Plenarprotokoll 18/196

Deutscher

Stenografischer Bericht

196. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 20. Oktober 2016

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (BÜNDNIS 90/ neten Sibylle Pfeiffer und . . . . . 19415 A DIE GRÜNEN)...... 19427 C Begrüßung der neuen Abgeordneten Bettina (CDU/CSU)...... 19428 D Bähr-Losse...... 19415 B (SPD)...... 19430 C Wahl der Abgeordneten Bartholomäus Kalb, Alois Rainer (CDU/CSU)...... 19431 B Eckhardt Rehberg und als Mitglieder des Verwaltungsrates der (SPD)...... 19432 C Kreditanstalt für Wiederaufbau...... 19415 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 19415 B Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- Absetzung des Tagesordnungspunktes 18. . . 19417 A bingen), , Britta Haßelmann, Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 19417 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam Begrüßung einer Delegation des österreichi- für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und schen Nationalrates...... 19419 D klimafreundlich Drucksache 18/10027...... 19433 B Tagesordnungspunkt 3: Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19433 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU)...... 19434 D Beteiligung des Bundes an den Kosten der (DIE LINKE) ...... 19437 B Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen , Parl . Staatssekretär Drucksache 18/9980...... 19417 D BMUB...... 19438 D Dr .W olfgang Schäuble, Bundesminister (BÜNDNIS 90/ BMF ...... 19418 A DIE GRÜNEN)...... 19439 C Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 19420 A (CDU/CSU) ...... 19440 D (SPD)...... 19420 D Caren Lay (DIE LINKE) ...... 19441 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 19443 A DIE GRÜNEN)...... 19421 D Kai Wegner (CDU/CSU) ...... 19443 C (CDU/CSU) ...... 19423 A Michael Groß (SPD)...... 19444 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 19424 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ (SPD)...... 19426 A DIE GRÜNEN)...... 19445 A II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Sylvia Jörrißen (CDU/CSU)...... 19446 A rung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend den verschiedenen vorge- (SPD) ...... 19448 C nommenen Änderungen in der Neufas- (SPD)...... 19449 D sung des Protokolls vom 27. Juni 1997 Drucksache 18/9878...... 19463 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19450 C d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Michael Groß (SPD)...... 19451 B Gesetzes zur Umsetzung der Richtli- (SPD)...... 19451 D nie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung im öffentlichen Auf- Bernhard Daldrup (SPD)...... 19452 D tragswesen Drucksache 18/9945...... 19463 C Tagesordnungspunkt 5: e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Erste Beratung des von der Bundesregierung zes zur Änderung von Vorschriften zur eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung Verbesserung des Schutzes gegen Nachstel- von Mineralöldaten und zur Umstellung lungen auf hochkalorisches Erdgas Drucksache 18/9946...... 19453 C Drucksache 18/9950...... 19463 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär f) Erste Beratung des von der Bundesregie- BMJV...... 19453 D rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten (DIE LINKE)...... 19454 D Gesetzes zur Änderung des Telekommu- nikationsgesetzes Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/ Drucksache 18/9951...... 19463 D CSU)...... 19456 B g) Erste Beratung des von der Bundesregie- (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN)...... 19457 D zes zur Änderung des Zollverwaltungs- (SPD)...... 19458 D gesetzes Drucksache 18/9987...... 19463 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19459 C h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr .V olker Ullrich (CDU/CSU)...... 19460 B zes zu dem Protokoll vom 7. April 2016 Dr . (SPD)...... 19461 C zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschland und der Regie- Iris Ripsam (CDU/CSU)...... 19462 B rung der Französischen Republik über den grenzüberschreitenden Einsatz von Luftfahrzeugen zur Ergänzung des Ab- Tagesordnungspunkt 33: kommens vom 9. Oktober 1997 über die a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Zusammenarbeit der Polizei- und Zoll- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- behörden in den Grenzgebieten zes zur Einbeziehung der Bundespolizei Drucksache 18/9988...... 19464 A in den Anwendungsbereich des Bundes- i) Erste Beratung des von der Bundesregie- gebührengesetzes rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Drucksache 18/9759...... 19463 B setzes zu dem Protokoll vom 19. Mai b) Erste Beratung des von der Bundesregie- 2016 zum Nordatlantikvertrag über den rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Beitritt Montenegros zes zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 Drucksache 18/9989...... 19464 A zur Neufassung des internationalen j) Erste Beratung des von der Bundesregie- Übereinkommens vom 13. Dezember rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- 1960 über Zusammenarbeit zur Siche- setzes zu den Vorschlägen der Europä- rung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ ischen Kommission vom 7. März 2016 Drucksache 18/9877...... 19463 B für Beschlüsse des Rates zur Festlegung c) Erste Beratung des von der Bundesregie- von Standpunkten der Union in den Sta- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- bilitäts- und Assoziierungsräten EU – zes zu dem Protokoll vom 8. Oktober Republik Albanien sowie EU – Republik 2002 über den Beitritt der Europäi- Serbien im Hinblick auf die Beteiligung schen Gemeinschaft zum Internationa- der Republik Albanien sowie der Repu- len Übereinkommen vom 13. Dezember blik Serbien als Beobachter an den Arbei- 1960 über Zusammenarbeit zur Siche- ten der Agentur der Europäischen Union Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 III

für Grundrechte und die entsprechenden d)–f) Modalitäten im Rahmen der Verordnung Beratung der Beschlussempfehlungen (EG) Nr. 168/2007 des Rates des Petitionsausschusses: Sammelüber- Drucksache 18/9990...... 19464 B sichten 364, 365 und 366 zu Petitionen Drucksachen 18/9828, 18/9829, 18/9830. 19465 C k) Antrag der Abgeordneten , Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Zusatztagesordnungspunkt 3: LINKE: Das Teilhaberecht menschen- rechtskonform gestalten Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Drucksache 18/10014...... 19464 B Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 2: DIE GRÜNEN: Mindestqualitätsvorgaben a) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- für Internetzugänge einführen Rosenheimer, Maria Klein-Schmeink, Drucksachen 18/8573, 18/10062 ...... 19466 A Dr ., weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Zusatztagesordnungspunkt 4: GRÜNEN: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, Drucksache 18/9856...... 19464 C SPD und DIE LINKE: Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der Bundesstiftung Bau- b) Antrag der Abgeordneten , kultur gemäß § 7 des Gesetzes zur Errich- Tabea Rößner, , weiterer tung einer „Bundesstiftung Baukultur“ Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 18/10021...... 19466 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksache 18/10033...... 19464 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Umsetzung der Auflagen des Tagesordnungspunkt 34: Bundesverfassungsgerichts zu CETA durch die Bundesregierung a) Zweite und dritte Beratung des von der Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 19466 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- Andreas G . Lämmel (CDU/CSU)...... 19467 C men des Europarats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Beschlagnahme und Einziehung von DIE GRÜNEN)...... 19468 C Erträgen aus Straftaten und über die (SPD)...... 19470 A Finanzierung des Terrorismus Dr . (CDU/CSU)...... 19471 A Drucksachen 18/9235, 18/9800 ...... 19464 D Dr . (DIE LINKE) ...... 19472 A b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- , Bundesminister BMWi. . . . . 19473 A gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ dem Strafrechtsübereinkommen des DIE GRÜNEN)...... 19475 C Europarats vom 27. Januar 1999 über Korruption und dem Zusatzprotokoll Barbara Lanzinger (CDU/CSU)...... 19476 D vom 15. Mai 2003 zum Strafrechts- Dr . (SPD)...... 19477 D übereinkommen des Europarats über Korruption (CDU/CSU)...... 19479 B Drucksachen 18/9234, 18/9850 ...... 19465 A Dirk Wiese (SPD)...... 19480 B c) – Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU)...... 19481 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und versor- gungsanpassungsgesetzes 2016/2017 Tagesordnungspunkt 28: (BBVAnpG 2016/2017) Drucksachen 18/9533, 18/9865 ...... 19465 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Weiterentwicklung der steuerlichen Ver- § 96 der Geschäftsordnung lustverrechnung bei Körperschaften Drucksache 18/9866...... 19465 B Drucksache 18/9986...... 19483 A IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr . , Parl . Staatssekretär Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 19506 A BMF ...... 19483 A (DIE LINKE)...... 19506 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 19484 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ (Heidelberg) (SPD)...... 19485 A DIE GRÜNEN)...... 19507 B Dr .Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 19507 D DIE GRÜNEN)...... 19486 B (CDU/CSU) ...... 19508 A Dr . (CDU/CSU)...... 19487 B

Dr . Jens Zimmermann (SPD)...... 19488 C Tagesordnungspunkt 9: Dr . h . c . (CDU/CSU). . . . . 19489 C a) Antrag der Abgeordneten , Nicole Maisch, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 7: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gentech- Antrag der Abgeordneten , nikfreiheit Deutschlands sichern Sigrid Hupach, Dr ., weiterer Drucksache 18/10028...... 19509 A Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- BAföG an die Lebenswirklichkeit anpassen brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur – Keine weiteren Nullrunden für die Studie- Änderung des Gentechnikgesetzes renden Drucksache 18/6664...... 19509 B Drucksache 18/10012...... 19490 C Nicole Gohlke (DIE LINKE)...... 19490 C in Verbindung mit Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU)...... 19492 A Zusatztagesordnungspunkt 6: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19494 C Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer (SPD) ...... 19495 D Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 19497 B DIE GRÜNEN: zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durch- Dr . (SPD)...... 19499 A führungsbeschlüsse der Europäischen Kom- Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE)...... 19500 A mission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän- Dr . Daniela De Ridder (SPD)...... 19500 B derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, Tagesordnungspunkt 6: ­SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- und Ergänzung des Einsatzes bewaffne- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- ter deutscher Streitkräfte zur Verhütung satz 3 des Grundgesetzes und Unterbindung terroristischer Hand- Keine Zulassung der gentechnisch verän- lungen durch die Terrororganisation IS derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 auf Grundlage von Artikel 51 der Charta für den Anbau in der EU der Vereinten Nationen in Verbindung mit Drucksache 18/10029...... 19509 C Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ Europäische Union und den Resolutionen DIE GRÜNEN)...... 19509 C 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen sowie (CDU/CSU)...... 19510 D des Beschlusses der Staats- und Regierungs- Dr . (DIE LINKE)...... 19511 D chefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 Drucksache 18/9960...... 19500 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 19513 A Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister Rita Stockhofe (CDU/CSU)...... 19514 B AA...... 19500 D Carsten Träger (SPD)...... 19516 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 19502 C (CDU/CSU)...... 19516 D Dr . , Parl . Staatssekretär (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BMVg...... 19503 C (Erklärung nach § 29 GO)...... 19517 D (BÜNDNIS 90/ (SPD) DIE GRÜNEN)...... 19505 A (Erklärung nach § 29 GO)...... 19518 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 V

Tagesordnungspunkt 8: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Erste Beratung des von der Bundesregierung Technikfolgenabschätzung zu dem An- eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- trag der Abgeordneten Sigrid Hupach, zes zur Entlastung insbesondere der mit- Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, wei- telständischen Wirtschaft von Bürokratie terer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) LINKE: Bundesprogramm „Kultur Drucksache 18/9949...... 19519 A macht stark. Bündnisse für Bildung“ , Parl . Staatssekretärin weiterentwickeln und seine Fortführung BMWi...... 19519 B jetzt vorbereiten Drucksachen 18/8181, 18/10063...... (DIE LINKE) ...... 19520 A 19533 C Helmut Nowak (CDU/CSU)...... 19520 D Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . . 19533 C Dr .Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE)...... 19534 C DIE GRÜNEN)...... 19522 C (SPD)...... 19535 C Matthias Ilgen (SPD) ...... 19523 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ Margaret Horb (CDU/CSU)...... 19524 D DIE GRÜNEN)...... 19537 A (SPD)...... 19526 A Stefan Müller, Parl . Staatssekretär BMBF. . . . 19537 D Dr . (SPD) ...... 19539 B Tagesordnungspunkt 11: Dr . (CDU/CSU)...... 19540 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 13: , , Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- a) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr . Franziska Brantner, Medizinische Versorgung für Geflüchte- (Köln), weiterer Abgeordneter und der te und Asylsuchende diskriminierungs- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: frei sichern Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria nicht ungesühnt lassen Klein-Schmeink, , Kordula Drucksache 18/10031...... 19541 B Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- NEN: Psychotherapeutische und psy- schusses für Menschenrechte und humani- chosoziale Versorgung von Asylsuchen- täre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten den und Flüchtlingen verbessern , Dr .Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter Drucksachen 18/7413, 18/6067, 18/9933. . . . 19527 A und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Reiner Meier (CDU/CSU) ...... 19527 A NEN: Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern (DIE LINKE)...... 19527 D Drucksachen 18/9687, 18/9939...... 19541 B (SPD) ...... 19529 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19541 C DIE GRÜNEN)...... 19530 A (CDU/CSU) ...... 19542 C (CDU/CSU)...... 19531 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... (SPD)...... 19532 A 19543 B Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 19544 A

Tagesordnungspunkt 10: Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19544 C a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Mehr Bildungschancen für be- Tobias Zech (CDU/CSU)...... 19545 C nachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen – Bundesprogramm „Kultur Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ macht stark. Bündnisse für Bildung“ DIE GRÜNEN)...... 19546 D nach 2017 weiterentwickeln und fortset- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 19547 B zen Drucksache 18/10016...... 19533 B Tobias Zech (CDU/CSU)...... 19547 D VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Tagesordnungspunkt 12: Dr . (CDU/CSU)...... 19561 A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Renate Künast (BÜNDNIS 90/ SPD: Schutz vor Biowaffen ausbauen – Das DIE GRÜNEN)...... 19562 A Biowaffenübereinkommen stärken (SPD) ...... 19563 B Drucksache 18/10017...... 19548 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU)...... 19563 D Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 19548 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 19549 B DIE GRÜNEN)...... 19564 C Robert Hochbaum (CDU/CSU) ...... 19550 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 17: DIE GRÜNEN)...... 19550 D Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, René Röspel (SPD)...... 19551 D Heike Hänsel, Jan van Aken, weiterer Abge- (CDU/CSU)...... 19552 C ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Frie- den, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen – Absetzung Tagesordnungspunkt 15: der Präsidentin Brasiliens missbilligen Drucksache 18/10013...... 19565 B Antrag der Abgeordneten , Stefan Liebich, Dr .Gesine Lötzsch, weiterer Abge- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 19565 C ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Been- Dr . (CDU/CSU)...... 19566 B digungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksache 18/8130...... 19553 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19567 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 19553 C (SPD)...... 19568 C (CDU/CSU) ...... 19554 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19555 C Tagesordnungspunkt 16: Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 19556 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Kai Wegner (CDU/CSU) ...... 19557 B Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ (SPD)...... 19558 B CSU und SPD: Achtung der Menschenrech- te in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern Drucksachen 18/8706, 18/9938 ...... 19570 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zusatztagesordnungspunkt 8: Stärkung der nichtfinanziellen Berichter- stattung der Unternehmen in ihren Lage- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und und Konzernlageberichten (CSR-Richtli- SPD: Schutz von Walen und Delfinen stär- nie-Umsetzungsgesetz) ken Drucksache 18/10019...... 19570 C Drucksache 18/9982...... 19559 A

in Verbindung mit in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 9: Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Maisch, , weiterer Abge- Katja Keul, , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamen Walschutz weltweit GRÜNEN: Zukunftsfähige Unternehmens- durchsetzen verantwortung – Nachhaltigkeitsberichte Drucksache 18/10032...... 19570 D wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie Drucksache 18/10030...... 19559 B Tagesordnungspunkt 19: , Parl . Staatssekretär BMJV . . . . 19559 C Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (DIE LINKE) ...... 19560 A desregierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 VII

Gesetzes zur Durchführung unionsrechtli- Tagesordnungspunkt 25: cher Vorschriften über das Schulprogramm Erste Beratung des von der Bundesregierung für Obst, Gemüse und Milch (Landwirt- eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- schaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz – zes zur Änderung der Insolvenzordnung LwErzgSchulproG) Drucksache 18/9983...... 19572 D Drucksachen 18/9519, 18/9760, 18/9879 Nr . 3, 18/10058...... 19571 A Nächste Sitzung ...... 19572 D

Tagesordnungspunkt 20: Anlage 1 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 19573 A desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefah- Anlage 2 ren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stof- fen, zur Änderung und anschließenden Auf- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten hebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 18/9417, 18/10057 ...... 19571 B NEN) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Tagesordnungspunkt 21: Dr .Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer – Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Bundesprogramm „Kultur macht stark . Bünd- eines Gesetzes zur Beendigung der Son- nisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine derzuständigkeit der Familienkassen Fortführung jetzt vorbereiten des öffentlichen Dienstes im Bereich des (Tagesordnungspunkt 10 b)...... 19573 C Bundes Drucksachen 18/9441, 18/10045...... 19571 C Anlage 3 – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung § 96 der Geschäftsordnung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Drucksache 18/10059...... 19571 D Ausschusses für Menschenrechte und humani- täre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschen- rechte in Burundi einfordern – Friedensdialog Tagesordnungspunkt 22: fördern Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Tagesordnungspunkt 16)...... 19573 C desregierung eingebrachten Entwurfs eines Iris Eberl (CDU/CSU) ...... 19573 D Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze (Chemnitz) (CDU/CSU). . . . 19574 C Drucksachen 18/9418, 18/10067 ...... 19572 A (SPD) ...... 19575 D Inge Höger (DIE LINKE)...... 19577 B Tagesordnungspunkt 23: Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19578 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- zes zur Änderung des Regionalisierungsge- Anlage 4 setzes Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Drucksache 18/9981...... 19572 B – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz von Walen und Delfinen stärken Tagesordnungspunkt 24: – des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Annalena Erste Beratung des von der Bundesregierung Baerbock, weiterer Abgeordneter und der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stärkung der Bekämpfung der Schwarzar- Wirksamen Walschutz weltweit durchset- beit und illegalen Beschäftigung zen Drucksache 18/9958...... 19572 C (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) . . . . . 19578 C VIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Gitta Connemann (CDU/CSU)...... 19578 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 19593 B Dr . Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU)...... 19579 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 19594 A Christina Jantz-Herrmann (SPD)...... 19580 D Birgit Menz (DIE LINKE)...... 19581 C Anlage 8 Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung DIE GRÜNEN)...... 19582 B des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- Anlage 5 tistikgesetze (Tagesordnungspunkt 22)...... 19594 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Dr . (CDU/CSU)...... 19595 A Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung Barbara Woltmann (CDU/CSU)...... 19595 C unionsrechtlicher Vorschriften über das Schul- programm für Obst, Gemüse und Milch (Land- Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 19596 B wirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz (DIE LINKE)...... 19597 B – LwErzgSchulproG) (Tagesordnungspunkt 19)...... 19583 B Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 19598 B (CDU/CSU)...... 19583 C Carola Stauche (CDU/CSU)...... 19584 A Anlage 9 Jeannine Pflugradt (SPD)...... 19584 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Karin Binder (DIE LINKE)...... 19585 D des von der Bundesregierung eingebrachten Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung DIE GRÜNEN)...... 19586 C des Regionalisierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 23)...... 19600 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . 19600 A Anlage 6 Sebastian Hartmann (SPD)...... 19600 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (DIE LINKE)...... 19601 D Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der DIE GRÜNEN)...... 19602 D Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden , Parl . Staatssekretär Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates BMVI...... 19603 C (Tagesordnungspunkt 20)...... 19587 C Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 19587 C Anlage 10 (DIE LINKE)...... 19588 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ des von der Bundesregierung eingebrachten DIE GRÜNEN)...... 19589 C Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Be- kämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Be- Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- schäftigung rin BMUB...... 19590 B (Tagesordnungspunkt 24)...... 19604 B (CDU/CSU)...... 19604 B Anlage 7 Ingrid Arndt-Brauer (SPD)...... 19604 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 19605 D des von der Bundesregierung eingebrachten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 19606 B Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes BMF ...... 19607 A (Tagesordnungspunkt 21)...... 19591 B (CDU/CSU)...... 19591 B Anlage 11 Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU). . . . . 19592 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (SPD)...... 19592 D des von der Bundesregierung eingebrachten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 IX

Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 19609 C der Insolvenzordnung Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 19609 D (Tagesordnungspunkt 25)...... 19608 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . 19610 C Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU)...... 19608 A Christian Lange, Parl . Staatssekretär Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 19609 A BMJV...... 19611 C

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19415

(A) (C)

196. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 20. Oktober 2016

Beginn: 9 .00 Uhr

Präsident Dr. : ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . der CDU/CSU und SPD: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Lage in Syrien und Irak und die internatio- begrüße Sie alle herzlich und mache Sie darauf aufmerk- nalen Bemühungen um eine Stabilisierung der sam, dass seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin Region Sibylle Pfeiffer und der Kollege Willi Brase jeweils ih- (siehe 195 . Sitzung) ren 65 . Geburtstag gefeiert haben . Dazu gratulieren wir herzlich . ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren (Beifall) (Ergänzung zu TOP 33) Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr! a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate (B) Für den ausgeschiedenen Kollegen Peer Steinbrück ist Walter-Rosenheimer, Maria Klein-Schmeink, (D) die Kollegin Bettina Bähr-Losse als Mitglied des Deut- Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter schen Bundestages nachgerückt, die ich auch im Namen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des ganzen Hauses herzlich begrüßen möchte . Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern (Beifall) Drucksache 18/9856 Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit . Überweisungsvorschlag: Dann müssen wir noch die Wahl von Mitgliedern des Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau Ausschuss für Gesundheit durchführen . Hierzu schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor, b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias den Kollegen Bartholomäus Kalb sowie den Kollegen Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Eckhardt Rehberg für eine weitere Amtszeit als Mit- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ glieder des Verwaltungsrates zu berufen .– Das erzeugt DIE GRÜNEN offenkundig keine größere Beunruhigung, Fahrverbot für laute Güterwagen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu- stimmung! – Dr . [DIE LIN- Drucksache 18/10033 KE]: Aber nur, wenn geteilt wird!) ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus- sondern allgemeines Einvernehmen . Dann soll das so sprache sein . (Ergänzung zu TOP 34) Auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll der Kollege Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Carsten Schneider ebenfalls für eine weitere Amtszeit richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- als Mitglied des gleichen Gremiums gewählt werden, gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- was er durch Nicken bestätigt .– Niemand lässt erkennen, neten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole dass er dagegen Einwände habe . Dann ist auch das so Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion beschlossen . Die drei genannten Kollegen sind für eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitere Amtszeit gewählt . Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugän- Schließlich gibt es eine interfraktionelle Vereinba- ge einführen rung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: Drucksachen 18/8573, 18/10062 19416 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) ZP 4 Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (C) und DIE LINKE NIS 90/DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Ge- Drucksache 18/10032 setzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“ ZP 10 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Drucksache 18/10021 Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE des Übergangs vom Erwerbsleben in den LINKE: Ruhestand und zur Stärkung von Präven- tion und Rehabilitation im Erwerbsleben Umsetzung der Auflagen des Bundesverfas- (Flexi-Rentengesetz) sungsgerichts zu CETA durch die Bundesre- gierung Drucksache 18/9787 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, schusses für Arbeit und Soziales (11 .Aus - weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- schuss) NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/10065 zu den Entwürfen für eine Durchführungs­ – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - verordnung und zwei Durchführungsbe­ schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung schlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut­ Drucksache 18/10066 zum Anbau der gentechnisch veränderten b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, (11 . Ausschuss) SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Fraktion DIE LINKE (B) Grundgesetzes (D) Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Keine Zulassung der gentechnisch veränder- Übergänge in die Rente für alle Versicher- ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für ten erleichtern den Anbau in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Drucksache 18/10029 Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller- ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Ab- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Flexible und sichere Rentenübergänge er- GRÜNEN möglichen Zukunftsfähige Unternehmensverantwor- – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz- aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti- CSR-Richtlinie on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/10030 Kommunales Ehrenamt stärken – Anrech- nung von Aufwandsentschädigungen auf Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) die Rente neu ordnen Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ 18/10065 sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ZP1 1 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ zes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas- CSU und SPD sungsgesetzes und anderer Gesetze Schutz von Walen und Delfinen stärken Drucksache 18/9232 Drucksache 18/10019 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales (11 .Ausschuss) ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Drucksache 18/10064 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19417

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- vor Manipulationen an digitalen Grundauf- (C) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales zeichnungen (11 . Ausschuss) Drucksache 18/9535 – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Überweisungsvorschlag: , Matthias W . Birkwald, wei- Finanzausschuss terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Sportausschuss KE Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Etablierung von Leiharbeit und Miss- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft brauch von Werkverträgen verhindern Ausschuss Digitale Agenda – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Der am 22 .September 2016 (190 . Sitzung) überwie- Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (13 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Missbrauch von Leiharbeit und Werkver- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- trägen verhindern gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- zung der Änderungen der EU-Amtshilfericht- Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064 linie und von weiteren Maßnahmen gegen ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Gewinnkürzungen und -verlagerungen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 18/9536 Aufklärung der Umstände der Verhaftung Überweisungsvorschlag: und des Todes im Fall Jaber Albakr Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . Haushaltsausschuss Der Tagesordnungspunkt 18 – hier geht es um die ab- Die am 30 . September 2016 gemäß § 80 Absatz 3 der schließende Beratung eines Gesetzentwurfs zur Neuord- Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrich- nung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarkt­ tung soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senio- stabilisierung – soll abgesetzt werden . Stattdessen sollen ren, Frauen und Jugend (13 .Ausschuss) zur Mitbera- unter Beibehaltung der Debattenzeit von 25 Minuten tung überwiesen werden: (B) (D) der Antrag auf der Drucksache 18/10019 mit dem Titel Unterrichtung durch die Bundesregierung „Schutz von Walen und Delfinen stärken“ sowie der An- trag auf Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Walschutz weltweit durchsetzen“ aufgerufen und sofort Unfallverhütung im Straßenverkehr 2014 und über sie abgestimmt werden . 2015 Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte- (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs . 2014/15) Ich mache Sie schließlich noch auf mehrere nach- Drucksache 18/9640 trägliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zu- Überweisungsvorschlag: satzpunkteliste aufmerksam: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Der am 22 . September 2016 (190 .Sitzung) überwie- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanzausschuss (7 .Ausschuss) zur Mitberatung über- Ich frage auch hier vorsichtshalber, ob irgendjemand wiesen werden: Einwände hat .– Das ist nicht erkennbar . Also ist es so beschlossen . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Nun sind wir bei unserem ersten Tagesordnungspunkt, Änderung des Seefischereigesetzes dem Tagesordnungspunkt 3: Drucksache 18/9466 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteili- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) gung des Bundes an den Kosten der Integrati- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz on und zur weiteren Entlastung von Ländern Finanzausschuss und Kommunen Der am 22 . September 2016 (190 .Sitzung) überwie- Drucksache 18/9980 sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) zur Haushaltsausschuss (f) Mitberatung überwiesen werden: Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Finanzausschuss gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz Ausschuss für Arbeit und Soziales 19418 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Immobili- (C) Debatte 77 Minuten dauern .– Das ist offenbar einver- enaufgaben ihre Liegenschaften den Gebietskörperschaf- nehmlich . Also verfahren wir so . ten zur Unterbringung von Flüchtlingen mietzinsfrei zur Verfügung gestellt . Gegen Nachweis erstattet sie Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem auch die entstandenen notwendigen und angemessenen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Erstinstandsetzungs- und Erschließungskosten . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese bereits umfassenden Entlastungen von Ländern und Kommunen durch den Bund haben mit dazu bei- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- getragen, dass sich die Haushaltslage von Ländern und zen: Kommunen gegenwärtig sehr positiv entwickelt . Dies Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- muss man immer wieder ins Gedächtnis aller Beteiligten ren! Man kann vermutlich darüber streiten, ob man die rufen . große Zahl von Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr in Deutschland angekommen sind, so vorhersehen konnte . Mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Ich glaube, das Ausmaß hat uns alle überrascht . Die Bun- Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von desregierung jedenfalls hat vom ersten Moment an alles Ländern und Kommunen, das uns im Entwurf heute vor- getan, um die Herausforderungen zu meistern . Ich habe liegt, bringen wir die zwischen Bund und Ländern auf schon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2016 im Regierungschefebene am 16 . Juni und 7 . Juli dieses Jah- September des vergangenen Jahres gesagt: Diese Aufga- res vereinbarten Entlastungen auf den Weg . Alleine diese be hat oberste Priorität, und wir werden sie auch finanzie- weiteren Entlastungen summieren sich bis zum Jahr 2019 ren . – Das ist uns bisher auch gut gelungen . auf knapp 20 Milliarden Euro . Im Einzelnen: Alle staatlichen Ebenen arbeiten eng zusammen . Wir Der Bund wird in den Jahren 2016 bis 2018 die Kos- haben mit den beiden Asylpaketen eine gute gesamtstaat- ten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asyl- liche Lösung hinbekommen und passgenaue Antworten und Schutzberechtigte vollständig übernehmen . Dadurch gefunden, die allen Beteiligten gerecht werden . Am Geld werden die Kommunen voraussichtlich um etwa 2,6 Mil- wird die Integration nicht scheitern; auch das hat die liarden Euro entlastet . Bundesregierung von Anfang an gesagt . Die Bundesre- Die Länder erhalten vom Bund für die Jahre 2016 bis gierung wird ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bei 2018 eine jährliche Integrationspauschale in Höhe von der Aufnahme und Integration der zu uns Gekommenen 2 Milliarden Euro . gerecht . Der Bund hat für die Bewältigung der Zuwande- rung und zur Bekämpfung der Fluchtursachen in diesem Der Bund gewährt den Ländern für den im Integrati- (B) Jahr etwa 18,2 Milliarden Euro ausgegeben bzw . ein- onskonzept enthaltenen Wohnungsbau zusätzlich jeweils (D) gestellt – ausgegeben ist noch nicht alles . 2017 werden 500 Millionen Euro als Kompensationsmittel für die Jah- wir knapp 21 Milliarden Euro, 2018 sogar 22 Milliarden re 2017 und 2018 über die bereits in den Entflechtungs- Euro bereitstellen . mitteln enthaltenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau hinaus . Es ist klar, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung im Nahen Osten und in Afrika fördern müssen, um, so- Der Bund verbessert außerdem die Finanzausstattung weit es uns möglich ist, die Ursachen für die Flüchtlings- der Kommunen, wie schon im Koalitionsvertrag festge- ströme zu bekämpfen und sie damit zu verringern . Auch legt, ab dem Jahr 2018 um zusätzliche 5 Milliarden Euro deswegen bildet die Zusammenarbeit mit Afrika einen pro Jahr . Er verzichtet dazu auf Anteile am Aufkommen Schwerpunkt europäischer Politik, aber auch unsere der Umsatzsteuer und erhöht seine Beteiligung an den G-20-Präsidentschaft, die im Dezember beginnt . Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsiche- rung für Arbeitsuchende . Die Länder haben sich in den Der Bund hat aber auch die Länder und die Kommu- genannten Konferenzen auf einen Schlüssel der Vertei- nen in den letzten beiden Jahren deutlich entlastet . Ich lung geeinigt, der allerdings, wie ich weiß, im parla- möchte die Zahlen einmal im Zusammenhang vortragen . mentarischen Verfahren, was ja auch die Aufgabe des Im Jahre 2015 haben wir pauschal 2 Milliarden Euro Bundestages ist, einer intensiven Prüfung und Beratung über den Länderanteil an der Umsatzsteuer zur Verfü- unterzogen werden wird . gung gestellt . In diesem Jahr sind es rund 6,9 Milliarden Das alles ist jedenfalls – das sage ich auch vor dem Euro . Hintergrund der Verhandlungen in der vergangenen Wo- Wir haben mit dem Asylverfahrensbeschleunigungs- che – doch wohl ein Beweis dafür, dass der Bund Länder gesetz eine verfahrensabhängige Kostenbeteiligung des und Kommunen bei ihren Aufgaben nachhaltig unter- Bundes sichergestellt – auch für die kommenden Jahre . stützt . Vom ersten Tag der Registrierung bis einen halben Mo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nat nach der Entscheidung des Bundesamts für Migra- ordneten der SPD) tion und Flüchtlinge erhalten die Länder pro Bewerber 670 Euro pro Monat. Im Augenblick findet die Spitzab- Es wird ja in der Öffentlichkeit auch angesichts der rechnung für die Abschlagszahlung 2017 statt . Das wird Zahlen, die eine gute Haushaltslage der öffentlichen in diesem Jahr über die bereits eingestellten Gelder in Hand in Deutschland insgesamt belegen – damit ste- Höhe von knapp 3 Milliarden Euro hinaus einen erhebli- hen wir im Gegensatz zu vielen unserer Nachbarländer chen zusätzlichen Betrag erfordern . in Europa –, die Frage gestellt: Können wir nicht noch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19419

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) mehr tun? – Hier ist zunächst einmal schon der Hinweis Der Bund wird jedenfalls seine Bemühungen fortsetzen, (C) notwendig, dass sich hier zunehmend ein gesamtstaat- im Rahmen seiner Möglichkeiten finanzschwachen Ge- liches Problem verdichtet . Das haben wir gerade auch meinden zu helfen . im jüngsten Gutachten gelesen, das das ifo-Institut für Aber noch einmal: Wir müssen dafür werben, dass die das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat . Es reicht Weitergabe der Mittel in allen Ländern entsprechend der nämlich nicht aus, dass wir Geld bereitstellen, sondern Zielsetzung erfolgt . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Mittel müssen auch abfließen, die Vorhaben müssen mit den Ländern vereinbart haben, dass der Bund und auch umgesetzt werden . Hier haben wir zunehmend ein auch der Bundesrechnungshof in Zukunft stärker darauf gesamtstaatliches Problem . achten können, dass die Mittel entsprechend der Zweck- Ich nenne als Beispiel den Kindertagesstättenausbau . setzung bei den Ländern verwendet werden . Das ist kei- Der Bund hat ihn in den vergangenen Jahren mit Mil- neswegs irgendein Angriff auf die Länder oder Ausdruck liardenbeträgen gefördert . Anfang dieses Jahres haben eines Misstrauens ihnen gegenüber, sondern es geht ein- wir die Mittel dafür im Zusammenhang mit den Flücht- fach nur darum, unsere jeweiligen Aufgaben innerhalb lingsherausforderungen noch einmal deutlich erhöht . Ein der föderalen Grundordnung optimal zu erfüllen . paar Wochen danach mussten wir aber zunächst einmal Ich will zu den Vereinbarungen in der vergangenen das entsprechende Programm verlängern, weil die be- Woche gar nichts weiter sagen . Das war wie immer ein reits etatisierten Mittel nicht schnell genug abgeflossen langes Ringen . Noch manches Mal wird es angesichts sind . Sie werden nicht abgerufen . Das heißt, wir müssen der Herausforderungen durch die rasanten, schnellen schneller werden; denn wir können natürlich die Kinder- Veränderungen in Zeiten der Globalisierung wichtig tagesstätten für Flüchtlinge nicht erst dann bauen, wenn sein, losgelöst vom aktuellen Streit gemeinsam darüber aus den Flüchtlingen schon Senioren geworden sind . nachzudenken, wie wir unser föderales System, das ja im Dann müssten wir eher Betreuungsheime bauen . Prinzip gut und richtig ist, noch leistungsfähiger machen können . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Länder, die Gemeinden und der Bund haben je- denfalls die großen Herausforderungen durch die starke Das muss in Deutschland ein bisschen schneller gehen . Zuwanderung von Flüchtlingen bisher in einem außerge- wöhnlich guten Maße gemeistert . Auch das ist ein Ruh- (Beifall bei der CDU/CSU) mesblatt für die Bundesrepublik Deutschland . Das sehen wir zunehmend auch – das belegen entspre- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) chende Gutachten – bei den Ausgaben für die öffentliche (B) Verkehrsinfrastruktur . Auch hier müssen wir besser wer- Deswegen werden wir weiter daran arbeiten, dass die fö- (D) den . Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass wir in den derale Ordnung diese Aufgaben meistern kann, dass sie Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern in sich durch schnelle Entscheidungs- und Handlungsfähig- der vergangenen Woche in diese Richtung Fortschritte keit bewährt . Der Bund ist sich seiner Verantwortung für erzielt haben, die wir jetzt noch umsetzen müssen . die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufga- be bewusst . Ich lasse in meinem Haus auch prüfen – ich will damit Wir alle miteinander, Länder, Gemeinden und der zeigen, dass wir alles tun, um irgendwie Lösungen zu fin- Bund, haben im Großen und Ganzen alles getan, um die den –, ob wir bei Projekten, durch die wir den Kommu- starke Zuwanderung von Flüchtlingen zu meistern . Wir nen Mittel zur Verfügung stellen, nicht möglicherweise haben das bisher ganz gut hinbekommen . Dass uns das auch Kapazitäten für Planungsverfahren bei den Kom- weiterhin gelingen kann, dazu soll der vorliegende Ge- munen mit einbeziehen können . Das ist verfassungs- setzentwurf beitragen . rechtlich nicht ganz einfach, aber wir suchen jeden Weg, um zu helfen . Herzlichen Dank . Wir haben in der vergangenen Woche auch beschlos- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sen, die Mittel für den Fonds zur Förderung von Inves- titionen finanzschwacher Kommunen aufzustocken und Präsident Dr. Norbert Lammert: zu verlängern . Diese Mittel verteilen wir nach einem Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri- Schlüssel über die Länder, der auch nicht völlig ohne Pro- büne möchte ich eine Delegation des österreichischen bleme ist. Es ist aber besser, wir helfen finanzschwachen Nationalrates herzlich begrüßen, die in dieser Woche Gemeinden über einen nicht hundertprozentig perfekten mit vielen Mitgliedern des Bundestages aus verschiede- Schlüssel, als gar nicht . Außerdem heben wir die Zweck- nen Gremien zahlreiche Gespräche führt und damit unter- setzung ein Stück weit auf, weil wir bei der Verwendung streicht, dass wir viele gemeinsame Interessen und ganz dieser Mittel für Kommunen durch die Föderalismusre- sicher eine gemeinsame Verantwortung haben . Herzlich form außergewöhnlich beschränkt sind . Ich glaube, das willkommen und weiterhin gute Zusammenarbeit! ist richtig; denn so können wir in den nächsten Jahren auch in finanzschwachen Kommunen mehr für Schulen (Beifall) tun . Deswegen begrüße ich die Absprachen, die wir in Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gesine Lötzsch der vergangenen Woche dazu getroffen haben . für die Fraktion Die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der LINKEN) 19420 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Wir haben im Bundeshaushalt Geld für viele Baupro- (C) Vielen Dank .– Herr Präsident! Meine sehr geehrten jekte zur Verfügung gestellt, die jetzt nicht umgesetzt Damen und Herren! Monatelang haben Bund und Län- werden können . Gestern im Haushaltsausschuss sagte die der laut und öffentlichkeitswirksam über die Verteilung Bauministerin – ich sage es einmal höflich – ein bisschen der Kosten gestritten . Man kann über diesen Streit vieles hilflos, es gebe auch bei Studiengängen einen Schwei- sagen, aber eines, finde ich, muss man sagen: Er war vor nezyklus, es gebe halt nicht genug Bauingenieure und allen Dingen gefährlich, und zwar brandgefährlich im Architekten und sie wisse nicht, was man da machen sol- wahrsten Sinne des Wortes . Das dürfen wir nicht zulas- le . Was man da machen soll, kann ich Ihnen sagen: Wir sen, meine Damen und Herren . brauchen eine nachhaltige und vorausschauende Politik und keine Politik, die von einem Monat zum anderen he- Wir haben gesehen, dass es in dem monatelangen chelt . Wir müssen unser Gemeinwesen so ausgestalten, Streit zu Annäherungen kam . Aber ich will daran erin- dass wir nicht in eine Situation kommen, dass der Staat nern, dass wir auch schon Situationen hatten, in denen schwach ist . Wir brauchen einen starken Staat; denn nur wir schwierige Fragen in ganz kurzer Zeit gelöst haben . Reiche können sich einen schwachen Staat leisten – und Ich darf Sie daran erinnern, wie schnell wir die Banken- das wollen wir nicht, meine Damen und Herren . rettung beschlossen haben . Da haben wir eine einzige (Beifall bei der LINKEN) Woche gebraucht, um die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen. Ich finde, diesen Vergleichsmaßstab muss Natürlich wird viel über Ängste und Herausforderun- man schon anlegen . Eine Lösung in der Frage der Kosten gen gesprochen, und manchmal wird gesagt, dass die war überfällig . Ob diese Lösung die richtige ist, müssen Leute sich bestimmte Bedrohungen nur einbilden . Wir wir noch kritisch diskutieren, meine Damen und Herren . müssen aber, wie ich glaube, die Menschen nicht mit Worten, sondern mit Taten überzeugen . Wenn Menschen (Beifall bei der LINKEN) vergeblich eine bezahlbare Wohnung suchen, dann sind Diese Diskussion war doch Wasser auf die Mühlen wir alle in der Verantwortung und können nicht einfach derjenigen in unserem Land, die für jedes der Probleme, sagen, sie bildeten sich das nur ein . Die Wohnungsfra- die wir haben und die wir auch schon hatten, bevor Men- ge ist eine ganz zentrale Frage bei der Bewältigung der schen vor Krieg, Not und Hunger zu uns geflohen sind, Probleme, vor denen wir stehen, und hier müssen wir die Geflüchteten verantwortlich machen. Das zuzulassen, ansetzen und zu guten Entscheidungen kommen, meine das ist politische Verantwortungslosigkeit, meine Damen Damen und Herren . und Herren . Ich will Ihnen aber abschließend sagen, dass der Schlüssel für die Bewältigung aller dieser Probleme in (B) (Beifall bei der LINKEN) der Lösung einer zentralen Frage, nämlich der Gerechtig- (D) Denn die Probleme waren doch schon vorher da: Woh- keitsfrage, liegt . Vor knapp drei Wochen ist ein Erbenver- nungsmangel, marode Schulen, marode Gebäude und schonungsgesetz beschlossen worden . Große Teile der Brücken sowie Investitionsstau an allen Ecken und En- Gesellschaft finanzieren die gesamte Gesellschaft, und den . Der IWF, der Internationale Währungsfonds, der es wird den Reichen erlaubt, sich aus der Verantwortung nun bestimmt keine Vorfeldorganisation der Linken ist, zu stehlen . Das dürfen wir nicht länger mitmachen . Wir hat die Bundesrepublik mehrmals deutlich aufgefordert, brauchen eine gerechte Besteuerung, wir brauchen eine mehr zu investieren . Das müssen wir endlich tun . Wir Erbschaftsteuer, wir brauchen eine Vermögensbesteue- brauchen in dieser Gesellschaft keine Sündenböcke . Es rung . Es kann nicht sein, dass 1 Prozent der Bevölkerung geht nicht nur um die Geflüchteten, sondern es geht um in unserem Land über ein Drittel des Eigentums verfügt . unsere Gesellschaft insgesamt . Es geht um uns alle . Das So können wir unsere Gesellschaft nicht gerecht gestal- müssen wir endlich begreifen, meine Damen und Herren . ten . Gerechtigkeit ist die Schlüsselfrage, nicht nur für die Geflüchteten, sondern für alle Menschen in unserem (Beifall bei der LINKEN) Land . Herr Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt: Man muss Vielen Dank . jetzt dafür sorgen, dass das Geld in den Kommunen (Beifall bei der LINKEN) ankommt, und es muss dafür gesorgt werden, dass das Geld, was da ist, auch dafür verwendet wird, wofür es bereitgestellt wurde . – Wenn jetzt aber mit einem kleinen Präsident Dr. Norbert Lammert: ironischen Unterton gesagt wird: „Die schaffen das nicht Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Gottschalck in den Kommunen . Die Kommunen haben dafür nicht für die SPD-Fraktion . das Personal . Warum haben sie nichts vorbereitet?“, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten möchte ich und muss ich Sie alle daran erinnern, dass der CDU/CSU) systematisch mit den Schlagworten „schlanker Staat“, „Privatisierung“, „die Privaten können alles besser“ die kommunalen Verwaltungen und auch Landesverwaltun- Ulrike Gottschalck (SPD): gen kaputtgespart wurden . Wir stehen jetzt vor einem Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Trümmerhaufen . Dieser muss schnellstens aufgeräumt ren! Liebe Gäste! Anders als meine Vorrednerin würde werden, meine Damen und Herren . ich die Kommunalverwaltung nicht als Trümmerfeld bezeichnen – im Gegenteil . Ich sage: Wir sind stolz auf (Beifall bei der LINKEN) unsere Kommunen; denn wir haben starke Kommunen in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19421

Ulrike Gottschalck (A) Deutschland, und die Städte, Gemeinden und Landkreise nungsgemäß verwandt wird, kommt all dies ebenfalls (C) sind die Kraftwerke unseres sozialen Miteinanders, weil den Kommunen zugute . sie Kinderbetreuung, Nahversorgung, gute Mobilität, das Die Vertreter der Kommunen begrüßen deshalb auch soziale Netz und alles Mögliche mehr vor Ort organisie- diesen Gesetzentwurf . Indem er die zugesagte Entlastung ren. Und das muss auch finanziert werden. der Kommunen um 5 Milliarden Euro regelt, bekommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sie Planungssicherheit für ihre Haushalte . Sie kritisieren der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ jedoch, dass die Entlastung nicht vollständig über die DIE GRÜNEN) Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft reali- siert wird . Insbesondere kritisieren sie, dass 1 Milliarde Deutschland braucht deshalb starke Kommunen, in Euro und damit ein Fünftel der Entlastung an die Länder denen die Menschen gern leben . Denn die Menschen er- über deren Anteile an der Umsatzsteuer fließt. Sie - be leben dort auch, ob die Daseinsvorsorge, ihr ganz nor- fürchten, dass dieses Geld nicht eins zu eins in den Kom- males Leben, funktioniert oder eben nicht . Und damit munen ankommt . es funktioniert, müssen die Kommunen gut ausgestattet sein . Auch ich hege Zweifel, meine sehr geehrten Damen und Herren . Aber wir müssen uns nicht wundern, wenn Es gibt Kommunen, denen es gut geht, aber es gibt am Verhandlungstisch nur der Bund und die Länderfürs- leider auch Kommunen, die seit Jahren darum kämpfen, ten sitzen, von denen sich zudem einige auch noch zu finanziell handlungsfähig zu bleiben. Zusätzlich wächst modernen Raubrittern entwickeln . die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen . Des- halb hat sich die Regierungskoalition darauf verständigt, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der dass die Entlastung der Kommunen absolute Priorität be- CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- kommt. Das finanzielle Engagement des Bundes zuguns- KE]: Ja, der schlimmste ist Horst Seehofer!) ten von Ländern und Kommunen ist – das sollten wir immer wieder betonen – in der Geschichte der Bundes- Ich will dabei nicht parteipolitisch werden . Das betrifft republik einmalig . Bis zum heutigen Tag haben wir die Politiker jeglicher Couleur – unsere wie eure . Und sie Kommunen bereits um viele Milliarden Euro entlastet . passen erst einmal auf die Finanzen in ihren jeweiligen Ländern auf . Wir brauchen zukünftig einen Dreieckstisch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von Bund, Ländern und Kommunen . Alle Beteiligten der CDU/CSU) und Verantwortlichen müssen sich auf gleicher Augen- höhe begegnen und gemeinsam Handlungsmöglichkei- Da ist zunächst einmal die Übernahme der Kosten der ten sichern . Grundsicherung zu nennen . Dann unterstützen wir den (B) Ausbau der Kinderbetreuung, obwohl dieser in die ver- Wir alle sind nun gefordert, bei den Ländern genau (D) fassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder fällt . Wir aufzupassen und dafür zu sorgen, dass die Mittel auch geben sogar noch Geld für die Betriebskosten und die bei den Kommunen ankommen . Das betrifft im Übri- Sprachförderung in den Kitas . Wir haben das Zukunfts- gen auch die aktuell vereinbarten Verhandlungen zu den investitionsprogramm aufgelegt, und die Mittel für die Bund-Länder-Finanzbeziehungen . Ich glaube, hier liegt Städtebauförderung werden von 54 Millionen Euro auf noch viel Arbeit vor uns . Denn wir müssen ja die Gesetze 1,3 Milliarden Euro im nächsten Jahr erhöht . Auch das in Papierform bringen und zusehen, dass sie verfassungs- Programm „Soziale Stadt“ wird davon erheblich profi- konform sind . Und der Teufel liegt bekanntlich im Detail . tieren . Hinzu kommen Denkmalschutzprogramme, die Ich denke, nach den Haushaltsberatungen wird es munter Übernahme des BAföG sowie – ich kann das gerne fort- mit dieser Gesetzgebung losgehen . setzen – die Breitbandversorgung, der Hochwasserschutz und die Stärkung des Tourismus . Kommunalinteressen Wir auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kolle- sind bei der GroKo in guten Händen . „Versprochen, ge- gen, haben auf jeden Fall unsere Hausaufgaben gemacht . halten!“, meine sehr geehrten Damen und Herren . Erneut fließen Bundesmittel in Milliardenhöhe in die Kommunen . Und das ist gut so . Wir wissen ja: Deutsch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten land braucht starke Kommunen; denn sie sind die Orte, der CDU/CSU) wo soziale Gesellschaft und lebendige Demokratie herr- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir eine schen . weitere Entlastung von Ländern und Kommunen auf den Vielen Dank . Weg bringen, die sich bis zum Jahr 2019 auf 20 Milliar- den Euro summiert . Konkret sollen die Kosten der Un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten terkunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutz- der CDU/CSU) berechtigte in der Grundsicherung vollständig erstattet werden . So werden die Kommunen spürbar von zusätzli- Präsident Dr. Norbert Lammert: chen Ausgaben entlastet . Damit wird eine wichtige kom- Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann munale Forderung aufgegriffen . für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Zusätzlich sollen die Länder für die Jahre 2016 bis 2018 eine Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliar- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den Euro und 2017 und 2018 je 500 Millionen Euro für Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den Wohnungsbau bekommen, was auch extrem wichtig Kollegen! In der Tat reden wir heute über einen Gesetz- ist . Wenn dieses Geld auch noch von den Ländern ord- entwurf, bei dem es lange gedauert hat, bis er das Parla- 19422 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Britta Haßelmann (A) ment erreichte, und der schon lange Zeit überfällig war; Frau Kollegin Gottschalck, Sie haben gerade gesagt: (C) denn er bringt Entlastungen für die Kommunen und die Versprochen und gehalten .– Ich möchte auf einen Punkt Länder bei der Integration und unterstützt sie bei der hinweisen, wo das nicht der Fall ist . Sie haben im Ko- Aufgabe der Eingliederung . Gerade die Kommunen leis- alitionsvertrag zugesagt, dass 5 Milliarden Euro an die ten sehr wichtige Aufgaben dabei und sind eigentlich die Kommunen gehen . Wenn man sich den Gesetzentwurf Stütze des Ganzen . Denn ohne die Kommunen wären wir genau anschaut, dann stellt man fest, dass dem nicht bei der Integration und der Aufnahme von Menschen, die so ist . 4 Milliarden Euro gehen an die Kommunen, und auf der Flucht waren, nicht da, wo wir heute sind . Das 1 Milliarde Euro geht an die Länder . Das heißt, aus dem wissen wir alle . „Versprochen und gehalten“ ist nichts geworden . Die 5 Milliarden Euro gehen schließlich nicht in Gänze an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Kommunen . Es ist gut so, dass durch die Einbringung des Gesetz- Sie haben darüber hinaus versprochen, dass 5 Milli- entwurfs klar wird, dass der Bund sich aus der Verant- arden Euro als Entlastung bei der Eingliederungshilfe an wortung, endlich die Kosten der Integration wenigstens die Kommunen gehen . Davon redet in diesem Haus nie- ansatzweise zu übernehmen, nicht länger wegdrückt . mand mehr . Beim Bundesteilhabegesetz wird nun ganz Dazu haben die Länder und die kommunalen Spitzen- anders argumentiert . Wir müssen erst einmal sehen, wie verbände Sie, meine Damen und Herren von der Großen hier die Finanzierung laufen soll . All diejenigen, die sich Koalition, wirklich drängen müssen . in dieser Hinsicht Hoffnungen gemacht haben, werden (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ enttäuscht, weil nun klar ist, dass es dafür keine Mittel CSU und der SPD) mehr geben wird . 4 Milliarden Euro sollen nun zum ei- nen über den Umsatzsteueranteil und zum anderen über – Das ist so, meine Damen und Herren . die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft an die Kommunen gehen . Dabei haben Sie ein ganz großes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Problem. Selbst Herr Schäuble hat vorhin von den finanz- Wie viel Druck hat es vonseiten der Länder und der schwachen Kommunen geredet . Aber Sie verfahren hier Kommunen gebraucht und wie oft mussten sie immer wieder nach dem Gießkannenprinzip . Statt 5 Milliarden wieder betonen: „Wir nehmen die Menschen auf, die auf Euro gehen über einen Verteilungsschlüssel nur 4 Mil- der Flucht vor der Not aus den Kriegs- und Krisenregi- liarden Euro an die Kommunen, 2,4 Milliarden Euro onen zu uns kommen, und wir brauchen dabei auch die davon über die Umsatzsteuer. Davon profitieren aber in Unterstützung des Bundes . Der Bund muss anerkennen, erster Linie nicht die finanzschwachen Kommunen, wie dass es eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, Integration zu wir alle hier im Saal wissen . Wichtig wäre doch, dass (B) finanzieren, und muss deshalb auch einen finanziellen finanzschwache Kommunen Priorität bei der Unterstüt- (D) Beitrag leisten“? Es ist gut, dass heute endlich klar ist, zung bekommen . dass auch in den Jahren 2016 bis 2018 die Kommunen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um 2,6 Milliarden Euro bei den Kosten der Unterkunft sowie bei Abgeordneten der SPD) für Flüchtlinge entlastet werden und dass eine Integrati- onspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich an Es darf nicht das Signal gesendet werden, dass vor allen die Länder fließt. Das ist notwendig im Hinblick auf die Dingen die Kommunen, denen es gut geht, Unterstützung Aufgaben, die Kommunen und Länder vor Ort zu bewäl- erhalten . tigen haben, wenn es um die Integrationsleistung geht . Schauen Sie sich einmal bei den Kommunen um . Die folgende Frage wird aber nicht beantwortet und Diese werden Ihnen sofort sagen, was das, was Sie bleibt offen: Warum gibt es statt der Festlegung auf jähr- nun planen, bedeutet . Wenn der Verteilungsschlüssel so liche Zahlungen für einen bestimmten Zeitraum keine bleibt, wie Sie ihn vorschlagen, dann wird beispielswei- strukturelle Entlastung im Bereich der Integration? Dass se Düsseldorf mehr Geld bekommen als Solingen oder eine solche strukturelle Entlastung wichtig ist, ist von Mönchengladbach, obwohl es sich bei Letzteren um fi- uns, den Kommunen und den Ländern immer wieder be- nanzschwache Kommunen handelt . Ich könnte ähnliche tont worden . Aus der Integration und aus den Fluchtbe- Vergleiche zu Pirmasens, Duisburg und vielen anderen wegungen resultieren Aufgaben vor Ort, die nicht plan- Städten ziehen . Was Sie machen, ist nicht richtig . bar sind . Wenn es wieder so lange dauert, bis der Bund Bereitschaft zeigt, hier etwas zu tun, dann ist das mangel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haft . Man könnte durch eine klar vereinbarte strukturelle sowie bei Abgeordneten der SPD) Unterstützung viel besser ein Signal setzen als durch ein- maliges Entgegenkommen bzw . durch Vereinbarungen, Sie dürfen nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren . wie sie nun getroffen wurden . Der Ansatzpunkt muss vielmehr sein, die finanzschwa- chen Kommunen durch den Bund zu entlasten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass wir in den anstehenden Beratungen den Das ist wichtig für die weiteren Debatten, die wir führen Gesetzentwurf noch entsprechend ändern werden . Sie werden . Das heißt nicht, dass wir nicht anerkennen, dass sollten zugunsten der finanzschwachen Kommunen um- es hier einen Einstieg bei der Beteiligung an den Integra­ denken . Das Gleiche gilt auch für die Länder . Ich weiß tionskosten vonseiten des Bundes gibt . Das ist richtig, nicht, warum diese hier Druck gemacht und dafür gesorgt notwendig und überfällig . haben, dass dieser Schlüssel zustande kommt, und sich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19423

Britta Haßelmann (A) gleichzeitig 1 Milliarde Euro nur für sich genommen ha- der Kosten für die Unterkunft engagiert, wir haben die (C) ben . Kosten für die Grundsicherung im Alter und für Erwerbs- minderung übernommen, wir haben die BAföG-Kosten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übernommen und viele andere Dinge mehr .

