27. Jahrgang Nr. 1 März 2016 Sozialimpulse

Rundbrief Dreigliederung des sozialen

Freiheit Organismus und Verantwortung

Offene Fragen im Verhältnis von Geistesleben, Wirtschaft und Staat

Innere Bedingungen freien Geisteslebens

Das Geistesleben im sozialen Organismus

Zeichen der Zeit, Betrachtungen

Initiativen, Literatur Herausgegeben von der Initiative Netzwerk Dreigliederung 

Editorial Inhalt er Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helfer, die Ddenen beistehen, die vor Krieg und Terror in Syrien Freiheit und Verantwortung und anderswo geflüchtet sind, ist großartig. Wir kön- Offene Fragen im Verhältnis von nen uns freuen, dass sich bei der Abstimmung am 28. Geistesleben, Wirtschaft und Staat Februar in der Schweiz eine Mehrheit für Rechtsstaat- (Verschiedene Beiträge, zusammenfassende lichkeit und gegen die Abschiebung von Ausländern Transkripte: Katharina Offenborn)______3 auch bei kleinen Delikten ausgesprochen hat. Aber Zivilgesellschaft und freies Geistesleben neben solchen Zeichen der Hoffnung gibt es auch die (Clara Steinkellner)______3 furchtbaren Anschläge in Brüssel, gibt es so vieles, dass Freiheit und Verantwortung einen mit Sorge erfüllte: Eine Partei, in der führende (Udo Herrmannstorfer)______6 Mitglieder fordern, auf Grenzverletzer zu schießen Innere Bedingungen freien Geisteslebens und der es trotzdem gelingt, bei Landtagswahlen eine (Udo Herrmannstorfer)______9 zweistellige Zahl von Stimmen zu gewinnen; einen Geistesleben und Staat (Thomas Brunner, US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der Gerald Häfner, Christoph Strawe)______11 Hassreden führt und auf Kosten Mexikos eine Mauer Geistesleben und Wirtschaft (Gerhard Schuster, gegen Migranten bauen will; erschütternde Bilder des Thomas Brunner)______18 Flüchtlingselends an der mazedonischen Grenze; den Das Geistesleben im sozialen Organismus Deal zwischen der EU und der Türkei, von dem Kritiker (André Bleicher, Eckhard Behrens)______21 sagen, er heble das Recht auf Asyl ein weiteres Stück aus. Gewiss ist er aus der Not geboren, aber die Not Zeichen der Zeit ______26 ist nicht zuletzt aus der Unfähigkeit entstanden, jene Warum sind Elektroautos so teuer? Solidarität herzustellen, die zur Lösung des Problems (Hans-Bernd Neumann) | Friedensbildung notwendig wäre. An den langfristigen Fluchtursachen im Kaukasus (Otto Ulrich) im Nahen Osten haben Europa und die USA erheb- lichen Anteil. Insofern können wir uns nicht aus der Betrachtungen und Berichte______28 Verantwortung stehlen. In welchen Strömungen stehen die Bochumer Bankeinrichtungen? (Hans-Florian Hoyer) | Basel: Konfliktursachen sind auch die Verweigerung kulturel- Abstimmung zur Bodennutzung | Gedenken an Peter Conradi | Freie Schulen und staatliche ler Autonomie und religiöse Intoleranz. Insofern hat Schulverwaltung (Detlev Hardorp) das Thema „Freiheit und Verantwortung � Offene Fragen im Verhältnis von Geistesleben, Wirtschaft und Staat”, das im Mittelpunkt des Heftes steht, durchaus Initiativen und Termine______36 auch mit dem Skizzierten zu tun. Die Transkripte von Eine Hochschule für Philosophie und Ökonomie Beiträgen zu einer entsprechenden Veranstaltung im an der Mosel | Treffen und öffentliche Buchprä- Forum 3 Stuttgart vermitteln einen Eindruck von der sentation in Achberg | Demetrius-Tagung | Future Finance | Zweiter Geldgipfel | Klimapolitik | Lebendigkeit der Diskussion und dem Versuch, mit Kon- Forum 3 | Freie Bildungsstiftung troversen fruchtbar umzugehen und Gemeinsamkeiten zu suchen. Verwiesen sei auch auf Betrachtungen Zuschriften______40 bzw. Berichte u.a. zur Entwicklung der Bochumer Arst Wagner | Walter Hollmann | Michael Kalisch Bankeinrichtungen und zum Thema „Freie Schulen und staatliche Schulverwaltung”. Besonders reichhaltig sind Literatur______41 diesmal die Literaturhinweise. Frederic Laloux: Reinventing Organizations (Alfred Groff) | Werner Merker: Vom mechanistischen Leider musste unsere Druckerei Anfang des Jahres die zum lebendigen Denken (Otto Ulrich) | Roland Preise erhöhen, wobei es sich primär um Papierpreise Geitmann: Weisheitsschätze der Religionen der Hersteller handelt, die bisher noch nicht an uns (Christof Karner) | Daniel Häni, Philip Kovce: Was weitergegeben wurden. Da es sich um eine Größen- fehlt, wenn alles da ist? (C. Strawe) | Karl-Martin ordnung von ca. 15% handelt, sind wir dankbar, wenn Dietz: Wie Menschen frei werden (C. Strawe) sich Leser finden, die ihren Sachkostenbeitrag für die Hefte etwas aufstocken können. Werkstätten und Kolloquien______47 Ihr Impressum Sozialimpulse – Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus. Herausgegeben von der Initiative Netzwerk Drei- gliederung, Libanonstr. 3, D-70184 Stuttgart, Tel. +49 (0) 711 – 23 68 950, E-Mail: [email protected], Internet: www.sozialimpulse.de. ISSN 18630480. Redaktion und Ver­waltung: Prof. Dr. Christoph Strawe. Lektorats­mitarbeit: Katharina Offenborn. Gestaltungskonzept: Marion Ehrsam. Logo: Paul Pollock. Druck: Offizin Scheufele, Stuttgart. Es erscheinen vier Hefte pro Jahr. Versand (Abo) auf Bestellung und gegen Kostenbeitrag (Richt­satz für das volle Jahr EUR 20,-). Zahlungen bitte durch Über­­weisung auf Konto-Nr. 1161625, Treuhand­konto Czesla, Baden-Württem­bergische Bank, BLZ 60050101 (IBAN: DE 65 6005 0101 0001 1616 25, BIC/SWIFT-Code: SOLADEST600) oder in bar. Bitte jeweils das Stichwort „Rundbrief” angeben. Bezieher in DE können uns auch ein SEPA-Lastschriftmandat erteilen (bitte genauen Betrag angeben). Redaktionsschluss jeweils 1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

2 Sozialimpulse 1/16 Geistesleben, Wirtschaft und Staat Geistesleben, Wirtschaft und Staat

Zivilgesellschaft und freies Freiheit und Geistesleben Verantwortung Clara Steinkellner u Beginn möchte ich im Namen der Freien Z Bildungsstiftung vor allem all jenen danken, die dieses Arbeitstreffen möglich gemacht haben, und dass wir die Möglichkeit haben, miteinander ins Gespräch zu kommen, nachdem es ja eigentlich seit über zehn Jahren immer wieder – in den „Sozialim- pulsen“ dokumentierte – Dialoge und Debatten gab zur Frage, wie denn die Finanzierung des Geistesle- Offene Fragen bens auf Grundlage der Steinerschen Erkenntnisse im Verhältnis von heute zu gestalten sei. Nun, „Zivilgesellschaft“ und „Freies Geistesleben“ Geistesleben, sind ja sehr grundlegende Begriffe. Ich möchte gerne mit Ihnen gemeinsam neu und frisch darüber nachdenken und dem nachspüren, was alles zu Wirtschaft und Staat diesen Begriffen gehört, auch wenn am Anfang nicht wirklich ersichtlich ist, inwiefern diese großen Christoph Strawe Gedanken mit den kniffeligen und strittigen Finan- zierungsfragen zu tun haben sollen.

m 12./13. Februar 2016 fand im Forum 3 Stuttgart Die aktuelle Flüchtlingsproblematik zeigt ja, dass A eine öffentliche Werkstatt mit anschließendem vieles ohne eine aktive Zivilgesellschaft in unserer Fachkolloquium zum oben genannten Thema statt. Gesellschaft gar nicht machbar und tragbar wäre. Trotzdem stellt sich die große Frage: Was meinen wir Individuelle Mündigkeit braucht gesellschaftliche eigentlich, wenn wir von Zivilgesellschaft sprechen? Verhältnisse, in denen Selbstbestimmung und Verant- Was verbinden wir mit diesem Begriff? Wozu dient wortung auch gelebt werden können. Die Befreiung er überhaupt? Ich habe an der Universität Wien den des Geisteslebens von der Fremdbestimmung durch transdisziplinären Studiengang „Internationale Ent- staatliche und wirtschaftliche Mächte erscheint als wicklung“ mitgemacht � der von der linksalternativen eine Konsequenz aus dieser Grundüberlegung. Was Szene inspiriert ist –, wo wir neben anderem intensiv aber bedeutet das für die konkrete Gestaltung der „Politische Ökonomie“ studierten. Da war immer nur Verhältnisse im Geistesleben selbst bzw. zwischen von „Markt“ und „Staat“die Rede: Wie die beiden Kultursphäre, Wirtschaft und Staat im ganzen so- sich bedingen und aufeinander wirken und wie die zialen Gefüge? Hier sind viele Fragen offen. Das Gesellschaft in dieser Polarität funktioniert. Gespräch in Stuttgart sollte durch fruchtbare Kon- troverse und die Suche nach Gemeinsamkeiten mehr Klarheit bringen. Zivilgesellschaft als dritte Kraft neben Markt und Staat Dazu trug dann die rege Teilnahme und vor allem auch die Anwesenheit der Vertreter unterschiedlicher Dem gegenüber war es dann wirklich erfrischend, in Strömungen der Dreigliederungsbewegung bei (Insti- der neueren Forschungsliteratur immer öfter auch die tut für soziale Gegenwartsfragen, Freie Bildungsstif- Zivilgesellschaft als dritte gesellschaftliche Sphäre, tung, Internationales Kulturzentrum Achberg, Seminar die unabhängig von Markt und Staat besteht, be- für freiheitliche Ordnung Bad Boll, Sozialwissenschaft- rücksichtigt zu finden. Gerade in den 2000er Jahren liche Sektion am ). Im Folgenden hat gab es einen ungeheuren Boom, könnte man fast Katharina Offenborn die beiden Referate am Freitag- sagen, in der sozialwissenschaftlichen Erforschung abend und die Gesprächseinleitungen beim Kolloqui- der „Civil Society“, und zwar rückwirkend durch die um am Samstag wiedergegeben. Clara Steinkellner, ganze Menschheitsgeschichte. Udo Herrmannstorfer, Thomas Brunner, Gerhard Schuster und Eckhard Behrens haben die Tran­s­kripte Doch was Zivilgesellschaft eigentlich ist, ist immer ihrer Beiträge durchgesehen bzw. redigiert. noch schwer zu greifen – anders als Markt und Staat, die ihre selbstverständlichen Zuständigkeiten haben. Das hängt damit zusammen, dass zivil­ gesellschaftliches Engagement immer von einzelnen Menschen ausgeht und abhängt. Zur Zivilgesell- schaft gehören alle Organisationen, die dadurch in der Gesellschaft sichtbar werden, dass sie etwas tun, die sich aber gleichzeitig weder Markt noch Staat zuordnen lassen und deren Erscheinen auch niemals

Sozialimpulse 1/16 3 Wissenschaft, Kunst, Religion Wissenschaft, Kunst, Religion

von oben bestimmt oder von außen geplant werden Ich möchte jetzt mit Ihnen die großen Bereiche, die kann. Das hängt mit dem Geheimnis der Initiative zum Geistesleben gehören, durchgehen, damit wir zusammen. Das Wort „Initium“ bedeutet Anfang. ein Bild davon bekommen, warum ein wirklich freies D.h. alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, Geistesleben viel Bewegung braucht und inwiefern die heute irgendwo in der Welt bestehen, egal, ob es einen großen Erneuerungsimpuls in sich trägt. kleine Vereine oder große NGOs wie Amnesty In- Gerade wenn man im Kontext der Dreigliederung ternational, sind von konkreten Menschen begründet vom freien Geistesleben spricht, sehe ich es als worden, haben ihre Existenz einem „zündenden“ unsere große Aufgabe, nicht nur zu sagen, dass Gespräch am Küchentisch zu verdanken. wir bereits ein freies Geistesleben haben, weil wir in einem sicheren Rechtsstaat leben, jeder seine Ich habe Ihnen meine Diplomarbeit mitgebracht Meinung frei äußern und studieren kann, was er will, und zur Ansicht ausgelegt1. Mein Thema waren die sondern zunehmend ein Gefühl dafür zu entwickeln, Perspektiven der zivilgesellschaftlichen Selbstverwal- dass mit einem wirklich freien Geistesleben immer tung von Bildungsräumen und die Geschichte der eine kulturelle Umstülpungsbewegung verbunden ist. freien Schulen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, die Diese Spur möchte ich ein wenig weiter verfolgen. Themen, die wir mit der Freien Bildungsstiftung all die Jahre bewegt haben, wissenschaftlich aufzuar- Ich möchte jetzt versuchen, gemeinsam mit Ihnen die beiten und auszuleuchten. Gleichzeitig versuchte Umstülpungsbewegung zu denken, zu empfinden, ich, die Auseinandersetzung der letzten Jahre zu ja, auszukosten, die sich aus Rudolf Steiners vielfälti- dokumentieren. Im Zusammenhang mit der Frage, gen Hinweisen zur zukunftsfähigen Entwicklung der wie ich Zivilgesellschaft definieren sollte, fand ich drei großen Bereiche des Geisteslebens, nämlich ein Zitat von Christoph Fischer, der die Initiative von Kunst, Religion und Wissenschaft, ergibt. In der „Gentechnikfreies Bayern“2 gründete und der oft zu längeren Beschäftigung damit kann das folgende seiner Bewegung interviewt wurde. Er sagte dann Bild auftauchen3: immer: „Es gibt uns eigentlich gar nicht.“ Diese Ini- tiative hat bis heute keine offizielle Rechtsform, sie stellt ein rein informatives Netzwerk dar. Das scheint Die Religion muss Wissenschaft werden mir symptomatisch zu sein für die Zivilgesellschaft: Sie löst Bewegung aus, gestaltet die Gesellschaft, ist Wenn wir von der Religion ausgehen, die ganz aber auf einer bestimmten Ebene gar nicht greifbar. sicher menschheitsgeschichtlich das „älteste“ Ge- Das als Einleitung vorweg. biet des Geisteslebens ist, aus dem die beiden anderen gewissermaßen erst geboren wurden, so begegnen wir im ganzen Steinerschen Lebenswerk Schwer greifbares Geistesleben der Bemühung, die Inhalte der Religion, die großen Schwellen-Fragen � „Wo kommen wir her, wo gehen Wem es, so wie mir, ein Anliegen ist, die Grundge- wir hin?” � in eine echte Geisteswissenschaft über- danken der sozialen Dreigliederung mit möglichst zuführen. Also die Grenze zwischen „Glauben“ und vielen interessierten Zeitgenossen zu bewegen, auf „Wissen“ nicht mehr zu akzeptieren, sondern durch öffentlichen Tagungen beispielsweise, der kann auch eine innere Schulung und eine Weiterentwicklung eine gewisse Scheu haben, immer von diesem „frei- des Denkens auch auf diesen Gebieten zu einer en Geistesleben“ zu sprechen. Geistesleben, das Wissenschaft zu kommen. klingt antiquiert, dogmatisch-anthroposophisch, und uncool, � so habe ich es jedenfalls lange empfunden Dieses Spannungsfeld besteht, in dem stehen wir als und lieber Bildungswesen oder Kulturleben gesagt. moderne Menschheit ganz real drinnen. Auch, dass Aber mit der Zeit bin ich dann doch warm gewor- das neue Buch des Dalai Lama4 so viele Menschen den mit diesem Begriff. Mir ist klar geworden, dass bewegt, in dem er als einer der letzten Vertreter „Geistesleben“ zu Steiners Zeiten bis zu den 68ern wirklich archaischer religiöser Tradition einfach sagt: völlig gängig war. Und dass der Begriff deshalb so „Ethik ist wichtiger als Religion!“, wo ganz viel die wunderbar ist, weil damit einerseits die gesellschaft- Rede ist von den 7 Milliarden Menschen auf der liche allgemeine Sphäre bezeichnet werden kann, Erde, von der einen Erde, für die wir verantwortlich wie z.B. der Buchtitel „Das französische Geistesle- sind, von der Tragik der religiös motivierten Gewalt, ben im 18. Jahrhundert“ zeigt, – man kann aber und von den Menschen, die sich heute als Atheisten auch vom Geistesleben eines einzelnen Menschen bezeichnen, und die ja trotzdem dazugehören... Von sprechen. Immer handelt es sich um einen seelisch anthroposophischer Seite ist das Buch auch kritisch bewegten Raum, um den Raum, wo Denken, Fühlen besprochen worden, weil eine schöpferische Ethik und Wollen sich ereignen – sei es innerhalb einer reale „Auferstehungskräfte“ braucht, um fruchtbar zu Persönlichkeit, einer Biografie oder innerhalb eines werden – ich will offen lassen, inwieweit der Dalai gesellschaftlichen Zusammenhanges. Und damit Lama real mit menschheitlichen „Christuskräften“ ist er ähnlich schwer greifbar wie die „Zivilgesell- verbunden ist, mir ging es vor allem darum, neu schaft“, und insofern gehören die beiden Begriffe ja bewusst zu machen, dass wir in diesem Spannungs- auch zusammen: die wesentliche Instanz ist jeweils der schöpferische Mensch. 3 Vergl. u.a. „Religion kann aus künstlerisch belebtem Erkennen ver- tieft; Kunst aus religiös geborenem Erkennen belebt; Wissen aus kunst- 1 Eine überarbeitete Fassung wurde 2012 als Buch herausgege- getragener Religion durchleuchtet werden.” Der Goetheanumgedanke ben, siehe „Menschenbildung in einer globaliserten Welt“, Edition Im- inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart, GA 36, S. 68 manente, 4 Dalai Lama, Franz Alt (Hg): Der Appell des Dalai Lama an die 2 siehe http://www.zivilcourage.ro Welt – Ethik ist wichtiger als Religion, 2015

4 Sozialimpulse 1/16 Offene Fragen Offene Fragen feld zwischen traditioneller Religion und moderner Haltung unmittelbar mit dem Spannungs­feld zwischen Geisteswissenschaft heute alle drinnen stehen.5 Wissenschaft und Kunst zu tun – die Wissenschaft, gerade die Sozialwissenschaft, braucht in Zukunft jenes künstlerische Bewusstsein dafür, dass sie neue Die Wissenschaft muss Kunst werden Wirklichkeiten schafft, dass sie auf das soziale Leben wirkt, mit dem, was sie bildet. Ein zweites Spannungsfeld, das durch Steiners Anre- gungen erlebbar wird, ließe sich mit den Worten � Ein weiteres Phänomen, das sich in diesem Span- „Die Wissenschaft muss Kunst werden!“ � beschrei- nungsfeld zeigt, ist die gegenwärtige Entwicklung ben. Das ist ähnlich paradox: Die Wissenschaft an Europas Universitäten in Bezug auf die ECTS- bemüht sich um Objektivität, und wird besser und Punkte9. Studieren ist immer mehr zu einem „Abar- genauer, je mehr Menschen „mitdenken“ – und die beiten“ von festgelegten Anforderungen geworden, Kunst braucht den Innenraum der Subjektivität, um man arbeitet Aufgaben ab, und sammelt Punkte sich entwickeln, um reifen zu können, sie hat immer dabei. Der Raum für echte Forschungsreisen, die mit konkretem Können, konkreten Willensimpulsen sich dadurch auszeichnen, dass man die feinen einzelner Menschen zu tun. Warum also soll die geistigen Fäden einer Fragestellung überhaupt in Wissenschaft Kunst werden?6 Fühlung bekommt, ihnen folgen lernt und so zu un- erwarteten Bezügen, neuen Quellen, einem anderen Als Beispiel möchte ich die Begegnung mit einem in Verständnis der Ausgangsfrage kommt, ist kaum den USA lebenden deutschen Soziologen nennen, gegeben. Anerkannt wird nicht der innere Entwick- Prof. Heinz-Dieter Meyer, den ich gemeinsam mit lungsfortschritt, sondern die investierte Arbeitszeit. Thomas Brunner während unseres Besuches bei der Das ist durch und durch unkünstlerisch. In der Kunst Freien Bildungsinitiative Free Columbia in New York würde man niemals sagen: Dieser Mensch hat so im September 2014 für ein Interview getroffen habe und so viele Stunden Geige geübt – er muss gut und mit dem seitdem eine sehr schöne Zusammenar- sein! Sondern man wird hören, was er kann… Die beit besteht. Prof. Meyer weiß nicht viel von Dreiglie- Forderung, dass Wissenschaft Kunst werden müsse, derung, wurde aber weltweit bekannt, weil er im Mai hat auch damit zu tun, dass viel mehr Freiheit und 2014 einen offenen Brief an Andreas Schleicher, den echte Anregungsprozesse nötig wären, um Fähigkei- Vater der Pisa-Studie, im Guardian veröffentlichte mit ten und Erkenntnisse zutage zu fördern. dem Vorschlag, die Pisa-Studie drei Jahre lang auszu- setzen und in dieser Zeit weltweit zu reflektieren, wel- cher Bildungsbegriff damit verfolgt wird und welches Die Kunst muss Religion werden Mandat die OECD als wirtschaftliche Organisation im Bildungsbereich überhaupt hat. Ich war von dem Brief Als drittes Spannungsfeld, das den Kreis gewisser- begeistert und von der Tatsache, dass nach einem maßen schließt, tut sich nun neu die zukunftsträchtige guten Jahrzehnt angeblicher Unumgänglichkeit der Verbindung zwischen Kunst und Religion auf. Die Pisa-Studie als Teil der globalen Entwicklung endlich Kunst muss Religion werden, könnte man sagen. Kritik daran laut wurde. Mich interessierte aber auch, Das kann man auch wieder als ein Paradox anse- wie es überhaupt zu diesem Brief kam. Im Interview7 hen. Man kann sagen, das Religiöse hat mit dem sagte Herr Meyer, der Impuls zu diesem Brief sei Ursprung der Menschheit zu tun, mit der Wiederan- spontan im Rahmen eines Bildungskongresses in bindung an das Göttliche im Menschen, was auch Philadelphia entstanden, auf dem auch Herr Schlei- immer das dann sein mag. Die Kunst hat dagegen cher die neuesten PISA-Ergebnisse präsentierte. „In stark mit einer individuellen Leistung eines Menschen der Fragerunde habe ich ihn darauf angesprochen, zu tun, gerade auch die moderne Kunst. Damit ob ihm klar sei, wie weit der Einfluss der OECD als wird eine Sphäre berührt, die für mich eng mit der Organisation und ihres sehr engen Begriffes von Bil- eigenen Kraft und Fruchtbarkeit, aber vor allem mit dung auf die nationalen Bildungssysteme eigentlich der sozialen Integrationskraft eines freien Geistes- ist und welche demokratische Legitimation es dafür lebens zusammenhängt und mit der These, dass die gäbe. Da meinte Herr Schleicher nur: ‚Wir liefern Beantwortung der großen Fragen, der Sinnstiftung, die Informationen – was die Regierungen daraus die das religiöse Leben früher innehatte, heute eine machen, damit haben wir nichts zu tun.‘“ Und das Aufgabe ist, zu der jeder etwas beitragen kann. Die fand Herr Meyer so unmöglich, dass er gemeinsam Verbindung zu alten Weisheiten ist verloren gegan- mit der New Yorker Schulleiterin Katie Zahedie die- gen. Und alle Bedürfnisse, die die Religion früher sen offenen Brief verfasste.8 Und für mich hat diese befriedigte, können heute mit dem künstlerischen Tun in Verbindung gebracht werden. Das hat auch 5 „Wenn diese Dinge sich so entwickeln, dass dadurch des Men- mit dem Geheimnis der Zivilgesellschaft und der Tat schen Fühlen von seinem Darinnenstehen in der Welt vertieft wird, der Mensch sich mit der Welt als eine Einheit fühlt, dann wird tatsächlich des einzelnen Menschen zu tun ... jene notwendige, unerlässliche Versöhnung von Wissenschaft und Re- ligion eintreten, die für den Aufbau unseres sozialen Lebens absolut notwendig ist.“ in: Menschheitsentwicklung und Christu- serkenntnis, GA 100, S. 19 sich Jochen Krautz (damals Alanus Hochschule) für eine Unterstützung 6 „Alle Erkenntnis, auch die rein wissenschaftliche, muss in das dieser Initiative von deutscher Seite eingesetzt... rein Künstlerische gehen. Man muss sich zum Künstler erziehen, so 9 Credit Points, die im Rahmen des European Credit Transfer Sys- dass man die Formen gestaltet, wie in der Natur die Formen gestaltet tems ECTS vergeben werden, und die den „Workload“ eines Studiums werden.“ Rudolf Steiner in „Die Erkenntnisaufgabe der Jugend“, Rudolf angeben. 1 Credit Point entspricht 25-30 Stunden an investierter Zeit, Steiner Verlag 1981, Seite 111 pro Semester sollen 30 Credtit Points gesammelt werden, ein sechse- 7 erschienen in Erziehungskunst, Januar 2015 mestriger Bachelor umfasst also 180 Credit Points. Dadurch können an 8 Er wurde von über 200 renommierten Persönlichkeiten als Erst- anderen Hochschulen gesammelte Credit Points unkompliziert ange- unterzeichnern signiert, unter anderem von Noam Chomsky. U.a. hat rechnet werden.

Sozialimpulse 1/16 5 Freiheit und Verantwortung Freiheit und Verantwortung

Als Beispiel möchte ich Ihnen erzählen, wie ich ckung dieses Abgrundes gewinnen wir eine neue Franz Schuberts Musik durch die Forschungen von Zukunftskraft. Dieses Grundmotiv als Geste scheint Thomas Brunner für mich neu entdeckte. Durch die mir wichtig zu sein, wenn wir über die Finanzierungs- Anregungen aus Aufsätzen10 und durch Aufführun- fragen sprechen. Selbstverständlich ist es heute un- gen der „schönen Müllerin“ in der Werkstattbühne denkbar, dass die Einrichtungen des Geisteslebens in Cottbus durfte ich erleben, wie man sich in dieses durch freie Schenkung finanziert werden sollen, also Werk so vertiefen kann, dass man es nicht mehr nur durch das, was Menschen freiwillig zu geben bereit als eine subjektive, berührende, tragische Liebesge- sind. Aber auch dieser Abgrund kann überbrückt schichte erlebt, sondern dass man das ganze Leben werden, und überall dort, wo es punktuell und pio- darin wiederfindet: Motive, die einen Bildungsraum nierhaft gelingt, entsteht soziale Entwicklungskraft, eröffnen, der ganz neue Dimensionen freisetzt. die ausstrahlen kann. Und es entsteht die Perspektive, dass wir den „Zwangsschenkungsapparat“, den wir In den Bereich gehört für mich selbstverständlich auch heute installiert haben, in dem der Staat nicht nur für das Lebenswerk von und sein Ansatz: seine Kernaufgaben Steuern erhebt, sondern auch „Jeder Mensch ein Künstler.“ Auch er geht nicht die Gelder für Kultur und Bildung mit verwaltet und mehr von der alten uns inspirierenden Göttlichkeit lenkt, durch neue, innovative Organbildungen eines aus, deren Kinder wir sind. Im Sinne der Umstülpung Tages überflüssig machen können. setzt er an die Stelle Gottes die freien Menschen, die sich gegenseitig Orientierung geben müssen. Wenn das nicht gelingt, ist sie eben auch nicht vorhanden.

Zukunftskräfte des freien Geisteslebens Freiheit und Verantwortung

An alledem können wir merken, dass der Bereich Udo Herrmannstorfer des freien Geisteslebens vielschichtig ist und dass es darum geht, dass Umwandlungsprozesse stattfinden uch mein Beitrag befasst sich mit den offenen im Sinne einer Freiheit zu etwas, anstatt nur einer A Fragen der Dreigliederung und ich hoffe, Freiheit von etwas. Deshalb war es mir wichtig, diese dass er mit dem eben Gehörten zusammenklingt. Motive am Anfang unserer Arbeitstreffens in einer Ich bin selbst seit 40 Jahren mit dem Impuls der Art zu bewegen, dass sich uns dadurch ein Raum Dreigliederung befasst, aber immer noch sind viele auftut und wir einen Blick werfen können auf die zentrale Fragen offen. Wieso ist das so? Und was Kräfte, die mit einem freien Geistesleben freigesetzt meinen wir mit „offen“? Die Antworten hängen eng werden sollen.11 Nur so wird es überhaupt denkbar mit meinem Thema zusammen. Bei unseren Fach- und verständlich, dass Steiner den Menschen die kolloquien treffen sich überwiegend Menschen mit Kraft der gegenseitigen Inspiration in einem Maße viel Erfahrung zu den jeweiligen Themen, um diese zugetraut hat, dass dadurch die kapitalistischen Herr- offenen Fragen zu beantworten. Aber jeder von schaftsformen – die ja auch meine lieben Freunde uns kennt den Hinweis aus den „Kernpunkten der aus der linken Szene als den Urgrund allen Übels sozialen Frage“ von Rudolf Steiner, dass die Zeit identifiziert haben –, verwandelt und abgelöst wer- abgelaufen sei, in der einer sagen könne, wie es den können. Der Rechtsstaat muss selbstverständlich gemacht werden soll, und alle anderen würden es kräftig da sein, als Instrument der Sozialgestaltung, dann ebenso machen. Die heutige Seelenlage der aber staatliche Verordnungen alleine können uns Menschen lasse ein solches Vorgehen nicht mehr nicht mehr vor der „bösen Wirtschaft“ schützen zu. Es geht bei der Dreigliederung nicht darum, – die Neuorientierung muss im Menschen, im zwi- die besten und endgültigen Formen zu definieren, schenmenschlich realisierten sozialen Leben konkret sondern um die Aufgabe, Verhältnisse zu schaffen, geleistet werden. unter denen sich die Antworten immer wieder neu finden und realisieren lassen. Wenn wir uns in aller Gelassenheit und Differenziert- heit dem Thema widmen, welche Vorstellungen Steiner zur Finanzierung von Bildungsräumen hatte Der Drang nach Selbständigkeit und warum er so großen Wert auf die freie Schenkung legte, können wir uns an die eben skizzierten Span- Diese Tagung wurde vor etwa einem Jahr konzi- nungsfelder erinnern, die ja erst einmal einen Ab- piert. Heute hätten wir wahrscheinlich eher die grund vor uns eröffnen. Erst durch die reelle Bewälti- Flüchtlingsfrage in den Mittelpunkt gerückt, die gung und die täglich neu zu erringende Überbrü- sehr viele Menschen um uns herum beschäftigt und bedrängt. Es wäre aber doch interessant, sich 10 Siehe Brunner, Thomas: Vom EinweihungsCharakter der Lieder­ zyklen Franz Schuberts. Edition Immanente, Berlin 2010 zu fragen, wie das aktuelle Flüchtlingsthema mit 11 Bei einem Gespräch auf den Rudolf Steiner Forschungstagen, die der Freiheitsthematik zusammenhängt. Man stößt eine Woche nach dem Kolloquium in Berlin stattfanden und wo ich unweigerlich auf die Freiheit als zentrales Element, die zukunftsweisende Beziehung zwischen Religion, Wissenschaft und Kunst ebenfalls darstellte, eröffnete sich im anschließenden Gespräch wenn man auch nach den geistigen Ursachen der durch einen Beitrag von Philip Kovce noch ein interessantes Motiv: Heu- ganzen Flüchtlingsbewegung fragt. Wirklich helfen te ist eher die umgekehrte Bewegung, die jedoch Ich-Kräfte lahmlegt, wahrzunehmen: Die Religion nähert sich an die Kunst an und landet im wird nur eine neue erweiterte Sichtweise. Im Au- Kitsch, die Kunst wird immer mehr „verwissenschaftlicht“ und dadurch genblick werden zwar gigantische Anstrengungen ihrer Potenz beraubt, und die Wissenschaft wird durch die „Experto- kratie“ in unzeitgemäße fast religiöse Hierarchien hineingezogen � die unternommen, die praktischen Herausforderungen Menschen glauben blind an „die Wissenschaft“. zu meistern, die uns der Flüchtlingszustrom im Alltag

6 Sozialimpulse 1/16 Frage nach dem Weg Frage nach dem Weg stellt. Es wird aber nicht mit der gleichen Intensität persönlicher Unabhängigkeit distanzieren wir nach den eigentlichen Zusammenhängen und Ursa- uns von der Welt. Wir erlangen damit zwar ein chen geforscht, die zu dieser prekären Lage geführt Bewusstsein von uns selbst, verlieren aber dabei haben. Es reicht auch nicht, nur äußerlich auf der gleichzeitig die instinktive und daher unterbewusste physischen Ebene danach zu suchen, indem wir z.B. Verbundenheit mit unserer Umgebung. Die Einen- sagen: „Die Marktwirtschaft hat die Herkunftsländer gung unseres Horizontes ist längst Tatbestand, ausgebeutet“. Die eigentlichen Ursachen gehen viel, auch wenn wir das vielleicht gar nicht angestrebt viel tiefer. Sie hängen eben auch mit der geistigen haben. Die Folgen dieser selbst herbeigeführten Entwicklung der Menschen zusammen und nicht nur Isolation sind gewaltig: Die Sicherheit der Tatsa- mit den kriegerischen oder ökonomischen lebensbe- chenwelt verwandelt sich in eine Welt von Fragen, drohlichen Zuständen in den Herkunftsländern. Alle andere Menschen werden zum Fremden, dem man Kulturen werden mit mehr oder weniger Zeitverzöge- misstrauisch begegnen muss. Damit kann man von rung damit umgehen müssen, dass Menschen sich der Welt auch nicht mehr erfahren, was zu tun ist. selbständig zu fühlen beginnen. Das Bewusstsein Aus unserem Freiheitsanspruch heraus lassen wir von der individuellen Freiheit des Menschen wird uns heute nichts mehr sagen, weder von Göttern sich ausbreiten, das lässt sich gar nicht verhindern, noch von anderen Menschen. Wir wollen mitre- das gehört zum Zeitgeschehen: Menschen bean- den, mitgestalten, mitentscheiden – aber können spruchen ihre Selbständigkeit auch dann, wenn sie wir das denn auch? Um Antworten zu den vielen diese Freiheit nicht erkenntnistheoretisch begründen Fragestellungen zu finden, müsste man doch etwas können und sich selbst anders verhalten. Das Stre- von den Entwicklungsströmungen verstehen, die ben nach Freiheit ist ein unverzichtbares Element im an die Oberfläche drängen. Dies umso mehr, als Gegenwartsleben geworden. mit jeder Antwort der handelnde Mensch auch die Ver-antwortung für die von ihm ausgelösten Ich möchte jetzt ein paar Gesichtspunkte anklingen Wirkungen übernimmt. Freiheitsstreben benötigt lassen, warum das Thema nicht nur „Freiheit“ heißt, Verantwortungsgefühl. Wie aber wird man ant- sondern „Freiheit und Verantwortung“. wortfähig und verantwortungsvoll?

