit beruflichen Erfahrungen.69 Auch Werkver- damit die Debatte um Zulassung in institutionellen Dokumenten Fachpresse finden. In den zehner Jahren wurde auch zeichnisse, Projektdokumentationen, Überblicks- widerspiegelt, kann das Architekturstudium von Studentinnen in der Frauenpresse den wenigen Architektinnen rela- oder Selbstdarstellungen, wie sie von Kollegen ver- während der Weimarer Republik anhand offizieller Dokumente tiv viel Aufmerksamkeit geschenkt. Nur vereinzelt fasst oder in Auftrag gegeben wurden, lassen sich nur unvollständig beschrieben werden. wird dabei hinter dem Phänomen ‘weiblicher Archi- bei Architektinnen kaum finden.70 65 Plakolm-Forsthuber sieht darin weniger eine zeitgenössische tekt’ eine Persönlichkeit sichtbar. Anhand der gerin- Ignoranz als „einen Ausdruck der später nicht erfolgten Rezep- tion.“ Plakolm-Forsthuber, 1994, S.239 66 Denn im Unterschied zu Benhabibs Vorschlag der „Spurenana- Ausschnitt aus dem Fontispiz des Buches von Francesca Hughes lyse“ „in den Fußnoten, den Marginalien“, der Interpretation von randständigen Texten, benötigt die Werkbetrachtung nun einmal einen, ggf. randständigen, Entwurf. Benhabib, Sheila: Der Paria und sein Schatten - Über die Unsichtbarkeit der Frau in Hannah Arendts politischer Philosophie, in: Jansen, Mechthild M. / Inge- borg Nordmann (Hg.): Lektüren und Brüche, Jüdische Frauen in Kultur, Politik und Wissenschaft, Wiesbaden, 1993, S.130-145, hier S.133 67 Huerkamp und Glaser, die jeweils eine ganze Reihe von Auto- biografien, u.a. von Juristinnen und Ärztinnen, auswerteten, kommen zu der Einschätzung, dass diese geschilderten Erfah- rungen nicht repräsentativ interpretiert werden können. 68 So ist bspw. in der Bibliografie: Women´s Diaries, Journals and Letters (ed. Cheryl Cline, New York, 1989) unter immerhin 2990 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Eintragungen kein einziges Ego-Document einer Architektin auf- geführt. Im Unterschied dazu thematisieren bspw. Ärztinnen und Juristinnen, aber auch Ingenieurinnen der gleichen Generation ihre Erfahrungen als Fachfrauen explizit. So bspw. Ilse Essers: Technik an meinem Lebensweg. Als Frau und Ingenieur in der Frühzeit der Luftfahrttechnik, Graz, 1988 69 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981 70 Vgl. bspw. Haesler, Otto: Mein Lebenswerk als Architekt, Berlin, 1957; Gruening, Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinnerungen und Selbstauskünfte, Wien, 1986; Konrad Pü- schel: Wege eines Bauhäuslers, Dessau, 1997 - Soweit Archi- tektinnen autobiografische Abrisse verfassten, sind diese i.d.R. bisher unveröffentlicht.

Ziele und methodisches Vorgehen 9 Bernard Rudofsky unternahm bereits während der Baugeschichte streiten, ob Mart Stam - wie von ihm dreißiger Jahre mit einem Ausstellungsbeitrag den behauptet - der Kopf hinter der unter dem Namen Versuch, gebaute Räume explizit ohne Kenntnis ihrer Brinkmann & van der Vlugt in Rotterdam errichteten Schöpfer, ohne Darstellung ihrer Entstehungsidee zu Van-Nelle-Fabrik gewesen sei.75 Und so entstehen dokumentieren. In der Einleitung zu der erst Jahr- „Beweisführungen“ wie die folgende: „Das Bauamt zehnte später erschienen Publikation „Architektur oh- nennt als Architekten [des 1911 in Berlin ne Architekten“ 71 möchte er diese Bauten einem aka- realisierten Haus Perls; I.B.] einen Herrn Goebbels. demischen Diskurs zugänglich machen, der im 20. Mies [v.d.Rohe], damals noch in Behrens´ Atelier, hat 71 Gedruckt erschienen als Rudofsky, Bernard: Architecture with- Jahrhundert bei der Interpretation und Einordnung sich wahrscheinlich für den Bau mit ihm assoziiert. out Architects: An Introduction to Non-Pedigreed Architecture, eines Werkes zunehmend weniger auf einen ‘Urhe- Der Entwurf gehört jedoch ihm, und er erkennt das New York, 1964 ber’ resp. ‘Autor’ verzichten will oder kann.72 Für die Haus als sein Werk an.“ 76 Die Frage der Autorschaft 72 Der ‘Urheberschaft in der Architektur’ sind in den letzten Jahren in dieser Untersuchung dargestellten Zusammenhän- wird hier gegen die vorliegenden Quellen entschie- Untersuchungen gewidmet worden. Dieser Diskurs kann im ge ist eine Gleichzeitigkeit erwähnenswert: Die Be- den. Die materielle Quelle unter Berufung auf die Au- Rahmen dieser Arbeit nicht befriedigend berücksichtigt werden. deutung der Autorschaft wächst mit dem Stellenwert torität des berühmten Architekten im Schriftwechsel 73 Andrew Saint zeigt die Entwicklung der Autorschaft in der Ge- der [klassischen] Moderne in der Architektur und vice mit den Autoren falsifiziert. Durch die Bekanntheit staltung des 20. Jahrhunderts auf, in der in einer modernen In- versa. Gerade zu einer Zeit, wo die Ausdifferenzie- des Architekten kann der Entwurf - losgelöst von Be- dustrie- und Konsumentengesellschaft Produkt und Name des rung des gesellschaftlichen Sozialgefüges nicht nur schäftigungsverhältnissen oder Machtgefügen wäh- „maß“ - resp. namensgebenden Gestalters verschmelzen. denkbar, sondern möglich wird, die Diversifizierung rend des Entstehungsprozesses - als geistiges Eigen- 74 Hughes, Francesca (Hg.): The Architect - Reconstructing her der Produktionsprozesse eine breite Verlagerung von tum reklamiert und interpretiert werden. „Es gehört Practice, Cambridge/London, 1996 individuell identifizierbarer Hand- und Kopfarbeit auf ihm.“ Der offiziell für das Gebäude verantwortlich 75 Vgl. Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, 1991, S.80 ; Möller, industriell-anonymisierte Maschinenarbeit ihre breite zeichnende Architekt Goebbels schrumpft auf einen Werner: Mart Stam, Tübingen, 1997, S.49ff. Durchsetzung findet, wird die Urheberschaft in der „Herrn Goebbels“. 76 Burkhard Bergius und Julius Posener unter Mitarbeit von Dirk Gestaltung konstitutiv: 1916 werden auf der Leipziger Förster und Dieter Rentschler: Die Listen der individuell geplan- An diesem Beispiel wird erahnbar, wie schwierig das Messe - auf Betreiben des Deutschen Werkbundes - ten Einfamilienhäuser 1896-1968 in AIV (Hg.) Berlin und seine „Outen“ der Autorinnenschaft im Falle assoziierter die ausgestellten Produkte erstmalig explizit mit den Bauten, Teil IV, Wohnungsbau, Bd. C, Die Wohngebäude, S.118 oder angestellter Architektinnen werden kann.77 Auch Namen ihrer ‘Gestalter’ präsentiert, analog zu Wer- 77 Hier scheint ein weiteres Dilemma der Architektinnengeschichte wenn sich in detaillierter Einzelforschung Urheberin- ken in der freien Kunst.73 begründet: Viele Projekte resp. Beteiligungen von Architektinnen nenschaften und maßgebliche Beteiligungen an Pro- entstanden in den frühen Berufsjahren. Die mit der Bekanntheit Wie lassen sich Rezeptionsmuster durchbrechen, die jekten rekonstruieren lassen, aufgrund der gängigen eines Lebenswerkes steigende Aufmerksamkeit kann für die einer öffentlichen Repräsentation von Architektinnen Praxen von Architekturkritik und Rezeption, bei der Mehrzahl dieser Projekte nicht reklamiert werden. systematisch im Wege zu stehen scheinen? die Igel immer vor den Hasen ankommen, bleiben Ar- 78 Einer anderen Untersuchung muss es vorbehalten bleiben, die chitektinnen in der Baugeschichte aussen vor. Ange- Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es erste Versuche, komplexen Wirkungsmechanismen offensichtlich geschlechts- sichts der geringen Quantität von Architekturstuden- architektonische Entwürfe anhand analytischer Refle- spezifischer bzw. geschlechtsgebundener Wahrnehmung und tinnen und Architektinnen während der Weimarer Re- xionen von Architektinnen ins Blickfeld zu rücken. Ei- Rezeption eingehend zu analysieren, zumal für eine solche Ana- publik entsteht so leicht der Eindruck, dass sie bei ne solche „Rekonstruktion ihrer Praxis“ (Hughes) ist lyse geeignete Parameter näher bestimmt werden müssen. diesem ungleichen Rennen vielleicht gar nicht an den methodisch jedoch auf den Zugang zu entsprechen- 79 1894 in einer Hamburger Kaufmannsfamilie geboren studiert Start gegangen sein, nicht entworfen, nicht gebaut den Selbstreflexionen von Architektinnen angewie- Martha Helene Moeschke dort bei Richard Luksch Keramik und haben könnten. Dieser Eindruck entspricht jedoch sen.74 Bildhauerei und besucht ein Jahr lang die Bildhauerklasse von nicht der Realität. Die Rolle von Kritik und Rezeption Josef Wackerle in München. Spätestens ab 1918 ist sie als Mit- Bisher stellt die vorherrschende Wahrnehmung, die ist gerade im Rahmen dieser Forschung unüberseh- arbeiterin im Architekturbüro Hans Poelzigs in Berlin tätig. 1924 lange Tradition exklusiv männlicher Rezeptionspraxis bar. Da die geringe Historizität der Leistungen von heiratet sie den 25 Jahre älteren Bürochef, dessen erste Frau die größte Hürde im Zugang zum Werk von Architek- Architektinnen kein individuelles Phänomen darstellt sich angesichts der schwangeren Mitarbeiterin scheiden lässt. tinnen in Deutschland dar. Dementsprechend führt und die Wahrnehmung ihres Schaffens erkennbaren Auch nach der Geburt von drei Kindern bleibt Marlene Poelzig die Blindheit zeitgenössischer Architekturkritik in der Mustern folgt, bemühe ich mich, diese Reaktionen bis 1933 berufstätig. Ende 1937 - Hans Poelzig stirbt 1936 - historischen Verdichtung anhand publizierter Quellen anhand einzelner Projekte zu umreißen.78 Dies sei hier wird sie erneut berufstätig. Ihre Arbeiten aus dieser Zeit sind i.d.R. zu blinden Flecken. Um den Blick auf Werke an einem bekannten Beispiel kurz skizziert. bisher nicht erforscht. Marlene Poelzig starb 1985 in Hamburg. von Architektinnen richten zu können, sind Zugänge Moeschke wurde in der zeitgenössischen Architektur- 80 Die näheren Umstände dieses Umbaus sind bisher nicht recher- erforderlich, die bisherige Kategorien der Architektur- kritik wie in der Baugeschichtsschreibung zumindest chiert. Die Biografen und Poelzig-Verehrer erwähnen diesen kritik aufgreifen, aber auch bewusst ignorieren. wahrgenommen.79 1918 wird die Bildhauerin Mitarbei- Umbau mit keiner Silbe, obschon dieser zu den gesicherten Die „wahre” AutorInnenschaft ist in der Architektur terin Hans Poelzigs, ab 1919 wird sie in Publikationen Werken des Meisters zählt. ohnehin ein heißes Eisen, sie anhand einer Entste- genannt - so bspw. beim Umbau des Schauspielhau- 81 Ehringhaus, Sybille: Übrigens in ausgesprochenem Gegensatz hungsgeschichte baugeschichtlich zu rekonstruieren ses in Berlin. Insbesondere ihre Mitarbeit bei plasti- zur Auffassung eines Corbusier..., Marlene Moeschke-Poelzig, resp. zu verifizieren ein schwieriges Unterfangen. schen und bühnenbildnerischen Aufträgen findet im- Bildhauerin und Architektin 1994-1985, in: Frauen Kunst Wis- Denn das Claimen der Autorschaft gehört zum Archi- mer wieder Erwähnung. Auch nach ihrer Heirat mit senschaft: Architektur - Rundbrief Heft 13, Marburg, Februar tekturgeschäft des 20.Jahrhunderts, bei dem Bauhi- Hans Poelzig 1924 und der Geburt von Kindern bleibt 1992, S.56-66 - Besondere Beachtung schenkt sie dabei der storikerInnen zu RichterInnen werden. So kann die sie als Entwerferin tätig. Der Entwurf des Hauses Rezeption von Bruno Tauts Die neue Wohnung.

10 Was diese Untersuchung möchte Poelzig in der Tannenbergallee, den sie in einem Ar- eher gering“ gewesen seien und dabei einen Wider- tikel selbst 1930 erläutert, wird ihr in der Fachpresse spruch ausmacht zur Situierung des „Atelier(s) der zweifelsfrei zugeschrieben. 1931 wird der Bau in der Hausfrau“ aus dem „das Treiben der Kinder beob- 82 Heuss, Theodor: Hans Poelzig, Bauten und Entwürfe, Berlin, Ausstellung „Poelzig und seine Schule“ gezeigt und achtet“ werden kann.86 Und Ehringhaus stellt die zen- 1939 - reprint, Stuttgart 1985 als ihr alleiniges Werk dargestellt. 1934 wird das trale Frage einfach auf den Kopf: „Gibt es ein Projekt, 83 Ehringhaus, 1992, S.66, FN 6 - Posener, Julius: Hans Poelzig, Haus von Hans Poelzig umgebaut.80 an dem sie [Moeschke-Poelzig] nicht beteiligt war?“ Der Architekt, Tübingen, 1954, derss. Hans Poelzig, Gesam- So provokant sie damit Partei für die nicht-wahrge- Sibylle Ehringhaus nimmt 1992 dieses Haus und sei- melte Werke und Schriften, Berlin, 1970 nommene Architektin ergreift, durch den Umkehr- ne Rezeption zum Anlass, mit Hilfe des Poelzig-Fun- 84 Posener, Julius: Hans Poelzig, Sein Leben, sein Werk, Braun- schluss lässt sich keine AutorInnenschaft konstituie- dus, zeitgenössischen Artikeln und der Sekundärlite- schweig/Wiesbaden, 1994. Posener bedauert, dass Poelzig so ren. Die planende Architektin mutiert hierdurch ledig- ratur dem Schaffen Marlene Poelzigs auf die Spur zu wenig Bauherren für Einfamilienhäuser gefunden habe - „wir lich zur allgegenwärtigen Mitarbeiterin, über deren kommen.81 Sie kritisiert, dass Theodor Heuss als Bio- brauchen nur zwei zu besprechen“ (ibid., S.242). Dennoch be- Beteiligung „wie bei vielen anderen Mitarbeitern“ graf Hans Poelzigs die Autorschaft Moeschke-Poel- spricht er vier: Das Wochenendhaus 1927, die Häuser für die spekuliert werden kann.87 zigs an diesem Haus lediglich als Mitarbeit darstellt.82 Weißenhofsiedlung und für die Siedlung im Fischtal, (1927) Julius Posener, ebenfalls Biograf wie Schüler Poel- Deutlich wird an diesem Beispiel, dass jeder parteili- sowie Haus Steinert in Krefeld, 1929. Das Wochenendhaus - zigs, räumt gegenüber der Autorin ein, „dass jeder, che Blick auf ArchitektInnen vor verschleiernden Im- von Posener als „ausgezeichnet“ und „besonders gut“ gelobt der über Hans Poelzigs Lebenswerk schreibt, dem plikationen nicht gefeit ist, und auch die vermeintlich (ibid., S.247) - entwarf Moeschke-Poelzig für ihre Mutter. (Ich Hause in der Tannenbergallee einen Abschnitt wid- unparteiische Wahrnehmung nur bis zu ihren Hori- danke A. Poelzig für diese Mitteilung) Bei den anderen drei men sollte.“ 83 Als er kurze Zeit später selbst über Le- zonten blickt. Hier schimmert das ‘doing gender’ in Bauten handelt es sich um jene, die sie 1937 im RKK-Aufnah- ben und Werk Hans Poelzigs schreibt, lässt er das der Baugeschichtsschreibung, die Konstruktion von meantrag als ihre eigenen Entwürfe aufführt. Haus in der Tannenbergallee außer Betracht und er- Geschlecht anhand dualer Logiken in seiner ganzen 85 Vgl. Katalog: Poelzig und seine Schule, Berlin, 1931 - Hier wird wähnt bei den Bauten, die ganz maßgeblich, wenn Breite auf. Motiviert durch wen oder was auch immer: z.B. der Entwurf des oft publizierten Wochenendhauses (1927) nicht ausschließlich von Moeschke-Poelzig entworfen Sobald das Koordinatensystem Geschlechterhierar- nicht aufgeführt. Genannt wird Marlene Poelzigs Mitarbeit bei elf wurden die „Mitarbeit seiner zweiten Frau Marlene“.84 chie ins Wanken gerät, die AkteurInnen sich nicht Gebäuden, an erster Stelle wird sie genannt bei den Häusern für analog projizierter Geschlechterrollen zu verhalten die Werkbundausstellung und die Gagfah-Siedlung, beim Gro- Aber auch die Suche nach dem unbekannten Schaf- scheinen, werden sie auch von kenntnisreichen und ßen Schauspielhaus Berlin und dem Theater Salzburg fen Marlene Moeschke-Poelzigs kann Widersprüche kritischen BauhistorikerInnen so verortet, wie es die 86 Womit Ehringhaus die Möglichkeit zur Beobachtung spielender produzieren oder den Blick verstellen. So wenn Eh- Logik des jeweiligen Koordinatensystems ‘verlangt’.88 Kinder mit der Beaufsichtigung von Kindern gleichsetzt. Das ringhaus bspw. feststellt, dass die häufige Erwäh- Atelier ist offenbar Arbeitsraum einer Architektin und nicht einer nung Marlene Poelzigs im Katalog 1931 diesen zu ei- Hatten Architektinnen im 20. Jahrhundert ihrerseits Hausfrau, im Grundriss ist es lediglich mit „kl. Atelier“ bezeich- ner „hervorragenden Quelle“ mache.85 Damit geraten nur selten die Chance, jenseits von Rollenklischees net. die dort nicht erwähnten Bauten, als möglicherweise zu agieren, so gerinnt das geschlechterpolare Den- 87 Ibid., S.59 alleinige Entwürfe Moeschke-Poelzigs, gar nicht erst ken in parteiischen Blicken auf künstlerische Produk- 88 Bei diesem Prozess des posthum ‘In-Ordnung-Bringens’ wird in den Blick. Oder wenn sie - unter Berufung auf ein tionen auch nachträglich zum aktiven ‘doing gender’. i.d.R. das Verständnis vom Verhältnis der Geschlechter zum Interview mit der Tochter - festschreibt, dass „tat- Insbesondere bei heterosexuellen Paaren wird “sie“ - Zeitpunkt der Rekonstruktion zugrunde gelegt. sächlich Marlene Poelzigs hausfrauliche Interessen bei Begeisterung für “ihn“ - bestenfalls zur Mitarbei-

Blick aus dem Speisezimmer in den Garten Haus Poelzig, Berlin, 1930, Marlene Moeschke-Poelzig Straßenansicht (Grundriß EG siehe folgende Seite)

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Ziele und methodisches Vorgehen 11 terin. Der Wahrnehmungshorizont des Autors auf der Suche nach dem Genialischen im Architekten verschmilzt mit dem Koordinatensystem des Ge- schlechterverhältnisses. Auch bei Begeisterung für „sie“ tritt ein Verschmelzen geschlechterpolarer Er- wartungshorizonte ein, wenn - quasi kompensato- risch zur Quellendichte - gleichzeitig nach einer „Po- sition als Architektin, Ehefrau und Mutter“ gesucht wird. Wie aber lässt sich - wenn Geschlechterkonstruktio- nen nur innerhalb eines Wahrnehmungshorizontes dekonstruiert werden können - ein Beitrag zur Archi- tekturgeschichte schreiben, in dem Vielfalt jenseits von Geschlechterpolaritäten wahrnehmbar wird? Da dem circulus vitiosus der Geschlechterpolaritäten nicht zu entkommen ist, liegt dieser Arbeit kein „Ge- schlechtervergleich“ zugrunde. Hier werden Studien- bedingungen, Studienarbeiten und Werkbiografien von Architektinnen vergleichend analysiert. Dass das Fokussieren auf Architekturstudentinnen resp. Archi- tektinnen als “isolierte“ Betrachtung von Frauen im Fach nicht funktionieren kann, ist angesichts der Prä- senz von Lehrern, Kommilitonen, Kollegen und nicht zuletzt von Vätern und Gatten deutlich. Der Versuch, parteilich die Rahmenbedingungen der jeweiligen Studentin resp. Architektin zu rekonstruieren, richtet sich zunächst auf die Dekonstruktion „festgeschrie- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bener“ Sichtweisen.89 Bei dem Versuch Wechselwir- kungen von AkteurInnen und Berufsfeld nachzuzeich- nen, müssen implizite Geschlechterkonstruktionen explizit diskutiert werden. Dennoch bieten nur geziel- te Blickwechsel in der Betrachtung, der Wahrneh- mung und der Analyse n.m.E. eine Chance, das Ge- flecht anscheinend widersprüchlicher Fakten, Aus- sagen und Bauten annähernd plausibel zu entwirren. Im folgenden wird der Versuch unternommen anhand einer Generation von Architekturstudentinnen ein Stück Bau- und Professionsgeschichte als “kollektive Erfahrungsgeschichte“ zu schreiben und mit einem Stück “Institutionengeschichte“ - anhand unter- schiedlicher Architekturschulen - , wie “historisch-kri- tischer Architekturgeschichte” - anhand verglei-chen- der Einzelbetrachtungen - zu collagieren. Was aber kann diese Vorgehensweise leisten und was nicht? Und wie lassen sich Chancen und Möglichkei-ten einer Generation von Architekturstudentinnen rekon- struieren? Um diese Generation fassen zu können, wird in Kapi- tel 2 zunächst die Situation während der Kaiserzeit skizziert. Im Kapitel 3 werden die Berufsprofile von ‘Architektin’ und ‘Architekt’ während der Weimarer Republik verglichen und interpretiert. Anhand von Publikationen wird ausgelotet, in welchem Wechsel- verhältnis die Aktionsradien von Gestalterinnen zu Haus Poelzig, Tannenbergallee. Lageplan den Positionen von Standesorganisationen resp. de-

12 Was diese Untersuchung möchte ren Vertretern stehen.90 Erste Verschiebungen im Be- Und Cowan resümierte, dass die Rollenstereotype so rufsfeld sowie Schließungs- und Ausschluss- stark in die Geschlechterkonstruktionen eingeschrie- mechanismen werden hierbei erkennbar. Zeitspezifi- ben (embedded) seien, dass die Bestandteile des sche Geschlechterdiskurse beeinflussen die Studien- entstandenen „Amalgams“ nur mit Hilfe komplexer bedingungen, aber auch die Lebensplanung wie die Strategien überhaupt sichtbar gemacht werden könn- Partnerwahl von Architekturstudentinnen der Weima- ten. Sie umreisst damit die eigentliche Schwierigkeit rer Republik. Deshalb wird während und innerhalb eines solchen Unterfangens, und sie themantisiert des Studiums auch der Stellenwert der Geschlechter- das tiefe Misstrauen wie die - weitgehend tabuisierte diskurse untersucht (Kap. 4 und 5). Im anschließen- - Konkurrenz zwischen unterscheidbaren Selbstver- den Vergleich wird deren Relevanz besonders deut- ständnissen und Lebensmodellen unterschiedlicher, lich (Kap. 6). Im Vergleich zu Architektinnen der Kai- feministisch wie ingenieurtechnisch orientierter Frau- serzeit werden generationenspezifische Eigenheiten en. Gerade unter Feministinnen wurde der Geltungs- sichtbar. Der Einfluss der Ausbildung auf das weitere anspruch des eigenen - oft schmerzlich errungenen - berufliche Schaffen wird sowohl anhand der Berufs- Selbstverständnisses gern schwesterlich proklamiert, einstiege (Kap. 7) als auch anhand der Projekte und der individuell gewonnene Blickwinkel als verbindlich- Bauten (Kap. 8) vergleichend analysiert. Neben der feministische Perspektive für alle eröffnet.92 Partizipation an berufsständischen Organisationen, Architektinnenforschung bewegt sich damit nicht nur Gruppen und Verbänden werden Wettbewerbs- und zwischen den Fronten etablierter Baugeschichtsfor- 89 Auch wenn dies zwangsläufig zu Irritationen führt, da Wider- Ausstellungsbeteiligungen als Parameter beruflichen schung, sondern auch innerhalb der Geschlechterfor- sprüche zu veröffentlichten, bereits zu Baugeschichte konden- Engagements herangezogen. Hierdurch wird zwi- schung in einem verminten Gelände unterschiedlicher sierten, teilweise als Bestandteil der Geschichte in die öffentli- schen höchst unterschiedlichen Berufs- und Lebens- - theoretisch wie emotional besetzter - Prämissen. che Wahrnehmung eingedrungenen Positionen auftreten. Hier wegen ein Generationsprofil der Studentinnen der Deshalb werden im Hinblick auf unterschiedliche Re- wird bewusst der Begriff der Rekonstruktion gewählt, um die Weimarer Republik zumindest in Umrissen erkennbar. zeptionserwartungen explizit folgende Grundannah- subjektive Distanz und Parteilichkeit der Rekonstrukteurin einer men formuliert: Ruth Schwartz Cowan beschrieb das in den 1990er gezielten Reflexion auszusetzen. Zur Diskussion um feministi- Jahren gestiegene Interesse an den Ingenieurinnen - ‘Weiblich’ und ‘männlich’ werden im folgenden als sche Parteilichkeit in hermeneutischen Prozessen vgl. auch folgendermaßen: Neben dem arbeitsmarktpolitischen Geschlechterkonstruktionen verstanden und aus- Benhabib, 1993, S.130ff. Interesse an Ingenieurinnen als (stiller) Reserve in Kri- schließlich zur Kennzeichnung (innerhalb) der ent- 90 Inwieweit die Politik von Standesorganisationen die realen Pro- senzeiten habe der enorm gewachsene Forschungs- sprechenden Diskurse verwendet. fessionalisierungen beeinflusst hat, wird auch erkennbar, wenn bereich feministischer Fragestellungen zu einer er- in Kapitel 8 ausgewählter Beispiele genauer untersucht, in Ka- - Architekturstudentinnen und Architekturstudenten höhten Aufmerksamkeit geführt. Feministische Er- pitel 9 die Berufsverläufe von Bauhaus- und Tessenowstuden- werden damit als (biologisch) unterscheidbar, nicht kenntnisinteressen richteten sich insbesondere auf tinnen im Längsschnitt dargestellt werden. aber als (‘wesenhaft’) unterschiedlich vorausgesetzt. die „Manpower of Women“. Ingenieurinnen hätten als 91 Lt. Schwartz Cowan lässt sich nur im ersten Jahrzehnt diesen „Maltbreakers“ oder „Gender benders“ die als weib- - Die Wahl des Architekturstudiums bzw. das Inter- Jahrhunderts eine kleine Gruppe bürgerlich-feministischer In- lich zugeschriebenen Orte und Tätigkeitsbereiche in- esse an architektonischen Fragestellungen wird als genieurinnen ausmachen, der es gelang, feministische und fach- nerhalb des sozialen Gefüges verlassen. Technisch individuelles Interesse der jeweiligen Studentin unter- liche Interessen zu vereinbaren und offensiv zu vertreten. Ruth geschulte Frauen brächen allzu offensichtlich aus den stellt, die Studienwahl auch auf dem Hintergrund ge- Schwartz Cowan: Forschungsfragen zur Geschichte der Inge- gängigen Rollenstereotypen aus, könnten innerhalb schlechterstereotyper Sozialisationen beleuchtet. nieurinnen, Vortrag im Rahmen der Internationalen Konferenz von Hierarchien Führungsaufgaben übernehmen. Die Frauen(t)raum Technik, am 15.1.1999, Berlin - Die Werkbiografien der Architektinnen werden als Ingenieurinnen selbst wählten ihren Beruf jedoch auf- 92 Dieser Konflikt zwischen verschiedenen Lebensmodellen, der Ausdruck der jeweiligen Lebensplanung nach einem grund von Fachpräferenz resp. Neigung, verstünden die Prämissen individueller Blickwinkel verallgemeinert, ist nicht Architekturstudium begriffen. sich primär als ‘weibliche’ Ingenieure, identifizierten neu: Eine deutliche Parallele dieses Konfliktes zeichnet sich sich i.d.R. mit der gesellschaftlich etablierten, techni- - Mit der „Lebensplanung“ wird - in Erweiterung der während der Kaiserzeit zwischen den ersten Studentinnen und schen Intelligenz. Feministinnen seien aus ihrer Sicht Berufs- oder Karriereplanung - der Bereich der Re- Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung ab, nachdem die Zu- häufig Frauen, die primär im Bereich Feminismus ar- produktionsarbeit ins Blickfeld einbezogen.93 lassungsbeschränkungen zum Hochschulstudium für Frauen beiten. Demgegenüber seien Feministinnen zwar endlich gefallen waren. - Huerkamp (1996, S.150) sieht darin - Vergleiche zwischen den Werkbiografien fokussie- i.d.R. durch das „tatsächliche“ Gendercrossing der weniger einen spezifischen Konflikt zwischen Akademikerinnen ren strukturelle Aspekte, individuelle Fälle werden nur Ingenieurinnen fasziniert, unterstellten aber, dass dies und Frauenbewegten als „einen tiefgreifenden Generationen- zur Illustration herangezogen. Der Individualität des nur unter Verleugnung resp. Ausblendung ‘weiblicher’ konflikt“. Burchardt zeichnet diesen Konflikt in einem eigenen jeweiligen Lebens versucht die Werkbiografie im Anteile möglich sei. Einem Verständnis zwischen In- Abschnitt für die Zeit zwischen 1901 und 1912 nach, diskutiert Anhang Rechnung zu tragen. genieurinnen und Feministinnen geisteswissenschaft- ihn jedoch ebenfalls als Generationen- und nicht als Interessen- licher Disziplinen stünde darüber hinaus die feministi- - Die Entwürfe, Projekte und Bauten werden unter konflikt. (Burchardt, 1997, S.178-184: Generationskonflikt: Die sche Grundannahme im Wege, dass das Patriarchat Bezug auf die jeweilige Ausbildung, aber auch typo- Studentinnen und ihr Verhältnis zur Frauenbewegung) insbesondere im Establishment repräsentiert und zu logisch vergleichend analysiert und interpretiert. 93 Dies hat den Vorteil, dass sowohl den manchmal unterbroche- bekämpfen sei. Diese wechselseitigen Wahrnehmun- nen, manchmal abgebrochenen Berufsverläufen Rechnung ge- Diese Arbeit kann hinsichtlich der Geschlechterdif- gen führten zu Spannungen wie zu einer Entsolidari- tragen werden kann und Rückzüge resp. Ausgrenzungen an- ferenzen im Berufsfeld Architektur weder konkrete sierung zwischen Feministinnen und Ingenieurinnen.91 hand struktureller Merkmale sichtbar gemacht werden können.

Ziele und methodisches Vorgehen 13 Handlungsperspektiven zu deren Überwindung auf- Diese Arbeit stellt Architekturstudentinnen und Archi- zeigen noch die Vielfalt biografischer, ökonomischer tektinnen in den Mittelpunkt der Untersuchung. Ziel oder politisch-kultureller Ambivalenzen der vorliegen- dieser Forschung ist es, anhand der im Anhang do- den Werkbiografien erklären. Sie kann jedoch - auch kumentierten Werkbiografien möglichst viele Facet- ohne expliziten Geschlechtervergleich - retrospektiv ten der Ausbildung sowie der Professionalisierung das ‘doing gender’ in der Architektur während des vergleichend zu beleuchten. Die individuellen wie 20. Jahrhunderts und die verschiedenen [Re-]Akti- strukturellen Rahmenbedingungen dieser Architektur- onsformen ehemaliger Architekturstudentinnen in tra- studentinnen der Weimarer Republik werden im je- ditionell wie modern orientierten Ausbildungs- und weiligen Ausbildungskontext, ihre Professionalisie- Berufsbereichen nachzeichnen. rung innerhalb eines jeweils zu bestimmenden, sich wandelnden wie vielschichtigen Berufsfeldes unter- sucht. Unter der Annahme, dass der Wandel des Be- rufsfeldes, der Wandel innerhalb der Architekturaus- bildungen, der Wandel der Geschlechterverhältnisse, Zu Quellen, Methoden und dem Aufbau dieser der Wandel ökonomischer, politischer, gesellschaft- Arbeit licher Rahmenbedingungen wie bestimmter Milieus An Primärquellen konnten für diese Arbeit genutzt interaktiv, jedoch nicht immer im zeitlichen, räumli- werden94: chen oder diskursiven Gleichklang erfolgt, werden Quellenmaterialien über die Architekturausbildung - in den unterschiedlichen Blickwinkeln durchaus ver- Form von Veranstaltungsverzeichnissen, Immatrikula- schiedene Parameter zugrunde gelegt. Es scheint nur tionsnachweisen, Prüfungslisten, Sitzungsprotokollen, so möglich, dem „doing gender“ - der prozessualen Mitschriften von Unterrichtseinheiten, Zeitungsmel- (Re-)Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit - zwis- 94 Da (Teil-)Nachlässe der von mir gesuchten Architekturstudentin- dungen, Fotos, Zeugnissen und Diplomen sowie ein- chen den verschiedenen Wandlungsprozessen auf nen nur vereinzelt in deutschen Archiven zu finden waren, befin- zelnen Studienarbeiten die Spur zu kommen. det sich die Mehrzahl dieser Primärquellen bei den Architektin- nen resp. ihren Familien. Ein Teilnachlass von Wera Meyer-Wal- Quellenmaterialien zum Schaffen von Architektinnen - So impliziert der Begriff „Generation“, der bzgl. der deck befindet sich im Bauhaus Archiv Berlin. Dort sind auch in Form von Zeichnungen, Wettbewerbsentwürfen, Bauhaus- und TessenowsstudentInnen die Geburts- Teile des planerischen Nachlasses von Annamarie Mauck archi- Bauakten, Fotos, Schriftwechseln zu einzelnen Bau- jahrgänge 1893-1913 subsumiert, den Umbruch von viert. Ein Teilnachlass von Annemarie Lange befindet sich im vorhaben, Baubeschreibungen, Projektdokumentatio- der Kaiserzeit zur Weimarer Republik als historisches Schriftstellerarchiv der Akademie der Künste, allerdings keinerlei nen Schlüsselerlebnis.97 Der Vergleich zwischen bestimm- planerische Unterlagen. In Deutschland sind bisher nur aus- ten Ausbildungsrichtungen erlaubt rückblickend die Quellenmaterialien zur Biografie und Berufssituation nahmsweise Werke bzw. Nach-lässe von Architektinnen archi- Bewertung der Ausbildungsprägung, setzt jedoch zu- von Architektinnen in Form von Selbstzeugnissen aus viert. Der Nachlass der Göttinger Architektin Lucy Hillebrand be- nächst voraus, dass die Identifikation mit der jeweili- der jeweiligen Zeit, darunter Lebensläufe, Briefe, un- findet sich im Archiv des Deutschen Architekturmuseums in gen Schule vergleichbar stark resp. schwach sei. Der veröffentlichte Artikel, Tagebücher, Mitgliedsauswei- Frankfurt/Main, Planunterlagen und Projektdokumentationen der Verzicht auf einen Vergleich mit den Kommilitonen se; und in Form retrospektiver Selbstzeugnisse, da- Architektin Hilde Weström (geb. 1912) sind in der Berlinischen resp. Kollegen rückt die Differenz der „Schulen“ und runter Interviews, Fragebögen, Briefe, Lebensläufe Galerie zu finden. die Architekt(urstudent)innen als aktiv Handelnde in und Werkverzeichnisse 95 Diese Sekundärquellen können darüber hinaus sinnvollerweise den Mittelpunkt.98 Dass ihr Aktionsspektrum damit nochmals unterschieden werden nach den Medien bzw. Ziel- Publizierte Artikel, Manuskripte und Bücher von Ar- nicht automatisch dem der Kommilitonen resp. Kol- gruppen dieser Medien, da die Zusammenhänge wer wann wo chitektinnen - Unpublizierte Kurzgeschichten, Roma- legen gleichgesetzt werden kann, wird anhand punk- wie publiziert - somit einem bestimmten Publikum überhaupt ne von Architektinnen tueller Vergleiche immer wieder deutlich. Es existie- bekannt gemacht - wird, ein spannendes, aber eben auch eige- ren jedoch nahezu keine verschriftlichten Quellen da- Daneben konnten an Sekundärquellen ausgewertet nes Untersuchungsfeld darstellt. rüber, ob Architekturstudentinnen und Architektur- werden95: 96 Oft konnte zunächst entweder biografisches oder oeuvrebezo- studenten der Weimarer Republik über die gleichen genes Material recherchiert werden. Personenbezogen zugängli- Publizierte Artikel über Architektinnen und Architek- familiären Hintergründe, die gleichen Vorbildungen, che Materialien reichen für eine lückenlose Dokumentation des turstudentinnen. Publizierte Zeichnungen von Projek- vergleichbare Studienmotivationen und Berufsvor- Schaffens nur selten aus. Auch für das Selbstverständnis konn- ten und Fotos realisierter Bauten. Artikel über das stellungen, dieselbe Anzahl Chancen verfügten. Erst ten in der Regel entweder zeitgeschichtliche Aufzeichnungen Berufsbild ‘Architektin’ resp. ‘Innenarchitektin’, Aus- dann ließe sich ausreichend differenziert interpretie- oder retrospektive Äußerungen ausgewertet werden. stellungskataloge, Wettbewerbspublikationen. ren, weshalb sie die gleichen oder unterschiedliche 97 Auch wenn, schon aufgrund der Altersdifferenzen innerhalb die- Entwurfsthemen bearbeiteten, dieselben Vorbilder als Schon anhand der Quellenübersicht wird deutlich, ser Generation eingeschränkt werden muss, dass die individuell die ihren ansahen oder ablehnten. Für die Berufsver- dass die Vergleichbarkeit der Quellen i.d.R. hinter- erlebten Konsequenzen dieses politischen Wechsels sehr deutli- läufe ließe sich dieser Logik folgend darstellen, ob fragt werden muss. Deshalb wurden die Quellen che Unterschiede zeitigten. Architektinnen und Architekten dieser Generation mehrfach überprüft, manche Materialien nur in Teil- 98 Durchgängig werden nur Tessenow- und Bauhausstudentinnen resp. einer Ausbildungsrichtung vergleichbar bzw. in- bereichen herangezogen. Aufgrund der Vielfalt der verglichen, punktuell werden Architekt(urstudent)innen anderer wieweit sie tatsächlich geschlechterspezifisch agier- Provenienzen ist eine direkte Vergleichbarkeit oft Ausbildungswege, Generationen, Milieus und Kollegen herange- ten, ob die gleichen oder unterscheidbare Strategien nicht gegeben.96 zogen. zur Akquisition von Aufträgen, zur Publikation, zur

14 Was diese Untersuchung möchte Umsetzung von Entwurfsansätzen, resp. zu ver- Diskursinterpretative Verfahren eignen sind zur Dar- gleichbaren Bauten führten. stellung ideengeschichtlicher Prozesse, lassen Rück- schlüsse auf die Wirksamkeit bestimmter Diskurse Der Verzicht auf den Geschlechtervergleich basiert aber nur innerhalb des Diskurses zu. Die Wirkmäch- auf der Einsicht, dass ein solcher Vergleich die Duali- tigkeit bestimmter Diskurse, also das Verhältnis von tät der Geschlechterkonsturktion selbst nicht durch- Diskurs zu Realität, kann auf diese Weise nicht be- brechen kann, vielmehr erneut rekonstruiert. Gilde- stimmt werden. meister und Wetterer problematisierten Untersuchun- gen, die auf der Grundannahme naturgegebener Ge- Ethnomethodologische Verfahren stehen in dem Ruf, schlechterdualitäten basieren.99 Demnach seien diese die Beschreibung komplexer Prozesse adäquat zu er- in der Lage, geschlechtsspezifische Vor- und Nach- möglichen. Die zur Erkenntnisgewinnung notwendige teile zu konkretisieren und zu analysieren. Gleichzei- Wahrnehmungsdifferenz benötigt als Bezugsgröße je- tig trügen differenzfeministische Ansätze jedoch zu doch immer eine ‘herrschende’ Kultur.102 einer „Reifizierung und Neudramatisierung der Ge- Durch die skizzierten methodenimmanenten Schwie- schlechterdifferenz“ bei, da sie Genderkonstruktionen rigkeiten wird deutlich, dass das mehrdimensionale i.S. instrumenteller Konstruktionen sozialer Ge- Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht ausschließlich schlechtsrollenstereotypen nicht dekonstruieren kön- durch eine Methode zu befriedigen ist. Deshalb wird nen.100 Gildemeister / Wetterer plädierten 1992 dafür, in dieser Arbeit immer wieder der Blickwinkel erwei- mittelfristig „die Gleichzeitigkeit einander auch wider- tert oder verengt, der Blickpunkt gewechselt. Das je- sprechender Zielsetzungen“ feministischer Forschung weils gewählte methodische Vorgehen bleibt erkenn- als notwendig in Kauf zu nehmen - erkenntnistheore- bar. Es wird der Versuch unternommen, Hypothesen, tisch: „das Insistieren auf Gleichheit, Differenz und aber auch Widersprüche und Brüche durch die nähe- Dekonstruktion“. re Betrachtung einzelner Werkbiografien zu pointie- Die vorliegende Arbeit versucht in diesem Sinne, das ren, zu plausibilisieren, ggf. auch zu relativieren. Es Dilemma der “Quellenschnipsel“ fruchtbar zu ma- werden unterschiedliche Ergebnisse, selbst wider- chen, die Varianz der unterschiedlichen Quellen sys- sprüchliche Schlussfolgerungen zugelassen, wenn tematisch zu nutzen. Durch die Überlagerung metho- auch immer wieder in Frage gestellt. Personenbezo- discher Zugänge und Blickwinkel kann eben jene gene Quellen werden im Anhang genannt. Die eben- Komplexität zurückgewonnen werden, die zur Erfas- falls im Anhang dokumentierten Werkbiografien der sung der Wechselwirkungen zwischen Leben und Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bil- Rahmenbedingungen, Verquickung von Professions- den eine Art ‘Folie’, auf der den Fragestellungen der geschichte und individuellem Werk so ergiebig ist. einzelnen Kapitel nachgegangen werden kann. Die stringenten Methoden wissenschaftlicher Be- Dabei orientiert sich die Arbeit zum einen an der Ar- trachtung, die zum Erkenntnisinteresse bezüglich ei- beit Huerkamps: Die Überlagerung einer Quer- mit ei- ner isolierten Fragestellung entwickelt wurden und ner Längsschnittsanalyse entspricht dem gewählten werden, müssen zur Befriedigung dieses singulären Forschungsansatz, wobei die Zeit des Studiums den Erkenntnisinteresses zwangsläufig Abstriche in der Knotenpunkt der Querschnittsanalyse bildet. Zum Komplexität hinnehmen. weiteren dient die Arbeit von Georgeacopol-Winisch- So erlauben die deskriptiv-analytischen Verfahren der hofer als Vergleich. Auch hier wird anhand einer zeit- Werkbetrachtung eben nur sehr bedingt, die gesell- gleichen Ausbildungssituation der Versuch unternom- schaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der men, anhand unterschiedlicher Berufswege die Para- Entstehung von Kunst, Architektur oder Gebrauchs- digmen der Lebensplanungen und Lebenswege von kunst zu reflektieren. Die Idiografie bedingt geradezu Architektinnen aufzuspüren und dabei den Einfluss 99 Gildemeister, Regine / Angelika Wetterer: Wie Geschlechter ge- das Herauslösen des Autors aus dem Kontext, das der Ausbildung retrospektiv nachzuzeichnen. Nicht macht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlich- Allgemeine kann nur als Folie dienen, auf der das zuletzt setzt die Arbeit von Plakolm-Forsthuber Maß- keit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In: Knapp, Besondere (des Werkes, der/s KünstlerIn/ArchitektIn) stäbe für den Versuch, das Schaffen von Architektin- Gudrun-Axeli / Angelika Wetterer (Hg.): TraditionenBrüche. Ent- in Erscheinung tritt.101 nen kontextuell und in sozialhistorisch wacher Per- wicklungen feministischer Theorie, Freiburg, 1992, S.201-254 spektive analytisch einzuordnen. 100 Ibid., S.249 Gerade bei der Betrachtung einer Generation können 101 Aus dieser Position folgert Bourdieu, dass die monografische soziologische Analysen - quantitativ oder qualitativ - Im folgenden wird zunächst der Aufbau der Arbeit Betrachtung nicht mehr zeitgemäß sei, da sie die Komplexität Rahmenbedingungen und Realitäten oft schlüssig er- skizziert. Anschließend werden die Forschungsinter- der Genese nicht genügend berücksichtige. Dementsprechend fassen und interpretieren. Ihre Aussagefähigkeit ist essen im Hinblick auf unterschiedliche Teildisziplinen sei ‘Kunstgeschichtsschreibung’ heute nur als strukturell ver- jedoch auf die Vergleichbarkeit der Daten angewie- erläutert, um die Überlagerung verschiedener Be- gleichende Kunstgeschichtsschreibung denkbar. sen, ihre Reichweite endet geschichtlich zwangsläu- trachtungsweisen aufzuzeigen. 102 Zu den Konsequenzen einer Übertragung dieses methodischen fig mit der Reichweite der (nachträglich kaum adä- Nach einem kurzen historischen Abriss geht es in Ka- Zugriffs auf die Frauenforschung vgl. Gildemeister / Wetterer, quat zu ergänzenden) Quellen. pitel 2 zunächst darum, die Situation im Berufsfeld 1992.

Ziele und methodisches Vorgehen 15 Architektur und Gestaltung bis zum Ende der Kaiser- weit wurden aus Tessenowstudentinnen Tessenow- zeit zu skizzieren. Es wird exemplarisch beschrieben schülerinnen, aus Bauhausstudentinnen Bauhaus- und diskutiert, welche Rolle die Fachpresse, aber schülerinnen? auch die erste Frauenbewegung bei der Professiona- In Kapitel 7 werden die Berufseinstiege ehemaliger lisierung von Frauen in der Architektur spielte. Aber Bauhaus- und Tessenowstudentinnen vergleichend auch Arbeiten bereits gestalterisch professionell täti- dargestellt und beleuchtet. Welche Strategien werden ger Frauen rücken fragmentarisch ins Blickfeld. Ihre erkennbar, welche Hilfestellungen sichtbar? In wel- Arbeiten entstehen in einer Zeit, in der der Zugang chen Berufsbereichen, Themenfeldern und privaten zum akademischen Architekturstudium durchgesetzt Konstellationen bleiben ehemalige Tessenow- und wird, sowie die Debatten um die Erneuerung der Ge- Bauhausstudentinnen während des Nationalsozialis- staltung und der Gesellschaft geführt werden. An- mus tätig? Wo finden sie außerhalb des Deutschen hand der ‘Frauenausstellungen’ wird die Zuspitzung Reiches Zuflucht und Erwerbsfelder? Kurz vor sowie der Debatte innerhalb des Berufsfeldes beschrieben, während der Zeit des Nationalsozialismus stellt sich die Rahmenbedingungen der Studentinnen der Kai- für die Mehrzahl der ehemaligen Architekturstuden- serzeit werden skizziert. tinnen die Frage nach der beruflichen Perspektive. In Kapitel 3 wird der Wandel des Berufsbildes nach- Welchen Stellenwert nimmt dem gegenüber eine Fa- gezeichnet. Anhand von Bauaufgaben, Publikationen miliengründung ein? Welche Bedeutung kommt dabei und Arbeiten von Architektinnen der zwanziger Jahre dem Modell der Kameradschaftsehe zu? wird ausgelotet, welche Verschiebungen innerhalb In Kapitel 8 werden Themen und Berufsbereiche in- des Berufsfeldes in jenem Zeitraum stattfinden, in nerhalb der Architektur chronologisch nachgezeich- dem die Generation der Architekturstudentinnen der net. Was und wie planen und bauen Architekturstu- Weimarer Republik ihr Studium aufnimmt. dentinnen der Weimarer Republik im Laufe ihres Le- Im folgenden werden die architekturinteressierten bens? Welche Relevanz ist rückblickend der Ausbil- Studentinnen beschrieben: Mit welchem kulturellen dung zuzuerkennen? Anhand von Entwurfsthemen, Kapital begaben sie sich in diesen Bereich, welche Wettbewerbsteilnahmen, Aufträgen und Berufsberei- Studienmotivationen und Berufsvorstellungen brach- chen werden Interessenschwerpunkte und Tätigkeits- ten sie mit, wie wurden diese im Verlauf des Studium gebiete von Architektinnen deutlich. Im Vergleich mit beeinflusst? Was lernten sie in der jeweiligen Ausbil- den Themen der Studienzeit werden Übereinstim- dung? Mit welchen Positionen und Haltungen wurden mungen wie - nicht nur zeitgeschichtliche - Differen- sie konfrontiert? Bevor dies vergleichend diskutiert zen sichtbar. Anhand vergleichbarer Themenstellun- werden kann, müssen die spezifischen Profile des gen wird die Frage nach dem Stellenwert der Ausbil- jeweiligen Studiums, die Bedingungen und Möglich- dungsprägung neu gestellt. Unter welchen Umstän- keiten ausgelotet werden. Deshalb werden in Kapitel den zeichnen sich individuelle Handschriften ab? 4 die Spezifika eines Studiums architekturinteressier- Wann bleiben Einflüsse des Studiums unverkennbar? ter Frauen am Bauhaus beleuchtet, verglichen und Bleiben Bauhaus- und Tessenowstudentinnen Bau- diskutiert. Anhand konkreter Studiensituationen und haus- und Tessenow-”Schülerinnen”? vereinzelter Studienarbeiten werden Chancen und Das Kapitel 9 setzt Berufsverläufe und Lebenswege Grenzen dieses Studiums sichtbar. In Kapitel 5 - den in Relation. Wann und wo werden sie als Architektin- Studentinnen im Seminar Tessenow an der TH Char- nen erkennbar? Unter welchen Umständen planen lottenburg gewidmet - werden deren Vorbildungen, und bauen sie nach 1945? Unter welchen Bedingun- Motivationen und Studienziele anhand der familiären gen verlassen sie das Berufsfeld? Wann gelingt eine Hintergründe wie der Studiensituation rekonstruiert Rückkehr? Wo und wann also finden sie - innerhalb, und analysiert. Auch ihre Studienarbeiten und ihre am Rande und außerhalb des Berufsfeldes - Aufga- Studienerfolge sind Gegenstand der Betrachtung. ben und Tätigkeitsgebiete, in denen sie ihre individu- In der Folge können in Kapitel 6 beide Ausbildungs- ellen Interessen und Kompetenzen einbringen? Und richtungen verglichen werden. Anhand von Entwurfs- welche Bedeutung messen Bauhaus- und Tessenow- themen, Studiensituationen und -erfolgen werden die studentinnen ihren beruflichen Ambitionen bei? Unterschiede des Kompetenzerwerbs wie der Stu- Die Schlussfolgerungen in Kapitel 10 resümieren die dienbedingungen für Studentinnen beider Ausbil- möglichen Antworten auf die wichtigsten Fragestel- dungsrichtungen besonders deutlich. Ein Blick auf lungen. Erkennbarer Forschungsbedarf wird umris- andere Fakultäten zeigt Parallelen und Unterschiede. sen. Es gibt mehrere Forschungsgebiete unterschied- Welche Berufsbilder wurden den Studentinnen je- licher Disziplinen, zu denen diese Arbeit neue Aspek- weils vermittelt, welche boten ihnen Anknüpfungs- te beitragen möchte. punkte für eine eigene berufliche Perspektive? Und identifizierten sie sich mit den Haltungen, d.h. in wie-

16 Was diese Untersuchung möchte Zu den Zielen dieser Arbeit ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts eröffnete Frau- Diese Arbeit möchte einen ergänzenden Beitrag zur en de facto die Aussicht, durch akademische Status- Bildungsgeschichte von Frauen im Deutschland der vorteile einen Zugang zu einem bis dato exklusiv Weimarer Republik leisten und dabei Architekturstu- männlichen Berufsbereich zu finden. Zeitgleich mit dentinnen als spezielle Gruppe innerhalb der Studen- der Ausdifferenzierung des Berufsbildes erwarben tinnengeneration der Weimarer Republik sichtbar ma- Frauen zunehmend das Abitur und immatrikulierten chen. sich an Technischen Hochschulen.103

Im Rahmen dieser Arbeit wird ein Profil der zwischen Wird beim Blick auf die Architekturausbildung häufig 1919 und 1937/1939 studierenden Generation von die Frage nach deren Praxisrelevanz gestellt, so Architekturstudentinnen erstellt, das - zugespitzt auf bleibt in aller Regel die Frage ausgeblendet, wie die- Tessenow- und Bauhausstudentinnen - Aussagen ses Studium Studentinnen ausbildet. über fachspezifische Besonderheiten erlaubt. Die akademische Architekturausbildung als Schnitt- Anhand des Vergleichs von Studiendauer und Stu- stelle zwischen Berufswunsch und Berufseinstieg re- dienerfolgen wird das unterschiedliche Qualifikations- kurriert bei den sog. handlungswissenschaftlichen potential beider Schulen für Architekturstudentinnen Fächern weit stärker auf die Berufspraxis als dies bei sichtbar. den Natur- oder den Geisteswissenschaften der Fall ist. Da sich in den Fächern Jura und (Zahn-)Medizin Vergleichend werden Unterschiede wie Gemeinsam- sowie in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern keiten im Umgang mit architekturinteressierten Stu- und der Architektur die Studieninhalte - nicht nur, dentinnen analysiert. Hierbei kann der Einfluss for- aber dominant - an der Ausübung des korrespondie- meller wie informeller Institutionspolitiken auf den renden Berufes als freischaffender Tätigkeit orientie- Kompetenzerwerb von Studentinnen bestimmt wer- ren, ist die Einflussnahme der jeweiligen Standesor- den. ganisationen dieser freien Berufe auf die entspre- Daneben leistet diese Arbeit auf der diskursiven Ebe- chenden Studiengänge traditionell stark. Die Hoch- ne einen Beitrag zur Geschichte der Architekturaus- schulen beziehen ihr Führungspersonal ganz über- bildung anhand eines ideengeschichtlich exemplari- wiegend aus dieser Praxis. In Form von Pflichtprak- schen Ausschnitts: der Debatte um die Modernisie- tika ist diese Praxis wiederum im Studium fest veran- rung der Architekturausbildung. Welche Rolle spielt kert. Dass angesichts dieser Verflechtungen die Stan- diese ideengeschichtliche Dimension bei der Wahl desorganisationen ihre Mitsprache in der Regel zur der Ausbildungsrichtung? Weshalb interessierten sich Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder nutzen, hat diese architekturinteressierten Studentinnen für das Angelika Wetterer dezidiert nachgewiesen. Im Wech- Bauhaus oder das Seminar Tessenow? Was gab den selspiel der Interessen zwischen „autonomen“ Hoch- Ausschlag für die Immatrikulation? schulen und „autonomen“ Standesorganisationen wurden - so konstatiert Wetterer für alle freien Berufe Diese Arbeit möchte anhand einer ausgewählten Ge- - mit der Zulassung von Frauen zum Studium neue neration von Architektinnen einen Beitrag zur Profes- Zugangsschwellen zum Berufsfeld durch die Stan- sionalisierungsgeschichte von Frauen in freien Beru- desvertretungen eingeführt. fen leisten. Hatten die Hochschulen den Zugang von Frauen zum Angesichts des Fehlens jeder verlässlichen quantitati- Studium in den zehner Jahren noch findungsreich ven Basis - Zahlen zur geschlechtsspezifischen Parti- verzögert und damit das Berufsfeld vor dieser neuen zipation im Berufsfeld Architektur, zu Wettbewerbs- „Konkurrenz“ erfolgreich geschützt, so droht den teilnahmen, Aufgabenfeldern oder Gehaltsklassen lie- Gegnern des Frauenstudiums mit Beginn der Weima- gen nicht vor und sind bestenfalls annähernd zu re- rer Republik das politische Abseits. Just als die Ex- konstruieren - sind wir retrospektiv auf ein nahezu klusivität des männlichen Berufsstandes nicht mehr ausschließlich qualitatives Vorgehen angewiesen. durch die Hochschulen garantiert wird und damit ‘auf Um diesen Aspekt der Professionsgeschichte von dem Spiel steht’, formiert sich der Berufsstand der Frauen beschreiben zu können, wurde der Zugang Architekten neu. Im Unterschied zu den Juristen und von Frauen zur Profession über die Technischen Medizinern ist die Architektenschaft im Deutschen Hochschulen einleitend umrissen. Die insgesamt weit Reich qua Ausbildung und sozialer Schichtung je- vielfältigeren Zugänge zum ArchitektInnenberuf - wie doch weit weniger homogen. Der Kampf um die geis- 103 Auch wenn die Betrachtung des Architekturstudiums an Tech- bspw. über Handwerksausbildungen und Baugewer- tige Führung dieses noch nicht einheitlich formierten nischen Hochschulen nicht alle theoretisch denkbaren Zugangs- keschulen - stellten für Frauen aufgrund restriktiver oder organisierten Berufsstandes wird schon um die wege zum Berufsfeld Architektur erfasst, so scheint die Betrach- Standesregeln der Handwerkskammern in Deutsch- Jahrhundertwende anhand der ‘Reform der Gestal- tung dieses Ausbildungsrahmens legitim: Schon ab Mitte der land nur in Ausnahmefällen eine Alternative dar. Die tung’ und der ‘Erneuerung der Baukunst’ geführt. 1910er Jahre suchten potentielle Architektinnen den Zugang Öffnung der Technischen Hochschulen für Frauen im Verbände wie der Bund Deutscher Architekten (BDA) zum Berufsfeld ganz überwiegend über Hochschulen.

Ziele und methodisches Vorgehen 17 oder der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin Entwürfe unter Bezug auf unterschiedliche Architek- (AIV) üben sich in den ersten Jahren des Jahrhun- turschulen beschrieben, deren Einfluss auf das jewei- derts als Alleinvertreter von Standesinteressen und lige Schaffen erkennbar, aber auch in Frage gestellt. artikulieren ihre Auffassungen zur Reform der Welche Haltungen werden in den Studienprojekten, Architektenausbildung. welche in der Praxis bzw. unter verschiedenen Zeit- Die Einflussnahme der Standesvertreter des Bauens umständen sichtbar? Was war modern, was traditio- auf die Architekturstudiengänge in Deutschland ist nell an dieser Architektur? bisher nicht erforscht. Bis heute werden architektoni- So bildet der Bezug auf die gewählte Art der Archi- sche Haltungen und ‘Schulen’ in der Architektur an- tekturausbildung im Vergleich der Tessenow- und hand der Protagonisten unterschieden. Berufsständi- Bauhausstudentinnen die dominante Bezugsebene sche Interessen werden dabei nur selten thenatisiert dieser Untersuchung, der verschiedene Exkurse an- und auch geschlechtsspezifische Interessen bleiben gegliedert werden. Wie aber lässt sich anhand unvoll- in aller Regel tabuisiert. Interessen und Lobbyismus ständiger Quellen der Stellenwert der Ausbildung der Berufsverbände spielen jedoch gerade hinsicht- adäquat erfassen? Werden bisher nahezu unbekann- lich des Architekturstudiums von Frauen eine nicht zu te Architektinnen - als Absolventinnen bekannter unterschätzende Rolle. Sie werden im Laufe dieser ‘Schulen’ - bei einer baugeschichtlichen Betrachtung Untersuchung immer wieder diskutiert, da sich an- nicht zwangsläufig zu Epigoninnen? hand der Architekturstudentinnen der Weimarer Re- publik die Verschränkung von Lehre und Berufsfeld in Im Vergleich der Arbeiten werden - nicht nur - Ausbil- besonders prägnanter Form aufzeigen lässt. dungsprägungen erkennbar. Durch den Vergleich mit Bauten und Projekten nach der Zeit des Studiums Die Diskurse um Tradition und Moderne verstellen in wird die Vielfältigkeit einzelner Architektinnen, ihres aller Regel den Blick auf die - seit der Kaiserzeit zu des Schaffens und damit dieser Generation zumin- beobachtenden - Schließungen innerhalb des Berufs- dest erahnbar. Hier finden wir auch überraschende feldes. Als Legitimationsdiskurse zur Neuregelung Beiträge und Konzepte, die es endlich ermöglichen, von Führungsansprüchen innerhalb des Berufsstan- Eigenheiten und persönliche Handschriften mancher des stehen sie - wie zu zeigen sein wird - in einem Architektinnen auch als solche wahrzunehmen. unmittelbaren Wechselverhältnis zum Geschlechter- diskurs. Mit dieser Art ‘Näherungsverfahren’, dem Überlagern unterschiedlicher Betrachtungen können die Archi- Und nicht zuletzt möchte diese Arbeit einen Beitrag tekturstudentinnen dieser Generation mit den Dimen- 104 Als ‘geschichtsblinde’ Fragestellungen bezeichne ich jene, die zur Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahr- sionen ihrer Arbeit und der Bandbreite ihrer Lebens- qua wissenschaftlichem Forschungsstand bisher lediglich spe- hunderts leisten, indem sie bisher unbekannte Bau- wege ins Blickfeld rücken. Deutlich wird jedoch auch: kulativ erörtert werden können. Die populärste dieser Fragestel- ten und Projekte dokumentiert und analysiert. Jenseits geschichtsblinder Fragestellungen hat die lungen lautet: „Bauen Frauen anders?“ Derlei Fragen zielen Hierfür werden bauhistorische Erforschung der Beiträge von Archi- nicht auf Bauten oder Projekte sondern Geschlecht als katego- tektinnen gerade erst begonnen.104 riales Differenzierungsmerkmal. Projekte und Bauten ideengeschichtlich wie typolo- gisch verglichen.

18 Was diese Untersuchung möchte 2 Chancen und Möglichkeiten: Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende

Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld Architektur (19) - Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ (22) - Häuser der Frau oder Häuser für Frauen? (26) - Architektinnen der Kaiserzeit - Architekturstudentinnen der Kai- serzeit (29) In diesem Rahmen stellt sie 1900 als Mitglied der ‘Vereinigung für dekorative Kunst’ Malerei und Mö- bel aus.5 Bei der Weltausstellung in St. Louis wird ihr Das Erscheinen von Frauen im Berufsfeld - im Auftrag des Deutschen Reiches entworfener - Architektur „Damensalon” mit einer Silber-Medaille ausgezeich- Im Deutschen Reich traten Frauen als professionelle net. 1905 ist sie mit einem Ausstellungsstand für die Gestalterinnen um die Wende vom 19. zum 20. Jahr- Radlitzer Dampfmolkerei auf der Internationalen Aus- hundert in Erscheinung. Bereits vor der Jahrhundert- stellung in Lüttich vertreten, für eine weitere Innen- wende entwarf Gertrud Kleinhempel (geb. 1875) Mö- ausstattung erhält sie dort eine Gold-Medaille. Fia bel und Inneneinrichtungen, die bspw. 1899 auf der Wille (geb. 1868) führt mit ihrem Mann Rudolf ab 1 Renda, Gerhard (Hg.): Gertrud Kleinhempel 1875-1948, Biele- „Volksthümlichen Ausstellung für Haus und Herd“ in 1900 in der Kurfürstenstraße in Berlin-Tiergarten ein feld, 1998, hier S.16. Zum Leben und Werk Gertrud Kleinhem- Dresden ausgestellt wurden. Ihre ab 1902 mit Mar- Atelier, bevor die „Fia und Rudolf Wille GmbH” 1911 pels siehe auch Arnold, Peter: Vom Sofakissen zum Städtebau, garete Junge (geb. 1874) entwickelten Möbel gehör- in der Lennéstraße ein Geschäft für Kunstgewerbe 1993, S. 421. - Kurzbiografie Junge, ibid., S.419-420, Kurzbio- ten zum Sortiment der ‘Dresdner Werkstätten für und Innendekoration eröffnet.6 Sie präsentieren ihre grafie Marie von Geldern-Egmont, ibid., S.414. Handwerkskunst’ und wurden auf Ausstellungen im Entwürfe regelmäßig auf Ausstellungen. In St. Louis 2 Vgl. Kurzbiografie Krause in Arnold, 1993, S.421 In- und Ausland, darunter bei der Weltausstellung in zeigen sie 1904 bspw. einen „Nußbaumsalon”. In den 3 Marie Kirschner hatte 1887 gemeinsam mit ihrer Schwester Lola St. Louis 1904 gezeigt.1 Auch Marie von Geldern-Eg- zehner Jahren werden ihre praktischen und neuarti- - der Schriftstellerin Ossip Schubin - einen Salon gegründet. mont (geb. 1875) ist bereits ab 1902 Mitarbeiterin der gen Beleuchtungs- und Heizkörper bekannt und ge- 4 Neben Kirschner waren u.a. beteiligt: Henry van de Velde (Halle Dresdner Werkstätten. Auch sie entwirft - nicht aus- schätzt. Gertrud Roeser (geb. 1881) arbeitet bis um für Kunstgewerbe), Richard Riemerschmid (Salon), Paul Schult- schließlich, aber regelmäßig - Möbel und Raumaus- 1906 in den ‘Saalecker Werkstätten’, anschließend ze-Naumburg (Ausstellungsraum), vgl. Berlin und seine Bauten, stattungen. Charlotte Krause (geb. 1879), beteiligt entwirft und vertreibt sie Möbel nach eigenen Ent- Bd.VIII A, 1978, S.222 sich erstmalig 1903 mit dem Entwurf eines „Arbeiter- würfen im Raum . 5 „Als Möbelbauerin entwickelt sie (M.K.) ein bei der Grazie ihrer schlafzimmers” an einer öffentlichen Ausstellung.2 Margarethe von Brauchitsch (geb. 1865) hatte 1898 Entwürfe verblüffendes Gefühl für konstruktive Zweckformen.“ In Berlin entwirft Marie Kirschner (geb. 1852) Gläser, die ‘Werkstätten für Kunst im Handwerk’ in München aus: Becker, Marie: Berliner Künstlerinnen bei Keller und Reiner, Keramiken, Teppiche und Möbel, die sie im eigenen mitbegründet, ihre Einrichtungsentwürfe werden in in: Die Frau, Januar 1900, S. 243-244 Salon, Ende der 1890er Jahre in öffentlichen Ausstel- der Fachpresse publiziert.7 Ebenfalls mit Atelier in 6 N.: Die Kunstgewerbler im Kaufmännischen Betriebe, in: Bau- lungen präsentiert.3 Als 1898 der ‘Kunstsalon Keller & München tritt Else Wenz-Vietor (geb. 1882) als Ent- welt, 1.Jg., 1910, H.25 Reiner’ in der Potsdamer Straße in Berlin von Alfred werferin von Inneneinrichtungen auf.8 In Berlin finden 7 Vgl. bspw. Innendekoration, 15.Jg., 1905, S.256 Messel umgebaut wird, erhält sie ihren ersten Auftrag Interieurentwürfe von Marie Tscheuschner-Cucuel 8 Ein Tee-Zimmer von ihr ist in Alexander Kochs Handbuch neu- für eine öffentlich zugängliche Innenraumgestaltung: (geb. 1867), wie ihr in „japanisch-schottisch-neuwie- zeitlicher Wohnungskultur, Das vornehm-bürgerliche Heim, zu Sie zeichnet für den „Salle de repos” verantwortlich.4 nerischer Modernität ausgestattetes“ Teezimmer für sehen. Darmstadt, 1922, S.37 [1.Aufl. 1912]

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 19 das Hohenzollern-Kunstgewerbehaus in der König- rienhäuser einen Preis gewonnen. Der Entwurf wird grätzer Straße öffentlich Beachtung.9 Margarete Vor- als Modell in einer Ausstellung 1907 in Berlin gezeigt berg (geb. 1867) betreibt in Neubabelsberg bei Berlin und als ausgeführtes Landhaus am Wandlitzsee 1911 ein ‘Atelier für Porträt- und Raumkunst’ und entwirft auch in farbigen Fotografien publiziert. 1910 den überwiegenden Teil der Inneneinrichtung 1915 erscheint in der ‘Welt der Frau’ eine „Plauderei 9 Bspw. in der Bauwelt, 1.Jg. ,1910, H.25 des von Anna von Gierke initiierten Charlottenburger mit Fia Wille“ über „Das eigene Haus“, ein von Fia 10 Osborn, Max: Das Charlottenburger Jugendheim, in: Bauwelt, Jugendheims. Dies wird in der Frauenpresse und in und Rudolf Wille entworfenes und am Wannsee er- 11.Jg., 1911, H.9, S.17-20 - (Architekt Hermann Dernburg). An der Bauwelt von Max Osborn gewürdigt.10 richtetes Landhaus.16 der Inneneinrichtung war neben Vorberg Lilly Reich (geb. 1885) Ebenfalls um 1910 tritt Ilse Dernburg (geb. 1880) mit beteiligt. vgl. auch Stropp, Emma: Im Charlottenburger Jugend- Inneneinrichtungen in der Fachpresse in Erscheinung. heim, in: Illustrierte Frauenzeitung, 28.Jg., 1911, H.11 Haus am Wannsee, Fia und Rudolf Wille, 1912 Sie betreibt ihr ‘Atelier für Innenarchitektur’ in Berlin- 11 Zum ‘Imperator’ vgl. Koch, Alexander: Empfangs- und Wohn- Tiergarten, entwirft u.a. die Interieurs für den Damp- räume, Darmstadt, 1911, S.34 - Einen Schlafzimmerentwurf Ilse fer „Imperator”.11 Im benachbarten Schöneberg eröff- Dernburgs zeigt Alexander Koch im Handbuch neuzeitlicher net Lotte Klopsch spätestens 1910 ein Atelier. Auch Wohnungskultur, Darmstadt, 1919, 3[a] sie findet unter eigenem Namen in der Fachpresse 12 So würdigt Alexander Koch bspw. 1912 Möbelentwürfe von ihr, Erwähnung.12 Nach der Heirat mit dem Bildhauer vgl. Koch, Alexander: Herrenzimmer, Darmstadt, 1912, S.83: Gerhard Schmidt-Düppel führt sie ab 1913 ein ‘Ate- Herren-Arbeitszimmer, Abb. S.84: Arbeitszimmer des Sohnes, lier für Innenarchitektur’ in Berlin-Charlottenburg.13 S.138 Arbeitszimmer; oder auch derss.: Schlafzimmer, Darm- Else Oppler-Legband (geb. 1875) gewinnt 1902 mit stadt, o.J., S.88, außerdem Innendekoration, 30.Jg., 1920, einem Interieur auf der Weltausstellung in Turin eine S.373 - Die Daten von Lotte Schmidt-Klopsch sind unbekannt, Silberne Medaille. Sie führt ab 1905 in der Nollen- sie dürfte um 1885 geboren sein. dorfstr.13/14 in Berlin-Schöneberg ein eigenes Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 13 1915 betreiben sie dieses Atelier in der Eosanderstraße 31 in ‘Schüleratelier’ und bildet ab 1911 an der neugegrün- Charlottenburg. Vgl. Adressverzeichnisse der Stadt Berlin. deten ‘höheren Fachschule für Dekorationskunst’ in 14 Über ihre Erfahrungen des ersten Schuljahres berichtet sie im Berlin aus.14 1911 eröffnet Lilly Reich (geb. 1885) in Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, 1912, S.105-110. Die Berlin ein ‘Atelier für Innenraumgestaltung, Dekorati- höhere Fachschule für Dekorationskunst wurde 1910 vom DWB, onskunst und Mode’. Schon etwas früher dürfte Ag- dem Verband für das kaufmännische Unterrichtswesen und dem nes Rosenhain ihr ‘Atelier für Wohnungseinrichtun- Verband Berliner Spezialgeschäfte gegründet. Die Ausbildung gen’ in Berlin-Charlottenburg eingerichtet haben. der Dekorateure war auf zwei Monate begrenzt. Ebenfalls ab Beginn der zehner Jahre entwirft Ger- 15 Dieser Entwurf wurde mit einer bronzenen Medaille ausgezeich- trud Claire Holstein nützliche und formschöne Möbel net. - Stoffers, Gottfried: Deutschland in Brüssel, Köln, 1910, und Inneneinrichtungen. Sie führt ihr Atelier in Schö- S.18; Amtlicher Katalog, Brüssel 1910, Deutsches Reich, S.35. neberg unter dem Namen „Utilis“. Elisabeth von vgl. dazu auch Droste, 1989, S.185. Ab 1911 führt von Baczko Baczko (geb. 1864) ist bereits seit 1905 in Bremen in Bremen eine ‘Geschäftsstelle für Innenarchitektur’. selbständig tätig. Auf der Weltausstellung in Brüssel 16 „Das eigene Haus, Plauderei mit Fia Wille“ in: Die Welt der Frau, Diese Gestalterinnen betätigen sich ebenso selbst- 1910 wird ihr in der Abteilung Raumkunst und Kunst- Nr.4, 1915, S.52 - Der Bau zeigt deutliche Einflüsse von Her- verständlich wie zahlreiche männliche Architekten gewerbe gezeigtes „Kinderschlafzimmer” ausge- mann Muthesius` Das englische Haus (1905). und Kunstgewerbler in den unterschiedlichsten Berei- zeichnet.15 17 Zumal bspw. jegliche Berufstätigkeit von Frauen an das Einver- chen des Berufes, entwerfen Einzelmöbel, Interieurs ständnis des Gatten gebunden war. Hedwig Brill hatte zusammen mit ihrem Mann 1906 und Architektur. Zu Beginn des Jahrhunderts sind die beim Wettbewerb der ‘Woche’ für Sommer- und Fe- Übergänge zwischen kunstgewerblichen, räumlichen und architektonischen Tätigkeitsbereichen fließend. Das weite Feld der Gestaltung bietet Raum für unter- Haus im süddeutschen Gebirge, Hedwig und Eduard Brill, 1906 Haus “Auf´m Berg” in Wandlitzsee, Hedwig und Eduard Brill, 1910 schiedlichste Kreativitäten und Konstellationen. Ar- chitekten mit akademischer Ausbildung sind inner- halb des Berufsfeldes noch in der Minderheit. Nur wenige interessierte und engagierte Frauen verfügen jedoch über Voraussetzungen und Rahmenbedingun- gen, um sich in diesem Feld zu betätigen.17 Formale Hindernisse und Barrieren verhindern bis 1908 ein Frauenstudium in Preußen. Gesetze, die (unverheira- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar teten) Frauen ein profesionelles Arbeiten innerhalb dieses weiten Berufsfeldes verböten, existieren am Beginn des 20. Jahrhunderts nicht. Allerdings können sie dabei nicht mit der ungeteilten Zustimmung ihrer Kollegen rechnen. Bei der Gründung von Werkstätten

20 Chancen und Möglichkeiten und Handwerksvereinigungen spielen auch Entwerfe- die Zulassung von Frauen zu akademischer Bildung rinnen aktive Rollen. erstritten worden.26 Auch wenn die Akademien - als die Hüter der Hohen Kunst - und die Technischen Gestaltung wird um die Jahrhundertwende „vom So- Hochschulen Studentinnen den Zugang zu ihrem ex- fakissen bis zum Städtebau“ neu verhandelt.18 Insbe- 18 So der Titel von Peter Arnolds Darstellung der Deutschen Werk- klusiv männlichen Terrain etwas länger verweigerten, sondere in bildungsbürgerlichen Schichten werden stätten für Handwerkskunst in Hellerau b. Dresden, vgl. FN 1 die Anfragen von Frauen um Zulassung zum Studium Gestaltungsfragen alsbald als umfassende Chance 19 Gertrud Kleinhempel wurde bspw. 1908 Mitglied, aber auch Ale- häuften sich auch hier unübersehbar. zur Modernisierung einer sich im Auf- und Umbruch xe Altenkirch, Elisabeth von Baczko, Else Brauneis, Hedwig Brill, befindlichen Gesellschaft - wie auch der deutschen In den zehner Jahren war die öffentlich geführte De- Gertrud Cläre Holstein, Hertha Jeß, Margarete Knüppelholz- Industrie - erkannt. Die Diskurse konzentrieren sich batte um die Zulassung von Frauen zum Studium von Roeser, Gertrud Nau-Röser, Elisabeth von Stephani-Hahn, Mar- dementsprechend zunächst auf Gestaltungs-, nicht Seiten der Frauenbewegung mit der Grundsatzfrage garete Vorberg und Else Wenz-Vietor zählten nachweislich zu auf Geschlechterfragen. Die zentrale Rolle im Diskurs gesellschaftlicher Wandelbarkeit verknüpft worden. den Mitgliedern des DWB. Else Oppler-Legband, Margarete um die Erneuerung der Gestaltung spielt der 1907 Angesichts der vielfältigen Restriktionen für bürgerli- Junge und Margarethe von Brauchitsch gehörten bereits zu den gegründete Deutsche Werkbund (DWB). che Frauen im 19. Jahrhundert zielte die Frauenbe- Gründungsmitgliedern. Lilly Reich - seit 1912 Mitglied - wird im wegung auf Befreiung von diesen Rollenmustern, Herbst 1920 als erste Frau in den Vorstand des DWB berufen. Die zuvor genannten Gestalterinnen schließen sich Erweiterung der Aktionsradien und den Zugang zu 20 Fia Wille: Wie erzielen wir Qualitätsarbeit im Kunstgewerbe? fast ausnahmslos dem Werkbund an.19 Dies zeigt, politischen wie gesellschaftlichen Handlungsfeldern.27 Vortrag beim Deutschen Frauenkongress Berlin 27.2.-2.3.1912, dass sie sich nicht nur als individuelle Gestalterinnen, Die Öffnung der Hochschulen für alle Geschlechter - abgedruckt in Bäumer, Gertrud (Hg.): Deutscher Frauenkongreß, sondern auch als Teil einer gestalterischen Reform- das ‘Frauenstudium’ - zeigt sich zumindest mittelbar Berlin, 1912, S.113 bewegung mit gesellschaftlichem Modernisierungs- mit den beiden zentralen Diskursen zur Neugestal- 21 Plakolm-Forsthuber beschreibt die Gemengelage möglicher In- anspruch verstanden. So äußert bspw. Fia Wille 1912 tung einer monarchistisch geprägten Gesellschaft teressen für die Künstlerinnen der Wiener Secession als „Mög- ganz im Duktus der Grundsätze des DWB: „Kunstge- verquickt: Mit den Reformen der akademischen Aus- lichkeit der Transformierung der angewandten zur autonomen werbe bedeutet als erstes die Schaffung der guten bildung wie mit den Reformbestrebungen in Kunst Kunst“, der Aussicht auf Marktanteile sowie der Verbindung „in- Grundform, erwachsen aus der Technik und den und Gestaltung. Die Erneuerer der angewandten dustrieskeptischer Motive mit den neuesten, industriekritischen Anforderungen des Gebrauchs.“ 20 Attraktiv mag eine Künste ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, ringen - und sozialutopischen Tendenzen“. Plakolm-Forsthuber, 1994, solche Parteinahme auch aufgrund der Aufwertung in Auseinandersetzung mit den freien Künstlern - um S.88 traditioneller Tätigkeitsbereiche und dem damit ver- fachliche Anerkennung wie gesellschaftliche Auf- 22 Droste, Magdalena: Lilly Reich: Her Career As An Artist in: bundenen Professionalisierungsschub gewesen merksamkeit. Auch die Ingenieure trachten nach ge- McQuaid, Mathilda: Lilly Reich, 1996, S.47-59, insbes. Women sein.21 Aber - und darauf hat Magdalena Droste hin- sellschaftlicher Etablierung. Durch die Verwissen- and the German Werkbund , S.48-51 gewiesen22 - der Werkbund verstand sich keineswegs schaftlichung ihrer Arbeit, die Gründung von Poly- 23 Über die Aufnahme, die auch selbständig beantragt werden als geschlechteregalitäre Vereinigung. Seine Satzung technika und technischen Hochschulen seit den konnte, entschied ausschließlich der zwölfköpfige Vorstand. schloss nicht die Mitgliedschaft, jedoch die aktive 1860er Jahren konnten sie ihren gesellschaftlichen 24 So setzte sich bspw. der ‘Ausschuss’ - lt. Satzung § 13 - bis zu Mitwirkung von Frauen faktisch aus.23 Denn per Sat- Status verbessern und um 1900 die formale Gleich- Dreivierteln aus ‘Vertrauensmännern’ zusammen. Diese - auch zung wurde festgelegt, dass alle Funktionen, die stellung mit den Universitäten erreichen. als ‘Ortsvertrauensleute’ bezeichneten - Personen wurden nicht nicht bereits durch BGB (§26) ausschließlich Män- etwa durch die ortsansässigen Mitglieder gewählt, repräsentier- nern vorbehalten waren - wie bspw. alle Funktionen Die zunehmend sichtbar werdenden Emanzipations- ten also nicht deren Vertrauen, sondern genossen, wie in § 12 im Vorstand -, ebenfalls nur durch Männer besetzt etappen der Frauenbewegung konkurrieren also mit festgelegt, das Vertrauen des Vorstandes. Satzung des Deut- werden konnten.24 Hierdurch war die Partizipation von Geltungsansprüchen und Etablierungswünschen ver- schen Werkbundes vom 12.7.1908, in: Jahrbuch des Deutschen Gestalterinnen auf passive Mitgliedschaft und kon- schiedener Emanzipationsströmungen, die eines ge- Werkbundes, Jena, 1912, unpag. trollierte Patronagen begrenzt. Frauen waren willkom- mein haben: Sie sind nahezu ausnahmslos exklusiv 25 Diese Rollen galten als vereinbar mit ‘weiblichen Anlagen und men als Befürworterinnen, Konsumentinnen und männlich oder - soweit sie Frauen aufnehmen - von Tugenden’. Heimgestalterinnen.25 Für Architektur galten sie expli- männlichen Protagonisten dominiert. Zum Beginn 26 Innerhalb Europas wurden Frauen zuerst in Finnland zum Archi- zit als „ungeeignet“. Damit verwies der DWB Frauen des Stühlerückens in einer vordemokratischen Ge- tekturstudium zugelassen: Ab 1887 studierte dort bspw. Signe ebenso strikt auf begrenzte Gestaltungsbereiche sellschaft ist kein Stuhl frei. Die Emanzipationserfolge Hornborg (1862-1916). Sie diplomierte bereits 1890 am Poly- - „Erzeugnisse weiblichen Kunstfleißes” (Carl Re- der Damen zielen - im Unterschied zu den männli- technikum in Helsinki. Vgl. hierzu Suominen-Kokkonen, 1992 horst) - wie er ihre standespolitischen Gestaltungs- chen Protagonisten - nicht auf einen bestimmten, 27 Der Begriff ‘erste Frauenbewegung’ wird hier - in Ermangelung möglichkeiten beschnitt. sondern anteilig auf alle möglichen Plätze, bedrohen eines besseren - verwendet. Dabei soll nicht unterschlagen wer- somit männliche Privilegien aller Fraktionen und Frik- Zeitgleich mit den Erneuerungsbestrebungen in der den, dass zur Kennzeichnung unterscheidbarer Positionen in- tionen. Aus der Beseitigung juristisch zementierter Gestaltung blüht ein Diskurs über das Wesen der Ge- nerhalb des weiten politischen Spektrums weit differenziertere Geschlechterhierarchien erwachsen allen Herren ab- schlechter auf, der als Reaktion auf einen sichtbareen Formulierungen gewählt werden müssten. Im folgenden wird sehbare Nachteile. So gerne bürgerliche Väter die Emanzipationsschub begriffen werden kann. Nach insbesondere die Rolle der Protagonistinnen der bürgerlichen Zukunft ihrer Töchter gesichert sehen wollen, deren jahrzehntelangen Bemühungen frauenbewegter Initia- Frauenbewegung im Hinblick auf die Professionalisierung von abnehmende Abhängigkeit ficht ihre Stellung als Fa- tiven um die Mädchenbildung waren um die Wende Architektinnen untersucht. Zum politischen Spektrum der ersten milienoberhäupter an. So liberal wie wünschenswert zum 20. Jahrhundert in allen deutschen Großstädten Frauenbewegung vgl. Wobbe, Theresa: Das Wagnis der Öffent- eine statusadäquate Berufsausbildung für unverheira- höhere Mädchenschulen eingerichtet worden. Mit der lichkeit, Jüdinnen in der Deutschen Frauenbewegung vor 1933, tete Frauen scheinen mag, eine akademische Ausbil- Öffnung der Universitäten war auch im Deutschen in: Jansen, Mechthild / Ingeborg Nordmann (Hg.): Lektüren und dung vieler Frauen vergrößert das Angebot kompe- Reich - nach langen öffentlichen Debatten - endlich Brüche, Wiesbaden, 1993, S.149-172

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 21 tenter Arbeitskräfte und irritiert damit das bildungs- Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, bürgerliche System sozialen Aufstiegs mittelloser Berlin 1912 Männer erheblich. Und so dringlich die Erneuerer der Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, die Gestaltung verstaubte Interieurs und überladene Bau- 1912 in den Berliner Zoohallen auf Betreiben Hedwig formen auch bereinigt sehen wollen, die Beseitigung Heyls vom Deutschen Lyzeum-Klub mit breiter Unter- des alltäglichen Staubes auf modernisierten Interieurs stützung aus der Industrie ausgerichtet wird31, rückt ist ihre Sache nicht. Noch weniger hegen sie die Ab- erstmalig geistig und künstlerisch schaffende Frauen sicht, die aus der Notwendigkeit der Reformen resul- explizit ins öffentliche Rampenlicht: „Die Ausstellung tierenden Aufträge mit Kolleginnen zu teilen. soll zeigen, wie das erweiterte Arbeits- und Schaf- fensgebiet, das die sozialen Umwälzungen unserer Einzelne Kunstgewerblerinnen hatten bereits um die Zeit der Frau eröffnet und aufgenötigt haben, neue Jahrhundertwende - quasi inter pares - mit ihren Ent- Kräfte in ihr auslösten und ihr auch ihre Verpflichtun- würfen bei den Weltausstellungen in St.Louis und gen gegenüber dem öffentlichen Leben erst voll zum Brüssel Medaillen gewonnen. Mit ihren Möbelentwür- Bewußtsein brachten. Sie möchte beweisen, wie das fen und Inneneinrichtungen waren sie bei Gewerbe- Hineinwachsen der Frau in diese neuen Aufgaben schauen präsent.28 Damit waren zumindest einzelne auch das Gesamtleben vertieft und bereichert hat.“ 32 28 Darunter den Ausstellungen „Haus und Hausrat“, Dresden 1906, Frauen sichtbar aus traditionellen Rollen ausgebro- „Haus und Heim“, München 1908. chen, hatten ihre Aktivitäten professionalisiert, ihre Die Ausstellung 1912 markiert einen Wendepunkt in 29 Vgl. Kurzbiografie Winkelmann im Anhang. Sie hatte zwischen Aktionsradien erweitert und öffentlich Anerkennung der öffentlichen Debatte. Durch die publikumswirksa- 1901 und 1905 an der TH Hannover Architektur studiert, war als gefunden. Dabei scheint das Augenmerk dieser Ge- me Repräsentation erwerbstätiger Frauen - darunter Frau jedoch nicht zum Diplom zugelassen worden. stalterinnen auf Interieurs und somit weiterhin auf das professionelle Gestalterinnen - rücken Frauen in tra- 30 Vgl. dazu Stratigakos, 1999 Innere des Hauses konzentriert zu bleiben. ditionell männlichen Berufsfeldern auch als berufliche 31 Der Deutsche Lyzeumclub war 1905 als dritter Frauenclub in Konkurrenz ins männliche Blickfeld des Gesamtle- 1908 eröffnet Emilie Winkelmann (geb. 1875) in Berlin Berlin gegründet worden. Er bildete die Deutsche Sektion der bens. ein eigenes Architekturbüro und beginnt zu bauen.29 International Association of Lyzeum-Clubs und sprach insbe- Ihre ersten beiden in Berlin realisierten Landhäuser „Der Deutsche Lyzeum-Klub, der einen Mittelpunkt sondere „geistig und künstlerisch schaffende Frauen“ an. vgl. werden 1909 in der Gesellschaftspresse abgebildet, für die mannigfaltigen Bestrebungen der heutigen Sander, Sabine: „Nur für geladene Gäste” Der deutsche Lyze- 1910 erstmalig in der Fachpresse publiziert.30 Sie übt Frauenwelt bildet, will durch eine Ausstellung diesen um-Club, in: Bezirksamt Schöneberg / Kunstamt Schöneberg den Beruf der Architektin aus, baut Häuser und ist Bestrebungen einen sichtbaren Ausdruck geben.” 33 (Hg.): „Ich bin meine eigene Frauenbewegung“, Berlin, 1991, offensichtlich in der Lage, sich in der Architektur Angesichts der Mehrheit engagierter, bürgerlicher S.52-57 ebenso selbständig wie professionell zu bewegen. Frauen, die ihren Wirkungskreis zunächst in der Fa- 32 Zit. nach Heyl, Hedwig: Aus meinem Leben, Berlin, 1925, S.115. Ein gängiger Zirkelschluss des geschlechterhierarchi- milie, darüber hinaus in ehrenamtlicher Arbeit sahen, 33 Ibid. sierenden Legitimationsdiskurses - das Klischee, wurde auch für deren - reproduktive wie karitative - 34 Komposition Elisabeth Kuyper, Text Margarete Bruch dass Frauen für die männliche Architektur zu weiblich Tätigkeiten ein ebenso öffentlicher wie repräsentati- 35 Wie sehr diese Ausstellung als „Leistungsschau des weiblichen resp. die Baukunst für das schwache Geschlecht zu ver Rahmen gefunden. Daneben erfuhren individuelle Geschlechts“ begriffen wurde, wird bspw. an den Reaktionen männlich sei - wird damit öffentlich obsolet. fachliche Leistungen erwerbstätiger Ausstellerinnen eines Karl Kraus deutlich. Vgl. dazu Berger, 1982, S.138 f. eine Würdigung. Angesichts der Disparität der Tätig- 36 Zit. nach Heyl, 1925, S.131 keitsfelder engagierter Frauen wurde der kleinste ge- meinsame Nenner, das „Frauen-Schaffen“ betont. So gerät - eröffnet durch eine Festkantate34 - „Die Frau in Haus und Beruf“ unter dem Patronat der Kaiserin zu einer Leistungsschau ‘der Frauen’.35 Selbst lange ohne jegliche öffentliche Ausstellungsmöglichkeit und „Haus Höcker”, Berlin-Westend, 1908, Emilie Winkelmann, (1909) „Haus Preßber”, Berlin-Grunewald, 1909, Emilie Winkelmann (1997) qua Geschlecht noch immer von allen politischen Ämtern ausgeschlossen, ist den Initiatorinnen be- wusst, dass eine Ausstellung von Frauenarbeiten dem Vorwurf geschlechtsexklusiver Selektion ausge- setzt ist. Hedwig Heyl betont in ihrer Eröffnungsrede am 24. Februar einleitend: „Unsere Ausstellung ist ein Zeuge, wie heute das Glücksgefühl der erwachenden eigenen Kraft die Frauen vor allem erfüllt und das Su- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar chen nach dem eigenen Weg bestimmt. Keineswegs aber will sie sagen, dass sich die Frauen ausschließ- lich auf sich gestellt und isoliert von dem gemeinsa- men Streben der Geschlechter fühlen. Nimmer werd- en sie vergessen, wieviel Dank sie der Kulturarbeit der Männer schulden.“ 36

22 Chancen und Möglichkeiten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

37 Vergleiche zu Art und Umfang dieser Ausstellung insbesondere Stratigakos, 1999, S. 215ff. 38 Vgl. Katalog: Die Frau in Haus und Beruf, 1912, S.85, Gruppe 6: Die Frau im Haus - Gesamtentwurf des Wohnhauses (!) und der Möbel, Frl. Lotte Klopsch 39 B.P.: Die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“, Pommer- sche Tagespost, 16.2.1912. Dort erfahren wir, dass das Esszim- mer aus „Polisander mit Einlagen“ gefertigt ist. Hier werden Der Katalog sowie die Pressereaktionen geben ver- Möglichkeiten und Chancen der Berufstätigkeit auf- auch die „sehr zweckmäßige[n] Bücherschränke“ Oppler-Leg- einzelt Hinweise auf die Ausstellungsobjekte.37 In Hal- merksam machen, sie zu eigener Entfaltung anre- bands und der Entwurf Holsteins gewürdigt: „Das prächtige Be- le I war im Erdgeschoss eine „bürgerliche Wohnung” gen.41 Diese Zielrichtung verfolgen auch die Vorträge schäftigungszimmer für die Jugend mit sinnreich erdachten - von Lotte Klopsch38 - zu sehen (Nr. 25). Daneben während des zeitgleich veranstalteten Deutschen Spielschränken und Tischen mit doppelten Platten, deren Bilder war die Fachabteilung „Die große Wohnung“ aufge- Frauenkongresses.42 Diese Ausstellung des Lyzeum- und Gerät Instruktion und Spiel einen, und deren oberste Flä- baut (Nrn. 2-6): Die Einrichtungen der einzelnen Räu- Klubs wird entgegen allen Befürchtungen ein großer chen gleichzeitig zum Zeichnen wie als Schutzdecke zu benut- me hier waren ausschließlich von Kunstgewerblerin- Erfolg. zen sind.“ nen entworfen worden. So gestaltete Fia Wille die 40 Vgl. Katalog „Die Frau in Haus und Beruf”, Berlin, 1912, S.153. Erwähnung finden Ausstellung und Vorträge in der „Klubempfangshalle” und das angrenzende „Esszim- Mogger stellte neben ihrer Diplomarbeit, einem Herrenhaus, Tages-, Unterhaltungs- und Fachpresse. Die Bauwelt mer” (Nrn. 1 und 5), Marie Tscheuschner-Cucuel das Entwürfe für Düsseldorfer Einfamilienhäuser aus, von Knobels- nimmt die Ausstellung zum Anlass, Emilie Winkel- „Musikzimmer” (Nr. 4). Elisabeth von Baczko zeich- dorff, die mit einem Miethausentwurf 1911 diplomiert hatte, mann als „Die Frau als Architektin“ vorzustellen.43 nete für das „Redaktionszimmer” (Nr. 2), Else Oppler- zeigte ihren Entwurf für ein Gemeindehaus in Jakobsdorf, das Neben vielen jubelnden Reaktionen druckt die Frau- Legband für die „Bibliothek” (Nr. 3), Elisabeth von sie 1915 realisieren kann. enpresse auch kritische und ambivalente Äußerun- Stephani-Hahn für das „Schlafzimmer” (Nr. 6), Ilse 41 Dies stellt nicht nur Hedwig Heyl in ihrer Einleitung heraus, auch gen.44 Auf die Mehrheit der Herren wirkt diese Aus- Dernburg für das „Badezimmer” (Nr. 7) und Gertrud zahlreiche Vorträge zeigen diesen emanzipativ-aufklärerischen stellung offenbar wie ein Feldzug im Geschlechter- Cläre Holstein für ein „Beschäftigungszimmer für die Impetus. So bspw. Fia Wille: „Wie viele geheime Arbeiten wer- kampf. Trotz vielfacher Erwähnung würdigt kaum Jugend” verantwortlich (Nr. 8).39 den geschaffen unter unwürdigen Bedingungen und minimalster eine Rezension die ausgestellten Objekte und Pro- Bezahlung, nur weil die Betreffenden glauben, ihre Standesrück- Unweit davon wurde nach Entwurf von Lilly Reich ei- jekte. Geachtet werden der Erfolg, der Arbeitsauf- sichten verlangen, daß sie sich nicht öffentlich gegen Zahlung ne „Mustereinrichtung für eine Arbeiterwohnung” ge- wand, die ‘Frauenleistung’. betätigen dürften.“ Vortrag Fia Wille, vgl. FN 19, S.116 zeigt (Nr. 42), deren gesamte Grundfläche in jeweils „Es ist viel Braves vorhanden“ kommentiert die Ber- 42 Der ‘Deutsche Frauenkongress’ fand vom 27.2. bis 2.3.1912 in einen der bürgerlichen Einrichtungsräume gepasst liner Architekturwelt. „Zur Genugtuung weniger frau- den Zoohallen, damit in unmittelbarer Nachbarschaft zur Aus- hätte. Die Ausstellung zeigte also in unmittelbarer enfreundlicher Kollegen ist aber festzuhalten, daß wir stellung statt. Nachbarschaft Luxus- und Massenbedarf. Im Ober- den Wettbewerb der Frau auf dem Gebiet der Bau- 43 Anonym: Die Frau als Architektin, in: Bauwelt, 3.Jg., 1912, geschoss wurden im Rahmen von „Die Frau im Be- kunst (..) noch keineswegs zu fürchten haben.“ 45 Drei Nr.11, 16.3.1912, S.27-28. Hier werden einzelne ihrer ausge- ruf“ auch die Leistungen der „Frau in der Architektur“ ausstellende Architektinnen, von denen zwei kaum stellten Projekte erwähnt, die „ehrliche künstlerische Empfind- präsentiert. Hier stellten die kurz zuvor diplomierten mehr als ihre Diplomarbeiten präsentieren, können ung“ ihrer Zeichnungen gewürdigt, die „ruhigen, sicheren, einfa- Architektinnen Elisabeth von Knobelsdorff (geb. 1877) faktisch nicht als Konkurrenz gelten. Nicht die Eigen- chen Verhältnisse“ der Winkelmannschen Bauten gelobt. und Therese Mogger (geb. 1875) neben ihren Diplom- willigkeit, Modernität oder das ‘Brave’ bedroht die 44 Die fachliche Würdigung der gezeigten Arrchitekturprojekte ist arbeiten jeweils erste freiberufliche Entwürfe aus.40 Fachwelt, erschüttert scheint vielmehr ein - offenbar offenbar noch ungeübt. Neben unbeholfenen Reaktionen lassen Den Löwenanteil dieser Abteilung bestritt jedoch männliches - Selbstverständnis in der Architektur, als skeptische Haltungen jedoch auch Vorbehalte gegenüber Archi- Emilie Winkelmann mit teilweise noch im Bau befind- die Namen von Gestalterinnen und Architektinnen in tektinnen erkennen. In dem von Agnes Harder aus Anlass der lichen Projekten. Sie zeigte zahlreiche landwirtschaft- der Öffentlichkeit erscheinen. Ausstellung herausgegebenen Band „Bahnbrechende Frauen“ liche Bauten, Wettbewerbsentwürfe - darunter den ist Emilie Winkelmann nicht zu finden. (Harder veröffentlicht ein realisierten „Saalbau in der Blumenstraße” -, aber Im Mai 1912 kommentiert Paul Westheim: „Das Jahr später einen Artikel über Lotte Klopsch und Elisabeth von auch ihre in Berliner Vororten realisierten Landhäuser. Kunstgewerbe nahm eine ganze Halle, das heißt: die Hahn in: Die Deutsche Frau, 3.Jg. 23.8.1913, Nr.34, S.5 ff.) Erst Hälfte der Ausstellung ein. Wozu noch eine Bilder- Als repräsentativer Überblick und Präsentation der 18 Jahre später erscheint Lux Guyer als erste Architektin in ei- schau, eine sogenannte Architekturabteilung und eine Leistungen selbstbewusster, frauenbewegter Frauen nem vergleichbaren Sammelband: Kern, Elga (Hg.) Führende Gewerbegruppe (..) kam (..) Selbstverständlich ist in gedacht, soll diese Ausstellung insbesondere die Frauen Europas, Neue Folge, Bd. 2, München 1930 einer so großen Ausstellung viel Minderwertiges und nicht im Erwerbsleben tätigen Besucherinnen auf die 45 Berliner Architekturwelt, 1912, S.43

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 23 noch viel mehr Mittelmäßiges beisammen, allein mir des „intuitive Kenntnis“ und das „echte Frauenge- scheint, hierin machen die Frauen nur von der er- müt“ herausstreicht, mag als Hinweis auf das Behar- strebten Gleichberechtigung Gebrauch. Der Durch- rungsvermögen von Mentalitäten gelesen werden.49 schnitt ihrer männlichen Kollegen hätte wohl man- „Spezifisch weibliche Eigenschaften“ werden durch ches anders, aber vermutlich nicht viel besser ge- diese Ausstellung offensichtlich in Frage gestellt.50 macht. Es ist nicht mehr besonders originell - aber Die Passage „Man kann diese Beobachtung machen Tatsachen sind nie originell - festzustellen, daß auch und immer aufs neue bestätigen“ verdeutlicht exem- diese modernen kunstgewerblichen Frauen am stärk- plarisch die Produktion von Klischees, erzählt den sten im Dekorativen sind, daß ihre Werke meist da Prozess der aktiven Konstruktion einer vermeintlichen brüchig zu werden beginnen, wo es die Konstruktion Geschlechterspezifik nach. zu bewältigen gilt. (..) Das eine aber wird man ihnen Aber auch die Zuschreibungen eines Paul Westheim unbedingt zugestehen müssen: diese große Ausstel- unterscheiden sich dem Wesen nach51 nicht wesent- lung, die so viele Kräfte umfaßt, ist auch in ihrem lich von denen eines Scheffler oder der Lokalpresse. künstlerischen Teil - in der Aufmachung der Hallen, In seinem Kommentar zeichnet sich jedoch eine wie in dem, was die einzelnen Gruppen bieten - ein Wendung ab. Die ‘Frauenausstellung’ wird nun im Bekenntnis zur Moderne. Wenn uns die Matadore Sinne des Modernitätsdiskurses instrumentalisiert: des Vorgestrigen immer entgegenhalten, daß die „Sachlich-anständige Räumlichkeiten” sind nennens- Frauen, also der für die Wohnungsgestaltung aus- wert, sie zeigen ein „Bekenntnis zur Moderne“.52 Da- schlaggebende Faktor, den neueren Bestrebungen 46 Westheim, Paul : „Von der Frauenausstellung Berlin“, in: Deut- mit stehen nach Westheims modifizierter Kriegskarte allen Widerstand entgegensetzen, so brauchen wir sche Kunst und Dekoration, H.8, Mai 1912, S.88-89 „diese Faktoren“ im Kampf gegen die Matadore des sie nur auf dieses Frauenwerk zu verweisen, um sie 47 Er würdigt keines der 33 ausgestellten Projekte, erwähnt keine Vorgestrigen auf der richtigen Seite. Dies bedeutet zu widerlegen.“ 46 der drei Architektinnen namentlich. Westheim übersieht somit jedoch nicht, dass die Nennenswerten - „diese mo- schlichtweg den Bereich der Ausstellung, in dem er seine Be- Der bekannte Kunstkritiker Westheim - ein Sympathi- dernen Frauen“ - aus der Masse der Unterdurch- hauptungen ggf. revidieren müsste. sant gestalterischer Modernisierung - muss ange- schnittlichen in die Reihen der Matadore des Zukünf- 48 Vossische Zeitung 1912, zit. nach Ichenhaeuser, Berlin, 1913, sichts der großen Ausstellung „zugestehen“, dass es tigen eingereiht werden sollten oder könnten. Dem S.384 sich um „ein Bekenntnis zur Moderne“ handele. stehen schließlich ‘Tatsachen’ im Wege: Frau bleibt 49 In diesem Falle das Beharren auf der geschlechterhierarchisch Gleichzeitig holt er jedoch zu einer vernichtenden Frau - „Tatsachen sind nie originell“. geordneten Bildungsbürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts, der ei- Mutmaßung aus: Die Arbeiten „moderner kunstge- Liest mensch diesen Text auf dem Hintergrund der nen intellektuellen Entwicklungsstand nur für Herren vorsah. werblicher Frauen“ erreichten keinesfalls auch nur Erkenntnisse der Professionalisierungstheorie53, so 50 Sprachlich wird mit den „spezifisch weiblichen Eigenschaften“ den Durchschnitt der (nicht ausgestellten) Arbeiten kennzeichnet der Text in protagonistischer Weise ei- auf einen quasi natürlichen Zustand vor der „berufs- und werk- männlicher Kollegen. Über die Arbeiten der „soge- ne Verschiebung und Ausdifferenzierung der Tren- tätigen Frau“ referiert, jedoch [noch] nicht auf das „ewig Weib- nannten Architekturabteilung“ schweigt er sich völlig nungslinie zwischen den diskursiv den verschiedenen iche“. Die etablierte Geschlechterhierarchie ist in Gefahr, zu ih- aus.47 Geschlechtern zugewiesenen Orten innerhalb des rer Verteidigung resp. Wiederherstellung wird ein Geschlechter- In der Lokalpresse werden nur in Einzelfällen die aus- Faches mit einer entscheidenden Modifikation: Was diskurs, die Herstellung einer hierarchischen Geschlechterord- gestellten Objekte oder professionellen Leistungen nicht sein darf, bleibt unerwähnt. Westheim widmet nung durch Definitionsmacht aufgefahren. gewürdigt. Hier werden „spezifisch weibliche“ Eigen- den Innenraumgestalterinnen ein Urteil, die Architek- 51 Auch er unterstellt eine Geschlechterdifferenz im ‘Wesen’, wenn schaften beobachtet und immer aufs neue bestätigt. tinnen sind ihm keine Erwähnung wert.54 er Begrifflichkeiten wie „anders“, „dekorativer“ verwendet. Dass diese Differenz hierarchisch wertend gedacht wird, zeigt sich „Als erfreulicher Umstand darf die Tatsache gelten, „Es ist noch neu, daß Frauen im Baufach tätig sind, bspw. anhand des Ausdrucks „meist brüchig im Konstruktiven“. daß trotz des überwiegenden intellektuellen Entwick- aber sie als Phänomen hinstellen, hieße dem Wert Die ‘wesensmäßige’ Differenz wird im Vergleich zur Diskrepanz, lungsstandes, den die Frau von heute (..) eingeschla- ihrer Arbeiten Eintrag tun. Allerdings ist es neu, daß und ‘erweist sich’ als Defizit der Arbeiten von Gestalterinnen. gen und verfolgt hat, die spezifisch weiblichen Eigen- Frauen die Energie aufbringen, den schwersten 52 Ibid. „sachlich-anständige Räumlichkeiten, wie die der Oppler, schaften eben dieser berufs- und werktätigen Frau künstlerischen Beruf auf sich zu nehmen (..) Wenn der Baczko, der Wille oder Dernburg.” keinerlei Einbuße erlitten haben. Man kann diese Be- man den Wert ihrer Arbeiten messen will, soll man 53 Wonach anlässlich von Umbrüchen innerhalb eines Berufsfeldes obachtung machen und immer aufs neue bestätigen davon absehen, daß Emilie Winkelmann eine Frau ist: oder Faches die Gendergrenze verschoben aber auch deutlicher in den Abteilungen, die wesentlich der mütterlichen sie bleibt eine Ausnahme.“ 55 gezogen wird oder caritativen Frauenarbeit gewidmet sind. Das von Hier würdigt ein anonymer Autor in der Bauwelt 1912 54 Die Legitimationsbemühungen beider Texte werden im direkten Claire Holstein entworfene und auch von ihr selbst unter dem Titel „Die Frau als Architektin“ die künst- Vergleich besonders deutlich: Konkrete Objekte, die von konkre- durchgeführte Spiel- und Beschäftigungszimmer für lerische Qualität der Projekte Emilie Winkelmanns: ten Gestalterinnen präsentiert werden, bilden nur den Anlass, die Jugend (..) ist aus einem echten Frauengemüt he- „Eine prachtvolle Arbeitskraft, Wissen und tiefe, ehrli- nicht aber den Gegenstand dieser Berichte und Kommentare. raus mit intuitiver Kenntnis der Kinderseele geschaf- che künstlerische Empfindung sprechen aus jenen Statt dessen rekurrieren beide Autoren auf ‘Tatsachen’, die jen- fen worden.“ 48 Blättern. Etwas Lebendiges ist in ihnen, man spürt: seits dieser sichtbaren Objekte auf der Interpretationsebene lie- Dass die Lokalpresse Klischees des Weiblichen als sie sind aus dem wahren Begreifen vom Zweck und gen, also jeweils erst durch die Darstellungen konstruiert bzw. ‘Tatsachen’ produziert und reproduziert, trotz des dessen Schönheit entstanden.“ 56 Noch mehr zeigt reiifiziert werden. „überwiegenden” intellektuellen Entwicklungsstan- sich der Autor jedoch gefesselt von der Frau, „die 55 Die Frau als Architektin, vgl. FN 43

24 Chancen und Möglichkeiten solche Kraft besitzt“. Und er lässt uns an seinem Ein- einem ausgeprägter zutage tretenden persönlichen druck teilhaben: „Ich sah eine lange feinlinige Gestalt Können beruhten. Das ist nur zum Teil richtig, der mit einem kleinen dunklen Kopf. Die Züge mächtig stärkere Erfolg ist hauptsächlich von der überaus und einfach, klar geschnitten (aber nicht scharf), der starken Beteiligung getragen. Es scheint uns gebo- Ausdruck ernst, gemessen (nicht fremd) und hinter ten, dem entgegenzuwirken.“ 61 starken Brauen zwei sehr große, sehr stille, helle Au- So selektiert die ‘Innendekoration’ zukünftig im Vor- gen: Denkeraugen; (..) Augen, die mehr reden als feld der Teilnahmebedingungen. Die Schriftleitung, Emilie Winkelmann verraten will, denn sie ist die den Erfolg so klar in Relation zur Teilnehmerzahl schweigsam über sich.“ 57 analysierte, argumentiert nun unter Verschleierung ih- Zu ihren Projekten und Bauten ließ die Architektin of- rer nationalistischen Beweggründe: „Dass wir die fenbar keine Frage unbeantwortet. Doch der Fach- Möglichkeit solcher (..) Teilnahme an unseren Wett- journalist kann sich nicht entschließen, ihre fachli- bewerben auf die Abonnenten unserer Zeitschrift be- chen Erläuterungen zu kolportieren, „denn sie ist schränken, hat lediglich seinen Grund darin, in den 56 „Es ist so ziemlich alles darunter, was man bauen kann: Wohn- schweigsam über sich.“ So hellsichtig der Autor ein- Teilnehmern mittelbar Mitarbeiter zu wissen, die mit häuser, Herrenhäuser, Miethäuser, drei Fabrikgebäude: eine gangs für den Wert einer Arbeit ohne Ansehen der den von uns zuerst vertretenen Reform-Bestrebun- Torfziegelei, eine Oelfabrik, ein wirtschaftliches Fabrikhaus; der Person plädiert hatte, angesichts dieser feinlinigen gen einer künstlerischen Gestaltung der Wohnung Entwurf für die Gewerbe-, Industrie- und Landwirtschaftsaus- Gestalt konterkariert er sein eigenes Plädoyer. Er, der auch des einfachen Mannes aufs innigste vertraut stellung Köslin 1912, der bereits genehmigte Bebauungsplan ei- offenbar Augen besser lesen kann als Pläne, erklärt sind. Wir beugen damit einer zu großen Beteiligung nes Geländes in Steglitz, der ungefähr dreissig Bauparzellen uns in einer Fachzeitschrift nicht die Eigenheiten der von Kräften vor.“ 62 umfaßt, ein Wettbewerbsentwurf zu einem Festsaal- und Thea- ausgestellten Projekte, sondern die Besonderheiten tergebäude, zu einer Brücke über die Drapa“ ibid. Wie aber lassen sich neue UsurpatorInnen zurück- dieser Frau: „Was sie uns zeigt, ist ihre Kunst; so gibt 57 Ibid. drängen, wenn keine nationalen Ressentiments be- sie uns - nicht ihr Wesen - oder das Innerste dieses 58 Die Frau als Architektin, vgl. FN 43 müht werden können? Die Architekturkritik aller Lager Wesens, weil sie nicht anders kann, weil dies ihr 59 Schefflers härteste Tirade gegen Frauen in der Baukunst er- - und der organisierte Berufsstand - findet schnell ei- Beruf und ihr Schicksal ist.“ 58 scheint just in dem Jahr, in dem Emilie Winkelmann ihr freiberuf- nen Konsens. Hier wird verstanden, dass der konser- liches Büro eröffnet. Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst, Auch konservative Architekturkritiker erkennen die vative Scheffler mit „Berufskonvention“ den Schulter- Berlin, 1908, S.49: „Da die Frau des Abstrakten unfähig ist, so Zeichen der Zeit. Karl Scheffler, der 1908 noch offen schluss unter Männern meinte. Qua Vorgehensweise ist sie auch des Mathematischen unfähig. (..) Es gab denn auch und explizit gegen Frauen in Kunst und Architektur folgt man dabei dem Beispiel des progressiven niemals einen schöpferischen Komponisten oder Architekten gewettert hatte59, setzt sich 1913 - also kurz nach- Westheim und ignoriert auf Jahre hinaus „sogenann- weiblichen Geschlechts. (..) Daß die Frau der Baukunst ganz dem Winkelmanns realisierte resp. ausgestellte Arbei- te“ Architektur - nicht nur in Fachzeitschriften.63 fern bleiben muß, wurde schon gesagt. Der Hauptgrund dafür ten Aufmerksamkeit bei Architekturkritikern finden - Im Unterschied bspw. zu den Juristen, die als Berufs- hat Geltung für alle bildenden Künste: es fehlt ihr der künstleri- schon weit subtiler für eine Rettung der männlichen stand bis in die ersten Jahren der Weimarer Republik sche Raumsinn.“ Ibid., S.57 Exklusivität in der Baukunst ein, wenn er feinsinnig öffentlich die Berufstätigkeit von Kolleginnen in allen 60 Scheffler, Karl: Die Architektur der Großstadt, Berlin, 1913, bemerkt: „Mehr als andere Berufe verlangt die Bau- traditionellen Bereichen des Berufsfeldes strikt ableh- S.127 kunst nun einmal die Berufskonvention.“ 60 nen64 - und von der frauenbewegten Presse heftig an- 61 Zitiert nach Randa, Sigrid: Interieurs im Wandel, Möbel- und Ar- Fachjournalisten und Architekturkritiker - die Mittler gegriffen werden -, formulieren die Berufsverbände chitekturentwürfe aus den Wettbewerben der Zeitschrift „Innen- öffentlicher Meinung - spielen bei der Mobilisierung der Architekten ihre Haltung gegenüber potentiellen Dekoration“ 1902-1907, Leinfelden-Echterdingen, 1986, S.165 immobiler Projekte und Bauten eine zentrale Rolle: Kolleginnen nicht kollektiv und nicht öffentlich. 62 „[Kräften], die (..) nur in linearen Äußerlichkeiten ihr Vertrautsein als Promotoren von Ideen. Das Bewährte wie das mit den Forderungen des modernen Stils bekundeten, von dem Hinter den Kulissen scheint jedoch auch unter Archi- Neue bedarf der Orientierung am Status Quo. Und Geiste desselben aber wenig beseelt schienen.“ - Innen-Deko- tekten intensiv darüber nachgedacht worden zu sein, nicht nur gegenüber Architektinnen, gegen allerlei ration, 15.Jg., 1904, S.4. - hier zit. nach Randa, 1986, S.XV wie mit der unerwünschten Konkurrenz zukünftig um- Usurpatoren übt die Fachpresse den Schulterschluss 63 Führende Bauzeitschriften ignorieren bis Ende der zwanziger gegangen werden könne. In Reaktion auf die Berliner mit der eigenen Zielgruppe innerhalb des Berufsfel- Jahre jegliche Bautätigkeit von Architektinnen. Ausstellung findet sich im Deutschen Werkbund bald des. Als Beispiel dieses protektionistischen Selbst- 64 Auf eine Anfrage des Reichsjustizministeriums vom 5.120.1921 eine Mehrheit für die Idee, den Frauen ein besonde- verständnisses mag eine allzu offensichtliche Exklusi- fasst die Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltsvereins res Haus zur Verfügung zu stellen.65 1913 werden Ar- on der Schriftleitung der ‘Innendekoration’ vom 13.5. am 28.1.1922 im Leipzig den folgenden Beschluss: „Die Frau chitektinnen aufgefordert, durch Wettbewerbsentwür- 1904 dienen. Interessanterweise wird auch hier im eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt. fe für ein „Haus der Frau“ ihren Beitrag dazu zu lei- Namen einer Modernität exkludiert: „Wir möchten [es] Ihre Zulassung würde daher zu einer Schädigung der Rechts- sten, Frauenleistungen in der öffentlichen Präsenta- (..) nicht unterlassen auf die überraschend starke Be- pflege führen und ist aus diesem Grunde abzulehnen.“ (ZStA tion räumlich zu isolieren. teiligung an unseren Wettbewerben von österreichi- 30.01, 4181, zit. nach Glaser/Herrmann, 1988, S.221, FN 6) schen Künstlern hinzuweisen, die mit so ausserge- Werden die offen misogynen Positionen um die Jahr- 65 Die Idee zur Werkbundausstellung entsteht bereits 1911. Sie wöhnlichen Erfolgen als Sieger aus denselben her- hundertwende in der Regel als Antifeminismus be- sollte ursprünglich bereits 1913 stattfinden. Die Idee zum „Haus vorgehen. Es dürfte wohl doch an der Zeit sein, dass zeichnet, so werden Schließungsmechanismen im der Frau“ entsteht 1912, damit in zeitlicher Nähe zur Ausstellung auch die reichsdeutschen Künstler sich wieder stär- Übergang von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik „Die Frau in Haus und Beruf“. - Zur Entstehungsgeschichte der ker beteiligen, um der Auffassung vorzubeugen, (..) häufig mit „allgemeinen Existenzängsten“, „konserva- Werkbundausstellung in Köln 1914 vgl. (Kat.) Der westdeutsche dass diese positiven Erfolge Wiener Künstler auf tiveren Grundhaltungen“ (Mikoletzky) oder Impuls 1900-1914, Köln, 1984

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 25 „Mentalitätsresistenzen“ (Wierling) erklärt. Erklärun- Häuser der Frau oder Häuser für Frauen?69 gen, die Haltungen politischen Lagern zuschreiben, Das ‘Haus der Frau’ auf der Werkbundausstellung bringen die Akteure in aller Regel zum Verschwinden. Köln, 1914 66 Weshalb der Begriff ‘Schließungsmechanismus’ zur Beschrei- Die Abwehr von Usurpatoren ist jedoch ein aktiver bung des ‘doing gender’ i.d.R. nur begrenzt zutreffend ist. Ab 1911 plant der Deutsche Werkbund - ebenfalls Prozess66, der sich offenbar mit unterschiedlichen 67 Die These, dass gerade Avantgardismen zur Ab- resp. Ausgren- mit erheblichen Mitteln der Industrie - 1913 in Köln politischen Positionen ebenso problemlos vereinba- zung neigen, dies vielleicht sogar ein konstituierendes Element eine Ausstellung seiner Mitglieder ins Werk zu setzen. ren lässt wie mit fachspezifischen Modernisierungs- von Avantgarde ist, findet sich auch bei Orton/Pollock: „`avant- Die Ausstellung muss um ein Jahr verschoben wer- ansprüchen. Das Mittel der Exklusion ist die diskursi- gardism´ has it´s own structures of closure and disclosure, its den. Angesichts 5% weiblicher Mitglieder - von 1912 ve (Re-)Konstruktion einer Differenz: Erst durch das own way of allowing certain perceptions and rendering others zu 1913 erhöhte sich deren Zahl von 44 auf 77 - sol- Konstruieren und Propagieren dieser Differenz als re- impossible“, in: Orton, Fred / Griselda Pollock: Avant-Gardes len bei der geplanten Ausstellung des Werkbundes in levant, kann eine Exklusion plausibilisiert, ‘wirkmäch- and Partisans Reviewed, Manchester, 1996, S.142 - Der Glaube Köln die Arbeiten von Frauen in einem eigenen Aus- tig’ werden. Das ‘doing gender’ - die Exklusion zur an eine Erneuerung scheint - angesichts mangelnder Anerken- stellungsgebäude präsentiert werden.70 Es soll ein Wahrung oder Schaffung einer geschlechtsspezifi- nung wie von Selbstzweifeln - nur durch eine Rückbesinnung „besonderes Haus“ werden. Genauso entschieden schen Exklusivität - wird auffällig offensiv von Prota- auf den ‘Geist’ wie die Exklusivität einer Glaubensgemeinschaft wird sogleich festgelegt, dass darin „lediglich den auf gonisten avantgardistischer Strömungen betrieben. möglich. Um dies zu gewährleisten, exkludieren die (noch nicht kunstgewerblichem Gebiet arbeitenden Frauen“ die Sie zeigt sich damit weniger als ‘Schließungsmecha- anerkannten) ‘Reformatoren’, wobei der Legitimationsaufwand Möglichkeit zur Präsentation ihrer Arbeiten einge- nismus’ etablierter, konservativer Kräfte, denn als zum Ausschluss unerwünschter Usurpatoren der Stärkung der räumt werden soll.71 Dies überwacht ein hierfür ge- ‘Ausschlussaktivität’ noch nicht etablierter Akteuere.67 eigenen Einzigartigkeit dient und augenscheinlich zum Parame- gründetes Komitee, dessen Mitglieder paritätisch aus ter der Modernität wird. Die Tendenz, zur Durchsetzung neuer Ideen mit einer Gestalterinnen und Gattinnen verdienter Vertrauens- 68 Heinrich Taut zitiert (im Vorwort der Neuauflage von Taut, Bru- kleinen, feinen Truppe anzutreten, erscheint im Hin- männer zusammengesetzt ist.72 no: Die neue Baukunst in Europa und Amerika, Stuttgart, 1979) blick auf Gesellschaftsreformen paradox, bedarf es Während junge und ältere Architekten des Werkbun- seinen Vater nach Aufzeichnungen eines Vortrages aus den für deren Umsetzung doch einer breiten gesellschaft- des die Vergabe aller anderen - mit exemplarischem dreißiger Jahren in Japan, in dem Bruno Taut (der 1933 bis En- lichen Zustimmung. Das ‘doing gender’ in der klassi- Anspruch errichteten - Ausstellungsgebäude als Di- de 1936 in Japan lebte) „die Härte des Kampfes um die moder- schen Moderne der Architekturgeschichte - wie der rektaufträge unter sich ausmachen, wird für das ne Architektur“ geschildert habe: „...`Großartig sei die Geschich- sektiererische Prozess von Protagonisten - ist wahr- „Haus der Frau“ ein offener Wettbewerb ausgelobt.73 te ihrer Geburt. Aber voller Leiden und Quälereien ist sie bei den scheinlich nur psychologisch resp. gruppendyna- Die Ausschreibung des ersten dezidiert geschlechts- einzelnen Helden gewesen, die sie zur Welt gebracht haben.´ Er misch zu fassen. Auch wenn beispielsweise Bruno exklusiven Architekturwettbewerbs im Deutschen mag dabei auch an sich selbst gedacht haben. `In meiner Ju- Taut rückblickend die Durchsetzung der Moderne in Reich erweist sich im Sinne des ‘doing gender’ als gend habe ich furchtbar gearbeitet. Es war nicht leicht, als jun- der Architektur als „Geburt“ bezeichnet: Im Kampf geschickter Schachzug berufsständischer Politik.74 ger Mann zur Anerkennung zu kommen.´ “ um die Durchsetzung der modernen Architektur herr- Die Zusammensetzung der Jury wird ebenso wenig 69 Zu den Ausstellungsbauten „Haus der Frau“ in Köln und Leipzig schen offenbar militärische Regeln und einzelne, publiziert wie die Anzahl und Namen derer, die Ent- vgl. auch Stratigakos, 1999, Kap. 7 ‘männliche’ Helden.68 würfe zu diesem Wettbewerb einreichen. 70 Damit blieb der relative Anteil weiblicher Mitglieder konstant. Gesamtzahlen nach Jäckh, Ernst: 5.Jahresbericht des Deut- schen Werkbundes 1912/13, in: in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Jena, 1913, S.97. Zahlen ermittelt nach Mitglie- derverzeichnissen des DWB der Jahre 1912 und 1913. 71 So der Erläuterungstext im Amtlichen Katalog zur Ausstellung, 1914, S.199 - Der Katalogtext verhehlt durch Widersprüche die eigentliche Intention nur mäßig: „Es ist das erstemal, daß auf ei- ner Ausstellung den Frauen ein besonderes Haus zur Verfügung gestellt wird, und zwar lediglich den auf kunstgewerblichem Ge- biet arbeitenden Frauen (..) Textilgewerbe (..) Muster für Tapeten und Linoleum (..) Mode (..) Schulabteilung (..) Plakatwesen (..) Keramik (..) Photographie“. Zur Entstehung dieser Idee der Se- paration vgl. Droste, 1989, Stratigakos, 1999 72 Erste Vorsitzende des ‘Ausschusses „Haus der Frau” ‘ war Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anna Muthesius, geschäftsführende Vorsitzende Else Oppler- Legband, Schriftführerin Lilly Reich. Mitglieder waren außerdem: Alexe Altenkirch, Agnes Grave, Alice Hegemann, Annemarie Pallat-Hardtleben und Else Rehorst. Amtlicher Katalog, 1914, S.22-23 73 Diesen Verteilungsprozess innerhalb geschlossener Zirkel be- schreibt bspw. Isaacs anhand der Vergabe der Maschinenhalle an Walter Gropius. Isaacs, Reginald: Walter Gropius, 1985, Ber- lin, S.121

26 Chancen und Möglichkeiten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Haus der Frau, Köln, 1914, Margarete Knüppelholz-Roeser Haus der Frau, Leipzig, 1914, Emilie Winkelmann

74 Vgl. Kat. Der westdeutsche Impuls 1900-1914, Die Deutsche Überliefert sind nur die Namen der Preisträgerinnen: Im Herbst 1912 regt das Direktorium der ‘Bugra’, der Werkbundausstellung Cöln 1914. - Während bei der Direktver- Margarete Knüppelholz, Berlin-Friedenau, Frieda La- „Weltausstellung für Buchgewerbe und Grafik”, dazu gabe aller anderen Ausstellungsgebäude ausschließlich [männ- gus, Wien und Emilie Winkelmann, Berlin-Schöne- an, ein weiteres „Haus der Frau” zu errichten.78 Im liche] Mitglieder des Werkbundes berücksichtigt wurden, kamen berg. Sie ist damit die einzige bisher bekannte Teil- Unterschied zu jenem in Köln wird das „Haus der als Entwerferinnen für das Haus der Frau offenbar ausschließlich nehmerin, die eine Technischen Hochschule besuch- Frau“ auf der Weltausstellung in Leipzig 1914 von Nicht-Mitglieder in Betracht. In den Niederlanden war für die te. Frieda Lagus (geb. 1890) studierte an der Kunst- Vertreterinnen der Frauenbewegung in der Nachfolge Ausstellung „De Vrouw 1813-1913“ bereits um 1911/12 für den gewerbeschule in Wien, Margarete Knüppelholz (geb. der Berliner Ausstellung (1912) als „erste Frauen- Bau des Ausstellungsgebäudes eine Architektin gesucht wor- 1886) an den Kunstgewerbeschulen in Magdeburg, Fach-Weltausstellung“ initiiert.79 den. Vgl. Kessel / Kuperus, 1986, S.12 Stuttgart und Breslau. Ihr Entwurf wird von einem 75 Vgl. Gallwitz, S.D.: Das Haus der Frau auf der Werkbundausstel- Emilie Winkelmann realisiert dieses Ausstellungsge- Kölner Zimmermann realisiert und von der Presse un- lung in Köln, in: Die Frau, 21.Jg. H.10.Juli 1914, S.591 ff. - Dort bäude ehrenamtlich.80 An dessen Innenausstattung terschiedlich aufgenommen.75 wird erwähnt, dass Robert Breuer in einer Vorbesprechung, die sind neben Fia Wille und Elisabeth von Knobelsdorff durch die Lokalpresse ging, dem Haus der Frau jede, aber auch Knüppelholz tritt - abgesehen von ihrer Nennung an- auch Claire Holstein, Paula Steiner-Prag und Marie jede Berechtigung abgesprochen habe. Ibid., S.593 lässlich dieses Wettbewerbsgewinns - als Architektin Kirschner beteiligt.81 In diesem „Haus der Frau” wer- 76 Auch dies im Unterschied zu den Architekten, die für die ande- nicht öffentlich in Erscheinung und wird im Katalog den neben Buchbinderei und Grafik auch Möbel und ren Ausstellungsgebäude der Ausstellung verantwortlich zeich- nicht namentlich genannt.76 Ebendort findet sich unter Architektur ausgestellt, so bspw. von Therese Mog- nen. Die genaueren Umstände dieses Nicht-in-Erscheinung-Tre- „Haus der Frau“ jedoch ein erhellender Hinweis der ger und Hertha Jeß.82 Da aber auch dieses Haus im tens sind nicht bekannt. Zu Margarete Knüppelholz vgl. auch Initiatoren, die offenbar Missverständnisse ihrer An- Rahmen einer größeren Ausstellung als geschlechts- Kurzbiografie Knüppelholz[-Roeser] im Anhang. Ob Margarete strengungen fürchten und Besucherinnen vor über- exklusives Gebäude errichtet wird und Leistungen und Ernst Knüppelholz, zunächst Studienkollegen und seit 1913 steigerten Erwartungen bewahren wollen: „Vollkom- von Frauen präsentiert, schwindet jede äußerlich verheiratet, zusammen arbeiteten, ist unbekannt. Bisher lässt men verfehlt wäre es, geniale Einfälle und Aufsehen sichtbare Differenz zum „Haus der Frau“ auf der sich kein gemeinsames Projekt nachweisen. erregende Schöpfungen in diesem Hause zu Kölner Ausstellung. 77 Amtlicher Katalog zur Ausstellung, Köln, 1914, S.199 suchen.“ 77 78 Katalog zur Ausstellung, Leipzig, 1914, Einleitung, S.XIII 79 Die 16 verschiedenen Ausstellungsgebiete innerhalb des Hauses wurden unter internationaler Beteiligung arrangiert. Eine interna- tionale Beteiligung von Architektinnen ist nicht festbar. 80 Ob sie damit ihren für Köln eingereichten Entwurf realisieren kann oder ein völlig anderes Gebäude für Leipzig entwirft, ist Haus der Frau, Köln, Gartenansicht Haus der Frau, Leipzig, Gartenterrasse bisher unklar. 81 Fia Wille XX Reklame: Raumgestaltung sowie Entwurf der Lit- fasssäulen (vgl. hierzu Artikel Voigtländer in: Die Frau / Bericht der Vossischen Zeitung) und „Der Teeraum: Möbel, Stoffe, Beleuch-tungskörper und Vitrinen nach Entwürfen von Fia Wille, Berlin”, Emilie Winkelmann, Gebäude „Haus der Frau“ - Gertrud Claire Holstein - Raum VIII „Raumsparende Utilis-Möbel“. Man- che Möbel, darunter ihr „Papierkorb für nervöse Leute“, werden Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar auch im Raum XXIV (Buchhandel) ausgestellt - Elisabeth von Knobelsdorff - Raumgestaltung: IV. Raumkunst, dort stellt sie selbst auch (Nr.476) „Architektonische Zeichnungen und Photo- graphien von entworfenen Möbeln“ aus - Paula Steiner-Prag, Leipzig zeichnet verantwortlich für die Raumgestaltungen „Bü- chereien und Sammelwesen” (IV) sowie „Bibliothekswesen” (V).

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 27 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 82 Im Raum Raumkunst stellt Mogger „Photographien von gebau- ten und im Bau begriffenen Häusern“, Hertha Jeß „Vitrinen” aus. 83 Laut Katalogtext: „Der Wert des Hauses der Frau liegt aber nicht nur in dem individuellen Reiz und der künstlerischen Schönheit, sondern vor allem in der sozialen Bedeutung (..) Es soll Ver- ständnis und Interesse für ernste und tüchtige Frauenarbeit ge- weckt werden, um ihr allgemeine Anerkennung zu verschaffen und neue Berufe zu eröffnen.“ Der Teeraum dient als „Treff- Haus der Frau, Leipzig, Aussenbereich des Teeraumes Teeraum im Haus der Frau, Leipzig, Fia Wille punkt der guten Gesellschaft auf der Weltausstellung.“ 84 Droste bezeichnet beide Gebäude - in Anlehnung an Parker / Pollock - als „Frauenpaläste“. Droste, 1989. S.186 85 Im Unterschied dazu hatte Hedwig Heyl 1912 von „zusammen- Damit bilden sich um 1914 ergänzende wie exkludie- Als schließlich 1931 auf der Bauausstellung in Berlin fassender Form” gesprochen: „Die Ausstellung soll die Leistun- rende Motivationen und Konzeptionen - sprachlich auf Initiative des ‘Reichsverbandes deutscher Haus- gen der deutschen Frauen unserer Zeit in zusammenfassender wie räumlich - nicht mehr unterscheidbar ab.83 Der frauenvereine’ mit einem von Peter Behrens und Else Form veranschaulichen und zur Darstellung bringen.“ (Heyl, mehrdeutige Begriff ‘Haus der Frau’ lässt emanzipati- Oppler-Legband entworfenen Pavillon erneut ein ge- 1925, S.115) ve und anti-feministische InitiatorInnen, Ausstellende sondertes Ausstellungsgebäude - als „Ring der Frau- 86 Voigtländer, Emmy: Das Haus der Frau auf der Buchgewerbe- und Adressatinnen verschwimmen.84 Die als Reaktion en“ - eröffnet wird, sind die kritischen Stimmen inner- ausstellung in Leipzig, in: Die Frau, 21.Jg., H.12, S.721-725 - So und Kritik auf die Exklusion von Frauen entstandene halb der Frauenpresse verstummt. Die Besucherin- ist bspw. der Vorraum des „Bremen-Oldenburger Hauses“ von Idee eigener (Frauen-)Ausstellungen verwandelt sich nen zeigen sich vielmehr dankbar: „Es ist sehr schön, Martha Vogeler ,D.W.B., Worpswede entworfen (Katalog der so in kürzester Zeit zu einer ambivalenten Angelegen- daß man den Frauen zum ersten Mal auf einer Bau- Werkbundausstellung, 1914, S.1 ff.), Elisabeth v. Baczko, DWB, heit: Denn ein ‘Haus der Frau’ bezeichnet nun nicht ausstellung ein eigenes Haus geschaffen hat. Das ist Bremen entwarf Schlaf-, Ankleide- und Badezimmer. Von Bacz- mehr nur ein Gebäude, in dem „Verständnis und In- wohl nicht Zufall und zeigt, daß heute die Frau bei ko wird unter den Ausstellenden in Raum P nochmals genannt. teresse für ernste und tüchtige Frauenarbeit geweckt den Dingen, die sie so sehr angehen, die sie zu ver- Die ‘Wohnung einer selbständigen Dame’ wird hier nach Entwurf werden [soll], um ihr allgemeine Anerkennung zu ver- walten, zu pflegen und einzurichten hat, ein Wort mit- von Hermann Dieter präsentiert. schaffen und neue Berufe zu eröffnen.“ Gegebenfalls spricht, daß sie stärkeren Einfluß gewinnt.“ 87 87 O.A.: Der Ring der Frauen auf der Bauausstellung Berlin 1931, handelt es sich dabei auch schlicht um ein besonde- in: Frau und Gegenwart, 27.Jg., 23.Heft, Sept. 1931, S.582 In den zehner Jahren entstanden jedoch auch weni- res Angebot für Besucherinnen, die in einem von 88 Zum Lyzeumclub vgl. Sander, 1991, S.52-57; Zum Umbau des ger temporäre Häuser von Frauen für Frauen. So hat- Frauen gestalteten Gebäude in „geschlossener Form” Gebäudes vgl. Stratigakos, 1999 te der finanzielle Erfolg der Berliner Ausstellung 1912 das zu sehen bekommen, was von Männern zuvor 89 Ottilie von Hansemann (geb. von Kusserow, 11.4.1840 - 12.12. den Lyzeum-Club in die Lage versetzt, ein Gebäude als adäquat weiblich befunden wurde.85 1919), seit 1911 Direktorin der Disconto-Gesellschaft, war (wie am Lützowplatz zu erwerben. Winkelmann baut es auch Winkelmann) Mitglied im ‘Deutschen Lyzeumclub’. Sie en- Dementsprechend beobachten gerade professionell noch im selben Jahr um, an der Inneneinrichtung gagierte sich leidenschaftlich in Fragen des Frauenstudiums. In tätige Frauen diese ‘Sonderausstellungen’ zuneh- sind zahlreiche Kolleginnen beteiligt.88 Dank einer Mä- der ‘Gartenlaube’ bezeichnet Agnes Harder 1916 den „Versuch mend skeptisch. Emmy Voigtländer äußert nach dem zenatin entsteht ab 1914 ein weiteres Haus für Frau- eines so großen Studentinnenhauses als vollständig geglückt" - Besuch beider Ausstellungen hoffnungsfroh: en in Berlin: Emilie Winkelmann plant und realisiert im der „kleine Frauenstaat" biete 95 Studentinnen eine Bleibe. „Vielleicht wird das für die Zukunft ertragreichste Er- Auftrag des Lyzeum-Clubs und dank einer Stiftung 90 Auch Bauhaus- und Tessenowstudentinnen beschäftigen sich gebnis dieser Sonderausstellungen der Beweis ihrer Ottilie von Hansemanns das erste Studentinnen- mit der Entwurfsaufgabe Studentinnenwohnheim – vgl. Kap. 6 Überflüssigkeit in dem Sinne sein, daß allmählich die wohnheim Europas: Das „Viktoria-Studienhaus” wird 91 Am 12.3.1935 wurde der ‘Deutsche Lyzeumclub’, der sich be- Leistungen von Frauen als selbstverständlich in die 1915 in der Nähe der TH Charlottenburg eröffnet und reits 1933 ‘arisiert’ und damit mehr als ein Drittel seiner Mitglie- allgemeine Kulturarbeit aufgenommen werden, wo nach dem Tod der Stifterin nach ihr benannt.89 Ver- der aus rassistischen Gründen ausgeschlossen hatte, dem man zuerst die Güte der Arbeit sieht und dann ihren schiedene Initiativen zur Errichtung weiterer Studen- ‘Deutschen Frauenwerk’ angegliedert. Das Gebäude am Lüt- Verfertiger, ohne daß zu jedem Stück noch lange Re- tinnenwohnheime scheitern, das Thema bleibt - auch zowplatz wurde 1944 zerstört, der DLC, als Schatten seiner den über Grenzen und Fähigkeiten der weiblichen als Entwurfsaufgabe - bis in die dreißiger Jahre viru- selbst, nach dem zweiten Weltkrieg neu gegründet. - Das ‘Han- Begabung gehalten zu werden brauchen. Daß es lent.90 Das „Haus des Deutschen Lyzeum-Clubs” wie semann-Haus’ wurde bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges als schon vielfach so ist, konnte man gerade auf der das „Ottilie-von-Hansemann-Haus” bleiben bis zum Studentinnenwohnheim geführt. Mit der Liquidation des Trägers Werkbundausstellung beobachten, wo man öfter in Ende des zweiten Weltkrieges Zentren von Frauen- ‘Verein Victoria-Studienhaus’ erlosch auch die Idee eines frau- allen möglichen Abteilungen, gefesselt von etwas Gu- kultur und -politik, finden nach 1945 jedoch keine enbewegten Studentinnenhauses. tem, mit Freude dann einen weiblichen Namen las.” 86 Weiterführung oder Nachfolge.91 92 PhD am Bryn Mawr College, 1999

28 Chancen und Möglichkeiten Architektinnen der Kaiserzeit – Architekturstudentinnen der Kaiserzeit Unter dem Titel „Skirts and Scaffolding: Women Ar- chitects, Gender and Design in Wilhelmine Germany“ schloss Despina Stratigakos 1999 eine umfassende Forschungsarbeit zu Architekturstudentinnen und Ar- chitektinnen der Kaiserzeit ab.92 Diese Untersuchung beleuchtet erstmalig die quantitative wie qualitative Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Dimension des Schaffens von Architektinnen zu Be- ginn des 20. Jahrhunderts im Deutschen Reich. Auch wenn Architektinnen dieser ersten an Technischen Hochschulen ausgebildeten Generation im Berufsfeld nicht immer öffentlich in Erscheinung traten, sie plan- ten und bauten deutlich häufiger als bisher bekannt.

Lyceumclub Berlin, Musikzimmer (1913) Ab 1910 ist für Frauen mit Abitur das ordentliche Ar- chitekturstudium innerhalb des Deutschen Reiches formal überall möglich.93 Der Zugang zur Profession ist jedoch nicht ausschließlich an den Abschluss ei- nes akademischen Studiums geknüpft. Auch an Aka- demien, Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen fin- den architekturinteressierte Studentinnen über den Möbelentwurf bzw. die Tischlerei im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts Zugangsmöglichkeiten zur Archi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tektur.94 Gerade Kunstgewerbeschulen standen dem Studium von Frauen weit aufgeschlossener gegen- über als Technische Hochschulen und Akademien.95

Die meisten professionellen Gestalterinnen, die bis zum Ende der Kaiserzeit öffentlich in Erscheinung tre- 93 An wie vielen Orten und Hochschulen des Deutschen Reiches ten, an der Seite ihrer ebenfalls häufig zunächst im Frauen diese Neuregelung auch jeweils zu nutzen versuchten, Kunstgewerbe tätigen Gatten auch architektonische Lesezimmer (1913) wird in der o.g. Untersuchung dargestellt. Entwürfe realisieren, haben in der Regel an Kunstge- 94 Auch wenn zu Architekturstudentinnen außerhalb Technischer werbeschulen studiert.96 Diesen Kunstgewerblerinnen Hochschulen bisher nahezu keinerlei Forschungen unternom- gelingt es jedoch in aller Regel - und im Unterschied men wurden, so sind hier neben Margarete Roeser (KGS Mag- zu den Kunstgewerblern - nicht, sich im Bereich Ar- deburg) und Frieda Lagus (KGS Wien) bspw. Gertrud Roeser chitektur zu etablieren97: Unter ihrem alleinigen Na- (Saalecker Werkstätten), Herta Jeß und Lotte Klopsch (KGS Ber- men zeichnen diese Gestalterinnen in der Öffentlich- lin) oder Gertrud Kleinhempel (Damen-Akademie des Münchner keit weiterhin ausschließlich für Inneneinrichtungen Künstlerinnenvereins), aber auch Elisabeth Nießen, Ernestine und Möbel verantwortlich.98 Kopriva, Margarete Lihotzky, Hilda Friedenberg und Kitty Speyer Interessierte Studienbewerberinnen klopfen ab der (KGS Wien) zu nennen. Ottilie-von-Hansemann-Haus, Berlin-Charlottenburg, 1914-16, (Zustand 1997) Wende zum 20. Jahrhundert an die Türen deutscher 95 „So sind die Damen durchgängig die besseren Schüler der Architekturfakultäten. Im Besitz des geforderten Abi- Klassen“, behauptet Peter Behrens in seinem Antrag auf Zulas- turs begehren sie Zulassung zum Studium in der Ab- sung von Damen an die Kunstgewerbeschule in Düsseldorf, An- sicht, qualifiziert berufstätig zu werden. Da ein Studi- trag vom 22.2.1904. Zit. nach Moeller, 1990, S.66ff. um aus Sicht dieser Generation zweifelsohne auch 96 So haben bspw. die eingangs genannten ‘Raumkünstlerinnen’ eine Berufsfrage ist, begehren diese Bürgertöchter wie Hedwig Brill, Ilse Dernburg, Fia Wille und Else Wenz-Vietor - und mit ihnen die besorgten Eltern - insbesondere Kunstgewerbeschulen besucht. Zugang zu berufsrelevanten Abschlussprüfungen. Zu- 97 Wie die sich hier abzeichnende Gendergrenze konstituiert wur- nächst vereinzelt als Gasthörerinnen und Hospitantin- de, müsste näher untersucht werden. Schon Campbell wies da- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nen zugelassen, treffen Aspirantinnen an den diver- rauf hin, dass „die erste Generation des Werkbundes überwie- sen Architekturfakultäten auf unterschiedlich begrün- gend aus Malern bestand, die zur Architektur überwechselten, dete, in aller Regel jedoch ablehnende Haltungen. Ih- [während] die neuen Architekten unmittelbar für den (..) Beruf re Annahme an der jeweiligen Fakultät hängt ebenso ausgebildet wurden.“ Campbell, 1981, S.95 FN stark wie unmittelbar von der Aufgeschlossenheit der 98 Droste bezeichnet dies als „Fiktion eines weiblichen Kunstge- Professoren ab und ist damit kaum berechenbar. werbes“, die notwendig gewesen sei, um Frauen zurückdrängen zu können. Droste, 1989, S.192

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 29 1905 wird an der TH München die erste Architektur- gehobenen Mittelschicht gehörigen Familien in die studentin als ordentliche Studentin zugelassen, 1908 großen Städte des Deutschen Reiches oder nach an der TH Darmstadt, zum Wintersemester 1908/09 Wien gezogen.106 an der TH Stuttgart, 1909 an der TH Berlin.99 An der Marianne Viefhaus konstatiert einen sehr hohen Anteil TH Braunschweig nimmt erst 1915 eine erste Stu- jüdischer Studentinnen an der ersten Generation dentin ein ordentliches Architekturstudium auf.100 Zu 99 TH München, vgl. Fuchs,1994, S.33 - TH Darmstadt vgl. Vief- technisch orientierter Studentinnen und stellt die The- diesem Zeitpunkt haben Elisabeth von Knobelsdorff haus, 1988, S.44 - TH Stuttgart vgl. Becker, 1998, S.128 - TH se auf, dass diese Überrepräsentation aus der be- und Margarete Wettcke an der TH Berlin-Charlotten- Berlin vgl. Biografie Tippelskirch sonderen Stimulanz der Neuorientierung angesichts burg (1911 resp. 1914), Jovanka Bontschits an der 100 Vgl. Biografie Dinkelmann beschränkter akademischer Möglichkeiten sowie der TH Darmstadt (1913), Thekla Schild an der TH Karls- 101 Vgl. Biografie Tippelskirch - zu Jovanka Bonschits vgl. Viefhaus, Ambivalenz der Assimilationsbewegung herrühre.107 ruhe (1914) und Agnes Mackensen an der TH Mün- 1988, S.4 - zu Thekla Schild vgl. Neue Bahnen, 49.Jg., Heft 2, Manche stammten aus adligen Familien.108 Auch ein- chen (1915) bereits ihre Architekturdiplome erhal- Januar 1914 - zu den ersten Diplomen an der TH München vgl. zelne Töchter aus (groß-)bürgerlichen Familien, die in ten.101 Fuchs, 1994, S.148. Großstädten bereits Schulen für höhere Mädchenbil- 102 So kann bspw. Elisabeth von Knobelsdorff erst durch die per- Den Pionierinnen des akademischen Architekturstudi- dung besucht hatten, nahmen manches Mal ein Ar- sönliche Fürsprache ihres Vaters 1909 die Zulassung als ordent- ums werden die Widerstände im Fach zwangsläufig chitekturstudium in Angriff. Bei dieser Gruppe fällt liche Studierende an der TH Charlottenburg erreichen. bewusst. Die wenigen Architekturstudentinnen dieser jedoch auf, dass der Vater zum Zeitpunkt des Studi- 103 Die Zahl bzw. Quote der Studienabbrecherinnen unter den Ar- Generation setzen mit großer Energie und familiärem ums häufig bereits verstorben war. Dies stellt inner- chitekturstudentinnen der Kaiserzeit ist bisher nicht berechen- Rückhalt, dank hoher Mobilität, Begabung und Hart- halb der Studentinnen der Kaiserzeit kein Spezifikum bar, da Angaben über den Grund der Exmatrikulation zumeist näckigkeit ihren Studienwunsch um.102 Viele schließen dar.109 Hier wird jedoch deutlich, dass in bürgerlichen ebenso fehlen wie Informationen zum Verbleib. Anhand der an ihr Studium erfolgreich ab.103 Ihre ‘ersten’ Diplome Familien die Abwesenheit des Vaters die Aufnahme der TH Charlottenburg bis 1919 bisher nachweisbaren 41 Stu- werden als Erfolge in der Frauenpresse verkündet.104 eines Studiums der Tochter eher förderte als - bspw. dentinnen lässt sich eine grobe Einschätzung vornehmen: So Die Anträge von Frauen auf Zulassung zum ordentli- durch den Verlust des Ernährers - verhinderte.110 sind bisher zumindest 15 Diplome - an der THC oder einer an- chen Architekturstudium an Technischen Hochschu- Ein nennenswerter Teil dieser Studentinnengenerati- deren Hochschule - nachweisbar. len steigen in den zehner Jahren an, insbesondere on war in osteuropäischen Staaten aufgewachsen 104 So bspw. die Meldung über Marie Frommers Promotion zum um 1916. und kam zum Technischen Studium nach Deutsch- Dr.Ing, in: Die Frauenfrage, 21.Jg., 1919, S.73 Architekturstudentinnen dieser Generation kommen land.111 Für ein Technikstudium wählten gerade bul- 105 Von etlichen der während der Kaiserzeit immatrikulierten Stu- aus bestimmten Milieus.105 Etliche dieser Studentin- garische Studentinnen - und darunter auch die Ar- dentinnen rekonstruierte Despina Stratigakos nun erstmalig den nen waren in liberalen jüdischen Familien in städti- chitekturinteressierten - in den zehner Jahren oft familiären Background. schen Milieus aufgewachsen. Sie waren vielfach im Technische Universitäten im Deutschen Reich.112 106 Die Töchter aus jüdisch-liberalen Elternhäusern umfasste u.a. Kindesalter mit ihren zumeist zur bildungsorientierten, Ella Briggs, Charlotte Cohn, Susanne Cohn, Marie Frommer, Le- Damit lässt sich behaupten, dass Studentinnen die- onie Pilewski, Toni Simon-Wolfskehl, Alice Reichenbach, Lucia Finkelstein und Ilse Cats. - Zum Modernisierungs- resp. Emanzi- pationsvorsprung jüdischer Frauen um 1900 vgl. Richarz, 1992, S.65 111 Vergleichsweise viele der technikinteressierten Studentinnen an an der TH Charlottenburg bis 1918 mit knapp 40% (Duden / 107 „In vielen östlichen Staaten war den Juden der Zugang zu den Hochschulen des Deutschen Reiches kommen in den ersten Ebert, 1979, S.407) Unter den 29 bis zum Beginn der Weimarer Universitäten verwehrt (..), während gerade die Ambivalenz der Jahrzehnten dieses Jahrhunderts aus dem Ausland. Der Anteil Republik an der TH Charlottenburg erstinskribierten, ordentli- jüdischen Assimilationsbewegung - das Selbstverständnis des der ausländischen Studentinnen spiegelt die kulturelle Orientie- chen Architekturstudentinnen waren sieben Ausländerinnen: die Judentums als Makel und Auszeichnung - jüdische Frauen, die rung der gehobenen Schichten, den geringeren Skeptizismus Schweizerin Gertrud Ferchland (geb. 1894) und die Ungarin Ella sich nicht dem bürgerlichen Frauenideal anzupassen bereit wa- gegenüber den Technikwissenschaften, den internationalen Ruf Kohlbach (geb. 1896), sowie die Bulgarinnen Helene Markoff ren, zu hohen geistigen und wissenschaftlichen Leistungen sti- einiger Hochschulen und die größere Aufgeschlossenheit gegen- (geb.1894), Iwana Arnandowa (geb. 1898), Maria Berowa (geb. mulierte.“ - Viefhaus, 1988, S.48 über dem Studium von Frauen wider (TH Berlin, TH Darmstadt, 1897), Giwka Kasarowa (geb. 1897) und Mara Konsulowa (geb. 108 Zu den (mehr oder minder) adeligen Pionierinnen in der Archi- TH München). - In Rußland war bspw. die Technische Universi- 1891). tektur zählten bspw. Viktoria von Bentheim zu Steinfurt, Klothil- tät in St.Petersburg bereits ab 1895 für Frauen zugänglich. Wäh- 112 Mit Öffnung der TH Wien 1919 studieren auch Aspirantinnen aus de Drennig von Pietra Rossa, Janina von Muliewicz, Valerie von rend die in Russland geborenen Studentinnen an Deutschen den Kronländern der österreichischen Monarchie in Wien. Klier, Cornera Serger van Panhuys, Julia von Broich, Irmgard Hochschulen mit ihren Familien zumeist schon um die Jahrhun- 113 Auch wenn kein vollständiges „Generationenprofil“ der zwischen von Dincklage und Annemarie von Braunschweig. dertwende nach Westen emigriert waren, kamen insbesondere 1910 und 1919 immatrikulierten Architekturstudentinnen vorliegt, 109 Einen signifikanten - über 25%igen - Anteil ‘vaterloser’ Studen- Bulgarinnen und Rumäninnen häufig zum Studium technischer wurde diese These eines [nicht hochschul- sondern] fächerspe- tinnen hatte Gerta Stücklen in ihrer Umfrage an der Friedrich- Fächer nach Deutschland. Zu den ausländischen Studentinnen, zifischen Herkunftsmilieus durch eine Stichprobe an der KGS Wilhelms-Universität im Wintersemester 1913/14 konstatiert. die während der Kaiserzeit bspw. an der TH Darmstadt studier- Wien überprüft, für den Zeitraum 1913-1918 die Herkunftsmili- Stücklen, Gerta, 1916, S.42 - Zu den ‘vaterlosen’, bürgerlichen ten, gehörten die Serbin Jovanka Bonschits (geb. 1887), die eus der Studentinnen der Klassen Tessenow und Strnad aus- Architekturstudentinnen zählten beispielsweise Edith Schulze, Schweizerin Rahel Brunner (geb.1891), die Bulgarinnen Marie- gewertet. Mit Ausnahme Maria Trinkls und Elisabeth Nießens, Martha Abdank, Margarethe Wettcke, Therese Mogger, Hilda Luise Dos(s)ewa (geb. 1894) und Stefana Faraschewa (geb. die bei den väterlichen Berufen nur die Eintragungen „Hotelier“ Friedenberg, Agnes Mackensen und Elsbeth Arnet. 1893), sowie die Österreicherin Leonie Pilewski (geb. 1894). resp. „Kaufmann“ vornahmen, erlauben alle Inskriptionsbögen 110 Über die jeweils konkrete Studienmotivation können nur weiter- Duden / Ebert bezifferten den Anteil ausländischer Studentinnen eine Einordnung in großbürgerliche Milieus. gehende Analysen Aufschluss geben.

30 Chancen und Möglichkeiten ser ersten Generation während der Kaiserzeit den zu erwirken. Die zwischen 1908 und 1910 in den ver- Studienwunsch Architektur nur auf dem Hintergrund schiedenen Ländern des Deutschen Reiches durch- gesellschaftlich privilegierter Milieus und besonderer gesetzte Zulassung von Frauen als ordentlichen Stu- familiärer Konstellationen umsetzen konnten.113 Noch dierenden rückt die - theoretisch denkbare, obschon deutlicher als dieses spezielle kulturelle Kapital kenn- unwahrscheinliche - Bedrohung männlicher Hegemo- zeichnet die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit nie innerhalb des Berufsfeldes ins Bewusstsein. Nicht ein ebenso individuelles wie ausgeprägtes Selbstbe- nur im Hinblick auf staatliche Laufbahnen nehmen die wusstsein. Denn auch innerhalb privilegierter Familien Technischen Hochschulen eine Schlüsselstellung ein. musste der resp. dieser Studienwunsch häufig zu- Mangels Ausbildungsalternativen für Studentinnen nächst erst durchgesetzt werden.114 sind sie - im Hinblick auf die mögliche Partizipation von Frauen am Berufsfeld - die zentrale Hürde.119 Die Adlige Studentinnen werden nach dem Studium 114 Vgl. hierzu bspw. die Situation und Strategie Viktoria von Bent- Macht hochgradig selbstreferentieller Strukturen, die zumeist als ‘Privatarchitektinnen’ - im engsten Wort- heims (Stratigakos, 1999). Auch die liberal jüdischen Familien für Fakultäten wie den freien Berufsstand in der Ar- sinne - im engeren und weiteren Familienkreis tätig. standen dem Studium der Töchter nicht vorbehaltlos gegen- chitektur konstituierend bleibt, verhindert erfolgreich Ihr Adel verpflichtet sie durchaus auch zu militäri- über, häufig konnten diese Studentinnen mit Hilfe ihrer Mütter eine auch nur annähernd adäquate ‘Repräsentanz’ schem Einsatz, steht einer Publizität ihrer Arbeiten ihren Studienwunsch realisieren. Vgl. Richarz, Monika, 1992, von Frauen im Berufsfeld und an Hochschulen noch wie einer freiberuflichen Existenz aber eher im We- insbes. S.65. Vgl. auch Kaplan, Marion, 1991; zu den Durchset- auf Jahrzehnte hinaus .120 Innerhalb der Fakultäten ge.115 Ausländische Studentinnen kehren nach dem zungsschwierigkeiten gegenüber den Vätern (S.140 ff.). Den werden Studentinnen zunehmend formal gleichbe- Diplom häufig in ihre Heimatorte zurück. Etlichen der Stellenwert des individuellen Selbstbewusstseins zeigen auch rechtigt behandelt, noch bevor das Gleichheitspostu- jüdischen Architekturstudentinnen werden wir in den die Ausnahmen wie bspw. Franziska Braun (geb.1885), Tochter lat während der Weimarer Republik die Egalität der zwanziger Jahren wieder begegnen - ebenso wie des Gymnasialdirektors Dr. Braun in Hanau, oder Elsbet Arnet Geschlechter politisch fixiert.121 manchen der vaterlosen Bürgertöchter. (geb. 1891), die als Tochter eines Kaufmanns aufwuchs. Vgl. Was auf den ersten Blick wie die rasche Umsetzung Viefhaus, 1988, S.44, resp. S.48. Dass der gesetzlich geregelte Zugang von Frauen der nun gesetzlich geregelten Zulassung von Frauen 115 Vgl. Stratigakos, 1999 zum Architekturstudium noch für ein ganzes Jahr- zum Architekturstudium in eine institutionelle Praxis 116 Juliane Mikoletzky hat anhand der Zulassungsdebatte an der TH zehnt durch zahlreiche Sonderregelungen von seiten - gar als Antezipation des Gleichheitspostulats - aus- Wien herausgearbeitet, dass die individuellen Zulassungen von der Fakultäten de facto unterlaufen werden konnte, sehen mag, wird retrospektiv als deutlicher Indikator Studentinnen fächerspezifisch, insbesondere in Abhängigkeit haben Barbara Duden und Hans Ebert, Marianne für einen genderspezifischen Ausgrenzungsmecha- von den Haltungen der jeweiligen Professorenkollegien sowie Viefhaus, Margot Fuchs wie auch Juliane Mikoletzky nismus innerhalb der Ausbildung erkennbar: So geht der angegebenen Studienzwecke stark variieren konnten, vgl. belegt.116 Mikoletzky spricht für die Technische Hoch- die in den zehner Jahren langsam wachsende Prä- Mikoletzky, Juliane: Ordentliches Technikstudium für Frauen, in: schule Wien von einer Zulassung „auf Raten“, die senz von Studentinnen an Architekturfakultäten mit Mikoletzky/Georgeacopol-Winsichhofer/Pohl, 1997, S.53 ff. nicht Dokument eines „fulminanten Sieges der Eman- einer wachsenden ‘Unscheinbarkeit’ im institutionel- 117 Mikoletzky, 1997, S.83 zipation“ oder eines „revolutionären Reformeifers“ len Regel- und Beziehungsgeflecht der Architektur- 118 Körner, 1997; Burchardt, 1997 sei, sondern „vielmehr die Summe eines langen ge- fakultäten einher.122 119 Durch Geschlechterrestriktionen innerhalb der Handwerksord- sellschaftlichen Aushandlungsprozesses, ein Kom- nungen bleibt Bewerberinnen der Weg über die Baugewerke- promiß, der am Ende sogar noch einmal männliche Analog zu den - anhand der Ausstellung 1912 be- schulen weitgehend verschlossen. Die Schlüsselstellung der Ar- Vorrangstellungen bestärkt.“ 117 schriebenen - Formen öffentlicher Wahrnehmung chitekturfakultäten an Technischen Hochschulen in der Ausbil- lässt sich dieser nur schwer fassbare Prozess viel- Die auch nach 1910 immer wiederkehrende Forde- dungslandschaft korreliert somit mittelbar mit der Chance auf leicht folgendermaßen charakterisieren: Um so sicht- rung, dass die Zulassung von Frauen zum Studium Partizipation am Berufsfeld barer die Architektinnen und Architekturstudentinnen, sich nicht nachteilig für die Studenten auswirken dür- 120 Diese These lässt sich bspw. dadurch plausibilisieren, dass in ihre Präsenz, ihre Ambitionen, ihre Projekte werden, fe, zeigt das Ausmass der psychologischen Verunsi- Deutschland erst in den 80er Jahren ordentliche Professuren - um so unsichtbarer werden sie in Hochschule und cherung. Im Unterschied zu juristischen und medizini- an Architektinnen vergeben wurden. 75 Jahre nachdem Profes- Öffentlichkeit. Dieser Ausgrenzungsprozess, den wir schen Fakultäten werden an Architekturfakultäten soren begonnen hatten, Studentinnen Architektur zu vermitteln, in den Ausbildungen von Tessenow- und Bauhaus- Lehrplanänderungen oder geschlechtergetrennter 65 Jahre nachdem sie erstmals einer Architektin bei einer Pro- studentinnen verfolgen werden, zeichnet sich bereits Unterricht weder gefordert noch umgesetzt.118 Von ei- motion „ausgezeichnete wissenschaftliche Leistungen“ attestiert vor der Weimarer Republik ab. ner Verschlechterung der Studiensituation, gar einer hatten, sind Kollegen willens und in der Lage, in einer Architek- Benachteiligung von Studenten innerhalb des Studi- Auch Mikoletzky konstatiert, dass der sukzessive Po- tin eine Kollegin wahrzunehmen. ums kann de facto keine Rede sein. Der Diskurs über litikwandel der Ausbildungsinstitutionen im Hinblick 121 Weimarer Verfassung, Art. 109 Benachteiligung spiegelt vielmehr zum Ende des Kai- auf Studentinnen in den zehner Jahren nur in einem 122 Die wachsende - wenn auch anteilig geringe - Zahl von Archi- serreiches die Angst vor dem Verlust männlicher Ex- mittelbaren Verhältnis zu allgemein-politischen Verän- tekturstudentinnen führt dazu, dass diese in den Institutionsdo- klusivität an technischen Fakultäten wider. Dabei ga- derungen steht, primär einer ‘Logik des Berufsfeldes’ kumenten zunehmend weniger Erwähnung finden. Institutionelle rantierte die außerordentliche Zulassung einzelner folgt bzw. dessen Interessen entspringt.123 Mit der Dokumente beschreiben damit in der Zeit der Weimarer Repu- Frauen zu einzelnen Vorlesungen nicht nur die Vor- zwangsweise verordneten Öffnung der Hochschulen blik die Realitäten eines Architekturstudiums von Studentinnen rangstellung von Männern im Studium sondern ins- differenzieren sich die Ausschlussmechanismen aus. bestenfalls noch indirekt. besondere im Berufsfeld. Denn mit dem Besuch ein- An die Stelle von Sonderregelungen für Studentinnen 123 Sie erkennt dem in Österreich 1918 stattfindenden System- zelner Vorlesungen oder dem Status der außeror- treten strukturelle und subtilere Formen der Aus- wechsel eine „eher untergeordnete Bedeutung“ für die Zulas- dentlichen Hörerin war keine Zulassung zum Diplom grenzung innerhalb der Ausbildung.124 sung von Frauen zum Studium zu. Mikoletzky, 1997, S.41.

Frauen in der Architektur seit der Jahrhundertwende 31 Die Undurchschaubarkeit von Selektionen, Empfeh- te war (..). Die Lieferanten hatten es schwerer mit ihr lungen, Kriterien erlangt - nach Wetterer - erst durch als mit manchem Regierungsbaumeister, denn sie allgemeinverbindliche Plausibilitäten Legitimation. konnte mit verblüffend ruhiger Gelassenheit auf ihrem Diese Plausibilisierungen werden wir anhand des Willen bestehen (..) Je stiller und trotziger sie ihre Sie- Bauhauses wie im Seminar Tessenow verfolgen. Aber ge erzwang, desto stolzer wurden die Maurer und auch dieser Prozess setzt nicht erst während der Zimmerleute, die Dachdecker und Rohrleger auf ihre Weimarer Republik ein. Baumeisterin. Eine Partei empfahl sie immer der nächsten. Die schon in den zehner Jahren - mit der Zulassung Wir erreichten durch sie alles genau so, wie wir´s uns von Frauen an Architekturfakultäten - nun innerhalb ausgedacht hatten. Und als wir einzogen, war der der Ausbildungsebene erkennbaren Ausgrenzungs- Voranschlag nicht einmal überschritten.“ 129 strategien, möchte ich im folgenden kurz charakteri- sieren125: Als die Höckers in den zwanziger Jahren ihr Haus umbauen heisst der Architekt Allinger. Wir erfahren 124 Wie bspw. an der TH Darmstadt die Zulassung zum ‘freieren’ Potentiellen Bewerberinnen und Studentinnen wird nicht, weshalb Höckers auch beim Neubau eines - jedoch nicht für alle beruflichen Laufbahnen qualifizierenden - unter Bezug auf ihre Arbeiten und Fähigkeiten, immer kleineren Hauses in der Nußbaumallee, ebenfalls im Fachexamen anstelle des Diploms. jedoch auch unter Hinweis auf ihr Geschlecht in vie- Westend, ihre guten Erfahrungen mit Winkelmann 125 Diese Ausgrenzungsvarianten werden in den folgenden Kapiteln lerlei Varianten verdeutlicht, dass das Fach nicht für nicht wiederholen, obwohl diese ihr Privatbüro nun anhand der Situationen am Bauhaus wie im Seminar Tessenow sie geeignet sei (Abschreckungsvariante), resp. sie unweit in der Fraunhofer Straße betreibt. „Eine Partei untersucht. Da die Exklusionen jedoch nicht erst während der für das Fach nicht geeignet seien (Defizitvariante). Sie empfahl sie immer der nächsten“, schrieb Höcker, Weimarer Republik diese Modifikationen erfahren, werden sie werden auf vermeintlich originäre - und immer weib- der ihre Zuverlässigkeit, ihre verblüffend ruhige Ge- hier bereits genannt. lich konnotierte - Themenstellungen verwiesen (Sepa- lassenheit und ihre Sparsamkeit gelobt hatte. Die 126 Mikoletzky spricht für die Technischen Hochschulen Österreichs rationsvariante) oder ebenso kontinuierlich wie pater- Leistung dieser „westfälischen Bauerntochter“ (sic!) von „einer Art Vorwärtsstrategie“, mit der die Hochschulen in nalistisch auf ihre ‘höhere’ und ‘eigentliche’ Berufung reduziert er auf Bau- und Kostenkontrolle. Die archi- den späten zehner Jahren „den allfälligen Ansturm weiblicher als Frau und Mutter hingewiesen (Ambivalenz- tektonischen - intellektuelle wie schöpferische - Lei- Hö-rer in die gewünschten Bahnen zu lenken“ gedachten. variante).126 stung reklamiert er rückblickend für sich (und seine Mikoletz-ky, 1997, S.71 Wie aber arrangierten sich bereits tätige Architektin- Gattin?): „Wir erreichten durch sie alles genau so, wie 127 Winkelmann, Emilie: Die Architektin und die Ingenieurin, in: So- nen in einem umkämpften Markt, auf dem nicht nur wir´s uns ausgedacht hatten.“ 130 den, Eugenie von: Das Frauenbuch, Bd.1.: Frauenberufe, Stutt- Kollegen, sondern auch Auftraggeber - wie Winkel- gart, 1913, S.108ff. Auch ein weiterer Bauherr Winkelmanns, der Schrift- mann es 1913 andeutet - einer „Frau als Architektin“ 128 Höcker, Paul Oskar: Gottgesandte Wechselwinde - Lebenserin- steller Rudolf Presber, erinnert sich gerne und stolz mit Vorbehalten begegnen?127 nerungen eines 75-jährigen, Bielefeld / Leipzig, 1940. 1908 hatte an den Bau seines geliebten Hauses „mit dem tief Emilie Winkelmann für die Familie Höcker in der Lindenallee Überlieferte Selbstzeugnisse von Architektinnen, die wie Wotans Sturmhut herabgezogenen seltsamen erstmalig einen Entwurf unter eigenem Namen realisieren kön- Aufschluss geben könnten über ihre Sicht der Mög- Dach“. Die Architektin scheint er nicht zu erinnern.131 nen. Nach Ablehnung mehrerer Architekten wegen „lauter Spe- lichkeiten einer Etablierung im Fach, fehlen bisher Architekturstudentinnen der Kaiserzeit sind poten- zialideen“ und der „Unverhältnismäßigkeit der zur Verfügung weitestgehend. Häufiger lassen sich Äußerungen von tielle Architektinnen der Weimarer Republik. Was zu- stehenden Mittel“ wird der Auftrag an einen „weiblichen Archi- Bauherren finden. nächst wie ein Generationswechsel angesichts histo- tekten“ vergeben. Sehr prägnant schildert der Schriftsteller Paul Oskar risch erweiterter Ausbildungschancen für architektur- 129 Ibid., S.353 Höcker in seinen Lebenserinnerungen sein Verhältnis interessierte Frauen aussieht, stellt sich schon in den 130 Seine Schilderung macht deutlich, dass Winkelmann als preis- als Auftraggeber gegenüber der Architektin.128 Über zwanziger Jahren weitaus vielschichtiger dar. Archi- günstigstes Mittel zum Zweck zum Zuge kam. Es bleibt offen, dreissig Jahre nach dem Bau des Hauses Höcker er- tektinnen der Kaiserzeit sind nur in Teilbereichen des ob seine Erinnerung oder ihr Nimbus aus der anhaltinischen innert der Bauherr den Entstehungsprozess wie folgt: Berufsfeldes zu finden, Architekturstudentinnen der Lehrerstochter die „westfälische Bauerntochter“ machte. „Vor allem wollten wir gerade das nicht, was damals Kaiserzeit betreten das Berufsfeld nur möglicherwei- 131 So schreibt Rudolf Presber in seinen Memoiren [Ich gehe durch die Villenkolonie Grunewald in hunderten von kleinen se. Und die Gestalterinnen, die ohne Berührungs- mein Haus, 1935]: „Das eine hab ich selbst gebaut (..) Der Sinn Scheußlichkeiten aufwies: das ins Duodezformat zu- ängste - aber auch ohne akademische Ausbildung - für Schönheit und Ordnung einer durch Musik und Kunst leben- sammengepreßte ‘Schlößchen’. Es war dann ein während der Kaiserzeit vereinzelt Zugang über die den Frau hat mir dies Haus (..) tauglich ausstatten helfen, da es weiblicher Architekt, dem wir schließlich unser Ver- Innenraumgestaltung zur Architektur gefunden hat- endlich fertig dastand.“ (hier zitiert nach Presber, Wolfgang: Ich trauen schenkten. Fräulein Winkelmann (..) suchte al- ten, scheinen zu Beginn der Weimarer Republik, im suche unseren Vater Rudolf Presber, Berlin, 1997, S.107) - le Aufgaben, die wir ihr stellten, mit großem Fleiß und Laufe der zwanziger Jahre zu verschwinden. Hat sich Wahrscheinlich meint er hier nicht Winkelmann, sondern würdigt gutem Verständnis zu lösen. (..) Gleich in den ersten in dieser Zeit das gesamte Berufsfeld neu strukturiert, mit der namentlich nicht genannten Frau seine damalige Gefähr- Bauwochen entdeckten wir, daß unser Griff der rech- das Berufsbild vielleicht verändert? tin „Sunchen”].

32 Chancen und Möglichkeiten 3 Bilder und Images: Frauen und Bauen in der Weimarer Republik

Das Berufsbild Architektin (33) - ‘Akademische’ und ‘neue’ Architekten (35) - Neue Bauaufga- ben (37) - Architektinnen der Weimarer Repu- blik (42) - ‘Schaffende’ oder ‘schöpfende’ Frau- en? ‘Neues Bauen’, ‘neue Frauen’ und die ‘neue Wohnung’ (49) - Architekturstudentinnen der Weimarer Republik (53) - Zur Definition der Be- griffe ‘Tessenow’- und ‘Bauhausstudentin’ (56) gleichen mehr; diese praktische Tätigkeit ist unge- mein wichtig für die Architektin. Es kommen darin un- endlich viele Dinge vor, von denen sie in ihrer ganzen Das Berufsbild Architekt/in Hochschulzeit nichts hört, die sich aber auch nicht 1913 taucht das Berufsbild Architektin erstmalig in ohne weiteres aneignen lassen. Und doch sind diese der frauenbewegten Berufsberatungsliteratur auf.1 In unerläßlich für die selbständig tätige Architektin.“ einer „allgemeinverständlichen Einführung in alle Ge- Und sie schränkt abschließend ein: „Nur eine durch- biete des Frauenlebens der Gegenwart“ wird „die Ar- aus vertrauenerweckende Persönlichkeit wird - da chitektin und Ingenieurin“ nicht den freien sondern immerhin die Frau als Architektin noch eine Ausnah- den akademischen Berufen zugeordnet. Als Autorin meerscheinung ist - Privataufträge erhalten, auf die rät Emilie Winkelmann architekturinteressierten Frau- sie im ganzen mehr rechnen muß als auf den Ge- en eindringlich zur Selbstprüfung, denn „ohne mathe- winn von Konkurrenzen, bei denen, wie in allen Fä- matische Fähigkeiten, ohne zeichnerische Begabung, chern, die Chancen wegen des großen Andranges ja selbst ohne gewissen praktischen Sinn für Lebens- sehr gering sind. (..) In der Architektur und dem In- bedingungen, Material- und Geldverhältnisse, wird genieurwesen stehen der Frau die gleichen Studien- trotz sonstiger Intelligenz niemand gut durch das möglichkeiten zur Verfügung wie dem Manne, nur im 1 Winkelmann, Emilie: Die Architektin und die Ingenieurin, in: So- Studium und die spätere Praxis kommen.“ 2 Detailliert Beruf sind ihr augenblicklich noch die Staatskarrieren den, Eugenie von (Hg.): Das Frauenbuch, Bd.1: Frauenberufe, stellt sie das Studienpensum dar. Und auch für die verschlossen.“ 3 Stuttgart, 1913, S.108ff. Wie bereits erwähnt, wurden Winkel- Zeit nach dem Studium, die Professionalisierungs- Die Möglichkeit, als angestellte Architektin zu arbei- manns Bauten bereits 1909 kommentarlos in der Gesellschafts- phase, gibt sie ausführliche Hinweise: ten, hält Emilie Winkelmann offenkundig für unreali- presse abgebildet, sie selbst 1912 in der Bauwelt als „Die Frau „Die Lernjahre, die nun noch nötig sind, hat die Frau, stisch oder für nicht erstrebenswert. Erwähnt wird die als Architektin“ vorgestellt. Mit ihrem Artikel im „Frauenbuch“ wie ja auch der Mann, der nicht in den Staatsdienst Mitarbeit in Ateliers nur insofern, als auch die Frau wird der Beruf der Architektin in einem explizit an Leserinnen geht, im Privatatelier eines Architekten zu absolvie- „Lernjahre“ im Privatatelier eines Architekten zu ab- gerichteten Medium als nun zumindest ’denkbarer’ Beruf vorge- ren. (..) Wer die Absicht hat, selbständige Architektin solvieren hat. Winkelmann ist selbst Privatarchitektin, stellt. Allerdings rekurrieren zahlreiche der dort gesammelten zu werden, das heißt, selbst Aufträge anzunehmen stellt das Berufsfeld aus dieser Perspektive dar. Auch Berufsbeschreibungen auf allzu weibliche Tugenden. So bspw. und unter eigener Verantwortung auszuführen, wird wenn diese „allgemeinverständliche Einführung“ in ei- die Darstellung `Wissenschaftliche Zeichnerin´. Für die „Forde- natürlich gut tun - auch wenn sie später alle Arbeit nem „Frauenbuch“ erscheint, ihre persönlichen Erfah- rungen dieses Berufes (..) „Anpassungsfähigkeit, Geduld und selbst leisten kann - sich nicht zu früh zu spezialisier- rungen als Frau in diesem Beruf bleiben unerwähnt. Treue in stiller Arbeit“ - sei „die Frau als solche besonders ge- en. Namentlich ist es während der Jahre als Ange- Nur die Nichtzulassung von Frauen zum Staatsdienst eignet“. Ibid., S.110 stellte aber wichtig, Einsicht in praktische Arbeit zu wird thematisiert. Und verdeckt deutet Winkelmann 2 Winkelmann, 1913, S.108 bekommen, Bauleitung zu übernehmen (..) und der- Vorbehalte von Bauherrenseite gegenüber einer 3 ibid., S.109, resp. S.108

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 33 Architektin an. Hier konzediert sie Verständnis, „da bzw. Zugangsprüfungen noch in den zwanziger Jah- die Frau als Architektin noch eine Ausnahmeerschei- ren umkämpft waren, stellt sich der ‘ungeregelte’ Be- nung ist.“ reich Architektur als formal schwellenfrei dar. Der Eindruck, dass das Berufsfeld für Frauen über Bau- So selbstbewusst Emilie Winkelmann ihren Weg als gewerkeschulen evt. leichter zugänglich wäre, lässt Privatarchitektin geht, ihre Darstellung des Architek- jedoch deren reale Zugangsbedingungen außer turstudiums als defizitär wenn auch vielfältig, ihre Betracht.9 skeptische Einschätzung der Möglichkeiten des Be- rufsfeldes können potentielle Studentinnen kaum als Auch Luise Marelle weckt 1916 in der Vossischen Ermutigung lesen. Emilie Winkelmann scheint die ge- Zeitung bei interessierten Leserinnen falsche Hoff- schlechtsspezifischen Schwierigkeiten, ihre Erfahrun- nungen, wenn sie anhand von „Frauen im Militär- gen ‘objektiviert’ weitergeben zu wollen. Dies lässt dienst“ wahrheitsgemäß berichtet: sich im Hinblick auf negative Erfahrungen jedoch „Der Studiengang für den Architektinnen-Beruf um- auch - in Anlehnung an eine These von Glaser und faßt acht Semester, also vier Jahre. Er umfaßt neben Herrmann - „als Ausdruck der psychischen Verarbei- den Fachstudien der Bauwissenschaft: Mathematik, tungsform erlebter Diskriminierung“ interpretieren.4 Mineralogie, Chemie, Physik usw., Formenlehre, Winkelmann betont die Notwendigkeit höherer ma- Kunstgeschichte, Technologie des Kunstgewerbes, 4 Glaser, Edith / Ulrich Herrmann: Konkurrenz und Dankbarkeit, thematischer Vorbildung, die an höheren Mädchen- auch statistische Untersuchungen und Lehren der in: Zeitschrift für Pädagogik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.218 - Emilie schulen, sog. Lyzeen nicht zu erwerben war. Und wir Hygiene. Zum Abschluß eines jeden Semesters muß Winkelmann erwähnt bspw. „unsichere Vergütungen, (..) weil es erfahren, „daß nur eine durchaus vertrauenerwecken- eine Arbeit im Zeichensaal durchgeführt werden. (..) dabei immer auf die Persönlichkeit des Angestellten ankommen de Persönlichkeit Privataufträge erhalten wird.“ Wir Solange ihr der Staatsdienst verschlossen war, muß- wird“, stellt die Erfahrung ungleicher Bezahlung als individuelles erfahren nicht, wodurch Emilie Winkelmann dieses te die Architektin, bevor sie sich selbständig nieder- Problem dar. Wir erfahren nicht, wie es ihr gelang, zum Studium Vertrauen erweckt. Fünf Jahre nachdem sie sich als ließ, einige Jahre in die Werkstatt eines Privatarchi- zugelassen zu werden, wie sie dies finanzierte, wo sie ihre selbständige Architektin in Berlin niedergelassen hat, tekten in die Lehre gehen. (..) Hier (..) schlug Elisa- Kenntnisse erwarb. Zur Vorbildung, familiären Situation und der rät sie, die nach ihrem Studium ein Jahr in einem Pri- beth von Knobelsdorff (..) [eine] Bresche (..) Sie stellte „sonstigen Intelligenz“ mit der Winkelmann ihre Zulassung zum vatatelier mitarbeitete5, nachdrücklich zu notwendgen sich nun als erste im September 1914 der Militärbau- Studium erreichte vgl. Biografie im Anhang Lehrjahren, um „unendlich viele Dinge, von denen sie verwaltung (..) zur Verfügung, wurde sofort angenom- 5 „Nach absolvierter Hochschule genügte ein Jahr praktischer Ar- in ihrer ganzen Hochschulzeit nichts hört, die sich men und ist seitdem dort beschäftigt. (..) Sie ist dem beit in einer Berliner Baukanzlei, dann eröffnete sie ihre eigene aber auch nicht ohne weiteres aneignen lassen“, zu Regierungsbaumeister (..) unterstellt und arbeitet täg- Kanzlei“ anonym: Die Frau als Architektin, in: Bauwelt, 3.Jg. erwerben.6 lich 7 1/2 Stunden. Ihr Gehalt wurde bereits zweimal 1912, Nr.11, 16.3.1912, S.27 freiwillig erhöht.“ 10 Auch zeitgleiche Berufsdarstellungen, die sich an 6 Sie äußert sich nur zu der Wichtigkeit, nicht jedoch zu Art und „junge Talente“ richten, warnen vor den Kosten und Neben von Knobelsdorff sind seit Beginn des ersten Inhalt dieser an der Hochschule nicht vermittelten „unendlichen vielfältigen Anforderungen des Studiums wie des Be- Weltkrieges auch Viktoria von Bentheim (geb. 1887), Dinge“. Dies meint nicht die eingangs detailliert beschriebenen rufes. Daneben werden jedoch auch immer wieder Agnes Mackensen (geb. 1885) und Margarete Wettke Fähigkeiten und Begabungen. Gemeint sind - neben praktischen Lösungen aufgezeigt, mit denen die Schwierigkeiten (geb. 1887) in den Staatsdienst in Form des Militär- Erfahrungen - vielmehr Berufskodizes und Statusdistributionen, bewältigt werden können.7 dienstes im Kriege eingetreten. „Alle diese Hilfsarbei- die im Berufsfeld verankert sind, nicht erlernt, bestenfalls adap- terinnen bei der Militär-Bauverwaltung erhalten die- tiert werden können. Optimistischer schätzt Alice Salomon im gleichen selbe Entschädigung wie ihre männlichen Kollegen in 7 Vgl. z.B. Lehweß, Walter: Wie werde ich Architekt? In: Widmer, Jahr die Chancen von Frauen im Beruf ein. In einem der gleichen Tätigkeit. Nachdem diese vier Frauen Hermann: Das Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Überblick über akademische Frauenberufe weist sie sich im Dienste der Militärbehörde durchaus bewähr- Berufe, Berlin, 1912, S.177ff. darauf hin, dass das Berufsfeld Architektur nicht „ge- ten, ist es nicht ausgeschlossen, daß in Zukunft die 8 Salomon, Alice: Akademische Frauenberufe, in: Ichenhaeuser, setzlich geschützt“ ist, betont jedoch, dass „dieser Ausbildung als Regierungs-Bauführer auch den Frau- Eliza (Hg.): Was die Frau von Berlin wissen muß, Berlin, 1913, noch außergewöhnliche Weg nur für Mädchen mit en offen stehen wird; damit wäre ein neuer Schritt zu S.202 außergewöhnlichen Neigungen, Interessen und Bega- voller Gleichberechtigung getan!“ 11 9 Hier werden Frauen erst im Laufe der zehner Jahre zum Stu- bungen“ zu empfehlen sei: „Das Studium der Archi- dium zugelassen, zumal es ihnen qua Geschlecht - angesichts tektin baut auf das Reifezeugnis auf, dauert meist 9 Der Staatsdienst in Form der öffentlichen Bauverwal- der lt. Handwerksordnungen nur Männern zugänglichen Baube- bis 10 Semester; aufgrund der Prüfung wird dann der tungen stand den Architektinnen nicht offen. Das rufe - bestenfalls nach ausnahmsweise absolvierter Tischler- Grad eines Diplomingenieurs erteilt. Allerdings kann Thema „Frauen im Staatsdienst“ war in den ersten oder Zimmermannslehre überhaupt möglich ist, hier die die Ausbildung zum Beruf auch in Baubureaus oder Jahren des Jahrhunderts insbesondere anhand der Eingangsvoraussetzungen zu erfüllen. Baugewerkschulen erfolgen, da die Ausübung nicht Lehrerinnen zwischen Frauenbewegung und Staats- 10 Marelle, Luise: Frauen im Militärdienst, Vossische Zeitung, an die Ablegung von Examina gebunden ist.“ 8 verwaltung heftig umkämpft.12 Marelle begrüßt die 5.3.1916 „Bresche“ im Staatsdienst durch die freiwillige Mili- Mit dem Hinweis, dass der Zugang zum Beruf formal 11 Ibid. tärverpflichtung und streicht deren emazipatorische nicht geregelt ist, hat Salomon recht. Im Unterschied 12 Vgl. bspw. Liebau, Veronika: Verantwortung und innerer Reich- Bedeutung heraus. Dieselbe Entschädigung wie ihre zu den von ihr ebenfalls dargestellten Fächern Theo- tum unseres Berufs, Lehrerinnen erarbeiten sich ihren Platz männlichen Kollegen zu erhalten, war zu Beginn des logie und Jura, wo sowohl die Zulassung von Frauen (1832-1914) in: Beziksamt / Kunstamt Schöneberg: „Ich bin Krieges keineswegs sicher.13 Hier wird deutlich, dass zum Studium wie insbesondere zu den Abschluss- meine eigene Frauenbewegung", Berlin, 1991, S.188-202 der Krieg - ohnehin von großen Teilen der Frauenbe-

34 Bilder und Images wegung im nationalen Sinne unterstützt - auch als und gestaltende, b) ordnende und organisierende Emanzipationsvehikel begriffen wird.14 Dass mit den und endlich c) unternehmende Tätigkeit.“ 19 Kriegsverdiensten von Architektinnen die Zulassungs- Über das „Wesen des Berufs“ ist dort zu finden: „Für schwellen zum Staatsdienst tendenziell sinken wür- den Beruf des Dipl.Ing. wesentlich ist, daß er seine 13 So richten Dr. Elisabeth Altmann-Gottheiner (Vorsitzende der den, sollte sich letztlich bewahrheiten. Einbildungskraft auf Tatsachen anwenden kann, daß Nationalökonominnen Deutschlands) und Dr. Margarete Mese- Agnes Mackensen verlässt die Militärbauverwaltung er Voraussicht genug besitzt, um Pläne machen zu ritz (Vorsitzende des Deutschen Juristinnen-Vereins) im Frühjahr zum Herbst 1915 und wird als ‘Hilfsarbeiterin’ bei der können, und daß er mit Wirklichkeiten in den Grenzen 1917 an das königlich Preußische Kriegsministerium die nach- Allgemeinen Bauverwaltung in Düsseldorf angestellt des Möglichen arbeitet. Seine Arbeit ist häufig reine drückliche Bitte, die im Armeeverordnungsblatt Nr.15, 51.Jg. v. und mit dem Bau eines Amtsgerichtsgebäudes be- Zweckarbeit (mit gewisser Ausnahme beim künstle- 17.1.1917 veröffentlichte Anweisung „dahingehend abzuändern, traut.15 Als einzige der vier Genannten bewirbt sich risch tätigen Architekten), und zwar handelt es sich daß die betr. Weiblichen Beamten in bezug auf ihre Gehälter (..) Elisabeth von Knobelsdorff nach Kriegsende erfolg- meist um Gruppenleistungen (vielfach Unmöglichkei- den männlichen Beamten mit gleicher Vorbildung gleichgestellt reich um die Zulassung zur Regierungsbaumeister- ten der Ausführung durch einzelne). Bei Errichtung werden.“ - die „Anweisungen für die Verwendung von Frauen im prüfung. Sie tritt in die Bauverwaltung Potsdam ein. technischer Werke, besonders im Hoch- und Tiefbau, Heeresbetrieb“ verordnete nämlich, dass für Frauen „im allge- Nicht aufgrund ihrer vierjährigen Tätigkeit in der Mili- gilt es, den Kampf mit den elementaren Naturkräften meinen 2/3 der niedrigsten Stellengebührnisse die Höchstgren- tärbauverwaltung16, sondern aufgrund ihrer militäri- (Feuer, Wasser) aufzunehmen und Hemmungen und ze“ bilden. Altmann-Gottheiner und Meseritz legen dar, dass schen Verdienste wird der „Feldarchitektin im Leut- Hindernisse bei Ueberwindung von Raum und Zeit zu Frauen für dieselbe Vorbildung dieselben Aufwendungen tätigen nantsrang” die Zulassung zur Regierungsbaumeister- umgehen. mussten, ebenso lange und mit der „gleichen Hingebung für die prüfung 1919 erteilt. Erst 1922 wird sie zum Regie- vaterländische Sache“ arbeiteten, und oft besser bezahlte Po- In den Fachgruppen der verschiedenen Berufe er- rungsbaumeister ernannt. sten für den Kriegsdienst aufgegeben hätten. Und sie pointieren streckt sich die Arbeit des Dipl. Ing. nicht auf das ein- den vordringlichen Vorwurf gegen Berufsfrauen in den zehner Es charakterisiert die Widerstände und Vorbehalte in zelne Fach, nach dem die Gruppe benannt ist, son- Jahren: „Dieser Unterschied (..) macht die weiblichen Beamten der öffentlichen Bauverwaltung, dass ihr trotz „aus- dern auf alle Gebiete der Technik gemeinsam; der ohne ihr eigenes Zutun zu Unterbieterinnen des Mannes“, was gezeichnet“ bestandener Prüfung 1919 erst Jahre Dipl.Ing. greift in seinem Spezialberuf wie mit seinen für die Frauen unwürdig und beschämend sei. Neue Bahnen, später der adäquate Status zuerkannt, sie de facto den Nachbarwissenschaften entstammenden Kennt- 52.Jg., Nr.15, 1.8.1918, S.88-89 zum Regierungsbaumeister ernannt wird.17 Dies nissen auch auf die übrigen Berufe über. - Die Tätig- 14 Dr. Käthe Stephan kommt 1918 unter dem Titel „Die deutsche geschieht just zu einem Zeitpunkt, zu dem ihre Heirat keit ist oft gefährlich, öffentlicher Kritik ausgesetzt, Akademikerin im Kriege“ zu dem Schluss: „Der Krieg hat den mit dem Diplomaten Kurt von Tippelskirch - und da- immer verantwortungsreich und bisweilen örtlich meisten akademischen Frauenberufen erst zum Aufblühen ver- mit das ‘verordnete’ Ausscheiden aus dem Staats- wechselnd.“ holfen. Es steht zu hoffen, daß die deutschen Akademikerinnen dienst - bereits feststeht. Unter „Körperliche und seelische Anforderungen“ des das Errungene festzuhalten und auf dem gewonnenen Boden Während aus Sicht der Frauenbewegung mit einem Berufes sind insbesondere Charaktereigenschaften weiterzubauen verstehen werden zum Besten der Frauenwelt im Ausnahmezustand des Krieges erreichten Exem- definiert. So sind beispielsweise neben einer „festen und zum Wohle der deutschen Heimat.“ - Neue Bahnen, 53.Jg., pel ein Fortschritt auf dem Weg zur Gleichstellung Gesundheit“, „Schwindelfreiheit“ und „handwerkli- Nr.19 / 20, Oktober 1918, S.63 von Frauen und Männern im Beruf erreicht ist, lässt chem Geschick“ auch „Unbestechlichkeit“ und „Takt, 15 Vgl. Neue Bahnen, 51.Jg., Nr. 11, 1.6.1916, S.68. die Bauverwaltung keine ihrer Möglichkeiten unge- besonders im Verkehr mit geschmacklich Andersden- 16 Männliche Bewerber hatten lediglich eine zweijährige ‘Anwär- nutzt, um mit der Ausnahme keinen Präzedenzfall zu kenden“ vonnöten. Als „besonders fördernd“ gelten ter-Zeit’ nachzuweisen. statuieren. Aber was macht die Baukunst im Staats- u.a. die „Fähigkeit mit Geschick seine künstlerischen 17 Zwar verbot Art. 128 der Weimarer Verfassung eine Benachtei- dienst resp. den Architekturberuf so männlich, dass Absichten auch gegen schwere Widerstände durch- ligung weiblicher Beamter, durch die Verordnung zur Demobil- schon eine einzelne Regierungsbaumeisterin ganze zusetzen (..), hohe technische Begabung, besonderes machung vom 28.3.1919 wurde dieser Artikel jedoch de facto Bauverwaltungen zu erschüttern droht? Zeichentalent, künstlerische Ursprünglichkeit, prakti- konterkariert. (Reichsgesetzblatt 1919, S.355-359) scher Blick (..) und kaufmännische Begabung“. Er- 18 Der Exkurs über die Verschiebungen im Berufsbild ist hier auf- wartet wird schließlich eine „mitschaffende Teilnahme genommen, um die Wechselwirkungen zwischen Berufsfeld und an der baukünstlerischen Stilentwicklung der Gegen- Berufsbild zu verdeutlichen. Der Begriff des ‘architekton’ - des wart.“ 20 Erbauers der Macht - unterscheidet - im Unterschied zu den Be- ‘Akademische’ und ‘Neue’ Architekten18 griffen ‘Zivilingenieur’ und ‘Militär-Ingenieur’ - nicht zwischen Das ‘allgemeine’ Berufsbild des akademisch gebilde- Diese Berufsbeschreibung umfasst vier Seiten. Es politisch resp. militärisch verfassten Hierarchien. ten Architekten bezieht seine Attribuierungen - zu- werden deutlich unterscheidbare Anforderungen für 19 „Diplom-Ingenieur (allgemein)“ in: Reichsanstalt für Arbeitsver- mindest bis in die Weimarer Republik - ungebrochen unterschiedliche Zweige und Bereiche des Berufsfel- mittlung und Arbeitslosenversicherung Berlin (Hg.): Akademi- aus dem „Kampf gegen die Naturgewalten“. So un- des benannt. Die Erwartungen an den akademisch sche Berufe, Handbuch des Berufe, Teil 2, bearbeitet vom terscheidet die berufskundliche Literatur, die den An- ausgebildeten Ingenieur-Architekten sind hoch und Sächsischen Akademischen Auskunftsamt für Studien- und spruch auf eine repräsentative und umfassende Dar- vielfältig. Sie können sogar widersprüchlich sein. So, Berufsfragen Leipzig, Magdeburg, 1927 stellung der Berufe erhebt, beim „Diplom-Ingenieur wenn die künstlerische Originalität bei selbständig 20 Als „ausschließend oder hindernd“ gelten bspw. „erhebliche (allgemein)“ in „A. Hochbau, B. Bauingenieurwesen, tätigen Architekten als Voraussetzung, bei beamteten Körperverletzungen, Nervenleiden, Sittliche Minderwertigkeit, C. Maschinenbau, D. Chemie und Hüttenwesen, E. Architekten als eher hinderlich eingestuft wird. Team- Verschrobenheit des Charakters“. Als „nicht ausschließend“ Bergbau“. Wir erfahren, dass sich das Berufsfeld ins- orientierte Fähigkeiten sind für „Gruppenleistungen“ werden bspw. „Einäugigkeit, (..) nervöse Veranlagung bei gei- gesamt auf drei „Haupttätigkeitsarten“ oder „Haupt- und die „mitschaffende Teilnahme an der baukünstle- stiger Vollwertigkeit und künstlerische Originalität von übermä- typen“ zurückführen lässt, „nämlich a) forschende rischen Stilentwicklung der Gegenwart“ notwendig, ßig individueller Art (für beamtete A. sehr hindernd).“ eingestuft.

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 35 jedoch ggf. in personam in Einklang zu bringen mit werden will - und „die Fülle anerkannter Architekten” der einzelkämpferischen und eher auf Veränderung nicht mehr aus den Hochschulen hervorgeht? zielenden „Fähigkeit mit Geschick seine künstleri- Nun, da der Architekt „bei der dauernden Entwick- schen Absichten auch gegen schwere Widerstände lung (..) nicht mehr in der Lage ist, bei größeren Bau- durchzusetzen“. Insgesamt wird ein Bild des Archi- vorhaben das ganze Gebiet bis in alle Einzelheiten tekten als omnipotentem Universalisten gezeichnet, selbst zu beherrschen“, will er „nicht nur der entwer- der - gefeit gegen Feuer und Wasser - schwindelfrei fende und rechnende Künstler, sondern der Organi- und entscheidungsfreudig zur baukünstlerischen Stil- sator des gesamten Bauvorganges sein. (..) Der Ar- entwicklung beiträgt, wobei er bei der Überwindung chitekt (..) will das Bauwerk nicht mehr nur im künst- von Zeit und Raum seine Absichten durchsetzt, mit lerischen Sinne behandeln, sondern er will gleichzei- Takt gegen Andersdenke. Im Anschluss an die Aufli- tig alle technischen und wirtschaftlichen Fragenkom- stung der Berufskrankheiten findet sich schließlich plexe eines Baues aufrollen und lösen. Er muß das der Appendix: „Frauen sind die meisten der beschrie- gesamte Gebiet (..) in großen Zügen beherrschen und benen Berufszweige zugänglich, wobei jedoch betont will die Stelle sein, in der sich alle Fäden eines Bau- werden muß, daß ein Aufrücken in leitende Stellun- vorhabens vereinigen.“ gen äußerst selten ist.“ Nicht nur Konstruktion und Bautechnik haben sich Grundsätzlich sind offenbar auch Frauen den univer- weiterentwickelt, auch die Arbeitsgebiete innerhalb salistischen Anforderungen des Berufes gewachsen, der Architektur haben sich aufgrund der dauernden ein Aufrücken in leitende Stellungen de jure nicht Entwicklung, des Fortschritts ausdifferenziert. ausgeschlossen. Es „ist“ eben „äußerst selten“. Wir „Städtebauer, (..) Industriearchitekten, die sich mit erfahren nicht, wo dies seltene Aufrücken gelang, Fabrik- und Industriebauten beschäftigen, Innenar- welche der vielen genannten Voraussetzungen die chitekten, die sich auf den Innenausbau (..) beschrän- weniger seltenen Frauen nicht erfüllen.21 Der Hinweis, ken“ und Gartenarchitekten sind „Spezialisten“, die dass das - ‘falsche’ - Geschlecht beim Aufrücken in ein Gebiet bis in alle Einzelheiten beherrschen. leitende Stellungen in diesem Berufsfeld schlichtweg hinderlicher ist als „Einäugigkeit“, spiegelt die von Bruno Ahrens´ Beschreibung zeigt, wie unmittelbar Wetterer konstatierte Exklusion von Frauen aus freien die Erfindung des ‘neuen Architekten’ an den Um- Berufen unter Rekurs auf die ‘Natur’ der ‘Geschlech- bruch im Bauwesen nach der Jahrhundertwende ge- terdifferenz’ wider. knüpft ist. Die Modernisierung hat die Architektur er- reicht: Prozesse, Märkte und Berufsfeld differenzieren „Im Mittelalter (..) war der Architekt ein Mann, der das sich aus. Spezialisten werden gebraucht. Der akade- gesamte Gebiet der Technik wie Festungsbau, Ingen- mische Architekt, der an Hochschulen „das verstan- ieurwissenschaften und Baukunst beherrschte. (..) desmäßige Studium vergangener Bauperioden als Erst die großen technischen Fortschritte des 19.Jahr- Grundlage des künstlerischen Schaffens“ erlernt hat, hunderts (..) brachten die Spezialisierung der techni- droht schlichtweg überflüssig zu werden. Bruno Ah- schen Leistung (..) Aus den Bauakademien entwickel- rens rekurriert nicht ohne Grund auf die bedeutenden ten sich die Technischen Hoch- und Mittelschulen, in Männer seit dem Mittelalter.24 In der industrialisierten denen die Architektur als Sondergebiet gelehrt wur- Gesellschaft ersehnt der ‘neue’ Architekt deren weit- de“, schreibt Bruno Ahrens in einem lexikalischen Ar- reichende Wirkungsfelder und Entscheidungskompe- tikel 1930.22 Am Ende der zwanziger Jahre hat sich 21 Auch unter den Ausschlussgründen wird das Geschlecht nicht tenzen, schlicht die herausragende Stellung. das Berufsbild offenbar geändert. Frauen werden nun genannt. in allgemeinen Berufsbeschreibungen - auch in Ap- Die Verwissenschaftlichung als Etablierungsstrategie 22 Ahrens, Bruno: Architekt, in: Handwörterbuch des Wohnungs- pendices - nicht mehr erwähnt. Gehören Architektin- gefährdet die Vorreiterrolle der handlungsorientierten wesens, Jena, 1930, S.17-20 nen nun bereits so selbstverständlich zum Berufs- Architektur. Das Diplom wertet überprüfbares Wissen 23 Ibid., S.18 stand, dass sie unter „Architekt dieser neuesten Pe- auf, vererbtes Wissen ab. Das Ingenieurwesen rückt 24 Er nennt nur drei „u.a. Lionardo da Vinci (..) Balthasar Neumann riode“ subsumiert werden? Der Text gibt hierüber nur mathematisch-naturwissenschaftliche Entscheidun- (..) und Johann Conrad von Schlaun“. indirekt Aufschluss: „Wenn zurzeit eine Fülle aner- gen ins Zentrum, ästhetische an den Rand. In den 25 Ibid. S.17 resp. 18 kannter Architekten nicht aus den Hochschulen her- sich ausdifferenzierenden Ingenieurwissenschaften 26 Eine vergleichbare Position vertritt Scheffler in Deutsche Bau- vorgegangen sind, sondern von den Baugewerks- droht der Hochbauingenieur den bewährten Baumei- meister, Berlin, 1935. Hier kennzeichnet diese Behauptung schulen oder Kunstschulen herkommen, so hat das ster zu ersetzen. Das Leitbild des Baukünstlers ent- Ahrens´ antiakademische Haltung. Es besteht der Verdacht, seinen Grund darin, daß die Technischen Hochschu- zieht sich der Verwissenschaftlichung. Deshalb soll dass auch dem Antiakademismus unter Genderaspekten eine len sich erst allmählich auf die Heranbildung des an dessen Stelle - unter Bezug auf noch ältere Vorbil- exkludierende Funktion zukommt. (Vgl. Forschungsbedarf Kap. ‘neuen Architekten’ einstellen müssen“.23 Was ist nun der - der ganzheitliche Organisator, das künstlerische 10) Sowohl an Kunstgewerbeschulen wie an Technischen Hoch- - gegen Ende der Weimarer Rpublik - so ‘neu’ am Allroundtalent, der ‘neue’ Architekt treten. schulen brachen etliche Architekten ihr Studium ab - darunter ‘neuen Architekten’, dass er lieber mit dem Mittelalter bspw. Hannes Meyer, Mies van der Rohe, Adolf Rading, Walter Da dieser selbst kein Gebiet bis in alle Einzelheiten als mit dem Ingenieurwesen in Verbindung gebracht Gropius und Hans Luckhardt. beherrscht, aber alle Fragenkomplexe lösen will,

36 Bilder und Images muss er koordinieren. Will er sicher gehen, dass die Neue Bauaufgaben Fäden bei ihm zusammenlaufen - und nur dies ge- In den zehner Jahren rückt angesichts der Wohnsi- währleistet seine weitreichende Entscheidungsbefug- tuation in großstädtischen Mietshäusern, die Forde- nis -, muss er die Arbeitsteilung im Bereich Planung rung nach Volksgesundheit im Massenwohnungsbau deutlich hierarchisieren, sich den Spezialisten über- ins Blickfeld. Abhilfe vom Wohnungselend scheint ordnen. Nur so ist er unverzichtbar und „in der Lage, durch Planung möglich. Zuvor ein Aufgabengebiet seinem Bauherrn die technisch, wirtschaftlich und von Bauunternehmern, eröffnet die Forderung nach künstlerisch beste Lösung vorzuschlagen“. 1930 ist der Einbeziehung von Architekten diesen einen zuvor es nicht unbedingt gesellschaftlicher Konsens, dass nahezu verschlossenen Markt. Dennoch finden Pri- der Architekt „Anwalt seines Bauherrn ist und damit vatarchitekten ihre AuftraggeberInnen weiterhin vor- (..) eine ähnliche Stellung einnimmt wie sie der Arzt wiegend im Bereich privaten Wohnungsbaus. Die oder Rechtsanwalt hat.“ Bruno Ahrens bedauert dies: hauptsächlich auf die Reformierung des Massenwoh- „Der Öffentlichkeit gegenüber hat sich diese neue nungsbaus zielende Debatte - von der Mietskaserne Stellung des Architekten leider noch nicht genügend zur Siedlungszeile - findet im privaten Wohnungsbau Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar durchgesetzt und kann sich auch nur schwer durch- insofern ein Echo, als dort der Typus des englischen setzen, denn der Titel ‘Architekt’ ist in Deutschland Landhauses als Vorlage für reduzierte Repräsentati- nicht geschützt.“ 25 onsformen bürgerlichen Wohnens diskutiert wird.

Anders als Ärzte und Anwälte, die ihre berufliche Mo- Durch die ökonomischen Krisen Anfang der zwanzi- nopolstellung und ihre Titel schützen - in Form von ger Jahre erreicht die Debatte über Wohnungsfragen Gesellschaftsverträgen ihre Etablierung absichern - ihren Höhepunkt. Unter erhöhtem politischem Druck konnten, sind Architekten, die gegenüber ihren Auf- wird eine ganze Reihe an Fragen im Wohnungs- und traggebern ‘Anwaltsfunktion’ wahrnehmen, vor Usur- Siedlungsbau neu verhandelt, zumal der zunehmende patoren nicht sicher. Denn den Titel kann „sich jeder ‘Dienstbotenmangel’ wie die steigende Erwerbstätig- beilegen, der mit der Bauwirtschaft in irgendeiner Be- keit bürgerlicher Frauen die Grenzen gängiger Grund- ziehung steht.“ Deshalb muss die ‘Anwaltsfunktion’ riss- und Wohnformen deutlicher sichtbar werden nach außen, gegenüber Bauherren plausibilisiert und lässt. Bauaufgaben werden modifiziert. Themen wie der Führungsanspruch innerhalb des sich erweitern- das ‘Haus für die (berufstätige) Dame’, die ‘Wohnung den Berufsfeldes gegen Diplom-Ingenieure Techni- für die berufstätige Frau’, das ‘Ledigenheim’ - nun scher Hochschulen durchgesetzt werden. Ist es da auch für Frauen - und das ‘Einküchenhaus’ erweitern verwunderlich, dass sich die „Fülle anerkannter Ar- das Spektrum von Bauaufgaben, die durch öffentli- „Wohnhaus für eine alleinstehende Dame”, o.O., 1925, Paul Bonatz chitekten”, die laut Ahrens von Baugewerke- und che Diskussion und private wie genossenschaftlich Kunstschulen „herkommen“ 26, in möglichst kleiner organisierte Nachfrage zu potentiellen Aufträgen wer- Zahl an der Spitze eines stärker hierarchisierten den. Auch in der Frauenpresse finden die Themen Berufsfeldes sehen möchte? des Wohnungsbaus zunehmend mehr Aufmerksam- keit. In Abhängigkeit vom politischen Standpunkt 27 Moderne Bauformen, 24.Jg. 1925, S.97 - Wiederabdruck in Ro- War das Aufrücken der wenigen Architektinnen der werden bestimmte Wohnformen kritisiert oder gefor- ser, Matthias: Paul Bonatz, Stuttgart 1992, S.63 Kaiserzeit in leitende Stellungen schon „äußerst sel- dert. 28 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.114 Hier be- ten“, so stehen ihren Ambitionen während der Wei- schreibt er die Zeit zwischen 1922 und 1924, in der er in Köln marer Republik nun alte wie neue Architekten im We- 1925 veröffentlicht Paul Bonatz einen Entwurf für ein mit seiner „jungen Garde“ elf Mal baut: „Bisher war ich als Ar- ge. Zu jung, um als bewährte, ‘alte’ Baumeister zu „Wohnhaus für eine alleinstehende Dame“.27 Die Pub- chitekt immer jünger gewesen als meine Bauherren. Plötzlich gelten, werden Architektinnen mit akademischem Di- likation dieses Entwurfes diente sicherlich zur Akqui- wurde das anders und die Bauherren und besonders -herrinnen plom nun zu jenen Akteuren zugeschlagen, deren sition. Paul Bonatz empfahl sich der steigenden An- waren jünger. Es war eine gesegnete Zeit und es waren die ver- Ausbildung schlicht überholt oder zu spezialisiert ist. zahl alleinstehender Damen. Seit 1922 hatte er in schiedensten Typen unter den Bauherren.“ Köln auch die Wohnbedürfnisse jüngerer BauherrIn- 29 Im Wohnraum ist lediglich ein größerer Schreibtisch vorgesehen. nen schätzen gelernt.28 Ob hiermit auch die berufstä- Angesichts der Großzügigkeit des Raumprogramms - zwei Räu- tigen unter den alleinstehenden Damen angespro- me für ‘Mädchen’, ein Raum für einen ‘Diener’ - spricht das chen werden sollten, bleibt fraglich.29 Angesichts des Fehlen eines ‘Arbeitszimmers’ der Dame für sich. Raumprogramms wird deutlich, dass hier großbür- 30 Zur Kritik an den Tessenow-Entwürfen vgl. auch de Michelis, gerliche Wohnvorstellungen ‘eingedampft’ wurden. 1991, S.293-296. - De Michelis zeigt im Werkverzeichnis Tesse- 1927 werden im Rahmen der durch den ‘Zehlendor- nows zwei Gagfah-Entwürfe, nicht jedoch dessen einzigen Ent- fer Dächerkrieg’ breit diskutierten ‘Gagfah-Siedlung’ wurf für ein „Haus für die berufstätige Dame“. zwei „Häuser für die berufstätige Frau“ errichtet. Da 31 In unmittelbarer Nachbarschaft zur ‘Gehag-Siedlung’ sollten diese Siedlung unter dem Vorwurf unzeitgemäßen zeitgemäße Wohnformen - unter dem Primat des Steildachs - Wohnungsbaus stand30, könnte die Konzeption der proklamiert werden. Bisher ist jedoch unklar, wer die Bauauf- Siedlung als Bauausstellung diese zeitgemäßen Mu- gabe ‘Haus für die berufstätige Frau’ im Rahmen der ‘Gagfah- sterprogramme evoziert haben.31 Siedlung’ initiierte.

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 37 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Haus für die berufstätige Frau”, Berlin, 1928, Arnold Knoblauch / Gertrud Droste - Ansichten Grundriss Erdgeschoss (oben) - Kellergeschoss und Schnitt (unten)

Eines dieser Häuser wurde nach Entwurf von Arnold Durch einen Vorhang ist vom Wohnraum ein Arbeits- Knoblauch unter Mitarbeit von Gertrud Droste ausge- zimmer abgetrennt. Die Aufenthaltsräume sind auch führt.32 Das andere wurde von Heinrich Tessenow innerhalb einer durchgrünten Siedlung ausschließlich entworfen, der von den beteiligten Architekten zum zum eigenen Garten orientiert, vom öffentlichen Stra- Koordinator des Siedlungsprojektes gewählt worden ßenraum abgegrenzt.34 Durch das Badezimmer ist ein war. direkter Austritt ins Freie vorgesehen: Hier ist für das „Sonnenbad“ die Terrasse abgesenkt. Die Haustech- Gertrud Droste, die dieses Haus anschließend selbst nik hat die Zeichen der Zeit in Arbeitserleichterungen bewohnt, schreibt dazu: „Das Haus soll ein Eigen- übersetzt. Die Wohnvorstellungen bleiben dennoch heim für eine berufstätige Frau sein. Um einer grö- konventionell. Diesem Eigenheim der Frau liegt eine ßeren Schicht berufstätiger Frauen ein solches Heim nahezu introvertierte Auffassung vom Leben der Be- möglich zu machen, war es notwendig, dieses Haus wohnerin zugrunde. Das Wohnen spielt sich hinter im kleinsten Ausmaß zu halten. Außerdem mußte es hohen Mauern ab. Um bei dieser geringen Grundflä- in der Anlage so einfach sein, daß eine Frau auch oh- che den Duktus des bürgerlichen Wohnens beibehal- ne viel fremde Hilfe es neben ihrem Beruf instandhal- ten zu können, werden alle Fenster, auf ein Minimum ten kann. (..) Der Arbeitsraum kann nach dem jewei- geschrumpft. 32 Arnold Knoblauch (1879-1963) war seit 1924 Geschäftsführer ligen Beruf der Frau ausgestattet und u.a. durch ei- bei der Gagfah. Seine Nichte Gertrud Droste (geb. 1898) taucht nen Vorhang von dem Teil des Wohnraumes getrennt Mitte der dreißiger Jahre als Bildhauerin im Berliner Adressbuch werden. (..) Eine Zentralheizungsanlage ermöglicht auf. Sie war 1922 am Bauhaus Weimar als Studentin nicht auf- eine schnelle und einfache Bedienung, auch für die genommen worden Frau, die ihren Beruf außerhalb des Hauses hat“.33 33 Droste, Gertrud: Haus für die berufstätige Frau in: Bauwelt, Der Zweck der Minimierung ist ein rein ökonomi- 24.Jg., H.34, 1928, S.777 (Die Bauten der Gagfah-Siedlung scher: Mit Blick auf die schwachen, häufig labilen Fischtalgrund, Gruppe 29, Schlieffenstr. 2) Einkommensverhältnisse berufstätiger Frauen wird Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 34 Die in der Häuserflucht verlaufende Gartenmauer und die vergit- hier der Versuch unternommen, ein freistehendes Ei- terten Fenster grenzen das Haus für einen Siedlungsbau unty- genheim zu verwirklichen. Die Wohnfläche beträgt pisch hart von der Wohnstraße ab. Auf den ausgrenzenden insgesamt nicht einmal 50qm. Das Haus hat zu allen Charakter verwies Eduard Führ: Worin noch niemand war: Seiten jeweils einen Ausgang. Heimat, Wiesbaden / Berlin, 1985, S.153

38 Bilder und Images Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

”Haus für eine berufstätige Dame”, Berlin, 1928, Heinrich Tessenow Grundriss Erdgeschoss Ansichten

Tessenow äußert sich nur knapp zu seinem Entwurf, Wohnung, ein Zuhause bekommt, das ihren Verhält- auch dieser „ist für eine berufstätige Dame gedacht“. nissen entspricht. Das nicht einfach eine verkleinerte Über Besonderheiten gibt der Text keine Auskunft. Großwohnung ist, sondern eine ihren Bedürfnissen Dass auch diese berufstätige Dame einer außerhäu- angepaßte Wohnung, die ihre Ergänzung dann im sigen Beschäftigung nachgeht, verrät der Grundriss: Garten findet.“ 37 Es ist kein Arbeitsraum vorgesehen. Die Dame lässt Das Eigenheim der berufstätigen Dame bleibt bis in wahrscheinlich auch außer Haus waschen, denn an- die Zeit des Nationalsozialismus ein populäres The- 35 Bei Bonatz mit der Besonderheit, dass die echte Dame zwei dernfalls müsste sie mit der Wäsche jedesmal durch ma der bürgerlichen Frauenpresse. Maria May illu- Mädchen und einen Diener beschäftigt. Bei Tessenow mit der den Kohlenkeller. Dafür bietet sich der Bewohnerin striert ihre Begeisterung für ein „kleines Häuschen“ Besonderheit, dass der Abort für die Dame ausnahmsweise im trotz traditionellem Duktus ein fast moderner Wohn- 1934 mit einem Projekt von Architekt Heidt, Karlsru- Dachgeschoss angeordnet wird. Bisher sind keine (weiteren) raum, der sich zum Fischtal wie zur Straße öffnet. he, das mensch als eine Kopie des Tessenowschen Realisierungen dieser Entwürfe bekannt. Bei Tessenows wie bei Bonatz´ Entwurf drängt sich Hauses bezeichnen könnte. Und May schreibt dazu: 36 Ob der Entwurf tatsächlich von Gertrud Droste stammt, kann der Eindruck auf, dass dieses „Haus für die berufstä- „Jede Frau sehnt sich nach einem Heim, mag der hier nicht nachgewiesen werden und wurde noch nicht einge- tige Dame“ weniger der Berufstätigkeit als bürgerli- Beruf sie noch so sehr ausfüllen und befriedigen, hend recherchiert. Droste tritt nach dem Bau dieses Hauses chen Vorstellungen repräsentativen Wohnens Rech- denn Heimschaffen ist seit Urzeiten ihr eigenster Be- nicht mehr als Architektin in Erscheinung. Für ihre Autorschaft nung trägt.35 Beide bieten entsprechend großzügigere ruf. Nie wird sich in fremden Zimmern ein Mann so spricht aber nicht nur der von ihr autorisierte Text. Dass sie das Wohnräume, geben nach außen keinerlei Hinweise unglücklich und heimatlos fühlen wie eine Frau. (..) Haus selbst bezieht, wie der Hinweis, dass ihre Mutter eine ge- auf eine eigenwillige Wohnform. Drostes Entwurf ori- Warum sollten nicht auch alleinstehende Frauen borene Knoblauch ist, sprechen dafür, dass sie eine familiäre entiert sich deutlicher an den Nutzungsabläufen des draußen wohnen, nahe an Wiese, Wald und Wasser? Konstellation zur Schaffung einer exemplarischen - wie selbster- Alleinwohnens, zieht die Grenze zwischen öffent- (..) Das Häuschen soll klein sein. (..) Es soll keinen tüftelten - Wohnform zu nutzen verstand. lichem und privatem Raum dabei überdeutlich.36 überflüssigen Raum haben, der unnütz Arbeit macht. 37 Kromer, Emma: Die Frau im Eigenheim, in: Frau und Gegenwart, (..) Daß es ganz auf Arbeitsersparnis eingerichtet wer- 29.Jg.,1.Heft, Oktober 1932, S.5 Die Nachfrage nach diesen speziellen Angeboten den muß, ist selbstverständlich. (..) Ein solches Häus- 38 May, Maria: Das Heim der alleinstehenden Frau, in: Frau und bleibt begrenzt und Emma Kromer merkt 1932 zu chen kann man, besonders wenn die Hauptmahlzeit Gegenwart, 30.Jg., H.11, Aug. 1934, S.250-252. „Natürlich heißt derlei leicht modifizierten Einfamilienhausentwürfen in der Stadt genommen, und die Wäsche fortgege- es da zugunsten des großen Zieles auf manche kleine Freude kritisch an: „das Wichtige ist, daß man sich mit dem ben wird, gut in Ordnung halten, wenn man nur ein- verzichten, aber es lohnt sich auch, denn sie kann dann schon Gedanken auseinandersetzt, wie man der Frau des bis zweimal wöchentlich eine Aufwartung nimmt.“ 38 in zwei bis drei Jahren ihr eigenes Heim im eigenen Garten bau- Mittelstandes das Heim so gestaltet, daß sie eine en, und wohnt viel froher, gesünder und billiger als in der Stadt.“

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 39 Diese gartenstadtorientierte Vorstellung - in der das private Glück fern der Stadt mit ihren Fabriksirenen im Jubel sonnenfroher Vögel liegt - war allerdings nur eine Perspektive und nur für Frauen mit gehobenem Einkommen denkbar. In den Siedlungsbau übersetzt hieß dieses Thema der zwanziger Jahre „Wohnung für die berufstätige Frau.“ 39 Bei diesem Grundrisstyp, der ab 1927 von Grete Lihotzky für mehrgeschossige Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wohnungsbauten entwickelt wurde, handelt es sich um Einzimmerwohnungen.40 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Die bekannteste und wohl am meisten publizierte Version der Wohnung für die berufstätige Frau ist Margarete Lihotzkys Entwurf für die Ausstellung „Die kleine Wohnung“.41 Ähnlich wie bei Droste steht bei Ein-Zimmer-Wohnung für die berufstätige Frau, Frankfurt, 1926/27, Lihotzky die ökonomische Machbarkeit im Vorder- Margarete Schütte-Lihotzky, Blick auf Koch- und Waschnische grund. Auf nur 27qm Nutzfläche bleibt kein Raum für Bad oder Küche, werden Waschtisch und Kochgele- genheit vom Wohnraum abgezwackt. Küchen- und Waschnische verschwinden hinter Vorhängen, das WC wird außerhalb der Wohnung angeordnet. Als Bewegungsfläche bleiben lediglich die notwendigen Wohnung für die alleinstehende, berufstätige Frau, 1928, Verkehrsflächen. Grete Norkauer / Käte Böhm / Gerda Wendelmuth

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Ebenfalls für diese Ausstellung 1928 war noch eine weitere minimierte Wohnung für die berufstätige Frau von drei Frauen entwickelt worden, die mit 36qm um die Hälfte größer ausfällt als die von Lihotzky.42 Der Entwurf der Elektrotechnikerin Käthe Böhm, der Che- mikerin Dr. Gertrud Wendelmuth und der Architektin Blick auf die Sitzgruppe mit der Schlafcouch Gretel Norkauer optimiert durch ein ausgetüfteltes System von Einbauten unter Einsatz technischer Raf- finessen eine im Raumzuschnitt klare, in den Abwick- 39 Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte Typen für die „Woh- lungen sachlich dominierte Wohnung.43 Sie verzichten nung für die berufstätige Frau“ ab 1927, sie wurden noch im auf einen Balkon, jedoch nicht auf Küche und Bad / gleichen Jahr veröffentlicht; Neue Frauenkleidung und Frauen- WC als abgeschlossene Räume. Sie sehen einen mit kultur, 13.Jg., 1927, H.7, S.102-103 Nachtstrom betriebenen Waschautomaten und einen 40 Dies im Unterschied zur mehrzimmrigen Junggesellenwohnung Trockenschrank für Blusen vor. Das Bettzeug ver- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar im ‘Apartmentblock’ oder ‘Servicehaus’, wie sie für Herren zeit- schwindet tagsüber in einem ‘Lüftungsschrank’. „Den gleich bspw. in Charlottenburg von Rudolf Maté oder Hans besonderen Ansprüchen der Frau in Bezug auf die Scharoun gebaut wurden. Pflege des Äußeren“ wird mit einem eingelassenen 41 Die Ausstellung „Die kleine Wohnung“ fand 1928 im Rahmen Stehspiegel und einer Vielzahl von Steckdosen ent- der Ausstellung „Heim und Technik“ in München statt sprochen. „Ein Ankleideraum, der es der Frau ermög- 42 Der Entwurf Lihotzkys war mehrfach publiziert worden. vgl. FN licht, sich umzuziehen, selbst wenn sich Gäste im 39. Böhm, Norkauer und Wendelmuth kennen offenbar die von Wohnraum befinden“, versucht das Problem konkur- Schütte-Lihotzky entwickelten Grundrisse. rierender Nutzungen zu lösen wie die automatische 43 Dipl.Ing. Gretel Norkauer war ab Ende der zwanziger Jahre als Regelung eines elektroökonomischen Kochers „eine Architektin in München tätig. Die Elektroingenieurin Käthe [Ka- ständige Aufsicht beim Kochen erübrigt“.44 Die Gleit- tharina] Böhm gehörte zu den ersten Elektrotechnik-Studentin- schiene für die Beleuchtung an der Decke ist direkt nen an der TH Wien und Dr.phil. Gertrud Wendelmuth promo- aus Lihotzkys Entwurf für die Frankfurter Einbaukü- vierte 1923 in München „Über die Gelierfähigkeit von Obstsäften chen übernommen. Auch für Norkauer et.al. steht die und Pektinlösungen“. Bezahlbarkeit der Wohnung im Vordergrund, auch sie 44 Norkauer,Gretel: Die Wohnung der berufstätigen Frau, in: Der schlagen Ledigenwohnungen innerhalb durchmisch- Baumeister, 1927, S.256-257 ter Wohnblocks vor: „Die Wohnung der berufstätigen

40 Bilder und Images alleinstehenden Frau muß im Einklang mit ihrem Ein- schen Primat des Familienwohnens. „Die Niedrigkeit kommen stehen und auch ihren Ansprüchen genü- der Frauenlöhne und das Ausgeschlossensein von gen. Die Problemstellung lautet also: Mit einem Mini- der Mietverbilligung auf Grund der Hauszinssteuer- 45 Katalog: Die kleine Wohnung auf der Ausstellung „Heim und mum an Kostenaufwand für Miete und Erhaltung der hypothek, die nur für Familienwohnungen in Betracht Technik“ München, 1928, S.47 Wohnung und für die täglichen Verrichtungen, ein kommt, senken die Aussichten auf Erwerb einer eige- 46 Kuhn, Fritz: „3-Raum-Wohnung für die selbständige Frau“. Ibid., Maximum an Behagen und Bequemlichkeit zu schaf- nen Wohnung für die Mehrzahl der ledigen berufstäti- S.46 fen. Der vorliegende Grundriß ist als ein in fast jedes gen Frauen bis zum Nullpunkt. Um den Anfang einer 47 Bisher ist unklar, ob es sich dabei um einen Neubau handelte. Mietshaus einzubauendes Wohnelement gedacht (..), Abhilfe zu schaffen, plant der Ausschuß für Ledigen- 48 Wie bspw. das Feierabendheim für Lehrerinnen von Emilie Win- dessen einzelne Stockwerke eben ein oder zwei sol- wohnungen der Arbeitsgemeinschaft der Berufsorga- kelmann, wie es von Despina Stratigakos recherchiert wurde che Elemente enthalten.” nisation im Bund Deutscher Frauenvereine den Weg 49 Grünbaum-Sachs, Hildegard: Die Wohnungsfrage vom Stand- der Selbsthilfe zu beschreiten. Vereinzelt sind auch punkt der alleinstehenden Frau, in: Handwörterbuch des Woh- Damit gelingt Böhm, Norkauer und Welndelmuth in schon praktische Versuche unternommen worden.“ 49 nungswesens, Jena, 1930, S.254 ff. interdisziplinärer Zusammenarbeit die Entwicklung ei- 50 May, Ernst: Ledigenheime, in: Handwörterbuch des Wohnungs- ner technisch wie räumlich ausgereizten Wohnung Diese praktischen Versuche heißen bei ökonomisch wesens, Jena, 1930, S.509 auf knappstem Raum noch bevor 1929 beim CIAM- prekären Verhältnissen Ledigenwohnheim. „Nach ei- 51 Schon 1919 hatte sich die niederländische Architektin Margaret Kongress „Die Wohnung für das Existenzminimum“ ner Sondererhebung über den Bau von Ledigenhei- Staal-Kropholler mit der Frage eines Ledigenheims für junge thematisiert und 1930 „das wachsende Haus“ als men in deutschen Großstädten sind in den Jahren Frauen beschäftigt. Erst 1937 erhält sie den Auftrag für das Wettbewerb ausgeschrieben wird. Der Entwurf wird 1919-1926 in sieben Großstädten 393 Ledigenwoh- ‘Louise-Went-Haus’ in Amsterdam, das erst 1964 realisiert und für die Ausstellung „Die kleine Wohnung“ ausgewählt, nungen geschaffen worden. (..) Während in Vor- bei Erstbezug nicht mehr ausschließlich von Frauen bewohnt kommt jedoch „wegen Platzmangels“ (sic!) nicht zur kriegszeiten Ledigenheime in der Hauptsache nur für wird. 1927 und 1928 werden in Amsterdam die ersten Ledigen- Ausführung.45 Platz findet sich auf der gleichen Aus- männliche Personen geschaffen wurden, wird neuer- heime für Frauen von Architekten errichtet. stellung für eine „3-Raum-Wohnung für die selbstän- dings infolge der immer stärker werdenden Eingliede- 52 Es zeigt die für Briggs’ Bauten so typische Staffelung kubischer dige Frau“, die mit 50qm „für eine gut situierte Frau“ rung der Frau in das Wirtschaftsleben auch der Bau Baukörper. Als Besonderheit fallen neben den sachlich-schlich- ausgelegt ist.46 von Ledigenheimen für berufstätige weibliche Perso- ten Fassaden nur die getrennten Garderobenräume für Raucher nen nicht weniger dringlich gefordert.“ 50 1930 stellt Gertrud Lincke eine Zwei-Zimmer-Woh- und Nichtraucher auf. Das Haus umfasst 26 Einzelzimmer - Die nung eines Rentnerinnenheims vor, das 1928 in Dres- Das früheste mir bekannte Ledigenheim, das von ei- Wohnanlage Pestalozzihof, bereits ab 1925 errichtet, - bestand den eingerichtet wurde.47 Für alleinstehende Damen in ner Architektin realisiert wurde51, ist das 1927 fertig- aus 119, überwiegend als Küche-Stube-Wohnungen organisier- finanziell gesicherten Verhältnissen entstehen ‘Da- gestellte Ledigenheim der Gemeinde Wien in der ten Einheiten. Von wem die Initiative dieses Ledigenwohnhei- menheime’, zumeist in Umnutzung, vereinzelt auch Philippovichgasse im 19. Bezirk. Es wurde von Ella mes ausging, konnte bisher nicht recherchiert werden. Vgl. dazu als Neubauten.48 Die Realisierung von Wohnungen für Briggs in Ergänzung der Wohnanlage Pestalozzihof auch: o.A: Die Wohnhausanlage der Gemeinde Wien Pestalozzi- berufstätige Frauen scheitert am wohnungsbaupoliti- entworfen und als Studentenwohnheim genutzt.52 Hof im 19. Bezirk, Philippovichgasse, Wien, 1926

Ledigenwohnheim, Wien IXX, 1927, Ella Briggs, Ansicht Straßenseite Grundriss Erdgeschoss (oben) Grundriss Obergeschoss Ansicht Gartenseite

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Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 41 Auch das ‘Einküchenhaus’ - für Herren auch als ‘Ser- entstanden. Dennoch blieb es offenbar ins Ermessen vicehaus’ realisiert - wird in der Frauenpresse für un- der jeweiligen Verwaltung gesetzt, ob sie überhaupt terschiedlichste Lebensformen diskutiert.53 Es gilt als Architektinnen anstellen, sie als ‘Fach-’ oder ‘Hilfs- besonders oder ausschließlich für Ledigen- oder Da- kräfte’ bezahlen oder ablehnen wollte, ihnen die Aus- menwohnheime geeignet oder auch als geradezu ide- bildung zum Regierungsbaumeister eröffnen oder altypische Familienwohnform - „weil es die Vereini- eine entsprechende Laufbahn im öffentlichen Dienst gung von Mutterschaft und Beruf beträchtlich erleich- verweigern wollte. tere“. Unterschiedlichste politische Standpunkte las- Grete Schroeder-Zimmermann (geb. 1887) war be- sen sich auf das Einküchenhaus projizieren: Je nach- reits während des ersten Weltkrieges, von 1914 bis dem hält frau es für eine sozialistische Erfindung oder Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1916 im Hochbauamt des Magistrats Breslau als Ar- nur für gehobene Schichten für geeignet. Hildegard chitektin angestellt worden, wurde jedoch zum 31.12. Grünbaum-Sachs entwirrt die Debatte 1930 lexika- 1916 im Rahmen der Demobilisierung entlassen.58 lisch: „Das Einküchenhaus dient als solches der kol- Dass dies im Ermessen des Vorgesetzten stand und lektivistischen Befriedigung lediglich des Bedürfnis- unterschiedlich gehandhabt wurde, lässt sich schon ses nach Nahrungszubereitung und enthält sich jedes daran ablesen, dass sie im direkten Anschluß an die Eingriffs in die Lebensgewohnheiten der Mieter. (..) Entlassung in Breslau beim Hochbauamt des Rats zu kein Einküchenhaus im engeren Sinne ist ein haupt- Dresden „unter Stadtbaurat Poelzig“ angestellt und sächlich für Ledige errichtetes Wohnhaus (..), dessen mit der architektonischen Bearbeitung von „Feuerwa- durchweg berufstätige Mieter aber die Hauptmahlzeit chen und Schulhausbauten” betraut wurde.59 Jahre überhaupt nicht im Haus einnehmen. (..) In Zukunft später - nach ihrem Zweitstudium an der TH Charlot- werden zunehmender Erwerbszwang, auch für die tenburg - tritt sie zum 19.5.1930 wiederum eine Stelle verheiratete Frau, Zunahme der hausgehilfenlosen Schlafraum einer Zweizimmerwohnung, Rentnerinnenheim, Dresden, in der öffentlichen Bauverwaltung an. Im Preußischen Haushaltungen und die Wohnungsnot die Frage des 1928, Gertrud Lincke Hochbauamt des Kreises Niederbarnim-Teltow wird Einküchenhauses nicht mehr zur Ruhe kommen las- sie Regierungsbauführerin. Aber auch mit akademi- sen.“ 54 - Als eine Bauaufgabe, die gerade Architek- schen Weihen gesegnet und mit 15 Jahren Berufser- tinnen Auftragschancen eröffnet, zeigt sich auch das 53 Bereits in den zehner Jahren wurde das Einküchenhaus inner- fahrung bietet sich ihr dort offenbar auch dann keine Einküchenhaus nicht.55 halb der Frauenbewegung diskutiert, so hatte bspw. Henriette Chance, eine angemessene Laufbahn zu erreichen. In Fürth 1913 geurteilt: „Für den Arbeiterhaushalt und den Mittel- einem Lebenslauf aus dem Jahre 1952 gibt sie die stand kann das Einküchenhaus nicht in Betracht kommen. Es ist Gründe für ihr Ausscheiden zum 17.12.1931 wie folgt trotzdem (..) für gewisse Bevölkerungsschichten von nicht zu an: „Auf eigenen Wunsch ausgeschieden, weil einer unterschätzendem Wert.“ (Fürth, H.: Das Einküchenhaus, in: Architektinnen der Weimarer Republik Frau nur der Titel eines Regierungs-Baumeisters ver- Soden, 1913, II, S.290). Für eine sozialistische Erfindung hält es Da bisher keinerlei systematische Forschungen zum liehen werden sollte, also ohne Aufstiegsmöglichkeit bspw. Aimée Köster. (Köster: Einküchenhaus, in: Die schaffende Schaffen wie zur beruflichen Situation von Architek- zum Regierungsbaurat.“ 60 Hier finden wir die Praxis Frau, 2.Jg., H.29, Februar 1922, S.72-73) - Zur Debatte vgl. tinnen im Deutschen Reich der zwanziger Jahre vor- geschlechtsspezifischer Exklusion einer Bauverwal- auch Uhlig, Günther: Kollektivmodell Einküchenhaus, Gießen, liegen, kann hier nur anhand recherchierter Einzelbei- tung bestätigt, mehr als ein Jahrzehnt nachdem dies 1981 spiele ein zwangsläufig unvollständiges Bild skizziert an von Knobelsdorff ‘erprobt’ worden war. 54 Grünbaum-Sachs, 1930, S.232 werden. Die zwischen 1880 und 1895 geborene (er- Im Laufe der zwanziger Jahre gelingt es mehreren 55 Bisher ist kein (Entwurf für ein) ‘Einküchenhaus’ einer Architektin ste) Generation von Architektinnen im Deutschen Architektinnen - darunter bspw. Hildegard Schröder dokumentiert. Reich hat bis zum Ende des Kaiserreiches die akade- (geb. 1901), Janina von Muliewicz (geb. 1903) und 56 Ob Frommer die Regierungsbaumeisterlaufbahn anstrebte, ist mische Ausbildung absolviert und den Einstieg ins Hanna Löv (geb. 1906) -, die staatliche Ausbildung bisher unklar. Es erscheint jedoch wenig plausibel, dass sie im Berufsfeld zunächst über angestellte Anfangsstellun- mit der Regierungsbaumeisterprüfung abzuschließen. Hinblick auf eine freiberufliche Praxis diese Anfangsstellung ge- gen gesucht. Mitte der zwanziger Jahre treten man- Da gerade die Berechenbarkeit staatlicher Laufbah- sucht haben könnte. Da sich ihr Name in den Personalverzeich- che dieser Architektinnen auch öffentlich in Erschei- nen für Architektinnen auch während der Weimarer nissen des Amtes nicht nachweisen lässt, besteht der Verdacht, nung. Republik unberechenbar blieb, bot der Staatsdienst dass sie dort lediglich als ‘Hilfsarbeiterin’ beschäftigt wurde. Wie wir anhand der von Elisabeth von Knobelsdorff für Architektinnen zumindest keine attraktive Berufs- 57 Weimarer Verfassung, Art.109, „Männer und Frauen haben 1914 geschlagenen „Bresche“ sowie ihrer von 1919 perspektive. Lediglich Hanna Löv tritt in die Dienste grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten“ Reichsgesetzblatt bis 1922 hinausgezögerten Anstellung gesehen ha- der Reichspost ein. 1919, S.1404 ben, standen Bauverwaltungen dem Staatsdienst von 58 Nach ihren Angaben erfolgte die Entlassung aufgrund der Ver- Frauen nicht aufgeschlossen gegenüber. So soll 1916 Auch die Berufswege von Regierungsbaumeisterin- fügung, dass Ehefrauen, deren Männer aus dem Felde zurück- bspw. auch Marie Frommer, direkt im Anschluss an nen in Deutschland sind bisher nicht erforscht. Von gekehrt waren, zu entlassen seien. Vgl. Biografie Schroeder- ihr Studium, im Hochbauamt der Stadt Dresden gear- Elsbet Arnet (geb. 1891) ist bekannt, dass sie lange Zimmermann. beitet haben.56 Eine berufliche Perspektive eröffnete Jahre im Staatsdienst tätig blieb. Sie tritt 1925 in die 59 HdK-Archiv , Best.16, Nr.148, handschriftlicher LL vom 12.12. sich ihr dort offenbar nicht. Mit Beginn der Weimarer Planungsabteilung des Hessischen Ministeriums für 1952. Sie nahm diese Tätigkeit zum 1.1.1917 auf. Hans Poelzig Republik war der Staatsdienst nach Lage der Geset- Finanzen ein.61 Und am Beispiel Hildegard Schröders war nicht nur ihr Lehrer an der Kunstgewerbeschule Breslau, ab ze für Frauen geöffnet57, für Architektinnen theore- wird deutlich, dass der solide Weg über die Regie- 1909 hatte sie auch in seinem Privatbüro gearbeitet. tisch eine berufliche Alternative zur Freiberuflichkeit rungsbaumeisterausbildung zu einer freiberuflichen

42 Bilder und Images Etablierung während der Weimarer Republik fast ein Lina Hahn für die Situation der weiblichen Angestell- Jahrzehnt dauern konnte.62 ten im Allgemeinen feststellt: „Gehälter über 250 Mark sind eine seltene Ausnahmeerscheinung und Die meisten der in den zwanziger Jahren tätigen Ar- werden durchschnittlich nur an 5% der weiblichen chitektinnen wählten als Berufseinstieg jedoch nicht Angestellten gezahlt. Die Aufstiegsmöglichkeiten für den Staatsdienst, sondern arbeiteten - zumindest zu- die Frau sind also im Angestelltenberuf noch sehr ge- nächst - als angestellte Architektinnen in Planungs- ring, obwohl er heute zu den verbreitetsten Frauen- büros. So trat bspw. Edith Schulze (geb. 1896) 1920 berufen (sic!) gehört.“ 72 in die Dienste einer Siedlungsgesellschaft in Dessau ein, war Erika Förster (geb. 1897) im Anschluss an ihr Während der Weimarer Republik war die Mitarbeit Diplom in Stuttgart ab 1922 bei der Phillip Holzmann von Architektinnen in Architekturbüros - mit und ohne 60 Ibid. Schroeder-Zimmermann spricht offenbar von sich selbst AG in Frankfurt/M. angestellt.63 Paula Marie Canthal akademische Ausbildung - denkbar. Die Mitarbeits- als dieser „einen Frau“. (geb. 1907) wurde um 1925 Mitarbeiterin im Büro von formen und Verantwortlichkeiten dieser Mitarbeiterin- 61 Elsbet Arnet hatte ab dem Wintersemester 1914/15 an der TH Alfred Gellhorn in Berlin.64 Und Rahel Weisbach (geb. nen sind bisher unerforscht. Auch aussagekräftige Darmstadt Architektur studiert und dort 1920 das Diplom erwor- 1907) arbeitete nach ihrer Gesellenprüfung als Tisch- Angaben zur Entlohnung dieser Mitarbeiterinnen feh- ben. Zu Arnet vgl. Viefhaus, 1988, S.48 lerin ab 1926 als Innenarchitektin im Büro Erich Men- len weitestgehend. In manchen Schilderungen bleibt 62 Hildegard Schröder studierte zu Beginn der zwanziger Jahre delsohns in Berlin, ab 1928 für das Büro Martin zweifelhaft, ob weibliche Angestellte überhaupt ent- zunächst an der TH Darmstadt, dann an der TH Dresden, wo sie Elsässers.65 lohnt wurden. Die Nennung von Mitarbeiterinnen, die im Winter 1926/27 das Diplom erwirbt. Im Anschluß daran ab- Zuschreibung von Projekten und Bauten - ins Belie- solviert sie die Regierungsbaumeisterlaufbahn, heiratet den fünf Die Berufsstatistik tut sich schwer mit der Eingrup- ben des/r jeweiligen Büroinhabers/in gestellt - spie- Jahre jüngeren Architekten Gerhard Dörge und bringt 1932 und pierung von Frauen in vermeintlichen Männerberufen, gelt weniger die geistige UrheberInnenschaft als die 1935 zwei Kinder zur Welt. 1934 erscheint ihr Name erstmalig liefert bestenfalls Hinweise. So weist bspw. Silbergleit Eigentümerstruktur bzw. Hierarchie innerhalb der Bü- im Branchenfernsprechbuch Berlin unter den freiberuflichen auf der Basis der Volkszählung vom 16.6.1925 für ros wider. Die Nennung von MitarbeiterInnen in sub- Architekten gelistet. Preußen unter 229 selbständigen jüdischen Architek- alternen Positionen wurde bereits während der Kai- 63 Vgl. Biografie Dinkelmann. Für Hinweise zu Erika Försters Be- tInnen drei, unter 885 angestellten ArchitektInnen nur serzeit vermieden. Grundsätzlich wird nur der Name rufstätigkeit danke ich Dr. Norbert Becker. zwei Frauen aus.66 Die reichsweite Berufszählung des Büroinhabers unter Projekten aufgeführt. So wird 64 Vgl. Biografie Canthal führt 1933 immerhin 175 Architektinnen auf, in selb- selbst bei einem so großen Projekt wie dem Waren- 65 Schemme, Dorothea, „Bei mir war eigentlich alles ein Wunder“, ständiger Stellung in Architektur- und Vermessungs- haus Herpich die mit dem umfangreichen Innenaus- Notizen eines Gespräches mit Rahel Bontjes van Beek, in: Frau- büros, im Hoch- und Tiefbau 19.67 „Wie groß aller- bau befasste Rahel Weisbach in Publikationen nicht en in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.86 dings der Anteil der Frauen auf wirklich leitenden Po- erwähnt. 66 Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse sten war, die Hochschulbildung erfordern, läßt sich der Juden im Deutschen Reich, Berlin, 1930, S.307 resp. S.333, aus dieser Statistik nicht exakt herauslesen.“ 68 Darü- Auch wenn BüroinhaberInnen - wie bspw. Erich Men- 67 Nach der Berufszählung von 1933 gab es: 175 weibliche unter ber hinaus lassen sich hier keine Angaben zur Vergü- delssohn, Leo Nachtlicht, Alfred Grenander, aber insgesamt 36 088 Architekten. In selbständiger Stellung in Ar- tung oder die Dauer der Berufsausübung zu finden. auch Emilie Winkelmann und Marie Frommer - nach- chitektur- und Vermessungsbüros 4537 Männer und 13 Frauen, weislich Berufsanfängerinnen anstellen, lässt sich nur Auch anhand der Eintragungen in Branchenbüchern im Hoch- und Tiefbau 3443 Männer und 6 Frauen. Hier zitiert im Einzelfall klären, ob dies aufgrund persönlicher und Künstlerlexika sind Wechsel zwischen Angestell- nach: H.N.: Frauen als Ingenieure, - Artikel in der Frankfurter Faszination, privater Verpflichtungen oder ökonomi- ten und FreiberuflerInnen nur erahnbar. Nur biogra- Zeitung vom 17.3.1939, (Barch/L NS5/VI, Bl.7111) schen Kalküls erfolgte. Bei Auftragsrückgang im Büro phische Dokumente bieten überhaupt die Chance, im 68 Ibid. Mendelsohn wird Weisbach nach zwei Jahren als er- jeweiligen Einzelfall zu rekonstruieren, wann und wie 69 Hahn, Lina: Die Frau in der Angestelltenbewegung, in: Schmidt- ste entlassen. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass lange welche Architektinnen in welchen Büros arbei- Beil, Ada(Hg.) Die Kultur der Frau, Berlin, 1930, S.168ff. ihre Anstellung schlichtweg ein Sonderangebot auf teten, ob sie freiberuflich tätig wurden oder dem Be- 70 Wie dies die Darstellung der familiären Hintergründe der Archi- dem Arbeitsmarkt gewesen sein könnte. rufsfeld den Rücken kehrten. tekturstudentinnen der Kaiserzeit vermuten läßt, die der Bau- Eine ambivalente Stellung zwischen Freiberuflichkeit, haus- und Tessenowschülerinnen in den folgenden Kapiteln zei- Wie Lina Hahn 1930 anhand verschiedener Untersu- Angestelltenverhältnis und unvergüteter Mitarbeit fiel gen wird. chungen über weibliche Angestellte illustriert, stam- den Architektinnen zu, die eine Ehe mit einem Archi- 71 Bisher ist keine gewerkschaftliche Mitgliedschaft einer Architek- men Ende der zwanziger Jahre etwa 29% der weibli- tekten führten. So bezeichnet der Begriff der mithel- tin bis 1945 nachweisbar. Heinz Hornung schreibt 1930 unter chen Angestellten aus dem Arbeiterstand, 43% aus fenden Familienangehörigen nicht nur im Sinne der dem Titel „Frauen in der Technik: Gewiß fanden viele weibliche den Kreisen der Angestellten und Beamten, 24% aus Berufsstatistik Gattinnen von Freiberuflern als eine technische Angestellte noch nicht den Weg zur gewerkschaftli- dem selbständigen Mittelstand und 3-5% aus dem ökonomisch unselbständige Gruppe. Da nach Lage chen Organisation. (..) Aber in dem Maße, wie die Zahl (..) zu- gehobenen bürgerlichen Mittelstand.69 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch während der nimmt und diese Frauen ihre wirtschaftliche und gesellschaft- Angestellte Architektinnen während der Weimarer Re- Weimarer Republik die Erwerbsarbeit verheirateter liche Lage erkennen, werden sie zur gewerkschaftlichen Betäti- publik dürften ganz überwiegend dem Viertel der Frauen an die Zustimmung des Gatten geknüpft gung kommen.“ in: Die schaffende Frau, 1.Jg., H.9, Juni 1930, weiblichen Angestellten zuzurechnen sein, die dem blieb, bedeutete die Eheschließung für Frauen in der S.298 selbständigen und gehobenen bürgerlichen Mittel- Regel die Aufgabe beruflicher Selbstbestimmung. 72 Und weiter: „Diese Tatsache ist um so bedrückender, als die stand entstammten.70 Sie dürften im Regelfall jedoch Innerhalb dieser legislativ abgesicherten Hierarchie Frauenarbeit in den meisten Tarifverträgen noch geringer bewer- nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen sein.71 nach Geschlecht innerhalb der Ehe waren auch wäh- tet wird als die gleiche Leistung eines männlichen Angestellten.“ Dennoch trifft wahrscheinlich auch auf sie zu, was rend der Weimarer Republik individuelle Spielräume Hahn, 1930, S.169

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 43 zumindest denkbar. Architekten - dies werden wir ließ75, hält die Publizität Marlene Poelzigs nicht lange auch bei Architekturstudenten der Weimarer Republik an und bleibt auf diesen Einzelfall begrenzt. ausführlich studieren können - neigen jedoch man- 73 So teilt Hans Scharoun 1928 seinem ehemaligen Büropartner Auch Leni Stahl-Langen, die eine kaufmännische ches Mal dazu, in der Gattin eine mitarbeitende Franz Bossmann jovial mit: „Wie gut, daß Ihre Frau wieder wohl- Ausbildung absolviert, jedoch bereits seit 1916 im Familienangehörige zu sehen.73 auf ist, auch die meinigte ist wieder gesund und im Büro ver- Berliner Büro ihres Architektengatten mitgearbeitet wendbar.“ Hans Scharoun, Brief vom 14.1.1928, (AdK, BK NL Marlene Moeschke war zwischen 1918 und 1936 an hatte, tritt weder als Entwerferin noch ökonomisch Scharoun, Mappe 4.4/III 130, 20-0104.) Aenne Scharoun geb. zahlreichen Projekten des Büros Poelzig beteiligt. selbständig in Erscheinung, auch wenn ihre Mitarbeit Hoffmeyer führte im Büro ihres Mannes die Korrespondenz. - 1924 heiratete Prof. Hans Poelzig seine schwangere im Büro nicht nur ökonomisch motiviert gewesen sein Die Debatte über die ‘Verwendbarkeit’ von Frauen im Berufsfeld Mitarbeiterin.74 1930 tritt sie, die keinen Abschluss als dürfte.76 Dass innerhalb solcher Partnerschaften ein gewinnt im Laufe der zwanziger Jahre an Kontur. Auch dieser Architektin, jedoch an einer Akademie studiert hatte, strukturelles Konfliktfeld liegt, das während der Wei- Prozess deutet auf eine aktive, kommunikativ hergestellte Hier- mit dem ‘Haus in der Tannenbergallee’ als alleinige marer Republik mit der Ausbildung und dem Selbst- archisierung nach Geschlecht innerhalb des Berufsfeldes. Entwerferin öffentlich in Erscheinung. Auch wenn dies bewusstsein der Partnerinnen wächst, wird bspw. an- 74 „Da bekam Marlene schon das Kind, da ließ sich Mutter schei- nicht etwa ihr einziger Entwurf ist und der „berühmte hand der Scheidungen von Margarete Gutkind und den.“ Ruth Poelzig-Ockel, (Tochter aus Poelzigs 1899 ge- Poelzig“ die kleinen Bauten gerne seiner Frau über- Margarete Knüppelholz-Roeser in den zwanziger schlossener, erster Ehe mit Maria Voß) im Gespräch mit Dieter Jahren deutlich.77 Schwarzenau, „Zeugen des Jahrhunderts“, Sendung 13.1.1997 Architektinnen üben während der Weimarer Republik 75 So bspw. zitiert bei Heuss, 1939, S.55: „er [Poelzig] hatte früher den Beruf freiberuflich aber nicht nur in Partnerschaf- einmal gesagt, Bauten unter drei Metern beschäftigen mich ten aus. Insbesondere ledige Architektinnen treten nicht, später hatte er das Maß auf zehn Meter erhöht.“ auch mit eigenen Büros in Erscheinung. Emilie Win- 76 Vgl. Biografie Stahl-Langen. kelmann realisierte ihre ersten Neubauten in Berlin für 77 Vgl. Biografie Knüppelholz-Roeser. Die Berliner Gestalterin Schriftsteller und nach Wettbewerbserfolgen.78 In den Margarete Gutkind (geb. Jaffe, 1887 - 1942) hatte in den 10er zehner Jahren konnte sie im Umfeld des Deutschen Jahren den Architekten Erwin Gutkind (1886 - 1968) geheiratet, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Lyzeum-Klubs Aufträge akquirieren79, hielt jedoch 1917 und 1925 Kinder zur Welt gebracht. Die Ehe wird 1929 ge- auch Kontakt mit ihrem Heimatort Aken. Sie verdankt schieden. (Vgl. Strauss / Röder, 1980, S.438) Vgl. hierzu auch der Heirat einer ihrer Schwestern mit einem blaublüti- Kap.9, Der Traum von der Zusammenarbeit gen Agrarier etliche Aufträge für landwirtschaftliche 78 Oskar Paul Höcker (1865-1944), Haus Lindenallee, 1908 und Bauten in Pommern und Westpreußen. Für diese Rudolf Presber (1868-1935), Haus Trabener Straße, 1908/09. Klientel ist sie auch weiterhin tätig. Elisabeth von Bisher ist nicht dokumentiert, wie Winkelmann die Bauherren Schuhhaus Leiser, Berlin-Mitte, Umbau 1929, Marie Frommer Knobelsdorff erhielt ihren ersten Auftrag von ihrer kennenlernt. Nach Gewinn des Wettbewerbs für die ‘Festsäle Tante.80 In den zwanziger Jahren soll sie Villen für pri- Baatz’ in der Neuen Blumenstraße, kann sie hier 1914 ihr erstes vate Auftraggeber realisiert haben. Marie Frommer Veranstaltungsgebäude realisieren. Auch der Umbau der ‘Pensi- gelingt es ab 1926, Aufträge von Berliner Geschäfts- on von Heuckelum’ und der Bau des Viktoria-Studienhauses leuten zu akquirieren. In der Presse als Spezialistin sind nach ihren Angaben Resultate gewonnener Wettbewerbe. für Warenhäuser gelobt, finden ihre neuartigen Vgl. LL Winkelmann 14.9.1950, in Schmidt-Thomsen: Frauen in Schriftgestaltungen und Leuchtreklamen ab 1927 der Architektur, in: UIFA, 1988, S.19. auch in der Fachpresse Beachtung.81 Ende der zwan- 79 So bspw. das Haus für die Schwestern Grupe in Babelsberg. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ziger Jahre wird sie Vertrauensarchitektin internatio- 80 Diesen Entwurf eines Gemeindehauses für ein schlesisches Gut naler Unternehmen, für die sie Bürohäuser umbaut. hatte sie nicht nur bei der Ausstellung „Die Frau in Haus und Sie wird Mitglied des Clubs der ‘Soroptimists’, für Beruf“ gezeigt sondern 1913 auch bei einer der Monatskonkur- den sie 1930 den Umbau des „Hotel Majestic“ reali- renzen des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin einge- sieren kann.82 Sie bietet ‘Wohnberatungen’ an und reicht und dabei einen 2. Preis erhalten. Vgl. Kap.2, FN 40. betreibt ihre Aufnahme in den BDA.83 Ihr Büro wächst 81 Architektur und Schaufenster, Berlin, 24.Jg., 1927, November- Blick in den Verkaufsraum in den frühen dreißiger Jahren deutlich und ist über- heft, S.6, Dezemberheft, S.3-5 Blick in den Erfrischungsraum wiegend mit Umbauten für Geschäftsleute und Ver- 82 Marie Frommer gehörte dem Soroptimist-Club, der nach inter- sicherungsunternehmen beschäftigt.84 nationalem Vorbild 1929 in Berlin als Vereinigung berufstätiger Frauen gegründet wird, wohl schon als Gründungsmitglied an. Ella Briggs sucht und findet in Berlin ab 1926 Aufträ- 83 Ab 1931 werden ihre ‘Wohnberatungen’ in Die schaffende Frau ge bei Berliner Wohnungsbaugesellschaften mit Hilfe angeboten. Im gleichen Jahr beschreibt Margot Rieß, dass sich von Empfehlungsschreiben sowie Fotos ihrer in Wien Frommer um dieses Gebiet „verdient gemacht“ habe. realisierten Bauten.85 Sie akquiriert auch im Bereich 84 Ob sie durch die Beratung für Leserinnen Aufträge akquirieren Ausstellungsarchitektur. Bis 1928 kann sie hier zu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar kann, bleibt fraglich. Allerdings wird auch Frommer im Bereich mindest vier Projekte realisieren. Daneben reagiert Innenarchitektur tätig. 1930 stellt sie bei der Ausstellung „Die sie auf die während der zwanziger Jahre rapide stei- gestaltende Frau“ bei Wertheim auch Fotos ausgeführter gende Nachfrage nach billigstem Wohnraum, wendet Innenarchitekturen aus. sich der Projektierung von Siedlungs- und Erwerbslo- 85 Vgl. S.41, sowie FN 52 senhäusern sowie der Frage von Wohnungsteilungen

44 Bilder und Images zu. Im Vergleich zu Wien, wo Plakolm-Forsthuber für Johanna Loev reicht im selben Jahr mit dem Kolle- die Zwischenkriegszeit in der Raumkunst resp. Innen- gen Holl einen Entwurf für einen Wettbewerb bei 86 Dies deutet jedoch nicht darauf hin, dass es sich bei Raumkunst architektur einen - wenn auch nicht konkurrenzfreien Harlaching ein und erhält einen Ankauf. Beim Wett- um einen von Frauen bevorzugten Arbeitsbereich handelt. Dies - Raum zur Etablierung von Fachfrauen ausmacht, bewerb Rathaus Insterburg (1927) gewinnen Waltru- konstatiert auch Plakolm-Forsthuber, wenn sie schreibt „Die (..) lassen sich solch eindeutige Berufssegmente wäh- de Enders aus Kassel und Hedwig Bock aus Kreuz- den Architektinnen zugestandenen Aufgabenbereiche waren nur rend der Weimarer Republik nicht benennen.86 nach einen Preis. 1929 werden in den Gewinnlisten spezialisierte Teilaspekte der Innenarchitektur, wenig gegenüber für das „Eigenhaus der neuen Zeit, der neuen Welt“, In der Fachpresse der zwanziger Jahre tauchen an- dem, was ihnen vorenthalten blieb.“, 1994, S.250 Entwürfe von Tilla Mayer-Strathmann, Stuttgart-Kal- lässlich von Wettbewerben auch Namen jüngerer Ar- 87 Vgl. Baugilde, 6.Jg., 1924, S.184, H.12. tental, Brunhilde Dreher aus Konstanz und Ursula chitektinnen auf. Unter den preisgekrönten „Meßbau- 88 Zentralblatt der Bauverwaltung, 1927, S.225 Weiß, Berlin aufgeführt.89 Ebenfalls 1929 gewinnen ten in Frankfurt/M.“ findet sich bspw. 1924 der Ent- 89 Velhagen & Klasings Monatshefte, 44.Jg., Sept.1929, S.90 Auguste Hecht und Hermann Neumann den Wettbe- wurf von Lulu Goerz, München verzeichnet.87 Gretel 90 Baugilde, 1929, S.860. Der Entwurf wurde nicht realisiert. Augu- werb zum Bau einer Synagoge für die orthodoxe Ge- Uhland aus Stuttgart gewinnt 1927 einen zweiten ste Hecht hatte ab dem WS 1922/23 an der Bauschule der TH meinde im Berliner Hansaviertel.90 Preis bei einem Wettbewerb für Möbelbeschläge.88 Wien studiert, vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.327.

Ausstellungsstände nach Entwürfen von Ella Briggs auf den Messen „Ernährung 1928”

Wettbewerbsentwurf für den Neubau einer Synagoge in der Klopstockstraße 58, Berlin, 1.Preis, Gusti Hecht und Hermann Neumann, 1929

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„Gas und Wasser” (1929)

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Lederschau (1930)

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Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 45 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Anbau-Haus auf der Deutschen Bauausstellung, Berlin, 1931, Ansicht Gartenseite Entwurf Paula Marie Canthal und Dirk Gascard-Diepold, 1930 Grundrisse des Kernhauses (unten) und der Anbau-Stufe (oben)

Eine Art Blitzkarriere ist von Paula Marie Canthal für das Ende der zwanziger Jahre zu verzeichnen. Sie gewinnt 19-jährig gemeinsam mit ihrem Mann - beide haben an Kunst- und Kunstgewerbeschulen studiert - 1927 gleich zwei Preise beim Wettbewerb des Berli- ner Messeamtes für Wochenendhäuser. Bis 1931 fol- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gen Preise bei sechs weiteren Wettbewerben, darun- ter dem renommierten Passagewettbewerb Friedrich- straße-Behrenstraße in Berlin. Anhand dieses Spektrums an Wettbewerbsthemen 91 So bspw. der Entwurf eines Arbeitszimmers von Lotte Zentner wird deutlich, dass auch Architektinnen, die erst im (Koch, Alexander: Farbige Wohnräume der Neuzeit, Darmstadt, Laufe der Weimarer Republik in das Berufsfeld eintre- 1926), Inneneinrichtungen von Gertrud Lincke und Ella Briggs haltender Skepsis geprägt.94 Angesichts der lobby- ten, sich thematisch aufgeschlossen für unterschied- finden sich in: Müller-Wuckow, Walter: Die deutsche Wohnung istischen Appelle für Medizinerinnen und Juristinnen lichste Entwurfsaufgaben interessieren und engagie- der Gegenwart, Königstein/Leipzig ,1930 fällt diese große Zurückhaltung gegenüber Architek- ren. Auch bei ihnen spiegeln sich hierin - eben nicht 92 Deutsche Bauzeitung , 60.Jg.,1926, S.624 - Unter dem „Dorf tinnen ins Auge.95 ‘Die Architektin’ war als ‘Neuigkeit’ vermeintlich geschlechtsspezifische Aufgabenfelder von Musterhäusern von Behrens, Becker, Winkelmann, Wehner, offenbar verbraucht. Die progressive Frauenpresse als vielmehr - Pragmatismus und individuelle Interes- Spiegel“ subsumiert, bleibt Winkelmann wie ihr Entwurf in der konnte ihr darüber hinaus offenbar wenig abgewin- senschwerpunkte wider. Besprechungen nahezu unerwähnt. nen und die bürgerliche Frauenpresse hatte die (Be- 93 Schwinghammer, Erich: Neue Einfamilienhäuser, in: Deutsche Im Laufe der zwanziger Jahren werden Projekte von rufs-)Hausfrau zur nebenberuflichen Wohnungsge- Bauhütte, 14.Jg., 1910, Abb.S.121, hier S.124 Architektinnen in Fachzeitschriften zunehmend selte- stalterin, die Hauswirtschafterinnen zu kooperieren- 94 So bspw. Krebs, Hilda: Die aktive Mitarbeit der Frau im Woh- ner publiziert, obschon sie vereinzelt in Artikeln und den Spezialistinnen des Siedlungsbaus gekürt. nungsbau, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 14.Jg., Beispielsammlungen auftauchen.91 So wird bspw. der Hedwig Heyl hatte 1912 die Annäherung von Frauen 1928, H.3 (November), S.72 Name Winkelmanns anlässlich ihres „Haus[es] für ei- in Haus und Beruf beschworen: „Diese Ausstellung 95 Gerade die Medizinerinnen waren quantitativ eher sichtbar, die nen geistigen Arbeiter“ auf der ‘Gesolei’ in Düssel- ist eine Friedensfanfare für die beiden großen Ar- Juristinnen bspw. durch Ratgeberspalten in der Frauenpresse dorf 1926 in einem ausführlichen Artikel in der ‘Deut- beitsgebiete der Frau. Haus und Beruf, die sich an- präsent. Die Zugangsbeschränkungen zu diesen Berufsfeldern schen Bauzeitung’ lediglich in einer Aufzählung ge- fänglich auszuschließen und den Rang streitig zu waren augenfälliger, zum anderen versprach die Durchsetzung nannt.92 1910 hatte Erich Schwinghammer ihre Land- machen schienen, um sich nun einander immer mehr der Berufsinteressen von Juristinnen und Medizinerinnen eman- häuser in der ‘Bauhütte’ als „anheimelnde Bauten, zu nähern, sich zu ergänzen.“ 96 So wurden zu Beginn zipatorisch wesentlich konkretere Schritte für eine weitaus grö- die das Wesen eines trauten Familienheims sehr gut des Jahrhunderts die Berufsmöglichkeiten von Frau- ßere Zahl von Frauen. Hingegen wurden bspw. Forderungen im zum Ausdruck bringen.“ bezeichnet und sie als „Kol- en öffentlich immer wieder eingefordert.97 Zum Ande- Wohnungsbau ohne Junktim einer parteilichen Planung von legin, die seit einer Reihe von Jahren den Architek- ren wurden Frauen zur materiellen Selbständigkeit Architektinnen gestellt. tenberuf selbständig ausübt und (..) durch mehrere durch Berufstätigkeit ermutigt, Appelle an die eige- 96 Heyl, 1925, S.131 Bauten bekannt geworden ist“ gewürdigt.93 nen Mitglieder gerichtet, die Dienste der Berufsfrauen 97 Standespolitische Hemmnisse - bei der Zulassung von Ärztin- Und soweit in der Frauenpresse ab Mitte der zwanzi- auch in Anspruch zu nehmen, bspw. Ärztinnen aufzu- nen zu den Krankenkassen, von Juristinnen zum Richter- oder ger Jahre überhaupt noch Berichte über Arbeiten von suchen oder Künstlerinnen zu beauftragen. Rechtanwaltsberuf - wurden immer wieder öffentlich angepran- Architektinnen zu finden sind, sind sie von zurück- gert. Andererseits hatte Elly Heuss-Knapp im gleichen

46 Bilder und Images Jahr formuliert:„Die Frauenbewegung hat in ihrer er- haben. Vielleicht arbeitet eine entspanntere wirt- sten Entwicklungszeit sich von der Wertschätzung schaftliche Lage (..) in diesem Sinne für die Architek- der Hausarbeit bewußt entfernt. Sie sah darin nur die tin.“ 100 Hilda Krebs hofft auf einen Aufschwung und private Leistung für den engsten Familienkreis, und auf „Sonderaufgaben“, für deren Befriedigung Archi- sie wollte doch organisieren, die Berufsarbeit schien tektenkollegen in Fachzeitschriften längst Vorschläge sichtbarlicher verwebt in die allgemeine Wirtschaft unterbreiten. des Volkes und damit ein besserer Ausgangspunkt Hedwig Heyls propagierte „Friedensfanfare” kenn- für die Forderung neuer Rechte.” 98 Hier klingt deut- zeichnete damit eher das Ende einer pragmatischen lich an, dass bürgerliche, obschon frauenbewegte Koalition zwischen den beiden Lagern der Frauenbe- Hausfrauen der Propagierung außerhäusiger Berufe wegung denn einen Auftakt zu einer Annäherung. Die für Frauen skeptisch wenn nicht konkurrierend ge- Haltung der mehrheitlich als Hausherrinnen organi- genüber standen. Als „besserer Ausgangspunkt für sierten Frauen gegenüber der Erwerbstätigkeit blieb die Forderung neuer Rechte für alle Frauen” wird die ambivalent. Schon während der Kaiserzeit scheint die den professionellen Frauen gewidmete Aufmerksam- ablehnende Haltung gegenüber Ärztinnen oder Juri- keit bis in die zehner Jahre von den Hausfrauenver- stinnen weniger kategorisch gewesen zu sein als ge- treterinnen noch mitgetragen. Verspricht die Zulas- genüber Architektinnen.101 Letztere werden in Frauen- sung zum Studium auch für bürgerliche Frauen die zeitschriften fast nicht mehr erwähnt. Und angesichts Chance auf mehr Selbstbestimmung, so stellt die ökonomischer Krisen schrumpft Anfang der zwanzi- Aussicht auf außerhäusige Erwerbsarbeit für weite ger Jahre die Zahl potentieller AuftraggeberInnen. Kreise bürgerlicher Hausfrauen jedoch offenbar keine erstrebte Option dar. Nur wenige Architektinnen sehen ihrerseits Spielräu- me, ihr spezielles Qualifikationsprofil als Emanzipa- In der frauenbewegten Presse der zehner Jahre wird 98 Heuss-Knapp, Elly: Die Reform der Hauswirtschaft, in: Bund tionsangebot für Frauen einzubringen. Für konkrete auch der Zugang von Frauen zum Architektenberuf deutscher Hausfrauenvereine (Hg.): Deutscher Frauenkongreß. AuftraggeberInnen tun sie dies.102 Und wo sich kon- grundsätzlich befürwortet. Wenn ein ‘Haus der Frau’, Sämtliche Vorträge, Leipzig und Berlin, 1912, S.11 zit. nach krete Anknüpfungspunkte bieten, stehen Architektin- ein ‘Studentinnen-Wohnheim’, ein ‘Frauenklub’ be- Beer, Ingeborg: Architektur für den Alltag. Vom sozialen und nen der ersten Generation der Frauenbewegung kei- nötigt wird, entfaltet ihr Schaffen im Einzelfall öffentli- frauenorientierten Anspruch der Siedlungsarchitektur der zwan- nesfalls grundsätzlich ablehnend gegenüber. Emilie che Wirkung. Im Unterschied zu Medizinerinnen und ziger Jahre, Berlin, 1994, S.182 Winkelmann ist nicht nur Mitglied des Deutschen Ly- Juristinnen werden Architektinnen jedoch nur aus- 99 Pochhammer, Margarete: Berliner Wohnverhältnisse, in: Ichen- zeumclubs, sie unterbreitet mehrfach Vorschläge für nahmsweise namentlich genannt und auch als partei- haeuser, 1913, S.233 Damenwohnheime. Margarete Lihotzky entwirft Woh- liche Berufsfrauen kaum erwähnt. Eine der wenigen 100 Krebs, 1928, S.72 - Hilda Krebs stellte 1927 bei der Ausstellung nungen für berufstätige Frauen. Gertrud Lincke ent- Ausnahmen ist ein Artikel Margarete Pochhammers. „Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts“ in Hamburg Möbel aus wickelt die ‘Frauenwohnungshilfe’.103 In Artikeln stellt Sie sieht 1913 in der Veränderung der „Berliner Woh- – vgl. Katalog Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts, Hamburg sie dieses Modell einer Frauengenossenschaft mehr- nungsverhältnisse” ein Betätigungsfeld für Baumei- 1927 fach vor.104 Therese Mogger ist Mitglied im Verein der sterinnen: „Kurz, die Bauten der letzten Jahre zeigen 101 Ob dies, wie Schwartz Cowan für heute konstatiert, primär der Düsseldorfer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen105, sich von Hygiene und Ästhetik stark beeinflußt. Nur Skepsis gegenüber Frauen in einem vermeintlichen ‘Männerbe- Marie Frommer Mitglied bei den Soroptimists in Ber- zwei wichtige Gemächer kommen immer noch zu ruf’ oder einer Konkurrenz bzgl. der Zuständigkeit und Defini- lin. Wie Frommer hält auch Ella Briggs auf Einladung kurz: Die Speisekammer und das Mädchengelaß. (..) tionsmacht ‘rund ums Haus’ geschuldet ist, bleibt unklar. Quel- von Frauenverbänden Vorträge.106 1930 erscheint in Nur selten entspricht das Personalzimmer dem, was len, in denen das Verhältnis von Frauenbewegung und Architek- der neugegründeten Zeitschrift ‘Die schaffende Frau’ theoretisch schon so lange dafür gefordert wird. - tinnen explizit thematisiert worden wäre, lassen sich für die zeh- eine Wohnungsberatung für Leserinnen. Margarete Vermutlich wird erst die Baumeisterin hier Wandel ner Jahre bisher nicht nachweisen. Weinberg würdigte 1926 einen Ladenumbau Marie schaffen und ihren männlichen Kollegen zeigen, wie 102 Auch wenn angesichts knapper Budgets in den zwanziger Jah- Frommers: „Das Ganze zeigt glücklichste Vereinigung auch dieser letzte - sehr empfindliche Wohnungs- ren überwiegend Wohnungsadaptionen entstanden, konnte von handwerklichem Können, künstlerischer Phanta- mißstand vermieden werden kann.“ 99 bspw. in Berlin Winkelmann das Haus Bennaton (1926), From- sie und fraulichem Verständnis für die Bedürfnisse mer das Haus Frankl (1926) realisieren. Briggs entwarf ein Haus 15 Jahre später schreibt Hilda Krebs über „Die aktive der Verbraucherschaft.“ 107 für Milli Knopf. Mitarbeit der Frau im Wohnungsbau“: „Die Frauen Die meisten Architektinnen begegnen dem Interesse 103 Vgl. Lincke, Gertrud: Frauenwohnungshilfe, in Die Frau, 34.Jg., sind ja ein wichtiger Faktor im Wirtschaftsleben, und der Frauenpresse im Laufe der zwanziger Jahre mit 1926/27, S.538 dementsprechend haben sie sich einen Platz in der zunehmender Skepsis, wollen ihre Leistungen als 104 Vgl. diess. in: Die Frau , 33.Jg., H.10, Juli 1926, S.607-611 und Öffentlichkeit erworben. Da ist es nur recht und billig, fachliche gewürdigt, ihre Präsenz im Berufsfeld nicht 33.Jg., H.11, August 1926, S.673-679 daß ihren Bedürfnissen mehr Rechnung getragen auf ihre Erscheinung als Frauen reduziert sehen. So 105 Vgl. Eintrag Mogger in Dressler, 1930 würde. Die verheiratete Frau braucht die gut durch- äußert Ella Briggs 1927: „Ich bin dagegen, daß eine 106 So bspw. Marie Frommer auf Einladung des Studentinnenver- gebildete Wohnung (..) und die berufstätige Frau be- Arbeit nur deshalb gewertet wird, weil sie von einer bandes 1930, Ella Briggs bspw. auf der Sondertagung der Ber- nötigt ein Heim, das sie endlich von dem ‘Möblierten- Frau herrührt. Wahrscheinlich wird sich die Frau liner Frauenkonferenz „So baut man, so wohnt man“ Zimmer-Wohnen’ befreit. Hier sind Sonderaufgaben selbst in Einzelheiten anders einstellen als der Mann, 107 Weinberg, Margarete: Tüchtige Leistung eines weiblichen Bau- zu lösen, bei denen die weiblichen Architekten aus im allgemeinen aber kann sie nur wie dieser anstän- meisters, in: Frau und Gegenwart, 29.6.1926 (BArch/NS5/VI ihrem weiblichen Verstehen heraus Eigenes zu geben dige Arbeit anstreben. Aus der Tatsache, daß eine 7102, Bl. 93).

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 47 Frau eine bestimmte Arbeit geleistet hat, einen Mehr- lich der Illustration resp. Malerei zu. Auch Architektur- anspruch an Anerkennung ableiten zu wollen (..) studentinnen der Kaiserzeit - wie Julia Ponten von scheint mir unberechtigt zu sein.“ 108 Broich und Eva Müller-Maren - finden in der freien Malerei eine Möglichkeit, selbstbestimmt schöpfe- Die in den zehner Jahren geführte Debatte um „We- risch tätig zu bleiben.112 Elisabeth von Baczko, seit sensunterschiede der Geschlechter“, bleibt nicht nur 108 O.A.: Ella Briggs - Eine Wiener Architektin, in: Frau und Gegen- der Jahrhundertwende als Malerin und Innenarchitek- virulent, sie flammt in den zwanziger Jahren erneut wart, 4.Jg., 4.10.1927, S.12-13. Die sehr deutliche Abgrenzung tin tätig, stellt 1927 bspw. noch Lampenentwürfe vor, auf und erreicht zum Ende der Weimarer Republik gegen einen „Mehranspruch” an Anerkennung als Frau könnte danach entwirft sie überwiegend Schmuck. Architek- ihren Höhepunkt. „Nur aus den höheren Berufen wirft auch eine Reaktion auf die zunehmenden Zuschreibungen sein turinteressierte Absolventinnen von Kunstgewerbe- man die Frauen hinaus (..) Teils aus Konkurrenz und 109 In: Die Frauen Tribüne, Januar 1933, H.1/2, S.3, zitiert nach: schulen wie Elisabeth Nießen, Anna Schröder-Ehren- teils aus politischen Gründen (..) Überall der Kampf Bock, 1995, S.29 fest oder Margarete Knüppelholz-Roeser finden in- der Philister gegen die Frau“, wettert Gabriele Tergit 110 Gotthard, Elisabeth: Die schaffende Frau, in: Profil, 1933, H.4, nerhalb des Berufsfeldes offenbar nur selten tragfähi- im Januar 1933.109 Und Elisabeth Gotthard schreibt S.109-110 ge Berufsperspektiven.113 Nur Wenigen - darunter Ilse 1933 im Hinblick auf die augenfällige Diskrepanz zwi- 111 Verdrängungen ließen sich erst anhand zahlreicher Werkbiogra- Dernburg, Else Oppler-Legband und Hertha Jeß - schen Diskurs und Realität: „Der Vorstellung, daß ei- fien nachzeichnen. Das Kunsthandbuch des ‘Maler-Architekten’ gelingt es, weiterhin im Bereich des Innenausbaus tä- ne schaffende Frau anders wohne, anders lebe, an- Willy Oskar Dressler erschien ab 1898 bis 1934 in Berlin. Dress- tig zu bleiben.114 ders geformte Möbel benütze, die normale Tagesein- ler bemühte sich um regelmäßige Aktualisierungen, nahm neben teilung auf den Kopf stelle, sich anders nähre wie Auch auf benachbarten Aufgabengebieten streben biografischen Daten auch Lehrtätigkeiten, Werke und Publikatio- irgendein anderer, zu Leistung und Arbeit verpflichte- Gestalterinnen und Künstlerinnen in den zwanziger nen auf. Bei der Eingruppierung der „lebenden Künstler“ in M(a- ter Mensch, muß nun wirklich einmal entgegengetre- Jahren eine Professionalisierung an. Elisabeth von ler), G(riffelkünstler), B(ildhauer), A(rchitekten), Ge(brauchsgrafi- ten werden.“ 110 Stephani-Hahn - seit 1904 Beraterin des Berliner ker) und We(ber) verwendet er Zusätze in Klammern - wie (In- Kaufhauses Wertheim - hatte 1912 Interieurs gezeigt nenbau) - zur weiteren Diversifizierung. Etliche Architektinnen Auffällig viele der Kunstgewerblerinnen, die bis in die und über Frauen im Kunsthandwerk geschrieben. Sie werden hier als M(alerinnen) geführt, während vielseitige Künst- zehner Jahre regelmäßig auch mit Inneneinrichtungen publiziert in den zwanziger Jahren die „Schaufenster- ler oft ein zusätzliches „A“ führen. Dabei entsteht der Eindruck, und Möbeln öffentlich in Erscheinung getreten waren Kunst“.115 Eine berufliche Chance sieht sie hier jedoch dass Architektinnen nur dann als solche eingruppiert wurden, und sich als Architektinnen etabliert zu haben schie- nur für „besonders starke Frauennaturen“, da auch wenn keine alternative Eingruppierung möglich war. Vgl. bspw. nen, sind im Laufe der zwanziger Jahre verstärkt im die Dekoration zu den umkämpften Bereichen des die Einträge Hans Arp und Sophie Täubner-Arp Bereich Weberei, Wandmalerei und Malerei zu finden. Berufsfeldes zu zählen sei.116 Auch Else Oppler-Leg- 112 Vgl. hierzu Stratigakos, 1999 Es gibt keine numerischen Parameter, anhand derer band und Lilly Reich widmen sich bereits in den zeh- 113 Frieda Lagus tritt nach ihrer Übersiedelung nach Berlin 1914 die Verdrängung der Gestalterinnen bei der Neuord- ner Jahren der Schaufensterdekoration, werden dort nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Zu Elisabeth Nießen und nung des Berufsfeldes ausgezählt werden könnte. aber nur kurzzeitig tätig.117 Margarete Knüppelholz siehe Biografien im Anhang Anhand zahlreicher Hinweise wird die sukzessive 114 Oppler-Legband und Jeß sind - ebenso wie Grete Gehebe (Kas- Verschiebung der Geschlechtergrenze im Berufsfeld Anhand der Breite der hier nur angerissenen Aufga- sel) und Lucy Hillebrand (Mainz) - im Mitgliederverzeichnis des jedoch erahnbar. Anhaltspunkte hierfür lassen sich in benfelder wird deutlich, dass Architektinnen, die zum Deutschen Werkbundes 1928 als Architektin resp. Architektin verschiedenen Periodika finden, bspw. in Dresslers Ende des Kaiserreiches bereits im Berufsfeld tätig (Innenausbau) verzeichnet. Auch in Branchenbüchern der zwan- Kunsthandbuch. Dessen zweiter Band, das „Lexikon waren, im Verlauf der Weimarer Republik höchst fle- ziger Jahre sind vereinzelt Innenarchitektinnen namentlich geli- der lebenden deutschen Künstler, Altertumsforscher, xibel diverse Aufgabenfelder für verschiedene Auf- stet wie z.B. in Berlin Elisabeth Gerstenhauer, Elsa Gidoni, Fia Kunstgelehrten und Kunstschriftsteller” führt auch traggeberInnen bearbeiten, sich für unterschiedlich- von der Heyde, Lene Michels-Fougner, Elisabeth Hahn, aber Architektinnen auf.111 ste Entwurfsaufgaben engagieren und dennoch kaum auch Annemarie Funk (Frankfurt/M.) und Alice Freifrau von Raum für berufliche Etablierungen innerhalb der Ar- Auch wenn das Puzzle an Informationen noch lange Pechstein (München) chitektur finden.118 Wie anhand der skizzierten Wett- kein fertiges Bild ergibt: Manche Kunstgewerblerin- 115 Stephani-Hahn, Elisabeth von: Schaufensterkunst, Berlin, 1919, bewerbsteilnahmen deutlich wurde, suchen Ende der nen, darunter Else Wenz-Vietor, Gertrud Claire Hol- 2.verb. Auflage, 1923, 4.Auflage 1929 - Elisabeth von Hahn: zwanziger Jahre bereits architekturinteressierte Frau- stein, Lotte Schmidt-Klopsch, Leni Klose-Sellschopp Frauen im Kunsthandwerk, in: Eugenie von Soden, 1912. Sie en Zugang zum Berufsfeld, die einer jüngeren, der wenden sich Ende der zwanziger Jahre ausschließ- wird bei Dressler als Berliner Malerin mit Kunststudium in Paris um und nach 1900 geborenen Generation angehören. und London geführt. (Dressler 1930: Malerin, Berlin W 8, Pariser Platz 3, studierte bei Courtois, Paris, Whistler, London, publ., RvbK, VdK, DWB.) Sie selbst firmiert in Berliner Branchenbü- chern als Innenarchitektin. 119 Ab 1930 gibt Margarethe Kaiser in Berlin Die schaffende Frau groß. Dein ist der herrlichste Gewinn, Dir blüht die Welt in Licht 116 Stephani-Hahn, Elisabeth von: Schaufenster-Kunst ein neuer als Zeitschrift heraus. Wann der in den zwanziger Jahren häufig und Farben, Du erntest Deiner Mühe Garben und bist Dir selbst Künstlerberuf, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 13.Jg. verwendete Begriff erstmals verwendet wurde, konnte nicht re- Erlöserin.“ 1927, H.4, S.104-106 cherchiert werden. Aber bereits in Margarete Bruchs Libretto für 120 Taut, Bruno: Die neue Wohnung - die Frau als Schöpferin, Leip- 117 Lilly Reich gestaltete 1911 Schaufenster für Wertheim, 1913 für die Festkantate zur Eröffnung von „Die Frau in Haus und Beruf“ zig, 1924, S.55,57 die Elephantenapotheke in Berlin. 1914 war sie für den ‘Schau- 1912 wird exemplarisch deutlich, dass „die Schaffende“ weniger 121 Innerhalb von vier Jahren erscheinen fünf Auflagen. fenstergang’ im ‘Haus der Frau’ auf der Werkbundausstellung auf Reproduktionsarbeit denn auf Selbstbestimmung zielt: „Aus 122 Nicht nur Verklausulierungen wie die der Erwerbsarbeit als „blo- Köln verantwortlich. tiefer Nächte Dämmerschoß ringt sich´s empor und will zur Son- ße Männerarbeit“ fallen auf. Allzu plakativ werden bspw. auch 118 Zu den Berufsfeldern und Entwürfen vgl. auch Stratigakos, 1999 ne, Du Schaffende in Arbeitswonne wird Deine Seele frei und Fragen der Kosten-Nutzen-Relation abgehandelt.

48 Bilder und Images ‘Schaffende’ oder ‘schöpfende’ Frauen? - ‘Neues Die ‘neue Frau’ der zwanziger Jahre wird häufig mit Bauen’, ‘neue Frauen’ und die ‘neue Wohnung’ modischen Attribuierungen, einem Lebensgefühl oder Bruno Taut publiziert 1924 „Die neue Wohnung - Die Lebensstil assoziiert. Neu an der Lebensrealität vieler Frau als Schöpferin“, wobei der Untertitel auf dem Frauen während der Weimarer Republik ist jedoch 123 Zu den Rezensionen der „Schöpferin“ vgl. Zöller-Stock, Bettina: Cover gleich in sechsfacher Wiederholung, und damit weniger die durch das gesetzlich verankerte Gleich- Bruno Taut, Stuttgart, 1993, S.167f. Zöller-Stock sieht zwischen wie ein endloses Echo erscheint. Im Unterschied zur heitspostulat mögliche politische Partizipation als die der Fertigstellung Taut´scher Siedlungen und den Neuauflagen ‘schaffenden Frau’ - einer Formulierung der Frauen- Erfahrung außerhäusiger Erwerbstätigkeit. der „Schöpferin” einen kausalen Zusammenhang. ibid. S.81 - bewegung119 - ist Tauts ‘Schöpferin’ nicht unbedingt Im Unterschied zu Margarethe Lihotzky, die mit ihren Zur Frage Haus oder Heim vgl. Beer, Ingeborg: Architektur für erwerbstätig. Rationalisierungsvorschlägen im Wohnungsbereich den Alltag. Vom sozialen und frauenorientierten Anspruch der „Welchen eminenten Einfluß die Sinnesänderung der die Reduktion der doppelten Arbeitsbelastung er- Siedlungsarchitektur der zwanziger Jahre, Berlin, 1994, S.182ff. Frau (..) auf das gesamte Ergehen des Volkes ausübt, werbstätiger Frauen fest im Blick hat, möchte Taut 124 Meyer, Erna: Der neue Haushalt, Stuttgart, 1926 kann garnicht hoch genug eingeschätzt werden; denn vermeiden, dass die ‘neue Frau’ dieses ‘Heim’ für ei- 125 Ob Bruno Taut sich „damit explizit an das Kleinbürgertum und um überhaupt erst bessere Wohnungen bauen zu ne außerhäusige Arbeit - „bloße Männerarbeit“ - ver- die Arbeiterschaft wandte“ - wie Bettina Zöller-Stock behauptet können, muß die Frau sie mit allem Nachdruck ver- läßt.129 Der ‘neue Architekt’ sorgt dafür, dass Licht, (Zöller-Stock, 1993, S.78) - scheint mir sehr fraglich. langen. Sonst bleiben (..) alle Bemühungen vergeblich Luft und Sonne in neuen Wohnungsbauten zu ihr in 126 Dieser verbrämte Begriff wird insbesondere von Erna Meyer in und nichts weiter als bloße Männerarbeit.“ 120 Fünf die Wohnung kommen. Die ‘neue Frau’ räumt den ihren Aufsätzen zur Rationalisierung der Hauswirtschaft gerne Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges wie der „Firlefanz“, die von der ‘alten’ Frau in den Privaträu- verwendet und lässt sich noch jahrelang durch die Debatten anschließenden Demobilmachung ist der Bezug auf men präsentierten kunstgewerblichen Gegenstände, verfolgen s.a. Arndt, Konstanze: Weiß, Rein, Klar, Kassel, 1994. das nationale Gewissen nicht unklug gewählt. Ausge- beiseite. Moderner noch, sie bestellt die neuen, platz- Beruf der Hausfrau versus Berufung zur Hausfrau, S.82-87 - rechnet „die Sinnesänderung der Frau“ wird nun zum sparenden Möbel zur Arbeitserleichterung. Von po- Arndt sieht in den Diskursen um die Ästhetisierung und die Hyg- entscheidenden Faktor des Aufbruchs erklärt, die kul- tenten Konsumentinnen lässt sich dieses Reformpro- ienisierung die zentralen Steuerungsinstrumente dieses Prozes- turtragende Vermittlerrolle der (Haus-) Frau verklärt gramm am schnellsten umsetzen. Taut weiß um ma- ses, den Henderson als ‘Redomestizierung’ bezeichnet. und in wirtschaftlichen Krisenzeiten zur Ankurbelung terielle Hürden und Mentalitätsresistenzen, er räumt 127 Dies merken sowohl Zöller-Stock als auch Beer kritisch an. des Wohnungsbaus mobilisiert.121 Mit geschickt ge- dem ‘Übergang’ ein ganzes Kapitel ein. Die eigentli- Dass die Wertschätzung von Frauen bei Taut höchst strategisch wählten Metaphern ist Taut´s Publikation ein Meister- che Botschaft geht jedoch tiefer und sie ist keines- motiviert ist zeigt sich bspw. im Vergleich zu dem 1926 erschie- werk der Rekonstruktion von Geschlechterdifferen- falls modern: Gebraucht wird die Frau im Haus, als nenen Artikel „Der neue Bauherr“: Dieser ist für ihn „der indivi- zen. Retrospektiv fällt der instrumentelle Charakter Kulturträgerin im gesellschaftlichen Leben, nicht so duelle Teil der Gesamtheit, der zu um so größerem Recht kom- seiner Argumentation ins Auge.122 Mitte der zwanziger sehr im politischen Leben, nicht als berufstätige Frau, men soll, je stärker, positiver und bewußter er sein eigenes Le- Jahre fühlen sich jedoch viele Leserinnen unmittelbar und sicher nicht als Erbauerin von Häusern.130 Denn ben in seinem Gehäuse führen kann.“ Taut, Bruno: Der neue angesprochen: „Die neue Wohnung“ findet zahllose aus der Sicht ‘alter’ wie ‘neuer’ Männer verkörpert Bauherr, in: Die Weltbühne, 1926, H.26, S.500-502 Propagandistinnen. Die Attraktivität des - bezüglich ‘die Frau’ - egal ob neu oder alt - in Einheit mit Haus 128 Zöller-Stock wertet das „tauten“ als eine Verflachung der heh- realer Emanzipationsfortschritte höchst zweifelhaften oder Wohnung den „Mittelpunkt des Heimes“ resp. ren Intentionen Tauts zu einem „äußerlichen Sport“. Der Begriff - Bildes der ‘Schöpferin’ zeigt sich an der großen als „ruhender Pol im Haus“ den Gegenpol zu einem „tauten“ ironisiert jedoch auch, dass es sich bei dieser verord- Zahl von Reaktionen und Neuauflagen.123 Zwei Jahre sich „brausend“, „hektisch“ oder „rasant“ entwickeln- neten Selbstverwirklichung eben nicht um selbstbestimmtes später erscheint mit Erna Meyers „Der neue Haus- den Leben der Großstadt.131 Handeln geht. Vgl. dazu Zöller-Stock, 1993, S.85 halt“ eine Art Haushaltsbibel für die neue (Berufs-) 129 „Die Frau mußte bisher dem Hause den Rücken kehren und Der Architekt Taut beschwört nicht die Zusammenar- Hausfrau.124 wendet sich ihm jetzt wieder zu“, so Bruno Taut in seinem „den beit mit Architektinnen sondern mit den Vertreterin- Frauen gewidmet!“ en Vorwort. Der Architekt Bruno Taut sucht Unterstützung für das nen der Hausfrauenverbände, „wenngleich man(n) 130 Tauts ‘neue’ Frau unterscheidet sich von der ‘alten’ weder im „befreite Wohnen“. Er sucht diese Unterstützung ge- hier und da auch ein mitleidiges Lächeln der erfahre- familiären, ökonomischen noch gesellschaftlichen Status: Un- zielt bei Frauen125 und schafft mit dem Identifikations- nen Hausfrau mit in Kauf nehmen muß, die hinter den ausgesprochene Prämisse der konsumptiven Wünsche bleibt angebot „Berufshausfrau“ 126 eine ebenso suggestive Worten nur den zusehenden, aber nicht im Haushalt die materielle Abhängigkeit auf privater Ebene. wie preiswerte Neudefiniton der Hausfrauenrolle. Der arbeitenden Mann leicht herausspürt.“ 132 Mit diesem 131 Simmel, Georg: Weibliche Kultur, Berlin, 1923 - siehe auch: Das bürgerlichen Hausfrau wird mehr Freizeit und eine verlockenden Partizipationsangebot - der Beteiligung Frauenbild in der Architekturdiskussion, in: Beer, 1994, S.96ff. Aufwertung ihrer Person durch mehr Aufmerksamkeit von Frauenvertreterinnen bei Küchenplanung, Woh- 132 Taut, 1924, S.59: „Es entscheidet immer die Tat; die mutige Tat und wissenschaftliche Betrachtung, keine Bezahlung nungsgestaltung und Bauausstellungen - sah die wird Vorbild, bekommt damit Macht und zugleich Recht.“ in Aussicht gestellt. Taut´s Frauenbild mutet nicht nur „Hausfrauenbewegung“ (Alice Simmel) ein neues Be- 133 Henderson, Susan R.: The Revolution in the Woman´s Sphere: traditionell oder restriktiv an.127 Sein Verständnis von tätigungsfeld vermeintlicher Professionalisierung er- Grete Lihotzky and the Frankfurt Kitchen, in: Coleman / Danze / der ‘alten’ wie der - propagierten - ‘neuen’ Frau ist öffnet. Die AutorInnen der Konstrukte „Berufshaus- Henderson (Hg.): Architecture and Feminism, New York, 1996, zynisch: Sie, die bisher durch „unnötigen Respekt vor frau“ und „neue Frau“ stehen dem „Neuen Bauen” S. 221-247. Henderson sieht im Generationenwechsel zu Beginn der Männerarbeit“ innerhalb des Hauses oder der nahe. Bezeichnenderweise nimmt der ‘Reichsverband der Weimarer Republik den Übergang zu einer Dominanz gemä- Wohnung durch Staubwischen „versklavt“ wurde, die Deutscher Hausfrauenvereine’ noch 1924 die Frage ßigter, dann konservativer Strömungen innerhalb der Frauenbe- - „wie mit Alkohol betäubt“ - offenbar nicht bemerk- des Wohnungsbaus auf, wird in Kooperation mit der wegung, in Marie-Elisabeth Lüders (RFG) und Erna Meyer (RDH) te, dass man „ihr einen kleinen Affen an die Brust“ ‘Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit die entscheidenden Protagonistinnen dieser Hausfrauisierungs- gelegt hatte, wird nun die Selbstverwirklichung durch im Bau- und Wohnungswesen’ zum Zentrum der Be- kampagne. Ibid. S.221-222, zum Zusammenschluss von BDF „tauten“ gepredigt.128 wegung zur „Redomestizierung der Frau“.133 und RDH siehe S.226ff.

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 49 Die Rationalisierung der Haushaltsführung definiert tor Taut - durch seine Gehirnhygienebestrebungen - nicht nur neue Normen der Ästhetisierung und Hygie- gezielt Einfluss auf das häusliche Handeln der poten- 134 Vgl. Hagemann, Karen: Of „Old“ and „New“ Housewives: nisierung des Haushalts, sie verspricht auch die Per- tiellen Bewohnerinnen von Siedlungswohnungen neh- Everyday Housework and the Limits of Household Rationalizati- sonalkosten der im Haushalt beschäftigten Angestell- men möchte - „Zu der Körperhygiene muß die Ge- on in the Urban Working-Class Milieu of the Weimar Republik, ten (Frauen) zu senken. Die Identifikationsangebote hirnhygiene hinzukommen“ 137 -, bleibt es das primäre in: International Review of Social History, 41, 1996, S.305-330 sprechen Arbeiterfrauen weniger an. Sie stehen der Ziel des Architekten Taut Siedlungen zu bauen. 135 So Elisabeth Stephani-Hahn in: Neue Frauenkleidung und Frau- Ökonomisierung der Reproduktionsarbeit weit skepti- Ingeborg Beer kommt nach eingehender Analyse der enkultur, 15.Jg. 1928/29, H.4, S.100 scher gegenüber als bürgerliche Hausfrauen. Im Rah- realen Auswirkungen des „sozialen Versprechens des 136 In dem Buch spricht Taut bspw. von Frauen in Arbeiter- oder men ihrer Erwerbsarbeit haben sie in mechanisierten neuen Bauens“ auf die „Neue Frau“ zu dem Schluss: bürgerlichen Haushalten, nie von neuen oder alten Arbeiterin- und normierten Produktionsprozessen bereits die „Obgleich die Avantgarde mit ihrem Programm an nen, neuen oder alten Damen, etc. Licht- und Schattenseiten der Rationalisierung ken- der gesellschaftlichen Realität scheiterte, hat sie 137 Taut, 1924, S.60 nengelernt. Ihre Skepsis richtet sich dabei weniger - gerade durch ihre sozialen Intentionen - für den ver- 138 Beer, 1994, S.203 gegen arbeitsreduzierende Abläufe als gegen arbeits- änderten Alltag des städtischen Lebens und des pri- 139 Ibid., S.203 - „Und so relativierten sie die Ansprüche der Avant- ’schöpfende’ ästhetische Standards, zumal die mei- vaten Wohnens in den zwanziger Jahren den garde“, Ibid., S.181. S.188 behauptet Beer, dass sich manche sten Haushaltsgeräte für ArbeiterInnenhaushalte öko- Fortschritt gesetzt. Sie erzielte gewaltige Verbesse- der professionellen Hausfrauen „um dieser Relativierung willen“ nomisch unerreichbar bleiben.134 Aber auch bürgerli- rungen in der Wohnqualität. (..) Wenngleich es nicht - der Abmilderung der Sachlichkeit in den Wohnräumen - im che Hausfrauen machen die Erfahrung, dass „die vie- gelang, mit dieser Entwicklung auch die Antizipation Wohnungsbau eingemischt hätten. Auch Zöller-Stock macht An- len technischen Apparate, die der Hausfrau angebo- von gesellschaftlichen Freiräumen von Frauen zu ver- fang der dreißiger Jahre eine Gegenbewegung und Frauen aus, ten werden (..) durchaus nicht alle Zeit- und Raumer- knüpfen (..) Man legte weitgehend Wert auf die haus- „die sich nun in ihrer alten Rolle um so hingebungsvoller aller sparnisse bringen.“ 135 frauliche Mitbestimmung (..) und suchte jenseits der Verantwortung zur Selbstfindung zu entziehen gedachten.“ Taut plädiert für eine Rationalisierung der Küchenar- Arbeitssphäre die Erfüllung ihrer Wünsche.“ 138 Zöller-Stock, 1993, S.85 - Die anhand der Wohnungsgestaltung, beit, nicht jedoch für eine räumliche Minimierung der hier insbesondere der „Schöpferin“, ausgetragene Debatte um Auch Beer erliegt dem Programmtext, wenn sie zu Küchen. Er unterscheidet seine Frauen nach Käufe- Selbst- und Fremdbestimmung von Frauen während der Wei- dem Erklärungsmuster greift, dass der die Frauen rinnenschichten, bietet Beispiele für bürgerliches und marer Republik bedarf offenbar noch weiterer, genauerer Analy- betreffende Teil des Programms des ‘Neuen Bauens‘ proletarisches Wohnen. Er verspricht keine Gleich- sen unter Einbeziehung der jeweiligen Interessenlagen. an „gesellschaftlichen Realitäten“ und insbesondere heit, lässt soziale Unterschiede jedoch hinter dem 140 Wie bspw. Konkurrenzreduktion auf dem Arbeitsmarkt und un- an den (Haus-)Frauen gescheitert sei.139 Die Gleich- Begriff ‘Frau’ zurücktreten.136 Sein Buch suggeriert bezahlte Reproduktionsleistungen setzung programmatischer Parteilichkeit mit Partei- eine Art Jungbrunnen für alle ‘Schöpferinnen’: Durch 141 Volland, Gerlinde: Avantgarde ohne Frauen. Die weitgehende nahme amalgamiert konsumptive, psychologische ein face-lifting der Wohnung eröffnet es jeder Konsu- Abwesenheit von Frauen in den Organisationen des Neuen und politische Wünsche. Aus dem Blick geraten die mentin die Chance, zur ‘neuen Frau’ zu werden. Die Bauens. in: Lichtblick, Hamburg, 1989, S.14-18, hier S.151 strategischen Gesichtspunkte des Geschlechterdis- bebilderten Vorschläge hierzu kommen - wie in einem 142 Arndt, 1994, S.69 kurses. Rezeptbuch - aus der „Schöpferin“. Während der Au- 143 Ibid., S.86

vorher Umgestaltungsvorschlag für ein ‘bürgerliches Wohnzimmer’, Bruno Taut, 1923 nachher

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50 Bilder und Images Durch die Aussicht auf die Reduktion der Reproduk- nach Erfordernissen, Wünschen und Bedürfnissen bei tionsarbeit birgt die Rationalisierung des Haushaltes der Küchenplanung.144 Die öffentliche Debatte um die zwar auch das Versprechen, Selbstbestimmungspo- Küche war zwischenzeitlich solch sachlichen Argu- tentiale von Hausfrauen zugunsten einer Partizipation menten jedoch kaum mehr zugänglich. In der zweiten am politischen, gesellschaftlichen und Erwerbsleben Hälfte der zwanziger Jahre äußern nun auch liberale freizusetzen. Gerade diesen Effekt der Modernisie- Herren Bedenken gegen die ideologische Stilisierung rung gilt es jedoch offensichtlich zu vermeiden, wenn der Küche zum „Heiligtum der Frau“. „Ich glaube, die nun denkbaren außerhäusigen Aktivitäten freige- das, was die Frau und Mutter dem überarbeiteten setzter Hausfrauen über verlockende Angebote irra- Manne und den Kindern geben soll, liegt doch zum Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tionaler „Selbsterfüllung“ diskursiv kanalisiert, in ge- großen Teile außerhalb der Küche“, schreibt Alfred ordnete, konsumptive Bahnen und zurück zu Familie Fischer 1927 in Stein Holz Eisen.145 und Wohnung gelenkt werden. Solange Reprodukti- Die ‘Frankfurter Küche’ war auf knappstem Raum als onsarbeit - kulturschaffende Frauenarbeit - von be- Arbeitsküche erwerbstätiger Frauen konzipiert. Bür- zahlter Berufsarbeit getrennt gedacht wird, bleiben gerliche Hausfrauenvertreterinnen lehnten raumspa- männliche Interessen gewahrt, Privilegien gesichert.140 rende Lösungen u.a. deshalb ab, da sie in der Größe Dass ein aus patriarchaler Perspektive konsequent der Küche auch den Stellenwert der Reproduktions- durchdachter Modernisierungsschub des Wohnungs- arbeit repräsentiert sehen wollten: „Vergleiche mit baus ausgerechnet bei der Aufwertung der dezentra- den Mitropa-Küchen haben für Haushaltungen keine len „Wohnung als Arbeitsstätte der Hausfrau“ an- Geltung“.146 Auch Architektinnen planten Küchen und setzt, ist demnach kein Zufall. Die ideologische Neu- ergriffen für die eine oder andere Küchenform Partei. definition der Berufshausfrau zielt weit weniger auf So favorisierten bspw. Liane Zimbler (geb. 1892) und die proklamierte Aufwertung der ‘Hausfrau’ als auf Ada Gomperz (geb. 1884) die ‘Wohnküche’, Margare- Die ‘Frankfurter Küche’, Margarete Schütte-Lihotzky, 1925 die Absicherung ihres Gegenstücks: den ‘Berufs- te Lihotzky die abgeschlossene, Lilly Reich die offene mann’. ‘Einbauküche’. Norkauer, Böhm und Wendelmuth Zu einem Zeitpunkt, wo politische Partizipation von setzten auf Rationalisierung durch Elektrifizierung. 144 Briggs, Ella: Küchen, in: Handwörterbuch des Wohnungswe- Frauen nicht mehr gesetzlich ausgeschlossen ist, de- Die öffentliche Debatte über die Küche als solche sens, Leipzig, 1930, S. 451 ren materielle Abhängigkeit von Männern schwindet, spiegelt unterschiedliche, konkurrierende Lebensmo- 145 ‘Außerhalb der Küche’ meint nicht unbedingt außerhalb der kurzum: die Geschlechterhierarchie ins Wanken zu delle wider: für die einen schlicht notwendiger Pro- Wohnung. Auch Fischer geht davon aus, dass die Frau den Ra- geraten droht, wird die Programmatik einer [hier von duktionsraum, für die anderen Zentrum der Hausar- tionalisierungsgewinn nicht etwa für sich behält sondern „ge- Herren] reklamierten Teilhabe [hier von Frauen] als beit oder gar symbolischer Lebensmittelpunkt.147 Als ben soll“. Fischer, Alfred: Wohnen als Lebensäußerung, in: Stein Konstruktionsfehler des Programms sichtbar. Die ver- 1928 auf der Münchner Ausstellung „Wohnung und Holz Eisen, 1927, H.23, S.500, zitiert nach Beer, 1994, S.155 meintlichen ProfiteurInnen des Programms sind nicht Hausrat“ die Küche ins Zentrum der Ausstellung 146 Was wir Hausfrauen nicht wollen, in: Frau und Gegenwart, 1928, bei den InitiatorInnen zu finden. Und jenseits des re- rückt, werden 14 Küchen in Musterwohnungen und H.5, S.12 klamierten Fortschritts bleiben die Eigeninteressen 20 in Zusammenarbeit mit Frauenverbänden ent- 147 So kommt bspw. Henderson zu dem Urteil „Es ist ironisch, daß der InitiatorInnen ungenannt. Dies lässt den instru- wickelte Küchen vorgestellt. 1929 präsentiert die Ar- eine politisch engagierte Lihotzky die Küche eher als Motor ei- mentellen Charakter des Unterfangens erahnen. chitektengruppe „Der Ring“ die Wanderausstellung ner Veränderung als ein Ausdruck einer großangelegten Redo- „Die neue Küche“.148 Damit wird die Planungsaufgabe mestizierung zu sehen schien.“ Henderson, 1996, S.245 Dass die Antizipation von Frauen im Berufsfeld nicht Küche zwischen abgesteckten, hochemotionalen 148 Vgl. hierzu auch Beer, 1994, S.133ff. im Interesse der Avantgarde lag, stellte Gerlinde Vol- Lagern für Architektinnen zum ‘heißen Eisen’.149 Nur 149 Sabine Plakolm-Forsthuber vermutet, „daß dem Berufszweig der land bereits 1989 fest.141 Konstanze Arndt stellte 1994 zu Beginn dieser Debatte war es Grete Lihotzky 1925 `Küchenarchitektin´ ein gewisser Stellenwert zukam“, da Ada die These auf, dass das emanzipative Frauenleitbild in Frankfurt gelungen, in Zusammenarbeit mit Haus- Gomperz als ‘Küchenarchitektin’ bei den Soroptimists aufge- für die Zwecke des Neuen Bauens instrumentalisiert frauenverbänden die ‘Frankfurter Küche’ zu entwik- nommen wurde. (Plakolm-Forsthuber, 1994, S.246) Die ‘Erfin- worden sei.142 Sie bewertete das Konzept der Ratio- keln. Sobald Vertreter von Berufsverbänden wie auch dung’ der ‘Küchenarchitektin’ könnte jedoch den Clubstatuten nalisierung privater Haushalte als „doppeltes Diszipli- die Protagonisten des ‘Neuen Bauens’ in Zusammen- geschuldet sein, aufgrund derer nur jeweils eine Vertreterin ei- nierungsinstrumentarium“ zur Nivellierung aller Frau- arbeit mit Hausfrauenverbänden diese Planungsauf- nes Berufes aufgenommen werden konnte. Als Architektin ge- en zu Hausfrauen, dessen besonderes Vermögen es gabe für sich reklamieren, bleiben Architektinnen hörte diesem Club bereits Liane Zimbler an. sei, „diese Degradierung als Befreiung und die ge- außen vor. 150 Taut, 1924, S.104 schlechtliche Ungleichheit als Gleichberechtigung 151 Zöller-Stock kommt zu der Bewertung, dass es sich hierbei um erscheinen zu lassen.“ 143 Taut hatte sein Buch mit der eingängigen Formel „Regieanweisungen“ (S.81) handele, möchte das Buch aber „Der Architekt denkt - die Hausfrau lenkt!“ beschlos- „In keinem Raum der Wohnung zeigt sich so stark - trotz seiner „despektierlichen Haltung“ im Unterton und „tradi- sen.150 Was aber macht diesen Legitimationsdiskurs die geänderte Baugesinnung, die an Stelle schlecht tionellem Rollenverständnis“ - als persönliche Leistung Taut´s so glaubhaft, so ‘vermögend’, dass Frauen während entworfener Großräumigkeit gut geplante Kleinheit zur Verbesserung der Lebensumstände von Frauen gewertet der Weimarer Republik Architekten so gerne denken setzt, wie in der Küche. Der neuzeitliche Architekt wissen. (S.80 ff., insb. S.82) Auch Beer erkennt Taut - trotz und lenken lassen? Dass die Hausfrau macht, was entwirft die Küche ebenso wie er einen Fabrikarbeits- ebenfalls kritischer Anmerkungen - eine Vorreiterrolle nicht nur der Architekt sagt?151 Was macht das Versprechen raum entwerfen würde“, beschreibt Ella Briggs 1930 beim Siedlungsbau, sondern auch bei der Entlastung der Frau der neuen Wohnung so attraktiv, dass die Mehrheit die Planungsaufgabe sachlich und sie unterscheidet von der Hausarbeit zu. Beer, 1994, S.97

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 51 der Frauen es mit der Teilhabe am gesellschaftlichen und vollzieht den biologistischen Zirkelschluss: „Zur Fortschritt verwechselt, auch wenn sich damit keiner- Lösung solcher Aufgaben gehört unbedingt außer lei konkrete Aussicht auf reale oder politische Teilha- Kenntnis hauswirtschaftlich-praktischer und hygieni- be verbindet? Dass selbst Jahrzehnte später For- scher Forderungen, die an eine Wohnung zu stellen scherinnen kaum in Erwägung zu ziehen wagen, dass sind, ein starkes Einfühlungsvermögen und ein ge- dies lediglich ein Versprechen, vielleicht sogar die fühlsmäßiges Erfassen menschlicher Wesenszüge, Gegenseite ein und desselben Programms war?152 Verständnis für Raumschönheit und ihre Eigengeset- 152 Auch angesichts der prononcierten Ergebnisse ihrer detaillierten ze und ein taktvolles Wissen um den Zusammen- Analysen der realen Auswirkungen stellt Beer die Glaubwürdig- Außerhäusige Erwerbsarbeit bot verheirateten Frauen klang von Menscheneigenart und Raumeigenart. Sind keit der emanzipatorischen Programmteile nicht in Frage. Trotz - im Unterschied zu verheirateten Männern - keinerlei das nicht Voraussetzungen, die ganz besonders eine ihrer Kritik, dass Taut in der „Frau als Schöpferin“ die Arbeitstei- Aussicht auf Entlastung bei der Reproduktionsarbeit. Frau erfüllen kann?“ 158 lung zwischen den Geschlechtern nicht grundsätzlich in Frage Sie führte angesichts niedriger ‘Frauenlöhne’ nicht stelle, sondern weibliche Wesenszüge und damit die Frauen unbedingt in die finanzielle Eigenständigkeit bzw. Un- Auch Architektinnen und Architekten bringen gele- selbst verantwortlich mache, weist auch sie den [Haus]-Frauen abhängigkeit von Familie oder Männern. Und im Un- gentlich Menscheneigenart und Raumeigenart in Ein- die Verantwortung für das Scheitern zu. Beer, 1994, S.98 terschied zu Männern versprach die außerhäusige Er- klang. Sie tun dies in der Regel auf der Basis einer 153 Zumal bürgerliche Gatten ihren Status durch eine Berufstätigkeit werbstätigkeit für Frauen keineswegs automatisch ei- Ausbildung und verdienen damit ihren Lebensunter- der Gattin i.d.R. eher gefährdet denn gestützt sahen. ne spürbare Anerkennung in Familie oder im Beruf. halt. Nachdem sich Architekten - angesichts ökono- 154 Musterbeispiele geschlechtsspezifischer Diffamierung zur Steu- Weder für verheiratete Frauen, die gesetzlich auf die mischer Krisen - Mitte der zwanziger Jahre verstärkt erung des Arbeitsmarktes sind neben ‘Demobilmachungen’ Zustimmung ihrer Gatten angewiesen waren, noch für den bezahlten Aufgaben der Wohnungsgestaltung auch Kampagnen gegen vermeintliche ‘Doppelverdiener’, wie ungebundene Berufsfrauen, die in Arbeitsverhältnis- zuwenden und in öffentlichkeitswirksamen Koalitio- sie auch Anfang der zwanziger Jahre geführt wurden. sen die Erfahrung realer Ungleichbehandlung machen nen mit Vertreterinnen von Hausfrauenverbänden und 155 Hierdurch konnte nicht nur das Schreckgespenst außerhäusiger konnten, war Erwerbsarbeit uneingeschränkt erstre- unbezahlten Wohnungsgestalterinnen den Markt er- Arbeit, sondern das für bürgerliche Gattinnen ohne Berufsaus- benswert.153 Da die Modernisierung des Geschlech- obern, finden sich Architektinnen der ersten Genera- bildung durchaus risikoreiche Infragestellen der eigenen, abhän- terdiskurses auf die Abwertung beruflicher Leistun- tion in einer mehrfach konkurrierenden Position wie- gigen Position in einer Versorgerehe vermieden werden. gen wie des Images berufstätiger Frauen zielt - Ver- der: Im Bereich der Innenarchitektur konkurrieren sie 156 Die Bezeichnung „Schöpferin“ - für den gezielten Erwerb resp. dienste und Verdienstlichkeiten auf „bloße Männerar- gegen Kollegen, Möbelzeichnerinnen und unbezahlte das Arrangieren oder ‘Abmöbeln’ bestimmter Einrichtungsge- beit“ beschränkt bleiben soll - bleibt der soziale wie ‘Schöpferinnen’. Im Bereich des Wohnungsbaus genstände - wird zum zentralen Begriff des Suggestivromans. gesellschaftliche Status erwerbstätiger Frauen labil.154 - als dem ihnen von einer skeptischen Öffentlichkeit 157 Marcus, Käte: Die Wohnung der alleinstehenden Frau, in: Neue Wie verlockend klang da das Angebot, als unbezahlte am ehesten zugestandenen Tätigkeitsfeld - kommen deutsche Frauenzeitschrift, 2.Jg., H.5, 1927 S.2ff. „Wohnungsgestalterin“ gesellschaftlich wichtig zu sie bei Privataufträgen nur vereinzelt zum Zuge.159 158 „Die Wohnungsgestaltung ist ein Aufgabengebiet, das fast in sein? Hausfrauen versprach die Aufwertung ihrer Und wie ein Echo auf „Die Frau als Schöpferin“ liest jeder Frau Echo weckt. Nicht umsonst haben die Bauausstellun- häuslichen Tätigkeit die Möglichkeit, ihren eigenen sich das vier Jahre später erschienene „Die Frau als gen, insbesondere ihre Abteilungen für Innenarchitektur, und die Sozialstatus wie familiäre Konstellationen nicht kon- Künstlerin“ (1928). 1908 hatte der Kunstkritiker Karl vielen Bücher und Broschüren, die in oft sehr schönen Bildern fliktträchtig in Frage stellen zu müssen.155 Auch ab- Scheffler unter dem Titel „Die Frau und die Kunst“ vom inneren und äußeren Wandel des Hauses im letzten Jahr- hängig beschäftigte Berufsfrauen konnten sich mit dem weiblichen Geschlecht fast jede schöpferische zehnt künden, ihren Hauptanklang bei Frauen gefunden.” En- der „Schöpferin“ identifizieren. Barg dieses Verspre- Fähigkeit abgesprochen und kategorisch jede profes- gel, Annemarie: „Die Wohnungsgestaltung als Aufgabe der chen doch die verlockende Aussicht, die subalterne sionelle künstlerische Tätigkeit von Frauen abgelehnt. Frau“ in: Frau und Gegenwart, 29.Jg., 1.Heft, Oktober 1932, Berufsarbeit in Form vermeintlich selbstbestimmten Hans Hildebrandt, ebenfalls Kunstkritiker und wie S.1-2 - Auch Engel erwähnt Architektinnen oder professionelle Konsums in der eigenen Wohnung zu kompensie- Westheim dem ‘Neuen Bauen’ besonders zugetan, Wohnungsgestalterinnen mit keiner Silbe. ren.156 Und der Siedlungsbau der zwanziger Jahre bil- teilt offenbar Schefflers - damals noch offen misogyn 159 Einzig Briggs gelingt 1929 die Errichtung eines Beamten-woh- det - dank der Faszination des neuen Bauens - den formulierte - Argumentationen, wählt jedoch den nungsbaus. Ein weiteres Siedlungsprojekt für die Primus AG im gesellschaftlichen Fortschritt so nachdrücklich ab, Sprachduktus Westheims. Demnach sind - laut Hil- Wedding bleibt Papier. Auch Winkelmann, die in Vorbereitung dass es wahrlich schwer fällt, bei einer Bilanzierung debrandt - diese „seltenste[n] Ausnahmen“ an Archi- eines Siedlungsbaus Ende der zwanziger Jahre stadtplanerische gleich die Hälfte der BewohnerInnen als potentielle tektinnen auch nach zwanzig Jahren immer noch neu Vorarbeiten für ein Gebiet in Britz übernommen hatte, kann kei- Verliererinnen dieser Modernisierung auszumachen. in diesem Fach, „weil nicht allzu viele Frauen sich ne Siedlung errichten. Auch Käthe Marcus erliegt Ende der zwanziger Jahre das Zeug zur Baukünstlerin zutrauen“.160 Kaum weni- 160 Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künstlerin, Berlin, 1928, S.145. in der ‘Neuen Deutschen Frauenzeitschrift’ der Versu- ger zynisch liest sich seine Einschätzung der Rolle Er erachtet nur vier Architektinnen einer Erwähnung wert: Ella chung, die Mieterin mit der Erfinderin der Wohnung der Architektin bei der Küchenplanung: „So vermag Briggs, Lux Guyer, Margarete Knüppelholz-Roeser und Marlen zu verwechseln: „Die Wohnungsfrage ist im wesentli- auf einem bescheidensten, dennoch unendlich wich- Moeschke-Poelzig. Im Zusammenhang mit Innenarchitektur chen eine Frauenfrage. Das Heim ist nicht nur die Ar- tigen Gebiete die Architektin den männlichen Mitbe- oder Möbeln erwähnt er Alexe Altenkirch, Sophie Arp-Täuber, beitsstätte der Hausfrau, nicht nur der ‘ruhende Pol’ werber aus dem Felde zu schlagen.“ 161 Sonia Delaunay-Terk und Lilly Reich. für die Berufsfrau, es ist auch im weitesten Sinne das 161 Ibid., S.151 - „Sie wissen als Frauen ja soviel besser Bescheid Wir erinnern uns an das Hase-und-Igel-Spiel 1912. Werk der Frau.“ 157 Was berechtigt aber, in der Woh- um die tausenderlei offenen und geheimen Wünsche der mit der Beraten von Walter Gropius erwähnt der mit einer nungseinrichtung eine besondere „Aufgabe der Frau” Führung des Haushalts betrauten Frau (..) und sie denken mit Künstlerin verheiratete Hans Hildebrandt die in den zu sehen? fragt Annemarie Engel 1932. Die Frage ist ihren Geschlechtsgenossinnen an zahllose Kleinigkeiten, an die zwanziger Jahre tätigen Architektinnen nur höchst berechtigt. Frau Engel stellt sie jedoch nur rhetorisch ein Mann nicht denkt, weil er sie übersieht oder gar nicht ahnt.“ unvollständig und deutet die Kriterien seiner Auswahl

52 Bilder und Images an, wenn er schreibt: Diese Frauen „denken (..) an Im Verlauf der Recherchen verstärkte sich jedoch der keinen unfruchtbaren Wettstreit mit dem Manne im Eindruck, dass die meisten Architekturstudentinnen Großbau (..) dies ist ihr besonderer Vorzug“.162 Den- der Weimarer Republik bereits ein Abitur besaßen, noch befürchtet er offenbar, dass der „unfruchtbare” den Weg ins Berufsfeld über ein akademisches Stu- Wettstreit nicht mit [s]einem Diktum erledigt sein dium suchten. Erst nach dem ersten Weltkrieg ist die könnte, und zitiert hier Scheffler nahezu wörtlich: gesellschaftliche Liberalisierung so weit fortgeschrit- „Gewiß hat keine der heute wirkenden Architektinnen ten, dass Schikanen und Verhinderungsstrategien ge- mit kühner Führergebärde der Baukunst unbekannte genüber Studentinnen an Technischen Hochschulen Ziele gewiesen. Allein dies ist auch nicht ihres Am- inakzeptabel werden. Das sog. Professorenprivileg, tes.“ 163 Hildebrandt verweist Frauen in Gestaltung demzufolge Lehrende über die Zulassung von Teil- und Architektur auf subalterne Tätigkeiten im Verbor- nehmerInnen an ihren Veranstaltungen frei entschei- genen und „mancherlei Kunstgewerbe“.164 den konnten, fällt dennoch erst 1923.166 Der Zugang zu technischen Studienfächern war somit für Studen- tinnen erst ein Jahrzehnt nach ihrer gesetzlichen Zu- lassung annähernd gesichert. Die Vorbehalte von Sei- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ten der Lehrenden gegenüber Studentinnen waren in Als akademisches Fach an Technischen Hochschulen diesen zehn Jahren jedoch weniger geschrumpft als verankert, konnte Architektur ohne Abitur nur an Bau- gewachsen, auch wenn viele Lehrstühle, ja ganze Fa- gewerke- bzw. Kunstgewerbeschulen, vereinzelt an kultäten noch keine Studentinnen qualifiziert hatten. Akademien studiert werden. Auch das 1919 neuge- Die Studentinnenzahlen wachsen zu Beginn der Wei- gründete Bauhaus verlangte kein Abitur als Zugangs- marer Republik deutlich an, insbesondere die Flug- voraussetzung. Wie bereits während der Kaiserzeit zeugtechnik verzeichnet bei Studentinnen eine signi- finden auch während der Weimarer Republik archi- fikante Steigerung der Nachfrage. Bei der Zahl der tekturinteressierte, selbstbewusste junge Frauen in Neuimmatrikulationen für Architektur steigt der Anteil Deutschland manches Mal höchst individuelle Wege der Studentinnen jedoch nur sehr langsam. Er beträgt ins Berufsfeld. Während die Studentinnen der Kaiser- 162 Ibid., S.145 um 1930 reichsweit knapp einhundert ordentlich im- zeit noch deutlich nach Durchlässigkeiten, ‘Lücken’ in 163 Ibid., S.155 matrikulierte Studentinnen pro Studiensemester und einem ihnen unzugänglichen System suchten, infor- 164 „Alles in allem: ein Sichbehaupten der Frau in sämtlichen Stel- liegt damit noch unter der Anzahl der Jurastudentin- mieren sich die um die Jahrhundertwende geborenen lungen, die sie von früher her inne hat; ein entschlossenes Ein- nen.167 Architekturaspirantinnen über das Spektrum an Stu- rücken in jene Stellungen, die der Mann verläßt, weil er, heute dienmöglichkeiten, wählen - soweit möglich -Hoch- Geht mensch - mit Wierling - davon aus, dass sich in der Architektur und der Technik vor allem zugeneigt, sich mit schule und -lehrer nach inhaltlichen Kriterien und in- den Studentinnenzahlen eines Faches auch die ‘Ab- mancherlei Kunstgewerbe nicht mehr zu befassen gewillt ist, dividuellen Interessen aus. Abiturientinnen haben da- schreckungsfaktoren’ der Fakultäten spiegeln, so kä- das ihn vor kurzem noch höchst wichtig bedünkte.“ Ibid., S.157 bei die Wahl zwischen acht Architekturfakultäten an me der Architektur angesichts dieses Zuwachses der 165 Carola Hilsdorf, 1920-24 KGS München (vgl. Arnold, 1993, Technischen Hochschulen innerhalb des Deutschen höchste Abschreckungsfaktor zu, könnten die Archi- S.418), Dorothea Lennartz, HGS Rheydt, (vgl. ibid., S.423), Käte Reiches. Ohne Abitur bleiben sie auf Akademien und tekturstudentinnen im Vergleich mit der Gesamtheit Mai, ab 1925 VS Berlin, (vgl. HdKA, Bestand 8, Nr.146), Lucy Fachschulen angewiesen. der Studentinnen dieser Generation als die gänzlich Hillebrand, (vgl. Kap.1, FN 28), Asta Stromberg (vgl. Günther, ‘Unerschrockenen’ charakterisiert werden.168 1989, S.126), Hela Jöns u.a. HWS Kiel, (vgl. Dolgner, 1993, Wie viele architekturinteressierte Studentinnen wäh- S.533), Sophie Schlichtherle und Ilse Hoerda VS Berlin, HWS rend der Weimarer Republik außerhalb technischer Die Gesamtzahl der in Deutschland ordentlich imma- Dortmund, (vgl. Biografie Behrmann), Paula Marie Canthal u.a. Hochschulen Ausbildungsmöglichkeiten suchten und trikulierten Architekturstudentinnen an Technischen KGS Offenbach, (vgl. Biografie Canthal), Hertha Borchmann, nutzten, lässt sich bisher nicht einmal annähernd Hochschulen dürfte für den Zeitraum von 1919 bis u.a. Burg Giebichenstein, (Schreiben Dolgner vom 7.7.1998), quantifizieren, womit auch die Zahl aller architekturin- 1933 nach meiner Schätzung ca. 500 betragen. Ins- Lotte Tiedemann, VS Berlin, (vgl. Kap.7, FN 158) teressierten Studentinnen der Weimarer Republik un- gesamt studierten - unter Berücksichtigung ausländi- 166 Dass dieses Privileg - durch die Weimarer Verfassung ohnehin beziffert bleiben muss. Zu diesen außerhalb Techni- scher bzw. nicht reichsdeutscher Studentinnen sowie obsolet - 1923 noch abgeschafft werden muss, deutet auf den scher Hochschulen - wie außerhalb des Bauhauses - der bisher bekannten Gasthörerinnen - weit mehr, vorherigen Missbrauch als affirmative Nische der erbitter-sten ausgebildeten Architekturstudentinnen in den zwanzi- nämlich ca. 900 Studentinnen Architektur. ‘Gegner des Frauenstudiums’. ger Jahren zählen bspw. Carola Hilsdorf ebenso wie Für Architektur immatrikulierten sich 1920 im Deut- 167 Angesichts dessen, dass Jura aufgrund der offensiv frauenfeind- die Mitte des ersten Jahrzehnts geborenen Dorothea schen Reich insgesamt 43 Studentinnen, 1930 mit 97 lichen Haltung des Berufsstandes sowohl bzgl. der Studiensitu- Lennartz, Käte Mai und Lucy Hillebrand; Asta Strom- bereits mehr als doppelt so viele. In Relation zu der ation als auch der Berufsaussichten von Frauen als besonders berg (geb. 1908) sowie Leonie Behrmann, Paula Ma- im Verlaufe der zwanziger Jahre deutlich ansteigen- abschreckend galt: „Dabei war z.B. die Diskriminierung bei den rie Canthal, Ilse Hoerda, Sophie Schlichtherle und den Gesamtzahl aller Studentinnen an Hochschulen Juristen so offensichtlich, daß sie von vornherein die Studentin- Hela Jöns, die alle dem Geburtsjahrgang 1909 ange- und Universitäten betrug der Anteil der Architektur- nenzahlen niedrig hielt.“ Wierling, 1990, S.374 hören. Überwiegend während der Weimarer Republik studentinnen jedoch nie mehr als 5,6 Prozent. 168 Das für Frauen aussichtsreichste wie beliebteste akademische absolvierten u.a. auch Hertha Borchmann und Lotte Fächerprofil waren bis in die 1950er Jahre die überwiegend an Tiedemann (beide geb. 1910) ihr Architekturstudium Somit studierte zeitweise jede 20. aller in Deutsch- den Universitäten angesiedelten geisteswissenschaftlichen Fä- außerhalb akademischer Hochschulen erfolgreich.165 land immatrikulierten Studentinnen Architektur. Unter cher, die zum Abschluß „pro facultate docendi“ führten.

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 53 den Studentinnen an Technischen Hochschulen Studenten geben einen Einblick in das Spektrum an stellten die Architekturstudentinnen die zweitgrößte Vorurteilen, das über die Gesellschaftspresse repro- Gruppe dar - in der Regel nach den Lehramtsstuden- duziert wird. Hier zeigt sich die Wirkmächtigkeit des tinnen naturwissenschaftlich-mathematischer Fächer. öffentlichen Diskurses, dem die Studentinnen argu- Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mentativ wie durch reales Verhalten zu entkommen der Frauenanteil auch insgesamt verschwindend ge- suchen. Die Vehemenz mit der sich Studentinnen ge- ring blieb und innerhalb der Studienrichtung Architek- gen diese Vorurteile verteidigen, spiegelt die Schärfe tur im gesamten Zeitraum nur rund drei Prozent der Konfrontation wider. betrug. Burchardt zeigt anhand der Medizinstudentinnen des Architekturstudentinnen der Weimarer Republik un- Kaiserreiches, dass der ‘Blaustrumpf’-Vorwurf die terscheiden sich auf den ersten Blick nur unwesent- Kleidungsgewohnheiten so stark beeinflusste, dass lich von Studentinnen anderer Fächerpräferenzen der das Klischee ‘Blaustrumpf’ übergangslos von der gleichen Generation. Sie lassen sich - einer Charak- Etikettierung ‘Modestudentin’ abgelöst wurde.171 An- terisierung von Edith Jacoby-Orske aus dem Jahre dererseits konstatiert sie eine Entsolidarisierung unter 1929 folgend - als selbstbewusste Großstädterinnen den Kommilitoninnen, die sich im Bestreben um Nor- beschreiben: „Der Großstädterin der gleichen sozia- malität zunehmend assimilieren resp. an Kommilito- len Klasse sind gewisse Interessen gemeinsam: Mo- nen orientieren.172 de, Sport, rationelle Hauswirtschaft, Theater, Film, Der geschärfte Blick für geschlechtsspezifische Zu- Lindsey und die moderne Jugend, die vollkommene schreibungen und Projektionen zieht auch während Ehe usw. Die Großstädterin liest (..) Fast eine jede der Weimarer Republik Trennungslinien zwischen durchfliegt regelmäßig die Tageszeitung, die Illustrier- Studentinnen. Asta Hampe, Elektrotechnikstudentin te, das Frauenblatt, den aktuellen Roman. (..) Sozio- an der TH Berlin und Mitbegründerin der Vereinigung logie, Psychologie, Sexualwissenschaft.” 169 der Ingenieurstudentinnen stellt 1931 klar: „An der Studentinnen der Weimarer Republik verfügten in der Technischen Hochschule Berlin studierten (..) z.B. im Regel über die Hochschulreife und den familiären Sommer 1930 88 Frauen gegenüber 4764 Männern. Rückhalt, der die notwendige Finanzierung einer aka- Von diesen 88 waren aber nur 14 ‘richtige’ stud.ing, demischen Ausbildung sicherte. Begrenzte familiäre 24 Architektinnen, die übrigen studierten allgemeine Budgets schränkten die Fächerwahl manches Mal Wissenschaften.“ 173 ein. Unabhängig von den - als schlecht eingeschätz- Hildegard Harnisch-Niessing beschreibt 1930 den ten - Berufsaussichten zu studieren, verbot sich für Weg der „Frauen in der Technik“ schon quasi histo- risikoscheue Studentinnen. Architekturstudentinnen risch zurückblickend. „Automobil und Flugzeug ka- stammen denn auch auffallend häufig aus Familien, men zu einer Zeit, als die Frau wie aus einem unwirk- deren finanzielle Ressourcen eine Absicherung der lichen Traum erwachend, die Last jahrhundertelangen Tochter über das Studium hinaus erlaubte. Schon 169 Jacoby-Orske, Edith: Die Frauen in der Kleinstadt, in: Neue Vorurteils abschüttelte, sich ihres Körpers bewußt hierdurch sind sie nicht unbedingt repräsentative Ver- Frauenkleidung und Frauenkultur, 15.Jg., Heft 14, v. 15.4.1929, wurde und Gymnastik und Sport ganz und freudig treterinnen dieser Studentinnengeneration. S.413 bejahend, den reinen Genuß eines gesunden, unbe- 170 Goebel, Gerhart: „frl.stud.ing. setzt sich durch“ in: Scherl´s Ma- Was aber unterscheidet darüberhinaus technikinter- lasteten Körpers und das Glück aus eigener Kraft er- gazin, 1931, S.172ff. Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke essierte Studentinnen der Weimarer Republik von der zielter sportlicher Leistungen zum ersten Male ken- ich Kerstin Dörhöfer. Mehrzahl der geisteswissenschaftlich orientierten nenlernte. - Mit der schrittweisen Weiterentwicklung 171 Burchardt, Anja: Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? Studentinnen der gleichen Generation? der Frauenbewegung fielen mehr und mehr die Wi- Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896- derstände und Hemmungen, die jeder solchen Bewe- Nun da sie nicht mehr völlig vereinzelt studieren, wer- 1918, Stuttgart, 1997 gung (..) mehr oder weniger lange und heftig entge- den Technikstudentinnen nicht mehr als individuelle 172 Dies zeigt Burchardt am Beispiel der Abgrenzung von russi- genstehen, so daß später die Frau im Auto und end- Ausnahmeerscheinung sondern als ‘Typen’ wahrge- schen Medizinstudentinnen während der Kaiserzeit auf. lich die Frau im Flugzeug und am Fallschirm nichts nommen. Als spezieller Typus der Studentin werden 173 Goebel, 1931, S.177 Unmögliches mehr bedeutete.“ 174 sie ‘Gegenstände’ öffentlicher Geschlechterdiskurse. 174 Harnisch-Niessing, Hildegard: „Frauen in der Technik“ in Tech- Artikel wie bspw. „frl. stud.ing. setzt sich durch!“ er- Diese Darstellung der zunehmenden Partizipation von nik und Kultur, der Zeitschrift des Verbandes Deutscher Diplom- scheinen.170 Auch wenn die Überschrift den Anschein Frauen in den Ingenieurwissenschaften als einer na- Ingenieure, zitiert nach Abdruck in der ‘schaffenden Frau’, H. 9, erweckt, eine zunehmende Normalität zu beschrei- türlichen Entwicklung des Fortschritts zeigt eine Fa- (Juni) 1930 - Sie studierte ab Mitte der zwanziger Jahre Maschi- ben, de facto geht es nur am Rande um die realen cette des Selbstverständnisses dieser Generation nenbau an der TH Charlottenburg. Möglichkeiten oder Schwierigkeiten dieser Studen- technikinteressierter Frauen. Harnisch-Niessing er- 175 1929 hatte Harnisch-Niessing, kurz vor dem Ende ihres eigenen tinnen als vielmehr um Projektionen und Konstruktio- wähnt die in der Berufsberatungsliteratur immer wie- Studiums, bereits in ‘Die Frau’ die Möglichkeiten eines Ingeni- nen der ‘Interviewten’. Erörtert wird in diesem Artikel der betonte Aussichtslosigkeit für Ingenieurinnen mit eurstudiums von Frauen emphatisch beschrieben. Die Frau die Frage, ob sich Ingenieurstudentinnen durchsetzen keiner Silbe.175 Sie stellt sich jedoch auch nicht selbst veröffentlichte 1929 unter der Überschrift „Unbekannte Frauen- werden. Die Stellungnahmen von Studentinnen und als frauenbewegte Ingenieurin dar, die selbstbewusst berufe“ eine Serie über das Berufsleben von Frauen.

54 Bilder und Images studierend und arbeitend dem gesellschaftlichen Um- Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter bruch ihre beruflichen Möglichkeiten abgewinnt. Sie nicht auf eine bürgerlicher Frauenbewegung, sondern erzählt eine Art Märchen, in dem „die Frau“ mit Kör- auf die Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten und perbewusstsein dank „Weiterentwicklung der Frauen- Begabungen vertrauen. Risikobereit nehmen archi- bewegung“ und technischem Fortschritt „wie aus ei- tekturinteressierte Studentinnen ein Studium auf, nem unwirklichen Traum erwachend“ am Fallschirm dessen Berufsaussichten als bedenklich gelten. Sie vom Himmel fällt. räumen damit ihren Neigungen Priorität ein. Im Wis- sen um ökonomische Verflechtungen hoffen sie auf In der Presse findet sich um 1930 die Forderung, eine entspanntere wirtschaftliche Lage für „weibliche nach dem Vorbild des „Ottilie-von-Hansemann-Hau- Architekten“. ses” mehr Studentinnen-Wohnheime zu errichten, da im „Wohnungsproblem der Studentin“ die zentrale Die Architekturstudentinnen während der Weimarer Hürde für das Studium läge. Andere vertrauen auf die Republik sind um die Jahrhundertwende geboren. „rasanten Entwicklungen im Frauensport“, da Frauen Die im folgenden näher dargestellten Gruppen der nur aufgrund mangelnder „Schwindelfreiheit“ vom Ar- Bauhaus- bzw. Tessenowstudentinnen umfassen chitekturstudium bisher Abstand genommen hätten. Frauen der Geburtsjahrgänge 1893-1913. An dieser relativ großen Zeitspanne wird deutlich, dass die Al- Das Verhältnis von Geschlechterdiskurs, Gleichheits- tersstruktur der Architekturstudentinnen in den zwan- postulat und realen Partizipationsmöglichkeiten wäh- ziger Jahren noch inhomogen ist, auch etwas ältere rend der Weimarer Republik ist nur schwer zu fassen. Studentinnen die nun gebotenen Möglichkeiten nut- In großer zeitlicher Nähe zum gesetzlichen Gleich- zen.178 heitsgebot entfaltet der polare Geschlechterdiskurs seine Wirkmächtigkeit offenbar neu, ‘wesens’spezifi- Das Architekturstudium, dessen Kosten und beson- sche Zuschreibungen werden internalisiert und dabei dere Voraussetzungen Emilie Winkelmann bereits auch von Frauen im öffentlichen Diskurs (re)produ- 1913 als selektiv darstellte, war grundsätzlich privat ziert und reifiziert. Gerade in optimistischen Darstel- zu finanzieren. Dass es damit noch nicht allen Töch- lungen technikorientierter Studentinnen zeigt sich ein tern aus gutem Hause offen stand, werden unter- seltsamer Plausibilisierungs-Mix aus ‘harten Fakten’ schiedliche Durchsetzungsstrategien einzelner Bau- und ‘weicher Weiblichkeit’. Vermeintlich frauenspezi- haus- und Tessenow-Studentinnen verdeutlichen. Die fische Defizite und Eigenschaften gelten als historisch Architekturstudentinnen der Weimarer Republik kom- überwindbar, Partizipation soll quasi sportlich umge- men aus Elternhäusern, die einem technischen Stu- setzt werden. Auch die Architektin Hilda Krebs ver- dium der Tochter - aus welchen Gründen auch immer traut auf das technische Zeitalter: „Die Forderung der - offen resp. liberal gegenüberstanden oder sich den gleichen Schulbildung für Jungen und Mädchen ist ja besonderen Durchsetzungsstrategien der Tochter - ganz allgemein geworden, und unser technisches zumindest nach einiger Zeit - nicht mehr verweiger- Zeitalter tut ein übriges, um auch in der weiblichen ten. Dass diese Frauen sich für ein solches Studium Generation den Sinn für die Technik zu wecken. (..) entschieden, verweist nicht nur auf das besondere Wenn diese Generation von weiblichen Architekten kulturelle Kapital, das sie mit diesem Studium erwer- - die fast unter denselben Umständen wie ihre männ- ben wollten, sondern auf ihren bereits vor Studienbe- lichen Kollegen ausgebildet wurden - im Berufe steht, ginn vorhandenen kulturellen Background.179 Hier- wird sich zeigen, ob sie weiter eine Ausnahme bilden durch ist das Selbstbewusstsein zu erklären, mit dem wird, oder ob sie sich dieses Gebiet erobert.“ 176 sich diese Studentinnen im Hinblick auf ein Berufs- feld akademisch ausbilden lassen, in dem es zu die- Diese Generation von Studentinnen, die unter „fast“ sem Zeitpunkt nur sehr wenige erfolgreiche Frauen denselben Umständen wie die Kommilitonen studiert, gibt. vertraut auf ihre eigenen Chancen, hofft, im Berufs- leben keine Ausnahme mehr zu bilden. Der Anteil er- Diese Haltung kennzeichnet sie als moderne Frauen: 176 Krebs, 1928, S.72 werbstätiger Architektinnen liegt während der Wei- Sie verstehen sich als Mitglieder einer Gesellschaft, 177 „Von allen akademischen Berufen war es wohl der Architekten- marer Republik jedoch noch weit unter dem Studen- die Frauen und Männern nicht nur nach der Weimarer beruf, der sich der Frau am schwersten erschloß. Schon viel tinnenanteil. Und der fromme Wunsch gleicher Chan- Verfassung gleiches Wahlrecht sondern auch gleiche früher wurden Frauen zum medizinischen und juristischen Stu- cen im Berufsfeld zeigt, dass manche bereits erah- Möglichkeiten eröffnet. Sie schöpfen die Chancen dium zugelassen.“ Ibid. nen, dass es in der Architekturpraxis auch um massi- nach subjektiver, individueller Interessenlage, nach 178 Um 1930 läßt sich eine Angleichung des Alters der Studienan- ve Interessen bei der Verteilung materieller Ressour- ihren Fähigkeiten und Neigungen aus. fängerinnen feststellen. Vgl. Kap.6 cen und realer Handlungsmöglichkeiten geht.177 179 Kulturelles Kapital - im Sinne Bourdieus - das die Studentinnen Manche Facetten der bildhaften Attribuierungen, die im Laufe ihrer Sozialisation und Vorbildung bereits erworben Deutlich wird, dass Technikstudentinnen dieser ‘Wei- in den zwanziger Jahren im Diskurs um die moderne hatten. Dieser These werden wir im Kapitel 7 nachgehen, wenn marer Generation’ im technischen Fortschritt oft den Frau als ein bestimmtes Frauenbild, als idealisierter der Einfluß des Studiums auf die Berufseinstiege, die weitere Motor gesellschaftlicher Entwicklung sehen, bei der neuer Frauentyp insbesondere in den Zeitschriften Lebensplanung erkennbar wird.