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen wir den Bereich Infrastruktur. Der Bundesfi- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ralph nanzminister hat es gerade erwähnt: Wir haben ein Paket Brinkhaus das Wort . für finanzschwache Kommunen aufgelegt, damit diese investieren können, und zwar in einer Höhe von 3,5 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) liarden Euro . Diese Summe wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen . Wir beteiligen uns an den Betriebs- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): kosten von Kitas, wir leisten direkte und indirekte Hilfe Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Bereich des Breitbandausbaus . Wir sind an ganz vie- angesichts der Rede der Kollegin Haßelmann zwei Vor- len Stellen aktiv geworden, um Länder und Kommunen bemerkungen machen . Erstens . Der Verteilungsschlüs- zu entlasten . sel, den Sie beklagen, geht auf einen besonderen Wunsch Der Höhepunkt war sicherlich die letzte Woche, als der Ministerpräsidenten zurück . Ich erinnere Sie daran, eine Einigung über den Länderfinanzausgleich erzielt dass Sie von den Grünen an zehn Landesregierungen be- worden ist . Da geht es um 9,5 Milliarden Euro, die wir teiligt sind . Das heißt, Sie kritisieren Ihre Kollegen aus leisten, damit der Ausgleich zwischen den finanzschwa- den Ländern, insbesondere den Ministerpräsidenten von chen und den finanzstarken Ländern besser gelingen Baden-Württemberg . kann . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jetzt erwarte ich von den Ministerpräsidenten oder ordneten der SPD) den heute angesichts der Bedeutung der Debatte sehr Zweitens . Sie haben kritisiert, dass sich der Bund zu zahlreich anwesenden Vertretern des Bundesrates nicht spät um die Flüchtlinge in den Kommunen gekümmert unbedingt, dass sie Danke schön sagen . Das sind wir hat. Das ist mitnichten der Fall. Der Bundesfinanzminis- nicht gewohnt . Aber ich würde mir vielleicht wünschen, ter hat bereits darauf hingewiesen, dass der Bund schon dass eines passiert, nämlich dass man anerkennt, was der im letzten Jahr 670 Euro pro Flüchtling und Monat pau- Bund für die Länder und die Kommunen leistet . Die Er- schal bereitgestellt hat . Wenn sich jemand zu spät um fahrung in der Vergangenheit war leider: Ehe die Tinte die Belastungen der Kommunen gekümmert hat, dann unter dem Gesetz trocken ist, wird nicht Danke gesagt, war das in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen die sondern: mehr, noch mehr . – Das geht so nicht . (B) (D) rot-grüne Landesregierung, (Beifall bei der CDU/CSU) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt könnte man fragen: Wieso denn? Der Bund ­Richtig!) schreibt Überschüsse, er verzeichnet eine schwarze Null, die die Kommunen bei den Migrations- und Flüchtlings- er kommt doch super klar mit seinem Geld und hat hohe kosten am langen Arm hat verhungern lassen . Steuereinnahmen .– Wer das sagt, der verschweigt, dass von jedem Euro Einkommensteuer 57,50 Cent an die (Beifall bei der CDU/CSU) Länder und Kommunen gehen, der verschweigt, dass Wir haben heute drei Pakete, die wir beschließen . Das von jedem Euro Umsatzsteuer 48 Cent an die Länder und ist zum einen das Integrationspaket, über das schon sehr Kommunen gehen, der verschweigt, dass die Einnahmen viel geredet worden ist . Es geht aber auch um 5 Milliar- der Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren den Euro Entlastung für die Kommunen, und – darüber stärker gestiegen sind als die Einnahmen des Bundes, der ist noch gar nicht geredet worden – es gibt ein Paket zum verschweigt, dass die Pro-Kopf-Verschuldung auf Bun- sozialen Wohnungsbau . Auch da geht es immerhin um desticket größer ist als die konsolidierte Verschuldung 500 Millionen Euro . Ich kann der Kollegin Gottschalck auf Landesebene, und der verschweigt, dass die Zinsaus- nur zustimmen: Der Bund hat seine Zusagen vollumfäng- gaben des Bundes im Vergleich zu denen der konsolidier- lich eingehalten, soweit es möglich war . Wir haben gelie- ten Länderhaushalte viel höher sind . fert . Wir haben Wort gehalten, und man muss sagen: wie- Es ist wichtig, das hier zu sagen, weil wir nämlich an der einmal Wort gehalten; denn wenn man sich anschaut, der Grenze unserer Belastungsfähigkeit angekommen in welcher Höhe seit 2009 die Länder und Kommunen sind . Unser Haushalt ist mittlerweile auf Kante genäht, erst durch die schwarz-gelbe Koalition und dann durch und zwar deswegen, weil wir so viel von den Mitteln, die die Große Koalition entlastet worden sind, dann stellt eigentlich für Bundesaufgaben vorgesehen waren, an die man fest, dass das schon eine ganze Menge ist . Länder und Kommunen weiterleiten . Das geht so nicht Im Bereich der Bildung sind die Ausgaben des Bun- weiter, weil wir nämlich vor sehr großen Herausforde- des für die Länder und Kommunen nahezu verdoppelt rungen stehen . worden . Geld ist in Forschungseinrichtungen und Exzel- Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern . Schau- lenzinitiativen gesteckt worden, weiterhin in den Hoch- en wir uns die wirtschaftliche Entwicklung an . Momen- schulpakt und in die Förderung von Kitas . tan läuft es gut . Aber was ist denn, wenn es schlechter Schauen wir uns den sozialen Bereich an . Im sozia- läuft? Dann sind wir gleich dreifach belastet: Wir haben len Bereich haben wir uns ganz stark bei der Übernahme weniger Steuereinnahmen – das haben die Länder und 19424 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Ralph Brinkhaus (A) Kommunen auch –, aber wir werden die Sozialversiche- Infrastruktur in einem schlechten Zustand ist . Deswegen (C) rungssysteme stabilisieren müssen, und von uns wird er- ist es richtig, dass jetzt Geld an die Kommunen fließt. wartet werden, dass wir mit Steuergeldern die konjunk- turellen Impulse setzen . Zweitens . Wir erwarten aber auch von den Ländern, dass die 5 Milliarden Euro, die jetzt in den Topf geworfen Wir haben ganz neue Herausforderungen, über die wir werden, und somit auch die 1 Milliarde Euro – die Minis- vor drei oder vier Jahren noch gar nicht nachgedacht ha- terpräsidenten haben sich im Übrigen ausbedungen, dass ben . Das betrifft die Integration, aber vor allen Dingen sie nicht in den kommunalen Topf hineinkommen, Frau die Vermeidung von Flucht- und Migrationsursachen . Haßelmann – eins zu eins an die Kommunen weitergelei- Dafür werden wir sehr viel Geld ausgeben müssen: in tet werden und dass dieses Geld auch bei den Kommunen Afrika, in Nordafrika und woanders auf der Welt . Dann ankommt . haben wir den Punkt äußere Sicherheit . Wir haben Kon- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- flikte, die mittlerweile vor unserer Haustür sind, zum ordneten der SPD) Beispiel in der Ukraine . Gestern war die Konferenz im Bundeskanzleramt . Wir erwarten weiter, dass die Integrationsmittel, die jetzt von uns gezahlt werden, dazu benutzt werden, um insbe- Wir haben komplett neue sicherheitspolitische He- sondere die Kommunen von den zusätzlichen Integrati- rausforderungen im Bereich der Cybersicherheit, für die onskosten zu entlasten . Und wir erwarten, dass das Geld, wir sehr viel Geld ausgeben müssen . Wir haben Heraus- das wir für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen, forderungen in der inneren Sicherheit, zum Beispiel bei zusätzlich vor Ort – in den sozialen Brennpunkten der der Terrorismusbekämpfung . Wir müssen schauen, wie Kommunen – investiert wird, damit wir dort die Woh- wir mit dem demografischen Wandel umgehen. Das ist nungsnot mindern können . eine Herausforderung für unsere Sozialsysteme . Wir ha- ben natürlich auch die Kosten der Integration . Die 2 Mil- Vor allen Dingen erwarten wir eines, meine Damen liarden Euro, die wir momentan zusätzlich in den Pott und Herren: dass kein Land – das ist ein Appell an den hineinwerfen, werden nicht das Ende der Fahnenstange Bundesrat – jetzt auf die Idee kommt, zu sagen: Na ja, sein . die Kommunen haben jetzt mehr Geld vom Bund be- kommen, das können wir an anderer Stelle einsparen und Und Folgendes ist schon fast vergessen: An Deutsch- einen kommunalen Finanzausgleich machen, im Zuge land hängt auch die Stabilisierung Europas . Auch das dessen den Kommunen das Geld wieder weggenommen ist nicht umsonst zu haben, meine Damen und Herren . wird, das der Bund ihnen jetzt gibt . – Das ist eine Sache, Deswegen müssen wir sagen: Der Rucksack des Bundes meine Damen und Herren, die wir nicht dulden werden . ist mittlerweile voll . Und jeder, der da noch weitere Zie- (B) gelsteine hineinpackt, versündigt sich an denjenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU) (D) hier in 20 Jahren sitzen werden . Drittens . Die Ministerpräsidenten stehen in der Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) antwortung für die Kommunen . Die Kommunen sind Bestandteil der Länder, und dementsprechend ist es auch Denn die würden nur noch damit beschäftigt sein, die deren Aufgabe, für eine auskömmliche und ordentliche Steuergelder des Bundes an Länder und Kommunen wei- Finanzausstattung zu sorgen . Daran müssen sich die Mi- terzuleiten, Belastungen aus der Vergangenheit abzutra- nisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten messen gen und Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren . lassen; denn das ist föderale Verantwortung . Wer födera- le Verantwortung darauf reduziert, immer nur nach dem Lassen Sie mich – das gehört nicht ganz zur Debatte, Geld des Bundes zu suchen, der höhlt dieses föderale aber sicherlich zur politischen Großwetterlage – eines System aus . Das wollen wir nicht, und das werden wir dazu bemerken: Dieses Fairnessgebot im Hinblick auf auch in den Beratungen berücksichtigen . die kommende Generation gilt auch für die Menschen, die im Augenblick, wahlkampfmotiviert, meinen, dass Herzlichen Dank . sie durch eine Ausweitung des Rentensystems noch den (Beifall bei der CDU/CSU) einen oder anderen Punkt sammeln können . Wer heute Rentengeschenke und Zusagen auf Kosten der kommen- den Generation macht, der nimmt unseren Kollegen, die Präsident Dr. Norbert Lammert: hier in 20 Jahren sitzen werden, Handlungsfreiheit . Und Die Kollegin Dağdelen hat nun das Wort für die Frak- das geht so nicht, meine Damen und Herren! tion Die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Wenn ich jetzt einmal einen Strich unter diese ganze (DIE LINKE): Beratung ziehe, fallen mir dazu drei Punkte ein . Sevim Dağdelen Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Erstens . Es ist richtig – auch die Kollegin Gottschalck Kollegen! Verehrter Herr Brinkhaus, ich finde es - be hat das gesagt –, dass wir die Kommunen unterstützen, merkenswert, dass Sie sich hier hinstellen und süffisant weil sie der Ort sind, wo die Bürgerinnen und Bürger sagen, dass sie von den Kommunen und Ländern zwar Politik unmittelbar wahrnehmen . Man kann niemandem kein Dankeschön erwarten, aber Anerkennung . Ich mei- erklären, dass Politik in Deutschland funktioniert, wenn ne, es sind doch nicht die Länder und die Kommunen ge- die Schulen in einem schlechten Zustand sind, wenn die wesen, die die Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19425

Sevim Dağdelen (A) getroffen haben . Es war die Bundesregierung, es war die Die Regierung, besonders der Innenminister, muss (C) Bundeskanzlerin, die die Entscheidungen getroffen und auch aufhören, immer nur zu behaupten, die Flüchtlinge letztlich mit dazu beigetragen haben, würden nicht Deutsch lernen .

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das tut er gar nicht!) dass die Länder und die Kommunen vor vielen großen Nein, Sie sind in der Bringschuld! Sie geben nicht ge- Problemen standen, die sie erst einmal nicht bewältigen nügend Integrationskurse frei, und Sie setzen sich auch konnten . Sie konnten sie letztendlich auch nur bewäl- nicht dafür ein, dass genügend Mittel zur Verfügung tigen, weil es Hunderttausende von freiwilligen Helfe- stehen . Sie haben gesagt, dass Sie 2016 559 Millionen rinnen und Helfern – aus Kirchen, Organisationen und Euro für Integrationskurse für 300 000 Personen zur Ver- Verbänden – gegeben hat, die geholfen haben, die Ent- fügung stellen wollen . Vor kurzem hat die Bundesregie- scheidungen der Bundesregierung vor Ort abzufedern . rung auf eine Anfrage von uns Linken geantwortet, dass Das alles ist doch von der Bundesregierung zu ver- das Geld, das eigentlich für 300 000 Personen gedacht antworten . Also erwarten und fordern Sie nicht Anerken- war, für 550 000 Personen reichen soll . Wie machen Sie das? Sie setzen die Kursgrößen höher an und versuchen, nung . Es ist doch das Mindeste, dass der Bund den Kom- sozusagen statistisch die Nachfrage zu verkleinern . Da- munen und Ländern die finanziellen Mittel zur Verfügung bei wissen wir aber, dass wir 800 000 Plätze brauchen . stellt, die erforderlich sind, um mit den Problemen fertig zu werden, die die Entscheidungen der Bundesregierung Daneben haben wir noch ein anderes Problem . Ganz mit sich gebracht haben . aktuell habe ich gehört, dass beispielsweise aus der Re- gion Hannover Flüchtlinge ein bis anderthalb Jahre auf (Beifall bei der LINKEN) einen Platz in einem Integrationskurs warten müssen, um Deutsch zu lernen . Was ist der Grund? Die Volks- Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap aus hochschulen sagen: Es gibt nicht genügend Lehrkräf- diesem Monat halten 85 Prozent der Deutschen die Ver- te .– Warum gibt es nicht genügend Lehrkräfte? Weil die mittlung von Sprachkenntnissen für die zentrale Aufgabe Arbeitsbedingungen miserabel sind und die Bezahlung bei der Integration der Flüchtlinge in Deutschland . Auch miserabel ist . Die Lehrkräfte, die diese Kurse geben, ar- dem Schulbesuch wird eine hohe Bedeutung beigemes- beiten auf Hartz-IV-Niveau . sen: 74 Prozent der Befragten halten die Integration von Flüchtlingskindern in den Schulen für sehr wichtig . Die (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Da sind Vermittlung deutscher Grundwerte erachten 62 Prozent Sie aber nicht auf aktuellem Stand! Das haben (B) der Befragten als eine sehr wichtige Aufgabe und die In- wir bereits deutlich verbessert!) (D) tegration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt 53 Pro- zent . Die angemessene Unterbringung und Versorgung Wir Linke fordern seit Jahren: Verbessern Sie die Ar- von Flüchtlingen sehen 42 Prozent als eine sehr wichtige beitsbedingungen und die Löhne der Lehrkräfte . Aufgabe . (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Alles passiert!) Zur Erinnerung: 85 Prozent halten die Vermittlung von Sprachkenntnissen bei der Integration der Flüchtlin- Dann werden sich auch Lehrkräfte für so eine Mammut- ge für wichtig . Da muss ich schon sagen: Es ist wirklich aufgabe zur Verfügung stellen, und dann wird es auch ein unglaublicher Skandal, dass die Bundesregierung gelingen, den Flüchtlingen genügend Plätze zur Verfü- überhaupt nichts tut, um Geld für zusätzliche Integra- gung zu stellen . tionskurse zur Verfügung zu stellen, (Beifall bei der LINKEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist Sie müssen sich doch einmal vorstellen: Wenn ein völlig falsch!) Flüchtling subsidiären Schutz erhält, muss er im Vorfeld eine Vereinbarung unterzeichnen, dass er diesen Kurs ab- obwohl sie weiß, dass der Bedarf an Integrationskursen solviert . Bis dieser Fall eintritt, ist er theoretisch bei so immer weiter steigt . Die Bundesregierung hat gerade einer langen Wartezeit gar nicht mehr im Lande . selbst festgestellt – vor zwei Tagen war das in der Rhei- nischen Post zu lesen –, dass weniger als 40 Prozent der Meine Damen und Herren, ich finde, so schaffen wir Asylbewerber und Geduldeten mit einer Teilnahmebe- keine guten Rahmenbedingungen für Integration. Ich fin- rechtigung im laufenden Jahr einen Integrationskurs be- de es auch nicht angemessen, dass angesichts der Heraus- suchen konnten . forderungen, vor denen wir stehen, angesichts des Inves- titionsstaus, den wir haben, und angesichts der sozialen (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wie Spaltung, die wir haben und die es auch gab, bevor die kann man so was behaupten? Völlig falsch!) Flüchtlinge kamen, der Bundesfinanzminister – ich muss es so sagen – so obsessiv an der schwarzen Null hängt . Dem großen Bedarf an Integrationskursen steht weiter- Eins kann ich Ihnen sagen: Wer so an der schwarzen Null hin nur ein unzureichendes Angebot gegenüber. Ich fin- hängt, statt zu investieren, de, es muss endlich genügend Plätze geben . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alles (Beifall bei der LINKEN) klar! Sparen hat mit Ihnen nichts zu tun!) 19426 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Sevim Dağdelen (A) sowohl für Flüchtlinge als auch für Einheimische, der mit einer großen Zahl von Maßnahmen gemacht, wie das (C) darf sich nicht wundern, dass das dann zu vielen braunen eben vorgetragen worden ist . Es kann sein, dass Mittel Nullen in unserer Gesellschaft führt . nicht schnell genug abfließen; darauf hat der Finanzmi- nister hingewiesen . Wenn wir Hilfestellungen zum Bei- Vielen Dank . spiel im Personalbereich geben können, dann ist das gut . (Beifall bei der LINKEN) Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Kern- punkt unserer Koalitionsvereinbarung eingehen, nämlich Präsident Dr. Norbert Lammert: die 5 Milliarden Euro Entlastung, und darauf aufmerk- Das Wort erhält nun der Kollege Bernhard Daldrup für sam machen, dass wir zusätzlich eine Integrationspau- die SPD-Fraktion . schale in Höhe von dreimal 2 Milliarden Euro eingeführt haben, die die Länder so verwenden können, wie sie es (Beifall bei der SPD) für richtig halten . Es wäre besser, wenn in der Verein- barung zwischen Ländern und Bundesregierung stehen Bernhard Daldrup (SPD): würde, dass daran auch die Kommunen beteiligt werden Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- müssen, Herr Brinkhaus, als wenn dort stehen würde, leginnen und Kollegen! Ich will die richtige Bilanz, die es stünde den Länderhaushalten zur Verfügung . Das nur der Bundesfinanzminister eben vorgetragen hat, nicht einmal am Rande. Aber ich finde, diese pauschale Un- wiederholen, sondern noch einmal darauf aufmerksam terstützung, Britta, ist ein vernünftiger Ansatzpunkt, weil machen, dass das Wichtigste an diesem Gesetz zum ge- die Kommunen selber immer nach einer solchen Integra- genwärtigen Zeitpunkt die Tatsache ist, dass wir in den tionspauschale gerufen haben . nächsten drei Jahren ungefähr 20 Milliarden Euro zur Verfügung stellen . Hier den Eindruck zu erwecken, als Das, was Frau Dağdelen vorgetragen hat, finde ich, wäre das nichts, ist schon eine ziemliche Dreistigkeit, ehrlich gesagt, völlig grotesk . Vor dem Hintergrund der wie ich finde. Das ist eine wichtige, notwendige und gute Kosten in Höhe von 18 Milliarden Euro für diesen ge- Entscheidung gewesen, die wir getroffen haben . samten Bereich in 2016, aufsteigend in den kommenden Jahren, vor dem Hintergrund, dass die Mittel für die Inte- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) grationskurse von 204 Millionen Euro auf über 500 Mil- Der zweite wichtige Punkt an diesem Gesetz ist – lionen Euro aufgestockt worden sind, zu sagen, man wür- ich unterstreiche ausdrücklich das, was die Kollegin de in diesem Bereich nichts tun, ist einfach nicht richtig; Gottschalck gesagt hat –, dass wir Wort gehalten ha- es ist einfach falsch . ben – ich komme darauf zurück, Britta Haßelmann –, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (B) das heißt mit anderen Worten: Wir haben uns in dieser (D) Großen Koalition als Anwalt der Kommunen verstanden, Die Tatsache, dass wir 2,6 Milliarden Euro flüchtlingsbe- und wir haben die Maßnahmen gemeinsam auf den Weg dingte KdU übernehmen, die Tatsache, dass wir zweimal gebracht . Das ist gut für die Kommunen und gut für die 500 Millionen Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung Länder, gut für Deutschland insgesamt . Das ist ein Erfolg stellen, das alles macht in der Summe 20 Milliarden Euro unserer Arbeit, den wir uns nicht ohne Weiteres zerreden aus . Wir stehen zu unserem Wort . lassen . (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Die Bundeswehr ist nicht Teil der Kommunalpolitik, der CDU/CSU) wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf . Nur weil Ich will noch einmal auf folgende Frage aufmerksam wir etwas für die Bundeswehr tun, soll das, was wir für machen: Was war eigentlich unser Ausgangspunkt, und die Länder tun, nicht in Ordnung sein? Was ist das denn weshalb wollten wir den Kommunen helfen? Der Aus- für eine Auffassung? Das, was Sie sagen, ist doch absurd . gangspunkt war Bedürftigkeit . Wir haben gesagt: Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – müssen Kommunen, die sich in einer finanziell prekären Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Situation befinden, helfen. Das ist nicht bei allen Kom- haben keine anderen Argumente! Das ist das munen in Deutschland so, sondern nur bei einem be- Problem!) stimmten Teil . Wir haben mittlerweile – das ist relativ unstreitig – in diesem Bereich eine Art Zweiklassenge- Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Vertei- sellschaft . lungsmechanismus zu sprechen kommen . Es ist mir auch wichtig, dass die 1 Milliarde Euro, die über die Länder- Wir haben weiterhin drei Probleme: Wir haben zu haushalte verteilt werden soll, im weiteren Gesetzge- hohe Sozialausgaben; meistens bundesgesetzlich verur- bungsverfahren hinterfragt werden soll . Wir sollten nicht sacht . Wir haben eine Investitionsschwäche, Infrastruk- eine Erwartung an die Länder formulieren, die nicht ein- turdefizite in erheblichem Umfang. Und wir haben ein gelöst werden kann . Das sollten wir ändern . Ich glaube, Schuldenproblem bei den Kommunen mit gefährlich wir können das auch ändern . Das ist ein vernünftiger Ge- hohen Kassenkrediten . Das alles zusammen führt dazu, sichtspunkt . dass wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland insgesamt nicht so gewährleisten können, Wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen: Warum wie wir das wollen . Deshalb war Bedürftigkeit unser werden 2,4 Milliarden Euro über den Umsatzsteueranteil Ausgangspunkt, um Kommunen in prekären Finanzsitu- und nur 1,6 Milliarden Euro über erhöhte KdU, also über ationen zu helfen . Das haben wir in der Vergangenheit den Sozialindikator, verteilt? Die Wirkungen entspre- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19427

Bernhard Daldrup (A) chen nämlich nicht unserem Ziel „Hilfe nach Bedürftig- situation daran scheitert, dass wir eine Verfahrensgren- (C) keit“ . Das kann ich Ihnen gerne nachweisen . Wir stärken ze – Bundesauftragsverwaltung – erreichen . Da muss der auf diese Art und Weise diejenigen mit hohen Gewerbe- Maßstab sein, die Hilfe für die Betroffenen zu stärken . steuereinnahmen, die Schwächeren werden geschwächt . Leider kann ich das jetzt nicht mehr im Einzelnen aus- Frankfurt beispielsweise bekommt auf der Grundlage führen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, dass der Prä- des derzeitigen Schlüssels von den 4 Milliarden Euro sident noch einmal eingreift . 127 Euro pro Einwohner, Oberhausen 64 Euro, Düssel- dorf 102 Euro, Trier – eine der zehn höchstverschulde- Präsident Dr. Norbert Lammert: ten Städte in Deutschland – gerade einmal 48 Euro . Das Völlig richtig . heißt mit anderen Worten: Das ist nicht in Ordnung .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bernhard Daldrup (SPD): sowie bei Abgeordneten der SPD) Insofern bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit . Wir müssen hier nicht auf die Länder gucken, sondern Ich will damit abschließen, zu sagen: Wir zeigen Ver- auf die Kommunen, und wir müssen diesen Sachverhalt antwortung, wir nehmen sie wahr, wir halten in dieser ändern . Einen wirklichen Nutzen erfahren die Menschen Angelegenheit Wort, und ich glaube, wir haben genug erst, wenn sich die Situation bei den Kitas und der sons- Selbstbewusstsein, sie auch im weiteren Gesetzgebungs- tigen Infrastruktur verändert . verfahren zu zeigen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Vielen Dank . BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Hier stellt sich also die Frage, warum wir diesen Vertei- lungsschlüssel eigentlich wählen . Präsident Dr. Norbert Lammert: Anja Hajduk erhält nun das Wort für die Fraktion Präsident Dr. Norbert Lammert: Bündnis 90/Die Grünen . Wollten Sie sich bei mir vergewissern, Herr Kollege, ob ich bemerkt habe, dass Ihre Redezeit überschritten ist? Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Bernhard Daldrup (SPD): ren! Wir sprechen hier in der Debatte über die Bundes- Nein, ich wollte das selbstverständlich nicht, sondern beteiligung an den Kosten der Integration und über eine Entlastung der Kommunen . Das erkennen wir an; das ist (B) wollte vorbeugend darauf aufmerksam machen, dass ich (D) es schon selber wahrgenommen habe . wichtig, das ist richtig . Und wir erkennen auch an, dass dort Summen zur Verfügung gestellt werden . (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr DIE GRÜNEN) gut!) Unsere Kritik richtet sich aber gegen die Verteilung der Präsident Dr. Norbert Lammert: Mittel, und diese Kritik muss hier heute Raum haben; Noch schöner wäre, wenn Sie es berücksichtigen denn die Verteilung muss dringend verändert werden . könnten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- sowie des Abg . [CDU/CSU]) ten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Die Verteilung der 5 Milliarden Euro zur Entlastung DIE GRÜNEN) der Kommunen muss man doch vor dem Hintergrund des folgenden Befundes sehen: Die Finanzlage der Kom- Bernhard Daldrup (SPD): munen in Deutschland ist nicht per se schlecht, sondern Ich verfolge jetzt ganz zielgerichtet die Absicht, das höchst unterschiedlich – sanierte Straßen und Schulen zu berücksichtigen, dort, geschlossene Schwimmbäder und marode öffentli- che Einrichtungen woanders . Viel zu oft sind Kommunen (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der entweder finanzschwach, weil sie geringe Einnahmen CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE haben, oder sie leiden unter extrem hohen Altschulden . GRÜNEN) Wenn dann noch eine Strukturschwäche bedingt, dass es hohe Sozialausgaben gibt, dann führt das bei zu vielen wenn Sie mir freundlicherweise gestatten, noch einen Kommunen dazu, dass sie in einer totalen Abwärtsspirale Satz zu sagen, der bei der Angelegenheit, bei dem Thema stecken . wichtig ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Diesen Verteilungsschlüssel gibt es deshalb, weil wir [CDU/CSU]: Oder poli- bei einer stärkeren Entlastung der Kommunen bei den tisch vielleicht schlecht geführt sind!) Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit in Konflikt mit einer verfassungsrechtlich gebotenen Verwaltungszuständig- – Es können auch mal politische Fehler dahinterstecken . keit kommen . Es darf eigentlich nicht sein, meine Damen Aber ich glaube, es gibt keinen Zweifel, Herr Kollege, und Herren, dass die Hilfe für Kommunen in einer Not- dass es strukturell bedingt auch im Westen und nicht nur 19428 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Anja Hajduk (A) einnahmebedingt im Osten kommunale Probleme gibt, gute Politik oder auch in Bezug auf hohe Ausgaben für (C) um die wir uns hier im Bund auch kümmern sollten . Zuwanderung und Integration insgesamt erhalten wollen, dann müssen Investitionen in die Behebung mangelhaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ter Infrastruktur oder auch schlicht fehlender Infrastruk- Und ich akzeptiere nicht, dass Sie sich dahinter ver- tur getätigt werden, vor allem in jenen Gebieten, die von stecken, dass es einen grünen Ministerpräsidenten gibt, Wegzug betroffen sind, die darunter leiden, dass sie nicht der vielleicht mal im Bundesrat einen anderen Akzent so attraktiv sind und daher nicht so viele Menschen an- gesetzt hat . Sie haben selber auch Ministerpräsidenten, ziehen . Wir könnten mit vorhandenen Mitteln – ich beto- ne: vorhandenen Mitteln – die Probleme beheben . (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Einen zu wenig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und der Bundestag ist dazu da, auch mal den Minister- präsidenten zu sagen, wo sie irren, wo man zielgenauer Ich komme zum Schluss . Wir werden bei der jetzt finanzschwachen Kommunen helfen muss. Wir nehmen vorliegenden Einigung mit Blick auf die Bund-Län- diese Verantwortung ernst, und das sollten Sie auch tun . der-Finanzbeziehungen sehr genau darauf achten, wie das jetzt ausgelegt wird, was neu verabredet ist, dass der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bund mehr Steuerungsrechte bei Finanzhilfen erhält; es sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine ist nämlich eine grundgesetzliche Erweiterung der Mit- Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Offensichtlich finanzierungskompetenzen des Bundes im Bereich der nicht! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Immer kommunalen Bildungsinfrastruktur für finanzschwache dieses Kretschmann-Bashing der Grünen! Das Kommunen verabredet . geht doch gar nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen: Vor dem Hintergrund der großen Sprei- zung bei den kommunalen Finanzen bleibt es falsch, Ich freue mich über die Selbstkritik des Finanzmi- dass von dem Kuchen der 5 Milliarden Euro erst einmal nisters Schäuble an der fehlerhaften Beschränkung des 1 Milliarde Euro, sage und schreibe 20 Prozent, an die Bundes, den Ländern und Kommunen bei der Bildungs- Länder geht . Ich bin froh, dass Herr Daldrup hier gesagt infrastruktur zu helfen . Diese Selbstkritik war überfällig . hat, er beabsichtige, dass wir diesen Schlüssel anpacken Ich bin froh, dass sie auch zu einem Beschluss geführt und ihn noch verändern . Wir werden Sie dabei unterstüt- hat . Das Ganze geht aber nur richtig auf, wenn wir ge- zen . nau definieren: Was sind finanzschwache Kommunen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diesem Problem begegnet man nicht mit der Verteilung (B) von Umsatzsteuerpunkten nach dem Gießkannenprinzip; (D) Aber, Herr Daldrup, es ist auch falsch, dass definiert vielmehr geht es um eine genaue Definition, was „fi- ist, dass ein Großteil der 4 Milliarden Euro nach dem nanzschwach“ bedeutet . Damit fangen wir am besten bei Umsatzsteueranteil der Gemeinden verteilt wird . Das dem vorliegenden Gesetzentwurf an . Dann haben Sie uns heißt, auch hier profitieren wieder die finanzstarken Ge- auch auf Ihrer Seite . Ich glaube, das ist mit Blick auf die meinden . Besser wäre es, zu sagen: Der Großteil der rest- Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger überfällig . lichen 4 Milliarden Euro wird unter Berücksichtigung der Anhebung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Vielen Dank . Unterkunft verteilt; denn dann wirkt es zielgenau in den Gemeinden, die hohe Sozialausgaben haben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hohe Sozialausgaben gleich strukturschwache, gleich fi- Präsident Dr. Norbert Lammert: nanzschwache Kommune – das ist doch nicht so schwer Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg zu verstehen . Wir fordern Sie auf, auch an dieser Stelle für die CDU/CSU-Fraktion . den Schlüssel zu ändern . Wir werden einen entsprechen- den Vorschlag vorlegen, und wir hoffen, dass Sie dabei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sind . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Ich möchte das Thema in einen größeren Zusammen- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und hang stellen . Ich bin Finanzminister Schäuble schon Kollegen! Der Bund entlastet Länder und Kommunen in dankbar für den Rahmen, den er gesetzt hat . Im Moment einem historischen Ausmaß . All denjenigen, die heu- haben wir die Situation, dass die öffentlichen Haushal- te den Bund kritisiert haben, empfehle ich, den Bericht te in Deutschland insgesamt gesehen gut dastehen: Die des Bundesrechnungshofs zum Haushalt 2017, und zwar kommunalen – in Gänze –, die der Länder und des Ge- die Seiten 24 und 25, zu lesen . Dort hat der Bundesrech- samtstaats verzeichnen ein Plus . In solchen Zeiten, in de- nungshof unter der Überschrift „Entlastung von Ländern nen der öffentliche Haushalt gut dasteht, werden es die und Kommunen“ aufgelistet, dass diese um 73 Milliarden Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, wenn die Poli- Euro entlastet werden, allein in diesem Jahr um zusätz- tik unfähig ist, zielgenau dort zu helfen, wo Mangel be- lich über 10 Milliarden Euro . Frau Kollegin Haßelmann, steht . Deswegen: Wenn wir die Akzeptanz bei den Bür- auch im Jahr 2015 gab es eine Soforthilfe des Bundes für gerinnen und Bürgern in Bezug auf funktionierende und die Integration der Flüchtlinge in Höhe von 2 Milliarden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19429

Eckhardt Rehberg (A) Euro . Das heißt, der Bund hat an dieser Stelle sofort ge- geboten – die Länder haben bei den Finanzen die Verant- (C) handelt . Ihren Vorwurf weise ich zurück . wortung, die Zuständigkeit für die Kommunen –, damit die Bund-Länder-Beziehungen wieder in die Waage ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bracht werden . ordneten der SPD) Lassen Sie mich einen zweiten Punkt anspre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- chen. Bundesfinanzminister Schäuble und auch Ralph wie der Abg . Ulrike Gottschalck [SPD] – Anja Brinkhaus haben darauf hingewiesen – ich will das noch Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da einmal kontrastieren –: Aktuell sieht die gesamtstaatliche unterstützen wir Sie!) Steuerverteilung beim Mischsteuersatz so aus: 44 Pro- zent bekommt der Bund und 56 Prozent bekommen die Man kann die Verteilung der 4 Milliarden Euro kri- Länder und Gemeinden . Aufgrund der in den nächsten tisieren . Mecklenburg-Vorpommern ist bekanntlich vier Jahren zu erwartenden Steuermehreinnahmen ver- kein finanzstarkes Land, hat dennoch im Gegensatz zu schiebt sich die Verteilung hin zu 40 Prozent für den anderen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass von den Bund und 60 Prozent für die Länder und Gemeinden . Das Überschüssen drei Viertel zur Schuldentilgung genutzt heißt, die Anteile an den Steuereinnahmen – ich war nie werden und ein Viertel für die Kommunen verwendet ein großer Freund davon, das über Umsatzsteuerpunkte werden . Mecklenburg-Vorpommern tilgt übrigens seit zu regeln; darauf gehe ich noch ein – werden sich in den zehn Jahren Schulden . Gelegentlich sollten sich andere nächsten Jahren massiv weiter zugunsten der Länder und Länder ein Beispiel daran nehmen und das Geld nicht der Kommunen verschieben . Das muss auch bei diesem für irgendwelche Dinge verpulvern, die nicht nachhaltig 5-Milliarden-Euro-Paket und bei den Integrationsleistun- und vernünftig sind . Wer hier sagt: „Ich will einen höhe- gen, die der Bund für die Länder und Kommunen bezah- ren Anteil an den Mitteln für die Kosten der Unterkunft len will, berücksichtigt werden . haben“, der muss auch sagen: Ich will eine Grundgesetz­ änderung .– Anders geht das nicht . Wer das will, muss an Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in dieser dieser Stelle auch sagen, dass dieser Grundgesetzände- Legislaturperiode – Herr Kollege Daldrup, 20 Milliarden rung auch zwei Drittel des Bundesrates zustimmen müs- Euro sind es in diesem Paket; das ist richtig – den Län- sen . – Das ist die Konsequenz . Dabei wünsche ich viel dern und Kommunen 80 bis 90 Milliarden Euro mehr zur Vergnügen . Ich bin da durchaus dabei . Verfügung stellen als in der letzten Legislaturperiode . Insgesamt sind es in diesem Jahrzehnt fast 200 Milliar- Für mein Bundesland bedeutet die Verteilung von den Euro, wenn ich das Jahr 2010 zum Vergleich heran- 1 Milliarde Euro nach KdU 30 Millionen Euro, von ziehe . Es gibt kein Jahrzehnt, in dem der Bund die Län- 1 Milliarde Euro nach Umsatzsteuer 14 Millionen Euro, (B) (D) der und Kommunen so stark entlastet hat wie in dieser und nach dem Königsteiner Schlüssel – darauf will ich und der letzten Legislaturperiode . Wir stehen aber vor ei- noch einmal eingehen – heißt 1 Milliarde Euro 20 Mil- ner ganz gravierenden Herausforderung; mehrere Redner lionen Euro . Auch der Königsteiner Schlüssel ist nicht haben darauf hingewiesen . Deshalb muss das Geld, das zwingend dazu geeignet, finanzschwache Kommunen politisch für Kindertagesstätten, den sozialen Wohnungs- und finanzschwache Länder hinsichtlich des Ziels der bau und für die Integration von Flüchtlingen vereinbart Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ausglei- worden ist, auch in den Kommunen ankommen . Das ist chend zu behandeln, so sage ich es einmal . sachlich geboten . Dort gehört es hin . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich persönlich versperre mich da keiner Diskussion . ordneten der SPD) Im Zusammenhang mit dem Kommunalinvestitions- programm ist mancher Kollege zu mir gekommen und Ich bin mir mit meinen Vorrednern darüber einig, dass hat gefragt: Eckhardt, warum kriegen die Steuerstarken für uns – ich meine damit den gesamten Bundestag – viel mehr als die Steuerschwachen? – Für mich sind aber Arbeit ansteht, wenn wir im Rahmen der Neugestaltung Kassenkredite – ich wiederhole das, was ich gestern im der Bund-Länder-Finanzbeziehungen das vereinbaren – Haushaltsausschuss gesagt habe – kein Maßstab für die ich nenne das einmal eine „Liste B“ –, worüber wir am Finanzschwäche von Kommunen . Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche gespro- chen haben . Ich glaube, wir müssen alle ein Interesse da- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ran haben, dass der Bundesrechnungshof wieder kontrol- NEN]: Nicht alle!) lieren kann . Frau Kollegin Hajduk, es war übrigens das Bundesverfassungsgericht, das mit einem Beschluss aus Sie können nämlich zwei wesentliche Gründe haben: Es dem Jahr 2010 dem Bundesrechnungshof die Werkzeu- kann sein, dass die Rechtsaufsicht – sprich: das Innenmi- ge aus der Hand geschlagen hat, nachdem fünf Länder nisterium – versagt hat und die Zügel zu locker gelassen geklagt haben . Das heißt, wir müssen eine Grundgeset- hat . Es kann aber auch anders sein . Das hat der Kollege zänderung vornehmen, damit wieder kontrolliert werden Mattfeldt in einem Zwischenruf deutlich gemacht: Nicht kann . immer liegt die Ursache für eine Finanzschwäche der (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kommunen in der Strukturschwäche, sondern manchmal NEN]: Ja!) auch in falschem kommunalpolitischen Handeln . Ich halte eine Steuerung und eine Kontrolle der Mittel, (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die der Bund an die Länder durchreicht, für zwingend NEN]: Ja, aber das hilft doch nichts!) 19430 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Eckhardt Rehberg (A) Dafür kann, sollte und darf man den Bund nicht in Haf- Martin Gerster (SPD): (C) tung nehmen . Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU – Anja Hajduk gen! Wenn wir heute den Gesetzentwurf zur Beteiligung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es des Bundes an den Kosten der Integration diskutieren, aber nicht allein, und das wissen Sie auch!) dann geht es natürlich in erster Linie und vordergründig um Geld . Ich möchte aber für die SPD-Fraktion noch Das können wir aus meiner Sicht nicht machen . einmal betonen: Es geht um Menschen, um Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg, Terror, Verfolgung Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, den oder Armut oder sich aus anderen Gründen auf den Weg ich mit Blick auf die Anhörung zu diesem Gesetzespaket gemacht haben, um woanders Obdach, Unterschlupf zu für wichtig halte . Wir können uns im Bund so viel be- finden. mühen, wie wir wollen, möglicherweise auch die Rechte des Bundesrechnungshofes stärken, aber es gibt einen Wir haben in Deutschland in der Tat viele Flüchtlinge Punkt, bei dem wir alle in allen 16 Ländern gefordert aufgenommen . Nicht alle können bleiben, viele wollen sind: Es gibt heute kommunale Finanzausgleichssyste- und andere müssen zurück in ihre Heimatländer . Aber bei me, bei denen per Gesetz die zusätzlichen Finanzmittel, jenen, die hier bleiben, ist es, finde ich, unsere Pflicht, die die Kommunen erhalten, über Vorwegabzüge wieder alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit sie sich hier gut in die Landeskasse fließen. Ich habe dabei drei Länder im integrieren und eine Perspektive für ihr weiteres Leben Kopf – ich behalte sie einmal für mich –, von denen ich aufbauen können . Ich denke, das ist gut für die Betroffe- es definitiv weiß, mit ganz unterschiedlichen parteipoli- nen ganz individuell, aber auch für unsere Gesellschaft, tischen Farben . und es ist die beste Prävention gegen eine erfolgreiche Ansprache von Terrororganisationen und ein Abdriften in (Zuruf von der SPD: Nennen Sie sie!) Bereiche von Kriminalität und Gewalt . Deshalb ist es, Kollege Daldrup – auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spreche ich ganz direkt an –, auch eine Aufgabe der der CDU/CSU) Kommunalpolitik, dafür zu sorgen, dass diese Mechanis- men aufgelöst werden . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine ich, dass Flüchtlingspolitik eine riesengroße Herausforderung (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!) und eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist . Daher ist es nur folgerichtig, dass Denn wenn wir sie nicht auflösen, haben wir im Bund sich die verschiedenen Ebenen gegenseitig unterstützen nichts gewonnen . (B) und ergänzen . Wir dürfen das jedoch nicht auf eine gute (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Verteilung der Aufgaben reduzieren, sondern wir müssen [SPD]) klären, wer wie viel wofür bezahlt . Eine letzte Bemerkung an dieser Stelle: Es geht mir Es ist fast ein Jahr her, dass wir an dieser Stelle das nicht darum, dass Bundestagsabgeordnete nicht zu Kita- Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beraten und be- oder Schuleröffnungen nach erfolgter Sanierung ein- schlossen haben . Mit diesem Gesetz hat sich der Bund geladen werden; das ist überhaupt nicht mein Thema . bereits verpflichtet, die Kosten für Asylbewerberinnen Aber ich erlebe fast nie, egal ob das bei mir zu Hause und Asylbewerber in Höhe einer Fallpauschale zu über- ein CDU- oder ein SPD-Minister ist, dass darauf hinge- nehmen . In diesem Jahr werden wir deshalb über 2 Mil- wiesen wird, dass der Bund zu 90 Prozent, zu 50 Prozent liarden Euro an die Länder überweisen . Dazu kommen oder zu 10 Prozent Geld dazugegeben hat . in mehrfachen Tranchen 500 Millionen Euro für sozialen Wohnungsbau und – nicht zu vergessen – die 350 Millio- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nen Euro jährlich für unbegleitete minderjährige Flücht- Josip Juratovic [SPD]: Sehr richtig!) linge . Das Dreisteste, das ich erlebt habe – die Wahlen sind Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen noch- bei uns vorbei –, war, dass der jetzige Finanzminister mals jährlich drei Jahre lang 2 Milliarden Euro obendrauf des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Brodkorb, in sowie die bereits mehrfach angesprochenen 5 Milliarden Rostock groß plakatiert hat, der Hochschulbau sei seine Euro zur weiteren Entlastung von Kommunen . Der Kolle- ganz eigene Finanzierungssache gewesen . ge Bernhard Daldrup, die Kollegin Ulli Gottschalck, aber auch Eckhardt Rehberg sind schon darauf eingegangen, Herzlichen Dank . dass es durchaus kritisch gesehen wird, welche Regelung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aktuell im Gesetzentwurf hinsichtlich der Verteilung des ordneten der SPD) Geldes vorgeschlagen wird . Ich sage auch: Wir haben zu Recht eine klare Erwartungshaltung, wofür dieses Geld eingesetzt werden soll . Denn wir müssen dafür sorgen, Präsident Dr. Norbert Lammert: dass Integration vor Ort erfolgreich ist, dass sie gelingt . Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Martin Gerster das Wort . Ich finde es nach wie vor beeindruckend, wie viele Menschen sich, egal ob im Hauptamt, im Ehrenamt, in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Helferkreisen, in Behörden, in Kommunalverwaltungen, der CDU/CSU) unglaublich engagieren, damit Integration tatsächlich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19431

Martin Gerster (A) auch erfolgreich ist und funktioniert . Deswegen will ich angemessene und auskömmliche Finanzausstattung der (C) an dieser Stelle all jenen meine Anerkennung und meinen Kommunen haben . Dank aussprechen, die sich so unglaublich einbringen . Es ist wirklich fantastisch, was man vor Ort zum Teil an En- (Ulrike Gottschalck [SPD]: So ist es!) gagement sieht . Viele Zahlen sind genannt worden . Einige würde ich ger- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ne wiederholen, damit sie bei uns im Gedächtnis bleiben . der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Allein in dieser Legislaturperiode erhalten die Länder DIE GRÜNEN) und Kommunen eine Entlastung durch den Bund von circa 80 bis 90 Milliarden Euro . Wenn wir den Finanz- Ich will – aus Zeitgründen nenne ich nur wenige Bei- zeitraum von 2010 bis 2020 betrachten, dann reden wir spiele – an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich von circa 200 Milliarden Euro . Das sind fast zwei Drittel das Engagement des Bundes ja nicht darin erschöpft, eines jährlichen Bundeshaushalts . ganz im Gegenteil. Ich finde es als Haushälter und Be- richterstatter für den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Ich bin der festen Überzeugung: Das ist der richtige Bundesinnenministeriums, unglaublich, was wir in den Weg . Denn Bund, Länder und Kommunen haben die letzten Jahren im Haushalt auf die Beine gestellt haben . Aufgabe, schutzsuchende Menschen zu versorgen und Ich will an die Stellenaufwüchse beim Bundesamt für Integration zu ermöglichen . Das kostet nicht nur Kraft, Migration und Flüchtlinge erinnern . Dort haben wir die sondern auch Geld . Es ist richtig, dass der Bund seine Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf jetzt über Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen 7 000 verdreifacht, damit beim Thema Integration vie- wahrnimmt und sie finanziell unterstützt. les besser läuft, aber natürlich auch weil wir ein großes Die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesell- Interesse daran haben, dass die vielen Anträge auf Asyl schaft ist von zentraler Bedeutung . Nur eine gelungene schneller entschieden werden können . Integration gibt Sicherheit und Vertrauen . Aber in dem Ich will daran erinnern, dass wir die Mittel für Integra- vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht nur um Mittel tionskurse innerhalb von wenigen Monaten verdreifacht für Integration, sondern auch um weitere Unterstützung, haben . Ich bekomme eher die Rückmeldung, dass viele weitere Mittel für unsere Kommunen . Plätze noch unbesetzt sind, als die Meldung, dass Leute lange warten müssen, bis sie einen Platz bekommen . Die Meine Damen und Herren, wir sprechen im Wesentli- Vergütung der Lehrkräfte haben wir deutlich verbessert . chen von drei Punkten: Wir haben die Situation der Träger von Integrationskur- Erstens geht es um die Änderungen im Finanzaus- sen deutlich verbessert . Ich denke im Übrigen auch an (B) gleichsgesetz . Hier wird der Länderanteil an der Umsatz- (D) die Migrationsberatung, an die Jugendmigrationsdienste steuer für die Jahre 2016 bis 2018 um jeweils 2 Milliar- und an die Bundespolizei . den Euro erhöht . Damit hält der Bund seine am 7 .Juli Ich finde, insgesamt leistet der Bund einen großen dieses Jahres gemachte Zusage, sich an den Kosten der Beitrag für eine Integration, die gelingt und erfolgreich Integration zu beteiligen, ein . Mit der jährlichen Integra­ ist . Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, die- tionspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro stehen den sen Gesetzentwurf zu unterstützen . In der Anhörung wer- Ländern über die Umsatzsteuerverteilung mehr Mittel den wir natürlich noch einmal darüber diskutieren, wie zur Verfügung . wir mit den weiteren 5 Milliarden Euro umgehen, über An dieser Stelle spreche ich gerne die Forderung des die so strittig diskutiert wird, zumindest darüber, wie sie Deutschen Städtetages aus; denn sie ist auch meine For- weitergeleitet werden . derung . Ich appelliere an die Länder, ihren Kommunen Herzlichen Dank . zügig einen angemessenen Teil der 2 Milliarden Euro wiederzugeben . Ich kann nur ein Beispiel nennen, und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwar den Freistaat Bayern . Der Freistaat Bayern unter- der CDU/CSU) stützt seine Kommunen nämlich wie kein anderes Land in unserer Republik . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer erhält nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . Der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer erhöht sich ebenfalls, und zwar im Jahr 2018 um 2,76 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU) Euro und ab dem Jahr 2019 um 2,4 Milliarden Euro . Wei- ter erhalten die Länder für 2018 und 2019 jeweils 1 Mil- liarde Euro zusätzlich . Allein diese Änderung im FAG Alois Rainer (CDU/CSU): bedeutet für Länder und Kommunen eine Entlastung von Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten 13 Milliarden Euro bis 2019 . Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- Zweitens geht es um die Änderungen im Entflech- land hat der Bund die Länder und die Kommunen finan- tungsgesetz. Mit den Änderungen im Entflechtungsgesetz ziell so stark unterstützt wie in dieser Legislaturperiode . gewährt der Bund den Ländern die für den Wohnungsbau Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Länder die Zu- in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von 500 Millionen ständigkeit und die Verantwortung für eine den Aufgaben Euro jährlich . 19432 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Alois Rainer (A) Drittens geht es um die Änderungen im SGB II . Mit Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) der vorgesehenen Entlastung der Kommunen in Höhe Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er- von 5 Milliarden Euro halten wir ein weiteres Verspre- hält der Kollege Juratovic für die SPD-Fraktion das Wort . chen aus dem Koalitionsvertrag ein . Die Erhöhung der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft (Beifall bei Abgeordneten der SPD) führt bei den Kommunen in den Jahren 2016 bis 2019 zu Mehreinnahmen von rund 5,5 Milliarden Euro . Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Meine Damen und Herren, damit zeigt der Bund, dass Kollegen! Gerade in diesen Tagen, wo deutschlandweit er Länder und Kommunen bei der Erledigung ihrer Auf- der Tag des Ehrenamts gefeiert wird, möchte ich den stil- gaben nachhaltig unterstützt . Dies ist das richtige Signal . len Helden in unserem Land, die selbstverständlich die Dieses Signal können wir aber nur aufgrund unserer gu- Willkommenskultur in den Ämtern, den Vereinen, aber ten und zukunftsorientierten Haushalts- und Wirtschafts- auch im Einzelnen millionenfach gelebt haben und leben, politik setzen . Denn hätten wir das Geld nicht zur Verfü- meinen herzlichen Dank aussprechen . gung – wir sprechen, wenn es um die Steuereinnahmen geht, nämlich nicht nur vom Geld des Bundes, sondern (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie vom Geld von Bund, Ländern und Kommunen –, könn- des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) ten wir den Kommunen diese Unterstützung nicht zu- kommen lassen . Deshalb auch ein ganz herzlicher Dank Sie haben im Zusammenhang mit den Flüchtlingen an unseren Finanzminister für die stabile und zukunfts­ Unvorstellbares geleistet, was an sich unbezahlbar ist . orientierte Haushaltspolitik! Doch die Kosten der Kommunen für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge lassen sich durchaus be- (Beifall bei der CDU/CSU) nennen . Zwar gibt es noch keine verlässlichen Zahlen, aber Schätzungen gehen von zweistelligen Milliardenbe- Eine eventuell gerechtere Verteilung über die Um- trägen allein für 2015 aus . satzsteuer ist schon des Öfteren angesprochen worden . Der Bund hat den Kraftakt der Kommunen bereits in Nur, hier wird es enorm schwierig werden . Denn klar ist: der Vergangenheit unterstützt . Nun entlastet er durch den Die Umsatzsteuerbeteiligung ist damals als Ersatz für vorliegenden Gesetzentwurf die Kommunen um weitere die Gewerbekapitalsteuer eingeführt worden . Man wuss- Milliarden . te: Gewerbekapitalsteuer nehmen insbesondere solche Kommunen ein, in denen es große Gewerbebetriebe gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht nur Darum ist die Systematik der Umsatzsteuerbeteiligung von trockenen Zahlen, wir reden hier von mehr . Wir spre- (B) so, wie sie ist . Es wird, wie es der Kollege Rehberg gera- chen von Obdach für Menschen, manchmal improvisiert, (D) de gesagt hat, schwierig werden, hier eine Grundgesetz­ aber letztlich von geheiztem Wohnraum für Alleinstehen- änderung zu erreichen . de und Familien . Das ist genauso wichtig wie das, was folgt, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass diese Men- Ich bin froh, dass wir die Kommunen in dieser Form schen an unserer Gesellschaft teilhaben können . und in dieser Höhe unterstützen können . Das ist einmalig, meine sehr verehrten Damen und Herren . Darüber dürfen Liebe Haushälter, in der zweiten Novemberwoche fin- wir uns alle freuen, und wir dürfen das auch sagen . det die Bereinigungssitzung für den Haushalt 2017 statt . Ich bitte Sie ausdrücklich, die Posten für die Integrati- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- on von Flüchtlingen, speziell die Mittel für die Migrati- ordneten der SPD) onsberatung für Erwachsene und die Jugendmigrations- dienste, mindestens in der Höhe des vergangenen Jahres Vorhin hieß es, dass die Mittel für die Integrationskur- aufrechtzuerhalten, wenn nicht gar zu erhöhen . Denn se nicht reichen würden . Dazu gibt es nur eines zu sagen: momentan nimmt der Druck im Hinblick auf die Erst- Die Mittel für die Integrationskurse sind auf 559 Milli- versorgung von Flüchtlingen zwar ab, da die Zahl der onen Euro verdoppelt worden, und für 2017 planen wir Flüchtlinge derzeit sinkt, die wahre Herausforderung im eine weitere Erhöhung . Auch der Stundenlohn für die Hinblick auf die Integration derer, die bei uns Schutz su- Lehrkräfte ist verdoppelt worden . Also von wegen, wir chen, beginnt jedoch erst . Und glauben Sie mir: Das wird würden nichts tun . Wir tun in diesem Bereich nämlich ein Langstreckenlauf .– Der darf nicht zum Hürdenlauf viel . werden, nur weil die Gelder fehlen .