Wir sind vielleicht überrascht darüber, welche Fülle „Die Freiheit ist im Weltenplan inbegriffen“ von Fragen uns entgegenkommt, sobald wir heraus- treten aus den bisherigen gemeinschaftlichen Zusam- Frau Steinkellner machte vorhin eine Bemerkung, menhängen. Die ganze Welt fragt uns permanent die ich noch betonen möchte: Freiheit bewirkt und nach unseren Antworten. Man bemerkt in diesem verlangt eine Art Umstülpung bzw. Durchstülpung Moment erst, wie viel Unkenntnis bei uns selbst vor- unseres seelisch-geistigen Lebens. Nichts kann nach handen ist. Wir erschrecken dann möglicherweise dem Erscheinen der Freiheitsfähigkeit bleiben, wie es und zweifeln, ob wir dem überhaupt gewachsen war; denn die sozialen Beziehungen, das gesamte sind. Und nicht wenige sind bereit, Freiheit und gesellschaftliche Leben, waren zuvor auf die Macht Verantwortung wieder abzugeben. Aus diesem der Kollektive und die Unfreiheit des Einzelnen ge- Dilemma hilft die Besinnung auf das Phänomen der gründet. Es reicht heute nicht mehr, die Verhältnisse Entwicklung. Dort ist nicht der jeweilige Zustand wie bisher zu lassen und nur ein wenig mehr Freiheit entscheidend, sondern die Kraft, die uns über den zu „erlauben“. Darin spricht sich die Angst vor der erreichten Zustand wieder hinausführt. Diese Instanz, notwendigen Durchstülpung aus. Deren Wirkungen die uns dazu befähigt, ist das höhere Selbst, der reichen viel tiefer. Weiter führt uns erst der mutvolle idealische Mensch in uns, der potentiell in der Lage Blick nach vorne: „Wie müssen sich die sozialen ist, die Tragweite des Geschehens zu erfassen, auch Beziehungen ändern ab dem Moment, ab dem die wenn wir selbst noch nicht „fertig” sind. Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen wol- len?” Der Dichter sagt in einem seiner Indem wir uns selbst gewissenhaft Rechenschaft Werke: „Die Freiheit ist im Weltenplan inbegriffen.“ ablegen darüber, inwiefern das Erreichte mit unse- Auch wenn sich das lapidar anhört, so ist darin die rem geistigen Vermögen übereinstimmt, stellen wir Begründung zu finden, warum die Freiheitsfrage wiederum den Zusammenhang mit dem Ganzen her. ernst zu nehmen ist. Der Weg zur Freiheit überwindet die Isolation und macht uns zu einem bewusst tätigen Mitgestalter Viele Menschen äußern, sobald Schwierigkeiten einer neu entstehenden sozialen Ordnung. im Umgang mit der Freiheit auftauchen, schwere Zweifel, ob und unter welchen Bedingungen die Diese Umwendung der Blickrichtung vom Geworde- Freiheit geeignet ist, das Fundament einer neuen nen zum Werdenden, kann geleistet werden, wenn sozialen Ordnung abzugeben, das man vertrauens- das bisherige Ideal fester Formen in einen prozessu- voll betreten kann. alen formschaffenden Weg verwandelt wird.

Der erste Schritt auf diesen Weg lenkt den Blick in Drei Schritte auf dem Weg zur Freiheit die Vergangenheit. Er umfasst das Verständnis der allgemeinen Konstitution des Menschen und seines Zunächst wird Freiheit als Unabhängigkeit und Lebensweges. Die Frage nach seiner individuellen Selbständigkeit erlebt und beansprucht, unabhän- Begabungsseite führt über die Schwelle der Geburt gig davon, ob die eigene Haltung an der Stelle zurück. Die Frage nach den Gründen seiner sozialen richtig ist oder nicht. In unserem Bedürfnis nach Umgebung führen zum Schicksalsgedanken. Men-

Sozialimpulse 1/16 7 Widerstände Widerstände

schenkunde muss immer mehr zu den Grundlagen Mit jeder Fehlleistung werden sich seine Zweifel an sozialen Handelns gehören. der Lebenstauglichkeit der Freiheit vergrößern, wird die Sehnsucht nach der freiheitslosen Vergangenheit Der zweite Schritt lenkt den Blick in die Zukunft: Was wachsen. will werden, was soll werden, was kann werden? Auch hier gilt, nicht nur die physischen sondern auch die seelischen und geistigen Ebenen zu be- Menschenvereinigung rücksichtigen. In den Fragen, die uns die Welt stellt, oder Organisationsmodell liegt immer bereits der Keim zu ihrer Beantwortung. Damit werden Zukunftsziele bewusst und öffentlich Unter alten Bedingungen wurde Menschen ihr zugänglich: Jeder kann sich ihnen anschließen. Die sozialer Platz zugeordnet. Die dazu notwendigen Vergangenheit fragt nach der Herkunft; die Zukunft Formen wurden mehr und mehr zu abstrakten Or- lädt zum Mittun ein: Machst Du mit? „Sozius” ist der ganisationsmodellen ausgearbeitet, innerhalb derer Weggefährte. die Menschen Mitläufer mit träumendem Bewusstsein waren. Die daraus entstandenen sozialen Verwerfun- Der dritte Schritt betrifft die dynamische Mitte zwi- gen haben uns unsanft aus dem Schlaf gerissen. Mit schen Vergangenheit und Zukunft. Gegenwart ist der auf Erkenntnis gestützten Freiheit aber wächst kein eigener Zeitraum sondern der Begegnungs- und die Fähigkeit zu sozial verantwortlichem Handeln. Durchdringungsort von Vergangenheit und Zukunft, Das ist möglich, wenn wir die Freiheit nicht nur als Die Gegenwart entsteht durch den Willenseinschlag Befreiungsbewegung für unser bestehendes, in der Handelnden. Sie ist dadurch auch der Ort weiten Teilen noch nicht durchschautes Innenleben der Freiheit und muss immer wieder neu gebildet betrachten. Wenn wir den Mut haben, uns selbst zu werden. Freiheit und Verantwortung lassen sich befragen, dann führt diese „Freiheitsarbeit“ auch zur nur in einem fortlaufenden Prozess realisieren und Überwindung der eigenen inneren Vorbestimmthei- bekommen dadurch Wegcharakter. ten. Das Überschreiten der eigenen Grenzen öffnet den Zugang zu anderen Menschen und ermöglicht dadurch erst soziales Handeln. Wir erwachen am Widerstände gegen anderen Menschen. Von der menschlichen Begeg- Verantwortung durch Freiheit nung aus kann dann der Weg zu erneuerten sozialen Verhältnissen führen. Was durch die Freiheit ausgelöst wird, ist mehr als eine Reform alter Verhältnisse. Die dazu nötige Wer sich auf diesen auf menschliche Begegnung Preisgabe vergangener Formen, in denen wir bisher gestützten Weg nicht einlassen kann, der wird gewohnheitsmäßig gelebt haben, fällt schwer. Die entweder auf jede Entwicklung verzichten müssen Angst vor dem Betreten des Neulandes weicht erst, oder aber sich ein seinen sozialen Empfindungen wenn wir uns des Zieles sicher sind. Dann gilt nur und Vorstellungen entsprechendes Modell eines so- noch die Frage, wie sich das Neue verwirklichen zialen Organismus ausdenken. Es ist der Traum von lässt. Grundlegende Zweifel lähmen die Kräfte der grünen Wiese, auf der noch alles möglich ist, und ziehen anhand aller möglichen Einwände die nur begrenzt von meiner Phantasie. Solche Utopien Gegenkräfte an. Deren Kernthese beruht auf der zerschellen an der Frage, wie sie denn Wirklichkeit Behauptung, dass es sich bei der Forderung, die Frei- werden könnten. Sie könnten das nämlich nur unter heit zur Grundlage der Verantwortung zu machen, Ausschaltung der gerade im Entstehen begriffenen um eine utopistische Überforderung der Menschen. individuellen Freiheit. Einer derart erzwungenen handelt. Die Freiheit bestehe eben darinnen, den Harmonie müsste die individuelle Entwicklung ge- Menschen so zu lassen, wie er ist. Warum sich opfert werden. ändern? Die notwendige Verantwortung müsse von der individuellen Freiheit abgetrennt und dafür ge- sellschaftlich geregelt werden. Das ist Ausdruck von Freiheit und Schutz Feindlichkeit dem idealischen Menschen gegenüber. Aus alledem ist deutlich geworden, dass der Zustand Dies scheint nur der einfachere und erfolgverspre- der Freiheit kein Naturzustand ist, sondern immer chendere Weg zu sein. In Wahrheit ist es eine wieder erst herbeigeführt werden muss. Ohne diese Absage an den höheren Menschen in uns, ihn zu Anstrengung kann man keine Antwort finden und entwickeln. Allerdings: Sich auf den Freiheitsweg zu daher auch keine Verantwortung übernehmen. Diese begeben, ist ein Entschluss, von dem es kein Zurück Entwicklung ist bei weitem noch nicht abgeschlos- mehr gibt. Darum zögern auch viele Menschen und sen, und es wäre eine schwerwiegende Illusion, die wagen nicht, den ersten Schritt zu machen � aus Freiheit als voll verwirklicht anzusehen. Damit stellt Angst weitergehen zu müssen. Lieber leben sie mit sich für den sozialen Organismus die Aufgabe, einer- der Illusion, es könne alles bleiben wie es ist. Wer seits diese Entwicklung zur Freiheit zu unterstützen nichts will, muss auch nichts verantworten und andererseits vor Fehlentwicklungen zu schützen.

Wer eine Kultur von Geboten und Verboten als Der Gefahr, dass wir bei der Ausübung unserer eige- Antwort auf das Freiheitsstreben in den Mittelpunkt nen Freiheit diejenige anderer Menschen verletzen, stellt, wird andere soziale Einrichtungen schaffen wirkt das Prinzip der Gleichheit entgegen. Gleichheit müssen. Er wird nicht die Freiheitsentwicklung stär- entsteht durch die Anerkennung der Freiheitsfähigkeit ken, sondern den Missbrauch verhindern wollen. der jeweils anderen Menschen. Wirksam kann damit

8 Sozialimpulse 1/16 Innere Bedingungen freien Geisteslebens Innere Bedingungen freien Geisteslebens eine Handlung nur werden, wenn sie von denjenigen Die inneren Bedingungen zugelassen und akzeptiert wird, für die sie bestimmt ist. Die Gleichheit wirkt der sozialen Übergriffigkeit freien Geisteslebens entgegen. An deren Stelle treten nun Vertragsverhält- nisse zwischen den beteiligten Menschen. Verträge Udo Herrmannstorfer sind die geeignete Rechtsform, in der freie Menschen zusammenarbeiten können. er drängende Änderungsbedarf der sozialen Zum Schluss möchte ich noch zwei weitere Schutz- D Verhältnisse ist augenscheinlich, Abhilfe tut not. gebärden nennen. Ich habe oft erlebt, dass viele Aber reicht es, wenn wir nur die Verhältnisse ändern? Freunde der Freiheit sehr schnell von der Forderung Ändern sich dann automatisch auch die Menschen? nach Freiheit zu der Forderung nach deren reglemen- Denn wenn nicht, würde ihr bisheriges Verhalten tierender Einschränkung wechseln, weil sie im Geiste auch immer wieder nur neue Varianten der alten bereits eine Fülle von Missbräuchlichkeiten vor sich erneuerungsbedürftigen Zustände hervorbringen. sehen. Das Panorama möglicher Fehlentwicklungen, Wodurch und wie entstehen gesundende soziale die eintreten könnten, wenn dies oder jenes geschieht, Lebensformen? Die Beantwortung dieser Frage ist für ist gewaltig. Überwinden kann man diese Zweifel die modernen demokratischen Gesellschaftsformen nur, wenn man in der Entwicklung der Freiheit ein unentbehrlich, da die Verantwortung für die Zukunft zentrales, weil existentielles, Motiv erkennen kann. in der Hand der beteiligten Menschen selbst liegt.

Dies führt zu einer anderen Schwierigkeit. Die Zweifelsohne liegt der Schlüssel zur Lösung im Selbst- Freiheit steht heute in Verdacht, mit dem Egoismus verständnis des Menschen, durch den und für den alle verbündet zu sein. Das war bisher auch zum Teil der sozialen Verhältnisse geschaffen wurden und werden. Fall, denn Freiheit entsteht zunächst in der Abgren- Wenn man über die Freiheit des Geisteslebens spricht, zung zu anderen und erscheint damit als antisozial. kann man das ehrlicherweise nur tun, wenn man im Was auf dem Weg zur Freiheit notwendig war, Menschen eine zur Freiheit veranlagte und nach Frei- ändert sich aber in dem Maße, in dem wir dem Ziel heit strebende, reale individuelle geistige Wesenheit, näher kommen. Diese Veränderung wurde in der ein „Ich“, erkennt und anerkennt. Wenn dagegen Ökonomie in ihrer Bedeutung noch nicht erkannt. ein Neurowissenschaftler wie David Eagleburger zu Es ist deshalb tragisch, dass die Freiheit unter der der Auffassung kommt � „Das Ich ist ein Märchen“ Flagge des Neoliberalismus mit seinem Bekenntnis (Spiegel 7/2012) �, ist auch die Freiheit Teil des Mär- zum Egoismus als treibendem sozialen Motiv so chens. Die auf eine solche doppelte Illusion gebaute großen Schaden genommen hat. Freiheit wird bei Anschauung muss zwangsläufig auch zu einer völlig vielen Menschen gleichgesetzt mit Bereicherung, anderen Haltung den sozialen Fragen gegenüber mit Verantwortungslosigkeit und dergleichen. Und führen. Menschenbild und soziale Ordnung bilden so entsteht eine weit verbreitete freiheitsfeindliche heute eine Einheit. Ohne eine geisteswissenschaftlich Haltung. Dabei liegt in der Freiheit gerade der begründete Klärung des Charakters der menschlichen Schlüssel zur Lösung der sozialen Schwierigkeiten. Individualität lassen sich deshalb soziale Fragen nicht Gerade bei sozialen Fragen ist es unglaublich beantworten. schwer, der Freiheit die Bedeutung zu geben, die sie für die menschliche Entwicklung hat. Die Vertiefung des Freiheitsverständnisses ist daher eine zweite, Erfahrungsgewissheit der Freiheit von innen ausgehende Schutzwirkung. Die geistige Realitätserfahrung des Ich aber kann Ein drittes Schutzelement, Fehlentwicklungen zu ver- nicht gesellschaftlich verordnet und vermittelt hindern, besteht in der Art, wie soziale Strukturen, werden, sondern muss durch einen fortlaufenden Organe und Prozesse sich bilden müssen, um die Prozess der Selbstvergewisserung von jedem ein- sozialen Fragen bearbeiten zu können. zelnen Menschen erfahren werden. Das Ergebnis eines solchen Schulungs- und Entwicklungsprozesses Das Miteinander zwischen freiheitsfähigen Men- des Ich ist die Erfahrungsgewissheit der Freiheit. schen braucht Formen, die einerseits die Potentiale Das Bild des freiheitsfähigen Menschen liegt auch der beteiligten Menschen zur Entfaltung bringen, die den menschenrechtsorientierten demokratischen aber andererseits dazu führen, dass die Früchte die- Gesellschaften als reale Möglichkeit zugrunde. Von ser Entfaltung der ganzen Gemeinschaft zufließen. dort aus kann jedermann die weiteren Bereiche des Wirklichkeit kann dies nur werden, wenn die in der sozialen Lebens gestaltend betreten, um diesem Bild Sozialität stehenden Menschen es selbst herbeifüh- zur tätigen Realität zu verhelfen. ren, wenn sie selbst antworten. Der Umgang mit der Freiheit ist zum Mittelpunkts- Wenn wir den ersten Schritt in die Freiheit erst einmal kriterium sozialer Neugestaltung geworden. Unsere konsequent gemacht haben und auch wissen, war- Kulturepoche ist „Freiheitszeit”. Und alle Bedenken um, dann bemerken wir erst die lebensverwandeln- können daran nichts ändern, sowenig wie Eltern de Kraft, die dadurch freigesetzt wird. Denn Freiheit ihr Kind mit bedeutsamsten Argumenten und ist ein Ort der Wandlung. stärksten Maßnahmen nicht daran hindern können, sich aufzurichten. Was Eltern tun können, ist, dem Kind geeignete Gelegenheiten zum Aufstehen und Gehenlernen zu verschaffen. Die Freiheit des Geis-

Sozialimpulse 1/16 9 Selbstverwaltung Selbstverwaltung

teslebens ruft erst die veranlagten Kräfte wach und seres Bewusstseins sprechen. Unser Bewusstsein ist bringt sie zur Entfaltung. gewohnt, die Dinge von außen anzuschauen. Im Sozialen dagegen fehlt die Distanz, weil wir Be- Damit rücken Bildung und Erziehung an den Aus- troffene und Handelnde zugleich sind. Das Denken gangspunkt moderner Sozialgestaltung. Denn das muss selbst lebendig werden, damit es Lebendiges menschliche Ich ist nicht fertig, sondern muss lernen, erfassen kann. sich selbst zu erziehen. Das Bildungswesen hat die Aufgabe, den Menschen zu sich selbst zu führen und ihn damit zur Teilhabe an der Entwicklung zu Freiheit: radikale Veränderung befähigen. Das kann nur ein Bildungswesen leisten, des Gemeinschaftslebens das sich frei auf den heranwachsenden Menschen einlassen kann. Die Situation des noch nicht erwach- Das Auftreten der Freiheit verändert das Gemein- sen gewordenen Menschen ist verführerisch und schaftsleben radikal. Nicht mehr die Einheitlichkeit lädt ein, Erziehung und Bildung gesellschaftlichen der Empfindungs- und Verhaltensweisen, die von Absichten unterzuordnen. Wenn Pestalozzi noch einem Zentrum her gesteuert werden, wirkt gemein- sagen konnte, dass man erst Mensch werden müsse, schaftsbildend. Vielmehr bildet sich eine Gemein- ehe man etwas Nützliches für die Gesellschaft leisten schaft in dem Maße, als schöpferisch-individuelle könne, so stellt der PISA- und Bologna-Prozess, der Beiträge zur gemeinsamen Aufgabe geleistet wer- seit einigen Jahren in der EU durchgesetzt wurde, den. Gemeinschaften entstehen erst durch unser diesen Grundsatz auf den Kopf. Das entscheidende Tun. Wir sind als Individualität nicht nur ein bunter Kriterium ist nun die persönliche und gesellschaftli- Knoten im Teppichgewebe der Menschheit, sondern che Nützlichkeit der Bildung. Äußere Ziele, wie z.B. versuchen, weben zu lernen. Das freie Geistesleben die Erhöhung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfä- beruht auf der Kunst sozialen Webens. In aller higkeit, bestimmen mehr und mehr Inhalt und Struktur Einfachheit spricht dies Rudolf Steiner aus (Geistes- der geplanten sozialen Veränderungen. Das freie wissenschaft und soziale Frage): „Das eben ist der Geistesleben wird zum Erfüllungsgehilfen gesell- Irrtum unserer Zeit in dieser Beziehung, dass sich schaftlicher Zwecke, während die Förderung der in- ein jeder für befähigt hält, das Leben zu verstehen, neren menschlichen Entwicklung in den Hintergrund auch wenn er sich nichts mit den Grundgesetzen tritt. Damit setzen Gesellschaften die Freiheit des des Lebens zu schaffen gemacht hat, wenn er sein Geisteslebens außer Kraft und zerstören zugleich Denken nicht zuerst geschult hat, um die wahren die Grundlage ihrer Entstehung. Jede Diktatur strebt Kräfte des Lebens zu sehen.“12 nach der Beherrschung des Bildungswesens. Ein freies Geistesleben dagegen lässt sich nicht politisch An dem menschen- und sachgemäßen Umgang mit gleichschalten. der Freiheitsfrage lässt sich ablesen, ob ein sozialer Impuls Fortschrittspotential enthält oder nicht.

Selbstverantwortung, Selbstverwaltung, Für das Kolloquium ergibt sich damit die Arbeitsfra- Selbstgestaltung ge, wieviel Bewusstsein und Selbsterziehung nötig sind, damit die Forderung nach Freiheit des Geistes- Die Freiheit des Geisteslebens hat aber auch lebens nicht im zerstörerischen Chaos endet. Oder, Rückwirkungen auf die Organisation sozialer Be- wo dies nicht in genügendem Maße der Fall ist: ziehungen. Denn mit der Inanspruchnahme der Welche Prozesse und Strukturen braucht es, damit geistigen Freiheit tauchen sofort Folgefragen auf: die Entwicklung immer wieder eine heilsame Rich- Wie finden sich freiheitlich gesinnte Menschen zu tung nehmen kann? handlungsfähigen Gemeinschaften zusammen? In welchen Strukturen und Formen kann sich ein Impuls entfalten? Und schließlich: Durch welche Prozesse wird ein Impuls lebendig gehalten? Selbstverantwor- tung, Selbstgestaltung und Selbstverwaltung sind die notwendigen Ergänzungen eines freien Geistesle- bens, und die Einsicht in deren Gesetzmäßigkeiten sollten heute zu den inneren Bedingungen bzw. Voraussetzungen gehören, die junge Menschen zur Lebensführung benötigen. Der Gedanke der Initiativfreiheit benötigt zu seiner Verwirklichung die Form der Selbstverantwortung.

Dies wird oft übersehen. Wer sich mit der Frage der Selbsterkenntnis beschäftigt, macht als Erstes die Erfahrung, dass man das eigene Denken nicht bemerkt, weil es durchschaubar ist und man es selbst tut. Eine der ersten Aufgaben ist es daher, sich des Denkens als dem unbeobachteten Element unseres Seelenlebens bewusst zu werden. Genauso können wir aber auch von unserer Beteiligung am sozialen Leben als von einem unbeobachteten Element un- 12 1905/06, GA 94, Dornach 1987, S. 198.

10 Sozialimpulse 1/16 Geistesleben und Staat Geistesleben und Staat

Geistesleben und Staat I Versuche zu vereiteln, die auf eine Erweiterung bürger- licher Eigenverantwortung zielen. […] Es geht um die Überwindung politisch gewollter, durch Besitzstände Thomas Brunner verwalteter, schlicht überholter Vormundschaften.“ Das sagt Kurt Biedenkopf in seinem Buch „Wir haben iele Fragen zu diesem Thema sind schon in den die Wahl. Freiheit oder Vater Staat“15. Die schlichte V Gesprächen behandelt worden – daran möchte Analyse von Herrn Biedenkopf lautet zusammenge- ich anschließen und gewisse Punkte herausarbeiten. fasst: Besitzstände begründen ihre Bevormundung Es ist natürlich nicht möglich, in einer Viertelstunde damit, dass das Volk nicht mündig sei und deshalb die Problematik Staat – Schule erschöpfend darzu- geführt werden müsse – nur um ihre eigene Autorität stellen. Ich gehe deshalb sehr aphoristisch vor und zu rechtfertigen. Hier liegt ein Umstand vor, den werde versuchen, über ein paar Bilder und Zitate man nicht nur unter der Perspektive eines „gesamt- von Zeitgenossen zu vermitteln, worum es mir geht. menschheitlichen Entwicklungsprozesses“ sehen darf, sondern den man auch als ein hochgradiges Vor einigen Jahren trat Dieter Lenzen, damals noch Gegeninteresse, Mündigkeit einzuräumen, verstehen Präsident der FU in Berlin, mit dem Vorschlag in Er- muss. scheinung, Kindergarten ab 2 Jahren verpflichtend zu machen. Dass der Vorschlag einem technokrati- schen Menschenbild entsprang, liegt auf der Hand. Zivilgesellschaftliches Denn auf die Frage, wie das erreicht werden solle, Engagement als Schulung meinte er: „Wir haben ja auch eine Schulpflicht, und Möglichkeiten, diese durchzusetzen, wenn Eltern sich Was ist eine Mündigkeit mit 18 Jahren wert, wie verweigern.“13 Ich schrieb damals einen Kommentar, sie heute den Menschen zugesprochen wird, wenn in dem ich diese Äußerung von Herrn Lenzen als bei- ihnen gleichzeitig die eigenen Initiativrechte abge- spielhafte Anmaßung anführte, zu meinen, mensch- sprochen und vorenthalten werden bzw. wenn die liches Leben aus reiner Rationalität heraus leiten zu Menschen im gesamten kulturellen Bereich so sehr können. Erstaunlicherweise antwortete Herr Lenzen manipuliert werden, dass diese Initiativkräfte gar damals im Tagesspiegel am 25.05.2009 und zeig- nicht erst aufkommen können? te damit, wie großartig es ist, wenn Technokraten ganz neue Gedanken entwickeln: „Ich frage mich, Dieses Problem erkannte und formulierte auch der warum der Staat in Deutschland die Schulpflicht mit Erziehungswissenschaftler und Pisa-Kritiker Heinz- Zähnen und Klauen verteidigt. Die Antwort ist leider Dieter Meyer, der gestern bereits erwähnt wurde. nicht schmeichelhaft: Adolf Hitler führte das Verbot Er war in jungen Jahren interessanterweise ein be- des Hausunterrichts 1938 aus leicht durchschaubaren geisterter Marxist, wie er uns gestand: Er hatte dann Gründen ein. Er wollte keine Bereiche entstehen lassen, eine schwere Lebenskrise, kam mit dem Buddhis­mus die der staatlichen Kontrolle entzogen wären. Und in Berührung und lernte auf seinen Reisen in der Welt dann? Was für Ulbricht und Honecker noch gegolten andere Bildungsräume kennen, was ihn dazu ver- haben mag, ist für das wiedervereinte Deutschland anlasste, seine Pisa-Kritik zu äußern und ein starker schwer verständlich. Vor welcher Freiheit hat man Befürworter einer zivilgesellschaftlich getragenen Angst? Machen wir uns nichts vor: Die Zahl von Bildung zu werden: „Also eine Demokratie kann nicht Politikern, die die Bevölkerung gern bevormunden, nur darin bestehen, dass man einmal in vier Jahren steigt…“ 14 Das war 2009. zur Wahl geht, sondern sie muss darin bestehen, dass Leute selbstorganisatorisch politische und soziale Leistungen erbringen, die sonst der Staat erbringen Besitzstände und Bevormundung müsste. Und das ist nicht nur deshalb wichtig, weil dadurch der Staat nicht alles machen muss, sondern 2011 erschien das Buch eines Mannes, der die das ist zugleich eine Schule für soziales und politisches Gründe für die Aufrechterhaltung dieser Bevormun- Bewusstsein. Wenn man weiß, dass man Bildung dung bestens kennt. Als ehemaliger Hochschullehrer selbst organisieren kann, dann weiß man auch, dass und dann Ministerpräsident schreibt er: „Weil sich man andere Sachen selbstständig machen kann, dass die staatliche Vormundschaft bis heute immer weiter der Staat sich dort nicht einmischen muss. Das hat ausgedehnt hat, ist in der Wirtschafts- und Sozialord- mich dann dazu bewogen, die Zivilgesellschaft auch nung ein Ungleichgewicht entstanden, dessen Aus- wissenschaftlich, soziologisch als potenziellen Verant- wirkungen zu Lasten verantwortlicher Bürgerfreiheit wortungsträger im Bildungswesen zu untersuchen und gehen, aber noch viel weiter reichende Folgen haben. ins Bewusstsein zu heben.”16 Ob es gelingen kann, dieses Ungleichgewicht wieder zugunsten der Bürgerfreiheit zu korrigieren, wissen wir Nach Marx hat Heinz-Dieter Meyer Wilhelm nicht. Die Institutionen staatlicher Vormundschaft und Humboldt wiederentdeckt. Die heutige Berliner die Besitzstände, die sich um sie herum angesiedelt Humboldt-Universität hieß lange „Friedrich Wil- haben, sind mächtig. Immer wieder gelingt es ihnen, helm Universität“ und wurde erst zu DDR-Zeiten umbenannt (doch hatte Humboldt natürlich etwas anderes darunter verstanden als das, was Frau Ho- 13 Stern online, 6.3. 2008, http://www.stern.de/panorama/ gesellschaft/neues-bildungsgutachten-pflichtkindergarten-fuer- necker mit Humboldt verband…). Sie wurde 1808 zweijaehrige-3085674.html 14 Dieter Lenzen: Heimunterricht muss erlaubt sein, in: Der Tages- 15 Wir haben die Wahl. Freiheit oder Vater Staat. Propyläen Ver- spiegel, Online, 25.05.2009, http://www.tagesspiegel.de/wissen/ lag, Berlin 2011 ISBN 978-3-549-07375-9, S. 22ff. freie-sicht-heimunterricht-muss-erlaubt-sein/1520628.html 16 Erziehungskunst, Januar 2015, S. 51f.

Sozialimpulse 1/16 11 Problematische Entwicklungen Problematische Entwicklungen

gegründet und sollte eine Bürgeruniversität werden, lungen. „Wir müssen mit Umwandlung in allen Dingen die staatsfrei finanziert werden sollte. Wenige Jahre rechnen; die ganze soziale Bewegung geht ja zuletzt nach ihrer Gründung, nachdem der König erkannt auf Geistiges zurück […] und die Schulfrage ist ein hatte, was für ein Prestigeobjekt hier im Entstehen Unterglied der großen geistigen brennenden Fragen war, hat er sie an sich gerissen. Humboldt schrieb der Gegenwart“19, sagte Steiner 1919 bei der Grün- dazu nur, „dass die Berlinische Universität mehr dung der ersten Freien Waldorfschule in Stuttgart. noch als untergeht“ – denn „der Geist ist aus allem gewichen“17. Problematische Entwicklungen im Bildungswesen Fatale Entwicklung durch staatliche Subventionierung der Bildung Wir erleben heute, wie sich die Finanzspekulation in einer ungeheuren Art entkoppelt hat, wie sich Auch vielen Waldorfschulen geht es häufig so: In gesellschaftlich eine Kluft bildet: In den USA ver- der Innovations- und Gründungsphase begegnen fügt 1 % der Bevölkerung über mehr als 50 % des sich Eltern und Lehrer auf vielfältige Art und Weise, gesamtgesellschaftlichen Vermögens – diese Ten- man lädt sich gegenseitig zum Essen ein, es werden denz haben wir weltweit. In Deutschland verfügen zahlreiche persönliche Investitionen eingebracht, 10 % über nahezu 70 % des Gesamtvermögens. man ist mit Begeisterung gemeinsam aktiv, spricht Daran ist ersichtlich, dass die Verstaatlichung des mit Handwerksbetrieben und Unternehmern usw. Bildungswesens nicht als Entwicklung verstanden und ein wirklicher Kulturimpuls ist erlebbar. Wenn werden darf, die etwas gelöst hätte – im Gegenteil: dann die Staatsgelder zu fließen anfangen, ändert Die Neunzigerjahre waren tatsächlich liberaler als sich häufig das Milieu, die Schulgemeinschaft be- die gegenwärtige Lage, auch im Hinblick auf freie ginnt sich „zurechtzuschaukeln“, die zu erwartenden Schulgründungen, auf die Art, wie frei gegründet Besitzstände werden geortet, manche beginnen werden konnte. Es hat also ein Rückschritt stattge- sich einzurichten, neue Kollegen werden genauer funden im Vergleich zu den Neunzigerjahren! Und angeschaut, die geistige Arbeit erlahmt dann häufig, auch die Entwicklung in Richtung bundesfinanzierte das Sich-Etablieren nimmt seinen Anfang. Mit den Hochschulen, die gegenwärtig eingeleitet wird, Staatsgeldern wird eine ganz andere Schule daraus, wird die gesamte Bildungslandschaft in einer Weise als ursprünglich veranlagt. Und eine bestimmte Art verändern und dominieren, wie wir uns das heute von initiativen Menschen werden „abgeworfen“: noch kaum vorstellen können. Man kann sagen: Sie werden hinausgedrängt oder sie verzweifeln, Gerade die entscheidenden wirtschaftlichen Fragen weil ihr Idealismus keinen Boden mehr findet. D.h. werden zu ungeahnten Problemen anwachsen, wenn eine gewisse Art der Verbundenheit reißt, eine an- wir nicht in ganz neuer Weise initiativ werden. Die dere Ordnungskraft zieht ein. In diesem Stadium ist Bürgerverantwortlichkeit ist nicht damit erfüllt, dass eine Institution für den sozialen Zusammenhang als wir alle vier Jahre wählen gehen, sondern hängt mit Ganzem im Grunde gestorben, sie wird zur bloßen der Frage zusammen, welche konkreten Aufgaben Innenwelt. Denn ihr gehen durch die finanzielle wir als Zivilgesellschaft vom Staat übernehmen. Versorgung wesentliche Wahrnehmungen verloren, sie ist auf einer gewissen Ebene nicht mehr inspirati- onsfähig, Wahrnehmungen gehen verloren, die sie Schlussplädoyer bräuchte, um eine gewisse Art von Initiative aufrecht zu erhalten. Zur zivilgesellschaftlichen Bildungsgestaltung gehö- ren kein staatlicher Bachelor und auch keine Euryth- Rudolf Steiner brachte diesen sozialpsychologischen mie-Professur! Denn dieser Un-Sinn wird den Geist Zusammenhang an einer Stelle so auf den Punkt: der ursprünglich gegründeten Bewegung beseitigen, „Nehmt dem Staat die Schulen ab, nehmt ihm das wie es in Humboldts Universität geschehen ist. Wir geistige Leben ab, gründet das geistige Leben auf haben aber als Anthroposophen aus meiner Sicht sich selbst, lasst es durch sich selbst verwalten, dann die Verantwortung, die umfangreichen Ausführungen werdet ihr dieses geistige Leben nötigen, den Kampf Rudolf Steiners in Bezug auf die Notwendigkeit eines fortwährend aus seiner eigenen Kraft zu führen. Dann wirklich freien Bildungswesens zumindest zur Kennt- wird aber dieses geistige Leben auch von sich aus in nis zu nehmen. Die oben genannten Entwicklungen der richtigen Weise zum Rechtsstaat und zum Wirt- und Probleme nicht in Zusammenhang zu bringen schaftsleben sich stellen können, wird zum Beispiel das mit Steiners Ausführungen, ist aus meiner Sicht völlig geistige Leben gerade […] auch der richtige Verwalter unwissenschaftlich. Das abschließende Zitat soll des Kapitals sein.“18 Er spricht von Nötigung, nicht noch aus einem etwas anderen Blickwinkel verdeut- von der Haltung: „Wir haben es jetzt geschafft! Wir lichen, wie sehr das eine mit dem anderen zusam- haben endlich unsere Versorgung organisiert bis zur menhängt: „Das befreite Geistesleben wird soziales Rente“, sondern: Wir haben uns in eine nötigende Verständnis ganz notwendig aus sich selbst entwickeln. Situation, in eine Problemlage begeben, um darin Und aus diesem Verständnis werden Anreize ganz nicht einzuschlafen für viel weitergehende Fragestel- anderer Art sich ergeben, als der ist, der in der Hoff- nung auf wirtschaftlichen Vorteil liegt.“20 17 Wilhelm von Humboldt an G.H.L. Nicolovius, Frankfurt, den 18. Juni 1816, in: W. v. Humboldt: Briefe, München 1952, S. 376 19 Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde, Ansprache am Vor- 18 Rudolf Steiner, Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen abend des Kurses, Stuttgart, 20. August 1919, GA 293, Dornach Geschehen, Vortrag 21. März 1919 in Dornach, GA 190, Dornach 1980, S. 204 1980, Seite 24 20 Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, Dor-

12 Sozialimpulse 1/16 Geistesleben und Staat Geistesleben und Staat

Geistesleben und Staat II ist nichts, der Staat bestimmt alles, bis hinein ins Denken, ins Bewusstsein der Menschen.