Frauen und Bauen in der Weimarer Republik 55 ihren Niederschlag finden, lassen sich bei etlichen erfolgreicher Abschluss in Form eines Diploms ein der Architektur- und Ingenieurstudentinnen wiederfin- ernsthaftes Interesse an Architektur bzw. dem Beruf den. Sie reisen viel und weit, lenken Personenkraft- der Architektin erkennen lässt. Somit wurden Gast- wagen, treiben Sport, sind politisch und kulturell in- studentinnen ebenso erfasst wie Studienabbrecherin- teressiert und informiert, tragen oft Kurzhaarfrisuren nen oder Studienortswechslerinnen. Im Laufe der Re- und bequeme Kleidung. Weit mehr als die visuellen cherchen wurde auch deutlich, dass manche ‘Tesse- Zuschreibungen und ökonomisch privilegierten Ac- nowstudentin’ architekturgeschichtlich bspw. als ‘Bo- cessoires dieses modernen Lebens, kennzeichnet die natzschülerin’ bezeichnet werden könnte und sich Architekturstudentinnen dieser Generation jedoch, nicht für jede ‘Schülerin’ ein Studium beim Meister dass sie in der Regel die - in der Generation ihrer nachweisen lässt. Mütter kaum vorstellbaren - Möglichkeiten nicht nur Als ‘architekturinteressierte Bauhaustudentin’ - der als zeitgebundene Erscheinungsform adaptieren, zumeist selbstreferentiell verwendete Begriff ‘Bau- sondern als reale Option in ihrem eigenen Lebens- häuslerin’ wurde gemieden - werden Studentinnen entwurf slebstbewusst umsetzen. am Bauhaus zwischen 1919 und 1933 bezeichnet, bei denen während des Studiums eine Ambition für Architektur erkennbar ist oder wird. Angesichts der Zur Definition der Begriffe ‘Tessenowstudentin- geringen Anzahl diplomierter Studentinnen zeichnete 180 Von Tessenow wurden in der von ihm selbst geführten Kartei nen’ und ‘Bauhausstudentinnen’ sich ab, dass der Begriff ‘Bauhaus-Architektin’ - ein- 614 Namen von Studentinnen und Studenten vermerkt (1926- Da im Rahmen dieser Untersuchung erst anlysiert gegrenzt auf Bauhausdiplomandinnen - zu eng ge- 1944). Dies ist das Resultat einer vollständigen Erfassung aller wird, in wieweit sich Studentinnen verschiedener fasst wäre, Architektinnen wie bspw. Friedl Dicker, Namen auf Vorder- und Rückseiten dieser Karten, die teilweise ‘Schulen’ mit den ihnen während der Ausbildung na- Lotte Stam-Beese oder Kattina Both nicht erfassen auch mehrfach Verwendung fanden. Doppelnennungen wurden hegebrachten Haltungen, Traditionen und Berufsbil- würde. Deshalb wurden unter der Hypothese, dass gestrichen. Es bleiben verschiedene Ungenauigkeiten, die bisher dern identifizieren, werden die Begriffe ‘Tessenow- näher zu bestimmende Hindernisse einem auch for- nicht definitiv ausgeräumt werden konnten. Manche Karten tra- studentin’ resp. ‘Bauhausstudentin’ verwendet. mal qualifizierenden Architekturstudium am Bauhaus gen allerdings nur einen Familiennamen und keinerlei Hinweise im Wege gestanden haben könnten, zunächst alle Grundsätzlich bezeichnet im folgenden der Begriff auf Semester und/oder Arbeiten. So bleibt unklar, ob diese Stu- Studentinnen berücksichtigt, in deren Studium, Um- ‘Tessenowstudentin’ alle Studentinnen, die im Semi- dentInnen nach einer Vorsprache tatsächlich in das Seminar feld oder späterer Biografie ein deutliches Interesse nar von Heinrich Tessenow zwischen 1926 und 1940 Tessenow eintraten. Bei 40 Einträgen ist kein Vornamen ver- an der dreidimensionalen Gestaltung erkennbar wur- nachweisbar sind. Hierfür wurde zunächst die ‘Schü- merkt, manche Vornamen sind nicht eindeutig als Student oder de. Somit gerieten von über 400 namentlich erfassten lerkartei’ Tessenows zugrunde gelegt.180 Diese um- Studentin zu identifizieren. Bei 34 der 614 Namen konnten je- Bauhausstudentinnen fast 90 ins Blickfeld. Die 52 fasst insgesamt 614 Namen, worunter sich 34 als doch eindeutig Studentinnen identifiziert werden. Studentinnen, für die ein Architekturinteresse nach- Studentinnen identifizieren ließen. Diese Namen wur- 181 Die Werkbiografien wurden auch dann im Anhang dieser Arbeit weisbar ist, wurden - ebenfalls mit unterschiedlichem den um drei weitere ergänzt, mit unterschiedlichem aufgenommen, wenn nur wenige Daten und Fakten recherchiert Erfolg - recherchiert, ihre Werkbiografien im Anhang Erfolg recherchiert. Dabei wurde unterstellt, dass be- werden konnten. aufgenommen.181 reits ein solches Studium, nicht nur ein nachweisbar

56 Bilder und Images 4 Architektur- interessierte Studentinnen am Architekten, Bildhauer, Maler, - wir alle müssen zum Bauhaus Handwerk zurück! Denn es gibt keine „Kunst von Beruf“. „Gegen Ausbildung von Architektinnen spre- Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler chen wir uns grundsätzlich aus.“ (61) - Archi- und dem Handwerker. 1 tekturinteressierte Studentinnen unter Gropius Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. (62), Meyer (71), Mies van der Rohe (73) - Fami- liäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Wer studierte Architektur am Bauhaus? (78) - Woh- nungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was stu- dierten Studentinnen am Bauhaus? (84) - Stu- Sommer 1930 tritt der Architekt Mies van der Rohe diendauer und Studienerfolge (91) - Studiensi- (1886-1969) seinen Dienst als Architekturlehrer und tuationen - Studienklima (94) - Als Studentin am dritter Direktor des Bauhauses zum Oktober 1930 an. Bauhaus (99) - Resümee (104) Nachdem der Dessauer Gemeinderat am 22. August die Schließung zum 30. September verfügt hatte, zieht das Bauhaus - nun als private Schule - zum Das Bauhaus, 1919 in Weimar durch den Zusammen- Herbst 1932 in ein ehemaliges Fabrikgebäude in Ber- schluss der Akademie und der Kunstgewerbeschule lin-Friedenau. Ein halbes Jahr später kommen die als Staatliches Bauhaus gegründet, existiert bis zu Lehrenden einer drohenden Schließung durch die seiner Auflösung 1933 in Berlin keine 14 Jahre. Spiri- Nationalsozialisten zuvor: Am 20.4.1933 wird die tus rector ist der gerade aus dem ersten Weltkrieg Schule durch Beschluss der Lehrenden aufgelöst. zurückgekehrte Architekt Walter Gropius (1883-1969), Zu Beginn der Weimarer Republik und nach dem En- 1 Gropius, Walter: Manifest und Programm des Staatlichen Bau- der 1919 als Direktor berufen wird. Als der Thüringi- de eines Weltkrieges zieht das neugegründete Bau- hauses in Weimar, 1919, wie es gleichlautend auch in „JA! Stim- sche Landtag 1924 nur die Hälfte der beantragten haus in Weimar die unterschiedlichsten Studierenden men des Arbeitsrates für Kunst“ erschien. Vgl. Akademie der Mittel genehmigt und der Meisterrat daraufhin gegen an. Mara Auböck [geb. Utschkunowa] erinnert Jahr- Künste (Hg.): Arbeitsrat für Kunst Berlin 1918-1921. Katalog, Jahresende die Auflösung des Bauhauses in Weimar zehnte später: „1918 in der Kunstakademie in Wei- Berlin, 1980, S.31 beschließt, siedelt das Bauhaus nach Dessau über.2 mar (..) als diplomierte Meisterschülerin, erlebte ich 2 Offizieller Arbeits- resp. Unterrichtsbeginn in Dessau 1.4.1925, Zum Oktober 1925 beginnt dort der Unterricht in pro- die Ereignisse, die 1919 die Kunstakademie zum Richtfest März 1926, Einzug Ateliertrakt Juli 1926, Einzug Werk- visorisch hergerichteten Räumlichkeiten. Mit Inbe- Bauhaus umgestalteten. (..) 1919 war es soweit: Die stätten Oktober 1926, Einweihung Bauhaus-Neubau Dessau am triebnahme des Neubaus im Juli 1926 wie dem Ein- Akademie wurde Bauhaus, die Professoren - Meister, 4./5.12.1926 zug der Werkstätten zum Wintersemester 1926/27 die Ateliers - Werkstätten. Das war die äußere Seite 3 „Die neue politische Lage brachte es mit sich: Architekt Walter kann wieder von einem regulären Schulbetrieb ge- des Geschehens. Aber das Wesentliche bestand in Gropius, ein bahnbrechender Bauingenieur (sic) und ausge- sprochen werden. Auch ein weiterer wichtiger Schritt einer Explosion von ca. 200 jungen Menschen, die zeichneter Diplomat, gelang das Kunststück, dem Herzog wie in der Etablierung der Schule erfolgt zum Oktober das ‘Neue’ witterten und stürmisch sich darin versu- dem Direktor der Akademie nahezulegen sich in Frieden zu ent- 1926: Das Bauhaus wird Hochschule für Gestaltung, chen wollten.“ 3 Und Tut Schlemmer, die das Haus fernen.“ undat. Brief von Mara Auböck an Herrn M. Hassiminski kann damit Diplome vergeben. als Meistergattin zwischen 1921 und 1929 ebenfalls (in den 1960er Jahren). Ich danke Maria Auböck für den Hin- Zum Sommersemester 1927 wird eine Architekturab- erlebte, betont auch drei Jahrzehnte später noch die weis. - Direktor der Kunstakademie Weimar war Fritz Macken- teilung gegründet, die der Architekt Hannes Meyer Rolle der Studierenden: „Auch die Meister waren sen. Er hatte bereits 1915 versucht, Gropius als Leiter einer (1889-1954) leitet. Er wird 1928 zum Direktor ernannt, Magneten, aber das Bauhaus hätte sich nicht bis zur Architekturklasse nach Weimar zu berufen. als Walter Gropius das Bauhaus verlässt. Nach der Idee verkörpern können, wenn diese Schüler nicht 4 Tut Schlemmer, Vortrag am 8.7.1961, abgedruckt in Neumann, politisch motivierten Entlassung Hannes Meyers im gewesen wären.“ 4 Eckhard (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler, Köln, 1985, S.227

Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 57 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

5 Im WS 1932/33 sind im Bau/Ausbau 54 Studierende und 4 Hos- pitierende immatrikuliert. (2. Semester: 6 S[tudierende], 1 H[o- sp-tant]; 3. Semester: 11 S, 1 H; 4. Semester: 11 S, 1 H; 5. Se- mester: 13 S, 1 H; 6. Semester: 13 S, 2 H; 7. Semester: 6 S) 6 Sommersemester 1928: 121 männliche, 45 weibliche, 129 inlän- Das Bauhausgebäude in Weimar. Blick auf die Ateliers der, 37 ausländer (bauhauszeitschrift 2/3, 1928, S.32) 7 Obwohl ForscherInnen seit den 1960er Jahren mehrfach Zahlen und Namen der BauhausstudentInnen rekonstruierten, steht ei- Diese Magnete hießen zunächst Von den zwischen September 1929 und April 1933 ne einheitliche und differenzierte Statistik der ‘besterforschte- (1866-1944), Lyonel Feininger (1871-1956), Johannes insgesamt 131 verliehenen Bauhaus-Diplomen wur- sten’ Schule immer noch aus. Auch nach einer Erfassung aller Itten (1888-1967) und Oskar Schlemmer (1888-1943); den 25 an Studentinnen vergeben, davon 17 im Be- Studierenden aus Einschreibebuch und veröffentlichten Listen in späteren Jahren auch (1866-1944), Josef reich Weberei, nur vier im Bereich Bau/Ausbau. Ins- bleibt nach Abgleich von Heiratsnamen die Schwierigkeit, dass Albers (1888-1976) und László Moholy-Nagy (1895- gesamt waren jedoch fast zwei Drittel aller vergebe- häufig keine Angaben zur Studiendauer ermittelbar sind. In Ab- 1946). Damit unterrichteten am Bauhaus mehrheitlich nen Bauhaus-Diplome, nämlich 81, Diplome im Be- hängigkeit des Einschreibebuches - hier trugen sich die Studen- freie Künstler. Architektur gehört zunächst nicht zu reich Bau/Ausbau.9 Nach offiziellen Quellen studieren tInnen i.d.R. selbst ein -, und des von der Verwaltung geführten den angebotenen Studienfächern. Architektur wird je- zwischen 1927 und 1933 lediglich 16 Studentinnen Immatrikulationsbuches resp. den Prüfungs- und Werkstattlisten doch bereits im Gründungsmanifest als die führende, im Bereich Bau-/Ausbau. Von den insgesamt über unterliegen die jeweils ermittelten Zahlen erheblichen Schwan- zusammenführende Disziplin und als „Endziel aller 450 Studentinnen interessieren sich jedoch mehr als kungsbreiten. Diese Differenzen basieren auf unterschiedlich ge- bildnerischen Tätigkeit“ proklamiert. Ein Architektur- 50 - und damit weitaus mehr als Listen und Statisti- handhabten Erfassungsmodalitäten (u.a. bei Außensemestern, studium wird am Bauhaus erst 1927 möglich. Die er- ken ausweisen - für die räumliche Gestaltung. Darü- Praktika u.ä., bei Übertritten von HospitantInnen zu HörerInnen). sten Bauhaus-Diplome werden ab Herbst 1929, die ber hinaus wenden sich etliche Bewerberinnen an Außerdem fanden die Ein- und Austritte nicht immer deckungs- meisten Diplome im Bereich Bau/Ausbau ab 1930 das Bauhaus in der Absicht Architektur zu studieren. gleich mit den Semestern statt. Wingler behauptete, dass nicht unter dem Direktorat Mies van der Rohes ausgestellt. mehr als 1250 Studierende insgesamt am Bauhaus studierten - Am Bauhaus werden Studierende im Hinblick auf ein Im Verlauf der drei Direktorate entwickelt sich das 600 in Weimar, 650 in Dessau und Berlin. Wingler, Hans Maria: neuartiges Verständnis von Gestaltung unterwiesen. Bauhaus von einer Kunstgewerbeschule mit Architek- Das Bauhaus, Bramsche, 1963, S.151 Im Sinne dieser Suche nach dem Neuen sollten sie in turanspruch zu einer Architekturschule mit weiteren 8 Rechnerisch sind dies 37%. Dietzsch, Folke: Die Studierenden einem obligatorischen Vorkurs ein Semester lang ihre Studienfächern: Im letzten Semester des Bauhauses, am Bauhaus, Dissertation Weimar, 1990, Anlage 6, S.293 - Wahrnehmung schulen, sich selbst und ihre gestalte- im WS 1932/33 studieren mehr als die Hälfte der Stu- Dietzsch führt 29 Studierende „nach Abschluß der Datenbank“ rischen Fähigkeiten erproben.10 Im Vorkurs unter Lei- dierenden - 66 von 114 - architektonische Fächer.5 und 108 Studierende „ohne genaue Quellen“ auf, ibid. II, S.290- tung von Johannes Itten betreiben Studierende Na- 292. Hierin sind Doppelnennungen (u.a. Heiratsnamen) und Ver- Unter den Ausbildungsinstitutionen der Weimarer Re- turstudien, analysieren Werke alter Meister. Dabei wechslungen enthalten. publik ist das Bauhaus für Studentinnen offensicht- wird zumeist flächig gearbeitet. 9 Damit wurden weniger als 20% aller Diplome, weniger als 5% lich besonders attraktiv: Hier immatrikulieren sich we- „Das Aufregendste aber waren die Vorkursstudien“, der Bau-/Ausbau-Diplome an Studentinnen vergeben. Hier wur- sentlich mehr Frauen als an Technischen Hochschu- erinnert Mara Auböck die Vorlehre bei Itten: „Dieser den die von Folke Dietzsch ermittelten Zahlen zugrunde gelegt. len, zeitweilig sogar mehr als an Kunstgewerbeschu- Kurs hatte geradezu magische Wirkung - alle schlos- Da Annemarie Wimmer jedoch schlussendlich kein Diplom er- len. Der Studentinnenanteil liegt im ersten Jahr nach sen sich begeistert an. (..) Es lag pädagogische Ge- hielt, wurde ihr - als Nr.101 geführtes - Diplom abgezogen. Gründung mit fast der Hälfte aller Studierenden (über niaität in der Art des Lehrens, aus dem augenblickli- 10 Nach dem Weggang Ittens (1923) wird der Vorkurs 1924 auf 45%) signifikant hoch. Um 1928 sind nur noch ein chen Zusammentreffen neue Themen, neue Interes- zwei Semester verlängert. knappes Drittel der 166 Studierenden Studentinnen.6 sen anzuregen. (..) Das Wichtigste war diese Vielheit 11 Brief von Mara Auböck an M. Hassiminski, vgl. FN 3 An den Bauhäusern in Weimar, Dessau und Berlin der Eindrücke.“ 11 12 Moholy-Nagy, László: Vom Material zur Architektur,(Bauhaus- studieren zwischen 1919 und 1933 - incl. der 278 Als 1923 László Moholy-Nagy Leiter der Grundlehre buch) Passau, 1929, reprint (Neue Bauhausbücher) Mainz, 1968. HospitantInnen - mehr als 1200 Studierende.7 Folke wird, erteilt er für das zweite Semester den Kurs Zur Illustration verwendet er überwiegend Erstsemesterarbeiten. Dietzsch legte 1990 eine Dokumentation der archi- „Material und Raum“. Die Aufgabenstellungen sind Die Datierung dieser Arbeiten zeigt, dass Studentinnen diese vierten StudentInnendaten vor. Er dokumentierte die nun dementsprechend dreidimensional. In seinem räumlichen Aufgabenstellungen ab 1923 bearbeiteten. Dabei Namen von 465 Studentinnen zwischen 1919 und Buch „Vom Material zur Architektur“ (1929) betont werden auch Studentinnen genannt, die in offiziellen Dokumen- 1933 unter insgesamt 1258 Studierenden, was einem Moholy-Nagy die Wichtigkeit der Vermittlung elemen- ten des Bauhauses nicht nachweisbar sind. Anteil von mehr als einem Drittel entspricht.8

58 Architekturinteressierte Studentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

13 An Akademien und Technischen Hochschulen setzten Reform- bestrebungen überhaupt erst in den 20er Jahren ein. Dort glie- derte sich das Studium - getrennt nach Fächern - in ein zweijäh- riges Grund- und ein dreijähriges Hauptstudium. 14 Walter Gropius, 1919, reprint, Akademie der Künste, 1980, S.30 15 Weberei, Buchbinderei und Töpferei waren nicht im Besitz des Das Bauhausgebäude in Dessau. Links das Schulgebäude, rechts das ‘Prellerhaus’, dazwischen die Kantine. Bauhauses. Für die Töpferei wurde in Dornburg ein kooperieren- der Betrieb gefunden. Sie blieb damit außerhalb angesiedelt, die Leitung wurde Gerhard Marcks unterstellt. Die Weberei wurde tarer räumlicher Zusammenhänge in der Vorlehre. Er innert Konrad Wachsmann als „Handwerkseuphorie einschließlich der Handwerksmeisterin Helene Börner aus der verwendet Studienarbeiten - darunter fünf von Stu- des Bauhauses“.16 Studierende wurden ab 1920 ver- Staatlichen Kunstgewerbeschule übernommen, die in Börners dentinnen - zur Illustration.12 Im Vorkurs bei Josef A- pflichtet, einen Lehrvertrag über eine - in der Regel Besitz befindlichen Webstühle kostenfrei genutzt. Als ‘Form- lbers, er unterrichtet ab April 1925, experimentieren dreijährige - Handwerkslehre abzuschließen.17 Im Un- meister’ fungierte der Maler Georg Muche. Studentinnen wie Studenten mit unterschiedlichen terschied zu den Handwerkerschulen, die auf eine bi- 16 „Vielmehr schockierte mich jedoch die Handwerkseuphorie des Materialien, deren Eigenschaften und Strukturen. Ne- näre Ausbildungsstruktur setzten, wurden diese Leh- Bauhauses (..) die Besinnung auf das Handwerk? Freilich do- ben Zeichnungen und Collagen entstehen bei diesen ren innerhalb des Bauhauses absolviert. Die Werk- zierte Gropius, daß die Werke aller großen Kunstepochen einem Übungen auch Plastiken aus unterschiedlichsten stätten am Bauhaus waren jedoch nur mit sehr be- souverän beherrschten Handwerk zu verdanken seien, daß der Materialien. grenzten Kapazitäten ausgestattet, zumal sie auch Künstler eine Steigerung des Handwerkers sei. Ich aber war produzieren und an verschiedenen Bauprojekten mit- Lehraufbau und Themenstellungen des Bauhausstu- Handwerker und glaubte begriffen zu haben, daß die Zeit des wirken sollten. Die Leitung der Bauhauswerkstätten diums waren nicht unbedingt einmalig. An Kunstge- Handwerks vorbei ist.“ Gruening, 1986, S.142. Konrad Wachs- wurde Künstlern - „Formmeistern” - übertragen, die werbeschulen gab es bereits in den zehner Jahren mann (1901-1980) weilte 1921 besuchsweise am Bauhaus. selbst keine handwerkliche Ausbildungen durchlaufen Naturstudium und Werkstattunterricht. Und vor dem 17 Die handwerkliche Ausbildung war damit unmittelbar an das hatten. Ihnen waren die jeweiligen Handwerksmei- Hauptstudium in einer Fachklasse war auch hier ein Studium gebunden. Die Gesellenprüfung musste jedoch bei der sterInnen unterstellt. Obschon die Bedeutung von Vorkurs zur Wahrnehmungsschulung zu absolvieren.13 örtlichen Handwerkskammer abgelegt werden. handwerklicher Arbeit und Lehrausbildung ab 1923 Die Singularität des Bauhauses bestand damit weni- 18 So bspw. Wera Meyer-Waldeck und Annemarie Wimmer. Buch- deutlich abnahm, schlossen Studierende auch in der ger im Lehrangebot als vielmehr in der Eigenwillig- binderei und Glasmalerei wurden bereits 1923 eingestellt, die Dessauer Zeit noch Lehrverträge ab.18 Ab 1922 legten keit, mit der neue Lehrformen und -inhalte von Leh- Töpferei anlässlich des Umzuges nach Dessau aufgegeben. Am BauhausstudentInnen Gesellenpr-fungen vor der ört- rern wie Itten, Kandinsky, Moholy-Nagy und Schlem- Bauhaus Berlin wurden keine Werkstätten mehr eingerichtet. lichen Handwerkskammer ab. Nur in der Weberei war mer, sowie Albers und Klee umgesetzt wurden. 19 Bis 1923, d.h. unter der Leitung von Itten, finden wir dort Stu- keine Gesellenprüfung vorgesehen. dentinnen. Nach dem Weggang Ittens obliegt die Werkstattlei- Mit „Das Endziel (..) ist der Bau!“ schreibt Gropius die Studentinnen studieren am Bauhaus häufig, jedoch tung Kandinsky. Erst als 1925 Hinnerk Scheper die Leitung der Maxime jedes Architekten ins Gründungsmanifest. nicht ausschließlich in der Werkstatt für Weberei. So Wandmalerei übernimmt, finden wir dort wieder Studentinnen. - Architektur ist Chefsache, der Direktor unter den Mei- finden wir in der Werkstatt für Wandmalerei bspw. Lis [Elisabeth, Thusnelde] Abegg (geb. 18.8.1899 Tübingen) stern der einzige Architekt. In diesem Manifest ideali- 1919 Elisabeth Abegg und Dörte Helm, 1920 Dolly schließt zum 6.10.1919 einen Lehrvertrag in der Dekorationsma- siert er auch die mittelalterliche Bauhütte: „Architek- Borkowsky, Louise Berkenkamp und Margarete Vier- lerei ab. (SBW, Sign.150, Bl. 534) - Dolly Borkowsky (geb. 16.5. ten, Bildhauer, Maler, - wir alle müssen zum Hand- eck.19 Sie alle schließen einen Lehrvertrag, jedoch 1900 Naumburg) unterzeichnet zum Sommersemester 1920 ei- werk zurück! Denn es gibt keine `Kunst von Beruf´ - fast nie die Lehre ab.20 Ruth Hildegard Raack nimmt nen Lehrvertrag in Buchbinderei und studiert daneben Bühnen- Kunst entsteht oberhalb aller Methoden, sie ist an 1922 an Kursen dieser Werkstatt teil. Während der bild. (SBW, Sign.150, Bl. 768) - Margarete Viereck (geb. Schön, sich nicht lehrbar, es sei denn durch das Beispiel, Dessauer Zeit sind ab 1928 bspw. Margarete Leite- 5.11.1898 Ernsthof), studiert ab dem Sommersemester 1919 am wohl aber das Handwerk.“ 14 ritz, ab dem Herbst 1929 Maria Müller Studierende Bauhaus, wo sie nach der Grundlehre zum Sommersemester Auch wenn die Definition zunftgemäßer Ausbildungen der Wandmalereiwerkstatt. Auch in der Metallwerk- 1920 in die Druckwerkstatt eintritt, im folgenden Wintersemester wie das Prüfungsrecht nach wie vor ausschließlich statt unter Naum Slutzky arbeiten Studentinnen. Ab einen Lehrvertrag in Wandmalerei abschließt. (Dietzsch, 1990) - bei den Handwerkskammern liegt, werden für die dem Wintersemester 1919 studieren dort bspw. Kä- Zu Helm und Berkenkamp vgl. Biografien im Anhang. Ausbildung von Künstlern als „Steigerung des Hand- the Reiche, aber auch Elisabeth Hauck, ab Herbst 20 Die Zahl der Studienabbrecherinnen unter den Lehrlingen der werkers“ am Bauhaus Werkstätten für Steinbildhau- 1921 die erst 15jährige Erika Hackmack, ab dem Wandmalerei ist auffällig hoch. Lediglich Dörte Helm schließt die erei, Tischlerei, Glas- und Wandmalerei, Metall, Töp- Sommersemester 1923 Erika Marx, ab dem Winter- Lehre mit der Gesellenprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk fern, Buchbinden und Weben eingerichtet.15 Dies er- semester 1924 die 29jährige Lili Schultz und die am 6. Mai 1922 vor der Innung in Weimar ab.

am Bauhaus 59 31jährige Marianne Brandt. Während der Dessauer samt Architekten - für unterscheidbare Auffassungen Jahre studieren dort 1928 Gerda Marx und Margit über die Lehre. Dies wiederum beeinflusste die realen Vries, ein Jahr später Lotte Rothschild und 1930 Eva Studienbedingungen von StudentInnen am Bauhaus Busse.21 Mit Ausnahme Brandts verlassen alle diese maßgeblich.24 Um diese Unterschiede darzustellen, 21 Vgl. zu Hackmack und Busse Biografien im Anhang. Käthe Rei- Studentinnen die Metallwerkstatt ohne Abschluss. ist auch hier im Folgenden eine Gliederung der unter- che (geb. 3.2.1896 Alfeld) studiert ab dem Wintersemester 1919 schiedlichen Phasen nach Direktoren gewählt. in Metall (Vgl. Dietzsch, 1990). Zu Elisabeth Hauck[-Winkelma- Und noch bevor in der Werkstatt für Tischlerei zum yer] (geb. 9.2.1896 Frankfurt/M.) und Erika Marx vgl. Weber, 1.6.1925 mit Karl Bökenheide ein Tischler als Werk- Zunächst geht es jedoch um den Stellenwert der Dis- 1992, S.321 resp. 318. Erika Hackmack schließt zum 1.9.1921 meister eingestellt, Marcel Breuer zum Formmeister ziplin Architektur. Das Bauhaus war eine Schule für einen Lehrvertrag ab. Lili [Elisabeth] Schultz (geb. 21.6. 1895 ernannt wird, arbeiten dort bspw. Gertrud Bernays- Gestaltung, auch wenn die Architektur in der Nach- Halle) hatte bereits seit 1913 studiert (KGS Dresden, Burg Gie- Herrlich und Alma Buscher.22 Bernays tritt nach der kriegsrezeption des Bauhauses häufig überbetont bichenstein, KGS München). Sie studiert am Bauhaus zwischen Grundlehre 1920 in die Tischlerwerkstatt ein. Buscher und damit eine Stilisierung zur Architektur(hoch)schu- Herbst 1924 und Sommer 1925; vgl. Biografie Schultz in Weber, arbeitet dort ab 1923. In Dessau arbeiten spätestens le betrieben wurde.25 Das Begriffspaar ‘Architektur’ 1992, S.320. Marianne Brandt [geb. Liebe] (geb. 6.10.1893 ab 1926 Kattina Both, ab Januar 1927 Eva Fernbach, und ‘Bauhaus’ ist durch ebenso vielfachen wie viel- Chemnitz) studiert ab 1924 am Bauhaus; vgl. ibid., S.315. Mar- ab April 1927 Wera Meyer-Waldeck und Lotte Gerson fältigen Gebrauch so stark überformt, dass ein unbe- git Vries wurde am 26.4.1896 in Frankfurt/ M. geboren. Gerda in der Tischlerei. Ab 1928 studieren dort offiziell Ella fangener Gebrauch nicht mehr möglich ist, darauf Marx besucht zeitgleich auch die Tischlerei. Lotte Rothschild Rogler und Gerda Marx, ab Frühjahr 1929 Annemarie haben insbesondere Gloria Weiß und Annemarie (geb. 10.11.1909 Frankfurt/M.) besucht die Metallwerkstatt Wimmer und ein Jahr später Annemarie Wilke. Mey- Jaeggi hingewiesen.26 wahrscheinlich nur zwei Semester. Sie zählt mit Busse im Winter er-Waldeck und Wimmer schließen im Frühjahr 1929 „Architektur am Bauhaus“ kennzeichnet ein Span- 1929/30 zu den „5 kandidaten“ in der Metallwerkstatt. (BHD, NL Lehrverträge im Tischlerhandwerk ab, beide absolvie- nungsfeld, das aus zumindest drei Ebenen gebildet Engemann, 7.4.1930, Bl. 2) ren die Gesellinnenprüfung 1932.23 wird: Dem konkreten Architekturunterricht, Projekten 22 Gropius gibt die Leitung der Tischlerei im April 1925 an den Ge- und Bauten im und am Bauhaus sowie den Diskursen Gemeinhin werden die 14 kurzen Jahre des Bauhau- sellen Marcel Breuer ab. über Architektur rund um das Bauhaus.27 ses in Weimar, Dessau und Berlin in zumindest drei 23 Meyer-Waldeck absolviert die Gesellenprüfung im Januar 1932 Phasen gegliedert. Mehr noch als die drei Orte, die Nach dem Ende des ersten Weltkriegs wurde an ver- erfolgreich nach einer zweijährigen Lehrzeit, in der sie parallel dem Bauhaus unterschiedliche Rahmenbedingungen schiedenen Orten in Europa in den Kreisen des neu- auch Studierende bei Hilberseimer und Meyer, Klee und Kan- boten, stehen die Namen der drei Direktoren - alle- en Bauens - wie auch am Bauhaus - experimentell dinsky ist. Bereits seit Herbst 1927 in der Tischlerei, schließt sie nach zeitgemäßen, neuen architektonischen Aus- den entsprechenden Lehrvertrag - ebenso wie Wimmer - im drucksformen gesucht. „Wir unterscheiden wesent- Frühjahr 1929 ab. Im Wintersemester 1929/30 leistet sie ein Bü- Wera Meyer-Waldeck in der Tischlerei, 1930 lich nicht mehr tragend und getragen, wir lassen ropraktikum ab, von Mai 1930 bis Mai 1931 fällt sie wegen fami- nicht mehr Scheidung zu in dienend und bedient, liärer Verpflichtungen und Krankheit aus. Wie der „Anhalter An- schmückend und geschmückt. Jedes Element oder zeiger” am 21.1.1932 vermeldet, legt Meyer-Waldeck die Gesel- Bauglied muß gleichzeitig helfend und geholfen wirk- lenprüfung mit dem Prädikat „sehr gut” ab. Wimmer besteht im sam sein, stützend und gestützt. So schwinden Sok- Mai 1932. kel und Rahmen und damit das Denkmal, das auf ei- 24 Wie für unterscheidbare Positionen innerhalb des Neuen Bau- nem Übermaß an Unterbau ein Untermaß von Getra- ens. Individuelle Architekturauffassungen und Positionen einzel- genem trägt“, führt dazu 1928 aus.28 ner Bauhausdirektoren innerhalb des ‘Neuen Bauens’ werden im folgenden nur insoweit dargestellt, als sie nachvollziehbar Ein- Klare Raumgliederungen, geometrische Grundfor- fluss auf die Angebote an Architekturlehre resp. Studienbedin- men, kubische Gebäudekompositionen und flächige gungen ausübten. Gliederungen wurden zu einem Erkennungsmerkmal 25 Vgl. dazu auch Hermann van Bergeijk: De mythes rond het Bau- dieser Suche nach zeitgemäßem Bauen. In der Re- haus, in: archis, 1988, H.5, S.47-51 zeption verschmelzen Bauhaus und Neues Bauen, 26 Jaeggi, Annemarie: Adolf Meyer, Der zweite Mann, Berlin, 1994; wurden im stilbildenden Sinne zum ‘Bauhausstil’ zu Weiß vgl. FN 32. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar amalgamiert. 27 Auch wenn es im Rahmen dieser Untersuchung zunächst nur Seit dem Aufruf zum Bauen im Gründungsmanifest um Themen, Arbeiten und Projekte von Studentinnen in der Ar- sind Architekturdiskussionen am Bauhaus virulent. chitekturlehre am Bauhaus gehen sollte, so ist eine isolierte Be- Insbesondere nach Außen wird der Anspruch ‘neu’ zu trachtung des Architekturunterrichts - angesichts der großen bauen propagiert. Durch Ausstellungen, Vorträge und Diskrepanz zwischen der Fülle an Interpretationen und der tat- Publikationen werden ‘Hausbau’ und ‘Bauhaus’ ver- sächlichen Anzahl an Dokumenten - schlicht nicht möglich. knüpft und öffentlich präsentiert. Unter den Studie- 28 Albers, Josef: „werklicher formunterricht“ in: Bauhauszeitschrift, renden regt sich Unmut, da der Aufbau einer Archi- 2.Jg., 1928, Heft 2/3, S.5 tekturlehre diesem in der Öffentlichkeit reklamierten 29 Gruening, 1986, S.145 - „Meine Arroganz aus dieser Zeit ist mir Bild des Bauhauses hinterherhinkt. „Was erwartest noch gut in Erinnerung..” Du? (..) hier wollen Maler Architekten ausbilden!“ 30 Jaeggi, 1994 erinnert Wachsmann seine damalige Reaktion auf die 31 Olga Arpasi an Ö. Bánki, Dessau 24.10.1930, in: Bánki, Esther: Unzufriedenheit einer Freundin.29 Die ‘Bauhäuslerin’ Zsuzska Bánki, Nijmegen, 1990, S.63

60 Architekturinteressierte Studentinnen 32 Weiß, Gloria: Het Bauhaus: het bouwen van een mythe en de Schon mit der Begriffsfindung, der Benennung der mythe van het bouwen, in: archis, 1995, H.9, S.32-37 neuen Schule als „Bauhaus“, waren - wie Annemarie 33 Dass bspw. auch Moholy-Nagy der Statusfrage der Architektur- Jaeggi plausibel erläutert hat30 - ebenso oszillierende abteilung konstituierende Bedeutung beimaß, wird deutlich, Assoziationen und Erwartungen zum Bauen intendiert wenn Grawe auch für die Architekturabteilung des New Bau- wie der Anspruch der Ausbildung zusammengefasst: haus in Chicago feststellt, dass diese „vergleichbar mit der des Ein Haus, in dem der neue Mensch gebaut, gebildet Bauhauses in Deutschland, wo sie existierte ohne zu existieren, werden sollte. Die seit der Gründung proklamierte Ar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den höheren Studien vorbehalten werden (mußte).“ Grawe, Ga- chitekturlehre wurde nicht erst in der Rezeption, son- briele: Call for Action - Bauhausnachfolge in den USA, Disserta- dern bereits durch die Publikationstätigkeit mancher tion, Berlin, 1997, Bd.1, S.84: FN 236 Lehrenden mit diversen Vorstellungen vom neuen 34 SBW, Sign.155, Bl..1092 Brief Gropius vom 30.5.1919. Die dop- Bauen verwischt. Auch wenn in Artikeln, Stellungnah- pelte Kausalformulierung lässt offen, ob die „geplante Abteilung men und nicht zuletzt den als Serie herausgegebenen für Baukunst“ mit „mein eigenes Atelier“ identisch sein wird. ‘Bauhausbüchern’ nicht nur Architektur transportiert 35 Die Zahl der im Vorfeld abgewiesenen architekturinteressierten wurde, so nahm bei allen nach außen gerichteten Ak- Bewerberinnen zwischen 1919 und 1927 - vor Einrichtung eines tivitäten des Bauhauses die Architektur eine zentrale regulären Architekturunterrichts - lässt sich bisher ebensowenig Stellung ein. 1923 wurde auf der Bauhausausstellung beziffern wie die Zahl der Studentinnen, die entgegen eigener „Internationale Architektur“ gezeigt und Gropius ver- Während der Weimarer Jahre werden Studienbewer- Prioritäten nach der Vorlehre in die Weberei wechseln. öffentlicht „Die neue Architektur und das Bauhaus“ berinnen auffällig häufig bereits im Vorfeld abgewie- 36 Gruening, 1986, S.145. In den Erinnerungen Wachsmanns lässt als Buch. Im Juni 1926 erscheint als erstes Buch in sen. Und etliche Studentinnen wechseln - trotz deut- sich diese Studentin nicht namentlich identifizieren. der Schriftenreihe Bauhausbücher „Internationale Ar- lichem Architekturinteresse - nach der Vorlehre in die 37 Margarete Bittkow (geb. 22.4.1887 Groß-Lübars) studiert ab chitektur“, in dem nicht zuletzt der spektakuläre Neu- Weberei.35 Zu diesen Architekturinteressierten gehörte 1919 (bis 1922) in der Weberei. Sie emigriert später in die USA, bau des Bauhauses in Dessau vorgestellt wird. u.a. eine Freundin Konrad Wachsmanns, „die sich wo sie als Malerin ab 1932 in Cambridge lebt. (Vgl. Fiedler, zunächst der Architektur verschrieben hatte.“ 36 Na- Architektur ist am Bauhaus auf der medialen wie dis- 1987, Dietzsch, 1990, Grawe, 1997) Auch [Mar]Lene Wulff (geb. mentlich bekannt sind Elfriede Knott, Alexa Gutzeit, kursiven Ebene präsent, und seit dem Bezug des 13.2.1899) studiert zwischen 1919 und 1922 in Weimar. Nach Alma Buscher, Mila Lederer und Gertrud Hantschk. Neubaus auch im Schulalltag. Zeitgleich ist noch kein der Grundlehre besucht sie ab dem Frühjahr 1920 die Wandma- Und wahrscheinlich sind auch Margarete Bittkow, geregeltes Architekturstudium möglich. Während in lereiwerkstatt. Gertrud Droste, als Enkelin des Architekten Gu- Gertrud Droste, Lene Wulff und Elisabeth Jäger zu diesem „eigenartigen, sehr großen Gebäude“ 31 der stav Knoblauch am 17.8.1898 in Berlin geboren, besucht ab diesen - zunächst - architekturinteressierten Studen- International Style programmatisch antecipiert wird, Herbst 1921 die Grundlehre, wird am 11.7.1922 jedoch nicht tinnen zu rechnen.37 findet am Bauhaus keiner die Zeit, einmal konkret aufgenommen. Vgl. zu Droste auch Kap. 3, FN 32. Die 1906 in festzulegen, wie Studierende Architektur erlernen In Ablehnungsschreiben an Bewerberinnen wird ab Bremerhaven geborene Architektentochter Elisabeth Jäger hatte oder betreiben sollen. Durch das ständige Re- und dem Herbst 1920 eine vielsagende Formulierung ver- vor ihrem Bauhausstudium (1924 bis 1925) an der WKS Bremen Proklamieren vom Bauen, amalgamiert das Bauhaus wendet. So wird mit gleichlautendem Schreiben vom Innenarchitektur studiert. Vgl. Schwarzbauer, Georg F.: Elisa- zu einem Idiom, was Gloria Weiß mit „das Bauen des 2.10.1920 sowohl Irmela Platz in Bad Berka als auch beth Kadow, Recklinghausen, 1973; Fiedler, 1987, S.154 Mythos und der Mythos des Bauens“ umschrieben Klara Tiessen in Königsberg mitgeteilt: „Wegen Über- 38 SBW, Sign.161, Bl.898 resp. Bl.974. Irmela Platz (geb. 9.3.1900 hat.32 Obschon der Führungsanspruch der Architektur füllung des Staatlichen Bauhauses namentlich an Da- Neuhausen b.Königsberg) war die Tochter eines Pfarrers. Klara innerhalb der Künste unter den Meistern umstritten men können zum Herbst nur sehr wenig Schüler auf- Tiessen, deren Aufnahmegesuch in der Akte nicht vorhanden ist, ist, im Bemühen, das Bauhaus zu sichtbar mehr als genommen werden. In diesem Sinne ließen die uns war zum Bewerbungszeitpunkt 26 Jahre alt. einer Kunstgewerbeschule zu machen, messen auch eingereichten Arbeiten eine entsprechende Vorbil- 39 Gropius verwendet diese Formulierung noch bis in den Herbst sie der Architektur innerhalb der Schule konstituie- dung nicht erkennen. Der Meisterrat konnte sich des- 1921 (bspw. im Ablehnungsschreiben vom 23.9.1921 an Hilde- rende Bedeutung bei.33 halb für Ihre Aufnahme nicht entscheiden.“ 38 Da das gard Gött aus Naumburg, SBW, Sign.160, Bl.184 - Lt. Zirkular vorab verschickte Programm des Bauhauses keinerlei hatte in ihrem Fall nur Itten für eine Aufnahme gestimmt: „Erst Hinweis auf eine Vorauswahl „in diesem Sinne“ ent- 16 Jahre alt. Ich stimme für Probesemester.“ Ibid., Bl.183) hielt, dürfte die geschlechtsbezogene Begründung 40 Auch wenn dies suggeriert, dass Bewerberinnen mit besseren „Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen „wegen Überfüllung (..) namentlich an Damen“ be- Arbeiten ausgewählt worden seien resp. dass eine Art Studen- wir uns grundsätzlich aus.“ reits 1920 Befremden ausgelöst haben.39 Die Meister- tinnenkontingent am Bauhaus bereits ausgeschöpft sei, so ver- „In Beantwortung Ihres Telegramms teile ich Ihnen ratsentscheidung über eine - wem auch immer nicht standen abgelehnte Bewerberinnen dies offenbar nicht als rela- mit, dass die von mir geplante Abteilung für Baukunst „entsprechende“ - Vorbildung war jedoch nicht an- tive Einschätzung ihrer Arbeit sondern als Ablehnung ihrer Per- an dem hier neu gegründeten Staatlichen Bauhaus fechtbar.40 Vergleichbar fadenscheinig wird 1921 die son: Keine unterwirft sich diesem Verfahren erneut. erst im Werden begriffen ist. Ich bin daher im Augen- „sehr geehrte gnädige Frau“ Ilse Faber mit Verweis 41 SBW, Sign.161, Bl. 760. Zirkular Faber, 34 Jahre, vom 16.11. blick noch nicht in der Lage, Sie entsprechend zu be- auf das bereits fortgeschrittene Semester abgelehnt, 1921 „gegen. Gropius (..) Meiner Ansicht nach sollten wir nie- schäftigen, da auch mein eigenes Atelier noch nicht während aus dem Zirkular hervorgeht, dass die Mei- manden aufnehmen, der das 28 oder 30. Altersjahr überschrit- von Berlin nach hier übergesiedelt wurde“, schreibt ster im fortgeschrittenen Alter der in Weimar leben- ten hat. Itten“ - Ilse Faber (geb. 1887) bewarb sich am 10.11. Gropius im Mai 1919 an die Bewerberin Tony Simon- den Schriftstellerin den entscheidenden Hinderungs- 1921, um Lithografie zu studieren. „Ihr Aufnahmegesuch kön- Wolfskehl.34 Diese ist jedoch enthusiastisch über das grund sehen.41 Ablehnungen erfolgen jedoch insbe- nen wir im Augenblick nicht bejahen, da wir mitten im Semester Konzept des Bauhauses und schreibt sich - gegen sondere dann, wenn Bewerberinnen erkennen lassen, sind. Ihr sehr ergebener Gropius“. (Brief an Dr. Ilse Faber vom Gropius´ Rat - umgehend am Bauhaus Weimar ein. dass sie am Bauhaus räumlich arbeiten möchten. 17.11.1921, ibid., Bl.765)

am Bauhaus 61 „Da mich aber ein fortwährendes Modellieren nach aufgenommen. Dementsprechend werden Bewerbe- Gipsabgüssen nicht befriedigte, versuchte ich (..) für rinnen abgewiesen, sobald sie Ambitionen im räumli- mich allein zu arbeiten.(..) Zum allein weiterarbeiten chen Entwurf erkennen lassen. Wer aber sind die fühle ich mich viel zu jung und zu unsicher“, bewirbt Studentinnen, die sich noch vor Einführung einer Ar- sich 1923 die 19jährige Käthe Ury am Bauhaus. Und chitekturabteilung für ein Architekturstudium am Bau- sie äußert eine eindeutige Fächerpriorität: „Ich würde haus Weimar interessieren? gerne in eine Werkstatt eintreten, in der ich plastisch arbeiten kann, wenn möglich unter Meister Oskar Schlemmer.“ Von Bruno Adler ermutigt hat sie „mei- Eine neue Schule bildet neue Menschen heran: ne Sachen, die hier beiliegen, (..) in der Bauhauswo- Architekturinteressierte Studentinnen unter Gro- che schon Herrn Muche gezeigt“, der „meinte, ich pius sollte sie ruhig einreichen.“ 42 Ury erhält umgehend ei- „erbitte durch aufnahmebestätigung direkt bei frem- ne Ablehnung. Auf dem Zirkular ist - wie so häufig - denstelle weimar umgehende einreiseerlaubnis bewir- von Gropius nur ein schlichtes „Gegen“ notiert. Da- ken zu wollen“, meldet sich Tony Simon-Wolfskehl runter setzen - wie so häufig - alle Meister ihre Unter- mit Telegramm vom 28.5.1919 „auf empfehlung von schrift. Nur Josef Hartwigs Kommentar auf dem Bo- doktor müller-wulkow (..) als lehrling [am] bauhaus gen enthüllt den Grund der Ablehnung: „Holz- und an.“ 48 Sie war mit einer jüngeren Schwester in Frank- Metallbildhauerei kein Frauenberuf“. 42 SBW, Sign.161, Bl.979, resp. Bl.980, Aufnahmegesuch Käthe furt am Main aufgewachsen. Ihr Vater handelte mit Ury (geb. 1904 in Leipzig). Deren gleichaltrige Freundin Ruth Ähnlich war 1921 das Aufnahmeverfahren einer Stu- Weinen, die Mutter entstammte der Bankiersfamilie Vallentin studiert am Bauhaus auf Anraten Bruno Adlers seit dentin der Wiener Kunstgewerbeschule verlaufen. Im Wolfskehl. Tony Simon-Wolfskehl besuchte private 1920. Als Minderjährige genießt sie das Privileg, an allen Kursen Fall von Anni Weil war Mitte Februar 1921 die „Auf- Mädchenschulen, legte um 1911 am Mädchengym- teilnehmen zu dürfen. Vgl. Fiedler, 1987, S.147 nahme auf Probe“ einstimmig beschlossen worden, nasium in Frankfurt das Abitur ab und studierte an- 43 SBW, Sign.159, BL.50, Zirkular 14.2.1921 Annie Weil - resp. Gropius fragt mit Schreiben vom 23.2.1921 jedoch schließend Architektur an der TH Darmstadt. Auch Bl.55, Brief Gropius an Anni Weil vom 23.2.1921 nach: „Es geht aus Ihrer Schilderung nicht klar her- Mara Utschkunowa bringt Vorerfahrungen ans Bau- 44 Ibid., Bl.53-54, Annie Weil an den Direktor des Bauhauses Wien vor, welche Ausbildungsabsichten Sie hegen. Nach haus mit. Sie hatte ein Gymnasium im bulgarischen 2. März (1921) „Ich bitte, aufgrund meines ersten Gesuchs und unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, daß Frauen Plowdiw besucht, bevor sie um 1915 zum Studium meiner eingereichten Arbeiten um Aufnahme (..) Ich will Theater- in schweren Handwerksbetrieben wie Tischlerei usw. an die Akademie nach München ging. 1918 wechselt dekoration arbeiten; bin [in] praktisch konstruktivistischer Bezie- arbeiten. Aus diesem Grunde bildet sich im Bauhaus sie erneut, nun an die Akademie in Weimar. Sie zählt hung ganz vernachlässigt; So zwar, daß mir nur die gründliche mehr und mehr eine ausgesprochene Frauenabtei- damit - wie auch Dörte Helm und Alexa Gutzeit - zu Erlernung eines Handwerkes weiter helfen kann. Da mir Tischle- lung, die sich namentlich mit textilen Arbeiten be- den 1919 von der Akademie wie der Kunstgewerbe- rei persönlich am nächsten liegt, mir auch körperlich nicht scha- schäftigt, auch Buchbinderei und Töpferei nehmen schule Weimar ‘übernommenen’ Studentinnen.49 det, ersuche ich um Aufnahme in die Tischlerei.“ Frauen auf. Gegen Ausbildung von Architektinnen Dörte Helm, als Tochter eines Altphilologen in Berlin 45 Ibid., Bl.52, Schreiben vom 9.3.1921, resp., Bl.51. Schreiben an sprechen wir uns grundsätzlich aus.“ 43 Anni Weil prä- und Rostock aufgewachsen, hatte in Rostock neben Anni Weil vom 2.4.1921 „Baldmöglichster Eintritt ist notwendig.“ zisiert umgehend Berufsziel - Theaterdekoration - dem Lyzeum auch die Kunstgewerbeschule besucht. Das Sommersemester 1921 begann am 4. April. und Werkstattwunsch: Tischlerei.44 Erst Wochen spä- Seit ihrem 16. Lebensjahr hatte sie an der Kunstaka- 46 SBW, Sign.161, 1013f., Brief Annie Weil v. 15.4.1921 „Ich danke ter wird sie von ihrer Aufnahme in Kenntnis gesetzt, demie in Kassel Malerei und Plastik, seit 1918 an der bestens für Ihre Bemühungen und ersuche Sie meine Dokumen- zwei Tage vor Semesterbeginn zu „baldmöglichstem Kunstakademie in Weimar bei Walther Klemm stu- te und Arbeiten Frl. Sophie Korner zu übergeben. Mit bestem Eintritt“ aufgefordert.45 Sie teilt Mitte April freundlich diert. Alexa Gutzeit bewirbt sich 1919 direkt im An- Dank. Annie Weil, Salzburg, Österreichischer Hof“ (ibid., S.1014) mit: „Ich habe Ihre werte Mitteilung von meiner Auf- schluss an das Abitur an der Akademie in Weimar.50 47 SBW, Sign.161, S.773, Brief vom 15.9. 1921. Die Mitteilung über nahme leider so spät bekommen, daß es mir bereits Sie war als Tochter eines ostpreussischen Ritterguts- ihre Aufnahme auf Probe enthält offenbar die Auflage, nicht in unmöglich ist, ihr Folge zu leisten, da ich schon seit besitzers auf dem Land aufgewachsen, hatte Privat- der Metallwerkstatt zu arbeiten. Sie bittet um Rücksendung ihrer 2 Wochen hier in Salzburg in einer Werkstätte als unterricht genossen und ab 1916 ein Lyzeum in Kö- Arbeiten „an Fräulein Fanny Remak, München”. In der Akte Bo- Lehrling tätig bin.“ 46 nigsberg besucht. bann-Hessel ist keine Durchschrift der Aufnahme-Mitteilung vor- Nur von wenigen der abgelehnten Bewerberinnen ist Zum Herbst 1919 schreibt sich Anny Bernoully am handen. (Zirkular Hessel v. 29.6.1921 SBW, Sign.161, S.771) mehr als die Bewerbung archiviert, noch seltener fin- Bauhaus ein.51 Im Sommer hatte ihr Vater erwogen, 48 SBW, Sign.155, S.1090 Telegramm S-W an Gropius 28.5.1919 den sich unter den archivierten Dokumenten konkrete die 19-jährige Anny, „die jetzt leider die Frankfurter 49 Zu denen bspw. auch Gertrud Bernays und Toni von Haken-Ne- Reaktionen. Ebenfalls 1921 teilt jedoch bspw. Ursula Kunstgewerbeschule (Klasse Innendekoration) be- lissen, aber auch Harriet Rathkleff-Keilmann, Immeke Schwoll- Bobann-Hessel aus München dem „sehr geehrten sucht“, ans Bauhaus zu schicken.52 Als Ludwig Ber- mann, Margarete Bittkow zu rechnen sind. Mara Utschkunowa, Herrn Gropius“ mit, „daß ich nun doch auf den Eint- noully, der seit 1899 als freischaffender Architekt in am 5.8.1895 in Philipopoli geboren, hatte zuvor in München bei ritt in das Bauhaus verzichten muß, da es für mich Frankfurt/Main ansässig war, auf seine Frage nach Wackerle studiert. notwendig gewesen wäre nur in der Metallwerkstatt der Art der Qualifikationen keine Antwort erhält, wen- 50 SBW, Sign.152, Bl.1512 arbeiten zu können“.47 det er sich Ende September erneut an Gropius. Die- 51 SBW, Sign.150, Bl. 661, W.Gropius an L.Bernoully 1.10.1919, ser lässt den BDA-Kollegen nun wissen: „Eine beson- „In Beantwortung der Anfrage vom 27.9.1919“ - Aufnahme am Architekturinteressierte Studenten sind am Bauhaus dere Klasse für Innendekoration ist zur Zeit noch Bauhaus am 15.10.1919 Weimar erwünscht. Im Unterschied dazu werden Stu- nicht eingerichtet. (..) Mit Ausnahme der Weberei ist 52 Ibid., Bl. 665, Ludwig Bernoully an Walter Gropius, 19.8.1919 dentinnen nur mit vermeintlich weiblichen Ambitionen

62 Architekturinteressierte Studentinnen der Abschluß dieser Lehrzeit eine Gesellenprobe, die Gertrud Ursula Schneider, Wera Meyer-Waldeck, Lot- zur praktischen Berufsausübung ermächtigt. Die in te Gerson und Eva Fernbach kommen im Frühjahr den Werkstätten arbeitenden Studierenden sind be- 1927 nach Dessau. Schneider, bereits seit 1923 di- rechtigt, auch an den theoretischen Ausbildungsgän- plomierte Architektin, arbeitete zuvor im Büro von Er- gen teilzunehmen, soweit es die Zeit zuläßt.“ win Gutkind in Berlin. Sie war in Berlin aufgewach- sen, hatte während der Zeit an der Cecilienschule Knapp zwanzig Bauhausstudierende der Jahre 1919 den Vornamen Ursula angenommen und nach dem und 1920 kommen aus Wien nach Weimar, wo sie Abitur an der TH Charlottenburg ab 1916 Architektur zuvor an der privaten Kunstschule Johannes Ittens belegt. Meyer-Waldeck war in Alexandrien und der studiert hatten.53 Zu diesen ‘IttenschülerInnen’ zählt Schweiz aufgewachsen und studierte seit 1924 an Friedl Dicker, die als Tochter eines Papierwarenver- der Akademie in Dresden. Sie hatte zuvor bereits ei- käufers in Wien aufgewachsen war, wo sie nach der ne Frauenschule besucht und 1924 die Ausbildung Bürgermädchenschule an der Grafischen Lehr- und zur Kindergärtnerin abgeschlossen. Gerson, die sich Versuchsanstalt - gerade 14jährig - Fotografie belegt vor Immatrikulation vor Ort informiert, hatte ebenfalls hatte. Drei Jahre später studierte sie an der Kunstge- zunächst eine Frauenschule besucht. Sie bringt auch werbeschule in der Textilklasse bei Prof. Rosalie Rot- Erfahrungen aus einer Schneiderwerkstatt, einer hansl bevor sie 1916 zu Itten wechselte. Aus Berlin Handweberei und einem Jahr im „Bürodienst“ mit. bewirbt sich 1920 Ruth Hildegard Raack. Als Pfar- Und Fernbach, als Tochter eines Verlegers mit meh- rerstochter zunächst im Harz, ab 1913 in Berlin auf- reren Schwestern in Babelsberg bei Berlin aufge- gewachsen, hatte sie an Abiturientenkursen teilge- wachsen, hatte die Augusta-Schule in Berlin-Schöne- nommen. Ab 1914 studierte sie an der Unterrichtsan- berg mit der mittleren Reife verlassen, ab 1924 die stalt am Kunstgewerbemuseum - u.a. bei Bruno Paul Berliner Tischlerschule absolviert. Nach dreijähriger - Schrift, Malerei und Möbelentwurf und schloss 1919 Ausbildung war sie als Frau jedoch nicht zur Gesel- erfolgreich ab. Luise Berkenkamp kommt 1920 direkt lenprüfung zugelassen worden. nach dem Abitur in Essen, ihr Vater betrieb eine Pa- 53 Badura-Triska (1987) spricht von 15, Dietzsch (1990, II, S.323) pier- und Tütenfabrik in Wesel. Bereits vor Ort ist Eri- Die architekturinteressierten Studentinnen während führt - ohne Auböck und Korner - 17 Namen auf. Hierzu zählten ka Hackmack, die sich - 15jährig - zum Frühjahr 1921 der Ära Gropius sind damit zur Hälfte zunächst auf bspw. Anni Wottiz, Sofie Korner, Ola Okuniewska, Margit Téry- immatrikuliert. Alma Buscher schreibt sich im Früh- dem Land oder in kleinen Städten, häufig in finanziell Adler, Franz Singer, Carl Auböck und Alfred Lipovec. [Anna] jahr 1922 in Weimar ein. Sie war als Tochter eines gesicherten, bildungsbürgerlich orientierten Verhält- Wottiz wurde am 19.5.1900 in Budapest geboren. Grafische Reichsbahninspektors im Siegerland geboren und in nissen und i.d.R. mit Geschwistern aufgewachsen. Arbeiten von ihr befinden sich im BHAB. Sophie Korner wurde Berlin aufgewachsen, wo sie 1916 das Abitur ableg- Nur in Ausnahmefällen kommen sie aus einem klein- am 16.12.1879 in Wien geboren (vgl. Kurzbiografie Korner in: te. Zwischen 1917 und 1920 besuchte sie die bürgerlichen Milieu. Sie wurden manches Mal privat Plakolm-Forsthuber, 1994, S.271). Ola [Olga] Okuniewska kam Kunstschule Reimann in Ber-lin. Ein Jahr später, zum unterrichtet, besuchten vereinzelt Realgymnasien, in am 18.1.1902 in Brünn als Österreicherin auf die Welt. Margit Sommersemester 1923 im-matrikuliert sich Mila der Regel Lyzeen in mittleren oder großen Städten. Téry (1892-1977) hatte zwischen 1912 und 1916 Kunstschulen Lederer nach vier Semestern Innendekoration an der Nur zum Teil haben diese Studentinnen das Abitur in Wien und München besucht bevor sie bei Itten studierte. Kunstgewerbeschule Trier. Dort hatte sie 1920 das abgelegt.55 Fast ausnahmslos haben sie jedoch be- 1918 heiratete sie den Kunstkritiker Bruno Adler. Vgl. Kurzbio- Abitur erworben, ihr Vater war Innenarchitekt. Gertrud reits studiert.56 grafie Téry von Eva Badura-Triska in Gaßner, 1986, S.292 Hantschk kommt ebenfalls 1923 ans Bauhaus. Sie 54 Zu Gertrud Hantschk (geb. 20.9.1903 Ratibor) vgl. Kurzbiografie Welche architektonischen Lehrangebote existierten hatte eine Lehre in einem Architekturbüro absolviert.54 in: Bojunga, Heike / Leibold, Ilona: Die Lust am Experiment, in: am Bauhaus vor dem Sommersemester 1927? Bock, Petra / Katja Koblitz (Hg.): Neue Frauen zwischen den Kattina Both war in einer Pfarrersfamilie aufgewach- Auf Anfrage von Walter Gropius wurde im Juni 1919 Zeiten, Berlin, 1995, S.157 sen und hatte nach dem Abitur in Kassel Grafik und von Paul Klopfer, dem Direktor der Baugewerkeschu- 55 Ein Abitur erwarben Berkenkamp, Buscher. Gutzeit, Lederer, Malerei, ab 1924 an der Burg Giebichenstein Töpferei le Weimar, ein Architekturkurs konzipiert, der als sog. Schneider, Simon-Wolfskehl. Kein Abitur besaßen Helm, Dicker, und Skulptur studiert. Sie fährt 1925 nach Weimar, Baukonstruktionskurs von Ernst Schumann in der Raack, Beese, Meyer-Waldeck und Fernbach. Gerson besuchte um sich das Bauhaus anzusehen, immatrikuliert sich ehemaligen Kunstgewerbeschule im Herbst 1919 ab- ein Lyzeum und eine Frauenschule. Ob sie ein Abitur erwarb, jedoch erst nach der Übersiedelung des Bauhauses gehalten wird.57 Für diese Kurse, deren Studienge- bleibt ebenso unklar wie bei Bernoully und Marx, die das Lyze- nach Dessau. Auch Lotte Beese schreibt sich dort bühren zusätzlich zu zahlen waren, konnten sich Stu- um nach der Untersekunda verlassen zu haben scheint. 1926 ein. Sie kommt nach verschiedenen Tätigkeiten, dierende auf einem Aushang am schwarzen Brett ein- 56 Mit Ausnahme von Gutzeit, Berkenkamp und Beese. u.a. in einer Handweberei und einem Verlag. Sie war tragen. 1919 bekundeten auf diese Weise Alexandra 57 Der Kurs umfasste 24 Wochenstunden und wurde durch ein als jüngste Tochter eines Reichsbahnbeamten im Gutzeit, Elfriede Knott und Tony Simon-Wolfskehl ihr vierstündiges Angebot in Projektionslehre und Werkzeichnen er- schlesischen Nodlau aufgewachsen und hatte die Interesse an der Teilnahme. Lediglich Simon-Wolfs- gänzt. Vgl. Winkler, Klaus-Jürgen: Die Architektur am Bauhaus Schule wahrscheinlich mit der mittleren Reife verlas- kehl finden wir unter den elf Bauhausstudierenden, in Weimar, Berlin, 1993, insbesondere: Die Baugewerkenschule sen. Auch Gerda Marx verfügt nicht über ein Abitur, die für den Kurs schlussendlich zugelassen werden. und das Bauhaus, S.23ff. als sie ab 1926 das Bauhaus besucht. Als einziges Am Bauhaus selbst wird im Mai 1920 eine „Architek- 58 Ibid., S.28. Adolf Meyer fungiert auch in Weimar als Büroleiter, Kind einer Kunstgewerblerin und eines Chemikers in turabteilung“ unter Adolf Meyer aktenkundig, die je- daneben unterrichtet er einzelne Kurse. Erneut ist Tony Simon- Dessau und Berlin aufgewachsen, immatrikuliert sie doch - falls überhaupt - nur kurzzeitig besteht.58 Ab Wolfskehl die einzige Interessentin unter den acht aktenkundi- sich dort zum Sommersemester 1927. dem Wintersemester 1920/21 bietet Meyer für gen Studierenden.

am Bauhaus 63 Studierende aller Werkstätten das praktische Werk- zeichnen, die ‘Projektionslehre’ an. Gropius hält Vorlesungen über ‘Raumkunde’ und übernimmt 1921 59 Droste, Magdalena: Bauhaus 1919-1933, Köln, 1991, S.34. den theoretischen Unterricht im Werkzeichnen.59 1920 ‘Raumkunde’ war ein Bestandteil der ‘Werklehre’. Ibid., S.44, nahmen daran bspw. Grete Heymann und Ola Oku- vgl. auch Winkler, 1993, S.28 niewska, 1921/22 Dörte Helm, Hedwig Jungnik und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 60 Listen darüber, wer diesen Unterricht besuchte, existieren nicht. Ruth Hildegard Raack teil.60 Ab 1922 hält Adolf Meyer Margarete Heymann (geb. 10.8.1898 Köln), studiert ab 1920 am im Rahmen von Lehraufträgen Vorlesungen über Ar- Bauhaus. Jadwiga [resp. Hedwig] Jungnik (geb.10.8.1897 Nowy chitektur. Diese architekturspezifischen Lehrveran- Tomysyl) immatrikuliert sich nach Lyzeumbesuch in Posen und staltungen scheinen jedoch „nur nebenbei und äu- Studien an den Kunstakademien Breslau, Berlin und Weimar ßerst selten“ stattgefunden zu haben.61 1923 besuch- zum Herbst 1920 am Bauhaus, wo sie ab 1921 in der Weberei te Gertrud Hantschk einen der Kurse bei Meyer. Von studiert. Vgl. Fiedler, 1987, S.148 den zuvor Genannten gelingt es nur Dörte Helm und 61 Konrad Wachsmann erinnert den Unmut seiner enttäuschten Alma Buscher während der Zeit am Bauhaus mit Freundin, da Adolf Meyer „nur nebenbei und äußerst selten Ar- räumlichen Entwürfen in Erscheinung zu treten. Unterrichts außerordentlich vage bleibt, eine Art Mei- chitekturvorlesungen hielt.“ Gruening, 1986, S.141 sterschülerstatus für bereits ausgebildete Architekten 62 Damit bleibt offen, wann und wie oft Studierende vor 1923 eine Zur Vertretung studentischer Interessen existierte am in Aussicht stellt, den Zugang zur Architektur aber Architekturausbildung einforderten. „Die Entscheidungen traf der Bauhaus ein Studierendenausschuss. Eine aktive Mit- noch strikter reglementiert: Die nun geforderten „Vo- Direktor.“ Isaacs, 1983, S.257 resp. S.366. Der Meisterrat tagte sprache von Studierenden war jedoch weder vorge- raussetzungen: Gesellenbrief, Grundlagenausbildung nicht-öffentlich, wenn auch unter Anwesenheit von ein oder zwei sehen noch erwünscht, bedeutete deshalb die direkte im Baufach und besondere künstlerische Befähi- Vertretern der Schülerschaft. Ein offizielles Stimmrecht wurde Konfrontation mit Meistern wie Direktor.62 Etliche Stu- gung“ erlauben eine Chancenvergabe nach Gutsher- weder diesen noch den Meistern eingeräumt. dienabbrüche der frühen zwanziger Jahre stehen im renart. „Freie selbständige Arbeit“ bleibt „durchgebil- 63 So bspw. 1920 anlässlich eines internen Wettbewerbes für das Zusammenhang mit fehlenden Architekturangeboten. dete[n] Architekten“ vorbehalten.66 Zeitgleich werden Projekt einer Bauhaussiedlung. Bereits 1919 wurde die ‘Arbeits- Dennoch bleibt die studentische Forderung nach ei- die Initiatoren der Denkschrift abgefunden oder ‘hin- gemeinschaft Determann’ gegründet. Dieser lose Zusammen- ner solchen Ausbildung virulent. Studierende ver- weggelobt’.67 schluss existierte bestenfalls bis 1923. Als zwei Jahre nach schiedener Werkstätten versuchen diese Interessen Bauhausgründung die in Aussicht gestellte Architekturausbil- selbständig umzusetzen, beschäftigen sich auch mit Da der Erweb eines Gesellenbriefes in den Bauge- dung immer noch auf sich warten lässt, bilden Georg Muche, Architekturentwürfen. 1919, 1920 und 1921 bilden sie werken aufgrund reaktionärer Handwerksordnungen Marcel Breuer und Farkas Molnár 1921 erneut eine studentische ‘Arbeitsgemeinschaften für Architektur’.63 Im Juli 1922 männlichen Bewerbern vorbehalten bleibt, werden ar- ‘Architektur-Arbeitsgemeinschaft’ - „Als Protest gegen die feh- findet im Bauhaus eine ‘Architekturausstellung’ statt, chitekturinteressierte Studentinnen mit diesem Be- lende Bauabteilung“ , Droste, 1991, S.112. Isaacs erwähnt einen bei der auch Arbeiten des Baubüros gezeigt werden. schluss für die nächsten Jahre wirkungsvoll von der informellen ‘Arbeitskreis für Architektur’, den Herbert Bayer mit Während der ‘Bauhauswoche’ 1923 sind in einer Architektur ausgeschlossen. Gleichzeitig bleibt der Unterstützung Meyers in den späten Weimarer Jahren zusam- Ausstellungsnische einer „Internationale[n] Architek- erzielte Gratifikationseffekt für Studenten nicht unbe- mengeführt habe. Isaacs, 1985, S.260 turausstellung“ erstmalig auch StudentInnenentwürfe merkt: Schon wenige Monate später wenden sich er- 64 Meisterrats-Sitzung vom 22.10.1923, Winkler, 1993, S.31. Im - Modelle für Typenhäuser und Entwürfe freistehen- neut drei architekturinteressierte Studenten an den April 1924 wird die Denkschrift von Breuer, Muche und Molnár der Einfamilienhäuser - sowie das gerade im Bau be- Meisterrat und drohen das Bauhaus zu verlassen.68 zur Gründung einer Bauabteilung vom Meisterrat bestätigt. findliche ‘Haus am Horn’ öffentlich zu sehen. Im Hin- Die Initiatoren dieser Eingabe finden wir nur kurze SBW, Sign.77, Bl.1-3; Vgl. Wechselwirkungen, 1986, S.361. blick auf eine geregelte Architekturlehre bewegt sich Zeit später als Mitarbeiter im Bauatelier Gropius. 65 Winkler, 1993, S.28 - Dieser Kurs wurde durch einen Mathema- weiterhin nichts. Erst auf eine studentische Eingabe tik - und Statik-Kurs ergänzt. Ab Herbst 1924 sollen 14, nament- hin wird die Frage einer ‘Architekturabteilung’ wäh- lich nicht bekannte, Studierende daran teilgenommen haben. rend einer Meisterratssitzung im Herbst 1923 erörtert, 66 MRP vom 3. April 1924 - Der Vorschlag muss für den Privatar- aber nicht entschieden.64 Ab Januar 1924 wird erneut Blick in die Ausstellungsnische mit den studentischen Entwürfen 1923 chitekten Gropius bedrohlich klingen, schlagen die Initiatoren ein vierstündiger Baukonstruktionskurs durch Ernst doch auch noch vor, einen prozentualen Anteil an den Aufträgen Schumann abgehalten, nun in den Räumen des an die Bauhauskasse abzuführen, was u.a. eine Offenlegung der Bauhauses.65 Honorare bedeutet. Schon bei der Abrechnung des ‘Musterhau- Am 2.4.1924 legen Marcel Breuer, Farkas Molnár und ses’ 1923 führte insbesondere die Honorarfrage zu einem Eklat, Georg Muche eine „Denkschrift zur Gründung einer waren auf einer Rechnung Honorare für Gropius, Muche, Molnár Architekturabteilung“ vor, in der sie eine „selbständi- und Breuer ausgewiesen worden. g[e], direkt dem Direktor unterstellt[e]“ Architekturab- 67 Fred Forbat, seit 1920 Mitarbeiter im Privatatelier wird zum teilung, bestehend aus den drei Initiatoren zzgl. Syn- Technischen Leiter der ‘dehatege’-Siedlungen berufen. Als das Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dikus Lange und einem Ingenieur vorschlagen. Deren im Auftrag des Völkerbundes durchgeführte Projekt scheitert, Aufgabe sei es, „a) architektonische Aufträge von au- wird er 1925 Chefarchitekt bei Adolf Sommerfeld in Berlin. ßen zu bearbeiten und b) Mitarbeit der Werkstätten Marcel Breuer wird 1925 zum Leiter der Tischlerwerkstatt er- an der Ausführung zu organisieren.“ Nun reagiert nannt und Georg Muche, der zunächst gemeinsam mit Itten, seit Gropius sofort. Am folgenden Tag fasst der Meister- 1923 allein Leiter der Textilwerkstatt geworden war, erhält die rat einen Beschluss, der hinsichtlich des geforderten Möglichkeit zu einer Studienreise in die USA.

64 Architekturinteressierte Studentinnen Im offiziellen Lehrangebot wird der Unterricht in Sta- tik und Baukonstruktion erweitert. Gropius und Meyer unterrichten nun je zwei Wochenstunden ‘Entwerfen’. Damit ist ‘Architektur’ ab Herbst 1924 im Stunden- 68 Lt. Winkler handelt es sich dabei um [Hans] Volger, [Erich] Bren- plan mit 14 Wochenstunden präsent. Erst nach wei- del und [?] Rösselt. Winkler, 1993, S.32: Eingabe von drei Stu- teren fünf Semestern beruft Gropius mit dem Schwei- dierenden September 1924. Wahrscheinlich handelt es sich bei Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zer Architekten Hannes Meyer einen verantwortlichen dem Studenten Rösselt um Heinz Nösselt, der - wie Erich Bren- Architekturlehrer.69 Zum Sommersemester 1927 wird del und Hans Volger - 1925 Mitarbeiter im Atelier Gropius wird. am Bauhaus eine ‘Architekturabteilung’ eröffnet. 69 Getty bauhaus correspondence 870570, Gropius an Meyer vom Damit ist - acht Jahre nach Gründung der Schule - 18.12.1926. Im Februar 1927 übersendet Hannes Meyer seine ein Architekturstudium am Bauhaus möglich. Wo und Bewerbung und erhält Anfang März von Bürgermeister Hesse wie studierten jedoch Studentinnen mit Interesse an seinen Anstellungsvertrag zum 1.4.1927. der räumlichen Gestaltung vor Einführung eines regu- 70 Winkler, 1993, S.26 lären Architekturunterrichts am Bauhaus? 71 Ilse Fehling (geb. 25.4.1896 Danzig) studiert bei Klee und Mu- che. Sie lässt diesen Entwurf 1922 patentieren. Vgl. Winkler, Rundbühne, Ilse Fehling 1993, S.135 Würfelkomposition, Else Mögelin 72 Else Mögelin (geb. 20.4.1887 Berlin) studierte seit 1919 am Bauhaus mit Schwerpunkt in der Töpferei und der Weberei. Seit Augenscheinlich üben die meisten Studentinnen in 1906 im Besitz des Zeichenlehrerinnenexames war auch sie im dieser Phase ungeregelter Rahmenbedingungen am ‘Zweitstudium’ und brachte jahrelange Arbeitserfahrungen mit. Bauhaus Enthaltsamkeit im räumlichen Entwurf. Ver- Fiedler (1987, S.159) vermerkt bei ihr „Versuche in der Metall- einzelt werden ihre architektonischen Interessen den- werkstatt“. noch sichtbar. So bspw. an den Grundrissen von 73 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Friedl Dicker und Franz Singer (um 1922), dem Ent- Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.19. wurf einer Rundbühne für ein Marionettentheather Auch Baumhoff berichtet - unter Bezug auf ein im September von Ilse Fehling (1922)71, einer nicht minder räumli- 1993 geführtes Gespräch mit Joost Siedhoff -, dass Buscher im chen Würfelkomposition von Else Mögelin (1923)72 privaten Rahmen von den Schwierigkeiten erzählte, in der Tisch- oder auch den Möbeln von Alma Buscher und Benita lerei überhaupt zugelassen zu werden. Baumhoff, 1994, S.90 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Otte (1923). 74 Auch Zsuszanna Bánki, die in dieser Zeit bereits erste Innenaus- Studentinnen mit architektonischen Interessen finden bauaufträge ausführt und Edit Rindler als gelernte Tischlerin wir bis 1927 i.d.R. außerhalb der Weberei. Alma Bu- dürften dort auch produziert haben. scher soll sich ebendort „völlig fehl am Platz“ gefühlt 75 Im Diplomzeugnis Wera Meyer-Waldecks vom 12.7.1932 sind und Gropius schriftlich, aber erfolglos um ihre Verset- unter „tischlerei“ aufgeführt: „mitarbeit bei aufträgen: entwurf zung in die Holzbildhauerei gebeten haben.73 Nach und Ausführung der wohnung piscator berlin, arbeitsamt des- der Ausstattung des Kinderzimmers im Musterhaus sau, innenausstattung, haus hahn, dessau törten - modellar- am Horn erreicht sie schließlich die Erlaubnis, in der beit: kinderhocker, liegestuhl, teetisch, klapptisch, entwurf und Tischlerei zu arbeiten. Die Tischlerei wird in den Des- ausführung eines schreibtisches gesellenstück“ - der Teetisch sauer Jahren auch zumindest durch Kattina Both, wie auch der Stuhl werden publiziert (bauauszeitschrift, 2.Jg., Lotte Gerson, Wera Meyer-Waldeck, Ella Rogler, Eva 1928, H.4, S.16) Die ersten räumlichen Entwürfen von Bauhausstudie- Fernbach und Annemarie Wimmer intensiv genutzt.74 76 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995. Deshalb wandte sie renden, die dokumentiert sind, entstanden während Buscher produziert noch in Weimar ihre Kindermöbel sich bei schwierigeren handwerklichen Fragen auch weiterhin an des vierwöchigen Kurses an der Baugewerkeschule nach eigenen Entwürfen. Meyer-Waldeck entwirft und ihre ehemaligen Lehrer in der Berliner Tischlerschule. 1919/20. Hier wurden bescheidene Einfamilienhäuser realisiert einen Kinderhocker, einen Liegestuhl, einen in ländlicher Umgebung entworfen. Die Arbeiten der Teetisch, einen Stuhl, einen Schreibtisch und einen einzigen Teilnehmerin, Tony Simon-Wolfskehl, sind Stuhl für die ‘Volkswohnung’, Wera Meyer-Waldeck,1929 Klapptisch.75 Gerson tischlert in dieser Werkstatt zu- bisher nicht bekannt. „In der baulich-architektoni- mindest eine Kinderwippe, Both und Wimmer bauen schen Qualität wird allerdings kaum mehr als das tra- Schränke, Rogler und Fernbach Stühle. ditionelle Niveau handwerklichen Bauens reflektiert”, stellt Klaus-Jürgen Winkler über die dokumentierten Die Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs waren in Entwürfe wohlwollend fest.70 Auch bei den durch der Tischlereiwerkstatt jedoch begrenzt. Eva Weinin- Bauernmöbel inspirierten „Volksmöbeln“, die in der ger [geb. Fernbach] erinnert: „Die Tischlerei konnte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ‘Arbeitsgemeinschaft Determann’ unter Beteiligung man mit der Berliner Tischlerschule nicht vergleichen. von Toni von Haken-Nelissen und Elfriede Knott ent- Die waren einfach darauf nicht eingerichtet, und woll- worfen werden, ist keinerlei Innovation zu erkennen. ten’s gar nicht sein. Die war dazu da, dass man sich Siedlungsentwürfe, wie sie ab 1920 für das Vorhaben ein Modell ausgucken kann, und nicht um sich zum einer Bauhaussiedlung entstanden, sind von Studen- Tischler auszubilden.“ 76 Zu einem ähnlichen Urteil tinnen bisher nicht nachweisbar. kommt Ella Kreher [geb. Rogler], die das Tischlern

am Bauhaus 65 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Gerda Marx beim Abkanten der „Fuge” „Fuge in e-moll”, Entwurf von Heinrich Neugeboren

77 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 zuvor bereits in Stuttgart gelernt hatte: „Da konnte zung, dass studentische Mitarbeit dort als Ressource 78 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995 man nicht viel lernen, formal ja, aber nicht handwerk- geschätzt wurde.82 Gropius beschäftigt zunächst Mit- 79 Brandt, 1985, S.159 lich.” Und auch Annamaria Mauck [geb. Wilke] äußert arbeiter, die außerhalb des Bauhauses eine Ausbil- 80 Auch wenn sich Mitarbeiterinnen im Atelier Gropius bisher nicht über die Qualität der handwerklichen Grundlagenver- dung absolviert haben.83 Ab 1923 arbeiten im Atelier anhand schriftlicher Dokumente nachweisen lassen, so sind die- mittlung rückblickend kritisch: „Die praktische Lehre auch Bauhausstudenten resp. -absolventen.84 Archi- se Studentinnen vereinzelt auf Fotografien zu finden. Auf einem war sehr schlecht besetzt da.“ 77 tekturstudentinnen finden wir im Büro Gropius erst Foto „bauatelier im Sommer 1927“ sind sechs zeichenbekittelte 1933. Lediglich die bereits diplomierten Architektin- Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin zu sehen, laut Niegemans Be- Offenbar werden die handwerklichen Kompetenzen, nen Tony Simon-Wolfskehl und Gertrud Schneider schriftung ‘gaede’. Foto im Nachlass Niegeman (NAI). die manche Studentin mitbringt, aber erkannt. „Am 2. erhalten 1920 resp. 1927 Zutritt zum Atelier.85 81 „Gropius nimmt die Auswahl seiner Mitarbeiter sehr sorgfältig Januar `27 bin ich ans Bauhaus gegangen. Der Kurs vor, um die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Büros zu ga- fing dann erst im April an (..) und ich bin direkt in die rantieren. Wenn er auch unerfahrene Studierende einsetzt, so Tischlerei gegangen und sofort haben sie mir da ei- vertraut er der Führung durch seinen Mitarbeiterstamm und ver- nen Breuerstuhl vorgesetzt, gesagt, dass ich den ma- Ursula Schneider im Atelier Gropius / Meyer, Sommer 1927 spricht sich wohl zugleich pädagogische Effekte im Sinne der chen könnte. Und da hab’ ich mehrmals diesen Breu- erstrebten Baulehre.“ Winkler, 1993, S.35 erstuhl angefertigt und nachher eigene Entwürfe“, 82 Jaeggi hat jedoch auch auf den verschleiernden Charakter gän- erzählt Eva Weininger.78 Kaum anders stellt sich die giger Darstellungen verwiesen, so wenn Wingler behauptet: Situation in der Metallwerkstatt dar: „Eine lange Aus- „Schöpferische Mitarbeit, selbst wenn sie sich nicht durch her- bildungszeit war mir nicht vergönnt“, erinnert Marian- vorragende Qualitäten auszeichnete, war im Bau-Atelier Gropius ne Brandt ihren dortigen Einstieg 1924. „Es hieß sehr stets willkommen - ähnlich dem Bauhaus hat es das Prinzip der bald: entwerfen, ausführen, helfen, sich umtun.“ 79 Arbeitsgemeinschaft praktiziert, so vermochte es dem Bauhaus Und 1928 wird Gerda Marx in dieser Werkstatt mit lange Zeit hindurch eine Architekturabteilung zu ersetzen und der Produktion von Aschenbechern beschäftigt, rea- die Voraussetzung für sie zu schaffen.“ Wingler, 1975, S.397 lisiert an der Blechbiegemaschine die „Fuge“ nach 83 Neben dem Büroleiter Adolf Meyer arbeiten im Bauatelier Gropi- Entwurf von Henri Neugeboren. Erst während eines us in Weimar ab 1920 Otto Meyer-Ottens, (Heinrich?) Petersen Außensemesters in Berlin 1929 kann sie auch eigene und Fred Forbát, der in Budapest und München Architektur stu- Entwürfe, darunter einen Leuchter, produzieren. diert hatte. (Winkler, 1993, S.35) Ab 1921 arbeiten dort Carl Fie- Architekturinteressierte Studentinnen können am ger, der zu-vor bei Behrens arbeitete, und Ernst Neufert, der an Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bauhaus die Werkstätten nicht nach Interessenlage der BGS Weimar studiert hatte, ab 1922 Otto Eisler. und Neigungen wählen. Außerhalb der Weberei wird 84 So ab 1924 Farkas Molnar und Marcel Breuer, Joost Schmidt, ihnen offensichtlich dann eine Art Duldung gewährt, 1925 Erich Brendel und Heinz Nösselt (Winkler, 1993, S.35), wenn sie als Ausführende in der Produktion einge- 1926 bis 1928 Johan Niegemann. setzt werden können. Der einzige Ort kontinuierlichen 85 Sie, die trotz mehrjähriger Berufserfahrung durch ein erneutes architektonischen Arbeitens bis 1927 ist das private Studium am Bauhaus bereitwillig die Rolle der Lernenden resp. Atelier von Gropius. Studierende - darunter auch Stu- subalternen Zeichnerin einnehmen, werden innerhalb des Büros dentinnen - partizipierten hier immer wieder an Pro- als jeweils einzige Mitarbeiterin geduldet, verlassen das Atelier jekten.80 Winkler verwies darauf, dass Gropius seine jedoch nach kurzer Zeit. Simon-Wolfskehl arbeitet anschließend Mitarbeiter für das Privatatelier sorgsam selektierte, als selbständige Innen- und Bühnenarchitektin in Frankfurt/M., „um die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Bü- Schneider als Architektin bei der AHAG in Berlin. Vgl. Biografien ros zu garantieren”.81 Jaeggi kommt zu der Einschät- Simon-Wolfskehl resp. Schneider.

66 Architekturinteressierte Studentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Köpfe des Bauateliers, um 1927 Blick ins Architekturatelier Gropius

Aus den Werkbiografien wissen wir, dass dennoch entwürfen von Benita Otte und Alma Buscher zumin- auch weitere Studentinnen an den Projekten des dest zwei Studentinnenentwürfe realisiert - bezeich- Privatateliers partizipierten.86 So beteiligt sich Lou nenderweise Küche und Kinderzimmer. Am Ausbau Berkenkamp 1920 als Lehrling in der Wandmalerei des Bauhausneubaus 1925 sowie der Meisterhäuser sowohl bei der Kantine in Weimar als auch am Haus ist Kattina Both beteiligt. Mila Lederer arbeitet bspw. Sommerfeld. Bei diesem Projekt obliegt Dörte Helm an der Kantine Dessau mit. Um 1926/27 ist Wera die Auswahl von Stoffen und Lampen. Sie realisiert Meyer-Waldeck sowohl an der Innenausstattung des die Innendekoration und entwirft u.a. einen Vorhang. Arbeitsamtes Dessau als auch bei der Möblierung 1923 werden im ‘Haus am Horn’ mit den Innenraum- des Hauses Hahn beteiligt. Margaret Leiteritz soll an der Ausmalung des Palais Hilda und der Lutherschule sowie der Siedlung Törten beteiligt gewesen sein.87 1929 werden auf einer Liste Engemanns Lore Enders und Annemarie Wimmer als „arbeitsgruppe küche“ Ursula Schneider und Johan Niegeman, Dessau, 1928 der Siedlung Törten aufgeführt.89 86 Nach bisherigem Recherchestand zumindest neun: Dörte Helm, Lou Berkenkamp, Mila Lederer, Benita Otte, Alma Buscher, Ma- Und auch nach der Entflechtung von Privatatelier und rianne Brandt, Gerda Marx, Eva Fernbach, Margaret Leiteritz. Bauhaus sind Studentinnen für Gropius tätig: 1929 87 Vgl. Biografien im Anhang. arbeitet Meyer-Waldeck an der Ausstattung der Woh- 88 So der Eintrag auf der Prüfungsliste vom 21.10.1929, der jeweils nung Piscator in Berlin ebenso mit wie Eva Fernbach, „wa/ausbau“ vermerkt. Da Margaret Leiteritz erst ab dem Win- deren Entwurf für eine Wandlampe Verwendung fin- tersemester 1928/29 die Wandmalerei besucht, scheint ihre Mit- det.90 Auch Marianne Brandt und Ruth Hollos sind an arbeit an Törten fraglich. Vgl. Biografie Leiteritz dieser Ausstattung beteiligt91, erwähnt wird in Publi- 89 In einem Schreiben aus den 1960er Jahren bezeichnet Wimmer kationen jedoch nur die Mitwirkung Marcel Breuers. diese Küchenausbauten als Gemeinschaftarbeit, BHD 2-K-1967- Innerhalb der Bürohierarchie Gropius bleibt die Situa- 01-04 Brief Annemarie Lange an Konrad Püschel, Bl.1, S.1: „Die tion von Mitarbeiterinnen auch bei verstärkter Bautä- eine Mappe [Törten] wird Dir bekannt vorkommen, es sind auch tigkeit und nach der Verlegung des Büros nach Berlin ein paar Pausen von Dir dabei. Erinnerst Du Dich noch an diese perspektivlos. Durch Nichterwähnung von Mitarbeite- unsere Gemeinschaftsarbeit?“ rinnen in Publikationen sind sie bis heute nahezu 90 Vgl. Zeugnis Meyer-Waldeck vom 12.7.1932, S. 80 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar unbekannt.92 91 Zu Brandt vgl. FN 79 (S.160). Ruth Hollos sp. Consemüller (geb. Die vier Wohnungsgrundrisse für einen freistehenden 1904) studiert ab 1924 in der Weberei. Vgl. Fiedler, 1987, S.147. Flachbau von Friedl Dicker und Franz Singer aus der 92 Beide erhalten kein Empfehlungsschreiben, beide werden nicht Zeit um 1922/1923 sind die frühesten bisher doku- bezahlt, beide werden als Mitarbeiterinnen nie genannt. Mitar- mentierten architektonischen Entwürfe, an denen beiter des Büros Gropius/Meyer werden ohnehin nur selten ge- nachweislich eine Studentin beteiligt ist. Insgesamt nannt. In sämtlichen Veröffentlichungen und internen Papieren sind vier gemeinsame Entwürfe von Dicker / Singer gänzlich ungenannt bleiben jedoch nur die Damen. So bspw. bekannt, die ebenso wie die Vorschläge Forbats und auch die TH-Studentin Hilda Harte, die zwischen 1930 und 1933 Muches im Kontext der geplanten Bauhaussiedlung im Berliner Atelier von Gropius mitarbeitete. Auch ihr Name in Weimar und des Musterhauses am Horn entstan- taucht selbst in den archivierten Abrechnungsbüchern des den. Büros Gropius nirgendwo auf, weshalb bezweifelt werden kann, dass sie - wie die Herren - für ihre Tätigkeit bezahlt wurde.

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Vier Entwürfe für ein Einfamilienhaus mit einem Kinderzimmer, um 1922, Friedl Dicker und Franz Singer. Bisher ist unbekannt, ob die in die Tiefe wie die in die Breite entwickelten Grundrissen gemeinsam geplant

Alle Grundrisse sind auf Millimeterpapier aufgetragen sind grundsätzlich alle Möglichkeiten doppelt vorge- 93 Die Datierungen reichen von 1921 bis 1923. Ein so langer Zeit- und um eine Axonometrie ergänzt. Dicker und Singer sehen, allein der Flügel ist ggf. vierhändig zu bespie- raum scheint hierfür aber kaum wahrscheinlich. haben jeweils signiert, jedoch nicht datiert.93 Bei allen len. Grenzt die Küche in ihren Wohnungsbereich, ist 94 Im Unterschied zum freistehenden Villen- oder Landhausbau, Grundrissen fehlen Angaben zu Ausrichtung und Ma- das Kinderzimmer ausschließlich über seinen indivi- wo den Bereichen der Dame und des Herrn im Formenvokabu- terial. Zwei dieser Entwürfe sind in die Tiefe, die bei- duellen Wohnbereich erschlossen. Ähnlich wie im lar ggf. unterschiedliche Ausdrucksformen zugewiesen werden, den anderen in die Breite entwickelt. Sie sind sicht- Versuchshaus von Muche - oder auch im wachsen- um hierdurch ein spannungsreicheres Gebäude komponieren zu lich von innen nach außen gedacht - im Unterschied den Haus von Scharoun - wird dem Wohnen die zen- können, geht es Dicker / Singer bei ihrem Egalitätsanspruch um zu den unter Stam, Meyer oder Hilberseimer entwor- trale Lage zugewiesen. die Neuverteilung des Terrains innerhalb des Gebäudes. fenen Wohnungsgrundrissen späterer Jahre. 95 Wingler in Sammlungskatalog (BHA), Berlin, 1981, S.187, zitiert Was Wingler als einen typischen Bauhausgrundriss nach Plakolm-Forsthuber, 1994, S.254 Durch alle Entwürfe zieht sich die Suche nach egali- charakterisiert - „Einen getrennten Bereich für Mann 96 So ist weder das Kinderzimmer immer dem der Frau zugeord- tären Wohnformen und die Vermeidung von Fluren. und Frau, die Zuordnung des Kinderzimmers zu dem net, nur bei zwei Entwürfen ein gesonderter Küchenzugang zu Bei ebenso unorthodoxen wie unbeholfenen Erschlie- der Frau, der große Wohnbereich und der abgeson- finden. Die Küche ist im einen Fall dem Wohnzimmer des Man- ßungen, wie einer Drehtür im Zentrum der Wohnung, derte Kücheneingangsteil.“ 95 - zeigt sich schon im nes zugeordnet, im anderen Fall nur durch das gemeinsame entstehen so strikt geometrisch aufgebaute Bereiche Vergleich aller vier Grundrisse lediglich als Variante.96 Wohnzimmer überhaupt erreichbar. Allerdings ist jeweils ein für ‘M’(ann) und ‘F’(rau). Hier wird offensichtlich ein Im Unterschied zur Minimierung von Erschließungs- Speisezimmer eingeplant, selbst wenn es innenliegend und nur adäquater räumlicher Ausdruck für ein egalitär ge- flächen bleibt die architektonische Reflexion eines über Oberlicht beleuchtet (4) oder als Appendix der Speisekam- dachtes Geschlechterverhältnis innerhalb des priva- egalitären Geschlechterverhältnisses singulär, sind mer konzipiert ist. Ob an Dienstboten gedacht ist, bleibt fraglich ten Wohnens gesucht. Die Varianten loten mit Hilfe explizit ausgewiesene Bereiche für Mann und Frau in Personalräume sind nicht vorgesehen. jeweils gleich großer, ja möglichst gleichförmiger Flä- zeitgleichen Entwürfen nicht zu finden.97 Die Herren - 97 Während Peter Keler im fahrbaren Haus von 1924 bspw. eben- chen für Frau und Mann neue Grundrisse für die he- darunter auch Alfred Arndt98, Adolf Meyer oder Georg falls Flure durch eine Drehtür ersetzt (Winkler, 1993, S.159), sind terosexuelle Paarbeziehung aus.94 Dies führt in ge- Muche99 - stellen in ihren Entwürfen lediglich die ar- in keinem der anderen Entwürfe - bspw. von Breuer, Forbat meinsam zu nutzenden Bereiche wie dem großen chitektonische Ausformulierung, nicht jedoch die oder Molnar - geschlechteregalitäre Bereiche zu finden. Wohnsalon bzw. nur einmalig vorgesehener Räume räumlich zementierten Organisationsformen bürgerli- 98 So bspw. 1924 beim Haus Auerbach in Jena - vgl. Winkler, wie Kinderzimmer und Küche zu unkonventionellen chen Wohnens in Frage. 1993, S.122. räumlichen Zuordnungen: Im Gemeinschaftsbereich

68 Architekturinteressierte Studentinnen 99 So bspw. beim Entwurf des Stahlhauses, 1923 oder dem Ent- wurf für ein Stadtwohnhaus 1924. Winkler, 1993, S.130 100 Droste, Magdalena: Beruf Kunstgewerblerin, 1989, S.190 101 Vgl. Baumhoff, 1994, S.81ff. „Änderungen der Bauhauspolitik gegenüber Frauen“ 102 Vgl. dazu bspw. den Kostenvoranschlag vom 28.2.1919 in dem Gropius unter Einnahme: Schulgelder „100 Herren à 150 M, 50 Damen à 180 M“ aufführt. (Wingler, 1975, S.34) Zur Frage der Werkstätten vgl. MRP 14.5.1920 und 20.9.1920 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 103 Meisterrtsprotokoll vom 2.2.1920 resp. vom 20.9.1920 104 Gropius (SBW Nr.13/85) „Ohne Frage muß der Zugang von Da- men gestoppt werden. Die Töpferei, Holzplastik u.a. Werkstät- ten sind teilweise schon von Frauen überlaufen. Ich schlage deshalb vor, daß in der näheren Zukunft nur noch Frauen mit außergewöhnlichem Talent aufgenommen werden.” - SBW, Nr.12 MRP 26.6.22 §7 Eingrenzung der für Frauen zugänglichen Werkstätten 105 Baumhoff wertet die Einführung der ‘Frauenklasse’ bzgl. der Si- tuation von Studentinnen als Paradox: Für Frauen, die in ge- schlechtsexklusiver Atmosphäre die Weberei besuchen wollten, habe sie durchaus eine Befreiung, für Aspirantinnen anderer Werkstätten eine Beschränkung bedeutet. Baumhoff, 1994, S.89 106 Ibid., S.83 107 Dies wird nie aktenkundig, bestenfalls retrospektiv bekannt. So bspw. bei Anni Fleischmann und Gertrud Hantschk, die nach oder lediglich gemeinsam signiert wurden. Es wurde jeweils eine Variante mit Unterkellerung vorgesehen. der Grundlehre 1923 in die Weberei eintreten, auch wenn sie 1922 resp. 1923 in der Absicht kamen, Wandmalerei bzw. Ar- chitektur zu studieren. Fleischmann war 1899 als Tochter eines Bereits 1989 hat Magdalena Droste für die Instituti- Obschon die seit Mai 1920 existierende ‘Frauenklas- Möbelproduzenten in Berlin geboren (vgl. Biografie bei Fiedler, onspolitik des Bauhauses in der Weimarer Zeit fest- se’ auch von manchen Studentinnen begrüßt wurde, 1987, S.143). Hantschk verlässt das Bauhaus Ende 1927 mit ei- gestellt, „daß Frauen der Zugang grundsätzlich er- sie wurde lt. Baumhoff auf Betreiben Walter Gropius´ nem Zeugnis der Weberei. Auch Kitty van der Mijl-Dekker gibt in schwert wurde und (..) sie in die Weberei abgedrängt „hauptsächlich zur Trennung der Geschlechter” ein- ihrer Bewerbung zunächst Architektur als Studienwunsch an. wurden.“ 100 Anja Baumhoff untersuchte in „Women, gerichtet.105 Über die Zeit seines Direktorats hinaus (BHAB, Brief v.d.Mijll an Gropius vom 14.12.1928) - Wie sich an Art and Handicraft at the Bauhaus“ 1994 die Selbst- war damit für die meisten Studentinnen innerhalb des Vielfalt wie Qualität von Stoffen, Bildwebereien und Wandbe- verständnisse von Meistern, zeichnete die Instituti- Bauhauses der Betätigungsrahmen in der Weberei hängen belegen lässt, nutzen zahlreiche Studentinnen den ihnen onspolitik gegenüber Studentinnen anhand der Mei- abgesteckt, ein Studium im räumlichen Entwurf mehr als Nische denn als professionelles Arbeitsfeld zugewiese- sterratsprotokolle der Weimarer Jahre nach und be- systematisch verstellt.106 nen Bereich der Weberei, um dort außergewöhnliche Meister- zeichnete sie als ‘Geschlechterpolitik’.101 Sie belegte, Auch architekturinteressierte Studentinnen fügen sich schaft zu entwickeln. dass Gropius immer wieder initiativ wurde, um Stu- - wenn auch widerstrebend - manches Mal dem Ge- 108 Dietzsch, 1990, II, S.323, Anlage 45. Auch wenn die Liste lt. dentinnen schlichtweg aufgrund ihres Geschlechtes bot, in die Weberei einzutreten.107 Offenbar üben An- Dietzsch lediglich eine Tendenz angibt - ein Fünftel der Abmel- Ausbildungschancen vorzuenthalten: So, wenn er für fang der zwanziger Jahre jedoch nicht alle Studentin- dungen erfolgt ohne Begründung -, so wird doch deutlich, dass Frauen erhöhtes Schulgeld in Erwägung zieht oder nen die gewünschte Enthaltsamkeit im räumlichen zu etwa einem Viertel disziplinarische Gründe (unerlaubter Ur- Werkstätten für Männer zu reservieren beabsichtigt.102 Entwurf: Als „noch immer ungelöst“ wird ‘die Frauen- laub, u.ä.), zu einem weiteren Viertel die Nichtaufnahme (resp. Auch wenn er im Februar 1920 einklagt, „daß das frage’ 1922 im Meisterrat erneut verhandelt. Während nicht bestandenes Probesemester) ausschlaggebend waren. weibliche Element nach und nach nicht mehr als 1/3 der Weimarer Jahre verlassen jedoch auch etliche Familiäre Gründe (wie Heirat) werden nur bei 7 Austritten akten- der Plätze einnimmt“, und im September des glei- Studentinnen das Bauhaus nach nur wenigen Seme- kundig, vergleichbar häufig ist das Ausscheiden durch Tod (6). chen Jahres „eine scharfe Reduzierung des überre- stern. Dietzsch hat 231 Austritte von Studierenden für 109 Ol[g]a Okuniewska, seit 1919 am Bauhaus, wird zum Sommer- präsentierten weiblichen Geschlechts” fordert.103 diesen Zeitraum dokumentiert, wobei erkennbar wird, semester 1920 nur unter Vorbehalt aufgenommen. Sie absolviert Befremdlich bleiben auch die Vorschläge, „in der nä- dass familiäre und finanzielle Gründe eine verschwin- ein 2. Probesemester, besucht im Winter 1920/21 neben der heren Zukunft nur noch Frauen mit außergewöhnli- dend geringe Rolle spielen.108 Bereits 1920 bricht An- Grundlehre das ‘Werkzeichnen’ und wird anschließend aufge- chem Talent“ aufzunehmen und für Studentinnen die ny Bernoully ihr Studium am Bauhaus ab. 1921 ge- nommen. Ein Jahr später, am 12.10.1921, wird sie vom Meister- Werkstattwahl einzugrenzen, da „ohne Frage (..) der hen Elfriede Knott und Ola Okuniewska109, 1922 Mar- rat gestrichen. Der weitere Lebensweg Okuniewskas wurde Zugang von Damen gestoppt werden“ müsse.104 garete Viereck, Lene Wulff, Gertrud Droste und Käte nicht recherchiert. Vgl. FN 53 sowie Dietzsch, 1990.

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110 Utschkunowa hatte 1919 eine Belobigung „für Modellieren“ er- halten, ab 1920 am Bauhaus die Grundlehre und ‘probeweise’ die Holzbildhauerei besucht. Die Gründe ihres Ausscheidens sind nicht ganz klar. Gropius hatte am 25.10.1920 „ein Gesuch um Unterstützung der außerordentlich befähigten und tüchtigen Bulgarin“ beim Bulgarischen Kulturministerium eingereicht. SBW, Sign.156, Bl.1807, vgl. auch FN 49 111 1920 bestand keinerlei Aussicht, dass diese Klasse in absehba- rer Zeit zustande kommen würde. Vgl. auch Biografie Bernoully 112 Lene Wulff, die seit dem Wintersemester 1921/22 neben der Blick von oben auf die Terrasse vor der Mensa, um 1928 Wandmalerei auch die Weberei besuchte, verlässt das Bauhaus wahrscheinlich ohne Zeugnis wie ohne Gesellenbrief. Von ihrem Reiche. Mit dem Weggang Ittens verlassen 1923 wei- Privatatelier in den Räumen des Bauhauses betreiben weiteren Lebensweg ist lediglich bekannt, dass sie emigriert und tere Studentinnen das Haus, darunter Friedl Dicker, zu dürfen. Zum Herbst verlagert er sein Büro, das er um 1934 in New York gelebt haben soll. Vgl. Fiedler, 1987, Mara Utschkunowa und Anni Wottitz.110 1924 gehen zuvor in Berlin und seit 1912 mit Adolf Meyer (1881- S.167 resp. Grawe, 1997. Zu Wulff vgl. auch FN 37 Hilde Horn, Suse Becken und Gertrud Bernays-Herr- 1929) betrieb nach Weimar.116 Das als ‘Baubüro’ be- 113 Käthe Reiche ist im Wintersemester 1921/22 Mitglied im Stu- lich, 1925 Anni Wildberg ab. zeichnete Privatatelier wird innerhalb der Hauses be- dierendenausschuss, wird jedoch nicht mehr als Mitglied einer argwöhnt, offene Kritik bleibt tabu.117 In persona Bau- Werkstatt geführt, nachdem sie 1921 aus der Metallwerkstatt Bernoully, die in der in Aussicht gestellten Klasse für hausdirektor und Bürochef verquickt Gropius bei der ausscheidet. Ihre Tätigkeit im Studierendenausschuss verweist [Innen-]Architektur studieren wollte oder sollte, ver- Öffentlichkeitsarbeit für die Schule beide Rollen: Die auf ihr Interesse, an der Schaffung akzeptabler Studienbedin- lässt Weimar nach nur einem Semester 1920.111 Knott des Repräsentanten einer öffentlichen Bildungsein- gungen mitzuwirken. Das Studium nach vier Semestern abzu- und Bernays-Herrlich, die für den Kurs an der Bauge- richtung und die des freiberuflichen Architekten. brechen, deutet n.m.E. daraufhin, dass ihr das angestrebte Ziel werkeschule nicht zugelassen wurden, treten 1920 in nicht erreichbar scheint. Vgl. auch FN 21 die Tischlerwerkstatt ein. Knott geht 1921 ab, Ber- In Weimar setzt er sich mehrfach für den ‘Bauhof’, 114 Um 1924 ist Korona Krause letztmalig in der Weberei nachweis- nays 1924. Viereck und Wulff verlassen das Bauhaus einen experimentellen Bauplatz ein.118 Sein persönli- bar. Suse Becken hat das Bauhaus nach dem Vorkurs verlas- ohne Zeugnis 1922 nach sechs Semestern, darunter ches Interesse an der Etablierung eines qualifizieren- sen. Auch Anni Wildberg, die im Wintersemester 1924/25 die mehreren in der Wandmalereiwerkstatt.112 Und auch den Architekturstudiums bleibt jedoch gering.119 Stu- Grundlehre bei Moholy-Nagy besucht hatte, scheidet nach nur Reiche, seit 1919 in der Metallwerkstatt, geht 1922 dierende sollen über baukundliche Vorerfahrungen einem Semester am Bauhaus aus. (vgl. Dietzsch, 1990, II). Bei ab.113 Auch auffällig viele der Studentinnen, die um verfügen, jedoch erst im Anschluss an ein mehrjähri- ihr findet sich allerdings der Hinweis „will Sommersemester 28 1923 im Vorkurs bei Moholy-Nagy räumlich arbeiten, ges Studium ggfs. auch in der Architektur tätig wer- weiterstudieren.“ Wildberg scheint in die USA emigriert zu sein. verlassen das Bauhaus Weimar nach kurzer Zeit und den. Unter der Prämisse, dass Hannes Meyer bei der Von Hilde Horn fehlen alle biografischen Angaben, wodurch ohne Abschluss, so Korona Krause, Suse Becken, Berufung 1927 ein gleichsam situiertes Privatatelier unklar bleibt, ob sie mit dem gleichnamigen Werkbundmitglied Anni Wildberg und Hilde Horn.114 nicht vorzuenthalten war und die Lehre anhand von identisch ist. (Mitgliederverzeichnis 1928: Hilde Horn, Kunstge- Praxisprojekten erfolgen sollte, wird die Koexistenz Walter Gropius, seit 1919 Vorsitzender des Arbeits- werblerin, München, Bergmannstr.62) zweier Privatbüros und eines ausbildungsrelevanten rates für Kunst in Berlin115, war Mitte der zehner Jahre 115 Gropius war seit 1908 Mitglied des Werkbundes und wird im Planungsbereiches unter einem Dach zur konflikt- durch zwei radikal moderne Industriebauten bekannt Februar 1919 Nachfolger von Bruno Taut als Vorsitzender des trächtigen Konstruktion.120 Noch weit deutlicher als geworden: Das Faguswerk - eine Schuhleistenfabrik „Arbeitsrates für Kunst“, der 1920 den „Ruf zum Bauen“ publi- Gropius´ Abschied als Direktor steht sein Weggang in Alfeld an der Leine (1911-1913) - und die ‘Muster- zierte, nachdem 1919 „JA! Stimmen des Arbeitsrates für Kunst“ im Februar 1928 damit im Zusammenhang mit kon- fabrik’ auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln. Als erschienen war. Vgl. Akademie der Künste (Katalog): Arbeitsrat kurrierenden Auftragslagen, dem faktischen Verlust er 1919 zum Gründungsdirektor des Bauhauses be- für Kunst Berlin 1918-1921, Berlin, 1980 der Büroprivilegien in Folge einer geregelten Archi- rufen wird, lässt er sich in seinem Vertrag mit der 116 Wodurch dessen Rolle als ‘zweiter Mann’ gesichert, aber auch tekturausbildung am Bauhaus. thüringischen Regierung schriftlich zusichern, sein festgeschrieben war.

70 Architekturinteressierte Studentinnen „Bauhaustöchter“ - Architekturinteressierte Bau- findet die erste Veranstaltung von Stam als Ferien- hausstudentinnen unter Meyer kurs statt.126 Vorab informiert ihn Meyer, dass „die ei- Zum April 1927 tritt der seit 1919 freiberuflich tätige gentliche Baulehre“ nur sieben Hörer umfasse.127 Basler Architekt Hannes Meyer die am Bauhaus neu- Stam ist offenbar weder mit der Vergütung noch mit 117 „Ich fühle gerade bei den meistern oder einigen von ihnen eine geschaffene Stelle eines Leiters der Bauabteilung an. den Studierenden zufrieden. Vor Beginn seiner zwei- derartige ablehnung gegen das architektur-atelier, das sie als Er war mit dem Bau der Siedlung Freidorf bei Basel ten Gastwoche im September desgleichen Jahres fremdkörper im bauhaus empfinden, dass ich förmlich einge- (1919-1925) bekannt geworden und kooperierte seit stellt er als Bedingung: „Gib mir diesmal möglichst schüchtert bin“, schreibt Fred Forbat Anfang der zwanziger 1926 mit Hans Wittwer (1894-1952). Mit Meyer wird nur Fachleute - und keine aus der Malerei oder We- Jahre an seinen Arbeitgeber Gropius (Brief an Gropius, unda- ein Architekt ans Bauhaus berufen, der die Verwis- berei. Damit ich etwas gründlicher machen kann.” 128 tiert, um 1922) Forbat, Fred: Erinnerungen eines Architekten aus senschaftlichung der Bedarfsermittlung wie des Ent- Wer de facto diese Kurse besucht, ist nicht doku- vier Ländern, unveröffentlichtes Manuskript, BHA, 1972, S.66, wurfsprozesses betreibt. „meine architekturstudie- mentiert. Im November teilt Meyer Stam mit, dass er zit. nach Winkler, 1993, S.36, FN 92 renden werden keine architekten“, soll Meyer verkün- im Winter nicht die Baulehre, sondern den Städtebau 118 Das Gelände wurde hierfür ebensowenig zur Verfügung gestellt det haben.121 Er möchte in seinem - nun „co-op” ge- übernehmen solle und informiert ihn über seine Ab- wie für die um 1922 geplante Bauhaus-Siedlung. nannten - Privatbüro mit einem Team von Speziali- sicht, für Städtebau zukünftig Ludwig Hilberseimer 119 „Auch in den Jahren 1922-25 gelang es Gropius nicht, die als sten arbeiten. anzustellen.129 Die Gastwochen Stams werden das Ziel der Bauhausausbildung angekündigte Architekturlehre ein- Wintersemester hindurch fortgeführt. Dieser verlangt Hannes Meyer organisiert die Architekturlehre, in zurichten.“ Droste, 1991, S.110 - Jaeggi verweist darauf, dass im Februar 1929 von Meyer eine Neuorganisation der dem er den Architekturunterricht am Bauhaus zum sich - außer dem Bemühen um den Bauhof - keinerlei Initiative Baulehre.130 Meyer lässt ihn wissen, „daß die studen- Herbst 1927 in ‘Baulehre’ und ‘Bauabteilung’ teilt.122 von seiten Gropius´ ausmachen lässt. Bereits Isaacs ging hinge- ten mit den letzten drei kursen nicht mehr so zufrie- Er selbst unterrichtet in der Bauabteilung. Und da gen davon aus, „daß das Bauhaus damals noch kein eigentli- den waren”.131 Mit dem Wintersemester endet die auch er seinen Büropartner mitbringt, wird Hans Witt- ches Architekturstudium anbieten wollte.“ Isaacs, 1983, S.287 Verpflichtung Mart Stams als externem Lehrer. Der wer Dozent in der Baulehre. Meyer baut das Angebot 120 Getty bauhaus correspondence 870570, Schreiben an Gropius Berliner Architekt Ludwig Hilberseimer (1885-1967) des Architekturunterrichts systematisch aus. Das vom 16.2.1927 mit den Bedingungen für die Anstellung (8000,- übernimmt ab 1929 als Nachfolger von Wittwer die Studienangebot in der Baulehre umfasst zunächst 16 RM, Privatatelier, Wohnungsübernahme von Schlemmer etc.) - Grundlagenfächer der Baulehre und wird Leiter des Stunden und wird - vergleichbar dem Grundstudium „Wir haben jetzt seit jahren nur theorie getrieben an unsrer bau- neugeschaffenen „Seminars für Siedlungs- und an Technischen Hochschulen - auf vier Semester an- abteilung und konnten zugucken, wie das privatbüro gropius Wohnungsbau“. gesetzt. 1927 treten jedoch nur wenige Studierende stetsfort zu bauen hat.“ schreibt Hannes Meyer an Adolf Behne, unmittelbar in diese Abteilung ein. Zum Winterseme- Welche Studentinnen studieren nun, da ein Architek- im Brief vom 24.12.1927. Zitiert nach Droste, 1990, S.166f. ster 1927/28 finden wir dort 21 StudentInnen. turstudium an Kontur gewinnt, am Bauhaus? 121 Meyer-Bergner, Léna (Hg.): Hannes Meyer. Bauen und Gesell- schaft, Dresden, 1980, S.60 zitiert nach Droste, 1991, S.192, FN Als Hannes Meyer Anfang 1928 auf Vorschlag Walter Bereits vor Ort sind seit Herbst 1926 Lotte Beese, 118 Gropius´ zu dessen Nachfolger im Amt des Direktors seit Frühjahr 1927 Ursula Schneider, Eva Fernbach, 122 Droste, 1991, S.190 ernannt wird, gliedert er alle Abteilungen am Bauhaus Gerda Marx, Lotte Gerson und Wera Meyer-Waldeck. 123 Auch die anderen Bereiche werden neu organisiert. Als ‘Rekla- neu. Hatte er nur wenige Monate zuvor die Aufteilung Schneider verlässt Dessau bereits 1928 und kehrt meabteilung’ werden nun Fotografie, Plastik und Druck zusam- in ‘Baulehre’ und ‘Bauabteilung’ vorgenommen, so nach Berlin zurück. Zum Wintersemester 1928/29 mengefasst, die ‘Textilabteilung’ umfasst Färberei, Weberei und wird die Bauabteilung nun - nach seinem „Organisa- schreiben sich Maria Müller und Annemarie Wimmer Gobelin. Organisationsplan des Bauhauses unter Meyer, Januar tionsplan“ - in ‘Bauverwaltung’ und ‘Baubüro’ unter- am Bauhaus ein. Müller lebt seit 1922 in Dessau, wo 1930, vgl. Wingler, 1975, S.463 teilt. Wandmalerei, Metall- und Tischlereiwerkstatt sie im Architekturbüro ihres Mannes mitarbeitet. Als 124 Rückseite des Informationsblattes, das in Ermangelung des ver- werden zu einer eigenen ‘Ausbauabteilung’ zusam- Tochter eines Zigarrenhändlers in Dresden aufge- griffenen Lehrprospektes im Juni 1930 vom Bauhaus Dessau mengefasst.123 Die nun wieder auf ein Semester ver- wachsen, hatte sie Anfang der zwanziger Jahre an herausgegeben wurde. NL Meyer-Ehlers kürzte Grundlehre bleibt weiterhin obligatorischer der dortigen Akademie studiert. Auch Wimmer war in 125 Bauhauszeitschrift, 1928, H.2/3, S.32 Einführungskurs. „jeder neueintretende muss - ohne Dresden aufgewachsen, wo ihr Vater eine Strohhut- 126 Hannes Meyer hatte im März 1928 bei Mart Stam angefragt, rücksicht auf vorbildung und ziel - zunächst ein se- fabrikation betrieb, ihre Mutter als Musikpädagogin dieser hatte in seiner Antwort vorgeschlagen eine Woche pro mester lang die grundlehre des bauhauses durchma- tätig war. Auch sie hatte an der dortigen Akademie Monat am Bauhaus zu unterrichten. Getty bauhaus correspon- chen. (..) die verschiedenartigkeit der übungen lässt studiert, zuletzt jedoch ein halbjähriges Praktikum in dence 870570, Meyer an Stam 15.3.1928 Anfrage Berufung, alle möglichkeiten der spezialisierung für die weitere einer Weberei in Worpswede absolviert.132 Stam an Meyer 26.3.1928 ausbildung am bauhaus offen“, vermerkt das Infor- Ein Semester später, zum Frühjahr 1929 kommen 127 Ibid., Meyer an Stam vom 14.5.1928, S.2. mationsblatt des Bauhauses im Juni 1930.124 An- Eva Busse und Margot Loewe aus Berlin, Lore En- 128 Ibid., Stam an Meyer vom 4.9.1928 - Eine namentliche Teilneh- schließend sind ggf. vier Semester in der ‘Baulehre’ ders aus Mannheim, Ella Rogler aus Stuttgart und die merliste ist nicht dokumentiert. Am Kurs im Sommer nehmen vorgesehen, wo Ingenieure wie Friedrich Engemann Niederländerin Kitty van der Mijl-Dekker ans Bau- u.a. Beese, Meyer-Waldeck und Fernbach teil. und Friedrich Köhn technische Fächer unterrichten. haus. Busse kommt im Anschluss an das Abitur. Loe- 129 Ibid., Meyer an Stam vom 22.11 1928 Erst danach werden im Baubüro konkrete Bauaufga- we, als Tochter eines freiberuflichen Architekten mit 130 Ibid., Stam an Meyer vom 8.2.1929 ben bearbeitet. einem älteren und einem jüngeren Bruder in Berlin 131 Ibid., Meyer an Stam vom 6.2.1929 „soweit ausserdem private aufgewachsen, arbeitete dort als Apothekenhelferin, In der Bauhauszeitschrift erscheint im Sommer 1928 gründe und deine einstellung zum bauhaus mitspielen, möchte kommt nun jedoch aus Frankfurt am Main. Auch En- die Ankündigung: „mart stam - rotterdam hält als ich mich nächstens (..) mit dir darüber unterhalten.” ders, als älteste Tochter eines Baurats mit drei Ge- gastlehrer monatlich eine woche vorträge über ele- 132 AdKS, PA Lange, Zeugnis Annemarie Wimmer, Frühjahr 1929, schwistern in Mannheim aufgewachsen, hatte bereits mentare baulehre und städtebau.“ 125 Bereits im Juli unterschrieben von Martha Vogeler.

am Bauhaus 71 133 Catharina Louise (Kitty) van der Mijl-Dekker wurde am 22.2.1908 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar in Djodhjakarta geboren. Zur Biografie van der Mijl-Dekkers vgl. Fiedler, 1987, S.149 134 Annemarie Wimmer am 6.3.1926 an der Städtischen Studienan- stalt Dresden-Neustadt, Ella Rogler um 1927 am Olga-Gymnasi- um in Stuttgart. Eva Busse bestand ihr Abitur wahrscheinlich 1929 am Oberlyzeum in Berlin-Pankow. Sie ist damit die Einzige der hier genannten, die unmittelbar im Anschluss an die Schul- ausbildung ein Studium am Bauhaus aufnimmt. Kein Abitur er- „Haus des Arbeiterrates für Jerusalem”, Arieh Sharon, 1929, Axonometrie warben Margot Loewe, Annemarie Wilke, Kitty van der Mijl-Dek- ker, Lore Enders und Wera Itting. Die Schulabschluss von Maria Müller ist unbekannt. als Au-Pair, zuletzt als Zahnarztgehilfin gearbeitet. Philipp Tolziner und Tibor Weiner und eine „Volks- 135 Meyer, Hannes: „bauen“ in: bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, Rogler kommt nach Abitur und einer Tischlerausbil- schule” von Ernst Göhl. Was Studentinnen de facto S.12ff dung in den Werkstätten Schmidt und Merz in Stutt- bei ihm, resp. in der Baulehre bei Wittwer entwerfen, 136 Im Bauhaus-Zeugnis wird ihr die „zeichnerische mitarbeit am gart. Ihr Vater bewirtschaftete ausgedehnten land- ist weitgehend unbekannt. Ella Rogler zeigt auf der wettbewerbsprojekt lungenheilstätte harzgerode“ bescheinigt wirtschaftichen Besitz in der Nähe von Odessa, wo Semester-Prüfungsausstellung im September 1928 Bauhaus-Zeugnis Lotte Beese vom 29.10.1929, S.3 sie als jüngstes von sieben Kindern die ersten Le- ihren - bisher nicht dokumentierten - Entwurf eines 137 Vgl. S.67 bensjahre verbrachte. Und van der Mijl-Dekker, sie Einfamilienhauses. Die wenigen architekturinteres- 138 Ihr Lageplan mit einer Übersicht der „statistischen daten für ei- war zunächst auf einer indonesischen Tabakplantage sierten Studentinnen dieser Jahre scheinen überwie- nen volksschule in der siedlung törten“ datiert vom 22.5.1930, aufgewachsen, hatte nach dem Schulbesuch in den gend im Rahmen von Gemeinschaftsprojekten tätig BHD I 1617 G Niederlanden Zeichenkurse an der Londoner Hornsey geworden zu sein oder - so bspw. Müller und Wim- 139 Die vier Bau-Diplome werden an Seifi-Naki Halil Bey (Bauhaus- School of Art belegt und bei einem Architekten Pri- mer - ab 1929 im Seminar für Siedlungsbau bei Hil- Diplom Nr.1 vom 10.9.1929), Erich Consemüller, Hermann Bun- vatunterricht genommen.133 Zum Herbst 1929 schreibt berseimer studiert zu haben. Als das Baubüro 1928 zel und Arieh Sharon vergeben (Nr.4, 5, 6, alle datierend vom sich Annemarie Wilke in Dessau ein, nachdem sie am Wettbewerb „Lungenheilstätte in Harzgerode“ 27.11.1929). vorab eine kaufmännische Ausbildung absolviert und und 1929 am Wettbewerb für die „ADGB-Bundes- 140 Organisationsplan des Bauhauses unter Meyer, Januar 1930: Musik studiert hat. Sie war als Einzelkind auf der vä- schule in Bernau“ teilnimmt, arbeitet bspw. Lotte 190 Studierende, davon 136 männliche, 54 weibliche. Wingler, terlichen Mühleninsel in Lübeck aufgewachsen. Zum Beese mit.136 Wera Meyer-Waldeck entwirft für die 1975, S.463 Frühjahr 1930 immatrikuliert sich Wera Itting am Bau- ADGB einen Schreibtisch, der gleichzeitig ihr Gesel- 141 Bauhaus-Zeitschrift, 2.Jg., 1928, Heft 2/3, S.12 haus. Ihr Vater war Ingenieur und leitete die Itting- lenstück in der Tischlerei wird. 1929 arbeiten Lore 142 „Denn egal ob es um die etagenwohnung, oder gar nur das ein- Werke in Probstzella, wo sie mit zwei Brüdern auf- Enders und Annemarie Wimmer an den Einbaukü- zelzimmer der alleinstehenden frau [geht] (..) auch mit den be- wuchs. Bevor sie ans Bauhaus kommt hat sie eine chen der Siedlung Törten.137 Lotte Gerson plant im scheidensten mitteln lassen sich immer wieder verbesserungen Haushaltungsschule besucht und ihre Sprachkennt- Frühjahr 1930 eine Volksschule für eben diese schaffen, wenn man nur weiß, wo die möglichkeiten dazu lie- nisse bei einem einjährigen Aufenthalt in England und Siedlung.138 gen.“ bauhauszeitschrift, 3.Jg., 1929, Heft 4, S.25 Schottland vertieft. Unter Direktor Meyer werden - drei Jahre nach Ein- 143 „Vorweg sei bemerkt, daß sie [die heikle Aufgabe] innerhalb der Alle architekturinteressierten Studentinnen, die nach führung eines Architekturunterrichtes - erstmalig Di- vom Verlag gezogenen Grenzen, überraschend gut gelöst ist.“ Einführung einer Architekturabteilung ans Bauhaus plome vergeben: Dreizehn ingesamt, vier davon in 144 Er lobt Hildebrandt als einen „Mann mit vorurteilslosem Blick für kommen, haben weiterführende Schulen besucht. Sie der Bauabteilung, keines davon an eine Studentin.139 historische wie psychologische, soziologische und wirtschaftli- haben in der Regel bereits studiert und/oder gearbei- Auch nach Einführung der Architekturlehre gewinnen che Zusammenhänge, im Textteil beweist er ungewöhnliche Fä- tet. Aber sie haben häufig kein Abitur erworben.134 die Studienbedingungen für Architekturstudentinnen higkeiten der Einfühlung und Aufhellung (..) Methodisch geht er nicht unbedingt an Attraktivität. Bei insgesamt wieder den schwierigen Fragen nach dem Wesen der weiblich-schöpfe- Nach Hannes Meyer ist Bauen „ein biologischer vor- steigenden Studierendenzahlen - der Studentinnen- rischen Begabung, ihrer Verschiedenheit von der Genialität des gang (..) kein ästhetischer prozeß. (..) nur wer als mei- anteil bleibt mit insgesamt 28% nahezu konstant- Mannes, der Beziehung der schaffenden Frau zum männlichen ster in der arbeitsgemeinschaft anderer den lebens- schreiben sich zunehmend weniger architekturinter- Künstler usw. nach“. Behne, Adolf: Rezension zu Hildebrandt, prozeß selbst meistert, ...ist baumeister.“ Demnach essierte Studentinnen am Bauhaus ein.140 Die Neu- Hans: Die Frau als Künstlerin, in: Die Form, 1929, 4.Jg. H.11, ist „bauen nur organisation: soziale, technische, öko- gliederung der Architekturlehre - offiziell eine Selek- 1.6.1929, S.300 nomische, psychische organisation.“ 135 Unter Meyer tion nach Vorbildung, um eine adäquate Form der 145 Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künstlerin, Berlin, 1928, S.30 entstehen Entwürfe wie das „Gewerkschaftshaus für Schulung zu gewährleisten - zeigt erneut die deutli- 146 Bereits seit Mitte der zwanziger Jahre nehmen ablehnende Ten- Tel Aviv“ oder das „Haus des Arbeiterrates für Jeru- che Tendenz zur Ausgrenzung von Studentinnen, denzen gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen merklich zu. salem“ von Arieh Scharon, „Arbeiterwohnhäuser” von

72 Architekturinteressierte Studentinnen zumal die Zusammenfassung von Wandmalerei, grenzung von Studentinnen nicht in Frage. Im direk- 147 „Unter Assistenz einer Jugend, die nach links schielte und Metall- und Tischlereiwerkstatt zu einer ‘Ausbauab- ten Gespräch gibt er sich gern väterlich jovial, spricht gleichzeitig selber hoffte, im gleichen Tempel dermaleinst heilig teilung’ die faktische Ausgliederung dieser Werkstät- von „seinen Bauhaus-Töchtern“ und Teppichen als gesprochen zu werden.“ Meyer, 1930: Mein Hinauswurf aus ten aus dem Bereich ‘Bau’ bedeutet. „Seelenkomplexe[n] junger Mädchen“.148 Die reale dem Bauhaus - Offener Brief an Oberbürgermeister Hesse, Des- Studiensituation der Studentinnen wird von diesem Unter der Schriftleitung von Hannes Meyer ist in der sau in: Das Tagebuch, Berlin, 11.Jg., H.33, 16.8.1930, S.1307 Charakteristikum der Phase Meyer, das mensch als Bauhauszeitschrift 1928 zwischen Architekturartikeln ff., abgedruckt in Wingler,1975, S.169 ff. - hier S.170 ‘laissez-faire Paternalismus’ bezeichnen könnte, zwi- - wie dem Kongressbericht über die „Wohnung für 148 Und diese Haltung gegenüber Studentinnen überdauert das schen 1928 und 1930 deutlich überschattet. das Existenzminimum“ von Gerrit Rietveld - nun zu Bauhaus: So fragt Hannes Meyer bspw. 1940 eine ehemalige lesen: „hausfrauen! besucht die ausstellung heim und Studentin: „.wo steckt dein mann und was macht er? bauen? technik münchen (..) lernt moderne hausarbeitsöko- planen? was machst du selbst? textilien? felddienst? aushilfe?“ nomie, damit ihr mehr zeit habt für die morgenpost, „Dann überkam uns der Abschluss eben zwangs- (DAM, NL Meyer, Brief an Margot Sander vom 15.4.1940) Und den lokalanzeiger und, wenn´s hoch kommt, die da- weise“ - Architekturinteressierte Studentinnen 1951 fragt er die als Weberin in erster Ehe mit einem Nicht-Bau- me!” 141 Wie kommt der Hinweis auf eine Bauausstel- unter Mies van der Rohe häusler verheiratete „Liebe Lisbeth (..) warum müssen wir Bau- lung, an der mit Kattina Both auch eine ehemalige Nachdem Hannes Meyer im Vorgriff seiner Entlas- häusler so oft heiraten, bis wir endlich ein selbstverständliches Studentin beteiligt ist, als Aufruf an ‘Hausfrauen’ in sung als Direktor zum 1.8.1930 kündigt, verfügt der Glück finden? Hat dies etwas mit dem falschverstandenen die hauseigene Depesche? - Just ab dem Zeitpunkt, Meisterrat die sofortige Schließung des Instituts. Mies ‘Funktionalismus’ zu tun, oder gar mit der ‘Weberei-Krankheit’? zu dem ein Architekturunterricht angeboten wird, sich van der Rohe wird zum Oktober 1930 als neuer Di- (..) und schreib bald, wie & was & wozu Du in Deiner Familie auch für Studentinnen erweiterte Studienmöglichkei- rektor berufen. Er erlässt umgehend eine neue Sat- taugst.“ Ibid., Brief an Lisbeth Birman[-Oestreicher], 15.6.1951 ten abzeichnen, reproduziert die Bauhauszeitschrift zung, mit der ein Ausschluss politisch missliebiger 149 Die neue Satzung tritt zum 21.10.1930 in Kraft. offensiv Geschlechterklischees. „die frau (..) wird eine Studentinnen und Studenten durch eine komplette 150 Droste, 1991, S.210 - Der elementare Architekturunterricht fand ausführliche erörterung der wohnungsfrage begrü- „Neuaufnahme der Studierenden“ zum Beginn des ab 1929 bei Ludwig Hilberseimer zunächst als ‘Baulehre’ (bis ßen“ und sie „bedarf (..), sofern sie berufs- und damit Wintersemesters am 26.10. möglich wird.149 Er führt 1930) dann als ‘Seminar für Siedlungs- und Städtebau’ statt verantwortungsbewußt genug ist, erheblicher kennt- den unter Meyer ab 1928 begonnenen Ausbau des 151 „Da während des Direktorats Mies van der Rohes keine exter- nisse aller teilfragen dieses gebietes“.142 Die Schriftlei- Architekturunterrichts zu einem Studiengang weiter nen Aufträge mehr bearbeitet wurden, entfiel nicht nur die Aus- tung empfiehlt hier unter dem Titel „wohnberatung“ und rückt damit faktisch bereits 1930 die Architektur sicht auf eine Verzahnung von Theorie und Praxis“, beschreibt der „berufsbewußten” Leserin die neu erschienene in den Mittelpunkt des Lehrangebots. In einem nun Magdalena Droste die Situation. Droste, 1991, S.214. -„Es fällt Zeitschrift „die neue hauswirtschaft“. - Ebenfalls 1929 deutlich dreigeteilten Studienaufbau steht nach der schwer zu glauben, daß es allein die katastrophalen wirtschaftli- wird hier eine jubelnde Rezension Adolf Behnes über Vermittlung technischen Grundwissens und eines ele- chen und politischen Verhältnisse waren, die eine derartige Re- Hildebrandts „Die Frau als Künstlerin“ erneut abge- mentaren Architekturunterrichts ab dem dritten duktion des nichtarchitektonischen Unterrichts erzwangen“, be- druckt. Behne lobt, dass Hildebrandt die „heikle Auf- Studienjahr die Entwurfsarbeit bei einem Architekten urteilt Peter Hahn die Konzentration des Lehrprogramms. Hahn, gabe (..) innerhalb der vom Verlag gezogenen Gren- im Zentrum.150 Mies streicht ersatzlos etliche Fächer Peter: Bauhaus und Exil, in: Baron, 1997, S.212 zen überraschend gut gelöst“ habe.143 Er hält insbe- - und damit auch Besonderheiten des Bauhausstudi- 152 Wie dies Mies van der Rohe selbst zwanzig Jahre zuvor als Mit- sondere die Abgrenzung vom „männlichen Künstler“ ums - und führt ‘Freihandzeichnen’ während der Vor- arbeiter und Schüler von Bruno Paul an der Kunstgewerbeschu- für gelungen und hätte sich wohl noch offenere Wor- lehre ein.151 Die Studiendauer wird von neun auf nun le Berlin kennengelernt hatte. te gewünscht. Dennoch empfiehlt er die „geistreiche, sechs Semester gesenkt, unter Verzicht auf die bis 153 Hans Volger stellt - sieben Jahre nach seinem ersten Vorstoß - angenehm zu lesende und doch sehr exakte Darstel- dato obligatorische Vorlehre werden außerhalb der einen Antrag auf „Stellungsnahme“. Die Antwort auf diese Anfra- lung des geschichtlich-seelischen Verlaufs.“ 144 Was Schule erworbene Vorkenntnisse angerechnet. Durch ge zeigt erneut die große Vorsicht vor jeglicher Regelung dieser Behne da als geistreiche Darstellung, vorurteilslosen diese Zuspitzung des Studienangebotes, bei dem in ‘Abteilung’. (BHD, NL Engemann, 35-D-1931-03-10. protokoll Blick und einfühlsames Nachgehen lobt, liest sich im Architekturklassen unter Verantwortung eines Mei- der beiratssitzung vom 10. märz 1931, pkt.2) „organisation der Originaltext auch schon mal ziemlich platt: „Das Weib sters entworfen wird, nähert sich das Studium am bauabteilung. antrag volger auf stellungsnahme bzw. entschei- ist ans Haus gekettet. Nur eine Kunstbetätigung, die Bauhaus dem an Kunstgewerbeschulen und Techni- dung folgender fragen: a) ist eine bauabteilung, eine produktion sich zu Haus verrichten läßt, steht ihr zu.“ 145 schen Hochschulen an.152 Anlässlich eines Antrags nötig? b) welches kann ihr aufgabenkreis sein? c) welche mass- legt der Beirat, der angesichts mangelnder Mittel wie nahmen und einrichtungen sind nötig, um diese aufgabe zu lö- Zum Zeitpunkt des Weggangs von Gropius propa- in Ermangelung von Aufträgen nichts zu verteilen hat, sen und die abteilung weitmöglichst auszuwerten? giert die Bauhauszeitschrift unter Kallai und Meyer im Frühjahr 1931 für die Bauabteilung jedoch vielsa- zu a) die frage wird bejaht, damit ausgerechnet jenes Buch, in dem ein Intimus gend fest: „genau abzuklären sind die kompetenzen zu b) der aufgabenkreis richtet sich nach den vorhandenen auf- von Gropius´ sämtliche alten und neuen Vorurteile der bauabteilung.“ 153 trägen und den finanziellen möglichkeiten gegenüber Frauen in Kunst und Architektur aufkocht. zu c) zur durchführung der wesentlichen wünsche sind ca. rm Damit nimmt das doing gender - zweifellos im Sinne Anfang 1932 stellt Mies van der Rohe seine Partnerin 2.000 monatlich erforderlich, verfügbar sind etwa rm 1.000 mo- der Verantwortlichen - nun ebenso unverhohlen wie Lilly Reich (1885-1945) als Dozentin für den Bereich natlich. herr volger wird gebeten, einen vorschlag zu machen, öffentlich sichtbare Formen an.146 Der Aufklärer Han- Innenausbau an. Als nach dem Verlust politischer wie welche aufgaben mit diesen beschränkten mitteln gelöst werden nes Meyer, der 1930 auf die Diskrepanz zur propa- finanzieller Unterstützung durch die Stadt Dessau En- können und welche hiernach ausdrücklich zurückgestellt werden gierten Individualität hinweisen, die „Revolutionäre de 1932 die Weiterführung des Bauhauses nur noch müssen. genau abzuklären sind die kompetenzen der bauabtei- der Vorkriegskunst“ mit ihrem reklamierten Gemein- als Privatschule möglich ist, versucht der Beirat die lung. solange keine wirklichen ‘bau’-aufgaben vorliegen, wird schaftsprojekt als „mittelalterlichen Kult“ anprangern Schule durch eine Verlegung nach Berlin zu retten. die beschäftigung eines möbeltechnikers für wichtiger gehalten wird147, stellt die unter Gropius bereits erprobte Aus- Angesichts dieser Umstände kann nicht mehr von als die eines bautechnikers.”

am Bauhaus 73 regulären Studienbedingungen gesprochen werden.154 und arbeitete als Maschinenbauingenieur. Mit Wera Meyer-Waldeck, Annemarie Wimmer, Maria Als das Bauhaus zum Wintersemester 1932/33 in den 154 Während im letzten Semester in Dessau, im Sommersemester Müller, Margot Loewe, Lore Enders, Wera Itting und Räumen einer ehemaligen Telefonfabrik in Berlin- 1932 noch insgesamt 167 Studierende eingeschrieben waren, Annemarie Wilke finden wir in der Bauabteilung unter Steglitz den Unterricht aufnimmt, studieren von den sank deren Zahl im Wintersemester 1932/33, dem letzten Bau- Mies Studentinnen, die schon unter Meyer studiert zuvor Genannten nur noch wenige.157 Der Ortswech- haussemester, auf 114. Gut 20% aller Studierenden waren im hatten. Meyer-Waldeck, die bereits unter Gropius ihr sel eröffnet nun jedoch auch ortsgebundenen Berli- letzten Dessauer Semester Studentinnen (incl. HospitantInnen Studium in der Tischlerei begonnen hatte, erlebt da- nerinnen wie Hilde Katz, Anneliese Brauer und Eva und HörerInnen). Hahn/Wolsdorff, 1985, S.62 resp. S.102 - mit den dritten Bauhausdirektor. Neu ans Bauhaus Lilly Lewin die Möglichkeit der Immatrikulation. Katz, Sommersemester 1932: 142 Studierende, 17 Hospitanten, da- kommen im Herbst 1930 Szuszanna Bánki, Ruth Jo- als eine von drei Töchtern eines Juristen im Berliner von im Bau/Ausbau 87 Studierende, 4 Hospitanten, 2 Hörer sefek, Anny Wettengel, Grete Meyer, Mathy Wiener Tiergartenviertel aufgewachsen, wechselt nach vier- (männlich 125 S, incl. 6 Hosp., 4 Hörer, d.h. 135 insgesamt), und Hilde Reiss. Während sich Bánki, als Arzttochter semestrigem Studium an der Berliner Ittenschule ans weiblich: 17 Studierende, 11 Hosp., 5 Hörer, d.h. 33 insgesamt. mit einem Bruder im ungarischen Györ aufgewach- Bauhaus, zuvor hatte sie Musik studiert. Brauer [geb. 155 Wobei sie die Lehrbefähigung in englischer und französischer sen, direkt im Anschluss an das Abitur einschreibt, Otto] hatte nach dem Ende des ersten Weltkrieges an Sprache erwarb, vgl. Biografie Wiener. hat Wettengel drei Jahre lang eine Web- und Werk- der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin zwei, an 156 HDKA Best.8, Nr.116 Aufnahmeentscheidungen WS 1931/32 schule besucht und vor ihrem Bauhausstudium als einer Kaufmännischen Hochschule ein Semester stu- 157 Im Bereich Bau/Ausbau nur noch Itting, Stipanitz, Ulrich und - Kontoristin, Verkäuferin und Expedientin gearbeitet. diert und anschließend eine Familie gegründet. Ihr trotz bereits bestandenem Diplom - Wilke. Josefek war zuvor als Gymnastikerin in Coburg tätig, Vater war Kaufmann.158 Lewins Vater betrieb einen 158 Bisher ist unbekannt, in welcher Branche Robert Otto tätig war. nachdem sie zunächst mit einem jüngeren Bruder in Baustoffhandel in Berlin, sie arbeitete zunächst als Familie Otto wechselt den Wohnsitz mehrfach: Anneliese Otto Gleiwitz als Tochter eines freischaffenden Architekten Büroangestellte. Auch die 42jährige Münchnerin ging in Görlitz, Düsseldorf und Berlin zur Schule. aufgewachsen war. Meyer war zuvor als Gewerbeleh- Grete Schlagenhaufer arbeitete wahrscheinlich be- 159 Natalie Swan bringt von dort u.a. Erfahrungen in Tischlern, Töp- rerin in Kassel tätig, sie wuchs mit einem Bruder in reits in Berlin. Zuvor hatte sie eine Handelsschule fern, Malen und Geometrie mit. Schleswig auf, wo ihr Vater mit Landmaschinen han- und eine Gewerbeschule absolviert, sowie an der 160 So hatte Ruth Josefek zunächst im oberschlesischen Gleiwitz delte. Wiener, in einer wohlsituierten, deutschen Fa- Akademie in München studiert. nach der vierjährigen Mittelschule ein Mädchenlyzeum besucht, milie in Prag aufgewachsen, studierte zunächst Spra- um 1922 mit dem Reifezeugnis abgeschlossen. Szuszanne Mar- Zu den Neuimmatrikulierten im Herbst 1932 zählen chen an der deutschen Universität in Prag.155 Reiss kos-Ney hatte in Budapest, wahrscheinlich 1926, Hilde Katz um außerdem Elfriede Knoblauch, Nat(h)alie Swan, Rose studierte zuvor zwei Semester Architektur an der 1927 in Berlin das Abitur erworben. Mathy Wiener dürfte - nach Mendel und Angela Press. Knoblauch hatte in Berlin Bauhochschule Weimar und kann - unter Auflagen - fünf Jahren Volksschule und acht Jahren am Realgymnasium - Musik studiert, dann geheiratet. Swan war als Toch- direkt ins dritte Semester wechseln. Ihre Eltern waren das Abitur um 1928 in Prag abgelegt haben. Hilde Reiss be- ter eines erfolgreichen Bankiers mit zwei Schwestern im Journalismus tätig. Sie war in Berlin-Charlotten- stand das Abitur 1928 an der Fürstin-Bismarck-Schule in Berlin. in New York City aufgewachsen und hatte drei Jahre burg aufgewachsen. Szuszanna Bánki absolvierte die Reifeprüfung 1930 an einem lang das Vassar College in Poughkeepsie besucht.159 Realgymnasium in Györ, Inge Stipanitz 1931 an einem Reform- Ein Jahr später, zum Herbst 1931 nehmen Inge Sti- Mendel studierte zunächst an den Universitäten in gymnasium in Ostpreußen. Lila Ulrich und Natalie Swan hatten panitz, Szuszanne Markos-Ney und die Amerikanerin- Hamburg, Frankfurt, aber auch in Grenoble und an High Schools und Colleges, Rose Mendel nach Privatunterricht nen Lila Ulrich und Elsa Hill am Bauhaus ihr Studium der Sorbonne in Paris Kunstgeschichte und Soziolo- das Mädchenlyzeum in Husum besucht. Sie wechselte 1925 für auf. Stipanitz kommt direkt im Anschluss an das Abi- gie. Sie wuchs als einziges Kind ihrer Eltern, die mit drei Jahre an die Lichtwarkschule in Hamburg. Lediglich die tur, Markos-Ney nach einer Familiengründung. Sie Lederwaren handelten, in Hamburg auf. Press kommt mittlere Reife erworben hatten Brauer, Lewin, Wettengel und war in großbürgerlichen Verhältnissen in Budapest im Anschluss an ein Grafikstudium in Königsberg. Sie Rindler evtl. auch Knoblauch und Schlagenhaufer. aufgewachsen, ihr Vater verdiente sein Geld in der war in Berlin-Wilmersdorf, wahrscheinlich in einer 161 Direkt im Anschluss an das Abitur kommen Bánki, Schöder und Textilbranche. Ulrichs Vater verstarb früh, weshalb Musikerfamilie aufgewachsen. Stipanitz. sie mit ihrer Schwester zeitweilig bei einer Tante in Damit finden wir die meisten architekturinteressierten der Nähe von Chicago aufwuchs. Sie hatte vor ihrer Studentinnen am Bauhaus während des Direktorats Europareise drei Jahre am Art Institute Chicago stu- Mies van der Rohes. Von denjenigen, die ab 1930 „La Casa Grande”, Lore Enders, 1932, Südansicht diert. Hills Background ist nicht bekannt, sie ist bei neu hinzukommen, ist die Mehrheit in Großstädten Immatrikulation verheiratet. Verspätet nimmt Edita aufgewachsen und im Besitz eines Reifezeugnis- Rindler im November 1931 in Dessau das Studium ses.160 Bei diesen Studentinnen springt die Vielzahl auf. Ihr Vater, als Futtermittelgroßhändler in Prag tä- wie die Unterschiedlichkeit der ‘Vorleben’ ins Auge: tig, setzt sich bei der Direktion für die Aufnahme sei- Sie kommen nur vereinzelt im Anschluss an das Abi- ner Tochter ein. Nach Schul- und Tischlerausbildung tur, haben zu einem Viertel im Erwerbsleben Erfah- in Prag hatte sich Rindler zunächst für Innenarchitek- rungen gesammelt, zur Hälfte zuvor studiert.161 Nur tur an den Vereinigten Staatsschulen für freie und an- Reiss und Katz haben jedoch bereits Architektur stu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gewandte Kunst in Berlin beworben, war jedoch ab- diert und sind damit die einzigen, für die der Wechsel gelehnt worden.156 Ebenfalls nach Ablehnung an den ans Bauhaus lediglich einen Schulwechsel bedeutet. VS in Berlin schreibt sich Christa Schöder am Bau- haus in Dessau zum Frühjahr 1932 ein. Sie wuchs als Welche Aufgabenstellungen bearbeiteten die Studen- Einzelkind in Berlin-Tegel auf und kommt direkt nach tinnen nun? dem Abitur. Ihr Vater war gelernter Kupferschmied

74 Architekturinteressierte Studentinnen Fast alle der genannten Studentinnen studierten zu- ten unterschiedlichster Nutzungen. Bekannt sind nächst zwei Semester bei Ludwig Hilberseimer im bspw. das 1932 entstandene Schwimmbad von Ho- Seminar für Siedlungsbau. Wera Meyer-Waldeck ent- ward Dearstyne und - aus dem Jahre 1933 - die wirft hier Wohnbauten sowie - wahrscheinlich 1931 - „Villa am Gardasee” von Pius Pahl und die „Bergbau- 162 Lt. Diplom Meyer-Waldeck, vgl. Biografie Meyer-Waldeck. ein „familienhaus“.162 „Siedlungsschemen verschiede- siedlung im Harz“ von Carl Bauer.165 Hilde Reiss ent- 163 Annamaria Mauck gab im Interview an, hauptsächlich bei Lud- ner Wohndichte“ sowie eine „Citybebauung mit Büro- wirft im Winter 1931/32 bei Mies ein Wohnhaus, im wig Hilberseimer und Lilly Reich studiert zu haben. häusern“ von Hilde Reiss entstehen im Winterseme- Sommersemester 1932 ein Einfamilienhaus und eine 164 Zsuzsanna Bánki scheint von den Entwurfsthemen eher ent- ster 1931/32. 1932 entwirft sie eine „Kinderstadt” für Riesengebirgsbaude. Noch im gleichen Sommer di- täuscht zu sein. 1931 schreibt sie an ihren Bruder: „Ich hoffe, eine Junkers-Arbeitersiedlung mit Wohnhäusern und plomiert sie mit einem Großstadthotel. Wera Meyer- daß Du Dein Haus von mir bauen läßt, auch wenn wir uns hier Schulen. Annemarie Wilke entwickelt hier zwischen Waldeck entwirft 1932 - ebenfalls bei Mies - als Di- hauptsächlich mit dem Entwerfen einfacher Arbeiterwohnungen 1930 und 1932 mehrere Einfamilien- resp. Siedlungs- plomarbeit eine „8-klassige Volksschule mit Ganz- beschäftigen. Aber ich werde mich bemühen, ein Haus nach häuser.163 Und auch Zsuzsanna Bánki und Annemarie tagskindergarten für die Junkerssiedlung“. Dies ist Deinen Wünschen zu bauen.“ Z. Bánki an Ö. Bánki, Brief vom Wimmer entwerfen zumindest im WS 1931/32 Sied- die einzige bisher dokumentierte Diplomarbeit einer 30.4.1931 - abgedruckt in Bánki, 1990, S.67 lungshäuser.164 Alle genannten Arbeiten sind bisher Bauhausstudentin, wobei von den meisten der archi- 165 Zur Siedlungsplanung Bauers s.a. Biografie Wilke. unbekannt. Zu vermuten ist, dass auch sie jene do- tektonischen Studienarbeiten bisher nicht einmal die 166 Im Bauhaus-Archiv Berlin werden Reproduktionen der Diplomar- minierende Serialität aufweisen, die zeitgleich ent- Themen bekannt sind.166 beit Meyer-Waldecks aufbewahrt. Von Gersons Entwurf für eine standene Siedlungsentwürfe bei Hilberseimer zeigen. Während des Direktorats Mies van der Rohes ist der Volksschule befindet sich lediglich der Lageplan im Bauhausar- Das ‘Studentinnenwohnheim’ Annemarie Wimmers Studentinnenanteil im Bereich Bau-/Ausbau so hoch chiv Dessau. Die Studien- wie die Diplomthemen von Wilke und entstand im Sommersemester 1932, evtl. bei Hilbers- wie nie zuvor. Im Sommersemester 1931 ist jede/r 6. Müller sind bisher unbekannt. eimer oder als freie Arbeit. Aber auch ihre Entwürfe Studierende im Bereich Bau/Ausbau eine Studen- 167 Unter den 73 Immatrikulierten Studierenden sind dreizehn Stu- sind bisher nicht dokumentiert. Erhalten sind Skizzen tin.167 Während damit im ersten Semester Baulehre dentinnen zu finden: Bánki, Josefek, Itting, Meyer, Wettengel des Wohnhausentwurfes ‘La Casa Grande’ von Lore - dem zweiten Semester der Studierenden - der fakti- und Wiener sind die sechs Studentinnen unter real anwesenden Enders. Sie datieren jedoch aus dem Dezember 1932 sche Studentinnenanteil mit ca. 30% erstmalig deren zwanzig Studierenden des zweiten Semesters (STAD SB 21, NL und entstanden damit wahrscheinlich erst nach ihrer Anteil am Bauhaus insgesamt entspricht, bleiben Ar- Engemann „Statistik“ bau/ ausbau. Von den offiziell 24 Studie- Bauhauszeit. chitekturstudentinnen in höheren Semestern Ausnah- renden des zweiten Semesters sind vier beurlaubt.) Im 3.Seme- Bei Mies van der Rohe entwerfen Studenten zum ei- men. Diese Minderheitensituation bleibt bis zur Auflö- ster finden wir unter 18 Immatrikulierten keine Einzige, im 4. Se- nen - nahezu obligatorisch - freistehende Einfamilien- sung des Bauhauses bestehen.168 Auch im letzten mester drei unter insgesamt 19 immatrikulierten StudentInnen, häuser, zum anderen - auf eigenen Vorschlag - Bau- Bauhaussemester, dem Wintersemester 1932/33, real 17 anwesenden Viertsemestern (Enders, Reiss und Wilke). Im 5. Fachsemester studiert vor Ort lediglich Müller, ab Mai auch wieder Meyer-Waldeck. Wimmer - ebenfalls im 5.Semester 8-klassige Volksschule mit Ganztagskindergarten für die Junkerssiedlung, Diplomarbeit, Wera Meyer-Waldeck, 1932 - verlängerte ihr Aussensemester in Lübeck. Unter den Beur- laubten der Bauabteilung wird im Sommersemester 1931 auch Gerda Marx aufgeführt. Sie hatte das Bauhaus bereits im Som- mer 1929 nach nur einem Semester im Bau/Ausbau verlassen und kehrt nicht ans Bauhaus zurück. 168 Im SS 1931 zehn Studentinnen unter real anwesenden 59 Stu- dierenden, im WS 1932/33 11 von 66 Studierenden. Im folgen- den Wintersemester (1931/32) studiert auch Annemarie Wimmer wieder am Bauhaus. Daneben alle zuvor Genannten mit Aus- nahme Grete Meyers. Zum Herbst 1931 tritt keine Studentin neu in die Bau-/Ausbauabteilung ein. Anni Wettengel wird im März 1932, Riccarda Meltzer, Zsuzsanna Bánki und Mathy Wiener werden im April 1932 vom Weiterstudium ausgeschlossen. Im Sommersemester 1932 treten in den Bereich Bau/Ausbau Lila Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ulrich, Edit Rindler, Inge Stipanitz, Michiko Yamawaki und Käthe Schmidt neu ein. Die beiden letztgenannten studieren hier ledig- lich ein Semester lang. Sie hatten zuvor in der Weberei studiert und dort ein Zeugnis erhalten. (Zeugnis Schmidt vom 7.2.1932). Während dies für Michiko Yamawaki, die gleichzeitig mit ihrem Mann Iwao in die Baulehre wechselt, das letzte Bauhausseme- ster ist, wechselt Schmidt, die im Frühjahr 1931 gekommen war, zum Herbst 1932 wieder in die Weberei. Zu Michiko Yamawaki (geb. 13.7.1910 Tokio) vgl. Fiedler, 1987, S.167 - Ihr Mann wird als Architekt in Japan tätig. Zu Käthe Schmidt, sp. Rose (geb. 8.7.1905 Bromberg) vgl. BHD, NL Engemann, semesterprü- fungsliste vom 6.7.1931 und Fiedler, 1987, S.164-165.

am Bauhaus 75 studieren hier nur 14 Studentinnen.169 höherer Semester nun aus politischen, disziplinari- schen und fachlichen Gründen auch formal vom Wei- Auch während des Direktorats von Mies van der Ro- terstudium ausgeschlossen werden. Nach einem ver- he erreichen Architekturstudentinnen damit nicht je- meintlichen Eklat lässt Mies van der Rohe die Kantine ne ‘kritische Quantität’, in der sie als Studierende am 19.3.1932 polizeilich räumen, um die dortige Stu- ernst genommen werden. So sehr die Architektur nun dierendenversammlung aufzulösen. Der sog. kostu- auch in den Mittelpunkt der Lehre rückt, die Möglich- fra-Streit gerät zum Politikum, etliche Studierende keiten, innerhalb des Unterrichts eigenständige resp. verweigern die Teilnahme an der Jahresausstellung. eigenwillige Entwürfe zu entwickeln schwinden. Auch wenn Mies van der Rohe immer wieder als Va-terfigur Zsuzsanna Bánki schildert ihrem Bruder kurze Zeit und dominantes Vorbild beschrieben wird, angesichts später ausführlich die Situation aus ihrer Sicht: „Du 169 Im Frühsommer resp. Sommer 1932 beenden Meyer-Waldeck, seiner übermächtigen Position als Architekt, Lehrer kannst Dir vorstellen, daß nach diesem Vorfall viele Reiss, Wilke und Müller ihr Studium am Bauhaus mit Diplom. und Direktor ist dieses Epigonentum nicht unbedingt nicht ausgestellt, sondern ihre Arbeiten zum Seme- Unter den Studierenden des letzten Bauhaussemesters finden der Adoration geschuldet.170 Droste umschreibt seine sterende nur abgegeben haben. Das war eine öffent- wir in der Bauabteilung von den zuvor genannten nur noch Ul- Auffassung des Unterrichts als „eine ästhetische liche Schande für Mies. Wir haben tatsächlich nicht rich, Itting, Schöder und Wilke. Im 1.Semester und gleichzeitig Schulung im Sinne seiner eigenen Architekturauffas- ausgestellt. Du kannst Dir vorstellen, in welcher Si- im Bau-/Ausbau studieren 17 Studierende, darunter drei Stu- sung“, bei der fast nur Kopien entstehen konnten.171 tuation sie waren, als die Ausstellung eröffnet wurde. dentinnen (Swan, Brauer und Knoblauch). Im 2.Semester, und Aber nicht nur bei Mies bestand ein enormer Anpas- Alle hohen Tiere kommen, um die Ausstellung offiziell damit nach Studienplan im ersten Bau-/Ausbausemester studie- sungsdruck, wie Annamaria Mauck erinnert: „Wenn zu besichtigen und dann fehlen viele Arbeiten und ren drei Studentinnen unter acht Studierenden (Schlagenhaufer, wir da mit unseren individuellen Wünschen oder In- von jedem, der nicht ausstellt, liegt da ein Name und Mendel und die aus dem Gastsemester in Wien zurückgekehrte timsphäre oder sowas ankamen, da hatte man keine eine Notiz, daß er oder sie nicht ausstellt. Die Dozen- Christa Schöder) Im 3. und 4. Semester finden wir jeweils zwei Chance, dass die das durchgehen lassen. Da ist man ten haben die ganze Nacht gearbeitet, um das Mate- von 12 Immatrikulierten. (im 3.Semester Stipanitz und - nun als bei den Meistern nicht recht angekommen.“ 172 rial für die Ausstellung in einen kleineren Raum zu Hospitantin - Ulrich, im 4.Semester Itting und Katz). In höheren bringen, damit der Skandal nicht sichtbar wird. In den Auch Howard Dearstyne erinnert die Schlussphase Semestern ist - als einzige Studentin unter 29 Studierenden - Bauhaus-Regeln ist festgelegt, daß am Ende eines des Architekturstudiums am Bauhaus Dessau: „Als Wilke immatrikuliert, auch wenn sie im August ihr Diplom erhal- Jahres bzw. eines jeden Semesters die Meister und das letzte Semester anfing, waren wir in unserer ten hat. (Im 5. Semester studieren lt. dieser Aufstellung 14, im zwei Vertreter der Studentenvertretung das Recht zur Klasse nur noch vier Leute. (..) Wir zogen in einen 6.Semester 15, im 7.Semester 7 Studierende) Mitsprache bei der Beurteilung der Arbeiten haben. Atelierraum im Erdgeschoß, der immer abgeschlos- 170 So bspw. Fritz Schreiber im Brief an Hansgeorg und Elfriede Zwei Tage vor der Ausstellung kam eine Mitteilung sen war. (..) Hier arbeiteten wir an unseren Diplomar- Knoblauch vom 30.7.1933: „Mein empfinden, ihn [Mies] als vater der Direktion, daß sie nicht bereit ist, mit den beiden beiten. (..) In diesem letzten Semester hatten wir be- zu betrachten, hat sich noch sehr verstärkt.“ Getty, 870570-5 Studenten [Cees v.d.Linden und Heinz Schwerin] zu neidenswert oft Gelegenheit, uns mit Mies zu unter- 171 Droste, 1991, S.215 „Mies hoher Anspruch an die ausgeführten sprechen, da diese ein vertrauliches Gespräch mit halten; isoliert von allen anderen Klassen in unserem Entwürfe und das übermächtige Vorbild der von ihm ausgeführ- Dozenten in der Presse verbreitet haben. Privatraum, hatten wir ihn Stunden am Tage ganz für ten Bauten (..) verführte eine ganze Reihe der Studierenden da- Diese ‘Presse’ ist eine Bauhaus-Zeitung, die von uns allein.“ 173 Ähnlich exklusiv schildert auch Frank zu, flutende Räume à la Mies zu zeichnen und die Interieurs mit kommunistischen Studenten herausgegeben wird, Trudel die Situation im Seminar Mies: „Mehr als seinen Barcelona- oder Weissenhofmöbeln zu bestücken. Da beide Jungen (einer ist Niederländer, der andere sechs Schüler gab es da wohl kaum jemals.“ 174 Wir viele Schüler die Formen und das Material von Mies übernah- Jude) sind k.[ommunisten]. Dies ist wichtig im heuti- wissen jedoch, dass offiziell weitaus mehr Studieren- men, konnten dabei fast nur Kopien des Meisters entstehen.“ gen Deutschland. Erstens ist das aber nicht ‘die de bei Mies van der Rohe in höheren Semestern stu- Ibid., S.213 Presse’, zweitens stellt man solche Regeln nicht im dierten.175 Und wir ahnen, was Hilde Reiss´ Andeu- 172 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 - „Ich will nicht letzten Moment auf. (..) Im Anschluß daran hat man tung, dass es bei Mies bevorzugte Schüler gegeben sagen, dass mir das nicht gefiel, Vieles, ach, Alles gefiel uns da- die meisten dieser Leute nicht mehr (ins nächste Se- habe, die Intensität der Betreuung sehr unterschied- mals eigentlich.“ mester) aufgenommen, manche sind ganz von der lich ge-wesen sei, bei der Absolvierung ein und des- 173 Dearstyne in Neumann, 1985, S. 318 - Trotz der Überschaubar- Schule ausgeschlossen worden, so daß sie nie mehr selben Studiums realiter bedeutet haben mag. keit der Kleingruppe weiß er nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, zurückkommen dürfen. (..) Natürlich bin ich auch eine wer der vierte im exklusiven Quartett war: „Eduard Ludwig, Ed- Zeitgenössische Aussagen zur Studiensituation unter dieser Personen, die sie nicht wieder aufgenommen gar Hecht und wahrsch. Hubert Döllner.“ Mies van der Rohe sind bisher lediglich von Studen- haben“.177 174 Frank Trudel in Neumann, 1985, S.330 ten dokumentiert. Annamaria Mauck erinnert die kon- Mies reagiert seinerseits, in dem er 13 Studierende, 175 Vgl. FN 169. Nach der von Dietzsch rekonstruierten Diplom- krete Arbeitsweise unter Mies: „Jeder hatte seinen darunter Meltzer, Bánki und Wiener vom Weiterstudi- übersicht erhielten sechzehn Studenten und vier Studentinnen Tisch und sein Zeichenzeug und dann eine kleine um ausschließt. Mathy Wiener stellt umgehend einen ihr Diplom im Bereich Bau-/Ausbau im Juli 1932 . Vgl. hierzu oder größere Aufgabe und puzzelte daran rum, und Wiederaufnahmeantrag, der abgelehnt wird, „da man auch Biografie Wimmer. dies wurde schön, anderes wurde verworfen. (..) es sich auch von dem gewünschten studium im ausbau 176 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 hat sich nie ergeben, dass wir alle ein Projekt durch- nichts verspricht“.178 Auch der kurz darauf gemein- 177 Brief Z.Banki an Ö.Bánki vom 8.4.1932 - Bánki, 1990, S.68ff. gezogen hätten.” 176 sam mit Bánki gestellte Wiederaufnahmeantrag wird 178 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 5.4.1932, Bl.1, Pkt.5 Trotz zunehmender Präsenz werden Studentinnen im eine Woche später erneut abgelehnt.179 Darüber be- 179 Ibid., Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 - BHAB, Zeugnis und Architekturstudium von Meistern wie Kommilitonen richtet Zsuzsanna Bánki ihrem Bruder am folgenden Fragebogen Matty Weiner, 1982, S.2 offenbar ignoriert. Hinzu kommt, dass Studentinnen Tag: „Hier sagt man, daß ich einzig und allein des- 180 Brief Z. Bánki an Ö. Bánki vom 13.4.1932 - in: Bánki, 1990, S.70

76 Architekturinteressierte Studentinnen halb nicht aufgenommen werde, weil wir dem Niveau Metallwerkstatt praktisch arbeiten zu dürfen. Ihr wird 181 Lt. Protokoll der Beiratssitzung vom 19.4.1932 geht ihre Be- der Anderen nicht folgen können. Und es ist keine mitgeteilt „dass die absicht besteht, lehrplanungsän- schwerde gegen dieses Hausverbot „unbeantwortet zu den Ak- Zeit, um sich mit jedem Einzelnen zu befassen. Aber derungen vorzunehmen, wodurch sich die frage er- ten.“ Vgl. auch Biografie Meltzer wahrscheinlich hat diese Sache auch einen anderen ledigen wird.“ 187 Als Szuszanne Markos-Ney im 182 Es bleibt unklar, ob auch Wettengel im Anschluss an den Kostu- Grund.“ 180 Bánki verlässt das Bauhaus ohne Zeugnis, Herbst 1931 in die Baulehre eintreten möchte, stellt fra-Streit die Teilnahme an der Jahresausstellung verweigert Wiener geht mit einem um drei Wochen rückdatierten der Beirat die Frage, warum sie denn nicht in der Fo- hatte. Ende März wendet sie sich mit zwei - bisher nicht be- Zeugnis ab. Riccarda Meltzer erhält, wie ihr Freund tografieabteilung bleiben wolle.188 kannten - Schreiben an den Meisterrat, diese werden in der Sit- Heinz Schwerin, zum 14.4.1932 Hausverbot. Sie legt Studieninteressen, Zulassungen und Qualifikationen zung vom 5.4.1931 „zur kenntnis genommen, die konferenz hält Beschwerde ein, auch diese bleibt erfolglos.181 scheinen häufig widersprüchlich. Hieran wird jedoch ihren beschluß aufrecht.“ Nun allerdings soll sie ein unbenotetes Etwa zeitgleich erscheint der Name Anny Wettengels deutlich, dass sie in einem Wechselspiel jeweils indi- Abgangszeugnis erhalten. Mit Schreiben vom 9.4.1931 wendet - sie studiert seit dem Sommersemester 1931 im viduell ausgehandelt werden und keine verlässlichen sie sich erneut an den Meisterrat. 3.Semester der Baulehre - mehrfach in Meisterrats- Regelungen vorhanden sind. So bspw. auch bei Lotte 183 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beiratssitzung vom 14.4. protokollen. Bis November 1931 fehlt sie drei Mal im Gerson. Seit Frühjahr 1927 am Bauhaus, absolviert 1932, Bl.2, Pkt.5 - Die eidesstattlichen Erklärungen lassen sich Unterricht von Hinnerk Scheper. Im März 1932 gibt sie die Grundlehre bei Albers und die Formenlehre inden Akten bisher nicht nachweisen. auch Alfred Arndt ihr Fehlen in seinem Unterricht zu bei Kandinsky, besucht die Tischlereiwerkstatt und 184 Das Protokoll vermerkt hierzu: „beschwerde wettengel ist bei Protokoll. Wettengel wird im März 1932 nach drei Se- fotografiert. In der Bauhauszeitschrift werden mehre- der regierung eingegangen und unterwegs an uns zur äusse- mestern vom Weiterstudium ausgeschlossen und er- re ihrer Arbeiten publiziert. Zum Herbst 1928 wird sie rung. in der antwort ist klarzustellen, dass ein lehrvertrag nicht hält am 26.3.1932 eine Bescheinigung über ihr Studi- Baulehreanwärterin bei Hannes Meyer, studiert fortan abgeschlossen ist, dass ein entlassungsgrund im zeugnis nicht um am Bauhaus. Ab diesem Zeitpunkt findet in den Architektur.189 Als Gerson nach sechs Semestern am angegeben ist, und ob ein amtliches zeugnis über die hand- Meisterratsprotokollen ein Konflikt seinen Nieder- Bauhaus und zwei Jahren in der Baulehre im Herbst werkliche ausbildung gegenüber der handwerkskammer abge- schlag, der sich - bei allen Auslassungen - erahnen 1930 den Antrag auf Erteilung eines Diploms im Be- geben werden kann.“ BHD/NL Engemann, Protokoll der Beirats- lässt.182 Wettengels Schreiben vom 9.4.1932 enthält reich Bau-/Ausbau stellt, kommt die Lehrendenkonfe- sitzung am 3.5.1932, Bl.1, Pkt.2 eidesstattliche Erklärungen namentlich nicht erwähn- renz unter Leitung von Mies v.d.Rohe zu dem Be- 185 Im Unterschied zu Kommilitonen, aber auch Kommilitoninnen ter Personen, die lt. Protokoll „nach stellungnahme schluss: „der antrag auf diplomerteilung wird sowohl anderer Werkstätten werden sie - häufig mehrfach - im Meister- der infragekommenden Herren zu den akten genom- für die bauabteilung wie für die ausbauabteilung ab- rat verhandelt. So berichtet bspw. Herr Hilberseimer auf der men werden“ sollen. „herr engemann wird gebeten, gelehnt“.190 1932 wird auch das Studium Annemarie Konferenz am 11.1.1933 von einer Unterredung mit Wera Itting. den tischlermeister klever noch einmal besonders auf Wimmers von seiten des Meisterrates beendet. Sie Die Konferenz kommt zu dem Schluss „Wenn ihre Arbeiten sich die notwendigkeit hinzuweisen, den studierenden ge- scheint das Studium bei Mies van der Rohe gemie- nicht ändern, soll sie nicht am bauhaus behalten werden. man genüber distanz zu halten“.183 den, ihre eigene Chance gesucht zu haben.191 soll sie dies aber rechtzeitig wissen (..) lassen“. 186 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 11.11.1930, Bl.2 Pkt.14 Anny Wettengels Fehlen steht offensichtlich im Zu- Obschon sich auch für die letzten Jahre des Bauhau- 187 Ibid., Protokoll der Beiratssitzung vom 15.12.1931 sammenhang mit mangelnder Distanz in der Tischle- ses die Situation architekturinteressierter Studentin- 188 Ibid., Protokoll der Beiratssitzung am 26.10.31, Bl.1, Pkt.1: „zu- rei. Der Meisterrat berät den ‘Fall’ in diesen Wochen nen bisher nicht vollständig dokumentieren lässt, so nächst [soll] bei herrn peterhanns festgestellt werden, warum mehrfach - zwischen dem 12.4. und 3.5. zumindest weisen eine ganze Reihe Indizien darauf hin, dass die frau markos-ney nicht in der abteilung bleiben will. herr hilbers- fünf Mal -, und bietet Wettengel bei Vermeidung jeg- Rahmenbedingungen eines akzeptablen Kompetenz- eimer hält eine aufnahme ohne vorbildung nicht für möglich.“ - lichen Aufsehens ein unbewertetes Zeugnis an. Ihr erwerbs in der Architektur für Studentinnen auch in Zehn Tage später wird sie „von der direktion aufgefordert, den scheint jedoch klar zu sein, dass ein Abgangszeugnis dieser Phase nicht wirklich gegeben sind. schriftlichen nachweis der dozenten darüber beizubringen, daß außerhalb kaum anerkannt wird. Sie verlässt das Im folgenden wird der Versuch unternommen, Unter- sie von den kursen des II.semesters befreit werden kann.“ (Pro- Bauhaus ohne Zeugnis und wendet sich an höhere schiede und Gemeinsamkeiten des Studiums archi- tokoll der Beiratssitzung am 4.11.1931, Bl.1 Pkt.2) - Vgl. Biogra- Stellen.184 Statt akzeptable Arbeitsbedingungen - tekturinteressierter Bauhausstudentinnen während fie Markos-Ney auch für Studentinnen - in der Tischlerei zu gewähr- der unterschiedlichen Direktorate zusammenfassend 189 Damit wird deutlich, dass Lotte Gerson das Studium weder aus leisten, forciert der Meisterrat den Weggang der belä- zu analysieren. Unter den insgesamt über 400 Stu- Interesse an breiter Bildung noch im Hinblick auf den Beruf der stigten Studentin und stellt sich vor den männlichen dentinnen am Bauhaus lassen sich bisher 55 nach- Hortnerin betrieb. In wieweit Studien- und Berufsziele schwan- Kollegen. weisen, die - wenn auch manchmal nur kurzzeitig ken - 1928 gibt sie im Interview als angestrebtes Berufsfeld den Anhand von Beiratsprotokollen wird immer wieder oder unter anderem - im Bereich räumlicher Gestal- „Bereich der sozialen Arbeit“ an - oder ihre Angaben strategi- deutlich, dass Ambitionen und Qualifikationen archi- tung studierten. Sie können damit zumindest als ar- schen Erwägungen geschuldet sind, ist hier selbst im Einzelfall tekturinteressierter Studentinnen auch während des chitekturinteressierte Bauhausstudentinnen bezeich- unklar. Direktorats Mies unter besonderer Aufmerksamkeit net werden. Auf der Basis der in den Werkbiografien 190 BHD, NL Engemann, Konferenz vom 18.11.1930, Bl.2, Pkt.6: stehen.185 So wird die Vorkursstudentin Mathy Wiener ausführlich dargestellten Sozialisationen werden nun „der antrag auf diplomerteilung wird sowohl für die bauabteilung im Oktober 1930 vom Mathematikunterricht zunächst die Milieus beschrieben, in denen diese Studentinnen wie für die ausbauabteilung abgelehnt, weil trotz der anerkann- befreit, zum Sommersemester 1931 in die Bau-/Aus- aufwuchsen. Sie bieten - vergleichend - Anhaltspunk- ten fleissigen und sauberen arbeiten selbständige schöpferische bauabteilung aufgenommen, während Marie Doleza- te für Lebensstile, Studienmotivationen und Haltun- tätigkeit von ihr nicht erwartet werden kann.“ lowas fast zeitgleich gestellter Aufnahmeantrag für gen architekturinteressierter Bauhaussstudentinnen. 191 In einem Lebenslauf aus den 1950er Jahren erwähnt sie Mies die Baulehre abgelehnt wird, da eine Aufnahme erst mit keiner Silbe: „Ich (..) studierte Innenarchitektur und Sied- nach drei Semestern Theorie möglich sei.186 Edita lungsbau (bei Hilberseimer und Hannes Meyer)“ Lebenslauf Rindler stellt im Dezember 1931 den Antrag, in der Familiäre Hintergründe und kulturelle Kapitale: Annemarie Lange vom 3.3.1953; AdKS, PA Lange

am Bauhaus 77 Wer studierte Architektur am Bauhaus? men.197 Bei immerhin zwei Dritteln der hier näher betrachte- Am Bauhaus schreiben sich nur wenige Studentinnen ten Studentinnen mit deutlicher Affinität zur räumli- aus katholischen Elternhäusern ein.198 Die überwie- chen Gestaltung konnten die Berufe der Väter recher- 192 Als Unternehmer waren die Väter von Berkenkamp (Papierfabri- gende Mehrheit der Studentinnen war in protestanti- chiert werden. Demnach waren mehr als die Hälfte kant), Fernbach (Verleger), Gutzeit und Rogler (Grundbesitz), It- schen, ein Drittel in jüdischen Elternhäusern aufge- dieser 36 Väter als Kaufmann oder Unternehmer tätig ting (Elektrizitätswerk), Swan (Bank) Ulrich (Versicherungen) Wil- wachsen.199 Über die religiöse Praxis der Studentin- (11 resp. 8).192 Vereinzelt arbeiteten sie in freien Beru- ke (Mühlenbetrieb) tätig, als Kaufleute oder Großhändler die Vä- nen ist nur wenig bekannt, religiös-innerliche Orien- fen (7), - u.a. als Architekten oder Ingenieure -, selte- ter von Brauer, Lewin (Baustoffe), Markos-Ney (Textil), Mendel tierungen finden wir unter den Bauhausstudentinnen ner als Pfarrer, Hochschulprofessoren, Reichsbahn- (Lederwaren), Meyer (Landmaschinen), Meyer-Waldeck (Baum- jedoch nicht. Diese jungen Frauen sind fast immer beamte, vereinzelt als Arzt, Musiker, Journalist oder wolle), Müller (Zigarran), Rindler (Futtermittel), Simon-Wolfskehl kulturell, häufig sehr rational, manches Mal politisch Verkäufer.193 Die architekturinteressierten Studentin- (Weine), Schneider (Drogerie) und Wimmer (Strohhüte). orientiert. Die Elternhäuser architekturinteressierter nen am Bauhaus stammen damit ganz überwiegend 193 Architekten als Väter hatten Bernoully, Lederer, Josefek, Enders Bauhausschülerinnen waren i.d.R. kulturell orientiert. aus Elternhäusern gehobener bürgerlicher oder groß- und Loewe. Schöders Vater war als angestellter Ingenieur tätig. Nur vereinzelt ist ein parteipolitisches Engagement bürgerlicher Schichten. Reiss´ Eltern arbeiteten als Journalisten, Leo Katz unterhielt als der Eltern bekannt.200 Jurist eine Kanzlei, hatte jedoch auch unternehmerische Ambi- Die Mütter von Bauhausstudentinnen aller Phasen Architekturinteressierte Bauhausstudentinnen wuch- tionen als Gesellschafter einer Häuserbau-Aktiengesellschaft. hatten manches Mal studiert, sind i.d.R. jedoch nicht Die Väter von Raack und Both waren Pfarrer. Hans Meltzer war berufstätig.194 Lediglich Gerda Marx, Hilde Reiss, An- als Volkswirtschaftler, Rudolf Helm als Philologe im Hochschul- nemarie Wimmer und Ursula Schneider kannten ihre dienst tätig. Max von Haken-Nelissen und Michael Press ver- Mütter auch als berufstätige Frauen.195 Manche der dienten ihr Geld als Dirigenten. Die Väter von Buscher und Bee- nicht-berufstätigen Mütter beschränkten ihre Aktivitä- Familie Schneider, um 1910, Gertrud Ursula stehend in der Mitte se arbeiteten bei der Reichsbahn. Zoltán Bánki war Gynäkologe, ten nicht auf die eigene Familie. Aber auch sie durch- Simon Dicker arbeitete als Verkäufer im Einzelhandel. brachen damit i.d.R. nicht das Rollenmuster der bür- 194 Lediglich vier erwerbstätige Mütter konnten bisher ermittelt wer- gerlich-repräsentativen Gattin. Im Umfeld mancher den. Mindestens die Hälfte aller Mütter war nicht erwerbstätig, Bauhausstudentin leben jedoch auch beruflich selb- so die Mütter von Simon-Wolfskehl, Meyer-Waldeck, Fernbach, ständige und erfolgreiche Frauen.196 Rogler, Enders, Loewe, Wilke, Itting, Bánki, Markos-Ney, Ulrich, Architekturinteressierte Studentinnen der frühen Jah- Katz, Schöder, Lewin und Swan. re in Weimar wuchsen zum Teil in kleinen und mittle- 195 Die Mütter von Schneider und Wimmer hatten Musik studiert. ren Städten, manches Mal in ländlicher Umgebung Die Pianistin Berta Schneider (geb. Korn) trat nach ihrer Heirat auf. Die architekturinteressierten Studentinnen, die nicht mehr öffentlich auf. Maria Johanna Wimmer (geb. Schwar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Mitte der zwanziger Jahre ans Bauhaus kommen, tze) unterrichtete auch nach Heirat und Geburt der Kinder als sind bereits häufiger in Großstädten aufgewachsen. Klavierlehrerin. Die Mutter von Marx, Lizzie Diestelmann-Marx Die am Bauhaus Berlin immatrikulierten Studentinnen war als akademisch ausgebildete Zeichenlehrerin zeitweilig an verfügen fast ausnahmslos über eine großstädtische der Debschitzschule in München tätig. Als erfolgreiche Kunstge- Sozialisation. Damit sind architekturinteressierte Bau- werblerin blieb sie - auch nach der Geburt der Tochter - berufs- hausstudentinnen insgesamt überwiegend in groß- tätig, stellte bspw. 1914 Spitzen bei der Werkbundausstellung in städtischen Milieus - oft in Berlin - aufgewachsen, Köln aus. Reiss´ Mutter, Charlotte Bloch-Zavrél schrieb unter auch wenn sie nur selten dort bereits zur Welt ka- Pseudonym u.a. für Die Dame, war im PEN aktiv und gab 1929 gemeinsam mit Martin Beradt die Briefe an Auguste Hauschner heraus. Studiert hatte auch Nathalie Swan geb. Henderson. 199 Aus protestantischen Elternhäusern stammten Beese, Berken- 201 Die meisten Bauhausstudentinnen wachsen mit - zumeist meh- 196 Tanten, auf die sich die Studentinnen bei ihren beruflichen Am- kamp, Both, Brauer, Haken-Nelissen, Helm, Josefek, Lederer, reren - Geschwistern auf. Die einzigen Kinder ihrer Eltern sind bitionen beziehen konnten, waren wahrscheinlich bei Katz, und Marx, Meltzer, Meyer, Meyer-Waldeck, Müller, Raack, Rogler, Dicker, Marx, Schöder und Wilke. Mit jeweils einem Bruder zumindest im Familienkreis von Ulrich und Schöder vorhanden. Schneider, Stipanitz, Wilke und Wimmer. In jüdischen Elternhäu- wachsen bspw. Josefek und Meyer auf. Manches Mal sind sie So war Helen Noldi, eine Tante Lila Ulrichs als Opernsängerin sern wuchsen Bánki, Dicker, Itting, Katz, Lewin, Loewe, Mendel, die Erstgeborenen, so Enders, Scholz sp. Müller, Reiss, Ulrich. erfolgreich, eine Tante Christa Schöders führte ein Hotel in Ber- Markos-Ney, Press, Reiss, Simon-Wolfskehl und Wiener auf. Die 202 Wie bspw. Irena Blühova, die mit fünf Geschwistern in einer slo- lin, ihre Großmutter arbeitete als Hebamme. Hypothese, dass Töchter aus christlichen Elternhäusern keinen wakischen Kleinstadt aufwuchs und ihr Studium aus finanziellen 197 Schulen in Berlin besuchten Buscher, Brauer, Busse, Fernbach, repräsentativen Anteil an der Studentinnenschaft der Weimarer Gründen unterbrechen musste. Hesse, Katz, Lewin, Loewe, Marx, Press, Reiss, Schneider und Republik hatten, resp. vergleichsweise selten studier[en durf]ten, 203 Wilke nahm in Dessau Sprechunterricht bei der Schauspielerin Schöder. In Dresden gingen Müller (geb. Scholz), Wimmer und werden wir im Vergleich der Studentinnen verschiedener Ausbil- Bettina Schart und weiterhin Gesangsunterricht: „Herr Lührs - Meyer-Waldeck zur Schule. - Etliche der jüdischen Studentinnen dungsrichtungen ebenso überprüfen wie die These, dass das der hatte eine Sängerin zur Frau (..). Die bestellte mich mal zum wuchsen in Berlin auf, wo in den zwanziger Jahren fast ein Drit- Bauhaus insbesondere großstädtische, religiös freidenkende Vorsingen und dann fragte sie mich, ob ich nicht weitermachen tel der jüdischen Bevölkerung des Deutschen Reiches - mehr Studierende angesprochen habe. wollte. ‘Doch, ganz gern’, sagte ich, ‘aber das kann ich nicht als 172 000 Jüdinnen und Juden - lebte/n. Vgl. Bendt, Veronika 200 So war der Vater von Lore Enders, der Mannheimer Stadtbaurat unter einen Hut bringen.’ So bot sie mir dann an, mich umsonst / Rolf Bothe (Hg.): Synagogen in Berlin, Berlin, 1983, Bd.1, S.60. Georg Enders Mitglied der Zentrumspartei und gehörte der Frie- zu unterrichten. (..) Und bei der hab’ ich (..) gesungen, was man 198 Nach bisherigen Erkenntnissen wurden nur zwei Studentinnen, densgesellschaft an. Adolf Both und Albert Beese sollen natio- so Repertoire nennt, (..) die Liederzyklen der Romantik, die lieb’ Lore Enders und Eva Fernbach, katholisch erzogen. nalkonservativ orientiert gewesen sein. ich heute noch.“ Interview am 17.11.1995

78 Architekturinteressierte Studentinnen sen selten als Einzelkinder und häufiger mit Schwe- zeit haben manche - im Duktus bürgerlicher Heirats- stern als mit Brüdern auf.201 Im Unterschied zu man- kandidatinnen - Sprachstudien im Ausland betrieben, chen Kommilitoninnen202, aber auch etlichen Kommili- Frauenschulen besucht, Haushaltungskurse oder 204 Mehr als die Hälfte der architekturinteressierten Studentinnen in tonen genossen architekturinteressierte Bauhausstu- kaufmännische Ausbildungen absolviert.206 Etliche Weimar und die Hälfte der Studentinnen in Dessau und Berlin. dentinnen während ihrer Jugend in aller der Regel die studierten zunächst im Bereich der angewandten 205 So bspw. 1919 Alexandra Gutzeit, 1920 Lou Berkenkamp, 1927 Förderung ihrer musischen Talente, wie sie wohlsitu- oder freien Kunst, manche Musik.207 Einige Studentin- Gerda Marx, 1930 Zsuzsanna Bánki sowie 1932 Natalie Swan ierte Elternhäuser auch ihren Töchtern ermöglichten. nen absolvierten Berufsausbildu-gen, fast die Hälfte und Christa Schöder. Vermutlich kommen auch Elfriede Knott So erhielt bspw. Alexa Gutzeit in den späten zehner verfügte über Berufserfahrungen.208 Angesichts der 1919 sowie Eva Busse 1929 direkt nach einem Abitur. Jahren privaten Zeichenunterricht in Königsberg, Eva vielfältigen Vorerfahrungen wird die Unterschiedlich- 206 So hatte bspw. Raack ein Jahr als Austauschschülerin in Eng- Fernbach genoss Anfang der zwanziger Jahre priva- keit dieser architekturinteressierten Studentinnen land verbracht, Itting dort einen Koch- und Haushaltungskurs ten Zeichenunterricht in Berlin. Lore Enders besuchte deutlich. Auffälligerweise finden wir unter ihnen etli- absolviert. Auch van der Mijl-Dekker unternahm Sprach- und während ihrer Lyzealzeit den Zeichenunterricht an der che mit Vorerfahrungen im Weben, so bspw. Lotte Bildungsreisen ins Ausland. Schlagenhaufer hat eine Handels- Mannheimer Gewerbeschule. Und sie dürfte - wie Beese, Lotte Gerson, Anny Wettengel und Annemarie schule, eine Gewerbeschule und eine Akademie besucht. Wilke auch Ursula Schneider, Suzanne Markos-Ney, Anne- Wimmer.209 Sie halten sich am Bauhaus der Weberei besuchte dem Vater zuliebe zunächst zwei Jahre die Handels- marie Wimmer, Zsuzsanna Bánki und Angela Press - fern. Dies unterstreicht das große Interesse dieser schule und begann eine Banklehre. Lewin belegte kaufmänni- zumindest ein Instrument erlernt haben. Hilde Katz, Studentinnen an der räumlichen Gestaltung. Es zeigt sche und Fremdsprachen-Kurse an der Brewitzschule, Haushal- Elfriede Knott und Annemarie Wilke pflegen ihre Mu- jedoch auch, dass bei der Durchsetzung des eigenen tungslehre und Schneiderei an der Hausfrauenschule Berlin. sikalität so intensiv, dass sie zunächst sogar Musik Architekturinteresses innerhalb des Bauhauses nach- 207 Nur bei Reiss, Katz und Ulrich bedeutet der Studienortswechsel studieren.203 weisbare Webereierfahrungen hilfreich sein konnten. keinen Fächerwechsel. Neben den Wiener Ittenschülerinnen hat- Auch wenn architekturinteressierten Studentinnen An der breit gestreuten und zu allen Zeiten heteroge- ten Helm, (KGS Rostock, Akademien in Kassel und Weimar, nicht ausnahmslos in Großstädten aufwuchsen, so nen Altersstruktur der Studentinnen am Bauhaus wird Malerei und Skulptur), Bernoully (KGS Frankfurt/M., Innendeko- verfügten Bauhausstudentinnen aller Phasen in der die Vielfalt an Lebenserfahrungen, die Unterschied- ration), Bernays (Akademie Weimar, Kunst), Utschkunowa (Aka- Regel über eine Schulbildung, die für Mädchen dieser demie München, Kunst), Raack (KGS Berlin, Kunst), Jäger (WKS Generation überdurchschnittlich war: Bauhausstu- Bremen, Innenarchitektur), Hantschk (KGS Erfurt) und Lederer dentinnen haben zumeist Ober- oder Realgymnasien (KGS Trier, Innendekoration) bereits an Kunstgewerbeschulen zumindest bis zur mittleren Reife oder Obersekundar- und Akademien studiert. Zu den Akademiestudentinnen zählen reife besucht, ein Abitur erwarb jedoch insgesamt nur auch die Dessauer Studentinnen Both (Akademie Kassel und jede zweite. Mit oder ohne Reifezeugnis hatten fast Ella Rogler um 1912 Burg Giebichenstein, Malerei und Skulptur), Müller, Wimmer und zwei Drittel dieser Studentinnen bereits ein Studium Meyer-Waldeck (Akademie Dresden, Malerei resp.Grafik), und - zumeist an Kunstgewerbeschulen oder Akademien - Schlagenhaufer (Akademie München), sowie die Berliner Stu- begonnen oder abgeschlossen.204 Weniger als ein dentin Press (Akademie Königsberg, Grafik). Mendel studierte Drittel der Bauhausstudentinnen studiert direkt im an Universitäten (in Hamburg, Frankfurt, Berlin, Grenoble, Paris; Anschluss an die Schulausbildung.205 Bei den meisten Kunstgeschichte und Soziologie). Musik hatten zuvor Katz und Abiturientinnen, die am Bauhaus studieren, liegen Knoblauch in Berlin und Wilke in Lübeck studiert. zwischen Schulabschluss und Studienbeginn am 208 Eine Tischlerlehre durchliefen bspw. Fernbach, Rindler und Rog- Bauhaus mindestens drei Jahre. In dieser Zwischen- ler. Hantschk absolvierte eine Lehre in einem Architekturbüro. Wilke besuchte eine Handelsschule, Loewe eine einjährige Apo- thekerschule, Enders das Fröbelseminar. Meyer-Waldeck legte das Examen als Kindergärtnerin und Hortnerin ab. Josefek und Szuszanna und Ödon Bánki um 1915 Meyer unterrichteten nach der Ausbildung mehrere Jahre als Gymnastikerin resp. Handarbeits- und Gewerbelehrerin. Zu allen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zeiten immatrikulieren sich auch architekturinteressierte Studen- tinnen, die über Berufserfahrungen verfügen, auch wenn sie nicht immer eine Berufsausbildung durchlaufen hatten. So arbei- tete Gerson ein Jahr „im Bürodienst“, Wettengel als Kontoristin, Lewin kurzzeitig als Büroangestellte. Enders war mehrere Jahre als Au-pair in Südamerika und zeitweilig als Zahnarzthelferin, Loewe als Apothekenhelferin tätig. Fernbach arbeitete mehrere Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Jahre im väterlichen Verlag, Beese in einem Verlag und einer Weberei. Josefek, Müller und Brauer hatten mehrere Jahre in Architekturbüros mitgearbeitet und auch die Architektinnen Si- mon-Wolfskehl und Schneider verfügten über Berufserfahrung. 209 Beese besuchte eine Handweberei in Dachau, Gerson die We- berei an der Frauenschule Bremen, Wettengel die Web- und Werkschule Chemnitz und Wimmer eine Weberei in Worpswede. Vgl. Biografien im Anhang

am Bauhaus 79 210 So sind Schneider und Brauer, Markos-Ney und Müller bereits selbst Mütter. Während Anneliese Brauer und Ursula Schneider Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar seit Jahren geschieden resp. getrennt lebend als alleinerziehen- de Mütter studieren, kommt Suzanne Markos-Ney, die 19jährig eine eigene Familien gegründet hatte, 1931 allein ans Bauhaus. Die mit einem Architekten verheiratete Maria Müller wohnt be- reits seit 1922 in Dessau und arbeitet im Büro des Gatten mit. 211 Aus der frühen Phase sind Dicker, Gutzeit sowie Hackmack und Knott, Ende der zwanziger Jahre Bánki, Busse, Marx, Rogler und Schöder als unter 20jährig zu nennen. Insgesamt fällt das rechnerische Durchschnittsalter der Studentinnen während der Dessauer Jahre, während es im letzten Jahr in Berlin steigt. 212 Über 30jährige Studentinnen - wie Bernays in Weimar, Schnei- der in Dessau und in der Berliner Zeit Hill, Wettengel, Brauer, Titel des ersten Bauhaus-Buches 1925 Titel der Bauhauszeitschrift, Heft 1, 1928 Schlagenhaufer und Knoblauch - sind jedoch in der Minderheit. 213 Auch wenn bspw. im Sommersemester 1932 mehr als die Hälfte der [wenigen] HospitantInnen und HörerInnen verheiratet war, ist lichkeit der jeweiligen Lebenssituationen sichtbar.210 Etwa zeitgleich erfuhr Anni Weil an der Kunstgewer- 1932 insgesamt nur jede/r 11.StudentIn verheiratet. Angaben Architekturinteressierte Studentinnen kommen zu ei- beschule Wien von dessen Existenz. Lotte Beese und 1932 nach Hahn, Peter / Wolsdorff, Christian: Bauhaus Berlin: nem Drittel minderjährig, - in Ausnahmefällen sogar Wera Meyer-Waldeck scheinen in Dresden, Kattina Auflösung Dessau 1932; Schliessung Berlin 1933; Bauhäusler unter 18-jährig - ans Bauhaus.211 Studentinnen, die Both 1924 an der Burg Giebichenstein auf das Bau- und Drittes Reich, Weingarten, 1985, S.62 zuvor eine Ausbildung oder ein Studium durchlaufen, haus aufmerksam geworden zu sein.216 Ob auch An- 214 In Weimar mit Ausnahme der ‘übernommenen’ Studierenden resp. eine Familie gegründet haben, sind in der Regel nemarie Wimmer in Dresden oder erst während ihres und den Wiener IttenschülerInnen. In Dessau waren nur Gerda Mitte zwanzig und älter.212 Die durchgängig breitge- Praktikums in Worpswede 1928 vom Bauhaus erfah- Marx und Maria Müller bereits ‘vor Ort’. streute Altersstruktur - Ausdruck wie Folge der unter- ren hat, ist unklar. Die Idee, dass Annemarie Wilke 215 So schreibt bspw. Thilo Schoder am 19.7.1920 an die Direktion: schiedlichsten Vorerfahrungen - kennzeichnet die He- hier studieren könne, entstand durch einen Vortrag „Ich empfahl dieser Dame [Fräulein Elsa Franke, Hagen i/W.- terogenität der architekturinteressierten Studentin- von Walter Gropius in Lübeck, den sie 1925 gemein- Emst] den Besuch des Bauhauses.“ - SBW, Sign.88, Bl.884 nen, auch wenn die ganz überwiegende Zahl der Stu- sam mit ihrer Mutter besuchte.217 Ursula Schneider 216 Beese gibt an, in einer Weberei in Dresden vom Bauhaus gehört dentinnen ledig und kinderlos ans Bauhaus kommt.213 und Wera Itting war das Bauhaus durch persönliche zu haben. Meyer-Waldeck studierte ab 1924 an der Akademie Kontakte bekannt.218 Eva Fernbach wurde es während Dresden. Von der Burg Giebichenstein ans Bauhaus wechselte Wie erfuhren die Studentinnen vom Bauhaus? ihrer Malstudien in Berlin empfohlen. Lila Ulrich soll in 1924 bereits Lili Schultz (1895-1970). Sie hatte zuvor das Mei- Der ganz überwiegende Teil der Studierenden musste Hamburg davon gehört haben und Hilde Reiss erin- steratelier für Email bei Maria Likarz absolviert. Vgl. FN 21 von außerhalb geworben werden.214 Von manchen nert nicht mehr, wo dies zum ersten Mal war: Ende 217 Interview mit Annamaria Mauck am 17.11.1995 Studentinnen ist bekannt, wie ihr Interesse für das der zwanziger Jahre ist das Bauhaus bekannt.219 218 Ittings Bruder Gottfried studierte am Bauhaus, Alfred Arndt war Bauhaus geweckt wurde. Insbesondere in der frühen Spätestens mit Erscheinen der Bauhauszeitschrift ist Auftragnehmer ihres Vaters. Schneider arbeitete vor ihrer Bau- Phase des Bauhauses werden potentielle Studentin- auch für Interessierte, die nicht zum unmittelbaren hauszeit (ab 1925/26) im Büro von Erwin Gutkind in Berlin. nen häufig durch Werkbundmitglieder, Architekten Kreis der Freunde des Hauses gehören, ein regelmä- 219 So erinnert sich Christa Carras-Mory [geb.Schöder], dass sie im resp. Architekturkritiker gezielt darauf hingewiesen, ßiger Einblick in Positionen, Ansätze und Produkte Immatrikulationsamt der Vereinigten Staatsschulen Berlin auf so bspw. Tony Simon-Wolfskehl (1919), Elsa Franke möglich. So abonniert Grete Meyer die Zeitschrift ab das Bauhaus hingewiesen wurde. Auch Edita Rindler bewirbt (1920) Ruth Vallentin oder Käthe Ury (1923), Elisabeth 1928, kauft sich ihren ersten Stahlrohrstuhl und orga- sich am Bauhaus, nachdem sie an den VS abgelehnt wurde. Jäger (1924) und Kitty van der Mijl-Dekker (1929).215 nisiert für die von ihr unterrichtete Klasse an der Han- 220 Dort werden 1929, Bánkis letztem Schuljahr - die Wettbewerbs- Aber auch Studentinnen, die sich selbst auf die Su- dels- und Gewerbeschule in Kassel eine Tagesexkur- ergebnisse für den Neubau der Theaters Györ ausgestellt, da- che nach einer Ausbildung begeben, werden in der sion zum Bauhaus nach Dessau. 1929 wird Lore En- runter auch ein Entwurf des Privatatelier Gropius. Der ungari- frühen Phase durch Mundpropaganda geworben: Sie ders wahrscheinlich durch die in Mannheim gastie- sche Architekt Stefan Sebök (1904-1944) ist seit 1927 im Büro ‘hören’ vom Bauhaus. Ruth Hildegard Raack hatte - rende Bauhaus-Ausstellung, Zsuzsanna Bánki anläs- Gropius, 1929 auch am Wettbewerbsentwurf für Györ beteiligt. wahrscheinlich durch ihren Lehrer Bruno Paul - um slich eines Architekturwettbewerbes in ihrer Heimat- Vgl. Wechselwirkungen, 1986, S.585 - Familie Bánki weilte je- 1920 in Berlin „von den Bauhausplänen gehört“. stadt Györ auf das Bauhaus aufmerksam.220 doch auch des öfteren in Budapest und Wien. Bánki, 1990,S.5

80 Architekturinteressierte Studentinnen Nicht nur bei Grete Meyer vergehen zwischen dem nen der Bauhauszeitschrift wächst die Bekanntheit: ersten Interesse und dem eigenen Studium Jahre. Während der Direktorate von Meyer und Mies ist das Suzanne Markos-Ney, die sich im Frühjahr 1931 am Bauhaus bekannt. Bauhaus Dessau einschreibt, berichtet ihren Eltern Wie kommen die um die Jahrhundertwende gebore- bereits im Herbst 1929 aus Dessau, „dauernd mit nen Studentinnen auf die Idee Architektur zu studie- Beckmann, Neuner und Margot Loewe zusammen“ ren? Und warum entscheiden sie sich für dieses Stu- zu sein.221 Und Hilde Katz kennt das Bauhaus späte- dium? stens seit ihrer Teilnahme am metallischen Fest 1929 221 Brief Markos-Ney an die Eltern im Herbst 1929, zitiert nach in Dessau. Sie studiert ab 1930 Architektur, zunächst Die Entstehung des Studienwunsches lässt sich bei Schreiben von Dr.Helmut R. Leppien, 20.9.1999 an der Ittenschule in Berlin, und wechselt 1932 ans den meisten architekturinteressierten Bauhausstu- 222 Von der Ittenschule ans Bauhaus hatte im Oktober 1931 bereits Bauhaus.222 Auch für Eva Lilly Lewin könnte das Bau- dentinnen bisher nicht dokumentieren, nur von man- Ernst Louis Beck (1908-1957) gewechselt. Er hatte seit 1929 haus schon länger ein Begriff gewesen sein.223 chen sind explizite Studien- resp. Berufswünsche am dort, von 1927 bis 1931 als Werkstudent (Elektro) an der VHS Ende der Schulzeit bekannt.226 So ist bei Hilde Reiss In der Anfangszeit in Weimar wird die ganz überwie- Berlin studiert und zuvor eine Banklehre absolviert. bereits im Abiturzeugnis vermerkt: „Fräulein Reiss will gende Anzahl der architekturinteressierten Studentin- 223 Elise Hoeniger, die Leiterin des Landeserziehungsheims Agne- Architektur studieren“.227 Wann sie auf die Idee kam, nen durch einzelne Personen - insbesondere aus tendorf, das Lewin ab 1927 besucht, war langjähriges Werk- erinnert sie nicht mehr. Mit einem Architekten-Onkel dem Umfeld des Werkbundes - auf das Bauhaus auf- bundmitglied. hatte sie - wie auch Tony Simon-Wolfskehl und Kitty merksam und bewirbt sich aufgrund einer Empfeh- 224 Rosa Berger (geb. 7.9.1907 Chrzanow) studiert ab 1927 in der van der Mijl-Dekker - einen Ansprechpartner im fami- lung. Im Laufe der zwanziger Jahre verbreiten aber Weberei. Sie gibt 1928 an, dass die Menschen, die ihr gefielen liären Umfeld. Auch die Väter von Amy Bernoully, Mi- auch Studierende der ersten Semester die Kunde von „alle ehemalige bauhäusler waren“. Vgl. Bauhauszeitschrift, la Lederer, Margot Loewe, Elisabeth Jäger und Ruth der neuartigen Schule.224 Manche Interessentinnen 2.Jg., 1928, H. 2/3, S.24 und Fiedler, 1987, S.195 Josefek waren als freie [Innen-]Architekten tätig. Lie- machen sich zunächst vor Ort ein Bild, wobei Kon- 225 Die Bauhauszeitschrift erscheint ab Ende 1926. Von Irena Blü- ße sich bei diesen Studentinnen von einer Berufsver- takte zu befreundeten Studierenden, Ausstellungen hova ist bekannt, dass sie durch einen Bericht Ilja Ehrenburgs in erbung sprechen, so markiert bei anderen bereits der wie die ‘Bauhauswoche’ oder Feste willkommene An- der Frankfurter Zeitung vom 28.Mai 1927 aufmerksam wurde. Studienwunsch einen deutlichen Bruch mit familiären knüpfungspunkte bieten. Mit der Eröffnung des Bau- Ihren Entschluss, dort zu studieren, fasst sie offenbar ein Jahr Traditionen. hausneubaues in Dessau, Gropius´ Vortragsreisen, später, als in Prag eine Nummer der Zeitschrift RED dem Bau- dem zunehmenden Presseecho225 und dem Erschei- Immeke Schwollmann deutet 1919 in ihrer Bewer- haus gewidmet ist. Erst 1931 kann sie ihren Studienwunsch re- bung solche Durchsetzungsschwierigkeiten an: alisieren. Vgl. Blühova, Irena: Mein Weg zum Bauhaus, Septem- „Durch die Kriegszeit wurde ich gezwungen den Be- ber 1983, in: bauhaus 6, Leipzig, 1983, S.8-9 ginn meiner Studienzeit immer noch aufzuschieben, 226 Anders als an Kunstgewerbeschulen oder Technischen Hoch- Hilde Katz und Konrad Püschel auf dem ‘Metallischen Fest’, 1929 bis ich jetzt die Erlaubnis dazu errungen habe.“ 228 schulen, wo bei Immatrikulation der Berufswunsch systematisch Lotte Beese schlägt sich in verschiedenen Städten erhoben wurde, lassen sich Studienziele am Bauhaus besten- als ungelernte Arbeiterin mit unsicheren Jobs durch, falls aus Bewerbungsschreiben entnehmen. um den elterlichen Heiratserwartungen zu entgehen. 227 Reifezeugnis der Fürstin-Bismark-Schule vom 11.9.1928 Sie nutzt eine schwere Erkrankung, um den Eltern die 228 Lebenslauf Immeke Schwollmann. (SBW, Sign.155, Bl. 1051) Einwilligung zum Bauhausstudium abzutrotzen.229 Ella Immeke [Emma Catarina Caroline] Schwollmann sp. Mitscher- Rogler sucht und findet einen Fürsprecher für ihren lich wurde am 29.April 1899 auf Rittergut Kowalew bei Margonin Studienwunsch in jenem älteren Bruder, der an der in Posen „als zweites und letztes Kind des Rittergutsbesitzers TH Stuttgart sein Architekturstudium bereits abge- Otto Schwollmann und seiner Frau Margaretha geb. Bossell“ schlossen hat. Lore Enders bricht die Ausbildung ab, geboren. Sie bewarb sich bereits 1919 um die Aufnahme, nimmt für die sie ihr Vater angemeldet hatte, und geht als - aus Magdeburg kommend - ihr Studium erst zum 11.5.1925 Au-pair nach Südamerika. Erst nach dem Tod des am Bauhaus Dessau auf. (lt. Einschreibbuch BHD) Vaters nimmt sie das Studium auf. Und Grete Meyer 229 „Als die Ärzte um ihr Leben bangen, ringt sie den Eltern das erwirkt die elterliche Zustimmung zu einem Studium Versprechen ab, daß sie studieren darf, wenn sie nur wieder ge- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar erst mit dem Zugeständnis, zunächst ein Jahr als sund würde (..) Viel später, als diese Geschichte nur noch eine Haushaltshilfe zu arbeiten. Anekdote ist, wird sie dies als ‘einen gelungenen Fall von Er- pressung’ bezeichnen.“ Schilt/Selier, 1993, S.11 Etliche Bauhausstudentinnen interessieren sich zu- 230 „Ich wollte an sich eigentlich lieber Schauspielerin werden, aber nächst für andere Fächer und Berufe. So will Kattina das war damals nicht ‘in’, das gehörte sich nicht. (..) Und ich Both Portraitmalerin, Annemarie Wilke Schauspielerin mußte also lernen, da ich das einzige Kind war, mit Geld umzu- oder Sängerin werden.230 Und auch Christa Schöder, gehen. Und da fand er [der Vater] das wohl am Richtigsten. Ich die von ihrer Zeichenlehrerin ermutigt worden war, hatte immer nur die Musik im Kopf. Das wurde sehr gern gese- „wollte Malerin werden. Aber meine Eltern meinten, hen und geduldet, solange es nicht in einen Beruf ausartete. es wäre besser, erstmal etwas mehr Bürgerliches zu Aber das ging dann nicht, und ich hab’ mich nicht dagegen ge- studieren.“ 231 Zsuzsanna Bánki möchte - wie ihr älte- wehrt. (..) Ich mußte das machen, wenn auch nicht sehr gern.“ rer Bruder - Medizin studieren. Doch der Vater sieht Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 in der Medizin keine Berufsperspektive für die Toch- 231 Brief Christa Carras-Mory vom 16.1.1998

am Bauhaus 81 ter. Die wiederum steht der Architektur skeptisch ge- jedoch auch berufsgerichtete Motivationen und Stu- genüber und hofft deshalb zunächst, am Bauhaus dentinnen, die Fachkompetenzen erwerben und eine abgelehnt zu werden.232 berufliche Perspektive entwickeln möchten. So fährt Kattina Both 1925 nach Weimar, weil sie am Bauhaus Etliche Studentinnen treffen die Entscheidung eines sehen will, „was beruflich für sie nun wirklich zu ma- Studiums am Bauhaus nach einem Erststudium, einer chen ist.“ 238 Und Zsuzsanna Bánki hat offenbar ganz Ausbildung oder mehreren Ausbildungswegen. Im konkrete berufliche Erwartungen, wenn sie bedauert: Einzelfall baut dieses Studium auf eine zuvor begon- „die sog. Innenarchitektur kann man hier nicht studie- 232 „Bisher habe ich beschlossen, bei der Architektur zu bleiben nene Ausbildung auf, häufig ist jedoch keinerlei Zu- ren. Also studiere ich beide Fächer zusammen, aber und mich mit Innenarchitektur zu beschäftigen (..) Außerdem ist sammenhang erkennbar. Damit stellt das Bauhaus- auch dann liegt der Akzent auf dem Hausbau.“ 239 es gut möglich, daß ich nach einem Semester vom Bauhaus flie- resp. Architekturstudium in den meisten Fällen eine ge, denn in dieser Zeit verlangen sie viel von den Studenten.“ Neuorientierung dar: In Abwendung von einem tradi- Zu den prägenden Erfahrungen dieser Studentinnen- Z. Bánki an Ö. Bánki, Dessau, Anfang 1931 (Bánki, 1990, S.66) tionellen Brotberuf - als Kindergärtnerin, Gewerbeleh- generation, zumindest für die bis 1905 Geborenen, Auch als sie kurze Zeit später endgültig aufgenommen wird, be- rerin, Kontoristin - oder dem traditionell-bürgerlichen gehören der erste Weltkrieg und die Abdankung des reut sie das verpasste Medizinstudium. „Ich studiere schon ger- Ausbildungsspektrum höherer Töchter im Anschluss Kaisers.240 Der damit einhergehende Verlust von poli- ne Architektur, aber für ein Mädchen hat dies keine Zukunft.” an den Schulbesuch - Haushaltungsschule, Sprach- tischen und geistigen Orientierungen führt zu einer Brief vom 12.4.1931 (ibid., S.67) kurse, Auslandsaufenthalte - treffen diese Studentin- Suche nach neuer Sinnhaftigkeit. Welche Faszination 233 So bei ihrer Entscheidung, die Schule zu verlassen und eine nen ihre, in der Regel eigene Studienentscheidung. von dem Signal eines Neuanfangs ausgehen konnte, Tischlerausbildung zu absolvieren. „Na, sie [die Eltern] haben’s, Hier ist in manchen Fällen eine Distanzierung von fa- wird deutlich, wenn Lotte Beese das bekannte Al- sagen wir mal geduldet. Sie fanden Praktisches gut, Praktisches miliären Erwartungen und manches Mal eine Ableh- bers-Zitat - „Vergessen Sie alles, was man Sie bisher ist gut. Zu der Zeit konnte man mit einem Abitur gar nichts an- nung traditioneller Geschlechterrollen erkennbar. gelehrt hat“ - als Erweckungserlebnis erinnert: „[da] fangen.“ Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 wußte ich, daß ich gefunden hatte, wonach ich ge- Während Bánki, Wilke und Schöder ihren eigentlichen 234 So formulierte Lou Scheper-Berkenkamp retrospektiv „aus der sucht hatte in den hinter mir liegenden Jahren mit Studienwunsch gegen elterlichen Widerstand nicht Erfahrung des Bauhäuslers der `Gründerzeit´ (..): Er hatte in dem unbestimmtem Ziel.“ 241 durchsetzen, Beese, Both, Rogler, Enders und Meyer so vieldeutigen Manifest (..) eigene Fragen beantwortet gefun- ihn erst über Umwege realisieren können, zeigen sich Suchten Studentinnen der ersten Jahre eine Orientie- den. Er erwartete in Weimar theoretische und praktische Mög- andere Elternhäuser gegenüber den Ausbildungsent- rung, fühlten sich angesprochen, gerufen oder ans lichkeiten und Verwirklichungen eigener - oft noch unklarer - scheidungen ihrer Töchter tolerant. Eva Weininger Bauhaus verwiesen242, und wollten sie sich ebenso Vorstellungen und Wünsche.“ Scheper, Lou: Rückschau, in: beteuert: „Wir waren selbständige junge Damen.“ 233 umfassend wie experimentell mit Fragen der Gestal- Neumann, 1985, S.175 Dennoch verweist die häufig mehrjährige Phase zwi- tung beschäftigen, so verbanden sie damit doch 235 Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H. 4, S.18 schen Schulabschluss resp. Erstkontakt und Umset- auch die Erwartung konkreter Fähigkeiten zu erler- 236 Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H. 2/3, S.24 zung des Studienwunsches auf elterliche Skepsis ge- nen. Dabei stand weniger der Erwerb formaler Ab- 237 Annamaria Mauck im Interview 17.11.1995 genüber einem resp. diesem Studium der Töchter. schlüsse als das Interesse an vielfältigen Kompeten- 238 Petzinger, Renate in: Architektinnenhistorie, 1984, S. 47-48, hier zen und unterschiedlichen Denkweisen im Zentrum S.47 Bauhausstudentinnen sind neugierig auf neue Lern- der durchaus unterschiedlichen Studienmotivationen. 239 Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki, Brief vom 2.11.1930 Dessau, und Arbeitsformen, alternative Lebensformen und Le- Häufig hatten Bauhausstudentinnen - trotz teilweise in: Bánki, 1990, S.63ff. - Bánki bedauert dies, da sie an den Be- bensstile. Sie möchten sich und dieses Neue erpro- widriger Umstände - bereits im Vorfeld handwerklich rufsaussichten für Architektinnen zweifelt. ben, während der Jahre in Weimar an einem Auf- praktische Fähigkeiten erworben. Noch häufiger wu- 240 Gropius - selbst Kriegsteilnehmer - benennt in seiner Rede an bruch teilhaben, „eigene - oft noch unklare - Vorstel- ssten sie aufgrund bereits vorhandener Studienerfah- die Studierenden im Juli 1919 die Todeserfahrung im ersten lungen und Wünsche“ verwirklichen.234 Auch wenn an rungen die besonderen Umgangs- und Unterrichts- Weltkrieg als emotionale Triebfeder für Veränderungen. „Ich un- der Vielzahl der Studienabbrüche deutlich wird, dass formen zu schätzen. Auch nach bereits abgeschlos- terschätze, meine Damen nicht die menschliche Leistung derer, Studentinnen am Bauhaus nicht nur studieren, son- senen Studien suchen Studentinnen - wie Simon- die während des Krieges Zuhause blieben, aber ich glaube, daß dern auch ohne Abitur einen Studienabschluss erwer- Wolfskehl, Helm, Raack, Schneider oder Meyer - am eine persönliche Erfahrung des Todes die härteste ist. Die, die ben möchten, bis gegen Ende des Direktorats von Bauhaus primär nach einem Ort experimentellen Stu- dies dort erlebten, sind vollkommen verändert zurückgekehrt, Gropius bleiben allgemeine und ganzheitliche Motiva- dierens. Keine dieser Studentinnen bleibt allerdings sie fühlen, daß die Dinge nicht in der bisherigen Weise weiter- tionen für Studentinnen offenbar attraktiv. In seiner länger als ein Jahr. gehen können.“ BHA Rede Juli 1919, BHA Nr.7/15 Baumhoff Umfrage für die Bauhauszeitschrift stellt Lothar Lang wies darauf hin, dass auch manche Studentinnen - als Rot- Studierenden 1928 u.a. die Frage: „Weshalb sind Sie Dass die Studienmotivationen weniger in klaren Be- Kreuz-Schwestern - auf den Schlachtfeldern gedient hatten. an das Bauhaus gekommen?“ Hierauf antworten Stu- rufsperspektiven als in einer möglichst umfassenden 241 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion, in: Neue Heimat dentinnen ausnahmslos ohne erkennbaren Bezug wie ganzheitlichen Entwicklung der Persönlichkeit zu Monatshefte Nr.8/1981 - hier zitiert nach: Achitektinnenhistorie, zum Studienfach. So gibt Wera Meyer-Waldeck an, finden sind, wird bspw. deutlich, wenn Mara Auböck 1987, S. 66 dass sie ans Bauhaus gekommen sei, „um mich von die Gründungsphase beschreibt: „Die schöpferischen 242 „Ich komme nach Weimar (..) weil ich meine, daß mein bisheri- dieser Steifheit zu befreien“, da sie „durch erziehung, Kräfte zu wecken, entwickeln und veredlen, wollte ger Studienplan und meine Wünsche und Ziele und die Art mei- schule und akademieluft geistig so verkalkt“ gewesen wohl jeder von uns.“ 243 Auch 1928 formuliert Wera ner Begabung mich durchaus dorthin weisen“, schreibt Ruth sei.235 Und Otti Berger antwortet: „um mich zu über- Meyer-Waldeck ihre Motivation ganz ähnlich, „sich Hildegard Raack 1920 in ihrer Bewerbung. - vgl. Dietzsch, 1990 winden und das ich zu finden.“ 236 Annemarie Wilke für alles zu interessieren, alles verstehen zu lernen, (II), S.52-53, Dokument 25 entscheidet sich für die Bauabteilung, „weil alles ohne dabei kritiklos zu werden“.244 243 Brief von Mara Auböck an M. Hassiminski, vgl. FN 3 andere nicht in Frage kam.“ 237 Zunehmend finden wir

82 Architekturinteressierte Studentinnen Just im Wissen um die Differenz von Gestaltungszie- rend des Studiums kleinere Aufträge aus. Und Reiss len und Unterrichtsformen, in Ablehnung oder Abkehr lässt kein Projekt und keine Möglichkeit aus, um Ar- von einem Akademie- oder Hochschulstudium nah- chitektur zu betreiben. Auch Ruth Josefek kann sich men Studierende ein Studium am Bauhaus auf. „Ich ein Leben als Architektin vorstellen. Ihre berufliche sehe es im Berufe wie wenig die Menschen riskieren Perspektive ist jedoch offenbar eng mit dem väterli- (..) Immer wieder finde ich, daß wir Bauhäusler ganz chen Büro verknüpft: Sie wechselt just in dem Seme- anders und viel leichter an neue Aufgaben, neue Ar- ster von der Bau/Ausbaulehre zur freien Malklasse Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar beitsgebiete herangehen als Menschen, die vielleicht als ihr jüngerer Bruder sein Architekturstudium auf- viel mehr Fachwissen haben“, schreibt - zwei Jahre nimmt.249 Für keine Studentin ist bereits während des nach ihrem Weggang vom Bauhaus - die inzwischen Studiums ein konkreter Berufsweg geebnet, bspw. in den Niederlanden als Dessinateurin arbeitende Lis- familiär. Wera Meyer-Waldeck antwortet im dritten beth Oestreicher 1932.245 Und Hans Konrad Keßler, Semester auf die Frage, was sie nach Verlassen des der zuvor zwei Semester Architektur an der TH Stutt- Bauhauses tun werde, „daß ich da selber sehr neu- Annemarie Wilke am Zeichentisch gart studiert hatte, erinnert das eigene TH-Studium gierig bin und es gern auch wissen möchte.“ 250 Und und im Unterricht Reich, um 1932 als „massenunterricht an den hochschulen“. Er hat Otti Berger äußert auf diese Frage nicht ohne Ironie: nach mehreren Bauhaussemestern „noch angstträu- „Heiraten“.251 Annamaria Mauck gibt zu ihren Berufs- me, in denen ich den ganzen stumpfsinn an der th vorstellungen rückblickend an: „Was ich sonst ge- wiedererlebe.“ 246 macht haben würde, das wußte ich damals selber noch nicht so genau.“ 252 Architekturinteressierte BauhausstudentInnen wollen - nicht immer berufsgerichtet, aber keineswegs ziel- Bauhausstudentinnen aller Phasen, die sich auch los - praxisorientiert lernen, neue Gestaltungsmög- oder ausschließlich für den Bereich Bau/Ausbau in- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar lichkeiten entdecken und an der neuen Schule expe- teressierten resp. dort eine Qualifikation erwerben rimentell ausschöpfen. Aufgrund politisch-weltan- wollten, entstammten häufig großbürgerlichen Eltern- schaulicher Überzeugungen möchten sie häufig auch häusern mit breitgestreuten kulturellen Interessen. Sie an der sichtbaren Gestaltung einer neuen Gesell- wuchsen ganz überwiegend in bildungsbürgerlichen schaft, dem gestalterischen Großprojekt der Moderne Milieus als Töchter von Industriellen, Kaufleuten und mitarbeiten. Ihre konkrete Neugier bezieht sich des- Freiberuflern auf, besuchten weiterführende Schulen halb weit häufiger über Fächergrenzen hinweg auf und erlebten schon vor Beginn der Weimarer Repu- alle denkbaren Gestaltungsbereiche als auf ein fach- blik in einem liberalen, häufig großstädtischen Umfeld spezifisch abgegrenztes Berufsfeld. ein hohes Maß individueller Freiheit. Bauhausstuden- tinnen mit Architekturaffinität waren wissbegierig und 244 Lang, Lothar: interviews mit bauhäuslern, wera meyer-waldeck, Anfang der dreißiger Jahre wird das unter Mies van verfolgten bereits in ihrer Schulzeit eigenwillige Inter- Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.18 der Rohe auf Architektur zugespitzte Profil der Schule essen. In Relation zu ihren Geschwistern wie ihren 245 Beilage zur Berliner Zeitung vom 21.8.1932, abgedruckt in Hahn auch von Studierenden thematisiert: „Waren früher Altersgenossinnen können sie als ausgeprägte Indivi- /Wolsdorff, 1985, S.77 - Lisbeth Oestreicher (geb. 1902) studier- hauptsächlich nur suchende, revolutionär denkende dualistinnen be-zeichnet werden. Im städtischen Um- te 1926 bis 1930 am Bauhaus Dessau, Diplom Nr. 25 (Weberei) menschen an das haus gekommen, so lockte der feld fiel der Blick dieser jungen Frauen auch auf die vom 31.10.1930. Vgl. Fiedler, 1987, S.146. sich verbreiternde ruf desselben allmählich auch sol- Architektur. Etliche wurden durch Architekten aus 246 Brief vom 10.10.1931 resp. vom 2.10.1932 (Hahn/Wolsdorff, che an, die nichts wollten, als ihr fach studieren.“ 247 dem Familien- oder Bekanntenkreis auf das Bauhaus 1985, S.157 und S.166f.) Allerdings steht er aufgrund seines Was da als Kritik am Wandel der Studienmotivatio- aufmerksam. Der Anteil der Architektentöchter ist mit Studienplatzwechsels auch unter Legitimationsdruck, da sein nen anklingt, wäre gerade aus der Situation von Stu- deutlich unter 20% jedoch vergleichsweise gering. Studium von einem Onkel finanziell unterstützt wird, der ihn lie- dentinnen nur allzu erklärlich. Denn, weshalb sollten Dies deutet nicht zuletzt auf Vorbehalte bei Architek- ber zu einem Architekten ‘in die Lehre geben’ möchte. Studentinnen, denen zuvor ein Studium resp. der Ab- tenvätern hin. 247 Rose, Katja und Hajo: unveröffentlichtes Manuskript für Die schluss verweigert worden war oder für die bis dato Weltbühne, 1932, zitiert nach Droste, 1991, S.199 ein Studium an einer TH nicht in Frage kam am Bau- Auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven mu- 248 Aus dem Jahre 1928 datiert bspw. ein Schreiben, in dem Prof. haus nicht ‘ihr’ Fach studieren? Andererseits wird an- ssten manche Studentinnen zunächst elterliche Hermann Annemarie Wimmer nach zwei Jahren Grafikstudium hand der Studienverläufe etlicher Studentinnen aller Skepsis oder massive Vorbehalte überwinden. In bestätigt, dass das Berufsziel noch nicht feststehe. AdKS/Lange Phasen deutlich, dass sie auf der Suche nach einem kleinbürgerlichen oder kleinstädtischen Milieus ge- 249 Ihr Bruder erinnert, dass mit Beginn seines Architekturstudiums adäquaten Tätigkeitsbereich waren.248 Die meisten lang ihnen dies nur mit besonderer Hartnäckigkeit. die Perspektive zur Übernahme des väterlichen Büros zu seinen bemühen sich, den realen Bedingungen des Archi- Die Studienmotivationen architekturinteressierter Gunsten gefallen sei. Er studierte zwischen 1930 und 1934 an tekturstudiums am Bauhaus ihre Chance auf eine Studentinnen waren ebenso vielfältig wie vielschich- der TH München. Telefonat mit Johannes Josefek, 25.11.1997 berufliche Perspektive abzugewinnen. tig. Sie weisen nicht immer eindeutig auf eine ange- 250 Vgl. FN 244, S.19 - Unklar bleibt, ob Meyer-Waldeck zu diesem strebte Karriere als Architektin. Vielfach wurden meh- Nur wenige Studentinnen - wie bspw. Hilde Reiss Zeitpunkt noch keine Berufsperspektive sieht oder eine allzu rere Ausbildungswege eingeschlagen. Einzelne setz- oder Zsuzsanna Bánki - gehen so offensiv vor, dass eindeutige Antwort vermeiden möchte. ten bereits begonnene Ausbildungen fort, bei der ihr Berufsziel eindeutig sichtbar wird. So vergleicht 251 Otti Berger im Interview 1928. Lang, Lothar: interviews mit bau- Mehrzahl markiert das Stu-dium am Bauhaus jedoch Bánki immer wieder die gebotenen Studieninhalte mit häuslern, Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.25. eine Neuorientierung. Da-bei nutzten oder nahmen ihren Vorstellungen vom Beruf und führt schon wäh- 252 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995

am Bauhaus 83 sie sich die Freiheit, nach geeigneten Tätigkeitsfel- Mission: „Es geht um mehr als Zweckerfüllung, es dern für ihre Fähigkeiten zu suchen. Bauhausstuden- geht um Offenbarung des Geistes aus Maßlosigkeit tinnen aller Phasen studierten häufiger im Hinblick zu Wirklichkeit.“ Und auch Alexandra Gutzeit meldet auf eine umfassende Weiterentwicklung ihrer Persön- sich hier zu Wort: „Menschen, lebendige Wesen, lernt 253 Determann, Walter: Gedanken über das Bauen in: Der lichkeit denn auf einen konkreten Beruf. Hier erwarte- wieder hören auf Euer Leben in Euch, lernt es in Zu- Austausch (Zweites Flugblatt), Anfang Juni 1919, S.3 ten sie die Auseinandersetzung mit aktuellen Gestal- sammenhang bringen mit der großen Bewegung um 254 Bittkow, Margarete in: Der Austausch, Juli 1919, S.2-3, Gutzeit, tungsfragen und eine Förderung ihrer individuellen Euch.“ 254 Ähnlich vage bleiben die Versuche einzelner Alexandra: Von Bürger zu Künstler, ibid, S.2 Begabungen. Häufig erhofften sie sich auch die Mög- StudentInnen, Architektur im Selbststudium zu betrei- 255 Indem Hans Maria Wingler in seiner Funktion als Direktor des lichkeit, ihre Ambitionen im Rahmen eines gesell- ben. Erst auf massiven Druck hin steigt im Laufe der Bauhaus-Archives in Darmstadt und Nestor des Bauhauserbes schaftlichen Projektes einbringen zu können. Jahre das Angebot architektonischer Fächer, bis im in Westdeutschland im Mai 1961 vor dem Regierungspräsiden- Sommersemester 1927 eine Architekturabteilung ein- ten in Darmstadt posthum den „Hochschulcharakter des Bau- gerichtet wird. Qua Lehrangebot stellt das Bauhaus hauses“ an Eidesstatt erklärt, übergeht er die fehlenden Rah- für architekturinteressierte Studentinnen und Studen- Wohnungen, Schulen, Einfamilienhäuser: Was stu- menbedingungen eines regulären [Architektur-]Studiums. So be- ten faktisch nur zwischen 1931 und 1932 eine Ausbil- dierten Studentinnen am Bauhaus? scheinigt er bspw. im November 1967 Gotthard Itting auf des- dungsalternative zu einem Architekturstudium an ei- Für eine mögliche Architekturlehre existieren während sen Anfrage: „Die Ausbildung am Staatlichen Bauhaus in Wei- ner Technischen Hochschule dar.255 der Weimarer Jahre weder Curricula noch konkrete mar in der Zeit vom März 1919 bis März 1925, wie auch die am Vorstellungen. Anfang Juni 1919 veröffentlichte der Schon im Gründungsmanifest war nicht von einem Bauhaus Dessau in der Zeit vom 20.Oktober 1926 bis zum 30. Student Walter Determann in der studentischen Zeit- Studium, geschweige einem Architekturstudium die September 1932, ist der Ausbildung an einer Akademie gleich- schrift „Der Austausch” seine „Gedanken über das Rede. Hier ging es um Erziehung - zum Handwerker zusetzen. Dies gilt insbesondere auch für das Architekturstudi- Bauen: (..) Es gibt nur einen Weg der Baukunst zu oder Künstler. Gleichzeitig ruft Gropius zur Grün- um, das dem an einer Akademie oder Technischen Hochschule helfen! - Wieder naiv werden! - Wir müssen alles, was dung einer „Arbeitsgemeinschaft führender und wer- absolvierten entspricht.“ Erklärung vom 28.11.1967, BHAB, 17, wir Stil oder Tradition nennen, vergessen! (..) der dender Werkkünstler“ auf.256 Diese möchte er zu einer NL Wingler wahrhaft organische Bau kann nur im Urbau wur- gestalterischen Einheit wie einer einheitlichen Gestal- 256 „Das Bauhaus will Architekten, Maler und Bildhauer aller Grade zeln.“ Deshalb fordert er zum Studium der „Ur-Bau- tung zusammenführen.257 Konkrete Aussagen über je nach ihren Fähigkeiten zu tüchtigen Handwerkern oder selb- ten“ auf: „Lern an den Wohnungen der Tiere (..) an die Art der Lehre in dieser „Arbeitsgemeinschaft” fin- ständig schaffenden Künstlern erziehen und eine Arbeitsgemein- den Hütten der primitiven Völker (..) den Bauernhäu- den sich hier nicht. schaft führender und werdender Werkkünstler gründen, die Bau- sern. (..) Baue für deinen Zweck so gut und so fest, werke in ihrer Gesamtheit (..) aus gleich geartetem Geist heraus Josef Albers beschreibt die im Vorkurs angewandten wie nur möglich. (..) Laß neben männlichem Ernst einheitlich zu gestalten weiß.“ Vgl. FN 1. didaktischen Überlegungen 1928 in „werklicher form- auch weibliche Munterkeit walten. Denk dran: Ein 257 Der Gedanke Prototypen zu entwickeln war seit dem sog. Pro- unterricht“ folgendermaßen: „erfindendes bauen und fröhliches Haus macht auch fröhliche Menschen.“ 253 totypenstreit auf der Kölner Werkbundtagung 1914 virulent. entdeckendes aufmerken werden entfaltet - minde- 258 Albers in Werklicher Formunterricht, S.4 - vgl. FN 28 Solch fröhlich-naives Bauen-Wollen fordert die Kom- stens zu anfang - durch ungestörtes, unbeeinflußtes, 259 Ibid. militonin Margarete Bittkow zum Widerspruch heraus. also vorurteilfreies probieren, das (zuerst) zwecklo- 260 Ibid., S.5 Im nächsten ‘Austausch’ erinnert sie an die höhere ses, spielerisches basteln in material ist. also durch

Gleichgewichtsstudie aus Glas und Kaliko, Charlotte Victoria, 1923 Gleichgewichtsstudie „konstruktion aus metall und glas“, Anni Wildberg, 1924

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84 Architekturinteressierte Studentinnen unfachliche (das heißt nicht durch lehre beschwerte) lehrt, die Form zu sehen als eine zeitliche Konstrukti- versuchsarbeit. (..) lernen ist besser, weil intensiver, on, aufgebaut auf Komponenten von materieller und als lehren“, bringt er den Anspruch seiner Unter- sozialer Art, wobei Funktion eine der Komponenten richtsmethode auf den Punkt und räumt im Hinblick ist“, schreibt Lotte Beese Jahrzehnte später anläss- 261 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion. in: Neue Heimat auf die Gestaltungsziele ein: „die betonung der nega- lich eines Funktionalismus-Kolloquiums.261 Monatshefte Nr.8/1981 sowie in: UIFA, 1984, S. 66 tiva (der rest-, zwischen- und minuswerte) ist viel- 262 Vgl. FN 11 Die meisten Vorkursarbeiten sind durch die bereits leicht das einzige ganz neue, vielleicht das wichtigste 263 Wingler, 1975, S.287 erwähnte Publikation Moholy-Nagys bekannt.262 Die moment der heutigen formabsichten.“ 258 264 Moholy-Nagy, 1929, S.202. Von Charlotte Viktoria sind keine Le- frühesten Arbeiten von Studentinnen datieren aus bensdaten bekannt, sie ist in Verzeichnissen nicht nachweisbar. Im Zusammenhang mit dem „analytischen Zeichnen“ dem Jahre 1923, so die „Gleichgewichtsstudie” von 265 Ibid., S.151 resp. 153. Die persönlichen Daten von Korona (oder bei Kandinsky ist in der gleichen Ausgabe der Bau- Marianne Brandt263 und die „Volumen- und Raumstu- Corona) Krause sind unbekannt. Lt. Fiedler studiert sie um 1924 hauszeitschrift jedoch erneut von Erziehung die Re- die aus Glas und Kaliko” von Charlotte Viktoria.264 Die in der Webereiwerkstatt. (Fiedler, 1987, S.158) Irmgard Sören- de: „Der Zeichenunterricht am Bauhaus ist eine Erzie- Plastiken von Korona Krause und Irmgard Sörensen sen (geb. 3.7.1896 Kiel) studiert ab 1923 am Bauhaus. hung zum Beobachten, exakten Sehen und exakter aus dem Jahre 1924 überlisten bei der Suche nach 266 Ibid., S.139, - Wildbergs persönliche Daten sind bisher unbe- Darstellung nicht der äußeren Erscheinung, sondern dem Gleichgewicht die Schwerkraft. Als „schweben- kannt. Evtl. ist Anni Wildberg identisch mit der im 1983 in der konstruktiven Elemente ihrer gesetzmäßigen Kräf- de Plastik“ oder „schwebende Plastik (illusionistisch)“ Cleveland, OH verstorbenen Anna Wildberg (geb. 16.8.1894). te.“ 259 Geht es nun um die Suche nach den inneren sind sie auf einen Punkt der Aufhängung resp. Ein- 267 Ibid., S.146. Suse Beckens persönliche Daten sind bisher un- Gesetzen der Dinge mit Hilfe theoretischer Konstruk- spannung konzipiert.265 Von Anni Wildberg sind zwei bekannt. te, so steht im Zentrum des Entwerfens - der sog. Gleichgewichtsstudien, darunter eine „konstruktion 268 Ibid., S.147. Diese Studienaufgabe wird um 1922 am Moskauer „Versuchsarbeit“ - die zunehmend rationalisierte Op- aus metall und glas“ dokumentiert.266 Die Plastik von Wchutemas von der Studentin Lidiya Komarova zeichnerisch timierung: „Äußerste Ausnutzung des Stoffes wird er- Suse Becken setzt Glas, Metall und Holz komposito- verblüffend ähnlich gelöst. (Vgl. De grote Utopie, Katalog, Am- strebt durch Ausprobieren der größten Tragfähigkeit risch in ein Gleichgewicht.267 Und eine „Gleichge- sterdam, 1992, Nr. 639). Thoma Gräfin Grote wurde am 22.4. (höchsten Aufbau, weiteste Ausladung, stärkste Bela- wichtsstudie“ von Thoma Grote komponiert verschie- 1896 in Hannover als drittes Kind von Graf Adolf Viktor Ludwig stung), der größten Festigkeit (Zug, Biegung), der dene Holzarten nach ihren spezifischen Gewichten.268 Grote (25.10.1864 Hannover - 10.11.1931 Berlin) und Ilse (geb.) engsten Verbindungen, des kleinsten oder schwäch- Diese Aufgabenstellungen werden in mehreren Vor- von Reden (9.10.1868 Franzburg - 20.9.1928 Berlin) geboren. sten Standes“.260 Und die Erziehung im Sinne theore- kursen - zumindest bis 1927 - immer wieder bearbei- Sie studierte - lt. Dietzsch - zwischen 1924 und Frühjahr 1926 tischer Gesetzmäßigkeiten fällt auf fruchtbaren Bo- tet. Dabei dürften die „Gleichgewichtsstudien” aus am Bauhaus. Biografische Angaben lt. Starke, Gräfliche Häu- den: „Der Vorkurs und die Baulehre haben mich ge- Blech, resp. Blech und Draht von Lotte Beese eben- ser, 1952, Bd.1, S.180ff., hier S.182.

Schwebende Plastik, Irmgard Sörensen, 1924 Schwebende Plastik (illusionistisch), Korona Krause, 1924 Gleichgewichtsstudie, Thoma Grote, 1924

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am Bauhaus 85 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Metallobjekt, Lotte Beese, 1926 Papierfaktur, Gerda Marx, 1927 „Ein Material verschiedene Werkzeuge“, Gerda Marx, 1927

so in einem Moholy-Nagy-Kurs entstanden sein wie ra Meyer-Waldeck in ihrem ersten Semester 1927 be- die „Gleichgewichtsstudie aus Glas und Metall” von arbeitet oder die Fakturen von Gerda Marx: „ein Ma- Gerda Marx.269 Außerdem werden im ersten Semester terial verschiedene Werkzeuge“.270 Im Vorkurs bei Al- 269 Moholy-Nagy, 1929, S.145 Fakturen und Texturen erprobt, lt. Moholy-Nagy opti- bers entsteht 1926 die „Materie- und Schwerpunkt- 270 Ibid., S.62 resp. 61 und 57. Zu Hilde Horn vgl. FN 114. sche Übersetzungen von Materialwerten, wobei die studie“ von Ursula Schneider, 1927 realisiert Elisa- 271 Bauhauszeitschrift, 2.Jg. 1928, H.2/3, S.6 resp. S.7 Textur der Fläche, die Faktur dem Raum zugerechnet beth Henneberger hier ihre „Plastische Schnitt- und 272 Ibid., S.4. Ebendort erscheint auch die Vorkursarbeit Schneiders wird. Bekannt sind u.a. die „Textur- und Faktur-Stu- Faltungsfaktur“.271 Auch Lotte Gerson besucht den die” von Hilde Horn - eine Erstsemesterarbeit aus Vorkurs im Sommersemester 1927 und entwirft dort Materialstudie, Gerda Marx, 1927 dem Jahre 1924 -, die „Fakturstudie in Holz”, die We- eine „Positiv-Negativ-Faltung“, die 1928 in der Bau-

Positiv-Negativ-Faltungen, Lotte Gerson (hinten links), 1928 Metallobjekt, Gerda Marx, 1927

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Materialstudie, Ursula Schneider, 1928

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86 Architekturinteressierte Studentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Material- und Schwerpunkstudie, Ursula Schneider, 1927 Texturstudie, Hilde Horn, 1924

hauszeitschrift abgebildet wird.272 Aus dem Jahre Zeitungspapier dürfte von Maria Müller im Vorkurs 1927 lassen sich gleich mehrere Vorkursarbeiten von angefertigt worden sein.274 Gerda Marx dokumentieren, die unterschiedliche Ma- Vorkursarbeiten architekturinteressierter Studentinnen terialien räumlich kombinieren.273 Daneben fertigt sie aus späteren Jahren lassen sich bisher kaum doku- anlässlich eines Festes eine Ansteckbrosche „Perle mentieren. Lediglich im Nachlass von Lila Ulrich fin- und Cellophan“. Eine weitere „Materialstudie“ aus 273 Manche dieser Vorkursarbeiten befinden sich im BHAB, andere det sich ein Foto einer 1931 bei Albers entstandenen Weissblech und grobem Cellophan entsteht 1928 als im NL Marx „räumlichen Filzplastik“. Die Vorkursarbeiten von An- Arbeit Ursula Schneiders. Eine im gleichen Jahr ent- 274 Alle anderen Bauhausstudierenden namens Müller belegten den nemarie Wilke, Christa Schöder oder Grete Meyer standene - und mit „müller“ signierte - Collage in Vorkurs zu einem anderen Zeitpunkt. sind bspw. nicht erhalten. Alle drei erinnern sich je-

„Weissblech, Spirale aus einem Rechteck“, Gerda Marx, 1927 Metallobjekt, Lotte Beese, um 1928 Gleichgewichtsstudie Glas und Metall, Gerda Marx, 1927

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am Bauhaus 87 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Gleichgewichtsstudie, (Entwurf für eine Plastik), Suse Becken, 1924 Materialübung, Glasplättchen mit Gewebe, Otti Berger, um 1926 „Räumliche Filzplastik“, Lila Ulrich, 1931/32

doch lebhaft an den Vorkurs bei Albers, bspw. an träge des Büros Meyer/Wittwer auf die Lehre aus. So das Thema „Papier: aus der Fläche in die Plastik“.275 wenn in Mart Stams erstem Gastkurs vom 16.-21.Juli So unterschiedlich diese Vorkursarbeiten sind, hier 1928 ein „Doppelhaus (für vier Familien) bei Bernau“ 275 So bspw. Annamaria Mauck [geb. Wilke] und Grete Meyer[-Eh- wird deutlich, dass Studentinnen im Vorkurs auch bearbeitet wird, eine Aufgabe, die im Zusammenhang lers] im Interview. Meyer-Ehlers knüpft in den 1960er Jahren an räumlich arbeiteten und damit die flächige „einfüh- mit dem Neubau der Bundesschule des Allgemeinen didaktische Überlegungen des Vorkurses bei Albers an. In der rungsstufe zum räumlichen“ gern überschritten.276 deutschen Gewerkschaftsbundes steht.278 Im Winter- Einführung zu „Textilwerken“ nimmt sie hierauf explizit Bezug. semester 1928/29 bearbeiten die Studierenden im (Meyer-Ehlers, Grete: Textilwerken. Arbeiten mit Faden und Ge- Was aber entwarfen architekturinteressierte Studen- Städtebaukurs bei Stam eine Aufgabenstellung ana- webe, Berlin, 1965) tinnen nach dem Vorkurs? log der Wettbewerbsausschreibung für die Siedlung 276 Im „werklichen formunterricht” (S.10) führte Albers aus: „wobei Da die weitaus meisten architektonischen Studienar- Haselhorst in Berlin-Spandau. flächenerscheinungen eine einführungsstufe zum räumlichen beiten von Bauhausstudentinnen bisher nicht doku- sind.“ Vgl. FN 28 Im ‘städtebaulichen Seminar’ bei Ludwig Hilbersei- mentiert sind, bleibt die Beantwortung dieser zentra- 277 Der Entwurf einer Bauhaus-Siedlung von Walter Determann mer steht der Siedlungsbau im Mittelpunkt. Die Stu- len Frage unbefriedigend. Häufig sind bisher nicht bleibt ebenso singulär wie die städtischen Wohnhochhäuser von dierenden entwerfen hier ab Frühjahr 1929 Siedlun- einmal die Entwurfsthemen bekannt. Die aus Zeug- Breuer und Muche. gen nach 4 Prinzipien: Zeilenbau, soziale Mischung nissen und Diplomen rekonstruierten Aufgabenstel- 278 Hannes Meyer schlägt diesen Privatauftrag als Thema für Stams durch Mischbebauung, Typenhäuser, Infrastruktur, lungen lassen jedoch erkennen, dass sich die Ent- Gastkurs vor: „Doppelhaus (für vier Familien) bei Bernau (inmit- während die wichtigste Aufgabe bei Mies v.d. Rohe wurfsaufgaben von Bauhausstudentinnen nicht we- ten des Waldes auszuwählen an der bestehenden Chaussee der „Flachbau im Wohnhof“ war.279 Hier bearbeiten sentlich von denen ihrer Kommilitonen unterschieden. Bernau-Liepnitzsee)“ Getty bauhaus correspondence 870570, Studierende ‘Idealaufgaben’ mit nur wenigen Vorga- Meyer an Stam vom 9.7.1928: Für den nächsten Kurs ab 9.Sep- Wurden während der Weimarer Jahre am Bauhaus, ben, aber auch Projekte für sehr konkrete Standorte. tember sagt Meyer zu, in Bernau zu klären „in welcher richtung resp. außerhalb des Privatateliers Gropius, überwie- Im Unterschied zu den Themen bei Meyer geht es der endgültige entwurf, aufgrund der vier vorentwürfe, weiter gend Grundrisstypen und Einfamilienhäuser entwor- nun nicht mehr um kollektive Entwurfsthemen, son- verfolgt werden soll.” Ibid., Meyer an Stam vom 22.8.1928: „in fen277, so sind private Bauaufgaben unter Meyer na- dern Einzelentwürfe für zumeist private Auftraggebe- der angelegenheit des vierfamilienhauses der stadt bernau bei hezu tabu. Sein politischer Impetus spiegelt sich in rInnen. Das Themenspektrum reicht von Gebirgsbau- berlin konnte eine rücksprache noch nicht stattfinden.“ Aufgabenstellungen und studentischen Einzelentwür- den, Einfamilien- und Reihenhäusern über Siedlungs- 279 Droste, 1991, S.210 resp. S.212 fen wider. So werden unter Hannes Meyer Gemein- planungen und öffentliche Bauten - insbesondere 280 Albers, Josef: werklicher formunterricht, S.5 vgl. FN 28 schaftsbauten für die Siedlung Törten entworfen, wie Schulen - bis hin zu Schwimmbad und Rittergut. Dies 281 Pallowski, Katrin: Zur Kontinuität der `klassischen Moderne´ in bspw. 1930 die Volksschule Lotte Gersons, entste- zeigt, in welchem Maße Studierende ab 1930 die Auf- den 50er Jahren, in Weißler, Sabine (Hg.) Design in Deutschland hen Arbeiten wie der „Versuch des Typs eines Ge- gabenstellungen selbst beeinflussen konnten, aber 1933-34, Gießen, 1990, S.132-135, hier S.135 meinschaftswohnhauses“. Weit deutlicher als unter auch, dass Art und Umfang der Studien- und Diplom- 282 Annamarie Mauck im Interview am 17.11.1995 Gropius strahlen nun jedoch auch die konkreten Auf- arbeiten stark variierten.

88 Architekturinteressierte Studentinnen „Das Verhältnis von Aufwand und Wirkung gilt als schaftsarbeit?“ schreibt sie 1967 an ihren ehemaligen Wertmaß für das Arbeitsergebnis“, schrieb Josef Al- Kommilitonen Konrad Püschel. „Ich hatte protestiert, 283 Ibid. Annemarie Wilke war vom Unterricht begeistert und sam- bers in „werklicher formunterricht“.280 „Sparsamkeit daß der Küchenausbau ganz gestrichen werden soll- melte Hilberseimers Aufzeichnungen. führt zur Betonung der Leichtigkeit: Volumen wird te und du hast wenigstens den Einbau von Schrän- 284 Brief Annemarie Lange an Konrad Püschel vom 4.1.1967 anläss- wirksamer übertroffen durch die wirksamere Fläche.“ ken durchgedrückt.“ 284 lich der Übersendung einer Mappe mit Zeichnungen der Sied- Diese Haltung zielt auf funktionales, ‘lineares’ Bauen. Welches Berufsbild wurde Studierenden am Bauhaus lung Törten (BHD 2-K-1967-01-04, Bl.1, S.1) - In der entspre- Damit korrespondierten jedoch ästhetische Präferen- vermittelt? chenden Aufstellung der arbeitsgruppe küche wird Püschel je- zen, die i.d.R. unbenannt blieben. Pallowski verwies doch nicht erwähnt. Vgl. FN 89. darauf, dass am Bauhaus „die formalen Experimente Während Itten für die Entwicklung der ganzheitlichen 285 „Der primitive mensch war in einer person jäger, handwerker, [belegen], daß das Schlichtheitsgebot keineswegs als Künstlerpersönlichkeit eintritt, Gropius zunächst von baumeister, arzt usw.; heute beschäftigt man sich - alle anderen Ästhetikverbot verstanden wurde.“ 281 Künstlern und Handwerkern, gegen Ende der zwanzi- fähigkeiten unausgenützt lassend - nur mit einem bestimmten ger Jahre vom Architekt als „Organisator der neuen Angesichts dessen, dass bisher nur ganz vereinzelt beruf“. Er beklagt den „sektoralen menschen“, das „Lebens- Werkwelt” spricht, plädiert Laszlo Moholy-Nagy für architektonische Studienarbeiten von Studentinnen tempo“, dass das Vordringen „zum eigentlichen wesenskern der eine Erziehung zum Generalisten: „die sektorenhafte zu finden sind, ist eine resümierende Wertung der dinge und des eigenen“ nur noch selten möglich mache. „der ausbildung ist heute nicht zu übergehen. sie darf Studienarbeiten von Bauhausstudentinnen noch heutige schöpferische mensch (..) leidet unter der rein materiel- aber nicht soweit getrieben werden, daß der mensch immer nicht möglich, die Frage, wie sie entwarfen, len verwertung seiner vitalität, unter der verflachung seiner in- dabei verkümmert.“ 285 Hannes Meyer möchte mit ei- nur spekulativ zu beantworten. Zu vermuten bleibt, stinkte, unter der nivellierung seiner biologischen spannungen.“ nem Kollektiv von Spezialisten arbeiten und Mies van dass auch diese Studienarbeiten im Duktus denen (Moholy-Nagy, 1929, hier zit. nach reprint 1968, S.11) - Gropius, der Rohe sieht im Architekten eine weitgehend auto- der Lehrenden, den jeweiligen Ge- wie Verboten folg- Walter: Der Architekt als Organisator in: Wohnungswirtschaft, nome Künstlerpersönlichkeit. ten, wie dies bspw. an den Entwürfen von Dicker und 5.Jg., Berlin, 15.3.1928 „Die vergangene ‘kunstgewerbliche Epo- Singer wie auch am Diplomentwurf Wera Meyer- Künstler, Handwerker, Organisatoren, Generalisten, che’ vermochte nicht die rechte Führerschaft für die neue Werk- Waldecks sichtbar wird. Spezialisten; alle diese Begriffe beschreiben profes- welt und die Verbindung zwischen Handwerk und Industrie in sionelle Profile, die äußerst unterschiedlich, jedoch sich zu entwickeln. (..) Wäre es also nicht geradezu wider den „Diese Grundrisse (..), alle sind sie verschieden (..) traditionell männlich konnotiert sind. Am Bauhaus Sinn seines Berufs, wenn es der moderne Architekt durch fal- Aber sie sind doch alle so stark von der ganzen Rich- werden neue Möglichkeiten und Arbeitsfelder eröff- sche Bedenken versäumen sollte, sich die ungeheuren Errun- tung, die die Meister vorgaben, beeinflußt, daß sie net und neue Berufsbilder gesucht, die in unter- genschaften unseres technischen Zeitalters, die neuen Maschi- nicht individuell sind. Das haben wir damals nicht so schiedliche Richtungen weisen. Hinsichtlich profes- nen, Materialien, Konstruktionen, Werk- und Betriebsmethoden gesehen dabei. Aber sich dem Einfluß zu entziehen, sioneller Perspektiven und Existenzen werden jedoch zunutze zu machen? Er muß sich zum unentbehrlichen Faktor in war hier nicht möglich. (..) Ach, mehr oder weniger Geschlechterdifferenzen und -polaritäten perpetuiert, dieser veränderten Welt des Bauens aufschwingen.“ sahen meine Projekte auch so aus.“ 282 - Allzu ver- die Frauen qua definitionem - im Sinne des same- 286 Dieser Logik des ‘sameless tabu’ folgt die Ernennung Gunta wunderlich ist eine solche Assimilation an die Vor- less-Tabu - bei der Definition professioneller Profile Stölzls zur Werkmeisterin der Weberei im Herbst 1925 ebenso gaben und Erwartungen der Lehrenden schon ange- ausschließen. Analog der Handlungskategorie - same konsequent wie das Vorenthalten des Status einer Formmeiste- sichts der Minderheitenposition der Studentinnen / not the same - werden innerhalb eines homosexu- rin trotz Übernahme der Gesamtleitung der Weberei ab dem nicht, zumal deren Chancen, jenseits der zugewiese- ellen Referenzsystems alle berufsrelevanten resp. Frühjahr 1927. Gunta Stölzl (1897-1983) ab Oktober 1919 Stu- nen Aufgaben rund um Küche oder Kinder eigenstän- professionsspezifischen Entscheidungen getroffen.286 dentin am Bauhaus, legte 1922/23 die Gesellenprüfung als We- dige wie eigenwillige Themen zu bearbeiten, sehr be- Während der Kompetenzerwerb von Studentinnen berin ab. Sie ist die einzige Studentin, der am Bauhaus im direk- grenzt waren. demzufolge nur in semiprofessionellen Bereichen ge- ten Anschluss an das Studium der Übergang in eine Lehrposi- Der Anpassungsdruck war enorm, auch wenn sich duldet resp. zertifiziert wird, werden Studenten ver- tion gelingt nicht alle Studentinnen mit den gestellten Aufgaben wertbare Diplome, professionelle Perspektiven und 287 So wechseln manche Bauhausstudenten bruchlos in eine hono- identifizierten. Wie Annamaria Mauck erinnert, ver- ggf. direkte Berufseinstiege geboten.287 Dabei bildet rierte Praxis, indem sie zu Jung-Meistern und Werkstattleitern trauten die Meister bei der Durchsetzung moderner Nepotismus nur einen markanten Bestandteil eines arrivieren. Zu diesen lebenden Beweisen des didaktischen An- Entwurfsprogramme nicht unbedingt auf die Poten- Machtgefüges, das innerhalb seiner Interessengrup- satzes zählen bspw. Alfred Arndt, Naum Slutzky, Hinnerk Sche- tiale der Studierenden und die Wirkung moderner pen kaum weniger hierarchisch ist: Alle Direktoren per, Joost Schmidt, aber auch Marcel Breuer und Erich Conse- Lehrmethoden: „Hilberseimer war ein interessanter bringen ihre Kompagnons mit, fast alle Meister ver- müller. So wird Schmidt, der seit Herbst 1919 in der Holzbild- und liebenswürdiger Herr. (..) Er war sehr streng. Also leihen Patronagen auf Zeit. hauerei studiert hatte, seit 1924 auch typograpisch arbeitete, im wenn was falsch war, nahm er’s Lineal und haute ei- Mai 1925 (unmittelbar im Anschluss an sein Studium in der Während nicht nur Walter Gropius über die Neudefi- nen auf die Finger. Nicht sehr natürlich, aber er hatte Holzbildhauerei, Leiter der Reklame. Ab Oktober 1925 (bis 1930) nition von Aufgabenfeldern wie der Stellung des Ar- immer so ein langes Lineal in der Hand (..) und dann wird er Leiter der Plastischen Werkstatt. Und Consemüller, der chitekten in dieser veränderten Welt des Bauens bums, war’s geschehn. Es nahm kein Mensch übel, zuvor eine Tischlerlehre absolviert hatte, ab 1922 am Bauhaus nachdenkt, sind Studentinnen am Bauhaus Weimar ich auch nicht.“ 283 Einzelne Studentinnen versuchen Weimar studierte, wird - nach fünf Semestern in der Tischlerei - mit der Situation konfrontiert, dass ihre Möglichkeiten dennoch immer wieder, ihre Vorstellungen auch ge- beim Neubau des Bauhauses Dessau und eines Meister-Einzel- dreidimensional zu arbeiten offenbar in dem Maße gen Widerstände einzubringen. So bspw. Annemarie hauses die Montageleitung übertragen. Mit Eröffnung der Bau- schwinden, in dem Werkstätten dem ‘heiligen Be- Wimmer, die 1932 ein „Studentinnenwohnheim“ ent- abteilung wird er Mitarbeiter von Hannes Meyer und stellvertre- zirk’ Architektur zugeordnet werden. Obschon Han- wirft und im Wintersemester 1929/ 30 an der Planung tender Leiter der Bauabteilung. 1929 ist er im Büro Meyer/Witt- nes Meyer die Wechselwirkungen zwischen Baulehre der Innenausbauten der Siedlung Törten beteiligt ist. wer an der ADGB beteiligt, 1934 wird er auf Vermittlung von und der als kollektivistisch verstandenen Planungs- „Erinnerst Du Dich noch an diese unsere Gemein- Gerhard Marcks an die KGS Halle berufen.

am Bauhaus 89 praxis seines Büros betont, Architektur bleibt auch es am bauhaus nichts weiter gäbe als diesen vorkurs, unter Meyer - wie später unter Mies van der Rohe - so würde das menschlich und künstlerisch soviel be- sowohl ‘Chef-’ als auch ‘Männersache’. deuten, daß es sich schon allein darum lohnte, herzu- Hatten Studentinnen während ihrer Sozialisation kommen.” 293 Grete Meyer kommt wegen des Vorkur- manches Mal auch Architekten und deren Büroalltag ses bei Albers und wird nicht enttäuscht.294 Bot die kennen gelernt, so hatten sie in allen Direktoren im Grundlehre unter Itten große Freiheiten bei der Dar- Studienalltag weniger den entwerfenden Architekten stellung, und regten Moholy-Nagy wie Albers das Ex- als einen Repräsentanten der Schule, ggf. des Be- perimentieren mit Material und Form an, so blieb die- rufsstandes vor Augen. Von eben diesen Repräsen- ser elementare Unterricht, in dem Studierende in an- 288 Vgl. FN 238 tanten wurde ihnen einerseits signalisiert, dass sie als nähernd egalitärer Weise gefördert wurden und die 289 Zsuzsanna Bánki an Ödön Bánki, Dessau, 12.4.1931. Bánki, Studentinnen am Bauhaus erwünscht, in der Archi- fachlichen Optionen des weiteren Studiums noch 1990, S.67 tektur jedoch entbehrlich, wenn nicht unerwünscht ebenso vielfältig wie vielversprechend schienen, doch 290 „So war es möglich, daß unter der kultivierten Toleranz unseres seien. „Frauen haben in der Architektur nichts zu su- auf ein resp. zwei Semester beschränkt. Dies dürfte Direktors, Walter Gropius, das Unvorstellbare gelang. Er gab chen“ erinnert Kattina Both die kaum misszuverste- der Grund sein, weshalb der Vorkurs etlichen Stu- freimütig zu Manches nicht zu kennen u.[zu] verstehen, aber hende Haltung.288 dentinnen ebenso gut erinnerlich wie in guter Erinne- sein Instinkt ließ jeden Meister nach seiner Art ungestört unter- rung ist. richten. Das war ein großes Glück. So war es möglich, daß ‘Alte’ Als Architekten werden am Bauhaus so eindeutig wie und ‘Neue’ Meister (..) alles mit den Schülern kameradschaftlich ausschließlich männliche Wesen angesprochen, dass Im Studienverlauf war zeitweilig eine handwerkliche besprachen.“ Brief M. Auböck an M.Hassiminski, vgl. FN 3. weibliche Wesen sich ausgeschlossen fühlen müs- Lehre, anschließend ein sog. Werkstattsemester vor- 291 „Es ging oft hart auf hart in den ersten Jahren des Aufbaus, es sen. Tun sie dies nicht, werden sie notfalls mit lang- geschrieben. Im September 1931 wird „der seinerzei- gab heftige Auseinandersetzungen zwischen den Lehrern und weilig-mühseliger Arbeit beschäftigt oder vor „immer tige beschluss auf absolvierung eines werkstattseme- den Studierenden, aber Gropius vertrug Wahrheit und Wider- abgeschlossene“ Türen gestellt. Diese geschlechter- sters (..) aufgehoben“.295 Für architekturinteressierte spruch.“ Grohmann, Will: Bauhaus und moderne Kunst, in: Neu- polare Studienrealität ist ebenso absurd wie über- Studierende war am Bauhaus damit weder ein Bau- mann, 1985, S.245 mächtig, so dass Studentinnen an dieser Situation stellenpraktikum noch ein Büropraktikum obligato- 292 Schließlich musste die - von den Meistern unter Bezug auf ele- fast verzweifeln. Nachdem sie in die Baulehre aufge- risch. Dementsprechend selten absolvieren Architek- mentare menschliche Wahrnehmung als naturgegeben unter- nommen wird schreibt Zsuzsanna Bánki: „Gegen turstudierende Büropraktika und nur ausnahmsweise stellte - Geschlechterdifferenz, nach der Schülerinnen dekorativ, meine eigene Überzeugung werde ich nun also Archi- ein Baustellenpraktikum.296 Am Bauhaus selbst unter- Schüler konstruktiv arbeiten - in den Vorkursarbeiten erst ihren tektur studieren, was nun ausgerechnet am allerwe- zeichneten manche Studentinnen Lehrverträge für Niederschlag finden. Damit garantierte das Konstrukt ‘wesens’- nigsten für Mädchen geeignet ist, Mädchen können Tischlerei oder Wandmalerei. Kattina Both, die in der mäßiger Veranlagungen mittelbar den zeitlich begrenzten Frei- auf diesem Gebiet nicht einmal anständige Ergebnis- Schreinerei der Akademie in Kassel handwerkliche raum dreidimensionalen Arbeitens auch für Studentinnen. se erzielen. Denn Du denkst doch nicht etwa, daß ei- Fertigkeiten erworben haben dürfte, arbeitet 1925 293 Interview mit Wera Meyer-Waldeck, Lang, 1928, S.18 s. FN 244 ne Frau ein Haus bauen kann, ich kann es mir jeden- beim Ausbau der Meisterhäuser praktisch mit.297 Im 294 Interview am 1.7.1998. falls nicht vorstellen.“ 289 Sommer 1931 absolviert Mathy Wiener einen sechs- 295 BHD, Beiratssitzung 30.9.1931, Bl.2, Pkt.6: „itting, wettengel, wöchigen „werkkurs“ bei Engemann und belegt die Wie wurde unterichtet? Das Verhältnis zwischen Leh- wiener (..) der seinerzeitige beschluss auf absolvierung eines „Einführung in die Schweißtechniken“. Etliche Stu- renden und Studierenden am Bauhaus war sicherlich werkstattsemesters wird aufgehoben. die 3 studierenden wer- dentinnen hatten bereits im Vorfeld allerlei Anstren- unkonventionell. Dass „die Meister (..) alles mit den den in das 3.semester bau/ausbau aufgenommen. herr rudelt ist gungen unternommen, um handwerkliche Kompeten- Schülern kameradschaftlich besprachen“, wie Mara mit der aufnahme einverstanden, kann jedoch nicht die verant- zen zu erwerben. Andere absolvierten Außenseme- Auböck dies für die Anfangsjahre erinnert, mag eine wortung übernehmen, dass sie das verlangte pensum wirklich ster, selbst wenn sie keinen Lehrvertrag abgeschlos- Art Vertrauensverhältnis begründet haben.290 Im Un- schaffen. er muss sich bei aufbau seines unterrichtes nach den sen hatten. Bereits zuvor durchliefen bspw. Eva Fern- terschied dazu beschreibt Will Grohmann die Weima- übrigen studierenden richten.“ bach, Edith Rindler und Ella Rogler Tischlerlehren. rer Jahre als Zeit harter Auseinandersetzungen.291 296 So leistete Hilde Reiss, die zunächst an der Bauhochschule Grete Meyer fuhr Anfang der zwanziger Jahre regel- Weimar studierte, 1929 ein viermonatiges Baustellenpraktikum Wie das jahrelange Ringen um die Einführung der Ar- mäßig von Husum nach Bremen, weil sie im dort in ab. Auch Ursula Schneider und Tony Simon-Wolfskehl dürften chitekturlehre zeigte, war die Situation am Bauhaus einem technischen Seminar „praktische Werkstatt- solche Praktika absolviert haben. von deutlichen Interessengegensätzen geprägt, wo- arbeit“ erlernen konnte. Zu einem Außensemester 297 Kattina Both studierte an der Staatlichen Kunstakademie Kassel bei Hierarchien und Machtverhältnisse zeitweilig in wechselte bspw. Gerda Marx in eine Metallwaren- ab ca. 1922. Sie wird 1926 in der Tischlerei als „Geselle“ ge- die Kritik gerieten, jedoch faktisch nicht in Frage ge- fabrik in Berlin. Annemarie Wimmer war ein ganzes führt, ihr „wandhoher Schrank“ im gleichen Jahr als Warenmus- stellt werden konnten. Ebensowenig zur Diskussion Jahr lang bei der Gemeinnützigen Arbeitsgenossen- ter in das Lieferprogramm aufgenommen. Obwohl sie keinen stand das Unterrichtsprogramm, in dem nur der Vor- schaft in Lübeck in verschiedenen Sparten hand- Lehrvertrag für die Tischlerei abschließt, taucht 1927 hinter ih- kurs - als Initiationsphase der Bauhauslehre - dem werklich tätig.298 Auch Margaret Leiteritz leistet zwi- rem Namen der Zusatz „Lehre“ auf. Offenbar ist sie nicht im Be- geschlechterpolaren Denken zumindest weitgehend schen Juli 1929 und Juni 1930 am Staatstheater sitz eines Gesellenbriefes, wird im folgenden Jahr zurückgestuft. entzogen war.292 Mara Auböck spricht rückblickend Kassel ein Praktikum ab. 298 „Ich lernte das Tischlerhandwerk (..) Beim Abschluß meines von einer „magische[n] Wirkung“ des Vorkurses unter Einzelne Bauhausstudentinnen gewannen auch Ein- Lehrvertrages hatte ich mich zu 1 Aussensemester verpflichtet; Itten. Bereits 1928 äußert Wera Meyer-Waldeck über blicke in die berufliche Praxis eines Architekturbüros. ich verlängerte jedoch meine Lehrzeit bei der Lübecker Tischle- den Vorkurs der Dessauer Zeit: „eine pädagogische Büropraktika absolvierten lediglich Wera Meyer-Wal- rei- und Baugenossenschaft freiwillig auf 2 Semester.“ LL Lange arbeit, wie sie beispielsweise im vorkurs geleistet deck und Hilde Reiss. Vor ihrem Studium hatte Ruth vom 3.3.1953; vgl. FN 191 wird, ist kaum noch einer steigerung fähig. Und wenn

90 Architekturinteressierte Studentinnen Josefek mehrere Jahre im väterlichen, Maria Müller ßenkontakte blieben weitgehend auf das Bauhaus- im Architekturbüro ihres Mannes mitgearbeitet. Auch umfeld beschränkt. Es entsteht immer wieder der Anneliese Brauer war zuvor als Mitarbeiterin in Archi- Eindruck, dass der berufspraktische - im Vergleich tekturbüros tätig. Und Kitty van der Mijl-Dekker hatte zum handwerklichen - Kompetenzerwerb weit hinten zunächst Privatunterricht bei einem Architekten ge- auf der Wunschliste der Studentinnen stand. Nur sehr nommen. Durch ihren Architektenvater könnte auch vereinzelt volontierten oder arbeiteten einzelne - wie Mila Lederer mit dem Büroalltag bereits vertraut ge- Lotte Beese, Wera Meyer-Waldeck, Ruth Josefek, wesen sein. Explizit auf Anraten des Meisterrates ab- Hilde Reiss und wahrscheinlich auch Margot Loewe - solviert einzig Wera Meyer-Waldeck ein Praktikum im in Architekturbüros. Büro Meyer/Wittwer in Berlin. Im Unterschied hierzu absolviert Annemarie Wilke weder Baustellen- noch Büropraktika. Sie kam lediglich als Kind durch einen Studiendauer und Studienerfolge Arbeiter auf der elterlichen Mühleninsel in Lübeck mit Wie lange studieren Studentinnen an einem Bauhaus, Handwerkzeugen in Berührung.299 an dem ihnen bis Ende der zwanziger Jahre die Aus- Während Büropraktika obligatorischer Bestandteil ei- bildung in räumlichen Klassen vorenthalten wurde? 299 „Der war eigentlich Hilfsarbeiter in dem Mühlenbetrieb, würde nes TH-Studiums ist - und die akademisch ausgebil- Und unter welchen Umständen führt ihr Studium dort man sagen. Er hatte nichts gelernt und konnte alles. Er machte deten Architektinnen Simon-Wolfskehl und Schneider zu Erfolgen? den sehr großen Garten (..) und dann die vielen Öfen (..). Wo es selbstverständlich volontiert hatten - finden die mei- irgendwas zu tun gab, das machte er, und der spielte mit mir, Die weitaus meisten der architekturinteressierten sten Studierenden am Bauhaus im Laufe des Studi- und beschäftigte mich wenigstens mit allem, was er tat. Da- Bauhausstudentinnen absolvieren am Bauhaus kein ums keinen direkten Zugang zum Berufsfeld. Das Ab- durch lernte ich auch mit Handwerkszeug sehr früh umgehn.“ komplettes Studium. Auffällig viele Studentinnen ver- solvieren eines Büropraktikums bleibt hier in das Er- Annamaria Mauck im Interview 17.11.1995 bleiben nur sehr begrenzte Zeit am Bauhaus. Mehr messen der StudentInnen gestellt. Und die Studen- 300 So soll der Weggang von Hilde Katz und Margot Loewe Ende als die Hälfte der an räumlichen Gestaltungsfragen tinnen, die mehrheitlich zuvor Erfahrungen im Er- 1932 nach Paris durch ein Volontariat motiviert gewesen sein. interessierten Studentinnen studiert dort nicht einmal werbsleben gesammelt haben, drängen während des Auch Zsuzsanna Bánki thematisiert 1932 ein Volontariat. zwei Jahre. Studiums in die handwerkliche, nicht jedoch in die 301 FN 4 planerische Praxis. Lediglich Hilde Reiss nutzt regel- „Die Unbegabten spuckte das Bauhaus automatisch 302 So spielten bei Mara Utschkunowa und Ursula Schneider finan- mäßig die Semesterferien, um in Berliner Architektur- wieder aus, sie konnten sich nicht länger als ein hal- zielle Schwierigkeiten eine Rolle. Die elterliche Alimentierung bei büros Erfahrungen zu sammeln. Auch als unter den bes Jahr halten“, hält Tut Schlemmer noch Jahrzehn- Lotte Beese soll dürftig resp. unzureichend gewesen sein. Direktoren Meyer und Mies v.d. Rohe das Studium te später am zentralen Erklärungsmuster fest.301 Um (Schilt / Selier, 1993, S.11) In der Frage des Schulgeldes zeigte gestrafft resp. stärker am akademischen Studium ori- 1921 steigt die Zahl der Studienabbrecherinnen deut- sich das Bauhaus unnachgiebig. So wurde bspw. Ruth Josefek entiert wird, bleibt das Büropraktikum fakultativ und lich, was auf einen kausalen Zusammenhang mit der die Teilnahme am Unterricht untersagt. BHD, NL Engemann, damit der Eigeninitiative der StudentInnen überlas- Einführung der Frauenklasse verweist. Nur in Einzel- Protokoll Beiratssitzung am 25.1.1933, Bl.1, Pkt.3: „schulgeld sen. Nur vereinzelt finden wir Hinweise auf solche Ei- fällen scheiden Studentinnen aus finanziellen Grün- josefek. ist trotz wiederholter mahnungen und stellung einer geninitiativen.300 den aus, scheitert die Weiterführung des Studiums letzten frist nicht eingegangen. es wird ihr teilnahme am unter- am Schulgeld.302 Nicht immer lässt sich der Abbruch richt untersagt und klage angedroht.“ Auch Käthe Schmidt, die War die handwerkliche Ausbildung von StudentInnen so eindeutig als direkte Folge vorenthaltener Qualifi- zum Herbst 1932 aus der Bauabteilung in die Weberei zurück- in den Werkstätten des Bauhauses nicht mit der in kationen belegen wie bei Lotte Gerson und Eva Fern- kehrt, „scheidet aus finanziellen Gründen aus. das noch nicht Handwerksbetrieben vergleichbar, so wurden außer- bach.303 Da jedoch etliche Studienabbrecherinnen ihre gezahlte schulgeld kann ihr nur gestundet werden. es ist bei halb erworbene Fähigkeiten innerhalb der Produktion Ambitionen andernorts weiterverfolgen, wird sichtbar, besserung ihrer finanziellen verhältnisse noch zu zahlen.“ (Ibid., wie innerhalb des Bauhauses durchaus genutzt. Stu- dass das Studienangebot den individuell gesteckten Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.2 Pkt.11) dentinnen waren dabei nicht nur an der Produktion Zielen häufig nicht Rechnung trug und verweist damit 303 Wenn sich bspw. Rindler, Enders, Markos-Ney, Katz, Ulrich und von Teppichen und Aschenbechern, sondern auch an ebenso auf enttäuschte Erwartungen wie die auffällig Loewe nach dem Umzug des Bauhauses von Dessau nach Ber- der von Möbeln und Architektur beteiligt, wie bspw. kurze Studiendauer der meisten Studentinnen.304 Die lin nicht mehr einschreiben oder Both, Fernbach, Beese, Rogler am Haus Sommerfeld, dem Haus am Horn, beim geringe Chance, hier ein Diplom erwerben zu können, und Marx direkt erwerbstätig werden, wird nicht sofort erkenn- Neubau des Bauhauses wie der Meisterhäuser, der machte ein langjähriges Studium nicht nur für archi- bar, ob sie sich damit primär einer neuen Perspektive zu- oder Siedlung Törten, dem Haus Hahn und dem Arbeits- tekturinteressierte Studentinnen wenig attraktiv.305 vom Bauhaus abwenden. amt Dessau. Unter Meyer waren sie bspw. an Wett- 304 Nicht unbedingt zu den Studienabbrecherinnen sind diejenigen bewerben und den Planungen für die ADGB-Bundes- Entsprach - wie Droste betont - „die tatsächlich von Studentinnen zu rechnen, die in einen zuvor erlernten oder aus- schule beteiligt. Unter Mies finden wir keine studenti- Frauen geleistete Arbeit (..) dem Standard der übli- geübten Beruf zurückkehren, wie bspw. Simon-Wolfskehl, Gey- sche Beteiligung an realen Projekten: Ab 1931 wur- chen Leistungen an der Schule“ 306, und waren in der er-Raack und Schneider. den keine externen Aufträge mehr bearbeitet. ersten Zeit nach Gründung des Bauhauses anlässlich 305 Auch für Studentinnen der Weberei, die in Weimar nicht einmal der Jahresausstellungen auch Studienleistungen von Bauhausstudentinnen erwarben während ihres Studi- einen Gesellenbrief erwerben konnten, stellte sich offenbar die Studentinnen prämiert worden, so bleibt in den fol- ums nur sehr bedingt Erfahrungen in der beruflichen Frage der Qualifikation. Gunta Stölzl ergriff deshalb die Initiative, genden Jahren eine Anerkennung im Studium weit- Praxis. Die Außensemester wurden nur ausnahms- eine Art Kreativdiplom zu vergeben, das auch als Scherzdiplom gehend aus.307 Während mit der Einführung von Di- weise auf Baustellen - so bspw. beim Bau der Sied- bezeichnet wurde. plomen ab 1929 fast drei Viertel aller diplomierten lung Törten - abgeleistet. Die berufspraktischen Au- 306 Droste, 1989, S.198

am Bauhaus 91 Studenten das Bauhaus mit einem Bau-Diplom ver- nem auffallend kurzen Zeitraum - zwischen Juni und lassen - 81 der insgesamt 131 vergebenen Diplome August 1932 - verliehen.315 sind Bau-/Ausbaudiplome - erhalten nur wenige Stu- Wieviel Zeit benötigten diese Studentinnen bis zum dentinnen ein Diplom außerhalb der Weberei.308 formalen Studienabschluss? Wie lange studierten sie Im Unterschied dazu wird Studenten häufig auch de facto Architektur am Bauhaus? dann ein Bau-Diplom zuerkannt, wenn sie überwie- Die erste Diplo-mandin - Wera Meyer-Waldeck - er- gend in anderen Werkstattbereichen oder gar nicht in hält im Juni 1932 26jährig das Diplom. Sie studierte der Bau/Ausbauwerkstatt studieren. Ein solches Bau/ neun Semester, davon vier im Bereich Architektur.316 Ausbau-Diplom erhalten bspw. Werner Zimmermann, Im August diplomiert die 32jährige Maria Müller nach Max Enderlin und Gerd Balzer. Zimmermann verlässt insgesamt acht Semestern, davon drei im Bau/Aus- 307 Dabei wurden bspw. Arbeiten von Mara Utschkunowa (1919), das Bauhaus Ende 1930 im Alter von 24 Jahren nach bau.317 Zum glei-chen Zeitpunkt erhalten Annemarie Elfriede Knott und Toni von Haken-Nelissen (1920) ausgezeich- sieben Semestern mit einem Bau/Ausbau-Diplom.309 Wilke und Hilde Reiss ihre Diplome im Bau/Ausbau. net. Anfang der dreißiger Jahre wird bei einem Wettbewerb für Seit Frühjahr 1927 am Bauhaus hatte er nach dem Sie haben jeweils acht Semester studiert und sind bei Garderobengarnituren bspw. ein Entwurf von Reiss prämiert. Vorkurs bei Moholy-Nagy, gemeinsam mit der drei- Beendigung ihres Studiums 26 bzw. 22 Jahre alt. Von Dieser Entwurf soll im Unterricht bei Arndt entstanden sein. zehn Jahre älteren Marianne Brandt in der Metall- diesen vier Diplomandinnen nahm nur Hilde Reiss 308 Von den 106 an Studenten vergebene Diplome wurden 77 im werkstatt Beleuchtungskörper entwickelt. Brandt arri- das Studium direkt nach dem Abitur auf und studier- Bereich Bau/Ausbau vergebn viert 1928 zur stellvertretenden Leiterin dieser Werk- te ausschließlich Architektur. 309 Werner Zimmermann (1906-1975), Diplom Nr. 29 Bau/Ausbau statt und verlässt das Bauhaus nach zehn Semestern Ließ die Verteilung der Diplome nach Fachsparten ei- vom 12.11.1930 - Marianne Brandt, Diplom Nr.2 vom 10.9.1929. 1929 mit einem Diplom in Metall. - Werner Zimmer- ne geschlechtsspezifische Vergabe eines hinter ver- 310 Max Enderlin (1909-1944) Bauhaus-Diplom Nr.85 im Bau/Aus- mann bearbeitete am Bauhaus ebensowenig Archi- schlossenen Türen agierenden Meisterrates erken- bau vom 12.8.1932. Vgl. Fiedler, 1987, S.149 tekturprojekte wie Max Enderlin, dem im Sommer nen, so verweist die enorme Schwankungsbreite in- 311 Gerd Balzer (1909-1986), 15.8.1932 Bauhaus-Diplom Nr.99 1932 - 23jährig - ein Bau/ Ausbau-Diplom zuerkant nerhalb der Bau-Diplomandinnen auf eine völlig de- 312 FN 190 wird. Enderlin hatte zunächst bei einem Mannheimer regulierte, ja willkürliche Diplomvergabepraxis, nach 313 Auch während des Außensemesters wird sie in Freier Malerei, Architekten gelernt und studierte zwischen 1928 und der Studentinnen ein Bau-Diplom seltener durch Be- im Sommersemester 1930 als Studentin in Ausbau und Weberei 1932 in Dessau in der Metall- und Webereiwerkstatt. stehen aller anberaumten Prüfungen nach der vorge- geführt. Vgl. Biografie Leiteritz. Er setzte sich Anfang der dreißiger Jahre bei Klee sehenen Zeit als durch eine Fügung des Schicksals 314 So erhalten bspw. Gerson und Enders nach sechs Semestern und Kandinsky insbesondere mit Fragen der Wand- ereilte. am Bauhaus kein Diplom. Enders scheint ein Weiterstudium und malerei auseinander.310 Auch Gerhard Balzer wird im einen Umzug nach Berlin zumindest erwogen zu haben. Sommer 1932 im Alter von 23 Jahren nach einer ein- Der ‘Fall Wimmer’ ist insofern symptomatisch, als er 315 1932 werden insgesamt 42 Diplome, davon 33 im Bau/Ausbau jährigen Studienreise durch England ein Bau/Ausbau- die Gleichzeitigkeit von geregeltem Studienablauf vergeben. Diplom verliehen. Er hatte vor seinem de facto nur und ungeregelter Zertifizierungspraxis und damit die 316 Im ersten Semester besuchte sie die Grundlehre, drei Semester fünfsemestrigen Studium als Tischlerlehrling gearbei- Machtverhältnisse im Konfliktfall plastisch illustriert. wurde sie wg. Krankheit beurlaubt, eines volontierte sie im Büro tet und brachte weder Erfahrungen noch Studienlei- Der Beirat verweigert Annemarie Wimmer im März Meyer/Wittwer. Neben der Tischlerlehre studierte sie ein Seme- stungen im Bereich Architektur mit.311 1932 die Diplomzulassung, da das Studium noch ster Städtebau bei Stam, ein Jahr in der Ausbauabteilung unter nicht beendet sei, beschließt jedoch vier Wochen Der erste Antrag einer Studentin auf Erteilung eines Arndt und Meyer und ein Semester Wohnungs- und Siedlungs- später: „Wimmer ist im neuen Semester nicht mehr Diploms im Bau-/Ausbau wurde im Herbst 1930 von bau bei Hilberseimer. Vgl. Diplomzeugnis vom 12.7.1932, S.93. Studierende, da das Studium beendet ist“.318 Am 15. Lotte Gerson gestellt. Der Meisterrat verweigert ihr 317 Sie hospitiert ab dem Wintersemester 1928 zunächst in der 8.1932 wird das Bauhaus-Diplom Nr.101 auf den Na- nach zwei Jahren in der Bauabteilung jedoch das Di- Wandmalerei, bringt im Sommersemester 1930 ihr zweites Kind men Annemarie Wimmer ausgestellt.319 Im Nachlass plom, „weil trotz der anerkannten fleissigen und sau- zur Welt und wechselt erst unter Mies zur Architektur. befindet sich jedoch lediglich ein von Mies van der beren arbeiten selbständige schöpferische tätigkeit 318 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung am 14.3.1932, Bl.1, Pkt.3: Rohe erst im November 1932 unterzeichnetes Zeug- von ihr nicht erwartet werden kann“.312 Margaret Lei- „annemarie wimmer. auf die ausstellung kann nicht verzichtet nis. Hatten Hilberseimer oder Reich der Studentin ge- teritz, die 1928 ihr Studium am Bauhaus aufnimmt, werden. eine zulassung zum diplom scheint nicht möglich, da genüber bereits geäußert, dass sie sich in ihrem studiert nach der Grundlehre im Winter 1928/29 in das studium noch nicht abgeschlossen ist. mit frau lilly reich zu sechsten Semester zum Diplom melden solle? Da der Wandmalerei und im Ausbau. Zwischen Juli 1929 besprechen.“ - Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.2, Pkt.15 „wimmer, nicht sein kann, was nicht sein darf, nämlich die Ver- und Juni 1930 leistet sie am Staatstheater Kassel ein ti [schlerei] ist im neuen semester nicht mehr studierende, da gabe eines Architekturdiploms ohne die persönliche Praktikum ab.313 Ans Bauhaus zurückgekehrt studiert das studium beendet ist. sie hat gelegenheit in der ti ihr gesel- Billigung Mies van der Rohes, beschließt der Beirat sie Freie Malerei und Weberei. Nur ein Jahr später, lenstück fertigzustellen.“ Mitte April an Wimmer ein ‘Ausbau-Diplom’ zu verge- und nach nur zwei von fünf Studiensemestern in die- 319 Das - bspw. bei Dietzsch aufgeführte - Diplom Nr.101 dürfte als ben und erklärt ihr Studium für beendet. Offenbar in- ser Fächerkonstellation, erhält sie ein Diplom in We- Diplom im Ausbau ausgestellt worden sein. Wimmer legt am sistiert die Studentin jedoch, dass sie die für ein Bau- berei und Freier Malerei. 13.5.1932 mit einem Kleider- und Wäscheschrank in Esche die diplom erforderlichen Studienschritte erfolgreich ab- Gesellenprüfung ab und tritt zwei Tage später offiziell aus dem Innerhalb der vorgesehenen sechs Semester gelingt solviert habe.320 Und sie ist nicht bereit, den abschlie- Bauhaus aus. Ihr Name taucht zum Ende des Sommerseme- es keiner Bau/Ausbaustudentin ein Diplom zu erwer- ßenden „entwurf für ein studentinnenheim“ als Aus- sters erneut auf: „gesellenstück wimmer. der verkaufspreis wird ben.314 Und dennoch verlassen vier Bauhaus-Studen- bauprojekt einstufen zu lassen.321 In das maßgebliche auf rm 100,- festgesetzt.“ - Ibid., Beiratssitzung 14.7.1932, Bl.2, tinnen die Institution mit einem Diplom der Bau-/Aus- Ermessen des Direktors gestellt, erhält sie Monate Pkt.13 bauabteilung. Alle vier Diplome werden jedoch in ei- später schlussendlich ein Zeugnis, in dem dieser

92 Architekturinteressierte Studentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

320 Annemarie Wimmer scheint Mies van der Rohe nicht bekannt zu sein. Nachweislich entwirft sie im Wintersemester 1931/32 bei Hilberseimer Siedlungshäuser und studiert Ausbau bei Reich. Das Sommersemester 1932, in dem sie das ‘Studentinnenheim’ entwirft und ihre Zulassung zum Diplom anfragt, ist ihr sechstes Bauhaussemester und ihr fünftes Semester im Bau/ Ausbau. Diplomzeugnis Wera Meyer-Waldeck vom 12.7.1932, Auszug der Seiten 3 und 4 (S.5 unten) Wimmer beteiligt sich nach dem kostufra-Streit evtl. auch am Boykott der Jahresausstellung. 321 Gerd Balzer schreibt im November 1932 an Reinhold Rossig: Entwurf als „freie arbeit“ aufgeführt ist. „Bist Du noch einmal bei der Wimmer gewesen - sie ist jetzt hier Ganz anders erinnert Annamaria Mauck die Diplom- in Berlin, um um ihr Diplom zu kämpfen, denn man hat ihr nur vergabe: „Ich war nicht so fixiert auf den Abschluß, ein ‘Genügend’ gegeben.“ ((BHD, 25 - K - 1932-11, Brief Balzer und dann überkam uns der Abschluß eben zwangs- an Rossig, November 1932, Bl.1, S.2) - Da das Bauhaus-Diplom weise, so hat sich das ergeben.“ 322 Wilke studierte jedoch nicht benotet ist, handelt es sich offenbar um Auseinan- ebensowenig wie Wimmer oder Meyer-Waldeck bei dersetzungen über den Diplomstatus, das vermutlich für ‘Aus- Mies van der Rohe. Sie genoss jedoch hohe Akzep- bau’, nicht jedoch für ‘Bau’ ausgestellt wurde. Vgl. Biografie tanz bei Reich und zählt zu den Glücklichen, bei de- Wimmer nen sich ein Diplom wie eine unausweichliche Fü- 322 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995. Die Darstellung gung des Schicksals „ergeben” hat. als zwanghaftes Schicksal - im Unterschied zu anderen, ‘fixier- ten’ KommilitonInnen - weist darauf hin, dass Mauck die Un- Manche Studentinnen reagierten auf die Ungleichbe- gleichbehandlung bewusst ist. handlung, die ihnen trotz kulturellem Kapital und Le- 323 „Man geht dann weg, da man meint, alles gelernt zu haben“, benserfahrung nahezu keine Chance bot, architekto- beschreibt Petzinger diese Haltung Kattina Boths. (Vgl. FN 238) nische Kompetenzen und formale Qualifikationen zu Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Angesichts der zeitgleichen Aussage - „Gelernt haben wir nix, erwerben, in dem sie Zertifizierungen nur eine geringe wir haben nur unseren Charakter gefestigt“ - klingt diese Dar- Bedeutung zuerkannten, ihrerseits darauf „verzichte- stellung widersprüchlich, verweist jedoch auf den limitierten ten“.323 Jahre nach ihrem jeweiligen Abgang benöti- Kompetenzerwerb. gen sie dennoch manches Mal derlei formale Qualifi- 324 So wenden sich bspw. Friedl Dicker 1931 und Katt Both 1936 kationen.324 an den ehemaligen Bauhausdirektor Gropius mit der Bitte ihnen Dennoch identifizieren sich zahlreiche Studentinnen nun ein Zeugnis auszustellen. Diese Empfehlungsschreiben - die so weitgehend mit dieser Schule und ihren program- einzigen, die Gropius ehemaligen Bauhausstudentinnen im Be- matischen Ansprüchen, dass sie Sprachregelungen, reich Architektur ausstellt -, erhalten Dicker und Both als sie Umgangs- und Ausdrucksformen übernehmen, sich sich weit entfernt vom Bauhaus bewegen. Zu den ‘Zeugnissen’ assimilieren. Auch wenn Einzelne durchaus Kritik an Dicker und Both vgl. Kap.7, resp. Biografien.

am Bauhaus 93 der Umsetzung des Programms üben, so wählen sie Studiensituationen - Studienklima dafür i.d.R. individuelle, keine politisch wirksamen Am Bauhaus studieren überwiegend ledige Studen- Wege.325 Angesichts der großen Diskrepanz zwischen tinnen aber auch manche, die bereits während des Anspruch und Wirklichkeit - der ihnen suggerierten Studiums mit Freunden zusammen leben, Kinder ha- Möglichkeiten und dem ihnen zugestandenen Bereich ben, verheiratet oder geschieden sind.333 Dies findet der Zweidimensionalität - bleibt den an räumlicher in den Rahmenbedingungen - wie Zeitstruktur und 325 „Die technik ist dazu da, das leben angenehmer zu machen (..) Gestaltung interessierten Studentinnen außer dem Studienablauf - keinen Niederschlag. Das Studienan- aber die kunst macht es erst wertvoll.“ Wera Meyer-Waldeck im Abdrängen in die Weberei resp. der Suche nach Pa- gebot am Bauhaus richtet sich an ledige und kinder- Interview 1928, s. FN 244 tronagen oder Schleichwegen nur eine Möglichkeit: lose Studierende. 326 Studiensemester wurden nur zwischen Technischen Hochschu- Die des Studienabbruchs am Bauhaus. Ein Studien- In Weimar und Berlin waren die Studierenden grund- len anerkannt, zum anderen bot das akademische Studium nicht ortswechsel war für Bauhausstudentinnen nicht un- sätzlich, in Dessau überwiegend auf private Quartiere immer eine Alternative. Für Patronagen und Schleichwege ent- bedingt attraktiv, ein Studium an Technischen Hoch- angewiesen. Dabei wohnten Studentinnen in der Re- schieden sich häufig Architekturinteressierte, für die ein (erneu- schulen für Studentinnen ohne Abitur nicht denkbar. gel möbliert bei alleinstehenden Damen.334 Als sich ter) Schulwechsel nicht in Betracht kam, aber auch diejenigen, Dennoch wechseln manche nach dem Studienab- die ungarische Abiturientin Zsuzsanna Bánki 1930 am die ihre Hoffnungen nicht aufgeben wollten. Zu den Studien- bruch am Bauhaus in Architekturklassen an Akade- Bauhaus Dessau einschreibt, berichtet ihre Mutter wechslerinnen vgl. Kap.6 - Weiterstudium mien und Technischen Hochschulen.326 Daneben lässt über die studentischen Wohnverhältnisse: „Die mei- 327 So bspw. Jadwiga Jungnik, Mara Utschkunowa, Anni Weil und sich bei einigen wenigen nachweisen, dass ihnen au- sten Studenten wohnen in ‘Siedlungen’, einer Art ein- Gertrud Droste. Vgl. zu diesen Kap.7. Bisher liegen von etlichen ßerhalb des Bauhauses der Zugang zu baulich-räum- fachem Villacampus, aber 30-40 Minuten vom Bau- Studienabbrecherinnen - so bei Grote, Becken, Horn, Wulff, Rei- lichen wie technischen Aufgaben gelingt.327 haus entfernt. Im Winter muß man sehr früh aufste- che, Abegg und Viereck nur wenige Informationen über den wei- Der hohe Anteil architekturinteressierter Studienab- hen und sie würde erst sehr spät abends nach Hause teren Lebensweg vor. Zu Lene Wulff vgl. FN 37 und 112 - Käthe brecherinnen macht deutlich, dass Studentinnen, die kommen, außerdem ist es schrecklich primitiv.“ 335 Reiche ist nach dem WS 1921/22 bisher nicht nachweisbar, vgl. sich von diesem Studium auch den Erwerb professio- Etliche Studentinnen bezogen jedoch trotz der gro- auch FN 21 - Zu Elisabeth Abegg und Margarete Viereck vgl. FN neller Kompetenzen und einer formalen Qualifikation ßen Distanz Untermietquartiere in den aus großbür- 19 - Zu Erika Marx vgl. FN 21. versprachen, die Verdrängung aus räumlichen in flä- gerlicher Sicht ‘schrecklich primitiven’ Siedlungen.336 328 Die Vielzahl der Studienabbrüche von Studentinnen in Metall chige Gestaltungsbereiche und die Reduktion ihres Mit den Ateliers im ‘Prellerhaus’ standen in Dessau und Wandmalerei lässt das Erklärungsmuster mangelnder Bega- Aktionsradius´ auf die Webereiwerkstatt nicht akzep- ab 1926 erstmals Wohnmöglichkeiten für Studierende bung wenig plausibel erscheinen. tierten. So ist der Studienabbruch nicht die einzige, auf dem Gelände zur Verfügung, die sich - obschon 329 Anna Simon-Wolfskehl finanziert ihrer Tochter das Jahr am Bau- aber die deutlichste Reaktion architekturinteressierter teurer als private Quartiere - großer Nachfrage erfreu- haus. Hilde Reiss und Wera Meyer-Waldeck werden im Studium Studentinnen auf die reale Studiensituation am Bau- ten.337 Nur wenige Bauhausstudentinnen wohnen in von ihren Großmüttern unterstützt. haus.328 familiären Konstellationen, noch bei den Eltern oder 330 Kattina Both, Schreiben vom 28.5.1947 in Wohngemeinschaften - wie in der Berliner Zeit.338 331 Das Baugeschäft Ernst Kuhl, bei dem Hilde Reiss 1929 ihr Prak- Die elterliche Alimentierung des Studiums steht für tikum ableistet, war offenbar für Bauvorhaben ihres Onkels tätig. architekturinteressierte Bauhausstudentinnen i.d.R. Stellte das Programm allen begabten Studierenden In der Publikation Fritz Ruhemann, Architekt (Berlin, 1930) ist im nicht in Frage. Nicht nur Väter, auch (Groß-)Mütter fachlichen Kompetenzerwerb und inhaltliche Ausein- Inserententeil auch diese Firma zu finden. kommen gelegentlich für Studiengebühren und Le- andersetzung in Aussicht, so war dies in räumlichen 332 Lizzie Diestelmann-Marx (geb. 30.4.1880 Hamburg) hospitierte benshaltungskosten auf.329 Lotte Gerson gibt an, dass Fächern de facto den Studenten vorbehalten. Anhand ab Mitte der zwanziger Jahre am Bauhaus. Als die Tochter nach ihre Eltern ihr die Freiheit einräumten, ihren Weg frei der Studienabbrüche wurde deutlich, dass Studentin- einem Aussensemester 1930 nicht mehr ans Bauhaus zurück- zu wählen. Demgegenüber bezeichnet Kattina Both nen die zunehmend subtileren Formen der Ausgren- kehrt, hospitiert sie dort erneut. ihre Studienzeit als „Entfremdung“ von der Familie, zung wahrnahmen und nicht akzeptierten. Manche auch wenn sich ihre Eltern der Berufswahl „in groß- konnten oder wollten dies jedoch schlicht nicht wahr- zügiger Haltung nie entgegengestellt” hätten.330 Lud- haben. Zu anachronistisch und absurd war im Selbst- wig Bernoully und Alois Rindler setzen sich bei der verständnis vieler Studentinnen die Vorstellung ge- Aufnahme für das Studium der Töchter, Hans Meltzer schlechterpolaren Denkens. für eine Diplomoption der Tochter ein. Olga Arpasi- Blick in das Zimmer von Lila Ulrich in Dessau um 1932 „Der Plan Ihres Bauhauses ist so wundervoll, daß ich Bánki begleitet ihre Tochter zur Immatrikulation. Und sofort wußte, daß ich später nur da arbeiten wolle”, Hilde Reiss dürfte von einem Onkel bei der Suche schreibt Tony Simon-Wolfskehl im Juni 1919 an Gro- nach Praktika unterstützt worden sein.331 Besondere pius.339 „Nehmen Sie nun noch bitte allen Dank dafür, Rücksichtnahme zeigt Lizzie Diestelmann-Marx, die daß sie an meiner Arbeit nicht vorübergegangen sind auf Wunsch der Tochter ihre Hospitation am Bauhaus und vor allem, daß man hier frei atmen und das junge 1927 unterbricht.332 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wollende Leben fühlen darf“, bedankt sie sich „erge- ben“ nach dem ersten Besuch, bei dem Gropius ihrer vorbehaltlosen Bewunderung denn auch erliegt.340 Auch Ruth Hildegard Raack macht 1920 bereits in der Bewerbung aus ihrem Enthusiasmus keinen Hehl: „Ich komme nach Weimar auf die Bauhausschule, weil ich seit dem Augenblick, wo ich von den Bau-

94 Architekturinteressierte Studentinnen hausplänen hörte, von ihnen begeistert war.“ 341 333 So war Schneider bereits Mutter zweier Kinder. Sie nimmt den Jene befreiende „Explosion“ von jungen Menschen 1926 geborenen Sohn 1927 mit nach Dessau. Müller lebt bereits der Weimarer Jahre, die ‘das Neue’ witterten und mit Mann und Tochter in Dessau. Bei der Geburt des zweiten stürmisch ausprobieren wollten, findet in der kurzen Kindes unterbricht sie das Studium kurzzeitig. Markos-Ney Zeit statt, in der die Studienmöglichkeiten für Studen- kommt 1931 ohne Mann und Tochter. Brauer - sie ließ sich tinnen noch nicht rigoros beschränkt sind. Enthusia- 1928 scheiden - wohnt mit ihren zwei Kindern nördlich von Ber- stisch nehmen jedoch auch räumlich interessierte lin, als sie sich 1932 einschreibt. Zu diesen Ausnahmen unter Studentinnen späterer Jahre ihr Studium auf. So den Studierenden zählen auch Téry-Adler, Bernays-Herrlich, schreibt Zsuzsanna Bánki 1930, zehn Tage nach ihrer Viereck, Hauck-Winkelmayer, Stölzl, Brandt, Marx-Diestelmann Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ankunft in Dessau: „Ich weiß gar nicht, womit ich und Knoblauch. Dass die Vielfalt an Lebensumständen auch at- meinen Brief beginnen soll. Es gibt soviel zu berich- mosphärisch präsent war, wird bspw. auch deutlich, wenn Ra- ten. Die Schule selbst ist gewaltig, die Lehrer unter- kette in seinen Erinnerungen an die Zeit um 1932 erwähnt, dass richten hervorragend, strengen sich bis zum Äußer- „Jovanowitschs“ ihr Kind in rote Windeln wickelten. Vgl. Raket- sten an (..) Die Lehrer sind sehr freundlich und reden te, Egon: Bauhausfest mit Truxa, München, 1973, S.263 mit uns.“ 342 Und auch Eva Weininger betont: „Ich war 334 In Weimar wohnte Simon-Wolfskehl zur Untermiete. In Dessau sehr glücklich im Bauhaus.“ 343 Emphatische Äuße- mieteten bspw. Fernbach, Wilke und Schöder ‘möbliert’. rungen, wie sie - auch von Architekturaspirantinnen - 335 „Auch in der Stadt kann man nicht wohnen, das ist auch zu Zeichenunterricht in Dessau über die Grundlehre überliefert sind, lassen sich über weit. Also habe ich eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben und die Architekturangebote nicht finden. wir haben ein Zimmer in der Nähe gefunden, 5 Minuten vom Bauhaus entfernt in einer Villa. Es ist ein mittelgroßes Zimmer (..) Moholy-Nagy tritt weniger für das Selektieren als für 55 Mark incl. Licht und Schuheputzen.“ Olga Arpasi an Ödön das Entwickeln von Begabungen ein, denn „daß das Bánki, Brief vom 24.10.1930 aus Dessau, in: Bánki, 1990, S.63 wesentliche über kurz oder lang immer erarbeitbar 336 So wohnen bspw. Rogler und Wettengel zur Untermiete in Tör- ist, steht heute schon außer zweifel.“ 344 Dazu führt er ten, Loewe in der Siedlung Fichtenbreite, Ulrich in Ziebigk. aus: „Ein jeder mensch ist begabt (..) jeder mensch 337 Hier bezieht bspw. Both direkt nach Fertigstellung ein Atelier. ist ton- und farbenempfindlich, tast- und raumsicher Auch Beese, die zunächst in der Innenstadt gewohnt hatte, und usw. (..) das heißt weiter, daß jeder gesunde mensch Marx, deren Eltern in Dessau wohnen, ziehen dort ein. Sollten auch aktiv musiker, maler, bildhauer, architekt, usw. bei der Bauhaussiedlung in Weimar Wohnmöglichkeiten für ver- sein kann“. Diese Vorstellungen finden innerhalb des Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar heiratete wie ledige BauhausstudentInnen geschaffen werden, Meisterrates offenbar wenig, bei den Studentinnen so wurde mit den Ateliers lediglich eine Wohnform realisiert. umso mehr Resonanz.345 338 So wohnten Katz, Press oder Lewin bei den Eltern. Mit Mann Während Lisbeth Oestreicher 1932 ihre persönliche und/oder Kindern wohnten in Weimar Téry-Adler, in Dessau Haltung rückblickend auch als Ergebnis des Studi- Müller, in Berlin Brauer und Knoblauch. Wohngemeinschaften ums darstellt - „Das Bauhaus hat mich gelehrt, selb- von Studentinnen lassen sich - im Unterschied zu Bauhausstu- ständig zu denken, stets meine eigenen Anschauun- denten - bisher nicht dokumentieren. Während des Gastseme- gen zu verteidigen, unbefangen an neue Aufgaben sters in Wien wohnt aber bspw. auch Schöder in einer WG. heranzutreten und meine Handlungen vor mir selbst 339 SBW, Sign.155, Bl.1091, Brief Simon-Wolfskehl vom 8.6.1919 Unterricht in Möbelkonstruktion bei Alfred Arndt zu verantworten“ 346, geht Wera Meyer-Waldeck 1928 340 Ibid., Bl.1088, Brief Simon-Wolfskehl an Direktor Gropius, o.D. lediglich von einer „Festigung“ einer eigenen Weltan- 341 Bewerbung Ruth Hildegard Raack, 1920, SBW, abgedruckt in: Einzelkorrektur bei Hinnerk Scheper schauung aus, die sie am Bauhaus bestätigt gefun- Dietzsch, 1990, Bd.II, S.52-53, Dokument 25 den habe.347 Und Kattina Both merkt in ihrer Rück- 342 Auch der Gymnastikunterricht hat es ihr angetan: „Wir haben schau lakonisch an: „Gelernt haben wir nix, wir ha- Unterricht in einer sehr kleinen Gruppe, erstklassige Lehrerin. So ben nur unseren Charakter gefestigt.“ 348 Manche etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Zsuzsanna Bánki an Ödön Studentinnen nehmen schon nach kurzer Zeit am Bánki am 2.11.1930 in: Bánki, 1990, S.63 Bauhaus die Studienangebote nicht nur als anregend 343 Eva Weininger im Interview am 2.2.1995 sondern auch als beschränkt wahr. Dies wird bspw. 344 Moholy-Nagy, (1928) 1968, S.14f. deutlich, wenn Rosa Berger 1928 ihrer großen Begei- 345 Er rät bspw. Marianne Brandt und Lili Schultz 1924 zur Metall- sterung über den Unterricht hinzufügt: „ich glaube, werkstatt. Schultz studiert hier nur bis Sommer 1925. Vgl. FN 21 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar daß dasselbe menschenmaterial sich außerhalb des 346 FN 245 bauhauses bedeutend intensiver mit lebensanschau- 347 „Das ist meine weltanschauung, die habe ich aber schon ge- ung, lebensgestaltung und all diesen fragen befassen habt, bevor ich ans bauhaus kam, nur hat sie sich gefestigt, weil würde.“ 349 ich sie hier bestätigt gefunden habe.“ Wera Meyer-Waldeck im „interview mit bauhäuslern“, Lang, 1928, S.18, vgl. FN 244. Das Bauhaus sprach Studierende unterschiedlicher 348 Kattina Both im Interview mit Petzinger. (S.47) vgl. FN 238. politischer Couleur an. Etliche Bauhausstudentinnen 349 Interview mit Rosa Berger (Lang, 1928, S.25). Berger hatte zu- interessierten sich für alternative Lebensphilosophien vor bereits an der Webschule Berlin studiert.

am Bauhaus 95 und schlossen sich bereits in ihrer Jugend dem Wan- sucht diese [Garantie] zu finden in dem Studium von dervogel und damit der einflussreichsten Jugendbe- Swedenborg, Nietzsche, dem Katholizismus, dem 350 So war Ursula Schneider vor 1916 Leiterin des Wandervogel in wegung seit der Jahrhundertwende an.350 Einige we- Buddhismus und der Anthroposophie.“ 358 Berlin-Wilmersdorf, Lore Enders gehörte in Mannheim jahrelang nige Studentinnen - wie Käthe Reiche und Elisabeth einer Wandervogelgruppe an. Vgl. auch Biografie Beese. Nicht Völlig selbstverständlich geht bspw. Bánki 1932 da- Abegg - finden wir im Studierendenausschuss.351 nur in Weimar interessieren sich manche Studentinnen bspw. für von aus, ein Volontariat „bei Le Corbusier (..) oder Manche - wie Judith Kárász, Lotte Beese, Ricarda Mazdaznan, so bspw. Mara Utschkunowa und Alma Buscher, dem einen oder anderen großen Niederländer“ zu ab- Meltzer und Irena Blühova - werden als Mitglieder der aber auch Kattina Both, Immeke Schwollmann und Ella Rogler. solvieren. Andererseits finden wir bei denselben Stu- kommunistischen Studentenfraktion (kostufra) auch 351 Lis Abegg gehört dem Studierendenausschuss 1920, Käthe Rei- dentinnen auch Verunsicherungen. Als kurz darauf ihr parteipolitisch aktiv, andere - wie Zsuzsanna Bánki che im Wintersemester 1921/22 an. Dietzsch, 1990, II, S.326 Studium zu scheitern droht, schreibt sie: „Ich werde und Hilde Reiss - solidarisieren sich mit politischen 352 So solidarisieren sich nach der Räumung der Kantine u.a. Bánki, am Bauhaus doch nicht wieder angenommen. Nun Aktionen ohne selbst Mitglieder zu werden.352 Hinwei- Wiener, Meltzer und Wimmer, Reiss angesichts des Rauswurfes muß ich in die Welt ziehen. Bis jetzt habe ich noch se eines politischen Selbstverständnisses finden wir von Heinz Schwerin. Reiss, deren Freund Waldemar Alder 1929 nicht einmal eine Idee, wohin ich gehen sollte.“ 359 bspw. auch bei Both und Gerson.353 „wir kommen am in die KPD eintritt, war nach eigenen Angaben nie Mitglied der Ähnlich verunsichert war sie nach der Grundlehre. „In bauhaus nicht um die politik herum. (..) wir können KPD. Judith Kárász wurde gemeinsam mit Isaac Buttkow propa- jedem Fall habe ich in vielerlei Hinsicht hier viel stu- natürlich keine häuser bauen für verhältnisse, die gar gandistisch für die KPD tätig und aufgrund dessen im April 1932 diert, und dennoch ist es nichts, was mir liegt, dieser nicht da sind, aber von selber werden auch keine aus Anhalt ausgewiesen. Als Mitglied der Internationalen Arbei- Beruf. Langsam verliere ich den Boden unter den Fü- vernünftigen sozialen verhältnisse kommen. die arbeit terhilfe dürfte sich neben Irene Blühova auch Annemarie Wim- ßen; und ich weiß selbst auch nicht mehr was ich und die lebensgestaltung müssen hand in hand ge- mer einer Exkursion zu einer Veranstaltung der IAH in Berlin möchte oder was ich lieber möchte.“ 360 hen“, äußert Lotte Gerson 1928 ganz im Duktus Han- 1931 angeschlossen haben. (Blühova, 1983, S.8) „In Dessau nes Meyers, kurz nachdem sie „Baulehreanwärterin“ Im Februar 1920 schreibt Toni von Haken-Nelissen kam ich zum erstenmal in engere Berührung mit der Arbeiterbe- wird.354 an die Direktion: „Da ich mich im März verheirate, wegung und der marxistischen Theorie (..) Ich trat der IAH und melde ich mich hierdurch als Schülerin des Staatli- der Roten Hilfe bei, jedoch noch nicht der Partei. (..) Frühjahr Die Ende 1931 am Bauhaus erschienene Karikatur chen Bauhauses ab.“ 361 Ebenfalls ohne Abschluss 1932 (..) Eintritt in die KPD.“ (LL vom 3.3.1953; vgl. FN 191) „Faschismus ist an dieser Institution autorisiert“ rea- scheidet im März 1921 Elisabeth Abegg - nun verhei- 353 „Im 18. Lebensjahr stand ich im linksgerichteten Lager der Ju- giert auf die Veränderung des politisch-kulturellen Kli- ratet mit dem Bauhausstudenten Werner Chomton - gend.“ Schreiben Both vom 28.5.1947 mas zu Beginn der dreißiger Jahre.355 Nun bekunden aus.362 Und auch Lou Berkenkamp, seit 1920 in der 354 Interview mit Lotte Burckhardt [geb. Gerson] Lang, Lothar: in- auch hier manche Studierenden offen ihre Sympathi- Wandmalerei, bricht nach ihrem zweiten Lehrjahr im terviews mit bauhäuslern, in: Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, en für nationalsozialistische und antisemitische Hal- Sommer 1922 ihr Studium ohne Abschluss ab, als H.2/3, S.26. tungen. Andere treten gegen den deutlichen Rechts- ihre Heirat mit dem kommilitonen Hinnerk Scheper 355 Broschüre Bauhaus, November/Dezember 1931, zit. Nach Hahn ruck am Bauhaus auf, kritisieren die ‘law-and-order- bevorsteht. „Ich bitte meine Frau, Alexandra Röhl, in Barron, 1999, S.212 Mentalität’ Mies van der Rohes als politischen Op- aus der Liste des Staatl. Bauhauses zu streichen, da 356 So spiegelt bspw. die Sitzordnung in der Bauhausmensa in Des- portunismus. Während die politische Polarisierung meine Frau vorläufig keine Kraft zu weiterer Arbeit in sau, wo - wie bspw. Carl Bauer erinnert - die ‘Linke’ an der Fen- unter den Studierenden spürbar zunimmt356, wenden künstlerischen Dingen hat und sich ganz dem Haus- sterfront, die ‘rechte’ Fraktion am Tisch im Eingangsbereich isst, sich insbesondere jüdische Studierende vom Bau- halt widmet“, schreibt der Bildhauereistudent Karl die zunehmende Verfestigung politischer Lager. haus ab: Szuszanne Markos-Ney, Edit Rindler, Mar- Peter Röhl bereits Ende 1919 an die Leitung des 357 Die genaue Anzahl wie der Zeitpunkt der Kirchenaustritte konnte got Loewe und Hilde Katz schreiben sich in Berlin Staatlichen Bauhauses.363 Er selbst verliert offenbar nicht ermittelt werden: Schneider vor 1926, Müller vor 1930, nicht mehr am Bauhaus ein. keinerlei Kraft und studiert - wie die Gatten aller Ge- Wimmer 1930, Enders in den dreißiger Jahren, Matty und Han- Nicht nur Studentinnen, die zuvor gearbeitet und / nannten - weiterhin am Bauhaus. nes Beckmann sind bei ihrer Anmeldung in Wien im Herbst oder geheiratet haben, studieren als „recht selbstän- 1932 ‘confessionslos’. Dass dieser Bruch nicht immer dauerhaft Bis Mitte der zwanziger Jahre führt die Heirat ebenso dige junge Damen“. Auch wenn die Finanzierung vollzogen wird, wird bspw. deutlich, wenn Müller - wie ihr Mann offensichtlich wie kausal zum Studienabbruch einer durch den elterlichen Wechsel alimentiert wird, be- ‘Dissidentin’ - ihre Kinder kirchlich taufen lässt, Meyer-Waldeck Studentin.364 Im Unterschied dazu wird während der trachten Bauhausstudentinnen das Studium i.d.R. wie Wilke in späteren Jahren zum Katholizismus konvertieren. Zeit in Dessau und Berlin die Architekturambition der nicht als verlängerte Adoleszenz sondern als selbst- 358 Beese, Lotte: Form als zeitliche Konstruktion wiedergegeben in: jeweiligen Studentin durch eine private Bindung mit bestimmte Lebensphase. Etliche - darunter ebenso Neue Heimat Monatshefte Nr.8/1981 reprint: UIFA, 1987, S. 66 einem [Architektur-]Studenten eher verstärkt. Häufig die katholisch erzogene Lore Enders, wie die Pro- 359 Brief Z.Bánki an Ö.Bánki vom 13.4.1932 - Bánki, 1990, S.70 scheinen aber auch diese Studentinnen die eigenen testantinnen Lotte Beese, Ursula Schneider, Maria 360 „Das erste Semester ist schon zu Ende, und hier gibt es keine Ambitionen denen eines Freundes unterzuordnen. Müller, Matty Wiener und Annemarie Wimmer - treten Prüfungen mehr, nur die Ausstellung und dort entscheiden sie Nicht nur Mila Lederer und Gertrud Arndt folgen - vor oder während ihres Studiums aus der Kirche aus. über das Los der Kandidaten. Das ist jetzt ungefähr drei Wo- scheinbar ohne Rücksicht auf die eigene Qualifikation Auch wenn religiöse Bindungen in den meisten Her- chen her und es ist gut gelungen.” Zsuzsanna Bánki an Ödön - ihren späteren Gatten, nachdem diese ihr Studium kunftsfamilien nicht bestimmend waren, so markiert Bánki, Dessau, 12.4.1931- Bánki, 1990, S.67 abschließen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die verhältnismäßig hohe Zahl von Kirchenaustritten 361 SBW, Sign. 152, Bl.1517, Bl.1517-1526, Schreiben Toni v. Ha- jedoch, dass das vermeintlich freiwillige Aufgeben auch einen Bruch mit familiären Traditionen.357 Hier ken, Dresden, 27.2.1920. Sie hatte drei Jahre an der KGS, dann des eigenen Studiums häufig mit einem unvermeidli- spiegelt sich die Suche nach einem eigenständigen am Bauhaus studiert und bricht 1920 ohne Abschluss ab. chen Perspektivwechsel zusammenfällt. Selbstverständnis wider. Als Suche nach einer „Ga- 362 SBW, Sign.150, Bl. 534f., Studentinnenakte Abegg. rantie für die menschliche Existenz“ beschreibt bspw. Nachdem Eva Fernbach die Anerkennung ihrer mehr- 363 SBW, Sign.152, Bl.1496. Studentinnenakte Gutzeit, undatiertes Lotte Beese ihre Jugend rückblickend: „Ich hatte ver- jährigen Tischlerlehre von der Dessauer Handwerks- Schreiben von Karl Peter Röhl.