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es! Frau Weiteres hinzufügen, was mir als SPD-Integrationsbe- Dağdelen war mal wieder nicht informiert!) auftragten wichtig ist . Wie gesagt, es klingt, als ginge es bei der Entlastung der Kommunen durch den Bund Wir haben die Probleme erkannt, und wir packen sie an . nur ums Geld . Tatsächlich sprechen wir von den Kosten Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesem für die Versorgung von Menschen, die, bis sie bei uns Weg machen wir weiter . Wir machen eine gute Politik . landeten, die Hölle durchquert haben . Unser politisches Ansinnen muss es sein, unserer international verankerten Danke schön . humanitären Verpflichtung gerecht zu werden und den Menschen, die vor einem brutalen Bürgerkrieg geflohen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sind, einen sicheren Hafen zu gewähren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19433

Josip Juratovic (A) Allerdings können wir die schönsten Maßnahmen- Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin (C) und Kostenübernahmepakete schnüren, wir können uns Katrin Göring-Eckardt für die antragstellende Fraktion den Kopf über die besten Strategien zerbrechen und Mil- das Wort . lionen in Sprach- und Integrationskurse stecken, es blei- ben wirkungslose Maßnahmen, wenn wir sie nicht mit Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leben erfüllen . Wir müssen das Ziel, dass die Menschen NEN): an unserer Gesellschaft teilhaben können, verinnerlichen . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das funktioniert nur, wenn die richtige Haltung und das Kollegen! In dieser Woche findet in Quito, der Haupt- passende gesellschaftliche Klima dafür vorhanden sind . stadt Ecuadors, die dritte UN-Siedlungskonferenz, Hab- Dafür brauchen wir einen wehrhaften, handlungsfähigen itat III, statt . Dort treffen sich die Vertreter aus Megacitys Staat, der vor allem rechte Übergriffe ahndet und rechten und anderen Städten, um nach Lösungen im Hinblick auf Propagandisten der Abschottung und Ausgrenzung deut- die immensen sozialen Probleme in den Städten, den gi- lich die Stirn bietet . gantischen Ressourcenverbrauch und die Luftverschmut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zung zu suchen . Auch der Oberbürgermeister Berlins hat der CDU/CSU) sich auf den Weg nach Quito gemacht. Brandanschläge auf Asylbewerberheime oder Mo- (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Er reist scheen machen alle Bemühungen in dieser Richtung zu- gerne!) nichte . Die Taten werden so gut wie nie aufgeklärt oder Die drängendste Frage, die sich für Berlin, München, werden gar verharmlost . Kolleginnen und Kollegen, Stuttgart, Düsseldorf, Dresden und viele andere Städte Brandstiftung ist ein Verbrechen und kein politisches Si- stellt, ist die Frage nach dem Wohnen . Wenn man über gnal und muss entsprechend behandelt werden . das Wohnen redet, dann geht es nicht einfach nur um die Wohnung oder die Miete, sondern das Wohnen ist inzwi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schen zu der sozialen Frage unserer Zeit und unserer Ge- Menschen müssen sich sicher fühlen, um sich als Teil sellschaft geworden . der Gesellschaft zu fühlen . Wir brauchen eindeutige Ant- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN worten auf rechte Umtriebe . Nur so wird erfolgreiche sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Integration möglich . Dann und nur dann hat sich unser finanzieller Einsatz egal ob vom Bund oder von Ländern Meine Damen und Herren, wo jemand wohnt, ent- gelohnt . scheidet heute über die Chancen beim Bewerbungsge- spräch . Es entscheidet über die Schule oder die Kita, in (B) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . die Kinder gehen können . Es entscheidet bei den Alten (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten über die Nachbarschaft . Es entscheidet darüber, ob ich im der CDU/CSU) Alter dort gepflegt werden kann, wo ich möchte – ja oder nein –, dort wo meine Community ist . Es entscheidet da- rüber, ob Kinder drinnen und draußen Platz zum Spielen Präsident Dr. Norbert Lammert: haben . Es entscheidet darüber, ob die Wohnung sicher Ich schließe die Aussprache . ist oder im Keller eingebrochen wird . Sind die Bauma- terialien okay? Sind sie gesund? Wie ist es mit der Wär- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- medämmung? Kann man den Einkauf zu Fuß erledigen? wurfs auf der Drucksache 18/9980 an die in der Tages- Bekomme ich Hilfe, wenn ich sie brauche – spätestens ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt im Fall der Pflege? All das hat mit dem Wohnen zu tun, es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist und deswegen ist und bleibt es eine so zentrale Frage . die Überweisung so beschlossen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4: Die explodierenden Mieten sind inzwischen zu einer Beratung des Antrags der Abgeordneten Art Spaltpilz der Gesellschaft geworden . Besonders Fa- Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, milien mit kleinen Einkommen, Rentnerinnen und Rent- Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und ner, Alleinerziehende und Migrantinnen und Migranten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind immer öfter wegen steigender Mieten gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und anderswo eine Bleibe Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le- zu finden. benswert und klimafreundlich Ich habe neulich einen Brief von einem Menschen be- Drucksache 18/10027 kommen, der am Rand von Berlin wohnt . Ich glaube, es Überweisungsvorschlag: war jemand, der am Rand von Zehlendorf wohnt und sich Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ über Wildschweine freut. Ich finde, das ist eine sehr her- sicherheit (f) vorragende Wohnlage .– Das meine ich nicht, wenn ich Innenausschuss sage, dass Menschen an den Rand gedrängt werden . Ich Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss meine nicht Wohngebiete, in denen man sich noch wun- derbar abschotten kann und es besonders gut hat, sondern Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktio- ich meine Wohngebiete, in denen man spürt, dass der so- nellen Vereinbarung 77 Minuten andauern . ziale Zusammenhalt infrage gestellt wird und dass dort 19434 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Katrin Göring-Eckardt (A) diejenigen wohnen, die sich anderes Wohnen nicht mehr Man muss sich vorstellen, worum es geht . Ein Blick (C) leisten können. Ich finde, das ist etwas, was uns nicht auf den Wohnungsmarkt in Berlin zeigt, dass zwei Drittel egal sein kann, auch wenn wir noch keine Situation wie der Wohnungsangebote heute Wohneigentum betreffen . in den Vorstädten von Paris und Brüssel haben . Um das restliche Drittel Mietwohnungen streiten sich dann Studierende, Niedrigverdiener und Alleinerziehen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) de . Dieser Zustand muss dringend und deutlich beendet Die Menschen spüren inzwischen, dass da etwas ins werden, meine Damen und Herren . Rutschen geraten ist . Der Anteil der Miete am Netto Packen Sie es endlich an! Tun Sie nicht mehr so, als steigt – und die Löhne eben nicht mit . Die Minimiet- wäre Wohnen eine nette Nebensache . Wohnen ist das, preisbremse, die Sie eingeführt haben, ist jedenfalls kei- was wir alle tun und tun müssen . Beim Wohnen geht es ne Antwort darauf – weder, um jemanden zu beruhigen, um den sozialen Zusammenhalt . noch in der Sache selbst .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: 264 deutsche Städte, in denen bezahlbarer Wohnraum Frau Kollegin . fehlt, haben es seit der Einführung der Mietpreisbremse mit steigenden Mieten zu tun . Das ist ja wohl das Gegen- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teil dessen, was Sie versprochen haben . Dass Sie das jetzt NEN): merken und nach dem Motto „Haltet den Dieb“ verfah- ren, finde ich besonders unglaubwürdig. Kümmern Sie sich darum! Machen Sie nicht nur An- kündigungen, sondern sorgen Sie tatsächlich dafür, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier etwas geschieht . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ausnahmen öffnen Tür und Tor, und es gibt schon möblierte Wohnungen von 10 Quadratmetern, für die 700 Euro Miete verlangt werden . Das ist nicht nur unzu- Präsident Dr. Norbert Lammert: mutbar, sondern auch unverantwortlich, und Sie sind die- Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/ jenigen, die einen Teil der Verantwortung dafür tragen . CSU-Fraktion . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Meine Damen und Herren, seitdem die schwarz-gelbe Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (D) Koalition 1989 – ja, das ist lange her – die alte Wohn- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau gemeinnützigkeit abgeschafft hat, sind kontinuierlich Katrin Göring-Eckardt, wenn man Ihren Antrag an dieser 2 Millionen gemeinnützige, bezahlbare Wohnungen ver- Stelle bewerten soll, dann ist das Wort „würdigen“ dafür loren gegangen . Jedes Jahr fallen weitere 60 000 Woh- ein zu positives Wort . Positiv fällt mir zu diesem Antrag nungen aus der Sozialbindung heraus . 60 000 Wohnun- immerhin ein, dass uns alle hier im Haus die Sorge eint, gen ohne Sozialbindung! wie wir zu mehr, bezahlbarem und, wenn Sie so wollen, gern auch zu klimafreundlichem Wohnraum kommen . Und was tun Sie? Viel fordern, wenig durchsetzen! Das halte ich für einen ganz wichtigen und ganz brei- Schlagzeilen produziert Frau Hendricks auch diesbe- ten Ansatz . Wenn nun der Regierende Bürgermeister züglich sehr gerne, besonders dann, wenn es neue Ge- von Berlin meint, er müsse sich die Anregungen dazu in sprächskreise gibt . Der Gesprächskreis „Bündnis für Ecuador holen, dann ist das schön, und wir nehmen das bezahlbares Bauen“ jedenfalls ist eine schöne Aktion zur Kenntnis . gewesen . Passiert ist leider gar nichts . Sie müssen jetzt Geld in die Hand nehmen . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe aber, meine Damen und Herren, dass der Lö- Hören Sie auf, herumzudrucksen . sungsansatz, den er mitbringt, ein bisschen breiter ist als das, was Sie in Ihrem Antrag als Perspektive eröffnen . Wir schlagen Ihnen vor, ein Sofortprogramm auf- Sie verengen nämlich die Sichtweise sehr stark . Das geht zulegen: 1 Million Wohnungen in fünf Jahren, 1 Milli- los mit der Frage: Wo soll gebaut werden? Da beziehen on sozialgebundene Wohnungen, 1 Million bezahlbare Sie sich ausschließlich auf die Metropolen, auf die Me- Wohnungen . Nur derjenige, der tatsächlich bezahlbaren gastädte, wie Sie sie vorhin genannt haben . Diese sind in Wohnraum schafft und erhält, bekommt Geld vom Staat . Deutschland nicht ganz so zahlreich . Tatsächlich haben Das ist die neue Wohngemeinnützigkeit, die wir Ihnen wir auch ein Wohnungsproblem in den kleineren Städten vorschlagen . Damit kann die Struktur in unseren Städten und teilweise im ländlichen Raum . Auch das wollen wir tatsächlich verbessert und es kann auch verhindert wer- an dieser Stelle einmal direkt ansprechen . den, dass die Kluft noch größer wird . (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sören Bartol [SPD]: In Ihrem Antrag stehen Ja, so ist es! Aber Sie müssen ja was dagegen aber zehn Jahre drin!) machen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19435

Dr. Georg Nüßlein (A) Sie verengen Ihre Sichtweise auch in der Frage: Wer die uns aus Gründen des Umweltschutzes daran hindern (C) soll bauen? In Ihrem Antrag gibt es zwei Akteure . Vor- wollen, ein schwieriges Unterfangen . rangig ist das der Staat, und an zweiter Stelle sind das die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Genossenschaften . Bauland ist auch deshalb teurer, weil die Grunder- (Klaus Mindrup [SPD]: Richtig!) werbsteuern hoch sind . Auch da könnten Sie fragen, wer daran schuld ist, in welchen Ländern sie besonders hoch Nun muss ich Ihnen sagen: Was den Staat angeht, haben sind und ob Sie vielleicht in der jeweiligen Landesregie- wir bereits – Stichwort „sozialer Wohnungsbau“ – ein rung dieser Länder vertreten sind . Ich empfehle Ihnen massives Staatsversagen hinter uns . Wir haben gesehen, dringend, sich das einmal anzuschauen; dann können Sie was der Staat macht: Die Länder haben Geld für den an der Stelle etwas ändern . Wohnungsbau bekommen, dieses aber für etwas ganz anderes eingesetzt als dafür, wofür wir es uns vorgestellt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – haben . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zu den Nun tragen Sie das Thema Gemeinnützigkeitsbindung Vorschlägen in unserem Antrag! Zu den Ein- quasi als Monstranz vor sich her . Mir stellt sich die Fra- zelpunkten in unserem Antrag, zum Beispiel ge, wer unter dieser Voraussetzung tatsächlich investie- zur Wohnungsgemeinnützigkeit! Sagen Sie ren soll . Am Schluss braucht ein Bau Investoren; das ist doch mal, wie die CDU dazu steht!) absolut klar . Da sind aus unserer Sicht gerade private In- vestoren notwendig . – Ich sage etwas zu der nächsten Frage, nämlich wie man weiteres Bauland gewinnen kann .– Wir haben derzeit die (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann Problematik, dass aufgrund von fehlenden Reinvestiti- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Jahren onsmöglichkeiten die Eigentümer von Bauland nicht ver- sagen Sie das!) kaufen . Denen muten wir zu, dass, wenn sie es tatsäch- lich tun, erst einmal der Fiskus kassiert, und zum Schluss – Ich komme gleich darauf . haben sie das Geld, können es aber nicht reinvestieren . (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb meinen wir, dass es eine intelligente Variante NEN]: Sie haben ja zwölf Minuten!) wäre, darüber nachzudenken, ob man den Grundstücks- besitzern nicht die Chance eröffnen sollte, steuerfrei in Selbst der altruistischste Investor wird am Schluss Mietobjekte zu investieren, wenn sie Bauland verkaufen . von Zinsen und von einer Abschreibung profitieren wol- Das halte ich für einen zielführenden Ansatz . len . Nun ist die Situation bei den Zinsen momentan ein (B) (D) bisschen einfacher . Aber dieser Niedrigzins wird durch (Beifall bei der CDU/CSU) steigende Baupreise überkompensiert . Auch das mit Lassen Sie uns über solche Dinge reden statt über the- der Abschreibung ist so eine Sache . Der tatsächliche oretische Gedankenspiele zur Gemeinnützigkeit . Es gab Abschreibungssatz müsste angesichts dessen, was wir schließlich einen Grund, warum man sie abgeschafft hat, momentan an Technik verlangen – darauf komme ich nämlich die Tatsache, dass die Fehlbelegung zum Schluss nachher beim Stichwort „Klimaschutz“ zu sprechen –, ein hohes Ausmaß angenommen hatte und dass sie bei erheblich höher als das sein, was man den Anlegern mit weitem nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat . 2 Prozent momentan steuerlich zubilligt . Es ist sinnvoller, zur Subjektförderung via Wohngeld (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ überzugehen und diejenigen, die Miete zahlen müssen, DIE GRÜNEN]: Welche Fraktion stellt denn so zu fördern, dass sie dies tun können, statt den von den Finanzminister?) Ihnen vorgeschlagenen Weg zu gehen, jetzt wieder ein neues Etikett zu vergeben und Gemeinnützigkeit einzu- Dann geht es mit der Frage weiter: Unter welchen Be- führen, wenn am Ende ganz andere in diesen Wohnungen dingungen soll investiert werden? Das ist gerade Ihr Ein- wohnen, als eigentlich beabsichtigt war . Wem hilft denn wand gewesen . Da geht es mit dem Thema „teures Bau- das, meine Damen und Herren? Ich kann das überhaupt land“ los . Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Erfahrung nicht nachvollziehen . ist, dass der Aufschrei vieler Beteiligten, insbesondere auch von den Grünen, groß sein wird, sobald wir über (Beifall bei der CDU/CSU) Arrondierungen im Innenbereich bzw . über die Frage re- Frau Katrin Göring-Eckardt hat vorhin die Baukos- den, wie wir mehr Bauland ausweisen können . tensenkungskommission angesprochen . Sie haben recht: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kommissionen sind das eine, und das, was wir dann in NEN]: Sie haben das Thema nicht verstan- der Politik diskutieren, ist das andere . Dabei spielt das den!) Thema Klimaschutz eine ganz hervorragende Rolle, al- lerdings nicht im positiven Sinne . Da sind Sie nämlich in einem Konflikt, meine Damen Klimaschutz ist ein eminent wichtiges Thema . Aber und Herren . Natürlich ist das letztlich auch Landschafts- wir sind auf dem besten Wege, ihn zu nichts anderem als verbrauch . Das wird doch gar nicht anders gehen . Wenn zu einem Kostentreiber zu machen . Das ist mir zu wenig . Sie mehr Bauland ausweisen, müssen Sie natürlich auch in Teilen in den Außenbereich gehen . Wohlgemerkt: Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wollen das tun . Allerdings ist das angesichts derjenigen, Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ 19436 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Georg Nüßlein (A) DIE GRÜNEN]: Ja! Weil diese Bundesregie- – Eng? Ich merke doch, dass sie eng sind . Sie hören nicht (C) rung nichts dazu tut!) zu .

– Hören Sie einmal zu! Das ist viel wichtiger; dann ler- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ nen Sie etwas . DIE GRÜNEN]: Das, was Sie erzählt haben, hat nichts mit der Realität zu tun!) Nehmen wir die Zusammenführung von EnEV und – Sie hören nicht zu . Wir diskutieren dann über die Fra- EE-Wärmegesetz . ge: Was soll oder – ich sage das in Ihrem Jargon – was darf denn gebaut werden? (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Wann kommt denn das?) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch mal ein – Hören Sie zu! Schauen Sie sich die derzeitige Realität Beispiel!) im Neubau an! Wir bauen massiv isolierte, faktisch luft- dichte Gebäude . À la bonne heure: Dagegen ist nichts Auch da sind Sie eng . Sie sagen: nur der Niedrigstan- einzuwenden . Dann sagt man aber: Du musst eine im- dard im Mietwohnungsbau, allerdings bei hohem Klima- mens teure aufwendige Heizung installieren, um an den schutzstandard – billig, billig, billig . wenigen Tagen, an denen du sie wirklich brauchst, dieses Ich sage Ihnen: Auch der Bezug einer besser ausge- Gebäude heizen zu können .– Wie passt denn das zusam- statteten Mietwohnung sorgt am Schluss dafür, dass eine men? andere Mietwohnung frei wird . Die Leute haben doch vorher auch irgendwo gewohnt . Beim Thema Sanierung sind wir an demselben Punkt . Auch dazu gibt es Forderungen, die Standards weiter Das Gleiche gilt für das Eigenheim . Kein einziger anzuheben . 120-Prozent-Sanierung sage ich dazu . Dem Satz findet sich in Ihrem Antrag zum Thema Eigenheim, Klima würde man mehr helfen, wenn viele Wohnungen obwohl Deutschland dabei einen immensen Nachholbe- teilsaniert würden, statt nur einige wenige nach aller- darf hat . Wir haben eine Eigenheimquote von 53 Prozent . höchstem Standard sozusagen zu 120 Prozent zu sanie- Frankreich liegt bei 65 Prozent, Italien bei 73 Prozent . ren . Wir täten gut daran, uns auch mit Blick auf das Thema Alterssicherung darüber Gedanken zu machen, wie mehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Menschen zu eigenen vier Wänden kommen . Das ist, meine Damen und Herren, ein Grundbedürfnis der Men- Diesen Weg muss man gehen, und so muss man aus schen . Wir sollten etwas dafür tun, dass sie das befriedi- (B) meiner Sicht den Klimaschutz sehen . Angesichts der gen können . (D) komischen Diskussion über das Thema „angemessene Wirtschaftlichkeit“, die viele Ihrer grünen Länderminis- (Beifall bei der CDU/CSU) ter an dieser Stelle beginnen, frage ich mich: Was soll Stattdessen – da nehme ich die Schuld durchaus auf das? Wenn man erst einmal über die Frage diskutieren uns – haben wir in der letzten Großen Koalition die Ei- muss, was „angemessen“ ist, muss man das Ganze letzt- genheimzulage abgeschafft . Das war aus meiner Sicht ein lich gar nicht diskutieren . fataler Fehler . Wir müssen jetzt wenigstens darüber re- den, wie man mit der Wohnungsbauprämie verfährt, die Das Allerschönste ist, dass Sie schreiben: Wenn es auf Uraltdaten basiert . Wir sollten auch darüber reden, ob nicht wirtschaftlich ist, soll der Staat einspringen und das man gezielt mit Baukindergeld einen Beitrag dazu leisten Ganze fördern .– Wer diskutiert denn dann? Wer denkt kann, dass sich junge Familien wenigstens im ländlichen denn an der Stelle überhaupt noch über die Frage der Raum, wo es geht, ein eigenes Heim leisten können . Das Wirtschaftlichkeit nach? sollten wir tun . Ich glaube, dass das ein falscher Ansatz ist, meine (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn Damen und Herren . So wird Klimaschutz nicht funktio- [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nieren . Klimaschutz muss etwas sein, das wir mit Tech- Wer stellt denn den Finanzminister? Machen nologieoffenheit und Innovationsfreude angehen und bei Sie doch mal einen Vorschlag!) dem wir bereit sind, etwas zu bewegen, gerne auch im Baubereich . Wir müssen aber aufhören, die Trauben im- – Jetzt brüllen Sie doch nicht die ganze Zeit . Wer die gan- mer höher zu hängen, bis keiner mehr hochspringt . Das ze Zeit brüllt, hat Unrecht, Herr Kollege . ist doch der Weg, den wir zurzeit beschreiten . Bei jeder (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Gelegenheit – bei der Zielsetzung angefangen bis hin DIE GRÜNEN]: Nein, das ist ein Zwischen- zu den Maßnahmen – hängen wir die Trauben ein Stück ruf! Das ist parlamentarischer Brauch! – Ge- höher und wundern uns, wenn sich zum Schluss keiner genruf von der CDU/CSU: „Pöbeln“ heißt mehr bemühen wird, überhaupt noch daranzukommen . das!) Investitionsattentismus werden Sie am Schluss mit sol- chen Anträgen erreichen . Fazit der Geschichte ist: Staatliche Regulierung gibt es in Deutschland genug . Anträge, die nur staatliche Re- (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn gulierung fordern, sind überflüssig. Denn daran haben [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir, meine Damen und Herren, in diesem Land nun wirk- Wie wollen Sie die Sanierung?) lich keinerlei Mangel . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19437

Dr. Georg Nüßlein (A) Auch Markteingriffe machen das nicht besser . Frau führt wurde, steigen die Mieten weiter an . Das darf nicht (C) Katrin Göring-Eckardt hat vorhin das Thema Mietpreis- sein . bremse angesprochen, die sich aus ihrer Sicht nicht ren- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tiert . Ich habe sie – das sage ich ganz offen – nicht ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wollt und nicht gebraucht . Unsere Vorschläge, die Mietpreisbremse nachzuschär- (Sören Bartol [SPD]: Dass Sie das noch ein- fen, haben wir in der letzten Sitzungswoche hier im Bun- mal sagen! Wer ist schuld an der Verzöge- destag eingebracht . Die Grünen bringen ihre Vorschläge rung?) heute ein . Wer noch nichts eingebracht hat, ist die Große Ich bin eher in Sorge gewesen, dass aus der Mietpreis- Koalition . bremse eine Investitionsbremse wird . Das haben wir im- (Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] merhin an der Stelle verhindern können . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Sören Bartol [SPD]: Genau!) Ich bin Ihnen, Herr Dr . Nüßlein, fast dankbar, dass Sie Es wird tatsächlich gebaut – auch in den Metropolen . ehrlich gesagt haben, Sie wollten die Mietpreisbremse nicht . (Sören Bartol [SPD]: Das wird im Protokoll so ausgedruckt!) (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) Wir brauchen – da werden wir in der Tat mit dem Fi- nanzminister reden müssen – steuerliche Rahmenbedin- Genau das ist auch das Problem . Die Große Koalition hat gungen, wie ich sie angemahnt habe, beim Thema Bau- letztlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zwar eine land und bei den Abschreibungen . Dort sind 2 Prozent zu schöne Überschrift hat, das aber so viele Ausnahmen und wenig . Man braucht mindestens 3 Prozent, um die öko- Lücken enthält – daran hat die CDU/CSU alles gesetzt –, nomische Realität abbilden zu können . dass es das Papier nicht wert ist . Ihre Blockadehaltung in diesem Punkt ist das eigentliche Problem . Sie wollen Mir geht es darum, das Thema nicht auf Brennpunkte nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt . Das muss sich zu verengen – auch nicht bei steuerlichen Förderungen . endlich ändern . Denn wäre dies der Fall, würden wir Feuer mit Öl be- kämpfen . Das wäre falsch . Klimaschutz ist wichtig, lässt (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sich aber nur mit guter Technik und mit dem Blick fürs NIS 90/DIE GRÜNEN) Ganze machen . Der fehlt Ihnen, meine Damen und Her- Auch der soziale Wohnungsbau kommt nicht in ren . Deshalb wird uns dieser Antrag ebenso wenig wie (B) Schwung . Wir freuen uns, dass Geld draufgesattelt wur- (D) Sie weiterbringen . de und dass im vorletzten Jahr 12 000 Sozialwohnungen In diesem Sinne sage ich vielen herzlichen Dank . und im letzten Jahr 15 000 Sozialwohnungen neu gebaut wurden; das ist gut . Aber wir dürfen nicht vergessen, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn Jahr für Jahr unglaublich viele Sozialwohnungen aus der [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sogenannten Sozialbindung herausfallen . Wenn es sich Die Rede hat uns auch nicht weitergebracht! – dabei im Schnitt um schätzungsweise 85 000 Wohnun- Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen im Jahr handelt, dann bleibt trotz der Neubauten Jahr NEN) für Jahr ein Minus von rund 70 000 Sozialwohnungen, die aus der Sozialbindung herausfallen . Wenn wir nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: ein bisschen mehr Tempo machen, dann haben wir in Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Caren Lay 25 Jahren überhaupt keine Sozialwohnungen mehr . Das das Wort . darf nicht sein . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Caren Lay (DIE LINKE): Ich appelliere an die Vertreter der Länder: Setzen Sie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und das Geld, das Ihnen der Bund für den sozialen Wohnungs- Herren! Nach drei Jahren Großer Koalition im Bund fällt bau gibt, tatsächlich für den sozialen Wohnungsbau ein! die wohnungspolitische Bilanz dieser Regierung, ehrlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gesagt, bescheiden aus . Hier wurde viel geredet – fast immer auf Antrag der Opposition . Von der Regierung Viele Länder füllen mit diesem Geld die Lücke, die durch und insbesondere von der SPD wurde viel angekündigt, die abgeschaffte Eigenheimförderung entstanden ist . Das aber durchgesetzt wurde kaum etwas . Auch wurden kei- ist schlichtweg eine Zweckentfremdung von Geldern . ne wirklich sinnvollen Regelungen in dieser Legislatur- Das können wir nicht dulden . periode erlassen . (Beifall bei der LINKEN) Ich beginne mit dem Lieblingsprojekt, der Mietpreis- Nun habe ich Applaus von der CDU/CSU bekommen . bremse . Wie sie sich jetzt darstellt, ist sie faktisch ein Das finde ich natürlich schön. Rohrkrepierer . Das belegen verschiedene unabhängige Studien . Sie attestieren, dass die Mietpreisbremse in der (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Aber nur in derzeitigen Form nicht wirkt . Selbst dort, wo sie einge- diesem Punkt!) 19438 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Caren Lay (A) Aber eines will ich deutlich sagen: Sich hinter dem Ver- ein Zehnjahreshoch bei den Baugenehmigungen . Aber (C) sagen der Länder bei der sozialen Wohnungspolitik zu das Magazin Panorama hat herausgefunden, dass gera- verstecken, geht nicht . Schauen wir uns einmal an, um de einmal 5 Prozent der im Neubau befindlichen Woh- welche Bundesländer es sich handelt, die in den letzten nungen in den 20 größten deutschen Städten überhaupt zwei Jahren trotz der Subventionen des Bundes gar keine für Normalverdiener erschwinglich sind, in Berlin nur Sozialwohnungen gebaut haben . Wer war das denn? Das 2,5 Prozent . Wir reden hier nicht nur von Geringverdie- waren Sachsen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpom- nern und von Hartz-IV-Empfängern, sondern es wurde mern . Fällt Ihnen etwas auf? Wer regiert denn dort? Dort der Durchschnittsverdienst zugrunde gelegt . Ich muss regiert die CDU zusammen mit der SPD . Sich hier hinter einfach sagen: Wenn nur 5 Prozent aller Neubauten in den Ländern zu verstecken, kann keine Lösung sein . den Großstädten für den Durchschnittsverdiener als Mie- ter erschwinglich sind, dann läuft etwas mit der Bau- und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wohnungspolitik dieser Regierung falsch . NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich appelliere an die Länder, die Geltungsdauer der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sozialbindungen zu verlängern . Ansonsten fallen Hun- derttausende Sozialwohnungen in den nächsten Jahren Ein letzter Punkt: Wir brauchen nicht nur eine wir- weg . Das heißt konkret, dass Zehntausende, vielleicht kungsvolle Mietpreisbremse; was wir vor allen Dingen sogar Hunderttausende Menschen mit geringem Einkom- noch brauchen, ist eine Spekulationsbremse . Wir müs- men aus ihren Wohnungen fliegen werden. Deswegen sen verhindern, dass Firmen die Möglichkeit haben, die lautet mein Appell an die Vertreter der Länder: Verlän- Grunderwerbsteuer zu umgehen, und zwar nicht nur gern Sie die Geltungsdauer der Sozialbindungen! Kaufen durch miese Tricks, sondern indem sie ganz legale Steu- Sie die sogenannten Belegungsbindungen auf! Das ist ertricks – Share Deals – anwenden . Das dürfen wir nicht das Gebot der Stunde . länger dulden . Das müssen wir hier im Deutschen Bun- destag verhindern . Auch der Bund muss seine Politik verändern . Erstens reicht das Geld hinten und vorne nicht aus . Wir sagen: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 5 Milliarden Euro für einen sozialen, gemeinnützigen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wohnungsbau sind gut angelegtes Geld . Zweitens soll- ten wir mit dem Geld, das der Bund nun einsetzt, nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: auch noch die Fehler der Vergangenheit wiederholen . 15 Jahre lang werden die Wohnungen, die mit Geldern Das wäre doch eigentlich ein schöner Schlusssatz ge- der sozialen Wohnraumförderung subventioniert werden, wesen . (B) als Sozialwohnungen gebunden. Danach fliegen sie aus (D) der Sozialbindung wieder heraus. Das bedeutet häufig, Caren Lay (DIE LINKE): dass die Mieterinnen und Mieter ausziehen müssen . Das Herr Präsident, mein letzter Satz . – Es kann doch ist, ehrlich gesagt, keine sinnvolle Förderung . Deswegen nicht sein, dass der Bund weiter mitspekuliert . Wir müs- sagen wir als Linke: Einmal Sozialwohnung, immer So- sen endlich das Prinzip ändern, dass die bundeseigenen zialwohnung! Das muss für die Zukunft gelten . Immobilien weiterhin im sogenannten Höchstgebotsver- fahren abgegeben werden . Wir brauchen hier ein Vor- (Beifall bei der LINKEN) kaufsrecht der Kommunen . Ein gutes Beispiel ist das Dass das gut funktioniert, kann man sich übrigens in Dragoner-Areal hier in der Stadt Berlin. Ich finde, die- Wien ansehen . Das Wiener Modell der Gemeindewoh- ser Vertrag mit dem Großinvestor muss rückabgewickelt nung sollten wir uns als Vorbild nehmen . werden . Dieses Areal muss zurück an das Land Berlin, damit es gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit im sozial entwickelt werden kann . Jahr 1990 war ein fataler Fehler, ein Jahrhundertfehler . Deswegen gehört die Einführung einer neuen Wohn- Vielen Dank . gemeinnützigkeit in das Zentrum einer neuen sozialen Wohnungspolitik . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Grundproblem ist Folgendes: Fast alle Akteure auf Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentari- dem Markt wollen vor allen Dingen mit Wohnungen viel sche Staatssekretär Florian Pronold das Wort . Geld verdienen . Dem müssen wir etwas Neues entge- gensetzen, einen neuen Sektor, der nicht für die Rendite (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wirtschaftet, sondern der das Recht der Menschen auf be- der CDU/CSU) zahlbares Wohnen in den Mittelpunkt stellt . Das ist eine neue Wohngemeinnützigkeit . Florian Pronold, Parl . Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- (Beifall bei der LINKEN) cherheit: Das Mantra der CDU „bauen, bauen, bauen“ ist übri- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gens keine Lösung . Ich meine, es herrscht regelrecht eine liebe Kollegen! Es ist Aufgabe der Opposition, das Haar Goldgräberstimmung auf dem Immobilienmarkt . Es gibt in der Suppe zu suchen. Aber wenn man kein Haar findet, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19439

Parl. Staatssekretär Florian Pronold (A) gleich eine ganze Perücke hineinzuwerfen, wie man das digt! Das ist das, was Sie am besten können! (C) heute in der Debatte macht, übersteigt schon das Erträg- Ankündigen, ankündigen, ankündigen!) liche . Dagegen spricht doch nichts . Deswegen macht man (Widerspruch bei der LINKEN und dem doch das Instrument nicht madig, sondern man schaut, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) was man noch verbessern kann . Nehmen wir doch einmal die Fakten, von denen hier viele reden, zur Kenntnis . Wir haben heute die aktuellen Vizepräsidentin : Baugenehmigungszahlen bekommen . Im ersten Halbjahr Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich Sie in ist in Sachen Neubau so viel passiert wie seit 2002 nicht Ihrer Dynamik einmal ganz kurz unterbrechen? Die Kol- mehr . legin Lisa Paus würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben eine Steigerung um 25 Prozent auf dem Woh- Florian Pronold, Parl . Staatssekretär bei der Bundes- nungsmarkt . ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Der zweite Punkt: Wer spricht denn über die Makler- cherheit: regelung, die wir durchgesetzt haben? Eine halbe Milli- Na gerne . arde Euro ersparen wir Mietsuchenden jedes Jahr . Wir verhindern, dass sie ausgebeutet und über den Tisch ge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zogen werden . Diese Regelung wirkt . Bitte schön . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist völlig irrelevant aus Sicht der Opposition . Wir Herr Pronold, Sie haben ja gerade gesagt, dass die haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre- Mietpreisbremse wirkt . Insofern würde man normaler- publik Deutschland mit der Mietpreisbremse eine gesetz- weise nicht unbedingt annehmen, dass die Preise sinken . liche Regelung in einem Bereich geschaffen, in dem es Man würde aber annehmen, dass sie nicht mehr so stark bisher überhaupt keine gab, nämlich bei der Wiederver- steigen, wie sie es vorher getan haben . Das würde ich mietung . Wir haben jetzt die erste Klage, die erfolgreich klassischerweise unter einer wirksamen Mietpreisbrem- war . Die wird auch Wirkung zeigen . se verstehen . Alle Menschen in diesem Land haben das, glaube ich, so verstanden . (B) Es hat nie jemand behauptet, dass eine Mietpreisbrem- (D) se es schafft, die Mieten zu reduzieren . Wissen Sie, dass es eine Studie zum Beispiel für das Land Berlin gibt – von Ihrem Haus gibt es, glaube ich, (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- noch keine entsprechende Studie –, in der genau dem NIS 90/DIE GRÜNEN) nachgegangen worden ist? Da wurde darauf untersucht, Eine Mietpreisbremse bremst die Entwicklung ab . inwieweit die Mietpreisbremse tatsächlich zu einem we- niger großen Anstieg der Mieten geführt hat . Sie kam zu (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- dem Resultat, dass leider das Gegenteil der Fall ist, dass NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie nicht!) die Mietpreise im Land Berlin weiter – und zwar stär- Wir haben immer gesagt: Ohne dass wir zusätzliche An- ker – angestiegen sind . Wie würden Sie diesen Befund strengungen beim Bauen unternehmen, wird es keinen jetzt vor dem Hintergrund erläutern, dass Sie gesagt ha- bezahlbaren Wohnraum geben . ben, dass die Mietpreisbremse wirkt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU) Man kann natürlich kurzfristig die eine oder ande- Florian Pronold, Parl . Staatssekretär bei der Bundes- re Umfrage machen . Die kann man auf der Basis der ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Daten von Internetportalen machen – eine sehr seriöse cherheit: Geschichte . Ich bin dafür, dass man das wirklich seriös Ich glaube, wenn Sie zugehört hätten, macht . Dann wird man sehen, dass die Mietpreisbremse (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ihre Wirkung entfaltet . Habe ich!) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE dann wüssten Sie, dass ich bereits zum Beispiel auf diese GRÜNEN]: Wir sagen schon die ganze Zeit, eine Studie eingegangen bin . Ich bin darauf eingegangen, dass sie sie nicht hat!) auf welcher Datenbasis sie erstellt worden ist . Man soll- Wir sehen aber auch, dass es bestimmte Bereiche gibt, te sehr vorsichtig sein, bei unsicherer Datenbasis nach bei denen man noch nachbessern muss . Der Bundesjus- relativ kurzer Zeit eine abschließende Bewertung vorzu- tizminister hat auch angekündigt, dass wir das so schnell nehmen . wie irgend möglich machen werden . (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD – Katrin Göring-Eckardt DIE GRÜNEN]: Die ganzen Ausnahmen! [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, angekün- Das muss Ihnen doch zu denken geben, Herr 19440 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Florian Pronold (A) Pronold! Sie wissen doch, dass sie nicht wir- soziale Wohnraumförderung bei den Ländern angesiedelt (C) ken kann!) ist .

Vorher habe ich auch noch einmal deutlich gemacht, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE dass wir eine enorm gute Regelung für einen Bereich ge- GRÜNEN]: Aber Sie haben angekündigt, dass troffen haben, wo es vorher noch überhaupt keine gab . Es Sie jetzt investieren wollen!) gab keine Regelung für die Frage der Wiedervermietung . Und der Bund übernimmt jetzt eine Übergangsfinanzie- Das war der erste große Schritt . rung . Es ist doch kein Wunder, dass bei angespannten Woh- Ich sage Ihnen: Wichtig ist, dass wir jetzt in der aktu- nungsmärkten – dasselbe erleben wir übrigens auch in an- ellen Situation die Gelder verdreifacht haben, und zwar deren Bereichen, etwa bei der Ausbildung, wo Menschen eben auch, um Fehler der Vergangenheit nicht zu wie- dringend auf etwas angewiesen sind – viele die Rechte, derholen . Wir haben vorhin eine Debatte zum Thema die sie haben, gar nicht wahrnehmen, weil sie froh sind, Integration gehabt . Für die SPD ist es wichtig, dass wir dass sie endlich etwas gefunden haben . Deswegen reicht die Menschen auf dem sozialen Wohnungsmarkt nicht es eben nicht, nur auf der rechtlichen Ebene etwas zu ma- gegeneinander ausspielen . Deswegen haben wir gesagt: chen, sondern wir müssen auch das Marktversagen auf Wir brauchen keinen Flüchtlingswohnungsneubau, son- dem Wohnungsmarkt beenden . Und das bedeutet, dass dern wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle . Es es auch in ordentlichem Ausmaß Neubau und vor allen darf nicht sein, dass die alleinerziehende Mutter gegen Dingen bezahlbaren Wohnraum geben muss . die syrische Familie ausgespielt wird . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damit bin ich beim nächsten Thema . Ich habe manch- der CDU/CSU) mal ein gutes Gedächtnis, was Oppositionsanträge und die darin enthaltenen Forderungen angeht . Ich erinnere Dafür tragen wir mit diesem Geld Sorge; aber die Länder mich, welche Forderungen es vor wenigen Jahren in Be- müssen dort auch entsprechend mitziehen . Es gibt kaum zug auf die Steigerung bei der sozialen Wohnraumförde- einen Bereich, wo die Große Koalition so erfolgreich rung gab . Heute betreibt diese Bundesregierung bzw . die agiert hat wie im Wohnungsbau . Große Koalition eine soziale Wohnraumförderung – das schlägt sich auch im Haushalt nieder –, die die meisten Meine Redezeit ist heute etwas kurz . Ich würde ger- Oppositionsanträge von vor wenigen Jahren übertrifft . ne noch etwas zur Frage der Städtebauförderung sagen, Und jetzt heißt es nach dem üblichen Motto: Das reicht dazu, was wir dort machen, um zu verhindern, dass wie nicht . in anderen europäischen Ländern Ghettos entstehen, was (B) wir insgesamt in vielen anderen Bereichen gemacht ha- (D) Meine Bitte ist jetzt – ich werde gleich zur Baumi- ben . Dem ging übrigens auch ein Beschluss des Haus- nisterkonferenz unterwegs sein –, dass alle, die sagen, haltsausschusses voraus, bei Bundesgrundstücken nicht dass es nicht reicht, dort, wo sie in den Ländern Verant- mehr das Höchstpreisverfahren anzuwenden . Auch da ist wortung tragen, dafür Sorge tragen, dass das Geld auch noch zu wenig passiert; das stimmt . Wir haben lange ge- wirklich entsprechend ausgegeben wird . Denn die Be- kämpft . Jetzt haben wir da aber den ersten Schritt getan . richte, die wir aus den Ländern bekommen – darin geht Schauen Sie sich auch einmal – bei all dem, was man es darum, was mit dem Dreifachen des Geldes jetzt pas- an der BImA kritisieren kann – an, was wir für die Flücht- siert –, bringen mich schon zum Nachdenken darüber, ob lingsunterbringung in diesem Bereich gemacht haben . es richtig ist, dass wir das machen . Ich weiß jetzt schon, Da haben wir vielen Kommunen und Ländern wirklich dass Länder sagen: Da kommt das Dreifache vom Bund; geholfen – auch weil der Bund mit gutem Beispiel voran- also geben wir weniger dazu . Warum sollen wir da etwas ging . Und wenn es eine erfolgreiche Politik gibt, dann ist machen? – Andere geben überhaupt keine vernünftigen es die beim sozialen Wohnungsbau, bei der Wohnungs- Berichte ab . politik des Bundes . Sie können da noch so viele Haare in der Suppe suchen, Sie werden keine finden. Ich finde, das Thema Wohnungsnot ist viel zu ernst, als dass man es so abhandeln kann . Wir haben hier die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gelder von 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro der CDU/CSU) verdreifacht . Das ist eine Riesenleistung, und das ist ein Beitrag zu bezahlbarem Wohnen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner von der CDU/CSU-Fraktion . Frau Göring-Eckardt, Sie haben heute, glaube ich, das (Beifall bei der CDU/CSU) erste Mal zur Wohnungspolitik geredet .