Gerald Häfner Ich behaupte, auch das ist heute schon lange nicht mehr so. Wir haben es vielmehr mit einer Ohnmacht erzlichen Dank, Thomas Brunner für das wun- des Staates zu tun, trotz der Technokratisierungs- H derbare Plädoyer, die Freiheit des Geisteslebens tendenzen, trotz der platten Reflexe, dass jeder in endlich ernst zu nehmen und radikal zu denken! Und der politischen Gesellschaft, wenn ihn irgendetwas trotzdem will ich jetzt andere Gesichtspunkte mit ins ärgert, nach einem Gesetz oder einer Verordnung Gespräch einfließen lassen: Es ist ja immer so, dass schreit. Trotz alledem ist der Staat heute nicht mehr wir unter verschiedenen Gesichtspunkten auf den der eigentlich bestimmende Akteur und damit für sozialen Organismus schauen – das geht gar nicht mich schon längere Zeit nicht mehr der Hauptfeind. anders. Schwierig wird es immer nur, wenn man den eigenen Gesichtspunkt für den ausschließlichen Die Macht liegt heute bei der Wirtschaft. Der Staat richtigen und alle anderen für gänzlich verfehlt hält. wird zunehmend von der Wirtschaft am Nasenring Das hindert uns allzu oft an einer fruchtbaren Zu- durch die Manege gezerrt. Ich könnte aus meiner sammenarbeit. Deswegen will ich jetzt ausdrücklich eigenen Mitwirkung im Bereich der Gesetzgebung nicht widersprechen, sondern das Gesagte lediglich Bände erzählen, wie sich die Wirtschaft das ergänzen. Rechtsleben untertan macht. Die Staaten werden durch ausgeübten Druck willfährig gemacht, ihre Zuvor möchte ich aber die von Thomas Brunner Gesetze so zu machen, dass sie wirtschaftlichen und geschilderte Tendenz zur Technokratie und auch zunehmend auch finanzökonomischen Interessen Bürokratie, die sich immer stärker ausbreiten, und dienen. Das sollte man bei der Analyse der heutigen das Aufblühen eines vormundschaftlichen Denkens Situation mit bedenken. bestätigen. Es gibt sogar technokratisches, vormund- schaftliches Denken im Namen der Freiheit – das will ich aber jetzt nicht näher ausführen. Recht und Freiheit zerstörende Entwicklungen Was mich aber beschäftigte: Du hast auf der einen Seite immer so vom Geistesleben gesprochen, dass Die Erosion des Staates im Rechtlichen geht übri- man dabei ein anfängliches Bewusstsein eines gens nach zwei Seiten – nicht nur in Richtung des lebendigen Gesamtorganismus gewinnen konnte. Wirtschaftslebens, sondern auch in Richtung eines Auf der anderen Seite hatte ich, wenn Du vom Staat zunehmenden Individualismus, durchaus auch im gesprochen hast – das innere Bild eines dunklen Sinne der Freiheit. Es ist positiv, dass Menschen sich schwarzen Loches. Du hast nie vom Rechtsleben, immer weniger vorschreiben und verbieten lassen. hast nie von dem gesprochen, was in der Ebene, die Aber die Erosion des Staates kann in einzelnen du da charakterisiertest, an Berechtigtem lebt – und Bereichen auch eine sehr problematische Seite ich würde sogar noch weitergehen: was von dieser haben. Um das näher zu belegen, könnte man Ebene notwendig hineingetragen werden muss, die aktuelle Ökonomisierung aller Lebensbereiche damit Freiheit überhaupt erst möglich wird. So, wie hernehmen, man könnte über TTIP und ISDS21 re- vom Geistesleben etwas beigetragen werden muss, den. Ich will jedoch nur die Stichworte nennen, um damit das Rechtsleben aufleben kann, so muss es anzudeuten, worum es hier geht. Ich würde sagen, auch umgekehrt sein – das kann man nicht vonein- dass diese Entwicklungen in eminentem, noch ander abtrennen, das bedingt einander. stärkerem Maße als die von meinem Vorredner beschrieben Phänomene die Freiheit zerstören. ISDS z.B. ist der Versuch seitens der Wirtschaft, sich das Machtverschiebung in Richtung Wirtschaft Recht untertan zu machen und zwar so weit, dass in hinter verschlossenen Türen geheim geführten Ich glaube, dass wir uns in einem starken Wand- Verhandlungen aus primär ökonomischen Interes- lungsprozess befinden. Im Mittelalter war das sen heraus selbst die Souveränität der Bevölkerung Geistesleben, und zwar in seiner Ausprägung durch und des Gesetzgebers – sei es ein direkter oder die römisch-katholische Kirche, der eigentlich gesell- ein gewählter – eingeschränkt und dem Prinzip der schaftlich bestimmende Machtfaktor. Das ist heute Meistbegünstigung, der Freiheit für Investition, der längst nicht mehr so! Schon im 20. Jahrhundert Diskriminierungsfreiheit usw. unterworfen wird – mit wurde die Kirche als Macht vom Staat abgelöst. sehr problematischen Konsequenzen für viele Rechts- Schon damals wäre es im Grunde falsch oder nicht gebiete. Diese Form der Ausübung ökonomischer ganz auf der Höhe der Zeit gewesen, wenn man den Macht zerstört Freiheit, aber eben auch das Recht Hauptkampf gegen die Macht des Geisteslebens wird zerstört, indem die Ökonomie sich das Recht geführt hätte, da man zunehmend eine Ohnmacht zunutze macht und zwar so, dass Recht nicht mehr des Geisteslebens konstatieren konnte. Denn im 20. auf der Basis der Gleichheit, sondern des Eigentums Jahrhundert lag die Macht bereits beim Staat – Hitler, und des Privatinteresses entsteht und Recht nicht mehr Stalin, Mao, Franco, Mussolini usw. sind nur Chiffren im Allgemein-Menschlichen, sondern im unmittelbar für den Anspruch des totalen Staates: Der einzelne Ökonomischen generiert wird.

21 TTIP: Transatlantic Trade and Investment Partnership, ISDS: In- vestor-state dispute settlement (deutsch: Transatlantische Handels- und nach 1976, S. 109 Investitionspartnerschaft; Investor-Staat-Streitbeilegung)

Sozialimpulse 1/16 13 Mehrebenen-Demokratie Mehrebenen-Demokratie

Der nächste Faktor, auf den ich kurz blicken will, 4. Und schließlich glaube ich, dass wir, wo es um wurde gestern Abend schon erwähnt. Eine massive die verbindliche Gestaltung von Recht geht, ein Veränderung der Realität gegenüber den Sechzi- größtmögliches Maß an Transparenz, an Partizipa- ger-, Siebziger- und Achtzigerjahren hat durch das tion, Deliberation und Demokratie brauchen. Und ständige Anwachsen der regionalen, nationalen und wenn ich Demokratie sage, meine ich neben der auch globalen Zivilgesellschaft stattgefunden, die repräsentativen vor allem auch die direkte Demo- zu einem immer stärkeren Faktor wird und von der kratie. ich meine, dass sie, wenn sie sich richtig versteht, eigentlich eine moderne Form der Organisation vom Geistesleben ist, das sich in diesem Machtgefüge Gesichtspunkte zur Debatte rund bewegen und sich Spielräume verschaffen will und um ein freies Geistesleben deshalb versucht, auch auf Gesetzgebung und Wirtschaft einzuwirken. Jetzt würde ich gerne noch einiges zu den Gesichts- punkten der in Rede stehenden Auseinandersetzung ausführen. Strategien im Umgang mit der Mehrebenen-Demokratie nn Den Staat differenzierter auffassen Der nächste Punkt, den ich verkürzt anreißen will: Da das pauschale Reden vom Staat vielerlei außer Wir haben längst schon keinen klassischen Einheits- Acht lässt, möchte ich eine grobe Unterteilung vor- staat mehr. Es liegt immer weniger Macht beim Nati- nehmen, die mir unbedingt notwendig erscheint. onalstaat. Wir haben eine Mehrebenen-Demokratie, Es reicht nicht pauschal zu sagen: Der Staat macht bei der mindestens fünf Ebenen zusammenwirken Schule usw. Wir müssen vielmehr unterscheiden zwi- oder miteinander konkurrieren, wenn es darum geht, schen dem Staat als Träger, Veranstalter, Verwalter Recht festzustellen und rechtliche Gestaltungen im und Bestimmer von konkreten Einrichtungen, Verhält- sozialen Ganzen vorzunehmen. Dabei würde ich nissen usw. und dem Staat als Raum der Gestaltung sagen: Je weiter weg von den Menschen Dinge von Verhältnissen in der und durch die Rechtsphäre. entschieden werden, umso offensichtlicher – das ist empirisch beobachtbar – und umso massiver ist die nn Recht und Freiheit in ihrem Zusammenspiel Tendenz zur Bürokratisierung. Aus diesen wenigen erkennen Strichen einer Skizze folgt für mich: Das möchte ich kurz erläutern. Ich behaupte, es 1. Wir müssen Kompetenzen so weit wie möglich gibt keine Freiheit neben dem oder außerhalb des nach unten, so nah wie möglich zu den Menschen Rechts. Das ist mir eminent wichtig: Gerade die zurückverlagern – das Prinzip der Dezentralität. Freiheit bedarf des Rechtes als Begleiter und als Ge- staltungsform. Das bedeutet, dass wir in keinem Fall 2. Wir müssen uns die Frage stellen: Was gehört an der Notwendigkeit – und der Möglichkeit – der in welche Ebene? – in mehrere Richtungen: d.h., Gestaltung der Freiheit durch das Recht vorbeikom- dass wir die eben angesprochenen Ebenen auch men. Wir können nur die Augen davor verschließen, horizontal und vertikal, sowie regional und funktional aber das Problem bleibt bestehen. gliedern: Nicht alles muss im selben Organ, nicht alles auf derselben Ebene entschieden werden. Ob es in einem Staat ein freies Schulwesen gibt oder Man könnte sich vorstellen, dass bestimmte Dinge nicht, hängt eben nicht nur vom guten Willen der im Dreiländereck, im Alpenraum, von den Ostsee- individuell Betroffenen ab, sondern auch davon, ob Anrainerstaaten entschieden werden. Dass es eine die Rechtsordnung des Staates ein freies Schulwesen regionale, aber auch eine funktionale Gliederung erlaubt oder nicht. Das ist in den Ländern der Euro- gibt, dass Menschen sich zusammentun, z.B. zu der päischen Union oder auch global gesehen gänzlich Idee einer bestimmten Form der Realisierung eines verschieden. Es gibt viele Länder, wo Menschen sehr freien Schulwesens, regional oder auch über Länder- gerne freie Schulen aufbauen würden, es aber nicht grenzen hinweg zusammenwirken und gemeinsame können, weil die Rechtsordnung es nicht erlaubt. Das Formen der Verhältnisbildung und Verantwortungs- heißt, es ist auch eine Frage der Rechtsordnung. übernahme usw. ausbilden. nn Den Blick auf den Staat verändern 3. Drittens glaube ich, dass sich unser Begriff vom Recht verwandeln muss. Wir denken Recht immer An der Stelle sollten wir vermehrt fragen: Kann nicht noch viel zu sehr in der herkömmlichen Form eines der Staat vom Unterdrücker und Bestimmer mehr Oben und Unten, eines Bestimmens über die Men- zum Ermöglicher von Freiheit werden? Könnte das schen: Recht als Einschränkung, Recht als zwingen- nicht eine wichtige Perspektive für unseren gemein- de Vorgabe. Ich glaube, dass wir erst anfänglich samen Blick, für unsere gemeinsame Arbeit sein? tastend-ahnend beginnen, Recht von einer anderen Ein „antistaatlicher Reflex“ würde diese Möglichkeit Seite zu sehen: als Recht, das Freiräume eröffnet, das und die Notwendigkeit dafür übersehen. Ein freies Gestaltung ermöglicht. Ich glaube zudem, dass wir Schulwesen entsteht nicht von selbst und es ist auch in vielen Bereichen weniger bestimmte, festlegende, nicht von selbst frei. Wer Freiheit nur als Freiheit sieht, konkrete Bestimmungen brauchen, sondern eher in der jeder machen kann, was er will, verkennt die Rahmen, die Gestaltungsmöglichkeiten schaffen, grundlegende Notwendigkeit der Gestaltung von soft law usw. Verhältnissen a) zwischen Menschen, auch inner-

14 Sozialimpulse 1/16 Recht als Sprache der Freiheit Recht als Sprache der Freiheit halb von Einrichtungen und Vereinbarungen, b) im Arbeit am Recht, nicht außerhalb desselben. Und Sozialen als Ermöglichung freier Gestaltung. Sprache ändert sich nicht im Monolog, sondern im Gespräch – so ist es auch mit dem Recht. Das Recht Wirkliche Freiheit ist nicht Freiheit von, sondern hat seine Bedeutung nicht für mich als einsamer Freiheit im oder noch besser: Freiheit zum Recht. Solipsist am Schreibtisch, als Bewohner einer Insel, Denn es geht nicht nur um eine Freiheit von gewor- sondern überhaupt erst, aber da sofort, wo ich in denen Rechten, sondern vor allem um die Freiheit, ein Verhältnis mit anderen Menschen trete – egal, Recht aus sich heraus selbst zu gestalten und wei- ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. Einer der terzuentwickeln. Das bedeutet auch, dass wir nicht wichtigsten Grundsätze des Rechts lautet: Audiatur vergessen dürfen, dass wir es immer mit einem et altera pars (Man höre auch die andere Seite). sozialen Organismus zu tun haben und nicht eines Die Figur der Justitia, das Abwägen, ist ein in sich vom anderen trennen können. Wir können die Schule sprachlich dialogisches Element. Erst durch dieses z.B. nicht von wirtschaftlichen Einflüssen trennen. Abwägen entsteht Freiheit als soziale Realität. Wenn wir also fordern, der Staat möge sich bitte he- raushalten, dann übersehen wir, in welchem Maße Also der Kampf um die Freiheit kann den Staat und wirtschaftliche Einflüsse einfach aus den heutigen das Recht nicht auslassen, sondern muss das Recht Gegebenheiten heraus diese Schule mitbestimmen. durch die Gesetzgebung in eine Form bringen, die Es ist nötig, das mindestens genauso scharf ins Auge freies Handeln und freies Geistesleben erst möglich zu fassen wie die rechtlich-politischen Einflüsse von macht. Das Bild, das sich anbietet, ist weniger die staatlicher Seite. So verstehe ich die vom Bund der Justitia, als vielmehr der Michael mit der Waage Waldorfschulen entwickelten „7 Kernforderungen und dem Schwert. Auf der Waage kann man auf an die Bildungspolitik”22, die Du seinerzeit kritisiert der einen Seite den Menschen sehen, auf der an- hast23, als einen Versuch, Schritte auf dem Weg deren den Drachen. Der Drache kann m.E. sehr gut von A nach B zu beschreiben. Was ich an Deiner für das stehen, was Du geschildert hast, auch für Kritik wunderbar finde, ist, dass Du die permanente alles das, was ich heute als das quasi mechanische Gefahr der inneren Verbeamtung bzw. der Opferhal- sozial gestaltende technokratische Element ins Auge tung des Forderns, ohne die eigenen Möglichkeiten gefasst habe. der Gestaltung wahrzunehmen, kritisierst. Trotzdem bis Du mit deiner Kritik über das Ziel hinausgeschos- nn Die eigentlichen Elemente der Gestaltung ins sen, weil du die genannte Differenzierung nicht Auge fassen vorgenommen hast. Nur ganz kurz als Ausblick: Fruchtbar wird die nn Recht als Sprache der Freiheit erkennen und Debatte, die dann hoffentlich an der Stelle keine nützen mehr ist im Sinne einer Kontroverse, wenn es nicht mehr darum geht, gegen etwas, in dem Fall den Ich würde in der Formulierung abschließend sogar Staat, ins Feld zu ziehen, sondern die eigentlichen einen Schritt weitergehen und sagen: Das Recht ist Elemente der Gestaltung ins Auge zu fassen. Die die Sprache der Freiheit. Diese mittlere Ebene, dieses Frage – Wie machen wir unsere Schule? – geht wei- Dazwischen zwischen Himmel und Erde, zwischen ter und umfasst mehr als die innere Ordnung einer Idee und Gewordenem, auch zwischen Mensch und einzelnen Institution. Ich glaube, damit eine Schule Mensch und zwischen Mensch und Gesellschaft – überhaupt eine freie werden kann im umfassenden diese Ebene ist eine notwendige Bedingung für die und eminenten Sinne des Wortes, muss ihr Blick den Freiheit. Sie ist vergleichbar mit der Bedeutung der gesamten sozialen Organismus mit einbeziehen. Sprache zwischen uns Menschen, weil Sprache di- rekt vom Menschen gemacht und gestaltet wird – sie Dazu gehört z.B. auch die Frage, wie das mit dem existiert nicht außerhalb der menschlichen Sphäre. Geld ist: Wie kann der Übergang des Geldes in die Wir bedürfen der Sprache, um uns mitteilen und Sphäre, die Rudolf Steiner das alternde und dann in Verbindung treten zu können, um Ideen auf die das sterbende Geld nannte, so gelingen, dass Freiheit Erde und ins Wort bringen zu können, haben dabei im Geistesleben nicht „karitativ“ oder „mäzenatisch“ aber immer das Problem, dass die Sprache nicht gestützt, sondern konstitutiv ermöglicht wird? schon zur Gänze übermittelt und abbildet, was wir meinen. D.h. die Sprache ist immer ein Gewand, das Das erfordert mehr, als nur aufs Geistesleben zu auch einschränkt, was wir eigentlich sagen wollen. schauen. Da müssen wir aufs Rechtsleben, aufs Sprache hat Rückwirkung, auch auf das Denken, Wirtschaftsleben und auf den Geldbegriff schau- aber Sprache kann sich entwickeln, kann gebildet, en, auf das Eigentum und den Kapitalbegriff, auf verwandelt, befreit werden und sie kann das nur die tragenden Säulen unserer Wirtschafts- und durch die Menschen selber. Rechtsordnung. Und nur, wenn wir alle das Gan- ze ins Auge fassen, wird entstehen, was Thomas Und so ist es auch mit dem Recht. Auch das Recht Brunner zu Recht als Freiheit im Geistesleben kann geändert, verwandelt und befreit werden, aber einfordert. nur durch die Menschen selber und nur durch die

22 www.waldorfschule.de/fileadmin/downloads/blickpunkte_ reader/Blickpunkt_9.pdf 23 vgl. Thomas Brunner: Wege aus einer zunehmend paralysierten Gesellschaft. Oder warum Forderungen an die Politik das Wesentliche nicht leisten können. Sozialimpulse, Heft 1/2014, 54 - 56.

Sozialimpulse 1/16 15 Anknüpfen am Bestehenden?! Anknüpfen am Bestehenden?!

Ergänzungen Anknüpfen am Bestehenden?! aus Gesprächsbeiträgen von Gerald Häfner und Christoph Strawe Christoph Strawe ch möchte etwas ergänzen zur Frage, ob und wie Bürgerentscheide I man am Bestehenden anknüpfen kann. Manches klang ja so, als habe man mit dem Bestehenden nichts gemein und müsse völlig neu ansetzen. Aber Gerald Häfner ist nicht das Bestehende selbst etwas durchaus ch glaube, dass in und mit der Zivilgesellschaft sehr Widersprüchliches? Der Staat befindet sich in einer I viel entsteht und dass dadurch auch der Staat be- Entwicklung, die an einen bestimmten Punkt gelangt ginnen kann, anders zu denken. Nehmen wir einmal ist, an dem bereits bestimmte Elemente ausgebildet all die Bürgerentscheide zum Thema Privatisierung, wurden, die durchaus den Entwicklungsnotwendig- die in DE stattgefunden haben: Das Interessante keiten des modernen Menschen entsprechen: dass ist, dass sich in allen Fällen die Mehrheit gegen es überhaupt ein rechtsstaatliches Prinzip gibt, dass Privatisierung aussprach. Das hat damit zu tun, dass es Grund- und Menschenrechte gibt, auf die man dort, wo etwas privatisiert wird, z.B. die Wasserver- sich berufen kann usw. Auf der anderen Seite gibt sorgung, es der öffentlichen Sphäre entzogen wird, die nicht überwundenen obrigkeitsstaatlichen Relikte aber nicht im Sinne von mehr Gestaltungsfreiheit, der Vergangenheit. sondern im Sinne eines anderen, viel massiveren Mechanismus – Renditezwang, Profitzwang usw. Die Demokratie ist unvollendet. Dieser Wider- �, wo der Bürger nur noch Kunde ist. Den meisten sprüchlichkeit ist es geschuldet, dass im Gespräch ist es viel lieber, in Sachen Wasserversorgung noch so unterschiedliche Beispiele angeführt werden mitreden zu können, als diese Thematik ins Private konnten, positive wie negative. Wir haben ein zu entlassen. Grundgesetz, das die Würde des Menschen an den Anfang stellt. Es gibt eine Verfassungswirklichkeit, Aber allein mit dem Wunsch, mitreden zu wollen, ist die diesem Anspruch oft noch nicht gerecht wird. die Gestaltungsfrage noch nicht gelöst. Wir müssen Es ist noch ein langer Kampf zu führen, der aber uns auch Gedanken machen über die angemessene gerade dann erfolgreich sein kann, wenn wenn wir Form der Wasserversorgung, die bisher von der an positiven Elementen des Bestehenden anknüp- Stadt organisiert wurde. Es geht ja nicht nur um fen, die bereits dem Rechnung tragen, was Rudolf Staat oder Privat, sondern es gibt unendlich viele Steiner 1898 sinngemäß so beschrieb: Wenn alle Gestaltungsformen von Recht als Raum und Rahmen gesellschaftliche Entwicklung auf einen Individu- für Initiative und Freiheit. alisierungsprozess hinausläuft, können Staat und Gesellschaft nicht so bleiben, wie sie sind, sondern Die Berliner Entwicklung rund um die Wasserfrage müssen sich um den einzelnen herum ganz neu fand ich total spannend. Die Mehrheit wollte dort, gruppieren und dessen Förderung und Schutz in dass die Wasserversorgung in kommunaler Hand den Mittelpunkt stellen. Was dem nicht Rechnung bleibt. Daraufhin konstituierte sich der „Berliner trägt, führt in Vormundschaft und muss überwunden Wassertisch“, bei dem unterschiedliche Varianten und bekämpft werden. diskutiert und vorgestellt wurden: ein Stiftungsmodell, das Modell Bürgergesellschaft, das kommunale Insofern kann man durchaus auch ein positives Leit- Modell. Leider wurde diese Debatte nicht zu Ende bild des Staates malen, auch wenn die Wirklichkeit geführt – aber es zeigte sich eine Perspektive: dass dem an vielen Stellen noch nicht, an anderen nur wir angemessene Gestaltungsformen suchen, die teilweise entspricht. Man kann formulieren: sich nicht beschränken auf „privat“, im Sinne eines privatwirtschaftlichen Renditezwanges, und „staat- nn Der moderne Staat hat den einzelnen in den lich“ im Sinne von öffentlich verwaltet, sondern die Mittelpunkt zu stellen. Er wird in diesem Sinne zu freie Initiative-Formen der Gemeinwohlsorge und einem Schutz- und Förderraum für das Individuum. der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben sind. In Bezug auf die Rechtsgemeinschaft müsste dann nn Er setzt der Ökonomie Grenzen durch das Recht, geklärt werden, welche Grundrichtungsentscheidun- z.B. durch ein modernes Eigentumsrecht. gen durch sie zu treffen sind und was zur Gestaltung fähigen Menschen und Initiativen überantwortet nn Er sorgt für die Sicherheit, ohne die es nach W. werden sollte. von Humboldt keine Freiheit gibt.

Am Schluss meines Referates ging es mir darum, das nn Der Staat ist genau genommen selbst ein Ver- ganze Feld zwischen diesen beiden „Pflöcken“ ins tragszustand unter Freien. Denn die Grundrechte Bewusstsein zu heben, weil es zunehmend wichtig basieren auf der stillschweigenden Übereinkunft, wird und weil viel davon abhängt, ob wir diesbe- dass jeder Mensch frei ist und nicht nur einige. züglich auch imaginativ-produktiv tätig sind. Rudolf Steiner war es ein großes Anliegen, dass die Wal- Wir müssen dafür sorgen, dass der Staat durch- dorfschule nicht einfach als eine freie Schule ange- lässiger wird für Initiative aus der Zivilgesellschaft: sehen wird, sondern als eine neue Rechtsform, eine einmal im Hinblick auf die bereits angesproche- freie gemeinnützige Schule, die es vorher nicht gab. ne Ebene der direkten Demokratie – auf der Das müssen wir noch um einiges weiterentwickeln. anderen Seite im Hinblick auf mehr Raum für

16 Sozialimpulse 1/16 Schenkung Schenkung

Selbstverwaltung. Wir brauchen einen wirklich Das ist aber nicht als Universalmodell für das Geis- subsidiären Staat. Wir brauchen eine moderne tesleben gemeint. Es geht nicht darum, alles und Art von Gesetzen, die Dinge regeln für den Fall, jedes in dieser Art zu finanzieren. Vielleicht muss dass die Betroffenen sie durch Selbstverwaltung man in vielen Bereichen der Kultur nicht wie heute und vertragsrechtliche Vereinbarungen nicht selbst einzelne herausgehobene Einrichtungen (Staatsgthe- geregelt bekommen. Unser derzeitiges Verständ- ater, Staatsoper etc.), sondern die „Infrastruktur der nis ist genau andersherum: dass Freiheit nur eine Kultur” solidarisch finanzieren, die dann von Einzel- Ersatzlösung ist – weshalb die freie Schule als initiativen gleichberechtigt genutzt werden könnte. Ersatzschule und Privatschule angesehen wird. Auf der anderen Seite gibt es die Gründungsfrei- Letztlich ist es eine pragmatische Frage, wie man heit, die zu einer anderen Formulierung Anlass in Sachen Erziehungseinkommen an bestehenden gäbe: dass die freie Gründung der Normalfall Verhältnissen anknüpft: ob man das nicht lieber über sein sollte und das andere der Nicht-Regelfall. den Staat generieren sollte, weil er sich zum Geld- An der Umkehrung des heutigen Verständnisses Einsammeln besser eignet als die Ökonomie in ihrer müssen wir arbeiten. heutigen Verfassung. Eine pragmatische Frage wäre dann auch die weitere praktische Ausgestaltung (z.B. als Bildungsgutschein). Steiner sagt an der zitierten Stelle übrigens auch, dass er „nur wie durch ein Beispiel die Richtung“ bezeichnen wolle, durch die Individuelle und gesellschaftliche das Problem gelöst werden könne. „Es wäre möglich, Schenkung dass für das einzelne ganz anders geartete Einrich- tungen als richtig befunden würden.”25 Christoph Strawe Wichtig ist, dass aus dem Prinzip der solidarischen ch will noch auf das Thema individuelle und gesell- Finanzierung nicht der Anspruch folgt: Wer die I schaftliche Schenkung eingehen. Ich halte es für Kapelle bezahlt – nämlich die Allgemeinheit – be- ein Problem, wenn man nur die Alternative Zwangs- stimmt auch die Musik. Dann würde es zu inhaltlicher schenkung oder individuelle Schenkung gelten lässt. Kontrolle kommen und korrumpierend wirken, wie Es gibt eben auch noch eine andere Möglichkeit, es heute in hohem Maße der Fall ist. Wenn die so- nämlich solidarisch generierte Mittel individuell zu lidarische Finanzierung jedoch wirklich frei gelenkt lenken. Das ist in bestimmten Bereichen des Geistes- werden könnte, wäre das nicht der Fall. lebens angemessen, wo es auch um Rechtsfragen geht, etwa um das Recht auf Bildung. Pioniergeist kann über finanzielle Engpässe hin- wegtragen, das ist richtig. Vor dem Umkehrschluss, Ich darf wieder einmal hinweisen auf die Stelle, dass finanzielle Not in jedem Fall den Pioniergeist an der Rudolf Steiner 1919 über das Konzept des fördert, ist jedoch zu warnen. Wäre dieser richtig, Erziehungseinkommens spricht und nur einen Absatz müsste es ja in Ländern, in denen Waldorfschulen voneinander getrennt folgende Gedanken formuliert: und andere freie Schulen nicht finanziert werden – in Österreich, in der Schweiz – lauter pionierhaf- „Und alles, was zum Unterhalt der geistigen Organi- te Schulorganismen geben. Das ist aber so nicht sationen nötig ist, wird dieser zufließen durch die aus der Fall. Anhaltende Mangelsituationen können freiem Verständnis erfolgende Vergütung auf Seiten auch lähmen. Mühsam erkämpfte Rechtspositionen der Einzelpersonen, die am sozialen Organismus sollten daher meines Erachtens nicht preisgegeben, beteiligt sind. Diese geistige Organisation wird ihre sondern verteidigt und ausgebaut werden. gesunde Grundlage durch die in freier Konkurrenz sich geltend machende Initiative der zur geistigen Arbeit fähigen Einzelpersonen haben.“24

Da denkt man natürlich an individuelle Portemon- naie-Verhältnisse. Doch gleich im nächsten Absatz merkt Steiner an, dass Kinder ein Recht auf Erzie- hung haben. Was folgt denn daraus? Dass das Einkommen derer, die sie auf die Schule schicken sol- len, aufgestockt werden müssten! In der damaligen „Dreigliederungszeit”, war es naheliegend, dass ein solches Einkommen durch eine Verständigung unter den drei Gliedern des sozialen Organismus darüber zustande kommt, wieviel von der Wertschöpfung der Wirtschaft in die Erziehung gehen soll. Ausgegeben werden sollte das Geld vom einzelnen – und nur er sollte bestimmen, welcher Schule er das Geld gibt.