96 Architekturinteressierte Studentinnen kammer verweigert wird, zieht es sie 1928 mit Andor sich, „daß die basis des bauhauses eine noch viel Weininger ebenso nach Berlin wie Kattina Both, die breitere wäre. (..) wo so wenig anregung von außen zeitgleich mit Marcel Breuer und ebenfalls ohne Ab- kommt wie hier in Dessau, müßte im innern eine viel schluss dorthin übersiedelt. Lotte Beese arbeitet größere vielgestaltigkeit vorhanden sein, um der ge- 1929 im Büro Hannes Meyers in Berlin und kehrt auf fahr des einseitigwerdens zu entgehen.“ 370 Und of- 364 Auch bspw. Dolly Borkowsky verlässt das Bauhaus nach fünf des-sen Wunsch nicht ans Bauhaus zurück.365 1929 fenbar wird ihr zuviel diskutiert: „die bauhäusler re- Semestern ohne Abschluss, um im Frühjahr 1922 den Bauhaus- ab-solviert Gerda Marx ihr Außensemester in Berlin, den zu viel und tun zu wenig, sie kritisieren zu viel studenten Henrik Stephan zu heiraten. SBW, Sign.150, Bl.763 als Johan Niegeman dort eine neue Perspektive und machen selber nichts besser.“ 371 Ähnlich äußert 365 Mit dem Bauhausdirektor Hannes Meyer liiert, bleibt sie aus sucht und findet. Im gleichen Jahr zieht Ella Rogler sich auch Lotte Gerson, die nach einem Jahr Studi- Rücksicht auf dessen Stellung dem Bauhaus fern. Sie bleibt zu- ein von Hans Fischli vermitteltes Angebot eines um am Bauhaus feststellt, „daß nicht alles so ideal nächst ebenso eingeschrieben wie Gerda Marx. Volontariats in einem Zürcher Architekturbüro einem ist, wie es in meiner vorstellung lebte (..) und über- 366 Edmund Collein erhält am 24.10.1930, drei Wochen vor ihrem Weiterstudi-um am Bauhaus vor. Als 1930 Lotte haupt wird im ganzen nicht intensiv genug gearbei- Antrag, das Bau-/Ausbau-Diplom Nr.24. Gersons Diplom-zulassung scheitert, geht sie ohne tet“.372 367 Der gleichaltrige Hannes Beckmann belegte seit dem Frühjahr Diplom mit dem frisch diplomierten Edmund Collein War die Ausgangssitutation der architekturinteressier- 1929 unterschiedliche Fächer am Bauhaus. Am 7.11.1931 erhält nach Brünn.366 Als Ricarda Meltzer und Heinz ten Bauhausstudentinnen qua kulturellem und sozia- er für seine bühnenbildnerischen Arbeiten - in seinem sechsten Schwerin im April 1932 am Bauhaus mit Hausverbot lem Kapital i.d.R. privilegiert, so können sie ihre Am- Studiensemester - das Bauhausdiplom Nr.61. belegt werden, ziehen sie gemeinsam nach Frankfurt bitionen angesichts institutionell begrenzter Aktions- 368 Sowohl im bildungsbürgerlichen Weimar als auch im industriell am Main. Und als zum gleichen Zeitpunkt Mathy radien nicht umsetzen. Soweit sie die Ambivalenz ih- prosperierenden Dessau blieb das Bauhaus trotz seiner zahl-rei- Wieners Antrag auf Weiter-studium scheitert, siedelt rer Situation nicht erkennen und nicht nach Studien- chen Kontakte nach außen innerhalb der Stadt eher isoliert. sie mit dem diplomierten Hannes Beckmann nach alternativen suchen, bleiben sie gezwungen, sich in- „berlin ist die richtige stadt für das bauhaus. zusammenarbeit Wien über.367Auch wenn diese Studentinnen die eige- nerhalb der Widersprüche des geschlechterkodierten mit der industrie, das ist einer der punkte aus dem programm nen Ambitionen denen von Lebensgefährten freiwillig Bauhausstudiums zu bewegen. Manche projizieren des bauhauses. Und nirgens in deutschland gibt es eine derarti- unterzuordnen scheinen, so fällt doch ins Auge, dass ihre Ambitionen auf einzelne Kommilitonen und trans- ge fülle von niederlassungen und vertretungen der industrie wie die eigenständige Ambition just zu dem Zeitpunkt ferieren ihr kulturelles wie soziales Kapital auf männ- in berlin“, schreibt Hans Keßler nach dem Umzug des Bauhau- untergeordnet wird, an dem der Erwerb einer eigenen liche Partner. ses nach Berlin. Die konkrete Situation am neuen Standort Qualifikation durch äußere Umstände in Frage bleibt davon jedoch unberührt: „daß ich in Berlin lebe, merke ich gestellt oder verhindert wird. „Im Bauhaus war das Geben und Nehmen wechsel- nur am wochenende, wenn ich in die innenstadt fahre; sonst seitig“, erinnert Irena Blühova, und mitunter konnte Bauhausstudentinnen interessieren sich für neue, von glaubt man in einer kleinstadt zu sein.“ Brief Keßler vom 12.11. dies auch zwischen den Geschlechtern gelten.373 gängigen Rollenvorstellungen abweichende Lebens- resp. 25.11.1932, in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.167, resp. S.169 Bekanntermaßen heirateten etliche Bauhausstudie- formen. Die überwiegende Zahl dieser Studentinnen 369 Rosa Berger im Interview 1928. Lang, 1928, H. 2/3, S.25 rende KommilitonInnen.374 Dennoch kann das Verhält- sieht - als selbstbewusste Töchter liberaler Eltern - in 370 Meyer-Waldeck im Interview 1928. Vgl. FN 244, S.18-19. nis zwischen den Geschlechtern kaum als kamerad- der Suche nach Selbstbestimmung nicht nur eine 371 Ibid. schaftlich oder entspannt bezeichnet werden. Mari- persönliche Perspektive sondern eine gesellschaftli- 372 Lotte Burckhardt [geb. Gerson] im Interview 1928. Vgl. FN 354 anne Brandt berichtet, dass sie 1924 in der Metall- che Dimension. Aber auch eigenwillige Töchter aus 373 Blühova, 1983, S. 9. So entwirft bspw. Friedl Dicker für Stefan werkstatt „nicht eben freudig aufgenommen“ wurde: weniger toleranten Elternhäusern suchen hier einen Wolpe einen Einband für Noten. Er komponiert 1920 ein „Ada- „Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Rahmen, um sich Konventionen - auch denen ihrer gio (..) für Friedl, den verträumtesten aller Menschen“. Meinung (..) und man hat dieser Meinung Ausdruck Herkunftsfamilien - zu entziehen. Sie finden im Bau- 374 Mit Ausnahme der Weimarer Zeit wurden diese Ehen i.d.R. erst zu verleihen gewußt“.375 Auch wenn sie mit ihren Am- haus eine Schule, die Experiment wie Innovation zum nach Studienende geschlossen. Dietzsch führt 56 Ehen zwi- bitionen bei Studenten manches Mal sehr deutliche Programm erhebt. Und sie studieren in einem Klima, schen Bauhausstudierenden auf. Dietzsch, 1990, II, Anlagen 20- Ablehnung erfahren unterhalten architekturinteres- das bürgerliche Normen wie akademische Traditio- 22, S.302-303 sierte Studentinnen während der Studienzeit doch nen in Abrede zu stellen scheint. Die Praxis dieser 375 Marianne Brandt, 1966, vgl. FN 79 (S.157-158). häufiger Freundschaften mit Kommilitonen als mit Grenzüberschreitungen findet jedoch im Schutz einer 376 Mauck gibt bspw. an, am Bauhaus mit Hermann Klumpp, Fritz Kommilitoninnen.376 Gemeinschaft statt, die sich auch durch Abgrenzung Schreiber und Carl Bauer befreundet gewesen zu sein, jedoch gegenüber einer ‘spießbürgerlichen’ Außenwelt kon- Die subtilen Anspielungen kennzeichnen die ‘double keine Freundschaft mit Kommilitoninnen gepflegt zu haben. Sie stituiert, deren eigener Rahmen eine Welt für sich, bind’-Situation der Studentinnen: Einerseits Ausnah- „stand gut auch mit den Feininger-Söhnen”. Reiss und Marx aber nicht minder festgefügt ist.368 mefrauen, andererseits ‘nur’ Frauen wird ihnen einer- erinnern ebenfalls überwiegend Kommilitonen. Während Freund- seits unterstellt, dass sie sich als Bauhausangehörige schaften wie bspw. die zwischen Wera Meyer-Waldeck und Otti So schätzt Rosa Berger die „fähigkeit, die verschie- von ‘der Frau’, den ‘Damen’ positiv unterscheiden, so Berger oder Katt Both und Immeke Schwollmann auch über die densten menschen aufzunehmen und ihnen (..) die lange sie sich über ihre Zugehörigkeit zum Bauhaus Studienzeit hinaus Bestand haben, lassen sich Freundschaften verschiedensten entwicklungsmöglichkeiten zu bie- definieren.377 Andererseits werden ihnen aber nicht zwischen Architekturstudentinnen bisher nicht nachweisen. ten“.369 Wera Meyer-Waldeck beurteilt nach einem die gleichen Rechte eingeräumt wie ‘echten Bau- 377 So konzediert bspw. Hans Keßler bei Hilde Katz, dass sie sich Jahr das Angebot nicht ganz so positiv: „die allge- häuslern’. An einer Erinnerung Carl Bauers wird sicht- aus der großbürgerlich überkommenen Athmosphäre ihres El- meinen interessen beschränken sich auf ein viel zu bar, wie eng der Begriff ‘Bauhäuslerin’ aus der Sicht ternhauses zu befreien vermocht habe, „nicht wie ihre Zwillings- kleines gebiet. Für mich sind literatur, tanz, musik von ‘Bauhäuslern’ - und Bauer verstand sich selbst- schwester in einen modernismus verfiel, der sich von (..) snobis- genau so interessant wie form, farbe, mathematik verständlich als solcher - mit einem optischen Bild mus nicht im wesentlichen unterscheidet.“ Hans Keßler, Brief oder irgendwelche statischen fragen.” Sie wünscht verknüpft ist, während ‘Bauhäusler’ für sich in vom 20.1.1933 an seine Mutter in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.172

am Bauhaus 97 Anspruch nehmen, sich durch Haltungen und innere bewusster Prozess der Nicht-Wahrnehmung resp. Werte auszuzeichnen. Er kommentiert eine eher zu- Ausgrenzung von Studentinnen - diente einer Hier- 378 Carl Bauer im Gespräch am 8.11.1997 - Annemarie Wilke übt fällige Begegnung mit der ehemaligen Kommilitonin archisierung nach Geschlecht, die zumindest inner- 1939 ihren Beruf als Architektin aus und ist Mitglied im BDA. Sie Annemarie Wilke kurz vor Ausbruch des Krieges in halb des Bauhauses den Einfluss finanzieller wie kul- realisiert Einfamilienhäuser für private Auftraggeber wie Ausstel- Hannover: „Sie war eine ganz feine Dame, gar keine tureller Statusvorteile aushebelte. Die von Meistern lungen für die Industrie. Bauhäuslerin.“ 378 Die Erscheinung einer feinen Dame unverhohlen demonstrierte Geschlechterhierarchie 379 In großbürgerlichen Verhältnissen waren bspw. auch Max Bill steht aus seiner Sicht in solch krassem Kontrast zum wurde von Kommilitonen kopiert. Marianne Brandt oder die Brüder v.d.Linden aufgewachsen. Und vereinzelt hatten Bild einer ‘Bauhäuslerin’, dass er in ihr quasi keine erinnert die realen Auswirkungen dieser Haltung im auch Studenten - wie bspw. Hermann Klumpp - bereits zuvor Kollegin mehr sieht. Auch wenn ehemalige Bauhaus- alltägli-chen Umgang, wenn sie von den Kollegen in ein komplettes Studium abgeschlossen. Dietzsch geht davon studentinnen - wie Annemarie Wilke - erfolgreich tätig der Me-tallwerkstatt ganz bewusst - „Man gestand aus, dass ein Viertel aller Bauhausstudierenden zuvor studiert sind, sobald sie das Out-fit, das Alter oder die politi- mir das später ein“ - mit „vorwiegend langweilig- hat. Unter den architekturinteressierten Studentinnen lag dieser sche Couleur ändern, büßen sie - im Unterschied zu mühselige[r] Arbeit“ beschäftigt wurde.385 Sie erreicht Anteil bei zumindest 70%. Bauhäuslern’ - offenbar so sehr an ‘Echtheit’ ein, akzeptable Arrangements nur dank Ungläubigkeit 380 Rakette, 1973, S.174 - Er beschreibt die Situation um 1931 dass sie „gar keine Bauhäuslerinnen“ mehr sind. und Beharrungsvermögen. 381 Rosa Berger im Interview 1928. Vgl. FN 369 382 Rakette erwähnt bspw. immer wieder Begebenheiten, bei denen Auch wenn manche Studenten - ähnlich den meisten Ähnlich deutlich diente Howard Dearstynes Schaf- Studentinnen wie auch einzelne Studenten für Kommilitonen be- architekturinteressierten Studentinnen - in großbür- fung eines „immer abgeschlossenen“ Raumes der ei- zahlen. Auch Keßler berichtet bspw.: „wir verlangen nichts für gerlichen Familien aufgewachsen waren oder bereits genen Positionierung durch aktive Exklusion. Mensch das Zimmer, da er [der Kommilitone] nur mit mühe weiterstudie- studiert hatten, die ganz überwiegende Mehrzahl der glaubt kaum, dass Howard Dearstyne weitere Kom- ren kann.“ Keßler 12.11.1932, in: Hahn/Wolsdorff, 1985, S.168 Bauhausstudenten kam aus Mittelschichtsfamilien militonInnen explizit unerwähnt lässt, wenn er lapidar 383 So charakterisiert Egon Rakette den „von einer Berliner Kunst- und verfügte nicht über akademische Vorbildungen.379 „nur noch vier Leute“ konstatiert. Da jedoch Sinn und schule hergekommenen ‘Luxemburger’ (..) Er hatte genug vom Damit brachten Studentinnen im Vergleich zu ihren Zweck des ganzen Unterfangens - das Projekt, die verdrängten Innenleben malender Lyzeumsschülerinnen“ (Ra- Kommilitonen deutlich höhere kulturelle Kapitale mit. Architektur, die Qualität der Gestaltung, die Ansprü- kette, 1973, S.135) Während Studentinnen die Differenz im So- Auch das soziale Kapital der Bauhausstudierenden che an Idee, Konzeption und inhaltliche Auseinander- zialstatus i.d.R. als Alltagsprobleme erinnern - „Die zum Teil war faktisch zwischen den Geschlechtern verteilt. setzung mit dem Meister - in derselben Darstellung recht mittellosen ‘Jungens’ satt zu bekommen, war oft ein Pro- „Einige sind gekommen, denen zahlen die Eltern die kaum der Erwähnung wert erachtet werden, wird die blem.“ (Marianne Brandt, Neumann, 1985, S.160) - thematisie- Semestergebühren über die Bank. Andere wissen vermeintlich authentische Erinnerung als Konstrukt ren Studenten das Sozialgefälle - auch zwischen Kommilitonen - nicht, wovon sie den nächsten Tag leben sollen“, erkennbar.386 als Statusfrage. So bspw. Rakette: „wenn man ständig in die beschreibt Egon Rakette die augenfälligste Diskre- Während Bauhausstudierende in den Weimarer Jah- schweiz fahren kann...“ oder Keßler: „genau wie millionärssöhne panz.380 Da nicht nur gemeinsam studiert, sondern ren noch vergleichsweise häufig heiraten, wird diese kommunisten und pfarrerssöhne atheisten spielen.“ (Hahn/Wols- häufig auch die Freizeit gemeinsam verbracht wurde, bürgerliche Konvention ab Mitte der zwanziger Jahre dorff, 1985, S.172) waren die Unterschiede qua finanzieller Ausstattung zunehmend abgelehnt. Und während freizügige Um- 384 „Also lotte wird immer schlanker, dann kann man sich ja mal durchaus präsent. Bereits nach kurzer Zeit in Dessau gangsformen zwischen den Geschlechtern von den wieder in sie verlieben? ist sie denn schon geschieden?“ (BHD 2 merkt Rosa Berger an: „ich finde daß man am bau- teilweise höchst irritierten Kommilitonen durchaus - K(1) - 1929-03-25 Brief Tralau an Püschel, Bl.2 S.1) - „Die an- haus äußerst materiell eingestellt ist, sonderfall ‘ar- geschätzt werden, bleibt die ‘Befreiung von der Ehe’ deren Bauhäuslerinnen sind bis auf eine Schwedin wenig ver- chitekten!’ ” 381 für Studentinnen ambivalent.387 Diese ‘Jugendkultur’, führerisch. Vom ‘Bordell’ habe ich nicht mehr gemerkt als auf Bauhausstudentinnen haben während des Studiums die mit der Ehe auch das Machtgefüge zwischen den den Hochschulen.“ (Brief Hans Keßler an seine Mutter vom in der Regel weit weniger finanzielle Sorgen als die Geschlechtern in Frage zu stellen droht, tangiert of- 24.10.1931. Keßler schwärmt hier wohl von Wysse Hägg, die ab Mehrzahl ihrer Kommilitonen. Manche griffen nach ih- fenbar auch das Selbstverständnis lehrender Männer, dem Sommersemester 1931 die Grundlehre besuchte. ren Möglichkeiten regulierend ein.382 Als Statusfrage die sich in einer geschlechterhierarchischen Umge- 385 „Wie viele kleine Halbkugeln in sprödem Neusilber habe ich in löst diese Differenz Neid aus, der in Begriffen wie bung eingerichtet haben. Meister wie Jungmeister- der Anke geschlagen und gedacht, das müsse so sein und „aller ‘Tuchhändlertochter’, ‘Bürgertöchter’, ‘Mädchen’, Aspiranten grenzen sich als Lehrende ab, in dem sie Anfang ist schwer“! Später haben wir uns dann prächtig arran- ‘Pfarrerstöchterchen’ und ‘behütete Töchterchen’ rigoros an der Konvention der bürgerlichen Ehe fest- giert und uns gut aufeinander eingestellt.“ Brandt, 1966, FN 79, deutlich mitschwingt. So, als könnte diese Statusdif- halten. Die Gleichzeitigkeit von männlich-exklusiven S.158 ferenz diskursiv kompensiert werden, finden wir für beruflichen Netzwerken und heterosexuellen Paarbe- 386 Über seine Diplomarbeit - „Entwurf einer Badeanstalt für den Studentinnen häufig abwertende, zumindest diminu- ziehungen mit geschlechterhierarchischer Rollenver- Kühnauer See“ - erfahren wir nur das Thema und: „Mies fuhr mit ierende Bezeichnungen.383 Weit entfernt von einer Ge- teilung bleibt die verbindliche Konvention des Füh- mir zusammen hinaus, um die Gegend erst einmal anzusehen.“ schlechteregalität werden Studentinnen von Kommi- rungspersonals am Bauhaus: Verbindungen zwischen (Dearstyne in Neumann, 1985, S. 318) - Diese ‘in-group’ konsti- litonen i.d.R. aufgrund ihrer Besitzverhältnisse, als Meistern und Studentinnen werden in aller Regel in- tuiert sich durch räumliche Schließung: wer nicht ‘drin’ ist, exi- Freundinnen resp. Gattinen wichtiger Kollegen oder nerhalb des ersten Studienjahres der Studentin durch stiert in diesem Kontext nicht -, obschon Dearstyne ein anderes dank ihrer erotischen Ausstrahlung erwähnt, was be- Heirat besiegelt.388 Dabei erzwingen die traditionellen Erklärungsmuster anbietet: „Es scheint als unterhalte er [Mies] legt, dass ihre Interessen - jenseits von proklamier- Verhaltenskodizes beim Statuswechsel von der Stu- sich lieber mit uns als mit den unteren Semestern“. (Ibid.) tem Teamgeist oder zeitgemäßer Kameradschaft - dentin zur Meistergattin den kompromisslosen Ver- 387 So bspw. hinsichtlich der Geburtenregelung. Obschon Abtrei- lediglich den traditionellen Mustern materieller, rela- zicht auf Qualifikation, den Abbruch des Studiums. bungen am Bauhaus nicht skandalisiert wurden, waren uneheli- tionaler und sexuelle Verwertbarkeit folgen.384 Während unter den Bauhausstudierenden die Ehe che Schwangerschaften auch hier Hohn und Spott ausgesetzt grundsätzlich in Frage gestellt wird, wird sie zeit- 388 Diesem Muster folgen bspw. die im folgenden genannten Ehe- Die Rekonstruktionen der Geschlechterdifferenz - als

98 Architekturinteressierte Studentinnen gleich von den Lehrenden in traditionell bürgerlicher Über diesen offensiven - in den zwanziger Jahren be- Form repräsentiert und reproduziert. reits unzeitgemäßen - Ausschluss von Studentinnen lassen sich in offiziellen Archivunterlagen ebenso Anhand des Umgangs mit architekturinteressierten wenig Hinweise finden wie zu der hohen Quote an Bewerberinnen wurde deutlich, dass eine Institution, Nichtaufnahmen und Studienabbrüchen von Studen- die im Gründungsmanifest ihre Übereinstimmung mit tinnen.389 Dennoch wird an Studienwechslerinnen wie dem Gleichheitspostulat der Weimarer Verfassung öf- -abbrecherinnen evident, dass nicht alle bereit waren, fentlich bekannt hatte, eine verschärfte Selektion von ihre Ambitionen in eine verordnete Richtung umlen- Studentinnen für kurze Zeit im offenen Widerspruch ken zu lassen. Trotz mehrfacher Modifikationen des zu diesem Gleichheitspostulat praktizierte. Offenbar Lehrprogramms im Laufe der zwanziger Jahre blei- geriet diese Praxis in die Kritik, denn die Legitimati- ben Studentinnen die Ausbildungsangebote in Skulp- onsmuster wurden nach 1922 modifiziert. Dank weit- tur, Metall und Wandmalerei, und selbst in der Tisch- gehender Autonomie der Schule konnte das Kriterium lerei weitgehend verschlossen. Und nach Einführung künstlerischer Begabung von den Meistern jedoch der Architekturabteilung werden sie auch dort eher weiterhin ‘geschlechtsspezifisch’ gehandhabt wer- geduldet als gefördet. den, wodurch der Begabungsdiskurs den faktischen schließungen. Herbert Bayer und Irene Hecht (geb. 1898) heira- Ausschluss von Studentinnen aus räumlichen Klas- ten 1925. Bayer, seit 1921 Studierender am Bauhaus wird im sen, die Selektion nach Geschlecht im Vorfeld des April 1925 Jungmeister für Druck und Reklame. Hecht besucht Studiums wie beim Übergang von der Vorlehre ins Als Studentin am Bauhaus... - ohne immatrikuliert zu sein - am Bauhaus ab dem 1.6.1925 bis Hauptstudium kaschierte. Waren Studentinnen und Studenten aufgrund ihrer Dezember 1926 die Grundlehre. (Zu Irene Hecht sp. Bayer vgl. Begabung, und - laut Programm - unabhängig von Fiedler, 1990, S.341) Margarete Heymann (geb. 1898), seit 1920 Geschlecht, Alter, Religion und Rasse am Bauhaus am Bauhaus, heiratet Gerhard Marcks und bricht im Sommer Dieses Foto von Lila Ulrich erscheint im Oktober 1932 im Berliner Tageblatt aufgenommen worden, so kam der Interpretation von 1921 das Studium ab. Elsa Franke (geb. 1901), seit 1921 Bau- „Eine amerikanische Bauhausschülerin beim Anstreichen der Wände...“ Vorkursarbeiten die zentrale Rolle bei der Verschleie- hausstudentin, heiratet 1922 Georg Muche und bricht ihr Studi- rung ungleicher, und derart geschlechts’spezifischer’ um ebenfalls ab. Lou Berkenkamp unterbricht ihr Studium am Ausbildungschancen von Studentinnen und Studen- Bauhaus nach fünf Semestern als 1922 die Ernennung ihres zu- ten zu, wenn sie als Projektionsfläche zur Konstrukti- künftigen Gatten zum Jungmeister bevorsteht. Hedwig Düllberg- on eben dieser ‘Spezifikation’ von Begabung heran- Arnheim (geb. 1894), seit Herbst 1922 am Bauhaus, heiratet gezogen wurden. „Am Ende des Vorkurses wurde ich 1923 Naum Slutzky und bricht das Studium ab. (Zu Düllberg- nicht zur Bau-Ausbau-Abteilung zugelassen, für die Arnheim vgl. Fiedler, 1990, S.148). Margarete Donner, seit 1922 ich mich beworben hatte, weil meine Bewertung im am Bauhaus, heiratet 1924 Lothar Schreyer. Ihr Studium endet Vorkurs zeigte, daß alle meine Arbeiten dekorativ und mit dem Sommersemester 1924. Helene Nonné (geb. 1891) hei- nicht konstruktiv waren, wie dies für diese Abteilung ratet 1925 Joost Schmidt, kurz bevor dieser im Oktober 1925 verlangt war“, erinnert Kitty Fischer [geb. van der zum Leiter der Plastischen Werkstatt berufen wird. Ellen Hau- Mijl-Dekker] über sechs Jahrzehnte später noch das schild (geb. 1901), seit Frühjahr 1926 am Bauhaus, heiratet im Scheitern ihrer Ambitionen.390 gleichen Jahr Walter Peterhans. Sie wird zum Wintersemester beurlaubt, im November 1926 exmatrikuliert. Im Unterschied da- Im Vorkurs setzten sich Studierende individuell an- zu führt Arieh Sharon, der einzige Student der eine Jung-Meiste- hand räumlicher wie flächiger Themenstellungen mit rin heiratet, sein Studium auch nach der Heirat mit Gunta Stölzl Wahrnehmungen, Wirkungen und Materialeigenschaf- zu Ende. Dietzsch führt 17 Eheschließungen zwischen (Jung-) ten auseinander. Das Ergebnis waren flächige wie Meistern und Studentinnen auf. Dietzsch, 1990, II, Anlagen 20- räumliche Arbeiten, die von Meistern in Kenntnis des Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 22, S.302-303. - Die Ehen von Lotte Beese mit Mart Stam, Ger- biologischen Geschlechts der Studierenden beurteilt da Marx mit Johann Niegemann und Lena Bergner mit Hannes wurden. Entsprechend treffsicher wurden die Arbei- Meyer werden erst nach der Zeit am Bauhaus geschlossen. (Vgl. ten von Studentinnen als dekorativ, die Arbeiten von zu Berkenkamp, Beese und Marx Biografien im Anhang.) Studenten als konstruktiv eingestuft. In einem Selek- 389 In den i.d.R. höchst penibel geführten Studentinnenakten des tionsprozess, der Vorkursabsolventinnen grundsätz- Bauhauses sind just die Schriftwechsel mit Bewerberinnen und lich jede konstruktive Begabung abspricht und ihnen Studentinnen höchst unvollständig, die ihr Interesse an der damit jede weitere Auseinandersetzung mit räumli- räumlichen Gestaltung artikulieren. Hier fehlt das mit Einschrän- cher Gestaltung vorenthält, kommt den Vorkursar- kungen versehene Aufnahmeschreiben an Ursula Bobann-Hes- beiten, die keinerlei ‘Geschlechtscharaktere’ erken- sel ebenso wie das Bewerbungsschreiben Anni Weils, aus dem nen lassen, lediglich die Rolle des Dekorums zu. „nicht klar hervorgeht, was Sie studieren möchten“. Diese ver- Mit Gründung der ‘Frauenklasse’ wird bereits Anfang wunderliche Form der Archivierung deutet auf eine gezielte der zwanziger Jahre die Trennung der Studierenden Sichtung der offiziellen Unterlagen. in vermeintlich adäquate, faktisch nach Geschlecht 390 Kitty Fischer im Interview mit Anja Baumhoff am 30.9.1991. getrennte Ausbildungsbereiche vollzogen. Bereits die Baumhoff, 1994, S.91 Existenz dieser Klasse offenbart, wie systematisch 391 Vgl. Baumhoff, 1994, S.97

am Bauhaus 99 die Selektion von Studenten resp. die Ausgrenzung als Mitarbeiterin von Mies wahrgenommen.393 von Studentinnen betrieben wird, obschon Gropius Das Auftreten der Direktoren gegenüber Frauen oszil- für deren Plausibilisierung öffentlich eine Art Arbeits- liert zwischen bürgerlich traditionellen Umgangsfor- schutzbestimmung für Damen reklamiert. Denn dem 392 Volland, Gerlinde: Avantgarde ohne Frauen. Die weitgehende men und aktiver Ausgrenzung.394 Dieses Verhalten Überschreiten einer explizit nach Geschlecht gezoge- Abwesenheit von Frauen in den Organisationen des Neuen Bau- bleibt weder den Studenten noch den Studentinnen nen Grenze kommt symbolische Bedeutung zu, dar- ens. in: Lichtblick, Hamburg, 1989, S.14-18; Droste, 1989, verborgen. Zu offensichtlich bringen führende Herren auf hat bereits Baumhoff hingewiesen.391 Ein Agieren Baumhoff, 1994 am Bauhaus ihre geschätzte Aufmerksamkeit ledig- aufgrund subjektiver Interessen und Vorlieben ist 393 Lilly Reich, seit den zehner Jahren auch im Bereich Innenarchi- lich jenen Damen entgegen, die ihren Status auf die Studentinnen damit kaum mehr möglich. Ein individu- tektur tätig, arbeitete seit 1927 mit Mies zusammen. In den gesellschaftliche Stellung ihrer Gatten begründen und elles Verhalten jenseits dieser Norm unterliegt der Erinnerungen von Studenten und Meisterkollegen finden sich - auf Erwerbstätigkeit ebenso gänzlich wie freiwillig Repression des Normativen: Nach Einführung der im Unterschied zu jenen von Studentinnen - häufig abwertende verzichten. Besondere Aufmerksamkeit genießen Da- ‘Frauenklasse’ können Studentinnen lediglich im Ein- Urteile über Reich. So erinnert bspw. Howard Dear-styne sie als men, die darüber hinaus die auf ‘neue Frauen’ proji- zelfall - als Ausnahme von der Regel - außerhalb der „mies right hand man“ und Frank Trudel betont: „Hier am Bau´- zierten Bilder visualisieren. Dementsprechend prä- Weberei arbeiten. haus hat Mies nie irgendwelche Assistenten gehabt, es sei denn sentieren auch Meistergattinnen in aller Regel die vi- Frau Reich, die sich mit Kücheneinrichtungen und Textilentwurf Selbst nach Einführung einer offiziellen Architekturab- suellen Attribute moderner Frauen: moderne Haar- befaßte.“ (Neumann, 1985, S.330) Zur Biografie Reichs vgl. teilung ändert sich an der männlichen Exklusivität der schnitte, moderne Kleidung, moderne Möbel, moder- Günther, 1989, Droste, 1996. Architekturausbildung nur wenig. Auch während des ne Hobbies, moderne Autos. Auf Wunsch ihrer Gat- 394 Insbesondere bei Gropius wird deutlich, dass er im Außenver- Direktorates von Meyer erwerben Studentinnen nicht ten tragen sie - als ‘Ise’, ‘Tut’, ‘El’ oder ‘Lou’ - sogar hältnis ‘gentleman-like’ die Form zu wahren, Damen - wie bspw. die notwendigen Kompetenzen und erhalten keine modern[isiert]e Vornamen. Sie, die strikt in Abhängig- Anna Freud -, denen er für das Projekt Bauhaus Bedeutung bei- Zeugnisse oder Diplome. Auf die Phase offensiven keit von ihren Gatten agieren, repräsentieren mit den misst, strategisch einzubinden sucht. „Wie ich höre haben Sie Ausschlusses von Studentinnen folgt eine Phase der Attributen der Modernität jedoch lediglich auf alther- es übel aufgenommen, daß ich Sie nicht empfangen habe, um Disqualifikation, Abwertung und Verniedlichung. Un- gebrachte Weise eine vermeintlich moderne Einstel- ihnen Adieu zu sagen (..) In ihrem Fall war ich gerade mit einer ter Mies van der Rohe werden Studentinnen häufig lung ihrer Gatten. Denn sie verzichten bei Heirat um- dringenden Angelegenheit beschäftigt.“ (SBW, Sign.150, Bl. von technischen Fächern ‘befreit’, fachlich ignoriert gehend auf einen eigenen Qualifikationserwerb oder 614, Schreiben Gropius an Lou Berkenkamp vom 1.7.1922) und räumlich ausgeschlossen. Auch wenn im Laufe eine eigenständige Erwerbstätigkeit. Ihre materielle Gegenüber (potentiellen) Kolleginnen - wie bspw. der Architektin der Jahre die Zahl der Architekturstudentinnen ge- Abhängigkeit bleibt konditional ausgeklammert, jeder Edith Schulze - verhält er sich jedoch pejorativ. ringfügig steigt, so wurde deutlich, dass weder in den Rollenwechsel tabu. Dementsprechend enthalten sie 395 Meistergattinen enthalten sich in der Öffentlichkeit jeder eigen- frühen noch in späteren Jahren Studentinnen in den sich zwar nicht einer öffentlichen, jedoch öffentlich ständigen Ambition, selbst wenn sie studieren. So besucht Julie räumlichen Klassen willkommen waren. jeder eigenständigen Meinung.395 Feininger 1919/1920 als Hospitantin den ‘Abendakt’ bei ihrem Am Bauhaus waren Studentinnen mit einem ganzen Angesichts einer zu Beginn der Weimarer Republik Mann. Gertrud Arndt [geb. Hantschk], die bereits zwischen 1923 Spektrum an Meistern und Kommilitonen konfrontiert, steigenden Anzahl moderner - unabhängig agieren- und 1927 am Bauhaus mit Schwerpunkt in der Weberei studier- deren Rollenbilder i.d.R. weit traditioneller waren als der - Frauen kommt den Meistergattinnen bei der te und 1927 den Bauhausmeister und Architekten Alfred Arndt dies der Gleichheitsgrundsatz im Gründungsmanifest Modernisierung des Patriarchats damit eine zentrale heiratet, studiert auch 1929 - als sie sich erneut einschreibt und suggerierte. Die vor Ort präsenten Mitarbeiterinnen [Vorbild-]Rolle zu: Ohne auf Attribute und Produkte eine Architekturabteilung eingerichtet ist - nicht ihren ursprüngli- - wie auch die Meistergattinen - repräsentierten eine des modernen Lebens verzichten zu müssen, bezeu- chen Studienwunsch Architektur, sondern belegt lediglich ver- Vielzahl von Haltungen, Lebensstilen und Lebenswe- gen sie ihre Loyalität, in dem sie demonstrativ auf alle schiedene Kurse. - Besonders engagiert übernimmt I[l]se Gropi- gen. Beruflich erfolgreiche resp. in ihren professionel- Errungenschaften moderner Geschlechteregalität ver- us die Rolle der (Direktoren)Gattin. Sie gab anlässlich ihrer Hei- len Leistungen anerkannte Frauen scheinen hier aber zichten. Bereits 1926 erscheint der Artikel „Das Ge- rat mit dem 14 Jahre älteren Gropius 1923 ihren Beruf als Buch- nicht existent. biet der Frau im Bauhaus“ von Helene Schmidt-Non- händlerin auf und nimmt im Außenverhältnis - ggf. auch allein - né, die spätestens seit ihrer Heirat mit dem frischge- Repräsentationsfunktionen für eine Schule wahr, in der ihr offizi- Volland, Droste und Baumhoff konstatierten die Mar- backenen Meister Joost Schmidt 1925 diesem Loya- ell keinerlei Funktion zukommt. (Vgl. Isaacs, 1983, S.335ff.) Dass ginalisierung beruflicher Leistungen von Frauen am litätsgebot unterliegt.396 Sie veröffentlicht diesen Arti- sich manche Gattinnen das Loyalitätsgebot höchst bereitwillig Bauhaus, wo Dozentinnen - wie Helene Börner, Ger- kel bezeichnenderweise unter ihrem Mädchennamen zu eigen machen wird auch deutlich, wenn Tut Schlemmer von trud Grunow, Karla Grosch und Gunta Stölzl - durch- Nonné und reklamiert damit als Studentin zu spre- „automatischem Ausspucken von Unbegabten“ spricht oder Lou aus tätig, jedoch ausschließlich in untergeordneten chen.397 Schon an der Überschrift - das Gebiet der Scheper behauptet: „In den jungen Bauhaus-Meistern hatte das Stellungen zu finden sind.392 Im Januar 1932 ernennt Frau im Bauhaus - wird deutlich, wie ernst sie ihre Bauhaus sich selbst bewiesen - sie beherrschten Handwerk und Mies van der Rohe Lilly Reich (1885-1947) zur Leite- Rolle nimmt.398 Mit Vehemenz hält sie am „So-Sein“ Form“ und betont: „In die nicht am Bauhaus verbrachte Zwi- rin der Ausbauabteilung. Damit wird den Studieren- der Frau fest, die sich „meistens und am erfolgreich- schenzeit fielen grundlegende Arbeiten (..), die die Vorausset- den erstmalig eine Dozentin im Bereich Architektur sten der Fläche“ zugewandt habe. Auch wenn man zungen zur Berufung als Bauhaus-Meister schufen.“ (Neumann, präsentiert, die von manchen Studentinnen verehrt dies „nicht als Mangel ansprechen“ sollte, „denn 1985, S.179) wird. Reich steht als Dozentin einerseits in der Tradi- gleich dem Kinde sieht sie das Einzelne und nicht 396 Schmidt-Nonné, Helene: Das Gebiet der Frau im Bauhaus in tion aller Kompagnons von Bauhausdirektoren, reprä- das Allgemeine (..) Das erklärt sich aus der ihr fehlen- Vivos voco, V. Band, 8./9. Heft, September 1926. Bei Wingler sentiert gleichzeitig jedoch innerhalb der Bauhaushie- den, dem Manne eigentümlichen räumlichen Vorstel- kommentarlos abgedruckt (Wingler, 1963, S.126), nach Droste, rarchie die Zuständigkeit professioneller Gestalterin- lungskraft.“ Ebenso widersprüchlich wie fatalistisch 1989 und Baumhoff, 1994 eine Bestätigung bekannter Vorurteile nen für den Innenraum. Auch sie erhält keinen Mei- beschreibt Nonné die eigene Aufgabe, „das Prakti- 397 Helene Nonné (1891-1976) studiert ab Oktober 1924 am Bau- sterinnenstatus und wird von Studierenden lediglich

100 Architekturinteressierte Studentinnen die Grenze zwischen ‘Häuptlingen’ und ‘Indianern’. Dies zeigt sich anhand von Nachahmungseffekten.401

Angesichts des umfassenden, gesellschaftlichen Neugestaltungsanspruchs verblüfft die Tabuisierung jeglicher Geschlechteregalität, das rigide Perpetuie- ren konventioneller Hierarchien. Selbst bei den noch nicht verheirateten Kommilitoninnen und Kommilito- nen werden nahezu keinerlei Rollenverschiebungen sichtbar. Unzweifelhaft klaffte am Bauhaus aber nicht nur eine erhebliche Lücke zwischen proklamierten und realen Chancen. Offizielle Sprachregelungen, da- runter auch der Gleichheitsgrundsatz, erreichten eine so hohe Verbindlichkeit, dass sie - von den Wortfüh- rern dieses normativen Diskurses - ebenso selbstver- ständlich unterlaufen werden konnten. Intern wurde die Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung der Geschlechternormalität durch den Begabungsdis- kurs legitimiert und vermittelt. In der Außenwirkung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar war der Architekturdiskurs dominant. Aber auch die- ser blieb strategisch mit dem Geschlechterdiskurs verquickt. Gerlinde Volland hat darauf hingewiesen, dass in dem 1923 von Gropius herausgegebenen Buch „Die neue Architektur und das Bauhaus“ unter den abge- bildeten Werkbeispielen ausschließlich Künstlerinnen genannt werden, die in den Bereichen Design und Textilien tätig waren.402 Hier - wie im folgenden Jahr in Tauts „Neuer Wohnung - Die Frau als Schöpferin“ haus. Sie heiratet 1925 Joost Schmidt (1893-1948) kurz vor - schmücken die neuen Teppiche der Gestalterinnen dessen Berufung zum Leiter der Plastischen Werkstatt (Oktober von Männern entworfene Häuser, werden publika- 1925). 1929 schreibt ‘lene’ Schmidt-Nonne in der Bauhaus- tionsstrategisch Modernisierung und geschlechterge- Zeitschrift über „kinderzeichnungen“:( 3.Jg., 1929, H.2/3, S.13- trennte Gestaltungsbereiche amalgamiert.403 Intern 16), Zur Biografie Schmidt-Nonnés siehe Fiedler, 1987, S.165 setzt Gropius die rigorose Ausgrenzung von Studen- 398 „Die Aufgaben der Bauhausweberei liegen in den Grenzen des tinnen aus allen räumlichen Arbeitsbereichen durch. Innenraumes.“ Ibid. Nach Einführung der Architekturlehre tritt während 399 Sie vertraut auf industrielle Lösungen: „Sobald dieser Stoff er- der Phase Meyer ein lassez-faire Paternalismus ein. funden ist“ - lt. Schmidt-Nonné eine Aufgabe der chemischen Architekturinteressierte Studentinnen werden be- Industrie und der Universitätslaboratorien - „wird für uns die Eine unbekannte Studentin beim Streichen einer Wand lächelt und nun auch öffentlich lächerlich gemacht. Weberei erledigt sein. Aber noch ist dieser Tag nicht da; und so Während des Direktorats Mies van der Rohes können lange Notwendigkeiten bestehen (..) so lange sind Aufgaben [für sie bis in die Architektur vordringen, werden dabei Frauen im Bauhaus] da.“ Ibid. sche und zugleich ästhetisch befriedigende zu fin- jedoch ignoriert und isoliert. 400 So war bspw. Paul Klee seit 1906 mit Lily Stumpf, Lyonel Fei- den“, als eine Aushilfstätigkeit von begrenzter Dauer Da die Zulassung nicht formal geregelt war, blieb die ninger seit 1908 (in 2. Ehe) mit Julia Berg Lilienfeld, Gerhard und untergeordneter Bedeutung.399 Der Artikel cha- Selektion ausschließlich ins Ermessen der Lehrenden Marcks seit 1914 mit Maria Schmidtlein verheiratet. rakterisiert jedoch nicht nur die Autorin als eine sich gestellt. Während ‘Begabung’ offiziell als vermeint- 401 So, wenn auch Studentinnen wie ‘Katt’ Both und ‘Mark’ Leiteritz dem Ganzen wie dem jüngeren Gatten unterordnen- lich geschlechtsunabhängiges Selektionskriterium ihre Namen modernisieren oder die Heirat mit der beruflichen de Meistergattin, er lässt sich auch als flammendes hochgehalten wird, erfolgt die Verteilung von Qualifi- Ambition verknüpft wird: Die Ehen der Jungmeister(-in) werden Plädoyer für eine - offenbar angezweifelte - Vorrang- kationschancen auf allen Ebenen de facto nach Ge- alle unmittelbar vor dem Statuswechsel geschlossen. stellung exklusiv männlicher Aufgabenkreise lesen. schlecht. Damit bleibt Gender bei Selektion wie Aus- 402 Volland, FN 392 Verheiratete Meister brachten ihren Status quo an bildung der Studierenden zu allen Zeiten des Bau- 403 So selbstverständlich die Nennung von Künstlerinnen die Publi- das Bauhaus mit.400 Angesichts offener Kritik an bür- hauses die zentrale handlungsleitende Kategorie. kation als modernes Buch ausweist, so selbstverständlich bildet gerlichen Verhaltenskodices wirkt das Festhalten an Nach tiefster Überzeugung der Meister gebührt den es Frauen in traditionellen Tätigkeitsbereichen ab. Auch hier ‘privaten’ Geschlechterhierarchien seltsam anachro- Studenten als den vermeintlich begabteren Studie- wird ein Bild neuer Frauen produziert und zur Propagierung mo- nistisch. Doch just die ebenso traditionelle wie reprä- renden die vorrangige Förderung. „In diesem Sinne“ derner Häuser genutzt wie - gleichzeitig - auf traditionelle, ge- sentative Ordnung der (Geschlechter-)Verhältnisse werden Studentinnen in ihren Ambitionen aktiv ge- schlechtsspezifische Sphären und Aktionsradien rekurriert. nach bürgerlicher Konvention markiert am Bauhaus bremst, umgelenkt oder ausgeschlossen. Die große 404 „Werkmeister hauswaldt hat festgestelllt, dass von Ricarda

am Bauhaus 101 Diskrepanz zwischen Programm und Realität, Offen- stimmten ziele“ - finden sich hierfür nur selten.409 An- heit und konventionellen Rollenklischees wird durch dere erhalten nach jahrelangem Studium keine Di- Diskurse am Bauhaus jedoch wirkungsvoll verschlei- plomzulassung, „weil (..) selbständige schöpferische ert. Ambivalente Umgangsformen und ebenso schil- tätigkeit von ihr nicht erwartet werden kann“ oder lernde wie verbindliche Begrifflichkeiten erzeugen ein „man sich auch von dem gewünschten studium im hochgradig suggestives Klima, in dem Begabung er- ausbau nichts verspricht.“ 410 Mies van der Rohe pro- kannt, aber auch geflissentlich übersehen werden longiert die unter Meyer begonnene Ausgrenzung kann, Kritik überhört oder ggf. kanalisiert wird. durch Ausdifferenzierung. Und so bietet sich auch am Ende des Bauhauses das Bild der ungestörten Die organisatorische Trennung von ‘bau’ und ‘aus- Männergesellschaft: In den nach der Schließung des bau’ markiert mit der Einführung des Architekturun- Bauhauses „im engeren Kreis abgehaltenen Semina- terrichts eine - nun innerhalb des räumlichen Ent- ren“ Mies van der Rohes finden wir keine einzige Stu- Meltzer arbeiten in der ausstellung vorgelegt worden sind, die wurfs verlaufende - Geschlechtergrenze. Und eine dentin.411 sie nicht selbst gefertigt haben kann, weil schriftmaterial ver- weitere Engführung des doing gender zeichnet sich wendet wurde, das das haus nicht besitzt.“ BHD, NL Enge- Ende der zwanziger Jahre ab. Nun müssen Studen- Bot Gropius einzelnen Studentinnen wie Absolventin- mann, Konferenz am 24.3.1931, Bl.1, Pkt.4 tinnen ihr Können auch außerhalb der turnusmäßigen nen im Rahmen des privaten Bauateliers die Mög- 405 Ibid., 21.10.1929, Bl. 1„prüfung sommersemester 1929: (..) stu- Ausstellungen und Prüfungen unter Beweis stellen, lichkeit zur Mitarbeit an konkreten Projekten, so er- dierende des II.semesters, die nochmals ausstellen müssen: werden ihre Studienleistungen immer wieder in Zwei- öffnete sich hierdurch keiner dieser Mitarbeiterinnen müller, maria Wa./Ausbau,“ Ibid., „prüfung wintersemester 1929/ fel gezogen.404 So muss im Oktober 1929 bspw. Ma- eine Aussicht auf ein Beschäftigungsverhältnis, Ver- 30”, vom 7.4.1930 , Bl.2 „Lotte Rothschild: muss lt. besond. ria Müller nochmals, im Frühjahr 1930 die Metall-Stu- gütung oder gar auf Reputation.412 In Weimar und vereinbarung ausstellen.“ dentin Lotte Rothschild „lt. besond. vereinbarung” Dessau wurde nur Frauen mit bereits abgeschlosse- 406 BHAB, Zeugnis für Wera Meyer-Waldeck, unterzeichnet von ausstellen.405 Im März 1931 wird Ricarda Meltzer nur nem Architekturstudium Zutritt zu diesem Atelier ge- Hannes Meyer am 14.7.1930. Praktikum vom 15.9.1929 bis „auf scharfe probe“ in die Fotoabteilung aufgenom- währt. Für die Duldung von Architektinnen im ‘Team’ 15.4.1930. Ausgeführt wurde bspw. der für das ADGB-Projekt men, im Juli 1931 soll Wera Itting das zweite Seme- ist die konkrete Verwertbarkeit bereits vorhandener von Meyer-Waldeck entwickelte Schreibtisch, der zur Standard- ster wiederholen. Fähigkeiten ebenso konditionale Voraussetzung wie möblierung der Zimmer diente. die uneingeschränkte Akzeptanz resp. Subordination Studentinnen bleiben im Bereich Bau unerwünscht. 407 BHAB, Bauhaus-Zeugnis Lotte Beese vom 29.10.1929, S.3. Das innerhalb der bestehenden Hierarchie. Auch bei der Und Hannes Meyer tut sich offenbar schwer, die Lei- von Kandinsky unterschriebene Zeugnis dürfte nicht ohne Mey- späteren Mitarbeit ehemaliger Bauhausstudentinnen stungen von Studentinnen angemessen zu zertifizie- ers Mitwirkung entstanden sein. Vgl. Biografie Beese im Berliner Büro von Gropius und Meyer wird die ren. Als Wera Meyer-Waldeck auf Anraten Meyers ab 408 So wird 1930 bspw. Hilde Reiss´ Studienjahr an der Bauhoch- Verwertbarkeit von Fähigkeiten nur nach diesen Ma- Herbst 1929 ein Büropraktikum in seinem Berliner schule Weimar als gleichwertig anerkannt. Hilde Katz wird nach ximen in Erwägung gezogen.413 Büro absolviert, bescheinigt er ihr: „bei gegebenen zweijährigem Architekturstudium an der Ittenschule Berlin für direktiven ist sie durchaus in der lage, projekte des Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern am Bau- das 4.Semester zugelassen. 1932 studiert bspw. Anny Wetten- durchschnittlichen innenausbaus selbständig zu be- haus war vielschichtig und widersprüchlich. Einer- gel gleichzeitig im ersten und zweiten Semester Baulehre. Inge arbeiten.“ 406 Und er vergisst nicht zu erwähnen, dass seits verstanden sich großbürgerlich sozialisierte Stu- Stipanitz wird im Januar 1932, in ihrem ersten Semester am seine Architekturstudentin lediglich als „Möbelzeich- dentinnen geschlechteregalitär und brachten dieses Bauhaus, zur Baustofflehre für das zweite Semester zugelassen. nerin“ gearbeitet habe und im Rahmen ihrer Tätigkeit Selbstverständnis selbstverständlich auch ans Bau- BHD, NL Engemann, Protokoll der Beiratssitzung am 5.1.1932, für die Beschaffung von „wäsche, geschirr und be- haus mit. Andererseits waren sie bereits zuvor man- Bl.1, Pkt. 5 „baustofflehre II.semester. mit zustimmung von stecke[n], sowie das hausreinigungsinventar“ zustän- ches Mal mit den strukturellen Geschlechterhierarchi- herrn studienrat müller wird den studierenden des I.semesters: dig gewesen sei. In einem anderen Zeugnis lesen wir: en im Handwerk konfrontiert worden. Dementspre- hilgers, stipanitz und ulrich teilnahme am II.semester baustoff- „frl. lotte beese ist sehr arbeitsfreudig, fleissig und chend verheißungsvoll dürfte die im Gründungsmani- lehre gestattet.“ gewissenhaft. (..) fähigkeiten und vorkenntnisse set- fest proklamierte Geschlechteregalität bei handwerk- 409 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 4.11.1931, Bl.2 Pkt.11. Dem zen frl. lotte beese in den stand, zeichnerische mit- licher Orientierung geklungen haben. Vor Ort trafen Protokoll lassen sich diese Ziele nicht entnehmen. 1930 werden arbeit in einem architekturbüro zu leisten. Unter an- diese Studentinnen jedoch auf Meister, deren tradi- bspw. Ulrich und Wiener, 1931 Gerson, Bánki, Schmidt und leitung auf dem gebiet der baustatik kann sie als si- tionelles Geschlechterverständnis in einem krassen Schöder von Fächern befreit. cherer rechner gelten.“ 407 Daneben wird ihr „kombi- Missverhältnis zu den im Programm formulierten Vor- 410 Ibid., sowie FN 190 resp. FN 178 natorisches geschick“ bescheinigt. stellungen wie auch der manchmal bereits gelebten 411 An diesen Kursen nahmen bspw. Trudel, Dearstyne und Weber Geschlechternormalität der Studentinnen stand. In teil. Vgl. Hahn/Wolsdorff, 1985, S.147f. - Siehe auch „5 Privat- Bei formal zunehmender Öffnung des Architekturstu- diesem Sinne erlebten etliche Studentinnen am Bau- schüler im Tessin” (Trudel in Neumann, 1985, S.330) diums ab 1930 wird die - weiterhin ausschließlich ins haus qua Geschlechterverhältnis eine Art ‘Kultur- 412 Da sowohl Simon-Wolfskehl als auch Schneider das Baubüro Ermessen der Meister gestellte - Geschlechtergrenze schock’. Grundsätzlich suchten sie hier zwar radikal verlassen, als ihre familiären Alimentierungen zur Neige gehen, erneut modifiziert. Wird im Falle eines Studienorts- innovative - ggf. ‘schockierende’ - Gestaltungs- und scheint ihre Mitarbeit nicht vergütet worden zu sein. Vgl. Werk- wechsels nun vergleichbar großzügig verfahren408, so Denkweisen, Gesellschafts- und Architekturformen. biografien im Anhang. zeichnet sich zeitgleich - durch die zunehmende ‘Be- Nichts und niemand brachte sie jedoch auf die abwe- 413 Aufgrund dieser Selektionsstrategie wird erklärlich, weshalb die freiung’ von Fächern wie Mathematik oder Statik - ei- gige Idee, dass in dieser neuen Welt ausgerechnet Mitarbeit von Gestalterinnen in subalternen Positionen so leicht ne Tendenz zur fachlichen Disqualifikation von Stu- qua Geschlecht alles beim Alten bleiben müsse. verschwiegen, die Urheberschaft vom Architekten reklamiert dentinnen ab. Begründungen oder Hinweise - wie werden kann. „mit rücksicht auf ihr bisheriges studium und ihre be- Begeistert identifizierten sich viele Studierende mit

102 Architekturinteressierte Studentinnen den offiziellen Zielen. Sie folgten den bewunderten weisen ihre Geschlechtsgenossinnen in die Schran- Meistern nahezu bedingungslos. Lou Scheper erin- ken.418 Die öffentliche Proklamation geschlechtsspezi- nert sich an jene Mischung aus „Lust und schlechtem fischer Defizite kennzeichnet ein Klima am Bauhaus, 414 „Wir malten und spritzten in Gemeinschaftsarbeit (..) mit Lust Gewissen“, die angesichts der vorhandenen Wider- in dem geschlechteregalitäre Vorstellungen von Stu- und schlechtem Gewissen, denn wir waren uns bewußt, daß un- sprüche kaum ausbleiben konnte.414 Denn Widersprü- dentinnen keinen öffentlichen Raum mehr einnehmen ser Tun gänzlich unfunktionell sei.“ (Scheper-Berkenkamp in che waren nicht nur im Geschlechterverhältnis son- (konnten). Neumann, 1985, S.177) Sie erinnert die Ausmalung der Kantine dern in nahezu allen Bereichen präsent. So in der Ob Privatatelier, Bauatelier oder Baubüro, Aufnahme- in Weimar im Mai 1920, „deren Wände und Deckenkonstruktio- Diskrepanz zwischen dem reklamierten Stellenwert verfahren, Selektion, Zeugnis oder Diplom: Immer nen bis in die letzten, nur mit farbgetränkten hochgeschleuder- der Architektur und der Realität des Architekturstudi- werden Bauhausstudentinnen lediglich semiprofes- ten Schwämmen erreichbaren Ecken“ sie „als Tummelplatz be- ums, zwischen proklamierter und realer Kollegialität, sionelle Bereiche - zuarbeitende, subalterne Tätig- wegter Ornamente“ bezeichnet. zwischen Ausbildungs- und Produktionsinteressen, keiten - zugewiesen. Für die Modernisierung der Ge- 415 Vgl. Jaeggi, 1994, S.138 - Und Mauck erinnert: „auch die Mei- zwischen Selektion nach Begabung und Nepotismus. schlechterhierarchie innerhalb des Bauhauses liest ster untereinander pflegten keine Freundschaften. (..) Wenn ich Zumindest Studierende höherer Semester nahmen sich Hildebrandts Buch „Die Frau als Künstlerin“ wie zum Beispiel an Kandinskys denke, seine Frau war sehr schwie- dies bewusst wahr. Sie scheinen über die die realen eine Gebrauchsanweisung. Unter der Prämisse, dass rig, und er sehr reserviert, sehr.“ Interview am 17.11.1995 Machtverhältnisse im Bauatelier-’Team’ ebensowe- sich das Schaffen „schöpferisch auch ohne Heraus- 416 Forderung von Resi Jäger-Pfleger in: Austausch, Juni, 1919. Im nig im Unklaren gewesen zu sein wie über das Ver- stellung eines Werkes, das die Blicke auf sich lenkt“ gleichen Heft wendet sich Dörte Helm vehement gegen biologi- hältnis der Meister untereinander.415 und „gleichsam anonym“ vollzieht, empfiehlt er „Stel- stische Zuschreibungen: „Es ist falsch nach Unterschieden zwi- Es lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren, wann lungen, (..) in denen die Frau als seine Gehilfin und schen den Geschlechtern hier zu suchen.” (Ibid. ) Käthe Brach- und wie am Bauhaus Fragen der Geschlechteregalität Kameradin Kräfte erproben mag.“ 419 mann hatte ausgeführt: „Es schwingt und tönt in mir, ich darf resp. Geschlechterdifferenz präsent waren. Während mitarbeiten. (..) Und ich finde keine Ruhe, bis ich nicht meiner Die Konflikte um Zulassung einzelner Studentinnen 1919 in der Studentenzeitschrift „Der Austausch“ die Dankbarkeit Ausdruck verliehen habe. Als Frau besonders halte zu Metall und Architektur, aber auch Holzbildhauerei Frage des Geschlechterverhältnisses für kurze Zeit ich meinen Schatz. Denn was sind wir Frauen hier? Wir sind wie und Bühnenbau charakterisieren damit weniger fach- als offen geführte Debatte sichtbar wird, tritt mit Ein- alle berufstätigen Frauen den Männern zum mindesten ein Ge- spezifische Geschlechterkonstruktionen als eine Aus- führung der ‘Frauenklasse’ eine Tabuisierung des Ge- genstand des Mitleids. ‘Warum füllst Du nicht Deinen natürli- bildungspolitik, die Studentinnen nicht professionell schlechterdiskurses ein. In den Entwürfen von Dicker/ chen Beruf aus?’ das ist die eingehendste Frage die sie stellen, auszubilden gedenkt, da sie ihr Ziel in der - bevor- Singer zeigte sich, dass die Frage geschlechterega- manche äußerliche geht voraus. (..) So glaubt mir, wir können zugten - Ausbildung von Studenten sieht. Im Hinblick litärer Grundrißdisposition um 1922/23 am Bauhaus nicht anders als unsere Kräfte spielen lassen wie ihr. Wir tun es auf eine potentielle Berufstätigkeit werden formale präsent war. Auch wenn die Entscheidung für das nicht aus Eitelkeit, nicht aus Übermut, noch weniger aus Ver- Qualifikationen dementsprechend auch nur an Stu- Stahlhaus von Muche auch eine Entscheidung gegen achtung unseres Mutterberufes. So haben auch wir hier in die- denten vergeben. den Entwurf von Forbat / Gropius war, sichtbar wird ser Schule uns eingefunden, weil wir hier, jede einzelne von uns, gleichzeitig, dass geschlechteregalitäre Überlegun- Analog zum Werkbund sind Frauen auch am Bau- eine Arbeit fanden, die wir nicht liegen lassen durften! Gönnt gen in der Architektur am Bauhaus nicht fortgeführt haus nur insoweit und so lange erwünscht als sie ihre uns diese Arbeit alle! Dank denen die es schon tun.“ Vgl. zu wurden. Energien und Ambitionen zum Wohle der Schule, sei- Helm Werkbiografie im Anhang. Die biografischen Daten von ner Protagonisten und Studenten einbringen. Dabei Brachmann sind unbekannt. Therese [Dora] Jäger-Pfleger (geb. Hatten 1919 Studentinnen wie Dörte Helm und Käthe werden traditionelle Gestaltungsformen wie -ziele in 17.1.1890 Leipzig) wird 1919 nicht am Bauhaus aufgenommen. Brachmann noch darüber debattiert, ob die Chan- Frage gestellt, die Tradition der Geschlechterhierar- 417 Auffälligerweise wird die Differenz der Geschlechter jedoch nicht cengleichheit der Geschlechter aufgrund unterschied- chie aber beibehalten und jeglicher Kritik entzogen. von Studentinnen mit räumlichen Ambitionen beschworen. licher Voraussetzungen erst erlangt werden müsse Mit Ausnahme des Vorkurses, der - im Unterschied 418 Sie, die eine eigene berufliche Perspektive mit der Heirat aufge- oder bereits erreicht sei, und hatte Resi Jäger-Pfleger zu Werkstätten und Kursen - koedukativ stattfindet ben, generalisieren ihre Entscheidung für alle Geschlechtsge- gefordert: „wir wollen mehr als toleriert werden” 416, und der damit der einzige Bereich bleibt, in dem Re- nossinnen. Da die Unterordnung oder Aufgabe eigener Ambiti- so thematisierten im Laufe der zwanziger Jahre Mei- alität und Programm annähernd zur Deckung ge- onen anlässlich der Eheschließung jedoch allzu deutlich Rollen- ster wie Kommilitonen die Verschiedenartigkeit der bracht werden, bleiben die Ausbildungsangebote für bildern bürgerlicher Gattinnen des 19.Jahrunderts folgt, konter- Geschlechter. Frauen kommen öffentlich nurmehr Studentinnen ebenso lückenhaft wie fragwürdig.420 kariert deren öffentliche Propagierung als authentische Erkennt- dann zu Wort, wenn sie grundlegende - biologische Denn so sehr ihnen innovative Gestaltungsziele nahe- nis moderner Frauen jeden Emanzipationsanspruch. resp. psychologische - Geschlechterdifferenzen re- gelegt werden, so systematisch werden ihre Möglich- 419 Hildebrandt, 1928, S.155 resp. S.157. „Das organisatorische klamieren.417 Der vielzitierte Artikel „Das Gebiet der keiten professionellen Kompetenzerwerbs erschwert Wirken Lilly Reichs vollzieht sich gleichsam anonym. Wer fragt Frau im Bauhaus“ markiert dabei nur die Spitze der- oder behindert. Die Chance, eigene Ambitionen, ei- bei einer Ausstellung, (..) wem er die Freude verdankt?“ art instrumentalisierter Authentizität, bei der Meister- gene Arbeiten und die eigene Person im Hinblick auf 420 So wenn die Weberei - als bevorzugte Disziplin für Studentinnen gattinen als Sprachrohr ihrer Männer fungieren. eine tragfähige Berufsperspektive zu entwickeln und - nicht auf den Erwerb eines berufsqualifizierenden Abschlusses Analog zu den Protagonisten des Werkbundes, die in im Rahmen des Bauhauses zu positionieren, wird angelegt ist. Der Wunsch der Meister nach geschlechtergetrenn- der Kommission für das ‘Haus der Frau’ 1914 ihnen weder Studentinnen noch Dozentinnen zugestanden. tem Unterricht wird auch daran erkennbar, dass auf dem Höhe- verpflichtete Frauen resp. Gattinen darüber hatten Für die Entwicklung einer professionellen Identität als punkt der Geschlechterdebatte eine Geschlechtertrennung in wachen lassen, dass Ausstellerinnen die Grenzen Architektin bieten sich hier keinerlei Anknüpfungs- der Grundlehre erwogen wird (Rundbrief vom 15.3.1921, zitiert vermeintlich weiblicher Tätigkeitsbereiche nicht über- punkte. nach Baumhoff, 1994, S.87) oder im Meisterrat eine Fusion von schritten, veröffentlichen nun Meistergattinen ihre Er- Weberei und Frauenklasse bereits unterstellt wird, noch bevor kenntnisse über ‘die Bestimmung der Frau’ und ver- Soweit und solange die Sinnhaftigkeit des Studiums diese 1922 stattfindet. (Ibid., S.143)

am Bauhaus 103 nicht in Zweifel gezogen werden muss, ordnen sich Bauhausstudentinnen bereits studiert. Kaum seltener die meisten Studentinnen den Kodizes starrer Ge- als ihre Kommilitonen verfügten sie auch über hand- schlechterstereotype unter. Notgedrungen nehmen werkliche Vorerfahrungen. sie sogar Ausgrenzungen hin und verzichten auf for- Nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Ausbildungs- male Qualifikationen. Etliche versuchen, individuelle wege im Vorfeld des Studiums war die Altersstruktur Interessen und Begabungen in Nischen zu verfolgen. wie auch die jeweilige Lebenssituation der Studentin- Andere intervenieren trotz der Aussichtslosigkeit des nen höchst heterogen. Ebenso disparat resp. indivi- Unterfangens offensiv für eine gleichberechtigte Teil- duell waren die Motive für ein Studium am Bauhaus. habe. Daneben lassen sich Distanzierungen zu ein- Für viele Bauhausstudentinnen war die räumliche zelnen Meistern oder deren Positionen finden. So Gestaltung ein Teil ihrer weit gesteckten Ambitio- wenn bspw. Wera Meyer-Waldeck ihre Mitschrift ei- nen.422 Manche sahen ihre Interessen und Neigungen ner Kandinsky-Vorlesung für die Freundin Otti Berger eindeutig in der Architektur. Bei der überwiegenden kommentiert: „wenn du dich jetzt hinsetzt und auf Mehrheit der Studentinnen fällt die Studienentschei- diese Ergüsse hin ein Bild malen willst, dann wird es dung in Abkehr von zuvor gesammelten Studien- und ganz bestimmt Mist. Ich habe nur durch meine Ver- Berufserfahrungen resp. in Abgrenzung zu familiären suche gelernt.“ 421 Erwartungen. Angesichts der - in persona der Meister - untrennba- Wie viele der mehr als 1200 Studierenden in der Ab- ren Verbindung von modernem Unterricht mit tradi- sicht Architektur zu studieren ans Bauhaus kamen, tionellen Geschlechtervorstellungen bewegen sich kann bisher ebensowenig beziffert werden wie die Studentinnen permanent zwischen den vermeintlich Zahl der Bewerberinnen, die während des Direktorats Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar unvereinbaren ‘Rollen’: ‘Frau’ und ‘Architekt’. Eine von Walter Gropius aufgrund ihrer architektonischen Gleichzeitigkeit beider Identitäten scheint ausge- Ambitionen bereits innerhalb des Aufnahmeverfah- schlossen. Denn die Ablehnung gestalterischer und rens scheiterten. Wahrscheinlich interessierte sich gesellschaftlicher Konventionen und Normen führt etwa jede/r Fünfte auch für Architektur.423 weder zur kritischen Reflexion über geschlechtsspe- zifische Privilegien noch zum Verzicht auf bürgerliche Oft war die Neugier der Studentinnen durch Men- Lebensformen. In Anbetracht der realen Machtver- schen aus ihrem privaten Umfeld geweckt, ihre Auf- blick ins bauatelier, 2h nachts hältnisse ist den i.d.R. individuell - und immer in einer merksamkeit durch persönliche Berichte auf das Minderheitenposition - agierenden Studentinnen ein Bauhaus gelenkt worden. In der Regel suchten sie Ausbrechen aus diesen Polaritäten nicht möglich. So am Bauhaus mehr als ein Studium oder eine Berufs- verwundert es kaum, dass sich Studentinnen entwe- ausbildung. Sowohl in Weimar als auch in Dessau der im Laufe ihres Studiums bis zur Selbstaufgabe und selbst während der kurzen Zeit in Berlin interes- assimilieren oder nach kurzer Zeit völlig abwenden. sierten sie sich häufig für verschiedene Disziplinen, verstanden diese Schule als eine Möglichkeit, unter- schiedliche Gestaltungsbereiche, verschiedene Le- bensformen und sich selbst auszuprobieren. Auf der Resümee Suche nach lebensweltlichen Orientierungen und ex- Bauhausstudierende kamen häufig über Umwege aus perimentellen Lebensformen wurden sie manches allen Himmelsrichtungen und unterschiedlichen kultu- Mal fündig. Neben einer hohen Identifikation mit Ide- rellen Kontexten ans Bauhaus. Architekturinteressier- en und Haltungen sind große Affinitäten mit einzelnen te Studentinnen waren nicht ausnahmslos aber über- Lehrenden zu beobachten. Während des Studiums wiegend in großbürgerlichen, häufig liberalen Eltern- entstanden persönliche Bindungen, die häufig weit häusern und zumeist in städtischen Milieus mit gro- über die Studienzeit hinaus existierten. ßen Freiheiten aufgewachsen. Sie waren religiös nicht 421 BHA, Hannes Meyer, 658/5, Brief von Wera Meyer-Waldeck an gebunden, hatten mehrheitlich ein Abitur erworben Soweit Studentinnen ihre Architekturpriorität bereits Otti Berger, 27.Juli 1927 - In der Vorlesung ging es um Kompo- und häufig musische Ausbildungen genossen. Die im Vorfeld zu erkennen gaben, wurden sie während sitionsprinzipien wie den ‘goldenen Schnitt’ aber auch die pola- meisten dieser Studentinnen schrieben sich nach un- des Direktorats Gropius schlichtweg nicht aufgenom- re Charakterisierung von Formelementen: „vertikale Linien sind terschiedlichsten Vorerfahrungen am Bauhaus ein. men. Anhand der Ablehnungsmuster zeigte sich, aktiv, horizontale passiv”. Meyer-Waldeck bemerkt zumindest, Nur ein Drittel der Studentinnen nahm das Studium dass primär nicht Begabung und Vorbildung sondern dass die vorgegebenen Regeln für ihre Bedürfnisse nicht ausrei- direkt im Anschluss an die Schulausbildung auf. Sie die vermeintlich geschlechtsadäquate Ambition beur- chen. hatten manches Mal zunächst ein Haushaltsjahr ab- teilt wurde. Soweit Absolventinnen der Grundlehre 422 So interessierte sich bspw. Anneliese Fleischmann, seit 1922 in solviert, einen typischen Frauenberuf erlernt oder ein dreidimensional zu studieren gedachten, wurden sie der Textilwerkstatt tätig, am Bauhaus keinesfalls nur für Frage- - i.d.R. musisches - Studium aufgenommen. Weit i.d.R. ausgegrenzt. Da die Arbeiten von Studierenden stellungen der Weberei. Dies zeigt ihr Artikel „Wohnökonomie” häufiger als Bauhausstudenten, denen sie qua Bil- auch beim Übergang vom koedukativen Vorkurs in in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 1925, H. 21, S.7-8. dung, kulturellem Kapital und Lebenserfahrung in die - de facto geschlechtergetrennten - Werkstätten 423 Die Zahl architekturinteressierter Studentinnen wird auf ca. 70, Nichts nachstanden, hatten architekturinteressierte und Kurse des zweiten Studienjahres in Kenntnis des die der Studenten auf ca. 200 geschätzt wird.

104 Architekturinteressierte Studentinnen biologischen Geschlechts beurteilt wurden, konnte andere suchten einen direkten Einstieg ins Berufsfeld. der Zirkelschluss des doing gender wirksam vollzo- Wurden während der Jahre in Weimar Einfamilien- gen werden. Dabei kaschierte das Kriterium individu- häuser, insbesondere freistehende Bauten für experi- eller, künstlerischer Begabung die geschlechtsexklu- mentelle Wohnformen entworfen und mit jeder kon- sive Selektion äußerst wirkungsvoll. kreten Bauaufgabe möglichst ein Exempel statuiert, Auch wenn Lou Scheper-Berkenkamp das Bauhaus so verschieben sich unter Hannes Meyer die Ent- nach Jahrzehnten als eine Art gesunden Organismus wurfsthemen deutlich in Richtung Siedlungs- und Ge- erinnert, dessen Selbstheilungskräfte gegen Dogma- meinschaftsbauten: Die in Dessau studierenden Stu- tismen geschützt hätten424, gegen die Geringschät- dentInnen entwarfen anhand möglichst realer Projek- zung der künstlerischen Ambitionen von Studentin- te Gebäude für das kollektive Leben. Unter Mies van nen wie der systematischen Missachtung potentieller der Rohe rücken wieder Bauaufgaben privater Auf- Architektinnen schützte am Bauhaus nichts und nie- traggeber, und damit insbesondere das freistehende mand. ‘Konstruktive’ Begabungen blieben männlich, Wohnhaus ins Zentrum der Entwurfsthemen. Außer- Studentinnen bestenfalls ‘flächig’ begabt. dem wurden hier - insbesondere im letzten Studien- jahr - auch öffentliche Bauten entworfen. Einige wenige suchten in den zwanziger Jahren im Schutz männlicher Patronagen individuelle Schleich- Fanden wir zu Beginn in Weimar Studentinnen und wege zur Architektur über Tischlerei, Wandmalerei Studenten zunächst in allen Bereichen und war der oder Metall. Friedl Dicker, Alma Buscher, Dörte Helm, Anteil der Studentinnen in den Anfangsjahren des Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Otti Berger, Kattina Both fanden - trotz Hartnäckig- Bauhauses noch signifikant hoch, so sank er sichtlich keit, Flexibilität und Kompromissbereitschaft - nur mit der rigorosen „Reduzierung des weiblichen Ge- temporär Zugänge und kamen lediglich in Teilberei- schlechts“. Der Studentinnenanteil im Bereich Bau- chen der Architektur zum Zuge. Nur bereits ausgebil- /Ausbau und Städtebau erreichte an den Bauhäusern dete Architektinnen konnten im Baubüro Gropius mit- in Weimar, Dessau und Berlin nie 20%. Bereits um arbeiten, professionelle Perspektiven wurden ihnen 1920 zeichnete sich die Schließung räumlicher Aus- nicht eröffnet. Die weitaus meisten Studentinnen ver- bildungsbereiche für Studentinnen ab. Sie wurde mit ließen das Bauhaus ohne einen formalen Studienab- der Einrichtung der Frauenklasse 1921 manifest und schluss. Etliche akzeptierten die für sie höchst einge- fand 1922 ihren vorläufigen Abschluss durch die Fu- schränkte Perspektive nicht und brachen das Studi- sion von Weberei und Frauenklassen. Auch während um ab. Erst mit Eröffnung der Architekturabteilung der Dessauer Zeit änderten sich die Rahmenbedin- 1927 gelang es sukzessive einigen wenigen Studen- gungen bis zum Frühjahr 1927 nur unwesentlich: tinnen, im Bereich Bau auch offiziell zugelassen zu Studentinnen wurde bestenfalls der Entwurf von Mö- werden. Zeitgleich wird diese Abteilung unter Hannes beln und Inneneinrichtungen zugestanden. Mit der Meyer jedoch aufgeteilt. Die Trennung in eine profes- Einführung eines Architekturstudiums wuchsen die sionelle und eine semiprofessionelle Ausbildung bot Chancen des Kompetenzerwerbs, mit der zeitgleich Studentinnen weiterhin nur eingeschränkte Möglich- eingeführten Binnendifferenzierung des Fachgebietes Komposition aus Holz, Metall und Kork, Margit Téry-Adler, um 1920 keiten des Kompetenzerwerbs. Als Architekturinter- und einer für den Innenausbau zuständigen Dozentin essierte blieben sie belächelt, ihre Arbeiten unbeach- wurden die Chancen für Studentinnen jedoch erneut tet. Ob sie sich an Gemeinschaftsprojekten beteilig- minimiert. Ihr Handlungsradius blieb weitgehend auf ten oder eigenständig entwarfen, qualifizierte Zeug- den Möbelbau beschränkt. Erst in den letzten zwei- nisse oder Diplome im Bereich der Baulehre erhielten einhalb Jahren des Bauhauses gelang es Studentin- Studentinnen auch während dieser Zeit nicht. nen, hier auch Architektur zu studieren, betreut wur- den sie dabei eher selten. Mit der Aufwertung der Architektur im Lehrplan des Bauhauses unter dem Direktorat Mies van der Rohes Immer wieder versuchten Studentinnen, in den ihnen 424 Scheper-Berkenkamp in Neumann, 1985, S.177. „Im geistigen wurde das Bauhaus „de facto (..) eine vereinfachte, nahezu hermetisch verschlossenen Bereich der Ar- Raum war nichts erlernbar, aber vieles erfahrbar. (..) Die Lehr- praktische Technische Universität“.425 Die Binnendif- chitektur vorzudringen, legten - erfolglos - Einspruch systeme waren so frei wie die Lehrenden. Methoden, Prinzipien ferenzierung in ‘Bau’ und ‘Ausbau’, die Grenze zwi- gegen die unterschiedlichsten Benachteiligungen ein und Theorien nahmen nicht den Charakter von Dogmen an - wo schen Außen- und Innenarchitektur resp. den Ge- oder entwickelten architektonische Entwürfe. Eigen- sie in Gefahr dazu gerieten, stieß das Bauhaus sie ab und aus.“ schlechtern blieb erhalten: Keine Studentin genoss willige Projekte wurden jedoch ausgegrenzt, gefor- 425 „De facto ist dies eine vereinfachte, praktische Technische Uni- die Betreuungsintensität oder Aufmerksamkeit, die dert war auch bei Themenwahl und Ausdrucksform versität, man lernt viel Mathematik, Zeichnen“ - Olga Arpasi am Mies ‘seinen’ Studenten angedeihen ließ. Das Archi- die Assimilation. Die wenigen dokumentierten Ent- 24.10.1930 an Ödön Bánki aus Dessau, in: Bánki, 1990, S.63 tekturstudium führte für Studenten in aller Regel zum würfe zeigen - ebenso wie die bekannten Studienpro- 426 Auch wenn bisher nur ein Bruchteil der architektonischen Studi- Bau-Diplom, für Studentinnen nur in vier Ausnahme- jekte von Kommilitonen - große Übereinstimmung zu enarbeiten von Bauhausstudentinnen bekannt ist, so bestätigen fällen. Auch während der Phasen Meyer und Mies den am Bauhaus propagierten Prinzipien des neuen die wenigen bisher dokumentierten Studienentwürfe von Stu- brachen Studentinnen das Studium in diesem Be- Bauens. Sie lassen kaum emanzipative Konzepte dentinnen die Hypothese, dass auch diese Arbeiten dem Kanon reich ab. Manche führten es an anderen Orten weiter, oder Eigenwilligkeiten erkennen.426 wie dem Duktus der Schule folgen.

am Bauhaus 105 Da am Bauhaus in den ersten Jahren gar kein Archi- um, individuelle, kulturelle und politische Beiträge im tekturstudium möglich war, verblüfft die Härte, mit Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen einzu- der das Architekturinteresse von Frauen als nicht ge- bringen. Gerade weil sie - von der Notwendigkeit ge- schlechtsadäquate Ambition zurückgewiesen wurde. sellschaftlicher Gestaltungsprozesse überzeugt - sich Diese Rigidität verdeutlicht jedoch die aktive Rolle für die programmatischen Ansätzen des Bauhauses der Protagonisten beim Ausschluss von Frauen aus häufig stark engagierten, bleibt es enttäuschend, dem ‘heiligen Bezirk’ der Architektur. Architektur ge- dass ihr kulturelles Kapital hier ignoriert, ihre Progres- noss an allen Bauhäusern einen hohen Stellenwert, sivität visuell vermarktet und ihr Engagement lediglich während die konkreten Studienangebote vergleichs- verwertet wurde.428 weise marginal waren, nur zwischen 1930 und 1932 Trotz der häufig geänderten Studienbedingungen von einem regulären Architekturstudium gesprochen kann zu keinem Zeitpunkt von einer Nomalität des werden kann. Unter Genderaspekten beleuchtet er- Geschlechterverhältnisses am Bauhaus gesprochen scheint der Architekturdiskurs hier noch deutlicher werden. 1989 kam Gerlinde Volland zu der Feststel- instrumentalisiert, als dies Annemarie Jaeggi bereits lung: „Die Praxis im Bauhaus (..) war weit entfernt herausgearbeitet hat. Architektur war - von Beginn von einer tatsächlichen Gleichstellung der Ge- bis zum bitteren Ende des Bauhauses - primär Chef- schlechter.“ 429 Und Cornelia Will hat diese Situation und damit ‘Männersache’. Retrospektiv ist unüber- zutreffend als „eine nur vordergründig gelebte sehbar, dass dieses innovative Studium keine ge- Gleichberechtigung“ bezeichnet.430 schlechteregalitäre Chance des Kompetenzerwerbs bot. Weshalb aber funktionierte die Gleichzeitigkeit von Gleichheitspostulat und Geschlechterhierarchie? Und Während eine neue Gemeinschaft hier experimentell warum konnten ausgerechnet am Bauhaus vorrepub- neue Gestaltungen für eine neue Gesellschaft ent- likanische Geschlechterstereotype in offener und warf, wurde an der Spitze dieser Gemeinschaft ein subtiler Form so rigoros rekonstruiert und durch die Konsens darüber erzielt, dass Schritte auf dem Weg jeweiligen Direktoren und Meister unter aktiver Teil- zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter zu den nahme von Studierenden und Gattinnen so durch- „unnötigen Experimenten“ dieses Projektes der Mo- gängig konsensualisiert werden, dass sie nicht mehr derne zu rechnen seien.427 Noch bevor das Experi- durchbrochen werden konnten? ment richtig begonnen hatte, wurde der Rückschritt in die Geschlechterhierarchie des 19. Jahrhunderts Fred Orton und Griselda Pollock vermuteten 1996, faktisch umgesetzt. dass die Geschlechtertrennung der zentrale Schlüs- sel zur Konstitution von ‘Avantgarde’ sei, die lediglich Nach der Vorlehre wurden die Motivationen von Stu- ihren eigenen Strukturen, Regeln und Wahrnehmun- dentinnen krass missachtet, ihre Ambitionen in ver- gen folge.431 Nur innerhalb eines autonom agierenden meintlich weibliche Sphären kanalisiert. Außerhalb Systems ist erklärlich, weshalb - durch Konsens un- der Weberei kamen ihre Fähigkeiten und Begabun- ter den maßgeblich Handelnden - die grundsätzliche gen nur in direkten Verwertungszusammenhängen 427 Meisteratsprotokoll vom 15.3.1921, zit. nach Droste, 1989, Benachteiligung von Studentinnen, ihre Exklusion aus zum Einsatz. Auf allen Ebenen der Ausbildung wur- S.189 der Architektur so reibungslos erfolgen konnte. So den männliche Studierende gegenüber Studentinnen 428 So erinnert Kattina Both, dass „wenn er [El Lissitzky] zu Besuch bleibt es tragisch, dass die Protagonisten am Bau- bevorzugt gefördert. Nur mit außergewöhnlicher Ziel- kam, kriegte ich ´nen Anruf: ‘Wir brauchen mal ´ne typische haus die Fähigkeiten begabter wie enthusiatischer strebigkeit und besonderer Hartnäckigkeit konnten Schülerin, gehen Sie da mit’.“ Vgl. FN 238 Architekturaspirantinnen verkannten und diese zu Studentinnen bei Verkettung glücklicher Zufälle und 429 Volland, 1989, S.15. Vgl. FN 392 Statistinnen degradierten. Manche Studentinnen entgegen allen Entmutigungen überhaupt Kompeten- 430 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am suchten und fanden dennoch eigenwillig und eigen- zen in räumlichen Gestaltungsfragen erlangen. Noch Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.15 sinnig Wege, ihre Kompetenzen, Ambitionen und ihr seltener - und nur innerhalb eines Zeitfensters von 431 Orto n/ Pollock thematisieren dies für die amerikanische Kunst- Verständnis eines Bauhauses in ihrem weiteren Le- fünf Monaten - konnte es ihnen gelingen, ihre Lei- szene Ende der dreißiger Jahre: „like all ideologies, ‘avant-gar- ben einzubringen und in den unterschiedlichsten stungen so zu plazieren, dass ihnen der Qualifika- dism’ has ist own structures of closure and disclosure, its own Kontexten fruchtbar zu machen. Und einige wenige tionsnachweis eines Bau-/Ausbaudiploms nicht vor- way of allowing certain perceptions and rendering others impos- taten dies auch als Architektinnen. enthalten werden konnte. sible.“ Orton, Fred / Griselda Pollock: Avant-gardes and Partisans reviewed, 1996, S.142 Bauhausstudentinnen begriffen sich häufig als Teil ei- ner Zivilgesellschaft und versuchten bereits im Studi-

106 Architekturinteressierte Studentinnen am Bauhaus 5 Architekturstuden- tinnen im Seminar Tessenow Die überragende Bedeutung des Handwerkers besteht Das Architekturstudium an der TH Berlin-Char- darin, lottenburg (108) - Vom einfachen Bauen und daß er im Arbeiten am wenigsten einseitig ist vom harmonischen Menschen: Heinrich Tesse- und am meisten verbindet. now als Lehrer (111) - Familiäre Hintergründe Er ist auch einseitig, aber am wenigsten, und kulturelle Kapitale: Wer studierte bei Tes- und er verbindet nicht alles, aber am meisten. 1 senow? (115) - Handwerkerhäuser und Mäd- chenschulen: Was studierten Tessenowstuden- tinnen? (124) - Studiendauer, Studienerfolge (139) - ‘Straßige Straßen’ und ‘weibliche Plätze’: Studiensituation - Studienklima (141) - Als Stu- Statt die Schaffenslust zu wecken und zur selbstän- dentin im Seminar Tessenow (144) - Resümee digen Arbeit anzuregen, wird die Phantasie auch der (149) Besten mit dieser Methode langsam ertötet. Die wichtigsten Lehrstühle sind mit Dozenten besetzt, denen ihr hohes, ehrwürdiges Alter zur Entschuldi- Im Jahre 1909 - dem Jahr, in dem mit Elisabeth von gung dient, wenn sie den Ideen der Jugend fremd Knobelsdorff die erste ordentlich immatrikulierte Stu- und für das Wollen der Zeit verständnislos bleiben.“ 2 dentin an der TH Charlottenburg zugelassen wird - Bereits während der Kaiserzeit wird die Neuorientie- beschäftigt sich die Neudeutsche Bauzeitung mit der rung der akademischen Architektenausbildung immer Frage der Notwendigkeit einer Erneuerung des Archi- wieder öffentlich thematisiert, um „der Architekturab- tekturstudiums am Beispiel der TH Charlottenburg. teilung der Technischen Hochschule zu neuem Anse- „Das neue Programm für das Studienjahr 1909/10 hen zu verhelfen“. Innerhalb der Technischen Hoch- liegt vor. Die ‚Chronik’ teilt mit, daß der Besuch der schulen findet die Forderung nach ‘Befreiung vom Hochschule auch im verflossenen Jahre abgenom- akademischen Lehrzwang’ jedoch nahezu kein Echo. men hat. Im Winterhalbjahr 1908/09 betrug die Zahl Hier zielt das Architekturstudium - im Unterschied zu der Studierenden 2209 gegen 2324 im Vorjahre. Da- dem an Akademien - nicht nur auf die Ausbildung von gehörten 405 der Architekturabteilung an gegen von freiberuflich tätigen ‘Privat-Architekten’. Der In- 442 im Vorjahr (..) Diese Zahlen reden eine deutliche genieur-Studiengang Architektur stellt insbesondere Sprache. Sie bestätigen die vielfach laut gewordenen die Grundausbildung für leitende Baubeamte sicher. Klagen der Studierenden, die bisher nur selten den Als Regierungsbauanwärter absolvieren diese im An- Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Ein veral- schluss an das Diplom eine dreijährige Ausbildung in teter Lehrkörper sucht mit einem gänzlich unzulängli- einer staatlichen Hochbauverwaltung, um nach der chen Lehrmittelapparat und einer allseitig sonst als abschließenden Regierungsbaumeisterprüfung als überwunden geltenden Lehrmethode die junge Gene- Assessoren zu beginnen. ration zu Architekten ‚perfekt in allen Stilarten’ heran- Auch wenn sich manche der Professoren gegen die- zubilden. Mit der ‚Konstruktions- und Formenlehre se klare Ausrichtung des Studiums auf die Laufbahn mittelalterlicher Baukunst’ mit ‚ornamentalen Studien 1 Tessenow, Heinrich: Die Handwerkergemeinde Hellerau, 1919 - des Regierungsbaumeisters wandten, etliche - darun- in den auf der Antike beruhenden späteren Stilrich- zit. nach Kindt, Otto (Hg.): Geschriebenes, Wiesbaden, 1982, ter bspw. Hans Poelzig - hatten selbst ihren Einstieg tungen zur Vorbereitung auf das Ornamententwerfen’ S.133 ins Berufsfeld über die staatliche Anwärterzeit gefun- (sic!) wird der Hungrige gespeist. Solche Nahrung 2 O.P.N.: Von der Technischen Hochschule Charlottenburg, in: den und erst anschließend freie Büros gegründet. muß auch dem Stärksten den Magen verderben. Neudeutsche Bauzeitung, 5.Jg., 1909, S.461

im Seminar Tessenow 107 Auch für Studierende während der Weimarer Repu- sondern in einer restaurativen Form nieder: Wissen- blik blieb die staatliche Ausbildung eine Alternative zu schaftlich erforscht wurden historische Baustile und einer Anfangsstellung in einem Privatatelier. Denn -techniken. Und die derart kanonisierte Baugeschich- auch auf der Basis der Regierungsbaumeisterprüfung te bestimmte nicht nur die Theorie, sondern als wis- konnte die Gründung eines eigenen, freiberuflichen senschaftliche Lehre auch die Vermittlung entwerferi- Büros betrieben werden. scher Praxis. Dies wiederum erregte die Vertreter ei- ner baukünstlerisch orientierten Architektur. Die Technischen Hochschulen im Deutschen Reich wurden in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhun- „Die Baukunst gilt ganz allgemein nicht mehr als eine derts gegründet. Mit Erlass vom 18.8.1908 war auch Kunst, wozu man von Natur berufen sein muß, son- Abiturientinnen der Zugang zum Studium an Hoch- dern als ein wissenschaftliches Studium. (..) Im Pro- schulen in Preußen ermöglicht worden.3 Bis 1923 gramm der Hochschulen steht nicht die Frage nach herrschte hier an den Universitäten jedoch noch das dem Talent. Dagegen fordert die Hochschule als Le- sog. Professorenprivileg, dem zufolge Hochschulleh- gitimation das Reifezeugnis eines Gymnasiums. (..) rer entscheiden konnten, StudentInnen im Einzelfall Sie begreift die Architektur als eine technische, stil- zu ihren Veranstaltungen zuzulassen oder eben auch kritische, archäologische oder bestenfalls als eine nicht.4 kunsthandwerkliche Wissenschaft. (..) Wer diese Exa- men - worin natürlich nur von dem Lehr- und Lern- In den zwanziger Jahren existierten an acht Techni- baren (..) die Rede sein kann, nicht jedoch von den schen Hochschulen im Deutschen Reich Architektur- geheimen Schöpfungsideen des Talents - absolviert, fakultäten. Es waren dies neben der TH Berlin-Char- der hat ohne weiteres auch (..) die höhere Würde. (..) lottenburg die TH Aachen, die TH Darmstadt, die TH Aus dem Kunstberuf wird eine Beamtenkarriere ge- Dresden, die TH Hannover, die TH Karlsruhe, die TH macht“, formulierte Karl Scheffler seine Vorbehalte München und die TH Stuttgart. In der Zeit der Wei- gegen die Architektenausbildung 1913.8 Mit dem marer Republik genossen insbesondere die beiden Wechsel vom Akademieprinzip zum akademischen letztgenannten einen überregionalen Ruf, der zum Lehrbetrieb befanden sich Architekturfakultäten einen auf der Solidität der Ausbildung, zum anderen - nicht nur an der TH Charlottenburg - in einem Di- auf der Reputation einzelner, langjährig tätiger 3 Veröffentlicht im Zentralblatt des Preußischen Staates, 1908, lemma: Wollten sie weder auf die, aufgrund der Ver- Professoren gründete.5 S.691f. wissenschaftlichung gewährten staatliche Anerken- 4 Dies galt de jure jedoch nicht für die Technischen Hochschulen. nung noch die, aufgrund der baukünstlerischen Tra- Fraglich bleibt, inwieweit im Bereich der sog. Entwurfsseminare, dition gewachsenen gesellschaftliche Reputation ver- wo die Aufnahmeentscheidung - auch nach 1923 - ausschließ- Das Architekturstudium an der TH Charlottenburg zichten, mussten sie versuchen, zwei ebenso ‘akade- lich beim Professor lag, von einem Professorenprivileg gespro- Die Königlich Technische Hochschule in Berlin Char- mische’ wie sich gegenseitig kategorisch ausschlie- chen werden kann. lottenburg entstand 1879 im Zusammenschluss der ßende Prinzipien zur Deckung zu bringen. 5 Fischer unterrichtete 1901 bis 1908 an der TH Stuttgart, 1909 bereits 1799 gegründeten Bauakademie mit der 1821 Betrachten wir die TH-Studentinnen, dieses „äußerst bis 1929 an der TH München. - 1919 gilt als das Gründungsjahr gegründeten Gewerbeakademie. Als ihr bedeutend- kleine(..) Trüppchen von Frauen, das (..) unter der der ‘Stuttgarter Schule’. Nerdinger spricht im Zusammenhang ster - wenn auch nicht ältester - Vorläufer gilt die Masse der männlichen Kommilitonen oft unterzuge- der Berufung Theodor Fischers (1862-1938) an die TH Stuttgart Bauakademie.6 Die Architekturfakultät blieb - wohl hen droht.“ 9 Bereits 1915 konstatierte Judith Herr- 1901 von einer ‘Wende’, die innerhalb weniger Jahre die Stutt- auch in Abgrenzung zu der weit jüngeren Disziplin mann, dass „auch an den Technischen Hochschulen garter Hochschule zum Anziehungspunkt gemacht habe. Ner- des Bauingenieurwesens - der Baukunst in der Tradi- (..) die Zahl der Studentinnen im Wachsen begriffen“ dinger, Winfried: Theodor Fischer 1862-1938, Architekt und tion dieser traditionsreichsten akademischen Einrich- sei und weist reichsweit zwischen 1908 und 1914 ei- Städtebauer, Berlin, 1988, S.13 tung für Architektur im Deutschen Reich verpflichtet, nen Zuwachs der Architekturstudentinnen von 2 auf 6 Die bereits 1770 gegründete Bergakademie wurde der Techni- obschon der TH Charlottenburg bereits 1899 durch 17 Studentinnen aus, „wenn auch das prozentuale schen Hochschule Charlottenburg erst später angegliedert. Kaiser Wilhelm das Promotionsrecht zuerkannt wor- Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Stu- 7 Das Recht zur Verleihung eines akademischen Ingenieurtitels den war.7 Diese statusrechtliche Aufwertung erfolgte dierenden noch nicht annähernd so hoch ist wie an bedeutete eine statusrechtliche Gleichstellung mit den - weit in Anerkennung der Vorreiterrolle der Technikwissen- den Universitäten.“ 10 älteren - Universitäten, denen zuvor exklusiv das Promotions- schaften. Denn die industrielle und wirtschaftliche recht zustand. Entwicklung Preußens verdankte ihren Aufschwung Trotz insgesamt rückläufiger Immatrikulationszahlen 8 Scheffler, Karl: Die Architektur der Großstadt, Berlin, 1913, im 19.Jahrhundert insbesondere dem Hüttenwesen, in den zwanziger Jahren erreichte der wachsende S.122 dem Maschinenbau und der Elektrotechnik. In räumli- Anteil der Studentinnen an Technischen Hochschulen 9 Duden, Barbara/Hans Ebert: Die Anfänge des Frauenstudiums cher Nähe zu diesen - nun offiziell als akademische im Laufe der Weimarer Republik nie auch nur 5%. Im an der TH Berlin, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Wissenschaft und Wissenschaften anerkannten - Disziplinen angesie- Unterschied zu den Universitäten, wo Studentinnen Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universi- delt, versuchte auch die Architekturfakultät von deren bereits während wie nach dem ersten Weltkrieg doch tät Berlin 1879-1979, Berlin, Heidelberg, New York, 1979, wachsender Bedeutung zu profitieren. Im Unter- immer zumindest zehn Prozent aller Studierenden S.403-418, hier S. 403 schied zu den Technikwissenschaften schlug sich der stellten, stieg die Zahl der Studentinnen an Techni- 10 Herrmann, Judith: Die deutsche Frau in akademischen Berufen, Druck zur Verwissenschaftlichung hinsichtlich des Ar- schen Hochschulen deutlich langsamer an. Leipzig / Berlin, 1915, S.45 chitekturstudiums jedoch nicht in einer innovativen,

108 Architekturstudentinnen Anzahl und Relation aller Studentinnen Technischer Hochschulen zu den Architekturstudentinnen im Deutschen Reich 1919-1929 insgesamt sowie an der TH Berlin-Charlottenburg

WS /Jahr 8 Gesamtzahl davon Gesamtzahl davon Studentinnen im Fach Studentinnen im Fach an TH´s Architektur % TH Berlin Architektur %

14/15 73 17 23,3 11 2 18,2 15/16 115 27 23,5 26 7 26,9 16/17 177 47 26,5 32 16 50,0 17/18 222 45 20,3 27 16 59,3 18/19 286 56 19,6 23 19 82,6 19/20 289 46 15,9 18 5 27,7 20/21 286 43 15,0 26 6 23,1 21/22 345 42 12,2 24 7 29,1 22/23 418 43 10,3 27 8 29,6 23/24 472 35 7,4 28 7 25,0 24/25 311 27 8,7 25 8 32,0 25/26 381 38 10,0 43 13 20,2 26/27 382 39 10,2 36 12 33,3 27/28 441 51 11,6 35 16 45,7 28/29 513 76 14,8 62 15 24,2 29/30 658 97 14,7 77 30 39,0

Innerhalb der Studentinnen Technischer Hochschulen tekturfakultät hier in der Gunst der Studentinnen je- bildeten die Architekturstudentinnen die größte Grup- doch immer an der Spitze. Dieser deutliche Haupt- pe - neben denen der Chemie. An der TH Berlin- stadtbonus zeigt sich in der folgenden Grafik: Die Charlottenburg studierte in diesem Zeitraum zumin- meisten Architekturstudentinnen studieren in Berlin, dest jede fünfte, zeitweilig sogar jede zweite Studen- wo zeitweilig allein im ‘Seminar Tessenow’ fast eben- tin Architektur. Die vorstehende Tabelle zeigt jedoch so viele Studentinnen präsent waren als andernorts insbesondere, dass der Anteil der Architekturstuden- innerhalb der gesamten Fakultät - so bspw. 1929 mit tinnen an den Studentinnen Technischer Hochschu- Blank, von Bonin, Eisenberg, Karselt, Koch und len - bei insgesamt deutlich steigenden Zahlen - Waltschanowa. reichsweit rückläufig ist, während er an der TH Berlin Zugangsvoraussetzung für ein Architekturstudium an steigt. Dies spricht für eine relative Attraktivität der 11 Gesamtzahlen nach Reichsstatistik 1930. Architekturstudentin- einer Technischen Hochschule war das Abitur. Darü- Berliner Architekturfakultät, allerdings auch gegen die nen der TH Berlin nach Duden/Ebert, entsprechende %-Zahlen ber hinaus wurde zu Studienbeginn das Absolvieren realen Studienbedingungen an anderen Fakultäten.12 nach eigenen Ermittlungen. Aufgrund unterschiedlicher Zählwei- von bis zu sechsmonatigen Praktika im Bauhaupt- Duden und Ebert konstatierten, dass die TH Berlin sen - bspw. hinsichtlich der Berücksichtigung von Ausländerin- oder Nebengewerbe verlangt. Dabei sollten Einblicke ihren Rang als ‘frauenfreundlichste’ Hochschule be- nen - bleiben die Studentinnenzahlen fehlerbehaftet. Erwäh- in konkrete handwerkliche Techniken und die Abläufe reits während des ersten Weltkrieges eingebüßt ha- nenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Diplomquo- auf der Baustelle vermittelt werden. In der zweiten be.13 Mit Ausnahme des Jahres 1922 lag die Archi- ten der Architekturfakultät insgesamt, die allerdings nicht für alle Jahre ermittelt werden konnten: So betrug die Diplomquote an der TH Berlin im Studienjahr 1921/22 25%, 1924 annähernd Anzahl und Anteil der Studentinnen am Studiengang Architektur 1919-1929 an verschiedenen Techni- 14%, 1926/27 annähernd 24% und 1927 etwas über 16%. schen Hochschulen außerhalb Preußens14 12 Während sich technikinteressierte Studentinnen zu Beginn der zwanziger Jahre verstärkt unterschiedlichen Fächern zuwenden, München Dresden Stuttgart Karlsruhe Darmstadt Summe ist das Spektrum der von Studentinnen gewählten Fächer be- Jahr abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % reits im Laufe der kommenden Jahre rückläufig. 13 Duden / Ebert, 1979, S.407 1919 9 4,3 5 1,8 3 1,8 3 2,3 11 5,6 31 3,1 14 Zahlen ermittelt nach Angaben der Deutschen Hochschulstati- 1922 9 2,9 12 4,8 1 0,4 keine Ang. 8 3,8 >28 2,9 stik 1930. Berücksichtigt wurden nur die vollimmatrikulierten 1924 keine Ang. 3 1,5 3 2,1 2 2,3 4 2,9 >12 2,2 Studierenden des jeweiligen Sommersemesters. Die Prozent- 1927 6 2,2 4 2,5 3 1,4 3 2,3 4 2,1 20 2,9 zahlen geben den Anteil der Studentinnen an der Gesamtzahl 1929 8 2,4 8 3,8 6 1,6 6 2,8 7 2,8 35 2,7 der Architekturstudenten an.

im Seminar Tessenow 109 Studienhälfte war ein weiteres, das sogenannte Büro- praktikum abzuleisten. Hierbei ging es um die Teil- nahme an konkreten Planungsprozessen sowie Ein- blicke in die alltägliche Praxis des Architekturge- schäfts. Das Studium selbst gliederte sich in ein viersemestri- ges Grundstudium, in dem in Vorlesungen und Übun- gen ‘Darstellende Geometrie’, ‘Baukonstruktion’, ‘Statik’, ‘Konstruktions- und Formenlehre’, ‘Bauauf- nahme’, sowie ‘Plastik’ und ‘Freihandzeichnen’ ver- mittelt wurden. Dabei nahm die ‘Baukonstruktion’ mit zwei Vorlesungs- und 12 Übungsstunden pro Woche Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den größten Raum ein. Nach dem Vordiplom, für dessen Bestehen die Bewertungen von Klausuren und Studienarbeiten im Mittel 3,39 nicht überschrei- ten durften, schloss sich ein viersemestriges Haupt- studium an. Die Vorlesungen wurden um Fächer wie ‘Hochbaukunde’, ‘Geschichte der Baukunst’, ‘Städte- bau’ und ‘Heizung und Lüftung’ erweitert. In der Hauptsache arbeiteten die StudentInnen nun in ‘Ent- wurfs-Seminaren’. Für dieses ‘Entwerfen von Hoch- bauten’ sah der Stundenplan 18 Stunden vor. Bei der Anmeldung zum Diplom mussten alle im Verlauf des Studiums entstandenen Arbeiten gesammelt vorge- legt werden. Den Abschluss des Studiums bildete der Diplomentwurf, in sechs Fächern mussten mündliche Prüfungen abgelegt werden. Im Zeugnis der Diplom- Hauptprüfung wurden die belegten Fächer nament- lich, die Ergebnisse summarisch aufgeführt. Zeugnis der Diplom-Hauptprüfung, Lieselotte von Bonin, 1931, mit Übersicht der belegten Fächer (links) und Wertungen (rechts)

15 Hier arbeitet seit 1901 bspw. auch Elisabeth von Baczko. Vgl. Kap.2, S.20. Auszug aus dem Belegbuch von Gertraude Engels, 1. und 2.Studiensemester

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110 Architekturstudentinnen Vom einfachen Bauen und vom harmonischen An der KGS Wien wurde Tessenow einem größeren 16 Martin Dülfer (1859-1929) unterrichtete hier seit 1906. Menschen: Heinrich Tessenow als Lehrer Kreis Studierender aus nächster Nähe bekannt, da er 17 „Hätte ich die nötigen Examina gehabt, so hätte ich damals ge- Als Heinrich Tessenow 1926 an die TH Charlotten- hier neben seiner Architekturklasse auch das Fach sucht, in den Staatsdienst zu kommen.“ (LL, zit. nach Schuster, burg berufen wird, gibt er dafür einen Lehrstuhl an Baukonstruktion unterrichtete. Wenngleich seine Be- Franz: Über Heinrich Tessenow, in: Hasche, Hans (Hg.): Die klei- der TH Dresden auf. 1876 in Rostock geboren hatte liebtheit bei den StudentInnen der Wiener Kunstge- ne und große Stadt. Nachdenkliches von Heinrich Tessenow, er 16-jährig eine Ausbildung in der Lehrerbildungsan- werbeschule hier nicht näher untersucht wird, bleibt München, 1961, S.9). Seit Ende 1903 mit Elly Schülke verheira- stalt wegen einer Lungenerkrankung abgebrochen festzuhalten, dass sich manche Studentinnen nach tet war er seit 1905 auch Vater einer Tochter. Die zweite Tochter und bei seinem Vater eine Zimmermannslehre absol- dem Besuch dieser Vorlesungen um Aufnahme in kommt 1915 zur Welt. viert. Nach dem Besuch einer Baugewerkeschule stu- Tessenows Klasse bemühten.20 Aus den Teilnehme- 18 Im Studienjahr 1915/16 gehört zu diesen Schülern bspw. auch dierte Tessenow zwischen 1899 und 1901 zeitweilig rInnenlisten geht bspw. hervor, dass im Studienjahr Franz Schuster (geb. 1896), der nach einem Jahr in der Allge- als Hörer an der TH München bei den Professoren 1915/16 u.a. Klothilde Drennig aus Semlin in Slavoni- meinen Abteilung 1914 in die Fachklasse eintrat und nach der Karl Hocheder und Friedrich von Thiersch. Während en (geb. 1899), Hilda Friedenberg aus Cronberg (geb. Bearbeitung eines freistehenden Einfamilienhauses mit Garten- seines letzten Jahres in München arbeitete er im Pri- 1896) und Marie Hahn aus Wien seine Vorlesungen plan, eines Grabmales sowie Entwürfen für Möbel, Kamine und vatbüro Martin Dülfers. hörten.21 Auch die Wienerinnen Ernestine Kopriva Türbeschläge am 30.6.1916 sein Abgangszeugnis erhält. Zu (geb. 1894), Maria Trinkl (geb. 1896), Hertha Ramsau- Schon früh bietet sich Tessenow die Möglichkeit zu Schuster vgl. auch Kap. 6, S.176. er und Margarete Lihotzky (beide geb. 1897) besuch- unterrichten. Seine Tätigkeit als Architekturlehrer be- 19 Nießen, ab 1912/13 als ordentliche Schülerin immatrikuliert, stu- ten Tessenows Baukonstruktionsvorlesungen.22 ginnt im Herbst 1902 an Baugewerkeschulen, zu- dierte zunächst ein Jahr lang in der Allgemeinen Abteilung. Tes- nächst in Sternberg, dann in Lüchow. 1904 kommt er Angesichts eines Studentinnenanteils von über 50% senow vermerkt ausdauernden Fleiß und lobenswertes Verhal- auf Wunsch von Paul Schultze-Naumburg kurzzeitig aller Studierenden an der KGS Wien kann bei Tesse- ten, sowie einen lobenswerten Fortgang ihres Fachstudiums. Sie an die Saalecker Werkstätten.15 Ab 1905 unterrichtet nows Architekturklasse nicht von einer besonders ho- erhält am 30.6.1919 ein Jahreszeugnis. AAKW, Studentinnenbo- er mehrere Jahre in der neugegründeten Architektur- hen Frequentierung durch Studentinnen gesprochen gen Nießen. Vgl. auch Biografie Nießen im Anhang. abteilung der Handwerker- und Kunstgewerbeschule werden. Auch die Architekturklasse von Strnad war 20 So findet sich bei Maria Trinkl 1916 der Vermerk „will zu Prof. Trier. Er beteiligt sich am Aufbau der 1908 gegründe- für architekturinteressierte Studentinnen zugänglich.23 Tessenow“. Er vermerkt, dass sie in Baukonstruktion „ausdau- ten Gartenstadt Hellerau bei Dresden. 1909 publiziert Die weitaus meisten Studentinnen sind aber in Hoff- ernd“, der Fortgang ihrer Studien „lobenswert“ sei. Weshalb sie er „Der Wohnhausbau“ und assistiert für drei Seme- manns Fachklasse für Architektur zu finden. 1916/17 doch nicht zur Architektur wechselt, inst unbekannt. Vgl. FN 22. ster Martin Dülfer an der TH Dresden.16 waren dort drei Viertel - 15 von 20 - der Studierenden 21 AAKW, Katalog der Kunstgewerbeschule des Österr. Museums Frauen. Bei 11 der 15 ordentlich Immatrikulierten fin- für Kunst und Industrie, Schuljahr 1915/16. Hahn tritt am 16.11. 1910 wird er in den BDA und den DWB aufgenom- den sich unter „Art der Studien“ jedoch Eintragun- 1915 ein und erhält am 30.6.1916 ein Zeugnis. Friedeberg ist men. 1913 erhält er die Möglichkeit, als ‘provisori- gen wie „kunstgewerbliche Entwürfe“ und „Stoffmu- zunächst Hospitantin mit „Berufsziel: Architektin”. Sie wechselt scher Lehrer’ für Architektur und Baukonstruktion an ster“. Vertraut mensch auf die Aussagefähigkeit die- 1917 in die Klasse Strnad und schließt ihr Studium 1920 ab. der Kunstgewerbeschule in Wien zu lehren. Nach ei- ser Quellen, so war hier lediglich die Hospitantin Ju- AAKW, StudentInnenbögen Hahn und Friedeberg. nem Jahr wird er dort zum ‘K.K. Professor’ berufen. liana Rysavy (geb. 1893) ausschließlich mit „Arbeiten 22 Ernestine (Erna) Kopriva, Tochter des K.u.K-Generalstabsarztes Ab 1920 unterrichtet er an der TH Dresden, ab 1926 für Innen- und Außenarchitektur“ beschäftigt.24 Dr. Ignatz Kopriva, besuchte die KGS als Gast ab 1913, trat bis 1941 und 1945 bis zu seinem Tod 1950 an der 1915 in die Klasse Strnad ein und hörte die Baukonstruktion bei TH Berlin. Damit hat Tessenow quasi zeit seines Be- Elisabeth Nießen, Studienarbeit um 1915 Tessenow spätestens ab 1916. Als Berufsziel gab sie 1916 „Ar- rufslebens auch unterrichtet. Seine Motivation hierzu chitektur” an. Sie schloss sie ihr Studium 1919 bei Hoffmann ab. mag neben der Suche nach einer verlässlichen Ein- Maria Trinkl, Tochter des Hoteliers Eduard Trinkl, nahm ihr Stu- kommensquelle zunächst auch die nach der Kom- dium hier nach einer Lyzealmatura auf und war seit 1913 Schü- pensation der eigenen, mehrfach unterbrochenen lerin von Josef Hoffmann. (AAKW, Studentinnenbögen Kopriva Ausbildung gewesen sein.17 Ohne Abitur war ihm wie- und Trinkl). Hertha Ramsauer, Tochter des Reisenden Raymund derholt die Zulassung zum Diplom versagt geblieben. Ramsauer, studierte seit dem Herbst 1914 an der KGS. Sie be- Spätestens mit der Berufung nach Dresden erreichte legte verschiedene Klassen, u.a. Architektur bei Strnad und Tessenow die akademische Etablierung als Profes- schloss um 1918 ab. (AAKW, Personalakte Ramsauer) - Zu Li- sor, die seine Freiberuflichkeit wirtschaftlich in den hotzky vgl. Allmayer-Beck, Wien, 1993, S.269ff., sowie S.17f. Hintergrund treten ließ. Obschon er die eigene Ent- 23 Außer Friedeberg studierten dort bspw. ab dem Herbst 1918 die wurfs- und Planungstätigkeit nie ganz aufgab, genoss aus Brünn stammende Gertrude Morgenstern (geb. 1896) und seine Lehrtätigkeit Priorität vor dem eigenen Büro. die Wienerin Alice Hauber (geb. 1900). Morgenstern war nach Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In Wien unterrichtete Heinrich Tessenow - wie außer einer zweijährigen Praxis als Möbelzeichnerin zum Herbst 1915 ihm auch Oskar Strnad und Josef Hoffmann - eine zunächst als „Gast für Hilfsfächer“ an der KGS zugelassen wor- Fachklasse für Architektur, in der pro Studienjahr et- den. Ab dem Herbst 1916 studierte sie in der Allgemeinen Ab- wa ein Dutzend Studentinnen und Studenten einge- teilung bei Strnad , ab Herbst 1918 in dessen Architekturklas- schrieben waren.18 Zu den sieben ordentlichen Stu- se. Auch Hauber hatte ab 1916 zunächst in der Allgemeinen Ab- dierenden und drei Hospitanten des Jahrgangs 1915/ teilung studiert. Sie trat - nach Beurlaubung im Wintersemester 16 zählte bspw. die aus Schlesien stammende Elisa- 1920/21 - am 15.2.1921 aus der KGS aus. (AAKW, Studentin- beth Nießen (geb. 1884).19 Sie entwarf bei Tessenow nenbögen Morgenstern und Hauber) Möbel und 1915 ein Kriegerdenkmal. 24 AAKW, Fachklasse Hoffmann, Studienjahr 1916/17, Bl.4.

im Seminar Tessenow 111 1920 nahm Tessenow einen Ruf an die TH Dresden Studierenden die Wahl seiner Aufgabe, die er allein an und unterrichtete auch hier eine Architekturklas- und selbständig bearbeitet. So ist es z.B. im Seminar se.25 Der Studentinnenanteil an der Dresdner Fakultät Poelzig üblich. Die andere dagegen stellt für alle eine für Hochbau war bis in die dreißiger Jahre sehr ge- einzige Aufgabe, die dann in gemeinsamer Arbeit er- ring, dennoch studierten auch dort Frauen erfolgreich ledigt wird, wie es z.B. im Seminar Tessenow der Fall Architektur.26 In Tessenows Klasse an der TH Dres- ist. (..) Es hat nun zunächst den Anschein, (..) daß, 25 Er wird damit Nachfolger Hans Poelzigs, der die Hochschule den lassen sich keine Studentinnen nachweisen. Hier theoretisch gesehen, Schüler mit größerer innerer verlässt, um nach Berlin zu wechseln. Als Leiter der Architektur- scheinen nur Studenten am Unterricht teilgenommen Energie und ausgesprochenem Selbstbewußtsein abteilung ist er unmittelbarer Nachfolger von Paul Wallot. zu haben.27 sich im Seminar Poelzig sehr wohl fühlen, während 26 So studiert hier während der zwanziger Jahre bspw. Hildegard sie im Seminar Tessenow oft schwere Stunden zu Schröder (geb. 1901). Sie diplomiert im WS 1926/27. Ab 1908 Als Tessenow 1926 einen Ruf auf eine neu geschaf- bestehen haben, und daß dagegen andererseits nicht waren vereinzelt Studentinnen wie Paula Gehrke (geb. 1886) als fene Entwurfsprofessur an die TH Charlottenburg er- sehr selbständige Schüler sich im Seminar Poelzig Hörerinnen an der TH Dresden eingeschrieben. Zu den ersten hält, ist Poelzig als Befürworter zur Stelle - wie zuvor verlieren, während sie im Seminar Tessenow immer Diplomandinnen - noch vor der Berufung Tessenows - gehörten bereits in Dresden.28 Die Berufung der Entwurfspro- einen besorgten Halt und eine feste Rückenstütze 1919 Else Riedel und 1920 Lilia Sofer (beide geb. 1895). fessoren Poelzig und Tessenow wird von manchen finden.“ 33 27 De Michelis listet - unter Verweis auf Unvollständigkeit - 47 Stu- Studierenden geradezu als Befreiungsschlag erlebt, denten namentlich auf. Michelis, Marco de: Heinrich Tessenow denn bis dato wurde ‘in Stilen’ entworfen. Dennoch Auch Posener konstatiert eine Differenz zwischen 1876-1950, Stuttgart, 1991, S.345, FN15 - Zu Konrad Wachs- markieren diese Berufungen eine eher vorsichtige den beiden Entwurfsseminaren. Rückblickend macht mann, der um 1921 in Dresden bei Tessenow studierte, vgl. ne- Haltung der Fakultät, denn Poelzig und Tessenow er diese Differenz jedoch weniger an Methoden als ben den bei Michelis angegebenen Verweisen auch Gruening, galten in Fachkreisen seit mehr als einem Jahrzehnt an Haltungen fest. „Es hat wohl immer diese beiden Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinnerungen und als bewährte Baumeister. Erst zum Herbst 1930 wird Arten von Lehrern gegeben: den Lehrer, welcher sei- Selbstauskünfte, Wien, 1986, S.53. mit Bruno Taut ein Vertreter des Neuen Bauens als ne Schüler auf einem sicheren Wege zur Wahrheit 28 Für die neue Entwurfsprofessur war auch der zehn Jahre jünge- Honorarprofessor an die TH Charlottenburg berufen.29 führt, zu der einen Wahrheit nämlich, die unumstöß- re Mies van der Rohe gehandelt worden. „Daß der Einzug dieser beiden bewährten Meister in lich ist, und den anderen, der versucht, (..), ihn diesen 29 Als Dozenten unterrichteten jedoch auch hier ab den späten die Technische Hochschule uns wie eine Befreiung Weg erst finden zu lassen. Tessenow war der Mann zwanziger Jahren auch Architekten, die dem ‘neuen Bauen’ erschien, zeigt allerdings, wie dringend notwendig ein der unbedingten Wahrheit, Poelzig hätte mit Mao sa- nahe standen, so bspw. Alexander Klein und Ed. Jobst Siedler. Hauch frischer Luft in diesen heiligen Hallen war. Wer gen können: ‚Laßt tausend Blumen blühen!’ “ 34 Klein beschäftigte sich seit 1927 mit ‘Kleinstwohnungsbauten’ immer unter den Studenten etwas Neues lernen woll- Einen solch selbständigen Weg zur Wahrheit lehnte (Vgl. Klein´s Typengrundrisse für mehrgeschossige Wohnungs- te, ging zu einem der beiden Professoren“, erinnert Posener 1931 allerdings noch deutlich ab. „Ein junger bauten in: Adler, Leo: Flurlose Wohnungen, in: Wasmuth´s Julius Posener.30 Mann ist immer noch lieber an einem ‚Großen’ zu- Monatshefte für Baukunst, 12.Jg., 1928, S.454-461). Siedler Poelzig war bereits 1920 die Leitung eines Meister- grunde gegangen, als daß er sich dazu verstanden publiziert 1932 Die Lehre vom neuen Bauen (Berlin). ateliers an der Akademie der Künste übertragen wor- hätte, unter freundlicher Leitung ‚sich selbst zu su- 30 Posener, Julius: Zwei Lehrer: Heinrich Tessenow und Hans den. Mit seiner Berufung an die TH 1923 - die Lehrtä- chen’ “, schrieb er damals in Entgegnung auf Profes- Poelzig, in: Rürup, Reinhard (Hg.): Wissenschaft und Gesell- tigkeit nahm er erst zum Sommersemester 1926 auf - sor Friedrich Seeßelberg.35 Dieser hatte 1930 unter schaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität beanspruchte er Privilegien.31 Neben der außerplan- dem Titel „Die Totalität des baulichen Gestaltens“ Berlin 1879-1979, Berlin, Heidelberg, New York, 1979, I, S.364- mäßigen Dotierung gehörte dazu das Vorrecht, die Kritik an der Neuregelung geäußert, nach der sich ein 371, hier S.364 TeilnehmerInnenzahl seines Seminars auf 25 zu be- Studierender „möglichst für die ganze Dauer seiner 31 Zu den Privilegien vgl. Heuss, Theodor: Hans Poelzig, Berlin, grenzen, sowie die Verlegung seines Unterrichts in abschließenden Durchbildung e i n e m bestimmten 1939, S.57 - Poelzig kokettiert geradezu mit seiner unangefoch- die Akademie, wo er in einem Meisteratelier Privat- ‚Entwurfsprofessor’ anzuvertrauen“ habe, zumal ein tenen Position wie seinen Privilegien.Vgl. FN 39 aufträge bearbeitete. Solches kam für den sieben numerus clausus die Lehrerwahl beschränke.36 32 HTG, Brief Iwanka Hahn an den Vorsitzenden der HTG Walter Jahre jüngeren Heinrich Tessenow nicht in Frage, ob- Jessen vom 20.2.1987. Die Debatte um die Architekturausbildung führt im schon auch er Anfang der zwanziger Jahre in die 33 Friedrich, o.A.: Die Meisterklassen an der Technischen Hoch- Laufe der zwanziger Jahre zu einer Ausdifferenzie- Preußische Akademie der Künste und 1926 in die schule in Charlottenburg im Rahmen der Hochschulreform, in: rung der Profile und einer zunehmend sichtbareren Architektenvereinigung ‘Der Ring’ aufgenommen wur- Die Baugilde, 13.Jg, 1931, H.6, 25.3.1931, S.453-454, hier Konkurrenz zwischen Lehrenden und den verschie- de. Er widmete sich überwiegend der Lehrtätigkeit S.454. In seiner Kritik am kanonisierten Grundstudium fragt er, denen Hochschulen. Um 1930 präsentieren sich und unterrichtete neben seiner Professur an der TH „warum nicht das System der Meisterklassen auch als Grundla- mehrere ‘Schulen’ in Form von Selbstdarstellungen: im Rahmen von Lehraufträgen bereits ab 1926 auch ge der Reform für die Unterstufe zugrunde gelegt wird.“ - Zu der 1928 und 1929 stellt Schmitthenner die ‘Stuttgarter an den ebenfalls in Charlottenburg ansässigen Verei- Vergabe von Aufgaben im Seminar Tessenow vgl. S.126. Schule’ - quasi zum 10-jährigen Jubiläum - durch die nigten Staatsschulen. Iwanka Hahn [geb. Waltscha- 34 Posener, 1979, S.364 Veröffentlichung von Schülerarbeiten in Wasmuths nowa] erinnert „die ersten Semester seiner Lehrtätig- 35 „Sie werden die Jugend nicht auf Ihrer Seite sehen, Herr Ge- Monatsheften vor.37 Anfang November 1930 werden keit in Berlin“ als „eine schöne Zeit, (..) sie trugen das heimrat, wenn Sie sie zur Selbständigkeit gegen die ‘großen in der TH Charlottenburg Arbeiten von ehemaligen Zeichen eines neuen Geistes.“ 32 Meister’ aufrufen. Ein junger Mann ist immer noch lieber an ei- TessenowstudentInnen ausgestellt. In der Form wer- nem ‘Großen’ zugrunde gegangen, als daß er sich dazu verstan- In den Entwurfsseminaren dieser beiden Professoren den „die auffallende Einheitlichkeit der geistigen Ge- den hätte, unter freundlicher Leitung ‘sich selbst zu suchen’.“ steht die Ausbildung im Entwurf im Mittelpunkt. „Im samthaltung dieser Ausstellung, ihre innere Posener 1931, zit. nach Posener, Julius: Aufsätze und Vorträge Laufe der Zeit haben sich beim Entwerfen zwei Me- Geschlossenheit“ gelobt.38 1931-1980, Berlin, 1981, S.22 thoden herausgearbeitet (..). Die eine überlässt dem

112 Architekturstudentinnen 1931 findet in den Räumlichkeiten der Akademie die Fachausbildung einzuführen. (..) Durch die Erleichte- 36 Seeßelberg, Friedrich: Die Totalität des baulichen Gestaltens in: Ausstellung „Poelzig und seine Schüler“ statt. Im rung in Hilfsfächern wurde es möglich das Funda- Die Baugilde, 12.Jg., 1930, H.24, S.2208-2214 - Seeßelberg Vorwort des gleichnamigen Katalogs kommt Poelzig ment der Fachausbildung zu verbreitern, vor allem fragt „angesichts der hart umstrittenen Grundfrage, ob die anhand der „eigentlichen Schülerarbeiten“ zu der Ein- den Unterricht der elementaren Baukonstruktion so schon ins ungeheure gehende Spezialisierung der Lehrgebiete schätzung, „daß jeder [Schüler] wohl in seiner eige- auszubauen, daß die Studierenden schon nach 2-jäh- noch weitergetrieben, oder ob auf Zusammenfassung und Syn- nen Art sich auswirkt, daß aber doch eine gemeinsa- rigem Unterricht mit der Vordiplomprüfung als nützli- these hingewirkt werden soll. (..) Die schon jetzt vielfach zu be- me Haltung vorhanden ist. (..) diese Gemeinsamkeit che Hilfskräfte in die Praxis eintreten können.“ Durch obachtende Folge der beregten Ausbildungsart ist eine zwiefa- der Erscheinung (..) beruht jedenfalls nicht auf einem die Praktika (6 Monate Bau,12 Monate Büro) sei die che. Entweder hält sich der Kunstjünger nach fortgeschrittener formalistischen Prinzip. Wenn eine Architekturschule „wirklichkeitsferne Phantastik der Studierenden frü- Angleichung an seinen Führer selbst für einen Meister (..) oder es erreicht, daß die Schüler den Möglichkeiten des herer Zeiten (..) einer baumeisterlich sachlichen Ein- aber, es führt den bescheideneren, an seiner Individualität stän- heutigen Architekturschaffens unbefangen gegen- stellung gewichen.“ 42 dig vorbeiarbeitenden Schüler im ständigen Sichmessen mit überstehen, ohne Scheuklappen traditioneller oder Fast zeitgleich mit seiner Lehrtätigkeit begann Tesse- dem Meister (..) zu der nicht minder gefährlichen und entsa- modernistischer Färbung - ist wohl alles erreicht, was now zu publizieren.43 Als Mitarbeiter verschiedener gungsvollen Vorstellung: ‘Ich kann ja doch nichts.’ (..) Es fehlt erstrebt werden kann.“ 39 Otto Brattskoven konstatiert Fachzeitschriften - wie der Neudeutschen Bauzeitung von Natur in diesem Lehrverfahren die Gegebenheit für das der in der Baugilde anhand der ausgestellten Schülerar- (Leipzig), der Deutsche[n] Bauhütte (Hannover) und Jugend so wohl anstehende Sich-Erkühnen, das Draufgängeri- beiten „die bewusste Erziehung zu Rationalität“ und der Bautechnischen Zeitschrift (Weimar) - veröffent- sche ohne den Führer, das verschwenderische Irren mit dem sieht Poelzigs Verdienst darin, dass diese Haltung lichte er ab 1903 zunächst Illustrationen, ab 1907 in schließlichen Erfolge des sicheren Sichselberfindens.“ Ibid., sowohl den Studierenden an der TH wie den Meister- unregelmäßiger Folge auch Artikel. In seine Wiener S.2208, resp. 2209 schülern an der Akademie „beigebogen wird.“ 40 Zeit fallen die Publikationen „Hausbau und derglei- 37 Wasmuths Monatshefte für Baukunst, 12.Jg., Berlin, 1928, Paul Bonatz lässt im gleichen Jahr durch seinen Assi- chen“ (München, 1916) und „Handwerk und Klein- S.474ff. stenten Gerhard Graubner „Bonatz und seine Schü- stadt“ (Berlin, 1919). 38 Nachwort zu „Arbeiten junger Architekten” von Ralf Troje in: Die ler“ herausgeben.41 Die Charakteristika des Entwurfs- Form, Zeitschrift des DWB, 1930, Heft 11, November 1930, In letzterem stellt er Gedanken vor, die deutlich über unterrichts an der TH Stuttgart beschreibt er dabei S.352: Eine Ausstellung der Schüler Heinrich Tessenows. bauliche Fragestellungen hinausgehen. In „Der har- selbst wie folgt. „Der Sinn der Neuerung war, den 39 Poelzig, Hans: Zur Einführung in: Poelzig und seine Schule, Ber- monische Mensch“ erläutert er bspw.: „Wir sind heu- Studierenden vom ersten Tage an in die eigentliche lin, März 1931, S.3 - Hier betont er, dass es „eine Poelzigschule überhaupt nicht gibt.“ Dagegen verweisen Titel und Aufbau der Ausstellung auf ein traditionelles Meisterschulverständnis: die Exkursion mit Prof. Friedrich Seeßelberg (Mitte) in ein schlesisches Bergwerk, 1931, erste von links Gertraude Engels Arbeiten des Meisters werden dort linear entlang der Mittelach- se aufgereiht präsentiert. Über die Seitenkabinette, wo Arbeiten früherer Schüler aus der Breslauer Zeit zu sehen sind, gelangt mensch zu den Sälen 8 und 9, wo „Schülerarbeiten aus dem Seminar der Technischen Hochschule“ gezeigt werden, die „bei einer Ausstellung ’Poelzig und seine Schüler’ nicht gut fehlen durften, um wenigstens einen beschränkten Ausschnitt aus der rein akademischen Lehrtätigkeit zu geben. Es erschien (..) nicht abwegig, bei dieser Gelegenheit wenigstens Arbeiten von einem der Hochschulseminare zu zeigen, die im besten Einvernehmen jedes in seiner Art nebeneinander arbeiten.“ Ibid., S.2. Ebendort verweist er darauf, dass diese Ausstellung für das Jahr 1929 ge- plant, jedoch verschoben worden sei, „um die Vollendung ge- rade der größten Bauaufgaben (..) vorführen zu können.“ 40 Brattskoven, Otto: Poelzig und seine Schule, in: Die Baugilde, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 13.Jg., H.6, 25.3.1931, S.484 - „die bewußte Erziehung zu Ra- tionalität, wie sie in den Arbeiten seiner Schüler in den um die Mittelachse gruppierten Räumen zum Ausdruck kommt“. 41 Graubner, Gerhard (Hg.): Bonatz und seine Schüler, Stuttgart, 1931 42 Paul Bonatz im Vorwort in: Graubner, 1931, o.S. 43 Vgl. Kindt, 1982, S.7. 1907 erscheinen die von Paul Waetzel in Freiburg als 4 Hefte herausgegebenen „Zimmermannsarbeiten“, die 1921 als Buch veröffentlicht werden. 1909 kann er bei Call- wey in München „Der Wohnhausbau“ publizieren. Das 1916 ebenfalls in München erscheinende Bändchen „Hausbau und dergleichen“ findet rege Verbreitung und wird 1920 und 1928 erneut aufgelegt. 1919 erscheint in Berlin „Handwerk und Klein- stadt“, 1921 in Hellerau „Das unglückliche Land in der Mitte“.

im Seminar Tessenow 113 te klügste Techniker und Ingenieure, mächtigste Krie- ger, kaltblütigste Kaufleute, empfindlichste Maler, Musiker, usw. sind große Spezialisten, aber wir sind nicht überhaupt groß, sind nicht große Menschen; denn es fehlt uns als Spezialisten in dem Vielfachen die Harmonie.“ 44 Und da der Spezialist ein beson- ders unharmonischer Mensch ist, ja, jeder Spezialist „von einer gewissen Grenzen ab beginnt (..) wie ein Haufen menschliches Unglück zu sein“, sucht Tesse- now in Anlehnung an Ideale der Aufklärung nach ei- ner vernünftig-natürlichen Balance zwischen Gefühl und Verstand, einen Weg „zum Menschlichen oder Rein-Geistige[n]“. „Zum Beispiel der Adam will, des Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Gleichgewichtes wegen, für sich eine Eva, die Eva Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar will für sich und für Adam, des Gleichgewichtes we- gen, einen Apfel; gut; aber der Apfel hat in seinem Kern den Willen, daß Apfelbäume werden, die Apfel- bäume aber wieder wollen, daß Adam Gärtner sei usw.“ 45 Weniger im Apfel als in der Eigenliebe sieht Tessenow den Sündenfall, den Verlust von „Erden- schwere“ und „Erdenliebe“, die Bedrohung der Natur durch die Zivilisation. „Jedenfalls: Je länger unsere Auswüchse, um so unähnlicher sind wir dem Ur- sprung und um so schlimmer geht es uns.“ 46

Im Unterschied zu den polaristischen Geschlechter- philosophien, die seit Beginn des 19.Jahrhunderts dieses Ideal in der Ergänzung unterschiedlicher - je- doch gleichwertiger wie gleichrangiger - Geschlech- ter anstreben, unternimmt Tessenow hier den Ver- such, das durch „das Materielle“ - Auswüchse emo- tionaler wie rationaler Art - bedrohte Gleichgewicht menschlicher Existenz für das [männliche] Individuum zurückzugewinnen. Zur Veranschaulichung wählt er die Kugel - „hier in der Flächenprojektion als Kreis“. Er sieht die Chance einer neuen Balance, wenn alle Interessen „möglichst die genau gleiche Länge be- kommen“. Dies führt zum „einfach harmonischen Menschen“ resp. dem Künstler, wobei ersterer seine verschiedenen Interessen und Auswüchse auf einen einheitlichen Radius „zurückschneidet”, während es dem Künstler - als „dem großharmonischen Men- schen“ - obliegt, alle Interessen auf das Maß des größten Auswuchses auszudehnen: „immer größer, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bis in der Unendlichkeit aller Raum vergeistigt ist und 44 Tessenow, Heinrich: Der harmonische Mensch (in: Handwerk wir damit alles Weltliche gerechtfertigt haben.“ 47 und Kleinstadt, Berlin, 1919) hier zitiert nach Kindt, Otto (Hg.): Diese ‚Harmonielehre’ kennzeichnet Tessenows Heinrich Tessenow: Geschriebenes, Braunschweig / Wiesbaden, Denkweise. Sie lässt sich im Wechsel mit polaren 1982, S.165) Geschlechterphilosophien auch innerhalb seines 45 Ibid., S.167 Unterrichts verfolgen. Polaritäten und das Denken in 46 Ibid., S.169 ‘Geschlechtscharakteren’ bilden seit Ende des 47 Ibid., S.172 18. Jahrhunderts jene Folie auf deren Hintergrund im 48 Zur Rolle der Geschlechtscharaktere vgl. Hausen, Karin: Die Po- Laufe des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Nor- larisierung der ‚Geschlechtscharaktere’ - Eine Spiegelung der mierung von Geschlechtsspezifika zu beobachten ist, Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner die eine eindeutige Verteilung von Handlungsspiel- (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, räumen zwischen den Geschlechtern kennzeichnet.48 Stuttgart, 1976, S.363-393

114 Architekturstudentinnen Familiäre Hintersgründe und kulturelle Kapitale: Chemiestudium und einem Vordiplom der TH Mün- Wer studierte bei Tessenow? chen ins Seminar. Sie wuchs als älteste von drei Ge- Wer sind die Studentinnen, die zwischen ab 1926 im schwistern einer Bankiersfamilie in Kassel auf und Seminar Tessenow an der Architekturfakultät der TH erwarb 1925 an der dortigen städtischen Studienan- Charlottenburg studieren? Wo und wie sind sie auf- stalt - wie ein Jahr zuvor bereits Gisela Eisenberg - gewachsen? Welche Schulen haben sie besucht, das Abitur. Von Pfeiffer ist bekannt, dass sie ‘die welche Ausbildungen durchlaufen? Innerhalb der Stu- realgymnasiale Richtung’ und freiwillig auch ‘Latein’ dentInnenkartei Tessenows ließen sich unter insge- und ‘Französisch’ belegte. Ihr Bruder studiert Meteo- samt 614 Namen 34 Studentinnen eindeutig identifi- rologie und Geologie, ihre Schwester heiratet. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zieren. 25 dieser Studentinnen studierten im Seminar Roswitha Rossius tritt im Mai 1930 in das Seminar zwischen und 1926 und 1936. ein. Sie war als Tochter eines in Berlin-Zehlendorf Iwanka Waltschanowa wuchs mit zwei Schwestern ansässigen Architekten mit zumindest einem Bruder und einem Bruder im südbulgarischen Plowdiw auf, aufgewachsen.50 Das Abitur erwarb sie im Frühjahr wo ihr Vater als Architekt im öffentlichen Dienst ar- 1927, wahrscheinlich ebenfalls in Berlin. Um 1928 beitete. Sie geht unmittelbar nach dem Abitur 1925 bestand Fridel Hohmann das Abitur in Elbing, wo ihr nach Berlin, wo eine ihrer Schwestern bereits Volks- Vater ein Sägewerk betrieben haben soll. Sie wuchs Abiturklassse am Realgymnasium Gelsenkirchen, 1924, wirtschaft studiert. Sie schreibt sich an der TH Char- mit einem Bruder auf und dürfte das Mädchenreal- erste von rechts Lieselotte von Bonin lottenburg für Architektur ein. Thea Kochs Vater war gymnasium in Elbing besucht haben. Nach dem Abi- Oberbaurat. Sie studiert zunächst Architektur an der tur studiert sie Architektur zunächst in Stuttgart und TH München und legt dort das Vordiplom ab, bevor Graz, wahrscheinlich ab 1928. Sie tritt um 1931 in sie zum Wintersemester 1926/27 an die TH Charlot- das Seminar bei Tessenow ein. tenburg wechselt. Die Väter von Hanna Blank und Leonie Behrmann, die ab dem Herbst 1930 an den 49 Zeitgleich studiert auch Hilda Harte Architektur, nämlich eben- Helga Karselt waren Lehrer. Beide beginnen ihr Ar- Vereinigten Staatsschulen bei Tessenow studiert, hat falls zwischen 1926 und 1933. Ob resp. wann sie das Seminar chitekturstudium zum Sommersemester 1925 an der einen Ingenieur zum Vater und ist in Berlin-Schöne- Tessenow besucht, lässt sich bisher nicht belegen. Hartes Vater TH Charlottenburg und studieren wahrscheinlich ab berg aufgewachsen. Ihre jüngere Schwester studiert war Kaufmann, sie wuchs in Berlin-Kreuzberg auf. Spätestens 1928 im Seminar. Blank wuchs in Charlottenburg auf, Medizin. In der StudentInnenkartei Tessenow befin- seit dem Studium ist sie mit Ludmilla Herzenstein befreundet. wo sie in Nähe des Kaiserdamms zur Schule ging. det sich keine Karte Behrmann.51 Eine weitere Tesse- Harte hatte zunächst die Staatliche Elisabethschule, ein Lyzeum Karselt wuchs mit zwei Geschwistern im Prenzlauer now-Studentin, die zumindest zeitweilig auch an den am Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg besucht und Ostern Berg auf. Ihr Vater ist Rektor der 174.Gemeindeschu- Vereinigten Staatsschulen studierte und von der eine 1926 das Abitur an der 1. Städtischen Studienanstalt abgelegt. le in der Schönhauser Allee. Sie erwirbt ihr Abitur solche Karte existiert, war die aus Frankfurt a.d.Oder Ob Herzenstein ebenfalls hier ihr Abitur erwarb, bleibt unklar. 1925 an der Elisabethschule. Ihre Schwester studiert stammende Friedel Schmidt. Über sie ist jedoch fast 50 Wo Ernst Rossius van Ryhn als Professor unterrichtete, konnte Mathematik, ihr Bruder Philosophie. ebenso wenig bekannt wie über eine weitere Studen- nicht ermittelt werden. Er baut in den zwanziger und dreißiger Mit bestandenem Vordiplom an der TH München und tin namens Schmidt, die - in Zerbst beheimatet - um Jahren zahlreiche Siedlungen. Bereits 1904 war eine erste Mo- einem Praxisjahr in Düsseldorfer Büros wechseln Gi- 1930 bei Tessenow an der Technischen Hochschule nografie erschienen. Vgl. auch Lorenz, Felix: Ernst Rossius van sela Eisenberg und Lieselotte von Bonin zum Herbst studiert und 1932 diplomiert. Rhyn, Berlin, 1913. 1928/29 nach Berlin ins Seminar Tessenow. Eisen- 51 Dort befinden sich jedoch die Karten von Gerhard Eichler und Sigrid Rauter wechselt zum Herbst 1932 - nach dem berg stammt aus Kassel, wo sie als einziges Kind in Hans Mucke, die ebenfalls an den VS bei Tessenow studierten. Vordiplom an der TH Stuttgart - an die TH Charlot- einer Arztfamilie aufwuchs. Von Bonins Vater war als tenburg resp. zu Tessenow. Zu diesem Zeitpunkt tre- Ingenieur in den Diensten eines Hüttenbetriebes in ten auch Irina Kaatz und Rina Paschowa in das Se- Mülheim tätig. Lieselotte von Bonin besuchte zu- Abiturklassse am Oberlyzeum Remscheid, 1931, erste von links Gisela Schneider minar ein. Über die familiären Hintergründe dieser nächst das städtische Lyzeum in Gelsenkirchen und beiden Studentinnen ist nahezu nichts bekannt. Ab wechselte 1921 an das städtische Realgymnasium, dem Sommersemester 1933 studiert hier außerdem wo sie 1924 das Abitur erwarb. Ihre ältere Schwester Zweta Beloweschdowa. Sie war als Tochter eines heiratet, ihr Zwillingsbruder studiert Bauingenieurwe- Verlegers mit mehreren Geschwistern in Plowdiw auf- sen. Lieselotte von Bonin begann ihr Architekturstu- gewachsen und hatte dort das Abitur abgelegt, bevor dium im Anschluss an das Abitur zunächst an der TH sie sich im Herbst 1930 an der TH Charlottenburg für Charlottenburg, wechselte jedoch bereits nach einem Architektur immatrikulierte. Auch ihre Geschwister Semester nach München. studieren. Im Frühjahr 1933 besucht auch Johanna Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ludmilla Herzenstein besucht das Seminar Tessenow Tönnesmann das Seminar Tessenow, im Winterse- zwischen 1930 und 1933. Sie bestand die Reifeprü- mester 1933/1934 tut dies Christa Dirxen. Beide fung 1926 in Berlin und immatrikulierte sich zum Win- kommen von der TH Stuttgart und bleiben lediglich tersemester für Architektur.49 Herzenstein wuchs mit für ein Gastsemester. Tönnesmann war als ältestes zwei jüngeren Brüdern bei der Mutter in Berlin auf. Ihr von vier Kindern eines Papierfabrikanten in Essen Vater war Bauingenieur. Zum Wintersemester 1929/ aufgewachsen und hatte 1929 ein humanistisches 30 wechselt Anni Pfeiffer nach einem abgebrochenen Abitur an der dortigen Viktoria-Schule erworben. Ein

im Seminar Tessenow 115 Bruder übernimmt die Fabrik, der andere studiert finnischen Helsingfors und studierte spätestens ab ebenfalls Architektur. Die Schwester studiert Medizin. 1934 in Berlin. Korte war als Einzelkind in Berlin-Wil- Dirxen wuchs als Tochter eines Studienrats im Ruhr- mersdorf aufgewachsen. Ihr Vater war Architekt und gebiet auf, ihre ältere Schwester studiert in München baugewerblich tätig. Sie legte Ostern 1932 an der Graphik. Viktoria-Luisen-Schule, einem Wilmersdorfer Oberly- zeum mit realgymnasialen Zweig, das Abitur ab. An- Zum Wintersemester 1933/34 tritt auch Gertrude En- schließend studierte sie zunächst ein Semester roma- gels ins Seminar ein. Sie war als Einzelkind in Berlin- nische Sprachen, Mathematik und Kunstgeschichte, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Niederschöneweide aufgewachsen, wo sie die Doro- bevor sie sich zum Herbst 1932 an der TH Charlot- theenschule besuchte. Engels, deren Vater als Elek- tenburg für Architektur immatrikuliert. Gaiser war als troingenieur für die AEG arbeitete, nahm das Archi- ältestes Kind eines Maschinenbauingenieurs in Ber- tekturstudium 1931 unmittelbar nach dem Abitur am lin-Moabit aufgewachsen. Sie schreibt sich im Früh- Oberlyzeum Cöpenick - und zeitgleichmit ihrem Ju- jahr 1933 an der TH Charlottenburg ein. Auch ihr jün- gendfreund Alexander Herde - auf. Luise Zauleck war gerer Bruder studiert hier in den dreißiger Jahren: mit drei jüngeren Geschwistern in einer Pfarrersfami- Maschinenbau. Ebenfalls zum Wintersemester 1935/ lie in Bochum und Wetter aufgewachsen. Sie be- Auguste Schneider mit ihren beiden Töchtern, Weihnachten im Kriegsjahr 1917 36 kommt die in Berlin geborene Lisbeth Reimmann suchte unterschiedliche Schulen und bestand Ostern aus der Schweiz für ein Gastsemester ins Seminar. 1930 die Reifeprüfung am Oberlyzeum in Hagen. Sie Sie besitzt ein Vordiplom der ETH Zürich, wo sie ver- schreibt sich zum Herbst 1931 an der TH Charlotten- mutlich bereits seit 1932 studiert hat. Ab Herbst 1935 burg für Architektur ein und legt nach vier Semestern besucht auch Klara Brobecker das Seminar Tesse- das Vordiplom ab. Ab dem Herbst 1933 studiert sie now. Sie wuchs in Berlin-Steglitz als Einzelkind auf im Seminar. Eine ihrer Schwestern wird Krankengym- und bestand - ebenso wie Elfriede Schaar - Ostern nastin, die andere studiert Musik. Der vier Jahre jün- 1932 die Reifeprüfung am Goethelyzeum in Steglitz. gere Bruder studiert - ebenfalls an der TH Charlotten- Ihr Vater war Architekt bei der Reichsbahn. Sie stu- burg - Eisenhüttenkunde. Ebenfalls 1933 tritt Ewa dierte bereits ab 1932 an der TH Charlottenburg und Freise ins Seminar ein. Sie wechselt gemeinsam mit trat nach dem Vordiplom 1934 zunächst ins ‘Seminar ihrem Studienfreund Dieter Oesterlen von der Stutt- Rüster’ ein. Ein Semester nach Brobecker tritt zum garter an die Charlottenburger TH. Ihr Vater ist als Ar- Frühjahr 1936 Elfriede Schaar ins Seminar ein. Sie chitekt bei der Reichsbahn in Halle tätig. Dort erwarb war als Tochter eines Kaufmanns in Berlin-Lichterfel- Freise 1930 das Abitur. Ihre jüngeren Schwestern de aufgewachsen, hatte sich 1932 an der TH Charlot- studieren Sprachen resp. Gestaltung an der Burg tenburg immatrikuliert und im Winter 1935/36 das Giebichenstein. Vordiplom abgelegt. Gisela Schneider tritt zum Wintersemester 1934/35 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zum Wintersemester 1936/37 besucht Ingeborg Ull- ins Seminar Tessenow ein. Sie wuchs mit einer jün- rich das Seminar für ein Gastsemester. Sie hatte zu- geren Schwester in einer Lehrerfamilie in Remscheid vor in Stuttgart das Vordiplom erworben und kehrt auf und erwarb das Abitur am dortigen Oberlyzeum 1937 an die TH Stuttgart zurück. Edeltraut Lätzsch im Februar 1931. Sie wechselt nach einem Semester und Ruth Weckend studieren ab dem Frühjahr 1937 an der Kunstgewerbeschule Stuttgart noch 1931 zur für ein Gastsemester im Seminar Tessenow. Die aus Architektur an der dortigen TH, wo sie im Sommer dem Vogtland stammende Edeltraud Lätzsch hat zu 1933 das Vordiplom ablegt. Irmgard Fischer, wahr- diesem Zeitpunkt noch kein Vordiplom. Ruth Weck- scheinlich als Tochter eines Oberbaurats in Heiners- end, Architektentochter aus Oberhausen, kommt mit dorf bei Berlin aufgewachsen, tritt noch im Semester Vordiplom aus Aachen. Auch Ingrid Heidenreich ist ihres Vordiploms an der TH Charlottenburg - dem die Tochter eines Architekten. Sie wuchs in Berlin- Sommersemester 1935 - ins Seminar ein. Sie dürfte Westend mit zumindest einem älteren Bruder auf. das Architekturstudium bereits 1932 oder 1933 be- Dieser studiert Architektur an der TH Charlottenburg Familie von Bonin, um 1918, Lieselotte vorne links gonnen haben. Für ein Gastsemester studieren im und diplomiert bei Tessenow im Sommer 1937. Erst Sommersemester 1935 auch Ilse Sahlmann und Gre- anschließend - zum Zwischensemester 1937 - tritt te Berg bei Tessenow. Sahlmann war in Fürth aufge- auch Ingrid Heidenreich in dieses Seminar ein, ob- wachsen und hatte im Herbst 1934 an der TH Stutt- schon sie ihr Vordiplom bereits im Sommer 1936 in gart das Vordiplom absolviert. Berg war als Tochter Berlin bestanden hatte. Friedel Hajek besucht das eines Unternehmers in Solingen aufgewachsen. Ihre Seminar ab November 1938 für ein Semester als Vorbildung ist unbekannt. Gaststudentin. Unmittelbar zuvor bestand sie an der Ab dem Herbst 1935 studieren Galina Taizale, Hilde- TH Wien die erste Staatsprüfung als Architektin. Sie gard Korte und Maria Gaiser bei Tessenow. Alle drei hatte die Realmatura im Sommer 1934 in Wien abge- hatten im Sommer 1935 das Vordiplom an der TH legt und dort zunächst an der Kunstgewerbeschule, Charlottenburg bestanden. Taizale stammte aus dem ab 1936 an der Technischen Hochschule studiert.

116 Architekturstudentinnen Tessenowstudentinnen wuchsen demnach als Töch- in Berlin-Charlottenburg geboren und besuchte dort ter von Kaufleuten oder Unternehmern (6) oder auch auch die Schule. Lieselotte von Bonin wuchs in Mül- von Lehrern (3), häufiger jedoch als Töchter von Ar- heim a.d.Ruhr, Thea Koch und Friedel Schmidt wahr- chitekten (9) oder Ingenieuren (5) auf. Vereinzelt fin- scheinlich in Frankfurt a.d.Oder auf. Gisela Eisenberg den wir auch Arzt- resp. Pfarrerstöchter.52 Und man- und Anni Pfeiffer verlebten ihre Kindheit in Kassel. che der Tessenowstudentinnen hatten mit der eige- Von den Studentinnen, die in den dreißiger Jahren nen Mutter eine akademisch gebildete, einzelne so- das Seminar besuchten, war ein großer Teil in und gar eine berufstätige Frau unmittelbar vor Augen. um Berlin aufgewachsen, so Leonie Behrmann in Doch bei weniger als der Hälfte aller Tessenowstu- Schöneberg, Gertraude Engels in Niederschönewei- dentinnen konnten Daten und Hinweise zur Tätigkeit de, Maria Gaiser in Moabit, Klara Brobecker und El- und Ausbildung der Mütter zusammengetragen wer- friede Schaar in Steglitz, Hildegard Korte in Wilmers- den. Obschon die Mehrzahl der Tessenowstudentin- dorf, Roswitha Rossius in Neubabelsberg oder Zeh- nen sicherlich in Familien mit traditionellen Rollenver- lendorf und Ingrid Heidenreich im Westend. Die Fa- teilungen aufwuchs, erweist sich die Hypothese, dass milie von Irina Kaatz lebte in der Nähe von Eberswal- die Mütter von Tessenowstudentinnen alternativlos de, die von Irmgard Fischer in Heinersdorf. Luise die Rolle der bürgerlichen Hausfrau übernommen Zauleck verbrachte ihre Kindheit in Bochum und hätten, nur bedingt als zutreffend. Nach bisherigen Wetter. Ruth Weckend wuchs in Oberhausen, Christa Erkenntnissen übten die Mütter von Lieselotte von Dirxen in Hamm, Johanna Tönnesmann in Essen, Bonin, Klara Brobecker, Gisela Eisenberg, Gertraude Ewa Freise in Halle an der Saale und Fridel Hohmann Engels, Maria Gaiser, Helga Karselt, Hildegard Korte in Elbing auf. und Anni Pfeiffer keine Berufstätigkeit aus. Hedwig Damit ist deutlich, dass Tessenowstudentinnen ganz Hohmann [geb. Hirschberg] hatte vor der Heirat an überwiegend in industriell prosperierenden Städten der Königsberger Akademie Bildhauerei, Alice Tön- des ehemals preußischen Territoriums aufwuchsen - nesmann [geb. Hermann] in Süddeutschland Kunst zu einem Drittel in Berlin. Im Seminar studierten im studiert. Tatjana Herzenstein blieb auch nach der Ge- Laufe der Jahre aber auch zahlreiche ausländische burt von drei Kindern als Linguistin berufstätig. Sie Studentinnen und Studenten. Studierende aus Bulga- dürfte ebenso über eine akademische Bildung verfügt rien, Jugoslawien, Rumänien Polen und den westli- haben wie Auguste Schneider [geb. Schmidt], die chen Teilen des russischen Reiches waren in Berlin 52 Bei fast Dreiviertel, 25 der 34 Studentinnen ließen sich Angaben wahrscheinlich an einer Pädagogischen Hochschule traditionell stärker vertreten als an anderen Hoch- zum Beruf des Vaters zusammentragen. studiert hatte. Sie blieb als Volksschullehrerin sowohl schulen im Deutschen Reich. In Tessenows Seminar 53 Bei Hanna Blank, Grete Berg, Irina Kaatz, Rina Paschowa, Sigrid nach der Geburt ihrer beiden Töchter wie nach einer studierten außerdem auch dänische, französische, Rauter, Galina Taizale und Friedel Schmidt sind keinerlei Infor- erneuten Heirat berufstätig. italienische, türkische und sogar argentinische Stu- mationen über Geschwister bekannt. Die weitaus meisten Tessenowstudentinnen wachsen denten. Unter den Studentinnen sind die Bulgarinnen 54 So studieren bspw. die Schwestern von Tönnesmann und Behr- mit Geschwistern, manche als Einzelkinder auf.53 Die Irina Waltschanowa, Rina Paschowa und Zweta Belo- mann Medizin, die von Schneider und Freise Grafik. Helga Kar- einzigen Kinder ihrer Eltern waren Klara Brobecker, weschdowa, die Österreicherin Friedel Hajek und die selts Schwester studiert Mathematik, eine Schwester Iwanka Gisela Eisenberg, Gertraude Engels, Hildegard Korte Finnin Galina Taizale zu nennen. Waltschanowas Volkswirtschaft, die Schwester Luise Zaulecks und wahrscheinlich Elfriede Schaar. Die Erstgebore- Philologie und Musik. Welche Rolle die Konfession resp. die Religiosität in nen waren Leonie Behrmann, Ewa Freise, Maria Gai- 55 Wo Edeltraut Lätzsch, Ingeborg Ullrich, Sigrid Rauter, Lisbeth den Familien einnahm, ist weitgehend unbekannt. ser, Anni Pfeiffer, Gisela Schneider, Johanna Tönnes- Reimmann und Ilse Sahlmann aufwuchsen, ist bisher unbe- Nur bei der Hälfte der Studentinnen konnte die Kon- mann, Luise Zauleck und wahrscheinlich Helga Kar- kannt. fession recherchiert werden.56 Demnach wuchsen selt. Eine Relevanz der Geschwisterkonstellation für 56 Damit bleibt bspw. offen, ob jüdische Studentinnen im Seminar zwei Drittel von ihnen in protestantischen Familien, den Studienwunsch Architektur lässt sich hier inso- Tessenow unterrepräsentiert waren. Unbekannt sind bisher die eine in einer jüdischen Familie auf. Fünf Studentinnen fern erkennen, als der Anteil der Erstgeborenen resp. Konfessionszugehörigkeiten von Zweta Beloweschdowa, Grete waren katholischen Bekenntnisses.57 Auch wenn Tes- Einzelkinder relativ hoch ist. Deutlich wird auch, dass Berg, Irmgard Fischer, Friedel Hajek, Ingrid Heidenreich, Ludmil- senowstudentinnen i.d.R. auch eine religiöse Erzie- in diesen technikinteressierten Familien nicht nur die la Herzenstein, Irina Kaatz, Edeltraud Lätzsch, Rina Paschowa, hung genossen, so spielte Religion in den meisten Söhne, sondern auch nahezu alle Töchter studieren.54 Sigrid Rauter, Lisbeth Reimmann, Roswita Rossius, Ilse Sahl- Familien wohl keine zentrale Rolle. Lediglich Maria Weniger die bildungsbürgerliche Orientierung als die mann, (Frl. Schmidt), Friedel Schmidt, Galina Taizale, Ingeborg Gaiser soll streng katholisch erzogen worden sein.58 Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Entwicklungen Ullrich, Iwanka Waltschanowa und Ruth Weckend. Von keiner Tessenowstudentin lässt sich bisher ein kennzeichnet somit jene familiären Milieus, in denen 57 In protestantischen Familien wuchsen Hanna Blank, Gisela Ei- Kirchenaustritt nachweisen. Und eine Art Pragmatis- alle Kinder hinsichtlich schulischer und akademischer senberg, Gertraude Engels, Ewa Freise, (Hilde Harte), Fridel mus im Umgang mit kirchlichen Traditionen zeigt das Bildung gefördert werden. Hohmann, Helga Karselt, Hildegard Korte, Anni Pfeiffer, Elfriede Beispiel der Familie von Bonin: Hier ‘erbte’ der Sohn Schaar, Gisela Schneider, Johanna Tönnesmann und Luise Zau- Tessenowstudentinnen kamen überwiegend in Groß- die protetantische Konfession des Vaters, während leck, in einer jüdischen Familie wuchs Leonie Behrmann auf. städten zur Welt und wuchsen häufig dort auch auf.55 die katholische Konfession der Mutter die Töchter Lieselotte von Bonin, Klara Brobecker, Christa Dirxen, Maria So wuchs Ludmilla Herzenstein, in St.Petersburg ge- ereilte. Kaum mehr ist über die politischen Haltungen Gaiser und Thea Koch gehörten der katholischen Kirche an. boren, in Berlin-Schöneberg auf. Hanna Blank wurde der Familien der Studentinnen bekannt, bisher lässt 58 Laut einer Angabe von Klara Küster im Telefonat am 9.8.1997.

im Seminar Tessenow 117 sich nahezu kein politisches Engagement von Vätern bereits zum 30.9.1933 gekündigt, was jedoch - so oder Müttern nachweisen.59 Dies bedeutet jedoch die Erkenntnisse Christine Fischer-Defoys - weder 59 „Unser Haus stand schon seit langen Jahren der Jugendbewe- nicht, dass die Familien resp. die Studentinnen poli- auf politisches Engagement zurückzuführen noch als gung offen“, schreibt Luise Zauleck 1930 in ihrer Bewerbung für tisch desinteressiert waren. Allerdings nahmen Tes- Ablehnung seiner Architekturauffassung zu interpre- eine Pädagogische Akademie (NL Seitz-Zauleck). Ihr Vater ist senowstudentinnen i.d.R. nicht Partei für politische tieren ist.63 kirchenpolitisch, in den zwanziger Jahren auch zunehmend par- Positionen oder Programme. Noch seltener taten sie teipolitisch für den Christlichen Volksdienst aktiv. Vgl. Friede- Tessenowstudentinnen sind insofern typische Töch- dies öffentlich, wie bspw. Leonie Behrmann, die An- mann, Peter: Johannes Zauleck - Ein deutsches Pfarrerleben ter des Bürgertums, als sie den durch die Schulre- fang der dreißiger Jahre an den Vereinigten Staats- zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bielefeld, 1990, S.78ff. form 1908 auf Mädchen erweiterten Bildungsauf- schulen dem ‘Kollektiv für sozialistisches Bauen’ an- (Schriften zur politischen und sozialen Geschichte des neuzeitli- schwung mühelos mitmachen. Sie erwerben alle ein gehörte, das aus dem Kreis der Tessenowstudieren- chen Christentums, Bd.6) Regelabitur, auch wenn manche dafür nach dem Ly- den an den VS hervorgegangen sein soll.60 60 Vgl. Fischer-Defoy, Christine: Kunst Macht Politik. Die Nazifizie- zeum auf ein Realgymnasium wechseln muss. Fast rung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin, 1988, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund ausnahmslos nehmen Tessenowstudentinnen unmit- S.104 - 1926 gegründet - fand unter den StudentInnen der telbar im Anschluss an den Erwerb des Reifezeugnis- 61 Lt. Schröder-Werle treten bis 1941 rund zwei Drittel der Hoch- TH Charlottenburg schnell große Unterstützung. ses ein Studium auf. Dies zeigt, dass ihre Eltern den schullehrer und Assistenten der NSDAP bei. Schröder-Werle, Während der Anteil an Professoren und Assistenten, Besuch höherer Schulen nicht nur als statusadäquate Renate: Chronik zur Geschichte der Technischen Universität die sich öffentlich zu nationalsozialistischem Gedan- Bildung der Töchter, sondern im Hinblick auf den Zu- Berlin, in: Rürup, 1979, Bd. II, S.1-36 1979, hier S.19. kengut bekannten 1930 noch unter 10% lag, wählten gang zu einem akademischem Studium förderten. 62 Die Daten ihres Ein- resp. Austritts sind bisher nicht belegt. im Wintersemester 1930/31 bereits 62% der Studen- Diese - sozial aufstrebende - Zielorientierung des Bil- „Seine [Tessenows] Besuche in unserem Haus in der Königsal- tInnen die Vertreter des NSDStB.61 Die Karrieren dungserwerbs, wie sie für Männer des Bildungsbür- lee 18a nahmen erst ein Ende als wir Berlin 1941 wegen der mancher Studenten - wie bspw. die eines Rudolf gertums als Schlüsselqualifikation sozialer Etablie- Luftangriffe verließen. In den meist abendlichen Unterhaltungen Wolters oder von Carl Culemann -, insbesondere rung als charakteristisch gilt, bildet sich somit auch (..) sprach er sich völlig rückhaltlos aus. (..) Tessenow hielt den jedoch die Prominenz des Seminaristen und späteren im Bildungsverlauf dieser Architekturstudentinnen ab. nationalsozialistischen „Idealismus“ für Irrsinn (..) Freilich war es Assistenten Albert Speer trug dem Seminar Tesse- Auch wenn die konkrete Schulbildung der meisten für mich jetzt schmerzlich zu erfahren, daß Tessenow sich 1936 now retrospektiv den Ruf ein, eine Art nationalsoziali- Studentinnen bisher nicht belegt ist, so zeigen die an diesem Wettbewerb [KdF-Seebad auf Rügen] beteiligt hatte stische Keimzelle unter den ArchitekturstudentInnen bekannten schulischen Laufbahnen, dass Tessenow- und ich kann es mir auch heute noch nicht erklären.“ HTG, Brief gewesen zu sein. Zweifellos studierten hier auch und studentinnen häufiger ein Abitur der realgymnasialen Lieselotte Boedekers an Walter Jessen in Replik auf einen Vor- bereits Ende der zwanziger Jahre frühe Anhänger ei- als der humanistischen Richtung erwarben.64 Damit trag Julius Poseners am 25.5.1986, undat. nes ‘politischen Aufbruchs’, darunter auch Studentin- konnte der ganz überwiegende Teil dieser Studentin- 63 Fischer-Defoy, 1988, S.104. „So liegt der Entlassung Tessenows nen. Auch wenn das Seminar selbst nicht der Ort po- nen bereits während der Schulzeit auch mathema- (..) nicht die Ablehnung seiner Architekturauffassung zugrunde, litischer Agitation war und Tessenow sich dezidiert tisch-naturwissenschaftliche Interessen verfolgen. Für vielmehr gilt er wegen seiner gleichzeitigen Professur an der TH politischen Stellungnahmen enthielt, so bot doch ge- diejenigen Studentinnen, die ausschließlich ‘Mäd- als ‘Doppelverdiener’, der zugleich durch die aufgespürte ‘kom- rade dieser - im Spektrum der Entwurfsseminare - chenschulen’ besucht hatten, bedeutet der Besuch munistische Zelle’ in seiner Klasse an den VS in Mißkredit gefal- vermeintlich apolitische Rahmen auch gegenüber An- der Hochschule aber auch den Wechsel in ein koe- len ist.“ hängerInnen der ‘neuen Bewegung’ entsprechend dukatives Umfeld. 64 Zur Vorbildung ließen sich keine Angaben ermitteln bei Behr- großzügige Toleranz. Infolge des häufig geradlinigen Verlaufs ihrer schuli- mann, Berg, Dirxen, Fischer, Kaatz, Koch, Lätzsch, Letz, Pa- So soll bspw. Lieselotte von Bonin um 1930 darüber schen Ausbildung sind Tessenowstudentinnen bei schowa, Rauter, Reimmann, Sahlmann, Schmidt, Schmidt, Tai- enttäuscht gewesen sein, dass ihr verehrter Lehrer Immatrikulation i.d.R. noch minderjährig, manches zale, Ullrich und Weckend. Tessenow ihre Begeisterung nicht geteilt habe. Sie Mal - wie Brobecker, Engels, Heidenreich und Koch - 65 Bekannt ist das Alter bei Studieneintritt bei 27 Studentinnen. 19 kehrt der Partei jedoch auch wieder den Rücken.62 erst 18 Jahre alt. Die ganz überwiegende Anzahl der Jahre sind bei Immatrikulation: Blank, Freise, Hohmann, Kaatz, Bei zunehmender Politisierung der TH Charlottenburg TH-Studentinnen nimmt im Alter von 19 resp. 20 Jah- Karselt, Korte, Rossius, Schneider Tönnesmann und Waltscha- kennzeichnete eine unentschieden abwartende Skep- ren das Architekturstudium auf. Selbst bei einem Stu- nowa. 20jährig immatrikulieren sich Behrmann, Beloweschdowa, sis anscheinend die Haltung der meisten Verantwort- dienfachwechsel sind die Studentinnen bei Beginn Bonin, Dirxen, Eisenberg, Hajek, (Harte,) Herzenstein, Pascho- lichen innerhalb der Architekturfakultät. Sowohl bei des Architekturstudiums nur ausnahmsweise bereits wa, Pfeiffer, Rauter, Reimmann und Sahlmann. Bereits 21 Jahre der Entlassung jüdischer Kollegen 1933 wie der zu- volljährig. Die geringe Spanne des Eintrittsalters von alt und damit volljährig sind bei Immatrikulation: Gaiser, Schaar, nehmenden Verschärfung der Studienbedingungen Tessenowstudentinnen - zwischen 18 und höchstens Zauleck und wahrscheinlich Weckend. Berg und Ulrich sind bei für jüdische Studierende übten sich die etablierten 22 Jahren - kennzeichnet diese jungen Frauen als ei- Erstimmatrikulation höchstens 22 Jahre alt. An Technischen Architekturprofessoren bestenfalls in vornehmer Zu- ne qua Lebenserfahrung homogene Gruppe.65 Eben- Hochschulen war das Studium älterer Studentinnen jedoch nicht rückhaltung. Erst lange nachdem die Hochschule ihre so einheitlich ist ihr Familienstand: Alle Studentinnen ausgeschlossen. politische Selbstbestimmung aufgegeben hatte, regte im Seminar Tessenow sind ledig. 66 „Mein Vater war sehr gebildet und musisch interessiert, er pass- sich auch hier vereinzelt Widerspruch, wie ihn bspw. te eigentlich nicht zum Kaufmann. Meine Mutter war künstle- Etwas weniger homogen - aber für die Herkunftsmili- Daniel Krencker in seiner Funktion als Dekan gegen risch sehr begabt (..), wie auch mein Vater sehr musikalisch. Wir eus durchaus kennzeichnend - ist das kulturelle Um- das Tragen von SS-Uniformen innerhalb der Fakultät 4 Kinder haben alle auch etwas gemalt, vorwiegend Aquarell feld, in dem Tessenowstudentinnen ihre Interessen übte. Krencker wird 1939 entlassen. Tessenow wird und (..) haben auch jeder ein Instrument gespielt: Meine Schwe- und Neigungen entwickeln können. So sind die mei- an der TH Charlottenburg 1941 planmäßig pensio- ster Johanna (..) sehr gut Klavier, mein Bruder Karl Cello und ich sten Familien bildungsbürgerlich orientiert und för- niert. An den Vereinigten Staatsschulen wurde ihm Geige.“ Barbara Büttner, Brief vom 3.3.1998 dern musische, sprachliche und auch naturwissen-

118 Architekturstudentinnen schaftlich-technische Begabungen der Kinder. Deren Betrieben und auf Baustellen in der Nähe des elterli- kulturelle Interessen werden durch den Besuch von chen Wohnsitzes. Die meisten verwenden bereits die Museen, Theatern und Konzerten geweckt. Und - wo Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn für das vor- die finanziellen Verhältnisse dies erlauben - werden geschriebene Praktikum. Lieselotte von Bonin tisch- Bildungs- und Erholungsreisen unternommen. Außer- lert 1925 vier Monate lang in der Tischlerei Ricken in dem werden auch sportliche Aktivitäten der Töchter Gelsenkirchen, Anni Pfeiffer im Jahr darauf zunächst 67 Diese Begeisterung soll vom Vater geweckt worden sein. Hilde durchaus unterstützt. in den Werkstätten der Akademie in Kassel bevor sie Karselt studiert Mathematik und promoviert 1932 über „Ebene in das Baugeschäft Zimmermann wechseln kann. In Flugbahnen starrer Körper“ (Disputation in Berlin am 9.5.1932) Musik spielte bspw. in den Familien Schneider, Zau- den ersten Semesterferien leistet Helga Karselt 1926 68 Hier treibt der Vater, Karl Ludwig Pfeiffer, neben seinem Beruf leck, Tönnesmann und Pfeiffer eine große Rolle.66 Von das geforderte dreimonatige Baupraktikum bei der als Bankier wissenschaftliche Studien in der Paläontologie, die Gisela Schneider, Luise Zauleck und Ewa Freise ist Philipp Holzmann AG auf einer Baustelle in Berlin- durch die Universität Marburg durch einen Ehrendoktortitel ge- bekannt, dass sie literaturbegeistert sind. Schneider Britz, der Holzbearbeitungswerkstatt in Tempelhof würdigt werden. Der Bruder studiert u.a. Geologie. Anni Pfeiffer zeichnet und aquarelliert, Zauleck illustriert u.a. die und dem technischen Büro am Schöneberger Ufer bereist Ende der zwanziger Jahre Griechenland. Abiturzeitung. Johanna Tönnesmann kann in der vä- ab.70 69 Duden und Ebert wiesen darauf hin, dass das Unterrichtsmini- terlichen Papierfabrik ihre Entwürfe für Vorsatzpapie- sterium bei den positiven Stellungnahmen zum Frauenstudium re umsetzen. Auch Lieselotte von Bonin, Gertraude Johanna Tönnesmann absolviert 1929 ein Praktikum an THs davon ausging, „daß die praktische Tätigkeit vor dem Engels und Iwanka Waltschanowa zeichnen ebenso auf der Baustelle eines Einfamilienhauses in Essen- Studium (..) eine ausreichende Barriere darstellen würde.“ gut wie gern. Waltschanowa und Freise sind aber Bredeney. Hier in der Zeunerstraße kann sie im Haus Duden / Ebert, 1979, S.406 ebenso an Mathematik interessiert. Dies trifft auch von Bekannten ihrer Eltern die Toilette benutzen und 70 Lt. Zeugnis vom 30.10.1926: August bis Oktober 1926, NL auf Hildegard Korte und Maria Gaiser zu. Und Familie sich umziehen. Gertraude Engels arbeitet 1930 ein Schuster Karselt ist regelrecht mathematikbegeistert.67 Helga halbes Jahr auf Baustellen der Firma Richter & Schä- 71 NL Herde, Praktikantenzeugnis Gertraude Engels vom 2.10. Karselt interessiert sich darüber hinaus für die Ar- del. Sie fährt täglich von Niederschöneweide zu Bau- 1930. Hier ist eine „Großbaustelle Pankow“ aufgeführt, während chäologie. Ausgrabungen und geologische Phänome- stellen in resp. Pankow.71 Luise Zauleck mau- Gertraude Engels - nach der Überlieferung der Tochter - ihr ne werden bspw. auch in der Familie Pfeiffer auf- ert und tischlert 1930/31 neun Monate in Dortmund Praktikum überwiegend auf einer Baustelle in Dahlem ableistete. merksam verfolgt.68 Hier wird außerdem zeitgenössi- und Wetter/Ruhr. Gisela Schneider arbeitet ab Au- „Tischlereiwerkstatt (Fenster- und Türenbau) sechs Wochen, sche Kunst gesammelt. Von den Familien von Bonin, gust 1931 drei Monate in der Tischlerei von Peter & Erd- und Betonarbeiten vier Wochen, Maurerarbeiten zehn Wo- Waltschanow und Pfeiffer ist bekannt, dass ebenso Carl Heinmöller in Remscheid.72 Ewa Freise leistet ihr chen, Zimmererarbeiten drei Wochen, Maurer- und Zimmerer- selbstverständlich wie häufig internationale Reisen Baustellenpraktikum 1931 im Maurer- und Zimmer- ausbau sechs Wochen.” unternommen werden. Solche Weltläufigkeit bleibt in mannshandwerk in Halle ab. Dabei zieht sie Tätigkei- 72 Lt. Praktikumsbescheinigung vom 1.8.-31.10.1931, NL Ehren anderen Familien aufgrund begrenzter familiärer Bud- ten zu ebener Erde vor, als sie feststellt, dass sie 73 Ewa Oesterlen in den Telefonaten am 18. und 24.11.1997 gets undenkbar. Dennoch begeistert sich bspw. Hil- nicht über freitragende Balken laufen kann.73 degard Korte für Südamerika und alle romanischen Sprachen, Gisela Schneider insbesondere für Franzö- Johanna Tönnesmann beim Baustellenpraktikum in Essen-Bredeney, 1929 sisch. Und etliche Tessenowstudentinnen widmen sich bereits während der Schulzeit begeistert ver- schiedenen Sportarten wie Reiten, Paddeln, Tennis und Skilaufen. So unterschiedlich die Aktionsradien und finanziellen Rahmenbedingungen einzelner Tes- senowstudentinnen im direkten Vergleich auch wa- ren, kennzeichnend für die Hekunftsfamilien ist ein musisch-kulturell orientiertes Klima, in dem den Nei- gungen der Töchter Raum gegeben und ihre Interes- sen vielseitig angeregt wurden. Für die Zulassung zum Architekturstudium an einer Technischen Hochschule waren die Hürden Abitur und Pflichtpraktikum im Baugewerbe zu nehmen. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Stellte das Abitur angesichts des seit der Jahrhun- dertwende in den Städten enorm verbesserten Ange- bots bei der Mädchenbildung für bürgerliche Töchter bei familiärer Unterstützung nun kein außerordentli- ches Hindernis mehr dar, so blieb die Schwierigkeit, als junge Frau einen Praktikumsplatz zu erhalten.69 Auf Baustellen arbeitende Frauen - und damit auch Praktikantinnen - blieben in den Bauhauptgewerken ein Kuriosum. Tessenowstudentinnen leisten ihre Praktika häufig in

im Seminar Tessenow 119 Nur von einem Drittel der Tessenowstudentinnen las- studentinnen erlebten das Baustellenpraktikum i.d.R. 74 Nur ausnahmsweise konnte dieses Praktikum ersatzweise im sen sich bisher die Betriebe resp. Baustellen der als körperlich anstrengend, insbesondere jedoch als Bürobereich absolviert werden, so bspw. im Fall der an Kinder- Baupraktika nachweisen. Zweifelsohne absolvierten sehr lehrreich. Auf den Baustellen resp. in den Be- lähmung erkrankten Elfriede Schaar. jedoch nahezu alle Studentinnen die vorgeschriebene trieben waren sie jeweils die einzige Frau und wurden 75 Siehe hierzu im Anhang „Anmerkungen zu Architektinnen na- Praktikantinnenzeit im Bauhaupt- oder Nebengewer- i.d.R. freundlich aufgenommen. Im Hinblick auf prak- mens Schmidt“. So gibt bspw. Ilse Hoerda bei ihrer Bewerbung be.74 Handwerkliche Lehren, wie sie manche der zeit- tisches wie handwerkliches Wissen erwiesen sich die an den VS zum Wintersemester 1930/31 als erlernten Beruf gleich an den Vereinigten Staatsschulen studierenden Praktika im Studium häufig als positiv. Wie jedoch „Tischler“ an. Und Herta Borchmann, die sich ein Jahr später Architekturstudentinnen absolviert hatten, lassen sich entstand der Studienwunsch? bewirbt, hat seit 1928 an der KGS Magdeburg wie an der Burg bei ihnen hingegen bisher nicht nachweisen.75 Giebichenstein Tischlerei gelernt. HdKA, Best.8, Nr.115 Luise Zauleck verfolgte als 15-Jährige aufmerksam 76 So soll der Mutter von Edith Schulze 1915 die praktische Bau- Wie vieler Anläufe es bedurfte, um - ggf. mit familiä- den Neubau des Pfarrhauses in Wetter/Ruhr. Dieses stellentätigkeit ihrer Tochter so wenig standesgemäß erschienen rer Unterstützung - eine geeignete Praktikantinnen- war auf Wunsch ihres Vaters von dessen Bruder, sein, dass sie sich nicht als Mutter zu erkennen gab. stelle zu finden, lässt sich bisher nicht einmal im Ein- dem in Hamburg ansässigen Architekten Christian 77 Information von Barbara Büttner am 26.2.1998 zelfall nachzeichnen. Wie die dokumentierten Prakti- Zauleck entworfen worden. Und so ist es denn auch 78 Ob sie auf dessen Rat das Architekturstudium aufnimmt - wie ka zeigen gelang Tessenowstudentinnen dies in aller dieser Onkel, der ihr Interesse für Architektur för- dies der Nachruf nahelegt -, ließ sich bisher nicht verifizieren. Regel jedoch unmittelbar im Anschluss an das Abitur. dert.78 Nach dem Abitur am Oberlyzeum in Hagen im HTG, Jessen, Peter: Luise Seitz zum Gedenken, undat., 10/1988 Während des Praktikums musste - aufgrund der Aus- Frühjahr 1930 schwanken ihre Berufswünsche zwi- 79 Sie kannte „mit Sicherheit den damals in Kassel bekannten Ar- nahmesituation - die Frage geeigneter Umkleide- und schen der Architektur und der Pädagogik. Auch Anni chitekten [Rudolf] Kasteleiner sen., der 1923 das Haus meiner Sanitärräume gelöst werden. Im Unterschied zu Ar- Pfeiffers Interesse an der Architektur könnte beim Großeltern gebaut hatte.“ Brief Jürgen Gunkel, 31.1.1998, S.3 chitekturstudentinnen der Kaiserzeit konnten sich die Bau des elterlichen Hauses 1923 geweckt worden 80 Der Wettbewerb zur Malwida-von Meysenbug-Oberschule wird Architekturstudentinnen der Weimarer Republik je- sein.79 Ihre konkrete Entscheidung für eine eigene Be- 1927 durch Tessenow gewonnen, der Bau bis 1930 realisiert. doch schon sicher sein, dass es zwar ungewöhnlich, rufsperspektive in der Architektur fällt jedoch im - zu- Tessenow soll in diesem Zeitraum im Haus Pfeiffer verkehrt ha- aber nicht mehr anstößig oder unanständig war, als mindest zeitlichen - Zusammenhang mit dem Neubau ben. Der Zeitpunkt des Erstkontakts ist unbekannt. Dass ihm die bürgerliche Tochter für eine begrenzte Zeit auf einer des örtlichen Mädchengymnasiums.80 Ein Jahr nach Familie ein Begriff war, zeigt der lokal übliche Begriff ‘Rammels- Baustelle handwerklich zu arbeiten.76 Lediglich Jo- ihrem Abitur an der Städtischen Studienanstalt Kas- berg’ auf der zwei Jahre später von ihm angelegten Karteikarte hanna Tönnesmann soll auf der Baustelle - insbeson- sel - Pfeiffer studiert zu diesem Zeitpunkt Chemie in für Pfeiffer. Üblicherweise sind hier Straßenamen vermerkt. dere von Passantinnen - vorgeworfen worden sein, München - entscheidet sie sich im Sommer 1926 für dass sie Männern die Arbeit wegnähme.77 Tessenow- einen Studienfachwechsel. Auch das Architekturinter-

Gertraude Engels als Praktikantin während einer Pause und inmitten der Belegschaft der Firma Richter & Schädel, 1931

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120 Architekturstudentinnen esse Johanna Tönnesmanns wird durch ein konkre- tes Bauvorhaben 1929 geweckt oder bestärkt. Im Jahr ihres Abiturs an der Viktoria-Schule in Essen be- ginnt unweit dieses Gymnasiums die Realisierung der Auferstehungskirche nach Entwurf von Otto Bart- ning.81

Iwanka Hahn schildert ihre Studienfachwahl rückblik- kend als Schnittmenge unterschiedlichster Interessen und Neigungen: „Als ich mein Studium begonnen ha- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar be, dachte ich an erster Stelle nicht an einen Beruf um Geld zu verdienen. Mich drängte es, meinen Ho- rizont zu erweitern (..) Das Studium der Architektur erschien mir ein Weg dazu. Ich konnte ein bißchen zeichnen und in Mathematik war ich gut.“ 82 Als sich Maria Gaiser 1933 für Architektur immatrikuliert, revi- diert sie damit ihren ursprünglichen Fächerwunsch, der dem Maschinenbau - dem Berufsfeld des Vaters - gegolten haben soll.83 Helga Karselt soll auch ein Archäologiestudium in Erwägung gezogen haben. Ihr Stahlskelett der Rundkirche in Essen, Otto Bartning, 1929 Auferstehungskirche, Steubenstraße 50, Essen, Aufnahme 1997 - wie auch Gertraude Engels´ - Architekturinteresse dürfte während der Schulzeit durch den jeweiligen Jugendfreund resp. deren Architektenväter geweckt galt“. Dies belegt sie bspw. anhand der Jurastuden- worden sein. tinnen der Weimarer Republik, deren Väter (im Som- Bei der Mehrheit der Tessenowstudentinnen lässt mersemester 1932) zu 16,3% Richter oder Anwälte sich die Entstehung des Studienwunsches nicht bele- waren.89 Dieser These folgend ließe sich für die Tes- 81 Johanna Tönnesmann soll nach Erinnerung ihrer Schwester die gen. Bei manchen finden sich jedoch bereits im Abi- senowstudentinnen sogar von einer außerordentli- Baustelle des öfteren besucht haben und dabei auch Bartning turzeugnis entsprechende Einträge, die dokumentie- chen Bedeutung des väterlichen Vorbildes sprechen, persönlich begegnet sein. Ich danke Barbara Büttner für diesen ren, dass nicht nur bei Architektentöchter das Inter- denn zumindest 40% der Väter waren studierte In- Hinweis. esse am Fach häufig bereits während der Schulzeit genieure resp. Architekten und/oder als solche tätig.90 82 FN 32 geweckt wurde.84 So findet sich im Abiturzeugnis Lie- Hinsichtlich der Fächerwahl dem väterlichen Vorbild 83 FN 58 - Nach Erinnerung Küsters wurde Gaiser bei der Immatri- selotte von Bonins 1924 der Passus: „Die unterzeich- zentrale Bedeutung zuzuerkennen, ist jedoch insofern kulation 1933 an der TH Charlottenburg als Maschinenbaustu- nete Prüfungskommission hat ihr demnach, da sie unpräzise, als dabei unbeachtet bleibt, dass diese dentin zurückgewiesen. Die genauen Umstände lassen sich jetzt die Anstalt verläßt, um sich dem Studium der Fächerpräferenz der Tochter auch bereits an väterli- nicht dokumentieren. Architektur zu widmen, das Zeugnis der Reife zuer- cher Skepsis scheitern konnte. Undeutlich bleibt 84 Zumindest Lieselotte von Bonin, Gertraude Engels, Christa Dir- kannt.“ 85 Auch „Gertraude Engels will sich dem Stu- ebenso, wie häufig die Väter potentieller Architektur- xen, Klara Brobecker, Johanna Tönnesmann und Hildegard Kor- dium des Baufachs (Innenarchitektur) widmen.“ 86 studentinnen die Studienentscheidung faktisch tra- te fassen dieses Studienfach bereits während der Schulzeit ins Und obschon Franz Korte, selbst Baumeister, diesen fen, zumal keine Architektentochter ohne elterliche Auge. Studienwunsch seiner Tochter zum Zeitpunkt des Alimentierung studiert. 85 NL Bonin, Zeugnis der Reife des Städtischen Realgymnasiums Abiturs noch nicht befürwortet, vermerkt auch das So oft die Fächerwahl von Architekturstudentinnen zu Gelsenkirchen vom 24.3.1924 Reifezeugnis Hildegard Kortes, dass sie Architektur mit einer familiären Tradition verknüpft scheint, die 86 Abiturzeugnis Gertraude Engels vom 4.3.1931 studieren möchte. Auch ihre Studienfachpräferenz Existenz eines Architektenvaters gibt über die Präfe- 87 Dies trifft zumindest auch auf Klara Brobecker und Maria Gaiser scheint durch das väterliche Vorbild geprägt.87 renz der Tochter resp. die elterliche Akzeptanz nur zu und könnte auch bei Ingrid Heidenreich, Leonie Behrmann, Sicher trugen Einblicke in den Berufsalltag, die auch bedingt Aufschluss: Die Rolle der Väter bei der Studi- Irmgard Fischer, Thea Koch, Friedel Schmidt und Roswita Ros- nicht freiberuflich tätige Architektenväter, wie bspw. enfachwahl lässt sich bisher nur bei wenigen Tesse- sius der Fall gewesen sein. Hier konnten zur Studienmotivation Heinrich Brobecker, Wilhelm Freise oder Franz Korte nowstudentinnen - und nicht immer eindeutig - nach- resp. Fächerwahl jedoch keinerlei Informationen recherchiert ihren Töchtern gewährten, zu deren frühzeitigem In- zeichnen. Die Rolle der meisten Mütter bleibt in Er- werden. teresse bei. Bei einem engen Vater-Tochter-Verhält- mangelung geeigneter Quellen noch undeutlicher. 88 Über die konkreten familiären Bindungen ist in aller Regel aber nis mag auch eine besondere Aufmerksamkeit der zu wenig bekannt, um hinsichtlich dieses beliebten Plausibilisie- Eine sehr aktive Rolle bei der Studienfachwahl der Väter derartige Ambitionen gefördert haben.88 Huer- rungsmusters hier tatsächlich Aussagen treffen zu können. Tochter übernahm der Hochbaudezernent Wilhelm kamp kommt in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, 89 Huerkamp, Claudia: Bildungsbürgerinnen, Frauen im Studium Freise. Er favorisiert für seine älteste, beruflich noch dass die ‘Berufsvererbung’ von Vätern auf Töchter und in akademischen Berufen 1900-1945, Göttingen, 1996, unentschiedene Tochter ein Architekturstudium, zu- insofern mit der Geschlechtskodierung des Berufs- S.39f. mal die Erfolge einer in Halle tätigen Architektin da- feldes korreliert, als dem väterlichen Vorbild offenbar 90 Da der Beruf des Vaters bei 10 Studentinnen nicht ermittelt wer- für sprechen, dass die Architektur auch Frauen Be- dann besondere Bedeutung zukam, wenn „die ge- den konnte, stellen die Architektentöchter nach bisherigem Re- rufsaussichten bietet. Ein von ihm initiierter Besuch wählte Studienrichtung als besonders ’unweiblich’ (..) cherchestand sogar die absolute Mehrheit.

im Seminar Tessenow 121 Luise Zauleck verbringt den Sommer nach dem Abi- tur 1930 als sog. Haustochter in der Nähe von Lon- don und bewirbt sich, „nach langem Schwanken zwi- schen der Laufbahn als Architektin oder dem Besuch der pädagogischen Hochschule“ für das Pädagogik- studium.92 Erst nach Ablehnung ihrer Bewerbung fällt die Entscheidung zugunsten der Architektur. „Archi- tektur ist eine schöne und wichtige Arbeit“, erinnert die Schwester Luise Zaulecks deren Überzeugung.93 Auch Gisela Schneider präferiert zunächst ein Päda- gogikstudium.94 Auch sie wird abgelehnt und studiert ein Semester an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule Stuttgart künstlerisches Zeich- nen und Malen, bevor sie zur Architektur wechselt.95 Die Gaststudentin Friedel Hajek kommt während ih- res Studiums an der Kunstgewerbeschule Wien zur Architektur. Bei Inskription am 1.10.1936 trug sie zu- nächst unter „Lebensberuf: Modezeichnerin“ ein. Pfeiffer, Schneider, Korte und Hajek zählen damit zu den wenigen Tessenowstudentinnen, die zunächst Praktikantenzeugnis für Gisela Schneider, 1931 (oben) und Lieselotte von Bonin, 1928 (rechts) kurzzeitig andere Fächer studieren. Wenn Studentinnen ihren Durchsetzungswillen ein- bei dieser Architektin, den Ewa Freise in Begleitung setzen mussten, hatten sie dies manches Mal bereits ihrer Mutter absolviert, scheint die Tochter nicht zu beim Zugang zu höherer Bildung erprobt.96 Die Stu- 91 Telefongespräche mit Ewa Oesterlen am 18. und 24. November überzeugen.91 Dennoch setzt der Vater seine Präfe- dienmotivation von Tessenowstudentinnen lässt sich 1997. Diese „sehr männliche Frau“, deren Namen Ewa Oester- renz durch. Er trifft auch die Entscheidung, dass sie auch als ‘Horizonterweiterung’ beschreiben, denn len nicht mehr erinnert, machte auf sie keinen positiven Ein- - wegen des guten Rufs einer fundierten Ausbildung - das Architekturstudium ist für sie auch hinsichtlich druck. - Bei dieser Architektin, deren Bauten in der Lokalpresse bei Schmitthenner in Stuttgart die Grundzüge des seiner vielfältigen Facetten attraktiv. Vorherrschend ein Echo fanden, könnte es sich um Lore Anders handeln, die Faches studieren solle und begleitet sie persönlich ist jedoch die fachliche Motivation, das Interesse am ihr Büro 1930 in der Wettiner Str. 2 betrieb. Ich danke Frau Ull- bei der Immatrikulation. konkreten Beruf. Diese Fächerwahl korrespondiert rich vom Stadtarchiv Halle für ihren Hinweis vom 19.11.1997. deutlich mit den bereits während der Schulzeit ver- Wie anhand der direkten Übergänge zwischen Schule 92 NL Seitz-Zauleck, Bewerbung für eine Pädagogische Akademie, folgten Interessen für das Zeichnen, noch häufiger und Studium und den zahlreichen Studienortswech- 1930. Luise Zauleck bewirbt sich in der Gewissheit, „daß meine mit dem für die Mathematik. Die Geradlinigkeit, mit seln sichtbar wird, studierten die meisten Architektur- Veranlagung und Lebensführung mich in einen Beruf wirft, der der TH-Studentinnen ihr Studium i.d. R. direkt nach studentinnen mit Unterstützung ihrer Eltern. So stan- mich in (..) nahe Beziehung mit jugendlichen Menschen bringt“, dem Abitur aufnehmen, und die Intensität, mit der sie den die Mütter von Ludmilla Herzenstein und Gisela und sie führt zur Begründung aus, dass schon der Großvater das Studium wie die Praktika betreiben, weisen ein- Schneider einem Architekturstudium ihrer Töchter Kindergottesdienst gehalten habe, ihr Vater Jugendpfarrer deutig auf berufliche Ambitionen. Diese Architektur- ebenso wenig im Wege wie die Eltern von Bonin, Ei- gewesen sei. studentinnen wollen vielfältige Kompetenzen erwer- senberg, Heidenreich, Hohmann, Karselt und Tön- 93 Gertrud Zauleck im Brief vom 3.2.1995 resp. dem beigelegten ben und im Entwurfsseminar ihre künstlerischen Ta- nesmann. Die elterliche Unterstützung war auch bei Fragebogen. lente und Ideen erproben. Sie tun dies im Hinblick den Eltern von Klara Brobecker und Hildegard Korte 94 In ihrem Abiturzeugnis am Oberlyzeum Remscheid ist ihr Be- auf eine berufliche Perspektive und gedenken, ihre gegeben, obschon beide erinnern, dass der Studien- rufswunsch mit ‘Volksschullehrerin’ angegeben. NL Ehren, Rei- Ideen bei realistischen Planungen umzusetzen. Spä- wunsch vom Architektenvater zunächst skeptisch be- fezeugnis Gisela Schneider vom 25.2.1931 testens nach dem Erwerb des Vordiploms - und zwi- urteilt wurde. Brobecker vereinbart mit ihren Eltern ei- 95 NL Schneider-Ehren, Zeugnis der Kunstgewerbeschule Stuttgart schenzeitlich volljährig - entscheiden sie sich für das ne Art Probestudienjahr, während Korte den elterli- vom 15.7.1931, unterschrieben von [Bernhard] Pankok. Seminar Tessenow als ebenso anerkannte wie anre- chen Bedenken nachgibt und zunächst an der Fried- 96 So soll Lieselotte von Bonin, deren ältere Schwester keine gym- gende ‘Institution’. rich-Wilhelm-Universität Romanistik, Kunstgeschichte nasiale Bildung durchlaufen hatte, durchgesetzt haben, dass sie und Mathematik studiert, bevor sie zum Herbst 1932 Zumindest ein Drittel der Studentinnen besucht im gemeinsam mit einer Freundin das Gymnasium in Gelsenkirchen zum Architekturstudium an die TH Charlottenburg Hauptstudium ausschließlich sein Entwurfsseminar, besuchen durfte. Information von Angelika Mendelssohn-Sie- wechselt. Auch Anni Pfeiffer kommt erst über einen andere wechseln gezielt im Hinblick auf das Diplom beck am 30.8.1995. Umweg zur Architektur. Ob die Wahl eines Chemie- zu Tessenow.97 Zweifellos war Tessenow den meisten 97 Ausschließlich das Seminar Tessenow besuchten im Hauptstu- studiums in Frankfurt und München auf einen elterli- StudentInnen schon zu Beginn des Studiums ein Be- dium Beloweschdowa, Bonin, Engels, Eisenberg, Freise, Kaatz, chen Vorschlag oder den eigenen Wunsch zurück- griff. Seine Präsenz an der Hochschule bietet den Korte, Paschowa, Pfeiffer, Schaar, Schneider, Zauleck; wenige geht, bleibt unklar. Nach einem Semester wechselt Vorteil, sich bereits vor Eintritt ins Seminar ein kon- Semester vor dem Diplom, und damit im Hinblick auf den Ab- sie die Hochschule, nach zwei Semestern - zum kretes Bild von seiner Person wie von seiner Lehre schluss wechselten Heidenreich, Rauter und evtl. Hohmann. Herbst 1926 - das Fach. machen zu können. Aufgrund eigener Publikationen 98 Vgl. FN 24

122 Architekturstudentinnen wie der Publikation seiner Entwürfe in Fachzeitschrif- Tessenowstudentinnen kommen zu einem Drittel aus ten ist Tessenow in den zwanziger Jahren aber auch kaufmännisch geprägten Milieus, überwiegend je- einem weitaus größeren Kreis von Studierenden be- doch aus Schichten der sogenannten neuen Mittel- kannt.98 So erinnert bspw. Christa Kleffner-Dirxen: standes, der ‘technischen Intelligenz’. Sowohl inner- „Nach dem Vorexamen kam ich nach Berlin, weil ich halb der kaufmännisch wie auch der technisch ge- unbedingt bei Tessenow arbeiten wollte.“ 99 prägten Milieus ist jedoch eine deutliche Streuung zu 99 Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 finden. So reicht das Spektrum von großbürgerlichen Thea Koch studiert zunächst an der TH in München 100 Eindeutig gastweise studierten Grete Berg, Christa Dirxen, Frie- Elternhäusern über mittelständische Familientraditio- Architektur, bevor sie 1926 an die TH Charlottenburg del Hajek, Edeltraut Lätzsch, Lisbeth Reimmann, Ilse Sahlmann, nen bis zu fast kleinbürgerlichen Verhältnissen. Auch wechselt. Ebenfalls von der TH München nach Berlin Ingeborg Ullrich und Ruth Weckend. Weshalb keine Studentin die Mütter hatten manches Mal bereits studiert, wa- wechseln im Herbst 1928 Gisela Eisenberg und Lie- nach München, vergleichsweise viele jedoch nach Stuttgart zu- ren i.d.R. aber nicht erwerbstätig. Das Interesse an selotte von Bonin, ein Jahr später Anni Pfeiffer. Für rückkehren, wird nicht unmittelbar deutlich. der Architektur wurde oft durch die Väter geweckt. alle diese Studentinnen mit Münchner Vordiplom ist 101 Wie Maria Gaiser als einziger Tochter einer streng katholischen Der Wunsch dieses Fach zu studieren, entstand zu- der Wechsel zu Tessenow an die TH Charlottenburg Familie, Engels, Korte und Brobecker als einzige Kinder ihrer meist während der Schulzeit. Häufig wurden hier definitiv. Mit Vordiplomen der TH Stuttgart wechseln Eltern. Auch Elfriede Schaars eingeschränkte Mobilität scheint auch bereits mathematisch-naturwissenschaftliche Sigrid Rauter und Ewa Freise 1932 bzw. 1933 nach weniger auf die Kinderlähmung als auf familiäre Bindungen und künstlerisch-musische Interessen gefördert. Die Berlin resp. zu Tessenow. Auch sie bleiben für den zurückzuführen sein. Möglichkeit einer höheren Schulbildung wie eines Rest ihres Studiums. Im Unterschied dazu kehrt etwa 102 Im Seminar Poelzig studierten in den späten zwanziger Jahren akademischen Studiums stand für Tessenowstuden- ein Viertel der Studentinnen nach einem, höchstens bspw. Grete Schroeder-Zimmermann (geb. 1887), Camilla Stark tinnen nahezu ausnahmslos außer Frage. Bezeich- zwei Gastsemestern an die zuvor besuchten Fakultä- (geb. 1904) und Nina Keßler (geb. 1909). nend für das bildungsbürgerlich orientierte, großstäd- ten zurück.100 103 Ewa Oesterlen im Telefonat am 24.11.1997. Ihr Freund wechsel- tische Milieu dieser Herkunftsfamilien ist die Selbst- te nach einem Semester bei Tessenow zu Poelzig. Für die Berliner Architekturstudentinnen, für die ein verständlichkeit, mit der allen Kindern - Söhnen wie 104 FN 58 Studienortswechsel aufgrund familiärer Bindungen Töchtern - die akademische Bildung ermöglicht 105 Dies wird bspw. deutlich, wenn Oesterlen, die im Grundstudium oder finanzieller Erwägungen nicht in Betracht kam, wird.109 Während bei der Fächerwahl wie bei der Wahl an der TH Stuttgart bei Prof Hugo Keuerleber (1883-1949) stu- stellte sich die Situation als beschränkte Wahlmög- des ersten Studienortes der Einfluss der Eltern resp. diert hatte, anmerkt: „Keuerleber war ein viel besserer Architekt lichkeit - zwischen den an der TH Charlottenburg der Väter manches Mal vage, häufiger deutlich sicht- als wir so dachten.“ Ewa Oesterlen im Telefonat am 24.11.1997 vorhandenen Entwurfsseminaren - dar.101 Häufig ent- bar ist, treffen die Studentinnen nach dem Vordiplom 106 So unterstreicht Lieselotte Boedeker [geb. von Bonin] ihre Be- scheiden sie sich dabei zwischen Poelzig und Tesse- die Studienorts- wie Lehrerwahl i.d.R. selbständig. reitschaft zu einem Interview mit dem Hinweis: „(weil) ich noch now.102 Ewa Oesterlen [geb. Freise] erinnert ihre Ent- Tessenows Präsenz in Publikationen begründet sein zu den wenigen Menschen gehöre, die das große Glück hatten, scheidung noch gut: „Poelzig war ja so auftrump- überregionales Renommee und macht ihn als Lehrer Tessenow als Lehrer, Meister und Mensch kennen gelernt zu fend, Tessenow war menschlicher.“ 103 Auch Klara auch für StudienortswechslerInnen zu einem Anzie- haben!“ Brief Lieselotte Boedeker, November 1990, S.1. Brobecker´s Entscheidung für das Seminar Tessenow hungspunkt. Aber auch jene Berliner Architekturstu- 107 Wangerin, Gerda: Professor an der Technischen Hochschule fällt in Abwägung dieser Alternativen: „Ich habe mich dentinnen, für die aus den unterschiedlichsten Grün- Berlin-Charlottenburg in: Wangerin, Gerda / Gerhard Weiss: umgeschaut. Taut und Poelzig lagen mir nicht so (..) den kein Ortswechsel in Betracht kam, entscheiden Heinrich Tessenow - Ein Baumeister, Essen, 1976, S.18 Tessenow kam den Frauen ja entgegen, weil er nicht sich i.d.R. gezielt für Tessenow, nachdem sie sich 108 HTG, Schülererinnerungen, Hahn-Waltschanowa, Iwanka: Zu so großspurig war.“ 104 Bei rückblickenden Bewertun- hinsichtlich der konkreten Bedingungen vorab ein Besuch in Neubrandenburg, MS, 4 Bl. 7.4.1978 „Aus lauter gen wird jedoch auch deutlich, dass die Lehrerwahl Bild gemacht haben. Sein Seminar eröffnet ihnen ne- Übermut kamen wir, - Hanna Blank und ich, - im April 1928 auf weniger rational abwägend als beeinflusst durch ben dem Kompetenzerwerb auch die Aussicht, zwi- die Idee nach Neu-Brandenburg zu fahren und Tessenow zum Stimmungen und Strömungen getroffen wurde.105 schen mehreren Studentinnen keine allzu exponierte Geburtstag zu gratulieren. Und weil Erwin Kretzer seit kurzem Sonderrolle einzunehmen. Denn eine geschlechter- Mit Tessenow wählen diese Studentinnen aus dem ein schönes, rotes Fiat’chen besaß, fragten wir ihn, ob er nicht konforme Passgenauigkeit bei beruflicher Orientie- Spektrum der Entwurfsprofessoren just jenen „Leh- Lust hätte, als dritter im Bunde mitzufahren. (..) Ängstlich und rung bietet sich ihnen nicht. Hinsichtlich der (Un-)Ver- rer, Meister und Mensch[en]“, dessen Entwürfe nicht feierlich zugleich war es uns zu Mute, als wir mit unserem Prä- einbarkeit von Berufs- und Geschlechtsrolle sind die durch große Gesten einschüchtern und der - in Auf- sent - 52 langstieligen Teerosen, - vor dem Eingang des Tesse- eigenen Väter ebensowenig unvoreingenommene An- treten und Habitus - weniger autoritative Züge als vä- now’schen Hauses standen. Die Hausangestellte, die uns die sprechpartner wie die Lehrenden. So entscheiden terliches Wohlwollen ausstrahlt.106 Und Tessenow war Türe öffnete, führte uns auf unseren Wunsch hin gleich zu Tes- sich diese Studentinnen für eine konfliktminimierende sich seiner Rolle offenbar sehr bewusst, bereits 1919 senow, der sich an diesem schönen Morgen in dem Garten be- Konstellation, die ihnen Qualifikationen in Aussicht schreibt er: „Ein Lehrer muß meiner Meinung nach fand. (..) Bei unserem Eintreten in den Garten drehte er sich um stellt und Anknüpfungspunkte signalisiert. ganz zuerst großherzig, großmütig, voller sozusagen und schaute uns mit erstaunten Augen an. Hanna Blank und ich einfacher Liebe sein“.107 „Ängstlich und feierlich zu- eilten mit unseren Sträußen auf ihn zu und drückten sie ihm in gleich“ ist denn auch Hanna Blank und Iwanka Walt- die Arme, während Erwin Kretzer sich verbeugte und freundlich schanowa zu Mute, als sie 1928 „aus lauter Über- lächelnd im Namen des Seminars gratulierte. „Das habt ihr aber mut“ anlässlich des Geburtstages ihres Lehrers mit hübsch gemacht“, sagte Tessenow gütig lächelnd, fast gerührt. „52 langstieligen Teerosen vor dem Eingang des Tes- Dann schaute er auf die schönen Rosen ..“ senowschen Hauses“ stehen. „‘Das habt ihr aber 109 Dass lediglich die Brüder studieren, die Schwestern ohne aka- hübsch gemacht’, sagte Tessenow gütig lächelnd, demische Ausbildung heiraten, ist nur in den Familien Pfeiffer fast gerührt.“ 108 und von Bonin der Fall.

im Seminar Tessenow 123 Handwerkerhäuser und Mädchenschulen: Was So diplomiert Lieselotte von Bonin im Sommerseme- studierten Tessenowstudentinnen? ster 1931 mit einem ‘Hotel’, Anni Pfeiffer im darauffol- Mit welchen Aufgabenstellungen setzten sich Studie- genden Winter vermutlich mit einer ‘Jugendherber- rende im Seminar Tessenow auseinander? Welche ge’.112 Fridel Hohmann entwirft als Diplomarbeit 1934 Orientierungen wurden ihnen hier angeboten? Wel- ein Schwimmbad, Ewa Freise und Gertraude Engels che Themen bestimmten die Ausbildung? diplomieren im Wintersemester 1935/36 mit einer ‘Montessorischule’ resp. einem ‘Kindererholungs- Bei sieben Tessenowstudentinnen sind annähernd heim’. Luise Zauleck bearbeitet im folgenden Seme- alle Aufgabenstellungen während des Seminarbe- ster als Diplomentwurf eine ‘Kunsthochschule’.113 suchs bekannt, von 18 Studentinnen ließen sich zu- Ebenfalls 1936 soll Johanna Tönnesmann - an die TH Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mindest einzelne Studienthemen recherchieren. Die Stuttgart zurückgekehrt - als Diplomaufgabe bei Bo- meisten Informationen zu Studienarbeiten und Ent- natz ein ‘Sportstadion’ entworfen haben. Klara Bro- wurfsthemen basieren auf Karteikarteneinträgen der becker diplomiert im Herbst 1937 bei Tessenow mit von Tessenow geführten StudentInnenkartei, deren einer ‘Gutsanlage’. Und auch bei der zeitgleich von Informationsgehalt jedoch sehr stark variiert.110 Von Elfriede Schaar entworfenen ‘Trink- und Wandelhalle’ immerhin sechs Studentinnen konnten Studien- bzw. könnte es sich um eine Diplomarbeit handeln. Im Diplomarbeiten dokumentiert werden. Für Sigrid Rau- Februar 1938 diplomiert Hildegard Korte mit einer ter, Luise Zauleck, Klara Brobecker, Maria Gaiser, El- ‘Landwirtschaftlichen Frauenschule’ und im Sommer friede Schaar, Hildegard Korte, Ingrid Heidenreich 1939 Ingrid Heidenreich mit einem ‘Rathaus’. Gipsmodell aus dem NL Gunkel, und anhand des Nachlasses von Gertraude Engels ist wahrscheinlich Diplomarbeit Anni Pfeiffers, 1932 der Aufbau der Entwurfsaufgaben nahezu lückenlos Tessenows Lehre sieht ein gestaffeltes Entwurfspro- darstellbar. Auf 27 Karteikarten von Studentinnen ist gramm vor. Neueintretende Studierende werden im zumindest eine Entwurfsaufgabe eingetragen. Ledig- Seminar zunächst mit der Entwurfsaufgabe ‘kleines lich bei einem Viertel der Studentinnen lässt sich bis- Wohnhaus’ betraut. Anschließend werden zuneh- her das Diplomthema nachweisen.111 mend größere Aufgaben gestellt. Und nach bis zu drei weiteren Entwurfsaufgaben folgt als Diplomauf- gabe i.d.R. ein öffentliches Gebäude. Die Themen- Kunsthochschule, Luise Zauleck, Diplomarbeit, 1936, Schnittzeichnung stellungen im Seminar Tessenow variieren über die Jahre. Angaben über die bis 1932 bearbeiteten Auf- gaben finden sich in der Kartei nur fragmentarisch. Kartiert sind für diesen Zeitraum lediglich die Ent- wurfsthemen im Sommersemester 1929. Demnach entwirft Helga Karselt einen Bahnhof, Thea Koch ein Kurhaus und Lieselotte von Bonin ein Rathaus. Han- na Blank und Gisela Eisenberg bearbeiten jeweils eine Volksschule. Besser lässt sich die Bandbreite des Themenspek- trums im Laufe der dreißiger Jahre anhand der auf den Karteikarten vermerkten Aufgabenstellungen re- konstruieren. Demnach entwirft Friedel Schmidt im Wintersemester 1932/33 ein Arzthaus und im Früh- jahr 1933 ein Berghotel.114 Sigrid Rauter bearbeitet bei Eintritt ins Seminar im Herbst 1932 zunächst das Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ‘kleine Wohnhaus’, anschließend eine ‘Dorfschule’ und - wahrscheinlich im Winter 1933/34 - ein ‘kl. Sa- natorium’. Bei dem auf ihrer Karte vermerkten ‘Ho- tel- und Geschäftshaus’ bleibt spekulativ, ob es sich um den Entwurf handelt, mit dem sie im Juli 1934 bei Tessenow erfolgreich diplomiert. Gertraude Engels erster Entwurf ist im Winter 1933/34 ein ‘kleines Siedlerhaus’. Es folgt 1934 ein ‘Arzthaus’. Spätestens 1935 entwirft sie eine ‘Mädchenschule’ bevor sie im Winter 1935/36 mit einem ‘Kindererholungsheim’ das Studium abschließt. Auch auf der Karteikarte von Luise Zauleck ist als er- ster Entwurf bei Eintritt ins Seminar zum Herbst 1933

124 Architekturstudentinnen das ‘kleine Wohnhaus’ vermerkt. Obwohl sie erst En- Seit dem Frühjahr 1935 studieren sowohl Maria Gai- de 1933 das Vordiplom besteht, scheint sie diese ser als auch Hildegard Korte im Seminar Tessenow. Aufgabe im verbleibenden Wintersemester zu bewäl- Beide entwerfen zunächst ein ‘kleines Wohnhaus’. tigen, denn für das Sommersemester 1934 ist bereits Während Korte im folgenden Wintersemester einen der Entwurf eines Krankenhauses eingetragen. Im ‘Bauernhof’ entwirft, bearbeitet Gaiser ein ‘Konzert- Winter 1934/35 entwirft sie ‘Ladenbauten’ und im haus’. Im Frühjahr 1936 folgt bei Gaiser eine ‘Dorfkir- 110 Diese StudentInnenkartei befindet sich im HTA. Die Homogeni- Sommersemester 1935 ein ‘Arzthaus’. Für das Win- che mit Schule’ während Korte ein ‘Postamt’ entwirft. tät der Schrift für die Einträge um 1930 legt nahe, dass diese in- tersemester 1935/36 ist keine Aufgabe eingetragen. Aber auch Korte bearbeitet - im Winter 1936/37 - die formelle Kartei am Lehrstuhl Anfang der dreißiger Jahre begon- Luise Zauleck dürfte in diesem Zeitraum das Büro- Aufgabe ‘Dorfkirche mit Schule’ und im folgenden nen wurde, evtl. anlässlich der Ausstellung „Tessenow und praktikum abgeleistet haben. Mit dem Entwurf einer Sommersemester einen Gasthof, während Maria Gai- seine Schule“. Sie wurde bis in die vierziger Jahre fortgeführt. ‘Kunsthochschule’ diplomiert sie im Juli 1936. Zu die- ser im Frühjahr 1937 eine Jugendherberge und an- 111 Die Themen der Diplomarbeiten sind auf den Karteikarten häufig sem Zeitpunkt entwirft Klara Brobecker, die nach schließend eine ‘Trink- und Wandelhalle’ entwirft. nicht als solche vermerkt. Wechsel von Rüster zu Tessenow im Herbst 1935 Hildegard Korte setzt für ein mehrmonatiges Volonta- 112 Das Thema der Diplomarbeit Pfeiffers ist nicht nachgewiesen, ebenfalls ein ‘kleines Wohnhaus’ entworfen hatte, riat ein Semester aus und diplomiert im Februar 1938 erhalten sind in ihrem Nachlass jedoch undatierte Modellfo-tos eine ‘Dorfkirche mit Schule’. Schon nach einem wei- bei Tessenow mit einer Landwirtschaftlichen Frauen- eines zweistöckigen Gebäudes auf einem Bergrücken. teren Entwurf, sie bearbeitet im Winter 1936/37 einen schule. Gaiser unterbricht ihr Studium nach fünf Se- 113 1937 diplomiert bspw. auch Josef Ehren bei Tessenow mit einer ‘Gasthof’, meldet sie sich zum Diplom und diplomiert mestern zumindest für zwei, wahrscheinlich sogar für ‘Kunstfachschule’. HTA, Karteikarte Ehren im November 1937 mit dem Entwurf einer ‘Gutsanla- drei Semester.115 Sie bearbeitet ihren Diplomentwurf 114 Obschon die Karteikarte „Schmid, Friedel“ auch den Vermerk ge’ bei Tessenow. Auch Elfriede Schaar, die zum bei Tessenow erst im Winter 1939/40. Ingrid Heiden- „2 Semester in den Vereinigten Staatsschulen“ enthält, dürften Sommersemester 1936 ins Seminar eintritt und ein reich entwirft - nach einem ‘Malerhaus’ im Zwischen- diese beiden Entwürfe im Seminar an der TH Charlottenburg ‘Handwerkerhaus’ entwirft, diplomiert dort Ende semester 1937 - im Winter 1937/38 ein ‘Theater’ und entstanden sein. 1937. Ihre Karteikarte weist die „Dorfkirche m. Schu- im Sommersemester 1938 ein ‘Gemeinschaftshaus’. 115 Wahrscheinlich arbeitet sie in diesem Zeitraum in einem Archi- le“ für das Wintersemester 1936/37 aus und im fol- Bereits im Sommer des darauffolgenden Jahres ist tekturbüro. genden Frühjahr einen ‘Gasthof’. Für das Zwischen- sie mit einem Rathaus-Entwurf bei Tessenow diplo- 116 Was Heidenreich im Wintersemester 1938/39 entwirft, resp. ob semester 1937 ist auf ihrer Karteikarte eine ‘Trink- miert.116 sie in diesem Semester überhaupt im Seminar studiert, geht aus und Wandelhalle’ eingetragen. ihrer Karteikarte nicht hervor.

Arzthaus, Gertraude Engels, 1934, Ansichten der Gartenseite (oben) und Straßenseite (unten) Ansicht des Giebels zum Hof resp. zur Straßenmündung (unten)

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im Seminar Tessenow 125 Insbesondere das ‘kleine Wohnhaus’, das im Einzel- fall auch ein Siedler-, Handwerker-, Maler- oder Arzt- haus sein konnte, ist bei Eintritt ins Seminar - auch für Gaststudierende - derart obligatorisch, dass es auch bei denjenigen Studentinnen als erste Entwurfs- aufgabe unterstellt werden kann, bei denen bisher je- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Nachweis fehlt.117 Friedel Schmidt und Ilse Sahl- mann projektieren als erste Entwurfsaufgabe bei Tessenow im Herbst 1932 resp. im Frühjahr 1935 ein ‘Arzthaus’. Im Winter 1933/34 entwirft Gertraude En- gels ein ‘kleines Siedlerhaus’. Diese Aufgabe wird auch den beiden 1937 neu ins Seminar eintretenden Studentinnen Edeltraud Lätzsch und Ruth Weckend als erste gestellt. Galina Taizale entwirft im Herbst 1935 ein ‘Wohnhaus’. Im Sommersemester 1936 be- arbeitet Elfriede Schaar als erste Aufgabe ein ‘Hand- werkerhaus’ und Ingrid Heidenreich projektiert 1937 zunächst ein ‘Malerhaus’. Bereits in einer deutlich fortgeschrittenen Phase ihres Studiums entwirft Fridel Hohmann bei Eintritt ins Seminar - im Frühjahr oder Herbst 1932 - ein ‘Bauernhaus’.118

Bei dem nebenstehend abgebildeten Arzthaus han- delt es sich um einen Entwurf von Gertraude Engels Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar aus dem Jahre 1934. Auf einem großzügig bemesse- nen Grundstück an einer Straßenmündung ist das Programm als vollständig umfriedete Anlage ausge- führt. Die Höhen- und Tiefenstaffelung von Baukör- pern und Umfriedung bildet einen erweiterten Fuß- gängerbereich an der Straßenmündung im Norden. Von hier aus ist die Praxis - als eingeschossige Ver- längerung dem Wohnhaus vorgelagert - über einen gesonderten Zugang erschlossen. Das Wohnhaus Arzthaus, Gertraude Engels, 1934, von oben nach unten: Dachstuhl, Grundriß Obergeschoss und Grundriss Erdgeschoss selbst steht als zweigeschossiges Siedlerhaus trauf- ständig parallel zur Straße. Südwestlich schließt sich dem Wohnhaus ein durch eine Mauer gefasster Hof an, der von einer Garage mit Schuppen begrenzt wird. Der dem Haus südlich vorgelagerte Garten be- steht überwiegend aus einer großen Rasenfläche mit Obstbäumen, der sich - durch eine Hecke säuberlich getrennt - ein akkurater Gemüsegarten anschließt. Dessen Staketenzaun fasst die parallel verlaufende Straße in ihrem weiteren Verlauf enger. Das Wohnhaus selbst besteht im Erdgeschoss ledig- lich aus Küche, Ess- und Wohnzimmer, wobei sich nur letzteres über die Tiefe des ganzen Hauses er- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar streckt. Küche und Esszimmer ist gartenseitig eine Terrasse mit Pergola vorgelagert. Im Obergeschoss befinden sich neben Bad und gesondertem WC die zum Garten orientierten Schlafräume für Eltern, Toch- ter, Sohn und - straßenseitig - das Gästezimer. Das gesonderte Ankleidezimmer ist mit dem Zusatz „bzw. Zimmer der Dame” ausgewiesen. Vorrats- und Ab- stellräume sind sowohl auf dem Dachboden wie im Keller vorgesehen. Hier befinden sich auch Wasch- küche und Heizraum, sowie der Lagerraum für Wein.

126 Architekturstudentinnen weiteren Aufgabenstellungen individuell nach Stu- dienfortschritt festgelegt und in Einzelarbeit entwor- 117 Von Bonin entwarf das ‘kleine Wohnhaus’ im Winter 1928/29, fen.119 Hierdurch ist im Seminar immer ein Spektrum Rauter - und wahrscheinlich Kaatz - im Wintersemester 1932/33 bearbeiteter Themen präsent.120 Anhand der 1935 von und Dirxen wie auch Zauleck im Winter 1933/34. Im Sommerse- Gertraude Engels bei der Diplomanmeldung einge- mester 1935 bearbeiteten Schneider und Korte diese Aufgabe reichten Studienblätter lässt sich der Studienumfang und im Winter 1935/36 Brobecker. Als Ausnahmen können Tön- ermessen: Sie legt insgesamt 36 Blätter mit Zeich- nesmann und Reimmann gelten, die während ihrer Gastseme- nungen vor und absolviert - neben Vorlesungen, Se- ster im Sommer 1933 resp. im Herbst 1935 jeweils ein Schule minaren und Entwurfsprojekten - elf mündliche Prü- entwarfen. Tönnesmann hatte bereits vier Jahre studiert. Auch fungen.121 Koch, die zum Herbst 1929 - ihrem letzten Studienjahr - ins Se- Im Spektrum aller Aufgabenstellungen springen die minar eintritt, ist im Studium bereits so weit fortgeschritten, eher ungewöhnlichen Themen - wie bspw. die ‘Fried- dass sie kein Wohn-, sondern ein Kurhaus entwirft. hofsanlage’, der ‘Gasthof’ oder die ‘Trink- und Wan- 118 Auch sie hat zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens vier Jahre delhalle’ ins Auge. Deutliche Schwerpunkte lassen studiert. sich jedoch insbesondere im Wohnungs- und Ge- 119 Nur ausnahmsweise wird im zweiten Semester erneut ein Sied- meindebau ausmachen. Vereinzelt tauchen ab Mitte ler-, Arzt- oder„kl. Bauernhaus” als Aufgabe gestellt, so bspw. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der dreißiger Jahre Karteieinträge auf, die einen di- bei Engels und Korte. Und vereinzelt wird im späteren Studien- rekten Bezug zur Expansions- und Aufrüstungspolitik verlauf erneut ein freistehendes Wohnhaus bearbeitet, so bspw. des Dritten Reiches aufweisen. So wird ab 1937 ne- ein „Arzthaus” von Zauleck. ben dem Thema ‘Dorfkirche mit Schule’ nun auch 120 Dies konnte eine Schule resp. eine Dorfkirche mit Schule sein das ‘Gemeinschaftshaus’ bearbeitet. Dieses Gebäu- (SS29, SS33, 34/35, 35/36, SS37), ein Gasthof (1936 und 37), deprogramm wurde bereits 1933 von Robert Ley als ein Hotel, ein Sanatorium, ein Krankenhaus, ein Theater (WS säkularer Ersatz der dörflichen Mitte gefordert und in 1937/38), eine Trink- und Wandelhalle (1937/38), ein Rathaus, den Fachzeitschriften als neue Bauaufgabe eines eine Jugendherberge, ein Klubhaus für Segler oder auch ein ‘Kulturhauses’ propagiert. Auch die im Rahmen der Konzerthaus sein. ‘Volk-ohne-Raum’-Politik gen Osten introduzierte 121 NL Herde, Zeugnisse Gertraude Engels. Es handelt sich dabei ‘Bauernstelle’ taucht nun neben den Bauaufgaben im Einzelnen um mündliche Prüfungen in Bau- und Kunstge- ‘Bauernhof’ und ‘Siedlerhaus’ auf. Politisch brisante schichte, Hochbaukunde, Baukonstruktionslehre, Technischer Themenstellungen - wie das ‘Gemeinschaftshaus’ Ausbau, Statik sowie Städtebau- und Siedlungswesen. Bei der oder das ‘Krematorium’ - verschwinden jedoch um Vorprüfung 1933 hatte sie bereits mündliche Prüfungen in Dar- 1939 ebenso plötzlich wieder aus dem Spektrum der stellender Geometrie, Festigkeitslehre und Grundlagen der Sta- im Seminar bearbeiteten Entwurfsaufgaben wie sie tik, Baukonstruktionslehre I, Baustofflehre und Grundzüge der dort aufgetaucht sind.122 Formenlehre abgelegt. Die eingereichten Zeichnungen aus Grund- und Hauptstudium umfassen 19 Blätter Übungen in Dar- Zu den immer wieder gestellten und bearbeiteten stellender Geometrie, Abb. von Körpern, (1931/32), 3 Blätter zur Lageplan des Arzthauses Themen gehören insbesondere ‘Schulen’. Im Unter- Hochbaukonstruktion I 1932, 4 Blätter zur Hochbaukonstruktion schied dazu erleben Programme wie bspw. das ‘Ho- II, 2 Blätter zur Baukonstruktion I, 2 Blätter zur Baukonstruktion tel’ oder das ‘kleine Sanatorium’ ab und an eine Art II, 2 Blätter zur Handwerkskunde, 1933 (alle aus dem Jahre Auch als Arzthaus bleibt dieser Entwurf mit Hauswirt- Renaissance. Wie die ‘Schule’, die als Volks-, ‘Dorf-, 1933), 2 Blätter Statik der Hochbaukonstruktionen III (1934) und schaftshof, zweitem Kellerzugang ins Freie, dem gro- Knaben- und Mädchenschulen bearbeitet wird123, 2 Blätter Aufmaße aus dem Unterricht bei Prof. Andrae, wofür ßen Dachboden und der kleinen Vortreppe deutlich zeigt bspw. auch die Entwurfsaufgabe Hotel eine Gertraude Engels im Pergamonmuseum u.a. den Wasserspeier der Typologie des märkischen Siedlerhauses ver- gewisse Variationsbreite: als ‘Berghotel’, ‘kl.[eines] vom Olympiatempel Pergamon zeichnete. pflichtet, auch wenn - wie bei den tiefergezogenen Hotel’, oder ‘Hotel für eine mittlere Stadt’.124 Neben 122 Ein „Krematorium” taucht als Entwurfsaufgabe - lt. Karteieinträ- Fenstern zum Garten - Anklänge an das Landhaus dieser Ausdifferenzierung einzelner Themen fällt auf, gen - ausschließlich im Sommersemester 1936 auf. HTA, Kartei- erkennbar sind. Hier siedelt offenbar eine Familie mit dass andererseits ganze Themenbereiche nahezu karten Bodo Jeske, Arnold Klingmüller, Heinz Kankel und Franz gärtnerischer Selbstversorgung und umfangreicher ganz ausgeklammert bleiben, so bspw. Kindergärten, Rosenberg. Hauswirtschaft in ländlicher Umgebung. Die Arztpra- Appartementhäuser oder Botschaftsgebäude, aber 123 So entwirft Blank im Sommersemester 1929 eine Volksschule, xis im nördlichen Anbau - intern durch einen Durch- auch Sport- und Verkehrsbauten. ‘Großbauten’ - wie Tönnesmann 1933 eine Dorfschule, Engels im Winter 1934/35 gang in der Wohnzimmerwand mit dem Wohnhaus Schwimmbad, Kunsthochschule, Rathaus oder Thea- eine Mädchenschule, Freise im Winter 1936 eine „Montessori- verbunden, - nutzt geschickt die Lage an der Stra- ter - sind in aller Regel dem Diplomentwurf vorbehal- schule”. Brobecker und Gaiser entwerfen im Frühjahr 1936 eine ßenmündung. Engels ordnet ihr Arzthaus dezidiert als ten. Während es im Seminar Tessenow nicht möglich „Dorfschule mit Kirche”. Und von Korte existiert ebenfalls eine ‘normales’ Siedlerhaus in klarer Reihung an. Sie kon- ist, die unspektakulären Themen auszulassen, kön- Entwurf dieses Themas aus dem Frühjahr 1937, bevor sie mit zentriert die medizinische Infrastruktur des Dorfes ge- nen SeminaristInnen bei ihm umgekehrt auch aus- einer ‘Landwirtschaftlichen Frauenschule’ diplomiert. schickt in so kompakter und unauffälliger Form, dass schließlich mit unspektakulären Themen diplomieren, 124 So wird ein ‘Hotel’ bspw. 1930/31 von Bonin als „Hotel für eine die Dorfstruktur unangetastet bleibt. wie sich bspw. am Studienverlauf Gertraude Engels mittlere Stadt“, 1932 von Rauter und 1933 von Schmidt als belegen lässt. Galt das ‘kleine Wohnhaus’ als bewältigt, wurden die „Berghotel“ entworfen.

im Seminar Tessenow 127 Außerhalb dieser auf jeweils ein Semester begrenzten Die Teilnahme an diesen sporadisch gestellten Auf- 125 Die Bearbeitungsdauer dieser internen Wettbewerbe lässt sich Entwurfsaufgaben stellte Tessenow in unregelmäßi- gaben war freiwillig. Da keine TeilnehmerInnenlisten nicht näher bestimmen. gen Abständen - und wahrscheinlich ab 1929 - sog. geführt wurden, sind Angaben über die Häufigkeit der 126 HTA, Studentenkartei, Marschall, Günther. Hier finden sich u.a. Monatsaufgaben.125 Hier konnten Studentinnen und Teilnahme von StudentInnen nicht möglich.128 Wäh- Einträge für das Sommersemester 1935 „Gewerbeausstellung Studenten unterschiedlicher Semester anhand von rend Manche dieser offenen Konkurrenz innerhalb ‚Alte Kunst in Bayern“ 2.Preis und im Wintersemester 1935/36 Stegreifentwürfen zu einem vorgegebenen Thema in des Seminars aus dem Wege gehen, beteiligen sich ein Eintrag 1. Preis „Schutzhütte Elias Holl“. direkte Konkurrenz treten: Die Arbeiten wurden unter Andere auch mehrfach an den Monatsaufgaben.129 127 „Telephonzelle” lt. HTA, Karteikarte Donath, Gerhard. Er erhielt einem Motto eingereicht bzw. an die Wand gehängt. 1929 scheinen zumindest Anni Pfeiffer und Gisela Ei- bei dieser Monatsaufgabe den 1.Preis (und diplomierte 1933). Im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung wurden senberg jeweils einen Entwurf für die ‘Treppe’ einge- 128 Auch wenn die Preisvergaben hier relativ häufig vermerkt sind, die Entwürfe beurteilt und Plätze bzw. Preise verteilt. reicht zu haben.130 Friedel Schmidt beteiligt sich mit so sind die Einträge zu Teilnahmen nicht vollständig. eigenen Entwürfen an den Monatsaufgaben ‘Brücke’ 129 Klara Küster erinnert, dass sie nie teilgenommen habe, da sie Thematisch ähneln manche Monatskonkurrenzen Se- und ‘Handwerkerhaus’. Bei der Themenstellung ‘Gar- schon die Vorlage ihres Entwurfsprojektes im Seminar jedes Mal mesterprojekten, so bspw. beim ‘Postamt’ oder dem tenlaube’ reicht Gertraude Engels um 1935 ihren Ent- große Überwindung gekostet habe. Telefonat am 9.8.1997 ‘Handwerkerhaus’. Selten ist ein konkreter Ort oder wurf unter dem Motto „Rührei” ein.131 Im Februar 130 HTA, Karteikarten Pfeiffer und Eisenberg (Rückseite der Karte Anlass - wie im Fall der „Gewerbeausstellung ‚Alte 1936 gewinnt Gisela Schneider mit ihrem ‘Aussichts- Schröder). Kunst in Bayern’ “ oder beim ‘Havelrestaurant’ - er- turm’ einen 2. Preis.132 Und wahrscheinlich ebenfalls 131 Dieser Entwurf befindet sich im NL Herde. kennbar.126 Und nur ausnahmsweise handelt es sich 1936 beteiligt sich Maria Gaiser mit einem ‘Krieger- 132 Bei dieser Aufgabe erhält ihr späterer Gatte Josef Ehren den dabei um eine Übung im Freihandzeichnen wie bei denkmal’ an einem solchen Wettbewerb. Bisher lässt 3. Preis. HTA, Karteikarten Schneider und Ehren. der Aufgabe ‘Naturstudie’. In aller Regel ist die Mo- sich kein Gewinn einer Monatskonkurrenz bei Tesse- 133 FN 77 - Einen Eindruck von diesen Ferienwettbewerben vermit- natsaufgabe ein hinsichtlich des Raumprogramms now durch eine Studentin nachweisen. An der TH teln bspw. die 1929 in Wasmuth´s Monatsheften vorgestellten sehr überschaubares Thema ohne konkreten Kontext, Stuttgart, wo bei einem der vergleichbaren ‘Ferien- Wettbewerbsarbeiten „Kleines Haus mit Garten“ und „Tennis- wie bspw. ein ‘Musikpavillon’, ein ‘Kriegerdenkmal’, wettbewerbe’ Anfang der dreißiger Jahre ein Park- klubhaus“. Wasmuth´s Monatshefte, Berlin, 12.Jg., 1928, S.498 eine ‘Schutzhütte’, oder eine ‘Gartenlaube. Etwa die haus in der Stuttgarter Innenstadt zu entwerfen war, ff. Hälfte der bisher bekannten Aufgabenstellungen lässt soll Johanna Tönnesmann gewonnen haben.133 134 Tessenows Zeichnungen für eine geschwungene Treppe (Z 5/41 sich datieren. So wurde im Sommersemester 1929 und Z 2/16) ordnet de Michelis den Entwürfen für die Kirche am eine ‘Treppe’, um 1932 eine ‘Telephonzelle’ ausge- Auch wenn sich zu Themen einzelner Monatsaufga- Hang in Karlshafen zu. (Vgl. Abb.) De Michelis, 1991, S.303. Ver- lobt.127 Im Winter 1932/33 wie im Sommersemester ben - wie bspw. der Treppe - Skizzen in Tessenows merke wie „Bibliothek (=Frankfurter Wettb.)“ finden sich auf 1935 wurde ein ‘Handwerkerhaus’ als Monatsaufga- Nachlass finden lassen und manche Themenstellun- Karteikarten nur sehr selten. HTA, Karteikarte Franz Mannstaedt. be bearbeitet. Im Frühjahr 1933 zählten eine ‘Park- gen - wie bspw. Jugendherbergen und Rathäuser - 135 Komplex dreier Berufsschulen in Berlin-Charlottenburg, „Schule brücke’ und die bereits erwähnte ‘Gewerbeausstel- mit aktuellen Wettbewerben korrespondieren, so im Afrikanischen Viertel“ in Berlin und „Entwurf für eine Musik- lung’ zu den Aufgabenstellungen, und im Winter bleibt das Entwerfen im Seminar von realen Bauauf- hochschule in Charlottenburg“. 1935/36 ein ‘Aussichtsturm’ und eine ‘Schutzhütte’. gaben an konkreten Standorten doch weitgehend entkoppelt.134 Dies spiegelt sich auch in der Darstel- lung wider. Denn so viel Aufmerksamkeit dem ‘Einfü- Heinrich Tessenow, Kirche in Karlshafen mit Freitreppe, Vorentwürfe, um 1929 gen in die Landschaft’ bei Jugendherbergen, Sanato- rien und Siedlungshäusern geschenkt wird, bei städ- tischen Themen sucht mensch vergebens nach ei- nem Kontext. Die urbanen Entwürfe stehen auf den Zeichnungen ‘in the middle of nowhere’.

Während Heinrich Tessenow selbst auch Bauaufga- ben in Großstädten übernimmt und sich anlässlich von Wettbewerben auch mit großmaßstäblichen Ent- würfen beschäftigt - so bspw. 1925 beim „Wettbe- werb für das Bürohaus des Dresdner Anzeigers” und 1927 für Schulen in Berlin135 -, so entsteht anhand der Aufgabenstellungen im Seminar der Eindruck, als Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wolle er die ihm anvertrauten Studentinnen und Stu- denten vor den Bauaufgaben der Großstadt bewah- ren: Es finden sich kaum Aufgabenstellung im Büro-, Sportstätten- oder Verkehrsbau, keine einzige im In- dustriebau. Studentinnen und Studenten bleiben an diesen Themen dennoch interessiert. Insbesondere beim Diplom, wo ihnen die Möglichkeit eines eigenen Themenvorschlags eingeräumt wird, bearbeiten sie Aufgaben wie Theater, Rathaus, Hotel, Schwimmbad und ‘großer Bahnhof’. Aber auch hier bleiben Ge-

128 Architekturstudentinnen bäude für die Massengesellschaft, Bauten für anony- me NutzerInnen und staatliche Repräsentationsbau- ten tabu. Aufgabenstellungen wie ‘Ledigenheim’, ‘Kindergarten’ oder „Haus für die berufstätige Frau” sind schlicht nicht existent.136 Verwaltungsgebäuden wird als „Reichsbanknebenstelle” oder „kl.[eines] Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Postamt” der großstädtische Maßstab genommen. Und die Grandezza eines „Hotel ‘Vier Jahreszeiten’ “ wird auf ein „Hotel für eine mittlere Stadt” gestutzt.137 Lassen sich die Entwurfsaufgaben im Seminar wäh- rend der zwanziger Jahre als asynchron zur Situati- on der Studierenden wie zum ‘mainstream’ der Archi- Heinrich Tessenow, 1927, Wettbewerbsentwurf für einen Neubau mit drei Berufsschulen in Berlin-Charlottenburg (oben) tekturausbildung bezeichnen so steigt das Interes- und für Schulneubauten im Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding (unten) sen an eben diesem Themenkanon gegen Ende der Weimarer Republik. Tessenow scheint zu beobach- wurfs und der Gestaltung.“ 138 „’Meine Herren, haben ten, nicht aber gänzlich zu begreifen, dass die am Sie Mut zur Einfachheit’, ermahnte er seine Schüler ländlichen Raum und an bodenständigen Siedlungs- bei den Korrekturen, und diese Worte wurden ein formen orientierten Entwurfsaufgaben nicht nur will- ständiges Zitat für uns.“ Und so strebten seine Stu- kommene Anknüpfungspunkte für eine neue, ‘deut- dentInnen in ihren Entwürfen nach dem tiefsinnig sche’ Bautradition, sondern auch für eine auf ländli- Einfachen und mieden „die `Architektur´ - jenes Wort, che Räume zielende Expansionspolitik bieten. In sei- das Tessenow bei der Besprechung der vorgelegten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ner Skepsis gegenüber allem Großspurigen und Poli- Arbeiten gelegentlich an den Rand unserer Zeichnun- tischen beschäftigt er seine Studierenden weiterhin gen schrieb und das wir als ein deutlich negatives mit überschaubaren Entwurfsaufgaben. Allerdings Urteil begriffen.“ 139 nimmt er nun auch manche der neuen Bauaufgaben Tessenow insistiert auf einem Leben in überschauba- des ‘neuen’ Deutschen Reiches ins Programm auf. rer Gesellschaft, in geordneten familiären Verhältnis- Boten sich den Studierenden im Seminar während sen und in Nähe zur Natur. Er bleibt dieser Überzeu- der zwanziger Jahre kaum Möglichkeiten, um an den gung auch im Laufe der Weimarer Republik treu und weitreichenden Planungsvisionen des ‘Neuen Bau- vermittelt seine Präferenz für das Leben in land- ens’ zu partizipieren, so eröffnet sich Studierenden in schaftsnahen Siedlungsformen nicht nur beim freiste- den dreißiger Jahren hier die Chance, sich mit Ent- henden Wohnhaus. Jugendherbergen, Erholungshei- 136 Lediglich als Bestandteil bzw. Nebengebäude der ‘Landfrauen- wurfsaufgaben zu beschäftigen, die zunehmend mehr me und Frauenlandwirtschaftsschulen liegen fernab schule’ lässt sich hier die seit den zwanziger Jahren beliebte Aktualität genießen. Wie aber lernten die Studentin- in der Natur. Seine SeminaristInnen sollen zu keiner Entwurfsaufgabe ‘Kindergarten’ nachweisen. Vgl. Kap.6, FN 37. nen entwerfen und wie sahen ihre Entwürfe aus? Form der Verstädterung beitragen, sondern - quasi 137 Vgl. Diplomarbeit Lieselotte von Bonins. In wieweit er Diplom- im Einklang mit der Natur - handwerkliche Bautradi- Im Entwurfsseminar spricht Tessenow „gemeinhin themen explizit ablehnte, bleibt unklar. Da diese Themen jedoch tionen schätzen lernen und behutsam neue Bauten nicht von den letzten Dingen, sondern von den er- faktisch von ihm gestellt und vom Dekanat genehmigt werden entwickeln. Tessenow, der sich selbst als „unverbes- sten. (..) Er spricht auch von den Fragen des Ent- mußten, blieb die Wahl des Entwurfsthemas an Tessenows serlichen Kleinstädter“ bezeichnete, hegt eine Skep- Akzeptanz gebunden. sis vor dem Großstädtischen, Schnellen, Industriel- 138 Posener, 1979, S.366: „Extrem ist (..)Tessenows Sprache. Im all- len.140 Seine Sympathien und Publikationen gelten Wettbewerbsentwurf für den Neubau des Dresdner Anzeigers, 1925 gemeinen ist sie klar, populär, ein wenig umständlich: eine Gartenstädten, ländlichen Siedlungen und der Klein- gesprochene Sprache, die jeder verstehen soll und verstehen stadt. Deshalb lässt er seine Studentinnen und Stu- kann. Auch spricht er gemeinhin nicht von den letzten Dingen, denten zahllose Gebäude in unterschiedlichen ländli- sondern von den ersten. (..) Er spricht auch von den Fragen des chen Siedlungen aufmessen. Entwurfs und der Gestaltung.“ Aufmaße zu erstellen gehörte bereits im Grundstudi- 139 HTA, Schülererinnerungen, Boedeker, Lieselotte: Erwin Kretzer um zur Pflicht. „Es gehörte zum Studienplan ein be- zum Gedächtnis, 14.10.1986 sonders attraktives Bauwerk aufzunehmen. Meine 140 „Tessenow (..) meinte, der kleinen Stadt gehöre die Zukunft. (..) Kommilitonen wählten zum Teil kleine Adelshäuser in Man kann sagen, daß die These, welche Schiller vertrat und Potsdam für diesen Zweck“, erinnert Karola Bloch, dann Morris und Tessenow, gegen die Arbeitsteilung gerichtet Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die selbst im Frühjahr 1932 eine kleine romanische war, auf jeden Fall gegen die extreme Arbeitsteilung, welche die Kirche am Gardasee aufmisst.141 Der Einfluss Tesse- Industrie fordert.“ (Posener, 1979, S.365) Als „unverbesserlichen nows bestand sichtbar darin, die Studierenden über Kleinstädter“ bezeichnete sich Tessenow bspw. in einem Le- das Pflichtprogramm hinaus zu weiteren Aufmaßen benslauf, der auszugsweise veröffentlicht ist in: Schuster, 1961, anzuregen und dabei auch an den eher unauffälligen, S.9, vgl. FN16. in handwerklichen Traditionen verfertigten Bauformen 141 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981, S.72

im Seminar Tessenow 129 auf dem Lande das Zusammenspiel von Tektonik, mand, der keinen Widerspruch duldete; es war viel- Material und Form studieren zu lassen. Manche taten mehr so, dass man ihm nicht widersprach. Das lag dies ebenso akribisch wie ausdauernd, wie dies freilich sehr stark an seiner Persönlichkeit.“ 150 bspw. die Aufmaße von Gertraude Engels und Ale- Über die Intensität und die Streuung der Betreuung xander Herde mit ihren liebevoll protokollierten De- lassen sich keine zuverlässigen Aussagen machen. tails belegen.142 Die Angaben zur Präsenz Tessenows im Seminar va- Tessenow lässt bescheidene Häuschen für private riieren.151 Studierende erhielten aber zumindest durch Auftraggeber konzipieren, denn „die Unwohnlichkeit die Assistenten regelmäßig eine persönliche Rück- ist der beste Boden für die ‚unbegrenzten Möglich- meldung mit konkreten Verbesserungsvorschlägen. keiten’, während die Wohnlichkeit in allen Hinsichten Bei diesen Einzelkorrekturen der Entwürfe konnte die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und zu allererst auf Begrenzungen beruht.“ 143 „In sei- Grenze zwischen Hilfestellung und Einflussnahme je- nem Werk wie in seinem Wesen durchdringen einan- doch verschwimmen. So erinnert Christa Kleffner- der Handwerk, Kunst und Philosophie. Wer ihn ein- Dirxen, dass kleines Wohnhaus im Wintersemester fach nennen wollte, schlicht, anspruchslos, hätte 1933/34 „eigentlich eher ein Entwurf von Löffler als recht, und er hätte unrecht. Seine Einfachheit ist un- von mir“ gewesen sei.152 tergründig.“ 144 So umschreibt Posener die Komplexi- Mit den Studierenden verschiedener Semester und tät dieser Haltung, die sich nicht sofort erschließt. den individuell gestellten Aufgaben ist im Seminar im- Denn so konkret Tessenow bei seinen Entwürfen ei- mer eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Themen nerseits auf den schlichten Ausdruck, andererseits präsent. Anhand der gemeinsam durchgeführten Kor- auf die Bildhaftigkeit setzt, so umfassend ist sein An- rekturen konnten die SeminaristInnen zu jedem Zeit- spruch, der sich in Sätzen wie dem folgenden andeu- punkt den Studienfortschritt der KommilitonInnen tet. „Dem Künstler ist nichts wichtiger als (..) sozusa- verfolgen. Die Möglichkeit des unmittelbaren Ver- gen das Ei zu zeigen, aus dem die ganze Welt gebo- Heinrich Tessenow beim Korrigieren im Seminar gleichs unterschiedlicher Lösungen war gegeben, so- ren wird.“ 145 weit Studierende die gleiche Aufgabenstellung bear- Tessenow nutzte die Korrekturen im Seminar zumeist beiteten. Zum anderen boten die semesterübergrei- zur exemplarischen Illustration. Dabei nahm er sich - fend gestellten Monatsaufgaben die Möglichkeit sich 142 Unter diesen zahlreichen - inzwischen im HTA archivierten Auf- nach Erinnerungen Gertraude Herdes an ihre Zeit im zu messen. maßen - befinden sich u.a. ein Büdnerhaus in Fangschleuse bei Seminar zwischen 1933 und 1936 - „am Tisch sit- Tessenow favorisiert die Reihung familiären Wohnens Erkner (erbaut 1823), ein Friderizianisches Heimarbeiter-Sied- zend, die Studenten drumherum stehend“ einen stu- und Arbeitens als ebenso ursprüngliche wie ideale lungshaus (erbaut 1754) in Gosen, das Haus Kirchgasse 2 in dentischen Entwurf vor „und hielt anhand eines De- Siedlungsform. Das städtebauliche Leitbild ist dem- Beeskow, die Dorfschmiede Kuschten, Kreis Meseritz und die tails (sei es ein Fehler oder lobenswerter Punkt) eine entsprechend die Kleinstadt. Trotz des großstädti- Nordseite der Dorfstraße Lauske, Kreis Schwerin a.d. Warthe. Vorlesung zu diesem speziellen Thema.“ 146 Die Situa- schen Umfeldes der Hochschule bleibt jegliche verti- HTA, Gertraude Engels, Fach 36, Inv.1989, 47 AOZ tion in den späten zwanziger Jahren erinnert Iwanka kale Addition von Funktionen, Familien oder Lebens- 143 Ibid., S.40 Hahn ähnlich: „Das waren nicht allein ästhetische, formen ausgeblendet. Diese anachronistische Positi- 144 Posener, 1979, S.366 das waren philosophische, humane Vorstellungen, on besitzt auch - oder gerade - für die ‘Großstadtkin- 145 Tessenow, Heinrich: Vom Wohnen, in: Hasche, 1961, S.33 die über den Rahmen des einfachen Hausbaus hin- der’ unter Tessenows StudentInnen eine Faszination, 146 Erinnerung Gertraude Herde, zitiert nach dem Brief von Barbara ausgingen. Tessenow sprach von Wahrheit und Sau- die sicherlich nicht nur der Bewunderung des Mei- A. Heise vom 4.11.1995 berkeit im Bauen, von Echtheit des Materials, von sters geschuldet ist. Denn die Anziehungskraft eines 147 FN 32 Schönheit im Einfachen, von Gefühl für Proportion. Er ländlichen resp. kleinstädtischen Lebens basiert auch 148 So habe Tessenow bspw. bei der seminaröffentlichen Bewer- sprach ganz unpathetisch, gewöhnlich beim Korrigie- auf der Abwesenheit jener gesellschaftlichen Brüche tung einer Monatsaufgabe, bei der Maria Gaiser ihren Entwurf ren, wir standen um ihn versammelt, hörten aufmerk- und Widersprüche, die gerade in der Großstadt sicht- eines Kriegerdenkmals mit mehreren Kreuzen gekrönt hatte, die- sam zu und uns war die Kostbarkeit der Stunden bar werden. „Seine Zeichnungen, die wir in Büchern sen Entwurf nicht kommentiert, ihr gegenüber aber angemerkt, bewusst.“ 147 und Zeitschriften bewunderten, waren Kunstblätter, in dass er das ‘Mädchen’, welches „offenbar ‚zu fromm aufgezo- Klara Küster [geb. Brobecker] erinnert, dass Tesse- gen’ worden sei”, nicht kränken wolle. FN 58 now mit seiner Kritik an den Entwürfen immer höchst 149 FN 146 sensibel und rücksichtsvoll vorgegangen sei.148 Im 150 Posener, 1979, S.366 Seminar beschränkte er sich auf eine Beurteilung des 151 Nach Erinnerungen Hanna Blanks bspw. war Tessenow an zwei Gesamtentwurfes. Dabei lobte er die aus seiner Sicht oder drei Tagen in der Woche im Seminar präsent, während gelungenen Entwürfe, brachte aber auch seine Miss- Engstfeld seine Präsenz mit „vier bis sechs Stunden die Woche“ billigung durchaus deutlich zum Ausdruck. Bei völli- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar angibt. Engstfeld, 2000, S.232 gem Missfallen strich er bspw. über das Entwurfs- 152 „Ich hab bei ihm natürlich das kleine Wohnhaus entworfen, das blatt und sagte: „Das ist aber ein schönes Papier; wo heißt, es war eigentlich mehr ein Entwurf von Löffler als von haben Sie das gekauft?“ 149 Seine nicht direkt geäu- mir.“ Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 – Walter ßerte, apodiktische Kritik wird von den Studierenden Löffler war in den späten dreißiger Jahren Assistent bei gefürchtet. Posener erinnert: „Tessenow war nicht je- Tessenow. 153 FN 32

130 Architekturstudentinnen denen die Häuser von Bäumen und Pflanzen umge- Aufgaben und werden bspw. auch nicht als Monats- ben die Atmosphäre eines friedlichen, sonnigen Le- aufgaben gestellt. Dennoch spiegelt diese Tendenz bens ausstrahlten“, erinnert Iwanka Hahn.153 zur ‘Vergeschlechtlichung von Themenstellungen’ innerhalb des Seminars die Zuweisung geschlechts- Im Unterschied zu seiner ‘umständlichen’ Sprache spezifischer Zuständigkeiten wider. Denn während meidet Tessenow in Darstellung und Entwurf alle Se- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studenten alle Entwurfsaufgaben zugänglich bleiben, rifen. Manche seiner Zeichnungen sind auf Umrisse werden Studentinnen zunehmend mehr Aufgaben- oder Schattendarstellungen reduziert. Hier findet er stellungen entzogen. Große und kleine Bahnhöfe, im Ausdruck jene geradlinige Einfachheit, die er in Ausstellungsgebäude und Stadthallen, aber auch manchen seiner Texte so verzweifelt sucht. Typolo- Flieger-, Funker- und Führerschulen werden nun aus- gisch knüpft Tessenow theoretisch wie praktisch an schließlich von Studenten entworfen.157 Hingegen be- historisch gewachsene Gebäudeformen im ländlichen arbeiten nicht nur Studentinnen Themen wie ‘Kinder- Raum an. Er versucht diese über Generationen ent- u. Ferienheim’ oder ‘Landwirtschaftliche Frauenschu- Havelrestaurant, Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, um 1929, Perspektive standenen Typologien weiterzuentwickeln und im le’.158 Die Aufgabenstellungen selbst werden jedoch Ausdruck auf das Wesentliche zu reduzieren. Pose- nicht als geschlechtsspezifisches Programm formu- ner beschreibt dies rückblickend folgendermaßen: liert.159 „Im Mittelpunkt dieses Werkes steht das Haus und die Schule. (..) Die Grundlage dieser Architektur ist Als im November 1930 in der TH Charlottenburg eine 154 Posener, 1979, S.365 (FN 30) die Einfachheit. Viele seiner Zeitgenossen haben die- Ausstellung der Schüler Heinrich Tessenows stattfin- 155 Platz, Gustav Adolf: Wohnräume der Gegenwart, Berlin, 1933, se Einfachheit mit Nüchternheit verwechselt. (..) In det, erscheint in der Zeitschrift des DWB ein Artikel S.28. Platz beschreibt hier Tessenows Entwurfshaltung rück- Tessenows Architektur wird ein Leben der Arbeit und des Tessenowstudenten Ralf Troje. Unter dem Titel blickend wie folgt: „Der Gefahr der bequemen Biedermeierei war des Genügens in die Sphäre der hohen Kunst erho- „Arbeiten junger Architekten” stellt er in der ‘Form’ wohl als einziger Heinrich Tessenow entgangen, obwohl die ben.“ 154 Bereits 1933 schreibt Gustav Adolf Platz: „Es Arbeiten von 13 ehemaligen Studierenden vor.160 Und Wurzeln seiner Kraft in eben dieser letzten, noch lebendigen ist ein Glück, daß ein beträchtlicher Teil des Nach- er reklamiert, dass „im Geiste ihres Lehrers und Mei- Überlieferung lagen. (..) Aber Tessenow stand vor dem Kriege wuchses heute von Tessenow erzogen wird. (..) Da sters Heinrich Tessenow (..) das Handwerkliche eine noch als einzelner abseits, während um ihn herum der Kampf ist kein Ehrgeiz, mit Reichtum und Talent zu prunken, besondere Bedeutung“ gewinne: „Dieser Geist des der Geister tobte.“ sondern handwerklich gute Arbeit und Rhythmus der Handwerklichen, in seiner ganzen Tragweite, ist die 156 Dabei lässt sich keine von einem Studenten entworfene Mäd- Anordnung. Das Geheimnis der Wirkung ist klare, Grundlage der Schule Heinrich Tessenow´s. Und chenschule und kein Studentinnenentwurf einer Knabenschule möglichst kubische Form der Möbel, Ruhe der Zu- wenn dieser am Abend nach der Eröffnung der Aus- finden. sammenstellung, strenge Einhaltung durchlaufender stellung vor 185 seiner Schüler, die aus allen deut- 157 So entwirft bspw. Fritz Besecke als Diplomarbeit im Sommerse- Höhen, zurückhaltende und dennoch heitere Farben- schen Gauen zusammengekommen waren, das ‘Hin mester 1934 eine ‘Fliegerschule’. Vergleichbare Einträge finden klänge, alles in allem: Auswirkung des Fingerspitzen- und Her zwischen Mensch und Natur’, als Ausdruck sich bspw. auf den Karteikarten von Jeniz Bennert, Fritz Be- gefühls.“ 155 des erdgebundenen Schaffens, zum Ausgangspunkt secke, Werner Dücker, Johannes Heydrich, Eberhard Kleffner, seiner Betrachtung über die deutsche Kulturentwick- Herbert Luttiz, Horst Niessen und Alwin Rischer. Eine von Wil- Im Laufe der Jahre lassen sich Verschiebungen inner- lung machte, so sprach daraus der gleiche Geist des helm von Gumberz-Rhonthal entworfene ‘SA-Fliegerschule in halb der Entwurfsthemen erkennen. Den Kern des Handwerklichen, aus dem er seine Schule gestaltet der Mark’ wird 1933 in der ‘Form’ publiziert. Die Form, 9.Jg., Studiums bilden Wohnhausentwürfe. Im Laufe des hat. Es ist das Bekenntnis zur Einheit der geistigen 1933, H.11, S.344. Studiums kommen auch öffentliche Bauten hinzu. Persönlichkeit, eine Ablehnung der wurzellosen Spal- 158 So entwirft bspw. Gerhard Heuss 1937 als Diplomaufgabe ein Anhand der Karteikarten lassen sich insgesamt mehr tungsformen des rein Verstandesmäßigen und des ‘Kinder- u. Ferienheim’, Karl-Heinz Atzpodien eine ‘Landwirt- als vierzig Entwurfsthemen dokumentieren. Von die- dumpf Triebhaften.“ 161 schaftliche Frauenschule’. HTA; Studentenkartei, Karten Atzpo- sen werden fast dreißig auch von Studentinnen bear- dien und Heuss beitet. Um 1933/34 bildet sich bei der Entwurfsauf- In dieser Darstellung Trojes kommt einmal mehr zum 159 So enthält bspw. die Ausformulierung der Aufgabenstellung gabe Schule die Tendenz zur Geschlechtertrennung Ausdruck, dass ‘das Handwerkliche’ im Seminar Tes- „Kinderheim für erholungsbedürftige Schilkinder von 6-14 Jah- ab: Das bis dato von Studentinnen wie Studenten senow eine zentrale Rolle spielt. Über historisch ge- ren, Mädchenheim“ für Gertraude Engels auch Hinweise auf Ein- überwiegend als Volks-, vereinzelt als Stadt- und wachsene und regional verortete Referenzen hinaus zelaspekte, jedoch keinen - weiteren - Hinweis auf die Nutzerin- manchmal als Dorfschulen bearbeitete Thema wird weist dieser ‘Geist des Handwerklichen’ - weit über nengruppe. Diplomaufgabenstellung vom 1.11.1935, NL Herde. nun als ‘Mädchen-’ resp. ‘Knabenschule’ gestellt.156 das Entwerfen und Herstellen einzelner Gebäude hin- 160 Troje, Ralf: „Arbeiten junger Architekten” in: Die Form, 1930, aus - den Weg in eine nationale, kulturelle Identität, Ist mit der leichten Zunahme von Studentinnen im Heft 11, November 1930, S.339-352. Es bleibt undeutlich, ob es die ebenso um Ganzheitlichkeit wie Authentizität be- Seminar zunächst eine Diversifizierung der Aufgaben sich bei den hier abgedruckten Arbeiten um alle ausgestellten müht ist. „So hat er gelehrt: geduldig aber insistent. zu beobachten, so korrespondieren diese Themen- Projekte handelt. Gezeigt werden Projekte von Walther Schmidt, Er hat seinen Schülern eine sehr gediegene Grundla- profile im Laufe der dreißiger Jahre mit der in der NS- München, Rolf Göpfert, Freiberg/Sa., Heinz Bahr, Danzig, Leon- ge gegeben. Da er aber von seiner Lehre einer Rück- Propaganda zunehmenden Eindeutigkeit von Ge- hard Schulze, Hindenburg/O.S., sowie der in Berlin ansässigen führung jeder Arbeit auf das Wesentliche so tief schlechterrollen. Nun neu hinzukommende Themen ArchitektInnen Rudolf Wolters, Josef Umlauf, Albert Speer, Lie- durchdrungen war, konnte es nicht ausbleiben, daß - wie bspw. ‘HJ-Heim’ und ‘Fliegerhorst’ resp. ‘Mäd- selotte von Bonin, Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Karl Mayr er seine Schüler auf diese Lehre festlegte, und zwar chenheim’ oder ‘Frauenschule’ - werden immer nach und R. Riedel, Guido Görres und Otto Oskar Graeßner. Troje bis in die Art der Darstellung hinein. Wenn man Tes- geschlechterkonnotierter Passgenauigkeit vergeben. selbst diplomiert 1931 bei Tessenow. senows Klasse betrat, so sah man an den Wänden Sie gehören nicht zum Kanon der obligatorischen 161 Ibid. Nachwort von Ralf Troje, S.352

im Seminar Tessenow 131 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Parkhotel Ressen, Neubau 1928, Emil Fahrenkamp, Aufnahme von der Straße

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Hotel Vier Jahreszeiten Lieselotte von Bonin, Diplomarbeit, 1930, Perspektive (links) und Grundriß Erdgeschoß (oben)

Malwida-von Meysenbug-Schule, Kassel, Heinrich Tessenow, 1930

und auf den Zeichentischen lauter kleine Tessenows. dieser Phase jedoch lediglich der Pavillon Sie waren entworfen, wie der Meister sie entwarf, sie ‘Oberbayern’ auf der 3. Jahresschau Deutscher waren gezeichnet ,wie der Meister zu zeichnen pfleg- Arbeit 1925 und die 1927 entworfene Malwida-von- te. Und er sah jede Abweichung mit Skepsis.“ 162 Meysenbug-Schule, die 1930 in Kassel eingeweiht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wird. Posener beschreibt damit treffend die Tendenz zur repressiven Assimilation. Entgegen dem Eindruck, Auch die Diplomarbeit Lieselotte von Bonins zeigt ei- dass aufgrund der gediegenen, handwerklichen Ori- ne derart kubische Konzeption. Bei diesem Entwurf entierung alle Projekte im Seminar bspw.bedächtig handelt es sich um die einzige bisher von ihr doku- steil bedacht worden seien, lassen sich in mehreren mentierte Studienarbeit.164 Bei Bonins Hotelentwurf studentischen Entwürfen - zumindest Ende der zwan- fällt sofort die geradezu archaische Erscheinung des 162 Posener, 1979, S.366 ziger Jahre - auch flache Dächer finden. So zeigt Baukörpers ins Auge. Ebenso kahl wie die Bäume, 163 Vgl. FN 135 - Zu Tessenows Versuchen, insbesondere bei um- bspw. der, wahrscheinlich als Monatsaufgabe um die den Vorplatz säumen, wirken die strengen Loch- fassenderen Raumprogrammen öffentlicher Bauten mit Hilfe ku- 1929 entstandene Entwurf eines ‘Havelrestaurants’ fassaden mit der betonten Traufkante. Sie werden bischer Baukörper zu neuen Ausdrucksformen zu gelangen vgl. von Wilhelm von Gumberz-Rhonthal für ein hierar- einzig im Erdgeschoss durch die aus den Achsen ge- auch de Michelis, 1991, S.120 ff. chisch organisiertes Raumprogramm eine spielerisch- rückten Zugänge rhythmisiert. Als erstes Haus am 164 Die Diplomarbeit Bonins ist - mit zwei Perspektiven sowie dem moderne Entwurfslösung in Form fünf gegeneinander Platz verfügt dieses ‘Hotel für eine mittlere Stadt’ Erdgeschossgrundriß - aufgrund ihrer Veröffentlichung 1933 do- verschobener, zum Ufer abgestaffelter Kuben. Mitte über einen gesondert zugänglichen Theatersaal. So- kumentiert. Nach Erinnerung ihres Münchner Kommilitonen Cle- bis Ende der zwanziger Jahre ist allerdings auch die wohl in diesem Entwurf Bonins wie in dem - wahr- mens Weber entwarf sie an der TH München ein ‘Torhaus’. Im Zeit, in der Tessenow selbst mehrfach flache Dächer scheinlich um 1929 entstandenen und schlicht als Seminar Tessenow bearbeitete sie 1928/29 ein ‘kleines Wohn- und die kubische Staffelung von Baukörpern ‘Gasthaus’ bezeichneten Entwurf Anni Pfeiffers für haus’, im darauffolgenden Sommersemester ein ‘Rathaus’. einsetzt.163 Realisiert werden von den Entwurf aus ein Hotel am See - finden sich deutliche Parallelen zu 165 Vgl. hierzu de Michelis, 1991, S.292

132 Architekturstudentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Grundriß einer Studienarbeit im NL Pfeiffer-Gunkel, wahrscheinlich Anni Pfeiffer, vor oder um 1930 Schloßhotel Wilhelmshöhe, Umbau 1928, Heinrich Tessenow, Grundriß und Straßenansicht (oben) dem von Tessenow 1927 realisierten Umbau des Arbeiten zeigt jedoch jene geneigten Dächer, wie sie Schlosshotels Wilhelmshöhe.165 das Bild freistehender Siedlungshäuser ebenso ver- traut wie entscheidend prägen. Dabei wird im Semi- Pfeiffer organisiert ihr Hotel als zweiflügelige Anlage. nar jedoch ganz überwiegend das extrem steile Dach Sie reiht ebenso wie Tessenow die Salons, Musikzim- mit minimierter Traufe gewählt. Hierdurch ist eine mer und Restaurantbereiche nach dem Kabinettprin- weitgehende Nutzung des Dachraumes möglich, die zip von Schlossanlagen, ordnet die beim Schlossho- Betonung des - durchaus auch funktionalen - Wetter- tel alleeseitig vorgelagerte Terrasse zur Seeseite an schutzes weit auskragender Dachüberstände auf ein und stellt das gesamte Gebäude auf einen Sockel. Minimum reduziert. Hier zeigt sich, dass der Präfe- Pfeiffer übernimmt außerdem die Axialität, auch in renz für geneigte Dächer auch die Frage der Ange- der Erschließung. Auch Bonin wählt im Grundriss die messenheit zugrunde liegt. Denn lediglich dort, wo von Tessenow bevorzugte Symmetrie. Sie durch- dem umbauten Dachraum weniger eine klimatische bricht in ihrem Entwurf jedoch die axialen Bezüge, in Funktion als die einer faktischen Nutzungsreserve 166 Fahrenkamp, Emil: Parkhotel Rechen Bochum, Berlin, 1928, Re- dem sie großzügig bemessenen Aufenthaltsbereiche, zukommt, kommt das Steildach zum Einsatz. print Berlin, 1999 - Ob Lieselotte von Bonin, die ab Herbst 1926 darunter einen Innenhof, tangential erschließt. Ihre bis Sommer 1928 im Büro Fahrenkamps volontierte, an diesem freiere Grundrissgestaltung orientiert sich damit deut- Dementsprechend flach deckt bspw. Gertraude En- Projekt mitarbeitete, lässt sich bisher nicht nachweisen. licher an Emil Fahrenkamps Parkhotel in Bochum.166 gels ihr zweigeschossiges ‘Kindererholungsheim’, mit 167 Bei diesem Entwurf handelt es sich um die nächstbekannte Di- In diesen Studienarbeiten bilden sich Parallelen ab. dem sie im Februar 1936 diplomiert.167 Dem Dach- plomarbeit, denn von den acht thematisch bekannten Studen- Da beide Studentinnen die Referenzprojekte aus raum kommt hier lediglich klimatische Funktion zu. tinnen-Diplomen lassen sich bisher nur von dreien auch Zeich- nächster Nähe kannten, können sie als Adaptionen Schlaf- und Ruheräume nehmen das gesamte Ober- nungen dokumentieren. Abbildung siehe S. 135. Erdgeschoss- bezeichnet werden. geschoss ein und sind zwecks Querlüftung zum Teil grundriss vgl. S.166. nur einhüftig erschlossen. Darunter liegen im Die ganz überwiegende Mehrheit der studentischen 168 FN 32

im Seminar Tessenow 133 Erdgeschoss alle Aufenthalts- und Versorgungsbe- reiche, die - mittig erschlossen - den Tagesbetrieb des Hauses gewährleisten. Engels konzipiert dieses Heim ebenso übersichtlich wie umsichtig. Sie reiht in lockerer Folge Bereiche unterschiedlicher Nutzung zu einem mehrfach gegliederten Gebäude, das ebenso Landwirtschaftliche Frauenschule, Hildegard Korte, Diplomarbeit, 1937, Ansicht des Hauptgebäudes, Lageplan, Grundrisse Nebengebäude spielerisch wie großzügig die Gunst der Lage nutzt. Der Entwurf einer ‘Landwirtschaftlichen Frauenschu- le’, mit dem Hildegard Korte ihr Studium bei Tesse- now im Februar 1938 abschließt, ist die letztdatieren- de Diplomarbeit, die hier dokumentiert werden kann. Diese Internatsschule für hauswirtschaftlichen Unter- richt ist als eine Art erweiterte Gutsanlage in Anleh- nung an die Typologie von Landschlössern mit eben- so hierarchischem wie symmetrischem Grundriss aufgebaut. Erschlossen durch einen Wirtschaftshof im Nordosten, der - flankiert von zwei Pförtnerhäus- chen - betreten und begrenzt von Stall, Scheune, Wäscherei und Kindergarten den Blick auf die achsial angeordnete, zweigeschossige Schule richtet. Diese stellt un-weigerlich das Zentrum der Anlage dar. Da- hinter liegt die ‘Festwiese’, die den Blick in die Land- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar schaft öffnet, seitlich von den dramaturgisch kalku- liert gestaffelten Wohnhäusern der Schülerinnen be- grenzt. So durchlässig versetzt die Gebäude immer wieder den seitlichen Blick in die Landschaft freigeben, der ordnende Gesamtcharakter der Anlage bleibt domi- nant. Der Zwangscharakter dieser Schule mit ihren eigenes haus tessenow 1930 strikt axialen Gebäudebezügen wird weder durch die weit freier angeordneten, funktional durchdachten Grundrisse noch durch die seitlich versetzten Eingän- ge der Nebengebäude wirklich gebrochen. Vielmehr verstärken die starren Fassadengliederungen und die konsequente Reduktion der Formen und Materialien den statischen Ausdruck einer Schule, deren Pole die große Lehrküche im Norden und der auch als Gym- nastiksaal zu nutzende Festsaal im Süden bilden. Wie stark Aufgabenstellung und Typologie korres- pondieren, zeigt sich bspw. auch an Kortes Entwurf einer ‘Dorfkirche mit Schule’. Diese 1937 entstande- ne, nebenstehend abgebildete Studienarbeit kombi- niert zwei öffentliche Gebäude, in deren Verlängerung das Pfarr- resp. Lehrerhaus angeordnet sind. Als Eckbetonung fungiert das kleine Kirchlein, dessen Erschließung geschickt als Scharnier zwischen den Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar niedrigeren Gebäuden - Schule und Gemeinderäu- men - eingesetzt ist. Auch hier dominiert eine klare geometrische Konzeption. Durch Vor- und Rück- sprünge sowie ein differenziertes Spiel mit den Hö- hen wird die ordnungspolitische Dimension dieses baulichen Ensembles jedoch gemildert, ein mehrfach nutzbarer dorföffentlicher Raum geschaffen.

134 Architekturstudentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Kindererholungsheim, Gertraude Engels, Diplomarbeit, 1936, Ansicht und Grundriß Obergeschoß (vgl. auch S.166)

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Dorfkirche mit Schule, Hildegard Korte, Studienarbeit, 1937, Grundrisse und Ansicht von Westen

im Seminar Tessenow 135 Zuvor hatte Hildegard Korte - wahrscheinlich im Win- ter 1935/36 - einen Bauernhof entworfen. Bei diesem stirnseitig an einer Dorfstraße projektierten Zweiseit- gehöft sind Wohngebäude, Stallungen und Schuppen in traditioneller Form um einen zentralen Wirtschafts Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hof gruppiert. Im Osten schließt die Scheune an das Nachbargrundstück an. Im Westen ist der Auslauf für die Schweine und ein Bauerngarten angeordnet, un- tergliedert in Blumen-, Gemüse- und Obstgarten. Der Entwurf orientiert sich an den alltäglichen Abläufen eines landwirtschaftlichen Familienbetriebes. Alle Räume sind minimiert und auf hohe Nutzungsintensi- tät ausgelegt. Neben dem Eingang ist die ‘Gute Stu- be’ vorgesehen. Auch sie ist auffällig klein dimensio- niert. In dem Entwurf ist das einfache bäuerliche Lebens Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ebenso ablesbar wie in minimiert-optimierter Form nachempfunden: Alle herkömmlichen Funktionen sind bedacht und an ihrem angestammten Ort neu ange- ordnet. Die Reproduktion dieser baulichen Ordnung stellt Raumhierarchien nicht in Frage und lässt kein- erlei Spielraum für Veränderungen. Bauernhof, Hildegard Korte, Studienarbeit, 1935, Ansicht von Nordosten sowie Grundrisse Dach-, Erd- und Kellergeschoß (unten) Die Zeichnungen der Studentinnen zeigen immer wie- der Darstellungsformen, wie sie Tessenow selbst über Jahrzehnte hinweg benutzt. Und neben der von Posener beschriebenen ‘handwerklichen Sauberkeit’ tragen sie auch alle Merkmale einer sauberen Hand- werklichkeit: Akkurate Werkzeichnungen werden in Bleistift oder Tusche ausgeführt und von Hand be- schriftet, räumliche Darstellungen, insbesondere die perspektivischen häufig in freier Schraffur angelegt. In diesen Blättern spiegelt sich aber nicht nur eine ‘Darstellungsmanier’ des Meisters, die Einheitlichkeit der Durcharbeitung bildet vielmehr die an einem Pflichtkanon von Typologien und Handwerkerbüchern Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar geschulten und bei zahlreichen Aufmaßen und Detail- darstellungen bestehender Gebäude vertieften Blicke einer ganzen Studierendengeneration ab: Zahlrei-che Zeichnungen belegen, dass das Verfertigen der Ge- bäude planerisch bis ins Detail antecipiert ist. Aber nicht nur in der Darstellung, auch in Duktus und Formfindung lassen die Studentinnenarbeiten große Übereinstimmung mit Arbeiten Tessenows erkennen. Diese Adaption scheint angesichts der gefürchteten Skepsis Tessenows wie der massiven Betreuung durch Assistenten nahezu unausweichlich. Häufig ist die Identifikation mit der meisterlichen Haltung aber auch einer großen Bewunderung geschuldet. Dies wird anhand der geringen Zahl an Seminarwechsle- rinnen und zahlreichen retrospektiven Äußerungen deutlich. So resümiert bspw. Iwanka Hahn 1987: Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Heute schaue ich auf die Studienjahre zurück und finde, daß sie eine schöne Zeit waren, die mir sehr viel gegeben haben. Die zwei Jahre im Seminar Tes- senow waren der Höhepunkt. (..) Ich kam mir damals

136 Architekturstudentinnen vor wie eine ’!Schülerin von Athen’, der es vergönnt folgenden Jahres bei Arthur Schragenheim. 1927 vo- war, einem berühmten Lehrer aus der Nähe zuzuhö- lontiert Anni Pfeiffer sechs, im Frühjahr 1928 erneut ren, wenn er seine Ideen und Vorstellungen vom Bau- vier Wochen in der Bauabteilung der Lokomotivfabrik en darlegte.“ 168 Und Gertraude Herde [geb. Engels] Henschel & Sohn in Kassel. Nach ihrem Vordiplom in betont: „Ich bin sehr glücklich, Architektin zu sein; ich München arbeitet sie ab November 1929 zehn Mona- 169 Gertraude Herde im Brief vom 7.2.1990, S.2 bin meinen Eltern und vorzüglichen Lehrern sehr te im Büro des Frankfurter Architekten Robert Woll- 170 Fahrenkamp und Becker kannten sich spätestens seit ihrer Zeit dankbar für ihre Mühe um mich!“ 169 mann.171 Im Baubüro der Allgemeinen Häuserbau AG als Kollegen an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, wo Fah- (AHAG) in Berlin arbeiten um 1928 Hanna Blank und renkamp seit 1911, Becker seit 1912 unterrichtete. Vgl. Moeller, TessenowstudentInnen erwarben ihre Kompetenzen Iwanka Waltschanowa.172 1929 findet Ludmilla Her- 1991, S.162. aber nicht nur im Seminar und auf Baustellen. Von zenstein dort einen Arbeitsplatz. Sie wechselt 1930 in 171 NL Gunkel, Zeugnis vom 15.9.1929 etwa einem Drittel aller Studentinnen konnten Infor- das Büro von Alexander Klein, wo nun auch die zwi- 172 Bereits beim Bau der Villa Sommerfeld 1920 in Zehlendorf wa- mationen zum Büropraktikum recherchiert werden, schenzeitlich diplomierte Waltschanowa arbeitet. Fri- ren auch Bauhausstudentinnen beteiligt. Leiter des AHAG-Büros bei mehr als der Hälfte ist zumindest die Dauer be- del Hohmann volontiert während der Semesterferien war zwischen 1925 und 1928 Fred Forbat. Sommerfeld soll - lt. kannt. Wo volontierten Tessenowstudentinnen? Und 1929 und vom Februar bis Oktober 1931 zehneinhalb Notizen eines Gesprächs, das Helga Schmidt-Thomsen mit Elly anhand welcher Projekte konnten sie ihre Fähigkeiten Monate im Hochbauamt ihrer Heimatstadt. Im Som- Lehning führte - bevorzugt Tessenowschüler eingestellt haben. in der Praxis erproben? mer 1932 arbeitet sie zweieinhalb Monate in Berlin im In der Studentenkartei findet sich lediglich bei Werner Mach- Lieselotte von Bonin geht nach dem Vordiplom in Büro von Bruno Ahrends.173 Gisela Schneider wech- schefer ein derartiger Eintrag. München im Sommer 1926 zum Praktikum nach Düs- selt nach dem Vordiplom zum November 1933 für ein 173 NL Vogel, Bescheinigungen des Hochbauamtes Elbing vom seldorf, wo sie im Büro von Emil Fahrenkamp andert- Jahr in das Büro eines freiberuflich tätigen Architek- 21.10.1929 und 29.10.1931, sowie Bescheinigung Ahrends vom halb Jahre mitarbeitet. Im Mai 1927 kommt auch ihre ten in Stuttgart. Wahrscheinlich hatte sie bereits zu- 16.12.1932. Am 4.2.1934 werden für die Diplom-Vorprüfung in Freundin Gisela Eisenberg nach Düsseldorf, um im vor volontiert.174 Im Sommer 1933 arbeitet Hildegard Stuttgart 12 Tage des Praktikums bei Ahrends angerechnet. Büro von Fritz Becker mindestens zehn Monate lang Korte mehrere Wochen, 1934 und 1935 jeweils meh- 174 HTA, StudentInnenkartei, Karte Schneider. Dort findet sich der zu volontieren.170 Helga Karselt arbeitet in Berlin im rere Monate im Baubüro der AHAG. Lisbeth Reim- Eintrag „Bü: 1,5 J.“ Sommer 1927 bei Ed.Jobst Siedler, im Sommer des mann volontiert um 1934 im Zürcher Architekturbüro

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Bauernhaus, Hildegard Korte, perspektivische Ansicht von der Straße

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Blick in die Straße der Kriegersiedlung Rähnitz, Tessenow, 1919

im Seminar Tessenow 137 Steger. Johanna Tönnesmann soll ab dem Sommer 1934 für ein ganzes Jahr im Büro der Berliner Archi- tekten Mebes und Emmerich mitgearbeitet haben. Während ihres Studiums in Stuttgart wird sie mehr- fach im Büro Bonatz tätig. Bereits bei Eintritt ins Seminar verfügen etliche Stu- dentinnen über Büroerfahrungen. Laut StudentInnen- kartei beträgt die Büropraxis bei Klara Brobecker ei- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nen Monat, bei Galina Taizale fünf, und bei Elfriede Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Schaar acht Monate. Auf Ingeborg Ullrichs Karteikar- te ist vermerkt, dass sie beim Wechsel aus Stuttgart bereits ein ganzes Jahr in Büros gearbeitet hat.175 Bei manchen Studentinnen konnten keinerlei Informatio- nen zur Büropraxis recherchiert werden.176 Zweifels- ohne absolvieren aber auch sie im Laufe des Haupt- studiums zumindest die vorgeschriebenen sechs Mo- nate Praktikumszeit. Und - dies legt die Streuung der Lieselotte von Bonin im Büro Fahrenkamp, 1929 Praktika ihrer Kommilitoninnen nahe - auch sie dürf- ten überwiegend in freien und kleinen Büros volon- tiert haben. Damit bleibt festzuhalten, dass die Büro- senberg im Büro Becker beteiligt sind, lässt sich bis- praktika in der Länge, insbesondere jedoch in der her nur mutmaßen. Emil Fahrenkamp war im entspre- 175 Hier sind Angaben zu Büropraktika nur sporadisch zu finden, Wahl der Zeitpunkte innerhalb des Studiums deutlich chenden Zeitraum u.a. mit dem ‘Parkhotel Rechen’, insbesondere wenn die Bürotätigkeit vor dem Seminareintritt variieren. Während manche nach dem Vordiplom Fritz Becker u.a. mit dem ‘Haus B. in Meerbusch’ be- liegt. Dies zeigt, dass ‘die Praxis’ bei Eintritt ‘abgefragt’ wurde. möglichst schnell - und häufig lange - den Praxistest auftragt.182 Fridel Hohmann wird 1929 im Hochbau- 176 Keinerlei Angaben zum Büropraktikum sind bekannt bei Belo- anstreben, volontieren andere erst nach mehreren amt Elbing als „Hilfe bei der inneren Einrichtung der weschdowa, Engels, Gaiser, Heidenreich, Kaatz, Frl. Schmidt, Jahren im Hauptstudium. Jahnschule (22 klassige Volksschule)“ und zwei Jahre Friedel Schmidt, Rossius und Sahlmann. später ebendort mit „Entwurfszeichnungen, Detail- Über die konkreten Tätigkeiten während der Praktika 177 Auch wenn diese Bescheinigungen häufig als „Zeugnis“ be- zeichnungen, Möbel etc.“ beschäftigt.183 Mehr Kom- lassen sich nur vereinzelt schriftliche Quellen finden. zeichnet sind, so enthalten sie i.d.R. weder detaillierte Angaben petenzen werden ihr 1932 im Büro Ahrends in Berlin Die vorliegenden Bescheinigungen vermitteln jedoch noch konkrete Empfehlungen, die eine weitergehende Verwer- zugestanden. Hier bearbeitet sie ‘Vollbauernstellen’ i.d.R. den Eindruck, dass die Praktikantinnen - in den tung - über die Vorlage beim Studien- und Prüfungsamt hinaus - und „Einfamilienhäuser von 5-12.000 Mk.“ 184 Büroalltag eingebunden - aus nächster Nähe an der erlauben würden. Projektarbeit partizipierten.177 Anni Pfeiffer ist wäh- Gisela Schneider ist ab Ende 1933 für ein Jahr im 178 NL Gunkel, Zeugnis Henschel & Sohn vom 16.10.1927 resp. rend ihres ersten Praktikums 1927 mit der „Ausarbei- Büro des Stuttgarter Architekten Hans Anton Geiger vom 25.4.1928 „Die Beschäftigung bestand in der Ausarbeitung tung eines Einfamilienhauses“, im folgenden Frühjahr „mit Ausarbeitung von Entwürfen, Massenberechnun- eines Einfamilienhauses.“ bereits „mit der Ausarbeitung abgeschlossener indu- gen und Kostenvoranschlägen, Arbeitszeichnungen 179 Ibid., Zeugnis Wollmann vom 15.9.1929 strieller Anlagen beschäftigt.“ 178 Als sie nach dem und Werkplänen, Vergebung von Bauarbeiten und 180 NL Schuster, Zeugnis vom 1.10.1927 von Ed. Jobst Siedler für Vordiplom an der TH München im Büro Wollmann in deren Ausmass (sic) auf den Baustellen, sowie mit die Zeit vom 1.8. bis 1.10.1927 Frankfurt a.M. arbeitet, erstreckt sich ihre zehnmona- Aufstellen von Messurkunden und Abrechnungen für 181 NL Schuster, Zeugnis vom 16.10.1928 von Arthur Schragenheim tige Tätigkeit „auf das Auftragen von Bauamtsplänen, Wohnhäuser“ beschäftigt.185 Hildegard Korte wird im für den Zeitraum 2.9. bis 31.10.1928 - Zur Biografie Schragen- von Werkzeichnungen und Detailplänen aller Art, auf Herbst 1933 bei der AHAG mehrere Wochen in der heims vgl. Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, die Ausarbeitung von Innenarchitektur von Villen und Bauleitung der Sommerfeld-Siedlung in Klein-Mach- 1996, S.288f. Perspektiven sowie von Skizzen für verschiedene now eingesetzt. Hier besteht ihre Tätigkeit „in der 182 Vgl. dazu bspw. Schmidt, Friedrich: Wohnungsbau der Nach- Projekte.“ 179 Aufnahme von Aufmassen mit den Subunternehmern, kriegszeit, Berlin, 1929, S.45-46. Akkordabrechnungen, statistischen Aufstellungen 183 NL Vogel, Bescheinigung vom 21.10.1929 für die Zeit vom 26.8. Helga Karselt wird bei ihrem ersten Büropraktikum und kleinen zeichnerischen Arbeiten.“ 186 1934 unter- bis 22.10.1929 resp. vom 29.10.1931 für die Zeit vom 2.2. bis 1927 bei E.J. Siedler mit der „Ausarbeitung von Woh- bricht sie - „auf unsere besondere Bitte hin“ - ihr Stu- 31.10.1931. nungsprojekten und bei Bearbeitung von Ausfüh- dium für ein Semester und ist acht Monate bei der 184 Lt. Bescheinigung Ahrends vom 16.12.1932 für die Zeit vom rungszeichnungen“ betraut.180 Direkt im Anschluss an Überwachung bis zur „Übergabe der fertiggestellten 15.8. bis 31.10.1932. das Vordiplom arbeitet sie im Sommer 1928 im Büro Häuser an die Käufer“ eben dieser Siedlung tätig.187 185 NL Ehren, Zeugnis vom 1.11.1934 von Hans Anton Geiger von Arthur Schragenheim. Dieser bestätigt ihr Zuver- Im Sommer 1935 arbeitet sie nochmals vier Monate 186 Zeugnis der AHAG für Hildegard Korte vom 3.11.1933. An der lässigkeit und guten künstlerischen Geschmack bei lang „für Gesamtbauvorhaben“ der AHAG. Nun wird Planung dieser - auch als ‚Sommerfeld-Siedlung’ bezeichneten - den ihr übertragenen „Entwürfen für Ladenumbauten, sie „mit der Aufstellung von Kubus-, Wohnflächen-, Einfamilienhaussiedlung hatte seit dem Frühsommer 1932 die Umbauten in Landhäusern und Entwurfgestaltung Finanzierungs- und Lastenberechnungen sowie frisch diplomierte Tessenowstudentin Annie Pfeiffer gearbeitet. kleinerer Bauten nebst Detailzeichnungen, Baurech- Mietsaufstellungen und Zusammenstellung sämtlicher Vgl. Biografie Pfeiffer nungsprüfungen etc.“.181 An welchen Projekten Liese- zur Einreichung an Hypothekeninstitute und Reichs- 187 Zeugnis der AHAG für Hildegard Korte vom 2.11.1934 lotte von Bonin im Büro Fahrenkamp und Gisela Ei-

138 Architekturstudentinnen bürgschaftsstellen erforderlichen Unterlagen“ be- Studiendauer, Studienerfolge schäftigt.188 Auch Johanna Tönnesmann könnte ihre In der Regel suchten sich StudentInnen nach dem 188 Zeugnis AHAG vom 31.10.1935. Zeugnisse Privatbesitz Oswald. Praxiserfahrungen überwiegend im Wohnungsbau Vordiplom ein sog. Entwurfsseminar, das unter der 189 Belegt ist ihre Mitarbeit bisher nicht. Mebes und Emmerich wa- gesammelt haben. Sie dürfte während ihres einjäh- Leitung eines Professors stand. Hier arbeiteten Stu- ren zu dieser Zeit u.a. mit der Kriegsbeschädigtensiedlung an rigen Volontariats im Berliner Büro Mebes und Em- dierende verschiedener Jahrgänge an Entwurfsauf- der Drewitzer Straße in Potsdam und der Planung umfangrei- merich ab Sommer 1934 an Siedlungsbauten in Pots- gaben, die im Hinblick auf ihren Studienfortschritt cher Siedlungen in Hohenschönhausen und Tempelhof beschäf- dam und Hohenschönhausen mitgewirkt haben.189 vom jeweiligen Professor formuliert wurden. Die Wahl tigt. Vgl. Meyer, Edina: Paul Mebes - Mietshausbau in Berlin, des Seminars wurde i.d.R. zunächst von den Studie- Die meisten der Tessenowstudentinnen volontierten Berlin, 1972, S. 216 und S. 223 renden getroffen. Über den ‘Eintritt’ entschied jedoch in privaten Architekturbüros. Zu den bevorzugten 190 Neben Bonin und Eisenberg arbeitet bspw. Herzenstein bei Ale- der jeweilige Professor.196 Bisher liegen zu dieser Se- Praktikumsplätzen gehörten die Büros von Professo- xander Klein, Tönnesmann bei Paul Bonatz. Karselt soll im Büro lektion an der TH Charlottenburg - im Unterschied zu ren und Dozenten.190 Demgegenüber scheint die öf- Tessenow mitgearbeitet haben, ob diese Mitarbeit in die Studi- den Sitzungsprotokollen und Prüfungslisten am Bau- fentliche Bauverwaltung kein gefragter Ort für das enzeit fiel, bleibt zweifelhaft. Brief Dorette Martin vom 25.6.1998 haus - keinerlei schriftliche Quellen vor, die eine Ein- Praktikum gewesen zu sein.191 Und Planungsabteilun- 191 Es lässt sich aufgrund der vorliegenden Quellen nicht beantwor- schätzung möglicher Hürden bei der Aufnahme in ein gen privater oder gemeinnütziger Wohnungsbauge- ten, ob Studentinnen hier kaum zum Zuge kamen oder öffent- bestimmtes Seminar erlauben würden. Dennoch ver- sellschaften wurden häufig aufgrund der Vergütung liche Bauverwaltungen keine attraktive Praxis boten. fügten die Professoren bei Zulassung und Ablehnung gewählt.192 192 Dies lässt sich u.a. anhand der Praktika bei der AHAG belegen. zweifelsohne auch hier über erhebliche Spielräume. 193 Auch wenn bisher keine entsprechenden Praktikumsberichte Im Regelfall volontierten Tessenowstudentinnen ohne Tessenowstudentinnen studieren unterschiedlich lan- o.ä. Quellen ausgewertet werden konnten, so kann schon auf- Vergütung, was ihre Akzeptanz bei den Büroinhabern ge, insgesamt jedoch vergleichsweise kurz. Von 30 grund der langen Dauer vermutet werden, dass die meisten Ar- erheblich gefördert haben dürfte. Als Volontärinnen der im Seminar Tessenow nachweisbaren Studentin- chitekturstudentinnen die Praxiserfahrung im Büro positiv erleb- wurden sie im Büroumfeld offenbar akzeptiert, sie nen lässt sich der Studienverlauf, von 25 - und damit ten und werteten. scheinen dabei die jeweils einzige Architektin gewe- immerhin zwei Dritteln - die Länge des erfolgreich ab- 194 So bspw. bei Karselt, Korte und Hohmann. Die Architekten Ste- sen zu sein. In den Zeugnissen wird des öfteren ihr solvierten Architekturstudiums mit Hilfe des Diplom- ger & Egender hatten in Küsnacht, dem Wohnort von Lisbeth Fleiß wie ihre Zuverlässigkeit gelobt. Stimmen die zeitpunkts rekonstruieren. Alle 24 Studentinnen, die Reimmann ein Freibad realisiert. Fahrenkamp baute in Mülheim, dort gemachten Angaben, so wurden die Studentin- drei oder mehr Semester im Seminar studieren, ab- dem Geburtsort von Bonins, das Theater der Stadthalle. nen im Praktikum zumeist mit Ausführungs- und De- solvieren bei Tessenow auch ihr Diplom. Von den ins- 195 Dies legt die Vielzahl der Volontariate bei Professoren nahe. Eine tail-, seltener mit Entwurfsplanungen beschäftigt. gesamt 34 Tessenowstudentinnen (inklusive Gaststu- Verbindung mit privaten Kontakten liegt bspw. bei Tönnesmann Vereinzelt wurden ihnen Bauleitungsaufgaben und dentinnen) bestehen zumindest 27 die Diplom-Haupt- und Schneider nahe. Tönnesmann soll mit Susa(nne) Bonatz, fast immer die Abrechnung übertragen. Da nachweis- prüfung. Angesichts einer gesicherten Diplomquote Schneider mit Jürgen Emmerich befreundet gewesen sein. lich mehr als die Hälfte der Studentinnen deutlich von über 70% aller jemals das Seminar besuchenden 196 Nur Gaiser, die offenbar bereits ab ihrem zweiten Studienseme- länger als die vorgeschriebenen sechs Monate volon- Studentinnen lässt sich von einer - im Vergleich aller ster bei Tessenow studierte und Hohmann, die - angesichts tierte, zeigt sich hier deutlich, dass die Meisten das Seminaristen wie an der Fakultät insgesamt - weit häufiger Studienortswechsel - ihr Vordiplom erst unmittelbar vor Büropraktikum keinesfalls nur als Pflichtübung absol- überdurchschnittlichen Erfolgsquote dieser Studen- dem Diplom absolvierte, werden hier ohne Vordiplom aufge- vierten, zumal nur wenige auf den Gelderwerb wäh- tinnen sprechen.197 Von den bei Tessenow im Ver- nommen. rend des Studiums wirklich angewiesen waren. Über gleichszeitraum bestandenen Diplomen entfällt damit 197 Die Diplomquoten an der Architekturfakultät der TH Berlin lagen die Gründe lässt sich bisher jedoch nur spekulieren. etwa jedes sechste an eine Studentin. Dabei schließt in den zwanziger Jahren zwischen 14 und 25%, konnten jedoch Denn offen bleibt, ob sie an der konkreten Mitarbeit die Mehrheit der Studentinnen das Studium innerhalb nicht für alle Jahre ermittelt werden. (Vgl. FN 9) Auch für die besonderen Gefallen fanden oder den Praktika im von 12 Semestern erfolgreich ab, ein Drittel benötigt Studierenden bei Tessenow kann diese Quote bisher nicht ein- Hinblick auf den späteren Berufseinstieg entschei- bis zum Diplom lediglich die Mindeststudienzeit von deutig rekonstruiert werden: Von den bisher insgesamt 614 er- denden Stellenwert zumaßen.193 neun Semestern.198 Obschon die Studiengeschwin- mittelten Studierenden scheinen zwischen 1926 und 1938 ca. Bei manchen Praktikumsstellen sind Bezüge zum digkeit bei manchen - insbesondere bei den Gaststu- 410 ein Diplom bei ihm erworben zu haben. Heimatort erkennbar.194 Bei anderen bietet sich im dentinnen - nicht ermittelt werden konnte, und auch 198 Besonders schnell - lediglich neun Semester - studieren Belo- Umfeld des Studiums die Möglichkeit eines Volontari- nicht immer ein bestandenes Diplom nachgewiesen weschdowa, Brobecker, Engels, Heidenreich, Korte, Rossius, ats.195 Aus den bisher vorliegenden Unterlagen lässt werden kann199, spricht die ermittelte Studiendauer Waltschanowa und Weckend. Innerhalb von zehn Semestern di- sich nicht ersehen, auf welchen Wegen sich Studen- für sich: Zumindest zwei Drittel aller das Seminar be- plomieren Blank, Bonin, Eisenberg, Karselt, Rauter, Schaar. Elf tinnen um Büropraktika bewarben, wie viele Anfragen suchenden Studentinnen beendet das Architektur- Semester (inkl. Diplom) benötigen Dirxen, Freise und Kaatz. bis zu einer Zusage ggf. notwendig waren. Manche studium nachweislich innerhalb von nicht mehr als 199 Bei Berg, Fischer, Reimmann, Schmidt und Taizale wurden zu Büronamen deuten jedoch darauf hin, dass sich etli- zwölf Semestern. Studienbeginn und Diplom keine genauen Daten ermittelt. che gezielt an etablierte Büros wandten, die aufgrund 200 24 Jahre sind zum Zeitpunkt des Diploms Beloweschdowa, Tessenowstudentinnen sind spätestens im Alter von der Publikation ihrer Bauten auch überregionales Re- Blank, Hajek, Kaatz, Karselt, Korte, Rossius, Tönnesmann und 27 Jahren diplomiert.200 Zu den älteren Diplomandin- nomee besaßen. Waltschanowa, 25 Jahre alt sind Hohmann und Paschowa. 26- nen zählen insbesondere die Werkstudentinnen, die jährig diplomieren Dirxen, Freise, Herzenstein, Pfeiffer, Schaar, das Studium häufig mehrfach unterbrechen.201 Bereits Schneider und Zauleck. im Alter von 22 Jahren diplomiert Gertraude Engels, 201 Herzenstein ist beim Diplom 26 Jahre alt, Harte diplomiert mit mit 23 Jahren bestehen Klara Brobecker und Ingrid 27 Jahren. Auch Gaiser ist zum Zeitpunkt des Diploms 27 Jahre Heidenreich das Diplom. Immerhin 27 Jahre alt sind alt, könnte demnach ebenfalls ‘Werkstudentin’ gewesen sein.

im Seminar Tessenow 139 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Diplomurkunden von Helga Karselt (1930), Lieselotte von Bonin und Anni Pfeiffer (1931)

zum Zeitpunkt des Studienabschlusses von Bonin, vergleichsweise schlechte Benotung. Rauter - die Eisenberg, Gaiser, Koch und Ulrich. Angesichts der zum Wintersemester 1932/33 in das Seminar einge- nahezu reibungslosen - resp. ohne Auswirkung auf treten war, reicht im Juli 1934 als Diplomentwurf die Studiendauer verlaufenden - Studienortswechsel wahrscheinlich ein ‘Hotel und Geschäftshaus’ ein.203 wird sichtbar, dass Tessenowstudentinnen ihr Studi- Ebenfalls im Sommer 1934 diplomiert Fridel Hoh- um ebenso planvoll wie zielstrebig durchführen. Auf- mann mit dem Entwurf eines Schwimmbades.204 Bei- fällig häufig sind es die Töchter von Ingenieuren und de Arbeiten sind nicht dokumentiert. Hier könnte sich Architekten, die - soweit sie diesen Studienwunsch - wenn auch erst in Kenntnis der Arbeiten - bestäti- direkt im Anschluss an das Abitur umsetzen können - gen, was Posener als Tessenows Skepsis gegenüber mit 23 oder 24 Jahren das Diplom bereits erfolgreich jeder Abweichung beschrieben hat. Denn Hohmann absolviert haben. Dies bestätigt die Hypothese, dass wie Rauter könnten durchaus eigenwillige architekto- eine familiäre Berufstradition in der Architektur auch nische Vorstellungen verfolgt haben. Bereits die Stu- bei Töchtern den Qualifikationserwerb positiv unter- dienverläufe deuten auf eigenwillige Interessen und 202 Auch die Diplomarbeit von Johanna Tönnesmann, die 1932 an stützt. lassen eine selbstbewusste Studiengestaltung erken- der TH Stuttgart ihr Vordiplom mit ‘gut’ abgelegt hatte, wird nen. 1936 mit ‘sehr gut’ bewertet. NL Minsos, Diplomurkunde Tön- Und nicht nur anhand der Diplomarbeiten von Stu- nesmann vom 10.7.1936 - mit Dank an Ove Minsos. dentinnen zeichnet sich hinsichtlich der Studienerfol- Studienabbrecherinnen lassen sich unter den Tesse- 203 Die Arbeit ist nicht dokumentiert. Lt. Karteieintrag wird sie mit ge eine zumindest durchschnittliche Bilanz ab. Ob- nowstudentinnen bisher nicht nachweisen. Zwangs- „3“ bewertet. HTA, Karteikarte Rauter schon auch hier keine Vollständigkeit der Daten vor- weise wird das Studium Leonie Behrmanns an den 204 HTA, Karteikarte Hohmann liegt, sind hier zumindest die nachweislich mit ‘sehr Vereinigten Staatsschulen beendet, als sie im Som- 205 Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass Behrmann ihr gut’ bewerteten Diplome von Klara Brobecker, Ingrid mer 1933 aufgrund ihres politischen Engagements Studium anschließend an einer anderen Schule - bspw. der Heidenreich und Gertraude Engels zu nennen. Die Di- nach sechs Semestern vom Unterricht ausgeschlos- Schule ‘Kunst und Werk’ oder der ‘Ittenschule’ - weiterführen plomarbeit Brobeckers wird sogar als bestes Diplom sen wird.205 Nicht auszuschließen ist ein Studienab- resp. abschließen kann. Vgl. Biografie Behrmann. des Jahrgangs 1937 ausgezeichnet.202 Die Mehrzahl bruch lediglich bei Ilse Sahlmann, Lisbeth Reimmann, 206 Sie soll dort noch deutlich vor Kriegsbeginn diplomiert haben. der Tessenowstudentinnen diplomiert mit ‘gut’. Le- Galina Taizale, Edeltraud Lätzsch und Irmgard Fi- (Angabe Christa Kleffner-Dirxens im Telefonat am 19.1.1998.) diglich mit ‘3’ bewertet werden die Diplomarbeiten scher. Sahlmann könnte nach ihrem Gastsemester Da die Unterlagen im Archiv der TH Stuttgart aus diesem Zeit- von Sigrid Rauter und Fridel Hohmann. 1935 jedoch ebenso an die TH Stuttgart zurückge- raum unvollständig sind, lässt sich dies bisher ebenso wenig kehrt sein wie dies Ingeborg Ullrich 1937 getan ha- Angesichts der hohen Studienmotivation Hohmanns dokumentieren wie ihr Studium in Stuttgart vor dem Wechsel ben soll.206 Auch Reimmann dürfte, nachdem sie am und des Entwurfspensums Rauters verwundert die nach Berlin. 22.2.1936 exmatrikuliert wird, ihr Studium andernorts

140 Architekturstudentinnen fortgesetzt haben. Bei ihr - wie auch bei Lätzsch, die ‘Straßige Straßen’ und ‘weibliche Plätze’: nach dem Sommersemester 1937 austritt - weist der Studiensituation - Studienklima Verbleib von nur einem Semester auf ein planmäßig Während es unter Tessenowstudentinnen - auch im durchgeführtes Gaststudium. Undeutlich ist dies hin- Hauptstudium - unüblich bleibt, mit einem Freund gegen bei Taizale, die das Vordiplom an der TH oder einer Freundin zusammen zu wohnen, bleiben Charlottenburg abgelegt hatte und das Seminar im etliche Studentinnen während der Dauer des gesam- Sommer 1936 nach einem Jahr verlässt. Da sie auch ten Studiums weiterhin bei den Eltern gemeldet. in späteren Jahren nicht zurückkehrt, weist ihre Ex- Lieselotte von Bonin teilt sich um 1930 mit ihrem matrikulation - wie das auf ihrer Karteikarte vermerkte Freund und späteren Mann Wilhelm von Gumberz Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Fehlen im Seminar - auf eine Neuorientierung, zumin- eine Wohnung im Westend, während Gisela Eisen- dest auf einen definitiven Hochschulwechsel. Die ein- berg ein Zimmer zur Untermiete in dem zu Friedenau zige Studentin im Seminar, die das Architekturstudi- zählenden Abschnitt der Kaiserallee bezieht. Ludmilla um nach zwei Semestern im Seminar abgebrochen Herzenstein bleibt während ihres Studiums auf der haben dürfte, ist Irmgard Fischer. Sie hatte das Stu- Adresse ihrer Mutter am Viktoria-Luise-Platz gemel- dium wahrscheinlich 1932 an der TH Charlottenburg det. Helga Karselt wohnt spätestens gegen Ende aufgenommen und exmatrikuliert sich hier am 29.2. ihres Studiums in der Meinekestraße und Anni Pfeif- 1936. Unbekannt ist, ob sie es an einer anderen fer ab dem Wintersemester 1929/30 in der Matthäi- Hochschule fortführt. Abzuschließen scheint sie das kirchstraße in Berlin-Tiergarten.207 Architekturstudium jedoch nicht: Auch Anfang der vierziger Jahre ist sie nicht diplomiert. Während etliche Studentinnen, darunter Ludmila Tessenow, Landhaus an der Ruhr, 1909 Herzenstein, Gertraude Engels, Klara Brobecker, Die meisten Studentinnen im Seminar Tessenow stu- Hildegard Korte, Maria Gaiser, Roswita Rossius und dieren ebenso kurz wie erfolgreich. Auch wenn die Elfriede Schaar weiterhin bei den Eltern wohnen, be- Studienzeiten und -erfolge der Kommilitonen nur als zieht Fridel Hohmann um 1931 mit ihrem Studien- Stichprobe herangezogen wurden, so kann ange- freund Karl Buttmann eine Wohnung in der Charlot- sichts der Diplomquote wie hinsichtlich der -bewer- tenburger Gustorffstraße. Zweta Beloweschdowa be- tungen - von überdurchschnittlichen Studienerfolgen wohnt während ihres Studiums, zumindest zwischen dieser Studentinnen gesprochen werden. Tessenow- 1933 und 1935, nicht weit von der TH entfernt am studentinnen brachten ganz offensichtlich die für das Kaiserdamm ein Zimmer zur Untermiete. Irina Kaatz Studienfach notwendigen Voraussetzungen mit und wohnt bei Eintritt ins Seminar 1932 in Tempelhof, widmeten dem Studium hinlängliche Aufmerksamkeit. zieht kurze Zeit später jedoch ebenfalls nach Charlot- Studiendauer wie Studienerfolge weisen darauf hin, tenburg, in die Schlüterstraße. Johanna Tönnesmann dass die Eltern ihre Töchter nicht nur finanziell, son- wohnt ab Frühjahr 1933 in der Sophienstraße in un- dern - spätestens nach der Überwindung anfängli- mittelbarer Nähe zur Hochschule.208 Luise Zauleck cher Skepsis - ggf. auch bei Störungen oder Schwie- 207 Adresse laut Belegbuch, NL Gunkel. Im Haus Nr.27 hat auch bezieht 1933 in der Kantstraße 144 ein Zimmer zur rigkeiten unterstützten. Und offenbar wollten die mei- der Verlag Ernst Pollak seinen Sitz, der - auf Architektur spezi- Untermiete. Gisela Schneider findet unweit davon, in sten Architekturstudentinnen ihrerseits - auch dies alisiert und der neuen Sachlichkeit verpflichtet - um 1929 den der Nr.141, im Herbst 1934 ebenfalls ein Zimmer. belegt ihre Zielstrebigkeit - die Erwartungen ihrer El- erfolgreichen Bildband „Moderne Ladenbauten“ herausbringt. Ewa Freise bewohnt seit dem Wechsel nach Berlin tern nicht enttäuschen. Das vergleichsweise niedrige 208 Die Straße verlief auf dem heutigen Nordgelände der TU Berlin. 1934 in der Akazienallee im Westend gemeinsam mit Alter beim Diplomerwerb resp. die hohen Studienge- 209 Im Haus Akazienallee 4 wohnte die Familie des Theaterkritikers ihrem Freund eine Wohnung.209 Mitte der dreißiger schwindigkeiten deuten darüber hinaus auf eine be- Julius Bab. Zu Beginn ihres Studiums im Herbst 1930 hatte der Jahre bezieht Galina Taizale in der Albestraße in rufsgerichtete Motivation: Diese potentiellen Architek- Vater sie für die erste Semesterwoche nach Stuttgart begleitet Friedenau ein Zimmer. Grete Berg wohnt während tinnen streben ins Berufsfeld und absolvieren den und der Obhut eines dort ansässigen, befreundeten Baurats un- ihres Gastsemesters 1935 in der Herthastraße im akademischen Teil der Professionalisierung ebenso terstellt. Gemeinsam mit acht Mädchen aus verschiedenen Län- Grunewald.210 Und Edeltraud Lätzsch mietet sich schnell wie pragmatisch. dern wohnte sie zunächst in einer Pension in der Alexanderstra- 1937 in der Englischen Straße ein. ße, bevor sie sich nach einem halben Jahr soweit in der Stadt Und angesichts der Ortswechslerinnen bleibt festzu- Anhand der Wohnsituation wird besonders deutlich, orientiert hatte, dass sie sich ein günstigeres Zimmer suchte. halten, dass das Seminar Tessenow zumindest für dass Tessenowstudentinnen von ihren Eltern sehr un- Telefonate mit Ewa Oesterlen am 18. und 24.11.1997 manche Studentinnen auch eine Hinwendung zu ei- terschiedliche Handlungsspielräume zugestanden 210 Lt. Adressverzeichnis der Stadt Berlin gehört dieses Haus einem ner weniger traditionellen, offeneren Architekturaus- wurden. Relativ häufig bleibt das alimentierte Studi- Fabrikdirektor, weshalb es sich hier auch um eine über familiäre bildung bedeutete. Denn aus München oder Stuttgart um - als verlängerte Adoleszenz - sichtbar den elterli- Kontakte vermittelte Wohnmöglichkeit handeln könnte. kommend - wie Bonin, Eisenberg, Koch und Pfeiffer chen Erwartungen und damit i.d.R. den Normen bür- 211 Behrmann bleibt während ihres Studiums an den VS (1930 - resp. Freise, Rauter, Dirxen und Ulrich - hatten sie an gerlicher Verhaltens- und Umgangsformen unterwor- 1933) in der Akazienstraße in Schöneberg gemeldet, Gaiser in nicht minder traditionsorientierten Hochschulen bei fen. Dies betrifft insbesondere die Einzelkinder En- der Moabiter Stromstraße, Schaar in der Lorenzstraße in Lich- zumindest ebenso altbewährten Lehrern studiert. gels, Brobecker und Korte, sowie Behrmann, Fischer, terfelde-Ost, Brobecker in der Lothar-Blücher-Straße in Steglitz, Gaiser, Herzenstein, Rossius und Schaar, sowie evtl. Korte in der Trautenaustraße in Wilmersdorf und Rossius in der Blank.211 Dies bedeutet für manche - wie die in Ringstraße in Zehlendorf.

im Seminar Tessenow 141 Niederschöneweide wohnende Gertraude Engels - en dokumentierte, ungezwungene Umgang entspricht täglich erhebliche Fahrtwege zurückzulegen. Aller- den „vielen engen freundschaftlichen Beziehungen, dings weist eine ganze Reihe von Karteikarten Adres- die im Seminar Tessenow üblich waren“.217 sen in der weiteren Umgebung aus, was ei- War vor der Weimarer Republik zwischen den Ge- nerseits auf knappe Familienbudgets, andererseits schlechtern jene ‘enge’ freundschaftliche Verbunden- auf informelle Lösungen hindeutet. Aber selbst wenn heit noch verpönt, so pflegen zahlreiche Studentin- der finanzielle Spielraum vorhanden ist, um in Pen- nen nun innerhalb wie außerhalb des Seminars - mit sionaten oder dem unweit der TH gelegenen Studen- Kommilitonen wie Kommilitoninnen - persönliche tinnenwohnheim zu wohnen, bevorzugen Tessenow- 212 Im Studentinnenwohnheim ‘Ottilie-von-Hansemann-Haus’ (vgl. Freundschaften. Fotos studentischer Feste zeigen studentinnen offensichtlich Wohnformen, bei denen Kap.2, S.28) wohnte bis Mitte der zwanziger Jahre bspw. die deutlich, dass die Steifheit gesellschaftlicher Um- sie nicht an besondere Hausordnungen gebunden Architekturstudentin Anna Timoschenko. Auch Tesssenows älte- gangsformen einem entspannten Miteinander gewi- sind.212 Häufig bewohnen sie Zimmer zur Untermiete ste Tochter bewohnte hier während ihres Medizinstudiums an chen ist.218 Und auch in der konkreten Zusammenar- und achten dabei auch auf die telefonische Erreich- der Friedrich-Wilhelm-Universität ein Zimmer. beit bilden sich derlei Freundschaften ab. So führen barkeit.213 Sie bevorzugen eindeutig den Bezirk Char- 213 Zahlreiche Karteikarten von Studentinnen sind mit einer Telefon- bspw. Gisela Eisenberg und Anni Pfeiffer, aber auch lottenburg und hier wiederum Lagen in fußläufiger verbindung versehen. Gertraude Engels und Alexander Herde gemeinsam Entfernung zur Hochschule. Obschon für die Mehr- 214 Für diesen Hinweis danke ich Ute Weström. Aufmaße durch. Neben Exkursionen und den wö- heit der Studentinnen eine eigenständige Lebensfüh- 215 In den vierziger Jahren sind an der TH Charlottenburg vereinzelt chentlichen Treffen „zum ‚Bäume zeichnen’ im Park rung erst nach Abschluss des Studiums, mit eigenem auch nicht-ledige - zumeist verheiratete - Architekturstudentin- Bellevue“ wurden auch außerhalb der Hochschule Erwerb und Berufsstatus denkbar wird, bleibt festzu- nen zu finden. Zuvor ist die bereits geschiedene Grete Schrö- gemeinsame Ausflüge und Touren unternommen.219 halten, dass die meisten Tessenowstudentinnen indi- der-Zimmermann eine Ausnahme. Karl Gunkel erinnert das Kennenlernen seiner späte- viduelle Wohnformen dem Zusammenwohnen mit 216 Die Freundschaft mit Erwin Kretzer erinnert Clemens Weber. ren Frau folgendermaßen: „Sie war sportlich sehr tä- Kommilitoninnen - in einer Pension, einem Wohnheim Lieselotte Boedeker [geb. von Bonin] schrieb 1986 einen Nach- tig (..) Reiten (..) vor allem Schwimmen, Rudern und oder einer Wohnung - vorzogen und sich Einzelne ruf auf den Kommilitonen. Vgl. FN 139. als Studentin Paddeln als Faltbootfahrerin. Die Seme- den bürgerlichen Vorstellungen der Eltern entzogen. 217 NL Gunkel, Karl Gunkel im LL Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], un- sterferien wurden meist zu solchen Wanderfahrten dat., wahrscheinlich Spätjahr 1941 Weniger gut als die Bindungen an Eltern oder Part- genutzt, wodurch auch die Verbindung zu dem spä- 218 Vgl. bspw. Abbildung S.180. Das Foto, das Anni Pfeiffer im ner, die sich in der Wohnsituation abbilden, lassen teren Ehemann sich ergab.“ 220 Kreis von KommilitonInnen kostümiert zeigt, würde ihr Sohn Jür- sich Freundschaften belegen. Zumindest etliche Tes- Im Seminar selbst scheint die Haltung der Kommilito- gen K.Gunkel „in die ‚Berliner Studentenszene’ einordnen.“ Brief senowstudentinnen pflegten untereinander aber re- nen gegenüber den Kommilitoninnen einerseits durch vom 24.7.1998, S.2 gen Umgang, wie bspw. Klara Brobecker und Maria zwischenmenschliche Neugier, andererseits - ganz 219 HTG Briefe 1968-71, Brief Elfriede Schaar an Hans Hasche vom Gaiser oder Iwanka Waltschanowa und Hanna Blank. im Duktus Tessenows - durch eine eher skeptische 10.2.1969. Dies war jedoch keinesfalls an den Besuch des glei- Haltung gegenüber deren fachlichen Kapazitäten ge- 220 „Nach dem Diplom Frühjahr `32 war es aber schwierig eine chen Seminars gebunden, wie die langjährigen Ver- prägt. Gerhart Goebel bezeichnet in einem 1931 er- Stellung zu erhalten, die die Gründung einer Existenz ermöglicht bindungen zwischen Hildegard Korte und Erika von scheinenden Artikel die Architekturstudentinnen im hätte. So nahm Annie zunächst eine Stellung als Architektin bei Beerfelde oder auch Elfriede Schaar und Hilde Eberle Spektrum der „Frl.stud.ing.” als „ein mehr weiblicher der Allgemeinen Häuserbau A.G. von 1872 in Berlin an (11.5.32 belegen.214 Manche dieser Freundschaften - wie u.a. Typ“.221 Und unter Bezug auf die Situation an der TH bis 31.3.33) wo sie an der Siedlung Klein-Machnow (250 Häu- die zwischen Gisela Eisenberg und Lieselotte von Charlottenburg führt er aus: „Man glaubt oft, daß wir ser) an dem Entwurf und Bau des Kinos Onkel Toms-Hütte in Bonin - hatten weit über die Studienzeit hinaus Be- Männer in diesen Eindringlingen in ‚unsere’ Technik Berlin-Zehlendorf mitarbeitete neben andern laufenden Sachen. stand. Und auch etliche Partnerschaften wurden bereits die späteren Konkurrentin sähen und daß wir Dann schied sie aus um zu Hause 1/2Jahr Kochen zu lernen während der Studienzeit angebahnt oder - wie im die weibliche Konkurrenz fürchteten. Nein! Ich glau- und ihre Aussteuer selbst vorzubereiten. Weihnachten `33 öf- Falle Anni Pfeiffers mit Karl Gunkel - ‘vereinbart’. be, dazu ist jeder Student viel zu sehr durchdrungen fentl. Verlobung, Februar `34 Hochzeit in Kassel.“ FN 217 Eheschließungen blieben jedoch tabu, alle Studentin- von seiner eigenen ‚technischen Sendung’ und von 221 „Auch ein mehr weiblicher Typ findet sich: Eine Architekturstu- nen während der Studienzeit unverheiratet.215 dem Begriffe der ‚untechnischen Frau’, dazu ist auch dentin“ - Goebel, Gerhart: frl.stud.ing. setzt sich durch. Eine Nicht nur im Falle einer bestehenden Liaison oder ei- die Zahl der weiblichen Studierenden noch viel zu ge- Umfrage bei Studentinnen (sic!) der TH Berlin in: Scherl´s Maga- ner geplanten Heirat gehörte der freundschaftliche ring im Vergleich zu der der männlichen. Vielleicht zin, 7.Jg., H.2, Februar 1931, S.172ff, hier S.176. Für den Hin- Umgang mit Kommilitonen zum Lebensstil der Stu- fehlt der Frau (..) eine reiche technische Phantasie. weis auf diesen Artikel danke ich Kerstin Dörhöfer. dentinnen. So pflegte bspw. Gisela Schneider freund- Dafür ist sie Frau! Mag sie sehen, wie sie sich später 222 Ibid., S.175 - Ganz im Duktus dieses Grundtenors kommt hier schaftlichen Umgang mit Jürgen Emmerich ebenso im Beruf mit der Technik der Praxis (sic!) abfindet!“ 222 auch der Physikstudent „Erich D.” zu Wort: „Ich habe oft das wie Johanna Tönnesmann mit Georg Hillebrand und Gefühl, daß unsere Studentinnen alles Technische zwar rein for- Ähnliche Vorurteile und vergleichbare Vorbehalte Helmut Zeidler. Und Lieselotte von Bonin blieb mit melmäßig glänzend beherrschen, vielleicht besser als wir, daß scheinen auch bei Kommilitonen im Seminar Tesse- Clemens Weber, den sie aus dem Studium in Mün- sie aber das Wesen technischer Probleme selten ganz erfassen. now nicht völlig abwegig - trotz des vielzitierten, ka- chen kannte, wie mit Erwin Kretzer, mit dem sie im (..) Deshalb glaube ich auch, daß die Frau wohl später (..) eine meradschaftlichen Umgangs. Klara Küster erinnert Seminar Tessenow zwei Jahre lang ‘Tisch an Tisch’ fleißige und gewissenhafte Mitarbeiterin des Mannes werden, das große Erstaunen der Kommilitonen, als ihre Di- saß, lebenslang befreundet.216 Die Situation zwischen dem echten Ingenieur aber selten eine ernsthafte Konkurrentin plomarbeit im November 1937 als bestes Diplom des den Geschlechtern im Seminar Tessenow lässt sich sein wird.“ Ibid., S.164 Jahrgangs ausgezeichnet wird: „die Herren haben als kameradschaftlich bezeichnen. Der auf Fotografi- 223 FN 58 geschaut“.223 Und vielsagend formuliert der ehemalige

142 Architekturstudentinnen Kommilitone Gert Grossmann-Hensel im Nachruf auf 1918 hatte er für den Ausschluss von Handwerksmei- Irina Zuschneid [geb. Kaatz] 1986: „Ich glaube, sie sterinnen plädiert und ein Werkstattverbot für Frauen 224 HTG Rundbrief Gert Grossmann-Hensel: Irina Zuschneid zum war begabt für den von ihr gewählten Beruf des Ar- durchgesetzt.227 Im Unterschied zu seinem Freund Gedächtnis, 1986 chitekten. Kreativ, intelligent, fleißig und zielstrebig Karl Scheffler forderte er jedoch nie öffentlich, „daß 225 So bleiben bspw. Klara Brobecker und Elfriede Schaar bis in die bewältigte sie Studium und Examina selbstverständ- die Frau der Baukunst ganz fern bleiben muß.“ 228 Zeit des zweiten Weltkrieges befreundet. Ewa Oesterlen erinnert lich und glänzend.“ 224 Inwieweit Tessenow die in den Schriften des öfteren bspw. einen Besuch der ehemaligen Kommilitonin Sigrid Rauter In aller Regel bleiben die Verbindungen zu Kommilito- zu findenden Geschlechterpolaritäten auch im Semi- mit Mann und Kind in den 1950er Jahren und Jürgen Gunkel er- nen wie Kommilitoninnen auch in der Phase des Be- narunterricht illustrierend einsetzte, bleibt fraglich.229 wähnt einen Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre „in rufseinstieges noch bestehen. Nach der Studienzeit Dr. Otto Kindt, zeitweilig Assistent bei Tessenow, er- alter freundschaftlicher Verbundenheit zu meinem Vater“ statt- nimmt die Intensität der Freundschaften in aller Regel innert, dass dieser sich zu den „zu seiner Zeit be- gefundenen Besuch von Gisela Eisenberg mit Familie in Kassel. jedoch deutlich ab. So kann bspw. Hildegard Korte reits häufigen Diskussionen“ nicht direkt geäußert ha- FN 58, FN 103, Jürgen K. Gunkel im Brief vom 17.2.1998, S.2 beim Berufseinstieg mit der Unterstützung durch An- be. Seine Maxime im realen Geschlechterverhältnis 226 Poelzig bedauert in seiner Rede vor dem BDA 1930 nicht nur selm Förster rechnen. Brobecker, Rauter und Freise blieb: „Sie [Frauen und Männer] müssen lernen, sich den „Strom der Studierenden (..) beiderlei Geschlechts“, son- arbeiten im Anschluss an das Diplom zeitweilig im besser zu verständigen.“ 230 Dies erscheint unwahr- dern erinnert bspw. auch ausführlich an einen Vortrag seines selben Planungsbüro. Längerfristige tragfähige Netz- scheinlich in Anbetracht der Häufigkeit wie der De- „unvergeßlichen“ Lehrers Schäfer aus dem Jahre 1896, in dem werke unter Teilhabe von oder zwischen Tessenow- tailfreudigkeit bei der Verwendung geschlechterpola- dieser die „unlogische Entwicklung der damaligen Baukunst“ studentinnen lassen sich aber nicht ausmachen. Eine rer Metaphern in seinen Aufzeichnungen.231 Vielleicht anhand des Empfangsgebäudes des Karlsruher Bahnhofs vor- weitergehende Verbindung von privaten und berufli- mied er im direkten Umgang mit der gemischtge- führte: „Da waren große Bogenöffnungen (..) und allerlei kleine, chen Interessen bleibt auf heterosexuelle Paarkon- schlechtlichen ‘Jugend’ aber auch tatsächlich die rhythmisch ornamental nebeneinandergereihte. Durch die kleine stellationen begrenzt, obschon sich manches Mal ‘unschickliche’ Thematisierung jeglicher Öffnung war der Hauptausgang, und an einer ganz großen, be- auch noch nach Jahrzehnten erneute private Kontak- Geschlechtlichkeit.232 sonders bedeutungsvollen stand: ‚für Damen’.“ Poelzig, 1931, te nachweisen lassen, innerhalb wie außerhalb der Nachdruck 1994, S.7 An die ‘Damen’ gerichtete Botschaften Tessenows nach dem Tode Tessenows 1950 gegründeten Hein- 227 Erste Mitteilung über eine Handwerkergemeide Hellerau, Dres- sind nicht überliefert. Und so harmlos die gut ge- rich-Tessenow-Gesellschaft.225 den, 1919. Faktisch bedeutete dies bspw. Berufsverbot für die meinte Rede von ‘Herren Kollegen’ und ‘Mädchen’ Handwerksmeisterin Hertha von Buchner, der die vor Ort vor- Während des Studiums wird sichtbar, dass manche geklungen haben mag, mit dieser Sprachregelung handene Töpferwerkstatt gehörte. Vgl. Arnold, Klaus-Peter: Vom Studentinnen im Vertrauen in ihre habituellen Mög- markiert Tessenow nicht nur den Unterschied zwi- Sofakissen zum Städtebau, S.367f. Angesichts der Fortschritte lichkeiten die Grenzen der ihnen - als Töchter bürger- schen ‘Mädchen’ und ‘Knaben’ oder ‘Damen’ und der Frauenemanzipation während der Kaiserzeit verwundert eine licher Eltern - zugebilligten Handlungsfelder zu erwei- ‘Herren’, hier kennzeichnet er Studenten als zukünfti- solch revisionistische Haltung, zumal die Gründung der Hand- tern resp. zu überschreiten suchen. Damit verbunde- ge Kollegen, Studentinnen als adoleszent. Im retro- werkergemeinde ohne das von der Bielefelder Schriftstellerin ne Irritationen versuchen sie zu reduzieren. So ver- spektiven Verweis der studierenden Frauen auf ein Hertha König (1884-1976) eingebrachte Stiftungsvermögen in wundert es kaum, dass sich die meisten Studentin- vorprofes-sionelles Niveau wie im Vorgriff auf einen Höhe von 100.000,- Mark kaum möglich gewesen wäre. Vgl. De nen im Seminar um eine Art gemäßigte Position be- noch nicht erlangten Berufsstatus der männlichen Michelis, 1991, S.79 - Zu Hertha König dort auch FN 31, S.92 mühen und auf den Qualifikationserwerb konzentrie- Studierenden spiegelt sich die Grenzziehung entlang 228 Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst, Berlin, 1908, S.57. Vgl. ren. Denn obschon sich das Spektrum denkbar ge- des Geschlechts innerhalb der Profession wider. Kap.1, FN 59. Scheffler und Tessenow - bereits bei der Grün- wordener Umgangsformen nun so sichtbar erweitert, Hier kommt deutlich zum Ausdruck, dass ‘Mädchen’ dung der Handwerkergemeinde Hellerau gemeinsam aktiv - die Aktionsradien von Studentinnen erreichen i.d.R. - auch nach Tessenows Auffassung - eigentlich nicht pflegten privat regen Umgang, wozu bspw. auch gemeinsame nicht die der Brüder resp. Kommilitonen. Traditionelle zum und in das Berufsfeld gehören. Hausmusikabende gehörten. Rollenbilder konfligieren mit den Vorstellungen und Auf die Frage, ob angesichts des Vielgebrauchten 229 Einzelne Anekdoten, nach denen Tessenow einzelne Studentin- Erwartungen dieser jungen Frauen ebenso wie die ‘Meine Herren’ der Begriff ‘Mädchen’ für Studentin- nen anhand ihrer Studienarbeiten als ‘männliche’ oder ‘weibli- hier vermittelten Berufsvorstellungen. An Rücksicht- nen nicht vielleicht etwas unpassend gewesen sei, che’ Typen bezeichnet haben soll, sind - im Unterschied zu den nahmen auf Eltern, Kommilitonen und zukünftige besteht bspw. Klara Küster darauf, dass dies ledig- meisten Anekdoten aus dem Seminar - unter SchülerInnen hef- Partner wird erkennbar, wie tief bürgerliche Konven- lich eine liebevoll gemeinte Anrede gewesen sei.233 tig umstritten. tionen den gesellschaftlichen Normen der Weimarer Huerkamp wie Glaser beobachteten bei Autonarratio- 230 Otto Kindt im Brief vom 4.2.1998 Republik eingeschrieben bleiben, wie selten diese nen ehemaliger Studentinnen, dass selbst eindeutig 231 Im Unterschied zu dem ‘Geschriebenen’ der Nachlasshefte, die Studentinnen sich ihnen entziehen wollen oder kön- diskriminierende Umgangsformen i.d.R. nicht als Tessenow in der Absicht führte, eigene Gedanken zu ordnen, nen. Diskriminierung thematisiert resp. erinnert werden.234 sind in den Publikationen deutlich weniger dieser Metaphern zu Während Hans Poelzig auch in den dreißiger Jahren Sie kommen übereinstimmend zu der Interpretation, finden. der politischen Ungleichheit der Geschlechter öffent- dass die augenfällige „Abwesenheit von Diskriminie- 232 Diese Vermutung ist angesichts der heftigen Auseinanderset- lich nachtrauert und latent misogyne Zuschreibungen rungserfahrungen“ auf Verdrängungsleistungen beru- zungen um (die Tabuisierungen von) Geschlechtlichkeit, die vor männlichem Publikum kolportiert, steht Tessenow he, zumal die ganz überwiegende Mehrheit der bspw. im Studiengang Medizin zu geschlechtergetrennten Ver- während der Weimarer Republik dem Architekturstu- Hochschullehrer, trotz deutlichen Sinneswandels zu anstaltungen geführt hatten, nicht unrealistisch. Vgl. Burchardt, dium von Frauen nicht offen ablehnend gegenüber.226 Beginn des Jahrhunderts, „nicht frei von Vorurteilen 1997, S.95ff. Seine Zurückhaltung in dieser Hinsicht fällt insbeson- und Ressentiments gegenüber studierenden Frauen“ 233 FN 58 dere im Vergleich zu früheren Äußerungen auf, denn gewesen sei. Rückblickend beschreibt Karola Bloch 234 Huerkamp, 1996, S.153, „Diskriminiert wurden wir nicht“. Vgl. bei der Gründung der Handwerkergemeinde Hellerau die Haltung von Architekturprofessoren gegenüber auch Glaser, 1992, S.243 ff.

im Seminar Tessenow 143 Studentinnen an der TH Wien zu Anfang der dreißiger weisen.240 Um 1930 waren gut 10% aller Darlehens- Jahre als „altvorderlich”. In der ‘Statik’ sei die „Diskri- nehmerInnen und knapp 14% aller StipendiatInnen minierung des weiblichen Geschlechts (..) sichtbar“ Studentinnen.241 Und nur gut 2 % der Studentinnen gewesen.235 aller Fachrichtungen studierten bspw. 1932 mit Hilfe einer solchen Unterstützung. Nach bisheriger Kennt- So selten derlei Ausgrenzungserfahrungen selbst re- nis kam keine Tessenow-Seminaristin in den Genuss trospektiv benannt oder auch nur angedeutet wer- einer staatlichen Alimentierung. Drohten im Verlauf Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den, fraglich bleibt, in wieweit die eigene Situation in- des Studiums finanzielle Engpässe, boten ‘Fleißprü- nerhalb des Studiums nicht nur erfahren wurde, son- fungen’ eine Möglichkeit, bei Bestehen einen weit- dern - angesichts der Minderheitensituation und der gehenden oder vollständigen Erlass des Studiengel- Macht des Normativen - bereits in der Studiensitua- des zu erwirken. Auf diese Weise gelang es bspw. tion reflektiert werden konnte. Klara Küster erinnert Gertraude Engels, ihr Studium zu Ende zu führen. Fri- die eigene Situation hinsichtlich der Lehrerwahl sogar del Hohmann erhielt 1933 - einer Eintragung auf ihrer als privilegiert: „Rüster ließ mich ja ungern gehen, es Fridel Hohmann mit ihrem Sportcoupé, Anfang der 1930er Jahre Karteikarte zufolge - ein einmaliges Stipendium i.H. war ja ‚in’, dass man eine Frau im Seminar hatte und von 50 Mark. Angesichts des von Hohmann gepfleg- ich war bei ihm die einzige.“ 236 Auch diese Erinne- ten Lebensstils - sie fuhr bereits im Studium einen ei- rung spricht jedoch für die These der Ausblendung, genen Sportwagen - scheint es sich dabei aber eher da die Minderheitensituation in der retrospektiven Bi- um eine Gratifikation gehandelt zu haben. lanzierung hier als Zuwachs individueller Handlungs- möglichkeiten betont, wenn nicht imaginiert wird, Mit welchem Selbstverständnis, welchen Erwartun- während deren Kehrseite unerwähnt bleibt.237 gen betrieben Tessenowstudentinnen dieses Studi- um? Stimmten ihre eigenen Erfahrungen so weitge- 235 „Unsere Lehrer waren altvorderlich; in der Statik hatten wir einen hend mit dem geschlechterpolaren Denken Tesse- alten verknöcherten Professor, der sich nicht daran gewöhnen nows überein, dass sie die ihnen angebotenen Rol- Als Studentin im Seminar Tessenow konnte, daß auch Frauen Architektur studierten. (..) Die Diskrimi- lenbilder freiwillig adaptierten? Oder entsprach seine Die Studiensituation von Tessenowstudentinnen un- nierung des weiblichen Geschlechts in diesem Fach war sicht- Haltung just jenen, ihnen bereits bekannten väterli- terscheidet sich analog zum sozialen Milieu der Her- bar.“ Bloch, 1981, S.61. chen Vorbehalten, die es in Dankbarkeit zu würdigen, kunftsfamilien, noch deutlicher korreliert sie jedoch 236 FN 58 jedoch eigenständig zu umschiffen galt? mit der jeweiligen Lebenssituation. Denn während 237 Zumal der Bedeutungszuwachs dieser individuellen Einzelent- manche - insbesondere der noch bei den Eltern woh- Die meisten Aussagen zu Studienmotivationen und - scheidungsmöglichkeit allzu deutlich auf der Ungleichheit der nenden - Studentinnen darauf angewiesen sind, sich erwartungen dieser TH-Studentinnen können bisher Aktionsradien von Studentinnen resp. Studenten basiert. mit elterlichen Erwartungen zu arrangieren, wird an- lediglich spekulativ, und damit kaum befriedigend 238 So findet sich bei Goebel (1931, S.180) bspw. der Bericht einer deren bereits eine eigenständige Lebensführung zu- getroffen werden. Denn zu dieser Frage konnten kei- Flugzeugbaustudentin, die ihr Studium - wie auch einen Motor- gebilligt. Und während einzelne Eltern ihre Töchter nerlei Aufzeichnungen aus der Studienzeit ausgewer- radurlaub - als Stehgeigerin und als Gymnastiklehrerin finanziert. materiell großzügig ausstatten, sind andere hierzu tet werden. „An das Bauhaus zu gehen, (..) daran ha- In demselben Artikel merkt die Physikstudentin „Liselotte B.“ zu nicht in der Lage. In aller Regel müssen sich Archi- ben wir überhaupt nicht gedacht“, erinnert bspw. ihrer Tätigkeit als Werkstudentin in der Industrie an: „Trotz der tekturstudentinnen im Seminar Tessenow das Geld Ewa Oesterlen, die nach eigenen Angaben etliche stumpfsinnigen und geistestötenden Arbeit (..) bin [ich] froh, ein- für ihr Studium aber nicht selbst erarbeiten. Für einen Bauhausstudierende kannte und Bauhausbücher mal ganz als Arbeiterin gelebt zu haben.“ Ibid., S.179 größeren Spielraum des persönlichen Lebensstils und las.242 Auch Sigrid Rauter, die 1932 gastweise Veran- 239 Diese Tätigkeit erweist sich im Hinblick auf den eigenen finan- die mittelbar mit dem Studium verbundenen Kosten, staltungen am Bauhaus besucht, sieht hier offenbar ziellen Spielraum wie auf die geplante Südamerikareise als hilf- wie bspw. Exkursionen, werden jedoch mehrere auch keine realistische Alternative zum TH-Studium.243 Be- reich. Ihr Studium wurde jedoch durch die Eltern finanziert. erwerbstätig. Im Unterschied zu Studentinnen ande- reits bei der Studien- und insbesondere bei der Orts- 240 Sie bewirbt sich allerdings erst nach dem Diplom für ein einjähri- rer Fächer wählen Tessenowstudentinnen auf der Su- wahl wurde deutlich, dass Tessenowstudentinnen zu ges Aufbaustudium in Paris beim DAAD. Bewerbung vom 30.11. che nach geeigneten Jobs kaum fachfremde Strate- Beginn des Studiums Entscheidungen häufig in Ab- 1937. Ihr Antrag wird mit Schreiben vom 13.10.1938 - und da- gien.238 Lediglich Hildegard Korte ist auch als Über- stimmung mit ihren Eltern trafen. Diese lassen sich mit fast ein Jahr später - abgelehnt. NL Ehren setzerin für die argentinische Botschaft tätig.239 Als deshalb kaum als freie Entscheidung zwischen archi- 241 Huerkamp, 1996, S.138ff. Mitarbeiterinnen in Architekturbüros bessern bspw. tektonischen Haltungen resp. ‘Schulen’ interpretieren, 242 FN 103 Hanna Blank, Gisela Schneider und Hilda Harte - alle zumal die Mehrheit dieser Studentinnen noch minder- 243 Rauter besucht im Februar 1933 auf Einladung des ihr bereits drei sind Töchter von Lehrern - zumindest während jährig ist und gerade die Hochschulreife erlangt hat. aus Stuttgart bekannten (Bauhausstudenten) Hans Keßler das der vorlesungsfreien Zeit ihre Finanzen auf. Mit zunehmendem Alter und spätestens hinsichtlich Bauhausfest in Berlin, anschließend auf Einladung von Mies van des Hauptstudiums werden aber - selbst bei Studen- der Rohe den Unterricht. Lt. Keßler ist sie begeistert. Auszüge Die Möglichkeiten, mit Hilfe eines Darlehens oder Sti- tinnen, die ausschließlich an der TH Charlottenburg aus Briefen Hans Keßlers abgedruckt in: Hahn, Peter / Christi- pendiums zu studieren, waren für Studentinnen der studieren - zunehmend individuelle Abwägungen zwi- an Wolsdorff (Hg.): Bauhaus Berlin, Weingarten, 1985, S.169 ff. Weimarer Republik vergleichsweise schlecht. Es ist schen Alternativen sichtbar.244 244 Auch in den Fällen, in denen Studentinnen das Seminar wieder jedoch unbekannt, wie viele Architekturaspirantinnen verlassen - wie bspw. Taizale und Sahlmann -, ist nicht auszu- versuchten, das Studium mit Hilfe eines Stipendiums Signifikant für die Studienmotivationen von Tesse- schließen, dass sie sich zugunsten anderer Entwurfshaltungen zu realisieren. Nur von Gisela Schneider lässt sich nowstudentinnen scheint ihre Konzentration auf das orientierten. bisher überhaupt eine Stipendienbewerbung nach- Studium. Neben den durchaus umfangreichen Studi-

144 Architekturstudentinnen enplänen betreiben etliche jedoch auch Studien in Zeitpunkt als Volontärin tätig. Ihr Entwurf wird mit nicht-architektonischen Fächern. Angesichts der Stu- einem Ankauf prämiert.248 dienintensität - wie auch der Studienerfolge - zeigt Welches Berufsbild wurde den TH-Studentinnen ver- sich hier deutlich das Bestreben, die Studienzeit zur mittelt? Welches Rollenbild wurde ihnen durch Tes- Entwicklung möglichst vieler Fähigkeiten zu nutzen. senow nahegebracht? So besucht Gisela Schneider neben ihrem TH-Studi- um die Vereinigten Staatsschulen und wird dort Mit- Obschon auch die Entwurfsprofessoren im Rahmen glied in der Klasse von Eugen Schmohl.245 Johanna der Hochschule nahezu ausschließlich in ihrer Funk- Tönnesmann belegt als Wahlfächer sog. Aufbaukurse tion als Lehrende in Erscheinung treten, im Spektrum in Geschichte, Literatur und Aquarellieren, aber auch aller Professoren repräsentieren sie dennoch das Ide- in Freihandzeichnen und Baukonstruktion III.246 Unter- al des freischaffenden Entwerfers. In persona - und 245 Vgl. Biografie Schneider. Auch die TH-Studentin Lotte Werner schiedliche Studien wie die verschiedenen Hobbies im Widerspruch zur eigenen Reputation als verbeam- belegt hier zeitweilig Veranstaltungen. Brief Lotte Werner vom werden von den Architekturstudentinnen über einen tete Hochschullehrer in einem akademisch etablierten 30.11.1927, HdKA Best. 8 Nr.150, WS 1927/28. längeren Zeitraum und durchaus ernsthaft betrieben. Rahmen - verkörpern sie die seit der Jahrhundert- 246 Lt. Auszug aus dem Prüfungsprotokoll Johanna Tönnesmann, Sie ergreifen damit die Initiative, ihre Studienmöglich- wende ersehnte ‘Befreiung vom akademischen Lehr- Juni/Juli 1936, NL Minsos keiten zu erweitern ohne den Rahmen einer gesicher- zwang’.249 Hierauf gründet ihre Vorrangstellung unter 247 So gibt bspw. Gertraude Herde an, wegen der schwierigen poli- ten Ausbildung zu verlassen. Denn Priorität genießt den Kollegen der ‘Fächer’. Und in ihren Seminaren tischen Verhältnisse keine konkreten Vorstellungen von der spä- i.d.R. das Fachstudium, auch wenn manche keine lassen die Entwurfsprofessoren kaum Zweifel darüber teren beruflichen Tätigkeit gehabt zu haben. Antworten in der konkreten Vorstellungen von der späteren beruflichen aufkommen, dass nicht der verbeamtete, sondern Anlage zum Brief vom 17.9.1995. Tätigkeit haben und ein Architekturstudium während der freiberufliche Architekt der erstrebenswerte Be- 248 Deines, Emil (Hg.): Bauwettbewerbe, H.50, Karlsruhe, Mai 1930, der Weimarer Republik nicht unbedingt eine beruflich rufsstatus sei. Nicht nur nach Tessenows Vorstellung S.27. Der Wettbewerb wird von den Kasseler Architekten Karl tragfähige Perspektive verspricht.247 ist diesem ambitionierten Freiberufler „das einlinige Hermann Sichel und Waldemar Leers gewonnen. In der Jury (berufliche) Vorwärtswollen, das Karrieremachen“ als Tessenowstudentinnen widmen sich ihrem Architek- urteilten u.a. Häring und Taut. Vgl. auch Biografie Pfeiffer. „etwas wesentlich Männliches“ inhärent.250 turstudium ebenso intensiv wie zielstrebig. Dies als 249 Im Unterschied zur Weimarer Republik galt diese Sehnsucht primäres Bildungsinteresse zu interpretieren, greift Sein Verhältnis gegenüber Architektur, gar ‘großer während der Kaiserzeit noch jeder Neuberufung, wie der folgen- jedoch zu kurz. Denn die Studentinnen suchen die Architektur’ ist als zumindest ambivalent zu bezeich- de Bericht zeigt: „Die Hoffnung der Studierenden gründet sich eigene Erprobung nicht nur im Studium sondern ins- nen. ‘Architektur’ galt im Seminar Poelzig als Maxime jetzt auf den jüngst zum etatsmäßigen Professor berufenen besondere in der Praxis, dies zeigen die langen Vo- und wurde intern als Auszeichnung, als ‘Qualitäts- Kreisbauinspektor Karl Caesar, dem der Lehrstuhl für ‘ländliche lontariate. Das Beispiel Anni Pfeiffers belegt darüber prädikat’ verstanden. Demgegenüber war der Begriff Baukunst’ übertragen worden ist. (...) Er ist berufen, vielen unge- hinaus, wie selbstbewusst manch eine Studentin jede Architektur im Seminar Tessenow negativ besetzt stillten Wünschen der Studierenden, die in ihm den Befreier von Chance nutzt, um eigene architektonische Positionen und fungierte hier gleichsam als Synonym für Gel- akademischem Lehrzwang ersehnen, Erfüllung zu bringen und zu entwickeln. Als 1929 in Kassel der Wettbewerb für tungssucht. „Sie machen wohl Architektur?“ brachte der Architekturabteilung der Technischen Hochschule zu neuem das Aschrott-Wohlfahrtshaus an der Fuldabrücke Tessenow seine Kritik unmissverständlich zum Aus- Ansehen zu verhelfen.“ Vgl. FN 2. ausgeschrieben wird, beteiligt sie sich nach nur zwei- druck. Die Notwendigkeit, Gebäuden Gestalt zu ver- 250 „Die Straßen oder das großweltliche Ungeformte, immer Unferti- jährigem Studium mit einem eigenen Entwurf an ei- leihen, war unbestritten. Anrüchig war jedoch der ge, immer Vorwärtsdrängende oder Fortschreitende, das einlini- nem Wettbewerb, bei dem so bekannte Architekten Entwurf repräsentativer Bauten, und jedes gestalteri- ge (berufliche) Vorwärtswollen, das Karrieremachen usw. ist et- wie Gropius, Berstelmeyer, Poelzig und Tessenow sche Geltungsbedürfnis galt geradezu als verwerflich. was wesentlich Männliches.“ HTG, Nachlassheft Heinrich zur Teilnahme aufgefordert wuden. Sie ist zu diesem Tessenow XX 24,25,26

Wettbewerb Aschrott-Wohlfahrtshaus, Kassel, 1930, Entwurf Pfeiffer Sichel / Leers Gropius

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im Seminar Tessenow 145 „Das Einfache ist nicht immer schön, aber das Schö- nen Hochschulen wie den beruflichen Ambitionen der ne wird immer einfach sein“ ist zweifelsohne die eigenen Töchter.252 Tessenows Geschlechterprojek- meistzitierte Gestaltungsmaxime Tessenows. Beim tionen tragen in den zwanziger Jahren zunehmend ‘Meistern’ der Entwurfsthemen galt es mit dem indivi- weniger misogyne Züge, vom Denken in polaren Ge- duellen Gestaltungswillen hinter der Aufgabe zurück- schlechtscharakteren löst er sich dennoch nie wirk- zutreten und nicht als Architekt zu ‘gelten’. Dieses lich - dies zeigen die i.d.R. ebenso stereotypen wie Streben nach dem Ideal des ‘bescheidenen Baumei- diminuierenden Zuschreibungen des Weiblichen. sters’ spiegelt sich bspw. noch nach Jahrzehnten in Seine Einstellung zur Geschlechterfrage wird offenbar der Haltung Gertraude Herdes wider: „Mein Mann - durch die Erfahrung des ersten Weltkrieges beein- auch Tessenowschüler - und ich sind nur schlichte flusst: Mit dem Ausmaß der realen Zerstörungen sieht Wohnhaus-Architekten. Wir haben von unserem Mei- sich der nachdenkliche Tessenow in seinem Streben ster gelernt, daß das einfachste nicht das Größte, nach Reduktion und Bescheidenheit im Leben wie im das wirklich Größte aber bestimmt einfach ist!“ 251 Bauen bestärkt. Seine Kritik richtet sich nun gegen das „Zerstörerische“ alles „Weltmännischen“ und das Gerade den im Seminar favorisierten Siedlungsfor- „männlich Widerwärtige“. men mit ‘menschlichem Maßstab’ - Kleinstadt und Siedlung - ist jedoch unübersehbar auch jene tradi- Seine Position hinsichtlich des Geschlechterverhält- tionelle Hierarchie der Geschlechter eingeschrieben, nisses bleibt jedoch ambivalent. Denn obschon mit in der Frauen wenn nicht ausschließlich, so doch pri- zunehmendem Alter sowie in der konkreten Ausein- mär innerhalb von Familienverbänden agieren. Diese andersetzung mit Studentinnen durchaus Zugeständ- Überschaubarkeit geordneter familiärer Verhältnisse nisse erkennbar sind, zeigt er sich weiterhin auch von birgt just jene normative Repressivität, die i.d.R. ver- der ‘Unterlegenheit des weiblichen Prinzips’ über- hindert, dass Frauen berufliche Selbständigkeit erlan- zeugt - und damit von der Legitimität einer ‘naturge- gen und sichtbaren Einfluss auf die Gestaltung des gebenen’ Geschlechterhierarchie.253 Dementspre- öffentlichen Lebens ausüben können. Während sich chend hält er an tradierten Rollenzuschreibungen und für Architekturstudentinnen in der Vielfalt der Groß- dem „männlichen Gebiet der Baukunst“ fest.254 „Nicht stadt berufliche Aktionsradien abzeichnen, werden der Mann und nicht die Frau sondern die Verbindung 251 Gertraude Herde im Brief vom 7.2.1990, S.1 sie bei Tessenow auf die vermeintlich harmonische beider ist hier das allgemein Entscheidende (..) auch 252 Denn die Dresdener Phase - ohne Studentinnen - fällt mit jenem Welt ebenso kleinstädtischer wie kleinbürgerlicher für unsere Wohnlichkeit.“ 255 Auf der Suche nach ‘Be- Lebensabschnitt zusammen, in dem der als Professor bereits Wohn- und Lebensformen eingeschworen. hausung’ und ‘Wohnlichkeit’ ironisiert er vermeintlich überregional etablierte Tessenow die Berufstätigkeit von Frauen weibliche Denk- und Lebensformen als „häkeldeck- Sein Seminar bietet quasi einen Schutzraum, in dem ebenso grundsätzlich wie rigoros ablehnt und den Ausschluss chenhaft“ und „kleinweltlich“. für die berufliche Praxis geprobt, jedoch weitgehend von Handwerksmeisterinnen bei der Gründung der Handwerker- losgelöst von zeitgeistigen Themen über das Bauen In seinen Schriften verwendet Tessenow des öfteren gemeinde Hellerau betreibt. nachgedacht werden soll. Diese Konzentration auf ei- Geschlechtermetaphern zur Illustration, häufiger noch 253 „Und so mag nun das Männliche, das Willensbetonte widerlich ne Welt, in der das Leben noch überschaubar - noch zur Charakterisierung unterschiedlicher und selbst sein, sich auch in höchstem Maße widerlich äußern, sie bejaht nicht aus den Fugen geordneter (Geschlechter-)Hie- abwegiger Polaritäten, wie der zwischen Straßen und es und unterliegt ihm doch, und zwar dem tiefsten Grund nach rarchien geraten - ist, birgt Widersprüche. Für die Plätzen. „Da wir nicht wissen - auch trotz Otto Wei- ihrer Mütterlichkeit wegen oder damit es sie befruchte.“ Heinrich Studentinnen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob ninger nicht -, ob in der Welt das Männliche oder das Tessenow, Aus dem Nachlassheft „Block“, o.D., S.30 ein derartiges Weltbild zukunftsfähig ist. Bei der ge- Weibliche das Wichtigere ist, so ist jede Verherrli- 254 HTG, Jahresheft XI, S.46 sellschaftlichen Orientierung an kleinstädtischen Le- chung des einseitig Männlichen, wie jede Verherrli- 255 Das „männliche Gebiet der Baukunst“ definierte Scheffler als bensformen stehen ihre eigenen professionellen Am- chung des einseitig Weiblichen ohne rechten tragfä- „im wesentlichen (..) kunstmäßige Abwandlung der Schwerkraft; bitionen als ‘Damen Kolleginnen’ auf dem Spiel. higen Grund, und so ist auch das Allermeiste der also einer Energie, die nur statisch-mathematisch begriffen wer- Denn angesichts dessen, dass berufliche Perspekti- neueren Weltgeschichte sehr wacklig fundiert, sie ist den kann.“ Scheffler, 1908, S.57 ven innerhalb des Seminars nur für Kollegen präsent voller gefährlicher Hochstapeleien; und dies gilt be- 256 HTG, Nachlassheft Heinrich Tessenow XXX, 25,26,27. Der Psy- sind, bleibt es der einzelnen Studentin überlassen, sonders auch hinsichtlich unseres Glaubens an den chologe und Philosoph Otto Weininger (1880 - 1903) publizierte auf dem Weg zur ganzheitlichen Persönlichkeit des Fortschritt oder an die Straßen.“ 256 kurz vor seinem Freitod das vieldiskutierte Buch „Geschlecht Baumeisters auf jenen „immer Vorwärtsdrängende[n] und Charakter“ Wien / Leipzig, 1903. Diese Konstruktion resp. Dramatisierung vermeintlich (..) männlichen“ Anteil der eigenen Person zu vertrau- 257 Wichert, Fritz: Polarität als Grundsatz, in: Das neue Frankfurt, unvereinbarer Gegensätze findet sich in der Regel im en oder sich als notwendigen Teil einer polaren Mai 1929, Heft 5, S.85ff, erneut abgedruckt in: Verein Freunde analytischen Teil der jeweiligen Darstellung, um an- Partnerschaft zu begreifen. der Städelschule (Hg.): Städelschule Frankfurt am Main, Frank- schließend synthetisiert zu werden. Im Unterschied furt, 1982, S.90ff. Explizite Aussagen Tessenows hinsichtlich des Archi- zu Fritz Wichert, dem Direktor der Städelschule in 258 „Daneben ist die menschliche Aufgabe eigentlich nur, das har- tekturstudiums von Studentinnen lassen sich bisher Frankfurt am Main, der 1929 fordert, „die Erziehung monisch Verbindliche hoch zu kultivieren.“ Tessenow, Heinrich: nicht dokumentieren. Ein leichter Wandel seiner Hal- schöpferischer Kräfte polarisch anzulegen“ und pä- Zwischen Natur und Kultur, in: Hasche, Hans (Hg.): Die kleine tung scheint dennoch naheliegend, nicht zuletzt an- dagogische Konzepte „streng zu Gunsten einer einzi- und große Stadt. Nachdenkliches von Heinrich Tessenow, Mün- gesichts der unterschiedlichen Frequentierung seines gen Anschauung (..) gleichsam faschistisch“ strikt ab- chen, 1961, S.21 Unterrichts durch Studentinnen an den verschiede- lehnt, sieht Tessenow in der Synthese jedoch keinen

146 Architekturstudentinnen gewaltsamen Prozess.257 Sein Anliegen bleibt die Ver- bildung, an Tessenows Reputation oder auch an fa- söhnung jedweder Gegensätze. Auch in seiner Lehre miliäre Hilfestellungen? Tessenow bot Studentinnen sucht er einen ebenso harmonisierenden wie harmo- akzeptable Rahmenbedingungen des Qualifikations- nischen Ausgleich zwischen Polaritäten als zivilisato- erwerbes. Anhand der Entwurfsaufgaben zeichnet rischen Prozess zu vermitteln, denn er sieht seine sich jedoch auch die Tendenz zu geschlechterkonno- resp. „die menschliche Aufgabe“ darin, „das harmo- tierten Zuständigkeitsbereichen ab. Stärker als die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nisch Verbindliche hoch zu kultivieren.“ 258 Demge- ‘Separationsvariante’ finden wird im Seminar jedoch genüber schreibt Wichert: „Man darf Zweiheitlichkeit die ‘Ambivalenzvariante’, den latenten oder direkten nicht scheuen. Höchste Schöpferleistung beruht wohl Verweis der Studentinnen auf eine ‘eigentliche Be- immer auf einem fast unbegreiflichen Zusammen- stimmung’ als Hausfrau und Mutter.265 Dass Tesse- zwingen von gegensätzlichen und scheinbar unver- now der Berufstätigkeit von Frauen nach wie vor ab- einbaren Elementen.“ 259 lehnend gegenüberstand, wird nicht zuletzt anhand der tabuisierten Themenstellungen deutlich: Auf das So sehr Tessenow für eine neue Harmonie zwischen Entwürfe exemplarischer Straßenkreuzungen, Heinrich Tessenow, 1946 ‘kleine Wohnhaus’ folgte nie das Mehrfamilienhaus. den Geschlechtern plädiert, in seinem Seminar blei- Und Wohnformen außerhalb eines expliziten Famili- ben vermeintlich naturgegebene Geschlechterpolari- enbezuges existierten hier ebenso wenig wie bspw. täten und -rollen präsent. „Unterschiede gab es zwi- die Entwurfsaufgaben ‘Kindergarten’ oder schen den Gattungen Frau und Mann“, erinnert Otto ‘Altersheim’. Kindt. „Danach gab es geeignete, nicht geeignete, kaum geeignete usw. Berufe für diese. Handwerk? Ob und wie diese augenscheinlichen Defizite im Se- Vorsicht. Vielleicht, aber nur vielleicht Tischler. Be- minar resp. in der Fakultät diskutiert wurde, bleibt stimmt nicht: Maurer. Man soll nicht in der Natur und unklar. Bisher lassen sich keine expliziten Aussagen ihren Gegebenheiten herumpfuschen.“ 260 Und man- von Architekturstudentinnen zum Verhältnis der Ge- che schriftlichen Ausführungen Tessenows zeigen schlechter finden. Mit der leichten Zunahme von Ar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sich zwar nicht so sexistisch wie bspw. die eines Karl chitekturstudentinnen während des ersten Weltkrie- Kraus, so doch ebenso biologistisch wie die eines ges und der Weimarer Republik tritt weniger eine Adolf Loos.261 Normalität im Umgang mit Studentinnen als eine Nor- malität im Umgang mit deren Präsenz ein. Denn of- „Wenn der Straßenbau durch so echt frauliche Frau- fenbar gewinnt die Frage des Geschlechterverhältnis- en regiert würde (was sich nebenbei bemerkt, nicht ses an Aufmerksamkeit: Während dem Studium von für sie eignet, aber angenommen einmal, sie würden Architekturstudentinnen augenscheinlich keine nen- ihn trotzdem regieren), dann würden alle Straßen un- nenswerte Bedeutung mehr zugemessen wird, notie- versehens Plätze, wahrscheinlich sehr merkwürdige ren die Professoren sehr genau, wie viele Studentin- Plätze, aber doch Plätze, während andererseits so- nen in wessen Seminar studieren.263 Die Anwesenheit genannt echt männliche Männer ungefähr überhaupt von Frauen an der Fakultät bleibt ‘gelitten’, vermeint- keine Plätze bauen können sondern statt Plätzen im- lich exklusiv ‘männliches’ - ‘objektiv-fachliches’ - 259 Vgl. FN 255. Wichert stellt die von ihm als fruchtbar einge- mer so etwas wie ein reichlich großes horizontales Denken und Handeln System. Nicht nur in der Hal- schätzte Polarität anhand von freier und angewandter Kunst, und steriles Nichts erbauen. (..) das unterschiedliche tung einzelner Professoren und in einzelnen Fächern organischer Naturerscheinung und mathematischer Grundform Verhalten des Mannes und der Frau zu den Plätzen finden Studentinnen der Weimarer Republik Bedin- sowie von Unikat - handwerklichem Ingenium - und Modell (für mag von der heutigen zivilisierten Welt aus, die das gungen vor, die ihnen bei deutlicher Überrepräsen- die maschinelle Erzeugung) dar. Unterschiedliche des männlichen und fraulichen We- tanz von Männern mangelnde Akzeptanz signalisie- 260 FN 225 - Dr. Otto Kindt danke ich ganz besonders für die Zu- sens zunehmend mehr verschleierte, nicht so ohne ren. Im Lehrbetrieb der Architekturfakultät der TH sammenstellung der Tessenow-Zitate „zum Thema Mann und weiteres erkennbar sein. Aber so straßenfreudig und Charlottenburg finden wir Frauen lediglich sehr ver- Frau“. straßengläubig unzählige Frauen zu sein scheinen einzelt als ‘Hilfsarbeiterin’ oder ‘Hilfsassistentin’. So 261 Zu Karl Kraus vgl. Berger, 1982, S. 138ff. resp. FN 206, zu den und gelegentlich wirklich sind, so beweist doch nur arbeitet die Kunsthistorikerin Dr. Charlotte Giese hier Biologismen bei Loos vgl. bspw. Nierhaus, Irene: Arch6, Wien, einigermaßen aufmerksame Betrachtung, daß unge- zwischen 1924 und 1926 am Lehrstuhl für Bauge- 2001. fähr jeder Frau die Straßen wesensfremd sind, aus- schichte und zwischen 1930 und 1935 ebendort die 262 HTG, Nachlassheft Heinrich Tessenow X 10,11 resp. X,12. genommen allenfalls solche Straßen, die in hohem ‘Hilfsassistentin’ Dipl.Ing. Helga Karselt.264 Hier bildet 263 Vgl. S.144 Maße platzartig sind oder die auf Schritt und Tritt sich deutlich ab, dass ein beruflicher Aufstieg von 264 Die Rolle von Dr. Charlotte Giese (geb. 1893 Berlin) bedarf wei- platzartige Raumbilder zeigen.“ 262 Frauen innerhalb der Fakultät über die Stufe der terer Recherchen. Ob sie, die 1920 bei Waetzold in Halle pro- Eröffnete das Seminar Tessenow Studentinnen ab Zuarbeit hinaus ausgeschlossen war. moviert hatte und am Lehrstuhl Daniel Krenckers - sie war zwi- Ende der zwanziger Jahre jene egalitären Bedingun- schen 1924 und 1926 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Dass der Geschlechterdiskurs aber auch an der TH gen, die mit der Öffnung des TH-Studiums für Frauen Architekturmuseum Berlin angestellt - arbeitete, von Architektur- Charlottenburg virulent war, verdeutlicht bspw. eine und der Verankerung des Gleichheitspostulats in der studentinnen als Rollenmodell wahrgenommen wurde, muss hier Aussage der Elektrotechnikstudentin Asta Hampe: Weimarer Verfassung intendiert worden waren? offen bleiben. Zur Biografie Gieses vgl. auch Wendland, Ulrike: „Man möchte so gern uns Ingenieurinnen abdrängen Knüpften diese Studentinnen ihre Berufsperspektive Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im auf das ‘ureigenste’ Gebiet der Frau, auf ’Heim und an die eigenen Kompetenzen und die fundierte Aus- Exil, München, 1999, S.195.

im Seminar Tessenow 147 Technik’. Ich jedenfalls möchte betonen, daß die Bonin - unverheiratet mit ihrem Freund zusammen- Begeisterung für elektrische Bügeleisen, Staubsauger zieht. Hanna Blank und Irina Kaatz arbeiten selbst- und Kaffeemaschinen mich nicht zur Wahl des tech- verständlich in einem eigenen Atelier in TH-Nähe, das nischen Studiums bestimmt hat. Das Entwerfen und auch für Kommilitonen zu einem Treffpunkt wird. Und der Bau von Nähmaschinen und anderen ‘Haus- und Johanna Tönnesmann war - wie ihre jüngere Schwe- Küchengeräten’ ist ein konstruktives und fabrikatori- ster erinnert -„bis zum Abitur (..) eine gute, brave sches Sondergebiet.“ 266 Hampe problematisiert da- Schülerin mit tiefem Knoten. Zur Entlassungsfeier mit 1931 nicht nur die Tendenz des ‘Abdrängens’ auf hatte sie sich plötzlich die Haare abgeschnitten. (..) vermeintlich geschlechtsadäquates Terrain. Sie nutzt Von da an war sie auch sonst ziemlich ‘genial’, mal die Gelegenheit auch zur Replik auf Äußerungen von stieg sie in Essen mit 3 Hüten übereinander aus dem Kolleginnen, die - wie die Vorsitzende des GDI267 - auf Zug, mal kam sie nur mit Zeichenrolle an, das Ge- frauenspezifische Arbeitschancen in geschlechter- päck mußte ihr nachgeschickt werden.“ Gleichzeitig konnotierten Tätigkeitsfeldern der Ingenieurwissen- verfügte sie über „besonders viel Scharm, der sie bei schaften hoffen. So hatte Ilse Knott ter Meer wenige Allen beliebt machte.“ 275 Ähnliche Züge erinnert der Monate zuvor in den VDI-Nachrichten für den Einsatz Kommilitone Gert Grossmann-Hensel bei Irina Kaatz: von Ingenieurinnen auf dem Gebiet der Heim- und „Mit ihrem sehr weiblichen Charme bildete sie eigent- Haushaltstechnik plädiert: „Hier gibt es ohne Zweifel lich immer den Mittelpunkt des jeweiligen Personen- viele Fragen, die am besten von einer technisch vor- kreises. Dabei war sie bei aller Kontaktoffenheit auf gebildeten Frau gelöst werden könne(n), da sie eben Distanz bedacht, was respektiert wurde.“ 276 doch in den Bereich der Frau fallen.“ 268 265 Zu den Varianten der Exklusion von Studentinnen vgl. Kap.2, Auch wenn sich die meisten Tessenowstudentinnen S.32. Im Laufe der Recherchen bestätigte sich des öfteren bemühten, bürgerliche Konventionen nicht zu verlet- 266 Goebel, 1931, S.177 der Eindruck, dass Tessenowstudentinnen, als ‘be- zen und familiäre Erwartungen zu erfüllen, so nutzten 267 Die Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen (GDI) wird 1930 in hütete’ Töchter ihrer Eltern eher Kompromisse als sie offenbar ihre habituellen Möglichkeiten, um deren Berlin - als bis dato einzige kollektiven Interessenvertretung von Konflikte suchten.269 In aller Regel ist dies ihr erstes Grenzen sowohl zu überschreiten wie zu ziehen. Und Ingenieur(student)innen - gegründet. Die Maschinenbauingeni- Studium, und sie sind dabei - zumindest aus ihrer so sehr das Studium mancher TH-Studentinnen als eurin Ilse Knott ter Meer wird zur ersten Vorsitzenden gewählt. Sicht - auf die familiäre Alimentierung angewiesen. verlängerte Adoleszenz unter elterlicher Aufsicht er- Zur Biografie Knott ter Meers vgl. Fuchs, 1994, S.117f. Für die Hypothese der Konfliktminimierung spricht scheint, die Mehrheit dieser Architekturaspirantinnen 268 VDI-Nachrichten Nr.24 vom 11.6.1930, hier zitiert nach Fuchs, auch die kaum auszumachende politische Haltung studiert nicht nur zielstrebig sondern ebenso selbst- 1994, S.121. der meisten Studentinen.270 Denn obschon an der TH bewusst. Sie verbinden mit dem Architekturstudium 269 Bisher sind persönliche Aufzeichnungen von Tessenow-Studen- Charlottenburg politische Studentenvereinigungen die Erwartung, sich möglichst bald am realen Bau- tinnen - wie bspw. die Tagebücher Luise Zaulecks - als Quellen- existierten - wie der ‘Rote Studentenclub’ und der geschehen aktiv zu beteiligen. Diesen Studentinnen material kaum zugänglich. ‘Nationalsozialistische Studentenbund’ -, so scheinen bietet das Seminar Tessenow klare Rahmenbedin- 270 Die politischen Haltungen der Studentinnen während des Stu- Architekturstudentinnen hier nur sehr vereinzelt aktiv gungen des Kompetenzerwerbs. Die Berechenbarkeit diums sind i.d.R. unbekannt. geworden zu sein.271 Ebenso selten engagierten sie dieses Studiums basiert ebenso auf einer erkennba- 271 Bisher lässt sich keine Tessenowstudentin im ‘Roten Studenten- sich nach bisherigem Stand der Recherche in Stu- ren, architektonischen Haltung wie auf einem über- club’ nachweisen. Hildegard Oswald [geb. Korte] erinnert, dass dentinnenvereinigungen. Falls Tessenowstudentinnen schaubaren Aufbau. Die Kehrseite dieses verlässli- sie zeitweilig Leitungsfunktionen für Studentinnen im NSDStB mit gesellschaftspolitischen Ideen sympathisierten chen Rahmens bildet jedoch ein ebenso kanonisier- wahrnahm. Vgl. Kap.6, S.173 oder sich dafür engagierten, so taten sie dies - mit tes wie konditionierendes Studium mit nicht infrage 272 Nach Erinnerung einer Kommilitonin soll sich bspw. Luise Zau- Ausnahme Leonie Behrmanns an den VS - offenbar zu stellenden, nahezu starren Kodizes. Quasi als leck um 1936 - also nach dem Diplom - der KPD zugewandt nicht an der Hochschule.272 Initiationsritus gehört hierzu das ‘kleine Wohnhaus’ haben. Ewa Oesterlen im Gespräch am 14.11.1997 ebenso wie die Suche nach der ‘einen Wahrheit’, was Tessenowstudentinnen sind in der Lage ihre Chancen 273 LL zit. in Schuster, Franz: Über Heinrich Tessenow, in Hasche, Posener folgendermaßen skizzierte: „Tessenow zu finden und zu ergreifen, und zumeist durchaus ei- Hans (Hg.): Die kleine und große Stadt. Nachdenkliches von schloß ein Gespräch nicht ab, er wollte nur, daß der genwillige Individualistinnen. Sie verfügen häufig über Heinrich Tessenow, München, 1961, S.9 Lernende sich die Sache noch einmal überlegte; er „allerlei speziell großstädtische persönliche Eigen- 274 Ihr Vordiplom an der TH Stuttgart datiert vom 20.2.1934 und da- war sicher, daß dieser dann den Weg zur Wahrheit schaften“, die dieser Beruf nach Tessenows eigener mit ein halbes Jahr vor der Diplomhauptprüfung in Berlin. finden werde.“ 277 Einschätzung erfordert, auch wenn er selbst davon 275 Barbara Büttner im Brief vom 3.3.1998 „bestenfalls immer nur andeutungsweise einiges be- Tessenow signalisierte eine Orientierung an ganzheit- 276 FN 220 saß“.273 So soll nicht nur Lieselotte von Bonin ebenso lichen Lebensformen, die wohlwollende Förderung in- 277 Posener, 1979, S.366 bestimmt wie couragiert aufgetreten sein. Fridel Hoh- dividueller Kompetenzen und die Anerkennung fachli- 278 Dass Tessenow individuell erbrachte Leistungen als solche dezi- mann studiert bspw. ebenso eigenwillig wie nach gu- cher Leistungen.278 Diese Mischung aus menschlicher diert zu würdigen versteht, mag mit seinen eigenen Erfahrungen sto, in dem sie jenseits von Studienordnungen zehn und fachlicher Haltung machte ihn nicht nur als Pro- zusammenhängen. De Michelis thematisiert dies anhand Tesse- Semester lang an verschiedenen Orten studiert und fessor im Entwurf für etliche der Architekturstudieren- nows Zusammenarbeit mit Schmitthenner. „Die veränderte Situ- darüber fast den Erwerb des Vordiploms versäumt.274 den attraktiv. Der intellektuelle Reiz seines Seminars ation [in den Saalecker Werkstätten] führt bald zu Misshelligkei- lag auch darin, dass hier Schlichtheit und Beschei- ten, vor allem weil Tessenow für seine Leistungen selbst verant- Sie zeigt sich von Konventionen unbeeindruckt, wenn denheit zum Prinzip erhoben wurden, der Meister am wortlich zeichnen will (..)“ de Michelis, 1991, S.343 sie - ebenso wie auch Ewa Freise oder Lieselotte von

148 Architekturstudentinnen Handwerk als ebenso sichtbarem wie berechtigtem Leute“ über das Studium von Frauen oder das Bau- Ausdruck des Unspektakulären festhielt.279 Gerade in stellenpraktikum begriffen die meisten Studentinnen einer Zeit, in der ‘Ingenieurkunst’ und ‘der Schrei eher als Herausforderung denn als Hindernis.282 So- nach dem Turmhochhaus’ die Konkurrenz in der Ar- weit sie zunächst ein anderes Fach studierten, wech- chitektur beflügelte, bot sich hier ein Rahmen, in dem selten sie innerhalb von zwei Jahren zur Architektur. es nicht primär um Machbarkeit, sondern um Ange- Ortsansässige Studentinnen lebten ganz überwie- messenheit ging. In diesem Seminar trat Konkurrenz gend weiterhin bei den Eltern, auswärtige Studentin- nicht offen zu Tage. Und die Studentinnen erlebten nen i.d.R. allein zur Untermiete. diesen Lehrer als Garanten eines Kameradschaft- Das akademische Architekturstudium wurde von den lichkeitsgebots, als Wahrer ihrer Interessen und als meisten TH-Studentinnen als Berufsausbildung be- Förderer ihrer Kompetenzen.280 Sie sahen den Sinn trieben. Manches Mal belegten sie daneben noch eines Architekturstudiums primär im Erwerb berufli- Neigungsfächer und häufig gingen sie in ihrer Freizeit cher Fähigkeiten und suchten bei ihm den Selbsttest kulturellen und sportlichen Hobbies nach. So zielge- als Planer- und Entwerferinnen, nicht unbedingt das richtet Tessenowstudentinnen das Pflichtprogramm große Experiment. in aller Regel bewältigten, so häufig dehnten sie die Warum sollten diese Studentinnen an einem Lehrer Büropraktika deutlich über die vorgeschriebene Zeit zweifeln, der es offensichtlich gut mit ihnen meinte? hinaus aus. Und soweit es die finanziellen Verhältnis- Oder, soweit sie selbst von der Unterschiedlichkeit se zuließen, wechselten sie im Laufe des Studiums der Geschlechter überzeugt waren, geschlechtsko- - i.d.R. nach dem Vordiplom - zumindest ein Mal die dierte Themen zurückweisen, zumal ihre Qualifikation Hochschule. Nicht ganz so häufig wechselten sie den außer Frage stand? Heinrich Tessenow wusste auch Entwurfsprofessor. Ob sie den ersten Studienab- ihre Studienleistungen zu würdigen. Dennoch ließ er schnitt an der TH Charlottenburg oder einer anderen kaum Zweifel darüber aufkommen, dass die fachliche Hochschule absolvierten, mehrheitlich traten diese Förderung von Studentinnen mit dem bestandenen Studentinnen direkt nach dem Vordiplom in das Se- Diplom ihren Abschluss erreicht habe. Und während minar Tessenow ein und bearbeiteten hier vier Ent- er für die berufliche Entwicklung seiner Studenten wurfsprojekte bis sie sich zum Diplom anmeldeten. auch weiterhin ein offenes Ohr hatte und bspw. zahl- Hier waren sie nie die einzige Studentin, blieben aber reiche Empfehlungen verfasste, lässt sich bisher kein immer in einer Minderheitenposition. vergleichbares Engagement für seine Studentinnen Tessenow repräsentierte eine ebenso ganzheitliche finden. Obschon auch manche seiner Diplomandin- wie zurückhaltende Form des Baumeisters, eine Hal- nen hinsichtlich einer Promotion immatrikuliert blie- tung mit der sich zahlreiche Studentinnen ebenso be- ben, lässt sich keine Dissertation einer Studentin bei reitwillig identifizierten wie mit den im Seminar ange- ihm nachweisen, während er Studenten durchaus botenen Themen und Ausdrucksformen. Studierende auch promovierte.281 bearbeiteten hier - grundsätzlich in Einzelarbeit - zu- nächst die Entwurfsaufgabe ‘kleines Wohnhaus’. Auch die anschließend bearbeiteten Entwurfsaufga- Resümee ben waren häufig ebenfalls im Wohnungsbau und na- 279 „Der Handwerker rückt bei Tessenow zur zentralen Figur auf, Tessenowstudentinnen waren zumeist in bürgerlichen hezu immer in kleinstädtischer oder ländlicher Umge- weil er in der Lage ist, die Gegensätze miteinander zu versöh- Familien, mehrheitlich mit Geschwistern und fast aus- bung angesiedelt. Als Diplomarbeit wurde i.d.R. ein nen, und sein Zuhause in Mäßigung und Gleichgewicht zu fin- nahmslos in Großstädten aufgewachsen. Oft kamen öffentliches Gebäude bearbeitet, wobei die Studie- den vermag.” De Michelis, 1991, S.77 sie bereits im Familien- und Verwandtenkreis - und renden zumindest auf diese letzte Aufgabenstellung 280 Dass Studentinnen in Tessenow auch einen parteiischen Förde- damit im Kindesalter - mit Architekten oder Ingenieu- thematisch Einfluss nehmen konnten. rer sahen, zeigt bspw. ein kolportiertes Zitat von Gisela Ehren ren in Berührung. Denn die Väter dieser Studentinnen Ausgangs- wie Zielpunkt von Tessenows Weltan- [geb. Schneider] anlässlich der 1964 unter den Mitgliedern der waren häufig selbst Architekten und Ingenieure, aber schauung war das familiär geprägte Wohnen und Ar- Heinrich-Tessenow-Gesellschaft durchgeführten Meinungsum- auch als Kaufleute oder in bildungsbürgerlichen Be- beiten, das nach seiner Vorstellung auch in ländlicher frage zur Vergabe des Heinrich-Tessenow-Preises: „Meine Frau rufen tätig. Nur ausnahmsweise waren auch die Müt- Umgebung und im Einklang mit der Natur gelebt wer- Gisela zu diesem Thema: Es wäre sehr im Sinne von Heinrich ter erwerbstätig. den sollte. In diesem Sinne schlug seine Präferenz für Tessenow, wenn dieser Preis nur an Frauen verliehen würde.“ Tessenowstudentinnen erwarben ausnahmslos ein Siedlung und Kleinstadt bei den Entwurfsaufgaben in HTA, HTG 64-65, NL Jessen. Josef Ehren, Nachtrag zum Brief Abitur. Sie nahmen mehrheitlich im Alter von knapp eine Art Exklusivität anachronistischer Lebensformen an Otto Kindt vom 24.11.1964, bzgl. Heinrich-Tessenow-Preis. zwanzig Jahren und unmittelbar im Anschluss an die um. Tessenow ließ keine mehrgeschossigen Wohn- 281 So promoviert bspw. Rudolf Wolters 1930 bei Tessenow über Schulausbildung das Studium auf. Diese Entschei- bauten oder gar Industriebauten studieren und ent- Bahnhofsbauten. Vgl. Engstfeld, 2000, S.232. Vgl. hierzu auch dung wurde von den Eltern - spätestens nach an- werfen. Seine Studierenden vollzogen mit Hilfe detail- Kap. 6, S.177 fänglicher Skepsis - unterstützt und begleitet, in Ein- lierter Aufmaße traditionelle Bautechniken nach, stu- 282 „Wozu ein Studium für ein Mädchen? Schnell wirst Du heiraten, zelfällen sogar forciert. Mögliche Schwellen und Wi- dierten zahlreiche, handwerklich verfertigte Gebäude und dann sind Geld und Arbeit für das Studium umsonst gewe- derstände wie „kritische Bemerkung[en] mancher und entwarfen in Anknüpfung an das Bewährte. sen.“ Derlei Vorbehalte erinnert Iwanka Hahn, FN 32.

im Seminar Tessenow 149 Und während Tessenow auf der theoretischen Ebene teilt oder ignoriert. So wenig die Hierarchie der Ge- aus Formeln und Begrifflichkeiten auszubrechen und schlechter im Seminar thematisiert wurde, sie wurde sprachlich - dies zeigen die zahlreichen Wortschöp- auch nicht in Frage gestellt. Hier blieben die Regeln fungen und Umschreibungen - nach einer Erweite- bürgerlichen Anstands unangetastet, die ihnen nor- rung des Vokabulars suchte, blieb im architektoni- mativ eingeschriebenen Unterschiede immer präsent. schen Entwurf die Reduktion bereits bekannter Aus- Im Unterschied zu den ‘Herren Kollegen’ wurde Stu- drucksrepertoires Maxime. Diese Suche nach dem dentinnen auf dem Weg in eine berufliche Existenz Wesentlichen durch größtmögliche Reduktion auf keine professionelle Perspektive als selbständige Kol- ebenso gültige wie ‘wahre’ Ausdrucksformen wurde leginnen gewiesen. Es blieb damit ebenso offen wie mit der Hoffnung verknüpft, dass dergestalt ein Ge- den Studentinnen selbst überlassen, außerhalb derart genpol zu den Entfremdungen des modernen Lebens väterlicher Fürsorge Talente und Qualifikationen um- zu finden sei - zu Maschinisierung, Industrialisierung zusetzen. So sehr diese sich auch mit dem Ideal des und Verstädterung. Doch so sehr Tessenow die Kon- selbständigen Baumeisters identifizierten und sich kretisierung eines Gegenentwurfes zur ‘Massenge- die Maximen - wie den ‘Mut zur Einfachheit’ - zu ei- sellschaft’ in Form einer (be)greifbaren, auf das We- gen machten, nach der ‘Logik’ geschlechtsspezifi- sentliche konzentrierten Lebenswelt auch proklamier- scher Passgenauigkeit zeichnete sich für sie lediglich te, die Aufgabenstellungen für die Studierenden neh- eine semiprofessionelle Existenz ab: Als Mitarbeiterin men kaum Bezug auf Umgebung oder Kontext. Die oder Kameradin an der Seite von Männern. Studienentwürfe zeigen in lebendigen Darstellungen Tessenowstudentinnen scheinen Fragen des Ge- alltägliche Details und wirken dennoch seltsam iso- schlechterverhältnisses in aller Regel sehr wohl er- liert vom aktuellen Baugeschehen. wogen zu haben. Häufig sahen sie sich selbst als Das Seminar bot in seinen handwerklichen und tradi- gleichwertige Kameradin ihrer Kommilitonen resp. tionellen Bezügen auch über die Jahre ebenso kon- Kollegen. Ohnehin war die Atmosphäre im Seminar 283 So betont Poelzig 1931 bei der Auswahl der ausstellungswürdi- stante wie vergleichbare Studienbedingungen. Es er- von einem kameradschaftlichen Umgang geprägt. gen Schülerarbeiten, dass es sich um selbständige Arbeiten frü- wies sich für Frauen als zugänglich und sprach viele Sexuelle Beziehungen blieben für die meisten Stu- herer Schüler handelt „soweit sie ausgesprochene Architekten so stark an, dass sie hier ganz im Sinne des Meisters dentinnen vor einer Heirat tabu. Es entstanden zahl- wurden“. FN 39, S.2 studierten. Tessenow gestand den ‘Mädchen’ in sei- reiche Freundschaften und Bindungen, mindestens nem Seminar quasi einen Ausflug in Welt des ‘männ- ebenso häufig zu Kommilitonen wie zu Kommilitonin- lich-Großweltlichen’ zu: Während einer verlängerten nen, die auch beim Berufseinstieg manches Mal ge- Adoleszenz durften sie hier unter Begleitung durch nutzt werden konnten. den Meister - und behütet vor der Unbill realer Mög- Tessenowweg in Hannover Tessenowstudentinnen waren junge Frauen mit viel- lichkeiten und Machtverhältnisse - ihren Fähigkeiten Mitglieder der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft bei der Einweihung, fältigen Neigungen und manch eigenwilligen Interes- und Neigungen nachgehen. Erst im Laufe der dreißi- Anfang der 1970er Jahre, 2.v.l. Luise Seitz sen. In aller Regel suchten sie im Studium nach einer ger Jahre zeichneten sich auch geschlechtersegre- Möglichkeit, ihre vielseitigen Fähigkeiten zielgerichtet gierende Aufgabenstellungen ab. weiterzuentwickeln und ihre Handlungsradien zu er- Tessenows architektonische und menschliche Hal- weitern. Sie studierten ebenso wissbegierig wie en- tung beeindruckte zahlreiche Studierende. Die Auf- gagiert und in der Regel ebenso erfolgreich wie zü- merksamkeit, die er zahlreichen unspektakulären - gig. Hierfür erhielten sie bei Tessenow ebenso ein Gestaltungsaufgaben widmete, schien auch seinen Diplom wie ihre Kommilitonen und damit auch die Studentinnen Anknüpfungs- und Identifikationsmög- formale Voraussetzung für einen Einstieg in den Be- lichkeiten zu eröffnen. Während den realiter studie- ruf. Ein Drittel dieser Studentinnen diplomiert inner- renden und entwerfenden Architekturstudentinnen halb von neun Studiensemestern, ein weiteres Drittel suggeriert und zertifiziert wurde, dass sie die ihnen innerhalb von höchstens elf Semestern. zugewiesenen Aufgaben fachgerecht lösen, blieb das Obschon auch Tessenowstudentinnen Lehrer und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar in der Diskussion begriffene Berufsbild auch an den Orte wechselten, sich für andere Fächer und unter- Hochschulen auf „ausgesprochene Architekten“ fo- schiedliche Zugänge zur Architektur interessierten, kussiert, das Berufsfeld für ‘nicht-männliche’ Diplom- ein Verlassen des akademischen Ausbildungs-weges Ingenieure nur bedingt geeignet.283 Und obschon Tes- kam für sie nicht in Frage. Im Entwurfsduktus wie in senows Kritik an der „Einseitigkeit des Weltmänni- der Darstellung adaptierten sie den Meister und des- schen“ auf eine Ausgewogenheit der Persönlichkeit sen Erwartungen. Und der Haltung, konkrete Gebäu- zielte, auch seine Vorstellung vom Baumeister wie de für bekannte Nutzungen in der Tradition hand- vom Verhältnis der Geschlechter blieb mit männlicher werklicher Formensprachen zu entwickeln, blieben Dominanz amalgamiert. Das geschlechterpolare Den- sie häufig weit über das Studium hinaus verpflichtet. ken Tessenows wurde von seinen Studentinnen ge-