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Kai Wegner (CDU/CSU): GRÜNEN]: Nein, Herr Pronold, nicht zum Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ersten Mal!) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staats- sekretär hat zur Verantwortung von Bund und Ländern Man muss auch wissen, dass es eine Föderalismusreform bereits das Richtige gesagt . Liebe Kolleginnen und Kol- gab, nach der seit 2008 die Alleinverantwortung für die legen von den Grünen, der Bund hat Verantwortung für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19441

Kai Wegner (A) die soziale Wohnraumförderung übernommen . Ich wür- an dem die Berliner CDU die komplette Privatisierung (C) de mir wünschen, dass wir – auch Sie –, statt wohlfeile aller staatlichen Wohnungsbaugesellschaften gefordert Anträge an den Deutschen Bundestag zu formulieren, hat, Frau Lay . gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Länder – auch (Caren Lay [DIE LINKE]: Dann kann ich Ih- die Länder, in denen Sie Verantwortung tragen – dieses nen das noch mal vorlesen! Das war Ihre Po- Geld zielgerichtet für die soziale Wohnraumförderung sition!) verwenden, statt es in Haushaltslöchern versickern zu lassen . Ganz im Gegenteil: Die Privatisierung der größten staat- lichen Wohnungsbaugesellschaft in Berlin ist in Ihrer Re- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gierungszeit beschlossen und vollzogen worden . Frau Lay, Sie sprachen von Jahrhundertfehlern . Ich (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben gesagt, hätte mir gewünscht, dass Sie auch den Fehler als Jahr- dass es nicht reicht!) hundertfehler bezeichnet hätten, den Ihre Partei, als sie in Berlin in Regierungsverantwortung war, zu verantworten Das haben wir als Union im Übrigen sogar kritisiert, Frau hat . Sie waren es nämlich, die die größte staatliche Woh- Lay . nungsbaugesellschaft in Berlin privatisiert haben . Da das (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben gesagt: noch nicht reichte, haben Sie sie gleich noch an die Bör- Es reicht nicht aus!) se gebracht, Frau Lay . Das ist Praxispolitik der Linken in den Ländern, und es ist unredlich, wenn Sie das hier Das gehört zur Wahrheit, und es ist unredlich, etwas an- anders darstellen . deres zu behaupten . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Caren Lay [DIE LINKE]: „Es reicht nicht aus“ war Ihre Position! Auch die der Grünen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: – Man ist halt getroffen, wenn man den Spiegel vorge- Herr Kollege Wegner, darf ich Sie kurz unterbrechen? halten bekommt und der Wahrheit ins Auge sehen muss, Die Kollegin Lay hätte eine Zwischenfrage an Sie . Ge- nämlich wie man in den Ländern Verantwortung trägt statten Sie diese? und hier andere Anträge formuliert . Von daher, Frau Lay, nehme ich das so zur Kenntnis . Kai Wegner (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, diese Große Koalition wird Sehr gerne . Vielleicht bezeichnet sie das dann ja auch sich mit Nachdruck weiter dafür einsetzen, dass für alle als Fehler . Menschen Wohnraum in Deutschland zur Verfügung (B) steht – für alle Menschen, in allen Stadtvierteln, auch (D) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bezahlbarer Wohnraum . Wir haben da einiges erreicht Bitte schön . und einiges erledigt . Ich sage nicht, dass wir schon fer- tig sind . Wir haben noch vieles vor uns . Aber wir haben die Mittel für die soziale Wohnraumförderung deutlich (DIE LINKE): Caren Lay erhöht und diskutieren, sie in den nächsten beiden Jahren Herr Kollege, selbstverständlich . Das habe ich immer nochmals um 500 Millionen Euro zusätzlich zu erhöhen . gesagt . Das haben auch andere Rednerinnen und Red- Das ist eine Kraftanstrengung . Diese Regierung, diese ner dieser Fraktion hier immer wieder gesagt . Dieser Koalition sieht aber die Verantwortung, die wir haben . Verkauf in Berlin war ein Riesenfehler . Das muss man Aber noch einmal: Ich erwarte von den Ländern, dass sie unumwunden zugeben . Da gibt es überhaupt nichts zu nicht immer nur nach Geld rufen, sondern diese Mittel diskutieren . Ich muss mich, ehrlich gesagt, aber etwas dann auch passgenau einsetzen . wundern, warum Sie als Vertreter der Union das hier jetzt so hochziehen . Geben Sie mir erstens darin recht, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die extreme Haushaltsnotlage des Landes Berlin damals Wir haben das Leistungsniveau des Wohngeldes deut- vorwiegend durch die Große Koalition, vor allen Dingen lich angehoben, um einkommensschwache Haushalte bei durch das Agieren der Union, verschuldet war? Geben den Wohnkosten schnell, wirkungsvoll und treffsicher zu Sie mir zweitens recht, dass es die Union war – damals entlasten . in der Opposition –, die die rot-rote Regierung wegen des Haushalts verklagt hat? Geben Sie mir drittens recht, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ dass es Ihre Partei war, die in Berlin gefordert hat, sämtli- DIE GRÜNEN]: Vollkommen verpufft!) che staatlichen Wohnungsunternehmen zu privatisieren? Ja, wir haben das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Finden Sie nicht auch, dass derjenige, der im Glashaus Bauen ins Leben gerufen und die Maßnahmen identifi- sitzt, nicht Steine auf andere werfen sollte? ziert, die zu mehr Wohnungsbau führen sollen . (Beifall bei der LINKEN) Ja, wir haben auch die Mietpreisbremse eingeführt, damit Menschen nicht aus ihren angestammten Wohn- Kai Wegner (CDU/CSU): vierteln verdrängt werden . Wir haben aber schon immer Dann habe ich ja Glück, dass ich nicht im Glashaus gesagt – auch ich habe das schon immer gesagt –: Eine sitze . Glauben Sie es mir: Ich bin seit vielen Jahren Mit- Mietpreisbremse, so sinnvoll sie auch sein mag, schafft glied der Berliner CDU und war in unterschiedlichen keine einzige neue bezahlbare Wohnung, meine Damen Funktionen tätig . Ich kann mich an keinen Tag erinnern, und Herren . Auch das gehört zur Wahrheit . 19442 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Kai Wegner (A) Wir werden einen Investitionspakt für die soziale Inte- rück und erfreuen sich an den immer weiter steigenden (C) gration im Quartier auflegen und die Fördermittel für die Preisen . Dieses spekulative Verhalten müssen wir end- Stadtentwicklung noch einmal deutlich erhöhen . lich unterbinden, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der beste Weg, um den Baulandspekulanten den Garaus zu All diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind machen, wäre die spürbare Ausweitung weiterer bebau- richtig und wichtig; denn insbesondere in den Ballungs- barer Flächen; denn dann hätte das Spekulieren auf im- zentren steigen die Mieten weiter . Auch die Preise für mer weiter steigende Preise ganz schnell ein Ende . Wohneigentum schießen in die Höhe . Je größer die Stadt, desto stärker die Preissteigerung . Die Gründe dafür sind Ja, liebe Frau Ministerin, lieber Herr Pronold, damit klar; sie liegen auf der Hand . Deutschlands Städte sind wir die Kabinettsreife schnell erreichen: Machen Sie den attraktiv, sie ziehen viele Menschen an, und sie wach- Weg frei, damit wir schnell zu mehr Bauland in unserem sen . Wo eine steigende Nachfrage auf ein nur gemäch- Land kommen können . Wir brauchen dieses Instrument, lich wachsendes Angebot trifft, steigen die Preise . Des- mit dem wir planungsrechtlich zügig auf den derzeitigen halb ist es auch so wichtig, dass die erste und wichtigste Wohnungsmangel reagieren können . Keiner sollte sich Antwort auf die steigende Nachfrage ist, dass wir alle hinter diffusen europäischen Regelungen verstecken . Anstrengungen unternehmen müssen, um mehr, um neu- Das klärt sich . Beim Bauland entscheidet sich am Ende en Wohnraum zu schaffen . Deshalb ist die Devise völlig des Tages, wer sich wirklich diesem Problem stellen und richtig, dass wir auf Bauen, Bauen und nochmals Bauen es lösen will . setzen müssen, meine Damen und Herren . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ja, wir müssen bei der Städtebaurechtsnovelle auch mit Blick auf die Innenent- Es ist schon oft meine Heimatstadt Berlin erwähnt wicklung das eine oder andere verändern . Ich begrüße, worden . Wir haben in Berlin derzeit eine Leerstandsquo- dass es einen neuen Baugebietstypus „Urbanes Gebiet“ te von 1,7 Prozent . Wir alle wissen, wie die Stadt in den geben wird . Wir wollen ein besseres Nebeneinander von nächsten Jahren wächst . Wer meint, bei einer Leerstands- Wohnen und Gewerbe und damit auch den Bau zusätz- quote von 1,7 Prozent können wir weiter mit Regularien licher Wohnungen in urbanen Zentren . Urbane Gebiete vorgehen, weitere Gesetze schaffen und damit einen sta- sollen zudem die funktionale Durchmischung in unse- bilen Mietmarkt entstehen lassen, der irrt, meine Damen ren Städten stärken; denn gemischte Quartiere sind ein und Herren . Auch in Berlin gilt es, mehr Wohnungen zu Garant für Lebensqualität, für Wohnzufriedenheit, für bauen und auf die steigende Nachfrage zu reagieren . Standortbindung und für Identitätsbildung . Auch das ist Ja, zur Wahrheit gehört auch – es wird immer wie ein ein wichtiger Baustein für lebenswerte Wohnverhältnisse Dogma hier vorgetragen, dass staatliche Gesellschaften in starken Stadtteilen . (B) (D) für alles zuständig sind –: Wir brauchen die staatlichen Meine Damen und Herren, das Thema Wohneigentum Gesellschaften, um dieser Herausforderung gerecht zu wurde angesprochen . Ich glaube, auch hier brauchen wir werden . Wir brauchen auch die Genossenschaften . Auch verstärkte Anstrengungen; das Thema Wohneigentum das gehört zur Wahrheit . Wir werden dieser großen He- braucht eine höhere Wertschätzung, auch vonseiten der rausforderung nur gerecht, wenn wir auch auf private Bundesregierung und der Bundesministerin . Denn wer Investitionen, private Investoren setzen . Nur in diesem den Mut und die Möglichkeit hat, sich letztlich für die Dreiklang – staatliche Gesellschaften, Genossenschaften eigenen vier Wände zu entscheiden, der schafft am Ende und private Bauherren – werden wir dieser Herausforde- des Tages Freiräume bei den Mietwohnungen, und es ist rung gerecht werden können . die beste Altersvorsorge für die Menschen . Von daher Nach allen Schätzungen benötigen wir in Deutsch- müssen wir größere Kraftanstrengungen unternehmen, land jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen – um Wohneigentum weiter zu fördern . 350 000 neue Wohnungen! Ja, ich bin sehr für eine behutsame Nachverdichtung in bestehenden Stadtquar- (Beifall bei der CDU/CSU) tieren . Aber zur Wahrheit gehört: Auch bei der Verdich- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir bei der tung gibt es Grenzen . Wer glaubt, dass wir diese große Frage des bezahlbaren Wohnraums in lebenswerten Zahl von neuen Wohnungen allein durch Geschossauf- Städten auch vor manchen Herausforderungen stehen, stockung und das Schließen von Baulücken im Innen- stehen wir doch im europäischen und erst recht im glo- bereich schließen können, der, meine ich, irrt . Zwischen balen Maßstab verhältnismäßig gut da . Urbanisierung Gründerzeithaus und Platte kann man nicht 350 000 neue ist ein weltweites Phänomen . Beim UN-Weltsiedlungs- Wohnungen errichten, meine Damen und Herren . gipfel diskutieren deshalb 40 000 Menschen, wie die Um den Menschen die Wohnungen bereitzustellen, vielen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem die sie benötigen, müssen wir auch neues Bauland am starken Zuzug in große Städte gemeistert werden kön- Siedlungsrand erschließen . Wir brauchen im Baupla- nen . Es ist sicher kein Zufall, dass wir Deutschen bei der nungsrecht folglich mehr beschleunigtes Planen am Orts- Habitat‑III-Konferenz ein gefragter Ratgeber sind, wenn rand . Frau Ministerin Hendricks, lieber Herr Staatssekre- es darum geht, wie die großen Metropolen dieser Welt tär Pronold, die Baurechtsnovelle hat leider immer noch nachhaltiger, sicherer und lebenswerter gemacht werden keine Kabinettsreife, weil dort das so dringend benötigte können . Das deutsche Modell der Städtebauförderung Signal für den siedlungsnahen Außenbereich fehlt . Wir kann für andere Länder beispielgebend sein; denn die haben inzwischen folgende absurde Situation: Bauland- Städtebauförderung hat sich bei uns in Deutschland in eigentümer lassen nicht bauen, sondern lehnen sich zu- viereinhalb Jahrzehnten außerordentlich bewährt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19443

Kai Wegner (A) Meine Damen und Herren, wir als Union glauben an dass wir hier die Debatten verlängern und der Kollege (C) die Kraft des Marktes . Wir bekennen uns aber auch zur Ernst noch etwas zusätzliche Redezeit bekommt . So war staatlichen Verantwortung für alle, die auf den regulären das nicht gedacht . Wohnungsmärkten aus verschiedenen Gründen keine Chance haben . Die soziale Balance ist ein hohes Gut . (Kai Wegner [CDU/CSU]: Ich habe aber eine Wir wollen nicht nebeneinander leben, sondern wir wol- Zwischenfrage! – Heiterkeit) len miteinander leben – Geringverdiener und Menschen – Sie haben eine Zwischenfrage . Herr Kollege Ernst, las- mit höherem Einkommen, Ortsansässige und neu Hin- sen Sie die Zwischenfrage zu? zugezogene, Junge und Alte, Familien, Alleinlebende . Wir als Koalition werden weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, damit alle Menschen in Deutschland eine Klaus Ernst (DIE LINKE): bezahlbare Wohnung finden und die soziale Balance er- Ja, ich würde mich über die Zwischenfrage freuen . halten bleibt oder wiedergewonnen wird . (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt mal konkret!) Dann, Herr Kollege Wegner, bitte schön . Denn auch in den Wohnvierteln entscheidet sich am Ende des Tages die Zukunft unseres Landes . Kai Wegner (CDU/CSU): Lieber Herr Ernst, vielen Dank, dass Sie die Zwi- Herzlichen Dank . schenfrage gestatten . (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit) Ich habe folgende Frage an Sie: Teilen Sie die Auffas- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sung, dass Reden und Regierungshandeln in Einklang zu Vielen Dank .– Das Wort hat jetzt Klaus Ernst, Frak- bringen sind tion Die Linke . (Caren Lay [DIE LINKE]: Vor allen Dingen (Beifall bei der LINKEN) bei Ihnen!) und das insbesondere für die Linke gilt, wenn sie Verant- (DIE LINKE): Klaus Ernst wortung trägt, lieber Herr Ernst? Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (B) Herren! Herr Wegner, jetzt muss ich Sie schon mal was (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Gute Frage!) (D) fragen . Wo ist er denn? – Da ist er . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ich Klaus Ernst (DIE LINKE): doch nicht!) Ja, Herr Wegner, diese Auffassung teile ich . – Ja, ich habe ihn schon gesehen . Ich schiele doch nicht . – Sie haben gerade die Privatisierung von Wohnungen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: durch das Land Berlin unter Regierungsbeteiligung der Herr Wegner, bleiben Sie bitte stehen, bis die Antwort Linken kritisiert . Frau Lay hat gerade erklärt, dass das zu Ende ist . Man muss schon alles durchziehen, wenn ein Fehler war . Jetzt wissen wir, dass von 1990 bis heute man sich dazu bereit erklärt . über 350 000 Wohnungen des Bundes privatisiert wur- (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der den, oft unter Regierungsbeteiligung der CDU und der LINKEN) CSU . Sind Sie bereit, auch das als Fehler bezeichnen,

(Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): oder ist es bei Ihnen so: „Wenn die Linke dasselbe macht Ja, ich teile diese Ansicht, Herr Wegner . Das muss wie Sie, dann ist es falsch, aber wenn Sie es machen, ist übereinstimmen . Genau deshalb ist die Frage an Sie ge- es richtig“? richtet gewesen, ob Sie das unterschiedlich bewerten . Wir bewerten es nicht unterschiedlich . Sie sagen also (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) tatsächlich, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe: Es war Das wäre natürlich eine sehr bemerkenswerte Einstel- falsch, dass der Bund unter Regierungsbeteiligung der lung . – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen würden, CDU die Wohnungen privatisiert hat .– Wenn Sie das würde ich die Präsidentin bitten, sie zuzulassen . täten, Herr Wegner, dann wären wir zumindest auf der Ebene, dass wir Tatbestände gleich bewerten . Wenn Sie (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abge- das nicht tun, kann ich Ihre Aussage über das, was wir ordneten der SPD) in Berlin gemacht haben, überhaupt nicht ernst nehmen . Dann ist es reine Polemik . So schaut’s aus . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der LINKEN) Aber so soll es hier eigentlich nicht laufen, Ich wollte eigentlich zu ganz anderen Themen etwas (Heiterkeit) sagen, nämlich zur Realität . Es ist noch früh am Morgen, 19444 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Klaus Ernst (A) deshalb können Sie mir sicherlich folgen, wenn ich Sie Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) mit ein paar wenigen Zahlen belaste . Vielen Dank . – Nächster Redner ist Michael Groß, SPD-Fraktion . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Viel- leicht ist es für Sie früh! Für mich nicht!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marie- Luise Dött [CDU/CSU] – Michael Grosse- Nach den Regelungen im Hartz-System liegt der Brömer [CDU/CSU]: Keine Rechenaufgaben durchschnittliche Bedarf alleinstehender Erwachsener mehr, bitte!) bei 1 053 Euro . Man geht dabei von Kosten für die Un- terkunft von 349 Euro aus . 349 Euro sind das, was ihm zugestanden wird . Wir wissen, dass ein vollzeitbeschäf- Michael Groß (SPD): tigter Arbeitnehmer, der den Mindestlohn erhält, ein Net- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und togehalt von 1 040 Euro hat; er hat also 13 Euro weniger . Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ging eben Wenn man die entsprechenden Realitäten zugrunde legt, um die Arithmetik, die die Realität einiger Bürgerinnen nämlich das, was nach SGB IV als Kosten der Unterkunft und Bürger in unserem Land darstellt . Es ist wichtig, zu für die Mieten in München angesetzt wird, dann stellt betonen, dass – anders als die Opposition das sieht – das man fest: In München sind es 492 Euro, also 156 Euro Glas nicht leer, sondern mehr als halb voll ist . mehr, in Frankfurt 132 Euro und in Stuttgart 87 Euro . (Dr . [DIE LINKE]: Ach ja?) Wenn jemand Mindestlohn bekommt, dann hat er also schlichtweg 156 Euro weniger Geld für Miete zur Ver- Wir haben in den letzten drei Jahren in dieser Regie- fügung, als im Hartz-System zugrunde gelegt wird . Das rung viel erreicht . Es wurden mehr Baugenehmigungen heißt aber nicht, dass man im Hartz-System zu viel be- erteilt . In diesem Jahr werden weit mehr als 300 000 neue kommt . Das Problem ist, dass er zu wenig Mindestlohn Wohnungen gebaut . Wir haben das Wohngeld aufge- erhält . Diese Problematik könnte man einigermaßen in stockt . Wir werden die Mittel für die soziale Wohnraum- den Griff bekommen, wenn man die Mieten begrenzen förderung auf 1,5 Milliarden Euro aufstocken . Wenn die würde . Aber Ihre Mietpreisbremse ist nur heiße Luft; da Rechnung stimmt, die die Linke aufmacht, werden wir passiert nichts . Es ist eben keine Mietpreisbremse . mindestens 45 000 bis 60 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau, also Wohnungen mit Mietbindung, schaf- Ich möchte meinen Punkt noch etwas deutlicher ma- fen . Wenn die Länder sich noch einmal so engagieren, chen; denn es gibt nicht nur die Menschen im Mindest- werden wir weit mehr als 100 000 Wohnungen erreichen . lohn . Ein Polizeimeister – nennen wir ihn Herrn Müller – Das ist die Forderung, die wir alle haben, insbesondere verdient in München mit Ballungsraumzulage usw . circa wir von der SPD . 2 600 Euro brutto . – Ich sehe gerade, meine drei Minuten (B) Redezeit sind schon vorbei . Oje, oje! (Beifall bei der SPD) (D) Wir haben zurzeit eine Situation, in der wir berechtig- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt terweise darüber diskutieren, ob ein Weiter-so möglich wird es aber Zeit!) und notwendig ist . Wir haben aufgrund von Beobachtun- gen im In- und Ausland Erfahrungswerte, und wir haben Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die Konsequenzen zu ziehen . Man muss darauf achten: Wenn Sie so lange andere Dinge ansprechen, dann ist Ist der private Markt, die Wirtschaft allein in der Lage, Ihre Zeit um . Bringen Sie noch zügig Ihr Beispiel und den Wohnungsbedarf zu decken? Wir schließen uns na- kommen Sie dann zum Ende Ihrer Rede . türlich der Forderung an, dass wir Genossenschaften brauchen – starke Genossenschaften, die als Korrektiv (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine auf dem Wohnungsmarkt auftreten . Aber wir brauchen letzte Matheaufgabe, und dann ist Schluss!) auch kommunale Wohnungsunternehmen . (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und Priva- Klaus Ernst (DIE LINKE): te!) Danke schön, Frau Präsidentin .– Dann erzähle ich we- Die kommunalen Wohnungsunternehmen sind übrigens nigstens das Beispiel vom Polizeimeister zu Ende . Wenn diejenigen, die nach den Untersuchungen, die Sie ständig man annimmt, dass dieser Polizeimeister ein Drittel sei- zitieren, zu fast 100 Prozent die Mietpreisbremse einhal- nes Einkommens für Miete ausgibt und wenn man zu- ten . grunde legt, welche Mietpreise in München inzwischen gezahlt werden müssen, dann stellt man fest: Er könnte (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian sich gerade noch eine Wohnung mit 33 Quadratmetern Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leisten .– Das Ergebnis ist übrigens, dass die Polizisten, NEN]: Darum brauchen wir eine neue Woh- die München und seine Bürger schützen, nicht mehr in nungsgemeinnützigkeit!) München wohnen können, weil sie es sich nicht mehr – Ich glaube, dass die neue Wohnungsgemeinnützigkeit leisten können . Wenn Sie meinen, das solle alles so blei- vielleicht langfristig ein Konzept sein kann . Wir prüfen ben, dann sagen Sie das dem Polizisten! Ich hoffe, dass er das ja gerade . Sie wissen selbst, dass wir als SPD ge- sie trotzdem schützt, wenn bei Ihnen eingebrochen wird . meinsam mit dem Ministerium gesagt haben: Wir wollen Herzlichen Dank fürs Zuhören . dieses Konzept prüfen . Wir glauben aber auch, dass der Weg kürzer sein muss . Wir brauchen jetzt ein Korrektiv . (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen jetzt starke Genossenschaften . Wir brau- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19445

Michael Groß (A) chen jetzt starke Wohnungsbaugesellschaften, kommu- Wir brauchen wieder eine Orientierung, dass Wohnun- (C) nale Wohnungsbaugesellschaften, die vor Ort als Korrek- gen nicht länger Spekulationsobjekt sind, sondern als tiv am Markt auftreten und für bezahlbaren Wohnraum Daseinsvorsorge begriffen werden . Wir brauchen eine sorgen können . Gemeinwohlorientierung in der Wohnungspolitik, damit unsere Wohnungsmärkte wieder ins Gleichgewicht kom- Wir haben heute Morgen gehört, dass wir die Kom- men . munen und die Länder in einem Maß entlastet haben, wie es das in der Bundesrepublik bisher noch nicht gegeben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat . Ich glaube, dass dieser Weg weiter beschritten wer- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den muss . Ich glaube auch, dass wir darüber nachden- ken müssen, eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Es gibt einige Kritiker dieser Wohnungsgemeinnützig- Ländern und Kommunen für den Wohnungsbau herzu- keit . Mittlerweile hat dazu auch die Wohnungswirtschaft stellen, weil nur in der gemeinsamen Verantwortung vor das eine oder andere Gutachten – mit wenigen Seiten – Ort die regionalen Spezifika abgebildet werden können. verfasst und Stellung bezogen . Auch seitens der Union Die Kommunen sind in der Lage, die Frage zu beantwor- werden immer wieder Argumente zur Frage der Woh- ten: Brauchen wir Wohnungen, welche Art von Wohnun- nungsgemeinnützigkeit vorgetragen . Herr Nüßlein hat gen brauchen wir, und wo brauchen wir Wohnungen? zum Beispiel gesagt: Wir wollen keine neuen Wohnghet- Das muss vor Ort geregelt werden . tos . (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das habe Herzlichen Dank . Glück auf! ich nicht gesagt! Das ist richtig, aber ich habe (Beifall bei der SPD) es nicht gesagt!) Schauen wir uns doch einmal in Europa um: In Frank- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: reich gibt es die Banlieues mit massiven sozialen Span- Vielen Dank .– Nächster Redner ist Christian Kühn, nungen . Großbritannien: London ist eine sozial wirklich Bündnis 90/Die Grünen . zerklüftete Stadt . Wien hingegen ist eine der lebenswer- testen Städte Europas . Der Unterschied ist, dass es in Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Wien eine Wohnungsgemeinnützigkeit gibt und in Groß- GRÜNEN): britannien und Frankreich nicht . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen und Kollegen! Ich möchte Sie in das Jahr 1988 ent- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) führen . Am 23 .Juni 1988 wurde in Bonn, im Deutschen (B) Bundestag, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnüt- Deswegen: Nicht die Wiedereinführung der Wohnungs- (D) zigkeit debattiert und beschlossen . Schwarz-Gelb zer- gemeinnützigkeit fördert soziale Ghettos, sondern deren schlug damals das altbewährte System einer Wohnungs- Abwesenheit . gemeinnützigkeit in Deutschland unter dem Vorwand des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Skandals der Neuen Heimat . Es gab damals heftige Pro- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) teste von Sozialdemokraten und Grünen in dieser Plenar­ debatte . Ich verstehe nicht, warum die SPD an dieser Es wird außerdem behauptet, dass die Wohnungs- Stelle heute so zögerlich auftritt . gemeinnützigkeit zu hohen Kosten für die Kommunen führen würde . Aber wenn ich mir die Realität anschaue, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann sehe ich doch, dass die Sozialtransfers beim Woh- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen wegen der steigenden Mieten zunehmen . Was wir mit diesem System wollen, ist, dass die Kommunen in Ein Blick in die Protokolle kann uns vielleicht hel- Wohnungen, in Vermögen investieren und damit die Kos- fen; ich will hier Herrn Lammert zitieren, der immer ten der Unterkunft dauerhaft reduzieren . Mit der Woh- sagt, man solle sich auch die Unterlagen anschauen, das, nungsgemeinnützigkeit würden wir die Kommunen in was hier immer aufgeschrieben wird . Alle Befürchtun- Deutschland in Sachen Wohnen deutlich entlasten . gen, die in dieser Debatte damals vorgetragen worden sind, sind eingetreten: Mietsteigerungen, Verdrängung, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weniger Mieterschutz, Unterversorgung und steigende sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sozialtransfers beim Wohnen . Ich glaube, dieser Fehler, der 1988 gemacht worden ist, muss dringend korrigiert Vizepräsidentin Ulla Schmidt: werden . Sie kommen jetzt auch bitte zum Schluss, Herr Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lege . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seitdem haben wir über 2 Millionen Sozialwohnun- Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE gen in Deutschland verloren . Dieser Donnerstag 1988 GRÜNEN): war ein schwarzer Tag für Mieterinnen und Mieter in Nun zu meinem letzten Punkt . Sie führen immer wie- Deutschland . Er ist der ursächliche Auslöser der Krise, der die Länder an: Die Länder müssen machen, die Län- die wir heute auf unseren Wohnungsmärkten erleben . der müssen machen . Ich sage Ihnen eines: Wir Grüne Dieser Fehler muss dringend korrigiert werden . Wir brau- werden nach 2019 nicht Däumchen drehend hier sitzen chen wieder ein System der Wohnungsgemeinnützigkeit . und zusehen, wie unsere Wohnungsmärkte weiter aus 19446 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Christian Kühn (Tübingen) (A) dem Ruder laufen . Es ist Zeit für eine neue Wohnungsge- Um die Symptome in den überhitzten Märkten ab- (C) meinnützigkeit . Jedes Jahr verlieren wir 60 000 Sozial- zumildern, haben wir die Mietpreisbremse eingeführt . wohnungen in Deutschland . Wir brauchen endlich wieder Auch wir als Union wollen nicht, dass Menschen aus ih- ein System, das den Menschen in diesem Land eine sozi- ren angestammten Quartieren verdrängt werden. Deshalb ale Antwort gibt . Wir brauchen diese neue Wohnungsge- haben wir den Mietern Rechte an die Hand gegeben, die meinnützigkeit . Wir haben diese Debatte beantragt, da- sie jetzt auch tatsächlich wahrnehmen müssen . mit Sie endlich einmal Stellung in dieser Frage beziehen . Aber die Mietpreisbremse allein löst das Problem des Danke schön . Wohnungsmangels nicht . Deshalb war uns immer die Verknüpfung mit Maßnahmen für den Wohnungsbau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wichtig . Aus diesem Grund haben wir die Mittel für die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) soziale Wohnraumförderung bereits verdoppelt . Die bis 2019 vorgesehenen Kompensationsmittel in Höhe von Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ursprünglich 518 Millionen Euro haben wir um 500 Mil- Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht lionen Euro jährlich aufgestockt, und der aktuelle Haus- jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen . haltsentwurf sieht sogar eine weitere Erhöhung auf über 1,5 Milliarden Euro jährlich vor . (Beifall bei der CDU/CSU) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und was ist nach 2019?) (CDU/CSU): Sylvia Jörrißen Mit diesen Mitteln ist es den Ländern möglich, be- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! zahlbaren Wohnraum zu schaffen . Aber die Länder geben Wir alle hier wollen bezahlbares Wohnen, und im Gegen- das Geld anscheinend nach wie vor für anderes aus . satz zu Ihnen, werte Kollegen der Grünen, arbeiten wir an ganzheitlichen Lösungen . Wir haben bereits vieles im (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Hinblick auf bezahlbares Wohnen auf den Weg gebracht Die Zahlen der neu geschaffenen Sozialwohnungen stei- und sind noch lange nicht fertig damit . gen nicht in dem Maße, in dem es erforderlich und bei Man kann die Sache natürlich schlechter reden, als sie ordnungsgemäßer Verwendung der Mittel auch möglich ist . Nur bringt uns das keinen Millimeter weiter . wäre . Tatsächlich reicht in einigen Ländern der Neubau nicht einmal, um die Anzahl der aus der Sozialbindung (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ fallenden Wohnungen auszugleichen . Deshalb lautet DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal den Mie- mein erneuter Appell an die Länder, die üppigen Bundes- (B) tern!) mittel vollumfänglich einzusetzen . (D) Das ist schade, weil das Thema viel zu wichtig ist: für (Beifall bei der CDU/CSU) Familien, die eine stadtnahe Wohnung in der Nähe von Hierfür müssen die Förderprogramme so attraktiv ausge- Versorgungs- und Bildungseinrichtungen oder in der stattet sein, dass die Fördermittel auch abgerufen werden . Nähe vom Arbeitsplatz brauchen, für Studierende und Die Angebote großer Kredite sind langweilige Schau- Auszubildende, die mit wenig Geld zentral wohnen müs- fensterdekorationen . Wir brauchen Kassenschlager, die sen, für Senioren, die dort, wo sie schon immer leben, die Investoren den Ländern aus den Händen reißen . altersgerechten Wohnraum suchen, und auch für Schutz- suchende, für die Wohnen ein Schlüssel zur erfolgreichen Sie fragten gerade, was nach 2019 ist . Integration ist . Deshalb setzt sich die Union weiterhin (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ dafür ein, bezahlbaren und zielgruppengerechten Wohn- DIE GRÜNEN]: Genau!) raum zu schaffen . Das gilt sowohl für den Neubau als auch für die Modernisierung des vorhandenen Bestandes . Aktuell liegen die Ergebnisse der Bund-Länder-Finanz- Wir brauchen beides . verhandlungen vor . Die Ministerpräsidenten haben sich mit der Bundeskanzlerin und dem Finanzminister da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rauf geeinigt, dass ab 2020 eine Neuordnung in Kraft Uns fehlen 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen tritt . 2020 werden damit die Kompensationsmittel enden . jährlich . Das kann der Bund nicht allein anschieben . Hier Dann müssen die Länder ihre Verpflichtungen im sozia- müssen alle an einem Strang ziehen, auch die Länder und len Wohnungsbau aus einer höheren Beteiligung an der Kommunen . Es sind im Übrigen nicht nur Wohnungen Umsatzsteuer finanzieren. Ich bin gespannt, wie die Prio- im sozialen Wohnungsbau, die wir brauchen, sondern ritätendiskussion in den Ländern künftig verlaufen wird . es sind Wohnungen für alle, die in unserem Land leben . (Zuruf von der CDU/CSU: Ich auch!) Es ist sowohl geförderter als auch frei finanzierter Woh- nungsbau durch kommunale und private Investoren oder Liebe Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag erscheint auch durch Genossenschaften . die Einführung der Wohnungsgemeinnützigkeit als All- heilmittel der Probleme . Sie verkennen aber, dass diese Die Große Koalition ist die Herausforderungen auf den Wohnungsmangel nicht lösen wird, und zwar aus dem Wohnungsmarkt längst angegangen . Es ist richtig, vielen Gründen nicht . In der Zeit nach den beiden Welt- dass in bestimmten Ballungsgebieten die Märkte über- kriegen war die Wohnungsgemeinnützigkeit ein wichti- hitzt sind und wir dort zu wenig Wohnraum für jene ha- ger Baustein der Wohnungspolitik . Schließlich fehlte es ben, die über geringe und mittlere Einkommen verfügen . damals an funktionsfähigen Kapitalmärkten und Investo- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19447

Sylvia Jörrißen (A) ren, die Wohnungen finanzieren konnten. Aber heute ha- sichtlich erst wir Parlamentarier das Eisen aus dem Feuer (C) ben wir andere Rahmenbedingungen . Die Probleme ent- holen sollen . Die Mittel für dieses Jahr sind bei der KfW stehen nicht durch eine mangelnde Zahl an Investoren, längst aufgebraucht . sondern beispielsweise dadurch, dass zu wenig Bauland (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) zur Verfügung steht oder die Baukosten zu hoch sind . Wie will Ihre Gemeinnützigkeitsidee das lösen? Da ich schon bei einem Appell an die Bauministerin bin, werte Frau Hendricks, möchte ich auf eine weitere (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Sache hinweisen, die mir sehr am Herzen liegt . Anfang wird schwierig!) des Jahres wurden die Ergebnisse des Bündnisses für be- Es ist doch ein Irrglaube, wenn Sie annehmen, dass ge- zahlbares Wohnen und Bauen vorgelegt . Die Erhöhung winnorientierte Unternehmen keine soziale Verantwor- der Kompensationsmittel und die Erhöhung des Wohn- tung für ihre Mieter und ihre Quartiere wahrnehmen. Der geldes können ja nicht alles der Umsetzung gewesen Erfolg eines Wohnungsunternehmens hängt doch maß- sein . Insbesondere bei den Ergebnissen der Baukosten- geblich davon ab, dass ein Stadtviertel prosperiert . Kom- senkungskommission und den zusätzlichen Investitions- munale Unternehmen leisten wichtige Beiträge durch die anreizen müssen nun Taten folgen . Gewinnabführung zur Finanzierung der Kommunen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kühn, Sie haben gerade das Stichwort „Neue Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden unsere Heimat“ selbst ins Spiel gebracht . Vielleicht sollten Herausforderungen in der Baupolitik nur bewältigen, wir der Öffentlichkeit den gigantischen Skandal des wenn mehr gebaut wird . Wir können das Problem des Gewerkschaftswohnungsbauunternehmens „Neue Hei- Wohnungsmangels nicht mit den Stellschrauben des mat“ wieder in Erinnerung rufen: Mehrere Vorstands- Mietrechts lösen, sondern müssen bauen, bauen und mitglieder des gewerkschaftseigenen gemeinnützigen nochmals bauen . Unternehmens hatten sich persönlich bereichert, und der Gewerkschaftskonzern war erheblich verschuldet . Der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ehemalige Vorstandschef hatte dem Unternehmen durch Denn nur durch mehr Wohnungsneubau werden die Ur- Privatgeschäfte einen Verlust in Höhe von 105 Millio- sachen steigender Mieten langfristig bekämpft . nen D-Mark beschert . Die Verbindlichkeiten der über- nommenen Neuen Heimat betrugen etwa 16 Milliarden Es ist nicht nur die Schaffung von Sozialwohnraum D-Mark . Der Verkauf platzte dann auch noch aufgrund nötig, sondern wir müssen auch den frei finanzierten pri- dieser Überschuldung . Am Ende musste alles aufgelöst vaten und den genossenschaftlichen Wohnraum fördern . und verkauft werden .– Der Gemeinnützigkeitsstatus Das geht am besten durch eine steuerliche Förderung . (B) hatte das Unternehmen der natürlichen Kontrolle aller (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja!) (D) Geschäfte durch eine Gewinnorientierung entzogen . Die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau war der fruchtbare Diese kann, richtig eingesetzt, schnell und genau dort Boden für millionenschweren Betrug und milliarden- wirken, wo der Druck auf die Wohnungsmärkte am größ- schwere Verluste, ten ist . Insofern bin ich sehr enttäuscht, dass die steuerli- che Förderung nun nicht realisiert werden soll . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ DIE GRÜNEN]: In einem Unternehmen von CSU]) über 3 000 in Deutschland!) In meinen Augen ist sie bitter notwendig . Dieses Mittel frei nach dem Motto: Gewinne darf ich nicht machen, war auch eine Empfehlung des Bündnisses und ein Pro- meinen Bonus organisiere ich mir trotzdem, und für Ver- jekt des Bundesfinanzministers und der Bundesbaumi- luste kommen die anderen auf . nisterin . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch was hilft die beste Baupolitik, wenn kein Raum zum Bauen vorhanden ist? Das höre ich immer wieder Eine Generation weiter hoffen einige, dass sich die Öf- in Gesprächen im Wahlkreis . Ich erwarte daher von den fentlichkeit nicht mehr daran erinnert . Aber das werden Kommunen, dass Bauland ausgewiesen wird und die wir nicht zulassen . Genehmigungsverfahren beschleunigt werden . Um den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – erhöhten Wohnraumbedarf zu decken, brauchen wir heu- Zurufe von der LINKEN) te zusätzliche, neue Siedlungsgebiete und schnell mehr Bauland an den Ortsrändern . Um den Wohnraumbedarf Lassen Sie mich zu einem wichtigen Förderprogramm zu decken, liebe Kollegen, müssen wir auch mit Maß an kommen: „Altersgerecht Umbauen“ . Aufgrund des de- der baulichen Dichte ansetzen . Hierzu muss die Baunut- mografischen Wandels und höherer Lebenserwartung zungsverordnung überarbeitet werden . ist es wichtig, dass wir in den kommenden Jahren aus- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) reichend altersgerechten Wohnraum schaffen; denn die Menschen wollen so lange wie möglich selbstbestimmt Wir wollen einen neuen Baugebietstyp schaffen, der in den eigenen vier Wänden leben . Hier muss ich meine mehr Nachverdichtung und eine flexiblere Nutzungsmi- Verwunderung ausdrücken, dass der Haushaltsentwurf schung aus Wohnen und Gewerbe ermöglicht . Aber ge- für alle möglichen zusätzlichen Projekte Hunderte Mil- rade beim Bauen müssen wir auch für Innovation und lionen Euro vorsieht, aber bei diesem Programm offen- Kreativität offen sein und mit der Zeit gehen . Modulares 19448 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Sylvia Jörrißen (A) und serielles Bauen wird in Zukunft wichtiger werden . Mitte unserer Gesellschaft einen Anreiz schaffen, zu bau- (C) Hier ist schon heute vieles möglich . en oder eigenen Wohnraum zu kaufen . Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) um Mietwohnungen, sondern müssen uns darüber hinaus Liebe Kollegen, Wohnungsbaupolitik erfordert ein auch um selbstgenutztes Wohneigentum kümmern . Das ganzheitliches Konzept . Nur durch die Schaffung von ist uns als Union sehr wichtig . Der Bau von Eigentums- bezahlbarem Wohnraum, die Sie in Ihrem Antrag for- wohnungen hat die gleiche Wirkung wie der Bau von dern, liebe Grüne, sind die Herausforderungen nicht zu Mietwohnungen . bewältigen . Wir setzen auf nachhaltige Lösungskonzepte (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ und auf wirkliche Problemlösungen und sind hierbei auf DIE GRÜNEN]: Nein!) einem guten Weg . – Doch . Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, hat er nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Durch Umzugsketten und Sickereffekte wird am Ende Vielen Dank .– Nächster Redner ist Detlev Pilger, auch hierbei Mietwohnraum frei . SPD-Fraktion . (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN]: Nein! Welche Studie belegt denn diese Sickerungseffekte? – Gegenruf des Detlev Pilger (SPD): Abg . Christian Haase [CDU/CSU]: Der ge- sunde Menschenverstand!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich feststellen: Als Nebeneffekt, Herr Kühn, hat dies auch eine soziale Die Überschrift, die die Grünen für ihren Antrag gewählt Komponente . Wohneigentum ist nämlich die wichtigste haben – „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebens- Form der privaten Altersvorsorge . wert und klimafreundlich“ –, beschreibt ein Anliegen, das wir alle in diesem Haus vereint verfolgen sollten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) egal durch welche parteipolitische Brille wir sehen . Ich Es ist die einzige Form der Altersvorsorge, von der man finde diese Überschrift zutreffend. sogar im jungen Alter schon etwas hat . (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Georg (D) Konkret geht es mir um die Wohnungsbauprämie . Nüßlein [CDU/CSU] und Klaus Ernst [DIE Junge Menschen und Familien müssen einen Anreiz LINKE] – Christian Kühn [Tübingen] haben, schon frühzeitig für Wohneigentum zu sparen . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) Hier müssen wir Anreize schaffen, die attraktiv sind . Die Wohnungsbauprämie im jetzigen Zustand ist es nicht . – Das glaube ich. – Wir befinden uns da auch in guter Ge- Wir müssen sie so verändern, dass sie wieder attraktiv sellschaft, nämlich in der Gesellschaft des evangelischen wird, gerade für die Bezieher kleiner und mittlerer Ein- Bischofs Dröge, der aus meiner schönen Heimatstadt kommen . Wir müssen hier Anpassungen an die Einkom- Koblenz kommt und die Schaffung von bezahlbarem mens- und Preisentwicklung vornehmen; denn aufgrund Wohnraum als gesellschaftliche Aufgabe bezeichnet, die inflationsbedingter Lohnerhöhungen sind viele Arbeit- besonders der einkommensschwachen und armen Bevöl- nehmer aus der Förderung herausgefallen . Hier besteht kerung zugutekommt . Dahinter sollten wir uns, egal ob Handlungsbedarf . wir christlich motiviert oder humanistisch orientiert sind, vereinen können . (Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wer stellt denn SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse- den Finanzminister?) Brömer [CDU/CSU]: Machen wir ja auch!) Ein Thema, das der Kollege Nüßlein schon angespro- Wir haben viel gemacht – das wurde hier schon mehr- chen hat, unterstütze auch ich – die nordrhein-westfäli- fach betont –: Im letzten Jahr wurde mehr gebaut als in sche CDU hat hierzu noch weitergehende Ideen, für die den zehn Jahren zuvor . Unternehmen wurden gestärkt, auch ich mich starkmache und die beim nächsten Bundes- Frau Jörrißen; damit wurden wichtige Arbeitsplätze parteitag eingebracht werden –, nämlich die bundesweite gesichert . Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt . Einführung eines Baukindergeldes für alle Familien mit Wir haben das Maklerprinzip geändert . Wir haben das Kindern, die selbstgenutztes Wohneigentum erwerben . Wohngeld erhöht . Allerdings haben wir – das muss man an dieser Stelle auch sagen, lieber Kollege Nüßlein; da (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Eine gute sprechen die aktuellen Zahlen eine eindeutige Sprache – Idee!) den sozialen Wohnungsbau wenig belebt und das, was wir durch den Wegfall der Sozialbindung an Wohnungen Viele Familien fühlen sich heute mit den Kosten für die verlieren, bei weitem nicht kompensiert . Kinder alleingelassen . Das Baukindergeld würde hier die notwendige Unterstützung bieten und für viele aus der (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die Länder!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19449

Detlev Pilger (A) – Nein, Frau Dött, das ist nicht nur Sache der Länder . phe . Ich habe über 20 Jahre an einer Schule in einem so- (C) Das ist auch eine Frage der Förderung und der Gemein- zialen Brennpunkt gearbeitet . Wir müssen dort dringend nützigkeit . ansetzen, damit Kinder und Jugendliche eine Perspektive bekommen . Das gelingt uns bisher nicht . (Beifall der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Pilger, Sie hatten versprochen, zum Das ist auch klar, liebe Frau Dött . Wissen Sie, warum Schluss zu kommen . das anders nicht funktioniert? Private Bauherren haben natürlich in erster Linie die Rendite vor Augen . Das ist ja auch richtig; denn sie sichern das Unternehmen und Detlev Pilger (SPD): damit die Arbeitsplätze . Aber damit kann man keinen so- Ich weiß, ich bin über der Zeit . Ich komme zum zialen Wohnraum erwirtschaften . Das ist die Wahrheit . Schluss .– Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss unser gemeinsames Ziel sein: die Aufwertung von sozi- (Beifall der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und alen Brennpunkten . Damit ist verbunden, dass sich Le- Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ bensperspektiven für junge Leute entwickeln . DIE GRÜNEN]) Bei dem Anliegen, sozialen Wohnraum zu schaffen – da Vielen Dank . gebe ich den Kollegen der Grünen vollkommen recht –, (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Klaus sind unsere vordringlichen Ansprechpartner die kommu- Ernst [DIE LINKE] und Christian Kühn [Tü- nalen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossen- bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – schaften; denn die setzen zu 90 Prozent – die Zahl kann Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ man nachlesen – den sozialen Wohnungsbau um . DIE GRÜNEN]: Die Rede hat mir gut gefal- Leider hat unser – ich zähle mich dazu – bisheriges len!) Bauförderprogramm dies nicht voll und ganz kompen- – Ich danke dir . siert . Die gemeinnützigen Baugesellschaften wollen, brauchen und dürfen keine Gewinnmaximierung auswei- sen; sie wollen gute Wohnqualität zu bezahlbaren Mieten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: anbieten . Hier ist eine gezieltere Förderung unbedingt Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion die Kolle- notwendig, zum Beispiel in Form konkreter Bauzuschüs- gin Claudia Tausend . se für einzelne Bereiche des sozialen Wohnungsbaus, da- (Beifall bei der SPD) (B) mit auch diese Baugesellschaften – das muss man denen (D) selbstverständlich zubilligen – eine schwarze Null bei Bauvorhaben ausweisen können, was anders nicht mög- Claudia Tausend (SPD): lich ist . Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ge- legentlich hört man in Gesprächen, dass vonseiten des (Beifall bei der SPD) Bundes und der Länder schon alles getan wurde, um die Nur so werden wir längerfristig – wir müssen ja auch Wohnungsbautätigkeit anzukurbeln, nur die Träger der darüber nachdenken, wie lange eine Sozialbindung er- Planungshoheit, nämlich die Kommunen, kämen nicht so folgen soll – mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen für recht in Gang mit einer vernünftigen Bodenpolitik und Familien, Menschen mit geringem Einkommen, Schutz- beschleunigten Baulandausweisungen, der Inanspruch- suchende, Alleinerziehende, alte Menschen, Studenten nahme von Fördermitteln und dem zügigen und kosten- usw . Wer nicht glaubt, wie angespannt die Lage auf dem günstigen Bauen insgesamt . Wohnungsmarkt ist – ich war viele Jahre Aufsichtsrats- Da trifft es sich gut, dass der Stadtrat der Landes- vorsitzender einer Genossenschaft –, den lade ich ein, hauptstadt München jetzt, im Oktober, seine Beratun- mich zu einem Wohnungsbesichtigungstermin zu beglei- gen über die sechste Fortschreibung des kommunalpo- ten . Da stehen 50, 60 Menschen in einer Reihe, und die litischen Handlungsprogramms für den Wohnungsbau gehen dann frustriert weg, weil ja nur einer die Wohnung aufnimmt . München hatte ja bereits 1994 erstmals das bekommen kann . größte kommunalpolitische Handlungsprogramm für den Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin .– Eines ist Wohnungsbau der Republik aufgelegt . In den letzten fünf mir besonders wichtig – ich bitte die Opposition, genau Jahren sind 800 Millionen städtische Euro in den Neubau zuzuhören –: Wir haben im Bereich „Soziale Stadt“ wirk- von bezahlbarem Wohnraum geflossen. lich viel gemacht . Jetzt steht, wie gesagt, die sechste Fortschreibung an . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich lese Ihnen einfach einmal ein paar Kernaussagen vor, die für sich selber stehen und aussagekräftig genug sind: Liebe Frau Lay, Sie haben das eben nicht genannt; aber es gehört zur Realität, dass die vorhergehende Bundesre- Das jährliche Neubauvolumen soll von 7 000 auf gierung hierfür 40 Millionen eingestellt hatte und wir das 8 500 Wohneinheiten gesteigert werden . Dafür werden dauerhaft auf 150 Millionen erhöht haben . Das kommt im Fünfjahreszeitraum, von 2017 bis 2021, rein städ- den Quartieren und den Menschen, die in diesen Quartie- tische Mittel in Höhe von 1,25 Milliarden Euro einge- ren leben, zugute . Die Verhältnisse in den Stadtteilen der setzt . Die beiden Wohnungsbaugesellschaften der Stadt „Sozialen Stadt“, lieber Herr Nüßlein, sind eine Katastro- erhalten 250 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital 19450 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Claudia Tausend (A) für den Bau von geförderten Wohneinheiten .– Es wurde Frau Dr . Merk, unsere Stadtbaurätin: Es wird jeder Zen- (C) mehrfach gesagt: Die Träger des sozialen Wohnungsbaus timeter umgedreht . Trotzdem: Die Flächenreserven sind sind fast ausschließlich öffentliche Wohnungsbauunter- begrenzt . Wir brauchen dringendst dieses urbane Gebiet nehmen, kommunale Wohnungsbauunternehmen und wie vorgesehen .– Ich appelliere an alle Kräfte hier im Genossenschaften . Deswegen müssen sie auch zusätzlich Hause, zügig die Novellierung des Baugesetzbuches und unterstützt werden . der Baunutzungsverordnung auf den Weg zu bringen . (Beifall bei der SPD) Ich bedanke mich . Die Vergabe von Grundstücken erfolgt künftig (Beifall bei der SPD) schwerpunktmäßig für Mietwohnungen – München ist wie viele andere Großstädte, zum Beispiel Berlin, eine Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Mieterstadt – und vorzugsweise in Erbpacht, um scho- Vielen Dank .– Als Nächstes hat jetzt für Bündnis 90/ nend mit den städtischen Flächenressourcen umzugehen, Die Grünen die Kollegin Renate Künast das Wort . und in Form von Konzeptausschreibungen, damit man sich die Wohnungen auch leisten kann . Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die stadteigene Förderung – das Programm heißt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe „München Modell“ – für Durchschnittsverdiener wird hier ganz viele tolle Reden gehört, in denen manches, ausgeweitet, sodass künftig Familien mit einem Jahres- wie ich finde, in den Himmel gelobt wurde. Herr Pronold bruttoeinkommen von bis zu 94 000 Euro unterstützt hat aufgeführt, was ganz toll ist, einschließlich der neu- werden können . Damit sollen 60 Prozent der Münchne- en Maklerregel . Herr Pronold, ich kann Ihnen nur sagen: rinnen und Münchner anspruchsberechtigt sein und von Am Ende zählt nicht, ob Sie hier und da eine nette Nuan- dieser kommunalen Förderung profitieren können; denn ce gesetzt haben, sondern, ob sich auf dem Mietmarkt die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau sind tatsächlich etwas verändert . Das haben Sie nicht belegen viel zu niedrig . können . (Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das zu den Kernaussagen . Sie haben gesagt, wir müssten doch einmal seriös reden . Kommen wir zu den neuesten Erhebungen des IVD Wir versuchen hier seit Jahren, seriös zu reden . dazu, was Eigentumswohnungen in Deutschland kosten: (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber er- (B) In München kostet eine Wohnung trotz aller Bemühun- folglos!) (D) gen des Bundes, des Freistaats und auch der Kommune 4 200 Euro pro Quadratmeter; das ist eine Zunahme um Herr Wegner von der CDU meinte, statt wohlfeiler 7,7 Prozent . Stuttgart folgt dahinter mit 2 950 Euro pro Anträge müssten wir bauen, bauen und nochmals bauen . Quadratmeter, was ein Plus von 11,3 Prozent bedeutet. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja, das Hamburg liegt mit 2 500 Euro pro Quadratmeter an drit- stimmt!) ter Stelle, was einem Plus von 8,7 Prozent entspricht .– Diese Zahlen zeigen uns, dass wir mit unseren Bemü- Ich kann nur sagen: Das hat in Berlin ja ganz toll funk- hungen nicht nachlassen dürfen . Die Herausforderungen tioniert . Als Sie noch Regierungsverantwortung hatten, sind enorm . haben wir gesehen, wie das mit der Schaffung von be- zahlbarem Wohnraum für die Menschen geklappt hat . Sie (Beifall bei der SPD – Michael Grosse- haben gesagt, es werde einen Umbruch geben . Ich sage Brömer [CDU/CSU]: Bauen erleichtern!) nur: Mietwohnungen, Mietwohnungen, Mietwohnungen! Ich nenne nur noch einige Stichpunkte, die mir ein (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie Anliegen sind: Ich denke, dass die Liegenschaftspolitik doch mal was zu Tempelhof!) des Bundes neue Impulse braucht . Die aktuelle Verbilli- gungsrichtlinie ist ein Fortschritt, aber eben nur ein An- – Weil Sie Tempelhof ansprechen: Das haben Sie von der fang . CDU in gemeinsamer Täterschaft mit der SPD versem- melt . (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Bezuschussung von 25 000 Euro pro Wohnein- Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie et- heit ist nicht ausreichend . Noch einmal ein Münchner was zu Ihrer Haltung dazu!) Beispiel: Wir bezuschussen eine Wohnung für Durch- schnittsverdiener im Rahmen des Programms „München Wer 5 000 Wohnungen am Tempelhofer Feld bauen will Modell“ mit bis zu 110 000 Euro . Hier ist also auch für und dafür einen Gesetzentwurf vorlegt, der keine Sozi- die BImA noch sehr viel Luft nach oben . albindung, keine Vergabe an Baugenossenschaften und keine Vorgabe, bezahlbare Mieten zu schaffen, beinhal- Letzter Gedanke: Wir brauchen – das ist von der tet, darf sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung sagt: Kollegin Jörrißen angesprochen worden – eine zügige Wir haben die Nase voll und stimmen mit Nein . Novellierung des Baugesetzbuches und der Baunut- zungsverordnung, um in innerstädtisch verdichteten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Räumen Bauland mobilisieren zu können . Ich zitiere sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19451

Renate Künast (A) Es geht eben nicht nur um Bauen, Bauen, Bauen . Es geht Fraktion einig –, dass die stärkeren Werkzeuge im Miet- (C) auch darum: Was wird gebaut? Für wen wird gebaut? recht andere wären . Wie ist der rechtliche Rahmen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In diesem Zusammenhang muss ich etwas zu Frau sowie des Abg . [Havelland] Jörrißen sagen . Sie haben angeführt, um das Symptom [DIE LINKE]) der überhitzten Märkte zu mildern, hätten Sie die Miet- Damit bin ich bei der Frage: Wo ist die nächste Miet- preisbremse eingeführt . Wir wissen doch mittlerweile rechtsnovelle? Sie soll fertig sein . Aber es gibt anschei- alle, dass sie gar nichts bremst . Es gibt eine Untersu- nend keinen Termin zur Vorlage . Auf Nachfragen gestern chung dazu: Eine Bremswirkung ist nicht vorhanden, am Rande des Ausschusses habe ich gehört, dass die im meine Damen und Herren . Die Mietpreisbremse hat BMJV vorliegende nächste Novelle bei der CDU auf die mehr Löcher als Käse . Deshalb gibt es keine Wirkung . Reaktion trifft, in den nächsten vier Wochen habe man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Zeit, das zu behandeln . Da muss ich schon in Rich- sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE]) tung CDU sagen: Weniger Krokodilstränen und hin und wieder einmal Hausaufgaben machen, wäre eine gute Frau Jörrißen beklagte auch die fehlende steuerliche Sache . Förderung. Ich lüfte ein Geheimnis: Der Bundesfinanz- minister heißt Schäuble . Reden Sie mit ihm! Vielleicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können Sie eine Bauprämie einführen . Die Menschen sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] – würden sich bedanken . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir ar- beiten Tag und Nacht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich werfe Ihnen vor, dass Sie viel reden und auf sozial In Richtung Justizministerium, das in unserem Antrag tun, aber in Wahrheit eine Verzögerungspolitik betreiben . erwähnt wird, und auch in Richtung CDU und SPD muss Wir müssen nicht nur bauen . Die Frage ist: Was bauen ich sagen: Wir warten nicht nur auf die Reform des ers- wir? ten Mietrechtsnovellierungsgesetzes, sondern auch auf die zweite Novelle, die als Vorlage schon vorhanden sein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir soll . können nicht alle Ihre Wünsche erfüllen! Das ist das Problem!)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Grosse-Brömer, wir brauchen eine Mietpreisbremse nicht mit einer Rügepflicht, sondern mit einer Auskunfts- Frau Kollegin Künast, darf ich Sie einmal unterbre- pflicht des Vermieters. Wir müssen die gesetzlichen (B) chen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (D) Schlupflöcher von „möblierter Wohnung“ bis „umfas- Michael Groß? sender Modernisierung“ schließen .