24 R. Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Fragen, GA 4, Dornach 1976, S. 127f. 25 a.a.O., S. 128.

Sozialimpulse 1/16 17 Geistesleben und Wirtschaft Geistesleben und Wirtschaft

Geistesleben und Wirtschaft I Um das zu charakterisieren, beschreibt Rudolf Steiner im Nationalökonomischen Kurs eine alte Dorfwirtschaft. Es ist eigentlich mehr als eine Cha- Gerhard Schuster rakterisierung, es ist fast eine Karikatur: Er stellt den ch versuche jetzt einen Gedankengang zu ent- Geistesarbeiter, einen Pfarrer mit seinem Produkt I wickeln, der an mancher Stelle an das Bisherige einer Kanzelrede, neben den körperlich arbeiten- anknüpft. Dem Verhältnis von Geistesleben und den Menschen. Er sagt, der Geistesarbeiter könne Wirtschaftsleben möchte ich mich so nähern, dass ja nur deshalb geistig arbeiten, weil der körperlich ich die Frage nach der Gestalt der Wirtschaft in Arbeitende einen Teil der Arbeit, die nicht mehr er unserer heutigen Zeit an den Anfang stelle. Rudolf als Geistesarbeiter machen muss, übernimmt. Das Steiner lebte noch in einer Zeit des Übergangs entwickelt Rudolf Steiner im Zusammenhang mit der der wirtschaftlichen Verhältnisse. In der Vorrede Überlegung, wie man die Werte und damit auch der „Kernpunkte“ sprach er davon, dass man vor die Preise von körperlicher und geistiger Arbeit dem Eintritt in die Weltwirtschaft stehe. Und der miteinander vergleichbar machen kann. Nationalökonomische Kurs heißt zwar noch so, aber er beschreibt Verhältnisse, die schon deutlich Dabei ging es ihm nicht darum, die Dorfwirtschaft in Richtung Globalisierung gehen, die das Natio- zu beschreiben, da sie nicht mehr das Typische ist in nale bereits verlassen. War das damals noch ein unserer globalisierten Welt. Denn die alte Wirtschaft gewisser Übergang, so sind wir heute, 100 Jahre brachte eigentlich nur die Produkte der Tätigkeit später, ganz eindeutig in Verhältnissen, die wir nur in die wirtschaftliche Zirkulation. Der Mensch ist mit „Weltwirtschaft“ ansprechen können. selbst nicht in den Wirtschaftskreislauf eingetreten. Eine als Haushalt geführte Produktionsstätte, die noch nicht von einer hochgradigen Arbeitsteiligkeit Was ist die Gestalt der Weltwirtschaft? ergriffen war, erzeugte Produkte, die der Haushalt entweder selbst verbrauchte oder sie wurden, wenn Wenn wir diese Frage beantwortet haben, können ein Überschuss vorhanden war, am Markt gegen wir dann auch jene nach dem Verhältnis der Wirt- Nötiges getauscht – ob direkt oder vermittelt durch schaft zum Geistesleben stellen. Die Tendenzen, Geld spielt dabei keine Rolle. Es gab also nur eine die es vor 100 Jahren schon gab und die zur Welt- Zirkulation der Waren. Die Fähigkeiten der Men- wirtschaft führten, hatten damit zu tun, dass die schen, die Qualitäten der Menschen in ihrer Arbeit Organisation der Arbeit voranschritt und die Arbeit blieben sozusagen in den eigenen vier Wänden. dadurch effizienter gemacht wurde. Durch die Ap- plikation der Wissenschaft auf die Wirtschaft – also Mit der Arbeitsteiligkeit ändert sich das und damit durch die Technisierung und alles, was sich im Zuge veränderte sich auch der ganze Charakter des Wirt- der Industrialisierung entwickelte – hat ein Faktor zu- schaftens: Denn nun werden die individuellen Fähig- genommen und wurde dominant: die Arbeitsteilung, keiten integraler Bestandteil des über den einzelnen durch die mehr und mehr alle einzelnen Vorgänge Haushalt hinausgehenden Geschehens und kommen in ein Ganzheitsgeschehen integriert wurden, über dadurch mit in Umlauf. D.h., der Mensch muss sich die Grenzen der Nationalstaaten hinaus, hin zur zur Arbeitsstätte hinbegeben, muss dort mit ande- Globalisierung. ren in einem Unternehmen zusammenarbeiten, das wiederum nur ein Glied in der Gesamtwirtschaft ist. Rudolf Steiner formuliert am Ende des 1. Vortrags des Nationalökonomischen Kurses den Gedanken: „Die ganze Erde als Wirtschaftsorganismus gedacht, Problematisches Missverhältnis ist der soziale Organismus“. Dies ist gerade durch dieses integrative Geschehen so. Also dadurch, Der einzelne Mensch wird also selbst zu einem dass jeder einzelne Arbeitsvorgang zu einem Ele- Element des wirtschaftlichen Austauschs. Das führt ment in einem globalisierten Ganzheitsgeschehen zu einer Problematik, die ich genauer anschauen wird. Der tschechoslowakische Wirtschaftstheore- möchte. Es geht dabei um ein Missverhältnis zwi- tiker Eugen Löbl, der seine Quelle nicht in Rudolf schen Geistesleben und Wirtschaftsleben. In dem Steiner hat, aber auch zum Organismus-Begriff für Beispiel der Dorfwirtschaft nennt Rudolf Steiner das Soziale vorgedrungen ist, spricht von unserer den Geistesarbeiter und den physisch Arbeitenden, heutigen Wirtschaft in diesem Sinne als von einem aber er nennt sie eben als zwei Pole, die immer „integralen System“. beide im Spiel sind. Das gilt selbst für den Brom- beerpflücker, den Rudolf Steiner ins Feld führt. Ein schlauer Pflücker geht dorthin, wo mehr Brombee- Auswirkungen der Modifikation ren wachsen. So ist bereits der Geistesarbeiter in der Arbeit durch den Geist dem Brombeerpflücker im Spiel. Der „unschlaue“ Brombeerpflücker pflückt dort, wo wenig wächst Damit kommt das erste Element des Geisteslebens ins und hat dann auch nicht so viel Ertrag. Und im Spiel: Diese Entwicklung konnte überhaupt nur durch Weiteren kommt dann Rudolf Steiner in diesem die Modifikation der Arbeit durch den Geist, wie Vortrag dazu, dass er vom Dichter und vom Maler Rudolf Steiner es formulierte, stattfinden. Und auch und vom schlauen Industriellen spricht. Er nennt an der Technisierung, am Ergreifen der Maschine also zwei klassische Künstler – und dann noch im wirtschaftlichen Prozess, wird sichtbar, wie das den schlauen Industriellen, der aber eben auch Geistesleben maßgeblich beteiligt ist. als Geistesarbeiter ein „Künstler“ ist. Derjenige,

18 Sozialimpulse 1/16 Finanzierung des Geisteslebens Finanzierung des Geisteslebens der es versteht, den Geist auf Arbeit anzuwenden wenn das Prinzip „Profit als Ziel der Wirtschaft“ und sie dadurch effizienter macht, indem er z.B. überwunden wird, denn sonst fließt das Geld immer durch den Einsatz von Maschinen den Ertrag dorthin, wo es noch mehr Profit verspricht. steigert, der die Arbeit organisiert usw., der wird von Rudolf Steiner in einem Atemzug genannt mit Diese Aufgabe auf demokratische Art und Weise zu klassischen Vertretern des Geisteslebens. Damit lösen, den Boden für ein Wirtschaften jenseits des will er klarmachen, dass das Geistesleben nicht Profitprinzips zu schaffen, ist eine weitere Aufgabe. beschränkt ist auf bestimmte Bereiche, etwa der Es geht dabei darum, die Verhältnisse so einzurichten, Kunst oder der Religion, sondern dass auch die dass ein assoziativer Umgang mit der Wachstumskur- geistige Tätigkeit des Brombeerpflückers oder des ve möglich wird, dass man so Entscheidungen finden schlauen Industriellen dazugehört. kann, wo und wie die gesellschaftlichen Schenkungen verwendet werden können. Das ist eine Frage der Das Problematische entstand nun dadurch, dass alte Organisationsform des assoziativen Wirtschaftens anachronistische Begriffe aus dem haushaltlichen und damit auch eine Frage des Geisteslebens: Wie Geschehen in die neuen Verhältnisse fortgedacht kommen die richtigen Urteile zustande? wurden. Ich habe ja beschrieben, wie in dem haus- haltlichen Geschehen die Arbeitskraft selbst gar Das war mein (etwas komprimierter) Versuch zu nicht in Zirkulation kam, sondern nur die Produkte. zeigen, in welcher Komplexität die unterschiedlichen In diesen Verhältnissen konnten die Produktionsmit- Elemente und Qualitäten des Geisteslebens in das tel, die dem Haushalt zur Verfügung standen, als Wirtschaftsleben hineinverwoben sind. „privat“ gedacht werden, als privates Eigentum. Im Zusammenhang mit dem schlauen Industriellen wird aber der haushaltliche Charakter verlassen und die Produktionsmittel, oder die Unternehmen, werden jetzt ein Glied eines global vernetzten Gesamtge- schehens. Gedacht werden sie aber weiterhin als privat. Und das bringt es mit sich, dass der nun auch Geistesleben und Wirtschaft II in die Zirkulation eintretende Faktor Arbeit ebenfalls zu einem Tauschwert wird. Wie die Ware wird jetzt Thomas Brunner auch die Arbeitskraft getauscht. Dadurch kommt der Mensch, und mit ihm sein Geistesleben, in die ein Vorredner hat ausgeführt, welche Entwick- Abhängigkeit der Wirtschaft. M lung eine besondere Form des Geisteslebens in den letzten 200 Jahren hervorgebracht hat, die vor 400 Jahren noch überhaupt nicht denkbar war: die Die Abhängigkeit des Geisteslebens ungeheurere Produktivitätssteigerung. Ein anderes Element, das der Technisierung der Wirtschaft ge- Rudolf Steiner spricht davon, dass das Geistesleben schuldet ist, ist ein neuer Grad an Abstraktion, wie sich in einer zweifachen Abhängigkeit befindet wir zum sozialen Leben stehen – einerseits durch die – einer­seits vom Staat, andererseits von der Wirt- Art der Technik und die damit verbundene Entfrem- schaft. Aus dem Beschriebenen kann man das ja dung von der Arbeit und andererseits durch die Art für den Bereich der Wirtschaft ganz elementar er- von Geldwirtschaft, wie wir sie „losgetreten“ haben. kennen: In jedem konkreten Wirtschaftsgeschehen Dazu aktuelle Zahlen: kommt das Geistesleben der Menschen, kommen ihre Fähigkeiten, das, was sie integrativ in das Gan- 1990 hatten wir realwirtschaftlich bezogen auf die ze einbringen, in die Abhängigkeit dadurch, dass gesamte Weltwirtschaft 20 Billionen Dollar, auf dem der Mensch plötzlich als ein Lohnabhängiger dem virtuellen Markt 2 Billionen – also ein Verhältnis gegenübersteht, der die Produktionsmittel in seinem von 1:10. Eigentum hat, der die Produktionsmittel immer noch wie seinen privaten Haushalt handhabt. 2012 hat sich die Realwirtschaft verdreifacht, die Spekulationsblase verdreihundertfacht: 600 Billio- Und schließlich taucht neben dem Begriff der Lohn- nen auf dem Spekulationsmarkt stehen 60 Billionen arbeit und dem alten Eigentumsbegriff noch ein in der Realwirtschaft gegenüber. dritter problematischer Begriff auf: der Profit – der neu­tral betrachtet, auf Überschüssen beruht. Auch Daran sieht man, dass sich etwas entkoppelt hat. die Überschüsse entstehen aber nur durch die An- Wir hörten vorhin davon, dass nicht mehr der Staat wendung von Geist auf Arbeit und dienen zunächst das eigentliche Problem ist, sondern dass vielmehr dem Wachstum der Wirtschaft. Will man aber die die Wirtschaft diesen Staat gängelt, das hat man Wachstumskurve – ich spreche hier von der materi- hier im Bilde. ellen Produktion und den Produktionsmitteln – nicht ins Unendliche weitertreiben, sondern entschließt nn Was sind die konkreten Ursachen dieser Entkop- sich, sie bewusst abzuflachen, so entsteht dadurch pelung? ein Überschuss, der frei wird für das, was Christoph nn Wie hat unsere Thematik der Freiheit des Geistes- Strawe die gesellschaftliche Schenkung genannt hat. lebens damit zu tun? Es entsteht Schenkgeld, das aber nicht individuelle nn Wie dynamisiert die Art von Staatlichkeit, wie wir Schenkung aus dem Einkommen ist, sondern gesell- sie pflegen, diese Art von Wirtschaft, wie erzeugt schaftliches Schenkgeld. Es wird jedoch nur frei, dieser Staat auch diese Wirtschaft?

Sozialimpulse 1/16 19 Wirtschaftswirklichkeit miteinander reflektieren Wirtschaftswirklichkeit miteinander reflektieren

Letztere Andeutung einfach als These hier eingewor- liche Wahrnehmung der konkreten wirtschaftlichen fen, die mit der Besteuerungsmacht des Staates zu Situation ausblendet: „Auf Fragen, die sich entweder tun hat: Eine Wirtschaft, die noch nationalwirtschaft- aus dem alltäglichen Wirtschaftsleben der Lernenden lich besteuert wird � obwohl sie weltwirtschaftlichen oder aber von Menschen aus anderen Regionen und Zusammenhängen unterliegt � auch einem weltwirt- Zeiten ergeben, sind situativ gültige Antworten zu schaftlichen Konkurrenzdruck � wird sich nicht mehr suchen. Damit wird eine konkrete Wirklichkeit zum einbinden lassen in Strukturen des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt allen wissenschaftlichen Fragens; ein Sie wird sich notgedrungen der einzelnen national- Fragen, das keine endgültigen Antworten kennen staatlichen Besteuerung entziehen. Das Problem, kann, eben weil sich die Situationen, in denen sich dass der Nationalstaat seine Besteuerungsmacht im die Dinge und Menschen befinden, von Moment zu alten Sinne verliert, bewegt die Sozialwissenschaft Moment wandeln. Doch exakt diesen Ausgangspunkt seit 20 Jahren. Dieses Problem muss genau ange- lehnt die ökonomische Lehrbuchwissenschaft ab. Ihr ist schaut werden, weil wir ja nicht ins 19. Jahrhundert an keinem echten Wissen über die ständig wechseln- zurück wollen, sondern in die Zukunft. den Fakten der Wirtschaft gelegen.“29 Diese bewusst installierte Technik bzw. Logik, die mit hochgradiger Von Rudolf Steiner wurde das, was er Assoziation Gewalt auf das Wirtschaftsleben einwirkt, diese Art des Wirtschaftlichen nennt, wie angelegt. Wenn von Monster, ist eine Eigenmacht, die nicht empfäng- man z.B. den „Betriebsräte-Zyklus“26 liest, eröffnet lich ist für die Wirklichkeit wirtschaftlicher Prozesse sich einem ein Feld, das auf ganz neue Fähigkeiten und damit auch nicht für das Gespräch im Sinne der baut, die noch nicht errungen wurden. Dieser Zyklus Assoziation. Darüber aufzuklären ist Aufgabe des enthält viele, viele Ansprachen, in denen er davon Bildungswesens. Das geht aber noch viel weiter: Ich spricht, dass Betriebsräte gebildet werden sollen, habe geschildert, wie die heutige nationalwirtschaftli- aber nicht sagt, wie das Dargestellte umgesetzt che Denkungsart die Weltwirtschaft geradezu nötigt, werden soll und kann. Was ist das für ein Phänomen, ihre heutige Entkoppelungsdynamik zu forcieren, weil in Bezug auf die anzustrebende Wirtschaftsform? der Staat als Steuermacht permanent an einer Stelle Immer wieder appelliert er an die Menschen: „Kom- eingreifen will, an der eigentlich das Gespräch im men Sie zusammen, dann werden sich die Aufgaben assoziativen Zusammenhang stattfinden sollte, bei zeigen!“ Es kamen auch einige zusammen, aber dem die beteiligten Menschen sich über die Aufgaben keiner verstand, welche Aufgabe sich ihnen stellte. und Investitionen miteinander verständigen. Erst ganz am Schluss, als die Betriebsrätebewegung bereits mehr oder weniger gescheitert war, begann In diesem Sinne wird es immer wichtiger, dass Rudolf Steiner in sehr volkspädagogischen Ausfüh- Menschen sich zusammenfinden und ihre Wahr- rungen zu entwickeln, wie die konkrete Umsetzung nehmungen der Wirtschaftswirklichkeit miteinander aussehen könnte. Nun beschrieb er sehr genau, was reflektieren, um durch gezielte geistige Impulse auf wir leisten können (das lässt sich in den genannten den Prozess einwirken zu können. Vorträgen nachlesen) – was aber damals erst einmal zu wenig verstanden und nicht gewollt wurde. Letzten Januar ist der bedeutende Soziologe Ulrich Beck gestorben, der das Nationalstaatenproblem Ich versuche jetzt das Thema noch von einer ande- mit seiner „Weltrisiko-Gesellschaft” immer wieder ren Seite zu beleuchten. Silja Graupe, die an der thematisierte und sagte: Wenn wir diese anachronisti- Cusanus-Hochschule Bernkastel-Kues Wirtschaftswis- schen sozialen Einheiten immer weitertradieren, wird senschaft27 unterrichtet, ist mir aufgefallen, weil sie notgedrungen etwas von außen in diese Räume ein- einen bestimmten Aspekt, der mir sehr einleuchtete, brechen. Er nannte Finanzkrisen, Klimakatastrophen, auf nachvollziehbare Art und Weise entwickelt. Sie internationalen Terrorismus und sagte im Grunde auch sagt, dass das, was heute weltweit unter Wirtschafts- die Flüchtlingsströme voraus. Er betonte immer wieder wissenschaft verstanden wird, primär der Chicago die Unhaltbarkeit des Ganzen in dieser Form. In Bezug School of Economics folgt. Dabei handelt es sich aber auf das Bildungswesen kam er zu einer sehr deutlichen im Grunde nicht um Wirtschaftswissenschaft, sondern Aussage, die ich an den Schluss stellen möchte: um eine ökonomische Theorie, eine zu erlernende Technik, die nicht primär die Bedarfsdeckung zum „Ein weiterer Irrtum der neoliberalen Agenda liegt Inhalt hat bzw. bestrebt ist, wirtschaftliche Produkte darin, die Forderung nach Autonomie der Hochschu- von guter Qualität zu erzeugen, sondern deren len mit Marktautonomie zu verwechseln. Dadurch wird Inhalt Wachstum im Sinne der Gewinnmaximierung die Möglichkeit verspielt, die Humboldt bereits am ist. Schon der amerikanische Wirtschaftshistoriker Beginn des 19. Jahrhunderts vor Augen stand, nämlich Philip Mirowski28, und auch Silja Graupe, zeigen Bildung und Forschung sowohl staatsfern als auch auf, dass es sich dabei um eine Theorie handelt, marktfern zu organisieren. Der unverzichtbare Schlüs- die 1:1 aus der Physik in die Wirtschaft übertragen sel dafür liegt in der Selbstfinanzierung der Hochschu- wurde – ein theoretisches Modell, eine Technik, der len, und diese wiederum könnte sich auf diverse es nicht um Nachhaltigkeit geht und die – um mit Geldquellen stützen: Studiengebühren, Stiftungskapi- den Worten von Silvia Graupe zu sprechen – jeg- tal, regionale und globale Netzwerke.“30

29 Silja Graupe: Ökonomische Bildung. Die geistige Monokultur 26 Rudolf Steiner, Betriebsräte und Sozialisierung, Diskussionsaben- der Wirtschaftswissenschaften und ihre Alternativen. In: Coincidentia. de mit den Arbeiterausschüssen der großen Betriebe Stuttgarts, 8. Mai Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Beiheft 2: Bildung und bis 23. Juli 1919, GA 331, Dornach 1989 fragendes Denken (herausgegeben von Harald Schwaetzer), 2013, S. 27 Vgl. den Bericht über die Cusanus-Hochschule auf S. 36f. im Heft. 145f. 28 Siehe: Philip Mirowski: More Heat Than Light. Economics as Soci- 30 http://www.berliner-zeitung.de/weltinnenpolitik--der-weg- al Physics, N ew York 1989 zu-einer-humanitaet-der-gegenseitigen-abhaengigkeiten-welche-

20 Sozialimpulse 1/16 Das Geistesleben im sozialen Organismus Das Geistesleben im sozialen Organismus

Das Geistesleben im gemeinsamen begrifflichen Fundament agieren, können wir uns erst aufeinander zubewegen. Ich sozialen Organismus I möchte sagen: Wirklichkeit der Freiheit ist Handeln aus intuitiv gefassten Begriffen. André Bleicher Moralische Intuition und Dreigliederung ch möchte mit meinem Beitrag konstitutiv darlegen, I was freies Geistesleben seinem Wesen nach über- Nun zu meinem zweiten Punkt. Als Student fragte haupt ist und wie es im sozialen Organismus steht ich mich, wie die beiden Werke, die „Philosophie – was macht es da so einzigartig? Als ersten Punkt der Freiheit” und die „Kernpunkte”, die ich beide möchte ich die Möglichkeit und die Wirklichkeit gründlich studiert hatte, überhaupt zusammengehen: der Freiheit untersuchen und anhand des Begriffs des freien Geisteslebens den Doppelcharakter der Sind die „Kernpunkte“ für die Menschen gedacht, die Freiheit herausarbeiten. Es gibt ja Dank Steiner die noch nicht frei sind, während die wirklich Freien alles bekannte Zuordnung: Freiheit für das Geistesleben, aus sich heraus angehen? Gleichheit im Rechtsleben, Brüderlichkeit in der Wirtschaft. Sie ist in den „Kernpunkten“ mehrfach Ich fand die Verbindung damals nicht. Einige von durchdekliniert worden. Es gibt aber auch eine uns diskutierten aber ausgiebig darüber, wie die frühere Zuordnung, wo Steiner von Gleichheit im moralische Intuition, die aufs Handeln gerichtet Geist, Freiheit für die Seele und Brüderlichkeit im ist, mit der Dreigliederung im Sozialen zusam- Leib spricht. menpasst.

Von der Möglichkeit zur Wirklich­ Korporation als Gefäß für keit der Freiheit freies Geistesleben Wenn man Freiheit für das Geistesleben fordert, Bevor ich näher auf den zweiten Punkt eingehe, wie Thomas Brunner es heute Morgen sehr deutlich möchte ich kurz auf die Strukturen von Wirtschafts-, gemacht hat, ist natürlich auch ein Befreiungsakt Rechts- und Geistesleben schauen. gemeint, denn freies Geistesleben kann nicht stattfin- den, wenn es permanent bevormundet wird. Wenn nn Im Wirtschaftsleben gibt es eine Struktur, die es die Freiheitsrechte im Sinne von Lehrfreiheit, Steiner Assoziation nennt. Lernfreiheit, Gründungsfreiheit, Koalitionsfreiheit, nn Im Rechtsleben gibt es die Struktur der demokra- Reise-, Presse-, Konsumfreiheit usw. – also Freiheit tischen Verfasstheit. von stattlicher Vormundschaft gar nicht gibt, ist die nn Die Struktur des Geisteslebens hat Steiner als Möglichkeit für Freiheit in dieser Gesellschaft schon korporative Gestaltung des Geisteslebens be- gar nicht mehr gegeben. Denn das erste Charakte- zeichnet. ristikum jeder Form von Totalitarismus ist das Fehlen wirklicher Freiheit. Was ist mit Korporation in diesem Zusammenhang gemeint? Er meint das Zusammenführen von Ak- Indem wir nun den Blick wenden und auf die Wirk- teuren, die gleichgerichtete Interessen haben. Dazu lichkeit der Freiheit schauen, kommt ein Aspekt hinzu: ein Beispiel: Ich schließe mich mit Akteuren in einer Wir müssen den Weg von dem, was sich in unserer Korporation zusammen, die eine Universität, eine Seele als Wunsch nach Mündigkeit ausdrückt – Schule, ein Theater oder ein wissenschaftliches wofür wir die Befreiungstatbestände in Anspruch Forschungsinstitut ins Leben rufen wollen. Dagegen nehmen müssen, sonst können wir diese Mündigkeit ist eine Assoziation der Zusammenschluss entgegen- nicht erüben – hin zur Wirklichkeit der Mündigkeit gesetzter Interessen wie Konsum und Produktion usw. gehen. Die Freiheitsrechte geben uns den nötigen Spielraum, damit die Wirklichkeit der Freiheit ein- Korporation ist im wahrsten Sinne des Wortes ein gerichtet werden kann – möglicherweise begrenzt Zusammenhang, in dem sich etwas verkörpert. Damit von Schutzrechten, wenn die Freiheit eines Akteurs in sind wir m.E. am essentiellen Punkt des freien Geis- meine Freiheit eingreift und der eine sich nicht mehr teslebens angekommen: Es geht um eine Idee, die bewegen kann, weil der andere sich die ganze Zeit sich in der Korporation „einhaust“, dort Herberge bewegt. Das wäre dann noch auszutarieren. findet, dort in Erscheinung treten kann. Insofern ist das Geistesleben der Punkt, an dem eine Idee sich Die Wirklichkeit der Freiheit meint den essentiellen materialisieren kann. Es vereinigt die Akteure, die Aspekt des freien Geisteslebens. Worin besteht der? sich in den Dienst dieser Idee stellen. Wie verständigen wir uns im freien Geistesleben? Warum ist das heute mitunter schwierig? Wir ver- ständigen uns über Begriffe, die wir gemeinschaftlich Esoterischer Hintergrund der Gestaltung zu bilden versuchen. Manchmal gelingt uns das sehr eines freien Geisteslebens gut, manchmal nicht so gut. Das ist aber die Basis der Wirklichkeit der Freiheit. Indem wir auf einem Als dritten Punkt möchte ich mich mit der esoterischen Gestaltung des Ganzen befassen. Ich behaupte, universitaet-­wollen-wir--15174504, am 06.02.2010 dass wir es bei der Realisierung des freien Geistesle-

Sozialimpulse 1/16 21 Von der Vermischung zur Gliederung Von der Vermischung zur Gliederung

bens mit einem Schwellenübertritt zu tun haben, mit Zukunftsausrichtung des Impulses zu erfassen. Das der Verwirklichung von etwas, das von jenseits der ist im Grunde die Parzivalphase: Man wird wach Schwelle in das Diesseits kommen will. Den Prozess, am anderen und fragt ihn, was es mit ihm macht: der dabei stattfindet, werde ich im Folgenden ganz Warum leidest Du? Und ist ebenso wach dafür, was rudimentär zu beleuchten versuchen, indem ich auf man selbst dabei empfindet. In diesem Sinne ist es die Gefahren und Chancen, die mit diesem Prozess eine Gefäßbildungsphase: Es bildet sich ein Kelch, in verbunden sind, eingehe. den etwas eintreten kann, in dem man das, was im Sozialen auf beiden Seiten an Motiven, an Ideen, an Auf einer Tagung vor einem Jahr führte ich im Wünschen, an Absichten vorhanden ist, ernst nimmt Hinblick auf die Gesamtgesellschaft aus, dass und aufgreift im Sinne einer Inspiration. die Ausgliederung von Kapital und Natur aus der Warenform einen Schwellenübertritt darstellt. Ich erlaube mir jetzt daran anzuschließen und wieder 3. Kritische Methode (in die Schuhe das Bild des gemischten Königs des Goetheschen des anderen treten) � Intuition Märchens an den Anfang zu stellen, das damals Daran schließt sich die Schlussphase an: Was Udo Herrmannstorfer eingebracht hatte. geschieht dort? Im Grunde das, was wir aus der er- kenntnistheoretischen Schulung als kritische Methode Was findet statt, wenn wir im Geistesleben den ge- kennen: den Begriff des anderen so aufnehmen, als mischten König vor uns haben? wäre er der eigene.

Die Komponenten der Vermischung sind bei uns allen Dazu ein Beispiel. Ich hatte einmal mit einer Uni- feststellbar: Auf der einen Seite steht dasjenige, was versität in Moskau einen Master zu verhandeln. Ich wir an Wünschen und Begierden hervorbringen – fuhr hin, hatte mich gut vorbereitet und dachte, das um es freudianisch zu fassen, was mit unserer Angst muss ja irgendwie auftauen. Ich lobte zuerst die verbunden ist und aus unserem Über-Ich kommt, was Universität dort und sagte, dass ich stolz wäre, als mit Normen zu tun hat, denen wir nicht entsprechen, Repräsentant meiner Universität mit ihnen als Junior- weswegen wir uns als nicht genügend empfinden. Professor verhandeln zu dürfen, zumal ja Valentin Auf der anderen Seite haben wir es mit unserem Ich, Falin, der damals schon 80 war, dort ausgebildet aber auch unserer Realität zu tun. worden war. Auf der anderen Seite vereiste alles, weil sie dachten, ich sähe sie als Krypto-Kommunis- ten. Sie sagten, Falin käme immer mittwochs und Von der Vermischung zur Gliederung hielte aufgrund seines Alters nur noch ein paar Lehrveranstaltungen… Für einen Schwellenübertritt charakteristisch ist, dass etwas aus einer Vermischung in eine Gliederung Das führte dazu, dass ich Valentin Falin persönlich überführt wird. Deswegen gibt es im Geistesleben begegnen konnte, der sehr gut Deutsch spricht. Ich das klassische Konferenz-Prinzip, das diese Ent- hatte in seiner Biografie etwas entdeckt, das ich wicklung herbeizuführen versucht. Wer Organisa- näher hinterfragen wollte. In seinen Schilderungen tionsentwicklung gemacht hat, hat es vielleicht oft der Zeit der Verhandlung der Ostverträge kam es angewandt, ohne darüber nachzudenken, warum zu einem Wendepunkt, der diese kritische Metho- das so ist. In geglückten Entwicklungsprozessen de ein Stück weit abbildet. Ich unterstelle jetzt: gelingt sehr gut, was ich im Folgenden dazustellen Dass die Verhandlungen erfolgreich waren, lag versuche. Und erst, wenn man genau wissen will, daran, dass diese Methode, wiewohl unbewusst was da eigentlich geschieht, versucht man diesen und unbeachtet, aus einem geglückten Moment Gliederungsprozess zu durchdringen. heraus angewandt wurde. Falin schilderte mir das folgendermaßen. Egon Bahr und er saßen einander gegenüber, es war im Grunde alles gesagt, da bei- 1. Katharsis � Imagination de Seiten bereits einen Vertragsentwurf vorgelegt Die erste Phase wird von den Vertretern des hatten. Sie hatten sich bis zur Schmerzgrenze niederländischen NPI Faktenphase oder Bildge- aneinander angenähert und keiner konnte mehr staltungsphase genannt, in der die Realität, das tun. Sie schwiegen sich eine halbe Stunde an, bis Gegebene, genau betrachtet wird. Der Begriff das Gespräch so lastend wurde, dass Falin sagte, Bildgestaltungsphase ist gut gewählt, weil es um im Nachhinein nicht wissend, woher er das hatte: einen imaginativen Prozess geht. Wichtig dabei ist, „Herr Bahr, machen wir es doch so: Sie schildern die eigenen Wünsche, Motive, Ziele und Ängste einmal, warum die russische Seite nicht zustimmen außen vor zu lassen, sie auszugliedern. Diesen kann, und ich schildere, warum die deutsche Seite Schritt könnte man im Sinne des Schwellenübertritts nicht zustimmen kann.“ Das ist das Prinzip des In- Katharsis nennen. die-Schuhe-des-anderen-Tretens. Dadurch versetzt man sich in die Lage des anderen und macht sie zu seiner eigenen. Das Ergebnis war ein geglückter 2. Gefäßbildungsphase � Inspiration Moment sozial-moralischer Intuition, der die Welt Der zweite Schritt heißt in der Gesprächsgliederung weitergebracht hat. Interaktionsphase – da gibt es verschiedene Typo- logien. Was geschieht dort? Die jeweiligen Partner Das wären drei Phasen, in denen freies Geistesleben versuchen wach zu werden für die Motive, die Be- essentiell stattfinden kann. Nun noch zwei weitere troffenheit des anderen und bemühen sich dabei, die Gedanken zu diesem Block.

22 Sozialimpulse 1/16 Organismusbegriff Organismusbegriff

Gefahr der Regression Das Geistesleben im Wenn der Impuls von jenseits der Schwelle nicht sozialen Organismus II Einzug halten kann, kommt es zu Konvention, Rou- tine und phrasenhaftem Austausch: das Verfallen Eckhard Behrens in Mechanismen, die vor der Schwelle angesiedelt sind und im Grunde über das klassische bürgerliche Bewusstsein nicht hinauskommen. Das führt zur ch sehe meine Aufgabe darin, einen Blick auf Mechanisierung des Geistes im Sinne von Mess- I den ganzen sozialen Organismus zu werfen � barmachung, zur Vegetarisierung der Seele und aus der Perspektive des Geisteslebens heraus. zur Animalisierung des Leibes. Das sind regressive Zunächst eine Bemerkung zum Organismusbegriff: Prozesse. Zu einem Organismus gehören verschiedene in sich relativ abgeschlossene, abgegrenzte Organe. Sie wirken aber zusammen und gewährleisten so die Gefahr der Vereinseitigung Leistungsfähigkeit des ganzen Organismus. Erst das macht den Organismus aus und liegt seiner Einen Gedanken möchte ich noch äußern, den ich eigentlichen Kraft zugrunde. Wilfried Jaensch verdanke, allerdings nur mündlich übermittelt bekommen habe. Ich finde ihn aber so Vielen Wortbeiträgen heute war zu entnehmen, großartig, dass ich ihn in diesem Zusammenhang dass das Geistesleben in unserer Gesellschaft nicht einordnen möchte. Er weist darauf hin, dass in dem so wirkungsmächtig ist, wie wir uns das wünschen; Moment, in dem ein solcher Impuls sich verkörpern dass Staat und Wirtschaft vom Geistesleben nicht will, die Gefahr besteht, dass das nicht glückt. Das hinreichend in ihre Grenzen verwiesen werden, passiert relativ oft, auch weil wir dafür noch nicht dass sie vielmehr ihre Grenzen als Organsysteme wach genug sind. Er führte das an dem Impuls der des ganzen sozialen Organismus, die sie einhalten Jugendbewegung und dem Impuls der 68er aus. sollten, vielfältig überschreiten. Das Geistesleben ist insgesamt zu schwach, die beiden anderen Be- Das Hohe-Meißner-Treffen der Jugendbewegung reiche des sozialen Organismus so mitzugestalten, 1913 mit der Verlautbarung, ein Leben in eigener dass diese Übergriffe aufhören. Der kulturelle Reich- Verantwortung führen zu wollen, war ein großer tum, der bei guter staatlicher und wirtschaftlicher emanzipatorischer Impuls, der nicht durchgehalten Entwicklung zu erwarten gewesen wäre, hat daher wurde, weil er keine Gefäßbildung fand. Was dann nicht entstehen können. geschieht, ist, dass sich solche Impulse vereinsei- tigen: In der Jugendbewegung wurden die einen Dazu bemerke ich, dass wir auf 2000 Jahre Rechts- Wandervögel, die das Seelische überbetonten, die und Staatswissenschaft zurückschauen können. anderen überbetonten das Denken und wurden Wir haben im Rechtlichen im Laufe der Zeit große Marxisten, die dritten überbetonten den Willen und Fortschritte gemacht und verfügen derzeit über landeten beim Faschismus. eine Staatsverfassung, die als Basis einer guten rechtlichen Weiterentwicklung dienen könnte. Man Wenn man diesen Aufsatz finden könnte – es wäre erwartet zu Recht, dass unsere im Vergleich zu wert, ihn nochmals zu publizieren. Ich glaube, früheren Jahrhunderten hervorragende Staatsver- Jaensch ist da ein großer Wurf gelungen. fassung ein immer besser gewordenes Instrument darstellt, unserer Wirtschaft und dem kulturellen Damit hätten wir den Aspekt der Verwirklichung Leben den richtigen Ordnungsrahmen zu geben. freien Geisteslebens mitsamt den Gefahren zumin- Das wirtschaftliche und das kulturelle Leben sollen dest angerissen. Auf alles andere kommen wir noch jedoch nicht vom Staat gelenkt werden, sondern in der Diskussion. sich nach ihren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten entwickeln können.

Seit über 200 Jahren gibt es eine Sozialwissen- schaft für die Wirtschaft. Der Wohlstand, den wir heute genießen, hängt mit dem Verständnis für die arbeitsteiligen Prozesse zusammen, wie sie bei Adam Smith nach dem damaligen Stand sehr schön beschrieben sind. Wir haben auch darüber gesprochen, dass diese Arbeitsteilung den regionalen und auch den nationalen Rahmen inzwischen längst überschritten hat in Richtung Globalisierung und dass diese Arbeitsteilung den Wohlstand schafft, den wir heute haben. Dabei gibt es aber immer noch ganz massive Verteilungs- probleme – es haben nicht alle in gleicher Weise am Wohlstand teil. Wohlstand für alle bleibt ein Ideal. Das zeigt, dass die Wirtschaftswissenschaft viele Fragen nicht in der wünschenswerten Weise beantworten kann.