150 Architekturstudentinnen 6 Studiengänge und Studentinnen im Vergleich

Kapitale im Vergleich (152) - Berufsvererbung und Studienwünsche (154) - Studienmotivatio- nen und Lehrerwahl (155) - Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und Seminar (157) - Reale Aufgaben - reelle Entwürfe (160) - Studium oder ‘Schule’? (162) - Mädchen, Frauen, Kameradin- nen (170) - Studiendauer - Studienerfolge (174) - Realitäten und Projektionen (175) - Ambitio- nen und Konsequenzen (178) - Resümee (179) Ausbau-Diplom. Diese vier Diplome wurde 1932 aus- gestellt. In den folgenden Vergleich werden auch die Die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik früher oder später studierenden Studentinnen einbe- - darunter die Tessenow- und Bauhausstudentinnen - zogen.2 sind nicht mehr Pionierinnen im engeren Wortsinn. In Während am Bauhaus de facto nur zwischen 1927 einer deutlichen Minderheitenposition, jedoch nicht und 1932 von einem Architekturstudium gesprochen mehr völlig vereinzelt, beginnen sie ihr Studium in ei- werden kann, lässt sich die Studiensituation im Semi- ner Zeit, in der das Berufsfeld durch ökonomische nar Tessenow zumindest bis Mitte der dreißiger Jahre Krisen geschüttelt, durch gewandelte gesellschaftli- als nahezu stabil bezeichnen.3 Diese Diskrepanz der che Erwartungen und Möglichkeiten im Umbruch be- Rahmenbedingungen verschärft sich beim Vergleich griffen ist. Die Ausbildungsrichtungen ‘Tessenow’ an der Studiensituationen unter Genderaspekten: Wäh- der TH Charlottenburg und ‘Bauhaus’ - in Weimar, rend Architekturstudentinnen im Seminar Tessenow Dessau und Berlin - existierten unterschiedlich lange, über den gesamten Zeitraum ein weitgehend kanoni- davon zwischen 1926 und 1933 zeitgleich. Von den siertes Studium unter annähernd geschlechteregalitä- mehr als 400 Studentinnen, die am Bauhaus zwi- ren Bedingungen absolvieren, finden wir in allen Pha- schen 1919 und 1933 studierten, interessierten sich sen des Bauhauses Studentinnen, denen es ange- zumindest 52 Studentinnen - unter anderem oder ins- sichts weitgehend ungeregelter, mehrfach modifizier- besondere - für architektonische Fragestellungen. Bei ter und weitgehend geschlechtergetrennter Studien- 1 Dies bedeutet einen gesicherten Anteil von 6% (Gesamtzahl der Tessenow studierten an der TH Charlottenburg zwi- bedingungen nur in Ausnahmefällen gelingt, bis in Studierenden hier ermittelt anhand der StudentInnenkartei). Im schen 1926 und 1939 - einschließlich der Gaststu- den Bereich der Architektur überhaupt vorzudringen. Zeitraum zwischen 1928 und 1936 studieren bei Tessenow dentinnen - mindestens 34 Studentinnen Architektur.1 zumindest 25 Studentinnen Architektur. 15 schließen bei ihm mit Ausschließlich während der überlappenden Zeitspan- Um die Relation von Gender zu Ausbildungschancen Diplom ab. ne zwischen 1926 und 1933 studierten 35 - also zwei resp. Berufsqualifikationen in der Architektur während 2 Dies auszuschließen, ergäbe insbesondere bzgl. der Bauhaus- Drittel - der architekturinteressierten Bauhausstuden- der Weimarer Republik ausloten zu können, wurden studentinnen ein unzulängliches Bild, auch wenn die Verände- tinnen und 18 - damit knapp die Hälfte - der Tesse- die beiden Schulen - Bauhaus und Seminar Tesse- rung der ökonomischen wie politischen Rahmenbedingungen nowstudentinnen. Die Studienzeit der Mehrzahl aller now - unter besonderer Berücksichtigung der Situati- die Studien- und Lebenssituationen mancher Architekturstuden- hier betrachteten Studentinnen fällt somit in das enge on von Studentinnen untersucht und in den vorange- tinnen massiv beeinflussten. Vergleichsraster. Elf dieser achtzehn Tessenowstu- gangenen Kapiteln dargestellt. Im folgenden wird der 3 Das politische Klima an der TH Charlottenburg veränderte sich dentinnen schlossen ihr Studium zwischen 1930 und Versuch unternommen, generationenspezifische Ge- bereits um 1930 spürbar, da hier die Konfrontation mit national- 1933 mit Diplom bei Tessenow ab. Das Bauhaus ver- meinsamkeiten und ausbildungsspezifische Beson- sozialistischen Ideen und Praktiken u.a. durch den NSDStB ließen nur vier Studentinnen mit einem Bau- resp. derheiten vergleichend zu diskutieren. deutlich präsent war.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 151 Kapitale im Vergleich: Unterschiede und Gemein- tet bleiben als die aufgeklärt bildungsbürgerlichen, samkeiten der Sozialisationen von Tessenow- und resp. technikorientierten Kreise, in denen TH-Studen- Bauhausstudentinnen tinnen aufwachsen. Diese – auch durch die Konfes- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik kom- sionszugehörigkeit gekennzeichneten - Milieus beein- men häufig aus technisch orientierten Mittelschichten flussten die Bildungschancen der Mädchen deutlich, des großstädtischen Bürgertums oder kulturell orien- obschon die Religion in den meisten Familien der tierten großbürgerlichen Elternhäusern. Die ganz Architekturstudentinnen keine zentrale Rolle spielte.7 überwiegende Zahl dieser Studentinnen stammt aus Stammten die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit finanziell abgesicherten bis sehr gut ausgestatteten noch ganz überwiegend aus protestantischen Famili- Verhältnissen. Dabei unterscheiden sich die sozialen en und zu einem Drittel aus jüdischen Elternhäusern, und kulturellen Milieus der Herkunftsfamilien von Tes- so ist während der Weimarer Republik ein Zuwachs senowstudentinnen deutlich weniger als die von Bau- an protestantischen und sukzessive auch katholi- hausstudentinnen. Tessenow- wie Bauhausstudentin- schen Architekturstudentinnen zu verzeichnen, wäh- nen wachsen nur selten in Großfamilien, manches rend die absolute Anzahl der jüdischen Studentinnen Mal als Einzelkinder, zumeist jedoch mit ein oder annähernd konstant bleibt. Bauhausstudentinnen zwei Geschwistern auf. Ihr künstlerisches Interesse sind zum ganz überwiegenden Teil in protestanti- wird manches Mal durch die Mütter, ihr naturwissen- schen, zu einem Drittel in jüdischen Elternhäusern schaftliches, mathematisch-technisches oder archi- aufgewachsen. Auch Tessenowstudentinnen wuch- tektonisches Interesse oft durch die Väter geweckt. sen ganz überwiegend in protestantischen, zu einem Die meisten architekturinteressierten Bauhausstuden- Viertel in katholischen, nur selten in jüdischen Eltern- tinnen sind mit einem selbständigen Kaufmann oder häusern auf. Damit sind insbesondere am Bauhaus Unternehmer als Vater, nur ausnahmsweise mit be- die christlich sozialisierten Architekturstudentinnen im rufstätigen, häufig jedoch mit kulturell umtriebigen Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immer noch weit Müttern aufgewachsen. Sie kommen aus dem Bil- unterrepräsentiert, was auf die hohe Repressivität dungsbürgertum, häufiger noch aus dem Besitzbür- christlicher Mädchenerziehung verweist.8 gertum. Vereinzelt finden wir am Bauhaus auch Ar- Entscheidender als die soziale Situation der Her- chitektentöchter und ausnahmsweise Studentinnen kunftsfamilie war also das kulturelle Milieu, das Mäd- aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Im Unterschied chen mit vielseitigen Neigungen die Chance eröffne- dazu wachsen Tessenowstudentinnen nie in kleinbür- te, kulturelles Kapital zu erwerben und ihr Interesse 4 Auch Architekturstudentinnen in den Seminaren Poelzig und gerlichen Verhältnissen auf. Sie stammen teilweise an der Architektur zu entdecken. Nahezu selbstver- Taut an der TH Charlottenburg sowie an der Bauabteilung der aus einem kaufmännisch geprägten Milieu, das vom ständlich besuchten Studentinnen der Weimarer Re- Vereinigten Staatsschulen in Berlin sind – so das Ergebnis von Buchhändler bis zum Bankier reicht. Weitaus häufiger publik in den zehner und zwanziger Jahren weiterfüh- Stichproben - häufig als Töchter von Architekten oder Ingenieu- sind sie jedoch Töchter von Ingenieuren oder Archi- rende Schulen, widmeten sich daneben Musik- und ren sowie von Kaufleuten aufgewachsen. tekten, die zum überwiegenden Teil in öffentlichen Zeichenstudien. Häufig nahmen sie ebenso selbstver- 5 Die Geschwisterfolge ist nur manchmal bekannt. Die Jüngsten Diensten tätig sind. Auch hier sind die Mütter nur sel- ständlich am kulturellen und gesellschaftlichen Leben unter mehreren Geschwistern waren bspw. Beese, Both, Meyer ten berufstätig, noch seltener treten sie öffentlich in teil, trieben Sport, bereisten kulturelle Stätten im In- und Rogler. Relativ häufig sind sie die Ältesten, so Bernoully, Erscheinung. Arzt- und Pfarrerstöchter studieren ver- und Ausland, besuchten Konzerte, Kino und Theater, Enders, Fernbach, Helm, Josefek, Reiss, Schneider, Swan, Si- einzelt sowohl am Bauhaus als auch bei Tessenow. lasen Presse und - insbesondere zeitgenössische - mon-Wolfskehl, Ulrich. Von den Tessenowstudentinnen sind nur Töchter aus Lehrerfamilien sind unter den Architek- Literatur. Im Unterschied zu den Architekturstuden- Freise, Gaiser, Pfeiffer, Schneider, Tönnesmann und Zauleck die turstudentinnen an der TH Charlottenburg, nicht aber tinnen der Kaiserzeit erwarb die große Mehrheit der Erstgeborenen. am Bauhaus zu finden.4 Auch die familiären Konstel- Studentinnen der Weimarer Republik bereits ein Re- 6 So studierten bspw. auch die Schwestern von Behrmann, Belo- lationen von Tessenow- und Bauhausstudentinnen gelabitur. Sie gehören jener ersten Frauengeneration weschdowa, Dirxen, Freise, Karselt, Schneider, Tönnesmann, unterscheiden sich. Während Tessenowstudentinnen an, die - durch den enormen Aufschwung der Mäd- Waltschanowa und Zauleck, während dies bei den Bauhausstu- häufig die ältesten oder einzigen Kinder ihrer Eltern chenbildung nach der Jahrhundertwende - in den dentinnen lediglich den Schwestern von Helm, Reiss und einer sind, zeigen die Geschwisterkonstellationen von Bau- größeren Städten nun ohne Umwege und Zusatzprü- der drei Schwestern von Meyer-Waldeck vergönnt ist. hausstudentinnen keine Auffälligkeiten.5 fungen das Abitur erwerben konnte. 7 Dennoch genossen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen fast Während jedoch in den Familien von Tessenowstu- ausnahmslos auch eine religiöse Erziehung. Ruth Hildegard Tessenowstudentinnen absolvierten mehrheitlich Re- dentinnen i.d.R. alle Geschwister vergleichbare Aus- Raack. Katt Both und Luise Zauleck wuchsen in Pfarrersfamilien algymnasien mit mathematischem Schwerpunkt, ver- bildungswege durchlaufen resp. ebenfalls studieren, auf. einzelt auch humanistische Gymnasien. Sie schlos- tun dies in den Familien von Bauhausstudentinnen 8 Im Seminar Tessenow studieren damit relativ viele katholische, sen die Schulbildung zumeist zielstrebig und immer häufig nur die Brüder.6 Hier ergreifen die Schwestern relativ wenige jüdische Studentinnen. Am Bauhaus ist der Anteil mit einem Abitur ab. Nur die Hälfte der Bauhausstu- in aller Regel ‘weibliche Berufe’ oder heiraten ohne katholischer Studentinnen auffallend niedrig. Letzteres zeigt Pa- dentinnen erwarb ein Abitur. Sie besuchten zumeist jegliche Ausbildung. Hieran wird sichtbar, dass die rallelen zur Konfessionsstreuung bei Architekturstudentinnen der Lyzeen, manches Mal Reformschulen und durchliefen Elternhäuser von Bauhausstudentinnen traditionellen Kaiserzeit. Bisher lassen sich jedoch keine eindeutigen ‘Konfes- mehrheitlich Vorbildungen mit sprachlichem oder mu- Geschlechterrollen weit deutlicher und länger verhaf- sionsprofile’ der Ausbildungsinstitutionen erstellen. sischem Schwerpunkt. Manche - wie Alexa Gutzeit,

152 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Wera Meyer-Waldeck und Rose Mendel - erhielten Das kulturelle Kapital, das Bauhaus- und Tessenow- zeitweilig Privatunterricht. Während die Vorbildungen studentinnen im Laufe ihrer Sozialisation i.d.R. erwer- von Bauhausstudentinnen nicht immer bruchlos und ben, ist außergewöhnlich vielfältig und dem von Söh- - qua Inhalten und Qualifikation - insgesamt hetero- nen vergleichbarer gesellschaftlicher Kreise in den 9 Im Vergleich zur ersten Studentinnengeneration sind architektur- gen sind, erwerben Tessenowstudentinnen ihre schu- großen Städten des Deutschen Reiches während der interessierte Studentinnen der Weimarer Republik weit häufiger lische Bildung ausnahmslos an öffentlichen Bildungs- Weimarer Republik zumindest äquivalent. Und öfter bereits in Großstädten geboren und aufgewachsen. Tessenow- einrichtungen. Als Abiturientinnen können sie zwis- als die jeweiligen Kommilitonen, weit häufiger als studentinnen wachsen fast ausnahmslos, Bauhausstudentinnen chen nahezu allen akademischen Studienrichtungen Studentinnen anderer Fächer fanden Architekturstu- überwiegend in großen Städten auf. Seltener als Tessenowstu- wählen. Weiterführende Schulen besuchen Bauhaus- dentinnen der Weimarer Republik in ihren Eltern An- dentinnen kamen sie dort bereits zur Welt. wie Tessenowstudentinnen ausnahmslos in Groß- sprechpartner, die dank der eigenen Bildungserfah- 10 Jacoby-Orske, Edith: Die Frauen in der Kleinstadt, in: Neue städten, zu mehr als einem Drittel in Berlin. rung den Studienwunsch der Tochter akzeptierten Frauenkleidung und Frauenkultur, 25.Jg., Heft 14, 15.4.1919, oder zumindest tolerierten. Während Karl Keller 1928 Dass Architekturstudentinnen der Weimarer Republik S.413. Obschon sie den „starren Kastengeist der Kleinstadt” kri- im Hinblick auf die Architekturstudenten konstatierte, - darunter auch die Tessenow- und Bauhausstuden- tisiert, konzediert sie auch: „Für den Durchschnitt der Frauen dass deren soziale Schichtung im wesentlichen dem tinnen - ihr kulturelles Kapital überwiegend in Groß- sind andere Werte entscheidender: die lebendige Gemeinschaft Durchschnitt aller Studierenden entspricht11, stellte städten erwerben, ist kein Zufall.9 Bereits 1929 kon- im Hause, der die kleine Stadt günstiger ist als die große.“ die Studiendirektorin Anna Schönborn bei ihrer Ana- statierte Edith Jacoby-Orske, „daß die Großstadt für 11 Keller, Karl: Die Entwicklung des Frauenstudiums, Vorwort zur lyse der Bildung der Väter von Studierenden aller den Geist, die Intelligenz, das Berufsstreben einer Hochschulstatistik des Jahres 1928, Berlin, 1929 Studienrichtungen 1932 ein Gefälle fest: „Von den wachsenden Frauenschicht willkommene Möglichkei- 12 Schönborn, Anna: Die Frau als Akademikerin, in: Grabei, Paul Vätern der Studentinnen haben mehr als 30% akade- ten öffnet, daß die Großstadt eher als der kleinere Ort (Hg.): Vivat Academia, Essen, 1932, S.94-97, hier S.95 mische Bildung, von den Studenten knapp 20%.“ 12 den Gesichtskreis weitet, Menschen- und Lebens- 13 Nach bereits abgeschlossenen Hochschulstudien nehmen Mara kenntnis entwickelt. (..) Während man sonst noch Bauhaus- und Tessenowstudentinnen sind noch weit Utschkunowa, Tony Simon-Wolfskehl, Ruth Hildegard Raack, sehr weit entfernt ist von der vollkommenen Sach- häufiger Kinder von Akademikern: Zumindest Drei- Ursula Schneider und Mathy Wiener ihr Studium am Bauhaus lichkeit der Zusammenarbeit und der selbständigen viertel der Väter waren im Besitz eines akademischen auf. Nach abgebrochenen Kunst-, Grafik-, Design- oder Musik- Wertung der Frauenleistung, die die führenden Frau- Abschlusses. Berücksichtigt mensch daneben noch studien kommen u.a. Katt Both, Annemarie Wilke, Wera Meyer- en in der Großstadt heute schon als Selbstverständ- die Akademikerinnen unter den Müttern, so lassen Waldeck, Annemarie Wimmer, Hilde Katz, Lila Ulrich und Rose lichkeit voraussetzen können.“ 10 sich die familiären Rahmenbedingungen von Archi- Mendel. Bereits auf dem Hintergrund mehrjähriger Berufstätig- tekturstudentinnen der Weimarer Republik als bil- keit beginnen bspw. Lotte Beese, Lore Enders, Ruth Josefek, Im Gegensatz zum „starren Kastengeist der Klein- dungsbürgerlich privilegiert bezeichnen. Hierbei wird Grete Meyer und Anny Wettengel ein Bauhausstudium. stadt“ eröffnete sich im großstädtisch-liberalen Um- aber auch sichtbar, in welch hohem Maße die Akzep- Tessenowstudentinnen haben nur in Ausnahmefällen – so Anni feld den um die Jahrhundertwende geborenen Mäd- tanz eines Architekturstudiums von Frauen während Pfeiffer oder Hildegard Korte - bereits zuvor ein Studium ande- chen die Möglichkeit, individuelle Interessen nahezu der Weimarer Republik vom elterlichen Bildungsni- rer Disziplinen aufgenommen. ohne Rücksicht auf Geschlecht zu verfolgen. Und of- veau abhängig war. 14 So Tony Simon-Wolfskehl, Ursula Schneider, Hilde Reiss resp. fensichtlich machten sie davon vielfältig Gebrauch, Sigrid Rauter. Zu den vormaligen TH-Studenten gehören bspw. fanden mit ihren Aktivitäten und Leistungen Anerken- Während die weitaus meisten - Dreiviertel - der Tes- Edmund Collein und Hans Keßler (TH Darmstadt resp. Stutt- nung und Bestätigung, erlebten in ihrem Tun Erfolge senowstudentinnen ihr Architekturstudium direkt gart). Aber auch Ferdinand Kramer (1898-1985) soll 1919, er- und konnten den - in einer ‘geschlechter-relativen’ nach der Reifeprüfung aufnehmen, haben Dreiviertel muntert durch seinen Lehrer Theodor Fischer, von der TH Mün- Gesellschaft vermeintlich ungewöhnlichen - Studien- der architekturinteressierten Bauhausstudentinnen chen kommend einige Monate am Bauhaus Weimar verbracht wunsch Architektur individuell entwickeln. zuvor bereits einen Ausbildungsweg eingeschlagen, haben. Da es jedoch noch keine Architektenausbildung gab, ein Studium begonnen oder absolviert.13 Auch Archi- In ihrer Jugend verfolgten Tessenow- wie Bauhaus- ging er nach wieder zurück zu Fischer. (Vgl. Kramer, Beate: 36 tekturstudentInnen Technischer Hochschulen interes- studentinnen fast ausnahmslos musikalische und kul- Jahre mit Ferdinand Kramer, Interview Claude Lichtenstein, in: sieren sich vereinzelt für ein Studium am Bauhaus.14 turelle Interessen. Tessenowstudentinnen scheinen Ferdinand Kramer, Katalog, Gießen, 1991, S.12ff.) 1921 kommt daneben häufig in ihren sportlichen und mathema- Die Mehrheit der Bauhausstudentinnen ist bei Studi- auch Konrad Wachsmann nach Weimar. Auch er - seit 1920 Ar- tisch-naturwissenschaftlichen Neigungen, Bauhaus- enbeginn am Bauhaus bereits Mitte zwanzig oder äl- chitekturstudent bei Tessenow in Dresden - kommt schnell zu studentinnen in ihren musischen Ambitionen ermutigt ter. Im Unterschied dazu sind Tessenowstudentinnen der Einschätzung, dass ein Architekturstudium am Bauhaus worden zu sein. Tessenowstudentinnen wuchsen im- in der Regel noch minderjährig und damit kaum jün- nicht möglich sei. Sein retrospektiver Abgleich von Programm mer in wohlgeordneten Familienverhältnissen auf. Sie ger als jenes Drittel der architekturinteressierten Bau- und Realität ist deutlich: „Gropius bestimmte in seinem Pro- wurden häufig bildungsbürgerlich behütet, manches hausstudentinnen, das sich direkt nach dem Schul- gramm den Bau zum Endziel aller Bemühungen, aber es wurde Mal liberal erzogen. Bauhausstudentinnen wurden besuch am Bauhaus immatrikuliert.15 Diese unter- nicht gebaut. (..) Und das Haus Sommerfeld in Berlin-Dahlem häufig liberal erzogen. Manche suchten eigenwillig schiedlichen Zugänge zum Architekturstudium kor- war alles andere als überzeugend. Da wucherten Ornamente.“ Freiräume, die sich anderen bereits durch die - nicht relieren i.d.R. mit der Entstehung resp. Entwicklung Gruening, Michael: Der Architekt Konrad Wachsmann, Erinne- immer bürgerliche - Familienkonstellation boten. Im des Studienwunsches. rungen und Selbstauskünfte, Wien, 1986, S.141 Laufe ihrer schulischen wie außerschulischen Aktivi- 15 Ab 1928 steigt auch am Bauhaus der Anteil der knapp 20-jähri- täten fanden auch die behüteteren Töchter Gelegen- gen Abiturientinnen deutlich an. Insgesamt liegt das rechneri- heiten, kreative Fähigkeiten zu entwickeln und eige- sche Durchschnittsalter der Bauhausstudentinnen bei Studien- nen Mut zu erproben. beginn mit 23 Jahren deutlich über dem von Studentinnen an Technischen Hochschulen.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 153 Berufsvererbung und Studienwünsche Glaser und Herrmann kommen in ihrer Untersuchung Im Unterschied zur Kaiserzeit greifen Architekturstu- zu dem Schluss, dass die von den Eltern getragene dentinnen während der Weimarer Republik mit ihrem Studienentscheidung in den meisten Fällen keine ei- Studienwunsch häufig die väterliche Berufstradition gene Entscheidung - aufgrund persönlicher Interes- auf.16 Nur wenige der Bauhausstudentinnen, jedoch sen und Absichten - gewesen sei. Dementsprechend fast die Hälfte der Tessenowstudentinnen war im habe sie noch keinen eigenen Entschluss für einen Umfeld von Architekten oder Ingenieuren aufgewach- späteren Beruf beinhaltet, da sie i.d.R. „entweder in sen und hatte damit bereits Berufsangehörige in per- Abgrenzung zu anderen traditionellen Berufslaufbah- sonae kennengelernt.17 nen oder unter dem Einfluß von Familientradition oder sogar unter einem gewissen Druck von seiten Der Frage der ‘Berufsvererbung’ - 1906 wird dies in der Eltern“ erfolgt sei: „Es war noch nicht die Phase der Reichsstatistik erstmalig als signifikantes Merk- der aktiven Durchsetzung eigener Lebensentwürfe.“ 21 mal freier Berufe thematisiert - wurde bei der Studi- enfachwahl von Töchtern bisher weder dokumentiert Ob diese Feststellung auch auf Architekturstudentin- noch untersucht.18 Im Sinne einer familiären Tradie- nen der Weimarer Republik zutrifft, muss bezweifelt rung konkurrieren bei ‘Vererbung’ des Berufes von werden. Denn gerade bei Tessenowstudentinnen den Vätern auf die Töchter – im Unterschied zur ‘Ver- wird deutlich, dass sie mit ihrer Studienfachwahl häu- erbung’ auf die Söhne - jedoch zwei sich ausschlie- fig auch bereits eine eindeutige Berufswahl treffen. 16 Selbst im weiteren familiären Umfeld von Architekturstudentin- ßende Rollen: Die der väterlichen und die der müt- Und die hohe Zahl der Studienabbrecherinnen und nen der Kaiserzeit lassen sich kaum Architekten und Ingenieure terlichen Traditionslinie. Damit ist die Frage der Be- Fachwechslerinnen unter den Bauhausstudentinnen finden. Lediglich der – vor Studienbeginn bereits verstorbene - rufsperspektive auch im Hinblick auf geschlechtsspe- verweist nicht nur auf enttäuschte Erwartungen, son- Vater von Janina von Muliewicz war Oberingenieur. Ein Onkel zifische Passgenauigkeit virulent. Eine ‘Vererbung’ dern auch darauf, dass zumindest diese Studentin- Hilda Friedenbergs war Architekt, ein Bruder von Elisabeth Nies- des technischen Berufsinteresses durch Mütter, Tan- nen die Umsetzung eigener Perspektiven fest im sen Ingenieur, ein Bruder Emilie Winkelmanns Zimmermann und ten oder ältere Schwestern scheint in dieser Genera- Blick haben. Ob Architekturstudentinnen der Weim- Architekt. tion noch nahezu ausgeschlossen.19 Vereinzelt lassen arer Republik damit schon eine Entscheidung zwi- 17 So waren die Väter von Behrmann, Brobecker, Freise, Heiden- sich jedoch freiberuflich erfolgreiche Frauen im Fami- schen konfligierender Berufs- und Familienperspekti- reich, Josefek, Korte, Lederer, Loewe, Rossius, die Onkel von lien- und Bekanntenkreis nachweisen. Deren konkre- ve treffen und ob bereits zum Studienbeginn von Simon-Wolfskehl, Reiss und Zauleck, der Bruder von Rogler und te Vorbild- und Unterstützerinnenrolle kann hier nicht ‘eigenen Lebensentwürfen’ gesprochen werden kann, die - potentiellen - Schwiegerväter von Karselt und Engels als dokumentiert werden, dürfte aber nicht zu unter- muss – in Ermangelung aussagefähiger Ego-docu- Architekten und Ingenieure tätig. schätzen sein. ments – bisher offen bleiben. Aber auch die Hartnäk- 18 Fuchs spricht 1994 bereits im Titel - „Wie die Väter so die Töch- kigkeit und die Verve, mit der zumindest etliche die- Besorgte Eltern fragen sich häufig bereits zu Studien- ter...“ - von Berufsvererbung bei Technikstudentinnen, weist de- ser Studentinnen die elterliche Skepsis überwinden beginn, ob dieses Berufsfeld für ihre Tochter geeig- ren statistische Relevanz jedoch nicht nach. Seit der Jahrhun- und eigene Präferenzen durchsetzen, deutet auf net sei. Architektenväter zweifeln häufiger, ob die dertwende wird der Beruf des Vaters nicht nur auf den Immatri- ebenso eigenwillige wie selbstbewusste Lebensvor- Tochter für das Berufsfeld geeignet sei. Auch wenn kulationsbögen, sondern auch in der reichsweiten Statistik er- stellungen. sie das Interesse der Töchter geweckt oder gefördert fasst. Dabei weist die Reichsstatistik Zahlen und Anteile aber haben, beurteilen sie Begabung wie ‘standing’ oft Während Bauhausstudentinnen häufig erst in späte- nicht nach Geschlecht aus. Und da die Anzahl der Halbwaisen skeptisch. Damit sind auch die Architektentöchter ren Jugendjahren einen Zugang zur Architektur finden nur insgesamt aufgeführt wird, bleibt offen, ob primär ver- oder bereits zum Zeitpunkt der Studienwahl mit der Frage und dieses Interesse mehrheitlich anhand von Publi- geerbt wird. konfrontiert, inwieweit ihr Geschlecht diesem Fach- kationen und Ausstellungen entwickeln, entdecken 19 Bisher lässt sich keine Architektin / Ingenieurin in den Familien studium resp. einer professionellen Etablierung in Tessenowstudentinnen ihr Architekturinteresse in al- von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen nachweisen. Aber diesem Berufsfeld im Wege stehen könnte. ler Regel während der Schulzeit auf Baustellen und in auch dies ist in dieser Generation bereits denkbar. Vgl. FN 20 Architekturbüros. Von elf Tessenowstudentinnen ist 20 So umschreibt die Aerodynamikerin Irmgard Flügge-Lotz (1903- Etliche der Architekturstudentinnen stammen aus fa- bereits vor Studienbeginn der Berufswunsch Archi- 1974) im Mai 1969 in den Stanford Engeneering News ihre Ent- miliären Verhältnissen, in der die Studienfachwahl tektin bekannt, bei zumindest vier Studentinnen ist er scheidung für den Maschinenbau rückblickend. (Zitiert nach: nicht zwingend mit einer Erwerbsperspektive ver- im Reifezeugnis vermerkt. Bauhausstudentinnen be- Notable American Women, Cambridge/London, 1980, S. 241) knüpft werden muss. Sie nutzen das Privileg, unab- ginnen ihr Studium mit weniger eindeutigen Berufs- Ihr technisches Interesse wurde eindeutig durch ihre Mutter ge- hängig von einer beruflichen Verwertbarkeit zu stu- wünschen, nur bei einer Studentin lässt sich der ent- weckt und unterstützt. Sie studierte ab 1923 an der TH Hanno- dieren. Diese finanziell privilegierte Situation ändert sprechende Eintrag im Abiturzeugnis nachweisen. ver. Von Tessenow- und Bauhausstudentinnen konnten bisher sich in manchen Familien jedoch noch während der keine entsprechenden Quellen aus der Zeit des Studienbeginns Studienzeit. Die Erwartungshaltung gegenüber einem Rolle und Einfluß der Mütter im Hinblick auf das Stu- ausgewertet werden, die Aufschluss über das Verhältnis von technischen Studium formulierte eine Maschinenbau- dium der Töchter sind nur fragmentarisch dokumen- Studienfachwahl und Lebensplanung geben. studentin dieser Generation folgendermaßen: „Ich tiert, denn nur in einzelnen Fällen lässt sich bisher ei- 21 Glaser, Edith / Herrmann, Ulrich: Konkurrenz und Dankbarkeit, wollte ein Leben, in dem ich mich nie langweilen wür- ne aktive Rolle der Mutter bei der Fächerwahl nach- Die ersten drei Jahrzehnte des Frauenstudiums im Spiegel von de, d.h. ein Leben, in dem immer neue Dinge auftau- weisen. Im Unterschied dazu spielen die Väter von Lebenserinnerungen - am Beispiel der Universität Tübingen, in: chen würden (..) Ich wollte ein Berufsleben, bei dem Architekturstudentinnen häufig eine aktive Rolle. Sie Zeitschrift für Pädagogik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.205-220, hier ich immer glücklich sein würde, auch wenn ich unver- lassen sich bezüglich des Studiums der Tochter in S.215 heiratet geblieben wäre.“ 20 drei Lager einteilen: Diejenigen, die jede Form einer

154 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Erwerbstätigkeit – oder des Studiums - der Tochter angemessenen Lebensperspektive werden sowohl in ablehnen. Daneben jene, die ein Studium befürwor- den Elternhäusern von Bauhaus- wie in denen von ten, jedoch an den Berufsaussichten zweifeln, wes- Tessenowstudentinnen geführt. Dabei wird die Studi- halb ihre Skepsis gegenüber dem Architekturstudium enfachwahl der Tochter in Familien von Tessenow- der Tochter zunächst überwunden werden muss. studentinnen insbesondere hinsichtlich der Berufs- Und drittens finden wir Väter, die ein solches Studi- perspektive erörtert. Im Unterschied dazu kommt in um der Tochter sichtlich unterstützen oder sogar for- den Familien von Bauhausstudentinnen den Chancen cieren. und Aussichten des Berufes für die Tochter häufiger nur nachgeordnete Bedeutung zu. Dass die elterli- Soweit der Vater dem Studium oder der Fächerwahl chen Vorstellungen hier jedoch ebenfalls von bürger- im Wege steht, gelingt es den Töchtern nur auf zeit- lichen Traditionen geprägt sind, wird daran deutlich, raubenden Umwegen resp. nach dem Tod des Vaters dass sich die weitaus meisten dieser Studentinnen Architektur zu studieren.22 In den Fällen väterlicher zunächst Ausbildungen oder Fächern widmen, die Skepsis beweisen die Töchter i.d.R. durch Baustel- ‘höheren Töchtern’ gemäß sind - selbst wenn sie lenpraktika und ‘Probesemester’, dass sie den Anfor- „wie ein Bub erzogen“ wurden.27 Sie betreiben Musik- derungen des Studiums gewachsen sind. Eine Unter- studien oder Sprachstudien im Ausland, lernen Haus- stützung des Studienwunsches finden wir zum einen haltung oder Kindererziehung oder erwerben auf bei einigen wenigen Architektenvätern, zum anderen Handelsschulen Kenntnisse zur Verwaltung des elter- in großbürgerlichen Elternhäusern. Hier muss der lichen Vermögens. Studienwunsch nicht mit einer Erwerbsperspektive in 22 So gelang es bspw. Beese oder Meyer nur sukzessive, die vä- Einklang gebracht werden. Forciert der Architekten- Während einzelne Tessenow- wie Bauhausstudentin- terliche Ablehnung aufzuweichen. Lore Enders studierte erst vater den Studienwunsch, ist die Tochter i.d.R. die nen mit dem Architekturstudium primär einen elterli- nach dem Tod des (Architekten-)Vaters. Der Anteil ‘vaterloser’ Älteste oder das einzige Kind. Mütter von Architektur- chen Wunsch erfüllen, benötigen manch andere ei- Architekturstudentinnen ist während der Weimarer Republik studentinnen der Weimarer Republik scheinen den nen Fürsprecher oder müssen die elterliche Akzep- jedoch deutlich geringer als während der Kaiserzeit. Wunsch der Tochter nach einem Studium grundsätz- tanz für ein Studium sogar erst erringen.28 Dabei ge- 23 In der Frauenpresse der zwanziger Jahre wurde bei der Darstel- lich unterstützt, zuweilen tatkräftig gefördert zu ha- lingt es Tessenowstudentinnen weit häufiger als Bau- lung des Architekturstudiums häufig die kunstwissenschaftliche ben. Einem technischen Studium der Tochter stehen hausstudentinnen, ihren Studienwunsch unmittelbar Facette des Faches betont. jedoch auch sie häufig skeptisch gegenüber. Das umzusetzen. Bei elterlichem Widerstand gelingt es 24 „Viele setzten sich als Väter für eine qualifizierte Ausbildung ih- Changieren der Studienfaches Architektur zwischen ihnen i.d.R. binnen einem Jahr, die Vorbehalte zu rer Töchter ein, aber als Mitglieder der Berufsverbände (..) vo- Technik und Kunst dürfte diese Bedenken gemindert überwinden. Im Vergleich dazu sind die ‘Umwege’ tierten sie nicht öffentlich gegen deren Professionspolitik, die haben.23 mancher Bauhausstudentinnen weit zeitintensiver, Frauen fast durchweg ausgrenzte.“ Glaser, Edith: Hindernisse, was erneut auf die höhere Repressivität hinsichtlich Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstudiums in Tü- Für die Phase der Etablierung des Frauenstudiums in rollenkonformer Erwartungen verweist. bingen (1904-1934), Weinheim, 1992, S.43 den zehner Jahren hat Edith Glaser die Haltung der 25 Die Vorbehalte sind nun jedoch deutlich weniger massiv als Väter gegenüber eigenständigen Studienperspektiven Insgesamt kann die elterliche Haltung dann als eher während der Kaiserzeit. So erinnert bspw. Grete Schütte-Lihotz- der Töchter als ambivalent beschrieben und mit de- besorgt charakterisiert werden, wenn das Architek- ky für das Jahr 1916: „Jeder hat mir das ausreden wollen, daß ren Einbindung in Berufsverbände erklärt.24 Im Über- turstudium der Tochter - ob Bauhaus- oder TH-Stu- ich Architektin werde, mein Lehrer [Oskar] Strnad, mein Vater gang von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik ist dium - auch das Erststudium ist. Nach Studienbeginn und mein Großvater [der selbst Baudirektor war]. Nicht weil sie hinsichtlich der beruflichen Eigenständigkeit der unterstützen und finanzieren die Eltern das Studium so reaktionär waren, sondern weil sie geglaubt haben, ich werde Töchter kein grundlegender Sinneswandel der Väter der Tochter jedoch in aller Regel. Sie helfen bei der dabei verhungern, kein Mensch wird sich von einer Frau ein zu verzeichnen. Interessenlagen und Kräfteverhält- Beschaffung von Praktika und Unterkunft. Im Einzel- Haus bauen lassen.“ Schütte-Lihotzky, Grete: Erinnerungen aus nisse im Berufsfeld scheinen sich angesichts abseh- fall intervenieren sie auch.29 dem Widerstand, Hamburg, 1985, S.13 barer Veränderungen eher zu verhärten. 26 So soll der Onkel van der Mijl-Dekkers, auf dessen Anraten sie Auch wenn Architekturstudentinnen der Weimarer ans Bauhaus ging, den Architekturberuf als für Frauen ‘unpas- Republik nicht mehr gezwungen sind, ihre Zulassung Studienmotivationen und Lehrerwahl send’ befunden haben. (Baumhoff, 1994, S.91) zu Fakultäten einzeln zu erkämpfen, so kommen sie Studentinnen kommen aus allen Himmelsrichtungen 27 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995. doch häufig nicht umhin, den Studienwunsch gegen ans Bauhaus. Sie entscheiden sich für dieses Studi- 28 Mit massiven elterlichen Widerständen waren bspw. Beese, familiäre Vorbehalte erst durchzusetzen.25 Und selbst um aus Neugier auf diesen Ort der Avantgarde. Sie Both und Meyer konfrontiert. Die elterliche Skepsis mussten u.a. wenn dieser Studienwunsch – wie bei manchen Tes- werden zum einen durch Personen im familiären Um- Brobecker und Korte überwinden. Initiativ wurden hingegen die senowstudentinnen - auf eine Anregung des Vaters feld, zum anderen durch Publikationen, Ausstellun- Eltern von Bánki, Bernoully, Schöder und Wilke resp. Freise. Al- zurückgeht, so eröffnet sich hiermit ein familiäres gen und Vorträge auf das Bauhaus – weniger auf ein- lerdings wurden die elterlichen Initiativen – so ist dies für Bánki, Spannungsfeld: Das Architekturstudium signalisiert zelne Lehrende - aufmerksam. Vor Ort sind sie von Schöder und Wilke dokumentiert – in Ablehnung des ursprüngli- einen ersten Schritt auf dem Weg in eine anspruchs- der Andersartigkeit des Studiums meist noch mehr chen Fächerwunsches der Tochter ergriffen. volle Berufsperspektive und damit in eine Rolle, die beeindruckt als von den realen Studienmöglichkeiten. 29 Am Bauhaus lassen sich mehrere, bei Tessenow bisher keine mit bürgerlichen Frauenrollen - wie der Mutter oder Manches Mal ist die Studienentscheidung auch be- Versuche elterlicher Interventionen finden. Hier sind die Eltern der Hausfrau/herrin - konfligiert.26 Die entsprechen- reits von dem Wunsch beflügelt Architektin zu wer- häufiger bei der Suche nach geeigneten Praktikumsstellen be- den Diskussionen um das Studium als Beginn einer den. Bei Bauhausstudentinnen steht die Berufswahl hilflich.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 155 bei Studienbeginn jedoch weniger deutlich im Vor- finanziell angespannte Situationen zu überbrücken. dergrund als bei Tessenowstudentinnen. Auch für Anhand der Werkstudentinnen im Seminar wird den- diese ist ein Architekturstudium aber nicht nur hin- noch deutlich, dass während der Weimarer Republik sichtlich der Berufsqualifikation, sondern auch auf- auch ein Architekturstudium nicht zwingend an mate- grund seiner Vielseitigkeit attraktiv. Trotz des weitge- rielle Privilegien geknüpft war.34 hend kanonisierten Grundstudiums ziehen sie nach Während Bauhausstudentinnen oft – und nicht zuletzt dem Vordiplom resp. beim Eintritt ins Seminar Tes- aufgrund ihrer Volljährigkeit - von ihren Eltern i.d.R. senow die Berufsentscheidung nur in Einzelfällen in eine weitgehende Eigenständigkeit zugestanden wur- Zweifel. Wurde die Fachwahl relativ häufig unter el- de, war ihre Entscheidungsfreiheit innerhalb des Bau- terlichem Einfluss getroffen, so ist die Lehrerwahl im hauses sehr begrenzt, eine Art Wahlfreiheit lediglich Hauptstudium bei Tessenowstudentinnen in der Re- beim Außensemester gegeben. Demgegenüber stan- gel das Ergebnis einer eigenständigen Orientierung. den Tessenowstudentinnen weit häufiger unter Beob- Studentinnen werden im Laufe ihres Grundstudiums achtung der Eltern, hatten innerhalb des Studiums vereinzelt durch persönliche Kontakte, häufiger durch aber die deutlich größere Wahlfreiheit.35 Sie konnten Publikationen auf Tessenow aufmerksam. Die Ent- nicht nur bei den Praktika, sondern auch zwischen scheidung bei ihm zu studieren, treffen sie aufgrund 30 So kommen bspw. Lieselotte von Bonin, Anni Pfeiffer und Gise- den Entwurfsseminaren einzelner Professoren wäh- seines fachlichen wie persönlichen Rufes. la Eisenberg mit Vordiplomen der TH München, haben Ewa Frei- len. Aus Professorensicht erinnert Paul Bonatz die se, Ilse Sahlmann, Gisela Schneider, Sigrid Rauter, Ingeborg Ull- Die Wahl der unterschiedlichen Ausbildungsrichtun- Wahlmöglichkeiten an der TH Stuttgart: „Wir konnten rich und Christa Dirxen ihr Vordiplom an der TH Stuttgart be- gen ist damit zum Teil das Ergebnis unterschiedlicher es uns leisten, für das Fach Entwerfen dem Studen- standen. Grete Berg absolvierte an der TH Aachen das Vordi- Informations- und Suchstrategien. Die Wahl des Or- ten die freie Lehrerwahl zu überlassen. Es war nie zu plom und auch Fridel Hohmann ist zu den Ortswechslerinnen zu tes erfolgt in deutlicher Relation zu Vorerfahrungen befürchten, daß die Studenten alle zu einem Lehrer rechnen. und Milieus. Die Wahl zwischen Lehrern - wie zwi- liefen, (..) denn die Festsetzung der Noten für Entwer- 31 Lediglich Amy Bernoully, Mila Lederer, Hilde Reiss und Hilde schen architektonischen Haltungen - hingegen relati- fen und für die Diplomarbeit (..) nahmen wir am Ende Katz können hier als Hochschulwechslerinnen bezeichnet wer- viert sich angesichts des Spektrums resp. des Man- jedes Semesters gemeinsam vor.“ 36 Auch von der im den. gels möglicher Alternativen. Studienverlauf vorgesehenen Möglichkeit, zeitweise 32 Eine der wenigen Ausnahmen scheint hier Ursula Schneider ge- oder dauerhaft an eine andere TH zu wechseln, ma- Nicht nur die Gaststudentinnen im Seminar Tesse- wesen zu sein, für deren Studium am Bauhaus ihr Freund [und chen etliche Studentinnen Gebrauch. now kennen verschiedene Hochschulen von innen. späterer zweiter Mann] aufgekommen sein soll. Information von Fast ein Drittel der Tessenowstudentinnen hat vor Tessenowstudentinnen studieren in der Absicht, den Dr. Peter Weiß. Eintritt ins Seminar bereits Architektur - in der Regel Architekturberuf zu erlernen. Sie wollen sich intellek- 33 Die Fotografiestudentin Irena Blühova gehört zu diesen Ausnah- bis zum Vordiplom - an einer anderen Hochschule tuell mit Architektur und Baugeschichte auseinander- men: Sie nimmt zur Finanzierung eines Studiums zunächst einen studiert.30 Auch Bauhausstudentinnen bringen häufig setzen, im Laufe eines vielfältigen Studiums sowohl „kleinen Beamtenposten“ in der Sparkasse ihrer Heimatstadt an. bereits Studienerfahrungen mit. Für sie ist mit dem die praktischen wie die theoretischen Bedingungen Blühova, Irena: Mein Weg zum Bauhaus, 1983, S.7 Wechsel ans Bauhaus in aller Regel aber auch ein eines sinnhaften Bauens erlernen und dabei ihre Fä- 34 Nur wenige Studentinnen trauten sich die Doppelbelastung ei- Fächerwechsel verbunden.31 higkeiten zielgerichtet erproben. Demgegenüber zie- nes selbstfinanzierten Studiums zu. Schönborn beziffert die Zahl len die Studienmotivationen von Bauhausstudentin- der Stipendiatinnen der Studienstiftung zum Wintersemester Ein Großteil der Eltern von Tessenowstudentinnen nen nicht immer explizit auf einen einzigen Beruf. In 1929/30 mit 180 (was einem Anteil von knapp 14% entspricht). legte auf die Solidität des Studiums wert und nahm der Regel nehmen jedoch auch sie ihr Studium im Schönborn, 1932, S.96. Unter den architekturinteressierten Stu- deshalb nicht selten Einfluss auf die Lehrerwahl. Bau- Hinblick auf eine professionelle Tätigkeit in der Ge- dentinnen am Bauhaus studierte lediglich Grete Meyer mit Hilfe hausstudentinnen trafen diese Entscheidung häufiger staltung auf. eines externen Stipendiums. Grete Schroeder-Zimmermann selbständig, oft in Abkehr von zuvor durchlaufenen konnte ab 1925 an der TH Charlottenburg mit Hilfe eines Preußi- Ausbildungen resp. Studien. Sie waren für das Studi- Mehr als die Hälfte der architekturinteressierten Bau- schen Staatsstipendiums Architektur studieren. um i.d.R. auf den elterlichen Wechsel angewiesen hausstudentinnen hatte die Schulausbildung mit ei- 35 Huerkamp bezeichnet die Wahlmöglichkeiten angesichts der und konnten nicht immer mit Begeisterung, häufig nem Reifezeugnis abgeschlossen und erfüllt damit Präsenz frauenfeindlicher Hochschullehrer während der Kaiser- jedoch mit Duldung der Eltern rechnen.32 Auch wenn die Zulassungsbedingung regulärer Hochschulen. Die zeit denn auch als „gewisse Wahlfreiheit“. Huerkamp, 1996, fast ein Drittel der Bauhausstudentinnen vor Studien- Entscheidung der Abiturientinnen für ein Studium am S.151 beginn durch eigene Berufstätigkeit finanziell bereits Bauhaus ist somit auch eine Entscheidung gegen das 36 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.105 unabhängig war, so ließen sich am Bauhaus fast kei- Hochschulstudium an einer TH. Diese Suche nach Al- 37 So bewirbt sich bspw. die Abiturientin Gudrun Horn (geb. 1910 ne Studentinnen nachweisen, die das Studium mit ternativen lässt sich auch bei anderen Architekturas- Kiel) 1929 zunächst an den Vereinigten Staatsschulen Berlin. Als Hilfe eigener Erwerbstätigkeit finanzieren.33 Ebenso- pirantinnen dieser Generation finden.37 Und hier zeigt sie dort nicht für Architektur zugelassen wird, immatrikuliert sie wenig fanden sich Stipendien oder Schulgelderlasse sich nicht nur eine antiakademische Haltung, sondern sich umgehend an der TH. „Gudrun Horn hat sich gemeldet für für architekturinteressierte Bauhausstudentinnen. auch individuelles Selbstvertrauen wie Selbstbewußt- Architektur, wird abgewiesen, Arbeiten nicht ausreichend. Soll sein: Im Wissen um ihre Talente und Fähigkeiten un- Auch Tessenowstudentinnen bestreiten ihr Studium versuchsweise 1/2 Jahr bei Fr. Marcks arbeiten.“ HdKA, Be- terziehen sich diese Abiturientinnen zusätzlich künst- i.d.R. durch elterliche Alimentierungen. Vereinzelt ver- stand 8 Nr.114, Aufnahmeentscheidungen Winter 29/30. Horn lerischen Aufnahmeprüfungen, da sie sich an Akade- dienen sie als Werkstudentinnen dazu. In Einzelfällen studiert ab dem 22.10.1929 an der TH Charlottenburg. In den mien eine höhere Förderung ihrer künstlerischen Am- helfen Schulgelderlasse oder Stipendienzahlungen, 1950er Jahren ist sie als Architektin nachweisbar. bitionen versprechen. Bereits bei der Aufnahme er-

156 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? weist sich die Hoffnung auf eine – geschlechtsunab- Revolution’ “ ausmacht, „mit der die orientierungslo- 38 Auch wenn Aufnahmeverfahren an Kunsthochschulen bisher hängige – Selektion nach Begabung nicht nur am sen deutschen Mittelschichten sich in der Weltunter- nicht untersucht wurden, so wird an Stichproben von Aufnah- Bauhaus als trügerisch.38 gangsstimmung der Nachkriegsjahre der ideologi- meprotokollen der Vereinigten Staatsschulen Berlin 1931 sicht- schen Hegemonie von Sozialismus und parlamentari- Die Entscheidung für oder gegen das akademische bar, dass auch hier Bewerbungen von Studentinnen bereits bei scher Demokratie zu entziehen trachten“, liest sich Studium, für oder gegen einen bestimmten Studien- der Aufnahme durch ausschließlich männlich besetzte Kommis- auf dem Hintergrund des hier gezogenen Vergleichs ort resp. einen bestimmten Ausbildungsgang hängt sionen nicht in egalitärer Weise beurteilt, Begabung wie Hand- zwischen den Ausbildungsrichtungen Bauhaus und von mehreren Faktoren ab und korrespondiert nur werksbereiche geschlechtsexklusiv gedacht wurden. So werden Tessenow wie ein nahezu identischer Entwurf einer bedingt mit der Vorbildung. Auch das Renommee bspw. die Bewerberinnen Rindler und Borchmann, die sich für Gesellschaftskonzeption. „Die Rolle Tessenows des Lehrers resp. der Hochschule spielt bei dieser Innenarchitektur resp. „als Architekturschülerin“ angemeldet scheint in diesem Zusammenhang [der Handwerker- Entscheidung manches Mal nur eine untergeordnete hatten, abgelehnt und an die Tischlerschule verwiesen, obwohl Gemeinde Hellerau] weit über die Rolle des neuen Ar- Rolle. So entscheidet sich Iwanka Waltschanowa bei beide 1931 bereits Tischlereiausbildungen absolviert hatten. Vgl. chitekten hinauszugehen. Er entwirft ausdrücklich ein der Ortswahl für „Berlin - die Stadt mit alter Kultur Biografie Rindler. Die Architektentochter Herta Borchmann künftiges soziales Gefüge, dessen tragende Struktur und Kunstschätzen“. Und Christa Kleffner-Dirxen er- (geb.1910 Tientsin/China) studiert zunächst an der KGS Magde- eine zünftig geordnete Handwerker-Gemeinde ist.“ 43 innert, dass sie wohl auch deshalb an die TH Stutt- burg, ab 1929 an der Burg Giebichenstein als Lehrling in der gart zurückgekehrt sei, da auf der schwäbischen Alp Zeitgleich - und ebenso deutlich in Reaktion auf die Tischlerei. 1931 wird sie an den VS mit der Begründung abge- das Segelfliegen so viel einfacher war als in Berlin.39 Erfahrungen des ersten Weltkrieges - sucht auch wiesen: „Reicht nicht aus. Tischler-Fachschule empfohlen“ - Gropius nach der Grundlage einer geistigen Erneu- HdKA, Best.8. Aufnahmeentscheidungen Winter 1931/32, Auch Karola Bloch deutet in ihrer Autobiografie un- erung, auf der ein gesellschaftlicher Wandel vollzo- Nr.116 - Borchmann studiert ab dem Herbst 1938 dann doch an terschiedlichste Beweggründe an. Sie schildert das gen werden kann. Auch er versteht sich als ‘neuer’ der SHfBK (frühere VS) ‘Innenarchitektur’ bei Prof. Bohnen. Bauhausfest 1923 als Auslöser ihrer Entscheidung, Architekt, dessen Bauten bereits vor dem Krieg auf 39 Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa] an Walter Jessen im Brief Architektur zu studieren. „Aber ich hatte damals noch ein künftige Gesellschaft zielten. Aber auch Gropius vom 20.2.1987 - Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998 kein Abitur und darum war mir die Technische Hoch- orientiert sich 1919 im „Gründungsmanifest des 40 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981, S.37. Karo- schule nicht zugänglich.“ 40 Obschon sie weiß, dass Staatlichen Bauhauses“ an zünftigen Handwerksord- la Piotrkowskas Kommilitone an der Kunstgewerbeschule Berlin, ein Bauhausstudium auch ohne Abitur möglich ist, nungen. Xanti Schawinsky, wechselte bereits 1922 an das Bauhaus. Für wählt sie den klassischen Weg über Abitur und Tech- sie selbst steht das Bauhaus - auch als sie 1931 von Wien nach nische Hochschule. Sie nimmt ihr Architekturstudium In einer nun demokratisch verfassten Weimarer Re- Berlin wechselt - offenbar nicht zur Debatte. Zur Studienorts- erst 1929 an der TH Wien auf, wechselt 1931 nach publik favorisieren beide - Tessenow wie Gropius - wahl finden sich hier nur spärliche Hinweise. Ibid., S.36ff., S.41 Berlin in das Seminar Bruno Taut´s an der TH Char- die explizit hierarchische und implizit geschlechter- 41 Tessenowstudentinnen zogen anlässlich des Studiums nach lottenburg und diplomiert 1934 an der ETH Zürich. hierarchische Referenz der Handwerkszünfte als Ziel- Berlin, lediglich ein Fünftel war in Berlin aufgewachsen. Bau- resp. Ausgangsvorstellung eines vermeintlich neuen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sind hausstudentinnen übersiedelten nach Weimar oder Dessau. Mit Gesellschaftsentwurfes. Während sich Gropius je- i.d.R. hochmobil und wechseln den Studienort ggf. dem Umzug des Bauhauses nach Berlin-Steglitz finden wir unter doch um 1922 von der handwerklichen Orientierung auch mehrfach.41 Vergleichen wir im folgenden die den Studentinnen etwa ein Drittel, die bereits zuvor in Berlin ab- und der industriellen Produktion zuwendet, an Parallelen und Diskrepanzen der Rahmenbedingun- wohnten. Ausschließlich in Berlin studierten fastausnahmslos der Geschlechterhierarchie jedoch festhält, bleibt gen des Kompetenzerwerbs dieser Studentinnen vor jene, die noch bei den Eltern wohnten - als Einzelkinder und / Tessenow dem Handwerk und dem geschlechterpo- dem Hintergrund der Ausbildungspraxen dieser un- oder aus finanziellen Gründen. laren Denken verbunden. Geschlechterhierarchische terschiedlichen Schulen. 42 De Michelis, 1991, S.79-80 unter Bezug auf Tessenows 1919 Umgangsformen sind in seinem Seminars jedoch entstandenes Typoskript „Erste Mitteilungen einer Handwerker- durch eine Art Harmoniegebot außer Kraft gesetzt. Gemeinde in Hellerau“. Die Debatte über Sinn und Zweck von Werkstätten 43 Ibid., S.79 Werkstatt und Lehre versus Vorlesung und im Ausbildungszusammenhang war seit der Jahrhun- 44 Fia Wille führt 1912 dazu aus: „Der entwerfende Künstler wird Seminar dertwende virulent. Während an Akademien traditio- genau unterrichtet sein müssen von der Herstellungsart des Ge- „Das neue (..) soll auf unabhängigen Handwerker- nellerweise in Ateliers praktisch gearbeitet wurde, genstandes, den er entwirft, von der Natur und den Behand- Gruppen aufbauen, deren innere Ordnung durch die verfügten Kunstgewerbe- und Tischlerschulen in der lungsmöglichkeiten des dazu ausersehenen Stoffes. Er muß die traditionelle gewerbliche Hierarchie geregelt ist: Regel über eigene Werkstätten. An Kunstgewerbe- entsprechende Technik von Grund aus (!) kennen. Zu verlangen, Meister, Geselle, Lehrling, Hilfsarbeiter. (..) Auch das schulen wurde handwerkliches Grundverständnis be- daß er das betreffende Handwerk auch ausüben kann, ist eine Mitspracherecht unterliegt dieser hierarchischen Ord- fürwortet, eine mehrjährige Lehre jedoch aus Rück- Forderung, die unökonomisch wäre.“ Vortrag: Wie erzielen wir nung, denn die Stimme der Meister wiegt in jedem sicht auf die Konkurrenzangst örtlicher Handwerker Qualitätsarbeit im Kunstgewerbe? beim Deutschen Frauenkon- Fall schwerer als die aller anderen Mitglieder. Eben- als unökonomisch abgelehnt.44 So sah der Maler Pe- greß Berlin 27.2.-2.3.1912, abgedruckt in Bäumer, Gertrud (Hg.): sowenig verwundern darf, (..) daß Frauen der Zugang ter Behrens, 1903 zum Direktor der Düsseldorfer Deutscher Frauenkongreß, Berlin, 1912, S.113 - Zur Konkur-ren- zu den Funktionen Meister, Geselle und Lehrling ver- Kunstgewerbeschule berufen, im Werkstattunterricht zangst vgl. Moeller, Gisela: Von der Ornamentzeichnung zum wehrt wird, da die Arbeit von Frauen als Missachtung - neben dem Naturstudium - den entscheidenden Architekturentwurf. Peter Behrens´ Reform der Düsseldorfer ihrer natürlichen Anlage und Schwächung ihrer müt- Reformansatz zur Qualitätssteigerung. 1907 schreibt Kunstgewerbeschule, in: Pfeiffer, Hans-Georg (Hg.): „Wer aber terlichen Eigenschaften angesehen wird.“ 42 er über den Ausbildungsauftrag der Werkstätten: „Die will sagen, was Schönheit sei?“, Düsseldorf, 1990, S.63ff. Die Konzeption einer solchen Handwerkergemeinde, Entwürfe werden ausgeführt, um die Wirkung zu zei- 45 Behrens, Peter: Kunstschulen in: Scheffler, Karl: Kunstschulen bei der Marco De Michelis „in mehr als einer Hinsicht gen, die Übung aber nur fortgesetzt, bis Technik und in: Kunst und Künstler, 5.Jg., 1906/07, S.207, hier zit. nach (..) Themen und Gefühlslagen jener ‚konservativen Material verstanden sind.“ 45 Moeller, 1990, S.64.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 157 Auch an der Akademie Breslau existieren Werkstät- mentellen Praxis erprobt wurden, so stellte Tesse- ten, durch die auch die interdisziplinäre Zusammen- nows Entwurfsseminar innerhalb der Architekturfakul- arbeit gefördert werden sollte. Bereits 1900 hatte tät an der TH Charlottenburg u.a. deshalb eine Be- Hans Poelzig hier eine Kunsttischlerei eingerichtet.46 sonderheit dar, als hier handwerkliche Prozesse auch Gegenstand des Unterrichts waren. Auch wenn das Auch im Werkstattkonzept des Bauhauses war die Ziel des Unterrichts eine handwerkliche Meisterschaft handwerkliche Ausbildung lediglich Mittel zu einem in der Architektur blieb, das Verständnis für das höheren Zweck, obschon der Stellenwert handwerkli- handwerkliche Verfertigen von Bauten wurde von cher Ausbildung durch die zunächst obligatorische Tessenow - der selbst eine zeitlang Zimmermann ge- Lehre hier besonders stark betont wurde. Auch in der lernt hatte - immer wieder angeregt und gefördert. zeitgenössischen Berufsberatungsliteratur wird immer Eine Renaissance erlebte das Handwerk wie das ide- wieder – und explizit auch für Frauen - dringlichst zur alisierte Bild der mittelalterlichen Bauhütte zeit-gleich Lehre geraten, da ein solides handwerkliches Funda- an jenen Schulen, die sich eine Modernisie-rung des ment für die Ausübung eines künstlerischen Berufes Bauens wie des Studiums auf die Fahnen schrieben. unabdingbare Voraussetzung sei.47 Während hier die Qualität der handwerkli-chen Werkstätten innerhalb der Ausbildung anzusiedeln Ausbildung nicht gewährleistet werden kann, wird und damit auch die Trennung zwischen Entwurf und eine solche Ausbildung mit ungeheurer Rigidität ein- praktischer Umsetzung aufzuheben, barg den Vorteil, gefordert.48 Dieser Bezug mag einem ‘Romantizis- dass die Entwicklung von Prototypen direkt an die mus’ geschuldet sein oder als ‘Widerspruch der Mo- Ausbildung gekoppelt werden konnte. Die als Werk- derne(n)’ selbst für modern erklärt werden: Im Spek- stattleiter berufenen Künstler repräsentierten quasi in trum der (nicht-akademischen) Hochschulen galt das personam diese Grenzüberschreitung. Sie stellten Bauhaus als radikal modern, während das handwerk- sich in die Tradition des Handwerksmeisters, vermit- lich orientierte Seminar Tessenow im Spektrum der telten jedoch keine handwerkliche Meisterschaft. Im- bekannten Lehrer traditioneller Architekturfakultäten plizit wurde der Stellenwert des Handwerks hierdurch in dem Ruf stand, mäßig modern zu sein. abgewertet. Der Einblick in betriebliche Abläufe blieb Ob interne Werkstattpraxis oder externes Bauprakti- auf das Außensemester beschränkt. kum, stärker noch schieden sich die Geister an der Im Unterschied dazu erhob das Architekturstudium Frage, ob Architektur als kanonisiertes akademisches an Technischen Hochschulen nie den Anspruch, den Wissen vermittelt oder als künstlerisches Schaffen in Studierenden handwerkliche Kompetenzen zu vermit- Form individueller Erfahrungen weitergegeben wer- teln. Hier konzentrierte sich der Unterricht darauf, ar- den solle. So proklamiert bspw. Oskar Schlemmer chitektonisches Wissen und berufsspezifische Fertig- 1931, nun an der Breslauer Akademie tätig, dass im keiten, das ‘Handwerk des Architekten’ zu vermitteln. ‘egoistischen Prinzip’ des Meisterateliers ‘das Beste’ 46 Poelzig war seit 1899 als Lehrer für Stilkunde an der Kunst- und Die obligatorischen Praktika waren außerhalb der für die Allgemeinheit ‘eingefangen’ werden könne. Kunstgewerbeschule Breslau tätig. 1903 zum Direktor ernannt, Hochschule angesiedelt. Nach einem weitgehend „Bauhauslehre (..): Das Eigne zum Allgemeinen ma- betrieb er die Umwandlung in eine Akademie (1911 vollzogen). kanonisierten Grundstudium, in dem in Vorlesungen chen. - Auf Breslau angewandt, extremistisch: schaf- Hier werden Werkstätten für Weberei, Holz-, Metall- und Stein- technisches und bauhistorisches Wissen in Form von fen, teilnehmenlassen der Schüler, heranziehen zu bearbeitung eingerichtet, die von Künstlern - nicht von Hand- Vorlesungen vermittelt und in Form von Klausuren eigenen größeren Aufgaben (..) Egoistisches Prinzip werksmeistern - geleitet werden. Vgl. Frank, Hartmut: Ein Bau- abgeprüft wurde, setzte die Arbeit an Projekten – in also: arbeiten als das beste Mittel sich selbst und haus vor dem Bauhaus, in: bauwelt, 74.Jg., 1983, H.41, S.1640- ‘Entwurfsseminaren’ – erst nach bestandenem Vordi- andere zu fördern. Im Grunde das Prinzip, das das 1658 plom ein. Während im Seminar Tessenow Lehre und selbstverständliche ist: Das Beste geschieht, wo ei- 47 Vgl. bspw. Widmer, Hermann: Das Buch der kunstgewerblichen Handwerk inhaltlich so eng verschränkt waren, dass nem etwas Spaß macht. (..) Für die Akademie handelt und künstlerischen Berufe, Berlin, 1912, S.16 sich Konzepte und Entwürfe jenseits dieser Tra-dition es sich darum: dieses Egoistische für die Allgemein- 48 Ähnlich rigide forderte nur Bruno Taut - unter Berufung auf das quasi erübrigten, bestanden am Bauhaus längere Zeit heit einzufangen.“ 49 Bauhaus - 1922 für die Magdeburger Kunstgewerbeschule: „Die Lehre und Werkstatt nebeneinander. Hier sollte die Im Zentrum dieser Akademieauffassung steht also Werkstattausbildung muß eine Handwerkslehre mit Gesellenprü- handwerkliche Praxis resp. die Umsetzung von Pro- nicht die Qualifikation real vorhandener ‘Schüler’. Das fung sein, worüber eine Verständigung mit der Handwerkskam- totypen möglichst unmittelbar mit der Entwurfstätig- „teilnehmenlassen der Schüler und heranziehen zu mer zu versuchen ist. Wenn diese nicht erreicht wird, so müßte keit verbunden werden. Die wissenschaftliche Lehre eigenen größeren Aufgaben” ist lediglich ein Mittel sie trotzdem vorgenommen werden.“ Taut, Bruno: Über die fand quasi begleitend in Vorlesungen und Seminaren für einen auf eine vage „Allgemeinheit“ gerichteten Magdeburger Kunstgewerbeschule. Eine Denkschrift von Bruno statt. Eine Forschung wie sie zum Aufgabenbereich Zweck. Auch für den Architekturunterricht an der Taut, Magdeburg, 1922, reprint in: Nippa, Annegret: Bruno Taut akademischer Hochschulen gehörte, war innerhalb Breslauer Akademie wurde eine kanonisierte Lehre in Magdeburg, Schriftenreihe des Stadtplanungsamtes Magde- des Bauhauses nicht vorgesehen. abgelehnt. Hans Scharoun und Adolf Rading erläu- burg, Heft 20, Magdeburg, 1995, S.116-122, hier S.121 Wie nun der Vorkurs ein Spezifikum des Bauhauses tern in einem Lehrplanentwurf aus dem Jahr 1932: 49 Schlemmer, Oskar, 1931, abgedruckt in: Lauterbach, Heinrich: war, in dem gleich zu Beginn des Studiums theoreti- „So kann (..) ein Bauunterricht nicht, wie so oft, be- Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Kunstakademie 1911- sche und konzeptionelle Vorgaben in einer experi- griffen werden in einer Reihe fester Konstruktionen, 1932, Berlin, 1965, S.55

158 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Baulichkeiten und Bauformen, die ‘gelernt’, ‘be-herr- den habe.53 Ähnlich erinnert Gerhard Kosel – Poelzig- scht’ und ‘angewandt’ werden, sondern der Lehr- student in Berlin - die Präsentationen von Studien- plan muß vor allem anderen deutlich machen, was projekten als „Termine ganz besonderer Art. Poelzig 50 Scharoun, Hans / Adolf Rading: Entwurf eines Lehrplans aus Bauen überhaupt ist, Gefäß und gestaltgewordene erschien in weißem Mantel mit Zigarre (..) erfaßte so- dem Jahr 1932, (dem Jahr der Akademieauflösung). Ibid., S.37- Voraussetzung für natürliche und menschliche Le- fort das Wesentliche des Entwurfs und formulierte 38 bensvorgänge.“ 50 seine Einschätzung auf eine Art, daß es kaum eine 51 „In jenen Jahren geht es in der Kunst und in den Kunstschulen Möglichkeit gab, darauf etwas zu erwidern. (..) Wenn Faktisch ging man im Bauunterricht in der Breslauer um Systeme, um übergeordnete Verfahrensweisen, wie zum jemand etliche Male nicht gelobt oder getadelt wur- Kunstakademie - wie der Architekt Heinrich Lauter- Beispiel um die Zuordnung des Künstlerisch-Geistigen oder des de, dann begann damit seine Position im Seminar zu bach in den sechziger Jahren erinnert - „von Fall zu sozialen Zwecks (..) Kennzeichnend war die Verwendung vorge- wanken. Es war ein sehr harter Kampf, ein echter Fall vom Bezug zum Menschen aus, löste die Aufga- gebener geometrischer Formen unter strikter Ablehnung des Konkurrenzkampf.“ 54 ben auf dem Aspekt des Individuellen und bemühte Ornaments.“ – Lauterbach, 1965, S.5 sich um zeitliche Zusammenhänge auf Grund des kri- Ebenfalls in Konkurrenz - wenn auch weniger kämp- 52 Bonatz, Paul: Vorwort in: Graubner, Gerhard (Hg.): Bonatz und tischen Vergleichs im geschichtlichen Ablauf.“ 51 ferisch - fand die Beurteilung der Einzelentwürfe im seine Schüler, Stuttgart, 1931 Seminar Tessenow in Form der ‘Korrektur’ statt, wo- 53 „Diese gemeinsame Beurteilung der Arbeiten durch alle Lehrer, Im Unterschied zu Hochschulen, an denen durch bei die Einzelentwürfe unter beobachtender Teilnah- die freie offene Aussprache und gegenseitige Kritik und das Lehrpläne und Studienordnungen die Vermittlung und me aller SeminaristInnen begutachtet wurden. Die Aushandeln der Noten war der große Tag des Semesters.“ Umsetzung eines weitgehend kanonisierten Wissens Entwicklung der einzelnen Studierenden blieb damit Bonatz, 1950, S.105 definiert und damit berechenbar ist, entzieht das Mei- sichtbar in die Verantwortung des Lehrers wie der 54 Gerhard Kosel im Gespräch mit Hans-Joachim Engstfeld: Archi- ster(schul)prinzip die Qualifikation der Studierenden Studierenden gestellt. Sowohl im Seminar Tessenow tekt im Takt, in: Schwarz, Karl (Hg.): 1799-1999, Von der Bau- jeder öffentlichen Kontrolle. Der Meister, in dessen als auch am Bauhaus begaben sich Studentinnen akademie zur Technischen Universität Berlin, Berlin, 2000, Verantwortung aber auch Belieben es gesetzt ist, auch in die offene Konkurrenz. Sie stellten bspw. ihre S.240-249, hier S.241 „sich selbst und andere zu fördern“, wird zur alleini- Diplomarbeiten hochschulöffentlich vor und beteilig- 55 Eine Teilnahme an den ‘Monatsaufgaben’ lässt sich für Friedel gen Instanz des Kompetenzerwerbs. Im Gegensatz ten sich manches Mal an Wettbewerben.55 Am Bau- Schmidt, Gertraude Engels, Gisela Schneider und Maria Gaiser zum Handwerksmeister, der im Rahmen einer Kam- haus konkurrierten die Studierenden jedoch be-reits nachweisen. Johanna Tönnesmann soll an der TH Stuttgart an mer kontrollierbaren Regeln unterliegt, ist dieser Ty- im Vorfeld - nicht erst bei der Präsentation - um die ‘Ferienwettbewerben’ teilgenommen und gewonnen haben. Am pus des (Atelier-)Meisters völlig autonom. Dieses Aufmerksamkeit resp. Akzeptanz der Lehrenden. Bauhaus beteiligte sich bspw. Hilde Reiss am Wettbewerb für egoistische Prinzip ist damit im Wortsinne ‘selbstver- Denn die Zulassung zu Kursen, Studienbereichen eine ‘Garderobengarnitur’, Irene Hoffmann [geb. Hecht] mit dem ständlich’, selbstreferentiell. Da kein externes Korrek- und Werkstätten war hier weit fraglicher als die Auf- Entwurf eines Teewagens am ‘Kleinmöbelwettbewerb’. tiv - zur Wahrung der Interessen der Studierenden nahme in ein Seminar an der TH. Und auch die Inten- 56 „Die Seminararbeit ist eine Gemeinschaftsarbeit von Arbeits- wie jener ‘Allgemeinheit’ - mehr vorgesehen ist und sität der Betreuung im Studium blieb hier ins Ermes- gruppen, die in sich wiederum die Spezialbearbeitung von Ein- die Qualität der Lehre nur an der Reputation der Leh- sen der Lehrenden gestellt. Und während bei Tesse- zelaufgaben an Einzelne verteilen, die jedoch immer der Gruppe renden gemessen werden soll, kann der in Aussicht now der Einzelentwurf als alleinige Arbeitsform beibe- verantwortlich bleiben. Diese Arbeitsgruppen sollen sich nicht gestellte Nutzen - ‘das Beste’ - nicht eingefordert, halten wird, wird am Bauhaus unter Meyer auch die auf die Architekten beschränken. (..) Es war die Absicht, auf die- bestenfalls „eingefangen“ werden. Teamarbeit erprobt. se Weise den einzelnen Disziplinen Kenntnis und Verständnis Dieses Verständnis einer Akademie zeigt mehr Über- von den Aufgaben der Anderen zu vermitteln, sie aus ihrer Iso- Formuliert wurde ein teamorientierter, interdisziplinä- einstimmung mit Sammlungsaufträgen öffentlicher lierung zu lösen und so zu gemeinsamen Arbeiten der ganzen rer Anspruch Anfang der dreißiger Jahre des öfteren. Museen als mit dem Ausbildungsauftrag öffentlicher Akademie zu kommen.“ Scharoun/Rading in: Lauterbach, 1965, So erläutern bspw. Scharoun und Rading in ihrem Hochschulen. Denn folgt mensch Schlemmers Argu- S.55 Lehrplanentwurf für die Kunstakademie Breslau 1932: mentation, so ist eine Akademie kein Ort, an dem 57 Katalog Staatliche Akademie Breslau, Berlin, 1930, darin das „Die Seminararbeit ist eine Gemeinschaftsarbeit von Meister primär ihr Wissen und ihre Erfahrungen wei- Turmhaus (Rading) und das Junggesellenhaus (Scharoun), die Arbeitsgruppen (..) Die Arbeit wird auf diese Weise tergeben, sondern eine Gemeinschaft Gleichgesinn- anlässlich der ‘Wuwa’ gebaut wurden. Von anderen Fachklas- sicher reifer und fundierter werden, die Studierenden ter, die Privilegien – wie u.a. ein Meisteratelier – auto- sen sind hier auch Arbeiten von Studierenden abgebildet. selbst bescheidener und leistungsstärker.“ 56 Wie be- nom unter sich verteilt. Hier entscheiden die Akade- 58 Bereits beim Bau des Rathauses in Löwenberg 1906 war er be- scheiden oder leistungsstark die Studierenden vor miemitglieder lediglich, wessen ‘Bestes’ aus Mitteln müht, mit Lehrern, Schülern und Werkstätten „ein Werk durch- Einführung der Gemeinschaftsarbeit entwarfen, ist der Allgemeinheit subventioniert werden sollte. zuformen. Ein Vorgang, der ihm immer als pädagogisches Ideal nicht dokumentiert. Denn im Unterschied zu anderen vorgeschwebt hat.“ Lauterbach, 1965, S.16 - „In Breslau und „Im Gegensatz zu Akademien, Kunstgewerbeschulen Fachklassen zeigte der Katalog der Akademieausstel- Berlin waren die Mitarbeiter an meinen Arbeiten, soweit schöp- und Bauhäusern, die in der Auswahl ganz individuel- lung 1930 unter dem Stichwort ‘Fachklassen für Ar- ferische Mitarbeit in Frage kommt, fast durchweg die Schüler ler Lehrgegenstände völlige Freiheit haben, muß die chitektur’ nur Bauten von Rading und Scharoun.57 während ihrer Ausbildung oder nachher. (..) im Gegensatz zum Hochschule eine umfassende Ausbildung den jungen Schon zwei Jahrzehnte früher hatte Poelzig an der akademischen Hochschulunterricht erfolgt die Beschäftigung Architekten vermitteln“, stellte Paul Bonatz 1931 Vorläuferinstitution, der ‘Kunstschule Breslau’, Praxis der Meisterschüler fast durchweg an den Vorbereitungen und nicht nur für die TH Stuttgart fest.52 Noch Jahrzehnte und Architekturausbildung bewusst verknüpft. Auch der Durchführung von Bauten." Dabei versteht er die Übernah- später erinnert er die Präsentation der Diplomarbeiten er hatte die Teilhabe von Studierenden an einem me ins Meisteratelier auch als Selektion im Hinblick auf eine als den „große[n] Tag des Semesters“, an dem „die Meisterwerk didaktisch idealisiert und in der Außen- prospektierte Selbständigkeit: „Die Zahl der unmittelbar in das freie offene Aussprache und gegenseitige Kritik“ zwi- darstellung mit seiner individuellen Autorschaft ver- Meisteratelier eintretenden Schüler ist gering.” Poelzig, Hans: schen den verschiedenen Auffassungen stattgefun- knüpft.58 Ob Meisterwerk, Gemeinschaftsarbeit, co- Zur Einführung in: „Poelzig und seine Schule”, Berlin, 1931, S.1

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 159 op oder Team: bei der architektonischen Studienar- Erwerbsmöglichkeit genutzt wurde.62 Alle Tessenow- beit gerät - nicht nur am Bauhaus - manches Mal das studentinnen volontieren. Signifikant häufig dehnen Studium aus dem Blick, verschmelzen im Rekurs auf sie die Zeit der Mitarbeit weit über die vorgeschriebe- bewährte Meistertraditionen Mittelalter und Moderne nen sechs Monate hinaus aus. Offensichtlich schät- zu didaktisch fragwürdigen Ansätzen. zen sie die Tätigkeit und sehen hier auch die Chance, relevante Erfahrungen für das weitere Studium resp. Vergleichsweise selten bringen Bauhausstudentinnen die spätere Praxis zu erwerben. Im Unterschied dazu konkrete Vorerfahrungen von Baustellen oder aus Ar- ist am Bauhaus ein Büropraktikum nicht obligato- chitekturbüros mit.59 Tessenowstudentinnen hingegen risch.63 Nur jede zehnte Studentin partizipiert hier im haben i.d.R. schon vor dem Studium Baustellen be- Laufe des Studiums an der Praxis im Berufsfeld, wo- sucht und Büros von innen kennengelernt. Etliche Ar- bei die Möglichkeiten berufspraktischer Erfahrungen 59 So Kitty van der Mijl-Dekker, Ruth Josefek, Hilde Reiss, Gertrud chitekturstudentinnen der Weimarer Republik - da- für die meisten Studentinnen auf das Bauhaus und Hantschk, Maria Müller und vermutlich auch Amy Bernoully und runter auch manche Bauhaus-, aber kaum eine der dessen Umfeld reduziert bleiben. Margot Loewe. Tessenowstudentinnen – sind ausgebildete Tischle- 60 So Rindler, Rogler, Fernbach, Meyer-Waldeck, Wimmer, aber rinnen.60 TH-Studentinnen absolvieren aber häufig so- auch Borchmann, Hoerda, Tiedemann und Weisbach. wohl Baustellen- als auch Handwerkspraktika. Dabei 61 Herzenstein und Waltschanowa bei Alexander Klein, Korte bei geht es jedoch um eine temporäre Partizipation, nicht Reale Aufgaben - reelle Entwürfe: Was entwarfen Wilhelm Büning, Bonin bei Emil Fahrenkamp, Eisenberg bei Fritz um eine Ausbildungsstufe innerhalb einer handwerk- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik? Becker und Karselt bei Heinrich Tessenow. Auch die Bauhaus- lichen Profession. Am Bauhaus gilt die möglichst objektive Analyse von studentinnen Beese und Bánki arbeiten bei Hannes Meyer resp. Nutzungsabläufen und - da die AdressatInnen der Am Bauhaus signalisiert die Existenz von Werkstät- Clemens Holzmeister, sowie Ursula Schneider - während ihres Planung im Siedlungsbau mit den AuftraggeberInnen ten, dass ein handwerklicher Kompetenzerwerb in- Studiums an der THD - bei Otto Zoller. Und bei der Beschäfti- nicht identisch sind - die wissenschaftlich begründete nerhalb eines Studiums möglich sei, obschon die Zu- gung von Architekturstudentinnen zeigen manche Professoren Ermittlung des Bedarfs anonymer BewohnerInnen als gangsschwellen für Studentinnen hier – im Unter- weniger Vorbehalte als bei deren akademischer Ausbildung. So Voraussetzung jeder Gebäudeplanung. Hier orientiert schied zur vorhandenen Kompetenz - nicht niedriger beschäftigt Walter Gropius Hilda Harte über mehrere Jahre und sich die Suche nach zeitgemäßen Ausdruckformen sind als in konventionellen Handwerksbetrieben. TH- Hans Scharoun - im Winter 1935/36 - die englische Studentin an der Großstadt wie der Industrie, deren Dynamiken Studentinnen nutzen häufig familiäre Kontakte am Noreen Hepburn. AdKBK, NL Scharoun, Briefwechsel Hepburn auch eine Modernisierung der Architektur verspricht Heimatort, um Zugang zu Bau- und Handwerksbe- 62 So erinnert bspw. Konrad Wachsmann seine Zeit als Praktikant und mit der Hoffnung verknüpft wird, dass das Inno- trieben zu finden. Hier werden sie manches Mal auch um 1923: „Dann ließ mich [Leo] Nachtlicht entwerfen, denn ich vationspotential industrieller Formen der Gesellschaft mit Vorbehalten und Ressentiments konfrontiert. hatte bei Heinrich Tessenow ziemlich viel gelernt. Trotzdem be- nicht nur angemessen sei, sondern auch angemes- zahlte mir dieser Halsabschneider nur ein schäbiges Gehalt.“ Relativ häufig nahmen Architekturstudentinnen der sen werden könne. Die Aufträge, an denen dies aus- Gruening, 1986, S.138 Weimarer Republik bereits während der Schulzeit je- probiert werden kann, stehen diesem Impetus eher 63 Welch große Bedeutung derlei Erfahrungen für das Selbstbe- de Gelegenheit wahr, um handwerkliche Fähigkeiten im Wege.64 Der programmatische Anspruch, durch in- wusstsein zukommt, wird deutlich, wenn die ehemalige Bau- zu erproben und handwerkliche Fertigkeiten zu er- novative Raumprogramme und Gebäude einen ge- hausstudentin Judith Kárász 1938 schreibt: „Kurz gesagt, viele werben. Mit zunehmendem Alter - auf Baustellen, in sellschaftlichen Fortschritt abbilden wie entwickeln zu von meiner Generation haben kein Fundament. (..) Ich besitze Handwerksbetrieben, bei der Zulassung zu Gesellen- können, bleibt dennoch immer präsent. Dementspre- einerseits eine ungeheure Selbstsicherheit, andererseits eine prüfungen und im Studium - erleben sie jedoch, dass chend plakativ tragen Entwurfsprojekte am Bauhaus noch ungeheuerere Unsicherheit. Denn ich muß immer wieder ihrem technischen Verständnis wie ihren handwerkli- in aller Regel antezipierenden Charakter.65 Selbst mit sehen, daß alles was ich kann und mache mir leicht fällt und (..) chen Fähigkeiten misstraut wird. Die Diskrepanz zwi- den für konkrete Orte entworfenen Einzelgebäuden auch ganz richtig“ ist. DAM, NL Hannes Meyer, Schreiben von schen zugeschriebenen Defiziten einerseits und rea- entstehen in aller Regel Prototypen. Judith Müller-Tourraine geb. Kárász (1912 Szeged - 1977 Buda- len Kompetenzen wie Ambitionen andererseits bleibt Auch Heinrich Tessenow verknüpft mit dem Bauen pest) an Meyer, Bondegaard, 26.1.1938. Kárász studierte 1931 spürbar. Sie nimmt mit zunehmendem Kompetenzer- weitgehende gesellschaftliche Optionen. Die konkre- bis 1932 am Bauhaus Fotografie bei Peterhans. Sie war zu Be- werb nicht etwa ab, sondern zu. ten Möglichkeiten und Aufgaben von Architekten be- ginn ihres Studiums in Dessau 18 Jahre alt. Vgl. auch Nachti- Im TH-Studium war auch ein halbjähriges Büroprakti- urteilt er jedoch weit bescheidener. Sein Verständnis gäller, Roland: Kurzbiografie Kárász, in: Wechselwirkungen, kum vorgeschrieben. Manches Mal volontierten Ar- vom Bauen konzentriert sich auf das einzelne Gebäu- 1987, S.57 chitekturstudentinnen in gewerblichen Planungsbü- de und den Bauprozess. Als Lehrer sucht er das Pra- 64 Bei den Privataufträgen des Ateliers Gropius mussten häufig in- ros, nur selten im öffentlichen Dienst. Die weitaus xiswissen seiner StudentInnen solide zu erweitern dividuelle Wünsche der Auftraggeber berücksichtigt werden. Die meisten Tessenowstudentinnen arbeiteten auf ent- und fachliche Kompetenzen in einer komplexen Form wichtigen Aufträge aus der Ära Hannes Meyer - die ADGB in sprechenden Stellen in Privatbüros, auffällig häufig zu vermitteln. Und er bemüht sich, das Verständnis Bernau sowie die Siedlungsbauten für Dessau-Törten - sind qua sind dies die Privatateliers von Dozenten und Profes- für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Programm wie Auftragssituation unmittelbarer als gesellschafts- soren.61 Auf einem Arbeitsmarkt, auf dem Vergütun- Bauens zu wecken. Er konfrontiert seine StudentIn- reformerische Projekte erkennbar. Sie entstehen jedoch in städ- gen auch in Form von Referenzen und Statusdistribu- nen mit der Wohnsituation von Berliner Arbeiterfamili- tischen Randlagen oder räumlich abgeschieden. tionen gehandelt werden, konnten PraktikantInnen en und schickt sie zum architektonischen Aufmass in 65 So lassen sich bspw. bei den Entwürfen für die Junkerssiedlung nicht unbedingt mit einer Vergütung rechnen. Für sie Dörfer und Kleinstädte. Den Ausgangspunkt der Ent- weniger Reform- als Gestaltungsansprüche ausmachen, wenn wurde das Büropraktikum ggf. zu einer Ausbildungs- wurfskonzepte bei Tessenow bildet die Beobachtung die seriellen Ausdrucksformen industrieller Fertigung über den investition, während es von Studenten i.d.R. auch als und Reflexion subjektiven Bedarfs. Bei der Suche Horizont hinaus reproduziert werden.

160 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? zwischen Entwurfsthemen wählen. Obligatorisch ist bei Eintritt ins Seminar Tessenow ‘das kleine Wohn- haus’. Anschließend werden in Abhängigkeit vom individuellen Studienfortschritt Einzelaufgaben aus unterschiedlichen Themenbereichen bearbeitet - mit tendenziell wachsendem Maßstab. Mit der Semester- zahl wächst auch die Möglichkeit eigene Themenvor- schläge einzubringen. Insbesondere beim Diploment- wurf ist bei Tessenow wie am Bauhaus zumindest eine Mitsprache möglich.66 Wie an der breiten Streu- ung der Arbeiten deutlich wurde, machten StudentIn- nen von dieser Möglichkeit rege Gebrauch. Als Diplo- me werden i.d.R. öffentliche Bauten resp. Bauten für Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Gemeinschaft gewählt. 66 Dies war auch an anderen Fakultäten üblich. Mitsprache beim Zeitgleich werden in anderen Seminaren resp. an an- Diplomthema war bspw. auch bei Bonatz möglich. Und auch deren Hochschulen vergleichbare Themenstellungen Poelzig stellte Ende der zwanziger Jahre den Studierenden die bearbeitet, so entstehen Anfang der dreißiger Jahre Wahl des Diplomthemas frei. Engstfeld, 2000, S.233. an der TH Charlottenburg im Seminar Bruno Tauts 67 Hotel in Chemnitz (Kosel 1931), Theater (Oesterlen um 1935), Wohnungsbauten, Schulen und Kindergärten, zeit- Schwimmbad (Diplomarbeit Oesterlen 1936). Vgl. Engstfeld, gleich lässt Poelzig bspw. Hotels, Schwimmbäder 2000, S.240 - „Meine Gruppe entwarf einen Kindergarten“, erin- und Theater entwerfen.67 Auch im Seminar Bonatz an nert Karola Bloch. (Bloch, 1981, S.79) der TH Stuttgart beschäftigen sich Studierende mit 68 Johanna Tönnesmann diplomierte bei Bonatz 1936 wahrschein- Wohnbauten, Geschäfts- und Sonderbauten, sie ent- lich mit einem Sportstadion. (Schreiben Barbara Büttner vom werfen als Diplomarbeiten Hotels, Schwimmbäder, 3.3.1998.) Aufgrund einer Veröffentlichung ist die 1939 als Di- Wohnung der berufstätigen Frau, Studentischer Entwurf in der Kuranla-gen, Sportstätten oder auch Bahnhöfe und plomarbeit bei Bonatz eingereichte Kuranlage von Genia Ma- Architekturklasse (Franz) Schuster an der Städelschule, um 1931 Großga-ragen.68 Die Aufgabenstellungen sind häufig rohn-Stockmayer bekannt. (Architekturwettbewerbe, 1.Jg., H.3, in konkreter großstädtischer Umgebung verortet und Kuranlagen, Stuttgart ,1939, S.52-56.) - 1930 wurden als Di- zeigen – nicht nur bei Wettbewerben - Aktualität.69 plomthemen bspw. eine Altstadt-Sanierung in Stuttgart und der nach angemessenen Entwurfslösungen avancieren Bonatz lässt in seinem Seminar auch Aufgaben aus ‘Bahnhof Angora’ bearbeitet. Zu diesem Bahnhof sind die Di- - in Reaktion auf die moderne Massengesellschaft - dem eigenen Büro bearbeiten, wie bspw. die Neu- plomentwürfe von Robert Hussendörfer (Stuttgart), Walter Kön- Bauten zu Beispielen, deren Bildhaftigkeit und Ver- bauten für die TH Stuttgart.70 geter (Düsseldorf) und Fritz Schumacher (Bremen) in den Kata- trautheit den NutzerInnen in einer überschaubaren log aufgenommen. (Graubner, 1931, S.46-50) Gemeinschaft Halt bieten sollen. Dementsprechend Am Bauhaus werden Studentinnen im Bereich Bau/ 69 Darunter ein Entwurf für ein Appartementhaus, das offensicht- werden die beim Aufmessen und Skizzieren histo- Ausbau bevorzugt mit Fragen der Innenausstattung lich als Beitrag für den Wettbewerb für das ‘Budge-Heim’ in risch gewachsener Siedlungs- und Gebäudestruktu- und Küchenplanung beschäftigt. Die Zuweisung ge- Frankfurt entstand. Auch an der TH Dresden wurden aktuelle ren gesammelten Anschauungen in Bauten für zu- schlechtsspezifischer Zuständigkeitsbereiche bildet Wettbewerbsaufgaben zu Studienthemen. 1938 war bspw. der künftige Siedlungen und Kleinstädte quasi - formal sich bei Tessenow, der Möbelentwurf und Interieur zeitgleich ausgelobte Wettbewerb für den Neubau der Deut- reduziert - ‘übersetzt’. Maßstab bleibt die Schlichtheit durchaus auch als seine Sache verstand, nicht in die- schen Botschaft in Stockholm auch Diplomthema. Hilde Eberles in Material, Form und Ausdruck. Als höchstes Gebot ser, jedoch in anderer Form ab: Während Studentin- Diplomentwurf war eine ‘Deutsche Botschaft in Stockholm’. gilt das Anknüpfen an das Bewährte, tektonisch wie nen und Studenten in den zwanziger Jahren die glei- Droste, Christiane: Hilde Weström – zur Person, in: Das verbor- formal. Und während sich Tessenow selbst auch an chen Aufgabenstellungen bearbeiten, nehmen ge- gene Museum (Hg.): Hilde Weström, 2000, S.15-23, hier S.19. Bauaufgaben und Wettbewerben in großstädtischen schlechtlich konnotierte Entwurfsaufgaben im Laufe 70 Darunter im Sommer 1930 das ‘Studentenheim in Stuttgart auf Kontexten beteiligt, bleibt dieses Entwurfsterrain für der dreißiger Jahre - in Relation zum Anstieg der dem Weissenhofgelände’. Vgl die Entwürfe von Elmar Rogge, seine StudentInnen quasi tabu. Studentinnen sowie der Politik geschlechtergetrenn- Wilhelmshaven oder Ernst Reitzer, Perjámos (Banat/Rumänien) ter Sphären - zu.71 Auch am Bauhaus existiert insgesamt - nicht zuletzt in Graubner, 1931, S.72-73, resp. S.74-75 aufgrund des Spektrums an Lehrenden - eine gewis- Öffentliche resp. öffentlich sichtbare Räume für Frau- 71 Lediglich bei der Aufgabenstellung ‘Schule’ lässt sich neben der se Themenbreite. Hier werden insbesondere Aufga- en - wie sie während der Kaiserzeit durch frauenbe- ‘Dorfschule’ auch die ‘Knabenschule’ (für Studenten) resp. die ben des Siedlungsbaus und öffentliche Bauten bear- wegte Mäzenatinnen initiiert und finanziert wurden - ‘Mädchenschule’ (für Studentinnen) finden. Dieser Modus ist beitet, aber auch Innenausstattungen, Einfamilien- und Wohnformen mit emanzipatorischem Charakter auch an anderen Hochschulen zu finden: So entwarf bspw. häuser und Villen, Riesengebirgsbauden und Ritter- - wie Einküchenhäuser oder auch Studentinnenwohn- Leonie Pilewski an der TH Darmstadt als Diplomarbeit 1922 eine güter entworfen. Hier dominieren jedoch konkrete, heime - werden von Architekturstudentinnen der Wei- ‘Achtklassige Mädchenschule’. Vgl. Biografie Pilewski. zumeist auch konkret verortete Einzelthemen, die marer Republik durchaus bearbeitet, als Aufgaben- 72 Wie bspw. 1923 bei Dicker und 1932 bei Wimmer resp. Karselt. i.d.R. semesterweise und im Maßstab variieren: Die stellungen aber weder bei Tessenow noch am Bau- Im Unterschied dazu stellt bspw. Franz Schuster am Städel in Aufgaben reichen vom Möbel bis zur Siedlung. TH- haus angeboten. Wenn Studentinnen Themen aus Frankfurt um 1931 die Aufgabe ‘Wohnung für eine berufstätige Studentinnen können demgegenüber einerseits be- diesem Bereich initiieren oder aufgreifen, wird dies Dame’. Wasmuth´s Monatshefte für Baukunst, Berlin, 16.Jg., reits zwischen Lehrenden, andererseits häufig auch ignoriert.72 1932, S. 246

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 161 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Gertraude Engels, Arzthaus, 1935, Südansicht Ansicht von Norden

Studium oder ‘Schule’? Wie entwerfen Architek- Wilke, Wimmer oder Meyer-Waldeck –entworfen wur- 73 Auch der Diplomentwurf ‘Großstadthotel’ von Hilde Reiss aus turstudentinnen der Weimarer Republik den lässt sich aus der Studienzeit bisher kein einziger dem Jahre 1932 konnte nicht dokumentiert werden und lässt Auch wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit nun Entwurf einer Studentin dokumentieren und damit sich bisher nicht mit dem Entwurf ‘Hotel Vier Jahreszeiten’ von zahlreiche Aufgabenstellungen und Entwurfsthemen auch konkret analysieren. Hier ist lediglich der 1932 - Lieselotte von Bonin 1931 vergleichen. Ähnliches gilt für die dokumentiert werden konnten, so sind bisher doch wahrscheinlich bereits außerhalb des Studiums - ent- 1932 von Helga Karselt resp. Annemarie Wimmer entworfenen mehr Themen als Arbeiten von Architekturstudentin- standene Entwurf ‘Casa Grande’ von Lore Enders Studentinnenwohnheime. nen der Weimarer Republik bekannt. So liegen bspw. dokumentiert. Neben den unterschiedlichen Entste- 74 Droste, 1991, S.212 eine ganze Reihe der ‘kleinen Wohnhäuser’ von Tes- hungszeiten vergleichbarer Aufgabenstellungen steht senowstudentinnen vor. Obschon Wohn- oder Ein- vor allem die Unterschiedlichkeit der Entwurfsthemen familienhäuser auch am Bauhaus – bspw. von Reiss, vergleichenden Analysen im Wege.73

Lore Enders, La Casa Grande, 1932, Ansicht von Norden Ansicht von Süden

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162 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Ein direkter Vergleich gleichartiger Aufgabenstellun- gen ist jedoch bspw. zwischen der von Wera Meyer- Waldeck 1932 entworfenen ‘8-klassigen Schule’ und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der – 1937 entstandenen – Diplomarbeit Hildegard Kortes ‘Landwirtschaftliche Frauenschule’ möglich. Eine ähnliche Vergleichbarkeit scheint zwischen den 1936 resp. 1942 entstandenen Entwürfen für ein Mädchen- resp. Kindererholungsheim von Gertraude Engels und Lotte Stam-Beese gegeben. Am Bauhaus wurden möglichst abstrakte, distanzier- te Formen der Entwurfsdarstellung gewählt und typo- grafisch beschriftet. Iso- und Axometrien, die techni- sche Tuschezeichnung, aber auch Farbkonzepte prä- sentieren den Anspruch wissenschaftlich objektiver Analyseverfahren in die Darstellung. Manches Mal vermitteln Fotocollagen zwischen abstraktem Kon- 8-klassige Volksschule, Diplomarbeit Wera Meyer-Waldeck, 1932, Schnittdetails zept und Wirklichkeit. Im Unterschied dazu finden wir bei Tessenow möglichst lebendige, alltagsweltlich Kindererholungsheim, Diplomarbeit Gertraude Engels, 1936, Schnitt greifbare Zeichnungen. Hier wird versucht, mit Hilfe der Darstellung die Distanz zwischen Zeichnung und zu bauendem Objekt verschwinden zu lassen. Grund- und Aufrisse werden als Handzeichnungen über- zeichnet, selbst technische Zeichnungen mit Hand beschriftet. Perspektiven deuten durch landschaftli- che Elemente eine reale Umgebung an, in Detaildar- stellungen und Schnitten simulieren bspw. dampfen- de Töpfe, dass die gezeichneten Räume bereits von NutzerInnen in Gebrauch genommen worden seien. In Gipsmodellen werden die Projekte als gleichsam mit der Landschaft verwachsen dargestellt. Während die bei Tessenow entstandenen Entwürfe in der Art der Darstellung eine konkrete Umgebung suggerie- ren, die ihnen - qua Aufgabenstellung - nicht zugrun- de liegt, erscheinen Bauhaus-Entwürfe in der Präsen- tation losgelöst von der Umgebung, obwohl sie ganz Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar überwiegend für konkrete Orte entstehen. Und während Entwürfe am Bauhaus die plakative Modernität durchaus großformatig - bei Mies „auf übergroßen weißen Blättern“ 74 - präsentiert werden, gilt die großformatige Zeichnung im Seminar Tesse- now als architektonische Großmannssucht. Nicht nur qua Darstellung tragen beide Entwürfe Beispielcha- rakter. Zunächst folgt nun die Gegenüberstellung typolo- gisch vergleichbarer Studienentwürfe beider ‘Schu- len’, zweier Schulen und zweier Erholungsheime.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 163 Nebenstehend ist eines von vier Blättern der 1932 entstandenen Diplomarbeit Wera Meyer-Waldecks zu Diplomarbeit Wera Meyer-Waldeck, 1932, Ansicht von Südwesten, Schnitt, Grundrisse EG und (rechts unten) 1.OG sehen. Der Entwurf einer 8-klassigen Volksschule entstand wahrscheinlich im Kontext der Dessauer Junkerssiedlung. Ebenso wie der von ihr 1931 für diese Siedlung entworfenen Ganztagskindergarten75, ist diese Schule im Unterschied zu den - strikt ost- west-orientierten Wohnzeilen - in der die Infrastruk- turbauten kennzeichenden Winkelform konzipiert. Im Unterschied zum Kindergarten handelt es sich um ein zweigeschossiges Gebäude, dessen Westecke drei- geschossig markiert wird. Die Klassen- und Werkräume dieser Schule sind über zwei Geschosse verteilt ausschließlich südwestorien- tiert im Westteil des Gebäudes einhüftig angeordnet. Diesen Räumen sind Freiflächen - ‘Freiklassen’ - zu- geordnet. Erschlossen über die Nordostecke befin- det sich die Direktion direkt neben dem Eingang. Da- runter ist ein über Außenrampe erschlossener Fahr- radkeller, darüber sind Essraum, Küche und Biblio- thek untergebracht. Im Ostflügel des Gebäudes ord- net Meyer-Waldeck einen Veranstaltungs- und Sport- bereich mit Oberlichtbändern an. Die von ihr gewähl- te Stahlbetonskelettkonstruktion ermöglicht einen ho- hen Fensterflächenanteil. In den Klassenräumen setzt sie durchgängig raumhohe Fensterelemente ein. Die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar teilweise erheblichen Spannweiten überbrückt sie mit Hilfe von Fachwerkträgern. Dieser Schulentwurf addiert quasi das zugrundege- legte Raumprogramm. Dies führt zu teilweise fragli- chen Nutzungsabläufen, einem immensen Erschlie- ßungsflächenanteil und einem hohen konstruktiven Aufwand.

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164 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Im Unterschied zu einem Schulkomplex besteht die 1937 von Hildegard Korte bei Tessenow entworfenen Landfrauenschule aus einer raumgreifenden, strikt Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar symmetrisch aufgebauten Anlage, die - in der Typo- logie ländlicher Schlossanlagen - mitten in der Land- schaft plaziert ist.76 Im Zentrum steht mit dem Haupt- gebäude das eigentliche Schulgebäude, das von We- sten durch einen von eingeschossigen Nebengebäu- Ansicht von Nordwesten den flankierten Cour d´Honeur erschlossen wird. Nach Osten öffnet sich - flankiert von ebenfalls ein- geschossigen Schlafhäusern der Schülerinnen - der Blick vom Hauptgebäude über die Festwiese zur Landschaft. Das zentral erschlossene Hauptgebäude - die mittige Erschließung wird durch das Tryptichon im Giebel betont - beherbergt im Obergeschoss ein- hüftig erschlossene, nach Südosten orientierte Unter- richtsräume und - mittig vorspringend - die Direktion. Das Erdgeschoss gliedert sich in den nördlichen Kü- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar chentrakt und den südlichen Gemeinschaftstrakt. Als eingeschossige Appendices sind an den Schmalsei- ten des Gebäudes eine große Lehrküche und ein als ‘Spielzimmer’ bezeichneter Veranstaltungsbereich angegliedert und über Vorhallen mit Nebenausgän- gen versehen. Alle Bauten auf dem Gelände sind als verputzte Mauerwerksbauten geringer Spannweiten mit Satteldach konzipiert. Sowohl in der Gebäudepla- nung wie in der Konstruktion beweist Korte Sorgfalt, Landfrauenschule, Diplomarbeit Hildegard Korte, 1937, Hauptgebäude der Anlage, Grundriss OG, Grundriss EG (unten) Sachkenntnis und ökonomisches Denken. Beide Schuleentwürfe verbindet, dass sie den Unter- misch mit der Lagegunst und einer strikt ordnenden richtsräumen in zentraler - und erhöhter - Lage opti- Grundstruktur. In der Höhenstaffelung wie in den male räumliche Bedingungen zu schaffen suchen und Fassadengliederungen lässt dieses Ensemble keiner- dafür einhüftige Erschließungen wählen. Während lei Zweifel über die ordnungspolitische Dimension 75 Vgl. Entwurf Kindertagesstätte Meyer-Waldeck, Kap.4, S.75 Meyer-Waldeck Konzentrations- und Kommunikati- dieser Schule aufkommen, während Meyer-Waldecks 76 Vgl. Lageplan der Landfrauenschule von Hildegard Korte in onsräume nach zuvor getroffenen Entscheidungen Entwurf mit den - nicht minder strikten - Fassaden- Kap.5, S.134. - gebäudeplanerisch eher unbeholfen - quasi addiert, gliederungen die Serialität industrieller Produktions- kombiniert Korte in ihrem Entwurf souverän die Nut- bedingungen auf den Schulbau überträgt. zungsanforderungen einer Landfrauenschule ökono-

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Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 165 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Mädchenerholungsheim, Diplomarbeit Gertraude Engels, 1936, Grundrisse EG und Obergeschoss (oben) 1936 diplomiert Gertraude Engels mit dem hier in Auszügen gezeigten Entwurf eines Erholungsheimes für 40 Mädchen. Nordseitig an einem Waldrand ge- legen und von Westen durch eine Landstraße er- schlossen besteht der Bau aus einem verputzten Sockelgeschoss mit angehängtem Schuppen und ei- 77 NL Herde, Diplomaufgabe Tessenow „Kinderheim für erho- nem Obergeschoss in Holzfachwerkbauweise. Tes- lungsbedürftige Schulkinder von 6-14 Jahren - Mächenheim”, senow hatte in der Aufgabenstellung angeregt, we- genehmigt durch den Dekan am 1.11.1935, - Erläuterungstext gen der zeitlich begrenzten Nutzung eine gedämmte Engels, MS, 4 Bl., o.D. Leichtbaukonstruktion zu wählen. Engels entscheidet Perspektive von Südwesten sich aber für den ‘Dauerbetrieb’ und für 38 cm star- kes ‘Vollgiebelmauerwerk’ für das dem Tagesbetrieb gewidmeten Erdgeschoss.77 Hier sind Küche, Ess- und Aufenthaltsräume und - durch die große Halle des Haupttreppenhauses getrennt - Nebenräume wie Büro, Sprech- und Krankenzimmer untergebracht. Im Obergeschoss sind sämtliche Schlafräume nach Sü- den orientiert und mittig ein Liegeraum angeordnet. Engels entwickelt ein ebenso übersichtliches wie funktional störungsfreies Ferienheim, das eindeutig Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zu der bevorzugten Südseite orientiert ist. Dies ist auch der für die Kinder vorgesehene Freibereich, von dem der im Norden liegende Wirtschaftshof durch das Gebäude abgetrennt ist. Gleichzeitig gelingt es ihr durch Materialwechsel, leichte Vor- und Rück- sprünge in den Gebäudefronten sowie die rhythmi- sierte Anordnung unterschiedlicher Fensterformate, dem auch ökonomisch optimierten Raumprogramm die Großmaßstäblichkeit zu nehmen.

166 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Kindererholungsheim, Studienarbeit Lotte Stam-Beese, 1942, Lageplan mit Erdgeschoß Grundriß des Obergeschosses

Blick in die Halle

Ebenfalls ein Kindererholungsheim - allerdings für 24 Engels’ Entwurf die Verbindung zur Umgebung durch Kinder - entwirft Lotte Stam-Beese als Studienarbeit die Materialität sucht. 1941/42. Jahre nach ihrem Besuch der Bauabteilung Obschon dieser Entwurf eines Kindererholungshei- - 1928 in Dessau - und nach jahrelanger Mitarbeit in mes deutlich nach der Zeit Stam-Beeses am Bau- verschiedenen Projektzusammenhängen ist sie seit haus - wenngleich erneut in einem Ausbildungskon- Herbst 1940 an der Academie voor Bouwkunst in text entsteht - spiegeln beide Entwürfe exemplarisch Amsterdam immatrikuliert, als Han Groenewegen als die am Bauhaus resp. von Tessenow vertretene Ent- Semesteraufgabe eine ‘Kinderkoloniehuis’ stellt. wurfshaltung wider. Ähnlich wie Engels´ Entwurf liegt auch Beeses Heim in waldiger Umgebung. Von Norden erschlossen ist Perspektive von Süden dieses ebenfalls zweigeschossige Gebäude jedoch als freie, dreiflügelige Form in Skelettbauweise auf eine Lichtung gesetzt. Auch Beese ordnet die Schlaf- räume auf zwei Flügel verteilt und nach Süden und Osten orientiert im Obergeschoss an. Auch sie glie- dert das Erdgeschoss in einen Küchen- / Essbe-reich sowie einen - durch einen überdachten Durchgang getrennten - Verwaltungsbereich mit Krankenzimmer- chen. Den Aufenthaltsbereich konzipiert sie jedoch als eigenständigen, nach Süden freigestellten Appen- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dix. Im Unterschied zu Engels rythmisiert Beese die Fassaden als offene und geschlossene Flächen und betont derart die Skelettbauweise. Und während En- gels die unterschiedlichen Bereiche durch Material- wahl in der Horizontalen, durch Versprünge in der Vertikalen differenziert, komponiert Beese die ver- schiedenen Bereiche als Raumvolumia in freier Form. Hier durchdringen sich Außenräume und umbaute Räume ebenso souverän wie spielerisch, während

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 167 Ob großformatige Axonometrie oder kleinformatige Verstädterung aus den Fugen geratenen Gesellschaft Handzeichnung, ob mit Bitumiplast und Bitumitekt durch handwerklich-orientiertes Bauen und über- gedichteten Flachdächern oder mit traut geneigten schaubare Siedlungen eine Heimat zurückzugeben, Ziegeldächern bedacht, sowohl am Bauhaus wie bei waren Großstadt und Industrialisierung am Bauhaus Tessenow folgen die Entwürfe der Studierenden de- positiv besetzte Begriffe, die mit der Hoffnung auf ei- nen der Lehrenden überdeutlich. Bei den Themen, ne offenere Gesellschaft und politische Mündigkeit deutlicher aber noch am Repertoire architektonischer verknüpft wurden. Insbesondere seriell realisierbare Ausdrucksformen wie auch an den Darstellungswei- Architektur galt dabei als Mittel wie als Motor, um Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sen zeigt sich der klar konditionierende Charakter einen sichtbaren Weg in eine fortschrittliche Gesell- beider Schulen. Denn im Unterschied zu Poseners schaft zu weisen. Erinnerungen an die Vielfalt der Studienentwürfe bei In der Präferenz der Entwurfsaufgabe Wohnhaus Poelzig - „es war alles da“ 78 - künden beide Ausbil- zeigt sich eine Parallele zwischen Tessenow und dungsrichtungen in der Wahl der Darstellungsformen Mies. Beide machten das Wohnhaus zum obligatori- wie des architektonischen Ausdrucks von Entwurfs- schen Ausgangspunkt ihres Entwurfsunterrichts, ob- haltungen im Sinne einheitlicher - auch stilistisch er- schon sie ihren Studierenden völlig unterschiedliche Jugendherberge resp. Hotel auf einer Bergkante, Studienarbeit bei Tessenow, kennbarer - Schulen. Gestaltungs- und Ausführungsprinzipien vermittelten. vor 1932, evtl. Diplomarbeit Anni Pfeiffer, Modell Die in der Großstadt studierenden Tessenowstuden- Wie Tessenow, der das kleine Wohnhaus als Funda- tinnen entwarfen idealtypische Gebäude für eine Ge- ment jeglichen Entwerfens wie als Keimzelle aller Be- sellschaft, die ihren Lebensmittelpunkt in Klein- und hausung betrachtete, war auch Mies der Ansicht, 78 An „Kritiktagen - das waren der Donnerstag und der Freitag - Mittelstädten sieht und deren Keimzelle die traditio- „wer ein Haus entwerfen könne, werde auch mit allen ein unbeschreibliches Gewimmel der verschiedensten Entwürfe nelle Familie ist. Die in Weimar und Dessau studie- anderen Bauaufgaben fertig.“ 80 an der Wand: klassische, romantische, bauhäuslerische, von renden Bauhausstudentinnen konzipierten möglichst Mendelsohn beeinflußte: es war alles da.“ Posener, Julius: Zwei Der Vergleich der Aufgabenstellungen macht aber reale Projekte für eine großstädtisch-orientierte Ge- Lehrer: Heinrich Tessenow und Hans Poelzig, in: Rürup, Rein- auch Unterschiede zwischen den Schulen sichtbar: sellschaft. Damit beschäftigten sich Studierende - am hard (Hg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Ge- Während bei Tessenow ‘Schulen’, ‘Dorfhäuser mit Bauhaus wie bei Tessenow - mit Gestaltungsaufga- schichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Berlin, Kirche’, Jugendherbergen, Restaurants, Sanatorien, ben, die in auffälliger Diskrepanz zum jeweiligen Stu- Heidelberg, New York, 1979, I, S.364-371, hier S.367 Wandelhallen, ‘Nebenstellen’ für Reichspost oder dienumfeld und häufig auch in deutlichem Kontrast 79 Denn die in Großstädten geborenen und aufgewachsenen Tes- Reichsbank, vereinzelt auch Hotels, Ladenzeilen und zu ihrer Erfahrungswelt standen.79 senowstudentInnen befassten sich mit Bauaufgaben, die in aller Rathäuser geplant werden, finden wir hier keinen Regel in mittleren und kleinen Städten angesiedelt waren, wäh- An beiden Schulen wurde das vordergründig Reprä- mehrgeschossigen Wohnungsbau, kein Geschäfts- rend die weit seltener in Großstädten aufgewachsenen Bau- sentative der Gründerzeit als unangemessen abge- und kein Parkhaus. Selbst Themen wie ‘Kindergar- hausstudentInnen ganz überwiegend großstädtische Bauaufga- lehnt und nach angemesseneren Ausdruckformen der ten’ sind hier quasi nicht existent. ben bearbeiteten. gebauten Umwelt gesucht. Während Tessenow den So unmittelbar die gewählten Darstellungsformen im 80 Droste, Magdalena: bauhaus 1919 - 1933, Köln, 1991, S.212 Ansatz verfolgte, einer durch Industrialisierung und Seminar Tessenow an die Alltagswelt anknüpfen, die

Berghotel, Diplomarbeit bei Bonatz, Elisabeth von Rossig,1930 Hotel „Vier Jahreszeiten”, Diplomarbeit bei Tessenow, Lieselotte von Bonin, 1930

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168 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Aufgabenstellungen bleiben traditionell bzw. meiden wie Stahl, Glas, Beton, Roste und Sand-wichplatten geradezu das aktuelle Baugeschehen. Im Unter- auszuprobieren und Bauprozesse so zu elementieren, schied dazu knüpfen Bauhausentwürfe qua Aufga- dass sie industriell (vor)gefertigt werden können. benstellung i.d.R. an konkrete Fragestellungen und Von Meistern und Assistenten ermutigt, passten sich aktuelle Wettbewerbe an, erheben mit abstrakten offensichtlich auch die ArchitekturstudentInnen den Darstellungsformen jedoch einen universellen An- jeweils vorgegebenen Programmen an. Sie entwarfen spruch. thematisch programmgetreu und bewegten sich in- Die Aufgabenstellungen des Wohnungs-, Verkehrs-, nerhalb des Formenrepertoires der jeweiligen ‘Schu- Repräsentations- und Gesellschaftsbaus im Seminar le’. Wie radikal oder grundsätzlich das Entwerfen ‘in Bonatz stehen - qua Aktualität und Realitätsbezug - Stilen’ auch abgelehnt wurde, die StudentInnenarbei- den Entwurfsaufgaben am Bauhaus weit näher als ten zeigen deutlich, dass - wo nötig - das Entwerfen den Themenstellungen bei Tessenow. Andererseits ‘im Sinne des Meisters’ mit mehr oder minder sanf- zeigen sich in den Entwurfsauffassungen, der Form- tem Druck durchgesetzt wurde, die Entwicklung indi- findung und der Darstellung deutliche Parallelen zwi- vidueller Ausdrucksformen sowohl im Seminar Tesse- schen Bonatz und Tessenow. Auch bei der Bearbei- now wie am Bauhaus nur im Ausnahmefall geduldet tung bevorzugen beide Schulen handwerkliche Tech- und keinesfalls gefördert wurde. So verwundert nicht, niken. Im Vergleich zeigt sich besonders deutlich, wie dass im Laufe des Studiums die Assimilation an das stark Tessenow bzgl. der Themen zu aktuellen Archi- jeweilige Milieu der Fachkultur – die Schule - steigt, tekturdebatten auf Distanz bleibt und dies auch sei- sich auch die Studentinnen in die SchülerInnenrolle nen StudentInnen abfordert. fügten. Unter dem Einfluss „übermächtiger Vorbilder“ am Bauhaus resp. eines Lehrers, der „jede Abwei- „Kein Wunder (..), daß es niemals eine ‘Schule Poel- chung mit Skepsis“ sah, entstanden in aller Regel zig’ gegeben hat, so wie es eine ’Schule Tessenow’ ‘Bauhausbauten’ bzw. „lauter kleine Tessenows“.82 gab und eine ‚Schule Mies’ “, resümiert Posener in seinem rückblickenden Vergleich der Seminare.81 So „Endlich einer, der bewußt Erzieher ist, Schule bil- augenfällig sich diese These anhand der Homogeni- det“, gerät Paul Bonatz 1941 in einem Brief an den tät der Darstellung in den Studienarbeiten - sowohl Leiter der Deutschen Werkstätten in Hellerau über Ri- bei Tessenow wie bei Mies - bestätigt, hinsichtlich chard Riemerschmid ins Schwärmen und verleiht die- 81 Posener, Julius: Hans Poelzig in: Ribbe, Wolfgang / Schäche, der Entwurfshaltungen lassen sich Parallelen zwi- ses Prädikat auch Heinrich Tessenow.83 Ob Meister, Wolfgang (Hg.): Baumeister. Architekten. Stadtplaner, Berlin, schen ‘Meister-’ und ‘Schülerwerken’ auch in jenen Lehrer oder gar Erzieher: Sowohl an den Studentin- 1987, S.375. - Allerdings sind weder die ‘Schülerarbeiten’ noch Seminaren finden, die qua Themenspektrum dichter nenarbeiten im Seminar Tessenow als auch anhand die späteren Arbeiten ehemaliger Studentinnen und Studenten beieinander liegen. Dass sich hier die Affirmation der der wenigen Studienarbeiten von Bauhausstudentin- bei Hans Poelzig bisher vergleichend erforscht worden. ‘Lehrmeinung’ nicht immer unmittelbar abbildet, die nen wurde sichtbar, dass während des Studiums ei- 82 Posener, 1979, S.366 Adaption nicht in Epigonentum umschlägt, lässt sich ne große Übereinstimmung mit den geistigen Haltun- 83 Brief von Paul Bonatz an Karl Schmidt 10.4.1941 - abgedruckt als liberale Haltung eines Gropius´ oder Meyer, eines gen der Lehrenden zum Ausdruck kommt, weshalb in Nerdinger, Winfried: Theodor Fischer, 1988, S.340 ff. – Rading, Scharoun oder Poelzig interpretieren. Zwei- sowohl von ‘Tessenowschülerinnen’ als auch von „Schmitthenner: Wie holt der aus Handwerk und Material Reiz felhaft bleibt jedoch, ob eine Förderung individueller ‘Bauhausschülerinnen’ gesprochen werden kann. und Form heraus. Endlich einer, der bewußt Erzieher ist, Schule Ausdrucksformen hier tatsächlich Ziel der Lehre war. Zweifelhaft erscheint jedoch manches Mal, ob damit bildet. Lasst nun diese Schüler einen Schritt wieder weiter ge- auch eine geistige Gefolgschaft verbunden ist oder Die Differenz in den Raumauffassungen bildet sich in hen, eilt ja gar nicht, die besonderen Aufgaben werden das sich primär eine Konvergenz in der Wahl der Aus- Formgebung wie Materialwahl deutlich ab. Blieb die Neue bringen. (..) Als Schulebilder und Erzieher muß man auch drucks- und Präsentationsformen abbildet. Denn die klimatische Trennung zwischen Innen- und Außen- Tessenow nennen, wenn man einige Arbeiten, die unter dem Bandbreite akzeptabler Themen und Positionen war raum unverzichtbar, so hielt Tessenow an der Grenze Einfluß des ‘Ring’, der Vereinigung der sogenannten modernen innerhalb der jeweiligen Ausbildung ebenso limitiert zwischen Räumen auch deshalb fest, weil für ihn die Architekten, abzieht, wie etwa die gesimslose Schule in Kassel. wie die Wahl der Mittel. materialisierte Begrenzung eine unverzichtbare Vor- (..) In diesen ‘Ring’ passte dieser ehrliche Mann gar nicht hin- aussetzung für jede Form von Behausung war. Dem- Auch wenn immer wieder reklamiert wird, dass eine ein.“ - Bonatz weitere Ausführungen machen deutlich, dass er entsprechend wurde im Seminar in Mauerwerk, Holz Prägung im Sinne einer ‘Schule’ das Ergebnis einer den Begriff ‘Erzieher’ nur für Professoren aus dem traditionellen und Ziegel gedacht und entworfen, um diese Projekte inhaltlichen Auseinandersetzung während einer prä- Spektrum in Betracht zieht. - Tessenow war 1926 Mitglied der mit Hilfe konventioneller Bautechniken zu errichten. genden Lebensphase, nämlich der Ausbildungspha- Architektenvereinigung ‘Der Ring’ geworden. Im Unterschied dazu ging es beim ‘Neuen Bauen’ im- se sei84, so lassen bereits die Titel der Außendarstel- 84 So schreibt bspw. Poelzig 1931: „Aus den eigentlichen Schüler- mer auch um die Öffnung geschlossener Räume. Ma- lungen - wie „Poelzig und seine Schule“ und „Bonatz arbeiten scheint mir aber doch hervorzugehen, daß jeder wohl in teriell notwendige Begrenzungen durch die Schaffung und seine Schüler“ - die Leichtigkeit des Drucks er- seiner eigenen Art sich auswirkt, daß aber doch eine gemeinsa- immaterieller Räume erweitern zu können, barg die ahnen, mit der derlei Einheitlichkeit der Gestaltung me Haltung vorhanden ist. (..) Es muß erstrebt werden, jeden Faszination, dank der Wahrnehmung uralte Gesetz- resp. geistigen Haltung während eines mehrjährigen Schüler dazu zu bringen, dieses sein Eigenstes zu erkennen und mäßigkeiten mit Hilfe neuer Materialien überwinden Prozesses aktiv hergestellt wird. sich durch ihm nicht gemäße Äußerlichkeiten nicht blenden und zu können. Dementsprechend galt es am Bauhaus, von seinem Weg abbringenzu lassen.“ Katalog „Poelzig und Symbolträchtig präsentiert 1931 die Berliner Akade- die neuen industriellen Möglichkeiten und Baustoffe seine Schule“, Berlin, 1931, S.3

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 169 mieausstelllung „Poelzig und seine Schule“ die Ver- chen machen. (..) für uns bauhäusler war es lehrreich, bindung von Lehrer und Schülern. Laut Lageplan im einmal alles das in frage gestellt zu hören, was uns gleichnamigen Ausstellungsführer werden die in der selbstverständlich geworden ist, und die dinge durch 85 Das Verzeichnis der „Selbständige[n] Arbeiten von Poelzig- Hauptachse der Ausstellung gehängten Arbeiten des neue augen neu zu sehen.“ 91 Schülern“ führt jedoch keine Arbeiten, sondern biografische privaten Meisterateliers in den umgebenden Kabinet- Daten, Berufsstatus und Wirkungsort von 43 nicht immer selb- Im Dezember 1932 besucht Rauter auf Einladung ten von „selbständigen Arbeiten von Poelzigschülern“ ständig tätigen Schülern auf. Ibid., S.10-14 Keßlers das Bauhaus-Fest. Kurz darauf nimmt sie die und „Arbeiten aus dem Seminar Poelzig an der Tech- 86 „Es wäre einmal interessant festzustellen, inwieweit bei denjeni- Einladung Mies van der Rohes an, sich den Unter- nischen Hochschule zu Berlin“ umrahmt. Unter den gen, die sich selbständig weiter entwickelt haben, eine Bindung richt selbst einmal anzuhören. Darüber erfährt Mutter MitarbeiterInnen sind diejenigen gekennzeichnet, die der Stuttgarter Schule vorhanden ist. Sicher wird sie nachzuwei- Keßler: „sie fand den unterricht fabelhaft interessant. „keine Schüler von Professor Poelzig gewesen“ sind, sen sein.“ Graubner, 1931, S.4 doch hatte sie einige einwände: der unterricht sei zu während der Katalog von den Studierenden lediglich 87 Lt. Vorwort umfasst der Katalog Arbeiten von begabten Studie- theoretisch, sei ja viel abstrakter, akademischer als die Namen von „selbständigen“ PoelzigschülerInnen renden aus den letzten vier Jahren, also zwischen 1927/28 und auf der t.h. und dann: man berücksichtige zu wenig überliefert.85 1930/31. Von fünf Studenten sind zwei bzw. drei Projekte in den die wirtschaftlichkeit. (..) sie meinte, wir arbeiteten mit Katalog aufgenommen. Die Wertschätzung der StudentInnen In dem im gleichen Jahr in Stuttgart erscheinenden idealfällen, die man nie verwirklichen könne. (..) dann spiegelt sich somit auch in der Anzahl der vertretenen Studien- „Bonatz und seine Schüler“ wird die im Vorwort re- warf uns die studentin vor, wir sähen zu sehr auf die entwürfe wider. klamierte Bindung an die ‘Stuttgarter Schule’ auch im äußere gestaltung des hauses. Bei ihnen an der t.h. 88 Posener, 1979, S.364 „Wobei sich bald eine Gruppe Poelzig Layout als Ziel professoraler Bemühungen sichtbar.86 hieß es: ein haus ist gut, wenn sein grundriß gut ist. und eine Gruppe Tessenow hervortat, die voneinander nichts Nach dem Vorwort stellt Bonatz zunächst Projekte Die gestaltung des aufrisses sei nebensächlich und wissen wollten.“ und Bauten aus seinem Privatbüro vor. Der Katalog könne den wert eines hauses nicht verringern.“ 92 89 Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in: Hahn, 1985, S.169 ff. - wird mit einer Serie von sieben Bauten und Projekten Keßler gibt gegenüber seiner Mutter an, „die T.H-Studentin“ des Assistenten und Herausgebers Gerhard Graub- während eines Besuchs in Stuttgart kennengelernt zu haben. Er ner abgeschlossen. Dazwischen werden 33 ausge- Mädchen, Frauen, Kameradinnen: könnte Rauter aber auch aus seinem Grundstudium an der TH wählte Einzel- und Gruppenarbeiten - von einer Stu- Studiensituationen im Vergleich Stuttgart gekannt haben. Rauter wechselt zum Herbst 1932 an dentin und 30 Studenten - nach Themen geordnet „Das Bild, das die deutsche Studentinnenschaft jetzt die TH Charlottenburg und studiert bei Tessenow. Vgl. Biografie präsentiert.87 Die außerhalb der Hochschule realisier- bietet ist kein einheitliches“, stellte Anna Schönborn Rauter. ten Projekte von Professor und Assistent bilden somit 1932 fest.93 Die Unterschiedlichkeit der Sozialisa- 90 Etliche Repliken lassen die Abwehr mütterlicher Sorgen erkenn- eine Art Klammer um die Projekt- und Diplomentwür- tionsbedingungen von Studentinnen betonend beob- en, so bspw. „was und wo ich esse, wird dich interessieren“; fe aus den oberen Semestern der späten zwanziger achtet Huerkamp im Lauf der zwanziger Jahre jedoch Brief vom 4.11.1932, Auszüge aus Briefen Hans Keßlers, 1985, Jahre. eine „Annäherung des Sozialprofils der weiblichen S.167. „Die anderen Bauhäuslerinnen sind bis auf eine Schwe- Während sich die Lehrenden in Kollegialität üben Studenten an das der männlichen.“ 94 din wenig verführerisch. Vom ‚Bordell’ habe ich nicht mehr ge- oder, wie Posener dies für Poelzig und Tessenow merkt als auf den Hochschulen.“ Brief vom 24.10.1931, Ibid., Das Durchschnittsalter der TH-Studentinnen ist ge- beschrieb, „miteinander befreundet“ sind, steigt un- S.157 ff. sunken. Und die deutliche Mehrheit der Architektur- ter den Studierenden die Neigung zur Lagerbildung. 91 Ibid., S.169, hier Brief vom 9.12.1932. studentinnen entstammt nun - im Vergleich zu denen Er erinnert die Situation Anfang der dreißiger Jahre 92 Ibid. der Kaiserzeit - dem bürgerlichen Spektrum.95 Qua an der TH Charlottenburg als polarisiert und polari- 93 Schönborn, 1932, S.96 sozialer Herkunft und kulturellem Kapital befinden sierend.88 94 Huerkamp, 1996, S.35. Huerkamps These der zunehmenden sich Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen in einer Homogenisierung der Studentinnen im Übergang von der Kai- Ein Konstruieren von Differenzen zwischen Studieren- privilegierten Position. Qua Geschlecht bleiben sie serzeit wie im Laufe der Weimarer Republik bestätigt sich an- den verschiedener Lager wird auch in den 1931/32 immer in einer deutlichen, wie auch deutlich wahr- hand der Tessenowstudentinnen. Im Vergleich zu den Architek- geschrieben Briefen des am Bauhaus studierenden, nehmbaren Minderheitenposition.96 turstudentinnen der zehner Jahre nimmt die bis in die zwanziger ehemaligen TH-Studenten Hans Keßler sichtbar.89 Diese zunehmende Homogenisierung, die in aller Re- Jahre an verschiedenen Hochschulen und quer zu den meisten Diese Wochenberichte tragen deutlich instrumentel- gel durch den historischen Nachholbedarf sowie das Fächern vorhandene Streuung qua Altersstruktur wie qua Her- len Charakter, da Keßler gegenüber einer skeptischen starke Stadt-Land-Gefälle bei der höheren Mädchen- kunftsmilieu signifikant ab. Familie seine Entscheidung für das Bauhaus immer bildung erklärt wird, bildete sich am Bauhaus deutlich 95 Im Unterschied zu Medizinstudentinnen der Kaiserzeit, deren fa- wieder rechtfertigt.90 Hier sind sie jedoch von Interes- weniger ab. Aber auch hier realisierten fast nur Aka- miliärer Background keineswegs immer dem bürgerlicher Töch- se, da die kolportierten Dialoge mit der Tessenowstu- demikertöchter ein Architekturstudium. Und offenbar ter entsprach - wie Burchardt anhand der Sozialprofile 1994 be- dentin Sigrid Rauter zur Illustration von Gegensätzen handelt es sich bei der Homogenisierung der Studen- legte -, stammten Architekturstudentinnen überwiegend aus und Vorurteilen eingesetzt werden. Über einen Be- tinnenschaft auch um einen Prozess normativer An- dem Großbürgertum, dem Adel oder Offiziersfamilien. Während such der ehemaligen Stuttgarter Kommilitonin berich- passung, denn das Spektrum der Studienfächer der Weimarer Republik sinkt deren Anteil rapide. Bei Tessenow tet er: Sie „fand unsere wohnung sehr nett, mein zim- nimmt mit den legislativ erweiterten Aktionsradien finden wir keine Studentin aus einer Adels- oder Offiziersfamilie, mer wäre ja ‘typisch bauhaus’. wir sprachen natürlich von Studentinnen während der Weimarer Republik am Bauhaus sind mehrere adlige Studierende zu finden, darun- vom unterricht am bauhaus. sie konnte sich nicht nicht zu, sondern ab. Dies bestätigt die Hypothese, ter Thoma [Gräfin] Grote. vorstellen, daß wir auch statikunterricht hätten, als dass die in Schule, Familie oder Medien vermittelten 96 So erinnert Karola Bloch, dass in ihrem Semester an der TH wir ihr unsere kolleghefte zeigten, kam sie aus dem Geschlechterdiskurse gerade während der Weimarer Charlottenburg Anfang der dreißiger Jahre „etwa 10 Prozent staunen garnicht heraus. (..) man scheint immer noch Republik zur Rekonstruktion berufs- bzw. fächerspe- Mädchen“ waren. Bloch, 1981, S.68 zu glauben, daß wir hier am hause nur schöne bild-

170 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? zifischer Geschlechtstypisierungen erheblich beige- Auch wenn sie von Studentinnen durchaus in Zweifel tragen haben. gezogen wurden, so wurden die diskursiv rekonstru- ierten Geschlechterrollen wirkmächtig. Die faktische Bereits 1930 thematisiert Agnes von Zahn-Harnack Geschlechterhierarchie konnte - in Ermangelung einer die erneute Ausgrenzung von Frauen aus dem Bil- geschlechteregalitären Lobby - durch Konsens der dungswesen und problematisierte die im Laufe der Lehrenden zu jedem Zeitpunkt abgesichert werden. zwanziger Jahre zunehmend subtileren Legitimations- Das doing gender - der Vollzug des geschlechterhier- diskurse: „Daß alle Berufsbildungsfragen heute von archisierenden Zirkelschlusses – spielte sich jedoch der psychologischen Seite angepackt werden (wenn auch vor aller Augen ab. So wenn ausschließlich auch oft genug noch mit dilettantischen oder unzu- männliche Juroren in den studentischen Entwürfen länglichen Mitteln) ist eine offenkundige Tatsache. just jene Geschlechtsspezifika wiedererkannten, die Man denke nur, wie sich der Begriff ‘Eignung’ in den auch das neben der jeweiligen Arbeit aufgehängte letzten zwei Jahrzehnten verfeinert hat.“ 97 Porträtfoto erkennen liess.99 Demgegenüber hält Wally Dietrich 1931 am selekti- Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen verfügten in al- ven Begabungsbegriff der „kunstgewerblichen Pra- ler Regel über ein enormes kulturelles Kapital, konn- xis“ fest, der eine „natürliche Begabtenauslese“ be- ten während des Architekturstudiums aber nur selten wirke. Sie betont die Wichtigkeit der richtigen Ausbil- davon profitieren, da soziale wie gesellschaftliche Pa- dungsstätte und empfiehlt u.a. das Bauhaus Dessau, rameter durch vermeintliche Geschlechtsspezifika da nur „kunstgewerbliche Potenzen und reinliche dominiert wurden. Insbesondere die Situation der Führerschaft“ die Förderung gefälliger oder starker Studentinnen am Bauhaus lässt sich als eine ambiva- Begabungen gewährleisteten.98 Sie charakterisiert die lent privilegierte bezeichnen: Qua kulturellem und ‘natürliche’ Begabung der Frau durch „jahrhunderte- materiellem Kapital ihren Kommilitonen häufig überle- lange Übung“ als gegenüber dem Mann überlegen gen, erlebten sie die permanente - offene und ver- und imaginiert in einem - explizit an eine Leserinnen- deckte – Benachteiligung qua Geschlecht. schaft gerichteten - Artikel jene Mischung aus Opti- mismus und Naivität, die das bürgerlich feministische Das soziale Gefälle zwischen Bauhausstudentinnen Spektrum dieser Zeit charakterisiert. Entgegen offen- und ihren Kommilitonen war weit stärker ausgeprägt sichtlicher Diskrepanzen in Bildungsniveau und Beruf als im Seminar Tessenow, wo deutlich mehr Studie- wird die geringe Präsenz professioneller Frauen nicht rende beiderlei Geschlechts in mittleren bis gehobe- mehr Geschlechterhierarchien im Erwerbsleben, son- nen Mittelschichtsfamilien aufgewachsen waren. dern dem ‘historischen Überhang’ zugeschrieben. Dementsprechend verwundert nicht, dass Tessenow- studentinnen die Situation im Studium weniger deut- Während die Erwerbstätigkeit von Frauen hier nicht 97 Zahn-Harnack, Agnes von: Die Frau und das Hochschulpro- lich als Benachteiligte wahrnahmen, insbesondere die als unerwünschte Folge, sondern als ebenso notwen- blem, reprint in Agnes von Zahn-Harnack, Schriften und Reden Atmosphäre im Seminar schätzten.100 Denn während diger wie unverzichtbarer Bestandteil eines Moderni- 1914-1950, Tübingen, 1964, S.27ff. hier S.28. Dieser Artikel wird sie bei Baustellenpraktika manches Mal auch die Er- sierungsprozesses begriffen wird, scheint die legisla- mehrfach, u.a. 1930 in Die Frau publiziert. fahrung deutlicher Ablehnung ‘weiblicher Architek- tiv ‘verordnete’ Geschlechteregalität in großen Teilen 98 Dietrich, Wally H.: Die Frau im Kunstgewerbe, in: Schmidt-Beil, ten’ machten, wurde ihnen innerhalb des Seminars der Gesellschaft jene Mentalitätsresistenzen und re- Ada (Hg.): Die Kultur der Frau, Berlin, 1931, S.290 auch Anerkennung gezollt, immer zumindest freund- staurativen Haltungen zu verstärken, die besonders 99 „Erst am Ende des Semesters legte jeder Bauhäusler seine Ar- liche Duldung gewährt. Auch am Bauhaus konnten empfänglich für biologistisch plausibilisierte Ge- beiten (..) auf den Tisch. An die Wand dahinter wurden zwei Studentinnen die Erfahrung machen, dass sie als schlechterdifferenzen sind. Da die Geschlechteregali- oder drei Zeichnungen (..) zusammen mit seinem Foto geheftet.“ Frauen durchaus willkommen waren. Als potentielle tät während der Weimarer Republik nicht von einer Pahl in Neumann, 1985, S.333f. Architektinnen wurden sie jedoch während aller Pha- gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird, entfalten 100 Lt. Glaser werden Diskriminierungen in dieser Generation nicht sen zurückgewiesen oder ausgegrenzt. Geschlechterdiskurse eine Wirkmächtigkeit, mit der als solche wahrgenommen, d.h. als authentische, jedoch i.d.R. die gesetzliche Option auf Gleichheit faktisch außer Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen bewegten sich nicht selbst erlebte Diskriminierung geschildert. „Diskriminiert Kraft gesetzt wird. permanent in ‘double bind’-Situationen, wie sie durch wurden wir nicht“, vgl. Glaser, 1992, S.243 ff die große Diskrepanz zwischen einer ‘offiziellen’ und 101 Dem gemäß der Weimarer Verfassung formulierten Anspruch Wuchsen die Aktionsradien von Architekturstudentin- einer ‘inoffiziellen’ Haltung der Meister gegenüber gleichberechtigter Geschlechter steht am Bauhaus intern eine nen gegen Ende der Kaiserzeit, und war es Architek- Architekturstudentinnen und Architektinnen zwangs- deutliche Geschlechterhierarchie gegenüber, obschon dies im turstudentinnen der Weimarer Republik gelungen, läufig hervorgerufen wird.101 Immer in einer Minderhei- Vergleich zu den geschlechterpolaren Texten eines Heinrich das Problem geschlechtspezifischer Passgenauigkeit tensituation und mit geschlechterpolaren Weltbildern Tessenow, gar den offen misogynen Tiraden eines Karl Scheffler bei der Studienfachwahl zu ignorieren oder zu über- konfrontiert, steigt der Druck, sich als ‘besondere’ als Liberalität mit patriarchalen Zügen erscheinen mag. winden, so machte die Studiensituation - insbeson- oder als ‘besonders normale’ Frau zu präsentieren.102 102 Als Kommilitonin ist die Architekturstudentin dem Dilemma aus- dere die der Bauhausstudentinnen - deutlich, dass gesetzt, als wahrnehmbar ‘weiblicher’ Architekturstudent fach- kulturelles und ökonomisches Kapital nur sehr be- Im Unterschied zur Kaiserzeit, während der das i.d.R. lich nicht ernst genommen bzw. nicht gefördert zu werden, bei grenzte Möglichkeiten bietet, virulenten Geschlech- höhere Alter der Studentinnen – und darauf haben Wahrnehmung als ‘männliche’ Architekturstudentin mit erhöh- terdiskursen zu entkommen. Burchardt und Körner hingewiesen - den Vorteil bot, tem Konkurrenzgebaren resp. Isolation konfrontiert zu werden.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 171 der teilweise noch starken Ablehnung des Frauenstu- chen Lehrangebote an der TH Charlottenburg richte- diums gelassener und selbstsicherer entgegenzutre- ten sich an Studierende beiderlei Geschlechts wäh- ten, werden die Studentinnen der Weimarer Republik rend am Bauhaus lediglich der Vorkurs eine koeduka- durch die Debatte um Modestudentinnen und der tive Lernsituation bot.108 Leistungsfähigkeit von Frauen verunsichert. Sich als Bauhausstudentinnen hielten i.d.R. Unterschiede zwi- normale Architekturstudentin wahrzunehmen, kommt schen Frauen und Männern für ebenso unzeitgemäß angesichts ebenso widersprüchlicher wie resistenter wie unmaßgeblich. Nun machten sie jedoch die Er- Rollenklischees einer permanenten Quadratur des fahrung, dass der ihnen zugestandene Aktionsradius Kreises gleich. Sich souverän den projizierten Zu- deutlich kleiner war als der ihrer Kommilitonen, die schreibungen zu entziehen, gelingt auch den älteren Lehrenden ihre fachspezifischen Fähigkeiten nur be- unter den - qua Altersstruktur heterogenen - Bau- dingt förderten.109 Dank eines instrumentalisierten Be- hausstudentinnen nur bedingt. gabungsdiskurses konnten hier proklamierte Ge- In einem Artikel über Technikstudentinnen an der TH schlechteregalität und praktizierte Geschlechterhie- Charlottenburg beschwört Gerhart Goebel 1931 unter rarchie nahezu problemlos und zeitweilig so plausibel dem Titel „frl. stud.ing. setzt sich durch“ weniger die nebeneinander bestehen, dass Studentinnen häufiger Möglichkeiten seiner Kommilitoninnen als die ‘der an ihrer Begabung als an ihrer Gleichberechtigung Frau’. „In dem großen Bereich der Architektur jeden- zweifelten. Spannungen zwischen den Geschlechtern falls bieten sich ihr viele Möglichkeiten zu positiver blieben am Bauhaus dennoch deutlich wahrnehmbar. 103 Goebel, Gerhart: „frl. stud.ing. setzt sich durch“ in: Scherl´s Ma- Arbeit.“ Gleichzeitig gibt er jedoch zum Besten, dass Im Unterschied dazu gingen zahlreiche Tessenowstu- gazin, 7.Jg., H.2, Februar 1931, S.178-179 sie - „um ein geeignetes Arbeitsfeld zu finden“ - noch dentinnen - im Konsens mit ihrem Lehrer - i.d.R. da- 104 HTG, Grossmann-Hensel, Gert: Irina Zuschneid zum Gedächt- „herumtaste“ und „sicher manchen Fehlschritt“ tue.103 von aus, dass Frauen sich ebenso grundsätzlich wie nis, 1986 Schlicht durch die vermeintliche Widersprüchlichkeit maßgeblich von Männern unterscheiden. Sie nahmen 105 Schönborn, 1932, S.95 - Gertrud Bäumer hatte 1919 gefordert, zweier Bilder - das der (jungen) Frau und das des sich innerhalb des Seminars als gleichberechtigt dass Studentinnen Wert darauf legen müßten, „daß nicht die männlichen Architekten - steht ‘frl.’ stud.ing. im Un- wahr, erlebten ihre Minderheitenposition, aber Tesse- einfach Unfähigen sich hinter die Ansprüche an wesensgemäße terschied zu Kommilitonen und der Mehrheit der Al- now auch als Förderer ihrer fachlichen Kompetenzen, weibliche Methoden zurückziehen.“ in: Die Frau, 27.Jg., 1919 / tersgenossinnen unter einem illegitimen Legitima- ggf. als ausgleichenden oder sogar als parteilichen 1920, S.44, hier zit. nach Huerkamp, 1996 S.149 tionsdruck. „Von Irina ging eine gewisse Verzaube- Unterstützer.110 Seine Maxime des Ausgleichs zwi- 106 Ibid., S.97 rung aus. Etwas geheimnisvoll-exotisches war um die schen Polaritäten eröffnete innerhalb des Seminars 107 Bei den von Dearstyne geschilderten ‘Ingroups’, deren beson- aus dem unbekannt fernen Rußland Gekommene - auch den Studentinnen Handlungsspielräume, deren derer Reiz darin lag „über alles“, aber eben nicht mit allen zu und sie kultivierte das auch.“ 104 Als der vermeintlich Grenzen nicht allzu spürbar waren. Sind doch auch in diskutieren, trifft die Exklusion auch Studenten, nicht nur - aber „mehr weibliche Typus einer TH-Studentin“ (Goebel) einer polar gedachten Welt für eine Harmonie zwi- immer - Studentinnen. Sie stellt damit zuverlässig geschlechts- apostrophiert konnten sich Architekturstudentinnen schen Extremen beide Pole notwendig. homogene Zirkel her, die gruppenreflexive Referenzsysteme (re)- den häufig ebenso stereotypen wie widersprüchli- produzieren. chen Projektionen kaum entziehen, zumal wider- Dementsprechend waren Geschlechterpolaritäten im 108 Lediglich die ‘Leibesübungen’ wurden nach Geschlechtern ge- sprüchliche Geschlechtsspezifika auch von Frauen Seminar präsent, deren Instrumentalisierung zur Aus- trennt durchgeführt. Sie waren im Rahmen eines TH-Studiums öffentlich reproduziert wurden. grenzung von Seminaristinnen jedoch tabu. Tesse- ebenso obligatorisch wie am Bauhaus die ’Gymnastik’. nowstudentinnen konnten sich innerhalb des koedu- So warnt Anna Schönborn, - selbst Mitbegründerin 109 Unter den vielen enthusiastischen Stimmen über die Studienzeit kativen Seminars bewegen und wurden im Kompe- des 1926 ins Leben gerufenen Deutschen Akademi- am Bauhaus sind bemerkenswert wenige Stimmen architekturin- tenzerwerb nicht behindert. Selbst die Zuweisung kerinnenbundes - 1932: „Der Studentin möge die teressierter Studentinnen zu finden. exklusiver Themenbereiche nahmen sie nicht als Aus- gegnerische Haltung, die noch immer von Professo- 110 So wird Gisela Ehren [geb. Schneider] anlässlich einer Umfrage schluss oder subtile Form des ‘doing gender’ wahr, ren und Studenten gegen das Frauenstudium einge- zur Vergabe des Heinrich-Tessenow-Preises 1964 zitiert: „Meine zumal in diesem harmonischen Rahmen mit verbindli- nommen wird (..) eine ernste Mahnung sein.“ 105 Sie Frau Gisela zu diesem Thema: Es wäre sehr im Sinne von Hein- chen Umgangsformen und kameradschaftlicher At- geht davon aus, dass die Studentin bestimmte For- rich Tessenow, wenn dieser Preis nur an Frauen verliehen wür- mosphäre die Gleichwertigkeit der Geschlechter - bei men „annehmen muß, wenn sie ihr auch nicht gemäß de.“ HTG, NL Jessen, Brief Josef Ehren an Otto Kindt vom aller Unterschiedlichkeit - nicht in Abrede gestellt sind“, betont gegen Ende des gleichen Artikels je- 24.11.1964, betr. Heinrich-Tessenow-Preis. wurde. doch: „Die Studentin allein kann durch ihre Haltung 111 „In der Wandervogelgruppe aber herrschte unbegrenzte Frei- die der Professoren und Studenten bestimmen.“ 106 „So wie nun die Jugendbewegung als Sauerteig das heit.“ Riegger, Luise: Die Frau in der Jugendbewegung, in gesamte deutsche Jugendleben durchdrang und um- Schmidt-Beil, Ada: Die Kultur der Frau, Berlin, 1930, S.237ff., Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wa- formte, ist auch die Entwicklung des Mädchen- und hier S.239. Im Vergleich zum „konventionellen Verkehr mit Män- ren einem enormen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Frauenlebens von der Jugendbewegung sehr stark nern in der Tanzstunde“ wird Rieggers Euphorie verständlich: Sie mussten manches Mal gegenüber Eltern ihre Eig- beeinflußt worden“, stellt Luise Riegger 1930 fest und „..daß eine freie, verantwortungsfrohe Jugend eine Spanne Zeit nung, gegenüber Lehrern ihre Begabung und gegen- sieht aufgrund des Emanzipationsschubes im Wan- voll unbefangener Jugendlust durchleben kann in Gemeinschaft über Kommilitonen „erst ihre Berechtigung nachwei- dervogel „die notwendige Ergänzung der Frauenbe- mit den Kameraden des anderen Geschlechts, die ihr für das sen“. Im Unterschied zum Bauhaus wurden sie an wegung“.111 kommende Erleben des Eros Maßstäbe gibt, Sicherheit und Technischen Hochschulen jedoch nicht fachlich se- Schutz vor Überrumpelung.“ Ibid., S.240 pariert oder räumlich exkludiert.107 Sämtliche fachli- Claudia Huerkamp konstatiert, dass während der

172 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Weimarer Republik ein ‘Verwischen der Geschlech- seltener organisiert als ihre Kommilitonen. Architek- terdifferenz’ stattfand, das auf faktische Änderungen turstudentinnen sind in Studentinnenvereinigungen im Geschlechterverhältnis, ein gewandeltes Frauen- bisher überhaupt nicht nachweisbar. Waren diese ideal und das steigende Interesse an weltanschauli- Studentinnen also weder frauenbewegt noch poli- chen Themen zurückzuführen sei.112 Infolgedessen tisch interessiert? charakterisiert sie das Interesse der Studentinnen an Politische Disparitäten herrschten unter den Studie- der Frauenbewegung ab den zwanziger Jahren als renden an beiden Ausbildungsinstitutionen, am Bau- zunehmend gleichgültig und skeptisch.113 Anja Bur- haus stärker spürbar als im Seminar Tessenow. Wäh- chardt zeichnet anhand von Artikeln im ersten Jahr- rend politische Implikationen des Bauens an Archi- zehnt des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Distanz tekturfakultäten Technischer Hochschulen i.d.R. nicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zwischen Studentinnenvereinigungen und Frauenbe- präsent waren, wurde Architektur am Bauhaus impli- wegung nach: Das Reklamieren der Studentinnen für zit mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch ver- eine ‘Epoche der Tat’ nach einer ‘Epoche der Agita- knüpft, unter Meyer explizit im Hinblick auf die gesell- tion’ (Helene Lange), dem sich die - aus der Sicht der schaftspolitische Dimension betrieben. Tessenow be- Bewegung - „eigensüchtigen Studentinnen“ jedoch obachtete die gesellschaftliche Entwicklung wie kon- entzogen hätten .114 krete bauliche Missstände mit großer Sorge. Im Ein- Laut Huerkamp und Burchardt kennzeichnet diese zelfall - wie 1924 bei der Bedrohung des Bauhauses zunehmende Distanz einen Generationenkonflikt.115 Weimar118 - ergriff er auch öffentlich Partei. Seine Auf- Aus der Sicht langjähriger Mitglieder mag die Kon- gabe als Architekt und Professor sah er jedoch in Lila Ulrich mit Kurt Kranz bei einer Fete in Berlin 1933 zentration von Studentinnen auf das Studium, die Di- konkreten Bauaufgaben und der Lehre. Der politische stanz zu feministisch agitierenden Verbänden enttäu- Impetus eines Hannes Meyer war ihm ebenso fremd schend sein. N.m.E. wird hier jedoch weniger ein Dis- wie eine öffentliche politische Positionierung. senz zwischen Generationen als zwischen familien- Dementsprechend galt Politik im Seminar Tessenow und erwerbsorientierten Frauen sichtbar, der sich be- eher als Privatsache denn als öffentliches Thema. Am reits während der Kaiserzeit abzeichnete, dank wech- 112 Huerkamp, 1996, S.148 Bauhaus hingegen wurde vielfach politisch diskutiert. selseitiger Referenzen und Projektionen aber immer 113 Sie belegt dies an den Studentinnenvereinigungen, deren Ver- An der Schnittstelle von öffentlicher politischer Rede wieder besänftigt werden konnte. Im Laufe der zwan- bindungen im Laufe der Zeit „immer dünner“ geworden seien. und Architektur existierten jedoch keinerlei Foren, auf ziger Jahre bot eine Frauenbewegung, deren Mitglie- Ibid., S.144ff., hier S.147 denen politisch interessierte ArchitekturstudentInnen der mehrheitlich einer bürgerlichen Hausfrauenper- 114 Helene Lange 1907 zit. nach Burchardt, 1997, S.170 sichtbar aktiv hätten werden können. So öffentlich spektive verhaftet blieben und damit politisch deut- 115 Huerkamp, 1996, S.148, Burchardt, 1997, S.178ff. der Diskurs um das ‘Neue Bauen’ geführt wurde, er lich an Profil einbüßte, für fachlich orientierte wie po- 116 Schlüter-Hermkes, Maria: Die Selbstbehauptung der Frau an wurde von einzelnen Protagonisten - nicht als offene litisch interessierte Frauen zunehmend weniger den Hochschulen, in: Die Frau, 41.Jg., 1933/34, S.214-218 Diskussion - im wörtlichen Sinne ‘geführt’.119 Anknüpfungspunkte. 117 Glaser, 1992, S.252 Nach bisherigem Kenntnisstand wurden nur wenige 118 Tessenow gehört 1924 zu den Unterzeichnern des Protest- Im Unterschied zu den Studentinnen der Kaiserzeit, Bauhausstudentinnen über einen kürzeren oder län- schreibens, als die neugewählte Thüringische Regierung in Wei- die private Kontakte mit Kommilitonen eher mieden geren Zeitraum Mitglieder politischer Vereinigungen mar die finanzielle Unterstützung des Bauhauses halbiert. Wing- als unterhielten, scheint die „Selbstbehauptung der oder Parteien. Bei einigen Architekturstudentinnen ler, 1963, S.104; Winkler,1993, S.144 Frau an den Hochschulen“ (Schlüter-Hermkes) zum wird dennoch ein deutliches politisches, in Einzelfäl- 119 Dies wird bspw. an einer Anmerkung der Schriftleitung der Ende der Weimarer Republik erreicht.116 Mitte der len auch parteiliches Engagement erkennbar.120 Bei Deutschen Bauzeitung 1928 deutlich. „Bei der ganzen Bewe- zwanziger Jahre trafen Studentinnen auf Kommilito- Tessenowstudentinnen wird politisches Interesse sel- gung auf dem Gebiet des neuzeitlichen baulichen Schaffens ste- nen, mit denen ein offener und kollegialer Umgang tener, dann jedoch deutlicher sichtbar. hen die Persönlichkeiten so ausgesprochen im Vordergrund, möglich scheint.117 daß man eine Richtung und ein System kaum kritisieren kann, Auch an Technischen Hochschulen waren Architek- Durch den Wegfall offener Konkurrenz zwischen den ohne zugleich auch der Person zu nahe zu treten.“ Deutsche turstudentinnen nicht etwa apolitisch.121 Anfang der Geschlechtern im Seminar Tessenow sahen Architek- Bauzeitung, 62.Jg., 1928, S.327 (Herausgeber war Erich Blunck, dreißiger Jahre sympathisierten etliche TH-Studentin- turstudentinnen kaum einen Grund, eigenes Terrain die Schriftleitung hatte Fritz Eiselen). Diese Anmerkung ist einem nen mit der ‘neuen Bewegung’, ab Mitte der dreißiger gegen Kommilitonen zu behaupten, sich in Studentin- Artikel über den Konflikt zwischen Konrad Nonn und Gropius Jahre waren einzelne auch in der ‘Arbeitsgemein- nenvereinigungen zu organisieren oder reine Frauen- anläßlich der verschwundenen Kostenrechnungen des Ver- schaft Nationalsozialistischer Studentinnen’ aktiv. arbeitsgruppen zu bilden. Am Bauhaus war eine sol- suchshauses am Horn vorangestellt. Gemeinsam mit ihrer Freundin Erika von Beerfelde che Notwendigkeit durchaus gegeben. Angesichts ei- 120 Ein politisches Selbstverständnis wurde bspw. bei Reiss, Bánki, nahm Hildegard Korte hier zeitweilig Leitungsfunktio- ner Tabuisierung der Geschlechterhierarchie wie Gerson, Meltzer, Dicker sichtbar. Mittelbar ließen auch die zahl- nen wahr. Das politische Engagement dieser Gruppe höchst unterschiedlicher Interessenlagen der Studen- reichen Kirchenaustritte emanzipative Bestrebungen erkennen. - so ihre Erinnerung - sei jedoch gering gewesen.122 tinnen war ein solches Unterfangen innerhalb der re- 121 So war Leonie Pilewski in Darmstadt 1918 Gründungsmitglied Karola Bloch erinnert die frühen dreißiger Jahre an aliter geschlechtergetrennten Studiensituation jedoch der mosaisch sozialistischen Gemeinschaft. Zwischen 1933 und der TH aus der Perspektive eines Mitgliedes im ‘Ro- aussichtslos. 1934 gehört sie nach eigenen Angaben in Wien der sozialdemo- ten Studentenclub’ und berichtet, dass sie versuchte, kratische Partei an. JRF-Fragebogen Pilewski, Dezember 1978: In Verbänden und Vereinigungen waren Studentinnen eine nationalsozialistisch orientierte Kommilitonin, zu „Unabhängige Sozialistische Partei Darmstadt 1918-1923“

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 173 der sie ein gutes Verhältnis hatte, „kommunistisch zu Studiendauer und Studienerfolge: beeinflussen (..) Aber man konnte sie nur neutralisie- Kompetenzen und Qualifikationen im Vergleich ren.“ 123 Im Rahmen des Studienganges Architektur absolvie- ren Studentinnen, die das Seminar Tessenow besu- Im Unterschied zum Seminar an der TH Charlotten- chen, sowohl das vorgesehene Studienpensum als burg lassen sich unter den Studierenden bei Tesse- auch die Diplomhauptprüfung mit überdurchschnittli- now an den Vereinigten Staatsschulen auch Mitglie- chem Erfolg: Mindestens 28 der 34 Studentinnen der des dortigen Revolutionären Studentenbundes - einschließlich der Gaststudentinnen - bestehen die finden. Hier war Leonie Behrmann bereits zu Beginn Diplomprüfung. 24 Studentinnen, und damit mehr als ihres Studiums 1930 aktives Gründungsmitglied. Sie zwei Drittel aller Tessenowstudentinnen, legen bei wurde 1933 vom Studium an den VS ausgeschlos- ihm dieses Diplom ab.126 Im Unterschied dazu erwer- sen.124 Aber auch Studentinnen, die sich „im linksge- ben nur 10 Bauhausstudentinnen einen Studienab- richteten Lager der Jugend“ (Both) sahen, schlossen schluss im Bereich Architektur/Innenarchitektur. Am 122 Dr.Hildegard Oswald [geb. Korte] im Interview am 14.10.1997 sich während ihrer Studienzeit nur ausnahmsweise Bauhaus selbst gelingt dies nur vier Studentinnen 123 Bloch, 1981, S.68 resp. S. 70 - Dem ‘Roten Studentenclub’ ge- politischen Parteien an. Dennoch agierten diese Stu- und damit höchstens jeder achten der architekturin- hörten um 1931 u.a. auch die Architekturstudentinnen Suse dentinnen nicht nur individualistisch. Frauenbewegte teressierten Bauhausstudentinnen.127 Chotzen und Grete Ehrmann an. Aktivitäten lassen sich während der Studienzeit bis- 124 Diese studentische Vereinigung, der nur wenige StudentInnen her weder bei Bauhaus- noch bei Tessenowstuden- Tessenowstudentinnen studieren erfolgreich und zü- angehören, tritt mittels einer studentischen Zeitung gegen die tinnen nachweisen. Allerdings boten frauenbewegte gig, schließen in Ausnahmefällen bereits nach der Faschisierung der Hochschule ein. Vgl. Biografie Behrmann Verbindungen als politische Gruppierungen – wie Mindeststudiendauer von acht, höchstens elf Seme- 125 Lt. Huerkamp (1994, S.146) nahm der mit ca. 15% ohnehin nur Studentinnen- oder Frauenvereine – für Architektur- stern mit bestandenem Diplom ab. In der Regel be- geringe Organisationsgrad von Studentinnen - im Unterschied studentinnen kaum mehr Anknüpfungspunkte.125 wältigen sie das Studium ohne Dispense innerhalb zu dem der Studenten - im Laufe der zwanziger Jahre noch ab. Deutlich wurde jedoch auch, dass sich Architektur- von neun Semestern. Bereits im Alter von 23 Jahren, 126 Zumindest drei weiteren Tessenowstudentinnen gelingt ein ver- studentinnen der Weimarer Republik in der Regel als spätestens im Alter von 27 Jahren haben sie die Di- gleichbarer Studienabschluss zu einem späteren Zeitpunkt an Staatsbürgerinnen verstanden, die sich politisch in- plomhauptprüfung erfolgreich beendet. Besonders einer anderen Hochschule. teressierten resp. engagierten - in relativer Unabhän- geradlinig verlaufen die Studienwege der Töchter von 127 Die vier Bau-/Ausbau-Diplome an Studentinnen werden zwi- gigkeit von Geschlechtszugehörigkeiten. Ingenieuren und Architekten: Fast ausnahmslos ha- schen August 1932 und März 1933 zuerkannt. ben sie haben im Alter von 24 Jahren das Diplom be- standen. Diplomzeugnis TH Berlin 1932, Anni Pfeiffer Bauhauszeugnis 1932, Matty Wiener Architekturinteressierte Bauhausstudentinnen kom- men im Alter von 17 bis 34 Jahren ans Bauhaus und sind beim Erwerb eines Bauhaus-Diploms zwischen 23 und 32 Jahre alt. Auch wenn am Bauhaus das Di- plom als Maßstab des Studienerfolges nicht durch- gängig angelegt werden kann, - da Diplome hier erst ab 1929 vergeben werden -, so wurde sichtbar, dass Bauhausstudentinnen weit weniger Studienerfolge vergönnt waren. Von den manches Mal nach nur zwei Entwurfsprojekten und keinerlei Klausuren vergebe- nen 81 Diplomen im Bereich Bau/Ausbau, die nach acht, höchstens neun Semestern ausgestellt wurden, wurde nur jedes 20. einer Studentin zuerkannt. Während damit mehr als 80% aller Tessenowstuden- tinnen ihr Studium nach vier Projekten im Hauptstudi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar um und Klausuren in den theoretischen Fächern er- folgreich mit einem Diplom abschließen - 70% bear- beiten den Diplomentwurf bei Tessenow -, können am Bauhaus nicht einmal 10% aller architekturinter- essierten Studentinnen ihr Studium erfolgreich been- den. Damit ist deutlich, dass die fachlichen Ambitio- nen von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- blik bei Tessenow ernst genommen und gefördert wurden, während sie zeitgleich am Bauhaus bereits innerhalb resp. an einer Ausbildung scheiterten, die innovativ und vielseitig, jedoch in höchstem Maße ungeregelt war.

174 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Nicht nur die deutliche Ablehnung von Architektur- Realitäten und Projektionen: aspirantinnen im Vorfeld trug zu dieser geringen Er- Balancen der [Un]Möglichkeiten folgsquote bei. Insbesondere die Missachtung des Kein Jahr nach der Gründung des Bauhauses ver- Engagements architekturinteressierter Studentinnen, knüpfte Gropius im Herbst 1920 die Forderung einer die Ignoranz gegenüber ihren Berufswünschen sowie Selektion nach Begabung unmissverständlich mit ei- der enge Rahmen zugestandener Kompetenzen wur- ner „scharfe[n] Reduzierung des weiblichen Ge- de Studentinnen hier zum Verhängnis und führte häu- schlechts“.128 Entgegen der Position eines Moholy- fig zum Studienabbruch. Nagy, dass „ein jeder mensch begabt“ und „fast alles erlernbar“ sei, lehnen Meister wie Gropius und Poel- Es kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht beur- zig, aber auch Scharoun und Rading die Verantwor- teilt werden, ob die Studienerfolge der Tessenowstu- tung ab, aus Architekturinteressierten systematisch dentinnen über denen zeitgleich studierender Archi- ArchitektInnen heranzubilden. Sie sehen ihre Aufgabe tektinnen an anderen Technischen Hochschulen la- primär darin, besonders Begabte zu selektieren und gen, obschon die hohe Diplomquote diese Hypothe- diese an ihrem Schaffen teilhaben zu lassen. se nahelegt. Studiendauer und -erfolg mancher Gast- studentinnen im Seminar belegen jedoch, dass auch Die Forderung einer Selektion nach Begabung wird andernorts berechenbare Studienangebote von Stu- zu Beginn wie gegen Ende der Weimarer Republik dentinnen mit vergleichbarem Zeitaufwand zum Er- besonders offensiv vertreten. Und der Begabungsdis- werb eines Diploms genutzt wurden. kurs zeigt sich erneut besonders eng mit der ‘Gret- chenfrage der Emanzipation’ verknüpft. So selten Innerhalb geregelter Studienbedingungen erreichten sich Hochschullehrer - Meister, Baumeister und Ar- Tessenowstudentinnen innerhalb kürzester Studien- chitekten wie Poelzig, Bonatz, Gropius, Meyer und zeiten Studienerfolge und Praxiserfahrungen, die de- Mies, aber auch der zurückhaltendere Tessenow - öf- nen ihrer Kommilitonen zumindest vergleichbar wa- fentlich zu dieser Frage äußern, intern wurde längst ren. Demgegenüber wird an der geringen Erfolgsquo- über alle Lager hinweg ein Konsens gefunden: Auch te von Bauhausstudentinnen unmittelbar sichtbar, nach Beginn der Weimarer Republik bleibt der männ- dass ihnen dieses Studium - völlig ins Ermessen der liche Meister das Maß aller Dinge, der männliche Lehrenden gesetzt - kaum verlässliche Studienbedin- (Meister-)Schüler Adressat aller Bemühungen. gungen und nur bedingt Qualifikationen bot. Dies wird deutlich, wenn Hans Poelzig 1931 pikiert Während Architekturstudentinnen an Technischen feststellt, dass die Architektur an Bau-, Kunst- und Hochschulen ihre Lehrer wählen konnten, war dies Hochschulen „populär geworden“, der sich „ergie- am Bauhaus nahezu ausgeschlossen. Und während ßende Strom“ von Studierenden „jetzt schon beider- Tessenowstu-dentinnen an der TH Charlottenburg für lei Geschlechts“ sei.129 Auch er vertritt die Überzeu- vergleichbare Studienleistungen dieselben formalen gung einer quasi ‘naturgegebenen Begabung’ und Qualifikationen erhielten wie ihre Kommilitonen - und plädiert dementsprechend für eine subjektive Auslese mehr als zwei Drittel der Studentinnen wussten diese „aufs schärfste“ 130 In seinem „großen programmati- Chance zu nutzen -, wurden architekturinteressierten 128 Meisterratsprotokoll vom 20.9.1920 schen Vortrag über das Wesen und das Ethos des Studentinnen am Bauhaus häufig nicht die gleichen 129 Poelzig, Hans: Der Architekt, Berlin, 1931, S.32 Baumeisters“ vor dem BDA führt er dazu aus: Qualifikationen zuerkannt wie ihren Kommilitonen. 130 Ibid.,S.34 „Den Hochschulen ist - bisher - eine Auslese ver- 131 Poelzig, 1931, S.32. In der Neuausgabe (Berlin, 1954), in deren Diese Bilanz der Studienerfolge potentieller Architek- wehrt, man wird aber so nicht weiterkommen (..) Eine Vorwort Theodor Heuss diese Rede als „großen programmati- tinnen bestätigt rückblickend die hohe Studienmoti- Auslese muß zu Beginn des Studiums ausgeübt wer- schen Vortrag über das Wesen und das Ethos des Baumeisters“ vation von Architekturstudentinnen der Weimarer Re- den, und eher sollte sie rigoros ausgeübt werden - bezeichnet, sind die ‘Justizmorde’ nicht mehr zu finden. publik und straft jede Hypothese ‘geschlechtsspezifi- selbst wenn Justizmorde passieren, da die wirkliche 132 Bonatz, Paul: Vorwort in: Graubner, 1931, o.S. scher Begabung’ Lügen. Dabei repräsentiert die ek- Begabung oft schwer zu erkennen ist.“ 131 133 Stellte er 1950 rückblickend auf den ersten Weltkrieg für die Si- latante Diskrepanz der Studienerfolge besonders ein- Und Bonatz schreibt im gleichen Jahr: „Der Wunsch tuation an der TH Stuttgart noch fest, dass im WS 1916/17 „im- drücklich, wie entscheidend die unterschiedlichen die Studierenden an der Wirklichkeit statt am ‘Phan- merhin einige kriegsverletzte Studenten und einige Schweizer“ Rahmenbedingungen die fachlichen Ambitionen von tom’ zu erziehen, ist bei der großen Zahl der Studie- seine Veranstaltungen besuchten (Bonatz, 1950, S.195), so em- Studentinnen während der Weimarer Republik förder- renden unerfüllbar. Nur wenige können (..) an den pfindet er die Zusammensetzung der Studierenden im WS 41/42 ten oder zunichte machten. Denn während architek- Bauaufgaben des Lehrers praktisch mitarbeiten. Die- offenbar als Zumutung: „Den Rest des Jahres 1941 tat ich wei- turinteressierte Studentinnen am Bauhaus Kompe- se Mitarbeit bildet für eine kleine Auslese den wirk- ter meinen Dienst: Hochschule, kleiner Betrieb, alles war Soldat, tenzen nur in Ausnahmefällen erwerben konnten, samsten Abschluß der Ausbildung.“ 132 Während des einige Ausländer, Studentinnen, Verletzte, der Normalstudent wurden Studentinnen im Seminar Tessenow bis zum Krieges mit „einigen Ausländer[n], Studentinnen, Ver- fehlte.“ (Ibid., S.88) - Im Unterschied dazu erinnert er das Früh- erfolgreichen Diplom qualifiziert. letzte[n]“ konfrontiert, scheint ihm die Freude an der jahr 1919 als die „für die Architekten-Abteilung unserer Hoch- Lehrtätigkeit regelrecht vergällt, da „der Normalstu- schule (..) glücklichste und fruchtbarste Zeit. Junge lebendige dent fehlte.“ 133 Lehrer begegneten sich hier mit den besten Schülern. Es waren die Heimkehrer aus dem Feld.“ Ibid., S.95

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 175 Das Berufsbild des Architekten am Bauhaus chan- Der Bekanntheitsgrad einzelner, öffentlich agierender gierte zwischen dem die Welt nach wissenschaftli- Architektinnen ist aber ebenso schwer einzuschätzen chen Erkenntnissen kollektiv verändernden Planer wie die Wirkung, die einzelne ihrer Bauten erreichten und dem in einer veränderten Welt des Bauens un- - wie bspw. Emilie Winkelmanns 1916 fertiggestelltes verändert kühnen Schöpfer. Architekturstudentinnen Studentinnenwohnheim oder Alexandra Exters kon- 134 Nach bisherigen Erkenntnissen kamen nur Ursula Schneider und engagieren sich hier in kollektiven Planungsprozes- struktivistischer Istvestija-Pavillon bei der allrussi- Ewa Freise, eventuell auch Margot Loewe vor bzw. während ih- sen oder entwerfen vereinzelt ihre konkreten wie ab- schen Agrarausstellung 1923.138 res Studiums mit freiberuflich und erkennbar selbständig arbei- strakten Vorschläge zur baulichen Neugestaltung der tenden Architektinnen überhaupt in Berührung. Und während Dozentinnen an Kunst- und Kunstge- Zukunft. Permanent ignoriert und mit der eigenen 135 Freiberuflerinnen – u.a. Ärztinnen, Juristinnen, Künstlerinnen und werbeschulen als Rollenmodelle wie Ansprechpart- ‘Entbehrlichkeit’ in der Architektur konfrontiert, fin- Kauffrauen - lassen sich bspw. im familiären Umfeld von Hilde nerinnen im Ausbildungskontext durchaus präsent den sie weder im ‘Planungsexperten’ noch im ‘Künst- Reiss, Christa Schöder, Lila Ulrich, aber auch in dem von Anna- waren139, fehlten sie in den Architekturfakultäten lerarchitekten’ Anknüpfungspunkte für ein tragfähi- Lülja Praun, Leonie Pilewski und Stefanie Zwirn nachweisen. Technischer Hochschulen, wo Frauen bestenfalls als ges, auf sie selbst übertragbares Berufsbild. 136 Dies wurde am Beispiel des ‘Besuchs’ bei einer Architektin Hilfsassistentinnen beschäftigt wurden.140 Am Bau- deutlich (vgl. Biografie Freise). Da hier mit dem Architektenvater Auch das Leitbild bei Tessenow bietet für potentielle haus fanden wir vereinzelt Dozentinnen. So waren in Fachkompetenz im familiären Umfeld bereits vorhanden war, Architektinnen keine explizite Identifikationsmög-lich- Weimar mit Helene Börner als Leiterin der Textilwerk- wurde die Architektin offenbar als potentielles Rollenvorbild auf- keit: der entwerfende und beratende ‘Baumeister’, statt und Gertrud Grunow als Lehrende für Harmoni- gesucht. Aber auch bspw. Eva Weininger wie Hilde Reiss erin- der nicht alles neu und anders machen will, jedoch sierungslehre zwei ledige Dozentinnen präsent. Der nern, dass es während ihrer Jugend in Berlin selbstverständlich explizit hinter Entwürfen und Bauten zurücktritt, er- Unterricht in Leibesübungen wurde in Dessau von Architektinnen gegeben habe. Beide geben an, keine davon per- scheint nur vordergründig allgemeingültig. Eine ‘Bau- der jungen Gymnastin Karla Grosch durchgeführt. sönlich gekannt zu haben. meisterin’ existiert auch hier explizit nicht. In Tesse- Gunta Stölzl wurde und blieb die einzige Jungmeiste- 137 Manche gaben an, bspw. Artikel von Architektinnen gelesen zu nows Seminar sind Studentinnen jedoch nicht kate- rin am Bauhaus, die aus den Reihen der Studieren- haben - wie sie u.a. von Ella Briggs, Margarete Lihotzky,Therese gorisch ausgeschlossen. Und in dem geschlechter- den hervorging. Sie bewegt sich in ihren Loyalitäten Mogger, Leonie Pilewski oder Edith Schulze publiziert wurden. polarisierenden Denken oszilliert ein weibliches Pen- wie Aktionsradien strikt innerhalb der zugewiesenen, 138 Als Architektinnen öffentlich sichtbar waren bspw. Marie From- dant zum männlich attribuierten Baumeister: Tes- weiblich konnotierten Kompetenzen und Tätigkeits- mer, Ella Briggs, Elsa Gidoni oder Emilie Winkelmann in Berlin senows Ideal des ganzheitlichen Baumeisters balan- bereiche und verlässt das Bauhaus, vier Jahre nach- oder Therese Mogger in Düsseldorf. Alexandra Exter (1882- ciert männliche wie weibliche Anteile in (s)einer Per- dem ihr der Status der Jungmeisterin zuerkannt wor- 1949) publiziert bspw. bei Behne, 1924, S.121; vgl. auch Ama- sönlichkeit aus. den war. Kaum weniger ambivalent bleibt die Rolle zonen der Avantgarde, 1999, S.139 Lilly Reichs: 1930 als Leiterin der Ausbauabteilung Im Hochschulrahmen erlebten die Architekturstuden- 139 Wo auch räumliche Fächer von Dozentinnen vertreten wurden, berufen, wird sie häufig lediglich in Relation zu Mies tinnen der Weimarer Republik Architekten in ihrer wie bspw. von Hertha Jeß an der Reimannschule in Berlin oder wahrgenommen und bleibt in ihrem Kompetenzbe- Funktion als Lehrende. Dies ließ die Vereinbarkeit von Ernestine Kopriva an der Kunstgewerbeschule Wien. reich auf den - seit der Neuordnung aus der Architek- Architekten- und Professorenberuf erkennen, reprä- 140 Die Rolle der Kunsthistorikerin Dr. Charlotte Giese (geb. 1893 tur ausgegliederten - Ausbau beschränkt. Hinsichtlich sentierte jedoch lediglich das Idealbild des von jeder Berlin, Promotion 1920 bei Waetzold in Halle) als Assistentin der Überschreitung von Geschlechtergrenzen, der Er- Reproduktionsarbeit entbundenen fulltime-Architek- bedarf weitergehender Recherchen. Ob sie, die zwischen 1924 weiterung eigener Aktionsradien boten derartige Rol- ten. Die teilnehmende Beobachtung an den Produk- und 1926 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Architektur- lenvorbilder Studentinnen kaum Anknüpfungspunkte. tionsprozessen meisterlicher Architektur blieb dem museum Berlin angestellt war, am Lehrstuhl Daniel Krenckers Kreis der BüromitarbeiterInnen vorbehalten. Studen- Die während der Weimarer Republik sichtbar freibe- als Dozentin in Erscheinung trat, scheint bisher zweifelhaft. Her- tinnen mit Architekten im Familienkreis konnten weit ruflich tätigen Architektinnen waren häufig ebenso mann Schmitz berichtet 1926, dass „unter der rührigen Leitung deutlichere Einblicke in die konkrete Berufstätigkeit ledig wie die Lehrerinnen, von denen Architekturstu- von Professor Krencker und seiner Assistentin Frau Dr. Giese“ gewinnen und anhand von Vätern, Onkeln oder Brü- dentinnen der Weimarer Republik in ihrer Schulzeit nun eine dritte bemerkenswerte Ausstellung über Architektur- dern das Verhältnis von Berufspriorität und Familien- unterrichtet worden waren.141 Nicht nur angesichts schöpfungen Emil Fahrenkamps an der TH Charlottenburg ge- rolle erleben. Auch diese ‘Vorbilder’ waren in aller des Zwangszölibats der Lehrerinnen war damit zu- folgt sei. (Beilage der Dekorativen Kunst, 29.Jg., Heft 5, Februar Regel Männer.134 mindest latent jener Interessenkonflikt präsent, der 1926). - Zur Biografie Charlotte Gieses vgl. Wendland, Ulrike, durch die gesellschaftliche Trennung von Produk- Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthi-storiker So stark die Erwerbstätigkeit von Frauen seit der tions- und Reproduktionsnotwendigkeiten entstand im Exil, München, 1999, S.195 Jahrhundertwende zugenommen hatte, selbständige und in der Trennung zwischen Familien- und Berufs- 141 Im Unterschied dazu traten in Partnerschaft mit ihren Gatten ar- Berufsfrauen waren in den zwanziger Jahren dünn rollen seinen Ausdruck fand. beitende Architektinnen, wie bspw. Ilse Dernburg, Hildegard gesät. Spätestens im Laufe ihrer Sozialisation hatten Dörge, Anna Endell, Margarete Gutkind, Marlene Poelzig, Leni diese Architekturstudentinnen aber auch selbstbe- In ihren Müttern hatten die Architekturstudentinnen Stahl-Langen oder Else Wenz-Vietor nur in Einzelfällen erkenn- wusste Berufsfrauen kennengelernt.135 Und von man- der Weimarer Republik in der Regel eine tatkräftige bar in Erscheinung. chen Eltern wurden bereits tätige Architektinnen auch Hausfrau oder eine repräsentative Hausherrin vor Au- 142 Nur vereinzelt lassen sich unter den Müttern Berufstätige finden, als Referenzmodelle für die eigene Tochter wahrge- gen. Etliche dieser Mütter hatten selbst Ausbildungen wie die Volksschullehrerin Auguste Schneider [geb. Schmidt], nommen.136 Die Studentinnen selbst scheinen diese absolviert, ein Teil sogar bereits studiert. Wie es dem die Linguistin Tatjana Herzenstein, die Musiklehrerin Johanna Architektinnen nahezu selbstverständlich, obschon Rollenbild der Gattin und Mutter in bürgerlichen Wimmer [geb. Schwartze], die Schriftstellerin und Journalistin nicht unbedingt unter emanzipativen Aspekten gese- Schichten entsprach, ging der ganz überwiegende Charlotte Reiss [geb. Ruhemann] oder die im Kunstgewerbe tä- hen zu haben.137 Teil dieser Mütter jedoch seit der Heirat keiner außer- tige Lizzie Marx[-Diestelmann]. häusigen Erwerbstätigkeit (mehr) nach.142 Unterstüt-

176 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? Tochter studieren?“ weisen auf die zunehmende Einflussnahme der Mütter bei der Fächerwahl.144

Das Architekturstudium wird dabei als vielseitig dar- gestellt. In der Regel wird jedoch sowohl vor den ver- gleichsweise hohen Studienkosten als auch vor den Berufsaussichten vehement gewarnt. Hinweise auf Mängel in der Ausbildung finden sich nur verdeckt. So schreibt bspw. Edith Hinze 1926: „Das Studium der Architektur auf Grund einer voraussichtlichen Verstärkung der Bautätigkeit in den nächsten Jahren als aussichtsreich zu benennen, verbietet sich, da das Baufach als Frauenarbeitsgebiet noch zu neu ist - die Forderung nach ganz besonderer Befähigung und Neigung muß hier, wie bei aller Pionierarbeit, mit be-sonderem Nachdruck aufgestellt werden. Verein- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zelt sind Frauen erfolgreich in diesem Beruf tätig.“ 145

Im Seminar Tessenow schlossen sich geschlechter- polares Weltbild und Kompetenzerwerb nicht aus. Die meisten Studentinnen stellten die Geschlechter- polarität nicht in Frage und bewegten sich hier zwi- schen - möglichst geschlechtslosem - ‘Architektur- individuum’ und ‘architekturinteressierter Kameradin’. In der Hauptsache nutzten sie hier ihre Chance, die eigenen Fähigkeiten gezielt zu erweitern, ihren fachli- chen Interessen nachzugehen und entsprechende Qualifikationen zu erwerben. Am Bauhaus blieb das Architektenbild konstitutiv an den Ausschluss alles vermeintlich Weiblichen ge- knüpft. Dieses primäre Wahrnehmungsmuster konn- ten Studentinnen individuell nur in Form temporär Isvestija-Pavillon, Moskau, 1923, Alexandra Exter verliehener Patronagen umgehen. Erst bei rückläufi- gen StudentInnenzahlen und mit zunehmender Insta- bilität der Schule in den dreißiger Jahren wurde die zen die Mütter - sowohl von Tessenow- wie von Bau- männliche Exklusivität vereinzelt durchbrochen. Nur hausstudentinnen - in der Regel den Erwerb des Abi- soweit Bauhausstudentinnen in der Lage waren, in turs, so scheinen sie dem Studienwunsch Architektur Nischen eigene Fähigkeiten wie Interessen zu ent- 143 Neben traditionell gemischtgeschlechtlichen Berufen - die Musi- überwiegend mit Skepsis begegnet zu sein. Höchst wickeln, bot sich ihnen hier überhaupt die Chance kerin, die Schauspielerin,etc. - werden in diesen Darstellungen unterschiedliche Positionen nehmen sie jedoch ins- des Kompetenzerwerbs. Häufiger verzweifelten sie an offenbar nun auch die ‘neuen’ Frauenberufe - die Fotografin, die besondere im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit der den ihnen aufoktroyierten Zuschreibungen. Die Mehr- Ärztin, die Architektin - im Femininum benannt. Töchter ein. Bei berufstätigen Müttern konnten Bau- zahl der Studentinnen fand auf dem schmalen Grat 144 Jungermann-Travers, Eva: Was soll unsere Tochter studieren? haus- wie Tessenowstudentinnen i.d.R. mit Unter- zwischen Selbstverleugnung und zugestandenem Studentinnen-Statistik, in: Frau und Gegenwart, 27.Jg., H.3, stützung professioneller Ambitionen rechnen. Ambi- Aktionsradius keine Balance und verließ das Bauhaus 1.11.1930, S.62 valenter scheint die Unterstützung der nicht berufstä- ohne berufsqualifizierenden Abschluss. 145 Hinze, Edith: Die Frau im akademischen Beruf, in: Neue Frauen- tigen Mütter, die sich vereinzelt ebenfalls für den Stu- kleidung und Frauenkultur, 1926, S.132 dienwunsch der Tochter einsetzten, in aller Regel die Magdalena Droste resümierte 1989, dass das Selbst- 146 Droste, 1989, S.198. Diese Schlussfolgerung erhebt jedoch die Tochter jedoch versorgt und behütet wissen wollten, verständnis von Frauen am Bauhaus und der ihnen öffentlichen Äußerungen jener Gestalterinnen zum Maßstab, die wie dies ihrer eigenen Konstellation entsprach. Unter- von Männern zugewiesene Raum in ihrem Rekurs auf sich mit den ihnen zugewiesenen Bereichen identifizierten. stützung und Ermutigung erfuhren die Töchter dieser tradierte Rollenzuweisungen einander weitgehend 147 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.88. Und sie rückt den diskursiven Mütter häufiger von berufstätigen Tanten und Lehre- entsprochen habe.146 Für die Künstlerinnen der Wie- Aspekt in den Mittelpunkt, wenn sie schreibt: „Was hier inter- rinnen. ner Secession stellte Plakolm-Forsthuber fest: „Sie essiert ist der Zusammenhang von weiblicher Produktivität (..) wachsen gleichsam in den geltend gemachten weib- In Artikeln zum Frauenstudium in der Frauenpresse und der Rezeption derselben. Was frappiert, ist, wie unvermittelt lichen Geschlechtscharakter hinein.“ 147 Der Relation erscheint im Laufe der zwanziger Jahre in der Reihe die Kunsthandwerkerinnen mit den dem Secessionismus und von Selbstverständnissen zu ‘geltend gemachten’ der Wunschberufe nun auch ‘die Architektin’ - im Un- der Wiener Werkstätte zugedachten Geschlechtscharakteristi- Geschlechtscharakteren werden wir anhand der Be- terschied zu anderen Berufen bereits mit weiblicher ken konfrontiert werden und das Stillschweigen, mit dem sie rufs- und Lebenswege nachgehen. Endung aufgeführt.143 Titel wie „Was soll unsere sich dieser Wertung ergeben.“

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 177 Ambitionen und Konsequenzen: Diplom. Zsuzsanna Bánki benötigt somit drei Hoch- Studienabbrüche und Weiterstudium schulen, sechs Jahre und neun Fachsemester bis Während fast Dreiviertel der Tessenowstudentinnen zum erfolgreichen Studienabschluss. mit dem Diplom den erfolgreichen Abschluss ihres Anneliese Brauer begibt sich nach der Schließung Studiums erreichen, stehen architekturinteressierte des Bauhauses in das Büro der Brüder Luckhardt, Bauhausstudentinnen - mit Ausnahme der vier Diplo- um Arbeiten für eine aussichtsreiche Bewerbung an mandinnen - angesichts ihrer fragilen Studienqualifi- einer anderen Hochschule zu erstellen.153 Wera Itting kation i.d.R. vor der Entscheidung, ob resp. wo sie und Eva Lilly Lewin schreiben sich nach der Schlie- notwendige Qualifikationen erwerben können. Oder ßung des Bauhauses an der in Berlin als „Moderne sollten sie auch ohne formale Qualifikation einen Ein- Kunstschule für Maler, Bildhauer, Architekten, Foto- stieg ins Berufsfeld wagen? grafen, Pädagogen, Reklame- und Musterzeichner“ Auch wenn sich Gründe und Motive für Studienab- von Johannes Itten gegründeten Privatschule ein. Als brüche i.d.R. nur schwer dokumentieren lassen, so auch diese Schule - mit der Berufung Ittens nach werden anhand der recherchierten Lebenswege ein- Krefeld - im Sommer 1934 schließt, erhält Eva Lewin zelner Abbrecherinnen die unterschiedlichen Gründe auf Nachfrage ein Zeugnis.154 Wera Itting arbeitet ab des jeweiligen Studienabbruchs sichtbar. So kehrten 1934 im Büro Luckhardt. Wie lange sie ihre Architek- bspw. die meisten der Studentinnen, die nur kurzzei- turambitionen verfolgen kann, ist bisher unbekannt. tig bei Tessenow studierten, an die zuvor besuchte Natalie Swan studiert ab dem Herbst 1933 erneut Ar- Hochschule zurück. Damit sind sie keinesfalls zu den chitektur. Nach ihrer Rückkehr in die USA tut sie dies Abbrecherinnen zu rechnen, sondern ambitionierte an der School for Architecture der Columbia Univer- Hochschulwechslerinnen innerhalb der Architektur. sity in New York.155 Obschon unter den Lehrenden et- Im Unterschied dazu war keine der Bauhausstuden- liche Befürworter des „neuen Bauens in Europa“ zu tinnen anschließend an der zuvor besuchten Hoch- finden sind und einzelne Lehrende dieser neuen Strö- schule wieder zu finden.148 Hier verweist die Vielzahl mung ihren Job verdanken, werden Studienzeiten am der Studienabbrüche deutlich auf die Grenzen des Bauhaus hier nicht anerkannt.156 Swan absolviert das 148 Als Gaststudentinnen lassen sich hier nur Tony Simon-Wolfs- Kompetenzerwerbs am Bauhaus. volle Vier-Jahres-Programm und erhält nach fünf kehl, Ruth Hildegard Raack und Ursula Schneider bezeichnen, Mindestens ein Drittel der ehemaligen Bauhausstu- Jahren im Juni 1938 den Bachelor. die bereits zuvor Studienabschlüsse erwarben. dentinnen suchte nach Ausbildungsalternativen und 149 Zu den Bauhausstudentinnen, die unmittelbar den Einstieg in Auch Lotte Beese muss erneut ein komplettes Studi- strebte einen - auch formal - qualifizierenden Ab- die Praxis suchen vgl. Kap.7, S.184. um absolvieren, da ihr Antrag auf Anrechnung bishe- schluss an. Manche hatten zuvor eine Berufsausbil- 150 Erika Hackmack dürfte zunächst das Abitur erworben haben, riger Studiensemester 1940 an der Academie voor dung abgeschlossen. Einzelne – wie bspw. Grete bevor sie 1926-28 in der Bauabteilung der Bauhochschule Wei- Bouwkunst in Amsterdam abgelehnt wird. Um als al- Meyer und Mark Leiteritz - griffen nach ihrer Zeit am mar studiert. Das andere Bauhaus, Weimar, 1996, S.227. leinerziehende Mutter zweier Kinder Leben und Stu- Bauhaus auf diese Qualifikation zurück. Andere – da- 151 Eva Busse hatte - lt. Protokollen - am Bauhaus im Winterseme- dium zu finanzieren, verdingt sie sich als Zeichnerin runter Katina Both, Gerda Marx und Ewa Fernbach - ster 1929/30 Reklame, Wandmalerei und Metall studiert. Vgl. im Büro von Ben Merkelbach. Sie erwirbt erst 1944, suchten nach einem direkten Einstieg in die Praxis. 149 Biografie Busse. im Alter von 34 Jahren und nach insgesamt 12 Se- 152 Anschließend bemüht sie sich - nach drei Semestern am Bau- Auf welch vielfältigen Wegen Architekturaspirantin- mestern - davon 11 im Bereich Bau/Städtebau - ein haus und zwei Semestern am Städel - um Aufnahme an den nen, die am Bauhaus mit ihren Ambitionen geschei- Diplom. Nach über zehnjähriger Berufstätigkeit und Technischen Universitäten in Budapest und Prag, sowie in die tert waren, nach akzeptablen Studien- und Ausbil- jahrelanger Mitgliedschaft in berufsständischen Verei- Klasse Oskar Strnads an der KGS Wien. Vgl. Biografie Bánki. dungsmöglichkeit suchten, sei im folgenden darge- nigungen wie ‘De 8 en opbouw’ oder dem ‘CIAM’ 153 Ob ihr dies gelang, scheint nach den bisherigen Informationen stellt. war es ihr ohne formale Qualifikation nicht gelungen, zweifelhaft. einen adäquaten Tätigkeitsbereich zu finden. Erika Hackmack, 1921 bis 1924 Studentin am Bau- 154 Aus diesem gehen ihre Studienschwerpunkte nicht hervor. Be- haus, studiert ab 1926 in der Bauabteilung der Staat- Nur wenige Studentinnen fanden eine Möglichkeit, scheinigung Johannes Itten vom 7.7.1934. Vgl. Biografie Lewin. lichen Bauhochschule Weimar.150 Eva Busse wechselt das am Bauhaus begonnene Studium in der Architek- 155 Ebenso wie ihre Bauhauskommilitonen Howard Dearstyne, Ber- kurz nach ihrer Aufnahme in die Baulehre in Dessau tur unmittelbar weiterzuführen resp. abzuschließen. trand Goldberg, John B. Rodgers und William T.Priestley. im Sommersemester 1930 an die TH Charlottenburg Ihre Studienzeiten wurden in aller Regel nicht aner- 156 An der School of Architecture der Columbia University unterrich- und immatrikuliert sich dort für Architektur.151 kannt. Um nicht erneut ein komplettes Architekturstu- ten u.a. Jan Ruthenberg, Carol Aronovici und Werner Hege- dium absolvieren zu müssen, suchten etliche der Stu- mann. Hegemann bietet im Studienjahr 1935/36 neben einem Zsuzsanna Bánki, deren Weiterstudium am Bauhaus dentinnen nach alternativen Qualifikationen. Entwurfskurs das Seminar „The Plan of New York City“ an. 1932 scheitert, findet zunächst am Städel in Frankfurt Aronovici hält Vorlesungen über „Architecture and Urbanism“ am Main in Franz Schuster einen neuen Lehrer. Als Mathy Wiener, Suzanne Markos-Ney und Riccarda sowie „Housing development“. Er propagiert in „America Can´t im Frühjahr 1933 Franz Wichert als Direktor entlassen Meltzer begeben sich in eine erneute Ausbildung in Have Housing?“ 1934 die Übertragbarkeit europäischer Erfah- wird, wechselt sie nach Wien, wo sie ab Herbst 1934 der Fotografie. Ella Rogler studiert 1933 - wenn auch rungen im Siedlungsbau auf den amerikanischen Wohnungsbau. an der Akademie der Künste zugelassen wird und bei kaum länger als ein Semester - an der Städel-schule Columbiana der Columbia University. Announcements der Clemens Holzmeister studiert.152 Im Sommer 1936 in Frankfurt. Ruth Josefek erwirbt 1934 nach Besuch School of Architecture 1932/33 - 1942/43 besteht sie dort mit „belobender Anerkennung“ das der Textilfachschule Langenbielau einen Gesellenbrief

178 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? in der Weberei. Auch Eva Lilly Lewin lässt sich auf Meisterklasse einzutreten, zu promovieren oder über der Suche nach einer realistischen Erwerbsperspek- die Praxis einen Zugang zum Berufsfeld Architektur tive ab Ende 1934 praktisch in einer Handweberei zu finden, stießen die Architekturstudentinnen am En- ausbilden. Sie absolviert ab 1949 in London erneut de der Weimarer Republik auf vielfältige Schwierig- eine Ausbildung zur Lehrerin in Schneiderei. Im Un- keiten. Knapp zwei Jahrzehnte nachdem sich Frauen terschied dazu wendet sich Rose Mendel nach ihrer der Zugang zum Architekturstudium im Deutschen einsemestrigen Hospitation am Bauhaus 1933 wieder Reich erstmalig geöffnet hatte, zeigt sich die deut- der Malerei zu, studiert zunächst in Berlin, ab 1934 in sche Architekturszene als nahezu lückenlos ‘gende- Paris. Ende der vierziger Jahre studiert sie in London red’, als ein hinsichtlich geregelter wie ungeregelter erneut, nun Innendekoration. Lila Ulrich kehrt noch Einstiege von Frauen ins Berufsfeld Architektur bzw. 1933 in die USA zurück und studiert in New York ihres Ausschlusses höchst wirkungsvoll strukturiertes Malerei bei Hans Hoffmann. Berufsfeld. Zeichneten sich gegen Ende der Kaiser- zeit und zu Beginn der Weimarer Republik ‘Durchläs- Im Unterschied zu Zsuzsanna Bánki, die unter großen sigkeiten’ ab, so wird noch während der Weimarer Schwierigkeiten und mehrfachen Studienortswech- Republik das Geschlecht zur entscheidenden Kate- seln ihr Studium 1936 erfolgreich abschließen kann, gorie bei der Vergabe beruflicher Chancen in der Ar- gibt Matty Wiener das Studium der Architektur auf, chitektur. Am Bauhaus bildet bereits der verweigerte nachdem ihr 1932 das Weiterstudium verweigert wor- Kompetenzerwerb die Achillesferse bei der Professio- den war. Der Vergleich dieser beiden am Bauhaus nalisierung von Architektinnen. befreundeten Architekturstudentinnen deutet auf den Stellenwert familiärer Unterstützung im Krisenfall. Beide scheitern am Bauhaus nicht aus fachlichen Gründen. Die 23jährige Mathy Wiener verfügt durch Resümee ihren Prager Universitätsabschluss bereits über eine Architekturstudentinnen der Weimarer Republik sind Qualifikation. Dennoch beendet die Absage am Bau- um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert geboren. haus ihre Studienambitionen nicht gänzlich, sie Sie gehören damit zu der ersten Generation von wechselt Institution und Fach.157 Demgegenüber ver- Frauen, die bereits selbstverständlich weiterführende folgt die 21jährige, ungebundene Zsuzsanna Bánki Schulen besuchen konnte. Manche Bauhausstuden- nach der Ablehnung am Bauhaus die Architektur, die tin und alle Tessenowstudentinnen schlossen ihre sie zunächst so vehement abgelehnt hatte, nun um Schulbildung mit dem Abitur ab. Auch ein - durch die so entschlossener. Sie findet bei ihren Eltern den not- Eltern finanziertes - Studium war für sie häufig bereits wendigen Rückhalt. eine Selbstverständlichkeit. Und auch ein Architektur- studium zählte nun zu den für junge Frauen akzep- Bestand für Tessenowdiplomandinnen keine Notwen- tablen Studienfächern. Im Unterschied zur Kaiserzeit digkeit, sich nach dem Studium nach neuen Ausbil- forcieren einzelne Elternhäuser nun sogar bereits ein dungsmöglichkeiten umzusehen, so erwogen mehre- Architekturstudium der Tochter. re von ihnen offenbar ein Weiterstudium in Form ei- ner Promotion. So blieben bspw. Iwanka Waltscha- Die familiären Verhältnisse von Architekturstudentin- nowa, Helga Karselt und Elfriede Schaar weiterhin nen der Weimarer Republik sind manchmal großbür- immatrikuliert. Im Anschluss an ihr Diplom 1937 un- gerlich, öfter mittelständisch resp. bildungsbürgerlich. ternahm Hildegard Korte erste Feldforschungen zu Dabei wuchsen Tessenowstudentinnen häufiger in in- 157 Ab Herbst 1932 studiert sie zwei Jahre lang an der Grafischen einer Dissertation im Bereich „Bauen in der Land- genieurwissenschaftlich geprägten, Bauhausstuden- Lehr- und Versuchsanstalt Wien Fotografie. Ob Mathy Wiener in schaft“ in Alpentälern.158 Keiner dieser Studentinnen tinnen häufiger in musisch orientierten Milieus auf. dieser Situation ebenfalls auf familiären Rückhalt rechnen konn- bot sich jedoch bei Tessenow resp. an der TH Char- Dank der in der Regel breiten kulturellen Orientierung te, ist bisher nicht bekannt. In den fünfziger Jahren studiert sie lottenburg die reale Chance zur Promotion.159 ihrer Familien hatten sowohl Bauhaus- wie Tesse- in New York City erneut Pädagogik und schließt mit dem Master nowstudentinnen während ihrer Jugend die Chance, Hildegard Korte findet an der TH Braunschweig in of Science ab. eigene Fähigkeiten und Interessen vielfältig zu ent- den Bauingenieur-Professoren Herzig und Gersten- 158 Woran diese Dissertation innerhalb des ersten Jahres scheitert, wickeln. Ihr Wissensdrang war mit zunehmender berg Mentoren, um - vier Jahre nach dem Diplom - bleibt im Interview offen. Der Doktorvater Daniel Krencker wurde Bildung, ihr Selbstbewusstsein mit zunehmender Be- mit einer Arbeit über die „Gestaltung bombensicherer 1939 suspendiert. stätigung gewachsen. Qua Sozialisation unterschie- Luftschutzräume nach Gesichtspunkten der Wirt- 159 An der TH Charlottenburg gelang dies bspw. Erika von Beerfel- den sie sich damit nur unwesentlich von anderen schaftlichkeit“ im Februar 1942 zu promovieren. Ruth de (geb. 1913), die 1939 - zwei Jahre nach ihrem Diplom - über Studentinnen ihrer Generation, qua Fächerpriorität Weckend gelingt die Promotion 1944, damit fünf Jah- die Caracallathermen promoviert wurde. Von den Tessenowstu- lassen sie sich als eigenwillige Bildungsbürgerinnen re nach dem Diplom an der TH Aachen mit einer bau- denten promoviert am der TH Berlin bspw. Alexander Herde, mit hohem Individualisierungsgrad und ausgeprägtem geschichtlichen Arbeit über „Der karolingische Fron- der nach dem Diplom bei Tessenow 1936 und Verlobung mit Selbstbewusstsein charakterisieren. hof Seffent bei Aachen und Laurensberg”. Gertraude Engels die Regierungsbaumeisterlaufbahn einschlug. Ihre häufig vielfältigen Interessen und Talente wollten (Herde, Alexander: „Der Luftschutzbunker im Wohngebiet“, Bei den Versuchen, das Studium fortzuführen, in eine sie in einem möglichst breit angelegten Studium nut- 63 Bl., TH Berlin 14.12.1941.)

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 179 zen und weiterentwickeln. Die nähere Untersuchung Daneben reisten Tessenowstudentinnen gern und der Studienmotivationen und Lehrerwahl zeigte, dass viel. Bauhausstudentinnen waren nicht minder mobil. die Entscheidungen für resp. gegen eine akademi- Manche waren aktive Mitglieder im Wandervogel, sche Ausbildung, für bzw. gegen bestimmte Hoch- häufiger gingen sie ihren Interessen jedoch individuell schulorte weit stärker mit milieuspezifischen Vorbil- nach, interessierten sich für Lebensphilosophien und dungen und Prägungen korrelierte als mit formalen politische Strömungen jenseits ihrer Herkunftsfamili- Qualifikationen. en. Sie versuchten häufig, möglichst viele ihrer Inte- ressen im Studium unmittelbar zu verknüpfen. Studentische Fete in Berlin, 1933, im Vordergrund Sigrid Rauter und Tessenowstudentinnen fassten weit häufiger als Bau- Hans Keßler, auf der Couch links Hildegard Katz hausstudentinnen bereits während der Schulzeit den Der direktere Fachbezug der Tessenowstudentinnen Entschluss Architektur zu studieren. Sie wurden teil- bestätigte sich anhand der Praktika: Sie absolvierten weise ermutigt oder sogar gedrängt, mussten man- nahezu ausnahmslos sowohl handwerkliche wie Bü- ches Mal jedoch auch erst die elterliche Akzeptanz ropraktika und nutzten vielfach auch jede Möglich- gewinnen. Bauhausstudentinnen waren - wie an zahl- keit, um – über den vorgeschriebenen Rahmen hi- reichen ‘Umwegen’ deutlich wurde - mit vergleichs- naus – ihre Praxiskenntnisse zu vertiefen. Im Unter- weise höheren Widerständen im familiären Umfeld schied dazu war am Bauhaus lediglich der handwerk- konfrontiert. Studentinnen, die ein [Zweit-]Studium liche Praxisbezug präsent. Deutlich häufiger als Tes- am Bauhaus aufnahmen, konnten nicht immer mit senowstudentinnen absolvierten Bauhausstudentin- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der elterlichen Unterstützung rechnen. Trafen Bau- nen mehrere Lehrjahre. Büropraktika leisteten sie nur hausstudentinnen ihre Studienwahl oft selbständig in Ausnahmefällen ab. und oft in Abkehr von zuvor bereits eingeschlagenen Aber nicht nur bzgl. der Praxisbezüge unterschieden Ausbildungswegen, so stand die Fächerwahl der Tes- sich beide Ausbildungswege deutlich. Noch gravie- senowstudentinnen häufig in der väterlichen Traditi- render wichen die Studienbedingungen voneinander on. Dementsprechend hatten etliche dieser Studen- ab. So bot das TH-Studium Architekturstudentinnen tinnen im Vater neben einem interessierten Beobach- der Weimarer Republik einen geregelten - und damit ter auch einen Mentor ihrer fachlichen Entwicklung. berechenbaren Rahmen mit einem anerkannten Di- Die Haltung der Väter von Bauhausstudentinnen plom, das Seminar Tessenow darüber hinaus die na- reichte von liberal bis besorgt. Je früher die Studen- hezu geschlechteregalitäre Möglichkeit des Kompe- tinnen die Berufsentscheidung trafen, desto häufiger tenzerwerbs. Im Unterschied dazu fanden architek- studierten sie an einer Technischen Hochschule. turinteressierte Studentinnen am Bauhaus nur einge- Zeichneten sich im Vergleich der Herkunftsfamilien schränkt koedukative, weitgehend deregulierte Stu- von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen graduelle dienbedingungen ohne berufsqualifizierenden Ab- Unterschiede ab, so differierten die Rahmenbedin- schluss vor. Ihnen wurden weder vergleichbare Aus- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gungen, unter denen der Berufswunsch resp. Studi- bildungsmöglichkeiten eröffnet, noch die gleiche För- enwunsch entstand und umgesetzt werden konnte derung zuteil wie den Studenten. Im Gegensatz zum deutlich. Noch augenfälligere Diskrepanzen fanden Gleichheitsversprechen wie den im Alltag zunehmend wir bei den Lebensstilen von Bauhaus- und Tesse- durchlässigeren Geschlechterrollen, blieb die inoffi- nowstudentinnen während des Studiums. zielle Ausbildungspolitik am Bauhaus traditionellen Rollenstereotypen verhaftet, die lediglich visuell ‘mo- Bauhausstudentinnen brachten weit unterschiedliche- dernisiert’ wurden. re Lebenserfahrungen ins Studium mit als Tessenow- studentinnen, die dieses Studium fast immer als aka- Wurde Architekturstudentinnen aufgrund ihres Ge- Studentische Fete in Berlin, 1933, im Vordergrund links Anni Pfeiffer demische Erstausbildung - und ausnahmslos ledig schlechts i.d.R. fachlich weniger zugetraut als ihren und kinderlos - aufnahmen. Manche Studentinnen Kommilitonen, so eröffnete sich ihnen im Seminar experimentierten mit eigenen Lebensformen und –sti- Tessenow neben dem Kompetenzerwerb auch die len. Etliche Baushausstudentinnen, die zuvor bereits Aussicht auf fachliche wie persönliche Anerkennung. eine Ausbildung durchlaufen oder gearbeitet hatten Heinrich Tessenow unterrichtete und förderte die resp. bereits mit [Ehe-]Partnern zusammenlebten, be- fachlichen Ambitionen dieser ‘Mädchen’ bis zum griffen das Studium sichtlich nicht als verlängerte erfolgreichen Diplom, auch wenn er sie damit doch Adoleszenz. Dahingegen studierten die meisten Tes- eher am Ziel als am Beginn ihres beruflichen Enga- senowstudentinnen als Töchter ihrer Eltern, bei de- gements sah. nen manche auch weiterhin wohnten. Dies setzte ih- Verboten sich Kritik oder Zweifel an Tessenow durch ren Aktionsradien häufiger normative Grenzen. Den- die unumstrittene Vorbildfunktion und den Duktus noch erprobten auch sie ihre Fähigkeiten und Mög- des Meisters im Seminar quasi von selbst, so waren lichkeiten – innerhalb und außerhalb des Studiums - die Meister am Bauhaus nicht immer durch Adoration auf vielfältige Weise, in der Regel jedoch in geordne- vor interner Kritik gefeit. Auch wenn der Schule im- ten oder organisierten Gruppen, Vereinen oder Clubs.

180 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? mer große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, Sichtbarer wurden die Unterschiede anhand tabu- so blieben die Akteure dank weitgehender Autonomie isierter Aufgabenstellungen, die deutlich auf das je- vor wirksamer Kontrolle geschützt und konnten sich weils präferierte Weltbild rekurrierten. Weit deutlicher somit interner Kritik weitgehend entziehen. Insbeson- wirkte sich das jeweilige Verständnis für die gesell- dere die Ungleichheit der Geschlechter war damit je- schaftlichen Dimensionen des Bauens - am Bauhaus der Korrektur enthoben, zumal wechselseitig Gleich- wie bei Tessenow auch explizit vermittelt - jedoch auf heitspostulat und Begabungsdiskurs bemüht werden die jeweilige Entwurfshaltung aus. konnten. Im Seminar Tessenow herrschte dahinge- Konkrete Studienarbeiten und Diplomentwürfe zeig- gen der wirkungsvolle Ausnahmezustand einer kame- ten, dass diese Architekturstudentinnen auch das je- radschaftlichen Schutzzone, obschon die Frage des weils angebotene Formenrepertoire weitestgehend Geschlechterverhältnisses wie der paternalistische übernahmen, Bauhaus- resp. Tessenowschülerinnen Verweis auf die eigentliche Berufung der Frau als wurden. Ob und inwieweit diese Entwurfshaltungen Mutter latent präsent waren. Die hierarchische Ord- mit den Vorstellungen der jeweiligen Studentin kor- nung der Geschlechter wurde durch geschlechterpo- relierten oder ob sich hier ein - der Überzeugungs- lare Metaphern jedoch nicht in Frage gestellt sondern kraft oder der Repressivität - der jeweiligen ‘Schule’ blieb, - dank Harmonie- und Gleichwertigkeitsgebot - geschuldeter Assimilationsprozess abbildet, werden weitgehend tabuisiert. Erst im Laufe der dreißiger wir anhand von Projekten aus dem Berufsleben der Jahre ließ sich anhand der Aufgabenstellungen die Architektinnen sehen. Tendenz zur Separation nach Geschlechtern erken- nen. Da Studentinnen hier die gleichen Studienmög- Signifikant unterschieden sich beide Ausbildungsrich- lichkeiten offenstanden wie Studenten, war die Situa- tungen auch hinsichtlich der Studiendauer wie der tion im Seminar Tessenow jedoch weit entspannter Studienerfolge der Studentinnen. Während im Be- als am Bauhaus, wo potentiellen Bewerberinnen wie reich Bau-/Ausbau am Bauhaus überhaupt nur vier architekturinteressierten Studentinnen in vielerlei Vari- Studentinnen diplomieren konnten - und zahlreiche anten verdeutlicht wurde, dass sie in der Architektur Studentinnen das Studium nach nur wenigen Seme- nicht willkommen waren. stern abbrachen - qualifizierten sich Tessenowstu- dentinnen häufig bereits nach nicht mehr als neun Stellte sich die Abwehrhaltung des organisierten Be- Fachsemestern mit dem Erwerb des Diploms. An- rufsstandes für Architekturstudentinnen der Kaiserzeit hand der Diskrepanz der Studienerfolge erwies sich noch unverblümt als geschlechtsspezifische Schwelle die unmittelbare Korrelation von Förderung und Stu- zum Studium dar, so konnten sich Architekturstuden- dienerfolg. Diesen Zusammenhang hatte Immeke tinnen Ende der dreißiger Jahre mancherorts bereits Schwollmann bereits vor ihrem Studium erkannt, als unbefangen mit den Lehrenden identifizieren. Das sie in ihrer Bewerbung 1919 formulierte, dass der Un- „männliche Gebiet der Baukunst“ (Scheffler) wurde terricht „mich besonders deshalb förderte, weil meine im Seminar Tessenow nun auch unter Anwesenheit Zeichenlehrerin mir besonderes Talent zusprach und von Studentinnen studiert, am Bauhaus blieb die mir viel Interesse entgegenbrachte.“ 160 Schefflersche Haltung hinsichtlich des Ausschlusses von Frauen Maxime. Während sich innerhalb des Be- Die unterschiedlichen Studienbedingungen von Tes- rufsfeldes zeitgleich - im stillschweigenden Konsens senow- und Bauhausstudentinnen machten deutlich, zwischen Traditionalisten und Modernisten - die Se- dass der kontrollierte wie formal geregelte Rahmen lektion und Hierarchisierung nach Geschlechtszuge- der Technischen Hochschulen den Kompetenzerwerb hörigkeit verfestigte, verschwand die politische Frage von Studentinnen ebenso wirkungsvoll erhöhte wie der Geschlechterrelevanz während der Weimarer Re- der Begabungsdiskurs an einem autonom agierenden publik hinter der politisierenden Frage, was und wie Bauhaus das ‘Aushebeln’ des Gleichheitspostulats modern resp. traditionell zu bauen sei. verschleierte. So bot das TH-Studium mit seinen ver- meintlich höheren Zugangsbedingungen die weitaus Anhand der von Studentinnen bearbeiteten Themen günstigeren Rahmenbedingungen für Partizipation wurde deutlich, dass sich Bauhaus- wie Tessenow- wie Qualifikation von Architekturstudentinnen wäh- 160 Immeke Schwollmann besuchte [siebenjährig] die höhere Töch- studentinnen in aller Regel mit den angebotenen The- rend der Weimarer Republik. terschule von Fräulein Brennecke in Hannover, wo sie zwei Jah- menspektren identifizierten oder zumindest arrangier- re „guten Zeichenunterricht genoß“. SBW, Sign.155, Bl.1052 ten, obschon sie auch nach Möglichkeiten suchten, Im Vergleich wird deutlich, dass die Ausbildungs- 161 Wie groß das Interesse war, die Geschlechtergrenze innerhalb eigene Themenvorschläge einzubringen und zu ver- chancen von Frauen in der Architektur am Bauhaus professioneller Felder ebenso schnell wie hart zu ziehen, zeigte folgen. Im Vergleich der Aufgabenstellungen wurde am effizientesten minimiert werden konnten, die Mo- sich bspw. daran deutlich, dass die Weichen für die systemati- deutlich, dass sich die Themen in den Schwerpunk- dernisierung traditioneller Geschlechterhierarchien sche Ausgrenzung potentieller Architektinnen am Bauhaus be- ten und Maßstabsnivaus unterschieden, im Spektrum während der Weimarer Republik im Schulterschluss reits um 1920 mit der verschärften Auslese von Studienbewer- zeitgleicher Entwurfsseminare an Akademien und der Protagonisten einer autonom agierenden Avant- berinnen gestellt wurden, obschon eine Architekturausbildung Hochschulen jedoch kaum Signifikanzen aufwiesen. garde am schnellsten gelang.161 Hinsichtlich der Ex- noch auf Jahre hinaus nicht eingerichtet werden sollte.

Studiengänge und Studentinnen im Vergleich 181 klusion von Frauen erwies sich dabei die Referenz - mit dem sicheren Instinkt für die Zeichen der Zeit – auf das mittelalterliche Handwerk als ebenso wir- für die Durchsetzung eigener Ideen einzusetzen. kungsvoll wie die Orientierung an industriellen Pro- Nachdem die meisten der architekturinteressierten duktionsweisen. Den vergleichsweise niedrigen Stu- Studentinnen aufgrund der limitierten Möglichkeiten dienvoraussetzungen standen intern sehr schnell innerhalb das Bauhauses keine Möglichkeit fanden, wirksame Mechanismen gegenüber, die ein annä- Kompetenzen für eine professionelle Tätigkeit als hernd chancenegalitäres Studium wirkungsvoll ver- Gestalterin oder Architektin zu erwerben, gab fast ein hinderten. Da die Lehrenden eine Berufstätigkeit von Drittel dieser Studentinnen die Architekturambition Frauen ablehnten und in einem hohen Studentinnen- auf. Etliche suchten jedoch nach Ausbildungsalterna- anteil eine Bedrohung für die Etablierung der Schule tiven, obwohl die Anerkennung der Studienzeiten sahen, lässt sich der Gleichheitsgrundsatz im Grün- beim Weiterstudium an etablierten Hochschulen strit- dungsmanifest schlicht als strategisches Zugeständ- tig war. Manchen gelang es andernorts dennoch, die nis an politische Zeitumstände und die besonderen für eine Architektinnentätigkeit notwendigen Qualifi- Bedingungen der Neugründung interpretieren. kationen zu erwerben, selbst wenn sie erneut ein Im Unterschied dazu wirkt sich die in der Kaiserzeit komplettes Studium absolvieren oder mehrfach die von frauenbewegten Kreisen eingeforderte, im Zuge Hochschule wechseln mussten. Tessenowstudentin- der Weimarer Verfassung erstmals legislativ fixierten nen waren ggfs. dann auf eine weitere Hochschule Gleichheit der Geschlechter auf die Qualifikationsbe- angewiesen, wenn sie im Anschluss eine Promotion dingungen der Studentinnen im Seminar Tessenow anstrebten. positiv aus. Technische Hochschulen, die sich noch Stellten Forscherinnen noch in den 1980er Jahren wenige Jahre zuvor vehement gegen eine Präsenz fest, dass sich „am Bauhaus nur ganz wenige Frauen von Frauen in ihrer akademischen Männerenklave zur (..) mit Architektur beschäftigt hätten” oder „auch am Wehr gesetzt und Studentinnen zögerlich erst im Bauhaus (..) die Beschäftigung der Frau mit der Tech- Laufe der zwanziger Jahre die Möglichkeit eines Stu- nik keine Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnah- diums auch eingeräumt hatten, unterstanden öffentli- me“ gewesen sei162, so lässt sich nun belegen, dass cher Kontrolle. So konnten sich auch langjährige Studentinnen die ernsthafte Auseinandersetzung mit Hochschullehrer diesem gesellschaftlichen Wandel Architektur am Bauhaus nur ausnahmsweise zuge- nicht entziehen. Wohlwollend paternalistisch oder - standen wurde. Und dass dies selbst dann noch dem wie Tessenow - zunehmend aufgeschlossen, wirkten Selbstverständnis der Lehrenden entsprach, als Stu- sie nun an der akademischen Ausbildung von Stu- dentinnen an traditionelen Fakultäten ihre techni- dentinnen mit, deren Eignung sie noch wenige Jahre schen wie künstlerischen Interessen bereits weitaus zuvor kategorisch bestritten hatten. Sie waren nach ungehinderter verfolgen konnten. der Zulassung von Studentinnen gezwungen, formal- rechtliche Ausgrenzungen fallen zu lassen. Anhand des Vergleiches der unterschiedlichen Aus- bildungssituationen wurde deutlich, wie maßgeblich Demgegenüber stand das Staatliche Bauhaus nicht die Berechenbarkeit der Ausbildung dazu beitrug, minder unter öffentlicher Aufmerksamkeit, war in der dass die Professionalisierungschancen von Architek- Umsetzung seiner Lehrmethoden wie Selektionen je- tinnen nicht bereits beim Kompetenzerwerb unterlau- doch weitgehend autonom. Deshalb konnte gerade fen werden konnten. In wieweit sich Kompetenzer- 162 „Mit Architektur beschäftigten sich am Bauhaus nur ganz we- hier entsprechend schneller und flexibler mit der Er- werb und Qualifikationen, Themen und Schulen auf nige Frauen.“ Günther, Sonja: Zur Konzeption der Ausstellung neuerung der Gestaltung auch die Modernisierung die Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, 1984, S.11 – „Auch am der Geschlechterhierarchie umgesetzt werden. Hier- Weimarer Republik auswirkten, wird im folgenden Bauhaus ist die Beschäftigung der Frau mit der Technik keine für galt es, plausible Identifikationsmuster wie weiche Kapitel untersucht. Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnahme.“ Droste, 1989, Ausgrenzungsmechanismen hinsichtlich konkurren- S.198 zierender AkteurInnen zu finden und deren Potentiale

182 Bauhausstudium oder Seminar Tessenow? 7 Berufseinstiege von Architekturstu- dentinnen der Weimarer Republik

Berufliche Ambitionen - berufliche Hemmnisse (186) - Beziehungen und Bezüge (190) - Das Ka- meradschaftsehemodell (193) - Berufseinstiege im Exil (195) - Berufswege außerhalb des Rei- ches (197) - Weiblicher Architekt oder Innenar- chitektin? (198) - Karrieren und Brüche im Na- tionalsozialismus (201) - Resümee (206) nach. Mit dem aufkeimenden Antisemitismus werden Berufs- und Existenzbedingungen jüdischer Architek- Nach bisherigem Stand der Recherche wurden zwei tInnnen zunehmend bedroht. Ins Exil getrieben, sind Drittel des ehemaligen Tessenowstudentinnen und sie gezwungen, dort nach Einstiegen ins Berufsfeld 1 Da mit dem Studium fast immer auch die institutionellen Quellen die Hälfte der Bauhausstudentinnen in der Architektur zu suchen. Aber auch die Berufsbedingungen ‘ari- enden, sind wir im folgenden auf die Werkbiografien angewie- tätig.1 Bisher liegen Informationen über eine solche scher’ ArchitektInnen ändern sich mit Einführung der sen. Auch wenn nur 14 Berufsbiografien vollständig rekonstru- Erwerbstätigkeit zu 21 der ehemaligen Tessenowstu- Reichskulturkammer im Herbst 1933 merklich. Des- iert werden konnten, so kennen wir inzwischen von mehr als der dentinnen vor. Auch 26 der ehemaligen Bauhausstu- halb werden die Verschiebungen innerhalb des Be- Hälfte aller zuvor erwähnten potentiellen Architektinnen den wei- dentinnen waren oder wurden nachweislich innerhalb rufsbildes wie des Berufsfeldes skizziert, Etablierun- teren Lebens- und Berufsweg zumindest in Ausschnitten. Dem- oder am Rande dieses Berufsfeldes tätig. Eine späte- gen und Rückzüge von Architektinnen im Nationalso- nach wurden von den Tessenowstudentinnen als Architektinnen re Tätigkeit im Bereich Architektur kann bei keiner zialismus untersucht. tätig: Beloweschdowa, Blank, Bonin, Brobecker, Eisenberg, En- der Tessenowstudentinnen, jedoch bei neun der ar- Wo werden Tessenow- und Bauhausstudentinnen gels, Freise, Herzenstein, Hohmann, Kaatz, Karselt, Koch, Korte, chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen ausge- beim Berufseinstieg tätig? Pfeiffer, Rauter, Schaar, Schmidt, Schneider, Waltschanowa, schlossen werden.2 Tony Simon-Wolfskehl kehrt 1920 aus Weimar nach Zauleck; außerdem die Gaststudentinnen Dirxen und Tönnes- Bauhausstudentinnen begeben sich bereits in den Frankfurt am Main zurück und nimmt ihre Berufstätig- mann. Bei den Bauhausstudentinnen waren dies: Bánki, Beese, zwanzig Jahren, Tessenowstudentinnen ab 1930 in keit als selbständige Architektin auf. Über ihre innen- Both, Brandt, Dicker, Fernbach, Fodor, Helm, Jungnik, Lederer, das Berufsfeld Architektur. Die Phase des Berufsein- architektonischen Arbeiten ist bisher nichts bekannt. Marx, Mendel, Meyer-Waldeck, Otte, Raack, Reiss, Rogler, stieges lässt sich bisher bei 21 Bauhausstudentinnen Nachweisbar ist jedoch ihre Tätigkeit als Bühnenar- Schneider, Simon-Wolfskehl, Swan, Ulrich, Wilke, Wimmer. wie 19 Seminarteilnehmerinnen bei Tessenow zumin- chitektin. Am Neuen Theater im Frankfurter Westend 2 Dies sind Buscher, Enders, Josefek, Knoblauch, Leiteritz, Mar- dest annähernd verfolgen.3 Im folgenden werden die- stattet sie zwischen Herbst 1921 und Januar 1924 kos-Ney, Meltzer, Schöder und Wiener. Höchst unwahrschein- se Berufseinstiege chronologisch nachgezeichnet. zumindest sechs Bühnenstücke mit eigenen Entwür- lich erscheint darüber hinaus eine spätere Berufstätigkeit in der Hierbei werden berufliche Ambitionen, aber auch fen aus. Ruth Hildegard Raack arbeitet zwischen den Architektur bei den ehemaligen Bauhausstudentinnen Bernays, strukturelle Hindernisse erkennbar. Die sich abzeich- Gastkursen am Bauhaus immer wieder in Berlin, wo Busse, Dolezelowa, Haken-Nelissen, Hill, Itting und Knott. nenden Berufswege werden zunächst vor dem Hin- sie bereits seit Mitte der zehner Jahre freiberuflich er- 3 Bei fast dreissig dieser ehemaligen Architekturstudentinnen tergrund der Zeitumstände diskutiert. In die ersten ste Aufträge ausführt. Sie bleibt auch nach der Heirat konnten jedoch keine näheren Angaben zum Berufseinstieg er- Jahre der Berufstätigkeit der meisten Architekturstu- mit einem Fliegeroffizier 1922 und der Geburt zweier mittelt werden, so bei den Bauhausstudentinnen Bernoully, Bus- dentinnen der Weimarer Republik fällt die Entschei- Kinder freiberuflich tätig, gestaltet überwiegend priva- se, Gerson, Hackmack, Knott, Müller, Press, Schlagenhaufer, dung über eine mögliche Familiengründung. Da zahl- te Wohnräume und kann ab 1924 Ausmalungen und Wettengel sowie den Tessenowstudentinnen Beloweschdowa, reiche Studentinnen ihre berufliche und private Per- Inneneinrichtungen publizieren. Jadwiga Jungnik fin- Eisenberg, Gaiser, Heidenreich, Lätzsch, Schaar, Schmidt, Ros- spektive gemeinsam mit einem Partner planen, spürt det in Saarbrücken im Mai 1923 ihre erste Stelle nach sius, Paschowa und den Gaststudentinnen Berg, Hajek, Reim- ein Exkurs der Faszination der ‘Kameradschaftsehe’ dem Studium. Bei Villeroy & Boch arbeitet sie an der mann, Sahlmann, Taizale, Ullrich und Weckend.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 183 technischen Durcharbeitung und künstlerischen Aus- chitekturbüros tätig, bevor sie ab dem Sommer 1933 führung von Wärmeanlagen sowie keramischen In- in New York als Mitarbeiterin bekannter Designbüros nenausstattungen.4 Friedl Dicker ist im Anschluss an einen erneuten Einstieg ins Berufsfeld findet. Dane- ihr Bauhaus-Studium als freiberufliche Gestalterin in ben bemüht sie sich zusammen mit der 1933 remi- Wien und Berlin tätig. Ebenfalls seit 1923 führt Mara grierten Bauhauskollegin Lila Ulrich um die Akquisiti- Auböck [geb. Utschkunowa] mit ihrem Mann in Wien on eigener Aufträge. Beide bestreiten ihren Lebens- eine kunstgewerbliche Werkstätte.5 Hildegard Hesse unterhalt auch als Dozentinnen. Anneliese Brauer kehrt 1923 nach Berlin zurück, wo sie gemeinsam mit wird nach der Schließung des Bauhauses in Berlin als ihrem Mann Felix Kube im Bereich Gebrauchsgrafik Innenarchitektin und für das Büro Hetzer, ab Herbst und Textilentwurf freiberuflich tätig wird. 1925 betei- 1933 im Büro der Brüder Luckhardt tätig. Dort arbei- ligt sie sich mit dem Entwurf eines „Kleinst-Wochen- tet ab September 1933 auch Wera Itting. Zeitgleich endhauses” erfolgreich an einem Wettbewerb.6 1924 gelingt Annamaria Wilke in Berlin der Einstieg ins Be- kehrt Dörte Helm aus Weimar nach Rostock zurück. rufsleben. Sie jobbte Anfang 1933 zunächst im Harz Sie schreibt, malt und betätigt sich als freiberufliche gemeinsam mit dem Kommilitonen Carl Bauer.10 An- Innenarchitektin. Im Auftrag der Stadt kann sie im schließend arbeitet sie in Berlin in den Büros von Lilly Neubau des Warnemünder Kurhauses einen Fries Reich und Ludwig Hilberseimer bevor sie ab Mitte ausführen. Mila Hoffmann-Lederer, die seit 1924 ih- der dreißiger Jahre als Entwerferin für die VLG, die ren Lebensunterhalt mit Weberei und Werbegrafik Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weiswasser tätig bestreitet, nutzt die sich bietende Chance, ab 1926 wird. Annemarie Wimmer wie Wera Meyer-Waldeck, mehrere Jahre als künstlerische Mitarbeiterin des die 1932 ihr Bauhausstudium beendeten, gelingt der Messeamtes Magdeburg Farbgestaltungen für städti- Berufseinstieg nach Arbeitslosigkeit erst 1934. Wim- sche Neubauten zu entwerfen. mer wird aushilfsweise beim Hochbauamt Berlin- 4 Das Bauhaus, das sie ab Herbst 1921 besuchte, hatte sie nach Schöneberg, Meyer-Waldeck als Grafikerin für die der Grundlehre bei Itten, Projektionszeichnen bei Adolf Meyer Kattina Both beginnt 1928 im Büro der Brüder Luck- Junkerswerke in Dessau tätig. und einem Semester in der Weberei verlassen. Fiedler, 1987, hardt in Berlin-Zehlendorf und wird 1929 Mitarbeiterin S.148 Fred Forbats in dessen Büro in Berlin-Lichterfelde. Zsuzsanna Bánki kehrt 1936 - im Anschluss an das 5 Carl Auböck (1900-1957), der als Wiener Ittenschüler seit dem Lotte Beese arbeitet ab Beginn des Jahres 1929 im Diplom an der Akademie in Wien - in ihre Heimat- Wintersemester 1919 in der Bildhauerei und der Metallwerkstatt Büro Meyer/Wittwer in Berlin an der Ausführungspla- stadt Györ zurück, wo sie ein eigenes Architekturbüro des Bauhauses studierte, übernimmt nach dem frühen Tod sei- nung der ADGB-Bundesschule mit. Ende 1929 wech- eröffnet und den „Lloydball” der örtlichen Kaufmann- nes Vaters Heinrich Auböck (1872-1923) dessen 1906 gegrün- selt sie in das Büro von Hugo Häring, zum April 1930 schaft ausstatten kann. Natalie Swan, die 1937 in dete Werkstätten. in das Büro von Bohuslav Fuchs in Brünn. Als eine New York City ihr Architekturstudium erfolgreich ab- 6 Im Bauhaus-Archiv Berlin befindet sich ein Entwurf, der verso „wenn auch allzu kurze - glückliche Zeit“ erinnert Ma- schließt, soll anschließend in Chicago freiberuflich handschriftlich mit „1925, Hildegard Hesse (prämiert)“ bezeich- rianne Brandt die sechs Monate im Berliner Atelier gearbeitet haben - in Bürogemeinschaft mit den Stu- net ist. Weitere architektonische Ambitionen Hesses sind bisher von Gropius/Meyer im Anschluss an ihre Bauhaus- dienkollegen Priestley und Rogers. Als selbständige nicht dokumentiert. zeit.7 Für die Dammerstocksiedlung Karlsruhe soll sie Architektin wird sie erst nach zehn Jahren, 1947 im 7 Brandt, 1985, S.160 dort 1929 Möbel entworfen haben.8 Anschließend Staat New York registriert. Lediglich die ehemalige 8 Lt. Weise muss Brandt noch 1929 das Büro verlassen, weil es kann sie ab 1930 als Entwerferin für die Ruppelwerke Gaststudentin Rose Mendel sucht und findet noch zu wenig Einkünfte hat. Ob sie als freie Mitarbeiterin tätig war, in Gotha arbeiten, wird 1933 jedoch arbeitslos. Sie später einen Zugang zum Berufsfeld. 1937 nach Eng- ist in beiden Fällen unklar. Droste, 1991, S.243 - Weise, Anne- wird nicht mehr im Bereich Architektur tätig. Eben- land emigriert, studiert sie zwischen 1941 und 1948 Kathrin: Leben und Werk von Marianne Brandt, Diplomarbeit, falls ab 1929 arbeitet Ursula Schneider, die ihr Zweit- ‘Interior Decoration’ an der Chelsea School of Com- Humboldtuniversität, 1991; S.239 - zitiert hier nach Baumhoff, studium am Bauhaus nach etwas mehr als zwei Se- mercial Art und kann im Anschluss freiberuflich in- 1994, S.233 mestern im Herbst 1928 abbrach und erneut heirate- nenarchitektonische Aufträge realisieren. 9 Die Villa von Max Sommerfeld in Schneidemühl entsteht ab te, in Berlin für Adolf Sommerfeld. Dort ist sie in der Damit betreten ehemalige Bauhausstudentinnen das 1928. Max Sommerfeld ist der Bruder des Berliner Bauunterneh- Bauleitung beschäftigt, betreut zunächst einen Sied- Berufsfeld Architektur zwischen 1920 und 1948. Sie mers und Direktor des dortigen Sägewerks. Bereits beim Bau lungsbau für das Leunawerk in Merseburg, dann in tun dies manches Mal mit, häufiger jedoch ohne Di- der Villa von Adolf Sommerfeld in Zehlendorf waren 1920 auch Schneidemühl den Bau einer Villa für Max Sommer- plom und höchst individuell. Dementsprechend fin- Bauhausstudentinnen beteiligt. In den zwanziger Jahren be- feld. Bei eben diesem Projekt obliegen der freiberuf- den wir sie beim Berufseinstieg häufig projektabhän- schäftigte die Allgemeine Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld lich tätigen Eva Fernbach 1930 Entwurf und Realisie- gig in freien Büros beschäftigt, nur selten in ange- in Berlin-Zehlendorf mehrere Praktikantinnen, darunter Blank rung der Innenausbauten.9 Auch Eva Fernbach und stellter Position, noch seltener in öffentlichen Ämtern. und Waltschanowa. Nach Erinnerungen Elly Lehnings stellte Gerda Marx siedelten 1929 nach Berlin über, nach- Ein Drittel dieser Bauhausstudentinnen wagt im un- Sommerfeld bevorzugt TessenowschülerInnen ein (lt. Notizen dem sie am Bauhaus keinen Abschluss erworben mittelbaren Anschluss an das Studium den Sprung in eines Gesprächs, das Helga Schmidt-Thomsen mit Elly Lehning hatten. Marx wird ab 1930 im Büro [Hanns] Hopp eine eigenständige, freiberufliche Existenz. In den führte). Leiter des AHAG-Büros war zwischen 1925 und 1928 und [Georg] Lucas in Königsberg als angestellte Ar- meisten Fällen bleibt jedoch zweifelhaft, ob die erziel- Fred Forbat. In diesem Zeitraum lassen sich bisher keine Bau- chitektin tätig. Daneben beteiligt sie sich gemeinsam ten Einkünfte bereits eine unabhängige Existenz si- hausstudentinnen im Büro nachweisen. mit ihrem Mann an einem Wettbewerb. chern. 10 Dieser hatte von der Gemeinde Bad Grund den Auftrag für eine Hilde Reiss ist nach dem Diplom 1932 in Berliner Ar- Siedlungsplanung erhalten. Im Vergleich dazu betreten ehemalige Tessenowstu-

184 Ambitionen und Realitäten dentinnen das Berufsfeld innerhalb eines wesentlich Im Anschluss an ihr Diplom bei Tessenow im Som- engeren Zeitfensters, zwischen 1930 und 1938. Iwan- mer 1934 zeichnet Fridel Hohmann die Illustrationen ka Waltschanowa bleibt nach ihrem Diplom im Som- für Walter Löfflers Buch „Das kleine Wohnhaus“. mersemester 1929 ein weiteres Jahr immatrikuliert, Daneben entwickelt sie mit ihrem Studienfreund Karl sie arbeitet in dieser Zeit jedoch auch im Büro Ale- Buttmann Vorschläge für die in Selbsthilfe zu errich- xander Kleins an der Großsiedlung Bad Dürrenberg.11 tende, unkonventionelle Einsiedelei des Malers Nie- Anschließend kehrt sie nach Plowdiw zurück, wo ihr meyer-Holstein auf Usedom. Sigrid Rauter arbeitet Vater als Baurat in städtischen Diensten arbeitet. Sie spätestens 1934, zwei Jahre nach Abschluss ihres tritt dort zunächst in den öffentlichen Dienst ein, ent- Studiums, in der Planungsabteilung des Luftfahrtmi- wirft und realisiert einen Stadtpark. 1931 macht sie nisteriums. Dies erinnert Ewa Oesterlen, die im An- sich selbständig und kann für private Auftraggeber schluss an ihr Diplom im März 1936 ebendort ihre Wohnhäuser realisieren. Hanna Blank arbeitet auch Anfangsstellung antritt. Und auch Irina Kaatz, die im im Anschluss an ihr Diplom 1930 im Planungsbüro Februar 1936 die Diplomurkunde in Händen hält, der Allgemeinen Häuserbau (AHAG) von Adolf Som- könnte dort ihren Berufseinstieg gefunden haben.14 merfeld. Ebenso wie Waltschanowa hatte sie dort Gertraude Engels führt nach ihrem Diplom im Som- zuvor bereits als Bauzeichnerin gearbeitet. Ab 1932 mer 1936 zunächst Bauaufnahmen landwirtschaftli- arbeitet Blank als angestellte Architektin im Büro der cher Bauten in der Mark Brandenburg im Dienste der Brüder Walter und Johannes Krüger im Westend. Deutschen Forschungsgemeinschaft durch, bevor sie Auch Thea Koch diplomiert 1930. Sie absolviert die 1937 eine Stelle in der Preußischen Bau- und Finanz- staatliche Ausbildung zum Regierungsbauführer.12 direktion antritt. Dort wird sie mit Bauleitungsaufga- Anni Pfeiffer, seit Februar 1932 diplomiert, tritt im Mai ben der Charité betraut, überwacht u.a. den Bau ei- 1932 in das Büro der AHAG in Berlin-Zehlendorf ein, nes Operationssaales und eines Absonderungshau- wo sie u.a. an dem Kino in der Onkel-Tom-Siedlung ses.15 Luise Zauleck arbeitet nach dem Diplom 1936 und der Einfamilienhaussiedlung Klein-Machnow mit- zunächst im Büro von Walter Löffler, dann im Büro arbeitet.13 Sie verlässt die Stellung nach einem Jahr, von Günther Wentzel. Sie macht sich um 1938 selb- um sich auf ihre Ehe mit einem Kollegen vorzuberei- ständig. Johanna Tönnesmann, seit 1935 wieder an 11 HTG, „Kurzer Lebenslauf, umfassend die Zeit zwischen 1925 u. ten und wird erst nach der Heirat im Februar 1934 der TH Stuttgart, diplomiert 1936 bei Bonatz und ar- 1960", Anlage zum Brief Iwanka Hahns an Walter Jessen vom wieder berufstätig. Obwohl sie nun mit ihrem Mann in beitet zunächst in dessen Büro mit. Zum Sommer 20.2.1987. Ob sie eine Dissertation erwägt, bleibt unklar. Hamburg wohnt, nutzt sie die Gelegenheit, 1934 in 1937 wechselt sie in das Büro Gutschow nach Ham- 12 Die näheren Umstände ihrer Bewerbung konnten bisher nicht Kassel ein Einfamilienhaus zu realisieren. Helga Kar- burg. Gisela Schneider tritt nach dem Diplom im rekonstruiert werden. Vgl. Biografie Koch. selt tritt unmittelbar nach ihrem Diplom 1932 eine März 1937 in die Planungsabteilung des Reichspost- 13 Lt. Zeugnis vom 31.3.1933 und LL Gunkel Stelle als Hilfsassistentin an der TH Charlottenburg ministeriums in Berlin ein. Dort arbeitet bereits Chri- 14 Nach Erinnerungen eines jüngeren Kommilitonen übt sie den an. Daneben ist sie freiberuflich tätig und kann 1934 sta Dirxen, die seit 1936 im Besitz eines Stuttgarter Beruf nur in jungen Jahren und nur sporadisch aus, „so war sie ein Ferienhaus realisieren. Lieselotte von Bonin be- Diploms ist. Klara Brobecker findet nach dem Diplom im Kriege in der Bauabteilung des Luftfahrtministeriums und wirbt sich nach ihrem Diplom 1932 zunächst für die im November 1937 in der Planungsabteilung des später (..) in der Mark Brandenburg an der Planung von land- staatliche Ausbildung, akquiriert jedoch auch im Be- Luftfahrtministeriums ihre erste Stelle. Als sie 1939 wirtschaftlichen Bauten beteiligt.“ Zehm, Karl-Hermann: Irina kanntenkreis. Als sich innerhalb kürzester Zeit in Ber- einen beim Neubauamt in Trier beschäftigten Bauin- Zuschneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 lin Aufträge für Einfamilien- und Landhäuser abzeich- genieur heiratet, kann sie an Erweiterungsplanungen 15 17.8.1936 bis 30.4.1939, Schreiben Gertraude Herde vom nen, tritt sie von der staatlichen Ausbildung zurück, eines dortigen „Regierungsgebäudes“ mitarbeiten. 7.2.1990 plant und baut gemeinsam mit ihrem Mann verschie- Hildegard Korte, seit Februar 1938 diplomiert, findet 16 Für diese Botschaft war sie bereits während ihres Studiums als dene Wohnungsbauten in und um Berlin. Unter eige- ab August 1938 im Büro von Prof. Büning eine Stelle. Übersetzerin tätig geworden. nem Namen taucht 1934 Gisela Eisenberg als Archi- Hier wird sie für den Neubau der Argentinischen Bot- 17 Nur Maria Gaiser soll lediglich ehrenamtlich als Architektin tätig tektin im Berliner Branchenverzeichnis auf. Auch sie schaft im Tiergartenviertel tätig.16 geworden zu sein, das Berufsfeld nicht betreten haben. Dabei diplomierte 1932 bei Tessenow. Ob auch ihr im An- seien die Eltern - so die Erinnerung Klara Küsters - die treibende Tessenowstudentinnen treten damit in aller Regel im schluss die Gründung einer freiberuflichen Existenz Kraft gewesen. Dass Gaiser - als ledige Diplomingenieurin - in unmittelbaren Anschluss an das Diplom in das Be- gelingt oder ob auch sie zunächst angestellt arbeitet, der Zeit zwischen dem Diplom im Sommer 1940 und der Flucht rufsfeld ein.17 Sie werden überwiegend als angestellte ist bisher unbekannt. aus Berlin 1943 nicht gearbeitet haben soll, scheint angesichts Architektinnen tätig. Auf Aufgaben und Tätigkeitsfel- von Dienstverpflichtungen zweifelhaft, konnte jedoch nicht verifi- Auch die Berufseinstiege von Ludmilla Herzenstein der in freien Architekturbüros nicht minder vorbereitet ziert werden. Weitere Hinweise, dass Tessenowdiplomandinnen und Friedel Schmidt lassen sich bisher nicht genau als auf die in öffentlichen Ämtern, werden sie auffällig nicht ins Berufsfeld eingetreten sind, ließen sich nicht belegen. dokumentieren. Wahrscheinlich arbeitet Herzenstein häufig in öffentlichen Planungsbüros, seltener in frei- Umgekehrt ist - nach bisherigem Recherchestand - für immerhin - wie bereits vor dem Diplom - um 1933 in Berliner en Planungsbüros angestellt. Eine freiberufliche Tä- 56% der Tessenowstudentinnen (19 von 34), 68% der Diplo- Architekturbüros und Baufirmen, bevor sie im Herbst tigkeit unmittelbar nach dem Diplom bleibt bei Tesse- mandinnen (19 von 28) eine Berufstätigkeit nachweisbar. Bei 1935 ins Stadtplanungsamt Rostock wechselt. nowdiplomandinnen die Ausnahme. Auch die staatli- den Tessenowstudentinnen, bei denen keine Informationen zum Schmidt soll um 1936 als selbständige Architektin in che Ausbildung zum Regierungbauführer ziehen sie Berufseinstieg recherchierbar waren, fehlen bisher (nahezu) alle ihrem Heimatort Frankfurt/Oder tätig geworden sein. nur selten in Erwägung. Ihnen gelingt es bereits wäh- Angaben nach dem Diplom.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 185 rend der Berufseinstiegsphase die eigene Existenz zu Berufliche Ambitionen - Berufliche Hemnisse sichern. Welche Berufsperspektiven boten sich ehemaligen Bauhaus- und Tessenowstudentinnen innerhalb des Im Vergleich der Berufseinstiege fällt auf, dass Tes- Berufsfeldes während resp. am Ende der Weimarer senowdiplomandinnen i.d.R. direkt ins Berufsfeld Republik? Welche Berufswege zeichnen sich beim streben. Nur soweit sie - wie Korte, Karselt, wahr- Berufseinstieg ab? 18 Direkt im Anschluss an das Studium werden Dicker, Both, Bee- scheinlich Schaar und evt. Waltschanowa - zunächst se, Buscher, Brandt, Brauer, Geyer-Raack, Itting, Lederer, Marx, eine weitere, wissenschaftliche Qualifikation in Erwä- Ließen sich die Mehrheit der Berufseinstiege von Ar- Meyer-Waldeck, Ulrich, Otte, Reiss, Schneider, Simon-Wolfs- gung ziehen, verzögert sich ihr Berufseintritt. Auch chitekturstudentinnen der Weimarer Republik rekon- kehl, Wilke, Wimmer, aber auch Jungnik erwerbstätig. - Einzelne mehr als ein Drittel der architekturinteressierten Bau- struieren, so können die von ihnen angestrebten Be- Bauhausstudentinnen kehren in einen zuvor ausgeübten Beruf hausstudentinnen strebt - auch ohne Abschluss - un- rufswege damit jedoch häufig nicht eindeutig be- resp. ihre Familie zurück oder wechseln in eine baldige Heirat. mittelbar ins Berufsfeld.18 Demgegenüber verzögert stimmt werden.21 „Ich ließ es doch mehr auf mich Die Lebenswege von einem Drittel der Bauhausstudentinnen sich der Berufseinstieg bei jenem Viertel, das zu- zukommen“, erinnert bspw. Annamarie Mauck [geb. sind jedoch für die Zeit nach dem Studium bisher - nahezu oder nächst einen auch formal qualifizierenden Abschluss Wilke] und betont, dass sie „keine Schiene vorge- gänzlich - unbekannt. anstrebt.19 plant“ habe.22 Spätestens mit dem Ende ihre Studi- 19 Einen Abschluss strebten an (in der Architektur:) Bánki, Hack- ums standen Architekturstudentinnen der Weimarer Die Übergänge zwischen Bauhausstudium und Leben mack, Katz, Loewe, Swan; (in der Fotografie:) Wiener, Markos- Republik - wie ihre Kommilitonen - vor der Frage des nach dem Studium sind - nicht zuletzt aufgrund un- Ney und Meltzer; (in der Weberei:) Josefek und Lewin; (in der adäquaten Berufseinstiegs: Hatten sie wissenschaftli- geregelter Qualifikationen - sowohl fragiler als auch Kunst, dann Innendekoration:) Mendel, (und in der Innenarchi- che Ambitionen, so musste eine Möglichkeit zur Dis- fließender als die von Tessenowdiplomandinnen, die tektur:) Rogler. sertation gefunden werden. Strebten sie eine freibe- mehrheitlich gezielt auf Architekturstellen antreten, 20 So Ewa Oesterlen im Telefongespräch am 24. November 1997 rufliche Existenz an, so war dies i.d.R. nicht unmittel- die sowohl eine verantwortliche Mitarbeit wie die Si- 21 von keiner Studentin konnten bspw. Bewerbungen nach dem bar im Anschluss an das Studium möglich, mussten cherung einer eigenständigen Existenz versprechen. Diplom annähernd vollständig rekonstruiert werden Kontakte und finanzielle Mittel, sowie weitere berufli- Tessenowdiplomandinnen sind in ihren beruflichen 22 „.. ich muss von mir aus sagen, ich hatte keine Schiene vorge- che Erfahrungen aufgebaut werden. Wollten sie in die Anfangsstellungen ganz überwiegend mit Ausfüh- plant. Ich ließ es doch mehr auf mich zukommen und ergriff, als schlecht bezahlt, wenn auch krisensicher gelten- rungsplanungen, seltener mit Entwurfsplanungen und was sich bot, und das gern.“ Annamaria Mauck im Interview am den Laufbahnen des öffentlichen Dienstes eintreten, manches Mal mit Bauleitungsaufgaben betraut. Mit 17.11.1995 so war zunächst im Anschluss an das akademische guten bis sehr guten Diplomen und den Erfahrungen 23 Zu den Hindernissen, als Architektin de facto in die Stellung ei- Studium die zweijährige Ausbildung zum Regierungs- aus den Büropraktika betreten sie im Anschluss an nes Regierungsbaumeisters aufzurücken vgl. Biografien Tip- bauführer zu absolvieren, die mit der staatlichen Prü- das Diplom innerhalb öffentlicher und privater Pla- pelskirch und Schroeder-Zimmermann fung abschloss. Danach erfolgte in der Regel die Er- nungsbüros i.d.R. die mittlere Hierarchieebene. 24 Zur Regierungsbauführerlaufbahn liegen keine geschlechtsspe- nennung zum Regierungsbaumeister, mit der sich zifischen Forschungen vor. Über deren Attraktivität kann nur Bauhausstudentinnen suchen gezielt individuelle Zu- - allerdings nur für Herren - die Aussicht auf eine ver- spekuliert werden, da bisher unklar ist, ab wann diese Laufbahn gangsmöglichkeiten zu den gestaltenden Bereichen beamtete Laufbahn im öffentlichen Dienst eröffnete.23 für Architektinnen de facto auch ohne zölibatäre Auflagen zu- des Berufsfeldes. Sie sind i.d.R. auf die Mitarbeit in Nach dieser Prüfung resp. ihrer Ernennung kehrten gänglich war. Nach bisherigen Recherchen waren auch alle in freien Büros angewiesen. Ihr Tätigkeitsradius dort ist auch die Architekten der staatlichen Laufbahn sehr den dreißiger Jahren zum Regierungsbaumeister ernannten zumeist nicht bekannt, scheint jedoch häufig auf die oft den Rücken, um als ‘Regierungsbaumeister a.D.’ Architektinnen ledig. untere Hierarchieebene begrenzt zu sein. Soweit sie eine freiberufliche Existenz zu beginnen, die eine 25 Vgl. Biografie Koch. Ihre Bewerbung wie die näheren Umstände freiberuflich tätig werden, sind sie häufig im Bereich größere Vielfalt an Bauaufgaben und eine bessere ihrer Ausbildung im öffentlichen Dienst sind nicht bekannt. Innenausbau tätig. Vergütung versprach. So kennzeichnet die Ausbil- 26 Zumindest der Auftrag für den Bau des Hauses Raumer war im dung zum Regierungsbaumeister den möglichen Be- Bereits beim Berufseintritt wird deutlich, dass das Frühjahr 1932 schon sicher. Mit Schreiben des Preußischen Fi- ginn, nicht aber zwangsläufig eine staatliche Lauf- Spektrum denkbarer Berufsstarts - bei aller Flexibili- nanzministeriums vom 15.4.1932 wird von Bonin aufgefordert, bahn eines/r preußischen BaubeamtIn. Ab dem Zeit- tät wie Individualität der Berufsanfängerinnen - ge- „binnen 8 Tagen anzugeben, bei welcher Behörde und seit punkt der Zulassung zum Hochschuldiplom lassen schlechtsspezifische Chancen und Tücken zeigt. Tä- wann Sie als Regierungsbauführer beschäftigt sind. Sollte inner- sich auch von Architektinnen immer wieder Bewer- tigkeitsgebiete und Arbeitsverhältnisse beim Berufs- halb dieser Frist eine Mitteilung nicht an mich gelangt sein, wer- bungen zur Regierungsbaumeisterprüfung beleben.24 einstieg verweisen auf weitgefächerte Interessen- de ich, in der Annahme, daß Sie auf Ihre Ausbildung verzichten, spektren und unterschiedliche Berufswege der Archi- Drei der Tessenowstudentinnen - Lieselotte von Bo- Ihre Streichung in der Regierungsbauführerliste veranlassen.“ tekturstudentinnen der Weimarer Republik. Sie lassen nin, Fridel Hohmann und Theodora Koch - ziehen die NL Boedeker hohe berufliche Ambitionen wie auch pragmatisches Ausbildung zur RegierungsbauführerIn nachweislich 27 „Ich wollte meinen Regierungsbaumeister machen und dafür Vorgehen erkennen. Der hohe Anteil der TH-Diplo- in Betracht. Thea Koch - seit Sommer 1930 diplo- mußte das Staatsexamen in Berlin abgelegt werden.“, efa: „Je- mandinnen, der sich für Anfangsstellungen in öffent- miert - tritt spätestens 1932 die Aspirantur an und der Architekt hat seine ganz eigene ‘Handschrift’ “, Siegener lichen Planungsbüros entscheidet, belegt, was Ewa schließt die Ausbildung mit der Staatsprüfung um Zeitung vom 11.7.1980 Oesterlen als eindeutigen Grund ihrer Entscheidung 1934 erfolgreich ab.25 Lieselotte von Bonin, seit 1931 28 Hohmann beendet ihr Studium im Sommer 1934. Angesichts benennt: „weil ich da gut bezahlt wurde.“ 20 Dies war diplomiert, bewirbt sich ein Jahr nach dem Diplom für zunehmender antisemitischer Exklusionen, die Zulassung jüdi- in freien Planungsbüros offenbar fraglich. diese Ausbildung beim Preußischen Finanzministeri- scher Studierender war bereits kontingentiert, stand ihr als um und unterzieht sich der dafür notwendigen Ge- ‘Halbjüdin’ der höhere Staatsdienst nicht offen. Bisher ist nicht sundheitsuntersuchung. Als sie im April 1932 den Zu- bekannt, ob sie einen Antrag auf Zulassung stellte.

186 Ambitionen und Realitäten lassungsbescheid erhält, liegen jedoch private Aufträ- Wie Ute Georgeacopol-Winischhofer am Beispiel der ge vor, die eine freiberufliche Existenz in Aussicht Architekturstudentinnen der TH Wien zeigt, hatten die stellen.26 Von Bonin tritt die Ausbildung nicht an. Ihre Architekturstudentinnen durchaus Ambitionen für Bewerbung zeigt, dass sie die staatliche Laufbahn le- akademische Karrieren.34 Auch bei manchen Archi- 29 Die erste Architektin, die in Deutschland promoviert wurde, war diglich zur Absicherung der freiberuflichen Perspekti- tekturstudentinnen der Weimarer Republik sind derlei Marie Frommer. Drei Jahre nach ihrem Diplom (TH Charlotten- ve in Betracht zieht. Mit ähnlicher Intention dürfte Ambitionen erkennbar. Selbst unter den wenigen er- burg) schließt sie 1919 an der TH Dresden ab. Ob sie damit wei- auch Fridel Hohmann die Regierungsbaumeisterlauf- folgreich Promovierten findet jedoch kein gelungener tergehende akademische Ambitionen verband, ist nicht deutlich. bahn in Erwägung gezogen haben. „Da es ihr im Drit- Berufseinstieg als Wissenschaftlerin. Dies weist dar- Ihr jüngerer Bruder unterrichtete nach Promotion im Maschinen- ten Reich nicht behagte ‘beamtet’ zu sein, ließ sie auf hin, dass im Bereich akademischer Hierarchien bau als Dozent an der TH Charlottenburg. - vgl. auch Akademi- den Regierungsbaumeister fallen“, wird sie im Rück- das Geschlecht als primäres Selektions- resp. Aus- sche Ambitionen (Kap. 9) blick 1980 zitiert.27 Ihr eigener Entscheidungsspiel- schlusskriterium weiterhin funktioniert - auch mehr 30 Inwiefern HilfsassistentInnen in den dreißiger Jahren an der raum, freiberuflich oder im öffentlichen Dienst tätig zu als zwanzig Jahre nach der rechtlichen Gleichstel- Architekturfakultät ausschließlich mit diplomierten Frauen be- werden, war jedoch durch den seit 1933 obligatori- lung von Studentinnen mit Studenten.35 setzt wurden, konnte bisher nicht recherchiert werden. Nach schen Ariernachweis mehr als begrenzt.28 Thea Koch Rückblickend auf ein erfülltes Architektenleben Erinnerungen ihrer Tochter hatte Helga Karselt seit der Studien- entscheidet sich als eine einzige Tessenowstudentin schwärmt Paul Bonatz 1950 von der Freiberuflichkeit zeit forschende Ambitionen. Sie soll baugeschichtliche Studien für den Dienst als Regierungsbaumeisterin. in der Architektur: „Es ist der einzige technische Be- verfasst, in einer späteren Lebensphase erneut baugeschichtli- Da das Bauhaus-Diplom nicht den Status eines In- ruf, der leicht in die Selbständigkeit führt.“ 36 Bonatz che Forschungen betrieben haben. Vgl. Biografie Karselt genieurdiploms an Technischen Hochschulen hatte, gründete 1907 im Alter von 30 Jahren sein Büro als 31 Thema und Umstände ihres Dissertationsvorhabens sind bisher stand selbst Bauhausstudentinnen mit Diplom die selbständiger Architekt. Ihm gelang der erste Berufs- nicht bekannt. Die 1919 geborene Tochter ist zu diesem Zeit- Regierungsbaumeisterlaufbahn nicht offen. Ebenfalls einstieg anlässlich eines Wettbewerbserfolges mit punkt schulpflichtig. Vgl. Biografie Schroeder-Zimmermann nur mit TH-Diplom kam eine Dissertation in Frage. Hilfe tatkräftiger Patronagen.37 Fast zeitgleich und nur 32 Für die Promotion im Bereich Heimatschutz und Heimatbild in Seit dem ersten Weltkrieg hatten mehrere TH-Stu- unwesentlich älter gründete Emilie Winkelmann ein den Alpen unternahm sie Vorstudien. Auf Nachfrage gibt Hilde- dentinnen diese Option zumindest erwogen.29 Auch Büro als selbständige Architektin. Auch sie nimmt gard Oswald an, das wenig aussichtsreiche Promotionsvorha- die Tessenowstudentinnen Helga Karselt, Hildegard während der Gründungsphase erfolgreich an Wettbe- ben anlässlich der Südamerikareise aufgegeben zu haben. Inter- Korte, Elfriede Schaar und Ruth Weckend verfolgen werben teil.38 Von der „Leichtigkeit“ einer freiberufli- view am 14.10.1997 nach dem Diplom eine wissenschaftliche Perspektive. chen Existenzgründung ist in den zwanziger und drei- 33 Korte bearbeitet als Architektin im Büro von Kurt Krause ab Helga Karselt tritt 1930 am Baugeschichtslehrstuhl ßiger Jahren nichts mehr zu spüren: Auch bekannte 1939 u.a. Luftschutzbauten. Mit dieser Arbeit wird sie am bei Prof. Daniel Krencker eine Stelle als Hilfsassisten- Architekten finden angesichts der schwierigen wirt- 7.2.1942 an der TH Braunschweig promoviert tin an. Als ihr auf dieser Stelle keine Möglichkeit ein- schaftlichen Situation teilweise über Jahre hinweg 34 Für sieben von rund 100 Architekturstudentinnen weist George- geräumt wird, ihre baugeschichtlichen Interessen in keine nennenswerten Aufträge. Die Aussicht, im An- acopol-Winischhofer den erfolgreichen Abschluss einer Promoti- Form einer Dissertation zu vertiefen, kündigt sie.30 schluss an ein Architekturstudium den Einstieg in ei- on zwischen 1935 und 1947 nach. Dieser hohe Anteil an Promo- Auch die bereits 42jährige, alleinerziehende Grete ne freiberufliche Existenz zu finden, stellt sich um vendinnen kann auch als Hinweis auf Mangel an beruflichen Al- Schroeder-Zimmermann sieht 1930 im Anschluss an 1930 als weitgehend unrealistisch dar. Dennoch he- ternativen interpretiert werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, ihr ‘sehr gutes’ Diplom bei Poelzig offenbar Perspek- gen zahlreiche junge Architektinnen und Architekten dass diese Studentinnen nicht nur wissenschaftliche Ambitionen tiven in der wissenschaftlichen Arbeit und strebt die die Absicht, an eigenen Bauaufträgen „frei und selb- hatten, sondern eine Hochschulkarriere anstrebten. Entwürfe, Dissertation an.31 Woran dieses Vorhaben scheitert, ständig“ zu werden. Eine Existenzgründung im An- wie sie an der TH Wien als Promotion anerkannt wurden - wie wird ebensowenig deutlich wie bei Hildegard Korte, schluss an das Studium betreiben offensichtlich ins- der „Flughafen Wien” von Brigitte Kundl oder der „Vorschlag zur die 1937 nach dem Diplom zunächst immatrikuliert besondere diejenigen, die ihre materielle Basis auf Londoner Stadtsanierung” von Lionore Perin (1935) - lassen sich bleibt, da sie - einem Wunsch ihrer Mutter entspre- familiärer Ebene absichern können. von Doktorandinnen deutscher Fakultäten nicht nachweisen. chend - promovieren möchte.32 Als sich um 1940 mit Vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.207, 226ff., 327. So ist Ruth Hildegard Geyer-Raack seit 1922 verhei- einer kriegswichtigen Forschung die Chance zur Pro- 35 Glaser weist bis 1934 sieben Promotionen von Juristinnen in ratet, verfügen Bonin, Fernbach, Wilke, Bánki, Swan, motion bietet, untersucht Hildegard Korte Bauverfah- Württemberg nach. (Glaser, 1992, S.101) Angesichts vehemen- Mendel, Hohmann - aber auch Canthal - über soviel ren für Luftschutzbauten im Hinblick auf ihre Ökono- ter Ablehnung der Kammern bis in die zwanziger Jahre und re- materiellen Rückhalt durch die Eltern, dass sie das misierbarkeit. Diese Arbeit wird 1941 im Fachbereich striktiver Einstellungspolitik gegenüber Frauen im öffentlichen Risiko unregelmäßiger Einkünfte ggf. verkraften kön- Maschinenbau der TH Braunschweig als Promotion Dienst, waren mit diesen Promotionen keine Anstellungen oder nen. Sie alle haben jedoch den Ehrgeiz, dies auch angenommen.33 Ruth Weckend, die 1939 an der TH die Aussicht auf akademische Karrieren verbunden. Eindeutig ohne familiäre Hilfestellung zu schaffen. Sechs der Aachen diplomiert, finden wir ab dem Frühsommer akademische Ambitionen in Form der Habilitation zeigt Glaser Bauhausstudentinnen sowie zwei der Tessenowdiplo- 1940 erneut in Aachen immatrikuliert. Mit ihrer bau- für die Medizin auf. Jedoch auch keiner der 14 bis 1933 habili- mandinnen wagen den Sprung in die Freiberuflichkeit geschichtlichen Arbeit über den karolingischen Fron- tierten Medizinerinnen eröffnete sich auch nur die Aussicht auf quasi aus dem Stand heraus. Die meisten Architek- hof Seffent bei Aachen und Laurensberg wird sie ein Ordinariat. (Ibid., S.96) turstudentinnen der Weimarer Republik sind jedoch 1944 an der dortigen Architekturfakultät promoviert. 36 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.106-107 darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt nach dem Auch Elfriede Schaar scheint wissenschaftliche Ambi- 37 „An dieser Aufgabe wurde ich frei und selbständig.“ Bonatz er- Studium nun selbst zu sichern und streben zunächst tionen gehabt und eine Dissertation erwogen zu ha- innert hier den Wettbewerb Sektkellerei Henkell, Biebrich-Wies- Positionen mit regelmäßiger Vergütung an. Auch bei ben. Sie bleibt 1937 nach dem Diplom ein weiteres baden (1907-1909). Ibid., S.54. Zur Patronage, die zur Wettbe- finanziell gut ausgestatteten Architektinnen ist zu be- Jahr immatrikuliert. Bereits 1929 war dies bei Iwanka werbsteilnahme resp. zum -gewinn führte, vgl. ibid., S.55ff. obachten, dass sie eine finanzielle Unabhängigkeit Waltschanowa ebenfalls zu beobachten. 38 Vgl. Biografie Winkelmann

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 187 von den Eltern noch vor der beruflichen Selbständig- erhält ihren ersten Auftrag von ihrer Patentante, plant keit anstreben. und realisiert 1934 deren Einfamilienhaus in Kassel- 39 Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 Wilhelmshöhe. Im gleichen Jahr baut Helga Karselt 40 Allerdings konnten gerade bei den Töchtern bekannter Architek- Direkt im Anschluss an das Studium machen sich die für ihre Studienfreundin und deren Schwester ein ten - wie Roswitha Rossius und Ingrid Heidenreich - entschei- Tessenowdiplomandinnen Lieselotte von Bonin, Fri- Ferienhaus auf Sylt. dende Fakten nicht recherchiert werden. Da die Auftragslage del Hohmann (1932 resp. 1934) selbständig. Nach der ‘Baustube’ von Ernst Rossius um 1933 als gut bezeichnet weniger als zwei Jahren im Beruf scheint dies auch Im Vergleich zu den Kommilitonen, die manches Mal werden kann, er baute um 1934 zwei größere Siedlungen für die Iwanka Waltschanowa und Gisela Eisenberg um 1932 ihre Familien „ermuntern oder gar verleiten“ konnten, Gehag, stand der Tochter eventuell im väterlichen Büro wahr- zu gelingen. Von den Bauhausstudentinnen wagen ihnen bald nach dem Studium den ersten Auftrag zu scheinlich ein Betätigungsfeld offen. (vgl. Neue Bürgerhaussied- - ohne Diplom - Friedl Dicker (1923), Gerda Marx und erteilen45, bleiben die Architekturstudentinnen im Fa- lungen um Berlin, Bauten der Gehag von Rossius-Rhyn; Bau- Eva Fernbach (1929), mit Berufsabschlüssen Tony Si- milienkreis i.d.R. ohne Auftrag, finden auch bei weib- welt, 1935, H.7, 14.2.1935, S.144/145: Gehag-Siedlung ‘Rauhe mon-Wolfskehl (1920), Ruth Hildegard Geyer-Raack lichen Bekannten und Verwandten offenbar nur wenig Berge’ in Berlin-Mariendorf Attilastr./Ecke Schöneberger Str. (1922), Zsuzsanna Bánki (1936) und Rose Mendel Rückhalt. Fridel Hohmann kann ihren ersten Bau - ei- und Gehag-Siedlung an der Hakeburg in Klein-Machnow bei (1948) - und evtl. auch Natalie Swan (1937) - Direkt- genen Angaben zufolge - im Auftrag ihres Vaters rea- Berlin). Bauhaus-Studentinnen, deren Väter Architekten waren - einstiege in die Freiberuflichkeit. lisieren.46 „Kaum bist Du weg, da fliegt beinahe ein gaben ihre architektonischen Ambitionen bereits während des Auftrag ins Haus“, schreibt Ferdinand Wilke Ende Fe- Tessenowstudentinnen finden ihre beruflichen An- Studiums häufig auf, so bspw. Gertrud Hantschk, Mila Lederer, bruar 1934 an seine in Berlin weilende Tochter Anne- fangsstellungen häufig durch Bewerbungen, Bau- Margot Loewe, Elisabeth Jäger und Ruth Josefek. marie.47 Er übermittelt die Wünsche des Bauherrn, hausstudentinnen greifen mehrfach auf persönliche 41 Sie wechselt jedoch bald in das Büro eines bisher noch nicht bietet weitere Hilfestellung an und bemüht sich, sei- Beziehungen zurück. So erinnert Eva Weininger, dass identifizierten Architekten, der nach ihren Aussagen „merkwür- ner Tochter einen - wenn auch unbezahlten - Auftrag sie den Auftrag für den Innenausbau der Villa Som- dige Vorstellungen von sparsamem Wohnungsbau“ hatte. in Lübeck zu vermitteln.48 Dennoch kommt schluss- merfeld bekam, weil sie ihr Mann als „erstklassigen 42 Eine Ausnahme ist hier vielleicht Dörte Helm, die in Rostock - endlich kein Auftrag zustande.49 Zsuzsanna Bánki Tischler“ empfohlen hatte.39 Im familiären Umfeld su- wo ihr Vater als Professor tätig ist - freiberuflich als Innenarchi- wird bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatstadt 1936 chen oder finden Studentinnen der Weimarer Repu- tektin, Malerin und Autorin tätig wird. durch einen Onkel unterstützt. Derart familiäre Unter- blik nach dem Studienende nur selten eine Beschäf- 43 Bloch, 1981, S. 91 - Dieses Angebot des Vaters, ihr ein Atelier stützungen beim beruflichen Einstieg resp. für eine tigung. Bisher lässt sich bei keiner der Architekten- für eine freiberufliche Tätigkeit in Warschau einzurichten, wird freiberufliche Perspektive der Töchter müssen an- töchter ein Einstieg in das väterliche Büro nachwei- jedoch mit der Erwartung verknüpft, dass sie sich von ihrem hand der hier untersuchten Werkbiografien jedoch als sen.40 Hilde Reiss wird kurzzeitig im Büro ihres On- kommunistischen Engagement lossagt. Auch in dieser wohlha- Ausnahmen bezeichnet werden. kels tätig41, Iwanka Waltschanowa findet im berufli- benden Familie bleibt die Haltung gegenüber berufstätigen chen Umfeld ihres Vaters eine Stelle im öffentlichen Während Tessenowstudentinnen der Übergang ins Töchtern ambivalent, wird die ältere Schwester im Anschluss an Dienst. Auch wenn manche nach dem Studium in ih- Berufsleben i.d.R. ohne Verzögerung gelingt, sind ihr Ökonomiestudium verheiratet. re Herkunftsfamilien zurückkehren, eine berufliche Bauhausstudentinnen manches Mal zunächst arbeits- 44 Ausnahmen von dieser Regel könnten Fridel Schmidt und Ruth Perspektive eröffnet sich ihnen dort in der Regel los, auf kleine Aufträge oder die Zusammenarbeit mit Weckend sein. Schmidt ist Ende der dreißiger Jahre als freibe- nicht.42 Kollegen angewiesen. Ihr Übergang ins Berufsleben rufliche Architektin unter ihrer Heimatadresse eingetragen, die vollzieht sich zumeist ebenso fließend wie fragil, wäh- Gaststudentin Weckend ist spätestens ab den fünfziger Jahren Die elterlichen Haltungen in der Frage beruflicher rend TH-Diplomandinnen nach dem Diplom in aller als Architektin unter der Adresse des ehemals väterlichen Büros Selbständigkeit der Töchter zu rekonstruieren, bleibt Regel den Statuswechsel zur bezahlten Architektin in Oberhausen tätig. aufgrund der disparaten Rahmenbedingungen und vollziehen können. In die Unsicherheit einer freiberuf- 45 So beschreibt Jost das Vorgehen Max Bills und Hans Fischlis. wenigen Quellen schwierig. So finanziell wohlbehal- lichen Existenz begeben sich unmittelbar nach dem Das durch den Vater Fischlis beauftragte „Haus Schlehstud” in ten manche der Tessenow- und die meisten der ar- Diplom nur wenige. Den innerhalb des Berufsfeldes Obermeilen,1933 bezeichnet er in der Biografie denn auch als chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen studie- theoretisch denkbaren - aufgrund unterschiedlicher „Meisterstück“. Jost, Karl: Hans Fischli, Zürich, 1992, S.15 - ren konnten, die familiären Vermögen hatten unter Interessenlagen wie des standesrechtlich protektio- Fischli, der eine Bauzeichnerlehre nahezu durchlaufen, vor der den Wirtschaftskrisen der zwanziger Jahre zumeist nierten Umgangs mit intellektueller Autorschaft je- Abschlussprüfung jedoch ans Bauhaus Dessau abgereist war, deutlich gelitten. Manche Eltern waren durchaus be- doch höchst schwierigen50 - Übergang zwischen An- dort nie die Bauabteilung erreichte, arbeitete ab 1929 bei Huba- reit, die Tochter auch weiterhin finanziell zu unterstüt- gestelltenstatus und Freiberuflichkeit vollzieht in den cher und Steiger, wo lt. Jost, aus dem Bauzeichner ein Archi- zen. Für eine weitergehende Unterstützung reichten ersten Jahren des Berufseinstiegs keine einzige der tekt wurde. 1935 baut er Oskar Schlemmers Atelierhaus in Ba- die Mittel der meisten Familien jedoch nicht. Das An- Tessenow- oder Bauhausstudentinnen. Ähnlich unat- denweiler. gebot einer ‘Büroaussteuer’, wie es Karola Bloch er- traktiv scheint die staatliche Laufbahn: Nur eine Di- 46 Es gibt bisher keinerlei Nachweis dieses Hauses in Elbing, von innert43, scheint keiner der ehemaligen Bauhaus- oder plomandin schlägt diesen Weg ein. dem auch nicht bekannt ist, ob es sich um ein privates Wohn- Tessenowstudentinnen offeriert worden zu sein.44 haus oder ein Mietshaus handelt. Lässt sich demgegenüber vielleicht ein Rückhalt Was kennzeichnet die Berufseinstiege von Architek- 47 Brief von Ferdinand Wilke vom 20.2.1934, NL Mauck durch Freundinnen oder Frauen aus der Familie beim turstudentinnen der Weimarer Republik? In welchem 48 „Ich habe vorgeschlagen, daß Du die Bauzeichnungen etc. ma- beruflichen Einstieg ausmachen? Wie bspw. bei Verhältnis stehen Kompetenzerwerb, Studienqualifi- chen könntest. Er wäre damit einverstanden. - Honorar Null - Elisabeth von Knobelsdorff, die ihren ersten freiberuf- kation und Berufseinstieg? Aber unter Deinem Namen die Ausführungen als Architekt. (..) lichen Auftrag von ihrer Tante erhielt. Oder realisieren Wie wir anhand der Tessenowdiplomandinnen sahen, Nun mein Lütten, überlege Dir die Sache einmal und gib mir Studentinnen der Weimarer Republik vielleicht Auf- bot ein anerkanntes Diplom Architekturstudentinnen recht bald Bescheid (..) ich würde dann sofort die Angelegenheit träge frauenbewegter Mäzenatinnen - wie dies bspw. der Weimarer Republik ganz offensichtlich gute Vor- weiterbehandeln.“ Ibid., Blatt 2 bei Emilie Winkelmann der Fall war? Anni Gunkel aussetzungen, um unmittelbar im Anschluss an das

188 Ambitionen und Realitäten Studium einen Berufseinstieg zu finden. Im Vergleich erInnen lagen, so bearbeiteten Bauhausstudentinnen der Berufseinstiege wird sichtbar, dass das Bauhaus- während des Studiums häufiger Themen des Sied- Diplom zeitweilig nur in eingeschränkten Bereichen lungsbaus. Tessenowstudierende verfügten für den des Berufsfeldes verwertbar war. Die Einstiegssitua- privaten Bereich mit ihren Studienprojekten ggfs. be- tion für die wenigen Bauhaus-Diplomandinnen stellt reits über Referenzobjekte, während der Entwurf von sich gegen Ende der Weimarer Republik nicht nur als Prototypen und industriell vorgefertigten Bauten auf schwieriger dar als für TH-Diplomandinnen, sondern institutionelle Auftraggeber - Kommunen, Siedlungs- auch als für ehemalige Bauhausstudentinnen zu Be- gesellschaften und Systemmöbelproduzenten - ange- ginn der zwanziger Jahre. Damit erweist sich die for- wiesen blieb. Selbst mit einem Bauhaus-Diplom sind male Qualifikation im Übergang zum Nationalsozialis- Bauhausstudierende damit just in einem Arbeitsbe- mus für Architektinnen als eine Achillesferse des Be- reich qualifiziert, der B-erufseinsteigerInnen innerhalb rufseinstiegs. Zum anderen bestätigt sich angesichts freier Büros wie von Seiten institutioneller Auftragge- der Berufseinstiege der vier Bauhausdiplomandinnen, ber nur allzu selten zugestanden wird. Auch hinsicht- dass ihr Diplom in aller Regel eben nicht einem TH- lich der Verwertbarkeit bautechnischer Kompetenzen Diplom entsprach, auch wenn der Studienumfang im ebnete das Bauhausstudium - zumal ohne Praktika - Einzelfall dem an einer TH entsprechen konnte.51 kaum einen Einstieg für angestellte Positionen. Die Schon Mitte der dreißiger Jahre ändert sich die Situa- konkrete Mitarbeit blieb manches Mal sogar auf reine tion allerdings erneut: Während des Nationalsozialis- Zeichenarbeit beschränkt. mus finden sowohl Bauhaus- als auch Tessenowdi- Im Unterschied zu den meisten Bauhausstudentinnen plomandinnen - soweit sie ‘arisch’ sind - ohne größe- hatten Tessenowstudentinnen die Realität der Bau- re Zeitverzögerungen Arbeit im Bereich Architektur.52 stellen während der Praktika zeitweilig kennengelernt. Während Kompetenzerwerb und Studienerfolge dem Im Unterschied zu Lotte Tiedemann, die nach Kunst- Berufseinstieg von Tessenowstudentinnen sichtbar gewerbeschule und „Lehre“ bei einem Architekten förderlich waren, führten verweigerte Qualifikationen „aufgeregt“ war, „als ich zum ersten Mal angewiesen und Entmutigungen am Bauhaus bereits im Architek- wurde, einen Bau zu überwachen“ und sich genötigt turstudium häufig zu Selbstzweifeln, dem Abbruch sieht, sich „gewissermaßen von der negativen Seite des Studiums oder dem Aufgeben der architektoni- her in den nötigen Respekt zu bringen“ 53, scheinen schen Ambitionen. Manche Studentinnen ließen sich Tessenowstudentinnen Bauleitungsfunktionen auch durch die Verweigerung des Kompetenzerwerbs nicht ohne größere Aufregung auszuüben, so bspw. Pfeif- entmutigen, sondern setzen - wie wir dies bei Bánki fer, Engels, Korte und Hohmann. 49 Wilke legt bis Anfang März 1934 einen Vorentwurf vor. Woran beobachten konnten - ihr Studium geradezu ange- der Auftrag scheitert, ist bisher unbekannt. Das entsprechende Die Büropaktika wurden von Bauhausstudentinnen spornt fort. Auch anhand der Ausbildungswege von Grundstück war im Frühjahr 1934 noch nicht im Besitz des Bau- nur ausnahmsweise, von Tessenowstudentinnen aus- Stefanie Zwirn und Paula Marie Canthal wird deutlich, herrn. Im Juli 1934 stirbt jedoch auch der Vater Wilkes. nahmslos absolviert. Häufig volontierten sie über die dass manche Studentinnen ihren Berufsentschluss 50 Zur Problematik der Autorschaft in der Architektur vgl. Kap.9 vorgeschriebenen sechs Monate hinaus. Lediglich bei nicht von zuerkannten Bewertungen abhängig ma- selfmade woman in a manmade world Werkstudentinnen lassen sich jedoch Berufseinstiege chen. Zwirn legt Ostern 1919 die Vorprüfung lediglich 51 Dies wurde bspw. am Studienpensum Hilde Reiss´ deutlich. Das in zuvor bereits bekannten Büros nachweisen.54 mit „befriedigend“, 1922 an der TH Karlsruhe die Di- Studium am Bauhaus umfasste - auch nach Gründung der Bau- plomhauptprüfung mit „genügend“ ab. Canthal wird Beim Übergang ins Berufsfeld kommt den Baustel- /Ausbauabteilung - stärker baufremde Fächer, ein geringe-res 1924 als Architekturstudentin an den VS in Berlin ab- len- wie Büropraktika damit i.d.R. eine mittelbar pro- fachspezifisches Spektrum als das Architekturstudium an ei-ner gewiesen. Um 1923 resp. 1935 treten Zwirn und fessionalisierende Funktion zu. Neben der Nutzung TH. Insbesondere die Grundlagenvermittlung kanonisierten Canthal in Berlin Anfangsstellungen als Architektin- von Referenzen stärkte der zeitweilige Einblick in die Fachwissens war am Bauhaus geringer. Auch die Anzahl der nen an. Berufsrealisitäten das Selbstbewusstsein der Archi- bearbeiteten Entwurfsaufgaben wurde am Bauhaus variabel ge- tektinnen. Um beauftragt zu werden - der Vorausset- handhabt, während sie in den Studienordnungen der Techni- Während sich Bauhausstudentinnen im Studium häu- zung jeglicher freiberuflicher Tätigkeit in der Architek- schen Hochschulen festgelegt war. fig mit innenarchitektonischen Entwürfen oder The- tur - sind ArchitektInnen auf den Gewinn von Wettbe- 52 Vgl. Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus men des Siedlungsbaus beschäftigten, bringen Tes- werben, häufiger jedoch auf Empfehlungen und Be- 53 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tageblatt vom senowstudentinnen aus dem Studium ein an privaten ziehungsgeflechte angewiesen. Solche Geflechte per- 7.7.1935 BauherInnen oriertiertes und damit auch breiter ver- sönlicher Beziehungen spielten im Seminar Tesse- 54 Keine Diplomandin kehrt als Architektin in das Büro zurück, das wertbares Repertoire mit. Auch deshalb gelingt ihnen now eine kaum erkennbare Rolle. Für Bauhausstu- sie als Praktikantin im Studium kennengelernt hatte. Von den der Berufseinstieg leichter. Denn wie anhand des dentinnen waren sie nicht selten bereits beim Quali- Werkstudentinnen arbeitet bspw. Hanna Blank nach Studienab- Studienvergleichs deutlich wurde, unterschieden sich fikationserwerb relevant. schluss 1930 erneut für die AHAG von Adolf Sommerfeld, kehrt die während des Studiums bearbeiteten Aufgaben auch Hildegard Harte nach dem Diplom 1933 zunächst in das und Themenspektren erheblich. Während an der TH Bei öffentlichen Architekturwettbewerben bleiben die Büro von Walter Gropius und Adolf Meyer zurück. Evtl. arbeitet Charlottenburg - und insbesondere im Seminar Tes- Namen der TeilnehmerInnen anonym. Publiziert wer- auch Ludmilla Herzenstein nach ihrem Diplom 1933 erneut im senow - kleinere Raumprogramme bearbeitet wur- den im Regelfall die Namen der PreisträgerInnen so- Büro Alexander Kleins, bei dem sie bereits als Werkstudentin den, die ‘dicht’ an der Nachfrage privater Auftraggeb- wie die der Jurymitglieder. Gegen Ende der Weimarer gearbeitet hatte.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 189 Republik zeigt damit auch das Wettbewerbswesen in Bauhausstudenten wie Gerd Balzer60 oder Werner 55 So wird bspw. 1932 beim Wettbewerb für den Neubau des Kol- der Architektur zunehmend Schließungen. So werden Zimmermann61, Walter Tralau, Max Enderlin62, Hubert legienhauses der Universität Basel der Entwurf der Mathemati- bspw. Architekten-Wettbewerbe nicht mehr als Aus- Hoffmann, Wils Ebert, Eduard Ludwig, Herbert Hirche kerin Frl. Paula Schildknecht, Eschlikon mit einem von vier An- schreibungen zur Erlangung bestmöglicher Architek- und Carl Bauer finden im Anschluss an ihr Studium käufen ausgezeichnet, dann jedoch disqualifiziert, da er „den tur, sondern als berufsständische Wettbewerbe unter einen Einstieg ins Berufsfeld Architektur. Selbst Kom- Programmbedingungen nicht entspricht“, Zentralblatt der Bau- Architekten definiert.55 Ein weiterer Schritt der Schlie- militonen ohne Diplom, wie Rudolf Lutz und Ernst verwaltung, 1932, S.240 ßung bildet sich wörtlich ab: Die nach wie vor aus- Louis Beck63, oder mit einem Bauhausdiplom außer- 56 In den frühen zwanziger Jahren lassen sich bspw. in Architektur- schließlich männlich besetzten Preisgerichte wenden halb von Bau/Ausbau - wie bspw. Otto Rittweger - wettbewerbe noch komplette Namenslisten aller TeilnehmerIn- sich in steigendem Maße von ‘offenen’ Wettbewer- scheinen eher einen Einstieg ins Berufsfeld zu finden nen finden. Erst weitere Untersuchungen könnten zeigen, ob ben ab, befürworten zunehmend Wettbewerbe unter als Tischlereigesellinnen mit Bau(haus)-Diplom.64 diese Reduktion evtl. dem Verständnis von Wettbewerben als „bewährten Kräften“. Demgegenüber erscheint eine Konkurrenzen unter Männern geschuldet ist. Poelzig „leitete eine ‘Meisterklasse’ an der Kunst- weitere Verengung fast marginal: Wird bis Ende der 57 Eine Aussage darüber, in welchem Verhältnis ihre Teilnahmen zu schule, der sogenannten Akademie (..) Die Hoch- zwanziger Jahre daran festgehalten, die Zahl der Ein- den bekannt gemachten Erfolgen stehen, ist nicht möglich. Eine schule, das war die große Klasse: dreißig bis vierzig sendungen zu nennen, so verschwindet Anfang der Analyse, wie sie Doris Haneberg für 300 Wettbewerbsverfahren Studierende. Die Akademie war intimer, war der dreißiger Jahre nun auch noch dieser abstrakte Maß- seit 1948 in Berlin durchgeführt hat, ist für die Zeit vor 1945 Übergang könnte man sagen, zu seinem eigenen stab der Selektion, werden nur noch die Namen der nicht verfügbar. Da die Analyse nicht vollständig veröffentlicht Atelier.“ 65 In diesem intimeren Bereich des Über- Preisträger veröffentlicht.56 So lässt sich bisher nur ist, bleiben auch hier Fragen wie die nach bevorzugten Themen gangs finden wir Studentinnen nur in Ausnahmefäl- anhand von Einzelnachweisen belegen, wann sich Ar- offen. Haneberg kommt jedoch zu dem Schluss, „daß sich die len: Camilla Stark, 1930 bei Poelzig diplomiert, ist bis chitektinnen vor und während der Weimarer Republik Rahmenbedingungen für Architektinnen nicht in dem Maße ver- 1932 Mitglied im Meisteratelier. Auch Asta Berling, an Wettbewerben beteiligten.57 ändern, wie sich ihre Anzahl vergrößert.“ vgl. Haneberg, Doris: die nie bei Poelzig studierte, aber gemeinsam mit Frauen und Architektur - Anteil und Status am Wettbewerbswe- Hatten in den zwanziger Jahren gerade Architektin- Marlene Moeschke-Poelzig bspw. die Innenausbau- sen, in: Baufachfrau (Hg.): Frauen in Bau- und Ausbauberufen, nen öfter auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit ten des Rundfunkgebäudes entwarf, wird zeitweilig Berlin, 1990, S.103-106, hier S.105 gesucht - so Liane Zimbler, Friedl Dicker oder auch Mitglied des Meisterateliers. Was Posener nicht als 58 Vgl. Kap.3, S.40. Gretel Norkauer58, - und sich zunehmend an Wettbe- Selektionsprozess benennt, sondern als „Übergang 59 Vgl. S. 186, FN 20. werben beteiligt, so liegt der Verdacht nahe, dass die (..) zu seinem eigenen Atelier“ umschreibt, zeigt deut- 60 Gerd Balzer (1909-1986) Tischlerlehre SS29 Vorkurs Albers, WS Neuregelungen des Wettbewerbswesens von Seiten liche Parallelen zur Situation der privaten Bauateliers 29/30 - SS 1930 Me und Ti, SS31-SS32 Studienreise durch des organisierten Berufsstandes durchaus als geziel- am Bauhaus. Bei Tessenow werden derlei „Übergän- England, 15.8.1932 Bauhaus-Diplom für Bau/Ausbau, kann ab te Schließungen betrieben wurden. ge“ durch die klarere Trennung von Lehrtätigkeit und 1933 in Rostocker Architekturbüros mitarbeiten, später in Orani- eigener Praxis nicht sichtbar. enburg und Salzgitter. Da aber gerade in dieser Grauzone des Übergangs 61 Zimmermann erhielt das Diplom Nr.29 bereits 12.11.1930. Er Beziehungen und Bezüge der Statusdistribution durch Selektion eine Schlüssel- arbeitet ab 1931 - mit kriegsbedingter Unterbrechung ab 1941 - Nach welchen Kriterien wählten Architekturstudentin- funktion zukommt und hier in zeitlicher Nähe zum durchgängig als Architekt. nen ihre Arbeitsstellen aus? Nicht immer wird die Studium persönliche Entwicklungen ehemaliger Stu- 62 Vgl. Fiedler, 1987, S.149. Max Enderlin (1909-1944) studierte Vergütung so deutlich als Grund für einen Berufsein- dierender mit materiellen Interessen von Lehrern ver- zwischen 1928 und 1932 am Bauhaus Dessau insbesondere in stieg im öffentlichen Dienst genannt, wie dies Ewa flochten werden, changiert die Nähe von Lehrenden der Metall- und Webereiwerkstatt. (Bauhausdiplom Nr. 85) Er ar- Freise für ihre Stelle beim Luftfahrtministerium an- und ehemaligen Studierenden innerhalb einer privat- beitet zunächst als Maler und Grafiker und findet 1935 in einem gibt.59 Während manche Bauhausabsolventinnen erst wirtschaftlichen Bürohierarchie in der Regel zwischen Berliner Architekturbüro eine Anstellung. nach langer Suche überhaupt eine Arbeitsstelle fin- Patronage - prospektierter Statusdistribution - und 63 Rudolf Lutz (1895-1966) studierte 1915 bei Pankok in Stuttgart, den, scheinen sich andere nie beworben zu haben, Verwertungsinteresse. ab 1919 am Bauhaus, nach der Grundlehre in der Tischlerei und lassen sich empfehlen oder werden empfohlen. Gera- Töpferei. 1922 arbeitet er in einem Stuttgarter Architekturbüro, So erinnert Konrad Wachsmann: „Ende Mai rief mich de Stellen im öffentlichen Dienst dürften jedoch kaum ab 1925 selbständig, ab 1948 erneut selbständig. Ernst Louis Poelzig in [Leo] Nachtlichts Büro an. Er teilte mir mit, ohne Bewerbung vergeben worden sein. Auch Tesse- Beck (1908-1957) absolvierte bis 1926 eine Banklehre, arbeitete daß ich im Juli bei ihm anfangen könne. Allerdings nowstudentinnen scheinen sich nur zum Teil um eine dann als Zeichner, 1927 bis 31 als Werkstudent (Elektro) an den müßte ich einen Monat oder vielleicht auch etwas Anfangsstellung beworben zu haben. VS Berlin Architektur, parallel dazu - 1929-30 - an der Ittenschu- länger als technischer Assistent arbeiten, dann hätte le. Er war zwischen Oktober 1931 und April 1933 am Bauhaus Wie wir in Kapitek 4 gesehen haben, bahnte sich für er die Möglichkeit, mich als seinen Meisterschüler an immatrikuliert. Anschließend lebt er vom Möbelbau und Schnit- manche Studenten bereits innerhalb des Bauhauses der Akademie unterzubringen.“ 66 zereien, arbeitet 1937 als Hochbautechniker, ab 1939 als ange- der Wechsel in eine professionelle Existenz an. Dies Hier wird offensichtlich, dass verwertbare Fähigkeiten stellter Architekt. Ab 1946 wird er als selbständiger Architekt in lässt sich auch beim Übergang in die außer(bau)häu- eines Studenten mit Statusdistribution vergütet wer- seinem Geburtsort Ebingen tätig. sige Erwerbsarbeit beobachten. So wechselt bspw. den sollen, die Förderung architektonischer Bega- 64 Otto Rittweger (1904-1965), wird 1926, im Anschluss an sein Erich Consemüller, der direkt im Anschluss an sein bung aufgrund des Kriteriums persönlichen Nutzens Metallstudium am Bauhaus - 1922 bis 1926 bei Moholy und Studium in der Tischlerei zum stellvertretenden Leiter erfolgt. Damit befremdet das Pathos, mit dem Poel- Dell, Gesellenprüfung als Silberschmied - zunächst als Lehrer an der Bauabteilung unter Hannes Meyer avanciert war, zig 1931 unter Beifall seiner Kollegen im BDA die die Architekturabteilung der Burg Giebichenstein berufen bevor 1929 in das Büro Meyer/Wittwer in Berlin und wird Verknüpfung von Selektion und Privilegien verteidigt: er als Architekt tätig wird. Vgl. Fiedler, Jeannine: Fotografie am 1934 - nun auf Vermittlung von Gerhard Marcks - an „hier herrscht als Mittler zur Erkenntnis der Eros, Bauhaus, Berlin, 1990, S.353 die Burg Giebichenstein berufen. Nicht nur ehemalige nicht der rechnende Verstand“. Ohnehin sei nur

190 Ambitionen und Realitäten nachprüfbar, „was technisch richtig oder falsch ist, alles gut eingeschlagen ist, wird man gefragt: ‘Ach, darüberhinaus herrscht das Irrationale. Und hier kann möchten Sie das nicht nächstes Mal auch wieder nur der Meister den Schüler belehren.“ 67 machen?’ Dann sagt man: ‘Doch, gerne’. Und so kommt man auf eine Schiene, die ursprünglich viel- Bonatz benennt in seinen Erinnerungen offen die Vor- 65 Posener, 1994, S.146 leicht nicht vorgeplant war.“ 74 teile des Professorenprivilegs: „Als Hochschullehrer 66 Gruening, 1986, S.140. Wahrscheinlich handelt es sich um den hatte ich die unvergleichliche Gelegenheit, die Ent- Hier werden Zeugnisse - im Unterschied zu Qualifika- Mai 1923 wicklung der Einzelnen zu beobachten, und konnte tionsnachweisen - im Sinne von Empfehlungsschrei- 67 „Dem Schüler vermitteln, kann nur der Schaffende (..) nachzu- von jedem Jahrgang die besten heraussuchen, bei ben vergeben. Konnten solche Referenzen beim Ein- prüfen ist bei uns nur, was technisch richtig oder falsch ist, da- denen es klar war, daß sie nicht nur gute Architekten, tritt in private Architekturbüros durchaus wirkungsvoll rüberhinaus herrscht das Irrationale. Und hier kann nur der Mei- sondern auch gute Kameraden würden.“ 68 In seinem sein, so ließen sich derlei Zeugnisse im Hinblick auf ster den Schüler belehren.“ Poelzig, Hans: Der Architekt, Re- Weltbild sind diese Besten eben „nicht nur gute Ar- öffentliche Auftrag- resp. Arbeitgeber 1931 bzw. 1936 print der Rede von 1931, 1954, S.34 chitekten“, beziehen ihre Attribuierungen auch aus offenbar nicht verwerten: Friedl Dicker gelingt es 68 Bonatz, 1950, S.107 kameradschaftlichen resp. militärischen Tugenden. nicht mehr, an einem öffentlichen Auftrag beteiligt zu 69 „Nach einigen Jahren konnte ich sie meistens mit guten Chan- werden und Katt Both kann nicht - wie beabsichtigt - cen weiterleiten. Wir lieferten junge Bauräte für die Stadtverwal- So landen die „guten Kameraden“ denn auch bei Bo- in ‘der neuen Bewegung’ in Italien Fuß fassen. tungen.“ Ibid., S.107 natz im eigenen Büro. Er verhehlt nicht, dass die Sta- 70 Ibid., S.193 - Auch wenn Bonatz (S.285) doch zu der Einsicht tusdistribution innerhalb des Berufsfeldes, wie auch So gerne und häufig Architekturstudentinnen in Büros kommt: „Ich hatte eine lange Zeit zu wirken, von 1908 bis 1943, innerhalb der Hochschule, nicht uneigennützig er- von Professoren volontieren und arbeiten, evtl. auf ei- das sind fünfunddreißig volle Mannesjahre. (..) Jetzt ist die näch- folgt. Da er „mit Vorliebe mit Jungen und Jüngsten (..) nen Fürsprecher ihrer Belange hoffen, ihnen eröffnet ste Generation an der Reihe (..) Es gibt ein Gesetz, dem sich nicht mit Routiniers“ arbeitet, muss er für die besten sich dort keine Perspektive als eigenständige Archi- keiner entzieht, dem generationsmäßig bedingten Wechsel.“ eines jeden Jahrgangs im eigenen Büro immer wieder tektinnen.75 71 BHA, Gropius-papers II (204), 8/58. Zeugnis Dicker 29.4.1931 Platz schaffen: Er „lieferte“ deshalb Bauräte für die Erwies sich Kameradschaft bei der Stellensuche 72 BHA, Zeugnis Dicker 28.4.1931, unterzeichnet von Itten Stadtverwaltungen.69 Bleibt noch offen, ob bei diesem manches Mal als vorteilhaft, so konnten zuviele Ka- 73 BHA, Gropius-papers 8/58, Anfrage Both, Rom, 28.5.1936. Lancieren Einflussnahme oder Abfindung im Vorder- meraden auch schon mal zum Stolperstein werden. „Sehr geehrter Herr Professor Gropius. Es ist mir durch einen grund steht, so lässt er innerhalb der Hochschule kei- Lotte Beese ist 1929 bereit, für einen qualifizierten persönlichen Besuch in Rom gelungen, vom Sindikarta faschista ne Zweifel an seiner Interessenlage aufkommen. Arbeitsplatz große Entfernungen in Kauf zu nehmen. für Mitarbeit an den Bauaufgaben des Regimes Erlaubnis-Auf- Jahre nach seiner Emeritierung schreibt er: „Dieser Hannes Meyer empfiehlt sie bei Otto Haesler in Celle. forderung und Zusicherung zu erhalten. Bei der obersten Lei- ist heute Dozent an der Technischen Universität an Gegen Ende Mai 1929 äußert Walter Tralau zur mög- tung muß ich zur Regelung der Angelegenheit ein Zeugnis von meinem Lehrstuhl. So ist er für mich Mund und rech- lichen Einstellung Beeses: „nach meiner meinung ge- Ih-nen vorlegen - Bisher brauchte ich das nicht. Es ist mir un- ter Arm und treuester Kamerad.“ 70 fragt, habe ich abgelehnt, denn ich arbeite nicht gern endlich leid, darum bitten zu müssen; aber an dieser Arbeit in In Ermangelung formaler Qualifikationen wenden sich mit damen zusammen.“ 76 Lotte Beese erhält trotz Rom liegt mir so unendlich viel, daß ich hiermit darum bitte.“ - Friedl Dicker und Kattina Both Jahre nach ihrem Bau- Meyers Empfehlung nicht die Chance bei Haesler zu Zeugnis für Katt Both, 1936 hausstudium an Walter Gropius mit der Bitte um Re- arbeiten. Und Walter Tralau wird dennoch mit einer 74 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 ferenzen. Im Frühjahr 1931 bestätigt Gropius schrift- Kollegin konfrontiert: Kattina Both nimmt Ende 1929 75 Nach Studienende arbeiten bspw. Hohmann und Zauleck bei lich, dass sich Friedl Dicker durch „seltene und aus- die Arbeit im Büro Haesler auf. Prof. Walter Löffler, Korte bei Prof. Wilhelm Büning. serordentliche künstlerische begabung dauernd her- 76 BHD 2 - K(1) 1929-05-25 Brief Tralau an Püschel „aus einem Lotte Beese findet im Mai 1920 auf persönliche Em- vorgetan“ habe, und „ihre leistungen und arbeiten zu brief von h.m. [hannes meyer], den er an haesler geschickt hatte pfehlung von Hannes Meyer eine Stelle im Büro von den allerbesten des instituts gehörten“.71 Johannes und der mir vorgelesen wurde, entnehme ich, dass es h.m. mehr Hugo Häring. Hier wird sie lediglich als Zeichnerin Itten empfiehlt „sie aufs beste den Behörden.“ 72 darum zu tun war, seine freundin l.b. [lotte beese] bei uns unter- eingesetzt, weshalb sie Meyer erneut um Hilfe bittet. zubringen, denn er empfahl sie als tüchtige architektin mit stati- Als sich Kattina Both im Mai 1936 mit der Bitte um Die Chance auf Empfehlungsschreiben so unmittel- schen und konstruktiven kenntnissen. (..) ich bitte dich jedoch, ein Zeugnis aus Rom an Gropius wendet weil sie ein bar Einfluss nehmen zu können, bot sich Beese je- über diesen fall, der mir vertraulich von h. mitgeteilt wurde, nicht solches nun vorlegen müsse, bestätigt dieser, dass doch nur durch die Liaison mit Meyer. Sie fängt Ende zu sprechen, da sonst die grössten quatschereien aufkommen sie „ihre Ausbildung vielseitig gestaltet” und sich 1929 als Mitarbeiterin im Büro von Bohuslav Fuchs in können.“ Tralau kommentiert: „es wundert mich nur, dass h.m. „während ihrer Studien durch künstlerische Bega- Brno an. Auch dort sind die ehemaligen Kommilito- in diesem falle wenig wert auf eine praktische ausbildung legt, bung namentlich auf architektonischem Gebiet aus- nen bereits vor Ort, auch dort funktioniert das Infor- die er bei dir so sehr vermisst.“ - Fünf Tage später berichtet gezeichnet“ habe. „Wegen dieser künstlerischen Ver- mations-Netzwerk unter den Kollegen. Im November Konrad Püschel - selbst im Büro Meyer/Wittwer tätig - seinem anlagung verbunden mit hoher Intelligenz, Energie des folgenden Jahres berichtet der ehemalige Bau- Freund Tralau vom Fortgang der ADGB-Bundesschule Bernau. und Können, halte ich sie zur selbständigen Durch- hausstudent Peer Bücking aus dem Büro Fuchs sei- Durch eine Stichelei Tralaus in seiner Loyalität zu Meyer irritiert, führung auch schwieriger Bauaufgaben für hervorra- nem Freund Konrad Püschel: „Lotte Beese geht am brüstet sich Püschel mit seiner Vermittlerrolle: „H.M. hat doch gend befähigt.“ 73 10.11. von Fuchs fort, nach Moskau. (..) Vielleicht L.B. erst nach Pfingsten angeboten und somit erst von mir er- stellt er wieder einen Bauhäusler ein.“ 77 Auch Annamaria Wilke wird dank Lilly Reich via Wil- fahren, dass da etwas [die Stelle im Büro Haesler] in Aussicht helm Wagenfeld weiter vermittelt. „Das ergibt sich Sowohl Tony Simon-Wolfskehl als auch [Gertrud] Ur- war.“ Mehr Verständnis zeigt er für die Motive Meyers: „schein- damals, wenn einem so etwas angeboten wird, und sula Schneider können von der Mitarbeit im Baubüro bar will er L.B. auf eine anständige Art loswerden.“ BHD 2 - K(1) man hat noch nichts anderes auf der Pfanne, dann Gropius nicht profitieren, keine eigenständige berufli- - 1929-05-30 Brief Püschel an Tralau sagt man ja, und dann rutscht man hinein. Und wenn che Perspektive etablieren. Ihre Berufschancen blei- 77 BHD 2-K-1930-11-02 Brief Peer Bücking an Konrad Püschel

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 191 ben auf architektonischem Gebiet auf einzelne Arbei- deren Diplom. ten beschränkt. Selbst die wenigen Bauhausstuden- Huerkamp verwies darauf, dass Studentinnen, die tinnen, denen im Studium ein Zugang zu räumlichen promovieren wollten, dafür geeignete Professoren Werkstätten und Architekturprojekten gelang, können finden mussten. Andererseits habe manche Studentin aus ihrer Partizipation an Projekten, ihrer Beteiligung der Kaiserzeit erst aufgrund der Ermutigung durch an der Architekturproduktion, ihrer Nähe zu den Pro- (männliche) Lehrer die wissenschaftliche Laufbahn tagonisten bei der beruflichen Etablierung keinen angestrebt.83 Es spricht bisher wenig dafür, dass Ar- Vorteil ziehen. Während das Verhältnis zwischen Leh- chitekturstudentinnen während der Weimarer Repu- renden und Studentinnen am Bauhaus deutlich weni- blik von seiten eines Architekturprofessors zur Pro- ger distanziert war als an Technischen Hochschulen motion und zu einer wissenschaftlichen Laufbahn er- und einzelne Studentinnen - wie bspw. Beese, Both mutigt worden sein könnte: Architekturstudentinnen und Wilke - beim Berufseinstieg persönliche Bezie- promovieren selten, noch seltener innerhalb einer Ar- hungen zu Lehrenden nutzen können, diese Patrona- chitekturfakultät.84 Nur Ruth Weckends Promotion gen sind zeitlich nur sehr beschränkt wirksam, i.d.R. 78 Tessenow kannte Familie Pfeiffer, war anlässlich seiner Besuche verläuft planmäßig. Hildegard Korte findet im zweiten auf die Zeit einer Liaison begrenzt. in Kassel dort mehrfach zu Gast. Vgl. Biografie Pfeiffer. Anlauf an einer anderen Fakultät die Möglichkeit zur 79 Auf den Karteikarten von Studentinnen ist nach dem Diplom Auch einige, wenige Tessenowstudentinnen verfüg- Promotion, während Helga Karselts Ausscheiden dar- i.d.R. kein aktualisierter Adresseintrag mehr zu finden. ten über ein Vertrauensverhältnis zu Tessenow, das auf hindeutet, dass sie nach mehrjährigem Abwarten 80 Karte H.T. an Karl Gunkel, Neubrandenburg 27.6.1941, NL Pfeif- durchaus als persönlich bezeichnet werden kann. So - wenn auch nicht die wissenschaftlichen Ambitionen fer erinnert Hanna Blank bspw. einen Autoausflug, der so doch - die Promotion aufgibt. 81 Vgl. Biografie Nießen. Ende der zwanziger Jahre unternommen wurde, um Vielsagend - im Hinblick auf die fördernde Haltung 82 „Als meine Zeit bei Tessenow zu Ende war, verdingte ich mich Heinrich Tessenow anlässlich seines Geburtstages zu von Architekturprofessoren - ist ein Zeugnis, das der bei einem Bauunternehmer, danach bei einem Tischlermeister. überraschen. Auch Lieselotte von Bonin gehört zu je- Baugeschichtsprofessor Daniel Krencker seiner Hilfs- (..) Dann verließ ich Berlin und arbeitete in Freiburg bei einem nen Studierenden, die - auch nach dem Studium - assistentin Helga Karselt mit auf den Weg gibt, als Architekten, der Nazi war und Mütterheime entwarf. Da machte den Kontakt zu Tessenow pflegen: Mensch traf sich sie auf eigenen Wunsch nach fast fünf Jahren zum ich mich bald wieder davon, fuhr mit dem Fahrrad nach Berlin zum Gedankenaustausch im privaten Rahmen. Etwas 1.April 1935 ausscheidet, „um als Architektin einen zurück und wußte zunächst nicht, was ich tun sollte. Durch Ver- mittelbarer und wahrscheinlich aufgrund einer Einla- sie befriedigerenden Beruf zu finden“. Aus ihrer Bio- mittlung von Tessenow bekam ich eine Anstellung bei Professor dung des Vaters lernt bspw. Anni Pfeiffer bereits vor grafie wissen wir, dass sie auch nach dem Diplom als Kurt Frick in Königsberg, einem Konjunkturritter, der aber die ihrem Studium Heinrich Tessenow kennen.78 Für kei- Entwerferin tätig war. Anhand eines 1932 publizierten Lehrtätigkeit weitgehend mir überließ.“ Karl Buttmann in: Ro- ne Studentin wird die Nähe zu dem bewährten Bau- Entwurfes lässt sich belegen, dass sie auch Studien- scher, Achim: Lüttenort, Das Bilder-Leben und Bild-Erleben des meister beruflich wirksam. In Korrespondenz wie im projekte betreute und ihre fachlichen Interessen ein- Malers Otto Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989, S.108 privaten Umgang wahrt Tessenow gegenüber (ehe- bringt. Im Unterschied zu den Ausführungen des Ar- 83 Huerkamp, 1996, S.150-151 maligen) Studentinnen Distanz. Während er bei zahl- beitszeugnisses beschränkten sich ihre Kom-petenz- 84 Lediglich die Promotion Marie Frommers 1919 wird an einer reichen ehemaligen Studierenden bei Geburt eines bereiche damit nicht auf Stenografie und das Schie- Architekturfakultät angenommen und bleibt lange Jahre die ein- Kindes der Bitte um Patenschaft entspricht - so über- ben von Lichtbildern für den Professor.85 So zufrieden zige Dissertation einer Studentin an einer Architekturfakultät. Als nimmt er bspw. Patenschaften für Kinder von Schnei- Professor Krencker mit ihren Dienstleistungen ist - er bspw. Helen Rosenau, die sich zum Herbst 1924 an der TH der/Ehren, Pfeiffer/Gunkel und von Bonin - zu ehe- listet alle Hilfstätigkeiten bis in nebensächlichste De- Charlottenburg für Architektur immatrikuliert hatte, über „Der maligen Studentinnen pflegt er nach Beendigung des tails auf, und so wenig er diese hilfsbereite Person Kölner Dom, seine Baugeschichte und historische Stellung“ pro- Studiums nur ausnahmsweise Kontakte.79 Als seine verlieren möchte, deren fachlichen wie wissenschaft- moviert, tut sie dies an der Universität Hamburg (1932). ehemalige Diplomandin Anni Pfeiffer das erste Zwil- lichen Ambitionen erwähnt er mit keiner Silbe. Damit 85 Frau und Gegenwart, 1931/32, H.6, März 1932, S.159. Dieser lingspaar zur Welt bringt, übermittelt Tessenow: „Lie- legt dieses Zeugnis für die Mitarbeiterin beredtes Entwurf für ein Studentinnenwohnheim wurde von ihr gemein- ber Herr Gunkel (..) Ihnen und ihrer lieben verehrten Zeugnis davon ab, wie wenig diesem Professor an sam mit Studentinnen entwickelt. Gattin herzlichste Glückwünsche zur Geburt des jedweder wissenschaftlichen Qualifikation seiner 86 „Sie war in allem zur Hand“ - So sehr sich Prof. Krencker im Stammhalters.“ 80 Assistentin lag.86 Zeugnis auch bemüht, Karselt als zuverlässige Person, ihre Tä- Im schriftlichen Nachlass Tessenows lassen sich etli- tigkeit als verdienstvoll zu beschreiben, dies Zeugnis gibt inhalt- Klara-Maria Kuthe ist ein Beispiel aus dieser Genera- che Empfehlungsschreiben für ehemalige Studenten lich wie im Duktus weniger Auskunft über die Ambition der Assi- tion, bei der die Ermutigung von seiten einer Schule finden, was zeigt, dass auch er individuellen Empfeh- stentin als die des Professors: „Sie leitete auch die umfangrei- zum Schlüssel der eigenen beruflichen Perspektive lungsschreiben für den Zugang zu manchen Projek- che Lichtbildsammlung, bediente während der Vorlesungen in wird. Seit 1915 Schülerin an der Handwerkerschule in ten und Büros durchaus Wirkung beimisst. Die Bitte der ganzen Zeit den Lichtbildapparat, half gelegentlich auch bei Halle/Saale, studiert sie in der Klasse für Architektur einer ehemaligen Studentin auf Rat bzw. Empfehlung der Verwaltung der Bibliothek, sie erledigte schriftliche und und Raumausstattung von Paul Thiersch sowie der bleibt jedoch unerhört.81 Während sich Tessenow bei zeichnerische Arbeiten, widmete sich der Buch- und Kassenfüh- Klasse für kunstgewerbliche Frauenarbeiten bei Maria der beruflichen Etablierung seiner ehemaligen Stu- rung, half mit bei der Vorbereitung von Ausstellungen und Stu- Likarz. Anschließend ist sie ab 1919 für ein Jahr als denten - auch mehrfach und auf informeller Ebene, dienreisen und gab vor allem den Studenten Auskunft über alle Assistentin von Likarz tätig. Dass das Angebot einer wie nicht nur Karl Buttmann erinnert82 - durchaus hel- das Fach und Studium angehenden Angelegenheiten. Sie be- Professionalisierung aus dem Bereich kunstgewerbli- fend einsetzt, endet seine Unterstützung bei berufli- herrscht die Stenographie und die Schreibmaschine.“ Zeugnis che Frauenarbeiten kommt, aus dem Bereich Archi- chen Belangen seiner Studentinnen offensichtlich mit Daniel Krencker für Helga Karselt vom 31.3.1935, NL Schuster tektur ausbleibt, scheint symptomatisch. Klara-Maria

192 Ambitionen und Realitäten Kuthe wird nach Abschluss ihres Studiums 1921 der Weimarer Republik mit dem ‘reproduktionsfähi- nicht in der Architektur tätig, sondern Leiterin der gen Alter’, der Zeit von Heirat und Familiengründung Emailwerkstatt an der Burg Giebichenstein.87 zusammen. Auch wenn das Heiratsalter von Archi- tektinnen weit über dem Durchschnitt liegt und weni- Das „Wie die Väter so die Töchter...“ 88 wird von der ger als 20% der ehemaligen Tessenow- wie der ar- Generation der Architekturstudentinnen der Weimarer chitekturinteressierten Bauhausstudentinnen ledig Republik an Technischen Hochschulen durchexer- bleiben, mehr als zwei Drittel heiraten. Die meisten ziert: Nicht nur die Söhne, auch die Töchter von Ar- dieser Architekturstudentinnen heiraten zwischen chitekten und Ingenieuren - und nicht nur diese - ab- 1931 und 1937 nicht zuletzt deshalb, weil sie eine solvieren das akademische Studium und das Diplom Familie gründen möchten. Der Kinderwunsch scheint erfolgreich, treten im Anschluss an das Diplom auch bei Tessenowdiplomandinnen, die bei Heirat meist fast ausnahmslos in das Berufsfeld ein. Traditionelle älter sind als Bauhausstudentinnen, deutlicher ausge- Orientierungen, in der Familie wie im Studium, stehen prägt. Dieser Abwägungsprozess ist in aller Regel der Fächerwahl dieser Studentinnen nicht mehr wirk- nicht verschriftlicht. 1938 schreibt bspw. die 26jähri- lich im Wege, sondern wirken sich im Studienverlauf ge, ehemalige Bauhausstudentin Judith Müller-Tour- wie im Studienerfolg sichtbar positiv aus. Auch wenn raine [geb. Káràsz], „daß ich endlich einmal ein Kind Studentinnen zeitweise in familiären Büros mitarbei- haben möchte, denn ich bin schließlich eine Frau, teten89, im Unterschied zur traditionellen ‘Berufsverer- wenn ich auch in Hosen herumlaufe und für einen bung’ in den freien Berufen - vom Vater auf den Sohn 16jährigen Bengel gehalten werde. Es ist mir zwar - erhält keine der hier betrachteten Architektinnen die klar, daß dies Kind auch nur die Menschheit noch Chance, das väterliche Büro zu übernehmen. mehr vermehren würde, aber ich möchte nur eins Damit erscheint die von Glaser für die Kaiserzeit be- haben.“ 92 schriebene Ambivalenz ‘berufsvererbender’ Väter ge- genüber ihren ‘Berufserbinnen’ während der Weima- rer Republik nahezu unverändert. Und an den Hoch- Komplexität und Widerspruch: schulen scheint ein Konsens unter den Professoren Das Modell der Kameradschaftsehe dafür gesorgt zu haben, ehemalige Studentinnen we- Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen mussten beim der zu empfehlen noch innerhalb der Fakultäten über Übergang ins Berufsfeld auf Ermutigungen durch ihre den Status der Hilfsassistentin hinaus zu qualifizieren. Lehrer i.d.R. verzichten.93 Umso wichtiger wurde die Bildet sich in zahlreichen (Diplom-)Bewertungen der fachliche Motivation, hohe Flexibilität, eine unbeirrba- Arbeiten von Architekturstudentinnen die Wertschät- re Hartnäckigkeit und unterstützende Rahmenbedin- zung der fachlichen Leistung von seiten der Lehren- gungen im privaten Kreis. Nicht überall konnten oder den noch ab, so wird im Anschluss jenseits von Lei- wollten die Herkunftsfamilien eigene Hilfestellung bie- stungen geschlechtsexklusiv selektiert. Bei Bonatz ten. Anders als die Architekturstudentinnen der findet sich ein Hinweis, wie während der zwanziger Kaiserzeit, die Familiengründungen unter den gege- 87 Zu Klara-Maria Kuthe (1894 -1981) vgl. Kurzbiografie in: Dolg- Jahre „eine aufrichtige Kameradschaft ohne Eifer- benen Umständen i.d.R. meiden, entscheidet sich die ner, 1993, S.540 - und Kap.9, Akademische Ambitionen. sucht und Neid“ 90 - Selektion und Umgangsformen ganz überwiegende Mehrheit der Architekturstuden- 88 So der Titel der Untersuchung von Margot Fuchs über Studen- unter Kollegen ‘vererbt’: „Die Assistenten waren [bei tinnen der Weimarer Republik nicht eindeutig zugun- tinnen an der TH München. Fuchs, München, 1994 der gemeinsamen Beurteilung der Diplomarbeiten] sten der Berufspriorität. Selbstbewusst halten die 89 Bspw. Hilde Reiss bei ihrem Onkel, Ruth Josefek bei ihrem Va- zugegen und sollten lernen, wie Männer verschiede- meisten Studentinnen Beruf und Familie für verein- er, Maria Müller bei ihrem Mann. Auch Heidenreich, Lederer, ner Auffassung nach dem gerechten Ausgleich such- bar. Dabei scheint insbesondere die Heirat mit einem Loewe, Rossius und Zosel könnten - zumindest zeitweilig - in ten.“ 91 Architekten vielversprechend, der Ehevertrag eine Art den väterlichen Büros gearbeitet haben. Ab Mitte der zwanziger Jahre erweisen sich beim Be- Optionsschein, um - wie die Mehrheit der Kollegen - 90 Bonatz, 1950, S.104ff: „Wir waren sehr verschiedenartige Män- rufseinstieg von Architekturstudentinnen für etwa ein weder auf Berufstätigkeit noch auf Kinder verzichten ner, (..) aber wir waren eine aufrichtige Kameradschaft ohne Ei- Jahrzehnt Kompetenzerwerb wie die formale Zertifi- zu müssen. fersucht und Neid.“ Diesem Kollegium gehörten lt. Bonatz zierung von Studienerfolgen als Schlüssel zum Be- „Schmoll von Eisenwerth, Bonatz, Fiechter, Janssen, Schmitt- Claudia Huerkamp hat im Vergleich zwischen den rufsfeld. Darüberhinaus entscheiden Beziehungen henner, Wetzel, Keuerleber und Stortz, später Tiedje“ an. Studentinnengenerationen festgestellt, dass sich in und Statusdistribution über Bezüge, erreichbare Stel- 91 Bonatz, 1950, S.105 der Generation der Weimarer Republik - quer zu allen lungen und Aufträge. Nur in Ausnahmefällen erhalten 92 Schreiben von Judit Müller-Tourraine, Bondegaard, 11.4.1938; Disziplinen - anteilig mehr Frauen gegen die Berufs- ehemalige Architekturstudentinnen jedoch diese not- DAM, NL Meyer tätigkeit entscheiden.94 Es handelt sich dabei offenbar wendigen Referenzen. Dennoch zeichnen sich beruf- 93 Im Unterschied dazu wurde bspw. Konrad Wachsmann von um ein zeitgeschichtliches ggf. generationenspezifi- liche Laufbahnen ab, insbesondere soweit sie eigene Tessenow und Poelzig, Egon Eiermann durch Poelzig ermutigt. sches Phänomen. Bei den von ihr näher untersuchten Ressourcen und familiäre Beziehungen als Anknüp- Wachsmann erinnert diese Ermutigungen als ausschlaggebend Medizinerinnen, fiel auf, dass die Gattenwahl häufig fungspunkte nutzen können. für seine berufliche Entwicklung. Vgl. Guening, 1986, S.140, zu auf einen Kollegen fällt. Dies scheint kein Zufall. Viel- Eiermann vgl. Posener, 1993, S.170. Die frühen dreißger Jahre fallen bei den Studentinnen mehr wird erkennbar, dass bei freiberuflichen 94 Huerkamp, 1996

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 193 Ambitionen die Lebensplanung bevorzugt an einen en in eine mögliche ‘Kameradschaft der Geschlech- Kollegen gekoppelt wird. Hier spiegelt sich das Kon- ter’ bei Tessenowstudentinnen genährt haben könn- zept der Kameradschaftsehe wider: „The Companio- te98, so scheint dies in Kenntnis geschlechtsabhängi- nate Marriage“.95 ger Ausgrenzungen am Bauhaus nicht möglich. Der Trend zur ‘beruflich sinnfälligen Kameradschaftsehe’ Dieses auch in Europa vielgelesene Buch favorisiert bildet sich bei Bauhausstudentinnen jedoch noch Ende der zwanziger Jahre die Vereinbarkeit von Beruf weit deutlicher ab. Sie knüpfen bereits während des und Ehe als idealtypisches, aufgeklärtes und emanzi- Studiums - auffällig häufig im Konfliktfall und beim patives Partnerschaftskonzept. In der Kamerad- Wegbrechen einer eigenständigen Studienqualifikati- schaftsehe wird der geschlechterhierarchisch besetz- on - ihre Perspektive an einen privaten Partner, mit te Begriff der Ehe zum gleichberechtigten Partner- dem sie während des Studiums - auch ohne Trau- schaftskonzept transformiert, was die Reduktion hier- schein - das Kameradschaftsehemodell quasi testen. achisch bedingter Konfliktpotentiale in Aussicht stellt. Lindsey und Evans betonen die hierfür notwendige Eine eigene Berufstätigkeit steht für Tessenowstu- Eigenständigkeit der jeweiligen Partner. dentinnen nach dem Studium in der Regel nicht in Frage. Im Unterschied zu den Kollegen steht ihnen Ihr aus einer subsistenzwirtschaftlichen Produktions- die Möglichkeit, gleichzeitig auch Kinder zu haben gemeinschaft entlehntes Modell stösst in der Realität und die Reproduktionsarbeit verrichten zu lassen nur jedoch an die Grenzen geschlechterkonnotierter Akti- sehr bedingt offen. Waren Tessenowstudentinnen onsradien. Das Modell einer gleichberechtigten resp. schon vor oder im Studium mit Kommilitonen be- gleichwertigen Zusammenarbeit kollidiert offenbar mit freundet, so eröffnete ihnen die Kameradschaftsehe der Konstitution kreativer Subjekte. Denn bei der die Möglichkeit, sich nicht zwischen einer beruflichen Schaffung kultureller, zumeist haltbarer ‘Produkte’ und einer familiären Lebensplanung entscheiden zu wird die Notwendigkeit der Produktion nicht mehr als müssen. Für die beteiligten Herren barg dieses Mo- jeweils lebenswichtige Voraussetzung aller Beteiligten dell allerdings die Gefahr, bei einer beruflich ambitio- unmittelbar evident, sondern - mittelbar - erst herge- nierten Gattin die traditionelle Freistellung von Repro- stellt resp. etabliert. Während dieser Etablierungspro- duktionsarbeit zu verlieren sowie auf beruflichem Ter- zessen werden kulturelle Werte zu- oder aberkannt, rain ggf. mit der eigenen Gattin zu konkurrieren. Hierarchien gefestigt oder aufgebaut. Nach dem Verständnis mancher Architektinnen war Auch Tessenow- und Bauhausstudentinnen lasen die jedoch weiterhin mit der Eheschließung, spätestens auch in zahlreichen Artikeln popularisierte „Kamerad- mit der Geburt von Kindern die eigene Berufstätigkeit schaftsehe.“ Elfriede Knoblauch bezeichnet es 1929 gefährdet. „Ich wollte ja nicht umsonst studiert ha- als „das moderne, zeitgemäße Buch“.96 Das Bild der ben“, kommentiert denn auch Christa Dirxen ihre Ent- Kameradin war zweifelsohne attraktiv, wurde hier scheidung für eine verzögerte Heirat mit einem Kom- doch ein Ausweg aus einem Dilemma offeriert, das militonen.99 zahlreiche Architekturstudentinnen spätestens am Viele Studentinnen der Weimarer Republik suchen in Ende ihres Studiums ereilte. Als private Partnerin wie der Phase des Berufseinstiegs nach einer Vereinbar- als Büropartnerin Interessen und Aufgaben mit einen keit von Berufs- und Privatleben. Zeichneten sich vor Mann zu teilen stellte die Vereinbarkeit von Beruf und und zu Beginn der Weimarer Republik im Hinblick auf Familie, Rückhalt bei beruflichen wie familiären die Gleichstellung von Frauen Liberalisierungstenden- Schwierigkeiten in Aussicht. zen ab, so bleibt die Vereinbarkeit von sozialer Mut- Unmittelbar im Anschluss an das Diplom verlobt sich terschaft mit Berufstätigkeit - gerade in bürgerlichen 95 Lindsey, Judge Ben B. / Wainwright Evans: The Companionate Gertraude Engels mit ihrem Jugendfreund und Stu- Schichten - nahezu undenkbar. Die Diskurse um die Marriage, New York, 1927, erscheint auf deutsch 1928 bei der dienkollegen Alexander Herde. Auch Anni Pfeiffer und ‘neue Frau’ hatten lediglich zur Spaltung zwischen Deutschen Verlagsanstalt in Leipzig. Heinrich Gunkel sind sich schon vor Studienende ei- ‘alten’ Familienfrauen und ‘neuen’ Berufsfrauen ge- 96 Elfriede Knoblauch im Brief an E.L. Kirchner vom 8.3.1929. Erna nig97,und Helga Karselt heiratet 1936 ihren Jugend- führt. Innerhalb des Berufs- wie des Gesellschaftsle- und Ernst Kirchner hatten dieses Buch im Januar 1929 Elfriede freund und Studienkollegen Emil Schuster. Von 20 bens sind weder neue Modelle zur Vereinbarkeit von und Hansgeorg Knoblauch geschenkt. Knoblauch, Gertrud / Eu- ehemaligen Tessenow-Studentinnen, bei denen sich Erwerbs- und Reproduktionsarbeit noch ‘neue Män- gen W. Kornfeld (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Briefwechsel mit eine Ehe nachweisen lässt, heiraten zumindest 13 ei- ner’ in Sicht. War für Architekturstudentinnen der einem jungen Ehepaar 1927-1937, Bern, 1989, S. 65 resp. S.39 nen Bauingenieur resp. Architekten, davon jeweils Kaiserzeit eine Berufstätigkeit bei Heirat, für Frauen 97 „Schon am 6. Dez. 31 waren wir einig, daß wir einander heiraten vier einen Tessenow- resp. Poelzigstudenten. Die An- mit Berufspriorität deshalb eine Heirat noch nahezu würden.“ NL Gunkel / Pfeiffer, LL Anni Gunkel geb. Pfeiffer ver- ziehungskraft der Kameradschaftsehe ist damit bei ausgeschlossen, so sind Studentinnen der Weimarer fasst von Karl Gunkel nach dem 1.7.1941 den Tessenowstudentinnen augenfällig. Republik i.d.R. nicht mehr bereit, sich solcher Aus- 98 „Die mit der zugestandenen und erlebten Ebenbürtigkeit der schließlichkeit zu beugen. Frau ermöglichte Kameradschaft der Geschlechter“ hatte Ger- Lässt sich - in Kenntnis der Studiensituation im Se- trud Bäumer 1930 konstatiert, zit. nach Huerkamp, 1996, S.148 minar Tessenow - vermuten, dass eine „zugestande- So sehr die familiäre Berufstradition - das im Fach 99 Christa Kleffner-Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 ne und erlebte Ebenbürtigkeit der Frau“ das Vertrau- ‘Zuhause-Sein’ - Architektentöchtern den Erwerb be-

194 Ambitionen und Realitäten ruflicher Qualifikationen erleichtert haben mag, das Ehrmann nach Schweden, Segal und Gidoni nach Einordnen in familiäre Traditionen birgt auch für sie Palästina. Zwirn, Berling und Bontjes van Beek blei- das Dilemma eines Konfliktes zwischen Berufsvor- ben im Deutschen Reich.104 stellungen und Rollenerwartung. Knüpfen sie an die Bei den meisten Architektinnen, die zunächst ange- väterliche Berufsrolle an und richten ihre Lebenspla- stellt gearbeitet hatten, sowie den Studentinnen, die nung auf eine professionelle Existenz als Architektin ihr Studium noch nicht oder gerade erst abgeschlos- aus, so brechen sie damit zwangsläufig mit der Rolle sen hatten, ist das berufliche Schicksal in der Emi- ihrer Mütter, womit ihnen i.d.R. nur zölibatäre Le- gration bisher zumeist unbekannt, so bei Ehrmann bensformen zugestanden werden. Möchten sie je- und Chotzen, aber auch bei Hilde Katz und Margot 100 Ausschluss jüdischer Mitglieder: Auch der DWB beschloss auf doch heiraten, gar die soziale Mutterschaft überneh- Loewe, die 1933 in Paris gearbeitet haben sollen.104 seiner Sitzung am 10.6.1933 - mit den Gegenstimmen von Gro- men, können ihre Energien nicht mehr ungeteilt in die Soweit die Lebenswege exilierter Architektinnen re- pius, Wagner und Wagenfeld - den Ausschluss nichtarischer professionelle Existenz fließen. Auch in einem libera- konstruiert werden konnten, ist eine Vielfalt berufli- Mitglieder. Vgl. Kramer, Lore: Marginalien, in: Weißler, 1991, len Umfeld sind diese Rollenbilder nicht annähernd cher Wege erkennbar. Dabei zeichnet sich ab, dass S.61 zur Deckung zu bringen, Irritationen vorprogrammiert. der Verlauf dieser Berufswege insbesondere vom 101 STA Rep.10-02 16642 - Auf der gleichen Liste findet sich bspw. Die Phase des Berufseinstiegs fällt für die meisten Zeitpunkt der Emigration, der beruflichen Situation im auch der Name Alfons Anker. Über ihn wird das Berufsverbot Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in die Zielland, der familiären Konstellation und der Berufs- sechs Monate später, am 9.5.1935 verhängt. Die Brüder Luck- letzten Jahre dieser Republik. Damit sind die Berufs- erfahrung vor Emigration abhängt.105 hardt beendeten die 1923 geschlossene Partnerschaft mit Anker einstiege nicht nur von ökonomischen Krisen, son- bereits 1933. Anker emigrierte 1939 nach Schweden. Relativ früh, nämlich bereits im Mai 1933 betritt Hilde dern auch von spürbaren Verschiebungen des gesell- 102 Ihr Bruder Leopold Frommer war 1934 mit seiner Familie nach Reiss amerikanischen Boden. Aufgrund ihres politi- schaftlichen und kulturellen Klimas gekennzeichnet. London emigriert, nachdem er als Dozent an der TH Charlotten- schen Engagements wurde sie noch vor der Reichs- Außerdem wirft der politische Umbruch seine Schat- burg aus rassistischen Gründen entlassen worden, seine Frau, tagswahl 1933 von ihren Eltern zur Ausreise gedrängt ten voraus: Mit dem definitiven Ende der Weimarer die Violinvirtuosin Jadwiga Elsner auf den Index jüdischer Musi- - ihr Freund Waldemar Alder wird kurz nach ihrer Ab- Republik verändern sich auch die beruflichen Mög- kerInnen gesetzt worden war. In London hatten auch frühere reise verhaftet. Sie hatte ihren Berufseinstieg bereits lichkeiten nicht-jüdischer Architektinnen, häufig Auftraggeber Marie Frommers - wie Heinrich Mendelssohn oder 1932 in Berliner Architekturbüros gefunden. Auch in - wenn auch nicht ausschließlich - in sichtbarer Rela- Gustav Fürstenberg - Zuflucht gesucht. New York findet sie umgehend Arbeitsmöglichkeiten tion zur politischen Assimilationsbereitschaft. Für Ar- 103 Vgl. Karrieren und Brüche im Nationalsozialismus. in den Büros von Gilbert Rhode und Norman BelGed- chitektinnen und Architekten jüdischer Abstammung 104 Rahel Weishaus, die nach ihrer Gesellenprüfung als Tischlerin des. Rohdes Arbeit könnte ihr schon vor der Emigra- brechen Berufs- wie Lebensperspektiven Mitte der zunächst mehrere Jahre in den Büros von Erich Mendelsohn tion ein Begriff gewesen sein, denn 1932 hatte Ca- dreißiger Jahre völlig weg. und Martin Elsässer gearbeitet hatte, war 1930 nach Berlin zu- therine K. Bauer in der ‘Form’ dessen Möbel präsen- rückgekehrt, wo sie sich - inzwischen verheiratet mit dem Kera- tiert und „vernünftige Gestaltung in der Massenware“ miker Bontjes van Beek - als selbständige Innenarchitektin tätig propagiert.107 ist. Sie ereilt das Berufsverbot 1935. - vgl. „Bei mir war eigent- Tod oder Leben? Berufseinstiege im Exil Nicht immer ist der Anlass der Emigration so deutlich lich alles ein Wunder“ Notizen eines Gespräches mit Rahel Nicht erst aufgrund der Nürnberger Rassegesetze wie bei Hilde Reiss, erfolgen Immigration und Job- Bontjes van Beek, das Dorothea Schemme 1990 führte, in: waren jüdische Architektinnen in ihren beruflichen suche so bruchlos. Und neben den ArchitektInnen, Frauen in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.86, S.88. Möglichkeiten beschnitten. Bereits 1933 beraubten EntwerferInnen und GestalterInnen, die auf der Flucht 105 So blieben bisherige Recherchen über exilierte Tessenowstu- berufsständische Organisationen wie der BDA und vor dem Antisemitismus emigrierten, verließen man- dentinnen erfolglos. Friedel Letz soll nach der Reichskristall- der Werkbund ihre jüdischen KollegInnen ihrer be- che Architektinnen bereits in den zwanziger oder zu nacht in die Niederlande, Sigrid Weiß [geb. Rauter] Ende der rufsständischen Legitimation.100 Die Zwangsmitglied- Beginn der dreißiger Jahre das Reich auf der Suche dreißiger Jahre mit ihrem Mann nach Südamerika emigriert sein. schaft in der Reichskulturkammer ab Herbst 1933 nach Arbeitsmöglichkeiten. So wanderte Lotte Cohn Ob resp. wo sie ggf. beruflich tätig wurden, liegt bisher völlig im bedeutete den flächendeckenden Ausschluss jüdi- schon 1921 nach Palästina aus, arbeitete Leonie Pi- Dunkeln. Auch bei manchen der exilierten Bauhausstudentinnen scher Architektinnen und Architekten. Persönlich zu- lewski bereits zwischen 1926 und 1928 in Moskau. verliert sich die Spur bereits während der Emigration. So scheint gestellte Berufsverbote wurden bereits ab Ende 1933 Angela Press in die USA emigriert zu sein. Von Eva Busse ist verhängt. Bis Ende der dreißiger Jahre - wie auch nach 1945 - lediglich bekannt, dass sie zeitweilig in Amsterdam arbeitete. suchen auch nicht-jüdische Architektinnen immer Marie Frommer - bereits 1933 aus dem BDA ausge- 106 Auch wenn sich die Motive von ‘Emigrantinnen’ von denen der wieder ihr Glück, resp. bessere Arbeitsmöglichkeiten schlossen - traf das Berufsverbot mit Schreiben vom ‘Exilierten’ unterscheiden lassen, hinsichtlich der Chancen im im Ausland. So zieht Lotte Beese 1930 zunächst 14.11.1934 aus dem alleinigen Grund: Jüdin.101 Sie Berufsfeld erscheint der Zeitpunkt der Immigration wie die Situ- nach Brünn und 1932 nach Charkow und Moskau, emigriert Im September 1936 nach London.102 Bereits ation im Zielland weitaus maßgeblicher als Gründe resp. Anläs- um an dortigen Projekten mitzuarbeiten. Auch Gerda ein Jahr zuvor - im September 1935 - emigriert die se der Emigration. und Johan Niegeman-Marx siedeln 1932 in die Sow- ebenfalls aus dem BDA ausgeschlossene Ella Briggs. 107 Bauer, Catherine K.: Typenware in Amerika in: Die Form, 7.Jg. jetunion über, um als PlanerInnen in Magnitogorsk Auch jüngere Architektinnen wie Suse Chotzen, Grete H.9, 15.9.1932, S.275 ff. „gegenwärtig gibt es Entwürfe und tätig werden. 1937 folgt ein Umzug nach Amsterdam, Ehrmann, Judith Segal oder Stefanie Zwirn, Innenar- Modelle von einer neuen Generation von Möbelgestaltern, die wo die zwischenzeitlich mit Mart Stam verheiratete chitektinnen wie Elsa Gidoni, Asta Berling und Rahel sich erfolgreich damit beschäftigen, vernünftige Entwürfe für bil- Lotte Beese bereits seit 1934 arbeitet. Ebenfalls in Bontjes van Beek unterlagen dem Berufsverbot, ge- lige fabrikgearbeitete Möbel auszuarbeiten. Einer dieser Archi- die Niederlande übersiedeln 1938 Eva und Andor rieten manches Mal jedoch nicht sofort ins Blickfeld tekten ist Gilbert Rohde“. Bauer stellt Möbel und eine ‘Schlaf- Weininger, die auf der Suche nach Arbeitsmöglich- der Baupolizei.103 Chotzen emigriert nach Frankreich, Wohn-Einrichtung’ nach Rohdes Entwurf vor.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 195 keiten eigentlich in die USA auswandern möchten. das im Vergleich zu anderen Berufen bis Ende 1938 für Architekten nur geringe formale Hürden für eine Nur die jeweilige Biografie gibt bei hochmobilen Ar- Aufnahme vorsah, haben dort nur die Wenigsten fak- chitektInnen Aufschluss über Anlass und Motivation tisch die Chance, unmittelbar weiterarbeiten zu kön- der Emigration resp. Immigration.108 So finden wir nen.116 Häufig sehen Architektinnen keinen adäquaten bspw. bei Migrationen nach Frankreich, insbesonde- Rahmen oder - wie bspw. Ella Briggs - eine Chance re nach Paris, unterschiedlichste Motive.109 Auch die für den Aufbau einer tragfähige Existenz.117 Marie USA, wohin zahlreiche ehemalige Bauhausmitglieder Frommer zieht 1939 in die USA weiter, da sie sich auswandern, besaßen für ArchitektInnen offensicht- dort - wie auch etliche Kollegen - bessere berufliche lich besondere Anziehungskraft.110 Möglichkeiten im Bereich moderner Architektur ver- 1929 wandert Ursula Weiß [geb. Schneider] mit ihrem spricht. Mann aus, da er sich als Arzt in den USA bessere Ar- Angesichts einer von Rezession und Zurückhaltung beitsmöglichkeiten erhofft. Sie kehren bereits 1933 108 Mikoletzky geht bei den Studentinnengenerationen der ersten privater wie öffentlicher Auftraggeber gekennzeichne- wieder zurück nach Berlin. Um 1933 ziehen Margot Hälfte des 20.Jahrhunderts von einer Prägung hohen Ausmaßes ten Wirtschaftslage in den USA, aber auch in Frank- Loewe und Hilde Katz von Berlin nach Paris.111 Rose durch Mobilitätserfahrungen aus. „und zwar sowohl dauerhafte reich und England, erwartete die Immigrierten - ins- Mendel, die um 1930 in Paris und Grenoble studiert (..) als auch temporäre im unmittelbaren Zusammenhang mit besondere ab Mitte der dreißiger Jahre - im Zielland hatte, wechselt um 1934 erneut nach Paris, um bei dem Studium.“ (Mikoletzky, 1997, S.136) - Während manche der ein ‘Selektionsprozess’, den Christian Wolsdorff für Pablo Gargallo Bildhauerei zu studieren. Zunächst Architekturstudentinnen der Kaiserzeit im Kindesalter die Flucht die Londoner Szene anhand eines Bittschreibens an nach Hamburg zurückgekehrt, reist sie im Frühjahr vor antisemitischen Pogromen in Russland und Galizien erlebt Gropius skizzierte. Darin wird neben familiären und 1937 legal nach London aus.112 An ihrer Emigration hatten - wie Frommer, Briggs, Pilewski -, finden wir familiäre Mi- kollegialen Referenzen auch die Verantwortung als - wie wohl auch an den Migrationen von Katz und grationserfahrungen auch in den Familien von Behrmann, Katz, Familienernährer und Kriegsteilnehmer bemüht.118 Loewe - wird ein in manchen Fällen fließender Über- Lewin, Loewe, Rindler, Wiener. Aber auch die Familien Herzen- Hier wird deutlich, dass beim Eintritt in den Berufs- gang zwischen Mobilität und Exodus sichtbar. Dem- stein, Schneider, Rogler und Beloweschdowa flohen. Für die stand geschlechtsspezifischen Passgenauigkeiten gegenüber handelt es sich bei der Übersiedelung der meisten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik dürfte eine nicht minder wichtige Bedeutung zukam wie Lasnitzkis bereits 1933 nach Belgien eindeutig um ei- Mobilität jedoch positiv besetzt gewesen sein. fachlichen Kompetenzen, Referenzen und Netzwer- ne Flucht, nachdem der Mann Tony Lasnitzkis [geb. 109 Neben Hedwig Jungnik, die bereits 1924 nach Frankreich über- ken, obschon Wolsdorff betont, dass für immigrieren- Simon-Wolfskehl] in Berlin aufgrund seiner jüdischen siedelte, wohnten in Paris in den dreißiger Jahren etliche ehe- de Architekten „keine unüberwindbaren Hindernisse“ Abstammung entlassen wird. malige BauhausstudentInnen, darunter Lotte Mentzel-Flocon errichtet wurden.119 und Albert Mentzel, José Tokayer, Jean Leppien, Jaschek Wein- 1934 geht Paula Maria Canthal nach London, um ei- Auch Ella Briggs benötigte für ihre Zulassung bei der feld, Florence Henri, Hedwig Düllberg und Robert Lenz. Letz- nen Auftrag auszuführen.113 Im gleichen Jahr siedeln Britischen Architektenkammer Ende der dreißiger terer volontierte bspw. im Büro Le Corbusiers, das als Mekka sowohl Matty und Hannes Beckmann [geb.Wiener] Jahre einen Bürgen, den sie in ihrem emigrierten eines Büropraktikums galt. wie auch Friedl Dicker von Wien nach Prag über. Wiener Kollegen Ernst L. Freund fand. Bis zu ihrer 110 Zu den zahlreichen Bauhausstudentinnen, die in den USA immi- 1938 zieht sich Friedl Brandeisova [geb. Dicker] mit Zulassung als ‘licensed architect’ im Jahre 1946 in grierten zählen bspw. Trude Schmidl-Wahner, Claire Kosterlitz, ihrem Mann nach Hronov zurück.114 Beckmanns rei- New York ist Marie Frommer auf die Zusammenarbeit Margarete Bittkow-Köhler, Irene Hoffmann [geb. Wallbrecht], sen 1938 - auf der Suche nach Emigrationsmöglich- mit anderen Architekten angewiesen. Nachweislich Monica Bella-Broner und Marli Heimann. keiten - nach Paris.115 Gisela Eisenberg zieht um 1936 kooperierte sie bspw. mit dem aus Berlin emigrierten 111 Hildegard Katz wie auch Margot Loewe ziehen um 1933 nach mit ihrem italienischen Gatten nach Rom, wo sie sich Paul Bry. Auch auf der Suche nach Informationen Paris, wo sie evtl. bei Corbusier volontierten, ggf. auch studier- ausschließlich der Familie gewidmet haben soll. Dort über die beruflichen Möglichkeiten im Zielland wand- ten. Bisher ist nicht bekannt, wo Margot Loewe und Hilde Katz wohnt spätestens in den vierziger Jahren auch Hilde- ten sich Architektinnen an bereits zuvor immigrierte beruflich tätig werden. gard Coccia [geb. Katz], seit 1936 mit einem italieni- Kollegen, so Liane Zimbler 1938 an Rudolf Schindler 112 Sie hatte zunächst Frankreich als Emigrationsziel in Erwägung schen Künstler verheiratet. Ende der dreißiger Jahre mit der Bitte um „a little talk on bussiness conditions gezogen. England scheint bald das sicherere Exil, nach London gründet Johanna Tönnesmann mit ihrem norwegi- here“.120 ist vor ihr bereits ein Onkel geflüchtet. schen Studienkollegen Alfred Minsos ein eigenes Bü- 113 Canthal kommt 1936 nach Berlin zurück. ro in Oslo, nachdem sie im Herbst 1938 in Stuttgart 114 Im April 1938 siedelt auch ihre frühere Studien- und Atelierkolle- geheiratet hatten. Leonie Pilewski flieht 1938, am Tag gin Anni Moller[-Wottitz] nach Baby bei Nachod über, nachdem nach dem Anschluss Österreichs nach Schweden, Berufswege außerhalb des Reiches ihr samt Gatten und Kind im Dezember 1935 bereits die Staats- wo sie bis in die vierziger Jahre als Architektin bei ei- Hilde Reiss findet nach ihrer Emigration in die USA angehörigkeit aberkannt worden war. Lt. Vermerk 50 7934/35. ner Wohnungsbaukooperative arbeitet. 1933 zunächst Arbeit als Zeichnerin, unterrichtet als Koch/MA8 10.9.1998 Dozentin für Innenarchitektur und kann - in Zusam- Nach London emigrierten neben Ella Briggs und Ma- 115 Hannes Meyer erinnert 1951, dass er das „Ehepaar Weiner“ menarbeit mit einem amerikanischen Architekten - ei- rie Frommer bspw. auch Eva Lewin, Rose Mendel, Il- 1938 in Paris vor seiner Ausreise nach Mexiko getroffen habe. nen Umbauvorschlag und zwei Einfamilienhäuser rea- se Dernburg und Else Taterka. Lewin flieht im Som- DAM, NL Hannes Meyer, Meyer an Birman, 15.6.1951 lisieren. Sie sucht und findet ein neues Betätigungs- mer 1939 und findet bei ihrer Schwester Aufnahme. 116 Else Taterka lehrte seit den zwanziger Jahren an der Reimann- feld, als sie am Walker Art Center erstmalig eine Gal- Sie arbeitet zunächst als Hausangestellte, dienstver- schule in Berlin und wird an der in London neu eröffneten Rei- lery für Every Day Art einrichten und als Kuratorin be- pflichtet ab 1941 (bis 1947) in einem technischen Zei- mannschule tätig. Vgl. Kunstamt Schöneberg (Hg.): Orte des treuen kann. Suzanne Markos-Ney jobbt in Paris in chenbüro. Trotz der relativen Offenheit in England, Erinnerns, Berlin, 1995, Bd.2, S.169 den dreißiger Jahren u.a. in einem Reisebüro, nach