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, die Mieterinnen und Mie- ter haben übrigens langsam die Nase voll von Ihren Re- Ja . den . Sie wollen endlich die Wohnungen, über die Sie immer reden . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das dachte ich mir . sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Michael Groß (SPD): Danke, dass Sie meine Frage zulassen . Sie haben dann Vizepräsidentin Ulla Schmidt: etwas mehr Redezeit, Kollegin Künast .– Sie beziehen Vielen Dank . – Jetzt hat Klaus Mindrup, SPD-Frakti- sich auf die Mietpreissteigerung, die Sie, ähnlich wie wir, on, das Wort . zum Teil so darstellen, als handele es sich um Wucher . Warum kommt in Ihrem Antrag nicht § 5 Wirtschafts- (Beifall bei der SPD) strafgesetz vor, in dem es um Wucher geht und mit dem die Mietpreissteigerung eingedämmt werden könnte? Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Kollegen! Wir haben es in Deutschland in der Woh- nungspolitik mit zwei großen Megatrends zu tun . Wir Danke für die Frage, Herr Kollege . Wir haben uns haben einen enormen Zuzug aus dem ländlichen Raum in diesem Antrag sehr auf den Themenkomplex „Was in die Großstädte, und wir haben einen enormen Zuzug wird gebaut? Wie wird gebaut? Und wie wird das un- aus dem Ausland . Das hängt mit unserer wirtschaftlichen terstützt?“ konzentriert und behandeln nur einen kleinen Situation in Deutschland zusammen und hat nicht primär Rechtsteil . Wir werden, wenn Sie keine Novelle vorle- etwas mit den Flüchtlingen zu tun . gen, einen weiteren Antrag mit einem größeren Rechts- teil hinterherschieben . Ich will Ihnen aber sagen: Diese Im Antrag der Grünen ist von 1 Million Sozialwoh- Wuchervorschrift ist eine Generalklausel, die vielleicht nungen im Neubau in den nächsten zehn Jahren die Rede . am Ende das eine oder andere auffangen kann . Ich per- Diese Zahl halte ich vor dem Hintergrund dieser Mega- sönlich glaube aber – darin bin ich mir mit vielen meiner trends durchaus für realistisch . Angesichts der Kosten 19452 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Klaus Mindrup (A) eines Neubaus liegen wir bei den Mieten aber heute bei Wenn man wie ich durch Wien geht – ich bin oft in (C) Mietpreisen von deutlich über 10 Euro ohne Subventio- Wien –, dann weiß man das . Aber das ist passiert, und nierung . In Berlin liegen die Bestandsmieten noch unter wir als SPD waren dafür nicht verantwortlich . Jetzt geht 5,90 Euro . Das heißt, die Sicherung von bezahlbarem es darum, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft neue Wohnbau im Bestand ist viel billiger als der Neubau von Wege zu finden. Es ist zu Recht gesagt worden: Zurzeit bezahlbarem Wohnraum und die entsprechende Subven- will die Wohnungswirtschaft eine neue Gemeinnützig- tionierung . keit nicht . Auch die meisten Genossenschaften – auch die städtischen – wollen das nicht . Deswegen sollten wir die (Beifall bei der SPD) vorgesehenen Anhörungen durchführen und das Ganze Deswegen brauchen wir das Mietrechtspaket II, und ich diskutieren, aber wir sollten den Beitrag der derzeitigen bitte die Union, an dieser Stelle mitzugehen . Denn das ist gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft nicht zu für den sozialen Frieden in unserem Land unerlässlich . gering schätzen . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Die Genossenschaften in Berlin vermieten im Schnitt Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wohnungen für dauerhaft 5,05 Euro, und die städti- NEN]) schen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin sind jetzt verpflichtet worden, 55 Prozent ihrer Wohnungen als Was die von den Grünen prognostizierten Neubau- Sozialwohnungen anzugeben . 160 000 neue Sozialwoh- zahlen angeht, die ich für realistisch halte, reden wir nungen sind damit in Berlin mit einem Gesetz geschaffen über 140 Milliarden bis 200 Milliarden Euro, die in den worden . nächsten zehn Jahren investiert werden müssen . Das sind 14 Milliarden bis 20 Milliarden Euro pro Jahr . Wir ha- Es geht also auch, ohne dass wir den ganz großen Wurf ben zwar die Förderung verdreifacht – im sozialen Woh- machen . Es sind kleine Schritte, die wir gehen müssen . nungsbau sind es 1,5 Milliarden Euro –, aber wir werden Wir müssen sie aber für die soziale Akzeptanz in diesem sie sicherlich weiter erhöhen müssen, wenn diese Trends Land gehen . Sonst wächst ein sozialer Sprengstoff heran, anhalten . Sie hängen, wie gesagt, mit der wirtschaftli- mit dem wir alle nicht klarkommen können . chen Situation zusammen . Wenn wir bei 20 Milliarden Danke schön . Euro pro Jahr ankommen, werden allein dafür 3,8 Milli- arden Euro Umsatzsteuer bezahlt . Wenn sich der Bund, (Beifall bei der SPD) wie Frau Jörrißen gesagt hat, ab 2020 aus der Verantwor- tung für den sozialen Wohnungsbau stehlen will, dann Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nimmt der Bund die Einnahmen aus der Umsatzsteuer, Vielen Dank .– Der letzte Redner zu diesem Tages- tut aber nichts dafür. Ich finde das nicht in Ordnung. Des- ordnungspunkt ist jetzt der Kollege Bernhard Daldrup, (B) wegen muss man das Grundgesetz ändern . Bezahlbarer (D) SPD-Fraktion . Wohnraum ist eine Gemeinschaftsaufgabe . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tü- bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einfüh- Bernhard Daldrup (SPD): ren!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Meiste ist gesagt worden, nur nicht von jedem, Wir haben in der Vergangenheit schon einiges getan . könnte man jetzt sagen . Deswegen erlauben Sie mir, Was kaum erwähnt worden ist, ist die Änderung der Po- dass ich jetzt keine Bilanz vortrage, sondern mich auf litik der KfW . Im Wohnungsneubau sind die Zinsbin- das beziehe, was Florian Pronold, Michael Groß und an- dungsfristen von 10 auf 20 Jahre verlängert worden . Das dere bereits vorgetragen haben . Ich glaube, dass in der heißt, wenn eine Genossenschaft neu baut, kann sie jetzt Bilanz für Investoren, Mieter, Länder und übrigens auch 20 Jahre sicher kalkulieren . Das hat dazu geführt, dass für Kommunen im Bereich des Wohnungsbaus durchaus die Möckernkietz-Genossenschaft in Berlin 470 neue etwas getan worden ist . Wohnungen bauen kann . Das hat diese Bundesregierung ermöglicht . Das ist hier noch nie gewürdigt worden . Ich Lassen Sie mich zwei andere Aspekte ansprechen . denke, man sollte das an dieser Stelle tun . Städte sind steingewordene Gesellschaftspolitik . (Beifall bei der SPD) Aus ihren Grundrissen, aus ihren Strukturen kann man Wertordnungen ablesen . Auch der Klimaschutz ist kräftig kritisiert worden . Wir wollen Klimaschutz richtig machen, Klimaschutz Vielleicht hat Frau Göring-Eckardt so etwas Ähnli- im Quartier betreiben und Strom und Wärme vor Ort er- ches gemeint, als sie ganz zu Anfang über Zentrum und zeugen und speichern, Stichwort „Mieterstrom“ . Das ist Peripherie gesprochen hat . Das Zitat stammt von einem sozialverträglich, das schafft Arbeitsplätze, und das ist großen Oberbürgermeister und Städtebauminister, näm- auch sinnvoll . lich Hans-Jochen Vogel . Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Wohnungsbaupolitik nicht eine Frage Kommen wir zur Wohnungsgemeinnützigkeit, weil sie des Geldes allein ist, sondern dass Wohnungsbaupolitik angesprochen wurde . Die Abschaffung war ein schwerer immer auch Teil einer integrierten Stadtentwicklungspo- Fehler . litik und einer regional abgestimmten Raumordnungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und Regionalplanung sein muss . Das heißt mit anderen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Worten, dass beispielsweise auch das Verhältnis von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19453

Bernhard Daldrup (A) Suborganisierung und Quartiersentwicklung, dezentraler Darum lautet meine Bitte: Wenn Sie etwas für inte­ (C) Konzentration und Revitalisierung von Innenstädten da- grierte Stadtentwicklung und für Wohnungsbaupolitik zugehört . jenseits der Frage, woher man eigentlich zusätzliches Geld bekommt, tun wollen, dann helfen Sie mit, dass Detlev Pilger hat dankenswerterweise darauf hinge- diese Reform der Grundsteuer zielgerichtet durchgeführt wiesen, was im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ wird . Das hilft den Menschen in den Städten und Ge- und der Städtebauförderung getan worden ist, dass es da- meinden sowie den Kommunen . bei auch um kleinere und mittlere Städte geht und dass es nicht nur ein Problem von Ballungsräumen und Unistäd- Herzlichen Dank . ten ist, über das wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt reden . (Beifall bei der SPD) Wer also, bei allem Druck, den es in manchen Städten gibt, Wohnungen zu bauen, nicht auch gleichzeitig auf die Stabilisierung stagnierender oder schrumpfender Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Teilregionen achtet, verschärft gesellschaftliche Segre- Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- gation durch Abwanderung . Darüber muss man sich im che . Klaren sein . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Beifall bei der SPD) Drucksache 18/10027 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Ein zweiter Aspekt, den ich ansprechen will, bezieht verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die sich auf die Finanzen . Wir haben heute Morgen schon Überweisung so beschlossen . darüber gesprochen: Finanzielle Stabilität gehört auch zu Stadtentwicklungspolitik und zu kommunaler Woh- Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 5: nungsbaupolitik . Wir haben zum gegenwärtigen Zeit- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- punkt einen ziemlich spannenden Aspekt, der nicht ganz gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes- ungefährlich ist, weil er eine sehr wichtige Einnahme- serung des Schutzes gegen Nachstellungen quelle der Städte darstellt, nämlich die Grundsteuer . Das ist die dritthöchste Einnahmequelle der Kommunen in Drucksache 18/9946 der Bundesrepublik Deutschland; denn die Einnahmen Überweisungsvorschlag: daraus betragen ungefähr 13 Milliarden Euro . Es ist Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) wichtig, dass diese Einnahmequelle für die Kommunen Innenausschuss erhalten bleibt . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (B) Aber die Grundsteuer ist zum gegenwärtigen Zeit- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Auch hierzu (D) punkt aller Voraussicht nach verfassungswidrig . Sie ist höre ich von Ihrer Seite keinen Widerspruch . Dann ist es deswegen, weil extrem unterschiedliche Einheitswer- auch das beschlossen . te zugrunde gelegt werden . Dieses Extrem kann man in Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Parla- Berlin gut deutlich machen . Hier – in anderen Teilen des mentarische Staatssekretär Christian Lange für die Bun- Landes auch – haben wir Einheitswerte auf der Basis von desregierung . – Bitte schön . 1964 im Westen und von 1935 im Osten . Das führt dazu, dass für ein 1 500 Quadratmeter großes Grundstück eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grundsteuer in Höhe von 8 300 Euro im Westen und von der CDU/CSU) 4 800 Euro im Osten gezahlt werden muss . Das ist ein eindeutiger und klarer Verstoß gegen das Gleichheitsge- Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- bot des Grundgesetzes . Das muss geklärt werden . minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mieter in neuen Gebäuden zahlen deutlich mehr als Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Eigentümer von Jugendstilvillen – so kann man das Damen und Herren! Für einen Menschen, der gestalkt auch thematisieren . Deswegen ist die Modernisierung wird, wird ein Alptraum Wirklichkeit . Diese Menschen der Grundsteuer eine wirklich wichtige Frage gerechter werden von ihren Peinigern angerufen, bedroht, verfolgt, Politik – gerechter Kommunalpolitik und übrigens auch im Bekanntenkreis schlechtgemacht und bekommen gerechter Wohnungsbaupolitik . Deswegen hoffe ich sehr, Mails, die sie nie lesen wollten, und das immer und im- dass Sie das unterstützen . mer wieder . Dies hat für viele Opfer gravierende Folgen . Diese Menschen, die Opfer von Stalking werden, emp- (Beifall bei der SPD) finden oft ständige Unruhe, entwickeln Ängste, Schlaf- störungen oder gar Depressionen . Sie alle haben die Gelegenheit, an einem fundamenta- len Reformprojekt teilzunehmen . Nach ungefähr 30 Jah- Viel zu lange wurde das Leid dieser Menschen kaum ren sind die Länder zielgerichtet dabei, sich auf einen ernst genommen . Im Jahr 2007 wurde mit der Einfügung Gesetzentwurf zu verständigen . Alle machen mit, aber des § 238 das beharrliche Nachstellen als Straftat gegen Bayern natürlich nicht . Deswegen müssen wir uns darum die persönliche Freiheit in das Strafgesetzbuch aufge- kümmern, dass diese Reform auf den Weg gebracht wird, nommen und damit ein deutliches Zeichen gesetzt: Der bevor die jetzige Regelung vom Bundesverfassungsge- Staat steht diesen Menschen zur Seite . Das war und ist richt für verfassungswidrig erklärt wird und damit eine eine gute und richtige Entscheidung . Wir wollen heute wichtige Einnahmequelle der Kommunen entfällt . diesen Weg fortsetzen . 19454 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) Heute beraten wir in erster Lesung über den von der weisung auf den Privatklageweg hat zur Folge, dass die (C) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes, Opfer das Verfahren gegen den Stalker selbst betreiben das diesen staatlichen Schutz weiter ausbaut und vor al- müssen . Zudem trägt dabei das Opfer das Kostenrisiko, len Dingen effektiver gestaltet . Nach geltendem Recht was zur Folge haben kann, dass die Opfer von der Mög- hängt die Frage, ob sich jemand der Nachstellung strafbar lichkeit der Privatklage aus reiner Angst vor weiteren macht oder nicht, davon ab, ob er das Opfer schwerwie- Problemen letztlich keinen Gebrauch machen . Wir wol- gend beeinträchtigt und es zwingt, seine Lebensumstän- len daher das Stalking aus dem Katalog der Privatklage- de zu ändern . Entscheidend für die Strafbarkeit ist also delikte streichen . Über eine Anklage gegen einen Stalker nicht allein das Handeln des Täters, sondern maßgeblich zu entscheiden, wird in Zukunft wieder allein Sache der auch, ob und wie das Opfer darauf reagiert . Stellen Sie Staatsanwaltschaft sein . Damit entlasten wir die Opfer sich vor: Der Täter stellt seiner Expartnerin, einer Mut- zusätzlich . ter mit Kind, nach . Wenn die Mutter dem Druck stand- hält, ist das Verhalten des Täters nicht strafbar . Wenn die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Mutter aber aufgrund des Drucks beispielsweise ihren LINKEN) Arbeitsplatz wechselt oder umzieht, ist das Verhalten des Täters strafbar . „Muss es aber erst so weit kommen?“, Drittens stärken wir den Opferschutz in Gewaltschutz- frage ich . Wollen wir das zum Beispiel einer alleinerzie- verfahren vor den Familiengerichten; denn dieses Verfah- henden Mutter wirklich zumuten? Können und dürfen ren ist für viele Stalkingopfer und die Opfer häuslicher wir davon ausgehen, dass sie einen neuen Job findet, in Gewalt ein wesentlich wichtigerer Weg, um staatlichen dem Familie und Beruf vereinbar sind? Wie verhält es Schutz zu erlangen . Insbesondere wird die effektivere sich mit dem Kind, das sich bei einem Umzug etwa auf Durchsetzung von Vergleichen in Gewaltschutzverfah- eine neue Kita oder eine neue Schule umstellen muss? ren neu geregelt . Derzeit ist nur der Verstoß gegen eine Wir jedenfalls sind der Auffassung: Das können wir dem gerichtliche Gewaltschutzanordnung strafbewehrt, nicht Opfer und seiner Familie nicht abverlangen . aber der Verstoß gegen eine in einem gerichtlichen Ver- gleich übernommene Verpflichtung. Künftig soll es in Auch diejenigen verdienen den Schutz des Straf- Gewaltschutzverfahren den durch das Familiengericht rechts, die sich nach außen hin vom Stalking unbeein- bestätigten Vergleich geben . Der Verstoß gegen eine Ver- druckt geben . Auch diese Menschen leiden oft unter pflichtung aus einem solchen Vergleich soll zukünftig schweren psychischen Belastungen . Das eigene Leben in ebenfalls strafbewehrt sein und damit ein Gleichlauf zu diesem Moment nicht zusätzlich grundlegend umstellen einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung hergestellt zu müssen, ist für diese Menschen dann besonders wich- werden . Wenn sich der Täter in einem Gewaltschutzver- tig . Deshalb sage ich: Die Strafbarkeit davon abhängig zu fahren per Vergleich etwa dazu verpflichtet, vom Opfer (B) machen, wie das Opfer auf das Stalking reagiert, schützt Abstand zu halten, und das Familiengericht diesen Ver- (D) lediglich den Täter . Ob der Täter ein willensstarkes Opfer gleich bestätigt, dann soll künftig ein Verstoß des Täters vor sich hat, das sein gewohntes Leben trotz der massi- gegen die übernommene Verpflichtung strafbar sein. Er- ven Einwirkungen durch das Stalking tapfer fortzuführen gänzend dazu muss in Zukunft auch in den Fällen eines versucht, oder ein Opfer, das dem Druck nachgibt, ändert gerichtlich bestätigten Vergleichs eine Mitteilung an die nichts am strafrechtlichen Unwertgehalt seiner Tat . zuständige Polizeibehörde oder andere öffentliche Stel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten len erfolgen . der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, jedes Jahr zeigen etwa Die Strafbarkeit sollte daher von der Qualität der Hand- 20 000 Menschen, die Opfer von Stalking geworden sind, lung des Täters abhängen und nicht von der Tapferkeit diese Nachstellungen an . Mit diesem Gesetzentwurf kön- des Opfers . nen wir heute etwas dafür tun, dass der Albtraum Stal- king für möglichst viele von ihnen möglichst schnell (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der vorbei ist . Ich meine, das sind wir den Opfern schuldig . CDU/CSU) Es gibt keine überzeugende Begründung, warum das tap- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . fere Opfer weniger Schutz verdienen sollte . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf ver- bessert den Schutz vor Nachstellungen für die betroffe- nen Menschen durch drei grundlegende Änderungen: Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Erstens – das ist die entscheidende Änderung – wird Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist die Kollegin es künftig ausreichen, dass Stalking objektiv dazu geeig- Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke . net ist, das Opfer in seiner Lebensgestaltung schwerwie- (Beifall bei der LINKEN) gend zu beeinträchtigen . Es ist schlimm genug, wenn das Opfer wegen der Nachstellung in Erwägung zieht, aus seinem gewohnten Lebensumfeld wegzuziehen . Für die Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Strafbarkeit verlangen wir nicht mehr, dass es dies auch Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- in die Tat umsetzt . legen! Wenn wir heute über das Gesetz zum besseren Zweitens wollen wir, dass Opfer nicht mehr auf den Schutz vor Nachstellungen reden, dann eint uns etwas in Privatklageweg verwiesen werden können; denn die Ver- diesem Haus . Wir sind uns alle einig: Stalking ist eine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19455

Halina Wawzyniak (A) erhebliche Einschränkung der individuellen Freiheit und Fernkommunikationsmitteln stattfindet. Hinzu kommt: (C) nicht zu tolerieren . Wer sich an dieses Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts- und Kontaktverbot sowie an das Abstandsgebot im Ge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- waltschutzgesetz nicht hält, kann mit Freiheitsstrafe bis NIS 90/DIE GRÜNEN) zu einem Jahr bestraft werden, soweit die entsprechende Deshalb ist Stalking seit 2007 strafbar . Wir sind uns auch Anordnung und später der Vergleich vollstreckbar sind . fraktionsübergreifend einig, dass die Opfer von Stalking Diese Anordnungen werden auch an Polizeibehörden geschützt werden müssen . Die Umwandlung des Straftat- und andere öffentliche Stellen übermittelt . bestandes des Stalking von einem Erfolgsdelikt zu einem Wir sagen klar: Diese Regelungen im Gewaltschutz- Eignungs- oder potenziellen Gefährdungsdelikt betrach- gesetz, konsequent angewendet, sind im Hinblick darauf, ten wir aus grundsätzlich rechtsstaatlichen Erwägungen dass dem Opfer so etwas nicht wieder passiert, eine gute heraus allerdings kritisch . Lösung . Grundsätzlich bringt es das geschützte Rechtsgut – das ist hier der individuelle Lebensbereich in Form der (Beifall bei der LINKEN) Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers – Nun schlagen Sie vor, den Straftatbestand von einem aus unserer Sicht mit sich, dass unter Beachtung des Erfolgsdelikt in ein potenzielles Gefährdungsdelikt um- Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts eine tatsächliche zuwandeln . Was meint das eigentlich? Das muss man Beeinträchtigung dieser Handlungs- und Entschlie- vielleicht noch einmal erklären . Bislang musste die Le- ßungsfreiheit vorliegen muss, um eine Strafbarkeit zu bensgestaltung tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt begründen . Das kann aus unserer Sicht anders als durch sein, um zu einer Strafe zu kommen . Zukünftig soll es die Umwandlung in ein potenzielles Gefährdungsdelikt so sein, dass für die Verwirklichung des Straftatbestan- herbeigeführt werden . Ich werde darauf noch hinweisen . des – ich zitiere aus dem Gesetzentwurf – ausreichend Bevor ich aber zum rein strafrechtlichen Aspekt kom- ist, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet me, lassen Sie mich noch etwas sagen . Wir brauchen ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung auch in diesem Bereich dringend Aufklärung und Prä- der Lebensgestaltung herbeizuführen“ . Es kommt also vention . Dazu gehören eine Sensibilisierung von Gerich- nicht mehr darauf an, ob die Lebensgestaltung tatsäch- ten, Staatsanwaltschaften und Polizeibeamten und auch lich und konkret schwerwiegend beeinträchtigt ist, son- eine gesellschaftliche Debatte zur Unzulässigkeit beharr- dern ob dies objektiv der Fall sein kann . Jetzt wiederhole licher Nachstellungen sowie ein ausfinanziertes und zu- ich noch einmal: Vor dem Hintergrund des Ultima-Ra- verlässiges Beratungs- und Hilfsangebot . Hinzukommen tio-Prinzips des Strafrechts und der Existenz des Gewalt- muss eine unkomplizierte und für Betroffene möglichst schutzgesetzes finden wir dies problematisch. (B) (D) kostenfreie Unterstützung durch Rechtsanwältinnen und Nun wird zur Begründung immer auf ein Urteil des Rechtsanwälte im Verfahren nach dem Gewaltschutzge- BGH verwiesen. Ich finde, dieses Urteil wird häufig zu setz und in eventuellen weiteren Rechtsauseinanderset- kurz dargestellt . Der BGH hat im Jahre 2009 – ich zitiere zungen . Das Strafrecht allein löst keine Probleme . wieder – gesagt: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwie- NIS 90/DIE GRÜNEN) gend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten Der zentrale Punkt aus unserer Sicht muss sein, dass veranlasst wird, das es ohne das Zutun des Täters der Stalker oder die Stalkerin an weiteren Handlungen nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst gehindert wird. Wir finden, dass dies mit dem Gewalt- zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnitt- schutzgesetz im Grunde eine gute Möglichkeit ist . Ich liche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigun- will hier einmal kurz erklären, was es mit dem Gewalt- gen der Lebensgestaltung erheblich und objektivier- schutzgesetz auf sich hat; denn das kommt mir etwas zu bar hinausgehen . kurz . Das ist der Leitsatz . Wenn man dann noch einmal genau- Nach dem Gewaltschutzgesetz kann ein Gericht ge- er hinschaut, heißt es: genüber einer Person, die vorsätzlich den Körper, die Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, Gesundheit und auch die Freiheit einer Person wider- wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in rechtlich verletzt, befristet anordnen, dass diese Person Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu be- oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster treten, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend an- der verletzten Person aufzuhalten, bestimmte Orte auf- zusehen . zusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält, Verbindungen zur verletzten Person aufzuneh- Es ist eben explizit nicht gesagt worden, dass nur der Ar- men, auch unter Verwendung von Fernkommunikations- beitsplatzwechsel oder der Wohnortwechsel eine schwer- mitteln, oder das Zusammentreffen mit der verletzten wiegende Beeinträchtigung sind, sondern es handelt sich Person herbeizuführen . um eine Aufzählung etwa auch anderer Gründe, und die- se sind nicht abschließend . Diese Anordnungen sind möglich gegen den aus- drücklich erklärten Willen der Person, die jemand ande- Nun teilen wir das ursprüngliche Anliegen des Gesetz- rem nachstellt oder wiederholt nachstellt, und sie ist auch gebers, dass nämlich eine strafwürdige Handlung dann ausdrücklich möglich, wenn diese Nachstellung nur mit vorliegen soll, „wenn das Verhalten des Täters einen so 19456 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Halina Wawzyniak (A) hohen Druck auf das Opfer erzeugt, dass ein objektivier- teresse der Opfer die tatbestandlichen Hürden für eine (C) barer Anlass für eine Verhaltensänderung besteht“ . Wir Verurteilung senken wollen . finden, das kann man mit einer kleinen Änderung im Es hat dann aber noch ziemlich lange gedauert, bis derzeit bestehenden Gesetzestext machen . Wenn näm- wir diesen Entwurf vorgelegt bekommen haben . Es wa- lich das Argument ist, dass „schwerwiegend“ die große ren die unionsgeführten Ministerien der Länder Bayern, Hürde ist, dann streicht man einfach aus dem Gesetz das Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, die ei- Wort „schwerwiegend“ . Das ist so naheliegend, dass es nen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht haben . Auf mich wundert, dass Sie nicht selbst darauf gekommen ihrem Entwurf beruht im Wesentlichen auch der Entwurf sind . der Bundesregierung, den wir heute debattieren . (Beifall bei der LINKEN) Wer auch zur Beschleunigung dieses Verfahrens bei- Wenn das Wort „schwerwiegend“ gestrichen wird, dann getragen hat, ist Mary Scherpe, eine Autorin und Blog- reicht eine Beeinträchtigung der Lebensweise . Eine gerin aus Berlin . Sie ist selber Betroffene und hat eine solche Beeinträchtigung wäre beispielsweise gegeben, Onlinepetition zur Änderung des Stalkingparagrafen an- wenn man ein ärztliches Attest oder das Attest einer Be- gestoßen . Im Dezember 2014, also vor mittlerweile fast ratungsstelle vorlegen kann . Uns scheint das ein besserer zwei Jahren, hat sie dem Bundesministerium der Justiz Weg zu sein als die Umwandlung . Es sollte also einfach fast 90 000 Unterschriften übergeben . Damals hieß es: das Wort „schwerwiegend“ gestrichen werden . Dann hät- Ja, das machen wir . Es geht nicht mehr um das Ob, son- ten wir die Beeinträchtigung der Lebensweise . dern nur noch um das Wie . Das wollen wir beraten . – Es hat dann leider noch ein bisschen gedauert, bis wir jetzt Wir finden – das will ich hier auch einmal kurz erwäh- endlich in die Beratungen einsteigen konnten . Aber es ist nen – es richtig, dass der Vergleich mit den Anordnun- ja noch nicht zu spät, und wir werden die Sache jetzt auch gen gleichgestellt wird. Auch finden wir richtig, dass das beherzt angehen . Die allererste Priorität scheint das da- Privatklagedelikt gestrichen wird . Insofern kann ich Sie mals noch nicht gehabt zu haben . einfach nur ermuntern: Ich glaube, wir liegen so weit gar nicht auseinander . Worum geht es bei § 238 StGB? Die Regelung ist noch gar nicht so alt . 2007 wurde sie in das Gesetzbuch Es gibt viele gute Sachen in diesem Gesetzentwurf . geschrieben, auch damals maßgeblich geprägt von der Die vorgeschlagene Umwandlung in ein Gefährdungs- Union . Vor allem die Kollegin darf ich in delikt teilen wir ausdrücklich nicht . Vielleicht kann aber diesem Zusammenhang hier noch einmal erwähnen, die durch eine kleine Streichung im bestehenden Gesetzes- das Ganze damals als ihr Herzensanliegen betrieben hat . text hier auch noch erreicht werden, dass wir zustimmen Vorausgegangen waren Fälle, in denen zunächst ein be- (B) könnten . harrliches Nachstellen zu verzeichnen gewesen war und (D) dann auch massive Übergriffe, Angriffe auf die Person, (Beifall bei der LINKEN) teilweise sogar mit tödlichem Ausgang, erfolgt sind . Ich weiß als frühere Familienrichterin, dass diese Angriffe Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und dieses Stalking oft aus dem privaten Umfeld erfol- gen, von Exliebhabern, Expartnern oder eben auch de- Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die CDU/ nen, die von vornherein abgewiesen worden sind . Bis zur CSU-Fraktion ist die Kollegin Elisabeth Winkelmeier- Einführung des § 238 StGB hatte man letztendlich keine Becker . Handhabe gegen dieses beharrliche Nachstellen, weil die (Beifall bei der CDU/CSU) Handlungen, um die es da im Einzelnen geht, für sich genommen jeweils erlaubt sind, relativ unproblematisch sind, als Belästigung abgetan werden können . Aber in Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Summe sind sie eine ganz massive Beeinträchtigung der Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Lebensqualität . Sie ängstigen, und im Extremfall mün- gen und Zuhörer hier im Saal und zu Hause an den Fern- den sie ja auch in massive Gefahren für Leib und Leben sehern! Ich bin froh, dass wir jetzt endlich hier im par- des Opfers . Damals musste man die Frage beantworten: lamentarischen Rahmen die Debatte beginnen können; Warum muss eigentlich immer erst etwas passieren, be- denn die Verschärfung bei der Strafbarkeit des Stalkings vor man gegen den Täter vorgehen kann? ist ein wichtiges Anliegen der Union, das wir auch schon im Koalitionsvertrag untergebracht haben . Schon damals Solche Nachstellungen, um die es jetzt geht, sind nicht haben wir festgehalten, dass es ein auffälliges Missver- immer so dramatisch . Trotzdem: Auch unterhalb dieser hältnis zwischen den vielen Anzeigen, die gestellt wer- Schwelle sind sie sehr lästig und nicht zu verharmlosen . den – es sind etwa 20 000 im Jahr –, und den Verurteilun- Nicht untypisch ist, dass die Situation von den beiden be- gen – das sind jährlich etwa 200 – gibt . teiligten Personen völlig unterschiedlich wahrgenommen wird . Ich möchte das hier anhand eines Beispiels darle- Das zeigt zum einen, dass hier schon ein großes emp- gen, das sicher für sich genommen ganz klar unterhalb fundenes Unrecht, eine Bedrohung im Raum steht . Auf der strafbewehrten Schwelle bleibt, das aber das Problem der anderen Seite zeigt das aber auch, dass die gesetz- schön wiedergibt . Sie kennen wahrscheinlich das Lied – liche Regelung, die wir jetzt haben, dem nicht gerecht ich will es hier jetzt nicht singen; dafür bräuchte ich im wird . Das ist ein Indiz dafür, dass hier Handlungsbedarf Übrigen auch einen männlichen Kollegen, da es nämlich besteht . Dessen nehmen wir uns jetzt auch an . Wir haben ein Wechselgesang ist – Im Wagen vor mir fährt ein jun- deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir im In- ges Mädchen, das eigentlich von einer positiven Grund- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19457

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) stimmung getragen ist . Man kann sich so richtig in die Meine Vorredner haben schon vorgetragen, was sich (C) Situation hineinversetzen: Ein Mann fährt mit seinem ei- ändert . Ich möchte noch einmal auf den Fall der Blogge- gentlich schnellen Wagen auf der Autobahn und klemmt rin Mary Scherpe zurückkommen . Sie wurde jahrelang sich hinter die Ente, an deren Steuer ein junges Mädchen gestalkt . Sie hat dann alle Unterlagen gesammelt – alle sitzt . Er schildert das in der Art eines Ohrwurms mit ei- Mails, alle SMS und dergleichen – und ist mit diesen Be- ner hörbaren Selbstgefälligkeit und macht sich Gedanken legen zur Staatsanwaltschaft gegangen . Es wurde damit darüber, was denn dieses Mädchen da jetzt wohl zu tun abgetan, es seien nur Belästigungen . Sie fand dann den hat . Am Ende wird sie dann schon sein Mädchen . Aus Knackpunkt heraus, nämlich dass es an ihr selber lag, sie ihrem Blickwinkel hört sich das Ganze völlig anders an: war zu taff, zu stark und hat sich davon nicht beeinträch- Sie macht sich Gedanken darüber, was dieser blöde Kerl tigen lassen . Sie sagt selber: Ich war kein gutes Opfer . da hinter ihr will . Sie ist genervt, sie ist verunsichert, sie Das darf natürlich nicht stehen bleiben . Das wäre die fühlt sich bedrängt, und sie nimmt das zum Anlass, von völlig falsche Zielrichtung; denn es darf nicht das Opfer der Autobahn runterzufahren, obwohl sie dadurch zu spät gezwungen werden, sein Verhalten zu ändern, sondern es kommt . geht darum, auf den Stalker einzuwirken und ihm klar- zumachen, dass er sich strafbar und übergriffig verhält. Es handelt sich eigentlich um eine banale Situation, aber sie zeigt, wie das wirkt, über das wir heute hier de- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) battieren . Es geht um das Recht, sich unbehelligt, unbe- Das ist der Grund, weshalb wir diese Änderung im hindert, unbefangen, frei und ohne Rechtfertigungsdruck Tatbestand vollziehen . Die Tat des Täters muss nur noch und ohne aufgezwungenen Kontakt bewegen zu können, objektiv geeignet sein, das Leben des Opfers schwerwie- leben zu können, entscheiden zu können . Dieses Recht ist gend zu beeinträchtigen . durch beharrliche Nachstellungen massiv beeinträchtigt . Es wurde schon angesprochen, dass wir das Delikt aus Aus der Perspektive des Täters geht es um das Bestre- dem Katalog der Privatklagedelikte herausnehmen, um ben, Kontrolle zu gewinnen, Macht über jemand anderes auch dort das Opfer zu stärken . Parallel dazu wollen wir auszuüben, das Opfer zu belästigen, es zu verängstigen, im Zivilrecht das Gewaltschutzgesetz anpacken, um auch sich selbst immer wieder in Erinnerung zu bringen, und hier zu einer besseren Durchsetzbarkeit der Vereinbarun- das mit all den Möglichkeiten, die man im digitalen Zeit- gen zu kommen . Ich denke, dass wir hier auf einem sehr alter hat, also per Telefon, per SMS, über Facebook, über guten Weg sind, und freue mich auf die Beratungen im Pakete, die man nicht selber bestellt hat, per Brief oder Detail . ganz real, indem man dem Opfer schon morgens auf der Vielen Dank . gegenüberliegenden Straßenseite auflauert. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) Für das Tatopfer hat das über viele Jahre hinweg weit- reichende psychische oder soziale Folgen: Misstrauen, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Angst, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen . Das zeigt auch, dass es hier um eine Facette eines Themas geht, mit Vielen Dank .– Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die dem wir uns hier schon häufig beschäftigt haben. Es geht Grünen ist Katja Keul . immer wieder um den Schutz des Opfers vor Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung seines Privatlebens Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und seiner sexuellen Selbstbestimmung . Es geht um Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Freiheit, die Entfaltung der Persönlichkeit, den Schutz Kollegen! Aufgrund meiner kürzeren Redezeit werde ich vor Übergriffen der unterschiedlichsten Art, angefangen mich auf diesen Gesetzentwurf beschränken . Damit will bei dem Thema Kinderpornografie, wo es um sexuelle die Bundesregierung den Schutz gegen Nachstellungen Übergriffe und voyeuristische Bloßstellung geht, Straf- verbessern . Das ist ein lobenswertes Anliegen . Darin sind barkeit des Menschenhandels, wo es um Einschränkun- wir uns alle einig . Es hat sich gezeigt, dass es nach der gen der Freiheit geht, um sexuelle Selbstbestimmung . geltenden Gesetzeslage für Opfer von Nachstellungen oft Den Vergewaltigungsparagrafen haben wir gerade unter schwierig ist, wirkungsvollen gerichtlichen Schutz zu er- dem Stichwort „Nein heißt nein“ reformiert . In all diesen langen . Allerdings ist nicht jede Verschärfung von Straf- Fällen geht es jetzt letztendlich darum, dass die Freiheit, recht gleichzusetzen mit einem besseren Opferschutz . Nein zu sagen, respektiert werden muss, auch im Fall des Stalking . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wäre schön, wenn dies jetzt der Schlussstein im Hier gilt es, zu differenzieren . Ausbau dieses Schutzes wäre . Das ist er noch nicht . Es bleiben noch andere Dinge übrig, die zu tun wären . Ich Ich will mit dem Positiven beginnen: die Änderung in nenne hier kurz, dass wir Verbesserungen beim Cyber § 4 des Gewaltschutzgesetzes . Bislang war nur die Zu- Grooming wollen – das ist eine Handlung zur Vorbe- widerhandlung gegen gerichtliche Anordnungen strafbar . reitung von Übergriffen –, bei der Strafbarkeit bei Kin- Die meisten Gewaltschutzverfahren werden allerdings derpornografie, bei Zuhälterei und sexueller Ausbeutung. in der Praxis durch Vergleich beendet . Verstößt dann der Blicken wir über das Strafrecht hinaus, dann gehört auch Antragsgegner gegen diesen Vergleich, war eine Straf- die Bekämpfung von Kinderehen in den weiten Kontext verfolgung bislang nicht möglich . Das soll nun anders dieses Themas . werden . Wenn der Vergleich gerichtlich bestätigt worden 19458 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Katja Keul (A) ist, wird der Verstoß dagegen künftig strafbar, und das ist sprechung hat dies allerdings dem bisherigen Wortlaut (C) auch richtig so . des Paragrafen bislang nicht entnehmen wollen . Warum setzen Sie also nicht beispielsweise beim Merkmal der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schwerwiegenden Beeinträchtigung an und stellen aus- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten drücklich klar, dass psychische Belastungen dazugehö- der SPD) ren? Auch die Streichung des Auffangtatbestandes der Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nahme einer vergleichbaren Handlung ist zu begrüßen . und bei der LINKEN) So ein schwammiges Tatbestandsmerkmal hat im Straf- recht nichts zu suchen und ist mit dem Bestimmtheits- Im Gegensatz zur Eignung können psychische Belastun- grundsatz kaum zu vereinbaren . Die Streichung haben gen eher, zum Beispiel durch psychologische Gutachten wir daher bereits 2006 gefordert . oder Krankschreibungen, belegt werden . Nachweispro- bleme würden so vermindert werden . Kommen wir aber nun zum kritischen Punkt . Die Um- gestaltung des Tatbestandes des § 238 StGB von einem Auch innerhalb des Gewaltschutzgesetzes sind weite- Erfolgs- in ein abstraktes Gefährdungsdelikt halte ich re Änderungen möglich . Der § 1 könnte erweitert wer- nicht für geeignet, um einen besseren Schutz vor Nach- den, um weitere Erscheinungsformen des Stalkings zu stellungen zu bewirken . Bisher ist der Tatbestand des erfassen. Denn das Gewaltschutzgesetz kann oft flexi- § 238 StGB nur erfüllt, wenn das Opfer durch die Nach- blere, effektivere und schnellere Abhilfe schaffen als ein stellungshandlungen in seiner Lebensgestaltung schwer- Strafverfahren . wiegend beeinträchtigt wird . Eine solche schwerwiegen- Nicht geeignet ist hingegen die Umwandlung des Tat- de Beeinträchtigung wird von der Rechtsprechung unter bestandes des § 238 StGB in ein Eignungsdelikt . Von anderem dann angenommen, wenn das Opfer weitgehen- diesem rechtsstaatlich problematischen Vorhaben sollten de Schutzvorkehrungen wie etwa den Wechsel des Ar- Sie Abstand nehmen . beitsplatzes oder der Wohnung veranlasst . Vielen Dank . Nach dem neuen Gesetzentwurf soll es künftig ausrei- chen, wenn das Täterverhalten potenziell dazu geeignet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist, eine gravierende Beeinträchtigung herbeizuführen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein tatsächlicher Erfolg soll nicht mehr notwendig sein . Damit wird der Anwendungsbereich des Stalkingpara- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: grafen bedenklich weit gefasst und die Strafbarkeit er- Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol- heblich vorverlagert . Das wirft im konkreten Fall mehr (B) lege Dirk Wiese das Wort . (D) Fragen auf, als es Probleme löst . Soll die Eignung nur dann nachweisbar sein, wenn das Opfer über konkrete (Beifall bei der SPD) Reaktionen nachgedacht hat, und ist der Umstand, dass das Opfer die Reaktion verworfen hat, ein Indiz dafür, Dirk Wiese (SPD): dass die Beeinträchtigung ungeeignet war? Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Die Bandbreite möglicher Reaktionen des Opfers auf und Kollegen! Die Einführung des Stalkingparagrafen eine Nachstellung ist vielfältig und nicht wissenschaft- unter der sozialdemokratischen Justizministerin Brigitte lich bestimmbar . Psychische Belastungen sind in jedem Zypries im Jahr 2006 war aus meiner Sicht ein bedeuten- Fall individuell unterschiedlich . Jegliche Verobjektivie- der Schritt für den Opferschutz und ein wichtiges Signal rung der Geeignetheit als Tatbestandsmerkmal ist daher des Gesetzgebers . Denn – Sie gestatten mir, dass ich aus schwierig . Deshalb würde die Geeignetheit einer Hand- der damaligen Debatte zitiere –: lung voraussichtlich weiterhin anhand derselben Anfor- Stalking ist keine Privatsache, keine Sache von ver- derungen gemessen wie bisher . Das Opfer müsste dann schmähten Liebhabern, sondern strafwürdiges Un- eine nach außen wahrnehmbare Reaktion in irgendeiner recht . Weise gezeigt haben . Die Probleme bleiben dieselben . Auch der Nachweis des Tatvorsatzes ist schwierig . Die Dieser Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat leider Eignung zur Beeinträchtigung der Lebensgestaltung an Aktualität nichts verloren . müsste vom Vorsatz des Täters umfasst sein . Über die vergangenen Jahre haben sich in der Praxis Die weite Fassung des Tatbestandes kann außerdem Anwendungsdefizite gezeigt, die nun eine Nachbesse- Verhaltensweisen erfassen, die gar nicht erfasst werden rung erforderlich machen . Denn auch bei Gesetzen, die sollen . Beispielsweise könnten Journalisten, die sich zu bei der Verabschiedung richtig waren, muss man nach Recherchezwecken in die Nähe von anderen Personen einem gewissen Zeitablauf und einer gewissen Beobach- begeben, in die Gefahr geraten, wegen Nachstellung an- tung manchmal nachjustieren . gezeigt zu werden . Wie wichtig dieser Schritt ist, den wir hier heute an- Dabei ist die Umgestaltung des Tatbestandes des gehen, belegt übrigens auch ein Blick in die Polizeiliche § 238 StGB zum Eignungsdelikt keineswegs alternativ­ Kriminalstatistik: 2014 wurden bundesweit noch rund los . Schwerwiegende Beeinträchtigungen können näm- 21 000 Fälle erfasst, 2015 waren es nur 19 000 . Aller- lich auch erhebliche psychische Belastungen sein, die dings geben Experten, die in den Beratungsstellen tätig sich nicht äußerlich niedergeschlagen haben . Die Recht- sind, für den gleichen Zeitraum an, dass sie mit immer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19459

Dirk Wiese (A) mehr Fällen zu tun bekommen . Wir sehen also, dass trotz dass wir die entsprechenden Regelungen auf den Weg (C) steigender Fallzahlen immer weniger Fälle zur Anzeige bringen . gebracht werden . Einer der Gründe liegt leider auf der Hand: Die Opfer gehen nicht mehr zur Polizei; denn sie Abschließend möchte ich sagen: Ich halte den vor- haben das Gefühl, dass das nichts bringt und ihnen dort liegenden Gesetzentwurf für wichtig, um Stalkingopfer nicht geholfen werden kann . besser zu schützen und eine Verurteilung der Täter zu er- leichtern . Ich bin gespannt auf die Fachanhörung . Falls Wenn Bürgerinnen und Bürger Straftaten erst gar es an der einen oder anderen Stelle notwendig ist – der nicht zur Anzeige bringen, weil sie kein Vertrauen in die ein oder andere Kollege hat darauf hingewiesen, Frau Bestrafung der Täter haben, dann muss das für uns alle Wawzyniak auch –, dann kann durchaus das Struck’sche ein Weckruf sein, der deutlicher nicht sein kann . Gesetz noch zur Anwendung kommen; denn wir wollen die Opfer wirklich schützen . Das soll mit diesem Gesetz- (Beifall bei der SPD) entwurf auf den Weg gebracht werden . Deshalb haben wir von der SPD dafür Sorge getragen, dass die Verbesserung des Schutzes vor Stalking, Nach- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . stellung, in dieser Wahlperiode angegangen wird . Ich (Beifall bei der SPD) danke Herrn Bundesjustizminister und Herrn Staatssekretär Christian Lange für die Vorlage des

Gesetzentwurfs . Frau Winkelmeier-Becker, Sie haben Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gerade in einem Nebensatz erwähnt, dass es etwas ge- Vielen Dank . – Jetzt hat Ulle Schauws, Bündnis 90/ dauert hat, bis der Gesetzentwurf vorlag . Leider wurden Die Grünen, das Wort . unter Schwarz-Gelb keine Verbesserungen in Angriff ge- nommen . Es zeigt sich an dieser Stelle: Es bedarf eines Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sozialdemokratischen Justizministers, damit dieses Pro- Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Kolleginnen und blem wieder angegangen wird . Kollegen! Ständiges Auflauern, Telefonterror, permanen- (Beifall bei der SPD) te E-Mails – wie in einem schlechten Film, und der will nicht enden: Die Fantasie von Stalkern und Stalkerinnen Ich gebe auch zu bedenken – da möchte ich meiner ist nahezu unbegrenzt, um ihren Opfern oft jahrelang Kollegin Wawzyniak recht geben –, dass es mehr bedarf . nachzustellen . Rund 20 000 Anzeigen gab es laut Kri- Es bedarf einer Sensibilisierung der Gesellschaft im prä- minalstatistik aus dem Jahr 2015, die Dunkelziffer liegt ventiven Bereich . Aber so wichtig der präventive Bereich viel höher . auch ist: Wir müssen im Strafrecht Tatbestände reaktiv (B) erfassen . Darum ist es richtig, dass es den § 238 im Straf- Die meisten Opfer von Stalking sind in ihrer Lebens- (D) gesetzbuch gibt und dass wir ihn an dieser Stelle noch führung stark eingeschränkt und nicht selbstbestimmt . einmal anpassen . Ihr Alltag wird dominiert vom Gefühl der Bedrohung und der Angst . Viele erleiden schwerwiegende körper- Lassen Sie mich auf zwei Kernpunkte eingehen, die liche und seelische Schäden . Traumatisierungen sind aus meiner Sicht die Verurteilung von Stalkern bisher oft die Folge . Insoweit war es gut, dass der sogenannte erschwert haben . Erstens – Staatssekretär Lange hat es Nachstellungsparagraf, § 238, 2007 endlich in das Straf- angesprochen –: Die Strafbarkeit von Stalking war bis- gesetzbuch aufgenommen wurde . Aber für die meisten her als Erfolgsdelikt ausgestaltet . Nehmen wir folgendes Stalkingopfer blieb dieser Paragraf bis heute eine Ent- Beispiel: Ein Stalker, der jahrelang seine Exfreundin täuschung . Die Verurteilungsrate lag nach der Krimi- verfolgt, ihr womöglich ständig auflauert, ihr Umfeld nalstatistik von 2014 nur bei etwa 20 Prozent . Das ist kontaktiert und sie mit Geschenken und Bestellungen alarmierend . So geht es nicht weiter, liebe Kolleginnen bombardiert, kurzum: ihr gesamtes privates Leben, ih- und Kollegen . ren Alltag zur Hölle macht, konnte nicht verurteilt wer- den, wenn das Opfer standhaft blieb, nicht dem enormen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Druck nachgegeben hat, nicht wegzog oder möglicher- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weise nicht den Arbeitsplatz gewechselt hat . Solche Kon- Die meisten Täter kommen davon, weil die rechtlichen stellationen sind keine Seltenheit . Hürden für eine Verurteilung zu hoch sind, eben weil die In meinem Wahlkreis im Sauerland gibt es einen Fall, Opfer eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Le- wo ein Pfarrer seit 15 Jahren gestalkt wird, aber die Be- bensgestaltung nachweisen müssen, und das kann nicht strafung der Stalkerin mangels schwerwiegender Be- sein . Den Opfern darf nicht länger zugemutet werden, einträchtigungen bis zum heutigen Tage nicht möglich letztlich ihr ganzes Leben umkrempeln zu müssen, bevor gewesen ist . Das kann aus meiner Sicht nicht sein . Da- Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden rum ist es richtig, dass wir hier nachjustieren . Die Aus- können . gestaltung als Eignungsdelikt ist daher ein richtiger Weg, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um Opfer besser zu schützen . Es ist gut, dass wir das an dieser Stelle auf den Weg bringen . Das widerspricht auch dem Opferschutz . Der zweite wichtige Punkt ist, dass der Straftatbestand Insofern begrüße ich grundsätzlich den Vorstoß aus der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher- gestrichen wird . Wir haben heute fraktionsübergreifend schutz . Das war überfällig . Es muss alles getan werden, Zustimmung dazu vernommen . Ich denke, es ist wichtig, damit Opfer von Stalking wieder selbstbestimmt leben 19460 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Ulle Schauws (A) können . Ihr Gesetzentwurf enthält durchaus Verbesse- gen, weil ein anderer nicht akzeptiert, wie dieser Mensch (C) rungen, zum Beispiel die Umwandlung des Privatkla- leben will oder welche Entscheidung er getroffen hat . gedelikts in ein Antragsdelikt . Doch insgesamt greift er noch zu kurz, um tatsächlich und konsequent helfen zu Das allein ist es aber noch nicht . Die Nachstellungen können . Meine Kollegin Katja Keul hat das eben bereits tragen ein Eskalationspotenzial in sich . Das kann sogar ausführlich dargestellt . so weit gehen, dass es zu ganz schweren Rechtsverlet- zungen kommt, zu tatsächlichen Körperverletzungen, ja Wir schlagen deshalb Ergänzungen und eine Erweite- sogar von Todesfällen ist auch in jüngster Zeit die Rede rung im Gewaltschutzgesetz vor . Es muss umfassender gewesen . Deswegen ist der Schutz vor Nachstellungen Schutz ermöglicht werden . Darum muss es gehen . ein wichtiges strafrechtliches Anliegen . Er liegt im Kern- bereich dessen, wozu Strafrecht gemacht ist: den Schutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Opfer sicherzustellen . Es ist eine Tatsache, dass Frauen sehr viel häufiger Wir haben hier erst eine sehr kurze, aber, wie ich meine, von Stalking betroffen sind . 80 Prozent der Opfer sind doch bemerkenswerte rechtspolitische Geschichte vorzu- weiblich, 86 Prozent der Täter sind männlich . Meist trifft weisen . Bis vor zehn Jahren kannte das Strafrecht gar es Frauen, die sich von ihren Partnern getrennt haben . keinen Schutz vor Nachstellungen, sondern es mussten Dass Expartner die Trennung nicht akzeptieren können zusätzlich Straftatbestände verwirklicht werden: Haus- und versuchen, weiter Kontrolle über die Frau auszu- friedensbruch, sexuelle Nötigung, Beleidigung, schwere üben, macht deutlich: Es geht um das Thema Macht und Körperverletzung . Es war auch eine Große Koalition, die Besitztum . Bei Stalking handelt es sich auch um eine ge- im Jahr 2006 den § 238 StGB normiert hat . Heute ist es schlechtsspezifische Problematik. Zeit – das ist auch unsere Pflicht –, Bilanz zu ziehen. Wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Rechts- haben nach zehn Jahren § 238 StGB festzustellen, dass schutz für Opfer ist unabdingbar . Darüber hinaus bedarf er ein guter erster Schritt war, um vor Nachstellungen es eines funktionierenden Hilfenetzes . Es müssen weitere zu schützen . Aber er ist in seiner derzeitigen Form noch Fachberatungsstellen auf- und ausgebaut werden, in de- nicht ausreichend . Deswegen werden wir nachlegen und nen Betroffene Unterstützung und Hilfe im Umgang mit ein gutes Gesetz noch besser machen . Stalking erhalten können, ebenso Beratung und Hilfe bei Die Fallzahlen sprechen dafür, dass wir diesen Para- rechtlichen Schritten . Auch die wichtigen Schulungen grafen ändern müssen . Wenn von etwa 20 000 Anzei- von Justiz und Polizei sollten weiter intensiviert werden . gen im Jahr nur etwa 1 bis 2 Prozent zur Verurteilung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen und man auch noch einpreisen muss, dass viele und bei der LINKEN) Menschen aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige (B) erstatten, dann zeigt das, dass dieser Paragraf in seiner (D) Nur mit effektivem Rechtsschutz und guten Beratungs- Konstruktion gut gemeint war, aber nicht in jeder Form strukturen kann ein wirksamer Opferschutz erreicht wer- auch hundertprozentig gut gemacht . Deshalb haben wir den . Dafür müssen Sie alles tun . Dafür müssen wir alle auch den Mut, zu sagen: Wir verbessern diesen Paragra- gemeinsam auch die gesellschaftliche Sensibilisierung fen . voranbringen . (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank . Es ist den Menschen schwer zu vermitteln, dass der- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jenige, der Opfer einer Straftat wird, sein Verhalten erst und bei der LINKEN) ändern muss und damit genau den Erfolg eigentlich herbeiführen muss, den sich der Täter von seinem Op- fer wünscht . Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Verhalten ändern, sondern der Täter muss seiner Rechen- Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht schaft zugeführt werden . Das ist der Kern eines verant- jetzt Dr .V olker Ullrich . wortungsvollen Strafrechts . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Deswegen, denke ich, ist es richtig, zu sagen, dass die Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Deliktform, die sich jetzt von einem Erfolgs- zu einem Herren! Wir sprechen heute über viele Zehntausende Eignungsdelikt ändert, die richtige Form ist, weil auch Menschen in diesem Land, die albtraumhafte Begeben- bei einem Eignungsdelikt natürlich schon eine Rechts- heiten erleiden müssen . Wir reden über den alltäglich verletzung vorliegt . Sie liegt bereits darin, dass der Täter bangen Blick aufs Mobiltelefon, über den verängstigten eine Handlung vollzieht, die geeignet ist, eine schwer- Blick über die Schulter, über die Angst, ans Telefon zu wiegende Folge herbeizuführen, dass er ein Verhalten gehen, weil er doch wieder anrufen könnte, derjenige, an den Tag legt, welches typischerweise zu schweren der einer Person nachstellt, der ihr das Leben zur Höl- psychischen Belastungen führt: zu den eben von mir be- le macht . Wir sprechen über Zehntausende Fälle, über schriebenen Angstzuständen, zu dem Umstand, dass sich Zehntausende Menschen, die sich in ihrer eigenen Haut jemand nicht mehr traut, auf die Straße zu gehen, und zu nicht mehr wohlfühlen, die sich kaum aus dem Haus trau- vielen Hunderten oder Tausenden Anrufen . Allein dieser en oder Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte zu pfle- Umstand hat doch bereits einen Unrechtsgehalt an sich . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19461