Sozialimpulse 1/16 23 Sozialwissenschaft Sozialwissenschaft

Warum gelingt uns eine relativ hohe wirtschaftliche Die Auswahl von Kandidaten wird ja heute von Produktivität, obwohl wir viele Ressourcen auch politischen Parteien, also privatrechtlichen Organi- verschwenden? Die Produktivität könnte noch we- sationen, geleistet – da ist vieles auch nicht so, wie sentlich höher sein, als sie es heute ist. Schon R. es einmal werden könnte. Aber insgesamt handelt Steiner hat davon gesprochen, dass der damalige es sich doch um eine positive Entwicklung von Staat Wohlstand auch schon mit der halben Arbeitszeit, und Wirtschaft. Wir haben vor allem ein Defizit im also 4 Stunden täglich, erreichbar gewesen wäre, Bereich des Geisteslebens. wenn man alles ökonomisch richtig organisiert hätte. Das können wir heute erst recht sagen in Bezug auf unseren um so Vieles gesteigerten Eine Sozialwissenschaft Wohlstand der letzten Jahrzehnte! Wir haben im für das Geistesleben? Wirtschaftlichen eine enorme Produktivitätsentfes- selung erreicht, sind aber im Hinblick auf andere ökonomische Ziele bei Weitem nicht da, wo wir nn Meine Frage: Hängt das damit zusammen, dass gerne wären. wir zwar Sozialwissenschaften haben, die sich auch mit dem Geistesleben beschäftigt haben, dass sie Man muss es als eine Schwäche des Geistesle- sich aber nicht auf dem Niveau der Wirtschaftswis- bens betrachten, dass die Fragen, die Menschen senschaft und der Rechts- und Staatswissenschaften bewegen, nicht auf überzeugende Art beantwortet bewegen? werden, und dass deshalb die Instrumente des demokratischen Rechtsstaates nicht so benützt Es wird heute im Bereich der Sozialwissenschaf- werden können, dass sich die Wirtschaftsordnung ten gar nicht als ein Defizit erlebt, dass eine und die Verteilungsprozesse in der rechten Weise eigenständige Art von Sozialwissenschaft für das weiterentwickeln. Denn es ist ja gerade Aufgabe Geistesleben noch nicht entwickelt wurde. Hierzu des Staates, der Wirtschaft einen Ordnungsrah- müsste gehören: Auch im Geistesleben praktizieren men zu setzen, damit sie nicht nur produktiv ist, wir die Arbeitsteilung, wollen aber nicht, dass sie sondern auch zu besseren Verteilungsergebnissen so organisiert wird wie im Bereich der Wirtschaft, führt. wo wir selbständige Unternehmen haben und ein freies Preissystem, wo jedes Unternehmen nur exis- tiert, solange es in der Lage ist, die Kosten, die mit der Produktion zusammenhängen, über die Preise Entwicklungsbedarf zu decken. Wir wollen nicht, dass wirtschaftliche Unternehmen subventioniert werden, sondern wir Es wäre an der Wirtschaftswissenschaft, der Rechts- erwarten, dass sich die Selbständigkeit und der Er- gemeinschaft aus der Erkenntnis ökonomischer folg des Wirtschaftsunternehmens darin abbilden, Gesetzmäßigkeiten heraus die entsprechenden dass die Konsumenten bereit sind, entsprechende Vorschläge zu machen, was im Sinne einer ge- Preise dafür zu bezahlen, die die Fortexistenz des rechteren Verteilung umgestaltet werden muss. Unternehmens ermöglichen. Dazu gehört auch die Frage: Was behindert die Entstehung eines ausreichenden Volumens freier Eine solche Struktur können wir für den kulturellen Spenden? Nur als Stichworte: Die ökonomischen Bereich nicht wollen, weder für die Kunst, noch für Erkenntnisse rund um Geld und Boden sind noch die Bereiche von Wissenschaft und Religion – und unterentwickelt. auch im Bereich des Bildungswesens nicht. Hier wünschen wir uns etwas anderes. Der Preiswett- Wie schon gesagt, ist es der bereits über Jahrhun- bewerb ist hier nicht das Entscheidende, sondern derte fortschreitenden sozialwissenschaftlichen der Qualitätswettbewerb. Das betonte Quali- Entwicklung geschuldet, dass wir heute hierzulande tätsstreben aller Beteiligten zeigt, dass Qualität einen akzeptablen demokratischen Rechtsstaat als und Vielfalt im freien Geistesleben allen zentrale modernen Verfassungsstaat haben. Gleichwohl Anliegen sind. können wir auch einige Stellen nennen, an denen wir diesen gerne weiterentwickelt hätten: Der Wettbewerb um möglichst geringe Kosten ist auch im Geistesleben angebracht. Ebenso nn Weiterentwicklungsbedarf gibt es z.B. im der Wettbewerb um Einnahmen und die Not- Hinblick auf das Instrument der direkten De- wendigkeit ausgeglichener Haushalte kultureller mokratie. Einrichtungen, die ihre Arbeit fortsetzen wollen. Aber die Geldgeber sollen die Richtung der nn Wir können uns auch fragen, ob die Trennung kulturellen Produktion nicht in der Weise lenken, in Legislative, Exekutive und Judikative bereits wie die wirtschaftliche Nachfrage die wirtschaft- im Sinne der Gewaltenteilung befriedigend liche Produktion lenkt. Die kulturelle Entwicklung ausgestaltet ist oder ob wir auch dort noch soll die wirtschaftliche Nachfrage prägen und Entwicklungsbedarf haben. damit letztlich auch die Richtung der wirtschaft- lichen Produktion. Die kulturelle Produktion soll nn Ebenfalls können wir fragen, ob die Verbindung nicht streng nachfrageabhängig sein, sondern von Gesellschaft und Staat bei der Personalaus- ihre Entwicklung selbst bestimmen können und wahl für den politischen Bereich bereits optimal zukunftsweisende Impulse für die rechtliche und ist. wirtschaftliche Entwicklung liefern.

24 Sozialimpulse 1/16 Ursprung des kulturellen Reichtums erkennen Ursprung des kulturellen Reichtums erkennen nn Also: Wie koordiniert sich die Vielfalt der Arbeits- warum es nicht besser läuft und wie es besser teilung im freien Geistesleben, wenn nicht gleichzeitig laufen könnte. ein Preissystem vorhanden ist, das wir nicht wollen können? Wir brauchen das Gespräch über mögliche Ansatzpunkte, die auch dem Bewusstsein unse- Das scheint mir eine der zentralen Fragen im rer Zeitgenossen entsprechen. Um die Sozial- Hinblick auf die Entwicklung einer Sozialwis- ordnung umzugestalten, brauchen wir unsere senschaft des kulturellen Bereiches zu sein. Das Zeitgenossen, da reicht der eigene Ansatzpunkt Qualitätsstreben, das in jedem einzelnen der nicht aus. hauptberuflich Engagierten, Lehrer, Erzieher, Künstler usw. offensichtlich ist – allen ist Qualität ein inneres Anliegen – wirft die Frage nach dem Maßstab auf: nn Wer beurteilt, was Qualität ist, nach welchen Maßstäben?

Früher war klar, dass die Kirche über die Quali- tät entschied. Diese Rolle wird heute vom Staat erwartet und übernommen. Er setzt die Qualitäts- standards. nn Brauchen wir überhaupt Standards wie zum Beispiel Bildungsstandards?

Es gibt ja alle diese merkwürdigen Worte, als würde man Menschen standardisieren können. Große Einigkeit besteht darin, dass die Qualität in den betreffenden Bereichen zu steigern ist. Man ruft aber immer den Staat herbei als denjenigen, der diese Qualität beurteilen soll: was möglich ist, bzw. was ermöglicht werden soll und was nicht.

Die Gesellschaft bekommt hier keine befriedigen- den Antworten, die wenigstens soweit allgemein anerkannt wären, wie es die Antworten der Wirt- schaftswissenschaften sind, über die sich trotz ihrer großen Defizite weitgehend demokratisch-politisch sauber argumentieren lässt. Uns fehlt ein solches sozialwissenschaftliches Fundament für den Be- reich des Geisteslebens. Das beantwortet für mich weitgehend die Frage, warum das Geistesleben so schwach ist.

Für die Wirtschaft hat Adam Smith eine grundle- gende Betrachtung über die Ursachen und den Ursprung des Reichtums geliefert. Ein ähnlich grund- legendes Werk über den Ursprung des kulturellen Reichtums sucht man bis heute vergebens. Dass Antworten hier gerade aus der Freiheit heraus ge- geben werden müssen, leuchtet den Zeitgenossen ein – ohne Freiheit geht es nicht. Sie wollen auch Vielfalt in unbeschränktem Ausmaß.

Dann kommt es aber zu der schwierigen Quali- tätsfrage, zu deren Beurteilung immer der Staat gerufen wird – was zum Zentralabitur und der ganzen daraus folgenden Bürokratisierung führt. Vor der Entscheidung aber, die Auswahl den Hochschulen und anderen Ausbildungsstätten zu überlassen, schrecken unsere Zeitgenossen zurück. Die Hochschulen selbst sehen oft zu viel Arbeit auf sich zukommen – hier klemmt es an allen Ecken und Enden und das behindert die weitere Entwicklung. Es fehlen m.E. in diesem Bereich sozialwissenschaftliche Erklärungen,

Sozialimpulse 1/16 25 Zeichen der Zeit Zeichen der Zeit

in ihrer Anschaffung erheblich günstiger waren als entsprechende europäische Fahrzeuge. Allen voran Zeichen ist da Toyota zu nennen. Was bei der Anschaffung eines solch günstigen Japaners nicht berücksichtigt wurde, waren die erheblich teureren Ersatz- und der Zeit Verschleißteile. Die japanischen Fahrzeuge wurden vom Hersteller nicht durch den Verkauf der Autos finanziert, sondern die Rechnung ging erst auf durch die Summe von Verkaufswert + die Einnahmen über die im Laufe des Autolebens entstehenden Einnah- men aus Verschleiß und Ersatzteilen.

Dieser Idee konnten dann auch die Europäer nicht widerstehen: dass die Kosten sich für den Fahrzeug- hersteller über den Verschleiß und die Ersatzteile Warum sind amortisieren. Zwei Beispiele sollen dies erläutern. Eine Bremsscheibe für ein Auto ist mechanisch ge- Elektroautos so teuer? sehen ein äußerst simples Bauteil. Der Materialwert liegt unter zwei Euro. Die Herstellung der Scheibe Hans-Bernd Neumann ist mechanisch einfach und kostet sicher weniger als drei Euro. Schlägt man noch den Vertrieb auf die ch selbst fahre einen Peugeot ION als Zweitwagen Kosten, so kommt man bei einer Bremsscheibe auf I und bin damit sehr zufrieden. Die geringe Reich- einen Kostenpreis von unter zehn Euro. Haben Sie weite von etwa 100 km stört mich überhaupt nicht, aber schon einmal so eine preiswerte Bremsscheibe da ich meistens nur weniger als 60 km fahre und gesehen? Sie sind erheblich teurer, weil die Auto- ihn an jeder Haushaltssteckdose aufladen kann. 100 hersteller damit den günstigen Verkaufspreis eines km kosten mich etwa 3,50 € für den Strom. Das ist Neufahrzeugs ermöglichen können. Ein weiteres mit keinem Auto mit Verbrennungsmotor zu toppen! Beispiel: Die Elektronik eines Airbags kostet in der Außer der Versicherung fallen keine/kaum weitere Herstellung maximal sieben Euro, was die Bauteile Kosten an, außer dass ich sicher auch einmal Reifen angeht. Der Austausch eines Airbags kostet jedoch wechseln muss. zwischen 700 und 1.500 Euro. Wo entstehen diese Kosten? Doch gerade das ist für die Fahrzeughersteller ein Problem: Ein Elektroauto unterliegt keinem Nun ist die ganze Technik und Mechanik an einem nennenswerten Verschleiß. Der Motor ist so ein- Auto mit Verbrennungsmotor so komplex und auf- fach aufgebaut, dass er sich selbst dann, wenn wendig, dass mit absoluter Sicherheit, insbesondere geplante Obsoleszenz (geplanter Verschleiß) von bei geplanter Obsoleszenz, die Kostenrechnung im Herstellerseite gewünscht wird, nur schwer so kon- Laufe der Jahre aufgeht. struieren lässt, dass er kaputtgehen kann. (Es gibt nur ein einziges bewegliches Teil in diesem recht Das ist aber das Problem der Elektrofahrzeuge! simplen Motor.) Ebenso ist es mit den anderen dem Diese gehen einfach nicht schnell genug kaputt, weil Verschleiß unterliegenden Teilen am Fahrzeug. sie kaum einem Verschleiß unterliegen und somit Da der Elektromotor bei normaler Fahrweise beim muss der Hersteller seine gesamten Kosten beim Bremsen als Generator arbeitet, dienen 80 – 90 % Verkauf des Fahrzeugs herein bekommen. der Bremsleistung der Energierückgewinnung. Das heißt aber, Bremsbeläge und Bremsscheiben werden nur wenig beansprucht.

Bleibt nur noch der Akku. Die heutigen Lithiumman- gan-Akkus haben eine Lebensleistung von geschätzt 120.000 bis 160.000 km, bis sie in der Reichweite Den Kaukasus wach küssen: einbrechen. Selbst dann kann man noch weiterfah- Friedensbildung in einer ren. Bis die Reichweite bei meinem Fahrzeug unter 60 km sinkt, kann ich etwa 200.000 km fahren, was eingefrorenen Region bei meiner heutigen Nutzungsart 10 Jahre bedeutet. Heute kostet ein Ersatz-Akku etwa 2.500 €. Was er in 7 bis 8 Jahren kostet, ist noch nicht vorhersehbar, Otto Ulrich aber sicher wird er günstiger sein. ilde Landschaften, reißende Gebirgsflüsse, Wieso also ist ein E-Auto in der Anschaffung so W schwindelerregende Schluchten, verschnei- teuer? Die Frage ist jedoch umgekehrt zu stellen: Wa- te Pässe, unpassierbar, machen die Reise durch rum sind Autos mit Verbrennungsmotor so günstig? den Kaukasus zu einem abenteuerlichen Erlebnis, worüber uns Alexandre Dumas, der 1858 dort un- Dazu muss man in die 80er Jahre des vergangen terwegs war, in dem heute noch immer so lesbaren Jahrhunderts zurückgehen. Damals wurde der Euro- Reisebericht „Gefährliche Reise durch den wilden päische Markt mit Fahrzeugen aus Asien erobert, die Kaukasus“ erzählt.

26 Sozialimpulse 1/16 Kaukasus Kaukasus

Im Jahre 2000 reist Fritz Pleitgen mit einem WDR- Die in der Kaukasusregion herrschende Mentalität Fernsehteam auf den Spuren von Alexandre Dumas der Konfrontation – wie Irakli Kakabadze, ein geor- durch den Kaukasus und weiß in seinem ebenso gischer Dichter und in den USA promovierter Frie- lesbaren Reisebericht darzulegen, welch vielfältige, denspädagoge beklagt – wird leider wenig durch verschachtelte Region der Kaukasus ist, wie kaum europäische Konventionen bzw. durch Propagierung eine andere auf der Erde. Er zitiert den russischen von Menschenrechten aufgebrochen, da die Konflikt- Dichter Andrej Belyj: parteien von sich aus nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre mittlerweile historisch gewachsenen „Kaukasus und Transkaukasus sind urälteste Orte der Vorstellungen kritisch zu hinterfragen. Menschheit. Mir ist klar, warum die Arche Noah hier strandete, warum die Argonauten hier hinreisten, Neue Ansätze sind gefragt, die eingefrorene Region warum Prometheus das himmlische Feuer des Wissens zum Frieden zu erwecken, wach zu küssen. Auffällig hierhin brachte.“ ist, worauf Kakabadze in seiner Friedenstudie zum Aufbau von Friedenszonen in der Region verweist: Der Südkaukasus umfasst die Länder Armenien, Konventionelle Ansätze der Friedensbildung – Re- Georgien, Aserbeidschan, der Nordkaukasus etwa gierungen versuchen untereinander zu friedens- Dagestan, Tschetschenien, auch der Iran und die tauglichen Kompromissen zu kommen – reichen Türkei gehören in diese so bunte Region. Auch in einer so vielschichtig verkrampften Region wie Abchasien, die abtrünnige, einst schönste Region dem Kaukasus nicht aus, um die unterschiedlichen am Schwarzen Meer muss dazu gezählt werden, Interessen in eine friedensfördernde, gemeinsame genauso wie Ossetien, jene georgische Region, Interessenlage zu bekommen. So sollten wohl auch die nach dem Krieg 2008 von Russland okkupiert die Separatisten, die Waffen- und Menschenhändler wurde. Fast täglich finden deswegen kleine Grenz- mit beachtet werden. Ein mehrdimensional ausge- scharmützel statt – was als symptomatisch für den legter diplomatischer Friedensprozess sollte gestartet gesamten Kaukasus als „gefrorene“ Region gesehen werden (Multi Task Diplomacy). werden kann. Inspiriert durch den gewaltfreien Ansatz des norwe- Der Kaukasus gilt in der medienvermittelten Per- gischen Friedensforschers und Trägers des Alterna- zeption in Europa, wohl auch in den USA wie tiven Nobelpreises Johan Galtung wird gerade ein in Russland, als „ständige Krisenregion“, als ein auf friedenspädagogischen Prinzipien aufsetzendes „Konflikte produzierendes Völkergemisch“, was Friedensspiel entwickelt – wobei die Beteiligung von den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Berichte Friedensinitiativen aus der Region Südkaukasus von von Blutrache, grausamen Sippenfehden und Bedeutung ist. Hinter diesem spielpädagogischen einer viele Wirtschaftsbereiche dominierenden Friedensbildungsansatz steht eine von Johan Huizin- „kaukasischen Mafia“ runden in manchen Dar- ga in seinem 1936 herausgegebenen, hochaktuellen stellungen ein Bild ab, das die reiche Wirklich- Klassiker „Homo Ludens“ beschriebene kulturge- keit dieser Region hinter solchen Stereotypen schichtliche Tatsache: Durch 6000 Jahre Mensch- verschwinden lässt. heitsgeschichte war es offenbar das Spiel, das die Transformation, die Übergänge in neue Formen des Dem Wechsel der Mächte in dieser Region steht eine Zusammenlebens unter veränderten Rahmenbedin- relativ ungebrochene innere Entwicklung gegenüber. gungen, übend und gemeinsam spielend, zumindest Die Kontinuität der kaukasischen Sprachen der vie- erleichtert hat. An diese so starke und unkonventio- len Völker und Stämme, auch die zumeist friedliche nelle Tradition des Aufbaus von Friedenskapazitäten Tradition des Zusammenlebens des Vielvölkergemi- und Friedensmentalitäten versucht unser Projekt: sches sind dafür Beispiele. Dass seit 1.500 Jahren „Peace in Caucasus“ anzuknüpfen. praktizierte und gelebte Christentum ist auch ein Beleg dafür, wenn man von Aserbeidschan und der im Nordkaukasus gelebten reichen islamischen Tradition absieht.

Die großen Spieler in der Region sind ohne Zwei- fel die beiden Großmächte, USA und Russland; sicherheitspolitisch bemüht sich die EU um einen Schulterschluss mit den USA, die als Schutzmacht Georgiens im Lande präsent zu erkennen ist.

Die EU ist strategisch an einer Stabilität durch Part- nerschaft interessiert, Europas Abhängigkeit von russischem Erdgas hat die Notwendigkeit weiterer politischer Initiativen in der Region vor Augen ge- führt. So hat der Georgienkrieg 2008 das Programm Östliche Partnerschaft gefördert, das 2009 in Kraft trat und Freihandel und Reiseerleichterungen zwi- schen der EU und Georgien geschaffen hat, aber letztlich organisatorisch und finanziell wenig Profil zulässt.

Sozialimpulse 1/16 27 Bochumer Bankeinrichtungen Bochumer Bankeinrichtungen

Wurzel Genossenschaftsgedanke

Betrachtungen Den Boden bildeten Sozialreformer und Utopisten, den wirtschaftlichen Hintergrund die Umbrüche auf dem Lande, die zu einer Stadtflucht führten, und und Berichte die Zustände im Industrieproletariat, die von Marx und Engels beschrieben wurden. Philosophischer Hintergrund waren die frühsozialistischen Denker2 wie z.B. Henri de Saint-Simon, der mit seiner Schrift „Le Nouveau Christianisme” (1825) auch zu den Vätern der katholischen Soziallehre zählt.

In welchen Strömungen England Um nicht zu weit in der Geschichte zurückzugehen, stehen die Bochumer möchte ich als Anfangspunkt die Entstehung der Ge- nossenschaftsbewegung nehmen. Es gab in England Bankeinrichtungen? eine Top-down-Bewegung, der ich den Philantropen Hans-Florian Hoyer Robert Owen zuordnen möchte. Er hatte als erfolg- reicher Unternehmer den Impuls, seinen Arbeitern „Nun handelt es sich darum, dass man vor allen Dingen, will man eine Umgebung zu schaffen, die ihnen ein gedeih- über die soziale Frage sprechen, sich ein Auge, einen Sinn aneig- liches Zusammenleben und -arbeiten ermöglicht. nen muss für dasjenige, was in den Untergründen der Menschheit sozial pulsiert, was in der Vergangenheit war, was in der Gegen- Dies ist ihm in New Lamark/Schottland gelungen wart da ist, was in die Zukunft hineinwirken will, denn das, was in und später in New Harmony/Indiana nicht mehr. die Zukunft hineinwirken will, ist zum großen Teile im Unbewuss- ten der Menschen überall vorhanden. Vor allen Dingen ist es notwendig, dass man sich einen Begriff Als Bottom-up-Ansatz möchte ich die Arbeit von davon macht, wie die Verhältnisse über die Erde hin in bezug auf Dr. William King bezeichnen, der unter dem Motto das soziale Leben im großen sind, wie sie sich geschichtlich ent- „Knowledge and union are power. Power, directed wickelt haben. Denn dasjenige, was einstmals vor langen Zeiten war, das ist ja noch immer unter uns als Tradition, als Rest, und by knowledge is happiness. Happiness is the end of wir können das, was unter uns dasteht, nur verstehen, wenn wir creation” eine Zeitschrift (The Cooperator) gründete, dasjenige verstehen, was einmal vor langen Zeiten da war. Und dasjenige, was Gegenwart ist, vermischt sich immer schon mit die ihre Leserschaft durch Weiterbildung und gute etwas, was hintendiert nach der Zukunft, und wir müssen verste- Beispiele in die Lage versetzen wollte, ihre Geschicke hen, was da schon Zukünftiges, Keimhaftes in unserer Gegenwart herinnensteckt.“ selbst in die Hand zu nehmen. Doch auch er hatte Rudolf Steiner am 26.August 1922 in einem Vortrag mit dem Titel einen Traum, nämlich den, in den Coops soviel Ka- „Die Entwickelung des sozialen Lebens in der Menschheit” pital anzusammeln, dass damit letztendlich ein „buy out” aller Kapitalisten möglich und die Wirtschaft Vorbemerkung ausschließlich aus Kooperativen bestehen würde.

it der Gründung der Bochumer Bankeinrich- Richtig angeschoben wurde die Gründungswelle M tungen, die wir heute als GLS Bank und GLS letztlich durch die Initiative der Pioniere von Roch- Treuhand kennen, wurden Impulse von Menschen dale3, die acht Prinzipien hatten: konkret, die auch zu tun haben mit dem Bewusstsein dieser Menschen im Hinblick auf ihre Zeitgenossen- 1. Demokratische Kontrolle: Ein Mitglied, eine schaft sowie mit Vorstellungen, was an der Zeit sei. Stimme Es gibt schriftliche Zeugnisse der Gründer1, manche 2. Mitgliedschaft offen für alle können auch noch persönlich befragt werden. Eine 3. Politische und religiöse Neutralität Gesamtschau dieser inneren Sichten herzustellen, 4. Begrenzte, festgeschriebene Zinsen auf das muss als Aufgabe noch ergriffen werden. Kapital 5. Dividende auf Einkäufe Mit diesem Text versuche ich einen anderen Ansatz. 6. Handel nur gegen Barzahlung Nach meiner Pensionierung sind mir Linien der Ent- 7. Verkauf von reinen und unverfälschten Lebens- wicklung aufgefallen, die sinnvoll zusammenlaufen mitteln in der Gründung. Zudem können sie auch Richtlinien 8. Weiterbildung in den genossenschaftlichen werden für die geforderte und notwendige Trans- Prinzipien formation in eine Zukunft, die wir lieben können. Darauf gehe ich am Ende des Textes ein. Die nie- Bis 1900 wurden 1.439 unterschiedliche genossen- dergeschriebenen Gedanken haben naturgemäß ein schaftliche Betriebe mit ca. 2 Millionen Mitgliedern persönliches Gepräge, was hoffentlich dazu anregt, gegründet. sich selbst in die Zusammenhänge einzudenken.

Deutschland In Deutschland waren es dann Friedrich Willhelm 1 Albert Fink. Bank als Schulungsweg. Info3 Verlagsanstalt, 2014; Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch, die Rolf Kerler. Eine Bank für Menschen. Verlag am Goetheanum, 2011; Manfred Schmidt-Brabant, Spirituell verstandenes Bankwesen. Verlag am Goetheanum, 1995; Michael Bockemühl, Rolf Kerler. Gemein- 2 http://en.wikipedia.org/wiki/Utopian_socialism schaftsbank GLS. Verlag Freies Geistesleben, 1985 3 http://en.wikipedia.org/wiki/Rochdale_Principles

28 Sozialimpulse 1/16 Dreigliederungszeit Dreigliederungszeit durchaus im Widerstreit liegend jeder auf seiner In einem Vortrag vor Mitgliedern in Berlin am 1. Linie daran arbeiteten, die Lage der Bauern und Oktober 1906 unter dem Titel „Der Anteil des Handwerker zu verbessern. Raiffeisen kam aus Menschen an den höheren Welten”4 kommt Owen der Richtung christlicher Nächstenliebe, er wollte zu Erwähnung: den Gemeinsinn fördern, Schulze setzte mehr auf Eigennutz und Selbsthilfe. „Niemals wird es anders gehen als bei Robert Owen, der als edler Mensch und Menschenfreund, als guter Kenner Widerstand kam von Bismarck, der in den Genossen- der sozialen Verhältnisse in England eine Art Muster- wirtschaft einführen wollte, indem er gute und schlechte schaften Tarnorganisationen der gescheiterten Revo- Arbeiter heranzog und in größerem Rahmen eine soziale lution von 1848 sah. Die von Schulze gegründeten Gemeinschaft zu begründen versuchte. Er ging von dem Kreditvereine seien „Kriegskassen der Demokratie, begreiflichen Vorurteil aus, die Menschen seien von Natur die unter Regierungsgewalt gestellt werden müssen”. gut, man brauche sie nur in auskömmliche Verhältnisse Das Genossenschaftsgesetz scheiterte mehrmals an hineinzusetzen. Schaffe man solche Verhältnisse, dann würden sie auch ein Dasein entfalten, wie sie es selbst seinem Veto. Die von ihm angestrebte Kontrolle der wünschten. Aber gerade dieser Menschenfreund musste Genossenschaften durch den Staat konnte vermieden sich schließlich gestehen, dass man in seinen Bemühun- werden durch Bildung eigener Prüfungsverbände. gen für den sozialen Fortschritt nicht mit praktischen Maßregeln beginnen könne, sondern nur mit der Lehre, Der Sozialdemokrat Ferdinand Lasalle vertraute nicht mit der Aufklärung.” auf Selbsthilfe und Selbstverantwortung der Arbeiter- schaft. Er wollte „Produktivassoziationen” mit staatli- In einem öffentlichen Vortrag in Berlin am 12. März cher Unterstützung. Seine Opposition gegen Raiffeisen 1908 unter dem Titel „Beruf und Erwerb” stellt er und Schulze war hart. Erst lang nach seinem Tode die Frage, auf die später Günter Andersch eingehen kam es zur Gründung von „roten” Genossenschaften. sollte (Die Antiquiertheit des Menschen. Band I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Franz Oppenheimer, Arzt wie Dr. King, entwickelte Revolution). die Siedlungsgenossenschaften für seinen „Liberalen Sozialismus“ auch in Anlehnung an Saint-Simon. „Hat menschliches Denken, hat menschliches Interesse Sein Doktorand Ludwig Erhard sagte später, er auch vermocht, jene soziale Struktur zu schaffen, die in habe nur Adjektiv und Substantiv vertauscht um zur irgendeiner Harmonie, in irgendeiner Angemessenheit steht zu dem, was in den Gebieten der Technik und der „Sozialen Marktwirtschaft” zu kommen. Industrie die menschliche Geisteskraft geschaffen hat? Man denke sich einmal hypothetisch, was geworden wäre, wenn die Menschen, oder wenn eine menschliche Welt Individualität imstande gewesen wäre, ihre Geisteskraft, Die allgemein-humanistischen Prinzipien der Selbst- die in so gewaltiger, so großartiger Weise sich kristallisiert hat in Maschinen, in Banken und im Verkehrswesen, dazu hilfe, Selbstverwaltung und Selbstbestimmung zu verwenden, um diejenigen, welche hineingestellt sind zusammen mit der Offenheit für jedermensch sorg- in diese Entwickelung, auch in eine entsprechende soziale ten dafür, dass sich die Idee quasi aus sich selbst Struktur hineinzubringen.” heraus globalisierte. Es gibt heute Genossenschaften auf allen Kontinenten, in verschiedensten Entwick- Dreigliederungszeit lungsstufen von Wirtschaften, in verschiedenen Regierungsformen und Religionen. Weltweit kommen Rudolf Steiner setzte sich in der Deutschen Revolution auf einen Aktienbesitzer vier Mitglieder in Genos- 1918/19 dafür ein, das Eigentum an Produktionsmit- senschaften. Genossenschaften sind ein signifikanter teln neu zu gestalten, jedoch nicht durch Verstaat- Arbeitgeber. Schätzungen gehen davon aus, dass lichung der Produktionsmittel. Zahlreiche Bücher das Leben von vier Milliarden Menschen positiv erscheinen. In „Die Kernpunkte der sozialen Frage durch die Existenz von Genossenschaften tangiert in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und ist. (http://www.euricse.eu) Zukunft“ entwickelt Steiner die „Dreigliederung des sozialen Organismus“. Leitidee des Geisteslebens soll „Freiheit”, des Rechtslebens „Gleichheit” und des Wurzel Anthroposophie Wirtschaftslebens „Brüderlichkeit” sein. Der Aufruf „An das deutsche Volk und die Kulturwelt!“ geht Rudolf Steiner hat sich in Vorträgen und Büchern seinerzeit in die Leere, aber über den Unterzeichner über die soziale Frage und die bestmögliche Or- Wilhelm Lehmbruck, der sich kurz darauf das Leben ganisation einer Gesellschaft von ethischen Indivi- nahm, sprang der Funke auf Joseph Beuys über, der dualisten geäußert. Einer der ersten Texte erschien die „Soziale Plastik” zu seinem Lebenswerk machte. 1905/06 in der Zeitschrift „Lucifer-Gnosis”, damals Die Bewegung der Direkten Demokratie stammt aus unter der Überschrift „Theosophie und soziale Frage” diesem Zusammenhang. als Folge von drei Artikeln. Darin stellt Steiner das soziale Hauptgesetz auf: In zahlreichen Vorträgen engagierte sich Rudolf Steiner 1919 für eine soziale Neugestaltung auch „Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden im Sinne einer geistigen Erneuerung. Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mit- arbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse 4 Rudolf Steiner: Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis, (1906/1907), der anderen befriedigt werden.” GA 96, Ausgabe 1974, Seite 82.

Sozialimpulse 1/16 29 GTS GTS

Aus dem November 1920 stammt ein Text Steiners, gung der Liebe; Liebe ist das Ergebnis der im „Ich” in dem er die „Leitgedanken für eine zu gründende wiedergeborenen Weisheit. Unternehmung” niederlegte:

„Notwendig ist die Gründung eines bankähnlichen Instituts, Nachkriegszeit das in seinen finanziellen Maßnahmen wirtschaftlichen Nach dem Krieg begannen anthroposophische und geistigen Unternehmungen dient, die im Sinne der Industrielle eine Zusammenarbeit im sogenannten anthroposophisch orientierten Weltanschauung sowohl nach ihren Zielen wie nach ihrer Haltung orientiert sind. Un- „Heidenheimer Kreis”, zu dem auch terschieden von den gewöhnlichen Bankunternehmungen gehörte, der später mit seinem Vermögen in langen soll dieses dadurch sein, dass es nicht nur den finanziellen Gesprächen mit Wilhelm Ernst Barkhoff die Grund- Gesichtspunkten dient, sondern den realen Operationen, lage von Treuhand und Bank legte. die durch das Finanzielle getragen werden. Es wird daher vor allem darauf ankommen, dass die Kredite etc. nicht auf dem Wege zustande kommen, wie dies im gewöhnli- Aus anthroposophischen Führungskreisen gab es chen Bankwesen geschieht, sondern aus den sachlichen starken Widerstand gegen die Gründung einer Gesichtspunkten, die für eine Operation in Betracht kom- Bank, da man befürchtete, dass die Initiative so men, die unternommen werden soll. Der Bankier soll also enden könnte wie der Unternehmensverbund weniger den Charakter des Leihers, als vielmehr den des „Kommender Tag”, den Steiner ins Leben gerufen in der Sache drinnenstehenden Kaufmanns haben, der mit gesundem Sinne die Tragweite einer zu finanzierenden hatte, der aber in den Wirrungen der Hyperinflation Operation ermessen und mit Wirklichkeitssinn die Einrich- scheiterte. tungen zu ihrer Ausführung treffen kann.“

1961 Schenken: GTS Gemeinnützige Nationalökonomischer Kurs Treuhandstelle e.V. Auf Anfrage von Studenten der Nationalökonomie, Es begann in nicht mit einer Bankgründung. die mit ihrem Studium unzufrieden waren, hielt Rudolf Zunächst war ein Instrument gefragt, das Schenkun- Steiner 1922 vierzehn Vorträge, in denen er z.B. gen entgegennehmen und damit andere Institutionen die beiden prinzipiellen Arten der Wertebildung mit gemeinnützigem Charakter unterstützen konnte. charakterisierte: „Alles begann mit dem Wunsch einer Gruppe von nn Wert 1: Anwendung von Arbeit auf Natur, z.B. Menschen, sich für die Finanzierung einer freien Schule im Bergwerk oder der Landwirtschaft einzusetzen. Gründungsmotivation der GLS Treuhand n war es, engagierte Menschen dabei zu unterstützen, n Wert 2: Anwendung von Geist auf Arbeit, z.B. die Gesellschaft durch Projekte und Initiativen stär- in den Erfindungen, die die Anwendung von Arbeit ker selbst zu gestalten. Warum zum Beispiel sollten auf die Natur erleichtern oder besser organisieren Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, die sich eine neue Schule mit einem alternativeren Bildungsansatz wün- sowie die drei Geldqualitäten: schen, den Bau nicht selbst in die Hand nehmen?“ (http://www.gls-treuhand.de/besucherinnen/ueber-uns/) nn Kaufgeld nn Leihgeld 1967 Leihen: GKG Gemeinnützige nn Schenkgeld Kreditgarantiegenossenschaft eG Der wachsende Geldbedarf seitens der Schulbewe- Er brachte die Idee des alternden Geldes und die gung und der Landwirtschaft brachte Kredite von höchste Fruchtbarkeit des Schenkgeldes zu Sprache konventionellen Banken (Commerzbank) ins Spiel, und skizzierte einen Kreislauf des Kaufen, Leihens die jedoch konventionelle Sicherheiten brauchten. und Schenkens, in dem sich Geld nicht in Blasen Dazu wurde die GKG gegründet. stauen kann.