196 Ambitionen und Realitäten dem Einmarsch der Deutschen in Südfrankfreich in um hier leben zu können, da wir nicht als zionisten der Landwirtschaft. Leonie Pilewski arbeitet nach ih- nach palästina kamen, sondern aus mangel an ande- rer Emigration nach Schweden bis in die vierziger ren möglichkeiten.“ 123 117 Es lässt sich ohne weitergehende Quellen bisher lediglich darü- Jahre als Architektin, bevor sie sich ganz der Malerei Kehrten ausländische Bauhaus- wie Tessenowstu- ber spekulieren, ob dies mit fehlenden finanziellen Mitteln zum widmet. Tony Lasnitzki schlägt sich zwischen 1940 dentinnen nach dem Studium i.d.R. zumindest zu- Nachweis einer wirtschaftlich unabhängigen freiberuflichen Exi- und 1942 mit privatem Sprachunterricht durch. Dann nächst in ihre Herkunftsorte zurück124, so überschnei- stenz oder den für die Zulassung notwendigen drei Empfeh- muss sie untertauchen, verbringt bis zur Befreiung den sich diese Remigrationen zeitlich mit Migrationen lungsschreiben anerkannter Kollegen zusammenhing. Esslin Belgiens mehr als zwei Jahre versteckt in einem von Kolleginnen, die auf der Suche nach beruflichen sieht die mangelnden Erfolge deutscher Exilanten auch in (Sta- Dachkämmerchen. Perspektiven oder im Zusammenhang mit der Part- tus-)Diskrepanzen zu einer mitteleuropäischen Tradition von In- Karola Bloch, die - angesichts des philosophierenden nerwahl auswandern, zunehmend aber auch auf der tellektualität begründet. Vgl. Esslin, Martin: Deutsche Intellektu- Gatten - im amerikanischen Exil ab 1938 zu einer Er- Flucht vor dem Nationalsozialismus im Deutschen elle im englischen Exil, in: NGBK (Hg.): Kunst im Exil in Groß- werbstätigkeit gezwungen war, beschrieb in ihren Er- Reich ins Exil getrieben werden. Den Versuch, zeit- britannien 1933-45, Berlin, 1986, S.217ff. innerungen die mühsame Stellensuche, bei der sie weilig im Ausland zu arbeiten resp. dort eine Existenz 118 Der Berliner Architekt Fritz Herrmann, ehemaliger Bonatzschüler, u.a. den Job eines Liftboys annahm. Auch nachdem zu gründen, unternahmen Architektinnen manches rekurriert auf ein Unterstützungsgesuch, das Gropius´ 1919 an es ihr gelingt als Architektin zu arbeiten - 1939 kann Mal auch allein. Unter dem Zwang existentieller Be- die Eltern Herrmann gerichtet habe. Daneben verweist er auf sie einen eigenen Auftrag realisieren - sieht sie sich drohung emigrieren allein nur wenige Architektinnen, seine Rolle als Familienernährer und Kriegsteilnehmer und auf immer wieder auch gezwungen, sich als Kellnerin so bspw. Reiss, Briggs, Frommer, Pilewski und Roth. die zugesicherte Unterstützung durch Eugen Kaufmann, dem er oder als Zeichnerin zu verdingen. Erst unter den Be- Im Einzelfall überschneiden sich häufig mehrere Mo- seine Arbeiten gezeigt habe. Wolsdorff, Christian: Deutsche Ar- dingungen des Exils wird Etel Fodor-Mittag in der Ar- tivationen und manches Mal sind Anlass resp. Motive chitekten im Exil, in: NGBK, 1986, S.107ff. chitektur tätig. Nachdem sie am Bauhaus Fotografie der Emigration unbekannt. So bspw. bei Sigrid Weiß 119 Ibid., S.106 - „..wurde für Gropius der rote Teppich ausgerollt. und Weberei studiert hatte und 1938 mit ihrem Mann [geb. Rauter], die mit ihrem Mann um 1937 nach Aber auch weniger exponierte Architekten fanden Einlaß; un- nach Südafrika emigriert war, findet sie im Architek- Südamerika emigriert sein soll.125 überwindliche Hindernisse wurden für sie nicht errichtet.“ turbüro ihres Onkels Arbeit. Sie soll auch in späteren 120 Liane Zimbler an Rudolf Schindler, 24.11.1938. Plakolm-Forst- Exilierte ArchitektInnen waren manches Mal gezwun- Jahren im Architekturbüro ihres Mannes gearbeitet huber, 1995, S.302 gen, ihre Energien zunächst auf die Existenzsiche- haben.121 121 Etel Fodor[-Mittag] (geb. 28.12.1905 Agram b. Zagreb), studierte rung zu konzentrieren. Blieben sie auf dem europä- 1928 bis 1930 am Bauhaus Fotografie und Weberei. Sie heira- Für die auf dem europäischen Festland gebliebenen ischen Festland, so überlebten jüdische tet in den dreißiger Jahren den Bauhauskollegen Ernst Mittag. Exilierten, ist die Situation - neben der Suche nach ArchitektInnen den Holocaust nur ausnahmsweise. Vgl. dazu Biografie Fodor in: Gaßner, 1986, S.571, J. Fiedler Erwerbsmöglichkeiten - häufig durch massive Unsi- Exilierte wie emigrierte Architektinnen strebten auch (Hg.), Fotografie am Bauhaus, 1990 und Honnef / Weyers, 1997, cherheit wie die Bedrohung durch Verfolgung über- im Zielland in der Regel den Aufbau einer neuen Exi- S.226 schattet. So schreibt Judith Müller-Tourraine 1938 stenz innerhalb der Architektur an. Im Unterschied zu 122 Schreiben von Judith Müller-Tourraine, Bondegaard,11.4.1938; verzweifelt an Hannes Meyer: „Am 2. Mai wird mein SchriftstellerInnen verloren sie im Exil nicht ihre Aus- DAM, NL Meyer deutscher Pass ablaufen und nun ist die Frage, ob drucksmittel, im Unterschied zu Juristinnen trafen sie 123 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin an Hannes Meyer vom ich überhaupt einen neuen erhalten werde. (..) diese nicht auf unvergleichliche Berufsfelder.126 Manche Ar- 4.3.1948 ‘Friedenszeit’ hilft nur alle noch bestehenden Werte in chitektinnen taten sich dennoch mit der im Zielland 124 Auch wenn manche in späteren Jahren erneut - auch ins Deut- die Vergessenheit zu bringen. (..) Und es wird mir notwendigen Akkulturation schwer, da nicht nur tech- sche Reich - migrieren. Mara Utschkunowa kehrt 1920, Iwanka klar, dass unser winziges Dasein so weitgehend von nische Standards - wie Beschriftungen und Maßein- Waltschanowa 1931 nach Plowdiw zurück. Suzanne Markos- der sog. Hohen Politik abhängt, besonders wenn heiten - modifiziert, sondern neue Auftraggeber ge- Ney hält sich 1933 vorübergehend bei ihrer Familie in Budapest man zufällig als Jude geboren ist. (..) Und dann weiß funden, lokale Besonderheiten und Ansprüche be- auf. Natalie Swan und Lila Ulrich sind bereits 1933 in NYC zu ich, daß ich jung bin und irgendwie ganz innen mich rücksichtigt werden mussten.127 finden, Elsa Hill wohnt spätestens ab 1935 dort. Matty Beck- dem herrlichen Frühling freue, daß ich mit meinen Um den berufsständisch geregelten Kodizes insbe- mann [geb. Wiener] kehrt um 1934 nach Prag, Zsuzsanna Bánki beiden Händen etwas auszurichten vermag und daß sondere in Frankreich, England und den USA Genüge 1936 nach Györ zurück. Auch Edit Rindler dürfte um 1933 nach das alles eigentlich garnichts nützt.“ 122 zu tun, mussten auch Architektinnen Zulassungen er- Prag, Zweta Beloweschdowa und Rina Paschowa dürften um Mit einer ebenfalls typischen Exilsituation ist Ricarda reichen, ggf. erneut Prüfungen ablegen. Dies fiel den 1935 nach Bulgarien zurückgekehrt sein. Meltzer konfrontiert. Nachdem sie 1932 das Bauhaus bereits Berufserfahrenen offenbar leichter als den Be- 125 Dies erinnert Ewa Oesterlen. Vgl. Biografie Rauter. Nach Süd- verlassen musste und - wie ihr Freund Heinz Schwe- rufsanfängerinnen.128 Bis zum Ende des zweiten Welt- amerika emigrierte bspw. auch die Architektin Luise rin - auch bei Schließung der Städelschule im Mai krieges haben manche bereits eine tragfähige Exi- Goldschmidt (Venezuela). 1933 keinen offiziellen Abschluss hat, flüchten sie ge- stenz gefunden. Für etliche - insbesondere der nach 126 Vgl. Quack, 1995: Anderes Rechtssystem: Juristinnen, S.18ff. meinsam in die Tschechoslowakei, nach Ungarn und 1938 Geflüchteten - führt die Emigration jedoch zu 127 Plakolm-Forsthuber hat den durch die Emigration erzwungenen in die Schweiz. 1935 emigrieren sie nach Tel Aviv. einer mehrjährigen Unterbrechung in der Erwerbsbio- Akkulturationsprozess Liane Zimblers dargestellt. Vgl. Plakolm- „Wir bauten aus ganz kleinen anfängen eine werk- grafie. Sie finden häufig erst nach 1945 einen berufli- Forsthuber, Sabine: Ein Leben, zwei Karrieren. Die Architektin statt auf für holzspielsachen und kunstgewerbe. In chen Neuanfang.129 Liane Zimbler, in: Boeckl, Matthias (Hg.): Visionäre und Vertrie- krisenzeiten, und deren gab es manche, fabrizierten bene, Wien, 1995, S.295-309 wir wirtschaftsartikel. Wir hatten grosse freude an 128 Diese „Steine im Weg“ sind wohl am ehesten mit den Schwellen unserer arbeit, (..) ausserdem verschaffte uns diese für emigrierte Ärztinnen vergleichbar. Vgl. Quack, 1995, S.182ff. arbeit eine grosse unabhängigkeit, die wir brauchten 129 Zu den Berufswegen im Ausland nach 1945 siehe Kap. 9

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 197 ‘Weiblicher Architekt’ oder ‘Innenarchitektin’? Redslob veranlaßt, eine gefällige Lanze für die schö- Segregationen der dreißiger Jahre pferische Betätigung der Frau zu brechen. Für ihn „Wer jetzt noch zu der Frau eines Regierungsbaumei- steht sie ‘im bewußten Ausgleich zu der anders gear- sters (..) Frau Regierungsbaumeister sagt, statt ein- teten männlichen Produktion’. (..) Große Kunst dürfte fach gnädige Frau - ist ein Zurückgebliebener“, ist (..) geschlechtslos sein - wenn man ganz vorsichtig 1930 in der Vossischen Zeitung zu lesen.130 Bereits sein will. Der Reichskunstwart hat aber nunmehr eine 1927 hatte Frieda Radel über die auf der Hamburger männliche und eine weibliche Kunst eingeführt. Arme 130 „F.W.Sch.“ Vossische Zeitung, 19.10.1930. Ausstellung „Frauenschaffen des XX. Jahrhunderts“ Kritiker!“ 138 131 Radel, Frieda: Frauenschaffen des XX.Jahrhunderts, in: Neue gezeigte Architektur stolz berichtet: „Jetzt prunken Frauenkleidung und Frauenkultur, 13.Jg., 1927, S.366 - Bei die- Anlässlich dieser letzten expliziten Frauenausstellung, neben Bauplänen und Abbildungen ausgeführter ser Ausstellung, die insbesondere Malerei, Plastik, Kunstgewer- an der auch Architektinnen beteiligt sind, feiert die Bauten aus früherer Zeit die Grundrisse und Fassa- be, Fotografie und Mode zeigte, wurde Architektur - von Grete Debatte über ‘Geschlechtscharaktere’ - im Rückgriff denentwürfe für Siedelungshäuser, Stockwerksbau- Lihotzky, Hilda Krebs, Emilie Winkelmann und Klara von Möller auf eine Gesellschaft getrennter Sphären resp. im ten, Wohnblöcke für berufstätige Frauen von Grete in der Buch-Abteilung präsentiert (vgl. Katalog der Ausstellung Vorgriff auf die geschlechtergetrennte ‘Volksgemein- Schütte-Lihotzki (sic!), Frankfurt und Hilda Krebs, Frauenschaffen des XX.Jahrhunderts, Hamburg, 1927, S.15 ). schaft’ - fröhliche Urstände. Als im Sommer 1931 in Hamburg.“ 131 Und Käte Marcus zieht den Vergleich Für Hinweise zu dieser Ausstellung danke ich Magdalena Droste Berlin die „Deutsche Bauausstellung” stattfindet, auf zur Ausstellung 1912 und betont: „Die Frage, ob die 132 Marcus, Käte: Die schöpferische Frau, in: Neue deutsche Frau- der ein nach Plänen von Prof. Peter Behrens in Ver- Frau freigestaltende Kräfte oder nur Aufnahme und enzeitschrift, 2.Jg., 1927, H.21, S.4. „Im Jahre 1912 nannten die bindung mit dem Verein für Deutsches Kunstgewerbe Umbildungsfähigkeiten besitzt, beschäftigte lange Frauen ihre imposante Berliner Ausstellung ‘Die Frau in Haus und dem Verein zur Förderung des Gewerbefleißes Zeit die Gegner wie die Freunde der Frauenbewe- und Beruf’. Diese Benennung zeigte deutlich, daß die werterhal- errichtete Pavillon „Ring der Frauen“ dem Kulturwir- gung. Heute ist es still um diese Frage geworden. (..) tende und wertschaffende Arbeit der Frau im Hause damals ken und den kulturellen Bedürfnissen der Frau gewid- Es scheint fast sicher zu sein, daß die Unterschei- noch den Vorrang vor der Arbeit im außerhäuslichen Beruf hatte. met ist139, halten sich Architektinnen diesem - in di- dung zwischen ‘männlicher’ und ‘weiblicher’ Leistung Jetzt im Jahre 1927, sehen wir eine Ausstellung (..), die nur die rekter Nachbarschaft zum „Musterfriedhof“ gelege- eines Tages in die Rumpelkammer der überholten Arbeitsergebnisse der Frauen zeigt, die den engen Rahmen des nen - „gesellschaftlichen Mittelpunkt“ fern: Begriffe wandern [wird], und daß man dann allein das Hauses gesprengt und auf gleichem Felde wie der Mann ihre Ella Briggs und Emilie Winkelmann stellen in der Ab- Werk und die gestaltende Kraft, die es schuf, werten schöpferischen Kräfte ausgewirkt haben.“ teilung „Das Bauwerk unserer Zeit“ aus, Lilly Reich in wird.“ 132 133 für diesen Hinweis danke ich Despina Stratigakos der Abteilung „Die Wohnung unserer Zeit“. 134 vgl. Katalog „Die gestaltende Frau”, Berlin, 1930, Ausstellungs- Ihre optimistische Einschätzung sollte jedoch ein Geschlechterzuschreibungen und Rollenzuweisungen verzeichnis Architektur. (Ausstellungsdaten 18.10.- 5.11. 1930) frommer Wunsch bleiben, auch wenn 1929 sogar die spielten in der nationalsozialistischen Politik eine zen- 135 M.O.: „Die gestaltende Frau“ in der Beilage „Das Unterhaltungs- Leipziger Baumesse unter dem Motte „Frau und Bau- trale Rolle. Bisher ist die Geschlechterpolitik der 1933 blatt“ der Vossischen Zeitung vom 17.10.1930 - Abendausgabe; wirtschaft“ steht133 und 1930 in Berlin erneut Architek- per Gesetz eingerichteten Reichskulturkammer nicht Donath, Adolph: „Kunst der Frau“ in Berliner Tageblatt, 17.10. tur nach Entwürfen von Architektinnen präsentiert untersucht worden. Bei der Aufnahme resp. Verdrän- 1930, Abendausgabe, „H.K.“ [Hilda Krebs?] „Die gestaltende wird: Fotos ausgeführter Bauten von Marie Frommer, gung von Architektinnen scheint jedoch der 1903 ge- Frau“ in der Abendausgabe der Deutschen Tageszeitung Berlin Hanna Löv, Elisabeth von Tippelskirch-Knobelsdorff gründete „Bund Deutscher Architekten e.V.” - als der vom 17.10.1930, Seckel, Senta: „Die gestaltende Frau“ in der und Emilie Winkelmann, sowie Fotos ausgeführter für die ArchitektInnen zuständige Fachverband - eine Morgenausgabe der Berliner Volkszeitung vom 21.10.1930; Räume und Wandmalereien von Ruth Hildegard Gey- weit wichtigere Rolle gespielt zu haben als die Kultur- Wolff-Zimmermann, Elisabeth: „Aus der Vogelschau. Über er-Raack werden im Berliner Kaufhaus Wertheim im kammer selbst, die auf der Basis des Reichskultur- Berlins gestaltende Frauen“ in: Die Frau, 1930, S.351ff., Rahmen der Ausstellung „Die gestaltende Frau“ ge- kammergesetzes vom 22.9.1933 verordnete: „Die 136 O.A.: „Die gestaltende Frau”, in: Die schaffende Frau, 1930, zeigt.134 Diese vom deutschen Staatsbürgerinnenver- Mitgliedschaft zur Reichskammer der bildenden Kün- S.437 band organisierte Ausstellung findet in der Presse, ste wird unmittelbar erworben durch Eingliederung in 137 Türk, Alice: Die gestaltende Frau in: Neue Frauenkleidung und insbesondere in der Lokalpresse große Beachtung.135 den zuständigen Fachverband.“ Frauenkultur, H.8, 1930/31, S.208 Nun bricht allerdings die Debatte los, die Käte Mar- 138 Rezension von „F.W.Sch.“, 19.10.1930. „Die erste Forderung, Von den Berufsverbänden der Architekten wurde die- cus 1927 für überwunden geglaubt hatte. So resü- nämlich Proben aus allen Gebieten der Kunst und des Kunstge- ses Gesetz auch deshalb begrüßt, weil es erstmalig miert ‘Die schaffende Frau’ über diese Ausstellung: werbes zu zeigen, wird durch die Ausstellung (..) erfüllt. Eine einen Schutz des zuvor ungeschützten Titels ‘Archi- „Allgemein war der Eindruck der ‘Leistungsannähe- weitere Forderung, eine Heranziehung aller namhaften weibli- tekt’ versprach. Die Erfassung, Selektion und Ein- rung’ zwischen Mann und Frau, der Verwischung frü- chen Kunstschaffenden, blieb leider unerfüllt.“ Archiv der VBK, gruppierung aller ‘Kunstschaffenden’ ging den Ver- her für grundlegend gehaltener Unterschiede in Auf- wahrscheinlich Vossische Zeitung, Quelle nicht verifiziert. antwortlichen jedoch nicht zügig genug, wobei sie fassung und Gestaltungskraft“ [zu verzeichnen].136 Im 139 Vgl. Wischeck, Albert „Die ‘Deutsche Bauaustellung 1931’ ” in immer wieder zwischen größtmöglicher Autonomie Unterschied dazu macht Alice Türk einen ganz be- Katalog „Deutsche Bauaustellung”, Berlin, 1930, S.57 der Fachverbände und größtmöglicher Nähe zu natio- sonderen „Frauenwillen“ aus und beantwortet die 140 So wurden Passbilder retourniert, die Bewerber in SS- oder SA- nalsozialistischen Grundsätzen lavierten - im Bemü- Frage, „ob die Darstellung ihres besonderen Stre- Uniform zeigten. hen, die Verflechtungen von Kammer, Partei und bens, ihrer besonderen Wesensart, ihrer eigenen Ge- 141 Leistungen von Architektinnen wurden häufig mit „C“ eingestuft. Staat zu kaschieren.140 schlechtsbetontheit (..) gerechtfertigt ist oder nicht (..) - „Ich bitte mir mitzuteilen, ob Sie nach Ihrer Verehelichung den mit einem eindeutigen `Ja!´“ 137 Die Einstufungen innerhalb dieser Aufnahmeverfahren Beruf als Architektin noch weiterhin ausüben.“ (Schreiben vom - offiziell durch den Kulturwalter des jeweiligen ‘Gau- 2.11.42. BArchB, RKK 2400, Box 0153, File: 33) - Vgl. auch die Demgegenüber kritisiert die ‘Vossische Zeitung’: „Im es’ ausgesprochen - sind bisher noch nicht verglei- Biografien im Anhang von Brauer, Geyer-Raack, Müller. Vorwort zum Katalog fühlt sich Herr Reichskunstwart

198 Ambitionen und Realitäten chend erforscht worden. Auffällig bleibt, dass viele rufsbezeichnung für diesen Personenkreis lautet ‘In- Architektinnen mehrfach Unterlagen einreichen mus- nenraumgestalter’. Die Führung der Bezeichnung ‘In- sten, häufig eine Aufnahme als Innenarchitektin bean- nenarchitekt’ ist nicht mehr zulässig.“ 150 Offensicht- tragten und bei Heirat hinsichtlich der Einstellung der lich handelt es sich dabei um ein Zugeständnis an Berufstätigkeit i.d.R. angeschrieben wurden.141 Architekten und Baukünstler im BDA: Die Grenze zwi- schen Außen- und Innenarchitektur, die Trennung Zur Überwachung der expliziten Berufsverbote wurde zwischen professionellem Architekturbereich und se- ggf. die Gestapo eingeschaltet, was u.a. darauf ver- 142 LA, STA Rep.10-02 16642. Die hier vorhandene Listendurch- miprofessionellem Gestaltungsbereich wird mit dieser weist, dass nicht nur die angewiesenen Baubeamten schrift ist bis 1937 mit handschriftlichen Bleistiftnachträgen und Regelung innerhalb des Berufsfeldes 1935 legislativ sondern auch KollegInnen für Denunziationen unlieb- ergänzenden Briefen in einer Mappe zusammengefasst - Über- gezogen.151 Während es weiterhin ins Belieben der im samer KonkurrentInnen ihre wachsamen Augen der sendung der Liste lt. anliegender Durchschrift am 17.11.1937 BDA organisierten ArchitektInnen gestellt ist, auch staatlichen Gängelung zur Verfügung stellten. „Ohne mit Mitteilungsschreiben des Oberbürgermeisters v. 30.7.1937 Innenarchitektur zu betreiben, sind Innenraumgestal- stichhaltige Beweise für mangelnde Zuverlässigkeit“ „An die Baupolizeiabteilungen (..) Ich ersuche die Genannten in terInnen fortan in ihrer Berufsausübung auf den en- war eine Ablehnung innerhalb der RKK jedoch nicht Liste A der unzuverlässigen Bauunternehmer und Bauleiter auf- geren Bereich des Innenraumes beschränkt.152 ohne weiteres möglich, weshalb auf der Suche nach zunehmen und bei Bekanntwerden von Tatsachen, die die wei- ‘Unzuverlässigkeitstatsachen’ bspw. auch die Gesta- Diese Anordnung schreibt jedoch offenbar lediglich tere Betätigung als Architekt beweisen (Eingehen von Plänen, po oder die DAF bemüht, zur Überwachung die Bau- eine zuvor durch den BDA bereits gehandhabte Pra- von Bau- und Befreiungsanträgen) mir (H VII) sofort Mitteilung verwaltungen herangezogen wurden.142 xis fest. Wie anders als nach Ablehnung durch den zu machen.“ BDA als zuständigem Fachverband wäre denkbar, 143 Die Kunstkammer, H.10, Oktober 1935, S.23, zitiert wird hier die Im Herbst 1933 bekräftigt der Geschäftsführer der dass sich Maria Müller im Oktober 1935 - noch bevor im Völkischen Beobachter vom 5.9.1935 abgedruckte Rede Mo- RKK, Franz Th. Moraller, dass „Persönlichkeiten (..), die Einrichtung dieser Gruppe öffentlich bekannt ge- rallers vom 4.9.1935 die in der Judenfrage oder anderen entscheidenden macht wird - als „Schülerin von Prof. Mies v.d. Ro- 144 Die Kunstkammer, H.1, Berlin, Januar 1936, S.22 Problemen des nationalsozialistischen Staates zu he“ für die Gruppe Innenraumgestalter bewirbt, mit 145 Bescheid vom 4.Februar 1936 (Die Kulturkammer, H.4, 1936, Kompromissen neigen oder liberalistischen Erwägun- Bauhaus-Diplom und Referenzprojekten in die Grup- S.23) „‘Zweck’ der Anordnung ist im wesentlichen, einen Miß- gen Raum geben, nicht mehr geduldet werden kön- pe Innenraumgestalter aufgenommen wird?153 brauch der Kammermitgliedschaft zu verhindern. (..) Dagegen nen.“ 143 Anneliese Brauer erhält auf ihren Antrag im Sommer bestehen keine Bedenken, daß im schriftlichen Verkehr auf die Untersagte das Reichskulturkammergesetz eine Be- 1935 einen ablehnenden Vorbescheid: „Ihr Aufnah- Kammermitgliedschaft hingewiesen wird.“ rufsausübung ohne Mitgliedschaft, so drohte Goeb- meantrag ist mir mit ablehnendem Gutachten vorge- 146 Dieser Prozess müsste - auch im Hinblick auf den Ausschluss bels mit Anordnung vom 9. Dezember 1935 nun auch legt worden, weil Tatsachen vorliegen, aus denen von Frauen - anhand von BDA-Unterlagen nachzuzeichnen sein. all jenen Mitgliedern mit „Untersagung ihrer Berufstä- sich ergibt, daß Sie die für die Ausübung der kam- Die Archive des BDA sind bisher jedoch nicht zugänglich. tigkeit“, die „sich bei öffentlichen Ankündigungen, auf merpflichtigen Tätigkeit erforderliche Eignung nicht 147 Die Kulturkammer, H. 3, Berlin, März 1936, S.23 Firmenschildern und dgl. als Mitglied der Reichskul- besitzen.“ 154 Auch Marlene Poelzig, die sich als In- 148 Hierfür wurde in der Reichskammer der bildenden Künste „die turkammer oder einer ihrer Einzelgliederungen be- nenarchitektin und Architektin bewirbt, scheint vom Fachgruppe ‘nnenraumgestalter“ geschaffen. ibid. zeichnen.“ 144 Damit war den ArchitektInnen auch der BDA zunächst abgelehnt worden zu sein. Auf ihrem 149 Vgl. „Sechs Anordnungen der Reichskulturkammer“ in: bauwelt, Zusatz BDA untersagt. Diese Anordnung wurde of- Eingruppierungsbogen findet sich die befremdliche 26.Jg., H.26, Berlin, 27.6.1935, S.599 fenbar so heftig angefochten, dass zwei Monate spä- „Bemerkung“, dass ihr aufgrund der Belastung als 150 Vgl. FN 147 ter ein relativierender Bescheid erging.145 Unter den Mutter dreier minderjähriger Kinder eine Umschulung 151 Es wird keinerlei Plausibilisierung für die Schaffung dieses neu- Einzelverbänden verweigerte der BDA nun insofern nicht zuzumuten sei. en ‘Berufsstandes’ bemüht. Hier wird Geschlecht als Selektions- die Gefolgschaft, als er als Architekten-Fachverband kriterium verdeckt erkennbar, da die Geschlechterfrage dabei Die Ausgrenzung von Architektinnen aus dem ent- die Eingliederung von InnenarchitektInnen ablehnte.146 gerade nicht thematisiert wird, nicht der Erwähnung bedarf. sprechenden Fachverband der RKK scheint auf Be- Im März 1936 verweist ‘Die Kulturkammer’ - das von 152 Zuvor bot lediglich das Kriterium „eigenschöpferische Gestal- treiben des BDA forciert worden zu sein. Mit der Stephan Hirzel herausgegebene Organ der Reichs- tungskraft“ bei publizierten Bauten und Innenraumgestaltungen „Gruppe Innenraumgestalter“ finden RKK und BDA kulturkammer - erstmalig auf die Meldepflicht der eine ‘letzte Handhabe’ der Ausgrenzung. ab 1936 „für diesen Personenkreis“ einen vorläufigen ‘Innenraumgestalter’.147 Diesen „bisher sogenannten 153 Der Vorlauf zu dieser Bewerbung ist nicht dokumentiert. Da Konsens. Ende 1940 ordnet der Präsident der RKK Innenarchitekten“ wird nun mitgeteilt, dass sie laut §4 Müller jedoch als Beruf eindeutig Architektin angibt, dürfte ihre die Rückgabe der Mitgliedsbücher von Innenraumge- der Verordnung des RKK-Gesetzes „Erzeugung von Bewerbung beim BDA zuvor gescheitert sein. Eingangsstempel stalterinnen an und lässt mitteilen: „Nach Auflösung Kulturgut“ melde- resp. mitgliedspflichtig seien, ob- der Bewerbung vom 10.10.1935, BArchB, RKK 2400, Box 0233, der bisher in meiner Kammer bestandenen Fachgrup- schon sie von dem zum 16.6.1935 als Fachverband file 04 pe Innenraumgestalter, habe ich Sie entsprechend in die Kammer überführten BDA offenbar als Mitglie- 154 „Ich gebe Ihnen hiervon durch diesen Vorentscheid Kenntnis Ihrer Berufsausübung in Weiterführung Ihrer Mitglied- der abgelehnt wurden.148 und fordere Sie auf, weitere Unterlagen zum Nachweis Ihrer ge- schaft der Fachgruppe Entwerfer (..) eingegliedert. staltenden Tätigkeit einzureichen. Die Einsendung hat bis spä- Und lautet die Definition 1935 noch: „wobei als Kul- Sie sind berechtigt, Ihre Tätigkeit auf dem Gebiete testens 1.September 1935 zu erfolgen.“ BArchB, Schreiben der turgut jede Leistung und Schöpfung der Baukunst der Innenraumgestaltung wie bisher weiter auszu- RKK vom 21.8.1935 an Anneliese Brauer, Aktenz. VI. 602.3055/ gilt, wenn sie der Oeffentlichkeit übermittelt wird“ 149, üben.“ 155 35, gez. I.A. Dr.Gaber so wird der Begriff des Kulturgutes 1936 auch auf Mit dieser weiteren Umstrukturierung nach Kriegsbe- 155 RKK Schreiben vom 30.12.1940 (Aktenzeichen II C E 3641/fr. R nicht-öffentlichkeitswirksame Leistungen erweitert, ginn, bei der Innenraumgestalter mit einem Feder- 272) - Ein neues Mitgliedsbuch wird nach Rückgabe in Aussicht eine neue Berufsbezeichnung geschaffen: „Die Be- strich zu „Entwerfern“ werden, reagiert die Kammer gestellt.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 199 resp. der inkorporierte BDA auf einen Konflikt, der ab cieren, wobei deutlich wird, dass nicht die konkreten Mitte der dreißiger Jahre auch wieder öffentlich sicht- Problemstellungen sondern vielmehr die ‘unweibli- bar wird. So erscheint im Januar 1935 in der „N.S. che’ Berufstätigkeit - das Auftreten als sichtbar tätige Frauenwarte“ der Artikel „Die Architektin“.156 Dort und bezahlte Architektin - die Irritationen resp. massi- stellt die bei Poelzig diplomierte Irmgard Déspres ven Widerstände gegen die konkrete Berufsausübung fest, dass die Zeiten vorbei seien, „in denen sich die auslösen.159 Frau unter völliger Verkennung ihrer Eigenart bemüh- In der ‘Völkischen Frauenzeitung’ erscheinen 1937 in te, es in allen Dingen dem Mann gleich zu tun“. Dem- der Serie „ein schöner Frauenberuf“ u.a. „Die Garten- entsprechend begibt sie sich in der Architektur auf architektin“ und „Neue Aufgaben für die Heimgestal- die Suche nach Gebieten „für welche Frauenarbeit terin“.160 Darin ist zu lesen, dass „auch der Innenar- heute ganz unentbehrlich geworden ist und solche, chitektin - wir wollen sie Heimgestalterin nennen - wo sie für die Arbeit des Mannes eine glückliche Er- durch die Organisationen der Partei große neue Auf- gänzung bietet.“ Trotz der Schwierigkeiten dieses gabengebiete erschlossen“ worden sind. Berufes, die nach ihrer Einschätzung „ohne Zweifel für die Frau auf dem Gebiet der Konstruktionen und 1938 erscheint im ‘NSK’ unter dem Titel „Berufsmög- der Arbeit auf dem Bauplatz” liegen, kommt sie zu lichkeiten für die Akademikerin - Eine praktische Ant- dem Schluss, dass es sich lohne, für die Ausübung wort auf die alte Lüge von der Unterdrückung der 156 NS Frauenwarte Nr.15 1934/35, S.471,LA /LI NS5/VI/7102,Bl.71 diess Berufes „die allerschwersten Kämpfe durchzu- Frau“ ein Aufruf der Beauftragten für Wissenschaft 157 Ibid. - Irmgard Déspres (geb.1903) studiert ab dem 10.10.1923 fechten, denn wie der Beruf der Ärztin nicht anderes und Facherziehung im Amt Studentinnen der Reichs- Architektur an der TH Charlottenburg. Sie diplomiert 1930. ist, als die ins allgemeine gewachsene, uralte Aufga- studentenführung Anna Kottenhoff: „das begabte 158 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tagblatt vom 7.7. be der Frau, die Krankenpflege, so ist die Arbeit der deutsche Mädel soll studieren - Sie wird im Aufbau- 1935. Bei der für diesen Artikel befragten ehemaligen Klassen- Architektin nur die ebenso alte, die der sinnvollen werk des Nationalsozialismus gebraucht.“ Kottenhoff kameradin handelt es sich um Lotte Tiedemann. Mitteilung von Gestaltung des Heims.“ 157 betont, dass die Frage nach dem Frauenberuf und Elfriede Brüning vom 15.2.2000; Vgl. dazu auch Brüning, Elfrie- damit nach dem Frauenstudium „aus dem Bereich de: Und außerdem war es mein Leben, München, 1998, S.60ff. Ein knappes halbes Jahr später stellt Elfriede Brüning der grundsätzlichen Erörterung herausgenommen 159 Zur Problematik dieser Dissonanzen, resp. der Dissonanzreduk- unter dem Titel „Die Architektin, der Traum vom Be- und einer gesunden, wirklichkeitsgebundenen Be- tion siehe Kap. 9 - Der Traum von der Zusammenarbeit ruf und die Wirklichkeit“ im Berliner Tageblatt eine trachtung unterstellt“ worden sei. Sie räumt ein, „daß 160 BArchB, NS5/VI/Bl. 8 resp.6 - Völkische Frauenzeitung Nr.32, ehemalige Klassenkameradin als „Vertreterin dieses dieser oder jener akademische Beruf für die Frau, 2.8.1937 resp. Nr.40 v. 1.10.1937 Berufs“ vor.158 Diese beschreibt ihre Schwierigkeiten wenn auch nicht gesetzlich, so doch faktisch ge- 161 Kottenhoff, Anna: Berufsmöglichkeiten für die Akademikerin, in: beim Berufseinstieg, dabei insbesondere Akzeptanz- schlossen ist, zum mindesten wenig Aussicht bietet.“ N.S.K, H.7, 29.3.1938 probleme: „In der ersten Zeit ging es ja. (..) Schwieri- Hinsichtlich des Technikstudiums hat sich 1938 die 162 Berliner Tageblatt, Nr. 10, 6.1.1939 ger wurde es erst, als ich mich selbständig machte. Einschätzung jedoch sichtlich geändert: „Insbeson- 163 o.A.: Die Berufsaussichten des weiblichen akademischen Nach- Ich hatte immer erst mit den Vorurteilen zu kämpfen“. dere für die Architektin“ sieht Kottenhoff „genügend wuchses in: Frau am Werk, der die seit 1936 in Berlin erschei- Und während sie ihre Studienmotivation auch rück- Berufsmöglichkeiten“, zumal ein berufmäßiger Ein- nende Frauenzeitung der DAF, August 1939, S.175. blickend noch eindeutig mit durchaus gängigen Be- satz hier besonders lohnend sei, „weil er dem natio- 164 Neben Leonie Behrmann, die um 1932 an den Vereinigten rufsmotivationen umschreibt - „Ich wollte Häuser nalsozialistischen Aufbauwerk unmittelbar“ diene.161 Staatsschulen Berlin Mitglied der ‘roten Kapelle’ wurde, gehörte bauen, ich wollte bessere Häuser bauen (..) ach, ich Friedl Dicker Anfang der dreißiger Jahre in Wien dem Kreis um wollte im Grunde nicht viel weniger als die Welt ver- Als ab 1938 Studentinnen öffentlich für das Architek- die Buchhandlung weiße Rose an, druckte Hilde Reiss gemein- ändern“ - so resümiert sie als Erkenntnis aus der turstudium geworben werden, schlagen die Kollegen sam mit Waldemar Alder Flugblätter und wurden Grete Schütte- ‘Wirklichkeit’: „Im Laufe meiner selbständigen Praxis in der Presse Alarm: „Der Reichsberufswalter des Lihotzky wie Karola Bloch als Kurierinnen tätig. bin ich darauf gekommen, daß es gar nicht der Sinn NS-Bundes Deutscher Technik Professor Dr. Streck, 165 Christa Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 der weiblichen Architektin sein kann, Häuser zu bau- erlässt folgende Bekanntmachung: In der Tagespres- 166 Gleichlautend wurde die Ausübung des Berufes untersagt, wenn en - das kann der Herr Architekt wahrscheinlich se wird seit einigen Monaten unter dem Schlagwort die Gattin oder der Gatte jüdisch war. bspw. „Die Ablehnung ebenso gut, wenn nicht sogar besser. Aber wir Frau- Frl. Ingenieur“ eine lebhafte Propaganda für das In- war lediglich erfolgt, weil der Ehemann (..) Jude ist.“ Schreiben en können etwas anderes.“ In der „Heimgestaltung“ genieurstudium bei Frauen durchgeführt. Diese Pro- des Landesleiters der Reichskammer der Bildenden Künste an und als „Beratende“ sieht sie nun „ein Gebiet, auf pagierung entspricht weder der Auffassung des Lei- die DAF, Abt. Technik vom 21.10.1938 - BArchB, RKK 2400, dem die Architektin wirken kann. Wenn nebenbei ein ters des Hauptamtes für Technik, Pg. Dr.Todt, noch box 0336 größerer Auftrag abfällt, um so besser, um so mehr der der Reichsfrauenführerin Pgn. Scholtz-Klink.“ 162 167 Der von ihr geplante Umbau der Schweizer Bank Guyerzeller in Freude ist mit der Arbeit verbunden.“ Dennoch ist 1939 in der „Frau am Werk“ zu lesen: der Taubenstraße wird mit ihrer namentlichen Nennung bis No- „Daß auch in den Ingenieurberufen eine Reihe von Da die Architektin einräumt, dass es um so besser vember 1936 in Haberlands Bautennachweis aufgeführt. Der Arbeiten vorhanden sind, die geeignete Frauen lei- sei, wenn ein größerer Auftrag „abfällt“, thematisiert von ihr geplante Umbau eines Geschäftshauses für die Haupt- sten können, wird hervorgehoben, seitdem der Man- „der Traum vom Beruf und die Wirklichkeit“ nicht nur verwaltung der Schweizerischen Lebensversicherung in der Jä- gel an Ingenieuren dazu zwingt, alle befähigten Kräfte eine Diskrepanz zwischen Ausbildung und Praxis. gerstraße wird erst nach ihrer Emigration fertiggestellt. heranzuziehen.“ 163 Auch in der offiziellen Lesart kom- Hier versucht eine Studentin der Weimarer Republik, 168 So ihre Angaben in: Günther, 1989, S.126. men noch vor Kriegsbeginn die Ambivalenzen zwi- die Widersprüche zwischen Berufs- und Geschlech- 169 BArchB, RKK 2400, box 0221, file 06, Schreiben des Landeslei- schen Frauenausschluss und Arbeitskräftemangel terrolle während des Nationalsozialismus auszubalan- ters der RKK vom 19.6.1937, gez. Hoffmann deutlich zum Vorschein. Dies ist nicht gerade eine

200 Ambitionen und Realitäten Einladung an Ingenieurinnen, denn die Mitarbeit an verlässigkeit“ 166-, so gelingt es manchen von ihnen „einer Reihe von Arbeiten“ verspricht weder eigene bis Mitte der dreißiger Jahre, auch unter diesen er- Entscheidungskompetenz noch Kreativität. Allerdings heblich erschwerten Bedingungen noch Einkünfte zu steht auch kein „Heer befähigter Kräfte“ bereit. Die- erzielen. So kann Marie Frommer, bereits begonnene jenigen unter den ehemaligen Bauhaus- und Tesse- Bauvorhaben für ausländische, insbesondere schwei- nowstudentinnen, die anlässlich der Geburt von Kin- zerische Auftraggeber teilweise noch zu Ende füh- dern aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, ren.167 Stefanie Zwirn kann ihr Büro in Berlin-Steglitz kehren Ende der dreißiger Jahre i.d.R. auch nicht in bis 1935 halten. Als sie danach wieder unter der Ad- das Berufsfeld zurück. resse ihrer Mutter gemeldet ist, erscheint ihr Eintrag mit voller Berufsbezeichnung „Dipl. Ing. Architekt“. Aber auf welche realen Arbeitsmöglichkeiten im Be- Sie hatte zuletzt 1932 in eigener Sache publiziert, war rufsfeld trafen Architektinnen im Nationalsozialismus? überwiegend im privaten Wohnhaus- und Laubenbau Wie wirkten sich die Änderungen in Klima und Stan- tätig. Die Möglichkeiten, nach 1933 noch Auftragge- despolitik aus? berInnen zu finden, waren jedoch sehr gering - wie dies bspw. Eva Weininger beschreibt. Obwohl seit 1933 von Berufsverbot betroffen, bleibt auch Asta Etablierung oder Rückzug? Karrieren und Brüche Berling im Deutschen Reich, zieht sich mit ihrem im Nationalsozialismus Mann jedoch aus Berlin in die Neumark zurück und Hatten jüdische Bauhausstudentinnen aufgrund des produziert Kindermöbel und Spielzeug.168 wachsenden Antisemitismus ihr Studium bereits 1932 Für alle im Reich gebliebenen Architektinnen, die von abgebrochen resp. nach dem Umzug nach Berlin Berufsverboten betroffen oder bedroht waren, kamen nicht fortgesetzt, und strebte Fridel Hohmann an der ab Mitte der dreißiger Jahre innerhalb des Berufsfel- TH Charlottenburg ihren Studienabschluss unter des kaum mehr Erwerbsmöglichkeiten in Betracht. deutlichem Zeitdruck an, so wurde Leonie Behrmann Als ‘Halbjüdin’ eingestuft endet Paula Marie Canthals aufgrund ihres antifaschistischen Engagements das Tätigkeit als freiberufliche Architektin um 1934. Seit Weiterstudium an den Vereinigten Staatsschulen Mitte der zwanziger Jahre im Berufsfeld kann sie um 1933 untersagt. Für die weitaus meisten Architektur- 1934 in London arbeiten, kehrt jedoch 1936 anläss- studentinnen, die zu Beginn der dreißiger Jahre ihr lich der Scheidung nach Berlin zurück. Als ‘Arier’ er- Studium aufgenommen hatten, führte der Sieg der hält ihr Mann das gemeinsame Büro. Canthal findet NSDAP bei den Reichstagswahlen 1933 jedoch nicht 1937 zeitweilig eine Möglichkeit freiberuflicher Mitar- zu einer sichtbaren Zäsur im Studienverlauf. Nahezu beit bei Ed. Jobst Siedler. Ab 1938 gelingt es ihr je- alle führ-ten ihr Studium erfolgreich zu Ende. doch offenbar nicht mehr, in diesem Beruf ein Aus- Und auch die beruflichen Möglichkeiten von Architek- kommen zu finden. Sie bemüht sich um die Zulas- tinnen veränderten sich nicht schlagartig mit der Er- sung als Filmautorin, bestreitet ihren Lebensunterhalt nennung Adolf Hitlers zum Reichsklanzler. Und hatte mit Skripten für die Studios in Babelsberg und wird die Renaissance traditioneller Rollenzuweisungen - 1942, nach mehrfacher Ablehnung als Filmautorin in wie bspw. die verstärkte Ablehnung des ‘Doppelver- die Reichsschrifttumskammer aufgenommen. dienertums’ um 1930 - bereits deutlich vor den ideo- Nach ihrer Heirat mit dem Bankier Robert von Men- logischen Zuweisungen des Nationalsozialismus ge- delssohn im Frühjahr 1936 reicht Lieselotte von Men- sellschaftliche Retradierungen vorweg genommen, so delssohn [geb. von Bonin] bei der RKK die geforder- stellt sich bis Mitte der dreißiger Jahre die berufliche ten Abstammungsnachweise (mit 26 Anlagen) ein, um Situation von Architektinnen höchst unterschiedlich als vormaliges BDA-Mitglied einen neuen Mitglieds- dar. Mit zunehmendem Einfluss des Nationalsozialis- ausweis zu erhalten. Dies führt jedoch nicht zum ge- mus werden nur einige wenige politisch aktiv164, zie- wünschten Erfolg, da sie inzwischen einen ‘nichtari- hen sich andere aus der Berufs- resp. Erwerbstätig- schen’ Mann geheiratet hat . Offenbar stand für Lie- keit zurück, verschlechtern sich die beruflichen Per- selotte von Bonin, die bei Publikationen immer ihren spektiven jüdischer ArchitekInnen drastisch. Manche eigenen Namen verwendet hatte, mit der Scheidung Architektinnen verzeichnen aber auch erleichtert ei- von Wilhelm von Gumberz-Rhonthal auch die BDA- nen Zuwachs beruflicher Möglichkeiten. „Das war ja Mitgliedschaft - und damit die Mitgliedschaft in der das Schöne, dass ich genau richtig fertig wurde“, er- Reichskulturkammer - auf dem Spiel. Gegen die anti- innert bspw. Christa Kleffner-Dirxen, die 1936 bei Bo- semitische Auflagen ist sie machtlos. Im Juni 1937 natz diplomierte.165 teilt ihr der Landesleiter der RKK ihre „Löschung in Wurde jüdischen ArchitektInnen mit Einführung des der Mitgliederliste (Fachgruppe Architekten) mit Wir- Reichskulturkammergesetzes die Berufsausübung kung vom 15.6.1936“ mit.169 Als sie 1937 im Grune- schlicht verboten - offiziell wegen „mangelnder Zu- wald ein Haus für die eigene Familie baut, tritt sie -

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 201 im Unterschied zu ihren früheren Bauten - lediglich Freiberuflich tätig entwirft Annemarie Wilke Mitte der als Bauherrin namentlich in Erscheinung. dreißiger Jahre Ferienhäuser für private Auftraggeber auf Hiddensee. 1936 kann sie den Neubau des Hau- Diejenigen Architektinnen, die durch den Antisemitis- ses Haertel in Vitte, aber auch Um- und Anbauten mus persönlich keine Nachteile erfahren, können im anderer Häuser realisieren. Zumindest bis 1939 ent- Berufsfeld tätig bleiben oder werden. So kann Fridel wirft sie auch verschiedentlich private Wohnhäuser Hohmann, für die aufgrund des Ariernachweises eine für Standorte in Berlin. Verlässlicher sind jedoch die freiberufliche Perspektive zunächst in weite Ferne Einkünfte aus ihrer Tätigkeit für die Vereinigten Lau- rückt, Mitte der dreißiger Jahre in das Büro des Ge- sitzer Werkstätten in Weiswasser, für die sie Gläser neralbauinspektors für die Reichshauptstadt eintre- entwirft und zwischen 1936 und 1939 Präsentationen ten, wo sie u.a. in der Modellbauwerkstatt tätig ge- bei Messe- und Ausstellungsauftritten verantwortlich worden sein soll. Sie bleibt bis 1945 in Berlin als Ar- gestaltet. Als sie anschließend nach Wien übersiedelt, chitektin tätig, ist nach eigenen Angaben auch mit führt sie die Berufstätigkeit nicht weiter. Durchgängig größeren Planungen direkt am Fehrbelliner Platz be- freiberuflich tätig bleibt Ruth Hildegard Geyer-Raack, schäftigt.170 Hanna Blank, seit 1932 im Büro der Brü- die neben Privataufträgen ab Mitte der dreißiger Jah- der Walter und Johannes Krüger in Berlin tätig und re auch öffentliche Aufträge erhält, die Belgische Bot- an den dort erstellten Planungen für Heer und Luft- schaft in Berlin einrichtet, und Hotels, eine Flieger- waffe wahrscheinlich nicht ganz unbeteiligt, kann um schule und das Schloss Krakau mit Decken- und 1938 in das unter Leitung von Herbert Rimpl stehen- Wandmalereien ausschmückt. Ursula [Schneider-] de Baubüro der ‘Reichswerke Hermann-Göring’ Weiß, die 1933 mit Mann und Sohn aus den USA wechseln, wo sie als Mitarbeiterin der ‘Großsiedlung’ nach Berlin zurückkehrt, kann 1935 in Berlin-Nieder- - der städtebaulichen Planung der späteren Stadt schönhausen ein Haus für die eigene Familie realisie- Salzgitter-Lebenstedt l - bis 1945 Arbeit findet. ren. 1938 nimmt sie ihre Erwerbstätigkeit zeitweilig Hilda Harte hatte nach ihrem Diplom an der TH Char- wieder auf, arbeitet im Baubüro der Architekten Wer- lottenburg (Februar 1933) zunächst erneut im Büro ner und Harting. Als 1939 eine Dienstverpflichtung Gropius gearbeitet. Nach einer Tätigkeit als Büroan- droht, gibt sie an, sich als Wohnungsberaterin selb- gestellte für den ‘Ingenieurdienst’ des VDI ab April ständig machen zu wollen, „augenblicklich in Vorbe- 1933 kann sie ab Februar 1935 beim „LKK III Flug- reitung zu selbständiger Tätigkeit“ zu sein. platz Brandis“ wieder als Architektin arbeiten.171 Harte Die beiden ehemaligen Bauhauskommilitoninnen An- wechselt Ende 1935 zur deutschen Versuchsanstalt nemarie Wimmer und Wera Meyer-Waldeck werden für Luftfahrt nach Adlershof, wo sie zum 15.3. 1937 1935 resp. 1936 bei den Reichsautobahnen ange- freiwillig ausscheidet. Nach mehrmonatiger Arbeitslo- stellt, wo sie bspw. mit Natursteinverblendungen von sigkeit tritt sie zum Dezember 1937 eine Anstellung Brückenbauten befasst waren. Annemarie Wimmer als Architektin bei der ‘Reichsumsiedlungsgesell- kann neben dieser Tätigkeit 1937 freiberuflich Mu- schaft’ an. Dafür zieht sie zunächst nach Hessen (bei sterräume für eine Wanderausstellung des deutschen der Gutsverwaltung Neuenberg bei Fulda), zum Ja- Frauenwerks entwerfen. Sie bleibt bis 1945 in den nuar 1938 nach Unterfranken (Bezirksstelle Brücken- Diensten der Reichsautobahnen tätig, während Wera au). Wie lange sie diese Tätigkeit ausübt bleibt un- Meyer-Waldeck nach fünf Jahren als technische An- klar. Ab Januar 1940 arbeitet sie wieder in Berlin, nun gestellte 1939 zur Reichsbahn wechselt, da sie dort als Statikerin im Büro von Herbert Kretschmann. auch als entwerfernde Architektin tätig werden kann. Kattina Both, die sich seit 1933 an Wettbewerben be- 1942 ergreift sie die Gelegenheit, als Leiterin eines teiligt, für unterschiedliche Architekturbüros in Kas- Planungsbüros im Industriebau sämtliche Planungen sel arbeitet und Mitte der dreißiger Jahre versucht in der Hüttenwerksgesellschaft Karwin-Thynietz verant- Rom als Architektin zu arbeiten, kann 1938 in Kassel wortlich zu betreiben. Ludmilla Herzenstein arbeitet ein eigenes Haus realisieren. Da sie hier jedoch we- ab 1935 für eine Baufirma in Berlin, wechselt im Ok- der Auftraggeber noch eine Anstellung findet, kehrt tober 1935 ins Stadtplanungsamt nach Rostock. Wie sie nach Berlin zurück, wo sie zunächst bei der Deut- lange sie dort arbeitet, ist bisher nicht bekannt. Als schen Arbeitsfront, dann in der Abt. Hauswirtschaft Mitglied in der Reichskulturkammer könnte sie jedoch 170 Sie könnte zeitweilig auch für die DAF tätig geworden sein. Ihre des Deutschen Frauenwerkes eine Stelle als Archi- auch zeitweilig als freiberufliche Architektin gearbeitet Berufstätigkeit zwischen 1935 und 45 lässt sich bisher nicht an- tektin findet. Unter dem Namen Katharina Both ent- haben. 1938 betreut sie für das Hamburger Architek- hand schriftlicher Quellen belegen. Von ihrer Tätigkeit im Mo- wirft sie u.a. ein Frauenwohnheim sowie den Umbau turbüro von [A.] Schoch und [Erich] zu Putlitz einen dellsaal sowie den Planungen für den Fehrbelliner Platz erzählte eines Bauernhofes in eine Frauenschule im ‘Gouver- Villenbau in Wiesbaden. Ab Januar 1939 arbeitet sie sie Hella Giesler. nement’, dem besetzten Polen. Ab Frühjahr 1942 ar- im Büro Hopp und Lucas in Königsberg. 1940 zieht 171 Dies wird von ihr als „augenblickliche Beschäftigung in der wert- beitet sie im Büro von Ernst Neufert, wo sie in der sie ins westpreußische Kleinstädtchen Konitz und be- schaffenden Arbeitslosenfürsorge“ im RKK-Antrag vom 20.12. Normierung und an der „Bauentwurfslehre“ arbeitet. arbeitet im Büro des Architekten E. Loos bis Anfang 1933 aufgeführt 1945 landwirtschaftliche Bauten.

202 Ambitionen und Realitäten In welchen Beschäftigungsverhältnissen Klara Küster Konstellationen - tätig, ziehen sich wieder andere aus während des Nationalsozialismus tätig ist, wird nicht der Berufstätigkeit ins Privatleben zurück. So widmet ganz deutlich. Zunächst im Luftwaffenministerium mit sich Iwanka Waltschanowa, keine zwei Jahre nach- dem Entwurf von Offiziersunterkünften beschäftigt, ist dem sie sich in ihrer Heimatstadt Plowdiw selbstän- sie zwischen 1939 und 1942 an Planungen für ‘Re- dig gemacht hatte und im Sommer 1933 - anlässlich gierungsgebäude’ in Trier, an Wiederaufbauplanun- ihrer Heirat mit dem Poelzigschüler Heinrich Hahn - gen für die Staatsoper unter den Linden in Berlin so- nach Frankfurt/Main gezogen war, zunächst aus- wie - im Auftrag des Reichsernährungsministeriums - schließlich der Familie, zu der bald zwei Töchter ge- an Planungen für „Bauernhöfe in Polen“ beteiligt. hören. Auch Ewa Oesterlen [geb.Freise] und Irina Zu- Und während Christa Dirxen 1938 das Postministeri- schneid [geb. Kaatz], wenden sich nach ihrer Tätig- um nach zwei Jahren wieder verlässt, um bei einer keit im Luftwaffenministerium den eigenen Familien Siedlungsplanung in Mecklenburg tätig zu werden, zu. Und Gisela Eisenberg verlässt Berlin wie wohl bleibt Gisela Schneider, seit 1937 bei der Reichspost, auch das Berufsfeld, als sie anlässlich ihrer Heirat mit in den Diensten der Post tätig. Hier kann sie ab 1942 einem italienischen Kunstgewerbler und Geschäfts- einen Radiosender planen wird ab 1943 im Auslands- mann nach Rom zieht. Ebenfalls Mitte der dreißiger einsatz in Rumänien tätig wird. Luise Zauleck, seit Jahre stellen Helga Schuster [geb. Karselt] wie Anni 1938 freiberuflich tätig, ist ab Juli 1942 mit der Pla- Gunkel [geb. Pfeiffer] mit der Geburt von Kindern die nung des Ortsteils Rehbrücke bei Potsdam beschäf- Tätigkeit als Architektin zurück. tigt. Für den Architekten Otto Rauter bearbeitet sie Diese Darstellung der Berufstätigkeiten von Architek- ab April 1942 landwirtschaftliche Bauten - im Auftrag tinnen während des Nationalsozialismus bleibt lük- des Reichskommissars für die Erhaltung deutschen kenhaft, da Tabuisierung und Ängste, Quellen- und Volkstums im Osten.172 Gertraude Engels gibt 1939 Datenschutz nach wie vor der Auseinandersetzung ihre Stelle bei der Preußischen Bauverwaltung auf, mit den oft vielschichtigen Teilhaben am Funktionie- als anlässlich ihrer Heirat ein Umzug nach Hildesheim ren des Nationalsozialismus im Wege stehen. So auf- bevorsteht. Gemeinsam mit ihrem Mann beteiligt sie geschlossen manche Architektinnen schon zu Beginn sich 1941 an einem Wettbewerb für Luftschutzbun- der dreißiger Jahre der ‘neuen Bewegung’ gegen- ker, obschon sie inzwischen auch wiederholt Mutter überstanden, so wenig Identifikationsmuster boten wurde. ihnen die angebotenen Rollenklischees. Das Spek- Von Thea Koch, die um 1934 die Regierungsbaumei- trum der Begeisterung spiegelt sich in den Anträgen sterprüfung ablegt, ist lediglich bekannt, dass sie zu wider: Während das Einreichen eines Konterfeis mit Beginn der vierziger Jahre in Ruthnik/Ruppin tätig Parteiabzeichen am Revers oder in SA- oder SS-Uni- war. Als Hildegard Korte mit dem Überfall auf Polen form als Geste besonderer Loyalitätsbekundung den Mobilmachungsbescheid erhält, sucht sie eine Männern vorbehalten bleibt, erwähnen auch Architek- sogenannt ‘kriegswichtige Stellung’, die es ihr erlaubt tinnen die Parteimitgliedschaft in der NSDAP, drän- in Berlin zu bleiben. Aufträge im Industrie- und Luft- gen auf Aufnahme und ergänzen in Einzelfällen die schutzbau im Büro Kurt Krause bieten diese Voraus- - in der Regel über zwei Generationen zu erbringen- setzung.173 1941 wird sie Assistentin ihres ehemaligen den - ‘Ariernachweise’ über Jahrhunderte zurück. Die 172 Es bleibt unklar, ob sie in dieser Zeit an folgender Publikation Professors Daniel Krencker im „Reichsministerium Mitgliedschaft in der RKK wurde i.d.R. wohlüberlegt mitarbeitet: Rauter, Otto: Das Bauernhaus im Gau Tirol und Vor- Speer“ und Schriftleiterin im Arbeitsstab „Wiederauf- resp. zur Vermeidung beruflicher Nachteile beantragt, arlberg. Berlin, 1943. (= Schriften für neues Bauerntum, hrsg. v. bauplanung zerstörter Städte“. 1943 führt sie, inzwi- obschon gerade engagierte Architektinnen häufig Konrad Meyer). schen promoviert und Vertreterin des Hauptschriftlei- große Sympathien für ‘straffe Organisationsformen’ 173 Lt. Zeugnis von Karl Krause vom 25.10.1941 bearbeitete Hilde- ters der „Deutschen Kunst, Teil B Baukunst“, wäh- zeigten.176 gard Korte neben den „bombensicheren Luftschutzbauwerken“ rend der Weltausstellung in Barcelona durch die Aus- insbesondere „sämtliche Detailpläne“ eines Braunschweiger Architektinnen, die mit einem Architekten verheiratet stellung „Neue deutsche Baukunst“. Anschließend ar- Hochschulinstituts sowie die Trafostationen der Mitteldeutschen waren, wählten hinsichtlich staatlicher Kontrolle of- beitet sie bis Kriegsende als Architektin in dem unter Spinnhütte GmbH. fenbar häufig die Grauzone ‘mithelfende Familienan- der Leitung von Rudolf Wolters stehenden Stab an 174 Schulte-Frohlinde, Julius: Die landschaftlichen Voraussetzungen gehörige’. Damit entgingen sie der beitragspflichtigen Wiederaufbauplanungen mit. Und Lotte Tiedemann des Bauens im Osten, München, 1940 Zwangsmitgliedschaft für FreiberuflerInnen ebenso erstellt Ende der dreißiger Jahre im Auftrag der DAF 175 Dies deutet bspw. auf ausweichende Strategien. Vgl. zu Berufs- wie einer möglichen Dienstverpflichtung. Dieser ver- Bauaufnahmen und Fotos, die unter Nennung ihres strategien von Architektinnen - vor, während und nach dem Na- meintliche Rückzug ins Private wird eindeutig als Namens in der Publikation „Die landschaftlichen Vo- tionalsozialismus - S.281. ‘Hinter-einem-Mann-nicht-direkt-in-Erscheinung-Tre- raussetzungen des Bauens im Osten“ publiziert wer- 176 Wie groß die Verunsicherung über Verpflichtungen, Fristen und ten’ erkennbar, wenn die jeweilige Architektin er- den.174 Sanktionen war, lässt sich aus zahlreichen Anträgen angestellter werbstätig wird, sich an Wettbewerben beteiligt oder ArchitektInnen ersehen, die nicht der Zwangsmitgliedschaft un- Während manche Architektinnen im Nationalsozialis- Artikel schreibt. Diese sanktionsfreie ‘Strategie der terlagen, sich jedoch auf der Suche nach verbindlichen Informa- mus des öfteren den Arbeitgeber wie den Ort wech- Wartestellung’ kam für ledige oder geschiedene Ar- tionen oder auch mit Anträgen auf Aufnahme an das Präsidium seln175, bleiben andere - in den unterschiedlichsten chitektinnen ebenso wenig in Frage wie für Architek- der Reichskammer der Bildenden Künste wandten.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 203 ten: Im Falle der Freiberuflichkeit waren sie nach- lediglich innerhalb der NS-Frauenschaft offeriert. weispflichtig: sowohl antrags- wie beitragspflichtig Zu den Motivationen von Architektinnen, diesem oder und - im Falle eines Umzuges - meldepflichtig. Ange- jenem Verband wohl oder nicht beizutreten, sind bis- stellte ArchitektInnen waren gehalten, bei einzelnen her keine geeigneten Quellen dokumentiert. Festzu- freiberuflichen Aufträgen ‘Befreiungen’ von der RKK- halten bleibt, dass sich Architektinnen - soweit resp. Mitgliedschaft zu beantragen. sobald sie mit einem Architekten verheiratet sind - Die Aufnahmeanträge an die RKK sind weder voll- Verbänden und Organisationen eher fernhalten: Gat- ständig vorhanden noch sind vorhandene Anträge tin eines Mitglieds zu sein ist zur Wahrung eigener immer vollständig.177 So geben in diesen Quellen zu- Ambitionen offenbar ausreichend, (Verbands-)Politik 177 Dokumentieren lassen sich zwischen 1934 und 1940 sieben An- meist weniger die Angaben als die Auslassungen und bleibt Männersache. träge architekturinteressierter Bauhausstudentinnen, sowie vier Widersprüche zu weiteren Informationen und Äuße- 1993 resümierte Magdalena Droste über die Berufs- Anträge ehemaliger Tessenowstudentinnen zwischen 1935 und rungen Aufschluss über Affinitäten und Haltungen tätigkeit im Nationalsozialismus: „Weder bei den Frei- 1939. Diese Zahlen weichen jedoch von den realen Mitglied- von Architektinnen gegenüber beruflichen Organisa- beruflern noch bei den angestellten Bauhäuslern gab schaften ab. tionen im Nationalsozialismus. Das entstehende Bild es ‘große Karrieren’. Die kleinen, mühsamen, ange- 178 Brief Luise Seitz-Zaulecks an die Eltern vom 2.2.1939: „..schicke kann bisher nur anhand einzelner Werkbiografien auf- paßten, unauffälligen Existenzen waren die Regel.“ 180 ich jetzt endlich den Ahnenkram herzlich dankend zurück, denn gezeigt und belegt werden. Es bleibt unvollständig. Und Sabine Weißler stellte „für Bauhäusler“ fest, ich habe jetzt mein Mitgliedsbuch der Kammer in Händen.“ NL Die für die Freiberuflichkeit vorgeschriebene Mitglied- „was für andere auch zutrifft“ und für Tessenowstu- Seitz-Zauleck schaft in der Reichskulturkammer erforderte den Ari- dentInnen bisher kaum in Zweifel gezogen wurde: 179 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Sabine Schleierma- ernachweis über zwei Generationen. Hierfür wurden „Wo es ging, wurde weitergearbeitet.“ 181 cher anhand ihrer Untersuchung über Ärztinnen im Nationalso- auf einem Vordruck die Angaben über Lebens- und zialismus. Bei der von ihr untersuchten Gruppe der bis 1918 ap- Angesichts der Tatsache, dass über zwei Drittel der Kirchendaten bis zu den Großeltern abgefordert. Ge- probierten (zwischen 1850 und 1895 geborenen fast 800) Ärztin- ehemaligen Tessenow- und Bauhausstudentinnen in gen den dadurch bezweckten Ausschluss jüdischer nen konstatiert sie insbesondere unter den Verheirateten einen diesen Jahren heirateten oder bereits verheiratet wa- Kolleginnen und Kollegen regte sich kein nennens- geringen Organisationsgrad. (Weniger als ein Drittel aller Ärztin- ren und die Erfassungskriterien und -methoden ver- werter Widerstand. Ebenso brav wie pflichtbewusst nen waren Mitglieder in Partei und/oder NS-Ärztebund) Schleier- heirateten, ‘arischen’ Ehefrauen in der Regel weniger lieferten ArchitektInnen diese Ariernachweise - wenn macher stellt dennoch für die ganz überwiegende Mehrheit die- Aufmerksamkeit widmeten, sie weniger systematisch auch nicht immer vollständig - ab.178 Anhand von Ak- ser Ärztinnen eine ebenso nationalkonservative wie elitär Hal- erfassten, kann auf der Basis dieser Quellen nicht tenrecherchen in den Beständen des Bundesarchivs tung fest: „Sie verstanden sich als Garantinnen bei der Durchf- automatisch von einer ‘Systemferne’ oder überwie- zeichnet sich für Architektinnen insgesamt ein gerin- ührung rassehygienische Vorstellungen bei Frauen.“ - Vortrag genden Ablehnung des Nationalsozialismus gespro- ger Organisationsgrad in Partei, deren Gliederungen Sabine Schleiermacher im Interdisziplinären Forschungscollo- chen werden. Manches Mal eröffnen die nur bruch- und Berufsverbänden ab. Nach bisherigem Recher- quium am ZIFG der TU Berlin am 15.12.1999 stückhaft vorhandene Informationen lediglich einen chestand traten manche der ehemaligen Bauhaus- 180 Droste, Magdalena: Bauhaus-Designer zwischen Handwerk und Rahmen für mögliche Interpretationen. So bei Maria wie der Tessenowstudentinnen der NSDAP bei und Moderne in: Nerdinger, Winfried (Hg.): Bauhaus-Moderne im Na- Müller, die 1932 am Bauhaus diplomiert hatte und manches Mal auch wieder aus. Parteikarrieren blie- tionalsozialismus, München, 1993, S.85-100, hier S.97 sich 1933 im Dessauer Adressbuch mit dem Zusatz ben die Ausnahme. 181 Weißler, Sabine: Bauhaus-Gestaltung in NS-Propaganda-Aus- „Architektin“ eintragen ließ.182 Sie zieht noch 1933 stellungen, in Nerdinger, 1993, S.62. Und Rolf Sachsse kommt Damit stellt sich die berufliche Situation nicht-jüdi- nach Berlin und taucht ab 1934 im dortigen Adress- für die Fotografie zu dem Resümee: „So muß sich das Bauhaus scher Architektinnen insgesamt ambivalent, wenn buch mit dem Zusatz „Innenarchitektin“ auf. Als sie mit dem Durchschnittsschicksal begnügen, zum Erfolg des NS- auch für Berufsfrauen in freien Berufen während des sich als Architektin im Herbst 1935 um die Aufnahme Regimes einiges, zum Widerstand mit ästhetischen Mitteln da- Nationalsozialismus nicht ungewöhnlich dar179: Bei in die Reichskulturkammer bewirbt, stellt sie diesen gegen nichts beigetragen zu haben.“ Sachsse, Rolf: Kontinuitä- hoher Assimilationsbereitschaft und geringem Orga- Antrag zur Aufnahme für die „Gruppe Innenraumge- ten, Brüche und Mißverständnisse, in Nerdinger, 1993, S.82 nisationsgrad - im Sinne messbarer Mitgliedschaften stalter“.183 Dies lässt - ohne weitere Informationen - 182 Nun erstmalig mit eigenem Namen und alleinig, d.h. ohne bzw. - steigen ihre Berufschancen in Teilbereichen des Spielraum für unterschiedliche Interpretationen: anstelle ihres Mannes Berufsfeldes. Dafür lassen sich zumindest mehrere Denkbar ist, dass ihr Bauhaus-Diplom durch die auf- 183 BArchB, RKK 2400, Box 0233, file 04 Ursachen benennen. Zum einen streben engagierte geführten Arbeiten einen Schwerpunkt im Ausbau er- 184 Maria Müllers Diplom ist bisher ebensowenig bekannt wie die Architektinnen mit hohen Erwartungen in das Berufs- kennen ließ oder sie zu diesem Zeitpunkt Aufträge im Themen ihrer Studienarbeiten oder ihres Diploms. Sie hatte feld, zum anderen zielt die Kammermitgliedschaft nur Innenausbau bearbeitete. Evtl. war ihr für die „Fach- nach dem Besuch des Vorkurses 1928 zumindest zwei Seme- auf freiberuflich tätige ArchitektInnen und damit auf gruppe Innenraumgestalter“ die schnellere oder über- ster Wandmalerei studiert, eine Werkstatt, die seit der Umstruk- jene Statusgruppe innerhalb des Berufsfeldes, in dem haupt eine Aufnahme in Aussicht gestellt worden.184 turierung unter Hannes Meyer zur ‘Ausbauabteilung’ gehörte. Ab Frauen noch deutlich unterrepräsentiert sind. Dar- Die Mitgliedschaft als solche war immerhin die Be- dem Wintersemester 1930/31 ist allerdings ihre Zugehörigkeit überhinaus boten berufsständische Organisationen dingung jeder freiberuflichen Tätigkeit und evtl. stand zur Bauabteilung belegbar, somit hat sie bis zum Diplom 1932 wie der NSBdT durch antidemokratische wie antife- Müller zu diesem Zeitpunkt vor einer Scheidung.185 zumindest vier Semester in der Bauabteilung studiert. ministische Haltungen kaum Identifikationsmuster für Angesichts der Meldepflicht drohte FreiberuflerInnen 185 Hierfür spricht, dass Müller bereits 1933 in Dessau unter eige- Berufsfrauen. Architektinnen, deren Selbstverständnis bei Berufsausübung ohne Mitgliedschaft Berufsver- nem Namen im Adressbuch erscheint, aber auch, dass sie die- durchaus elitäre Züge aufweist, konnten in berufsori- bot, bei verspäteter Meldung ein Zwangsgeld. Dies sen Antrag überhaupt stellt. Über die konkreten familiären Ver- entierten Organisationen bestenfalls subalterne Posi- hätte für Maria Müller bedeutet, dass sie - nachdem hältnisse Maria Müllers ist bisher jedoch wenig bekannt. tionen einnehmen. Leitende Funktionen wurden ihnen sie jahrelang Mitarbeiterin ihres Mannes war - auch

204 Ambitionen und Realitäten mit Diplom ausschließlich als angestellte Architektin gende Tätigkeit zu finden. (..) Und dann kam der hätte tätig werden können, oder im Falle einer erfolg- Krieg und mehr und mehr wurde es unerträglicher bei reichen Akquisition Strafzahlungen wegen unterlasse- einer Behörde zu arbeiten und Partei und Behörde ner Beantragung der Mitgliedschaft drohten. und der ganze Tod und Teufel, der daran hing mach- ten einem das Arbeiten zur Hölle. Da ergriff ich dann Bereits am 18.12.1935 wendet sie sich jedoch erneut 41 die gute Gelegenheit abzuhauen.“ 188 mit einem Gesuch an die RKK, das wie folgt beschie- den wird: „Die Genannte hat glaubhaft nachgewie- Anlässlich der Abgrenzung zum Nationalsozialismus sen, dass sie den Beruf als Innenraumgestalterin nur wird das Bauhaus retrospektiv zur Projektionsfolie. 186 BArchB / RKK 2400, Box 0233, file 04. Schreiben „Anders“ an gelegentlich und geringfügig ausübt, da sie durch ih- „Wie unsagbar lang liegt die ganze Bauhauszeit zu- den Präsidenten der RKK vom 7.4.1936, Betr.: Das Schreiben re Pflichten als Hausfrau und Mutter (..) voll bean- rück und wie entsetzlich viel Leid und Elend ist über vom 14.1.1936 – IV R.104/7089: sprucht ist.“ 186 Durch diese - auch im Hinblick auf die uns alle gekommen“ schreibt Meyer-Waldeck in eben 187 ADKS, PA Annemarie Lange. Die Personalakte enthält mehrere Beiträge relevante Entscheidung - wird sie rückwir- diesem Brief und erhebt das Bauhaus damit zu ei- handschriftliche Lebensläufe Annemarie Langes. Dieser Lebens- kend zum Dezember 1933 (Beginn der Mitglieds- nem Sehnsuchtstopos: Der Ort, an dem die Welt lauf dürfte in den fünfziger Jahren verfasst worden sein. pflicht) freigestellt. noch in Ordnung war. Auch die Erinnerung Annema- 188 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an rie Langes zeigt deutliche Instrumentalisierungen, Hannes Meyer vom 9.8.1947. Wer dieser ehemalige Kollege Undeutlich bleibt Maria Müllers weiterer Berufs- resp. wenn sie 1953 darauf verweist, sich 1928 an der „da- war, ist bisher unklar. Lebensweg. Deutlich wird, dass das Antragsverhalten mals modernsten Bauhochschule“ immatrikuliert zu 189 Lebenslauf Lange vom 3.3.1953; ADKS, PA Lange. Annemarie wie die Reaktion der Kammer durchaus Flexibilität haben und eine politisch plausibilisierte Verklärung Wimmer [spätere Lange] war bei der Anerkennung ihres Diplom- zeigten, und dass Mutterschaft Architektinnen eine ihrer Niederlage findet: „Mein Studium konnte ich arbeit bei Mies van der Rohe gescheitert, hatte schließlich ein glaubhafte Möglichkeit bot, den Nachweispflichten nicht mehr abschliessen, da das Bauhaus von den Zeugnis erhalten. bzw. der Erfassung durch die Kammer zu entgehen, Faschisten liquidiert wurde.“ 189 190 „Wenn ich also sage, dass ich an den Bauhäuslern kein solches wie dieser Tatbestand der Kammer einen willkomme- Interesse aufbringe wie Joost Schmidt oder Selmanagic, so hat nen Anlass bot, derart beanspruchte Mitglieder aus Nach 1945, insbesondere während der Zeit der Ent- das seinen bestimmten Grund. Hier wird ein Kult entwickelt. als dem Kodex der Professionalität zu entlassen. nazifizierung und ‘Persilscheine’ kam der Akklamation wären die Bauhäusler eine besondere Sorte Menschen, mit be- eines „von den Nazis geschlossenen Bauhauses“ Le- Die Situation während des Nationalsozialismus bleibt sonders künstlerischen Qualifikationen und ausgezeichneter gitimationsfunktion zu, diente der Konstruktion ‘inne- paradox: Während Leistungen von Frauen auf männ- Geisteshaltung. Dem ist nicht so. Ich konnte gerade in den letz- rer Emigration’ oder eigener Gegnerschaft. Und sar- lichem Terrain systematisch abgewertet werden, sind ten 12 Jahren feststellen, dass sich unsere werten Kollegen kastisch bemerkt Waldemar Alder gegenüber Han- die jeweils denkbaren wie getroffenen Arrangements recht wohl im 3. Reich gefühlt haben, und wenn irgendwo ein nes Meyer über diese Form der kollektiven öffentli- angesichts individuell unterschiedlicher Interessenla- Funke von Opposition da war, so bestand er eben nur darin, chen Entschuldung vom Nationalsozialismus: „Hier gen, Möglichkeiten und Ambitionen, sowie die ver- dass man diese formale Richtung als Kulturbolschewismus abt- wird ein Kult entwickelt (..) Ich konnte gerade in den schiedenen Filter der Überlieferung bisher kaum zu at. Wäre an Stelle von Hitler Mussolini am Ruder gewesen, so letzten 12 Jahren feststellen, dass sich unsere werten verallgemeinern. Für etliche der Architekturstudentin- wäre alles wunderbar in Ordnung gewesen und nicht die leise- Kollegen recht wohl im 3. Reich gefühlt haben.“ 190 nen der Weimarer Republik kann sicherlich von Stra- ste Auflehnung wäre erfolgt.“ Brief W. Alder an H. Meyer um tegien der Unauffälligkeit gesprochen werden. Bei Aber nicht nur Bauhausstudierende erlagen nach 1947, BHD 2 -K-1947/48 anderen werden deutliche Arrangements zur Stabili- 1945 der Verlockung, das eigene Engagement wäh- 191 17.4.1947„Wera [Meyer-Waldeck] macht den Vorschlag einige sierung der individuellen Professionalisierung im Na- rend des Nationalsozialismus durch einen großzügi- Daten zu ändern, was auch geschehen ist.“ Auszüge der Tage- tionalsozialismus erkennbar. gen Umgang mit Daten und Fakten einer Neuinter- bücher von Alfred Arndt in: Hahn, Peter / Christian Wolsdorff: In pretation zu unterziehen.191 „Keiner von all denen, die der Vollendung liegt die Schönheit. Der Bauhausmeister Alfred Annemarie Lange [geb. Wimmer], die seit 1933 über die Grundsätze der CIAM mit unterschrieben haben Arndt 1898-1976, Berlin, 1999, S.103 ein rückdatiertes Bauhaus-Zeugnis verfügte und ab und keiner von denen, die an ihrer weiteren Formulie- 192 „Statt dessen haben ich und viele meiner Freude wie May Jahresende 1935 fast zehn Jahre für die Bauleitung rung mitarbeiteten, haben sich je mit den Ideen des selbst, Schütte, Lihotzky, Leistikow, Mart Stam, Walter Kratz, der Reichsautobahnen tätig wurde, stellt dieses Pla- Nationalsozialismus identifiziert“, schreibt Werner He- Ulrich Wolf, Heinrich Willing u.a. die im äußeren parallele geisti- nungsbüro in den fünfziger Jahren als eine Insel des bebrand 1964.192 ge Entwicklung zum ‘sozialistischen Realismus’ Stalinscher Pro- Antifaschismus im nationalsozialistischen Meer dar, venienz mitmachen müssen.“ In: Städtebau - ein Generations- wenn sie schreibt: „Die humane und menschlich wie Da der überwiegende Teil der ehemaligen Bauhaus- problem? (1964) abgedruckt in: Hebebrand, Werner: Zur neuen sachlich einwandfreie Haltung unseres Abteilungslei- und Tessenowstudentinnen zu Beginn oder im Laufe Stadt, Berlin, 1969, S.56-66, hier S.63 ters machte es mir wie der Mehrzahl meiner z.T. of- der dreißiger Jahre jedoch auch in einem Alter ist, in 193 Angesichts der Reichweite dieser Koinzidenzen für die persönli- fen antifaschistischen Kollegen möglich, bis zum En- dem möglicherweise über eine Familiengründung zu che Lebensgestaltung läuft jegliche Bildung von Kausalitäten de meiner Arbeit nachzugehen, ohne dass ein Druck entscheiden war193, in der Erinnerung an den Natio- Gefahr, rückwirkend aus Anlässen oder Folgen Ursachen zu ma- zum Eintritt in die NSDAP, selbst nicht in den NSBDT nalsozialismus Anlass und Motive für einen Rückzug chen. Die Interpretation einzelner Befunde korrespondiert allzu ausgeübt wurde.“ 187 Wera Meyer-Waldeck beschreibt aus dem Berufsfeld resp. in die Familiengründung häufig - und angesichts tabuisierter ‘Erinnerungen’ an den Na- die Situation 1947 in einem Brief an Hannes Meyer verwischen, wird die Frage von Mutterschaft im Na- tionalsozialismus - mit der retrospektiven Bewertung politischer konträr: „1936 als meine Mutter starb versuchte ich tionalsozialismus in Kapitel 9 erneut aufgegriffen.194 ‘correctness’. dann wieder eine Stelle in einem Architekturbureau 194 So bei der beruflichen Partizipation von Architektinnen - vor, zu bekommen und es gelang mir schließlich in Berlin während und nach dem Nationalsozialismus - (S.277ff.) sowie bei der Reichsbahn (..) eine eigentlich recht befriedi- bei der Diskussion von Berufs- und Lebenswegen (S.287ff.)

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 205 Resümee schlechtsspezifisch aufgebaut werden. Just dieses Deutlich wurde, dass der Berufseinstieg von Archi- persönliche Vertrauen führt jedoch zu dem, was als tekturstudentinnen der Weimarer Republik durchaus Statusdistribution, als eine Art Vererbung individueller Schwierigkeiten bergen konnte, insbesondere jedoch, Machtpositionen in einem gewachsenen Interessen- dass manche dieser Schwierigkeiten bereits in der gefüge bezeichnet werden kann. Dementsprechend Ausbildung begründet sind. Denn während Tesse- wichtig ist der Aufbau des Beziehungsgeflechtes zwi- nowstudentinnen - über 90% der Diplomandinnen bei schen Protagonisten, Standesvertretern, Professoren Tessenow - der Berufseinstieg nahezu problemlos und Meistern innerhalb und außerhalb der Hochschu- gelang, so fanden Bauhausstudentinnen - selbst mit len. Und so aktiv solche Beziehungen geknüpft und Diplom - nicht immer eine adäquate Beschäftigung. aufgebaut werden, so begrenzt ist aufgrund bürger- Gab es unter den ehemaligen Bauhausstudentinnen licher Normen der Aktionsradius von Studentinnen, mit Friedl Dicker, Jadwiga Jungnik, Kattina Both, Lot- sobald das Beziehungsgeflecht außerhalb der Hoch- te Beese, Eva Weininger, Gerda Marx Gestalterinnen, schule angesiedelt ist. So schildert bspw. Anneliese die auch ohne Abschluss unmittelbar im Anschluss Eichberg199, dass das persönliche Verhältnis des Assi- an das Studium ins Erwerbsleben wechseln konnten, stenten Werner Eichberg, ihres Mannes, zu seinem so fanden von den vier Diplomandinnen im Bereich Förderer Prof. Adolf Abel u.a. durch gemeinsame Bau/Ausbau nur zwei direkte Berufseinstiege: Hilde Radtouren nach Venedig und Rom während der Stu- Reiss und Annamaria Wilke.195 Während also Bau- dienzeit begründet worden sei.200 Zum Aufbau eines hausstudentinnen zunächst resp. immer wieder er- beruflichen Vertrauensverhältnisses gemeinsam mit werbslos waren und ein Drittel das Berufsfeld gar einem Professor durch Italien zu radeln, kam in den nicht erst betrat196, fanden Tessenowstudentinnen - dreißiger Jahren selbst für großbürgerliche Studentin- auffällig häufig bei öffentlichen Ämtern - Anfangsstel- nen trotz sportlicher Ambitionen nicht in Frage. lungen als angestellte Architektin. Und während ehe- Dennoch suchen und finden auch die Studentinnen malige Bauhausstudentinnen häufig auf Zusammen- 195 während sich Wera Meyer-Waldeck trotz Gesellenbrief, Büro- der Weimarer Republik den Berufseinstieg oft im Um- arbeit und Patronagen männlicher Kollegen angewie- praktikum und Diplom zunächst mit allerlei fachfremden Jobs feld des Abschlusses, in der Regel in Großstädten sen waren, fanden Tessenowdiplomandinnen ihre An- durchschlägt . Auch Maria Müller scheint 1932 nach dem Di- und häufig in Berlin.201 Lediglich ausländische Stu- fangsstellungen in der Regel selbständig, auch wenn plom keinen unmittelbaren Übergang ins Berufsfeld gefunden zu dentinnen kehren im Anschluss an das Studium in sich KollegInnen manches Mal als Stützen im Bezie- haben. Mit drei kleineren Kindern zieht sie um 1933 nach Berlin, ihre Heimatorte zurück, suchen den Berufseinstieg hungsgeflecht erwiesen. scheint aber auch dort - zumindest bis Anfang der vierziger Jah- vereinzelt auch in kleineren Städten. Im Unterschied re - keinen beruflichen Einstieg zu finden. Das mehrstufige Initiationsverfahren ins Berufsfeld zu Architekturstudentinnen der Kaiserzeit, die der 196 Vgl. FN 2 über akademische Ausbildungen - Architekturstuden- Kollision gängiger Berufsvorstellungen mit traditionel- 197 Gerhard Kosel (geb. 1909) erinnert: „Der Platz im Seminar war tinnen am Bauhaus bereits während des Studiums len Rollenerwartungen nicht entgehen konnten, mit außerordentlich begehrt, denn damals Poelzig-Schüler zu sein, nahezu kategorisch verschlossen - scheint Frauen an sämtlichen Traditionen brechen mussten, um über- war eine große Auszeichnung, eine Eintrittskarte fürs Leben.“ Technischen Hochschulen während der Weimarer haupt studieren resp. den Beruf ausüben zu können, Engstfeld, Hans-Joachim: Architekt im Takt, in: Schwarz, 2000, Republik zugänglich zu werden. Nach der Aufnahme waren Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- S.240-249, hier S.241 des Studiums, dem Bestehen des Vordiploms, stellte blik nicht mehr mit der Frage konfrontiert, wie sich 198 Was auf die Rolle dieser Beziehungen bei der Selektion veweist. der Eintritt in ein Seminar zuweilen die erste status- eine Dame auf einer Baustelle zu kleiden habe. Sie So ist bspw. Johanna Tönnesmann mit der Tochter von Paul resp. berufsfeldrelevante Selektionsstufe dar.197 Etli- konnten bereits auf Hüte und Handschuhe verzich- Bonatz befreundet, ist Asta Stromberg zum Zeitpunkt ihres Ein- che schafften mit der Aufnahme in eine Meisterklasse ten, als Praktikantinnen auch Hosen tragen. Wie die tritts in das Meisteratelier Poelzig bereits mit Max Berling verhei- auch die zweite Stufe. Allerdings finden wir hier, wo Studentinnen der Kaiserzeit müssen sie ihre Lebens- ratet. Camilla Stark - einzige Architektin in der Vereinigung jun- es um die Mitwirkung an Projekten des Meisters vorstellungen jedoch quasi ‘entwerfen’, zumal Vorbil- ger Architekten - heiratet das Mitglied Karl Sommer. geht, auch vermehrt Hinweise auf die Einbindung die- der jenseits stereotyper Frauenrollen noch immer rar 199 Dipl.Ing. Anneliese Thienes sp. Eichberg (geb. 1910), als Archi- ser StudentInnen in ein Geflecht privater Beziehun- sind. So selbstverständlich Architekturstudentinnen tektentochter in Wuppertal-Barmen aufgewachsen, studierte ab gen.198 An der Schnittstelle zur Professionalität - dem nach Wegfall der geschlechtsspezifischen Zugangs- 1930 bis 1936 an der TH München. 1938 heiratete sie den Stu- Eintritt in Stellen, die eine berufliche Perspektive und schwellen ihre Studienmöglichkeiten nutzen, so fragil dienkollegen Werner Eichberg. Vgl. Interview, das Margot Fuchs finanzielle Vergütung versprechen und damit neben erscheinen ihre beruflichen Perspektiven. mit Anneliese Eichberg führte in: Fuchs, 1993, S.149 ff. der Existenzsicherung die Aussicht auf eine eigen- Tessenowstudentinnen verließen das Seminar mit 200 Ibid., S.154 ständige Professionalität bieten - müssen Berufsein- den fachlichen wie formalen Voraussetzungen, als Ar- 201 So Gertraude Engels, Helga Karselt, Sigrid Rauter, Hildegard steigerinnen mit TH-Diplom im Unterschied zu den chitektinnen tätig zu werden, erwarben in der Regel Korte, Christa Dirxen, Ewa Freise, Klara Brobecker, Lieselotte Kollegen jedoch offenbar auf Hilfestellungen und Em- das für den Einstieg in die Regierungsbaumeister- von Bonin, Gisela Eisenberg und wahrscheinlich auch Elfriede pfehlungen von seiten der Lehrer weitgehend ver- laufbahn notwendige Diplom. Diese Laufbahn des Schaar, evtl. Maria Gaiser. - Auch etliche BauhausstudentInnen, zichten, während Bauhausstudentinnen in einzelnen gehobenen Dienstes schlagen sie jedoch nur im Aus- darunter alle vier Diplomandinnen im Bau/Ausbau (Wera Meyer- Fällen Empfehlungen erwirken können. nahmefall ein. Weit häufiger finden wir Tessenowstu- Waldeck, Maria Müller, Hilde Reiss, Annemarie Wilke), sowie An dieser Schwelle zur Professionalität spielen häufig dentinnen in privaten Büros in angestellten Positio- Kattina Both, Eva Fernbach Anneliese Brauer, Wera Itting und Vertrauensverhältnisse eine Rolle, die offenbar ge- nen sowie - und dies im Unterschied zu den in den Annemarie Wimmer fanden in Berlin ihren Berufseinstieg.

206 Ambitionen und Realitäten zwanziger Jahre bereits tätigen Architektinnen - auf tern von Architekturstudentinnen häufiger deren Ver- angestellten Positionen im öffentlichen Dienst. Und heiratung als deren Professionalisierung förderten. so häufig die Ambitionen in Richtung einer freiberufli- Illustrativ mag hier die Haltung von Paul Bonatz sein, chen Existenz weisen - fast die Hälfte der Tessenow- der die Heirat seiner geliebten - und als Architektin wie der Bauhausstudentinnen scheinen die Freiberuf- diplomierten - Tochter Susa 1931 bezeichnender- lichkeit anzustreben -, nur selten finden Bauhausab- weise als die Hochzeit seines Assistenten Kurt Düb- solventinnen, noch seltener Tessenowdiplomandin- bers mit seiner Tochter rekapituliert.204 nen eine Möglichkeit, im Anschluss an das Studium Der zahlenmäßige Anstieg der Architekturstudentin- eine solche zu begründen. Auch Einstiege in väterli- nen während der Weimarer Republik schlägt sich che resp. familiäre Büros sind hier nicht zu finden. auch beim Berufseinstieg nieder: Wir finden sie nun Und selbst diejenigen, die eine erste Stufe der freibe- in nahezu allen Bereichen wie mit allen Tätigkeiten ruflichen Etablierung erreichen, können ihre Existenz- des Berufsfeldes befasst. Während immerhin ein gründung häufig nicht einmal bis zum Beginn des Fünftel der Bauhausstudentinnen bei Studienbeginn zweiten Weltkrieges betreiben. bereits über einen berufsqualifizierenden Abschluss Wie im Vergleich der Berufseinstiege deutlich wurde, und damit über eine Erwerbsperspektive außerhalb fanden Tessenowstudentinnen i.d.R. einen direkten der Architektur verfügte, hatte keine der Tessenow- Übergangs ins Berufsleben. Ihrer Ausbildung kommt diplomandinnen vor dem Studium eine Berufsausbil- zum Beginn der Professionalisierungsphase - sowohl dung abgeschlossen. qua Praxisorientierung wie auch qua formaler Qualifi- Und während der Übergang vom Studium in den Be- kation - die entscheidende Bedeutung zu. Im Unter- ruf bei den Kollegen i.d.R. keine Irritationen im beruf- schied dazu korrespondieren die Studienqualifikatio- lichen und familiären Umfeld auslöst, stehen berufli- nen am Bauhaus - Praxiserfahrungen wie Studienar- che und private Ambitionen von Architekturstudentin- beiten - oft nur in Teilbereichen mit den gängigen nen der Weimarer Republik spätestens mit dem Er- Praxen des Berufsfeldes. In Ermangelung umfassen- werb der Berufsqualifikation zueinander in einem der fachlicher Kompetenzen wie anerkannter - ihnen Spannungsverhältnis. Der Konflikt zwischen konkur- zumeist auch noch vorenthaltenen - Zertifizierungen rierenden Rollenerwartungen, dessen Ursprung in der sind Bauhausstudentinnen beim Berufseinstieg weit- ungleichen Lastenverteilung privatisierter Reprodukti- gehend auf Vermittlung, Vertrauensvorschuss und onsarbeit zwischen den Geschlechtern liegt und mit Empfehlung angewiesen. dem die Studentinnen qua Geschlecht so existentiell Sie knüpfen ihre Berufs- und Lebensperspektive auf- wie ausnahmslos konfrontiert sind, bleibt in der Regel fällig häufig schon während des Studiums an den ei- tabuisiert.205 Nur die wenigsten Architekturstudentin- nen oder anderen Herrn, streben sichtlich eine Part- nen sind jedoch bereit, die ausschließlich ihnen auf- nerschaft im Sinne der Kameradschaftsehe an. Auch gezwungene Entscheidung zwischen den konfligie- auffällig viele TH-Studentinnen planen bereits gegen renden Rollen zu treffen. Die meisten möchten - wie Ende des Studiums eine kameradschaftliche Partner- ihre Kollegen auch - weder auf die angestrebte Be- schaft mit einem Kollegen. Unter den Tessenowdiplo- rufstätigkeit verzichten noch allzu viele Kompromisse mandinnen finden wir jedoch etliche, die das eigene im Privatleben machen. So verwundert es kaum, Diplom sichtlich nicht gegen einen Trauschein tau- dass die meisten Architekturstudentinnen gegen En- 202 Dreiviertel der Bauhausstudentinnen und der Hälfte der Tesse- schen möchten, Perspektiven und Konsequenzen ei- de ihres Studiums auf der Suche nach konfliktredu- nowstudentinnen stammen aus Familien, deren finanzieller Hin- ner Partnerschaft sehr genau abwägen. zierenden Auswegen aus diesem Dilemma das Mo- tergrund die Wahl des Architekturstudiums auch ohne unmittel- dell der Kameradschaftsehe favorisieren. Diese neu- Erlaubte der soziale Status den Architekturstudentin- bare Verwertungsperspektive im Berufsfeld erlaubte. formulierte Vorstellung der heterosexuellen Paarbe- nen i.d.R. die Entscheidung für das hinsichtlich beruf- 203 So wenn Eltern tatkräftig die Verheiratung förderten, dem Stu- ziehungen stellt die Vereinbarkeit unterschiedlichster licher Perspektiven ‘unsichere’ Fach und konnten die dium als Berufsqualifikation der Tochter also weniger trauten als Ambitionen just zu einem Zeitpunkt in Aussicht, zu meisten bei Beginn ihres Studiums noch ohne ‘Ver- der traditionellen Versorgerehe. dem die Unvereinbarkeit professioneller Identitäten wertungsdruck’ studieren, so verschlechterte sich die 204 Bonatz, 1950, S.138. An diesem Beispiel wird deutlich, welch und familiärer Erwartungen aufzubrechen droht. Da- finanzielle Lage etlicher Familien im Laufe der Wei- hohe Aufmerksamkeit Ambitionen und Lebensstil der Architek- mit verbinden Tessenowstudentinnen die Hoffnung, marer Republik merklich.202 Aber auch wenn der fi- tentochter zuteil wird. - „Hochszeitsreise im Faltboot mit Zelt? eine akzeptable Konstellation in die Zeit nach dem nanzielle background vorhanden war, zeigten bürger- Welche Verirrungen!“ brandmarkt Bonatz die eigenwillige Idee Studium zu prolongieren. Für Bauhausstudentinnen liche Elternhäuser durchaus ambivalente Haltungen der Tochter, toleriert dennoch die abweichende Ausdrucksform, bietet diese Option die Ausschicht darauf, eine ledig- gegenüber der Berufstätigkeit der Töchter.203 Auch da alles ‘in geordneten Bahnen’ verläuft, der Status quo bürger- lich propagierte Gleichberechtigung zumindest auf deshalb waren mehr als die Hälfte der Bauhaus- und licher Geschlechterhierarchien nicht in Frage gestellt wird. der privaten Ebene zu realisieren. zwei Drittel der Tessenowstudentinnen zum Ende ih- 205 War in dem auf Ausgleich und Harmonie gerichteten Klima des res Studiums darauf angewiesen, eine eigene materi- Während Bauhausstudentinnen die Zeit ihres vom El- Seminars Tessenow das Austragen jeglichen Konfliktes kaum elle Absicherung zu finden. Nicht befriedigend zu be- ternhaus bereits weitgehend losgelösten, wenn auch denkbar, so wurden am Bauhaus Rollenverständnisse nur zu antworten ist bisher die Frage ist, inwieweit auch El- i.d.R. alimentierten Studiums als Experimentierfeld Beginn der zwanziger Jahre offen diskutiert.

Berufseinstiege von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik 207 nutzen, ihre privaten und beruflichen Interessen aus- auf die Etablierungsbedingungen von Architektinnen balancieren, sind Tessenowstudentinnen, die in ihrer insgesamt verheerend auswirkte. Im Unterschied zum Studienzeit ebenfalls berufliche und private Interes- Berufsverbot für jüdische KollegInnen - wie im Ver- sen verfolgen, zumeist erst beim Berufseinstieg mit gleich zur Situation der Richterinnen - kann hinsicht- der Frage konkurrierender Ambitionen konfrontiert. lich ‘arischer’ Architektinnen jedoch keinesfalls von Und während nur wenige Bauhausstudentinnen einen einem ‘Berufsverbot während des Nationalsozialis- Einstieg ins Berufsfeld finden, manche in den zuvor mus’ gesprochen werden. Auch die Nähe zum Bau- erlernten Beruf, andere ins Elternhaus zurückkehren, haus führte keineswegs zu einem Berufsverbot, so kehrt kaum eine Tessenowstudentin ins Elternhaus dass bspw. Wera Meyer-Waldecks Behauptung si- zurück. Fast alle finden unmittelbar im Anschluss an cherlich nicht zutrifft, dass sie „arbeitslos wegen Zu- das Diplom eine bezahlte Stellung als Architektin und gehörigkeit zum Bauhaus“ und ihr Diplom nur „einen damit erstmalig materielle Unabhängigkeit. Während Pfifferling wert“ gewesen sei.206 Mit der Retradierung also Bauhausstudentinnen häufig auch außerhalb der männlicher wie weiblicher Rollen - der ideologischen Architektur nach existenzsichernden Perspektiven su- Aufwertung der ‘Mutterpflichten’ - gerät allerdings je- chen, bereits bestehende Arbeits- und Lebensge- de Erwerbstätigkeit von Frauen unter Legitimations- meinschaften in die Zeit nach dem Studium ‘verlän- druck, steigen für Frauen die Schwellen beruflicher gern’ und dabei manches Mal vermeintlich talentier- Selbständigkeit deutlich an. Da sich die Architektur- tere Partner alimentieren, suchen und finden Tesse- studentinnen der Weimarer Republik Anfang der drei- nowstudentinnen nach dem Studium eine die eigene ßiger Jahre auch im ‘Reproduktionsalter’ befinden, Existenz sichernde Position innerhalb der Architektur, mischen und überlagern sich private und politische obschon auch etliche Tessenowdiplomandinnen ihren Motive - insbesondere bei Verheirateten resp. Heira- weiteren Berufsweg in Verbindung mit einem Kolle- tenden - in unterschiedlichster Weise. Deutlich wurde gen als Lebensperspektive planen. jedoch auch, dass der durch Rassenhass erzwunge- 206 BHA, LL Wera Meyer-Waldeck, 1950er Jahre, resp. Brief Meyer- ne Exodus wie die Ermordung jüdischer KollegInnen Deutlich wurde, dass das restriktive Frauenbild im Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.1947. DAM, NL Meyer II für die Emanzipation von Architektinnen in Deutsch- Nationalsozialismus misogynen Tendenzen innerhalb 4(10) 81/2-847 land den entscheidenderen Einschnitt bedeutete. des Berufsstandes Vorschub leistete und sich damit

208 Ambitionen und Realitäten 8 Zum Einfluss der ‘Schulen’: Projekte, Bauten, Konzepte

Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkge- bäude, vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte (210) - Zeitgeist oder individuelles Statement? (245) - Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Archi- tektur: Bauhaus- und Tessenow-’Schülerin- nen’? (250) - Resümee (262) erfordert es, derart unzugängliches resp. in Archiven und Nachlässen irreführend oder fehlerhaft zugeord- Was - und nicht zuletzt wie - planen, bauen und ge- netes Material über Umwege zu erschließen sowie in stalten ehemalige Tessenow- und Bauhausstudentin- zahlreichen Einzelfällen Zuschreibungen und Wider- nen im Laufe ihrer Berufsleben? Welche Projekte re- sprüche entsprechend detaillierten Überprüfungen zu alisieren sie wann? Bearbeiten sie Themen, die ihnen unterziehen. Soweit dies im Rahmen dieser Untersu- schon im Studium gestellt worden waren? Oder sind chung gelang, sind die Ergebnisse dieser Überprü- Tätigkeitsbereiche und Aufgabenstellungen vielmehr fungen im folgenden dargestellt. Schon angesichts zeitgebunden? Lässt sich anhand dieser Entwürfe der Vielfalt von Themen, Projekten, Provenienzen, verifizieren, dass unterschiedliche ‘Schulen’ die Hal- Orten und Beteiligten bleibt die folgende Zusammen- tungen von Architekturstudentinnen der Weimarer stellung zwangsläufig lückenhaft - worauf hier aus- Republik nachhaltig bestimmen? Oder wird mit zu- drücklich hingewiesen wird. nehmender Berufserfahrung ein wachsender Abstand Anschließend werden Themen- und Projektschwer- zu den Lehrmeinungen sichtbar? Spiegeln sich in punkte hinsichtlich der Zeitumstände resümiert. Bauten und Projekten deutlich identifizierbare Ausbil- Kaum einer dieser Architektinnen war es vergönnt, im dungsrichtungen oder vielmehr (unv)erkennbare Sinne eines - mehr oder minder - kontinuierlichen Handschriften wider? Oder dominieren Zeitumstände Schaffensprozesses ein umfangreiches Lebenswerk und erkennbare BauherrInnenwünsche das Bild? in der Architektur zu erarbeiten. Dennoch lassen Bau- Die im folgenden chronologisch genannten und, so- ten und Projekte aus unterschiedlichen Jahrzehnten weit möglich, gezeigten und kontextualisierten Bau- durchaus Bewegung hinsichtlich architektonischer 1 Obschon in den zwanziger Jahren noch alle Tessenow-Studen- ten und Projekte bieten sicher keinen vollständigen Haltungen erkennen. Und Arbeiten verschiedener Ar- tinnen studieren. Lediglich von den vor der Jahrhundertwende Überblick. Denn noch immer sind nur wenige Projek- chitektinnen können zu den Rahmenbedingungen ih- geborenen ‘Wiener’ Studentinnen Tessenows lassen sich einzel- te bekannt, konnte nur ein Bruchteil des Schaffens rer Entstehung vergleichend in Relation gesetzt wer- ne bereits im Berufsfeld nachweisen. So ist bspw. Else Nießen dieser Architektinnen überhaupt recherchiert werden. den. Anhand ausgewählter Projekte - insbesondere seit 1918 für das Hochbauamt Wien tätig, wo sie Wohnungs- Von diesen recherchierten Projekten ließ sich wieder- freiberuflich tätiger Architektinnen - kann dann die bauprojekte bearbeitet wie die Siedlung „Auf der Schmelz” und um bisher nicht einmal die Hälfte dokumentieren. All- Frage der Ausbildungsprägung näher untersucht und die „Kriegersiedlung Aspern”. Und Grete Lihotzky arbeitet ab zu häufig wären weitere Recherchen notwendig, um diskutiert werden. Betrachten wir zunächst die Zeit- 1919 freiberuflich wie angestellt zunächst für die Siedlerbewe- Projekthinweisen nachzugehen, bisher nur namentlich komponente1: Was entwerfen ehemalige Bauhaus- gung in Wien, bevor sie ab 1926 (bis 1929) in der Typisierungs- bekannte Bauten nachzuweisen oder - trotz bspw. und Tessenow-Studentinnen in den zwanziger, drei- abteilung des Hochbauamtes der Stadt Frankfurt tätig wird. Zu verschollener Bauakten - bereits zerstörte Gebäude ßiger, vierziger, fünfziger, sechziger, siebziger und Nießen vgl. Biografie im Anhang, zu Lihotzky vgl. insbesondere zu dokumentieren. Und keinen geringeren Aufwand achtziger Jahren? Allmayer-Beck, et.al., 1993 resp. 1996.

Projekte, Bauten, Konzepte 209 Vom Toilettenhäuschen bis zum Rundfunkgebäu- de - Vom Laubenganghaus bis zur Kirche: Bauten und Projekte im Laufe der Jahrzehnte. In den zwanziger Jahren finden wir die ersten Arbei- ten ehemaliger Bauhausstudentinnen. 1929 betreten auch die Tessenowdiplomandinnen Iwanka Waltscha- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nowa und Fridel Schmidt das Berufsfeld. Insgesamt sind es jedoch nur wenige, die in diesem Jahrzehnt bereits berufstätig werden, so Tony Simon-Wolfskehl, Friedl Dicker, Ruth Hildegard Geyer-Raack, Dörte Helm, Hildegard Hesse, Jadwiga Jungnik, Mila Lede- rer, Ursula Schneider, Katt Both und Gerda Marx. „Kleinst-Wochenendhaus”, Ort unbekannt, 1925, Hildegard Hesse Tony Simon-Wolfskehl wird um 1922 in Frankfurt am Main als freiberufliche Innenarchitektin tätig. Belegen lässt sich ihre Tätigkeit als Bühnenarchitektin am zu realisieren.4 2 Es handelt sich um „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“, Neuen Theater ab Herbst 1921. Hier entwirft sie bis die Doppelaufführung von Molieres „Arzt wider Willen“ und Gol- Anfang 1924 die Bühnenbilder für zumindest sechs Aufgrund eines Wettbewerbserfolges wird 1925 Hil- donis „Diener zweier Herren“, die Uraufführung „Sirill am Wrack“ Theaterstücke.2 Die Entwürfe - Zeichnungen, Foto- degard Hesses Entwurf eines ‘Kleinst-Wochenend- von Max Mohr, Wedekinds „Frühlingserwachen“ und Grillpar- grafien oder Modelle sind nicht überliefert - finden je- hauses’ gebaut.5 zers „Weh dem, der lügt“. Zu den rekonstruierten Spielplänen doch in Kritiken mehrfach Erwähnung. Demnach be- dieses Boulevardtheaters vgl.: Siedhoff, Thomas: Das neue The- steht bspw. ihr Bühnenbild für die Wedekindinszenie- ater in Frankfurt am Main 1911-1935, Frankfurt/M., 1985. rung aus einem „in zartes Frühlingsblau getauchten 3 Stadtarchiv Frankfurt/M. ,S3/N2519 „W.U.“, Frankfurter Zeitung, Mittelrahmen (..) mit nur plastisch andeutendem Büh- Nr.806, vom 30.10.1923. Die/derselbe KritikerIn spricht beim nenwerk“.3 Ab 1923 wird auch Friedl Dicker freiberuf- „Barometermacher“ von „phantasie- und farbenfrohen Umrah- lich tätig. Bekannt sind manche ihrer Entwürfe für mungsbilder[n] von Toni Simon-Wolfskehl (..), die ungefähr einen raumbildende Ausbauten, wie sie zwischen 1926 und Begriff davon [gaben], wie expressionistisch und bunt es in ei- 1931 in Wien entstehen. Für private, aber auch nem solchen Feenlande hergehen muß.“ Ibid. Nr.897, 2.12.1921 öffentliche und gewerbliche Auftraggeber entstehen 4 Zu den Projekten Dicker/Singer vgl. insbesondere Trauttmanns- so räumlich ausgetrickste Innenausstattungen wie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dorff/Schromm, Wien, 1999 und Makarowa, Wien, 2001. der „Modesalon Lore Krisner” (1929), die Wohnungen Dr. Reisner (1929) und Moller (1931) und der Kinder- garten Goethehof (1930). Zunehmend nutzt Dicker „Gästehaus Heriot”, Aufgang Dachterrasse, Dicker und Singer, 1930 aber auch die in Zusammenarbeit mit Franz Singer gebotenen Chancen, um ganze Gebäude, wie das „Tennisclubhaus Heller” und das „Gästehaus Heriot”

Inneneinrichtung Kindergarten Goethehof, Wien II, 1930, Dicker, „Tennisclubhaus Dr. Heller”, Wien IIX, Dicker und Singer, 1928 Blick in die Kinderküchennische

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210 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Meisterräume”, 1926, Ruth Hildegard Geyer-Raack

Ab Mitte der zwanziger Jahre werden mehrere aus- roy & Boch entworfenen, keramischen Einrichtungen geführte Projekte von Ruth Hildegard Geyer-Raack Jadwiga [Hedwig] Jungniks. In Magdeburg entwirft publiziert. Sie ist, seit 1922 verheiratet, in Berlin als Mila [Hoffmann-]Lederer, die seit Ende 1926 künstle- freiberufliche Innenraumgestalterin tätig, entwirft Ta- rische Mitarbeiterin des dortigen Messe- und Hoch- peten und Möbel und bemalt nach eigenen Entwür- bauamtes ist, Farbgestaltungen für neu entstehende fen Wände und Decken privater Häuser. 1930 zeich- Wohnsiedlungen sowie die Stadthalle. Ab 1929 wird Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar net sie gemeinsam mit Elsa Fleischmann für die Ge- sie in Berlin freiberuflich auch für Ausstellungen tätig. staltung der Ausstellung „Die gestaltende Frau“ bei 1930 präsentiert sie „Mitteldeutschland” als raum- Wertheim verantwortlich. Als künstlerische Leiterin greifende Fotocollage, im folgenden Jahr zeichnet sie organisiert sie die im folgenden Jahr in Köln stattfin- als Grafikerin für die Ausstellung „Licht, Luft und dende „Internationale Raumausstellung”. Neben Ent- Sonne für alle“ verantwortlich. Ursula [Schneider-] Großbild-Collage „Mitteldeutschland”, 1928, Hoffmannlederer, Berlin würfen von u.a. Adolf Loos, Bruno Paul und ‘Le Cor- Weiß, die bereits 1925 im Büro Gutkind an der Pla- busier-Jeanneret-Perriand’ zeigt sie hier auch einen nung von Wohnsiedlungen in Berlin und 1927 im Ate- eigenen Entwurf, den „Wohn- und Schlafraum für die lier Gropius mitgearbeitet hatte, lebt mit ihrer Familie 5 BHAB, Hesse-Kube Dame“.6 Daneben ist sie mit Möbeln und Wandmale- in Berlin und arbeitet 1928 erneut im Siedlungsbau. 6 Vgl. Abb. S.261. reien 1931 auf der „Deutschen Bauausstellung” in Nun ist sie für die AHAG in der Bauleitung einer Sied- 7 Ausstellungskatalog, 1931, S.12. Diese Abteilung wurde von Berlin präsent.7 In Zusammenarbeit mit dem Kölner lung für die Leuna-Werke in Merseburg tätig. Und ihrem früheren Lehrer Bruno Paul koordiniert. Auf dieser Aus- Einrichtungshaus Schürmann entstehen Interieurs wie auch in Schneidemühl, wo Familie Sommerfeld ein stellung wird das „Boarding-Haus” von Reich, aber auch das das oben abgebildete, die als „Meisterräume” in Sägewerk betreibt, soll sie als Bauleiterin tätig ge- „Anbau-Haus” von Canthal gezeigt. Briggs stellt in der Abteilung „Kunst und Innendekoration” vorgestellt werden. worden sein. 1929 nimmt sie am Wettbewerb „Eigen- „Das Bauwerk unserer Zeit” aus und Zwirn ist mit drei Lauben haus der neuen Zeit, der neuen Welt” teil. Ihr - bisher Im Unterschied dazu können die ab 1924 in Rostock bei den landwirtschaftlichen Bauten vertreten. Zu den Publi- unbekannter - Entwurf „XYZ” wird mit einem Ankauf entstandenen Innenraumentwürfe und Wandmalerei- kationen Geyer-Raacks vgl. Quellen im Anhang der Biografie. prämiert.8 en Dörte Helms - darunter ein Fries im neuerbauten 8 Velhagen & Klasings Monatshefte, 44.Jg., Sept. 1929, S.90 Warnemünder Kurhaus - bisher ebenso wenig doku- Das erste Projekt, an dem Kattina Both nach ihrem mentiert werden wie die zeitgleich für die Firma Ville- Abgang am Bauhaus sichtbar beteiligt ist, ist die bei

Blick in die Musterwohnung Nr.19, „Heim und Technik”, München,1928, Möblierung des Kinderzimmers für Tagesnutzung resp. Nachtnutzung

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Projekte, Bauten, Konzepte 211 der Ausstellung „Heim + Technik“ in München 1928 gezeigte Vier-Zimmer-Wohnung. Hier weist insbeson- dere die flexible Tag-/Nachtnutzung des Kinderzim- mers auf die neuen Ideen einer neuen Mitarbeiterin, die offensichtlich ein faible für ebenso leichte wie be- wegliche Stahlrohrmöbel hat. 1929 entwirft Both, nun in Zusammenarbeit mit Fred Forbát, ein Schlafzimmer für René Sommerfeld. Die- ses zeigt deutliche Parallelen zum Zimmer der Dame im Haus am Horn, das bereits 1924 - unter Zuschrei- bung an Marcel Breuer - publiziert wurde. Noch 1929 tritt Both jedoch in das Büro von Otto Haesler in Cel- le ein, wo sie - bis 1932 - für die Innenausbauten der Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Jugendherberge Müden und dem Aschrotthaus Kas- sel, sowie bei den Wohnsiedlungen Dammerstock (Karlsruhe), Rothenberg (Kassel) und Friedrich-Ebert (Rathenow) zuständig ist.9

Seit 1929 arbeitet auch Eva Fernbach freiberuflich in Berlin. Sie entwirft Möbel und Inneneinrichtungen für den eigenen Bedarf und private AuftraggeberInnen. Auf diese Weise entsteht u.a. die Einrichtung Thost.10 1930 erzielt Friedel Schmidt mit dem Entwurf eines „Wohnzimmers in Kiefernholz” beim Wettbewerb der Bauwelt „Die schöne Wohnung mit Möbeln aus deut-

Zimmer der Dame, Haus am Horn, Weimar, 1924 Schlafzimmer für Rene Sommerfeld, Berlin/Lichterfelde, 1929

Damenzimmer vor 1930, Kattina Both im Büro Luckhardt und Anker

9 Schumacher, Angela: Otto Haesler und der Wohnungsbau in der Weimarer Republik, Marburg, 1982 (Diss.) S.234. Schumacher führte in diesem Zusammenang am 4.1.1979 ein Gespräch mit Katt Both in Kassel. 10 Vgl. auch Svestka, Jiri (Hg.): Andor Weininger, Düsseldorf, 1990, S.61-63, S.120 und S.123

Schreibtisch und Stuhl, um 1929, Kattina Both

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212 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Schlafzimmer in der Wohnung Thost, Hamburg, 1929, Eva Fernbach Wohnzimmer in Kiefernholz, 1930, Fridel Schmidt

schem Holz” einen Ankauf.11 Ende 1930 beteiligt sich Wettbewerbsentwurf Theater Charkow, Niegemann-Marx, 1930 Gerda Marx-Niegeman - inzwischen im Büro Hopp und Lucas in Königsberg mit den Inneneinrichtungen eines Hotels und einer Schule befasst - gemeinsam mit ihrem Mann an dem Wettbewerb für den Neubau Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar eines Theaters in Charkow. Sie nennen ihren Entwurf „Proletarier aller Länder vereinigt Euch”. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch die ersten Projekte der ersten Tessenowdiplo- mandinnen - Waltschanowa, Blank, Koch, Karselt, Bonin und Eisenberg - lassen sich nicht immer doku- mentieren. Häufig sind sie nur dann überhaupt nach- Blick ins Wohnzimmer der Wohnung am Breitenbachplatz, um 1929 weisbar, wenn sie freiberuflich entstanden. 1931 ent- Küchenzeile in der Wohnung Düsseldorfer Straße, um 1931 wirft bspw. Helga Karselt das Haus Hampe, das 1932 auf dem Hoogenkamp 15 in Kampen auf Sylt errich- tet wird.12 Ebenfalls um 1931 kann Iwanka Waltscha- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nowa im Dienst der Stadt Plowdiw eine städtische Parkanlage realisieren. Als freiberufliche Architektin baut sie ein Jahr später in der Nähe Plowdiws Einfa- milienhäuser und eine landwirtschaftliche Versuchs- station. 1932 ist Anni Pfeiffer bei der Ausführungpla- 11 „25 preisgekrönte Zimmer”, Bauwelt Sonderheft, 10 und 11, nung eines Kinos in der Onkel-Tom-Siedlung und der 1933, S.17 resp. 20 ‘Sommerfeld-Siedlung’ in Klein-Machnow beteiligt. 12 Das Haus wechselt bereits Ende der dreißiger Jahre den Besit- Lore Enders entwirft Ende 1932 ein Ferienhaus mit zer. Es wurde 1995 abgerissen. acht Schlafzimmern, das aber nicht realisiert wird.

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „La Casa Grande”, Lore Enders, 1932. „Haus Hampe”, Kampen, Helga Karselt, 1932, Aufnahme 90er Jahre

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Projekte, Bauten, Konzepte 213 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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„Eisenbahner-Siedlung Hennigsdorf”, Mittelstraße ( heute: 17-31, 18-28), 1932, v. Bonin / v. Gumberz, Aufnahme 1932 (oben links) und 1997

Demgegenüber kann Lieselotte von Bonin zwischen Bonin / Gumberz im Auftrag der ‘Mivremia Heimwohl 1931 und 1936 etliche Projekte realisieren. Zunächst AG’ für einen Beamtenwohnungsbau etwas großzügi- 13 ‘Eisenbahner-Siedlung’ in Berlin-Hennigsdorf, 1933, publiziert entsteht im Auftrag der Beamtensiedlungsgenossen- gere Grundrisse entwerfen. Der bis zu sechsgeschos- in: Die Form, 1933, S.346 - genannt in Haberlandt´s Bauten- schaft Hennigsdorf - und in Zusammenarbeit mit Wil- sige Wohnblock in der Württembergallee im Berliner nachweis 1932, Januar bis August 1933 (März / April S.23, Mai, helm von Gumberz-Rhonthal - eine Reihenhaussied- Westend wird im Frühjahr 1933 errichtet.14 S.24, Juni/Juli, S.27, Aug., S.26) lung für Reichsbahnbeamte in der Mittelstraße.13 Die In den folgenden drei Jahren realisieren sie zumin- 14 Wohnblock in Berlin-Westend, publiziert in: Die Form, 1933, zwei Häuserzeilen mit je sieben, jeweils nur knapp dest acht Wohn- resp. Landhäuser für private Auf- S.346 - Berlin und seine Bauten, Bd.IV A 1970, S.279 - Haber- 60qm großen Wohnungen entstehen zwischen Janu- traggeberInnen in und um Berlin. Zu den Bauten, an landt´s Bautennachweis, 1933 - III.Nachtrag April. ar 1932 und August 1933. Kurze Zeit später können deren Entstehung Lieselotte von Bonin maßgeblich 15 Beteiligung und Autorschaft wurden bei manch einem der ge- meinsamen Projekte Gegenstand juristischer Auseinanderset- zungen. Vgl. dazu Kap. 9, S.282. „Haus Ganghofer”, Haber- Beamtenwohnungsbau, Württembergallee 9-10, Berlin-Westend, 1933, v. Bonin / v. Gumberz, Aufnahme nach Baufertigstellung (oben) landt´s Bautennachweis, III. Nachtrag Juli 1935, Ibid., August, S.4 und Sept. S.6 - „Haus Schöller”, Ibid., Juli 1936, S.5 - „Haus Rathje” - Ibid., April 1936, II.Nachtrag vom 16.4.1936 - vgl. auch Berlin und seine Bauten IV C 1975, S.191, Nr. 1827.

Aufnahme 1997, die Nrn. 9-10 b-c wurden beim Wiederaufbau verändert

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214 Zum Einfluss der Schulen beteiligt ist, zählen das Landhaus für ein kinderloses Weit großzügiger ist das - 1942 ausgebombte - Haus Ehepaar in Kladow, die 1935 fertiggestellten Häuser in der Taubertstraße konzipiert, das 1935 „in der Nä- Ganghofer und Raumer im Westend, und - in Dahlem he der Straßenbahnendhaltestelle Hundekehle” für - das „Haus Rosen”, sowie die im folgenden Jahr die Familie des Reichsinnenministers a.D. Hans von realisierten Häuser Schöller und Rathje in der Johan- Raumer entstand. Wie eine der Töchter des Hauses nesburger resp. in der Stallupöner Allee.16 erinnert, „war die bebaute Grundfläche 13m x 13m, also klein. Von außen war das Haus so einfach, daß Bereits 1935 wird das Landhaus in Kladow veröffent- es unattraktiv war, es war kein ’hübsches’ Haus." Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar licht.17 1937 lobt Herbert Hoffmann in der Sammlung Dennoch sei der Gesamteindruck des „weit zurück- „Ferienhäuser“ die sorgsame Planung und erläutert: gelegen[en]” Gebäudes mit der davor gepflanzten „Bei diesem Ferienhaus in Kladow bei Berlin haben Linde „ein sehr idyllischer” gewesen.19 „Für den Be- die Architekten W. von Gumberz-Rhonthal und L. von wohner ist ja am wichtigsten [der] Schnitt des Innen- Bonin die vier Schlafräume, die Küche und den Vor- raumes des Hauses (..) und darin war das Haus un- raum von drei Seiten her um den Hauptraum grup- gemein gut gelungen. Zu ebener Erde waren Entré, Haus Rathje, Stallupöner Allee 53, 1935, Aufnahme 1997 piert“.17 Faktisch handelt es sich bei den ‘Schlafräu- Gästetoilette, Treppenaufgang zu den oberen Etagen men’ jedoch eher um eine Art Schlafwagenabteile, und Zugang zu den Gesellschaftsräumen: Herrenzim- wie sie Marlene Moeschke-Poelzig bereits 1927 in ih- 16 Bauwelt, 25.Jg., 1935, Heft 52, S.6 und 7 mer, Salon, Esszimmer (vom Salon durch eine Schie- rem Wochenendhausentwurf verwendet hatte.18 17 Hoffmann, Herbert: Ferienhäuser, Stuttgart, 1937, S.57. Hier betür getrennt), und Zugang zur Küche, Telefonzen- wird von Bonin als Architektin letztmalig namentlich genannt. trale und Kellertreppe. In der ersten Etage befanden 18 Dieses häufig (unter der Zuschreibung an Hans Poelzig) publi- sich das Schlafzimmer meiner Schwester, meiner zierte Wochenendhaus entwarf und realisierte Moeschke-Poel- Mutter, meines Vaters, der Köchin und zwei Bade- zig 1930 für ihre Mutter. Vgl. S.11, FN 81. Zu Zeichnung / Auf- zimmer. Im Dachgeschoß befand sich das Zimmer nahmen vgl. bspw. Heuss, 1939, S.150. eines Stubenmädchens, ein Gästezimmer, mein 19 Dr. Aurikel von Haimberger [geb. v. Raumer] Brief vom 6.2.1996 Schlafzimmer mit Balkon und ein Badezimmer. Unter der Dachschräge waren Abstellräume. Anschließend

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Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ferienhaus in Kladow, 1934, v. Bonin / v. Gumberz, Ansicht (oben), Grundriss und Schnitt (unten)

„Haus Raumer”, Berlin-Westend, Taubertstraße 26, 1935, v. Bonin / Grundriss Obergeschoss (oben) und Erdgeschoss (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar v. Gumberz, Gartenseite (oben) und Eingangsseite (unten),

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Projekte, Bauten, Konzepte 215 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Haus Rosen, Berlin-Dahlem, 1934, L. v. Bonin / W. v. Gumberz-Rhonthal, Gartenansicht von Südost, Lageplan und Grundrisse (links resp. rechts unten), Ansicht von Nordwest, Aufnahmen nach Fertigstellung

an den Salon hatten wir eine große gedeckte Veran- da, umgeben vom Blumenmeer. Ihr Flachdach war ein großer Balkon vor den Schlafzimmern meiner El- tern. Im Keller, dessen Fenster über dem Erdboden lagen, der also hell war, befand sich noch ein Schlaf- zimmer und Bad für unser zweites Stubenmädchen nebst Räumlichkeiten wie Weinkeller, Waschküche, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Raum zum Plätten und Nähen. Geheizt wurde das Haus wie üblich mit Zentralkohleheizung und wasser- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gefüllten Radiatoren in den einzelnen Zimmern. Da es mit der Heißwasserheizung gekoppelt war, konnte man das ganze Jahr an kühlen Tagen die Heizung in den Zimmern andrehen (..) Wir mochten alle das Haus sehr gern.” 20

Der 1935 in der Bauwelt publizierte Entwurf des Hau- ses Rosen in Dahlem entstand für eine alleinwohnen- de Geschäftsfrau. In den Grundrissen fast analog zu Drostes „Haus für eine berufstätige Frau” konzipiert zeigt das schlichte, traufständige Häuschen in gestri- 20 Ibid., S.4 chenem Klinker in der Erscheinung jedoch auch An- 21 Vgl. Kap. 3, S.38-39. klänge an Tessenows „Haus für die berufstätige Da- 22 Bauwelt, 25.Jg., Berlin, 1935, H.52, S. 2 me”.21 Es besteht im Erdgeschoss aus Küche und 23 Buttmann charakterisiert das Ensemble wie folgt: „Lüttenort ist Gästezimmer sowie - zum Garten orientiert - Wohn- architektonisch eine malerische Unordnung. (..) Beide Häuser, und Esszimmer. Im Obergeschoss befindt sich neben die später über den Wagen [Gepäckwagen der Berliner S-Bahn] einem großzügigen Schlafzimmer eine größere Diele, gebaut wurden, haben wir entworfen, meine damalige Freundin in der die Dame „Arbeit an Heimarbeiterinnen ver- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Fridel Homann, auch Architektin und ich. Sie sind nach unseren teilt.” Im Keller befindet sich die Garage für den Entwürfen gebaut worden, aber kaum waren sie fertig, hat Kraftwagen. „Das Haus kostet schlüsselfertig 14 500 Käptn (Otto Niemeyer-Holstein) immerzu dran herumgemurkst. Mark.” 22 Vor allem hat er Anbauten gemacht, die das ganze Ensemble zu einem Kuriosum werden ließen.“ Wiedergegeben von Achim Seit 1931 arbeitet Gerda Niegeman[-Marx] in Magni- Roscher in: Das Bilder-Leben und Bild-Erleben des Malers Otto togorsk im Standargorprojekt. In diesem ehrgeizigen Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989, S.24f. Wohnungsbauprojekt zeichnet sie „kilometerlange

216 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Gerda Niegeman vor dem Wohnungsmodell in Magnitogorsk, 1932 Einsiedelei für Annemarie und Otto Niemeyer-Holstein, Lüttenort, 1933, Eigenbau nach Vorschlägen von Fridel Hohmann und Karl Buttmann

Werkpläne” von Zeilenbauten, die von den Errungen- fen 1933 am Altstadt-Wettbewerb „Freiheiter Durch- schaften industrialisierten Wohnungsbaus künden bruch” und 1934 am Wettbewerb Paul-von-Hinden- sollen. Aufgrund fehlender Vorfertigung müssen sie burg-Jugendherberge Hannover.24 24 Stadarchiv Kassel, Kasseler Post vom 1.2.1934 jedoch als konventionelle Mauerwerksbauten errich- 25 Bismarckstraße 14, Heute Heinrich-Hesse-Straße, Aufnahme Im gleichen Jahr entwirft Ursula Weiß für die eigene tet und den Arbeitern mit Hilfe von Modellen im Maß- Straßenseite um 1935, NL Weiß Familie ein Haus mit Arztpraxis, das 1935 in der Bis- stab 1:10 erläutert werden. 26 Ein „Buon Retiro” am Glienicker See bei Berlin, in: Deutsche marckstraße in Berlin-Niederschönhausen realisiert Bauzeitung, 1934, H.36, S.709 Ab 1933 macht Fridel Hohmann zusammen mit Karl wird.25 Im Kamillenweg in Berlin-Dahlem realisiert Buttmann in Berlin Entwürfe für die Einsiedelei des Helga Schuster [geb. Karselt] gemeinsam mit ihrem Malers Otto Niemeyer-Holstein auf Usedom. Diese Mann spätestens 1934 ein Haus für die eigene Fami- werden zwar realisiert, durch die Eigenwilligkeit des lie. Nahezu zeitgleich entsteht als Wochenendhaus Bauherrn jedoch bald zu einem ‘Kuriosum’.23 1934 ein „Buon Retiro”, in dem „eine Dahlemer Familie” kann Anni Gunkel [geb. Pfeiffer] im Kasseler Flüsse- die „Ruhe, Schönheiten und Sportmöglichkeiten am viertel ihren zweiten Entwurf „Haus für Frau Luise Glienicker See” genießt.26 Schwerdtfeger”, ihre Patentante, realisieren. Den Bau Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In New York entwerfen Hilde Reiss und Lila Ulrich, überwacht sie selbst, obschon sie nun frisch verhei- die sich seit 1933 ein Apartment teilen und zunächst ratet in Hamburg wohnt. Ebenfalls in Kassel beteiligt als Entwerferinnen für Norman Bel Geddes, Gilbert sich Katt Both mit - bisher nicht bekannten - Entwür-

Haus Schwerdtfeger, Kassel-Wilhelmshöhe, 1934, Anni Gunkel Haus Weiß, Berlin-Niederschönhausen, 1935, Ursula Weiß „Buon Retiro”, 1934, Helga Karselt und Ernst Schuster

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Projekte, Bauten, Konzepte 217 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Neueinrichtungsvorschlag Szold, Brooklyn / NYC, 1935, Reiss / Ulrich, Blick von oben auf Wohn- und Eßzimmer (links), Ausschnitte aus dem Artikel in Arts and Decoration, März 1935

Neueinrichtungsvorschlag für ein Apartment, New York City, 1935, Reiss / Ulrich, Axonometrie (links), Blick in den Wohnraum (rechts), Ausschnitte aus „Experiment in Change”, Arts and Decoration, Februar 1935

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Rhode und Joseph Aronson tätig wurden, nun freibe- und Ulrich stellen eine Transformation vor: Durch ei- 27 Über ihre Tätigkeit als angestellte Entwerferinnen lassen sich ruflich den Umbau eines Hauses in Brooklyn.27 Im ne Neuordnung der raumbestimmenden Flächen und die Nachweise bisher kaum führen. Reiss entwarf jedoch bspw. März 1935 wird dieser - nicht realisierte - Entwurf in Objekte sowie eine äußerst präzise Lichtführung er- um 1934 im Büro Rhode die Inneneinrichtung des Privatwagens „Arts and Decoration“ veröffentlicht.28 Bereits in der zielen sie eine radikale Neuinterpretation der vorhan- für John Ringling North im Circuszug der Ringling Brothers. Februarnummer dieser Zeitschrift war ein Neueinrich- denen Räume. Während Taut Altes durch Neues er- 28 „A Century Intervenes”, Arts and Decoration, März 1935, S.42ff. tungsvorschlag für ein Apartment von Reiss / Ulrich setzen möchte - seine Vorschläge des „Fettabschöp- 29 Young, Grace A.: „Experiment in Change“, Arts and Decoration, unter dem Titel „Experiment in Change” erschienen.29 fens” und der Bearbeitung vorhandener Objekte zu Feb. 1935, S.4-11 „glatten sauberen Möbeln“ ökonomisch kalkulierte Die zeichnerische Präsentation der beiden erinnert 30 Vgl. Kap.3, S.50 Zugeständnisse auf dem Weg zu einem modernen stark an die von Bruno Taut zehn Jahre zuvor ge- 31 Taut, 1924, S.64. Um aus vorhandenen Möbeln „glatte, saubere Gesamtkunstwerk sind 31-, begreifen Reiss / Ulrich wählte - auch innerhalb der CIAM populäre - Kontra- Möbel“ zu machen, rät er zu neuen Anstrichen, nachdem die ihre Vorschläge sichtlich weniger als Bruch mit dem stierung von Bestand und Planung.30 Und auch Reiss „Auswüchse“ dieses Mobiliars vom Tischler absägt wurden. Vorhandenen denn als erlebbaren Unterschied sich

218 Zum Einfluss der Schulen wandelnder Wahrnehmungen und Gebrauchswerte. Lexington Avenue 415 ein Büro, sie firmieren als Ebenso rational wie sensitiv belassen sie ausgewähl- „Industrial Designers”. In dieser Konstellation ent- te Stücke oder ganze Möbelgruppen des Bestandes steht 1938 die unten abgebildete Inneneinrichtung ei- in ihrer historischen Dimension und setzen sie im ner Drei-Zimmer-Wohnung, die als ‘Junggesellen- Kontrast mit neuen Möbeln resp. Räumen in mehr- wohnung’ unter dem Titel „Departure from the schichtige Beziehungen. Dieser Mix aus strikter Re- Conventional“ im Februar 1939 veröffentlicht wird.36 duktion einerseits und komplexen Nutzungs- wie Be- Bereits 1937 entwerfen sie das Haus Stein, das - zu- deutungsangeboten andererseits verleiht den Entwür- nächst als Wochenendhaus geplant - für Anita und fen - „der Theorie und Praxis der ModernistInnen” - Robert Stein, einen aus den Niederlanden stammen- ihre Überzeugungskraft, wie Grace A. Young anhand den New Yorker Geschäftsmann, auf einem großzügi- des „Experiment in Change“ ausführt: „It´s difficult to gen Waldgrundstück in Pleasantville, ca. 30 Kilome- resist the theory and practice of the moderns, becau- ter nördlich von Manhattan bis Ende 1938 errichtet Haus Stein, 1939, Reiss / Friedman, Ansicht von (Ost-)Südosten se there is so much horse sense behind it. The most wird. Anita Stein studierte zeitweilig Innenarchitektur. persuasive of all their tricks is the architectural treat- Ob sie dabei Reiss kennenlernte, die ab dem Früh- ment of light.“ 32 jahr 1936 just dieses Fach an der Laboratory School, Reiss erinnert, in dieser Zeit für Frances M. Pollak die ab dem Frühjahr 1938 auch an der New School of linksseitig unten abgebildete Neueinrichtung entwor- Social Research unterrichtete, bleibt unklar.37 Als sich fen zu haben.33 Dabei handelt es sich, einer Referenz- während der Planung Nachwuchs ankündigt, wird liste aus dem Jahre 1937 zufolge, um ein Apartment das Haus, dessen Realisierung sich aufgrund schwie- in der Park Avenue.34 Um 1937 kann Ulrich den Rena riger Bodenverhältnisse verzögert, als Hauptwohnsitz Rosenthal Shop auf der 5th Avenue neu einrichten.35 der Familie umgeplant. Im März 1939 wird es im Reiss betreibt nun zusammen mit William Friedman, „Architectural Record” vorgestellt.38 einem Kollegen an der Laboratory School, in der

32 Young, Grace A.: „Experiment in Change“, Arts and Decoration, Feb. 1935, S.4 33 Hilde Reiss im Gespräch am 4.10.1998 34 Laut der von Robert Stein angeforderten Referenzliste aus dem Jahre 1937 handelt es sich um den Umbau eines in der Park Ave. Nr. 1185 gelegenen Apartments. Diese Neueinrichtung lässt sich bisher nicht dokumentieren. Auf derselben Liste wer- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den auch zwei Inneneinrichtungen für Arztpraxen aufgeführt, von denen Teile der Praxis Menaker noch existieren. Dennoch enthält diese Liste - lt. Reiss - auch ‘erfundene’ Projekte, so ei- nen nicht-existenten „Candy-Shop in Chicago”. 35 Zum Rosenthal-Shop vgl. Abbildung S.268 - Zeichnungen die- ser Planung haben sich im NL Koppelman nicht erhalten. 36 „Departure from the Conventional“ in: Interior Design and De- coration, Februar 1939, S.30-35 Apartment für einen Junggesellen, New York, 1938, Reiss / Friedman, Grundriss (unten) und Blicke in den Wohnraum 37 Nach Reiss´ Erinnerungen handelte es sich dabei um eine Woh- nung, in der auch gearbeitet wurde. 38 Ob der Auftrag hierdurch zustande kommt, bleibt unklar. Ab 1936 unterrichtet Reiss ‘Interior’ an der Laboratory School of Design, ab Frühjahr 1938 eben dieses Fach auch an der New School of Social Research. Die Laboratory School of Industrial Design war im Rahmen des ‘Works Progress Administration- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar (WPA)-Program’ 1935 gegründet worden. Vgl. „Two new Schools of Industrial Design open“ in: Architectural Forum, Ok- tober 1937, S.41, „Design Laboratory“ in: Design, Nr.39, No- vember 1937, H.7. Vorlesungsverzeichnisse der New School. 38 „Plywood and Fieldstone Walls are used in same House”, in: Architectural Record, März 1939, S.44-48

Projekte, Bauten, Konzepte 219 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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„House Stein”, Pleasantville, NY, 1937, Reiss / Friedman, Ansicht Ostseite und gen Osten (oben links), Grundriss Erdgeschoss (unten) sowie Aufnahmen von der Baustelle (links)

Das auf einem 12 ha großen Waldgrundstück errich- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tete Haus öffnet sich nach drei Seiten. Die 60 cm stark gemauerte Natursteinwand aus örtlich vorhan- denen Bruchsteinen - gegen den vorherrschenden Nordwind der Leichtbaukonstruktion vorgeblendet - steht im Kontrast zu der minimierten Hülle aus indu- striell gefertigten Sandwichplatten und übernimmt auch aussteifende Funktion.39 Die Räume laufen in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den Aufenthaltsbereichen durch, die Küche kann ggf. geschlossen werden. Bad und Schlafzimmer sind durch einen Höhensprung als private Rückzugsräume gekennzeichnet. Und die großzügige, von Osten wie von Westen besonnte Veranda bietet ganzjährig die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Möglichkeit ‘’fast’ im Freien zu frühstücken. Dieses Haus steht auch heute noch quasi mitten im Wald. Es bot mit dieser Abgeschiedenheit nicht nur Blick aus dem Wohnzimmer Richtung Eßzimmer / Veranda alle idealtypischen Voraussetzungen für die großstäd- tische Sehnsucht nach einem Leben inmitten der Na- tur, sondern durch seine Lage knapp unterhalb des 39 Eine ganz ähnliche „Kombination von künstlichem und natürli- höchsten Niveaus auch eine überragende Fernsicht. chem Baumaterial“ setzt Hans Fischli zehn Jahre später beim Bau des oberitalienischen Kinderdorfes La Rasa ein. Vgl. Kin- Bereits während der Studienzeit konnte Szuszanna derdorf Varese, 1949-50 in: Jost, Karl : Hans Fischli, Zürich, Bánki in ihrer Heimatstadt Györ für ein befreundetes 1992, S.121ff. Dieses „besticht” - so Josts Kommentar - „durch Arzt-Ehepaar eine Inneneinrichtung realisieren.40 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Kontrastierung von Bruchsteinmauern und Betonelementen.“ Nachdem sie ebendort 1936 ein eigenes Büro ge- 40 lnneneinrichtung Böszi Kardos (Ärztin) und Imre, Brief Olga Ar- gründet hat, realisiert sie für die örtliche Kaufmann- pasi an Ödön Bánki vom 1.10.1932 - unklar ob Privat- oder schaft einen Festpavillon, den ‘Lloydbal’. Bisher lässt Praxiseinrichtung. ich danke Esther Bánki für diesen Hinweis. sich dieses Projekt - wie alle architektonischen Ent- 41 Vgl. Biografie würfe Bánkis - jedoch nicht dokumentieren.41

220 Zum Einfluss der Schulen Seit 1935 lebt Lotte Beese, die 1933 im Standardgor- projekt in Moskau gearbeitet und 1934 im Rahmen des Sotsgorod-Projektes für Balchas Schemen städ- tebaulicher Dichte entworfen hatte, in Amsterdam. Monatelang hatte sie Quartiere - wie das nebenste- hend abgebildete - entworfen: eine Art städtebauli- ches Modulsystem, bei dem mehrgeschossige Woh- nungsbauten im Zeilenbau mit öffentlichen Flächen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und Gebäuden immer wieder neu kombiniert werden, beteiligt sie sich nun freiberuflich - und zusammen mit Kollegen aus ‘De 8’ - an Architekturwettbewer- ben, darunter 1936 an dem für einen Rathausneubau in Amsterdam. Gemeinsam mit Stam entwickelt sie 1937 einen Pavillon für die New Yorker Weltausstel- lung, 1939 einen „Pavillon für die Verkehrsausstellung in Köln” und 1941 ein Krematorium für Den Haag.42 1937 kann sie in Zusammenarbeit mit Mart Stam und Willem van Tijen in Amsterdam-Zuid die „Drive-in- Wohnungen” realisieren. Diese werden im Juni 1937 als „5 Herenhuizen - licht, lucht, zon, hygiene, kom- fort“ in „De 8 en opbouw“ präsentiert.43 Im Juli er- 42 Vgl. zu „fini” (eervolle vermelding): de 8 en opbouw, 12.Jg. „fini”, Krematorium, Den Haag, 1941, Wettbewerbsbeitrag, Beese / Stam scheinen sie dort erneut, nun als „Vijf nieuwe wonin- 1941. H.2, S.16. Für Rümmele steht die alleinige Autorschaft gen“.44 Huig Aart Maaskant betont in seinem Artikel, auch oh-ne Nachweis offenbar zweifelsfrei fest: „Der New dass der Neubau von Wohnungen auch in ökonomi- Yorker Pavillon zählt zu den großartigsten Projekten von Mart schen Krisenzeiten gerechtfertigt sei, wenn diese mo- Stam.“ Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, 1991, S.51 derne, bisher nicht befriedigte Bedürfnisse berück- 43 „5 Herenhuizen - licht, lucht, zon, hygiene, komfort” in: De 8 en sichtigten. Hier geht es jedoch nicht um Licht, Luft opbouw, 8.Jg. Nr.12, 19.6.1937, S.116-121 und Sonne für untere Einkommensschichten - ein 44 Autor nicht genannt, evt. ebenfalls H.A. Maaskant „Vijf nieuwe Anspruch, dem sich auch ‘de 8’ verpflichtet fühlen - woningen door de architecten van Tijen, Stam en Beese“, in: De Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sondern um „Komfort”. 8 en opbouw, 8.Jg, Heft 13, 3.7.1937, S.116 ff. 45 Dieser Vorschlag überzeugt nicht unbedingt, ist die Garage Der Clou, dem die Häuser auch den Namen ’drive-in’ doch als unbelichteter Raum vorgesehen. „In Amsterdam stehen verdanken, ist eine ebenerdig eingeschobene Gara- hunderte Autos Tag und Nacht auf der Straße, da in den Wohn- ge, die - wie Maaskant bemerkt - „in unserer Zeit für gebieten keine Garagen sind und der Eigner seinen Wagen doch diese Häuserkategorie tatsächlich etwas Unverzicht- unmittelbar zur Hand haben möchte.“ - Dieses Dilemma wird bares ist“, zumal Nicht-Autobesitzer diese als groß- durch eine Collage „in Regen und Wind“ leidender Pkws pla- zügigen Fahrradabstell- oder Arbeitsraum nutzen stisch illustriert. Ibid., S. 117. könnten.45 So zweifelhaft dieser Vorschlag bleibt, die

Wettbewerbsentwurf für einen Rathausneubau Amsterdam, 1936, Beese, Stam, van Tijen, Maaskant, Ansicht und Axonometrie (oben)

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Projekte, Bauten, Konzepte 221 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Drive-in-Wohnungen”, Amsterdam, Antonie-van-Dijk-Straat, Beese, Stam, v. Tijen, 1937, Grundrisse

„Drive-in-Wohnungen”, Eingang mit Windfang Garage bleibt der hervorstechende funktionale Mehr- halb die bisherige Rezeption i.d.R. gängigen Mustern wert einer um alle repräsentativen Attributive beraub- folgt, Stam und/oder van Tijen als Entwerfer, Beese ten Reihenhauskonzeption, die 1937 für bürgerliche - i.S. hierarchisch organisierter Architekturproduktion Kreise in Amsterdam sehr gewöhnungsbedürftig ist. - bestenfalls an dritter Stelle resp. als Mitarbeiterin nennt. Aus Briefwechseln im Nachlass geht zunächst Da die Erdgeschosszone dieser aufgrund des Stra- nur hervor, dass Beese - hinsichtlich der Innenaus- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ßenverlaufs Nord-Süd-orientierte Häuserzeile neben stattung - die Korrespondenz mit etlichen deutschen den Garagen nur noch die Eingangshalle, die haus- Firmen führte. Angesichts fehlender architektonischer technischen Versorgungsbereiche und eine Garten- Studienarbeiten Beeses aus der Zeit am Bauhaus, kammer vorsieht, wandert die Wohnebene in das er- scheint es Jeroen Schilt und Herman Selier „unwahr- ste Obergeschoss und wird beidseitig mit Zugängen scheinlich, aber nicht ausgeschlossen“, dass sie ei- ins Freie versehen. Die großzügige Behandlung die- Lehrerwohnungen am Hang, ADGB, Bernau, 1930, Grundrisse genen Angaben zufolge die Lehrerwohnungen der ser Wohnebene in der Fassade erinnert an die ‘belle ADGB-Bundesschule entworfen haben will.47 etáge’, die - mit außerordentlicher Raumhöhe - auch in der Tradition des Amsterdamer Bürgerhauses in Diese zweigeschossigen Reihenhäuser in gestaffelter der Regel durch eine Außentreppe nur um ein halbes Hanglage wurden 1930 in Bernau gebaut. Sie sind Geschoss erhöht liegt. Eine besondere Raumhöhe ist als winkelförmige Grundrisse um einen - nur indirekt hier nicht vorgesehen. Durch die Schattenwirkung belichteten - mittigen Erschließungskern als klar geo- der über die gesamte Schottenbreite durchlaufenden metrische, annähernd gleichgroße Räume konzipiert. Balkone erscheinen die Höhen des 1. und 2. Oberge- Nur bei den jeweils im Süden gelegenen Wohn- und schosses in der Straßenfassade betont. Die Häuser Essräumen ist eine Koppelung über eine doppelflüge- zeugen im Inneren von einer Begeisterung für größt- lige Tür vorgesehen. Erlaubt die Staffelung hier eine mögliche - dem öffentlichen Blick enthobene - Trans- Orientierung der Wohnungen nach drei Himmelsrich- parenz und großzügiger Reduktion in Kombination tungen, so bleiben in der Häuserzeile an der Antonie- mit optimierter Handhabung. Die Küche ist als Haus- van-Dijkstraat nur Öffnungen in zwei Richtungen von Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar arbeitsraum konzipiert und mit einem Abfallentsor- je 5 Metern Breite. gungsschacht ausgestattet. Hier sind Einflüsse der Bereits im Rahmen der Werkbundausstellung am ‘Frankfurter Küche’ sichtbar, bis hin zur Anordnung Weißenhof in Stuttgart 1927 konnte Mart Stam drei der Vorratsschütten. Die Lust an der Optimierbarkeit Einfamilienhäuser als Reihenhäuser im Zeilenbau re- des Alltäglichen gipfelt in einem Waschbecken, das alisieren. Zweigeschossig mit rückwärtig nutzbarem - da wegklappbar - auch hinter Türen installiert wer- Souterraingeschoss konzipierte er Wohnungen für ei- den kann und in einem eigenen Artikel gewürdigt ne Familie mit zwei Kindern und Haushaltshilfe. Die- wird.46 Pflanzkästen vor und über dem Eingang refer- se auf einer Schottenbreite von 7 Metern entwickel- rieren nurmehr auf einen Vorgarten. ten Grundrisse zeigen sich nicht ganz so modern wie Wie aber lässt sich Lotte Beeses Anteil an Konzepti- die über Häusergrenzen hinweg entwickelten Fassa- on und Entwurf dieser Häuser bestimmen? Bei die- den mit ihren ‘durchlaufenden’ Fensterbändern in sem Projekt fehlt jeder ‘lückenlose Nachweis’, wes- stehenden Formaten. Simone Rümmele kommt in

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„Drive-in-Wohnungen”, Straßenansicht Ansicht der Gartenseite

ihrer Monografie über Stam zu dem Schluss, dass Ebenfalls als dreigeschossigen Zeilenbau realisiert dieser hier das Thema der fließenden Räume zele- Gerrit Rietveld fünf Jahre später bei der Werkbund- briere, obschon die Mädchenkammer „sehr kleinlich“ siedlung in Wien-Lainz vier - von ursprünglich fünf sei.4 8 Auch der freie Treppenabgang aus dem Wohn- geplanten - Einfamilienhäusern. Das Projekt wird in bereich zu dem darunterliegenden Arbeitszimmer „De 8 en opbouw“ publiziert.49 Beese und Stam kann- resp. dem Gartenausgang ist kaum ausgereift. Und ten es jedoch sicherlich auch in realiter. Auch Riet- 46 Ibid., S.121-122 angesichts der entlang der Fassaden geführten Trep- veld entwickelt, bei deutlich geringerer Breite, seinen 47 Selier / Schilt, 1993, S.13 - Auf der Rückseite eines Fotos in ih- pen ergeben sich im Kernbereich der Wohnungen Wohnungsgrundriss in die Tiefe.50 Und trotz klarer rem Nachlass hat sie dies handschriftlich vermerkt. disponible (Verkehrs-)Flächen, die allerdings qua Grundrissdisposition sieht er „kurze Treppchen“ vor, 48 Rümmele, 1991, S.89 Raumqualität kaum überzeugen. Auch deren Nut- die „merkwürdige Niveauunterschiede zwischen an- 49 De 8 en opbouw, 3.Jg. Heft 15, 21.7.1931 zung, dies wird angesichts der von Stam vorgeschla- einanderstoßenden Räumen“ ausgleichen, wie Walter 50 Rietvelds Häuser sind auf einer lichten Breite von 5 Metern 8 genen Möblierung deutlich sichtbar, scheint ebenso Dexel 1932 anmerkt.51 Mit Hilfe eines solchen Trepp- Meter tief, somit um mehr als ein Drittel kleiner als die von Stam fragwürdig wie die nur indirekt belichtete Mädchen- chens hebt Rietveld die Erdgeschosse aus den Vor- 1927 geplanten Flächen. Vgl. Rodijk, G.H.: De huizen van kammer. Allerdings handelt es sich bei diesem Bau gärten. Eine ähnlich spielerische Differenzierung bei Rietveld, Zwolle, 1991, S.34 auch um Stams Erstlingswerk. strikt geometrischer Fassadengliederung spiegelt die 51 Dexel, Walter: Der neue Mensch und das neue Haus, in: Neue Konzeption nach außen. Freie Presse, Wien, 15.6.1932

Reihenhäuser Werkbundausstellung Stuttgart 1927, Stam, Straßenansicht Gartenansicht

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Projekte, Bauten, Konzepte 223 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Reihenhäuser auf der Werkbundsiedlung Wien-Lainz, 1932, Gerrit Rietveld, Straßenansicht Gartenansicht (oben) und Grundrisse (rechte Seite)

Grundrisse Rietveld Grundrisse Stam, Erd- und Obergeschosse werden auf der Eingangs- gang orientiert. Die durch Freisitze und Pflanzbecken Weissenhofsiedlung, 1927 seite in einer seriellen Fassade zusammengefasst. gegliederte Ostfassade steht parallel zur angrenzen- Durchlaufende Balkonbänder, auf denen das Dach- den Kade. Hier befinden sich die Wohnbereiche. geschoss als Atelierebene ruht, lassen Fassade wie Durch Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss wird die Traufkante zurückgesetzt erscheinen und entziehen Infrastruktur der Wohnungen ergänzt. Ein zweige- diesen zusätzlichen, südorientierten Freibereich den schossiger Block vor dem Riegel fasst die Eingangs- Blicken von PassantInnen. zone und nimmt neben einem Geschäft Räume für eine Concierge und eine Direktorin auf. So sichtbar Die Drive-in-Wohnungen zeigen allzu deutliche Paral- die einzelnen Apartments im Hinblick auf die Höhe lelen zu diesen Rietveldschen Reihenhäusern - trotz der Mieten minimiert wurden, die einhüftige Anlage anderthalbfacher Grundfläche und dem zusätzlichen, bleibt qua Wirtschaftlichkeit hinter gängigen Wohn- quasi untergeschobenen Geschoss. Bei den Fassa- blocks zurück, gewährleistet für jedes Apartment je- den wie auch in den Grundrissen, ja bis in Details doch Querlüftung und Ausblick auf die Kade. - wie den transparenten Schotten im Dachgeschoss - knüpft dieses Projekt nahezu fließend an Rietvelds Ebenfalls 1939 lobt die Architektenvereinigung ‘de 8’ Häuser an. Angesichts dieser deutlichen Referenz einen Wettbewerb für eine ‘Volkswohnung’ aus: eine lassen sich die Häuser an der Antonie-van-Dijk-Straat Etagenwohnung für „eine Familie mit Baby, zwei Jun- als Weiterentwicklung eines Rietveldschen Ansatzes gen und einem Mädchen”.54 Angesichts von 30 Ein- interpretieren. Sie lassen sich hingegen weder in eine sendungen werden von einer Jury ein Preis und drei direkte Linie mit den Lehrerwohnungen in Bernau Ankäufe vergeben. Es gewinnt der Entwurf von Gerda stellen, noch können sie als eindeutige Handschrift Niegemann-Marx und Johan Niegeman, ein Ankauf Stams oder van Tijens gelesen werden. Beide verfol- geht an den Entwurf von Lotte Stam-Beese.55 Fassa- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gen diese Ansätze auch nicht erkennbar weiter. 1939 denentwürfe zu diesen Wettbewerbsbeiträgen sind unternimmt Lotte Stam-Beese 1939 zwei Versuche, nicht bekannt. die Qualitäten dieser Grundrisse auf das minimalisier- Die Entwürfe von Marx-Niegemann und Stam-Beese te Geschosswohnen zu übertragen. sind jeweils als Zweispänner mit vier Zimmern konzi- Als der Projektentwickler van Saane 1939 in Amster- piert. „Eo“ ist in die Breite (11.20m), Beeses Entwurf dam 1939 ein Gebäude für berufstätige Frauen als - wie bei den Drive-in-Flats - in die Gebäudetiefe (von privatfinanzierten Wohnungsbau realisieren möchte, 11.70m) entwickelt. Letztere unterteilt die auf 9-Me- entwirft Stam-Beese ein Apartmenthaus.52 Bereits ter-Achsen gestellten Schottenwände in zwei resp. 1937 erhielt Margaret Staal-Kropholler von den Sor- drei Räume und schiebt an beiden Fassaden jeweils optimists den Auftrag, für berufstätige Frauen mit Balkone ein. Auch Marx und Niegeman sehen bei 8 geringem Einkommen ein Apartmenthaus zu konzi- Metern Gebäudetiefe jeweils an beiden Fassaden pieren.53 Lotte Stam-Beese könnte diesen Entwurf Freiräume vor: Einen minimierten Küchenbalkon und gekannt haben, ihre Konzeption zeigt in den Grund- einen Laubengang, der die Wohnung sowohl über rissen deutliche Parallelen. Auch Beese reiht drei das Wohnzimmer wie über die Küche erschliesst. In Grundrissvarianten - überwiegend Einzimmer-Apart- beiden Grundrissen ist jeweils eine Arbeitsküche vor- ments - entlang der acht übereinanderliegenden Lau- gesehen, die im Entwurf „Eo“ direkt an den Duschbe- bengänge. Die minimierten Küchen sind zum Lauben- reich grenzt. Beese sieht ein innenliegendes Bad mit

224 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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52 NAI,NL Beese 75. Mappe Woongebouw voor werkende vrou- wen. Der Auftrag geht schließlich an das Büro Pot-Keegstra. Der „Oranjehof” wird bis 1942 realisiert. Schilt / Selier (S.22) können die Umstände, unter denen 1939 der „erste selbständige“ Ent- wurf Stam-Beeses entstanden sei nicht genauer rekonstruieren, vermuten aber, dass das Projekt „das Leben Stam-Beeses ver- „Apartmenthuis für berufstätige Frauen”, Amsterdam, 1939, Stam-Beese, Eingangs- und Normalgeschoss (oben), sowie Schnitt (oben rechts) ändert haben dürfte, wenn es ausgeführt worden wäre.“ Ibid. 53 Vgl. Kessel / Kuperus, 1986, S.77ff. Schlussendlich wird dieser Auftrag erst 1961 - und als das letzte Projekt Staal-Krophollers - Wanne vor und nutzt die Kernbereiche als mehrseitig reiche mittig erreicht werden. Begehbare Wand- als „Louise-Went-Huis” an der Wibautstraße realisiert. zugängliche Schrankzone. Ihr Entwurf für die Volks- schränke und optimierte Einbauschrankbereiche ge- 54 Bereits 1936 schrieb die Gemeinde Amsterdam einen Wettbe- wohnung zeigt durchaus Parallelen zu den Drive-in- hören hier ebenso zum Standard wie eine Badewan- werb für „die gute, preiswerte Arbeiterwohnung” aus. Hieran Wohnungen. Im Unterschied zu diesen müssen bei ne und ein eigenständiger Küchenarbeitstisch. scheinen sich Stam-Beese und Stam nicht beteiligt zu haben. der Volkswohnung allerdings sechs Personen auf ei- Im Marx/Niegemann-Entwurf sind die Anschlüsse 55 Die Jury besteht aus C.v. Eesteren, J.L. Flipse und Frau A. van ner nur etwa halb so großen Fläche beherbergt wer- strikt flächig konzipiert, die Wandscheiben bis an die Blitz-Bonn - als Vertreterin der Hausfrauenverbände. Weitere den. Angesichts dieser Begrenzungen machen Marx- durchgängigen Fensterbänder gezogen. Demgegen- Ankäufe gehen an einen Entwurf von Rietveld, sowie einen von Niegeman diese Dimensionen in der Wohnung wahr- über scheint der Entwurf Beeses mit seinen ‘Winkel- van Tijen und Maaskant. Auch diese Entwürfe werden bei der nehmbar: Ihr Wohnbereich erstreckt sich über die ge- ecken’ noch fast ‘in Mauerwerk gedacht’ worden zu Ausstellung im Stedelijk Museum 1941 ausgestellt - vgl. „In samte Gebäudetiefe. In beiden Fällen ist die Erschlie- sein, vergleichbar den Drive-in-Häusern. Holland staat een Huis“, in: De 8 en opbouw, 12.Jg. H.2, 1941, ßung soweit ins Gebäude verlegt, dass die Wohnbe- S.16

Wettbewerb „Wohnung für eine Familie mit Baby, zwei Jungen und einem Mädchen”, 1939, Grundriss, Lotte Stam-Beese (links) und Grundriss Marx-Niegeman / Niegeman (rechts)

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Projekte, Bauten, Konzepte 225 Quasi zeitgleich realisiert Annamarie Wilke, seit 1933 angestellt wie auch freiberuflich in Berlin tätig, Aus- stellungen für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weiswasser, gegen Ende der dreißiger Jahre auch Einfamilienhäuser für private Auftraggeber. Das 1933 für Herrn Adelberger in Lübeck entworfene Haus bleibt jedoch ebenso unrealisiert wie das 1936 für Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Trude Schulze entworfene Haus am Mellensee. Un- bekannt ist, ob der aus dem Jahr 1935 datierende Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Entwurf für ein Haus in Berlin-Zehlendorf umgesetzt wird. Als privates Ferienhaus entsteht 1937 in Vitte auf Hiddensee jedoch das Haus Haertel. Im gleichen Jahr stattet Wilke - erneut für die VLG - den Deut- Präsentation der VLG im Grassi-Museum Leipzig, 1938 (oben) und schen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris aus. bei der Weltausstellung in Paris, 1937, Annemarie Wilke

„Haus Mendelssohn”, Berlin-Grunewald, 1937, Ansicht von Süden und Grundriss (unten)

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1937, Annemarie Wilke, Gartenansicht und Erdgeschossgrundriss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Seit Frühjahr 1936 entwirft Ewa Freise in der Hoch- baubteilung des Luftwaffenministeriums in Berlin Unterkünfte für Flieger. Hier tritt Ende 1937 auch Kla- ra Brobecker ein. Auch sie plant hier Mannschaftsun- „Haus Haertel”, Vitte, Annemarie Wilke, 1937 terkünfte. Ähnliche Aufgabenstellungen dürfte auch Sigrid Rauter bearbeitet haben, zumal sie hier bereits längere Zeit arbeitet.56 Gertraude Engels, die 1936 zu- nächst im Dienste der Deutschen Forschungsge- meinschaft Bauaufnahmen historischer Bauten in der Mark Brandenburg durchgeführt hatte, wechselt zu diesem Zeitpunkt in die Preußische Bau- und Finanz- direktion. Hier ist sie als Bauleiterin für mehrere Neu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bauten der Charité verantwortlich, darunter den Bau eines Operationssaales für Ferdinand Sauerbruch. Lieselotte von Mendelssohn [geb. von Bonin] kann in der Herthastraße in Berlin-Grunewald 1937 ein Haus für die eigene Familie bauen.

226 Zum Einfluss der Schulen Seit Ende 1935 arbeitet Annemarie Wimmer bei den Reichsautobahnen Berlin, 1937 wird hier auch Wera Meyer-Waldeck tätig. Wimmer entwirft - quasi neben- beruflich - 1937 Musterräume für eine Wanderaus- stellung des Reichsmütterdienstes. Meyer-Waldeck wechselt noch vor Kriegsbeginn in die Reichsbahn- baudirektion Berlin, wo sie nach eigenen Angaben „Triebwagenwerke und Bahnhofsbau“ auch „ent- wurfsmäßig” bearbeitet.57 In der Hochbauabteilung der Reichspost entwirft und realisiert Christa Dirxen um 1937 ein Bootshaus für Frau [Postminister] Ohnesorge „an einem See nord- östlich von Berlin”.58 1939 ist sie an einer Siedlung in Malchow beteiligt. Bei der Reichspost ist 1937 auch Gisela Schneider tätig, Angaben zu den von ihr vor Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1942 bearbeiteten Projekten lassen sich bisher nicht finden. Johanna Tönnesmann arbeitet ab 1937 im Büro Konstanty Gutschows in Hamburg. Dieser wird 1937 sowohl zur Teilnahme am Wettbewerb für ein neues Botschaftsgebäude in Ankara als auch für den Wettbewerb zum Neubau der deutsche Botschaft in Washington eingeladen.59 Hieran könnte dementspre- chend auch Tönnesmann mitgearbeitet haben. Hanna Blank arbeitet spätestens ab 1938 am Großprojekt ‘Hermann-Göring-Stadt’. Im Planungsstab von Her- bert Rimpl scheint sie bereits bei der Planung der Standortalternativen für die städtebauliche Neugrün- dung beteiligt gewesen zu sein.60 Sicher bearbeitete „Herman-Göring-Stadt”, Fassadenabwicklungen in Wohnstraßen unterschiedlicher Ordnung

„Hermann-Göring-Stadt”, Vogelperspektive des Stadtmodells, 1938

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56 Information von Ewa Oesterlen am 24.11.1997 57 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an Hannes Meyer vom 9.8.1947 58 Christa Kleffner-Dirxen im Telefonat am 19.1.1998 59 Niederwöhrmeier, Hartmut: Die deutschen Botschaftsgebäude 1871-1945, Dissertation, TH Darmstadt, 1977, S.101 ff. 60 Rimpl, Herbert: Die Stadt der Hermann-Göring-Werke, in: Bau- gilde, 21.Jg., 1938, H.24 - Schneider, Christian: Stadtgründung im Dritten Reich, München, 1979)

Projekte, Bauten, Konzepte 227 sie hier etliche Wohnungsbauprojekte bis zur Reali- inspektor für die Reichshauptstadt. Klara Küster [geb. sierung. Hildegard Korte, die 1938 zunächst im Büro Brobecker] ist um 1940 nach eigenen Angaben an von Wilhelm Büning in Berlin die Ausführungsplanung den Erweiterungsplanungen eines „Regierungsge- der im Tiergarten neuzuerrichtenden Argentinischen bäudes” in Trier und 1942 zeitweilig an den Wieder- Botschaft bearbeitet hatte, arbeitet seit Kriegsbeginn aufbauplanungen für die Staatsoper unter den Linden im Büro von Kurt Krause. Hier ist sie mit der Werk- in Berlin beteiligt. Außerdem entwirft sie im Auftrag planung einer Spinnerei und der Heizzentrale der TH des Reichsernährungsministeriums „Pläne für Bau- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Braunschweig, aber auch mit Luftschutzbauten be- ernhöfe in Polen“. Auch Luise Seitz-Zauleck arbeitet fasst. Und sie untersucht nun auch die Ökonomie un- an Aufträgen des Reichskommissars für die Erhaltung terschiedlicher Bauverfahren im Luftschutz. Als wis- deutschen Volkstums in Polen. Sie tut dies 1942 im senschaftlich vergleichende Arbeit wird diese Unter- Büro Otto Rauters. Ab Sommer 1942 ist sie freibe- suchung 1941 im Fachbereich Maschinenbau der TH ruflich mit städtebaulichen Planungen für Potsdam- Braunschweig als Promotion angenommen. Rehbrücke beschäftigt. Ludmilla Herzenstein, die bis 1935 für ‘ABA Fiedler’ in Berlin, dann für Hopp und Haus im Kaupertweg 3, Kassel, 1938 / Wiederaufbau 1947 Kattina Both baut 1938 in Kassel für ihre Mutter und Lucas in Königsberg gearbeitet hatte, wechselt mit Aufnahme 1997 sich ein Haus. Anschließend wird sie wieder in Berlin Kriegsbeginn in ein privates Planungsbüro im west- zunächst bei der DAF, dann bei der Abteilung Haus- preußischen Konitz, wo sie landwirtschaftliche Bau- wirtschaft des Deutschen Frauenwerkes in beraten- ten entwirft. 61 Diese Auflage erscheint im Dezember 1942 der Funktion tätig. Nach Ausbruch des Krieges ent- 62 „Barbara-Schacht” , BHAB, Inv.Nr. 11464 lt. Auskunft der wirft sie hier u.a. ein „Frauenheim im Gouvernement”. Wera Meyer-Waldeck, seit Mitte 1941 in Oberschlesi- Archivarin nicht auffindbar. Ab Frühjahr 1942 arbeitet sie im Büro von Ernst Neu- en als Leiterin des Planungsbüros der Berg- und Hüt- 63 Die Zeichnungen im NL Ehren sind zwischen März und Oktober fert „in der Normierung” sowie an der „neu durchge- tenwerksgesellschaft Karwin-Thzynietz tätig, führt mit 1943 datiert. sehenen“ 10. Auflage der Bauentwurfslehre.61 14 MitarbeiterInnen bis 1945 sämtliche Neu- und Umbaumaßnahmen der Zechenanlagen und Kokerei- Zu Beginn der vierziger Jahre kommt die private Bau- en von acht umliegenden Kohlegruben - von ‘Beam- tätigkeit im Deutschen Reich kriegsbedingt zum Erlie- tenbädern’ über ‘Waschkauen für Kriegsgefangene’ gen. In Berlin plant Luise Seitz-Zauleck freiberuflich bis zu ‘Schlammeindickern’ - durch.62 Umbauten bestehender Mietshäuser. Annemarie Wil- ke, die sich mit ihrer Übersiedelung nach Wien und Gisela Ehren [geb. Schneider] entwirft im Rahmen ih- einer Familiengründung Anfang 1940 der Familie wid- rer Planungstätigkeit für die Reichspost spätestens met, entwirft für ihren Mann ein Arbeitszimmer und ab 1942 in Berlin eine Sendestation der Interradio in eine Jagdhütte. Mit Wandmalereien nach eigenen der Nähe von Bukarest. Dabei handelt es sich um ein Entwürfen und Inneneinrichtungen bleibt Ruth Hilde- an der Verbindungsstraße von Budapest nach Oltre- gard Geyer-Raack freiberuflich tätig - trotz zweier nitza gelegenes Gelände, auf dem in einer repräsen- Kleinkinder. Sie arbeitet weiterhin für private Auftrag- tativen Parkanlage das eigentliche Rundfunkgebäude geber, daneben erhält sie nun auch öffentliche Auf- als Schlossanlage konzipiert ist. Im Nordwesten ist Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar träge und malt u.a. die Kantine einer Fliegerschule, eine Wohnanlage für Mitarbeiter angeordnet. Im Lau- die Belgische Botschaft in Berlin und das Schloss in fe des Jahres 1942 entstehen die Einzelentwürfe und Krakau aus. Werkplanungen für das Haus des Sendeleiters und eine Wäscherei.63 In Wiederholung dieser ambivalen- Auch Gertraude Herde [geb. Engels] ist inzwischen ten Mischung aus natursteinverblendeter Repräsen- Mutter mehrerer Kinder. 1941 reicht sie gemeinsam tationsarchitektur und sicherheitstechnischer Ge- Arbeitszimmer in der Wohnung Prinz-Eugen-Straße, Wien, 1940 mit ihrem Mann beim reichsweiten Architektenwett- schlossenheit entwirft Ehren das Gebäude des Sen- (vgl. auch Abb. S.408) bewerb für Luftschutzbunker den Beitrag „Alarm“ ein. deleiters als introvertiertes Landhaus. Dabei geht der sowie Hochsitz für den eigenen Bedarf, 1940, Annemarie Mauck Mit diesem gewinnen sie einen Preis der Gruppe I. erste Entwurf im Mai 1942 offenbar noch von einer Dr. Hildegard Korte ist nun als wissenschaftliche As- sechsköpfigen Familie aus, die das gesamte (einge- sistentin stellvertretende Schriftleiterin der „Bau- schossige) Gebäude bewohnt. In der Entwurfsversion kunst” - Teil B der „Deutschen Kunst” und beim „Ar- vom September desgleichen Jahres sind in dem aus beitsstab zur Wiederaufbauplanung bombenzerstör- Haupt- und Nebenflügel bestehenden Gebäude zwei ter Städte” des „Reichsministeriums Speer” tätig. Familien untergebracht. Dabei ist die Wohnung für Inwieweit und an welchen Projekten sie dort auch als eine vierköpfige Familie zweiseitig, die für die sechs- planende Architektin beteiligt ist, bleibt undeutlich. köpfige Familie nur zum Innenhof orientiert. Dieser Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Staatliche und parastaatliche Großprojekte sind vom Innenhof wird im Nordwesten von der Wäscherei mit Kriegsgeschehen - zumal wenn ihnen hierfür Rele- Heizzentrale begrenzt. vanz zukommt - weniger beeinträchtigt. So arbeitet Die Lage dieses Wohngebäudes am Übergang von bspw. Fridel Hohmann an diversen städtebaulichen Sendeanlage und benachbarter Siedlung bildet nicht und architektonischen Projekten beim Generalbau- nur die Stellung des Sendeleiters ab. Das Bild des

228 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Haus des Sendeleiters, Ansicht von Nordwest resp. Schnitt

Interradio Bukarest, Sendestation Oltreniza, 1942, Gisela Ehren, Isometrie der Gesamtanlage

nach außen abgeschottteten Landhauses spiegelt fast zynisch die Aufgabe des Bewohners wider. Denn das Paradies auf annektiertem Terrain schafft - bspw. mit den vorgeblendeten Stützen an der dem Garten zugewandten Seite der Heizzentrale - eine bildhafte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Illusion, die allzu sehr bemüht ist, über die funktiona- len Prioritäten hinweg zu helfen. Vom Rundfunkge- bäude sind keine Grundrisse im NL Schneider erhal- ten. Die Ansichten und Schnitte lassen jedoch erah- nen, dass das dreigeschossige Hauptgebäude, bei dem auch die Dieselhalle durch eine Vorsatzschale aus massivem Naturstein verblendet wurde, nicht nur baulich-konstruktiv gegen Luftangriffe schützen, son- dern durch eine wehrhafte Erscheinung auch von der ‘Lufthoheit’ der von hier ausgesendeten Ätherwellen künden sollte.

Ansichten und Schnitt durch die Sendestation Wäscherei mit Heizzentrale von Nordwest (links) resp. Südost (rechts) und Grundriß (oben)

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Projekte, Bauten, Konzepte 229 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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„Modern Housing”, „Victory Appartments” für dieVallejo Housing Authority, Isometrie eines Einrichtungsvorschlages, 1943/44, Reiss

„Idea House II”, Minneapolis, 1946, Reiss / Friedman mit Lein, Ansicht von Süden, Grundriss Wohnniveau (links) sowie Basisgeschoss (rechts) 64 Housing Project As Progressive Community, in: Californian Arts and Architecture, August 1944, S.18-19 65 Vgl. Life-Artikel. Anschließend wurde das Idea House II von der Familie eines Walker-Mitarbeiters fast 25 Jahre lang bewohnt und 1969 im Zusammenhang mit der Erweiterung des Guthrie- Theaters abgerissen. 66 Bruckmann, Alfred (Hg.): Bruckmanns 150 Eigenheime, Mün- chen, 10.Auflage, 1954, S.54 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 67 Reiss im Gespräch am 10.3.1997

„Idea House I”, 1941, Malcolm Lein, Grundriss und ‘im Bau’ (unten)

Völlig different stellen sich die Aufgaben nach Kriegs- Bevölkerung behelfsmäßig umgeplant hatte, einen beginn auf den anderen Seiten der Front: Eva Lilly neuen beruflichen Einstieg bei der Housing Authority Lewin wird als Zeichnerin in einem technischen Büro in Vallejo in der Nähe von San Francisco.64 Hier ist sie in London zwangsverpflichtet. Ebendort sucht und als technische Beraterin bei der Durchführung eines findet Rose Mendel Möglichkeiten, um sich in antifa- Wohnungsbauprogramms zuständig, richtet Muster- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar schistischen KünstlerInneninitiativen zu engagieren. wohnungen ein und gibt die Mieterzeitung „Your Ho- Ähnlich tat dies bspw. Friedl Dicker bis 1938 in Wien me“ heraus. Nachdem Friedman 1944 in Minneapolis und Leonie Behrmann bis zu ihrer Verhaftung 1941 in stellvertretender Direktor des Walker Art Centers Berlin. Während manche - wie bspw. Tony Lasnitzki, wird, ergreift Reiss 1945 die Initiative zur Gründung Matty Beckmann oder Ricarda Schwerin - im Exil einer „Eveyday Art Gallery“. Diese Gallery wird im Ja- resp. auf der Flucht mit dem Überleben vollauf be- nuar 1946 am Walker Art Center eröffnet und sie wird schäftigt sind, finden andere im Ausland Möglichkei- deren Kuratorin. Ab Sommer 1946 erscheint unter ih- ten auch architektonisch zu arbeiten. So arbeitet Etel rer Ägide die Publikation „Everyday Art Quarterly - A [Fodor-]Mittag in Südafrika im Architekturbüro ihres Guide to well designed Products“. Onkels. Ab 1948 wird Rose Mendel in London mehr- Bereits 1941 war auf Initiative des Direktors Daniel S. fach als Innenarchitektin tätig. Sie realisiert Innenein- Defenbacher auf dem Gelände des Walker Art Cen- richtungen ganzer Häuser in Belsize Grove und Max- ters das „Idea House I”, ein von Malcolm Lein ent- well Hill. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar worfenes Musterhaus realisiert worden. 1946 entwer- Bereits 1944 findet Hilde Reiss, die 1942 nach fast fen nun Reiss und Friedmann das „Idea House II” als zweijähriger Arbeitslosigkeit am ‘Heart Mountain Re- begehbares Einfamilien-Modellhaus. Lein tritt als location Center’ in Wyoming Militärbaracken im Rah- Kontaktarchitekt auf, da weder Reiss noch Friedman men des Internierungsprogramms für die japanische eine Architektenlizenz besitzen. Das Haus wird im fol-

230 Zum Einfluss der Schulen genden Jahr gebaut und am 28. September für den Besucherverkehr geöffnet. Es war ein Jahr lang für die Öffentlichkeit zugänglich und fand landesweite Resonanz. Anschließend wurde es unter öffentlicher Anteilnahme von einer Musterfamilie bewohnt.65

Anfang der fünfziger Jahre findet es auch Eingang in europäische Beispielsammlungen. So schreibt Alfred Bruckmann 1954: „In diesem Haus ist der Bereich des Kindes liebenvoll entwickelt. Um einen Spiel- und Arbeitsraum liegen zwei Schlafnischen, Flur, Bad, WC, anschließend das Elternschlafzimmer. Quer dazu ist der große Wohnraum mit zweiseitigem offenem Kamin und angrenzender halboffener Küche gelegt. Der Eßtisch könnte kaum näher und praktischer am Herd liegen. Die Sommerdiele erweitert den Wohn- raum um ein Beträchtliches.” 66

Der Grundriss des „Idea House II” überzeugt insbe- sondere durch die Vielfalt der Raumerlebnisse, seine räumliche Großzügigkeit auf begrenzter Fläche. Dies gelingt Reiss / Friedman nicht nur dank der fließen- den Räume, sondern durch die Optimierung nutzba- rer wie bespielbarer Flächen, die konsequente Mini- mierung reiner Erschließungsflächen sowie durch ein- gebaute Schrank- und Stauräume. Im nördlichen Teil sind die Schlafbereiche angeordnet. Wie schon beim Haus Stein finden wir hier großzügige Orientierungen ins Freie und die leichten Niveauunterschiede zwi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar schen Schlaf- und Wohnbereich. Außerdem ist auch dieses Haus in Sandwichbauweise konstruiert, be- sitzt ein mit variablen Dachüberständen präzise kal- kuliertes, flach geneigtes Pultdach und ist ebenso präzise wie unprätentiös in die umgebende Land- schaft gesetzt. Ohne konkrete Bauherrschaft konnte der Entwurf räumlich kompromisslos, angesichts fehlender Mittel jedoch nur sparsam konzipiert und mit großer Kom- promissbereitschaft gebaut werden. Reiss erinnert insbesondere den grünen Bodenbelag, der - als Ma- terialspende - unvermeidlich gewesen sei.67 Da dieses Musterhaus ein explizit öffentliches war, sind zahlreiche öffentliche Meinungen dokumentiert. Im Oktober 1948 erscheint der nebenstehende Arti- kel, in dem das Haus als „ultramodern” bezeichnet wird. Die landesweiten Reaktionen sind ganz über- wiegend positiv. Durch seine Andersartigkeit löst die- ses Haus jedoch auch immer wieder Irritationen aus. So wird bspw. kritisiert, dass der seitlich offene Car- port für „Minnesota Winters” nicht geeignet sei und dass ein Teil der Wandfläche zwischen Wohn- und Schlafraum dank eines hölzernen Schieberolladens „surprisingly” geöffnet werden könne. Reiss kann

Erste Seite des Artikels im “Life-Magazin” Nr. 20, 1948, vom 18.10.1948, S.105-108

Projekte, Bauten, Konzepte 231 über die Prüderie der McCarthy-Ära 1997 nur den Kopf schütteln. Ironisch kommentiert sie: „Nur weil man vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer sehen kann. Manche haben das Haus einfach nicht verstanden.“ 68

Das Idea House II inspirierte nicht nur zahllose Bau- herrInnen, sondern fand auch Nachahmung in ande- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ren Museen: Im folgenden Jahr ließ Elizabeth Mock, Kuratorin des Museum of Modern Art in New York City ebenfalls ein Musterhaus im Garten des Muse- ums errichten.69 Für Hilde Reiss erbrachte diese Idee keinen einzigen Folgeauftrag. Sie konzentriert sich er- neut auf die „Gallery of Every Day Art” und das Edi- Toilettenhäuschen im Botanischen Garten Berlin-Dahlem, 1947, 68 Ibid. tieren des das „Quarterly”, 1947 richtet sie bspw. die Klara Küster 69 Der Auftrag geht an Marcel Breuer - vgl. bspw. Arts and Archi- Ausstellung „useful gifts“ aus. 1948 folgen u.a. die tecture, May 1949. Präsentationen „jewelry under 50 dollars” und ger Jahre von der Endemann GmbH in Friedrichsha- 70 BHD, Hoffmann-Lederer, Zeitungsausschnitt einer ungenannten „household plastics”. fen produziert werden. Zeitung o.A. , „Weimar, 21.2.1946” „Mit fast keinen anderen Mitteln als der Farbe“ macht In Berlin arbeitet Klara Küster spätestens ab 1946 im 71 Ibid. Mila Hoffmann-Lederer 1946 aus der Thüringischen Hochbauamt Steglitz. Hier gilt es unter Einsatz von Buchhandlung am Goetheplatz in Weimar, „einem Trümmermaterial die öffentlichen Bauten des Bezirks „hl-Leuchten”, um 1951, Mila und Hanns Hoffmannlederer denkbar schlecht proportionierten, schlauchartigen, wieder nutzbar zu machen. Küster ist in den folgen- mit häßlichen Eisenregalen und Eisentheken vollge- den Jahren insbesondere für den Wiederaufbau von stopften Laden einen ganz neuen lichterfüllten Raum Schulen zuständig. Ein Beispiel für ihr Bestreben um von hohem ästhetischem Reiz...” 70 Der Entwurf ist „annehmbare Gestaltung (..) trotz beschränkter Mög- fotografisch nicht dokumentiert, aber - so der Artikel lichkeiten” ist das Toilettenhäuschen im Botanischen weiter - „dadurch, daß sie die einzelnen Wände in Garten Dahlem.73 verschiedene kalte und warme Farbtöne vertikal auf- Wera Meyer-Waldeck, die nach seit 1948 im hessi- geteilt und in eine neue Beziehung zueinander ge- schen Walldorf ansässig ist, entwirft zunächst - in bracht hat, erzielte sie eine Erweiterung und Erhöh- Kooperation mit Hans Schwippert - Einfachstmöbel ung des Raumes (..), die überraschend und überzeu- für das Entbunkerungsprogramm der Stadt Köln.74 gend ist.” 71 Einen vegleichbaren Ansatz verfolgt sie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Noch 1949 stellt sie ebendort bei der ersten Werk- im Frühjahr 1951 in Darmstadt, wo sie „den Saal der bundausstellung nach dem Krieg Möbel aus. Und im Christengemeinschaft im Herdweg” mit „farbigem selben Jahr kann sie als Innenarchitektin reüssieren: Feingefühl und tektonischem Sinn” umbaut.72 Kurze Als Schwippert der Umbau der Pädagogischen Aka- Zeit später entwickelt sie gemeinsam mit ihrem Mann demie in Bonn zum Sitz des ersten Deutschen Bun- die „hl-Lampen”, Wandleuchten aus gebogenen Ple- destages übertragen wird, entwirft Meyer-Waldeck xiglasplatten, die bis 1954 von der Darmstädter Firma den Innenausbau. Sie stattet den Plenarsaal und die Heinz Hecht, anschließend und bis Ende der sechzi- kaum minder bekannte Kantine aus. In der Folge

„Hotel Pfälzer Hof”, Koblenz, Umbau, um 1950, Wera Meyer-Waldeck, Blick in den Speisesaal (links), Blick in den Clubraum und Grundriss

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232 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Innenausbau des ersten Deutschen Bundestages, Bonn, 1949, Wera Meyer-Waldeck - Blick Richtung Rednerpult und in den Plenarsaal

kann sie das Arbeitszimmer Adenauers sowie zwei gung bei der Innenausstattung des Bundeskanzler- 72 FN 70 „prd.”: „Farbdynamische Raumgestaltung” in: Darmstäd- - nicht näher bezeichnete - Ministerien einrichten. In amtes sowie jener des Palais Schaumburg sowie ter Echo, 20.3.1951 ihren verschiedenen Lebensläufen benennt Meyer- dem Bundesgästehaus auf der Viktorshöhe. 73 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997 Waldeck zahlreiche Projekte.75 Da diese Angaben je- 74 Im Band 23 der Schriftenreihe der Akademie der Architekten- Spätestens seit 1950 betreibt sie ihr Büro als freibe- doch variieren und ihre Bürounterlagen nicht archi- kammer Nordrhein-Westfalen (Köln, 1984, S.62-67) wird für die rufliche Architektin nach Bonn. 1950 baut sie hier das viert sind, lassen sich etliche Bauten bei eher vagen Flüchtlingsmöbel „im Auftrag des Reichskommissars für die Fe- Einrichtungshaus „Teppich Schlüter”, Am Neutor 5 Angaben kaum recherchieren. In einem Lebenslauf stigung deutschen Volkstums” lediglich Schwippert genannt. um. Ebenfalls 1950 konzipiert sie das „Hotel Pfälzer aus dem Jahre 1961 führt sie bspw. „12 Musterwoh- 75 BHA, NL Meyer-Waldeck. Hier sind zumindest vier - zwischen Hof” in Koblenz - wie auf der linken Seite zu sehen - nungen für Angestellte und Beamte der Bundesmini- 1945 und 1961 erstellte - Lebensläufe archiviert. Am ausführ- neu. Hier stammt die Neueinrichtung der Hotelhalle, sterien” auf. Nachweisbar ist hingegen ihre Beauftra- lichsten ist der am 28.1.1961 unterschriebene sechsseitige LL.

Inneneinrichtung der Kantine des Deutschen Bundestages, 1949, Wera Meyer-Waldeck Haus Bockemühl, Bonn, 1956, Wera Meyer-Waldeck

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Projekte, Bauten, Konzepte 233 die Weinbar sowie der Speisesaal aus ihrem Büro. Diese Projekte kann sie auch publizieren.76 1951 re- alisiert sie - nach eigenen Angaben - in Bonn ein „Ytong-Musterhaus” und in Köln-Blievers einen Sied- lungsbau. Gebaut werden nach ihren Entwürfen au- ßerdem die „katholische Auslandsmission” in Beuel (1952) und, zwischen 1952 und 1954 vier Lauben- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ganghäuser für Ostflüchtlinge in der Steubensiedlung in Köln-Deutz. Auch der Kindergarten dieser Siedlung ist nach Meyer-Waldecks Angaben ihr Entwurf. In Bonn und dem weiteren Umfeld kann sie für pri- vate wie öffentliche Auftraggeber etliche Neu- und „Haus Müller”, Nordstemmen, 1950, Aufnahme von Süden 1997 Umbauten sowie Inneneinrichtungen realisieren. Hier erweisen sich die Nachweise jedoch als nicht minder diffizil. Ihren eigenen Angaben zufolge baut sie in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bonn 1951 das „Doppelwohnhaus Dr. Schmidt”, 1954 das „Haus Dr. Bockemühl” und das „Haus Duwe”, 1955 das „Haus Dr. Batz” und 1957 das „Haus Dr. Jeanicke”. 1958 realisiert sie den Arbeits- raum von Dr. D. Gerstenmeyer und die Inneneinrich- tungen Dr. Cellarius und Dr. Mauritz.77

Gertraude Herde baut 1949 im niedersächsischen Nordstemmen das nebenstehend abgebildete „Haus Warnecke”, sowie in unmittelbarer Nachbarschaft Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1950 die Häuser „Weldi” und „Müller”. 1954 entwirft Architekturfakultät Hannover, 1955-1957 und realisiert sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Haus für die eigene Familie in Hildesheim. Im glei- chen Jahr reichen sie beim - zweiten - Wettbewerb

„Haus Weldi”, Nordstemmen, 1950, Gertraude Herde, Aufnahme Eingangsbereich 1997 (oben), Ansichten, Erdgeschoss, Obergeschoss und Kellergeschoss sowie Lageplan (unten)

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234 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Grundschule in Gummersbach, Brandt & Vogel, Realisierung nach Damenzimmer, um 1950 Wettbewerbsgewinn Anfang 1950er Jahre, Blick in einen Klassenraum zum Wiederaufbau Hildesheims einen Entwurf ein.78 Bergischen Land lebt, wirkt in den fünfziger Jahren in Ewa und Dieter Oesterlen leben und arbeiten seit der Sozietät Brandt & Vogel bei Wettbewerben mit. Kriegsende freiberuflich in Hannover. Der erste Bau Außerdem entstehen - wahrscheinlich für die eigene 76 So erscheint der „Pfälzer Hof” bereits 1951 in Alexander Kochs des Büros Oesterlen nach dem Krieg ist das „Café Nutzung - Umbauten und Einrichtungen wie das Sammlung „Hotels / Restaurants / Cafés und Barräume” (Stutt- Kröpke”. Ewa Oesterlen arbeitet erst Anfang der fünf- oben abgebildete „Damenzimmer”.80 gart, 1951, S.194-195) ziger Jahre - als die drei Kinder ‘aus dem Gröbsten’ 77 FN 75, LL 1961, S.5. Die Adressen dieser Häuser sind bisher In Lübeck, wo Familie Mauck seit 1946 beheimatet sind - wieder regelmäßig im Büro mit. Es entsteht weitgehend unbekannt. ist, baut Annamarie Mauck ein Stallgebäude als Not- das eigene Wohnhaus in Hannover.79 Ein weiteres 78 Vgl. dazu die Abbildungen auf S.260 unterkunft für den eigenen Bedarf um. Außerdem ent- Projekt, für das Ewa Oesterlen maßgeblich verant- 79 Vgl. dazu S.256-257. wirft sie einen Dachausbau und um 1950 eine Spin- wortlich ist, ist die „Ingenieurschule Hannover”. 80 Richter, Margarete : Raumschaffen unserer Zeit, Tübingen, nerei in Arendsburg. 1953, S.77 resp. S.162. Fridel Vogel [geb. Hohmann], die seit Kriegsende im

„Haus Warnecke”, Nordstemmen, 1949, Gertraude Herde, Grundrisse (Dach-, Erd- und Kellergeschoss), Ost- und Südansicht sowie Querschnitt

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Projekte, Bauten, Konzepte 235 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Kindergarten in der Jeverstraße, Berlin-Steglitz, 1956, Klara Küster, Blick auf die Eingänge von Krippe und Kindergarten sowie Südansicht Verband der Westfälisch-Lippischen Wohnungsunternehmen, Münster, 1953, Kleffner-Dirxen und Kleffner, Iwanka Hahn, die nach 1945 zunächst den Wieder- Grundriss Normalgeschoss (oben) und Ansicht Straßenseite 81 Grossmann-Hensel, Gert und Zehm, Karl-Hermann: Irina Zu- aufbau der Frankfurter Glasbaufirma Hahn geplant schneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 resp. S.10 hatte, wirkt immer wieder an Projekten dieser Firma 82 Vgl. Badura-Triska, Eva : Margit Téry in (Kat.): Wechselwirkun- mit. Ebenfalls für - bisher unbekannte - Projekte der gen, Marburg, 1986, S.292. Schwiegereltern soll auch Irina Zuschneid [geb.Kaatz] 83 Vgl. bspw. Meyer-Waldeck, Wera: „Eine neue Volksschule in in den fünfziger Jahren erneut als Architektin tätig ge- Bonn-Süd” in: Innendekoration, 61.Jg., 1953, S.192-198 - Ob worden sein, zuvor landwirtschaftliche Bauten in der die hier beschriebenen Innenausbauten von ihr stammen, bleibt Mark entworfen haben.81 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar unklar. Christa Kleffner-Dirxen gründet mit ihrem Mann 1951 84 BHAB, NL Meyer-Waldeck, Zeitungsausschnittsammlung. „Heuß in Münster ein freiberufliches Architekturbüro. Zu- in der Ausstellung ‘So...wohnen’ “. Artikel im Bonner General- nächst mit dem Bau von Einfamilienhäusern - wie anzeiger, undat. (1951) dem „Haus Otte” - beauftragt, können sie bald auch gewerbliche Bauten realisieren. Das nebenstehend abgebildete Bürogebäude entsteht 1954 für den Ver- band Westfälisch-Lippischer Wohnungsunternehmen. Klara Küster kann zu Beginn der fünfziger Jahre im Südwesten Berlins die Freibäder „Am Insulaner“ und Wera Meyer-Waldeck wird in den fünfziger Jahren „Am Teltowkanal” projektieren. 1956 entsteht in der aber nicht nur im Umfeld des neuen Regierungssitzes Jeverstraße 10-11 in Berlin-Steglitz eine Kindertages- aktiv. Ihr Interesse gilt insbesondere dem Schulbau stätte nach ihrem Entwurf. Ebenfalls in Berlin soll Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und der Wohnberatung.83 Immer wieder erläutert sie Margit Téry in den fünfziger Jahren für die Eternit- Schulbauten und 1955 richtet sie bspw. in Bonn die Werke Inneneinrichtungen entworfen und zumindest Ausstellung „So wohnen...” aus.84 die werkseigene Kantine ausgestattet haben.82

Blick auf einen der Umkleideblöcke und in den Erschließungsgang Freibad „Am Insulaner”, Berlin-Steglitz, 1950er Jahre, Klara Küster, Blick auf den Hauptbau

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236 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Der persönliche Bedarf”, Ausstellung im Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1958, Brüssel, Wera Meyer-Waldeck

Nach eigenen Angaben übernimmt sie den Innenaus- Als Wera Meyer-Waldeck auf der Weltausstellung in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bau eines nicht näher bezeichneten Ledigenheimes, Brüssel 1958 die Ausstellungsabteilung „Der persön- in Bonn den der „Volksschule Buschfeldstraße” und liche Bedarf“ nach ihren Entwürfen ausstatten kann, des „Mädchengymnasiums in der Genovevastraße”. nutzt sie die transparente Struktur des von Egon Ei- Wahrscheinlich ebenfalls in die späten fünfziger Jahre ermann entworfenen deutschen Pavillons, in dem sie fällt auch der Innenausbau der „Kinderkrankenstation nicht minder transparente Vitrinen in freier Form wie Dr. Dormagen”. In Siegburg baut sie 1959 eine Werk- in freier Anordnung als Solitäre in den Raum stellt. statt zu acht Wohnungen um und in Köln richtet sie Auf minimierten, zwischen Boden und Decke einge- im gleichen Jahr ein Waisenhaus ein. 1960 realisiert spannten Stahlrohrstützen schweben diese Schau- sie den Innenausbau der „Volksschule Flittard” sowie fenster ‘für die Dame’ wie ‘für den Herrn’ im optisch den der „Volksschule Hanschaftstraße”. In Vorberei- fließenden Raum. tung der 1957 in Berlin stattfindenden „Interbau” ist Lotte Stam-Beese, die seit 1946 im Stadtplanungs- sie ab 1956 mit der thematischen Schau „Die Stadt amt Rotterdam tätig und dort an den Stadterweite- von morgen” befasst. Bei dieser Gelegenheit stellt sie rungsplanungen für Pendrecht, Ommord und Alexan- die unten abgebildeten Mustereinrichtungen aus. Ihr derpolder maßgeblich beteiligt ist, findet in den obliegt die Leitung der Wohnberatung. fünfziger Jahren auch wieder eine Möglichkeit Archi-

„Das Wohnen in der Stadt von Morgen”, Ausstellung anlässlich der „Interbau”, Berlin, 1957, Wera Meyer-Waldeck

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Projekte, Bauten, Konzepte 237 85 So zeichnet sie bspw. ab 1962 für die Farbgestaltung der Neuen Philharmonie Berlin verantwortlich. 86 Dabei handelt es sich um die „Villa Nuber” in Isny, sowie ein Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wohnhaus für Frau Simon in Dommelstadt. Bisher sind die Adressen dieser Häuser nicht bekannt. 87 Zu beiden Häusern liegen keine Grundrisse vor. 88 „Architekten-Wettbewerb entschieden“ in: Siegener Zeitung vom 30. 6.1967, Bl.3 / S.1. Ich danke Peter Knaack für diesen Hinweis. „Haus Oswald”, Portland/OR, 1959, Hildegard Oswald, Ostansicht Ansicht der Nordseite

tektur zu entwerfen. 1955 entstehen in Nagele Woh- auf der Ilmenkuppe 14 in Dillenburg das „Haus nungsbauten für Landarbeiter nach ihren Entwürfen. Jüngst”.87 Ebenfalls ab 1964 kann sie den Neu- und Anlässlich der von ihr geplanten städtebaulichen Er- Umbau der Volksschule im nahegelegenen Helber- weiterungen von Pendrecht entwirft sie 1955 außer- hausen vornehmen, der 1966 fertiggestellt wird. dem Reihenhäuser. Für die eigene Familie baut Hilde- Dabei handelt es sich um einen Zubau mit sechs Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gard Oswald in Portland/Oregon, wo sie nun als Sta- Klassenräumen, den sie in der nördlichen Verlänge- tikerin angestellt tätig ist, 1959 das oben abgebilde- rung des im dörflichen Zentrum von Helberhausen te Haus. bestehenden Schulgebäudes, einem verschindelten Fachwerkbau, konzipiert hat. Wesentlich niedriger als Spätenstens in den sechziger Jahren wird Lou Sche- der Altbau und hinter dessen Bauflucht gesetzt, ver- per als Farbexpertin von Architekten beratend hinzu- „Haus Plaas”, Siegen, 1964, Fridel Vogel, Ansicht Straßenseite,sowie schwindet dieser Bau, der in der äußeren Erschei- gezogen, entwirft und realisiert Farbkonzepte.85 „Haus Jüngst”, Dillenburg, um 1964., Ansicht Gartenseite nung noch Insignien der fünfziger Jahre zeigt. Fridel Vogel, seit 1962 im Siegerland als freiberufli- che Architektin niedergelassen, kann im Auftrag der In den sechziger Jahren beteiligt sie sich in Zusam- Fa. Stosch Umbauten dieses Betriebes vornehmen. menarbeit mit Peter Knaack am Wettbewerb zum Sie soll in den frühen sechziger Jahren neben dem Neubau des Nordrhein-Westfälischen Landtages in Umbau des „Hauses Schaumann”, In der Erzebach 5 Düsseldorf sowie 1967 am Wettbewerb der Haupt- in Hilchenbach auch einzelne Wohnhäuser im Allgäu verwaltung der Provinzial-Versicherung. Für ihren sowie in Dommelstadt am Inn realisiert haben.86 Der Entwurf zur „Amtsrealschule ‘Eichener Seite’ “ im Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar erste Neubau, den Fridel Vogel nach eigenem Ent- Büschergrund erhält sie 1967 einen 2. Preis.88 Reali- wurf im Umfeld ihrer Büroneugründung realisieren sieren kann sie im gleichen Jahr jedoch ihren Ent- kann, ist das 1964 in der Hardenbergstraße 47 in Sie- wurf einer Friedhofshalle für Hadem-Helberhausen. gen gebaute „Haus Plaas”. Etwa zeitgleich entsteht Nach der Schulerweiterung ist dies ihr zweiter öffent-

Erweiterung der Volksschule in Hadem-Helberhausen, Fridel Vogel, 1964 - Anbau eines Klassentraktes an die bestehendeSchule (links), vom Schulhof aus gesehen - Ansicht Ostseite

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238 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausg Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Trauerhalle, Hadem-Helberhausen, 1967, Fridel Vogel, Ansicht der Vorfahrt (links), sowie Grundriss der Halle und des Untergeschosses (unten)

licher Auftrag. Und dieses Mal ist keinerlei Rücksicht sentiert sich die Südseite. Auf ihr liegt das langgezo- auf die vorhandene Bebauung vonnöten: Der Fried- gene Pultdach, das die Steigung des Hanges über- hof liegt deutlich unterhalb des Ortes frei am Hang. dehnt und - von der Landstraße aus - ein ebenso Vogel nutzt die Gelegenheit, um hier eine ebenso ruhiges wie deutliches Bild dieser Friedhofskapelle schlichte wie freie Konzeption umzusetzen. Fünf Jah- vermittelt. In dieser besonderen Lage gelingt Fridel re nach ihrer beruflichen Selbständigkeit entsteht hier Vogel mit einer klaren Konzeption, reduzierten The- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ein Projekt, das trotz des kleinen Raumprogramms men und Materialien, ein ebenso schlichter wie ihre Vorliebe für klare Räume wie ihre gestalterischen schlüssiger Trauerraum. Ambitionen zeigt. Als ‘Mauer in der Landschaft’ prä-

Ansichten (unten), Grundrisse (rechts) sowie Aufnahme des Zugangs zum Friedhof

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Projekte, Bauten, Konzepte 239 gabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Vorentwurf Altenheim Metzingen, 1960er, Lieselotte von Mendelssohn, Schnitt, Kupaturen und Grundrisse

Im Engadin realisiert Lieselotte von Mendelssohn für Susi Netter nebenstehend links abgebildeten Entwurf eines kleinen Wohnhauses. Auch der Vorentwurf für „Milchhäuschen am Weissen See”, Berlin, 1967, Ludmilla ein Altersheim in Metzingen entsteht in diesen Jah- ren, bleibt jedoch ebenso unrealisiert wie der Entwurf für eine Erweiterung des „Hauses Dr.St.”[innes] in As- 89 Die Zeichnungen zu diesen Projekten befinden sich im NL cona auf ovalem Grundriss.89 Realisieren kann sie den Boedeker. Umbau der Bibliothek für Gerhard Hauptmann. An- 90 Für dieses Haus existieren im NL Boedeker zwei Entwürfe. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar fang der siebziger Jahre entsteht außerdem der Ent- 91 Haus Müller liegt in der Talsperrenstraße 33. Vgl. auch „Jeder wurf des „Hauses Schmidt” in Sindelfingen, das je- Architekt hat seine ganz eigene Handschrift“ -efa- Siegener doch mit deutlichen Abweichungen realisiert wird. Zeitung 11.7.1980 Bl.3, S.1 In Berlin-Weissensee wird 1967 das „Milchhäuschen” von Ludmilla Herzenstein fertiggestellt. Sie ist seit 1958 Leitein der Stadtplanungsamtes Friedrichshain- Weissensee und baut in dieser Funktion in den

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Haus Barbara”, Thassos, 1971, Lieselotte von Mendelssohn, Grundriss (links) und Ansichten (unten)

„Haus Netter”, Monti Locarno, 1960er Jahre, L.v. Mendelssohn, Grundriss (oben) und Ansichten (unten),

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240 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Häuser am Hang in Allenbach, ab 1972, Fridel Vogel, Geländeschnitt und Zustand 1998, links Haus Müller „Haus Müller”, Allenbach, 1972, Vogel, Grunriss UG / Schlafebene sowie Eingangsniveau / Wohnebene (unten) frühen sechziger Jahren auch zumindest einen Kin- Auf Thassos realisiert Lieselotte von Mendelssohn dergarten im Friedrichshain. 1968 baut sich Tony 1971 für die Tochter Hauptmanns das „Haus Barba- Lasnitzky - bereits 75-jährig - im belgischen St. Ides- ra”.90 In Kreßbach bei Tübingen wird bald darauf der bald sur Meer ein Haus nach eigenem Entwurf. Neubau ihres eigenen Hauses fertiggestellt, in das sie - nach einer erneuten Eheschließung - 1972 einzieht. Auch Dr. Hildegard Oswald baut ein zweites Haus für den eigenen Bedarf: Das auf der folgenden Seite ab- gebildete „House Oswald II” entsteht 1972 an der Seblar Terrace in Portland.

1972 realisisert Fridel Vogel die „Wohnsiedlung an Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Talsperrenstraße” in Allenbach, fünf Häuser, da- runter das nebenstehend abgebildete Haus Müller.91 Die Hanglage nutzend exerziert sie das Wohnen auf versetzten Ebenen durch, nicht nur in diesem Haus. Dabei werden die Wohn- und Schlafbereiche gesta- pelt, die zentrale Ebene bildet das um eine halbe Treppe versetzte Zwischengeschoss mit Küche und

Ansicht von der Straße aus, Nordosten

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Projekte, Bauten, Konzepte 241 Essbereich. Die besondere Verbindung zwischen Wohnen, Essen und Kochen betont sie durch ein im Walm verzogenes Dach. In Hilchenbach selbst baut Fridel Vogel ein Haus für Rita Ahlborn um, erweitert das Haus von Familie Tschaetsch mit einem Anbau. Das „Haus Rödig”, An Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Herrenwiese, erweitert sie zwei Mal, 1976 und 1985. Und auch für Familie Gieseler wird sie wieder- holt tätig. Nach einem Erweiterungsbau in Fronhau- sen 1979 errichtet sie 1982 für diese Familie im Sas- senweg in Bürbach-Rünte einen Neubau.92

In Arbeitsgemeinschaft mit einem größeren Büro „Haus Oswald II”, Portland/OR, 1972m Dr.Hildegard Oswald, Ansicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar kann sie 1977 ihren Entwurf des Hilchenbacher Rat- von der Auffahrt (Süden, oben) und Grundrisse (unten) haus-Neubaus realisieren.93 Im Gegenzug erwirbt sie die zwischenzeitlich durch die Rathausverwaltung ge- nutzte „Villa Hüttenhain” in der Bruchstraße 34, die „Haus Oswald II”, 1972, Grundrisse sie 1978 als Wohnung und Büro für den eigenen Be- darf umbaut.94

Innenansicht

Innenaussicht

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Grundriss 1.Obergeschoss, Lageplan mit Erdgeschossgrundriss (rechts)

Auch einen Neubau für die Volksbank und ein neues Feuerwehrgebäude für Hilchenbach soll Vogel ent- worfen haben. Diese werden jedoch nicht realisiert. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch Skizzen oder Pläne dieser Projekte lassen sich bisher nicht dokumentieren. 1979 wird jedoch in der Unterzeche das „Textihaus Patt”, ein Geschäftshaus mit drei Wohnungen ebenso nach ihrem Entwurf ge- baut wie - unweit davon in der Bruchstraße 24 - die „Ginsburg-Apotheke”.95

242 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Blick aus Nord resp. Nordost (unten) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Rathaus Hilchenbach, Neubau 1977, Entwurf Fridel Vogel, Aufnahme der Eingangsseite, 1980er Jahre, Vogel (im Vordergrund links) 92 Wohnhaus L.+ H.Giesler, Realisierung in Arbeitsgemeinschaft mit Steinmeister. Vgl. Aufnahmen S.244, Zustand 1985 93 Rathaus Hilchenbach, Am Markt 13, Realisierung in Arbeitsge- meinschaft mit Weist, Krämer, Andrick. Vogel legte schon Jahre zuvor einen - bisher nicht dokumentierten - Entwurf für einen Rathaus-Neubau vor. Als dieser durch Landeszuschüsse mög- lich wird, wird sie direkt beauftragt. 94 Vgl. Foto auf S.360 95 Siehe Fotos S.244

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Rathaus Hilchenbach, Ansicht von Osten und Schnitt durch den Ratssaal mit Nordansicht des Hauptriegels (rechts) Blick in den Ratssaal

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Projekte, Bauten, Konzepte 243 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Haus Dr. Reschka”, Hadern, In der Dahl 3, 1983, Fridel Vogel, „Wilhelmsburg”, Hilchenbach, Sanierung / Umnutzung, 1980, Vogel „Haus Gieseler”, Bürbach-Rünte, 1982, F. Vogel, Ansicht von Süden Straßenansicht (oben) und Gartenansicht, Aufnahmen 1998 Blick in den Wohnraum

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96 Vgl. dazu „Altstadtsanierung läßt mehrere Möglichkeiten zu“ in: Siegener Zeitung 27.9.1979, Bl.7 und Zeitungsausschnitt S.284. 97 Information mit Dank an Rolf Schmidt. Der - ebenfalls nicht do- Und zwischen 1979 und 1981 kann Friedel Vogel im kumentierte - Entwurf einer Schule für Netphen entstand wahr- Rahmen der Altstadtsanierung Dillenburg - nach Be- scheinlich noch in den siebziger Jahren. teiligung am städtebaulichen Wettbewerb gemeinsam mit Peter Knaack - mehrere Häuser realisieren.96 An- „Textilhaus Patt”, Unterzeche, Hilchenbach, 1979, Fridel Vogel, Aufnahmen entlang der Unterzeche, 1997 1998 (Ansichten (unten) fang der achtziger Jahre baut sie „An der jungen Ecke“ in Netphen mehrere Häuser.97 In Hilchenbach saniert sie die „Wilhelmsburg”, die einer neuen Nut- zung als Stadt-Museum und -Bibliothek zugeführt wird und in Isny im Allgäu plant sie das „Berghotel Jägerhof” um. 1983 baut sie in Hadern das Haus Dr. Reschka. Und 1990 plant sie für eine Freundin einen Bauernhof in Kreuztal um. Und Fridel Vogel ist nicht die einzige, die das Entwer- fen mit dem Erreichen der Pensionsgrenze nicht auf- gibt. Auch Christa Kleffner-Dirxen, Ludmilla Herzen- stein, Tony Lasnitzky, Hilde Reiss und Lotte Stam- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Beese planen weit über ihren siebzigsten Geburtstag hinaus. Seien es - wie im Fall Beeses - Gärten für Bekannte oder - im Fall Reiss - der Umbau eines ei- genen Häuschens. Angesichts dessen, dass die weit- aus meisten dieser Architektinnen jedoch bereits um die Jahrhundertwende resp. in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts geboren wurden, sind i.d.R. in den achtziger Jahren die letzten größeren Bauvorhaben dieser Architektinnengeneration zu finden.

244 Zum Einfluss der Schulen Zeitgeist oder individuelles Statement? Bereits anhand der in den zwanziger Jahren tätigen Wie planen und bauen ehemalige Architekturstu- Architektinnen - wie Emilie Winkelmann, Ella Briggs, dentinnen der Weimarer Republik wann? Marie Frommer, Edith Dinkelmann, Stefanie Zwirn 98 Vgl. S.274ff. Berufsfelder mit und ohne Dauer. Was aber lässt sich anhand dieser eher zufälligen Zu- oder Leonie Pilewski - waren unterschiedliche Aus- 99 Im Unterschied zum ‘Zeitgeist’, der die unterschiedlichsten Rah- sammenstellung unterschiedlicher Projekte und Bau- drucksrepertoires zu beobachten. Hier wurde auf- menbedingungen und Diskurse einer bestimmten Zeitspanne ten von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- grund fehlender Quellen zumeist nicht deutlich, in subsumierend zu charakterisieren sucht, wird der Begriff ‘Zeit- blik erkennen? wieweit die jeweiligen Entwürfe mit eigenen Gestal- strömung’ i.d.R. verwendet, um Assimilationen an den gesell- tungspräferenzen oder denen der AuftraggeberInnen schaftlich opportunen Mainstream als originären Bestandteil die- Ins Auge fallen bestimmte Themenschwerpunkte und korrespondierten.100 Und ohne eine breitgefächerte ses ‘Zeitgeistes’ darzustellen. Konzeptionen, die allzu offensichtlich zeitgebunden Dokumentation bleibt es auch schwierig einzuschät- 100 Scheinen Architektinnen wie bspw. Dinkelmann und Winkel- scheinen. Augenfällig sind darüberhinaus Ausdrucks- zen, in wie fern Themen, Orte und Maßstabsniveau mann dem Neuen Bauen skeptisch gegenüber zu stehen, so ist formen, die - unmittelbar oder auch mittelbar - mit je- die jeweiligen Gestaltungspräferenzen beeinflussten. bspw. bei Briggs, Frommer, Lihotzky und Pilewski das Interesse nen Repertoires zu korrespondieren scheinen, die wir Insgesamt zeichnete sich jedoch bereits hier weniger am Neuen Bauen unübersehbar. Plakolm-Forsthuber attestiert anhand des Studiums untersucht haben. eine Einheitlichkeit als eine Vielfalt an Ausdrucksfor- den Architektinnen der Ersten Republik in Österreich einen „Ra- Die Frage zeit- oder geschlechtsabhängiger Themen- men. Demgegenüber erschienen die - nicht minder tionalismus“, der ihre Werke „um mehr nur als eine Nuance fort- schwerpunkte korrespondiert allzu deutlich mit dem zufällig - dokumentierten Entwürfe der nach der Jahr- schrittlicher als die der liberalen Künstlerinnen und Kunst-hand- jeweiligen Berufsstatus. Deshalb wird sie im Rahmen hundertwende geborenen Architektinnen - wie bspw. werkerinnen“ erscheinen lasse. Die Gründe hierfür sieht sie in im der Berufswege analysiert.98 Hier soll im folgenden Gretel Norkauer, Gusti Hecht oder Paula Marie Can- Selbstbewusstsein der Akteurinnen und der sozialpolitischen wie diskutiert werden, in wieweit die Zeitumstände vor- thal - etwas homogener am ‘Neuen Bauen’ orientiert. bautechnischen Auseinandersetzung. Plakolm-Forsthuber, 1994, der- oder auch untergründig in vergleichbaren Pro- Aber auch dieser augenscheinliche Befund trügt.101 S.238 resp. S.304 jekten unterschiedlicher ArchitektInnen ihren Nieder- 101 Dieser Nachweis kann an dieser Stelle nicht in der erforderlichen In den dreißiger Jahren fanden wir nun sowohl von schlag finden. Anhand von Beispielen und Gegenbei- Breite geführt werden, mag jedoch anhand der Spannweite der ehemaligen Bauhaus- wie von ehemaligen Tesse- spielen wird die Hypothese verfolgt, dass das - in der publizierten Entwürfe bspw. von Lucy Hillebrand und Anna-Lülja nowstudentinnen die unterschiedlichsten Bauten und Architekturgeschichtsschreibung durchaus populäre - Praun zu denen bspw. von Hanna Löw und Irmgard Déspres zu Projekte: Möbel, Inneneinrichtungen, Ausstellungs- Plausibilisierungsmuster der ‘Zeitströmung’ hier keine ermessen sein. präsentationen und -gestaltungen, Land-, Ferien- und inhaltliche Entsprechung hat.99 Einfamilienhäuser, aber auch gewerbliche, industriel- le, staatliche und parastaatliche Bauten sowie städte- „Haus Haertel”, Vitte / Hiddensee, 1937, Annemarie Wilke „Haus Hampe”, Kampen / Sylt, 1931-32, Helga Karselt bauliche Projekte und Planungen. Nun also lässt sich - im Vergleich vergleichbarer Aufgabenstellungen - der Einfluss der Ausbildung, aber auch der Zeitgeist in der Architektur punktuell näher beleuchten. Als die Tessenowdiplomandin Helga Karselt um 1931 von ihrer Studienfreundin, der Elekrotechnikerin Asta Hampe gebeten wird, ein Ferienhaus für sie und ihre Schwester in Kampen auf Sylt zu entwerfen, entsteht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar das linksseitig zu sehende Gebäude. Innerhalb des Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar durch den Verleger Tiedemann aufgekauften und als Ferienkolonie für die bessere Gesellschaft erschlos- senen Geländes Am Hoogenkamp ließen sich zu Be- ginn der dreißiger Jahre u.a. die Kammersängerin Emmy Leisner und der Direktor der Berliner Museen, Wilhelm von Bode Häuser bauen. Die Pläne des „Hauses Hampe” sind nicht erhalten. Die dokumen- tierten Fotografien lassen jedoch große Ähnlichkeiten mit dem nur fünf Jahre später in Vitte auf Rügen rea- lisierten „Haus Haertel” nach Entwurf der Bauhausdi- plomandin Annemarie Wilke erkennen. Auch dieses Haus steht in einer neugegründeten Ferienkolonie. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch hier existieren lediglich Fotografien. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Angesichts der besonderen Lage und der vergleich- baren Aufgabe - beide Ferienhäuser wurden für pri- vate AuftraggeberInnen in den dreißiger Jahren er- richtet - verwundert die Übereinstimmung auf den ersten Blick nicht. Als Klinkerbau reetgedeckt das ei- ne, verputzt und mit ziegelgedecktem Steildach das

Projekte, Bauten, Konzepte 245 andere, wählen beide das Krüppelwalmdach, um als kleine, betont ländliche Häuser in Erscheinung zu tre- ten. Beide Häuser ordnen sich in Materialwahl und Ausdruck deutlich in lokale Bautraditionen ein. Beide sehen Ausblicke nach allen Seiten vor. Bei beiden Häusern sind nahezu sämtliche Öffnungen aus den Achsen gerückt. Karselt wählt liegende Glasformate, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wilke stehende. Sie hängt im Erdgeschoss außerdem Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hölzerne Klappläden daneben. Hier bauen also zwei an unterschiedlichen ‘Schulen’ diplomierte, gleichal- trige Architektinnen nahezu zeitgleich in vergleichba- ren Kontexten Häuser, die sich in ihrer äußeren Er- scheinung als durchaus ähnlich bezeichnen lassen. Dabei bildet sich nichts ab, was als signifikanter Ein- „Haus Haertel”, Vitte / Hiddensee, 1937, Annemarie Wilke „Haus Hampe”, Kampen / Sylt, 1931-32, Helga Karselt fluss der Ausbildungsrichtung identifiziert werden müsste. Wird der äußere Eindruck dieser Häuser also „Entwurf zu einem Studentinnenheim”, um 1931, Helga Karselt primär durch eine - zeitlose? - Aufgabenstellung oder „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”, 1935, Annemarie Wilke, den - besonderen? - Ort bestimmt? Oder ist der ent- scheidende Einfluss im Zeitgeist zu finden? Während das Haus Hampe in den Zeiten der Weimarer Repu- blik gebaut wird, entsteht das Haus Haertel erst wäh- rend des Nationalsozialismus.

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Da sich bei beiden Ferienhäusern die Rahmenbedin- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gungen nur bedingt nachzeichnen lassen102, bleibt un- klar, in wieweit es sich bei diesen Häusern um origi- näre resp. durch BauherInnenwünsche modifizierte Entwürfe der jeweiligen Architektin handelt. Und auf- grund der ebenso vergleichbaren wie besonderen Standorte wird hier nicht gänzlich deutlich, ob bzw. 102 Auf Nachfrage erklärte Annamaria Mauck, dass der Bauherr welche weiteren Auflagen vielleicht zu berücksichti- Buchhändler gewesen sei. Weitere Informationen, Quellen resp. gen waren, bspw. aufgrund von Bebauungsplänen.103 die Planungsunterlagen zu diesem Haus fehlen bisher. Ziehen wir jedoch, gerade unter dem Gesichtspunkt: 103 Auf dem rechten Bild ist jedoch bspw. ersichtlich, dass ein Handschrift oder Zeitgeist, von beiden Architektinnen Krüppelwalm in der Ferienkolonie Vitte nicht obligatorisch war. weitere Entwürfe hinzu, so treten weitere Irritationen 104 Siehe Abbildung S. 217 ein. Denn von Wilke ist aus diesem Zeitraum der ne- 105 Voßnack, Lieselotte : „Ein Berliner Studentinnenwohnheim“, in: benstehend rechts abgebildete Entwurf eines Einfa- Frau und Gegenwart, 28.Jg., H.6, März 1932, S.158. Unklar ist milienhauses, von Karselt - neben dem zusammen bisher, ob Karselt dieses Projekt innerhalb oder außerhalb ihres mit Emil Schuster realisierten „Buon Retiro” 104 - die Deputats bearbeitete und ob die „Berliner Studentinnen“ poten- linksseitig zu sehende Zeichnung eines Entwurfes für tielle Bewohnerinnen oder Architekturstudentinnen an der TH ein „Studentinnenheim” bekannt. Dieser Entwurf da- waren. Als Hilfsassistentin Krenckers soll Karselt viel Arbeit aber tiert um 1932, damit nahezu zeitgleich zum „Haus auch alle Freiheiten gehabt haben, da Krencker seinerzeit auch Hampe”. Wilkes Entwurf datiert aus dem Jahre 1935, Rektor war. Prof. Asta Hampe im Telefonat am 17.6.1997 also vor ihrem Entwurf des „Hauses Haertel”. 106 Klagen über das unzureichende Wohnungsangebot für Studen- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tinnen häufen sich in den zwanziger Jahren in Frauenzeitschrif- Erneut sind die Entstehungsbedingungen beider Ent- ten. Im Frühjahr 1930 führt der Deutsche Akademikerinnenbund würfe unbekannt. In beiden Fällen können sie jedoch zu diesem Thema eine Veranstaltung durch. Agnes v. Zahn-Har- zumindest annähernd rekonstruiert werden. Helga nack, die 1926 zu den Gründerinnen des DAB zählte und seit- Karselt, seit 1930 diplomiert und als Hilfsassistentin dem dessen erste Vorsitzende war, verfasste unter dem Ein- tätig, entwickelt dieses Projekt „gemeinsam mit Berli- druck einer Amerikareise 1929 eine „Denkschrift über die Schaf- ner Studentinnen in einer Arbeitsgemeinschaft“ 105 Es fung eines Studentinnenhauses zu Berlin“, 1930 eine „Gedenk- dürfte im Zusammenhang mit der um 1931 wiederbe- schrift zur Gründung eines Studentinnenheimes”. Zahn-Har- lebten Diskussion über Wohnheime für Studentinnen nack, Agnes von: Die Geschichte des Deutschen Akademikerin- entwickelt worden sein.106 Obschon von diesem Ent- nenbundes 1926-1933, (1950), publiziert in: Diess.: Schriften wurf nur eine perspektivische Außenansicht publiziert und Re-den 1914-1950, Tübingen, 1964, S.1ff. - dort erinnert ist, wird die Konzeption dank der textlichen Beschrei- sie: „Die Pläne waren bis ins einzelne vorbereitet.“ Ibid., S.3 bung deutlich: Mit Fahrradkeller und Gymnastikraum

246 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Haus in Babelsberg, 1936, Egon Eiermann, Ansicht Gartenseite

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 107 Voßnack, 1932. Sie bezieht sich hier auf Zahn-Harnack´s Initiati- ve. Die Einrichtung des sog. Tagesheimes für Studentinnen in den Räumlichkeiten des Stadtschlosses war Ende der zwanziger Jahre bereits gelungen, die Gründung eines für die Mehrzahl der Studentinnen erschwinglichen Studentinnenwohnheimes gelang nicht. 108 Vgl. Abbildungen Kap. 3, S.41 „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”, Ansichten (oben), Grundrisse (unten) 109 Im Unterschied zu zeitgleichen Entwürfen Wilkes nennt sie hier ausnahmsweise kein/e BauherrIn namentlich. Wilke stellt um 1935 einen Aufnahmeaantrag, wird spätestens 1936 Mitglied. im Untergeschoss, Gemeinschaftsräumen und zen- sich hier ebenso wenig wie bei Wilkes Entwurf für ein traler Küche im Erdgeschoss erfüllt die zweiflügelige „Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf”. Dieses kleine und Anlage die Forderung nach „zweckmäßiger, wenn im Ausdruck sehr reduzierte Haus dürfte hinsichtlich „Rats-Apotheke”, Berlin-Staaken, 1936, Carl Bauer auch einfacher Behausung“. Die darüberliegenden, der Aufnahme in die Reichskulturkammer entstanden „beliebig aufstockbaren“ Geschosse erschließen ost- sein.109 Es ist für eine vierköpfige Familie konzipiert. bzw. westorientierte Einzelzimmer und verfügen am Lediglich teilunterkellert beherbergt es erdgeschossig jeweiligen Flurende über Bade- und Duschräume. Die einen zum Garten orientierten Wohn-/Essbereich, so- zweihüftige Grundrisskonzeption trägt der Wirtschaft- wie Küche und WC. Im Obergeschoss befinden sich lichkeit Rechnung, dennoch ist „in der jetzigen Not- ein Doppel- und zwei Einzelschlafzimmer, sowie ein zeit an eine Ausführung wohl nicht zu denken.“ 107 weiteres WC.

Auf der Fassadenskizze ist ein viergeschossiges Ge- Erneut erscheint der Entwurf der Tesenowdiploman- bäude in freier Lage zu erkennen, das im Eingangs- din Karselt keinesfalls traditioneller im Ausdruck als bereich eine markante kubische Staffelung zeigt, der der Bauhausdiplomandin Wilke, der in seiner Re- ähnlich Briggs´ Ledigenheim.108 Die Zimmer scheinen duktion - wie auch in der Grundrissorganisation - na- ebenso einheitlich wie ‘back-to-back’ konzipiert zu hezu als ‘typischer Tessenowgrundriss’ gelten könn- sein. Dies legt die Gruppierung der hochformatigen te. In Fensterformaten und Fassadenaufbau unent- Fenster in der Lochfassade nahe. Hinweise auf Auf- schieden, bildet sich hier jedoch vielleicht auch ein traggeberInnen oder einen konkreten Standort finden Kalkül ab, eine der gesellschaftlichen resp. (fach-) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Projekte, Bauten, Konzepte 247 politischen Akzeptanz vorauseilende Assimilation. Bei Tessenowdiplomandinnen ließen sich nur wenige Dieses Haus wird nicht realisiert. Ein vergleichbares Bauten aus dieser frühen Phase dokumentieren. Aber Häuschen wird 1936 jedoch bspw. nach Entwurf von auch hier fanden wir bspw. bei den Entwürfen Liese- Egon Eiermann in Babelsberg gebaut. Im Vergleich lotte von Bonins diese augenfällige ‘Ausbildungsprä- zu anderen Entwürfen - wie bspw. der „Rats-Apothe- gung’ beim Berufseinstieg.113 Und betrachten wir die ke” in Berlin-Staaken von Wilkes Diplom-Kollegen Einfamilienhäuser, die Gertraude Herde 1949 und Carl Bauer - wird jedoch unmittelbar deutlich, dass 1950 in einer Randlage des niedersächsischen Nord- die Suche nach nationalen Bautraditionen zeitgleich stemmen baut114, so erwecken sie den Eindruck, be- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar noch wesentlich rückwärtsgewandter betrieben wird. reits in der Studienzeit entstanden zu sein. Denn so Und auch Wilke macht bald darauf offensichtlich wei- sehr sich die Lebensrealität dieser BewohnerInnen tere Zugeständnisse an politische Erwartungen. Als durch Nationalsozialismus und zweiten Weltkrieg ver- sie 1937 auf der Weltausstellung in Paris für Ausstat- ändert haben mag, diese Wohnhäuser ähneln zwei- tung und Arrangement von Tischen und Vitrinen im felsohne dem kleinen Wohnhaus oder dem kleinen Blick in den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1937 in Pa- Deutschen Pavillon verantwortlich ist, ergänzen per- Arzthaus, das Gertraude Engels während der Weima- ris, BesucherInnenandrang (oben) fekt mit Porzellan und Gläsern der VLG eingedeckte rer Republik entwarf.115 Nicht nur in der Erscheinung, Blick auf die Vitrinenreihe (unten) - Vgl. auch Abb. auf S.226. Tische die nationale Gemütlichkeit vor hakengekreuz- auch in den Grundrissen zeigt sich diese Welt nahezu ten Tapeten. Und entlang der großen Enfilade wech- unverändert. Auch Wera Meyer-Waldeck knüpft An- seln sich reduzierte Ganzglasvitrinen mit in - deut- fang der fünfziger Jahre mit dem unten abgebildeten schem - Holz gefassten Vitrinen ab.110 Haus Bockemühl deutlich an Vorkriegsbeispiele an. Lediglich in der Zahl der Fensterachsen reduziert Deutlicher als unter diesen politischen Bedingungen scheint hier ein bereits 20 Jahre zuvor von der Kolle- scheinen sich Ideen und Einflüsse aus dem Studium gin Mary Crowley gebautes - und vielfach publizier- direkt nach Eintritt in die Praxis abzubilden. So zeigt tes - Landhaus aufgegriffen worden zu sein.116 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hildegard Hesses Kleinst-Wochenendhaus aus dem Jahre 1925 deutlich, wie konsequent die Gestalterin Die auf der rechten Seite abgebildeten Beispiele pri- die Erkenntnisse reduzierter Materialwahl und For- vater Wohnhäuser hingegen sprechen erneut für den mensprache in der Grundkonzeption wie der Ausfüh- dominanten Einfluss der Zeitkomponente. Denn um rung umsetzt.111 Auch in Friedl Dickers Entwürfen, vor 1954 entsteht sowohl in Münster das „Haus Otte” allem jenen für Innenräume, war jene Experimentier- nach Entwurf von Christa Kleffner-Dirxen und Eber- freude und Begeisterung für flexible Nutzungskon- hard Kleffner wie in Hannover - ein Entwurf von Ewa zepte wiederzufinden, die wir bereits aus ihren Stu- und Dieter Oesterlen - ein Haus für den eigenen Be- dienentwürfen kannten. Und Kattina Both´s bei der darf. So deutlich sich das Raumprogramm beider Ausstellung „Heim + Technik“ in München 1928 ge- Häuser unterscheidet, in ihren der Sonne zugewand- zeigte Wohnung für eine vierköpfige Familie - zeigt ten Seiten unterschieden sich beide Häuser nur in ließ diese Begeisterung für ebenso flexible wie aus- Details, erscheint die Südfassade des „Hauses Oe- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar getüftelte Systeme erkennen. Gertrud Ursula Weiß´ sterlen” lediglich als eine auf volle Zweigeschossig- Möbelentwürfe zeigten eben diese Tendenz zur Re- keit erweiterte Variante des Hauses Otten. duktion und’Sachlichkeit’ während ihr höchst eigen- Wenn ‘die Zeit’ einen solch starken Einfluss ausübt, williger Entwurf eines Hauses für die eigene Familie in wie stellt sich die - wohl oder nicht erkennbare - Berlin-Niederschönhausen nahezu keinerlei Anklänge ‘Ausbildungsprägung’ im Laufe der Jahrzehnte dar? an das ‘Neue Bauen’ erkennen ließ.112 110 NL Wilke. In der Fotografischen Dokumentation ihrer Tätigkeit bei der Weltausstellung 1937 sind insbesondere die in Holz ge- „House Nr. 102”, Orchard Road, Tewin, Hertfordshire, 1935, Mary „Haus Bockemühl”, Bonn, 1954, Wera Meyer-Waldeck fassten Vitrinen zu sehen. Die im Wechsel mit diesen Vitrinen stehenden Ganzglasvitrinen sind als Produkte der Firma Glas- bau Heinrich Hahn Frankfurt ausgewiesen. (Vgl. Hoffmann, Heinrich: Deutschland in Paris, München, 1937, S.45) Bisher ist unklar, ob Iwanka Hahn an dieser Präsentation mitwirkte. 111 Vgl. Abbildung S.210. 112 Vgl. Abbildungen S.273 zu S.217. 113 Vgl. Abbildungen S.215-216. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 114 Vgl. Abbildungen S.234-235. 115 Vgl. Kap. 5, Abbildungen S.125-126. 116 Dieser Entwurf Crowleys wurde bspw. publiziert in Gould, Jere- my: Modern Houses in Britain, London, 1936, Pl. 32 - aber auch in Zechlin, Hans Josef: Landhäuser, Neue Ausgabe, Tübingen, 1951, S.51

248 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Haus Oesterlen”, Hannover, Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss (lins resp. rechts oben), “Wohnhof” bei Nacht und Essdiele mit Blick in den ‘Wohnhof’ (unten) sowie Ansicht Südseite

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„Haus Otte”, Münster, 1954, Christa Kleffner-Dirxen und Eberhard Kleffner, Grundriss Erdgeschoss (links) und Obergeschoss (rechts) sowie Ansicht von Süden

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Projekte, Bauten, Konzepte 249 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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„Haus Mendelssohn”, Berlin-Grunewald, Herthastraße, 1937, Lieselotte von Mendelssohn, Aufnahme von Osten 117 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 in München. 118 Ibid. 119 Dieser zwischen Seelenverwandtschaft und lex sanguis oszillie- Vom Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Diese Fragen sind innerhalb der Architektur kaum zu rende Diskurs findet seine Entsprechung in einer personalisier- Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? beantworten. Die Baugeschichtsschreibung bleibt in ten - auffällig häufig am Narrationsmuster des Heldenepos ori- diesem Punkt ebenso unentschieden wie unpräzise. entierten - Baugeschichtsschreibung. Diese antecipierend neigt „Der Einfluß war groß, davon hat man sich im Lauf In aller Regel wird eine Prägung unterstellt, die - je bereits die Selbstdarstellung - kaum minder als die Darstellung des Lebens irgendwie, durch die Umstände, wieder nach Blickwinkel - explizit oder implizit weiter- oder in der Architekturkritik - zur Fokussierung auf einen alleinigen distanziert oder durch andere Ansprüche“ beschreibt ‘mitgegeben’ wird, ver- resp. ‘ererbt’ wird, der sich Schöpfer und dessen so alles entscheindende ‘Tat’ resp. Idee. Annamaria Mauck den Verflüchtigungsprozess des manche AkteurInnen aber auch bewusst entziehen Diesem fragwürdigen - bereits zu Beginn dieser Untersuchung Bauhaus-Einflusses auf ihr Leben.117 Erklärend führt oder widersetzen.119 diskutierten - Blickwinkel fällt dann alles zum Opfer, was Zweifel sie aus: „Die An-prüche heute sind nicht die gleichen an dieser Idee resp. deren Heldenhaftigkeit sachüren könnte. In wie damals [..] was man 1930 schön gefunden hat, Als Lieselotte von Bonin - nach einer erneuten Heirat diesem Sinne ist eine distanzierte Architekturkritik kaum denk- kann man 1990 nicht mehr unmittelbar schön finden, 1936 - auf dem Grundstück ihrer Schwiegereltern bar, stehen die KritikerInnen bereits im Lager einer ‘kommen- dafür verändert sich die Welt zu schnell. (..) auf mich 1937 ein Haus für den eigenen Bedarf baut, gestaltet den Architektur’ oder einer ‘bewahrenden’ Baukunst. wirkt es heute absolut museal.” 118 sie auch den nördlichen Bereich des Gartens um. Sie geometrisiert ihn durch orthogonal angelegte Wege, Grundriss Erdgeschoss Hat mensch sich dem ‘großen Einfluss’ bewusst oder trennt ihn gestalterisch vom landschaftlich-romanti- ‘irgendwie’ entzogen? Verblassen Ausbildungs-’Prä- sierenden Teil des ausgedehnten Grundstückes - mit gungen’ - ähnlich einem Stoffdruck - im Laufe der Pavillon zum Herthasee - ab und schlägt ihn der neu- Zeit? Liegt dies, um im Bild zu bleiben, an der der en Bebauung zu. In Anbetracht des nur einen Stein- Qualität des bedruckten Stoffes oder der der Farbe? wurf entfernten, durch Ernst Eberhard von Ihne kurz Oder - wie sich Maucks Erklärung verstehen lässt - vor der Jahrhundertwende im Landhausstil als betont insbesondere an der Sonneneinstrahlung? Oder wan- nicht-repräsentativer Bau errichteten Hauptgebäudes, delt sich die Prägung, ‘reift’ von einer vordergründi- erscheint der Bonin-Bau nahezu bescheiden.120 gen Adaption zu einer erkennbaren Haltung? Gelten Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um ein großbür- in der dauerhaften Architektur, die sich als die ‘wah- gerliches Landhaus mit ausgebautem Dach. Im Nor- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar re’ kurzlebigen Moden entzieht - hinsichtlich ‘Dauer- den dieses winkelförmigem Grundrisses liegen Ein- haftigkeit’ und ‘Vererbbarkeit’ von Haltungen beson- gangsbereich, Küche und Gesellschaftsräume. Im dere - fachspezifische - Gesetze? Oder ist der Grad Südflügel ist die Wohnung für die Familie mit Baby der Prägung bzw. der Haltung auch in der Architektur untergebracht. In Konzeption und Ausführung ebenso ein lediglich retrospektiver Parameter für die Qualität ruhig wie gediegen, zeigt dieses Landhaus für die ei- des Studienangebotes, da der faktische Adaptions- gene Familie zumindest zweierlei: Trotz schwieriger grad erst auf der Basis eines weiteren Schaffens Zeiten zeigt Lieselotte von Mendelssohn einen klaren erkennbar wird, erkennbar werden kann?

250 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Haus Boedeker”, Tübingen-Kreßbach, 1971, Lieselotte von Bonin resp. Boedeker, Ansicht Gartenseite, Aufnahmen 1997 (rechte Seite)

120 Diesen hatte Franz von Mendelssohn (1865-1935) kurz vor der und zurückhaltenden Gestaltungswillen und keinerlei in die Landschaft nutzt. Um auch aus dem Dachge- Jahrhundertwende errichten lassen. Vgl. BUSB IV C 11 Abb.17 Scheu vor den großen Namen und Bauten des vor- schoss diesen Blick zu gewähren, wird hier der Walm bzw. Zeidler & Wimmel 1776-1926, S.127 handenen Ensembles.121 Mit Sensibilität im Umgang zugunsten eines Giebels gekappt. Erneut ist die Aus- 121 Von Bonin war anlässlich dieser Heirat aus der RKK ausge- mit dem Bestand realisiert sie hier ihr eigenes bauli- führung gediegen, die Konzeption funktional und an schlossen worden (Vgl. Kap.7, S.201f.), das Bankhaus Mendels- ches Statement. einem großbürgerlichen Lebensstil orientiert.122 sohn & Co stand vor der Übernahme durch die Deutsche Bank (1938) Vgl. Schoeps, Julius: Wie die Deutsche Bank Mendels- Als sie Anfang der siebziger Jahre zum zweiten Mal Auch Hildegard Oswald lässt es sich nicht nehmen, sohn & Co schluckte in: Frankfurter Rundschau, Nr.276, 27.11. ein Haus für den eigenen Bedarf baut, entsteht das die Häuser für den eigenen Bedarf selbst zu entwer- 1998, S.10 hier zu sehende Haus in Kreßbach bei Tübingen, das fen. Das erste Haus Oswald entsteht 1959 am View- 122 Dies wird bspw. an den verteilten Einzelbädern sichtbar. sie 1972 bezieht. Dies ist ein in den Hang geschobe- mont Drive in Portland/Oregon. Als sich Bedürfnisse 123 Vgl. zu Haus Oswald I Abbildungen S.238, zu Haus Oswald II nes Einfamilienhaus mit straßenseitiger Einliegerwoh- und Wünsche ändern, entwirft auch sie ein weiteres Abbildungen S. 242. nung, das erneut die Wohnebene mit deutlichem Be- Haus für die eigene Familie, das 1972 an der Seblar zug zum Garten und dem - hier westseitigen - Blick Terrace, ebenfalls in Portland, realisiert wird.123

Ansichten von Norden (oben), Osten (unten)

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Projekte, Bauten, Konzepte 251 124 Welchem Umstand resp. wessen Intervention das schließlich gebaute Haus im Moselweg sein zweites Vollgeschoss verdankt, ist unklar. Sobald diese Entscheidung gefallen ist, findet Gunkel jedoch schnell zu einem in der Gesamterscheinung stimmigen Entwurf mit größeren Fensteröffnungen und einem entspre- chend flach geneigten Dach.

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„Haus S.”, Kassel-Wilhelmshöhe, 1934, Anni Gunkel, Aufnahme nach Fertigstellung (oben) und Zustand 1996 (links)

Beide Häuser beider Architektinnen zeigen trotz des langen zeitlichen Abstandes - im Falle Bonins von 35, bei Oswald 13 Jahren - in den Grundrissen deutliche, im gestalterischen Ausdruck aber nur vergleichsweise geringe Veränderungen. Dabei zeigen Bonins Häuser deutliche Anklänge an Tessenowsche Entwürfe, sind im Grundriss wie in den Fassaden jedoch freier kon- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zipiert. Hildegard Oswald orientiert sich dagegen weit deutlicher an amerikanischen Einfamilienhäusern der sechziger Jahre. Insbesondere in den Grundrissen sind keinerlei Anklänge an ihr Studium mehr zu fin- den. Sie konzipiert Grundrisse frei, schafft vereinzelt auch fließende Raumübergänge und spielt mit räumli- chen Überschneidungen. „Haus Schwerdtfeger”, Entwurfsvorschlag, 1934, Anni Gunkel, Ansichten und Grundrisse (nicht realisiert) Hier wird deutlich, dass das formale Repertoire, das während des Studiums unübersehbarer Bestandteil der jeweiligen Lehrmeinung war - auch wenn es nicht explizit als solches gelehrt wurde - sich als erkennba- re Ausbildungsprägung bei Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nur so lange ‘hält’, als es für konkrete Aufgaben am jeweiligen Ort ausreichend Potential wie Passgenauigkeit bietet.

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In welcher Relation stehen jedoch Ideen, Planungen und Bauten ehemaliger Architekturstudentinnen der Weimarer Republik zu einer ‘modernen’ oder ‘tradi- tionellen’ architektonischen Haltung? Wie sind sie hinsichtlich ihrer ideengeschichtlichen Dimension zu bewerten?

252 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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„Haus S.”, Pleasantville, 1937, Hilde Reiss mit William Friedman, Aufnahme nach Fertigstellung (oben) und Zustand 1979 (rechts)

In diesem Sinne bilden die beiden folgenden Beispie- diesen Unterschied begründet ist. Denn wie Gunkels le Realität und Programm deutlich sichtbar ab. 1934 - linksseitig unten abgebildeter - erster Entwurf für realisiert Anni Gunkel für ihre Tante das links abgebil- das Haus im Moselweg zeigt, orientierte sich ihr Vor- dete Haus im Moselweg. Keine drei Jahre später schlag für daselbe Raumprogramm zunächst unmit- baut Hilde Reiss für private BauherrInnen das dane- telbar an Tessenowschen Vorstellungen vom Famili- ben abgebildete Haus in einem Außenbezirk einer enwohnen.124 Gerade anhand der Arbeiten Anni Gun- nördlich von Manhattan gelegenen Kleinstadt. Beide kels wird jedoch auch deutlich, dass ggfs. bereits im Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Häuser - in annähernd vergleichbarer Lage und mit Laufe von Studiums verschiedene Gestaltungskodi- annähernd demgleichen Raumprogramm - bieten zes durchexerziert werden mussten, wie sehr die As- Mitte der dreißiger Jahre völlig differente Wohnfor- similation an die jeweilige Erwartungshaltung dem men an. Beide sind zweigeschossig und nach allen Seiten orientiert. Während Gunkel jedoch das abge- schlossene, dauerhafte Behausen in eine feste Form fügt, entwirft Reiss Wohnen das offene, eher tem- poräre und auch wieder demontierbare Form. Die bei Gunkel geschaffenen Räume trennen klar zwi- schen der ‘großen weiten Welt’ und dem ‘Heim’. Die von Reiss / Friedmann angebotenen ‘fließenden’ Räume propagieren den Kontakt zur Außenwelt und eine Vorstellung von Privatheit, die in die Verantwor- tung der BewohnerInnen gelegt ist. Hier schützt die Außenhaut vor Wind und Wetter, bildet jedoch nicht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mehr die hermetische Mauer zwischen privatem und öffentlichem Raum. Dieser Unterschied in der Auffas- sung menschlichen Wohnens resp. Lebens bildet sich ebenso im Innenraum ab. Und obschon sicher- lich die verschiedenen kulturellen Kontexten dieser beiden Häuser beachtet werden müssen, so wird hier deutlich, dass die zentrale Differenz nicht allein durch

Projekte, Bauten, Konzepte 253 Finden und Entwickeln eines eigenen Weges im We- Karl Leers. Preisgekrönt werden dennoch die sieben- ge stehen konnte.125 Denn eben diese Anni Gunkel resp. achtgeschossigen Entwürfe von Gropius bzw. [geb. Pfeiffer], die um 1933 jenes steil bedachte Haus Haesler. für ihre Tante zu bauen beabsichtigt, reichte 1930 Aber entscheidet sich die Frage, ob traditionell oder den unten abgebildeten, ungemein sachlichen Ent- modern gebaut wird vielleicht auch daran, ob die Pla- wurf anlässlich des Kasseler Wettbewerbes zum nungen für Frauen emanzipative Raumnutzungen vor- Aschrott-Wohlfahrtshaus ein. sehen? Ob sich solche Konzeptionen moderner Le- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Dieser Entwurf für einen Standort an der Fuldabrücke bensformen in der Grundrissorganisation, aber auch organisiert das Raumprogramm in einen Veranstal- im Ausdruck widerspiegeln? tungsbereich entlang der Fulda und einen über dem Bereits 1930 hatte Grünbaum-Sachs formuliert: „Vom Eingangsbereich auf Stützen freigestellten siebenge- Standpunkt der Hausfrau muß jedenfalls gesagt wer- schossigen Verwaltungs-Skelettbau entlang der Neu- den, daß das kleine Einfamilienhaus genau so grund- en Fuldagasse, die durch eine eingerückte Schatten- legend reformbedürftig ist wie das aus Kleinwohnun- Blick in das Mädchenzimmer im Haus Schwerdtfeger fuge miteinander verbunden sind. In der städtebau- gen bestehende Hochhaus.” 128 Der Reichsverband Blick in das Schlafzimmer im Idea House II lichen Abwicklung wird deutlich, dass es ihr insbe- der Hausfrauen hatte in den zwanziger Jahren mehr- sondere um eine Torsituation des westlichen Brük- fach die Mitarbeit von Hausfrauen gefordert und die kenkopfes geht, sie schlägt die Spiegelung der Ge- Auffassung vertreten, dass die Funktionalität der bäudekupatur auch auf der Nordseite vor. So skiz- Grundrisse wichtiger sei als die Fassade. Dennoch zenhaft dieser Entwurf angelegt ist, der durchgängig feierten auch Erwartungen hinsichtlich einer traditio- kubische Entwurf überrascht doppelt: Auch wenn nell repräsentativen Ausstrahlung von Neubauten Pfeiffer fast überdeutlich an die Traufen der Nachbar- fröhliche Urstände. Und Marie-Elisabeth Lüders stell- bebauung anschließt, mit einem Stahlskelettbau die- te 1930 gar die Forderung auf: „Alle diejenigen, die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ser Klarheit schließt sie keineswegs an die lokal vor- sich berufen fühlen, Häuser für die großen Massen (..) han-dene Bebauung ihrer Heimatstadt an. Sie ent- zu bauen, müssen lernen, vom Kochtopf zur Familie wirft an der Stadtgrenze zur Unterneustadt einen (sic) zu bauen und nicht umgekehrt.“ 129 markanten Eckpunkt, der in seinem ebenso entschie- denen wie reduzierten Ausdruck weit mehr Parallelen Doch hatte sich unter der Mitwirkung der Hausfrau- zu den Wettbewerbsbeiträgen von Walter Gropius enverbände wenig geändert. Und wie bereits gezeigt, und Otto Haesler, denn zu Studienentwürfen der waren Themen, die während der Kaiserzeit maßgeb- 125 Ein solcher Wechsel der Entwurfsauffassungen scheint weder ‘Münchner Schule’ oder bei Tessenow zeigt.126 lich durch frauenbewegte Damen der Gesellschaft durch die Differenz der Aufgabenstellungen noch durch den Das Preisgericht, dem u.a. Hugo Häring, Martin Kieß- iniitiert worden waren, bereits im Laufe der zwanziger Besuch des Seminars bei Tessenow erklärlich. ling, Bruno Taut und Richard Döcker angehören, lobt Jahre durch Architekten des neuen Bauens im Zu- 126 Vgl. Abbildung Kap.5, S.145 den sachlichen Ausdruck: „Eine sparsame Anord- sammenwirken mit der ‘Hausfrauenbewegung’ erfolg- 127 Deines, Emil : Bauwettbewerbe, Heft Nr.50, Mai 1930, S.29. Zu nung schien dem Preisgericht am besten mit der Auf- reich reklamiert worden.130 Dennoch hatten in der Pfeiffers Entwurf führt die Jury darüberhinaus noch aus: „Der gabe eines Wohlfahrtsgebäudes übereinzustimmen.“ zweiten Hälfte der zwanziger Jahre auch Architektin- seinen inneren Bedingtheiten entsprechende Bau braucht eben- Ein Hochhaus möchte es aber „nur dann anerkennen, nen diese Aufgaben bearbeitet.131 falls nicht nach Art eines Brückenkopfes aufgefaßt zu werden.“ wenn unbedingt zwingende Gründe, die sich aus 1931 stellt Hildegard Geyer-Raack in der von ihr or- 128 Handbuch des Wohnungswesens, 1930, S.254. Eine Umfrage dem Programm ergeben, zu einem solchen Hoch- ganisierten „Internationalen Raumausstellung“ in Köln hatte ergeben, dass nur 35% der Hausfrauen sich ein Eigen- haus führen. Sonst aber erscheint dem Preisgericht eine ‘Junggesellinnenwohnung’ vor. Dieses - auf der heim wünschten. - In der sozialistischen Presse waren die Be- die Einfügung eines Hochhauses in die vorhandene rechten Seite zu sehende - Apartment zielt weniger denken gegen die Propagierung des Einfamilienhauses noch Umgebung und das Stadtbild Kassels als eine über- auf eine flexible Raumnutzung denn auf eine beson- stärker. flüssige Härte.” 127 Dementsprechend gewinnt der nur dere Rauminszenierung. Ähnlich der von Frommer für 129 Vgl. Kap. 3, S.37ff. viergeschossige Entwurf von Waldemar Sichel und ihren Hotelbau gewählten Konzeption schlägt Geyer- 130 Lüders, Marie-Elisabeth: Statement während der Diskussion „Die sozialpolitische Bedeutung der Wohnungswirtschaft in Ge- „Aschrott-Wohlfahrtshaus an der Fuldabrücke” in Kassel, 1930, Wettbewerbsentwurf Anni Pfeiffer genwart und Zukunft“, in: Verband für Wohnungswesen (Hg.): Wohnen und Bauen, Frankfurt/M., 1930, VI/VII, S.229 131 Entwürfe von Schütte-Lihotzky für berufstätige Frauen und für Studentinnen über Mietshausgrundrissen, sowie ihr Entwurf für ein eigenständiges Studentinnenwohnheim entstehen bis 1930 in Frankfurt (Allmayer-Beck, et.al., 1993, S.122 resp. Fachblatt Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar für Holzfacharbeiter, 1928, S.247.). Vgl. zum Entwurf Norkauers (1928) Kap.3, S.40. Schütte-Lihotzkys oder Norkauers Vorschlä- ge für - auch für berufstätige Frauen - bezahlbare Mietwohnun- gen - sind jedoch erkennbar weniger an bürgerlichen Bedürfnis- sen als am Bedarf breiter Bevölkerungsschichten orientiert.

254 Zum Einfluss der Schulen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

„Apartment für eine berufstätige Frau”, 1930, Geyer-Raack, Grundriss Blick vom Schlaf- in den Wohnbereich und vice versa

132 Platz, Gustav Adolf: Wohnräume der Gegenwart, Berlin, 1933, Raack hier eine räumlich flexible Trennung von eigenwillige wie selbstbewusste Vorstellung eines S.83 resp. S.66. Im folgenden bildet er Schütte-Lihotzkys Wohn- und Schlafbereich vor, die zur Erweiterung Zimmers einer berufstätigen Frau zu sehen. Grundrisse für ein Frauenwohnheim und Studentinnenwohnheim des Raumerlebnisses aufgehoben werden kann. Im Wie definieren Architektinnen dieser Generation nun ab. Ibid, S. 67 Unterschied zu den in Tag- und Nachtnutzung ver- den ‘room of her own’? Als erkennbar von ihnen in 133 Vgl. Abbildung S.212. wandelbaren minimierten Ein-Raum-Wohnungen die- Besitz genommene Orte? Als Räume, die die Verein- 134 Damenzimmer, in: Luckhardt, Hans: Zur neuen Wohnform. Ar- ser Jahre bieten solch großzügigere Ledigenwohnun- barkeit von Berufs- und Familienrolle ermöglichen chitekten BDA Luckhardt und Anker, Berlin/Dahlem, Berlin, gen den Komfort einer abgeschlossenen Küche und sollen? Wird die (Berufs-)Tätigkeit der Bewohnerin 1930, unpag. Dieses lässt sich keinem Luckhardtschen Entwurf die Möglichkeit der getrennten Nutzung beider Be- eher traditionell kaschiert oder modern abgebildet? zuordnen. Vermutlich handelt es sich bei ihrer Nichtnennung in reiche. In der Klarheit der Möblierung entspricht der diesem Fall um jenen ‘casus knacksus’ ihrer Mitarbeit bei Luck- Grundriss Geyer-Raacks der 1928 von Norkauer vor- Als Gertraude Herde 1949 ihre Häuser in Nordstem- hardt & Anker, die sie - enttäuscht über das Verleugnen ihrer gestellten - wesentlich kleineren - Wohnung für eine men nach Tessenowschem Vorbild entwirft, steht die Autorschaft - unterbrochen resp. beendet haben soll. Vgl. Pet- berufstätige Frau. Geschlechterhierarchie nicht in Frage. Und als Wera zinger, 1984, S.47 - Schliephacke führt im Verzeichnis der Stahl- Meyer-Waldeck 1962 bei der Planung eines moder- 1933 spricht Gustav Adolf Platz davon, dass die ge- rohrmöbelentwürfe Hans Luckhardts fünf um 1929 entwickelte nen Studentinnenwohnheimes die modernen Bedürf- genwärtige Architektenschaft „mit dem Rüstzeug ei- Prototypen auf und erwähnt die im Damenzimmer abgebildeten nisse der Bewohnerinnen berücksichtigt, denkt sie ner neuen Gesinnung und einer klaren Formenan- Möbel nicht. Schliephacke, Fridtjof F.: Verzeichnis der Modelle auch an die ‘Studentinnen-Autos’.135 schauung (..) entsprechend der soziologischen Situa- und Entwürfe in: Akademie der Künste (Hg.): Brüder Luckhardt tion der Gegenwart diejenigen Wohnungstypen wei- Offenbar sind eigenständige Lebens- und Wohnfor- und Alfons Anker, Berlin, 1990, S.306. Das ausgeprägte Interes- ter (..) bildet, die einer starken Schicht von heutigen men von Frauen nach 1945 kaum mehr ein Thema. se an Stahlrohrmöbeln im Büro schreibt er Hans Luckhardts Be- Menschen entsprechen“, da „die Verselbständigung Bildeten sich in dem 1930 von Marlene Poelzig in der gegnung mit englischen Flugzeugsesseln während einer Eng- der Frau und die Not unserer Zeit einen neuen Men- Tannenbergallee errichteten, eigenen Haus die pro- landreise 1934 zu, eine Plausibilisierung die schon aufgrund der schentyp“, nämlich die berufstätige Frau geschaffen fessionellen Prioritäten der Hausherrin offen ab - in Datierung kaum nachvollziehbar ist. Ders.: Erinnerungen an habe.132 Hans Luckhardt, Ibid., S.98-110 135 Artikel im Generalanzeiger Bonn vom 6.11.1962: Erster Spaten- Spätestens seit 1929 gehört Katt Both diesem neuen stich für Frühjahr 1963 geplant, Bauherr Studentenwerk Bonn Menschentyp an. Als Entwerferin findet sie in dem Ausschnitt aus dem Bonner Generalanzeiger, 6.11.1962 von ihr bewohnten Zimmer in Berlin auch eine räum- liche Lösung: Ein kompromisslos nur mit einem Ses- sel, einem Tisch und einer Schlafcouch ausgestatte- tes Zimmer.133 In diesem bereits eingangs gezeigten, mit großflächigen, orangefarbenen Trolit-Insulite-Plat- ten verkleideten Zimmer lässt die reduzierte Kon- struktion der frei arrangierten Stahlrohrprototypen deren Materialität stark hervortreten. In der von Hans Luckhardt in aufwändigem Tiefdruck herausgegebe- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nen Bürodarstellung befindet sich eine Abbildung dieses ‘Damenzimmers’, zu dem - im Unterschied zu den anderen hier präsentierten Projekten - alle wei- tergehenden Angaben fehlen.134 Hier ist eine ebenso

Projekte, Bauten, Konzepte 255 diesem Grundriss lagen Kinderzimmer und Küche dere nach 1945 - immer wieder auch Architektinnen vom Atelier der Architektin deutlich entfernt -, so dieser Generation beteiligt und tätig. So 1946 Mila 136 Briggs, Ella: Praktische Fragen zur Erwerbslosensiedlung, in: bleibt eine solch klare Umsetzung eigenen Raumbe- Hoffmannlederer in Weimar und Ursula Schneider- bauwelt, 21.Jg., 1931, H.44, S.1394-1396; dies.: Stockwerks- darfs die Ausnahme. Es lässt sich kaum beantworten, Weiß in Berlin. 1948 sind Luise Seitz und Ludmilla teilungen, in: bauwelt, 22.Jg., 1932, H.50, S.1273-12747; Zwirn wie viele Frauen einen ‘room of her own’ gestalte- Herzenstein in verantwortlichen Stellungen an der präsentiert 1932 auch den Entwurf eines „Kleinsthauses”. risch anspruchsvoll realisierten. Taten sie dies (öffent- Ausstellung „Berlin plant“ im Weißen Saal des Stadt- Spannagel, Fritz / Stefanie Zwirn: 25 Sommerlauben und Wohn- lich) erkennbar - wie bspw. Tamara de Lempicka schlosses beteiligt. Herzenstein präsentiert hier ihre auben, Bauwelt Sonderheft, Berlin, 1932, S.26. Dort werden oder Eileen Gray -, ereilte sie der Ruf ‘extraordinär’ stadträumlichen und bevölkerungspolitischen Analy- auch ihre Entwürfe „Laube eines Vogelfreundes” (S.18), „Laube oder ‘exzentrisch’ zu sein. Was als ‘Arbeits-’ oder sen. Wera Meyer-Waldeck gehört 1949 zu den Ver- mit Hühnerstall” (S.19), „Wohnlaube eines geistigen Arbeiters” ‘Herrenzimmer’ eine lange Tradition besitzt, bleibt antwortlichen der Werkbund-Ausstellung „Neues (S.21), „Wohnlaube in Plattenbauweise mit flachem Zeltdach” offenbar auch in den kommenden Jahren und Jahr- Wohnen“ in Köln, wo sie auch eine Kindergarten-Mu- (S.22) und „Wohnlaube für eine Familie mit mehreren Kindern” zehnten ein männliches Privileg - zumindest öffent- stereinrichtung ausstellt.139 (S.23) vorgestellt. lich. Und während Ella Briggs um 1930 vergleichbar 137 Landhaus in Werder, in: Die Dame, Jg. 32-33, H.15, zweites 1957 zeichnen Wera Meyer-Waldeck und Hilde We- ‘sachliche’ Vorschläge für Erwerbslosensiedlungen Aprilheft 1933, S.12-13 „Der Innenarchitekt Lao-Tse sagt es: ström für „Das Wohnen in der Stadt von Morgen“ bei unterbreitet und Stefanie Zwirn ebensolche Wohnlau- von deinem Fenster aus kannst Du die Welt betrachten...” der Interbau Berlin verantwortlich. Im gleichen Jahr - ben entwickelt136, zeigen die von Lieselotte von Bonin 138 Slapeta, Vladimir: Das Bauhaus und die tschechische Avantgar- und ebenfalls in Berlin ist Hilda Harte an der Akade- und Helga Karselt um 1935 entworfenen Wochen- de, in: Das Schicksal der Dinge, Leipzig, 1989, S.227. Auf die- mie-Ausstellung „Für Berlin geplant - und nie gebaut“ endhäuser Anklänge an romatisierende Landhaus- sem Gebiet werden bspw. auch die architekturinteressier-ten maßgeblich beteiligt.140 Noch in den vierziger Jahren konzepte. So wenn die Blütenmotive an einem - Bauhausstudenten Zdenek Rossmann, Hans Fischli und Wils wollte Liv Falkenberg - so Andreas Butter - durch die schlichten - Häuschen in Kladow auch in der kalten Ebert tätig. Popularisierung „einer funktionell bestimmten Ästhe- Jahreszeit von der Naturverbundenheit der Wochen- 139 Werkbund-Ausstellung „Neues Wohnen. Deutsche Architektur tik (..) in der Messegestaltung und bei der Einrichtung endbewohner künden oder die Dahlemer Familie mit seit 1945“, Köln, 1949. (Katalog) Gesamtgestaltung: Johannes von Musterwohnungen (..) zum Durchbruch verhel- dem Auto - gleich einem ‘drive-in’ - in ihr „Buon re- Krahn, Karl A. Bieber, Wera Meyer-Waldeck Vgl. Abb. S.267. fen.” 141 tiro” hineinfährt, um - den sorgsam versteckten Autos 140 „Für Berlin geplant - und nie gebaut” Akademie der Künste / entstiegen - „die Naturschönheiten zu genießen.” Mit der Eröffnungsausstellung „Ideas for better living” Bezirksamt Tiergarten, Amt für Kunst (Hrsg.): Katalog zur Aus- wird im Januar 1946 bereits das Programm der von stellung im Haus am Lützowplatz Aug. - Sept. 1957. Berlin, Keiner dieser Entwürfe konzipiert im Land- oder Wo- Hilde Reiss neugeschaffenen Gallery of Everyday Art 1957. chenendhaus jedoch eine so explizite Gegenwelt, wie genannt. Die Idee, Alltagsgegenstände im Kontext sie bspw. Lene Michels-Fougner in dem von ihr in eines Museums zu zeigen war nicht ganz neu.142 Werder gebauten Landhaus Wrede so bewusst in Reiss setzt damit jedoch passgenau jenen Anspruch Szene setzt. 1933 führt sie in der ‘Dame’ dazu aus: um, den Catherine Bauer schon 1932 anlässlich einer „Der Idealbegriff des Hauses ist das Landhaus. Hier Bestandsaufnahme moderner Möbel für die breite soll der Alltag zum Ferientag erhoben werden. Alles Masse propagiert hatte. Bauer hatte die Frage ge- ist auf Entspannung und Aufbau gerichtet. Das Land- stellt, welche gesellschaftliche Relevanz moderner haus ist ein Atemreservoir für das Stadtleben. Da- Gestaltung zukomme und vor allzu weitreichendem heim in der Stadt traut man sich nicht ganz, den ei- Optimismus gewarnt. „Andererseits ist es durchaus Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar genen Geschmack walten zu lassen. Rücksichten möglich, daß wir etwas Wirkliches Erreichen, nämlich und Vorurteile hemmen. ein besseres Gefühl für die Wirklichkeit der Dinge, die Wenn ein Generaldirektor sein Arbeitszimmer blaßro- geschaffen werden.“ 143 Die Hoffnung, dass durch sa streichen ließe und sich ein paar bunt-fröhliche vernünftige Gestaltung der Alltag breiter Bevölke- Stiche an die Wand hinge - man würde an seiner rungsschichten konkret verbessert werden könne, restlosen Tüchtigkeit zweifeln. In seinem Landhaus schöpft sie weniger aus den Massenprodukten als Inneneinrichtung des „Landhauses Wrede”, Werder, um 1932, darf er ungestört in einem mullbehangenen Bett dem steigenden Interesse an Fotografie und moder- Lene Michels-Fougner, Blick in die Halle (oben) schlafen und an einem himmelblauen Blumenfenster ner Architektur. Für Bauer wie für Reiss ist Erneue- unter Umständen den gewichtigsten Kontrakt unter- rung durch Gestaltung kein fach- oder mediengebun- schreiben. - Und eine Frau, die in ihrem städtischen denes Phänomen sondern Programm. Die Hierarchi- Heim einen ganz besonderen Stil einhalten muß, weil sierung von Gestaltungsbereichen ignorierend beob- ‘man’ es von ihr erwartet, darf im Landhaus nach achtet Bauer 1932 die gesellschaftliche Dimension Herzenslust rein sentimentalen und ursprünglichen des gestalterischen Fortschritts anhand von Radio- Geschmacksrichtungen folgen. Das gefürchtete geräten ebenso wie im Modeschmuck oder bei Räu- Wörtchen ‘Kitsch’ verliert außerhalb der Stadt seine men. Und Reiss setzte mit der ‘Gallery’ diesen ‘cros- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar übertrieben gespenstische Bedeutung.” 137 sover’ zwischen den Gattungen um, präsentiert u.a. Weniger zeit- als konjunkturabhängig zeigt sich das Teekannen, Kinderspielzeug und Modeschmuck, Berufssegment Ausstellungsarchitektur, ein Bereich nach inhaltlichen Kriterien ggfs. auch nebeneinander. den Slápeta als ‘kleine Architektur’ bezeichnet hat.138 Die Gestaltung der Ausstellungen übernahm sie Hier sind im Laufe der Jahrzehnte - und insbeson- selbst.

256 Zum Einfluss der Schulen 141 Butter, Andreas: Liv Falkenberg in: Fürst, D. / Keim, K.-D. / Mar- tin, V. / Uhlig, G.(Hg.): Vom Baukünstler zum Komplexprojektan- ten. Architekten in der DDR. Dokumentenreihe des IRS, Nr.3, Erkner, 2000, S.73. Butter konstatiert jedoch auch, dass „dieser Ansatz (..) mit der Formalismuskampagne ab 1950 einige Jahre in den Hintergrund treten mußte.” Ibid. 142 Reiss resümiert 1949 in einem rückblickenden Artikel über die Anfänge im Museum, dass in den USA John Cotton Dana 1921 im Newark Museum (New Jersey) erstmals den Mut gehabt ha- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar be, eine Badewanne in einem Museum auszustellen und dabei öffentlich nach den Entstehungszusammenhängen industrieller Gestaltungsprodukte zu fragen. Schon vor dem ersten Weltkrieg hatte August Bier in Hannover diese Idee verfolgt. Sein der Kestner-Gesellschaft angegliedertes Museum sammelte serien- mässig hergestelltes Gebrauchsgerät. Und auch Karl Ernst Ost- haus hatte mit dem ‘Museum für Kunst in Handel und Industrie’ in Hagen den Gedanken aufgegriffen. Reiss stellt die Everyday Art Gallery im gleichen Artikel auch in die Tradition der „Berlin plant”, Ausstellung im Weissen Saal des Stadtschlosses Berlin, 1946, Blick in den Saal mit den Statistiken Herzensteins Werkbundausstellungen. 143 Bauer, Catherine K.: Typenware in Amerika in: Die Form, 7.Jg. H.9, 15.9.1932, S.275 ff. Bauer, die 1930 eine Europareise un- Elizabeth McCausland hält die Fokussierung auf All- fünfziger Jahren als Beraterin bei Inneneinrichtungen ternommen und Projekte des Neuen Bauens besucht hatte, ver- tagsgegenstände zunächst für eine Art Publikums- und Messen hinzugezogen. Und auch Wera Meyer- wendet das „wir“ und zeigt große Sympathie für das Anliegen. trick.144 Reiss vertritt jedoch ein breiteres Verständnis Waldeck ist immer wieder für das bessere Wohnen Zu Bauer (1905-1964) - Ingenieurstochter, Vassar-Absolventin, von Museum, wenn sie schreibt: „Our gallery has aktiv, berät, setzt sich für Wohnberatungsstellen ein ein Jahr studierte sie auch Architektur - vgl. bspw. Stephens, been established to help build a better environment und fordert Musterräume in Schulen einzurichten.146 Su-zanne: Voices of Consequences in Torre, 1977, S.136ff. - for daily living.” Und obschon die Umschreibung „an In diesem Segment der Mustereinrichtungen, Muster- Doumato, 1989, Notable American Women, Cambridge, 1980 information center for consumers" nach Verbraucher- häuser und Ausstellungen sind insbesondere Archi- 144 Elizabeth McCausland: Gallery of Everyday Art, in: Art & Archi- zentrale klingt, so hatte Daniel S. Defenbacher doch tektinnen anzutreffen, die hierin ein Instrument zur tecture, March 1946, p.38-39,54, vgl. auch: Everyday Art Gal- bereits anlässlich der Reorganisation des Walker Art Verbreitung neuer Ideen sehen und diese - die ge- lery, in: Interior, Industrial Design, H.108, August 1948, S.98; Center 1940 die Abkehr von einem ‘Museum für die sellschaftliche Dimension des Wohnen fest im Blick - sowie: The years work, S.76-113. Kunst’ formuliert und den Wunsch nach einem ‘be- für weite Kreise der Bevölkerung zugänglich machen 145 „Mit der enthusiastischen Seele eines Evangelisten wurde der sucherorientierten Museum’ geäußert. So war die wollen. Walker Art Center eine führende Stimme und ein hotbed der ‘Everyday Art Gallery’ eine direkte Entsprechung die- Moderne im Lande indem er qualitätvolle gestaltete Produkte für ser Forderung. Reiss´ erklärtes Ziel war die Verbesse- den Wohnbedarf propagierte.“ Idem, S.18 rung der Kritikfähigkeit des Publikums. 146 Vgl. Biografie Meyer-Waldeck In der Konsequenz des starken aufklärerischen Impe- Eröffnungsausstellung der Every Day Art Gallery im Walker Art Center, Minneapolis, 1946, Hilde Reiss, Blick in die Ausstellung tus wurden auch Wanderausstellungen zusammenge- stellt, um den Durchschnittsverbraucher zu erreichen. In der Überzeugung, dass mit der Ästhetisierung des Alltags eine höhere Lebensqualität für alle verbunden sei, wurde hier ein grundlegendes Verständnis der Funktionen und Möglichkeiten von Gestaltung vermit- telt.

Bruce Wright spricht in „Visions of a new World?“ von einer Vorreiterrolle des Walker Art Centers für die amerikanische Moderne in den vierziger und fünfziger Jahren, der insbesondere auf den Einfluss der Every Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Day Art Gallery zurückgehe, wobei die Verbreitung dieser Ideen „mit der enthusiastischen Seele eines Evangelisten“ durch das ‘Every Day Art Quarterly’ be- gründet worden sei.145 Und er vermutet, dass dieser missionarische Eifer im Einfluss des Bauhauses auf Friedman und Reiss zu finden sei.

Im Auftrag der Bauakademie wird Luise Seitz in den

Projekte, Bauten, Konzepte 257 Zu Beginn der fünfziger Jahre plant Wera Meyer-Wal- auf der Nordseite des Gebäudes verläuft. Indem sie deck in der Steubensiedlung in Köln im Auftrag der jedoch Stützen und Brüstungen als serielle Lochfas- DeWo vier baugleiche Laubenganghäuser für Ost- sade zusammenfasst und die Treppenhäuser, sowie 147 Die Pläne dieser Häuser konnten nicht eingesehen werden, flüchtlinge. Hierbei dürfte es sich um ihren umfang- die Giebelblöcke absetzt, entsteht ein - in seiner Er- weshalb diese Aussagen unter Vorbehalt stehen. reichsten Auftrag im Wohnungsbau handeln. Über scheinung eher halböffentlicher - Zwischenraum zur 148 NAI, NL Stam-Beese, Aspecten van een stedelijke samenleving, dieses Projekt war jedoch nur wenig in Erfahrung zu Magistrale. Dahinter liegen überwigend Ein- und An- 12.1.1959, hier zitiert nach Bijhouwer, Ron: Ruitewerking en rit- bringen.147 Die überwiegend aus Zwei-Zimmer-Woh- derthalb-Zimmer-Wohnungen, die sich nach Süden miek, in Damen / Devolder, 1993, S.92 nungen bestehenden Viergeschosser wurden zwi- deutlich öffnen. 149 Städtebau war als eigenes Fach durch Prof. Janssen an der TH schen 1952 und 1954 gebaut und sind in ihrer äuße- Charlottenburg vertreten. Diese 1949 realisierten Laubenganghäuser wurden ren Erscheinung vergleichsweise konventionell. Denn 150 Thematische Anleihen und applizierte Erscheinungsformen cha- ob ihrer Serialität ebenso heftig wie häufig kritisiert. die entlang der Nordseite zwischen die Giebel ge- rakterisieren jedoch den Städtebau im Faschismus. So sah 1959 gibt Lotte Stam-Beese, die seit 1946 im Dienst spannten Laubengänge sind als reine Erschließungs- bspw. „der beim reichsweiten Wettbewerb mit einem zweiten des Stadtplanungsamtes Rotterdam vergleichbar ra- flächen konzipiert. Lediglich ein Spiel mit Fensterfor- Preis ausgezeichnete Entwurf der Architekten Karl Gonser und tionalistische Stadtteile - wie das rechts abgebildete maten rythmisiert Teile der Lochfassaden. Elisabeth von Rossig (..) das Konzept einer stadtbeherrschen- Pendrecht - geplant hatte, hinsichtlich des städte- den Akropolis auf der Uhlandhöhe vor“ - Neuplanung Stuttgart: Nur drei Jahre zuvor realisiert Ludmilla Herzenstein baulichen Maßstabs zu bedenken: „Die moderne Gemeinschaftshaus als „Haus der Deutschen Arbeit“ in Verbin- auf der Stalinallee in Berlin zwei Laubenganghäuser. Stadt müßte räumlich so geformt sein, daß sie Raum dung mit einem ‘Forum’ und einer ‘Thingstätte’. Weihsmann, Sie zelebriert den Laubengang geradezu, obschon bietet für das eine oder andere; es spielt in diesem Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998, S.838 auch er primär der Erschließung dient und ebenfalls Zusammenhang keine Rolle, wie offen eine Stadt ist, um wieviel breiter die Straßen geworden sind (..) je- doch schon, ob es hinsichtlich der räumlichen Ab- wechslung eine Unterschiedlichkeit gibt, um dem sich darin bewegenden und aufhaltenden Men-schen das Gefühl von Freiheit und Wahlmöglichkei-ten zu geben; der Anblick des Nahen und Fernen, das Ge- schlossene und das Offene, das Ruhige und das Belebte, ein Rhythmus der unserem eigenen ab- wechslungsreichen Leben entspricht.” 148

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Städtebauliche Themen - um 1928 durch Mart Stam vertreten - waren ab 1929 waren am Bauhaus insbe- sondere durch den Unterricht von Ludwig Hilbers- eimer präsent. Hier wurde der serielle Siedlungsbau auf der Basis infrastruktureller und stadthygienischer Übelegungen gelehrt. Im Seminar Tessenow wie in

Laubenganghäuser in Köln-Deutz, Theodor- Brauer-Straße 2-8, 1952-1954, Wera Meyer-Waldeck, Fassadenausschnitte

Blick von Norden entlang der Theodor-Brauer-Straße, sowie auf das Nördlichste der vier Gebäude aus Südost, Aufnahmen 1995

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258 Zum Einfluss der Schulen seinen Schriften kamen Probleme des Städtebaus nur am Rande vor.149 Städtebaulichen Aspekte, wie bspw. die Planung öffentlicher Plätze und Straßen- räume, maß Tessenow jedoch auch in seinem Semi- nar große Bedeutung bei. Die wenigsten Architektin- nen beschäftigten sich während des Studiums inten- siv mit Fragen des Städtebaus. Sowohl Bauhaus- als auch Tessenowstudentinnen wurden jedoch im Be- reich Städtebau/Stadtplanung tätig. Betrachten wir konkrete Entwürfe - aufgrund der hier nicht immer gesicherten Zuschreibungen können dies hier nur sehr wenige sein - so zeichnen sich auch hier einerseits Parallelen mit den Vorbildern, anderer- seits deutliche Aweichungen ab. Denn so traut wie vertraut die Häuserzeilen der Wohnstraßen im Projekt Hermann-Göring-Stadt wirken, mit den Tessenows Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Vorstellungen von (Klein-)Städten haben diese strikt traufständigen Hausreihen an ebenso orthogonal wie zentralistisch ausgerichteten Straßenrastern nicht all- zu viel zu tun. Und dies nicht nur, weil es sich um eine am Reißbrett entstehende städtebauliche Neu- gründung für ein Neues Reich, nicht um eine schnur- gerade in den märkischen Sand gezogene Kleinstadt handelt. Vielmehr entspricht diese nur vordergründig bodenständige Bebauung in ihrer Ortlosigkeit wie ih- rer nur ordnungspolitisch überschaubaren Anschau- lichkeit eben nicht jener authentischen Heimat, um die es Tessenow ging.150

Vergleichen wir jedoch bspw. den Entwurf zum Wie- deraufbau von Hildesheim von Gertraude und Ale- xander Herde (1954) mit dem von Tessenow 1946 für Rostock entworfenen Wiederaufbauplan, so zeigen „Pendrecht”, Städtebaulicher Entwurf, Lotte Stam-Beese, 1948-1951, Luftaufnahme 1965 sich hier tatsächliche Parallelen. So anachronistisch

Laubenganghäuser an der Stalinallee, Berlin-Friedrichshain, 1949, Ludmilla Herzenstein, Blick entlang der Straßenfassade gen Osten, Treppenaufgang und Ansicht eines Laubenganghauses aus Nordost, Aufnahme

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Projekte, Bauten, Konzepte 259 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

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Vorschlag zum Wiederaufbau von Rostock, 1950, Heinrich Tessenow Ommord, Städtebaulicher Entwurf, 1965, Lotte Stam-Beese, Vogelschau

diese Entwürfe aus heutiger Sicht auch wirken, hier Wiederaufbau Hildesheim, 1954, Wettbewerbsentwurf Gertraude und Alexander Herde Vogelschau, perspektivische Straßenansicht (rechts) bildet sich - in beiden Fällen - das Bemühen ab, aus ebenso kleinen wie bescheidenen Bürgerhäusern auf Einzelparzellen eine ebenso überschaubare wie ver- traute Kleinstadt auf altem Grundriss neu wiederauf- zubauen.

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260 Zum Einfluss der Schulen Ähnliche Parallelen lassen sich zwischen den städte- baulichen Planungen im Sotsgorod-Projekt für Bal- chas und Beeses Entwurf für Pendrecht ausmachen. Aber auch Herzensteins Entwürfe zeigen eben nicht jene Bildhaftigkeit und Beschaulichkeit, die an der TH Charlottenburg - und bei Tessenow - vermittelt wur- de. Wann sich Herzenstein hinsichtlich ihrer städte- baulichen Präferenzen von dieser Lehrmeinung abge- wandt hat, muss jedoch offen bleiben, denn bereits um 1930 könnte sie bei der Bearbeitung der Siedlung Dürrenberg - als studentische Mitarbeiterin im Büro Alexander Kleins - dessen Lehrmeinung kennenge- lernt haben.

Und während sich Stam-Beeses Entwürfe - wie das Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar links abgebildete Beispiel Ommord zeigt - im Laufe der Jahre von der Starre früherer Entwürfe lösen, werden in Herzensteins Entwurfsauffassung keine Modifikationen sichtbar. Auch das von ihr knapp zwanzig Jahre nach den Laubenganghäusern entwor- fene Milchhäuschen zeigen in der Entwurfsauffas- sung eine ebenso klare wie eindeutige Kontinuität. Auch die ebenso heftigen wie anhaltenden Anfein- dungen ihrer Laubenganghäuser von höchster politi- scher wie fachpolitischer Seite lassen die Architektin offenbar nicht von ihrer Überzeugung abrücken, dass ebenso reduzierte wie sachliche Ausdrucksformen sowohl im Geschosswohnungsbau wie für ein Aus- „Milchhäuschen am Weissen See”, Berlin, 1967, Ludmilla Herzenstein flugslokal dem Bedeutungsgehalt der geplanten - in- dividuellen wie kollektiven - Nutzung angemessen seien. Sie beteiligte sich nicht an der kollektiven Su- che nach vermeintlich ‘Nationalen Traditionen’, dem politisch gewollten ‘NatiTradi’, das ebenso ober- flächlich wie häufig im Ausschmücken von Fassaden nach dem Vorbild befreundeter Völker bestand. Städtebau resp. Stadtplanung, wo neben dem räum- lichen Entwurf eine Textfassung verlangt ist, Planung als [Um-]Strukturierung gesellschaftlicher Rahmenbe- dingungen zeitweilig resp. modellhaft in die Wirklich- keit übertragbar schien, interessierte politisch moti- vierte Architekturstudentinnen der Weimarer Republik in besonderem Maße. Lotte Beese und Ludmilla Her- zenstein wurden jahrzehntelang in der Stadtplanung tätig und fanden hier ihren beruflichen Schwerpunkt. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Beide vertraten einen funktionalistischen Ansatz, wie er seit den zwanziger Jahren - der Studienzeit der beiden - in der internationalen Diskussion von den sich als progressiv verstehenden PlanerInnen voran- getrieben wurde. Wo auch immer Beese und Herzen- stein tätig wurden, auch sie entwickelten Quartiere, Wohnzellen und Stadteile - ob bei Neugründungen oder im Bestand, ob in den Niederlanden oder der DDR - im Sinne der aufgelockerten und durchgrünten Stadt. Und beide engagierten sich auch mit Artikeln, Vorträgen und Ausstellungen für dieses städtebauli- che Leitbild.

Projekte, Bauten, Konzepte 261 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Studienarbeit Thoma Grote, Weimar, 1924 Studienarbeit Lydia Kommarova, Moskau, 1922

Zum Einfluss der ‘Schulen’ in der Architektur: Aber auch ‘authentische’ Studentinnen sprechen von Bauhaus- und Tessenow-’Schülerinnen’? Einfluss und Prägung. So wenn Ewa Oesterlen beteu- ert: „Tessenow hat mich sehr geformt, er hat uns alle Auch die vorliegende Arbeit ging zunächst davon sehr geformt.“ 154 Oder Ricarda Schwerin schreibt: aus, dass den als Zuordnung oder Selbstbeschrei- „oft fiel uns auf wie vieles was wir taten auf den bau- bung verwendeten ‘Schulen’ primär inhaltliche - in hauseinfluss zurückzuführen war.“ 155 Und im Nachruf Entsprechung aber auch formal referentielle - Be- erinnern ehemalige Kommilitonen Irina Zuschneid deutung zukommt. Bereits 1928 merkte Schmitthen- [geb. Kaatz] als „begeisterte Tessenowschülerin“, de- ner hierzu an: „Schule soll Gesinnung sein, und Ge- ren „Denken und Handeln ganz von der Einwirkung sinnung zeigt sich nie und nimmer in Äußerlichkei- der Person Tessenows und seines Seminars geprägt“ ten.” 151 gewesen sei.156 Beim Vergleich der Studienarbeiten zeichnete sich So sehr beide ‘Schulen’ entscheidenden Einfluss auf die ‘Prägung’ durch die jeweilige Lehrmeinung wie die Studierenden nahmen - so wenig zeigten sich die das jeweils präferierte Ausdrucksrepertoire anhand Haltungen der berühmten Lehrer als isolierte Bedeu- von Themen wie Darstellungen jedoch ziemlich un- tungssysteme. Lassen sich dennoch unterschiedliche mittelbar ab. Und schon im Studium zeigte sich nicht ‘Schulen’ resp. Ausbildungsrichtungen anhand von nur bei Themen sondern auch manchen Arbeiten, Projekten ehemaliger ‘Schülerinnen’ verifizieren? Wo dass bestimmte Gestaltungspräferenzen nicht unmit- werden - im Laufe des Berufslebens - ehemalige Tes- telbar an diese oder jene ‘Schule’ gebunden sind. Sie senow-Studentinnen als Tessenowschülerinnen und schienen eher mit dem Zeitgeist zu korrespon-dieren. ehemalige Bauhausstudentinnen als Bauhausschüle- Andere Themen und Arbeiten wiederum er-schienen rinnen erkennbar? als anachronistisch. Sollte die Ausbildungsprägung so prägend sein, dass Und in der rückblickenden Betrachtung werden Stu- weder Epigoninnen noch Renegatinnen ihr entgehen 151 „Schmitthenner´s Schüler” in: Wasmuths Monatshefte für Bau- dium und - renommierte - Lehrende häufig als Refe- können, so galt es manches Mal bereits schon weni- kunst, 13.Jg., Berlin, 1928, H.9, S.393 renz genannt. Referentiell genannte Prägungen korre- ge Jahre nach Berufseintritt diese - ‘(ver)erbten’ - Ge- 152 BHAB, SV Gropius, Anfrage Canthal vom 24.1.1966, Bestäti- lieren jedoch nur bedingt mit der faktischen Ausbil- sinnungen als Haltungen hinter ‘Äußerlichkeiten’ zu gung Gropius vom 2.2.1966 dung. Denn obschon Paula Marie Canthal nie am entdecken. 153 JRF-Fragebogen Pilewski, Dezember 1978 - Pilewski nennt kei- Bauhaus studierte, stellt Walter Gropius ihr die erbe- nen ihrer Darmstädter Professoren (an der THD diplomierte sie tene Referenz aus, nachdem sie beteuert, „stark vom Projekte und Bauten von Lieselotte von Bonin oder 1922). Da sie Tessenow als „Prof. Akademie Dresden“ bezeich- Bauhaus beeinflußt“ worden zu sein.152 Und so nennt von Gertraude Herde zeigten über Jahrzehnte hinweg net, könnte sie ihn evtl. dort persönlich kennengelernt haben. Leonie Pilewski, als sie 1978 gefragt wird, welche deutliche Parallelen mit ihren Studienarbeiten im Se- Dieser Verdacht ließ sich bisher jedoch nicht verifizieren. „Lehrer, Stilrichtungen, ‘akademische Schulen’ “ für minar Tessenow. Sie setzten die bewährten Bauwei- 154 Ewa Oesterlen im Telefongespräch am 14. November 199 ihre Entwicklung prägend gewesen seien Tessenow sen, Materialien und Formen ein, variierten sie an-läs- 155 DAM, NL Hannes Meyer, Brief Ricarda Schwerin vom 4.3.1948 als einzigen Architekten, obschon sie kaum bei ihm slich der jeweils gegebenen Rahmenbedingungen. 156 Grossmann-Hensel, Gert und Zehm, Karl-Hermann: Irina Zu- studierte.153 Und auch anhand der Projekte von Lotte Beese und schneid zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 resp. S.10 Hilde Reiss war allzu sichtbar eine ebenso formale

262 Zum Einfluss der Schulen wie inhaltliche Übereinstimmung mit den bereits wäh- alle Möglichkeiten offen lassen. Als objektiver Para- rend des Studiums sichtbaren Präferenzen vorhan- meter zur Bestimmung des Einflusses von ‘Schulen’ den. in der Architektur taugt die ‘Ausbildungsprägung’ nicht. Aber - ob abgelehnt oder verstärkt - immer Aber es gibt auch die Gegenbeispiele: So bspw. die wieder drängt sich als der Weisheit letzter Schluss Bauten von Ludmilla Herzenstein und Hildegard Os- auf, dass diese oder jene vordergründige Überein- wald, die kaum oder keinerlei Parallelen mit Studien- stimmung ohne das Phänomen der ‘Ausbildungsprä- arbeiten zeigen. Beide orientierten sich im späteren gung’ schlicht als Plagiat bezeichnet werden müsste. Berufsleben nicht mehr erkennbar an ‘ihrer’ Schule, Und manch unübersehbare Eigenwilligkeit - auch die- suchten und fanden im konkreten Kontext differente ser oder jener Architekturstudentin der Weimarer Planungsansätze und Ausdrucksformen. Und es gibt Republik - wäre ohne die Norm der ‘Schulen in der Architektinnen - wie Fridel Vogel - in deren Schaffen Architektur’ doch gar zu irritierend. eine zunehmende Individualisierung deutlich wird. Denn zeigte die Volksschule Helberhausen - direkt Bereits bei den während der Weimarer Republik täti- nach dem Wiedereinstieg als Freiberuflerin einen eher gen Architektinnen wurde deutlich, dass sie sich zu- - an die Umgebung wie herkömmliche Formen - an- meist ohne thematische Präferenzen - nicht nur bei gepassten Entwurf, so war bereits bei der nur drei Wettbewerben - mit den unterschiedlichsten Frage- Jahre später entworfenen Friedhofshalle ein ‘Frei- stellungen auseinandersetzten. Dank häufig breitge- schwimmen’ zu beobachten. In ihren Bauten der streuter fachlicher Kompetenzen finden wir Architek- siebziger Jahre war schließlich ein eigenes, eigenwilli- turstudentinnen der Weimarer Republik als Berufs- ges Repertoire - insbesondere in der Ausbildung einsteigerinnen in nahezu allen Bereichen architekto- markanter Dachformen - zu sehen. nischer Tätigkeit. Bereits beim Berufseinstieg erwie- sen sich manche der im Studium erarbeiteten The- Eine vergleichbare Bandbreite an Ausdrucksformen men als eher zeitunabhängig, andere unterlagen fanden wir auch bei ehemaligen Bauhaus-Studentin- deutlichen Konjunkturen, so bspw. Siedlungsbauten. nen. So wurde in jeder Planung, jedem Gebäude von Friedl Dicker, Lotte Beese und Hilde Reiss ein klares Festzuhalten bleibt, dass die Tätigkeitsbereiche ehe- Konzept rationalen Gebrauchswertes wie reduzierter maliger Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen, die Formen sichtbar. Bei Architektinnen wie Wera Meyer- zunächst mit den ‘zuvor geschulten’ Aufgabenstel- Waldeck oder Annamarie Wilke wurde diese Referenz lungen zu korrespondieren schienen, im Laufe der lediglich zeitweilig oder nur in Anklängen erkennbar. Jahre erheblich variieren. Diese enorme Schwan- kungsbreite steht nicht in Relation zu erkennbar indi- Bereits dieser kurze Vergleich von Arbeiten ehemali- viduellen Interessenschwerpunkten. Auch zeichnen ger Bauhaus- resp. Tessenow-Studentinnen zeigt, sich keinerlei Signifikanzen zwischen zunehmender dass die ‘unverkennbare Ausbildungsprägung’ ein Berufserfahrung und der Größe der Aufträge ab. Au- fragwürdiger Parameter bleibt. Zwar lassen sich im ßerdem lassen sich nur ausnahmsweise eindeutige Regelfall Epigoninnen von Renegatinnen scheiden, es Bezüge zu kulturellen resp. politischen Zeitumstän- ließ sich jedoch keine Gruppe ehemaliger Studentin- den herstellen, diese jedoch kaum verallgemeinern. nen ausmachen, die dank einer bestimmten architek- Die Relation von individuellen Interessen, erkennba- tonischen Haltung gegen Instrumentalisierungen an- ren Tätigkeitsscherpunkten, zugewiesenen resp. zu- nähernd gefeit gewesen wäre. gestandenen Arbeitsfeldern und Aufgabengebieten Somit scheint bereits die Frage nach Ausbildungs- erweist sich vielmehr als - ebenso vielfältig wie kom- prägungen eine ebenso bemühte wie müßige, da plex - sowohl mit den konkreten Rahmenbedingun- schlicht jedes Studium - analog jeder Lebenserfah- gen lokaler Architekturproduktion wie mit offenbar rung - prägt. Andererseits hebt dieser Diskurs den geschlechtskodierten Eigenheiten und Strukturen der unbewussten Anteil dieser Prägung erst ins Bewusst- Profession amalgamiert. sein, in dem er ihn focussiert. Werden diese ‘unbe- Inwieweit strukturelle Eigenheiten der Architekturpro- wussten Prägungen’ dann als solche reflektiert, tritt duktion darüber entscheiden, wer wann was ent-wer- jedoch zwangsläufig ein, was bereits eingangs dieser fen resp. realisieren kann, werden wir anhand der Untersuchung thematisiert wurde: Eine Reflektion ist Berufswege in Kapitel 9 genauer betrachten. Trotz nur innerhalb von Wahrnehmungshorizonten möglich, der Unvollständigkeit der Darstellung wurde anhand die begrenzen oder auch verschwimmen mögen, das der hier vorgestellten Bauten und Projekte deutlich, Rätsel um die Ausbildungsprägung lösen sie nicht. dass sowohl Bauhaus- wie auch Tessenowstudentin- Damit lassen sich Prägungen beobachten, und unter- nen zu unterschiedlichen Zeiten an den unterschied- schiedliche Lehrmeinungen in ‘ehrlichere’ und ‘weni- lichsten Orten wie in den unterschiedlichsten Kontex- ger ehrliche’ scheiden, je nachdem, inwieweit sie ten ungemein vielfältige Ideen einbrachten. Viele Ide- leugnen oder proklamieren, dass sie nur eine, nicht en und Projekte blieben jedoch auch Papier, da allzu

Projekte, Bauten, Konzepte 263 oft das Vertrauen in die jeweilige Architektin fehlte. tisch die Epigoninnen oder die Renegatinnen über- Dabei folgt die Dokumentation resp. Rezeption von wogen. Hier lassen sich jeweils Beispiele wie Gegen- Ideen, Projekten und Bauten offenbar ‘eigenen Ge- beispiele finden, was zumindest eines belegt: Der setzen’: Die publizierten Projekte - ohnehin nur ein Einfluss der Schulen in der Architektur bleibt primär Bruchteil der gezeigten - verdanken ihre Publizität ein Wechselverhältnis zwischen Lehrenden und Ler- nahezu ausnahmslos der erkennbaren Interessenlage nenden. Zwangsläufig wird er nur so lange sichtbar eines - nahezu ausnahmslos männlichen - Architek- als er eingefordert wird. Und beim Einfordern dieser ten oder Architekturkritiker. Bezüge zeigten die hier näher untersuchten ‘Schulen in der Architektur’ allzu deutlich repressive Züge. Hin- Schwierig bleibt oft die Analyse von Zuschreibung sichtlich der Gestaltungsrepertoires galt weder bei und AutorInnenschaft einzelner Gebäude. Als noch Tessenow noch am Bauhaus, was einst der Grund- schwieriger erweist sich die jeweilige Projektgenese. kurs versprach: „die verschiedenartigkeit der übun- Sie ist bei den meisten Bauten nicht möglich. Und gen lässt alle möglichkeiten (..) offen.“ 157 fast nie geben Projekte Aufschluss über die berufli- chen Praxen. Deutlich wird bei mehreren Projekten, Über die Jahrzehnte wurde jedoch auch sichtbar, dass mehrere Entwürfe unterbreitet wurden, Konzep- dass beide ‘Schulen’ ein weitreichendes Identifikati- te erst nach längeren Aushandlungsprozessen umge- onspotential besaßen: Themen und Haltungen beider setzt werden konnten oder - häufiger noch - scheiter- Schulen boten jeweils Dutzenden von Studentinnen ten. Deutlich wurde aber auch, dass gestalterische inhaltliche Anknüpfungspunkte, auch jenseits ihrer Souveränität weniger das Produkt einer bestimmten normativen Gestaltungsrepertoires. Eine Mehrheit der Schulung ist, sondern auch durch die Quantität der Studentinnen scheint sich mit diesen Angeboten über Beauftragungen und die Qualität der Chancen ent- das Studium hinaus identifiziert zu haben. Nur eine scheidend beflügelt wird. Minderheit erhielt jedoch die Chancen, an ebenso vielen wie verschiedenartigen Aufgaben den Beweis Aber sind es die Lebensumstände, die Arbeitsver- zu erbringen, als Schülerinnen die „mindestens ver- hältnisse, Bauherrenwünsche oder marktorientiertes besserte Auflage” ihrer Lehrer zu sein.158 Kalkül in wechselnden kulturellen resp. politischen Kontexten, die den Einfluss der ‘Schulen’ aufleben Und - angesichts de Vielzahl der noch unbekannten lassen oder zum Verschwinden bringen? Aufgrund Projekte und Bauten - muss hier die Frage unbeant- der Lückenhaftigkeit der dokumentierten Bauten wortet bleiben, ob eine Mehr- oder eine Minderheit kann hier nicht quantifizierbar entschieden werden, der ehemaligen ‘Schülerinnen’ den propagierten 157 Kap. 4 FN 124 ob unter den hier näher betrachteten Architekturstu- Ansätzen ein Leben lang genügend Substanz und 158 FN 151, S.382 dentinnen der Weimarer Republik im Berufsleben fak- Freiraum abgewinnen konnte.

264 Zum Einfluss der Schulen 9 Vom Auftauchen und Verschwinden: Berufsverläufe und

Lebenswege von 1 Im Rahmen meiner Recherchen gelang es bisher nicht, die Le- benswege der ehemaligen Tessenowstudentinnen Zweta Belo- Architektinnen weschdowa, Irmgard Fischer, Ingrid Heidenreich, Edeltraut Lätzsch, Rina Paschowa, Lisbeth Reimmann, Roswita Rossius, Lebenswege nach 1945 (266) - Berufsdauer - Be- Ilse Sahlmann und Galina Taizale, sowie den ehemaligen Bau- rufsstatus (268) - Berufsfelder mit und ohne Dauer hausstudentinnen Amy Bernoully, Anneliese Brauer, Marie Dole- (274) - Insiderinnen - Outsiderinnen (277) - Berufs- zalowa [sp. Rossmanova], Alexa Gutzeit [sp. Röhl], Erika Hack- strategien (281) - Berufswechsel - Berufsausstiege mack [sp. Brönner], Elfriede Knott, Angela Press, Edita Rindler, (285) - Berufswege und Familienwege (287) - Self- Grete Schlagenhaufer und Anny Wettengel zu rekonstruieren. Zunächst bleibt festzustellen, dass von einem Drittel made-Women in a Man-Made World? (293) - Re- Lediglich wenige Informationen konnten ermittelt werden zu den der Tessenow- wie Bauhausstudentinnen - insge- sümee (300) späteren Lebenswegen der Bauhausstudentinnen Hildegard samt mehr als 30 aller ermittelten Studentinnen mit Hesse, Elsa Hill, Hilde Katz [sp. Coccia], Ricarda Meltzer [sp. Architekturaffinität - die Berufs- und Lebenswege Schwerin], Maria Müller und Natalie Swan [sp. Rahv], sowie der Nach der Diskussion der deutlich unterscheidbaren nach 1945 völlig bzw. nahezu unbekannt sind.1 Zehn Gaststudentinnen im Seminar Tessenow Grete Berg [sp. von Voraussetzungen, Studienbedingungen und Chancen der uns näher bekannten Architekturstudentinnen Carmer], Friedel Hajek [sp. von Beringe], Thea Koch, Friedel von Bauhaus- und Tessenowstudentinnen ergab die sind 1945 nicht mehr am Leben.2 Damit sind wir bei Schmidt, Ingeborg Ullrich und Ruth Weckend [sp. Zosel]. Analyse der Berufseinstiege dieser ehemaligen Stu- der Analyse der Berufs- und Lebenswege auf die ver- 2 Ermordet wurden Friedl Brandejs [geb. Dicker], Eva Busse, Zsu- dentinnen Hinweise auf mögliche Berufswege. Tesse- bleibenden ca. 50 Biografien aus dem Kreis der ehe- zsanna Palne [geb. Bánki], Leonie Behrmann, sowie eventuell nowstudentinnen wurden im Anschluss an das Di- maligen Tessenow- resp. Bauhausstudentinnen auch Friedel Letz, Margot Loewe, Edit Rindler und Stefanie plom ganz überwiegend als angestellte Architektin- angewiesen. Zwirn. Im Kindbett starben Johanna Minsos [geb. Tönnesmann] nen in großen Büros und öffentlichen Ämtern tätig. Manche dieser ehemaligen Architekturstudentinnen und Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], an einer Grippe Dörte Heise Nur vereinzelt wagten sie den Schritt in die Selbstän- hatten während des Nationalsozialismus überwie- [geb. Helm], an TBC Elfriede Knoblauch. Und bei Bombenan- digkeit oder die Regierungsbaumeisterlaufbahn. Bau- gend familiäre Aufgaben übernommen und waren aus griffen kamen Lore Hesselbach [geb. Enders] und Alma Siedhoff haus-studentinnen wurden häufiger freiberuflich und diesem Anlass - zumindest vorübergehend - aus dem [geb. Buscher] ums Leben. nur selten als angestellte Architektinnen tätig. Sie Berufsfeld ausgeschieden.3 Zum Ende des zweiten 3 Tessenowstudentinnen: Anni Gunkel [geb. Pfeiffer], Gertraude fanden mehrheitlich jedoch überhaupt keinen Zugang Weltkrieges sind nur noch knapp ein Drittel innerhalb Herde [geb. Engels], Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa], Klara zum Berufsfeld. des Berufsfeldes nachweisbar. Darunter finden wir Küster [geb. Brobecker], Gisela Lucano [geb. Eisenberg], Liese- Strebten Architektinnen in den dreißiger Jahren die deutlich mehr Tessenowdiplomandinnen als ehemali- lotte von Mendelssohn [geb. von Bonin], Ewa Oesterlen [geb. freiberufliche Perspektive an, so taten sie dies fast ge Bauhausstudentinnen, von denen etwa ein Drittel Freise], Helga Schuster [geb. Karselt], Irina Zuschneid [geb. ausnahmslos mit einem männlichen Partner, der nicht keinen Einstieg ins Berufsfeld gewagt resp. gefunden Kaatz], wahrscheinlich auch Grete Buhmann [geb. Berg], Irm- immer, aber zumeist auch im Privatleben der Partner hatte.4 gard Fischer und Ingeborg Ullrich - Bauhausstudentinnen: Mari- war. Bei näherer Betrachtung der Partizipations- und anne Brandt, Christa Carras [geb. Schöder], Lotte Collein [geb. Nach bisherigem Kenntnisstand sind im Deutschen Professionalisierungsstrategien werden wir sehen, in Gerson], Lila Koppelmann [geb. Ulrich], Ella Kreher [geb. Rog- Reich um 1945 von den ehemaligen Tessenowstu- welchen Konstellationen Architekturstudentinnen der ler], Annemarie Mauck [geb. Wilke], Maria Müller, Ricarda dentinnen Hanna Blank, Ludmilla Herzenstein, Chri- Weimarer Republik in ihrem Beruf tätig blieben. An- Schwerin [geb. Meltzer], Eva Weininger [geb. Fernbach], Ursula sta Kleffner-Dirxen, Fridel Hohmann, Hildegard Korte, hand der Berufswechsel erhalten wir Hinweise, wes- Weiß [geb. Schneider], und wahrscheinlich auch Hilde Coccia Friedel Schmidt und Luise Seitz, sowie wahrschein- halb Architektinnen aus dem Berufsfeld ausschieden [geb. Katz]. Bereits vor dem Nationalsozialismus widmeten sich lich Thea Koch, Elfriede Schaar und Friedel Schmidt resp. wann und wo sie sich anderen Tätigkeitsfeldern Tony Lasnitzki [geb. Simon-Wolfskehl], Lou Scheper [geb. Ber- im Berufsfeld tätig. Im Ausland arbeitet Gisela Ehren zuwandten. kenkamp] und Alma Siedhoff [geb. Buscher] ihren Familien. [geb. Schneider], evtl. Zweta Beloweschdowa und 4 Vgl. Kap.7, S.185

Berufsverläufe und Lebenswege 265 auch Sigrid Weiß [geb. Rauter]. Von den architektur- Zunächst im Auftrag privater BauherrInnen kann sie interessierten ehemaligen Bauhausstudentinnen sind ab den fünfziger Jahren auch wieder öffentliche Ge- um 1945 im Deutschen Reich Katt Both, Ruth Hilde- bäude - darunter das Hotel am Zoo und die jugosla- gard Geyer-Raack, Ruth Henschel [geb. Josefek], Mi- wische Botschaft - ausstatten. la Hoffmann-Lederer, Benita Koch[-Otte], Wera Mey- Ursula Weiß gestaltet 1948 in Berlin für die amerika- er-Waldeck, Grete Meyer-Ehlers und Annemarie Lan- nische Militärbauverwaltung eine Ausstellung. Außer- ge [geb. Wimmer] erwerbstätig. Lediglich Both, Gey- dem unterrichtet sie technisches Russisch an der In- er-Raack, Meyer-Waldeck und Lange erzielen ihr Ein- genieurhochschule. Sie wird 1950 als wissenschaftl- kommen im Bereich Architektur. Ebenso viele arbei- iche Mitarbeiterin beim Institut für planwirtschaftli- ten 1945 im Ausland: Lotte Stam-Beese in Amster- ches Bauen in Potsdam tätig, arbeitet ab 1954 bis dam, Tony Lasnitzki [geb. Simon-Wolfskehl] in Gent, 1963 bei der Senatsverwaltung für Bau- und Woh- Eva Lilly Lewin in London, Ricarda Schwerin [geb. nungswesen in Berlin. Dr. Hildegard Korte verschlägt Meltzer] in Tel Aviv, Elsa Hill in New York und Hilde es 1945 nach Wiesbaden, wo sie für einen Verlag die Reiss in der Nähe von San Francisco. Und auch von Drucklegung einer Illustrierten überwacht. Nach Hei- diesen arbeiten zu diesem Zeitpunkt lediglich drei - rat und Geburt zweier Kinder editiert sie ein Buch. Stam-Beese, Lewin und Reiss - in der Architektur. 1951 wird sie im kanadischen Vancouver als Liftda- Bisher ist nur für knapp die Hälfte der Architekturstu- me, Sekretärin und Bauzeichnerin tätig. Ab 1956 ar- dentinnen der Weimarer Republik Mitte der vierziger beitet sie in Portland/Oregon als Statikerin im Hoch- Jahre eine Erwerbstätigkeit nachweisbar. Wo jedoch bau, ab 1966 mit Schwerpunkt im Brückenbau. Fridel boten sich nach dem zweiten Weltkrieg berufliche Hohmann, die es nach dem Krieg ins bergische Land Perspektiven? verschlägt, soll zunächst kunstgewerbliche Gegen- stände hergestellt haben. Ab 1949 mit dem Kollegen Eberhard Vogel verheiratet und bald darauf Mutter eines Sohnes wird ihre Mitarbeit im Büro des Gatten Architektinnen nach dem zweiten Weltkrieg: nur noch bei Wettbewerben geduldet. 1962 eröffnet Berufswege nach 1945 sie im Siegerland ein eigenes Büro und kann sich Bald nach Kriegsende werden in Berlin Ludmilla Her- nach wenigen Jahren etablieren. Bis in die 1980er zenstein und Luise Seitz [geb. Zauleck] im Mai resp. Jahre entwirft und baut sie unter eigenem Namen. Juni 1945 als Dezernentinnen für Statistik resp. Woh- Auch Ruth Weckend ist nach 1945 im Berufsfeld tä- nungswesen beim Magistrat ernannt. Ab 1947 arbei- tig. Zumindest bis in die sechziger Jahre führt sie in tet Seitz beim Institut für Bauwesen der Akademie Oberhausen ein Büro als selbständige Architektin. der Wissenschaften, Herzenstein wechselt in den 50- er Jahren zur Bezirksverwaltung Berlin-Weissensee. Wann und wie lange Grete Berg [sp. Buhmann resp. Dort wird sie 1958 Leiterin der Stadtplanungsabtei- von Carmer] berufstätig wird, ist unklar. Sie soll im lung und 1964 zur Stadtbezirksarchitektin ernannt. Rheinland als Gartenarchitektin tätig geworden sein. Hanna Blank arbeitet 1945 in Berlin am Wiederauf- Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa], seit 1933 verhei- bauplan Zehlendorf, ab den 50er Jahren in der Se- ratet, plant nach Kriegsende den Wiederaufbau der natsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. 1946 Firma ihrer Schwiegereltern in Frankfurt am Main. wird Wera Meyer-Waldeck - auf Vermittlung von Will Ebenfalls für die Schwiegereltern soll Irina Zuschneid Grohmann - als Dozentin der neu aufzubauenden [geb. Kaatz] auch nach dem Krieg als Architektin tätig Klasse für Innenarchitektur an die Hochschule für geworden sein. Annamaria Mauck [geb. Wilke] ent- 5 Meyer-Waldeck kannte Grohmann bereits in ihrer Bauhauszeit. Werkkunst Dresden berufen.5 Ende der vierziger Jah- wirft und plant in Lübeck ab 1946 zunächst für die ei- Er war zum 1.12.1945 als Rektor der Hochschule für Werkkunst re ist sie als Architektin im hessischen Walldorf an- gene Familie, bevor sie als Architektin für die Firma eingesetzt worden, die vor dem 2.12.1945 als Meisterschule für sässig. Um 1950 eröffnet sie ein Architekturbüro in ihres Mannes, dann auch für gewerbliche Auftragge- Deutsches Handwerk bestand. – siehe dazu: Beck, Rainer / Na- Bonn. 1946 wird Annemarie Lange auf Vermittlung ber tätig wird. Ab 1961 arbeitet sie als Verkäuferin in talia Kardinar (Hg.): Trotzdem. Neuanfang 1947. Zur Wiederer- des ehemaligen Kommilitonen Ernst Scholz in Pots- einem Münchner Kaufhaus. Mila Hoffmannlederer, öffnung der Akademie der bildenden Künste Dresden, Dresden, dam zur Regierungsrätin ernannt. Bis September die ab 1942 an der Kunstgewerbeschule Posen als 1997 1945 im Brückenbau bei der Reichsbahn beschäftigt, Dozentin Gobelin- und Teppichweberei unterrichtet 6 Wie das Neue Deutschland am 14.8.1948 vermeldet, konnten ist sie nun für den Wiederaufbau kriegszerstörter hatte, kann ab Herbst 1945 in Weimar verschiedene von den 440 im Krieg zerstörten Brücken im Land Brandenburg Brücken in der Mark Brandenburg zuständig.6 Schon Räume und Festdekorationen, u.a. für das Kultusmi- bis 1948 fast 400 Brücken wieder hergerichtet werden, davon ein Jahr später wird sie in Berlin als Lektorin, ab den nisterium gestalten. Außerdem arbeitet sie als Pres- 83 in massiver Bauweise. In der Zeitungsausschnittsammlung fünfziger Jahren als Schriftstellerin tätig. Katt Both ar- sereferentin des thüringischen Landeskulturamtes für Annemarie Langes ist der Satz markiert: „Neben den laufenden beitet nach dem Krieg als Schätzerin für Liegenschaf- Kunst und Architektur. Nach einem Umzug nach Reparaturen wurden im folgenden Jahr hauptsächlich die Brük- ten der Stadt Kassel. In dieser Funktion bleibt sie bis Darmstadt 1950 wird sie als Gestaltungsberaterin ken im Oderbruch neu errichtet.“ In wieweit Lange als Regie- in die 1970er Jahre tätig. Hildegard Geyer-Raack großer Firmen tätig und widmet sich zunehmend der rungsrätin an den Planungsarbeiten beteiligt war, ist bisher un- wird nach dem Krieg erneut als Innenarchitektin tätig. Lyrik. deutlich.

266 Vom Auftauchen und Verschwinden Christa Mory [geb. Schöder] findet 1945 in Beeskow ris und Südfrankreich wird Suzanne Leppien [geb. eine Stelle als Lehrerin. So kann sie ihre fünf minder- Ney] als Weberin tätig. In Amsterdam arbeitet Lotte jährigen Kinder ernähren, für die sie allein die Verant- Stam-Beese als freiberufliche Architektin und Mitar- wortung trägt, nachdem ihr Mann 1943 gefallen ist. In beiterin in Architekturbüros. Nach Erwerb eines nie- den sechziger Jahren übernimmt sie in Berlin die Lei- derländischen Diploms tritt sie 1946 in die Dienste tung einer Schwesternschule. Eine ähnlich große Ver- des Stadtplanungsamtes Rotterdam ein und arbeitet antwortung für ihre Mutter wie für ihre Tochter trägt dort bis in die siebziger Jahre als Stadtplanerin. Hilde auch Klara Küster [geb. Brobecker] seitdem ihr Vater Reiss, seit 1943 in San Francisco als Dozentin und im verstorben, ihr Mann 1944 gefallen ist. Nach Kriegs- Rahmen eines sozialen Wohnungsbauprogramms der ende arbeitet sie zunächst im Berliner Architekturbü- ‘Vallejo Housing Authority’ als Architektin tätig, wech- ro [Heinz] Völker & [Rolf] Grosse, bevor sie um 1946 selt 1945 zum ‘Walker Art Center’ nach Minneapolis. eine Stelle im Hochbauamt Berlin-Steglitz antritt. An- Als Kuratorin kann sie die folgenden Jahre zahlreiche fang der sechziger Jahre wird sie in Darmstadt als Ausstellungen initiieren und gestalten. 1951 wird sie Lehrerin tätig. Nach 1945 bis zu ihrer Pensionierung erneut als Architektin in San Francisco tätig, bevor in den siebziger Jahren arbeitet in der Bauverwaltung sie die folgenden Jahrzehnte moderne Möbel in Palo Steglitz auch Elfriede Schaar, spätestens ab den seh- Alto vertreibt. Lila Koppelman [geb. Ulrich] arbeitet cziger Jahren ‘Bauamtmann’ im Stadtplanungsamt. auch nach mehreren Umzügen in den USA als Künst- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar lerin, unterrichtet privat und in kommunalen Kursen Gertraude Herde findet trotz dreier Kleinkinder Mög- Malerei für Kinder und Erwachsene bis in die siebzi- lichkeiten, ihrem Beruf nachzugehen. Sie entwirft und ger Jahre. In Belgien ist Tony Lasnitzki [geb. Simon- realisiert Möbel für das eigene Umfeld und beteiligt Wolfskehl] ab 1944 als Vertreterin für Büroartikel un- sich an Wettbewerben. Ende der vierziger Jahre ak- terwegs. Rose Mendel arbeitet seit 1937 in London quiriert sie erfolgreich Aufträge und kann mehrere als Künstlerin. Sie wird ab 1948 auch als Innenarchi- Einfamilienhäuser in Nordstemmen realisieren. In den tektin tätig. Lila Koppelmann, Brooklyn Park, Öl, 1943 sechziger Jahren entwirft sie mehrfach Bebauungs- pläne für Gemeinden im Ammerland. Für eine ebenso Nur in Ansätzen sind bei den folgenden Architektur- Komposition, Lasurtechnik, 40er Jahre deutliche Berufspriorität steht Christa Kleffner-Dirxen, studentinnen der Weimarer Republik die Berufswege die nur für die Zeit der Entbindungen ihrer drei Kinder im Ausland bekannt: Elsa Hill arbeitet um 1934 in aus dem Beruf aussteigt.7 Sie zieht 1949 mit ihrer Fa- Manhattan im Kaufhaus Macy´s. Natalie Rahv [geb. milie nach Münster, gründet dort 1951 gemeinsam Swan], seit 1947 als Architektin im Staat New York mit ihrem Mann ein Büro. Sie bauen zunächst Einfa- zugelassen, soll sowohl als Architektin wie als Immo- milienhäuser, bald aber auch Geschäfts- und Verwal- bilienmaklerin tätig geworden sein. Wera Gaebler tungsbauten, Schulen und Kirchen. Ab 1958 führt [geb. Itting] findet um 1948 in New York City eine Kleffner-Dirxen dieses Architekturbüro allein erfolg- Stelle als Sekretärin eines international tätigen Unter- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar reich weiter. Erst anlässlich ihres 75. Geburtstages nehmens. Ebenfalls in Manhattan unterrichtet Mathy übergibt sie die Geschäftsführung an ihre Söhne. Weiner [geb. Wiener] ab 1953 als Lehrerin. Auch Lieselotte von Mendelssohn [geb. von Bonin], Damit ergibt sich für die Berufstätigkeiten von Archi- die ihre Berufstätigkeit 1936 eingestellen musste, er- tektinnen dieser Generation nach 1945 zwar kein wägt nach Kriegsende eine Büroneugründung. Seit vollständiges Bild, jedoch eine äußerst vielfarbige 1941 auf der Schwäbischen Alb lebend, gelingt es ihr Collage unterschiedlicher Tätigkeiten auf den ver- jedoch erst ab den fünfziger Jahren wieder, vereinzel- schiedensten Gebieten in kaum vergleichbaren kultu- te Aufträge zu akquirieren. Anfang der fünfziger Jahre rellen Kontexten. Aber wo auch immer auf der Welt: kehrt auch Ewa Oesterlen [geb. Freise] in die Archi- Es wird deutlich, dass die Architekturstudentinnen tektur zurück, sie arbeitet im Hannoveraner Büro ih- der Weimarer Republik bestrebt sind, nach 1945 als res Mannes an unterschiedlichen Aufträgen mit. Architektinnen tätig zu bleiben resp. erneut tätig zu Helga Schuster [geb. Karselt], die ab 1945 in Krefeld werden. Anhand der skizzierten Berufswege zeichnet lebt, soll in den sechziger Jahren für Verwandte und sich jedoch bereits ab, dass sich ihre Berufswege in- Bekannte Um- und Neubauten realisiert haben. Ob sofern von gängigen Berufsbiografien unterscheiden, auch Sigrid Weiß nach 1945 erneut als Architektin als sie mit zunehmender Berufserfahrung auffällig tätig wird, bleibt unklar. Sie soll aus Südamerika nach häufig in anderen Berufsfeldern tätig werden. Deutschland remigriert sein. Anhand welcher Parameter können solch vielfältige Eva Lewin, seit 1941 in einem Londoner Zeichenbüro Berufsverläufe von Architektinnen jedoch verglei- zwangsverpflichtet, bestreitet ihren Lebensunterhalt chend dargestellt und analysiert werden? Bereits bei Ende der vierzieger Jahre mit Handweberei, ab den der Charakterisierung des Berufsbildes wurde deut- fünfziger Jahren als Lehrerin für Schneiderei am lich, dass das Berufsfeld Architektur weit divergieren- 7 Brief Christa Kleffner-Dirxen vom 15.1.1998 Technical College in Twickenham/Middlesex. In Pa- de Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsformen einschließt.8 8 Vgl. Kap.3, S.35

Berufsverläufe und Lebenswege 267 Kontinuität versus Fragilität: sie nach kurzer angestellter Tätigkeit die Freiberuf- Berufsdauer - Berufsstatus lichkeit angestrebt. Nach Kriegsende tritt sie eine Die Berufsdauer von Architekturstudentinnen der angestellte Position als Wohnungsbaudezernentin an, Weimarer Republik ist - insbesondere wenn sie frei- in den fünfziger Jahren wird sie - entwerfend wie be- beruflich tätig waren - nur beschränkt ermittelbar und ratend - für die Bauakademie tätig. Knapp dreissig bleibt manches Mal unklar.9 Die Dauer der Erwerbstä- Jahre lang arbeitet Wera Meyer-Waldeck als Archi- tigkeit wie die der Partizipation am Berufsfeld Archi- tektin, zunächst angestellt, ab Ende der vierziger Jah- tektur variiert extrem stark. Wir finden Architektinnen, re freiberuflich. Fast vierzig Jahre bleiben Hilda Harte die ihr ganzes (Erwerbs-)Leben durchgängig im Be- und Dr. Hildegard Oswald [geb. Korte] berufstätig. rufsfeld tätig sind, aber auch welche, die nach kürze- Sie finden nach mehreren Berufsjahren ein dauerhaf- ster Zeit, mehreren Jahren oder nach Jahrzehnten tes Aufgabenfeld in der Statik, in dem Harte in Berlin definitiv aus der Architektur ausscheiden. Daneben freiberuflich, Oswald in Portland/Oregon angestellt finden wir Architektinnen, die nach - teilweise jahr- tätig bleibt. Noch länger, nämlich mehr als vier Jahr- zehntelanger - Unterbrechung erneut in das Berufs- zehnte arbeiten Ruth Hildegard Geyer-Raack, Ludmil- feld zurückkehren und welche, die mehrfach tempo- la Herzenstein, Lotte Stam-Beese, Kattina Both, El- rär in der Architektur tätig werden. Damit wird deut- friede Schaar und Hanna Blank nahezu durchgängig lich, dass eine rechnerisch ermittelte Berufsdauer nur im Berufsfeld. Geyer-Raack übt den Beruf durchgän- sehr bedingt aussagefähig ist. gig freiberuflich aus, während die anderen genannten ganz überwiegend oder sogar ausschließlich ange- Nur wenige Jahre und damit lediglich kurzzeitig wer- stellt in öffentlichen Ämtern tätig werden und bleiben. den Jadwiga Jungnik, Tony Simon-Wolfskehl, Anni Im Unterschied dazu teilt sich das fast fünfzigjährige Gunkel [geb. Pfeiffer] und Gisela Eisenberg im Be- Berufsleben von Christa Kleffner[-Dirxen] in eine mehr rufsfeld tätig. Jungnik, seit Mai 1923 für Villeroy & als zehnjährige Phase, in der sie auf wechselnden Ar- Boch tätig, scheidet aus bisher unbekannten Grün- beitsfeldern angestellt tätig ist und - nach Bürogrün- den dort bereits Ende 1924 aus. Simon-Wolfskehl dung Anfang der fünfziger Jahre - ein fast vier Jahr- gibt die Berufstätigkeit Mitte der zwanziger Jahre zehnte währendes freiberufliches Schaffen. nach drei Jahren Freiberuflichkeit auf. Gunkel kündigt nach zwei Jahren ihre Stellung als angestellte Archi- Ursula Weiß - seit 1923 diplomiert - hatte in den tektin bei der ‘AHAG’ in Berlin 1933. Bereits im Jahr zwanziger Jahren als angestellte Architektin gearbei- der Heirat (1934) baut sie jedoch freiberuflich.10 Und tet. Nach einer zweiten Heirat 1928 arbeitet sie frei- Eisenberg, die im Anschluss an das Diplom 1932 in beruflich. Nach erneuter Scheidung wird sie kurzzei- Berlin tätig wurde, soll die Berufstätigkeit Mitte der tig sowohl als freiberufliche wie als angestellte Archi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dreißiger Jahre anlässlich der Übersiedelung nach tektin, als Dozentin und als wissenschaftliche Mitar- Rom aufgegeben haben.11 beiterin tätig. 1954 findet sie schließlich eine Stelle bei der Berliner Senatsverwaltung. Im Unterschied dazu führt Johanna Minsos [geb. Eva Fernbach ar-beitete ab 1929 freiberuflich. Sie Tönnesmann] die Architektur, die sie zwischen 1933 bearbeitet Innenarchitekturaufträge in Berlin - allein und 1938 als Angestellte betrieb, auch nach Heirat wie gemeinsam mit ihrem Mann, einem Maler. Nach und Übersiedelung nach Oslo - nun freiberuflich - 1933 werden die Aufträge weniger und auch nach fort. Friedl Dicker, Lila Ulrich und Rose Mendel zäh- der Übersiedelung in die Niederlande 1938 kann sie len zu den architekturinteressierten Studentinnen, die auf diesem Gebiet keine Aufträge mehr akquirieren. Architektur neben ihren freien künstlerischen Interes- 1941 beteiligt sie sich mit ihrem Mann an einem Lila Ulrich (links) in dem von ihr eingerichteten Geschäft für sen betrieben. Dicker wird ab 1923 bis Anfang der Wohnungsbauwettbewerb. Rena Rosenthal Inc. auf der Madison Avenue, 1937 dreißiger Jahre auch als Architektin tätig, Ulrich ab Helga Schuster hatte unmittelbar nach dem Diplom 1933, Mendel ab 1948. Ab 1941 arbeitet Eva Lilly Le- (1930) zunächst angestellt, daneben und anschlie- win im Rahmen einer Dienstverpflichtung in London ßend auch freiberuflich gearbeitet. Nach der Heirat im Berufsfeld. Die Tätigkeit in einem technischen Zei- 1936 bearbeitet sie gemeinsam mit ihrem Mann frei- chenbüro übt sie bis 1948 aus. Gisela Schneider wur- beruflich Aufträge. In den sechziger Jahren soll sie de unmittelbar nach dem Diplom 1937 als angestellte erneut freiberuflich gebaut haben - unabhängig von Architektin tätig. Auch nach der Heirat 1943 blieb sie 9 So bspw. bei von Bonin, Hahn [geb. Waltschanowa], Lucano ihrem Mann. im Beruf. Sie scheidet nach dem zweiten Weltkrieg [geb. Eisenberg], Oesterlen [geb. Freise], Schuster [geb. Kar- Auch Gertraude Herde wird immer wieder in der Ar- anlässlich der Geburt von Kindern nach mehr als sie- selt], Weckend [sp. Zosel-Weckend], Zuschneid [geb. Kaatz]. chitektur tätig, zunächst angestellt in Berlin. Nach- ben Jahren aus dem Beruf aus. 1947 verlässt auch 10 Nach der Geburt ihrer Kinder - 1937 ist sie Mutter von drei Kin- dem sie diese Stellung nach knapp drei Jahren an- Annemarie Lange die Architektur und wird als Lekto- dern - ist sie nicht mehr erwerbstätig. lässlich von Heirat resp. Umzug 1938 aufgegeben rin tätig. Sie war seit 1934 im Berufsfeld. 11 Informationen von Angelika Mendelssohn-Siebeck. Bisher konn- hatte, beteiligt sie sich 1941 gemeinsam mit ihrem te auch nicht falsifiziert werden, dass Gisela Lucano [geb. Eisen- Circa zwanzig Jahre übt Luise Seitz den Beruf der Mann an einem Wettbewerb. Als freiberufliche Archi- berg] erneut erwerbstätig wurde. Planerin und Architektin aus. 1936 diplomiert, hatte tektin kann sie ab Ende der vierziger Jahre

268 Vom Auftauchen und Verschwinden Einfamilienhäuser realisieren. In den sechziger Jahren Betrachtet mensch die Berufsverläufe der hier näher entwirft sie Bebauungspläne. untersuchten Architekturstudentinnen der Weimarer Fast achtzehn Jahre lang sucht Hilde Reiss nach ih- Republik, so fällt hinsichtlich Dauer und Kontinuität ren Möglichkeiten in der Architektur. Zunächst frei- unmittelbar ins Auge, dass die meisten Werkbiogra- schaffend wie angestellt, dann freischaffend und er- fien vor, während und nach der Weimarer Republik neut angestellt tätig, kehrt sie dem Berufsfeld Archi- sowie auch in der ‘Zeit des Wiederaufbaus’ durch tektur 1951 den Rücken. Diskontinuitäten und Brüche gekennzeichnet sind. Klara Küster hatte bis zur Geburt der Tochter etwa Die Mehrheit der durchgängig im Berufsfeld tätigen fünf Jahre als angestellte Architektin gearbeitet. 1946 Architektinnen arbeitet hier nicht länger als 15, höch- kehrt sie nach dreijähriger Unterbrechung erneut als stens 18 Jahre, während andere nach Jahrzehnten angestellte Architektin in den Beruf zurück. Nach kur- wieder in die Architektur zurückkehren. So ist bspw. zer Zeit in einem freien Büro wechselt sie ins Hoch- Ewa Oesterlen über eine Zeitspanne von mehr als bauamt Steglitz, wo sie bis 1958 Projekte des Bezir- zwanzig, sind Lieselotte von Mendelssohn und Fridel kes plant und betreut. Vogel über eine Zeitspanne von mehr als fünfzig Jah- ren als Architektinnen tätig, auch wenn alle Genann- Wiedereinstiege nach mehrjähriger beruflicher Ent- ten diese Tätigkeit für mehr als zehn Jahre unterbre- haltsamkeit finden wir bspw. bei Lieselotte von Bo- chen. nin, Iwanka Hahn, Annemarie Mauck, Ewa Oesterlen, Helga Schuster und Fridel Vogel [geb. Hohmann]. Berufsbiografien von Architekturstudentinnen der Nach mehr als zehnjähriger Unterbrechung nimmt Weimarer Republik sind häufig durch unterschiedli- von Bonin, die im Anschluss an das Diplom sechs che Tätigkeitsfelder resp. Schwerpunkte und wech- Jahre lang als selbständige Architektin in Partner- selnde Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet. schaft tätig gewesen war, die Berufstätigkeit wieder Die meisten werden im Laufe ihrer Berufsleben so- auf. Sie unternimmt diesen Schritt in den Fünfzigern wohl angestellt als auch freiberuflich tätig. Daneben allein und kann in den folgenden zwanzig Jahren im- fällt auf, dass Architektinnen dieser Generation ent- mer wieder kleinere Bauvorhaben realisieren. Mauck weder sehr lange, d.h. mehr als vierziger Jahre, häufi- wird 1946 in Lübeck wieder freiberuflich tätig, nach- ger jedoch nur kurz resp. weniger als zehn Jahre dem sie - nach Heirat und Umzug nach Wien - 1940 durchgängig im Beruf tätig bleiben. Dabei sind die aus dem Beruf ausgestiegen war. Hahn kehrt nach langfristig im Berufsfeld Tätigen ganz überwiegend im etwa 12jähriger Abstinenz in die Architektur zurück. öffentlichen Dienst zu finden. Bei der Mehrheit der Nach dem Wiederaufbau der Frankfurter Firma ‘Glas- Architektinnen dieser Generation liegt die ‘Lebens- bau Hahn’ wird sie auch bei Aufträgen dieser Firma arbeitszeit innerhalb der Architektur’ um die zwanzig entwerferisch tätig. Oesterlen baute Anfang der vier- Jahre. ziger Jahre ein Einfamilienhaus, nachdem sie anläss- Ist die vergleichsweise kurze Berufsdauer von Archi- lich ihrer Heirat 1938 die angestellte Position im öf- tekturstudentinnen der Weimarer Republik der Famili- fentlichen Dienst gekündigt hatte. Als die Kinder aus enkonstellation resp. einer traditionellen Rollenvertei- dem Gröbsten heraus sind und im Büro ihres Mannes 12 Im Sinne einer Normalerwerbsbiografie wurden zumindest neun lung geschuldet? Oder spiegeln sich hier primär große Aufträge anstehen, nutzt sie Anfang der fünfzi- der 24 Diplomandinnen bei Tessenow, 12 der 38 TH-Studentin- Chancen und Möglichkeiten eines (nicht geschlechts- ger Jahre die Möglichkeit, um nach mehr als zehn- nen tätig. Dies sind Blank, Bonin, Brobecker, Engels, Herzen- neutralen) Berufsfeldes wider? Und in welcher Rela- jähriger Unterbrechung in die Architektur zurückzu- stein, Hohmann, Koch, Korte und Schaar sowie Dirxen, Tönnes- tion steht die Berufsdauer zum Kompetenzerwerb? kehren. Vogels freiberuflicher Wiedereinstieg 1962 er- mann und Weckend. folgt siebzehn Jahre nach dem Ende ihrer zehnjähri- Alleinstehende Architektinnen bleiben deutlich häufi- 13 Lebenslang berufstätig blieben von den Bauhausstudentinnen gen Tätigkeit als angestellte Architektin in Berlin. ger erwerbstätig als verheiratete. Unter den Bauhaus- Bánki, Beese, Both, Dicker, (Itting), Lewin, Meyer-Ehlers, Meyer- wie Tessenowstudentinnen, die länger als fünfzehn Waldeck, Reiss, Schneider (Ulrich), Weiner und Wimmer. Be- Zumindest für ein Drittel der Tessenowstudentinnen Jahre berufstätig bleiben, finden wir jedoch sowohl kannt sind die Berufswege bei 20 der näher betrachteten 25, wie der -Diplomandinnen lässt sich bisher eine nahe- Alleinstehende wie Verheiratete. Dabei sind unter den nahezu lückenlos bekannt bei 17 von insgesamt 34 der ehema- zu lebenslange Berufstätigkeit belegen.12 Auch bei ei- langjährig berufstätigen Tessenowdiplomandinnen ligen Bauhausstudentinnen. nem Viertel der Bauhausstudentinnen, darunter zwei Alleinstehende zahlenmäßig kaum stärker vertreten 14 Von den Tessenowstudentinnen waren zu diesem Zeitpunkt al- der vier Diplomandinnen, kann eine durchgängige Er- als Verheiratete mit Kindern. Sie sind und bleiben leinstehend: Blank, Koch, Küster [geb. Brobecker], Herzenstein, werbstätigkeit nachgewiesen werden.13 Obgleich je- - mit einer Ausnahme - als Architektinnen tätig. Im Schaar, Vogel [geb. Hohmann] - resp. verheiratet: Herde [geb. weils knapp zwanzig der mehr als 50 architekturinter- Unterschied dazu sind die dauerhaft Erwerbstätigen Engels], Kleffner-Dirxen, Oswald [geb. Korte], Seitz-Zauleck, Zo- essierten Bauhausstudentinnen wie der 24 bei Tesse- unter den ehemaligen Bauhausstudentinnen drei Mal sel-Weckend. Von den Bauhausstudentinnen waren alleinste- now diplomierten Architektinnen einen Berufsstart in häufiger alleinstehend als verheiratet.14 Und in aller hend: Both, Dicker [sp. Brandejs], Gaebler [geb. Itting], Meyer- der Architektur unternommen hatten, finden innerhalb Regel sind sie nicht mehr in der Architektur tätig. Waldeck, Mauck [geb. Wilke], Reiss, Swan [gesch. Rahv], Wei- des engeren Berufsfeldes nur sieben der Tessenow- ner [geb. Wiener], Weiß [geb. Schneider]. Verheiratet waren und lediglich drei der ehemaligen Bauhausstudentin- Das Ergebnis dieser Analyse bestätigt zwei Hypothe- resp. blieben Koppelmann [geb. Ulrich], Lange [geb. Wimmer], nen länger als 20 Jahre ein Betätigungsfeld. sen, so sehr die jeweilige Erwerbstätigkeit wie auch Schwerin [geb. Meltzer].

Berufsverläufe und Lebenswege 269 die Berufsdauer als Architektin von individuellen Kon- Hildegard Dörge, die spätestens 1932 erfolgreich die 15 Architektinnen waren ab den zehner Jahren in öffentlichen Bau- stellationen abhängig gewesen sein mag: Neben dem Regierungsbaumeisterprüfung absolvierte, ist um verwaltungen tätig - als Praktikantinnen oder Hilfskräfte. fachlichen Kompetenzerwerb erwies sich die formale 1933 als freiberufliche Architektin in Berlin ansässig. 16 Iwanka Waltschanowa arbeitet 1931 in Plowdiw in städtischen Qualifikation bei der Professionalisierung der Archi- Dass Architektinnen auch in den dreißiger Jahren Diensten, Annemarie Wimmer ab April 1934 im Hochbauamt tekturstudentinnen der Weimarer Republik als ent- nicht mit der für die Regierungsbauführer obligatori- Berlin-Schöneberg, Ludmilla Herzenstein ab Ende 1935 im scheidend. Sie wirkte sich deutlicher als der Famili- schen Verbeamtung rechnen konnten, wird am Bei- Stadtplanungsamt Rostock. Im Reichspostministerium in Berlin enstatus auf die berufliche Etablierung und die Be- spiel Grete Schroeder-Zimmermanns deutlich. Sie arbeiten als angestellte Architektinnen um 1937 Christa Dirxen, rufsdauer aus. Und: offensichtlich fanden Architektin- tritt 1930, im Anschluß an das Diplom, eine Stelle als ab Sommer 1937 bis 1945 Gisela Schneider. Im Reichsluftfahrt- nen in einer - beruflich wie privat - traditionell orien- Regierungsbauführerin im Preußischen Hochbauamt ministerium arbeitet spätestens ab 1935 Sigrid Weiß [geb. Rau- tierten Umgebung relativ häufiger dauerhafte Arran- des Kreises Niederbarnim-Teltow an. Schroeder- ter], ab Februar 1936 bis 1938 Ewa Freise, ab 1938 bis Kriegs- gements und akzeptable Rahmenbedingungen als im Zimmermann scheint dort jedoch keine volle Stelle beginn Klara Brobecker, während des Krieges Irina Kaatz resp. progressiven Spektrum des Berufsfeldes. Neben die- resp. keine volle Vergütung erhalten zu haben. Sie Zuschneid. Bei der Reichsautobahn seit Ende 1935 (bis 1945) ser Korrelation zeigt sich noch eine weitere: Die Ver- unterrichtet zeitgleich: als außerplanmäßige wissen- Annemarie Wimmer, ab 1937 Wera Meyer-Waldeck, die zum bleibsdauer von Architektinnen korrespondierte mit schaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Formenlehre Frühjahr 1939 zur Reichsbahn wechselt. Gertraude Engels ar- ihrem Berufstatus. und Baukonstruktion der TH Charlottenburg. Ende beitet zwischen 1937 und 1939 in der Preußischen Bau- und 1931 quittiert sie den Staatsdienst: „Auf eigenen War durch die gesetzliche Öffnung der Beamtenge- Finanzdirektion, Klara Küster um 1940 im Neubauamt Trier und Wunsch ausgeschieden, weil einer Frau nur der Titel setze im November 1918 die Möglichkeit geschaffen - vor 1943 - im Reichsernährungsministerium. eines Regierungsbaumeisters verliehen werden sollte, worden, Frauen auch als Baubeamtinnen zu beschäf- 17 HdKA, Best.16, Nr.148, handschriftlicher Lebenslauf vom 12.12. also ohne Aufstiegsmöglichkeit zum Regierungsbau- tigen, so eröffneten sich hier - wie auch in den Pla- 1952 - Lieselotte von Bonin wurde mit Schreiben vom 10.9. rat.“ 17 1940 kehrt sie jedoch in den öffentlichen nungsabteilungen der Ministerien - nur ausnahmswei- 1931 mitgeteilt: „Auf den Antrag vom 28.8 bzw. 7.9.1931 will ich Dienst zurück, als sie eine Stelle in der Hochbauab- se Chancen einer beruflichen Laufbahn für Frauen.15 Sie zur Ausbildung als Regierungsbauführer im preußischen teilung des Oberfinanzpräsidiums Berlin antritt. Am Architektinnen wurden ab den zwanziger Jahren ver- Staatsbaudienste in der Richtung des Hochbaufachs behufs 16.4.1941 wechselt sie in die Bauabteilung der Preu- einzelt als Regierungsbauführerinnen - d.h. als Aspi- Ablegung der Staatsprüfung zulassen, ohne Ihnen aber Aussicht ßischen Bau- und Finanzdirektion. Dort scheidet sie rantinnen zum Regierungsbaumeister - überwiegend auf Verwendung im preussischen Staatsdienste nach bestande- im Sommer 1944 aus, um freiberuflich tätig zu wer- jedoch als angestellte Architektinnen in Bauverwal- ner Staatsprüfung machen zu können.” NL Bonin den. tungen tätig.16 18 Arbeitsvertrag Annamarie Wimmer vom 14.12.1935, der rückwir- An diesem Beispiel wird deutlich, dass während der kend zum 2.12. geschlossen wurde. AdKS, PA Lange Weimarer Republik bei der RegierungsbaumeisterIn- nenlaufbahn faktisch kein Durchbruch erreicht wurde. In angestellten Positionen konnten Architektinnen Der Arbeitsplatz von Gerda Niegemann-Marx in Magnitogorsk,1932 - und Blick in die gegenüberliegende Ecke der Unterkunft (unten rechts) auch nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten in nahezu allen öffentlichen Bauabteilungen tätig sein. Annemarie Wimmer und Wera Meyer-Waldeck wer- den Mitte der dreißiger Jahre bei den Reichsautobah- nen „den für die Reichsbahnbeamten Ihres Dienst- zweiges gegebenen besonderen Bestimmungen un- terworfen“, jedoch „außerhalb des Reichsbahnbeam- tenverhältnisses nach Maßgabe des Reichsangestell- tentarifvertrages“ angestellt.18 Denn, wie dies bereits die „Satzung der Gesellschaft Reichsautobahnen“

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270 Vom Auftauchen und Verschwinden vorsah, wurden deren Geschäftsstellen „im Einver- nehmen mit der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in erster Linie mit Reichsbahnbeamten besetzt. Außer ihnen werden Fachmänner des Straßenbaus und Hilfskräfte mit fachlicher Vorbildung angestellt.“ 19 Vergleichbare Regelungen muss Gisela Schneider bei der Reichspost unterzeichnen. An ihrem Arbeitsver- trag - wie auch an dem von Annemarie Wimmer - lässt sich belegen, dass Architektinnen schlicht auf- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit im öffentlichen Dienst weder die gleiche Bezahlung wie den Kollegen noch die rechtliche Gleichstellung zuteil wurde und dennoch den gleichen Pflichten unterlagen. Ebenso unabhängig von der Qualifikation wie von der realen Tätigkeit wurde insbesondere in der öffentlichen Dar- stellung auf eine subalterne Stellung von Architektin- nen geachtet. So wird bspw. Hanna Blank, die im Baubüro der ‘Reichswerke Hermann-Göring’ arbeitet, 1939 von Herbert Rimpl unter „Mitarbeitern“ genannt - nicht jedoch unter den „Herren Architekten, die mir zur Seite standen“. Ein öffentliches ‘In-Erscheinung- Treten’ bleibt Einzelnen vorbehalten, wie der 1937 Gerhardine Troost bei der Eröffnung der Ausstellung „Deutsche Kunst” 1937 in München und bei der Arbeit 1938 (unten) von Hitler zur Professorin ernannten Gerdy Troost, während Architektinnen innerhalb von Partnerschaf- ten noch „die Architektin der Reichsfrauenführung“ ker in Berlin, Anfang der dreißiger Jahre in Celle zu- namentliche Erwähnung finden.20 nächst bei Otto Haesler, ab 1934 bei Hermann Bun- In öffentlichen Planungsämtern oder Behörden tätig, zel. 1935 kann sie im Büro Otto Vogts in Kassel mit- scheiden Architekturstudentinnen der Weimarer Re- arbeiten, ab 1942 bei Ernst Neufert in Berlin. Lotte publik während des Krieges manches Mal aus. Erst Beese, die ab 1929 in Berlin bei Meyer / Wittwer nach 1945, ab den späten vierziger Jahren finden ei- resp. Häring, ab 1930 in Brünn bei Fuchs gearbeitet nige von ihnen erneut Anstellungen im öffentlichen hatte, wird ab 1940 Mitarbeiterin von Ben Merkel- Dienst.21 Unmittelbar nach Kriegsende finden wir Ar- bach in Amsterdam. Gerda Niegemann-Marx arbeitet chitektinnen dieser Generation in Berlin in leitenden 1930 bei Hopp & Lucas in Königsberg, 1938 im Büro Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Positionen der öffentlichen Bauverwaltung, so Her- von Paul Bromberg in Amsterdam, Anneliese Brauer zenstein und Seitz als Dezernentinnen, Harte als Lei- in Berlin 1931 bei einem Architekten namens Hess, terin der Kommission für Prüfstatik, Lange als Regie- 1932 bei Otto Hetzer und bis 1935 im Büro der Luck- rungsrätin. Bereits 1950 ist keine von ihnen mehr in hardts, wo zwischen 1933 und 1934 auch Wera Itting einer dieser Funktionen tätig. In den fünfziger Jahren tätig ist. Ludmilla Herzenstein kann um 1930 für Ale- ist lediglich Wera Meyer-Waldeck zeitweilig in öffent- xander Klein in Berlin, 1938 in Hamburg im Büro von licher Funktion zu finden: Als erste Vorsitzende des Schoch & zu Puttlitz arbeiten. Ab 1940 findet sie eine Bau- und Wohnungsausschusses und Leiterin des möglichst unauffällige Form der Existenz als Mitarbei- Referates „Wohnung und Siedlung“ des Landes terin eines kleinen Architekturbüros in Konitz. Nordrhein-Westfalen. Hanna Blank wird ab 1932 im Büro der Brüder [Wal- Zahlreiche Architektinnen der Weimarer Republik ar- ter und Johannes] Krüger tätig, Annemarie Wilke ab 19 Satzung der Gesellschaft Reichsautobahnen vom 26.8.1933, beiteten in den zwanziger und dreißiger Jahren ange- 1933 bei Lilly Reich und Ludwig Hilberseimer. Hilde hier zitiert nach: Deutsches Reichsadreßbuch der Staatlichen stellt in privaten Büros. So arbeitet Leonie Pilewski Reiss arbeitet ab 1932 in freien Büros in Berlin, ab und Kommunalen Baubehörden, 20.Jg., 1936, S.320 1923 bei Hugo Häring in Berlin und 1935 bei Alexan- Sommer 1933 in Manhattan als Entwerferin in den 20 So beteiligten sich bspw. von Rossig und Gonser 1933 unter der Klein in Haifa. Paula Marie Canthal wird um 1927 Büros von Norman BelGeddes und Gilbert Rhode. Nennung beider Namen erfolgreich am Wettbewerb zur Neuge- Mitarbeiterin bei Alfred Gellhorn, um 1937 bei Ed. J. Ebenfalls für Rhode, aber auch für Joseph Aronson staltung Stuttgarts. 1937 erscheint beim Wettbewerb „Hoch- Siedler. Ursula Warschauer arbeitet 1925 bei Erwin wird Lila Ulrich tätig. Für den ehemaligen Tessenow- schule für Lehrerbildung in Eßlingen a.N.“ unter den Preisträ- Gutkind. 1929 arbeitet Ella Rogler im Büro Hubacher Assistenten Walter Löffler arbeiten 1934 resp. 1936 gern nur noch der Name Karl Gonsers - als einer von mehreren & Steiger in Zürich, Iwanka Waltschanowa bei Ale- kurzzeitig sowohl Fridel Hohmann wie Luise Zauleck. 2. Preisen. (Baugilde, 19.Jg., 1937, H.9, S.303-304) Es bleibt xander Klein in Berlin. Zauleck findet ab März 1937 im Büro von Günther unklar, ob sich Elisabeth Gonser [geb. von Rossig] de facto aus Wentzel eine Anstellung. Johanna Tönnesmann kann dem Büro zurückgezogen hat oder schlicht ungenannt bleibt. Kattina Both arbeitet ab 1928 bei Luckhardt und An- auch nach dem Diplom 1936 ihre Mitarbeit im Büro 21 So u.a. Blank, Küster, Herzenstein, Schaar und Schneider-Weiß.