Dr. Volker Ullrich (A) Deswegen ist es richtig, dass dieser Paragraf zukünftig Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) ein Eignungsdelikt ist; denn durch den Charakter des Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol- Eignungsdeliktes kann er den Opferschutz viel stärker lege Fritz Felgentreu das Wort . verwirklichen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund ist es ebenso richtig, dass wir dem Privatklageweg im Bereich von Nachstellungen ein Ende bereiten . Es war vielleicht gut gedacht, dass jeder, Dr. Fritz Felgentreu (SPD): wenn die Schwelle noch nicht vorhanden war, dass der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Staatsanwalt tätig wird, sein Recht selbst in die Hand Frau wird verfolgt . In diesem Fall erleidet sie Stalking nehmen sollte . Aber gerade im Fall von Nachstellungen durch eine andere Frau . Die Täterin bedient sich einer haben wir die Konstellation, dass das Opfer seinem Pei- breiten Palette von Belästigungen: beleidigende Anrufe niger, demjenigen, der nachstellt, gerade nicht begegnen und SMS, Anspucken auf der Straße, Verfolgung bis vor die eigene Haustür, Belagerung der Wohnung . Die Be- möchte . troffene muss sich in psychiatrische Behandlung bege- Wenn Sie das Opfer nun auf den Privatklageweg ver- ben . Sie kann nicht mehr schlafen . Sie lässt die Rollläden herunter . Sie geht nur noch vor die Tür, wenn es nicht weisen, ist es ja gerade in der Situation, dass es seinem anders geht . Schließlich lässt sie sich vom Weißen Ring Täter vor Gericht begegnen muss, dass es selbst einen beraten und entscheidet sich, das Stalking zu ignorieren . Prozess gegen den Täter anstrengen muss, wodurch es Diese Strategie ist irgendwann erfolgreich . Nach ein paar vor Gericht möglicherweise sogar zu einer Konfronta- Monaten lässt die Täterin von ihr ab . Dies ist ein Fall aus tionssituation Täter/Opfer kommt – was der Täter viel- der Praxis, berichtet im Februar dieses Jahres in der Zeit . leicht sogar herbeiführen möchte . Deswegen war der Privatklageweg aus Gründen eines objektiven Opfer- Lieber Kollege Ullrich, die Geschichte dieser Frau ist schutzes der falsche, und daher ist es richtig, wenn wir ein Beispiel dafür, warum wir den Stalkingparagrafen im ihn streichen und sagen: Stalking, Nachstellungen, ist ein Strafgesetzbuch ändern wollen, und zwar nicht nur aus der Sicht der Rechtspolitik, sondern auch aus der Sicht schwerwiegendes Delikt, das in die Lebenssphäre ein- der Familien- und Frauenpolitik . Ich spreche hier heute greift . Hier müssen die Staatsanwaltschaften selbst tätig als Mitglied des Familienausschusses . Uns geht es natür- werden . Sie müssen es unterbinden, und der Rechtsstaat lich besonders darum, häuslicher Gewalt und der Gewalt muss hierbei zur Geltung kommen . gegen Frauen vorzubeugen . Prävention ist aus diesem Blickwinkel fast noch wichtiger als Strafverfolgung . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Strafverfolgung muss immer auch der Prävention dienen . (D) Deshalb war es ein dringend gebotenes und ein richtiges Meine Damen und Herren, die Botschaft der heuti- Signal, das der Bundestag 2007 Tätern wie Opfern gege- gen Debatte muss auch sein, dass die Opfer von Nach- ben hat . Damals wurde ganz klar: Stalking ist Unrecht . stellungen nicht allein sind, weil ihnen dieser Rechts- Stalking ist Gewalt . Der Rechtsstaat stellt Stalking unter staat zukünftig noch mehr Schutz gewährleistet . Aber Strafe . sie sind auch nicht allein, weil durch diese Debatte die Botschaft ausgesendet wird, dass wir eine Sensibilisie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung für die Opfer brauchen, dass sie nicht alleingelassen der CDU/CSU) werden, dass Menschen, die Opfer von Nachstellungen Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass werden, auch Verständnis in ihrem Freundes- und Ver- die präventive Wirkung von Strafgesetzen begrenzt ist, wandtenkreis bekommen, dass auch die Kollegen am gerade auch in Stalkingfällen . Denn Stalker haben nur Arbeitsplatz, die mitbekommen, dass eine Kollegin oder selten ein Unrechtsbewusstsein . Im Gegenteil: Meistens ein Kollege gestalkt, dass sie oder er Opfer von Nach- fühlen sie sich von der Person ungerecht behandelt, der stellungen wird, ihr bzw . ihm schützend zur Seite stehen, sie nachstellen . Dennoch hat die gesellschaftliche und dass diese Gesellschaft insgesamt nicht akzeptiert, wenn strafrechtliche Ächtung der Tat einen hohen Wert . Sie Menschen Opfer von Nachstellung, von Bestellungen, wirkt langfristig . Denn wenn wir in allen Köpfen veran- von Anrufen, von SMS werden, dass jeder die Verpflich- kert haben, dass Stalking Unrecht ist, dann wächst all- tung wahrnimmt, Menschen zu schützen und zu einem mählich auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle . Stalking gedeihlichen und guten Miteinander beizutragen . ist auch immer ein Kontrollverlust des Täters . Wer merkt, dass er dabei ist, zum Stalker zu werden, der kann im In diesem Sinne freue ich mich auf gute Beratungen . selben Moment damit aufhören . Tut er es dennoch nicht, Ich hoffe, dass wir aus einem guten Gesetzentwurf ein dann entscheidet er sich bewusst dafür, ein Verbrechen zu begehen . Gesetz machen, welches die Opfer schützt und damit stärker dazu beiträgt, dass viele Menschen weniger stark Um aber das Unrecht zu bestrafen, das der Frau ange- mit Angst konfrontiert sein müssen . tan wurde, von der ich eben erzählt habe, ist der Stalking- paragraf in seiner jetzigen Form nicht geeignet; denn sie Vielen Dank . hat sich letztlich durchgesetzt . Mit einer großen Kraftan- strengung hat sie die Nerven behalten und ihr Leben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- weitergelebt . Unser Recht bestraft aber bisher, wie wir ordneten der SPD) gehört haben, nicht die Tat, sondern deren Auswirkun- 19462 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Fritz Felgentreu (A) gen . Nur wenn das Opfer sein Leben nicht so weiterle- Meine Damen und Herren, wenn von der Liebe nichts (C) ben kann wie bisher, dann muss der Täter mit Strafe und mehr bleibt als Angst, dann müssen wir den Opfern zur sogar mit Gefängnisstrafe rechnen . Im Umkehrschluss Seite stehen . bedeutet das: Wenn ein Fall wie dieser angezeigt wird, (Beifall des Abg . Dr . Jan-Marco Luczak dann wird das Ermittlungsverfahren wahrscheinlich ein- [CDU/CSU]) gestellt mit dem völlig inakzeptablen Ergebnis, dass der Täter oder hier die Täterin sich auch noch bestätigt füh- Das bedeutet aber auch, dass wir die Opfer von Nach- len kann . Denn nach geltendem Recht hat sie scheinbar stellungen ausreichend schützen müssen, also mit den nichts Verbotenes getan . Mitteln des Strafrechts . Seit neun Jahren ist Stalking ein Straftatbestand . Dennoch kommt es auffallend selten zu Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb die vorgeschlagene einer Verurteilung . Was sind die Gründe dafür? Neufassung. Auch die Geeignetheit zur Bestrafung fin- den wir richtig . Diese juristische Formulierung bedeutet Das Nachstellen ist nach geltender Rechtslage ein Er- aus unserer Sicht: Die Tat soll bestraft werden und nicht folgsdelikt . Dies bedeutet, dass Stalking erst dann straf- ihre Wirkung . bar ist, wenn das Opfer dem Druck des Täters nachgibt und beispielsweise aus Furcht vor diesem den Wohnort (Beifall bei der SPD) oder den Arbeitgeber wechselt; erst dann kann es zu einer Wir schärfen damit auch das Bewusstsein dafür, dass Verurteilung kommen . Dabei muss dem Täter nicht nur Stalking Unrecht ist . Dieses Bewusstsein ist der best- eine Belästigung über einen längeren Zeitraum nachge- mögliche Schutz für die meistens weiblichen potenziel- wiesen werden . Vielmehr muss auch bewiesen werden, len Opfer eines Delikts mit hoher Dunkelziffer . dass die Nachstellung zu schwerwiegenden Beeinträchti- gungen der Lebensumstände geführt hat . Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft . Die geplan- In einem jüngst bekannt gewordenen Fall hatte eine ten Gesetzesänderungen werden dafür sorgen, dass das Münchnerin den Täter mehrfach angezeigt und war aus Strafrecht in Zukunft in einem Punkt wirkungsvoller zum Furcht mehrmals umgezogen . Dennoch wurde sie zwei Schutz gegen Gewalt beitragen kann. Das finden wir gut, Tage vor Prozessbeginn von besagtem Täter mit einem das finden wir richtig. Wir freuen uns auf die Debatte, die 25 Zentimeter langen Messer erstochen . Meine Damen vor uns liegt . und Herren, dieser Fall ist nicht nur einer von vielen, in denen jede Hilfe für die Opfer zu spät kommt . Der Fall Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . weist gravierende Lücken des geltenden Straftatbestan- des des § 238 des Strafgesetzbuches beim Opferschutz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf . Das Opfer hat alles getan, um den Nachstellungen (B) der CDU/CSU) des Täters zu entkommen . Mehr konnte es nicht tun . (D) Dennoch wurde es vom Täter erstochen . Der Opfer- Vizepräsidentin : schutz war somit zu Recht ein großes Thema der Union Vielen Dank, Herr Kollege .– Ich wünsche Ihnen einen und des Koalitionsvertrages, dessen Auftrag wir mit dem schönen Tag und begrüße Sie von meiner Seite . Erlauben vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen . Sie mir bitte, die Elisabethschule aus Aichach recht herz- Beim Stalking stehen vielen Strafanzeigen auffällig lich zu begrüßen . wenige Verurteilungen gegenüber . Das, liebe Kollegin- Das ist bei uns ums Eck; manche werden es wissen . nen und Kollegen, ist alles andere als ein Aushängeschild für unseren Rechtsstaat . Daher war und ist es ein großes (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Ja!) Anliegen der Union, die strafrechtlichen Hürden für eine Verurteilung zu senken . – Kollege Ullrich weiß das . (Beifall bei der CDU/CSU) Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte ist Frau Iris Ripsam für die CDU/CSU-Fraktion . Die vorgesehene Änderung der Rechtslage ist im In- teresse der Opfer notwendig . Künftig soll nicht mehr das (Beifall bei der CDU/CSU) Opfer seine Lebensumstände ändern müssen, sondern der Täter . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Be- Iris Ripsam (CDU/CSU): strafung muss möglich sein, ohne dass das Opfer sich selbst helfen muss, beispielsweise durch einen Umzug . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Die gegenwärtige Regelung benachteiligt vor allen Din- und Kollegen! Liebe kennt keine Grenzen – das klingt gen Opfer, die sich etwa einen Umzug aus finanziellen romantisch . Wenn aber aus Liebe grenzenlose Belästi- Gründen nicht leisten können. Häufig betrifft dies allein- gung wird, dann, meine Damen und Herren, hat das mit erziehende Mütter . Für die Strafbarkeit muss es daher Liebe nichts mehr zu tun . Bei dem strafrechtlich relevan- ausreichen, dass aus einem verfolgenden und belästi- ten Nachstellen, dem sogenannten Stalking, sind Täter genden Nachstellen eine Gefahr für das Opfer resultiert; und Opfer sehr häufig, aber nicht ausschließlich ehemali- denn nur dann besteht noch die Möglichkeit, Schlimme- ge Beziehungspartner . Nach einer Studie des Zentralins- res zu verhindern . tituts für Seelische Gesundheit in Mannheim werden fast 12 Prozent aller Menschen in Deutschland im Laufe ih- Meine Damen und Herren, ich begrüße auch aus- res Lebens mindestens einmal gestalkt . Wir sprechen hier drücklich die weitere in diesem Gesetzentwurf vorgese- also nicht von einer verschwindend geringen Minderheit . hene Änderung, mit der der Straftatbestand der Nachstel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19463

Iris Ripsam (A) lung aus dem Katalog der Privatklagen gestrichen wird . Gemeinschaft zum Internationalen Über- (C) Wir reduzieren damit die Belastung der Opfer, die bis- einkommen vom 13. Dezember 1960 über her selbst ein Verfahren anstrengen mussten, wenn die Zusammenarbeit zur Sicherung der Luft- Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt und auf den fahrt „EUROCONTROL“ entsprechend Privatklageweg verwiesen hat . Dies war im Einzelfall den verschiedenen vorgenommenen Än- mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden – derungen in der Neufassung des Proto- ein aus Sicht der Opfer unhaltbarer Zustand . kolls vom 27. Juni 1997 Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Drucksache 18/9878 Gesetzentwurf ist ein großer Schritt in Richtung Opfer- Überweisungsvorschlag: schutz . Und ich füge hinzu: Im Interesse der Opfer müs- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) sen wir schnell handeln .– Deshalb bitte ich Sie um Zu- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen stimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf . Union Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Umsetzung der Richtlinie 2014/55/EU ordneten der SPD) über die elektronische Rechnungsstellung im öffentlichen Auftragswesen Vizepräsidentin Claudia Roth: Drucksache 18/9945 Vielen Dank, Frau Kollegin Ripsam . Ich gratuliere Überweisungsvorschlag: Ihnen auch – da können die Kolleginnen und Kollegen Innenausschuss (f) gleich noch einmal losklatschen – herzlich zu Ihrer ersten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Rede, und das tue ich im Namen des ganzen Hauses . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss Digitale Agenda (Beifall) e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ich wünsche Ihnen noch viele streitbare und gute Reden rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- in diesem Haus . Und grüßen Sie den Kollegen Strobl! zes zur Änderung von Vorschriften zur Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung wurfs auf Drucksache 18/9946 an die in der Tagesord- von Mineralöldaten und zur Umstellung nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt auf hochkalorisches Erdgas keine anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so Drucksache 18/9950 (B) (D) beschlossen . Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: f) Erste Beratung des von der Bundesregie- 33 a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Gesetzes zur Änderung des Telekommu- zes zur Einbeziehung der Bundespolizei nikationsgesetzes in den Anwendungsbereich des Bundes- gebührengesetzes Drucksache 18/9951 Drucksache 18/9759 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Innenausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung b) Erste Beratung des von der Bundesregie- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Änderung des Zollverwaltungsgesetzes zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 zur Neufassung des internationalen Überein- Drucksache 18/9987 kommens vom 13. Dezember 1960 über Überweisungsvorschlag: Zusammenarbeit zur Sicherung der Luft- Finanzausschuss (f) fahrt „EUROCONTROL“ Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/9877 h) Erste Beratung des von der Bundesregie- Überweisungsvorschlag: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) zes zu dem Protokoll vom 7. April 2016 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen zwischen der Regierung der Bundesrepu- Union blik Deutschland und der Regierung der c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Französischen Republik über den grenz­ rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- überschreitenden Einsatz von Luftfahr- setzes zu dem Protokoll vom 8. Oktober zeugen zur Ergänzung des Abkommens 2002 über den Beitritt der Europäischen vom 9. Oktober 1997 über die Zusam- 19464 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) menarbeit der Polizei- und Zollbehörden Hilfen für Kinder psychisch kranker El- (C) in den Grenzgebieten tern Drucksache 18/9988 Drucksache 18/9856 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Beratung des Antrags der Abgeordneten i) Erste Beratung des von der Bundesregie- Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Krischer, weiterer Abgeordneter und der zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nordatlantikvertrag über den Beitritt Fahrverbot für laute Güterwagen Montenegros Drucksache 18/10033 Drucksache 18/9989 Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) ten Verfahren ohne Debatte. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen sungen: Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie Zu- Union satzpunkt 2 a . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- j) Erste Beratung des von der Bundesregie- schüsse zu überweisen .– Niemand zeigt mir körper- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- sprachlich etwas anderes an . Dann ist die Überweisung zes zu den Vorschlägen der Europäischen so beschlossen . Kommission vom 7. März 2016 für Be- schlüsse des Rates zur Festlegung von Zusatzpunkt 2 b, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Standpunkten der Union in den Stabili- Grünen auf Drucksache 18/10033 . Die Fraktion Bünd- täts- und Assoziierungsräten EU – Repu- nis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache . blik Albanien sowie EU – Republik Ser- Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Über- bien im Hinblick auf die Beteiligung der weisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Republik Albanien sowie der Republik Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und zur Serbien als Beobachter an den Arbeiten Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, (B) der Agentur der Europäischen Union für Bau und Reaktorsicherheit . (D) Grundrechte und die entsprechenden Wir stimmen jetzt nach ständiger Übung zuerst über Modalitäten im Rahmen der Verordnung den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des- (EG) Nr. 168/2007 des Rates halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer Drucksache 18/9990 stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Enthaltungen . Damit ist die Überweisung so beschlossen . Zugestimmt Überweisungsvorschlag: haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Linke und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Bündnis 90/Die Grünen . Auswärtiger Ausschuss Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Druck- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sache 18/10033 nicht in der Sache ab . k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 f sowie Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W . Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Beschlussfas- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge- Fraktion DIE LINKE sehen ist . Das heißt, ich werde Ihnen jetzt länger etwas Das Teilhaberecht menschenrechtskon- vorlesen . form gestalten Tagesordnungspunkt 34 a: Drucksache 18/10014 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Überweisungsvorschlag: regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) zes zu dem Übereinkommen des Europarats Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Er- ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- mittlung, Beschlagnahme und Einziehung von fahren Erträgen aus Straftaten und über die Finan- zierung des Terrorismus (Ergänzung zu TOP 33) Drucksache 18/9235 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Beate Walter-Rosenheimer, Maria Klein- ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - Schmeink, Dr .Franziska Brantner, weiterer schuss) Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/9800 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19465

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der Bundesregierung auf Drucksache 18/9533 anzuneh- (C) empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- che 18/9800, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- Drucksache 18/9235 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben zeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – CDU/CSU, SPD und Linke, dagegen war niemand, und Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . nommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, dagegengestimmt hat die Linke . Dritte Beratung Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- Gesetzentwurf ist mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD ben .– Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es niemanden und Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mehr, der sich enthalten könnte . Damit ist der Gesetzent- angenommen . wurf angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, die SPD und die Grünen, und dagegen war die Linke . Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 34 d bis 34 f und damit zu den Beschlussempfehlungen des Tagesordnungspunkt 34 b: Petitionsausschusses . Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Tagesordnungspunkt 34 d: von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Strafrechtsüber- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- einkommen des Europarats vom 27. Januar onsausschusses (2 .Ausschuss) 1999 über Korruption und dem Zusatzproto- koll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsüber- Sammelübersicht 364 zu Petitionen einkommen des Europarats über Korruption Drucksache 18/9828 Drucksache 18/9234 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- hält sich? – Die Sammelübersicht 364 ist einstimmig an- ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - genommen . schuss) Tagesordnungspunkt 34 e: Drucksache 18/9850 (B) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (D) Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz onsausschusses (2 Ausschuss) empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/9850, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Sammelübersicht 365 zu Petitionen auf Drucksache 18/9234 anzunehmen . Drucksache 18/9829 Zweite Beratung Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem tungen? – Niemand . Die Sammelübersicht 365 ist ange- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– nommen . Zustimmt haben CDU/CSU, SPD und Linke, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der dagegengestimmt haben die Grünen . Gesetzentwurf einstimmig angenommen . Das passiert Tagesordnungspunkt 34 f: auch nicht so oft . Vielen herzlichen Dank . Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Tagesordnungspunkt 34 c: onsausschusses (2 .Ausschuss) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sammelübersicht 366 zu Petitionen Bundesbesoldungs- und -versorgungsan- Drucksache 18/9830 passungsgesetzes 2016/2017 (BBVAnpG 2016/2017) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht 366 ist angenommen . Drucksache 18/9533 Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegenge- Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- stimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . ausschusses (4 .Ausschuss) Damit gibt es keine Enthaltungen . Drucksache 18/9865 Zusatzpunkt 3: – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Drucksache 18/9866 neten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion empfehlung auf Drucksache 18/9865, den Gesetzentwurf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19466 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugän- Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet in einer (C) ge einführen Pressemitteilung: Drucksachen 18/8573, 18/10062 . . die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts vom 13 10. 2016. konnten . . im Rat Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- einvernehmlich durchgesetzt werden . lung auf Drucksache 18/10062, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8573 abzu- Ist das wirklich so? Ich habe den Eindruck, dass die lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Trickserei bei diesem Abkommen mit Geheimhaltung – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- das galt ja sogar für das Mandat –, fehlender parlamen- empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ tarischer Mitsprache, vom Minister ausgemalte Katastro­ CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die phenszenarien, wenn CETA nicht zustande käme, jetzt Grünen und die Linke . beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsge- richts seine Fortsetzung findet. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Schauen wir uns im Detail an, was geregelt wurde . Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE (Dr .Matthias Heider [CDU/CSU]: Das ist eine Richterschelte!) Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Ge- – Im Gegenteil .– Das Bundesverfassungsgericht hat ers- setzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung tens entschieden: Die Bundesregierung muss entschei- Baukultur“ dende Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausneh- men – ich zitiere wörtlich aus dem Beschluss –: Drucksache 18/10021 … insbesondere Regelungen zum Investitions- Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktio- schutz, einschließlich des Gerichtssystems ., . zu nen von CDU/CSU, SPD und die Linke auf Drucksa- Portfolioinvestitionen . ,. zum internationalen See- che 18/10021? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- verkehr . ,. zur gegenseitigen Anerkennung von Be- gen? – Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen . rufsqualifikationen ... sowie zum Arbeitsschutz ... So, jetzt sind Sie wieder dran . nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst wer- den . Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist Aktuelle Stunde nichts Neues!) auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE (B) Ausgenommen werden sollen auch alle Bereiche, wel- (D) Umsetzung der Auflagen des Bundesverfas- che nach Auffassung der Bundesregierung – ich zitiere sungsgerichts zu CETA durch die Bundesre- wieder – „in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ver- gierung blieben sind“ . Dies sind, wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung in dem Gutachterverfahren von 2015 Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Klaus zur Kompetenzverteilung im Freihandelsabkommen mit Ernst für die Linke . Singapur hervorgeht, zusätzlich zu den oben genann- (Beifall bei der LINKEN) ten Bereichen die Bereiche „nachhaltige Entwicklung“, „Arbeit und Umwelt“, „Streitbeilegung“, „Herstellungs- Klaus Ernst (DIE LINKE): praxis für pharmazeutische Produkte“ und „Geistiges Ei- gentum“ gemäß Kapitel 20 CETA-Vertrag . So weit die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgaben des Verfassungsgerichts . Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um über die Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts Wie sieht die Umsetzung aus? Im Ratsdokument, das hinsichtlich der vorläufigen Anwendung von CETA zu uns seit gestern Abend mit den im Handelsministerrat beraten . Ich sage es Ihnen gleich an dieser Stelle: Es ist abgegebenen Protokollerklärungen zu CETA vorliegt, aus meiner Sicht wirklich unverantwortlich, wie Sie ei- wird zu einigen dieser Bereiche erklärt, dass mit deren nen Vertrag ohne Wenn und Aber vorläufig anwenden vorläufiger Anwendung keine Kompetenzübertragung wollten, auf die EU stattfindet. Das hat das Bundesverfassungs- gericht gar nicht gesagt . Das Bundesverfassungsgericht (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ hat gefordert: Diese Bereiche sollen ausgenommen wer- CSU) den .– Aber ausgenommen werden diese Bereiche gerade für dessen Anwendung Sie jetzt vom Bundesverfas- nicht . Das, was Sie machen, ist etwas ganz anderes als sungsgericht hohe Auflagen erteilt bekommen haben. Da die Ausnahme der vorläufigen Anwendung. haben wir Sie geschützt . Dafür können Sie uns dankbar (Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!) sein . Sie haben das Bundesverfassungsgericht in dieser Fra- (Lachen bei Abgeordneten der SPD – ge nicht ernst genommen, meine Damen und Herren . In Dirk Wiese [SPD]: Ach, Quatsch! – Max keiner Weise! Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, das glaubst du doch selber nicht! – Dr .Matthias Heider Zum Bereich Streitbeilegung nach Kapitel 29 [CDU/CSU]: Da habt ihr doch verloren!) ­CETA-Vertrag und Herstellungspraxis für pharmazeu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19467

Klaus Ernst (A) tische Produkte nach Annex 7 CETA-Vertrag haben Sie Er lässt sich nicht einschüchtern und kämpft für einen de- (C) überhaupt nichts gesagt . Das beinhaltet aber der Be- mokratischen Prozess, für ein gutes Abkommen statt für schluss des Bundesverfassungsgerichts . Dazu haben Sie ein Abkommen, das nur weniger schlecht ist als andere . gar nichts erklärt . Respekt vor diesem Mann! (Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das steht so Ich danke fürs Zuhören . im Gesetz bei uns!) (Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen Auch die zweite Auflage wird nicht umgesetzt. Re- [SPD]: Ogottogott!) gelungen zum Gemischten CETA-Ausschuss, also eines Gremiums, das CETA verbindlich interpretieren und Vizepräsidentin Claudia Roth: manche Bereiche ändern könnte, dürfen nur dann vorläu- Vielen Dank, Klaus Ernst .– Nächster Redner: Andreas fig angewendet werden, wenn rechtsverbindlich eine hin- Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion . reichende demokratische Rückbindung vereinbart wird, so das Bundesverfassungsgericht . (Beifall bei der CDU/CSU)

(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Einstim- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): migkeit erforderlich!) Frau Präsidentin, schön, dass Sie da sind . Die Kommission erklärt nur, dass in diesem Zeitraum bis (Heiterkeit) zum Hauptverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht keine Erweiterung oder bindende Interpretationen zu CETA zu erwarten sind . Das ist etwas ganz anderes als Vizepräsidentin Claudia Roth: das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, Danke schön . meine Damen und Herren . (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN – Dr . Diether Dehm Andreas G. Lämmel [DIE LINKE]: So ist das! – Dr .Heribert Hirte Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende gut, alles gut? [CDU/CSU]: Weil das so im Gesetz steht!) Ja, vielleicht . Vielleicht klappt es doch, dass am 27 .Ok - tober auf dem EU‑Kanada-Gipfel das Freihandelsabkom- Der Rat und die Mitgliedstaaten sagen im Übrigen, men zwischen der Europäischen Union und Kanada un- dass Entscheidungen des Ausschusses, die mitgliedstaat- terschrieben wird und endlich ein Schlusspunkt gesetzt liche Kompetenzen betreffen, einstimmig angenommen wird, also dieses unwürdige Gerangel um dieses Freihan- werden sollen . Im Beschluss des Bundesverfassungsge- delsabkommen ein gutes Ende findet. (B) richts geht es aber um alle Beschlüsse, nicht nur um die- (D) jenigen, die als gemischt zu betrachten sind . Also auch Was neben den ganzen juristischen Finessen wirklich hier gibt es keine Umsetzung des Bundesverfassungsge- auf dem Spiel steht, hat der kanadische Premierminister richtsurteils . mit klaren Worten benannt . Er hat gesagt – ich zitiere –: Wenn sich zeigt, dass Europa unfähig ist, einen fort- Auch die Umsetzung der dritten Auflage, nach der schrittlichen Handelspakt mit einem Land wie Ka- eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung nada abzuschließen, mit wem glaubt Europa dann durch Deutschland möglich sein muss, ist uneindeutig . eigentlich noch in den kommenden Jahren Geschäf- Hier wird auf EU-Verfahren abgestellt . Wie diese aus- te machen zu können? sehen, wird nicht aufgeführt . Die Bundesregierung legt den entsprechenden Artikel in CETA – anders als vom (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- höchsten Gericht gefordert – einfach so aus, dass man ordneten der SPD) einseitig aussteigen kann . Ob die anderen Länder und die Meine Damen und Herren, diesem Satz ist nichts hinzu- EU-Kommission das genauso sehen, ist vollkommen of- zufügen . fen . Es heißt nur, man erkläre, dass man als Vertragspar- tei seine Rechte nach diesem Artikel wahrnehmen könne . Um es noch klarer zu machen: Nicht die Mehrheit Wenn der Artikel aber anders ausgelegt wird, haben Sie der Mitgliedstaaten in Europa, sondern Deutschland, das auch hier die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht er- Land mit der größten Volkswirtschaft in Europa, Export- füllt . weltmeister seit vielen Jahren und die wirtschaftliche Lo- komotive in Europa, kämpft gegen den Freihandel . Wir sehen: Wieder einmal haben die vollmundigen Er- klärungen des Bundeswirtschaftsministers wenig mit der (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Realität zu tun . Sollte es bei dieser Erklärung bleiben, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Europäische behalten wir uns neuerliche rechtliche Schritte vor, mei- Union! Das ist nur ein Teil von Europa!) ne Damen und Herren, um das in aller Klarheit zu sagen . Da muss man sich doch die Frage stellen, ob wir hier in (Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen einer verkehrten Welt leben . [SPD]: Ihr seid doch gescheitert!) Meine Damen und Herren, die Gefahr, die von einem Wären Sie doch ähnlich standhaft wie Paul Magnette, Scheitern von CETA für die Reputation unseres Landes der Ministerpräsident der Wallonischen Region . und natürlich für Europa ausgeht, hat das Bundesverfas- sungsgericht in seinen Folgeabwägungen ganz klar er- (Zurufe von der CDU/CSU) kannt . Denn der Senat schreibt darin unter anderem: 19468 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Andreas G. Lämmel (A) Ein – auch nur vorläufiges – Scheitern von CETA Haus gelesen, in dem sie sich mit diesen Abkommen be- (C) dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhan- fassen . Und die Europäische Union verhandelt mit Japan, delsbeziehungen … hinaus weit reichende Auswir- mit Tunesien, mit den Mercosur-Staaten und mit Mexiko kungen auf die Verhandlungen und den Abschluss weitere Abkommen . Wir brauchen diese Freihandelsab- künftiger Außenhandelsabkommen haben . kommen, weil der Doha-Prozess innerhalb der Welthan- delsorganisation nicht mehr vorangekommen ist . Also auch hier gilt: Das Bundesverfassungsgericht hat genau den Kern der Sache erkannt . Ich sage es noch einmal: Deutschland als Exportwelt- Herr Ernst, Sie haben ja bis heute nicht verstanden, meister ist auf freien Handel angewiesen . Wir als CDU/ um was es eigentlich geht . Das, was Sie heute hier wieder CSU-Fraktion stehen hinter CETA und hoffen, dass am vorgetragen haben, kann ich gar nicht nachvollziehen; 27 . Oktober die Unterschrift unter das Abkommen ge- denn all das ist Bestandteil des CETA-Abkommens und setzt wird . ist Bestandteil der europäischen Gesetzgebung . Nach Ih- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . rer Niederlage versuchen Sie jetzt natürlich, nach jedem Strohhalm zu greifen, den Sie der Öffentlichkeit über- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haupt noch hinhalten können . ordneten der SPD) (Dr .Diether Dehm [DIE LINKE]: Von wel- cher Niederlage reden Sie eigentlich? Bei dem Vizepräsidentin Claudia Roth: Bundesverfassungsgericht ist das natürlich ein Vielen Dank, verehrter Andreas Lämmel .– Nächste Riesenerfolg!) Rednerin: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen . – Herr Dehm, beruhigen Sie sich! Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Aufla- gen erfüllen Sie mal!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen von Union und SPD! Wieder einmal – Natürlich . wurde Ihnen bescheinigt, dass Sie in Sachen CETA nicht (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Selbstver- einhalten können, was Sie versprechen . ständlich ist es ein Erfolg!) (Matthias Ilgen [SPD]: Unsinn! – Bernd – Vielleicht in Ihren Augen . Wenn das ein Erfolg ist, Herr Westphal [SPD]: Sie haben das Urteil nicht Dehm, dann sind Ihre Erfolgsmaßstäbe, die Sie sich sel- gelesen!) (B) ber noch setzen, wirklich sehr niedrig . Diesmal haben Ihnen die Richter in Karlsruhe eine Reihe (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zusätzlicher Maßnahmen und Nachbesserungen mit auf ordneten der SPD) den Weg gegeben, die Sie in hektischer Weise bis zur Ratssitzung am vergangenen Dienstag zu erfüllen ver- Seit 2009 wird über CETA verhandelt, und die letzten sucht haben . sieben Jahre der Verhandlungen haben sich für beide Sei- ten ausgezahlt . CETA ist das modernste Freihandelsab- (Bernd Westphal [SPD]: Das ist eine Leis- kommen, das zurzeit überhaupt existiert . CETA setzt die tung! – Zuruf von der CDU/CSU: Welche Maßstäbe für die Gestaltung des Handels in der Zukunft . denn?) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Thema verfehlt! Ich kann sie noch einmal nennen: Zusätzliche Aus- Setzen!) nahmen von der vorläufigen Anwendung von CETA Genau an dieser Stelle, meine Damen und Herren, wer- mussten Sie bis gestern nachverhandeln genauso wie den ja auch die Unterschiede in diesem Hohen Haus sehr die Herstellung einer Einstimmigkeit im Rat, bevor die deutlich . Während die Linken und auch die Grünen wei- ­CETA-Ausschüsse Entscheidungen treffen können, weil terhin versuchen, das Handelsabkommen zu torpedieren deren demokratische Rückbindung alles andere als klar und zu blockieren sowie mit halbwahren Elementen den ist . Weiterhin wurde nachverhandelt, dass die Bundesre- Menschen in der Öffentlichkeit Angst zu machen, haben publik die vorläufige Anwendung einseitig beenden kann. die Koalitionsfraktionen immer zu den Verhandlungen All das hat Ihnen Karlsruhe mit auf den Weg gegeben, über CETA gestanden und sie zu einem guten Abschluss weil nicht alles so eindeutig, so klar und so verfassungs- gebracht . Gerade die Verhandlungen in den letzten Wo- mäßig war, wie Sie es dargestellt haben . Das Einziehen chen haben doch gezeigt, dass beide Seiten, Kanada und all dieser Sicherheitslinien hat Ihnen Karlsruhe mit auf die Europäische Union, auf einem guten Weg sind . den Weg gegeben; und diese mussten Sie sehr hektisch nachverhandeln . Dass Freihandel nicht wirklich die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hat, wie Linke und Grüne immer wie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der darzustellen versuchen, zeigt Folgendes: Wir haben Matthias Ilgen [SPD]: Aber wir haben es ge- ein Abkommen mit Südkorea geschlossen . Wir haben schafft!) ein Abkommen mit Singapur geschlossen . Wir haben ein Man hätte meinen können: Nach dieser Klatsche in Abkommen mit Vietnam ausgehandelt, das sich gerade Karlsruhe in der Rechtsprüfung befindet. Ich habe von beiden Op- positionsfraktionen nie einen Antrag in diesem Hohen (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19469

Katharina Dröge (A) hätten Sie wenigstens etwas im Umgang mit Gesetzen Grundgesetzes haben Sie eine Nachbesserung verspro- (C) gelernt . chen .

(Matthias Ilgen [SPD]: Sie leben auf einem Das Blöde all dieser Versprechen ist, dass sie über- anderen Stern!) prüft werden können . Aber Ihre Erklärungen – auch die- Aber das Ganze setzt sich im Wirtschaftsausschuss fort . jenige, die Sie gestern Abend dem Bundestag zugeleitet haben – halten einer Überprüfung nicht stand . (Zurufe von der CDU/CSU: Antrag abgewie- sen! Alle Anträge abgewiesen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Beispielsweise gibt es ein Beteiligungsrecht des Deut- schen Bundestages, demzufolge er Dokumente zugeleitet Nichts von dem, was Sie versprochen haben, haben Sie bekommen muss, die Sie im Europäischen Rat einbrin- durchsetzen können . Mithilfe einer sechsseitigen Tabelle gen . Dies gilt auch für Entwürfe, die Sie vorhaben ein- in kleiner Schrift habe ich die Beschlüsse des SPD-Kon- zubringen, sowie vor allen Dingen für die Dokumente, vents, das Freeland-Papier und Ihre Artikel-23-Stel- die Sie von der Europäischen Union bekommen . Nichts lungnahme mit dem verglichen, was Sie erreicht haben . davon ist passiert . Alle Dokumente über die Vereinba- Ich habe festgestellt: Nichts! Das ist eine beschämende rungen, die am vergangenen Dienstag getroffen worden Bilanz dessen, was Sie in den letzten Wochen gemacht sind, hat der Wirtschaftsausschuss erst gestern bekom- haben . men – gestern Abend . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es! Aus der Wissenschaft hagelt es zu Recht Kritik . Hun- Schlag ins Gesicht des Parlaments!) dert Juraprofessoren haben Ihnen einen Brief geschrieben und gesagt, dass die im Rahmen von CETA vereinbarten Wir haben Staatssekretär Machnig im Wirtschafts- Schiedsgerichte weiterhin eine große Gefahr darstellen . ausschuss gefragt, wieso er die Beteiligungsrechte des Selbst Gutachter, die die Bundesregierung beauftragt hat, Deutschen Bundestags ignoriere . Darauf hörten wir nur: teilen Ihnen mit, wie schlecht die Verbesserungen sind, Wissen Sie, Frau Dröge, in der Praxis sieht das alles an- die Sie in nachträglichen Protokollerklärungen erreichen ders aus . Das war so hektisch nach dem Gerichtsurteil . wollen . Ich zitiere: Wir mussten das jetzt irgendwie machen . Das müssen Sie verstehen . Das können wir irgendwie auch nicht anders Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Gemein- machen . same Auslegungserklärung die bisherige Kritik am CETA-Kapitel zum Investitionsschutz nicht relati- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viert, da für keinen der umstrittenen und kritischen (B) (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wi- Punkte rechtssichere Verbesserungen oder Lösun- derspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen angeboten werden . – Das war wortwörtlich so . Ihre Kollegen waren auch da- bei und können das bestätigen . Das ist das vernichtende Urteil, das ein Gutachter, den Sie selbst beauftragt haben, über die Protokollerklärun- Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Arroganz der gen, die Sie von SPD und Union in Teilen so hochhalten, Macht, fällt .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nun müssen Sie den Menschen erklären, was Sie von und bei der LINKEN – Widerspruch bei der dem, was Sie versprochen haben, tatsächlich halten . Es CDU/CSU und der SPD) ist gerade ein, zwei Wochen her, dass wir im Bundes- die Sie gestern im Wirtschaftsausschuss gezeigt haben, tag über Nachbesserungen und Protokollerklärungen ist Teil Ihres Problems beim Umgang mit CETA . Sie gesprochen haben . Sie haben als Bundesregierung noch zeigt sich darin, dass Sie berechtigte Kritik nicht ernst eine kleine Bedenkzeit . Durch das Nein der wallonischen nehmen, dass Sie Beteiligungsrechte und Verfahren nicht Regionalregierung haben Sie noch einmal Zeit, nachzu- ernst nehmen, dass Sie die Kontrollmöglichkeiten des denken, ob Sie nicht wenigstens das, was Sie selbst im Deutschen Bundestags nicht ernst nehmen Bundestag sagen, ernst nehmen und die Nachbesserun- gen, die Sie hier im Bundestag versprochen haben, noch (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!) durchsetzen sollten . und dass Sie das Urteil der Öffentlichkeit nicht ernst neh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men . Denn was wir in den letzten drei Jahren mit CETA und bei der LINKEN) erlebt haben, war eine beispiellose Illusionsshow . Drei Jahre lang erzählen Sie uns, dass Sie genau hinschau- Herr Gabriel, da Sie mittlerweile auch anwesend sind: en, dass Sie zusehen würden, dass im Vertrag noch et- Sie haben noch eine große Chance, den Menschen in die- was nachgebessert werde, dass ein SPD-Konvent im sem Land zu erklären, was Sie noch herausholen werden Jahr 2014 rote Linien eingezogen habe . Dann gab es oder warum Sie das nicht halten, was Sie gesagt haben . im Jahr 2015 noch das Versprechen: Wir werfen die Schiedsgerichte aus CETA heraus . Im Jahr 2016 gab es Ich danke Ihnen . einen weiteren Beschluss des SPD-Konvents, der besagt, dass das Abkommen noch einmal nachverhandelt werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll . Sogar in Ihrer Stellungnahme gemäß Artikel 23 des und bei der LINKEN) 19470 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Bundesverfassungsgericht hat sich letzte Woche (C) Vielen Dank, Katharina Dröge .– Nächster Redner: sehr ausführlich sowohl mit den verschiedenen Aspekten Bernd Westphal für die SPD-Fraktion . der demokratischen Rückbindung der CETA-Ausschüsse als auch mit der vorläufigen Anwendung, aber auch mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Aufkündigung des Abkommens beschäftigt . Klar ist der CDU/CSU) auch, dass alle Anträge – das muss man einmal, glaube ich, wahrnehmen; auch Kollege Ernst war dabei – vom Bernd Westphal (SPD): Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden sind . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh, ordneten der SPD) dass wir heute im Bundestag noch einmal Gelegenheit haben, über CETA, das Freihandelsabkommen zwischen Das ist etwas, was man doch nicht einfach so wegwi- der EU und Kanada, zu diskutieren . Über Freihandelsab- schen kann . Sie haben vor dem Bundesverfassungsge- kommen ist in den letzten drei Jahren im Hohen Haus, richt eben kein Recht bekommen . in den Ausschüssen und den Fraktionen intensiv disku- (Zuruf des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LIN- tiert worden . Ich sehe das keineswegs als Problem, son- KE]) dern als Zeichen einer lebendigen, diskussionsfreudigen Demokratie . Wir kommen damit übrigens der Integrati- Ich will hier ausdrücklich unseren Bundeswirtschafts- onsverpflichtung gegenüber dem Parlament nach. Diese minister loben, der es nicht nur national, in der Bundes- müssen wir auch in dieser Frage erfüllen . regierung, sondern auch mit den anderen Mitgliedstaaten in Europa und mit der Europäischen Kommission hinbe- Es ist nun einmal Fakt, dass in der Öffentlichkeit über kommen hat, diese Auflagen für den Vertrag rechtskon- Freihandelsabkommen aufmerksamer und kritischer dis- form zu erfüllen und durchzusetzen . Das ist eine Leis- kutiert wird . Aber warum ist das so? Weil es nicht nur um tung in dieser kurzen Zeit, die beachtlich ist . Herzlichen den Abbau von Zöllen geht, sondern weil wir mit Frei- Dank dafür . handelsabkommen auch ein Instrument haben, mit dem wir im sozialen Bereich, beim Verbraucherschutz, beim (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Umweltschutz und auch beim Investitionsschutz andere Dr .Diether Dehm [DIE LINKE]: Es ist doch Standards etablieren können . Wir wollen dieses Instru- gar nichts passiert!) ment nutzen, um den globalen Handel zu gestalten . Die Verfahren mögen in den letzten Tagen und Wo- Die gesellschaftlichen Initiativen und Gruppen stel- chen manchmal mühsam gewesen sein, aber am Ende (B) len berechtigte Fragen . Sie sollten bei ihren Entschei- hat es sich doch gelohnt . Die Bürger Deutschlands und (D) dungsprozessen ernst genommen werden . Wenn ich die Europas haben durch diese zusätzlichen Erklärungen verschiedenen Parteien und Fraktionen miteinander ver- und Beschlüsse auf jeden Fall mehr Transparenz und die gleiche, um herauszufinden, wer sich mit den entspre- Möglichkeit, die Auswirkungen dieser Bedingungen zu chenden Inhalten und kritischen Fragen am intensivsten erfahren . auseinandergesetzt hat, dann stelle ich fest, dass das die Damit hat die Bundesregierung, die in Europa trei- SPD ist . Sie hat als Partei und Fraktion darüber inter- bende Kraft war, diese Dinge mit nach vorne gebracht . fraktionell, aber auch mit verschiedenen Akteuren sehr Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir mit diesen ausführlich gesprochen . Einen so intensiven Dialog hat Vorbereitungen den Weg frei gemacht haben, damit unser keine andere Partei geführt . Minister im Ministerrat diese Zustimmung hätte geben (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordne- können . Nun ist ein kleiner Bereich in Europa anderer ten der LINKEN – Katharina Dröge [BÜND- Meinung . Ich denke, dass wir morgen im Rat sicherlich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber nichts die Chance haben, dieses wichtige Abkommen noch zu erreicht!) entscheiden . Der Deutsche Bundestag hat im letzten Monat eine Was hätte es für handelsrechtliche und politische Stellungnahme zum CETA-Abkommen abgegeben . Da- Folgen, wenn Deutschland es nicht schaffen würde, ei- mit ist eine konstruktive Mitarbeit an diesem Abkommen nen Beitrag dazu zu leisten, dass die europäischen Mit- von der Koalition geleistet worden . Das kann sich sehen gliedstaaten dieses Abkommen ratifizieren? Das würde, lassen . was die Glaubwürdigkeit, die Handelspartnerschaft und was zukünftige Abkommen angeht, sicherlich einen po- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- litischen Schaden hinterlassen . Die Frage ist doch: Mit NEN]: Die ist wirkungslos geblieben!) welchen Ländern wollen wir denn noch Abkommen schließen, wenn wir es mit Kanada nicht hinbekommen? Seit Montag liegt der Beschluss des Bundesverfassungs- Deshalb ist es wichtig, dass dieses Abkommen nächste gerichts vor . Die Anrufung des höchsten deutschen Ge- Woche auf dem Europa-Kanada-Gipfel zur Unterzeich- richts vor einer Ratsbefassung zur vorläufigen Anwen- nung vorliegt . dung eines Handelsabkommens ist ungewöhnlich, aber legitim . Wenn Bürger Ängste und Sorgen haben, dann Bis zur Unterzeichnung in der nächsten Woche sollten ist es möglich, dass Bürgerinitiativen eine Verfassungs- nun noch abschließende Gespräche geführt und weitere beschwerde erheben . So hat es auch die Linkspartei ge- Begleittexte erarbeitet werden . Ich bin hoffnungsvoll, macht . dass es in der nächsten Woche gelingen wird, entspre- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19471

Bernd Westphal (A) chende Rahmenbedingungen für die Unterzeichnung zu Ein – auch nur vorläufiges – Scheitern von CETA (C) schaffen . Wir als Sozialdemokraten haben den politi- dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhan- schen Anspruch, den globalen Handel nicht nur frei, son- delsbeziehungen zwischen der Europäischen Union dern auch fair zu gestalten . und Kanada hinaus weitreichende Auswirkungen auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger Vielen Dank . Außenhandelsabkommen haben . Insofern erscheint (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten naheliegend, dass sich der Erlass einer einstweiligen der CDU/CSU) Anordnung negativ auf die europäische Außenhan- delspolitik und die internationale Stellung der Euro- päischen Union insgesamt auswirken würde . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Bernd Westphal .– Nächster in der De- Wollen Sie das? Wollen Sie, dass Deutschland und batte: Dr .Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion . Europa bei den internationalen Handelsbeziehungen ins Hintertreffen geraten? Wollen Sie, dass andere Staaten (Beifall bei der CDU/CSU) auf der Welt die Standards setzen? Wollen Sie mehr Pro- tektionismus? Ich will das nicht . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Die Linke Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe will das!) Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie könnten jetzt eigentlich ganz entspannt mit dem Thema umge- Protektionismus bietet keine Perspektive im interna- hen, da Ihre Anträge vollumfänglich vom Bundesverfas- tionalen Bereich . Auch für die Verbraucher und die Un- sungsgericht abgewiesen worden sind . Aber wir sprechen ternehmen bedeutet das Nachteile . Für die Arbeitnehmer wieder einmal über das Thema heute . Sicherlich ist es in Deutschland würde ein Verzicht auf Freihandel den angezeigt, dass man immer wieder auf die Sorgen der Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten; denn jeder vierte Menschen eingeht . Arbeitsplatz in Deutschland hängt, meine Damen und Herren, vom Export ab . Und viele Unternehmen gäbe es Aber ich sehe, dass der Umgang bei Ihnen mit dem erst gar nicht, wenn Deutschland und die EU nicht im Thema nicht so entspannt ist; denn an Ihrem Fraktionssit- Rahmen einer Vielzahl von Freihandelsabkommen tätig zungssaal prangt ein Schild: „Ceta und mordio!“ . Da ma- geworden wären . che ich mir doch schon ein bisschen Sorgen . „Zeter und Ich komme zurück zum Urteil des Gerichts . Es gibt Mordio“ ist ein Ausspruch gewesen, mit dem im Mittel- einige Vorgaben . Auch die sind schon zum großen Teil alter der Ankläger das Gerichtsverfahren wegen Mord, berücksichtigt . Laut Bundesverfassungsgericht darf die (B) Totschlag, Raub und anderer Dinge eingeläutet hat . Wie (D) Bundesregierung einem Ratsbeschluss zustimmen, wenn unpassend, dass Sie sich diesen Satz ausgesucht haben, diese Maßgaben angewendet werden . Das ist auch in um für Ihre Kampagne Werbung zu machen . Ordnung . (Zuruf von der CDU/CSU: Unanständig!) Sie haben sich über das Konstrukt der vorläufigen An- „Ceta und mordio!“ passt an dieser Stelle überhaupt wendbarkeit insgesamt aufgeregt . nicht . Das muss ich Ihnen sagen . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gericht hat sich aufgeregt!) Ich bin froh, dass die Bundesregierung nun dem Sie wissen aber wohl nicht, dass das Instrument der ­CETA-Abkommen nach dem Urteil des Bundesverfas- vorläufigen Anwendbarkeit sogar im Arbeitsvertrag der sungsgerichts zustimmen darf und diese Zustimmung Europäischen Union verankert ist und es gängiger euro- auch gestern im Kabinett beschlossen hat . päischer und internationaler Rechtsprechung entspricht . Auch beim Wiener Vertragsrechtsübereinkommen – da Wissen Sie eigentlich, warum das Bundesverfas- sind wir seit 1987 Mitglied, Herr Dehm – gibt es eine sungsgericht so entschieden hat? Das Gericht musste Regelung zur vorläufigen Anwendung von internationa- eine Abwägung treffen, ob es für Deutschland Nachtei- len Verträgen . Dagegen haben Sie an dieser Stelle noch le hat, wenn die Bundesregierung nicht zustimmt . Das nie gesprochen . Das wundert uns schon ein bisschen . Die Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es für vorläufige Anwendbarkeit gibt es auch im GATT-Ab- Deutschland schlechter wäre, wenn die Bundesregierung kommen . Das ist 47 Jahre lang provisorisch so gehand- dem Abkommen nicht zustimmt . Für mich hat das wenig habt worden . Darüber hat sich auch noch nie jemand be- Überraschendes . Seit drei Jahren teilen wir Ihnen näm- schwert . Sie tun das jetzt . lich diese jetzt vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Meinung mit: Für Deutschland ist es besser, wenn wir Meine Damen und Herren, es würde ein etwas da mitmachen . Es ist besser, sich für Freihandel statt für schlechtes Licht auf die Rechtsprechung werfen, wenn Protektionismus einzusetzen . sie so wäre, wie Sie es dargestellt haben . Aber sie besteht so nicht . Das würden Sie feststellen, wenn Sie es genau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- beleuchten würden . ordneten der SPD) Ich meine, wir sollten an der Stelle jetzt einen Gang Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsge- zurückschalten . Wir haben einen Richterspruch des Bun- richts: desverfassungsgerichts . Es ist überhaupt keine Rich- 19472 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Matthias Heider (A) terschelte geboten . Und ein Hineindeklinieren von po- jetzt einmal aus § 1 EUZBBG – die Bundesregierung den (C) litischen Meinungen, die Sie gerne hätten, ist an dieser Bundestag „umfassend und zum frühestmöglichen Zeit- Stelle nicht mehr erforderlich . Ich sehe gute Chancen punkt zu unterrichten“ hat . Die Rechte des Bundestags dafür, meine Damen und Herren, dass das Bundesver- sind hier vom Bundesverfassungsgericht klar definiert fassungsgericht in der Hauptsache genauso entscheiden worden . „Umfassend und zum frühestmöglichen Zeit- wird wie bei der vorläufigen Entscheidung. punkt!“ Herzlichen Dank . Bundesregierung und Presse haben weithin versäumt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auf die strikten Auflagen, die Sie auch wieder beiseite- ordneten der SPD) wischen, Herr Westphal, des Verfassungsgerichts vom 13 .Oktober aufmerksam zu machen – Klaus Ernst hat das alles schon erwähnt –: dass sich erstens Regelungen Vizepräsidentin Claudia Roth: nur auf EU-Kompetenzen beziehen dürfen, dass zweitens Vielen Dank, Dr . Heider . – Nächster Redner ist die gemischten Ausschüsse nicht selbstständig Änderun- Dr . Diether Dehm . gen vornehmen dürfen und dass drittens die vorläufige (Beifall bei der LINKEN) Anwendbarkeit sofort beendet werden muss, wenn es zu Zweideutigkeiten kommt . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Aber was tut die Bundesregierung? Sie übermittelt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und für den Rat der Handelsminister am 18 .Oktober 2016 Herren! Herr Lämmel und Herr Westphal, hören Sie auf dem Bundestag lediglich einen undatierten Vorbericht . mit der Panikmache, Dann folgt ein neuer Vermerk, wieder undatiert, nicht ge- zeichnet, juristisch hoch verschlüsselt und in englischer (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sprache . Am gestrigen Abend gab es schließlich einen der SPD – [CDU/CSU]: Wer längeren Text, wieder nur in englischer Sprache und wie- macht hier Panik?) der, ohne direkt auf die Einwände des Gerichtsurteils ein- dass, wenn es zu CETA nicht käme, die Welt und die zugehen . Das Handelsblatt wusste hingegen schon vor Wirtschaft zusammenbrächen . Seit 2005 – führen Sie dem Bundestag, dass der Rat „diesen Ergänzungen zu- sich das einmal zu Gemüte – sind die Importe – Quelle gestimmt hatte“, und degradierte das Ganze zu einem – ist die EU-Kommission – um 64 Prozent und die Expor- ich zitiere wieder – Absegnenlassen . Diese Ergänzungen te nach Kanada um 50 Prozent gestiegen . Sie sind ohne waren dem Bundestag also nicht zum frühestmöglichen CETA seit 2005 bis heute kontinuierlich gestiegen . Sie Zeitpunkt bekannt . In der liederlichen Form und der Zeit- (B) meinen vielleicht, mit CETA hätten wir 100 Prozent . Was knappheit eine Zumutung für das deutsche Parlament, (D) träumen Sie nachts? Herr Gabriel! Der Brexit hat die Krise der EU weiter verschärft . Der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sieht den Euro geschei- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tert . Auch unter den Deutschen hat die EU kein sonder- lich großes Vertrauen . Herr Kauder ließ zwar alle europäischen Demokraten zusammenzucken, als er triumphierte, in Europa würde (Dr . [SPD]: Panikmache!) endlich wieder deutsch gesprochen . Aber gegenüber der Und so ziemlich die Einzigen, die sich – neben der Deut- deutschen Öffentlichkeit sprechen Sie englisch und in schen Bank und RWE – bei Ihnen für dieses Geschäfts- Rätseln . modell EU bedanken können, sind AfD und Le Pen . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke hat stets vor den Mängeln an Demokratie, an sozialstaatlicher Bodenhaftung im EU-Recht und vor Ob in diesem Konvolut auch nur irgendetwas den Anfor- Konzernradikalismus und Verarmung gewarnt . Sie aber derungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird, sind selbstgefällig wie die Großjunker darüber hinweg- kann seriös so gar nicht geprüft werden, zumal völlig getrampelt . Wir lehnen diese EU ab, weil wir um die unklar ist, welche rechtliche Bedeutung diese Zettel- Friedensidee Europa ringen, damit Erwerbstätige wie Er- sammlung für den CETA-Vertrag wirklich hat, beson- werbslose, Handwerker und Landwirte Europa als Hei- ders für Arbeitnehmerrechte und beim Investitionsschutz mat ihrer sozialen Sicherheit erfahren . für Konzerne . Angesichts dieser Situation – Klaus Ernst hat das schon gesagt – wird es kaum einen anderen Weg (Beifall bei der LINKEN) geben, als beim Bundesverfassungsgericht erneut eine Darum hat unsere Fraktion damals auch den Lissa- einstweilige Anordnung zu beantragen . bon-Vertrag in Karlsruhe überprüfen lassen . Beim Bun- (Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann desverfassungsgericht müssen Sie immer auf 100 Pro- [CDU/CSU]: Das gibt es doch gar nicht!) zent klagen; denn Sie wissen, dass man am Ende nur 60 oder 70 Prozent erreicht . Da sitzen ja auch Leute, die Was Glyphosat für die Gesundheit ist, sind CETA und nicht ganz unabhängig von Parteien da reingekommen TTIP für die europäische Idee: Reines Gift! Darum danke sind . Immerhin haben wir damals bei der Klage um den ich den Wallonen . Bleibt stark und standhaft! Lissabon-Vertrag erreicht, dass die Mitwirkungsrechte des Parlaments ausgeweitet wurden und dass – ich zitiere (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19473