1974 Kaufen: GLS Gemeinschaftsbank eG Ethischer Individualismus und Co-Evolution Mit der Zeit wurde auch der Bedarf nach einer In der Philosophie der Freiheit hatte Steiner 1894 den eigenen Bank zur Kreditvergabe deutlich – die GLS ethischen Individualismus begründet. Das ‚Handeln aus Gemeinschaftsbank eG wurde gegründet. Die GLS Liebe zur Tat’ und das ‚Handelnlassen im Verständnis- betrieb anfangs nur das Kreditgeschäft und das se des fremden Tuns’ bilden die Voraussetzung, dass Einlagengeschäft, letzteres zunächst nur in Form von Individuen die Ideen, die nur durch sie in die Welt Sparkonten. Einen Zahlungsverkehr gab es praktisch kommen können, auch verwirklichen können. An diese nicht. Mit der Erweiterung des Angebots der Einla- Schöpferkraft knüpft Joseph Beuys an, wenn er sagt gen auf Termineinlagen stellte sich ein erster leichter „Jeder Mensch (soll) ein Künstler (sein können)”. Wachstumsknick nach oben ein. Freie Rücklagenkon- ten konnten am Zahlungsverkehr teilnehmen. In der „Geheimwissenschaft im Umriss” beschreibt Steiner 1909 die Co-Evolution von Wesen in pla- Die Kreditzinsen wurden zu Ende des Jahres als netarischen Runden. Ein Prinzip dabei ist, dass Kostendeckungsumlage errechnet. Dabei wurden Wesen durch Verzicht auf die Erträgnisse ihres die nicht durch die Zinserträge aus Eigenanlagen ge- Tuns ermöglichen, dass andere Wesen dadurch deckten Kosten anteilmäßig auf die Kredite umgelegt. weiterkommen können. Die Co-Evolution hat Ziele: Das Durchdringen der Erde mit der Liebe ist der Sinn Rücklagen für Risiken wurden so gut wie nicht ge- der Erdenentwicklung. Weisheit ist die Vorbedin- bildet, die Zahlungsmoral der Kreditnehmer war

30 Sozialimpulse 1/16 Entscheidende Impulse Entscheidende Impulse enorm. Stattdessen wurde der Ausgleichs- und Probleme unserer Gesellschaft allein lösen kann Sicherungsfonds konstruiert, der es der Bank er- und muss.” möglichte, die Risikovorsorge komplett als Kosten abzusetzen. Auch spätere Steuerprüfungen konnten Die IntegraBank erstritt sich das Recht, aus dem dieses Instrument der Selbsthilfe der Kreditnehmer genossenschaftlichen Sicherungsfonds auszusteigen. kaum erschüttern. Die 30.000 DM erschienen der Gemeinde als her- ausgeworfenes Geld. Ein Kredit braucht immer ein „Umfeld”, also Men- schen, die sich für den Zweck des Kredites mittra- 2008 entschied sie „…aus einer Position der Stärke gend engagieren. Von Crowd-Funding zu sprechen – uns einen geeigneten Partner für die Zukunft zu ist hier nicht möglich, weil sich diese Menschen in suchen, den wir glauben in der GLS Gemeinschafts- der Regel kannten. Das Prinzip aber, dass Gemein- bank eG gefunden zu haben.” (http://www.humanis- schaften mehr schaffen als der Einzelne, ist dasselbe. tische-aktion.de/geld2.htm), da die Anforderungen Es wurden Leihgemeinschaften, Schenkgemeinschaf- aus den Verpflichtungen zur Bankenregulierung ein ten, Bürgengemeinschaften gebildet. Ein Vertreter überdurchschnittliches Wachstum für ein kostenneu- davon war immer der Ansprechpartner der Bank, trales Ergebnis erfordert hatten. er hatte dafür zu sorgen, dass die Beträge zur ver- abredeten Zeit in der Bank eingingen. 1984 Ökobank eG „Es entstand eine paradoxe Situation: Während sie 1997 Fusion GLS GKG demonstrierten, arbeitete ihr Geld auf den Konten Mit dem Wachstum von GLS und GKG stellte sich großer Banken z.B. für die Rüstungsindustrie. Sie die Frage, ob es wirtschaftlich überhaupt vertretbar finanzierten mit ihrem Geld, was sie politisch be- ist, zwei Banklizenzen laufen zu haben. In leiden- kämpften und abschaffen wollten: Atomkraftwerke, schaftlichen Diskussionen wurde die inhaltliche Startbahnen, Wohnsilos, Panzer, Streumunition und Frage bewegt, ob nicht die Trennung in Geldqua- Raketen. Unabhängig von der strategischen Absicht litäten den Aufwand rechtfertigte. Letztlich hat das der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungs- Versprechen, den Leihgeld-Gedanken in der Beteili- träger war das faktische Ergebnis ihres Handelns, gungs-Aktiengesellschaft weiter zu entwickeln, den dass Banken in menschenfeindliche Großprojekte Widerstand beseitigt und den Weg zur Fusion frei und Rüstungsgüter investierten.” (https://www.online. gemacht. Viele Menschen hatten Anteile in beiden uni-marburg.de/isem/WS11_12/docs/oekobank. Genossenschaften. pdf)

Ziele der Ökobank waren die Bereitstellung von 1973 IntegraBank eG Finanzmitteln für die damals aufkommenden alter- Diese Bank ist im besten genossenschaftlichen nativen Betriebe, die zu jener Zeit noch nicht von Sinne eine Selbsthilfeeinrichtung der Integrierten traditionellen Banken unterstützt wurden, und die Gemeinde, einer basisdemokratischen katholischen Entwicklungsförderung in der sogenannten Dritten Gemeinschaft, die zum Laienapostolat gehört. Welt. Gemäß der Satzung sollte der „Förderung von Betrieben und Projekten auf dem Gebiet der „Die Laien betätigen ihr vielfältiges Apostolat sowohl in Selbstverwaltung, des Genossenschaftswesens, der der Kirche als auch in der Welt. In jeder dieser beiden Ökologie und des Friedens ... besondere Bedeutung Ordnungen tun sich verschiedene Bereiche apostolischen beigemessen (werden)“. Das Bankgeschäft wurde Wirkens auf. Die wichtigeren sollen hier erwähnt werden: die kirchlichen Gemeinschaften im engeren Sinn, die deswegen in einen Förderbereich und einen Nor- Familie, die Jugend, die sozialen Milieus, das nationale malbereich unterteilt. und internationale Leben. Da heute die Frauen eine im- mer aktivere Funktion im ganzen Leben der Gesellschaft Mit der Gründung der Ökobank waren Visionen ausüben, ist es von großer Wichtigkeit, dass sie auch an von einem „alternativen Wirtschaftskreislauf“ ver- den verschiedenen Bereichen des Apostolates der Kirche wachsenden Anteil nehmen.”5 bunden. Die Ökobank sollte die finanziellen Mittel bereitstellen, um einen solchen Kreislauf in Gang „Caritas in veritate“ ist das Prinzip, um das die zu setzen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ökobank) Soziallehre der Kirche kreist, ein Prinzip, das in Ori- entierungsmaßstäben für das moralische Handeln Die Ökobank musste sich den Eintritt (1996) in die wirksame Gestalt annimmt. Besonders zwei von Sicherungseinrichtung erst erstreiten. ihnen sind zu erwähnen, die speziell beim Einsatz für die Entwicklung in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung erforderlich sind: die Gerechtig- keit und das Gemeinwohl. (https://de.wikipedia.org/ Entwicklungslinien treffen sich wiki/Katholische_Integrierte_Gemeinde) Durch die hinzugekommenen Institutionen haben Traudl Wallbrecher: „... denn wir glauben nicht, dass sich die Gründungsimpulse der GLS mit verwandten der Staat oder seine Organe die differenziertesten Aspekten / Perspektiven angereichert:

Die Genossenschaftsbewegung schließt die in der

5 Dekret Apostolicam actuositatem (Dekret über das Laienaposto- Armut vereinzelten Individuen zusammen, und setzt lat, Kapitel III, 9 auf die Kraft der Zusammenarbeit der „Selbste”.

Sozialimpulse 1/16 31 Genossenschaftsbewegung Genossenschaftsbewegung

Genossenschaftsbewegung

Soziale Frage | Selbsthilfe, Selbstverwaltung | Selbstbestimmung | Armuts-Stop | Wirtschaftliche Beteiligung

Integrabank GLS Bank Ökobank

Gemeinde – Gemeinschaft – Gesellschaft – gelebte Brüderlichkeit gelebter ethischer gelebte Solidarität Soziallehre Individualismus Friedensbewegung Laienapostolat Sinn Umweltbewegung caritas in veritate Liebe zur Weisheit hinzu politische Linke

Gemeinwohl-Orientierung, Markenkern, Triple Bottom Line, GABV

Schon dadurch setzt sie sich von einer bloßen An- beruht. Er will das Wertvollste jeder der überkommenen 7 sammlung von „homines oeconomici” ab. Lehren bewahren.“

In einer Gemeinde verbinden sich Menschen, die Das konvivialistische Manifest wurde geschrieben ihr Leben nach Idealen aus einer spirituellen Sphäre angesichts der Mutter aller Bedrohungen: führen wollen, eine „strukturkongruente Erfahrung als hermeneutischer Schlüssel” für das richtige „Zwar hat die Menschheit gewaltige technische und Verständnis der Bibel. „Endlich mögen die Laien ihr wissenschaftliche Fortschritte erzielt, konnte jedoch ihr Leben durch die Liebe beleben und dies möglichst größtes Problem noch immer nicht lösen: Wie mit der Riva- 6 lität und der Gewalt zwischen den Menschen umgehen? durch die Tat zum Ausdruck bringen.” Wie sie dazu bewegen, zusammenzuarbeiten, um sich weiterzuentwickeln, wobei jeder das Beste von sich selbst Eine zivilgesellschaftliche Bewegung wird vereint gibt, sodass es möglich wird, einander zu widersprechen, durch die wahrgenommenen Missstände in der ohne einander niederzumetzeln? Wie lässt sich die heute Gesellschaft und den Impuls, diese zu ändern. grenzenlose und potentiell selbstzerstörerische Anhäufung von Macht über Mensch und Natur verhindern? Ohne eine rasche Antwort auf diese Fragen wird die Menschheit Die Dreigliederung des sozialen Organismus gibt untergehen. Dabei sind alle materiellen Voraussetzungen den Prinzipien/Idealen der Freiheit, Gleichheit und für ihren Wohlstand gegeben, sofern man sich endgültig Geschwisterlichkeit die Wirkungsfelder, in denen sie ihrer Endlichkeit bewusst wird. Zur Lösung dieses Problems sich am besten entfalten können. Sinn dieser Organi- stehen uns viele Bausteine zur Verfügung: all jene, die im Laufe der Jahrhunderte von den Religionen, den Moral- sation ist es, die besten Entwicklungsbedingungen für lehren, den politischen Doktrinen, sowie den Geistes- und den ethischen Individualisten zu schaffen. Damit ist das Sozialwissenschaften vorgelegt wurden, [...] Prinzip, dass „der Einzelne nichts, aber die Familie, der Stammesverband, das Volk, alles sei“, abgelöst durch Alle diese wertvollen Elemente sollten so schnell wie das Prinzip, dass die Gesellschaft dafür zu sorgen hat, möglich zusammengetragen und in einer Weise erklärt dass jedes Individuum seinen Ideengehalt frei ausleben werden, dass all jene in der Welt – die große Mehrheit – sie verstehen und teilen können, die ihre Hoffnungen kann, indem es aus Liebe zur Tat handelt. schwinden sehen, unter den derzeitigen Entwicklungen leiden oder sie fürchten und die, ein jeder in seinem Ein Sinnkontinuum erscheint, aus dem heraus die drei Bereich und nach seinen Möglichkeiten, zum Schutz Gründungsimpulse gespeist sind, jeder mit durchaus und zur Rettung der Welt und der Menschheit beitragen eigenem Gepräge, aber mit einem gemeinsamen wollen.“ Zukunftsbild, wie es jetzt beispielsweise im soge- nannten Konvivialismus erscheint. Banking für eine Zukunft, die wir wollen

„Konvivialismus ist der Name, der allem gegeben wurde, Geld ist kein Naturprodukt, es ist ein Gesellschafts- was in den bestehenden weltlichen oder religiösen Lehren produkt. Die Frage nach der Zukunft der Bank ist zur Suche nach Prinzipien beiträgt, die es den Menschen daher die Frage nach dem Banking der Zukunft. ermöglichen, sowohl zu rivalisieren wie zu kooperieren, und zwar im vollen Bewusstsein der Endlichkeit der natürli- Sie kann nur beantwortet werden zusammen mit chen Ressourcen und in der geteilten Sorge um den Schutz der Frage der Gesellschaft der Zukunft, der das der Welt. Und im Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu Banking dienen soll. Dabei kann es nicht um die dieser Welt. Er ist keine neue Lehre, die sich den anderen bloße Prolongation der in der Vergangenheit heraus­ überstülpen würde, mit dem Anspruch, sie abzuschaffen gebildeten Usancen im Finanzwesen gehen. Ein Teil oder sie radikal zu überholen. Er ist die Bewegung ihrer gegenseitigen Befragung, die auf dem Gefühl der extre- der Konventionen, die sich herausgebildet haben, men Dringlichkeit angesichts der möglichen Katastrophe 7 Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusam- menlebens. Hrsg. Frank Adloff und Claus Leggewie; transcript Verlag, 6 Dekret über das Laienapostolat, Kapitel IV, 16 Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-2898-2

32 Sozialimpulse 1/16 Gedenken an Peter Conradi Gedenken an Peter Conradi dient der Vereinfachung des Geldverkehrs unter den Abstimmung in Basel über Akteuren. Leider gibt es auch Regelungen, die nur dem Erhalt von Macht und Einfluss dienen. Bodeninitiative

Wo arbeiten Menschen in Gemeinschaften an As- ei einer Beteiligung von 65,4 Prozent wurde in Basel pekten einer Zukunft, die wir auch wollen können? Bam 28. Februar eine „Neue Bodeninitiative. Boden Welches Banking brauchen sie? Thomas Jorberg behalten und Basel gestalten” mit einer Mehrheit von hat in einem Positionspapier anlässlich der „Euro 66,9 Prozent der Stimmen angenommen. Der Kernpunkt Finance Week 2015“ formuliert: Die Banken sind zu der Initiative ist ein Verkaufsverbot städtischen Grundes; sehr mit sich beschäftigt. Dabei vergessen sie die Landabtretungen sind nur im Rahmen des Erbbaurechts Zukunftsfragen der Gesellschaft. … Auch die GLS zulässig. Ausnahmen sind nur möglich, wenn zugleich Bank widmet sich intensiv diesen Veränderungen ein anderes Grundstück erworben werden kann. „Zie- des Bankgeschäfts. Nur tut sie es mit einer völlig le der Initiative sind höhere Erträge als mit der bisheri- anderen Ausgangsfrage: Wie können wir gewähr- gen Vermarktung öffentlicher Flächen, familienfreund- leisten, dass Geld weiterhin dorthin gelangt, wo liches, umweltschonendes und bezahlbares Wohnen es in der Gesellschaft gebraucht wird? Wo kann sowie ein Einhalt der Spekulation.”8 Neben dem Mie- es sinnvoll wirken? (http://blog.gls.de/standpunkt/ terverband steht auch die an der sozialen Dreigliede- banken-brauchen-neues-bewusstsein/). rung orientierte Edtih Maryon Stiftung hinter der Initia- tive. Anders als zur Zeit der ersten Genossenschaften ist heute nicht nur lokale individuelle Armut zu besei- http://www.neue-bodeninitiative.ch/ tigen, von der es leider noch zu viel gibt auf dem Planeten. Es ist ein Problem hinzugekommen, das die gesamte Menschheit angeht. Die Belastungsgrenzen des Planeten sind mehrfach überschritten. Die da- mit verbundenen Aufgaben können nur von einer Gedenken an Peter Conradi zusammenarbeitenden Gesellschaft gelöst werden. Christoph Strawe Im Preiswettbewerb stehende Unternehmen, die sich gegenseitig vom Markt drängen wollen, sind nach- m Freitag, dem 11. März, verstarb im Alter von weislich nicht dazu in der Lage. Die verschiedenen A 83 Jahren der SPD-Politiker Peter Conradi. Er „Wenden” müssen von Denkwenden begleitet sein. war von 1972 bis 1998 Bundestagsmitglied, 1974 An diesen wird weltweit gearbeitet. Das Konvivia- OB-Kandidat in Stuttgart � wobei er gegen Manfred listische Manifest zählt auf: Rommel unterlag � und 5 Jahre lang Präsident der Bundesarchitektenkammer. Er wirkte in der Initiative „Es gibt unzählige Initiativen in dieser Richtung, die von „Bürgerbahn statt Börsenbahn” mit, spielte eine Tausenden von Organisationen oder Vereinigungen und führende Rolle in der Bewegung gegen Stuttgart 21. von vielen Millionen Menschen getragen werden. Sie So nahm er auch an den Schlichtungsgesprächen erscheinen unter unendlich vielfältigen Namen, in unend- lich vielfältigen Formen und Größen: Verteidigung der 2010 teil. Das Aktionsbündnis K21 würdigt ihn in Menschenrechte, der Rechte der Frauen, der Bürger, der einem Nachruf als einen „der profiliertesten und bis Arbeiter, der Arbeitslosen oder der Kinder; auf Solidarität zuletzt hoch engagierten Vorkämpfer lebendiger, auf gründende Sozialwirtschaft mit all ihren Komponenten: Gerechtigkeit und Miteinander zielenden Demokra- Produktions- oder Verbrauchergenossenschaften, Fairer tie, ein Mahner für faire Gesprächskultur, der immer Handel, Parallel- oder Komplementärwährungen, lokale Tauschsysteme, vielfältige Vereine gegenseitiger Hilfe; die das Ganze des Gemeinwesens und die Achtung für digitale Ökonomie der Beteiligung (vgl. Linux, Wikipedia Andersdenkende im Blick hatte.” Als unabhängiger usw.); Wachstumsrücknahme und Post-Development; Be- Geist hatte er mit der Mehrheit seiner Partei häufig wegungen wie slow food, slow town, slow science; die erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Forderung nach buen vivir, die Bekräftigung der Rechte der Natur und das Lob der Pachamama; die Globali- sierungskritik, politische Ökologie und radikale Demo- Nicht in Vergessenheit geraten sollte sein Engage- kratie, die indignados, Occupy Wall Street; die Suche ment für ein modernes Bodenrecht. Seine Vorschlä- nach alternativen Reichtumskriterien, Bewegungen der ge sind nachzulesen in dem gemeinsam mit Hartmut persönlichen Veränderung, des freiwilligen Maßhaltens, Dieterich und Volker Hauff verfassten Buch „Für ein des bescheidenen Überflusses, des Dialogs der Kulturen, soziales Bodenrecht. Notwendigkeiten und Möglich- die care-ethics, die neuen Konzepte der Commons usw. Damit diese wertvollen Initiativen in der Lage sind, der keiten”. Gerne erinnern wir uns an gemeinsame tödlichen Dynamik unserer Zeit mit hinreichender Kraft Gespräche und Initiativen zu diesem Thema in den entgegenzuarbeiten und nicht in die Rolle des bloßen Jahren nach der Wende, an denen Mitarbeiter des Protests oder einer Notlösung abgedrängt werden, ist es Instituts für soziale Gegenwartsfragen Stuttgart und notwendig, ihre Kräfte und Energien zu bündeln und ihre des Seminars für freiheitliche Ordnung Bad Boll Gemeinsamkeiten hervorzuheben.“ beteiligt waren. U.a. wirkte Conradi an einem Se- Mit ihrem ideellen Hintergrund erscheint die GLS minar in Weimar in unserer Fortbildungsreihe mit. nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Global Al- Durch seine Kontakte half Peter Conradi auch, dass liance for Banking on Values (www.gabv.org) als eine Tagung des Instituts für Urbanistik zum Erbbau- der geborene Partner dieser Initiativen. recht zustande kam. Wir sind ihm für sein Wirken dankbar und bleiben ihm so verbunden.

8 http://www.badische-zeitung.de/basel/basel-sagt-ja-zur-boden- initiative--118906777.html

Sozialimpulse 1/16 33 Freie Schulen und Staat Freie Schulen und Staat

Freie Schulen und staatliche Organisation an die Börse bringen, ging ein Aufschrei durch die Schullandschaft. Die Staatsfetischisten hat- Schulverwaltung9 ten ihren Buhmann gefunden, der endlich mal das wahre Gesicht der Privatschulen offenbarte. Doch Detlef Hardorp auch die Arbeitsgemeinschaften der Schulen in freier Trägerschaft wollten mit diesen Schulen nichts zu tun enn ich auf meine Arbeit für freie Schulen in haben. Anträge auf Mitgliedschaft der 2005 ge- WBerlin und Brandenburg zurückschaue, kann gründeten Phorms Management AG wurden damals ich klare Entwicklungen erkennen. vom VDP (Bundesverband Deutscher Privatschulen) abgelehnt. Die AGFS Berlin ließ diese Schulen nicht Als 1998 in Berlin das damalige „Privatschulge- am „Tag der freien Schulen“ teilnehmen. Wirtschaft setz“ novelliert wurde, versuchten wir, den Begriff war bisher nicht der Motor, der allgemeinbildende „Privatschule“ mit dem Begriff der „Schule in freier Schulen in freier Trägerschaft zur Geburt führte. Das Trägerschaft“ zu ersetzen. Schulen in freier Trä- waren stets geistige Ideale, für die man zur Umset- gerschaft sind zwar keine staatlichen Institutionen, zung zwangsmäßig auch am Wirtschaftsleben als erfüllen als sogenannte „Ersatzschulen“ aber einen Mittel zum Zweck teilnehmen musste. klaren öffentlichen Auftrag, genauso wie die ent- sprechenden staatlichen Schulen. Insofern sind sie Mittlerweile hat sich Phorms längst von ihren Markt- überhaupt nicht „privat“. schreiern getrennt und die Idee aufgegeben, mit Schule Geld zu verdienen. Neuerdings dürfen sie Damals erwiderte der damalige bildungspolitische auch beim Tag freier Schulen mitmachen. Deren Sprecher der SPD (Schuster), dass man dieser (sehr frühere Ankündigungen wirken aber immer noch kostenneutralen) Bitte der Namensanpassung nicht schädigend auf das Bild der freien Schulen. nachkommen werde, weil man ausdrücklich wünsche, dass diese Schulen der privaten Ecke zugeordnet blei- Seit einigen Jahren wird die Idee der ideell gegrün- ben. Nur so könne sich die sogenannte „öffentliche“ deten freien Schule durch das Wirtschaftsverständnis Regelschule (gemeint ist die staatlich betriebene) klar von Rechtspflegern an Registergerichten bedroht. Aus- von diesen Randerscheinungen absetzen. gehend von Berlin verweigerten diese die Eintragung von Trägervereinen ins Vereinsregister, da Träger von Als dann um 2005 das Berliner Schulgesetz erarbei- Schule prinzipiell keine ideellen Vereine sein könnten. tet wurde, in das das „Privatschulgesetz“ aufging, Diese agierten doch am Markt, nähmen Schulgeld schied diese Haltung mit Herrn Schuster aus dem und seien untereinander in Konkurrenz, sprich: Sie sind Parlament. Selbst die SPD erklärte sich bereit, diese wirtschaftliche Betriebe und sollten sich andere Rechts- Schulen nunmehr „Schulen in freier Trägerschaft“ formen suchen, wie GmbHs – so die Rechtspfleger. zu nennen. Als in einem Fall das Kammergericht in Berlin sich Das ist nicht nur eine Frage des Etiketts, weil damit dieser Auffassung im Falle eines Kindergartenbetrei- auch ein Grundverständnis von Schule ausgedrückt bers anschloss, begannen sich auch die Wohlfahrts- wird. Es macht eben einen Unterschied, verbände zu fragen, ob sie sich zukünftig ein neues Selbstverständnis als Wirtschaftsbetreiber zulegen nn ob Schule primär eine Veranstaltung des Staates müssten. Damit wäre auch die über 100jährige ist, der Lehrer als Beamte, oder zumindest staatliche Tradition der Wohlfahrtsarbeit in Frage gestellt, die Angestellte, einstellt und auch alles andere, bis hin einen noch viel größeren Bereich umfasst als die zum Lehrplan, politisch verordnet Schulen in freier Trägerschaft.

nn oder ob Schule der Zivilgesellschaft überlassen Dieses Problem ist noch nicht endgültig gelöst. Mitt- wird, weil sie nur so überschaubar bleibt („Small is lerweile sind sich aber die Rechtspfleger am Berliner beautiful“, wie es einmal E.F. Schumacher sagte); Registergericht nicht mehr einig – und die zweite und weil der Staat, der über die demokratischen Instanz in Brandenburg (das Oberlandesgericht) hat Grundwerte hinaus „wertelos“ bleiben muss, dem kürzlich dem Amtsgericht verboten, einer Waldorf- mit zur Bildung junger Menschen gehörenden Rin- kindergarten-Initiative in Eberswalde mit der Begrün- gen um Werte nicht gerecht werden kann; und weil dung, es handle sich primär um eine wirtschaftliche kleine Betriebseinheiten, die auch mal einen Lehrer Einrichtung, die Eintragung zu verweigern. entlassen können, organisatorisch besser geeignet sind, Schule zu betreiben. Die Tendenz, alles als Wirtschaftsfaktor zu sehen, hat zugenommen. Das spiegelt sich auch im Denken Landläufig wird die Welt in „staatlich“ und „privat“ vieler Rechtspfleger. Wobei schon Jeremy Rifkin vor geteilt. Das erste obliegt der Regierung, das zweite Jahrzehnten darauf hinwies, dass im sogenannten den Märkten und der Wirtschaft. „Dritten Sektor“ ein riesiger Umsatz gemacht wird, er aber einen ganz anderen Bereich umfasst als die In dieses Bild passen freie Schulen überhaupt nicht klassischen Märkte, die von Wirtschaftsunternehmen hinein. Als vor Jahren einige Investoren proklamier- bestimmt sind. ten, sie wollten mit Schulen Geld verdienen und ihre Nur noch ein paar Worte zur „staatlichen Schulver- 9 Es handelt sich um einen Beitrag für das Netzwerktreffen am 5./6. Dezember in Berlin, welcher dort schriftlich eingereicht und verle- waltung“: Schon das Wort ist problematisch. Denn sen wurde, da D. Hardorp verhindert war. die Schulverwaltung verwaltet nur die Schulen, die

34 Sozialimpulse 1/16 Alternative freies Geistesleben Alternative freies Geistesleben sie auch betreibt. Somit hat sie mit freien Schulen In Brandenburg dagegen wurde die Finanzierung nichts zu tun. Es gibt allerdings auch eine staatliche vor einigen Jahren bei einigen Schulformen (wie Schulaufsicht. Diese hat per Grundgesetz die Auf- Grundschulen) massiv herabgesetzt (auf etwa 13 %). sicht über das gesamte Schulwesen. Eine Normenkontrollklage dagegen scheiterte auch deshalb, weil Platzeck einen neuen Präsidenten beim In dieser Differenzierung liegt schon das Problem. Landesverfassungsgericht einsetzte, der offensicht- Denn im Hinblick auf die staatlichen Schulen ist es lich befangen war (fast wäre er auch vom Gericht schwer, Aufsicht und Betreiben deutlich zu trennen. selber als befangen abgelehnt worden – allerdings Dort ist das auch nicht nötig. Ganz anders bei Schu- wäre dann das Gericht ganz ohne Verwaltungs- len in freier Trägerschaft: Hier müssten die genann- rechtler gewesen). ten Bereiche ganz klar getrennt werden – werden es aber oft nicht, weil Schulverwaltungsbeamte so Vor wenigen Wochen verlor das Land Brandenburg sehr daran gewöhnt sind, Schule zu verwalten, dass die Revision beim OVG bezüglich der Einstellung sie gegenüber freien Schulen schnell übergriffig wer- von Honorarkräften für einen geringfügigen Einsatz: den, wenn man sie nicht zurechtweist. Ganz wenige Als einziges Bundesland hatte Brandenburg das – Schulverwaltungsbeamte haben hauptsächlich mit ohne nachvollziehbare Gründe – den freien Schulen Schulen in freier Trägerschaft zu tun und kennen quasi dadurch verboten, dass diese Lehrkräfte nicht diese feinen Unterscheidungen sehr genau. Die bezuschusst wurden und weil sonst die gesamte Schulaufsicht ist es gewohnt, an staatliche Schulen Genehmigung der Schule in Frage gestellt worden Anweisungen zu geben. In Bezug auf Schulen in wäre. Eine reine Schikane, für die die Steuerzahler freier Trägerschaft obliegt ihnen aber nur die Prüfung völlig unnötig durch zwei Instanzen hindurch und der Anerkennungs- und Genehmigungsvoraussetzun- etliche Jahre lang Prozesse zahlen mussten. So sollte gen. Das ist sehr viel weniger! Wenn Schulträger das staatliche Schulverwaltung nicht agieren! auch nicht wissen, fühlen diese sich dann manchmal bemüßigt, etwas umzusetzen, wofür es gar keine Summa summarum ist festzustellen, dass die Position rechtliche Grundlage gibt. von Schulen in freier Trägerschaft trotz lokaler perso- nen- und parteibedingter Widerstände in den letzten Und Schulbeamte hören auf die Politik. Eigentlich Jahrzehnten stärker geworden ist. Es ist mittlerweile müssten sie das gar nicht (außer der Staatssekretär), völlig selbstverständlich, freie Schulen als weder zum sie tun es aber. So bekommt Politik einen riesigen Staat noch zur Wirtschaft gehörig zu betrachten. Einfluss auf freie Schulen. Besonders gut zu sehen Den Kirchen mag das besonders leicht fallen, denn ist das in Brandenburg. sie können auf die längste Tradition zurückschauen. Denn Schulen wurden aus dem Geistesleben der Vor 20 Jahren war die Schulverwaltung von Bran- Kirche heraus geboren. Der Staat kam viel später denburg gegenüber freien Schulen sehr liberal dazu – was im 19. Jahrhundert eine gute Sache eingestellt. Das währte bis Minister Reiche, der auch war, weil er Schule, zumindest in Europa, für alle an zivilgesellschaftliche Verantwortung und Eigenini- zugänglich machte. tiative glaubte. Reiche wurde von Platzeck abgesägt. Dann installierte Platzeck marionettenartige Minister Heute geht es primär um die Frage, wie man Schule ohne Willen, mit einem katholischen Staatssekretär, am besten betreiben kann. Ob sich dafür ein riesiger der das eigentliche Sagen hatte. Nach außen hin Apparat von Schulverwaltungsbeamten eignet, die behauptete dieser, ein Freund von freien Schulen sich an sich ständig ändernden Vorgaben aus der zu sein, agierte aber faktisch gegen sie, wo er nur Politik orientieren müssen, sei angezweifelt. Die konnte – unlauter bis zum geht nicht mehr: Das ist staatliche Schule ist m.E. der letzte Rest eines kom- in der Brandenburger SPD nichts Ungewöhnliches munistischen Denkens. Überall ist der Kommunismus (siehe der neuste Skandal um den Mietpreis der gescheitert. Nur im Schulwesen versucht er noch zu Luxuswohnung von Herrn Speer). 20 Jahre an der überleben. Regierung ist zu viel, da entwickelt sich schiere Arroganz, ohne jegliche Korrekturen. Die Alternative dazu sollte aber nicht das Modell der „freien Marktwirtschaft“ sein. Das passt zur Schule Nach dem Weggang des erwähnten Staatssekretärs noch weniger als zur Wirtschaft. wurde der Bereich für Schulen in freier Trägerschaft komplett neu besetzt (auch aus Altersgründen), so Die einzig wirkliche Alternative ist ein freies Geistes- dass sich in Brandenburg zögerlich ein tendenziell leben – das es schon längst gibt. Alle meine Kollegen besseres Verhältnis anbahnt. in den beiden Arbeitsgemeinschaften freier Schulen arbeiten aus diesem Geist heraus. Man kann es auch Das ist in Berlin ganz anders. Dort geht die Ver- den dritten Sektor nennen. Das Bewusstsein, dass es waltung zunehmend kooperativ mit Vertretern von ein freies Geistesleben gibt und geben muss, das Schulen in freier Trägerschaft um – vielleicht auch, kräftig im Schulwesen mitmischt, ist überall, außer bei weil man gemerkt hat, dass das für alle Beteiligten ganz wenigen sozialistischen Fundamentalisten, die am besten ist. Seit Jahren wird gemeinsam und ein- es in Parlamenten immer wieder gibt, im Zunehmen. vernehmlich an einem neuen Finanzierungsmodell Auch wenn die Mehrheit noch bereit ist, sich vom auf Grundlage von Vollkosten gearbeitet, das in vormundschaftlichen Staat und von einer mächtigen einigen Jahren in Kraft treten könnte. Die Volksiniti- Wirtschaft bestimmen zu lassen, wächst die Minder- ative „Schule in Freiheit“ hat sicherlich auch dazu heit derer, die eigenständig aus den Impulsen eines beigetragen. freien Geisteslebens dagegen halten.