Berufsverläufe und Lebenswege 271 Paul Bonatz in Stuttgart fortsetzen. 1937 wechselt sie ab den zwanziger Jahren vereinzelt Architektinnen. in das Büro Konstanty Gutschows in Hamburg. Im So übernimmt die Innenarchitektin Ilse Bernheimer 22 Lediglich Klara Küster wird 1946 kurzzeitig für Grosse und Völ- Sommer 1938 werden in Berlin Ursula Weiß für das 1926 bei Oskar Strnad eine Stelle als Assistentin an ker in Berlin, Hilde Reiss um 1951 im Büro Erich Mendelsohns in Büro Werner & Harting und Hildegard Korte im Büro der KGS Wien25, und Ernestine Kopriva wird 1928 - San Francisco tätig. Die angestellte Tätigkeit Eva Lilly Lewins von Prof. Wilhelm Büning tätig. Korte wechselt mit im Alter von 33 Jahren - für ein Jahr als ‘Hilfslehrerin’ endet 1947. Kriegsbeginn in das Büro von Kurt Krause. Im Londo- in der Fachklasse für Architektur bei Josef Hoffmann 23 Erika [Ilse] Förster, sp. Schulz-Du Bois (1897-1992) hatte im ner Exil arbeitet Eva Lilly Lewin ab 1941 in einem eingestellt.26 Acht Jahre später wird sie an der KGS Herbst 1922 an der TH Stuttgart diplomiert. Für Hinweise zu technischen Zeichenbüro. Nach 1945 finden wir na- „widerrufliche Lehrerin für Architektur“. Im Unter- Förster danke ich Dr. Norbert Becker, Mitteilung vom 10.5.1999. hezu keine Architektin dieser Generation mehr als schied zu Oswald Haerdtl, der ebenfalls 1928 als 24 So bspw. Marianne Brandt 1930 bei Gropius, Rahel Weisbach Angestellte in einem privaten Architekturbüro.22 Assistent bei Hoffmann begann, macht sie jedoch 1929 nach zwei Jahren bei Mendelssohn, Hanna Blank 1932 bei keine akademische Karriere in der Architektur. Nach der AHAG. Auch in Planungsabteilungen von Bauunternehmen Zwangspensionierung 1939 wird sie 1944 widerrufli- 25 Zu Ilse Bernheimer (geb. 20.3.1892 Wien - gest. 1984 Venedig) oder Industriebetrieben finden Architekturstudentin- che Leiterin der Werkstatt Stoffdruck, 1947 deren vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.259 - In Dresslers Künstlerlexi- nen der Weimarer Republik manches Mal die Mög- Leiterin. In dieser Position wird Kopriva kurz vor ihrer kon wird sie 1930 als Malerin und Griffelkünstlerin geführt. lichkeit der Mitarbeit resp. eine Anstellung. Bereits ab Pensionierung 1953 der Professorentitel verliehen.27 26 Katalog zum 60.Bestandsjahr der KGS Wien, Sommer 1929, 1923 arbeitete Erika Förster bei der Phillip Holzmann Hertha Jeß (geb. 1880) leitete bereits seit 1924 die S.63. Ernestine Kopriva (9.11.1894 Wien - 19.7.1984 Wien), als AG in Frankfurt am Main.23 Wie bereits erwähnt, fand „Fachklasse für Raumkunst, Möbel, Kunstgewerbe Tochter eines Generalstabsarztes im mährischen Porlitz aufge- Jadwiga Jungnik 1924 bei Villeroy & Boch einen Be- und gegenständliches Zeichnen“ an der Reimann- wachsen, besuchte nach der Lyzealreifeprüfung zwei Jahre die rufseinstieg. Pfeiffer kann Ende der zwanziger Jahre schule in Berlin.28 Und an der Kunstgewerbeschule Kunstschule für Frauen und Mädchen in Wien, bevor sie sich als Praktikantin mehrfach in der Planungsabteilung München wurde die Malerin und Innenarchitektin Else zum Herbst 1913 mit dem Berufsziel Architektin an der KGS der Kasseler Henschelwerke arbeiten. Bei der Allge- Brauneis bereits in den zwanziger Jahren zur außer- Wien immatrikulierte. Dort studierte sie in der Allgemeinen Ab- meinen Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld in ordentlichen Professorin ernannt.29 teilung bei Strnad, ab Herbst 1916 bei Hoffmann in der Fach- Berlin arbeiten um 1928 Weiß und – noch während klasse für Architektur, wo sie drei Jahre später ihren Abschluss ihres Studiums - Waltschanowa und Blank. Lediglich 1930 wird Gertrud Ferchland (geb. 1894) als - erste erhielt. Sie wird für die Wiener Werkstätte tätig. Ihr Monogramm Blank führt diese Tätigkeit nach dem Diplom 1930 planmäßige - Dozentin an der TH Dresden berufen. ist im „Kachelalmanach“ (1928) zu finden. Vgl. Kallir, Jane: Vien- dort fort. Sie wird 1932 nach eigenen Angaben „auf- Sie unterrichtet in der Allgemeinen Abteilung, nicht an nese Design and the Wiener Werkstätte, New York, 1986, S.123 tragsbedingt entlassen“, während Pfeiffer ebendort der Architekturfakultät. Hierbei wird deutlich, dass es 27 AAKWien, Personalbogen Kopriva ab Mai 1932 in einer „Stellung als Architektin“ tätig Ferchland in den zwanziger Jahren als diplomierte 28 25 Jahre Reimannschule Berlin, Sonderheft Farbe und Form, wird. Als Praktikantin wird Korte um 1935 bei der Architektin nicht gelang, eine akzeptable Berufsper- 12.Jg., 1.4.1927 AHAG in der Bauleitung eingesetzt. Meyer-Waldeck spektive innerhalb der Architektur zu finden.30 Helga 29 Vgl. Dressler, 1930, Eintrag Brauneis arbeitet ab Herbst 1934 für die Junkerswerke, Her- Karselt wird 1930 am Lehrstuhl für Baugeschichte 30 1894 in Zürich geboren, studierte Ferchland zunächst ein Seme- zenstein Mitte der dteißiger Jahre für die Baufirma der Architekturfakultät der TH Berlin als Hilfsassisten- ster an der TH Dresden, bevor sie sich zum 5.4.1913 an der TH Fiedler in Berlin, Blank um 1938 im Baubüro der tin angestellt, sie kündigt 1935. Ebenfalls 1930 wird Charlottenburg für Architektur immatrikulierte und im April 1917 Hermann-Göring-Werke. Meyer-Waldeck wird ab Mai am Lehrstuhl für Formenlehre und Baukonstruktion - nach sieben Semestern - die Diplomhauptprüfung für Architek- 1942 die Leitung der Planungsabteilung einer Berg- eben dieser Fakultät Grete Schroeder-Zimmermann tur erfolgreich ablegte. In den zwanziger Jahren studiert sie er- hütte im oberschlesischen Karwin übertragen. Nach als außerplanmäßige Assistentin tätig. Sie ist bereits neut, nun in der Allgemeinen Abteilung der TH Dresden, wo sie längerer Arbeitslosigkeit findet Reiss 1942 am ‘Heart 42 Jahre als und behält diese Position zehn Jahre ein weiteres Diplom erwirbt. In eben dieser Abteilung wird sie Mountain Relocation Center’ eine Stelle als angestell- lang. Ab 1936 unterrichtet Hilde Reiss in New York 1930 zur Dozentin ernannt. Achim Mehlhorn: Eröffnungsrede, in: te Planerin. an der Laboratory School of Industrial Design31, ab Reiche, Katrin (Hg.): 90 Jahre Studierende Frauen in Sachsen, Frühjahr (spring term) 1938 bis Ende 1940 auch an Die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik, Dresden, 1997, S.6 der New School of Social Research vor allem den die als angestellte Architektinnen in freien oder ge- 31 Die ‘Laboratory School of Industrial Design’ wird in den dreißi- Kurs „Interior Planning“.32 werblichen Büros arbeiteten, fanden dort offenbar nur ger Jahren im Rahmen des ‘WPA-Programs’ gegründet - einem selten eine längerfristige Perspektive. Manches Mal Erst nach Kriegsbeginn wird Anneliese Eichberg [geb. Arbeitsbeschaffungsprogramm mit kulturpolitischem Reforman- wurden sie lediglich als Zeichnerinnen beschäftigt, in Thienes] ‘Hilfsassistentin’ von Prof. Adolf Abels an spruch. Gilbert Rohde, in dessen Designbüro Reiss seit 1933 anderen Büros zu sämtlichen Planungsarbeiten he- der TH München.33 An eben dieser Fakultät hatte sie arbeitet, ist der erste Direktor dieser Schule. rangezogen. Bei Auftragsengpässen scheinen sie i.d. in den dreißiger Jahren studiert. Nach der Heirat mit 32 Beide Schulen beziehen sich dabei u.a. auf das Bauhaus, als sie R. als erste entlassen worden zu sein.24 Und als an- dem Kollegen Werner Eichberg, arbeitete sie - wie in den dreißiger Jahren versuchen, kulturpolitische Reformansät- gestellte Architektin auf adäquaten Stellen tätig zu schon zu Studienzeiten - im Büro von Prof. Abels.34 ze mit neuartigen pädagogischen Auffassungen zu verbinden. werden oder zu bleiben, wird mit zunehmender Be- Ebenfalls zunächst im Privatbüro arbeitet Herta Maria Reiss ist die Einzige im Kollegium, die am Bauhaus studiert hat. rufserfahrung offenbar schwieriger. Damit verweist Witzemann (geb. 1909), bevor sie 1943 auch Assi- Die ‘New School’ engagierte etliche Immigranten, darunter ab bereits die Kürze der Beschäftigungsverhältnisse auf stentin Oswald Haerdtls in dessen Fachklasse für Ar- 1937 den Architekten und Bauhistoriker Paul Zucker. den ebenso fragilen wie geringen Berufsstatus dieser chitektur an der KGS Wien wird. Am Lehrstuhl Bau- 33 Fuchs, 1994, S.156 angestellten Architektinnen. kunst 1 der TH Darmstadt wird im Wintersemester 34 Zu den bekanntesten Gebäuden Adolf Abels zählen die Ausstel- 1942/43 mit Dipl.Ing. Ottilie Schneider die erste wis- lungshalle, das Kongresshaus und der Turm der „Pressa“ in An Kunstgewerbeschulen und auffällig häufig in pre- senschaftliche Assistentin angestellt.35 Köln, 1927/28 - vgl. bspw. Müller-Wulckow, Walter: Bauten der kären Beschäftigungsverhältnissen - wie Assistentin- Gemeinschaft, Königstein, 1930, S.71 nenstellen oder befristeten Dozenturen - finden wir Direkt nach dem Krieg wird Lilly Reich von Max Taut

272 Vom Auftauchen und Verschwinden als Dozentin für ‘Raumgestaltung’ und ‘Gebäudeleh- aller Regel - insbesondere nach 1935 - nicht ohne re’ an die Architekturfakultät der aus den VS hervor- beruflichen Bruch. gegangen Hochschule für Bildende Künste in Berlin Deutlich wurde aber auch, dass Architektinnen dieser berufen. Sie scheidet aufgrund einer Erkrankung be- Generationen - wo auch immer - nur dann Architek- reits 1946 wieder aus.36 Ebenfalls an der HfBK Berlin tur in jenem umfassenden Sinne betreiben konnten, 35 Vgl. Viefhaus, 1988, S.53 unterrichtet ab 1945 auch Grete Schroeder-Zimmer- wenn es ihnen gelang, eine freiberufliche Perspektive 36 Günther, 1988, S.11 bzw. S.66 mann. Sie vertritt hier - wie bereits in den dreißiger aufzubauen. Denn ebenso wie den zuvor bereits täti- 37 Diese Berufung war ihre erste Stelle nach dem Kriege. Meyer- Jahren - das Fach Darstellende Geometrie, Schatten- gen Kolleginnen eröffnete ihnen nur die Freiberuflich- Waldeck engagiert sich stark beim Wiederaufbau der Fakultäts- konstruktion und Perspektive für weitere zehn Jahre. keit die Chance, ihre Kompetenzen auch tatsächlich gebäude, hat aber mit den Studierenden offenbar grundlegende Schroeder-Zimmermann, Reich und Brauneis gehö- umfänglich einzubringen. Auseinandersetzungen. Mit einem Protestschreiben wenden ren damit zu den wenigen Architektinnen, die vor wie sich diese am 30.9.1946 an die Hochschulleitung, der Senat legt nach dem zweiten Weltkrieg unterrichteten. Zur Vergütung von Architektinnen konnten vor 1945 ihr die Kündigung nahe, sie scheidet am 29.2.1948 aus. „..die nur wenige, danach nahezu keine Daten recherchiert Von den ehemaligen Tessenow- und Bauhausstuden- Arbeit mit Will Grohmann hat mir viel Freude gemacht. Weniger werden. Etliche Architektinnen scheinen während der tinnen werden lediglich Hilde Reiss und Lila Ulrich in Freude macht mir die Arbeit mit der heutigen sogenannten Ju- ersten Berufsjahre nur unwesentlich mehr verdient zu den dreißiger Jahren in New York als Dozentinnen tä- gend. Die 12 Jahre stecken den Jungens noch so in den Kno- haben als ihnen während des Studiums in Form des tig. Auch nach 1945 finden wir Architekturstudentin- chen, dass man manchmal schier verzweifeln könnte. Ausser- familiären Wechsels zur Verfügung stand.41 Im öffent- nen der Weimarer Republik nur selten an deutschen dem ist nicht jeder zum Pädagogen geboren und ich ganz ge- lichen Dienst war die Regelvergütung offenbar die Architekturfakultäten. Wera Meyer-Waldeck tritt zum wiss nicht.“ DAM, NL Hannes Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief vom Ausnahme. In angestellten Positionen variieren die 1. April 1946 an der Werkkunstschule in Dresden eine 9.8.1947 Einkommen von Architektinnen im Laufe der zwanzi- Stelle als Dozentin für Möbelbau und Raumgestal- 38 Habilitationen waren und sind in der Architektur auch bei Herren ger und dreißiger Jahre erheblich.42 Und bei den frei- tung an, gibt diese Tätigkeit aber nach knapp zwei eine Ausnahme. Fuchs weist für die TH München bis heute zwei beruflich Tätigen wird nicht immer deutlich, ob diese Jahren wieder auf.37 Herta Maria Witzemann ist die Habilitationen von Frauen in der Architekturfakultät nach. (vgl. Tätigkeit ihr Auskommen sichert, obschon etliche Ar- einzige Architektin dieser Generation, der es gelingt, Fuchs, 1994, S.246). Seit 1919 sind Frauen zum Habilitations- chitektinnen am Ende der Weimarer Republik durch- eine akademische Laufbahn mit einer freiberuflichen verfahren an der TH Charlottenburg zugelassen. Hier habilitier- aus ökonomisch erfolgreich, wenn auch nicht zu den Etablierung über Jahrzehnte zu verbinden: Sie wird ten im fraglichen Zeitraum (1926-1939) gerade einmal drei Her- Spitzenverdienern der Branche zu rechnen sind. 1953 Professorin für Innenausbau an der Akademie ren, bis einschließlich 1950 zwei weitere Herren. (vgl. Schröder- Zweifelsohne gelingt der Aufbau einer auch ökono- Stuttgart und etabliert sich auch freiberuflich in der Werle, 1979, S.16 resp. Krahe, 1979, S.200) misch tragfähigen freiberuflichen Existenz bspw. von Innenarchitektur. 39 Lt. Programm der TU Berlin, Fakultät für Architektur (Februar Bonin, Bánki, Canthal, Kleffner-Dirxen, Weckend und 1949) ist Dipl.Ing. Ilse Bohnsack Assistentin des Lehrstuhls I für An den akademischen Fakultäten bot sich Architek- Wilke. Handwerkskunde und Baugestaltung,(Prof. K. Dübbers), Dipl. turstudentinnen der Weimarer Republik keine Mög- Und in welcher Relation steht die Berufsdauer zu den Ing. Christel Plarre - gemeinsam mit Hansrudolf Plarre - Assi- lichkeit, einen ihrer Ausbildung entsprechenden Sta- konkreten Arbeitsfeldern? Wie wir gesehen haben, stentin des Lehrstuhls für Entwerfen und Perspektive, (Prof. H. tus innerhalb des Berufsfeldes zu erlangen. Selbst gibt es fast keinen Bereich, in dem Architekturstu- Freese) und Dipl.Ing. Gertrud Brandenburg Assistentin am Lehr- mit der Promotion war für sie als Fachfrauen nahezu dentinnen der Weimarer Republik im Laufe ihrer Be- stuhl für Baugeschichte und Bauaufnahme, (Prof. E.W. Andrae). keine Perspektive auf eine Lehr- oder Forschungstä- rufsleben nicht tätig wurden. Fanden wir sie während 40 Die Gründe dieser - im Vergleich zu Kollegen aber auch Kolle- tigkeit verbunden.38 Auch in der Nachkriegszeit finden der zwanziger Jahre überwiegend in Architektur und ginnen der Vorgängergeneration - geringeren Erfolge im Zielland wir an Architekturfakultäten der Technischen Hoch- Innenarchitektur, aber bspw. auch der Ausstellungs- können nur weitere Forschungen aufzeigen, denn bisher sind schulen Architektinnen lediglich auf Assistentinnen- architektur, so korrespondierten ab dem Ende der die Spuren emigrierter Architektinnen zu wenig erforscht, um stellen, wie bspw. 1949 Ilse Bohnsack, Christel Plarre dreißiger Jahre die Tätigkeitsfelder unmittelbar mit Chancen und Hintergründe differenziert nachzeichnen zu kön- und Gertrud Brandenburg an der TH Berlin.39 Alle drei dem Berufsstatus: Während angestellte Architektin- nen. Denn Hypothesen, wie die geringerer Assimilationsbereit- sind verheiratet und studierten erst Ende der dreißi- nen in nahezu allen Bereichen und Sparten tätig wa- schaft oder größerer beruflicher Flexibilität resp. Zielstrebigkeit ger Jahre, in der Regel bei den Professoren, an deren ren, reduzierte sich das Geschäftsfeld der freiberuf- bleiben spekulativ. ArchitektInnen wie Marie Frommer, Elsa Gi- Lehrstühlen sie nun arbeiten. lich Tätigen zumeist auf den Einfamilienhausbau so- doni, Liane Zimbler und Ella Briggs konnten ihre zuvor realisier- Wie wir gesehen haben, war es insbesondere jüdi- wie auf Innenausstattungen. Und wurden manche ten Projekte als Referenzobjekte nutzen, was die schwierige sche Architekturstudentinnen der Weimarer Republik Angestellten im Industriebau, im Brückenbau, jahr- (Neu-) Etablierung im Zielland erleichtert haben dürfte . nur allzu selten vergönnt, eine berufliche Perspektive zehntelang im Städtebau tätig, so fanden freiberuflich 41 Dies wird u.a. daran erkennbar, dass sie die Untermietverhält- aufbauen.40 Im Unterschied zu Kolleginnen früherer tätige Architektinnen hier offenbar keinerlei Auftrag- nisse der Studienzeit weiterhin beibehalten, bei der Familie oder Generationen und bereits etablierten Lehrern, die ihre geberInnen.43 In Relation zur Berufsdauer ergibt sich Verwandten wohnen. berufliche Perspektive dank professioneller Reputati- damit für die Berufsfelder ein ebenso eindeutiges wie 42 So gibt Paula Marie Canthal beispielsweise an, bei ihrer Tätig- on ins Ausland verlagern konnten, im günstigsten Fall ernüchterndes Bild: Auch mit zunehmender Berufser- keit als angestellte Architektin bei Alfred Gellhorn (1926 in Ber- einen Ruf an eine Hochschule erhielten, barg das fahrung bleiben freiberuflich tätige Architektinnen die- lin) 300,- Mark im Monat verdient zu haben. Kattina Both berich- Reichskulturkammergesetz für die Generation der ser Generation auf ein begrenztes Aufgabengebiet tet, dass ihr Gehalt 1935 „ca. 50% unter der Einnahme von SchülerInnen weit existentiellere Risiken: Innerhalb angewiesen, gelingt es ihnen i.d.R. nicht, bei den ih- 1931 lag“, während Ewa Freise betont, dass sie 1936 bei der des expandierenden Dritten Reiches führte es zur nen zugestandenen Kompetenzen Zuwächse zu er- Post „gut bezahlt“ wurde. Vernichtung, zunächst der beruflichen, dann der eige- langen: Auch im Verlauf der Berufstätigkeit erweist 43 Selbst Marie Frommer, die im Städtebau promoviert hatte, erhält nen Existenz. Gelang die Emigration, so gelang sie in sich das Geschlecht als Stolperstein der Profession. hier keine Aufträge.

Berufsverläufe und Lebenswege 273 Randbereiche - Nischen - neue Perspektiven: Berufsfelder mit und ohne Dauer An den Rändern der Profession - im Bühnenbild44, in der Grafik oder im Design45 - wurden Architektinnen dieser Generation kurz- oder langfristig tätig. Margot Rieß berichtet 1931, dass sich Hertha Jeß „auf das für die Gestaltung des Stadtbildes höchst wesentli- 44 Bühnenbilder entwarfen in den zwanziger Jahren u.a. Dicker, che, im Ausmaß aber doch bescheidene Gebiet der Simon-Wolfskehl und Helm. architektonischen Schrift zurückgezogen“ habe.46 In 45 So wurden bspw. Both und Hoffmannlederer in der zweiten den dreißiger Jahren wendet sich auch Hertha Ram- Hälfte der zwanziger Jahre, Stam-Beese in den dreißiger Jahren sauer ausschließlich der Schrift zu.47 auch als Grafikerinnen tätig. Als Designerinnen arbeiteten Wilke (Glas), Reiss und Ulrich in den dreißiger, Hoffmannlederer (u.a. Kindermöbel finden wir bspw. von Buscher, Beese, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Porzellan) ab den fünfziger Jahren. Berling und Meyer-Waldeck, Spielzeug von Schwerin, 46 Rieß, Margot: „Schaffende Frauen: Die Frau als Architektin“ in: Hohmann, Buscher und Canthal. Für die gleiche Ziel- Frau und Gegenwart, 28.Jg. H.2, November 1931, S.37 - ich gruppe erscheinen Bücher von Architektinnen und ar- danke Despina Stratigakos für diesen Hinweis. Hertha Jeß war - chitekturinteressierten Gestalterinnen. Else Wenz-Vie- bspw. bei der Bugra in Leipzig 1914 - auch öffentlich als Innen- tor hatte bereits in den zwanziger Jahren sichtbar ins architektin in Erscheinung getreten, als sie die Vitrinen in dem Fach der Kinderbuchautorin und Illustratorin gewech- von Elisabeth von Knobelsdorff gestalteten Raum für Kunstge- selt.48 Alma Siedhoff-Buscher erzielt in der zweiten werbe entwarf. Vgl. Katalog zur Ausstellung. Hälfte der zwanziger Jahre Einkünfte als Illustratorin 47 Hertha Larisch-Ramsauer (1897-1972), seit 1913 Studentin an und Erfinderin von Kinderspiel- und Bastelbüchern, der KGS Wien, hatte ab dem Wintersemester 1916/17 bei Oskar auch wenn sie noch 1931 als „Spezialistin für Kinder- Strnad in der Allgemeinen Abteilung studiert, ab 1917 bei ihm stuben“ genannt wird.49 Architektur belegt. Sie heiratet den Schriftlehrer Rudolf von La- Die von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- Titelgraphik „Die Reklame”, Katt Both (mit Daub), 1932 risch und unterrichtet nach dessen Tod 1934 daselbst Schrift. blik geschriebenen Kinderbücher entstehen zumeist 48 1928 stellte sie bei der Ausstellung „Heim und Technik“ eine ge- in den vierziger und fünfziger Jahren. Herzenstein meinsam mit ihrem Gatten entworfene Wohnung aus. In den schreibt und illustriert 1946 „Das neugierige Entlein“. bspw. bis 1943 in der Stockholmer Gewerkschafts- dreißiger Jahren erscheinen bei Stalling (Oldenburg) mehr als eine „Mut-mach-Geschichte“, die zunächst auf Matri- zeitschrift, Hilde Reiss um 1943 in „Your Home“, ab drei Dutzend Titel. zen vervielfältigt wurde - als Spende für einen Weih- 1946 für das von ihr herausgegebenen „Everyday Art 49 Rieß, 1931, S.37 - vgl. FN 47 nachtsbasar.50 Von Scheper-Berkenkamp erscheinen Quarterly“. 50 1951 erscheint „Das neugierige Entlein“ im Kinderbuchverlag 1948 gleich drei Kinderbücher mit farbenprächtigen Berlin. Auch wenn Herzenstein als Autorin genannt wird, so fällt Neben Architektinnen, die quasi nebenberuflich mit Illustrationen.51 Seit 1947 ist Lange verantwortliche im Vergleich zur ursprünglichen Textversion auf, dass der Tenor Hilfe von Publikationen Ideen und Projekte öffentlich Lektorin im Kinderbuchverlag Berlin. Auch sie ent- des Buches nun dem belehrenden Duktus des „Peter, der sich darstellen oder die gesellschaftspolitischen Folgen wickelt Ideen für Kinderbücher, schreibt Anfang der nicht waschen wollte“ (vgl. FN 52) gleicht. - Ab der 10. Auflage von Städtebau und Architektur ins Blickfeld rücken, fünfziger Jahre eine Art sozialistischen Struwwelpe- (1958) erscheint das Buch unter dem Titel „Kua, Kua. Das neu- finden wir ab den dreißiger Jahren auch Kolleginnen, ter.52 Mauck verfasst zwischen 1952 und 1964 Kin- gierige Entlein“ im Parabelverlag, München, seit 1957 die engli- die ihren Lebensunterhalt nahezu ausschließlich mit dergeschichten, in späteren Jahren einen Roman. sche Lizenzausgabe „The adventurous Duckling“. Hilfe ihrer journalistischen Fähigkeiten bestreiten. So Auch Schuster oder Canthal schreiben Romane oder 51 Scheper-Berkenkamp, Lou: Knirps, ein ganz kleines Ding; Pup- wird Gusti Hecht bereits um 1930 für die „Illustrierten auch Kurzgeschichten. pe Lenchen; Tönnchen, Knöpfchen und Andere; Die Geschichte Blätter” des Mosse-Verlages, Christa Dirxen 1941 in von Jan und Jon und von ihrem Lotsen-Fisch. Leipzig, 1948 Wenn Architektinnen als Autorinnen tätig werden, der Redaktion der „Neuen Bauform“ tätig. Dr. Hilde- 52 Vom Peter, der sich nicht waschen wollte, Berlin, 1951 - im glei- verfassen sie i.d.R. jedoch Fachartikel, Themenhefte gard Korte avanciert 1943 zur Vertreterin des Haupt- chen Jahr erscheint auch Weinert, Kurt: Wir ziehen um. Ein oder ganze Bücher. Ab den zwanziger Jahren schrei- schriftleiters der „Baukunst“. Sie findet auch nach Bilderbuch nach einer Idee von Annnemarie Lange ben manche in Fachzeitschriften über aktuelle The- 1945 eine Erwerbsmöglichkeit im Verlagswesen, als 53 So schreibt Edith Schulze architekturkritische Beiträge über die men und Projekte - oder auch in Tageszeitungen, wie sie die Drucklegung der „Illustrierten Zeitung“ in Siedlung Törten, Liane Zimbler über die Werkbundsiedlung bspw. Ella Briggs. Es erscheinen Artikel von Margare- Wiesbaden überwacht. Daneben gibt sie mit ihrem Wien. Liane Zimbler: Rund um die Werkbundsiedlung, in: Neues te Lihotzky und Leonie Pilewski im „neuen frankurt“, Mann einen Bildband über die Bretagne heraus. Wiener Tagblatt, 20.7.1932, S.15 (zit. Nach Plakolm-Forsthuber, von Stefanie Zwirn und Marie Frommer in der Bau- Ebenfalls in der Nachkriegszeit veröffentlicht Lotte S.293 FN 87) Leonie Pilewski verfasst für „Das neue Frankfurt“ welt, von Lotte Beese und Ida Falkenberg ab den Tiedemann gemeinsam mit Walter Kratz „Das kleine eine Serie über den russischen Wohnungsbau. dreißiger Jahren in „De 8 en opbouw“. Auch Edith Haus“ und „Wie baue ich mein Haus?“ 54 In den fünf- 54 Beide erscheinen 1949 in Lauterbach. Schulze und Liane Zimbler verfassen aus konkretem ziger Jahren zeichnet sie für mehrere Bauwelt-Son- 55 Tiedemann, Lotte: Vom Kinderzimmer zum Studio, (Sonderheft Anlass Fachartikel.53 Und auch während des National- derhefte verantwortlich und veröffentlicht „Mensch- 51), Berlin 1962, Küche und Hausarbeitsraum, (Sonderheft 59) sozialismus lassen sich Artikel von Architektinnen fin- lich wohnen“.55 1954 erscheint von Herta-Maria Wit- FFM/Berlin, 1963; Variationen zum Thema Essplätze, (Sonder- den, so bspw. von Irmgard Déspres oder Therese zemann „Neue deutsche Möbel”, und 1955 publiziert heft 64), Berlin / Frankfurt/M. / Wien, 1965; Wohnen nach eige- Mogger. Selbst im Exil werden manche Architektin- Hildegard Geyer-Raack gemeinsam mit ihrer Tochter nem Maß, (Sonderheft 69), Berlin, um 1968 nen fachjournalistisch tätig. Leonie Pilewski schreibt

274 Vom Auftauchen und Verschwinden „Möbel und Raum“.56 Sehr vereinzelt finden wir Publi- tin Daniel Krenckers, wird derart u.a. für die wissen- kationen, die architektonische Fragen explizit aus Be- schaftliche Betreuung der bauhistorischen Sammlung 56 Witzemann, Herta-Maria: Deutsche Möbel heute, Stuttgart, wohnerinnenperspektive diskutieren, so 1951 „Frau- des Kupferstichateliers zuständig. 1954. Geyer-Raack, Ruth Hildegard / Sibylle Geyer: Möbel und enwünsche im Wohnungsbau“ von Else Osterloh und Demgegenüber kommt Grete Meyer-Ehlers erst in Raum, Berlin, 1955 1955 „Das Haus der berufstätigen Frau“ von Hedwig den fünfziger Jahren über die Forschung mit dem 57 Osterloh, Else: Frauenwünsche im Wohnungsbau, Berlin, 1951 - Gollob.57 Bauen in Berührung. Aufgrund ihrer Mitarbeit im ‘Bei- Gollob, Hedwig: Das Haus der berufstätigen Frau. Eine sozial- Während die meisten der genannten Autorinnen ihre rat für Wohnungsgestaltung’ beim Senat wird sie auf wissenschaftlich-architektonische Studie, Wien, 1955 - zumeist freiberufliche - Architektinnentätigkeit wei- Druck des Frauenrates im Vorfeld der Interbau 1957 58 Rahel Bernstein (geb. 14.4.1885 Minsk - gest. 20.11.1989 USA), terführen oder zeitweilig unterbrechen, vollziehen ei- mit einer Untersuchung über Wohnzufriedenheit be- seit 1912 mit dem Historiker Mark Wischnitzer (1882 Rowno / nige wenige - wie bspw. Rahel Wischnitzer-Bern- auftragt. Sie bleibt auch in den folgenden Jahrzehn- Wolhynien - 1955 USA) verheiratet, emigrierte 1938 nach Paris. stein, Hedwig Gollob, Annemarie Lange oder Erika ten auf diesem Gebiet tätig, evaluiert und analysiert Vgl. Hyman, Paula E. / Deborah Dash More (Hg.): Jewish Wo- Brödner - mit dem Schreiben einen Berufswechsel. im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnungs- men in America, New York, 1998, S.1481-1482 So editiert Wischnitzer-Bernstein - seit 1907 im Be- wesen immer wieder Wohn- und Lebensformen. 59 Vgl. zu Hedwig Gollob (1895-1983) Georgeacopol-Winischhofer, sitz eines Architekturdiploms der Pariser Ècole Spé- Auch Wera Meyer-Waldeck soll im Rahmen der Ute: „Sich bewähren am Objektiven“: Bildung und Ausbildung ciale d´Architecture und seit 1924 Mitarbeiterin des „Bundesversuchssiedlung in Wesel” über moderne der Architektin an der Technischen Hochschule in Wien von jüdischen Museums in Berlin - ab 1928 die Sparten Wohngestaltung geforscht haben. 1919/20 bis 1944/45, in: Mikoletzky / Georgeacopol-Winischho- Kunst und Architektur der „Encyclopedia Judaica”.58 fer / Pohl: „Dem Zuge der Zeit entsprechend...“ - Zur Geschich- Hatten manche der Tessenow-Studentinnen im An- Gollob - seit 1920 in Kunstgeschichte promoviert - te des Frauenstudiums in Österreich am Beispiel der Techni- schluss an das Studium wissenschaftliche Ambitio- schreibt über zahlreiche kunsthistorische Themen.59 schen Universität Wien, Wien, 1997, S.233-235 nen gezeigt, so finden wir keine einzige von ihnen Lange wird Lektorin des Kinderbuchverlages und fin- 60 Brödner, Erika: Untersuchungen an den Caracallathermen, Ber- nach 1945 in der Lehre oder auf Dozenturen. Demge- det im Verlauf der fünfziger Jahre in der (Bau-)Ge- lin, 1951 (Dissertation 1939); diess.: Moderne Küchen, München; genüber wurden manche der architekturinteressierten schichte das Feld, in dem sie bis zu ihrem Tod 1976 diess. (zus. mit Immanuel Kröker): Moderne Schulen, München, Bauhausstudentinnen als künstlerisch Lehrende tä- tätig bleibt. Und Brödner veröffentlicht neben ihren 1955; diess.: Modernes Wohnen im Einfamilienhaus, im Reihen- tig. Aber auch keine dieser Dozentinnen wird Profes- Forschungen zum Badewesen in der Antike ab den haus und im Etagenhaus, München, 1954; diess. (zus. mit Ernst sorin, weit seltener als ehemalige Kommilitonen un- fünfziger Jahren mehrere Bücher über Schulbauten Brödner und Grete Wirsing): Technik in der Wohnung, München, terrichten sie innerhalb der Architektur. Eine dauer- und hauswirtschaftliche Themen.60 Die meisten Archi- 1955; etc. hafte akademische Perspektive findet lediglich Grete tektinnen, die nach 1945 auch publizistisch tätig wer- 61 Rosenau, Helen: Der Kölner Dom, seine Baugeschichte und hi- Meyer-Ehlers. An der Pädagogischen Hochschule den, tun dies jedoch in Form von Fachartikeln oder storische Stellung. Dissertation 1932, Universität Hamburg. He- Berlin vertritt sie über 20 Jahre das Lehrgebiet Haus- Vorträgen, wie bspw. Hilde Reiss und Wera Meyer- len Rosenau (1900-1984) studierte ab 1924 Architektur an der halt und Arbeitslehre.63 Waldeck. Bereits ab 1935 und mehr als drei Jahr- TH Charlottenburg. Zu Frommer vgl. Biografie im Anhang zehnte lang erläutert Lotte Stam-Beese ab 1935 auf Fanden wir - in bisher unbekannter Zahl - immer wie- 62 Schulte-Frohlinde, Julius: Die landschaftlichen Voraussetzungen diese Weise einem breiten Publikum Konzeptionen der Architektinnen, die mit entwerferischen oder wis- des Bauens im Osten, München, 1940 - Das verborgene Muse- und Intentionen städtebaulicher Projekte. senschaftlichen Ambitionen auch akademische Be- um (Hg.): Hilde Weström, 2000, S.118 rufswege anstrebten, so wurde deutlich, dass Frauen 63 Sie hatte bereits vor dem einjährigen Studium am Bauhaus 1930 Ein weiteres Berufsfeld, in dem Architekturstudentin- an deutschen Architekturfakultäten noch über Jahr- als Gewerbelehrerin gearbeitet und kehrt in den fünffziger Jah- nen der Weimarer Republik tätig werden, ist die hi- zehnte nur in untergeordneten Positionen geduldet ren als Dozentin für textiles Werken in dieses Berufsfeld zurück. storische Bauforschung. Marie Frommer hatte 1919 wurden. Denn während es ab den zwanziger Jahren 64 Lediglich das Zeugnis Prof. Krenckers für seine Hilfsassistentin zur bauhistorischen Entwicklung Dresdens, Helen einigen wenigen Architektinnen gelang, an Kunstge- Helga Karselt ist bekannt und lässt in seinem paternalistischen Rosenau 1932 zur Baugeschichte des Kölner Doms werbe- und Hochschulen zu unterrichten, so fanden Grundtenor vermuten, in welch krassem Missverhältnis die er- promoviert.61 Auch Helga Karselt, Ruth Weckend und wir sie an Architekturfakultäten Technischer Hoch- brachte Leistung zu der bescheinigten Anerkennung stand. Hildegard Oswald verfolgen immer wieder bauhisto- schulen bis in die vierziger Jahre ausschließlich als 65 So wurden Professorentitel bspw. 1912 an Anna Schultzen von rische Themen. Bezahlte Arbeitsmöglichkeiten finden Hilfs- und Vertretungsassistentinnen beschäftigt. Sie Asten (1848-1903) als erste Musikerin an der Kgl. Hochschule Architektinnen auf diesem Gebiet fast nur während erhielten i.d.R. eine geringere Vergütung als ihre für Musik, 1913 an Rahel Hirsch (1870-1953) als erste Medizine- des Nationalsozialismus. Lediglich Helen Rosenau männlichen Kollegen und konnten die Tätigkeit zu- rin in Preußen verliehen. Käte Kollwitz wurde 1919, Gertrud und Erika Brödner bleiben nach 1945 in der Bauge- meist nur temporär ausüben. Über die Ergebnisse Kleinhempel 1921 der Professorentitel verliehen. (Renda, 1998, schichtsforschung tätig. ihrer Lehre, ihre konkreten Tätigkeitsbereiche und die S.23) - 1953 werden die Architektin Herta Maria Witzemann, 1936 führt Gertraude Engels im Auftrag der Deut- ihnen zugestandenen Aktionsradien sowie die Anläs- 1962 die Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher als or- schen Forschungsgemeinschaft Bauaufnahmen hi- se und Gründe ihres Ausscheidens, kann bisher i.d.R. dentliche Professorinnen ernannt. Witzemann hatte seit 1952 storischer Gebäude in der Mark Brandenburg und im nur spekuliert werden.64 Deutlich wird jedoch, dass Innenraumgestaltung und Möbelbau an der Staatlichen Akade- Osthavelland durch. Im Auftrag des Landeskonserva- hier der Ausschluss von Frauen ebenso breit wie wir- mie der Bildenden Künste in Stuttgart unterrichtet, Hammerba- tors inventarisiert Hilde Eberle Bau- und Kunstdenk- kungsvoll organisiert war. Denn im Unterschied zu cher war seit 1946 als Lehrbeauftragte, seit 1950 als außeror- mäler der Stadt Oppeln, und Lotte Tiedemann doku- anderen Disziplinen, die ab dem Ende des Kaiserrei- dentliche Professorin am Architekturfachbereich der Techni- mentiert zeitweilig historische Bauten im Auftrag der ches sukzessive auch Professorinnen beriefen, blieb schen Hochschule Berlin tätig. Sie wird 1964 als erste Frau an Deutschen Arbeitsfront.62 Weckend forscht Anfang dies in der Architektur noch fast ein halbes Jahrhun- der TU Berlin ordiniert. 1969 wird die Architektin Dr. Ing. habil. der vierziger Jahre über einen karolingischen Fronhof. dert tabu.65 Anita Bach an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Und Hildegard Korte wird im Frühjahr 1941 Assisten- Weimar auf einen Lehrstuhl für Innenraumgestaltung berufen.

Berufsverläufe und Lebenswege 275 „Es ist auch im allgemeinen weniger zu erwarten, daß tinnen arbeiten sie zum Ende der Weimarer Republik die Frau einmal im Städtebauwesen, in großräumigen ganz überwiegend als angestellte Architektinnen in Anlagen, überhaupt da, wo das Schwergewicht der den Kernbereichen der Architektur, ohne Hochschul- Leistung im Organisatorischen liegt, zu entscheiden- diplom werden sie häufiger als Freiberuflerinnen am den selbständigen Leistungen kommen wird. Aber Rande der Profession tätig. Und ohne Abschluss fin- wir werden sie erfolgreich immer dort finden, wo es den Architektinnen zunehmend seltener überhaupt gilt, das Nahe, Greifbare, Dinghafte durchzufühlen einen Zugang zum Berufsfeld. Während des National- und zu gestalten“, hatte Margot Rieß 1931 formuliert sozialismus sind Architektinnen ganz überwiegend und von der „offenbare[n] Neigung, sich auf ein en- angestellt tätig. Manche scheiden zeitweilig, andere ges Gebiet zu spezialisieren“ gesprochen, das „auch ganz aus dem Berufsfeld aus. Am Ende des zweiten für das Schaffen der Architektin häufig kennzeich- Weltkrieges lässt sich bzgl. der Tätigkeitsfelder von nend“ sei.66 Und mehr als sechs Jahrzehnte später Architektinnen von einem Bruch sprechen - und dies konstatiert Mikoletzky für die Architekturstudentinnen weit deutlicher als beim ‘Systembruch’ 1933: Kaum der TH Wien, dass ihre berufliche Tätigkeit in „eher einer Architektin gelingt es, im Berufsfeld dauerhaft auf das Private bezogene[n] Berufssparten wie Gar- tätig zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. ten- oder Innenarchitektur“ zu finden sind: „Ein we- Längerfristig bleiben Architektinnen, mit oder ohne sentliches Abgrenzungskriterium ’weiblicher’ Tätig- Verantwortung für Kinder, in mittleren Positionen als keiten scheint darüberhinaus die Berufsausübung in Angestellte des öffentlichen Dienstes tätig. Nach Innenräumen gewesen zu sein.“ 67 Kriegsende nehmen sie hier - kurzzeitig - auch leiten- Auch die beruflichen Perspektiven, die - falls über- de Positionen ein. Ledige Architektinnen üben hier haupt - Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- auch über Jahrzehnte Tätigkeiten im Städtebau, in blik eröffnet wurden, lagen auffällig häufig auf tradi- der Bauplanung wie der Bauverwaltung aus. Aber tionell weiblich konnotiertem Terrain.68 Dies kenn- auch im öffentlichen Dienst bieten sich Architektinnen zeichnet eindeutig den instrumentellen Geschlechter- nur wenige attraktive Berufsperspektiven: Lediglich diskurs innerhalb der Branche, denn es gilt nicht für jede Dritte bleibt bis zum Ende der Berufstätigkeit im die konkreten Berufstätigkeiten dieser Architektinnen. Amt. In freien Büros scheint jede längerfristige Tätig- Sobald sie ihre Kompetenzen innerhalb von Hierar- keit als angestellte Architektin nahezu ausgeschlos- chien - nicht erkennbar - einbringen, sobald die fach- sen: Der - offenbar ebenso ungesicherte wie unat- lichen Kompetenzen abhängig beschäftigter Architek- traktive - Status der Mitarbeit bietet Architektinnen tinnen von Büroeignern, Ehegatten, gewerblichen Bü- hier überhaupt nur selten länger als zwei Jahre die ros, staatlichen und parastaatlichen Planungsabtei- Möglichkeit einer qualifizierten Berufstätigkeit. Und lungen in verwertbaren Zusammenhängen genutzt auch die freiberuflichen Existenzen von Architektin- werden, sind diese - mit dem Geschlecht konnotier- nen dieser Generation sind in der Regel nicht von ten - Grenzen hinfällig. Architekturstudentinnen der Dauer. Weimarer Republik finden wir im Laufe ihrer Berufsle- Am wenigsten gefährdet scheint die Berufstätigkeit ben in nahezu allen Segmenten des Berufsfeldes auf am Rande des Berufsfeldes. Im Bühnenbau, Möbel- angestellten Positionen mit Aufgaben jeder Größen- entwurf, der Ausstellungsgestaltung oder auch im ordnung befasst. Dabei bewegen sich die meisten Ingenieurbau werden etliche Architektinnen zumin- der ehemaligen Tessenowstudentinnen innerhalb der dest zeitweilig tätig. Noch häufiger finden wir sie im engeren architektonischen Tätigkeitsbereiche und Laufe ihres Erwerbsle-bens jedoch außerhalb des 66 Rieß, 1931, S.36ff. - vgl. FN 47 üben die jeweilige Tätigkeit i.d.R. ausschließlich aus. Berufsfeldes: Als Autorinnen, Illustratorinnen, Male- 67 Mikoletzky, Juliane: Ordentliches Technikstudium für Frauen, in: Im Unterschied dazu sind ehemalige Bauhausstudie- rinnen, Weberinnen, Lehrerinnen und auch als Fach- Mikoletzky/Georgeacopol-Winischhofer/Pohl, 1997, S.72 rende in einem weitaus breiteren Spektrum an Ar- verkäuferinnen, Geschäftsfrauen, Handels- oder Ver- 68 So bei der Endellschülerin Anna Silber (geb. um 1898), die im beitsbereichen zu finden.69 Dabei wird nicht immer sicherungsvertreterin, Lift-lady, Bibliothekarin, Immo- Anschluss an ihr Studium nicht - wie ihr späterer Mann Adolf deutlich, inwieweit diese Arbeitsfelder mit dem beruf- bilienmaklerin, Kuratorin, Journalistin, Sekretärin und Rading - eine Karriere im Privatbüro August Endells beginnnt, lichen Selbstverständnis korrespondieren und wie Filmschauspielerin. Fallen unter den Bedingungen sondern nach ihrer Eheschließung mit Rading an der Kunstaka- stark der Erwerbsdruck war. Auch Tessenowdiplo- des Exils Verschiebungen der Tätigkeitsbereiche ins demie Breslau unterrichtet, ausgerechnet Stoffdruck. Vgl. Pe- mandinnen wechselten zwischen unterschiedlichen Auge, so sind sie bei näherer Analyse hier nicht gels, Otto: Adolf Rading, Aachen, 1992, S.11 ff. Segmenten des Berufsfeldes. unbedingt häufiger zu finden als in Deutschland.70 69 Auch Bauhausstudenten sind häufig in Arbeitsfeldern tätig, die War im Verlauf der zwanziger Jahre ein Erweitern der sie nicht studiert hatten: So arbeitet bspw. Max Krajewski, der Dass die Chancen weit deutlicher mit fachspezifi- Tätigkeitsfelder von ArchitektInnen, bei Freiberuflerin- am Bauhaus in der Metallwerkstatt studiert hatte, in den dreißi- schen Milieus als nationalen Kulturen korrelieren wird nen aber auch die Suche nach neuen Aufgabenge- ger Jahren in Berlin als Architekturfotograf. bspw. daran sichtbar, dass den multilingualen wie bieten wie nach institutionellen Auftraggebern zu be- 70 So werden Frommer und Gidoni in den vierziger Jahren in New assimilationsbereiten, jüngeren Architektinnen in den obachten, so zeigt sich bei den Studentinnen dieser York City erneut insbesondere im Bereich Geschäfts- und In- USA eine berufliche Etablierung als Architektinnen Generation ein abweichendes Bild: Als TH-Absolven- nenausbau tätig. deutlich seltener gelingt als denjenigen, die bereits

276 Vom Auftauchen und Verschwinden während der zwanziger Jahre eine berufliche Etablie- deutlich auf selbstreferentielle Strukturen, innerhalb rung in Form eines eigenen Büros bewältigt hatten.71 derer Berufungspolitik als ‘gleichgeschlechtliche Re- Und während einige wenige Architektinnen - außer- produktion’ funktioniert. halb wie innerhalb Deutschlands - im Laufe der fünf- Etwas häufiger fanden wir Architektinnen dieser Ge- ziger Jahre als Freiberuflerinnen ins Berufsfeld zu- neration ab Mitte der zwanziger Jahre als Verfasse- rückkehren, steigt die Zahl der angestellten Architek- rinnen von Wettbewerbsbeiträgen, so Paula Marie tinnen, die den Berufsbereich endgültig verlassen, Canthal ab 1927, Gretel Norkauer ab 1928, Gusti weiter an. Hecht, Ursula Weiß und Tilla Strathmann ab 1929. So bleibt für das Berufsfeld Architektur zu konstatie- 1930 nimmt Anni Pfeiffer - als Studentin - mit einem ren, dass es für Architekturstudentinnen der Weima- eigenen Entwurf am Wettbewerb für das Aschrott- rer Republik häufig nur temporär und in Teilbereichen Wohlfahrtshaus in Kassel teil und erzielt einen An- zugänglich war. Anhand der Berufsdauer wurde un- kauf. Im gleichen Jahr reichen Gerda Niegeman-Marx mittelbar deutlich, dass es der Mehrzahl der ehemali- und Johan Niegeman einen Wettbewerbsentwurf für gen Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen - wie wohl einen Theaterneubau in Charkow ein, beteiligen sich den meisten Architektinnen dieser Generation - nicht Canthal und Gascard beim Wettbewerb „Licht, Luft vergönnt war, in der Architektur tragfähige Existenzen und Haus für alle“. Ihr Entwurf gewinnt und wird als aufzubauen oder dauerhafte Arbeitszusammenhänge „Anbauhaus“ auf der Berliner Bauausstellung 1931 zu finden. Arbeitsfelder, die längerfristig ein Auskom- gezeigt. Auf dem Freigelände eben dieser Ausstel- 71 Hier sind bspw. Marie Frommer in New York, Liane Zimbler in men sichern, fanden sie öfter außerhalb als innerhalb lung ist auch Stefanie Zwirn mit einem „Haus für Californien, Elsa Gidoni und Helene Roth in Tel Aviv und Ella [der Kernbereiche] des Berufsfeldes Architektur, ver- einen Taubenfreund“ und einer „Laube für einen gei- Briggs in London zu nennen. einzelt aber auch gerade dort, wo ihnen im fachlichen stigen Arbeiter“ vertreten. In der Ausstellungshalle 72 Ine Burchard-Breusing, Prof. Wils Ebert, Prof. Gustav Hassen- und öffentlichen Diskurs kaum Kompetenz zuerkannt stellen Marie Frommer, Ella Briggs und Emilie Winkel- pflug, Prof. Herbert Hirche, Baurat Hubert Hoffmann, Ott Hoff- wurde: In der Statik, im Brückenbau und in der Stadt- mann Fotografien ihrer realisierten Bauten aus. mann, Lotte Konert, Prof. Eduard Ludwig, Karl Marx, Prof. Ge- planung. Hanna Loev ist 1933 bei einem Wettbewerb für Ein- org Neidenberger, William Nillemann, Arch. Fritz Pfeil, Hannes familienhaustypen erfolgreich. In der Folge kann sie Schmitt, Hans Thiemann, Prof. Wilhelm Wagenfeld, Arch. Ger- im Rahmen der ‘Mustersiedlung Ramersdorf’ zwei hard Weber, Prof. Kurt Kranz, Prof. Friedrich Kuhr, Prof. Otto Häuser realisieren, die 1934 anlässlich der Deutschen Lindig, Grete Wagner-Reichart, Lu Scheper-Berkenkamp, „22 Insiderinnen und Outsiderinnen: Zur Partizipation Siedlungsausstellung in München vorgestellt und in Berliner Bauhäusler“, 1950 und Repräsentation von Architektinnen der Presse abgebildet werden. Weniger Erfolg ist Katt 73 Vgl. Katalog „Neues Wohnen. Deutsche Architektur seit 1945“ Als Ende 1950 „22 Berliner Bauhäusler“ im Kunstamt Both mit ihren Wettbewerbsbeiträgen zur „Altstadtsa- Werkbund-Ausstellung Köln, 1949 Berlin-Neukölln ausstellen, liest sich die Teilnehmer- nierung Kassel“ 1933 und der „Paul-von-Hindenburg- 74 Der Kasseler Wettbewerb wird von Arch. Borkowsky gewonnen, Innenliste unter dem Blickwinkel beruflicher Etablie- Jugendherberge“ in Hannover 1934 beschieden.74 den 2.Preis erhält der Entwurf der Architekten Baecker und Sir- rung wie eine Blitzumfrage: Unter den Teilnehmenden renberg, Kasseler Post vom 1.2.1934. Die fünf Pläne, die Kattina finden wir keine Bauhaus-Architektin, jedoch sieben 1933 beteiligen sich Elisabeth von Rossig und Karl Both zum Wettbewerb einreicht, sind bisher nicht bekannt. Im Architekten, von denen fünf auch einen Professoren- Gonser erfolgreich am Wettbewerb zur Neugestal- Hannoverschen Wettbewerb werden ausschließlich Entwürfe titel führen.72 tung Stuttgarts.75 1936 gewinnt Herta Hammerbacher von Hannoveraner Architekten prämiert. Kattina Both beteiligt beim Landschaftsgestaltungswettbewerb „Feuerba- Nach 1945 sind ehemalige Architekturstudentinnen sich nie wieder an einem Wettbewerb. cher Heide“ einen zweiten Preis.76 Und Ende der drei- der Weimarer Republik bei öffentlichen Ausstellungen 75 „Der beim reichsweiten Wettbewerb mit einem zweiten Preis ßiger Jahre soll auch Johanna Minsos in Oslo ge- fast nicht zu finden. Bei der ersten Werkbundausstel- ausgezeichnete Entwurf der Architekten Karl Gonser und Elisa- meinsam mit ihrem Mann mehrfach an Wettbewerben lung nach dem Kriege 1949 in Köln tritt - unter mehr beth von Rossig sah das Konzept einer stadtbeherrschenden teilgenommen haben. 1939 nimmt Lotte Beese an als 90 ausstellenden Architekten - lediglich Ursula Akropolis auf der Uhlandhöhe vor“ - Neuplanung Stuttgart: Ge- einem Wohnungsbauwettbewerb teil. Bereits seit Schneider-Wernecke namentlich in Erscheinung. Sie meinschaftshaus als „Haus der Deutschen Arbeit“ in Verbindung 1936 hatte sie mehrfach Wettbewerbsentwürfe ge- stellt 68 Wohnungen aus, die im Auftrag der Gemein- mit einem Forum und einer Thingstätte, in: Weihsmann, Helmut: meinsam mit Kollegen eingereicht.77 1939 wird beim nützigen Wohnungsgenossenschaft in Düsseldorf-Ost Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, 1998, S.838 Wettbewerb zur „Volkswohnung“ ihr Entwurf prä- errichtet wurden.73 Wera Meyer-Waldeck und Hedi 76 Hammerbacher-Kratz-Eggerstedt. DBZ, 1936, 70.Jg., S.307ff. miert.78 Bei eben diesem Wettbewerb gewinnt der Schellenberg sind auf dieser Ausstellung mit Möbeln 77 Bekannt sind 1936: Wettbewerbsentwurf Neubau des Amster- Entwurf „Eo“ von Gerda und Johan Niegeman. Alle vertreten. Offenbar konnten Architekturstudentinnen damer Rathauses, (mit M.Stam, W.v.Tijen und H.A. Maaskant), Entwürfe werden 1940 im Stedelijk Museum Amster- der Weimarer Republik die Phase des sogenannten 1938: Wettbewerbs-Entwurf für einen Pavillon auf der New Yor- dam in der Ausstellung „In Holland staat een huis“ Wiederaufbaus nicht zur beruflichen Etablierung nut- ker Weltausstellung, 1939: Wettbewerbsentwurf für einen Pavil- gezeigt, gelangen jedoch nicht zur Ausführung. zen. Sie erhalten nicht die Aufträge, die hier bereits lon auf der Verkehrsausstellung in Köln, 1941: Wettbewerbsent- öffentlichkeitswirksam präsentiert werden. 1941 sind Gertraude und Alexander Herde mit ihrem wurf für das Krematorium Den Haag, „fini“, ehrvolle Vermeldung Entwurf „Alarm“ beim Luftschutzbunkerwettbewerb 78 NAI NL Beese, lt. Rümmele Stam und Beese, lt. Katalogauszug Innerhalb der Architekturfakultäten erreichte keine Ar- des NSBdT erfolgreich. 1943 beteiligt sich Gisela Eh- aber eindeutig nur Beese - Die Entwürfe von Gerrit Rietveld und chitekturstudentin der Weimarer Republik auf dem ren zusammen mit Martin Elsässer am Wettbewerb Willem van Tijen mit Huig Maaskant werden ebenfalls prämiert. fachlich dafür vorgezeichneten Weg eine Hochschul- für den Neubau des Bahnhofs in Sofia. vgl. „In Holland staat een Huis“, in: De 8 en opbouw, 12.Jg. H.2, laufbahn in Kernbereichen der Architektur. Dies weist 1947 nimmt Meyer-Waldeck erfolgreich an einem 1941, S.16

Berufsverläufe und Lebenswege 277 Möbelwettbewerb teil. 1949 wird beim Wettbewerb sie beitraten, anhand der Mitgliedschaften einzelner 79 Neue Bauwelt, 1949, S.299 resp. Der Bauhelfer, 1949, S.279. um die Gestaltung des Altstadtgebietes Plauen ein Architektinnen in Berufsverbänden wird sichtbar, Helene Abels (geb. 1916 Münster) studierte an der TH Char-lot- Entwurf von Marlise und Hans Wurster, beim Wettbe- dass ihre Partizipationsstrategien mit den Segmenten tenburg Architektur und diplomierte 1940. werb Leipzig ein Entwurf der Landschaftsarchitektin des Berufsfeldes korrelieren.82 80 Harbers, Guido: Das eigene Heim, Ravensburg, 1951, S.172 Helene Abels ausgezeichnet.79 Im gleichen Jahr ist resp. S.150 Hatten sich Kunstgewerblerinnen ab der Gründung Lotte Tiedemann mit Walter Kratz und Hanna Hille- 81 Aus dem engeren Kreis der Bauhaus- und Tessenowstudentin- (1907) um Aufnahme in den Deutschen Werkbund brand mit Robert Lupfer beim Wüstenrot-Wettbewerb nen lassen sich lediglich von Fridel Vogel Wettbewerbsteilnah- bemüht, so waren akademisch ausgebildete Archi- Ludwigsburg erfolgreich.80 1954 beteiligen sich Ger- men auch nach den fünfziger Jahren noch nachweisen. tektinnen dort auch in den zwanziger Jahren nicht zu traude und Alexander Herde am Wettbewerb zum 82 Bisher ist die Partizipation von (Innen-)Architektinnen an berufs- finden.83 Aufnahme in den Werkbund finden in diesen Wiederaufbau Hildesheims. In den fünfziger Jahren ständischen Organisationen in historischer Perspektive nicht sy- Jahren bspw. Hildegard Geyer-Raack oder Lucy Hil- bearbeitet Fridel Vogel Schulwettbewerbe, Ewa Oe- stematisch untersucht worden. Soweit bekannt, wurden Mit- lebrand.84 Erst um 1948 tritt Wera Meyer-Waldeck sterlen an Wettbewerben für öffentliche Bauten mit. gliedschaften im Rahmen der Werkbiografien erfasst. dem Werkbund bei. Sie wird in den fünfziger Jahren 83 Auch nicht Marie Frommer oder Ella Briggs, deren Gestaltungs- An dieser Zusammenstellung wird deutlich, dass sich im Vorsitz der Bonner Gruppe und im Verband West- auffassungen Übereinstimmung mit Positionen des Deutschen Architektinnen dieser Generation auch nach Studien- nord aktiv.85 Unter den Mitgliedern des DWB sind Werkbundes zeigen. Unter den zumindest 205 weiblichen Mit- ende an Wettbewerben verschiedenster Aufgaben- auch nach dem zweiten Weltkrieg nur wenige Archi- gliedern des Werkbundes im Jahre 1928 findet sich keine einzi- stellungen und auf unterschiedlichen Maßstabsnive- tektinnen zu finden, noch seltener welche mit akade- ge Architektin mit akademischem Abschluss. Vgl. Deutscher aus beteiligen, auch wenn die Teilnahmebereitschaft mischem Diplom. Wie viele angestellte Architektinnen Werkbund: Mitgliederverzeichnis nach dem Stande Ende April im Laufe der Jahrzehnte rückläufig zu sein scheint.81 dem Bund deutscher Techniker resp. dem VdT bei- 1928, Berlin, 1928 - Zur Partizipation von Frauen am Werkbund Die Mitgliedschaft in berufsständischen Vereinigun- treten, ist unbekannt.86 vgl. Kapitel 2, FN 20. gen gilt als Indikator einer professionellen Etablie- Freiberuflich ambitionierte Architektinnen mit Ingeni- 84 Vgl. zu Lucy Hillebrand Schmidt-Thomsen, 1984, S.29. Geyer- rung. Auch wenn von der ganz überwiegenden Mehr- eurtitel und Absolventinnen der Regierungsbauführer- Raack dürfte auf Empfehlung ihres ehemaligen Lehrers Bruno heit der Architekturstudentinnen nicht bekannt ist, ob laufbahn bemühen sich mit Hilfe angesehener Bürgen Paul Aufnahme gefunden haben. resp. welchen Berufs- oder Standesorganisationen 85 BHAB, maschinenschriftl. LL Wera Meyer-Waldeck 86 Lediglich von Both ist bekannt, dass sie - wahrscheinlich An- fang der dreißiger Jahre - dem BdT beitrat. 87 Neben Elisabeth von Knobelsdorff, Margarete Wettcke und Vik- toria Bentheim, die hier bereits in den späten zehner Jahren Aufnahme finden, treten Janina von Muliewicz und Hildegard Dörge während der zwanziger Jahre bei. Dörge geb. Schröder, die direkt im Anschluss an ihr Architekturstudium in Dresden die Regierungsbauführer-Ausbildung absolvierte, wird 1928 Mitglied im AIV. 88 Um 1926 wird dort Therese Mogger, Briggs und Frommer wer- den 1929 resp. 1931 aufgenommen. Winkelmann wird vor 1930, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Martha Andrä 1934, Gertrud Lincke 1935 BDA-Mitglied. Lt. Gaber zählte der BDA 2761 Mitglieder zwischen 1925 und 1927. Gaber, Bernhard: Die Entwicklung des Berufsstandes der frei- schaffenden Architekten, dargestellt an der Geschichte des Bundes Deutscher Architekten, Essen, 1966, S.93 89 Von Bonin wird vor 1933, Wilke, Gunkel und Schmidt werden 1934 in den BDA aufgenommen. Bis Mitte der dreißiger Jahre werden aus dieser Generation bspw. auch Hildegard Dehne, Amalie Gebhardt, Ruth Gerner, Eva Maria Klotz, Ruth Leusch Lila Ulrich mit Ernst Mittag auf der Pariser Weltausstellung 1937 Charlotte Perriand und Helena Syrkus beim CIAM-Kongreß in La Sarraz, 1936 und Marta Schniete BDA-Mitglieder. Hilde Weström wird 1948 aufgenommen. 90 Analyse anhand des Jahrbuches des NSBdT 1937. 91 Nach dem Anschluss des BDA an die Reichskulturkammer ge- 93 So waren bspw. 1926 zwei der vier Gründungsmitglieder der Delanux (sic!) et Mme. Evelyn Wild: une chambre; M. Louis Sog- lingt von den ehemaligen BauhausstudentInnen nur Ursula Union d´Artistes Modernes (UAM) Elise Djo-Bourgeois und Char- not et Mme Charlotte Alix: une installation de mieux étudiées, la Schneider die Aufnahme in die Abteilung Architektur der RKK. lotte Perriand. Drei Jahre später sind außerdem auch Sonia De- Salle du Conseil d´administration des Usines Chimique des La- Hier werden 1937 bspw. aber auch Hans Volger, Gerhard Balzer launay, Eileen Gray und Hélène Henry als aktive Mitglieder ver- boratoires francais.“ Vgl. Barre-Despond, Arlette: Dictionaire in- und Max Enderlin - alle im Besitz eines Bau-/Ausbau-Diploms - zeichnet. Letztere wird Mitglied im Comité directeur. Und bei der terrnational des arts appliques et du design, 1996, S.468-469 aufgenommen. Die Mitgliedschaft in der DAF, die sich mit einer Ausstellung „artistes dissidents!“ im Pariser Musée des Arts und Katalog Perriand, 1985, S.24 - Anfang der dreißiger Jahre RKK-Mitgliedschaft ausschloss, wurde hier nicht recherchiert. Décoratifs - die am 11. Juni 1930 eröffnete - beteiligten sich: war bspw. Camilla Sommer (geb. 1904) Mitglied im „Ring junger 92 Reichsadreßbuch der staatlichen und kommunalen Baubehör- Mlle. Claude Lévy und Mme. Blanche-Jeanne Klotz mit Möbel- Architekten“. Sie hatte ab 1923 an der TH München, ab 1925 den und Baubeamten, 21.Jg., Langenberg, 1937 entwürfen; „Mme Lucie Holt Le Son: le cabinet de toilette; Mme bei Poelzig in Berlin studiert.

278 Vom Auftauchen und Verschwinden um die Mitgliedschaft im 1824 gegründeten Architek- Aufnahme von Architektinnen in Standesorganisatio- ten-Verein zu Berlin.87 Von den TH-Studentinnen der nen eher die Ausnahme als die Regel bleibt und sie Weimarer Republik werden hier nur wenige aufge- innerhalb dieser Gruppen und Organisationen i.d.R. nommen: Hanna Blank tritt vor dem zweiten Welt- in einer marginalen Minderheitenposition sind. Doch krieg, Hilda Harte 1956 dem AIV bei. auch durch eine persönliche Einbindung in berufliche Netzwerke resp. dank kollegialen Rückhaltes gelingt Der 1903 gegründete Bund Deutscher Architekten ihnen das Entwickeln tragfähiger Perspektiven fast (BDA) zählt zu den Standesorganisationen, die insbe- nie. Nur vereinzelt lassen sich Hilfestellungen unter sondere die Interessen freiberuflicher ArchitektInnen KollegInnen finden.95 Auch das Pflegen internationaler vertreten. Innerhalb des BDA, der Ende der zwanzi- Kontakte, die Teilnahme an Weltausstellungen, an ger Jahre weniger als 3.000 Mitglieder hatte, bleiben 94 Lotte Cohn war Mitglied der „avantgardistischen Architektenver- Tagungen, Exkursionen und nationalen Austausch- Architektinnen jedoch auch dann in einer verschwin- einigung „Chug Adrichalei Erez Israel“. Vgl. Schirren, Matthias / programmen - wie sich dies bspw. für Pilewski, Li- denden Minderheit, als Anfang der dreißiger Jahre Sylvia Claus: Julius Posener, ein Leben in Briefen, Basel, 1999, hotzky, Beese und Meyer-Waldeck nachweisen lässt zahlreiche Neuaufnahmen stattfinden.88 Zu diesem S.247, dort FN 87 - Sie selbst erwähnt dies in ihrem „Bilderbuch - führt bei Architektinnen nicht zu nennenswerten Zu- Zeitpunkt finden wir unter den BDA-Mitgliedern ohne Bilder“ nicht. (Cohn, Lotte: Die zwanziger Jahre in Erez wächsen bei Aufträgen oder Reputation. bspw. Lieselotte von Bonin, Annemarie Wilke, Friedel Israel. Ein Bilderbuch ohne Bilder, geschrieben für die Freunde, Schmidt und Anni Gunkel.89 Ruth Weckend, Christa Architektinnen treten bereits vor Beginn der Weimarer die sie mit mir zusammen erlebt haben, Tel Aviv, 1965). Stam- Kleffner-Dirxen, Wera Meyer-Waldeck und Fridel Vo- Republik berufsständischen Vereinigungen bei. Zu- Beese wird um 1935, Niegeman-Marx 1938 Mitglied im 1920 gel werden erst in den sechziger Jahren in den BDA mindest bis in die dreißiger Jahre gründen sie jedoch gegründeten „Opbouw“, dem auch Ida Falckenberg-Liefrinck aufgenommen. keine eigenständigen Berufsvereinigungen.96 Während angehört. Harte nahm 1933 an der legendären Reise zum CIAM- der Weimarer Republik positionierten Vertreterinnen Kongress in Athen an Bord der Patris II teil. Vgl. Biografie Harte. Im NSBdT lässt sich bisher keine Architektin dieser von Frauenberufsverbänden allerdings zunehmend 95 So dürfte Meyer-Waldeck 1935 bei der Reichsautobahn nicht Generation nachweisen, obschon auch hier - wenn differenzfeministische Positionen: Sie plädierten für ohne Vermittlung von Wimmer tätig geworden sein. 1947 bietet auch sehr wenige - Architektinnen organisiert wa- geschlechtsspezifische Berufsfelder, was in der Ar- Lange, die selbst 1946 auf Vermittlung Regierungsrätin in Pots- ren.90 Wie viele der ehemaligen Bauhaus- resp. Tes- chitektur weder attraktiv noch aussichtsreich gewe- dam geworden war, ihrem Kommilitonen Konrad Püschel eine senowstudentinnen de facto Anträge zur Aufnahme in sen sein dürfte.97 In den dreißiger Jahren wird in Ber- Stelle in ihrer Abteilung an. Schneider kann 1950 durch Ver-mitt- die Reichskulturkammer stellten, ist bisher unklar. lin der „Zweckverband der Architektinnen“ als eine lung beim Institut für planwirtschaftliches Bauen in Potsdam mit- Nachweisbar sind Aufnahmen für sechs der ehemali- Art Fachfrauenausschuss innerhalb des Akademiker- arbeiten. - Meyer-Waldeck reist auf Einladung bspw. 1951 nach gen Tessenowstudentinnen und zumindest sechs der innenbundes gegründet. Ob er primär aus der Ein- Schweden, 1953 auf Einladung der Amerikanischen Regie-rung architekturinteressierten Bauhausstudentinnen, da- sicht in die Notwendigkeit einer lobbyistischen Stan- (Exchange) Reise nach den USA (u.a. Besuch bei Mies, Gropius, runter - mit Ausnahme Hilde Reiss´ - alle Bauhaus- despolitik entstand, bleibt in Ermangelung geeigneter Wright, Wurster, Bauer, de Mars), 1954 Reise nach Finnland. Diplomandinnen.91 Unter den im Reichsadressbuch Quellen Spekulation.98 BHAB, Meyer-Waldeck, LL 1959/61, S.3 1937 aufgeführten Mitgliedern der Abteilung Architek- 96 Neben der Erfahrung, dass Frauen ohne eine eigene Interessen- tur der Reichskulturkammer lassen sich unter den Anhand der zeitlichen Verzögerung zu jenen, späte- vertretung innerhalb des jeweiligen Faches bzw. Berufsstandes mehr als 11 000 Einträgen weniger als drei Dutzend stens in den zwanziger Jahren gegründeten Interes- überhört werden, war Ende der zwanziger Jahre die Berufstätig- Architektinnen finden.92 Damit liegt ihr Anteil im Pro- senvertretungen von Juristinnen, Nationalökonomin- keit akademisch ausgebildeter Frauen zunehmend durch ein millebereich. nen, Ärztinnen oder Zahnärztinnen wird jedoch deut- anti-feministisches ‘roll-back’ bedroht. 1926 fand in Amsterdam lich, dass freiberufliche Architektinnen sehr lange zö- In freien wie progressiven Architektenvereinigungen die Kon-ferenz der International Federation of University Women gerten, eigene Verbände zu gründen. Offenbar sahen verstellt bisher i.d.R. die Rezeption den Blick auf die (IFUW), dem Internationalen Dachverband statt. Dort wurde - in sie dafür keine Notwendigkeit oder fürchteten sogar Architektinnen. Als vermeintlich geschlechtsneutrale Abgrenzung zum „Social Charm“ - die selbstbewusstelitäre noch immer, dass ein eigener, geschlechts-exklusiver Ideengeschichte geschrieben, lässt die Historiografie Formel der „Scientific Significance“ entwickelt, die auch der Interessenverband ihre Chancen innerhalb der Pro- bspw. den „Congres International d´Architekture Mo- Deutsche Akademikerinnenbund propagierte. Vgl. Zahn-Har- fession mindern würde. Wie sehr die Assimilation um derne“ (CIAM) oder Gruppen wie „De 8 en opbouw“ nack, Agnes: Der Deutsche Akademikerinnenbund, in diess.: jeden Preis als Schlüssel beruflichen Erfolges gilt, oder auch die „Union des Artistes Modernes“ (UAM) Reden und Schriften, Tübingen, 1964, S.4 wird anschaulich illustriert, wenn Margot Rieß die immer wieder als Erfolgsgeschichte erfolgreicher 97 Vgl. Kap. 6, S.172 Auftragslage Winkelmanns 1931 als Ergebnis einer Männer erschienen, obschon auch hier jeweils immer 98 Die Geschichte dieses Zweckverbandes ist bisher unerforscht. gefühlsechten Assimilation beschreibt: „Sie [Winkel- wieder auch Frauen zu finden sind - nicht nur in der 1930 schließen sich manche Berufsverbände, darunter u.a. die mann] hat sich jedoch gar nicht als Outsiderin ge- Gründungsphase.93 Welche Beiträge von Architektin- frisch gegründete ‘Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen’ (GDI) fühlt, sich vielmehr sofort mit größter Selbstverständ- nen, deren Interesse am Neuen Bauen unübersehbar und der ‘Bund Deutscher Zahnärztinnen’ dem Deutschen Aka- lichkeit unter ihre männlichen Kollegen eingereiht. Die ist - wie bspw. Ella Briggs, Lotte Beese, Grete Lihotz- demikerinnenbund an. Ibid., S.6 – Hier endete die Vernetzung Aufträge strömten ihr zu.“ 99 ky, Leonie Pilewski, Gerda Niegeman-Marx, Ida Fal- nicht auf formaler Ebene oder an Fächergrenzen. So gehörte ckenberg-Liefrinck oder Auguste Hecht - geleistet Während des Nationalsozialismus zogen sich man- bspw. die Vorsitzende des GDI, Ilse Knott ter Meer 1930 auch wurden, gilt es häufig erst noch zu entdecken.94 che Architekturstudentinnen der Weimarer Republik dem einladenden Ausschuss für die unter Federführung des aus dem Berufsfeld zurück, andere blieben oder wur- Deutschen Staatsbürgerinnenverbandes initiierte Ausstellung So unvollständig Aussagen zur Partizipation von Ar- den in nahezu allen Berufsbereichen tätig: In privaten „Die gestaltende Frau“ bei Wertheim an. chitektinnen an freien Gruppen und Vereinigungen Büros und (para-)staatlichen Ämtern wie dem Luft- 99 Rieß, 1931, S.37 (vgl. FN 47) - Und dies, obschon die Auftrags- bisher bleiben müssen, insgesamt fällt auf, dass die fahrtministerium, der Reichspost, den Reichsauto- lage Winkelmanns zu diesem Zeitpunkt eher mager war.

Berufsverläufe und Lebenswege 279 bahnen, dem Generalbauinspektor für die Reichs- Die Tagebücher Alfred Arndts vermitteln eine Innen- hauptstadt. In der geschlechtersegmentierten ‘Volks- sicht. Hier bildet sich ab, mit welch hoher Flexibilität gemeinschaft’ wird das Nicht-in-Erscheinung-Treten die ‘Entwurzelten’ nach dem Ende des Krieges den als Fachfrauen offenbar zur konditionalen Vorausset- Wiedereinstieg im Berufsfeld suchen, auf Netzwerke zung einer Berufstätigkeit angestellter Architektinnen. zurückgreifen und sich erneut ‘verflechten’, aber „Wie saßen da in der Kochstraße, in einem ganz pri- auch zufällig gebotene Chancen nutzen.104 Nicht oh- vaten Hause“, erinnert Ewa Oesterlen die konkreten ne Grund wurde auch innerhalb des Architektenstan- Arbeitsumstände bei der Reichspost.100 Der Grad der des der Mythos der ‘Stunde Null’ über Jahrzehnte Sichtbarkeit bleibt dennoch auch an den Berufssta- hinweg gepflegt: Angesichts personeller Kontinuitä- tus gekoppelt: Während freiberuflich tätige Architek- ten wie der kollektiven Verdrängung des Nationalso- tinnen wie u.a. Therese Mogger und Irmgard Des- zialismus als ‘Betriebsunfall’ (Schäche) stellt die poli- prés unter eigenem Namen schreiben, unterliegen die tische Vergangenheit kaum ein Hindernis dar. Dies bei Fachzeitschriften angestellt tätigen Architektinnen verbessert die Chancen von Architektinnen auf Rück- dem Unsichtbarkeitsgebot, so bspw. Hildegard Korte kehr ins Berufsfeld nach 1945 nicht. Beim Wiederauf- und Christa Dirxen. bau werden fachlich ausgewiesene Kräfte bevorzugt, deren Referenzobjekte i.d.R. in den letzten zwölf Jah- Die Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeitsge- ren entstanden, obschon mancher „eigentlich genau bieten während des Nationalsozialismus lassen die dort weitergemacht [hat], wo er (..) im Jahre 1936 ideologischen Hürden der verschiedenen Bereiche aufgehört hat.“ 105 erahnen. Bis heute haben die Tabuisierung der Zeit zwischen 1933 und 1945 und die herrschende Inter- Hanna Blanks Tätigkeit nach 1945 nimmt sich im pretation der Datenschutzbestimmungen das Wissen Vergleich zu den beruflichen Laufbahnen anderer Mit- um Teilhabe - auch von Architektinnen - wirkungs- arbeiter im Projekt „Hermann-Göring-Stadt“ mehr als 100 Telefongespräch mit Ewa Oesterlen am 24. 11.1997 voll verhindert.101 Dennoch ist keinesfalls auszuschlie- bescheiden aus. Die meisten dieser ehemaligen Kol- 101 Bisher wurden keinerlei Untersuchungen zur Tätigkeit von Archi- ßen, dass Architektinnen - bspw. durch den Führerer- legen sind spätestens Anfang der fünfziger Jahre tektinnen im Nationalsozialismus publiziert. Selbst die Werkbio- lass vom 15.2.1940 zur Vorbereitung des deutschen Stadtbauräte westdeutscher Großstädte, wo sie über grafie Gerdy Troosts, die - als Nachlassverwalterin ihres Man- Wohnungsbaus nach dem Kriege - verstärkt mobili- die Stadtentwicklungen in Wirtschaftswunderzeiten nes Paul Ludwig Troost - Adolf Hitler beriet, muss als uner- siert wurden und auch bei kriegswichtigen Projekten beschließen.106 Blank plant zunächst am Wiederauf- forscht gelten. Sie wurde 1937 zur Professorin ernannt und bei mitplanten. Die bruchstückhaften Informationen über bau Zehlendorfs mit und findet Anfang der fünfziger Veröffentlichungen genannt. So bspw. „Neue Empfangshalle im die Berufswege ‘arischer’ Architektinnen weisen Pa- Jahre eine Stelle in der Berliner Senatsverwaltung für erweiterten Prinz-Karl-Palais in München. Entwurf Staatl. Baulei- rallelen zur beruflichen Situationen von Juristinnen im Wohnungswesen, wo sie als persönliche Referentin tung mit Frau Gerdy Troost“, in: Hoffmann, Herbert: Deutsch- Nationalsozialismus auf, die „angepaßt, subaltern von Senator Schwedler für Einbauküchenprogramme land baut, Stuttgart, 1938, S.8. 1940 gibt sie „Bauen im Neuen und unsichtbar überwintern“ oder während des Krie- zuständig ist. Auch Dr. Hildegard Oswald und Fridel Reich“ heraus. - Zur Biografie Troosts vgl. Deniffel, Monika: ges neue Karrierechancen nutzen konnten.102 Mit dem Vogel sind nach 1945 auf individuelle Perspektiven Gerhardine Troost, in: Weiß, Hermann (Hg.): Biographisches Le- Vorrücken des Krieges werden auch Frauen für die angewiesen. Oswald, die seit Anfang der vierziger xikon zum Dritten Reich, Frankfurt/M., 1989, S.364 Bereiche mobilisiert, aus denen sie seit Ende der Jahre als Mitarbeiterin im Stab „Wiederaufbau bom- 102 So beschrieben bspw. in Kohleiss, Annlies: Frauen in und vor zwanziger Jahre massiv verdrängt worden waren, benzerstörter Städte“ und als Stellvertreterin von Ru- der Justiz. In: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung obschon das Bild in der Presse weiterhin von reak- dolf Wolters bei der Deutschen Baukunst wichtige und Rechtswissenschaft, 3.Jg., 1988, H.2, S.11-127, zitiert nach tionären Frauenrollen bestimmt wird - unterlegt mit Netzwerke von innen kannte, findet erst in den fünfzi- Koblitz, Katja: Kuriosum und Konkurrentin - Juristinnen auf dem militärischem und rassistischem Grundtenor.103 ger Jahren im Ausland im Berufsfeld erneut eine trag- Vormarsch, in: Bock / Koblitz, 1995, S.147 Während des Nationalsozialismus wird besonders fähige Existenz. Und Vogel - nach langjähriger Mitar- 103 So bspw. Junk, Margarete: Mädelberufe in vorderster Front. deutlich, dass die Kategorie Geschlecht mitunter ‘Ge- beit beim GBI 1945 aus der Architektur ausgeschie- Über Hauswirtschaft, Säuglings- und Krankenpflege zur Volks- setzmäßigkeiten’ des Berufsfeldes auf den Kopf den - gelingt die dauerhafte Rückkehr erst Anfang pflege, Union Dt. Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1940, Literatur- stellt: Eher werden Kolleginnen im Verborgenen weit- der sechziger Jahre. tip in: Frauenkultur, Mai 1940, S.26 gehende Kompetenzen zugestanden als dass ihr Die ohnehin kleine Gruppe berufstätiger Architektin- 104 Tagebücher Alfred Arndt, in: Hahn, Peter / Christian Wolsdorff Sichtbarwerden auch nur geduldet wird. nen schreckt länger als andere Berufsfrauen vor der (Hg.): Der Bauhausmeister Alfred Arndt, 1999. Hier finden sich Den Stellenwert der Kontinuität bestehender Netz- Bildung eigenständiger Interessenvertretungen zu- auch Hinweise auf die Bemühungen von Mila Hoffmann-Lederer werke nach dem Ende des Nationalsozialismus hat rück. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik und Hanns Hoffmann sowie Wera Meyer-Waldeck Werner Durth anhand biografischer „Verflechtungen“ treten nur zu einem Bruchteil Berufsverbänden bei. 105 „Beim Wiederanfang nach dem Krieg hat Oesterlen eigentlich für „deutsche Architekten 1900-1970“ exemplarisch Während Architektinnen der Kaiserzeit die Mitglied- genau dort weitergemacht, wo er bei seinem Lehrer Poelzig mit vorgeführt. Wie viele Architektinnen nach dem Ende schaft in Berufsverbänden anstrebten und in - den seiner Diplomarbeit im Jahre 1936 aufgehört hat.“ Laudatio von des zweiten Weltkrieges ihre Tätigkeit in Deutschland mit ihrem akademischen Ausbildungsstatus korres- Friedrich Spengelin für Dieter Oesterlen am 7.12.1979 anlässlich fortsetzen konnten, einen freiberuflichen Neuanfang pondierenden - Vereinigungen aufgenommen wur- der Verleihung des Fritz-Schumacher-Preises, in: Dieter Oester- wagten oder als Mitarbeiterinnen resp. mithelfende den, fanden Architekturstudentinnen der folgenden len: Bauten und Texte, 1992, S.244 Familienangehörige ‘unsichtbar’ blieben oder wurden, Generation dort i.d.R. erst nach Jahrzehnten Aufnah- 106 So bspw. Werner Hebebrand, Walter Schwagenscheidt, Hubert wurde bisher nicht untersucht. me. Die Berufsverbände ihrerseits scheinen primär Hoffmann, Ernst Hegel und Rudolf Hillebrand.

280 Vom Auftauchen und Verschwinden mit „Bestrebungen, den Berufsschutz zu erhalten“ Berlin und wird erneut schwanger. 1926 kommt der beschäftigt zu sein und - deshalb ? - an der Aufnah- Sohn zur Welt. Ab dem Frühjahr 1927 studiert sie am me von Kolleginnen nicht unbedingt interessiert. En- Bauhaus, ihr Freund kommt für den Unterhalt auf. de der zwanziger Jahre führt der BDA aufgrund stei- Anderthalb Jahre später heiratet sie den Vater ihres gender ArchitektInnenzahlen eine eigene Enquete Sohnes und wird kurz darauf in Berlin wieder als an- durch und kommt zu dem Ergebnis, dass nur die gestellte Architektin tätig. Daneben beteiligt sie sich Hälfte der „rund 12000 Personen, die in der Öffent- erfolgreich an einem Eigenheimwettbewerb bevor sie lichkeit als Architekten auftraten“ als selbständige Ende 1929 mit ihrer Familie in die USA auswandert. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Architekten anerkannt werden könnten.107 Dort liegt die Ernährerrolle bei ihrem Mann, der als Arzt an verschiedenen Orten tätig ist. Ursula Weiß Wie die Berufszählung 1933 auswies, arbeiteten zu arbeitet 1931 in Madison/Wisconsin mit einem ameri- diesem Zeitpunkt zumindest 85% der Berufsangehö- kanischen Kollegen an einem Siedlungsprojekt. Nach rigen in angestellter Position. 1939 wird diese Erhe- der Rückkehr ins Deutsche Reich realisiert sie 1935 bung in der Frankfurter Zeitung zitiert: erfasst wurden ein Haus für die eigene Familie. Anlässlich der Tren- 36 088 Architekten und 175 Architektinnen, die An- nung nimmt sie 1938 eine Stelle als angestellte Archi- Lieselotte von Bonin und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Anfang zahl der selbständig Tätigen wird mit 4 542 bei den tektin an. Als 1939 eine Dienstverpflichtung droht, der19 30er Jahre Herren und 13 bei den Damen wiedergegeben.108 gibt sie an, „augenblicklich in Vorbereitung zu selbst- Durch Vertreibung und Ermordung der jüdischen Ar- ändiger Tätigkeit“ zu sein. Als 1941 erneut eine sol- chitektInnen waren nach 1945 etliche der profilierte- 107 Gaber, 1996, S.97 che droht, besucht sie in Breslau die Handwerker- sten Vertreterinnen nicht mehr in Deutschland prä- 108 Zit. nach H.N.: Frauen als Ingenieure, in: Frankfurter Zeitung schule. Nach Kriegsende kehrt Weiß nach Berlin zu- sent.109 Die so erzwungene Reduktion der Freiberufle- vom 17.3.1939. Diese Berufszählung erfasste jedoch offenbar rück und wird als Sprachlehrerin tätig. Ab 1947 bear- rinnen lässt die sichtbare Partizipation von Berufs- nicht treffsicher, denn auf der Basis der im Rahmen dieser For- beitet sie Ausstellungen der amerikanischen Militär- frauen auf ein nahezu unsichtbares Maß schwinden. schung gesammelten Berufsdaten lassen sich 1933 bereits 18 regierung, ab 1949 unterrichtet sie technisches Rus- Die emigrierten ArchitektInnen wurden nach 1945 freiberufliche Architektinnen nachweisen. Dies legt die Vermu- sisch an der Ingenieurhochschule in Ostberlin. 1950 nicht zur Rückkehr ermutigt. Angesichts personeller tung nahe, dass bspw. in Partnerschaft tätige Freiberuflerinnen wird sie als freie Mitarbeiterin für das Institut für plan- und mentaler Kontinuitäten nach 1945 verwundert nicht als solche gezählt wurden. wirtschaftliches Bauen in Potsdam113, ab 1954 bei der nicht, dass nur wenige ihrerseits eine Remigration 109 Lt. Quack lag die Erwerbsquote jüdischer Frauen 1933 mit 27% Senatsverwaltung in Berlin tätig. Hier scheidet sie nach Deutschland resp. Europa erwogen.110 Der Parti- leicht unter dem Gesamtdurchschnitt von 34%. 10% dieser 1963, 68jährig aus dem Erwerbsleben aus. zipation von Architektinnen am Berufsfeld standen Frauen sind zu dieser Zeit jedoch in freien Berufen tätig, wäh- zahlreiche Hürden im Wege. Die Achillesferse ihrer Auch Beese, die bereits 1929 im Büro Häring die Er- rend der Anteil der Freiberuflerinnen insgesamt nur 3,4% Repräsentation innerhalb des Berufsstandes wie fahrung gemacht hatte, lediglich als Zeichnerin einge- betrug. Quack, Sibylle: Jüdische Frauen in den dreißiger Jahren, auch in der Öffentlichkeit ist ‘das Prinzip der Selbst- setzt zu werden114, suchte auf unterschiedlichen We- in: Heinsohn / Vogel / Weckel (Hg.): Zwischen Karriere und auslese’ 111: Auch wenn Architektinnen in Berufsver- gen nach einer Möglichkeit, dauerhaft im Berufsfeld Verfol-gung, Frankfurt/M., 1997, S.112 bänden organisiert sind, waren resp. wurden sie dort tätig zu werden und zu bleiben. Während ihre jeweils 110 Frommer soll in den sechziger Jahren das Angebot einer erneu- - in West wie Ost - nicht einmal ihrem geringen Anteil deutlich älteren Partner sich auch ohne Studienab- ten Aufnahme in den BDA abgelehnt haben, da ihr der dem Na- entsprechend repräsentiert. schluss in avantgardistischen Kreisen etabliert hat- tionalsozialismus vorauseilende Antisemitismus innerhalb des ten, scheint sie während ihrer ersten zehn Jahre im BDA noch gut in Erinnerung war. Berufsfeld zu erkennen, dass ihr der Weg einer solch 111 „Solange ein staatlicher Schutz für die Berufsbezeichnung ‘Ar- informellen Etablierung nicht offen steht. Angesichts chitekt’ in Deutschland fehlt, will der BDA durch ‘Selbstauslese’ Berufsstrategien von Architektinnen der bevorstehenden Trennung von Mart Stam stu- diese Lücke füllen.“ So der neugegründete BDA in: Der Bauhel- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ste- diert sie erneut. Ihr nach insgesamt 13 Semestern im fer, 1949, Nr.9, S.249. hen immer wieder vor der Frage, auf welchem Weg Alter von 41 Jahren erworbenes Architekturdiplom ist 112 So suggeriert bspw. die Überschrift des Artikels „Sie möchte sie berufliche Kompetenzen und Ambitionen umset- ein Hinweis darauf, welche außerordentliche Anstren- Einfamilienhäuser bauen“ (Nachtexpress vom 24.6.1947), dass zen können, wo und wie sie als Architektinnen tätig gungen zur Absicherung einer eigenständigen Per- die interviewte Doktorandin eine freie Laufbahn anstrebt. Käthe werden resp. bleiben können. Auch wenn zu Überle- spektive in der Architektur notwendig werden konn- Brendel, geb. 1921 in Berlin, studiert seit 1940 an der TH Char- gungen hinsichtlich beruflicher Etablierungsstrategien ten. Erst anschließend findet sie im Stadtplanungs- lottenburg und diplomiert im Frühjahr 1944. Am 10.8.1949 pro- fast keine Aussagen vorliegen und manche Aussagen amt Rotterdam ein ebenso dauerhaftes wie breites moviert sie an der TU Berlin mit der Arbeit: Die Straße ‘Unter widersprüchlich sind112, so werden doch gerade beim Betätigungsfeld, auf dem sie ihre Ideen einbringen den Linden’. Ob sie anschließend Einfamilienhäuser baut, ist Wechsel von Berufsfeldern und Tätigkeitsformen und verfolgen kann. bisher unbekannt. Auch eine akademische Karriere oder weitere auch berufsstrategische Entscheidungen erkennbar. Publikationen Brendels lassen sich bisher nicht nachweisen. Von Bonin hatte nach dem Diplom die freiberufliche So hatte bspw. Schneider bereits Anfang der zwanzi- 113 LL Ursula Weiß, 1954. Dieses Institut wurde um 1950 von Ro- Existenz angestrebt bereits Mitte der dreißiger Jahre ger Jahre, noch während ihres Studiums in Darm- bert Lenz (1907-1976) geleitet, der gleichzeitig mit Schneider den Schritt in die Selbständigkeit erfolgreich umge- stadt erstmalig geheiratet, das Studium unterbrochen am Bauhaus studiert hatte. setzt. Nachdem ihr durch die Reichskulturkammer und nach einem Jahr fortgesetzt. Unmittelbar im An- 114 Nach Aussagen Lotte Stam-Beeses gegenüber Cor de Wit be- 1936 das Mitgliedsbuch entzogen wird, baut sie 1937 schluss an das Diplom wird sie schwanger, im April schränkte sich ihre Tätigkeit dort „auf das Zeichnen von Baum- zum vorläufig letzten Mal.115 Dass sie mit der 1924 bringt sie eine Tochter zur Welt. Ein Jahr später strukturen“, zit. nach Schilt/Selier, 1993, S.14 Trennung von ihrem Lebens- wie Büropartner im April lebt sie getrennt, arbeitet als angestellte Architektin in 115 BArchB, RKK 2400, box 0221, file 06

Berufsverläufe und Lebenswege 281 keinesfalls ihre freiberufliche Existenz aufzugeben ge- zurückstellen, zeigt sich an ihren Bauten der sechzi- dachte, lässt sich anhand der Scheidungsakte nach- ger Jahre. Und auch bei Hartes und Oswalds Ent- vollziehen. Der verlassene Ehemann sieht das auf- scheidung für die Statik dürfte es sich schlicht um strebende Büro durch die Trennung gefährdet, rekla- einen bestmöglichen Kompromiss im Hinblick auf miert finanzielle Entschädigung für den Verlust der eine dauerhafte berufliche Perspektive gehandelt Partnerin und das Büro als sein alleiniges. Gegen die haben. Bedenken ihrer Anwältin, die anlässlich der antisemi- So zeigen die Wechsel der Arbeitsfelder wie die Sta- tischen Angriffe gegen den zukünftigen Ehemann tuswechsel zwischen Freiberuflichkeit und Anstellung zum Verzicht rät, setzt von Bonin in einem langwieri- im öffentlichem Dienst wie hartnäckig Architektinnen gen Verfahren die Richtigstellung ihrer beruflichen nach dauerhaft tragfähigen Perspektiven suchten. Leistung durch.116 Sie macht keine Zugeständnisse Mehrfache Statuswechsel - wie sie bspw. Edith Din- bei ihrer Autorinnenschaft, büßt dabei aber faktisch kelmann und Grete Schroeder-Zimmermann vornah- ihren Anteil am Büro und auch ihre Zulassung als Ar- men - finden wir in dieser Generation nicht.119 Auf der chitektin ein - und muss sich geschlagen geben. Erst Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Suche nach einem Umfeld, das ihren beruflichen Am- nach 1945 sucht von Bonin erneut nach Möglichkei- bitionen aussichtsreiche Chancen eröffnet, - erwägen ten, um ins Berufsfeld zurückzukehren, auch ohne Architektinnen zu allen Zeiten - und im Unterschied dass dies ökonomisch erforderlich gewesen wäre: zu den Migrationen auf der Flucht vor politischer Als es ihr nicht gelingt, einen in München lebenden und/oder antisemitischer Verfolgung - immer wieder Studienfreund von den Vorteilen einer Büropartner- auch die Emigration. schaft zu überzeugen, akquiriert sie Aufträge im Bekanntenkreis.117 Für zionistisch bewegte Architektinnen bot Erez Israel eine Möglichkeit, ihre beruflichen Kompetenzen im Herzenstein, die bereits 1930 Alexander Kleins wis- Rahmen eines politischen Projektes einzubringen. senschaftliche Analysen des Kleinwohnungsbaus Lotte Cohn ging bereits 1921 auf Drängen Richard kennengelernt hatte, wird nach dem Diplom in den Kauffmanns nach Palästina und arbeitete zehn Jahre klassischen Arbeitsfeldern privater Büros tätig: Werk- für ihn, bevor sie sich als Architektin selbständig planung und Bauleitung. Ihre Mitarbeit beim Stadt- machte. Aber auch die in späteren Jahren immigrie- planungsamt Rostock 1935 gibt sie nach wenigen renden Architektinnen - darunter Elsa Gidoni, Helene Monaten wieder auf. Unmittelbar nach Kriegsende Roth, Anna Klapholz und Judith Segal - konnten hier wird sie erneut im Bereich Stadtplanung tätig - als beim Aufbau des Landes ihre beruflichen Dezernentin für Statistik des Magistrats Berlin. Als Kompetenzen einbringen.120 sich ihr die Möglichkeit bietet, architektonisch zu ent- 116 Scheidungsakte Bonin/Gumberz, NL Bonin werfen, entwickelt sie die Laubenganghäuser an der Ella Briggs war bereits 1920 in die USA übergesie- 117 Die Zusammenarbeit kam nach Aussage von Clemens Weber Stalinallee. Diese Bauten werden jedoch bereits bei delt, wo sie in New York und Philadelphia baute. Le- nicht zustande, da - bei aller fachlichen Wertschätzung - die Ge- ihrer Fertigstellung 1949 zur Zielscheibe harscher onie Pilewski hatte in den zwanziger Jahren in Berlin, fahr, der Attraktivität dieser Frau zu erliegen, für ihn zu groß ge- Kritik und gebrandmarkt als „typisches Beispiel für Moskau und Tel Aviv Arbeit gesucht und gefunden. wesen sei. - Gespräch mit Prof. Weber im Oktober 1995 den `Baukastenstil´, wie er für die Werktätigen nicht Lotte Beese wechselte 1930 von Berlin nach Brünn, 118 Deutsche Bauakademie (Hg.): Für einen fortschrittlichen Städte- mehr in Frage kommen darf“.118 Derart missverstan- als sich ihr die Möglichkeit eröffnete, im Büro von bau, für eine neue deutsche Architektur. Leipzig, 1951, S.34 - den und denunziert wechselt Herzenstein 1958 in die Bohuslav Fuchs als Architektin zu arbeiten. Als sie Liebknecht ist seit 1949 Leiter der Deutschen Bauakademie wie Stadtplanung. 1932 ins russische Charkow zieht, ist sie erneut auf des Institutes für Städtebau und Hochbau beim Ministerium für der Suche nach einer interessanten Arbeitsmöglich- Auch wenn bei den hier skizzierten Berufsbiografien Aufbau. keit. Dass etliche der Architektinnen bereits in den nicht immer eine klare Berufsstrategie erkennbar ist, 119 Nur bedingt sind hier Relationen zur familiären Situation erkenn- zwanziger und dreißiger Jahren, während des Natio- so werden zweifelsohne immer wieder Architekturam- bar, zumal beide alleinerziehende Mütter waren. Die Hartnäckig- nalsozialismus wie auch nach 1945 emigrierten und bitionen sichtbar, zumal alle hier genannten immer keit, mit der Dinkelmann immer wieder einen Neueinstieg wagt, remigrierten, macht deutlich, dass die Wanderung wieder in den Beruf zurückkehren. Die Vielzahl der zeigt ihre Berufsambition. Schroeder-Zimmermann verfolgt im- zwischen Ländern, Kontinenten und Kulturen auf der Felder, in denen Weiß über vier Jahrzehnte tätig ist, mer wieder die Anerkennung ihrer Tätigkeit durch öffentliche In- Suche nach einem adäquaten Ort unternommen wird: zeigt, dass sich ihr zwischen projektbezogenem En- stitutionen sowie die adäquate Vergütung ihres Schaffens, was Einer Umgebung, die Architektinnen beruflich attrakti- gagement und Erwerbsnotwendigkeiten kaum Chan- eindeutig erkennen lässt, dass sie sich mit der Marginalisierung ve, zumindest akzeptable Rahmenbedingungen bie- cen bieten, ihre beruflichen Ambitionen selbstbe- ihres Tuns, der Zurücksetzung ihrer Person nicht abfand. tet. stimmt umzusetzen. Auch die Berufswege von Stam- 120 Zu Helene Roth vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.274 und 265, Beese und von Bonin verweisen auf deutliche Ein- Hinsichtlich möglicher Berufsstrategien zeichneten sowie Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.218. Zu Anna Klap- schränkungen ihrer beruflichen Interessen durch örtli- sich bereits bei den Berufseinstiegen ehemaliger holz vgl. Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S.327. Zu Stolzer- che wie private Umstände. Dass Beese und Herzen- Bauhaus- und Tessenowstudentinnen unterschiedli- Segal vgl. Wahrhaftig, 1996, S.342. Zu Genia Averbouch vgl. stein ihre architektonischen Ambitionen nicht gänz- che Präferenzen ab. Dabei ließen sich schon direkt Nerdinger, Winfried (Hg.): Neues Bauen in Tel Aviv 1930-1939, lich begraben, sondern lediglich zugunsten besserer nach dem Studium quasi zwei Fraktionen ausma- Tübingen, 1993, S.237. Hier sind 14 ihrer Bauten aus der Zeit Arbeitsmöglichkeiten in der Stadtplanung zeitweilig chen: Die entschiedenen Freiberuflerinnen und die von 1931 bis 1941 aufgeführt.

282 Vom Auftauchen und Verschwinden Vorsichtigeren. Beide Gruppen unterscheiden sich je- teil.124 Both nutzt Anfang der dreißiger Jahre mehrfach doch weniger durch ihren Grad der Entschlossenheit Phasen ohne Büroengagement, um sich an Wettbe- als durch ihre persönliche, insbesondere finanzielle werben zu beteiligen. Reiss und Ulrich sind 1933, ein Situation, denn der Sprung in die Freiberuflichkeit Jahr nach ihrem Studium als angestellte Entwerferin- wurde weit häufiger von den ‘abgesicherten’ als von nen und Dozentinnen tätig. Daneben arbeiten sie frei- den alleinerziehenden bzw. alleinlebenden Architek- beruflich und bemühen sich um Aufträge. Bereits tinnen unternommen. Unter den kurz- wie langfristig 1932 macht sich Waltschanowa in Plowdiw selbstän- innerhalb des Berufsfeldes angestellt wie freiberuflich dig, nach nur einem Jahr im öffentlichen Dienst. Um Tätigen finden wir jedoch sowohl Architektinnen, die 1933 tut dies Eisenberg in Berlin und zwei Jahre auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen waren als auch nach dem Diplom. Pfeiffer, die bereits während des welche, deren Auskommen familiär - durch die Her- Studiums bei einem Wettbewerb einen Ankauf erzielt kunftsfamilie oder in Verbindung mit einer Heirat - ge- hatte, realisiert 1934 und damit ebenfalls zwei Jahre Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sichert war. nach dem Diplom, den ersten eigenen Auftrag. Im selben Jahr, und gut drei Jahre nach Studienab- Dabei war zu beobachten, dass manche mit Umtrie- schluss bietet sich eine solche Chance auch Karselt. bigkeit und Akquisitionsgeschick ihr kulturelles Kapi- Ebenfalls drei Jahre nach dem Diplom gelingt Wilke tal und die sich ihnen bietenden Chancen nutzten um 1935 der Übergang von der Mitarbeit in eine frei- und innerhalb von drei Jahren nach dem Diplom eine berufliche Existenz. Spätestens 1936 werden ihre freiberufliche Existenz in Partnerschaft mit jenem Kol- ersten eigenen Entwürfe realisiert. legen begannen, in den sie sich während des Studi- ums verliebt hatten. Die Vorsichtigeren verliebten sich Als sich Schneider im Frühjahr 1938 beim Akademi- kaum seltener in einen Kollegen. Sie wählten jedoch schen Austauschdient für ein weiteres Studienjahr in einen Berufseinstieg über staatliche Laufbahnen, be- Paris bewirbt, gibt sie - nach einem Jahr bei der Ursula und Leo Weiß in den USA um 1930 gannen bei Hochbauämtern oder in Planungsabtei- Reichspost - als Berufswunsch „selbständige Archi- und zurück in Berlin um 1935 lungen von Ministerien. Nur wenige Architekturstu- tektin“ an. Seitz-Zauleck beantragt 1938 die Zulas- dentinnen der Weimarer Republik strebten erkennbar sung als freiberufliche Architektin, nach knapp zwei- eine ebenso unabhängige wie eigenständige Lauf- jähriger Mitarbeit in freien Architekturbüros und weni- bahn an oder schlossen sich mit einer Kollegin zu ei- ge Monate nach ihrer Heirat. Minsos gründet im An- ner Arbeitsgemeinschaft zusammen.121 schluss an ihre knapp dreijährige Mitarbeit in freien Büros 1939 gemeinsam mit ihrem Mann ein eigenes Unmittelbar nach Studienende wagten bereits in den Büro. Herde beteiligt sich 1941, fünf Jahre nach dem zwanziger Jahren Simon-Wolfskehl, Geyer-Raack, Diplom und zwei Jahre nach Ende ihrer Angestellten- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Dicker, Helm und Siedhoff den Sprung in die Freibe- tätigkeit gemeinsam mit ihrem Mann an einem Wett- ruflichkeit.122 1929 machten sich Fernbach, 1930 von bewerb. Wenige Jahre später wird sie erneut freibe- Bonin, 1936 Bánki selbständig. Obschon Bánki 1931 ruflich tätig. Kleffner-Dirxen gründet 1951, 15 Jahre die Berufsaussichten als angestellte Architektin nach dem Diplom und jahrelanger Tätigkeit als ange- höchst skeptisch beurteilt und die Freiberuflichkeit stellte Architektin gemeinsam mit ihrem Mann ein als „eine Unmöglichkeit“ bezeichnet hatte, nahm sie freies Büro. Und Vogel unternimmt den Schritt in die bereits während des Studiums freiberufliche Aufträge Selbständigkeit 1962, damit fast dreißig Jahre nach an, denn „mir graut auch vor dem Gedanken, immer ihrem Studium. von jemand abhängig zu sein.“ 123 Somit wird deutlich, dass zumindest ein Viertel aller Auch die - freie oder angestellte - Mitarbeit beim Be- Tessenow- wie Bauhausstudentinnen eine freiberufli- rufseinstieg schloss keineswegs freiberufliche Ambi- 121 So arbeiten Reiss und Ulrich um 1934 in New York zusammen. che Existenz anstreben, wobei Bauhausstudentinnen tionen aus. Dass sie die angestellte Tätigkeit nur als Meyer betreibt etwa zeitgleich in Süddeutschland mit einer diesen Schritt häufiger direkt wagen (müssen), Tesse- Vorstufe einer eigenen freiberuflichen Existenz verste- Kollegin einen Modesalon. nowdiplomandinnen sich zumeist schrittweise in eine hen, wird zumindest bei den Tessenowstudentinnen 122 Keine von ihnen bearbeitet ausschließlich Architekturaufträge. Freiberuflichkeit begeben. Dabei fällt auf, dass nur Iwanka Waltschanowa, Anni Pfeiffer, Helga Karselt, 123 Z. Bánki an Ö. Bánki, Dessau, Anfang 1931, in: Bánki, 1990, wenige ein ‘Ein-Frau-Büro’ gründen, so bspw. Geyer- Fridel Hohmann, Gisela Schneider, Gertraude Engels, S.66 - „Als Architekt ist es sehr, sehr schwierig, nein unmöglich, Raack, Simon-Wolfskehl, Waltschanowa, Eisenberg, Luise Zauleck, Johanna Tönnesmann und Christa eine Anstellung zu finden. Um nicht davon zu sprechen, daß Wilke und Bánki resp. nach dem zweiten Weltkrieg Dirxen erkennbar. Auch bei manchen Bauhausstu- man selbständig nie, wirklich nie Arbeit finden können wird.“ Meyer-Waldeck, von Bonin und auch Vogel. Während dentinnen - so bei Kattina Both, Ursula Weiß, Gerda 124 Gerda Marx - obschon überwiegend an der Malerei interessiert manche in Unterstützung männlicher Partner zeitwei- Marx, Hilde Reiss, Lila Ulrich und Annemarie Wilke und am Bauhaus insbesondere in der Metallwerkstatt tätig - fin- lig für das Berufsfeld tätig werden125, suchen andere lässt sich eine Phase der Mitarbeit im Hinblick auf det durch Freundschaften mit Gustav Hassenpflug und Johan die berufliche Partnerschaft mit Kollegen in der Hoff- eine Selbständigkeit beobachten. Niegeman zur Architektur. Sie arbeitet nach ihrer Studienzeit nung, auch selbst in dem - männlich strukturierten - auch ohne Abschluss immer wieder in Architekturbüros. Neben ihrer Tätigkeit als angestellte Architektinnen Berufsfeld Fuß zu fassen. 125 Vgl. Biografien Otte und Rogler. Zu Etel Fodor-Mittag vgl. nehmen Weiß 1929 und Marx 1930 an Wettbewerben So gelingt es Dicker, in Partnerschaft mit Singer ab Kap.7, S.271, FN 121

Berufsverläufe und Lebenswege 283 1926 private und öffentliche Bauaufträge zu überneh- ren - wie bspw. Anni Gunkel, Johanna Minsos, Ger- men. Ende der zwanziger Jahre arbeitet Both mit traude Herde, Ewa Oesterlen oder auch Ursula Weiß Forbat zusammen. Um 1930 sucht Zwirn, die ihre - deutlich, dass sie anlässlich einer Heirat den Wech- Entwürfe mit eigenem Namen zeichnet, die Zusam- sel von der angestellten zur freiberuflich tätigen menarbeit mit dem fünf Jahre älteren Fritz Span- Architektin vollziehen. nagel. Genia Averbouch arbeitet in Tel Aviv ab 1931 Es ist bisher nicht untersucht worden, wo und wie- teilweise mit Shlomo Ginzburg zusammen, betreibt viele Architektinnen während des Nationalsozialismus ab 1945 ein gemeinsames Büro mit Salman Baron.126 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar resp. nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Helene Roth arbeitet in Wien mit Albert Gerstner, in Deutschland tätig wurden. So ist unbekannt, wie viele Tel Aviv ab 1933 mit Alfred Abraham zusammen. Elsa ihre Freiberuflichkeit fortsetzen konnten oder einen Gidoni, die 1934 den Pavillon auf der Orientmesse in Neuanfang wagten, wie viele in Stellungen als Mitar- Tel Aviv noch allein realisierte, führt ihr Architekturbü- beiterinnen oder mithelfende Familienangehörige ro ab 1935 gemeinsam mit Lonek Zeisler, auch wenn trotz beruflicher Tätigkeit ‘unsichtbar’ blieben oder sie den Wettbewerb für das Haus der Pionierinnen wurden. allein gewinnt.127 Natalie Swan soll Ende der dreißiger Jahre gemeinsam mit den Studienkollegen Rogers „Bin auf anraten des neuen referenten der reichskul- Fridel Vogel (mitte) und Peter Knaack (links) bei der Preisverleihung und Priestley ein Büro in Chicago betrieben haben. turkammer (..) dem deutschen lyzeums-klub beigetre- des Wettbewerbs Altstadtsanierung Dillenburg, 1979 Marie Frommer kooperiert Anfang der vierziger Jahre ten (..) denn die lage der geistigen frau wird immer in New York mit Paul Bry. Und Ehren nimmt 1943 mit heikler“, schreibt die Künstlerin Gerda Rotermund Martin Elsässer am Wettbewerb für den Bahnhof in 1940 an ihre Kollegin Ellen Bernkopf-Katzenstein.130 Sofia teil. Ab 1946 kooperiert Meyer-Waldeck freibe- Angesichts spürbarer Unsicherheit lavieren während ruflich mit Hans Schwippert, Lotte Tiedemann mit des Nationalsozialismus nicht nur Architektinnen auf Walter Kratz. Und Lieselotte von Bonin strebt - auf der Suche nach kalkulierbaren Rahmenbedingungen der schwäbischen Alb lebend - eine Büropartner- und finanziellem Auskommen zwischen Zugeständ- schaft mit ihrem Studienfreund Mendel Weber an.128 nissen und Übererfüllung der an sie gestellten Erwar- Auch an Wettbewerben beteiligen sich Architektinnen tungen. Dabei sprach das - immerhin berufsfremde - ab den dreißiger Jahren in aller Regel in Arbeitsge- Kriterium „politisch zuverlässig“ offenbar nicht nur Ar- meinschaft mit Gatten, Kollegen oder Freunden - chitekten an, die sich im Kampfbund deutscher Tech- innerhalb wie außerhalb des Deutschen Reiches.129 niker zusammenschlossen oder SS-Verbänden bei- traten. Gerade Architektinnen, die nur wenige Bauten Den Versuch die freiberufliche Zusammenarbeit mit vorweisen konnten, mag die Aussicht beflügelt ha- einer privaten Beziehung zu verknüpfen, unternah- ben, durch eine NSDAP-Mitgliedschaft ein - bei der men bspw. ab 1924 Paula Marie Canthal und Dirk Antragstellung mit architektonischer Praxis scheinbar Gascard-Diepold, um 1929 Mila Lederer mit Hans kompatibles - Kriterium zu erfüllen. Manche, denen 126 Genia Averbouch, 1909 in Russland geboren, bis 1930 Studium Hoffmann, ab 1930 Lieselotte von Bonin mit Wilhelm die Aufnahme in die Reichskulturkammer aufgrund an der Académie des Beaux Arts in Brüssel, emigrierte 1930 von Gumberz-Rhonthal sowie Gerda Marx mit Johan ihrer Abstammung zunächst verweigert worden war, nach Palästina. Vgl. Nerdinger, 1993, S.237 Niegemann, um 1932 Maria und Alfred Müller, ab ersuchen die „persönliche Fürsprache“ hochrangiger 127 Vgl. Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein, Berlin, 1996, 1934 Lotte Beese mit Mart Stam, um 1935 Hilde Parteimitglieder. Während des Nationalsozialismus S.336 Reiss mit William Friedmann, ab 1938 Johanna Tön- erwies sich jedoch selbst die größte Assimilationsbe- 128 Aussage von Prof. Clemens Weber im Oktober 1995 in Mün- nesmann mit Alfred Minsos, ab 1951 Christa Kleffner- reitschaft kaum als beruflich tragfähige Strategie: chen. Dirxen mit Eberhard Kleffner. Architektonische Arbeitsfelder wurden Architektinnen 129 Nach 1945 finden wir Wettbewerbsteilnahme in unterschiedli- Ob Kameradschaftsehe oder Büropartnerschaft mit nur um den Preis der Unsichtbarkeit zugestanden. chen Konstellationen. In den zwanziger Jahren und Anfang der einem Kollegen, die berufliche Kooperation erweist dreißiger Jahre ließen sich auch Wettbewerbsteilnahmen von Auch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konn- sich als eine nur bedingt tragfähige Strategie, die ge- Architektinnenteams wie einzelner Architektinnen finden. Vgl. ten ehemalige Bauhaus- wie Tessenowstudentinnen mischtgeschlechtlichen Konstellationen i.d.R. nicht Kap.3, S.40ff. nur selten berufliche Perspektiven entwickeln. Im Un- als langfristig tragfähig. Dass mit dem Ende der pri- 130 Leber, Dorothee: Ich war die Marburger Kauernde, in: Münz- terschied zu den Architekturstudentinnen der Kaiser- vaten Beziehung der Verlust der beruflichen Rahmen- berg, Olav (Hg.): Vom alte Westen zum Kulturforum, Berlin, zeit, die ihre als ‘Feldarchitektinnen’ bewiesene va- bedingungen einhergehen konnte, wurde zumindest 1988, S.154 terländische Treue in eine Zulassung zum öffentlichen manchen Architektinnen bewusst. Sie meiden die 131 Lange ab 1946 (bis 1947) in Potsdam, Harte, Herzenstein und Dienst ummünzen konnten, eröffnen sich Architektin- Verknüpfung von privater und beruflicher Perspektive Seitz ab 1946 beim Berliner Ma-gistrat, Schaar und Küster ar- nen nach dem zweiten Weltkrieg keine neuen berufli- oder ‘entflechten’ die berufliche Beziehung, arbeiten beiten nach 1945 im Hochbauamt Steglitz, Beese arbeitet ab chen Chancen. Selbst jene, die der Reichskulturkam- wie Kleffner-Dirxen und Kleffner resp. Herde und 1947 im Stadtplanungsamt in Rotterdam, Weiß 1950 im Institut mer angehört resp. sich weitergehend mit dem Natio- Herde nur zeitweilig zusammen. für planwirtschaftliches Bauen Potsdam, ab 1954 bei der Se- nalsozialismus arrangiert hatten, gehören offenbar natsverwaltung in Berlin. Dort arbeitet ab den fünfziger Jahren Und gaben etliche Bauhausstudentinnen wie auch nur selten jenen Netzwerken an, die diese personelle auch Blank, spätestens ab den sechziger Jahren bspw. auch manche Tessenowdiplomandinnen anlässlich der Kontinuität absichern resp. herbeiführen, auch wenn Lotte Werner (geb. 1906). Heirat die angestellte Tätigkeit auf, so wird bei ande- einige der ehemaligen Bauhaus- oder Tessenow-stu-

284 Vom Auftauchen und Verschwinden dentinnen nach 1945 eine Stelle im öffentlichen dentinnen der Weimarer Republik knüpfen ihre Be- Dienst annehmen.131 Noch seltener waren sie als an- rufsperspektive häufig bereits zum Ende des Studi- gestellte Architektinnen in freien Büros tätig und nur ums an einen männlichen Partner. Diese Entschei- in Einzelfällen wagten sie die (Neu-)Gründung einer dung trägt manches Mal auch berufsstrategische Zü- freiberuflichen Existenz. Architekturstudentinnen der ge, erweist sich hinsichtlich einer beruflicher Etablie- Weimarer Republik bauten ihre Beziehungen über- rung jedoch in aller Regel als kontraproduktiv. Aber wiegend individuell auf und suchten ihre Chancen auch ledigen Architektinnen mit hoher Mobilität ge- und Möglichkeiten im Beruf in privaten Kontakten. lingt es nur selten, in Kernbereichen des Berufsfeldes annähernd dauerhaft ein Auskommen zu finden. Tessenowdiplomandinnen strebten mehrheitlich zu- nächst in angestellten Positionen einen weiteren Welche Berufsstrategien Architekturstudentinnen der Schritt der Professionalisierung, in späteren Jahren Weimarer Republik auch verfolgten - ob sie unmittel- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mindestens zu einem Drittel die Freiberuflichkeit an. bar den Sprung in die Freiberuflichkeit wagten oder Ehemalige Bauhausstudentinnen suchten häufiger eine eigenständige Existenz in Stufen anstrebten, ob bereits beim Einstieg ihre Chance in eigenen Aufträ- sie angestellt in freien Büros oder im öffentlichen gen oder freiberuflicher Mitarbeit. Ihre Qualifikationen Dienst als Architektinnen verantwortlich tätig werden bleiben weit fragiler als die der TH-Kolleginnen, auch wollten - kaum ein Berufsweg in der Architektur er- diplomierte Bauhausarchitektinnen arbeiten ggf. auch weist sich für Architektinnen dieser Generation über- unter ihrer Qualifikation. Dabei sind die Berufsfelder, haupt als kontinuierlich gangbar, kaum eine Strategie in denen sie tätig werden, breiter gestreut als die führt zu erkennbar nachhaltigen Erfolgen. ehemaliger Tessenowstudentinnen, die sowohl in den Anhand der Wechsel zwischen den Segmenten des Bereichen der Bauplanung wie der Bauverwaltung, Berufsfeldes und der Häufigkeit dieser Wechsel wur- aber auch im Bereich des Städtebaus Arbeitsfelder de die strukturelle Fragilität der Werkbiografien von Titel des ersten “Everyday Art Quarterly” 1946 (oben) finden. Architektinnen der Weimarer Republik sichtbar. Aber und der Wanderausstellung für amerikanisches Spielzeug, 60er Allzu häufig finden wir insbesondere bei ehemaligen wann und unter welchen Umständen verlassen Archi- Bauhausstudentinnen Wechsel zwischen unter- tektinnen das Berufsfeld? schiedlichen Tätigkeitsfeldern. Um längerfristig in der Architektur tätig werden können, müssen sie i.d.R. mehrere Strategien entwickeln, mehrere Wege ein- Berufswechsel - Berufsausstiege schlagen. Nur soweit sie ledig bleiben resp. sich von Verlassen Architektinnen das Berufsfeld nur tempo- ihren Partnern trennen, sind sie auch nach mehr als rär, aber in der Absicht zurückzukehren? Verlassen fünf Jahren im Berufsfeld zu finden. Dabei gelingt ih- sie nur bestimmte Berufssegmente, jedoch nicht das nen der Aufbau einer dauerhaften freiberuflichen Exi- Berufsfeld? Finden sie innerhalb des Berufsspek- stenz nur vereinzelt und erst nach dem zweiten Welt- trums keine Möglichkeit, um als freie, angestellte krieg. Etwas häufiger - wenn auch i.d.R. nicht dauer- oder verbeamtete Architektinnen ihre Fähigkeiten haft - machen sich ehemalige Tessenowstudentinnen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar auszuüben? Oder treten sie nur nicht mehr öffentlich gemeinsam mit einem Architektengatten selbständig. in Erscheinung? Wenden sie sich einem spannende- Auch ihnen gelingt die Etablierung einer freiberufli- ren Feld zu oder bewusst von der Architektur ab? Die chen Existenz nur in Einzelfällen und i.d.R. nur, so- Gründe für das ‘Verschwinden der Architektinnen im weit sie sich unabhängig von einem Partner im Be- Berufsfeld’ sind mehrschichtig und disparat. rufsfeld bewegen. Aber nicht nur ledige Architektin- nen erwägen häufiger einen Ortswechsel als ein Auf- Bei Alma Siedhoff-Buschers Berufstätigkeit stand die geben der Tätigkeit. Die hohe Mobilität zahlreicher Erwerbsnotwendigkeit deutlich im Vordergrund. Der Architektinnen zeigt - weit über die Einstiegsphase mit einem Schauspieler verheirateten, zweifachen hinaus - deutlich, wie hartnäckig sie ihre beruflichen Mutter war nach ihrer Exmatrikulation 1927 der Ambitionen verfolgen. Wechsel in die Erwerbstätigkeit als Illustratorin gelun- gen. Sie stellt Anfang der vierziger Jahre ihre Ent- Das Zweitstudium von Architektinnen - wie bspw. Si- wurfsarbeit jedoch ein und zieht sich auf ihre Famili- mon-Wolfskehl, Raack und Schneider - erscheint un- enrolle zurück - frustriert über den Mangel beruflicher 132 So bspw. auch bei Asta Berling, die die freiberufliche Tätigkeit ter dem Blickwinkel beruflicher Strategien retrospek- Herausforderungen. als Innenarchitektin in Berlin einstellte und ab 1934 Kindermö- tiv in einem neuen Licht: Alle verfügten über einen bel und Spielzeug entwarf und produzierte. Bis 1937 ist sie da- qualifizierten Abschluss und erste Erfahrungen im Be- Erzwungene Berufswechsel und -ausstiege fanden mit auf den Ausstellungen im Grassimuseum vertreten. Vgl. rufsfeld. Sie begaben sich mutmaßlich auch auf der wir insbesondere während des Nationalsozialismus.132 Günther, 1989, S.126. 1941, dem Jahr in dem sie letztmalig bei Suche nach erhöhten Chancen in der Profession auf Stefanie Zwirns, aber auch Leni Stahl-Langens und der Leipziger Herbstmesse vertreten ist, erscheint einer ihrer den Weg zum Bauhaus. Paula Marie Canthals Biografien sind Beispiele dafür, Entwürfe für ein Kinderzimmer in Eckstein, Hans: Die schöne wie rigoros die Reichskulturkammer die antisemiti- Ob Bauhaus oder Seminar Tessenow: Architekturstu- Wohnung, München, 1941, S.111 (3.Aufl. - 1.Auflage 1931) sche Politik umsetzte und die Existenzen jüdischer

Berufsverläufe und Lebenswege 285 ArchitektInnen vernichtete.133 Daneben zeigten häufi- hielt, fand ich keine Möglichkeit“, beschreibt Kattina ge Wechsel der Berufsfelder zwischen 1933 und Both 1947 ihre Gründe, das engere Berufsfeld zu ver- 1945 - so bspw. bei Herzenstein oder Harte -, dass lassen.141 Nach fast zwanzig Jahren im Beruf - davon sie sich propagandistischen und ideologischen Hür- 16 Jahre als angestellte Architektin in Privatbüros - den zu entziehen und dennoch in Kernbereichen des zieht sie sich resigniert zurück und arbeitet als Schät- Berufsfeldes tätig zu bleiben suchten.134 Mehrfache zerin.142 Zeitgleich und nach knapp sieben Jahren als 133 So äußert Alfred Gellhorn 1957 über seine frühere Mitarbeiterin: Gratwanderungen zwischen Arrangement und Rück- angestellte Architektin bei der Reichspost scheidet „Frau Paula Maria Canthal (..) war sehr begabt, zielbewusst und zug unternahm auch Both: Sie ist wiederholt arbeits- Gisela Ehren aus dem Berufsfeld aus. Sie war im vital. Aufgrund ihrer Wettbewerbserfolge kam sie in die Auswahl los, nennt sich um 1940 „Katharina” und macht die Auslandseinsatz für die Interradio 1944 in rumänische junger Talente, die (..) von Stadtbaurat Martin Wagner aufgefor- Erfahrung, dass für die von ihr angepeilten Stellen Kriegsgefangenschaft geraten und konnte erst 1946 dert wurden, auf der letzten Berliner Bauausstellung 1931 (..) je „Arbeitskräfte meiner Berufsausbildung nicht infrage nach Deutschland zurückkehren. einen Bau zu übernehmen. Unter diesem qualifizierten Nach- kämen“.135 wuchs waren Eiermann, Müller-Rehm, von Steinbüchel und an- Nach zwölf Jahren im Beruf kündigt Annemarie Lan- dere, die heute prominent sind und die neue Elite bilden. Bei un- Auch bei den exilierten Architektinnen fanden wir ge ihre Stelle als Regierungsrätin zum 31.5.1947. Sie gestörtem Fortgang wäre auch sie auf jeden Fall so weit gekom- Wechsel in andere Berufsfelder. Bei den Wenigsten wechselt aus der Verantwortung für den Wiederauf- men.“ NL Canthal, Schreiben Alfred Gellhorn vom 5.8.1957 ist das berufliche Schicksal nach der Emigration be- bau der Verkehrsinfrastruktur des Oderbruchs in die 134 Vgl. Kap 7, S.207 kannt.136 Die aus Wien stammende Lilia Sofer emi- Funktion einer Lektorin im Kinderbuchverlag in Berlin. 135 „Auf eine Bewerbung bei einer Behörde wurde mir mitgeteilt, griert 1938 in die USA, wo sie unter dem Namen Lilia In den fünfziger Jahren stellt sie diesen Wechsel als dass Arbeitskräfte meiner Berufsausbildung nicht infrage kämen. Skala als Schauspielerin erfolgreich tätig wird.137 Auch freiwillig dar.143 Anfang der fünfziger Jahre verlässt (..) Es wurde mir bekannt, das(s) für die bescheidene Arbeit, für die fast gleichaltrige Alexandra Biriukowa, die bereits Hilde Reiss nach knapp zwanzig Jahren das engere die ich mich beworben hatte, Schreinergesellen eingestellt wur- 1914 in St.Petersburg, 1925 in Rom ein zweites Mal Berufsfeld und eröffnet in Palo Alto ein Einrichtungs- den.“ Kattina Both, Schreiben vom 28.5.1947 in der Architektur diplomiert hatte, gab nach wenigen geschäft. Leonie Pilewski, die als freie wie auch als 136 So bspw. Margarete Zak, Pola Hoffmann, Eva Güterbock, Char- Jahren im Berufsfeld auf und erlernt den Beruf der angestellte Architektin tätig war, macht bereits An- lotte Zentner Kinderkrankenschwester.138 Ebenfalls auf der Suche fang der vierziger Jahre - nach knapp 20 Jahren im 137 Lilia [Johanna Julia Katharina ] Sofer, 1896 in Wien geboren, nach Berufsperspektiven möchten Andor und Eva Berufsfeld und mehreren Jahren als Architektin einer studierte ab dem WS 1914/15 an der TH Dresden, wo sie 1920 Weininger in den dreißiger Jahren nach England oder Wohnungsbaukooperative in Stockholm - endgültig das Diplom ablegt. Nach Wien zurückgekehrt, besucht sie die die USA auswandern. 1948 emigrieren Matty und ihr Hobby zum Beruf und widmet sich der Malerei. Schule von Max Reinhardt. 1923 heiratet sie den Kaufmann Lois Hannes Beckmann aus Prag in die USA. Sie suchen Und Klara Küster, die als angestellte Architektin so- Erich Pollak (1891-1980), 1924 und 1935 Geburt von Söhnen. nach NS- und KZ-Erfahrung einen Neubeginn. Matty wohl in freien Büros als auch in öffentlichen Ämtern Sie emigriert 1938 über Frankreich in die USA. Unter dem Na- Beckmann findet eine Perspektive als Lehrerin. tätig wurde, kehrt dem Berufsfeld nach mehr als zehn men Lilia Skala vermerken Filmografien zahlreiche Rollen, da- Jahren definitiv den Rücken: Sie absolviert Ende der Auch wenn die genauen Umstände der Wahl eines runter in „Lilies of the Field“ (1963) oder „House of Games“ fünfziger Jahre ein Pädagogisches Seminar und ar- neuen Berufsfeldes bei Architektinnen i.d.R. nicht be- (1987). - Für Hinweise zum Studium Sofers danke ich Despina beitet ab den sechziger Jahren als Lehrerin. kannt sind: Seit Architektinnen um die Jahrhundert- Stratigakos, für Hinweise zur Emigration Herbert Koch. wende das Berufsfeld betraten, sind sie auf der Su- Auch wenn die Anlässe oder gar die Gründe der Be- 138 Der Nachlass der aus Russland stammenden, 1967 nach Toron- che nach einem akzeptablen beruflichen Umfeld. rufswechsel häufig nicht benannt werden, deutlich to emigrierten Alexandra Biriukowa (1895-1967) befindet sich im Spiegeln die Berufswechsel exilierter Architektinnen wird anhand der Berufswechslerinnen, dass die Ar- IAWA, Blacksburg, VA. eine Flexibilität und Mobilität, die in der Regel überle- chitektur zahlreichen Studentinnen der Weimarer Re- 139 Hill, Schwerin, Beckmann, Gaebler, Markos-Ney - und wahr- bensnotwendig war139, so verweist bereits die Flexibi- publik keine akzeptablen Berufsmöglichkeiten bietet. scheinlich auch Busse - werden nicht mehr in der Architektur tä- lität, mit der Architekturstudentinnen der Weimarer So eröffnet bspw. das „House of Today“ Hilde Reiss tig. Republik im In- und Ausland ausweichen, auf ebenso zwar keine Karriere als Entwerferin, doch es erlaubt 140 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin an Hannes Meyer vom begrenzte wie fragile Berufsperspektiven. „Wir zogen ihr, in einer selbstbestimmten Umgebung gute Ge- 4.3.1948 es aus politischen und persoenlichen gründen vor, staltung und moderne Formgebung unter die Leute 141 Vgl. FN 135 unsere berufe aufzugeben und als handwerker zu ar- zu bringen. Reiss hatte sowohl in Partnerschaft wie 142 Petzinger, 1984, S. 47 beiten“, skizziert Ricarda Schwerin in einem Brief an auch angestellt die Erfahrung gemacht, dass ihre 143 AdKS, PA Lange, LL 1952 Hannes Meyer die Entscheidung zum Berufswech- Ambitionen und Überzeugungen innerhalb von Hier- 144 Auch gemeinsam mit Ulrich gelang dies nicht. Auch Ulrich er- sel.140 So plausibel Brüche in Erwerbsbiografien auf- archien zunichte gemacht wurden. Zudem hatte sie hielt nahezu keine Chancen, ihre gestalterischen Fähigkeiten grund von Kulturdifferenzen bei Emigration scheinen Mitte der dreißiger Jahre in New York City erlebt, auch im Raum umzusetzen. Sie arbeitet in der Malerei, experi- mögen, immigrierte Architektinnen kehren dem Be- dass sie nahezu keinen Zuschlag für eine Realisie- mentiert mit abstrakten Collagen, verschiedenen Techniken und rufsfeld auch hier nur dann den Rücken, wenn ihnen rung erhielt, selbst wenn sie publizieren konnte,.144 wechselnden Sujets. qua Professionskultur eine Akkulturation in Form ei- Als sie Anfang der fünfziger Jahre eine Stelle als 145 Everyday Art Quarterly, 1949, Nr.13, S.10 - Diese Haltung bein- ner eigenständigen Berufsausübung nicht zugestan- angestellte Architektin in San Francisco annimmt, er- haltet eine so vielfältige Mission für „well designed products“, den wird. lebt sie die Anweisungen und Entscheidungen des dass das Bauen von Häusern nur eine Facette darstellt. Reiss Bürochefs als ebenso wenig sachgerecht wie bevor- empfiehlt im Quarterly kommentarlos die Rezeption moderner „Zur Verwirklichung der Bauaufgaben, die ich mir als mundend. So ist das inakzeptable Arbeitsklima im Häuser bekannter und unbekannter Architekten. „Surprisingly, Ziel meines Schaffens gesteckt habe und um derent- Büro Erich Mendelsohns der Anlass ihrer Kündi- few institutions have originated exhibitions of architecture or city willen ich die Schwierigkeiten des Berufes und die gung.145 Ihre Entscheidung für die Tätigkeit als Kura- planning.“ Ibid., S. 4 mir reichlich entgegengebrachte Herabsetzung aus-

286 Vom Auftauchen und Verschwinden torin, Kulturvermittlerin und Geschäftsfrau ist keine wenige kehren in zuvor ausgeübte Berufe zurück, an- Abkehr von der Architektur, sondern von den vorherr- dere wenden sich neuen Berufsfeldern zu. Während schenden Machtverteilungen in der Planungspraxis. Architektinnen, die der Familie Priorität einräumen, ei- Sie sucht einen selbstbestimmten Weg, ihr Anliegen ne eigene Entscheidung zugunsten der Familienarbeit Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zu realisieren: „to create a broader unstanding of art zu treffen scheinen, wird an den beharrlichen wie den in our lives“. 146 beruflich erfolgreichen Aussteigerinnen aus der Archi- tektur deutlich, dass Berufskarrieren von Architektin- Zeichnete sich bei sden Studentinnen der Kaiserzeit Wunderhocker, Wera Meyer-Waldeck, um 1950 nen innerhalb des Berufsfeldes Architektur nicht an ab, dass sie sich der freien Kunst zuwandten oder individuellen Begabungen und Kompetenzen schei- bereits in den zwanziger Jahren an den Rändern des tern. Dass die Zahl der Berufsaussteigerinnen unter Berufsfeldes nach tragfähigen Existenzen suchten147, den verheirateten Müttern signifikant hoch liegt, ver- so ist die Tendenz, in Nischen ein Auskommen zu fin- weist einerseits auf die Unvereinbarkeit von traditio- den, auch bei Studentinnen der Weimarer Republik neller Mutterschaft mit dem Selbstverständnis man- zu beobachten. Als Architektinnen finden wir sie im cher Architektin. Angesichts der berufstätigen Mütter Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bereich Innenarchitektur und Statik ebenso wie beim unter den Architektinnen wird jedoch auch deutlich, Entwurf von Kindermöbeln und Spielzeug. Insbeson- dass sich Familienarbeit und Beruf nicht grundsätz- dere in Krisenzeiten werden sie aber auch auf weiter lich ausschließen. entfernten Berufsfeldern erwerbstätig, wobei insbe- sondere ehemalige Bauhausstudentinnen manches Mal auf ihre vor der Bauhauszeit erworbenen Qualifi- kationen zurückgreifen. Berufswege und Familienwege Bei mehr als der Hälfte der ehemaligen Bauhaus- und Und gingen Architektinnen in den zwanziger (wie Tessenowstudentinnen konnten die Lebenswege auch in den fünfziger) Jahren manches Mal ins Aus- nach dem Ende des Studiums soweit rekonstruiert 146 Auch Rahel Bontjes von Beek, die Ende der zwanziger Jahre im land, um dort als Architektinnen an einem bestimm- werden, dass sich Tendenzen zum Verhältnis von be- Büro Mendelsohns in Berlin gearbeitet hatte, erinnert „harte und ten Projekt oder in einem bestimmten Umfeld tätig ruflichen Ambitionen und familiärer Orientierung be- bissige Vorgesetzte.“ „Bei mir war eigentlich alles ein Wunder“ werden zu können, so steht bei Emigrationen wäh- nennen lassen. Notizen eines Gespräches mit Rahel Bontjes van Beek, das Do- rend des Nationalsozialismus i.d.R. die Existenzsi- rothea Schemme 1990 führte, in: Baufachfrau e.V. (Hg.): Frauen cherung im Vordergrund. Etlichen jüdischen Architek- Alle bisher recherchierten Aussagen über das Ver- in Bau- und Ausbauberufen, Berlin, 1990, S.88. tinnen gelingt auch nach der Emigration zumindest hältnis von Familie und Beruf von Architekturstuden- 147 Dies zeigt bspw. die Flexibilität von Briggs, ihr Engagement in zeitweilig eine Berufstätigkeit im Bereich Architektur. tinnen der Weimarer Republik datieren nach 1945 Ausstellungsarchitektur und Fachjournalismus, nachdem es ihr Die freiberufliche Etablierung gelingt jedoch nur aus- und beziehen sich nicht auf die eigene, sondern Fa- nach Fertigstellung des Beamtenwohnungsbaus in Mariendorf nahmsweise.148 Auch wenn während des Nationalso- milie im allgemeinen. Indirekt äußert sich Karola (1930) nicht mehr gelingt Wohnungsbauaufträge zu realisieren. zialismus wie unter den Bedingungen des Exils eine Bloch zu diesem Verhältnis, wenn sie in ihrer Auto- 148 Freiberufliche Existenzen wie bspw. die von Briggs in London, verstärkte Flexibilität resp. Kompromissbereitschaft biografie auch ihr Studium und Berufsleben Revue Frommer in New York oder Liane Zimbler in lassen zu beobachten war, so sahen wir auch, dass zu allen passieren lässt.149 Die Dreh- und Angelpunkte der sich für Architekturstudentinnen der Weimarer Republik bisher Zeiten just jene Architektinnen, die mit Ehrgeiz, Lei- nach dem Tode Ernst Blochs aufgezeichneten Erin- kaum nachweisen. Evtl. gelang dies Helene Roth in Tel Aviv. denschaft, Mut und Flexibilität - und manchmal jahr- nerungen bilden die Unterstützung des Gatten wie 149 Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981 zehntelanger Ausdauer - nach akzeptablen Arbeits- das politische Engagement der ‘Frau an seiner Sei- 150 Wenn sie bspw. hochschwanger berufstätig bleibt, Kurierdien- bedingungen in geeigneten Konstellationen gesucht te’. Dabei bleibt die Berufstätigkeit der politischen ste zu polnischen Genossen übernimmt oder Beziehungen hatten, die Tätigkeitsfelder oder sogar das Berufsfeld Überzeugung wie dem Wohlergehen des zwanzig nutzt, um seinen Wunsch nach einem Gänsebraten zu erfüllen. wechselten. Sie kehren damit weniger der Architektur Jahre älteren Philosophengatten nachgeordnet.150 151 Durch die Rezessionen in den zwanziger Jahren war die Mög- als den gängigen Praxen innerhalb des Berufsfeldes Während Architekturstudentinnen der Kaiserzeit bei lichkeit der Delegation für bürgerliche Familien nicht mehr in den Rücken: Hierarchiestrukturen, die ihnen keine Heirat dank Dienstboten ihre Berufspriorität aufrecht- vergleichbarem Maße gegeben. Neben dem ökonomischen Möglichkeit bieten, sinnhafte Tätigkeit und gesicher- erhielten, kommt diese Form der Vereinbarkeit von Faktor kommt hierin aber auch eine veränderte Auffassung der tes Einkommen zu verbinden - soweit es ihnen nicht Beruf und Familie für die nächste Architektinnenge- Frauenrolle zum Ausdruck. gelingt, eine eigene freiberufliche Existenz aufzubau- neration mehrheitlich offenbar nicht mehr in Frage.151 152 Sechs der Bauhausstudentinnen wie sechs der Tessenowdiplo- en. Für ein Leben ohne Familiengründung entscheidet mandinnen bleiben ledig: Dies sind Both, Busse, Lewin, Men- Zwei Drittel aller Architekturstudentinnen der Weima- sich etwa jede Fünfte der Bauhaus- und Tessenow- del, Meyer, Meyer-Waldeck resp. Behrmann, Blank, Gaiser, Her- rer Republik konzentrieren nach mehreren Jahren im studentinnen. Die ganz überwiegende Mehrheit ent- zenstein, Koch und Schaar. Während zahlreiche Architektinnen Berufsfeld ihre Ambitionen auf ein Feld außerhalb der scheidet sich für eine eigene Familie und damit i.d.R. nach der Heirat übergangsweise einen Doppelnamen anneh- Architektur. Trotz verwertbarer Qualifikationen der für eine ebenso bürgerliche wie ‘standesgemäße’ men, führen andere über Jahrzehnte konsequent den Doppel- TH-Studentinnen, trotz hoher Mobilität, familiärer Heirat unter Verzicht des eigenen Namens.152 Sichtbar namen, so bspw. Geyer-Raack und Stam-Beese, aber auch Fal- Kontakte, kulturellen Kapitals und Mehrsprachigkeit wird, dass die Entscheidung über Berufs- resp. Fami- kenberg-Liefrinck und Fingerlos-Lohner. Hoffmann-Lederer ver- bietet ihnen die Architektur offenbar zu wenig Mög- lienpriorität in der Generation der Architekturstuden- wendet nach 1945 häufig das symbiotische „Hoffmannlederer“, lichkeiten, um unter akzeptablen Rahmenbedingun- tinnen der Weimarer Republik nicht eindeutig mit ebenso wie ihr Mann. Von Bonin, Canthal und Reiss verwenden gen ein befriedigendes Auskommen zu finden. Einige einer Ausbildungsrichtung korreliert.153 auch nach Heirat den eigenen Familiennamen.

Berufsverläufe und Lebenswege 287 Wie alt sind die Architekturstudentinnen der Weima- sung’ auf dem Weg zur Ehe bzw. Mutterschaft be- rer Republik zum Zeitpunkt der Heirat? Bauhausstu- griffen hätten.158 Denn wie die Analyse der Werkbio- dentinnen heiraten manches Mal erst in ihren dreißi- grafien zeigt hat eine Heirat ab den dreißiger Jahren ger Jahren, während der Jahre in Weimar jedoch i.d.R. nicht mehr das unmittelbare Ausscheiden der auch bereits mit 20.154 Im Unterschied dazu heiraten Gattin aus der Berufstätigkeit zur Folge.159 Dies bestä- Tessenowstudentinnen frühestens mit 25, in der Re- tigt rückwirkend nicht nur die Studienmotivation, son- gel zwischen dem 27. und dem 32. Lebensjahr.155 dern insbesondere die hohe Berufsmotivation dieser Damit heirateten Bauhausstudentinnen nicht nur Architektinnen, auch wenn die hohe Heiratsbereit- deutlich früher als Tessenowstudentinnen, sie taten schaft verwundern mag. dies vergleichbar oft noch vor Erreichen der Volljäh- 153 Ute Georgeacopol-Winischhofer konstatiert für die Architektin- Da verheiratete Frauen nach Gesetzeslage nicht ohne rigkeit. nen der TU Wien: „Das Studium der Architektur wurde in jedem Zustimmung des Gatten erwerbstätig sein konnten, Fall als bedeutender, persönlichkeitsbildender Faktor empfun- Die deutlich höhere Berufspriorität der TH-Studen- wird das rationale Selbstverständnis der Architektin- den. Die erarbeiteten Biographien beweisen, daß Absolventin- tinnen bestätigt sich anhand der Erwerbsdauer vor nen dieser Generationder anhand der beruflichen nen häufig beide Berufungen - den Beruf der Architektin (..) und Eheschließung: Selbst wenn diese Heirat schon wäh- Ambition sehr deutlich sichtbar: Die Akzeptanz der die Aufgabe innerhalb der Familie - in sich zu vereinen suchten.“ rend des Studiums geplant wurde, so arbeiten Tes- eigenen Berufstätigkeit durch den Partner war hier Georgeacopol- Winischhofer, 1997, S.216 resp. S.215 senowstudentinnen i.d.R. dennoch ledig zunächst offensichtlich ein entscheidendes Selektionskriterium 154 Vor dem 23.Lebensjahr gingen Berkenkamp, Markos-Ney, Marx, zwei, häufig auch drei bis fünf Jahre als Architektin- der Gattenwahl. Die meisten Tessenowstudentinnen Meltzer, Müller, Schöder und Wiener die (erste) Ehe ein. Mit dem nen.156 Demgegenüber verfügen Bauhausstudentin- stellen die eigene Berufstätigkeit im Rahmen der 25.Lebensjahr waren Brauer, Katz, Lederer, Rogler und Schnei- nen zwar häufig über Erfahrungen im Erwerbsleben, Partnerwahl nicht zur Disposition. Im Unterschied der verheiratet, vor Erreichen des 30.Lebensjahres auch Bánki, im Berufsfeld Architektur hat vor der Heirat jedoch dazu räumen die meisten Bauhausstudentinnen der Buscher, Fernbach, Gerson, Loewe, Reiss, Simon-Wolfskehl nur ein Drittel bereits gearbeitet.157 Wenige Bauhaus- beruflichen Tätigkeit des Partners den Vorrang ein.160 und Swan. 30 resp. 31 Jahre waren bei Eheschließung Beese, und noch weniger Tessenowstudentinnen heiraten di- Im Vergleich der beruflichen Ambitionen verheirateter Enders, Josefek, Ulrich und Wimmer. 33jährig heiratete Wilke, rekt im Anschluss an das Diplom. Diese Architektin- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wird 37jährig Dicker. nen möchten nicht nur zunächst die materielle Basis deutlich, dass ehemalige Tessenowstudentinnen sich 155 Engels ist zum Zeitpunkt der Heirat 25 Jahre alt, kaum älter sind für eine Familiengründung sichern, sondern ihre Ener- qua Heiratsverhalten zwar häufiger an bürgerliche Rauter, Brobecker und Zauleck, Mit 27 Jahren heirateten Freise, gie zunächst ungeteilt in die Berufstätigkeit einbrin- Konventionen hielten, jedoch faktisch weit deutlicher Pfeiffer, Waltschanowa. Noch vor, resp. im 30.Lebensjahr heira- gen. Dies widerspricht der These Glasers, nach der aus traditionellen Rollen ausbrachen als ehemalige teten Tönnesmann, Dirxen, Berg, Karselt, von Bonin, Hajek und Studentinnen während der Weimarer Republik die Bauhausstudentinnen, die i.d.R. keine eigene Berufs- wahrscheinlich Kaatz. Eisenberg heiratete mit 31, Schneider mit akademische Berufsausbildung resp. qualifizierte Be- tätigkeit gegenüber einem Partner behaupteten und 32 und Korte mit 33 Jahren. Bereits 37jährig gingen Weckend rufstätigkeit zunehmend als eine Art ‘Übergangslö- damit weit deutlicher eine bürgerlich-traditionelle und Hohmann eine Ehe ein. Dementsprechend liegt das durch- schnittliche Heiratsalter bei Tessenowstudentinnen mit über 29 Jahren fast drei Jahre über dem Mittelwert des Heiratsalters Familie Koppelmann, um 1944 Familie Ehren in den 60er Jahren ehemaliger Bauhausstudentinnen. 156 Brobecker, Dirxen, Eisenberg, Engels, Korte und Pfeiffer hatten zum Zeitpunkt der Heirat zumindest zwei Jahre lang, Schneider und Karselt fünf Jahre lang gearbeitet. Auch die Gaststudentin- nen Grete Berg und Friedel Hajek heiraten erst mehrere Jahre nach Studienabschluss und dürften zunächst als Architektinnen gearbeitet haben. 157 Dies sind Simon-Wolfskehl, Bánki, Beese, Dicker, Fernbach, Reiss, Ulrich, Swan, Wilke und Wimmer. 158 So die These Edith Glasers, die anhand der kurzen Berufsdauer vieler Architektinnen zunächst verifizierbar schien. Glaser, Edith: Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Die Anfänge des Frauenstu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar diums in Tübingen (1904-1934), Weinheim, 1992, S.43 159 Ausnahmen von dieser Regel sind unter den Tessenowstuden- tinnen lediglich Freise, Pfeiffer, Engels und Tönnesmann. Sie alle kehren zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Von den Bauhaus- studentinnen gaben in den zwanziger Jahren zumindest Simon- Wolfskehl und Gutzeit, in den dreißiger Jahren Schöder und Rogler die Berufstätigkeit anlässlich der Heirat auf. 160 Das Spektrum dieser unbedingten Loyalität in der Professions- frage, der Priorität seiner Leistung reicht dabei vom Rückzug aus konkurrierenden Bereichen über nachhaltige Unterstützung bis zum Mäzenatinnentum gegenüber minderbemittelten Gatten.

288 Vom Auftauchen und Verschwinden Frauenrolle übernahmen. dabei bewusst für eine bürgerlich-traditionelle Frau- enrolle oder gegen das Berufsfeld? Spiegelt sich hier Dass diese Rollenverteilung nur bedingt im Interesse die Repressivität eines nationalsozialistischen Mutter- von Bauhausstudentinnen liegt, wird daran deutlich, schaftsideals wider oder ein bereits in den zwanziger dass sie häufig nur kurzzeitig verheiratet bleiben. Die Jahren propagiertes Bild der modernen Hausfrau? Dauer ihrer Ehen liegt - mit einer Ausnahme - zwi- Oder ist dies nur ein weiteres Indiz dafür, dass der schen einem und zehn Jahren, die von Tessenowstu- Ausstieg aus der Erwerbsarbeit für Architektinnen dentinnen deutlich höher. Zumindest 11 von 38 ver- 161 Dies sind die Ehen von Beese, Brauer, Marx, Reiss, Schneider, dieser Generation nicht unattraktiv war? Vollziehen heirateten Bauhausstudentinnen und 4 von 18 ver- Swan, Wiener und Wilke sowie von Gerson, Itting und Markos- sie einen schleichenden Rückzug ins Private, bei dem heirateten Tessenowstudentinnen lösen diese Ehe.161 Ney. Auch die Ehen der Tessenowstudentinnen Bonin, Freise die Übernahme der sozialen Mutterschaft nur die Angesichts der Vielzahl möglicher Konstellationen und Karselt, sowie die der Gaststudentin Berg werden geschie- plausibelste Erklärung für eine Abkehr von der scheint eine Einordnung der Lebensentwürfe nach den. Berufspraxis ist? bestimmten Mustern ebenso absurd wie eine Kate- 162 Nach der Geburt von Kindern kehrten Kreher [geb. Rogler] und gorisierung nach Familienstatus oder Kinderzahl: Da Die realen familiären Belastungen von Architektinnen Ehren [geb. Schneider] nicht ins Berufsfeld zurück. finden wir zum einen Architektinnen, die mit - und korrespondieren nur sehr bedingt mit dem Familien- 163 Durchgängig erwerbstätig blieben von den verheirateten Archi- ohne - Eheschließung in eine familiäre Rolle wechseln stand. Weit stärker werden hier Lebensstile und -hal- tektinnen bspw. Kleffner-Dirxen und Stam-Beese, aber auch und nie wieder ins Berufsfeld zurückkehren162, zum tungen als handlungsleitend erkennbar. Denn wäh- Bloch, Oswald, Stam-Beese, Heise, Siedhoff-Buscher und Her- anderen Architektinnen, die die Erwerbsarbeit ledig- rend einige wenige - wie Simon-Wolfskehl, Pfeiffer, de. Nach weniger als fünf Jahren nach der Geburt des jüngsten lich für die Zeit des Wochenbetts unterbrechen, und Engels und Freise - sogar bereits in Vorbereitung auf Kindes kehrten Küster, Niegeman-Marx, Weininger, Weiß, nach welche, die nach der Kleinkindphase oder nach Jahr- eine Heirat ihre Berufsstellungen verlassen, finden wir mehr als zehn Jahren Bonin, Oesterlen, Schuster und Vogel zu- zehnten in das Berufsfeld zurückkehren.163 Dennoch das Gros der verheirateten Architektinnen auch drei rück. lässt sich anhand der Kinderzahl eine Tendenz - für Jahre nach der Heirat, ein Viertel auch fünf Jahre da- 164 Bei den Zwillingsgeburten Anni Gunkels (1935 und erneut 1937) oder gegen eine Familienpriorität - erkennen, zumal nach in beruflicher Vollzeitbeschäftigung. Fast alle trägt dies allerdings auch deutlich schicksalhafte Züge. Christa etliche Architektinnen keine Zweifel daran lassen, Tessenowdiplomandinnen und immerhin die Hälfte Mory und Ella Kreher bringen zwischen 1937 und 1942, resp. dass sie bzgl. der Geburtenregelung aktiv eingriffen. der Bauhausstudentinnen war zunächst berufstätig bis 1944 ebenfalls fünf Kinder zur Welt. geworden. Für sie stellt eine Heirat nicht den Anlass 165 Ella Rogler im Interview am 25.3.1998 Von den verheirateten Bauhausstudentinnen bleiben oder gar den Grund dar, um die Berufstätigkeit auf- 166 Lediglich Friedl Dicker heiratet einen Buchhalter und Wera Itting Bánki, Josefek, Lederer, Otte, Reiss, Lasnitzki, Swan zugeben. soll einen Kellner geheiratet haben. Ärzte heirateten Zsuzsanna und Wimmer kinderlos, entscheiden sich Gaebler, Bánki, Ursula Schneider (in 2.Ehe), Lila Ulrich und Irina Kaatz. Koppelmann und Weininger nach der Geburt des er- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik hei- Lore Enders und Annemarie Wilke heiraten Maschinenbauin- sten Kindes gegen weiteren Nachwuchs. Im Unter- raten mehrheitlich Männer, die einen akademischen genieure, Christa Schöder einen Pfarrer, Lieselotte von Bonin in schied dazu bleibt von den verheirateten Tessenow- Beruf ausüben.166 Auffällig häufig fällt die Wahl auf zweiter Ehe einen Bankier, Natalie Swan einen Journalisten, studentinnen nur Seitz kinderlos, bringen lediglich einen Berufskollegen.167 Und während fast ein Drittel Grete Berg einen Landwirt und Ruth Weckend einen Chemiker. Bonin und Vogel nur ein Kind zur Welt. Drei resp. vier der architekturinteressierten, ehemaligen Bauhaus- Schriftsteller heiraten Annemarie Wimmer und Hildegard Korte. Kinder bekommen von den Tessenowstudentinnen studentinnen eine Ehe mit einem Künstler eingehen, 167 Dies tun die ehemaligen Bauhausstudentinnen Gerda Marx, Lot- Gisela Ehren, Gertraude Herde, Christa Kleffner-Dir- heiratet nur eine der ehemaligen Tessenowstudentin- te Gerson, Lotte Beese, Ricarda Meltzer und Hilde Reiss sowie xen, Ewa Oesterlen, Helga Schuster und Irina Zu- nen - Luise Zauleck - einen Künstler.168 Dabei finden die Tessenowstudentinnen Lieselotte von Bonin, Helga Karselt, schneid, von den Bauhausstudentinnen Gerda Marx, die Familiengründungen ganz überwiegend in die Zeit Gertraude Engels, Eva Freise, Anni Pfeiffer, Fridel Hohmann, Jo- Maria Müller und Lore Hesselbach. Fünf Kinder brin- des Nationalsozialismus statt, mehr als die Hälfte al- hanna Tönnesmann, Gisela Schneider und Christa Dirxen - Klara gen die Tessenowdiplomandin Anni Gunkel und die ler Eheschließungen von Bauhaus- und Tessenow- Brobecker heiratet einen Bauingenieur. ehemaligen Bauhausstudentinnen Christa Mory und studentinnen fallen in diese Jahre.169 Sowohl Töchter 168 Maler resp. Bildhauser heiraten Toni von Nelissen-Haken, Alexa Ella Kreher zur Welt.164 aus protestantischen wie katholischen, aus konserva- Gutzeit, Mila Lederer und Lou Berkenkamp, Eva Weininger, Mat- tiven wie aus progressiven Elternhäusern, Gattinnen Hier zeigt sich, dass Tessenowdiplomandinnen die ty Weiner, Ruth Josefek, Hilde Katz, Ella Rogler und Suzanne von Architekten wie von Kaufleuten und Ärzten neh- Ehe i.d.R. im Hinblick auf eine Familiengründung ein- Ney. Tony Simon-Wolfskehl heiratet einen Grafiker, Alma Bu- men im Lauf der dreißiger Jahre die Mutterrolle als gehen, während Bauhausstudentinnen mehrheitlich scher einen Schauspieler. ‘full-time-job’ wahr. Bei Einzelnen wird sichtbar, dass mit der Heirat eine Beziehung legalisieren. In wieweit 169 1933 heiraten Loewe und Waltschanova, 1934 Beese, Bonin, sie sich genau diesen traditionellen Rollenverteilun- die Entscheidung für resp. gegen Kinder durch die Enders, Pfeiffer, Rogler und Schöder. Mitte der dreißiger Jahre gen entziehen resp. immer wieder individuelle Strate- politischen Rahmenbedingungen und die jeweilige heiraten Beloweschdowa, Dolezalowa, Eisenberg, Josefek, gien zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden. berufliche Perspektive beeinflusst wurden, bleibt Kaatz und Rauter, 1936 Bonin (2. Ehe), Dicker, Freise, Karselt Denn zumindest ein Drittel der verheirateten Archi- i.d.R. unbenannt. Nur Ella Kreher beschreibt ihre Ent- und Katz, 1937 Zauleck, 1938 Bánki und Tönnesmann, 1939 tektinnen bleibt auch während des Nationalsozialis- scheidung für Kinder quasi als Folge des Wegbre- Dirxen, Engels und Wimmer, 1940 Wilke und Brobecker, 1941 mus im Berufsfeld tätig.170 Deutlich wird jedoch auch chens jeglicher Berufsperspektiven anlässlich des Swan, Ulrich und Ney (2.Ehe), 1942 Berg und 1943 (Gisela) hier, verheiratete wie alleinstehende Kolleginnen auf Sieges der Nationalsozialisten 1933: „Danach waren Schneider. ungleichem beruflichem Terrain mit zunehmender Kinder meine Produkte.“ 165 170 Brandeis [geb. Dicker], Ehren [geb. Schneider], Herde [geb. En- Dauer kaum erfolgreich konkurrieren können. Ihnen gels], Küster [geb. Brobecker], Lange [geb. Wimmer], Minsos Wer entscheidet sich für, wer gegen eine Ehe? Und bleiben in ‘offener’ Konkurrenz manche Arbeitsfelder [geb. Tönnesmann], Palne [geb. Bánki], Seitz-Zauleck, Stam- entscheiden sich Architektinnen dieser Generation nahezu verschlossen. Beese, Weiß [geb. Schneider], Zuschneid [geb. Kaatz].

Berufsverläufe und Lebenswege 289 Und so sehr sie bei der Gattenwahl den Konditionen tektin arbeitet.“ 175 Dagegen eröffnen zusätzliche bürgerlicher Ehen und damit dem Verlust der eigenen Verpflichtungen des Gatten für manche Architektin Berufsperspektive zu entkommen suchten, so wenig neue Freiräume. Hierzu merkt bspw. Annelise Eich- scheint die jeweilige Heirat faktisch eine eigenständi- berg an: „Der hatte ja als Hauptaufgabe seinen 171 Lediglich Konrad Püschel erinnert für die Situation in Moskau ge Berufsstrategie ermöglicht zu haben. Während für Lehrstuhl“.176 1932: „Das Eingewöhnen fiel Lilo nicht leicht. (..) Hier, wo alle verheiratete Architekten die Nicht-Berufstätigkeit der arbeiteten, machte sich eine Beschäftigung für Lilo notwendig.“ Bleiben Architektinnen dieser Generation bei unter- Gattin nur ausnahmsweise ein Problem darstellt171, Püschel, Konrad: Wege eines Bauhäuslers, Dessau, 1997, S.69 schiedlichen Berufen der Partner i.d.R. berufstätig, so scheint deren berufliche Ambition insbesondere beim 172 Keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Architektengat- gelingt dies den mit einem Architekten oder Künstler ‘takeoff’, dem Über-gang von der Gründungs- zur ten bot sich bspw. Gisela Ehren. Helga Schuster, Ewa Oester- verheirateten Kolleginnen i.d.R. nicht. Die Kamerad- Etablierungsphase eines gemeinsamen Büros lästig len und Fridel Vogel war nur eine zeitweilige resp. punktuelle schaftsehe, bei der beide auf dem gleichen berufli- zu werden.172 Wie auch immer diese ‘Transsubstantia- Zusammenarbeit mit dem Gatten vergönnt. chen Terrain tätig sind, erzeugt offenbar weit mehr tion’ von der kameradschaftlich mehrfach in An- 173 Dies zeigen die Ehen von Helga Karselt mit Emil Schuster, Eva Spannungen als Synergieeffekte. Auch in der ersten spruch genommenen Partnerin zur ‘Büropartnerin Fernbach mit Andor Weininger, Gerda Marx mit Johan Niege- Generation war bei verheirateten Architektinnen be- non grata’ im Einzelfall vor sich geht: Wir finden sie man, Hilde Reiss mit William Friedman und Lotte Beese mit reits während der Weimarer Republik zum einen die- so zahlreich, dass von einem Dilemma der Architekt- Mart Stam, wie auch die zunächst vielversprechenden Büro- ses ‘Räumen des Feldes’, zum anderen ein Ansteigen Innenehe gesprochen werden kann. gemeinschaften von Friedl Dicker mit Franz Singer, Lieselotte der Scheidungen zu beobachten.177 von Bonin mit Wilhelm von Gumberz-Rhonthal und Paula Marie Kaum eine der beruflichen Partnerschaften in der Ar- Wie die fiskalische Bewertung zeigt, führte eine Hei- Canthal mit Dirk Gascard-Diepold. chitektur, die anlässlich oder dank einer privaten Ver- rat mit einem freiberuflichen Architekten nicht etwa 174 So übernahm Kleffner-Dirxen die Leitung des gemeinsamen Bü- bindung begründet wird, ist von nenneswerter Dau- zu der Anerkennung der Zusammenarbeit als Büro- ros, als ihr Mann zum Diözesanbaumeister in Essen ernannt er.173 Zu den wenigen Architektinnen in Partnerschaft, partnerschaft. So antwortet die Baugilde auf die Le- wurde. Hierdurch konkurrierten beide Partner nicht unmittelbar. die nicht über kurz oder lang zwischen beruflichen serfrage: „Ist das Gehalt der mittätigen Ehefrau ab- Auch Gertraude Herdes Mann arbeitete im öffentlichen Dienst. Konkurrenzen und privaten Erwartungen zerrieben setzbar? (..) und für die Empfängerin bis zu welcher Sie arbeitete nach Heirat und Geburt der drei Kinder immer wie- wurden, gehören Christa Kleffner-Dirxen und Ger- Höhe steuerfrei?“ 1938 wie folgt: „Für seine in sei- der auch mit ihrem Mann zusammen, zeichnet für architektoni- traude Engels. Sie blieben mit ihren Kollegen verhei- nem Atelier mittätige Ehefrau darf der Architekt eben- sche wie stadtplanerische Aufträge aber auch allein verantwort- ratet, gingen beruflich jedoch auch getrennte We- so wie jeder andere Steuerpflichtige, keinesfalls ein lich. Gertraude und Alexander Herde erzogen ihre Kinder sehr ge.174 Die Souveränität einer Aino Marsala-Aalto, die Gehalt als Betriebsausgabe absetzen.“ 178 früh zur Selbständigkeit. sich mehrfach - gleichzeitig und in Konkurrenz zu ih- Dies scheint Büroinhaber jedoch nicht beflügelt zu 175 Dorothea Haupt in ihrem Zeitzeuginnenbericht in: Architektin- rem Gatten - mit eigenen Entwürfen bei Wettbewer- haben, aus ihren Ehefrauen Büropartnerinnen zu ma- nenhistorie, 1987, S.64ff. hier S.65 – In ihrer an Kolleginnen ge- ben beteiligte, ist für keine der ehemaligen Tesse- chen: Eine Zunahme namentlich erwähnter Architek- richteten Rede ordnet jedoch auch sie bezeichnenderweise den now- oder Bauhausstudentinnen bisher nachweisbar. tinnen in Fachzeitschriften oder Mitgliederlisten ist Wunsch nach Geschlechteregalität einem fachlichen Credo un- Kooperationen mit KollegInnen resp. außerhalb der ebenso wenig zu verzeichnen wie die Erörterung ‘mit- ter: „Versuchen wir daher weiter, uns zu eigenständigen Figuren Ehe scheinen nahezu ausgeschlossen. Und manche tätiger Ehemänner’. Offenbar wiegen die Vorteile des in der Architektur zu entwickeln - zu ’Architektinnen’ - die dieje- Ehe scheint bereits durch ein Weiterstudium oder Hierarchiegefälles zwischen den Partnern zu schwer, nigen Architekten unterstützten, die in der Lage sind, eine orga- den Erwerb einer Qualifikation der Architektin gefähr- als dass materielle Vorteile dies wettmachen könnten. nische Architektur hervorzubringen, und die diejenigen Architek- det. Nicht immer ist dabei so klar, dass - wie in den ten blockieren, die die abstrakte, effiziente und erschlagende Fällen Vogel und Schuster - der jeweilige Gatte das Noch weniger konnten Architektinnen auf die Unter- Variante produzieren.“ ibid. S.65-66. Büro als sein Refugium sah und seine Frau dort nicht stützung durch ihre Männer zurückgreifen oder auf 176 Fuchs, 1994, S.161 duldete. Aber auch in den Fällen von Lieselotte von deren Arbeitskraft im Hinblick auf die eigene berufli- 177 So wurden während der zwanziger Jahre bspw. die Ehen von Bonin und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal, Paula che Etablierung rechnen.179 Das ‘freiwillige’ Zurück- Grete Zimmermann mit Rudolph Schroeder, Margarete Roeser Marie Canthal und Dirk Gascard oder Ewa und Dieter treten zugunsten des eigenen Gatten resp. der Rück- mit Erich Knüppelholz, Anna Silber mit Adolf Rading, Margarete Oesterlen reklamiert der Architekt im Konfliktfall das zug in die Familie verspricht in jedem Falle weniger Jaffé mit Erwin Gutkind geschieden, und wahrscheinlich auch Büro als seinen - alleinigen - Besitzstand. Konflikte. Insbesondere während des Nationalsozia- die von Hedwig Gmelin mit Eduard Brill . Nur Schroeder-Zim- lismus wählen verheiratete Architektinnen verstärkt Dass sich insbesondere die mit Architekten verheira- mermann blieb im Berufsfeld tätig. (Roeser und Zimmermann die Rolle im Hintergrund.180 Diese korreliert mit der teten Architektinnen so häufig völlig aus dem Beruf hatten 1913 resp. 1914 im Alter von 27 Jahren geheiratet. Ihre gesellschaftlich akzeptierten Rolle der bürgerlichen zurückziehen und dass so viele dieser Ehen geschie- Ehen wurden nach jeweils 13 Jahren geschieden.) Aus der Ar- Gattin und bietet in diesem Sinne auch Aussicht auf den werden, verweist auf konkurrierende Interessen- chitektur hatten sich bspw. Julia Ponten von Broich nach der Anerkennung, auch wenn die berufliche Superiorität lagen. Aussagen von Architektinnen zur Realität die- Heirat mit dem Architekturkritiker Josef Ponten (1908) und Ilse des Gatten hierbei aktiv hergestellt werden muss. ser beruflichen Konkurrenzen sind fast nicht zu fin- Hartmann nach der Heirat mit Ernst May (1919) zurückgezogen. Diese aktive Loyalität gegenüber dem Gatten ist der den. Do-othea Haupt, die selbst erst nach 1945 stu- 178 Die Baugilde, 20.Jg., 1938, H.3, S.70, Leserfrage 216 Rolle der angestellten Architektin nicht unähnlich, zu- diert hat, deutete 1987 an, dass nach ihren Erfahrun- 179 Von Seiten ihrer Gatten erfahren Architektinnen nur ausnahms- mal die damit verbundenen organisatorischen und gen eheähnliche Architektenpartner nicht unbedingt weise Unterstützung ihrer beruflichen Ambitionen. Der einzige praktischen Tätigkeiten der architektonischen Profes- freiwillig mit einer Architektin zusammenarbeiten: Hinweis auf eine solche Unterstützung findet sich im NL Seitz. sion nicht völlig fremd sind. Wir finden sie auffällig „Der eheähnliche Partner ist eine komplexe Sache Im Brief vom 28.1.1939 schreibt Luise Seitz an die Eltern: „Der häufig bei Ehen, die länger als 10 Jahre dauern und und viel komplizierter als etwa der Mitarbeiter, der arme Gustl steht jetzt täglich von 7 - abends 10, 11h im Atelier in denen zunächst beide beruflich resp. künstlerisch freiwillig und distanziert mit einer bestimmten Archi- und schnitzt Baukörperchen.“ tätig waren.

290 Vom Auftauchen und Verschwinden Für Annelise Eichberg ist das Unsichtbarmachen der tungen. „Die Frau und der Architekt“ überschreibt die eigenen Leistung auch rückblickend selbstverständ- Innenarchitektin Else Osterloh die Einleitung einer lich: „Mir ist in den ganzen Jahren nie in den Sinn ge- 1951 im Auftrag des Beirats für Bauforschung beim kommen, bei unseren Bauaufträgen gleichberechtigt Bundesministerium für Wohnungsbau herausgegebe- zu unterzeichnen. Mein Mann war der Führende. Ich nen Broschüre. In diesem Kapitel lernen wir, dass der habe nie mit meinem Namen unterschrieben.“ 181 Und Mann einen derberen Knochenbau hat, sein Schwer- in der Erinnerung ihres Neffen, war Suzanne Leppien punkt tiefer gelagert ist und er selbst beim allerbe- „ein Mensch von entschiedener Urteilskraft, von bril- sten Willen niemals die volle Auswirkung der Haus- lanter Intellektualität, sehr belesen und musikalisch, frauenarbeit an sich selbst kennenlernen kann.185 Die eine scharfe Kritikerin ihres Mannes. (..) Einmal sagte Autorin gibt sich selbst nicht als Fachfrau zu erken- sie mir, sie habe die Kunst aufgegeben, weil sie ihr nen. Sie hält an der traditionellen Rollenverteilung Talent als kleiner ansah als das seine und ihre Auf- fest und fordert, dass „das Fachwissen des Architek- gabe darin erblickte, ihn zu unterstützen und ihm das ten ergänzt wird durch die praktische Erfahrung der Arbeiten zu ermöglichen.“ 182 Auch „Mila Hoffmann- Hausfrau“.186 Ähnlich hatte Marie Elisabeth Lüders Lederer (..) liebt es nicht, wenn ihre eigene Verdienst- bereits 1930 auf einer wohnungswirtschaftlichen Ta- lichkeit Mittelpunkt (..) wird. Für sie ist die Gefährten- gung gefordert: „Der Architekt muß wissen, wie die schaft mit dem verstorbenen Gatten in Gefühl und Menschen leben, für die er baut. Er muß wissen, daß Idee, die Überlegenheit seiner kunstgeschichtlichen es Menschen gibt, die Kinder besitzen (..), daß es 180 Vgl. FN 3. „1932 und 1936 werden ihre beiden Söhne geboren Bedeutung unverletzlich.“ 183 Und eine ähnliche Priori- Aufgabe der Frau ist, ihre Kinder zu betreuen.“ 187 (..) Während der Nazizeit, interpretiert sie ihre damalige Situation tätensetzung ist auch bei Karola Bloch zu finden. Sie Im Unterschied dazu schließt Lotte Tiedemann in der heute, sei sie als Ingenieurin froh gewesen, sich unbemerkt als beteuert, dass sie „nicht nur zum Geldverdienen“ ar- Schlussbetrachtung ihres auf Anregung des Frauen- Hausfrau und Mutter zurückziehen zu können“, zitiert Fuchs die beitete. Höchste Priorität genießt jedoch auch bei referates im Bauministerium 1956 entstandenen Bu- Elektrotechnikingenieurin Ilse Knott ter Meer (geb. 1899). Fuchs, nicht die eigene, sondern die Arbeit des Gatten: „Ich ches „Menschlich Wohnen“ nicht aus, dass mehrere 1994, S.119. Auch die Metallgestalterin Marianne Brandt „zieht war glücklich, daß ich gleichsam sein Mäzen sein, Mitglieder der Familie, einschließlich der Frau, er- sich in einen familiären Aufgabenkreis in Chemnitz zurück“, als ihm den Weg für seine Arbeit ebnen konnte.“ 184 werbstätig sind. Lediglich: „Im Gegensatz dazu wird die Ruppelwerke 1932 auf ihre weitere Mitarbeit verzichten. Es scheint zumindest zweifelhaft, dass Architektinnen die Mutter kleinerer Kinder diese, wenn nicht eine (Neumann, 1985, S.157) dieser Generation in der Familie ein adäquates Auf- Zwangslage vorliegt, selbst betreuen, sie ist damit an 181 „Wissen Sie, ich gehöre eben doch einer sehr viel älteren Gene- gabenfeld sahen, zumal der Wechsel von der Er- Haus und Wohnung gebunden.“ 188 ration an.“ Fuchs, 1994, S.160, Interview mit Annelise Eichberg werbsarbeit zu einem unbezahlten Aufgabenbereich 182 Helmut R.Leppien Brief vom 20.9.1999. „Ihre Weberei sah sie Auch die frauenpolitisch engagierte Wera Meyer-Wal- an die Sicherung der materiellen Existenz gekoppelt nie als Kunst an (sie hätte jetzt wohl ‘Kunscht’ gesagt), sondern deck, selbst ledig und kinderlos, hält 1957 an dieser blieb. Allerdings ist häufig über die konkreten Um- als Handwerk, das sie nicht nur zum Geldverdienen betrieb.“ traditionellen Rollenteilung fest.189 Im Amtlichen Kata- stände dieser Entscheidungen, die Attraktivität der 183 Kaupert, Werner: Eine ideale Lebens- und Schaffensgemein- log der Interbau erläutert sie, dass ’das Wohnen in jeweiligen beruflichen Position und die politischen schaft, in: Lindauer Zeitung, 7.9.1974 der Stadt von morgen’ „aus räumlichen Gründen“ auf Haltungen zu wenig bekannt, um diese Entscheidun- 184 Bloch, 1981, S.153 - „Aber ich hatte auch mein Eigenleben, ge- die Familienwohnung „als Voraussetzung für ein ge- gen ausschließlich als Hinwendung zur Hausfrauen- prägt durch Beruf und Politik. Ernst hatte völliges Verständnis für sundes Familienleben“ beschränkt sei. Neu ist, dass rolle interpretieren zu können. mich.“ der Mann in der von ihr entwickelten Wohnung, so er 185 Osterloh, Else: Frauenwünsche im Wohnungsbau, Berlin, 1951, Ebenso wie Berufsaffinität und reale Erwerbsmöglich- „das Kochen liebt, (..) sich in einer Barküche diesem S.3 keiten lediglich mittelbar korrelieren, lässt sich keine Hobby widmen“ kann.190 Die „Hauptfunktion“ der ei- 186 Ibid. S.26 eindeutige Relation zwischen beruflicher Kontinuität gentlichen Küche - so Meyer-Waldeck – „sollte sein, 187 Lüders, Marie Elisabeth: Statement während der Diskussion zum und politischer Heimat ehemaliger Tessenow- und die Familie zu verbinden“. Hier hält die Frau den „na- Thema „Die sozialpolitische Bedeutung der Wohnungswirt- Bauhausstudentinnen festmachen. Im konservative- türlichen Kontakt“ zum Kind aufrecht, dessen Ent- schaft in Gegenwart und Zukunft“, in: Verband für Wohnungs- ren Lager gelingt es Architektinnen jedoch häufiger, wicklung durch die Berufstätigkeit der Frau geschä- wesen (Hg.): Wohnen und Bauen, Frankfurt/M.,1930, VI/VII, tätig zu werden und zu bleiben. Hier zeigt sich das digt zu werden droht.191 Auch wenn Meyer-Waldeck S.229 Berufsfeld manches Mal durchlässig, gelingt es ein- den hohen Individualisierungsgrad betont und unkon- 188 Tiedemann, Lotte: Menschlich wohnen, Bonn, 1956, S.168 zelnen Architektinnen immer wieder, Zugänge zur ventionelle Vorstellungen - wie das Schlafen „auch im 189 Meyer-Waldeck engagiert sich in internationalen Frauenverbän- Profession zu finden. Im Unterschied dazu finden Freien“ im Hochbau - zeigt, die von ihr konzipierte den und im Deutschen Frauenring, schreibt aber auch bspw. ei- selbständig agierende Architektinnen im progressiven Schau zielt nicht auf eine Neuorientierung traditionel- nen enthusiastischen Artikel über ihren Besuch des solarenerge- Spektrum kaum Anknüpfungspunkte oder Freiräume. ler Rollen. „Es war ihr Anliegen den Frauen bewußt tischen Versuchsgebäudes von Maria Telkes. Hier verlaufen - wie wir bereits während der Ausbil- zu machen, daß sie mit Kenntnis und einem Gefühl 190 Für dieses männliche Hobby offeriert die „Wohnung von mor- dung gesehen haben - Gruppenbildungen besonders für Qualität und Form einen wesentlichen Beitrag zu gen“ im Wohnbereich eine repräsentative Kochmöglichkeit scharf entlang der Geschlechtergrenze. Und auch im verbesserten Wohnverhältnissen leisten könnten“, 191 Meyer-Waldeck, Wera: Das Wohnen in der Stadt von morgen, Berufsleben folgen progressive Akteure offenbar die- schreibt Elisabeth Landgraf 1966 im Nachruf.192 in: Internationale Bauausstellung Berlin (Hg.): Amtlicher Katalog ser ‘Logik’. Und 1980, damit noch einmal zwei Jahrzehnte spä- der Interbau, Berlin, 1957, S.342-345 ter, beharrt die jahrelang alleinerziehende Fridel Vogel Wenn sich Architektinnen nach 1945 über Familien- 192 Landgraf, Elisabeth: Wera Meyer-Waldeck verstorben, in: Das noch weit entschiedener: „Ich bin bemüht, den fragen äußern, vertreten sie häufig traditionelle Hal- Werk, Nov./Dez.1964, S.11

Berufsverläufe und Lebenswege 291 Menschen eine Wohnsituation zu bieten, in der (..) vor eines eigenen beruflichen Engagements. allem die Familie tatsächlich noch eine Einheit ist. Ich Während etliche Bauhausstudentinnen mit der Heirat will nicht, daß die Frau in die Küche abserviert wird den sichtbaren Rückzug in familiäre Rollen vollzogen, (..) Die Küche ist bei mir ein Raum, in dem die Frau gaben Tessenowstudentinnen die beruflichen Ambi- der Mittelpunkt ist. Sie muß sich, auch während sie tionen in aller Regel nicht auf. Um die materielle Ba- dort arbeitet, mit ihren Kindern beschäftigen können, sis dieser Partnerschaft wie einer geplanten Familie und für sie da sein. Ich glaube, daß wir nur so aus bestmöglich zu sichern, schlagen sie in aller Regel den Schwierigkeiten mit der Jugend wieder heraus- pragmatisch jenen Weg ein, der in einer geschlech- kommen können.“ 193 terhierarchischen Gesellschaft vorgezeichnet ist: Die Ganz im Zeitgeist einer Refamiliarisierung nach den Architektin, die auch Mutter sein möchte, stellt ihre Schrecken des zweiten Weltkrieges erleben bürger- beruflichen Ambitionen – wenn auch nur vorüberge- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar lich-konventionelle Vorstellungen in Deutschland hend – zurück. Die Crux dieser Frauengeneration be- nach 1945 eine Renaissance. In der öffentlichen De- steht offenbar darin, dass sie sowohl als Töchter wie batte schimmern Frauenthemen lediglich als Aspekte als Gattinen nicht aus traditionellen Rollenerwartun- von Familienthemen durch. Frauenpolitische Initiati- gen entlassen wurden.197 Architektinnen, die die Kon- ven beschränken sich darauf, Wohnungen resp. Kü- flikte familiärer Trennung scheuen resp. selbst kon- chen - als Refugium der Frau - mit Hilfe hauswirt- servative Grundhaltungen vertreten, nehmen bei Mut- schaftlicher Kriterien zu bewerten. Und soweit sich terschaft jene traditionelle Frauenrolle an, die eine Architektinnen an dieser Debatte beteiligen, reprodu- Berufstätigkeit obligatorisch ausschließt und eine zieren auch sie konservative Rollenbilder für Frauen. Rückkehr in das Berufsfeld nicht fördert. Während Eine der ganz wenigen, die die Familie als Wohnform manche Architektinnen - sowohl angestellt wie freibe- auch kritisch beleuchtet ist Grete Meyer-Ehlers. Sie ruflich tätige - trotz Mutterschaft berufstätig bleiben, “Die Architektin”, Ullsteinbild, 1938 führt ab den fünfziger Jahren im Auftrag des Bundes- kehren Architektinnen, die sich jahrelang auf die För- ministeriums für Wohnungsbau mehrere Untersu- derung der Kinder konzentriert haben, nur ausnahms- chungen zu Arbeitsergonomie, Grundrissgestaltung weise in das Berufsfeld zurück. und Wohnungsausstattungen durch. Sie dokumen- Die ganz überwiegende Mehrzahl der Architekturstu- tiert und analysiert - u.a. bei den Neubauten der ‘In- dentinnen der Weimarer Republik ist in der eigenen terbau’ - die räumlichen Festschreibungen familiärer Lebensplanung auf eine Balance zwischen Beruf und Rollen und Hierarchien und lenkt den Blick auch auf Familienleben bedacht: Sie favorisiert die Ehe als Le- veränderte wie kollektive Wohnformen.194 bensform und eine Familiengründung mit zwei bis 1912 hatte Fia Wille, selbst Mutter mehrerer Kinder, drei Kindern. Eine eindeutige Berufspriorität unter die Unabhängigkeit und Freiheit für Frauen durch be- Verzicht auf eine Eheschließung resp. eigene Familie rufliche Tätigkeit betont, Margarete Bernhard gar vom ist in dieser Generation ebenso selten zu finden wie 193 Efa: „Jeder Architekt hat seine ganz eigene ‘Handschrift’“, Sie- „Glück zielbewußten Strebens“ gesprochen: „Wir der Wechsel zur ausschließlichen Familienpriorität.198 gener Zeitung vom 11.7.1980 Frauen aus der Generation, die sich eine systemati- Und manche Biografie zeigt, dass vereinzelt auch ein 194 Meyer-Ehlers, Grete: Wohnung und Familie, Stuttgart, 1968; sche Berufsausbildung noch erkämpfen mußte (..), Leben jenseits von Ehe und Zölibat, außerhalb fami- aber auch: Kollektive Wohnformen. Erfahrungen, Vorstellungen, fühlen es besonders stark, daß nicht nur am Koch- liärer Erwartungen, gewagt und gelebt wurde. Den- Raumbedürfnisse in Wohngemeinschaften, Wohngruppen und herd Frauenwerte geprägt werden können.“ 195 Knapp noch ist bei der Mehrzahl der verheirateten Architek- Wohnverbänden, unter Mitarbeit von Meinhold Haußknecht und zwanzig Jahre später heisst die Forderung an die tinnen der deutlichste Bruch der Erwerbsbiografie Sigrid Rughöft, Wiesbaden, 1973. moderne Frau: „Sie muß weiblich sein und energisch zum Zeitpunkt der Übernahme der sozialen Mutter- 195 Bernhard, Dr. Margarethe: Wie erzielen wir Qualitätsarbeit der und selbständig (..) Kinder? Natürlich auch Kinder! schaft zu verzeichnen, obschon die Familienarbeit Frau im Handwerk?, in: Bäumer, Gertrud (Hg.): Sämtliche Vor- Zwei zumindest. Gerade als Mutter beweist sich die nur bei einem Viertel der Architektinnen zum ultima- träge Frauenkongreß Berlin 27.2.-2.3.1912, Berlin, 1912, moderne Frau.“ 196 tiven Ausscheiden aus dem Berufsfeld führt, ehema- S.107ff., dort S.111 lige Bauhausstudentinnen mehrheitlich in eine Be- 196 Die Dame, 1930, H.21 zitiert nach Bock/Koblitz (Hg.): Neue Führte die Eheschließung zu Beginn der Weimarer rufstätigkeit und Tessenowdiplomandinnen mehr- Frauen zwischen den Zeiten, Berlin, 1995, S.290 Republik noch häufig dazu, dass Frauen ihr Studium heitlich ins Berufsfeld zurückkehren. 197 Die berufliche Laufbahn Maria Gaisers, die nie sichtbar im Be- abbrachen und blieb der Verzicht auf eine eigenstän- rufsfeld auftaucht, scheint primär an den Erwartungen ihrer El- dige Berufsperspektive konditional an den Status- tern zu scheitern. Nachdem sie mit ihren Eltern 1943 nach Tett- wechsel von der Bauhausstudentin zur Meistergattin nang umgesiedelt war, soll Maria Gaiser den elterlichen Haus- gekoppelt, so waren im Laufe der zwanziger Jahre halt geführt, die Eltern gepflegt haben. Ehrenamtlich soll sie ihre zuneh-mend weniger Architektinnen bereit, mit einer Kompetenzen nach dem Tod der Eltern im Rahmen der katholi- Heirat die Reißschiene an den Nagel zu hängen und schen Kirche zur Verfügung gestellt haben. den Statuswechsel zur bürgerlich-repräsentativen 198 Einen solchen Wechsel zur Familienpriorität beschreibt bspw. Gattin zu vollziehen. Insbesondere TH-Studentinnen Selfmade-Women in a Man-Made World? die 1912 geborene Irene Henselmann [geb. von Bamberg]. in: suchten i.d.R. nicht die klassische Versorgerehe. Sie Offenbar entscheidet innerhalb der Architektur das Meine große Familie, Berlin, 1995. selektierten potentielle Partner nach deren Akzeptanz Geschlecht über den Berufsstatus und damit über

292 Vom Auftauchen und Verschwinden mögliche Etablierungen, wobei männliche Attributiva in Anspruch nehmen. So zeigt sich die ‘Durchset- konstitutiv, weibliche Attribuierungen statusmindernd zungsfähigkeit’ weniger als persönliche Fähigkeit wirken. Und es scheint kaum Schwellen für Statusdi- denn als ‘gendered process’ innerhalb einer Pla- minuierungen in Form ‘verweiblichender’ Zuschrei- nungshierarchie, in der vergleichbare fachliche Kom- bungen zu geben. Konstituiert sich der Status Archi- petenzen nicht zu vergleichbaren Erfolgen bei der tektin in der Selbstwahrnehmung primär über die Affi- Durchsetzung führen. Denn welche Strategie die je- nität zum Berufsfeld und nur sekundär über Zuschrei- weilige Architektin auch wählt, um sich durchzuset- bungen, die perpetuiert oder abgelehnt werden, so zen, vergleichbare Ergebnisse zu erzielen: Sie ist im spielt bei der Fremdwahrnehmung - im Wortsinn des Unterschied zu den Kollegen gezwungen, den Status Klischees - die sichtbare Übereinstimmung von Per- eines weisungsberechtigten Geschlechtswesens mit son und Projektion die entscheidende Rolle. Dement- Hilfe ‘ungleicher’ Strategien erst herzustellen, so sprechend sind es weder formale Qualifikationen bspw. im direkten Umgang mit den Bauausführen- noch tatsächliche Kompetenzen, sondern zuallererst den. Was in gleichgeschlechtlichen Hierarchien visuelle Plausibilitäten, anhand derer eine Unterschei- - männliche Planer kontrollieren männliche Ausfüh- dung zwischen ‘Architekt’ und ‘Architektin’ immer rende - als der Sache dienlich gilt, stellt im heterose- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wieder neu getroffen wird. Offensichtlich sperren sich xuellen Kontext offensichtlich die Hierarchie des Ge- Kollegen, Berufsverbände, Fachpresse und auch Auf- schlechterverhältnisses - „die Beibehaltung der bis- traggeberInnen gegen eine Wahrnehmung von Archi- herigen Ordnung und bewährten Sitte“ 202 - in Frage. tektinnen als Professionals. War den ersten Architek- Auch wenn zahlreiche Architektinnen versuchen, die- tinnen während der Kaiserzeit öffentliche Aufmerk- se Statusdifferenz in der Außenwahrnehmung durch samkeit zuteil geworden, so trat mit der Zunahme individuelle Ambitionen oder Eigenschaften zu kom- von Architektinnen während der Weimarer Republik pensieren203, so erweist sich diese Hoffnung i.d.R. als keine ‘Geschlechternormalität’, sondern ein Prozess trügerisch. Irmgard Déspres berichtet 1935 optimi- der Nicht-Wahrnehmung oder Ausblendung in Kraft, stisch: „Es gibt jedenfalls genug Architektinnen, die auch wenn es für Bürochefs vorübergehend en vo- (..) die besten Erfahrungen gemacht haben.“ Aber gue ist, eine Architektin einzustellen.199 auch sie räumt ein, dass es für Frauen „vorläufig lei- der noch ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden Ute Georgeacopol-Winischhofer stellt bei der Ana- [gelte] als für den Mann, da die Arbeiter nicht daran lyse der Berufswege freiberuflicher Architektinnen, gewöhnt sind, sich von Frauen etwas sagen zu las- Fridel Vogel Anfang der 60er Jahre die ihr Studium zwischen 1917 und 1946 an der TH sen.“ 204 Wien absolviert haben, fest: „Der Lebensgang dieser (..) Frauen beweist zweifellos ihre Berufung zur frei- Anhand der Berufsstrategien haben wir gesehen, wie 199 So erinnert Ida Falkenberg, dass J.J.P.Oud sie Mitte der zwanzi- schaffenden Architektin. (..) Die Zielstrebigkeit, mit eng die Etablierung an ein Zusammenspiel von Fä- ger Jahre als Mitarbeiterin anstellte, da er ihre Bewerbung per welcher jede von ihnen den eingeschlagenen Weg higkeiten und Rahmenbedingungen geknüpft ist. Telegramm so ‘modern’ fand. (Stichting Vreemde Architecten verfolgte, war Voraussetzung für ihre erfolgreiche Hierzu zählt neben der Fähigkeit auch die Möglich- (Hg.): 2 x 6 NL architectes, Amsterdam, 1999, o.S., Bl.64) Ähn- Karriere.” 200 Anhand der zur Beschreibung beruflicher keit, das Vertrauen potentieller AuftraggeberInnen ge- lich erinnert Rahel Bontjes van Beek ihre Einstellung bei Erich Ambitionen höchst trügerischen Parameter ‘Beru- winnen zu können. Denn i.d.R eröffnen erst Realisie- Mendelsohn. (Schemme, 1990, S. 86) fung’ und ‘Zielstrebigkeit’ gelingt es ihr nur bei einem rungen die Chance einer Etablierung als ‘professio- 200 Georgeacopol-Winischhofer in: Mikoletzky et.al., 1997, S.190 Bruchteil der ehemaligen Architekturstudentinnen der nal’. In der Architektur werden diese individuellen 201 Georgeacopol-Winischhofer stellt Biografien von 17 ehemaligen TH Wien, diesen Beweis einer „Berufung zur frei- Rahmenbedingungen sowohl durch kollegiale wie Architekturstudentinnen vor, wobei die Erste ihr Studium 1917/ schaffenden Architektin’ führen.201 Denn ebenso wie durch familiäre Netzwerke hergestellt. „Ich habe im 18, die Letzte zum WS 1942/43 ihr Studium begann. Insgesamt dem Berufsbild sind den Begriffen ‘Zielstrebigkeit’ Städtebau nicht allzu viel Aufgaben gehabt, obwohl weist sie für diesen Zeitraum fast 230 Studentinnen nach. Den und ‘Durchsetzungsfähigkeit’ all jene Rahmenbedin- ich es gern gemacht hätte, aber da haben wohl mei- Beweis einer erfolgreichen Karriere führt sie anhand von Helene gungen eingeschrieben, die im Selbstverständnis ge- ne Aktivitäten und Beziehungen nicht ausgereicht“, Roth, Brigitte Kundl, Lionore Perin und Helene Buchwieser. schlechterhierarchischer Sozialisationen, Familien-, resümiert Herta Hammerbacher.205 Sie thematisiert 202 Erste Forderung des „Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Ausbildungs- und Gesellschaftsstrukturen erst regel- damit, dass in unterschiedlichen Berufssegmenten Frauen-Emanzipation”. Vgl. Aufruf zum Beitritt wie bspw. abge- mäßig hergestellt werden. weniger unterschiedliche Kompetenzen als unter- druckt im Reichsboten vom 8.6.1912. scheidbare ‘Beziehungen’ - Netzwerke wie Strategien 203 „Ich wurde nicht umsonst von meinen Freunden Frau Gründlich Bei der Analyse der Berufswege der Architekturstu- - für die Auftragsvergabe ausschlaggebend sind. genannt.“ - Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995 dentinnen der Weimarer Republik wird deutlich, dass Denn dem Netzwerk kommt neben der Funktion einer 204 Déspres, Irmgard: Die Architektin, in: NS Frauenwarte, Nr.15, die berufliche Etablierung weit deutlicher ein Ergebnis intellektuellen Plattform die der gegenseitigen ökono- 1934/35, S.471 - LA /LI NS5/VI / 7102, Bl.71. sozialer Prozesse als eine mögliche Folge persönli- mischen Absicherung zu. Als „existentiell wichtig“ 205 Jachmann, Christine: Herta Hammerbacher, in: Architektinnenhi- cher Kompetenzen ist. Denn auch wenn sie für sich bezeichnet bspw. Hans Scharoun im Rückblick „die storie, 1984, S.50 Geschlechtergleichheit reklamierten, zielstrebig und Zeit der großen und fördernden Freundschaften - mit 206 Hoh-Slodczyk, Christine: Neues Bauen, in: Hoh-Slodczyk et.al. erfolgreich studierten: Die Rahmenbedingungen, die Bruno Taut, Hugo Häring, Gropius, Bartning, Mies (Hg.): Hans Scharoun, München, 1992, S.16 - Hoh-Slodczyk auf der Kehrseite der Geschlechterhierarchie als Pri- van der Rohe und vielen anderen“.206 Vergleichbar zitiert hier eine Aussage Scharouns aus „Bauen und Leben“ in: vilegien produziert werden, konnten sie für sich nicht große resp. fördernde Freundschaften zwischen Bauwelt, 1967, H.6/7, S.154

Berufsverläufe und Lebenswege 293 Architektinnen fanden wir nicht.207 Aussicht auf eine eigenständige, tragfähige Existenz. Wie ausschlaggebend - wenn nicht entscheidend - Und die anhaltende Erfolglosigkeit im Fach zeigt Netzwerke und Statusdistribution innerhalb der Ar- deutlichen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung, was chitektur sind, zeigt sich besonders eklatant, wenn allerdings häufig als individuelles Schicksal darge- mensch die gebotenen Chancen im direkten Ver- stellt wird. „Mich selbst hat das Schicksal einige Jah- gleich betrachtet, so bspw. zwischen Lotte Beese re nach dem Ende des Bauhauses in Berlin von mei- und Mart Stam oder Hilda Harte und Wils Ebert. nem Beruf getrennt. 1939 vor Beginn des Krieges ha- Denn während Stam nach abgeschlossener Zeichen- be ich in Wien geheiratet und mich fast 20 Jahre lehrerausbildung, temporärer Mitarbeit in bekannten nicht mehr architektonisch betätigt, geringfügige Auf- Architekturbüros und zweijähriger Publikationstätig- träge ausgenommen. (..) Um in ein Architekturbüro zu keit im Alter von 27 Jahren 1926 seinen ersten Archi- gehen, fehlt es mir nicht nur an Zeit (..) sondern auch tekturauftrag erhält, werden der vier Jahre jüngeren an Können. 20 Jahre Heraussein ist nicht mehr auf- Lotte Beese - ebenfalls nach Mitarbeit in nicht minder zuholen“, schreibt Annamaria Mauck Ende der sech- 207 Nur in seltenen Fällen sind sie Mitglieder informeller Netzwerke, bekannten Architekturbüros im Alter von 37 Jahren ziger Jahre.211 Alma Buscher-Siedhoff zog sich um wie dies bspw. Meyer-Waldeck für die dreißiger Jahre in Berlin 1940 nicht einmal bisherige Studiensemester aner- 1942 deprimiert aus der Entwurfstätigkeit zurück. erinnert:. „Außerdem hatten wir Bauhäusler in Berlin immer kannt. 208 Mart Stam, der lediglich als Mitarbeiter Ar- „Etwas in ihrem Innern scheint ab dieser Zeit ihre Kon-takt miteinander, sodass wir uns gegenseitig Mut machen chitektur studiert hat, wird in unmittelbarer Folge der schöpferische Kraft endgültig zu blockieren.“ 212 Im konn-ten.“ DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer- ersten Aufträge 1928 Gastdozent am Bauhaus und Möbelbau, dem Gebiet, das sie sich am Bauhaus Wal-deck an Hannes Meyer vom 9.8.1947 1939 Direktor der Amsterdamer Kunstgewerbeschule. mühsam erkämpft hatte, „ist die Zeit noch nicht reif, 208 Stam hatte zwischen 1922 und 1925 jeweils mehrere Monate Er bleibt auch in Krisenzeiten anerkannter Architekt, die Arbeit von Frauen und Männern nicht nach Ge- bei Granpré-Molière in Paris, Werner von Walthausen und Max während der ebenfalls fachjournalistisch tätigen Lotte schlecht, sondern nach Qualität zu beurteilen.“ 213 Taut in Berlin, Karl Moser in Zürich und Arnold Itten in Thun ge- Beese eine Rückkehr ins Berufsfeld nur nach Absol- Und so selbstverständlich die begeisterte Dozentin arbeitet, bevor er 1926 für zwei Jahre Mitarbeiter bei Brinkmann vieren eines erneuten Architekturstudiums gelingt. Lila Ulrich nach der Heirat berufstätig bleibt: Sie ver- & v.d.Vlught in Rotterdam wurde. Er publizierte seit 1923, gab zweifelt nahezu daran, dass sie nach der Geburt der Noch eklatantere Diskrepanzen beim Realisieren von ab 1924 die Zeitschrift ABC heraus und wurde am 5.11.1926 Tochter nicht mehr als Dozentin gefragt ist, und ihr Statusgewinnen werden im Nachkriegsdeutschland von Mies van der Rohe eingeladen, sich an der Status als ‘ver-orgte’ Ehefrau eine Beauftragung als sichtbar. 1945 wird Hilda Harte Leiterin des Prü- Weissenhofsied-lung in Stuttgart zu beteiligen. Entwerferin keinesfalls befördert. Sie beginnt an De- fungsamtes für Baustatik beim Magistrat, Wils Ebert 209 Günther, Sonja: Wils Ebert, Berlin, 1993, S.15 pressionen zu leiden, malt auch weiterhin und gibt in Leiter des dortigen Hauptamtes für Planung. Harte 210 Wolsdorff, Christian: Die Schönheit des Gebrauchsgeräts, in: späteren Jahren privaten Malunterricht. macht sich nach wenigen Jahre als Statikerin selb- Günther, 1993, S.127 ständig. Ebert kann ab 1946 kann er freiberuflich Auf- War es ein Ziel der Lebensplanung von Architektur- 211 Brief Mauck an Adler, undatiert, (um 1967), BHAB 1997/26.185. träge realisieren, 1947 wird er sowohl Assistent von studentinnen der Weimarer Republik, eine akzeptierte Vgl. Biografie Wilke Hans Scharoun an der TU als auch außerordentlicher Berufsfrau in einem akzeptablen Beruf zu werden, so 212 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am Professor an der HfBK.209 Bereits 1934 hatte Gropius stand dies bereits während des Studiums allzu häufig Bauhaus in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.65 bei seinem Weggang nach England nicht die seit in einem Spannungsverhältnis zu Fremdwahrneh- 213 Ibid., S.54 1930 in seinem Büro mitarbeitende, inzwischen diplo- mungen. Dementsprechend erwies sich das Terrain 214 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997 mierte Harte sondern den drei Jahre jüngeren, seit der Selbstdarstellung als Minenfeld, auf dem weder 215 Waltraud Windfuhr, die mit ihrer Familie in Kassel 23 Jahre lang 1933 bauhausdiplomierten Ebert mit der Wahrneh- das Streben nach Superiorität noch der Verzicht auf bei Both zur Untermiete wohnte, erinnert, dass das Haus innen mung seiner Interessen beauftragt und ihm damit jegliche Selbstdarstellung zu der gewünschten Ak- „nach Bauhausstil ausstaffiert” war. Both habe ihr ein Buch „ein bescheidenes Einkommen garantiert“.210 Wäh- zeptanz als Fachfrau führt. über eigenwillige Möbel Marcel Breuers geliehen, jedoch nie rend des Nationalsozialismus waren sowohl Harte erwähnt, dass das Haus im Kaupertweg 3 von ihr entworfen Auf die Frage, was und wie sie denn gebaut habe, wie auch Ebert im Rahmen der wertschaffenden Ar- worden sei. Gespräch mit Waltraud Windfuhr am 24.9.1995 in antwortet die ehemalige Tessenow-Studentin Klara beitslosenhilfe beim Ingenieurdienst der deutschen Kassel Küster mit einer Liste, der von ihr projektierten und Gesellschaft für Bauwesen beschäftigt. 216 So stilisiert sich Emilie Winkelmann zur ersten Architektin welt- betreuten Projekte am Hochbauamt Steglitz und führt weit, auch wenn dafür alle Kolleginnen zu „bestenfalls Zeichne- Im Verlauf der ersten, wie insbesondere der für die zu den Wiederaufbauprojekten aus: „Die Instandset- rinnen“ gemacht werden müssen. Margarete Schütte-Lihotzky Etablierung so wichtigen folgenden Berufsjahre von zung erfolgte mit Hilfe von verwendbarem Trümmer- sieht sich ggf. als erste Architektin Österreichs, auch wenn die Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ist zu material. Trotz beschränkter Möglichkeiten wurde ihr bekannte Elisabeth Nießen drei Jahre früher dieselbe Ausbil- beobachten, was bei der Mehrheit der Bauhausstu- sich um annehmbare Gestaltung bemüht.“ 214 Hier tritt dung absolvierte und die ihr ebenfalls bekannte Ella Briggs vor dentinnen schon während des Studiums sichtbar eine Architektin nicht als selbstbewusste Gestalterin ihr das Studium aufnahm und früher Bauten realisieren konnte. wurde: Dass ohne Resonanz resp. Bestätigung von in Erscheinung, sondern - entsprechend dem Tesse- So legte Lucy Hillebrand Wert darauf, jüngstes Werkbundmit- Fähigkeiten und Interessen das Selbstbewusstsein nowschen Diktum - hinter ihren Bauten zurück. Auch glied gewesen zu sein. Fridel Vogel betont noch in den siebzi- der Architektinnen erodiert. Führten manches Mal be- Kattina Both soll ihre Bauten nicht erwähnt haben.215 ger Jahren die Pionierleistung ihres Studiums und Martha Boll- reits Hindernisse beim Kompetenzerwerb und das Sich selbst als Verliererinnen des Geschlechterdis- dorf-Reitstätter unterschlägt die jüdischen Kolleginnen, wenn Verweigern formaler Qualifikationen zu eindeutigen kurses wahrnehmend unternahmen Architektinnen sie behauptet, die erste akademische Architektin Österreichs Professionalisierungsnachteilen, so bot auch das - unterschiedlicher politischer Couleur - manches Mal gewesen zu sein. Berufsfeld dieser Architektinnengeneration kaum die

294 Vom Auftauchen und Verschwinden auch die Gratwanderung einer Selbstdarstellung zwi- Auch bei Architektinnen ist - jenseits persönlicher 217 Zu diesen seltenen Beispielen zählen Dicker, Meyer, Reiss und schen ‘extraordinärer’ Frau und ‘extraordinärem’ Ar- Freundschaften - das Nicht-Wahrnehmen resp. Ulrich. So betreiben Friedl Dicker und Anni Wottiz in den zwan- chitekt. Dies vergrößert die Distanz zu KollegInnen Nicht-Kennen von Kolleginnen ein gängiges Wahr- ziger Jahren in Wien gemeinsam ein Atelier. In Prag kooperiert und führt zuweilen zu grotesken Selbstdarstellun- nehmungsmuster. Und manches Mal zeigen sich hier Dicker bspw. mit Karola Bloch. - Winkelmann hatte bereits 1908 gen.216 Und angesichts konfligierender Rollenerwar- ebenso elitäre wie konkurrenzierende Züge. 224 Praktikantinnen in ihrem Büro beschäftigt. Ob auch Schneider tungen sucht manche Architektin die Not des Legiti- Edith Glaser hat anhand der Auronarrationen von für Winkelmann arbeitete, ist bisher unklar. Liane Zimbler ko- mationsdrucks zu einer Tugend der Person zu trans- Lehrerinnen beobachtet, dass diese „sich nicht als operierte mehrfach mit Kolleginnen. Sie soll daneben bevorzugt formieren, erhebt ‘weibliche Probleme des Bauens’ Akteurinnen ihrer Biographien verstehen, (..) keiner Architektinnen angestellt haben, da sie deren Chancen als be- zum Programm und hofft, als Expertin für eben diese retrospektiven Illusion über die Selbstgestaltung ihres grenzt empfand. Lux Guyer arbeitete nach eigenen Angaben Probleme ein geschlechtsexklusives Aufgabenfeld zu Lebens aufsitzen, sondern (..) darstellen, daß andere nach dem Diplom zunächst im Büro von Frommer, bevor sie finden. ihr Leben gestaltet haben.“ 225 Sie stellte die These sich selbständig machte. Hatten einzelne Architektinnen der ersten Generation auf, dass Studentinnen während der zwanziger Jahre 218 Briggs, Ella: „Küche“, Sachartikel im Handwörterbuch des Woh- mit Kolleginnen kooperiert, so finden wir solche Ko- - im Unterschied zur Kaiserzeit - ein Studium nicht nungswesens, Jena 1930, S.449-451. Darin merkt sie an „Wir operationen unter den Architekturstudentinnen der mehr primär als Zugang zu einem Beruf ergriffen hät- haben heute nur eine zu sehr ins Einzelne gehende Ausbildung Weimarer Republik nur noch ganz selten.217 Weit häu- ten.226- Diese Hypothese reduziert die Studienmotiva- (..) auszusetzen.“ figer scheint das Verhältnis zwischen den wenigen tion von Studentinnen der Weimarer Republik auf ei- 219 form + zweck, 1981, 2, S.38ff. Reprint in: Das Schicksal der Din- Architektinnen und Architekturstudentinnen verschie- ne standesgemäße Bildung zur persönlichen Hori- ge, Dresden, 1989, S.96-103, resp. dort S.101. Lihotzky lässt dener wie gleicher Generationen während der Wei- zonterweiterung, lässt sich für die Architekturstuden- unerwähnt, dass von ihrem Entwurf schließlich nur die Loggien marer Republik von mangelnder Kollegialität und tinnen jedoch nicht bestätigen. Ihre Hartnäckigkeit realisiert werden. Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.263 Konkurrenz geprägt. beim Erwerb beruflicher Qualifikationen wie ihre be- 220 „Vor mir hat noch keine Frau, auch keine Ausländerin, Architek- ruflichen Ambitionen machten deutlich, dass sie als tur studiert. Die beiden französischen Architektinnen und die et- Stellte Ella Briggs in einem Sachartikel die Frankfurter Architektinnen tätig werden wollten, das Studium kei- wa 100 in USA gleichzeitig mit mir waren Kunstgewerblerinnen, Küche „der Architektin Lihotzky“ dar218, so zeigt Mar- neswegs als Übergangslösung bis zu einer Heirat be- zeichneten, wie die deutschen Kunstgewerblerinnen, Interieurs, garete Schütte-Lihotzky in ihrem Artikel „Volkswoh- trieben. Folgt Glasers These also lediglich jener Logik Möbel, Tapeten, Stoffe.“ Winkelmann 14.9.1950, abgedruckt in nungsbau in Wien“ eine Abbildung des „Pestalozzi- erfolgsorientierter Autonarrationen, bei der die eigene Schmidt-Thomsen: Frauen in der Architektur, in: UIFA (Hg.): Hofes“ von Ella Briggs, würdigt ihn und die Architek- Berufsleistung an der der Kollegen gemessen, die Architektinnenhistorie, S.19 tin jedoch keiner Erwähnung. Sie betont vielmehr: Differenz zur ‘Normalerwerbsbiografie’ retrospektiv 221 Vgl. zu Hillebrand bspw. Schmidt-Thomsen, 1984, S.29. – „Ich, als die jüngste, bekam 40 Wohnungen zu bau- plausibilisiert wird? „Trotzdem war es vor dem Krieg noch fast eine Pioniertat als en.“ 219 Eine befremdliche Selbstdarstellung wählt Mädchen ein Ingenieurstudium zu beginnen“ in (efa), Siegener bspw. auch Emilie Winkelmann, wenn sie 1950 retro- Anneliese Eichberg erliegt nicht der Illusion, dass ihr Zeitung vom 11.7.1980 spektiv nicht die Qualität oder Quantität ihrer Bauten, als eigenständiger Freiberuflerin - ohne die Zusam- 222 Schemme, 1990, S.88 sondern ihre Einzigartigkeit als Frau betont, und dafür menarbeit mit ihrem Architektengatten - manche 223 Schreiben Bolldorf-Reitstätter v. 27.9.1995. Sie betont, dass sie - wider besseres Wissen - alle in- wie ausländischen Bauaufgaben, insbesondere Großbauten nicht anver- als „bezahlte Mitarbeiterin leitend und hauptamtlich arbeitete.“ Kolleginnen als „Kunstgewerblerinnen“ und „Möbel- traut worden wären. Sie lässt jedoch keinerlei Zweifel Deshalb würde es sie auch „wundern, wenn ich schlecht infor- zeichnerinnen“ eingruppiert.220 Auch sie, deren Lauf- aufkommen, dass sie auch ohne Architektengatten miert wäre, da ich doch die ganze Zeit in der Akademie ein- und bahn wie Schaffen herausragend waren, die partei- gebaut hätte: „Natürlich, ich hätte niemals ein Klini- ausging.“ Vgl. auch Biografie Bánki. isch für und mit Frauen baute, bemüht bei der Kon- kum gebaut. Ich hätte Wohnhäuser, Schulen, Kinder- 224 So bleibt bspw. in Lihotzkys „Erinnerungen aus dem Widerstand struktion ihrer Bedeutung die Hierarchisierung inner- gärten und solche Dinge gebaut.“ 227 1938-1945“ die chilenische Architektin und Kollegin Inez Maier halb des Geschlechts. Eichberg unterstellt damit, dass Aufgabenstellungen (geb.1907) gänzlich unerwähnt. Wie Lihotzky arbeitete Maier in Auch Architektinnen, die während der Weimarer Re- und Auftragsvergabe geschlechtsspezifisch besetzt Istanbul (im Büro Bruno Tauts) als Architektin, wie Lihotzky ar- publik studiert haben, wählen in Selbstdarstellungen sind und nur die Partnerschaft bspw. die Bauaufgabe beitete sie als Kommunistin ab 1940 im Widerstand in Öster- oft den Vergleich mit Kolleginnen oder Frauen. Lucy Klinikum eröffnet, „diese technisch ausgesprochen reich. Sie wurde 1943 ermordet. Hillebrandt betont, „als jüngstes Mitglied“ in den schwierigen Sachen“. Andererseits erachtet sie rück- 225 Glaser, 1992, S.261 Deutschen Werkbund aufgenommen worden zu sein, blickend eine eigene akademische Karriere als durch- 226 Glaser hat anhand badischer Studentinnen geisteswissenschaft- und Fridel Vogel reklamiert 1980 rückblickend ihren aus möglich.228 Ähnlich selbstbewusst oder ironisch licher Fächer, sowie Medizinerinnen und Juristinnen Generatio- besonderen Mut, da bereits die Aufnahme eines In- gibt Kleffner-Dirxen an, die Architektur seit ihrem 75. nenprofile herausgearbeitet und dabei konstatiert, dass sich die genieurstudiums „vor dem Krieg noch fast eine Pi- Geburtstag den Kollegen zu „überlassen“.229 Studienmotivationen von Studentinnen der Weimarer Republik oniertat“ gewesen sei.221 „In all den Jahren habe sie fakultätsübergreifend von denen der Studentinnen der Kaiserzeit Wie stark die Selbstdarstellungen fachspezifischen so vertieft gearbeitet, daß sie praktisch nicht wahrge- deutlich unterscheiden lassen, Glaser, 1992, S.43 Mustern folgen, wird deutlich, wenn Karola Bloch le- nommen habe, ob es außer ihr noch weitere Archi- 227 Fuchs, 1994, S.161. Eichberg übergeht die Frage: Machen Frau- diglich den selbständig ausgeführten Bau des Hau- tektinnen gebe“, wird Rahel Bontjes van Beek zi- en eine andere Architektur als Männer? ses Slochower in Maine (1939) ausführlich darstellt. tiert.222 Und Martha Bolldorf-Reitstätter, die gleichzei- 228 „Da hätte ich mich habilitieren müssen, natürlich, das wäre ge- Auch für Architektinnen sind „die schönsten Jahre” tig mit Bánki im Atelier Holzmeisters arbeitete, erin- gangen.“ Fuchs, 1994, S.157. Sich an der Münchener Architek- eindeutig mit „beruflichem Erfolg“ verbunden. So nert sich erst auf wiederholte Nachfrage, dass diese turfakultät zu habilitieren, gelang einer Frau erstmalig 1950 - vgl. kommt Wera Meyer-Waldeck über ihre Jahre im In- dort „wie viele andere auch zeitweilig als Volontärin Baur, Margarete: Bildstöcke in Bayern, ibid., S.246 dustriebau zu dem Urteil: „zurückschauend muss ich unbezahlt tätig war“ und „bald wieder abfuhr“.223 229 Christa Kleffner-Dirxen im Brief vom 15.1.1998

Berufsverläufe und Lebenswege 295 sagen, dass es die schönsten Jahre meiner ganzen sichts dessen wird jedoch plausibel, dass dabei man- Berufszeit gewesen sind. Ich hatte auch Erfolg und ches Mal die Frage der Berufsrelevanz hinter den Glück.“ 230 Paula Maria Canthal erinnert nach mehr als Studienerinnerungen verschwimmt, der familiäre Er- einem halben Jahrhundert die späten zwanziger Jah- folg an die Stelle des beruflichen rückt. Hierdurch er- re: „Diese Zeit war meine erfolgreichste Zeit. (..) Ich fährt das Studium eine Neuinterpretation als eine Art war 19 Jahre alt und heiratete einen 20jährigen Archi- engagiert betriebener Horizonterweiterung, avanciert tekten, mit dem ich schon auf der Kunstschule be- die Geburt von Kindern zum Grund des Berufsaus- freundet war. (..) Ganz Berlin redete davon.“ 231 stiegs. In wieweit Architektinnen damit einer „retro- spektiven Illusion über die Selbstgestaltung ihres Le- Manches Mal stellen sich Architektinnen dieser Ge- bens aufsitzen“, können nur weitergehende Untersu- neration jedoch auch dann als Akteurinnen dar, wenn chungen beantworten. ihre beruflichen Ambitionen längst gescheitert sind. So erläutert Mauck, die ihre Berufstätigkeit mit der Selten wird so deutlich ausgesprochen, dass die Bi- Heirat 1940 einstellt, auf die Nachfrage, ob sie sich lanzierung des Studiums in Relation zur jeweiligen Si- weiterhin als Architektin hätte betätigen können: tuation erfolgt, wie dies Hertha von Gumppenberg- 230 „(..) und wurde die Leiterin der ganzen Planungsabteilung in „Hätte ich, kam damals aber nicht in Frage, erstens List 1953 tut. „Jetzt, nachdem ich viele Jahre in einer Karwin und mit dem Baudirektor, der mich ja geholt hatte, Mal hatte ich die Zeit gar nicht dafür, und dann ha- für mich künstlerisch öden Welt lebe”, erinnert sie ihr hab(e) ich sehr sehr gut arbeiten können.“ DAM, NL Meyer II ben wir damals noch ein Leben führen müssen, was Studium bei Riemerschmid an der Kunstgewerbe- 4(10) 81/ 2-847 Brief Meyer-Waldeck an Meyer vom 9.8.1947 man repräsentativ nannte. Also viel Geselligkeit, (..) schule München in den zehner Jahren als „besonders 231 Paula Marie Canthal, Brief an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.2 Geschäftsbeziehungen.“ 232 fortschrittlich (..) `gegen Hausgreuel-Kunstgewerbe´, 232 Interview mit Anna-Maria Mauck am 17.11.1995. Sie unterhielt Weiner gibt 1982 an: „Ich hatte Architektur studiert, wogegen der Werkbund ja Sturm lief.“ 239 Hier kommt bis zur Heirat mit dem leitenden Ingenieur Paul Mauck 1940 aber habe das nicht fortgesetzt (..) Ich habe nur 3 Se- der Studienzeit in Relation zur Lebensbilanz offen- vielfältige geschäftliche Kontakte. mester am Bauhaus studiert, da ich Deutschland ver- sichtlich die Funktion einer ‘Projektionsfläche’ zu. 233 BHAB, Fragebogen Matty Weiner, Eingang 28.1.1982, S.1-2 lassen habe und das Bauhaus geschlossen wur- Auch Architektinnen erinnern das Studium i.d.R. als 234 Lebenslauf Annemarie Lange vom 3.3.1953; AdKS, PA Lange de.“ 233 Und auch Lange, wählt in den fünfziger Jahr- eine zentrale Entscheidung ihres Lebens. So, wenn 235 Ihr nach dem kostufra-Streit umgehend gestellter Wiederauf- en die politisch konsensfähige Kaschierung ihrer Nie- Tony Lasnitzki ihre Zeit in Weimar als „ausschlagge- nahmeantrag wurde am 5.4. 1932 mit dem Zusatz abgelehnt, derlage: „Mein Studium konnte ich nicht mehr absch- bend für mein Leben“ bezeichnet oder Eva Weininger „da man sich auch von dem gewünschten studium im ausbau liessen, da das Bauhaus von den Faschisten liquidiert betont: „Ich bin sehr glücklich gewesen am Bau- nichts verspricht.“ - Durch die Verdrehung der Kausalitäten wird wurde.“ 234 Sie, deren Arbeit von Mies van der Rohe haus.“ 240 Und Iwanka Hahn beharrt: „Meine Bautätig- deutlich, dass ihr das Scheitern ihrer Architekturambition eben- nicht als Diplom anerkannt worden war, möchte die keit war recht bescheiden. Mit Blick darauf möge die so bewusst ist wie die Gefahr, sich aufgrund gängiger Bewer- schmerzhafte Niederlage ebenso wenig erinnern wie kritische Bemerkung mancher Leute von damals be- tungsmuster erneuten Zweifeln an ihrer Begabung auszusetzen. Weiner, deren Ambitionen der Meisterrat eine nieder- rechtigt erscheinen: ,Wozu ein Studium für ein Mäd- Die Auslassung in der Erinnerung markiert die Verletzung. schmetternde Absage erteilt hatte.235 chen? Schnell wirst Du heiraten, und dann sind Geld 236 Petzinger, 1984, S.47 Both, der sich am Bauhaus keinerlei Aussicht auf ei- und Arbeit für das Studium umsonst gewesen.´ Für 237 JRF-Fragebogen Reiss vom 23.9.1976, Frage VII: „Of which ar- nen berufsqualifizierendenn Abschluss bot, erläutert mich waren sie nicht umsonst.“ 241 chievements in your life are you most proud?” - „The only thing ihren Weggang fünf Jahrzehnte später: Dass sie nicht Während ehemalige Tessenowstudentinnen ihre Stu- I am proud of is that I was always able to make my own way am Bauhaus „kleben bleiben“, sondern in den Beruf dienzeit, insbesondere ihre Zeit im Seminar Tesse- without help from individuals or organisations.“ wollte.236 Und rückblickend formuliert Reiss auf die now häufig positiv, wenn nicht überschwenglich erin- 238 So bspw. Kitty Fischer im Interview mit Anja Baumhoff am 30.9. Frage, auf welche Errungenschaften ihres Lebens sie nern, bleibt in der Erinnerung architekturinteressier- 1991, in: Baumhoff, 1994, S.91 am meisten stolz sei: „Das einzige worauf ich stolz ter, ehemaliger Bauhausstudentinnen die Zeit im Be- 239 „Seit 14 Jahren lebe ich in New York und habe eine Stellung als bin, ist, dass ich meinen eigenen Weg ohne fremde reich Bau/Ausbau nahezu ausgeblendet. Diese Selek- Gebrauchsgraphikerin.” - „Das Thema der Materialgerechtheit, Hilfe (..) gehen konnte.“ 237 Aber nicht nur ehemalige tion der Erinnerung, bei der i.d.R. lediglich der Vor- die Betonung des Handwerklichen, all dies, was dann in den Architekturstudentinnen folgen den Mustern retro- kurs Erwähnung findet, ist plausibel: Sie korrespon- kommenden Jahren vom Bauhaus entfaltet wurde - in diesem spektiver Erfolgsbilanzierungen. Auch Gertrud Arndt diert mit jenen Studienzeiten resp. Studienabschnit- ersten Jahr hörte ichs, mit unvergeßlicher Begeisterung von Rie- und Kitty Fischer [geb. v.d.Mijl-Dekker] - die beide ten, in denen die Erwartungen der Studentinnen ein- merschmid uns vorgetragen, im Lichthof der Schule. Und dann ursprünglich mit der Absicht, Architektur zu studie- gelöst wurden. „Ich glaube, daß das Bauhaus mir das damals gänzlich Neue einer demokratischen Selbstverwal- ren, ans Bauhaus kamen - beteuerten, das Studium sehr viel geholfen hat in meiner Arbeit mit 5-6 Jahre tung der Schüler - eine Neuerung, die großen Eindruck machte.“ der Weberei nicht bereut zu haben.238 alten Kindern“, schreibt Weiner.242 Und „während Gumppenberg-List, Hertha von in: Wir fingen einfach an, 1953, Architektinnen schildern ihre Berufsbiografie retro- Jean [Leppien] gern von früher erzählte (..) war Su- S.34-35 spektiv anhand eigener Entscheidungen, auch wenn zanne, was ihre Vergangenheit betraf, ganz knapp. 240 „Bin (..) nur 1 Jahr am Bauhaus gewesen. Aber diese Zeit war ihr beruflicher Werdegang nicht entlang gängiger Er- (..) Wiederum im Unterschied zu Jean sprach sie über ausschlaggebend für mein Leben“ BHAB, Fragebogen Lasnitzki folgsmuster verlief, sie in andere Tätigkeitsfelder aus- ihre Zeit im Bauhaus wenig.“ 243 vom 15.8.1980 – Eva Weininger im Interview am 2.12.1995 wichen. In Anbetracht der großen Diskrepanz zwi- 241 Iwanka Hahn im Brief an den Vorsitzenden der HTG, Walter Jes- Dass das Studium - falls überhaupt erwähnt - in aller schen Ambitionen und realen Möglichkeiten mag ver- sen vom 20.2.1987, HTA Regel positiv dargestellt wird, ist weder ein Tesse- wundern, dass die meisten Selbstdarstellungen be- 242 BHAB, Fragebogen Wiener, S.8 now- noch ein Bauhausphänomen. Die Begeisterung rufsspezifischen Narrationsmustern folgen. Ange- 243 Mitteilung von Helmut R.Leppien, Brief vom 20.9.1999 von Studentinnen für die jeweils gewählte Studien-

296 Vom Auftauchen und Verschwinden richtung, die jeweilige architektonische Haltung, spie- Angesichts der Rezeptionsbedingungen wird die gelt sich häufig in überschwenglicher, nahezu gren- Kontrolle über die ‘AutorInnenschaft’ zum entschei- zenloser Bewunderung von Lehrern und Meistern. denden Disziplinierungsinstrumentarium innerhalb Selbst in sichtbar ‘nicht-passgenauen’ Situationen des Büros. Schon am Bauhaus hatte Both beobach- avancieren die jeweiligen Lehrenden - losgelöst von tet, dass Hannes Meyer studentische Arbeiten unter Geschlechtsspezifika - zu Vorbildern. So wenn Anne- eigenem Namen laufen ließ.245 Sowohl im Büro Luck- marie Naegelsbach, die 1914 „als berittener Hilfsgeist hardt & Anker als auch bei Haesler konnte sie nur an die Front“ wollte, erinnert, dass ihr patriotisches mitarbeiten, wenn sie bereit war, auf ihre Autorinnen- Gewissen „völlig beruhigt“ war, als sie Riemerschmid schaft zu verzichten. Sie begriff, dass dies der Preis innerhalb der Kunstgewerbeschule in Militäruniform einer Mitarbeit in einem renommierten Büros ist und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sah. Auch bei den Umgangsformen verwechselt sie wollte diesen nicht zahlen.246 So sehr dieses Verwi- Präsenz mit Teilhabe: „Wir trafen bei Riemerschmid schen der Autoschaft im Sinne einer Ideengeschichte zuweilen berühmte, große Künstler und - wir nahmen als Baugeschichtsfälschung kritisiert werden kann, an deren Gesprächen teil, als ’Gleichgestellte’! In der die Rezeptionsgeschichte folgt i.d.R. den Kräftever- gleichen Freiheit des Herzens. (..) Da war kein Olymp hältnissen realer Machtverteilungen und würdigt intel- für Götter, sondern reine Luft für uns alle.” 244 Es ver- lektuelle Leistungen primär statusabhängig, selbst wundert kaum, dass der Verzicht auf sichtbare Sta- wenn sie statusunabhängig erbracht wurden. Und die tusorientierung während der Kaiserzeit als Sensation Profiteure dieser Praxis greifen zu den unterschied- wie als persönliche Befreiung erfahren werden konn- lichsten Erklärungen, um diese Praxis zu legitimieren te. In der erinnernden Bilanzierung wird jedoch eben- resp. zu kaschieren. So kann innerhalb von Büro- Fridel Vogel in den 40er Jahren in ihrem Cabriolet (oben) so deutlich, dass das Einatmen reiner Luft vermeint- hierarchien die intellektuelle Autorschaft i.d.R. nicht und 1977 in ihrem Wohnzimmer in der ehemaligen “Villa Hüttenhain” lich Gleichgestellter auf die Studienzeit begrenzt durchgesetzt werden, wenn sie aufgrund des Stan- bleibt. desrechts immer bei der/m BüroeignerIn liegt. Dies, obschon sie bspw. auch lt. Ehrenkodex des BDA nur Wie bereits ganz zu Beginn dieser Arbeit skizziert, dann in Anspruch genommen werden sollte, wenn unterliegt die öffentliche Wahrnehmung von Architek- die Leistung auch tatsächlich erbracht wurde - bzw. tur Rezeptionsmustern, die im Hinblick auf Bauten zumindest „unter seiner Leitung“ (sic!).247 von Architektinnen besondere Tücken bergen. Bleibt die öffentlichkeitswirksame Wahrnehmung architekto- Die Frage der Rechte an einer Idee und deren Ver- nischer Leistungen zumeist auf spektakuläre Realisie- marktung wie das Primat der geistigen Leistung in rungen begrenzt, so konzentriert sich die Architektur- der Baugeschichte lassen die Frage von Bauten als rezeption in Fachkreisen auf Entwurf resp. Konzept. Produkte mehrköpfiger Teams obsolet erscheinen, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch wenn der Entwurf innerhalb des Tätigkeitsfel- auch wenn die Notwendigkeit von Arbeitsteilung in des nur einen vergleichsweise kleinen Raum ein- der Architekturproduktion kaum bestritten wird. nimmt und die Auftragsvergabe i.d.R. nur bei Wettbe- Dem Verhältnis von BürobesitzerIn und angestellter werben unmittelbar an den Entwurf gekoppelt ist, so ArchitektIn - bei aller beschworenen Kollegialität in bildet dieser dennoch den Kern einer fachlichen Re- der Regel ein hierarchisches - haftet nicht nur wäh- putation, über die unmittelbar intellektuelle Führungs- rend der Phase des Berufseinstieges die Komplexität ansprüche, mittelbar auch ökonomische Tragfähigkeit einer ‘Patronage’ an. Und da - wie wir anhand der der beruflichen Existenz reklamiert werden. Nur weni- Berufseinstiege verfolgen konnten - Statusdistributio- ge Immobilien stehen an solch prominenter Stelle, nen auf wundersame Weise den gleichgeschlechtli- dass sie ohne ‘Mobilität’ ihren Weg in die öffentliche chen Mitgliedern der Berufsgruppe zuteil werden, Wahrnehmung finden. Ein Schöpfer wird gebraucht, bleibt die Zuerkennung intellektueller Leistungen in- wenn aus einer Immobilie ein architekturgeschichtlich nerhalb von Bürohierarchien i.d.R. den Herren vorbe- ‘singuläres’ Bauwerk werden soll. Auf diesem Weg halten. Und wieder einmal ist der Klartext von Paul der Verbreitung ortsg-bunden realisierter Ideen bieten 244 Annemarie Naegelsbach, Wir fingen einfach an, 1953, S.36-37 Bonatz besonders aufschlussreich, der rückblickend sich verschiedene Möglichkeiten der Reduktion wie 245 Dies beschreibt sie rückblickend als „menschliches Versagen“. weniger von der konkreten Architektentätigkeit als der Manipulation, wobei die Authentizität des bzw. Petzinger, 1984, S.47 von der geschlechtsexklusiven Möglichkeit eines der AutorIn offenbar kaum eine Rolle spielt. Denn of- 246 „Die Aussagen von Frau Both (...) machen deutlich, daß das von selbständigen Architekturbüros fasziniert scheint. fenbar sind es die Spielregeln der Rezeption, die bei- Haesler entworfene und geförderte Bild (..) nicht mit der Wirk- Denn: „Was ist ein Architektenbüro? Es ist etwas Ein- spielsweise Truus Schröder-Schräder zum „dutch ar- lichkeit übereinstimmte, sondern bewußt betriebene Imagepfle- maliges und ich weiß keinen anderen Beruf, in dem chitect“, Charlotte Alix zum „interior decorator“ und ge war.“ Schumacher, 1982, S.234 es etwas Ähnliches gäbe: eine kleine patriarchalische Erna Kopriva zur „Keramikerin“ machen, obschon 247 „Die Urheberschaft an künstlerischen Arbeiten nimmt er nur Gemeinschaft Gleichgesinnter.“ 248 Schröder-Schräder Pharmazie studierte, Alix als Ar- dann für sich in Anspruch, wenn sie unter seiner persönlichen chitektin publizierte und Kopriva die längste Zeit ihres Die Etikettierung real existierender Hierarchien in Ar- Leitung geschaffen sind.“ Satz 2 der Grundsätze, denen BDA- beruflichen Lebens die Stoffdruckwerkstatt der Aka- chitekturbüros als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“, Mitglieder verpflichtet sind. Hier zitiert nach Gaber, 1966, S.88 demie für Angewandte Künste in Wien leitete. als kollektivistisch verstandene Planungspraxis oder 248 Bonatz, Paul: Leben und Bauen, Stuttgart, 1950, S.106-107

Berufsverläufe und Lebenswege 297 als ‘Prinzip’ der Arbeitsgemeinschaft249 verschleiert sowie an Allison und Peter Smithson beschrieben Kräfteverhältnisse, die de facto in das Ermessen des und dabei aufgezeigt, wie stark diese Fokussierung Büroeigners bzw. der EignerIn gestellt sind. Angela auf ‘ihn’ von Fachjournalisten forciert wurde. Schumacher konstatiert für das Büro Haeslers, dass „Architektur bedeutet immer Zusammenarbeit. Dies hier auch komplexe Aufgaben unter Vermeidung von ist allgemein bekannt, wird jedoch selten wahrge- Teamarbeit in strikter Arbeitsteilung bearbeitet wur- nommen. Die Einzelperson erhält bei der Autorschaft den.250 Und Heinrich Moldenschardt charakterisierte den Vorzug. Dies wird am deutlichsten in der Zusam- die Mitarbeitersituation am Beispiel des Büros von menarbeit von Paaren und Partnerschaften, unabhän- Paul Baumgarten in den fünfziger Jahren: „Selbstlose gig davon, ob es sich um berufliche und/oder per- Hingabe wurde (und wird) unverdrossen erwartet; sönliche Beziehungen handelt. Der phallische Mythos Fleiß und Einfühlsamkeit wurden als Liebesdienst, je- des Solo-Architekten, des isolierten Genies, ist eine denfalls nicht gegen Geld eingetauscht (..), die nach der regressivsten und reaktionärsten Grundauffas- aktueller Wertschätzung, von Strenge zu Nachsicht sungen von Architektur - doch leider immer noch ei- dosiert, spürbar war“.251- So umstritten bleiben mag, ne der gängigsten.“ 255 wie sich in einem arbeitsteiligen Tätigkeitsbereich die Dementsprechend lässt sich die vermeintliche Be- Autorschaft begründet, ja, ob sie zur Kennzeichnung sonderheit als Fachfrau selbst bei elitärem Habitus architektonischer Leistungen überhaupt geeignet ist, i.d.R. nicht in eine Superiorität innerhalb der Profes- so deutlich wird, dass jede Reduktion der Urheber- sion prolongieren. Die Transformation der außeror- schaft der Aufrechterhaltung des Status quo dient dentlichen - extraordinären - Frau zur außergewöhnli- und jegliche Mitarbeit zum Verschwinden bringt.252 chen AkteurIn in der Architektur scheitert i.d.R. an Nach dem zweiten Weltkrieg tauchen in den Archi- der ‘Männlichkeit’ des Genies. Denn angesichts ge- tekturfachblättern Namen von Architektinnen fast schlechterkonnotierter Images könnte eine Imagestei- ausschließlich in Verbindung mit Architektengatten gerung nur dann gelingen, wenn der Transformati- auf. Helga Schmidt-Thomsen, selbst Partnerin einer onsprozess selbst ‘extraordinär’, d.h. außerhalb der 249 Wingler, 1975 (3. Auflage), S.397 langjährigen Lebens- und Büropartnerschaft, be- Geschlechterordnung stattfände. 250 Schumacher stellt fest, dass „das Büro Haesler stark arbeitstei- zeichnete die fünfziger Jahre als „die hohe Zeit der Canthal erinnert ihre Wut, als ein Journalist anlässlich lig, jedoch ohne Teamarbeit aufgebaut war. So besprach jeder Ehepaare in der Architektur (..) Daneben scheinen ihrer ersten Wettbewerbserfolge in den zwanziger der auf einen Teilbereich spezialisierten Mitarbeiter seine Arbeit fast jene Frauen in den Schatten zu treten, die sich Jahren schrieb: „Sie sieht aus wie ein zwölfjähriges direkt mit Haesler“. Both, die von Ende 1929 bis 1932 im Büro mit Arbeiten und Inhalten alleine zu profilieren hat- Schulmädchen und er wie ein Konfirmand!“ 256 Auch arbeitete, sei für die Inneneinrichtungen ‘zuständig’ gewesen. ten.“ 253 Offenbar zeigen jedoch auch die Paare in der Lotte Tiedemann macht die Erfahrung, dass sie nicht Schumacher, 1982, S.234, s.a. FN 246 Architektur nur eine vermeintliche Geschlechternor- jene Akzeptanz erhält, die ein Architekt nach ihrer Er- 251 Moldenschardt, Heinrich: Begegnungen, in: Lux, Elisabeth / malität, denn auch hier funktionieren Selektionen, Re- fahrung „einflößt“, sondern behandelt wird wie „ein Martin Wiedemann: Paul Baumgarten, Bauten und Projekte duktionen und Eliminierungen nach den Regeln eines Mädchen, das die Schule schwänzt“.257 Die berufli- 1924-1981, Berlin, 1988, S.27-31, hier S.28 homosexuellen Referenzsystems. Dies wird bspw. chen, aber auch die familiären Akzeptanzprobleme 252 So auch in den Büros von Winkelmann und Frommer, die daran deutlich, dass hier - entgegen allen bürgerli- werden von Architektinnen i.d.R. nur angedeutet, der jeweils mehrere MitarbeiterInnen beschäftigten und diese bei chen Konventionen - der männliche Partner stets zu- Verlust zwischen privater und beruflicher Balance Veröffentlichungen nicht namentlich erwähnen. erst genannt wird. Und werden bspw. bei Wettbe- wird i.d.R. weder dem Berufsfeld noch der Familie 253 Schmidt-Thomsen, 1984, S.29 werbsgewinnen häufig noch beide Namen eines Ar- angelastet. „Die Praxis [sieht] eben anders aus“, äus- 254 So bspw. in: Oesterlen, Dieter: Bauten und Texte, Tübingen, chitektenpaares genannt, so fällt die Erkennbarkeit sert Tiedemann 1935.258 Und Gidoni wird 1948 zitiert: 1992, S.264; - Maurer, Hans: Bauten + Projekte 1947 bis heute, der Architektin zumeist schon bei Realisierung einer „It´s a fine field for women, but it´s not what you think Stuttgart, 1989, S.197 ‘Verkürzung’ zum Opfer, nicht nur bei vermeintlicher when you are 18 and in college!“ 259 255 Colomina, Beatriz: „Couplings“, in: Oase 51, Delft, 1999, S.23: Subsumption unter einem ‘gemeinsamen’ Nachna- „Architecture is always collaborative. Everybody knows this. But men: Werden solch preisgekrönte Bauten nach Jah- Wie am Beispiel von „Die Architektin, der Traum vom it is rarely acknowledged. A single figure is always priveleged as ren publiziert, findet sich der ‘gemeinsame’ Name Beruf und die Wirklichkeit“ gut zu beobachten war, author of the work. This is most evident in the case of couples, erstaunlicherweise häufig um ‘seinen’ Vornamen er- versuchte die Architektin, den gängigen Rollenzu- partnerships of two, whether they are professional or personal gänzt. In Monografien schrumpft ‘ihr’ (Vor-)Name in schreibungen Mitte der dreißiger Jahre als ‘weibli- or both. (..) The phallic myth of the solo architect, the isolated aller Regel zur Fußnote, bei Trennung ist er besten- chen Vorzügen’ etwas abzugewinnen und die eige- genius, is one of the most regressive an reactionary understan- falls noch unter ‘Mitarbeitern’ oder ‘Zusammenarbeit’ nen Frustrationserfahrungen nicht direkt zu benen- dings of architecture - but unfortunately still one of the most zu finden.254 Und dies ist offenbar kein der Namens- nen.260 Die widersprüchlichen Aussagen spiegeln die pervasive.“ gleichheit von Paaren geschuldetes Phänomen, fin- Zerreissprobe zwischen einem Selbstverständnis als 256 NL Canthal, P.M. Canthal an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.3 det es sich doch auch bei Arbeitsgemeinschaften, so Entwerferin von Häusern und dem zugeschriebenen 257 Brüning, Elfriede: Die Architektin, in: Berliner Tageblatt vom 7.7. bspw. bei Singer / Dicker, Gorska / de Montaut, Alix / Berufssegment als ‘Wohnungsberaterin’ wider. Mit 1935 - vgl. auch Kap.7, FN 158 Sognot. Hilfe einer Forschungsthese Edith Glasers lassen sich 258 Ibid. diese Widersprüche resp. die im persönlichen Ge- Beatriz Colomina hat diese Wahrnehmungsresistenz 259 Architectural Record, 1948, Nr.103, S.106 spräch mit der Klassenkameradin gesuchten Plau- exemplarisch anhand von Ray und Charles Eames 260 Vgl. Kap.7, S.200 ff. sibilisierungen als Prozess der ‘Dissonanzreduktion’

298 Vom Auftauchen und Verschwinden entschlüsseln.261 Lotte Tiedemann deutet in diesem nem Beruf wieder eine Stellung bekommen.“ 267 Zusammenhang ebenso Selbstzweifel wie auch Dis- Ob in Partnerschaft oder allein, ob freiberuflich oder kriminierungserfahrungen an: „Ich habe es wirklich angestellt, im öffentlichen Dienst oder in freien Büros, geschafft, den schönsten Entwurf zu machen (..) ich ob auf der Baustelle, im Büro oder im Gespräch mit bin durch die Praxis auf meinen eigentlichen Beruf potentiellen AuftraggeberInnen: Im Berufsfeld ma- gestossen worden“. Als individuelle Erkenntnis dar- chen diese Architektinnen zunehmend die Erfahrung, gestellt, versucht sie die Nachteile geschlechtsspezi- nicht an ihrer professionellen Leistungsfähigkeit ge- fischer Zuschreibungen ins Positive zu wenden: „Ich messen zu werden und der ungleichen Konkurrenz wollte Häuser bauen (..) die Welt verändern - im Lau- mit Kollegen nahezu machtlos gegenüber zu stehen. fe meiner selbständigen Praxis bin ich darauf gekom- Bereits anhand des Studienvergleichs haben wir ge- men (..) Wir Frauen können etwas anderes.“ Diese sehen, dass die für eine Professionalisierung notwen- Neuinterpretation einer ‘äußeren Zwangslage’ lässt dige Identität während des Studiums kaum erworben Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sich als ‘verinnerlichte Selbstverleugnung’ bezeich- werden konnte: Bauhausstudentinnen bot auch das nen.262 Während die Selbstdarstellung berufstypi- Wissen, dass sie in den Kreisen des Neuen Bauens schen Narrationsmustern und damit dem primären nicht erwünscht waren, keinerlei Ansatz zum Umgang Selektionskriterium des Erfolges unterliegt, wird die mit der Berufsrealität. Noch weniger waren die fach- Differenz zur Selbstwahrnehmung als ‘kognitive Dis- lich besser ausgestatteten Tessenowstudentinnen auf sonanz’ sichtbar. Tabuisiert bleibt die berufliche Kon- die Widersprüche und Konkurrenzen innerhalb des kurrenz: „Wir Architekten (..) sind darauf angewiesen, Berufsfeldes vorbereitet. Angesichts von Zuschrei- zu machen, was man von uns haben will.“ 263 bungen und Fremdwahrnehmung sind Bauhaus- wie Solch kognitive Dissonanzen finden wir sowohl bei Tessenowstudentinnen gezwungen, eigene Strategi- ehemaligen Bauhaus- als auch bei Tessenowstuden- en im Umgang mit den Widersprüchen einer Identität tinnen, was angesichts der bereits im Studium ange- als weibliche Professionals zu entwickeln. Gertraude Herde in den 1950er Jahren in ihrem Büro legten Diskepanzen - so bspw. zwischen Anspruch Dass sie die Paradoxien einer ‘Professionslogik’ in- und Realität, Berufsbild und Rollenerwartung - ver- nerhalb der Hierarchien des vermeintlich rationalen ständlich ist. Im Unterschied zu Tessenowdiploman- 261 Edith Glaser traf in lebensgeschichtlichen Interviews mit ehema- Berufsfeldes rational nicht ausbalancieren können, dinnen machten etliche der ehemaligen Bauhausstu- ligen Studentinnen dieser Generation immer wieder auf das Ne- treibt etliche Architektinnen dieser Generation aus dentinnen bereits beim Berufseinstieg die Erfahrung, gieren von Diskriminierungserfahrungen. Sie kommt in Anleh- dem Berufsfeld und manche in die Verzweiflung. So dass ihre Erwerbsmöglichkeiten fragil waren. Anne- nung an Lion Festingers Theorie kognitiver Dissonanzen zu der äußerte Nießen 1930 nach 13 Berufsjahren: „Um all marie Wimmer wie Wera Meyer-Waldeck gelingt der Interpretation, dass biografische Erinnerungs’lücken’ das Ergeb- die Vorurteile zu bekämpfen gehören vielleicht fünfzig Berufseinstieg nur, indem sie Tätigkeiten als techni- nis retrospektiver Plausibilisierungen sind. Vgl. Glaser, 1992 Jahre dazu, um klarzumachen, daß eine Frau beim sche Zeichnerinnen annehmen.264 „Hier [in Berlin] leb- 262 Wierling versucht anhand einer offen misogynen Dissertation ei- Bauen mitzureden hat, und daß man sie arbeiten te ich von Wohlfahrtunterstützung und von Gelegen- ner Medizinerin aus dem Jahre 1932 zu rekonstruieren, ob es läßt.“ 268 - Und nach fast 20 Jahren im Berufsfeld the- heitsarbeiten bei Genossen“, erinnert Annemarie Lan- sich dabei aufgrund der durch den Doktorvater gesetzten Rah- matisiert Both die Erfahrung mangelnder Akzeptanz ge ihre Arbeitssuche.265 Auch Camilla Leiteritz ist zwei enbedingungen um „von außen erzwungene Schizophrenie“ als einen „langen und noch andauernden Kampf um Jahre nach ihrem Bauhausdiplom in Wandmalerei ar- oder „schon verinnerlichte Selbstverleugnung“ handelt. Wierling, Behauptung in meinem Beruf als Architektin.“ 269 beitslos, weshalb sie - zunächst sogar unentgeltlich - Dorothee: Studentinnen in der Weimarer Republik, in: Nietham- in ihrem zuvor erlernten Beruf als Bibliothekarin ar- Wie aber funktionierte dieses Ignorieren fachlicher mer, Lutz (Hg.): Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, Mün- beitet. Kompetenzen aufgrund des Geschlechts, das ‘doing chen, 1990, S.364-382 gender’ in der Architektur? Wie wurde das ‘same- 263 Vgl. FN 257 1947 schildert Meyer-Waldeck ihre Schwierigkeiten less-taboo’ umgesetzt, ein ‘crossing the images’ wir- 264 Meyer-Waldeck kann ab Herbst 1934 für die Junkerswerke in beim Berufseinstieg rückblickend wie folgt: „Als das kungsvoll verhindert? Dessau arbeiten. Wimmer findet im Rahmen des Notstandspro- tausendjährige Reich begann, war ich ja in Zürich gramms ab April 1934 beim Hochbauamt Schöneberg eine ta- und wäre auch liebend gerne dort geblieben, aber Immer wieder finden wir Beispiele, dass Standesver- geweise Beschäftigung als technische Zeichnerin. Zum 15.7. ohne Geld und ohne Arbeitserlaubnis musste ich wie- treter, Vorgesetzte, Kollegen, Professoren, Politiker 1935 nimmt sie eine Aushilfsstellung als Zeichnerin in einem der zurück und habe mich (..) so schlecht und recht und AuftraggeberInnen ggf. auch aktiv werden, wenn Schöneberger Ingenieurbüro an, ihr Berufseinstieg als Planerin durchs Leben geschlagen, teils als Rinder- und Hüh- es um die Reduktion von Reputation oder beruflichen gelingt erst Ende 1935 bei den Reichsautobahnen, wo 1937 nermagd, teils als Gesellschafterin bei halbidiotischen Chancen von Architektinnen geht. So bescheinigt der auch Meyer-Waldeck als Planerin tätig wird. alten Damen, bis dann endlich im Herbst 34 sich Stadtbaurat Martin Wagner in einem Schreiben im 265 Lebenslauf Annemarie Lange vom 3.3.1953; Akademie der Kün- doch bei Junkers in Dessau eine Möglichkeit bot, we- Mai 1927, dass „es erwünscht sein muß, wenn Frau ste, Schriftstellerarchiv, PA Annemarie Lange nigstens als technische Zeichnerin ins Geschick zu Dipl.Ing. Ella Briggs als Architekt auch in Berlin bei 266 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847 Brief Wera Meyer-Waldeck an kommen.“ 266 Aus dem gleichen Jahr datiert Boths Wohnungsbauaufträgen Gelegenheit hat, ihre Erfah- Hannes Meyer vom 9.8.47 Darstellung: „Nach anfänglich gutem Berufserfolg als rungen, die vom Standpunkt der Frau ausgehen, 267 Vgl. FN 136 Mitarbeiterin in den Büros namhafter Architekten (..) auch in praktischen Aufträgen niederzulegen. Auch 268 HTA, Schreiben Elisabeth Nießen vom 7.4.1930 an Heinrich wurde ich durch die Wirtschaftskrise für 4 1/2 Jahre die künstlerische Begabung von Frau Dipl.Ing. Briggs Tessenow arbeitslos. (..) Erst 1935 konnte ich als Frau in mei- scheint mir außerordentlich beachtenswert.“ 270 Hier 269 Vgl. FN 136

Berufsverläufe und Lebenswege 299 rückt Wagner die fachliche Kompetenz an die zweite waren. Hier löste ihre Präsenz Irritationen und Span- Stelle. Und auch wenn er ihre künstlerische Bega- nungen aus, die - als Differenz im Habitus - weder bung für „außerordentlich beachtenswert“ hält, so fachlich noch mit Hilfe des eigenen kulturellen Kapi- betont er den „Standpunkt der Frau” und empfiehlt tals entschärft oder kompensiert werden konnten. sie lediglich für den Wohnungsbau. - „Es läßt hoffen, Nur durch einen strategischen Umgang mit dem ei- wenn Studenten aus so einer (kleinen) Aufgabe etwas genen kulturellen Kapital resp. durch Assimilation er- menschlich Anziehendes zustande bringen“, kom- öffnete sich überhaupt eine Chance auf die Chance, mentiert Mart Stam 1942 unter dem Stichwort „die die eigenen Kompetenzen einbringen zu können. jüngere Generation“ zwei Studienprojekte seiner drei- Denn im Laufe ihrer Berufstätigkeit machten Architek- einhalb Jahre jüngeren, ehemaligen Gattin.271 turstudentinnen der Weimarer Republik die Erfah- rung, dass innerhalb des Berufsfeldes mit harten Und Dirk Gascard bescheinigt seiner früheren Frau: Bandagen, ungleichen Mitteln und geschlechtsspezi- „Die vielen Erfolge und Anerkennungen, die wir unter fischer Diskreditierung konkurriert wurde. Und nicht unseren Namen schon in jungen Jahren erzielen zuletzt, dass sie bei der Etablierung im Berufsfeld konnten, sind zum wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit zu i.d.R. auf Patronagen und Empfehlungen von Kolle- verdanken.“ 272 Just zu dem Zeitpunkt, wo er einen gen angewiesen blieben - bei der Auftragsvergabe gemeinsamen Entwurf aus dem Jahre 1931 in leicht wie bei der Aufnahme in Berufsverbände.276 modifizierter Form auf der ‘Constructa’ in Hannover (1951) erneut bauen und publizieren kann, führt er „Unter all den auch von Frauen ausgeübten Berufen über die zehnjährige Zusammenarbeit mit Paula Ma- ist der des Architekten am längsten eine Domäne des rie Canthal aus: „Einige Jahre vor dem Krieg haben Mannes geblieben, weil zu dessen Ausübung nicht wir eine feste Bürogemeinschaft unterhalten. Ihr allein originelle, sondern gleichzeitig und in sehr weit- Hauptaufgabengebiet war dabei neben dem Ausar- gehendem Maße auch aggressive Talente, bis zu dik- beiten von Wettbewerben die Durchführung von Pla- tatorischer Strenge gegenüber maskuliner Brutalität, nungsarbeiten der verschiedensten Art. Meine Kolle- zu bewähren sind“, hatte Elisabeth Gotthard bereits gin war mir durch ihre Fähigkeit, stets schnell das 1933 männliches Dominanzverhalten im Berufsfeld Wesentliche der gestellten Aufgabe zu erfassen und Architektur charakterisiert.277 Schienen die Chancen im Entwurf festzulegen, durch ihr ausgeprägtes For- von Architektinnen und Architekten schon während mengefühl und ihren sicheren Sinn für die Farbe lan- des Kompetenzerwerbs wie zu Beginn der berufli- 270 Schreiben Martin Wagner vom 6.5.1927, NL Briggs ge Jahre eine unersetzliche Mitarbeiterin.“ 273 chen Laufbahnen allzu ungleich und drängten sich 271 Stam, Mart: „De jongere Generatie“ in: De 8 en opbouw, 1942, angesichts eines Berufsbildes, das den ‘ganzen Und bei ehemaligen Kommilitonen lassen sich solch 13.Jg. Nr.4, S.43 ff. - hier S.46 Stam stellt Entwürfe von „A.C. Mann’ fordert, erneut die Fragen nach den realen paternalistische Wahrnehmungsmuster auch am En- Nicolai“ und „L. Beese“ vor, darunter den Pavillon für einen Au- Möglichkeiten von Architektinnen im Berufsfeld auf, de des 20. Jahrhunderts noch beobachten: Sie erin- tor („schrijverspavillon“) - Er plädiert an die älteren Lehrenden, so wird angesichts der Berufsdauer wie der Berufs- nern nach Jahrzehnten noch Details über Kollegin- Veränderungen zuzulassen und hebt hervor, dass die Arbeiten ausstiege von Architekturstudentinnen der Weimar nen, unterstellen jedoch immer wieder, dass die Ar- nicht etwa Abgüsse von Dozentenentwürfen seien. „Auch in un- Republik deutlich, dass ihre Chancen beruflicher Eta- chitektin nicht gebaut, sich ggf. mit Inneneinrichtun- serer Zeit taucht eine Strömung wieder auf, die dazu neigt, die blierung sehr gering waren. gen ‘beschäftigt’ habe.274 Der Prozess der Verdrän- Dinge wieder an sich zu sehen: Jedes Häuschen als ein Ding an gung von Architektinnen aus dem Berufsfeld während sich.“ ibid., S.48 des 20. Jahrhunderts konnte hier nur ausschnittswei- 272 NL Canthal, Schreiben an Dirk Gascard vom 29.9.1952 se skizziert werden. Methoden, Akteure und Motiva- Resümee 273 Ibid. tionen variierten offensichtlich in Abhängigkeit von Bereits anhand der Berufseinstiege von Architektur- 274 So bspw. Hubert Hoffman zu Katt Both (im Brief v. 24.8.1995): kulturellen und politischen Milieus. Offenbar gelang studentinnen der Weimarer Republik wurden die Fol- „eigenwillige Begabung, (..) später kleineres Büro in Kassel (In- es jedoch in einem öffentlichen Diskurs, geschlech- gen unterschiedlicher Ausbildungswege sichtbar: neneinrichtungen vorwiegend)“. Und Clemens Weber, der mit ter-konnotierte Attributiva des Berufsbildes so zu Während fast alle TH-Diplomandinnen in den unter- Lieselotte von Bonin seit der Studienzeit befreundet ist und amalgamieren und plausibilisieren, dass Männlich- schiedlichsten Bereichen des Berufsfeldes tätig wur- bleibt, obschon er nach dem Krieg eine berufliche Zusammenar- Sein zum ebenso konditionalen wie primären Wahr- den, waren Bauhausstudentinnen mit ihren Architek- beit ablehnte, geht davon aus, dass sie nach ihrer Scheidung nehmungsfilter avancierte, die Akzeptanz ‘nicht- turambitionen bereits zu einen Drittel an der Ausbil- von Gumberz-Rhonthal nicht mehr gebaut habe. männlicher’ Professionals schwand. dung gescheitert. Auch ihr Berufsstart war häufig 275 Schapiro, Rosa: Die Frau in den bildenden Künsten, in: Frau und langwieriger und schwieriger als der ihrer Kommilito- Gegenwart, 4.Jg., 1927, Nr.40 „Die äußere Not, der Umschwung in den sozialen nen. Demgegenüber gelang Tessenowdiplomandin- 276 Wie unmittelbar derlei Patronagen an den Chef gekoppelt blei- Verhältnissen, hat die Frau ins Leben hinausgedrängt, nen - verglichen mit Tessenowstudenten - der Be- ben, wird bspw. an Anneliese Eichberg deutlich, die trotz ‘plan- aber es war nicht die äußere Not, die die Künstlerin in rufseinstieg ohne auffällige Differenzen. Im Vergleich mäßiger’ Assistentinnenstelle 1952 mit der Emeritierung von ihr geweckt hat“, stellte Rosa Schapiro 1927 für die der Berufsbiografien zeichnete sich jedoch auch für Prof. Abels an der THM ausscheidet, wo sie seit 1939, zunächst beruflichen Ambitionen von Frauen klar.275 Hatten sie eine Vielzahl möglicher ‘Stolpersteine’ auf dem als Hilfsassistentin tätig war. Fuchs, 1994, S.157 Studentinnen dieser Generation ihre Studienchancen Weg beruflicher Etablierung ab. Hier kam der Ausbil- 277 Gotthard, Elisabeth: „Die Architektin“ in: Profil, H.4, April 1933, genutzt, so wurden sie im Berufsleben mit Konflikten dung, resp. der Schule zunehmend weniger Bedeu- S.121 konfrontiert, auf die sie in der Regel nicht vorbereitet

300 Vom Auftauchen und Verschwinden tung zu. Immer deutlicher korrespondierten die ‘Stol- studentinnen der Weimarer Republik sich angesichts persteine’ nun mit Geschlechterkategorien und im- mangelnder Perspektiven vom Berufsfeld abwandten mer häufiger führten sie - einzeln, aber auch in Kom- und den dortigen (Geschlechter-)Hierarchien den bination - zum Ende einer Berufstätigkeit als Archi- Rücken kehrten. So vielfältig die Anlässe für einen tektin. Rückzug aus dem Fach waren, die Gründe waren eher einfältig: Anhaltende Chancen- und Perspektiv- Innerhalb des Berufsfeldes Architektur konnten wir losigkeit im Fach. seit Beginn des 20.Jahrhunderts eine zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung beobachten. Obschon vereinzelt auch fachfremde Bauhausstu- Just im Zuge der Modernisierung des Berufsbildes dentInnen durch die Heirat mit einem Architekten Zu- wurde jedoch auch die Hierarchisierung zwischen gang zum Berufsfeld fanden, erwies sich die Ehe mit Professionals unterschiedlichen Geschlechts betrie- einem Berufskollegen in der Lebensplanung vieler ben, wobei die Aufspaltung in Innen- resp. Außenar- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik als chitektur diese Grenzziehung am deutlichsten abbil- crucialer Stolperstein. Deutlich stärker als reale fami- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dete und bei den ‘Modernisten’ sowohl früher als liäre Belastungen beeinträchtigte die Rücksichtnah- auch deutlicher sichtbar wurde als bei den ‘Traditio- me auf einen Architektengatten die beruflichen Ambi- nalisten’. Dieser Prozess der Ausdifferenzierung und tionen von Architektinnen. Mit den Realitäten ge- Hierarchisierung des Berufsfeldes ging mit der Zu- schlechterhierarchischer Architekturproduktion und nahme professioneller Ambitionen von Frauen einher. geschlechtsabhängiger Chancenvergabe konfrontiert, Er produzierte eine Spezialisierung von Tätigkeits- suchten Etliche Nischen am Rande des Berufsfeldes, und Aufgabenbereichen und eine Reihe von Parado- andere akzeptierten Tätigkeiten unterhalb ihrer Kom- xien, obschon zeitgleich der Generalist zum Leitbild petenzen. Manche verzweifelten an dieser Berufsrea- des ‘neuen Architekten’ avancierte. Architektinnen lität. Die weitaus meisten zogen sich auf andere Be- wählten häufig eine Art ‘Tausendfüßlerinnenstrate- rufsfelder oder in familiäre Aufgabenkreise zurück: gie’, um auf Schließungen, Unberechenbarkeiten und Sie ‘verschwanden’ als Architektinnen aus der Pro- strukturelle Chancenlosigkeit im Beruf zu reagieren. fession, die ihnen lediglich subalterne Tätigkeiten und Gisela Schneider um 1940 am Zeichentisch im Büro der Reichspost Auch wenn Georgeacopol-Winischhofer anhand der nahezu keine eigenständigen Gestaltungsräume zu- und unterwegs mit dem mobilen Rei-brett in der Reichsbahn(unten) „Spannweite der architektonischen Entwurfsarbeit (..) gestand, oder just in dem Maße berufliche Chancen zeigt (..), daß den Frauen grundsätzlich kein Bereich einräumte, in dem sie auf eine öffentliche Präsenz der Architektur und des Hochbaus verschlossen ist“, verzichteten. so ließ sich anhand der Berufswege im Laufe des 20. Hinsichtlich der Berufsstrategien wird unübersehbar, Jahrhunderts nachweisen, dass Architekturstuden- dass Architekturstudentinnen der Weimarer Republik tinnen der Weimarer Republik aufgrund ihres Ge- auf den unterschiedlichsten Wegen versuchten, das schlechtes etliche Bereiche des Berufsfeldes immer Berufsfeld zu erreichen und auf den verschiedensten wieder kaum zugänglich waren.278 Feldern nach einer dauerhaften Partizipation suchten. Bei der Betrachtung der Berufsfelder wurde die Dis- Überall dort, wo ‘gender’ sich zu einer konstitutiven krepanz zwischen architektonischen Interessen und Kategorie verfestigt hatte, gelang ihnen ein ‘Abschüt- realen Arbeitsgebieten sichtbar. Während Tessenow- teln’ des Geschlechtes, ein Durchbrechen der Gren- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar studentinnen anhand von Idealaufgaben studiert hat- zen nicht. ten, korrespondierte das Repertoire dieser Studien- Nur in Ausnahmefällen konnten sie beim Berufsein- projekte häufig mit den Aufgabenstellungen in der stieg mit der Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie Berufsrealität. Demgegenüber erwies sich die Erfah- rechnen und noch seltener auf die tatkräftige Unter- rung ehemaliger Bauhausstudentinnen im Umgang stützung durch eine/n PartnerIn vertrauen. So sehr mit realen Bauprojekten als kaum verwertbar, da sie die Eltern die finanzielle Unabhängigkeit der Tochter faktisch nicht mit Siedlungsprojekten resp. öffentli- unterstützten, das Studium tolerierten oder sogar for- chen Bauten beauftragt wurden. Und während ange- cierten, so deutlich blieb diese Unterstützung auf die stellte Architektinnen auch mit öffentlichen, gewerbli- Ausbildungszeit begrenzt. Das Risiko einer berufli- chen und konstruktiven Bauaufgaben betraut wur- chen Selbständigkeit wurde von den Eltern nur aus- den, erhielten freiberuflich Tätige nahezu ausschließ- nahmsweise abgesichert. Während die Söhne mit lich Aufträge im Wohnungsbau. dem erfolgreichen Abschluss des Studiums die elter- Bei der geringen Partizipation von Architektinnen an lichen Erwartungen in diesem Lebensabschnitt voll Berufsverbänden wurde nicht immer deutlich, ob erfüllten, bewies der Diplomerwerb der Töchter, dass mangelnde Attraktivität oder fehlender Rückhalt einer deren Studium keine Fehlinvestition, deren berufliche Mitgliedschaft im Wege standen. Wenig Interesse Ambition keine Illusion war. Gleichzeitig blieben tradi- war für einen Frauenberufsverband zu finden. Anhand tionelle elterliche Erwartungen an die Töchter jedoch der Berufswechsel wurde sichtbar, dass Architektur- uneingelöst. Denn so hilfreich ein traditionelles Um- 278 Georgeacopol-Winischhofer, 1997, S. 190

Berufsverläufe und Lebenswege 301 feld im Professionalisierungsprozess war, es eröffne- Diese gemischtgeschlechtlichen Arbeitsgemeinschaf- te keine Vereinbarkeit von beruflicher und familiärer ten bestehen jedoch i.d.R. nur kurzzeitig. Langfristige Perspektive. Als Töchter meist nicht berufstätiger Lebens- und Berufspartnerschaften, wie sie bspw. Mütter spielten sie die Möglichkeit des Rollenwech- Karl und Elisabeth Gonser [geb. von Rossig] in Stutt- sels - von der privaten Hausfrau zur öffentlichen Be- gart betreiben, bleiben die Ausnahme.283 Kaum eine rufsfrau - im Studium durch.279 Ihr Ausbrechen aus Bauhaus- oder Tessenowstudentin, die kontinuierlich ebenso traditionellen wie restriktiven Rollenbildern, im Berufsfeld tätig ist, bleibt länger als fünf Jahre mit die im Studium noch deutlich erkennbare Lust am einem Architekten oder Künstler verheiratet. Oder ganzen Leben, wurde in ihrem persönlichen Umfeld umgekehrt: Ehemalige Bauhaus- oder Tessenowstu- nur selten goutiert, manches Mal geduldet, häufiger dentinnen, die mit einem Architekten oder Künstler strikt abgelehnt. Both bezeichnet dies als „innere verheiratet bleiben, scheiden fast ausnahmslos nach Entfremdung von der Familie“, die sich erst durch ih- spätestens drei Jahren aus dem Berufsfeld aus. re Berufsleistung „überbrückte“. 280 Canthal erinnert, Schienen verheiratete Architektinnen ihre beruflichen dass ihre Mutter - „wahrscheinlich, weil sie für Kunst Ambitionen im Einzelfall bereits im Angesicht eines nichts übrig hatte (..), sich gern bei aller Welt über Gatten, fast ausnahmslos beim Anblick von Spröss- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mich beschwerte“ und ihre Schwiegermutter sie wei- lingen preiszugeben, so relativierte sich angesichts nend „`das schreckliche Mädchen´ nannte, das den der Berufsrealität die Freiwilligkeit des Rückzuges `armen Jungen´ ganz verrückt“ mache. „Daß die Ju- aus dem Berufsfeld. Die individuellen Schicksale von gend früh das Elternhaus verläßt, war damals eine Architekturstudentinnen der Weimarer Republik folg- Ungehörigkeit sondergleichen! Wir wurden bestaunt ten strukturellen Mustern, die mit der Geschlechter- wie Ungeheuer.“ 281 hierarchie in der Architektur augenfällig verquickt waren. Das Problem ebenso unterschiedlicher wie wider- sprüchlicher Erwartungen versprach die Ehe mit ei- Insbesondere die Kameradschaftsehe erwies sich als nem Kollegen zu lösen: Die Kompensation ungleicher ‘Achillesferse’ bei der beruflichen Etablierung von Ar- Chancen innerhalb des Berufsfeldes, die Option, sich chitektinnen und bot in der Regel nur ‘ihm’ eine be- innerhalb einer partnerschaftlichen Arbeitssituation rufliche Perspektive. Denn reziprok zum Klischee die- auf den Gegenstand Architektur konzentrieren und ses Ehemodells ließen sich die Erwartungen innerhalb berufliche Konkurrenz reduzieren zu können, die fi- dieser Lebens- und Arbeitsgemeinschaften in der Ar- nanzielle Absicherung bei Schwangerschaft resp. Fa- chitektur nicht einlösen: Das hohe Konfliktpotential miliengründung und nicht zuletzt die Erfüllung väter- wurde anhand der Scheidungsrate wie dem berufli- Ursula Weiß mit ihren beiden Kindern um 1933 licher wie mütterlicher Erwartungen. Aus der Sicht chen Ausscheiden der Gattinen deutlich. Etwa die von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik Hälfte der geschiedenen Architektinnen heiratet er- musste diese Option wie der goldene Ausweg neut, lehnt die Ehe als Form des Zusammenlebens erscheinen. damit nicht grundsätzlich ab, sondern hält sie mit weitgehend selbstbestimmten Lebensformen für ver- Knüpften Bauhausstudentinnen ihre Lebensplanung einbar. bereits häufig dann an einen Partner, wenn sie ohne formale Qualifikation das Bauhaus verließen, so sucht Anhand der Lebenswege zeigte sich, wie stark fami- das Gros der Architekturstudentinnen der Weimarer liäre Erwartungen und partnerschaftliche Rücksicht- 279 Glaser und Herrmann wiesen darauf hin, dass um die Jahrhun- Republik nach dem Studium offensichtlich eine Le- nahmen die beruflichen Ambitionen von Architektur- dertwende insbesondere das Bürgertum die Frauenbildungs- bensperspektive, bei der eine Tätigkeit als Architektin studentinnen der Weimarer Republik faktisch beein- frage im Hinblick auf eine standesgemäße Erwerbsmöglichkeit oder Gestalterin möglich bleibt oder wird. Neben den trächtigten. Vielen wurde erst im Laufe ihrer Ehe resp. unverheirateter Töchter betrieb. (Glaser, Edith / Ulrich Herr- wenigen, die sich für eine ausschließliche Berufsprio- mit der Präsenz von Kindern deutlich, wie viele Kon- mann: Konkurrenz und Dankbarkeit, in: Zeitschrift für Pädago- rität und bewusst gegen eine Familiengründung ent- flikte die vermeintlich konfliktreduzierende Lösung ei- gik, 34.Jg., 1988, Nr.2, S.205-220) - Die unmittelbare Koppelung scheiden, streben die meisten eine Balance zwischen ner Heirat mit einem Kollegen barg. Auch wenn die der Bildungs- mit der Berufsfrage über den Aspekt der Versor- privater und beruflicher Perspektive an.282 Übernahme der sozialen Mutterschaft durch die Ar- gung macht plausibel, dass im Falle einer Heirat beide Fragen chitektin i.d.R. zu einem deutlichen Einschnitt ihres ebenso schnell wieder ‘entkoppelt’ werden können. Etlichen Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- Berufsweges führte, wurde sichtbar, dass weniger re- 280 Vgl. FN 136 blik wurde bereits im Studium bewusst, dass die ale Belastungen als konfligierende Rollenerwartungen 281 Paula Marie Canthal an Ulli Canthal vom 12.3.1983, S.1 resp.3 Chancen im Berufsfeld nur vermeintlich aufgrund von zum Stolperstein beruflicher Ambitionen von Archi- 282 So auch die Gestalterinnen, die sich bewusst - wenn auch i.d.R. Leistungsbereitschaft vergeben werden. Etliche be- tektinnen wurden, die Zahl der Kinder hingegen kaum unsichtbar - für eine gleichgeschlechtliche Form der Partnerin- obachten, dass die Präsenz männlicher Kollegen das eine Rolle spielte. So ließen sich für die meisten Brü- nenschaft entscheiden Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und damit die che in den Berufsbiografien - im Unterschied zu ver- 283 Auch im weiteren Kreis der mit einem Architekten verheirateten Chancen einer Professionalisierung erhöht und su- meintlichen Plausibilitäten und manchen Selbst-dar- Bauhaus- oder Tessenowstudentinnen finden wir lediglich Ger- chen die Zusammenarbeit mit einem männlichen stellungen - keine familiären oder persönlichen traude (und Alexander) Herde sowie Christa (und Eberhard) Partner, auch außerhalb einer privaten Beziehung. Belastungen, sondern berufliche Gründe finden. Kleffner-Dirxen.

302 Vom Auftauchen und Verschwinden Auffällig häufig schieden bspw. Architektinnen, die zum Beginn der Weimarer Republik die Aufnahme in einen Architekten geheiratet hatten, dann endgültig berufsständische Organisationen - als eine Art der aus dem Berufsfeld aus, wenn das zunächst gemein- Duldung innerhalb des Berufsstandes - noch häufig, sam begonnene Büro einen sichtbaren Schritt der so wurden sie dort während der Weimarer Republik Etablierung vollzog. So hilfreich die ‘mithelfende Ka- fast nur noch aufgenommen, wenn sie mit einem meradin’ des Kameradschaftsehemodells beim Be- Architekten verheiratet waren. stellen des gemeinsamen Arbeitsfeldes war, gerade Und als während des Nationalsozialismus eine Tabui- 284 Briggs diplomierte 1920 an der TH München, Sofer im gleichen bei Erfolgen wurde das gemeinsame Arbeitsgebiet sierung beruflicher Leistungen von Frauen individuelle Jahr an der TH Dresden, Pilewski 1922 an der TH Darmstadt. zum schwierigen Terrain. Und boten Ortswechsel Beiträge von Architektinnen verschwinden ließ, zeig- 285 Vgl. Kap. 2, S.27. Frieda Lagus tritt - nach bisherigem Stand der manches Mal auch die Chance einer Rückkehr ins ten sich bzgl. der realen beruflichen Aufgabengebiete Recherche - weder in Berlin noch als Architektin erneut in Er- Berufsfeld, so führten Umzüge der Familien im Zu- Öffnungen. Unerkannt wie unbekannt konnten Archi- scheinung. In Adress- oder Branchenverzeichnissen der Stadt sammenhang mit der Erwerbstätigkeit des Mannes tektinnen aber auch im Nachkriegsdeutschland nur in Berlin ist sie unter diesem Namen nicht nachweisbar. Lt. Ein- i.d.R. zu einem erneuten Bruch in der Tätigkeit der verschwindendem Maße partizipieren. Wenn sie in wohnermeldekarte in Wien kehrte Frieda Lagus auch nicht nach Architektin, so bspw. bei den Umzügen der Familien die Architektur zurückkehrten, so taten sie dies zu- Wien zurück. Schreiben von Herbert Koch, MA8/Wien vom 4.8. Koppelman, Seitz und Weiß. meist erst in den fünfziger und sechziger Jahren und 1998. Anhand der Berufswechsel wurde sichtbar, dass die damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten der Vielzahl der Anlässe und Umstände, die zu Brüchen kontinuierlich im Berufsfeld tätigen Kolleginnen be- in der Erwerbsbiografie einzelner Architektinnen füh- reits definitiv ausgeschieden waren. ren können, nahezu unbegrenzt sind, jenseits indivi- Auch wenn die Auswirkungen lokaler Mentalitäten auf dueller Rahmenbedingungen eine strukturelle Fragili- die Arbeitsbedingungen hier nicht untersucht werden tät vorhanden ist. Hinsichtlich der Partizipation von können - ehemalige Bauhaus- und Tessenowstuden- Architektinnen haben wir gesehen, dass über deren tinnen wurden an über 40 Orten im In- und Ausland Präsenz und Repräsentanz, Erfolg und Verdrängung tätig -, so wurde deutlich, dass auch regionale Mili- im Fach häufiger Gatten, Kollegen, Arbeitgeber und eus und lokale Akteure die realen Berufschancen AuftraggeberInnen entschieden als die jeweilige be- maßgeblich beeinflussten. So wird bspw. am Exodus rufliche Ambition. Ehemalige Architekturstudentinnen von Wiener Architektinnen während der Zwischen- der Weimarer Republik stolperten in ihren beruflichen kriegszeit sichtbar, dass sie hier in den zwanziger Entwicklungen allzu häufig über mangelnde materielle Jahren offenbar kaum adäquate Arbeitsmöglichkeiten Ressourcen, fehlenden Rückhalt durch Partner und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar fanden. Manche - wie bspw. Ella Briggs, Lilia Sofer Familie, ungleiche Konkurrenzen und den chroni- und Leonie Pilewski - waren bereits zum Studium in schen Mangel an Vertrauen in ihre fachlichen Fähig- das Deutsche Reich ausgewichen.284 Frieda Lagus keiten. So wurde ihnen i.d.R. nicht nur jegliche Sta- hatte sich nach ihrem 2. Preis beim Werkbundwett- tusdistribution verweigert, sondern auch der für eine bewerb zum ‘Haus der Frau’ 1914 von Wien nach freiberufliche Tätigkeit unerlässliche Vertrauensvor- Berlin abgemeldet.285 Liane Zimbler konnte ab 1918 schuss nur ausnahmsweise gewährt. vereinzelt Neubauten für private Auftraggeber reali- Pestalozzihof Wien XIX, Ella Briggs, 1925-26, Grundriß (oben) Konnten Architekten ihre ökonomische Reichweite sieren, bei den großen Wohnungsbauaufträgen der und Ansicht entlang der Philippovichgasse innerhalb kameradschaftlicher Netzwerke erweitern, Gemeinde Wien bleibt sie jedoch ebenso außen vor ihre Arbeitsfähigkeit in der Regel durch ein familiäres wie bei der Werkbundsiedlung. Pilewski findet ihre Netzwerk sozialer Reproduktion und Repräsentation erste Anstellung 1923 in Berlin. Sie bemüht sich auch absichern, so traten Architekturstudentinnen der Wei- in Wien mehrfach um Aufträge, kann nach mehreren marer Republik i.d.R. lediglich mit eigener Arbeits- Ausstellungsbeteiligungen und zehn Jahren im Beruf kraft und Kompetenz in das Berufsfeld ein. Und hat- aber lediglich Inneneinrichtungen unter eigenem Na- ten Architektinnen während der Kaiserzeit immer wie- men realisieren und publizieren. Auch Margarete Li- der innerhalb und jenseits der ihnen zugestandenen hotzkys berufliche Tätigkeit bleibt in ihrer Heimat- Bereiche professionelle wie innovative Beiträge gelei- stadt zunächst auf die Mitwirkung an einem Wohnhof stet, so verfestigte sich im Laufe der dreißiger Jahre begrenzt. Deutlich mehr Chancen bieten sich ihr ab Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ein Prozess, der seit den zwanziger Jahren zu beob- 1926 im Hochbauamt Frankfurt, wo sie als Mitarbei- achten war: Architektonische Leistungen von Archi- terin auch eigene Ideen umsetzen kann. Erst als sie tektinnen wurden kaum mehr publiziert, geschweige bereits in Moskau tätig ist, erhält sie die Gelegenheit, denn gewürdigt. Stattdessen mehrten sich die Stim- im Rahmen der Wiener Werkbundausstellung 1932 men, die jenseits der beruflichen Realität von Archi- ein kleines Musterhaus zu realisieren. Ella Briggs fin- tektinnen Geschlechterdifferenzen rekonstruierten det bereits 1920 bessere Arbeitsbedingungen in den und ‘die Frau als Architektin’ mit vermeintlich ge- USA und verlässt Wien 1926 erneut, obschon sie schlechtsspezifischen Neigungen, Vorlieben und dort - nach ihrer Rückkehr 1925 - einen großen Begabungen etikettierten. Gelang Architektinnen bis Wohnhof realisieren kann. Die Chancen auf weitere

Berufsverläufe und Lebenswege 303 Aufträge stehen hier offenbar weit schlechter als in rend aus, in dem er strukturell deren individuelle Be- Berlin, wo sie unmittelbar nach Bauübergabe ihr Büro rufschancen reduziert und - durch die Macht des eröffnet. Und auch Käthe Böhm und Auguste Hecht, Faktischen -’bestätigt’, was der Diskurs reklamierte: die seit 1919 resp. 1922 an der TH Wien studiert hat- Dass sie leitende Positionen nur selten inne haben ten, gehen Ende der zwanziger Jahre nach Berlin.286 und weniger bauen als männliche Kollegen. Und im Elisabeth Nießen, seit Herbst 1917 als - zumindest Zirkelschluss wird aus der Quantität die Qualität: Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zeitweilig sogar verbeamtete - Architektin im Hoch- Dass sie weniger bedeutend gebaut, der Baukunst bauamt Wien tätig, wendet sich 1930 mit der Bitte nicht mit kühner Führergebärde die Richtung gewie- um Empfehlung an Heinrich Tessenow, da sie die sen haben.290 berufliche Situation von Architektinnen in Wien als So machen zahlreiche Architekturstudentinnen der aussichtslos betrachtet. Und Friedl Dicker, die ab Weimarer Republik im Laufe des Berufslebens die 1923 mehrere Jahre freiberuflich tätig und voller Ver- Beamten-Wohnungsbau, Berlin-Mariendorf, 1928, Ella Briggs, schmerzliche Erfahrung, dass die Diskrepanz zwi- trauen in ihre Professionalisierungsmöglichkeiten Fassadenausschnitt, s. a. Abb. S.334 schen Anspruch und Wirklichkeit nicht historischen wechselnde Arbeitskonstellationen eingegangen war, Prozessen oder faktischen Unzulänglichkeiten ge- bittet die männlichen Repräsentanten der Jahre zu- schuldet ist, sondern der Aufrechterhaltung von Hie- rückliegenden Ausbildung 1931 um ‘Zeugnisse’.287 rarchien dient, die ihnen keine akzeptablen Formen Plakolm-Forsthuber konstatiert, dass in Wien auch der Partizipation zugesteht. Wurden Bauhausstuden- die „ausgebildeten Architektinnen nicht mehr in das tinnen bereits im Studium damit konfrontiert, dass ih- Architekturgeschehen der Zwischenkriegszeit eingrei- re inhaltlichen Anliegen keinerlei Beachtung finden, fen konnten.“ Es lassen sich jedoch kaum Hinweise so machen im Berufsleben auch ehemalige Tesse- finden, dass die Ursachen hierfür - wie Plakolm- nowstudentinnen die Erfahrung, dass mensch ihre Forsthuber vermutet - in „biographischen und exi- Kompetenzen lieber entbehrt als schätzt. stentiellen Umständen“ dieser Architektinnen gefun- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ver- den werden könnten.288 Weit vor dem Nationalsozia- schwanden bereits ab Ende der zwanziger Jahre lismus nutzen Wiener Architektinnen nahezu jede zunehmend aus nahezu allen öffentlich relevanten Möglichkeit, um an anderen Orten tätig werden zu Bereichen der Architektur. Ein ‘Wahrnehmungs- können. Vielmehr wird an dieser sicher unvollständi- schwund’, der - wie wir gesehen haben - weder mit gen Zusammenstellung bereits deutlich, dass im ‘ro- ihren beruflichen Ambitionen noch mit ihrem Famili- 286 Käthe Böhm hatte Elektrotechnik studiert, 1928 mit Norkauer ten’ Wien der lokale Widerstand gegen Architektinnen enstand korrelierte. Auch anhand der Berufsausstiege und Wendelmuth eine Wohnung für die berufstätige Frau ent- wirkungsvoll organisiert war, dass man sie als Archi- im Nationalsozialismus wurde deutlich, dass der ver- wickelt. (vgl. Kap.3, S.40) Um 1930 werden von ihr ausgestatte- tektinnen nicht mehr arbeiten ‘lässt’. Sichtbar wird meintlich wichtigste Grund für das ‘Verschwinden’ te Wohnungen in Wien im Rahmen der Wohnungsführungen ge- hier auf lokaler Ebene, dass die Ausgrenzung von der Architektinnen im Berufsfeld - der Rückzug ins zeigt. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits in Berlin ansässig und Frauen von der Ausbildung in das Berufsfeld verla- Private resp. die Gründung einer Familie unter tradi- Mitglied - und Kassiererin - der Berliner Soroptimists. Zum Stu- gert wird, sobald mit der Zulassung von Studentinnen tioneller Rollenverteilung - in der Regel der Anlass, dium Böhms vgl. Mikoletzky/Georgeacopol-Winischofer/Pohl, an der TH Wien eine formale Öffnung stattfindet.289 nicht jedoch der Grund dieses Ausscheidens war. 1997, S.331. Zu Böhm vgl. auch Plakolm-Forsthuber, 1994, Das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verändernde Zeichnete sich bereits anhand der Berufseinstiege S.245 und 252, zu Hecht vgl. Kap. 3, S. 45, sowie Georgeaco- Berufsfeld sowie das immer wieder angepasste Be- ab, dass mehr als die Hälfte der architekturinteres- pol-Winischhofer, 1997, S.327. rufsbild zeigt sich flexibel mit einem Geschlechterko- sierten Bauhausstudentinnen, jedoch lediglich ein 287 Just als das gemeinsame Atelier mit Franz Singer scheitert, ist dex amalgamiert, der die Zugänglichkeit des Berufs- Drittel der TH-Studentinnen der Weimarer Republik diese Bitte vielsagend: Dicker weiß offenbar um die Bedeutung feldes für Männer durchgängig gewährleistet und be- der privaten Lebensperspektive Vorrang einräumt, so männlicher Patronagen in der Architektur. Zuvor hatte sie mit rufliche Chancen unmittelbar an geschlechtsspezifi- zeigt die hohe Scheidungsquote - nach wenigen Jah- Singer den Kindergarten Goethehof umgeplant, und offenbar sche Selektionen und Netzwerke knüpft. An dieser ren und auch bei noch kleinen Kindern - sowohl den strebte sie vergleichbare Aufträge öffentlicher Auftraggeber an. Tendenz sich ständig ausdifferenzierender Schlie- hohen Selbstbestimmungsgrad der Architektinnen Aber auch mit Hilfe dieser Zeugnisse gelingt ihr die Akquisition ßungsmechanismen innerhalb des Berufsfeldes, in wie die trügerische Faszination des Kameradschafts- entsprechender Aufträge nicht. dem Fachfrauen eine Partizipation immer nur auf den ehemodells. Die meisten Studentinnen der Weimarer 288 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.261 - Wie der Ausschluss von Ar- unteren Hierarchiestufen zugestanden wird, wird die Republik begriffen ihre Eheschließung als Partner- chitektinnen auf dieser lokalen Ebene ‘funktionierte’, müsste auf Flexibilität des Geschlechter-Paradoxon bei der Kon- schaftsmodell und waren nicht bereit, die Ehe als lokaler Ebene beleuchtet werden. stitution freier Berufe deutlich: So sachlich der Ge- ‘Versorgerehe’ oder ‘Schicksalsgemeinschaft’ zu füh- 289 Vor 1919 waren ihnen nur die Architekturklassen der Kunstge- genstand, so wirkungsvoll kann dieser Gegenstand ren.291 Die Mehrzahl dieser Frauen sieht hier ihre Er- werbeschule zugänglich. im Legitimationsdiskurs von politischen Rahmenbe- wartungen nicht eingelöst und zieht den Status der 290 Dem Dilemma, aus Zirkelschlüssen nicht entkommen zu kön- dingungen abgekoppelt und im Interesse der Mehr- geschiedenen Frau mit eigenen beruflichen Ambitio- nen, dürfte ein - wenn nicht der entscheidende - Grund sein, heit zu Lasten der Minderheit instrumentalisiert wer- nen dem der untergeordneten Gattin vor. Nach jahr- weshalb manche Architektinnen das Thematisieren ihrer Person den. Dabei dient die Rekonstruktion der Geschlech- zehntelanger beruflicher Enthaltsamkeit gelingt die als Geschlechtswesen so vehement ablehnten. terdifferenz der Ausgrenzung. Der Diskurs über ver- Rückkehr in eine tragfähige (frei-)berufliche Existenz 291 Nur Bonin, Marx und Ney betreiben die Scheidung im Hinblick meintliche Charakteristika der Geschlechter wirkt sich den geschiedenen Architektinnen jedoch deutlich sel- auf eine neue Bindung und heiraten umgehend erneut. auf die reale Berufssituation von Fachfrauen verhee-

304 Vom Auftauchen und Verschwinden tener als den verwitweten.292 nellen Frauenrollen entziehen und nach selbstbe- stimmten Arbeitsformen suchten, waren nicht bereit, Auch wenn Architektinnen vielfach dank Kreativität, in subalternen Positionen zu arbeiten. Damit blieben Mehrfachbegabungen und Flexibilität durch Tätigkei- sie jedoch i.d.R. auf temporäre Projektbeteiligungen, ten auch am Rande oder außerhalb der Profession ihr und Tätigkeiten als ‘Tausendfüßlerinnen’ angewiesen. materielles Auskommen sichern können, so scheint Nahezu nie bot sich ihnen die Chance beruflicher sich ihre Marginalität innerhalb des Berufsfeldes hier- Verstetigung, sowohl den ‘Traditionalistinnen’ wie durch zu bestätigen. Diese marginale Repräsentation den ‘Modernistinnen’ blieb berufliche Anerkennung verstärkt und verschleiert die rigide Marginalisierung oder Etablierung in der Regel versagt. von Architektinnen. Denn gerade freiberuflich tätige Architektinnen hatten ab den zwanziger Jahren zu- Auch hier bestätigte sich, was wir bereits bei der nehmend weniger Chancen, öffentlich als Architektin Ausbildung als Struktur der Partizipation analysierten: wahrgenommen zu werden. Und sie ‘riskierten’ die- Dass nämlich in formal ungeregelten Berufsbereichen sen Statusverlust - im Unterschied zu ihren Kollegen die Gleichgeschlechtlichkeit das primäre Selektions- - fortwährend. Denn sobald sie keine Aufträge hatten, kriterium bildet, während unter berechenbaren resp. galten sie als Gattinen, Mütter und/oder unversorgte geregelten Rahmenbedingungen auch Frauen die Töchter, sobald sie mit männlichen Kollegen zusam- Partizipation gelingt und zu zumindest vergleichbaren menarbeiteten oder in deren Umfeld in Erscheinung Leistungen führt. Architekturstudentinnen der Weima- traten, wurden sie als Mitarbeiterin oder mithelfende rer Republik strebten jedoch häufig in die freien und Familienangehörige wahrgenommen. Im Unterschied formal ungeregelten Berufsbereiche, nur die wenig- dazu büßten Architekten bei Auftrags-, Arbeitslosig- sten wollten in den wenigen geregelten Tätigkeitsbe- keit oder fachfremder Tätigkeit ihren Berufsstatus in reichen innerhalb der Architektur tätig werden. aller Regel nicht ein. Sie blieben auch dann Architek- Während Tessenowstudentinnen im Anschluss an ten, wenn sie bspw. kunstgewerblich tätig wurden, das Studium zumeist als angestellte Architektinnen in da es ihnen gelang, damit nicht identifiziert zu wer- öffentlichen Planungsbüros oder privaten Ateliers den - aufgrund „innerlichem Gegensatz zum Kunst- Einstiege in das engere Berufsfeld fanden und nur gewerbe überhaupt“.293 Im Unterschied dazu wirkten selten freiberuflich arbeiteten, waren die Berufsein- sich Phasen professioneller ‘Un’-Tätigkeit von Archi- stiege der Bauhausstudentinnen häufig durch tem- tektinnen im Regelfall statusmindernd aus. Mit einer poräre Beschäftigung und Tätigkeiten am Rande des Zuschreibung - dem Begriff ‘Hausfrau’ - belegt, die Berufsfeldes und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. sich zum Verständnis der Profession ausschließlich Projektbezogene Arbeitsgemeinschaften oder die verhält, werden sie nicht mehr als Professionals freie Mitarbeit in privaten Ateliers deuteten auf prekä- wahrgenommen. re Beschäftigungsverhältnisse. Während des Natio- Damit wirkte sich der Geschlechterdiskurs im traditio- nalsozialismus war zunächst eine Verengung der be- 292 So finden wir unter den Ehen ehemaliger Bauhaus- und Tesse- nellen wie modernen Lager auf die realen Möglichkei- ruflichen Perspektive von Architektinnen zu beobach- nowstudentinnen kein Beispiel, bei dem der Architektengatte ten von Architekturstudentinnen der Weimarer Repu- ten. Bereits Mitte der dreißiger Jahre zeichnete sich nach einer Scheidung den Arbeitsplatz wechselt, wie dies bspw. blik im Berufsfeld offenbar erheblich aus. Denn konn- jedoch für ‘arische’ Architektinnen eine Zugänglich- bei Herta Hammerbacher der Fall war. Sie bleibt nach der Tren- ten Architektinnen in traditionsbewusster Umgebung keit zu weiten Teilen des Berufsfeldes ab - als Folge nung von Hermann Mattern 1935 in verantwortlicher Stellung im leichter einen Zugang zum Beruf finden, so gelang es antisemitischer Vertreibung wie in Vorbereitung des Büro Foerster tätig (bis 1948). Vgl. Jachmann, 1984, S.49. ihnen dort nur tätig zu bleiben, wenn sie sich auf pri- zweiten Weltkrieges. Nach 1945 war jedoch erneut 293 So soll bspw. Hans Poelzig, der 1919 auf der Werkbundtagung vater Ebene traditionellen Frauenrollen konsequent eine deutliche Reduktion möglicher Berufsbereiche in Stuttgart nach Übernahme des Vorsitzes davor gewarnt hatte, entzogen. Denn im Fall der Geburt von Kindern wa- von Architektinnen zu beobachten, die über die ge- dass ‘Kunstgewerbe’ zu einer gefährlichen „Sinn- und Formver- ren sie gerade im konservativen Kontext umso schär- samte Zeit des Wiederaufbaus anhielt. manschung“ führe (Heuss, 1939, S.42), „natürlich letzten Endes fer mit der Ausschließlichkeit traditioneller Rollenver- Trotz hoher Flexibilität und häufig erkennbarer Kom- wegen innerlichem Gegensatz zum Kunstgewerbe überhaupt“ ständnisse konfrontiert: Architektinnen traditioneller promissbereitschaft, war vielen Architekturstudentin- 1922 vom Amt des Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes Prägung wurden nicht nur Mütter, sie fügten sich in nen dieser Generation nur selten beruflicher Erfolg zurückgetreten sein (Ibid., S.43). Bei Posener wird aus dem der Regel in die traditionelle Rolle der Fulltime-Mut- vergönnt. Selbst Architektinnen mit größten Ambitio- Misserfolg im Fach eine Tugend: Bescheidenheit. „So beschei- ter, die häufig keine Rückkehr ins Berufsfeld mehr nen fanden innerhalb des engeren Berufsfeldes keine den hat er in Berlin angefangen. Da er nichts zu bauen hatte, hat erlaubte. dauerhafte Perspektive. Neben dem Ausweichen in er sich mit keramischen Arbeiten beschäftigt. Porzellanarbeiten, Architekturstudentinnen, die in weniger traditionsbe- weniger umkämpfte Arbeitsfelder war – mit zuneh- gemeinsam mit Marlene Moeschke“, schreibt er über die Tätig- wussten Kontexten aufgewachsen waren, wurden mender Berufserfahrung zunehmend häufiger – ein keit des 1926 bereits 55järigen Poelzig. (Posener, Julius: Hans durch den Geschlechterdiskurs mit einer anderen, Ausscheiden aus dem Berufsfeld zu beobachten. Poelzig, Sein Leben, sein Werk, Braunschweig/Wiesbaden, nicht minder schwierigen Problemlage konfrontiert. Kaum eine wendet sich aus freien Stücken neuen Tä- 1994, S.146) Und er betont, dass die Skizzen für Bühnenbilder Ihre fachliche Neugier führt sie in Bereiche, die be- tigkeiten zu und nur wenige finden eine Möglichkeit, „nicht etwa nur deswegen entstanden, weil Poelzig um diese sonders hartnäckig traditionellen Geschlechterdicho- in die Architektur zurückzukehren. An den Berufsaus- Zeit keine Bauaufträge hatte“, sondern „im Mittelpunkt seines tomien frönten. Sie, die sich weit öfter den traditio- stiegen von Architektinnen, die keine Rücksicht auf Schaffens gestanden“ hätten (Ibid.).

Berufsverläufe und Lebenswege 305 familiäre Konstellationen nehmen, wurde unüberseh- und berufsfeldspezifischer Ausschlussmechanismen bar, dass sich die beruflichen Erwartungen dieser Ar- wird erklärlich, dass zwanzig Jahre nach Studienende chitektinnengeneration innerhalb des Berufsfeldes nur noch gut zehn Prozent der Architekturstudentin- nicht einlösen ließen. nen der Weimarer Republik in der Architektur zu fin- den sind. Die ganz überwiegende Mehrheit dieser Während die Frage formaler Qualifikationen mit zu- einstmals engagierten Architekturstudentinnen kehrt nehmender Berufserfahrung offensichtlich an Rele- nach Unterbrechung nicht mehr in dieses Berufsfeld vanz verliert, kommen familiärem Rückhalt, insbeson- zurück oder nach mehreren Jahren dem Berufsfeld dere jedoch beruflichen Netzwerken und den Vertrau- den Rücken. Die vielfache Suche nach Erwerbsmög- ensvorschüssen potentieller AuftraggeberInnen zu- lichkeiten am Rande oder außerhalb der Architektur nehmend mehr Bedeutung zu. Wie wir an den Archi- ist eine allzu deutliche Reaktion auf die Widersprü- tekturstudentinnen der Weimarer Republik gesehen che, Hierarchien und Chancenlosigkeit von Frauen haben, bleiben Architektinnen auf dem Terrain der innerhalb des Berufsfeldes. Denn das Architekturin- Chancen- und Auftragsvergabe qua Geschlecht Out- teresse bleibt wach: Sobald sich die Chance zur Ver- siderinnen. Mit wachsender Berufserfahrung nicht in wirklichung ihrer Ideen, ihrer räumlichen Fantasien, maßgebliche Bereiche innerhalb der Berufshierarchi- ihrer Architekturentwürfe abzeichnet, setzen sich Ar- en vordringen resp. kaum Auftragszuwächse erzielen chitekturstudentinnen der Weimarer Republik - auch zu können, macht die Architektur als Berufsfeld für im fortgeschrittensten Alter - wieder ans Reißbrett, Architektinnen zunehmend unattraktiv. entwerfen und bauen. Ausschnitt eines Artikels in der Siegener Zeitung vom 11.7.1980 Angesichts der Vielzahl struktureller Stolpersteine

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306 Vom Auftauchen und Verschwinden 10 Resümee

Zusammenfassung (307) - Forschungsbedarf (317) - Schlussbemerkungen (319)

rufsstand wurde deutlich, dass mit dem Erscheinen der ersten akademisch gebildeten Architektinnen die Bei den Neuordnungen des Berufsfeldes Architektur Grenzen innerhalb des Berufsfeldes neu und entlang anläßlich von Umbrüchen im 20. Jahrhundert spielte geschlechterkodierter Statusgrenzen gezogen wur- Gender eine wichtige, wenn nicht entscheidende den. Insbesondere im Nationalsozialismus wurde Rolle: Ob ‘modern’ oder ‘traditionell’ orientiert, auch sichtbar, wie scharf und hartnäckig Tätigkeitsfelder in der Architektur beförderte der kleine Unterschied und Berufsstatus mit der Geschlechtergrenze zur zwischen den Geschlechtern - zum großen Unter- Deckung gebracht wurden. Aber auch diesseits und schied im ‘Wesen’ stilisiert - den Ausschluss von jenseits der ‘geschlechtergetrennten Volksgemein- Frauen aus dem Berufsfeld. Auch in der deutschen schaft’ zeigte sich die Profession Architektur ge- Architekturszene wurden, wie zu zeigen war, Chan- genüber der Partizipation von Fachfrauen weitaus re- cen und Meriten nicht primär nach Qualität, Kreativi- sistenter als gegenüber anderen Innovationen. An- tät, Qualifikation und Leistungsbereitschaft, sondern lässlich der Ausstellung „Frauenschaffen im XX. Jahr- nach geschlechterkonnotierten Wahrnehmungsmu- hundert” konstatierte Rosa Schapiro 1927: „Überra- stern vergeben. schend ist, wie sehr sich das Bild des Frauenschaf- fens auch auf künstlerischem Gebiet in den letzten Bauhaus- und Tessenow-Studentinnen wurden nicht dreissig Jahren verändert hat. Als die Bahn frei war, immer Architektinnen. Und sie blieben nur manches waren plötzlich auch die Begabungen vorhanden.“ 1 Mal als Architektinnen tätig. Während ihre Kommilito- nen ihr Studium mit oder ohne Diplom beendeten, in Hatten in Deutschland ab der Jahrhundertwende zu- Büros oder den Staatsdienst eintraten, ledig blieben nächst Entwerferinnen aus dem noch die freie wie die oder heirateten, sie wurden und blieben i.d.R. Archi- angewandte Kunst umfassenden Bereich, dann auch tekten. In ihnen ‘bewahrheitete’ sich damit jene Re- erste Architektinnen Zugang zum Berufsfeld Architek- alität, die ihnen prospektiv bereits im Studium - qua tur gefunden, so setzte zeitgleich eine schleichende, Geschlecht - zugesprochen worden war. unter dem Einfluss des Werkbundes deutlich zuneh- mende Abwertung alles Kunstgewerblichen ein, noch Dieser Befund spiegeltdie Rahmenbedingungen in bevor die Gleichheit der Geschlechter in einer deut- einem Berufsfeld wie einer Gesellschaft wider, in der schen Verfassung erstmalig verankert wurde. Schon Frauen nur ausnahmsweise - als Ausnahme einer Re- deutlich vor Beginn der Weimarer Republik war im gel - jene Akzeptanz erreichten, die für eine Etablie- öffentlichen Diskurs die massive Diminuierung und rung in freien Berufen unabdingbar erforderlich ist. Ausgrenzung alles vermeintlich ‘Weiblichen’ zu be- 1 Schapiro, Rosa: Die Frau in den bildenden Künsten, in: Frau und Anhand der Partizipation von Architektinnen am Be- obachten. Gegenwart, 4.Jg., 1927, Nr.40

Resümee 307 Über Kunstgewerbeschulen, die Studentinnen bereits Im öffentlichen Diskurs war die Geschlechterdifferenz während der Kaiserzeit mit weniger Vorbehalten auf- weit vor der Weimarer Republik präsent. Just in die- genommen hatten als Technische Hochschulen oder sem Zeitraum politisch-struktureller Umbrüche, Inter- Akademien, schrieb Fritz Mackensen, seines Zei- essenkonflikte und Aushandlungsprozesse blühte chens Direktor der Weimarer Kunsthochschule, be- dieser Diskurs jedoch neu auf. Während sichtbare reits 1915 an Gropius: „Kunstgewerbeschulen sind Geschlechterdifferenzen zunehmend verschwammen, nach meiner Meinung sehr selten Anstalten zur wirk- wuchs die Bedeutung ‘unsichtbarer’, psychologisch lichen Förderung der angewandten Kunst, am wenig- konstruierter Differenzen. Gleichzeitig wurden visuelle sten der Architektur. Es hat sich mit der Zeit heraus- Attribute ‘neuer’ Frauen für das ‘neue’ Bauen rekla- gestellt, daß die Architektur, das wichtigste Element, miert und inszeniert, verkörperte deren Geradlinigkeit, zu kurz kam und das Übrige einen etwas femininen die von allem zuvor Gesehenen so sichtbar abwich, Charakter erhielt.“ 2 doch so trefflich die Rationalität jenes ‘neuen’, mo- dernen Lebens, das von dem gerade überstandenen Ähnlich wie der Werkbund „Wert“ darauf legte, Mit- Krieg so deutlich abweichen sollte. glieder „in seiner Gemeinschaft zu wissen“, bei de- nen „der Gedanke von der Verpflichtung der deut- Die kulturelle Identität tradierter ‘Männlichkeit’ wie schen Arbeit zur höchsten Leistung (..) Verständnis das diesem Selbstverständnis zugrundeliegende und Förderung“ findet, so wollte auch das Bauhaus Wertesystem war durch die Kriegserfahrung ohnehin eine Gemeinschaft führender Künstler und Handwer- obsolet. In dieser Zeit zweifelhafter Parameter und ker sein, eine zeitgemäße Gestaltungsausbildung neu ‘volatiler Geschlechteridentitäten’ (Ruethi) stieg das definieren und institutionalisieren.3 Dabei zeigte sich Bedürfnis nach Eindeutigkeit, sichtbaren Differenzen das anachronistische Festhalten an Geschlechterhie- und klarer Abgrenzung. So erlebt die ‘Neubestim- rarchien weniger als Paradoxon denn als Bestandteil mung’ resp. (Re-)Konstruktion des biologischen Ge- des Programms. Denn während die Progressivität schlechts bei der (Re-)Konstruktion eines ins Wanken von Ansatz und Lehre - und mit ihr die so sichtbar geratenen Hierarchiegefälles eine Renaissance. Auf abweichenden Lebensstile während des Studiums - der Suche nach dem ‘neuen (männlichen) Menschen’ 2 Briefwechsel Mackensen – Gropius (Wingler, 1975, S.28). In der zunächst den Eindruck erweckte, dass traditionelle wird Frauen nahezu kein Platz gesellschaftlicher Re- Stuttgarter Programmrede 1922 distanzierte sich Poelzig als Geschlechterrollen gerade am Bauhaus in Frage ge- levanz in Politik und Erwerbsleben eingeräumt. Werkbundvorsitzender nachdrücklich vom Kunstgewerbe, da er stellt, bei Tessenow unangetastet geblieben seien, so Propagiert werden ‘neue’ Rollen und ‘neue’ Frauen „die Arbeit des Werkbundes auf die ‘ars magna’, auf den Bau entpuppte sich die Wahrung männlicher Exklusivität innerhalb der - alten - Geschlechterhierarchie. sammeln“ wollte. (Heuss, 1939, S.43) Und rückblickend be- als inhärenter Bestandteil des Reformprogramms. Im Mit der Weimarer Verfassung war auf der legislativen zeichnet Konrad Wachsmann seine Zeit an der Kunstgewerbe- Vergleich der beiden Ausbildungsrichtungen wurde Ebene ein deutlicher Schritt zugunsten einer zumin- schule Berlin als „Bastelstunden bei Professor Seeck.“ - Grue- evident, dass am Staatlichen - aber weitgehend auto- dest denkbaren Geschlechteregalität erreicht worden. ning, 1986, S.35 nomen - Bauhaus, dessen Ent- und Bestehen so un- Rechtlich stellte die Wahl eines Architekturstudiums 3 So der Text der Ehrenkarte, mit der die „Einladung zur Mitglied- mittelbar an die Weimarer Republik geknüpft scheint, während der Weimarer Republik keine außerordentli- schaft“ durch den Vorstand des Werkbundes ausgesprochen die Rekonstruktion und Reetablierung traditioneller che Hürde mehr dar. Hoch motivierte Töchter des wurde. Jäckh, 1913, S.97 Geschlechterhierarchien in der Architektur besonders technikinteressierten Mittelstandes wie des Bildungs- 4 „Ist nun die Frau wenigstens auf den (..) schöngeistigen Gebie- effizient betrieben wurde. Und diese Modernisierung bürgertums absolvierten nun auch in diesem Fach ten eine Macht geworden? Hat sie es verstanden auszunützen, eines patriarchalen Gesellschaftsverständnisses erfolgreich ihre akademische Ausbildung und schlos- was nicht allein ihre glatte Mehrzahl, sondern auch eine günsti- (durch informelle Exklusion von Frauen) erwies sich sen mit zumindest durchschnittlichen Diplomen ab. ge Zeitströmung ihr bot? Hat sie mehr erlangt als einen Kreis innerhalb des Berufsfeldes als so schnell konsensfä- Während die Zahl der Architekturstudentinnen an von pflichtschuldigen, weil eingeladenen Bewunderern auf ei- hig wie kaum ein anderer Teil des Modernisierungs- staatlich kontrollierten Hochschulen anstieg, fanden nem Diner?(..) Seit der unselige Kampf der Geschlechter aber programms. In diesem Sinne forderten gegen Ende zeitgleich bereits erneute Schließungen statt. Und entbrannt ist, scheint es eins der beliebtesten Mittel zu sein, sie der Weimarer Republik auch Architekturlehrer Tech- obschon in der Auseinandersetzung um Tradition und [die Frauen] als Geschlecht herabzusetzen.(..) Und die ganze nischer Hochschulen bei der Auswahl der Studieren- Moderne in der Architektur das Verhältnis der Ge- moderne Kunst, wer sind denn ihre getreuen Schildträger? Die den Autonomie. schlechter weitgehend tabuisiert blieb, so wurde die Frauen und immer wieder die Frauen. Fällt es ihnen da nun nie Bereits 1912 stellte Agnes Harder fest, dass die „ge- neue Geschlechteregalität nicht nur, aber doch gera- auf, in welch eingentümlicher Auffassung sie ihr Bild aus all den treue[n] Schildträger” der modernen Kunst innerhalb de von den Vertretern eines ‘neuen Bauens’ unterlau- tausend Rahmen grüßt? (..) Aber die Frau als Publikum besucht des Publikums Frauen seien, denen jedoch nicht auf- fen. diese Ausstellungen mit Vergnügen, wenn auch nur um sich dort falle, „in welch eigentümlicher Auffassung sie ihr Bild zu mokieren. Es fällt ihr garnicht ein, daß sie damit indirekt diese Im Architekturstudium der Weimarer Republik blieben aus all den tausend Rahmen grüßt.” 4 Sie fordert Kunst unterstützt. Sie denkt nicht daran, sich mit den Darge- geschlechtsspezifische Unterschiede und ambivalent „Korpsgeist” von den Frauen, sowie „die Macht, die stellten in ihrem Geschlecht zu identifizieren. Sie denkt nicht an besetzte Rollenzuweisungen präsent: Bei Tessenow man ihnen schon zugestanden hat, praktisch zu ver- ihre Macht, auch hier.” Harder, Agnes: Die Frau als Publikum, in: stand die Differenz der Geschlechter nicht, am Bau- wenden. Nicht in Kampf und Gehässigkeit, sondern Die Welt der Frau, 31.Jg., 1912, S.103, (Beilage der Gartenlau- haus nur während der Weimarer Anfangsphase zur in ruhiger, bewußter Abwehr alles dessen, was die be, Nr.7) Diskussion. Im Seminar selbst wurden Studentinnen eigene Person und das Geschlecht entwürdigt.” 5 5 Ibid. nicht ausgegrenzt, jedoch diskursiv auf das modifi-

308 zierte Rollenbild der - nun akademisch gebildeten - Bauhausstudentinnen verfügten bei Studienbeginn Kameradin (und Mutter) verwiesen. Im Unterschied mehrheitlich bereits über Studienerfahrungen resp. dazu existierten am Bauhaus zwei Diskurse neben- berufliche Vorerfahrungen. Für sie stellte dieses Stu- einander: Offiziell einer zeitgemäßen Geschlechter- dium i.d.R. einen Fächerwechsel dar. Sie absolvierten egalität verpflichtet, blieben geschlechterhierarchi- manches Mal eine handwerkliche Lehre, jedoch nur sche Überzeugungen intern ebenso dominant wie in Ausnahmefällen Praktika im Bauwesen oder der handlungsleitend. Hier wurden geschlechtergetrennte Architektur. Während des Studiums fanden sie - spä- Sphären etabliert, Studentinnen aus allen professio- testens nach der Vorlehre - deutlich schlechtere Stu- nellen Bereichen ausgegrenzt. dienbedingungen vor als ihre Kommilitonen. Ob sie Patronagen suchten oder in Assimilation an die vor- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik wa- handenen Studienbedingungen die Paradoxien inter- ren ganz überwiegend in liberalen, bürgerlichen oder nalisierten, die ihrem Kompetenzerwerb im Wege großbürgerlichen Familien aufgewachsen. Häufig gin- standen: Architekturinteressierte Studentinnen hatten gen sie in Großstädten zur Schule, erwarben an Real- am Bauhaus nahezu keine Chance gleichberechtigt gymnasien oder Lyzeen ein Regelabitur. Und die zu- und erfolgreich zu studieren. Der Erwerb eines Bau- meist musisch-kulturell orientierten Elternhäuser er- hausdiplomes war für Studentinnen im Bereich Bau- möglichten ihren Töchtern, individuelle Interessen zu /Ausbau faktisch nicht vorgesehen. Nur Einzelnen verfolgen und im Laufe ihrer Sozialisation ein umfas- gelang dies dank besonderer Konstellationen. sendes kulturelles Kapital zu erwerben. In einem häu- fig großstädtischen Umfeld entwickelten die um die Tessenowstudentinnen absolvierten die obligatori- Jahrhundertwende Geborenen den für Mädchen im- schen Praktika im Baugewerbe und in Architekturbü- mer noch ungewöhnlichen Studienwunsch Architek- ros und durchliefen - ebenso wie ihre Kommilitonen - tur. Die familiäre Situation bot teilweise bereits gün- ein weitgehend kanonisiertes Studienprogramm. Sie stige Voraussetzung dafür, dass Tessenow- und Bau- erwarben das Diplom fast ausnahmslos während der hausstudentinnen diesen Wunsch auch realisieren Regelstudienzeit. Weit häufiger als Bauhausstuden- konnten. Manche Eltern forcierten gar die Entschei- tinnen waren sie als Töchter von Architekten und In- dung für ein Architekturstudium. Die Mehrheit der genieuren aufgewachsen. Während des Studiums be- Studentinnen musste aber zunächst die elterliche arbeiteten sie mehrere Entwurfsaufgaben, die mit der Skepsis überwinden. Dabei wurde die Frage der Eig- beruflichen Praxis korrespondierten. Entscheidender nung in einer durch familiäre Verpflichtungen und für ihren ebenso zügigen wie erfolgreichen Kompe- Rücksichtnahmen aufgeladenen wie abgefederten tenzerwerb war jedoch, dass sie im Studium unter Form quasi privatim erörtert. Aber auch im Studium nahezu vergleichbaren Bedingungen vergleichbare wurden sowohl Bauhaus- wie TH-Studentinnen im- Qualifikationen erwerben konnten. mer wieder mit der Frage geschlechtsspezifischer Damit wurde im Vergleich überdeutlich, wie weitge- Passgenauigkeit konfrontiert. hend der Kompetenzerwerb während der Weimarer Die Studentinnen der Weimarer Republik, von denen Republik an die Wahl resp. die Rahmenbedingungen zumindest jede Dritte schon vor Studienbeginn Ein- der Ausbildungsinstitution gekoppelt war. Auch wenn blick in das Berufsfeld Architektur nehmen konnte, sich Studentinnen nirgendwo geschlechteregalitäre wählten dieses Studium aus den verschiedensten Studienmöglichkeiten boten, so konnten sie an Archi- Gründen, immer jedoch auch aus einem Interesse am tekturfakultäten Technischer Hochschulen doch die vielseitigen Fach: Architektur versprach die Verein- notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen er- barkeit künstlerischer wie mathematisch-technischer werben, während dies am Bauhaus aufgrund unter- Interessen in einem gesellschaftlich relevanten Be- schiedlicher Zugangshürden und Ausgrenzungen reich. Während Tessenowstudentinnen i.d.R. im Hin- nahezu unmöglich war. blick auf eine Berufstätigkeit studierten, trafen die Beide Ausbildungswege zeigten sich deutlich von der meisten Bauhausstudentinnen mit der Studienwahl Debatten über Reformen in der Architekturausbildung noch keine konkrete Berufsentscheidung. Alle TH- resp. die Neudefinition des Berufsbildes - die gesell- Studentinnen und knapp die Hälfte der architekturin- schaftliche Rolle des Architekten - beeinflusst. Inner- teressierten Bauhausstudentinnen verfügten mit dem halb der Hochschulhierarchien waren dabei eher Ver- Abitur über eine Hochschulzugangsberechtigung. Bei festigungen als Öffnungen zu beobachten, obschon Dreiviertel der zumeist noch minderjährigen Tesse- die soziale Durchlässigkeit an Technischen now- und einem Viertel der Bauhausstudentinnen fiel Hochschulen wie auch am Bauhaus im Laufe der die Entscheidung über den Studienort in Abstimmung Weimarer Republik zunahm. mit den Eltern. Mit zunehmendem Alter trafen Stu- dentinnen die Studienorts- wie die Lehrerwahl aber Anhand der beruflichen Ambitionen war zu sehen, auch selbständig. dass sich das Architekturstudium der Studentinnen

Resümee 309 der Weimarer Republik nicht auf die Frage standes- Hochschule in Deutschland bot im 20. Jahrhundert gemäßer Bildung reduzieren ließ. Nur den Tessenow- auch nur einer dieser Architektinnen eine berufliche Studentinnen gelang es jedoch, ihr kulturelles Kapital Perspektive. in Studienerfolge umzusetzen. Architekturinteressier- Und nicht nur innerhalb der engeren akademischen ten Studentinnen am Bauhaus, die im Vergleich zu Kreise wirkte sich dieses Repräsentieren und Tradie- ihren Kommilitonen noch weit deutlicher über einen ren eines geschlechtsexklusiven resp. -exkludieren- Vorsprung kulturellen Startkapitals verfügten, gelang den Berufsverständnisses verheerend aus. Das Igno- dies i.d.R. nicht. Eine vorbehaltlose Förderung ihrer rieren und Negieren der fachlichen Ambitionen von beruflichen Ambitionen erwartete Architekturstuden- Studentinnen strahlte über Jahrzehnte hinweg weit tinnen der Weimarer Republik jedoch auch bei Tesse- über die Hochschulen hinaus auf das Berufsfeld und now nicht, und ebenso wenig bei Poelzig, Taut oder die Berufsverläufe der Architektinnen aus. Denn die Bonatz. Bei Mies, Meyer oder Gropius konnten sie verehrten Lehrer und Meister unterschiedlichster jedoch nicht einmal mit Duldung rechnen, eine solche Couleur standen den Studierenden in vielerlei Hin- bestenfalls unter glücklichen Umständen erlangen. sicht als Vorbilder vor Augen, gaben damit nicht nur Während Tessenow Frauen weit lieber im Haus als im fachliche Kompetenzen, architektonische Haltungen Erwerbsleben sah, ließ er die architekturinteressierten und Stile, sondern auch Lebensstile weiter. Und zahl- ‘Mädchen’ in seinem Seminar gewähren, vermittelte reiche Studierende machten sich diese Haltungen ihnen fachliche Kompetenzen und Verständnis für und Maßstäbe zu eigen. Auch die Assimilation der das Bauen. Und während er selbst Distanz zu den Studentinnen an die jeweilige Studienrichtung war Studierenden hielt und nach Ausgleich zwischen den sowohl qua Haltung wie in gestalterischer Hinsicht Geschlechtern strebte, herrschte im Seminar ein ka- hoch. So sehr die Vorbildfunktion aller Meister damit meradschaftlicher Umgang. Im Unterschied dazu zur Bildung erkennbarer ‘Schulen’ beitrug, so unre- hielten manche Bauhausmeister deutlich weniger Di- flektiert blieben die bei Adoration ebenfalls kopierten stanz zu den Studierenden, ließen i.d.R. jedoch keine Haltungen und Lebensstile. Studentinnen boten sich Zweifel daran aufkommen, dass Frauen in der Archi- hier keine Anknüpfungspunkte, um eine professionel- tektur wie in deren Studium unerwünscht waren. Hier le Identität als - nicht-männliche - Architekten auszu- konnten Studentinnen als künstlerisch hochbegabt bilden. In ihrer Ambivalenz resp. Ablehnung gegenü- gelten, Förderung erfuhren sie bestenfalls in ver- ber potentiellen wie realen Kolleginnen prolongierten meintlich geschlechtsadäquaten Tätigkeitsbereichen. etliche Lehrende den Status Quo der Geschlechter- Zugang zur Architektur erlangten sie unter Gropius hierarchie. nur ausnahmsweise. Auch unter Meyer durften sie Im Anschluss an das Studium wählten Tessenowstu- Ideen wie Arbeitsleistungen nur so lange beisteuern, dentinnen für den beruflichen Einstieg in der Regel als sie keine individuelle Leistung reklamierten. Unter eine Stellung als angestellte Architektin, Bauhausstu- Mies konnten sie ein überdurchschnittliches Studien- dentinnen suchten - auch ohne Diplom - häufig einen pensum absolvieren oder erfolglos auf der Anerken- (Seiten-)Einstieg ins Berufsfeld. Die überwiegende nung ihrer Diplomarbeit insistieren: auch nun wurden Zahl der Diplomandinnen suchte und fand Anfangs- ihre architektonischen Leistungen nicht gewürdigt. In stellungen in freien und öffentlichen Planungsbüros. allen Phasen des Bauhauses blieben alle Signale Demgegenüber waren Studentinnen ohne Diplom einer Akzeptanz von Architekturaspirantinnen aus. Im weitaus häufiger auf persönliche Empfehlungen und Gegensatz dazu erschienen die Studienbedingungen unsichere Arbeitsverhältnisse in kleinen Büros ange- im Seminar Tessenow als nahezu gleichberechtigt. wiesen. Sie blieben oft über Monate oder Jahre ar- Aber auch hier, wo Komptenzerwerb und Diplome beitslos, versuchten in unterschiedlichen Arbeitsge- auch Frauen den Weg in die Praxis bahnten, mussten meinschaften und Partnerschaften freiberuflich diese auf alle Signale einer Akzeptanz als Berufskol- Aufträge zu akquirieren. leginnen verzichten. Offenbar wurden die Erwartun- gen von Studentinnen hier dennoch weitgehend ein- Während nur knapp die Hälfte der Bauhausstudentin- gelöst, während unter den architekturinteressierten nen überhaupt einen Zugang zum Berufsfeld fand, Studentinnen am Bauhaus zahlreiche Abbrecherinnen gelang der Berufseinstieg den Tessenowstudentinnen zu finden sind. mehrheitlich auch ohne nennenswerte Phasen der Arbeitslosigkeit. Und auch ohne Empfehlungsschrei- Ob Architekturstudentinnen - der Kaiserzeit wie der ben des Professors - im Unterschied zu manchen Weimarer Republik - mit hervorragenden Bewertun- Kommilitonen. Damit wurde jedoch auch sichtbar, gen promovierten oder Wettbewerbserfolge erzielten, dass am Ende der Weimarer Republik Empfehlungen, sich der Lehre und Betreuung der Studierenden wid- insbesondere jedoch formale Qualifikationen die ent- meten oder in den Büros der Professoren mitarbeite- scheidende Rolle bei der Verwertung fachlicher Kom- ten, keine Architekturfakultät einer Technischen petenzen spielten, zumal ab Mitte der zwanziger Jah-

310 re eine Erwerbstätigkeit als angestellte Architektin fessionals in einem konjunkturell geschwächten auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ohne Di- Berufsfeld ein Auskommen suchte. plom kaum mehr realistisch war. Wie eng die berufliche Etablierung an die verliehene Während sich zahlreiche Studentinnen anschickten, oder verweigerte Statusdistribution geknüpft war, berufsspezifische Kompetenzen zu erwerben und wurde deutlich, als an der Schwelle zum Berufsfeld fachliche Aufgaben inhaltlich wie formal zu bewälti- Referenzen wie konkrete Hilfestellungen - sowohl von gen, war während der Weimarer Republik kein Zu- Tessenow wie von Bauhausmeistern - nahezu aus- wachs realer Erwerbsperspektiven von Architektinnen schließlich an Studenten vergeben wurden. Dabei zu verzeichnen. Zu beobachten war mit der zuneh- zeigte sich, dass Chancen innerhalb des Berufsfeldes menden Verleihung akademischer Weihen und forma- primär genderexklusiv vererbt, der für eine Professio- ler Qualifikationen vielmehr eine Entkoppelung von nalisierung so wichtige prospektive Status in direkter Ausbildungs- und Berufsfrage . Die Chancen von Abhängigkeit zum Geschlecht verliehen wurde. Architektinnen schienen unmittelbar in jenem Maße Paradoxale Wechselwirkungen zwischen Berufsreali- zu schwinden, in dem ihre Kompetenzen und Am- täten und Geschlechterdiskursen kennzeichneten bitionen sichtbar wurden. auch den weiteren Verlauf der Erwerbsbiografien der Bereits die Bandbreite der im Studium bearbeiteten Architekturstudentinnen der Weimarer Republik. Themen ließen den Diskurs über ‘frauenspezifische Denn sanken während des Nationalsozialismus durch Neigungen’ obsolet erscheinen. Ähnlich ließen die Retraditionalisierung und Rollenzuweisungen die Wettbewerbsteilnahmen von Architektinnen keine Möglichkeiten und Chancen freiberuflich tätiger Frau- thematischen Präferenzen erkennen. Frappierend war en weiter, so eröffneten sich ‘arischen’ Kolleginnen hingegen immer wieder die Diskrepanz zwischen de mit der Vertreibung jüdischer ArchitektInnen erwei- facto bearbeiteten und de facto beauftragten Themen terte Tätigkeitsbereiche. Noch weit vor Kriegsbeginn und Aufgabenstellungen. Konnten Berufseinsteigerin- waren Architektinnen - mit und ohne Diplom - unter nen in größeren Büros nahezu die ganze Breite denk- der Prämisse der Unsichtbarkeit resp. mit Ausnahme barer Aufträge bearbeiten, so wurden ihnen in kleine- leitender Positionen auch dort willkommen, wo sich ren Büros - insbesondere namhafter Architekten des das Berufsfeld - bspw. durch das Beamtenprivileg - Neuen Bauens - lediglich innenarchitektonische Auf- längst als Männerdomäne reetabliert hatte. gabenstellungen anvertraut. Aber nicht nur die ‘Grö- Eine erneute Renaissance erlebte die Differenz zwi- ße’ des Büro(chef)s erwies sich als ausschlagge- schen den Geschlechtern in der Architektur nach bend hinsichtlich der zugestandenen Aktionsradien. 1945, als die Grenzziehung zwischen Damen und Als ebenso groß erwies sich diese Diskrepanz bei nä- Herren Architekten insbesondere vom BDA massiv herer Betrachtung der Außenwahrnehmung. Anhand betrieben wurde. Mit Ausnahme der unmittelbaren der Aufträge, die Architektinnen unter eigenem Na- Nachkriegszeit gelang Architektinnen auf Jahre hin- men ausführen konnten, zeigte sich die Absurdität aus überhaupt nur in Teilbereichen des Berufsfeldes und Hartnäckigkeit des Zirkelschlusses vermeintlich eine Partizipation, während beim Wiederaufbau wie geschlechtsspezifischer Eignung erneut: Denn nahe- beim Aufbau eines neuen Deutschland nahezu aus- zu nie korrespondierten die ‘beauftragten’ Themen schließlich alte Kräfte am Werk waren. mit Interessenschwerpunkten, Berufserfahrungen oder Spezialisierungen, ebenso häufig wie offensicht- Im Laufe der Jahrzehnte waren die Gründe für die lich jedoch mit dem Geschlecht der ‘weiblichen’ Ar- Fragilität beruflicher Etablierung dieser Architektinnen chitektInnen. ganz überwiegend im Berufsfeld selbst zu finden. Und auch hier zeigten sich die Chancen von Archi- Bei der Vergabe von Aufträgen erwies sich jedoch tektinnen zumindest mittelbar mit Tradition und Mo- das Vertrauen in die Personen als nahezu unauflös- derne verknüpft: Denn während im traditionsorientier- lich mit dem Geschlecht - den Erwartungen an den ten Kontext immer wieder leichte Öffnungen in Rich- Fach-Mann - verquickt. Bereits hier entschied sich, tung einer Geschlechteregalität zu verzeichnen wa- ob der Beweis fachlichen Könnens überhaupt ange- ren, so blieb der ‘Schwund’ an Fachfrauen im ‘mo- treten werden konnte. Und angesichts geschlechter- dernen Lager’ auch im Laufe der Jahrzehnte hoch. konnotierter Aufgabenbereiche stand das nicht pass- genaue Geschlecht der Beauftragung von Fach-Frau- Die Vielzahl struktureller Stolpersteine auf dem Weg en schlicht im Wege. Der Diskurs um die Relevanz der Professionalisierung und beruflichen Etablierung des Geschlechtes - von Fachleuten wie Fachgebieten dieser Architektinnen lassen sich retrospektiv fast - unterlag jedoch Konjunkturen. Er wurde bereits zu ausnahmslos als geschlechtsspezifische Exklusionen Beginn der zwanziger Jahre, um 1930 und auch nach der Profession - als ein bestimmtes Geschlecht ex- dem Ende des zweiten Weltkrieges immer dann be- kludierende (Ver-)Hinderungsgründe - erkennen. Und sonders virulent, wenn eine größere Anzahl an Pro- in einem ‘freien’ Berufsfeld, in dem Entscheidungen

Resümee 311 und Weichenstellungen aufgrund der Antizipation wächse erzielen. Und als Gattinnen ebenfalls in der ‘zugetrauter’ Leistungen gefällt werden, erweist sich Architektur tätiger Gatten wurden ihnen ‘Rücksicht- die (Re-)Konstruktion von Geschlechterdifferenzen als nahmen’ abverlangt, ohne die ihr professioneller wie Legitimationsdiskurs dieser Exklusion. Dabei werden ihr familiärer Status gefährdet war. scheinbar geschlechtsneutrale Angebote beruflicher So stellt die rückblickend durchgängig positive Be- Partizipation hinter objektbezogenen - vermeintlich wertung der Studienzeit ehemaliger Tessenowstu- objektiven - Selektionsprozessen zum Verschwinden dentinnen nicht nur eine allgemeine Jugendschwär- gebracht. Ausgeschlossen von männlich exklusiven merei dar, wenngleich die Erinnerung an die vielseiti- Bündnissen resp. Netzwerken, erlebten die Exkludier- ge Studienzeit - die zahlreichen kulturellen und sport- ten ihre Situation der Ohnmacht manches Mal als in- lichen Aktivitäten, Hobbies und Freiräume - positiv dividuelles Versagen. gefärbt ist. Angesichts retrospektiver Erinnerungen Dass die ‘gescheiterten’ Etablierungsstrategien von von Architekturstudentinnen der Weimarer Republik Architektinnen individuell kompensiert - und innerhalb an das Studium bestätigt sich Glasers These der Re- des Berufsfeldes tabuisiert blieben, deutet einerseits lativierung anhand persönlicher Erfolgsbilanzierun- auf den hohen Identifikations- resp. Assimilationsgrad gen. Demnach verwundert wenig, dass Tessenowstu- von Architektinnen, andererseits auf weitgehend ge- dentinnen - auch im Wissen um ihre Studienerfolge - schlechterhomogene Interessenlagen innerhalb des dem Studium einen großen Stellenwert in der beruf- Berufsfeldes. Bereits anhand von Verschiebungen bei lichen Rückschau zumessen, architekturinteressierte Wettbewerbsverfahren und Modifikationen von Selek- Bauhausstudentinnen das Scheitern ihrer beruflichen tionsverfahren wurde deutlich, dass das Spektrum Ambitionen am Bauhaus i.d.R. unerwähnt lassen. aktiv betriebener, zunehmend subtilerer Legitima- Angesichts der Erfahrungen im Berufsleben wird die tionsdiskurse zum Ausschluss von Architektinnen ei- Studienzeit im Leben einer Tessenowstudentin rück- nem Grundkonsens der Protagonisten im Handlungs- blickend zur ‘Erfolgsgeschichte’: Es ist die - häufig feld entsprach. Auch bei Architekturkritikern war im- einzige - Lebensphase, in der sie intensiv Architektur mer wieder dieses Bemühen zu beobachten. Durch betreiben kann, ohne permanent an die Grenzen be- Verweise auf jeweils außerhalb des gerade geführten ruflicher Schließungen zu stoßen. Retrospektive Ur- Diskurses liegende Plausibilisierungen wurde kontinu- teile architekturinteressierter Bauhausstudentinnen ierlich just jenes ‘Amalgam’ (Schwartz Cowan) pro- über ihr Studium sind demgegenüber kritisch oder duziert, das bei der systematischen Ausgrenzung un- ambivalent. „Mit amüsiert-liebevoll-trockener Distanz erwünschter Konkurrenz die Gemengelage individuel- kommentiert Kattina Both die Verhältnisse, die da- ler Interessen und berufständischer Legitimationsritu- mals am Bauhaus herrschen.“ 6 ale effizient verschleiert. Architekturstudentinnen der Weimarer Republik nah- In einem Klima anhaltender Ignoranz gegenüber ihren men die neuen Studienmöglichkeiten individuell wahr, fachlichen Beiträgen verließen zahlreiche Architektur- suchten nach einer Balance ihrer beruflichen Ambitio- studentinnen der Weimarer Republik - nach wenigen nen und den zugestandenen Gestaltungsspielräu- oder auch etlichen Jahren - ein Berufsfeld, das ihnen men. Das Studium markierte im Leben der meisten keinerlei ermutigende Resonanz auf eigene Ideen, Studentinnen einen Grenzbereich des eigenen Akti- Ambitionen und Courage bot. Neben dem Rückzug onsradius. So selbstbewusst und engagiert sich die- ins Privatleben fanden wir relativ häufig Berufswech- se Studentinnen auch in den Bereich Architektur be- sel. Dabei griffen Architektinnen auf frühere Qualifika- gaben, am Bauhaus durften sie dieses Aktionsfeld tionen zurück, übten Erwerbstätigkeiten aus, die un- kaum betreten und auch bei Tessenow wurden sie terhalb ihrer Qualifikation angesiedelt waren oder ab- i.d.R. nicht ermutigt, die Grenze bürgerlicher Aktions- solvierten weitere Ausbildungen. Dabei kehrten sie radien zu überschreiten. Studentinnen, die während dem Berufsfeld immer dann den Rücken, wenn eine des Studiums die Assimilation an die Fachkultur an- sinnhafte Tätigkeit innerhalb des Berufes trotz Orts- strebten, adaptierten mit den fachspezifischen Kom- und/oder Statuswechsels nicht mehr realisierbar war. petenzen das ‘mind-setting’, Ideen, Lehre und Leh- Auch dabei wurde das Geschlecht als crucialer Stol- rende als Maßstab ihrer Werteskala. Das zwischen perstein der beruflichen Etablierung sichtbar. Denn individualistischem Künstlergenie und rational agie- angestellte Positionen blieben fragil, angestellten Ar- rendem Ingenieur changierende ‘Leitbild’ des Archi- chitektinnen bot sich i.d.R. keine Chance, innerhalb tekten bot höchst widersprüchliche Facetten, jedoch von Bürohierarchien aus subalternen Positionen auf- keinerlei Attributiva traditoneller ‘Weiblichkeit’. Mit zurücken. Als Freiberuflerinnen gelang es ihnen nur der Wiederbelebung des Geschlechterdiskurses wird ausnahmsweise, Aufträge jenseits privater Bekann- diese mangelnde Passgenauigkeit zur geschlechts- tenkreise zu akquirieren. Auch mit zunehmender Be- spezifischen Ausgrenzung. 6 Petzinger, Renate: Katt Both, in: Architektinnenhistorie, Berlin, rufserfahrung konnten sie nahezu keine Auftragszu- 1984, S.47 Zeitgleich mit den Neustrukturierungen im Berufsfeld

312 und Ausbildungswesen betraten Architektinnen wäh- Bild der modernen Partnerschaft suggerierte die rend der Weimarer Republik individuell ein Berufsfeld, mögliche Transformation der Urzelle der Gesellschaft in dem sie kaum mehr als Einzelne, sondern als qua unter Selbstverwirklichung aller Beteiligten in eine Geschlecht unterscheidbare Gruppe beruflich ambi- harmonische Beziehung. tionierter Konkurrenz wahrgenommen wurden. Hin- Innerhalb dieser Kameradschaftsehen erweiterten sichtlich ihrer Herkunft, Lebenserfahrungen und Moti- sich die Aktionsradien der Architektin in aller Regel vationen waren sie jedoch weder homogen, noch jedoch nicht. Insbesondere wenn der Kamerad auch verstanden oder manifestierten sie sich als Gruppe. Architekt war, wurde aus der Architektin mit der Hei- Vielmehr sahen die meisten weder Grund noch An- rat häufig eine ‘mithelfende’ Kameradin, deren Tage lass, sich von den männlichen Kollegen zu unter- im Beruf resp. im gemeinsamen Büro zumeist gezählt scheiden, engagierten sich mehr oder minder nach- waren. So groß Verlockungen und Missverständnisse drücklich für die eine oder andere Position im Fach. einer kameradschaftlichen Ehe auch gewesen sein Auch wenn sie die zunehmend subtileren Ausgren- mögen, die Egalität dieser Kameradschaft erwies sich zungsmechanismen während des Studiums, die innerhalb der berufshomogenen Ehe mit der Singula- Schließungen innerhalb des Berufsfeldes manches rität des Künstlergenies zumeist als unvereinbar: In Mal als Resultat geschlechtsspezifischer Konflikte der Generation der um die Jahrhundertwende gebo- erlebten, so wurde dieses Dilemma - als Nicht-(Fach- renen Architektinnen und Architekten führte sie mehr- )Mann behandelt resp. primär als Frau wahrgenom- heitlich zur Scheidung. Architektinnen, die mit einem men zu werden - lediglich als historische Resistenz Architekten länger als fünf Jahre verheiratet blieben, thematisiert. Denn innerhalb eines Berufsfeldes, das gaben die eigenständige Berufsperspektive, manches primär auf individuelle Erfolge rekurriert, bricht jede Mal sogar jegliche künstlerische Tätigkeit auf. strukturelle Kritik mit dem Tabu der genialen Einzel- persönlichkeit. So verwendeten etliche Architektinnen Das Gros der Architektinnen dieser Generation zog ihre Energien darauf, diesem höchst irrationalen Kon- aus seinen Erfahrungen individuelle Konsequenzen. flikt zwischen individuellem Selbstverständnis und Diese ähnelten sich jedoch so stark, dass eine Struk- geschlechterkodiertem Berufsverständnis zu entge- tur sichtbar wurde: Die Architektinnen, die an der hen, und die hierdurch hervorgerufenen Spannungen Seite eines Architekten mit hoher Fachmotivation individuell zu kompensieren. eine Kameradschaftsehe eingingen, blieben nach der Geburt von Kindern nur dann im Berufsfeld tätig, Erschienen im Studium engagierte, künstlerisch wie wenn sie ihre berufliche Perspektive nicht primär und technisch interessierte Studentinnen, die offensicht- ausschließlich auf die Kameradschaft mit dem Gatten lich den traditionellen Frauenrollen entwachsen waren gründeten. Die meisten der mit Architekten verheira- und allein durch ihre sichtbare Präsenz die herkömm- teten Architektinnen fanden wir - während der Ehe liche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in wie nach der Scheidung - nicht mehr im Berufsfeld. Frage zu stellen schienen, so stellte das Erscheinen von Nicht-Männern in zuvor exklusiv männlichen Be- Während die Architekturstudentinnen der Kaiserzeit rufsbereichen - wie die zunehmende Erwerbstätig- angesichts ihrer Bemühungen um Bildung und Hoch- keit von Frauen überhaupt - ebenso eine Irritation schulzugang die ihnen qua Geschlecht vorenthalte- gesellschaftlichen Ausmaßes dar wie die zunehmend nen Möglichkeiten als Schwellen zum Beruf erfahren spürbaren Auswirkungen der Industrialisierung. hatten, waren Konflikte um Bildungs- und Hochschul- zugang für die um die Jahrhundertwende geborenen An dieser Schnittstelle erwies sich die mittelalterliche Bürgertöchter nicht mehr prägend. Für sie war das Bauhütte als Steilvorlage zur Reetablierung männli- zeitgleich in Kraft tretende Wahlrecht für Frauen Rea- cher Exklusivität in der Architekturproduktion. Nahezu lität, dessen ‘Vorenthalten’ vermittelte Geschichte. zeitgleich versprach das Modell der Kameradschafts- Sie nahmen die Diskrepanz zwischen den eigenen ehe eine Wiederentdeckung der heterosexuellen Möglichkeiten und denen der eigenen Mütter zwar Paarbeziehung. Beide Metaphern können als Reak- wahr, brachten sie i.d.R. aber nicht mehr mit der Ge- tionen auf Modernisierungsschübe interpretiert wer- schlechterhierarchie in Verbindung.7 den, beide waren jedoch ebenso widersprüchlich wie ambivalent. Sowohl die Bauhütte als auch die Kame- Auch der erste Weltkrieg prägte beide Generationen radschaftsehe bezogen ihre Faszination aus der Sug- sehr unterschiedlich. Während die Studentinnen der gestion, bis dato offene Konflikte harmonisieren resp. Kaiserzeit ihr Studium in dieser Zeit abschlossen und bewältigen zu können. So versprach das Bild koope- / oder als Architektinnen im Militärdienst daran parti- 7 Wie dies bspw. Anna-Maria Mauck beschreibt: „Und kein Baum rierender Künstlerhandwerker an einem Gesamt- zipierten, wurde der nachfolgenden Generation auf auf den ich nicht stieg, also alles was Mädchen nicht tun. (..) kunstwerk, dass der Unüberschaubarkeit rationali- den Schulbänken von Lyzeen und Realgymnasien der Meine Mutter hatte vor Wasser, was mehr als ‘ne Badewanne sierter Massenproduktion durch Kreativität im Patriotismus für diesen Krieg vermittelt. Und gelang voll war, (..) Angst. Damals waren die jungen Damen nicht sport- menschlichen Kollektiv beizukommen sei. Und das es Architekturstudentinnen der Kaiserzeit, den politi- lich und so.“ Interview am 17.11.1995

Resümee 313 schen Entwicklungen emanzipative Aspekte abzuge- von ihnen im Berufsfeld. Die Verheirateten hatten winnen und mit hoher Assimilationsbereitschaft zu- nach Geburt des ersten Kindes das Berufsfeld - für mindest Einzelerfolge zu erzielen, so hatte die Stu- die Familienphase - verlassen und widmeten sich dentinnengeneration der Weimarer Republik ein deut- - ohne oder mit Unterstützung bezahlter Kräfte im lich ambivalenteres Verhältnis gegenüber staatlicher Haushalt - fast ausschließlich dem privaten Umfeld. Autorität. Angesichts der militärischen Niederlage wie Diese Koinzidenz zwischen Mutterschaft und beruf- durch die Erfahrung der Inflation, die insbesondere licher Enthaltsamkeit relativierte sich in Anbetracht die Ersparnisse des Bildungsbürgertums und die Fa- von Sozialstatus, Partnerkonstellation und politischer milienvermögen des Besitzbürgertums schrumpfen Haltung. ließ, scheint das Grundvertrauen dieser Studentin- Auch wenn deutlich wurde, dass die wenigsten Ar- nengeneration deutlicher erschüttert worden zu sein. chitektinnen in der Geburt und Erziehung von Kindern So kennzeichnet diese Generation von Architektur- eine ausschließliche Aufgabe sahen und eine langfri- studentinnen zum einen eine Art naiver Optimismus stige Tätigkeit im Fach anstrebten, so gelang dies gegenüber der beruflichen Konkurrenz wie männli- i.d.R. nur den ledigen und verwitweten, sowie man- chen Partnern, zum anderen ein häufig ebenso vor- chen der geschiedenen Architektinnen. Während so- sichtiges wie hedonistisches Abwägen von Berufs- zialistisch, aber auch nationalsozialistisch orientierte und Lebensperspektive. Architektinnen trotz - und auch getrennt von - Familie Folgten Tessenowstudentinnen in den großen Le- und Kindern arbeiteten, blieben Kolleginnen aus ei- bensentscheidungen überwiegend den elterlichen Er- nem konservativ geprägten Umfeld bei der Geburt wartungen - wobei bei immerhin einem Drittel auch von Kindern der Erwerbstätigkeit fern. Insbesondere das Architekturstudium Bestandteil dieser elterlichen Architektinnen aus dem Mittelstand konzentrierten Erwartungen war -, so brachen Bauhausstudentinnen sich bei der Geburt von Kindern ausschließlich auf mit der Studienentscheidung manches Mal aus fami- die Familienrolle. liären Traditionen aus. Aber auch bei ihnen, wie bei Beim Rückzug in eine Familienphase spielte verein- denjenigen Tessenowstudentinnen, die trotz elterli- zelt auch Resignation vor den politischen Rahmenbe- cher Skepsis Architektur studierten, kennzeichnete dingungen eine Rolle. Gerade mit der zunehmenden dieser Versuch einer selbstbestimmten Lebenspla- Faschisierung der Gesellschaft wurde dies aber auch nung nicht immer die Abkehr von familiären Lebens- als rollenkonforme Ausweichstrategie in kriegerischen formen und milieuspezifischen Lebensstilen. Zeiten erkennbar. Ledigen Kolleginnen boten sich Im Rahmen dieser Untersuchung wurde deutlich, jenseits von Mutterkreuz und Reißschiene keine ver- dass das frauenpolitische Engagement der hier be- gleichbar konfliktfreien Arrangements, jüdischen Ar- trachteten Architektinnengeneration geringer war als chitektinnen nicht einmal Überlebensperspektiven. das der ersten Generation. Knapp 20 Jahre nachdem Wie wir anhand von Berufs- und Lebenswegen der der Zugang zu diesem Fach für Frauen überhaupt Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ge- durchgesetzt worden war, waren aber auch die Hoff- sehen haben, entschieden sich zumindest Dreiviertel nungen, dass die Architektur als akademischer Beruf für eine Heirat und die Gründung einer Familie. Ein eine Frau ernähren könne, heftigster Ernüchterung Drittel räumte der Familie phasenweise Priorität ein, gewichen. Architekturstudentinnen der Kaiserzeit hat- ein weiteres Drittel kehrte nach der Geburt von Kin- ten ihre beruflichen Perspektiven im Berufsfeld noch dern nicht mehr in das Berufsfeld zurück. Nur einem optimistisch eingeschätzt. Andererseits hatte diese Drittel der Mütter unter den Architektinnen dieser Ge- Generation Beruf und Familie nicht unbedingt für ver- neration gelang es, eine Perspektive in der Architek- einbar gehalten. Jene Architektinnen blieben häufig tur mit der Familienrolle dauerhaft zu verbinden. Na- kinderlos, zumeist auch ledig und setzten ihre Studi- hezu alle verheirateten ehemaligen Tessenowstuden- enmotivation in eine berufliche Priorität um. tinnen, aber auch die Mütter unter den ehemaligen Für Studentinnen der Weimarer Republik schienen Bauhausstudentinnen saßen der Illusion der Verein- Berufsperspektive und familienorientierte Lebenspla- barkeit von beruflicher Selbstverwirklichung und tra- nung nicht mehr unbedingt in Konkurrenz zu stehen: ditioneller Mutterschaft auf, die Petra Bock als cha- Tessenowstudentinnen heirateten auffällig häufig Ar- rakteristisch für das postmaterielle Wertesystem der chitekten, jedoch nie bereits während des Studiums. neuen Frau in der Weimarer Republik bezeichnet Bauhausstudentinnen heirateten - auch schon wäh- hat.8 Aber nicht nur der Versuch, Berufsperspektive rend des Studiums - relativ häufig einen Künstler. und Familienwunsch innerhalb eines Lebens zu ver- Während fast alle - mehr als 80% - der potentiellen wirklichen, stand der beruflichen Etablierung von Architektinnen zwei Jahre nach dem Studium noch in Architektinnen dieser Generation deutlich im Wege. ihren Anfangsstellungen arbeiten, fanden wir fünf Denn so sehr die familiäre Tradition den Studien- Jahre nach Studienabschluss nur noch knapp 30%

314 wunsch wie den Kompetenzerwerb mancher Archi- rung. Vielmehr wuchs mit der Berufsdauer die struk- tektentochter gefördert haben mag, die Erwerbsdau- turelle - geschlechtsspezifische - Segregation inner- er von Architektinnen dieser Generation innerhalb des halb der konkreten Berufstätigkeit, die mit einer sach- engeren Berufsfeldes steigt offenbar in dem Maße, in orientierten Berufsausübung ebenso in deutlichem dem die ebenfalls im Berufsfeld tätigen männlichen Widerspruch stand wie zu dem zentralen Kriterium Verwandten schwinden. Offensichtlich konnten Archi- des Gesellschaftsvertrages, der Qualitätssicherung tektentöchter von der sog. Berufsvererbung nicht in durch berufsständische Selbstkontrolle und fachspe- dem gleichen Maße profitieren wie Architektensöhne. zifische Selektion versprach. Damit bot das Berufs- Ohnehin erwiesen sich Architektengatten, aber auch feld freiberuflich tätigen Architektinnen kaum eine Architektenväter und Architektenbrüder bei einer Eta- Aussicht auf eine tragfähige Existenz, angestellten blierung im Berufsfeld als eher hinderlich. Architektinnen keinen Ausweg aus subalternen Positi- onen. Nur wenige der angestellten Architektinnen Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ver- verließen - nach zehn, spätestens zwanzig Jahren - suchten mit Hilfe von Zeugnissen oder Empfehlungs- das Berufsfeld nicht. schreiben Beziehungen herzustellen und zu nutzen. Auch sie referierten mitunter auf ‘Schulen’ und kann- Als die zentralen Hürden bei der beruflichen Etablie- ten manches Mal die maßgeblichen Protagonisten rung von Architekturstudentinnen der Weimarer Re- persönlich. Jedoch selbst dann gelang es ihnen nur publik erweisen sich die Geschlechterhierarchien in- ausnahmsweise, in den Genuss von Statusdistribu- nerhalb des Berufsfeldes wie innerhalb privater Be- tionen zu gelangen oder in Netzwerke aufgenommen ziehungen. Innerhalb von Planungshierarchien wie im zu werden. Unterstützung erhielten sie i.d.R. besten- Angesicht von Männern ‘für´s Leben’ stolperten Ar- falls aus ihrem persönlichen Umfeld. Die Studiener- chitekturstudentinnen der Weimarer Republik über folge, die sie im Seminar Tessenow unter geschlech- konkurrierende Erwartungen und konfligierende Rol- ter-harmonisierten Rahmenbedingungen erzielt hat- len. Dabei gaben manche der architekturinteressier- ten, ließen sich nur vorübergehend in eine geschlech- ten Bauhausstudentinnen, jedoch kaum eine der Tes- ter-konkurrierende Berufsrealität prolongieren. Auch senowstudentinnen ihre beruflichen Ambitionen be- Bauhausstudentinnen, die derlei Konkurrenzsituatio- reits angesichts eines potentiellen Gatten auf. Bei nen im Studium bereits erlebt hatten, konnten oft nur den Bauhausstudentinnen führte zumeist das Weg- zeitweilig berufliche Erfolge erzielen. So unterschiedli- brechen einer eigenen Perspektive, bei Tessenow- che resp. vielfältige Kompetenzen Architekturstuden- studentinnen häufiger die Geburt von Kindern zur tinnen der Weimarer Republik auch erwarben, die be- Unterbrechung oder dem definitiven Bruch der eige- rufliche Etablierung dieser Architektinnen scheitert nen Berufspriorität. i.d.R. an den geschlechterkonnotierten Chancen in- Brüche waren auch in den beruflichen Karrieren emi- nerhalb des Berufsfeldes. Kontinuierlich wurden sie grierter Architektinnen zu verzeichnen. Sie hatten in mit unterschiedlichen, jedoch immer stereotypen Rol- der Regel Assimilationen an die gesellschaftlichen lenbildern konfrontiert, die ihrer Akzeptanz als sicht- und beruflichen Bedingungen des Ziellandes zu be- bar tätige und bezahlte Architektin im Wege standen. wältigen. Und ging mit der Emigration vor 1933 und Patronagen wie Empfehlungen erwiesen sich als in den 1950er Jahren in der Regel ein Schritt der be- kurzlebig, häufig auch als erfolglos. ruflichen Etablierung einher, so waren die Exilierten in Nur solange Architekturstudentinnen der Weimarer der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in etlichen Ziel- Republik sich nicht durch Zuschreibungen ihrer Leh- ländern mit zunehmenden Ressentiments und stei- rer und Kollegen irritieren ließen, ihre kulturellen und genden Zugangsschwellen zum Berufsfeld konfron- materiellen Kapitale für die Umsetzung ihrer individu- tiert. Nur Wenigen gelang es, im Berufsfeld dauerhaft ellen Ziele einsetzten und sich familiären Erwartungs- Fuß zu fassen, häufiger waren sie darauf angewiesen, haltungen bewusst entzogen, gelang ihnen eine pro- ihren Lebensunterhalt anderweitig zu sichern. fessionelle Existenz über die Phase des Berufsein- Trotz dieser Brüche blieben die Gestaltungsambitio- stieges hinaus. Entschieden zunächst noch formale nen der meisten Architektinnen vital. Oft rezipierten Qualifikationen und persönliche Beziehungen über sie die Entwicklungen in der Architektur lebenslang. Arbeitsfeld und Berufsstatus, so boten diese im Laufe Gegebenenfalls wurden Themen modifiziert, neue Tä- der Berufstätigkeit kaum eine Aussicht auf Aufstieg tigkeitsfelder erschlossen, Projekte mit jahrzehntelan- 8 Bock spricht in diesem Zusammenhang von einem postmate- oder die Chance egalitärer Rezeption. In freiberufli- ger Verzögerung umgesetzt. Nicht zuletzt scheint die rielles Wertesystem, bei dem der Wunsch nach Selbstverwirkli- cher wie in angestellter Position machten Architektin- hohe Lebenserwartung der um die Jahrhundertwende chung, Lebensqualität in Beruf und Privatleben gleichberechtigt nen häufig die Erfahrung, dass ihre Kompetenzen in geborenen Generation von Architektinnen die hohen neben den traditionellen Orientierungen an Ehe und Mutter- Zweifel gezogen und selten adäquat vergütet wur- Erwartungen an ihr jeweiliges Leben widerzuspiegeln. schaft stehe. - Bock, Petra: Neue Frauen und die Weimarer Re- den. Und diese Diskrepanz gegenüber den Kollegen Ein Leben, das sie nach Kräften umfassend zu ge- publik, in: Bock, Petra / Koblitz, Katja (Hg.): Neue Frauen zwi- schwand nicht etwa mit zunehmender Berufserfah- stalten suchten, auch wenn ihnen eine kontinuierliche schen den Zeiten, Berlin, 1995, S.25

Resümee 315 Umsetzung ihrer professionellen Fähigkeiten, die Ver- ten. Sichtbar wurde insbesondere bei den vergleichs- wirklichung ihrer Ideen sowie die Anerkennung im weise jungen Tessenowstudentinnen, dass bei der Berufsfeld wie in der Öffentlichkeit fast ausnahmslos Wahl von Studienorten und Lehrern allzu häufig prag- versagt blieb. matische Gründe den Ausschlag gaben. Dennoch kam diese Entscheidung faktisch einer Weichenstel- Die Nichtwahrnehmung von Architektinnen, die Igno- lung gleich: Denn allzu deutlich überwog im Architek- ranz gegenüber ihren Fähigkeiten und Ambitionen turstudium der normative Charakter den Kompetenz- war die Achillesferse ihrer beruflichen Existenz - von erwerb, unübersehbar zielten beide ‘Schulen’ weniger der Vergabe der Aufträge über deren Publikation und auf ein Studium von Architekturen zur Entwicklung Rezeption bis zu ihren Beiträgen zur Baugeschichte. einer eigenständigen Architekturauffassung als auf An dem Bruchteil der bisher dokumentierten Bauten eine ‘Schulung’ im Sinne der eigenen Position. und Projekten wurde dennoch deutlich, wie vielfältig Architektinnen dieser Generation ihre jeweiligen Bei- Anhand von Projekten und Bauten im Berufsverlauf träge zur gebauten Umwelt leisteten. Und obschon zeigte sich manch deutliche Referenz und manch ein- etliche Ideen Papier blieben, manche Gebäude zwi- deutige Haltung. Nicht nur in Abhängigkeit von kultu- schenzeitlich zerstört oder stark verändert wurden, rellen Kontexten und Zeitumständen waren jedoch so lassen die dokumentierten Entwürfe zumindest auch Konzepte und Bauten zu finden, die kaum oder erahnen, welche Konzepte, Ideen und Wirklichkeiten sogar keinerlei Einfluss des Studiums erkennen lie- sie beizutragen beabsichtigten. Denn die Entdek- ßen. Ebenso erkennbar wie zweifelsohne prägte die kung, Diskussion und Einordnung des Wirkens von Erfahrung eines Studiums bei Tessenow resp. am Architektinnen im 20. Jahrhundert steht noch immer Bauhaus die weiteren Lebenswege etlicher Studen- erst am Anfang. tinnen. Dennoch bleibt es fragwürdig Epigoninnen und Renegatinnen klar zu benennen, lassen sich ein- Für einen Vergleich innerhalb der Generation der Ar- deutige Tendenzen doch lediglich aus den Analysen chitekturstudentinnen der Weimarer Republik bot einzelner Projekte ableiten. Im Wissen um die Quel- sich das Studium als erster Verknüpfungspunkt die- lenproblematik wie die Rezeptionspraxen in der Ar- ser verschiedenen Lebenslinien an. Gingen wir zu- chitektur im 20. Jahrhundert bleiben die hier getroffe- nächst davon aus, dass die Wahl der Ausbildungsin- nen Aussagen vorläufig. Denn solange Analysen in- stitution ein geeigneter Indikator für unterschiedliche nerhalb eines Quellenpuzzels durchgeführt werden, Milieus, unterscheidbare Studieninteressen sei, so bei dem die meisten Puzzleteile zweifelsohne unbe- zeigten sich die Voraussetzungen der unterschiedli- kannt sind10, verbietet sich jedes verallgemeinernde chen Studentinnen im Vergleich ähnlicher, der Ein- Resümee. fluss der Ausbildung noch stärker als erwartet.9 Im Laufe der Untersuchung zeigte sich jedoch auch, 1988 kam Lynne Walker für die Geschichte der Archi- dass sich ‘Schulen’ in der Architektur substantiell tektinnen in England zu dem Ergebnis: „Der Aus- eher vage konstituieren, ihre Funktion deutlicher in schluß von Frauen aus der architektonischen Praxis der Bildung klar erkennbarer Formationen - Interes- ist eine Fallstudie patriarchaler Herrschaft und ökono- sengruppen und Akteure - liegt und daher eher in mischer Hegemonie.“ 11 Auch die Studien- und Be- Bedeutungsgehalten und Interpretationen als in der rufswege von Tessenow- und Bauhausstudentinnen Substanz zu finden ist. In der näheren Betrachtung erweisen sich als eine derartige Fallstudie. Und ange- des Umgangs mit den ‘Schülerinnen’ ließ sich erken- sichts der Massivität und Rigidität, mit der seit den 9 Nachdem die Wahl des Ausbildungskontextes zunächst als In- nen, dass die handlungsleitenden Kategorien bei der 2zwanziger Jahren auch in Deutschland der Aus- dikator unterschiedlicher gesellschaftlicher Haltungen resp. Mi- Konstruktion resp. Etablierung dieser Referenzen weit schluss von Architekturstudentinnen resp. Architek- lieus der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik gele- häufiger paradoxal als konsistent sind. tinnen betrieben wurde, spricht etliches für Walkers sen wurde, musste die Hypothese einer milieuspezifischen Aus- These, dass „den Frauen den Zugang zur Gestaltung bildungswahl beim Vergleich der familiären Hintergründe wie der Wurde anhand der Studienarbeiten sichtbar, dass der Architektur zuzugestehen, (..) die Kontrolle räum- Berufsverläufe revidiert werden. - im Sinne von Adaption und Assimilation - in der Ar- licher Definitionen durch die Männer und damit die 10 Von keiner der hier vorgestellten Architektinnen lassen sich bis- chitekturausbildung sowohl von ‘Schulen’ wie von Aufrechterhaltung des sozialen, ökonomischen und her alle, von manchen - wie bspw. Hanna Blank und Gisela Eh- ‘SchülerInnen’ gesprochen werden kann, so wurde kulturellen Status quo bedrohen“ würde.12 ren - selbst bei nachweislich langer Berufstätigkeit - bisher nur doch auch deutlich, dass diese Anlehnung an die Le- einzelne Projekte analysieren. Und von etlichen - wie bspw. renden - sowohl am Bauhaus wie bei Tessenow - Thea Koch, Hilde Coccia, Ingrid Heidenreich und Elfriede keinesfalls nur aus freien Stücken erfolgte. Jenseits Forschungsbedarf Schaar - konnte kein einziges Projekt ausgewertet werden. der Fragwürdigkeit manch repressiver Didaktik bleibt Wie die vorliegende Untersuchung zeigte, können 11 Walker, Lynne: British Women and Architecture 1671 to 1939, fraglich, in wieweit den Studentinnen bereits im Stu- sich hinter bisher unbekannten Namen von Architek- in: Moldenhauer, Heide (Hg.): Versprünge. Beiträge zur Ge- dium bewusst wurde, daß sie sich mit ihrer Lehrer- turstudentinnen der Weimarer Republik vielschichtige schichte von Architektinnen, zum kreativen Prozeß und zu kul- wahl nicht nur in einem Spektrum ideengeschichtli- Werkbiografien verbergen. Wir sahen, dass nur eine tureller Identität, Berlin, 1988, S.5-16, 1988, hier S.15 cher Prämissen bewegten, sondern - im Sinne Minderheit dieser Architektinnengeneration ihr Maß 12 Ibid. (selbst-)referentieller Strukturen - bereits positionier- an Selbstbestimmung gegen Rahmenbedingungen

316 und Realitäten behaupten konnte und damit - im Sin- Exklusionen. Diese Verteilungs- und Verdrängungs- ne eines ‘Gendercrossing’ - jenseits von Rollenzuwei- prozesse, die sich – dies deutete sich bspw. an der sungen agierte. An der hohen Scheidungsziffer und Entwicklung vom offenen zum eingeladenen Wettbe- den zahlreichen beruflichen Neuorientierungen wurde werbswesen an – einer Transparenz zu entziehen su- dennoch deutlich, dass die Architektinnen dieser Ge- chen, werden angesichts ihrer Flexibilität erst greif- neration nur bedingt Kompromisse und in der Regel bar, wenn Korrelationen von Koinzidenzen geschie- neue Rahmenbedingungen suchten, sobald der pri- den, Kausalitäten zwischen diskursiven und fakti- vate oder berufliche Rahmen mit den eigenen schen Verschiebungen im Berufsfeld vergleichend Lebensvorstellungen nicht mehr korrelierte. nachgezeichnet werden. Dies lässt es spannend er- scheinen, genderexkludierenden Ausdifferenzierung Da mit wachsendem Abstand die Zugänglichkeit des dieses selbstreferentiellen Bereichs in eigenen Unter- Quellenmaterials steigt, das erschlossene Material suchungen nachzugehen. zunimmt, könnte in den nächsten Jahren eine ganze Reihe monografischer Darstellungen zum Schaffen - Zum Verhältnis der Studien- und Professionalisie- einzelner Architektinnen erscheinen, zumal das For- rungsbedingungen von Architektinnen dieser Genera- schungsinteresse an der Architektinnengeschichte in tion zu denen anderer Generationen. den letzten Jahren steigt. Blinde Flecken der Archi- Anhand der Architekturstudentinnen der Weimarer tekturgeschichtsschreibung können jedoch erst ge- Republik wurde sichtbar, wie sehr unterschiedliche füllt werden, wenn detaillierte Analysen erstellt und Rahmenbedingungen bereits den Kompetenzerwerb weiterreichende Fragestellungen entwickelt werden. erleichterten bzw. erschwerten. Aber auch die Gren- Hier sind absehbar noch etliche Erkenntnisse für die zen und Möglichkeiten beim Berufeinstieg wie bei der Professionsforschung, die feministische Forschung beruflichen Etablierung dieser Architektinnengenera- und nicht zuletzt die Baugeschichtsforschung zu tion werden - dies zeigte der Vergleich der Herkunfts- erwarten. milieus von Architekturstudentinnen der Kaiserzeit zu Vielversprechend erscheinen bspw. vergleichende Architekturstudentinnen der Weimarer Republik - in Fragestellungen Relation erst durch weitere Vergleiche erkennbar. - Zu Teilhabe und Einfluss von Architektinnen in Be- - Zur Relation der Professionalisierungsbedingungen rufsorganisationen. von Architektinnen zu denen von Professionals in an- deren resp. vergleichbaren Berufsfeldern. Erst wenn wir bspw. Angaben zu Eintritt und Dauer der Mitgliedschaft sowie zum konkreten Engagement Zeigten sich im Qualifikations- wie im Berufsverlauf von Architektinnen in den Organisationen der Bran- der Architekturstudentinnen der Weimarer Republik che analysieren können, lässt sich das Verhältnis von immer wieder zahlreiche strukturelle Hindernisse, so Architektinnen und Lobby näher bestimmen. Zum an- erlaubt doch erst der Vergleich mit den Professionali- deren wird erst eine größere Anzahl Ego-Documents sierungsbedingungen und Berufsverläufen von Fach- Auskunft darüber geben können, welchen Stellenwert frauen benachbarter Disziplinen die Bestimmung je- Architektinnen der Teilhabe an formellen und infor- ner fachspezifischen Resistenzen, die die Architektur mellen Netzwerken hinsichtlich der eigenen Profes- charakterisieren. sionalisierung beimaßen, durch welche Rahmenbe- - Zum Wechselverhältnis zwischen Architektinnen dingungen sie beflügelt oder verhindert wurde. und Frauenbewegungen. - Zum Verhältnis von Genderdiskursen und Ausdiffe- In der vorliegenden Arbeit wurde skizziert, dass die- renzierungsprozessen in Ausbildung und Berufspraxis ses Verhältnis spätestens seit den zwanziger Jahren innerhalb der Architektur. von Konkurrenzen geprägt war. Ein „Zweckverband Mikoletzky kam hinsichtlich der Abgrenzung von Be- der Architektinnen“ wurde vergleichsweise spät ge- rufsfeldern durch die Ausdifferenzierung von Studien- gründet und bestand nur kurzzeitig. Während man- fächern zu dem Ergebnis, dass [in Österreich] die che Architektinnen immer wieder räumliche Angebote Technischen Hochschulen zu den maßgeblichen Ak- für erweiterte Aktionsradien von Frauen entwickelten, teuren des ‘doing gender’ zu rechnen seien.13 Auch in vertraten andere konventionelle, mitunter auch anti- der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, in welch ho- feministische Positionen. Erst eine systematische hem Maß die Professionalisierung von Architektinnen Analyse könnte die Bedingungen wechselseitiger von den Rahmenbedingungen des Kompetenzer- Emanzipationsschübe vergleichend beleuchten. werbs abhängig war. Die zahlreichen Paradoxien in- - Zum Verhältnis von ‘doing gender’ und architekto- nerhalb der Geschlechterdiskurse in der Architektur nischen resp. gesellschaftlichen Modernisierungspro- verwiesen auf einen hohen Legitimationsbedarf sowie zessen. auf höchst flexible Modifikationen berufsständischer 13 Mikoletzky, 1997, S.71ff.