Dr. Diether Dehm (A) Darum danke ich vor allen Dingen den vielen Hundert- Das ist rechtsverbindlich nach Artikel 31 des Wiener (C) tausend Demonstranten gegen TTIP und CETA: Wir Vertragsstaatenübereinkommens . Ich frage mich: Warum schaffen das! sind Sie nicht einmal zufrieden, wenn die Dinge, die Sie hier öffentlich vortragen, von uns umgesetzt werden? (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: (Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE]) Wovon träumen Sie nachts? Von der Weltherr- schaft?) – Sie finden im Internet zu jeder Frage einen Gutachter. Das ist die Voraussetzung dafür, um Anwälte zu beauf- tragen . Das ist ein in Deutschland übliches und erlaubtes Vizepräsidentin Claudia Roth: Geschäftsmodell . Aber im Parlament muss man doch froh Vielen Dank, Diether Dehm .– Nächster Redner ist der sein, wenn die Sorgen der Bevölkerung durch rechtsver- Bundesminister Sigmar Gabriel . bindliche Klarstellung, was in CETA nicht passiert und was in CETA passiert, berücksichtigt werden . Wenn Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber von „selbstgefällig wie die Großjunker“ sprechen, der CDU/CSU) dann frage ich mich: Haben Sie eigentlich ein einziges Mal mit der Regierung Griechenlands gesprochen, die Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und CETA unbedingt will? Haben Sie das einmal getan? Energie: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was Dr .Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben der Kollege Dehm eben als „Zettelsammlung“ bezeich- wir!) net hat, sind die Beschlüsse des Europäischen Rates . – Ich weiß nicht, ob Sie sich hier dazu äußern wollen . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ja! Ab- Das können Sie gerne machen . sichtlich!) Eines muss jeden, der kritisch auf CETA blickt, trotz- Diese Beschlüsse haben wir herbeigeführt. Dort finden dem einen Moment nachdenklich machen – das gilt auch Sie die drei Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes für die Grünen –, nämlich dass im Handelsministerrat wieder. Erstens die Klärung, wie die vorläufige Anwen- von 28 Mitgliedstaaten 28 erklären, sie wollen das Ab- dung zu Ende gebracht wird, wenn ein Mitgliedstaat sich kommen . Zwei Staaten, nämlich Rumänien und Bulga- gegen CETA entscheidet . Zweitens die Abgrenzung, was rien, haben noch nicht zugestimmt, weil sie noch eine europäisches Recht und was nationales Recht ist . Und Visafrage geklärt haben wollen . Belgien kann noch nicht drittens die Feststellung, dass die gemischten Ausschüsse (B) zustimmen, weil Wallonien – ein Land wie bei uns die (D) selbstverständlich kein Recht haben, etwas zu beschlie- Bundesländer – seine Zustimmung bislang verweigert . ßen, sondern dass sie beratend tätig sind und ansonsten Derzeit ist die Abstimmung über CETA angehalten, weil der Ministerrat diese Beschlüsse erst fassen muss . Das ein Regionalparlament sagt: Wir wollen es nicht . kann man auf Deutsch lesen . Das kann man auf Englisch lesen . Vor allen Dingen aber ist es erst vor zwei Tagen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verabschiedet worden . Deshalb ist es auch noch nicht bei NEN]: Was haben Sie gegen Regionalparla- Ihnen gelandet . Ich weiß, Sie sind schnell . Gelegentlich mente?) ist es aber auch gut, wenn man etwas langsam liest . Dann versteht man es besser . – Ich habe überhaupt nichts gegen Regionalparlamente . Ich schildere einen Sachverhalt. Ich finde, hier muss man (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sich wenigstens eine Sache fragen: Könnte es sein, dass der hohe Ton der Kritik und die Selbstgefälligkeit bei ei- Ich habe zum Beispiel Jürgen Trittins Rede hier zu nem selber stattfinden und dass nicht alle anderen blöd CETA in guter Erinnerung, weil ich mir die damals ange- sind? hört habe . Ich habe immer versucht, die Dinge, die hier im Parlament als Frage oder als Kritik genannt worden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sind – Jürgen Trittins Rede war ganz wesentlich auf das Thema Vorsorgeprinzip ausgerichtet –, ernst zu nehmen Alle anderen sollen blöd sein? Ich fand die Debatten und dann auch zu klären . Deswegen gibt es jetzt eine Er- deshalb hilfreich, weil sie dazu geführt haben, Dinge zu klärung, die gemäß Artikel 31 des Wiener Vertragsstaa- klären . tenübereinkommens rechtsverbindlich ist, zum Beispiel Aber es muss doch auch irgendwie nachdenklich ma- zum Thema Vorsorge . Dort steht unter anderem: CETA chen, wenn unter den 28 Staaten, die das wollen, Staaten wird unsere jeweiligen Standards und Vorschriften im sind, in denen die Linke die Regierung stellt . Sie kämp- Zusammenhang mit Lebensmittelsicherheit, Produktsi- fen immer für Griechenland . Davor habe ich großen Res- cherheit, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Um- pekt . Warum sind Sie eigentlich da der Meinung, dass weltschutz und Arbeitsschutz nicht absenken . Einge- das, was die Griechen wollen, und dass deren Erwartun- führte Waren, Dienstleistungserbringer und Investoren gen an CETA Junkertum sei? In Schweden sind die Grü- müssen weiterhin den innerstaatlichen Anforderungen nen in der Regierung, in einigen anderen Ländern auch . einschließlich der Vorschriften und Regelungen genü- Die wollen von mir, dass ich TTIP realisiere . Natürlich gen . Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und sind sie sowieso für CETA . Kanada bekräftigen ihre Verpflichtung im Hinblick auf die Vorsorge . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 19474 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Mir geht es gar nicht darum, dass ich Ihre Kritik vom men .– Das ist die Interpretation, zu der inzwischen viele (C) Tisch wischen will. Aber ich finde, der Ton der Debatte kommen . erinnert sehr daran, dass am eigenen Wesen Europa ge- nesen soll . (Beifall des Abg . Ingbert Liebing [CDU/ CSU]) (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist Ich teile sie nicht; ich finde, dass man über all die Kri- jetzt ein bisschen heftig!) tikpunkte reden muss . Aber es kann nicht sein, dass Sie – Nein, das ist überhaupt nicht heftig, weil der Rest der einerseits immer davon reden, wie wichtig es ist, dass wir europäischen Mitgliedstaaten das genau so versteht . in Europa zusammenhalten, und dass Sie – gelegentlich tue ich das ja auch – Teile der Politik, auch der Bundes- (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann wür- regierung, dafür kritisieren, dass sie in Europa zu forsch de ich es nicht sagen!) führen, aber andererseits nicht einmal darüber nachden- ken, wie diese Art der Debatte – „Großjunkertum“ und – Ich weiß schon, was ich gesagt habe . Bei solchen Zita- anderes – auf andere Mitgliedstaaten wirkt . ten kenne ich mich ganz gut aus . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber, wenn man schon über Selbstgefälligkeit im Jun- ker- oder Großjunkertum spricht, dann muss man beach- Ich finde, wir haben ungeheuer viel erreicht. Sie erin- ten, dass der berühmte Satz „Wenn man mit dem Finger nern sich vielleicht daran, dass die Grünen immer gesagt auf andere zeigt, dann zeigen mindestens drei Finger auf haben – sie haben oft versucht, mich da festzunageln, einen zurück“ sehr wahrscheinlich zutrifft . Deswegen und ich habe versucht, dem aus dem Weg zu gehen –: bitte ich darum, dass wir trotz aller unterschiedlichen Du musst den Investitionsschutz da herausbekommen . – Beurteilungen abwarten, was dort drinsteht oder nicht (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- drinsteht . NEN]: Haste nicht!) Ich sehe einer weiteren Klage vor dem Bundesverfas- Dann habe ich gesagt: Hm, das ist schwierig; das Ab- sungsgericht als Eilantrag gelassen entgegen . Wie das kommen ist ausverhandelt .– Jetzt haben wir in Kanada Verfassungsgericht in der Hauptsache urteilen wird, wis- eine Regierung, die mit den privaten Schiedsgerichten sen wir alle noch nicht . Ich bin relativ sicher, dass das Schluss macht . Das war der Kern der Debatte hier: Priva- Abkommen in der Hauptsache auch akzeptiert wird, und te Schiedsgerichte soll es nicht mehr geben . zwar gerade wegen der Klarstellungen nach Artikel 31 des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens, aber übri- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nichts verstanden!) (B) gens auch, weil nicht Sie über die Frage entscheiden, ob (D) die Auflagen des Verfassungsgerichts eingehalten - wor – Doch! Lesen Sie es doch einfach in Ihren eigenen Re- den sind – ich übrigens auch nicht –, sondern das Verfas- den nach! – sungsgericht selbst . Ja, hier bin ich ganz gelassen, weil wir diese Auflagen am letzten Dienstag hineinverhandelt (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben . NEN]: Sie haben es nicht geschafft!) Ich habe immer gesagt, ich bin sehr skeptisch, ob das ge- Die Bundesregierung hat dort gesagt: Wir können dem lingt; aber die Kanadier haben die Verhandlungen über nicht zustimmen, wenn die Auflagen des Bundesverfas- das Abkommen erneut eröffnet . sungsgerichts heute in der Sitzung des Rates nicht als Ratsstandpunkt angenommen werden .– Wir haben uns Ich habe dann übrigens hier auch mal gesagt, dass ich nicht damit zufriedengegeben, dort nur eine rechtsver- eine Zeit lang die Vorstellung hatte – so ist damals die bindliche Erklärung der Bundesregierung abzugeben – Bundesregierung von CDU, CSU und FDP noch ange- nur das war übrigens die Auflage des Verfassungsge- treten –, dass man bei solchen Abkommen eigentlich gar richts; es hat gar nicht von uns verlangt, dass wir einen keinen Investitionsschutz braucht, weil wir in Rechts- Ratsstandpunkt herbeiführen –, sondern haben diesen staaten leben . Aber die Erfahrungen im Umgang mit ei- Ratsstandpunkt herbeigeführt . nigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als deut- scher Wirtschaftsminister haben mich eines Besseren (Zuruf des Abg . [DIE LIN- belehrt, nämlich, dass es ganz gut ist, wenn man ein paar KE]) Absicherungen hat, und das sogar innerhalb Europas .– Die anderen 27 Mitgliedstaaten haben zugestimmt . Das haben wir geschafft . Dann haben wir all die Fragen aufgenommen . Jetzt hat Ich finde, Sie sollten, ehrlich gesagt, froh darüber Kanada gegenüber der EU eine rechtsverbindliche Erklä- sein, dass die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen rung abgegeben, die zum Beispiel die Geltung des Vor- Union jetzt seit geraumer Zeit ertragen und sogar mitma- sorgeprinzips und den Schutz der Arbeitnehmerrechte chen, wenn die Bundesrepublik Deutschland plus Öster- umfasst, aber auch die Festlegung, dass es keine Einfüh- reich und wenige andere dort Nachforderungen stellen . rung von Gentechnik gegen europäisches Recht geben Es sollte ein bisschen zur Nachdenklichkeit beitragen, kann . Das steht da jetzt alles drin . dass da ganz viele Länder sitzen, die folgenden Eindruck haben: Na ja, den Deutschen geht es gut, deren Handel Jetzt schaffen wir es auch noch, die rechtsstaatlichen wächst, deswegen können die sich leisten, uns Vorschrif- und verfassungsrechtlichen Fragen zu klären . Es ist na- ten zu machen, sodass wir im Handel nicht weiterkom- türlich eine berechtigte Frage: Wie sind eigentlich Ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19475

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) scheidungen im Rahmen von CETA an die nationalen erlebt, besteht die große Gefahr, dass alle kommenden (C) Parlamente rückgebunden? Jetzt schaffen wir das auch Abkommen wieder nur ganz normale Freihandelsabkom- noch . Und jetzt kommen Sie mit dieser Debatte . Ich per- men sind, ohne jede Regelung für die Globalisierung . Ich sönlich kann das nicht verstehen . finde, diejenigen, die das, was hier drinsteht, so heftig kritisieren, sollten eine Sekunde überlegen, ob das nicht Ich habe eine große Sorge – das will ich Ihnen zum eine viel größere Gefahr ist . CETA ist ein exzellentes Ab- Abschluss mal sagen; es ist Ihnen vielleicht egal, mir kommen . Und deswegen habe ich aus großer Überzeu- aber nicht –: Dass es überhaupt ein solches Abkommen gung zugestimmt . mit Sozialstandards, ILO-Kernarbeitsnormen und vielem anderen mehr gibt – – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist auch nicht drin!) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Doch, das steht da drin . Die Kanadier werden die acht Vielen Dank, Sigmar Gabriel . – Nächste Rednerin: Kernarbeitsnormen akzeptieren . Kein anderer hat das Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen . bisher gemacht . Sie haben hier nie ein Abkommen dafür kritisiert, dass es das nicht gab . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) Danke schön .– Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Ausgerechnet bei einem Abkommen mit dem Land, das und Kollegen! Ich greife gerne die Argumente des Mi- uns am nächsten steht – Kanada –, tun Sie es . Es ist doch nisters Gabriel auf . Zunächst aber zum Zwischenruf von albern, was da passiert . Entschuldigung, das ist albern! Herrn Pfeiffer, der gesagt hat: Reden Sie ruhig weiter, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Gabriel, auf Frau Höhn können wir verzichten .– Das ist genau die Argumentation, die Herr Gabriel ei- Jetzt sage ich Ihnen mal etwas voraus . gentlich angegriffen hat . Er hat gesagt: Lasst uns sachlich miteinander diskutieren, ohne Panikmache, ohne Angst- Vizepräsidentin Claudia Roth: mache – das haben Sie uns immer vorgeworfen –, und Aber bitte kurz, Herr Minister . das sollte auch für die CDU gelten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und und bei der LINKEN – Mark Hauptmann Energie: [CDU/CSU]: Seit Jahren machen Sie Panik! – (B) Entschuldigung, ja . Peter Beyer [CDU/CSU]: Überraschen Sie (D) uns mal!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie haben das Recht, zu reden, aber wenn Sie als Ab- Ich will auf die Beiträge der Redner der CDU, von geordneter sprächen, hätte ich Sie schon lange unterbro- Herrn Lämmel und Herrn Heider, eingehen . Was sagte chen . Also letzter Gedanke, allerletzter Gedanke! Herr Lämmel? Er hat von einem „unwürdigen Gerangel um dieses Freihandelsabkommen“ gesprochen . Ich sage: Daran wird deutlich, wie wichtig die Vorsorge ist . Sie Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und sind nämlich verantwortlich für den Vertrag, der zwi- Energie: schen 2009 und 2013 verhandelt worden ist . Damals war Ich will nur einen Satz hinzufügen . eine schwarz-gelbe Koalition an der Regierung . Sie ha- ben das Mandat an die EU-Kommission gegeben nach Vizepräsidentin Claudia Roth: dem Motto: Verhandelt den Freihandelsvertrag, verhan- Ja, einen Satz . delt neoliberal, und kümmert euch nicht um Umwelt- und Verbraucherschutz und soziale Aspekte . (Dr . [CDU/CSU]: Dann soll die Frau Höhn verzichten, weil da kommt eh (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ nichts bei rum! – Heiterkeit bei Abgeordneten CSU) der CDU/CSU – Gegenruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Dadurch ist das Problem entstanden, das wir mittlerweile war ein schöner Beitrag! Den greife ich gleich mit diesen Verträgen haben . mal auf!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und [CDU/CSU]: Was hat das mit seriöser Argu- Energie: mentation zu tun?) Vor zehn Jahren haben die Umweltverbände, die Ge- werkschaften und die Zivilgesellschaftsorganisationen – Das war überhaupt nicht seriös von Ihnen . die Europäische Union aufgefordert, keine reinen Frei- handelsabkommen mehr abzuschließen, sondern Ab- Sie sollten sich an diesem Punkt einmal überlegen, ob kommen, in denen all das drinsteht, was hier jetzt drin- es nicht sehr viel sinnvoller gewesen wäre, zu sagen: Bei steht . Nach dem, was die Europäische Union jetzt dabei Freihandelsabkommen gibt es auch Verlierer, übrigens 19476 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Bärbel Höhn (A) auch Verlierer in Ihren Reihen . Das sind zum Beispiel eben nicht das Vorsorgeprinzip der EU zum Gegenstand, (C) die Bauern, sondern dahinter steckt ein wissenschaftsbasiertes Risi- koprinzip, das uns genau die Probleme macht, die dazu (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie waren führen, dass Gentechnikprodukte zunehmend unkontrol- Verlierer, als Sie regiert haben!) liert importiert werden müssen . Das wird hier sogar noch und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks . Kanada hat das bestätigt . sehr deutlich gemacht; die sind sehr viel klüger als Sie . Sie haben bei TPP gesagt: Wir sorgen für einen Ausgleich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Bauern, weil sie die Opfer sein werden . Auch die und bei der LINKEN – Dr .Matthias Heider Handelskommissarin Freeland sagt: Ja, natürlich, bei [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Darüber CETA werden die Bauern die Verlierer sein . Deshalb sor- entscheiden die Mitgliedstaaten!) gen wir für einen Ausgleich .– Sie selber reden nicht über Es hat eine Verschlechterung der Vereinbarungen ge- die Verlierer dieses Freihandelsabkommens, und das ist geben durch das, was Herr Gabriel versucht hat zu ver- ein schwerer Fehler, den Sie da machen . handeln . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Postfaktisch sowie bei Abgeordneten der LINKEN) argumentieren Sie! Kontrafaktisch!) Minister Gabriel hat eben gesagt, er habe alles durch- Von daher sage ich sehr klar und deutlich: Wir reden über gesetzt, was es an Auflagen gab. Schauen wir uns das eine vorläufige Anwendung. Aber, wie Herr Heider so doch einmal an . Kann ein Mann wie Minister Gabriel schön gesagt hat: Ja, in anderen Fällen wird eben 47 Jah- eigentlich ein guter Sachverwalter zum Beispiel der Auf- re lang vorläufig angewendet. – Das heißt doch: Sie ha- lagen des SPD-Konvents sein? Als Parteivorsitzender ben offensichtlich jetzt schon den Plan, das nicht im Bun- muss er die Auflagen umsetzen, aber gleichzeitig ist er destag verabschieden zu lassen . Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler in einer Ko- alition, die dieses Freihandelsabkommen unbedingt will . (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist doch Deswegen muss man sagen: Er ist nicht wirklich vertrau- wilde Spekulation, was Sie hier vortragen! enswürdig, um das umzusetzen . Ihnen schwimmt gerade der letzte Strohhalm weg!) (Beifall des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] – Widerspruch bei der SPD – Dr .Matthias So können Sie das Abkommen mit Kanada 47 Jahre lang Bartke [SPD]: Was ist das denn? Ich fasse es vorläufig anwenden, und der Bundestag würde darüber nicht! – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Er nicht entscheiden . – Das geht nicht . kriegt es trotzdem hin!) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Gucken wir uns die einzelnen Punkte an . Was ist auf dem SPD-Konvent beschlossen worden? Es wurde ein- Was Sie hier machen, bedeutet eine vorläufige Anwen- deutig beschlossen, dass es im Europäischen Parlament dung, ein Living Agreement am Bundestag vorbei . Des- einen sehr weitgehenden Diskussionsprozess über diese halb lehnen wir diese vorläufige Anwendung ab, ebenso Verträge geben soll, auch inhaltlich . Was ist passiert? wie den CETA-Vertrag . Wenn Sie wirklich Veränderun- Kurze Zeit nach dem SPD-Konvent beschließt der Han- gen am Vertrag erreicht hätten, wenn Sie wirklich all die- delsausschuss des Europäischen Parlaments den restrikti- se Punkte in den Vertrag hineingeschrieben hätten, dann ven Zeitplan für die Verabschiedung von CETA, und das wäre das ein verbessertes Abkommen; so eng, dass eine intensive Befassung nicht möglich ist . (Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir sind Welche Abgeordneten haben das beschlossen? Liberale, aber zufrieden! Wir wollen es so!) konservative und Sozialdemokraten . Das ist das Gegen- teil von dem, was der Konvent beschlossen hat, meine aber so ist es weiterhin ein schlechtes Abkommen, meine Damen und Herren . Damen und Herren . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das einzig Schlechte war Ihre Schauen wir uns das EU-Vorsorgeprinzip an; Minister Rede!) Gabriel hat es eben noch einmal sehr deutlich dargelegt . Wo steht das? Das steht in der gemeinsamen Auslegungs- erklärung . Und wie steht es darin? Die Formulierung lau- Vizepräsidentin Claudia Roth: tet: Vielen Dank, Bärbel Höhn .– Nächste Rednerin: Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion . Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten und Kanada bekräftigen ihre Verpflichtungen im (Beifall bei der CDU/CSU) Hinblick auf die Vorsorge, die sie im Rahmen inter- nationaler Übereinkommen eingegangen sind . Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Das ist das Gegenteil davon, die Vorsorge zu vertei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- digen . Das sind genau die Formulierungen, die wir im nen und Kollegen! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger! CETA-Vertrag immer wieder kritisieren; denn die inter- Wir bereden CETA momentan in nahezu jeder Sitzungs- nationalen Abkommen, auf die hingewiesen wird, haben woche im Bundestag . Heute reden wir über die Umset- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19477

Barbara Lanzinger (A) zung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts, über Das ist gesetzlich geregelt, und es steht ganz klar drin, (C) Verfahrensfragen, über Detailfragen . dass alles, was gesetzlich geregelt ist, nicht angetastet wird . Sie können das hier nicht einfach so sagen . Das Den Menschen CETA zu erklären – das habe ich beim kann man nicht so stehen lassen . letzten Mal schon gesagt –, halte ich grundsätzlich für richtig und wichtig . Ich stelle aber infrage, dass Sie das (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wirklich wollen . In der Diskussion mit Ihnen drehen wir Lesen Sie doch einfach mal den Vertrag! – uns ständig im Kreis . Sie sind dagegen, um dagegen zu Gegenruf des Abg . Mark Hauptmann [CDU/ sein – fernab von der Realität, fernab von dem, was aus- CSU]: Lesen Sie doch mal die Gesetze!) verhandelt worden ist . Bereits seit 2009 laufen im Auftrag der EU-Mitglied- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) staaten die Verhandlungen zwischen der Kommission und Kanada . Das sind intensive Auseinandersetzungen . Ich habe bei Twitter gelesen, dass die Linken-Chefin, Ich denke, es liegt – ich sage es noch einmal – eines der , davon spricht, dass sich das Bundesver- modernsten und zukunftsfähigsten Freihandelsabkom- fassungsgericht mit seinem Urteil zum „Handlanger“ men vor . von Großkonzernen mache . Dazu muss ich sagen: Das zeugt von einem sehr gefährlichen Verständnis von der CETA ist mehr als ein Wirtschaftsabkommen zum Ab- Bedeutung unseres Rechtsstaates . Sie spricht von „Klas- bau von Zöllen; Kollege Westphal hat es gesagt . Durch senjustiz“ . Dazu sage ich: Das ist Parteikaderschulungs- CETA haben wir die Chance, die Globalisierung in un- sprache pur . – Das geht so nicht! serem Sinn ausgewogen zu gestalten, unsere Standards zu setzen . CETA ist die Grundlage für einen Welthandel (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit nachhaltigen, fairen Regeln und hohen Sozial- und ordneten der SPD) Umweltstandards . Das positive Urteil des Bundesver- Dass Sie mit Ihrer Fundamentalopposition Schaden fassungsgerichts stärkt das Vertrauen der Bevölkerung anrichten, hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich in unseren deutschen Rechtsstaat, in seine demokratisch bestätigt . Die Ablehnung der Eilanträge begründet das gewählten Repräsentanten, in den Bundestag sowie in Bundesverfassungsgericht folgendermaßen: Ein Schei- die Europäische Union . tern von CETA hätte weitreichende negative Auswirkun- Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht eigent- gen auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger lich das bestätigt, was schon Fakt ist: Die demokratische Außenhandelsabkommen und insgesamt auf die Stellung Beteiligung von Bundesregierung und Bundestag, auch der EU und somit auf die Stellung Deutschlands in der an der Arbeit der CETA-Ausschüsse, ist jetzt schon nach Welt .– Kurz gesagt: Wenn CETA scheitert, lacht die gan- dem EUZBBG gegeben, wir hätten eine entsprechende (B) ze Welt über uns . Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, (D) Regelung also überhaupt nicht mehr gebraucht . Weltweit mit Kanada ein Freihandelsabkommen abzuschließen – wird momentan eine Vielzahl solcher Abkommen ver- das wurde heute schon ausgeführt –, isolieren wir uns po- handelt . litisch und wirtschaftlich . Das Vertrauen in Deutschland und Europa als Handels-, als Vertrags- und als politischer Zum Schluss: Die Welt wartet nicht auf uns . Wir müs- Partner wäre erschüttert, und das, obwohl CETA eines sen der Taktgeber sein . der ausgewogensten und modernsten Handelsabkommen ist . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Welt? Toll!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen der Taktgeber in der Globalisierung sein und Langsam sollte die Linke wissen, wie gefährlich eine einen gesunden, lebbaren Rahmen vorgeben . Wir kön- derartige Fundamentalopposition ist . Es geht doch nicht nen nicht abwarten, dass andere über uns entscheiden, darum, dass Sie Kritik üben . Es geht auch nicht darum, sondern wir sollten selbst entscheiden und gestalten . Ich dass Sie das Ganze vor dem Bundesverfassungsgericht entscheide gerne selbst und lasse ungern über mich ent- vorbringen – das ist demokratisch und legitim . Es geht scheiden . In diesem Sinne hoffe ich, dass am 27 .Oktober um die Art und Weise, wie Sie Kritik üben und aufwie- dieses Abkommen zur Unterschrift kommt und in Kraft geln . gesetzt wird . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das spre- Danke schön fürs Zuhören . chen wir aber nicht mit Ihnen ab!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das schadet – das habe ich beim letzten Mal ganz deut- lich gesagt – unserer Demokratie und dem Zusammen- Vizepräsidentin Claudia Roth: halt in unserer Gesellschaft . Vielen Dank, Barbara Lanzinger .– Nächste Rednerin: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr . Nina Scheer für die SPD-Fraktion . Sie sind dagegen, um dagegen zu sein – fernab von Fak- (Beifall bei der SPD) ten . Das schürt Misstrauen . Dieses Misstrauen ist unbe- gründet . Dr. Nina Scheer (SPD): Unser Ziel war es nie, ein Freihandelsabkommen auf Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin- Biegen und Brechen umzusetzen . Frau Höhn, Sie haben nen und Kollegen! Ich möchte zunächst eine Feststellung vorhin die Einführung der Gentechnik angesprochen . treffen: Ich registriere, dass die Opposition versucht, eine 19478 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Nina Scheer (A) Geschichte der Blamage zu schreiben, allerdings leider verfassungsgerichts und den angesetzten Entscheidun- (C) auch, dass unser Koalitionspartner eine Geschichte der gen verbleibt, das Beste daraus macht . Gleichgültigkeit schreibt, einer Gleichgültigkeit gegen- Aber auch darüber hinaus kann man noch etwas tun . über dem, was wir in der Gesellschaft und im Parlament Wenn man auf die Auslegungserklärung blickt, so muss verändern können und müssen . man zum Beispiel konstatieren, dass darin ein Satz steht, (Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Abwe- dass CETA nicht dazu führen werde, dass ausländische gig!) gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden . Das ist zum Beispiel eine Sache, die vom Bundesverfas- Ich möchte Frau Lanzinger gern hiervon ausnehmen . sungsgericht in der jetzigen Entscheidung nicht vorge- Wir haben in vielerlei Hinsicht gut zusammengearbeitet, geben worden ist . Es ging dabei ja um eine einstweili- aber das, was ich ansonsten bisher parlamentarisch von ge Anordnung und nicht um eine Entscheidung in der unserem Koalitionspartner an Änderungswünschen er- Hauptsache . fahren habe, das finde ich besorgniserregend; (Zuruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN]) denn damit werden viele Chancen in der Demokratie ver- Das ist ganz klar ein Zeichen dessen, dass wir uns hier tan . fortbewegen und uns kritisch mit den betreffenden Fra- gen auseinandersetzen, die wir auch schon vielfach dis- Die SPD hingegen schreibt seit nunmehr über zwei kutiert haben, und dass sie Stück für Stück, sukzessive Jahren im Fall von TTIP und CETA – auch vorher gab Einzug in das Vertragswerk halten . Diese Auslegungser- es schon kritische Auseinandersetzungen – ganz konkret klärung ist Bestandteil des Vertrages . Sie ist gemäß der eine Geschichte der System- und Prozessverantwortung . Wiener Vertragsrechtkonvention gleichwertig bindend (Beifall bei der SPD – Dr . Joachim Pfeiffer wie der Vertragstext . Auch wenn der Vertragstext selber [CDU/CSU]: Worauf will sie hinaus?) hierdurch nicht geändert wird, ist die Verbindlichkeit gleichwertig. Insofern, finde ich, ist das hier nicht zu un- Meine Partei hat schon mit dem Konventbeschluss 2014 terschätzen . rote Linien aufgezeigt . Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deut- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich sagen – und das gehört zur Prozessverantwortung, NEN]: Aber nicht eingehalten!) die die SPD mit ihrem Konventbeschluss ganz deutlich Danach kam im letzten Dezember der Bundesparteitags- unterstrichen hat; dieser ragt auch über den heutigen Zeitpunkt hinaus –: Wir sehen eben jetzt die Stunde der (B) beschluss, und jetzt wurde erneut mit einem Konventbe- (D) schluss ganz klar aufgezeigt, wie der Prozess bei Frei- Parlamente . Das haben wir so formuliert . Ich zitiere aus handelsabkommen zu gestalten ist . dem Konventbeschluss: Jetzt muss die Stunde der Parlamente kommen . Sie (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen ausführlich beraten und umfassend prüfen, NEN]: Wieder nicht eingehalten!) inwieweit CETA die Ansprüche an eine fortschrittli- Dadurch ist ganz klar erkennbar geworden, dass man – che Handelspolitik erfüllt . auch in Reaktion auf die öffentliche Diskussion – wahr- Wenn wir jetzt aber einfach behaupten, das alles sei genommen hat, dass die Zeit des Liberalismus in der nicht hinreichend, dann geben wir auch ein Stück weit Handelspolitik vorbei ist und man sich vom reinen Deutungshoheit ab . Aber warum? Freihandel zu einem verantwortungsbewussten Handel, einem Fairhandel bewegt . (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum stimmen Sie denn im Europäi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schen Parlament dem Zeitplan zu? Das ist das Genau das hat auch der SPD-Konventbeschluss an- Gegenteil des Konventbeschlusses!) hand von Kriterien klar formuliert, und siehe da: Auch Wir müssen die Forderungen, die wir im Gepäck haben, die Stellungnahme des Deutschen Bundestages hat das den Auftrag der Gesellschaft an uns Parlamentarier ernst in wichtigen Punkten mit aufgenommen, und ich bin er- nehmen und in die nächsten Prozesse einbringen, staunt, dass so etwas dann teilweise hier von unserem Koalitionspartner unterschlagen wird . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – das heißt für mich auch in die Ratifikationsprozesse. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Teilweise wird unterstellt, dass das nicht ginge, dass es NEN]: Aber Sie halten ihn nicht ein! – Bärbel ausverhandelt sei . Das Europaparlament könne nur noch Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen . Es landet denn im Vertrag?) gibt völkerrechtliche Ausführungen zu diesem Thema – diese finde ich sehr glaubhaft –, zum Beispiel von Herrn – Was landet nun im Vertrag? Frau Höhn, Sie haben es Professor Stoll, der ausdrücklich darauf verweist, dass im ganz richtig angesprochen . Insofern muss man auch hier Zusammenhang mit NAFTA im Rahmen von Zusatzpro- sagen: Prozessverantwortung heißt, dass man tatsächlich tokollen und Zusatzerklärungen – das ist damals unter wahrnimmt und aufnimmt, was in der Diskussion ist, und Clinton passiert – auch im Nachhinein Vereinbarungen in der kurzen Zeit, die zwischen dem Urteil des Bundes- getroffen wurden . Solche Vereinbarungen müssen dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19479

Dr. Nina Scheer (A) natürlich durch die Vertragspartner abgesegnet werden . Die Bedingungen, die Auflagen des Bundesverfas- (C) Somit können sehr wohl auch nach den ersten formalen sungsgerichts sind folgende: Schritten im Ratifikationsprozess noch Änderungen vor- Erstens . Es ist sicherzustellen, dass ein Ratsbeschluss genommen werden . über die vorläufige Anwendung nur Bereiche umfassen Insofern sollten wir uns an dieser Stelle nicht unsere wird, die in die Zuständigkeit der EU fallen . Möglichkeiten nehmen, indem wir ständig behaupten, Zweitens . Bis zu einer Entscheidung des Bundesver- das sei jetzt alles abgeschlossen, sondern wir sollten die fassungsgerichts in der Hauptsache sollen die EU-Mit- nächsten Schritte, die bevorstehen, tatsächlich nutzen, gliedstaaten ausreichenden Einfluss auf die Beschlüsse um das veränderte Verständnis in der Bevölkerung über des CETA-Ausschusses bekommen . das, was in Handelsverträgen stehen muss, aufzunehmen und in CETA zu übertragen . Drittens . Die Bundesregierung erklärt, dass sie die vorläufige Anwendung beenden kann, wenn die Ratifi- (Beifall bei der SPD) zierung hier bei uns in Deutschland – das mögen Gott und wir alle verhindern – scheitern sollte .

Vizepräsidentin Claudia Roth: Diese Vorgaben, insbesondere die ersten beiden, sind Denken Sie bitte an Ihre Redezeit . wenig überraschend und ohnehin bereits vereinbart oder auch in Gesetzeswerken geregelt . Hinsichtlich der dritten Dr. Nina Scheer (SPD): Auflage des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Ich bin beim letzten Satz .– Wir werden danach sehen, Möglichkeit einer einseitigen Beendigung der vorläufi- zu was das geführt hat . Ich hoffe und bin fest davon über- gen Anwendbarkeit ist zu sagen, dass diese ohnehin erst zeugt, dass die Parlamente da gute Arbeit leisten werden nach Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA und verantwortlich mit den Fragen der Zeit umgehen . eintreten wird . Es entspricht doch gängiger Praxis, die Zustimmung des Europäischen Parlaments erst abzuwar- Vielen Dank . ten, bevor politisch bedeutsame Freihandelsabkommen (Beifall bei der SPD) wie CETA vorläufig angewendet werden. Dies verschafft den Abkommen die erforderliche demokratische Legiti- mation auf EU-Ebene . Mit Blick auf die Linksfraktion Vizepräsidentin Claudia Roth: muss man sich wirklich die Frage stellen, wie sie sich Vielen Dank, Nina Scheer . – Nächster Redner: Peter zu dem europäischen Projekt, zu Europa insgesamt stellt . Beyer für die CDU/CSU-Fraktion . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das habe ich (B) (Beifall bei der CDU/CSU) aber deutlich gesagt!) (D) Sprechen Sie den Kolleginnen und Kollegen im Euro- Peter Beyer (CDU/CSU): päischen Parlament allen Ernstes die demokratische Le- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe gitimation und auch die demokratische Kompetenz und Kolleginnen und Kollegen! Vorab: CETA ist technisch Fähigkeit ab, Entscheidungen zu treffen? Ich hoffe, dass bereits vor zwei Jahren zu Ende verhandelt worden . Das das nicht so ist, meine Damen und Herren . kann man einmal sacken lassen . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann sprechen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir doch dem Europäischen Parlament ein NEN]: Exakt! Darum sind Sie auch dafür ver- Initiativrecht zu! Sie schaffen es doch nicht, antwortlich in Ihrer Koalition!) dem Europäischen Parlament ein Initiativrecht zu geben!) Es ist gut, dass jetzt Zusatzvereinbarungen, Zusatz- erklärungen bezüglich der Bereiche Investitionsschutz, Die vorläufige Anwendung könnte somit – das ist Arbeitnehmerrechte, öffentliche Dienstleistungen usw . meine Hoffnung und auch meine Zuversicht – in der den Vertragstext begleitend hinzugekommen sind, die ersten Hälfte des Jahres 2017 wirksam werden . Ich bin klarstellende Funktion haben und gleichwohl rechtsver- zuversichtlich, dass das bis Ende dieses Monats, bis zum bindlich sind . Das ist gut so . EU-Kanada-Gipfel am 27./28. Oktober, stattfinden wird und es dann eine Unterschriftsleistung geben kann . Gut ist aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht ganz klar gesprochen hat . Sämtliche Eilanträge in Sachen Was die Obstruktionshaltung im Regionalparlament CETA sind am 13 .Oktober erfolglos geblieben . Das ist der Wallonie in Belgien anbelangt, glaube ich schon, dass eine krachende Niederlage vor dem Bundesverfassungs- gute Argumente auch die Kolleginnen und Kollegen dort gericht, unter anderem auch für die Linksfraktion, die in von CETA überzeugen werden, sodass man die Haltung, Prozessstandschaft dort agiert hat . die man im Moment noch hat, aufgibt und diesem Ab- kommen dann nicht mehr im Wege stehen wird . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) In den Erwägungsgründen des Bundesverfassungs- gerichts heißt es, es sei naheliegend – naheliegend! –, Das Bundesverfassungsgericht hat damit auch ganz dass sich ein Verbot der Unterzeichnung von CETA klar der Chance den Weg bereitet, die Globalisierung durch die Bundesregierung negativ auf die europäische endlich mit Regeln zu bedenken bzw . entsprechende Re- Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der geln zu setzen . Europäischen Union insgesamt auswirken würde . Das 19480 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Peter Beyer (A) Bundesverfassungsgericht führt dann weiter aus, die zu Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weite- (C) erwartende Einbuße an Verlässlichkeit sowohl der Bun- ren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschlie- desrepublik Deutschland als auch der EU insgesamt kön- ßend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden . ne sich dauerhaft negativ auf den Handlungs- und Ent- scheidungsspielraum aller europäischen Akteure bei der Das passiert hier und heute noch nicht; darauf will ich Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen auswirken . hinweisen . Meine Damen und Herren, wir sollten uns klarma- Ich will auch deutlich machen, dass eine Unterzeich- chen, dass es längst nicht mehr um einen Streit über völ- nung am 27 .Oktober dieses Jahres nicht dazu führt, dass kerrechtliche Abkommen zwischen zwei Staatengebilden das Abkommen vorläufig in Kraft tritt, sondern dafür be- geht, sondern es geht um die Glaubwürdigkeit der EU darf es der Zustimmung des Europäischen Parlaments . insgesamt . Kommt zu der Euro-Krise und zu der Migrati- Das heißt, der Prozess ist noch in vollem Gange . Daran onskrise auch noch eine veritable Handelskrise hinzu, die werden wir als SPD nach wie vor aktiv mitwirken und letztlich den Wohlstand, den wir hier in Deutschland und uns einbringen . in anderen Teilen Europas genießen können, leichtfertig Zum zweiten wichtigen Punkt, den ich anmerken und völlig unnötig aufs Spiel setzt? Das kann nicht im möchte; da bin ich Frau Lanzinger dankbar, dass sie ihn Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger sein, angesprochen hat . Lieber Kollege Klaus Ernst, wir sind meine Damen und Herren . in dieser Angelegenheit ja durchaus unterschiedlicher Ich schließe mit einer Bemerkung der EU-Handels- Auffassung, und wir diskutieren auch des Öfteren darü- kommissarin Cecilia Malmström, die zu Recht gesagt ber . Natürlich sind am Ende immer alle Gewinner; das ist hat: Wenn es uns nicht gelingt, mit dem proeuropäischs- in Debatten nun einmal so, und das kennt man ja . Aber ten Land der Welt, mit dem wir auch in anderen Berei- man kann sich nicht hier hinstellen und das Bundesver- chen wie beim Klimaschutz oder bei der Bewältigung fassungsgericht loben, wenn man eine Parteichefin hat, der Flüchtlingskrise sehr eng zusammenarbeiten, ein die am Tag der Urteilsverkündung davon gesprochen Freihandelsabkommen abzuschließen, werden sich die hat, hier handele es sich um „Klassenjustiz“ . Das geht anderen Staaten auf der Welt fragen, ob die EU überhaupt nicht . Das ist eine Missachtung des Bundesverfassungs- noch ein verlässlicher Partner für uns ist . – In so einer gerichts, die man nicht hinnehmen kann . Welt, in so einem Europa und auch in so einem Deutsch- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) land möchte ich nicht leben und dort Abgeordneter sein . Deswegen halte ich es für unsere Aufgabe als verantwor- Ich muss auch sagen – das gilt jetzt nicht für die Frak- tungsbewusste Politiker, den Weg freizumachen und die tion der Linkspartei, sondern für den Kollegen Diether Freihandelsabkommen zu unterstützen . Dehm –: Wenn man in einem Nebensatz die richterliche (B) Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsge- (D) Herzlichen Dank . richts hier infrage stellt, dann zeigt das, welch merkwür- diges Verständnis man hat . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Dr .Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habe ich so nicht gemacht! Ich habe nur Tatsachen Vizepräsidentin Claudia Roth: erwähnt!) Vielen Dank, Peter Beyer .– Nächster Redner: Dirk Ich muss Ihnen auch deutlich sagen: Zu Teilen Ihrer Wiese für die SPD-Fraktion . Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hätte Ihnen die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten FPÖ im österreichischen Parlament applaudiert . der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Dirk Wiese (SPD): So ist es! Ganz eng beieinander!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich komme zu dem nächsten Punkt, der angesprochen Kollegen! Nach drei Jahren Debatte – wir haben hier worden ist . Wir hören momentan viele Stimmen, die sa- im Plenum des Deutschen Bundestages und in den Aus- gen, der Ratifizierungsprozess, den wir jetzt im Rahmen schüssen sehr oft über dieses Thema diskutiert – muss eines gemischten Abkommens haben, wäre nicht richtig . man feststellen: Die SPD hat in diesem Prozess gestaltet, Möglicherweise werde die Handlungsfähigkeit der Eu- mitgewirkt und viel erreicht . Darauf können wir bis zum ropäischen Union infrage gestellt .– Ich will deutlich sa- heutigen Tage stolz sein . gen – denn wir werden auch zukünftig an vielen Stellen (Beifall bei der SPD) über Freihandelsabkommen sprechen; Handlungsmanda- te sind in anderen Bereichen schon auf den Weg gebracht Meine Kollegin Nina Scheer hat gerade deutlich ge- worden –: Wenn juristisch ein gemischtes Abkommen macht: Es geht weder heute noch morgen um den Ab- vorliegt – und das ist bei CETA der Fall; der Kollege schluss dieses Abkommens, sondern wir befinden uns in Pfeiffer hat das lange abgelehnt und wollte nicht, dass einem Prozess . Dieser Prozess dauert noch an . Wir als sich der Deutsche Bundestag damit beschäftigt –, dann Deutscher Bundestag – auch daran will ich erinnern, weil haben wir als nationales Parlament das Recht und die ich mir nicht ganz sicher bin, dass der Kollege Pfeiffer Pflicht, uns mit diesem Abkommen auseinanderzusetzen das gelesen hat – haben eine gemeinsame Stellungnahme und letztendlich darüber zu entscheiden, ob es in Kraft auf den Weg gebracht . In dieser Stellungnahme heißt es: tritt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19481

Dirk Wiese (A) Frau Künast, Sie haben vorhin den Zwischenruf ge- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . (C) macht, wenn ich es richtig gehört habe, dass Herr Mi- nister Gabriel die Bedeutung eines Regionalparlaments (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- infrage stellen würde . So habe ich Sie vernommen . Jetzt ruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE zitiere ich mal den grünen Europaabgeordneten Sven GRÜNEN]) Giegold, der getwittert hat:

[…] unerfreuliche Hürde für Europas Handlungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: fähigkeit . Regionalparlamente dürfen den Rat nicht Vielen Dank, Herr Wiese .– Der letzte Redner in der blockieren! Aktuellen Stunde ist Mark Hauptmann für die CDU/ CSU-Fraktion . Wenn es zukünftig die Position der Grünen im Euro- paparlament ist, (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! dass der Ratifizierungsprozess im Rahmen eines ge- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir obliegt mischten Abkommens infrage gestellt wird, dann kann jetzt die Aufgabe, das zusammenzufassen, was zwölf ich nur sagen, dass der Kollege Giegold hier falschliegt . Kollegen vor mir in diese Debatte eingeworfen haben . Das ist nämlich schädlich für die Demokratie, wenn man das an diesem Punkt missachtet . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein!) (Beifall bei der SPD) Man ist ja mittlerweile schon daran gewöhnt, dass wir Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Die Vorga- CETA in diesem Hohen Hause diskutieren, im Regelfall ben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil alle zwei Wochen . Man vermisst es geradezu, wenn es gegeben hat und die uns jetzt vorliegen, sind durch die mal nicht auf der Tagesordnung steht . Aber wir dürfen Maßnahmen, die die Bundesregierung an diesen Punkten doch jetzt festhalten, dass wir nach dieser Entscheidung ergriffen hat, eingehalten . des Bundesverfassungsgerichts die Situation haben, dass sich auf EU-Ebene die Handelsminister einig sind, dass Lieber Kollege Klaus Ernst, ich räume ja gerne an ei- CETA in Zukunft den Handel zwischen Europa und Ka- nigen Punkten ein: zwei Juristen, drei Meinungen . Das nada regeln soll . Auf Bundesebene hat Sigmar Gabriel sind manchmal Punkte, die man nicht lösen kann . Ich die Vorbehalte auch der SPD entkräften können . Die Uni- räume auch gerne ein: Man holt immer das Gutachten on hat hier nie gezweifelt . (B) ein, in dem letztendlich seine Meinung vertreten wird . (D) Aber man muss ganz deutlich sagen: Das, was das Bun- (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das desverfassungsgericht auf den Weg gebracht hat, ist stimmt, dass die Union nie zweifelt!) durch das, was die Bundesregierung und Sigmar Gabriel Jetzt haben wir die Entscheidung des Bundesverfas- jetzt vorangebracht haben, abgesichert . Da kann ich nur sungsgerichts, sodass auch die Bundesregierung bei sagen: Die Hausaufgaben sind erledigt worden . CETA zustimmen darf . Frau Höhn hat das Vorsorgeprinzip angesprochen . Dazu gibt es auch zwei Juristen, drei Meinungen und eine Herr Dehm, Sie haben ja gesagt, Sie hätten sich dieses Vielzahl von Gutachten . Aber Sie können nicht verheh- Urteil angeschaut . Die zwei entscheidenden Worte dieses len, dass es eine Vielzahl von Stimmen gibt, die eindeutig Urteils haben Sie aber nicht verstanden, nämlich: „An- sagen, dass das Vorsorgeprinzip in CETA abgesichert ist, trag abgewiesen“ . dass es nicht infrage gestellt wird . Wir können hier jetzt festhalten, dass die Judikative, (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) die Exekutive und große Teile der Legislative an diesem Abkommen nicht nur festhalten, sondern damit auch die Es ist zwar nicht Ihre Meinung, aber Sie müssen re- Globalisierung gestalten wollen . spektieren, dass es Stimmen gibt, die eindeutig sagen, dass es abgesichert ist . Ich möchte hier explizit noch einmal auf die Argu- mente unserer Kollegen der Grünen und der Linken ein- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gehen: NEN]: Die gibt es immer!) Zum Ersten . Das Duo Infernale der deutschen Empö- Wenn Sie hier sagen, die Grünen werden diesem Ab- rungsindustrie, die Kollegen Ernst und Dehm, sprechen kommen nicht zustimmen, dann bin ich gespannt, was von Klassenjustiz und davon, dass sie die Klagen so lan- Winfried Kretschmann macht . Aus sozialdemokratischer ge weiter fortführen werden, bis sie ein ihnen genehmes Sicht ist Handelspolitik insbesondere mit Blick auf die Urteil erreicht haben . Das zeigt mir erstens, dass sie kei- Arbeitsplätze in einer exportorientierten Wirtschaft wich- ne Achtung vor den deutschen Gerichten haben – noch tig . Dass den Grünen Arbeitsplätze nicht so wichtig sind, nicht einmal vor dem höchsten deutschen Gericht –, das hat man ja an den Ausführungen von Frau Dröge zu Kaiser’s Tengelmann gesehen . (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie Sie mit diesen Dokumenten umgehen, zeigt, dass Sie (Beifall bei der SPD) keine Achtung haben – auch nicht vor dem Uns Sozialdemokraten sind Arbeitsplätze wichtig . Parlament!) 19482 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Mark Hauptmann (A) und zweitens, dass sie den wirtschaftspolitischen Sach- nicht auch noch in Ihr Schneckenhäuschen hinein, und (C) verstand einer Schnecke in einem Formel-1-Rennen ha- verzwergen Sie sich nicht selbst! ben; denn Sie; Herr Dehm, haben hier gesagt, dass die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Exporte und das Handelsvolumen doch anwachsen . Sie haben sich aber immer wieder in Ihr Schneckenhäuschen Sie haben in dieser Debatte doch einiges erreicht . Es zurückgezogen . wurde doch erreicht, dass das Verfahren, das seit über zwei Jahren formell technisch abgeschlossen ist – der (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr komisch!) Kollege Beyer hat es erwähnt –, in den letzten Wochen Was Sie nicht verstehen, ist, dass sich die Dinge in noch einmal angepasst wurde, sodass wir das, was uns einer globalisierten Welt ändern, dass asiatische Länder Karlsruhe mit auf den Weg gegeben hat, auch umsetzen . untereinander Freihandelsabkommen schließen, dass die Das haben wir doch erreicht! Amerikaner mit Asien Freihandelsabkommen geschlos- Von daher glaube ich – auch aufgrund des grünen sen haben, dass wir aktuell in einer Situation sind, in der Lichts aus Karlsruhe –, dass wir jetzt einen guten Weg wir die zukünftigen Regeln des Freihandels auf dieser gefunden haben, um dieses Freihandelsabkommen abzu- Welt gestalten und die Standards für diese Regelungen schließen . setzen . In der Begründung dafür, warum Ihre Anträge abge- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hauptmann für lehnt wurden, heißt es, es „drohten der Allgemeinheit mit alles!) hoher Wahrscheinlich schwere Nachteile“ . Man könnte Sie verschließen sich diesen Tatsachen hier einfach und das auch anders ausdrücken: Wer sich gegen freien und träumen letztendlich vor sich hin . fairen Handel verwehrt, wie Sie es hier in diesem Haus tun, der schadet auch der Allgemeinheit . Zum Zweiten, zu meinen Kolleginnen Höhn und Dröge . Frau Dröge, Sie haben zunächst gesagt, die Be- (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist teiligungsrechte würden hier nicht gewahrt . – Wir wa- jetzt Gauland!) ren gestern im Ausschuss, und der Staatssekretär hat das Für uns in der Unionsfraktion ist es nichts Neues, dass Verfahren erläutert . Was bedeutet es, wenn wir aktuell Sie auch der Allgemeinheit schaden, aber das ist hiermit verhandeln und gleichzeitig die Auflagen des Bundesver- von höchster juristischer Stelle letztendlich auch noch fassungsgerichts umsetzen, das Parlament informieren, einmal bestätigt worden . darüber debattieren und im Ausschuss Auskünfte geben? Ich glaube, wir sollten uns darauf konzentrieren, was (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CETA durch neue Maßstäbe in dieser Globalisierung be- (B) NEN]: Lesen Sie mal das Gesetz! – Dr . Diether wirken wird: (D) Dehm [DIE LINKE]: Nicht zum frühestmög- lichen Zeitpunkt!) Erstens . Wir werden neue Märkte öffnen und beste- hende Märkte vertiefen . Hier sind wir also doch gut informiert . Zweitens . Wir werden die Handelsbarrieren abbau- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- en . Ab dem Tag, an dem CETA in Kraft tritt, werden NEN]: Konsensbeschluss!) 500 Millionen Euro an Exportkosten für die europäi- schen Exporteure wegfallen . Das zweite Argument von Ihnen war, dass wir eine Ar- roganz der Macht hätten, Drittens . Das ist ein Konjunkturpaket für unseren Mit- telstand und für Deutschland als Exportnation insgesamt, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wo jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt . Das NEN]: Das stimmt!) wird uns in diesem Zusammenhang sehr nützen . es werde supernational verhandelt . Wir verhandeln gar Wir halten die internationalen Standards – die Sozial- nicht . Die Bundesregierung verhandelt gar nicht . Kom- standards, das Vorsorgeprinzip – ein und sorgen für eine missarin Malmström und die EU-Kommission verhan- Reform der Schiedsgerichtbarkeit . Von daher bin ich der deln . Meinung: Karlsruhe hat recht . Wir haben hier grünes (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Licht und können mit Stolz darauf blicken, dass wir mit NEN]: Es geht um den Umgang mit uns!) CETA die Globalisierung frei und fair gestalten werden . Diese Prozesse und die Tatsache, wer dafür zuständig ist Herzlichen Dank . und wer nicht, müssen Sie hier doch einfach einmal ak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . zeptieren . Matthias Ilgen [SPD]) (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie machen doch die Vorgaben! Bei Vizepräsidentin Claudia Roth: den CO2-Emissionen war das anders! Da hat Vielen Dank, Mark Hauptmann .– Damit ist die Aktu- Merkel sich eingemischt!) elle Stunde beendet . Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben, war, Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, wir hätten in dieser Debatte nichts erreicht . Machen Sie möchte ich meinem Schriftführer ei- hier doch nicht den Fehler der Linken! Kriechen Sie doch nen Gefallen tun . Wir achten ja darauf, dass wir hier eine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19483