Sozialimpulse 1/16 35 Neue Studiengänge Neue Studiengänge

hat man, man muss sie aber auch tragen können“, erläutert Prof. Dr. Harald Schwaetzer, Vizepräsident Initiativen und Professor für Philosophie, in einem seiner typi- schen lapidaren Sätze. und Termine Drei Perspektiven auf „Soziale Verantwortung“ sind deswegen aus seiner Sicht entscheidend: Nur ein Blick auf die europäische Kultur- und Geistesge- schichte lehrt erstens, an welchem Ort wir stehen und von wo wir kommen. Zweitens müssen wir systematisch reflektieren, auf welchen Vorausset- zungen die gegenwärtige Gestaltung der Gesell- schaft beruht, um sie zu prüfen, blinde Flecken zu entdecken, Grundlagen neu und anders zu fassen oder weiterzuentwickeln. Drittens benötigen wir im Der freie Geist bewegt sich Studium wieder Realitätsnähe: Es bedarf der kon- kreten Erfahrung, um Welt zu verstehen. Auf diese selbst – eine Hochschule für Weise sind eine Philosophie, die dem geistigen Erbe bewusst ein Mitspracherecht einräumt, und eine kri- Philosophie und Ökonomie tische Ökonomie, die zu gesellschaftlicher Reflexion und Umgestaltung führt, sehr eng verbunden – eine an der Mosel zugleich konservative und progressive Mischung. n Bernkastel-Kues hat im vergangenen Jahr die I Cusanus Hochschule ihren Lehrbetrieb mit Studien- Dieses dreifache Wechselspiel zwischen Theorie gängen in Philosophie und Ökonomie gestartet. Zum und Praxis ist in beiden Studiengängen selbst ein Wintersemester startet die Hochschule zusätzlich zu Ausdruck von konkreter sozialer Verantwortung; ihren beiden Master-Studiengängen in Philosophie mehr noch: Was an der Hochschule gelehrt wird und und Ökonomie auch zwei gleichnamige Bachelor- was die Hochschule selbst ist, das fällt zusammen. studiengänge. Man erlebt einen Ort, an dem Verantwortung für eine gegenwartsadäquate Bildung getragen wird. Die beiden Studiengänge der Ökonomie, der Ba- chelor wie der Master, setzen konsequent auf eine Die beiden Bachelor-Studiengänge bilden den Unter- Reformulierung der Ökonomie, gestützt auf philo- bau zu den Master-Studiengängen. Verantwortung sophische Reflexion, Kulturgeschichte und konkrete tragen zu können – das schließt ein, die Fähigkeit Praxis. Die Intensität, der unmittelbare Austausch in zu üben, richtige Fragen zu stellen. Der Masterstu- kleinen Gruppen und mit den Professorinnen und diengang für Philosophie ist ein solcher Frage- und Professoren, ein Studium in Blockphasen – all das Bildungsweg. Von der Forschungswerkstatt, über lässt das Studieren an der Cusanus Hochschule zu das Forschungsprojekt bis in die Masterarbeit bil- etwas Besonderem werden. det er den Kern des Studiums. Dabei erkunden die Studierenden die Frage nach dem Wesen von Phi- Die Cusanus Hochschule ist eine staatlich anerkannte losophie im Kontext der europäischen Geistes- und Hochschule in freier Trägerschaft. Ihre Abschlüsse Ideengeschichte sowie von Bildung und Biographie, sind denen staatlicher Hochschulen gleichgestellt. vertiefen die Fähigkeiten des Wahrnehmens und Ihr Bildungsideal freilich ist ein wenig anders. Es geht Verstehens unter der Frage nach dem Wesen des bis ins 15. Jahrhundert auf Nikolaus von Kues, ihren Menschen, weiten den Blick über die eigenen Kul- Namensgeber, zurück. Der große humanistische Uni- turgrenzen hinaus und fragen nach Horizonten von versalgelehrte erkannte die menschliche Fähigkeit zur Begegnung und Gemeinschaft, um von dort aus den aktiven Selbstgestaltung als wesentliches Element des Prozess geistiger Bildung im Kontext von Kreativität Bildungsprozesses. Diese Einsicht ist Leitgedanke aller und Freiheit zu reflektieren. So wird Philosophie als Studiengänge: Cusanus versteht die freie Individuali- existentielle Geisteswissenschaft neu gegriffen: Je tät des Menschen als Quelle von Wissenschaft und genauer man den Geist in seiner Fragwürdigkeit Kultur, von Gesellschaft und Gemeinschaft sowie des erfasst, desto mehr Leben entwickelt er. lebendigen Zusammenspiels von Theorie und Praxis. Im Master Ökonomie werden die Einflüsse der Zum Wintersemester 2016 starten an der Hochschu- Wirtschaftswissenschaften auf alltägliches Handeln, le zwei Bachelorstudiengänge, „Philosophie“ und Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft erforscht „Ökonomie“. Beide haben einen Schwerpunkt in – und umgekehrt. Gefördert wird die intensive Aus- ‚Sozialer Verantwortung‘. Die Hochschule reagiert einandersetzung mit der Geschichte des Denkens damit auf die vielen Krisen im gesellschaftlichen und über Wirtschaft und Gesellschaft sowie mit der ökonomischen Bereich und auf Orientierungslosigkeit Kulturgeschichte. Der Anspruch ist, verschüttete Alter- und Unsicherheit, fragt, wie damit umzugehen ist. nativen zur heutigen Lehre aufzuzeigen und für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Im Studium geht Es kommt ihr darauf an, junge Menschen zu befähi- es um ein Verständnis der komplexen Realität – um gen, gegenwärtige Probleme konkret zu verstehen Akteure der Wirtschaft und ihre Einflüsse sowie um und daraus Gestaltungsmöglichkeiten zu gewinnen: Krisen der und Alternativen zur Marktwirtschaft. Wir aus Erkenntnis handeln zu können. „Verantwortung erforschen die Ökonomisierung der Lebenswelten

36 Sozialimpulse 1/16 Internationales Kulturzentrum Achberg Internationales Kulturzentrum Achberg und die (Neu)Gestaltung von Institutionen sowie von derung uns heute (noch) bedeuten? Bei der Arbeit Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen. an dem Buch ist uns erneut klar geworden, welche starke Anregungen damals von „Achberg“ ausge- In allen Studiengängen verankert sind die „Studia hu- gangen sind und wie unterschiedlich die Beteiligten manitatis“; sie bieten Raum für eine humanistische und diese – oft und gerade auch weit weg von Achberg universalistische Selbstbildung. Insgesamt geht es um – an ihren jeweiligen Wohn- und Arbeitsorten ver- die Entwicklung als Selbstdenker – mit methodischer wirklicht haben. Unterstützung jenseits einer reinen Reproduktion von Fachwissen oder der Ausbildung bloß technischer Das Wochenende im Humboldt-Haus soll Gelegen- Berufsfertigkeiten. In engem Austausch mit Lehrenden heit bieten, sich auch über Achberg-Generationen und im intensiven gemeinsamen Dialog entsteht ein hinweg auszutauschen. Dabei soll es weniger darum Raum, um den je eigenen Bildungsweg in gemeinsa- gehen, in der Vergangenheit zu schwelgen. (Das mem Denken und im wissenschaftlichen Diskurs zu darf aber auch sein: Bringt „alte“ Dokumente, wie situieren. Fotos etc. mit!) Vielmehr geht es uns um eine neugie- rige Haltung mit der Frage: Wie ist es Euch mit dem Die gemeinnützige Hochschule ist zwar staatlich Achberg-Impuls ergangen und was konntet Ihr davon anerkannt, aber nicht staatlich finanziert. Sie ist eine für Euer Leben mitnehmen bzw. daraus gestalten? akademische Selbstgründung von Professoren und Studierenden, aber mit großer Beteiligung von Re- Hierzu sind alle Beteiligten herzlich eingeladen! gion und Bürgern. Mittlere und kleine Spenden Für das Treffen bitten wir (nicht zuletzt wegen der tragen die Hochschule – ein gleichfalls neues, in der Belegung des Humboldt-Hauses) um baldige An- Bildungslandschaft ungewohntes unternehmerisches meldung! Konzept. Es sichert die Unabhängigkeit der Hoch- Ramon Brüll, [email protected] schule und verdeutlicht zugleich, was bildungspoli- Rainer Rappmann, [email protected] tisch auf dem Spiele steht. Die Hochschule in ihrer Existenz ist eine Frage danach, welche Bildung wir Am Vorabend, Freitag 22. April, 20.00 Uhr, findet wollen. „Denken, was wir handelnd zu verantworten eine öffentliche Buchpräsentation unter Mitwirkung haben“ lautet im Rückgriff auf den Theologen und mehrerer der Autoren sowie mit Vorführung des Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer das Motto Dokumentarfilms statt. Musik: Vietz Kremitz. Ver- des Instituts für Philosophie – stellvertretend für die anstalter sind die Waldorfschule Wangen und der Hochschule. Das gilt auch für unsere Gesellschaft Verein Soziale Skulptur. Ort: Freie Waldorfschule und unseren Bildungsauftrag. Wangen, Rudolf-Steiner-Straße 4.

Kontakt: Dr. Matthias Fechner: Bachelor. [email protected], Ramon Brüll, Rainer Rappmann (Hg.): [email protected] | FREIHEIT, GLEICHHEIT, BRÜDERLICHKEIT? Dr. Lydia Fechner: Bachelor.philosophie@ Der Impuls der Dreigliederung und cusanus-hochschule.de, Master.philosophie@ cusanus-hochschule.de | Weitere Informationen die Gründung des Internationalen und Kontaktdaten unter www.cusanus-hochschule. Kulturzentrum Achberg de, www.cusanus-hochschule.de/kontakt. Erinnerungen, Reflexionen, Ausblicke Mit Dokumentarfilm auf DVD: Impressionen aus der Anfangszeit und vom Achberger Jahreskongress Dritter Weg 1974. Die Gründung des Info3-Verlag, Frankfurt am Main / FIU-Verlag, Ach- Internationalen berg. Erscheint ca. Februar 2016, 208 Seiten, Bro- schur mit ergänzender DVD, € 24,00. ISBN 978-3- Kulturzentrums Achberg 95779-035-4 (Info3-Verlag) und 978-3-928780-39- 1 (FIU-Verlag). Erhältlich in jeder Buchhandlung sowie Einladung an alle, die einmal von im Versand bei den beiden Verlagen. Achberg bzw. dem INKA „berührt“ wurden

Humboldt-Haus Achberg-Esseratsweiler Samstag, 23. April, 9.00 bis Sonntag, 24. April, 14.00 Future Finance nlässlich des Erscheinens unseres Buches Banking on Values in a Digital World A „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?“ über die Gründungsjahre des INKA laden wir zu einem Treffen für alle ein, die einmal vom Achberg-Impuls nter diesem Titel findet vom 26. Juni bis 1. Juli berührt worden sind. U 2016 die 9. International Summer School 2016 des Institute for Social Banking in Tallinn, Estland, Was haben wir damals gewollt? Was ist daraus statt. Mitveranstalter ist die Spar- und Darlehenskas- geworden? Und: Was kann der Impuls der Dreiglie- se Hea Koostöö, Partnerorganisation des Instituts.

Sozialimpulse 1/16 37 Veranstaltungen Veranstaltungen

Bei der Summer School (in englischer Sprache) gibt Zweiter Geldgipfel es die einmalige Möglichkeit zur Begegnung mit Re- präsenten des „values based“ Bank- und Finanzsek- tors und des digitalen Finanztechnologie-Sektors in Homo civilis et oeconomicus – vom einer interessanten Arbeitsatmosphäre. Sie werden Fußabdruck zum Handabdruck vieles über das Thema lernen und in Verbindung damit digitale Tools kreieren sowie Chancen und ie GLS Bank Stiftung lädt zum 2. Geldgipfel Herausforderungen betrachten. Es besteht auch D am 21./ 22. Mai an der Universität Witten/ die Möglichkeiten, nach der Veranstaltung Estland Herdecke ein. Das Menschenbild des homo oe- kennenzulernen. conomicus hat Lehre und Praxis der Volks- und Betriebswirtschaft nachhaltig geprägt: Rationalität Nähere Informationen findet man auf der Website zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil – egal, wie des Instituts unter http://www.social-banking.org/ groß der soziale und ökologische Fußabdruck für summer-school/summer-school-2016/ Kontaktadres- die nationale und internationale Volkswirtschaft und se: Institute for Social Banking, Alfred-Herrhausen- für zukünftige Generationen ist. Str. 44, 58455 Witten Germany, Phone: +49 (0)234 60 600 135, Fax: +49 (0)234 60 600 133, www. Auf dem Geldgipfel wollen wir den „homo civilis social-banking.org et oeconomicus“ ins Blickfeld rücken – den Hand- abdruck jener Menschen und Gruppen, für die realwirtschaftliche Wertschöpfung den Zweck hat, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedürfnisse von Menschen zu befrieden. Das Verhältnis der Wirtschaft zur Gesellschaft muss sich ändern, Demetrius ebenso der Blickwinkel der Gesellschaft auf die Wirtschaft. Dimitrij Samoswanez (der sich selbst Berufende) Ab der ersten Aprilhälfte sind online Anmeldungen möglich. Weitere Informationen unter www.glsbank- Vorankündigung einer öffentlichen Tagung stiftung.de/besucherinnen/geldgipfel-2016/ vom 8. bis 10. Januar 2017 in Achberg/Wangen i. Allgäu

In Zusammenarbeit der Christengemeinschaft Wangen mit dem Internationalen Kulturzentrum Achberg und Klimapolitik und dem Kaspar Hauser Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft Wangen, unter Mitwirkung von Karl internationale Gerechtigkeit Dieter Bodack, Christoph Klipstein, Werner Kuhfuss, Markus Osterrieder und anderen. Tagung vom 9. bis 10. April 2016 in Bad Boll erade in der Klimapolitik zeigt sich die Unfä- Christoph Klipstein G higkeit grundsatzloser Praktiker, wirklich nach- haltige Lösungen für die Probleme zu finden und zu ätselhaft und wenig bekannt ist die Gestalt des realisieren. Resignation droht sich auszubreiten, die R Demetrius – geblieben ist allenfalls eine Ahnung, noch verstärkt wird durch die Flüchtlingskrise und die dass Schiller Großes, ja für Europa Bedeutsames, Sorgen um Krieg und Frieden. Die Tagung soll die mit seinem Drama „Demetrius oder die Bluthochzeit Einsicht vermitteln, dass sich bei gesellschaftlichen zu Moskau“ ins Auge gefasst hatte, welches zu Problemen grundsätzliches Denken und wirklich vollenden ihm sein früher Tod nicht gestattet hatte. praktikable Lösungen nicht ausschließen, sondern einander bedingen. „Was durch Demetrius gewollt war“: historisch wurde es durch Mord verhindert, wurde „ungewordene Themen: Das Klimaproblem als Menschheitsproblem Geschichte“ – wie die Mission Kaspar Hausers. | Grundsatzprobleme internationaler Klimaverhand- Und wie Kaspar Hauser wurde Dimitrij von seinen lungen | Europäischer Emissionshandel und nationale Gegnern ermordet, als Betrüger verhöhnt und sein Klimapolitiken | Die Nutzung der Atmosphäre als Andenken verfälscht. begrenzter Aufnahmespeicher für CO2- Emissionen – Wege zur Lösung eines Verteilungskonflikts | Zur Was sagt die „ungewordene Geschichte Russlands“ Rolle der Einzelstaaten in einer zukünftigen Welt- für unsere Zeit mit ihren Krisen in der Ukraine, in Klimaordnung | Klimapolitik als Lernfeld für den Nah-Ost und den Flüchtlingsströmen nach Europa? Umgang mit anderen globalen Ressourcen | Was ist Gibt es Zuammenhänge mit den wesentlichen kurz-, was mittel- und was langfristig zu tun? Perspektiven der Weltmission der Rosenkreuzer: „Allgemeine und General Reformation der gantzen Mitwirkende: Fritz Andres, Kirn | Prof. Dr. Joachim weiten Welt“ (Fama fraternitatis, anno 1614)? Weimann, Universität Magdeburg | Eckhard Beh- rens, Heidelberg Näheres zur Tagung wird noch bekannt gegeben – auch im Netz unter Google Suche: Internationales 09:30 Öffnung des Tagungsbüros, 10:00 Beginn, Kulturzentrum Achberg, Achberger Tagungen. 12.00 Ende der Tagung. Tagungsort: Schule der

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Freiheit, Badstraße 35, 73087 Bad Boll, Tel. 07164- Strawe, Institut für Soziale Gegenwartsfragen. 3573. Nähere Info: www.sffo.de; [email protected] Moderation: Reimund Acker, Netzwerkrat Grund- einkommen

Vorankündigung In der Schweiz wird am 5. Juni erstmalig über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. Es folgen Tagungen zu den Themen Auch bei uns wird diese Idee rege diskutiert. – Flüchtlingskrise: 30. April bis 1. Mai 2016 – Krieg überall: 28. bis 29. Mai 2016 Das Prinzip: Jeder Bürger erhält monatlich einen Geldbetrag in ausreichender Höhe für ein würdiges Näheres unter: www.sffo.de Leben – ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Pflicht zur Gegenleistung. Die Initiatoren der Abstimmung erhoffen sich noch kein positives Ergebnis, wohl aber eine ausgiebige öffentliche Diskussion dieses „Kulturimpulses“. Veranstaltungen Die Aspekte des Bedingungslosen Grundeinkom- im Forum 3 mens sind Legion: Selbstbestimmung des Bürgers, Dividende des gesellschaftlichen Erbes, Ermögli- Freitag, 8. April, 19.30 Uhr: Gabriela Reinwald: chungsgeld, Demokratiepauschale, Steuerfreibetrag Willst Du recht haben oder Zukunft gestalten? usw. Neben der Auslotung dieser unterschiedlichen Zugänge wird auch das im Laufe des Nachmittags Freitag, 15. April, 19.30 Uhr: Dr. Yeshayahu Ben- erwartete Abstimmungsergebnis aktuell bewertet. Aharon: Vertrauen! – Schenken, Verlieren und Hoffen Veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Initiative Grundeinkommen Stuttgart e.V. Montag, 18. April, 19.30 Uhr: Thomas Mayer: Meditation

Freitag, 29. April, 19.30 Uhr: Klara Tihomirov: Jugend in Begegnung. Du und ich – ZWISCHENFRAGEN Termine der Freien Donnerstag, 5. Mai 19.30 / Freitag, 6. Mai 19.30 Bildungsstiftung / Samstag, 7. Mai 19.30: Orland Bishop und Ulrich Morgenthaler: 12 Tage Jetzt - Drei Vortragsgespräche Freie Sommeruniversität Freitag, 20. Mai, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Rainer Maus- Mo., 25. bis So., 31. Juli 2016 feld: Warum schweigen die Lämmer? u.a. mit Dr. Thomas Hardtmuth, Jens Göken, Clara Montag, 30. Mai, 19.30 Uhr: Dr. Hans-Bernd Neu- Steinkellner, Thomas Brunner mann und Dr. Wolfgang Streit: Licht ohne Wärme macht krank Ort: Schloss Niederspree, Rietschen (bei Görlitz)

Freitag, 3. Juni, 19.30 Uhr: Armen Tõugu: Volksschick- sal und einzelner Mensch Geist & Kapital

Freitag, 3. Juni und Samstag, 4. Juni: Stuttgart Open Von der fremd-verwalteten zur Fair: Säen fur die Stadt von morgen selbst-gestaltenden Gesellschaft Öffentlicher Kongress, Ort: Forum 3, Gymnasiumstr. 21, 70173 Stuttgart, Do., 27. bis So. 30. Oktober 2016 www.forum3.de u.a. mit Prof. Dr. Silja Graupe, Udo Herrmannstorfer, Prof. Dr. Heinz-Dieter Meyer, Manfred Kannenberg, Stephan Eisenhut, Corinna Gleide, Prof. Dr. Salva- tore Lavecchia, Clara Steinkellner, Thomas Brunner

Aspekte eines Ort: Spreewerkstätten (ehemalige Münzprägestätte) Grundeinkommens Berlin Alexanderplatz / Janowitzbrücke Über das bedingungslose Grundeinkommen und die Volksabstimmung in der Schweiz Nähere Informationen: Sonntag, 5. Juni, 19.00 Uhr, Forum 3 Thomas Brunner, Tel. 0355-4887480 iskussion mit Sarah Händel, Mehr Demokratie [email protected] D – Werner Rätz, Attac – Bernhard Steiner, Autor www.freiebildungsstiftung.de und Grundeinkommensexperte – Dr. Christoph

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1 damalige Funktion nicht unter den Tisch fallen lassen. Immerhin war es der Erzengel Gabriel, der Zuschriften nach dem Koran den Propheten Mohammed inspi- rierte. Arfst Wagner, Tetenhusen, lohengrin-verlag@ t-online.de>

Zum Artikel „Der Hinter­ Zum Interview mit Friedrich grund des islamischen Glasl in der September- Staates und die Terror­ Ausgabe 2015 anschläge von Paris” Walter Hollmann Arfst Wagner it vielem bin ich einverstanden, aber ein paar n Christoph Strawes Bericht über Bruno Sandküh- M Punkte sind einseitig oder wurden vergessen. I lers Vortrag zum Hintergrund des sogenannten Islamischen Staates wird auch eine Äußerung des - Einkreisungspolitik der Nato. Kein Land wurde Vortragenden über das Verhältnis der islamischen in die NATO gezwungen, alle haben sie gebeten Wissenschaft in der Zeit der Abbassiden-Dynastie aufgenommen zu werden. Die NATO ist ein Vertei- zum Impuls von Gondhi-Shapur erwähnt. Hierzu digungsbündnis, weil, platt gesagt, Demokratien das muss ergänzend gesagt werden, dass, wenn man Problem haben, Tote, Verwundete und Kosten eines die Aussagen Rudolf Steiners über das Verhältnis Krieges vor ihren Wählern zu verantworten. Wer des Islam zum Impuls von Gondhi-Shapur zusam- bitte wäre so hirnverbrannt blöd, eine Atommacht menfasst, der Islam von den auch das Christentum mit einer Riesenarmee anzugreifen? inspirierenden Mächten geschaffen wurde, um dem Impuls von Gondhi-Shapur etwas entgegenzustellen, - Annexion der Krim. Was machen russische Solda- ja, geradezu die Menschheit durch den Islam vor ten auf der Krim? Am Anfang war das ja irgendwie diesem Impuls zu schützen. komisch, innerhalb von Tagen wimmelt es auf der Krim von „Herren“ mit Kriegswaffen aber ohne Der frühe Islam sollte den Impuls von Gondhi-Shapur Nationalitätenkennzeichen, Putin wird gefragt, ob und seine Weisheit „abstumpfen“, um ein bestimmtes das russische Soldaten sind und er leugnet es ab Verhältnis des menschlichen Denkens zum Kosmos und sagt: „Solche Unifomen kann man in jedem nicht zu früh in die Menschheit fließen zu lassen, das Supermarkt kaufen“. Und jetzt kommt das Problem: die Entwicklung der freien Individualität praktisch Waffenträger ohne Kennzeichen sind Partisanen unmöglich gemacht hätte. und die haben bekanntlich keine Rechte. Als näch- stes stellt sich die Frage: Wer hat die Abnahme der Diese Zusammenhänge hat Frank Linde in dem Kennzeichen angeordnet? Ein solcher Befehl kann von ihm verfassten Flensburger Heft Nr. 60 : „Die nur von ganz oben kommen, von Putin persönlich. Impulse des Bösen am Jahrhundertende” (Flensburg Welche Schande wäre es für jeden Präsidenten 1998, S. 82 – S. 129) beschrieben. eines Rechtsstaates und für die ganze Befehlskette vom Minister bis zum Zugführer, dass man Tausende Durch die Übersetzung von Aristoteles und anderen Soldaten zu Partisanen degradiert! Präsident Putin griechischen Philosophen ins Arabische und den und die russische Armee schämen sich nicht. damit verbundenen Übersetzungsproblemen gelang es dem Impuls von Gondhi-Shapur sogar in die mo- - Wo sind die humanitären Gründe, die Krim zu derne europäische Wissenschaft hinein zu wirken, annektieren? was letztlich entscheidend zu ihrer materialistischen Ausprägung führte, wie sie von Roger und Francis - Die Rolle der russischen Propaganda: Ich habe mir Bacon inauguriert wurde. So wurden beispielsweise mal die Mühe gemacht RT (Russia today) anzuschau- die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Kern- en, da weiß man wieder, was verdrehte, einseitige energie bereits in dieser Zeit veranlagt. und auch bewusst falsche Information ist, nämlich Propaganda. (Natürlich hat jeder Journalist das Natürlich kann man nicht sagen, dass der heutige Recht seine Meinung als Kommentar einzubringen, Islam nach fast eineinhalb Jahrtausenden noch der aber die Fakten müssen stimmen und, soweit mög- ist, der er seinerzeit als Bollwerk gegen den Impuls lich, objektiv dargestellt sein.) von Gondhi-Shapur war. Dennoch sollte man diese Wie soll man dieses Tarnen und Täuschen des Kreml

1 Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften zu kürzen bzw. unter nennen? Ich nenne es „Kasperl-Theater“ und für den Zuschriften auszuwählen. Präsidenten einer Atommacht unwürdig.

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Zum Interview mit Otto Ulrich über den Weltklima­ Literatur vertrag in Heft 4/15

Michael Kalisch

Die zentralen Kritikpunkte zusammengefasst:2

- Begriffe bleiben undifferenziert und diffus – etwa Wachstum, Klimagerechtigkeit u.a. Frederic Laloux: Reinventing Organisations - Im Zentrum steht der Begriff Klimaschutz. Klima durch manipulatives „Stoppen“ eines Erwärmungsprozesses Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender bei einer Wunschtemperatur (etwa 1,5°) „stabilisie- Formen der Zusammenarbeit ren“ zu können, ist eine absurde Behauptung. Übersetzung Mike Kauschke, gebundene Ausgabe, 356 - Die verbreitete Überzeugung, die anthropogen Seiten, Verlag: Vahlen; 1. Auflage (30. April 2015), durch CO2 getriebene Erwärmungskatastrophe sei Sprache: Deutsch, ISBN: 978-3800649136, EUR 39,80 erwiesen, stützt sich auf Autorität und soziologische Prozesse einer „Binnenanerkennung“, aber keine Evi- Alfred Groff denz. Wahrheit kann nicht in demokratieähnlichen Verfahren durch Mehrheit bestimmt werden. inder lernen gerne. Sie ahmen lustvoll nach, weil - Unverstandene, aber „gefühlte“ Phänomene wie Ksie es aus innerer Motivation heraus tun. In den veränderte Wetterzustände werden als „Beweise“ meisten öffentlichen Schule werden sie von außen für diese Katastrophe bemüht. Das ist ein Rückfall in nach einem staatlich vorgegebenen Schulprogramm vorwissenschaftliche „Erkenntnismethoden“. zu mehr Leistung getrieben. Dies ist ihrer Lernlust abträglich, die dann meistens rasch schwindet. Aber - Grundlegende Kenntnisse in Physik, Elektrotechnik vielleicht ist es ja gerade der Zweck dieser Art von u.a. sind zu vermissen. Schule, den Kindern beizubringen, stundenlang etwas zu tun, was eigentlich ihrem Wesen nicht - Die Befürwortung eines autoritär und gerade nicht entspricht. Damit werden sie auf eine Berufswelt demokratisch legitimierten „Zivilisationsumbaus“ von vorbereitet, in der die Anliegen des Einzelnen kaum oben – durch staatliche Lenkungsmaßnahmen wie zählen. Studien zeigen, dass die meisten am Arbeits- CO2-Restriktionen, ergänzt durch gezielte „Klima“-Pä- platz eher unzufrieden sind oder gar krank werden. dagogik von klein auf – steht in diametralem Gegensatz Dass das aber nicht so sein muss, zeigt das Buch zu grundlegenden Prinzipien der Dreigliederung: Das „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux auf Geistesleben soll sich frei von Ideologisierung entfalten, eindrucksvolle Weise. das Wirtschaftsleben frei von Eingriffen des Staates aus seinem eigenen Sachverstand heraus. Laloux geht der Frage nach, wie sich Organisati- onen auf einer integralen evolutionären Bewusst- - Ein „anderer Zivilisationstyp“ wird gefordert: weg seinsstufe manifestieren. Die meisten Unterneh- von der kohlenstoffbasierten Energiegewinnung; es men funktionieren heutzutage immer noch nach wird aber nicht untersucht, ob die vorgeschlagene traditionellen Mustern, bestimmt von formellen All-Lösung in der realen Welt (physikalische Gesetze) konformistischen Hierarchien, nach dem modernen funktionieren kann, ob folglich eine „Energiewende“ leistungsorientierten Paradigma oder bestenfalls weltweit, nach dem Muster Deutschlands, überhaupt nach einer postmodernen Sichtweise, die etwa auf gelingen kann. Das hier verfolgte Denken ist nicht motivationsförderndes Empowerment setzt. Laloux wirklichkeitsgemäß. Die zentrale Forderung der „De- untersuchte 12 Organisationen aus verschiedenen karbonisierung“ der gesamten Weltwirtschaft ist aus Ländern mit jeweils mindestens 100 Mitarbeitern physikalischen Gründen nicht realisierbar und führt und fand dabei drei zukunftsweisende Dimensio- auch nicht zu einer Lösung der „Klimaprobleme“. nen heraus: Selbstführung ohne Hierarchie, Sich- Einbringen als ganzer Mensch und Hinhören, um - Wir haben es mit der Propagierung einer Art von herauszufinden, welchem evolutionären Sinn die menschheitsweitem sozialistischem Experiment mit Organisation dienen will. unbekanntem Ausgang zu tun, das die sozialis- tischen Experimente des 20. Jhs. in Russland usw. Strukturen, Arbeitsprozesse, allgemeine Praktiken insofern „überhöht“, als hier der wirtschaftspolitisch und Personalprozesse der Musterorganisationen aufgezwungene Altruismus sich nicht mehr auf den- werden beschrieben und mit teilweise erstaunli- Menschen selbst, sondern auf ein zu stabilisierendes chen Berichten untermalt. Erfahrungen einzelner „Klima“ richtet, abstrakt gesagt: Mutter Natur. Firmen und die spannende Schilderung einzelner Schicksale machen das Buch zu einem lebendigen

2 Die 25 Seiten umfassende Kritik von Michael Kalisch kann als Erlebnis. Die Frage, welche Bedingungen gegeben Datei beim Autor angefordert werden. E-Mail: [email protected] sein müssen, wenn man eine evolutionäre Orga-

Sozialimpulse 1/16 41 Frederic Laloux Frederic Laloux

nisation, sei es ein Konsumgüter produzierendes Alles in allem ist dies ein hervorragendes Buch, le- Unternehmen, ein Krankenhaus oder eine Schule, senwert für all diejenigen, die sich Gedanken über gründen oder eine bestehende Organisation die Zukunft machen und die nicht nur meinen, dass verändern möchte, werden erörtert. Das Buch sich die Welt verändern sollte, sie selbst aber bei all kann also einen ganz praktischen Wert haben, den Veränderungen außen vor bleiben dürften. wenn man wirklich aktiv werden möchte. Eines der Ergebnisse der Untersuchungen besagt: „Auf der integralen evolutionären Stufe richten sich die Menschen […] nach einer intrinsischen Motivation – ihr Handeln richtet sich nach inneren Werten Bemerkung und Grundannahmen.“ Michael Wilhelmi Was vielen Menschen in jungen Jahren verloren ging, kann jetzt in zukunftsweisenden Organi- uf dem Treffen der Initiative Netzwerk Drei- sationen nachgeholt werden. Dort wird man als A gliederung Anfang Dezember letzten Jahres ganzheitlicher Mensch gefordert. Man findet eine in Berlin hatte ich zwei Fragen gestellt, auf die ich Arbeit, deren Sinn man teilt und die weit über das damals weder im positiven noch im kritischen Sinn Geldverdienen oder Machtausüben hinausgeht. eine Antwort erhielt. Die erste: Wie lange wollen Interessanterweise sind die Gewinne, die dort wir noch warten, dass andere endlich zu uns kom- nur sekundär angestrebt werden, in evolutionären men, wenn wir kein Interesse haben, auch mal zu Unternehmen oft höher als in konventionellen Un- den anderen zu gehen und dort als Sauerteig zu ternehmen. wirken? Die zweite: Können wir uns vorstellen, dass andere auch ohne die Dreigliederungsidee eventu- Warum sollte dieses Buch, aus der integralen ell schon weiter gekommen sind als wir? Denn die Szene, nicht von einem Adepten der sozialen Dreigliederung „arbeitet doch in den Tatsachen“, Dreigliederung geschrieben, Dreigliederer dennoch also ziemlich selbständig. interessieren? Einige Überschriften des Kapitels „Wie könnte eine integrale evolutionäre Gesellschaft Das Buch von Laloux hat mir nun wenigstens die aussehen?“ können erste Hinweise geben: Null- zweite Frage sehr eindeutig beantwortet: Man kann wachstum und Wirtschaft in geschlossenen Kreisen, also auch ohne diese Idee, wenn man nur ein offe- alternativer Konsum, alternative Geldsysteme, vom nes Ohr für die Tatsachen hat, auf diese Wirkungen Eigentümer zum Verwalter, evolutionäre Demokratie kommen. Denn die beschriebenen Betriebe arbeiten oder spirituelle Wiederverzauberung. Organisatio- alle in der Art, wie Steiner ein dreigegliedertes nen wie Betriebe, Schulen oder Kliniken werden Unternehmen beschrieben hat: freie Unternehmer- nicht, wie üblich aus einer leistungsorientierten initiative, kollegiales Vertragsverhältnis, gemeinsame Perspektive, als seelenlos und maschinenähnlich Kapitalverwaltung! Eine echte Überraschung vom gesehen, sondern als lebende Organismen oder Zeitgeist! Vielleicht auch für uns eine Anregung zu lebendige Systeme. mehr Dialog?