Resümee 317 Im Vergleich der Rahmenbedingungen von Tesse- Transformation und Kontinuität von Architektinnen- now- und Bauhausstudentinnen wurde - im Studium entwürfen in verschiedenen kulturellen Kontexten. wie im Berufsleben - immer wieder deutlich, dass Im Rahmen der vorliegenden Forschung konnten er- Modernisierungsprozesse in der Architektur zu denen ste Vergleiche zum Einfamilienhausbau der dreißiger im Geschlechterverhältnis eher reziprok als parallel und fünfziger Jahre, zu städtebaulichen Entwürfen verliefen, bspw. das Studieren im Seminar Tessenow Anfang der fünfziger Jahre und zu Laubenganghäu- mit einer gemäßigten Modernisierung des Geschlech- sern um 1950 angestellt werden. Erst anhand einer terverhältnisses einherging, während maßgebliche Vielzahl vergleichbarer Projekte lassen sich Unter- Protagonisten des ‘Neuen Bauens’ maßgeblich auch schiede und Gemeinsamkeiten jedoch umfassend die Modernisierung der Geschlechterhierarchie be- analysieren. Und ergab diese Untersuchung einer- trieben. Zu untersuchen wäre jedoch darüber hinaus, seits Hinweise auf die Kontinuität von Entwurfshal- wie und wo diese unterschiedlichen Reformationsbe- tungen in ‘fremden Kontexten’, aber auch auf ein strebungen mit Genderisierungstendenzen verknüpft Aufgreifen lokaler Besonderheiten, so erscheint eine waren resp. wurden. tiefergehende Forschung zu den Werkbiografien exi- - Zum Stellenwert von ‘Schulen’ in der architektoni- lierter wie emigrierter Architektinnen ebenso notwen- schen Praxis. dig wie lohnenswert. Erst hierdurch werden Aussa- gen über den Assimilationsgrad von Architektinnen Da spätestens seit der klassischen Moderne zu be- im jeweiligen Kontext möglich sein. obachten ist, dass agile Persönlichkeiten die bau- und ideengeschichtliche Kategorie der ‘Schule’ im - Zum Verhältnis von Architektinnen und Auftragge- Sinne eigener Repräsentation innerhalb des Berufs- berinnen und den Ergebnissen dieser Kooperations- feldes zu instrumentalisieren verstanden, wodurch form. sich das Studium innerhalb dieser ‘Schulen’ verstärkt Wie Alice Friedman in `Women and the Making of the zu einer repressiven ‘Schulung’ hinsichtlich normati- modern House´ aufgezeigt hat, spielte bei der Ent- ver Gestaltungsauffassungen verengte, bieten nur wicklung moderner Raumkonzepte die wechselseitige vergleichende Analysen die Chance zu bestimmen, Beeinflussung von Auftraggeberinnen und Architek- wo - jenseits von Netzwerken und Gestaltungskartel- ten eine entscheidende Rolle. Im Rahmen dieser Un- len - die architektonischen und gesellschaftlichen tersuchung konnten lediglich zwei Häuser dokumen- (Ausbildungs-)Potentiale von ‘Schulen’ liegen. tiert werden, die Ansätze für diese Fragestellung bie- - Zum Spektrum entwurflicher Lösungen von Archi- ten und weitere Entdeckungen lohnenswert erschei- tektinnen bei vergleichbaren Bauaufgaben bzw. zu nen lassen.

318 „To do something of what we usually do and at the same time to reflect on that very practice. This is a very difficult thing to do. If you think about how you ride a bicycle, you may fall off.“ 14

Schlussbemerkungen Entwicklungen im 20. Jahrhundert so weitgehend wie generös auf die Ideen ehemaliger Tessenow- und Mit dieser treffenden Beschreibung hat Beatriz Colo- Bauhausstudentinnen verzichtet hat. Sie zeigt aber mina auf die Tücken der Reflexion über Selbstver- auch, dass die in den Hochschulen erkennbaren Be- ständnisse wie Selbstverständlichkeiten aufmerksam gabungen ehemaliger Tessenow- und Bauhausstu- gemacht. Im Hinblick auf die Geschlechterforschung dentinnen nicht immer wirkungslos blieben. Deutlich in der Architektur liegt die Tücke im Risiko des Ver- wurde, dass die jahrhundertelange Abwesenheit von lusts der Balance zwischen den vorstellbar unbe- Frauen in der Architektur nicht innerhalb von Jahr- grenzten Möglichkeiten in der Architektur und den zehnten kompensiert werden konnte. Und es zeigte denkbar eng gesetzten Handlungsradien von Archi- sich, dass die Kategorie ‘Gender’ im Berufsfeld Ar- tektinnen im Berufsfeld. Aber im Unterschied zum chitektur andere Parameter dominiert, darunter bspw. Fahrradfahren, wo der Umgang mit Flieh-, Schub- Begabung, soziale Schicht, kulturelles Kapital. Dabei und Schwerkraft eine entsprechende Vorwärtsbewe- wurde insbesondere während der Weimarer Republik gung verspricht, besteht die Schwierigkeit eines Vor- sichtbar, wie diese Kategorie mit Hilfe des Moderni- ankommens für Architektinnen - wie wir anhand der tätsdiskurses in der Architektur transformiert, die Mo- Architekturstudentinnen der Weimarer Republik ge- dernisierung der Geschlechterhierarchie hier noch vor sehen haben - nicht in der Bewältigung von Natur- dem gesellschaftlichen ‘roll-back’ antecipiert wurde. kräften, sondern im Umgang mit flüchtigen Plausibili- sierungversuchen, hartnäckigen Legitimationsdiskur- Wie die enormen Widerstände gegen Architektinnen sen, verschiedenen Konkurrenten und schwerfälligen innerhalb des Fachs zeigten, rekrutiert ein in seinen Interessengruppen. Ein Ausbalancieren dieser Kräfte Regeln und Verfahren weitgehend autonomer Berufs- erwies sich im Rahmen bereits etablierter Architektur- stand seinen Nachwuchs über statusdistribuierende anschauungen und innerhalb traditioneller Rollenmu- Netzwerke, die intellektuellen Positionen und archi- ster als ebenso schwierig wie auf der Suche nach in- tektonischen Haltungen, primär jedoch einem ökono- novativem Bauen und modernen Lebensstilen. mischen Interessenausgleich unter Kollegen des glei- chen Geschlechts verpflichtet bleiben. Der immer Geschlechternormalität ist in der Architektur noch im- wieder im Wandel befindliche Berufsstand zeigte sich mer nicht erreicht. Auch wenn in der öffentlichen Ar- im 20. Jahrhundert auch in seinen Diskursen höchst chitekturdebatte die Thematisierung geschlechter- wandlungsfähig, hinsichtlich der Partizipation von konnotierter Eigentümlichkeiten quasi tabuisiert wird, Frauen jedoch weitestgehend resistent. so bleibt deren Relevanz durch die Irrationalität der Legitimationsdiskursee wie die sichtbare Diskrepanz Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Großmüttergenera- zwischen exklusiven Fachzirkeln und exkludiert Qua- tion schon soweit in Vergessenheit geraten ist, dass lifizierten doch virulent. So räumt Achleitner in seiner sie rekonstruiert werden muss, Töchter und Enkelin- Laudatio für Margarete Schütte-Lihotzky bspw. ein, nen dieser Pionierinnen das Berufsfeld verlassen ha- dass Wien „ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in ben, suchen Architektinnen auch an der Wende zum Anspruch genommen“ [habe], sie „in der bewährten 21. Jahrhundert häufig ihr Heil in der Flucht aus ei- Wiener Weise nicht einmal ignoriert“ worden sei.15 - nem ihnen nur selten wohlgesonnenen Berufsfeld.17 Sein sarkastischer Hinweis, „daß Wien mit ihr keine Im Wissen um Berufs- und Lebenswege von Archi- 14 Colomina, Beatriz: Battle Lines E.1027, in: Hughes, Francesca Ausnahme gemacht hat“, spielt auf Lihotzkys nicht- tektinnen früherer Generationen haben sie jedoch (Hg.): The architect: reconstructing her practice, Cambridge, opportune politische Haltung an, ignoriert jedoch ihre auch die Chance, eine Geschlechternormalität in der 1996, S.2 Exklusion qua Geschlecht und belässt kollegialerwei- Architektur - ein ‘doing equal’ anstelle des ‘doing 15 Achleitner, Friedrich: Bauen für eine bessere Welt, in: Allmayer- se auch die Kollegen unter den Akteuren unbenannt. gender’ - einzufordern und voranzutreiben: Indem sie Beck, R., et.al.: Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur hierarchisierende Muster und Strukturen im Berufs- - Zeitzeugin eines Jahrhunderts, Wien, 1993, S.11 Bereits 1984 formulierte Helga Schmidt-Thomsen feld als interessengesteuert wahrnehmen und benen- 16 Schmidt-Thomsen, 1984, S.29 den frommen Wunsch, „daß die Beiträge der Archi- nen, Einfluss auf die Arten und Weisen der Chancen- 17 Auch aktuelle Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass tektinnen gesehen werden, die in den Hochschulen und Auftragsvergabe nehmen und eine geschlechte- Architektinnen das Berufsfeld in Reaktion auf erlebte Ausgren- erkennbaren Begabungen nicht wirkungslos versik- regalitäre Tradierung des Berufs - in der Ausbildung zungen und Ohnmacht verlassen. Christiane Erlemann hat die kern, weibliche Arbeitskraft nicht konjunktursteuern- wie bei der Rezeption von Projekten und Bauten - Berufsausstiege von Ingenieurinnen in den 1990er Jahren unter- den Ideen geopfert wird.“ 16 vorantreiben. Auf dass eine so moderne wie traditio- sucht und fand die ‘Ausstiegsmotive’ überwiegend im Bereich Diese Untersuchung zeigt, dass das Berufsfeld Archi- nelle Erkenntnis auch für Architektinnen endlich Wirk- der beruflichen Hierarchien. Erlemann, Christiane: Umsteigerin- tektur - seine Akteure, Standesvertreter und Auftrag- lichkeit erlangen möge: nen - eine qualitative empirische Studie zum Verbleib von Hoch- geberInnen - nahezu unabhängig von konjunkturellen Das Ziel aller Bemühungen ist der Bau. schulabsolventinnen im Ingenieurberuf, Diss., Dortmund, 2001

Resümee 319 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Werkbiografien

Die folgende Übersicht enthält insbe- tentielle Vorbilder für die hier näher Zsuzsanna Bánki sondere Werkbiografien von Tesse- betrachtete Studentinnengeneration Zsuzsanna (Zsuzska) Bánki, spä- now- und Bauhausstudentinnen. Sie zu finden, wurden im Rahmen der tere Pál (ab 1938), Dipl.Ing. umfasst Tessenowstudentinnen, so- vorliegenden Forschung auch Archi- weit sie in der Schülerkartei, die Hein- tektinnen recherchiert, die bereits in geb. 12.3.1912 Györ/Ungarn - ermordet rich Tessenow während seiner Zeit an den zwanziger Jahren durch Bauten, im Sommer 1944 Auschwitz der TH Charlottenburg führte, erfasst Publikationen oder Vorträge öffentlich sind bzw. soweit sie aus weiteren Un- in Erscheinung traten. Auch von man- Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis terlagen nachweisbar sind. Die Bio- chen dieser Architektinnen wurden 1932, am Städel Frankfurt/M. 1932 bis grafien von Bauhausstudentinnen sind Werk- oder Kurzbiografien aufgenom- 1933, an der Akademie Wien 1933 bis hier aufgenommen, soweit sie - nach men. 1936, Diplom Prüfungslisten resp. Aktenlage und / Als Quellen der folgenden Darsellun- oder eigenen Angaben - im Bereich wurde am 12.3.1912 als Tochter des Gy- gen wurden sowohl publizierte Infor- Bau-/Ausbau studiert resp. an städte- näkologen Zoltán Bánki, urspr. Reichenfeld mationen und Archivmaterial, sowie baulichen Kursen teilgenommen ha- (1873-1934) und seiner Frau Olga geb. Ar- - dank Hinweisen der Befragten, von ben bzw. soweit architektonische Pro- pasi, zuvor Goldschmied (1884-1944) in Familienangehörigen und ehemaligen jekte von ihnen recherchiert werden Györ geboren. Ihre Großeltern waren Guts- KommilitonInnen - Unterlagen aus pri- konnten.1 Zuweilen mussten Einzelfal- besitzer, ihr Vater diente im ersten Welt- vaten Nachlässen genutzt. Dabei wur- lentscheidungen getroffen werden. krieg als Chefarzt eines Feldlazaretts. 1 Zur Eingrenzung der Begriffe Tessenow- den Quellen unterschiedlichster Her- Dementsprechend bleibt die Zusam- resp Bauhausstudentinnen vgl. Kap.3, S.56 kunft und Datierung abgeglichen und Ihr älterer Bruder Ödön (1903-1978) stu- menstellung resp. Auswahl der für resp. die Ausführungen in Kap.1. so weit als möglich überprüft. Den- diert ab 1920 Medizin in Würzburg und diesen Anhang erstellten Biografien noch gelang es nicht immer, wider- München, er lebt ab 1928 in den Nieder- lückenhaft, manche Biografie in Er- sprüchliche Angaben zu verifizieren. landen. Zsuzsanna Bánki besteht ihr Abitur mangelung aussagefähiger Quellen Zur Verdeutlichung der unterschied- am Realgymnasium in Györ 1930. schemenhaft. lichen Provenienzen werden die Quel- Zsuzsanna und Ödön Bánki, um 1915 Es folgen nun 37 Biografien von Ar- len zumindest in Auswahl genannt. chitekturstudentinnen, die das Semi- Die Biografien sind in alphabetischer nar Tessenow an der TH Charlotten- Reihenfolge nach dem Familiennamen burg besuchten und 52 Werkbiogra- der Studentinnen während der Studi- fien architekturinteressierter Bau- enzeit geordnet. Heirats- bzw. Ge- hausstudentinnen. Die Namen dieser burtsnamen werden im Anschluss an ehemaligen Bauhaus- resp.Tessenow- die Referenznamen genannt und sind studentinnen sind fett hervorgehoben. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar auch als Verweise erneut aufgenom- Daneben wurden ausgewählte Biogra- men. Weitere Vornamen erscheinen fien weiterer Studentinnen derselben - soweit es sich um eingetragene Na- Generation aufgenommen, soweit sie men handelt - in eckiger, Zuschrei- in dieser Untersuchung für Verglei- bungen in runder Klammer. che herangezogen werden. Um po-

Biografien 321 Eigentlich möchte sie Ärztin werden, kann 1932 erhält sie von Bekannten in Györ ei- Ende der dreißiger Jahre erwägt sie, mit den Studienwunsch Medizin gegenüber nen Auftrag für eine Inneneinrichtung.7 Als ihrem Mann in eine holländische Kolonie den Eltern aber nicht durchsetzen. Wer auf der Direktor der Städelschule Fritz Wichert auszuwandern. Als mit dem Einzug der die Idee kommt, dass die Tochter Archi- im Frühjahr 1933 von den Nationalsoziali- Deutschen im März 1944 die systemati- tektur studieren solle, ist unklar.2 sten entlassen wird, kehrt Zsuzsanna Bán- sche Internierung und Vernichtung der jü- Im Herbst 1930 schreibt sich Zsuzsanna ki nach zwei Semestern am Städel nach dischen Bevölkerung Ungarns beginnt, Bánki am Bauhaus Dessau mit dem Ziel Györ zurück. Sie sucht erfolglos nach einer wird auch nördlich von Györ ein Sammel- ein, Innenarchitektin zu werden. Die Ent- Möglichkeit zum Weiterstudium in Prag lager eingerichtet. Als Olga Arpasi am scheidung in Deutschland zu absolvieren, und Budapest, strebt bald ein Studium bei 23.5.1944 abgeholt wird, begleitet sie ihre wird durch finanzielle Erwägungen erleich- Oskar Strnad an der KGS in Wien an. Tochter Zsuzsanna Pál. Die Spur von bei- 2 Olga Arpasi sammelte Antiquitäten und ließ tert. Nach dem Vorkurs studiert Bánki ab Aus finanziellen Gründen studiert sie nach den lässt sich in das Lager Györziget ver- in den zwanziger Jahren das eigene Haus dem Sommersemester 1931 ‘Bau/Ausbau’ bestandener Aufnahmeprüfung ab Herbst folgen. Sie werden am 11. Juni 1944 nach durch einen Innenarchitekten umbauen. und arbeitet zwei Tage pro Woche in der 1933 jedoch in der Meisterklasse Clemens Auschwitz deportiert und ermordet. 1929 wurden in Györ die Wettbewerbser- Tischlereiwerkstatt. Im Sommer 1931 ar- Holzmeisters an der Wiener Akademie Ein Nachlass Zsuzsanna Páls ist bisher gebnisse für den Neubbau des örtlichen beitet sie außerhalb des Bauhauses, wes- (Matr.Nr. 1385 A). Als bezahlte Volontärin nicht bekannt. Bisherige Recherchen zu ih- Theaters ausgestellt. Hierfür hatte auch das halb sie „mit Rücksicht auf ihre auswärtige kann sie bei Holzmeister im Privatatleier rem Schaffen in Györ blieben ergebnislos. Atelier Gropius einen Entwurf eingereicht. Tätigkeit“ im Herbst 1931 zunächst auf arbeiten. „Die architektonischen Arbeiten Auch ihre Mitarbeit an Projekten Holzmei- Zsuzsanna Bánki dürfte die Ausstellung Probe in das dritte Semester aufgenom- Holzmeisters erfüllen nicht ganz die Vor- sters lässt sich bisher kaum dokumentie- besucht haben. men wird.3 Ob es sich bei dieser Tätigkeit stellung der Richtung, die ich bisher und ren.

3 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 26.10. um ein Praktikum handelt und wo sie tätig wahrscheinlich auch in Zukunft verfolgen Für biografische Informationen, Ge- 1931, Bl.2 Pkt.3: „s. banki wird mit rück- wird, ist bisher nicht dokumentiert. Im Win- möchte“, schreibt sie im Herbst 1933 an spräche und briefliche Mitteilungen sicht auf ihre auswärtige arbeit während der tersemester 1931/32 arbeitet sie erneut den Bruder.8 An der TU Wien belegt sie danke ich Esther Bánki

ferien auf probe ins 3. semester aufgenom- regelmäßig in der Tischlereiwerkstatt und Hochbau bei Prof. Dr. Haas und Statik bei Quellen men mit der verpflichtung zur nachholung wird vom „unterricht müller, rudelt, sche- Dr. Baravalle. Als nach dem Tod ihres Va- Bánki, Esther: Die ‘Bauhäuslerin’ des werkstattkurses im nächsten sommer.“ per“ befreit.4 ters ihr Weiterstudium an der Finanzierung Zsuzska Bánki 1912-1942, Diplomarbeit am Institut für neuere Kunstgeschichte 4 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 23.11. Auch wenn keine Studienarbeiten Zsu- zu scheitern droht, werden im April 1934 der Literaturfakultät der Katholieke Uni- 1931, Bl.1, Pkt.4: „es werden befreit: (..) su- zsanna Bánkis erhalten sind, aus Briefen ihre Studiengebühren auf die anderthalb- versiteit Nijmegen, 1990 fache Inländergebühr reduziert.9 BHD/NL Engemann, Sitzungsprotokolle sanne banki vom unterricht müller, rudelt, an ihre Familie während der Studienzeit vom 9.12.1930, 26.10. und 23.11.1931, scheper, um in diesem semester in der konnte ihre Nichte Esther Bánki etliche De- Im Juli 1936 erhält Zsuzsanna Bánki das 12.4.1932, Prüfungsliste SS 31 vom werkstatt zu arbeiten. sie hat im nächsten tails des Studiums rekonstruieren. Architekturdiplom an der Akademie für Bil- 6.7.1931 Studentenakte der TU Wien, Susanne semester das versäumte nachzuholen.“ Bánki ist am Bauhaus mit Jaschek Wein- dende Künste Wien, unterzeichnet von Pe- Banki 5 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beirats- feld, Munyo Weinraub und Irena Blühova ter Behrens und Clemens Holzmeister. Die Einwohnermeldekarte der MA8/Wien, Diplomarbeit, für die sie eine „Belobende Schreiben von Herbert Koch vom sitzung vom 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 befreundet. Sie sympathisiert mit den Ide- 4.8.1998 Anerkennung“ erhält, ist nicht erhalten.10 6 Dort studiert u.a. auch der ebenfalls am en der ‘kostufra’, dem kommunistischen Bauhaus ausgeschlossene Heinz Schwerin. Studentenbund. Wenige Tage nach der Zsuzsanna Bánki kehrt direkt nach dem polizeilichen Räumung der Kantine am 19. Diplom zurück nach Györ und eröffnet ein 7 Diese Inneneinrichtung für Kardos und Imre Grabmal Zoltan Bánki auf dem jüdischen Friedhof in Györ, 1936 März 1932 wird u.a. Weinfeld aus dem eigenes Büro für Innenarchitektur.11 Fami- Böszi wird erwähnt in einem Brief von Olga Bauhaus ausgeschlossen. Bánki gehört zu liäre Kontakte zu den einheimischen Wirt- Arpasi an Ödön Bánki vom 1.10.1932; ich den StudentInnen, die in Reaktion auf die schaftskreisen dürften ihren Bürostart er- danke Esther Bánki für diesen Hinweis. Räumung der Kantine die Teilnahme an leichtert haben. Noch 1936 realisiert sie 8 Bánki, 1990, S.71 der Jahresausstellung verweigern. Sie wird nicht nur das Grabmal ihres Vater auf dem 9 Schreiben an die Architekturmeisterschüle- daraufhin am 20. März durch die Konfe- jüdischen Friedhof in Györ, sondern stattet rin Susanne Bánki vom 12.4.1934, Archiv renz der Meister vom weiteren Studium im Auftrag der örtlichen Handelskammer der Akademie Wien, Akte Bánki, mit Dank ausgeschlossen. Bánki kehrt dennoch zu anlässlich des Lloydballs auch den „Kiosk“ Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar an Esther Bánki. Beginn des Sommersemesters nach Des- neu aus. Von dieser Raumgestaltung wird

10 Verleihungsdekret 740/36 - lt. Eintragung in sau zurück. Gemeinsam mit der ebenfalls auch in der Presse Notiz genommen. der Studentenakte Bánki, demzufolge be- ausgeschlossenen Mathy Wiener stellt sie 1938 heiratet sie den Internisten Istvan Pal, stand sie das Diplom am 28.6.1936. einen Wiederaufnahmeantrag. Der Beirat der bei den ungarischen Eisenbahnen be- fasst jedoch am 12.4. den Beschluss: „es 11 In der Wencsz Jenö Utca 20, (der heutigen schäftigt ist und vom Judentum zum Ka- bleibt bei dem ablehnenden entscheid“.5 Bela Bartok Utca). Lt. Angaben der MA8 er- tholizismus konvertierte. Auch nach der folgt ihre Abmeldung am 16.7.1936 nach Zsuzsanna Bánki zieht für eine Fortsetzung Heirat - die Ehe bleibt kinderlos - betreibt Györ, auch wenn sie zwischen dem 19. und des Studiums im Mai 1932 nach Frankfurt Zsuzsanna Palne in Györ ihr Büro als selb- Baumfeld, Ella siehe Briggs, Ella 23.12.1936 nochmals in Wien gemeldet ist. am Main, wo sie an der Städelschule bei ständige Architektin. Bauten und Aufträge Beckmann, Mathy siehe Wiener, Mathy Franz Schuster in der Abteilung ‘Woh- aus dieser Zeit lassen sich bisher nicht 12 Bisher lässt sich von ihren Entwürfen einzig nungsbau und Innenausstattung’ studiert.6 nachweisen.12 das Grabmal für den Vater dokumentieren.

322 Anhang Mitglied der kommunistischen Studenten- zwischen einheimischen und zugereisten fraktion Kostufra. Bis 1927 in der Weberei- PlanerInnen führen bei Beese und Stam zu werkstatt, studiert sie ab 1928 in der Bau- der Entscheidung, Russland zu verlassen. abteilung bei Hannes Meyer, besucht die Deutschland ist inzwischen nationalsoziali- städtebaulichen Gastkurse bei Mart Stam. stisch, Stam ist Niederländer (5.8.1899 In der Bauabteilung ist sie am Wettbewerb Purmerend/NL - 23.2.1986 Gold-bach/CH). „Lungenheilstätte Harzgerode” und der Gemeinsam besuchen sie im Frühjahr „Bundessschule des ADGB” in Bernau 1934 für mehrere Wochen Amsterdam.

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar beteiligt. Nach Stams Scheidung von seiner ersten Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ende 1928 wird ihre Liaison mit dem inzwi- Frau heiraten Lotte Beese und Mart Stam schen zum Direktor ernannten, verheirate- im Oktober 1934 in Moskau. Nach der ten und vierzehn Jahre älteren Meyer zum Übersiedelung nach Amsterdam heiraten Politikum. In den Weihnachtsferien erklärt sie dort erneut. 1935 kommt die gemein- er ihr, dass ihr Weiterstudium in Dessau in same Tochter zur Welt. Beese und Stam Rücksicht auf seine Position nicht möglich treten „de 8“ und damit der CIAM bei. Lot- sei. Beese wechselt zum 1.1.1929 in das te Stam-Beese schreibt ab Mitte der drei- Lotte Beese Büro Meyer/ Wittwer in Berlin, wo sie an ßiger Jahre zahlreiche Artikel für „De 8 en Lotte Stam-Beese in den 1960er Jahren Charlotte [Anna Ida] Beese, späte- der Ausführungsplanung der ADGB-Schule opbouw“, in denen sie funktionalistische re Stam-Beese (ab 10/1934), mitarbeitet. Nach ihren Angaben stammen Thesen vertritt.19 In gemeinsamer Arbeit Arch. HBO, De 8 en opbouw, die Lehrerwohnungen maßgeblich von ihr. entstehen mehrere Planungen. 13 Auch die Biografie von Schilt / Selier lässt Ende 1929 wechselt sie in das Büro von CIAM Bekannt sind der Wettbewerbsentwurf für bzgl. Kindheit und Jugend Fragen offen. Hugo Häring, wo sie jedoch lediglich als den Neubau des Amsterdamer Rathauses 14 Selier / Schilt, 1993, S. 11 geb. 28.1.1903 Reisicht - gest. 18.11. Zeichnerin beschäftigt wird. Deshalb bittet 1936 (mit W. van Tijen und H.A. Maas- 1988 Krimpen a.d. Ijssel/Niederlande sie Meyer um die Vermittlung einer Archi- kant), die ‘Drive-in-Wohnungen’ (1937 mit 15 Lt. Zeugnis vom 15.11.1930. Damen / De- tektinnenstelle und kann daraufhin ab April van Tijen), 1938 der Entwurf für einen Pa- volder führen ihre Mitarbeit an fünf Projek- 1930 bei Bohuslav Fuchs in Brünn mitar- ten auf, darunter dem Kurhotel Morava in Studium am Bauhaus 1926 bis 1929, an villon auf der Weltausstellung in New York, beiten. Hier ist sie an einem Sanatorium in Tatranská Lomnica. (Damen / Devolder, der Academie voor Bouwkunst Amster- 1939 der Wettbewerbsentwurf für einen der Tatra und der Planung einer Mädchen- 1993, S.136) - Lt. Zdenek Rossmann arbei- dam 1940 bis 1945, HBO-Diplom Pavillon auf der Verkehrsausstellung in 15 schule bei Brünn beteiligt. Köln und 1941 der Wettbewerbsentwurf tete Beese zusammen mit ihm im Büro wurde 1903 im schlesischen Reisicht als Im November 1930 folgt sie Meyer auf für ein Krematorium in Den Haag. Auch Fuchs an Gewerbe- und Industrieschulen, jüngstes Kind des aus Breslau stammen- dessen Drängen nach Moskau. Es kommt allein zeichnet Lotte Stam-Beese für Archi- die Datierung (1929) dürfte jedoch falsch den Reichsbahnbeamten Albert Beese ge- zu einer Schwangerschaft und dem Bruch tekturentwürfe - wie auch für grafische Ar- sein. (Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und boren. Über ihre Mutter ist bisher nur be- der Beziehung. Bis zur Entbindung im Juli beiten - verantwortlich, so 1939 für den die tschechische Avantgarde, in Gaßner kannt, dass sie aus einer polnischen Bau- 1931 arbeitet Beese - zurück in Brünn - er- Entwurf eines ‘Hauses für arbeitende Frau- (Hg.), 1989, S.224) ernfamilie stammte. Lotte Beese wächst in neut bei Fuchs. Als dieser die Finanzierung en’ und 1940 für den Wettbewerbsentwurf 16 Vgl. Schilt / Selier, 1993, S.171 20 der ländlichen Umgebung des protestanti- des dreimonatigen Mutterschutzes verwei- einer ‘Volkswohnung’. Da Stam und Bee- 17 Mart Stam war mit Frau und Tochter 1930 schen Nodlau mit zwei Geschwistern auf. gert, setzt sie die Forderung 1932 in Prag se auch in Kooperation mit Kollegen keine Ernst May nach Moskau gefolgt. 1933 ar- Wie lange sie - die eine gute Schülerin und gerichtlich durch. Und da Meyer - nun mit größeren Aufträge realisieren können und beitet er am ‘Makejewa’-Projekt. Sportlerin, aber auch ein eigenwilliges Kind Lena Bergner liiert - keinerlei Alimentezah- Stam 1939 als Direktor der Amsterdamer 18 An diesem Projekt für Orsk arbeiten unter gewesen sein soll - die Schule besucht, ist lungen leistet, erstreitet sie vor dem Mos- Kunstgewerbeschule eine eigene berufli- Leitung von Hans Schmidt auch Niegeman, unklar. Ihr einziger Bruder fällt im ersten kauer Volksgerichtshof auch diese.16 che Perspektive findet, sinken ihre Chan- Hebebrand, Püschel, Schütte-Lihotzky, Kriegsjahr. Beese erlebt die Auswirkungen cen im Fach tätig zu bleiben. Arbeitslos und politisch aktiv gerät Beese Schwagenscheidt, Tolziner, Weiner und des ersten Weltkrieges auf die Zivilbevölk- ins Blickfeld des tschechischen Staats- Nicht nur das gemeinsame Büro, auch die Zeeman. erung und führt auf die Suche nach einer schutzes. Sie bringt den Sohn bei Bekann- Ehe kriselt. So bewirbt sich Lotte Stam- 19 Vgl. Bibliografie in Damen/Devolder, 1993, Lebensperspektive in den frühen zwanzi- ten in Prag unter, reist Anfang 1932 nach Beese zum Herbst 1940 an der Akademie 13 S.139-140. ger Jahren ein sehr mobiles Leben. Ihre Charkow, wo sie an Entwürfen für Kinder- für Baukunst, wo sie das volle Vier-Jahres- vier Jahre ältere Schwester ist bereits ver- gärten gearbeitet haben soll. 1933 begeg- Programm absolvieren muss. Es entstehen 20 Stam-Beeses Entwurf wird prämiert - wie heiratet. Den Wunsch studieren zu dürfen, net sie dort Mart Stam.17 Mit ihm fährt sie eigenwillige Studienentwürfe wie bspw. ein auch die Entwürfe von Rietveld und van muss Beese bei den Eltern durchsetzen. nach Orskaja im Ural. Noch im selben Jahr Ruderclub, eine Grundschule und ein Kin- Tijen mit Maaskant. Es gewinnt der Ent- Sie studiert kurzzeitig an der Kunstakade- wird Beese Mitarbeiterin im ‘Standardgor- dererholungsheim. Die Diplomaufgabe, ein wurf von Gerda und Johan Niegeman. Vgl. mie in Breslau und arbeitet in unterschied- projekt’ in Moskau.18 Neben einem städte- „StudentInnenzentrum” stellt Willem van „In Holland staat een Huis“, in: De 8 en op- lichen Branchen, darunter einer Weberei in baulichen Plan entstehen Entwürfe für Kin- Tijen 1943, zwei Entwurfsvarianten Stam- bouw, 12.Jg.,1941, H.2, S.16. Dresden, bevor sie 1926 ans Bauhaus in dergärten und Schulen. 1934 folgt das Beeses sind erhalten. Neben Studium und 21 Merkelbach gehörte zu den ersten Redak- Dessau kommt. Dort wohnt sie zunächst ‘Sotsgorod’-Projekt für Balchas. Zweifel an Familienpflichten, die Ehe wird 1943 ge- tionsmitgliedern der 1931 gegründeten zur Untermiete in der Innenstadt, zieht der Sinnhaftigkeit der Besiedelung dieses schieden, arbeitet Stam-Beese als Zeich- Zeitschrift “De 8 en op-bouw“ und war dann ins Prellerhaus.14 Lotte Beese wird Gebietes und zunehmende Spannungen nerin im Büro Ben Merkelbachs.21 deren langjähriger Chefredakteur.

Biografien 323 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

StudentInnenzentrum Amsterdam, Diplomarbeit, Entwurf März 1945, Ansicht von der Amstel StudentInnenzentrum, Diplomarbeit, Entwurf Herbst 1945, Ansicht von der Amstel

Für das Studium bleibt wenig Zeit. Ende 1945 erhält sie für einen zweiten Entwurf in Rotterdam eine Monografie, die auch Schilt, Jeroen / Herman Selier: Van de des Studentenzentrums im Alter von 42 ein Werk- und ein Schriftenverzeichnis um- oevers van de Oder tot Krimpen aan den Ijssel. Het leven van Lotte Stam- 22 23 Jahren ihr Architekturdiplom. fasst. Der Nachlass Stam-Beeses befin- Beese 1903-1988, in: Damen/Devolder, 1946 wird Lotte Stam-Beese Mitarbeiterin det sich im Niederländischen Architekturin- 1993, S.10-36 stitut in Rotterdam. Droste, Magdalena /W. Kersten/ W. des Rotterdamer Stadtplanungsamtes. Ih- Kleinerüschkamp: Hannes Meyer, Archi- ren Arbeits- und Interessenschwerpunkt Quellen: tekt - Urbanist - Lehrer, Berlin 1989 bilden städtebauliche Konzeptionen und NAI Rotterdam - NL Stam-Beese Rümmele, Simone: Mart Stam, Zürich, GET, Teilnachlass Beese, Schriftwech- 1991 Entwürfe, wobei sie die Modernisierung sel und Fotos Crhonek, Ilos: Bohuslav Fuchs - the life- des Städtebaus nach den Grundsätzen der DAM, NL Hannes Meyer, Schriftwechsel work, Brünn, 1995 aufgelockerten und durchgrünten Stadt BHD, 2 - K-1947-04-30, Brief H. Meyer Möller, Werner: Mart Stam, Tübingen/ an Grete u. Max Gebhard , BHD 2 - K(1) Berlin, 1997 vorantreibt und offensiv verteidigt. Die - 1929-05-30 Brief Püschel an Tralau, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Stadterweiterungspolitik Rotterdams bietet BHD 2-K-1930-11-02 Brief Bücking an dafür in den fünfziger und sechziger Jah- Püschel, BHD 2 -K(1)-1929-05-25 Brief W. Tralau an K. Püschel ren ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Nach Damen, Hélène / Devolder, Anne-Mie Stam-Beeses Entwürfen entstehen u.a. die (Hg.): Lotte Stam-Beese, Rotterdam, Neubausiedlungen Pendrecht, Ommoord 1993 und Alexanderpolder.

Drive-in-Wohnungen, Amsterdam, 1937 Sie schreibt Dutzende von Artikeln und hält zahlreiche Vorträge. Dabei zieht sich die Frage nach der Humanisierung des Städtebaus wie ein roter Faden durch Lot- Ommoord, Städtebaulicher Entwurf, 1965, Lotte Stam-Beese, Vogelperspektive te Beeses Leben. Von ihren über 30 Archi- tekturentwürfen kann sie - zumeist in Zu- sammenarbeit mit Kollegen - etwa die Hälfte realisieren. Lotte Stam-Beese wohnt in einem nach eigenen Vorstellungen um- gebauten Haus in einem Dorf südwestlich von Rotterdam. Auch nach ihrer Pensionie- rung 1968, nach zweiundzwanzig Jahren in den Diensten des Rotterdamer Stadtpla-

nungsamtes, kehrt sie noch drei Jahre re- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gelmäßig an ihren Schreibtisch zurück, um die sog. ROCA-Studien abzuschließen. Im Alter entstehen Gartenentwürfe für Be- kannte, sie schreibt Gedichte. 22 Beide Varianten dieser Entwurfsaufgabe sind vollständig erhalten. Lotte Stam-Beese starb 1988 in ihrem Haus am Deich in Krimpen an der Ijssel. 23 Damen / Devolder, Rotterdam, 1993, 1993 erscheint anlässlich einer Ausstellung Werkverzeichnis S.136-137

324 Anhang Leonie Behrmann menden Faschismus zu Wort. Anlässlich Behrmann der Rücktrittsaufforderung der Akademie Archiv der HdK Berlin, Bestand 8, Leonie [Charlotte] Behrmann Nr.115, Aufnahmeentscheidungen WS der Künste an Käthe Kollwitz und Heinrich 1930/31; sowie Best.9, Nr.1064 geb. 15.12.1909 Berlin - „verschollen in Mann verfassen Behrmann, Cremer und Fischer-Defoy, Christine: Kunst Hoch- schule Faschismus, Berlin, 1988 Riga“ 24, wahrscheinlich Ende 1942 um- Duda eine Protestnote, der sich kurzzeitig 26 gebracht 91 Studierende anschließen. Ob Leonie Behrmann Anfang der dreißiger Jahre auch im „Kollektiv für sozialistisches Studium an den Vereinigten Staatsschu- Bauen“ aktiv war, kann bisher nur vermu- len Berlin 1930 bis 1933 tet werden.27 Die Abschrift eines Schrei- wurde Ende 1909 in Berlin als Tochter des bens der Vereinigten Staatsschulen vom Oberingenieurs Izil Behrmann (1875 Ba- 27.7.1933 zur Umsetzung des Erlasses cau, Rumänien - 1943 London) und seiner vom 11.7., der die Entfernung der Studie- Frau Gertrud geboren. Ihre Vorbildung ist renden kommunistischer Gesinnung aus ebensowenig bekannt wie ihre Erziehung. der Hochschule bezweckt, führt Behrmann Ihr Vater gehörte der jüdischen Gemeinde auf der Liste der insgesamt elf StudentIn- an. 1913 wird eine jüngere Schwester ge- nen, die „vom Studium ausgeschlossen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 28 boren. Sie studiert Anfang der dreißiger bzw. vorher schon abgegangen“ sind. So Jahre Medizin. bleibt an ‘trockenen Fakten’, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Suspendierung sechs Leonie Behrmann, deren Studienmotivati- Semester Architektur studiert hat. on unbekannt ist, könnte in ihrer Studien- entscheidung durch den Vater beeinflusst Was Behrmann in den folgenden Jahren worden sein. Dieser lässt sich im Telefon- tut, ob sie ggf. als Architektin arbeitet oder buch bis 1939 nachweisen. Die Familie untertaucht, ist bisher nicht bekannt. Die wohnt in Berlin-Schöneberg, zuerst in der Eltern bereiten nach der ‘Reichskristall- Zweta Beloweschdowa nacht’ die Emigration vor, melden sich und Akazienstraße 7, dann in der Hauptstraße Dipl.Ing. 135. Dabei variieren die Angaben über den die jüngere Tochter im März 1939 nach London ab. Beruf des Vaters von Dipl. Ing. über Obe- geb. um 1910 (Geburtsdatum unbe- ringenieur bis Direktor. Christine Fischer-Defoy hat anhand der kannt), Plowdiw / Bulgarien - Daten Leonie Behrmann ist zwanzig Jahre alt, als Aktenbestände des Reichssicherheitsam- nach 1935 unbekannt sie 1930 die Aufnahmeprüfung an den Ver- tes nachgewiesen, dass Behrmann festge- einigten Staatsschulen besteht. Sie meldet nommen wurde. Dies spricht dafür, dass Studium an der TH Charlottenburg 1930 sich als Atelierschülerin für Architektur.25 sie auch nach ihrer Zeit an den VS poli- bis 1935, Diplom Ab dem Wintersemester 1930/31 studiert tisch aktiv war, aufgrund ihrer politischen Gegnerschaft, nicht als ‘Halbjüdin’ verhaf- sie dort Architektur bei Tessenow. Bisher wurde wahrscheinlich um 1910 als jüngste tet wurde. Ihr Name steht im September konnten weder Studienarbeiten noch prak- Tochter eines Verlegers und Buchhändlers 1942 auf einer Liste für einen „Transport tische Tätigkeiten von Leonie Behrmann in Plowdiw geboren. Mit zwei ihrer älteren nach Osten“. Ihr letzter bekannter Aufent- recherchiert werden. In den Aktenbestän- Schwestern besuchte die ebenfalls aus haltsort ist die berüchtigte Frauenstrafan- 24 Lt. Gedenkbuch Berlin, Eintrag Behrmann, den der VS Berlin lassen sich für densel- Plowdiw stammende Tessenowstudentin stalt Jauer in Schlesien. Dort wird die Akte Leonie - Vgl. zur Biografie Leonie Behr- ben Zeitraum noch zwei weitere, gleichal- Iwanka Hahn [geb. Waltschanowa] die XXIX / 15859 angelegt, die eine mit „Berlin, manns auch Fischer-Defoy, Christine: trige Architekturstudentinnen nachweisen: Schule in Plowdiw. Die aus Lünen stammende Architekten- den 28.8.1942 Leonie Sara Behrmann“ un- Kunst Hochschule Faschismus, Berlin, Hier dürfte auch Zweta Beloweschdowa tochter Sophie Schlichtherle und die in Il- terzeichnete Vermögenserklärung enthält. 1988, S.281 das Abitur erworben haben. Zum Winter- berstadt geborene Ilse Hoerda studieren Als Beruf trägt sie auf dieser Erklärung „Ar- 25 HdKA, Best.8, Nr.115, Aufnahmeentschei- semester 1930/31 schreibt sie sich für Ar- hier ebenfalls Architektur ab dem Winter- chitektin“ ein. Die Unterhaltsforderungen dungen Winter 1930/31 chitektur an der TH Charlottenburg unter semester 1930/31. Ihre Studienerfolge und gegen den Vater dürften der Beschlagnah- der Matr.Nr. 44049 ein. Sie wohnt nicht 26 Fischer-Defoy, 1988, S.178ff. weiteren Lebenswege sind bisher unbe- mung des Familienbesitzes gegolten weit von der TH entfernt am Kaiserdamm 27 Zum „Kollektiv für sozialistisches Bauen“ kannt. haben. zur Untermiete, als sie nach dem Vordi- vgl. Fischer-Defoy, 1988, S.104. Nach Aussagen von Fritz Cremer gehörte Von Leonie Behrmann gibt es kein weite- plom ab 1933 das Seminar Tessenow be- 28 Von den Architekturstudenten an den Ver- Leonie Behrmann an den VS - ebenso wie res Lebenszeichen, wahrscheinlich wurde sucht. Bei ihm legt sie im Herbst 1935 das einigten Staatsschulen wurden außerdem er selbst, Gertrud Classen und Fritz Duda - sie nicht einmal 33 Jahre alt. Ihr Akte wird Diplom ab. Bisher sind weder Studienar- Gerhard Eichler, Gustav Genz, Georg Geor- zu den Gründungsmitgliedern des Revolu- am 17.4.1945 geschlossen. beiten noch das Thema ihrer Diplomarbeit ge, Herbert Klatt und Hans Mucke unter tionären Studentenbundes. Diese Gruppe Quellen: bekannt. demselben Vorwand vom Studium ausge- meldet sich seit 1932 u.a. mit einer Stu- LAB, Adressverzeichnisse der Stadt Berlin Zweta Beloweschdowas Studium zeigt die schlossen. Vgl. Fischer-Defoy, 1988, S.178. dentenzeitung gegen den auch hier aufkei- Gedenkbuch Berlin: Eintrag Leonie von Juliane Mikoletzky für bulgarische Stu-

Biografien 325 dentinnen als signifikant konstatierte Ziel- wohnt in dieser Zeit in der Herthastraße in fen wird, siedeln sie nach Dessau über. strebigkeit: Neun Semester nach Stu-dien- Berlin-Grunewald zur Untermiete. Auf der Lou Scheper besucht ab 1926 die Bühnen- beginn ist das Studium erfolgreich be- Karteikarte ist nur eine Studienarbeit ver- kurse bei Oskar Schlemmer. 1928 ist sie in endet. Ihr Studienverlauf weist daneben merkt: Die Bauaufnahme der „Klosterkir- Halle auf der Ausstellung „Junge Maler am auffällige Parallelen zu dem der aus Res- che in Seebach bei Bad Dürkheim”. Bauhaus“ vertreten. sen stammenden Studentin Rina Pascho- Wo Grete Berg zuvor und danach studiert, Als Hinnerk Scheper 1929 zum Aufbau ei- wa auf. Beide diplomieren im Herbst 1935. ist bisher ebensowenig recherchiert wie ih- nes Entwurfsbüros für Farbe in der Archi- Beloweschdowa kehrt nach dem Diplom re Berufsbiografie. 1942 heiratet sie den tektur in Moskau am Bauhaus beurlaubt nach Bulgarien zurück, wo sie als Archi- Landwirt Karl-Heinrich Buhmann, die Ehe wird, zieht Lou Scheper erneut mit ihrem tektin - auch nach der Heirat mit einem wird 1949 geschieden. 1953 heiratet sie Mann um. Als Mitarbeiterin der deutsch- Architekten und der Geburt einer Tochter - Carl-Friedrich Graf von Carmer. sprachigen Wochenschrift „Moskauer 29 berufstätig geblieben sein soll. Margarete Gräfin von Carmer wird als Gar- Rundschau“ wird sie journalistisch tätig. Quellen: tengestalterin im Rheinland tätig. 1931 folgt die Rückkehr ans Bauhaus, HTA, Studentenkartei: Beloweschdowa 1933 der Umzug nach Berlin. Dort entste- Quellen: Informationen von Iwanka Hahn, hen ab 1934 „überwiegend denkmalpfle- 8.8.1997 HTA, Studentenkartei: Berg Stadtarchiv Solingen, Mitteilung vom gerische Arbeiten und malerische Tätigkeit 18.12.1998 für die Schublade“.32 Da sie mehrere Kin- der zur Welt bringt, dürften auch diese ei- Beringe, Friedel von nen Großteil ihrer Zeit beansprucht haben. siehe Hajek, Friedel Hinnerk Scheper ernährt die Familie zu- nächst als Pressefotograf, dann durch Wandmalereien für öffentliche Gebäude.33 1942 wird er einberufen. Lou Berkenkamp Lou Scheper ist nach 1945 überwiegend Luise Berkenkamp, spätere Sche- als Malerin tätig, arbeitet im Berufsverband per[-Berkenkamp] (ab 1922) Bildender Künstler mit. 1948 ist sie bei ei- ner Ausstellung im Schlossmuseum Rudol- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar geb. 15.5.1901 Wesel - gest. 11.4.1976 stadt vertreten und veröffentlicht mehrere Berlin Bildgeschichten für Kinder.34 1949 beteiligt sie sich an der Ausstellung „22 Berliner Studium am Bauhaus Weimar 1920 bis Bauhäusler“. Sie wird 1951 Mitglied der 1922 Künstlergruppe „Der Ring“, ist ab 1952 im 29 Die Werkbiographie Zweta Beloweschdo- Vorstand des BBK tätig. Sie beteiligt sich was wird - lt. Hinweis von Milka Bliznakov - wurde 1901 als Tochter des evangelischen an Gruppenausstellungen, wie bspw. 1963 zur Zeit von Ljuba Stoilova erforscht. Papiertütenfabrikanten Adalbert Berken- an der Ausstellung des Vereins der Berliner

30 SBW Sign.150, Bl.612, Lehrvertrag Dekora- Grete Berg kamp in Wesel geboren. Künstlerinnen (als Gästin). Hinnerk Sche- tionsmalerhandwerk Luise Berkenkamp [Veronika Eugenie] Margarete Lou Berkenkamp kommt direkt nach dem per - seit 1945 als Landesdenkmalpfleger in Berlin tätig - unterrichtet ab 1952 an der vom 20.12.1920. Berg, spätere Buhmann (1942-49), Abitur in Essen 1920 ans Bauhaus Wei- TU Berlin. 31 Berkenkamps Lehrvertrag wurde bis 1.5. spätere Gräfin von Carmer (ab 4/ mar, wo sie zunächst die Grundlehre, ab 1923 abgeschlossen. Ibid. 1953) dem Herbst 1920 an den Kursen bei Klee Nach dem Tod ihres Mannes 1957 wird teilnimmt und die Wandmalereiwerkstatt Lou Scheper als Beraterin für Farbgestal- 32 Neumann, Eckhard (Hg.): Bauhaus und bei Johannes Itten besucht. Ende 1920 tungsfragen am Bau tätig. Für die TU Ber- Bauhäusler, Köln, 1985, S.174 geb. 11.8.1912 Solingen-Höhscheid - lebt im Rheinland unterschreibt sie einen Lehrvertrag für lin, die Gemäldegalerie des Germanischen 33 Zur Tätigkeit Hinnerk Schepers während Dekorationsmalerei.30 1920 ist sie an der Nationalmuseums in Nürnberg (1959-76), des Nationalsozialismus siehe Scheper, Re- Ausmalung der Kantine in Weimar wie des das Ägyptische Museum in Berlin, die Ber- nate: Hinnerk Scheper: Arbeiten zwischen Gaststudium bei Tessenow im Sommer- Hauses Sommerfeld in Berlin beteiligt. liner Philharmonie (1962/63), den Flugha- 1933 und 1945, in: Nerdinger, Winfried semester 1935 Seit 1919 studiert auch Hinnerk Scheper fen Berlin-Tegel, eine Schule sowie eine (Hg.): Bauhaus-Moderne im Nationalsozia- Kindertagesstätte in Berlin-Gropiusstadt Gaststudentin im Seminar Tessenow ohne (1897-1957) am Bauhaus in Weimar. Wäh- lismus, München, 1993, S.142ff. entwirft sie Farbkonzepte. Lou Scheper- genauere Angaben. rend er vor der Handwerkskammer Weimar 34 1948 erscheinen in einem Leipziger Verlag die Meisterprüfung als Maler ablegt, bricht Berkenkamp starb 1976 in Berlin. Veronika Eugenie Margarete Berg wurde gleich mehrere ihrer phantasievoll illustrier- sie ihre Lehre nach zwei Jahren ab.31 Ge- Quellen: im Sommer 1912 in Solingen als Tochter ten Geschichten: Knirps, ein ganz kleines meinsam mit ihm verlässt sie im Sommer SBW, Studentinnenakte Louise Berken- Ding; Puppe Lenchen; Tönnchen, Knöpf- des Fabrikanten Eugen Berg und seiner kamp, SBW 150, Bl.614 Schreiben Gro- 1922 das Bauhaus, sie heiraten. pius an Frl. Berkenkamp chen und Andere; Die Geschichte von Jan Frau Karoline geb. Roeder geboren. Als Hinnerk Scheper 1925 als Leiter der Lebenslauf Lou Berkenkamp vom 13.3. und Jon und von ihrem LotsenFisch. Alle Im Sommersemester 1935 studiert sie als 1920, abgedruckt bei Dietzsch, 1990, Wandmalereiwerkstatt ans Bauhaus beru- Leipzig, 1948 Gaststudentin im Seminar Tessenow. Sie (2), S.60

326 Anhang Hahn, Peter: Junge Maler am Bauhaus, Malerin mit einer Adresse in Berlin-Gru- ken.“ Fürsorglich erkundigt er sich nach München, 1979 newald aus.38 Lt. einer Anfrage des Bau- Wohnmöglichkeiten und Studienbedingun- Scheper, Lou: Rückschau, in: Neumann, Eckhard (Hg.) Bauhaus und Bauhäusler, haus-Archivs Berlin bei der Einwohnerkon- gen: „Ist m.[einer] Tochter, die die Innen- Köln, 1985, S.174-179 trolle Zürich starb Gertrud Bernays im dekorationsklasse besuchen soll, auch die Fiedler, Jeannine: Biografie Lou Sche- Frühjahr 1974 in Zürich. Möglichkeit gegeben, sich handwerklich per in: Fotografie am Bauhaus, (Kata- 39 log), Berlin, 1990, S.353-354 Quellen: auszubilden?“ Muysers, Carola (Bearb.): Käthe, Paula Dresslers Kunsthandbuch, 1930, S.72 Am 15.10.1919 wird Anny Bernoully am und der ganze Rest, Berlin, 1992, S.146 BHAB, Schreiben der Einwohnerkon- trolle Zürich vom vom 17.6.1980 Bauhaus aufgenommen. Sie besucht im Baumhoff, Anja: Zwischen Berufung Wintersemester 1919/20 die Vorlehre. Be- und Beruf. In: Profession ohne reits 1920 verlässt sie jedoch das Bau- Tradition, 1992, S.117, 441 Gertrud Bernays[-Herrlich] Muysers, Carola (Bearb.): Käthe, Paula haus. Über die Gründe ihres Ausscheidens und der ganze Rest, Berlin, 1992 in Weimar ist in der Studentinnenakte Ber- geb. 27.4.1887 (Geburtsort unbekannt) - noully nichts zu finden. Die Fortsetzung gest. 13.4.1973 Zürich des Studiums scheitert nicht an Aufnah- me- oder Auswahlverfahren, vielmehr wer- Anny Bernoully den die Erwartungen von Tochter oder Va- Studium an der Kunstakademie Weimar Anna Auguste (Amy) Bernoully ter Bernoully offensichtlich nicht eingelöst. 1917 bis 1919, am Bauhaus Weimar Auch 1920 ist keine [Innen-]Architektur- 1919 bis 1924 geb. 8.4.1900 Karlsruhe - Daten nach klasse eingerichtet. Sie unterschreibt am 1920 unbekannt Bauhaus keinen Lehrvertrag, was darauf Gertrud Bernays-Herrlich gehört zu den hindeutet, dass die handwerkliche Ausbil- frühen Bauhausstudentinnen, über deren dung, nach der sich der Vater vorab er- Background und Schaffen sehr wenig be- Studium an der KGS Frankfurt/M. 1918 kundigt hatte, nicht das väterliche Placet kannt ist. 1887 geboren studiert sie ab bis 1919, am Bauhaus Weimar 1919 bis findet. So dürfte sich Ludwig Bernoully, 1917 an der Akademie Weimar Malerei 1920 der an den Kunstgewerbeschulen Offen- und Bildhauerei. Als sie ab Herbst 1920 wurde am 8.4.1900 als ältestes Kind von bach und Frankfurt unterrichtete, erneut die Vorlehre bei Johannes Itten besucht, Christoph Ludwig Bernoully (23.5.1873 nach einem geeigneten Ausbildungsplatz ist sie verheiratet und bereits 33 Jahre alt. Frankfurt/M. - 13.1.1928 ebendort) und für seine Tochter umgesehen haben. Der Bernays-Herrlich gehört - wie bspw. auch Marie Bernoully geb. Ambrosius in Karlsru- weitere Lebensweg Anny Bernoullys ließ Lily Gräf, Mara Utschkunowa, Elisabeth he geboren. Anny Bernoully wächst mit ei- sich bisher nicht verfolgen. Abegg, Immeke Schwollmann, und Harriet ner Schwester und einem Bruder in Frank- Quellen: Rathleff-Keilmann - zu den von der Akade- furt auf, wo ihr Vater seit 1899 als selb- SBW, Bestand 150, Studentenakte Ber- mie ‘übernommenen’ Studentinnen. Über ständiger Architekt tätig ist. Über ihre Vor- noully, Bl.660-665 ihre Vorbildung ist bisher ebensowenig be- Degener, Hermann: Wer ist´s?, Berlin, bildung ist bisher nichts bekannt. Sie dürf- 1928, S.109 35 kannt wie über ihr Elternhaus. Sie dürfte te jedoch in Frankfurt/M. zur Schule ge- Müller-Wulckow, Walter: Bauten der Ar- jedoch auch zuvor an einer Akademie Ma- gangen sein und könnte im Frühjahr 1918 beit und des Verkehrs, Königstein, lerei studiert haben, denn bereits ab 1915 1929, S.87 ein Abitur erworben haben. Klötzer, Wolfgang (Hg.): Frankfurter Bio- ist sie Mitglied des Vereins Berliner Künst- Ludwig Bernoully hatte in den 1890er Jah- graphie, Frankfurt/M., 1994, S.60 35 Die verwandtschaftlichen Verhältnisse zu lerinnen, wo sie sich im Februar 1916 an ren zunächst am Städelschen Kunstinstitut dem Mathematiker Dr. Paul Bernays (1888 einer Gruppenausstellung in Berlin betei- in Frankfurt, dann an den Technischen London - 1977 Zürich) konnten bisher nicht ligt.36 Hochschulen Stuttgart und Karlsruhe Ar- abschließend geklärt werden., Dieser ge- Bijhouwer, Gerda siehe Marx, Gerda Gertrud Bernays-Herrlich tritt nach der chitektur studiert. Er ist Gründungsmitglied hörte dem Internationalen Sozialistischen Grundlehre 1920 in die Tischlerwerkstatt der Frankfurter Ortsgruppe des BDA und Kampfbund an und wurde 1933 als ’Nicht- ein und studiert bis zum Frühjahr 1924 am wird in den Deutschen Werkbund aufge- Arier’ an der Universität Göttingen entlas- Bauhaus in Weimar. Sie schreibt sich für nommen. Er entwirft Industriebauten und sen. die in Kooperation mit der Baugewerke- Siedlungen, baut bspw. 1911 das Verwal- 36 Baumhoff, 1992, S.441. schule angebotenen städtebaulichen Kurse tungsgebäude des Frankfurter Generalan- 37 Nach Angaben im Verzeichnis „Käthe, Pau- ein, wird jedoch nicht zugelassen. Ihre zeigers und ist am Bau der Waldkolonie la und der ganze Rest“ soll sie in Kassel als Studienarbeiten sind nicht dokumentiert. Buchschlag (südlich von Frankfurt) maß- Künstlerin in Erscheinung getreten sein. Auch ihre beruflichen Ambitionen lassen geblich beteiligt. sich nicht dokumentieren, da über Gertrud 38 Nach dem Namensverzeichnis der Stadt Anny Bernoully studiert ab dem Frühjahr Bernays-Herrlich und ihre familiäre Situati- Berlin ist sie nur 1930 nachweisbar, der 1918 an der Kunstgewerbeschule Frank- on zu wenig bekannt ist. entsprechende Eintrag im Straßenverzeich- furt / Main Innendekoration. Im Sommer nis fehlt. Nach dem Studium am Bauhaus lebt und wendet sich der Vater an Walter Gropius, 37 arbeitet sie in Berlin und Kassel. Dress- da er beabsichtigt, seine Tochter „zu Se- 39 SBW 150, Bl. 662, Brief Ludwig Bernoully lers Künstlerhandbuch weist sie 1930 als mesteranfang in das Bauhaus zu schik- an Gropius am 27.9.1919.

Biografien 327 Hanna Blank Im Sommersemester 1929 entwirft Hanna Hochbauamt nach Moskau gefolgt war, Johanna Blank, Dipl.Ing., AVB, Blank bei Tessenow eine Volksschule. Das leitete ab 1938 diese Siedlungsplanungen Thema ihrer Diplomarbeit ist nicht bekannt. für eine Stadt für 200 000 Einwohner. Er Soroptimists, HTG Nach dem Diplom arbeitet Blank erneut für dürfte somit Hanna Blanks unmittelbarer geb. 30.3.1906 Berlin-Charlottenburg - die Fa. Adolf Sommerfeld. Nach auftrags- Vorgesetzter gewesen sein. gest. 14.6.1998 Berlin-Mariendorf, be- bedingter Entlassung ab 1932 ist sie im 1945 lebt Hanna Blank erneut in Falken- stattet auf dem Heidefriedhof Berlin- Büro der Brüder Walter und Johannes Krü- see. Sie beteiligt sich am „Zehlendorfer Tempelhof ger im Berliner Westend angestellt. Dort Plan“, der zunächst unter Walter Moest werden neben Einfamilienhäusern zu die- und Walter Görgen in Zehlendorf erstellt ser Zeit vor allem Aufträge des Heeres und wird, bevor diese Planung von der Magi- Studium an der TH Charlottenburg 1925 der Luftwaffe geplant und gebaut. stratsabteilung unter Leitung von Hans bis 1930, Diplom Hanna Blank wohnt in Falkensee, wird vor Scharoun übernommen wird. Hanna Blank wurde 1906 in Berlin als Tochter eines pro- 1937 Mitglied der Reichskulturkammer und wechselt - wahrscheinlich um 1950 - zur 40 testantischen Lehrers geboren und wächst tritt vor 1938 dem AVB Berlin bei. Der Westberliner Senatsabteilung für Bau- und in der Nähe des Charlottenburger Schlos- Zeitpunkt ihres Eintritts in das Baubüro der Wohnungswesen, wo sie mit dem Schwer- ses auf. Wie sie auf die Idee kommt, Archi- „Hermann-Göring-Werke“ lässt sich bisher punkt Wohnungsbau beschäftigt ist und tektur zu studieren, ist bisher unbekannt. nicht belegen. Herbert Rimpl, mit dessen persönliche Referentin für Küchen von Se- Schwester Hanna Blank eng befreundet natsbaudirektor Schwedler wird. Sie be- Am 18.4.1925 immatrikuliert sich Hanna gewesen sein soll, baut ab November treut Musterwohnungen bei Ausstellungen, Blank an der TH Charlottenburg, wo sie 1937 dieses Büro auf. Blank könnte nicht ist für das erste Bonner Einbauküchenpro- nach neun Semestern 1930 bei Tessenow nur „bis zum Schluss“ 41, sondern nahezu gramm für Berlin zuständig. das Diplom ablegt. Sie arbeitet gemeinsam ab Beginn an den Planungen für die Neu- mit Iwanka Waltschanowa schon während Bei der Interbau 1957 soll Blank koordinie- gründung der späteren Stadt Salzgitter- 40 Schreiben von Herrn Hoffmann, AIV Berlin des Studiums für den Bauunternehmer A. rend tätig gewesen sein. Sie zieht selbst Lebenstedt beteiligt gewesen sein. Rimpl vom 8.9.1997. Sommerfeld, wo beide mit Ausführungs- ins Hansaviertel und arbeitet bis in die nennt sie 1939 als Mitarbeiterin des Pro- 41 So Hanna Blank während eines Telefonates und Detailzeichnungen für Siedlungsbau- siebziger Jahre bei der Senatsverwaltung jektes „Großsiedlung“. Werner Hebebrand, im Sommer 1995. ten in Zehlendorf beschäftigt sind. für Bau- und Wohnungswesen. Hanna der 1930 Ernst May aus dem Frankfurter Blank ist Mitglied der Soroptimists und der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft. Sie starb im Frühsommer 1998 in Berlin. Hermann-Göring-Stadt, Vogelperspektive der Planung, 1940 Quellen: HTA, Karteikarte Blank Rimpl, Herbert: Die Stadt der Hermann- Göring-Werke, in: Die Baugilde, 21.Jg., H.24, 25.8.1939, S.793ff. Schneider, Christian: Stadtgründung im Dritten Reich, München, 1979 Notizen der Gespräche, die Helga Schmidt-Thomsen 1984 mit Hanna Blank und Elly Lehning führte, mit Dank an Helga Schmidt-Thomsen Schmidt-Thomsen, Helga: Frauen in der Architektur. Neue Berufswege seit der Jahrhundertwende, in: UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, Berlin, 1984, S.15-29, hier S.27 Telefonate mit Hanna Blank 1995 Notizen eines Gespräches, das Theodor Böll am 7.10.1997 mit Hanna Blank Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar führte, mit besonderem Dank an Theodor Böll

Boedeker, Lieselotte siehe Bonin, Lieselotte von

328 Anhang chen, wo ihr Zwillingsbruder Bauingenieur- wesen studiert. 1925 leistet sie in Gelsen- kirchen ein viermonatiges Tischlereiprakti- kum ab.43 Im Studium lernt sie u.a. Clemens Weber Haus Raumer, 1935 und Wilhelm von Gumberz-Rhonthal ken- nen und freundet sich mit der gleichaltri- gen Gisela Eisenberg an. Lieselotte von

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bonin besteht im Juli 1926 ihr Vordiplom in München und zieht mit Gisela Eisenberg Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nach Düsseldorf, wo sie anderthalb Jahre

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar im Büro von Prof. Emil Fahrenkamp mitar- beitet. Dort wird in dieser Zeit am Parkho- tel Rechen für Bochum gearbeitet.44 1927 besucht von Bonin die Weissenhof-Sied- lung in Stuttgart, von der sie begeistert gewesen sein soll.45 Lieselotte von Bonin Familie von Bonin um 1918, Lieselotte vorn links Haus Rathje, 1936 Von Gumberz-Rhonthal wechselt 1927 an [Magdalena] Lieselotte von Bonin, die TH Charlottenburg und dort ins Semi- spätere von Gumberz-Rhonthal nar Tessenow. Zum Herbst 1928 treten (1934-36), spätere von Mendels- hier auch Lieselotte von Bonin und Gisela sohn (1936-71), spätere Boedeker Eisenberg ein. Bonin entwirft zunächst ein (ab 1971), Dipl.Ing., BDA, HTG „kleines Wohnhaus”, im Sommersemester 1929 ein „Rathaus”. Ihre Diplomaufgabe Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar geb. 8.7.1904 Mühlheim - gest. 30.4.1997 im Wintersemester 1930/31 besteht in ei- Tübingen-Kreßbach, beigesetzt in Tü- nem „Hotel für eine mittlere Stadt”.46 bingen Nach der Diplomhauptprüfung wird die mit

Wilhelm von Gumberz-Rhonthal (1905 - Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium an der TH Charlottenburg 1924, 1982) gemeinsam genutzte Wohnung im an der TH München 1924 bis 1927, an Westend auch zum Büro. Im Frühjahr 1932 bewirbt sich Lieselotte von Bonin für die Wohnungsbau Westend, 1933 der TH Charlottenburg 1928 bis 1931, Diplom staatliche Ausbildung zum Regierungsbau- führer, tritt die Stelle aber nicht an. wurde als zweite Tochter des Ingenieurs Von Bonin und von Gumberz gelingt es, im Heinrich-Ulrich von Bonin (geb. 1871 weiteren Bekanntenkreis und bei Woh- Schroda) und seiner Frau Marie geb. Wei- nungsbaugesellschaften Aufträge zu ak- um 1920 gel (geb. 1878 Hayange) 1904 in Wilhelms- quirieren. Ab 1932 werden mehrere Wohn- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ruhe bei Mühlheim an der Ruhr geboren häuser, darunter das Haus für den ehema- und - wie die Mutter - katholisch getauft. ligen Reichsminister Hans von Raumer re- Der Vater, Stadtbaumeister a.D, arbeitet zu alisiert. Nach ihren Entwürfen entsteht diesem Zeitpunkt als Bergbauingenieur für auch ein Beamtenwohnungsbau im West- die Zeche „Concordia“ in Gelsenkirchen. end und eine Wohnsiedlung für Reichs- Lieselotte von Bonin, die mit einer Schwe- bahner in Hennigsdorf, nordwestlich von

ster und einem Zwillingsbruder aufwächst, Berlin. Sie werden in den BDA aufgenom- 42 Lt. Abgangszeugnis vom 8.10.1924. NL Reichsbahnersiedlung Hennigsdorf, 1932 wird 1910 in die Katholische Volksschule men. Ihre Bauten werden - auch nach der Boedeker. in Gelsenkirchen eingeschult. 1914 wech- Heirat 1934 - weiterhin unter ihrer beider 43 Lt. Zeugnis vom 30.1.1926, Lorenz Ricken, selt sie an das städtische Lyzeum, 1921 an Namen publiziert. Als sich ein Auftragge- Schulstraße 24, Gelsenkirchen. Ibid. das städtische Realgymnasium Gelsenkir- ber in Lieselotte von Bonin verliebt, ist die chen. Dort erwirbt sie im Frühjahr 1924 Zusammenarbeit des erfolgreichen Archi- 44 Vgl. Fahrenkamp, Emil: Parkhotel Rechen das Abitur. Ihre Schulfreundin Elisabeth tektenpaares jedoch schnell zu Ende. Bochum, Berlin, 1928, Reprint, Berlin, Barbrock studiert Jura. 1999. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Unmittelbar nach der Scheidung heiratet Lieselotte von Bonin schreibt sich zu- Lieselotte von Bonin am 25.5.1936 in Ber- 45 Information von Prof. Clemens Weber, der nächst für ein Semester Architektur an die lin den Bankier Robert von Mendelssohn bei dieser Exkursion dabei war. TH Charlottenburg ein42, wechselt zum (1902-1996). Sie realisiert im Frühjahr 1937 46 Diplomurkunde vom 28.2.1931, NL Boede- Wintersemester 1924/25 an die TH Mün- ein Wohnhaus für die eigene Familie im ker.

Biografien 329 Grunewald. Eine Tochter wird geboren. berger, Manuela und Michael Schmidt Sie schreibt sich wahrscheinlich zum Win- Heinrich Tessenow wird Pate und soll im sowie Anja Hauptmann tersemester 1922 an der Kunsthochschule 49 Haus Mendelssohn regelmäßiger Gast ge- Quellen: in Kassel ein. Beim Plakatwettbewerb wesen sein. NL Bonin, Privatbesitz „Bier“ erhält sie 1923 eine Auszeichnung. HTA, Studentenkartei, Karten v. Bonin, Sie wechselt nach drei Semestern in Kas- Lieselotte von Mendelssohn, die bald nach v. Gumberz-Rhonthal der zweiten Eheschließung nicht mehr öf- Archiv der TH München, Studentenakte sel 1924 an die Burg Giebichenstein, wo fentlich als Architektin in Erscheinung tritt, Lieselotte von Bonin sie nach eigenen Angaben Töpferei und Bauwelt, 25.Jg., 1935, H.52, S.1ff. Skulptur belegt.50 Von Halle aus fährt sie stellt die Berufstätigkeit offenbar unfreiwil- Hoffmann, Herbert: Ferienhäuser, Stutt- lig ein. Als Mitglied des BDA suspendiert, gart, 1937 nach Weimar, um sich das Studium am 51 verliert sie auch die Mitgliedschaft in der Berlin und seine Bauten, Bd. IV A 1970, Bauhaus anzusehen. Im August 1924 S.279 Reichskulturkammer. Ihr Antrag auf Neu- meldet sie sich in Kassel nach Halle ab. aufnahme in die RKK wird wegen ihres Kattina Both studiert an der Burg wahr- Haus Mendelssohn, Berlin-Grunewald, 1937 52 protestantischen, ‘nicht-arischen’ Mannes scheinlich bis zum Frühsommer 1925. abgelehnt, ihre Mitgliedschaft im Sommer Laut Eintrag im Einschreibebuch nimmt sie 1937 gelöscht. das Bauhausstudium zum Sommerseme- 1941 flüchtet die Familie vor den Luftan- ster 1924 auf, nach eigenen Angaben be- 53 griffen auf Berlin auf die schwäbische Alb. gann ihre Bauhauszeit am 24.Mai 1925. Das Wohnhaus im Grunewald wird 1943 Da bis zur Wiedereröffnung des Bauhau- von einer Luftmine getroffen. Lieselotte ses in Dessau im Oktober 1925 kein Vor- von Mendelssohn organisiert nun die um- kurs stattfand, war Both im Sommer 1925 fangreiche Hauswirtschaft, aber auch die wahrscheinlich mit Ausbauarbeiten des 47 Ob Kattina Both - wie Waltraud Windfuhr kulturellen Aktivitäten der bis Kriegsende Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bauhausneubaus in Dessau beschäftigt. mitteilte - das einzige Kind aus einer zwei- anwachsenden Lebensgemeinschaft auf Im Wintersemester besucht sie die Grund- ten Ehe des Vaters ist, ließ sich bisher nicht dem Georgenhof. lehre bei Albers und Moholy-Nagy bevor verifizieren. sie in die nun von Marcel Breuer geleitete Nach Ende des Krieges möchte sie endlich 48 Vgl. Interview mit Kattina Both, aufgezeich- Tischlerei eintritt. Es bleibt unklar, ob sie wieder bauen. Sie versucht vergeblich, ih- net von Renate Petzinger in: Architektin- einen Lehrvertrag für die Tischlerei ab- ren Münchner Studienfreund Clemens We- nenhistorie, 1984, S. 47-48. schließt. ber für gemeinsame Wettbewerbsteilnah- Katt Both 49 Zum Oktober 1922 meldet sie sich in Kas- men zu gewinnen. Im privaten Bekannten- Ihr zufolge besuchen am Bauhaus zum [Anna] Elisabeth (Else) [Mathilde sel an. Stadtarchiv Kassel, Einwohnermel- und Freundeskreis kann sie jedoch kleine- Beginn ihres Studiums nur vier Frauen die 54 debogen Both re Aufträge akquirieren. Kattina] Both, bis 1932 offiziell El- Tischlereiwerkstatt. In der Tischlerei wird se Both, um 1940 auch Katharina sie ab dem Sommersemester 1926 als 50 Petzinger, 1984, S.47 in den lückenhaften Anfang der fünfziger Jahre baut sie die „Geselle“ geführt. Der von ihr entworfene Schülerverzeichnissen der Burg Giebichen- Bibliothek von Gerhard Hauptmann in As- Both, BdT „wandhohe Schrank“ wird im selben Jahr stein läßt sich dies nicht nachweisen. cona um. Ebenfalls für Ascona entsteht auf geb. 28.4.1905 Waldkappel - gest. 21.4. in das Warenmuster- und Lieferprogramm 51 In den Beständen ‘Staatliches Bauhaus ovalem Grundriss ein origineller Wohnhau- 1985 Kassel, begraben in Kassel-Kirch- Weimar’ im SBW sind keine Unterlagen zu sentwurf, der von Familie Stinnes jedoch ditmold Kattina Both vorhanden. nicht realisiert wird. Auch Entwürfe für an-

52 Beim Eintrag vom 24.4.1924 im Einschrei- dere Auftraggeber werden in den sechzi- bebuch (BHD) dürfte es sich um einen ger und siebziger Jahren nur selten oder Studium an der Akademie Kassel 1922 Schreibfehler handeln. mit erheblichen Änderungen gebaut. Als bis 1923, an der Burg Giebichenstein Ausnahmen können das „Haus Netter” in 1924 bis 1925, am Bauhaus Dessau 1925 Kinderschrank, 1926, Katt Both Locarno sowie das „Haus Barbara” auf bis 1928 Thassos gelten, das nach dem zweiten Haus Boedeker, Tübingen-Kreßbach, 1972 Entwurf vom Oktober 1971 realisiert wird. wurde 1905 als fünfte Tochter des evange- lischen Pfarrers Adolf Both (1861 - 1936) Anlässlich ihrer dritten Heirat mit Just Boe- und seiner Frau Mathilde geb. Hempel deker baut Lieselotte Boedeker 1972 in (1876 - 1953) in Waldkappel, Kreis Esch- Kreßbach bei Tübingen zum zweiten Mal in wege geboren.47 Die Familie zieht wegen ihrem Leben ein Haus für die eigenen Be- der besseren Bildungsmöglichkeiten nach dürfnisse nach eigenem Entwurf. Sie malt, Rotenburg, wo alle Kinder die städtische Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bleibt vielseitig interessiert und bis ins ho- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Lateinschule, eine Gymnasialabteilung der he Alter aktiv. Lieselotte Boedeker starb im Realschule besuchen. Im Unterschied zu Frühjahr 1997 in Tübingen-Kreßbach. ihren Schwestern, die alle standesgemäß Für biografische Angaben und Informa- das Lehrerinnenseminar absolvieren - der tionen zu einzelnen Bauten danke ich Angelika von Mendelssohn-Siebeck, Bruder studiert Jura - möchte Kattina Both Prof. Clemens Weber, Dr. Aurikel Haim- zunächst Porträtmalerin werden.48

330 Anhang der Tischlerwerkstatt aufgenommen. siert, ihr obliegen die Inneneinrichtungen. Kattina Both, am Bauhaus mit Evi Foerster Ab Februar 1932 wohnt sie wieder in Kas- (geb. Hildebrandt) und Immeke Schwoll- sel. Sie lässt ihren Rufnamen nun auch mann befreundet, wird dem ‘Harem’ Mar- offiziell von „Else“ in „Kattina“ ändern. cel Breuers zugerechnet. Der nur drei Jah- 1933 ist sie arbeitslos, beteiligt sich aber re ältere Marcel Breuer (1902 Pécs - 1981 mit einem eigenen Entwurf am Kasseler New York) hatte seit 1920 am Bauhaus in Wettbewerb zur Altstadtsanierung - dem Weimar studiert. Ab dem Sommerseme- umstrittenen Freiheiter Durchbruch am Alt- ster 1927 taucht hinter Boths Namen der markt.60 Zusatz „Lehre“ auf. Auf dieses Jahr wer- 1934 arbeitet sie im Büro des ehemaligen den mehrere ihrer Entwürfe für plakativ far- Haesler-Mitarbeiters Hermann Bunzel in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bige Möbel, darunter Kinderschränke da- Celle61, es entsteht u.a. der Wettbewerbs- 53 Schreiben Both an Gropius vom 28.5.1936, 55 tiert. Architektonische Arbeiten aus entwurf „Paul-von-Hindenburg-Jugendher- BHAB 8/59. dieser Zeit sind bisher nicht bekannt. berge“ für Hannover. Ab August 1935 ar- 54 Dies waren wahrscheinlich Lotte Beese, Both dürfte durch Breuer auch im privaten beitet sie wieder in Kassel, nun als Mitar- Eva Fernbach und Wera Meyer-Waldeck.

Kontakt zu Fred Forbat und Walter Gropi- beiterin von Otto Vogt. Da auch diese Mit- 55 So befinden sich im BHA bspw. Fotogra- us gestanden haben. 1928 lässt sie sich arbeit offenbar keine Perspektive bietet, fien von einem „Kinderwäscheschrank mit am Bauhaus beurlauben, ab Juni 1928 ist sucht sie nach neuen Möglichkeiten. Türen, 1927“, (Inv.Nr. 2525), einem „Kinder- sie offiziell in Berlin-Wilmersdorf gemel- Im Mai 1936 wendet sie sich aus Rom mit wäscheschrank mit Fächern, 1927“ (Inv.Nr. 56 det. Sie stellt sich im Atelier Luckhardt einem Schreiben an Gropius, da es ihr ge- 2526) und einem „zusammengesetzten und Anker vor und wird offenbar umge- Schlafzimmer für René Sommerfeld, 1929 lungen sei, „für Mitarbeit an den Bauaufga- Schrank” (Inv.Nr. 7093), die nach Entwürfen hend mit der Musterwohnung für die im ben des Regimes Erlaubnis-Aufforderung Boths gebaut wurden. Herbst 1928 stattfindende Ausstellung und Zusicherung zu erhalten“, sie bei der 56 Ab Juni 1928 wohnt sie offiziell zur Unter- „Heim und Technik“ in München betraut. obersten Leitung des Sindikata faschista miete in die Spichernstraße 15 in Wilmers- Ihr Name wird als Mitarbeiterin im Katalog dorf. Inwieweit ihr Umzug nach Berlin mit und in manchen der zahlreichen Publika- der Übersiedelung Marcel Breuers in Ver- tionen genannt. bindung steht, lässt sich nicht nachweisen - Breuer geht 1928 mit dem Weggang Wal- ter Gropius´ nach Berlin.

57 Luckhardt und Anker: Zur neuen Wohn- form, Berlin, 1930

58 Both kennt den Theodor-Fischer-Schüler und ehemaligen Gropius-Mitarbeiter Forbat, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der seit Frühjahr 1929 ein Büro in Berlin be- treibt wahrscheinlich über Breuer.

59 Veröffentlicht 1929 in der Baugilde. Both dürfte aber auch an Forbats Arbeiten für die Reichsforschungsgesellschaft beteiligt Musterwohnung Heim und Technik, 1928, Grundriß Blick in das Kinderzimmer mit der variablen Möblierung für Schlafen (links) bzw. Schularbeiten. (rechts) gewesen sein: Das Büro bearbeitete zwei Laubenganghäuser für die Siemensstadt.

60 Sieger dieses Wettbewerbs wird Arch. Bor- Im diesem Büro entwirft Katt Both auch In den folgenden Jahren arbeitet Both im- aber ein Zeugnis vorlegen müsse. Gropius kowsky, den 2. Preis erhalten die Architek- Grundrisse für Klein- und Geschosswoh- mer wieder auch als Grafikerin. Erhalten empfiehlt sie als „zur Durchführung auch ten (Alfons) Baecker und (Fritz) Sirrenberg. nungen im Auftrag der Reichsforschungs- sind die „Kartenlegerin“ (1929), ein Rekla- schwieriger Bauaufgaben für hervorragend Kasseler Post vom 1.2.1934. Die 5 Pläne, stelle. Als die Büroinhaber 1929 eine an- meentwurf für „Attikah-Cigaretten“ (1931) befähigt“, Boths Italieninitiative scheint je- die Kattina Both zum Wettbewerb einreicht, spruchsvolle Kupfertiefdruckausgabe ihrer und Blechschilder, die sie zusammen mit doch zu scheitern.62 Aus Kassel stellt sie sind bisher nicht dokumentiert. Arbeiten vorbereiten, bleibt ihr Name un- „Daub“ entwirft. Ende 1929 findet sie wie- im Januar 1938 den Aufnahmeantrag an 61 Hermann Bunzel (1901-1985) studierte zwi- genannt.57 Dies ist einer der Gründe, wes- der eine Anstellung als Architektin. Im Büro die RKK. Als Beruf gibt sie „Zeichnen“ an. schen 1927 und 1931 am Bauhaus Dessau. halb sie das Büro verlässt und bei Fred von Otto Haesler in Celle ist sie in den fol- Als Arbeitsproben reicht sie u.a. ein: „Mein Forbat (1897 Pécs - 1972 Stockholm) in genden 2 1/2 Jahren an den Projekten 62 BHA Gropius-papers II (204), 8/58. - In ei- eigenes Haus, selbst entworfen und ge- dessen Lichterfelder Büro mitarbeitet.58 Dammerstock, Rothenbergsiedlung Kas- nem Schreiben aus den vierziger Jahren er- zeichnet, von der Baupolizei genehmigt, Eine Arbeit, bei der ihre Mitarbeit eindeutig sel, Friedrich-Ebert-Siedlung Rathenow, wähnt Both, dass „die Versuche, im Aus- wird zur Zeit gebaut.“ Hierbei handelt es nachweisbar ist, ist hier das „Damen- Jugendherberge Müden, Direktorenwohn- land arbeiten zu können, scheiterten.“ sich um das Haus im Kaupertweg 3 in schlafzimmer S.“ 59 haus Celle und dem Aschrotthaus Kassel Was sie in den kommenden anderthalb Kassel. beteiligt. Das Büro ist arbeitsteilig organi- Jahren macht, ist bisher nicht bekannt.

Biografien 331 In Kassel findet sie jedoch weder Auftrag- Gespräch mit Waltraud Windfuhr am hauses zunächst im Büro des Architekten geber noch eine Anstellung. Sie zieht er- 24.9.1995 [Otto?] Hetzer, dann - zeitweise gleichzei- Stadarchiv Kassel, Mitteilung von Herrn neut nach Berlin, wo sie zunächst bei der Klaube vom 2.8.1997 tig mit Wera Itting - im Büro der Brüder Deutschen Arbeitsfront, dann in der Abt. Luckhardt. 1934 bemüht sie sich um Auf- Hauswirtschaft des Deutschen Frauenwer- nahme in die Reichskulturkammer. Sie kes eine Stelle als Architektin findet. Als weist fünf selbständig ausgeführte Einrich- Bouvet, Mila siehe Lederer, Mila Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Katharina Both entwirft sie u.a. ein „Frau- tungen in Berlin nach, darunter eine Jung- enwohnheim” sowie den Umbau eines Brandeis[ova], Bedriska gesellenwohnung in der Ehrwalder Straße Bauernhofes in eine Frauenschule im siehe Dicker, Friedl in Schöneberg. Ihre Aufnahme als Innenar- ‘Gouvernement’, dem besetzten Polen. chitektin in der Fachgruppe Innenraumge- Diese Arbeit entspricht nicht ihren Vorstel- stalter wird zunächst abgelehnt. Sie arbei- lungen. tet bis Sommer 1935 erneut im Büro der Anneliese Brauer Gebrüder Luckhardt68 und erhält die Kam- Haus im Kaupertweg 3, Kassel, 1938, Ab Frühjahr 1942 arbeitet sie im Büro von merzulassung. Bis zum Spätjahr 1936 lebt Wiederaufbau 1947 Aufnahme 1997 Ernst Neufert in der Bernburger Straße in geb. Otto der Normierung und an der Bauentwurfs- sie dann auf Sylt, wo sie u.a. in dem von lehre.63 Das Büro von Neufert ist zu die- geb. 3.1.1898 Berlin - Daten nach 1970 Helga Karselt entworfenen Haus Hampe sem Zeitpunkt zumindest mittelbar an das unbekannt verkehrt. Anschließend wohnt sie wieder in Büro des Generalbauinspektors für die Berlin. Architektonische Arbeiten oder In- 64 neneinrichtungen aus dieser Zeit sind bis- Reichshauptstadt gekoppelt. Die Büro- Studium an der landwirtschaftlichen her nicht bekannt. Im Frühjahr 1941 zieht räume werden 1944 ausgebombt, das Bü- Hochschule Berlin 1920 bis 1921, am sie nach Wien, kehrt ein Jahr später nach ro ausgelagert. Both arbeitet dort bis zum Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 Frühjahr 1945. Berlin zurück und wohnt in Charlottenburg. Ob sie aus beruflichen oder privaten Grün- Nach Kriegsende kehrt sie nach Kassel zu- wurde 1898 als Tochter des Kaufmanns den nach Wien ging, ist bisher unbekannt. rück, baut ihr bombengeschädigtes Haus Robert Otto in Berlin geboren. Anneliese 1945 ist sie „unbekannt verzogen“. In den wieder auf und bewirbt sich bei der Bau- Otto geht in Görlitz und Düsseldorf zur 63 Deren „neu durchgesehene“ 10. Auflage er- sechziger Jahren wohnt sie in Hamburg. verwaltung der Stadt Kassel. Dort arbeitet Schule, besucht in Berlin bis 1914 ein Ly- scheint im Dezember 1942. Wann und wie lange sie beruflich tätig ist, sie zwanzig Jahre lang als Schätzerin in zeum. Ob sie anschließend das Abitur er- ist bisher nicht nachweisbar. Im Fragebo- 64 So kommt der Justiziar der Reichsinnen- der Liegenschaftsabteilung. Aus ihrer Bau- wirbt, bleibt unklar. Während des ersten gen des Bauhaus-Archivs Darmstadt 1965 verwaltung 1944 zu dem Schluss, dass die hauszeit bleibt ihr Interesse an moderner Weltkrieges leistet sie Hilfseinsätze auf gibt Anneliese Brauer an: „richtete Woh- vertraglich festgeschriebene automatische Architektur, farbiger Kleidung und die Be- dem Lande und studiert anschließend zwei nungen ein und male für mich allein“. Vergütung der Mitarbeiter (mal Faktor x) geisterung für Mazdaznan. Semester an der Landwirtschaftlichen Neuferts mit den Vertragsabschlüssen in Hochschule Berlin. Außerdem studiert sie Nach bisherigen Erkenntnissen scheint An- Kattina Both soll ihre Heilpflanzen selbst freien Berufen nichts mehr gemein habe. ein Semester an einer Kaufmännischen neliese Brauer mit ihren Arbeiten nicht öf- gezüchtet und sich im Krankheitsfall ho- BArch R 4606/R120, Brief vom 28.6.1944 Hochschule bevor sie 1923 heiratet. Aus fentlich in Erscheinung getreten zu sein. Ihr möopatisch kuriert haben. Auch noch weit „Der Entwurf von Prof. Neufert läuft auf ein der Ehe gehen ein Sohn und eine Tochter Nachlass ist bisher nicht bekannt. nach ihrer Pensionierung unternahm sie mehr oder weniger verschleiertes Angestell- hervor. Über den Gatten ist bisher nichts regelmäßig mit Freundinnen Reisen in isla- Quellen: tenverhältnis hinaus, das aber von der GOA bekannt, Anneliese Brauer lässt sich 1928 BHD, NL Engemann Semesterliste WS mische Länder. Von dort brachte sie Tep- bestimmt nicht gewollt ist.“ scheiden. 32/33, Konferenz am 29.3.1933 piche mit Symbolzeichen mit, die in ihrer BHAB, Umfrage des Bauhaus-Archivs 65 Waltraud Windfuhr im Gespräch am 24.9. Wohnung als Wandbehänge aufgehängt Als das Bauhaus in Berlin-Steglitz den Un- Darmstadt: Fragebogen Annemarie Brauer 13.3.1965 1995. Sie erinnert, dass Both an Zahlenmy- waren.65 Kattina Both starb 1985 an ei- terricht aufnimmt, schreibt sie sich für das stik und „ganz komische mystische Zu- nem Gehirntumor in Kassel. Wintersemester 1932 unter der Matr.Nr. sammenhänge” glaubte. Die Reisen in den 631 ein. Sie wohnt mit ihren Kindern in Für biografische Hinweise danke ich Nahen Osten unternahm sie mit Frau Fliege Waltraud Windfuhr, für den Hinweis auf Berlin-Hermsdorf und hat im Alter von 33 und Frau Mitscherlich. Immeke Mitscher- das Schreiben vom 9.5.1947 Despina Jahren keinen akademischen Abschluss, lich (geb. Alexandra Schwollmann, 1899- Stratigakos jedoch im Büro des Berliner Architekten

1985) studierte zwischen 1925 und 1927 Quellen: Hess verschiedene Wohnungseinrichtun- ebenfalls am Bauhaus Dessau. BHD, Einschreibebuch gen bearbeitet. Sie besucht zunächst die BHAB, Fotos von Möbeln; Gropius-pa- Vorlehre bei Albers, nimmt an der Ausstel- 66 BHA, Fragebogen Anneliese Brauer vom pers II, Brief Kattina Both an Walter 13.3.1965, S.3 Gropius vom 28.5.1936 lung des Grundkurses teil und erhält die Katalog „Heim und Technik“, München Aufnahmebestätigung.66 Der einzige Hin- 67 BHD/NL Engemann, Semesterliste WS 1928 weis auf Anneliese Brauer in Bauhaus-Ak- 1932/33 Konferenz 29.3.33, bl.2:, „1.sem., Schumacher, Angela: Otto Haesler und ten, das Prüfungsprotokoll vom 29.3.1933, brauer, anneliese, 1898, preusse, bau/aus- der Wohnungsbau in der Weimarer Re- publik, Dissertation Marburg, 1982 vermerkt, dass sie im 1.Semester Bau / bau, lyceum absolv. bearbeitung von woh- Petzinger, Renate: Katt Both, in: Archi- Ausbauwerkstatt studiere und Wohnungs- nungseinrichtungen.“ tektinnenhistorie, Berlin, 1984, S.47-48 67 Cramer / Gutschow: Bauausstellungen, einrichtungen bearbeite. 68 Bis 1.9.1935 Stuttgart, 1984, S.58 Sie arbeitet nach der Schließung des Bau-

332 Anhang liner Tischlerschule. Nach Wien zurückge- kehrt, heiratet Ella Baumfeld um 1912 und nennt sich fortan Briggs, zeitweise auch Brix. Die Ehe wird vor 1915 geschieden und bleibt kinderlos. Zu Beginn des Jahres 1914 beteiligt sie sich mit einem Damen- zimmer aus Palisander an der Ausstellung des Vereins der Bildenden Künstlerinnen Österreichs, nimmt im gleichen Jahr an ei- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ner Ausstellung im Österreichischen Frau- enklub in Wien teil.70 Sie arbeitet andert- halb Jahre in einem Wiener Baubüro. Im Herbst 1916 bemüht sie sich - zeitgleich mit Leonie Pilewski - um Zulassung als or- dentliche Hörerin an der Bauschule der TH Wien, wird jedoch zunächst nur als außer- ordentliche Hörerin zugelassen.71 Sie Ella Briggs wechselt nach vier Semestern an der TH geb. Elsa Baumfeld, Dipl.Ing., ZV, Wien zum Wintersemester 1918/19 an die Gemeindewohnanlage Pestalozzihof Wien XIX., 1926 BDA, LRIBA TH München. Im Herbst 1918 tritt sie in Wien aus der jüdischen Gemeinde aus. Ledigenwohnheim Billrothstraße, Aufnahme 1997 geb. 5.3.1880 Wien - gest. 20.6.1977 Nachdem sie im Sommer 1919 in Salzburg London die Matura erwerben kann, ist die letzte Hürde zur Diplomzulassung überwunden, 69 Vgl. Fliedl, Gottfried: Kunst und Lehre am Studium an der Kunstgewerbeschule sie schließt im August 1920 mit dem Di- Beginn der Moderne, Die Wiener Kunstge- Wien 1901 bis 1906, an der TH Wien ab plom in München ab. Noch im gleichen werbeschule 1867-1918, Salzburg / Wien, 1916 als Gasthörerin, an der TH Mün- Jahr siedelt sie nach New York über, wo 1986, S.406, dort im Werkverzeichnis chen 1918 bis 1920, Diplom sie als angestellte Architektin bei Kahn & Nr.284/S.284. Gregory arbeitet, ein Haus für den Bankier 70 Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.68, dort wurde 1880 in Wien als drittes Kind des Hammett in Pelham Manor nördlich von zitiert Artikel von Seligmann, Adalbert F.: aus Tarnow/Galizien stammenden Rechts- New York realisieren kann. Anfang 1923 Kunstausstellungen in: Neue Freie Presse anwalts Dr. Josef Baumfeld und seiner meldet sie sich in Wien wieder polizeilich Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar vom 18.1.1914. Frau Caroline geb. Brück geboren und an, kehrt aber offenbar erneut nach New 71 Zu den Schwierigkeiten Ella Briggs´, zum wächst ebendort mit zwei Brüdern auf. Sie York zurück.72 An der Herbstausstellung Studium zugelassen zu werden, vgl. Miko- besucht zunächst die Kunstschule für im Künstlerhaus Wien beteiligt sie sich mit letzky, 1997, S.56 - Pilewski hatte bereits Frauen und Mädchen in Wien. 1901 bis Fotografien „Wachsender Häuser“ dem 1914 einen solchen Antrag gestellt. 1906 studiert sie an der Kunstgewerbe- „Umbau von bestehenden Einzelhäusern schule u.a. in der Fachklasse für Malerei zu einem Wohnhof, Philadelphia“ sowie 72 Lt. Anmeldeschein zur Herbstausstellung von Koloman Moser. Aus dieser Zeit da- amerikanischen Kleinwohnhäusern.73 wohnt sie: c/o Civic Club,14 W, 12th Str., N.Y.C. - Ich danke Despina Stratigakos für tiert ihr Entwurf für eine Stickerei in Seide In Wien kann sie Mitte der zwanziger Jahre 69 diesen Hinweis. und Metall. die Wohnanlage Pestalozzihof im 19. Be- Anschließend volontiert sie in einer Berliner zirk, kurz darauf auf dem gleichen Terrain 73 Ibid. Möbelfabrik und bei einem Lehrer der Ber- ein Wohnheim für Studenten, das ‘Ledi-

Haus Hammet, Pelham Manor, NY, 1920 Zustand 1997

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Biografien 333 ne Woche Berlin 1931“. Die Wohnungsfür- selben Jahr wird ein Siedlungsbauprojekt sorge-Gesellschaft Berlin betraut sie kurz publiziert, das sie in Nottinghamshire reali- darauf mit der Ausgestaltung ihres Aus- sieren kann. Sie wird Mitglied des LRIBA. stellungsraumes auf der Bauausstellung Wie lange Briggs ihre berufliche Praxis 1931. Briggs ist bei dieser Schau aber führt, ist bisher unbekannt. Ab den fünfzi- auch mit eigenen Bauten und Projekten ger Jahren lebt sie nördlich von London in vertreten: In Halle 1, „Das Bauwerk unse- Enfield / Middlesex. Ella Briggs starb im rer Zeit“ stellt sie neben Peter Behrens, Juni 1977 im Alter von 97 Jahren in Bar- Erich Mendelsohn sowie Bruno und Max nett. Taut aus.76 Für die Angaben zum familiären Back- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Anlässlich einer Wohnungstagung im Lyze- ground Ella Briggs-Baumfelds danke ich um-Club hält sie einen Vortrag über „Die Despina Stratigakos. Siehe auch Strati- gakos, 1999 Wohnung unserer Zeit.“ Der Deutsche Siedlungs- und Verkehrsbund möchte ihr Quellen: im Sommer 1932 die Projektierung und Getty/Hildebrandt-Collection Nr.850676 B -I- Haus von Mr. Hammett, Pelham künstlerische Überwachung seiner geplan- Manor, N.Y., Pestalozzihof, Wien ten Erwerbslosensiedlung übertragen. Bei o.A. [Gisela Urban?]: Ella Briggs - eine all diesen Entwürfen bemüht sie sich regel- Wiener Architektin, in: Frau und Gegen- wart, 4.Jg., Nr.40, 4.10.1927, S.12-13 mäßig um Publikationen. Als Autorin publi- Adler, Leo: Wohnhausblock und Ledi- ziert sie eigene und fremde Projekte und genheim ‘Pestalozzihof’ in Wien, in: Bauten in der Tages- und Fachpresse. Wasmuth´s Monatshefte für Baukunst, Beamtenwohnungsbau Berlin-Mariendorf, 1928, Ansicht von der Rathausstraße, Aufnahme 1995 12.Jg., 1928, Heft 12, S.69-73 Mit dem Sieg der Nationalsozialisten bei Hildebrandt, Hans: Die Frau als Künst- den Reichstagswahlen 1933 ist Briggs´ be- lerin, 1928 Hegemann, Werner: Reihenhausfassa- genwohnheim’ realisieren. rufliche Etablierung in Gefahr. Sie wird aus den, Geschäfts- und Wohnhäuser aus dem BDA ausgeschlossen. Das letzte, bis- alter und neuer Zeit, Berlin, Wasmuth, Noch 1926 zieht sie nach Berlin um, wo her nachweisbare Projekt aus ihrer Berliner 1929, S.94-95 sie sich im Mai 1927 mit ihren Wiener Ar- Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die Zeit taucht in Haberlandts Bautennachweis beiten bei Stadtbaurat Martin Wagner vor- Frau als Architektin, in: Frau und Ge- im August 1933 auf: dort wird bis Septem- genwart, 28.Jg., H. 2, November 1931, stellt.74 Er empfiehlt sie für Aufträge auf ber 1933 die Realisierung eines Landhau- S.36-37 dem Gebiet des Wohnungsbaus. Briggs Forsthuber, Sabine: Vom Kunstgewerbe ses auf der Heimdallhöhe in Klein-Mach- plant und realisiert einen größeren Wohn- zur Innenarchitektur. Österreichische Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar now für Minna Koch durch Ella Briggs, Architektinnen der Zwischenkriegszeit, hausblock an der Rathausstraße, zwischen B.D.A. aufgeführt. in: Österreichische Zeitschrift für Kunst Kaiser- und Königstraße in Berlin-Marien- und Denkmalpflege, 47.Jg., 1988, Heft dorf, der 1929 eingeweiht wird. Im folgen- Während der späten zwanziger Jahre un- 3/4, S.171 ff. ternimmt Ella Briggs drei ausgedehnte Rei- Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstle- den Jahr ist sie an der Planung der Fried- rinnen in Österreich 1897-1938, Wien, rich-Ebert-Siedlung in der Müllerstraße sen nach Sizilien, wo sie einheimische Ar- 1994, u.a.S.263 ff., Kurzbiografie Briggs chitektur fotografiert. Ähnlich wie Bernhard S.268 Ella Briggs´ eigener Wohnraum in Berlin, und der Erweiterung der Siedlung Fried- Rudofsky, der seine Fotografien „sponta- Anfang 1930er Jahre richshagen für die Gemeinnützige Bauge- eigene Schriften: sellschaft Berlin-Ost beteiligt. ner Architektur“ bereits 1930 während der Briggs, Ella: Ledigenheim und Kleinst- Berliner Bauausstellung zeigen kann, ist wohnungshäuser, in: Bauwelt, 18.Jg., Briggs ist Mitglied der Zentralvereinigung auch Briggs durch „architecture without 1928, H.48, S.1132-1133 der Architekten Österreichs und wird 1929 diess.: Sachartikel „Küche“ und „Lau- architects“ fasziniert. Abzüge dieser Auf- in den Bund Deutscher Architekten aufge- benganghaus“, in: Gerhard, Albrecht / nahmen kann sie 1937 an das Victoria & Albert Gut (Hg.): Handwörterbuch des nommen. Ab 1928 konzipiert und realisiert Albert Museum und die Courtauld Samm- Wohnungswesens, Jena, 1930, S.449- sie auch immer wieder Messestände und 451 und S.500-503 lung in London verkaufen. Hierdurch blei- Ausstellungen. Für die Ausstellung „Ernäh- diess.: Jugend-Tagesräume, in: Bauwelt ben die Arbeiten erhalten, auch wenn die 1931, 21.Jg., Heft 8, S.221-223 rung“ entwirft sie 1928 ein Modell zur Ver- Platten - wie auch das Mobiliar - bei ihrer diess.: Ausstellungsgestaltungen, ibid., anschaulichung der Margarineherstellung, H.19, S.648-650 Emigration nach London im September für das Deutsche Kupferinstitut realisiert diess.: Praktische Fragen zur Erwerbs- 1935 in Berlin zurückbleiben. Briggs ge- losensiedlung, ibid., Heft 44, S.1394- 74 Briggs betreibt ihr Büro in Berlin zunächst sie im Frühjahr 1929 einen Ausstellungs- lingt es jedoch, ihre Bürounterlagen mit- 1396 in der Fasanenstr. 15, dann in der Ravens- stand auf der Schau „Gas und Wasser“ diess.: Stockwerksteilungen, in: Bau- zunehmen. Sie eröffnet erneut ein eigenes berger Str. 4. und für die Internationale Lederschau im welt, 22.Jg., 1932, Heft 50, S.1273- Architekturbüro. Die für Immigranten äu- 12747 Herbst 1930 führt sie u.a. „18 Darstellun- 75 Briggs, Ella: Ausstellungsgestaltungen, in: ßerst restriktive Kammerzulassung in Eng- diess.: Houses at Bilston, Nottingham- gen für den wissenschaftlichen Teil“ aus.75 shire, in: The Architect´s Journal, 2.Jg., Bauwelt, 21.Jg., Heft 19, S.648-650 land überwindet sie u.a. mit Hilfe ihres Kol- Im Januar 1931 beauftragt sie das Messe- Heft 104, Januar 1947, S.15-16 76 Vgl. dazu Ausstellerverzeichnis, (Halle 1, legen Ernst L. Freud. amt Berlin mit der Herstellung und Liefe- Stand 119) im Katalog Deutsche Bauaus- rung eines ‘Groß-Modells’ für die „6. Grü- 1947 wird sie britische Staatsbürgerin. Im stellung, Berlin, 1931.

334 Anhang Die von ihr entworfene ‘Gutsanlage’ wird als bestes Diplom des Jahrgangs ausge- zeichnet. Anschließend arbeitet sie „bei Göring“ in der Planungsabteilung des Luft- fahrtministeriums, die zunächst in Dahlem, nach Ausbombung am Kurfürstendamm

untergebracht ist, besteht ihre Aufgabe in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Projektierung von Offiziers- und Mann- schaftsunterkünften. Nach ihren Aussagen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gelangen diese Projekte nicht zur Aus- führung. Am 2.1.1940 heiratet Klara Brobecker den Bauingenieur Hermann Küster. Dieser ar- beitet für das Neubauamt in Trier, wodurch sich für sie die Chance ergibt, an Erweite- rungsplanungen eines Trierer „Regierungs- Toilettenhäuschen im Botanischen Garten, 1946 gebäudes“ mitzuarbeiten. Sie entwirft au- Klara Brobecker ßerdem im Auftrag des Reichsernährungs- spätere Küster (ab 2.1.1940), ministeriums „Pläne für Bauernhöfe in Po- In den fünfziger Jahren können für den Be- Dipl.Ing. len“ und ist zeitweilig an Wiederaufbaupla- zirk auch wieder Neubauten errichtet wer- nungen für die Staatsoper Berlin beteiligt. geb. 11.2.1914 Berlin - gest. 21.4.1998 den: So entstehen unter Projektleitung Kü- Als um 1943 eine Tochter zur Welt kommt, Grafing, beigesetzt auf dem Friedhof in sters die Freibadeanlagen „Am Teltowka- gibt Klara Küster die Erwerbstätigkeit auf. Grafing-Straußberg nal“ und „Am Insulaner“, 1956 folgt nach Ihr Mann fällt im letzten Kriegsjahr. Damit ihrem Entwurf der Neubau einer Kinderta- ist sie - nachdem auch ihr Vater nicht mehr gesstätte in der Jeverstraße. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium an der TH Charlottenburg 1932 lebt - für ihre Tochter und ihre Mutter allein Nach mehr als zehn Jahren verlässt Klara bis 1937, Diplom verantwortlich. Dies ist nach ihrem Bekun- Küster 1958 das Hochbauamt in Steglitz, den der Grund, weshalb sie nach Kriegs- wo sie zahlreiche Projekte verantwortlich wurde als einziges Kind des Reichsbahnar- ende eine freiberufliche Tätigkeit nicht durchgeführt, sich mit den häufig differie- chitekten Heinrich Brobecker 1914 in Ber- ernsthaft in Erwägung zieht. 1945 arbeitet renden Ansichten des Baurats Düx arran- lin geboren. Die Eltern wohnen in Steglitz, sie im Büro [Heinz] Völker & [Rolf] Grosse Freibad „Am Insulaner”, Umkleidegebäude, 1951 giert hatte. Anlass wie Umstände ihres wo Klara Brobecker - zeitgleich mit der an einem Wettbewerb zum Wiederaufbau Ausscheidens kann oder möchte sie nicht drei Jahre älteren Elfriede Schaar - das eines zerstörten Stadtteils im amerikani- erinnern. Deutlich wird jedoch, dass Klara Goethelyceum besucht. Als sie direkt nach schen Sektor. Anschließend tritt sie eine Küster damit auch keine Möglichkeit mehr dem Abitur Architektur studieren möchte, Stelle als Architektin im Hochbauamt Steg- sieht oder findet, in Berlin als Architektin sind die Eltern zunächst skeptisch, inner- litz an. Ihre erste Aufgabe ist der Wieder- zu arbeiten. Sie übersiedelt mit ihrer Fami- halb der ersten Semester kann sie jedoch aufbau der Toilettenhäuschen im Botani- lie zunächst nach Aachen, um 1959 nach deren Bedenken zerstreuen. Sie schreibt schen Garten. sich 1932 an der TH Charlottenburg unter Darmstadt. Dort wird sie nach einer Wei- „Die Instandsetzung erfolgte mit Hilfe von der Matr.Nr.1129 ein und studiert zügig, terbildung als Lehrerin tätig. Nach ihrer verwendbarem Trümmermaterial. Trotz be- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar legt 1934 das Vordiplom ab und tritt nach Pensionierung zieht sie in den siebziger schränkter Möglichkeiten wurde sich um einem Büropraktikum zunächst ins Semi- Jahren nach Grafing bei München, wo ihre annehmbare Gestaltung bemüht.“ 77 Als nar von Emil Rüster ein. Tochter lebt. Klara Küster starb im Früh- Architektin ist sie jahrelang für die Wieder- jahr 1998 in Grafing. Nachdem sie Tessenow mehrfach im Un- aufbauplanungen der öffentlichen Gebäu- terricht erlebt, beschließt sie zu wechseln. Quellen: de, insbesondere der Schulen des Bezirks HTA: Karteikarte Brobecker, Brief an O. Kindertagesstätte Jeverstraße, 1956 Prof. Rüster sieht sie - als einzige Studen- zuständig. Sie plant und überwacht den Kindt vom 4.5.1956, tin seines Seminars - ungern gehen. Im Wiederaufbau des Elisabeth- und des Dü- Gespräch mit Klara Küster am 9.8.1997, Seminar Tessenow studiert Brobecker zu- „Meine berufliche Tätigkeit“, Schreiben rerlyzeums in Lichterfelde, der Volksschule von Klara Küster vom 5.12.1997 sammen mit Maria Gaiser und Anselm För- Kommandantenstraße, sowie des Gymna- ster. Nach einem ‘kleinen Wohnhaus’ im siums in der Heesestraße, dessen nördli- Wintersemester 1935/36 entwirft sie eine cher Klassentrakt neu aufgebaut wird.78 ‘Dorfkirche mit Schule’. Es folgt ein ‘Gast- Aber auch das Stadtbad in der Bergstraße, 77 Klara Küster im Schreiben vom 5.12.1997. hof’ , bevor sie sich 1937 zum Diplom mel- die Blindenanstalt in der Braillestraße, so- Brönner, Erika siehe Hackmack, Erika 78 An diesem Neuaufbau mit split-level-Er- det. Studienarbeiten von Klara Brobecker wie die Friedhofskapelle Lankwitz und das Buhmann, Margarete siehe Berg, Grete schließungen zur Anpassung neuer Raum- haben sich nicht erhalten. Im November Stadion Lichterfelde werden unter ihrer höhen an den Bestand war auch der dama- Burckhardt, Lotte siehe Gerson, Lotte 1937 legt sie das Diplom bei Tessenow ab: Leitung wiederaufgebaut. lige Werkstudent Peter Knaack beteiligt.

Biografien 335 das sie nach ihrer Beschäftigung mit neue- Main ein festes Engagement erhält. sten pädagogischen Ansätzen entwickelt. Margot Rieß nennt Siedhoff-Buscher noch Von Buscher stammen u.a. das „Bauspiel” 1931 als „Spezialistin für Kinderstuben“. (1924) und das „Bützelspiel”, die durch Nach der Geburt der Kinder wird sie je- den Pestalozzi-Froebel-Verband Fürth ver- doch überwiegend als Autorin und Illustra- trieben werden. torin von Kinder-, Märchen- und Bastel- Die von ihr 1924 entworfene Wickelkom- büchern sowie von Malfibeln tätig. Diese mode mit Wäscheschrank - Bauhausmo- erscheinen im Otto-Maier-Verlag, Ravens- dell „ti 23“ - wird unter Musterschutz ge- burg. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar stellt, ebenso wie die von ihr entworfenen In Frankfurt soll sie die Entwurfsarbeit Spielschränke, ein Kleiderschrank, ein Bett ganz eingestellt haben. „Etwas in ihrem und ein Rollstuhl in die Werkliste bzw. Pro- Innern scheint ab dieser Zeit ihre schöpfe- duktion der Tischlereiwerkstatt aufgenom- rische Kraft endgültig zu blockieren“, be- 81 men werden. Sie entwirft Kinderbetten schreibt Cornelia Will die Frustration Sied- und stattet in Jena eine Kinderfürsorgein- hoff-Buschers darüber, dass „die Zeit richtung mit Möbeln aus. Alma Buscher noch nicht reif ist“, das Schaffen von Frau- zieht mit dem Bauhaus von Weimar nach Alma Buscher en und Männern ohne Ansehen des Ge- Dessau um. Sie lernt den schauspielinter- schlechts zu beurteilen.84 spätere Siedhoff (ab 1926) essierten Werner Siedhoff kennen, der sich Im Herbst 1944 kommt Alma Siedhoff-Bu- zum Herbst 1925 unter Matr.Nr. 90 eben- scher bei einem Bombenangriff in Buch- geb. 4.1.1899 Creuzthal - gest. 25.9.1944 falls am Bauhaus einschreibt und in der schlag bei Frankfurt am Main ums Leben. Buchschlag Bühnenwerkstatt studiert.82 Quellen: 79 So Will, 1997, S.14 - Diese Arbeiten befin- 1926 heiraten Alma Buscher und Werner Buscher, Alma: Kind, Märchen, Spiel, den sich im NL Siedhoff-Buscher. Studium an der Kunstschule Reimann Siedhoff (3.5.1899 Duisburg - 28.11.1976). Spielzeug : in: Junge Menschen (Ham- von 1916 bis 1920, am Bauhaus Weimar Sie bringt im gleichen Jahr einen Sohn, burg) ; 5.Jg., 1924. H.8, S.189 80 Sie entwirft die Kinderzimmereinrichtung. Neue Arbeiten aus den Bauhauswerk- von 1922 bis 1927 zwei Jahre später eine Tochter zur Welt. 81 Vgl. Wingler, 1975, S.111. stätten, Bd.7, Passau 1925 Als sie sich 1927 am Bauhaus exmatriku- Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die 82 Werner Siedhoff arbeitete zeitweise auch kam 1899 als Tochter eines Reichsbahnin- liert, erhält sie kein Zeugnis. Zuletzt hatte Frau als Architektin, in: Frau und Ge- als Gymnastiklehrer am Bauhaus. spektors in Kreuztal bei Siegen zur Welt. genwart, 28.Jg., 1931, H.2, S.37 sie hier der Freien Abteilung angehört. Als Wichmann, Hans: Kunst, die sich nütz- 83 Will, 1997, S.65. Die Familie wohnt ab 1903 in Berlin, wo Al- Illustratorin verdient sie nun Geld für die lich macht, München 1985 ma Buscher 1916, erst 17jährig, das Abitur junge Familie. Ihr Einkommen trägt „we- Droste, Magdalena: Alma Buscher, in: 84 Ibid., S.54. Oedekoven-Gerischer, A., et al, 1989, ablegt. Anschließend besucht sie bis 1920 83 sentlich zum Familienunterhalt bei“. S.216 die Kunstschule Reimann. Die umfangrei- Werner Siedhoff debütiert 1928, gehört der Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - chen Skizzenbücher Buschers aus dieser Entwürfe für Kinder am Bauhaus in Wei- Bauhausbühne bis 1930 an. Dann wech- Kinderzimmer im Haus am Horn, 1923 Zeit sollen „konventionelle Aktstudien und mar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997 selt er ans Deutsche Nationaltheater in Os- Stolzenau, Martin: Spielschrank ver- kleine Landschaften“ enthalten.79 Ab dem nabrück, 1937 ans Staatstheater in Plauen schaffte den Durchbruch als Bauhäusle- Frühjahr 1922 studiert Alma Buscher unter rin, in: Mitteldeutsche Zeitung vom und 1940 nach Gera, bevor er 1942 an der Matr.Nr.46 am Bauhaus in Weimar, wo 4.3.1999 den Städtischen Bühnen in Frankfurt am sie zunächst die Grundlehre bei Itten be- sucht. Da 1922 am Bauhaus die Frauen- klasse gegründet wurde, deren Besuch für die Studentinnen in den folgenden Jahren nahezu obligatorisch wird, landet auch Bu- scher zum Wintersemester 1922/23 gegen ihre persönlichen Präferenzen in der Frau- enklasse und damit in der Weberei. Erfolg- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar los bittet sie Gropius um Versetzung in die Holzbildhauerei, nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um räumlich zu arbeiten. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Sie entwickelt die Inneneinrichtung des Kinderzimmers für das zur Bauhausaus- stellung 1923 geplante Haus am Horn.80 Ihre Möbelentwürfe für diese erste Ausstel- lung des Bauhauses darf sie in der Tisch- lerei umsetzen. Ab 1923 realisiert sie dort auch ihre Entwürfe für Kinderspielzeug,

336 Anhang Eva Busse nes Meyer 1937, dass Eva Busse sich mit 11.11.1987 Wasserburg am Inn, beige- 89 93 Eva [Gertrud] Busse ihrer Arbeit „ordentlich durchschlage“. setzt in Hanau Ob sie dies mit Reklame- oder Fotoaufträ- gen tut oder ihre Architekturinteressen ver- geb. 7.6.1909 Berlin-Charlottenburg - Studium vor 1925 am Städel Frankfurt folgen kann, ist bisher ebenso unbekannt ermordet 30.9.1942 Auschwitz a.M. und der Schule „Kunst und Werk“, wie ihre Lebensumstände in Amsterdam Berlin bis 1942. In diesem Jahr werden sowohl 85 Die drei Söhne des Direktors der Bauaka- Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis Eva Busse als auch Lisbeth Oestreicher im wurde 1907 als zweites Kind des Kauf- demie Carl Ferdinand Busse, Carl, Konrad 1930, an der TH Charlottenburg 1930 Lager Westerbork interniert. manns Marc[us Heinrich] Canthal (1876 - und August Busse waren ebenfalls als Ar- wurde im Frühsommer 1909 in Berlin- Die letzte Spur von Eva Busse datiert zwei 1946) und seiner Frau Maria geb. Stein- chitekten in Berlin tätig. Charlottenburg geboren, ihr familiär Hinter- Tage vor ihrer Ermordung: Das Niederlän- heuer (geb. 1882) in Frankfurt/Main gebo- 86 BHD, NL Engemann, Prüfungsprotokoll grund ist bisher unbekannt. Somit bleibt dische Gedenkbuch vermerkt Eva Busses ren. Ihr Urgroßvater war Bürgermeister von vom 7.4.1930, Wintersemester 1929/30, 90 unklar, ob sie mit der traditionsreichen Tod am 30.9.1942 in Auschwitz. Das Hanau. Paula Marie Canthal wächst mit ei- Bl.2 „Kalendarium der Ereignisse im Konzentra- nem älteren Bruder (1903 - 1957) in einer Berliner Architektendynastie Busse ver- 87 Immatrikulation am 17.4.1930 an der TH 85 tionslager Auschwitz-Birkenau 1939-45“ weitläufigen assimilierten Familie auf. Sie wandt ist. Eva Busse dürfte aber in ei- Berlin-Charlottenburg. Zur Situation in der verzeichnet für diesen Tag die Ankunft ei- meint, ihr Maltalent von ihrem Ururgroßva- nem liberalen jüdischen Elternhaus aufge- Metallwerkstatt vgl. die Ausführungen Mari- nes Transportes von 610 jüdischen Perso- ter, dem Maler Franz Nickel geerbt zu ha- wachsen sein. Aus Prüfungsprotokollen anne Brandts in ihrem Brief an die junge nen, die noch am gleichen Tag selektiert ben und schätzt ihre „unerhört musikali- geht hervor, dass sie „2 j. dorfschule, 2 j. Generation, 1966. 91 privatschule, 1 j. lyceum berlin, 4 j. fürstin- und ermordet wurden. Der Transport war sche” Großmutter, die das Frankfurter 88 Lisbeth Oestreicher (1902-1989) studierte bismarck-schule, 4 j. oberlyzeum pankow, am 28.9.1942 aus dem Lager Westerbork Konservatorium besucht hatte. Ihr Großva- am Bauhaus zwischen 1926 und 1930. abitur“ absolviert hat, als sie sich zum gestartet. Mit großer Wahrscheinlichkeit ter Fritz Canthal betrieb eine seit 1823 in Frühjahr 1929 am Bauhaus Dessau ein- war Eva Busse in diesem Transport. Mit Familienbesitz befindliche Cognacfabrik 89 „Ich höre schon lange von niemanden mehr schreibt. Als Heimatadresse gibt sie zu ebenso großer Wahrscheinlichkeit wurde und ließ seine Kinder 1896 protestantisch etwas (..) eva busse, die dich gelegentlich 92 diesem Zeitpunkt eine Untermietadresse in sie in Auschwitz vergast. taufen. 1904 wurde er zum Commerzienrat grüssen liess. Sie ist immer noch schwer der Hardenbergstraße in Berlin-Charlotten- Quellen: ernannt. meschugge, aber schlägt sich mit ihrer ar- burg an. BHD, NL Engemann, Prüfungslisten; Die Informationen zum Leben Paula Maria beit ordentlich durch.“ DAM, NL Hannes DAM, NL Hannes Meyer, Brief von Lis- Meyer, Schreiben Lisbeth Oestreicher vom Nach ihrem ersten Semester, das sie lt. beth Oestreicher an Hannes Meyer vom Canthals sind teilweise widersprüchlich, 7.1.1937 Prüfungsprotokoll vom 29.10.1929 in der 7.1.1937 die von ihr gemachten Angaben oft selek- SDU (Hg.): In Memoriam, Den Haag, tiv. Aufgrund zumeist kriegsbedingt fehlen- 90 SDU (Hg.): In memoriam, Den Haag, 1995 Grundlehre wie auch in der Reklamewerk- 1995 der Aktenunterlagen bleiben Lücken. Den- statt verbringt, wird sie probeweise in die Paula Marie Canthal 91 Vgl. Czech, Danuta: Kalendarium der Ereig- Abteilung Wandmalerei aufgenommen. noch lässt sich ihr Werdegang grob skiz- nisse im KZ Auschwitz-Birkenau, Hamburg, Das Prüfungsprotokoll vom 7.4.1930 weist zieren. Sie besucht ein Lyzeum bis zur 1989, S.311. Mittleren Reife, belegt anschließend Male- sie jedoch - neben Lotte Rothschild - als 92 Ich danke Dr. Elisabeth Brachmann-Teub- rei und Skulptur am Städel in Frankfurt am eine der fünf KandidatInnen der Metall- ner für diesen Hinweis. Lisbeth Oestreicher Main.94 Dort lernt sie ihren späteren Mann werkstatt aus mit dem Zusatz “probeweise war zwischen 1942 und 1945 ebenfalls in 86 Dirk Gascard-Diepold (geb.1.1.1906) ken- in me(tall)”. Westerbork interniert. nen. Sie gehen gemeinsam um 1923 nach Diese probeweise Aufnahme scheint wenig Berlin, wo sie Architektur studieren möch- 93 Briefliche Mitteilung von Gerlind Fischer- erfreulich gewesen zu sein, bereits zehn ten. Defoy vom 15.1.1998. Tage später schreibt sich Busse an der TH 94 Da Canthal bei ihrem Aufnahmegesuch an Charlottenburg für Architektur ein.87 Aber Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Canthal bewirbt sich zum Wintersemester den Vereinigten Staatsschulen 1924 archi- auch dieses Studium bricht sie nach einem 1924/25 an den Vereinigten Staatsschulen tektonische Arbeiten vorlegt, hat sie evt. Semester ab. Bisher ist unbekannt, ob sie um die Aufnahme als Architekturstudentin. 95 bereits an der Zeichenschule Hanau oder sich erneut auf die Suche nach einem ge- Sie wird jedoch abgewiesen. Nach eige- am Städel auch Architektur belegt. eigneten Studienplatz begibt. Ebensowe- nen Angaben schließt sie bereits 1925 ihre 96 nig lassen sich genauere Anhaltspunkte für Ausbildung bei Prof. Schneckenberg ab. 95 „Praxis unzureichend, Prüfungsarbeiten z.T. ihren Weggang vom Bauhaus finden. Bisher gelang es nicht nachzuweisen, bei dergleichen.“ HdKB, Bestand 8, Nr.114. Im wem sie studierte resp. wo sie sich die gleichen Bestand findet sich auch die Ab- Die nächste Spur, die sich verfolgen lässt, entsprechenden Fähigkeiten aneignete. lehnung des späteren Bauhausstudenten führt sieben Jahre später nach Amster- Gerhard Balzer („nicht ausreichend“). dam. Dort ist Eva Busse in keinem Adress- Paula Marie [Elise] Canthal, zeit- Zweifellos war Paula Marie Canthal bereits verzeichnis zu finden, jedoch nach wie vor weilige Gascard[-Diepold] (1927- in jungen Jahren eine sehr architekturinter- 96 Prof. Ernst Schneckenberg, Architekt und in Kontakt mit der ehemaligen Bauhaus- 36), Künstlerinnenname um 1940 essierte, begabte und eigenwillige Studen- Direktor der Kunstgewerbeschule Berlin- studentin Lisbeth Oestreicher.88 Diese be- Maria Cantal, ab Mitte der 1960er tin. Um 1927 arbeitet sie bei Alfred Gell- Charlottenburg, lehrte 1925 auch an der treibt seit Anfang der dreißiger Jahre ein Jahre Marie Francoise Nickel horn in Berlin als angestellte Architektin für von Hugo Häring geleiteten Schule „Kunst 97 eigenes Atelier für Strickwaren in Amster- 300,- Mark im Monat. Hier ist sie an der und Werk“ in Berlin. 98 dam. Sie erwähnt in einem Brief an Han- geb. 4.2.1907 Frankfurt/Main - gest. neuen Innenausstattung der Villa Ebstein 97 Schreiben Alfred Gellhorn vom 5.8.1957.

Biografien 337 98 Der Umbau des 1913 von Oskar Kaufmann erbauten Hauses wurde als „Landhaus E. in Zehlendorf“ u.a. in der Pyramide publiziert. Die Pyramide, Baukunst, Raumkunst,

Werkkunst, Berlin, 14.Jg., 1928/29, Abb. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar S.334-338

99 Zu Berthe [Berta Emilie] Trümpy (1895- 1983) vgl. Howe, Diane S.: Individuality and Expression, New York, 1996

Anbau-Haus auf der Deutschen Bauausstellung Berlin 1931, Canthal und Gascard-Diepold, Südansicht der Ausbau-Stufe

sowie am Neubau der „Tanzschule Trüm- 1931 als „Anbau-Haus” auf der Messe am tober 1936 verliert sie ihren Anteil am ge- py” beteiligt.99 Anfang 1927 heiratet sie Funkturm gezeigt wird, bleiben die Wett- meinsamen Büro. 1937 kann sie freiberuf- Dirk Gascard-Diepold, führt aber weiterhin bewerbe unrealisiert. Canthal und Gascard lich für Eduard Jobst Siedler arbeiten. den eigenen Namen. können jedoch private Aufträge für Land- Ab 1938 arbeitet sie für die Filmstudios in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1927 gewinnen sie gemeinsam beim Wo- und Wochenendhäuser, Umbauten und Babelsberg. Als Filmautorin stellt sie 1939 chenendhauswettbewerb des Messeamtes Einrichtungen akquirieren. Auch in Frank- unter dem Namen Maria Cantal einen Auf- Berlin, sie reichen zwei Entwürfe ein, den furt richten sie zumindest Musterwohnun- nahmeantrag für die RSK. Auch hierfür 1. Preis sowie eine lobende Erwähnung.100 gen ein. Sie betreiben ein Büro in der Nas- wird der ‘Ariernachweis’ über drei Genera- Im selben Jahr erreichen sie beim Wettbe- sauischen Straße in Wilmersdorf, kaufen tionen sowie die Befürwortung durch die werb für eine Kur- und Trinkanlage in Bad ein eigenes Haus in Zehlendorf und richten Gauleitung gefordert. „Da der Verdacht 103 Neuenahr eine lobende Erwähnung.101 es „im Stil des Bauhauses Dessau“ ein. besteht, dass Maria Canthal nicht deutsch-

Wettbewerbsentwurf Passage Friedrichstraße/Behrenstraße Beim Berliner Passagenwettbewerb wird Ab 1933 erhalten sie keine Aufträge mehr. blütig im Sinne des Reichsbürgergesetzes ihr Entwurf „Zweckbestimmung“ mit einem Canthal reist nach London, um auf Ver- ist“ und „in politischer Hinsicht nicht her- 104 der sechs vergebenen ersten Preise prä- mittlung einer Engländerin in London die vorgetreten ist“ , d.h. keiner Gliederung miert.102 In den folgenden vier Jahren er- der NSDAP angehört, besteht seitens der 100 Lt. Bestätigung des BDA vom 2.9.1957 Innenausstattung des Luxuszuges des Ma- halten sie bei sechs weiteren Wettbewer- haradschah von Indore zu entwerfen. Die- Gauleitung keine Veranlassung, ihre Auf- 101 Ibid. ben Preise und Ankäufe, darunter für das se wird später nach den Entwürfen von nahme zu befürworten. Offensichtlich be- 102 NL Canthal / Bestätigung des BDA vom Altersheim der Budgestiftung, die Telefon- Ekkehard Muthesius realisiert. Gascard- steht dennoch Bedarf an ihren Filmskrip- 2.9.1957. Publ. in Hegemann, Werner: Der und Telegrafenfabrik Fuld & Co. (beide Diepold reicht 1936 die Scheidung ein. ten. Sie erhält 1940 ‘Befreiungsscheine’ für Städtebau, 1928, Nr. XXIII, S.22-23. - Ein- Frankfurt a.M.) und beim Wettbewerb des Canthal reist nach Berlin und bezieht bei „Eine mittelalterliche Stadt“, „Weg ohne gereicht wurden 128 Arbeiten. Den Auftrag Berliner Messeamtes „Ein Haus für alle“. Anna von Gierke ein Dachzimmer (in der Wahl“, für „Der Raub der Antikleia“ und erhielt Alfred Grenander, der am Wettbe- Bis auf den letztgenannten Entwurf, der Carmerstraße). Bei der Scheidung im Ok- „Die Tragödie der Einsamkeit“. werb nicht teilgenommen hatte. - Vgl. auch Geist, Johann Friedrich: Die Kaisergalerie, Biographie der Berliner Passage, München, 1997, S.79. Geist zeigt vier der prämierten Wettbewerbsentwurf Fuld & Co., 1929 Arbeiten: „Ein Vorschlag zur Güte“ von Paul Baumgarten, Berlin, „Zweckbestimmung“ von Paul Maria (sic!) Canthal und Gascard Diepold, Berlin, „Farbige Straßen“ von Jo- sef Wentzler, Dortmund und „Leuchtender Schleier“ von Wilhelm Keller und Rudolf Prömmel, Berlin. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

103 Wahrscheinlich handelt es sich um das Haus im Eisvogelweg 10.

104 BArchB, Schreiben des Gau-Hauptstellen- leiters Kühn vom 11.12.1939.

338 Anhang Nach den ersten großen Kriegsverlusten ab 1923 in Wien ein gemeinsames Atelier wird der Ariernachweis gelockert, Canthal mit der Kommilitonin Anny Wottitz be- zum 1.1.1942 in die RSK aufgenommen. treibt.107 Ab Herbst 1924 wohnt sie in der 105 NL Canthal, Brief Canthal vom 10.11.1964. Im April 1943 stirbt Anna von Gierke. Im Bleichergasse im 9.Bezirk in Wien. 1925 Bisher ist dieser Auftrag / Bau unbekannt. Februar 1944 wird die Carmerstr.12 durch gründet sie im gleichen Bezirk mit Martha Bomben getroffen. Canthal flüchtet in den Döberl ein Atelier in der Wasserburggasse, 106 Dicker läßt sich namentlich im Adreß- wie Schwarzwald, wird mehrfach von der Ge- in das 1926 auch Franz Singer (8.2.1896 im Straßenverzeichnis Berlin nicht nach- stapo verhört und kommt schließlich bei Wien - 5.1.1954 Berlin) einzieht.108 weisen. Hier ist lediglich Singer (und nur 1926) mit dem Zusatz „Kunstwerkstätte“ in Verwandten in der Nähe von Basel unter. Aus der Zusammenarbeit mit Singer zwi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Fehlerstr. 1 eingetragen. Nach Kriegsende arbeitet sie im Büro ei- schen 1926 und 1931 resultieren etliche nes Schweizer Architekten. Als sie an Leu- Architekturprojekte, darunter Neubauten, 107 So Schrom, 1989, S.109 und Plakolm- kämie erkrankt und nicht mehr voll arbeits- häufiger jedoch Umbauten und Innenein- Forsthuber, 1994, S.269. Offiziell ist Friedl fähig ist, malt sie wieder und entwirft Kin- richtungen sehr beengter Wohn- und Ge- Dicker erst ab Herbst 1924, Anna Wottitz derspiele, darunter „Die goldene Gans“. schäftsräume. Zu den Mitarbeiterinnen ab Januar 1925 in Wien gemeldet. Schrei- Im Herbst 1956 erhält sie den ersten frei- zählen die Architekturstudentinnen Anna ben Herbert Koch, MA8 vom 10.9.1998. beruflichen Auftrag nach dem Krieg105, fin- det als Architektin jedoch kein Auskom- men. Ihr Bruder lebt in New York und un- Friedl Dicker terstützt sie finanziell bis zu seinem Tod Friederike Dicker, spätere Bedris- 1956. Im Frühjahr 1957 zieht Paula Marie ka Brandeisová (ab 29.4.1936) Canthal nach München. Dort verfasst sie einen Roman über einen Boxer, für den sie geb. 30.7.1898 Wien - ermordet 9.10. jedoch keinen Verlag findet. Eine Möglich- 1944 Auschwitz-Birkenau keit in die Architektur zurückzukehren, fin- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar det sie nicht. Als sie um 1980 ein neuer Ei- Studium an der KGS Wien 1915, an der gentümer aus der Wohnung klagt, stellt sie Ittenschule Wien 1916 bis 1919, am Bau- Bilder und Hausrat bei einer Spedition un- haus Weimar 1919 bis 1923 ter und führt fortan ein unstetes Leben, lebt in Süddeutschland, der Schweiz und Friederike Dicker wurde 1898 in Wien als Österreich. Sie malt auch weiterhin, über- einziges Kind von Simon und Karoline Di- wiegend Landschaften und Blumen. cker geb. Fanta geboren. Die Mutter stirbt „Tennisclubhaus [Dr. Hans] Heller”, Wien, Dicker / Singer, 1928 Paula Marie Canthal starb am 11.11.1987 früh. Der Vater, der in einer Papierwaren- in Wasserburg am Inn. handlung als Verkäufer arbeitet, heiratet Neueinrichtung Kindergarten Goethehof, Wien, 1930-32 1904 erneut. Für biografische Informationen danke Szábo und Leopoldine Schrom.109 1929 ich Gerlind Fischer-Defoy, Cordula Klov Nach dem Besuch der Bürgermädchen- soll sich Dicker an der Stuttgarter Ausstel- und Alexander Canthal schule besucht Friedl Dicker in Wien ab lung „Moderne Inneneinrichtungen“ betei- Quellen: 1912 die Grafische Lehr- und Versuchsan- ligt haben.110 Ab 1930 richtet sie gemeins- HdKA, Best. 8 Nr.114, Aufnahmeent- stalt, wo sie Fotografie belegt. Ab 1915 am mit Singer den städtischen Montesso- scheidungen WS 24/25 studiert sie für ein Jahr in der Textilklasse BHAB, Schriftwechsel Gropius, Anfrage ri-Kindergarten Goethehof ein. an der Kunstgewerbeschule bei Rothansl, Canthal vom 24.1.1966, Bestätigung Nachdem Singer aus der Ateliergemein- Gropius vom 2.2.1966 bevor sie ab 1916 die Privatschule von Jo- schaft auszieht, bittet Dicker im Frühjahr 60 billige zeitgemäße Eigenhäuser, in: hannes Itten besucht. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bauwelt, 21.Jg., 1931, H. 9, S.256 ff. 1931 ihre ehemaligen Lehrer Gropius und Das technische Blatt, Beilage Frankfur- Ihm folgt sie 1919 ans Bauhaus Weimar, Itten um Empfehlungsschreiben. Gropius ter Zeitung, 13.Jg., Nr. 24, 11.6.1931 wo sie bis 1923 insbesondere Malerei stu- Canthal, P.M.: James Welsh, ein Boxer- empfiehlt sie „aufs beste den Behörden“. roman, 1973, unveröffentlicht diert. Am Bauhaus in Weimar entwirft sie Doch auch damit gelingt es ihr nicht, Bau- Canthal-Lorenzen, Marion (Hg.): Fritz jedoch auch - zusammen mit Franz Singer, aufträge der öffentlichen Hand zu akquirie- Canthal (1848-1922) Lebenserinnerun- der ebenfalls zu den Wiener Ittenschülern gen und Betrachtungen, Selbstverlag, ren. gehörte - vier Varianten eines architektoni- 1991 Friedl Dicker arbeitet ihr Leben lang äu- schen Grundrisses, die sich durch unkon- ßerst vielseitig und in verschiedenen Ko- 108 Ab 3.10.1924 ist Dicker in der Bleichergas- Carmer, Margarete von ventionelle Erschließungen auszeichnen. operationen im Bereich Malerei, Grafik, se 18/19 im 9.Bezirk gemeldet. Ibid. siehe Berg, Grete Friedl Dicker verlässt das Bauhaus 1923 Kunstgewerbe, Bühnenbild, Möbelbau und 109 Leopoldine Schrom und Anna Szábo stu- Carras[-Mory], Christa ohne Abschluss. Sie soll zunächst gemein- Architektur. Als Mitglied des Kreises um dieren ab dem WS 1923/24 resp. 1925/26 siehe Schöder, Christa sam mit Singer ein kunstgewerbliches Ate- die Buchhandlung ‘Schwarze Rose’ - sie an der Bauschule der TH Wien. Vgl. Geor- 106 Coccia, Hildegard siehe Katz, Hilde lier in Berlin-Friedenau eröffnet haben. ist 1931 KPÖ-Mitglied -, wird sie während geacopol-Winischhofer, 1997, S.327 Andere Quellen gehen davon aus, dass sie Collein, Lotte siehe Gerson, Lotte des ‘Starhemberg-Putsches’ 1934 verhaf- 110 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.269

Biografien 339 tet. Nach der Enthaftung zieht sie nach Edith Dinkelmann seiner Gründung. Nach dem Umzug des Prag und eröffnet auch dort ein eigenes geb. Edith [Margarethe Emilie] Bauhauses von Weimar nach Dessau be- Atelier. Im Bekanntenkreis kann sie Aufträ- sichtigt sie im November 1926 die Sied- Schulze, Dipl.Ing. ge akquirieren. Hier arbeitet sie zeitweilig lung Törten. Unter dem Titel „Das Bauhaus auch mit der ebenfalls immigrierten Archi- geb. 23.8.1896 Königsberg - gest. 10.6. in Dessau“ veröffentlicht sie eine kritische tektin Karola Bloch zusammen. Neben 1984 Karlsbad Analyse in der Zeitschrift des Verbandes Möbeln und Ausbauten entstehen viele Bil- der Wohngenossenschaften. Im Februar- der aber auch Gobelins und Handtaschen. heft des nächsten Jahres erscheint in die- Studium an der TH Braunschweig 1915 Friedl Dicker heiratet am 30.4.1936 Pavel ser Zeitschrift eine „Entgegnung“ durch bis 1919, Gastsemester an der TH Mün- Brandeis (geb. 1.9.1905), die Ehe bleibt Walter Gropius. Nach Abschluss der Sied- chen um 1918, Diplom kinderlos. 1938 siedeln sie nach Hronov lung „Hohe Lache“ stellt Edith Schulze die- se Heimstätten-Siedlung im April 1927 (Reichenberg) nordöstlich von Prag um, wurde am 23.8.1896 in Königsberg als ebenfalls in der „Wohnung“ vor. wo Pavel Brandeis als Buchhalter der Tochter des Oberleutnants Max Schulze Firma Spiegler & Söhne tätig wird. Friedl und seiner Frau Marianne geb. Weber ge- Sie verlässt die Mitteldeutsche Heimstätte (Bedriska) Brandeisova entwirft für diese boren. Die Mutter lässt sich scheiden und Magdeburg im Frühjahr 1932 und heiratet Textilfirma Webmuster und einen Ausstel- zieht mit vier Kindern um 1901 nach Berlin, den Apotheker Bernhard Dinkelmann. Mit lungsstand, der auf der Gewerbemesse in wo Edith bis 1907 die städtische höhere ihm übersiedelt sie nach Köln. Im Novem- Nachod im gleichen Jahr prämiert wird. In Mädchenschule in der Grunewaldstraße in ber 1934 wird eine Tochter geboren. Es Hronov soll sie das Haus Dr. Neumann, Berlin-Schöneberg besucht. Nach einem folgt ein Umzug nach Stuttgart. Edith Din- das 1928 von Dicker/Singer umgebaut Umzug nach Dessau besucht sie die dorti- kelmann ist in dieser Zeit nicht berufstätig. worden war, neu eingerichtet haben. ge Antoinettenschule und das Mädchenre- Ihr Mann fällt als Mitglied einer Sanitäts- 1942 wird Friedl Brandeis als Jüdin nach algymnasium, bevor sie am 12.3.1915 in staffel im Frühjahr 1940. Edith Dinkelmann Theresienstadt deportiert. Sie hat mit einer Bernburg/Saale „vor den Herren des Real- zieht mit ihrer Tochter nach Leipzig und er- Deportation gerechnet, packt weniger pri- gymnasiums“ die Reifeprüfung ablegt. öffnet nach Kriegsende in Böhlitz-Ehren- berg ein Privatbüro, das sie nach 10 Mo- vate Dinge als Malutensilien ein. Da sie Zum Sommersemester 1915 schreibt sie naten aufgibt, um in Dessau erneut im Kindern im Ghetto eine Gegenwelt ermög- sich an der TH Braunschweig für Architek- Stadtbauamt zu arbeiten. In dieser Stel- lichen möchte, bietet sie in den Kinderhei- tur ein. Im April 1917 legt sie hier die Vor- lung als Baurätin ist sie vier Jahre tätig, men von Rosa Engländer u.a. Zeichenkur- prüfung ab.113 Ihr erstes Praktikum führt 111 bevor sie zum 1.7.1950 als freie Architektin se an. Am 6. Oktober 1944 wird sie von sie während der Semesterferien im Som- ein Büro in Dessau eröffnet. Sie entwirft Theresienstadt nach Auschwitz überstellt, mer 1915 in die anhaltinische Bauverwal- und realisiert überwiegend Wohnungsbau- drei Tage später wird Friedl Brandeis ver- tung in Dessau. Bis zum Studienende fol- 112 ten. Dieses Büro gibt sie im Sommer 1958 gast. gen drei weitere Praktika, 1916 bei Prof. auf. Für biografische Hinweise danke ich Georg Lübke in Braunschweig, 1917 in der 111 Die dort entstandenen Kinderzeichnungen Dr. Hildegard Angelini landwirtschaftlichen Bauberatungsstelle in Inzwischen hat ihre Tochter in Berlin ihr Architekturstudium beendet. Angesichts sind inzwischen durch Ausstellungen be- Quellen: Wehlau beim Wiederaufbau Ostpreußens kannt geworden. Zum Schaffen Dickers in AAKW, Studentenakte Friedl Dicker und 1918 im Münchner Privatbüro von der politischen Entwicklungen in der DDR Theresienstadt siehe „Vom Bauhaus nach BHAB, Zeugnis Dicker 28.4.1931 (Itten), Prof. Theodor Fischer.114 Im November zieht Edith Dinkelmann nach Stuttgart. Zeugnis Dicker 29.4.1931 (Gropius), Dort wird sie beruflich nicht mehr tätig. Sie Terezin“, Katalog, Frankfurt/M., 1991 Bauhaus Archiv Darmstadt (Hg.): Friedl 1919 legt sie an der TH Braunschweig als starb 1984 im badischen Karlsbad. 112 Lt. Trauttmansdorff wurde Friedl Brandei- Dicker/Franz Singer, Katalog zur gleich- erste Architekturstudentin die Diplomprü- namigen Ausstellung im Bauhausarchiv 115 sova am 6.10.44 im Transport E0 167 von fung ab. Sie besteht mit „gut“. Für biografische Angaben danke ich Darmstadt v. 31.1.-24.3.1970 Dore Dinkelmann-Möhring Theresienstadt nach Auschwitz gebracht. Röder, Werner / Strauss, Herbert A..: Ab Februar 1920 wird sie bei der Gemein- Trauttmansdorff, 1989, S.110. Pavel Bran- Biographisches Handbuch der deutsch- nützigen Siedlungsgesellschaft Stadt und Quellen: sprachigen Emigration 1933-1945, deis, der eine Woche zuvor nach Auschwitz Land mbH Dessau angestellt, wo sie „eifri- Archiv der TH Braunschweig, Studen- München, 1980/1983 tenakte Schulze deportiert worden war, gelingt die Flucht. Bloch, Karola: Aus meinem Leben, Pful- ge Mitarbeiterin bei allen Planungsarbei- Abschrift eines handschriftlichen Le- lingen, 1981 ten“ von Regierungsbaumeister Theodor benslaufs von Dipl.Ing. Edith Dinkel- 113 Wir wissen bisher nicht, wie sie auf die Idee Pelinka, Peter: Die Zeichenlehrerin der Overhoff wird. Dieser ist als Geschäftsfüh- mann (1950er Jahre), NL Dinkelmann kam, Architektur zu studieren. KZ-Kinder, in: Arbeiter-Zeitung Wien, Overhoff, Thomas: Bebauungsplan und 22.8.1988 rer der 1919 gegründeten Siedlungsgesell- 114 Theodor Fischer war 1918 u.a. mit dem er- bisherige Bautätigkeit in: Arbeitskreis Schromm, Georg / Trauttmansdorff, schaft für die Errichtung der Gartenstadt- Siedlungen im Verein industrielles Gar- sten großen Wohnungsbauprojekt in Mün- Stefanie: 2x Bauhaus in Wien, Franz Siedlung Hohe Lache bei Dessau verant- tenreich e.V. (Hg.): Die Siedlung Hohe chen nach dem 1.Weltkrieg, der Kleinwoh- Singer, Friedl Dicker, Wien 1989 Lache bei Dessau, (Reprint der Bro- Plakolm-Forsthuber, 1994, u.a. Kurzbio- wortlich, im Hauptamt jedoch auch weiter- nungsanlage „Alte Heide“ beauftragt - vgl. schüre von 1921), 1994, S.23 grafie Dicker; S.269 hin Leiter der Dessauer Baupolizei. Zum Gropius, Walter: Das Bauhaus in Des- Nerdinger, W. (Hg.): Theodor Fischer, Mün- Makarowa, Elena: Friedl Dicker, Basel, 1.2.1923 wechselt Edith Schulze an das sau - eine Entgegnung von Walter Gro- chen, 1988, S.286 ff. 2000 pius, in: Die Wohnung, 1.Jg., H.11, (Fe- Stadtbauamt der Stadt Dessau, im Som- bruar), Berlin 1927 115 Zum Studium Edith Schulzes vgl. Eckhoff, mer 1925 zur Mitteldeutschen Heimstätte. Eckhoff, Regina: Das Frauenstudium an 1993, S.62. Sie interessiert sich für das Bauhaus seit der TH Braunschweig vom Kaiserreich bis 1933, Braunschweig, 1993

340 Anhang eigene Schriften: tin, die das Studium trotz der zu Beginn Christa Kleffner-Dirxen stellt ihr Wirken Schulze, Edith: Das Bauhaus in Dessau, der dreißiger Jahre besonders schlechten nicht in den Vordergrund, lässt aber auch in: Die Wohnung, 1.Jg., Heft 9, Dezem- Berufsaussichten zügig betreibt. Neben keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie an ber, Berlin, 1926, S.237ff. 116 Gutschow/Pick, 1983, S.92, Obj.Nr.89. Zu diess.: Die Siedlung Hohe Lache bei dem Studium widmet sie sich dem Segel- vielen Projekten maßgeblich beteiligt ist. den Wohnhäusern zählt bspw. das 1954 Dessau, in: Die Wohnung, 2.Jg., H.1, fliegen. Ihre Studienarbeiten sind bisher Sie engagiert sich in kulturellen und kirch- April, Berlin, 1927,S.2ff. fertiggestellte Wohnhaus Otten in Münster - nicht bekannt. lichen Zusammenhängen und steigt erst diess.: Das Bauhaus in Dessau. Eine vgl. Gutschow/Pick, 1983, S.80, - Objekt Antwort auf die Entgegnung von Profes- Mitte der achtziger Jahre - anlässlich ihres Direkt nach dem Vordiplom wechselt Dir- Nr.70, Peter-Wust-St.16 resp. Mittag, Mar- sor Walter Gropius, ibid., S.25ff. 75. Geburtstages - aus dem Büro aus. xen zum Wintersemester 1933/34 an die tin: Kleine Eigenheime, Gütersloh, 1957, Christa Kleffner-Dirxen lebt in Münster und TH Charlottenburg. Dort entwirft die Gast- S.224-225 studentin im Seminar Tessenow ein „klei- wird noch manchmal „zu Rate gezogen, 117 Christa Kleffner-Dirxen im Schreiben vom nes Wohnhaus“. Schon ein Semester spä- wenn z.B. in einer Kirche, die ich gebaut 117 15.1.1998 Christa Dirxen ter kehrt sie nach Stuttgart zurück, wo ins- habe, etwas geändert werden soll.“ spätere Kleffner-Dirxen (ab 1939) besondere die Möglichkeiten zum Segel- Ein Werkverzeichnis ihrer Bauten existiert Dipl.Ing., BDA, DWB, Kath. Aka- fliegen weitaus günstiger gewesen seien bisher nicht.

demikerverband, SIAC als in Berlin. Quellen: Nach ihrer Diplomprüfung an der TH Stutt- HTA, Karteikarte Dirxen geb. 2.1.1910 Hamm - lebt in Münster Brief Christa Kleffner-Dirxen vom 15.1. gart 1936, die sie bei Bonatz mit Auszeich- 1998 mit der Kopie eines nicht näher nung besteht, tritt Christa Dirxen in die bezeichneten Artiekls: „Um den Wieder- Studium an der TH München 1930, TH Planungsabteilung des Reichspostministe- aufbau verdient gemacht“, Münster, Ja- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nuar 1985 Stuttgart 1931 bis 1933, TH Charlotten- riums in Berlin ein. Dort arbeitet ab 1937 Telefonat mit Christa Kleffner-Dirxen am burg WS 1933/34, TH Stuttgart 1934 bis auch die ehemaligen Kommilitonin Gisela 19.1.1998 1936, Diplom Schneider. Christa Kleffner-Dirxen erinnert Gutschow, Nils / Pick, Gunnar: Bauen in Münster, Münster, 1983 zumindest eine Realisierung nach ihrem „Haus Otten”, Münster, 1954, Südansicht wurde 1910 in Hamm als Tochter des Stu- Entwurf: ein Bootshaus für Frau Postmini- dienrats Joh. Dirxen und seiner Frau Maria ster Ohnesorge an einem See östlich von Schnitte, Grundrisse geb. Lammers geboren. Wie und wann sie Berlin. Um 1938 ist Dirxen evtl. in Köln tä- auf die Idee kommt, Architektur zu studie- tig, ab 1939 wirkt sie im mecklenburgi- ren, wird nicht ganz klar. Bereits im Abitur- schen Malchow an einer Siedlung mit. zeugnis soll jedoch der Studienwunsch Ar- Noch 1939 heiratet sie ihren Stuttgarter chitektur vermerkt sein. Ihre ältere Schwe- Studienkollegen Eberhard Michael Kleffner ster studiert an der Kunstgewerbeschule (1911 - 2000). 1941 wird Kleffner-Dirxen in München Grafik. der Redaktion der in München erscheinen- Christa Dirxen schreibt sich 1930 zuerst an den „Neuen Bauform“ tätig. Dort schreibt der TH München für Architektur ein, wech- und redigiert sie ohne dass ihr Name ge- selt bald an die TH Stuttgart, wo sie bei nannt wird. Sie bringt drei Kinder zur Welt. den Professoren Bonatz, Schmitthenner 1949 zieht sie nach Münster. Dort gründet und Gössel studiert. Sie ist eine hoch mo- sie 1951 mit ihrem Mann das Büro ‘Kleff- tivierte und vielseitig interessierte Studen- ner und Kleffner-Dirxen’. Gemeinsam bau- en sie Einfamilienhäuser aber auch Büro- und Geschäftsbauten, wie 1953 den Ver- Verwaltungsgebäude des Verbandes westfälisch-lippischer waltungsbau für den Verband Westfälisch- Wohnungsbauunternehmen, Münster, 1953 Lippischer Wohnungsbauunternehmen.116 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Das “Büro für Hoch-, Wohn- und Sied- lungsbau” kann sich innerhalb weniger Jahre etablieren und bald auch Kirchen und Schulen realisieren. So handelt es sich bei den Münsteraner Kirchen St. Bonifatius und St. Margareta um Projekte des Büros Kleffner-Dirxen. Christa Kleffner-Dirxen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar führt das Architekturbüro in Münster allein weiter, nachdem ihr Mann 1958 als Diöze- sanbaumeister nach Essen berufen wird. Im Auftrag verschiedener Bistümer entste- hen nun auch Internats- und Schulbauten, darunter eine Klosteranlage in Brasilien.

Biografien 341 Marie Dolezalova zent für Grafik berufen.120 Auch Marie Do- Gisela Eisenberg spätere Rossmannova[-Dolezalo- lezalova verlässt das Bauhaus im Früh- spätere Lucano (ab ca. 1936), sommer 1931 Richtung Bratislava. Zdenek va] (vor 1940) Dipl.Ing., HTG Rossmann stattet als Grafiker zahlreiche geb. 9.12.1909 Nitkovicz-Kromeriz - Publikationen mit ebenso unkonventionel- geb. 14.11.1904 Kassel - gest. 1997 Rom gest. 1983 Bratislava len wie aufwendigen Layouts aus. Marie Dolezalova wird als Fotografin tätig. Studium an der TH München 1925 bis Rossmann überlebt - zwischen 1943 und Studium am Bauhaus Dessau Herbst 1927, an der TH Charlottenburg 1928 bis 45 - das Konzentrationslager Mauthausen. 1930 bis Frühsommer 1931 Sommer 1931, Diplom Wo und wie Marie Rossmanova in dieser Studierende am Bauhaus ohne genauere Zeit (über)lebt, ist bisher unbekannt. Nach wurde 1904 als einziges Kind des Arztes Angaben. Die tschechische Studentin Ma- 1945 bringt sie mindestens ein Kind zur Dr. Otto Eisenberg (geb.1872) und Anna 121 rie Dolezalova kommt im Herbst 1930 mit Welt. Ebenso unklar ist bisher, ob sie geb. Noll (geb.1876) in Kassel geboren. 20 Jahren aus Brünn an das Bauhaus in nach 1945 erneut erwerbstätig wird resp. Wahrscheinlich legt Gisela Eisenberg im Dessau, wo ihr Name als Marie Dolezelo- bleibt. Zdenek Rossmann wird in den fünf- Frühjahr 1924 an der städtischen Studien- wa im Einschreibebuch erscheint. Sie ist ziger Jahren als Professor für Architektur anstalt das Abitur ab. Wie sie auf die Idee 1909 in Nitkovicz-Kromeriz geboren, 1930 an die Technische Hochschule in Bratisla- kommt, Architektur zu studieren und wo wohnen ihre Eltern in Polanka. va berufen. sie ihr Baupraktikum ableistet, ist bisher Ob Marie Dolezelowa ein Abitur erwarb, Marie Rossmannova[-Dolezalova] starb unklar. Da sie bis 1925 in Kassel gemeldet ließ sich bisher nicht verifizieren. Sie könn- 1983 in Bratislava. ist, studiert sie evtl. zunächst an der dorti- te vor ihrem kurzen Studium am Bauhaus Quellen: gen Akademie. ihren späteren Mann Zdenek Rossmann BHD Einschreibebuch S.47, NL Enge- Zum Mai 1925 schreibt sie sich für Archi- mann bereits gekannt, wie er im Büro von Bo- Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und die tektur an der TH München ein, wo sie im huslav Fuchs gearbeitet haben. Für fach- tschechische Avantgarde, in Gaßner März 1927 das Vordiplom ablegt. Hier spezifische Vorerfahrungen wie eindeutige et.al.: Das Schicksal der Dinge, Leipzig, freundet sie sich mit der gleichaltrigen Lie- 1989, S.214-230, Rossmann/ova S.227 Architekturambitionen spricht, dass Marie derss.: Das Bauhaus und die Avantgar- selotte von Bonin an. Wie diese absolviert Dolezalova schon nach wenigen Wochen de in der Tschechoslowakei um 1933 sie ein einjähriges Volontariat in Düssel- in der Vorlehre einen Aufnahmeantrag für in: Hahn (Hg.): Bauhaus Berlin, 1985, dorf. Während von Bonin bei Emil Fahren- S.241-25Anna, Susanne (Hg.): Das Bau- das 2. Semester Baulehre stellt. Dieser haus im Osten, Katalog, Leverkusen, kamp mitarbeitet, volontiert Eisenberg ab wird jedoch mit der Begründung abge- 1997 - insbesondere S.180 Anfang Mai 1927 im Privatbüro von Fritz lehnt, dass dies erst nach drei Semestern The Holocaust Phenomenon - Internet- Becker (1882-1973). Dieser ist Professor projekt auf Initiative von Vaclav Havel 118 Theorie möglich sei. seit 2000 an der Düsseldorfer Kunstakademie und Zum Sommersemester 1931 wird sie für realisert etliche Wohnungsbauten, aber Fotografie aufgenommen, verlässt das auch den Pavillon der Stadt Düsseldorf auf Bauhaus aber noch vor Ablauf des Seme- der „Gesolei“ 1926. sters. Ob sie andernorts ein Architekturstu- dium aufnimmt resp. weiterführt, ist unklar. Gisela Eisenberg (rechts) mit Lieselotte von Bonin Einzelne Hinweise auf Marie Dolezalovas Leben lassen sich erst wieder finden als sie um 1943, inzwischen mit Zdenek Ross- mann verheiratet, enteignet wird. Zdenek Rossmann (1905 Mährisch Ostrau - 1984 Bratislava) studierte ab Frühjahr 1930 am Bauhaus und war sofort in die Bauabtei- 118 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 11.11. lung aufgenommen worden. Er ist fünf 1930, Bl.2, Pkt.14 Jahre älter als Dolezalova und veröffent- 119 Rossmann, Zdenek: Architect Bohuslav licht 1930 die erste Monografie über die Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Fuchs, Basilej, 1930 Arbeiten von Bohuslav Fuchs, in dessen

120 Vgl. Slápeta, Vladimir: Das Bauhaus und Büro er Ende der zwanziger Jahre kurzzei- 119 die Avantgarde in der Tschechoslowakei tig gearbeitet hatte. Als Rossmann im Frühsommer 1931 aufgrund seines kom- um 1933 in: Hahn / Wolsdorff, 1985, S.241- Dümmler, Elfriede munistischen Engagements das Bauhaus 251, hier S.247 siehe Knoblauch, Elfriede verlassen muss, wird er - aufgrund dieser 121 Auf einem von Irena Blühova in den 50er politischen Parteinahme - vom Direktor der Ebert-Harte, Hilda siehe Harte, Hilde Jahren aufgenommenen Foto ist Architekt Kunstgewerbeschule in Bratislava als Do- Ehren, Gisela siehe Schneider, Gisela Rossmann mit seinem Sohn“ zu sehen.

342 Anhang Quellen: lyzeum, das sie mit der Obersekundarreife HTA Karteikarte Eisenberg und Rück- abschließt. In dieser Zeit nimmt sie am seite Karteikarte Schröder Archiv der TU München, Mitteilung von Zeichenunterricht der Gewerbeschule teil. Herrn Bachmann vom 18.11.1997 Die Familie ist katholisch und gutbürger- Stadtarchiv Kassel, Mitteilung von Herrn lich. Alle Kinder betreiben Musikstudien Klaube vom 20.8.1997 und sind ‘Wandervögel’. Die Schwester und ein Bruder studieren später Musik in Leipzig, der jüngste Bruder wird Jurist.

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Lore Enders´ Interesse an der Architektur dürfte durch den Vater geweckt, aber nicht unbedingt gefördert worden sein. Am 27.3. 1922 schreibt er sie am Mannheimer Frö- belseminar für die Ausbildung als Erziehe- rin ein. Sie bricht diese Ausbildung ab, geht auf Vermittlung einer Oberin für vier Jahre nach Peru. Dort arbeitet sie als Er- 122 Schreiben Jürgen Gunkel vom 17.12.1998 zieherin auf der Zuckerfarm der Familie 123 Dies vermerkt das Prüfungsprotokoll vom Gisela Eisenberg, 1928 Gildemeister. In diese Zeit fällt der Tod des Sommersemester 1929 unter ihrem Namen Vaters. als Vorbildung.

Zum Frühjahr 1928 wechseln beide Freun- Nach ihrer Rückkehr nach Mannheim ar- 124 In den „Erfahrungen eines akademischen dinnen an die TH Charlottenburg ins Semi- beitet Lore Enders als Zahnarztgehilfin123, Architekturstudenten“ berichtet Pius Pahl: nar Tessenow. Eisenberg entwirft hier im widmet sich in privaten Studien aber auch „Die modernen Entwürfe verschiedener Sommersemester 1929 eine ‘Volksschule’ dem Malen und Zeichnen. 1929 gastiert in Kunstakademien hatten mich bis dahin teil- und eine ‘Treppe’. Zuvor könnte auch sie der Mannheimer Kunstgalerie die Wander- weise sehr beeindruckt, bei der Bauhaus- eines der obligatorischen Wohnhäuser ent- ausstellung „10 Jahre Bauhaus“ . Es ist Ausstellung jedoch hatte ich zum ersten worfen haben. Ihre Arbeiten aus der Studi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wahrscheinlich, wenn auch bisher nicht Mal das Gefühl, daß die gezeigten Gegen- enzeit sind bisher jedoch nicht dokumen- gesichert, dass sich Enders durch diese stände und Entwürfe mehr waren als nur tiert. Aus dem Sommer 1929 datiert das Ausstellung für das Bauhaus begeisterte, neue Formen.“ Pius Pahl in Neumann, ebenfalls obligatorische Aufmaß, das sie wie dies auch Pius Pahl tat.124 Unmittelbar 1985, S.332 gemeinsam mit der zwei Jahre jüngeren nach dieser Ausstellung schreibt sich Lore 125 BHD, NL Engemann, Sign.35-D-1930-06-02 Kasselenerin Anni Pfeiffer in Kassel ange- Enders zum Frühjahr 1929 am Bauhaus 126 BHD, NL Engemann, Semesterprüfungs- fertigt haben soll.122 Im Frühjahr 1931 be- unter der Matr.Nr.331 ein. liste SS 1931 vom 6.7.1931, Bl.10.: „IV. steht sie bei Tessenow die Diplomhaupt- Am Bauhaus ist sie u.a. mit Gerhard Ka- sem. bau/ausbau: enders, lore: beurlaubt.“ prüfung. Thema wie Entwurf sind dow und dem ebenfalls aus Mannheim Lore Enders 127 Bisher läßt sich nicht nachweisen, daß sie unbekannt. stammenden Max Enderlin befreundet. Eleonore Enders, spätere Hessel- mit nach Berlin umzieht. Da sie auf Aus- Anschließend bleibt Eisenberg in Berlin. Während beide Kommilitonen u.a. in der flugsfotos des Bauhauses im Frühjahr 1933 Sie wohnt in der Kaiserallee (heute Bun- bach (ab 1/1934) Webereiwerkstatt studieren, arbeitet Lore zu sehen ist, hielt sie offenbar jedoch wei- desallee) in Friedenau, wird ab 1934 als Enders nach der Grundlehre bei Albers ab geb. 20.1.1904 Mannheim - gest. 16.8. terhin Kontakt, auch als das Bauhaus in der Architektin auch im Branchentelefonbuch Herbst 1929 in der Tischlerei. Sie studiert 1944 Dessau, begraben auf dem Nord- Steglitzer Birkbuschstraße untergebracht genannt, mit einem Eintrag in der Waghäu- u.a. bei Engemann, wird in dessen Proto- friedhof in Dessau ist. seler Straße 6. Bisher ist nicht bekannt, ob koll des Ausbauseminars - zusammen mit sie dort ein eigenes Büro betrieb, was und Wimmer - als „Arbeitsgruppe Küche“ ge- für wen sie plante und realisierte. Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis nannt. Lt. Möblierungsplan Törten ist Lore 125 Um 1936 heiratet Gisela Eisenberg den ita- 1932 Enders für die Kindermöbel zuständig. Lore Enders bei einem Ausflug des Bauhauses, 1933 lienischen Geschäftsmann und Kunstge- Aus diesen Jahren sind keine Studienar- wurde 1904 in Mannheim als älteste Toch- werbler Paolo Lucano, der 1937 erst- und beiten von ihr überliefert. Ebensowenig ist ter des Stadtbaurats Georg Enders (17.9. letztmalig im Berliner Adressverzeichnis bisher bekannt, wo sie im Wintersemester 1875 Metz - 16.11.1924 Mannheim) und genannt ist. Mit ihm übersiedelt sie in den 1931/32 ihr Außensemester absolviert.126 seiner Frau Eleonore geb. Kaiser (26.5. dreißiger Jahren nach Rom, wo sie mehre- Ab dem Frühjahr 1932 studiert Enders im 1877 Metz - 16.11.1949 Neckargemünd) re Kinder zu Welt bringt und nicht mehr fünften Semester wiederum in der Bau- geboren. Sie wächst mit einer Schwester berufstätig gewesen sein soll. Aber ihr wei- /Ausbauabteilung. Dem Umzug des Bau- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und zwei Brüdern in dem vom Vater ge- teres Leben ist bisher nicht erforscht. hauses nach Berlin schließt sie sich wahr- bauten Elternhaus in der Richard-Wagner- scheinlich nicht an.127 Sie erhält nach Gisela Lucano starb 1997 in Rom. Straße auf. sechs Semestern kein Diplom, setzt das Lore Enders besucht nach der Bürger- Studium an keiner anderen Schule fort. schule die Elisabethschule, ein Mädchen-

Biografien 343 Aus dem Dezember 1932 datiert der Ent- gebühren erlassen werden. Ohnehin ist wurf „La Casa Grande“ , ein Sommerhaus Gertraude Engels, die das Grundstudium für Oberin M. Zehentmayer in Neckarge- in vier Semestern absolviert, nicht nur eine münd.128 Oberin Zehentmayer, in deren begeisterte sondern auch ungemein fleißi- bereits bestehendem Sommerhaus Enders ge Studentin. Wie an ihren detailgenauen des öfteren zu Gast war, ist mit der Familie Zeichnungen sichtbar wird, hat sie ein be- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar seit langem befreundet. Sie ist auch Trau- sonderes Faible für die von Tessenow so zeugin, als Lore Enders im Januar 1934 in geschätzten, sehr arbeitsintensiven Aufma- Neckargemünd den Maschinenbauingeni- ße vorhandener Bauten. Gemeinsam mit eur Peter Leo Hesselbach (1.4. 1903 Leip- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Alexander Herde misst sie bspw. in Tan- zig - 16.8.1944 Dessau) heiratet. Ihn kennt germünde ein 1619 erbautes Ackerbürger-

„La Casa Grande”, 1932, Lore Enders, Süd- und Nordansicht sie bereits aus Mannheim. Nun arbeitet er haus, in Alt-Placht bei Templin die 1721 in Dessau als Testpilot der Junkerswerke. erbaute Kirche und in der Beeskower 1936 kommt die erste Tochter zur Welt, Kirchgasse ein Siedlerhaus auf. 1939 die zweite. Die Familie bezieht ein ei- Um 1935 beteiligt sich Gertraude Engels genes Haus in der Junkerssiedlung. Beim mit einem Entwurf unter dem Motto „Rühr- Luftangriff auf Dessau am 16.8.1944 wird ei“ an der Monatsaufgabe für eine Garten- dieses Haus im Kirschweg 35 von einer Gertraude Engels laube. Als Diplomaufgabe entwirft sie im Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bombe getroffen. Hierbei kommen Lore Gertraude [Agnes Wilhelmine] En- Winter 1935/36 ein ‘Kindererholungsheim’. und Leo Hesselbach gemeinsam mit dem gels, spätere Herde (ab 6.5.1939), Mit diesem Entwurf besteht sie in ihrem 1944 geborenen Sohn ums Leben. Zusam- Dipl.Ing., HTG neunten Studiensemester mit „sehr men mit weiteren Bombenopfern werden gut“.134 sie auf dem Nordfriedhof in Dessau beige- geb. 14.6.1913 Berlin-Niederschönewei- Anlässlich des Diploms im Februar 1936 setzt. Lore Hesselbach hat das Bauhaus- de - gest. 29.10.1998 Oldenburg verlobt sie sich mit Alexander Herde, der studium nicht abgeschlossen, nach der nach dem Diplom die Regierungsbaumei- Heirat keine Erwerbstätigkeit ausgeübt.129 Studium an der TH Charlottenburg 1931 sterlaufbahn einschlägt. Im Anschluss an Von den von ihr entworfenen und getisch- 128 Bei diesem nicht realisierten Projekt handelt bis 1936, Diplom das Studium ist Gertraude Engels für meh- es sich um ein Landhaus mit acht knapp lerten Möbeln sind stabelbare „Kistenkä- rere Monate für die Deutsche Forschungs- bemessenen Schlafzimmern. sten“ erhalten. wurde 1913 als Tochter des Elektroinge- gemeinschaft tätig. In deren Auftrag führt

129 Wo sie zwischen 1932 und 1934 arbeitet, Für biografische Angaben danke ich nieurs Heinrich Engels und seiner Frau Ag- sie Bauaufnahmen von landwirtschaftli- Barbara Linke und Lothar Enders ist bisher nicht bekannt. nes geb. Lammers in Niederschöneweide chen Handwerker- und Siedlerhäusern in geboren. Sie wächst als Einzelkind in einer der Mark Brandenburg, aber auch des 130 Abiturzeugnis Engels vom 4.3.1931, NL Quellen: Stadtarchiv Mannheim, Einschreibebo- protestantischen Familie auf, besucht die Laubenhauses „Zum großen Kurfürsten“ in Gertraude Herde gen Fröbelseminar, mit Dank an Barba- Dorotheenschule in Köpenick. Schon in Linum im Osthavelland durch. „Aber das ra Becker, 131 Zeugnis der Firma Georg O. Richter & 135 BHD, NL Engemann - Prüfungsproto- der Jugend freundet sich Gertraude Engels wirkliche Bauen lockte zu sehr!“ Schädel vom 2.10.1931 kolle Sommersemester 1929, 6.7.1931, mit ihrem späterem Ehemann, dem Archi- 132 Angaben Gertraude Herde am 17.9.1995 MRP 20.10. (wahrsch. 1931), 6 Uhr tektensohn Alexander Herde an. Als Studi- Projekt „Casa Grande für Oberin Ze- Haus Weldi, Nordstemmen, 1950 133 Pläne siehe Kap.5, S.126. hentmayer“, Dez. 1932, NL Hesselbach enwunsch vermerkt bereits das Abitur- zeugnis „Baufach/Innenarchitektur“.130 134 Zur Diplomarbeit „Mädchenerholungsheim“ siehe Kap.5, S.135 und Kap.6, S.166. Mit einem „ausgezeichneten“ Abitur am Oberlyzeum Cöpenick in der Tasche ab- 135 Schreiben Gertraude Herde vom 7.2.1990 solviert sie ein Praktikum im Bauhauptge- werbe auf einer Großbaustelle der Firma Richter und Schädel in Dahlem.131 Zum Diese Fotos von Lore Hesselbach entstanden 1941 bei einer Fotosession im Kirschweg Herbst 1931 schreibt sich Gertraude En- gels unter der Matr.Nr.44952 an der TH Charlottenburg für Architektur ein. Sie stu-

diert gleichzeitig u.a. mit Irina Kaatz und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Luise Zauleck. Nach dem Vordiplom bei Prof. Weiß besucht sie ab dem Winterse- mester 1933/34 das Seminar Tessenow.132 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ihre erste Entwurfsaufgabe dort ist ein klei- nes Arzthaus.133 Als ihr Vater 1935 bei der AEG entlassen wird, absolviert Engels Fleißprüfungen, wodurch ihr die Studien-

344 Anhang Engels wechselt zur Preußischen Bau- und Eva Fernbach Finanzdirektion, wo sie in der Bauleitung spätere Weininger (ab 1931) der Charité tätig wird. Sie überwacht den Neubau eines Operationssaales für Prof. geb. 21.7.1903 Bunzlau - lebt in Texas Ferdinand Sauerbruch und den Bau von vier ‘Absonderungshäusern’ für die Kinder- klinik unter Prof. Georg Bessau.136 Aus Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis dieser Stellung scheidet sie anlässlich der 1928 Heirat mit Alexander Herde im Mai 1939 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wurde 1903 als älteste Tochter einer weit- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar aus. verzweigten Verlegerfamilie in Bunzlau ge- Ihr Mann ist im öffentlichen Dienst tätig, boren. Als ihr Vater Otto Fernbach (geb. 1941 reicht sie gemeinsam mit ihm einen 1876), der zunächst in der Holzbranche tä- Entwurf beim reichsweiten Architekten- tig war, 1906 die Leitung eines Zeitungs- wettbewerb für Luftschutzbunker ein. Ihr verlages in Berlin übernehmen kann, zieht Beitrag „Alarm“ wird mit einen Preis der die katholische Familie nach Babelsberg. Gruppe I prämiert. Wenige Monate später Dort wächst Eva Fernbach mit mehreren wird Alexander Herde mit der Arbeit „Der Gertraude Herde in den 1950er Jahren Schwestern auf. Sie besucht die Augusta- Eva Fernbach im Prellerhaus 1928 Luftschutzbunker im Wohngebiet“ an der Schule in Berlin-Schöneberg, auf der sie TH Berlin promoviert. Bis Mitte der vierzi- sich bis zur mittleren Reife ein „bissl lang- ger Jahre bringt Gertraude Herde drei Kin- zieht die Familie nach Hildesheim. 1950 weilt“. Eine jüngere Schwester studiert an der zur Welt. Nach der Entlassung ihres baut Gertraude Herde in Nordstemmen der Burg Giebichenstein und wird Weberin, Mannes aus der Kriegsgefangenschaft mehrere Einfamilienhäuser. Für den eige- die Jüngste absolviert eine Ausbildung zur nen Bedarf und private Auftraggeber ent- Heilgymnastikerin. stehen immer wieder Möbel nach ihren Nachdem Eva Fernbach bei einem Onkel Entwürfen. Als 1954 zum zweiten Mal ein in der Landwirtschaft und mehrere Jahre Wettbewerb zum Wiederaufbau Hildes- im Verlag des Vaters mitgearbeitet hat, ab- heims ausgeschrieben wird, reichen Ger- solviert sie 1923 ein Praktikum in einer 136 Ibid. Mit diesen Aufgaben ist Gertraude En- traude und Alexander Herde den neben- Tischlerei in Potsdam. Die Eltern sind von gels fast drei Jahre betraut - vom 17.8.1936 stehenden Entwurf ein. Ihr Vorschlag, die dieser Idee nicht gerade begeistert, dulden Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bis 30.4.1939. Innenstadt auf Siedlerparzellen überwie- jedoch den Wunsch der fast volljährigen 137 Die Berliner Tischlerschule, 1879 als In- gend zweigeschossig aufzubauen, wird mit Tochter. Zum Frühjahr 1924 tritt Eva Fern- nungsschule eröffnet, bezog 1902 den dem 2. Preis ausgezeichnet. Auch das ei- bach gemeinsam mit der vier Jahre jünge- Neubau in der Straßmannstraße 5/6. gene Haus in Hildesheim entsteht als ge- ren Rahel Weisbach in die Berliner Tisch- meinsamer Entwurf. lerschule in der Straßmannstraße im 138 Rahel Weisbach gelingt es im Anschluss an Sie bleibt weiterhin freiberuflich, er im öf- Prenzlauer Berg ein.137 einen Ferienaufenthalt in der Schweiz, bei einem dortigen Tischler erneut in die Lehre Wettbewerb Wiederaufbau Hildesheim, 1954 fentlichen Dienst tätig, weshalb die Familie Dort sind sie die einzigen Schülerinnen, zu gehen um nach wenigen Monaten die 1955 nach Oldenburg umzieht. Beide wer- werden beide nach der Lehre aber nicht Haus Weldi, Nordstemmen, 1950 Gesellenprüfung erfolgreich abzulegen. den aktive Mitglieder der Tessenow-Ge- zur Gesellenprüfung zugelassen.138 Eva sellschaft. Gertraude Herde entwirft in den Fernbach ärgert sich, weiß jedoch, was sie folgenden nun auch Bebauungspläne, wie gelernt hat und misst dem Gesellenbrief bspw. 1962 den für die Gemarkung Raste- keine allzu große Bedeutung bei. Neben Klasse der Berliner Tischlerschule 1926. In der 2. Reihe de, bleibt vielseitig interessiert und aktiv der Tischlerlehre besuchte sie drei Jahre Fernbach und Weisbach (3. v. rechts, resp. Mitte) und setzt sich bspw. für den Erhalt von lang privaten Malunterricht bei Johann Alleen ein. Gertraude Herde starb 85jährig Walter-Kurau und Zeichenunterricht bei 1998 in Oldenburg. der Bildhauerin Marcks, einer Schwägerin Für biografische Angaben danke ich von Gerhard Marcks. Beide raten zum Stu- Gertraude und Alexander Herde. Barba- dium am Bauhaus. Fernbach informiert ra Heise danke ich für Recherchen und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar die Unterstützung bei der Erfassung des sich vor Ort und zieht nach Dessau. zeichnerischen Nachlasses. Zum Januar 1927 ist kein Einstieg ins Stu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Quellen: dium möglich. Als sie in der Tischlerei vor- HTA Karteikarte Engels, Gertraude spricht, wo Marcel Breuer Werkstattleiter HTG, LL Gertraude Herde v. 20.1.1961 ist, wird sie umgehend mit der Produktion NL Gertraude Herde, Studienarbeiten Brief Getraude Herde vom 7.2.1990, von Stühlen beschäftigt. Zum Sommerse- Fragebogen 1995 mester schreibt sie sich ein (Matr.Nr. 181) Gespräch mit Barbara Heise am 2.9. und absolviert zunächst bei Albers die 1995

Biografien 345 Grundlehre, besucht Kurse von Köhn und und Oberflächen aus. Sie entwirft auch die Als ihnen um 1950 eine Einreiseerlaubnis Stam, studiert bei Kandinsky, Schlemmer, Einrichtung der nächsten Wohnung in der für Kanada erteilt wird, siedeln Weiningers Moholy-Nagy und insbesondere bei Klee. Düsseldorfer Straße. Bereits 1929 kann sie dorthin über. Die folgenden neun Jahre in Am Bauhaus ist Eva Fernbach mit Wera in Schneidemühl den Innenausbau der Villa der Nähe von Toronto beschreibt Eva Wei- Meyer-Waldeck, Kattina Both und Lisbesth Sommerfeld realisieren.140 Dank der Be- ninger als die schlechtesten ihres Lebens. Oestreicher befreundet. Ausschlaggebend kanntschaft mit den Sommerfelds erhält Die kulturellen Bedingungen seien noch für ihr weiteres Leben wird die Bekannt- Eva Fernbach zumindest einen weiteren rückwärtsgewandter gewesen als befürch- schaft mit Andor Weininger. Dieser ungari- Auftrag für eine Inneneinrichtung.141 tet. Es gibt keine Nachfrage nach moder- sche Kunststudent, der bereits 1921 bis 1931 heiraten Eva Fernbach und Andor ner Gestaltung, Andor Weininger malt. 1923 am Bauhaus Weimar studierte, kehrt Weininger (12.2.1899 Pécs - 6.3.1986 New Nach einem privaten Aufenthalt in Europa im Spätjahr 1925 aufgrund eines Stipen- York). Gemeinsam realisieren sie im glei- gelingt 1959 endlich die Übersiedlung dienangebotes von Walter Gropius ans chen Jahr eine komplette Villenausstattung nach New York. Bauhaus - nun in Dessau - zurück. Dort für die Hamburger Reederfamilie Thost. Eva Weininger bleibt aktiv und vielfältig wird er Leiter der Bauhauskapelle und ist Eva Weininger entwirft die Möbel, zeichnet interessiert, als Entwerferin wird sie aber in der Bühnenwerkstatt unter Leitung von sie im Maßstab 1:1 auf Packpapier.142 An- nicht mehr tätig. Sie und lebt nach dem Oskar Schlemmer an der Entstehung der dor Weininger zeichnet Perspektiven und Tod Andor Weiningers (1986) weiterhin in Bauhaus-Tänze beteiligt. Er entwickelt um entwirft die Lampen. Um 1934 entwirft Eva Manhattan. Nach dem Tod ihrer Tochter 1927 die ‘Mechanische Bühnenrevue’ so- Weininger einen Schreibtisch für Marli Ehr- zieht sie 2001 zu Verwandten nach Texas. 139 Lt. Angabe Eva Weiningers auf dem Frage- wie das ‘Kugeltheater’. mann.143 bogen für Bauhäusler, S.3 (BHAB). Quellen: Fernbach ist von den gestalterischen Mög- Anfang der dreißiger Jahre ist die Auftrags- Interview mit Eva Weininger am 2.12. 140 Max Sommerfeld, der Bruder des Berliner 1995 in New York lichkeiten am Bauhaus begeistert, von den lage für EntwerferInnen moderner Innen- Bauunternehmers Adolf Sommerfeld, leitet STAD, Einschreibbuch WS 27/28, SS 28 handwerklichen Standards aber entsetzt. einrichtungen schwierig aber nicht aus- Wenzel, Georg: Deutscher Wirtschafts- in Schneidemühl ein Sägewerk. In der Tischlereiwerkstatt arbeitet sie selb- sichtslos. Mit der Änderung des kulturellen führer, Hamburg, 1929 141 Es handelt sich um einen Entwurfsauftrag ständig, wendet sich mit handwerklichen BHAB, Fragebogen E. Weininger, undat. Klimas, der Wahl Hitlers zum Reichskanz- Kirsch, Karin: Möbel von Andor und Eva für Möbel durch einen Tiefbauingenieur der Fragen weiterhin an ihre ehemaligen Lehrer ler, wird es für Weiningers schwieriger Auf- Weininger, in: Svestka, Jiri (Hg.): Andor Dahlemer U-Bahn-Linie in Berlin. Näheres in der Berliner Tischlerschule. Als sie sich träge zu akquirieren: Als Ausländer kann Weininger, Stuttgart 1990, S.58 ff. über die dafür entworfenen Möbel konnte in Dessau zur Gesellenprüfung anmeldet, „Bei mir war eigentlich alles ein Wun- Andor Weininger ab 1934 nicht mehr unter der“ Notizen eines Gespräches mit Ra- bisher nicht recherchiert werden. werden ihr die 2 1/2 Jahre an der Tischler- eigenem Namen arbeiten. Unter Deckna- hel Bontjes van Beek, das Dorothea 142 Interview mit Eva Weininger am 2.12.1995. schule nicht anerkannt. Daraufhin verzich- men realisiert er einen Tombolastand auf Schemme 1990 führte, in: Frauen in tet sie auf die Gesellenprüfung. Bau- und Ausbauberufen, Berlin 1990, Bei den erst nachträglich signierten Zeich- der Ausstellung „Haus und Handwerk“ und S.85 ff. nungen handelt es sich überwiegend, wenn Als Andor Weininger im April 1928 anläss- einen Laden für Manolizigarren im alten nicht ausschließlich um Möbelentwürfe Eva lich des Weggangs Walter Gropius´ von Teil der Kurfürstenstraße. 1938 kommt die Weiningers. Gerda Bijhouwer erinnert, dass Dessau nach Berlin wechselt, folgt Eva gemeinsame Tochter zur Welt. Eva Weininger in der Berliner Zeit mit Mö- Fernbach im Herbst. Sie erhält von Hannes Angesichts fehlender Zukunftsperspektiven belaufträgen beschäftigt gewesen sei, An- Meyer nach weniger als einem Jahr am beschließen Eva und Andor Weininger in 139 dor Weininger vor allem gemalt und ge- Haus „eine Art Abschlusszeugnis“. die USA auszuwandern. Da eine Einreise zeichnet habe. (Interview mit Gerda Bijhou- In Berlin wohnen sie zunächst in der Nähe dort aufgrund verschärfter Bestimmungen Küchenzeile in der eigenen Wohnung, 1930 wer-Marx am 4.10.1995) des Breitenbachplatzes, Eva Fernbach ent- nicht möglich ist, siedeln sie Ende 1938 143 Marli Ehrmann geb. Heimann studierte am wirft Möbel für die gemeinsame Wohnung. zunächst in die Niederlande über. Ihre Ber- Bauhaus (1923 - 1927) in der Weberei, nun Diese zeichnen sich durch äußerst redu- liner Möbel stellen sie bei Martin Elsässer ist sie als Lehrerin in Berlin tätig. zierte Formen unter Einsatz edelster Hölzer unter. Bis 1942 wohnen sie mit ihrer Tochter in Scheveningen, dann in Amsterdam. Eva

Schlafzimmer im Haus Thost, Hamburg, E. Weininger, 1932 Spieltisch für die Wohnung Sommerfeld,1929 Weininger gelingt es nicht, Aufträge für In- nenausbau zu akquirieren. Andor Weinin- ger nimmt Reklameaufträge an. 1941 be- teiligen sie sich gemeinsam am Wettbe- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar werb „In Holland staat een huis“. Obschon Eva Weininger auf die Unterstützung etli- cher Verwandter in den USA zählen kann, Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar gelingt es jahrelang nicht, ein Einreisevi- sum für die gesamte Familie zu erwirken. Der Aufenthalt in den Niederlanden bleibt - in der Hoffnung auf die Weiterreise - trotz der Länge nur Zwischenstation.

346 Anhang Irmgard Fischer Ausbildung bei Professor Schmitthenner fällt die Wahl auf die TH Stuttgart. Der Va- geb. am 9.9.1913 Berlin - Daten nach ter begleitet sie für die erste Semesterwo- 1936 unbekannt che im Herbst 1930 und unterstellt sie dort der Obhut eines befreundeten Baurats. Ewa Freise wohnt zunächst zusammen mit Studium an der TH Charlottenburg acht Mädchen aus verschiedenen Ländern wahrscheinlich ab 1933 bis 1936 in einer Pension in der Alexanderstraße. Nach einem halben Jahr sucht sie sich ein Studentin bei Heinrich Tessenow, über de- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ren familiären Hintergrund und weiteres günstigeres Zimmer. Neben Schmitthenner Leben bisher nur wenige Informationen re- ist ihr aus der Zeit in Stuttgart insbesonde- cherchiert werden konnte. Auf Irmgard Fi- re Hugo Keuerleber in Erinnerung geblie- schers Karteikarte ist eine Adresse in Hei- ben, den sie als „ausgezeichneten Mann“ nersdorf bei Berlin eingetragen. Unter die- erinnert. 1933 besteht Freise in Stuttgart ser Adresse ist - zumindest in den dreißi- das Vordiplom. Das vorgeschriebene Bü- ger Jahren - ein Architekt namens Bern- ropraktikum leistet sie in Halle ab. hard Fischer gemeldet. Dresslers Künstler- Anschließend wechselt sie nach Berlin - handbuch vermeldet den Zusatz Oberbau- Ewa Freise wie auch Dieter Oesterlen, den sie seit rat, was auf eine Tätigkeit im öffentlichen Ewa [Margarete] Freise, spätere dem Grundstudium kennt. Dort wohnen sie Dienst verweist. Oesterlen (ab 26.8.1938), Dipl.Ing. gemeinsam zur Untermiete bei der Familie Da Irmgard Fischer im Sommersemester des Theaterkritikers und Schriftstellers Ju- geb. 12.12.1910 Kattowitz - lebt in Han- 1935, nach einem in Berlin bestandenen lius Bab im Westend. Ab dem WS 1933/34 nover Vorexamen, das Seminar Tessenow be- besuchen beide an der TH Charlottenburg sucht und ein Semester später, am 29.2. das Seminar Tessenow. Aus dieser Zeit 1936 exmatrikuliert wird, bleibt bisher of- Studium an der TH Stuttgart 1930 bis datiert die Freundschaft mit Luise Zauleck. fen, ob sie das Studium abbrach oder an 1933, an der TH Charlottenburg 1933 bis Oesterlen wechselt nach einem Semester einer anderen Hochschule fortsetzte. Da 1936, Diplom zu Poelzig, Freise bevorzugt den ruhigeren dieses Sommersemester 1935 im Seminar Tessenow und schätzt auch dessen Assi- Tessenow das sechste Studiensemester wurde 1910 als älteste von drei Töchtern stenten Walter Löffler. Dieser betreut ihre Irmgard Fischers war, dürfte sie das Archi- des Architekten Wilhelm Freise (geb.1877) Diplomarbeit, eine „Montessorischule”, mit tekturstudium unter der Matrikelnummer und Margarete geb. Ensen (geb.1890) im der sie das Diplom im März 1936 mit „gut“ 46153 zum Wintersemester 1932/33 an oberschlesischen Kattowitz geboren. In abschließt. der TH Charlottenburg begonnen haben. Halle a.d. Saale, wo der Vater als Hoch- Nach dem Diplom arbeitet Ewa Freise in Irmgard Fischer ist somit wahrscheinlich baudezernent der Reichsbahn arbeitet, be- der Planungsabteilung des Luftfahrtmini- zu den Studentinnen zu rechnen, die un- sucht Ewa Freise die Schule bis zum Abi- steriums, wo bereits die Kommilitonin Si- mittelbar im Anschluss an das Abitur ziel- tur. In dieser Zeit interessiert sie sich vor grid Rauter arbeitet. Anfang 1938 nimmt strebig ein Studium an einer TH begannen. allem für Mathematik und Zeichnen und auch Klara Brobecker hier die Arbeit auf. Studienarbeiten von ihr sind bisher nicht beschäftigt sich mit Literatur. Ihre Schwe- Freise entwirft hier - nach eigener Erinne- bekannt. ster studiert später an der Burg Giebichen- rung - Fliegerunterkünfte. stein, die jüngste Schwester Sprachen. Irmgard Fischer soll um 1941 in Krakau - Nach zwei Jahren gibt Ewa Freise die Mit- dem nach der Besetzung Polens soge- Da Ewa Freise selbst zunächst keine Be- arbeit im Ministerium auf und heiratet am nannten „Generalgouvernement“ - gelebt rufsvorstellungen hat, besucht sie gemein- 26.8.1938 in Halle ihren Studienfreund und haben. Zu diesem Zeitpunkt ist sie nicht sam mit der Mutter - auf Vorschlag des Kollegen Dieter Oesterlen (5.4.1911 Hei- diplomiert. Über ihren weiteren Lebensweg Vaters - eine Architektin, deren Bautätig- denheim - 1994 Hannover). Dieser hatte ist bisher nichts bekannt. keit in Halle/Saale um 1930 in der Presse nach dem Diplom 1936 zunächst die Re- ein großes Echo findet.144 Auch wenn die- Quellen: gierungsbaumeisterlaufbahn eingeschla- HTA Karteikarte Fischer se Begegnung bei Ewa Freise nicht unbe- gen. Nach dem Gewinn der Schinkelpla- Dresslers Kunsthandbuch, Bd. 2, Berlin dingt Begeisterung auslöst, so fällt im An- kette und bestandenem Assessorexamen 144 Ob es sich bei dieser Architektin in Halle 1930, Eintrag Bernhard Fischer schluss doch die Entscheidung für ein Ar- um Lore Anders handelt, konnte bisher Adressverzeichnis Heinersdorf, 1936 tritt er 1939 in das Architekturbüro von chitekturstudium. Das für die Zulassung Frank Beyer ein, wo er 1941 Partner wird. nicht eindeutig geklärt werden. Ich danke zum Studium notwendige Praktikum leistet Ewa Oesterlen richtet die Familienwoh- Frau Ullrich vom Stadtarchiv Halle für ihren sie im Maurer- und Zimmermannshand- nung in der Tannenbergallee ein, bringt Hinweis vom 19.11.1997. werk in Halle ab. Aufgrund ihrer Abneigung drei Kinder zur Welt und widmet sich der 145 Es handelt sich um ein Haus für Familie gegen das Balancieren über Balken zieht Familie. Dennoch entsteht in den vierziger Lönecker. Gespräch mit Ewa Oesterlen am sie die Tätigkeiten zu ebener Erde vor. Jahren in gemeinsamer Planung ein Einfa- 24.11.1997 Wegen des guten Rufs der fundierten milienhaus in Brüggen an der Leine.145

Biografien 347 Dieter Oesterlen verlegt 1944 das ausge- Architektin und „im Ausland an eigenen bombte Büro wegen kriegswichtiger Auf- Projekten“, bevor sie sich um 1924 mit ei- träge in den Harz. Ab 1945 betreibt er ein genem Büro in Berlin niederlässt.149 Büro in Hannover, wo er 1948 nach Wett- Frommers erste Aufträge sind Umbauten. bewerbsgewinn das Café Kröpke und den 1926 lobt Margarete Weinberg in einem Wiederaufbau der Marktkirche realisieren Artikel einen durch Lichtführung und Mate- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar kann. Dank ebenso zahlreicher wie erfolg- rialbehandlung besonders gelungenen La- reicher Wettbewerbsteilnahmen für öffent- denumbau. Das erste dokumentierte Pro- liche und kirchliche Bauten ist das Büro jekt Frommers ist das 1926 realisierte Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Oesterlen mit dem Wiederaufbau gut be- Haus Frankl. Es folgen mehrere Geschäfts- schäftigt. 1950 entsteht das gemeinsame umbauten, darunter das stadtbekannte Wohnhaus in der Schopenhauerstraße, Seidenhaus Leiser am Tauentzien und das Wohnhaus Oesterlen, Hannover, vor 1955 1951 der Neubau des Funkhauses Hanno- Schuhhaus Leiser auf der Ecke von König- ver in der Architektengemeinschaft F.W. straße und Neuer Friedrichstraße. 1929 Kraemer - G. Lichtenhahn - D. Oesterlen. baut sie das „Schuhhaus Jacoby” in der Als die Kinder Anfang der fünfziger Jahre Fasanenstraße und das „Hotel Majestic” in aus dem Gröbsten sind, arbeitet Ewa Oe- Wilmersdorf um. In diesem unweit des sterlen mehrere Jahre im Büro mit. Dort ist Marie Frommer Kurfürstendamms gelegenen Hotel befin- sie bspw. an den Planungen zur Ingenieur- Dr.Ing., BDA, R.A., A.I.A., Soropti- den sich auch die Räume des Berliner schule in Hannover beteiligt. Noch in den mists ‘Soroptimist-Clubs’. Frommer ist Mitglied fünfziger Jahren wird die Ehe geschieden, dieses internationalen Clubs berufstätiger damit endet Ewa Oesterlens Berufstätig- geb. 17.3.1890 Warschau - gest. 16.11. Frauen, dem auch die Herausgeberin der keit als Architektin definitiv. Dieter Oester- 1976 New York City, N.Y. Zeitschrift „Die schaffende Frau“, Marga- len lehrt ab 1952, wird 1953 ordentlicher rete Kaiser, angehört.150 Das „Majestic“ Professor an der TH Braunschweig. Er er- wird in der Aprilnummer dieser Zeitschrift Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium an der TH Charlottenburg 1911 hält zahlreiche Auszeichnungen, wird 1961 bis 1916, Diplom, an der TH Dresden veröffentlicht, anschließend erscheint ihre Kuratoriumsmitglied im Institut für Kirchen- 1917 bis 1919, Promotion Projektdarstellung in der Bauwelt. bau der EKD, 1966 Mitglied der Akademie der Künste. wurde 1890 als Tochter des Kürschner- Unter den „Mitarbeitern, die in den Jahren meisters Salomon Nathan Frommer (27.9. seit 1946 in meinem Büro (..) beim Entwurf, 1862 Krakau - 5.1.1930 Leipzig) und seiner bei der Detaillierung und bei der Bauleit- Frau Anna geb. Blaufuchs (4.4.1864 War- ung“ halfen, wird Ewa Oesterlen nicht ge- schau - 21.7.1927 Leipzig) in Warschau 147 nannt.146 Sie lebt heute in Hannover. geboren. Noch 1890 zieht die jüdische Familie nach Leipzig, wo 1894 der Bruder Architekturfakultät Hannover, 1955-1957 Quellen: HTA, Karteikarte Ewa Freise Leopold zur Welt kommt. Marie Frommer Dresslers Kunsthandbuch, 1930 besucht hier die Schule und erwirbt 1911 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Kühne, Günther: 25 Einfamilienhäuser, das Abitur. Bauwelt-Sonderheft 5, Berlin, 1955, S.23 Am 6.11.1911 immatrikuliert sie sich - als 146 Vgl. Koch, Alexander: Dieter Oesterlen, Koch, Alexander: Dieter Oesterlen, Bau- eine von drei Architekturstudentinnen - an Bauten und Planungen 1946-1963 , Stutt- ten und Planungen, Stuttgart, 1964 der TH Charlottenburg.148 Im Januar 1916 gart, 1964, S.215. Ebensowenig wird ihr Oesterlen, Dieter: Bauten und Texte, Tübingen, 1992 legt sie dort in ihrem 9. Semester das Di- Name in „Bauten und Texte“ erwähnt. Telefongespräche mit Ewa Oesterlen im plom ab. Anschließend arbeitet sie in Pri- Seidenhaus Leiser, Am Tauentzien, Berlin, 1928 147 Für die Lebensdaten der Eltern danke ich November 1997 Brief von Friedrich Oesterlen vom 23.9. vatbüros und im Stadtbauamt Dresden be- Dr. Hermann Simon. 1997 vor sie sich 1917 an der dortigen TH ein- 148 Die beiden anderen ordentlich immatriku- schreibt. 1919 schließt sie ihre Forschung lierten Architekturstudentinnen sind Char- zu „Flußlauf und Stadtentwicklung“ mit lotte Cauer und Margarete Wettcke. dem Dr.Ing. bei Prof. Cornelius Gurlitt ab. Friedman, Hilde siehe Reiss, Hilde 149 LL Frommer 1952. In welchen Büros sie als Es ist unbekannt, ob Frommer angesichts angestellte Architektin arbeitet, ist bisher der kriegsbedingt stark eingeschränkten unbekannt. - Lt. Huber bildet sich Lux Gu- Bautätigkeit nach Alternativen suchte oder Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar yer bei Frommer in Berlin weiter, bevor sie - den Restriktionen gegenüber jüdischen 1924 in Zürich ein eigenes Büro eröffnet. WissenschaftlerInnen zum Trotz - mit der Vgl. Huber, Dorothee: Die Architektin Lux Promotion eine akademische Laufbahn Guyer (1894-1955), in: Kritische Berichte, anstrebte. 14.Jg., 1986, H.3, S.25-36, hier S.29. Anschließend arbeitet sie als angestellte

348 Anhang 1930 gestaltet Frommer für die Rosenhain chitektin im Staat New York.155 Nun tritt mit sachlichen Entwürfen erfolgreich sind, GmbH die Geschäftsräume am Kurfürsten- sie als selbständige, „registrierte“ Architek- bekommt sie Mitte der füfnziger Jahre kei- damm und einen Messestand. Im Juni des tin unter eigenem Namen auf und baut die ne Aufträge mehr. Marie Frommer ist be- gleichen Jahres hält sie einen Werkvortrag Manhattan Towers um. Ihr bekanntestes reits Mitte 60, ein Alter, in dem manche vor der gerade gegründeten Gesellschaft Projekt aus dieser Zeit dürfte der Umbau Architekten manch großen Auftrag ‘einfah- deutscher Ingenieurinnen.151 Im Oktober der Sozietät Mansbach und Paley sein, der ren’. Ihre New Yorker Tätigkeit wie ihre 1930 beteiligt sie sich an der Ausstellung im 1948 in „Interiors“ publiziert wird.156 Projekte sind bisher jedoch zu wenig er- bei Wertheim „Die gestaltende Frau“, die Im Architectural Record erscheint sie 1948 forscht, um ihr Verschwinden aus einem in der lokalen Presse große Beachtung fin- als eine der „A Thousand women in Ameri- stark umkämpften Markt zu erklären. 152 det. Dabei werden Parallelen zu „Die can Architecture“. Das von ihr 1952 in der Bereits ab Ende der vierziger Jahre reist Frau in Haus und Beruf“ gezogen, die Ma- 52nd Street realisierte „Townhouse“ wird Frommer mehrfach nach Europa. So kehrt rie Frommer 1912 - im zweiten Semester nach zwei Jahren wieder abgerissen - an- sie 1952 besuchsweise in die Schweiz zu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ihres Architekturstudiums - gesehen haben lässlich des Neubaus des Seagram-Buil- rück, um u.a. die Kollegin Guyer zu besu- dürfte. 18 Jahre später, stellt sie nun ne- dings. Im Februar 1953 wird Marie From- chen. Ob sie jemals wieder ihre Berliner ben den schon damals vertretenen Archi- mer in das American Institute of Architects Bauten besichtigt hat, ist unbekannt. tektinnen Winkelmann und Mogger in der aufgenommen. Ab der 2. Auflage (1961) ist Marie Frommer starb im November 1976 in Abteilung Architektur Fotos und Modelle sie im Who is who of American Women New York. Ihr Nachlass ist nicht archiviert. ihrer realisierten Bauten aus. vertreten. Sie realisiert auch in New York 1995 wurde mit dem vormaligen ‘Leiser- Ab 1931 bietet Frommer ‘Wohnberatun- überwiegend Umbauten wie bspw. die der haus’ am Tauentzien auch der letzte noch gen’ an. Ob es hierdurch zu Aufträgen Einzelhandelsgeschäfte „Creative Looms” erhaltene Geschäftshausumbau Marie kommt, ist bisher nicht nachgewiesen. Zu oder „Regina”. Bemerkenswert an ihren Frommers in Berlin erneut umgebaut. Beginn der dreißiger Jahre hat sie sich als Entwürfen ist sicherlich die ruhige Raum- Hinweise zu den Eltern Marie Frommers selbständige Architektin in Berlin etabliert. wirkung, die sie auch auf kleinstem Raum verdanke ich Despina Stratigakos. Für Sie ist u.a. Vertrauensarchitektin deutscher durch klare Linienführung erzielt. biografische Hinweise danke ich Beate Hotel Majéstic, Berlin-Wilmersdorf, Umbau 1929 und schweizerischer Versicherungsunter- Schnitter, Beatrice Trum Hunter und Trotz Publikationen ihrer Projekte bleibt Rico Jagmetti nehmen, für die sie Geschäftshäuser um- Frommers freiberufliche Existenz in New baut. Sie wird in den BDA aufgenommen. York fragil. Hier, wo immigrierte Kollegen Quellen: 150 Bei einem unter den Leserinnen ausgelob- Frommer beschäftigt nach eigenen Anga- Weinberg, Margarete: Tüchtige Leistung eines weiblichen Baumeisters, in: Frau ten Titelbildwettbewerb ist der Hauptpreis ben „im Durchschnitt 2 Sekretärinnen, 6-7 und Gegenwart, 29.6.1926 ein Wochenende im Hotel „Majestic”. I.d.R. Assistenten und Zeichner, und so viel Bau- Ausstellungskatalog „Die gestaltende wählt Kaiser für die Titelbilder der ab 1930 führer, als Bauten liefen“. Für Max Becker, Frau“, Berlin, 1930 Rieß, Margot: Schaffende Frauen: Die erscheinenden Zeitschrift Fotos von Lotte dessen Modehaus in der Elsässer Straße Frau als Architektin, in: Frau und Ge- Jacobi. liegt, baut sie 1932 eine Villa in Tiergarten genwart, 28.Jg., 1931, 2.Heft, S.37 151 Lt. Bericht über diese „Tee-Veranstaltung“ zum „Modellhaus“ um. Who is who of American Women: AAD (70) 301, 2.Aufl. 1961/62 der Gesellschaft weiblicher Ingenieurinnen Am 14.11.1934 verhängt die Reichskultur- Pepchinski, Mary: Frauen und moderne in: Die schaffende Frau, 1.Jg., 1930, S.450. kammer über Frommer als Jüdin Berufs- Architektur. Drei Dresdnerinnen der Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Weimarer Zeit, in: Gleichstellungsstelle Das Treffen fand aus Anlass der Weltkraft- verbot. Der BDA hatte ihr im Dezember der TU Dresden (Hg.): Frauen an Hoch- konferenz im Haus des Vereins Deutscher 1933 noch die weitere Berufsausübung zu- schulen, Dresden, 1995, S.121-134; Ingenieure in Berlin statt. gesichert.153 Marie Frommer tritt in Berlin diess.: Frau Dr.Ing. Marie Frommer. Die erste Doktorandin der Architektur an der 152 So bspw. „Wir verfolgen seit Jahren die Tä- bis Herbst 1936 als Architektin in Erschei- Sächsischen T.H. Dresden, in: Reiche, tigkeit der tüchtigen und resoluten Dr. Ma- nung, ist im Branchenfernsprechbuch bis K. (Hg.): Frauen aus Lehre, Forschung, rie Frommer“, M.O.: „Die gestaltende Frau“ 1937 zu finden. Die Aufträge ausländischer Verwaltung, Dresden, 1996, S.21-23 Scheunpflug, Maria und Praus, Irmhild: in: Das Unterhaltungsblatt, 17.10.1930, Auftraggeber kann sie noch zu Ende füh- Creative Looms, New York, 1949 Sie waren die ersten Frauen: Marie Beilage der Vossischen Zeitung, Abendaus- ren, jedoch keine neuen Aufträge mehr an- Frommer, in: Reiche, Karin (Hg.): 90 gabe; Donath, Adolph: Kunst der Frau, Ber- nehmen. Sie emigriert im Oktober 1936 Jahre studierende Frauen in Sachsen, Dresden, 1997, S.54-64 liner Tageblatt, 17.10.1930, Abendausgabe. nach London, wo ihr Bruder mit seiner Fa- milie bereits seit 1934 lebt.154 Da sie dort eigene Schriften: 153 Eine Mitgliedschaft im BDA galt als der in zu wenig berufliche Möglichkeiten sieht, Frommer, Marie: Flußlauf und Stadtent- der Reichskulturkammer gleichgestellt. wicklung, Diss., Dresden, o.J. (1919) verlässt sie London im November 1939. diess.: Die Bildwirkerei der Pillnitzer 154 Leopold Frommer (1891-1943) war als Do- Werkstätten, in: Dekorative Kunst, zent für physikalische Chemie 1933 an der In New York angekommen, arbeitet sie zu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 29.Jg., 1926, S.127-132 TH Charlottenburg entlassen worden. nächst mit dem ebenfalls aus Berlin emi- diess.: Umbau der Villa Majestic in Ber- grierten Paul Bry bei Umbauten gewerbli- lin-Wilmersdorf zum Hotel, in: Bauwelt, 155 Zulassung (Nr. 5588 vom 14.6.1946) 20.Jg., 1930, H.15, S.9-12 cher Bauten zusammen. Auch hier gehört 156 Interiors, No.10, May, 1948, S.96-98. Diese sie dem Soroptimist-Club an. Sie wird Zeitschrift wird zu diesem Zeitpunkt von amerikanische Staatsbürgerin und erhält Gaebler, Wera siehe Itting, Wera Bernard Rudofsky herausgegeben. 1946 nach Examina die Zulassung als Ar-

Biografien 349 verhindert hätten, gab es in den dreißiger HTA, Studentenkartei, Maria Gaiser Jahren nicht. Für das Klima an der TH Kirchenbucheintrag der St. Paulus-Ge- meinde, Berlin-Moabit, mit Dank an Charlottenburg mag ein solcher Umgang Frau Möller mit technischen Fächerwünschen von Stu- Archiv Tettnang, für Informationen dan- dentinnen um 1933 jedoch kennzeichnend ke ich Frau Dr. Barth gewesen sein. Unzweifelhaft handelt es sich bei Gaiser um eine technisch orien- tierte wie begabte Architekturstudentin.159 Ihr Lieblingsfach soll Statik gewesen sein Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und Klara Brobecker erinnert sie auch als „unseren Rettungsanker in Statik“. Der jün- gere Bruder studiert Maschinenbau an der TH Charlottenburg. Maria Gaiser besteht im Sommer 1935 an der TH Charlottenburg das Vordiplom. Un- mittelbar danach, ab dem WS 1935/36 studiert sie im Seminar Tessenow. Bis ein- Maria Gaiser schließlich WS 1937/38 sind die Themen Maria [Dorothea Elisabeth] Gaiser, von fünf ihrer Entwürfe nachweisbar - das Dipl.Ing. „kleine Wohnhaus”, ein „Konzerthaus”, ei- ne „Dorfkirche mit Schule”, eine „Jugend- geb. 20.7.1912 Berlin - gest. 1960er Jah- herberge” und eine „Trink- u. Wandelhal- re Stuttgart le”.160 Im Frühjahr 1938 unterbricht Gaiser ihr Studium an der TH Charlottenburg 1933 Studium für ein Jahr, in dem sie wahr- bis 1940, Diplom scheinlich in einem Architekturbüro volon- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tiert . Wo sie dies tut, ist bisher nicht be- wurde im Sommer 1912 als ältestes Kind kannt. Ab dem Frühjahr 1939 studiert sie des Ingenieurs Paul Georg Gaiser (8.10. erneut bei Tessenow. Ein gutes Jahr spä- 1881 Oberndorf - 15.4.1953 Tettnang) und ter, im Sommersemester 1940, absolviert seiner Frau Elise geb. Schmid (geb. 8.4. sie bei ihm das Diplom und exmatrikuliert 1887 Ludwigsburg) in Berlin geboren und sich am 10.7.1940, nach 12 Semestern. am 8.8.1912 in der St.Paulus-Kirche ka- Über die Jahre nach dem Diplom Maria tholisch getauft.157 Die Eltern hatten 1910 Gaisers gibt es bisher nur die Information, in Oberndorf geheiratet. Paul Georg Gaiser Lotte Gerson dass sie weiterhin unter der Adresse ihrer ist als Ingenieur für ein Berliner Elektroun- spätere Burckhardt (1928-29), Eltern gemeldet ist. Offen bleibt, wo sie ei- 157 Mitteilung von Frau Möller / Pfarramt ternehmen tätig, die Familie wohnt in Ber- spätere Collein (ab 1931) ne erste Anstellung findet, ob sie als Archi- St.Paulus in Berlin-Moabit vom 8.12.1997 lin-Moabit.158 Knapp ein Jahr nach Maria tektin tätig wird. geb. 17.3.1905 Essen - gest. Mai 1995 158 Paul Gaiser soll als Maschinenbauingenieur wird Paul Maria Antonius geboren. Maria 1943 wird Familie Gaiser in der Stromstra- Berlin für die AEG gearbeitet haben, in den Ber- Gaiser geht in Moabit zur Schule. Wann ße ausgebombt und meldet sich „nach un- liner Adreßverzeichnissen wird er um 1930 sie wo das Abitur ablegt, ist bisher undeut- bekannt“ ab. Gaisers ziehen ins schwäbi- als „Oberingenieur“ geführt. lich. Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis sche Tettnang. Dort lebt eine Schwester Da sich Gaiser erst 1933, im Alter von 21 1930 159 Inwieweit der lt. Dresslers Künstlerhand- der Mutter. Während Marias jüngerer Bru- Jahren an der TH Charlottenburg unter der buch (1930) in Schorndorf ansässige Archi- der nach dem Krieg als Maschinenbauin- Matr.Nr. 47153 immatrikuliert, könnte sie wurde 1905 in Essen in geboren. Über ihre tekt Paul Gaiser, BDA mit der Familie ver- genieur bei einer Stuttgarter Firma arbeitet, zunächst auch eine anderweitige Ausbil- Familie, die großbürgerlich gewesen sein wandt ist, konnte nicht recherchiert wer- führt sie den elterlichen Haushalt in Tettn- dung absolviert haben. Nach Erinnerung soll, ist wenig bekannt. Da Lotte Gerson - den. ang, betreut und pflegt die Eltern bis zu ihrer Studienfreundin Klara Brobecker er- nach eigenen Angaben - ihren Weg frei 160 Maria Gaiser nahm - nach Erinnerung Klara deren Tod in den fünfziger Jahren. fuhr Maria Gaiser erst im Immatrikulations- wählen konnte, waren die Eltern offenbar Küsters - auch an der Monatsaufgabe büro der TH Charlottenburg, dass Frauen In Tettnang soll Maria Gaiser nie als Archi- liberal. Gerda Marx erinnert, dass sich Lot- „Kriegerdenkmal“ teil. zum Maschinenbauingenieurstudium nicht tektin erwerbstätig geworden sein. Ehren- te Gerson das Bauhaus zunächst ansah, 161 Interview mit Gerda Marx am 4.10.1995. zugelassen würden. Auf ihre Frage, was amtlich wird sie in der katholischen Ge- bevor sie sich im April 1927 unter der 161 Aus diesem Anlaß sei Lotte Gerson bei ih- Frauen hier denn studieren dürften, habe meinde, in Frauenverbänden und auch als Matr.Nr. 178 in Dessau einschrieb. ren Eltern in Dessau zu Besuch gewesen. man ihr dort zur Architektur geraten. Innenarchitektin beratend aktiv. Sie starb Bei Immatrikulation gibt sie ihre Heimat- Ob sich die Familien resp. Mütter Marx und in den sechziger Jahren in Stuttgart. Gesetzliche Regelungen, die die Zulassung adresse mit Hamm in Westfalen an. Sie Gerson näher kannten, blieb unklar. von Frauen zum Maschinenbaustudium Quellen: kommt nun jedoch aus Bremen, wo sie

350 Anhang - nach Lyzeum, Schneiderwerkstatt in Bereich Bau-/Ausbau der früheste Antrag 18.11.1930, Brief Alder an Hannes Mey- München, Handweberei in Dachau und ei- einer Bauhausstudentin. Die Lehrenden- er (2 -K-1947/48) - Briefwechsel Walter Tralau / Konrad Püschel 2 - K(1) - 1929- nem Jahr „Bürodienst“ - ein Jahr lang eine konferenz lehnt diesen Antrag am 18.11. 03-25 Frauenschule besuchte.162 jedoch ab, „da trotz der anerkannten fleis- Fragebogen für Bauhäusler der HAB sigen und sauberen arbeiten selbständige Weimar, undatiert - mit Dank an Ines Am Bauhaus absolviert sie die Grundlehre Hildebrand bei Albers und die Formenlehre bei Kan- schöpferische tätigkeit von ihr nicht erwar- dinsky. Aus der Grundlehre sind eine „Po- tet werden kann.“ sitiv-Negativ-Faltung“ sowie eine Drahtpla- Gerson schätzt die Chancen, als Studentin stik von ihr dokumentiert.163 Lotte Gerson in diesem Fachbereich ein Diplom erwer- Geyer-Raack, Ruth H. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar besucht bereits im ersten Semester auch ben zu können, offenbar realistisch ein und siehe Raack, Ruth Hildegard die Tischlereiwerkstatt. Außerdem fotogra- verlässt das Bauhaus.165 Noch 1930 zieht fiert sie, ihre Aufnahmen erscheinen im sie - lediglich im Besitz eines Zeugnisses - Frühjahr 1928 erstmals in der Bauhauszeit- mit Edmund Collein (10.1.1906 Bad Kreuz- schrift. Dort wird unter den „Interviews mit nach - 21.1.1992 Berlin) nach Wien. Ihn Bauhäuslern“ auch eines mit ihr veröffent- heiratet sie 1931. Er wird Mitarbeiter im licht. Darin äußert sie nach einem Jahr am Büro Walter Sobotkas, der nach dem ‘An- Bauhaus, „daß nicht alles so ideal ist, wie schluss’ Österreichs 1938 sein Büro auf- es in meiner vorstellung lebte (..) und über- löst und in die USA emigriert. Lotte Collein haupt wird im ganzen nicht intensiv genug bringt in Wien eine Tochter zur Welt. Um gearbeitet“. 1939 kehren sie nach Deutschland zurück, Und noch bevor sie - nach drei Semestern Edmund Collein dient bis 1943 in einem in der Tischlerei - „Baulehreanwärterin“ bei Baubataillon. Hannes Meyer wird, zitiert Gerson ihn fast Beide sind politisch engagiert und ent- 162 Konrad Püschel erinnert als „Dreierge- wörtlich: „Wir kommen am bauhaus nicht scheiden sich nach dem Ende des zweiten spann“, das sich schon aus Dresden ge- um die politik herum. (..) Wir können natür- Weltkrieges für den Aufbau eines sozialisti- kannt habe Gerson, Meyer-Waldeck und lich keine häuser bauen für verhältnisse, schen Deutschland in der Hauptstadt der Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wimmer. Konrad Püschel an Irena Blühova, die gar nicht da sind, aber von selber wer- DDR. Edmund Collein, zunächst Mitarbei- BHD, 2-K-1983-10-17. Angesichts der ver- den auch keine vernünftigen sozialen ver- ter des Berliner Magistrats, dann in leiten- schiedenen Aufenthaltsorte Gersons bleibt hältnisse kommen. die arbeit und die le- den Stellungen verschiedener Bauämter aber fraglich, ob sie auch längere Zeit in bensgestaltung müssen hand in hand ge- tätig, kann nach 1945 seine architektoni- Dresden lebte. Evtl. verwechselt Püschel hen.“ Sie schließt einen Lehrvertrag für sche Laufbahn fortsetzen. Er reist 1950 mit hier Lotte Gerson mit Lotte Beese. Tischlerei ab, als angestrebtes Berufsfeld Walter Ulbricht in die SU, ist Mitglied und nennt sie „den Bereich der sozialen Arbeit, Vorsitzender des BDA, an den „Sechzehn 163 Die „Positiv-Negativ-Faltung“ wird in der Kindergärtnerin, Hortnerin, o.ä.” Grundsätzen des Städtebaus“ beteiligt, lei- Bauhauszeitschrift 1928, Heft 2/3 abgebil- det, ein Foto der Drahtplastik (1928) befin- 1928 heiratet Lotte Gerson den Schweizer tender Mitarbeiter der Bauakademie mit Elsa Gidoni det sich im BHD (I 1104 g). Andreas Burckhardt (geb. 1899), der am Professorentitel und Vorsitzender des Bei- geb. Mandelstamm, A.I.A. Bauhaus Kunst studiert. Die Ehe wird 1929 rats für Bauwesen. Während Edmund Col- 164 Ihr Lageplan mit einer Übersicht der „stati- geschieden. Im Frühjahr 1929 wird unter lein jahrzehntelang im Parteiauftrag seine geb. 1901 Riga - gest. 1978, eventuell in stischen daten für einen volksschule in der „ti 234“ eine nach ihrem Entwurf gefertigte beruflichen Ambitionen verfolgt, bieten Chicago166 siedlung törten“ datiert vom 22.5.1930 - „Kinderschaukel“ in das Produktionssorti- sich seiner Frau auch im neuen Deutsch- BHD I 1617 G ment der Tischlerei aufgenommen. Zum land offenbar überwiegend private Per- 165 Erst zwei Jahre später wird einer Studentin, Studium vor 1929, eventuell in Berlin Sommersemester 1929 besucht sie die spektiven. Lotte Collein soll - nach bishe- Wera Meyer-Waldeck, nach einem vierse- rigem Kenntnisstand - beruflich nicht in Er- ‘Baulehre’, wo u.a. Edmund Collein und wurde 1901 in Riga als Elsa Mandelstamm mestrigen Studium in der Bauabteilung das scheinung getreten sein. Wera Meyer-Waldeck studieren. Collein geboren. Über ihren familiären Background 40. in dieser Abteilung verliehene Diplom hatte zwischen 1925 und 1927 bereits an 1995 starb Lotte Collein im Alter von 90 ist nahezu nichts bekannt. Nach Angaben zuerkannt. der TH Darmstadt Architektur studiert. Im Jahren in Berlin. Einzelne ihrer Studienar- Gidonis in den vierziger Jahren, verbrachte 166 Die Lebensdaten Elsa Gidonis basieren auf Herbst 1930 erhält er in seinem sechsten beiten befinden sich im Archiv der Bau- sie die längste Zeit vor ihrer Immigration in Angaben der Library of Congress. Bauhaussemester ein Bau-Diplom. haus-Universität Weimar und dem Archiv 167 die USA in Berlin. 167 Architectural Forum, Okt.1946, H. 85, Nr.4 Gerson arbeitet im Frühjahr 1930 an einem des Bauhauses Dessau. Bei wem Elsa Mandelstamm studiert hat, 168 Da Mandelstamm[-Gidoni] seit ihrem 16. Entwurf einer Volksschule für die Siedlung Quellen: ist bisher unklar. In St. Petersburg soll sie Lebensjahr ihren Lebensunterhalt als tech- Törten.164 Nun, da unter Mies van der Ro- Lang, Lothar: Interviews mit Bauhäus- lern, in: Bauhauszeitschrift, Heft 2/3, die Kunsthochschule besucht, das Studi- nische Zeichnerin verdient haben soll, dürf- he die Studiendauer auf sechs Semester 1928, S.26 um an der TH Charlottenburg fortgesetzt te sie kaum ein Regelabitur erworben ha- festgesetzt ist, stellt sie im Herbst 1930, in StAD Einschreibbuch SS 28, WS 28/29, haben. Dort lässt sich eine Immatrikulation SS29; SB 21 „prüfung ss 1929, 21.10. ben. Sie könnte jedoch bspw. an der ihrem siebten Semester am Bauhaus, ei- 168 29, prüfung ws 29/30: 7.4.1930 bisher nicht belegen. In den zwanziger Kunstgewerbeschule in Charlottenburg stu- nen Antrag auf Diplomerteilung. Es ist im BHD NL Engemann - Konferenz vom Jahren ist sie zeitweilig mit dem Dramati- diert haben.

Biografien 351 ihren sachlichen Gebäudeentwürfen bald Alexa Gutzeit größere Aufträge akquirieren: 1934 baut Alexandra [Luise Emma] Gutzeit, sie für die Orientmesse in Tel Aviv den spätere Röhl (ab Ende 1919) Schwedischen Pavillon, 1935 gewinnt sie den beschränkten Wettbewerb für das geb. 31.8.1899 Friederikenruh - Daten „Haus der Pionierinnen“. Sie realisiert die- nach 1923 unbekannt sen Entwurf wie auch ein Wohngebäude und eine Hauswirtschaftsschule (1936) in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zusammenarbeit mit Lonek (Al) Zeisler.170 Studium an der Akademie in Weimar 1938 wandert sie in die USA aus, 1942 ist 1917 bis 1919, am Bauhaus Weimar sie unter eigenem Namen im Adressbuch 1919 von Manhattan verzeichnet. Aus der New wurde als Tochter des Rittergutsbesitzers Yorker Zeit sind eine Gesundheitsbiblio- Kurt Gutzeit 1899 im ostpreussischen Frie- thek (1946), eine Bibliothek für die Pana- derikenruh, Kreis Sichlen geboren. Nach merikanische Gesellschaft (1948) und ein Privatunterricht und Besuch eines Lyze- Schwedischer Pavillon, Orientmesse, Tel Aviv, 1934 Entwurf für das Haus Lenz in New Rochel- ums in Königsberg nimmt sie zum 1.De- le publiziert. zember 1917 - noch minderjährig - das In New York soll sie in das Büro Kahn und ker Aleksandr Gidoni verheiratet und um Studium an der Akademie in Weimar auf, Jacobs eingetreten und in späteren Jahren 1929 eröffnet sie in Berlin ein eigenes Büro tritt zum 8.1.1918 offiziell als Schülerin ein. dort als Partnerin tätig geworden sein. G- als Innenarchitektin.169 Im Sommer 1918 erhält sie bei der Schü- idoni tritt in den USA nicht als „registered lerarbeitenausstellung eine „Belobigung für Die radikal modernen Entwürfe, mit denen architect“ sondern als „designer“, auf. Sie Zeichnen“.171 sie in den dreißiger Jahren in Tel Aviv in scheint die staatliche Architektenlizenz Nach Gründung des Bauhauses wird sie Erscheinung tritt, deuten nicht auf ein Stu- nicht erworben zu haben auch wenn sie dort Studentin, besucht die Grundlehre bei dium an der TH Charlottenburg. Vermutlich vor 1948 in das A.I.A., das American Insti- Johannes Itten. Im Juli meldet sie sich mit arbeitete Mandelstamm Mitte der zwanzi- tute of Architects aufgenommen wird. Da- einem Artikel im „Austausch“ zu Wort. Sie ger Jahre längere Zeit in einem Berliner Ar- mit bleibt sie bei der Realisierung auf Part- trägt sich in die Liste für die Teilnahme am chitekturbüro, das dem Neuen Bauen auf- ner angewiesen. Das späteste bisher be- Städtebaukurs ein, wird aber nicht zuge- 169 Es ist unklar, ab wann sie mit dem russi- geschlossen gegenüber stand. kannte Projekt baut sie 1959 für das Büro lassen. Ende 1919 heiratet sei den Kommi- schen Dramatiker Aleksandr Gidoni (1885 In Berlin wohnt sie in Schöneberg, kennt Kahn & Jacobs in Virginia: Ein Geschäft litonen Karl Peter Röhl (12.9.1890 Kiel - St. Petersburg - 1943) verheiratet ist. Die den Künstler Issai Kulvianski und kann ei- der Firma Hecht & Co. mit Parkgaragen. Ehe wird noch in den zwanziger Jahren nige wenige Inneneinrichtungen publizie- Elsa Gidoni starb 1978. Teile ihres Nach- geschieden. ren. Anfang der dreißiger Jahre emigriert lasses befinden sich in der Library of Con- Gruppenbild anläßlich des Konstruktivisten- und Dadaisten- Kongresses 1922 in Weimar. Alexandra Röhl zweite von rechts 170 Vgl. Warhaftig, 1999, S.340 / 341. sie nach Tel Aviv. Dort eröffnet sie ein Bü- gress in Washington DC und werden z.Zt. ro in der Frishman-Street und kann mit 171 Am 22.6.1918, SBW 152, S.1504 von Lily Chi erforscht. Für Hinweise zu Projekten Elsa Gidonis danke ich Despina Stratigakos Panamerikanische Bibliothek, New York City, 1948 Grundriss Quellen: Frau und Gegenwart, 1932, 28.Jg., Februar, 5.Heft - mit Dank an Despina Stratigakos Architectural Record, Oktober 1946, H.4, S.126-127- mit Dank an Despina Stratigakos 1000 Women in Architecture, in: Archi- tectural Record, 1948, Nr.103, S.106 Warhaftig, Myra: Sie legten den Grund- stein, 1996, S.336 ff. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Gunkel, Anni siehe Pfeiffer, Anni

352 Anhang 25.11.1975 Kiel). Dieser meldet seine nun Erika Hackmack Nicolaisen, Dörte / BHA (Hg.): Das an- dere Bauhaus, 1996, S.227 volljährige Gattin umgehend vom weiteren spätere Brönner Studium ab, „da meine Frau vorläufig kei- ne Kraft zu weiterer Arbeit in künstleri- geb. 6.2.1906 Dresden-Blasewitz - Da- Hahn, Iwanka schen Dingen hat und sich ganz dem ten nach 1928 unbekannt siehe Waltschanowa, Iwanka Haushalt widmet.“ 172 Alexandra Röhls Spur lässt sich nach ih- Studium am Bauhaus Weimar 1921 bis rem Studienabbruch bisher nur bis zum 1924, an der Bauhochschule Weimar Herbst 1922 rekonstruieren: Auf anlässlich Friedel Hajek 1926 bis 1928 des Konstruktivisten- und Dadaistenkon- Fried[e]l Hajek, spätere von Berin- gresses in Weimar aufgenommenen Fotos gehört zu den frühen Bauhausstudentin- ge (ab 11/45), Dipl.Ing. 173 ist sie zu sehen. Im Unterschied zu Karl nen, über die bisher nahezu nichts bekannt Peter Röhl scheint sie jedoch nicht zu den ist. geb. 30.9.1916 Wien - lebt in Wien SchülerInnen Theo van Doesburgs in Wei- 1906 in Dresden geboren besucht Erika mar gehört zu haben. Hackmack - gerade 15jährig - ab dem Studium an der KGS Wien 1936, an der Zum weiteren Lebensweg Alexa Röhl-Gut- Frühjahr 1921 die Grundlehre bei Itten. An- TH Wien 1936 bis 1940, Diplom, Gast- zeits fehlt bisher jeder Anhaltspunkt. Karl schließend studiert sie in der Metallwerk- studentin an der TH Charlottenburg Peter Röhl heiratet 1925 in Weimar erneut, statt. Ausgerechnet zu Beginn der zwanzi- 1938/39 die zweite Gattin heißt Käthe Möbius. ger Jahre - der Phase, in der Studentinnen Quellen: am Bauhaus besonders massiv in die We- Friedel Hajek wurde 1916 als Tochter des Studentinnenakte Gutzeit, SBW 152, berei gedrängt wurden. Offenbar genießt Ingenieurs und Direktors Anton Hajek (geb. S.1496-1512 1876) und seiner Frau Irma geb. Grotte Stadtarchiv Kiel, Schreiben vom 9.11. Erika Hackmack - ähnlich wie die ebenfalls 1998; ich danke Frau Klüver für Nach- minderjährige Ruth Vallentin - eine Art ‘Kü- (geb.1889) in Wien geboren. Am 19.6.1934 forschungen und Zeitungsausschnitte kenprivileg’: die freie Werkstattwahl.174 In legt sie im 2. Bezirk die Realmatura mit Auszeichnung ab.178 Was sie in den fol- eigene Schriften: Metall schliesst sie zum 1.9.1921 einen Gutzeit, Alexandra: Von Bürger zu Lehrvertrag ab. genden anderthalb Jahren macht, ist bis- Künstler, in: Der Austausch, Juli 1919, her unbekannt. Ab dem Mai 1935 ist sie in Mit Ausnahme einer um 1922 datierten S.2 Wien - noch nicht 19jährig - mit eigener Gürtelschnalle sind bisher keine Vorkurs- Adresse gemeldet. oder Studienarbeiten von ihr dokumen- 172 SBW 152, S.1496 Studentinnenakte Gut- tiert.175 Bis 1924 bleibt Hackmack am Zum 1.Oktober 1936 schreibt sich Friedel zeit, Schreiben von Karl Peter Röhl. undat. Bauhaus als Studentin der Metallwerkstatt Hajek als deutsche Studentin an der KGS 173 So bspw. in: Neumann, 1985, Abb.6, S.28, immatrikuliert. Demnach könnte sie die Wien ein, um bei Eduard Josef Wimmer Foto vom „Kongreß der Konstruktivisten Gruppenbild anläßlich des Konstruktivisten- und Dadaisten- Kongresses 1922 in Weimar. Alexandra Röhl zweite von rechts dreijährige Lehrzeit absolviert haben. Eine die Fachklasse für Mode zu belegen. Als und Dadaisten“ oder Moorsel, Wies van: Gesellenprüfung lässt sich jedoch nicht Berufswunsch gibt sie „Modezeichnerin” Nelly van Doesburg 1899-1975, Nijmegen, nachweisen. an, als Praxis vor Eintritt „Schneiderei“. Ab 2000, S.60-61 dem Wintersemester 1936/37 studiert sie Erika Hackmack lässt sich ab 1926 als 174 Vgl. Fiedler, 1987, S.147 jedoch auch an der Bauschule der TH Studierende in der Bauabteilung der Staat- Wien Architektur. 175 BHA, o.Inv.Nr. Foto einer Gürtelschnalle (E. lichen Bauhochschule Weimar nachwei- Hackmack), um 1922. Vgl. dazu Weber, 176 1937 ist die Entscheidung zugunsten des sen. Offenbar erwirbt sie nach ihrer Zeit 1992, Nr.177, S.212 am Bauhaus das Abitur. Bei wem sie in Architekturstudiums gefallen, Friedel Hajek 179 176 Auch an der Bauhochschule Weimar be- Weimar studiert, ist nicht erforscht. Eben- tritt an der KGS aus. Zum 7.November stand eine Metallwerkstatt. so unbekannt ist bisher, wohin sie 1928 1938 wird ihr „Abgang nach TH Berlin“ ge- geht, ob und wo sie einen Abschluss er- meldet. Am 19.12.1938 legt sie an der TH 177 Die Angabe von Jutta Weber, dass Hack- wirbt und ob resp. wann und wo Hack- Wien die 1. Staatsprüfung mit „sehr gut“ mack der Heirats- , Brönner der Geburts- ab.180 In Berlin studiert sie im Winter- name sei, ließ sich bisher nicht verifizieren. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mack, die nach ihrer Heirat Brönner heißt, als Architektin gearbeitet hat.177 semester 1938/39 im Seminar Tessenow. Vgl. Kurzbiographie Hackmack von Jutta Studienarbeiten sind bisher nicht bekannt. Weber in: Weber, Klaus / BHA (Hg.) Die Lt. einem Vermerk im Bauhaus Schriftenar- Friedel Hajek kehrt nach einem Gastseme- Metallwerkstatt am Bauhaus, Berlin, 1992, chiv Dessau soll Erika Brönner in den sieb- ster nach Wien zurück, wo sie nach nur S.316 ziger Jahren in Dessau gelebt haben. acht Semestern 1940 die zweite Staats- 178 Information von Ute Georgeacopol-Wi- Quellen: prüfung absolviert. Wo sie anschließend Dietzsch, Folke: Die Studierenden am nischhofer, Schreiben vom 10.11.1997 arbeitet, ist bisher nicht bekannt. Sie hei- Bauhaus, Weimar, 1990 179 AAKW, Einschreibebogen Friedel Hajek Weber, Jutta: Kurzbiografie Erika Hack- ratet am 12.11.1945 den aus Ostpreußen mack in Weber, Klaus / BHA Berlin stammenden Harald Robert von Beringe. 180 Information mit Dank an Ute Georgeacopol- (Hg.): Die Metallwerkstatt am Bauhaus, Winischhofer Berlin, 1992, S.316 Das Leben Friedl von Beringes nach dem

Biografien 353 zweiten Weltkrieg ist bisher nicht recher- 1920 heiratet sie den Maler Eberhard Hilda Harte chiert. Dementsprechend bleibt hier offen, Schrammen (11.11.1886 Köln - 1.12.1947 Hildegard Harte, spätere Ebert- ob und wie lange sie als Architektin tätig Lübeck). Dieser hatte während seines Stu- Harte (ab 1956), Dipl.Ing., AIV wird. Friedl von Beringe lebt in Wien. diums an der Akademie in Düsseldorf an

Quellen: der „Bugra” in Leipzig teilgenommen, die geb. 26.4.1906 Berlin - gest. 29.5.1976 HTA, Karteikarte Friedel Hajek KGS Weimar besucht und sich im Sommer Berlin, begraben in Berlin-Wilmersdorf Schreiben von Ute Georgeacopol-Wi- 1919 für den Kurs an der Baugewerke- nischhofer am 10.11.97 vgl. auch Geor- geacopol-Winischhofer, Ute: „Sich be- schule angemeldet. Am Bauhaus, wo er währen am Objektiven“ in: Mikoletzky / „Der Aufbau - Zeitschrift der Studieren- Studium an der TH Charlottenburg 1926 Georgeacopol-Winischhofer/Pohl (Hg.): den“ herausgibt, studiert er bis zum Früh- bis 1933, Diplom „Dem Zuge der Zeit entsprechend, jahr 1922 in der Druck- und der Bühnen- Wien, 1998, S.185-215 wurde 1906 als Tochter des Kaufmanns MA8/Wien, Schreiben Herbert Koch v. werkstatt. 4.8.1998 Carl Harte in Berlin geboren. Nach Besuch Toni Schrammen, die ihr Studium anläss- des Lyzeums am Mariannenplatz und der lich der Heirat abbricht, scheint keine wei- I. Städtischen Studienanstalt Berlin legt sie teren Affinitäten zur Architektur entwickelt Ostern 1926 das Abitur ab. zu haben. Ob sie in späteren Jahren erneut Toni von Haken-Nelissen Zur Vorbereitung des Architekturstudiums eine Ausbildung absolviert, bleibt unklar. Toni [Anna] von Haken-Nelissen, absolviert Hilda Harte ein halbjähriges Ab Ende der zwanziger Jahre betreiben spätere Schrammen (ab 3/1920) Praktikum, zum Herbst 1926 schreibt sie Toni und Eberhard Schrammen - inzwi- sich an der TH Charlottenburg ein. Es ist schen Eltern mehrerer Kinder - verstärkt geb. 11.1.1897 Riga - gest. 11.8.1981 bisher nicht bekannt, wann sie das Vordi- die Fotografie. Sie leben nun in Lübeck, in Lübeck plom bestand und bei wem Hilda Harte den dreißiger Jahren in Bad Schwartau. nach dem Vordiplom studierte. Sie unter- Zumindest Eberhard Schrammen arbeitet bricht ihr Studium mehrfach, um in Archi- Studium an der Akademie Dresden 1913 regelmäßig als Pressefotograf. Auch wäh- tekturbüros zu arbeiten, darunter die Berli- bis 1916, an der Kunstgewerbeschule rend des Nationalsozialismus leben beide ner Bauverein GmbH und im Büro Leo Weimar 1918 bis 1919, am Bauhaus von der Fotografie. Zahlreiche Fotos und Nachtlicht.182 Während ihres Studiums ge- Weimar 1919 bis 1920 Bildreportagen erscheinen unter dem ge- hört Hilda Harte der KDAJ an. Wahrschein- meinsam verwendeten „Schrammen“ in 1897 als Tochter deutschstämmiger Eltern lich fällt auch ihr Austritt aus der evangeli- Zeitungen und Zeitschriften. Eberhard in Riga geboren, wächst Toni von Haken- schen Kirche in diesen Zeitraum. Außer- Schrammen stirbt bereits Ende 1947. Toni Nelissen in Dresden als Tochter des Kö- dem soll sie seit ihrer Zeit an der TH mit Schrammens weiteres Leben ist bisher niglich Sächsischen Musikprofessors Max Ludmilla Herzenstein befreundet gewesen nicht recherchiert. Sie starb 1981 in von Haken-Nelissen auf. Sie besucht die sein.183 Lübeck. Elisabethschule, eine zehnklassige evan- Nach sieben Semestern unterbricht Harte gelische Privatschule, erhält dort am Quellen: SBW 152, Studentenakte von Haken- ihr Studium zum Frühjahr 1930, um im 14.3.1913 ihr Entlassungszeugnis. Im An- Nelissen Atelier Gropius zu arbeiten. Hier ist sie an schluss studiert sie an der Akademie Dres- Dressler 1930: Schrammen, Eberhard der Karrosseriegestaltung für die Adlerwer- den bei Prof. Guido Richter. Anfang 1918 Sabine Hartmann/Karsten Hinz: Toni Schrammen (Biografie) in Fiedler, Jean- ke beteiligt. Sie besteht die Diplom-Haupt- stirbt ihr Vater. nine (Hg.): Fotografie am Bauhaus, prüfung im Februar 1933. Anschließend ar- Sie wendet sich im Februar 1918 an die 1990, S.347 beitet sie wiederum im Büro Gropius, wo Sachsse, Rolf: Kontinuitäten, Brüche Kunstgewerbeschule Weimar mit der Bitte und Mißverständnisse, in: Nerdinger, um Aufnahme und Schulgelderlass. Offen- Winfried (Hg.): Bauhaus-Moderne im bar studiert sie dort ab dem Frühjahr 1918. Nationalsozialismus, München, 1993 181 SBW 152, Bl.1517, Schreiben von Haken- S.64ff. Im Aterlier Gropius scharen sich Mitarbeiter um ein Mit der Eröffnung des Bauhauses wird sie Nelissen vom 27.2.1920 Modell der Adler-Karosserie dort Studentin und gehört damit zu den 182 Leo Nachtlicht hatte 1929 das Haus Gour- ‘übernommenen’ Studentinnen. menia in der Hardenbergstraße in Charlot- Als Mitglied der ‘Arbeitsgemeinschaft für tenburg fertiggestellt. Zwischen 1928 und Architektur’, deren Entwurf bei der Aus- 1930 arbeitet auch Hermann Henselmann stellung im Juni 1919 ausgezeichnet wird, im Büro Nachtlicht. Vgl. Borngräber, Chri- wird Toni von Hakens Interesse an der Ar- stian: Hermann Henselmann, in: Ribbe / chitektur kurzzeitig erkennbar. Nach bishe- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Schäche: Baumeister, Architekten, Stadt- rigen Recherchen scheint sie dieses Inter- planer, Berlin, 1987, S.559. esse jedoch nicht weiter verfolgt zu haben. 183 Lt. Emira Selmanagic (im Gespräch am Im Februar 1920 meldet sie sich mit einem 16.8.1995) hat Hilda Harte gemeinsam mit Schreiben aus Dresden bei der Leitung Ludmilla Herzenstein studiert. des Staatlichen Bauhauses ab.181 Im März

354 Anhang denes Auskommen garantiert hatte. Auch er wird beim ‘Ingenieurdienst’ und bis Kriegsende auf wechselnden Positionen tätig, bevor er 1945 Leiter des Hauptamtes für Planung unter Hans Scharoun wird. 1947 wird er sowohl Assistent von Scharo- un an der TU als auch außerordentlicher Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Professor an der HfBK.

Als Statikerin ist Hilda Ebert-Harte in den Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar fünfziger und sechziger Jahren bei zahlrei- chen öffentlichen Gebäuden beteiligt, dar- unter der Gropiusschule in Britz-Buckow- Rudow, der Erweiterung der Dahlemer Mu- Wohnblock Mommsenstraße, Berlin, 1970er Jahre, seen aber auch bei Wohnungsbauten .187 Hilda Harte und Wils Ebert So zeichnet sie auch für Konstruktion und Statik des auf Scheiben stehenden Gebäu- sie u.a. an der „Analyse Berlin“ für den des des Büro TAC für die Interbau 1957 CIAM Kongress in Athen beteiligt ist. 1933 verantwortlich, bei dem Wils Ebert die Rol- Ingrid Heidenreich, Dipl.Ing. nimmt sie an der Schiffsreise mit der Pat- le des Kontaktarchitekten übernimmt. ris II teil.184 In Athen wird die städtebauli- geb. 29.3.1916 Berlin - Daten nach 1939 Als Architektin scheint Hilda Harte nicht che Studie des Büro Gropius von dem drei unbekannt mehr zum Zuge gekommen zu sein. Sie Jahre jüngeren Wils Ebert vorgestellt. starb am 29.5.1976 in Berlin. Ab Ende 1933 arbeitet Hilda Harte als Bü- Quellen: Studium an der TH Charlottenburg 184 Dabei auch Wils Ebert, Wilhelm Hess, Hu- roangestellte für den „Ingenieurdienst“ des gk (Günther Kühne): Hilda Ebert-Harte wahrscheinlich ab 1934 bis 1939, Di- bert Hoffmann und Laszlo Moholy-Nagy, VDI bis sie im Februar 1935 Arbeit als Ar- gestorben, in: Tagesspiegel, Berlin, plom dazu Wolfgang Bangert und Hilda Harte - chitektin beim „LKK III Flugplatz Brandis“ 9.6.1976 Günther, Sonja : Wils Ebert, Berlin, vgl. Günther, 1993, S.60 - Auf diesem findet.185 Ende 1935 wechselt sie zur Ver- wurde 1916 in Berlin als Tochter des Ar- 1993 Schiff reist auch die polnische Architektin suchsanstalt für Luftfahrt nach Adlershof, Lancelle, Annemarie: Wils Ebert, in: chitekten Conrad Heidenreich (geb. 1883) Helena Syrkus (1900-1980), die 1928 die wo sie zum 15.3.1937 freiwillig ausschei- Günther, 1993, geboren. Der Vater betreibt mit dem etwas Aufnahmeantrag Harte in den AIV vom polnische CIAM-Sektion „Präsens“ mit- det. Zum Dezember 1937 findet sie eine älteren Kollegen Paul Michel ein bekanntes 10.1.1956, ich danke Herrn Hoffmann begründet und die Siedlung Racowiec auf Anstellung als Architektin bei der Reichs- für diesen Hinweis Architekturbüro am Kaiserdamm. Das Büro dem CIAM-Kongreß 1929 in Frankfurt a.M. umsiedlungsgesellschaft, für die sie zu- Amtlicher Katalog der Interbau 1957, Heidenreich und Michel realisiert in Berlin Berlin, 1957, S.82 vorgestellt hatte. Vgl. dazu auch: Klain, Bar- nächst bei der Gutsverwaltung Neuenberg zahlreiche Projekte, darunter Wohnungs- Schreiben Herbert Ebert vom 4.9.1998 bara: Warschau im Herzen Europas, in: bei Fulda, ab Januar 1938 bei der Bezirks- bauten im Westend aber auch Geschäfts- Gröning, Gert (Hg.): Planung in Polen im stelle Brückenau/Unterfranken tätig ist. Ab häuser, wie bspw. 1912 das Weinhaus Nationalsozialismus, Berlin, 1995. Januar 1940 arbeitet sie wieder in Berlin, Huth in der Nähe des Potsdamer Platzes. 185 Im RKK-Antrag vom 20.12.1933 wird dies nun als Statikerin im Büro von Herbert Trotz des bekannten Vaters ist über den als „augenblickliche Beschäftigung in der Kretschmann. Werdegang resp. Berufsweg der Tochter Hilda Ebert-Harte und Wils Ebert, 1970er Jahre wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge“ auf- Ab Sommer 1945 leitet sie das Prüfungs- bisher ungemein wenig bekannt. Ingrid geführt. amt für Baustatik beim Magistrat von Ber- Heidenreich wächst mit zumindest einem lin. In den fünfziger Jahren macht sie sich Bruder - und wahrscheinlich in Berlin- 186 Sie wird mit Schreiben vom 28.2.1956 als als Statikerin und Architektin in Berlin selb- Westend - auf. Sie dürfte sich unmittelbar „Architektin und Statikerin, Spezialgebiet: ständig. Anfang 1956 wird sie in den AIV nach dem Abitur, d.h. spätestens 1934 für Ingenieurbauten“ aufgenommen.(Befürwor- aufgenommen.186 Im selben Jahr heiratet das Architekturstudium eingeschrieben ha- ter sind Karl Hillenblink (Rbmstr. a.D., Prüf- Harte den Architekten Wils Ebert (17.4. ben (Matrikelnummer 10/3450), denn be- statiker), Franz Schroeder (Statiker) und 1909 Obercunnersdorf - 24.6.1979 Berlin), reits im Sommersemester 1936 legt sie an Prof. Wils Ebert. Mit Schreiben vom 20.1. den sie seit ihrer Zeit im Büro Gropius der TH Charlottenburg das Vordiplom ab. 1956 bescheinigt Ebert, daß er sie seit 1933 aus der Arbeit an der städtebaulichen kennt. Nach dem Vordiplom - notwendige Prakti- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Untersuchung für den CIAM-Kongreß in Hilda Ebert-Harte betreibt ihr freiberufli- ka hat sie bereits absolviert - tritt sie zum Athen im Atelier Gropius kenne. „Sie war ches Statikbüro zu diesem Zeitpunkt in der Zwischensemester 1937 in das Seminar dort bereits früher bei der Bearbeitung der Zähringer Str. 24 in Wilmersdorf. Bei zahl- Tessenow ein, in dem bereits ihr älterer Karosseriegestaltung für die Adlerwerke reichen Projekten arbeitet sie mit Ebert zu- Bruder Konrad studiert. Dort entwirft sie tätig.“ AIV, Akte Harte sammen. Dieser war 1934 von Gropius zunächst ein Malerhaus, dann ein Theater - anlässlich seines Weggangs aus Berlin - und im Sommersemester 1938 ein Ge- 187 Als Statikerin in Zusammenarbeit mit Wils zu seinem Vertreter bestimmt worden, was meinschaftshaus. Ihren Diplomentwurf, ein Ebert und Fritz Bornemann. Notiz im Ta- ihm laut Günther jedoch nur ein beschei- Rathaus, reicht sie im Sommer 1939 ein. gesspiegel vom 9.6.1976

Biografien 355 Er wird lt. handschriftlichem Vermerk auf Kunstakademie zu Prof. Walther Klemm. Dittmer, Joachim H.: Die Malerin Dörte ihrer Karteikarte mit „1,0“ bewertet. Im Un- Mit Eröffnung des Bauhauses besucht sie Helm, in: Mecklenburgische Monatshef- te, 6.Jg., 1930 terschied zu den meisten Kommilitoninnen auch dieses. Fiedler, Jeannine: Kurzbiografien, 1987, wohnt sie bereits während des Studiums Dörte Helm analysiert alte Meister bei It- S.151-152 in einer eigenen Wohnung in der Hessen- Gespräch mit Dr. Ursula Makovski am ten, studiert bei Klee, belegt Form- und 30.8.1994 allee, in einem vom Büro Heidenreich und Farblehre bei Kandinsky aber auch Werk- Degeners: Wer ist´s?, Berlin, 1935 Michel entworfenen und finanzierten Woh- zeichnen bei Walter Gropius und Adolf nungsblock. Meyer. Sie tritt 1919 in die Werkstatt für Ingrid Heidenreich verlässt im September Wandmalerei ein und schließt einen Lehr- Hempl, Elsa siehe Hill, Elsa 1939 nach einem ebenso zielstrebigen wie vertrag ab. Henschel, Ruth siehe Josefek, Ruth erfolgreichen Studium im Alter von 23 Jah- Bei der in der Studentenzeitschrift „Der ren die TH Charlottenburg. Über ihren wei- Austausch“ geführten Debatte über Gleich- Herde, Gertraude 188 Ob es sich dabei um Alexander Herzenstein teren Berufs- und Lebensweg blieben Re- berechtigung versus ‘Bestimmung’ der siehe Engels, Gertraude (geb. 1868) handelt, der 1890 am Polytech- cherchen bisher erfolglos. Frau am Bauhaus setzt sie sich vehement Herrlich, Gertrud siehe Bernays, Gertrud nikum Riga studierte, konnte bisher nicht Quellen: gegen biologistische Zuschreibungen ein. verifiziert werden. HTA, Karteikarte Heidenreich, Ingrid 1920 beteiligt sie sich bei einer Jubiläums- Bauten von Heidenreich und Michel in: 189 Es bleibt unklar, ob sie privat oder beruflich Berlin und seine Bauten, Teil IV B ausstellung der „Vereinigung Rostocker die Bekanntschaft mit Schneider macht. Künstler“. 1921 ist sie am Entwurf und der Ludmilla Herzenstein Realisierung der Innendekoration des Hau- 190 Ludmilla Herzenstein nennt in den Erfas- Dipl.Ing., BDA ses Sommerfeld beteiligt, ihr obliegt die sungsbögen für den BDA (1953 und 1972) Heise, Dörte siehe Helm, Dörte Auswahl von Stoffen und Lampen. geb. 24.3.1906 St. Petersburg - gest. als Diplomjahr 1933. Die Eintragung Tesse- 4.8.1994 Berlin, begraben in Berlin nows auf der Karteikarte Herzenstein lautet Am 6.Mai 1922 legt sie vor der Innung in „Diplom 1932“. Da die Karteikarteneinträge Weimar die Gesellenprüfung im Maler- und bis ca. 1934 oft marginal sind, erfolgten sie Dörte Helm Lackiererhandwerk ab. An dem im glei- Studium an der TH Charlottenburg 1926 wahrscheinlich rückwirkend. chen Jahr vom Atelier Gropius realisierten bis 1933, Diplom Dorothea Helm, spätere [Helm-] Haus Otte ist sie an der Ausmalung mit ei- 191 Alexander Klein war ebenfalls um 1910 aus Heise (ab 1/1930) genen Entwürfen beteiligt. Im Herbst 1922 wurde 1906 als zweites Kind der Linguistin St.Petersburg nach Berlin emigriert. Er soll tritt sie in die Webereiwerkstatt des Bau- Tatjana Herzenstein in St.Petersburg ge- um 1930 als Gastdozent an der TH Charlot- geb. 3.12.1898 Berlin-Wilmersdorf - hauses ein. Die Weberei interessiert sie of- boren. Der Vater ist Ingenieur.188 Die Fami- tenburg unterrichtet haben. Die Entwürfe gest. Februar 1941 Hamburg, beigesetzt fenbar jedoch nicht, sie illustriert Kinderbü- lie siedelt wahrscheinlich bereits vor 1910 von Typengrundrissen im mehrgeschossi- auf dem Ohlsdorfer Friedhof cher und Märchen. 1923 ist sie Mitglied nach Berlin über, der Vater kehrt nach St. gen Wohnungsbau werden immer wieder der Ausstellungskommission für die Bau- Petersburg zurück. Die Mutter ist als Leh- von Leo Adler in Wasmuth´s Monatsheften haus-Ausstellung in Weimar. 1924 verlässt rerin für Sprachen in Berlin-Schöneberg vorgestellt. So bspw. „Flurlose Wohnun- Studium an der Kunstgewerbeschule sie das Bauhaus und zieht nach Rostock, tätig. Dort wächst Ludmilla Herzenstein mit gen“, ( 1928, 12.Jg., S.454-461) und 1931 Rostock 1913 bis 1915, an der Kunst- wo ihre Eltern wohnen. Dort wird ihr „Kö- einem zwei Jahre älteren und einem meh- „Wirtschaftliche Grundrißbildung u. Raum- akademie Kassel 1915 bis 1918, an der nig Drosselbart“ - ein Theaterstück für Kin- rere Jahre jüngeren Bruder auf. Wie sie auf gestaltung“, 15.Jg, H.11/12, S.538ff Kunstakademie Weimar 1918 bis 1919 und am Bauhaus Weimar 1919 bis 1922 der - aufgeführt. Sie malt und erhält den die Idee kommt Architektur zu studieren, Auftrag, einen Fries im Neubau des Kur- ist bisher nicht bekannt.

Dörte Helm um 1925 wurde 1898 als zweite Tochter des Philo- hauses in Warnemünde auszuführen. Da- Ludmilla Herzenstein schreibt sich am logen Rudolf Wilhelm Oskar Helm (1872- neben betätigt sie sich als Innenarchitek- 21.10.1926 an der TH Charlottenburg für 1966) und seiner Frau Alice geb. Bauer in tin. Architektur ein und legt nach sechs Seme- Berlin-Wilmersdorf geboren, wo sie mit Im Januar 1930 heiratet sie den Schriftlei- stern das Vordiplom ab. Sie soll seit dem zwei Schwestern aufwächst. Dörte Helm ter der „Funkwacht“ Heinrich Heise. Mit gemeinsamen Studium mit Hilda Harte be- besucht die städtische Mädchenschule in ihm zieht sie 1932 nach Hamburg. Dörte freundet gewesen sein und auch die neun Berlin-Steglitz und nimmt privat am Zei- Heise bleibt nach der Heirat als Malerin tä- Jahre ältere, ebenfalls aus St.Petersburg chenunterricht bei Ernst Odefey teil. tig. Sie bringt 1938 eine Tochter zur Welt. stammende Ursula Schneider gekannt ha- 189 1909 wird der Vater, seit 1899 Privatdo- Ende Februar 1941 starb Dörte Heise in ben. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zent für klassische Philologie, an die Uni- Hamburg an den Folgen einer Grippe. Bei Heinrich Tessenow studiert Herzen- versität in Rostock berufen. Dort besucht Für biografische Informationen danke stein vermutlich ab 1930. Arbeiten aus ih- Dörte Helm neben dem Lyzeum ab 1913 ich Dr. Ursula Makovski rer Studienzeit sind bisher ebenso wenig auch die Kunstgewerbeschule. Gerade 16- bekannt wie das Thema ihrer Diplomarbeit. jährig wechselt sie 1915 an die Kunstaka- Quellen: BHAB, Abschrift des LL Dörte Helm, Da sie als ‘Werkstudentin’ ihr Studium demie in Kassel, wo sie erneut bei Odefey 1924 mehrfach unterbricht, absolviert sie die Di- malt, bei Carl Hans Bernewitz modelliert. „Haus und Wohnung“ in: Mecklenburgi- plomhauptprüfung erst um 1933.190 1929 1918 wechselt Helm nach Weimar an die sche Monatshefte, 3.Jg. 1927, Novem- ber arbeitet sie nachweislich für die Allgemeine

356 Anhang Häuserbau AG von Adolf Sommerfeld, wie Bevölkerungsentwicklung und Stadtpla- dies zuvor Hanna Blank und Iwanka Walt- nung in verschiedenen Fachzeitschriften. schanowa taten. Bei der Gehag-Siedlung Sie entwirft ‘Wohnzellen’, funktionalistische in Zehlendorf ist sie in der Bauleitung tätig. Wohngebietseinheiten für 5000 Einwohner. 1930 ist sie im Büro Alexander Kleins an Ludmilla Herzenstein wird jedoch auch er- einer Siedlungsplanung und dem Entwurf neut als entwerfende Architektin tätig: Zu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar von Typenbauten für den Wohnungsbau mindest die Idee, sowie die Vorstudien zu 191 beteiligt. Klein, der sich seit 1927 mit den - zumeist Scharoun zugeschriebenen - „Kleinstwohnungsbauten“ beschäftigt, ent- Laubenganghäusern, die 1949 an der Sta- wickelt im Auftrag der Reichsforschungs- linallee errichtet werden, stammen von ihr. gesellschaft 1930 Grundrisstypen für Umittelbar nach ihrer Fertigstellung gera- mehrgeschossige Wohnungsbauten und ten diese Gebäude in die Schusslinie einer ist mit der Planung einer Siedlung in Dür- Baupolitik, die nach repräsentativen Insig- renberg bei Merseburg beauftragt.192 nien für die Arbeiterklasse sucht. Von einer Laubenganghaus, Berlin-Friedrichshain, 1947, Aufnahme 1999 Als Klein als jüdischer Architekt 1933 Be- Exkursion in die SU zurückgekehrt, tritt Milchhäuschen am Weissen See, Berlin-Weissensee, 1967 rufsverbot erhält, konzipiert er eine Publi- Walter Ulbricht persönlich für die den Ab- 193 kationsreihe zu Wohnungsbautypen. Es riss ein, da dieser „‘Baukastenstil´ für die erscheint bis zu seiner Emigration nach Werktätigen nicht mehr in Frage kommen 194 Palästina 1935 nur der erste Band. Ob darf”. Schlussendlich bleiben die Lauben- Herzenstein nach ihrem Diplom an dieser ganghäuser stehen und werden durch 195 Publikation mitarbeitet, ist bisher unklar. ‘Großgrün’ zum Straßenraum kaschiert. Ihre Angaben zu ihrer Berufstätigkeit zwi- Auch Ludmilla Herzenstein soll diese Bau- schen 1933 und 1940 variieren auf offiziel- ten kritisch kommentiert haben: Der Bau Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar len Fragebögen. von Einraumwohnungen habe zwar der Ab 1935 arbeitet sie für die Firma Fiedler Nachfrage, nicht aber der Bevölkerungs- in Berlin, wechselt im Oktober 1935 ins struktur entsprochen. Vor allem jedoch: Stadtplanungsamt nach Rostock. Wie lan- Durch die politisch geforderte Betonung ge sie dort arbeitet, ist unbekannt. Herzen- des Straßenraums seien die Gebäude un- stein ist staatenlos, sie wird in die Reichs- sinnigerweise nicht in Ost-West-Orientie- kulturkammer aufgenommen und wieder- rung errichtet worden.196 holt überprüft. 1937 besucht sie die Welt- Für einen Weihnachtsbasar verfasst und il- des Bezirkes, Genehmigungen und als Ar- 192 Abb. siehe Adler, Leo: Neuzeitliche Miet- ausstellung in Paris und eine dort lebende lustriert sie 1945 „Das neugierige Entlein“. chitektin auch für bezirkliche Bauten zu- häuser und Siedlungen, Berlin, 1931, S.90f. Cousine. 1938 betreut sie für das Hambur- Zunächst auf Matrize vervielfältigt, wird es ständig. Ab den fünfziger Jahren wird sie ger Architekturbüro von Schoch & zu Put- 193 Zu Klein vgl. auch Röder / Strauss, 1983, 1950 in modifizierter Form vom Kinder- mehrfach ausgezeichnet, darunter 1962 litz einen Villenbau in Wiesbaden. Ab Janu- S.627 und Warhaftig, 1996, S.191. buchverlag aufgelegt.197 mit der Schinkel-Plakette des BDA. Ihr ar 1939 arbeitet sie im Büro Hopp und Lu- 194 Klein, Alexander: Einfamilienhäuser - Süd- räumlich reizvollstes architektonisches cas in Königsberg. 1940 zieht sie ins west- Auch nach 1945 bleibt Herzenstein staa- typ, Stuttgart, 1934. tenlos. Sie wird 1953 in den BDA aufge- Projekt, und das letzte bisher bekannte ist preußische Kleinstädtchen Konitz, wo sie 195 Herzenstein gibt auf den Fragebögen des nommen und 1958 in Berlin-Weissensee das „Milchhäuschen am Weissen See“, im Büro des Architekten E. Loos landwirt- BDA für die Zeit zwischen 1930 und 1935 Leiterin der Stadtplanung. 1964 wird sie das 1967 fertiggestellt wird. Ludmilla Her- schaftliche Bauten bearbeitet. Ludmilla keine berufliche Tätigkeit an. Sie soll nach dort zur Stadtbezirksarchitektin ernannt. zenstein tritt Anfang der siebziger Jahre in Herzenstein soll gegen Ende des Krieges dem Diplom mehrfach versucht haben, als Nun ist sie für die bauliche Entwicklung den Ruhestand. Sie starb 1994 in Berlin. - im Bemühen nicht bemerkt zu werden - Architektin in St.Petersburg zu arbeiten. an wechselnden Orten rund um Berlin ge- Für biografische Hinweise danke ich Hanne Fischer, Ingrid Basler und Inge- Klein nennt in seinem Buch keine Mitarbei- lebt haben. Berlin plant, 1946, Blick in die Ausstellung borg Meyer-Rey terInnen. Dies trifft allerdings auch auf Das Direkt nach Neugründung der Magistrats- (links die Bevölkerungsstatistiken Herzensteins) kleine Wohnhaus (1935) von Löffler zu. Vgl. Quellen: abteilungen tritt sie am 11.6.45 in den Ar- HTA, Karteikarte Ludmilla Herzenstein S.359, FN 204. beitsstab unter Leitung von Hans Scha- BDA Ost, Mitgliedsakte L. Herzenstein, 196 Herzenstein am 2.5.1992 im Gespräch mit roun ein, dem u.a. auch Luise Seitz-Zau- Aufnahmeantrag vom 14.7.1953, mit Dank an Dr. Simone Hain Dirk Schwiedergoll, dem ich für die Kopie leck angehört. In Vorbereitung auf die Aus- seiner Notizen danke. Die Präferenz der stellung „Berlin plant“ im Weißen Saal des eigene Schriften: Straßen- vor der Himmelsrichtung bei der Stadtschlosses 1946 analysiert Herzen- Herzenstein, Ludmilla: Bevölkerungsent- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wicklung als Faktor der Stadtplanung, Gebäudestellung war im 11. Grundsatz des stein die Bevölkerungsentwicklung Berlins in: Bauplanung und Bautechnik, H.7, Aufbaugesetzes vom 6.9.1950 festgelegt. und entwickelt entsprechende Diagramme. 1948, in gekürzter Fassung in: Bauwelt, 197 In veränderter Fassung (1951) und mit Illu- Als Referentin für Statistik im Hauptamt für 38.Jg., H.19, 1948 diess.: Zur Diskussion um den Berliner strationen von Ingeborg Meyer-Rey bleibt Stadtplanung veröffentlicht sie Ende der Aufbauplan, in: Neues Deutschland, es bis in die 80er Jahre ein Absatzrenner. vierziger Jahre Studien zum Verhältnis von 20.7.1949

Biografien 357 Hildegard Hesse diert haben. Was sie dort studierte und ob wig Mies van der Rohe gestanden ha- 201 spätere Kube[-Hesse] (um 1925 sie einen Abschluss erwarb, bleibt offen. ben. Ob sie als Architektin tätig wird, ist Felix Kube ist als Kunstgewerbler um 1930 unbekannt. Der weitere Lebensweg Elsa bis 1930er Jahre) in der Joachimsthaler Straße gemeldet. Die Hills ist bisher nicht erforscht. Sie starb im geb. 29.10.1899 Berlin - gest.1989 Berlin Ehe, aus der ein Sohn hervorgeht, wird in Sommer 1973 in den USA. den dreißiger Jahren geschieden. Quellen: Nach der Scheidung soll Hildegard Hesse BHD, Einschreibebuch Studium am Bauhaus Weimar von 1921 Anmeldebogen der Social Security vom überwiegend als Restauratorin von Textili- bis 1923, evtl. an der Ittenschule Berlin 24.11.1936 en gearbeitet haben. Nach 1945 wird sie 1928 bis 1930 insbesondere als Gebrauchsgrafikerin für wurde 1899 in Berlin geboren. Über ihre Berliner Museen sowie den Berliner Zoo Hoffmann(lederer), Mila Herkunftsfamilie ist bisher nichts bekannt. tätig. Hildegard Hesse starb 1989 in Berlin. siehe Lederer, Mila Nach Abschluss eines Lyzeums besucht Quelle: 198 Angabe auf dem Anmeldebogen der Social Hildegard Hesse um 1920 eine Kunstge- Fiedler, Jeannine, 1987, S.152 Security vom 24.11.1936. Ob es sich bei werbeschule, bevor sie ab 1921 am Bau- dem Vater um den Philologieprofessor Ge- haus in Weimar studiert. orge Hempl (1859-1921) handelt, läßt sich Nach der Grundlehre bei Johannes Itten Hesselbach, Lore siehe Enders, Lore bisher nicht verifizieren. besucht sie die Frauenklasse, studiert da- 199 BHD Einschreibbuch S.58 neben bei Gertrud Grunow und Paul Klee.

200 Ob sie mit Leila Hill oder Samuel Theodore Sie soll am Bauhaus überwiegend Sticke- Hill verwandt ist, die beide ebenfalls kurz- reien ausgeführt haben. Hildegard Hesse Elsa Hill zeitig am Bauhaus studieren, ist bisher un- verlässt das Bauhaus 1923 und kehrt nach geb. Hempl bekannt. Bei Dietzsch (1990, II, S.290) ist Berlin zurück, wo sie mit dem Bauhausstu- Leila Hill unter den Studierenden ohne ge- denten Felix Kube freiberuflich im Bereich geb. 5.10.1892 Ann Arbour/Michigan – naue Quellen aufgeführt. (Allerdings könnte Gebrauchsgrafik und Textilentwurf tätig ist. gest. August 1973, Sterbeort unbekannt Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar es sich hier evtl. auch um eine in der Erin- Ihn heiratet sie in den zwanziger Jahren. Im Bauhaus-Archiv befindet sich der Ent- nerung vermischte Form aus Elsa Hill und Studium am Bauhaus Dessau Herbst wurf eines ‘Kleinst-Wochenendhauses’, Lila Ulrich handeln). Samuel Theodore Hill, 1931 bis Sommer 1932 der zeitgleich mit Elsa Hill am Bauhaus stu- der verso handschriftlich mit „1925, Hilde- diert, ist am 31.5.1912 in Cananox geboren gard Hesse (prämiert)“ bezeichnet ist. Der Elsa Hill gehört zu den amerikanischen und Brite. Nach dem Vorkurs im Sommer- informelle Charakter des Fotos deutet dar- Studentinnen, die Anfang der dreißiger semester 1931 belegt er Reklame und Foto. auf hin, dass es sich um eine private Auf- Jahre für kurze Zeit am Bauhaus studieren. nahme handelt. Bisher ist unbekannt, wo 201 Lt. Grawe taucht sowohl im Schriftwechsel Zu ihr lassen sich jedoch kaum Angaben dieser Entwurf realisiert wurde. Ebensowe- Mies van der Rohes als auch auf der sog. oder Hinweise finden. So ist über ihre Vor- Fridel Hohmann nig sind Pläne dokumentiert. bildung bisher nichts bekannt. Gropius-Liste 1964 ihr Name auf. Frieda [Natalie] Hohmann, spätere Hildegard Kube-Hesse soll zwischen 1928 Sie wurde 1892 in Ann Arbour als Tochter Vogel (ab 9/1946), Dipl.Ing., BDA, und 1930 an der Ittenschule in Berlin stu- von Georg(e) Hempl und Annabelle, geb. Purmort geboren.198 Als sie sich am Bau- HTG haus Dessau zum Herbst 1931 unter der geb. 1.6.1909 Elbing - gest. 1.3.1997 Hil- Matr.Nr. 551 einschreibt, gibt sie als letz- Wochenendhaus, Ort unbekannt, 1925 chenbach, begraben in Hilchenbach- ten Aufenthaltsort „Schweiz“ und eine Hei- Dalbruch matadresse in New City, New York an.199 Elsa Hill ist zu diesem Zeitpunkt verheira- tet.200 Nach Besuch der Grundlehre im Studium an den THn Stuttgart und Graz Winter 1931/32 studiert sie im Sommerse- ab ca. 1928 bis 1934, an der TH Charlot- mester 1932 in der Bau-/Ausbauabteilung. tenburg 1931 bis 1934, Diplom Bisher lässt sich kein Eintrag in Protokollen oder Semesterlisten finden. Somit fehlt wurde 1909 als Tochter des Kaufmanns Gustav Rudolf Hohmann (8.12.1881 Elbing Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bisher jeder Anhaltspunkt zu ihrem Studi- um. Elsa Hill kehrt in den dreißiger Jahren - 1945 Elbing) und seiner Frau Hedwig in die USA zurück. geb. Hirschberg (13.9.1878 Elbing - 19.6. 1947 Berlin) in Ostpreußen geboren. Frieda 1936 arbeitet sie im Kaufhaus Macy´s am Natalie Hohmann, die sich ab der Studien- Broadway und wohnt auf der Upper West zeit ‘Fridel’ schreibt, ‘erbt’ ihren zweiten Side Manhattans. In den USA soll sie im Vornamen von ihrer jüdischen Großmutter Briefkontakt mit Walter Gropius und Lud-

358 Anhang mütterlicherseits. Sie wird protestantisch getauft und wächst mit einem Bruder in ei- ner wohlsituierten bürgerlichen Familie in Elbing auf. Der Vater verdient bereits in der zweiten Generation sein Geld in der Holz- branche und soll in Elbing mehrere Miets- 202 Hochbauamt Elbing 26.8.-22.10.1929: „Hil- häuser besessen haben. Die Mutter stu- fe bei der inneren Einrichtung der Jahn- dierte vor der Heirat Bildhauerei an der schule” (Bescheinigung vom 21.10.1929) Akademie in Königsberg. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar und nochmals vom 2.2.-31.10.1931: „Ent- Über Fridel Hohmanns Vorbildung ist we- wurfszeichnungen, Detailzeichnungen, Mö- nig bekannt, sie dürfte ihr Abitur jedoch bel etc.” (Bescheinigung vom 29.10.1931). am Realgymnasium in Elbing abgelegt ha- 15.8.-31.10.1932 bei Bruno Ahrens in Ber- ben, bevor sie um 1928 das Architektur- lin: ländlicher Siedlungsbau, Vollbauernstel- studium an der TH Stuttgart aufnimmt. Die len u.a.; Kleinhausbau: Einfamilienhäuser Unterlagen haben sich nicht erhalten und „von 5-12.000Mk.“ Bescheinigung Ahrens vom 16.12.1932, NL Vogel somit ist nicht ganz klar, wann sie an die „Dönshaus”, Lüttenort, 1934, Fridel Hohmann und Karl Buttmann TH Graz, wann an die in Berlin-Charlotten- 203 Das Zeugnis des Stuttgarter Vordiploms burg wechselt. Gesichert ist, dass Fridel Fridel Hohmanns datiert vom 20.2.1934. hilfe überbaut und mit dem „Tabu“ - einem Marienheide im Bergischen Land. Dort hat Hohmann im Sommer 1929 und von Feb- 204 Hinweis von Karl Buttmann am 14.11.1997. Atelier - und dem „Dönshaus“ (1939) zu die Familie eines Stahlhelm-Kameraden ruar bis Ende Oktober 1931 im Hochbau- Hohmann wird in diesem Buch als Mitarbei- einem unkonventionellen Ensemble er- von Vogel ihren Familiensitz. amt Elbing Büropraktika ableistet und im terin nicht erwähnt. 205 Sommer 1932 für zehn Wochen im Büro gänzt. An diesem abgelegenen Ort sind In der ersten Nachkriegszeit soll Hohmann 205 Die Überbauung des nach Lüttenort ver- von Bruno Ahrens in Berlin arbeitet.202 Hohmann und Buttmann, aber auch Luise mit großem Einfallsreichtum kunstgewerb- brachten S-Bahn-Wagens beschreiben Karl und Gustav Seitz des öfteren zu Gast. liche Gegenstände hergestellt und verkauft Hohmann studiert offensichtlich nach In- Buttmann und Annelise Niemeyer-Holstein Anschließend wechselt Buttmann durch haben. Als Eberhard Vogel (20.5.1910 Ber- teressenlage und Angebot, weniger nach in: Roscher, 1989, S.25ff. Studienordnungen. So legt sie das Vordi- Vermittlung Tessenows zunächst zu Prof. lin - 2.2.1965 Siegen) im August 1949 aus 206 Hohmann soll von der Nachricht, daß ihre plom an der TH Stuttgart erst ein halbes Kurt Frick nach Königsberg, um 1935 als der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, hei- Großmutter ‘Nicht-Arierin’ war, überrascht Jahr vor der Diplomhauptprüfung an der Assistent an die Handwerkerschule in Stre- raten sie umgehend. Anfang der fünfziger worden sein. Ein Antrag an die RKK lässt TH Charlottenburg ab.203 Unter der Matri- litz-Alt. Ob Fridel Hohmann den für eine Jahre kommt ein Sohn zur Welt. sich nicht nachweisen. kelnummer 45987 studiert sie im Seminar freiberufliche Tätigkeit nun notwendigen In Marienheide eröffnet Eberhard Vogel mit Tessenow zumindest vier, evtl. sechs Se- Antrag an die Reichskulturkammer stellt, seinem Kriegskameraden Hans Brandt ein 207 Über ihre Tätigkeit beim GBI am Pariser mester. Wahrscheinlich tritt sie zum Win- bleibt angesichts des ‘Abstammungsnach- Architekturbüro. Auch Fridel Vogel hat gro- Platz sind bisher keine schriftlichen Quellen 206 tersemester 1931/32 dort ein. Sie entwirft weises’ unklar. Mitte der dreißiger Jahre ßes Interesse an einem Neubeginn als frei- zu finden. Von ihrer Tätigkeit im Modellsaal ein Bauernhaus, ein Sanatorium und ein tritt sie in das Büro des Generalbauinspek- berufliche Architektin. Ihre Versuche, in die erzählte sie Hella Giesler. Hotel. Ihre Studienentwürfe sind bisher tors für die Reichshauptstadt ein, wo sie Sozietät einzutreten, scheitern. Anlässlich 208 Auch hierüber hat sich Vogel gegenüber nicht dokumentiert. Ebenfalls unbekannt u.a. in der Modellbauwerkstatt tätig gewe- von Wettbewerbsteilnahmen wird sie aber Giesler geäußert. Zu den Planungen am 207 ist das Einfamilienhaus, das sie 1933 in El- sen sein soll. Unter den Fittichen Speers temporär bei Brandt & Vogel geduldet. Das Fehrbelliner Platz vgl. Schäche, Wolfgang: bing realisiert haben soll. Der Entwurf, mit entgeht sie ökonomischen Krisen. Da Hoh- Büro baut in den fünfziger Jahren etliche Architektur und Städtebau in Berlin zwis- dem Fridel Hohmann im Sommer 1934 bei mann nach eigenen Angaben auch mit Schulen im Bergischen Land, die als chen 1933 und 1945, Berlin, 1992 (2.Aufl.), Tessenow diplomiert, ist ein Schwimmbad. größeren Planungen direkt am Fehrbelliner gewonnene Wettbewerbe begannen. S.246 ff., zum Verwaltungsgebäude der Platz beschäftigt war, könnte sie zeitweilig Nach dem Diplom wohnt Fridel Hohmann DAF (1941-43) - dem heutigen Rathaus Wil- auch für die DAF tätig geworden sein.208 weiterhin mit ihrem Studienfreund, dem Schule in Gummersbach, vor 1953 mersdorf - S.274 ff. Außerdem Weihsmann, Die konkreten beruflichen Tätigkeiten Fri- Tessenowstudenten Karl Buttmann zusam- Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz, Wien, del Hohmanns lassen sich für diesen Zeit- men. Für Walter Löffler, einen Assistenten 1998, S.287. Weihsmann datiert das von raum bisher nicht dokumentieren. Tessenows, zeichnet sie alle Illustrationen Firle und Richter entworfene Gebäude auf des 1935 erscheinenden Buches „Das klei- Seit 1938 wohnt Hohmann mit dem frisch 1935/36. ne Wohnhaus“.204 diplomierten Poelzig-Schüler Eberhard Vo- 209 Vogel hatte sein Architekturstudi-um bereits gel in der Gustorffstraße in Berlin-Charlot- Als sich der Maler Otto Niemeyer-Holstein zum Wintersemester 1929/30 an der TH tenburg zusammen.209 Er arbeitet bis mit seiner Frau 1935 aus dem nationalso- Charlottenburg begonnen und nach Unter- Kriegsbeginn in Berliner Architekturbüros. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zialistischen Berlin nach Lüttenort auf der brechungen 1937 bei Poelzig diplomiert. Fridel Hohmann bleibt zumindest bis Ende Insel Usedom zurückzieht, entwerfen Hoh- Seit dem Erlass der Nürnberger Rassege- 1944 in Berlin als Architektin tätig. 1945 mann und Buttmann für das Grundstück setze 1935 war ein Zusammenleben Hoh- flüchtet sie zu ihren Eltern nach Elbing. der Niemeyers zwei kleinere Häuser. Dafür manns mit dem Stahlhelmmitglied Vo-gel Gustav Hohmann wird bei Kriegsende er- wird der dort seit 1934 als Ferienatelier ge- sicherlich nicht opportun, eine Heirat aus- schossen. Fridel Hohmann flieht mit ihrer nutzte Berliner S-Bahn-Wagen in Selbst- geschlossen. Schulfreundin Eva Schieder zu Fuß nach

Biografien 359 Bei zunehmenden gesundheitlichen Pro- blemen von Eberhard Vogel wird die So- zietät 1961 aufgelöst. Albrecht von Stosch - ebenfalls Kriegskamerad von Vogel - bie- tet Fridel Vogel eine neue Perspektive im Siegerland. Sie zieht 1962 mit ihrer Familie nach Hil- chenbach und beginnt unter ihrem Namen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ein eigenes Büro als freiberufliche Archi- tektin. Zunächst nimmt sie für die von Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Stosch´schen Betriebe mehrere Um- und Erweiterungsbauten vor, realisiert in Dom- melstadt am Inn das Haus Simon und in Isny die Villa Nuber. Es folgt der Erweite- rungsbau der Volksschule Helberhausen und der Umbau mehrerer privater Wohn- Schulerweiterung Helberhausen, 1963 häuser. Rathaus Hilchenbach, 1977, im Vordergrund Fridel Vogel Als Eberhard Vogel 1965 stirbt, hat Fridel Vogel als selbständige Architektin beruflich

Fuß gefasst. Noch in den sechziger Jahren bspw. ein Rathaus und eine Feuerwehr für Für biografische Informationen und Hin- baut sie u.a. das „Haus Plaas” in Siegen Hilchenbach. 1977 kann sie das Rathaus weise zu Bauten und Projekten danke ich Hella Gieseler, Peter Knaack, und das „Haus Jüngst” in Dillenburg. Zu- 210 realisieren. Im Gegenzug erwirbt sie die Friederike Profeld, Matthias Vogel, sammen mit dem Kollegen Peter Knaack zuvor als Rathaus genutzte „Villa Hütten- Sabine Schmidt, Albrecht von Stosch, beteiligt sie sich den Wettbewerben wie für hain”, die sie 1978 für Wohn- und Büro- Rolf Schmidt, Karl Buttmann und Her- bert Osenberg Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den nordrhein-westfälischen Landtag in zwecke umbaut.211 In Hilchenbach entste- Düsseldorf und den Hauptsitz der Provinzi- hen nach ihren Entwürfen Ende der Sieb- Quellen: al-Versicherung. Beim Wettbewerb „Amts- ziger außerdem zwei Geschäfts- und HTA/Karteikarte Hohmann, Friedel Löffler, Walter: Das kleine Wohnhaus, realschule Eichener Seite“ gewinnt sie 212 Wohnhäuser. Als neuen Sitz von Stadt- Stuttgart, 1935, Illustrationen und tech- 1967 den 2. Preis. Im selben Jahr realisiert bibliothek und Stadtmuseum baut sie die nische Zeichnungen von Fridel Hoh- sie als Direktauftrag die Friedhofshalle Ha- denkmalgeschützte „Wilhelmsburg” um. mann Friedhofshalle Hadem-Helberhausen, 1967 dem-Helberhausen. Anfang der siebziger HTA / Briefe Vogel 1958, 1967 - Karl Anfang der achtziger Jahre entstehen die Buttmann: Nachruf auf Otto Niemeyer- Jahre entstehen weitere Einfamilienhäuser beiden letzten Einfamilienhausneubauten Holstein, 1984 und eine kleine Siedlung am Hang in Allen- in Hadem und Burbach-Rünte. LL für Eberhard Vogel, aufgestellt von 210 In Arbeitsgemeinschaft mit dem Büro bach. Daneben beteiligt sie sich weiterhin Fridel Vogel am 30.5.1973, NL Vogel Für eine Freundin plant Fridel Vogel noch efa: „Jeder Architekt hat seine ganz ei- Weist, Krämer, Andrick an Wettbewerben. Sie wird Mitglied der in den neunziger Jahren den Umbau eines gene Handschrift“, Siegener Zeitung Heinrich-Tessenow-Gesellschaft, des BDA 11.7.1980, Bl.3, S.1 211 Die Villa Hüttenhain wurde 1895 für den Bauernhofes. Sie ist Zeit ihres Lebens von und der CDU. Roscher, Achim (Hg.): Lüttenort. Das Hilchenbacher Lederfabrikanten Richard sportlichen Autos fasziniert und kulturell Bilder-Leben und Bild-Erleben des Ma- Hüttenhain erbaut. Information von Stadt- Fridel Vogels Interesse richtet sich auf alle vielseitig interessiert. Fridel Vogel starb im lers Otto Niemeyer-Holstein, Berlin, 1989 archivar Gämlich am 20.4.1998. Gestaltungsaufgaben vom Städtebau bis Frühjahr 1997 in Hilchenbach. 212 Es handelt sich dabei um das Textilhaus zur Inneneinrichtung und sie ergreift häufig Patt in der Unterzeche und die Ginsburg- die Initiative, entwirft auch ohne Auftrag Apotheke in der Bruchstraße. Textilhaus Patt, Unterzeche, Hilchenbach, 1973 Fridel Vogel 1976 in ihrem Wohnzimmer (ehem. Villa Hüttenhain)

Haus Jüngst, Dillenburg, 1962 Haus Müller, Allenbach, 1972

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360 Anhang Wera Itting ty Wiener - in ihrem dritten Semester in Ruth Josefek spätere Gaebler (vor 1948) das 3.Semester Bau/Ausbau aufgenom- spätere Henschel (ab ca.1935) men, „der seinerzeitige beschluss auf ab- geb. 16.12.1909 Saalfeld - gest. Novem- solvierung eines werkstattsemesters wird geb. 9.6.1904 Gleiwitz/Oberschlesien - 215 ber 1965 New York City, N.Y., begraben aufgehoben“. gest. 3.2.1982 Hirrweiler/Löwenstein, in Saalfeld Am Ende des folgenden Wintersemesters begraben in Hirrweiler hat sie ihre Studienarbeit noch nicht abge- schlossen. Die von ihr beantragte „Ver- Studium am Bauhaus Dessau und Berlin Studium am Bauhaus Dessau und Berlin schiebung der Ausstellung“ wird im März 1930 bis 1933, an der Ittenschule Berlin 1930 bis 33, an der Textilfachschule 1932 nicht genehmigt. Wera Itting stellt 1933 Langenbielau 1933 bis 1934, Abschluss aus und studiert weiterhin Bau/Ausbau. wurde 1909 als zweites Kind des Ingeni- Auf der Konferenz am 11.1.1933 berichtet wurde 1904 als Tochter eines Architekten eurs und Unternehmers Franz Itting (geb. Hilberseimer von einer Unterredung mit im oberschlesischen Gleiwitz geboren. 1875) und seiner Frau Selma geb. Wiesner Wera Itting. Die Konferenz kommt zu dem Dort wächst sie zusammen mit einem jün- geboren. 213 Im thüringischen Probstzella Schluss „Wenn ihre arbeiten sich nicht än- geren Bruder auf und besucht nach der betreibt der Vater die „Itting-Werke“. Wera dern, soll sie nicht am bauhaus behalten Mittelschule ein Mädchenlyzeum, wo sie Itting besucht dort zunächst die Volks- u. werden. man soll sie dies aber rechtzeitig um 1922 das Abitur ablegt. Sie besucht Mittelschule, danach die freie Schulge- wissen (..) lassen“. Auf der Semesterliste anschließend eine Frauenschule, arbeitet meinde Wickersdorf. Hier unterrichtet ab vom 29.3.1933 ist Itting als Studierende dann vier Jahre im väterlichen Architektur- 1926 u.a. Ludwig Hirschfeld-Mack. Trotz der Bau-/Ausbauabteilung im 4.Semester büro mit. Nach einer Ausbildung als Gym- der künstlerischen Förderung scheint für gelistet. Sie studiert also offenbar bis zur nastikerin arbeitet sie Ende der zwanziger Wera Itting die klassische Ausbildung hei- Schließung des Bauhauses in Berlin, geht Jahre in Coburg zwei Jahre lang als „Gym- ratsfähiger Tochter vorprogrammiert: “1 dann an die Ittenschule. nastikerin“. jahr schottland u. england zur vervollstän- Über ihr Studium dort ist bisher nichts be- Als sie sich zum Wintersemester 1930/31 digung der Sprachkenntnisse, koch- u und kannt. Ernst Neufert ist seit 1930 Leiter der unter der Matr.Nr. 452 am Bauhaus in haushaltungsschule“ ist unter „Vorbildung“ dortigen Bauabteilung. Die Studierenden Dessau einschreibt, ist sie bereits 26 Jahre im Prüfungsprotokoll in Dessau vermerkt. arbeiten im Bauatelier auch an praktischen alt. Sie besucht neben der Grundlehre die Offensichtlich will Wera Itting jedoch mehr Bauaufgaben mit. Wera Itting studiert dort Webereiwerkstatt, wo sie bei Gunta Stölzl als heiraten. Ihr zwei Jahre älterer Bruder de facto nicht länger als ein Semester und studiert. Zum Sommersemester 1931 Gotthard (18.11.1907 Saalfeld - 17.9. 1983 dürfte damit in dieser Zeit keine formale wechselt sie in die Bau/Ausbauwerkstatt, Ludwigstadt) studierte zwischen 1926 und Qualifikation als Architektin erworben ha- belegt daneben Kurse bei Kandinsky und 1928 am Bauhaus, wechselte dann an die ben. Zum 1.September 1933 tritt sie in das Klee. Sie wird offiziell auch als Schülerin Ittenschule nach Berlin. Seine Bekannt- Büro Luckhardt ein, wo sie 13 Monate ar- der Freien Malklasse genannt. Ihr späterer schaft mit Alfred Arndt hatte dazu geführt, beitet. Mann Erich Henschel (22.4.1907 Görlitz - dass dieser für Franz Itting verschiedene Nach fünf Semestern Architekturstudium Oktober 1984 Hirrweiler) studiert zeitgleich Bauaufträge realisieren konnte und sich und einem Jahr Mitarbeit bei den Luck- am Bauhaus, besucht nach der Grundlehre 1927 in Probstzella niederließ. Wera Itting hardts gibt Wera Itting die Architektur an- die Reklamewerkstatt. kannte also zumindest Hirschfeld-Mack scheinend auf. Was sie in den folgenden Auch für Ruth Josefek ist zum Winterse- 213 Lt. Mitteilung der Social Security vom und die Arndts. Sie dürfte sich bereits vor Jahren tut, ist bisher unklar, ein Aufnahme- mester 1931/32 ein Wechsel in die Rekla- 5.5.1998 ihrem Weggang nach England für die Bau- antrag für die Reichskulturkammer nicht mewerkstatt vermerkt, sie besucht aber aktivitäten ihres Vaters interessiert haben. nachweisbar. Um 1945 lebt sie in Berlin. weiterhin auch die Freien Malklasse. Und 214 Vgl. hierzu auch Wolsdorff, Christian: Der Im Herbst 1927 wird der von ihrem Vater 1948 zieht sie - inzwischen verheiratet - sie studiert auch weiterhin in der Baulehre, Bauhausmeister Alfred Arndt, Berlin, 1999, beauftragte Hotelbau, das „Haus des Vol- mit Mann und Sohn nach New York, wo denn im November 1931 stellt sie als An- S.9 214 kes“ eingeweiht. sie für ein Schweizer Unternehmen als gehörige der Baulehre einen Antrag auf 215 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 30.9. Aus England zurückgekehrt schreibt sich Chefsekretärin arbeitet. Sie starb 1965 im Befreiung vom Unterricht Rudelt.216 1931, Bl.2, Pkt 6

Wera Itting unter der Matr.Nr.463 am 12.4. Alter von 55 Jahren in New York. Josefeks Ausflug in die Architektur scheint 216 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 4.11. 1930 am Bauhaus Dessau ein, wo Alfred Für biografische Hinweise danke ich - trotz der Vorbildung im väterlichen Büro - 1931 Bl.2, Pkt.11: „stundenplan josefek. Arndt inzwischen die Ausbau-Werkstatt lei- Sigrid Itting nicht ermutigend gewesen zu sein. Ihr grundsätzlich sollen angehörige der bauleh- tet. Nach der Grundlehre hospitiert sie zu- Quellen: Rückzug aus der Bau/Ausbauwerkstatt re nicht vom unterricht rudelt befreit wer- nächst in der Weberei, besucht kurzzeitig BHD, NL Engemann, Protokolle der Bei- könnte allerdings auch dem Wegfall der den. mit rücksicht auf ihr bisheriges studi- die Metallwerkstatt, dann die Bau/Ausbau- ratssitzungen 9.12.30, 3.2.31, 30.9.31, familiären Unterstützung geschuldet sein, um und ihre bestimmten ziele wird auf vor- abteilung. Laut Semesterprüfungsliste vom 16.3.32, 11.1.33, Semesterprüfungsliste SS 31 v.6.7.31, Semesterliste WS 32/33 denn ihr Interesse an der Architektur lässt schlag von engemann im falle josefek eine Juli 1931 muss sie das 2.Semester wieder- v.29.3.33 just zu dem Zeitpunkt nach, als ihr jünge- ausnahme gemacht.“ - Der Antrag ist nicht holen. Im September 1931 wird sie jedoch Tagebücher Alfred Arndt, in: Hahn, Pet- rer Bruder an der TH Stuttgart sein Archi- erhalten, die ‘bestimmten Ziele’ bleiben da- - gleichzeitig mit Anny Wettengel und Mat- er / Christian Wolsdorff (Hg.): Der Bau- hausmeister Alfred Arndt, 1999 tekturstudium aufnimmt. Nach seinen Aus- mit unbekannt.

Biografien 361 sagen sei damit klar geworden, dass das hauptprüfung, die sie im Februar 1936 bei väterliche Büro in Gleiwitz einmal von ihm Tessenow absolviert, sind bisher bekannt. 217 übernommen werde. Während ihres Studiums wohnt Irina Kaatz Ruth Josefek kehrt nach zwei Semestern zunächst in Tempelhof, dann in der Schlü- in die Webereiwerkstatt zurück, studiert terstraße in Charlottenburg. Um 1934 soll noch ein Semester bei Lilly Reich. Im Win- das schöne Atelier in TH-Nähe, das Kaatz tersemester 1932/33 hat sie Schwierigkei- mit Hohmann teilt, ein beliebter Treffpunkt ten, das Schulgeld zu bezahlen.218 Im Un- von Kommilitonen und Assistenten gewe-

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar terschied zu Henschel, der nach dreijähri- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sen sein. Insgesamt scheint Irina Kaatz elf gem Studium an der Kunstakademie Kö- Semester immatrikuliert gewesen zu sein. nigsberg zeitgleich sein Studium am Bau- Wo und wie lange sie als Praktikantin vo- haus begann und es im Frühjahr 1933 mit lontiert, bleibt unklar. einem Bauhaus-Diplom in Reklame ver- Auch über ihren Berufseinstieg ist kaum 219 lässt , erhält Josefek nach fünfsemestri- etwas bekannt. Karl-Hermann Zehm erin- gem Studium bei Schließung des Bau-hau- nert sich: „Ihren Beruf hat sie nur in jungen ses keinerlei Zeugnis. Sie besucht an- Jahren und (..) späterhin nur sporadisch schließend die Textilfachschule in Langen- Ruth Henschel, 1980 Irina Kaatz ausgeübt: so war sie im Kriege in der Bau- bielau, absolviert dort 1934 die Gesellen- abteilung des Luftfahrtministeriums und prüfung. Sie wird nicht in der Architektur spätere Zuschneid, Dipl.Ing., HTG später (..) in der Mark Brandenburg an der tätig. Planung von landwirtschaftlichen Bauten geb. 18.6.1911 Jaroslawl, Wolga - gest. Erich Henschel arbeitet bis 1935 als freier beteiligt.“ 222 Irina Kaatz heiratet, wann ist 22.9.1986 Lenggries, begraben auf dem Werbegrafiker in Würzburg. Ab 1935 bis bisher unklar, den Arzt Wilhelm Zuschneid. russ.orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel Kriegsende leben Ruth und Erich Hen- Sie bringt fünf Kinder zur Welt und widmet schel in Königsberg. 1945 gehen die dorti- sich anschließend ihrer Familie, zu der ge Werkstatt und alle Arbeiten verloren. Studium an der TH Charlottenburg ab auch ihre Mutter gehört. Die Wohnung im 1946 kehrt Erich Henschel aus der Kriegs- ca. 1930 bis 1936, Diplom Westend - von Irina Zuschneid eingerichtet gefangenschaft zurück. 1947 finden sie in - soll deutlich Einflüsse Tessenows gezeigt wurde als Tochter deutschrussischer El- Hirrweiler - zwischen Schwäbisch Hall und haben. Auch das Familiengrab auf dem tern im Sommer 1911 in Jaroslawl an der Heilbronn - eine neue Bleibe. Dort leben russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Te- Wolga geboren. Über ihr protestantisches beide als freie Künstler. Ruth Henschel er- gel entstand nach ihrem Entwurf. Elternhaus und ihre Schulbildung ist bisher hält Aufträge für Bildteppiche und kann ih- Irina Zuschneid interessiert sich sehr für wenig bekannt. Die Familie verlässt Ruß- re Arbeiten verschiedentlich an Sammlun- alte russische Kultur, pflegt die Sprache, 217 Information von Johannes Josefek land um 1919, Irina Kaatz wächst am Eich- gen und Museen verkaufen. In den siebzi- ist Mitglied der russisch-orthodoxen Kir- 218 Protokoll Beiratssitzung vom 25.1.33 Bl.1 werder in Eberswalde auf. ger Jahren wendet sie sich verstärkt der che. 1970 wird sie Mitglied der Heinrich- Pkt. 3: „schulgeld josefek ist trotz wieder- freien Grafik zu. 1970 stellt sie ihre Arbei- Wahrscheinlich schreibt sie sich zum Win- Tessenow-Gesellschaft, wo sie auch im holter mahnungen und stellung einer letzten ten im Kunstverein Heilbronn, 1980 in der tersemester 1930/31 unter der Matrikel- Vorstand aktiv ist. Sie unternimmt zahlrei- frist nicht eingegangen. es wird ihr teilnah- Stadtbücherei Heilbronn aus. nummer 43344 an der TH Charlottenburg che Reisen und starb bei einem Unfall me am unterricht untersagt und klage an- ein220. Dort absolviert sie das Vordiplom Ruth Henschel starb 1982 in Hirrweiler. 1986 im oberbayrischen Lenggries. gedroht.“ wahrscheinlich nach vier Semestern im Quellen: 219 Lt. Liste BHAB Diplom Erich Henschel am Für biografische Informationen danke Sommer 1932. Zum Wintersemester 1932 ich Johannes Josefek HTA, Karteikarte Irina Kaatz 1.4.1933. Er hatte neben der Grundlehre in tritt sie ins Seminar Tessenow ein, entwirft HTG/Gert Grossmann-Hensel und Karl- der Tischlerei studiert, war ebenfalls zum Quellen: das „kleine Wohnhaus“ und wird „begei- Hermann Zehm: Irina Zuschneid zum Gedächtnis, HTG-Rundbrief, 1986 Wintersemester 1931/32 in die Bau/Aus- BHD, NL Engemann, Semester-Prü- sterte Tessenowschülerin“. fungsliste SS 31 v. 6.7.1931: Bl.6; Bei- bauwerkstatt eingetreten, hatte jedoch,- ratssitzung 4.11.1931, Bl.2, Semester- Wahrscheinlich um 1934 bearbeitet sie die nach Zeichen- und Graphikstudium in Kö- prüfungsliste SS 1931 v. 6.7.1931, II.se- Aufgabe „Havelrestaurant“. Gert Gross- nigsberg - in seinem dritten Semester am mester, Bl.6; Aktennotiz an Engemann Karlsson, Leonie v. 19.11.1931; Beiratssitzung 11.1.1933, mann-Hensel beschreibt die Kommilitonin Bauhaus, in der Reklamewerkstatt gleich- Bl.2; Protokoll Beiratssitzung v. 25.1. rückblickend: „Ich glaube, sie war begabt siehe Pilewski, Leonie zeitig zwei Semester absolviert. 1933, Bl.1 für den von ihr gewählten Beruf des Archi- „js“: Das „private Bauhaus“ in Löwen- 220 Lt. Eintrag in Tessenows StudentInnen-kar- stein. Zum Tode der Künstlerin Ruth tekten. Kreativ, intelligent, fleißig und ziels- tei ist das Sommersemester 1933 ihr 6. Henschel, undat., Februar 1982 trebig bewältigte sie Studium und Exami- Studiensemester. BHD / Nossek, Petra: Ruth und Erich na selbstverständlich und glänzend.“ 221 Henschel in Heilbronn, undat. (ca. 221 Grossmann-Hensel, Gert: Irina Zuschneid 12/1980), Besprechung der Ausstellung Über das Studium von Irina Kaatz sind zum Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.9 in der Stadtbücherei Heilbronn kaum Informationen dokumentiert. Weder Fiedler, Jeannine, Kurzbiografien, 1987, 222 Zehm, Karl-Hermann: Irina Zuschneid zum S.152 Studienarbeiten, noch Monatsaufgaben Gedächtnis, 1986, HTG-Rundbrief, S.10 Telefonat mit Johannes Josefek am oder Thema und Bewertung der Diplom- 25.11.199

362 Anhang beitet im Sommer desselben Jahres im die aufgeführten Tätigkeiten: Sie betreut Büro von Arthur Schragenheim. Er bestä- Entwurfsprojekte und strebte wahrschein- tigt ihr guten künstlerischen Geschmack lich eine akademische Laufbahn an.228 Da und Zuverlässigkeit bei den ihr übertrage- Krencker ihr offensichtlich lieber „stets in nen Entwürfen für Ladenumbauten und der dankbarer Anerkennung gedenken“ als ei- Entwurfsgestaltung kleinerer Bauten.225 ne ordentliche Assistenz anbieten möch- Karselt dürfte ab Herbst 1928 - zeitgleich te, gibt sie ihre akademischen Ambitionen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mit Hanna Blank, Iwanka Waltschanowa nach fast fünf Jahren auf. und Lieselotte von Bonin - das Seminar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1936 heiratet Helga Karselt den zwischen- Tessenow besucht haben. Entwürfe aus zeitlich bei Poelzig diplomierten Jugend- der Studienzeit sind nicht mehr vorhanden. freund Emil Schuster und bezieht mit ihm Im Juli 1930 besteht Helga Karselt nach ein Haus in Dahlem.229 Die in dieser Zeit insgesamt elf Semestern das Diplom bei gemeinsam entwickelten Projekte sind bis- Haus Hampe, Kampen, 1932 Tessenow. her nicht recherchiert. 1937 kommt das er- Zehn Tage später tritt sie eine Stelle als ste Kind zur Welt, zwei Jahre später Zwil- Hilfsassistentin am Lehrstuhl für Bauge- linge und 1940 die jüngste Tochter. Wegen schichte bei Professor Daniel Krencker an. der Bombenangriffe auf Berlin zieht Helga Helga Karselt In dieser Zeit wohnt sie zur Untermiete in Schuster mit den Kindern mehrfach auf’s 223 LAB, Einwohnerverzeichnisse Berlin 1906 Helga [Marie Elisabeth] Karselt, der Meineckestraße in Charlottenburg. Land, der Familiensitz bleibt bis Kriegsen- resp. 1931 spätere Schuster (ab 1936), Während dieser Assistentenzeit entwirft sie de in Berlin. 224 Lt. Zeugnis vom 30.10.1926: August bis Dipl.Ing. für ihre Freundin Asta Hampe und deren Nach dem Krieg zieht Helga Schuster mit Oktober 1926 als Praktikantin bei der Phi- Schwester ein Ferienhaus in Kampen auf ihren Kindern nach Krefeld, Emil Schuster lipp Holzmann AG, u.a. Hochbaustelle in 226 geb. 28.2.1906 Berlin - gest. 9.1.1981 Sylt sowie ein Studentinnenwohnheim. gründet ein Büro in Düsseldorf. Aus dieser Britz - Zeugnis vom 1.10.1927 Ed. Jobst Krefeld 1934 veröffentlicht die Deutsche Bauzei- Zeit lässt sich keine gemeinsame Planung Siedler: 1.8.-1.10.1927 „Ausarbeitung von tung zwei Projekte unter dem Namen „Emil mehr nachweisen. Emil Schuster soll seine Wohnungsprojekten (..) Bearbeitung von Studium an der TH Charlottenburg 1925 Schuster, Baugestalter, BDA, Berlin-Dah- Frau ohnehin lieber im Haus als im Büro Ausführungszeichnungen.“ NL Schuster bis 1930, Diplom lem“, die thematisch wie formal deutlich gesehen haben. Helga Schuster sucht sich 225 Arthur Schragenheim bescheinigt Karselt Tessenowsche Einflüsse zeigen. Inwieweit Gestaltungsbereiche am Rande des Gel- mit Zeugnis vom 16.10.1928 (für den Zeit- wurde 1906 in Berlin geboren und wächst diese Entwürfe in Teamarbeit entstanden, tungsbereichs ihres Mannes. Sie entwirft raum 2.9.-31.10.1928), daß sie „Entwürfe mit zwei Geschwistern in der Schönhauser ist bisher nicht nachgewiesen. Im Unter- Möbel und soll im weiteren Familienkreis für Ladenausbauten, Umbauten in Land- Allee auf. Die Mutter ist Hausfrau, der Va- schied zu seiner späteren Frau ist der Bau- selbständig Umbauten und Einfamilienhäu- häusern und Entwurfgestaltung kleinerer 223 ter Rektor der 174.Gemeindeschule. gestalter Emil Schuster zu diesem Zeit- ser realisiert haben, darunter ein Haus in Bauten (..) mit gutem künstlerischem Ge- Helga Karselt besucht die staatliche Elisa- punkt noch Student bei Poelzig. Neckargemünd. Sie arbeitet an einem Le- schmack und Verständnis sicher und zuver- bethschule in Berlin, wo sie 1925 das Rei- Karselt kündigt zum 1.April 1935 die Stelle xikon der Baugeschichte und schreibt lässig zu meiner Zufriedenheit erledigt“ ha- fezeugnis erwirbt. In der protestantischen als Hilfsassistentin, um - so der Professor Kurzgeschichten. In den sechziger Jahren be. NL Schuster - Zur Biographie Schra- Familie Karselt wird die Mathematik hoch im Zeugnis - „als Architektin einen sie be- wird die Ehe geschieden, Helga Schuster genheims vgl. Warhaftig, 1996, S.288f. geschätzt, die Schwester promoviert als zieht in die Nähe ihrer Kinder nach Karlsru- friedigerenden Beruf zu finden“. Krencker 226 Das Haus wurde unter der Bauleitung eines Mathematikerin, der Bruder studiert Jura he um. Sie starb 1981 im Alter von 75 Jah- sieht seine Hilfsassistentin ungern schei- Kontaktarchitekten realisiert und 1996 ab- und Philosophie, er fällt im letzten Kriegs- ren in Krefeld. den, war sie ihm doch beim „In-Ordnung- gerissen. Ich danke Prof. Asta Hampe für jahr. Halten der Lehrstuhlsammlungen zur Hand Für biografische Informationen danke den Hinweis auf dieses Haus, sowie Frau Bereits in der Schulzeit lernt Helga Karselt (..), leitete auch die umfangreiche Lichtbild- ich Dorette Martin, Klaus Karselt und Prof. Asta Hampe Hegenberger für die Recherchen im Syltar- ihren späteren Mann kennen. Emil Schu- sammlung, bediente während der Vorle- chiv sowie die Abrißdokumentation. ster stammt aus einer Architektenfamilie sungen in der ganzen Zeit den Lichtbild- Quellen: 227 Zeugnis Daniel Krencker für Helga Karselt und nimmt zeitgleich sein Studium an der apparat, half gelegentlich auch bei der HTA, Karteikarte Helga Karselt; HTG, Briefe vom 31.3.1935, NL Schuster TH Charlottenburg auf. Helga Karselt soll Verwaltung der Bibliothek, sie erledigte Zeugnisse und Praktikumsbescheini- sich sehr für Archäologie interssiert haben. schriftliche und zeichnerische Arbeiten, gungen im NL Schuster 228 Wie sich bspw. anhand des 1932 in der Direkt im Anschluss an das Abitur immatri- widmete sich der Buch- und Kassenfüh- Deutsche Bauzeitung, 1934. H.4, vom Zeitschrift Frau und Gegenwart publizierten 24.1.1934, S.72-77; sowie 1934, H.36 Entwurfes für ein Studentinnenwohnheim kuliert sie sich jedoch an der TH Charlot- rung, half mit bei der Vorbereitung von vom 5.9.1934, S.709-710 tenburg am 16.4.1925 für Architektur. In Ausstellungen und Studienreisen und gab Sylter Archiv, Abrissprotokoll Hooge- belegen lässt (Frau und Gegenwart, 1931 / den ersten Semesterferien leistet sie das vor allem den Studenten Auskunft über alle kamp 15, Kampen 32, H.6, März 1932, S.159) - Dieser Entwurf geforderte dreimonatige Baupraktikum auf das Fach und Studium angehenden Ange- wurde von ihr gemeinsam mit Studentinnen einer Baustelle der Philipp Holzmann AG in legenheiten. Sie beherrscht die Stenogra- entwickelt. Nach Erinnerung ihrer Tochter Britz ab, im Sommer 1927 folgt das erste phie und die Schreibmaschine.“ 227 hatte Helga Karselt seit dem Studium auch 224 baugeschichtlich forschende Ambitionen. Büropraktikum bei Ed.Jobst Siedler. Am Helga Karselts Ambitionen am Lehrstuhl 12.Mai 1928 besteht Helga Karselt nach beschränken sich jedoch keineswegs auf 229 Bastianstr. 6, heute Kamillenstraße sechs Semestern das Vordiplom. Sie ar-

Biografien 363 richtet Fred Forbat „Wohnungsbau und Ob Hilde Coccia als Architektin beruflich Städtewesen“. tätig wird, ist bisher nicht bekannt. Ende Zum Wintersemester 1932/33 wechselt sie der sechziger Jahre zieht sie mit ihrem an die Bauabteilung des Bauhauses (Matr. Mann aus Rom in die Schweiz. Nr.612), das ihr auch persönlich schon län- Quellen: 230 Zum Haus der Familie von Goldschmidt- ger bekannt ist: Im Februar 1929 nahm sie BHD - NL Engemann, Einschreibebuch, Semesterliste WS 32/33 v. 29.3.1933 Rothschild siehe Bauhaus-Archiv Berlin / am metallischen Fest teil. Angesichts der Who is who in Italy, Rom, 1958 Landesbildstelle Berlin (Hg.): Berliner Le- vier Semester an der Ittenschule wird sie Keßler, Hans: Brief an seine Mutter vom benswelten der zwanziger Jahre, Bilder Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ins vierte Semester Architektur aufge-nom- 20.1.1933 über einen Besuch im Hause Katz, in: Hahn / Wolsdorff, 1985, S.171 231 einer untergegangenen Kultur, photogra- men. Von Hilde Katz sind bisher weder Schreiben Marcello Melmeluzzi vom phiert von Marta Huth, Frankfurt, 1996, Studienarbeiten noch Themen und Aufga- 24.9.1998 S.62-67. - In einem Brief an seine Mutter benstellungen aus ihrer Zeit an der Itten- beschreibt der Kommilitone Hans Keßler schule oder während ihrer kurzen Zeit am einen Besuch im Hause Katz am 18.1.1933. Bauhaus bekannt. Katz dürfte dort bei Kleffner-Dirxen, Christa Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in Hahn Mies van der Rohe und Reich studiert ha- siehe Dirxen, Christa (Hg.): Bauhaus Berlin, 1985, S.171 ff. ben. Bisher ist unklar, wielange sie am Bauhaus bleibt und ob sie ihr Studium an 231 Semesterliste WS 32/33 vom 29.3.1933 Hilde Katz „bau/ausbau 4. semester: katz, hilde, 1909, einer anderen Hochschule abschließen Hildegard Katz, spätere Coccia deutsch: 10j. lyceum, reifezeugnis, musik- kann. 1933 soll sie nach Paris übergesie- Elfriede Knoblauch studien. 4 sem. arch.studium bei prof. Itten, (ab 1936) delt sein, um bei Le Corbusier zu arbei- 232 geb. Dümmler 1.-3. sem. erlassen, 1 sem. bau/ausbau.“ ten. geb. 12.2.1909 Berlin - Daten nach 1969 Ihre Eltern ziehen 1933 aus der Tiergarten- 232 Lt. Angaben Hans Bellmann 1965 - BHA unbekannt geb. 16.3.1902 Rheydt - gest. 8.11.1937 straße in die Taubertstraße in Grunewald. 233 Das Emigrationsdatum ist der 25.9.1941. In St. Blasien Leo Katz ist seit 18.3. 1933 vom Berufs- Montevideo soll Leo Katz - bereits über 70- Musikstudium bis 1930, Studium an der verbot für Justiziare betroffen. 1937 ziehen jährig - an der Universität gearbeitet haben. Ittenschule Berlin 1930 bis 1932, am Magda und Leo Katz nach Garmisch. Dort Studium an der Hochschule für Musik Magda Katz kehrt in den 50er Jahren nach Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 werden sie nach der Reichsprogromnacht Berlin ca. 1922 bis 1924, Hospitantin am Deutschland zurück. ausgewiesen. Zurück in Berlin werden sie Bauhaus Berlin 1932 234 Sein Arnold Knoblauch (1879-1963) wird wurde am 12.2.1909 in Berlin als Tochter genötigt, das prominent gelegene Haus in Elfriede Knoblauch zählt zu den Hospitan- 1924 Vorstandsvorsitzender der Gagfah. des Justizrats Leo Katz (26.11.1870 Zabr- der Tiergartenstraße zu verkaufen. Im De- tinnen am Bauhaus, über deren Elternhaus Seine Cousine Gertrud Droste (geb. 1898), ze/Hindenburg - 4.11.1944 Montevideo) zember 1938 wird das Oberkommando bisher nichts bekannt ist. In Rheydt gebo- hatte bis Sommer 1922 am Bauhaus Wei- und seiner Frau Magda Katz geb. Fried- des Heeres neuer Eigentümer. Die Eltern ren, wächst sie zumindest zeitweilig dort mar studiert. Vgl. Kap.4, S.61, FN 37. Zur man (geb. 17.3.1882 Wien) geboren. Hilde- sind 1939 als Untermieter bei Dr. phil. Os- auch auf. Architektenfamilie Knoblauch vgl. Boss- gard Katz hat eine ältere sowie eine Zwil- car Friedeberg Unter den Linden gemeldet. mann, Annette / Teltow, Andreas: Drei Ar- lingsschwester. Die jüdische Familie wohnt Als letzte Station in Berlin lässt sich eine Als sie sich, bereits 30jährig, im Herbst chitekten in Berlin, Berlin, 1993, zu Arnold im großbürgerlichen Tiergartenviertel, in Untermietadresse in Wilmersdorf nachwei- 1932 unter der Matrikelnummer 632 am Knoblauch S.38ff. dem sich um die Jahrhundertwende auch sen, bevor Magda und Leo Katz mit ihrer Bauhaus Berlin einschreibt, hat sie ein Ly- viele Intellektuelle niederlassen. Das Haus ältesten Tochter im Sommer 1941 nach zeum und ein Jahr lang eine Frauenschule Hilde Katz beim metallischen Fest, 1929 Katz in der Tiergartenstraße 2 liegt direkt Uruguay emigrieren.233 besucht, Musik studiert und Anfang 1928 neben dem Haus der Familie Goldschmidt- den drei Jahre älteren Hans Georg Knob- Hilde Katz überlebt den Holocaust in Itali- Rothschild, in das 1931 der Verein der lauch (1899 Berlin - 1982 Hinterzarten) en. Seit 1936 mit dem Bildhauer Frances- Berliner Künstler einzieht.230 geheiratet. Dieser ist ein Spross der Berli- co Coccia (24.1.1902 Palestrina - 1981 ner Architektenfamilie Knoblauch.234 Und Der Vater hat als Anwalt und Notar seinen Schweiz) verheiratet, lebt sie nun - wie auch er trägt sich mit dem Gedanken Ar- Geschäftssitz in der Leipziger Straße. Er ist auch ihre Zwillingsschwester - in Rom. Als chitekt zu werden. In den zwanziger Jah- auch als Gesellschafter der „Tiergarten- Bauplastiker stattet Francesco Coccia bei ren studierte er jedoch elf Semester Bauin- viertel Bau-Aktiengesellschaft“ aktiv. Mag- der Weltausstellung in New York den italie- genieurwesen an der TH Charlottenburg. da Katz besitzt gemeinsam mit der Mutter nischen Pavillon aus. Anfang der vierziger von Walter Gropius ein Grundstück. Ob es Jahre wird er Professor für Architekturpla- Elfriede Dümmler hat seit ihrer Jugend im- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nähere Beziehungen zwischen den Famili- stik an der Universität in Rom, ab 1945 mer wieder gesundheitliche Probleme. Sie en gibt, ist bisher unbekannt. Hilde Katz zum Direktor der „Quadriennale“ ernannt. studiert Anfang der zwanziger Jahre Kla- besucht zehn Jahre ein Lyzeum, schließt vier in Berlin. Sie wohnt unweit der Musik- Zahlreiche Plastiken im öffentlichen Raum, mit dem Reifezeugnis ab und studiert zu- hochschule im Studentinnenwohnheim darunter die „Märtyrer“ an der Fosse Adre- nächst Musik, bevor sie um 1930 an der It- „Ottilie-von-Hansemann-Haus”. In dieser atine in Rom und die Statuen vor der Kir- tenschule in Berlin das Architekturstudium Zeit lernt sie ihren späteren Mann kennen. che St. Peter und Paul in Rom EUR ent- aufnimmt. Die dortige Bauabteilung wird Im Sommer 1924 muss sie das Studium stehen unter dem Namen Coccias. von Ernst Neufert geleitet, bis 1932 unter- aus gesundheitlichen Gründen abbrechen.

364 Anhang Anlässlich eines Kuraufenthaltes in Davos Experimente in der Dunkelkammer gelin- berei nicht ihren Erwartungen. Nach nur besichtigt sie im Januar 1927 die Ausstel- gen: 1938 meldet die Baugilde, dass „Ar- einem Semester in der Werkstatt verlässt lung „Kirchner 10 Jahre in Davos“ und be- chitekt Hansgeorg und Elfriede Knoblauch, Elfriede Knott die Weberei und das Bau- richtet darüber begeistert ihrem Verlobten Berlin und Hinterzarten“ beim Wettbewerb haus. Ob sie anschließend eine Möglich- nach Freiburg. Sie besucht Erna und Ernst der Zeitschrift „die neue linie“ mit „Lichtbil- keit findet, Architektur zu studieren ist Ludwig Kirchner in Frauenkirch und freun- dern und Plänen von Eigenheimen“ den 2. ebenso unbekannt wie ihr weiterer det sich mit ihnen an. Preis gewonnen haben.238 Lebensweg.

Nach der Heirat 1928 ziehen Elfriede und Elfriede Knoblauch erlebt diesen Erfolg je- Quellen: Hans-Georg Knoblauch nach Altglashüt- doch nicht mehr. Sie stirbt Anfang Novem- Dietzsch, Folke: Die Studierenden am Bauhaus, Weimar, 1990 ten, wo er sich um Bauaufträge bemüht. ber 1937 in St.Blasien. Hans-Georg Knob- Winkler, Klaus: Die Architektur am Bau- Ernst Ludwig Kirchner, der zum Kreis der lauch wird mit Kriegsbeginn im Industrie- haus Weimar, Berlin, 1992, S. 25 FN 48 Freunde des Bauhauses gehört, versucht bau tätig.239 ihn im Januar 1929 für das Bauhaus zu ge- Quellen: winnen. Er schickt die aktuelle Ausgabe Dietzsch, Folke: Die Studierenden am der Bauhauszeitschrift und ermuntert ihn Bauhaus, Weimar, 1990 Margarete Knüppelholz-Roe- Knoblauch, Gertrud / Kornfeld, Eugen im Juli 1929 erneut: „Es wäre herrlich, W. (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Brief- ser wenn Du und Elfriede ans Bauhaus ginget. wechsel mit einem jungen Ehepaar geb. Roeser243, spätere Repsold Du als Architekt, Elfriede als Weberin.“ 235 1927-1937, Bern, 1989 BHD -NL Engemann Beiratssitzung (ab 1931), DWB Hans-Georg Knoblauch möchte jedoch 13.1.33, Bl.1 Pkt.10, semesterliste ws weder seine Eltern um die Finanzierung 32/33, konferenz 29.3.33, geb. 7.11.1886 Magdeburg - gest. 28.2. eines Zweitstudiums bitten noch „die Füh- Getty, 870570-5, Briefe von Fritz Schreiber an Hansgeorg und Elfriede 1949 Dießen am Ammersee lung mit all den Baulustigen“ verlieren. Im Knoblauch vom 14.4.1933, 8.6.1933, Januar 1930 verbindet er eine Fahrt nach 30.7.1933, 30.9.1933 Berlin mit einem Abstecher nach Dessau, Studium an Kunst- und Kunstgewerbe- „wo er sich im Bauhaus umschauen und schulen in Magdeburg, Stuttgart und einmal Rat holen will.“ 236 Elfriede Knob- Breslau 235 Brief vom 14.7.1929, Knoblauch, 1989, lauch kämpft mit einer TBC, im Sommer Elfriede Knott S.87 wurde 1886 als Tochter des Gymnasialleh- 1930 wird sie in Todtmoos operiert. 236 Brief Elfriede Knoblauch an E.L. Kirchner, geb. 20.11.1900 Koeslin - Daten nach rers Friedrich Carl Roeser and Fanny Marie Ihm gelingt es, Wohnhäuser für private Januar 1930, Knoblauch, 1989, S.99 1921 unbekannt Emma Antonie Roeser in Magdeburg ge- Bauherren zu realisieren. Bereits 1931 kön- boren. Nach Besuch der Kunstgewerbe- 237 BHD, NL Engemann, Beiratssitzung 13.1. nen Elfriede und Hans-Georg Knoblauch schule Magdeburg, der kunstgewerblichen 33, Bl.1 Pkt.10 das erste eigene Haus in Hinterzarten be- Studium am Bauhaus Weimar 1919 bis Lehr- u. Versuchswerkstätte Stuttgart und 238 Baugilde, 20.Jg., 1938, H.26, S.905 ziehen. Im Frühjahr 1932 schreibt er sich 1921 der Kunstschule Breslau heiratet sie im 239 Vgl. Nerdinger, Winfried: Bauhaus-Architek- am Bauhaus Dessau ein. Zum Herbst 1932 Frühjahr 1913 in Magdeburg den ehemali- Elfriede Knott gehört zu den Studierenden ten im Dritten Reich, 1993, S.170 immatrikuliert sich hier auch Elfriede Knob- gen Kommilitonen Erich Knüppelholz (1886 am Bauhaus ohne genaue Angaben. 1900 lauch (Matr.Nr. 616), die „zweimal zwei Magdeburg - 1959 Berlin). 240 Arbeitsgemeinschaft Determann, Rasch, monate am wintersemester teilnehmen“ in Koeslin geboren, besucht sie ab Grün- Toni von Haken-Nelissen und L. Schreiber. Als der Wettbewerb zum „Haus der Frau“ möchte.237 Sie wird in der Bauabteilung als dung das Bauhaus in Weimar, wo sie sich Winkler, 1992, S.27 in Vorbereitung der Werkbundausstellung Hospitantin zugelassen, belegt auch die offenbar auch für Architektur interessiert. in Köln ausgeschrieben wird, reicht Marga- 241 Ibid, S. 25, FN 48 Freie Malklasse, gegenständliches Zeich- Sie gehört zu den Studierenden, deren Ge- rete Knüppelholz einen Entwurf ein. Dieser 242 Im Bestand Bauhaus des Thüringischen nen und ‘Farbe’ bei Hinnerk Scheper. Stu- meinschaftsarbeit bei der Ausstellung von wird mit dem 1.Preis ausgezeichnet und Hauptstaatsarchivs existiert für sie keine dienarbeiten Elfriede Knoblauchs aus ihrer Schülerarbeiten im Juni 1919 ausgezeich- 1914 unter örtlicher Bauleitung realisiert. Schülerinnenakte. Zeit am Bauhaus Berlin sind bisher unbe- net wird.240 Am 14.7.1919 meldet sie sich Sie tritt im Zusammenhang mit dem Ent- kannt. Knoblauchs wohnen nun auch in wie 20 andere Studierende - darunter Mar- 243 Zu Margarete Knüppelholz-Roeser siehe wurf wie mit der Werkbundausstellung als der Flensburger Str. 5 in Berlin-Moabit. garete Bittkow, Alexandra Gutzeit und To- insbesondere Stratigakos, 1999 Architektin nicht öffentlich in Erscheinung. Im Frühjahr 1933 halten sie sich wieder in ny Simon-Wolfskehl - für den an der Bau- Das Ehepaar Knüppelholz wohnt in Berlin- Hinterzarten auf. Von der Schließung des gewerkeschule von Paul Klopfer angebote- 241 Friedenau, wo unter seinem Namen ein Ar- Bauhauses erfahren sie im April 1933 per nen Architekturkurs an. Ab dem Winter- chitekturbüro eingetragen ist. Erich Knüp- Brief des Kommilitonen Fritz Schreiber. semester 1920 besucht sie die Werkstatt Haus der Frau, Köln, 1914, Margarete Knüppelholz-Roeser für Wandmalerei. Nach einem Jahr in der pelholz, von dem bisher keine weiteren Ar- Elfriede Knoblauch wird im Frühsommer Wandmalerei und bei Lyonel Feininger tritt beiten bekannt sind, unterrichtet an der 1933 in Freiburg erneut operiert. Wieder auch Knott mit Gründung der Frauenklasse Reimannschule. 1918 kommt ein Sohn, in bei Kräften möchte sie die berufliche Eta- in die Webereiwerkstatt ein. Es ist bisher den zwanziger Jahren eine Tochter zur blierung ihres Mannes im Schwarzwald un- nicht bekannt, unter welchen Umständen Welt. Die Ehe wird 1927 geschieden, Mar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar terstützen. Sie fotografiert die Bauten und sie diesen Wechsel vornahm.242 garete Knüppelholz nimmt ihren Mädchen- Projekte, um sie zu publizieren. Und ihre namen Roeser wieder an. Im Mitgliederver- Offenbar entspricht das Studium der We-

Biografien 365 zeichnis des Deutschen Werkbundes wird now - zeitgleich mit Lieselotte von Bonin, sie noch 1928 als Architektin geführt. Zeit- Gisela Eisenberg und Hanna Blank. Thea gleich taucht ihr Name im Berliner Telefon- Koch entwirft ein Kurhaus’ und absolviert buch mit dem Zusatz „Heilgymnastin” auf. das Diplom bei Tessenow im Sommer 1931 heiratet Margarete Roeser den Ra- 1930. Ob es sich bei diesem Entwurf um dierer Wilhelm Karl Adolf Repsold (1888- ihre Diplomarbeit handelt, bleibt unklar. Ih- 1951).244 Mit ihm zieht sie noch in den re Studienarbeiten sind unbekannt. dreißiger Jahren an den Ammersee. Als Thea Koch bewirbt sich anschließend für Architektin wird Margarete Repsold nach die Regierungsbaumeisterlaufbahn. Sie ist Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar bisherigem Stand der Recherche nicht die einzige Tessenowstudentin, die diese mehr tätig. Sie starb 62jährig 1949 in Ausbildung absolviert. Wo sie die Jahre Dießen am Ammersee. dieser Ausbildungszeit verbringt, ist bisher

Für Angaben zum familiären Back- unbekannt. 1934 wendet sich das Ober- ground sowie zum Studium Margarete prüfungsamt Berlin an die TH München mit Knüppelholz-Roesers danke ich Despi- der Bitte um Bestätigung der Studienzeiten na Stratigakos. Kochs.248 Dies ist ein deutliches Indiz da- Quellen: für, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt zur Werkbundausstellung Cöln, Katalog, abschließenden Regierungsbaumeister- Hildegard Korte 1914 Stadtarchiv Köln, Best.34 Nr.1722/ A 12 prüfung anmeldet. Ob Thea Koch, die ledig Hildegard [Berta Maria] Korte, Abt. IV, Unterabt.19 Nr.23 bleibt, anschließend eine Stelle im öffentli- spätere Oswald (ab 1946), Dr.Ing. Schümann, C.W.: Das Haus der Frau, chen Dienst antreten kann, bleibt unklar. in: Kölnischer Kunstverein und Wulf geb. 13.2.1913 Berlin - lebt in Portland, Herzogenrath, Dirk Teuber und Angelika Bei Ende des Krieges flieht sie aus dem Oregon Thiekötter (Hg.): Der westdeutsche Im- Dorf Rüthnick, nordwestlich von Oranien- puls, Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet, Die deutsche Werk- burg nach Lüneburg. Sie hat ihre Diplom- bundausstellung Köln, Köln, 1984, unterlagen verloren und wendet sich als Studium an der Universität Berlin 1932, S.233-241 ‘Regierungsbaumeisterin a.D.’ erneut an an der TH Charlottenburg 1932 bis 1938, Ämter und Kollegen. In Lüneburg tritt sie Diplom, an der TH Braunschweig 1940 nicht als freie Architektin in Erscheinung. bis 1942, Dr.Ing. Thea Koch Auch im öffentlichen Dienst ist sie in Lüne- burg weder beim örtlichen Bauamt noch wurde 1913 als einziges Kind von Hedwig Theodora Koch, Dipl.Ing., Regie- beim Staatshochbauamt tätig.249 Da sie in Emilie Emma Korte geb. Dorenburg und rungsbaumeisterin den fünfziger Jahren eine Zweitwohnung in Franz Hermann Korte in Berlin-Wilmersdorf 244 Steglitz Nr. 688/1931, lt. Schreiben von Bonn, ab 1966 eine ebensolche in Berlin geboren. Der Vater ist Baumeister und be- geb.16.9.1903 Schneidemühl - gest. Frau Lobrecht vom 30.9.1998 anmeldet, liegt die Vermutung nahe, dass treibt mit einem Kollegen ein Büro in Wil- 245 30.9.1990 Lüneburg , begraben in Lü- mersdorf. Hildegard Korte besteht Ostern 245 Mitteilung des Einwohnermeldeamtes Lü- Thea Koch nach dem Krieg für ein über- neburg 1932 das Abitur an der Viktoria-Luisen- neburg vom 12.8.1997 regionales Unternehmen tätig wurde. Thea Koch starb 1990 in Lüneburg. Schule, einem Oberlyzeum mit realgymna- 246 In Dresslers Künstlerhandbuch findet sich Studium an der TH München 1924 bis sialem Zweig. 1930 ein Oberbaurat Franz Koch in Frank- Quellen: 1926, an der TH Charlottenburg 1926 bis HTA, Karteikarte Thea Koch Da die Eltern ein Architekturstudium nicht furt/Oder. 1930, Diplom HTG, Briefe befürworten, studiert sie zunächst an der 247 Diplomvorprüfung am 4.8.1926, Archiv der Archiv der TU München, Immatrikula- tionsunterlagen Theodora Koch, ich Berliner Universität ein Semester Mathe- TU München, Schreiben vom 18.11.1997 wurde als Tochter des Architekten Franz danke Herrn Bachmann matik und Kunstgeschichte, aber auch mit Dank an Herrn Bachmann. Koch 1903 in Schneidemühl geboren. Der Mitteilungen des Stadtarchivs sowie Französisch, Altfranzösisch, Spanisch so- Name ihrer Mutter und die familiären Ver- des Einwohnermeldeamtes Lüneburg 248 Anfrage des Technischen Oberprüfungsam- O.W. Dresslers Handbuch der lebenden wie romanische Literaturgeschichte. hältnisse sind bisher weitgehend unbe- tes Berlin an die TH München, 1934. Im Ar- deutschen Künstler, Berlin, 1930 Zum Wintersemester 1932/33 schreibt sie kannt. Theodora Koch wächst in einer ka- chiv der TU München befindet sich außer- sich unter der Matr.Nr. 46183 an der TH tholischen Familie und eventuell in Frank- dem die Anfrage Koch’s aus dem Jahre Charlottenburg für Architektur ein. Ihr Lieb- furt/Oder auf.246 Sie dürfte das Abitur im 1952 „wg. kriegsbedingt verlorener Unter- lingsfach wird und bleibt die Baugeschich- Frühjahr 1924 erworben haben. Koch-Otte, Benita siehe Otte, Benita lagen“. te. Im Kreis um Prof. Daniel Krencker fin- Koppelman, Lila siehe Ulrich, Lila 249 So die abschlägigen Antworten auf ent- Am 7.5.1924 immatrikuliert sich Thea Koch det sie die meisten ihrer Studienfreundin- sprechende Anfragen. Schreiben der Stadt an der TH München für Architektur, zwei nen und -freunde, darunter auch die Rü- Lüneburg vom 12.8. 1997, Schreiben der Jahre später legt sie dort die Diplomvor- ster-Schülerin Erika von Beerfelde. Ostern 247 Bezirksregierung Lüneburg vom 25.8.1997, prüfung ab. 1935 besteht Hildegard Korte das Vordi- sowie Mitteilung von Dr. Reinhardt, Stadtar- Zum November 1926 wechselt sie an die plom, zum Sommersemester tritt sie ins chiv Lüneburg vom 2.12.1997. TH Charlottenburg. Ab dem Sommerseme- Seminar Tessenow ein. Ihre Praktika leistet ster 1929 studiert sie im Seminar Tesse- sie bei der Allgemeinen Häuserbau AG ab,

366 Anhang wo sie - insgesamt länger als ein Jahr - zur Promotion. Am 7. Februar 1942 pro- hauptsächlich beim Bau der Bürgerhaus- moviert Hildegard Korte an der TH Braun- Siedlung Klein-Machnow, aber auch in der schweig zum Dr.Ing. mit der Arbeit „Ge- Finanzabteilung tätig ist. staltung bombensicherer Luftschutzräume In den ersten beiden Semestern bei Tesse- nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlich- now entwirft sie ein ‘kleines Wohnhaus’ keit“ bei den Professoren Herzig und Ger- 250 Lt. Zeugnis vom 25.10.1941 bearbeitete und einen ‘Bauernhof’, es folgt im Frühjahr stenberg. Die Arbeit unterliegt der Geheim- Korte bei Karl Krause neben den „bomben- 251 1936 der Entwurf eines ‘Postamtes’, im haltung. sicheren Luftschutzbauwerken“ insbeson- dere „sämtliche Detailpläne“ eines Braun- Winter eine „Dorfkirche mit Schule“. Im Bereits ein Jahr vor Abschluss der Disser- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Sommersemester 1937 entsteht nochmals tation nimmt Korte das Angebot Professor schweiger Hochschulinstituts sowie Trafo- eine Dorfschule bevor Korte im Herbst Krenckers an, als dessen Assistentin zu stationen der Mitteldeutschen Spinnhütte 1937 mit einer „Landwirtschaftlichen Frau- arbeiten. Dieser verfasst im Direktauftrag GmbH. enschule“ bei Tessenow ihr Diplomthema Speers baugeschichtlich ‘fundamentale’ 251 Eckhoff vermutet, daß Hildegard Korte ab bearbeitet. Sie schließt ihr Studium im Fe- Arbeiten und lässt die nun relevanten Re- dem Wintertrimester 1940 für Bauingenieur- bruar 1938 mit „gut“ ab. ferenzobjekte in Kupfer stechen.252 Korte wesen an der TH Braunschweig immatriku- Hildegard Korte möchte Südamerika berei- wird in ihrer neuen Funktion im August liert war. Vgl. Eckhoff, 1993, S.67 1941 zur Schriftleiterin im Arbeitsstab sen, vielleicht dorthin auswandern. Da ihre Dr. Hildegard Oswald, 1997 252 Prof. Daniel Krencker war 1939 an der TH Mutter wünscht, dass die Tochter promo- „Wiederaufbauplanung zerstörter Städte“ entlassen worden, da er sich dort gegen viert, bleibt sie zunächst immatrikuliert und im „Reichsministerium Speer“ ernannt. das Tragen von Uniformen eingesetzt hatte. führt Voruntersuchungen für eine bauge- Als Daniel Krencker 1942 verstirbt, wird ihr Oswalds ziehen nach Portland in Oregon. Sein ehemaliger Schüler Albert Speer berief schichtliche Promotion durch. Ab August auch die Aufsicht über das Kupferstichate- Hildegard Oswald bewirbt sich bei Archi- ihn anschließend - quasi als Kustos deut- 1938 kann sie als Architektin im Büro von lier übertragen. 1943 wird Dr. Hildegard tektur- und Ingenieurbüros, entscheidet scher Baugeschichte - in seine Dienste. Prof. Büning in der Hardenbergstraße ar- Korte ständige Vertreterin des Haupt- sich für die Mitarbeit im Ingenieurbüro 253 Darunter „Spanische Burgen“, in: Die Kunst beiten. Wilhelm Büning ist mit einem Neu- schriftleiters der Baukunst Dr. Rudolf Wol- Cooper & Rose. Dort arbeitet sie in den im Deutschen Reich, Ausgabe B, Baukunst, bau für die Argentinische Botschaft beauf- ters. In der „Deutschen Kunst, Teil B Bau- folgenden zehn Jahren an der Statik für 7.Jg., Folge 6, Juni 1943, S.113-120 tragt. Für eben diese Auslandsvertretung kunst“ erscheinen zwei Artikel unter ihrem zahlreiche wichtige Hochbauten Portlands. 254 Lt. Zeugnis vom 15.3.1945 253 jobbte Korte schon zu Studienzeiten als Namen. 1943 vertritt sie in Barcelona 1959 kann sie ihr erstes Haus nach eige- Übersetzerin. Sie nutzt nun die Möglich- den Ausstellungskommissar, führt durch nem Entwurf für die eigene Familie in Port- keit, ihre verschiedenen Fähigkeiten zu die Ausstellung „Neue deutsche Bau- land bauen. kombinieren. kunst“.254 Daneben arbeitet sie als Archi- 1966 wechselt sie in die Brückenbauabtei- tektin im Stab zur Wiederaufbauplanung Als sich 1939 die ersehnte Chance bietet, lung des staatlichen „Forest Service“. Dort mit. Wolters unterschreibt im März 1945 nach Argentinien zu reisen, besucht sie die entwirft und berechnet sie für die Forst- ihr Arbeitszeugnis. Auftraggeber, wird bei der Architekten- wirtschaft Brücken in Stahlbeton, Stahl kammer empfangen und unternimmt eine Bei Kriegsende wird Hildegard Korte in und Holz. Außerdem ist sie für die Inspek- ausgedehnte Reise durch das Land. Da ihr Berlin ausgebombt. Sie läuft zu Fuß nach tion und Lastenbewertung bestehender Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Vater schwer erkrankt, kehrt sie vorzeitig Wiesbaden und heiratet dort 1946 den Brücken zuständig. In den siebziger Jahren nach Berlin zurück. Der Vater stirbt am Tag Schriftsteller und Fotografen Dr. Josef Os- entwickelt sie Computerprogramme zur des Überfalls auf Polen, Hildegard Korte wald (1901-1977). Mit ihm gemeinsam gibt Unterstützung dieser Berechnungen. Diese erhält den „Gestellungsbefehl für den er- sie den Band „Bretagne“ heraus, über- Arbeit liegt ihr, auch wenn sie es sich nicht sten Mobilmachungstag“. Sie will aber un- wacht die Drucklegung der „Illustrierten nehmen lässt, 1976 das zweite Haus für bedingt in Berlin bleiben und sucht eine Zeitung“. den eigenen Bedarf wieder selbst zu pla- „Haus OswaldI I. Portland, 1959 kriegswichtige Anstellung. Der Neubau der Sie bringt zwei Kinder zur Welt und erwägt nen. In diesem Haus lebt Dr. Hildegard Os- argentinischen Botschaft wird nicht reali- erneut nach Südamerika auszuwandern - wald heute. „Haus Oswald II”, Portland, 1976 siert. Im Romanischen Café macht ihr der aus „Angst vor einem neuen Weltkrieg”. Quellen: Architekt Kurt Krause ein Angebot zur Mit- Die Wahl fällt schließlich auf die USA. Da HTA, Karteikarte Hildegard Korte arbeit, das Korte nicht unbedingt seriös er- zu Beginn der fünfziger Jahre eine Einreise Interview mit Dr. Hildegard Oswald am scheint. Deshalb ‘schleust’ sie zunächst 14.10.1997 dort jedoch kaum möglich ist, siedelt Fa- Pläne und Urkunden aus Privatbesitz, ihren Studienfreund Anselm Förster dort milie Owald 1951 ins kanadische Vancou- mit besonderem Dank an Dr. Hildegard als Mitarbeiter ein. Sie selbst nimmt noch ver über. Aber auch dort herrscht kein Ar- Oswald 1939 im Büro Krause die Arbeit an Indu- chitektenmangel. Dr. Hildegard Oswald 250 strie- und Luftschutzbauten auf. arbeitet als „elevator operator“ und als Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Auch wenn dies ist nicht unbedingt ein von Sekretärin in einem Exportbüro. Nach der Kreher, Ella siehe Rogler, Ella ihr favorisierter Planungsbereich ist, durch Teilnahme an einem Stahlbeton-Kurs fin- Kube, Hildegard siehe Hesse, Hildegard den kriegsbedingten Forschungsbedarf er- det sie eine Anstellung als Bauzeichnerin. Küster, Klara siehe Brobecker, Klara öffnet sich ihr hier auch eine Gelegenheit 1956 gelingt die Immigration in die USA,

Biografien 367 Mila Lederer des Messe- und Ausstellungsamtes der spätere Hoffmann-Lederer (ab Stadt Berlin wird. Sie gründen ein gemein- sames Atelier und übernehmen verschie- 1926), Künstlerinnenname ab Mit- dene Werbegestaltungsaufträge. Im Herbst te der 1950er Jahre Mila Bouvet 1930 beteiligt sich Mila Hoffmann-Lederer geb. 23.7.1902 Trier - gest. 19.3.1993 als Mitglied im Verband freier Werbege- Murrhardt bei Stuttgart stalter mit Werbedrucksachen an der Aus- stellung „Die gestaltende Frau“ bei Wert- heim.256 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium an der KGS Trier 1919 bis 1922, Hoffmann(lederer)s leben ab 1931 zeitwei- am Bauhaus Weimar 1923 bis 1924, am lig in Berlin und in Kip(p)sdorf im Erzgebir- Bauhaus Dessau 1926 ge, wo sie einen Bergwerksstollen erwer- wurde 1902 in Trier als Tochter eines In- ben. Er unternimmt dort auch geologische nenarchitekten geboren. Nach Abschluss Forschungen, sie widmet sich der freien des Lyzeums besucht sie sechs Semester künstlerischen und schriftstellerischen Tä- die Kunstgewerbeschule Trier, um Raum- tigkeit. Hanns Hoffmann ist Bildhauer und gestalterin zu werden. Maler, erhält jedoch überwiegend Aufträge Edeltraut Lätzsch als Grafiker, die teilweise gemeinsam be- Nach verschiedenen Studienreisen durch arbeitet werden. Darunter befinden sich geb. 5.10.1915 (Geburtsort unbekannt) - Deutschland wird sie zum Sommerseme- die Plakatgestaltungen für die „Berliner Daten nach 1937 unbekannt ster 1923 in Weimar am Bauhaus aufge- Funkausstellung” 1930, die Ausstellung nommen, wo sie bei Itten, Klee, Kandins- „Licht, Luft und Sonne für alle” sowie die ky, Moholy und Muche studiert. Sie absol- Studium an der TH Charlottenburg 1937 Bauausstellung 1932. Daneben unterrich- viert eine Ausbildung in Gobelin- und Tep- tet er an der Ittenschule in Berlin. Nach pichweberei und lernt den Maler Hanns Studierende bei Heinrich Tessenow ohne dem Machtantritt der Nationalsozialisten Hoffmann kennen. Dieser studiert bereits genaue Angaben. bearbeiten sie überwiegend naturwissen- seit 1919 an der ‘Naturschule’ von Wal- Edeltraut Lätzsch stammt aus dem Vogt- schaftliche Darstellungen. Hoffmann wird ther Klemm. land und studiert im Sommersemester 1939 Soldat. Mila Hoffmann-Lederer zieht 1937 wahrscheinlich als Gaststudentin im Als Mila Lederer nach drei Semestern am 1942 nach Posen, da sie an der Kunstge- Seminar Tessenow. Zu diesem Zeitpunkt Bauhaus Ende 1924 von Johannes Itten werbeschule einen Lehrauftrag für Gobe- hat sie noch kein Vordiplom, jedoch be- als Leiterin seiner Handweberei nach Zü- lin- und Teppichweberei erhält. Er unter- reits zweieinhalb Jahre in einem Architek- rich-Herrliberg berufen wird, folgt Hanns richtet ab 1943 in der dortigen Grafikab- turbüro gearbeitet. Als Entwurfsaufgabe Hoffmann und weilt zu Studienzwecken in teilung. dieser Handweberei. Arbeiten dieser Werk- bearbeitet auch sie das Thema Siedler- Im Januar 1945 fliehen sie nach Jena, wo statt werden 1925 auf der Internationalen haus. Sie tritt noch 1937 aus dem Seminar ihre Eltern leben. Im Herbst 1945 wird er Weltausstellung in Paris ausgestellt und aus. Ob sie nur den Professor oder die an die Staatliche Hochschule für Baukunst mit einer goldenen Medaille prämiert. Hochschule wechselte, ist ebenso unbe- und bildende Künste in Weimar berufen, kannt wie ihr weiteres Schaffen. 1926 heiraten Mila Lederer und Hanns wo sich beide für eine Kunsthochschule Quelle: Hoffmann (3.2.1899 Jena - 17.4.1970 Es- „aus dem Geiste unserer neuen Zeit“ in HTA, Karteikarte Edeltraut Lätzsch seratsweiler). Sie kehren kurzzeitig ans der Tradition des Bauhauses einsetzen. Er Bauhaus - nun in Dessau - zurück, wech- wird Leiter der Vorlehre, sie beteiligt sich seln noch im selben Jahr durch Vermitt- mit eigenen Arbeiten an Ausstellungen. Für lung von Oskar Schlemmer an das Hoch- 255 1921 war Bruno Taut zum Stadtbaurat ge- Lange, Annemarie öffentliche Anlässe gestaltet sie Innende- bau- und Messeamt der Stadt Magdeburg. wählt worden, Anfang 1924 jedoch zurück- siehe Wimmer, Annemarie korationen, zeichnet für die Ausmalung getreten. Der „Aufruf zum farbigen Bauen“ Dort wird Mila Hoffmann künstlerische Mit- verschiedener Räume des Kultusministeri- Langen, Helene wurde 1919 publiziert. arbeiterin, ihr Mann leitender künstlerischer ums verantwortlich, ist Pressereferentin siehe Stahl-Langen, Leni Mitarbeiter. In Magdeburg war unter Bruno 256 Lt. Katalog der Ausstellung „Die gestalten- des thüringischen Landeskulturamtes für Lasnitzki, Tony Taut das „farbige Bauen” forciert wor- de Frau“ 1930 bei Wertheim stellt sie unter Kunst und Architektur. Neben der Ausstel- siehe Simon-Wolfskehl, Tony den.255 Nach Taut´s Rücktritt ist seit 1924 Nr.246 nicht näher bezeichnete „Werbe- lung „Ein Jahr demokratische Schule“ ge- Johannes Göderitz Leiter des Hochbauam- drucksachen“ aus. Die Kritik von „H.K.“ in staltet sie die Thüringische Buchhandlung tes. Hoffmann(lederer)s entwerfen Farbge- der Abendausgabe der Deutschen Tages- am Goetheplatz durch ein eigenwilliges staltungen für die in diesen Jahren entste- zeitung Berlin vom 17.10.1930 vermerkt da- Farbkonzept um und betätigt sich mehr- henden Repräsentationsbauten der Stadt, zu: „In Werbedrucksachen zeigen Marga fach schriftstellerisch. Dabei unterschreibt darunter die Stadthalle. Garnich und Mila Hoffmann-Lederer guten sie mit „Hoffmannlederer“. Geschmack.“ 1929 siedeln sie nach Berlin über, wo Als Hanns Hoffmann 1950 einen Ruf an die Hanns Hoffmann künstlerischer Mitarbeiter TH Darmstadt erhält, ziehen sie nach

368 Anhang Darmstadt um. Erneut arbeitet Mila Hoff- Quellen: mester 1930/31 studiert sie offiziell Freie mann-Lederer als Raumgestalterin und BHD, Dokumente Hoffmann, Hoffmann- Malerei. Am 30.5.1931 erhält sie das Bau- Lederer, darunter Artikel von Mila Hoff- Schriftstellerin. 1951 „baut“ sie den Saal mannlederer, vgl. unten haus-Diplom Nr.43 in Weberei und Freier der Christengemeinschaft im Herdweg BHAB, Dokumente Hoffmann, Hoff- Malerei. Nach einem Studienaufenthalt in durch ein Farbkonzept um. Sie schreibt ein mann-Lederer Paris und Arbeitslosigkeit arbeitet sie ab Darmstädter Echo, 20.3.1951 lyrisches Spiel und gibt einen Lyrikband Kaupert, Werner: „Eine ideale Lebens- 1933 - zunächst unentgeltlich - in Dresden heraus. Als aktives Mitglied der Akademie und Schaffensgemeinschaft“ in: Lindau- an der Kunstgewerbebibliothek. Bis 1945 für Sprache und Dichtung hält sie Vorträ- er Zeitung 7.9.1974 arbeitet sie dort als angestellte Bibliothe- Tagebücher Alfred Arndt, in: Bauhaus- ge, privat erteilt sie Kunstunterricht. archiv Berlin (Hg.) Der Bauhausmeister karin. Sie wird freie künstlerische Mitarbeiterin Alfred Arndt, 1999 Zwischen 1946 und 1949 gelingt es ihr, als der Wella AG sowie der Porzellanfabriken eigene Schriften: Entwerferin in Gebhardshagen/Harz zu ar- Thomas und Rosenthal, für die sie 1954 Hoffmann-Lederer, Mila: „Wettbewerb beiten. 1950 wechselt sie zur Firma Her- auf den Messen in Mailand und Leipzig für das Kunsthandwerk“, undat., zwi- berts nach Wuppertal, wo sie beide Pro- schen 1945-50, BHAB vertreten ist. Sie beteiligt sich aber auch diess.: „Kunst dem Volke?“, undat., fessionen einsetzen kann: Sie wird Leiterin weiterhin an den Aufträgen ihres Mannes, diess.: „Bauhaus und neue Kunsthoch- der Abteilung „Malstoffkunde“ und betreut darunter der Entwicklung der HL-Lampen, schule“, undat., um 1946, bHAB die Bibliothek und Sammlung der Firma. diess.: Die neue Erde, Darmstadt, 1954 mit denen sie auf der Triennale in Mailand diess.(unter Pseudonym) Mila Bouvet: Schließlich arbeitet sie ab 1952 zwanzig 1954 eine goldene Medaille gewinnen. Die- Der Entstellte. Ein lyrisches Spiel in 14 Jahre lang als Bibliothekarin an einem In- se aus frei verformtem Plexiglas bestehen- Bildern und einem Vorspiel, Zürich, stitut der TH Karlsruhe.257 1957 de Serie von Lampenschirmen entspricht diess.: Aus dem Fioretti des Franz von Margarete Leiteritz starb 1976 in Karlsru- eher freien Skulpturen als beleuchtungs- Assisi, St.Gallen, 1958 he. technisch konstruierten Reflektoren und Quellen: besticht dennoch gerade durch die erzielte BHD, Einschreibebuch, S.25 Lichtwirkung. Lindemann, Klaus E.R.: Die Bauhaus- Margaret Leiteritz künstlerin Margaret Leiteritz. Gemalte Diagramme, Karlsruhe, 1987 [Camilla] Margaret[e] (Mark) Leite- Dietzsch, Folke: Die Studierenden am ritz Bauhaus, Weimar, 1990

geb. 19.4.1907 Dresden - gest. 1976 Karlsruhe Leppien, Suzanne siehe Markos-Ney, Suzanne Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis 1931, Diplom

wurde 1907 in Dresden als Tochter des Friedel Letz Kunstmalers P. Woldemar Leiteritz gebo- ren. Der Vater stirbt 1915, Margarete Lei- keine biografischen Daten bekannt teritz absolviert nach der Schule eine bib- HL-Lampen, Hoffmann-Lederer, 1954 liothekarische Ausbildung in Dresden. Als sie sich im Frühjahr 1928 am Bauhaus Studium Anfang der dreißiger Jahre an Ende der fünfziger Jahre konzipieren beide Dessau unter Matr.Nr. 254 einschreibt, hat der TH Charlottenburg den Neubau eines eigenen Hauses als eine sie bereits als Bibliothekarin gearbeitet. Studierende bei Heinrich Tessenow ohne Art Begegnungsstätte. Die „Begegnungs- Zum 12.4.1928 wird sie vorläufig, nach der genaue Angaben. stätte Akron“ wird ab 1959 nach harmoni- Grundlehre zum Wintersemester 1928/29 kalen Grundsätzen in Esseratsweiler in der in die Wandmalerei aufgenommen. Dane- Friedel Letz, mit der Luise Zauleck eng be- Nähe von Lindau am Bodensee gebaut. ben belegt sie Ausbau. Studienarbeiten freundet war, soll zwischen 1932 und 1935 im Seminar Tessenow Architektur studiert Ab Beginn der sechziger Jahre organisiert aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Bereits haben. Als Jüdin soll sie in die Niederlande Mila Lederer nun Seminare, erteilt privat am Ende des 2.Semesters Ausbau wird sie emigriert sein, den Holocaust - ebenso wie neben künstlerischem auch schriftstelleri- - ab Juli 1929 - beurlaubt. Offiziell in Freier ihr Mann und ihre beiden Kinder - nicht schen Unterricht. Ihr Mann scheidet aus Malerei am Bauhaus eingeschrieben leistet überlebt haben. Bisher konnte keinerlei gesundheitlichen Gründen 1963 an der TH Leiteritz im Wintersemester 1929/30 am Spur von Friedel Letz recherchiert werden. Darmstadt aus. Beide siedeln nach Esse- Staatstheater Kassel ein Außensemester ratsweiler über. Er stirbt 1970. Mila Hoff- ab. Sie bleibt bis Juni 1930 beurlaubt. Auf Quelle: 257 Zur Biographie Margarete Leiteritz´ vgl.: offiziellen Listen wird sie in diesem Som- Gespräch mit Gertrud Zauleck am Lindemann, Klaus E.R.: Die Bauhauskün- mann-Lederer führt das Haus Akron bis 15.10.1995 in Wetter/Ruhr 1989 weiter, dann zieht sie in die Nähe von mersemester 1930 als Studentin im Aus- stlerin Margaret Leiteritz. Gemalte Dia- Stuttgart, wo sie im März 1993 verstarb. bau und der Weberei geführt. Im Winterse- gramme, Karlsruhe, 198.7

Biografien 369 bei Joost Schmidt, Farbenlehre bei Sche- Eva Lilly Lewin per, Aktzeichnen und die freie Malklasse bei Kandinsky, Darstellende Geometrie geb. 14.10.1913 Posen - lebt in England und Normenlehre bei Walther, Mathematik bei Rudelt und Fachzeichnen bei Enge- mann gehören. Studium am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933, an der Ittenschule Berlin 1933 bis Ab September 1933 studiert Eva Lewin an 1934, am Hornsey College of Art and der Ittenschule in Berlin. Als Johannes It- ten nach Krefeld berufen, die Schule im Craft in London 1949-1951, Abschluss Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Sommer 1934 geschlossen wird, erhält sie wurde 1913 als jüngste von drei Töchtern wiederum ein Zeugnis.261 des Geschäftsmannes Georg Heinrich Le- Da sie als Jüdin 1934 keine Zulassung an win (12.4.1869 Wollstein bei Posen - Mai einer staatlichen Schule mehr erhält, lässt 1943 Theresienstadt) und Else Lewin geb. sie sich ab Ende 1934 in einer Handwebe- Lesser (16.5.1881 in Posen - verschollen in rei praktisch ausbilden. Sie wohnt weiter- 258 Auschwitz) in Posen geboren. Die Töch- hin bei den Eltern in der Aschaffenburger ter erhalten zunächst Privatunterricht. 1919 Straße 6a in Berlin-Wilmersdorf. optiert der Vater für Preußen. Margot Loewe Die älteste Schwester Annie emigriert mit Heiratsname unbekannt, verheira- 1921 siedelt die Familie nach Berlin-Lich- ihrer Familie nach Columbus/Ohio, die tet ab ca. 1933 terfelde über. Hier führt der Vater eine Fir- zweite Schwester Elisabeth übersiedelt mit ma und Eva besucht die Goetheschule. ihrem Mann nach London. Eva Lilly Lewin geb. 20.2.1905 Berlin-Charlottenburg - 1925 folgt ein Umzug nach Berlin-Wilmers- bleibt bei den Eltern in Berlin, die 1936 für Daten nach 1939 unbekannt dorf, Eva Lewin geht nun in die Chamisso- sie einen Handwebstuhl erwerben. Sie ver- schule. Der Vater firmiert als Inhaber der sucht mit der Handweberei zum Leben- Firma S. Friedländer, einer Stein- und sunterhalt beizutragen. Im Sommer 1939 Studium am Bauhaus Dessau 1929 bis Kalkhandlung in der Joachimsthaler Straße emigriert auch sie nach London. Dort ar- 1932 35. Ab 1927 besucht Eva das Landerzie- beitet bis 1941 als Hausangestellte. hungsheim Else Hoeniger in Agnetendorf wurde 1905 als zweites Kind des Architek- 258 Lt. Volkszählungsbogen 1939 - ich danke Die Eltern werden in Berlin zwangsgeräumt im Riesengebirge, ab 1929 belegt sie in ten und Regierungsbaumeisters a.D. Mi- Frau Dr. Brachmann-Teubner für diesen und enteignet. Sie müssen am 20.8.1942 Berlin kaufmännische und fremdsprachli- chael[is] Loewe (geb. 28.10.1871 Berlin) Hinweis in der Kleinen Hamburger Str. 26 den Em- che Kurse an der Brewitzschule sowie und seiner Frau Selma geb. Salomon (geb. pfang ihrer Enteignungspapiere schriftlich 259 Lt. Mitteilung Mies v.d. Rohe an Eva Lewin Haushaltungslehre und Schneiderei an der 5.7.1877 Potsdam) geboren. Der Vater ist bestätigen, bevor sie mit dem Alterstrans- am 30.3.1933 Hausfrauenschule. zum Zeitpunkt ihrer Geburt Partner im Ar- port vom 21.8.1942 aus Berlin deportiert chitekturatelier Loewe und Appelbaum, 260 Lt. Bescheinigung vom 26.8.1933 Danach arbeitet sie kurzzeitig als Büroan- werden. Der Vater wird in Theresienstadt, Pestalozzistraße 99. Spätestens ab 1909 261 Bescheinigung Johannes Itten, Krefeld gestellte, bevor sie sich zum 1.12.1932 un- 262 die Mutter in Auschwitz ermordet. betreibt er - zeitweise in Partnerschaft - 7.Juli 1934 - Kunstschule Johannes Itten ter der Matrikelnummer 623 am Bauhaus Eva Lewin wird in London 1941 dienstver- ein Architekturatelier am Olivaer Platz 8. Berlin-Wilmersdorf Konstanzerstr.14 - Berlin einschreibt. Ob sie mit dem Studium pflichtet. Sie arbeitet bis 1947 in einem Zu den von ihm entworfenen Bauten zählt Zeugnis. „Fräulein Eva Lewin war vom hier ein eindeutiges Berufsziel anstrebt, ist technischen Zeichenbüro. Anschließend u.a. das Anfang der zwanziger Jahre mehr- 6.September 1933 bis 30.Juni 1934 Schü- bisher unklar. unternimmt sie erneut den Versuch, den fach publizierte Einfamilienhaus in der Ku- lerin der Itten-Schule in Berlin. Sie hat wäh- Nach der Grundlehre belegt Eva Lilly Le- Lebensunterhalt durch Handweberei zu no-Fischer-Straße 4. rend dieser Zeit mit sehr großem Ernst, Ei- win sowohl Fotografie als auch Bau-/Aus- verdienen. 1949 nimmt sie die britische Familie Loewe wohnt am Olivaer Platz 8, fer und Fleiß gearbeitet und auch entspre- bau. Sie stellt im Februar 1933 einen An- Staatsbürgerschaft an. Sie absolviert eine später am Kurfürstendamm 234 und ist gut chende Fortschritte erzielt. Durch Schlies- trag auf Befreiung von Fachzeichnen und zweijährige Ausbildung am Hornsey Colle- situiert.263 Margot wächst mit zwei Brüdern sung der Schule ist es leider nicht mehr Baumechanik. Laut Beschluss der Konfe- ge of Art and Craft in London und legt im im Zentrum Charlottenburgs auf und be- möglich, sie weiter am Unterricht teilneh- renz vom 29.3. wird sie in das zweite Se- Sommer 1951 das Examen als Lehrerin für sucht das Hohenzollernlyzeum bis zur Pri- men zu lassen.“ mester und für ‘Foto’ aufgenommen.259 Schneiderei ab. Sie unterrichtet anschlie- ma, bevor sie eine einjährige Apotheker- 262 Lt. Gedenkbuch BRD, S.869 Durch die Schließung des Bauhauses im ßend Schneiderei am Technical College in schule absolviert. Anschließend arbeitet April 1933 endet ihr Studium hier bereits 263 Zum Besitz von Michael und Selma Loewe Twickenham / Middlesex. Aus gesundheit- sie zwei Jahre, evtl. als Apothekenhelferin. nach wenigen Monaten. Im Sommer 1933 gehören mehrere Häuser in Charlottenburg lichen Gründen kann sie ihren Beruf bald In den Angaben zu ihrer Vorbildung in Prü- erhält sie von Mies van der Rohe eine Be- Ob die im gleichen Haus ansässige Baufir- jedoch nur noch zeitweise ausüben. Eva fungslisten ist auch „1/2 j. praxis in kunst- scheinigung über die im Winter 1932/33 ma Loewe und Pander GmbH - Bauausfüh- Lilly Lewin lebt in London. gewerblicher tätigkeit“ aufgeführt. 260 rungen -, zum familiären Umfeld zu rechnen absolvierten Kurse. Demnach hat sie Quellen: Als sie sich im Frühjahr 1929 unter der ist, ist bisher unbekannt. Loewe und Pan- das volle Grundlehreprogramm absolviert, BHD - Einschreibebuch, NL Engemann Matr.Nr. 334 am Bauhaus in Dessau ein- der realisierten bspw. 1927 den Neubau der zu dem zu diesem Zeitpunkt neben Materi- Protokolle der Beiratssitzungen vom 7.2.1933 und 29.3.1933 schreibt, gibt sie als letzten Aufenthaltsort Tanzschule Trümpy - vgl. Biografie Canthal. al- und Werklehre sowie dem Schriftkurs LAB - A-Rep.092 Lewin, Heinrich Frankfurt/M. an.264 In Dessau wohnt sie

370 Anhang - wie auch Hannes Beckmann und Kurt Fries, Heinrich de: Junge Baukunst in dung nicht für möglich.“ 271 Leppien - in der Siedlung Fichtenbreite. Deutschland, Berlin, 1926 Brief José Tokayer an Walter Kaminski Suzanne Markos-Ney studiert weiterhin in Nach der Grundlehre tritt sie zum Winter- vom 22.11.1933 in: Hahn / Wolsdorff der Baulehre, ebenso bei Kandinsky. Hu- semester 1929/30 in die Abteilung Wand- (Hg.), 1985, S.222 bert Hoffmann erinnert sich an sie als Stu- Reichsanzeiger Nr.272 vom 20.11.1939 malerei ein. Zum Sommersemester 1930 Gespräch mit Emil Hartwig am 27.8. dentin in der Baulehre, die sehr attraktiv, wird sie, wie das Prüfungsprotokoll vom 1995 aber immer etwas „unheimlich”, da „kom- 7.4.1930 vermerkt, probeweise ins zweite munistisch verstrickt“ gewesen sei.272 Wie 264 Bisher ist unbekannt, ob sie die kunstge- Semester Wandmalerei aufgenommen. politisch aktiv Markos-Ney war, bleibt bis- werbliche Tätigkeit in Frankfurt/M. ausübte, Zum folgenden Wintersemester lässt sie her ebenso unbekannt wie die Themen ih- ob sie dort ggf. studierte. Lucano, Gisela siehe Eisenberg, Gisela sich gemeinsam mit dem Kommilitonen rer Studienarbeiten. Sie beteiligt sich an 265 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 11.11. 265 273 Emil Hartwig beurlauben. Hartwig erin- Wettbewerben - evtl. mit Fotografien. 1930, Bl.2, Pkt.13 “loewe, hartwig. dem an- nert sich an einen Antrittsbesuch bei einer Am Bauhaus ist sie u.a. mit Otti Berger be- trag auf beurlaubung für das winterseme- großbürgerlichen Familie in Berlin und ei- Suzanne Markos-Ney freundet und soll auch in der Weberei stu- ster wird stattgegeben.“ nen schönen gemeinsamen Winter im diert haben.274 Anfang November beschäf- 266 Gespräch mit Emil Bert Hartwig am 27.8. Schweizer Schnee.266 Szuszanne Markos-Ney (1926- tigt sich der Beirat erneut mit der Frage, 1995 in Freinsheim. Er studierte zunächst in 1941), geb. Ney, spätere Leppien ob ihre eigenwillige Entscheidung in der Nach dem Winter in der Schweiz studiert der Textilwerkstatt des Bauhauses und ar- (ab 16.8.1941) Baulehre zu arbeiten, zu tolerieren sei: „sie Loewe ab dem Frühjahr 1931 in der Abtei- beitet später als freier Maler. lung Freie Malerei und in der Bau-/Aus- ist von der direktion aufgefordert, den geb. 21.12.1907 Budapest - gest. 28.9. 267 Im Erdgeschoss des Kurfürstendamms 232 bauabteilung. Ob sie Architektin oder Ma- schriftlichen nachweis der dozenten dar- 1982 Roquebrune, begraben ebendort (heute Wertheim). Vgl. Biografie Frommer lerin werden wollte, ist bisher nicht be- über beizubringen, daß sie von den kursen 275 kannt. Margot Loewe dürfte die Arbeit im des II.semesters befreit werden kann.“ 268 In den Deportationslisten lässt sich bisher Atelier des Vaters gekannt haben. Eventu- Studium am Bauhaus Dessau 1931 bis Wie es ihr gelingt, diesen Nachweis beizu- kein Mitglied der Familie Loewe nachwei- ell kannte sie auch eine Architektin: Marie 1932 bringen, ist bisher unklar. Suzanne Mar- sen - vgl. Klarsfeld, Serge: Memorial to the Frommer baute 1930 direkt nebenan für kos-Ney studiert jedoch auch im Sommer- deported from France, New York, die stadtbekannte Rosenhain GmbH die Szuszanne Ney wurde 1907 in Budapest semester 1932 in der Baulehre. Über ihre 1983. lt. Reichsanzeiger Nr.272 vom 20.11. Geschäftsräume aus.267 als Tochter von Désiré Ney und Eveline Studienerfolge ist bisher nichts bekannt. 1939 werden neben den Eltern auch die Pickler geboren. Der Vater soll in der Tex- Brüder Ernst Martin (geb. 5.5.1903 Berlin) Die Angaben zum Werdegang Margot Loe- Zum Herbst 1932 siedelt sie nach Berlin tilbranche tätig und sehr musikliebend ge- und Gerhard (geb. 28.5.1909 Berlin) offiziell wes vermerken bis zum Frühjahr 1932 drei über. Sie exmatrikuliert sich am Bauhaus, wesen sein. Sie wächst in großbürgerli- ausgebürgert. (Alle Angaben und Daten Außensemester. Wo sie diese ableistet, ist da sie hier - angesichts der Veränderungen chen Verhältnissen auf, besucht ein Gym- nach Hepp, 1985: Die Ausbürgerung deut- bisher unbekannt. Ebensowenig lässt sich des politischen Klimas - keine Perspektive nasium in Budapest und heiratet kurz nach scher Staatsbürger 1933-45) belegen, ob Loewe mit dem Bauhaus nach sieht ihr Studium fortzusetzen. dem Abitur György Markos. Bereits 1927 Berlin wechselt. Zu ihrem weiteren Leben Im Herbst 1932 lernt sie in Berlin den ehe- 269 Lt. Brief von Dr.Helmut R. Leppien vom kommt eine Tochter zur Welt. gibt es nur wenige Anhaltspunkte. 1933 maligen Bauhausstudenten Kurt Leppien 20.9.1999. Wodurch der Kontakt zustande oder noch 1932 zieht sie nach Paris. Ob Besuchsweise weilt Suzanne Markos-Ney (8.4.1910 Lüneburg - 19.10. 1991 Courbe- kommt, ist bisher unklar. Briefe an die El- sie - wie beabsichtigt - im Büro Le Corbu- im Herbst 1929 in Dessau. Ihren Eltern be- voie) kennen. Der hatte bereits ab 1929 am tern aus der Studienzeit befinden sich im siers arbeitet, ist bisher nicht nachgewie- richtet sie in einem Brief, dass sie dauernd Bauhaus insbesondere bei Kandinsky und NL Leppien. sen. mit [Hannes] Beckmann, Neuner und Mar- in der Reklamewerkstatt studiert, arbeitet 270 BHD, Beiratssitzung 30.9.31, Bl.2, Pkt.7 got Loewe zusammen sei.269 Erst nach der Die Suche nach Spuren Margot Loewes nun im Atelier Moholy-Nagys an der Aus- 271 BHD, Beiratssitzung 26.10.31, Bl.1, Pkt.1 Trennung von Mann und Tochter schreibt bleibt schwierig, da sie um 1933 heiratet gestaltung der von Gropius, Bayer und sich Suzanne Markos-Ney im Frühjahr 272 Hubert Hoffmann, Brief vom 24.8.1995 und ihr Heiratsname bisher unbekannt ist. Moholy gestalteten Hallen für die Berliner 1931 am Bauhaus Dessau unter der Matri- 273 Nach eigenen Angaben war sie am Wettbe- Bis Ende 1933 lebt Margot Loewe mit ih- Bauausstellung mit. Kurt Leppien studiert kelnummer 513 ein. werb der Österreichischen Tabakregie und rem Mann nachweislich in Paris. Nach An- in dieser Zeit bei Lucia Moholy Fotografie dem Wettbewerb Günther Wagner beteiligt. gaben von Eugen Batz, Hans Bellmann Sie besucht den Vorkurs bei Albers und an der Itten-Schule und hat sich im Keller BHAB, Fragebogen Markos-Ney, April und Kurt Leppien lebt sie bis 1939 in Paris, Kandinsky, wird lt. Protokollen in der Foto- der Buchhandlung seines Bruders eine 1965, S.4 wird deportiert und während des Holo- grafie bei Peterhans als Hospitantin zuge- Dunkelkammer eingerichtet. In dieser Dun- 270 caust umgebracht. lassen. Ende September vermerkt das kelkammer entwickelt nun auch Suzanne 274 Vgl. Vitt, 1986, S.15. Dass sie - wie Vitt an- Protokoll der Beiratssitzung, dass Herr Pe- Markos-Ney ihre Filme. Ob auch sie bei gibt - bei Gunta Stölzl studiert, scheint un- Bisher gelang es nicht, eine Spur Margot terhans mit ihrer als Hospitantin einver- Lucia Moholy studiert, bleibt unklar.276 wahrscheinlich, da diese zum 30.9.1931 Loewes zu dokumentieren. Auch das wei- standen sei. Keinen Monat später, am endgültig aus der Webereiwerkstatt des tere Schicksal ihrer Familie ist ungewiss, Nach den Reichstagswahlen resp. dem 26.10.1931 kommt im Beirat ihr Antrag auf Bauhauses ausscheidet. Markos-Ney könn- ihre Eltern und die beiden Brüder werden Sieg der NSDAP flüchtet Leppien in die Aufnahme in die Baulehre zur Verhand- te somit nur während des Vorkurses über- 1939 offiziell ausgebürgert.268 Schweiz, Markos-Ney kehrt nach Buda- lung. Die Entscheidung wird vertagt: „zu- pest zurück. haupt bei Stölzl studiert haben. Quellen: nächst [soll] bei herrn peterhans festge- BHA - Mitteilungen von Jean Leppien, Als Leppien im Herbst 1933 nach Paris 275 BHD, Beiratssitzung 4.11.1931, Bl.1, Pkt.2 stellt werden, warum frau markos-ney Eugen Batz, Hans Bellmann mit Dank zieht, folgt sie ihm. Sie leben von Gelegen- 276 Suzanne und Jean Leppien bleiben mit an Magdalena Droste nicht in der abteilung bleiben will. herr hil- heitsarbeiten, 1937 arbeitet sie in einem Lucia Moholy lebenslang befreundet. Adressverzeichnisse der Stadt Berlin berseimer hält eine aufnahme ohne vorbil-

Biografien 371 Reise- und Touristenbüro. Nach dem Ein- Beeindruckt von den Fähigkeiten Kandins-

277 Klarsfeld, Serge: Memorial to the Jews marsch der Deutschen flüchten sie am kys und Klees stellt sie Malerei und Frei- deported from France, New York, 1983, 13.6.1940 nach Sorgues in Südfrankreich, handzeichnen gänzlich ein. Gerda Marx S.544ff. - Convoy 72: von den 1004 mit wo sie am 16.8.1941 heiraten. Auch hier studiert ab 1928 auch in der Tischlerei, sie diesem Transport Deportierten überleben leben sie von Gelegenheits- und Saisonar- entwirft Möbel und bewohnt ein Apparte- 50 den Holocaust. beiten in der Landwirtschaft, bis sie im ment im Prellerhaus. Am Bauhaus ist sie März 1944 von der Gestapo verhaftet wer- mit Gustav Hassenpflug befreundet und den. Jean Leppien wird nach Deutschland kennt fast alle KommilitonInnen, da sie deportiert, zum Tode verurteilt und ins sich als „Festnase“ - so ihr eigenes Urteil - Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Zuchthaus nach Bruchsal verbracht. Als keine Fete entgehen lässt. ‘Halbjüdin’ wird Suzanne Leppien im Lager Ab 1928 arbeitet sie hauptsächlich in der Drancy interniert, am 29. April 1944 nach Metallwerkstatt, wo sie in der Produktion 277 Auschwitz , dann nach Brezcinsky de- von Aschenbechern eingesetzt wird. In den portiert. Ab dem 18.12.1944 leistet sie Sommerferien realisiert sie an der Blech- Zwangsarbeit im DKW-Werk in Tschopau. biegemaschine die „Bach-Fuge in e-moll“, Am 14. April 1945 gelingt es ihr, von einem fahrenden Transportzug zu springen und sich tagelang zu verstecken. Gerda Marx

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Im Mai 1945 trifft sie ihren ebenfalls nach spätere Niegeman (12/30-1945), Frankreich zurückgekehrten Mann wieder, spätere Bijhouwer (ab 1947) sie siedeln nach Nizza über. Im Frühjahr 1950 besuchen Suzanne und Jean Lep- geb. 23.7.1909 Dessau - gest. 27.8.2000 pien die in Deutschland lebenden Angehö- Amsterdam/NL Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar rigen. Im Herbst wird Roquebrune ihr neu- es Zuhause. Seit 1948 ist Suzanne Leppi- Studium am Bauhaus Dessau 1927 bis en als Weberin tätig, in den fünfziger Jah- 1930, Anfang der 1940er Jahre Hospi- ren betreibt sie in Roquebrune eine Bouti- tantin in der Tischlerei der Kunstnijver- que für Weberei und Keramik. 1953 nimmt heidsschool Amsterdam sie die französische Staatsbürgerschaft an. Marx bei der Realisierung der “Bach-Fuge”, 1928 Ausweis Suzanne Leppien, 1945 Leppiens leben ab 1960 wieder in Paris, wurde 1909 als einziges Kind der Kunstge- verbringen die Sommermonate weiterhin in werblerin Lizzie Marx-Diestelmann (geb. Visitenkarte aus der 1960er Jahren einen Entwurf von Heinrich Neugeboren. Roquebrune. Suzanne Leppien kehrt we- 30.4.1880 Hamburg) und des Chemikers Ende 1928 kommt der niederländische Ar- der zur Architektur noch zur Fotografie zu- Dr. Karl Marx in Dessau geboren. Gerda chitekt Johan Niegeman (11.8.1902 Wijk rück. In den sechziger Jahren betreibt sie Marx wächst zeitweilig in Berlin-Dahlem aan Zee - 14.1.1977 Formentera) zurück in Paris ein eigenes Webatelier, ihre Arbei- auf, da der Vater in Berlin tätig ist. Dort be- nach Dessau, um als Assistent des neuen ten werden in Boutiquen verkauft. Wie sich sucht sie ein Lyzeum, schließt die Schul- Direktors Hannes Meyer zu dozieren. Marx Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ihr Neffe erinnert, sieht sie ihre Aufgabe ausbildung jedoch nicht ab. Bereits 1926 interessiert sich bald für diesen Assisten- insbesondere darin, ihrem Mann die freie geht sie in Dessau regelmäßig ins Bau- ten.280 Als dieser aufgrund persönlicher künstlerische Arbeit zu ermöglichen. haus, wo ihre Mutter Kurse bei Klee und Differenzen mit Meyer im Sommer 1929 Suzanne Leppien starb im Sommer 1982 Kandinsky belegt.278 Gerda Marx empfin- das Bauhaus verlässt, folgt sie ihm nach in Roquebrune. det die Präsenz ihrer Mutter am Bauhaus Berlin. In der Metallfirma Goldschmidt und als störend und kann sie dazu bewegen, Für biografische Angaben danke ich Schwabe absolviert sie ein Außenseme- Dr. Helmut R. Leppien ab 1927 keine Kurse mehr zu belegen. ster, arbeitet zunächst in der Produktion, Quellen: Marx wird am 20.4.1927 - damit erst 17- dann - unter Otto Rittweger - im Entwurfs- 278 Lizzie [Diestelmann-]Marx , die aus einer BHD, NL Engemann semesterprüfungs- jährig - unter der Matrikelnummer 148 offi- büro. Daneben entwirft und realisiert sie Hamburger Kaufmannsfamilie stammte, war liste ss 31 vom 6.7.1931; Protokolle der ziell am Bauhaus aufgenommen. Sie be- Möbel für den eigenen Gebrauch und pri- als Kunstgewerblerin bekannt und zeitweilig Beiratssitzungen am 26.10.1931, Bl.1 und 4.11. 1931, Bl.1 sucht die Grundlehre bei Albers und Mo- vate Auftraggeber. Für die Wohnung Pis- Mitglied des DWB. Als wissenschaftliche BHAB, Fragebogen Suzanne Leppien, holy-Nagy, belegt Kurse bei Kandinsky, cator entwirft sie eine Lampe. Zeichenlehrerin war sie vor ihrer Heirat in Frühjahr 1965, Fragebogen Jean Lep- Schlemmer, Klee. Aus dem Vorkurs bei Al- pien, 1964 1930 geht sie mit Niegeman - jedoch ohne München am Lehr- und Versuchsatelier von bers haben sich Fotos dreier Arbeiten er- Vitt, Walter: Jean Leppien, Hannover, Abschluss - nach Königsberg, wo beide im Wilhelm Debschitz tätig. Ihre Arbeiten wur- 1986 halten. Moholy-Nagy illustriert 1929 seine Architekturbüro Hopp und Lucas arbeiten. den publiziert, sie beteiligte sich insbeson- Leppien, Jean: Ein Blick hinaus, Bre- Ausführungen „Vom Material zur Architek- men, 1987, (Autobiografie) Niegeman wird Büroleiter, Marx dokumen- dere mit Stickereien an Kunstgewerbeaus- tur“ mit ihrer „papier-faktur“ und einer tiert den Neubau einer Königsberger Mäd- stellungen. Nach dem Weggang der Toch- Gleichgewichtsstudie aus Glas und Metall chengewerbeschule. Sie entwirft Möbel ter belegt Lizzie Marx ab 1930 (bis 1932) von Gerda Marx.279 Sie studiert begeistert, und Innenausbauten für den Neubau des erneut Kurse als Hospitantin (Matr.Nr. 481). jedoch nicht sonderlich zielstrebig.

372 Anhang Parkhotels Königsberg sowie eine Ausstel- tur, Niegeman-Marx zeichnet die Pläne lung. und baut das entsprechende Modell. Auf- Gerda Marx ist weiterhin am Bauhaus Des- grund des Einmarsches der Deutschen sau immatrikuliert und beurlaubt.281 Im De- wird die Ausstellung verschoben, die Pläne 282 zember 1930 heiraten beide in Königsberg, werden in “De 8 en opbouw” gezeigt. 283 Niegeman bringt eine Tochter mit in die Der Entwurf “Eo” wird nie reali- siert. Ehe. Als Mart Stam 1939 die Leitung der Kunst- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In ihrer Freizeit entwickeln Marx-Niegeman gewerbeschule in Amsterdam übertragen Ende 1930 den Wettbewerbsentwurf „Pro- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wird, ernennt er Johan Niegeman zum letarier aller Länder vereinigt Euch!“ für ei- Hauptdozenten für Innenarchitektur. Gerda nen Theaterneubau in Charkow. Dieser Niegeman hospitiert in der Tischlerei der zeigt deutliche Anleihen an das ‘Totalthea- Kunstgewerbeschule, wo sie Möbel ent- ter’ Piscators. Gemeinsam gehen sie im wirft. Sie nimmt am privaten Architektur- Spätjahr 1931 nach Magnitogorsk. kurs bei Jan Piet Kloos teil, bricht diesen Modell des Cafés für “In Holland staat een Huis”, 1940 auf Wunsch von Niegeman aber nach we- Theater in Charkow, Wettbewerbsentwurf, 1930 Wettbewerbsentwurf “Eo”, 1939 nigen Monaten ab, um ihm als Zeichnerin auszuhelfen. Niegemans Tochter wird bei einer Familie in Königsberg untergebracht. Er hat in Ber- Die Ehe ist nicht unproblematisch, erst mit lin bereits einen Vertrag als Mitarbeiter im dem Kriegsende betreibt Gerda Niegeman Team unter Leitung von Mart Stam zur die Scheidung. Mit dem verwitweten Land- schaftsarchitekten Johannes P.T. Bijhou- Entwicklung standardisierten Wohnungs- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar baus unterzeichnet. Auch Gerda Niege- wer (1893-1974), ebenfalls Mitglied in De 8 man-Marx findet Arbeit als Planerin in die- en opbouw, geht sie 1947 eine zweite Ehe ein. Marx bringt ihre Tochter, Bijhouwer Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sem Projekt „Stadt für 200 000 Arbeiter“, sie zeichnet „endlos (..) kilometerlange“ zwei Söhne mit in die Ehe. Seit Kriegsende Werkpläne und stellt Schablonen und Mo- baut er die Abteilung für Landschaftsarchi- delle für das politisch forcierte Wohnungs- tektur an der Universität Wageningen auf. bauprogramm her. 1948 kommt die gemeinsame Tochter, 1951 und 1953 Söhne zur Welt. Ab 1933 arbeitet sie im Industriebau, wo sie u.a. eine Turbinenhalle bearbeitet. 1934 Nach der Heirat entwirft Gerda Bijhouwer kommt eine gemeinsame Tochter zur Welt, vereinzelt noch Möbel. Ihre Hauptaufgabe Gerda Niegemann-Marx um 1932 Niegeman-Marx gibt die Berufstätigkeit vo- besteht in den fünfziger Jahren jedoch im rübergehend auf. Nach einem Abstecher Management einer Familie, zu der inzwi- nach Kislowsk im Kaukasus, wo Niegeman schen sechs Kinder gehören. Sie nimmt an Gerda Niegemann-Marx, Magnitogorsk, um 1932 für lokale Autoritäten städtebauliche Pro- Exkursionen teil und organisiert den Um- jekte entwirft, kehrt Gerda Niegeman zu zug in die USA, als Bijhouwer an der Uni- ihren Eltern nach Dessau zurück. Dort ent- versity of Pennsylvania unterrichtet. Im Al- wirft sie Möbel für den eigenen Bedarf, die ter entdeckt sie mit Begeisterung Fotogra- noch in den neunziger Jahren zu ihrem fie und Video. Gerda Bijhouwer starb im Sommer 2000 in Amsterdam. Mobiliar zählen. Ein halbes Jahr später 279 Moholy-Nagy, Laszlo: Vom Material zur Ar- kehrt auch Niegeman aus der SU zurück. Quellen: chitektur (1929), Neue Bauhausbücher, Interview mit Gerda Bijhouwer am 4.10. Sie ziehen 1937 gemeinsam in die Nieder- 1995 Mainz, 1968, S.57, Abb.41 S.145, Abb.131 lande, wo Niegeman zunächst bei H.Th. NAI, NL Niegeman, NL Stam-Beese 280 Niegeman war seit Ende 1926 im Privatate- Wijdeveld Arbeit findet. 1938 folgt ein Um- „In Holland staat een Huis“ in: De 8 en opbouw, 12.Jg., H.2, 1941, S.15-17 lier Gropius tätig, 1928 arbeitete er unter zug nach Amsterdam, wo sie sich der Ar- de Wit, Cor: Johan Niegeman 1902- Forbat für die AHAG in Berlin. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar chitektengruppe „De 8 en opbouw“ an- 1977, Amsterdam, 1979 281 BHD, NL Engemann, Semesterprüfungsliste schließen. Gerda Niegeman arbeitet im Abrahams, Anna: Sotsgorod, Videopro- duktion, Amsterdam, 1995 SS 31 vom 6.7.1931, bl.13, „IV.sem. bau/ Büro von Paul Bromberg. Mit Johan Nie- ausbau: marx, gerda, beurlaubt“. geman beteiligt sie sich 1939 am Wettbe- werb für eine ”Volkswohnung”. Ihr Entwurf 282 Vgl. dazu „de 8 en opbouw“, 1941, 12.Jg., „Eo“ gewinnt im Frühjahr 1940 und soll im H. 2, S.15-21. Rahmen der Ausstellung „In Holland staat 283 Auch wenn de Wit dies im Lebenslauf von een huis“ im Stedelijk Museum in Amster- Johan Niegeman ohne Nachweis anführt. Mauck, Annamaria dam ausgestellt werden. Niegeman erhält (de Wit, 1979, S.145). Niegeman kann erst siehe Wilke, Annemarie den Auftrag für die Ausstellungsarchitek- in den 1950er Jahren wieder realisieren.

Biografien 373 18.11.1930 vermerkt, dass festgestellt Er ist Studierendenvertreter und aktives werden solle, zu welchen Kursen sie sich Kostufra-Mitglied. Auch er wird im Frühjahr verpflichtet habe. 1932 vom Studium ausgeschlossen und Ricarda Meltzer ist am Bauhaus u.a. mit ebenfalls mit Hausverbot belegt. Meltzer Irena Blühova und Judith Kárász befreun- und Schwerin sind befreundet, und haben det. Wie diese gehört sie der ‘Kostufra’ an. beide nach nur wenigen Semestern keinen Im Frühjahr 1931, nach einem Jahr Studi- offiziellen Abschluss. Gemeinsam gehen 288 um und dem Direktorenwechsel kommt es sie 1932 nach Frankfurt. Ab 1933 kön- nen sie sich aufgrund ihrer kommunisti- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar zum Konflikt: Das Protokoll vom 24.3.1931 vermerkt die Feststellung von Werkmeister schen Überzeugung ihres Lebens nicht Hauswaldt, dass die von Meltzer vorgeleg- mehr sicher sein, zumal Heinz Schwerin ten Arbeiten mit Schriftmaterialien gefertigt ‘Nicht-Arier’ ist. Sie flüchten in die Tsche- wurden, die das Haus nicht besitzt. Die choslowakei, nach Ungarn und in die Schlussfolgerung, dass die Arbeiten nicht Schweiz. 1935 emigrieren sie - inzwischen von ihr selbst gefertigt sein könnten, wird verheiratet - nach Palästina. Dort kommen mit einer seltsamen Konsequenz versehen: zwei Kinder zur Welt, Ricarda und Heinz „es bleibt bei der aufnahme auf scharfe Schwerin betreiben in Tel Aviv eine Werk- Ricarda Meltzer probe in die fotoabteilung.“ statt. Diese Zeit skizziert Ricarda Schwerin in einem Brief an Hannes Meyer 1948 wie spätere Schwerin (um 1933) Ricarda Meltzer scheint am Bauhaus kein folgt: „wir zogen es aus politischen und allzu angenehmes Studium absolviert zu geb. 30.1.1912 Göttingen - lebt in Tel persönlichen gründen vor, unsere berufe haben. Sie gilt anscheinend als unzuver- Aviv/Israel aufzugeben und als handwerker zu arbei- lässige Studentin, wird krank und soll ein ten. wir bauten aus ganz kleinen anfängen Semester wiederholen. Im Wintersemester eine werkstatt auf für holzspielsachen und Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis 1931/32 wird sie beurlaubt. In dieser Zeit kunstgewerbe. In krisenzeiten, und deren 1932 fertigt sie wahrscheinlich ein fotografisches gab es manche, fabrizierten wir wirt- Porträt der Stadt Potsdam.286 wurde Anfang 1912 in Göttingen als Toch- schaftsartikel. Wir hatten grosse freude an Zum Sommersemester 1932 wird sie - wie ter des Mathematikers Hans Meltzer (14.5. unserer arbeit, und oft fiel uns auf, wie vie- alle dreizehn NichtteilnehmerInnen an der 1889 Straßburg - 30.8.1967 Mannheim) les, was wir taten, auf den bauhauseinfluss Jahresausstellung - nach dem ‘Kostufra- und seiner Frau Marta geb. Hahn (14.7. zurückzuführen war. ausserdem verschaff- Streit’ vom Weiterstudium ausgeschlos- 1889 Leipzig - 28.10.1915) geboren und te uns diese arbeit eine grosse unabhän- sen. Zum 14.4.1932 erhält sie sogar Haus- evangelisch getauft. Der Vater hatte Volks- gigkeit, die wir brauchten um hier leben zu verbot, wogegen sie Beschwerde einlegt. wirtschaft studiert. Er wird 1913 Lehrbe- können, da wir nicht als zionisten nach Lt. Protokoll der Beiratssitzung vom 19.4. auftragter an der Mannheimer Handels- palästina kamen, sondern aus mangel an geht ihre Beschwerde „unbeantwortet zu 289 hochschule. Nach dem frühen Tod der anderen möglichkeiten.“ den Akten.“ Mutter 1915 wächst Ricarda Meltzer zu- Weder Heinz noch Ricarda Schwerin fin- sammen mit ihrem Bruder in Karlsruhe und Ricarda Meltzer ist 20 Jahre alt und somit den eine Möglichkeit, Architektur zu betrei- Zittau - wahrscheinlich bei Verwandten - noch minderjährig. Ihr Vater richtet im April ben. Nach dem Tod ihres Mannes - Heinz auf. Ab 1924 wohnt sie wieder beim Vater eine schriftliche Anfrage an die Leitung des Schwerin stirbt bereits 1948 bei militäri- 287 und dessen zweiter Frau Hedwig geb. Es- Hauses. Dr. Meltzer möchte für seine schen Auseinandersetzungen - ist Ricarda kuche284, sie geht in Mannheim zur Schule. Tochter insbesondere die spätere Zulas- Schwerin allein für die beiden Kinder ver- Fünfzehnjährig besucht sie ab 1927 das sung zum Diplom gesichert wissen. Der antwortlich und betreibt die Werkstatt wei- Internat der Herrnhuter Mission in Königs- Beirat fühlt sich verpflichtet ihm mitzutei- terhin. Erst nach der Bekanntschaft mit 284 Briefliche Mitteilung von Barbara Becker, feld, zwei Jahre später ein Internat in Nek- len, seit wann seine Tochter nicht mehr am dem Fotografen Alfred Bernheim (11.7. Stadtarchiv Mannheim vom 4.8.1998 kargemünd. Sie „kämpft (..) um die väterli- Bauhaus studiert und „er soll ausführliche 1885 Tingen -16.3.1974 Jerusalem) im 285 Honnef / Weyers, 1997, S. 441 che Erlaubnis, (nach Dessau) zum Bau- Aufklärung erhalten“. - Die institutionelle Jahre 1956 fotografiert sie wieder. Sie be- 286 Ibid. - Hier wird dieses Foto-Porträt als haus wechseln zu dürfen.“ 285 Lesart der Kantinenräumung scheint den teiligt sich an Ausstellungen und führt nach Vater jedoch nicht zufriedenzustellen, er „Abschlußarbeit“ bezeichnet. Dort schreibt sie sich zum Frühjahr 1930 Bernheims Tod sein Studio weiter. Ricarda fragt erneut an. Darauf beschließt die Kon- 287 Auch wenn die originalen Schriftwechsel unter der Matrikelnummer 428 ein und be- Schwerin lebt in Tel Aviv. ferenz im Juni 1932: „Es erscheint nicht aus dem Besitz des Bauhauses seit dem sucht die Vorlehre bei Albers. Meltzer Quellen: zweckmässig auf Einzelheiten der Anfrage Umzug nach Berlin als verschollen gelten möchte Fotografie studieren, interessiert BHD, NL Engemann Beiratsprotokolle einzugehen.“ der Sitzungen am 18.11.1930, 24.3. 288 Dort studiert zumindest Heinz Schwerin am sich für den Unterricht bei Peterhans, aber 1931, 30.11.1931, 19.4.1932, 12.5.1932 Seit Frühjahr 1931 studiert am Bauhaus Städel bei Franz Schuster. auch den bei Meyer. Außerdem besucht und 7.6.1932 sie die Druckwerkstatt. Offiziell wird sie auch Heinz Schwerin (4.2.1910 Kattowitz - Dr. Meltzer, Mannheim in: Lexikon der 289 DAM, NL Meyer, Brief von Ricarda Schwe- deutschen Gesellschaft 1931, S.1124 unter ‘Bau/Ausbau’ und ‘Fotografie’ ge- 1948 Israel), der nach der Vorlehre ab dem rin an Hannes Meyer vom 4.3.1948 DAM, NL Meyer, Brief Ricarda Schwerin führt, das Protokoll der Konferenz am Winter 1931/32 die Bauabteilung besucht. vom 4.3.1948

374 Anhang Stadtarchiv Mannheim, Se.: Prof. Dr. den Künstlerinnennamen Renée Mendel - so bspw. 1934 in Paris und 1944 in Lon- Hans Meltzer, Rhein-Neckar-Zeitung an. Eine Rückkehr nach Deutschland bietet don - publiziert wurden. Das Who´s who in vom 31.8.1967, mit Dank an Barbara Becker keinerlei Aussicht auf freie künstlerische Art führt sie unter „sculptor and potter“. Klaus Honnef / Frank Weyers: Und sie Betätigung, da sie als Jüdin keine Chance Ihre Skulptur „James Joyce“ befindet sich haben Deutschland verlassen ...müs- hat, die inzwischen vorgeschriebene Mit- im Besitz der National Gallery London, die sen, Köln 1997, S. 441 (Bernheim S.66) gliedschaft in der Reichskulturkammer zu Skulptur „Beatles“ wird 1980 bei Sother- erlangen. Rose Mendel lässt sich ihre Am- bys versteigert. Rose Mendel lebte zumin- bitionen durch den Nationalsozialismus je- dest bis Anfang der neunziger Jahre in Rose Mendel doch nicht nehmen. Sie malt und unter- London. Rosa (Rose, Rosi) [Minna] Mendel, nimmt Studienreisen nach Frankreich und Quellen: Italien. BHD, NL Engemann, semesterliste ws Künstlerinnenname ab 1934 Re- 32/33, konferenz 29.3.33, o.Nr. née Mendel Als sie auf einer Studienreise während des Salon dáutomne, Paris 1934, les artistes spanischen Bürgerkrieges vorübergehend aujourd´hui, Artikel vom 1.12.1934 festgenommen wird, beschließt sie zu emi- Artists Aid Jewry Exhibition - Verkaufs- geb. 22.9.1908 Elmshorn - lebt in Eng- liste, London, 1943 land grieren. Sie erwägt eine Emigration nach Who´s who in Art, Haunts, 16. Auflage, Frankreich, verlässt Deutschland 1937 le- London, 1972 gal mit einer Unbedenklichkeitsbescheini- JRF, Fragebogen Rose Mendel, Ein- gang 9.3.1980 Studium an den Universitäten Hamburg, gung für Auswanderer und einem Besu- Grenoble und Paris, am Bauhaus Des- chervisum. Im Mai 1937 lässt sie sich in sau 1932 bis 1933, und an der Chelsea London nieder. Hier lebt bereits ihr Onkel Mendelssohn, Lieselotte v. School of Commercial Art zwischen Ceasar Mendel. Als ihre in Hamburg leben- siehe Bonin, Lieselotte v. 1941 und 1948 den El-tern enteignet werden, betreibt sie auch deren Emigration. Die Eltern fliehen wurde 1908 als einziges Kind des Leder- im Fe-bruar 1939 in die Schweiz, von wo warenkaufmanns Oscar Samuel Mendel aus im August die Einreise nach England (3.11.1864 Elmshorn - 9.11. 1940 London) gelingt. Ihr Vater stirbt 1940 in London. und seiner Frau Sophie geb. Mendel (2.1. 1876 Elmshorn - 6.11.1946 London) in Die Zeiten sind für den Aufbau einer freien Elmshorn geboren. Die Mutter hatte eine künstlerischen Existenz denkbar schlecht, Höhere Mädchenschule besucht, evt. stu- Rose Mendel studiert ab 1941 erneut, nun diert. Nach Privatunterricht besucht Rose Innendekoration an der Chelsea School of Mendel ab ihrem 9.Lebensjahr das Mäd- Commercial Art. Sie bleibt jedoch auch chenlyzeum in Husum, bevor sie 1925 im künstlerisch tätig, schafft insbesondere ke- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Alter von 17 Jahren für drei Jahre an die ramische Plastiken und engagiert sich ge- Lichtwarkschule in Hamburg wechselt. gen den Nationalsozialismus. 1942 stellt sie in der Royal Academy aus. Im selben An der Universität Hamburg belegt sie So- Jahr beteiligt sie sich mit „Rode stranger ziologie und Kunstgeschichte, ihr Hauptin- for Hitler“ an der Ausstellung „Sabotage“ teresse gilt aber der freien Kunst. Sie soll in der Regentstreet, 1943 an der antifa- in Frankfurt und Berlin Kunstgeschichte schistischen Ausstellung in der Charles gehört haben, studiert um 1930 auch in Street sowie an der Verkaufsausstellung Grenoble und an der Sorbonne in Paris. Grete Meyer „Artists Aid Jewry Exhibition“ in der White- Zum Wintersemester 1932/33 schreibt sie chapel Art Gallery in Aldgate East.291 Im Grete [Annemarie] Meyer, spätere sich als Hospitantin am Bauhaus ein. Das selben Jahr findet ihre erste Studioausstel- Meyer-Ehlers (ab 1936), Prof. Prüfungsprotokoll vom 29.3.1933 ordnet lung im Hertford House statt. Es folgt eine geb. 17.1.1904 Schleswig - lebt in Berlin sie dem 2. Semester in der Bau-/Ausbau- Einzelausstellung bei Royal Copenhagen werkstatt zu. Rose Mendel belegt „aus- Porcellain & Co. in der Bondstreet, sowie 290 „Les artistes aujourd´hui“ vom 1.12.1934 baukonstruktion, perspektive, gegenständ- 1945 eine Ausstellung bei Heal & Son. Studium an der Städtischen Handels- 291 Mendel stellt bei dieser Ausstellung, die lt. liches zeichnen, bau- u. möbelkonstruk- 1946 stirbt ihre Mutter. 1948 schließt Men- und Gewerbeschule Kassel 1923 bis Verkaufsliste vom 2.-18.Februar 1943 statt- tion“. Auch nach Schließung des Bauhau- del das Studium der Innendekoration ab. 1926, am Bauhaus Dessau 1930 bis 1931 fand und an der sich u.a. auch Theo Bal- ses bleibt sie in Berlin, belegt bei Ernesto Sie nimmt die britische Staatsbürgerschaft den beteiligte, drei Terrakotta-Plastiken de Fiori Malerei. Anschließend studiert sie wurde am Anfang 1904 in einer protestan- an und richtet Häuser und Wohnungen in zum Verkauf: „Man eading“, „Lord Beaver- Bildhauerei bei Pablo Gargallo in Paris. tischen Familie in Schleswig geboren. Auf Belsize Grove und Maxwell Hill ein. Bisher brook“ und „The Worker“. Veranstalter wa- dem dortigen Stadtweg führt der Vater Als „Rosi” Mendel auf der Pariser Herbst- sind diese Einrichtungen nicht bekannt. ren der Jüdische Kulturclub, das Free Au- Ernst Wilhelm Adolf Meyer (geb. 1873) ein ausstellung 1934 erstmalig ausstellt, wer- Auch das freie künstlerische Schaffen Re- strian Movement und die Free German Geschäft für Landmaschinen. Mathilde Ca- den ihre Arbeiten in „les artistes aujourd née Mendels kann nicht als entdeckt gel- League. Die Erlöse gingen zur Hälfte an 290 tharina Margaretha geb. von Ehlers (geb. ´hui“ besprochen. . Noch 1934 nimmt sie ten, auch wenn Arbeiten von ihr mehrfach den Mrs. Churchill Fund.

Biografien 375 1877) ist Hausfrau. Der um ein Jahr ältere künstlerische Begabung dieser Kollegin, Quellen: Bruder besucht das Gymnasium und darf während sie ihre eigenen Stärken eher in BHD, NL Engemann - Prüfungsproto- kolle auch gleich studieren. Grete Meyer be- Konzeption und Organisation sieht. Um Interview mit Prof. Meyer-Ehlers am sucht das 10-klassige Lyzeum in Husum 1936 nimmt sie den Mädchennamen ihrer 7.7.1998 in Berlin und das technische Seminar in Bremen, Mutter in ihren Namen auf, nun heisst sie Kürschners Gelehrtenkalender, 1976, 1980 wo sie „praktische Werkstattarbeit“ erler- Meyer-Ehlers. nen kann. 1940 wird sie als „Gestalterin von modi- eigene Schriften: Meyer-Ehlers, Grete: Raumprogramme, Sie fügt sich ungern dem Wunsch der El- schen Kleinigkeiten“ in die Reichskultur- Schriftenreihe des Bundesministeriums Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tern, eine hauswirtschaftliche Ausbildung kammer aufgenommen. Während des Krie- für Wohnungsbau: Neues Bauen, neues anzustreben und schließt mit ihnen einen ges geht es aber bald nicht mehr um Gür- Wohnen, H.7, Stuttgart, 1957

Vertrag: Wenn sie zwölf Monate in einem tel oder Krägen, Grete Meyer-Ehlers orga- diess. (Bearb.): Die Küche als Arbeits- Haushalt lernt, stimmen die Eltern einem nisiert für das Heereskommando Spandau platz; Die Küche in der Wohnung, Bild- Studium der Tochter zu. 1922 zieht sie die Produktion von Kartusch-Säckchen reihen BR 188 und 189, hrsg. Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Un- nach Heidelberg, wo sie als Au-pair im durch Heimarbeiterinnen. Aus der „Über- terricht, Berlin, 1959 Haushalt des Philosophieprofessors Hein- produktion“ werden nach dem Krieg dann rich Rickert die zwölf Monate ableistet. wieder Krägen und Weißwaren produziert. diess.: Wohnen im Hansaviertel, (unter Mitarbeit von Christa Reichert und Ihr „Schlager“ wird in Wirtschaftwunderzei- Grete Meyer-Ehlers um 1957 Im Herbst 1923 zieht sie nach Kassel, um Meinhold Haußknecht), Bd.1 Berlin, o.J. am Gewerbelehrerinnenseminar zu studie- ten eine mit strapazierfähigem Stoff abge- um 1960 fütterte Tasche aus Webstoff. ren. Nach nur einem Semester ist die Prü- diess. (Bearb.): Es geht um ihre Woh- fung als Handarbeitslehrerin bestanden. Ab den fünfziger Jahren unterrichtet Mey- nung, hrsg. vom Bundesminister für Das Weiterstudium kann sie durch ein Sti- er-Ehlers als Dozentin für textiles Werken Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in Zusammenarbeit mit pendium aus Berlin finanzieren. Meyer ab- an der Pädagogischen Hochschule Berlin. dem Institut für Film und Bild in Wissen- solviert gleich anschließend das Fachstudi- 1955 wird sie dort zur Oberstudienrätin er- schaft und Unterricht, Texte Arianna um zur Gewerbelehrerin und arbeitet ab nannt. 1965 veröffentlicht sie für den Ein- Giachi, Berlin, 1963

1927 für drei Jahre als Gewerbelehrerin an satz in Schulen das Standardwerk „Textil- diess. (Bearb.): Es geht um ihre Küche, der Städtischen Handels- und Gewerbe- werken“, in dessen Methodik sie nahtlos hrsg. Vom Bundesminister für Woh- schule in Kassel.292 Während dieser Zeit an Josef Albers´ Grundlehre anknüpft.294 nungswesen, Städtebau und Raumord- nung, Bad Godesberg, 2.Aufl., 1963 verfolgt sie aufmerksam das Geschehen Über ihre Mitgliedschaft im Berliner Frau- am Bauhaus, abonniert die Bauhauszeit- enverband kommt sie in den fünfziger Jah- diess.: Wohnerfahrungen. Ergebnisse schrift. Sie unternimmt mit ihrer Klasse ei- einer Wohnungsuntersuchung (unter ren mit dem Bauen in Berührung. Meyer- Mitarbeit von Christa Reichert, Meinhold ne Exkursion nach Dessau und kauft sich Ehlers wird Vorsitzende des Beirats für Haußknecht), Wiesbaden/Berlin, 1963 den ‘Wassily-Stuhl’. Wohnungsgestaltung beim Senat und führt Als sich Grete Meyer im Herbst 1930 am im Auftrag des Bundesministeriums für Bauhaus Dessau unter der Matr.Nr. 455 Wohnungswesen und Städtebau (später einschreibt, hat sie erneut aus Berlin ein Wohnungswesen, Städtebau und Raum- Stipendium erhalten. Sie besucht im Win- ordnung) Untersuchungen zu Wohnzufrie- tersemester 1930/31 die Grundlehre zeit- denheit, Wohnerfahrungen, zu Akzeptanz gleich mit Matty Wiener, Anny Wettengel, und Voraussetzungen unterschiedlicher Wera Itting, Ruth Josefek. Alle Genannten Planungsmodelle durch. Die Ergebnisse besuchen ab dem Frühjahr 1931 die Bau- werden im Zusammenhang mit der Inter- /Ausbauabteilung. Auch Grete Meyers Na- bau öffentlich diskutiert. Sie möchte mit

292 Sie wohnt in Kassel auf jährlich wechseln- me steht im Sommersemester 1931 auf den Forschungen insbesondere NutzerIn- den Adressen zur Untermiete bis sie sich der Semesterliste ‘Bau/Ausbau’. Nach ih- nen erreichen. Sie verfasst Unterrichtsseri- ab April 1927 gemeinsam mit der Gewerbe- rer Erinnerung hat sie jedoch nie ‘Bau/Aus- en zu Wohnformen und Einrichtungspro- oberlehrerin Fränzi Noster eine Wohnung in bau’ belegt, das Bauhaus nur wegen der blemen. Ihre Gebrauchswertanalysen von 293 der Bremelbachstraße 16 teilt. Vorlehre besucht. Wohnungsgrundrissen werden dank zahl- reicher Publikationen auch überregional 293 Grete Meyer-Ehlers weist im Gespräch da- Sie verlässt Dessau nach zwei Semestern bekannt. rauf hin, dass sie sich aufgrund ihres höhe- und gründet in Süddeutschland mit einer ren Alters wie des Stipendiums auf das ehemaligen Kollegin einen kunstgewerbli- Grete Meyer-Ehlers wird 1963 zur außeror- Studium konzentriert und zielstrebig stu- chen Salon. Außerdem gehört sie einer dentlichen Professorin und 1970, kurz vor diert habe. „Rumhampeln gab´s bei mir Arbeitsgemeinschaft junger Gewerbelehre- ihrer Emeritierung an der PH Berlin zur or- nicht.“ Gespräch am 7.7.1998 rinnen in Potsdam an. Ab 1934 be- treibt dentlichen Professorin ernannt. Hier ver- sie gemeinsam mit Luise Martin ein „Textil- trat sie mehr als 20 Jahre lang das Gebiet 294 In der Einleitung - „Aufgaben und Wege“ - und Modestudio“ in Berlin-Charlottenburg. Haushalt und Arbeitslehre. bezieht sie sich explizit auf Josef Albers’ Rückblickend betont Meyer-Ehlers die Artikel „Werklicher Formunterricht“ (1928). Prof. Grete Meyer-Ehlers lebt in Berlin.

376 Anhang diess.(Bearb.): Wohnfunktionen I-V, 1935 mit der Promotion ab.297 Auch Wera hrsg. v. Institut für Film und Bild in Wis- Meyer-Waldeck studiert. Nachdem sie in senschaft und Unterricht, Berlin, 1963 (Beiblatt zu den Bildreihen, die für „Es Dresden ab 1921 die Frauenschule be- geht um ihre Wohnung“ entwickelt wur- sucht - und 1924 die Prüfung als Kinder- den) gärtnerin und Hortnerin bestanden298 - hat, diess.: Forderungen und Wünsche der belegt sie an der Akademie für Kunstge- hauswirtschaftlichen Forschung, o.J. werbe Grafik bei Prof. Erler.299 diess.: Textilwerken. Arbeiten mit Faden Zum 20.4.1927 schreibt sich Wera Meyer- und Gewebe, Berlin, 1965 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Waldeck am Bauhaus Dessau unter der Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Matr.Nr.167 ein und besucht den Vorkurs diess.(Bearb.): Einbauschränke im Woh- nungsbau. Ergebnisse einer Erhebung, bei Moholy-Nagy. Dort entsteht u.a. eine i. A. des Bundesministers für Woh- Fakturstudie.300 Anschließend wechselt sie nungswesen und Städtebau, Bonn, um in die Tischlerei, wo sie ihre Entwürfe für 1967 (Mitarbeit von M. Haußknecht) einen Kinderhocker, einen Liegestuhl, ei- diess.: Wohnung und Familie, Stuttgart, nen Tee- sowie einen Klapptisch realisiert. 1968 (unter Mitarbeit von S.Rughöft) Im Sommer 1928 belegt sie den „gastkurs städtebau“ bei Mart Stam. Ab dem Win- diess. (Bearb.): Wohnen in städtischen Wera Meyer-Waldeck in den 1950er Jahren und bäuerlichen Familienwohnungen. Wera Meyer-Waldeck tersemester 1928/29 studiert sie Malerei Ein Vergleich auf der Grundlage von Wera [Hanna Alice] Meyer-Wal- bei Klee, aber auch bei Schlemmer. Mey- zwei empirischen Untersuchungen, (un- ter Mitarbeit von Sigrid Rughöft), hrsg. deck, Dipl.Arch., DWB, BDA er-Waldeck wird ab diesem Semester je- TU Hannover, Lehrstuhl für das ländli- doch auch begeisterte Studentin im Bau/ che Bau- und Siedlungswesen, Hanno- geb. 6.5.1906 Dresden - gest. 25.4.1964 Ausbau bei Hannes Meyer. ver 1968 (Beiträge zum ländlichen Bau- Bonn, beigesetzt auf dem Johannis- und Siedlungswesen Bd.8; Berichte zur Nach zwei Jahren am Bauhaus unterzeich- friedhof in Dresden Arbeit der AVA, Arbeitsgemeinschaft zur net sie im Frühjahr 1929 bei Karl Böken- Verbesserung der Agrarstruktur in Hes- sen, Bd.13) heide einen Lehrvertrag für die Tischlerei. Studium an der Akademie Dresden 1924 Kurz darauf wird ihr „zum Erwerb berufli- 295 O.A.: „Meyer-Waldeck, Dramaturg. Ab- diess.: Das Wohninterview als Unterlage bis 1927, am Bauhaus Dessau von 1927 cher Praxis eine Mitarbeit im Büro Meyer“ der Bauplanung. Ein Fragebogen mit ei- schiedsfeier beim Ausscheiden aus dem ner Anleitung für den praktischen Ge- bis 1932, Diplom angeraten. Im Wintersemester 1929/30 ar- Kgl. Hoftheater“, in: Tagebuch des König- brauch, hrsg. i.A. des Bundesministers beitet sie in Berlin an den Planungen zur lich Sächsischen Hoftheaters, 93.Jg., 1909, für Wohnungswesen und Städtebau, wurde 1906 in Dresden als viertes Kind Schule des ADGB in Bernau mit. Wie Mey- Dresden, 1910, S.100-101. - Neben seiner Stuttgart, 1968 (Auszug aus „Wohnung des königlich geheimen Hofrats Dr.phil. und Familie“) er in seinem Zeugnis bestätigt, bearbeitet Tätigkeit als Dramaturg führte Meyer-Wal- Wolfgang Alexander Clemens Meyer-Wal- sie den größten Teil der Möblierung und deck auch die finanziellen und technischen diess.: Textilwerken, in: Kloeckner, Karl: deck (31.5.1862 St.Petersburg - 16.5.1930) 301 des Innenausbaus dieser Schule. Geschäfte. Außerdem verfaßte er Lustspiele Werken und plastisches Gestalten, Ber- und seiner Frau Alexandra Magdalena Ma- lin, 3. Aufl. 1969 Bekannt ist der von ihr für die ADGB ent- und Novellen, aber auch - anläßlich von Ju- ria geb. Riecken (gest. 8.4.1936) geboren. worfene Schreibtisch, der auch ihr Gesel- biläen des Hochadels - sog. Prologe. Zum diess.: Flexible Wohnsysteme: Denkmo- Die Mutter war als Österreicherin in Ale- lenstück in der Tischlerei wird, als sie An- Wirken Wolfgang Meyer-Waldecks vgl. delle von Architekten und Meinungen xandrien geboren. Alexander Meyer-Wal- von Bewohnern zum Problem der Flexi- fang 1932 - als erste Frau in Thüringen - Wildberg, Bodo: Das Dresdner Hoftheater deck, dessen Vater als Professor in Dorpat bilität, hrsg. Im Auftrag des Bundesmi- vor der Handelskammer Dessau die Gesel- in der Gegenwart, Dresden, 1902, S.8-9. nisteriums für Wohnungswesen und lehrte, war Russe.295 Er hatte Philosophie, lenprüfung ablegen darf. Sie tut dies mit Städtebau unter Mitarbeit von Meinhold Literatur- und Kunstwissenschaft studiert. 296 Der einzige Bruder stirbt 12-jährig 1913. Haußknecht und Sigrid Rughöft, Co- dem Prädikat „sehr gut“.302 burg, 1970 Bevor er 1896 an das Hoftheater in Dres- 297 Benita Meyer-Waldeck (16.10.1904 Dres- den berufen wurde hatte er u.a. als Drama- den - 27.6.1986 Dresden): Beiträge zur diess.: Raumprogramme und Bewoh- turg in Mannheim und Berlin gearbeitet. Schreibtisch, Gesellenstück, 1931/32 Kenntnis der Geschmacksstoffe im Rog- nererfahrungen, Stuttgart/Berlin, 1971 1909 verlässt er das Hoftheater, um sich genbrot, Dissertation, Dresden, 15.3.1935 diess.: Kollektive Wohnformen, Erfah- im Baumwollhandel selbständig zu 298 BHA, NL Meyer-Waldeck, Abschlußzeugnis rungen, Vorstellungen, Raumbedürfnis- machen. se in Wohngemeinschaften, Wohngrup- 299 Den „Brotberuf“ Kindergärtnerin übt sie pen und Wohnverbänden, unter Mitar- Die Familie siedelt nach Alexandrien über. demnach wahrscheinlich nicht aus. BHA, beit von Meinhold Haußknecht und Sig- Die vier Töchter und der Sohn genießen rid Rughöft, Wiesbaden, 1973 (Auszüge NL Meyer-Waldeck, LL 1959/1961 deutsch-französischen Privatunterricht. unter gleichem Titel auch in Bauwelt, 300 Moholy-Nagy, Laszlo: Vom Material zur Ar- 63.Jg., H.17, 17.5.1973, S.744-748) Nach dem Scheitern der väterlichen Han- chitektur, München, 1929, S.61, Abb.44 delsgeschäfts siedelt die Familie um 1915 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar nach Graubünden über, die Töchter wer- 301 BHA, NL Meyer-Waldeck, Zeugnis von den weiterhin privat unterrichtet.296 Die Hannes Meyer vom 14.7.1930, betreffend Älteste heiratet nach Frankreich, die Jüng- die Zeit vom 15.9.1929 - 15.4.1930. ste wird Schauspielerin. Die zweitälteste 302 Anhalter Anzeiger 21.Januar 1932 schließt ihr Chemiestudium in Dresden

Biografien 377 Während ihres Studiums ist Wera Meyer- Grohmann an der Staatlichen Hochschule Waldeck - lt. Diplom-Zeugnis - auch an für Werkkunst Dozentin für Innenausbau. den Projekten „Wohnung Piscator, Berlin“ Meyer-Waldeck beteiligt sich auch am (Entwurf und Ausführung), Arbeitsamt Des- Wiederaufbau der Schule, äußert sich aber sau (Innenausstattung), sowie der Möblie- enttäuscht über „die Jungens”, denen „die rung des Hauses Hahn in Dessau beteiligt. 12 Jahre noch so in den Knochen [stek- ken], daß man manchmal schier verzwei- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Als im Mai 1930 ihr Vater stirbt, reist sie in 308 die Schweiz. Sie wird krank und setzt das feln könnte.“ Sie findet keine Akzeptanz Studium erst ein Jahr später - Mitte Mai bei den Studenten, ihr Vertrag wird 1948 gelöst. 1931 - fort. Nun studiert sie bei Hilbersei- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar mer und Mies. Beide unterzeichnen im Juli Meyer-Waldeck lässt sich freiberuflich im 1932 ihr Bauhaus-Diplom (Nr.77).303 Der hessischen Walldorf nieder und entwirft dort aufgeführte Entwurf eines „Familien- Flüchtlingsmöbel. Beim Möbelbauwettbe- Hotel „Pfälzer Hof”, Koblenz, um 1950, hauses“ ist bisher nur namentlich bekannt. werb Stuttgart 1949 erzielt sie einen An- Restaurant Ihre Diplomarbeit ist eine „Achtklassige kauf.309 Sie tritt dem Deutschen Werkbund Volksschule und Kindergarten”.304 bei und zeichnet bei dessen erster Nach- Über die folgende Zeit variieren die Anga- kriegsausstellung - in Köln 1949 - für die ben Meyer-Waldecks. Nach einem Aufent- Gesamtgestaltung mitverantwortlich. Hier halt bei der Familie in der Schweiz findet stellt sie auch eigene Möbelentwürfe sowie sie zunächst keinen Berufseinstieg, auch einen “Musterkindergarten” aus. wenn sie in den fünfziger Jahren angibt, in Hier im Rheinland gelingt ihr in den folgen- dieser Zeit als Volontärin in Zürich gearbei- den Jahren die berufliche Etablierung, zu- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bundestag Bonn, Innenausbau, 1949, Blick in den Plenarsaal tet zu haben.305 Ab Herbst 1934 arbeitet nächst als Innenarchitektin. Als freie Mitar- sie bei den Junkerswerken Dessau als beiterin von Hans Schwippert mit dem In- technische Zeichnerin im Flugzeugbau. nenausbau des Bundestages beauftragt richtet. In Bonn entsteht die katholische (1949) zeichnet sie in Bonn außerdem für 1936 stirbt die Mutter. Ab 1937 arbeitet Auslandsmission unf das erste Musterhaus die Innenausstattung zweier Ministerien Wera Meyer-Waldeck - wahrscheinlich auf in Ytong. Meyer-Waldeck beteiligt sich und der zum Gästehaus der Bundesrepu- „Haus Bockemühl” Bonn, 1956 Vermittlung Annemarie Wimmers - im ‘Pla- 1951 an der Ausstellung „So wohnen”, blik avancierten “Victorshöhe” verantwort- nungsbüro der Reichsautobahnen’ in Ber- 1957 stellt sie zwei Einrichtungen für „Das lich. Für Konrad Adenauer kann sie das lin. Dort ist sie für die „Aufstellung von Ver- Wohnen in der Stadt von morgen” aus.310 Bundeskanzleramt einrichten. In Koblenz satzplänen zur Verblendung der Brücken- Auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 baut sie ein Hotel, in Bonn ein Teppichge- bauwerke mit Klinker und Werkstein“ zu- realisiert sie die Ausstellungsarchitektur 306 schäft um. In Köln richtet sie ein Ledigen- ständig. Im Frühjahr 1939 findet sie eine der Abteilung „Der persönliche Bedarf” im heim und verschiedene Mädchengymnasi- 303 BHA, NL Meyer-Waldeck, Diplom-Zeugnis Stelle als Architektin bei der Reichsbahn- Deutschen Pavillon. baudirektion Berlin. Nach eigenen Anga- en ein. Hier werden nach ihren Entwürfen Wera Meyer-Waldeck vom 12.7.1932. Vgl. Wera Meyer-Waldeck schreibt in den fünf- ben ist sie hier am Triebwagenwerk Fal- auch vier Laubenganghäuser für Ostflücht- auch S.80 ziger Jahren etliche Fachartikel. Sie nimmt kensee (Kesselhaus und Lehrwerkstätte) linge und mehrere Einfamilienhäuser er- 304 Vgl. Kap.4, S.75. und den Ortsgüterbahnhöfen Berlin-Süd, 305 BHA, NL Meyer-Waldeck, maschinen- Hoppegarten und Neukölln „entwurfsmä- Der persönliche Bedarf, Weltausstellung Brüssel, 1958 schriftlicher LL Wera Meyer-Waldeck, der in ßig“ beteiligt.307 den 1950er Jahren erstellt wurde. Zum 1.5.1942 tritt sie eine Stelle bei der 306 Ibid., Zeugnis vom 27.5.1939. Wimmer ist Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Kar- dort bereits seit Ende 1935 als technische win-Thzynietz an. Sie wird Leiterin des 14- Angestellte tätig. Vgl. Biografie Wimmer. köpfigen Planungsbüros, das sämtliche 307 Ibid., LL Meyer-Waldeck, außerdem Zeug- Baumaßnahmen der acht umliegenden nis der Reichsbahnbaudirektion für Meyer- Kohlegruben - von „Beamtenbädern” über Waldeck vom 2.3.1942. Waschkauen für Kriegsgefangene bis zu

308 DAM, NL Meyer II 4(10) 81/2-847, Brief Schlammeindickern - durchführt. Doch Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Meyer-Waldeck vom 9.8.1947 „mit Rücksicht auf die eingetretenen Ver- hältnisse mußte Fräulein Meyer-Waldeck 309 Der Bauhelfer, 1949, Nr.11, S.308 Karwin am 1. April 1945 verlassen“, bestä- 310 Die Ausstellung „So wohnen” fand 1951 in tigt die Bescheinigung der Berghütte vom Bonn statt. „Das Wohnen in der Stadt von 19.11.1945. morgen” wurde 1957 in Berlin im Rahmen Sie flüchtet nach Dresden. Dort wird sie der Interbau gezeigt. zum Frühjahr 1946 auf Vermittlung von Will

378 Anhang 1952 am dritten ‘Darmstädter Gespräch’ Maria Müller Zum Herbst 1930 wird Maria Müller am 314 teil und unternimmt zahlreiche Bildungs- [Ottilie Hertha] Maria (Marie) Mül- Bauhaus in die Baulehre aufgenommen. und Vortragsreisen. Sie ist im Deutschen Außerdem arbeitet sie ein Semester in der ler, geb. Scholz, Dipl.Arch. Frauenbund und im Werkbund aktiv. Ihr Tischlerei. Ihre Studienprojekte aus dieser letztes Projekt ist 1962 ein Studentinnen- geb. 20.3.1900 Dresden - Daten nach Zeit sind bisher ebensowenig bekannt wie wohnheim in Bonn. 1937 unbekannt das Thema ihrer Diplomarbeit. Das von Wera Meyer-Waldeck, die an Diabetes er- Mies van der Rohe unterschriebene Di- krankt ist, starb im Frühjahr 1964 in Bonn. plom Nr.81 im Bau/Ausbau erhält sie nach Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis Ihre Urne wird in das Dresdner Familien- insgesamt acht Semestern am Bauhaus im 1932, Diplom grab überführt. Ein Teil ihres Nachlasses August 1932 zeitgleich mit Reiss, Wilke, Wimmer und 16 Herren der Bau-/Ausbau- befindet sich im Bauhaus Archiv Berlin. wurde am 20.3.1900 in Dresden als erste abteilung. Für biografische Hinweise danke ich Tochter des evangelischen Kaufmanns Dagmar Frowein und Despina Stratiga- Franz Leberecht Michael Scholz (geb. 8.7. Maria Müller ist 1933 im Adressbuch Des- kos 1862) und seiner katholischen Frau Maria sau als Architektin unter eigenem Namen Emma (oder Erna) geb. Klar (geb.14.10. in der Wilhelm-Müller-Str. 9 verzeichnet. 311 Die Christianstraße lag im Bereich der heu- Quellen: 1875) geboren. Die Eltern wohnen in der Sie verlässt Dessau und wohnt ab April tigen St. Petersburger Straße. Die Eltern BHA, Teilnachlass Wera Meyer-Wal- 1934 mit nun drei Kindern in der Orber- wohnen 1911 in der Heubnerstr.15, in den deck, Diplomzeugnis vom 12.Juli 1932 Christianstr. 9 am Rande der Dresdner Alt- 315 STADresden - Personenkartei Alexander stadt.311 Der Vater betreibt einen Zigarren- straße in Berlin-Grunewald. Als sie 1935 30er Jahren in der Elisanestr.7. Meyer-Waldeck handel, dessen Vater war der in Freiberg als „Schülerin von Prof. Mies v.d. Rohe“ 312 Ob bzw. wie weit sie dem Bauhaus schon BHD, ich danke Ines Hildebrand insbe- einen RKK-Aufnahmeantrag stellt, führt sie sondere für die Hinweise zur Lehrtätig- ansässige Cigarrenfabrikant Franz Scholz. zuvor verbunden war, kann bisher nur ver- ihre Entwürfe nur summarisch auf. Warum keit Wera Meyer-Waldecks in Dresden. Aus Prüfungsprotokollen geht die Vorbil- mutet werden. Bspw. taucht auf der von Informationen des Friedhofsamtes des sich Müller dort nicht als Architektin, son- dung von Maria Scholz hervor: bis zum 16. Tut Schlemmer aufgestellten „Liste von Johannisfriedhofs Dresden, mit Dank an dern als Innenraumgestalterin bewirbt, ist Frau Lindner Lebensjahr besuchte sie eine Höhere Mäd- Bauhäuslern” der Name „Micke Müller“ auf. aus den vorhandenen Unterlagen nicht er- Lang, Lothar: interviews mit bauhäus- chenschule in Dresden, dann eine Frauen- Angesichts des Weggangs der Schlemmers lern, in: bauhauszeitschrift, H.4, 1928 sichtlich. Bereits zwei Monate nach ihrer schule. Anschließend nahm sie Malunter- nach Breslau 1929 könnte dies ein Hinweis S.18-19 Aufnahme in die Fachgruppe Innenraum- Anhalter Anzeiger, 21.1.1932 richt bei Richard Hofmann und Hugo Lan- auf persönliche Kontakte sein. gestalter richtet sie erneut ein Gesuch an DAM, NL Hannes Meyer, Briefwechsel ge. 1922 heiratet sie den Architekten Al- 313 Stadtarchiv Dessau, SB 21, Bl. 1 „prüfung Meyer-Waldeck die Kammer, in dem sie die Geringfügig- fred Müller und zieht nach Dessau. Hier sommersemester 1929: 21.10.29 „studie- Schwippert, Hans (Hg.): 3. Darmstädter keit ihrer Berufstätigkeit betont.316 Gespräch. Mensch und Technik, Darm- wohnen sie in der Wilhelm-Müller-Straße, rende des II.semesters, die nochmals aus- stadt, 1952 wo sie im Büro ihres Mannes mitarbeitet. Im Adressverzeichnis Berlin taucht Müller stellen müssen (..): müller, maria”. Landgraf, Elisabeth: Nachruf auf Wera mit eigenem Namen und dem Zusatz „In- Meyer-Waldeck, in: Das Werk, Nov./ Es ist nicht ganz klar, wann Maria Müller 314 Ob Maria Müller familiäre Unterstützung er- nenarchitektin” bis 1936 auf. Anschließend Dez. 1964, S.11 ihre erste Tochter zur Welt bringt. Als sie hielt, ist bisher unbekannt. Evtl. wohnte im Bauhaus Archiv Berlin (Hg.): Bauhaus in ist unter dieser Adresse Alfred Müller - al- sich zum Wintersemester 1928/29 unter gleichen Haus ihre Schwiegermutter. Berlin, Katalog, Berlin, 1995 lerdings nur 1937 - eingetragen. Müllers der Matr.Nr. 290 am Bauhaus einschreibt, weiterer Lebensweg ist bisher unbekannt. 315 Die Orberstraße kreuzt die Warmbrunner eigene Artikel gehört sie zu den wenigen verheirateten Meyer-Waldeck, Wera: Das Bundespar- Als sie 1940 anlässlich der Auflösung der Straße, Maria Müller wohnte damit nur ei- Studentinnen mit Kind.312 Ebenfalls un- lament in Bonn, in: Innendekoration / ‘Fachgruppe Innenraumgestalter’ zur nen Steinwurf von Marie Frommers Büro Architektur und Wohnform, 58.Jg.,1949/ deutlich bleibt, ob sie zuvor bereits Ger- Rückgabe ihres Kammerausweises aufge- entfernt. Ob sich die Architektinnen persön- 50, S.99-109, m. Abb. son, Meyer-Waldeck und Wimmer kannte diess.: Eine neue Volksschule in Bonn- fordert wird, wird dieses Schreiben mit lich kannten, ist bisher unbekannt. Alfred - alle drei studierten zeitweilig in Dresden, Süd, in: Innendekoration / Architektur dem Vermerk „unbekannt” retourniert. Müller unterhielt bis 1934 in der Albrecht- und Wohnform, 61.Jg., 1952/53, S.192- und am Bauhaus ab dem Frühjahr 1928. straße 13 in Dessau das Ingenieurbüro Mül- 198 Müller besucht zunächst die Grundlehre Quellen: diess.: Das Wohnen in der Stadt von BHD, NL Engemann Prüfung Winterse- ler & Herrmann. Er soll mit diesem Kollegen morgen, in: Interbau Berlin, Amtlicher bei Albers. Die Reproduktion einer mit mester 1929/30 am 7.4.1930, Seme- u.a. in Halle gebaut haben. Katalog, Berlin, 1957 „müller“ gezeichneten Zeitungscollage aus sterprüfungsliste Sommer 1931 am 316 Schreiben „Anders“ an den Präsidenten der diess.: Der Streit um die Wohnbera- dem Vorkurs Albers 1928 befindet sich im 6.7.1931 tungsstellen, in: Werk und Zeit, 6, Düs- Stadtarchiv Dresden, Geburtseintrag RKK vom 7.4.1936, Betr.: Das Schreiben Bauhausarchiv. Anschließend belegt Maria seldorf, 1957, Nr.1 beim Standesamt I, Dresden Altstadt vom 14.1.1936, IV R.104/7089: Gesuch Müller zwei Semester in der Abteilung für Kirchenbuchauszüge der Kreuzkirche zu vom 18.12.1935 der Innenraumgestalterin Wandmalerei. Im Oktober 1929 muss sie Dresden, lt. Mitteilung des Kirchbuch- amtes Dresden vom 16.9.1998 Maria Müller. „Die Genannte hat glaubhaft erneut ausstellen, um ins 3. Semester auf- Adressverzeichnisse der Stadt Dessau, nachgewiesen, dass sie den Beruf als In- genommen zu werden.313 Im Frühjahr 1930 mit Dank an Christa Fredenhagen nenraumgestalterin nur gelegentlich und zählt sie mit Loewe zu den sieben Mitglie- LAB, Adressverzeichnisse Berlin Kirchenbücher der Kreuzkirchengemein- geringfügig ausübt, da sie durch ihre Pflich- dern dieser Werkstatt. de Berlin-Schmargendorf ten als Hausfrau und Mutter zweier minder- Im Juni 1930 bringt sie ihre zweite Tochter jähriger Kinder voll beansprucht ist.“ - Bei Minsos, Johanna zur Welt. Diese wird protestantisch getauft, „Geringfügigkeit“ war ein Erlaß der Beiträge siehe Tönnesmann, Johanna obschon Maria und Alfred Müller aus der Niegeman, Gerda siehe Marx, Gerda möglich. Eventuell sank auch die Kontrolle Mory, Christa siehe Schöder, Christa Kirche ausgetreten sind. durch die RKK.

Biografien 379 Elisabeth (Else) Nießen Unklar bleibt, wie lange sie hier tätig bleibt. Stadtarchiv Hannover, Schreiben vom Bereits seit 1919 sind im Einwohnermelde- 15.8.1998, mit Dank an Herrn Heine Einwohnermeldeamt Kiel, Schreiben geb. 14.6.1884 Bielitz - Daten nach 1933 register keine Besuche in Bielitz mehr ver- vom 19.10.1998 unbekannt zeichnet. Elisabeth Nießen heiratet nicht. Am kommunalen Wohnungsbauprogramm der Gemeinde Wien, in dem zwischen Studium an der Kunstgewerbeschule 1919 und 1934 über 190 freischaffende Oesterlen, Ewa siehe Freise, Ewa Wien von 1912 bis 1918, Abschlusszeug- Privatarchitekten mit der Planung von 384 Oswald, Hildegard nis Wohnprojekten beauftragt werden, kann siehe Korte, Hildegard wurde 1884 als zweite Tochter reichsdeut- sie nicht partizipieren. 1929 beteiligt sie scher Eltern im schlesischen Bielitz gebo- sich mit dem Entwurf eines Musikzimmers 319 ren und protestantisch getauft. Ihr Vater ist an der Ausstellung „Das Bild im Raum“. der Kaufmann Paul Nießen. Die Eltern sind Aus dem Sommer 1930 datiert ein Brief an Benita Otte gegen ein Studium der Tochter. Tessenow, in dem sie um Unterstützung spätere Koch-Otte (ab 1929) Ihr Interesse an Kunst - bei Besuchen in nachsucht. Sie fragt ihn, ob in Berlin Ar- geb. 23.5.1892 Stuttgart - gest. 26.4. Dresden geweckt - kann Elisabeth Nießen beitsmöglichkeiten für Architektinnen exi- 1976 Bethel erst im Alter von 27 Jahren und dank ihrer stierten und resümiert ihre Erfahrungen in in Wien lebenden, älteren Schwester um- Wien: „Um all die Vorurteile zu bekämpfen setzen. Beim Eintritt in die Kunstgewerbe- gehören vielleicht fünfzig Jahre dazu, um Studium am Zeichenlehrerseminar in schule Wien am 15.4.1912 gibt sie als Vor- klarzumachen, daß eine Frau beim Bauen Düsseldorf 1911 bis 1913, am Bauhaus bildung „Private Studien“ an. Sie studiert mitzureden hat, und daß man sie arbeiten Weimar 1920 bis 1925 zwei Semester Textil bei Rothansl, zwei läßt.“ Semester Schrift bei Larisch und belegt bis Tessenow scheint Nießen nicht unbedingt Benita Otte ist zu recht als Weberin be- 1914 Aktzeichnen. Regelmäßig verbringt eine Möglichkeit eröffnet zu haben „beim kannt geworden. Hier erscheint dennoch sie die Semesterferien bei den Eltern in Bauen mitzureden“. In seinen Briefwech- eine Skizze ihrer Werkbiografie, da auch Bielitz. Inzwischen studiert ihr neun Jahre seln lässt sich weder der Durchschlag ei- sie sich sowohl am Bauhaus wie auch da- 317 Vgl. de Michelis, Marco: Heinrich Tessenow jüngerer Bruder an der Technischen Hoch- nes Antwortschreibens noch ein weiteres nach zeitweise auch in der Architektur be- 1876-1950, Stuttgart, 1991, S.257. Außer schule in Wien. Lebenszeichen von ihr finden. Über Nie- tätigt hat. 1892 in Stuttgart geboren absol- Nießen findet hier nur die Arbeit Guido vierte sie in Krefeld ein Lyzeum, in Düssel- Ab 1914 besucht sie die Allgemeine Abtei- ßens weiteres Leben ließ sich bisher nur Uxas Erwähnung. dorf die Ausbildung zur Zeichenlehrerin lung bei Strnad, außerdem die Fachklasse recherchieren, dass sie sich im Juni 1930 sowie die Prüfung zur Turnlehrerin. 318 E.T. [Else Taterka?]: Wiens erste Architek- Tessenow. Spätestens mit Eintritt in diese aus Wien ab-, im Sommer 1931 dort er- tin, in: Neues Wiener Journal, 25.Jg., No. Klasse gibt sie als „Lebensberuf: Architek- neut anmeldet. Ein Vermerk auf ihrer Mel- Als sich Otte 1920 im Alter von 27 Jahren 8826, 31.5.1918, S.3-4, Abendausgabe tur“ an. Architektonische Entwürfe Nießens dekarte verweist auf einen Beschluss des unter der Matrikelnummer 42 am Bauhaus 319 Die Ausstellung fand im Februar-März 1929 aus der Studienzeit sind bisher nicht be- Bezirksgerichts VIII vom 16.1.1932, wo- Weimar einschreibt, hat sie bereits mehre- im Museum für Kunst und Industrie Wien kannt. Ihr Entwurf eines Kriegerdenkmals nach sie wegen „Geisteskrankheit (Trunk- re Jahre an einer Mädchenschule in Uer- statt. Vgl. Plakolm-Forsthuber, 1994, S.76. wird von Tessenow in einem Jahresbe- sucht)” voll entmündigt und der Vormund- dingen unterrichtet. In Weimar besucht sie richt lobend erwähnt und 1915 in einer schaft ihres Bruders in Hannover unter- zeitgleich mit Gertrud Bernays den Grund- Veröffentlichung des Gewerbeförderungs- stellt wird. 1933 meldet sich dieser nach kurs bei Itten und Klee bevor sie in die amtes publiziert.317 Im folgenden Jahr wer- Kiel ab. Dort lassen sich bisher weder neugegründete ‘Frauenklasse’ resp. die Ernst noch Elisabeth Nießen nachweisen. Weberei eintritt. Dort entstehen nach ihren Schrankentwurf, ‘Kasten mit Glastürflügel’, 1916 den in der Mappe „Einfacher Hausrat“ zwei ihrer Möbelentwürfe publiziert. Im Quellen: Entwürfen zahlreiche Teppiche und Wand- Frühjahr 1918 schließt sie - als erste Archi- AAKW, Inskriptionsbogen Nießen, Stu- behänge in den unterschiedlichsten Tech- dentenakte Nießen niken. Offensichtlich weiß der künstleri- tekturstudentin der KGS Wien - bei Tesse- K.k. Gewerbeförderungsamt (Hg.): Sol- now ihr Studium im Alter von 34 Jahren datengräber und Kriegsdenkmale, Wien sche Leiter der Weberei, Georg Muche ab. Weshalb als letztes Zeugnis in ihrer 1915 jedoch auch ihre Fähigkeiten als Zeichne- K.k. Österreichisches Museum für Kunst rin zu schätzen. Als er 1923 den Entwurf Akte das Jahreszeugnis 1916 abgelegt ist, und Industrie (Hg.): Einfacher Hausrat, bleibt unklar. Wien, 1916 eines Stahlhauses zur Realisierung auf E.T.: Wiens erste Architektin, in: Neues dem Grundstück am Horn in Weimar Im Anschluss an ihr Studium tritt Elisabeth Wiener Journal, 25.Jg., No. 8826, 31.5. durchsetzen kann, zeichnet Benita Otte die Nießen als „einzig technisch arbeitende 1918, S.3-4, Abendausgabe Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Isometrie dieses Entwurfes. Frau im Stadtbauamt” in die Dienste der HTA, Briefe Elisabeth Nießen an Hein- rich Tessenow vom 4.7. und 18.7.1930 Die lasiert eingesetzten Farben verdeutli- Plan- und Schriftenkammer Wien ein, ab W.O. Dresslers Kunstjahrbuch 1930: September 1918 ist sie dort „als Beamtin" Eintrag Nießen chen die baukastengleich addierten Raum- tätig. Ihr obliegen die Planungen für die Michelis, Marco de: Heinrich Tessenow, volumen als Konzept, auch wenn sie zur Stuttgart, 1991, S.257 gewählten Stahlkonstruktion in einem un- Kriegerheimstätten in Aspern und die Krie- Plakolm-Forsthuber, 1994, S.76, S.260 gerwohnsiedlung „Auf der Schmelz”.318 Wien MA8 - Schreiben vom 4.8.1998, wirklichen Kontrast stehen. mit Dank an Herrn Koch

380 Anhang Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

Haus am Horn, 1923, Isometrie Benita Otte Rina Paschowa, Dipl.Ing.

geb. 19.3.1910 (Geburtsort unbekannt) - Otte ist an diesem Versuchshaus aber Benita Otte verlässt 1925 das Bauhaus oh- Daten nach 1935 unbekannt nicht nur als Zeichnerin beteiligt. Gemein- ne formalen Abschluss, um an der Burg sam mit Ernst Gebhardt zeichnet sie für Giebichenstein die Weberei zu leiten. 1929 die Kücheneinrichtung dieses Hauses ver- heiratet sie den vier Jahe jüngeren Hein- Studium an der TH Charlottenburg 1930 antwortlich. Wer die in den Bauhauswerk- rich (Jindrich) Koch (1896 Ung. Hradisch - bis 1935, Diplom stätten hergestellten Möbel gebaut hat, 1.4.1934 Prag), der seit 1922 ebenfalls am lässt sich bisher nicht recherchieren. Ob Bauhaus studierte. Er legte im Sommer wurde am 19.3.1910 in Bulgarien geboren. sie an weiteren Architekturprojekten betei- 1928 in Dessau die Gesellenprüfung als Über ihre Vorbildung ist ebenso wenig be- ligt war, ist bisher unbekannt. Wandmaler ab. 1929 wird er an der Burg kannt wie über ihr Elternhaus. Giebichenstein Leiter der Fotografieabtei- Als sie sich 1930 unter der Matr.Nr. 43972 lung. an der TH Charlottenburg für das Architek- 1933 wird Benita Koch von der Stadt Halle turstudium einschreibt, gibt sie eine Hei- Küche im Haus am Horn, 1923 entlassen. Mit ihrem Mann zieht sie nach matadresse in Ressen an. Um 1932 wohnt Prag, wo beide gemeinsam auch an archi- Rina Paschowa in der Kaiserallee (heute tektonischen Aufträgen gearbeitet haben Bundesallee) in Wilmersdorf, später in der sollen. Im Frühjahr 1934 verunglückt Hein- Königsallee in Berlin-Zehlendorf. Ab dem rich Koch bei einem Autounfall tödlich. Wintersemester 1932/33 besucht sie das Koch-Otte verlässt Prag und wird noch im Seminar Tessenow und legt 1933 in ihrem selben Jahr Leiterin der Weberei der von- sechsten Studiensemester die Diplom-Vor- Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. prüfung ab. Nach weiteren vier Semestern Diese Tätigkeit übt sie bis 1957 aus, bleibt erhält sie im Herbst 1935 das Diplom. bis 1969 als Entwerferin und Weberin tätig. Praktika und Studienarbeiten von ihr sind Benita Koch-Otte starb im Frühjahr 1976 in ebenso wenig bekannt wie das Thema ih- Bethel. rer Diplomarbeit bei Tessenow.

Quellen: Rina Paschowas weiterer Lebensweg Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Fiedler, 1987, Kurzbiografie Koch-Otte, konnte bisher nicht recherchiert werden. S.155-156 (s.a. Beloweschdowa) Dolgner, Angela, et.al.: Burg Giebichen- stein, Halle, 1993 Quellen: HTA, Studentenkartei Paschowa

Otto, Anneliese siehe Brauer, Anneliese Pal, Zsuzsanna siehe Bánki, Zsuzsanna

Biografien 381 an die Ludwig-Maximilians-Universität in tekten Robert Wollmann in Frankfurt am München. Neben dem Chemiestudium ist Main.325 Aus dem Sommer 1929 datiert ein sie sportlich sehr aktiv. Sie tritt in München Aufmaß, das sie gemeinsam mit Eisenberg der akademischen Reitschule bei. zeichnet. Anni Pfeiffer kannte die etwas ältere und 1929 werden in Kassel zwei Wettbewerbe ebenfalls aus Kassel stammende Gisela durch die Aschrott-Stiftung ausgeschrie- Eisenberg, die bereits ab dem Frühjahr ben: Für ein Wohlfahrtshaus an der Fulda- 1925 Architektur an der TH München stu- brücke und für ein Altersheim in Kassel- 320 326 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar diert. . Sie könnte jedoch auch durch ei- Wilhelmshöhe. Der Kasseler Industrielle nen Wettbewerb auf die Idee gekommen Aschrott ist Anni Pfeiffers Patenonkel. sein Architektur zu studieren: 1926 wird in Beim Wettbewerb um das Wohlfahrtshaus, 320 Vgl. Biografie Eisenberg. Wie Pfeiffer auf Kassel die Wettbewerbsausschreibung für zu dem verschiedene bekannte Architek- die Idee kommt, Architektur zu studieren, den Neubau der Mädchenschule an der ten aufgefordert werden, beteiligt sich ist bisher nicht dokumentiert. Die Entschei- Wilhelmshöher Allee vorbereitet, den Hein- Pfeiffer mit einem eigenen Entwurf.327 Der dung fällt offenbar im Frühjahr 1926. rich Tessenow 1927 gewinnt und bis 1930 Wettbewerb wird von den Kasseler Archi- 321 321 Zur Malwida-von-Meysenbug-Schule, der realisiert. Tessenow soll in dieser Zeit im tekten Karl Hermann Sichel und Waldemar Hause Pfeiffer verkehrt haben.322 Leers gewonnen, jedoch nicht realisiert. späteren Heinrich-Schütz-Schule, vgl. de Anni Pfeiffer Michelis, 1991, S.280-281. Ab Juni 1927 Bereits im Sommer 1926 arbeitet Anni Anni Pfeiffer erzielt mit ihrem sehr moder- realisiert Tessenow in Kassel den Umbau Anni(e) [Amalie Julie Minni] Pfeif- Pfeiffer sechs Wochen in der Schreiner- nen Entwurf einen Ankauf. des Schlosshotels Wilhelmshöhe, das nur fer, spätere Gunkel (ab 3.2.1934), werkstatt der Staatlichen Kunstakademie Sie bestellt auch die Ausschreibung für einen Steinwurf von der Villa Pfeiffer ent- Dipl.Ing., AVB, BDA Kassel, dann drei Monate als Praktikantin den Wettbewerb zur Pädagogischen Aka- fernt liegt. (Ibid., S.292) in der Bauschreinerei des Baugeschäfts demie in Kassel, führt diesen aber nicht zu geb. 4.6.1906 Kassel - gest. 1.7.1941 323 322 Dass ihm die Familie ein Begriff war, zeigt Wilhelm Zimmermann & Co. Ende. Erste Skizzen hierzu lassen sich in Nürnberg, begraben auf dem Westfried- auch der Eintrag auf der zwei Jahre später Zum Wintersemester 1926/27 nimmt sie an ihrem Nachlass finden. Seit dem Winterse- hof Nürnberg von ihm angelegten Karteikarte für Pfeiffer: der TH München das Architekturstudium mester 1929/30 wohnt Pfeiffer in Berlin- Als Heimatadresse vermerkt er den lokal auf. Im Sommer 1927 unternimmt sie eine Tiergarten, studiert - offiziell eingeschrie- üblichen Begriff „Rammelsberg“. Studium an der Universität Frankfurt/M. längere Studienreise nach Griechenland. ben - nun im Seminar Tessenow. Im Feb- ruar 1932 schließt sie ihr Architekturstudi- 323 Lt. Arbeitsbescheinigung vom 23.10.1926, 1925, an der Universität München 1926, Auf dieser Reise entstandene Zeichnungen um nach fünf Semestern an der TH Char- NL Gunkel an der TH München 1926 bis 1928, an sind erhalten. Vor Beginn des Winterseme- der TH Charlottenburg 1929 bis 1932, sters ist sie während eines sechswöchigen lottenburg mit einer Diplomarbeit bei Tes- 324 Lt. Zeugnis vom 16.10.1927, NL Gunkel Diplom Praktikums in der Bauabteilung der Loko- senow ab. Das Thema dieser Arbeit ist un- 325 Lt. Zeugnis vom 15.9.1929, NL Gunkel motivfabrik Henschel und Sohn in Kassel bekannt. Erhalten sind jedoch undatierte 326 Beim Wettbewerb um das Marie von Bo- wurde 1906 als älteste Tochter des Ban- mit der „Ausarbeitung eines Einfamilien- Modellfotos einer zweigeschossigen Ju- schan-Aschrott-Altersheim gewinnt Otto kiers Karl Ludwig Pfeiffer (5.9.1874 Kassel hauses“ beschäftigt.324 Im Frühjahr 1928 gendherberge resp. einem Ferienheim auf Haesler vor Gropius. Tessenows Entwurf, - 14.6.1952 Kassel) und seiner Frau Elisa- arbeitet sie erneut vier Wochen in dieser einem Bergrücken und die Reproduktion der bisher nicht dokumentiert ist, wird der beth Charlotte Antonia geb. Paech in Kas- Abteilung. Sie schließt im Sommer 1928 einer Grundrisszeichnung für ein „Gast- 3. Preis zuerkannt. - de Michelis, 1991, sel geboren. Der Vater ist als Wirtschafts- das Grundstudium an der TH München mit haus am See“. Wahrscheinlich handelt es S.298 mensch wie als Kunstsammler hoch an- dem Vordiplom ab. Ab November 1928 ar- sich bei der Jugendherberge um den im gesehen. Er betreibt neben seinem Beruf Winter 1931/32 entstandenen Diploment- 327 Darunter Gropius, Berstelmeyer, Poelzig beitet sie zehn Monate im Büro des Archi- wissenschaftliche Studien in der Paläonto- wurf Pfeiffers. und Tessenow, in die Jury wurden u.a. Hä- logie, für die er einen Ehrendoktortitel der ring und Taut berufen. Universität Marburg erhält. Die protestan-

tische Familie wohnt am Rammelsberg in Wettbewerbsentwurf für das Aschrott-Wolfahrtshaus, Kassel, 1929, Ankauf Gipsmodell NL Gunkel einer von Rudolph Kasteleiner erbauten Villa. Die Mutter führt das große Haus. Der Bruder studiert später Naturwissenschaf- ten, die Schwester heiratet. Annie Pfeiffer legt im Februar 1925 an der städtischen Studienanstalt der realgymna- sialen Richtung in Kassel das Abitur ab. Im Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Abiturzeugnis wird auch die Teilnahme an einem dreijährigen Griechischkurs „mit gu- tem Erfolg“ bestätigt. Zum Studium geht sie zunächst nach Frankfurt am Main, wo sie ein Semester Chemie belegt. Dann wechselt sie zum Sommersemester 1926

382 Anhang Anni Pfeiffer beabsichtigt, den zwei Jahre Ende 1934 das Haus Schwerdtfeger ent- jüngeren Studienkollegen Karl Heinrich steht. Anni Gunkel übernimmt auch die Gunkel zu heiraten. Dieser hat sein Studi- Bauleitung und erstellt eine foto grafische um noch nicht beendet. Sie tritt sie nach Dokumentation des Baufortgangs. dem Diplom im Mai 1932 in Berlin in das Während des Jahres in Hamburg soll sie Büro der Allgemeinen Häuserbau AG von sich erneut an Wettbewerben beteiligt ha- Adolf Sommerfeld ein. Dort arbeitet sie ben. Und zweifelsohne strebt sie eine frei- u.a. an der Einfamilienhaussiedlung Klein- berufliche Perspektive an: Sie stellt Auf- Machnow und dem Kino in der Onkel- nahmeanträge bei AVB und BDA und wird Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 328 Tom-Siedlung mit. Sie verlässt diese aufgenommen. Weitere Bauten von ihr las- Stellung Ende März 1933, um einen halb- sen sich bisher aber nicht nachweisen.330 jährigen Koch- und Haushaltungskurs zu Zur Vorbereitung der Regierungsbaumei- absolvieren und ihre Aussteuer vorzuberei- sterprüfung Karl Gunkels in Berlin ziehen ten. Weihnachten 1933 findet die Verlo- beide im Frühjahr 1935 nach Neubabels- bung statt und am 3.2.1934 heiraten Anni berg. Im Sommer werden Zwillinge gebo- Pfeiffer und Karl Gunkel (28.8.1908 - 13.6. ren. 1937 erfolgt erneut ein berufsbeding- 1986) in Kassel.329 ter Umzug der Familie nach Münster, wo Leonie Pilewski Sie ziehen nach Hamburg, wo er eine Stel- Anni Gunkel im gleichen Jahr zum zweiten le als Regierungsbauratsanwärter antritt. In Mal Zwillinge zur Welt bringt. Damit wird, spätere Karlsson (ab 1940), Dipl. der ‘Junggesellen-Komfortwohnung’ an nur fünf Jahre nach dem Diplom, aus der Ing., ZV, SPÖ, Künstlerinnenname den Großen Bleichen schlägt Anni Gunkel engagierten Architektin eine vollauf be- ab den 1940er Jahren: Pikarlsson ihr Büro auf. Von ihrer Patentante kommt schäftigte Mutter von vier Kindern. Ende der erste Auftrag. Sie liefert zwei Entwürfe 1938 zieht die Familie nach Nürnberg. Hier geb. 22.2.1897 Weinbergen/Galizien - für das Grundstück im Moselweg in Kas- kommt im Sommer 1941 das fünfte Kind lebt in Schweden sel-Wilhelmshöhe, auf dem von August bis zur Welt. Anni Gunkel überlebt diese Ge- burt nur um wenige Tage. Studium an der TH Wien 1915 bis 1917, Für biografische Informationen danke an der TH Darmstadt 1917 bis 1922, Di- ich Jochen und Jürgen Gunkel plom

Quellen: HTA, Karteikarte Anni Pfeiffer wurde 1897 als ältestes Kind des Arztes NL Gunkel, LL Anni Gunkel, erstellt von Dr. Oscar Pilewski (geb. 1868 in Lemberg) Karl H. Gunkel in den 1940er Jahren, und der Künstlerin Sofie Lubinger (1869 Deines, Emil (Hg.): Bauwettbewerbe, H.50, Mai 1930 Lemberg - 1940 Lemberg) in Galizien ge- Todesanzeige Anni Gunkel, Kasseler boren. Leonie wächst mit einer sechs Jah- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Post vom 3.7.1941 re jüngeren Schwester in Wien auf.331 Eine Stadtarchiv Kassel - Unterlagen zu Karl Pfeiffer und Anni Pfeiffer, Schreiben von Schwester der Mutter lebt als Ärztin eben- Herrn Klaube vom 2.8.1997 falls in Wien. Leonie Pilewski erwirbt im Mai 1915 die 328 Lt. Zeugnis vom 31.3.1933 und LL Gunkel Matura auf dem Mädchengymnasium in 329 Todesanzeige Karl Heinrich Gunkel, Hessi- der Rahlgasse in Wien und bewirbt sich sche Allgemeine vom 20.6.1986

anschließend an der Technischen Hoch- 330 Im Nachlass befindet sich ein Foto einer Haus Schwerdtfeger, Moselweg, Kassel, 1934, direkt nach 332 schule für ein Maschinenbaustudium. sachlich gestalteten Glastür, die offensicht- Fertigstellung (oben) und im folgenden Frühjahr Sie wird nur schrittweise und zögerlich als lich als Zwischentür (evtl. in Hamburg) rea- Hospitantin für einzelne Fächer zugelas- lisiert worden sein könnte. sen, auch ein Antrag bei der Deutschen 331 Wanda Pilewski (1903 -1997) studiert in Technischen Hochschule in Brünn schei- den zwanziger Jahren in Wien Medizin und tert.333 So wechselt sie zum Winterseme- promoviert nach der Emigration in New Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ster 1917/18 an die TH Darmstadt und be- York City in den dreißiger Jahren. Ab 1938 legt zunächst ein Semester Maschinenbau, arbeitet sie dort als Psychotherapeutin. bevor sie Architektur studiert. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 332 Vgl. Mikoletzky, 1997, S.53 In Darmstadt gehört sie 1918 zu den Grün- dungsmitgliedern der ‘mosaisch sozialisti- 333 Die verschiedenen Gesuche auf Zulassung schen Gemeinschaft’. Als sie sich am 11.3. sowie die Bewerbungsstrategien Pilewskis 1919 nach nur drei Semestern Architektur- wurden von Juliane Mikoletzky dokumen- studium zur Diplomvorprüfung anmeldet, tiert. Vgl. Mikoletzky, 1997, S.53f.

Biografien 383 werden ihr Teile ihres Wiener Maschinen- Als Hitler am 12.3.1938 nach Wien kommt, Angela Press 334 Für Informationen zum Studienverlauf Pi- baustudiums anerkannt, Praktika kriegsbe- reist sie noch am selben Tag nach Zürich, lewskis in Darmstadt danke ich Dr. Marian- dingt erlassen. Am 9.5.1919 besteht sie um in die USA zu emigrieren. Sie kommt geb. 3.9.1912 Berlin - Daten nach 1932 334 ne Viefhaus, Schreiben vom 15.6.1998 die Diplom-Vorprüfung. Zum folgenden jedoch am 1.April in Schweden an, wo sie unbekannt Wintersemester 1919/20 inskribiert sie als achtzehn Monate lang in einer Wohnungs- 335 Vgl. Mikoletzky, 1997, S.56 außerordentliche Hörerin an der TH Wien baukooperative als Architektin arbeitet. Sie Studium an der Akademie Königsberg 336 Vgl. FN 334 für „Freihandzeichnen“.335 Nach weiteren wohnt in Stockholm in unmittelbarer Nach- um 1931, am Bauhaus Berlin 1932/33 337 Viefhaus, 1988, S.49 drei Semestern an der TH Darmstadt mel- barschaft zu dem seit 1937 hier ansässi-

338 Sie gibt als Diplomjahr 1923 an. det sie sich am 13.7.1921 zur Diplomprü- gen Wiener Architekten Josef Frank und Studierende am Bauhaus ohne nähere An- fung an.336 Als Diplomarbeit entwirft sie bei seiner Frau Anna. 339 Außerdem „van Gogh” und „Matisse”. JRF- gaben. Angela Press kam 1912 in Berlin- Prof. Karl Hofmann eine „Achtklassige Fragebogen Pilewski, Dezember 1978. Ob 1940 heiratet sie Olof (Moritz) Karlsson, die Schöneberg zur Welt und ist wahrschein- Mädchenschule mit Direktorenwohnhaus sie Tessenow persönlich kannte, ist unbe- Ehe wird 1941 geschieden und scheint für lich eine Tochter des Geigers und Dirigen- und Schuldienerwohnung“.337 Zeugnis und kannt. die Lebensplanung nicht von Bedeutung ten Michael Press (1872 Vilnius -1938 Lan- Diplomurkunde tragen das Datum 8.12. gewesen zu sein.343 Pilewski trägt ab 1940 sing/MI).344 Der seinerseits wuchs als mu- 338 1922. Von Leonie Pilewski sind bisher jedoch auch den Namen Karlsson, nimmt sikalisch hochbegabter Sohn einer jüdi- keine Studienarbeiten bekannt. Auf die die schwedische Staatsbürgerschaft an schen Familie in Vilnius auf und soll schon jahrzehnte später gestellte Frage, welche und signiert ihre Bilder - vielfach Land- während seiner Jugend Opern und Balette „Lehrer, Stilrichtungen, ‘akademische schafts- und Pflanzendarstellungen - mit dirigiert haben. In den 1890er Jahren stu- Schulen’“ für ihre Entwicklung prägend „Pikarlsson“. Zu ihrem Freundeskreis zählt dierte er am Moskauer Konservatorium waren, nennt sie keinen ihrer ehemaligen die gleichaltrige, ebenfalls immigrierte Ma- Violine, ab 1901 (bis 1918) unterrichtete er 339 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Professoren, sondern Tessenow. lerin Lotte Laserstein. Pilewski-Karlsson dort selbst. Nach dem Diplom arbeitet sie als ange- widmet sich zunehmend mehr der Malerei, Während der Vater zahlreiche Tourneen stellte Architektin in Berlin. 1923 richtet sie unternimmt zahlreiche Studienreisen nach unternimmt - zwischen 1920 und 1922 lei- das von Hugo Häring entworfene Haus auf Italien und Frankreich. 1944 bis 1958 be- tet er das Symphonieorchester im schwe- der Wiener Werkbundausstellung ein und teiligt sie sich an den jährlichen Ausstellun- dischen Gotenburg, ab 1922 konzertiert er bearbeitet freiberuflich private Innenaus- gen einer Künstlervereinigung in Stock- 345 Werkbundausstellung Wien, 1932, Inneneinrichtung auch in den USA -, dürfte Angela Press 340 bauten. In Wien betreibt sie ein eigenes holm. 1947 stellt sie im März auf Capri, im in Berlin-Wilmersdorf aufgewachsen sein. Büro, 1922 bis 1928 in der Skodagasse, Juni/Juli in der Galerie Feigl in New York Aus Prüfungsunterlagen des Bauhauses danach in der Mariahilferstraße. Einrichtun- aus. geht ihre Vorbildung hervor: Nach dem Er- 340 An der Wiener Werkbundausstellung waren gen von Leonie Pilewski werden bei Woh- In den fünfziger Jahren hält sich Leonie Pi- werb der Reifeprüfung an einem Lyzeum auch Grete Schütte-Lihotzky sowie Rosa nungsführungen des Bundes österreichi- lewski besuchsweise auch wieder in Wien besucht sie eine Oberrealschule bis zur 341 Weiser (Inneneinrichtung) beteiligt. Bei wem scher Frauenvereine gezeigt. auf. Sie wohnte zumindest bis Ende der Unterprima, studiert dann an der Kunst- Pilewski in Berlin angestellt war, ist bisher Von 1926 bis 1928 arbeitet sie als Archi- 1980er Jahre in Stockholm. akademie Königsberg zwei Semester Ge- unbekannt. Es könnte dies jedoch das Büro tektin in Moskau. In dieser Zeit publiziert Quellen: brauchsgrafik bei Prof. Franz Marten. von Hugo Häring gewesen sein, in dem sie dort einen Artikel über die Bauten des W.O. Dresslers Kunstjahrbuch 1930 Als sich Angela Press im Herbst 1932 un- 1929 auch Lotte Beese eine Stelle fand. „neuen Frankfurt“ und im „neuen frankfurt“ Svenskt Konstärs Lexikon, Malmö, 1961, S.425 ter der Matrikelnummer 620 am Bauhaus 341 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.252 einen Artikel über „Moderne Bauten in JRF Fragebogen Leonie Pilewski 12/78 in Berlin einschreibt, ist sie staatenlos. Am 342 Evtl. strebt sie um 1931 die Ziviltechniker- Russland“. Sie kehrt wiederum nach Wien Archiv der TH Darmstadt, Briefliche Mit- Bauhaus ist sie in der Bau-/Ausbauabtei- zurück und absolviert nach eigenen Anga- teilungen von Marianne Viefhaus prüfung an. Ob sie diese absolvieren kann, Viefhaus, Marianne: Frauen an der lung eingeschrieben, wird von Mathematik 342 ist bisher unbekannt. Lt. Plakolm-Forsthu- ben Zusatzprüfungen. Aus den Jahren Technischen Hochschule Darmstadt, in: und Mechanik befreit und besucht auch ber (1994, S.349) erwirbt Liane Zimbler als 1928 bis 1930 datieren ihre Artikel über Emig, Brigitte (Hg.): Frauen in der Wis- die ‘Reklame’. Themen des russischen Wohnungsbaus in senschaft, Ringvorlesung Winterseme- erste Architektin in Österreich 1938 die Li- ster 1985/86, Schriftenreihe Wissen- Nach der Schließung des Bauhauses deutschsprachigen Fachzeitschriften wie zenz als Ziviltechnikerin. schaft und Technik, Darmstadt, 1988 scheint Press Deutschland verlassen zu „stein, holz, eisen“, „die neue stadt“ und Plakolm-Forsthuber, Sabine: Künstlerin- 343 Angesichts der Umstände könnte es sich haben. Ab 1934 sind weder Vater noch „Die Wohnungsreform“. Um 1930 arbeitet nen in Österreich, 1994 um eine formelle Heirat zur Erlangung der Einwohnermeldekarte der MA8/Wien, Tochter in Berliner Adressbüchern mehr sie für ein Jahr in Arosa. Aufenthaltsgenehmigung gehandelt haben. Schreiben von Herrn Koch vom 4.8. nachweisbar. Der weitere Lebensweg von Pilewski wird 1933 Mitglied der sozialde- 1998 344 Auf der 1932 von ihr als Heimatadresse an- Mikoletzky, Juliane: Vergebliche Mühen: Angela Press ist bisher nicht bekannt. Mi- mokratischen Partei Österreichs und ist gegeben Anschrift ist der Musikprofessor Zulassungsgesuche von Frauen zum chael Press ist in den dreißiger Jahren als 1933, 1934 und 1936 auf den Ausstellun- Studium technischer Disziplinen in Michael Press gemeldet. Professor am Michigan State College tätig. gen des Vereins der Wiener Künstlerinnen Österreich (1914-1918) in: Mikoletzky / Georgeacopol-Winischhofer / Pohl, In Adressverzeichnissen von New York 345 Wo er 1922 als Solist mit den Philharmoni- u.a. mit Möbeln vertreten. 1934 stellt sie 1998, S.52f. City ist Mitte der dreißiger Jahre ein Ein- schen Orchestern Philadelphia und Detroit - auf Vermittlung von Bruno Kreisky - erst- trag „A. Press“ zu finden. Ob es sich dabei auftritt, Mitglied des Curtis Instituts in Phila- malig Malerei in Stockholm aus. 1935 ar- um die ehemalige Bauhausstudentin Ange- delphia wird. 1926 tritt er als Dirigent mit beitet Leonie Pilewski in Haifa im Atelier la Press handelt, konnte bisher nicht den Philharmonischen Orchestern Philadel- des gerade immigrierten Alexander Klein, geklärt werden. phia und Boston auf. anschließend wieder in Wien.

384 Anhang Quellen: Schon in den zehner Jahren, so gibt sie in tet sie im Atelier der Mutter mit. Gemein- BHD, Einschreibebuch, S.66 ihrer Bauhausbewerbung an, entwarf sie sam recherchieren sie vorbildhafte Innen- LAB, Adressverzeichnisse der Stadt 346 Im Jahresbericht 1915/16 der Unterrichts- Berlin beispielsweise für Burrhardt & Söhne, Ber- einrichtungen und geben 1955 das Buch anstalt sind die Preise und Anerkennungen Adressverzeichnisse der Stadt New lin Tapeten. Nach zehn Semestern schließt „Möbel und Raum“ heraus, das 1962 in 2. der beiden „Wettarbeiten der Fachklassen“ York sie in Berlin ihr Studium ab. 1920 bewirbt Auflage und unter dem Titel „goed wonen“ Wininger, Salomon: Große Jüdische Na- aufgeführt, dabei hat Frl. Hildegard Raack tionalbiographie, Nachtragsband, 1936 sie sich am Bauhaus. Neben der Grund- als niederländische Ausgabe erscheint. eine lobende Anerkennung erhalten. Hierfür Who´s who in American Jewry, New lehre bei Itten arbeitet sie in Weimar in der Durch ein Augenleiden ist Ruth Hildegard mußten die StudentInnen eine „Tür und York, 1926; 1928; 1938 Wandmalereiwerkstatt. Im Winter 1921/22 Geyer-Raack ab Mitte der fünfziger Jahre Umrahmung im M 1:1” und im 2.Vierteljahr 347 belegt sie auch Werkzeichnen. in ihrer Berufstätigkeit stark eingeschränkt, „Portal mit Gitter für die Umfassungsmauer 1922 kehrt sie nach Berlin zurück und hei- gibt ihre beruflichen Ambitionen aber auch eines Kriegerfriedhofes“ entwerfen. Raack ratet den Fliegeroffizier Hugo Geyer. Ruth bei Erblindung eines Auges nicht gänzlich könnte sich jedoch auch in der Sparte „Be- Hildegard Geyer-Raack bleibt auch nach auf. malung der Türfüllung eines Privathauses“ der Geburt eines Sohnes und einer Toch- Ruth Hildegard Geyer-Raack starb im beteiligt haben. HdKA, Jahresberichte

ter selbständig tätig. Die Ausmalung priva- Frühjahr 1975 in Berlin. Entwürfe von ihr 347 Immatrikulationsangaben nach Dietzsch. ter Wohnräume ist das Gebiet, mit dem sie befinden sich u.a. im Besitz der Neuen Verschiedene Autoren nennen lediglich die ab 1924 erfolgreich und bekannt wird. Ne- Sammlung in München. Teilnahme an Sommerkursen am Bauhaus. ben Wandmalereien entwirft sie Stoff- und Für biografische Informationen danke 348 Bei dieser Ausstellung sind Inneneinrich- Tapetenmuster, sie richtet Zimmer, zuneh- ich Sibylle Lehmann Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tungen u.a. von Marcel Breuer, Le Corbu- mend ganze Wohnungen ein. Geyer-Raack Quellen: sier / Jeanneret / Perriand, Adolf Loos, An- ist Mitglied im Deutschen Werkbund, für Gespräch mit Sibylle Lehmann am 23.9. dré Szivessy und Bruno Paul zu sehen. die Deutschen Werkstätten und die Firma 1995 Katalog. „IRA“, Köln, 1931 Schürmann tätig. 1928 veröffentlicht sie Nachlass R.H. Geyer-Raack HdKA: Jahresbericht der Unterrichtsan- „Betrachtungen über den farbigen Raum“. stalt des Kunstgewerbemuseums zu Wohnung für eine Junggesellin, IRA, 1930, Wohnraum Gemeinsam mit Elsa Fleischmann gestaltet Berlin Winterhalbjahr 1915/16 Deutsche Kunst und Dekoration, 60.Jg., sie 1930 die Ausstellung „Die gestaltende 1926, S.367-371 Frau“ bei Wertheim in Berlin. 1931 ist sie Architektur und Schaufenster, 24.Jg., Ruth Hildegard Raack mit Wandmalereien und Möbelentwürfen in 1927, September, S.11-12 Innendekoration, 38.Jg., 1927, S.110, spätere Geyer-Raack (ab 1922), der von Bruno Paul koordinierten Abteilung 117, 118; 39.Jg., 1928, S.71-72, 47.Jg., DWB der Deutschen Bauausstellung vertreten. 1936, S.212 ff., S.401-407 Als künstlerische Leiterin zeichnet sie im Deutsche Kunst, 1933, S.4-7; 1936, S.174-178 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar geb. 16.6.1894 Nordhausen - gest. 19.3. gleichen Jahr für die Internationale Raum- „Das Haus einer Malerin“, in: Haus Hof 1975 Berlin ausstellung in Köln verantwortlich, wobei Garten. Beilage zum Berliner Tageblatt, sie selbst dort - neben bekannten Namen 14.3.1935, Nr.11 „Räume im Haus der Meisterräume“, in: der Avantgarde - eine Wohnung für eine Studium an den Vereinigten Staatsschu- Das schöne Heim, Nr.8, 1936/37, S.69- Junggesellin ausstellt.348 72 len Berlin 1914 bis 1919, am Bauhaus Koch, Alexander: Wohnzimmer, Sitzek- Weimar 1920 bis 1922 Zum Beginn der dreißiger Jahre ist Ruth Hildegard Geyer-Raack in Berlin als Innen- wurde 1894 im Harz als Tochter des Pfar- architektin und Künstlerin etabliert. Sie Katalogcover der Internationalen Raumausstellung Blick vom Wohn- in den Schlafraum rers Richard Raack und seiner Frau There- entwirft Muster für Stoffe, Weberei und se geb. Panzer geboren. Sie besucht in Tapeten und wird Mitglied in der Reichs- Nordhausen das Königin-Luise-Lyzeum kulturkammer. Neben Privataufträgen und verbringt ein Austauschjahr im engli- erhält sie nun auch öffentliche Aufträge schen Bowiemonter. Als der Vater 1913 wie Ausmalungen von Hotels, einer Flie- zum Superintendenten in Berlin-Schöne- gerschule und des Krakauer Schlosses. berg ernannt wird, besucht Ruth Hildegard Auch die Innenausstattung der Belgischen die Abiturientenkurse des Dr. Voigt. Sie Botschaft in Berlin obliegt ihr. wechselt 1914 an die Unterrichtsanstalt Nach dem Krieg entwirft Ruth Hildegard am Kunstgewerbemuseum, wo sie als Stu- Geyer-Raack Stoffe und Inneneinrichtun- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dentin von Emil Rudolf Weiss, später von gen für Möbelhäuser und PrivatkundInnen. Bruno Paul insbesondere Schrift, Malerei Zu den größeren Aufträgen zählen die In- und Möbelentwurf studiert. Im Winterse- neneinrichtungen für die jugoslawische mester 1914/15 werden Entwürfe von ihr Botschaft und das von Paul Baumgarten ausgezeichnet, sie erhält den Jahrespreis umgebaute Hotel am Zoo. der Fachklassen und die Medaille der Kai- Als ihre Tochter ihr Studium an den Verei- serin.346 Studienarbeiten von Hildegard nigten Staatsschulen absolviert hat, arbei- Raack sind bisher nicht dokumentiert.

Biografien 385 ken und Kamine, Stuttgart 1937 sie um 1929 an der TH Stuttgart aufge- Eckstein, Hans: Die schöne Wohnung, nommen haben. München, 4.Aufl., 1941 Koch, Alexander: Hotels, Restaurants, Im Frühjahr 1932 absolviert Sigrid Rauter Café- und Barräume, Stuttgart, 1951 in Stuttgart das Vordiplom, bevor sie sich Arnold, 1994, S.414 unter der Matr.Nr. 45485 an der TH Char- eigene Publikationen: lottenburg einschreibt. 351 Sie tritt zum Geyer-Raack, R.H.: Betrachtungen über Wintersemester 1932/33 in das Seminar den farbigen Raum, in: Neue Frauen- kleidung und Frauenkultur, H.4, Novem- Tessenow ein. Als Studienarbeiten Rauters ber 1928, S.104 ff. lassen sich dort anhand der Karteikarte ein Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Deutsche Kunst und Dekoration, 61.Jg., „kleines Wohnhaus”, ein „kleines Sanatori- 1927/ 28, S.317; 62. Jg.,1928, S.253- 266 um”, eine „Dorfschule” - im Sommerseme- Internationale Raumausstellung Köln, ster 1933 - und ein „Hotel mit Geschäfts- Katalog, Köln, 1931 haus” nachweisen. Geyer[-Raack], Hildegard und Sibylle: Möbel und Raum, Berlin, 1955 Sigrid Rauter besucht auf Einladung des Bauhausstudenten Hans Keßler im Februar 1933 das Bauhausfest und nimmt die Ein- ladung Mies von der Rohes an, den Unter- Rahv, Natalie siehe Swan, Natalie Lisbeth Reimmann richt einmal zu besuchen. Ihr eigenes Urteil Elisabeth Reimmann 349 Im Archiv der TH Stuttgart lassen sich zum über diesen Besuch ist bisher nicht doku- mentiert. Keßler berichtet seiner Mutter Studium Sigrid Rauters keine Unterlagen geb. 23.1.1913 Berlin - Daten nach 1936 mehrfach brieflich über Dialoge mit der finden. Die entsprechenden Akten zählen unbekannt 352 zu den Kriegsverlusten. Ich danke Norbert „Stuttgarter TH-Studentin“. Becker für diese Information. Im Juli 1934 besteht Rauter die Diplom- Gaststudium an der TH Charlottenburg 350 Ewa Oesterlen geb. Freise kannte Sigrid hauptprüfung an der TH Charlottenburg 1935 bis 1936 Rauter aus dem Studium an der TH Stutt- mit einem Diplomentwurf bei Tessenow. Dabei dürfte es sich um das „Hotel mit gart, der TH Charlottenburg und der an- Studierende bei Tessenow ohne nähere Geschäftshaus” gehandelt haben. Die Ar- schließenden Berufstätigkeit. Nach 1945 Angaben. Lisbeth Reimmann wurde An- beit wird mit „3“ bewertet. unterhielten beide jedoch nur sporadisch fang 1913 in Berlin geboren. Über ihr El- Kontakt. Als Ewa Freise im Februar 1936 in die Pla- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ternhaus und ihre Vorbildung ist nichts be- 351 Rauter studierte ein Jahr vor Freise an der nungsabteilung des Luftfahrtministeriums kannt. Bei der Anmeldung zum Seminar TH Stuttgart, ein Jahr vor ihr in Berlin; d.h. eintritt, arbeitet dort bereits Sigrid Rauter. Tessenow gibt sie 1935 eine Heimatadres- 1929-32 in Stuttgart, 1932-34 in Berlin. Diese hat - ebenfalls nach Hinweisen Ewa se in Küsnacht bei Zürich an. Nach einem Oesterlens - inzwischen einen Postbaurat 352 Auszüge aus Briefen Hans Keßlers in: Bau- Vordiplom an der ETH Zürich volontierte namens Weiß oder Weist geheiratet. Mit haus Berlin, Weingarten, 1985, S.169 ff. sie im Zürcher Architekturbüro Steger, das ihm soll sie aus politischen Gründen Ende auch im Heimatort Reimmanns baute.354 353 Telefonat mit E. Oesterlen am 24.11.1997 der dreißiger Jahre nach Südamerika aus- Im Wintersemester 1935/36 studiert Lis- 354 Das Büro (Adolf) Steger und (Karl) Egender gewandert, nach 1945 nach Deutschland beth Reimmann im Seminar Tessenow an realisierte in Küsnacht das sachlich-moder- Sigrid Rauter zurückgekehrt sein. Außerdem soll sie der TH Charlottenburg, wo sie eine Schule 353 ne „alkoholfreie Restaurant“ des Strandba- spätere Weiß (ab ca. 1935), Mutter eines Kindes geworden sein. Wo entwirft. Diese Studienarbeit ist bisher un- des. Vgl. Hoffmann, Herbert: Gaststätten, und wie lange Sigrid Weiß nach dem Krieg Dipl.Ing. bekannt. Nach diesem Gastsemester ver- 1939, S.26 als Architektin beruflich tätig wurde, ist lässt Lisbeth Reimmann die TH Charlotten- Daten unbekannt bisher nicht bekannt. burg zum 22.2.1936. Wann und wo Lisbeth Quellen: Reimmann das Architekturstudium fortge- HTA Karteikarte Rauter setzt hat ist bisher ebenso unbekannt wie Private Fete im Januar 1933, Sigrid Rauter vorn mit Pfeife Studium an der TH Stuttgart ca. 1929 Keßler, Hans: Briefe, in: Hahn / Wols- ihr weiterer Lebensweg. bis 1932, an der TH Charlottenburg dorff, 1985, S.169 ff. Telefonat mit Ewa Oesterlen am 24.11. wahrscheinlich ab Herbst 1932 bis Juli Quellen: 1997 HTA, Karteikarte Reimmann 1934, Diplom

Sigrid Rauter ist eine Studentin im Seminar Tessenow, über die vor und nach dem Ar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar chitekturstudium fast nichts bekannt ist.349 Sie dürfte um 1909 geboren sein und wuchs - nach Erinnerungen Ewa Oester- lens - in einer wohlhabenden Kölner Fami- lie auf.350 Das Architekturstudium dürfte

386 Anhang Hilde Reiss stehen nach Aufgabenstellung bei Hilbers- [Hildegard Maria] Reiss, Dipl.Arch. eimer Entwürfe für Kleinwohnungstypen und eine Volksschule. In den Semesterferi- 355 Fritz Ruhemann (1891-1982) studierte an en volontiert sie erneut, dieses Mal bei Al- geb. 16.9.1909 Berlin - gest. 14.9.2002 den THs Charlottenburg und München, wo fred Gellhorn, der ihr hinsichtlich ihrer Mit- Capitola, CA / USA er 1913 bei Theodor Fischer diplomierte. arbeit an Möbel- und Fassadendetails, so- Anschließend arbeitete er für verschiedene wie an Schnitten und Ansichten der Sied- Architekten in Berlin, darunter Peter Beh- Studium an der TH Charlottenburg 1928, lung Haselhorst attestiert, dass sie „flott rens, Bruno Paul und Alfred Breslauer. In an der Staatlichen Hochschule Weimar und mit handwerklichem Verständnis (..) Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar den 20er Jahren betreibt er ein eigenes Bü- 1929 bis 1930, am Bauhaus Dessau 1930 ebenso selbständig wie fertig ausgebildete ro in Charlottenburg. Um 1930 erscheinen bis 1932, Diplom Kräfte“ arbeite.358 Bauten und Entwürfe in dem Buch „Fritz wurde 1909 als Tochter der Journalistin Reiss entwirft im Wintersemester 1931/32 Ruhemann, Architekt“. Er emigriert 1935 Charlotte Dorothea geb. Ruhemann (geb. neben den Kursen der Bau-/Ausbauabtei- nach England. lung bei Hilberseimer Siedlungsschemen 1886) und des Journalisten und Theater- 356 Lt. Zeugnis vom 9.3.1929 gründers Dr. Walter Arend Reiss (1882- verschiedener Wohndichte, eine Citybe- 357 Matr.Nr. 458, Immatrikulation am 21.10. 1950) in Berlin-Charlottenburg geboren. bauung mit Bürohäusern, eine „Kinder- 1930. Die beiden Semester aus Weimar Hilde Reiss wächst überwiegend bei ihrer stadt für die Junkers-Arbeitersiedlung mit Hilde Reiss um 1936 werden anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt Großmutter Selma Ruhemann in der Car- zugehörigen Schulen und Wohnhäusern”, gibt es 18 Studierende im „bau/ausbau“. merstraße auf. Ihr Onkel Fritz Ruhemann sowie bei Mies van der Rohe ein Wohn- ist Architekt, dessen Brüder sind Maler.355 haus. Es folgen im Sommersemester ein Sie lernt den amerikanischen Kollegen Wil- 358 Lt. Zeugnis Alfred Gellhorn vom 26.9.1931 - Ihr Onkel Erich Reiss, gründete 1908 in weiterer Entwurf für ein Einfamilienhaus liam Friedman kennen und kann mit ihm Gellhorn publiziert 1932 in der Bauwelt Berlin den gleichnamigen Verlag. sowie eine „Riesengebirgsbaude”. Mit dem einige wenige Projekte realisieren, wie das „Kleinwohnungen“, dort werden als Mitar- Diplomentwurf „Großstadt-Hotel“ schließt beiter Israel und Friedmann genannt, vgl. Hilde Reiss besucht die Fürstin-Bismarck- Appartment Pollak (1938) oder das Haus sie im August 1932 nach vier Semestern 362 Bauwelt, 22.Jg., 1932, H.41, S.1-3 Schule in Charlottenburg, wo sie 1928 das Stein in Pleasantville (1939). am Bauhaus ihr Studium mit dem Diplom Abitur ablegt um - wie das Abiturzeugnis 359 Die Einreise in die USA gelingt mit Hilfe ei- Nr. 89 ab. Arbeiten aus ihrem Weimarer ausweist - „Architektur zu studieren“. nes durch den Vater ausgestellten Affida- wie Dessauer Studium sind bisher unbe- vits. Walter Reiss lebt seit 1928 in New Sie immatrikuliert sich zunächst als Gast- kannt. Waldemar Alder erwirbt im Oktober Appartment Pollak, New York, 1938 York. Charlotte Ruhemann ist inzwischen hörerin an der TH Charlottenburg und ab- 1932 ebenfalls ein Diplom im Bereich Bau. mit dem Maler Martin Bloch verheiratet. solviert ihr Baustellenpraktikum im Frühjahr Beide gehen nach Berlin, wo Reiss am Ha- 1929 bei der Fa. Ernst Kuhl in Lichterfel- 360 Alder wird kurze Zeit später inhafiert und fenplatz eine Wohnung bezieht. Sie arbei- de.356 Ab dem Sommersemester 1929 stu- wg. Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. tet erneut im Büro ihres Onkels sowie bei diert sie für ein Jahr an der Bauabteilung 361 Die New School of Social Research orien- einem, bisher noch nicht identifizierten Ar- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Staatlichen Hochschule für Handwerk tierte sich im Lehrkonzept an europäischen chitekten, der nach ihren Aussagen „merk- und Baukunst in Weimar. Diese wurde mit Reformansätzen wie dem Bauhaus. würdige Vorstellungen von sparsamem dem Weggang des Bauhauses 1924 unter Wohnungsbau“ hatte. Hilde Reiss ist poli- 362 Zu Publikationen und Projekten vgl. S.218f. Leitung von Otto Bartning eingerichtet und tisch interessiert und aktiv, „Waldi“ Alder bietet ein praxisnahes Studium, in dem die „House Stein”, Pleasantville, 1938, Blick von Südosten seit 1929 Mitglied der KPD. Als sie sich Studierenden an Aufträgen der Lehrenden anlässlich der Reichstagswahlen 1933 an mitarbeiten. Ernst Neufert leitet die Bauab- Flugblattaktionen gegen die NSDAP be- teilung, Cornelis van Eesteren bietet in mo- teiligen, drängen die besorgten Eltern auf natlichen Kursen Städtebau an. Emigration.359 Hilde Reiss wechselt nach zwei Semestern Reiss verlässt Berlin im Mai 1933, um an ans Bauhaus Dessau. Hier wird sie zum Bord der „Deutschland“ nach New York zu Wintersemester 1930/31 direkt ins 3.Se- gelangen.360 In Manhattan arbeitet sie als mester aufgenommen. Sie freundet sich im Entwerferin in den Büros von Norman Bel- Studium u.a. mit Ernst Mittag und Walde- Geddes und Gilbert Rhode. Mit der remi- mar Alder an, studiert zeitgleich u.a. mit grierten Bauhaus-Kollegin Lila Ulrich teilt Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Wilke und Müller.357 Bei Engemann entwirft sie sich ein Apartment. Gemeinsam ent- sie ein „Kinderheim” und ein „Wochenend- werfen sie Umbauvorschläge und Innen- haus”, bei Alfred Arndt entstehen Möbel- einrichtungen, die publiziert aber nicht rea- entwürfe und Möblierungsvorschläge. Bei lisiert werden. Neben der Bürotätigkeit un- einem Wettbewerb für eine Garderoben- terrichtet Hilde Reiss ab 1936 an der ‘La- garnitur wird ihr Entwurf ausgezeichnet. In boratory School of Industrial Design’, ab den Semesterferien volontiert sie bei Fritz 1938 bis Ende 1940 „Interior Planning” an Ruhemann, im Sommersemester 1931 ent- der ‘New School of Social Research.361

Biografien 387 Wyoming mitzuarbeiten, planen sie Militär- designed products“ nach dem optimalen baracken für die Internierung der japani- Zusammenspiel von Gebrauchswert, Ma- schen Bevölkerung behelfsmäßig um. Die- terialgerechtigkeit und Ästhetik.363 Ab se Mitarbeit an einem der dunkelsten Kapi- Sommer 1946 erscheint regelmäßig das tel amerikanischer Geschichte beschäftigt „Everyday Art Quarterly - A Guide to well Reiss noch lange. Sie wechselt baldmög- designed Products“. lichst in eine - von ihr nicht sonderlich ge- Daneben entsteht in dieser Zeit in Zusam- liebte - Lehrtätigkeit und unterrichtet ab menarbeit mit William Friedman der Ent- 1943 an der San Francisco Labor School. wurf eines „Idea House“. 1947 wird mit Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bei der Housing Authority in Vallejo in der Hilfe von Spenden auf dem Gelände des Nähe San Franciscos kann sie als techni- Art Centers ein Musterhaus realisiert, das sche Beraterin bei der Durchführung eines trotz sehr begrenzter Mittel als begehbares sozialen Wohnungsbauprogramms tätig Ausstellungsobjekt modellhaft moderne werden. Sie richtet Musterwohnungen ein, Raumerlebnisse demonstriert. 1948 eröff- gibt die Beratungszeitung „Your Home“ net bleibt das „Idea House II” ein Jahr für

Blick in die „Everyday Art Gallery”, Walker Art Center, Minneapolis, 1946, Titel des Quarterly heraus. Nun ist Friedman arbeitslos. Er die Öffentlichkeit zugänglich und findet geht 1944 nach Minneapolis, wo er Leiter große Resonanz. der Ausstellungsabteilung und stellvertre- Unter dem Titel „where to see everyday Die Arbeiten werden publiziert und hoch tender Direktor des Walker Art Centers art“ meldet die Zeitschrift Ende 1949, dass gelobt, reichen für eine freiberufliche Exi- wird. Sie schlägt dem Direktor des Walker inzwischen an 37 Stätten in den USA zu- stenz jedoch nicht aus. Art Center, Daniel S. Defenbacher die mindest temporär angewandte Kunst aus- Gründung einer Galerie für Alltagsdesign Ende 1940 verlässt Reiss zusammen mit gestellt wird. Im Sommer 1950 erscheint vor. Nach Entwürfen von Hilde Reiss wird Friedman New York. Er wird Leiter der De- mit der 15. Nummer nach vier Jahren das diese „Everyday Art Gallery“ eingerichtet letzte „Quarterly“ unter einem „editor on Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar signabteilung des „WPA Art Projects“ Io- und im Januar 1946 eröffnet. 364 wa. Sie wohnen in Des Moines (Iowa) und leave: Hilde Reiss“. ziehen noch 1941 nach Denver in Colora- Als Kuratorin dieser Galerie initiiert Reiss Sie zieht nach San Francisco, konzipiert do um, wo Friedman Arbeit als technischer ab 1946 zahlreiche Ausstellungen zu ver- und entwirft im Auftrag der American Fe- Zeichner für die Armee annimmt. Reiss fin- schiedensten Themen. Sie konzipiert die deration of Arts eine Wanderausstellung det keine Gelegenheit, an ihre vielseitige Ausstellungen, entwirft die Präsentationen für Deutschland über erzieherisch wertvol- Ausstellung „Jewelry under 50 Dollars”, 1948 New Yorker Zeit anzuknüpfen. Die Rezes- und entwickelt manche auch als Wander- les, amerikanisches Spielzeug. Anschlie- sion bietet Architekten nur wenige Jobs. ausstellungen. Reiss´ Verständnis von „De- ßend ist sie als Mitarbeiterin im Büro Erich Als sich 1942 für beide die Chance bietet, sign“ als Bestandteil des Lebens ist weit Mendelsohns mit dem „Haus Russell” be- am „Heart Mountain Relocation Center“ in gefasst, sie beurteilt und propagiert „good fasst. Die Arbeitsathmosphäre entspricht 363 So finden sich in den „Quarterly“ auch Hin- weise auf einzelne Artikel in Architekturzeit-

schriften wie zu Fragen der Stadtplanung. „Idea house II”, Minneapolis, 1947, Hilde Reiss und William Friedman mit Malcolm Lein, Südostansicht 364 Nach ihrem Weggang, Reiss verlässt den Walker Art Center (und William Friedman) wahrscheinlich bereits Ende 1949, wird die Zeitschrift von Friedman herausgegeben, das „Quarterly“ in den 1950er Jahren in „Design“ umbenannt.

„Children´s Fair” im Walker Art Center, 1948

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388 Anhang 1939, S.30-35 + 90 publ. by the Deco- Rindler im Sommer 1931 auf die Suche rators Digest, Stamford, CT. Rockefeller nach einem Studienplatz. Zum Winterse- Plaza New York (ed. Harry V. Anderson) Weaver, Polly: Design for a modern ca- mester 1931/32 bewirbt sie sich an den reer, in: Mademoiselle, (Design for Li- Vereinigten Staatsschulen für freie und an- ving Number) February 1946, S.310 gewandte Kunst in Berlin als „Schülerin für McCausland, Elizabeth: Gallery of Ever- yday Art, in: Art & Architecture, March Innenarchitektur“. Hier wird ihr Antrag we- 1946, S.38-39,54 gen nicht ausreichender Vorbildung abge- „House Minneapolis“, in: Progressive lehnt, sie an die Fachschule für Tischler Architecture, February 1948, S.39-47 verwiesen. Rindler möchte Innenarchitektin Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar „Everyday Art Gallery“, in: Interior, In- dustrial Design, Vol.108, August 1948, werden, Tischlerin ist sie bereits. Sie be- S.98 (article: o.A.: The years work, wirbt sich umgehend am Bauhaus Dessau. S.76-113) „How livable is a Modern House?“ in: Dort scheint sich auch ihr Vater für ihren LIFE, October 18, 1948, S.105-108 Studienwunsch eingesetzt zu haben, denn Gillies, Mary Davis: „Planned by a Mu- wie das Beiratsprotokoll vom 11.11.1931 seum“ in: Mc Call´s Book of Modern Hou-ses, (Simon and Schuster) New vermerkt, erfolgt die probeweise Aufnahme York, 1951, S.64-73 „nach rücksprache des vaters mit der di- Wright, Bruce N.: Visions of a New rektion“. Wie im Einschreibebuch hand- Hilde Reiss, 1997 World? - The Walker Art Center: Idea House II, in: Hennepin History, Summer schriftlich vermerkt ist, wird sie bereits drei 1993, S.16-31 Tage später endgültig aufgenommen. Sentetos, Lorraine: Hilde Reiss - Foun- jedoch nicht ihren Vorstellungen. 1952 er- der and Manager of the Friends´ Library Offenbar entspricht das Unterrichtspro- öffnet sie ein Geschäft für moderne Möbel Store, Santa Cruz, 1994 gramm nicht gänzlich ihren Erwartungen, und Hausrat, sinnvolles wie sinnenfreudi- denn das Protokoll der Beiratssitzung vom eigene Schriften: ges Spielzeug. Das „House of Today“ in Hilde Reiss, et.al.: Design Students 15.12.1931 vermerkt unter den Anträgen: der High Street in Palo Alto wird auch ein Guide to the N.Y. World´s Fair, in: P/M „edit rindler 1.sem. möchte in der metall- finanzieller Erfolg. Hilde Reiss schließt das Magazine, 1939 werkstatt praktisch arbeiten. es ist ihr mit- diess./William Friedman: Plywood and inzwischen entlang der Westküste bekann- Fieldstone Walls are used in same Hou- zuteilen, dass die absicht besteht, lehrpla- te Geschäft 1976 und eröffnet im südliche- se, in: Architectural Record, März 1939, nungsänderungen vorzunehmen, wodurch ren Capitola ein kleineres, den „Pelican“. S.44-48 sich die frage erledigen wird.“ diess.: An Explanatory Guide to the 1985 schließt sie auch dieses Geschäft, Idea House, Walker Pamphlet, undat. - Ob das weitere Studium nach ihren Wün- gründet und betreibt aber noch weitere The Northwest Architectural Archives schen verläuft ist ebenso unbekannt wie zehn Jahre ehrenamtlich den „shop of the diess.: Housing Project As Progressive Community, in: Californian Arts and ihre Studienerfolge. Das Protokoll vom 2.3. friends of the library“ der Stadtbibliothek in Architecture, August, 1944, S.18-19 1932 vermerkt: „Egeler und Rindler erhal- Santa Cruz. Zugunsten der Bibliothek ver- ten Diplome.“ 365 Doch nur Ernst Egeler treibt sie sinnvolle und selbstverständlich Repsold, Margarete erhält am 8.3. ein Bauhaus-Diplom für sei- gut gestaltete, zumeist bibliophile Kleinig- siehe Knüppelholz, Margarete ne Arbeiten in der Bau-/Ausbauabteilung. keiten. Mehrfach kehrt sie - zuletzt 1979 - Edit Rindler führt ihr Studium am Bauhaus besuchsweise nach Berlin zurück. Hilde nach dem Umzug von Dessau nach Berlin Reiss starb im Herbst 2002 in Californien. nicht mehr fort. Welche Pläne sie anschlie- Quellen: Edit Rindler ßend verfolgt, wie lange sie in Berlin bleibt, BHD, NL Engemann Semester- und Prüfungslisten, ist bisher ebenso unbekannt wie ihr weite- Gespräche mit Hilde Reiss am 10.3. geb. 8.3.1913 Budapest - Daten nach res Schicksal. Es ist nicht auszuschließen, 1997 und 4.10.1998, sowie schriftliche 1933 unbekannt dass sie während des Holocaust in Ungarn Mitteilungen 366 365 Lt. Tagebuch des Bauhauses WS 1931/32, „Experiment in Change“, in: Arts and ermordet wurde. Decoration, Februar 1935, S.4-11 (Lila abgedruckt in Hahn/Wolsdorff, 1985, S.37. Studium am Bauhaus Dessau 1931 bis Quellen: Ulrich / Hilde Reiss) HDKA Best.8, Nr.116 Aufnahmeent- Dies dürfte jedoch eine Verwechslung mit „A Century Intervenes“, in: Arts and De- 1932 scheidungen WS 1931/32, Brief Edith Paul Reindl sein. Dessen Diplom im Ausbau coration, März 1935, S.42ff. (Lila Ulrich / Rindler an die Prüfungskommission datiert vom 12.4.1932. Ernst Egeler erhält Hilde Reiss) wurde am 8.3.1913 in Budapest-Sedlaca- vom 24.9.1931 „Gilbert Rhode heads Design Labora- BHD, NL Engemann, Beirats- und Prü- am 8.3.1932 ein (Bau/ Ausbau-)Diplom. tory“ in: Design, March 1936, S.40 ny als Tochter des jüdischen Kaufmanns fungsprotokolle, insbes. v. 15.12.1931 366 Bisher konnte Edit Rindler weder auf De- „American Bauhaus“ in: Architectural Alois Rindler geboren. Nach dem Besuch Staatl. Kunsthandel der DDR (hrsg.), Forum, 64:638, October 1936, S.43 des Realgymnasiums, das sie mit sech- Galerie am Sachsenplatz, Nr.26, Leipzig portations- noch Emigrationslisten nachge- „Two new Schools of Industrial Design zehn Jahren verlässt, absolviert sie eine 1983, S.24 „Edith Rindler (Architektin), wiesen werden. Nach Auskunft von Prof. open“ in: Architectural Forum, October Dessau 1931“ 1937, S.41 Tischlerlehre bei Josef Lippertz in Prag. Wolfgang Rindler, der 1938 mit einem Kin- „Design Laboratory at FAECT“, in: Ar- Dort betreibt ihr Vater einen Getreide- und dertransport Prag verlassen konnte, wurden chitectural Record, 82, Oct. 1937, S.41 Roeser, Margarete die Mitglieder der weitläufigen Familie Rind- „Design Laboratory“ in: Design, 39, No- Futtermittelhandel. siehe Knüppelholz, Margarete ler in Prag nahezu ausnahmslos ermordet. vember 1937, suppl.7 Nach Abschluss der Lehre begibt sich Edit Interior Design and Decoration, Februar Schreiben von W. Rindler vom 12.5.1998

Biografien 389 Ella Rogler zurück, der von ihr verehrte Gropius ist spätere Kreher (ab 5/1934) nicht mehr dort, sondern arbeitet wieder in der Kunsttischlerei Schmidt in Stuttgart. geb. 4.1.1909 Neusatz b. Odessa - lebt Dort kann sie mehrere Ladenausbauten re- in Wydenes/Niederlande alisieren. Mit ihrem Bruder Richard arbeitet sie anlässlich von Wettbewerben zusam- men. Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis So gehört Ella Rogler zu den Bauhausstu- 1929, an der Kunstgewerbeschule Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar dentinnen, die sich für Gestaltung im allge- Frankfurt/M. 1933 bis 1934 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar meinen und Architektur- und Möbelbau- wurde 1909 als mit Abstand jüngstes von projekte im besonderen interessieren. Da- sieben Kindern des Johann Rogler (1873 bei stehen die Projekte im Vordergrund, Petersthal -1960 Zeilsheim) auf dem elter- die formale Qualifikation eines Bauhaus- lichen Gut in der Nähe von Odessa gebo- zeugnisses oder Diploms erscheint über- ren. Sie wächst als Nesthäkchen mit je- flüssig. Sie wechselt direkt vom Studium in weils drei Schwestern und Brüdern auf. Ri- die Praxis. Manche der Anfang der dreißi- chard Rogler, der zweitälteste, studiert bei ger Jahre in Stuttgart entstandenen Möbel Ella Rogler um 1912 Ella Kreher in den 1970er Jahren Theodor Fischer Architektur in Stuttgart. nach Entwürfen Roglers werden bis heute Dorthin siedelt die ganze Familie 1917 auf im Familienbesitz genutzt. der Flucht vor der russischen Revolution 1933 studiert sie erneut, nun an der Kunst- seiner Familie als freier Maler lebt und über. Ella Rogler erwirbt am Olga-Gymna- gewerbeschule in Frankfurt am Main. Dort arbeitet. Ella Krehers Interesse für Kunst sium - wahrscheinlich 1927 - das Abitur. lernt sie den Kunstmaler Ernst Kreher (geb. und Architektur ist auch heute noch wach. Sie absolviert anschließend ein Tischlerei- 1907) kennen. Ihn heiratet Ella Rogler im praktikum bei der Kunsttischlerei Schmidt Mai 1934, nachdem sie - nach eigener Neben ihrer Familienarbeit hat sie ein bis- in Stuttgart, kommt dort in Kontakt mit Aussage - nach der Ernennung Hitlers zum her kaum beachtetes Werk geschaffen: Mazdaznan. In Stuttgart arbeitet sie auch Reichskanzler keine Möglichkeit mehr Auch wenn sie am Bauhaus nie in der We- in der Kunstgewerbewerkstätte Merz. sieht, als Frau eine berufliche Perspektive bereiwerkstatt studierte, so suchte und fand sie gerade in der Weberei zahlreiche Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Der Vater lässt sich in den zwanziger Jah- aufzubauen. Mit ihrem Mann zieht sie nach Ausdrucksmöglichkeiten. Ella Kreher lebt ren erneut mit einem landwirtschaftlichen Magdeburg, wo er den väterlichen Malerei- in Nordholland. Betrieb in Eschen/Grenz-Mark nieder. Die betrieb übernimmt. Ella Kreher erlernt am Schwestern haben erwartungsgemäß ge- Handwebstuhl autodidaktisch die Weberei Quellen: und bringt in den folgenden Jahren vier BHB, Umfrage des Bauhausarchivs heiratet. Ella Rogler möchte jedoch Archi- Darmstadt, Fragebogen Ella Kreher geb. tektur studieren, wobei sie Unterstützung Kinder zur Welt. Sie zeichnet, malt und Rogler, 1970er Jahre bei einem Schwager und ihrem bereits be- webt weiterhin. Der älteste Sohn wird auf- Gespräch mit Ella Kreher am 25.3.1998, Gespräch mit Axel Kreher am 7.2.1998 rufstätigen Bruder findet. grund gesundheitlicher Probleme von ihr Stuhl, um 1930 sehr intensiv betreut. 1942 flieht sie mit Zum Frühjahr 1928 schreibt sie sich am den Kindern vor den Bombardements in Sekretär, um 1932 Bauhaus Dessau ein. Sie wird am 28.April Magdeburg zu ihren Eltern nach Eschen. offiziell aufgenommen und wohnt zur Un- Röhl, Alexa siehe Gutzeit, Alexandra Dort kommt 1944 das fünfte Kind zur Welt. termiete in der Siedlung Törten. Rogler be- sucht nach der Grundlehre bei Albers die Bei Kriegsende flieht Ella Kreher mit Kin- Tischlereiwerkstatt und freundet sich mit dern und Eltern nach Frankfurt am Main. den aus Zürich stammenden Kommilitonen Hier beginnt ihr Vater als Getreidezucht- Hans Fischli und Max Bill an. Auf der Se- spezialist zum vierten Mal in seinem Leben mester-Prüfungsausstellung im September neu. Auch Ernst Kreher baut hier eine neue 1928 ist Ella Rogler mit einem Entwurf zu Existenz für seine siebenköpfige Familie einem „Einfamilienhaus” vertreten. Sie stu- auf. Ella Kreher widmet sich den Kindern und fördert bei deren Erziehung besonders Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar diert auch bei Kandinsky und interessiert sich sehr für Schrift bei Joost Schmidt. Sie die künstlerischem Talente. 1950 kommt entwirft u.a. Tapeten. Als Fischli und Bill die einzige Tochter bei einem Verkehrsun- sich 1929 beurlauben lassen, um im Zür- fall ums Leben, 1963 stirbt der älteste cher Büro Hubacher/Steiger an der Sied- Sohn. lung Neubühl mitzuarbeiten, ergreift auch Bis zum Tod ihres Mannes in den achtzi- Rogler die Chance zu einer dortigen Mitar- ger Jahren wohnt Ella Kreher in Frankfurt. beit. Dann siedelt sie in das nordholländische Sie kehrt anschließend nicht ans Bauhaus Wydenes über, wo einer ihrer Söhne mit

390 Anhang Roswita Rossius, Dipl.Ing. geb. 19.1.1908 Neubabelsberg - Daten nach 1932 nicht bekannt

Studium an der TH Charlottenburg 1927 bis 1932, Diplom

Studierende bei Tessenow ohne genaue Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Angaben. 1908 als Tochter des Architek- ten Ernst Rossius-van Rhyn (12.5.1874 Rhein, Ostpreußen - 7.9.1939 Berlin-Zeh- lendorf) in Neubabelsberg bei Berlin gebo- ren, dürfte Roswita Rossius mit zumindest einem Bruder in Berlin-Zehlendorf aufge- wachsen sein. In der dortigen Teichstr. 4, der heutigen Leo-Baeck-Straße, führt der Vater, seines Zeichens auch Professor ein Ilse Sahlmann Elfriede Schaar Büro, das auch „Baustube“ heisst. In den Elfriede [Meta] Schaar, Dipl.Ing., zehner Jahren betrieb er mit Paul Reuter geb. 15.3.1913 (Geburtsort unbekannt) - Bauamtmann/frau, HTG ein Architekturbüro in der Bellevuestraße. Daten nach 1935 nicht bekannt geb. 12.3.1911 Berlin-Lichterfelde - gest. Roswita Rossius schreibt sich am 4.Mai 4.12.1984 Berlin, begraben auf dem 1927 an der TH Charlottenburg für Archi- Studium wahrscheinlich ab 1932 an der Friedhof Alt-Mariendorf II tektur ein, verlässt die Hochschule jedoch TH Stuttgart, 1935 an der TH Charlot- 1928 schon wieder, um offenbar an einer tenburg anderen Hochschule weiter zu studieren. Studium an der TH Charlottenburg 1932 Im Mai 1930 immatrikuliert sie sich erneut Gaststudentin bei Tessenow ohne genaue bis 1937, Diplom und besucht ab diesem Zeitpunkt das Se- Angaben. Als sich Ilse Sahlmann unter der minar Tessenow. Bei ihm besteht sie 1932 Matr.Nr. 48073 im Frühjahr 1935 an der Elfriede Schaar wurde 1911 als Tochter ei- die Diplomhauptprüfung. Zu diesem Zeit- TH Charlottenburg immatrikuliert, gibt sie nes protestantischen Kaufmanns in Lich- punkt studiert nun auch ihr jüngerer Bruder eine Heimatadresse in Fürth an. In diesem terfelde geboren. Während der Kindheit er- Rosswyn, der zunächst das Seminar Poel- Sommersemester studiert sie im Seminar krankt sie an Kinderlähmung, weshalb sie zig besuchte, bei Tessenow. Von Roswita Tessenow und entwirft ein „Arzthaus”. erst im Alter von acht Jahren eingeschult Rossius lassen sich bisher weder Studien- Die Karteikarte vermerkt ein Vorexamen in wird. Zeitgleich mit der drei Jahre jüngeren arbeiten noch das Thema ihrer Diplomar- Stuttgart, welches sich jedoch aufgrund Klara Brobecker besucht sie das Goethe- beit nachweisen. Ebenso unbekannt ist ihr unvollständiger Unterlagen im Archiv der Lyzeum in Steglitz, wo sie 1932 das Abitur weiterer Lebensweg und damit auch, ob TH Stuttgart dort nicht belegen lässt. besteht. Wie Schaar auf die Idee kommt, und wo sie nach Abschluss des Studiums Demnach dürfte Ilse Sahlmann ihr Studium Architektur zu studieren, ist nicht bekannt. eine Anfangsstellung fand. zum Wintersemester 1932/33 - und damit Sie schreibt sich im Anschluss an das Abi- Dressler führt 1930 mehrere Herrenhäuser unmittelbar nach dem Abitur - an der TH tur an der TH Charlottenburg ein und be- in den Ostprovinzen und Landhäuser in Stuttgart aufgenommen haben. Im Oktober steht dort im Wintersemester 1935/36 die Vororten Berlins von Ernst Rossius auf. In 1934 besteht sie dort das Vordiplom. Diplomvorprüfung. Seit dem Studium ist Fachblättern der zwanziger und dreißiger Während ihres anschließenden, wahr- sie mit Hilde Eberle befreundet, die zeit- Jahre sind Wohnsiedlungen von ihm zu scheinlich nur einsemestrigen Gaststudi- gleich hier das Architekturstudium auf- finden. Klaus Müller-Rehm und Julius Po- ums im Seminar Tessenow wohnt sie in nahm. sener sollen von außergewöhnlich kuriosen der Bundesallee. Wo Ilse Sahlmann ihr Ar- Nachdem Elfriede Schaar zum Sommerse- Festen im Hause Rossius erzählt haben.367 chitekturstudium zu Ende führt, ist bisher mester 1936 ins Seminar Tessenow ein-

Quellen: unbekannt. Ebensowenig lassen sich bis- tritt, entwirft sie dort zunächst ein „Hand- HTA, Karteikarte Rossius her Spuren ihres Lebens nach dem Studi- werkerhaus”, dann eine „Dorfkirche mit LAB, Adressverzeichnisse Berlin um oder aus einer eventuellen Berufstätig- Schule”. Im Frühjahr 1937 bearbeitet sie O.W. Dresslers Kunsthandbuch, Bd. 2, Berlin, 1930, S.835 keit dokumentieren. einen „Gasthof” und im Zwischensemester Quellen: 1937 eine „Trink- und Wandelhalle”. Ob es HTA, Karteikarte Ilse Sahlmann sich bei der letztgenannten Aufgabenstel- Rossmannova, Marie lung um ihre Diplomarbeit handelt, ist nicht siehe Dolezalowa, Marie eindeutig: 1937 besteht sie jedoch mit ei- 367 Für diesen Hinweis danke ich Frau Müller- Ruehlberg, Inge siehe Stipanitz, Inge nem bei Tessenow entstandenen Entwurf Rehm.

Biografien 391 die Diplom-Hauptprüfung. Da sie anschlie- Ausbildung ergänzen zu wollen. Neben bleibt, ob Schmidt zu diesem Zeitpunkt ßend immatrikuliert bleibt, besteht der Ver- Bau-/Ausbau und Möbelkonstruktion be- oder zuvor an den VS studierte. Vor ihrem dacht, dass auch sie eventuell promovie- legt sie Mechanik, Mathematik, Geometrie, Studium bei Tessenow könnte sie ein Vor- ren wollte. Bisher lässt sich dies nicht be- Fachzeichnen, Farbe. Im Protokoll der diplom an einer Technischen Hochschule legen. Ob bzw. wo sie den Berufseinstieg Konferenz vom 29.3.1933 wird ihr Name erworben haben, denn in der von Tesse- findet, ist ebenfalls unbekannt. Freiberufli- letztmalig erwähnt. now geführten StudentInnenkartei sind che Tätigkeit und Regierungsbaumeister- Grete Schlagenhaufer dürfte bis zur Auflö- i.d.R. keine StudentInnen an den VS auf- laufbahn schieden aufgrund der gesund- sung des Bauhauses in Berlin studiert ha- genommen. Auf der Karte Schmidts ist das heitlichen Einschränkungen mutmaßlich ben. Ob sie danach zurück nach München Wintersemester 1932/33 sowie das Som- aus. geht - als Heimatadresse ist eine Münch- mersemester 1933 vermerkt. Als Arbeiten Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ner Adresse angegeben - oder in Berlin ih- sind ein ‘Arzthaus’ und ein ‘Berghotel’, als arbeitet Schaar bei der Bauverwaltung in re Studien fortsetzt, ist bisher unbekannt. Monatsaufgaben ein ‘Handwerkerhaus’ und eine ‘Brücke’ aufgeführt. Berlin-Steglitz, wo sie zum „Bauamtmann“ Quellen: ernannt und spätestens in den sechziger BHD, NL Engemann, Semesterliste Zwei Projekte und die Teilnahme an zwei Jahren im Stadtplanungsamt tätig wird. Sie 1932/33 2.Semester und Protokoll der Monatsaufgaben waren innerhalb eines Konferenz vom 29.3.1933, Bl.4 wohnt weiterhin in Lichterfelde, bleibt ledig Gastjahres im Hauptstudium ein durchaus und pflegt ihren Vater. Sie wird Mitglied denkbares Pensum. Die Recherche nach der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft. dem Studium Friedel Schmidts ist schwie- Elfriede Schaar wurde in den siebziger rig, da entsprechende Immatrikulationsun- Jahren pensioniert. Sie starb Ende 1984 in terlagen sowohl an der TH Charlottenburg Berlin. wie an den VS fehlen. Bekannt ist jedoch,

Für biografische Hinweise danke ich dass Friedel Schmidt in der Wollenweber- Klara Küster straße in Frankfurt/Oder beheimatet war und während ihres Gaststudiums in Berlin- Quellen: HTA, Karteikarte Schaar; Friedrichshain wohnte. HTG, Briefe sowie Todesanzeige Elfrie- 1933 gewinnt „Fridel” Schmidt beim Wett- de Schaar 1984 bewerb „Die schöne Wohnung mit Möbeln aus deutschem Holz” mit einem Wohnzim- Scheper[-Berkenkamp], Lou mer-Entwurf eine lobende Erwähnung. siehe Berkenkamp, Louise Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1934 wird sie in den BDA aufgenommen. Auch in späteren Jahren soll sie als Archi- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tektin in Frankfurt/Oder tätig gewesen sein.

Quellen: Grete Schlagenhaufer HTA, Studentenkarte Friedel Schmidt 25 preisgekrönte Zimmer, Bauwelt-Son- geb. 22.1.1890 München - Daten nach derhefte 10 und 11, Berlin, 1933, S.17 resp.20 1933 unbekannt Fridel [Friedel] Schmidt, BDA „Wohnzimmer aus Kiefernholz”, Wettbewerb 1933, Isometrie Studium an der Akademie München (?), keine biografischen Daten bekannt am Bauhaus Berlin 1932 bis 1933 Frl. Schmidt, Dipl.Ing.

Studierende am Bauhaus Berlin ohne nä- Studium an den Vereinigten Staats- keine biografischen Daten bekannt here Angaben. schulen Berlin, an der TH Charlotten- burg 1932 bis 1933 Grete Schlagenhaufer ist bereits 42 Jahre Studium an der TH Charlottenburg bis alt, als sie sich zum Herbst 1932 unter der Studierende bei Tessenow ohne genaue 1933, Diplom Matrikelnummer 618 am Bauhaus ein- Angaben. Sie dürfte um 1910 geboren und schreibt. Sie hat zuvor eine Handelsschule in Frankfurt an der Oder aufgewachsen Eine weitere Studentin namens Schmidt und eine Gewerbeschule absolviert, sowie sein. Da Friedel Schmidt nach Informatio- zählt Anfang der dreißiger Jahre zu den - dies vermerkt eine Semesterliste zu ihrer nen auf ihrer Karte in der StudentInnenkar- Studierenden bei Heinrich Tessenow an Vorbildung - eine Akademie besucht. Es ist tei Gasthörerinnenstatus besaß, ist bisher der TH. Zu dieser Studentin lassen sich bisher jedoch unklar, wo, was und wie lan- kaum ein Ansatzpunkt für eine Recherche bisher keinerlei Angaben eruieren. Die Kar- ge Grete Schlagenhaufer studiert hat, als ihres Werdegangs vorhanden. Ebendort teikarte von „Schmidt, Frl.“ enthält neben sie am Bauhaus 1932 in die Bau-/Ausbau- findet sich jedoch der Vermerk „2 Seme- dem Familiennamen nur eine Heimatadres- abteilung aufgenommen wird. Dort absol- ster in der Vereinigten Staatsschule für se in Zerbst und den Vermerk „Dipl.Ing. viert sie zugleich das erste und zweite Se- freie und angewandte Kunst“. Unklar 1932“. Hierdurch steht lediglich fest, dass mester, scheint eine vorangegangene die bereits 1932 diplomierte Studentin mit

392 Anhang der vorstehend genannten Fridel Schmidt Architektur ein und studiert u.a. bei den nicht identisch sein kann. Herren Keuerleber, Wetzel und Schmitt-

Quellen: henner. Sie hört Kunstgeschichte bei Hil- HTA, Studentenkarte Frl. Schmidt debrandt sowie Literatur bei Pongs. In die- ser Zeit freundet sie sich mit Martin Elsäs- ser an. Auch Brigitte und Walter Ruf ist sie Anmerkung zu Architektinnen namens seit dieser Zeit verbunden. Nach dem Vor- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Schmidt: diplom im Sommer 1933 bleibt Schneider immatrikuliert. Sie volontiert in Architektur- Der Nachrichtendienst der Reichsfrauen- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar führung vermeldet im Dezember 1938 un- büros, u.a. zwölf Monate bei dem Stuttgar- ter dem Titel „Die Architektin der Reichs- ter Architekten Hans Anton Geiger. frauenführung hilft einrichten“, dass als Ar- Zum Wintersemester 1934/35 schreibt sie chitektin ein Fräulein Schmidt, „die eine sich an der TH Charlottenburg ein und be- Auguste Schneider mit ihren Töchtern um 1915 Tischlerlehre durchgemacht hat und auch sucht das Seminar Tessenow. Dort beginnt praktisch im Baufach tätig war“ nun bera- auch sie mit der Entwurfsaufgabe „kleines tend zur Seite stehe, wenn Einrichtungen, Wohnhaus“. Parallel zu ihrem Architektur- Häuser und Heime der NS-Frauschaft ein- studium an der TH Charlottenburg besucht gerichtet werden. Denn schließlich soll „je- Gisela Schneider Gisela Schneider ebenso begeistert wie re- 368 Nachrichtendienst der Reichsfrauenführung de unserer Arbeit vielleicht noch fernste- Gisela [Maria Karoline] Schneider, gelmäßig die Klasse für Malerei von Eugen Nr.12, Dezember 1938, o.S. hende Frau (..) über die fachliche Beratung spätere Ehren (ab 22.1.1943), Schmoll an den Vereinigten Staatsschulen. 369 NL Ehren, Reifezeugnis vom 25.2.1931 und Betreuung hinaus noch einen anderen Dipl.Ing. Im Wintersemester 1935/36 nimmt sie bei 370 Lt. Zeugnis der Kunstgewerbeschule Stutt- Eindruck mitnehmen, nämlich den, in ei- Tessenow an einem der seminarinternen gart vom 15.7.1931, unterschrieben von nem schönen, harmonischen und zweck- geb. 18.6.1911 Remscheid - gest. 7.1. Stegreifwettbewerbe teil. Im Februar 1936 Otto Pankok. NL Ehren entsprechend eingerichteten Raum oder 1971 Krefeld wird ihr ‘Aussichtsturm’ mit dem 2. Preis 368 371 Tischlereipraktikum bei Peter & Carl Hein- Haus gewesen zu sein.“ prämiert. Bei diesem Stegreif belegt der möller, Remscheid, lt. Zeugnis 1.8. - 31.10. Im N.S.K. hatte U. Pfahl bereits Ende Sep- Entwurf ihres Kommilitonen Josef Ehren, Studium an der KGS Stuttgart 1931, an 1931. NL Ehren tember über eine „Architektin im Deut- der TH Stuttgart 1931 bis 1933 und an der ebenfalls zum Wintersemester 1934/35 372 Lt. Eintrag auf der SchülerInnenkarteikarte schen Frauenwerk“ berichtet. Dort ist ein der TH Charlottenburg 1934 bis 1937, nach einem Vorexamen in Aachen zu Tes- Schneider kurzes Interview mit dieser Architektin zu Diplom senow an die TH Charlottenburg gewech- finden, deren Name nicht erwähnt wird selt hat, den 3. Platz. 373 Josef Ehren entwarf als Diplomaufgabe (vgl. hierzu Kap.7). Da diese Architektin ih- wurde 1911 als älteste Tochter des Ernst 1936 entwirft Schneider ein ‘Postamt’ und 1937 eine Kunstfachschule. ren Werdegang anhand einer Tischlereileh- Schneider und seiner Frau Auguste Johan- ein ‘Hotel’.372 Bisher sind diese Arbeiten 374 Standesamt Berlin-Charlottenburg Nr.122/ re schildert und ihre Bauleitungstätigkeit ne geb. Schmidt in Remscheid geboren. ebenso wenig bekannt wie ihre Diplomar- 1943. Martin Elsässer hält die Hochzeitsre- besonders betont, besteht der Verdacht, Die Eltern sind evangelisch und beide als beit, die sie im Frühjahr 1937 bei Tesse- de und wird 1947 Patenonkel der Tochter. dass es sich in beiden Berichten um ein Volksschullehrer tätig. Gisela wächst ge- now bearbeitet.373 Im März 1937 erhält sie und dieselbe Architektin handeln könnte. meinsam mit einer jüngeren Schwester in ihr Diplom dem Prädikat „gut“. Gisela Schneider mit ihrem Reißbrett im Zug, um 1940 Remscheid auf. Der Vater fällt im ersten Weiterführende Informationen zum Schaf- Gisela Schneider beginnt im Anschluss an Weltkrieg, die Mutter heiratet erneut einen fen der für die Reichsfrauenführung tätigen das Studium als angestellte Architektin in Volksschullehrer. Gisela Schneiders Lieb- Architektin Schmidt konnten bisher nicht der Planungsabteilung des Reichspostmi- lingsfach in der Schule ist neben Musik recherchiert werden. Die Personalakten nisteriums in Berlin zu arbeiten. Offenbar und Französisch eindeutig Zeichnen. Nach der Reichsfrauenführung sind nicht archi- hat sie jedoch weitergehende Pläne oder dem Abitur am Oberlyzeum Remscheid im viert. Damit bleibt auch offen, ob evtl. eine sucht nach Alternativen. Als sie sich im Februar 1931 - im Abiturzeugnis ist ihr Be- der zuvor genannten Tessenowstudentin- Herbst 1937 beim DAAD bewirbt, um ihr rufswunsch mit „Volksschullehrerin“ ange- nen namens Schmidt als Architektin bei Architekturstudium im Studienjahr 1938/ geben - bewirbt sie sich an der Pädagogi- der Reichsfrauenführung tätig wurde. 39 in Paris zu vertiefen, gibt sie als Berufs- schen Akademie in Frankfurt.369 Quellen: ziel „selbständige Architektin“ an. Der An- BArchB, R 3903, XXVII/112/71 Bl. 256 - Da ihre Bewerbung abgelehnt wird, belegt trag wird abgelehnt, Schneider arbeitet Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Pfahl, U.: „Architektin im Deutschen sie im Sommersemester 1931 an der Würt- Frauenwerk“, in: Nationalsozialistischer weiterhin bei der Reichspost. Im Laufe des Kurier Nr.226 vom 27.9.1938 - tembergischen Staatlichen Kunstgewerbe- Jahres 1942 entwirft sie dort die Interra- „Die Architektin der Reichsfrauenfüh- schule Stuttgart künstlerisches Malen und diostation für das unweit von Bukarest lie- rung hilft einrichten....“ in: Nachrichten- Zeichnen sowie Werkstattarbeit.370 Nach dienst der Reichsfrauenführung, Nr.12, gende Oltrenitza, eine autarke Sendesta- Dez.1938, nur einem Semester bricht sie dieses Stu- tion mit kompletter Wohnsiedlung. dium ab und absolviert ab August in Rem- Gisela Schneider und Josef Ehren (25.11. scheid ein dreimonatiges Tischlereiprakti- Schneider, Gertrud 1912 - 1.1.1996) heiraten am 22. Januar kum.371 Zum folgenden Wintersemester siehe Schneider, Ursula 1943 in Berlin-Charlottenburg.374 schreibt sie sich an der TH Stuttgart für

Biografien 393 wierige Krankheiten der Kinder nehmen Gi- sela Ehren zeitweise völlig in Beschlag. Sie kehrt nach der Geburt der Kinder nicht in den Beruf zurück. 1951 wird Josef Ehren als Professor an der Werkkunstschule Kre- feld tätig. Gisela Ehren erlernt autodidak- tisch die Handweberei, interessiert sich für Eurythmie und malt ab den sechziger Jah- ren wieder verstärkt. Es entstehen zahlrei- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar che Bilder und Webarbeiten. Gisela Ehren starb 1971 im Alter von 60 Jahren in Krefeld.

Für biografische Informationen danke Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar ich Dr. Gabriel Ehren

Quellen: HTA, Studentenkartei, Gisela Schneider und Josef Ehren NL Gisela Ehren Ursula Schneider Briefliche Mitteilung von Dr. Otto Kindt vom 29.8.1997 Gertrud [Emilie Hedwig] (Ursula) Schneider, zeitweilige Warschauer (1920/21-1926), spätere Weiß, (ab 1928), Dipl.Ing.

geb. 19.1.1895 St. Petersburg - gest. 8.6. 1984 Berlin, begraben in Berlin

Studium an der TH Charlottenburg 1916 bis 1919, an der TH Darmstadt 1919 bis Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1923, Diplom, am Bauhaus Dessau 1927 bis 1928, an der Handwerkerschule Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Breslau 1941 bis 1942

wurde 1895 als Tochter des Ingenieurs Max Paul Hugo Schneider (geb. 18.4.1863) und der Pianistin Bertha Marianne geb. Sendestation der Interradio in Oltreniza, 1943, Gisela Ehren, Lageplan und Nordwestansicht des Sendegebäudes Familie Ehren in den 1960er Jahren Korn (19.6.1874 - 1966) in St. Petersburg geboren, wo sie bis 1908 mit zwei Schwe- stern und einem Bruder aufwächst. Dann Sie beteiligt sich im selben Jahr gemein- zieht die protestantische Familie nach Ber- Ursula Schneider 1918 sam mit Martin Elsässer am Wettbewerb lin-Friedenau. Der Vater arbeitet zunächst für den Neubau des Bahnhofs in Sofia. An- für Siemens & Halske, betreibt in späteren schließend bittet sie um Versetzung in die Jahren eine Drogerie. Gertrud Schneider 375 Im Gespräch mit Helga Schmidt-Thomsen Bauleitung der Sendestation nach Buka- besucht die Cecilienschule, ein Realgym- erzählte Ursula Weiß, dass sie zeitweise ei- rest. nasium. Dort wird ihr der Vorname Ursula nen Zeichentisch im Büro von Winkelmann Nach nur wenigen Monaten gerät sie 1944 zugeschrieben, der fortan informeller Be- gehabt habe. Sie könnte diese bereits als gemeinsam mit dem Kollegen Rasche in standteil ihres Namens wird. Schneider ist Schülerin kennengelernt haben, da Winkel- der Nähe von Oltrenitza in russische Ge- Mitglied im Wandervogel, um 1910 leitet mann ihr Büro um 1909 in der Hohenstau- fangenschaft. Erst 1946 kehrt Gisela Ehren sie die Ortsgruppe Berlin-Wilmersdorf. fen-, in den zehner Jahren in der Kurfür- nach Deutschland zurück. Josef Ehren be- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 1915 legt sie das Abitur ab. stenstraße betrieb, nicht allzu weit von wohnt inzwischen einen Bauernhof im nie- Schneiders Elternhaus entfernt. Zum Zeit- Wie sie auf die Idee kommt Architektur zu derrheinischen Nieuwkerk und betreibt ge- 375 punkt der Ausstellung „Die Frau in Haus studieren, ist bisher unbekannt. Die meinsam mit Robert Hermanns ein Archi- und Beruf” war Schneider 17, bei der Schwestern Hertha und Ilse werden Lehre- tekturbüro in Geldern. 1947 kommt eine Grundsteinlegung zum Viktoria-Studienhaus rin und Diakonisse, der Bruder Max Apo- Tochter, 1950 und 1955 Söhne zur Welt. 19 Jahre alt. Es wurde 1916 im Jahr ihres theker. Ursula Schneider schreibt sich zum Studienbeginns unweit der TH eingeweiht. Die abgelegene Mühle in Nieuwkerk erfor- Wintersemester 1916/17 an der TH Char- dert eine aufwendige Hauswirtschaft, lang- lottenburg für Architektur ein und studiert

394 Anhang zielstrebig. Bereits im Oktober 1918 legt nicht erhalten. Ursula Weiß wandert noch 376 Zulassungsantrag an die Diplomprüfungs- sie an der TH Charlottenburg die Vorprü- 1929 mit Mann und Sohn in die USA aus. kommission der TH Darmstadt vom 8.5. fung mit „ziemlich gut“ ab und bleibt bis Die Tochter bleibt beim Vater, beide emi- 1922: Sie wünscht die Prüfung nach der 1919 immatrikuliert. grieren in den dreißiger Jahren nach Eng- neuen Prüfungsordnung abzulegen und im Im gleichen Semester studieren acht wei- land. ersten Abschnitt die Fächer Baukonstruk- tere Studentinnen als ordentliche Hörerin- In den USA hofft Leo Weiß bessere berufli- tion, Formenlehre und Baugeschichte zu nen, darunter drei Bulgarinnen. Mit Maria che Möglichkeiten als Arzt vorzufinden. Die absolvieren, „der Eintritt in den staatlichen Berowa scheint Ursula Schneider näher Familie zieht auf der Suche nach Arbeits- Vorbereitungsdienst ist nicht beabsichtigt.“ 382 Hochschularchiv TH Darmstadt 12/263-1 bekannt gewesen zu sein, ein Semester möglichkeiten öfter um. In Madison/Wis- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar später als diese wechselt sie zum Winter- consin arbeitet Ursula Weiß 1931 zusam- 377 Dies ist ihr 10.Studiensemester, das Di- semester 1919/20 an die TH Darmstadt, men mit dem Corbusierschüler Hamilton plomthema ist unbekannt, die Arbeit nicht wo sie ihr Architekturstudium zunächst ein Beatty an einem Siedlungsprojekt. Dort er- erhalten. Diplomzeugnis vom 10.1.1923: Jahr lang weiterführt. Dann heiratet sie den reicht sie ein Brief von Josef Albers.383 Baukonstruktion „sehr gut“, Studienzeich- jüdischen Philologen Martin Warschauer, Familie Weiß kehrt 1933 nach Berlin zu- nungen und Studienarbeiten „sehr gut“, der in Heidelberg als Lehrer arbeitet. Zum rück. Ursula Weiß entwirft die Pläne zu ei- 378 Erwin Gutkind (1886-1968) plant in dieser Wintersemester 1921/ 22 schreibt sie sich nem Haus für die eigene Familie. Das Arzt- Zeit im Auftrag der Gesellschaft „Stadt und erneut an der TH Darmstadt ein. Als sie haus wird 1935 in Niederschönhausen re- Land“ die Wohnanlage “Sonnenhof”, die Ursula Schneider-Weiß um 1940 sich im Mai 1922 zur Diplomprüfung an- alisiert und zeigt auffällig wenig Einflüsse 1926 in Berlin-Lichtenberg realisiert wird meldet, weist sie als Praktikum sechs Wo- 384 der Bauhauszeit. 379 Albers verwendet ihre 1927 entstandene chen Mitarbeit im Büro von Prof. Otto Zol- Nach Kriegsende kehrt sie über Neustrelitz „materie- und schwerpunktstudie“ zur Illu- ler, Berlin-Charlottenburg nach.376 Sie be- nach Berlin zurück, wo sie als Sprachen- stration eines Artikels über die Vorlehre. arbeitet im Wintersemester 1922/23 ein lehrerin, dann an der Volkshochschule Bauhauszeitschrift, 2.Jg., 1928, H.2/3, S.6 von Prof. Paul Meißner gestelltes Thema Spandau als Dozentin für Russisch und des Wohnungsbaus als Diplomaufgabe in 380 Zwischen Februar und Oktober 1928 arbei- Englisch arbeitet. Ab 1947 bearbeitet sie Heidelberg und besteht das Diplom 1923 Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar tet auch Niegeman für die AHAG, auch er Ausstellungen der amerikanischen Militär- mit „gut“.377 ist an einem Projekt in Merseburg für den regierung, ab 1949 unterrichtet sie techni- Bau von 800 Wohnungen beteiligt. (vgl. de Ob Ursula Warschauer anschließend als sches Russisch an der Ingenieurhochschu- Wit, 1979, S.144) - Bei dem Schneidemühl- Architektin arbeitet, ist bisher unbekannt. le in Ostberlin. 1950 wird sie als freie Mit- Projekt handelt es sich wahrscheinlich um Im April 1924 kommt eine Tochter zur Haus Weiß, Bismarckstraße 14, 1935 arbeiterin am Institut für planwirtschaftli- den Neubau der Villa Max Sommerfeld. Vgl. Welt. Um 1925 zieht sie nach Berlin und 385 ches Bauen in Potsdam tätig. Ab 1954 hierzu Biographie Fernbach. 378 arbeitet im Büro von Erwin Gutkind. ist sie bei der Senatsverwaltung für Bau- 381 Wettbewerb „Eigenhaus der neuen Zeit der 1926 kommt ein Sohn zur Welt, die erste Keine zwei Jahre später trennen sich Leo und Wohnungswesen Berlin in der Baulen- neuen Welt“, Velhagen & Klasings Monats- Ehe wird geschieden. und Ursula Weiß, die Ehe wird 1940 ge- kung mit technischen Gutachten und Miet- hefte, 44.Jg., September 1929, S.90 Im Frühjahr 1927 schreibt sich Ursula schieden. Im Sommer 1938 arbeitet sie im preiskontrollen befasst. Als sie 1963 aus- Schneider unter der Matrikelnummer 173 Baubüro der Architekten Werner Harting. scheidet, engagiert sie sich in der Nach- 382 Familie Weiß wohnt zunächst in New York, am Bauhaus Dessau ein und besucht die Als 1939 eine Dienstverpflichtung droht, barschaftshilfe. In den siebziger Jahren lei- dann in New Jersey, dann in Madison/Wis- Grundlehre bei Josef Albers.379 Sie ist mit gibt sie an, als Wohnungsberaterin „au- tet Ursula Weiß baugeschichtliche Stadt- consin und in Le Center/Minnesota. Weiß, Johan Niegeman befreundet und arbeitet genblicklich in Vorbereitung zu selbständi- führungen. Sie starb 1984 in Berlin. die ihren Mann bei seiner Dissertation un- terstützt hatte, beteiligt sich nun an den in den Semesterferien 1927 im Baubüro ger Tätigkeit“ zu sein. 1941 besucht sie die Für biografische Informationen danke Gropius. Ab Herbst 1927 studiert sie in der Handwerkerschule in Breslau. 1944 wird ich Dr. Peter Weiß praktischen Vorarbeiten und der Auswer- nun von Hannes Meyer geleiteten Bauab- ihre Wohnung in Berlin ausgebombt, sie tung einer medizinischen Untersuchung. Quellen: (LL G. Ursula Weiß, 1954) teilung. 1928 verlässt sie das Bauhaus und kommt zunächst im Allgäu, anschließend NL Gertrud Ursula Weiß, heiratet den Vater ihres Sohnes, den Arzt in Westpreußen und Mecklenburg bei Ver- BHAB, Umfragebogen Ursula Schnei- 383 GET, SV Albers, Brief von Josef Albers an Leo Heinrich Weiß (geb. 12.9.1897 Eutin) wandten unter. der-Weiß, 1960er Jahre Ursula Weiss vom 13.3.1932: „und schik- NAI, NL Johann Niegeman in dessen Geburtsstadt. THD Archiv, Anmeldebögen Schneider, ken Sie uns einige begabte Amerikaner. Familie Weiß wohnt nun in Berlin-Zehlen- Schreiben M. Viefhaus vom 15.6.1998 Jetzt haben wir ca. 1 Dutzend hier.“ Es ist Stadtarchiv Darmstadt, Melderegister- unklar, ob Weiß diesem Wunsch entspricht. dorf. Ursula Weiß arbeitet für Adolf Som- Ursula und Leo Weiß, um 1935 bestand StA 12/18 merfeld, zunächst an einem Siedlungsbau Schmidt-Thomsen, Helga: Interview mit 384 1935 Bau des eigenen Hauses mit Arztpra- für das Leunawerk in Merseburg dann in Ursula Weiß am 10.2.1984 – ich danke xis in Niederschönhausen, Bismarckstr.14, Frau Schmidt-Thomsen für die Überlas- 380 Schneidemühl in der Bauleitung. 1929 sung ihrer handschriftlichen Notizen – heute Hermann-Hesse-Straße. beteiligt sie sich am Wettbewerb „Das Ei- vgl. auch Schmidt-Thomsen, Helga: 385 LL 1954. - Das Institut wurde um 1950 von genhaus der neuen Zeit, der neuen Welt“, Frauen in der Architektur. Neue Berufs- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar wege seit der Jahrhundertwende, in: Robert Lenz (1907-1976) geleitet, der am der vom Verlag Velhagen und Klasing aus- UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, Ber- Bauhaus im Frühjahr 1925 und im Frühjahr gelobt wird und gewinnt mit dem Entwurf lin, 1984, S. 23, 26 1926 in der Grundlehre, im Wintersemester „XYZ“ einen Ankauf.381 Das Projekt ist Gespräche mit Dr. Peter Weiß am 25.7. und 7.9.1997 1927 in der Metallwerkstatt studiert hatte.

Biografien 395 Christa Schöder Kir-che entworfen habe, die keine Mess- erneut. Auf dem Gelände des evangeli- spätere Mory (ab 1934) resp. diener- und Ankleidekammern vorsah. Am schen Hospitals wohnt Christa Carras-Mo- 24.1. 1933 tritt sie an der Kunstgewerbe- ry auch nach ihrer Pensionierung bis zu Carras-Mory (ab 1979) schule aus390, kehrt nach Berlin zurück ihrem Tod im Frühjahr 2000.

geb. 19.3.1913 Beeskow - gest. 20.4. und schreibt sich erneut am Bauhaus Quellen: 391 2000 in Berlin386 ein. Im Januar 1933 wird ihr Antrag vom Einschreibebogen KGS Wien vom 6.10. Beirat genehmigt, freitags vormittags auch 1932 und Studienbuch, Schreiben Silvia Herkt vom 17.2.1998, 392 die Weberei zu besuchen. Wieder stu- BHD, NL Engemann, semesterliste ws Studium am Bauhaus Dessau 1932, an diert sie auch bei Kandinsky, verbringt 32/33, Beiratssitzung 12.5.32, Bl.2, der Kunstgewerbeschule Wien 1932 bis aber die meiste Zeit in der Bauabteilung. Pkt.10, konferenz 29.3.1933 bl., o.Nr., 2 1933, am Bauhaus Berlin 1933 II, Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.1, Pkt.8 Für das Bauhausfest im Februar malt sie - Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, gemein-sam mit Kurt Robra - ein hinter- München, 1973 wurde 1913 als einziges Kind des Maschi- leuchtetes Wandbild.393 Hahn / Wolsdorff, 1985 nenbauingenieurs und gelernten Kupfer- Interview mit Christa Carras-Mory am schmieds Georg Schöder und seiner Frau Als 1933 Georg Schöder vorzeitig pensio- 29.1.1998, Brief von Christa Carras-Mo- ry vom 16.1.1998 Charlotte geboren. Charlotte Schöders niert wird, ziehen die Eltern nach Beeskow. Mutter arbeitet als Hebamme in Beeskow Nach der Schließung des Bauhauses zieht und ist dabei, als ihre Enkelin zur Welt auch Christa Schöder dorthin. Da sie sich kommt. während ihrer Schulzeit auch als Pflegerin Scholz, Maria siehe Müller, Maria ausbilden ließ, arbeitet sie nun als Pflege- Christa Schöder wächst in Berlin-Tegel Schrammen, Toni rin. In der Kirchengemeinde Beeskow lei- auf. In der Grundschule erkennt und för- siehe Haken-Nelissen, Toni von stet zu diesem Zeitpunkt Vikar Mory ein dert Zeichenlehrer Zadow ihr Talent. An- halbes Pflichtjahr ab. Noch 1933 verlobt schließend besucht sie das Dorotheen- sich Christa Schöder mit dem Vikar. Mit Oberlyzeum in Berlin-Moabit. Hier fördert ihm zieht sie 1934 - inzwischen verheiratet Frl. Schröder ihre kreativen Neigungen. Im - nach Billendorf, Kreis Sorau. Er tritt eine Frühjahr 1932 legt Schöder das Abitur ab. Pfarrstelle an, Christa Mory unterrichtet als Eigentlich möchte sie Malerin werden, die Katechetin. Für Architektur interessiert sie Eltern raten zu einem „bürgerlichen Studi- sich weiterhin. Als berufliche Perspektive enfach”. An der Staatlichen Hochschule kommt Architektur - nach nur drei Seme- Berlin wird ihr Aufnahmeantrag abgelehnt. stern Studium - jedoch nicht mehr in Fra- Hier hört Christa Schöder jedoch zum er- ge. 1937 wird eine Tochter geboren. Bis sten Mal vom Bauhaus. Sie fährt umge- 1942 bringt Christa Mory vier Söhne zur hend nach Dessau, schreibt sich unter der Welt. Ihr Mann steht der Bekennenden Kir- Matr.Nr. 596 am Bauhaus ein.387 che nahe und wird 1941 eingezogen. Er Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar In Dessau wohnt sie bei Frl. Salzgeber zur fällt 1943. Untermiete, das Zimmer kostet 30,-Mark Bei einem Bombenangriff auf Billendorf im Monat. Vormittags arbeitet sie vier 386 Angabe lt. Mitteilung von Ines Hildebrandt gehen kurz vor Kriegsende alle Zeichnun- Stunden bei Josef Albers, nachmittags be- am 4.5.2000. gen Morys, aber auch Schriftwechsel und sucht sie Vorlesungen bei Kandinsky. Sie Bauhauspapiere verloren. Sie läuft mit den 387 Einschreibbuch S.63 belegt im ersten Semester bereits die Bau- fünf Kindern von Billendorf nach Beeskow, 388 BHD, Beiratssitzung 12.5.1932, Bl.2, Pkt.10 abteilung, hospitiert auch in der Weberei. wo sie bei ihren Eltern Aufnahme findet. Von Mathematik wird sie befreit.388. Am 389 Dort wohnt sie zur Untermiete bei Frl. Lina Christa Mory ist nun alleinerziehende Mut- Bauhaus freundet sie sich mit Pius Pahl, Prauß in der Waaggasse 9 im V.Bezirk. ter und nimmt eine Stelle als Lehrerin an Grete Schroeder-Zimmermann Egon Rakette und Jan van der Linden an. 390 AAKW, Einschreibebogen Schöder, Schrei- der Beekower Schule an. Insbesondere geb. Zimmermann394, Dipl.Ing. ben Silvia Herkt vom 17.2.1998 Zum Herbst wechselt sie - zusammen mit der Zeichenunterricht ist ihre Sache, sie den Kommilitonen Rakette, Widmer, Kol- geb. 12.12.1887 Ribnitz - gest. 15.9.1955 391 Einschreibeliste, S.291. unterrichtet fast alle Zeichenklassen. 1954 tun und Mestetchkin - an die Kunstgewer- zieht Mory mit vier Kindern nach Kossen- Berlin 392 BHD, Beiratssitzung 11.1.1933, Bl.1, Pkt.8 389 beschule nach Wien. Eigentlich beab- blatt, ein Sohn wohnt inzwischen bei der 393 Vgl. Hahn/Wolsdorf, 1985, S.120 sichtigt sie dort bei Ramsauer Malerei und Großmutter in Stuttgart - um ein Gymnasi- Studium an der KGS Breslau 1906 bis bei Larisch Schrift zu studieren. Sie belegt 394 Zu Grete Schroeder-Zimmermann siehe um besuchen zu können. 1957 zieht Fami- 1909, an der TH Charlottenburg 1925 bis jedoch Baukonstruktion und Statik, stu- insbesondere Stratigakos, 1999. lie Mory nach Eggersdorf bei Straußberg. 1930, Diplom diert in der Architekturklasse bei Josef 395 Vgl. Kat. „Poelzig und seine Schule“, Ber- Als die Kinder in den sechziger Jahren aus Hoffmann. lin, 1931, S.5 dem Haus sind, wird Christa Mory Leiterin wurde 1887 in Ribnitz als Tochter des Felix Christa Carras-Mory berichtet, dass ihr Zimmermann und seiner Frau Olga geb. 396 Ab dem 1.1.1917. HdKA, Akte Schroeder- der Schwesternschule des Königin-Elisa- Entwurf im Wintersemester 1932/33 inso- Torkuhl geboren. Der Vater betreibt in Stei- Zimmermann, LL vom 12.12.1952 beth-Hospitals in Berlin-Friedrichshain. In fern ‘durchfiel’ als sie als Protestantin eine den späten siebziger Jahren heiratet sie nau an der Oder ein Baugeschäft.

396 Anhang Grete Zimmermann besucht hier die Höhe- tinnenstelle an der TH Charlottenburg. Sie Tony Simon-Wolfskehl re Töchterschule, bevor sie - ohne Abitur - verlässt die Hochschule jedoch nach wei- spätere Lasnitzki (ab 1924) ab 1906 bei Hans Poelzig an der Kunstge- teren drei Semestern und tritt eine Stelle in 397 In einem handschriftlichen Lebenslauf vom werbeschule Breslau Architektur studiert. der Hochbauabteilung des Oberfinanzprä- geb. 12.4.1893 Mainz - gest. 24.1.1991 12.12.1952 schreibt sie dazu: „Auf eigenen Ab 1909 arbeitet sie in Poelzigs Büro. So- sidiums Berlin an. Zum 16.4.1941 wechselt St. Idesbald sur Meer, Belgien Wunsch ausgeschieden, weil einer Frau nur wohl für die Chemische Fabrik in Luban sie in die Bauabteilung der Preußischen der Titel eines Regierungsbaumeisters ver- (1911) wie auch für die Römergrube bei Bau- und Finanzdirektion. Nach drei Jah- liehen werden sollte, also ohne Aufstiegs- Rybnik und die Annagrube bei Pschow ren löst sie auch diesen Arbeitsvertrag im Studium an der TH Darmstadt 1912 bis möglichkeit zum Regierungsbaurat.“ HdKA, wird sie als Mitarbeiterin genannt.395 gegenseitigen Einvernehmen, um in ihrem 1917, Fachexamen, am Bauhaus Weimar 1919 bis 1920 Best.16, Nr.148 1914 heiratet sie den Architekten und Zei- Heimatort Steinau Dachgeschosse und 398 Vgl. Eckhardt G.Franz: Juden als Darm- chenlehrer Reinhold Rudolf Schroeder Notwohnungen auszubauen. wurde am 12.4.1893 in Mainz als älteste städter Bürger, Darmstadt, 1984, S.377 (geb. 10.9.1889 Breslau). Während des er- Nach der Flucht im Januar 1945 landet sie Tochter des Weingroßhändlers Eduard Si- 399 Evtl. war bereits hier die Bekanntschaft mit sten Weltkrieges arbeitet sie im Hochbau- wieder in Berlin und wieder in der Hoch- mon-Wolfskehl (geb. 9.12.1862 Mainz) und Walter Müller-Wulckow hilfreich. Ein Groß- amt des Magistrats Breslau. Aufgrund ei- schule. An der nach dem Kriege neu ge- seiner Frau Anna (geb. 28.5.1873 Frankfurt onkel Simon-Wolfskehls arbeitete um 1898 ner Demobilisierungsverfügung wird sie gründeten Hochschule für Bildende Künste a.M.) geboren. Julius Wolfskehl, ihr Groß- als Regierungsbauführer in Mainz. Dessen dort - nachdem ihr Mann aus dem Krieg unterrichtet sie weitere zehn Jahre das vater mütterlicherseits, hatte die Frankfur- Vater, der Bankier und Politiker Otto Wolfs- zurückkehrt - zum 31.12.1916 entlassen. Fach Darstellende Geometrie, Schatten- ter Bank mitbegründet.398 Unmittelbar nach der Entlassung in Bres- konstruktion und Perspektive. Bauten kehl (1841-1907), hatte sich 1877 für die Tony wächst mit einer vier Jahre jüngeren lau tritt Grete Schroeder-Zimmermann in resp. Projekte aus dieser Zeit sind bisher Erweiterung des Polytechnikums resp. die Schwester in einem vermögenden Eltern- die Dienste des Hochbauamtes des Rats nicht bekannt. Gründung der TH Darmstadt eingesetzt. haus auf. 1900 kauft der Vater als Famili- zu Dresden „unter Stadtbaurat Poelzig“ Vgl. Eckhardt, 1984, S. 242 Grete Schroeder-Zimmermann starb 1955 ensitz ein Haus in der Frankfurter Beetho- ein.396 Hier ist sie mit der architektoni- 400 Im Darmstädter Melderegister lässt sich für nach einer Operation in Berlin. Ihr Nach- venstraße. Tony Simon-Wolfskehl besucht schen Ausarbeitung von Schulhausbauten sie keine Studienadresse nachweisen. lass befindet sich in der Berlinischen Gale- private Mädchenschulen, zunächst das In- und Feuerwachen befasst. rie. stitut Steimer, dann das Institut Schmidt. 401 Zum Sommersemester 1916 setzt auch die 1919 kommt ihre Tochter zur Welt. Wenige Quellen: Um 1911 legt sie am Mädchengymnasium Frankfurter Architekturstudentin Susanne Jahre später, um 1923 lässt sich Schroe- HdKA, Personalakte Grete Schroeder- Frankfurt das Abitur ab. Cohn hier ihr Studium fort. der-Zimmermann scheiden und betätigt Zimmermann Poelzig und seine Schule, Katalog, Berl- Zum Sommersemester 1912 schreibt sie 402 Angabe Lasnitzkis in verschiedenen Le- sich in Breslau als freiberufliche Architek- in, 1931 sich als ordentliche Studentin der Architek- bensläufen, u.a. BHA, Fragebogen Las-nitz- tin. Dies scheint wenig erfolgversprechend, tur an der TH Darmstadt ein. Wie sie auf ki. Das Fachexamen erlaubte eine etwas Schroeder-Zimmermann sucht nach der die Idee kommt, Architektur zu studieren, freiere Fächerwahl als das Diplom. Anmel- Möglichkeit eines akademischen Abschlus- ist bisher nicht bekannt.399 In Darmstadt dungen zum Fachexamen wurden nicht ses. Im Alter von 37 Jahren und 15 Jahre dürfte sie bei Verwandten - evtl. in der aktenkundig, wodurch im Archiv der THD nach ihrem Studium an der KGS Breslau Wolfskehlschen Villa in der Karlsstraße - kein Nachweis möglich ist. Ebendort ist erwirbt sie in Berlin das Abitur, um mit Hil- gewohnt haben.400 An der Hochschule stu- kein Antrag Simon-Wolfskehls auf Diplom- fe eines Preußischen Staatsstipendiums an diert sie zunächst sieben Semester, absol- zulassung vorhanden. - Ich danke Marianne der TH Charlottenburg erneut bei Poelzig viert dann wahrscheinlich ein Büroprakti- Viefhaus für die detaillierten Informationen. Architektur zu studieren. Sie besteht im kum und setzt das Architekturstudium - Das Diplom war an der THD als Studien- Frühjahr 1930 die Diplomhauptprüfung mit 1916 in Darmstadt zum Sommersemester abschluss für Studentinnen bis in die zwan- „sehr gut“ und tritt zum 19.5. eine Stelle fort.401 Nach acht Semestern schließt sie ziger Jahre umstritten. Die Zulassung ge- als Regierungsbauführerin im Hochbauamt im Frühjahr 1917 mit einem Fachexamen lang einer Studentin hier erstmalig 1921. des Kreises Niederbarnim-Teltow an. Hier ab.402 Vgl. Biografie Pilewski. besteht jedoch keinerlei Aussicht für sie , 403 Walter Müller-Wulckow unterstützte als als Frau eine entsprechende Stellung - als Durch einen Freund der Familie, Walter Kunsthistoriker das Neue Bauen. Er publi- verbeamtete oder gar leitende Regierungs- Müller-Wulckow, erfährt sie von dem ge- 403 zierte u.a.” Wohnbauten und Siedlungen”, baumeisterin - zu erreichen.397 rade in Weimar gegründeten Bauhaus. Begeistert bewirbt sich Simon-Wolfskehl Königstein, 1929. Bei ihrer telegraphischen Vor und während dieser Regierungsbau- per Telegramm im Mai 1919 um die Auf- Anmeldung am 28.5. 1919 beruft sie sich führerinnenstelle unterrichtet Schroeder- nahme.404 Gropius schlägt ihr vor, bis zum auf seine Empfehlung. SBW 155, Bl. 1091 Zimmermann als außerplanmäßige wissen- Herbst zu warten, sie reist jedoch enthu- 404 SBW 155, S.1093 schaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Schulze, Edith siastisch noch im Sommer an und wohnt Formenlehre und Baukonstruktion der TH siehe Dinkelmann, Edith 405 Fragebogen im BHA vom 15.8.1980 „direkt zur Untermiete „am Horn“.405 Ab Mitte Juli Charlottenburg (Prof. Mäkelt). Nach fast neben Keyserlingks“ bei Frl. von Burda; lt. Schuster, Helga siehe Karselt, Helga nimmt sie am Architekturkurs bei Paul neunjähriger Lehrtätigkeit, während der sie SBW 155 Bl.1088 wohnt sie bei Frau Borg- Schwerin, Ricarda Klopfer an der Baugewerkeschule teil - als auch ein Jahr lang das Fachgebiet Darstel- hild, Haus in der Sonne, Am Horn 47. siehe Meltzer, Ricarda einzige Studentin.406 Ab dem Sommerse- lende Geometrie, Schattenlehre und Per- 406 Jaeggi, 1995, S.118 - Simon-Wolfskehls mester 1920 arbeitet sie im Atelier Gropi- spektive des erkrankten Prof. Fader ver- Seitz, Luise siehe Zauleck, Luise Urteil über diesen Kurs ist unbekannt. us. Es ist nicht dokumentiert, an welchen tritt, erhält sie eine planmäßige Assisten- Siedhoff, Alma siehe Buscher, Alma

Biografien 397 Projekten sie in dieser Zeit mitarbeitet.407 Mit der Befreiung Belgiens am 13.9.1944 Auch Studienprojekte von ihr sind bisher kann Tony Lasnitzki zumindest wieder le- nicht bekannt. Nach ihren Angaben finan- gal leben. Die Firma ihres Mannes - Rode- ziert ihre Mutter dies eine Jahr, da sie in rich Lasnitzki wird 1943 in Auschwitz er- Darmstadt ein gutes Examen abgelegt mordet - bietet ihr eine Arbeitsmöglichkeit hatte. In dieser Zeit ist Tony Simon-Wolfs- als Vertreterin. Die vormalige Architektin kehl mit Carl Einstein quasi verlobt, sie löst Lasnitzki nimmt das Angebot an. Nach jedoch nach einem Jahr die Verbindung.408 zwei Jahren macht sie sich selbständig und verdient ihren Lebensunterhalt in den Auf dem Bauhaus-Fragebogen aus dem Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Jahre 1980 beschreibt sie die Zeit in Wei- fünfziger und sechziger Jahren mit dem mar folgendermaßen: „Bin nach der Hoch- Handel von Büroartikeln. schulzeit nur 1 Jahr am Bauhaus gewesen. 1968 wird nach ihrem Entwurf die „Villa Le Aber diese Zeit war ausschlaggebend für Sablier“ in der Elzenlaan in St. Idesbald sur mein Leben“.409 Warum Simon-Wolfskehl Meer gebaut. Dort unterhält Tony Lasnitzki lediglich ein Jahr in Weimar studiert, bleibt einen großen Freundeskreis. Sie schreibt unbenannt. Ihre Mitarbeit im Büro Gropius und malt bis zu ihrem Tod im Jahre 1991. bietet jedoch offenbar weder die Aussicht Bilder aus ihrem Besitz vermacht sie dem auf finanzielle noch ideelle Honorierung, Museum voor de Schone Kunsten in Gent. Leni Stahl-Langen mit Besserung der Auftragslage stellt Gro- Ihr schriftlicher Nachlass befindet sich - geb. Helena [Hermine Bertha] pius jüngere Herren ein. zumindest teilweise - im Besitz der Biblio- Langen In Frankfurt wird Simon-Wolfskehl als In- thek der Katholieke Universiteit in Brüssel. geb. 9.9.1888 Mönchengladbach - Daten nenarchitektin tätig und kann als Bühnen- Quellen: nach 1945 unbekannt architektin am Neuen Theater arbeiten. An SBW, 155, Schülerinnenakte Simon- Wolfskehl diesem privaten Frankfurter Boulevardthe- BHAB, Fragebogen Lasnitzki vom 15.8. wurde 1888 als Tochter des Bronzegießers ater im Westend kann sie ab Herbst 1921 1980 Hermann Langen (geb. 1842) und seiner bis Januar 1924 zumindest sechs Bühnen- Franz, Eckhardt G.: Juden als Darm- städter Bürger, Darmstadt, 1984 Frau Maria geb. Hackspiel (geb. 1851) in stücke mit eigenen Entwürfen ausstatten, Siedhoff, Thomas: Das neue Theater in Mönchengladbach geboren. Ihre Vorfahren darunter das Bühnenbild zu Wedekinds Frankfurt am Main 1911-1935, Frank- mütterlicherseits waren Gartengestalter in „Frühlingserwachen“.410 furt/M., 1985 Archiv der THD - mit Dank an Marianne kurköllnischen Diensten. Nach dem Be- Sie heiratet 1924 den Berliner Grafiker Ro- Viefhaus, Schreiben vom 15.6.1998 such eines Lyzeums besucht sie die Han- 407 Im Januar 1920 wurde das Atelier Gropius derich Lasnitzki (17.6.1896 Berlin - 8.8. delsschule in Limburg a.d. Lahn und wird von Adolf Sommerfeld mit dem Bau des ei- 1943 Auschwitz), der als Reklamechef der zunächst in Bonn als Angestellte im Groß- genen Hauses, dann für die Häuser in der Zenia Gstetner in Saarbrücken arbeitet. Mit handel tätig. Danach ist sie u.a. als Ent- Kamillenstraße beauftragt. Für den benach- ihm zieht sie zunächst nach Saarbrücken, werferin für Raumkunst bei der Möbelfirma barten Asternplatz wurde ein ‘Bauhof’ als bevor er nach Berlin versetzt wird, wo sie Kaaf in Köln sowie als Ausstellungsgestal- Holzkonstruktion projektiert. (Vgl. Jaeggi, ab 1927 in der Reichsstraße in Charlotten- terin der Rheinischen Spitzenkunst GmbH 1995, S.133.) An diesem Projekt soll Ernst burg wohnen. in Düsseldorf tätig. Neufert beteiligt gewesen sein. 1920 wur- den im Büro noch zwei weitere, ebenfalls Als Roderich Lasnitzki 1933 aus rassi- 1914 heiratet sie in Berlin den Architekten nicht realisierte Projekte bearbeitet: „Beam- schen Gründen entlassen wird, siedeln sie Adolf Joachim Stahl, der seit 1912 ein ins tenhäuser am Schwansee” sowie ein „Be- nach Gent in Belgien über. Dort wird er im Handelsregister eingetragenes Architektur- bauungsvorschlag des Belvederer Berges”. Mai 1940 von der Gestapo verhaftet und büro als Firma betreibt. Er konvertiert 1915 (Vgl. Probst/Schädlich, 1985, S.89.) nach St.Cyprien deportiert. Tony Lasnitzki zum katholischen Glauben. 1916 kommt flüchtet nach Frankreich, wo sie ebenfalls eine Tochter zur Welt. Während ihr Mann 408 Carl Einstein (1885-1940) hielt sich um verhaftet und in Tournai interniert wird. im ersten Weltkrieg als Soldat dient, führt 1919 ebenfalls zeitweilig in Weimar auf. Nach Bombardements flüchtet sie über Leni Stahl-Langen das auf Laden-, Fassa- 1925 gab er mit Paul Westheim den „Euro- Calais zurück nach Gent, wo sie bei einem den- und Schaufensterbauten spezialisier- pa-Almanach” heraus. katholischen Geistlichen Aufnahme findet te Architekturbüro in der Dahlemer Köni- 409 BHA, Fragebogen Lasnitzki vom 15.8.1980 und ihren Lebensunterhalt als Sprachen- gin-Luise-Straße allein weiter. 410 Vgl. die rekonstruierten Spielpläne in: Sied- lehrerin verdient. 1942 muss sie untertau- Joachim Stahl kehrt verwundet aus dem hoff, Thomas: Das neue Theater in Frank- chen. Dank Iréne Demanet, die ihr Dach- Krieg zurück. 1919 wird ein Sohn geboren. furt am Main 1911-1935, Frankfurt/M., 1985 kämmerchen als Versteck zur Verfügung Als die Kinder älter werden und ihr Mann Entwürfe Tony Simon-Wolfskehls finden in stellt, gelingt es Lasnitzki länger als zwei aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht Theaterkritiken mehrfach Erwähnung, ha- Jahre unentdeckt in Gent zu überleben. In mehr voll arbeitsfähig ist, tritt Leni Stahl- ben sich nach bisherigen Recherchen je- dieser Zeit verfasst sie ein Kinderbuch für Langen ab 1930 als Geschäftsführerin auf. doch nicht erhalten. ein befreundetes Kind. Sie führt im Büro Stahl und Langen nicht

398 Anhang nur die Bücher, sondern übernimmt auch Inge Stipanitz Natalie Swan 411 planerische Arbeiten. In den dreißiger spätere Ruehlberg Nat[h]alie Swan, zeitweilige Swan Jahren führt das Büro Stahl und Langen Rahv (1940er Jahre), B.A., R.A. Inneneinrichtungen, Landhausbauten und geb. 29.5.1912 Mährisch Ostrau Gartengestaltungen aus. geb. 14.9.1912 New York City, N.Y. - Mit der Einführung des Reichskulturkam- gest. 25.6.1983 Boston, Massachusetts, Studium am Bauhaus Dessau und Berlin mergesetzes 1933 beginnen für das Büro begraben in Farmington, Connecticut 1931 bis 1933 allerdings noch weit größere Probleme als die kriegsbedingten gesundheitlichen Pro- wurde 1912 in der Tschechoslowakei ge- Studium am Bauhaus Dessau und Berlin bleme Stahls: Nachdem seine Aufnahme in boren. Über ihre Familie ist bisher nur be- 1932-1933, an der Columbia University die Kammer aufgrund seiner jüdischen Ab- kannt, dass sie die tschechische Staats- New York 1933 bis 1937, B.A. stammung abgelehnt wird, bemüht sich bürgerschaft besitzt. Da Inge Stipanitz Stahl-Langen um Aufnahme in die RKK. 1931 als Heimatadresse „Ignaz Schacht“, wurde 1912 in New York als älteste Toch- Auch ihr Antrag wird abgelehnt, da sie mit Mährisch Ostrau angibt, könnte ihr Vater ter von Joseph Rockwell Swan (1878 - 412 einem Juden verheiratet sei. als Bergbauingenieur im ostpreußischen 1948) und seiner Frau Nathalie geb. Hen- Mit der Scheidung erreicht sie 1938 ihre Kohlenrevier tätig gewesen sein. Stipanitz derson geboren.414 Nathalie Henderson Aufnahme. Von Kollegen denunziert, da sie besucht zunächst eine Volksschule, dann hatte am Barnard College in New York stu- mit dem Gatten weiterhin im selben Haus ein Reformgymnasium und erwirbt das diert und einen Bachelor erworben. Der 411 „Meine Berufswahl und Ausbildung verdan- wohne, wird ihr erneut Berufsverbot erteilt, Abitur. Vater leitet u.a. eine Privatbank. Nathalie ke ich keinerlei Fachschulunterricht, son- dessen Einhaltung fortan von der Gestapo Als sie sich im Herbst 1931 unter der Matr. Swan, die sich in späteren Jahren auch dern meine Kenntnisse und Erfolge beruhen überwacht. Nr. 564 am Bauhaus Dessau einschreibt, „Natalie” schreibt, wächst in New York ge- ausschließlich auf der Erfahrung einer lang- Wie es Leni Stahl-Langen schafft, ihre Fa- ist sie im Besitz eines Abiturs. Da sie im meinsam mit zwei Schwestern in großbür- jährigen, beruflichen Tätigkeit in der Pra- milie in den nächsten Jahren zu ernähren, Winter 1931/32 nicht nur die Grundlehre gerlichen Verhältnissen auf. Eine ihrer xis!“ - Stahl-Langen, Schreiben vom 17.6. ist bisher unklar. Als das Haus in Dahlem bei Albers besucht, sondern bereits als Schwestern studiert in den dreißiger Jah- 1939 von Bomben getroffen wird und der Sohn „Geselle“ der Tischlerei geführt wird, bringt ren ebenfalls am Barnard College. 412 „Bei der Prüfung der in ihren persönlichen bei Stalingrad fällt, zieht sie sich aus der Inge Stipanitz wahrscheinlich auch hand- Als sich Swan im Herbst 1932 in Dessau Verhältnissen begründeten Tatsachen ...“ Architektur ganz zurück. Das Beispiel des werklich technische Vorerfahrungen mit. unter der Matrikelnummer 626 am Bau- lautete die Umschreibung für die vermeint- Büros Stahl und Langen macht deutlich, Für diese Annahme spricht auch, dass sie haus einschreibt, hat sie das Vassar Col- lich nicht vorhandene „erforderliche Zuver- wie systematisch die Reichskulturkammer- schon im Januar 1932 zur Baustofflehre für lege in Poughkeepsie drei Jahre lang be- lässigkeit“. Ibid., Schreiben vom 26.11. gesetze im Interesse arischer Kollegen be- das zweite Semester zugelassen wird.413 sucht.415 Durch wen sie nach Studien in 1937 reits etablierte, freiberufliche Existenzen Im Sommersemester studiert sie in der Botanik, Philosophie, Psychologie, sowie 413 BHD, NL Engemann, Protokoll der Beirats- vernichteten. Darüber hinaus wird klar, wie Bau-/Ausbauwerkstatt. Nach Erinnerungen Bau- und Kunstgeschichte nach Deutsch- sitzung 5.1.1932, Bl.1, Pkt. 5: „baustoffleh- verletzbar die autodidaktisch erworbenen Carl Bauers wohnt Inge Stipanitz in Des- land kommt und sich augenscheinlich ziel- re II.semester. mit zustimmung von herrn Qualifikationen von Leni Stahl-Langen im sau in einem Schlösschen im Park und gerichtet am Bauhaus in der Bau-/Ausbau- studienrat müller wird den studierenden Berufsfeld Architektur waren. nimmt das Mittagessen regelmäßig ge- werkstatt einschreibt, ist bisher nicht be- des I.semesters: hilgers, stipanitz und ulrich Quellen: meinsam mit Annemarie Wilke und Walter kannt. Natalie Swan hatte bereits prakti- teilnahme am II.semester baustofflehre ge- LAB, Adressbücher der Stadt Berlin, Peterhans ein. sche Erfahrungen in Tischlern, Töpfern, stattet.“ Rep.10-02 Nr.16642 Malen und Geometrie gesammelt. Evtl. Im Wintersemester 1932/33 studiert sie 414 Swans sind eine sog. Mayflower-Familie. hatte sie am Vassar auch Vorlesungen - gleichzeitig mit Lila Ulrich - im dritten Se- über Architektur gehört. Vielleicht kannte 415 Natalie Swan war am Vassar College Mit- mester in der Baulehre und zieht mit dem sie William T.Priestley oder Bertrand Gold- glied einer Clique, deren Mitglieder Mary Bauhaus nach Berlin um. Ihre Studienar- berg, die es sich ebenfalls leisten konnten, McCarthy - ebenfalls am Vassar - als Vor- beiten sind nicht bekannt. Inge Stipanitz wegen des Studiums am Bauhaus nach lage für ihren Bestseller „The Group“ dien- spätere Rühlberg soll das Architekturstu- Deutschland zu kommen. Sie zieht mit ten (deutsche Übersetzung „Die Clique“, dium nach der Schließung des Bauhauses dem Bauhaus von Dessau nach Berlin um, München, 1964). Allerdings variiert McCar- nicht weitergeführt haben. Ihr weiterer Le- kehrt jedoch bald in die USA zurück.416 thy die biographischen Angaben erheblich. bensweg wurde nicht recherchiert. „The Group“ wurde in Teilen auch im Parti- Ab Herbst 1933 immatrikuliert sie sich an Quellen: san Review abgedruckt. McCarthy war zwi- der ‘School for Architecture’ der Columbia BHD, NL Engemann, Protokoll der Bei- schen 1937 und 1947 Mitarbeiterin der Re- ratssitzung vom 5.1.1932, Semesterliste Universität in New York. Ihre Zeit am Bau- view. Wenig aufschlussreich ist auch die WS 32/33 v. 29.3.1933 haus wird offenbar nicht anerkannt, sie ab- Briefe Hans Keßler an Inge Stipanitz von McCarthy 1949 verfaßte Erzählung solviert das volle Vier-Jahres-Programm vom 8.8.1932 und 24.9.1932, abge- „Oasis“ (New York, dt. Übersetzung: Sie druckt in Hahn/Wolsdorff, 1985, S.166f. und erhält im Juni 1938 ihr Diplom. Im Ma- und die anderen, München, 1965), in der Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, sters-Jahr ist sie nicht mehr immatrikuliert. München, 1973 sie den Typus der Ehebrecherin karikiert. Gespräch mit Carl Bauer am 8.11.1997 Da sich ihre Studentinnenakte an der Co- Stam[-Beese], Lotte siehe Beese, Lotte in Hannover lumbia nicht erhalten hat, sind weder ihr 416 Ob sie in Berlin bis zur Auflösung studiert, ist unklar.

Biografien 399 Studienprogramm noch das Thema ihrer Quellen: Bisher lassen sich keinerlei Hinweise fin- Diplomarbeit bekannt. Während ihres Stu- „Nathalie Swan a bride“, New York den, wo Galina Taizale ihr Architekturstu- Times 8.3.1941, orbituary Natalie Swan diums unterrichten an der School of Archi- Rahv, New York Times vom 28.6.1983 dium fortsetzte, ob und wann sie ggf. nach tecture u.a. Jan Ruthenberg und Werner Archiv der Columbiana Library, Colum- Finnland zurückkehrte: Auch ihr weiterer Hegemann.417 Unter den Lehrenden ist bia University, New York, Alumniver- Lebensweg ist bisher unbekannt. zeichnis und Veranstaltungsverzeichnis- auch Carol Aronovici, der Vorlesungen zu se der School of Architecture Quellen: „Housing development“ und „Architecture JP Morgan, New York, Schreiben Ber- HTA, Karteikarte Taizale - A 292 and Urbanism“ hält.418 Während des Stu- nadette Traub vom 5.10.1998 State Education Department, Division of diums ist Swan unter der Adresse ihrer Professional Licensing Services, Schrei- Eltern gemeldet. ben Ellen Sagar vom 2.11.1998 Sie zieht nach dem Diplom nach Chicago um, wo sie nach Aussagen von Saul Bel- low mit ihrem späteren Mann zu dem Kreis um Moholy-Nagy gehört. Die „New York Times” meldet am 8. März 1941 ihre Hoch- zeit mit dem Journalisten und Philip Rahv (1908-1973). Rahv hatte 1934 gemeinsam mit William Phillips die „Partisan Review“ gegründet und gibt diese 35 Jahre lang heraus.419 Die Ehe wird nach wenigen Jah- ren geschieden und bleibt kinderlos. Laut Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Pressemeldung ist Natalie Swan zum Zeit- punkt der Hochzeit Partnerin im Chicagoer Architekturbüro von John B. Rodgers und Bill Priestley. Beide haben ebenfalls so- 417 Hegemann bietet im Studienjahr 1935/36 wohl kurzzeitig am Bauhaus Berlin studiert einen Entwurfskurs und das Seminar „The als auch an der Columbia University diplo- Plan of New York City“ an. miert.420 Ein derartiges Büro lässt sich in 418 Announcements der School of Architecture Chicago bisher nicht nachweisen.421 1932/33-1942/43. „Contemporary Architec- Andeutungen im Briefwechsel von Hannah Galina Taizale Elisabeth von Tippelskirch ture“ wird ab 1936/37 - also Natalie Swans Arendt und Mary McCarthy - beide publi- [-Knobelsdorff]423 drittem Studienjahr - von Talbot Faulkner geb. 2.8.1910 (Geburtsort unbekannt) - zieren in der „Partisan Review“ - erwecken geb. Elisabeth [Mathilde Marie Ol- Hanlin vertreten. In ihrem Diplomjahr unter- den Eindruck, dass Swan Rahv während Daten nach 1936 unbekannt ga] von Knobelsdorff, Dipl.Ing., richten außerdem Raymond Unwin und Fre- der Ehe ihre beruflichen Ambitionen nicht derick Kiesler (Laboratory of design corre- Regierungsbaumeisterin a.D., AVB umsetzen kann, mit gesellschaftlichen Ver- Studium an der TH Charlottenburg zu- lation). pflichtungen beschäftigt ist. Ihre Zulassung mindest zwischen 1934 und 1936 geb. 17.6.1877 Potsdam - gest. 29.4. 419 Zur Rolle der „Partisan Review”, vgl. Orton/ als „registered architect“ 1947 im Staat 1959 Bassum Pollock, 1996, S.144ff. und Gilbert, J.B.: New York zeigt jedoch, dass sie ihre Ambi- Zu den ausländischen Gaststudentinnen Writers and Partisans: A History of Literary tionen als Architektin nicht aufgibt. Was bei Heinrich Tessenow, deren Hintergrund Radicalism in America; New York, 1968 und wie Natalie Swan gebaut hat, ließ sich und weiteres Leben bisher unbekannt ist, Studium an der TH Charlottenburg 1907 bis 1911, Diplom 420 Priestley 1935, Rodgers 1942 nicht ermitteln, über ihre Berufstätigkeit ist zählt die aus Helsingfors stammende Gali- bisher nahezu nichts bekannt. Sie soll in na Taizale. 421 Lt. Erinnerung von George Danforth hatten wurde als einzige Tochter des Generalma- Chicago, New York und Boston als Archi- Rogers und Priestley ihr Büro um 1941 in Von ihr wissen wir nur, dass sie ab dem jors Kurt von Knobelsdorff (1850 Mainz - tektin für größere Büros und zeitweise als der Nähe des Büros von Mies van der Ro- Wintersemester 1935/36 für zwei Semester 1935 Newtoncenter) und seiner Frau Elisa- Immobilienmaklerin gearbeitet haben. he, als dessen Assistent John Rodgers in das Seminar Tessenow besucht, nachdem beth geb. Dyhrenfurth (1856 Jakobsdorf - diesen Jahren arbeitete. Ich danke George Um 1960 lebt Natalie Swan wieder in New sie im Sommersemester 1935 an der TH 1928 Berlin) geboren. Sie stammt aus der E. Danforth für diesen Hinweis. York, geht - lt. Arendt - „in ihrer Arbeit auf Charlottenburg das Vordiplom abgelegt Familie des bekannten Baumeisters Georg und ist ziemlich glücklich mit dem Job.“ 422 hatte. Im WS 1935/36 bearbeitet sie ein 422 Der Brief enthält keinerlei Angaben zu die- Wenceslaus von Knobelsdorff (1699-1753), In den achtziger Jahren lebt Natalie Swan „Wohnhaus”, im Sommersemester die Ent- sem ‘Job’ Swans. Brief von Hannah Arendt der als Hofbaurat Friedrichs des Großen in Danvers, Massachusetts. Sie starb im wurfsaufgabe „Hotel“. Während dieser Zeit an Mary McCarthy vom 20.6. 1960, in: durch zahlreiche höfische Bauten in Berlin Juni 1983 in einer Bostoner Klinik. wohnt sie in der Friedenauer Albestraße Brightman, Carol (Hg.): Hannah Arendt, und Potsdam Mitte des 18.Jahrhunderts und hat ein fünfmonatiges Büropraktikum Mary McCarthy, Im Vertrauen, Briefwechsel Für biografische Informationen danke seine Bedeutung erlangte. ich Betty Rahv, Saul Bellow und dem absolviert, befindet sich also in der zweiten 1949-1975, München, 1995, S.150 Nach Abitur in München 1906 hört sie zu- Vassar College, Poughkeepsie Hälfte ihres Architekturstudiums. Nach nächst Philosophie und Kunstgeschichte 423 Zu Elisabeth von Tippelskirch siehe insbe- dem Sommersemester 1936 verlässt sie an der Berliner Universität. 1907 kann sie sondere Stratigakos, 1999 das Seminar Tessenow.

400 Anhang beim Vater ihren Studienwunsch Architek- zur Regierungsbaumeisterin ernannt wor- UIFA (Hg.): Architektinnenhistorie, 1984, tur durchsetzen. Mit dessen persönlicher den. Mit der Heirat wird sie als „Doppel- S.24ff. Peters, Dietlinde: Frauen an der Techni- Präsenz erreicht sie noch vor Öffnung der verdienerin“ aus dem Staatsdienst entlas- schen Universität Berlin, in: Schwarz, Technischen Universitäten die Immatrikula- sen. Karl (Hg.): 1799-1999 - Von der Bau- tion als Gasthörerin für Architektur an der akademie zur Technischen Universität In den folgenden fünf Jahren soll Elisabeth Berlin, Berlin, 2000, S.518-529, zu Tip- TH Charlottenburg. 1909 folgt nach per- von Tippelskirch als freischaffende Archi- pelskirch-Knobelsdorff S.520-521 sönlicher Fürsprache des Vaters im Unter- tektin ein Büro in der Bismarckstraße in richtsministerium die Zulassung als ordent- Charlottenburg betrieben und Wohnhäuser liche Studierende. in den westlichen Vororten Berlins gebaut Damit gilt Elisabeth von Knobelsdorff als haben. Diese sind bisher nicht bekannt. die erste ordentlich immatrikulierte Archi- tekturstudentin Deutschlands. 1911 diplo- miert sie mit einem Entwurf für ein Miets- haus. 1912 gehört sie zu den Komiteemit- gliedern der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“. Aus diesem Anlass stellt sie ih- re Diplomarbeit und einen Entwurf zu ei- nem Gemeindehause für ein schlesisches Gut aus. 1913 beteiligt sie sich mit einem Entwurf zu einem Gemeindehaus an den Monatskonkurrenzen des Architekten- und Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ingenieurvereins, sie erhält den 2.Preis. 1914 wird sie Mitglied des Architekten und Ingenieurvereins zu Berlin. Im Auftrag ihrer Tante kann sie 1915 ein solches Gemein- dehaus in Jakobsdorf realisieren. Während des ersten Weltkrieges arbeitet Elisabeth von Knobelsdorff als „Feldarchi- tekt“ im Leutnantsrang in Döberitz, aber Elisabeth von Tippelskirch-Knobelsdorff um 1950 Wettbewerbsbeitrag Entwurf zu einem Gemeindehause, 1913 auch in Frankreich. Bekannt wird vor allem ihre „Knobelsdorff-Baracke“ auf dreiecki- gem Grundriss, die sie patentieren lässt. 1927 folgt sie ihrem Mann nach Boston, Nach Kriegsende bewirbt sie sich für die wo er als Generalkonsul tätig ist. Sie ver- Regierungsbaumeisterlaufbahn. Die drei- sorgt ihren verwitweten Vater, kehrt nicht jährige Ausbildungszeit als Regierungsbau- in ihren Beruf zurück. 1938 wird der Gene- Gemeindehaus Jakobsdorf, 1915 meister wird ihr in Anbetracht der Militär- ralkonsul zurückbeordert. dienstzeit erlassen, 1919 wird sie gegen Tippelskirchs ziehen auf ihr schlesisches den Widerstand des zuständigen Ministeri- Gut. Dort wird er bei Kriegsende verhaftet aldirektors zur Prüfung zugelassen. Die und kommt 1947 in Sibirien ums Leben. Prüfung besteht sie „mit Auszeichnung“. Sie flüchtet in das südwestlich von Bre- Die Aufgabe besteht in der Planung eines men gelegene Bassum, wo sie bis zu ih- Sommersitzes für einen begüterten Kunst- rem Tod im Frühjahr 1959 in einem Da- mäzen. menstift wohnt. Ihr zeichnerischer Nach- Anschließend arbeitet von Knobelsdorff in lass hat sich nicht erhalten. der Preußischen Bauverwaltung in Pots- Quellen: dam. In dieser Zeit entsteht das Ehrenmal Marelle, Luise: Architektinnen im Militär- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar für die Gefallenen des ersten Weltkrieges dienst, in: Vossische Zeitung, 5.3.1916 o.A.: Frauen als Baumeisterinnen, in: im Potsdamer Landgericht, das realisiert, Frau und Gegenwart, 1926 heute dort nicht mehr vorhanden ist. Elisa- Degener, Hermann A.L.: Wer ist´s? Un- beth von Knobelsdorff heiratet zehn Tage sere Zeitgenossen, 10. Ausgabe, 1935, Kurt Wilhelm von Tippelskirch vor ihrem 45. Geburtstag, am 7.Juni 1922 Goebel, Helmut: Elisabeth wollte lieber den Diplomaten Kurt Wilhelm Viktor von selber bauen, in: Weser-Kurier 6.2.1957, Tippelskirch (12.5. 1880 Neu-Ruppin - derss.: „Knobbi“ wollte selber bauen, Hamburger Abendblatt vom 7.9.1957 1947 Sibirien). Unmittelbar zuvor - und drei Vollmer, Hans: Allgemeines Lexikon der Jahre nach bestandener Prüfung - war sie Künstler des XX.Jahrhunderts, 1958, S.449

Biografien 401 zum Wintersemester 1929/30 an der TH Stuttgart bei Karl Schmitthenner.426 Sie fa- vorisiert als Lehrer jedoch bald Paul Bo- natz, freundet sich mit dessen Tochter an und arbeitet bereits während des Studiums in dessen Büro mit. Anfang der dreißiger Jahre soll Johanna Tönnesmann mit dem Entwurf eines Park-

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hauses für die Stuttgarter Innenstadt einen Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Studentenwettbewerb gewonnen haben.427 Im Sommersemester 1933 studiert sie an der TH Charlottenburg (Matr.Nr. 47037) und wohnt in der Sophienstraße, in unmit- telbarer Nähe zur Hochschule.428 Als Mit- glied des Seminars Tessenow entwirft sie eine „Dorfschule”. Im Anschluss an dieses Johanna Tönnesmann Gastsemester soll sie für ein Jahr im Büro Johanna Minsaas um 1938 der Architekten Mebes und Emmerich mit- Johanna (Hansi) Tönnesmann, gearbeitet haben.429 Ihre Schwester erin- spätere Minsos (ab 25.10.1938), nert, dass sie in der Berliner Zeit auch an Dipl.Ing. den Planungen des Olympiastadions betei- Quellen: ligt war. Ihre Mitarbeit im Büro von Werner HTA, Studentenkartei, Karte Tönnes- geb. 14.3.1910 Essen - gest. 24.12.1939 mann March lässt sich bisher jedoch nicht nach- Reichshandbuch der deutschen Gesell- Oslo, Norwegen weisen. schaft, Magdeburg, 1930 424 Stadtarchiv Essen/ Mitteilung von Frau Universitätsarchiv Stuttgart , Informa- Vonrüden-Ferner vom 13.1.1998. Vgl. auch Johanna Tönnesmann wechselte sicher tionen mit Dank an Dr. Norbert Becker Reichshandbuch der Deutschen Gesell- Studium an der TH Stuttgart 1929-1936, nicht in Abkehr von der Stuttgarter Schule Stadtarchiv Essen, Mitteilung von Frau Vonrüden-Ferner 13.1.1998 schaft, Magdeburg, 1930, Bd.2, S.1917 Diplom, an der TH Charlottenburg 1933 an die TH Charlottenburg. Sie kehrt 1935 nach Stuttgart zurück und erwirbt dort im 425 Nach Aussagen ihrer Schwester interessier- Juli 1936 bei Bonatz das Diplom.430 Als Di- te sich Johanna Tönnesmann sehr für das wurde 1910 als Tochter des Papierfabri- plomarbeit soll sie ein „Sportstadion” ent- Geschehen auf dieser, nur 100 Meter von kanten Julius Tönnesmann und seiner Frau worfen haben. Die Arbeit wird mit „ausge- der Viktoriaschule entfernten Baustelle. Alice geb. Hermann in Essen geboren.424 zeichnet“ bewertet, das Diplom insgesamt Die Mutter soll Kunst studiert haben. Jo- 426 WS 1929/1930 an die TH Stuttgart (Univer- mit „sehr gut”. Studienarbeiten von Johan- hanna wächst mit zwei Brüdern und einer sitätsarchiv Stuttgart 10/50 - 10/52), außer- na Tönnesmann sind bisher nicht bekannt. dem WS 1930/31 und SS 1931(ibid. 10/53 Schwester in Essen auf, wo sie an der Vik- Anschließend arbeitet Tönnesmann wahr- resp. 10/54) toriaschule 1929 das humanistische Abitur erwirbt. Sie ist musisch sehr begabt, ent- scheinlich erneut im Büro von Paul Bonatz. 427 Schreiben Dr. Barbara Büttner vom 22.2. wirft in ihrer Jugend u.a. verschiedene Pa- Im Sommer 1937 wechselt sie nach Ham- 1998. - Ob es sich dabei um die Großgara- pierdrucke, die in der väterlichen Fabrik burg, wo sie im Büro von Konstanty Gut- ge in der Jägerstraße handelte, konnte bis- umgesetzt werden. Ihre Schwester studiert schow arbeiten kann. Vermutlich ist sie her nicht geklärt werden. Vgl. dazu auch Medizin, einer der Brüder übernimmt die hier am Wettbewerb für den Neubau der Graubner, Gerhard: Paul Bonatz und seine Fabrik, der andere studiert ebenfalls Archi- Deutschen Botschaft in Stockholm betei- Schüler, Stuttgart 1931 tektur. ligt. 428 Diese Straße verlief auf dem heutigen Nord- Am 25.10.1938 heiratet sie in Stuttgart ih- gelände der TU Berlin. Johanna Tönnesmann - für die ein Studi- ren norwegischen Studienkollegen Alfred 429 Mit Jürgen Emmerich ist sie durch das Stu- um außer Frage steht - scheint keine prak- Minsos (1910-1990). Mit ihm siedelt sie dium an der TH befreundet. Mebes und tizierenden ArchitektInnen gekannt zu ha- noch im November desselben Jahres nach Emmerich waren zu dieser Zeit u.a. mit der ben. Ihre Studienfachwahl könnte jedoch Oslo über. Dort gründen sie ein gemeinsa- Kriegsbeschädigtensiedlung an der Drewit- im Zusammenhang mit dem ab 1929 reali- mes Büro und nehmen an Wettbewerben zer Straße in Potsdam, aber auch mit der sierten Neubau der Auferstehungskirche in teil. Im November des folgenden Jahres Planung umfangreicher Siedlungen in Ho- Essen nach Entwurf von Otto Bartning ste- bringt Johanna Minsos eine Tochter zur 425 henschönhausen (Große Leege-Straße) und hen. Johanna Tönnesmann entscheidet Welt. Vier Wochen später stirbt sie im Tempelhof (Gässnerweg) beschäftigt. Vgl. um 1929, nach dem Abitur Architektur zu Kindbett. studieren. hierzu Meyer, Edina: Paul Mebes. Miets- Für biografische Informationen danke hausbau in Berlin, Berlin, 1972, S.216. 223 Sie absolviert ein Baustellenpraktikum in ich Dr. Barbara Büttner, Karl Tönnes- Essen-Bredeney und beginnt das Studium mann, Ove Minsos und Juliane Emme- 430 Diplomurkunde vom 10.7.1936 /NL Minsos rich

402 Anhang gerichtet, wobei Werkstätten aus-, die Lehrenden aufgegliedert werden. Der Stu- diengang industrial design erhält eine stär- kere architektonische Ausrichtung. 1928 wird die Regelstudiendauer von drei auf vier Jahre erhöht. Ulrichs Abschluss nach drei Jahren datiert vom 12. Juni 1931. Nach Überfahrt und einem Aufenthalt in

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Hamburg schreibt sich Lila Ulrich zum Wintersemester 1931/32 am Bauhaus in Dessau unter Matr.Nr. 561 ein. Sie wird in die Grundlehre aufgenommen und im Bei- ratsprotokoll vom 21.10.1931 erstmalig erwähnt.431 Wie aus einer Prüfungsliste aus dem Jahre 1933 hervorgeht, wird das Industrial-Design-Studium in der Vorbil- dung als Architekturstudium eingestuft. Ingeborg Ullrich Lila Ulrich Nach eigenen Angaben studiert Lila Ulrich (Heiratsname unbekannt), Dipl.Ing. Lila Fairbairn Ulrich, spätere Kop- am Bauhaus „Interior“ bei Mies van der pelman (ab 1941) Rohe, Möbeldesign bei Lilly Reich, Archi- geb. 11.6.1911 Blumenthal - gest. um tektur bei Josef Albers und Fotografie bei 1975 geb. 2.4.1910 Chicago, Illinois. - gest. Walter Peterhans.432 Wahrscheinlich wohnt 7.5.1984 Yellow Springs, Ohio sie während ihres Studiums in der von Studium an der TH Stuttgart ab ca. 1933 Leopold Fischer erbauten Siedlung „Am 433 bis ca. 1938, an der TH Charlottenburg Studium am Chicago Art Institute 1928 Knarrberg” in Dessau-Ziebigk. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar im Wintersemester 1936/37, Diplom bis 1931, am Bauhaus Dessau und Ber- Lila Ulrich freundet sich am Bauhaus mit Stuttgart lin 1931 bis 1933, am Immaculate Heart Kurt Kranz (1910 - 1997) an. Der studiert College L.A. in den 1950er Jahren bereits seit dem Frühjahr 1930 in Dessau, Gaststudentin im Seminar Tessenow im nach einer Lithografenausbildung in Biele- Wintersemester 1936/37. Über Ingeborg wurde am 2.April 1910 als Tochter des Im- feld. Zu Ulrichs Freundeskreis zählen auch Ullrich ist bisher nahezu nichts bekannt. mobilienhändlers Perry Ulrich und seiner Ernst Mittag, Hilde Reiss und Bill Priestley. Auf dem Dach des Bauhauses, 1932, Lila Ulrich (vorn) Ihre Immatrikulationsunterlagen fehlen im Frau Anna Hamilton Fairbairn in Chicago/ Sie zieht mit dem Bauhaus nach Berlin um. Archiv der TH Stuttgart. Illinois geboren. Sie wächst in einem herr- Kranz arbeitet im Studio Dorland, der seit 1911 in Blumenthal geboren studiert Inge- schaftlichen Elternhaus mit zwei Schwe- 1928 von Herbert Bayer geleiteten Werbe- borg Ullrich wahrscheinlich ab 1933 an der stern auf. Die jüngste Schwester ist stark agentur. behindert und stirbt noch im Kindesalter. TH Stuttgart Architektur. Als sie zum Win- Lila Ulrich erhält - trotz des dreijährigen 431 Hier wird dem Antrag von „lilo ullrich“ auf Die Mutter ist nicht berufstätig, eine Tante tersemester 1936/37 an die TH Charlotten- Studiums zuvor - nach nur drei Semestern Befreiung von den technischen Fächern Opernsängerin. Ulrich besucht die New burg wechselt und im Seminar Tessenow am Bauhaus kein Diplom. Auf Anraten von wegen fehlender Sprachkenntnisse unter Trier High School in Evanston, einem Vor- ein „Altersheim” entwirft, hat sie das Vordi- Freunden kehrt sie noch 1933 in die USA der Maßgabe stattgegeben, daß sie diese ort von Chicago. plom in Stuttgart absolviert und ein Jahr zurück. Mit der im Frühjahr 1933 emigrier- später nachholt. lang in einem Architekturbüro gearbeitet. Im Alter von 17 verliert sie den Vater und ten Bauhausstudentin Hilde Reiss teilt sie 432 Lt. Personalbogen Koppelman am Sarah wird zusammen mit ihrer Schwester bei ei- Zum Sommersemester 1937 kehrt sie nach sich in Manhattan ein Apartment in der Le- Lawrence College aus dem Jahre 1943. Stuttgart zurück, wo sie vor Kriegsbeginn ner Tante untergebracht. Die Entscheidung xington Avenue. 433 Im Nachlaß Lila Koppelmans befinden sich diplomiert haben soll. Über den weiteren nach der High School am Chicago Art In- etliche Fotographien dieser Siedlung. Berufsweg Ingeborg Ullrichs ist nichts be- stitute zu studieren, scheint von ihren Zei- kannt. Sie hat - nach Erinnerung Christa chenlehrern unterstützt worden zu sein. Kleffner-Dirxens - geheiratet und soll Mitte Dort studiert sie ab 1928 Industrial Design der siebziger Jahre verstorben sein. u.a. bei Margaret Artingstall und Emil Zett- ler. Das Studium umfasst Fächer wie ‘de- Quelle: HTA, Karteikarte Ullrich sign’ und ‘composition’, aber auch ‘interior Telefonat mit Christa Kleffner-Dirxen am decoration’, ‘modelling’ und ‘architectural Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar 19.1.1998 drawing’. Anhand der Jahresberichte des Art Institute lässt sich nachvollziehen, dass sich dieses Studium in einer Umbruchpha-

se befand. Ab 1931 wird ein eigenständi- Ulrich und Reiss bei der Arbeit um 1934 ger Studiengang ‘interior architecture’ ein- in einem ihrer New Yorker Appartements

Biografien 403 Lila Koppelman unterhält keinen Kontakt mehr mit früheren KollegInnen, die schul- medizinische Therapie ihrer Depressionen verhindert nicht deren Wiederkehr. 1952 beteiligt sie sich mit eigenen Arbeiten an der Jahresausstellung der „Artists of Los Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Angeles and Vicinity“ im L.A. County Mu- seum, 1953 stellt sie bei der „California State Fair“ in Sacramento aus. Um einen akademischen Abschluss zu er- langen, schreibt sie sich Mitte der fünfziger Jahre in einem katholischen Frauencollege in Los Angeles ein, dem Immaculate Heart College. Sie führt das Studium nicht zu Ende, studiert bei dem aus Deutschland

Umbauvorschlag für Mr. and Mrs Szold, New York, Reiss und Ulrich, 1934, Blick in den Wohnraum emigrierten Fritz Faiss als Privatschülerin. Neben farbenfrohen Landschaften und ab- strakten Collagen entstehen in ihrem Ate- Bis 1934 studiert sie bei Hans Hoffmann für „Plastik“ - zumindest in den Tageskur- lier zahllose Zeichnungen und Drucke, da- Malerei. Ulrich und Reiss arbeiten zusam- sen - an der Cooper Union Art School tä- neben kleinformatige politische Plakate. men, entwerfen freiberuflich Neueinrich- tig. In diese Zeit fällt auch die einzige bis- Sie richtet Arztpraxen ein und unterrichtet tungsvorschläge und Umbauten für private her bekannte Realisierung, für die sie allein selbst Malerei, bietet Kurse für Erwachse- Auftraggeber, die teilweise publiziert aber verantwortlich zeichnet: Der Umbau und ne und Kinder auf kommunaler Ebene an, nicht realisiert werden. die Neueinrichtung des Rena Rosenthal unterrichtet Privatschüler. 435 Beide finden Arbeit als Entwerferinnen bei Shops. Nach dem Tod ihres Mannes 1973 unter- Joseph Aronson und Gilbert Rohde. Und Im Sommer 1941 heiratet Lila Ulrich den richtet Lila Koppelman weiterhin Privat- schüler. Anfang der achtziger Jahre zieht Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar beide unterrichten als Dozentinnen, u.a. aus einer jüdischen Familie stammenden am ‘Design Laboratory’, der neugegründe- Chirurgen Dr. Harold Koppelman (1906 sie nach Yellow Springs / Ohio, wo ihre ten Gestaltungsschule, zu deren Gründern New York City - 1973 Los Angeles) und Tochter mit ihrer Familie lebt. Dort starb Rohde gehört. Wie die Verbindungen, Auf- zieht mit ihm nach Brooklyn, bleibt berufs- sie im Mai 1984. träge und Lehrtätigkeiten verflochten wa- tätig. Sie wird Assistentin von Herbert Bay- Für biografische Angaben danke ich ren, lässt sich oft nicht eindeutig rekon- er bei dessen Werbedesign-Kursen und Ann S. Koppelman und Hilde Reiss

struieren. In New York zählen die Fotogra- unterrichtet drei Tage pro Woche „Kompo- Quellen: fin Berenice Abbott und die Journalistin sitionslehre und Design” am Sarah Law- NL Lila Koppelmann Barbara Ellwood zu Ulrichs Freundeskreis. rence College in Bronxville, N.Y.436 Ende Students Registration Office des Art In- Lila Koppelman in den 1970er Jahren stitute Chicago Hilde Reiss erinnert, dass aus Kostengrün- 1942 kommt ihre Tochter zur Welt. „Experiment in Change“, in: Arts and den das Appartment öfter gewechselt wer- Als ihr Mann zum Militärdienst einberufen Decoration, Februar 1935, S.4-11 „A Century Intervenes“, in: Arts and De- den musste. Dass ein Auskommen sehr wird, verbringt Lila Koppelmann die meiste coration, März 1935, S.42ff. schwierig war, wird auch daran deutlich, Zeit mit der Tochter und malt. Die Umstel- „Gilbert Rhode heads Design Laborato- dass beide jeweils mindestens zwei Tätig- lung von der Dozentin und Künstlerin zur ry“ in: Design, März 1936, S.40 „American Bauhaus“ in: Architectural keiten nebeneinander ausübten. Hausfrau und Mutter mit künstlerischen Forum, 64:638, Oktober 1936, S.43f. Lila Ulrich scheint gerne unterrichtet zu ha- Ambitionen fällt ihr nicht leicht, sie beginnt „Two new Schools of Industrial Design an Depressionen zu leiden. Als Harald open“ in: Architectural Forum, Oktober, ben. Nach eigenen Angaben gehört sie als 1937, S.41 434 Lt. Vorlesungsverzeichnis des Winterseme- volle Lehrkraft für Kunst dem „Art Depart- Koppelman Assistenzarzt am Queen of An- „Design Laboratory at FAECT“, in: Ar- sters 1936-37 ment“ des Bennington College von 1935 gels Hospital in Los Angeles wird, zieht die chitectural Record, 82.Jg., Oktober 1937, S.41 434 Familie nach Sierra Madre in Californien. 435 In diesem Geschäft arbeitet die inzwischen bis 1937 an. Zwischen 1936 und 1939 „Design Laboratory“ in: Design, 39.Jg., ebenfalls in Manhattan lebende Schwester unterrichtet Ulrich am Design Laboratory. 1945 folgt ein Umzug nach Los Angeles, November 1937, suppl.7 Jean. Zumindest zwischen 1935 und 1940 1938 beteiligt sie sich mit drei Entwürfen wo sich die Familie in der First Unitarian Church engagiert. Lila Koppelman widmet eigene Schriften: befindet sich der Rena Rosenthal Shop in an der Ausstellung des dortigen Kollegi- Lila Ulrich als Mitautorin: Design Stu- der Madison Avenue (485) in Manhattan. ums. 1939 ist sie - wie u.a. Reiss - Mitglied sich nun überwiegend der Malerei, sie stu- dents guide to the N.Y. World´s Fair, in: diert bei dem kalifornischen Maler Arnold P/M Magazine, 1939 436 Lila Koppelman unterrichtet „Design Tech- des herausgebenden Beirats des „Design Mesches. Ihr Mann arbeitet als Chirurg an niques”. Sie wird 1942 Dozentin. „Design Student´s Guide“ für die New Yorker Welt- verschiedenen Krankenhäusern, führt ab und Kompositionslehre” wurde zuvor von ausstellung. 1937 hatte sie die Weltaus- den fünfziger Jahren auch eine Privatpraxis Theodore Roszak, dem Leiter des Art De- stellung in Paris besucht. Zwischen 1937 Vogel, Fridel siehe Hohmann, Fridel am Wilshire Boulevard in Santa Monica. partment, unterrichtet. und 1942 ist Lila Ulrich auch als Dozentin

404 Anhang Iwanka Waltschanowa testens als nach dem Krieg der Wiederauf- Ruth Weckend wurde 1913 in Essen als spätere Hahn (ab 1933), Dipl.Ing. bau des Familienbetriebs „Glasbau Hahn“ Tochter des Architekten Franz Weckend in Frankfurt ansteht, setzt sich Iwanka (geb. 5.10.1879 Königswald) und seiner geb. 17.9.1905 Pasardijk - lebt in Weß- Hahn wieder vor das Reißbrett und plant Frau Hedwig geb. Grothaus geboren. Der ling die Errichtung des Werkstattgebäudes. Sie Vater betreibt sein Büro als freiberuflicher entwirft und realisiert Ausstellungsstände Architekt in Oberhausen. Weckend, über der Firma Hahn bei Messen in Hannover, deren schulischen Werdegang nichts be- Studium an der TH Charlottenburg 1925 Frankfurt und Paris. Auch bei der Gestal- kannt ist, nimmt ihr Architekturstudium bis 1929, Diplom tung von Ausstellungsständen anderer Fir- zum Sommersemester 1935 im Alter von men, die von Glasbau Hahn realisiert wer- 21 Jahren an der TH Aachen auf. wurde 1905 im Süden Bulgariens geboren. den, wirkt sie jahrelang maßgeblich mit. Sie wächst mit zwei älteren Schwestern Als sie zum Sommersemester 1937 ins Se- und einem Bruder in Plowdiw auf. Dort ist Iwanka Hahn lebte bis Ende der neunziger minar eintritt, wohnt sie in der Wilmersdor- Iwanka Waltschanowas Vater als Baurat Jahre in Frankfurt am Main und macht we- fer Straße in Charlottenburg. Während die- bei der Stadt angestellt, er arbeitet in spä- nig Aufhebens von ihrer Berufstätigkeit: ses Gastsemesters im Seminar Tessenow teren Jahren für die bulgarische Botschaft „Meine Bautätigkeit war recht beschei- entwirft sie ein „Siedlerhaus“. Ruth Weck- in Berlin. Die Familie ist kulturell vielseitig den.“ Bis heute existiert kein Werkver- end exmatrikuliert sich Ende Juni 1937 an interessiert und weltläufig, die älteste zeichnis ihrer Projekte und Bauten. der TH Charlottenburg, kehrt kurz zu ihren Tochter geht zum Volkswirtschaftsstudium Quellen: Eltern nach Oberhausen zurück und legt nach Berlin. Da auch die Mutter von länge- HTA, Karteikarte Waltschanowa - HTG, im Wintersemester 1937 an der TH Aachen Briefe Iwanka Hahn sowie kurzer Le- das Vordiplom, Anfang 1939 nach nur acht ren Aufenthalten in Berlin immer wieder benslauf vom 20.2.1957 begeistert berichtet, beschließt Iwanka Telefonat mit Iwanka Hahn am 8.8.1998 Semestern die Diplomhauptprüfung ab. Waltschanowa, nach dem Abitur in Plow- Briefe vom 15.7. und 2.8.1997 Anschließend ist Ruth Weckend auf der el- diw ebenfalls in Berlin zu studieren. terlichen Adresse und zeitweise in Rostock Am 2.5.1925 immatrikuliert sie sich für das gemeldet. Dort dürfte sie den Einstieg ins Architekturstudium an der TH Charlotten- Warschauer, Gertrud Ursula Berufsleben als angestellte Architektin ge- burg. Obwohl sie rückblickend ihren Studi- siehe Schneider, Ursula funden haben. Zwischen Mai 1940 und enwunsch als eher unentschlossen ein- November 1942 ist sie erneut in Aachen zu schätzt, studiert sie offensichtlich äußerst finden. Wahrscheinlich arbeitet sie in die- zielstrebig. Nach vier Semestern legt sie ser Zeit an ihrer Dissertation. 1944 erwirbt das Vordiplom, nach acht Semestern im sie den Dr.Ing. mit einer Arbeit über einen Sommer 1929 - als erste Studentin bei karolingischen Fronhof: Seffent bei Aachen Tessenow - das Diplom mit „gut“ ab. Das und Laurensberg. Ob sie im Anschluss ins Seminar besuchte sie zwei Jahre lang. Ihre väterliche Büro eintritt, ist bisher nicht be- Studienarbeiten sind nicht dokumentiert. kannt. Bis in die sechziger Jahre ist sie je- Während des Studiums ist sie mit Helga doch als freischaffende Architektin, BDA, unter jener Adresse in Oberhausen zu fin- Karselt und Hanna Blank befreundet. Mit Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Blank arbeitet sie während des Studiums den, die bereits während des Berliner Stu- für die Adolf Sommerfeld Bau AG als Bau- diums als Heimatadresse angegeben war. zeichnerin. Nach dem Diplom arbeitet sie Ihr Schaffen ist bisher nicht dokumentiert im Büro Alexander Kleins an der Ausfüh- resp. publiziert. Dr. Ruth Weckend, die rungsplanung für Bad Dürrenberg. Um 1950 einen Chemiker namens Zosel heira- 1931 kehrt sie nach Plowdiw zurück, wo tet, lebt heute in der Eifel. sie - nach einem Jahr in städtischen Dien- Quellen: sten - als selbständige Architektin arbeitet, HTA, Karteikarte Weckend Ruth Weckend Stadtarchiv Essen, Brief von Frau Von- eine landwirtschaftliche Versuchsstation, rüden-Ferner vom 21.1.1998 einen Stadtpark und Einfamilienhäuser re- Ruth [Hedwig Emma] Weckend, Stadtarchiv Oberhausen, Schreiben alisieren kann. spätere Zosel-Weckend (ab 1950), Dr. O. Dickau vom 5.2.1999 Im Sommer 1933 heiratet Iwanka Walt- Dr.Ing., BDA schanowa in Frankfurt a.M. ihren Studien- geb. 14.10.1913 Essen - lebt in der Eifel kollegen Heinrich Hahn (geb. 1902), der Weiner, Matty siehe Wiener, Matty 1930 bei Poelzig diplomierte. Sie bringt Weininger, Eva siehe Fernbach, Eva mehrere Kinder zur Welt und widmet sich Studium an der TH Aachen 1935 bis Weiß, [Gertrud] Ursula zunächst ausschließlich der Familie. Ihr 1939, Diplom, an der TH Charlottenburg siehe Schneider, Ursula Mann arbeitet als angestellter Architekt in im Sommersemester 1937 und an der Frankfurt, mit Kriegsbeginn in Berlin. Spä- TH Aachen 1940 bis 1944, Dr.Ing. Weiß (oder Weist), Sigrid siehe Rauter, Sigrid

Biografien 405 Anny Wettengel an den Meisterrat. Dieses enthält eides- Mathy Wiener stattliche Erklärungen, die lt. Protokoll Mathilde Wiener, spätere Beck- geb. 11.10.1900 Eger - Daten nach 1932 „nach stellungnahme der infragekommen- mann442 (1932 bis ca. 1952), spä- unbekannt den Herren zu den akten genommen wer- tere Matty Weiner, B.S., M.S. den“ sollen. „herr engemann wird gebeten, den tischlermeister klever noch einmal be- Studium am Bauhaus Dessau 1930 bis geb. 20.8.1909 Prag - lebt in New York sonders auf die notwendigkeit hinzuwei- 1932 City, N.Y. sen, den studierenden gegenüber distanz 440 Studierende am Bauhaus ohne weiterge- zu halten.“ Studium an der Universität Prag 1928 hende Angaben. Anny Wettengel wurde Anny Wettengel sieht selbst offenbar kaum bis 1930, am Bauhaus Dessau 1930 bis 1900 in Eger geboren. Dort geht sie zu- Chancen auf eine Fortsetzung ihres Studi- 1932, an der Grafischen Lehr- und Ver- nächst in eine Klosterschule bevor sie um ums. Sie bezweifelt, dass eine unbenotete suchsanstalt Wien 1932 bis 1934, am 1910 in Chemnitz fünf Jahre die Volks- ‘Bescheinigung’ von der Handwerkskam- Hunter College New York 1954 bis 1956, schule, dann drei Jahre eine Web- und mer resp. an anderen Schulen anerkannt B.S., sowie am City College New York Werkschule besucht. wird und fordert ein benotetes Zeugnis. bis 1962, M.S. Als sie sich zum Wintersemester 1930 un- Der Meisterrat berät die Angelegenheit in ter der Matrikelnummer 461 am Bauhaus diesen Wochen mehrfach - vom 12.4. bis Matty Wiener wurde 1909 als ‘Reichsdeut- einschreibt, hat sie bereits mehrere Jahre 3.5. zumindest fünf Mal - und bietet ihr sche’ in Prag geboren und soll in bürgerli- als Kontoristin, Verkäuferin und Expedien- unter Vermeidung jeglichen Aufsehens ein chem Milieu aufgewachsen sein. Über ihr tin gearbeitet.437 Sie ist Sächsin und gibt unbewertetes Zeugnis an. Wettengel wen- Elternhaus ist bisher jedoch nichts be- 437 Lt. Einträgen auf der Semesterprüfungsliste bei Immatrikulation als letzten Aufenthalts- det sich an höhere Stellen. Das Protokoll kannt. Aus Prüfungsprotokollen des Bau- vom 6.7.1931 ort Berlin-Spandau, sowie eine Heimat- vom 3.5.1932 vermerkt hierzu: „beschwer- hauses geht hervor, dass sie fünf Jahre 438 Das ‘Stahlhaus’ war 1926 nach Entwurf von adresse in Chemnitz an. Wettengel wird de wettengel ist bei der regierung einge- lang eine Volksschule und acht Jahre ein Georg Muche und Richard Paulick am Ran- gleichzeitig mit Itting und Wiener nach der gangen und unterwegs an uns zur äusse- Realgymnasium in Prag besuchte bevor de der Törtener Siedlung gebaut worden. Grundlehre und praktischer Tätigkeit in der rung. in der antwort ist klarzustellen, dass sie das Reifezeugnis erwarb. Nach einem ein lehrvertrag nicht abgeschlossen ist, 439 Es bleibt unklar, ob auch Anny Wettengel Tischlereiwerkstatt zum Sommersemester viersemestrigen Studium an der deutschen dass ein entlassungsgrund im zeugnis im Anschluss an den kostrufa-Streit die 1931 ins 3. Semester der Baulehre aufge- Universität Prag erhält sie die Lehrbefähi- nicht angegeben ist, und ob ein amtliches Teilnahme an der Jahresausstellung verwei- nommen. Während ihres Studiums wohnt gung in englischer und französischer Spra- zeugnis über die handwerkliche ausbildung gert hatte. sie in Törten in unmittelbarer Nachbar- che. 438 gegenüber der handwerkskammer abge- schaft zum Stahlhaus. Neben der Bau- Mathy Wiener kommt im Oktober 1930 ans 440 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 14.4. 441 lehre arbeitet Anny Wettengel hauptsäch- geben werden kann.“ 1932, Bl.2, Pkt.5 Bauhaus (Matr.Nr. 460). Sie besucht die lich in der Tischlerei. Wie der Eklat zu Ende geht, ist bisher nicht Grundlehre und hospitiert in der Weberei. 441 BHD/NL Engemann, Beiratssitzung 3.5. In Meisterratsprotokollen erscheint ihr Na- bekannt. Wettengel verlässt das Bauhaus. Vom Mathematikunterricht zunächst be- 1932, Bl.1, Pkt.2 - Am 1.5. hatte die anhal- me im Wintersemester 1931/32 aufgrund Ob sie ihr Studium nach nur drei Seme- freit wird sie zum Sommersemester 1931 tinische Regierung über die Beschwerde von Unterrichtsversäumnissen mehrfach: stern hier an einem anderen Ort fortsetzen in die Bau-/Ausbauabteilung aufgenom- Wettengel berichtet. Vgl. Tagebuch des Bis November 1931 fehlt sie drei Mal im kann, bleibt unklar: Der weitere Lebens- men. Im Sommer 1931 absolviert sie einen Bauhauses (Abschrift Wingler) in: Hahn/- Unterricht von Hinnerk Scheper, im März weg Anny Wettengels ist bisher unbe- sechswöchigen „werkkurs“ bei Engemann Wolsdorf, 1985, S.56. 1932 gibt Alfred Arndt ihr Fehlen in seinem kannt. und belegt auch die „Einführung in die 442 Das Heiratsdatum Mathy Wieners ist bisher Unterricht zu Protokoll. Die Ursachen des Quellen: Schweißtechniken“. Im Anschluss wird sie nicht bekannt. Bei Anmeldung in Wien 1932 Fehlens scheinen hinlänglich bekannt. BHD, NL Engemann, Semesterprü- zusammen mit Itting und Wettengel direkt sind Matilde und Hannes Beckmann verhei- fungsliste vom 6.7.1931; Beiratssit- Die folgenden Protokolle spiegeln einen zungsprotokolle 30.9.1931, 4.11.1931, ins 3. Semester Bau-/Ausbau aufgenom- ratet. Zsuszanna Bánki erwähnt in einem Konflikt in der Tischlerei, der sich - trotz 5.4.1932, 12.4.1932, 14.4.1932, 19.4. men, „der seinerzeitige beschluss auf ab- Brief aus dem Jahre 1931, dass ihre tsche- Auslassungen - erahnen lässt. Wettengel 1932, 20.4.1932, 3.5.1932 solvierung eines werkstattsemesters wird chische Freundin „in diesen Ferien geheira- wird im März 1932 nach drei Semestern aufgehoben.“ 443 Daneben besucht sie re- tet hat“. (Bánki, 1991, S.66) vom Weiterstudium ausgeschlossen und gelmäßig die freie Malklasse Kandinskys. 443 Beiratssitzung 30.9.31, Bl.2, Pkt.6: „itting, erhält am 26.3.1932 eine Bescheinigung Am Bauhaus lernt Wiener den gleichaltri- 439 wettengel, wiener“ (..) der seinerzeitige be- über ihr Studium am Bauhaus. Ende gen Hannes Beckmann kennen (8.10. 1909 schluss auf absolvierung eines werkstattse- März wendet sie sich mit zwei - bisher Stuttgart - 19.7.1977 Hannover, NH), der mesters wird aufgehoben. die 3 studieren- nicht bekannten - Schreiben an den Mei- dort bereits seit dem Frühjahr 1929 unter- den werden in das 3.semester bau/ausbau sterrat, diese werden in der Sitzung vom schiedliche Fächer belegt. Am 7.11.1931 aufgenommen. herr rudelt ist mit der auf- 5.4.1932 „zur kenntnis genommen, die erhält er das Bauhausdiplom Nr.61 für sei- nahme einverstanden, kann jedoch nicht konferenz hält ihren beschluß aufrecht.“ ne bühnenbildnerischen Arbeiten. Die an- die verantwortung übernehmen, dass sie Anny Wettengel soll ein Abgangszeugnis gestrebte Anstellung als Bühnenbildner an das verlangte pensum wirklich schaffen. er erhalten, das entgegen ihrer Forderung den städtischen Bühnen Dessau scheitert. muss sich bei aufbau seines unterrichtes keine Bewertungen enthalten soll. Sie Mathy Wiener gehört zu den Studierenden, nach den übrigen studierenden richten.“ wendet sich erneut mit Schreiben vom 9.4.

406 Anhang die nach dem ‘Kostufra-Streit’ die Teilnah- 22.3.1932, Fragebogen Matty Weiner, Eigentlich will sie Schauspielerin werden. me an der Jahresausstellung verweigern. Eingang 28.1.1982 Sie ist musikalisch begabt, studiert zwei DAM, NL Hannes Meyer, Schriftwechsel 444 BHD, Beiratssitzung 5.4.1932, Bl.1, Pkt.5 Ebenso wie Zsuzsanna Bánki wird sie vom Jahre Gesang in Lübeck. Als Walter Gro- Beckmann und Bloch 445 BHD, Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.1, Pkt.9 weiteren Studium ausgeschlossen. Ihr um- Wien/MA8, Schreiben Herbert Koch pius um 1925 einen Vortrag in Lübeck hält gehend gestellter Wiederaufnahmeantrag vom 10.9.1998 und eigene Arbeiten zeigt, ist vor allem ih- 446 Schreiben von Herbert Koch, MA8 Wien wird am 5.4.1932 abgelehnt, „da man sich re Mutter, die selbst ein Faible für Gestal- vom 10.9.1998. Lt. Einwohnermeldekartei auch von dem gewünschten studium im tung hat, fasziniert. Die Tochter lässt sich Wien ist das Ehepaar Beckmann „confes- ausbau nichts verspricht.“ 444 Ein kurz da- von der Begeisterung anstecken. Der Vater sionslos“. rauf gemeinsam mit Bánki gestellter Wie- finanziert ab 1928 erst die Hospitation, ab 447 Wie aus dem Schriftwechsel zwischen Ka- deraufnahmeantrag wird eine Woche spä- 1929 das Studium am Bauhaus Dessau. rola Bloch und Hannes Meyer hervorgeht, 445 ter erneut abgewiesen. Annemarie Wilke wohnt privat zur Unter- kennen sich Mathy Beckmann und Karola Mathy Wiener erhält ein von Mies van der miete, besucht die Grundlehre bei Albers. Bloch aus Prag. DAM / NL Hannes Meyer Rohe um Wochen zurückdatiertes Zeugnis. Da alles andere nicht in Frage kommt stu- Sie verlässt Dessau gemeinsam mit Han- diert sie anschließend ‘Bau/Ausbau’ und nes Beckmann und studiert ab Herbst wird begeisterte Schülerin von Lilly Reich 1932 zwei Jahre Fotografie an der Grafi- und Ludwig Hilberseimer. Bei ihm entwirft schen Lehr- und Versuchsanstalt Wien. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar sie Einfamilien- und „Siedlungshäuser”. Zu Inzwischen verheiratet wohnen sie in der ihren Studienfreunden zählen Hermann 446 Webgasse im IV. Bezirk. Klumpp und Carl Bauer. Nach Erinnerung Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Ab Ende 1934 leben beide in Prag.447 Zwi- Bauers wohnt Wilke im gleichen Haus wie schen 1938 und 1944 leitet Hannes Beck- Walter Peterhans und erscheint häufig mit mann ein Fotostudio. Bei einem Bomben- Klumpp zum Unterricht. Im August 1932 angriff kommt ihr erstes Kind ums Leben. gehört sie zu den 20 BauhausstudentIn- nen, die ein Diplom erhalten (Nr. 94). Auch 1944 werden beide interniert. Mathy Beck- Wilke und Bauer 1932 bei der Arbeit in Bad Grund danach bleibt sie dem Bauhaus verbun- mann überlebt Auschwitz, ihr Mann Jano- Annemarie Wilke vice. Sie kehren 1945 nach Prag zurück. den. Ab Herbst 1932 unterstützt sie Carl 1947 erhält Hannes Beckmann die tsche- Annemarie [Dora Elise Helene] Bauer bei der Ortsplanung von Bad Grund. chische Staatsbürgerschaft, er findet den- Wilke, spätere (Annamaria) Mauck Die im Auftrag der Gemeinde vor Ort im Harz entstandene Arbeit wird Bauer 1933 noch keine berufliche Perspektive. (ab 3.2.1940-1958), Dipl.Arch., am Bauhaus als Diplom anerkannt.448 1948 emigrieren Beckmanns mit zwei Kin- BDA, Pseudonym in den 1950er dern nach New York, wo Hannes Beck- Jahren: Barbara Kainz Annemarie Wilke zieht nach Berlin. Als frei- mann in der Fotoabteilung des Salomon berufliche Mitarbeiterin Lilly Reichs bear- Guggenheim Museums arbeiten kann. Ab geb. 15.6.1906 Lübeck - gest. 5.7.1996 beitet sie Innenausbauten. Mit Reich ver- 1953 unterrichtet er an der Cooper Union München, begraben in Ratekau/Paus- bindet sie seit dem Studium ein freund- Farbtheorie und zweidimensionale Gestal- dorf schaftliches Vertrauensverhältnis. Als sich tung. die Auftragslage verschlechtert, kann sie im Büro Ludwig Hilberseimers mitarbei- 448 Carl Bauer kann seine Diplomarbeit in We- Nach der Scheidung schreibt sie sich ang- Studium am Bauhaus Dessau 1928 bis ten. Dort ist sie u.a. mit der Werkplanung stermanns Monatsheften für Baukunst und lisiert „Matty Weiner”, und nach erneutem 1932, Diplom für das „Haus Am Rupenhorn” betraut. Städtebau (Braunschweig) im Februar 1933 Studium erwirbt sie 1956 am Hunter Colle- 1934 wird sie auch als selbständige Archi- publizieren. ge New York den Bachelor sowie die wurde am 15.6.1906 in Lübeck als einzi- tektin tätig und entwirft für einen, mit ihren 449 BHA, Inv.-Nr.1997/26.54-61x staatliche Zulassung als Lehrerin für Kinder ges Kind des Kaufmanns Ferdinand Bern- Eltern bekannten Herrn Adelberger ein im Alter von 3-8 Jahren. Weiner wird Leite- hard Heinrich Wilke (22.9. 1871 Lübeck - Haus für das Eckgrundstück Hohenstau- rin eines städtischen Kindergartens. 1962 24.7.1934) und der musisch sehr interes- fen-/Danzigerstraße in Lübeck, das nicht „Haus Haertel”, Vitte, 1936 absolviert sie den ‘Masters’ am City Colle- sierten Anna Georgine geb. Bartels (geb. realisiert wird. Realisiert werden Mitte der ge New York und unterrichtet bis zu ihrer 11.10. 1873 Pausdorf) geboren. Der Vater dreißiger Jahre jedoch Um-, An- und Neu- Pensionierung in den siebziger Jahren als betreibt die Wassermühle auf der Travein- bauten verschiedener Ferienhäuser nach Lehrerin. Matty Weiner beginnt in den sel in Lübeck, der Großvater war Schrei- ihren Entwürfen auf Hiddensee, darunter sechziger Jahren mit der Bildhauerei und nermeister. Über ihre Kindheit stellt sie 1936 der Bau des „Hauses Karl Haertel” in lebte zumindest bis in die neunziger Jahre 1995 rückblickend fest: „Ich wurde wie ein Vitte. Ebenfalls aus diesem Jahr datiert ein in New York City. Bub erzogen, hatte keine Freundinnen.“ Entwurf für ein Einfamilienhaus in Zehlen- Nach Abschluss der 10. Klasse des Ober- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Quellen: dorf. 1938 entwirft sie ein Wochenendhaus BHD, NL Engemann, Protokolle der Bei- lyzeums am Falkenplatz absolviert Anne- für Trude Schulze am Mellensee in Klaus- ratssitzungen am 9.12.1930, 30.9.1931, marie Wilke eine kaufmännische Ausbil- 5.4.1932, 12.4.1932 dorf.449 Die Realisierung dieser beiden Ent- dung in der Lübecker Handelsschule, dann Semesterprüfungsliste sommersemester würfe kann bisher nicht nachgewiesen 1931 vom 6.7.1931 eine zweijährige Banklehre. BHAB, Zeugnis Mathy Wiener vom werden.

Biografien 407 Annemarie Wilke wohnt weiterhin in Berlin den Kindern aufs Land, die Wiener Woh- Sie konvertiert zum Katholizismus, nennt Steglitz.450 Sie ist Mitglied im BDA.451 nung wird ausgebombt.453 Sie erleben das sich Annamaria, lernt ambitioniert Italie- Auf Vermittlung von Wilhelm Wagenfeld, Kriegsende im Inntal. Von dort flüchten sie nisch und lebt zurückgezogen im engen der seit 1931 an der Kunsthochschule Ber- als „Henschelianer“ nach Kassel, wo sie in Kontakt zu ihren Kindern. Als sich in den lin unterrichtet, kommt sie in Kontakt mit einer Schule behelfsmäßig untergebracht sechziger Jahren die Gelegenheit bietet, den Vereinigten Lausitzer Werkstätten in werden. Dort werden ihr Bauhaus-Diplom, plant Mauck im Auftrag eines italienischen Weiswasser. Für den größten deutschen ihre Leica und zwei Kandinsky-Zeichnun- Geschäftsmannes südlich von Mailand in 454 Glasindustriebetrieb entwirft Wilke mehrere gen gestohlen. einer „entworfenen Wildnis“ ein Wochen- endhaus um. Für ihre Enkelin schreibt sie Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Gläser. Ab 1936 wird ihr die Verantwortung 1947 zieht Familie Mauck nach Lübeck. für Messeauftritte übertragen. So präsen- Annemarie Mauck baut ein Nebengebäude ihre Jugenderinnerungen auf und zusam- tiert sie 1937 die Glaserzeugnisse der VLG als Bleibe für die eigene Familie aus. Auch men mit ihrer Tochter einen Roman. Anna- auf der Leipziger Messe und der Düssel- für die neugegründete Firma ihres Mannes maria Mauck starb im Juli 1996 - am To- dorfer Ausstellung „Schaffendes Volk“, führt sie verschiedene Umbauten durch. destag ihrer Tochter - in München und 1939 auf der Herbstmesse in Leipzig. Für Diese Firma kann sich in Lübeck jedoch wurde in Holstein beigesetzt. die Weltausstellung in Paris 1939 bestückt nicht halten. Mauck entwirft Innenausbau- Für biografische und zahlreiche weitere sie im Deutschen Pavillon u.a. die Vitrinen. ten für Wohnungen, absolviert einen Kurs Hinweise danke ich Ferdinand Mauck

Annamaria Mauck in den 1970er Jahren

450 Die Wohnung ‘Am Eichgarten 2’ bewohnte sie schon zu Studienzeiten. Hier wurde bspw. auch ein Geburtstag Mies van der Rohes gefeiert. Interview am 17.11.1995.

451 Aufgrund der BDA-Mitgliedschaft entfiel die Notwendigkeit einer RKK-Mitgliedschaft. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar

452 Heiratsurkunde 118/1940 Wien - Innere Stadt. Maucks beziehen eine Wohnung in der Prinz-Eugen-Straße.

453 Annemarie Mauck ist mit den Kindern „seit 1.8.1944 vorübergehend in St. Aegyd am Neuenwalde“ gemeldet. Mitteilung von Herrn Koch/MA8 vom 10. 9.1998 Präsentation der VLG Weiswasser in Düsseldorf, 1937 Blick auf die Vitrinen im Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung, Paris, 1939

454 Telefonische Mitteilung von Ferdinand Mauck am 11.9.1997 Quellen: 455 Weshalb die Wahl ihres Pseudonyms aus- Wilke scheint durch Flexibilität und vielfäl- über Lehmbauweisen. Unter dem Pseudo- Gespräch mit Annamaria Mauck am gerechnet auf den Namen „Kainz“ fällt, ob tige Kontakte einen Weg in die Freiberuf- nym Barbara Kainz veröffentlicht sie Ge- 17.11.1995 Mauck evt. den Wiener Philosophieprofes- schichten für Kinder.455 Die Ehe kriselt. NL Mauck, inzwischen teilweise im lichkeit zu finden. BHAB sor Friedrich Kainz kannte, konnte bisher Ende 1939 zieht sie nach Wien um. Dort In den fünfziger Jahren zieht Annemarie BHAB, NL Wingler, Brief Annemarie Wil- nicht geklärt werden. Kainz, Barbara: „Vom ke an Julia Feininger vom 21.2.1933 leitet der Maschinenbauingenieur, Baurat Mauck mit den Kindern nach Wolfenbüttel. Riesen, der am Wörther See einfror“, in: Rakette, Egon: Bauhausfest mit Truxa, Paul Friedrich Martin Mauck (geb. 23.9. Für einen Betrieb in Arendsburg macht sie München, 1973 Scholz Monatsbilderbuch, H.5, Mainz, Febr. 1900 Lübeck) im Auftrag der Lokomotivfa- Um- und Wiederaufbauvorschläge. 1961 1952 (Illustrationen Magda Heller), diess.: Arbeitszimmer in der Wiener Wohnung, 1940 brik Henschel das nach dem Anschluss zieht sie mit den inzwischen erwachsenen „Krippenspiel“ in: Scholz Monatsbilder- Österreichs übernommene Eisenbahnwerk Kindern nach München und beginnt in der buch, H.3, Mainz, Dezember 1952 (Illustr. in Wien-Floridsdorf. Ihn heiratet sie am Inneneinrichtungsabteilung eines Kaufhau- von Magda Heller), diess.: „Der Anderl lügt 3.2.1940 in Wien und richtet die 6-Zimmer- ses zu arbeiten. Auch wenn dieser Beruf nicht“, in: Scholz Monatsbilderbuch, H.8, Wohnung am Schwarzenbergpalais nach nicht ihren Ambitionen entspricht, so übt Mainz, Mai 1953 (Illustr. Hilde Burchgart- eigenen Entwürfen ein.452 1941 kommt ein sie ihn doch fünfzehn Jahre lang aus. Kießling), diess.: „Jeden Tag Blaubeeren“, Sohn, 1943 eine Tochter zur Welt. Entwür- Diese Angestelltentätigkeit bietet ihr ein fi- in: Der Sommergarten, Nr.3/4, Stuttgart, fe - wie bspw. ein Jagdhochsitz - entste- nanzielles Auskommen, auf das sie nach Juli/August 1954, S.46-47 (Illustr. Susanne Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar hen nur noch für den eigenen Bedarf. Als Ortswechseln, den abgebrochenen berufli- Mair-Weigel), diess.: „Der Feriengast“ , in: ihre Mutter in Hamburg ausgebombt wird, chen Perspektiven - als Architektin und als Scholz Monatsbilderbuch, H.12, S.2-4, findet sie bei ihrer Tochter Aufnahme. Industriedesignerin -, dem Verlust des el- Mainz, September1954 (Illustr. Magda Hel- terlichen Vermögens sowie der Scheidung ler), diess.: „Das Zuckerdirndl“, Der Som- Vor den Bombenangriffen auf Wien flüchtet 1958 angewiesen ist. mergarten, Stuttgart, Dez. 1954, S.114-115 Annemarie Mauck im Sommer 1944 mit

408 Anhang Karl Bökenheide eine Tischlerlehre, der standen und sucht Mies van der Rohe in entsprechende Lehrvertrag wird erst im Berlin auf. Da das Bauhaus-Diplom jedoch September abgeschlossen. nicht benotet ist, handelt es sich wahr- Annemarie Wimmer studiert am Bauhaus scheinlich um Diskussionen über die Art in der Bau-/Ausbauwerkstatt, in den Prü- des Diploms. Offensichtlich wird der - bis- fungslisten finden sich immer wieder Hin- her nicht dokumentierte - Entwurf des Stu- weise auf konkrete Mitarbeit. So ist sie dentinnenheims Wimmers von Mies van 456 Auskunft von Frau Hoppe Stadtarchiv Dres- bspw. an Möbelentwürfen für die Siedlung der Rohe nicht anerkannt. Die Auseinan- den vom 23.2.1998. Das Haus Richard- dersetzung um den Stellenwert dieses Ent- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Törten beteiligt. Im Spätsommer 1930 tritt Wagner-Str.5 befand sich 1927/28 im Be- sie in Dessau aus der protestantischen Kir- wurfes scheint Annemarie Wimmer das sitz von Franz Wimmer, Kaufmann. Diplom gekostet zu haben.462 che aus. Zu diesem Zeitpunkt unterbricht 457 Lebenslauf aus dem Jahre 1953, AdKS, PA Annemarie Wimmer ihr Studium, um für ein Ab 1933 finden sich teils widersprüchliche Lange Jahr ihre praktische Ausbildung bei der Informationen, die bisher nicht abschlie- 458 Lt. Zeugnis, ausgestellt von Martha Voge- gemeinnützigen Arbeitsgenossenschaft ßend geklärt werden konnten.463 Nach An- ler im Januar 1929. Ibid. Lübeck fortzusetzen. Nach einem halben gaben aus den fünfziger Jahren ist Anne- Jahr in der Möbel- und Innenausbauwerk- marie Wimmer seit Frühjahr 1932 Mitglied 459 BHD, Beiratssitzung 12.4.1932, Bl.2, Pkt.15 statt arbeitet sie dort auch in der Polsterei der KPD und arbeitet bis 1939 illegal als 460 Ob sie zwischenzeitlich erneut eintritt bleibt Annemarie Wimmer und der Malerabteilung. Kurierin wie bei der Kurierbeschaffung.464 unklar. spätere Lange (ab 1939) Sie kehrt nach einem Jahr in Lübeck ans Sie lebt in der Rönnebergstraße in Berlin- 461 BHD, Beiratssitzung 14.7.1932, Bl.2, Pkt.13 Friedenau. Im Rahmen des Notstandspro- Bauhaus Dessau zurück und studiert ab 462 Unterlagen zu diesem Vorgang sind bisher geb. 7.6.1907 Dresden - gest. 4.4.1976 gramms arbeitet sie ab April 1934 tagewei- dem Herbst 1931 wieder in der Bau/Aus- nicht zu finden. Ob das Entwurfsthema Berlin, begraben auf dem Dorotheen- se als technische Zeichnerin beim Hoch- bauabteilung. Im Seminar für Siedlungsbau oder der eigentliche Entwurf von Mies v.d. städtischen Friedhof Berlin bauamt Schöneberg, wo sie Bestands- bei Ludwig Hilberseimer entwirft Annema- Rohe abgelehnt wurde, bleibt damit offen. rie Wimmer „Siedlungshäuser”. Es folgt im zeichnungen ergänzt. Diese Tätigkeit ist 463 So lebt Annemarie Wimmer 1932 bis 1934 Studium an der Kunstgewerbeakademie Sommersemester 1932 - offenbar in Ei- befristet. in Berlin von Wohlfahrtsunterstützung. Dem Dresden 1926 bis 1928, am Bauhaus geninitiative - ein „Entwurf für ein Studen- Zum 15.7.1935 nimmt sie eine Aushilfsstel- widerspricht das Zeugnis, das der Architekt Dessau 1928 bis 1932 tinnen-Heim“. lung als Zeichnerin in einem Schöneberger Paul Ostermann ausstellt, nach dem sie ab Das Protokoll der Beiratssitzung vom 12.4. Ingenieurbüro an, wo sie Schutzraumbau- wurde 1907 in der Lockwitzer Straße 7 in Oktober 1932 bis April 1934 in seinem Büro 1932 vermerkt trocken: “wimmer (..) ist im ten und Patentarbeiten zeichnet. Zum Jah- Dresden als Tochter des Kaufmanns Franz als Architektin arbeitet: „selbständig mit al- neuen semester nicht mehr studierende, resende bietet sich dann die Gelegenheit, Wimmer (gest. 1945 Dresden) 456 und der len Bereichen der Architektentätigkeit be- da das studium beendet ist. sie hat gele- als technische Angestellte bei der Reichs- Musiklehrerin Maria Johanna Wimmer geb. traut“. genheit in der tischlerei ihr gesellenstück autobahn zu arbeiten. Für die oberste Bau- Schwartze (13.11. 1881 - 19.10.1981 Dres- 464 FN 457 fertigzustellen.“ 459 Mit einem „Kleider- und leitung Berlin der Reichsautobahnen in der den) geboren. Der Vater betreibt bis 1930 Wäscheschrank in Esche” legt sie am Potsdamer Straße, wird sie zehn Jahre 465 Karl Friedrich Lange, der nach 1945 als eine Strohhutfabrikation, Annemarie Wim- 13.5.1932 die Gesellenprüfung ab und tritt planen und u.a. mit Natursteinverkleidun- Schriftsteller tätig ist, hatte bis 1911 an der mer wächst mit zumindest zwei Geschwi- zwei Tage später offiziell aus dem Bau- gen von Brückenbauten beschäftigt sein. Dresdner Bauschule studiert, war gewerk- stern „in bürgerlichen Verhältnissen“ auf haus aus.460 Im Juli taucht der Name Wim- 1937 entwirft sie im Auftrag des Reichs- schaftlich und parteipolitisch aktiv. Er hatte und besucht nach der 10klassigen Mäd- mer nochmals auf: „gesellenstück wim- mütterdienstes Berlin Musterräume für 1929 als Mitarbeiter Hermann Dunckers chenschule die Städtische Studienanstalt mer. der verkaufspreis wird auf rm 100,- eine Wanderausstellung. auch am Bauhaus Dessau einen Vortrag Dresden-Neustadt, wo sie am 6.3.1926 festgesetzt.“ 461 In Berlin lernt sie 1933 den deutlich älteren gehalten. Zu diesem Zeitpunkt volontierte 457 das Reifezeugnis erwirbt. Annemarie Wimmer jedoch in Lübeck. Auch wenn das Bauhaus-Diplom Nr.101 Dr. Karl Friedrich Lange (1891-1972) ken- Direkt im Anschluss besucht sie vier Se- 465 vom 15.8.1932 in Verzeichnissen als Di- nen. Ab 1936 lebt sie mit ihm zusam- 466 Wie das Neue Deutschland am 14.8.1948 mester die Staatliche Akademie für Kunst- plom für Annemarie Wimmer aufgeführt men. Sie heiraten 1939, die Ehe bleibt kin- vermeldet, konnten von den 440 im Land gewerbe Dresden, wo sie in der grafischen wird, nach eigenen Angaben erhält sie kein derlos. Die Stelle bei der Reichsautobahn Brandenburg im Krieg zerstörten Brücken Zeichenklasse von Prof. Paul Hermann Bauhaus-Diplom. Das im Nachlass befind- hat Annemarie Lange bis zur Auflösung fast 400 wieder hergerichtet werden, davon studiert. Spätestens in dieser Zeit dürfte liche Dokument ist ein von Mies v.d. Rohe des Amtes im September 1945 inne. 83 in massiver Bauweise. In der Zeitungs- sie Wera Meyer-Waldeck kennengelernt unterzeichnetes und auf den 11.10.1932 1946 wird Lange auf Vermittlung des spä- ausschnittsammlung Annemarie Langes ist haben. Prof. Hermann bestätigt 1928 nach datiertes „zeugnis“. Hier sind „entwürfe für teren Bauministers und früheren Bauhaus- der Satz markiert: „Neben den laufenden drei Semestern, dass das Berufsziel noch siedlungshäuser unter leitung von herrn studenten Ernst Scholz zur Regierungsrä- Reparaturen wurden im folgenden Jahr nicht feststehe. Frühjahr bis Herbst 1928 arch. hilberseimer“ und als „freie arbeit“ tin unter Heinrich Rau in Potsdam ernannt. hauptsächlich die Brücken im Oderbruch besucht Annemarie Wimmer die Weberei ein „entwurf für ein studentinnenheim“ auf- In dieser Funktion ist sie für den Wieder- neu errichtet.“ . In wieweit Lange als Regie- von Martha Vogeler in Worpswede.458 geführt. aufbau kriegszerstörter Brückenbauten in rungsrätin dabei auch selbst plante, ist bis- Zum Wintersemester 1928/29 schreibt sie 466 her undeutlich. Stadtbibliothek Berlin-Mitte, Nach Erinnerungen Gerd Balzers und Kon- der Mark Brandenburg verantwortlich. sich am Bauhaus Dessau ein. Nach der Zeitungsausschnittsammlung Lange. rad Püschels ist Annemarie Lange mit der 1947 wird sie in die Geschäftsführung für Grundlehre bei Albers besucht sie die Benotung ihrer Diplomarbeit nicht einver- den Wiederaufbau des Oderbruch berufen, Tischlerei. Ab April 1929 absolviert sie bei

Biografien 409 Quellen: AdKS, Schriftstellerarchiv, PA Annema- rie Lange BHD, NL Engemann Prüfungsprotokolle und Semester-Prüfungslisten sowie Briefwechsel Wimmer, Püschel, Balzer und Rossig STABI, Handschriftenabteilung, Anne- marie Lange BHAB, Paul Thyret: „Lange ist´s her“, Artikelserie in der Berliner Zeitung am Abend, 1976

eigene Schriften: Lange, Annemarie: Vom Peter, der sich nicht waschen wollte, Berlin, 1951, Illu- strationen der ersten beiden Auflagen von Ingeborg Meyer-Rey

diess. zusammen mit Reiner Dänhardt: Das Volk steht auf, der Sturm bricht los, Berlin, 1953

diess. (Red.): Almanach für die Freunde des Kinderbuches, Zum 5-jährigen Be- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar stehen des Kinderbuchverlages, Berlin, 1954, 2.Auflage, 1957

diess.: Berlin zur Zeit Bebels und Bis- marcks, Berlin, 1959, vier weitere Aufla- gen bis 1984

diess.: Führer durch Berlin, Reisehand- buch für die Hauptstadt der DDR, Ber- lin, 1963

diess.: Berlin, Hauptstadt der DDR, 2. durchgesehene Auflage, Leipzig, 1966, zwei weitere Auflagen bis 1969

diess.: Das Wilhelminische Berlin. Zwi- schen Jahrhundertwende und Novem- berrevolution, Berlin, 1967, vier weitere Auflagen bis 1988

diess.: Berliner Müggelsee - Köpenick, Schmöckwitz, Erkner, Leipzig, 1968, 2.Aufl. 1970

diess.: Berlin in der Weimarer Republik, Berlin, 1987

Artikel von Annemarie Lange: Führt unsere Schüler an das richtige Buch heran! In: Deutschunterricht, Ausschnitt Berliner Zeitung am Abend, 1976 1955, H.2, S.74-76 bereits zum 31.5.1947 kündigt sie die ver- über „Das Wilhelminische Berlin” und meh- antwortliche Position. Annemarie Lange rere Stadtführer. In den Siebzigern entsteht diess.: Haben Schriftsteller Probleme?, zieht nach Berlin, wo ihr Mann als Lektor „Berlin in der Weimarer Republik”. in: Sonntag, 12.2.1961, Nr.7, S.1 u.12

arbeitet. Durch dessen Vermittlung wird sie Mit großem Interesse verfolgt sie die Vor- diess.: und I.M. Lange: Lehren deut- Lektorin beim Kinderbuchverlag, schreibt bereitungen für das in Dessau geplante scher Geschichte. Eine Beitragsfolge, in: Berliner Zeitung, 24.2. bis 16.4.1967 zunächst Beiträge für Kinderbücher, dann Bauhauscolloquium, an dem sie jedoch Kinderbücher. Sie wird Mitglied im Schrift- nicht mehr teilnehmen kann. Annemarie diess.: „Die herrlichen Zeiten...“. Litera- stellerverband und legt ein umfangreiches Lange starb am 4.4.1976 in Berlin. Ihren tur und Kunst im neuen Kaiserreich, in: Zeitungsartikelarchiv an. Neue Deutsche Literatur, 1971, H.1, Nachlass vermachte sie dem Archiv des S.130-152 Es entstehen umfangreiche Arbeiten zur Schriftstellerverbandes, Teile befinden sich Berliner (Bau-)Geschichte wie 1959 „Berlin jedoch auch im Landesarchiv Berlin, der diess.: Ein Leben mit Büchern. Über die Bibliothek von I.M. Lange, in: Margina- zur Zeit Bebels und Bismarcks“. Dafür er- Staatsbibliothek sowie der Stadtbibiliothek lien, 1973, H.52, S.36-44 hält sie 1969 den Goethepreis. In den Mitte. Ihre Studienarbeiten sind bisher sechziger Jahren verfasst sie ein Buch nicht archiviert.

410 Anhang Emilie Winkelmann arbeitet anschließend 1931 verlegt sie ihr Büro in die Nürnberger als Bauführerin und eröffnet um 1907 in Straße. Sie bearbeitet nun ausschließlich Berlin-Schöneberg ein eigenes Architektur- Privataufträge - darunter Neu- und Um- büro. Sie akquiriert und baut zunächst bauten von Gutshöfen ostelbischer Agra- Landhäuser in den westlichen Bezirken rier. Im Nationalsozialismus wird sie Mit- Berlins. Nach Gewinn eines Wettbewerbes glied der Reichskulturkammer, zieht sich kann sie 1910 ein Theater in der Blumen- nach eigenen Angaben aus der Bautätig- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar straße in Berlin-Mitte realisieren. Ihre Bau- keit weitgehend zurück. Für Bekannte rea- ten werden zunächst in Wochenblättern lisiert sie auch weiterhin Um- und Ausbau- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar publiziert. ten, vereinzelt Neubauten. So 1935 den Winkelmann knüpft Kontakte zur Frauen- Gutshof Meden und 1937 den Umbau des Gutshauses im märkischen Grünthal. bewegung, wird Mitglied im Deutschen Ly- Haus Gumpel, Berlin-Zehlendorf, 1908 zeumclub. Ihre Teilnahme an der Berliner Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ 1912 verschafft ihr große Publizität. Mit ih- ren zahlreichen Projekten und Bauten be- streitet sie die Abteilung „Die Frau in der Emilie Winkelmann Architektur“ fast alleine. 467 [Louise] Emilie Winkelmann , In der Folge kann sie eine ganze Reihe DLC, BDA neuer Aufträge akquirieren: Als der veran- staltende Lyzeum-Club mit dem Erlös die- Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar geb. 8.5.1875 Aken/Elbe - gest. 4.8.1951 ser Ausstellung ein Haus am Lützowplatz Hovedissen, beigesetzt in Aken/Elbe erwirbt, wird Emilie Winkelmann ebenso mit dem Umbau beauftragt wie bei zwei Studium an der TH Hannover 1901 bis Mädchenpensionaten. Nach ihren Entwür-

1905 fen entsteht 1914 das Haus der Frau auf Gutshaus in Grünthal vor dem Umbau 1937 Gutshaus Grünthal nach dem Umbau, Aufnahme 1998 der Ausstellung für Buchgewerbe und Gra- wurde 1875 im anhaltinischen Aken als fik in Leipzig und in Berlin-Charlottenburg fünftes Kind des Lehrers Christoph August der Bau des Victoria-Studienhauses als Gegen Ende des Krieges werden ihre Bü- Winkelmann und seiner Frau Louise Emilie Studentinnenwohnheim. rounterlagen bei einem Bombenangriff in geb. Voigt geboren. Der Großvater Christi- der Nürnberger Straße vernichtet. Emilie Winkelmann realisiert aber auch einen gro- an Voigt war Zimmermeister, er soll Emilie Winkelmann zieht zu der befreundeten Fa- ßen Mietwohnungsbau im Berliner West- schon früh auf seine Baustellen mitgenom- milie von der Schulenburg nach Hovedis- end und in ihrer Heimatstadt Aken die Er- men haben. Wie ihr Bruder Ernst absolviert sen. Sie realisiert im Umfeld weiterhin Um- weiterung des Mädchengymnasiums. sie bei ihm eine Lehre. Ob sie zur Gesel- und Ausbauten. Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Emilie Winkelmann soll in den späten zeh- lenprüfung zugelassen wird, ist bisher un- Emilie Winkelmann starb 1951 in Hovedis- ner Jahren fünfzehn MitarbeiterInnen be- bekannt. sen. Ihre Urne wurde im Familiengrab auf schäftigt haben. 1917 verlegt sie ihr Büro Nach ihrer Schulzeit arbeitet sie jedoch als dem neuen Friedhof in Aken beigesetzt. in die Fraunhofer Straße. Hier richtet sie Zeichnerin im Büro ihres Großvaters, das ein „Appartement“ als ständige Ausstel- Für biografische Informationen danke Anfang der 1890er Jahre von ihrem Bruder ich Despina Stratigakos, sowie Doro- lung ein. 1926 entsteht im Westend das Ernst übernommen wird. Emilies älteste thea Siebert, Graf Hardnak von der Haus Bennaton, Berlin-Westend, 1926 „Haus Bennaton”. Seit Mitte der zwanziger Schulenburg und Albert Trübe Schwester heiratet einen Agrarier, eine Jahre hat Emilie Winkelmann mit gesund- Schwester wird Lehrerin in Aken, ein Bru- Quellen: heitlichen Problemen zu kämpfen. Sie voll- der wird dort Postsekretär. Als Ernst Win- Rieß, Margot: Schaffende Frauen, in: zieht die Wendung zum ‘Neuen Bauen’ Frau und Gegenwart, 28.Jg., H.2, No- kelmann das großväterliche Büro um die nicht mit, beteiligt sich weiterhin an Wett- vember 1931, S.36-37 Jahrhundertwende verkaufen muss und Landesarchiv Berlin, Bauakten Fraunho- bewerben und regelmäßig an Ausstellun- sich selbst als Baubeamter bei der Stadt fer Str.25-27 gen. So ist sie 1926 mit dem „Haus eines Stadtverwaltung Aken, Archiv der Bau- Aken verdingt, sieht Emilie nur in der aka- geistigen Arbeiters” auf der „Gesolei” in akten, mit Dank an Frau Lehmann Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar demischen Ausbildung eine Chance, sich Kirchenbuchamt Aken, mit Dank an Düsseldorf vertreten. Sie stellt ihre Projek- als Architektin später selbständig machen Edith Ulrich te 1927 in Hamburg beim „Frauenschaffen Friedhofsamt Aken, mit Dank an Herrn zu können. des XX. Jahrhunderts” aus, ist 1930 bei Semmler Ihre erste Immatrikulation an der TH Han- Stratigakos, Despina: Eine Akener Ar- „Die gestaltende Frau” und 1931 auf der chitektin: Emilie Winkelmann, in: Mittei- nover scheitert. Als Gasthörerin ohne Abi- Deutschen Bauausstellung in Berlin in der lungsblatt für den Landkreis Köthen/An- Gutshaus Meden, Umbau 1935 tur studiert - „E.” Winkelmann - ab 1901 Abteilung „Das Bauwerk unserer Zeit“ prä- halt, 7.Jg., Nr.7, 9.4.1998, S.2 467 Zu Emilie Winkelmann siehe insbesondere an eben dieser Hochschule. Zum Diplom sent. wird sie als Frau 1905 nicht zugelassen. Stratigakos, 1999

Biografien 411 Im Dezember 1933 besteht Zauleck hier Ab 1947 arbeitet Luise Seitz am „Institut die Diplom-Vorprüfung, ab dem Winterse- für Bauwesen der Akademie der Wissen- mester 33/34 besucht sie das Seminar bei schaften”. Wie lange sie dort tätig bleibt, Tessenow. Dort folgt nach dem „kleinen ist unklar. Gustav Seitz kehrt 1946 aus der Wohnhaus“ im Sommer 1934 der Entwurf Gefangenschaft zurück und wird als Pro- eines Krankenhauses. Im Wintersemester fessor an die TH Berlin, 1947 an die Hoch- 1934/35 entwirft sie „Ladenbauten”, an- schule für Bildende Künste berufen. Als er schließend ein „Arzthaus”. Sie besteht im 1951 in die Deutsche Akademie der Kün- Juli 1936 mit dem von Walter Löffler be- ste in Berlin-Ost aufgenommen wird - es Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar treuten Entwurf einer „Kunsthochschule” ist die Zeit des Kalten Krieges - wird er an bei Tessenow die Diplomhauptprüfung. der HfBK im Westteil Berlins entlassen. An Entwürfe aus der Studienzeit sind - mit der Akademie leitet er ein Meisteratelier. Ausnahme einer Schnittzeichnung der Di- Als Gustav Seitz 1958 an die Hochschule plomarbeit - nicht erhalten. für Bildende Kunst in Hamburg berufen Sie lernt Gustav Seitz kennen, der an den wird, siedelt das Ehepaar nach Hamburg Vereinigten Staatsschulen bei Wilhelm um. Von Luise Seitz sind nach dem Weg- Gerstel Bildhauerei studiert und 1933 ein gang aus Berlin noch einzelne künstleri- Luise Zauleck Meisterschüleratelier an der Akademie der sche Arbeiten zu finden, darunter ein Re- [Charlotte] Luise Zauleck, spätere Künste bezogen hatte. 1936 arbeitet er mit liefportrait ihres Vaters.472 Ohne konkreten Seitz[-Zauleck] (ab 4.11.1937), Tessenow beim Wettbewerb für ein KdF- Anlass oder Auftrag entstehen jedoch kei- Dipl.Ing., HTG Seebad auf Rügen zusammen. Seit Sep- ne architektonischen Arbeiten mehr. Sie tember 1936 arbeitet Luise Zauleck für engagiert sich vielfältig sozial wie kulturell geb. 14.8.1910 Weidenau - gest. 11.10. Walter Löffler, ab März 1937 im Büro von und ist u.a. jahrelang im Vorstand der 1988 Hamburg, beigesetzt in Hamburg- Günther Wentzel. Am 4.11.1937 heiraten Heinrich-Tessenow-Gesellschaft aktiv. Blankenese Luise Zauleck und Gustav Seitz (11.6.1906 1965 erwerben Luise und Gustav Seitz in Mannheim - 26. 10.1969 Hamburg) in Ber- der Mörickestraße in Hamburg-Blankenese lin-Charlottenburg. Sie bleibt berufstätig. Studium an der TH Charlottenburg 1931 ein Grundstück, auf dem sie ein „kleines bis 1936, Diplom Luise und Gustav Seitz, die dem Kreis um und bescheidenes Wohnhaus“ errichten, 468 Der Architekt Christian Zauleck ist in Ham- die Rote Kapelle angehört haben sollen, das auch Tessenowsche Einflüsse zeigt. burg ansässig, aber auch anderorts tätig, 1910 in Weidenau im Siegerland als älteste pflegen einen großen Freundeskreis, zu Nach dem Tod ihres Mannes 1969 ordnet 1922 beteiligt er sich bspw. mit dem Kolle- Tochter des Pfarrers Johannes Zauleck dem u.a. die Architekten Egon Eiermann, Luise Seitz dessen umfangreichen Nach- gen Hormann am Wettbewerb für ein Hoch- (1877-1942) und seiner Frau Elisabeth geb. Hans Fehling und Alfons Leitl zählen. 1938 lass und überführt ihn in eine Stiftung. Sie haus am Bahnhof Friedrichstraße. Vgl. Bau- Spennemann geboren, wächst Luise Zau- wird Luise Seitz-Zauleck in die Abt. Bau- starb 1988 in Hamburg. warte, 1.Jg., 1925, S.231. leck mit drei Geschwistern in Bochum und kunst der Reichskulturkammer aufgenom- Für biografische Informationen danke Wetter a.d.Ruhr auf. Dort bezieht die Fami- men. Sie soll mehrere Häuser in Berlin re- ich Gertrud Zauleck 469 NL Zauleck lie 1925 ein neuerbautes Pfarrhaus, das alisiert haben. In Briefen an die Eltern ist 470 Bisher ist keines dieser Projekte bekannt. Quellen: von einem Bruder des Vaters entworfen ab dem Jahr 1938 des öfteren von priva- HTA, Karteikarte Luise Zauleck, HTG, 471 Ob sie in dieser Zeit an „Das Bauernhaus worden war.468 Luise Zauleck soll sich ten Bauaufträgen sowie Schwierigkeiten Schriftwechsel, im Gau Tirol und Vorarlberg” mitarbeitet, sehr für diese Baustelle, aber auch für Li- mit verschiedenen Bauherren die Rede. NL Seitz-Zauleck, Briefe, Bewerbung zur Aufnahme in eine Pädagogische bleibt unklar. Diese Publikation Otto Rau- teratur und Astronomie interessiert haben. Bisher lassen sich diese Aufträge nicht do- Akademie, 1930 ters erscheint 1943 in Berlin in der von Aus gesundheitlichen Gründen muss sie in kumentieren. 1940 wird Gustav Seitz Sol- Jessen, Peter: Luise Seitz zum Geden- Konrad Meyer herausgegebenen Reihe dat. Um 1941 fragt Seitz-Zauleck erneut ken, undat., um 10/1988 ihrer Jugend des öfteren die Umgebung Gespräch mit Gertrud Zauleck am Schriften für neues Bauerntum. und damit die Schulen wechseln. Ostern bei der RKK eine Genehmigung an. Ab Ap- 15.10.1995 in Wetter/Ruhr 1930 erwirbt sie das Abitur am Oberlyze- ril 1942 arbeitet sie für Otto Rauter im Auf- um in Hagen. Den Sommer verbringt sie trag des Reichskommissars für die Erhal- Arbeitsgruppe „Berlin plant“, 1946, Luise Seitz dritte von rechts tung deutschen Volkstums im Osten an Luise Seitz-Zauleck und Gustav Seitz um 1937 als Haustochter in der Nähe von London. 471 Ihre Berufswünsche schwanken zwischen landwirtschaftlichen Bauten. Freiberuf- Architektur und Pädagogik. Im Herbst be- lich ist sie ab Juli 1942 mit der Planung wirbt sie sich für die Aufnahme in die pä- des Ortsteils Rehbrücke bei Potsdam be- dagogische Akademie.469 Als sie abgelehnt schäftigt.

wird, sucht sie eine Praktikantinnenstelle. Im Juni 1945 wird Luise Seitz Dezernentin Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Sie mauert und tischlert neun Monate in für Wohnungsplanung im „Hauptamt für Dortmund und Wetter, bevor sie sich zum Planung II” beim Magistrat Berlin. In dieser Wintersemester 1931/32 unter der Matr.Nr. Funktion ist sie an der 1946 im Weißen 45059 an der TH Charlottenburg für Archi- Saal des Berliner Stadtschlosses stattfin- tektur immatrikuliert. denden Ausstellung „Berlin plant“ beteiligt.

412 Anhang her unbekannt. Sie studiert zügig und be- 83 Jahren das Leben.477 Stefanie und Erna steht zwei Jahre später - Ostern 1919 - die Zwirn tauchen unter und werden im Preu- Vorprüfung mit „befriedigend“. Nach einem ßischen Staatsanzeiger als „flüchtig - ille- weiteren Semester unterbricht sie das Stu- gal“ gesucht. Wie aus der entsprechenden dium für Praktika, u.a. in der Siedlerschule Akte des Oberfinanzpräsidiums hervor- Worpswede (Leberecht Migge).473 Zum geht, wird Stefanie Zwirn bald verhaftet Herbst 1920 schreibt sie sich an der TH und zur Arbeit bei den Deutschen Waffen- Karlsruhe ein. Nach drei weiteren Seme- und Munitionsfabriken, Werk Borsigwalde stern legt sie dort am 18.5.1922 die Di- gezwungen. Ihr dortiger Lohn taucht als Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar plomhauptprüfung ab. Ihr Entwurf einer „Vermögensbeschlagnahmesache“ auf. Er Volksschule wird mit „genügend“ bewertet. wird am 7.5.1943 letztmalig konfisziert. Wo sie in den folgenden Jahren arbeitet, Stefanie Zwirns Spur lässt sich nach die- wissen wir bisher nicht. 1931 erscheint in sem Datum bisher nicht verfolgen. Somit der Bauwelt ein Artikel unter dem Namen bleibt offen, ob sie erneut untertauchen „Zwirn“ über die nach Wettbewerbsgewinn konnte oder um ihr Leben gebracht wurde.

1927 ausgeführte Mädchen- und Knaben- Für biografische Informationen sowie schule des Büros Mebes und Emmerich in Hinweise zum Studium Stefanie Zwirns 472 Für die Lebensdaten der Eltern danke ich Luise Seitz 1977 Apolda. Möglicherweise war Zwirn an die- danke ich Despina Stratigakos Hermann Simon, Centrum Judaicum Berlin. 474 sem Bauvorhaben beteiligt. 1932 wer- Quellen: 473 In Berlin war sie ab 18.4.1917 bis 29.8. den mehrere Lauben nach ihren Entwürfen LAB, Adressverzeichnisse Berlin, A- Geist, J.F. / Kürvers, K.: Das Berliner 1919 immatrikuliert. auf der „Berliner Sommerschau” gezeigt Rep. 092, OFP 05205-Sm 32 / 18028 Mietshaus, Bd.3, München, 1989, S.219 Das schöne Heim, 4.Jg., München, 474 Bisher läßt sich diese Vermutung nicht be- Friedemann, Peter: Johannes Zauleck - und verschiedentlich publiziert. 1932/33, S.32 Ein deutsches Pfarrerleben zwischen legen. Dafür spricht jedoch einerseits die Ab 1932 stellt Zwirn gemeinsam mit Fritz Deutsche Kunst und Dekoration, 1933, Kaiserreich und Diktatur, Bielefeld, 1990 S.32 detaillierte Projektdarstellung (bspw. wer- Spannagel Bauwelt Sonderhefte zusam- Maison, Hans: 25 Kleinhäuser im Preis den die Sportmöglichkeiten für Mädchen 475 men. Bereits die erste dieser Publikatio- von 5000 bis 10 000 Mark, Bauwelt besonders aufgeführt), zum anderen die Zosel-Weckend, Ruth Sonderheft, H.4, Berlin, 1934 nen wird ein Erfolg: „25 Sommerlauben Tatsache, daß Zwirn kurze Zeit später unter siehe Weckend, Ruth 25 schöne Landhäuser über 20 000 und Wohnlauben“ erscheint ein Jahr spä- Mark, Bauwelt Sonderheft, H.9, Berlin, vollem Namen für die Bauwelt schreibt. Zuschneid, Irina siehe Kaatz, Irina ter schon in der 4. Auflage. Darin stellt sie 1934 Wahrscheinlich markiert dieser Artikel den u.a. die „Laube eines geistigen Arbeiters“ erneut publiziert in Kühne, Günter: 25 Kleinhäuser, Bauwelt Sonderheft (Neue Übergang von der mehrjährigen Angestell- und ein „Kleinsthaus in Plattenbauweise” Reihe), Berlin, 1952, S.17 tentätigkeit zur Freiberuflichkeit. vor. Stefanie Zwirn betreibt ihr Büro in der 475 Fritz Spannagel (1891-1958) war 1932 Di- Stefanie Zwirn, Dipl.Ing. Steglitzer Markelstraße. Ab 1933 erscheint eigene Schriften: Zwirn: Bergschule in Apolda in Thürin- rektor der Höheren Fachschule der Stadt sie mit eigenem Eintrag im Branchenbuch: gen, Bauwelt, 21.Jg., 1931, S.197-201 Berlin für Möbelbau und Innenarchitektur. geb. 5.6.1896 Berlin-Wilmersdorf - Da- In dieser Zeit realisiert sie in Fichtenau, diess. (zusammen mit Fritz Spannagel) ten nach 1943 unbekannt südöstlich von Berlin ein Kleinhaus für eine 25 Sommerlauben und Wohnlauben im 476 Der Eintrag im Branchenfernsprechbuch er- Preis von 100 Mark bis 3000 Mark, scheint letztmalig 1936. Der Eintrag im fünfköpfige Familie und in Berlin-Zehlen- Bauwelt Sonderheft, H.1, Berlin, 1932 dorf ein „Haus mit acht Zimmern” für eine 25 heizbare Wohnlauben, Bauwelt Son- Fernsprechbuch mit dem Zusatz „Architek- Studium an der TH Charlottenburg 1917 dreiköpfige, bildungsbürgerliche Familie. derheft, H.2, Berlin, 1932 tin" läßt sich 1939 letztmalig nachweisen. bis 1919, an der TH Karlsruhe 1920 bis Auch diese Bauten kann sie in Bauwelt- 477 Gedenkbuch Berlin: Selma Zwirn, Freitod, 1922, Diplom Sonderheften publizieren. Sächsische Str.9, Wilmersdorf wurde 1896 in Berlin-Wilmersdorf als zwei- Das Berufsverbot für nicht-arische Archi- te Tochter des Kaufmanns Naumann Zwirn tektInnen wird im Dezember 1934 über Wohnlaube für eine Familie mit mehreren Kindern, gezeigt auf der „Berliner Sommerschau”, 1932 (29.12.1855 Rogasen - 3.8.1925 Berlin) Stefanie Zwirn verhängt. Sie ist gezwun- und seiner Frau Selma geb. Itzig (8.5.1859 gen ihr Büro in Steglitz zu schließen. Ihr Frankfurt/O.- 15.9.1942 Berlin) geboren.472 Name erscheint 1937 im Telefonbuch mit Der Vater betreibt ein Spirituosengeschäft dem Zusatz „Dipl. Ing. Architekt“ unter der in der Eislebener Straße in Charlottenburg, Adresse ihrer Mutter in der Sächsischen die jüdische Familie wohnt in der Lefèvre- Straße 9 in Wilmersdorf.476 Im Gartenhaus straße in Friedenau. desselben Grundstücks wohnt nun auch

Stefanie Zwirn erwirbt das Reifezeugnis an die vier Jahre ältere Schwester Erna, die in Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar der Auguste-Viktoria-Studienanstalt Char- den zwanziger Jahren als Kauffrau arbeitet lottenburg bevor sie sich im Alter von fast und zwischenzeitlich in Kassel lebte. 21 Jahren an der TH Charlottenburg für Im September 1942 nimmt sich Selma Architektur immatrikuliert. Wie sie auf die Zwirn - wahrscheinlich angesichts der be- Idee kam, Architektur zu studieren ist bis- vorstehenden Deportation - im Alter von

Biografien 413 Abkürzungen

NSBdT Nationalsozialistischer Bund deutscher Techniker AAKW Archiv der Akademie für Angewandte Kunst Wien NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Abb. Abbildung(en) NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund (gegr. 1926) ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund NSF Nationalsozialistischer Frauenverband AdKB Akademie der Künste Berlin N.S.K. Nationalsozialistischer Kurier AdKBK Archiv der Akademie der Künste Berlin Abteilung Baukunst NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt AdKS Archiv der Akademie er Künste, Schriftstellerarchiv PA Personalakte A.I.A. American Institute of Architects Pg./Pgn. Parteigenosse/Parteigenossin der NSDAP AIV Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin, Nachfolger des AVB RFG Reichsforschungsgesellschaft für die Wirtschaftlichkeit im ASSO Assoziation revolutionärer bildender Künstler Wohnungswesen AVB Architektenverein zu Berlin RDH Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine B.A. Bachelor of Arts RFF Reichsfrauenführung BArchB Bundesarchiv Koblenz/ Außenstelle Berlin-Lichterfelde RKK Reichskulturkammer, resp. RKK-Aktenbestände im Bundesarchiv BBK Bund Berliner Künstler RSK Reichsschrifttumskammer BDA Bund Deutscher Architekten RvBK Reichsvereinigung Bildender Künstler BDF Bund deutscher Frauenvereine SBW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Staatliches Bauhaus BdT Bund Deutscher Techniker Weimar, Sign. Bl. BGB Bürgerliches Gesetzbuch SIAC Societé Internationale des Artistes Catholiques BHAB Bauhaus Archiv e.V. Berlin SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs BHD Bauhaus Schriftenarchiv Dessau STABI Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin B.S. Bachelor of Science TH Technische Hochschule BUGRA Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Grafik, Leipzig 1914 TU Technische Universität BUSB Berlin und seine Bauten UAM Union d´Architectes Modernes CDU Christlich Demokratische Union UIFA Union Internationale des Femmes Architectes CIAM Congres International d´Architecture Moderne VBK Verein der Berliner Künstlerinnen DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst VDAI Verein deutscher Architekten und Ingenieure dab Deutscher Akademikerinnenbund VDI Verein deutscher Ingenieure DAF Deutsche Arbeitsfront VdT Verein deutscher Technik(er) DAM Deutsches Architekturmuseum Frankfurt/Main VLG Vereinigte Lausitzer Glaswerke (mit Sitz in Weiswasser) DBA Deutsche Bauausstellung VHS Volkshochschule DBZ Deutsche Bauzeitung VS Vereinigte Staatsschulen Berlin DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft WKS Werkkunstschule DLC Deutscher Lyzeumclub WPA Work Progress Art Program DWB Deutscher Werkbund ZV Zentralvereinigung der Architekten Österreichs EKD Evangelische Kirche in Deutschland EMK Einwohnermeldekartei Berlin FGS Frauengewerbeschule FN Fußnote Verzeichnis der Gespräche und Interviews Gagfah Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten GBI (Büro des) Generalbauinspektor(s) der Reichshauptstadt GDI Gesellschaft Deutscher Ingenieurinnen Interview mit Gerda Bijhouwer am 4.10.1995 in Wageningen-Hoog GET Getty-Center for the Arts and the Humanities, Santa Monica GSP Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Gespräch mit Dipl.Ing. Lieselotte Boedeker am 16.10.1995 in Tübingen HBO Hogere Beroepsopleidig HdKA Archiv der Hochschule der Künste Berlin Gespräch mit Christa Carras-Mory am 29.1.1998 in Berlin HfBK Hochschule für Bildende Künste Telefonat mit Dipl.Ing. Iwanka Hahn am 8.8.1998 HGS Handels- und Gewerbeschule HTA Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek Berlin, Heinrich- Gespräch mit Emil Bert Hartwig am 27.8.1995 in Freinsheim Tessenow-Archiv HTG Heinrich-Tessenow-Gesellschaft e.V. Gespräch mit Prof. Hubert Hoffmann am 28.10.1995 in Berlin HWS Handwerkerschule Telefonat mit Dipl.Ing. Christa Kleffner-Dirxen am 19.1.1998 IAH Internationale Arbeiter-Hilfe IAWA International Archive of Women in Architecture, Blacksburg/Virginia Gespräch mit Ella Kreher am 25.3.1998 in Hoorn IRA Internationale Raumausstellung, Köln 1931 JRF Jewish Research Foundation, New York Telefonat mit Dipl.Ing. Klara Küster am 9.8.1997 KDAJ Kommunistische deutsche Arbeiterjugend Interview mit Sibylle Lehmann am 23.9.1995 in Berlin KGS Kunstgewerbeschule KPD Kommunistische Partei Deutschlands Interview mit Dipl.Arch. Annamaria Mauck am 17.11.1995 in München KPÖ Kommunistische Partei Österreichs LAB Landesarchiv Berlin Interview mit Prof. Grete Meyer-Ehler am 1.7.1998 in Berlin LKK Luftkreiskommando Telefonate mit Dipl.Ing. Ewa Oesterlen im November 1997 LL Lebenslauf LRIBA Royal Institute of British Architects Interview mit Dr.Ing. Hildegard Oswald am 14.10.1997 in Berlin MA8 Einwohnermeldeamt der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8 MRP Meisterratsprotokoll Interview mit Dipl.Arch. Hilde Reiss, Oktober 1995, Gespräche am 10.3.1997 und 10.9.1998 M.S. Master of Science Gespräch mit Prof. Clemens Weber, Oktober 1995 in München NAI Nederlands Architectur Institut, Rotterdam NL Nachlass Interview mit Eva Weininger am 2.12.1995 in New York

414 Abkürzungen Literaturauswahl

Adler, Leo dies. Brinkschulte, Eva

Vom Wesen der Baukunst, Leipzig, 1926 Frauen am Bauhaus - ein Mythos der Emanzipation, in: Fied- Weibliche Ärzte - Die Durchsetzung des Berufsbildes in ders. ler, Jeannine / Peter Feierabend (Hg.): Bauhaus, Köln, 1999, Deutschland, Berlin, 1993 S.96-107 Neuzeitliche Miethäuser und Siedlungen, Berlin, 1931 Bruening, Elfriede Beer, Ingeborg Albisetti, James Und außerdem war es mein Leben, München, 1998 Architektur für den Alltag. Vom sozialen und frauenorientierten Schooling German Girls and Women: Secondary and Higher Bundesarchiv Koblenz (Hg.) Anspruch der Siedlungsarchitektur der zwanziger Jahre, Ber- Education in the Nineteenth Century, Princeton, 1988; Gedenkbuch "Opfer der Verfolgung der Juden unter der na- lin, 1994 Allmayer-Beck, Renate / Susanne Baumgartner-Haindl / Marion tionalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933- Benker, Gitta Lindner-Gross / Christine Zwingl 1945", Koblenz, 1986 Grenzüberschreitungen. Studentinnen in der Weimarer Repu- Margarete Schütte-Lihotzky, Soziale Architektur - Zeitzeugin Burchardt, Anja blik, Pfaffenweiler, 1991 eines Jahrhunderts, Wien, 1993 Blaustrumpf - Modestudentin - Anarchistin? Deutsche und Berger, Renate Arndt, Konstanze russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896-1918, Stuttgart, Malerinnen auf dem Weg ins 20.Jahrhundert, Köln, 1982 1997 Weiß, Rein, Klar, Hygienevorstellungen des Neuen Bauens und ihre soziale Vermittlung durch die Frau, Arbeitsberichte Bijhouwer, Roy Burckhardt, Lucius (Hg.) des FB 13, GHKassel, Heft 114, Kassel, 1994 Raumwirkung und Rhythmus - Eine Analyse des städtebauli- Der Werkbund in Deutschland, Österreich und der Schweiz,

Arnold, Peter chen Oeuvres von Lotte Stam-Beese, in: Damen, Hélène / An- Stuttgart, 1978 ne-Mie Devolder (Hg.): Lotte Stam-Beese, Rotterdam, 1993 Vom Sofakissen zum Städtebau, Die Geschichte der Deut- Bussemer, Herrad-Ulrike schen Werkstätten und der Gartenstadt Hellerau, Dresden, Bloch, Karola Frauenemanzipation und Bildungsbürgertum. Sozialgeschich- 1994 Aus meinem Leben, Pfullingen, 1981 te der Frauenbewegung in der Reichsgründerzeit, Weinheim /

Bäumer, Gertrud Bock, Gisela Basel, 1985

Krisis des Frauenstudiums, Leipzig, 1932 Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspekti- Byars, Mel

Bánki, Esther ven, in: Hausen, Karin (Hrsg.): Frauen suchen ihre Geschichte, The Design Encyclopedia, New York, 1994 München, 1987 Die “Bauhäuslerin” Zsuzska Bánki 1912-1942, Diplomarbeit Campbell, Joan am Institut für neuere Kunstgeschichte der Literaturfakultät dies. 1997 Der Deutsche Werkbund: 1907-1934, dt. Ausgabe, Stuttgart, der Katholieke Universiteit Nijmegen, 1990 Ganz normale Frauen. Täter, Opfer, Mitläufer und Zuschauer 1981

Barron, Stephanie / Sabine Eckmann (Hg.) im Nationalsozialismus in: Heinsohn, Kirsten / Barbara Vogel / Colomina, Beatriz Ulrike Weckel (Hg.): Zwischen Karriere und Verfolgung, Hand- Exil. Flucht und Emigration europäischer Künstler 1933-1945, Battle Lines: E.1027, in: Hughes, Francesca (Hg.): The Archi- lungsräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutsch- München, 1997 tect - Reconstructing her Practice, Cambridge, 1996, S.2-22 land, Frankfurt/M., 1997 Bauhaus Archiv Berlin (Hg.) dies. Bock, Petra Bauhaus in Berlin, Katalog, Berlin, 1995 Koppels - Couplings, in: Oase 51, Delft, 1999, S.20-33 Neue Frauen und die Weimarer Republik, in: Bock, Petra / Baumhoff, Anja Katja Koblitz (Hg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin, Crhonek, Ilos Zwischen Berufung und Beruf: Frauen am Bauhaus, in: Pro- 1995, S.14-37 Bohuslav Fuchs - the lifework, Brünn, 1995

fession ohne Tradition, Berlin, 1992 Boeckl, Matthias / Otto Karpfinger Czech, Danuta dies. Visionäre und Vertriebene, Österreichische Spuren in der mo- Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Au- Die “moderne” Frau und ihre Stellung in der Bauhaus-Avant- dernen amerikanischen Architektur, in: Boeckl, Matthias (Hg.): schwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek, 1989

garde. In: Sykora, K., et.al. (Hg.): Die neue Frau. Herausforde- Visionäre und Vertriebene, Wien, 1995, S.19-41 Damen, Hélène / Anne-Mie Devolder (Hg.) rung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg, 1993 Boedeker, Elisabeth Lotte Stam-Beese, Rotterdam, 1993 dies. 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland, Verzeichnis der Dok- Dietzsch, Folke Gender, Art, and Handicraft at the Bauhaus, Ph.D., John torarbeiten von Frauen 1908-1933, Hannover, 1935 (Bd.I) bis Die Studierenden am Bauhaus. Eine analytische Betrachtung Hopkins University, Baltimore / ML, 1994 1939 (Bd.IV) zur Struktur der Studentenschaft, zur Ausbildung und zum Le- dies. Brandt, Marianne ben der Studierenden am Bauhaus sowie zu ihrem späteren Gleichberechtigung, Duldung oder Ausschluß? Bauhäuslerin- Brief an die junge Generation, 1966, in: Neumann, Eckhard Wirken, Dissertation, HAB Weimar, 1990 nen in der Weimarer Republik. In: Bauhaus Dessau (Hg.): (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler, Köln, 1985 Gunta Stölzl, Katalog, Dessau, 1997, S.87-92

Literaturauswahl 415 Domansky, Erika ders. Gildemeister, Regine / Angelika Wetterer

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420 Anhang