Die Themen Freiheit und Selbstverwaltung sowie Gleichberechtigung klingen an, wenn die Rede ist von Arbeitern, die zu selbstführenden und gleich- berechtigten Mitarbeitern werden, die ihre eigenen Das Lebendige – Fähigkeiten voll ausleben können und von denen jeder prinzipiell jede Entscheidung treffen kann, Gegengewichte zum wenn er sich den Rat der Mitbetroffenen eingeholt hat. Basierend auf dem Beratungsprinzip ist die digitalen Aufbruch schaffen Entscheidungsfindung vollkommen dezentralisiert. Neben Selbstführung ist die Suche nach Ganzheit, Werner Merker: Vom mechanistischen indem sich der Mensch mit seinem ganzen Mensch- zum organischen Denken. Wege sein einbringen kann, ein zentrales Anliegen evo- zur Erkenntnis des Lebendigen lutionärer Organisationen. MV-Wissenschaft Münster 2015, 264 S., ISBN: Der dritte Pfeiler heißt: „Auf den evolutionären 978-3-95645-469-1; Preis EUR 15,90 Sinn hören“. Dabei klingt das Brüderlichkeits- prinzip an, etwa in der Aussage: Wenn eine Otto Ulrich Organisation wirklich für ihren Sinn lebt, dann gibt es keine Konkurrenz. Sinnvolle Assoziationen er „jetzt noch Visionen hat, sollte zum Arzt werden Wirklichkeit und Konkurrenten wird Hilfe W gehen“. – Wieso sind solche in den großen angeboten. Kunden und Zulieferer werden bei Zeitungen zu lesenden Überschriften ganz aktuell? der Sinnverwirklichung einbezogen. Da heißt es Oder: „Silicon Valley: Wo der Mensch als Schwach- dann: Im nächsten Schritt- der integralen evolutio- stelle gilt“. Was steckt dahinter? Was ist da passiert? nären Perspektive – werden Organisationen nicht länger als Eigentum gesehen, nicht einmal mehr Eindeutig, die Digitaldebatte verschärft sich. Die als geteiltes Eigentum, das den unterschiedlichen abendländische Philosophie implodiert, sie kann die Interessensgruppen dient. Kinder ihrer reduktionistischen Weltbetrachtung – die

42 Sozialimpulse 1/16 Roland Geitmann Roland Geitmann von ihr seit dem 16. Jahrhundert gepflegte, forcierte Roland Geitmann: Auflösung des Lebendigen in Teile, in Moleküle, in Atome, heute gar in Nullen und Einsen, in binäre Sozialökonomische Codes, die das Lebendige repräsentieren sollen, aber nur das Tote, das Gewordene erfassen – nicht Weisheitsschätze der mehr bändigen. Religionen1 Die europäische Aufklärung ist an ihrem Ende: Algo- Herausgegeben von Dieter Fauth als Band 1 der rithmen zwingen uns herab, primär als Knöpfchen- „Religionen in sozialökonomischer Sicht“. Zell am drücker, Computer bedienend, zu agieren. Vernetzte Main: Verlag Religion & Kultur, 2016. 239 Seiten, digitale Netzwerke spinnen die massenhaften Nutzer 20 EUR, ISBN 978-3-933891-28-0 hinein in eine wuchernde globale Apps-Kultur – im Kern hinein in ein digital vernetztes Gefängnis, in Christof Karner dem, in der Tat, das Werdende, das Lebendige, oland Geitmann (1941-2013) gilt als wichtiger keine Chance hat. Dort herrscht die Orientierung am RVertreter der „jüngeren“ Freiwirtschaftsbewegung. Toten – welch ein Phyrrussieg der sich aufklärerisch Als langjähriger Vorsitzender des Vereins „Christen für gebenden sogenannten Moderne. Sie ist tot, erhebt gerechte Wirtschaftsordnung“ (CGW) repräsentierte aber, mächtiger denn je, ihre digitale Fratze. Sie er den spirituell-christlichen Zweig der Freiwirtschafts- lässt, bleibt es dabei, keine Visionen zu – siehe oben. lehre, der – neben der libertär-sozialistischen und liberalbürgerlichen Variante – bis in die Entstehungszeit Wir müssen, um als Menschheit eine Zukunft zu der von Silvio Gesell entworfenen soziökonomischen haben, das Lebendige, überhaupt die „Wege zur Reformmechanismen zurückreicht. Erkenntnis des Lebendigen“ – so der Untertitel des Buches von Werner Merker – neu gehen, und genau Roland Geitmann hat durch seine rege Vortragstätigkeit darum geht es hier, in diesem so allgemeinverständ- und seine emsige publizistische Arbeit nicht nur ein be- lichen, gleichwohl wissenschaftlich abgesicherten merkenswert umfangreiches, sondern vor allem zeitlos Buch des Chemikers und Waldorflehrers. aktuelles geistiges Erbe hinterlassen. Dieses liegt nun unter dem Titel „Sozialökonomische Weisheitsschätze Hier wird die so notwendige Suche nach dem der Religionen“, herausgegeben von Dieter Fauth, für Lebendigen – „Wie lässt sich das Lebendige in die interessierte Leserschaft vor. Worte kleiden“? – als eine neue Leitwissenschaft, als „Einfühlung und Nachahmung zur Erkenntnis In einem Interview mit der Organisation „Muslim- des Lebendigen“, formuliert. Und sie sind alle dabei, Markt“ – auch in diesem Sammelwerk enthalten die großen Denker durch die Jahrhunderte, die sich – hat Geitmann den Tätigkeitshorizont der „CGW“ mit dem Thema, der Suche nach dem Lebendigen, konkretisiert. Demnach wolle der freiwirtschaftlich beschäftigt haben: Aristoteles, Kant, Goethe, Steiner, inspirierte Verein dazu beitragen, „die Markwirtschaft Bergson, Sheldrake und andere. Merker porträtiert vom Kapitalismus zu befreien“ (S.157ff.). Das beste- diese Lebenswissenschaftler wie auch ihre Befunde. hende Wirtschaftssystem sei durch „Privilegien an Er hat damit ein überfälliges, ein zeitloses, absolut in Gemeinschaftsgütern kapitalistisch verzerrt“. Daher diese ratlose Zeit passendes Kompendium geschrie- verstehen sich die „CGW“ als basisdemokratisch ben, aus dem auch die Niederungen der heute alles fundierte bürgerliche Bewegung, die für entgeltliche beherrschenden materialistisch-mechanistischen Nutzungsrechte an Naturressourcen, für ein durch Weltsicht herausgelesen werden können, die uns zu- eine Liquiditätsabgabe dienendes Geld und für den nehmend zu schaffen macht: der Klimawandel etwa. freien Zugang aller Menschen zu Bildung und Wissen eintritt. Unter diesen programmatischen Parametern Das Buch, die Summe dessen, was seit über 2000 hat Roland Geitmann unermüdlich, mit intellektuellem Jahren zum Thema des Lebendigen als Prozess ge- Scharfsinn und Feingefühl die religiösen Grundsätze dacht wurde, begründet, warum eine andere Wis- der monotheistischen Glaubensmaximen überprüft, senschaftsmethodik notwendig ist und auch gelebt ihre Unterschiede, insbesondere aber ihre auffälligen werden kann. Und da kommt die Kunst, das Künst- Gemeinsamkeiten untersucht. Die vorliegende Edi- lerische ins Visier. Auch der künstlerische, wie der tion versammelt nun die wichtigsten von Geitmann lebendige Prozess, ist mit Kategorien des Verstandes publizierten Essays, seine Vortragsmanuskripte und nicht zu erfassen. Das Lebendige als Prozess kann die gegebenen Interviews, die vorab in diversen Zeit- nur durch einen inneren Prozess des Forschers er- schriften, z.B. in der „Zeitschrift für Sozialökonomie“, fahren werden. Da sind wir alle Forscher. Da haben „Humanwirtschaft“, in „CGW-Rundbriefen“, diversen wir alle die gleichen Chancen, durch unsere inneren Kirchenzeitungen u.v.a., erschienen waren. Erlebnisse, durch Erfahren und Erkennen, das zu finden, worauf Mephisto spöttisch verweist, das Einer historischen Logik folgend, hat der Herausgeber „geistige Band“, das alles zusammen hält, wie es Geitmanns Analysen zum Judentum an den Beginn Goethe ihn in seinem Faust sagen lässt. Das Buch gestellt. Darin enthalten sind die Entwicklung des umfas- liefert Orientierungswissen. Dieses zu neuem Hand- senden Zinsverbotes, das u.a. auch Naturaldarlehen lungswissen zu machen – auch dazu gibt es hier einschließt, die Aufbereitung der legislativen Quel- Gewinnendes zu finden. lentexte zu diesem Thema sowie eine Erläuterung zu

1 Diese Rezension erschien parallel in: Sozialökonomie” Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialpolitik, http://www.sozialoekonomie.info/.

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den Entschuldungstraditionen. Ein weiterer inhaltlicher Unter dem Blickwinkel der gegenwärtigen Entwicklung Schwerpunkt dieses Kapitels liegt im Vergleich der gewinnt Geitmanns Auseinandersetzung mit dem Islam, Gesell’schen Bodenreformkonzeption mit den jüdisch- die als drittes Hauptkapitel die historische Religions- religiösen Kodizes. Die dabei entdeckten starken chronologie vervollständigt, eine besondere Brisanz. Entsprechungen belegt Geitmann mit den Regelungen Geitmann ist bei diesem Thema darum bemüht, des Grundstücksverkehrs in der historischen Frühzeit, inhaltliche Berührungspunkte mit dem Christentum den zionistischen Intentionen sowie der weitgehend bzw. mögliche wechselseitige Impulse zwischen den sozialisierten, mit Erbpacht bzw. Erbbaurecht ausge- beiden Religionen auszuloten. Auch geistige Anbin- statteten Bodennutzung nach der Staatsgründung im dungen zur Freiwirtschaftslehre werden gesucht und 20. Jahrhundert. Ein Verweis auf die kollektivistisch gefunden. Bereits die Tatsache, dass im Islam Eigentum ausgerichteten Siedlungsprinzipien der Kwuza- bzw. grundsätzlich sozialpflichtig und an ethische Normen Kibbuz-Kommunen rundet die Darstellung ab. Geit- gebunden sei, erleichtere einen Zugang. Insbesonde- mann hat es hierbei nicht verabsäumt, das mit dem re im rigoros ausgeprägten Zinsverbot, das mit der Schuldenerlass einhergehende „Personalitätsprinzip“ gesamtgesellschaftlich schädigenden Wirkung der zu erläutern sowie auf die Verdrängung der Palästinen- Zinspraxis begründet wird, lasse sich für Freiwirtschaft- ser im Zuge der jüdischen Landnahme hinzuweisen. ler ein vertrautes Gedankengut erkennen. Geitmann Ein besonders wichtiger Teil in diesem Kapitel ist der stellt die unterschiedlichen Kreditpraktiken islamischer antisemitisch motivierten Geld- und Zinskritik gewidmet. Banken vor und reflektiert den vorgeblich zinslosen Im Zusammenhang mit den Vorwürfen, die Freiwirt- Geldverleih kritisch. Wenngleich einige Methoden als schaftslehre im Allgemeinen und die „CGW“ im Be- problematisch bewertet werden, zollt Geitmann dieser sonderen redeten einem „strukturellen Antisemitismus“ religiös-ethisch motivierten Geldwirtschaft grundsätz- das Wort, gelingt es Geitmann, die fundamentalen lich Respekt. Er verknüpft damit auch die Hoffnung, die Unterschiede zwischen der freiwirtschaftlichen Kapi- westliche Ökonomie für die Problematik sensibilisieren talismuskritik und der NS-Agitation herauszuarbeiten. und an die freiwirtschaftlichen Reformvorschläge erin- Die perfiden, letztlich grotesken Bestrebungen, die nern zu können. Für bedauerlich erachtet Geitmann Freiwirtschaftsbewegung ins rechtsgerichtete politische allerdings den Umstand, dass der Islam kein wirksa- Lager zu drängen, werden als substanz-, d.h. inhaltlich mes Instrumentarium zur Verhinderung der privaten haltlos entlarvt. Bodenrente entwickelt hat. Das bereits erwähnte Interview mit „Muslim-Markt“, das vor allem auf die Den naturgemäß umfangreichsten Abschnitt des Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam in Sammelwerkes nimmt der kritische Blick auf den der Zinskritik verweist und die Wertegrundsätze der christlichen Zugang zum Kapitalismus ein. Mit den „CGW“ darlegt, beschließt diesen Inhaltsabschnitt. mittlerweile zu „Klassikern“ avancierten, wissen- schaftlich fundierten Überblicksdarstellungen „Bibel- Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt des Sammel- Kirchen-Zinswirtschaft / Bodeneigentum“ erfolgt die bandes sind Geitmanns Zugänge zur Anthroposophie Überprüfung christlich-ethischer Normen im Umgang Rudolf Steiners. Geitmann sieht sich zwar nicht als mit den fatalen gesellschaftlichen Auswirkungen des Anthroposoph, kann aber der „Wachheit und Strenge weitgehend leistungslos und deshalb ausbeutend des durch Naturwissenschaften geprägten Denkens“ generierten Kapitalzinses bzw. der Bodenrente. (S.169) in Steiners Lehre viel Sympathie abgewinnen. Von den mosaischen Gesetzen, den jesuanischen Eingebettet ist dieser Teil in einen sehr persönlich ge- Botschaften, der Kirchenväter-Literatur, den strikten haltenen � und deshalb sehr berührenden – Bericht mittelalterlichen Normvorgaben, die alle eine ver- über Inspirationsquellen, der Roland Geitmann als hältnismäßig klare Ablehnung der kapitalistischen Menschen zeigt, der sich buchstäblich bis zu seinem Wirtschaftsweise erkennen lassen, bis hin zur begin- letzten Atemzug für die von ihm vertretenen Ideale nenden Aufweichung der Zinskritik und schlussend- engagiert hat. lichen Preisgabe durch die Kircheninstitutionen im 20. Jahrhundert spannt sich der inhaltliche Bogen. Die Edition wird durch eine ausführliche Betrachtung Es folgen thematisch separierte Darstellungen zur des Erbbaurechtskonzeptes und einer „Zusammen- christlichen Wirtschaftsethik und zur Gegenüberstel- schau“ von Geitmanns Tätigkeitsbereichen ausgeleitet. lung der konfessionellen Konzeptionen, wobei die akribische Durchleuchtung der päpstlichen Sozial- Alle Texte sind von tiefer Intellektualität durchdrungen, enzykliken zur Geld- und Bodenfrage einen breiten die davon beseelt ist, stets das Gemeinsame der Reli- Raum einnimmt. Dabei gelangt Geitmann zur Er- gionsüberlieferungen vor das Trennende zu stellen. Die kenntnis, dass die Kurie das Problem, fußend auf der Abhandlungen von Roland Geitmann verknüpfen reli- langen kapitalismuskritischen christlichen Tradition, giöse und anthroposophische Spiritualität mit freiwirt- zwar erkannt, aber in den Rundschreiben von einer schaftlicher Reformrationalität zu wertvollen Synergien. Konkretisierung notwendiger Maßnahmen Abstand Die Kritik am institutionalisierten Kirchenwesen verdeut- genommen habe. Als Ursachen entlarvt Geitmann licht einerseits, welche Möglichkeiten für eine gerech- die Tatsache, „dass die materielle Basis der Kirche tere, und damit friedlichere, Gesellschaftsordnung nicht unwesentlich auf Geld- und Bodenzinseinnah- durch die Aufweichung der Offenbarungsbotschaften men beruht“ (S. 125). In dem Zusammenhang steht vertan wurden. Andererseits bleibt Geitmanns Credo auch Geitmanns kritische Distanzierung von den an eine Veränderbarkeit durch persönliches Engage- kirchlichen Schuldenerlass-Kampagnen, zumal sie, ment unerschütterlich. Sein Lebenswerk legt dafür ein obgleich grundsätzlich berechtigt, eine Fokussierung beeindruckendes Zeugnis ab. auf die eigentlichen Problemursachen und vor allem Lösungsansätze vermissen lassen.

44 Sozialimpulse 1/16 Was fehlt, wenn alles da ist? Was fehlt, wenn alles da ist?

Daniel Häni / Philip Kovce: In drei großen Abschnitten über Arbeit, Macht und Freiheit werden diese Motive entfaltet: 1. Arbeit: Was Was fehlt, wenn alles da ist? würden Sie tun, wenn alle anderen für sie arbeiten? 2. Macht: Wer bestimmt, wenn jeder selbst bestimmt? 3. Warum das bedingungslose Grundeinkommen Freiheit: Wie frei sind wir, wenn wir niemanden mehr die richtigen Fragen stellt zwingen? Spielerisch sei das Buch entstanden, heißt Gebundene Ausgabe, 192 S., EUR 19,90, Orell Füssli es zu Beginn. Immer wieder habe man dem Partner Verlag, 2. Aufl. Zürich 2015, ISBN: 978-3-280-05592-2 abends eine Frage zum BGE gestellt und am nächs- ten Tag die Antwort versucht. Herausgekommen ist Christoph Strawe dabei ein Text, der – oftmals in aphoristischer Zuspit- zung – durch Lebendigkeit und Frische der Sprache n der Schweiz findet am 5. Juni dieses Jahres besticht und dem Leser Mitdenken abfordert, das ihn I die Abstimmung über ein bedingungsloses zu eigenen Antworten und neuen Fragen führt. Der Grundeinkommen (im Folgenden „BGE“) statt. Zur abwägende Duktus wird durch zwei Zwischenspiele Entscheidung steht die Aufnahme eines Artikels („Wer dagegen ist“, „Wer dafür ist“) verstärkt, in 110a „Bedingungsloses Grundeinkommen” in die denen eine Reihe einzelner Befürworter und Gegner Schweizer Bundesverfassung an, der laut Vorschlag zu Wort kommen. der Initiative drei Absätze umfassen würde: „1. Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Am Anfang steht die Frage nach der modernen Ar- Grundeinkommens. 2. Das Grundeinkommen soll beitsteilung. Man könnte „Arbeitsteilung strukturelle der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Nächstenliebe nennen“ (S. 15). „Es gilt zu verstehen, Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben dass ich heute von dem lebe, was andere für mich ermöglichen. 3. Das Gesetz regelt insbesondere die leisten (ibd.). Angesichts steigender Produktivität ist die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens”. Armut in der Welt nicht Resultat des Mangels, sondern Die Initiative hat dazu geführt, dass das Thema in der fehlenden „Fähigkeit, mit dem real existierenden der Schweiz „auf allen Kanälen” lebhaft diskutiert Überfluss angemessen umzugehen“ (S. 17). Unser wurde und wird. Bisher verdrängte Grundfragen Problem ist nicht die Arbeits-, sondern die Einkommens- sozialer Entwicklung wurden Gegenstand der öf- losigkeit. Einkommen ermöglicht erst, sich mit seiner fentlichen Debatte. Das bereits ist ein großer Erfolg Arbeit für andere einzubringen, d.h. Aufgaben zu der Initiatoren, denen es gerade um einen Paradig- erledigen, sinnvoll tätig zu sein. Wir leiden heute unter menwechsel geht. Dass bereits im ersten Anlauf eine einer „Work-Life-Schizophrenie. „So wie wir Arbeitszeit Mehrheit der Schweizer mit Ja stimmt, wird von den nicht als Lebenszeit wahrnehmen, so wenig wissen wir meisten der Initiatoren gar nicht erwartet, wohl aber die tagtägliche Arbeit in der Freizeit, in der Familie, hoffen sie, dass die Debatte anhalten, zu einem in der Nachbarschaft zu schätzen, die unbezahlt und Umdenken und schließlich zur Realisierung führen ungefragt erledigt wird.“ (S. 29) wird. Wie diese im einzelnen aussehen kann z.B. hinsichtlich Höhe und Finanzierung, wird im Ab- Die meist als Erstes reflexhaft gestellte Frage � „Und stimmungstext bewusst für die weitere Gestaltung, wer bezahlt das alles?“ � wird erst gegen Ende des zunächst durch den Gesetzgeber, offengelassen. zweiten Teils des Buches und im Anhang aufgegrif- fen. Auch dabei geht es den Autoren primär um ein Daniel Häni und Philip Kovce, Mitinitiatoren der Volks- Grundverständnis der Wirkungsweise des BGE, Zah- initiative, haben ein Buch geschrieben, das für die len werden nur sparsam, zur Illustration, verwendet. Debatte eine bedeutsame Rolle spielen kann. In dieser In der Tat sind rein finanztechnische Debatten und Diskussion verläuft „die Grenze zwischen Befürwortern Modellrechnungen oft unfruchtbar, weil sie versteckte und Gegnern [...] quer durch die bekannten Lager: Prämissen hinsichtlich der Anschauung des Menschen Kapitalisten und Sozialisten, Liberale und Konservative, enthalten. Diese anthropologischen Voraussetzungen Unternehmer und Gewerkschaften begeistern sich für behandeln die Autoren daher vorrangig. den Vorschlag und bekämpfen ihn. Er schafft neue Allianzen und lässt alte auseinanderbrechen.“ So heißt Viele Menschen schrecken vor dem Gedanken des es im Klappentext des Essays. Die Idee des BGE führe BGE zurück, weil sie mit der Frage nicht zurechtkom- zu den richtigen Fragen, so die Auffassung der beiden men, wie sich Leistungen und Gegenleistungen im Autoren. „Fragen verändern alles. Was würden Sie ar- arbeitsteiligen Füreinander ausgleichen, wenn der beiten, wenn für Einkommen gesorgt wäre? Nachdem Zwangsmechanismus der Lohnarbeit nicht mehr wirkt. eine solche Frage beherzigt wurde, ist nichts mehr so, Es ist ja unbestreitbar, dass als BGE nur verteilt werden wie es war. Das Leben verläuft anders [...] Gute Fragen kann, was wirtschaftlich als Leistung erarbeitet wird. sind die besten Antworten, da sie niemandem eine Teilungswille und Leistungswille sind Voraussetzungen Antwort aufzwingen.” für das Gelingen. Wer im (anderen) Menschen nur den Egoisten sieht, wird das BGE daher für eine Bei der Volksinitiative gehe es nicht um dieses oder Torheit ansehen. jenes Detail, sondern um die beiden Grundfragen, wofür ich mich engagiere, wenn ich wirklich frei Dass das BGE „nur etwas für gute Menschen“ ist, sei entscheiden kann, und ob ich bereit bin, „den jedoch ebenfalls ein Missverständnis, so die Autoren anderen ihre Existenzgrundlage bedingungslos zu (S. 170). „Das Grundeinkommen setzt keine guten gewähren.” Beide Fragen werfen mich auf mich Menschen voraus, sondern hilft jedem Einzelnen, dass selbst zurück: Welches Bild habe ich von mir selbst, sich das Gute in ihm zeigen kann.“(ibd.) „Nur wer welches von den anderen? sicher ist, ist frei“ (S. 127) und kann sich verantwortlich

Sozialimpulse 1/16 45 Literatur Literatur

für Sinnhaftes entscheiden. So weit, so plausibel. Das Es ist verständlich, dass sich die Autoren im Hinblick BGE stellt somit eine Frage an jeden Einzelnen, die auf die zur Abstimmung stehende Forderung um eben als solche nicht vorentschieden werden kann. Zuspitzung bemüht haben. Soll aber ein umfassendes Zugespitzt formuliert, mit R. Steiner: Eine „Grundfor- Problembewusstsein entstehen, wird man die hier derung der sozialen Menschenerkenntnis.” ist, „sich darüber hinaus gestellten Fragen nicht ausklammern trocken und energisch zu gestehen, dass der Mensch können. In diesem Sinne wünscht man dem Buch gleichzeitig ein soziales und ein antisoziales Wesen viele Leser, die Fragen aufgreifen, weitere Fragen ist […]“2 Die Asymmetrie in der Selbsteinschätzung hinzustellen und das Thema weiterdenken. und der Einschätzung des anderen zu überwinden bedeutet auch, das eigene Selbstbild zu hinterfragen.

Das ist aber nur zu einem Teil eine Frage individueller Selbstreflexion, zu einem nicht minder wichtigen Teil Karl-Martin Dietz: eine Frage sozialen Lernens in der Begegnung. Diese braucht Organe des Dialogs und der Kooperation, in Wie Menschen frei werden denen ein Interessenausgleich erfolgen kann. Innerhalb der Ökonomie hat jeder „seine Teilinteressen; jeder Zum Verständnis des Jugendalters muss mit dem ihm möglichen Anteil von Tätigkeit in Taschenbuch, 232 Seiten, EUR 22,50, Menon-Verlag sie eingreifen. Was einer wirklich braucht, kann nur Heidelberg 2015, ISBN: 978-3921132524 er wissen und empfinden; was er leisten soll, will er seiner Einsicht in die Lebensverhältnisse des Ganzen C. Strawe beurteilen.”3 Es bedarf der Strukturen, in denen diese ie „großen Freiheitsbewegungen in der euro- Einsicht wachsen kann und durch die das „Antiso- D päischen Geschichte, von den Perserkriegen ziale“, mit dem sich der Mensch auf dem Weg zur bis in unsere Tage hinein, zeigen, dass eine erfolg- Freiheit auseinandersetzen muss, die notwendige reich erkämpfte gesellschaftliche Freiheit nur dann „Widerlage“4 findet – und damit eine Selbstkorrektur Bestand hat, wenn sie von einer ‚inneren Freiheit’ eingeleitet werden kann. Wie entstehen in der Ökono- getragen wird. Bei der individuellen Ausbildung die- mie Strukturen, in denen diese soziale Urteilsbildung, ser Freiheit spielen die Erfahrungen der Kindheit und ein zu Vereinbarungen führendes, und damit praktisch Jugendzeit eine herausragende Rolle.” (Karl-Martin folgenreiches, „Zusammen-Urteilen“ in der ökonomi- Dietz im Vorwort seiner Schrift, die sich der Frage schen Sphäre so ermöglicht werden kann, wie es in nach den „Voraussetzungen für eine Entwicklung Ansätzen in der Rechtssphäre eines Landes wie der innerer Freiheit vom Kindes- und Jugendalter an” Schweiz durch die direkte Demokratie möglich ist? widmet. Eingeflossen sind Anregungen u.a. aus Welche Rolle spielt die Befreiung der Kultursphäre und der Zusammenarbeit in der Pädagogischen Aka- welche Wechselwirkungen mit dem BGE ergeben sich? demie am Hardenberg-Institut und aus am Institut entwickelten Workshops zu einer „dialogischen Die Autoren sind überzeugt, dass das BGE kommen Unternehmenskultur”. wird, weil angesichts der technologischen Entwicklung die alten Formen der Einkommensverteilung nicht mehr Kapitel I und II (Freiheit und Gemeinschaft im Zeitalter tragen. Entscheidend sei aber vor allem, in welcher der Individualisierung | Freiheit als Herausforderung) Form es kommt, damit es eine befreiende Wirkung hat. beleuchten die ambivalente Situation unserer Zivilisa- D.h. unmittelbar sicherlich, dass ein neoliberales BGE tion in Bezug auf das Freiheitsthema und beschreiben light verhindert werden muss, dass den Arbeitszwang „einige Auswirkungen auf die Jugendgeneration der noch verstärken würde. Heißt es aber nicht auch, das letzten Jahrzehnte, um schließlich von den inneren BGE als einen Einstieg in eine weitergehende soziale Kräften zu sprechen, durch die sich der einzelne Erneuerung zu verstehen? M.E. wäre es ein Missver- eine innere Freiheit erwerben kann”, die zugleich ständnis, BGE werde als solches schon die soziale Gemeinschaftsbildung zu bewirken vermag. Kapitel III Erneuerung nach und nach gesamtumfänglich wie untersucht „Dimensionen der Freiheit” (Vom Freiraum im Selbstlauf nach sich ziehen. Manches verwirrt in zur Lebensform | Das Freiheitsverständnis bei Steiner | dieser Hinsicht, so die Auffassung, das BGE werde Gesellschaftliche Aspekte der individuellen Freiheit). endlich einen wirklich freien Arbeitsmarkt ermöglichen Kapitel IV und V behandeln Anregungen R. Steiners (S. 130). Ist nicht die Vermarktung der Arbeitskraft zur Freiheit im Brennpunkt der Pädagogik (Selbsterzie- als solche zu hinterfragen? Ist nicht die umfassende, hung, Geburtshilfe für das Ich, Urteilsbildung, Lernen und nicht nur partielle, Entkoppelung von Arbeit und vom Leben). Das V. Kapitel bietet eine wunderbar Einkommen in der gesamten Gesellschaft letztlich das verdichtete Zusammenfassung der „Perspektiven der Ziel, und was würde das bedeuten? Dahinter tauchen Jugendpädagogik”. Zu Recht hebt Dietz Produktivität dann weitere Fragen auf. In welchem Verhältnis stehen und Empfänglichkeit als Grundelemente freien Geistes- etwa die Ansätze eines BGE zu solchen der Bodenre- lebens hervor. Bei seiner Behandlung sozialer Struktur- form, der Geldreform und der Reform des Eigentums bildung in VI. bleibt – gegenüber der berechtigten Kritik an Unternehmen? an toten verknöcherten Regelungen – die Frage nach dem aus Freiheit erwachsenden lebendigem Rechtsle- ben in Gemeinschaften unterbelichtet. Hier bieten sich 2 R. Steiner: Die soziale Grundforderung unserer Zeit. In geänderter Möglichkeiten zur Ergänzung der Betrachtung. Zeitlage, Vortrag Dornach, 6. Dez. 1918, GA 186, Dornach 1963, S. 89. 3 R. Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, 6. Aufl. Dornach 1976, S. 15 Ein wichtiges Buch, dessen Lektüre nachdrücklich 4 GA 186, a.a.O., S. 103. empfohlen sei.

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Institut für soziale Gegenwartsfragen e.V. Stuttgart

Öffentliches Spiritualität Werkstattgespräch Freitag, 10. Juni 2016, und Beginn: 19 Uhr Spiritualität und Ökonomie – unverträglicher Gegensatz oder notwendige Ergänzung? Ökonomie Einleitende Referate von Prof. Dr. Harald Schwaetzer und Udo Herrmannstorfer, mit anschließender Diskussion der Referenten, Ökonomie im Verhältnis danach Plenumsdiskussion. zu Mensch, Natur, Moderation: Ulrich Morgenthaler Gesellschaft und Geist Forschungskolloquium 10. und 11. Juni 2016 Forum 3, Gymnasiumstr. 21 Samstag, 11. Juni 2016

70173 Stuttgart I. 9.00 – 10.30: Die Ökonomie und die Anschauung des Menschen. Das gesellschaftliche Leben wird heute von Einleitende Beiträge: Prof. Dr. Silja Graupe, einer Ökonomie geprägt, in der das Rendi- Dr. Michael Ross tedenken dominiert. Manche Menschen, die diese soziale Wirklichkeit als geistlos und II. 11.00 – 12.30: Die Ökonomie und die sinnleer empfinden, möchten deshalb mit Öko- Anschauung der Natur. Einleitende Beiträge: nomie möglichst wenig zu tun haben. Verstellt Prof. Dr. Albrecht Schad, Dr. Otto Ulrich eine solche Haltung aber nicht den Blick für die im wirtschaftlichen Füreinander-Tätig-Sein III. 14.00 – 15.30: Die Ökonomie und verborgenen Möglichkeiten menschlich-sozialer die Anschauung der Gesellschaft. Entwicklung? Werden diese durch die in der Einleitende Beiträge: Prof. Dr. André Bleicher, Ökonomie herrschenden Anschauungen des Prof. Dr. Harald Spehl Menschen und der Natur nur unterdrückt? Bedarf es der gegenseitigen Ergänzung von IV. 16.00 – 17.30: Die Ökonomie und die Ökonomie und Spiritualität, damit eine zukunfts- Anschauung des Geistes. Einleitende Beiträge: fähige, solidarische und nachhaltige Wirtschaft Alfred Wohlfeil, Udo Herrmannstorfer möglich wird? Das Gespräch soll zur Klärung solcher Fragen beitragen. 17.30 – 18.30: Praktische Konsequenzen. Einleitung: Ulrich Morgenthaler, Prof. Dr. Christoph Strawe

Teilnahme von Gästen: Kontakt: Das Forschungskolloquium ist ein Gespräch Institut für soziale Gegenwarts­fragen e.V. von Menschen, die sich bereits intensiver mit Libanonstr. 3, 70184 Stuttgart, dem Thema auseinandergesetzt haben. Tel. (0711) 23 68 950 Interessierte Gäste sind als Zuhörer will- E-Mail: [email protected] kommen und herzlich eingeladen. Wir Internet: www.sozialimpulse.de erbitten zur Kostendeckung der Veranstal- tung Spenden, die Sie nach eigenem Ver- mögen und Ermessen ansetzen können.

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Forschungskolloquium Arbeit im Samstag, 8. Oktober 2016

I. 9.00 – 10.30: Arbeit im Wandel: Phäno- Wandel mene und Pathologien. Einleitende Beiträge: Dr. Steffen Lehndorff, Prof. Dr. Harald Spehl

II. 14.00 – 15.30: Reformen im Bestehenden: Weg des Wandels? Einleitung: Prof. Dr. André Krise der Arbeit? – Bleicher

Neue Unsicherheiten – III. 11.00 – 12.30: „Der blinde Fleck ist das Ganze“: Arbeit als Gestaltungsfeld sozialer Neuordnung von Arbeit Beziehungen. Einleitung: Udo Herrmannstorfer und Einkommen IV. 16.00 – 17.30: Die Befreiung der Arbeit. Gesprächseinstieg: Prof. Dr. Christoph Strawe

17.30 – 18.30: Abschließende Vertiefungs­ 7. und 8. Oktober 2016 runde. Ergebnisse, Arbeitsaufgaben Forum 3, Gymnasiumstr. 21 70173 Stuttgart Teilnahme von Gästen: Das Forschungskolloquium ist ein Gespräch von Menschen, die sich bereits intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Interessierte Gäste sind als Zuhörer will- Öffentliches kommen und herzlich eingeladen. Wir erbitten zur Kostendeckung der Veranstal- Werkstattgespräch tung Spenden, die Sie nach eigenem Ver- Freitag, 7. Oktober 2016, mögen und Ermessen ansetzen können. Beginn: 19.30 (!) Uhr

Einleitender Vortrag, danach Plenumsdiskus- sion: Arbeit, Einkommen, Menschenwürde (Udo Herrmannstorfer). Moderation: Ulrich Morgenthaler

Netzwerk- Treffen 2016

25. bis 27. November 2016 in , Silvio-Gesell-Tagungsstätte (www.silvio-gesell-tagungsstaette.de) Kontakt: Stefan Padberg, [email protected]

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