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) gute Stimmung haben . Deswegen begrüße ich in seinem reich der stillen Reserven . Also, bis zur Höhe der stillen (C) Namen recht herzlich eine Besuchergruppe aus der – Reserven kann man heute schon Verluste weiter nutzen . das hat er mir extra aufgeschrieben – schönen Südpfalz . Aber gerade bei jungen und neugegründeten Unterneh- Herzlich willkommen . men ist es so, dass die stillen Reserven in diesem Umfang nicht vorhanden sind, stattdessen aber möglicherweise (Beifall) Verlustvorträge . Deshalb besteht an dieser Stelle die Not- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: wendigkeit, zu einer Erweiterung zu kommen . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ei- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiter- nen § 8d im Körperschaftsteuerrecht anbieten . Dieser entwicklung der steuerlichen Verlustverrech- Paragraf legt den Schwerpunkt nicht mehr auf die Zu- nung bei Körperschaften sammensetzung der Anteilseigner, sondern darauf, dass der Geschäftsbetrieb weitergeführt wird . Drucksache 18/9986 (Beifall bei der CDU/CSU) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ich glaube, er ist eine sinnvolle Weiterentwicklung . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wir werden auf der einen Seite dafür sorgen, Innovati- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO on und Investition am Standort Deutschland zu ermög- lichen, damit es auch in neuen Technologiebereichen zu Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wachstumsentwicklungen kommt, auf der anderen Seite die Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Kein Wider- aber den Missbrauch, den wir vor zehn Jahren mit der spruch . Dann ist das so beschlossen . Schaffung des § 8c KStG bekämpfen wollten, nicht er- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort neut zulassen, also keinen Handel mit Verlustvorträgen . Dr . Michael Meister für die Bundesregierung . Das wollen wir eindeutig nicht . Deshalb gibt es für ein einzelnes Unternehmen die Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- Möglichkeit, sich auf Antrag auf § 8d KStG zu berufen . desminister der Finanzen: Dann muss man in dem Geschäft, das man bisher betrie- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben hat, bleiben . Das ist im Unterschied zu § 8c KStG kein Vielen Dank für die Worterteilung .– Wir wollen heute die quantitatives Kriterium, sondern ein qualitatives Kriteri- Weiterentwicklung der Verlustnutzung für Unternehmen um . Das heißt, wir schauen genau hin: Wird das Geschäft diskutieren . Was ist an dieser Stelle unser Problem? Wir weiterbetrieben? Es kann gerne wachsen . Es kann gerne ausgedehnt werden . Aber der Geschäftszweck kann nicht (B) leben in einer globalisierten Welt . Wir leben in einer di- (D) gitalen Welt mit einer ungeheuren Innovationsgeschwin- verändert werden . Wir glauben, dass man damit die bei- digkeit . Wir müssen dafür sorgen, dass Unternehmen den Anforderungen zusammenbekommt, nämlich weiter am Standort Deutschland in der Lage sind, international Wachstum in Deutschland zu ermöglichen, aber Han- wettbewerbsfähig zu bleiben, aber auch Innovationen zu del mit Verlustvorträgen weiterhin zu unterbinden . Wir entwickeln, diese zur Marktreife zu bringen und dafür die wollen kein Steuergestaltungsmodell, sondern wir wol- notwendige Finanzierung zu haben . len eine vernünftige Entwicklung unserer Wirtschaft in Deutschland . Das ist unser Ziel . Man kann dafür – das ist in Deutschland möglich – eine Fremdfinanzierung nutzen. Aber wir benötigen für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- diese Unternehmen natürlich nicht nur Fremdfinanzie- ordneten der SPD) rungen, sondern auch Eigenkapitalfinanzierungen. An Ich glaube, dass wir einen Vorschlag vorgelegt ha- dieser Stelle haben wir in unserem heutigen Rechtssys- ben, der diese beiden Zielsetzungen gut miteinander in tem eine Konfliktlage. Wer seine Eigenkapitalfinanzie- Einklang bringt . Ich glaube, dass die damit verbundenen rung stärken will, der hat nach dem bestehenden § 8c Steuerausfälle gut investiertes Geld sind, weil wir natür- Körperschaftsteuergesetz ein Problem: Wenn die Stär- lich die Hoffnung haben dürfen, dass vorhandene Unter- kung des Eigenkapitals, etwa durch eine Kapitalaufsto- nehmen stärker wachsen und dass es zu Neugründungen ckung, zu einem Anteilseignerwechsel oder zu Anteils- kommt statt zum Ausverkauf guter Ideen über die Gren- veränderungen führt, dann fallen die Verlustvorträge bei zen hinweg . Wenn die Ideen am Standort Deutschland über 25 Prozent Anteilseignerwechsel anteilig und bei realisiert werden, dann wird das auch zu zusätzlicher über 50 Prozent Anteilseignerwechsel vollständig weg . wirtschaftlicher Aktivität und zu neuen Steuereinnahmen Das macht die Beteiligung für Investoren schwierig . Ge- führen . Deshalb ist, glaube ich, dieses Geld eine gut getä- nau an dieser Stelle wollen wir ansetzen, um sinnvolle tigte Investition in den Standort Deutschland . Investitionen in die Zukunft des Standorts und unserer Unternehmen möglich zu machen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Da wir ein Angebot für alle Körperschaften unterbrei- ten, glauben wir, dass wir auch kein Problem mit dem Deshalb sagen wir, dass wir den § 8c KStG so bestehen europäischen Recht haben . In der Vergangenheit haben lassen, wie er heute ist . Er bietet auch heute schon eine wir an dieser Stelle immer wieder Ideen vorgetragen, die gewisse Flexibilität, etwa innerhalb von Konzernen, in auf spezielle Ausschnitte unserer Wirtschaft ausgerichtet denen das, was ich eben gesagt habe, bei Kapitalgabe in waren . Diesmal wählen wir einen breiten allgemeinen einen einzelnen Unternehmensteil nicht gilt, etwa im Be- Ansatz für all diejenigen, die die genannten Vorausset- 19484 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister (A) zungen erfüllen . Deshalb glaube ich, dass das ein guter werden, wenn sich die Anteilseignerstruktur verändert . (C) Vorschlag ist, und ich würde mich freuen, wenn er in der Das geschieht häufiger, weil man frisches Kapital für ein Beratung breite Unterstützung bekommt . Start-up anlocken und anwerben möchte . Diese Rege- lung macht Sinn . Es sollen nämlich genau solche Spe- Vielen Dank . kulationen mit Unternehmen, die aufgrund ihrer Verluste (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für Investoren attraktiv werden, verhindert werden . Bei den Start-ups ist es so, dass Verluste aus den Vor- Vizepräsidentin Claudia Roth: jahren nicht berücksichtigt werden können, wenn ein Vielen herzlichen Dank, Dr .Meister .– Nächste Red- Wagniskapitalgeber in einem bestimmten Umfang ein- nerin: Susanna Karawanskij für die Linke . steigt und sich damit die Anteilseignerstruktur bedeut- (Beifall bei der LINKEN) sam ändert . Damit sind die Start-ups uninteressanter für solche Kapitalgeber . Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Zukünftig sollen unabhängig von dieser Anteilseig- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nerstruktur Verluste fortgeschrieben werden können, Kollegen! Finanzminister Schäuble hat in den Haushalts- wenn ein – das ist die Einschränkung – seit mindestens beratungen angekündigt, bis 2020 die schwarze Null drei Jahren bestehender Geschäftsbetrieb erhalten bleibt zu halten . Obwohl an dieser Staatsdoktrin krampfhaft und eine anderweitige Nutzung ausgeschlossen ist . festgehalten wird, werden auf einmal für 2017 Steuer- Der Wermutstropfen dabei ist nämlich, dass die Klau- senkungen versprochen . Der Finanzminister hatte zwar seln „bestehender Geschäftsbetrieb“ und „Ausschluss recht, als er sagte, dass wir in widersprüchlichen Zeiten der anderweitigen Nutzung“ kaum werden verhindern leben, aber wir als Linke würden es gut finden, wenn das können, dass Betriebe allein wegen ihrer steuerlichen Gesagte belastbar wäre und sich nicht fünf Wochen spä- Verlustverrechnung ausgeschlachtet werden . ter neue Widersprüche auftun . (Beifall bei der LINKEN) Aus meiner Sicht gestaltet sich genau diese Abgren- zung, was ein bestehender Geschäftsbetrieb ist, sehr Denn nun sind Steuersenkungen geplant, und zwar schwierig . Aus linker Sicht muss hierbei gründlich nach- nicht etwa für Privatleute – für den kleinen Mann oder gebessert werden . die Alleinerziehende –, sondern für Unternehmen, ge- nauer gesagt für private Investoren in sogenannte Start- (Beifall bei der LINKEN) ups . Das klingt erst einmal positiv und innovativ – das Wir haben es nicht mit einer zielgenauen Förderung (B) haben wir auch gerade von Herrn Dr .Meister gehört –, von Start-ups zu tun . Denn diese neuen Regelungen gel- (D) und man denkt dabei an Unternehmensgründungen: von ten auch für Investitionen in bereits etablierte Unterneh- einer Idee zur Umsetzung, wo Geldgeber entsprechend men, die jetzt von der Verlustverrechnung und dem Steu- einsteigen können . Das ist auch in einigen Fällen so . ersparmodell profitieren. Das hat das Finanzministerium Aber schauen wir uns das einmal genauer an: Start- unumwunden in der Antwort auf eine Frage zugegeben, ups machen gerade in den ersten Jahren große Verluste, die ich vor einer Woche erhalten habe . Es gibt eine ge- und der Großteil der Start-ups überlebt die ersten Jah- gen Missbrauch gerichtete Beschränkung der Verlustver- re gar nicht . Ein beträchtlicher Teil dieser Start-ups soll rechnung bei Unternehmenserwerben gegen sogenannte nämlich möglichst schnell hohe Profite erwirtschaften Mantelverkäufe . Diese untergraben Sie mit diesem Ge- und dann, wenn die Profitaussichten gut sind – was erst setzesvorhaben selbst . Das ist im Prinzip ein Care-Paket einmal Spekulation ist –, an große Unternehmen weiter- für Geldhaie und Zocker . verkauft werden . Damit sind Start-ups eben keine gute (Widerspruch bei der CDU/CSU) Adresse für nachhaltiges Wirtschaften, sondern sie sind vor allen Dingen für Investoren und Wagniskapitalgeber Ich will ganz klar sagen: Es sind Steuerminderein- interessant . „Venture Capital“ und „Business Angels“ nahmen oder -verluste in Höhe von 600 Millionen Euro sind entsprechende Stichworte in diesem Zusammen- jährlich . Allein der kommunalen Familie werden damit hang . 235 Millionen Euro aus dem Säckel gezogen . Das ma- Die Investoren und Wagniskapitalgeber sollen vor al- chen wir von der Linken nicht mit . len Dingen dadurch angelockt werden – neben den Pro- (Beifall bei der LINKEN – Harald Petzold fitaussichten –, dass sie ihre Verluste mit späteren Ge- [Havelland] [DIE LINKE]: Eine Unver- winnen verrechnen können . Damit müssen sie weniger schämtheit!) Gewinne versteuern, und damit fällt auch die Körper- schaftsteuer geringer aus . Meine Damen und Herren, Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf die Start-up- und Wagniskapitalszene för- Nach derzeitigem Rechtsstand können noch nicht dern . Aber ebenso fördern Sie damit größere Unterneh- steuerlich genutzte Verluste rasch verfallen . Das wurde men . Das ist tatsächlich mal wieder ein Kniefall vor der gerade schon gesagt . Bei einer Übertragung von 25 Pro- Lobby . zent der Anteile geht der Verlust anteilig unter . Bei über 50 Prozent der Anteile kommt es dann zum vollständi- Das Tragische ist, dass Sie eigentlich jahrelang bei den gen Untergang der vorhandenen Verluste . Diese können wichtigsten Start-ups in der Bundesrepublik versagen, dem Finanzamt gegenüber nicht mehr geltend gemacht nämlich bei den Kindern . Gerade einmal schlappe 2 Euro Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19485

Susanna Karawanskij (A) mehr Kindergeld soll es geben . Wagniskapitalgeber wer- Steuern in der Zukunft . Das wollen wir nicht . Deshalb (C) den gleichzeitig mit Millionenbeträgen gepampert . brauchen wir ein Gesetz, das diesen Effekt verhindert . (Zuruf von der CDU/CSU: Ei, ei, ei!) Wir reden jetzt über § 8d im Körperschaftsteuerge- setz, was bedeutet, dass es auch einen § 8c gibt . Die gute Das ist die falsche Prioritätensetzung . Wir Linke haben Sache bei diesem Gesetzentwurf ist, dass § 8c erhalten einen umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut ein- bleibt . gebracht, um Steuereinnahmen sozial gerechter zu ver- teilen . Das wäre der richtige Ansatzpunkt, anstatt weiter- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hin Lobbyismuspolitik zu betreiben . NEN]: Das ist ja super!) Vielen Dank . – Ganz super ist er nicht . Der Zwischenruf war nur be- dingt richtig . (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit bei der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Denn wir haben einen guten § 8c im Jahr 2008 ge- macht . Jedoch gibt es dabei einen Wermutstropfen: Vielen Dank, Susanna Karawanskij .– Nächster Red- Schwarz-Gelb hat diesen guten § 8c aus dem Jahr 2008 ner ist Lothar Binding für die SPD-Fraktion . dummerweise abgemildert, abgeschwächt und verwäs- (Beifall bei der SPD) sert. Da wurde ein Schlupfloch aufgemacht, indem der Verlustvortrag in Höhe der stillen Reserven erhalten blei- ben konnte . Das war schlecht . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Schönen Dank .– Frau Präsidentin! Sehr verehrte Da- Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist gut . men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Man muss sagen: Wir haben lange danach gesucht, eine Stichwort „Kinder“ ist mir eingefallen, dass es heute ir- Förderung einzurichten, die europarechtstauglich und gendwie auch um Kinder geht . Denn die Bedeutung neu- trotzdem einigermaßen zielgenau ist . er erfindungsreicher Unternehmen, Start-Ups und Grün- Wie funktioniert das nun eigentlich? Eigentlich soll dungen sind eigentlich die Kinder der Unternehmen, die nicht der Staat, sondern es sollen Business Angels die unsere Wirtschaft und unser Land zukunftsfähig machen . Unternehmen fördern . Was macht ein Business Angel? Sie haben eine ganz wichtige Bedeutung . Er gibt Geld und seinen guten Namen und trägt das Risi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ko . Das alles macht er total selbstlos . Aber ein Business Angel will auch Business machen; das ist klar . Er schätzt (B) Sigmar Gabriel wird nicht müde, allen zu erklären, also das Risiko ab . Bei Verkauf von Beteiligungen oder (D) welche Bedeutung diese Unternehmen haben . Trotzdem Aufnahme neuer Gesellschafter sind bisher alle Verluste haben wir ein Problem: Wie wollen wir diese von uns quotal bzw . total untergegangen . Es ist klar, dass das eine allen gewünschten Firmen fördern, ohne in wettbewerbs- Investitionsbremse für jeden ist, der darüber nachdenkt, rechtliche Probleme in Europa zu geraten? einem Unternehmen Geld zu geben, obwohl er nicht genau weiß, ob die Innovation, über die das Unterneh- Fördere ich ein innovatives Unternehmen, sagt jedes men verfügt, funktioniert, ob das ein tolles Unternehmen andere: Ich bin auch innovativ . – Schon handele ich wett- wird oder ob das Unternehmen in Konkurs geht, weil die bewerbsverletzend und europarechtswidrig . Deshalb war Geschäftsidee nicht funktioniert . Deshalb ist es gut, im der Gesetzentwurf relativ kompliziert zu machen . An ei- Körperschaftsteuergesetz den neuen § 8d hinzuzufügen . nigen Stellen müssen sicherlich Nachsteuerungen vorge- Er erlaubt teilweise, Verluste mit zukünftigen Gewinnen nommen werden . zu verrechnen, um Business Angels und ihr Geld anzulo- Nun steht da: Wir wollen die steuerliche Verlustver- cken . Aber im Gegensatz zu § 8c wird nicht jedem diese rechnungsbeschränkung bei Körperschaften neu regeln . Möglichkeit eröffnet . Eine ganz wichtige Voraussetzung Ich frage mich, ob irgendein Bürger weiß, was „Verlust- ist, dass der Betrieb fortgeführt wird . verrechnungsbeschränkung bei Körperschaften“ bedeu- Nun gibt es noch ein paar andere harte Bedingungen, tet . die nicht jedes Unternehmen so einfach erfüllt . Der be- (Heiterkeit bei der SPD) treffende Betrieb muss schon drei Jahre vor dem Antrag existiert haben . Er darf keine weiteren Geschäftsbetriebe Ich erkläre das an einem einfachen Bespiel . Ein Unter- aufnehmen . Er darf keine Beteiligungen an Mitunterneh- nehmen, das 10 Millionen Euro Gewinn macht, müsste merschaften haben . Er darf kein Organträger sein . Or- 3 Millionen Euro bezahlen. Davon fließen 1,5 Millionen ganschaften haben in der Vergangenheit immer zur Ver- Euro an die Gemeinde und 1,5 Millionen Euro an den rechnung von Verlusten mit Gewinnen gedient . Zudem Bund . Aber bei diesem Unternehmen gab es möglicher- darf der Betrieb keine Wirtschaftsgüter unter dem Markt- weise schon längst vergessene Verluste . Wenn es diese wert aufnehmen . Das sind vier oder fünf relativ klare Be- Verluste in Höhe von vielleicht 5 Millionen Euro entspre- dingungen, unter denen überhaupt ein Antrag, wie Herr chend geltend macht, sagt das Unternehmen: Ich habe Dr . Meister ausgeführt hat, gestellt werden kann, wenn 10 Millionen Euro Gewinn, kann aber 5 Millionen Euro der Betrieb unter § 8d fallen soll . Wie man sieht, bleibt Verlust geltend machen . Dann habe ich nur 5 Millionen § 8c erhalten . Mit § 8d sind wir auf einem guten Weg, Euro Gewinn, auf den ich nur 1,5 Millionen Euro Steu- unser Ziel zu erreichen . Es stimmt, dass es auch einen ern bezahlen muss .– So sieht man: Alte Verluste sparen Wermutstropfen gibt . Schließlich können alle Unterneh- 19486 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Lothar Binding (Heidelberg) (A) men, nicht nur die innovativen, einen entsprechenden produzieren, ohne dass sie Gewinne machen können . Sie (C) Antrag stellen . Das schwächt die Zielgenauigkeit; das fahren vielmehr Verluste ein . Es ist natürlich richtig, sich ist ein Nachteil . Ich hoffe, dass die Start-ups, die diese darüber Gedanken zu machen, wie diese Verluste geltend Neuerung gefordert haben, wissen, dass von 100 Euro gemacht werden können . Diese langen Zeiträume betref- Förderung möglicherweise nur 10 bis 15 Euro bei ihnen fen gerade Hochtechnologieunternehmen zum Beispiel ankommen . Aber das lässt sich aus europarechtlichen im Bereich der Biochemie oder etwa der Elektronik . Gründen nicht anders machen . Wir haben leider einen Rückgang von Unterneh- Es gibt allerdings einen Fall, auf den wir achtgeben mensneugründungen . Der ist wirklich erheblich . Ich müssen . Ich nenne als Beispiel einen Betrieb, der bis habe nachgeschaut: Von 2001 bis 2016 ging die Zahl vor fünf Jahren Röhren produziert hat . Der Unternehmer der Unternehmensneugründungen von 1,5 Millionen auf hat mit seinem Röhrenunternehmen einige Millionen 0,76 Millionen – das ist die Hälfte – zurück . Das heißt, Euro Verluste gemacht . Wenn dieses Unternehmen unter wir reden hier vor dem Hintergrund, dass die Innovati- Bezugnahme auf § 8d drei Jahre lang – so lange dauert onsfreudigkeit von Unternehmen, wenn man den Zahlen gewissermaßen die Wohlverhaltensphase – Schrauben- glauben kann, eher abnimmt . zieher produziert – wie wir alle wissen, werden Schrau- benzieher überall gebraucht –, kann dieses Unternehmen Aber wir müssen prüfen, welche Möglichkeiten – die seine Altschulden in beliebiger Höhe mit zukünftigen Konzernklausel und die Stille-Reserven-Klausel sind Gewinnen verrechnen . Das ist der alte Mantelkauf, den angesprochen worden – bestehen . Wir müssen uns aber wir mit dem § 8c verhindern wollten . Die Brücke in auch fragen – da ist die Kritik berechtigt –: Wie breit darf die Welt vor dem alten § 8c müssen wir zerstören . Wir der Spielraum sein? Kollege Binding hat darauf hinge- werden sicherlich einen entsprechenden Antrag stellen wiesen . Wir dürfen nicht zu dem sehr schlechten Verhält- müssen, um nicht eine ganz gefährliche Verlustverrech- nis, das Sie genannt haben, kommen, nämlich dass von nungskarawane im Land auszulösen, die in fiskalischer 100 Euro Förderung nur 10 Euro im Sinne der Zielset- Hinsicht gravierende Folgen hat . zung, die wir haben, wirksam werden . (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Dann kommt man sehr schnell darauf, dass neben den Schönen Dank für die Aufmerksamkeit und Gratulati- innovativen Unternehmen auch andere davon profitie- on zu diesem Gesetz . ren – da müssen wir genau hinschauen, ob wir uns diese Breite erlauben wollen – und dann das Instrument auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) noch nicht einmal sinnvoll greift . Denn es entsteht dabei so etwas wie ein Lock-in-Effekt, wenn wir sagen, dass (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: die Geschäftstätigkeit weiter fortgesetzt werden müsse . (D) Vielen Dank, Kollege Binding, auch vielen Dank von Gerade bei alteingesessenen Unternehmen, die Proble- uns für die erklärenden Beispiele . Manchmal ist es gar me bekommen – wir haben das übrigens im Rahmen der nicht so einfach, Ihren klugen Ausführungen zu lauschen Erbschaftsteuer im Zusammenhang mit der Lohnsum- und sie nachzuvollziehen . Das liegt aber am Metier . menregelung diskutiert –, erleben wir oft die Notwen- digkeit einer Neuausrichtung hinsichtlich der Kunden, (Zuruf von der SPD: Auch am Redner! Aber des Produktportfolios; möglicherweise ist sogar die Auf- das freut uns!) spaltung des Unternehmens sinnvoll . Wenn wir das mit Nächster Redner: Dr .Thomas Gambke für Bünd- dem Hinweis blockieren, dass nur dann Verluste weiter nis 90/Die Grünen . fortgeschrieben werden könnten, wenn diese Maßnah- men nicht umgesetzt werden können, dann machen wir eigentlich genau das Falsche . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin, ich hoffe, dass auch ich ein paar an- schauliche Beispiele nennen kann . Die Messlatte wurde Insofern glaube ich, dass wir uns die Zieldefinition ja hoch gelegt . noch einmal genauer anschauen und scharf prüfen müs- sen, in welchem Umfang wir den jetzt vorgeschlagenen Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen Regierungsentwurf unterstützen können . Ich bin da ein und Kollegen! Die Zielsetzung des vorliegenden Gesetz- bisschen skeptisch . Wir müssen genau darüber nachden- entwurfs steht bei uns im Wahlprogramm . Wir haben das ken, wie wir junge und innovative Unternehmen wirk- oft gefordert . Es ist absolut richtig, darüber nachzuden- lich stützen wollen . Wir haben über die steuerliche For- ken, wie wir gerade innovativen, jungen Unternehmen schungsförderung diskutiert . Das würde bedeuten, einen über eine längere Strecke, und zwar auch über die Stre- aktiven Beitrag zu leisten . Das wäre ein Vorschlag . cke, auf der sie Verluste machen, weiterhelfen können . Frau Karawanskij, die Verluste treten nicht deshalb auf, Die zweite Möglichkeit: Wir haben immer wieder weil der Investor, der dahinter steht, hohe Gewinne ma- gesagt, dass wir bessere Rahmenbedingungen schaffen chen will . Vielmehr treten viele Verluste bei Unterneh- müssen, ob das im Bereich der erneuerbaren Energien men auf, die sich mit nachhaltiger Technologie befassen . oder im Bereich der Digitalisierung ist . Das heißt, wir müssen aktiv einen Rahmen setzen, in dem innovative Da spreche ich fast pro domo; denn ich habe selbst ein Unternehmen tätig sind . Unternehmen, das in dem Bereich tätig ist . Solche Fir- men müssen über einen langen Zeitraum entwickeln und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19487

Dr. Thomas Gambke (A) Etwas hat mich an dem Prozedere gewundert . Wenn Standort ist das – um das gleich einmal vorneweg zu sa- (C) ich es richtig gehört habe, dann sind bisher die Länder gen – wirklich ein super Gesetz . und auch Europa gerade nicht eingebunden worden . Herr Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Das Thema hat (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . uns schon zwei, drei Jahre beschäftigt . Immer wenn ich Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) die Regierung gefragt habe, was sie diesbezüglich ma- Wir sollten auch denen Dank sagen, die daran mitge- che, wurde mir geantwortet: Wir arbeiten daran .– Die wirkt haben: Staatssekretär Meister für das BMF, Frau Regierung hat es aber nie verstanden, unserer Fraktion Zypries, denke ich, für das BMWi . Sie haben mit Helge oder den Ländern ein Feedback darüber zu geben, wor- Braun aus dem Bundeskanzleramt zusammengesessen, an sie denkt . Jetzt kommt die Bundesregierung mit dem um das sozusagen von allen Seiten zu beleuchten . Natür- § 8d, der, soviel ich weiß, zumindest bei den Ländern, lich gab es auch sanften Druck des Parlaments, aber nicht und zwar wegen der Zielungenauigkeit, durchaus Beden- nur der Opposition . Auch die Regierungsfraktionen ha- ken auslöst . ben immer wieder gefragt: Wie weit seid ihr denn? Jetzt muss doch mal etwas kommen . Insofern hoffe ich, dass wir das Thema sehr konstruk- tiv angehen und wir uns noch einmal anschauen, welche Jetzt aber haben wir etwas . Darüber diskutieren wir anderen Möglichkeiten es gibt, um die Zielsetzung, die in der ersten Lesung . Wir haben den § 8c – er wurde wir haben, zu erfüllen . Die Zielsetzung ist, junge und in- schon beschrieben; insofern will ich nicht zu sehr darauf novative Unternehmen zu fördern . Wir sollten Unterneh- eingehen – mit zwei Ausnahmen, die nur für bestimmte men, die ein Risiko eingehen, belohnen oder zumindest Unternehmen gelten; nur dann können Verluste weiter nicht dadurch bestrafen, dass mit dem Risiko verbundene vorgetragen werden . Verluste das Unternehmen beeinträchtigen . Wenn wir in dem Sinne das ganze Thema verhandeln können, dann Jetzt gibt es den neuen § 8d. Ich finde die Idee groß- kommen wir zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis, artig . Zum § 8c hat man gesagt, es werde immer nur auf wenn nicht, müssen wir uns andere Möglichkeiten ge- den Anteilseigner geschaut . Bei einem neuen Anteilseig- nauer anschauen . ner sind die nicht genutzten Verluste jeweils weg; der Geschäftsbetrieb ist völlig außen vor . Jetzt sagt man: Ihr Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . müsst euch mit Antrag entscheiden, ob ihr nicht in ein anderes Regime wechseln wollt, und dann wird auf den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geschäftsbetrieb und nicht mehr darauf geguckt, ob es einen Anteilseignerwechsel gibt oder nicht . Das inter- essiert dann im Grunde nicht, sondern solange der Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) schäftsbetrieb fortgeführt wird, bleiben die nicht genutz- (D) Vielen Dank, Dr .Thomas Gambke . – Der nächste ten Verluste erhalten . Redner: Dr .Philipp Murmann für die CDU/CSU-Frak- tion . Jetzt komme ich – das klang auch schon in einigen Reden an – zu der Frage, über die wir noch diskutieren (Beifall bei der CDU/CSU) werden: Was ist ein Geschäftsbetrieb? Da hat das Minis- terium erst einmal in den Gesetzentwurf hineingeschrie- ben – ich möchte das kurz zitieren –: Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Ein Geschäftsbetrieb umfasst die von einer einheit- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe lichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nach- Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte dieses Ge- haltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördern- setzes ist lang . Schon 2007 haben Kollegen, die jetzt den Betätigungen der Körperschaft und bestimmt auch noch hier sitzen, darauf hingearbeitet, Wachstums- sich nach qualitativen Merkmalen einer Gesamtbe- finanzierung möglich zu machen. Damals waren Klaus- trachtung . Peter Flosbach und mit dabei . Es ging dabei um das sogenannte MoRaKG, das Gesetz zur Ich denke, das wird nachher das Thema sein, um das es Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbe- gehen wird . teiligungen . Das ging sogar durch Bundestag und Bun- desrat, wurde dann aber von der EU gekippt – mit der Qualitative Merkmale sind insbesondere die ange- wesentlichen Begründung, es sei zu schmal, es werde da- botenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kun- mit Beihilfe geleistet, die Wettbewerbsverzerrung durch den- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte die Beihilfe würde die positiven Aspekte dieses Gesetzes und die Qualifikation der Arbeitnehmer. überlagern, insofern sei es nicht EU-konform . Das war Das ist – ich sage das einmal so – eine Definition, die den das große Problem . Rahmen sicherlich schon ganz gut absteckt . Seitdem haben viele Gehirne daran gearbeitet, um Es gibt aber, wie gesagt, einige Eingrenzungen, was eine Lösung zu finden. Nun haben wir diese Lösung. Alle so ein Geschäftsbetrieb nicht machen darf . Ich denke, da Bedenkenträger, die unterwegs sind bzw . waren, sind, sind wir auch in vielen Fragen einig . Er darf nicht ein- denke ich, mit eingebunden worden . Insofern ist aus mei- fach ruhend gestellt werden . Die Körperschaft darf sich ner Sicht mit diesem Gesetz jetzt schon ein Durchbruch nicht an einer Mitunternehmerschaft beteiligen und nicht geschafft worden . Insofern würde ich mich auch freuen, Organträger werden . Es dürfen nicht unter gemeinem wenn wir das möglichst breit tragen würden . Für unseren Wert angesetzte Wirtschaftsgüter übertragen werden . Ich 19488 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Philipp Murmann (A) denke, diese Themen sind wahrscheinlich konsensfähig, Sicht doch sehr hoch gegriffen zu sein . Natürlich müssen (C) oder es besteht bei ihnen sowieso Konsens . sich Bund, Länder und Gemeinden, die über die Gewer- besteuer in der Tat am meisten betroffen sind, wenn man Dann gibt es noch zwei Themen, über die wir si- so sagen will, daran auch beteiligen . Aber ich denke, für cherlich noch diskutieren müssen . Einmal geht es um jede Kommune ist es natürlich auch eine Investition in den Fall, dass ein Geschäftsbetrieb einer andersartigen den Standort, wenn man ein Unternehmen hat, das mit Zweckbestimmung zugeführt wird . Dabei geht es so ein neuem Anteilseigner wachsen kann, Arbeitsplätze schaf- bisschen um das Beispiel, das Lothar Binding angeführt fen kann und dann vor Ort weiterhin bleibt und eben hat: von Röhren auf Schraubenzieher umgestellt . Die nicht in die USA oder in andere Länder abwandert, wo Frage ist aber natürlich auch, wie weit das geht . die Verluste sowieso verrechnet werden können . Insofern Zum anderen gibt es den Fall, dass ein zusätzlicher ist das ein sehr guter Ansatz . Geschäftsbetrieb aufgenommen wird . Das ist natürlich Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und danke gerade bei Start-up-Unternehmen häufig das Problem. noch einmal für diesen guten Entwurf . Sie fangen meinetwegen an, mit einem Wirkstoff zu ar- beiten, weil sie Schnupfen bekämpfen wollen . Im Laufe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Zeit stellt sich dann aber heraus, dass der Wirkstoff ordneten der SPD) nicht bei Schnupfen wirkt, dafür aber beispielsweise für die Haut gut ist . Damit ändert sich natürlich etwas . Das Vizepräsident : kann natürlich auch der Auslöser dafür sein, dass ein neu- Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr .Jens er Anteilseigner sagt: Jetzt ist das für mich interessant . Zimmermann . Ich gehe da hinein und gebe auch Kapital dazu . (Beifall bei der SPD) Wenn wir das zu eng fassen, sind bestimmte Verän- derungen, die bei wachsenden Unternehmen natürlich immer vorhanden sind, gar nicht mehr möglich . Dann Dr. Jens Zimmermann (SPD): kommen wir wieder auf das alte Verlustthema zurück . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung Also, an der Stelle müssen wir, denke ich, schon noch die Rahmenbedingungen für die Kapitalausstattung von ein bisschen darüber diskutieren, wie wir das so ausge- Unternehmen verbessern, auch wenn das aus dem Titel stalten, dass wir nachher auch wirklich die Wirkung ha- des Gesetzes zunächst einmal nicht unbedingt hervor- ben, die wir haben wollen . Es ist ja schon klar geworden: geht . Doch wir haben uns seit vielen Jahren in der Ko- Es gilt grundsätzlich für alle Unternehmen . Denn sonst alition Gedanken darüber gemacht: Wie können wir die kriegen wir das mit der EU auch gar nicht übereinander . Rahmenbedingungen, gerade für junge Unternehmen, (B) Insofern ist der Ansatz aus meiner Sicht auch ganz genau (D) die berühmten Start-ups, die in aller Munde sind, verbes- richtig . sern? Dazu gehört eben auch das Thema Kapitalausstat- Ich würde zum Schluss gern noch drei Punkte anspre- tung . Wir haben im Koalitionsvertrag damals verabredet, chen . ein Wagniskapitalgesetz zu machen . Das haben wir jetzt nicht . Aber die Bausteine dazu schaffen wir jetzt an vie- Der erste Punkt – es wurde schon angesprochen – ist len anderen Stellen . Wir als SPD-Bundestagsfraktion be- der Name . Der Name „Gesetz zur Weiterentwicklung der grüßen das ausdrücklich . steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“ ist natürlich etwas für Technikfreaks . Wir sollten noch ein- Sowohl als Digitalpolitiker als auch als Finanzpoliti- mal darüber nachdenken, ob wir nicht einen etwas schö- ker habe ich mich selbst intensiv mit diesen Problemen neren Namen finden, der das Ziel besser beschreibt und beschäftigt . Wir sind viel unterwegs gewesen, und wir trotzdem EU-konform ist, ich sage jetzt mal: „Gesetz zur machen uns ja immer wieder Gedanken: Was sind denn Verbesserung der Wachstumsfinanzierung von Körper- die Standortfaktoren, die die Gründung von Unterneh- schaften“ oder „ . .von . Geschäftsbetrieben“, wenn man men beeinflussen? Wir haben festgestellt, dass das aktu- das nun unbedingt noch haben will, oder so ähnlich . Das ell in Deutschland eigentlich nicht das zentrale Problem wäre, glaube ich, schon der Mühe wert, um auch nach ist . Es wird so viel gegründet wie seit vielen Jahren nicht außen zu zeigen, dass es ein gutes Gesetz ist . mehr . Aber dann geht es ja weiter . Das Problem, das wir sehen und über das uns häufig berichtet wird, ist, dass Der zweite Punkt . Es gibt eine Rückwirkung zum dann in der Wachstumsphase in Deutschland kein ausrei- 1 .Januar 2016 . Das heißt: Auch Anteilsübertragungen, chender Zugang zu Kapital vorhanden ist . Es gibt die un- die in diesem Jahr erfolgt sind, wären noch durch das Ge- terschiedlichsten Strategien, die die Unternehmen dann setz abgedeckt . Das ist natürlich positiv . wählen . Es ist eben schon angesprochen worden: Häu- Der dritte Punkt, der auch schon angesprochen wur- fig ist die Strategie dann der Weggang ins Ausland. Das de, sind die finanziellen Auswirkungen. Ich denke, wir kann nicht in unserem Interesse sein, und das kann auch sollten noch einmal genau hinterfragen, wo eigentlich nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft sein, meine diese 600 Millionen Euro Steuermindereinnahmen her- Damen und Herren . kommen . Das kann ja nur ein Drittel sein, weil es um (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die steuerlichen Wirkungen geht . Das heißt, es müssten 1,8 Milliarden Euro Verluste innerhalb von einem Jahr Wir brauchen in unseren Start-up-Städten in Deutsch- plötzlich durch dieses Gesetz Wirkung entfalten und die- land – Berlin ist da wirklich europa- und weltweit in aller se 600 Millionen Euro auslösen . Das scheint aus meiner Munde; aber es betrifft auch andere Städte, ich denke da Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19489

Dr. Jens Zimmermann (A) nur an Frankfurt als eines der neuen Center für das ganze Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) Thema FinTech –, um erfolgreich zu sein, eben nicht nur Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der gute Ideen und kluge Köpfe, sondern auf der langen Stre- Kollege Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU . cke auch eine ausreichende Kapitalausstattung . Ich will (Beifall bei der CDU/CSU) an dieser Stelle einmal den Bogen spannen . Wir haben ja über diesen Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren, hinaus schon einige andere Maßnahmen ergriffen . Das Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Ganze läuft unter dem Titel „Die Neue Gründerzeit“ . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich da zum Beispiel an die steuerliche Freistellung Es ist eine Binsenweisheit: Die Erhaltung unserer wirt- des INVEST-Zuschusses denke, wenn ich an das Klein- schaftlichen Leistungsfähigkeit ist kein Selbstläufer . anlegerschutzgesetz und die Diskussion über das Thema Dieser Gesetzentwurf sichert, dass Deutschland als Wirt- schafts- und Investitionsstandort weiterhin hochattraktiv Crowd-Investment denke, wenn wir uns anschauen, dass bleibt und attraktiver wird . In Zukunft erhalten unsere das Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der Unternehmen neue Impulse, um in Wachstumsmärkte zu KfW 400 Millionen Euro für die entsprechenden Fonds investieren . Das dient den Investoren, das dient aber auch zur Verfügung gestellt hat, dann muss man sagen: Da ist den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutsch- viel getan worden . Dieses Gesetz, das wir heute in erster land . Lesung beraten, ist ein weiterer Baustein dieser Strategie . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zur Chancengerechtigkeit gehört, dass risikobedingte der CDU/CSU) Verluste auch eine Verlustverrechnung erhalten . Wenn wir darüber diskutieren, dass Apple durch Steuervermei- Es ist von den Vorrednern schon angesprochen wor- dung eine Steuerlast in Höhe von nur noch 1 Prozent hat, den: Wir haben eine nicht unerhebliche Aufgabe ange- dann müssen wir doch gerade für die kleinen, mittleren nommen . Wir wissen genau, was wir fördern wollen . und jungen Unternehmen ein Gerechtigkeitsangebot ma- Jeder kann sich unter „Start-up“ etwas vorstellen . Wir chen, indem wir ihnen Chancen vermitteln und ihnen wissen ziemlich genau, wen wir fördern wollen . Aber bei Chancen geben . diesem Gesetz müssen wir sehr allgemein formulieren, Für mich ist dieses Gesetz ein Unternehmensmoder- damit wir am Ende nicht in europäische Wettbewerbs- nisierungsgesetz, ein Unternehmensfördergesetz . Wir probleme kommen . Deswegen haben wir als Deutscher werden Wachstum und Investitionen nur schaffen, wenn Bundestag und hat auch der Finanzausschuss die Aufga- wir den Zugang zu privatem Beteiligungskapital ver- (B) be, sehr genau hinzuschauen und mit Expertinnen und einfachen und vor allem auch breit ermöglichen . Neue (D) Experten darüber zu diskutieren: Wie zielgenau funk- Arbeitsplätze benötigen neues Kapital . Es geht nicht an- tioniert dieses Gesetz, und wie hoch sind am Ende die ders . Der Wettbewerbsdruck in der globalisierten Welt Streuverluste? Denn die gilt es zu minimieren . verlangt geradezu neue Investitionen, um die Zukunft zu gewinnen . Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf Ich bin gespannt, welche Rückmeldungen wir aus der wird die steuerliche Verlustverrechnung bei Körperschaf- Praxis bekommen werden . Bei der Kritik, die ich teilwei- ten und Unternehmen neu ausgerichtet . Dadurch werden se vonseiten der kommunalen Ebene gehört habe, muss steuerliche Hemmnisse bei der Kapitalausstattung von man auch ein wenig aufpassen . Wir haben gerade eine Unternehmen vermieden . Steuerlich nicht genutzte Ver- Einigung über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen er- luste gehen dann auch bei einem Anteilseignerwechsel zielt . Wenn ich es richtig sehe, werden wir als Bund in nicht verloren . Sie gehen bisher nur dann nicht verloren, den kommenden Jahren sehr hohe Milliardenbeträge in wenn die Körperschaft die Stille-Reserven-Klausel oder die Hand nehmen . Deswegen müssen wir an dieser Stel- die Konzernklausel erfüllt . So regelt es bisher § 8c Kör- perschaftsteuergesetz . Die Praxis hat aber gezeigt, dass le ein bisschen Maß und Mitte walten lassen; denn am diese Ausnahmen sehr eng gefasst sind – natürlich, weil Ende des Tages ist das Gesetz, das wir hier beraten, im man Missbrauch vermeiden wollte . Aber wir können die Interesse der Kommunen genauso wie im Interesse des kleinen und mittleren jungen Unternehmen nicht dadurch ganzen Landes . Wenn wir es schaffen wollen, die The- bestrafen, dass über § 8c Missbrauch eingeschränkt wer- men, die uns die Digitalisierung momentan stellt, rich- den muss . tig zu bearbeiten und daraus erfolgreich hervorzugehen, dann müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen . Es (Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidel- wäre Augenwischerei, zu glauben, man könne jetzt den berg] [SPD]) einen oder anderen Euro Gewerbesteuer sichern, ohne Jetzt geben wir den kleinen und mittleren jungen Unter- gleichzeitig in neue Technologien, in neue Unternehmen nehmen mit dem neuen § 8d eine neue Chance, eine neue zu investieren . Deswegen bin ich mir auch sicher, dass Unterstützung . wir diese Diskussion am Ende zu aller Zufriedenheit lö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sen können . der SPD) In diesem Sinne herzlichen Dank . Ich glaube, dass wir eine gute Kapitalausstattung be- nötigen, um Liquiditätsengpässe, Finanzierungsengpäs- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) se und finanzielle Schwierigkeiten bei Unternehmen zu 19490 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) verringern – durch bessere Möglichkeiten, in den Wett- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- (C) bewerb einzusteigen und die Wettbewerbsfähigkeit für wurfs auf Drucksache 18/9986 an die in der Tagesord- die Zukunft zu sichern . Oftmals sind Investitionen zum nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es Überleben notwendig, und Voraussetzung ist häufig, dass dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . der Einstieg eines Gesellschafters möglich ist, dass es Dann ist die Überweisung so beschlossen . einen Anreiz für den Einstieg gibt . Rückwirkend zum 1 . Januar 2016 können nun nicht genutzte Verluste trotz Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 7: eines Anteilseignerwechsels weiterhin genutzt werden . Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, Kollegen, stärkt unseren Wirtschaftsstandort, gerade die weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE kleinen und mittleren Unternehmen, die nach wie vor LINKE über 70 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer in Deutschland beschäftigen . BAföG an die Lebenswirklichkeit anpassen – Keine weiteren Nullrunden für die Studieren- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Die großen Konzerne brauchen es nicht; gerade die klei- Drucksache 18/10012 nen und mittleren jungen Unternehmen sind es, die die Überweisungsvorschlag: Beschäftigung fördern . Deshalb benötigen wir sie drin- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- gend . schätzung (f) Haushaltsausschuss Es ist richtig, dass es für den Erhalt des Verlustvor- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für trags nach einem Anteilseignerwechsel keine Rolle spie- diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch len darf, ob und in welchem Umfang Betriebsvermögen höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen . zugeführt wird . Das zeigt auch, dass der Gesetzentwurf nicht nur ausgewogen und wirtschaftlich sinnvoll ist, Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn die- sondern auch den bürokratischen Aufwand begrenzt . ser Aussprache das Wort der Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke . Entscheidend ist, dass wir die Rahmenbedingungen für die Kapitalausstattung insgesamt erheblich verbes- (Beifall bei der LINKEN) sern . Denn viele Unternehmen sind auf eine Finanzierung und die Neuaufnahme von Anteilseignern angewiesen . Nicole Gohlke (DIE LINKE): Wir stärken deshalb die Eigenkapitalbasis der deutschen Herzlichen Dank .– Herr Präsident! Liebe Kollegin- (B) Betriebe, der kleinen und mittleren jungen Unternehmen . (D) nen und Kollegen! Wir haben heute zwei gute Gründe, Das ist ein besonderer Vorteil . Das ist gut; denn Deutsch- über das BAföG und vor allem über seine Weiterentwick- land braucht Modernisierung, braucht Wettbewerbsfä- lung zu diskutieren . higkeit, braucht eine neue Gründerzeit . Wir können nur alle jungen Leute bitten, dass sie die Chance ergreifen, Zum einen feiert das BAföG in diesem Jahr seinen ein Unternehmen zu gründen . Wir geben hier eine klare 45 . Geburtstag – 1971 wurde es von der Regierung Unterstützung . Brandt auf den Weg gebracht –, und das sollte für uns alle Anlass sein, um über dieses sehr gute Instrument für Eine Abgrenzung, die dafür sorgt, dass die Regelung Bildungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich nachzu- nur für Start-ups gilt, halte ich für falsch . Das würde denken . zu Ausweichmanövern führen . Wir müssen alle gleich behandeln; es darf keine Diskriminierung von Unter- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nehmen geben . Wir brauchen natürlich vor allem junge neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Unternehmen; wir brauchen aber immer auch innovative GRÜNEN) Unternehmen, die sich aus den normalen Betrieben he- – Genau, da kann man klatschen; Sie von der CDU/CSU raus entwickeln, damit Deutschland seine ökonomischen eigentlich auch . Chancen im Zuge des internationalen Wettbewerbs und vor allem auch der Digitalisierung nutzen kann . Dabei (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber der ist es essenziell, den Wagniskapitalmarkt und die Grün- Antrag ist kein Grund zum Klatschen!) derszene zu stärken . Das tun wir heute . Das ist ein guter Anfang . Ich glaube, dass wir damit einen richtig guten Der zweite Grund, warum die Linke heute diesen An- Weg für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts begin- trag in den Bundestag einbringt, ist, dass wir leider ganz nen . und gar nicht zufrieden sein können mit dem aktuellen Zustand des BAföG Vielen Dank . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und schon gar nicht damit, wie die Große Koalition das ordneten der SPD) Thema BAföG abhandelt; sie meint, es jetzt für den Rest der Wahlperiode außen vor lassen zu können . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Zu früh ge- Damit schließe ich die Aussprache . klatscht!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19491

Nicole Gohlke (A) Das wird weder den Studierenden heute noch dem ur- Wieder ist Ihnen nicht eingefallen, endlich das Ver- (C) sprünglichen Anspruch des BAföG gerecht . Das muss schuldungsrisiko für junge Menschen, also den Darle- dringend korrigiert werden . hensteil, abzuschaffen, obwohl Sie selber ganz genau wissen, dass sehr viele der Hochschulabsolventinnen und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- -absolventen mit Schulden aus der Studienfinanzierung NIS 90/DIE GRÜNEN) ins Berufsleben starten müssen . Die Linke fordert, das BAföG endlich an die Le- Wieder haben Sie es versäumt, die Altersgrenzen im bensrealität anzupassen . Wir möchten eine substanzielle BAföG aufzuheben und es endlich an die Realität der BAföG-Erhöhung, eine Erhöhung der Bedarfssätze und Bildungsbiografien von heute anzupassen. Freibeträge um 10 Prozent anstelle der 7 Prozent, um so mehr junge Menschen zu erreichen, (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Für Oma und Opa! BAföG für Rentner!) (Martin Rabanus [SPD]: Irgendwas ist mir entgangen!) – Ja, heutzutage ist es eben so, dass ein Masterstudium auch mit über 35 Jahren begonnen wird . um mehr Menschen aus finanziell schwachen Familien an die Hochschule zu bringen und um das BAföG vor Wieder haben Sie es unterlassen, das BAföG mit ei- allem so auszugestalten, dass man davon wirklich leben ner automatischen Anpassung an die Entwicklung der und studieren kann . Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten zu versehen, um den Studierenden endlich die jahrelangen Hängepar- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- tien um BAföG-Erhöhungen zu ersparen, und das beim NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr .Thomas Feist BAföG fairerweise so zu gestalten wie bei den Diäten [CDU/CSU]: Wie viel wollen Sie den ha- von uns Bundestagsabgeordneten . Die steigen nämlich ben? – Gegenruf des Abg . Kai Gehring schon automatisch . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie doch gerade gesagt!) Immer noch müssen Menschen mit einer Aufenthalts- erlaubnis und geduldete Geflüchtete über ein Jahr, näm- Stattdessen erleben wir aber seit einigen Jahren – das lich ganze 15 Monate, warten, bis sie überhaupt BAföG muss man tatsächlich so dramatisch ausdrücken – das beziehen können . langsame Verkümmernlassen des BAföG; Wieder haben Sie die Wohnkostenpauschale nicht (Martin Rabanus [SPD]: Ach du liebe Güte!) so gestaltet, dass man als Student oder Studentin davon denn zum Ersten erreicht das BAföG heute zu wenige – tatsächlich ein WG-Zimmer bezahlen kann . Erst Ende (B) legt man den Monatsdurchschnitt zugrunde, dann stellt September wurden die neuen Zahlen veröffentlicht . Mitt- (D) man fest, dass im letzten Jahr gerade noch 15 Prozent lerweile kostet ein WG-Zimmer im Schnitt 349 Euro . der Studierenden überhaupt durch das BAföG gefördert Das sind 100 Euro mehr als die Wohnkostenpauschale, wurden –, und zum Zweiten ist das BAföG heute weit die das BAföG vorsieht, und zwar nach der letzten Erhö- davon entfernt, bedarfsdeckend zu sein . Wenn man alle hung; da rede ich noch gar nicht von der Miete in Städten Leistungen zusammenrechnet, liegt es deutlich unter den wie in meiner Heimatstadt München . aktuellen Hartz-IV-Bezügen . Angesichts solcher Zahlen (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Kommen Sie ist es ziemlich unangebracht, wenn die Union die letzte mal in den Osten! Da ist es günstiger! – Kai BAföG-Reform als – ich glaube, ich zitiere den Kolle- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gen Rupprecht – „größte BAföG-Reform aller Zeiten“ hilft auch die Mietpreisbremse nicht!) bezeichnet . Das ist nicht nur eine ziemliche sprachliche Verirrung, wenn ich Sie darauf hinweisen darf, sondern Ich muss auch kein Rechenkünstler sein, um zu sehen, zeigt auch eine gehörige Portion Realitätsverweigerung . dass diese Regierung hier zu wenig tut . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Das, wofür Sie sich hier selbst loben, das, was Sie als Das, was Sie mit Ihrer Reform wirklich machen – Er- großen Wurf bezeichnen, basiert auf dem jahrelangen höhung der Sätze um 7 Prozent –, das verzögern Sie auch Unterlassen von Reformen . Es basiert darauf, dass das noch um zwei Jahre . Mit dem verzögerten Inkrafttreten BAföG seit Jahren entsetzlich unterdimensioniert ist, und nehmen Sie in Kauf, dass Zehntausende junge Menschen dafür sind Sie verantwortlich . Über Jahre hinweg haben erst einmal aus der Förderung herausfallen, und Sie neh- die BAföG-Erhöhungen noch nicht einmal die inflati- men in Kauf, dass die Erhöhung mit den gestiegenen Le- onsbedingte Preisentwicklung ausgeglichen . Über Jahre benshaltungskosten wieder nicht Schritt hält . Deswegen hinweg sind über die nicht erfolgte Anpassung der Frei- sagen wir als Linke: Das hier ist nicht die größte Reform beträge Zehntausende aus der Förderung herausgefallen . aller Zeiten; das hier ist vor allem eine ziemlich große Angesichts dieser Situation bleibt von Ihrem Eigenlob Verschleppung . nicht sehr viel mehr übrig als Augenwischerei . Tun Sie den Studierenden und der Idee des BAföG et- (Beifall bei der LINKEN) was Gutes, erhöhen Sie jetzt die Bedarfssätze und Freibe- träge um 10 Prozent, und passen Sie die Wohnkostenpau- Fakt ist auch: Die Große Koalition hat viele der struk- schale an die tatsächlichen Mietpreise an . Das ist dann turellen Fragen im BAföG wieder nicht angefasst: zwar noch nicht die Strukturreform, die wir brauchen, 19492 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Nicole Gohlke (A) aber das wäre ein erster Schritt und ein Zeichen, dass Sie Angesichts der jüngsten BAföG-Reform, dritte Stufe – (C) das BAföG wirklich wieder zu einem Instrument der Bil- plus 7 Prozent bei den Bedarfssätzen und plus 7 Prozent dungsgerechtigkeit machen wollen . bei den Einkommensfreibeträgen –, die in diesen Tagen gestartet ist – wir geben jährlich zusätzlich 825 Millio- Vielen Dank . nen Euro aus –, müssen Sie sich schon den Vorwurf ge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- fallen lassen, dass Sie offensichtlich nicht genug bekom- NIS 90/DIE GRÜNEN) men können . Bei einigen Ländern scheint ein ähnliches Anspruchs- Vizepräsident Johannes Singhammer: denken zu herrschen – so mein Eindruck –, Stichwort Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr .Stefan „BAföG-Entlastung“ . Zwar haben die Länder die freige- Kaufmann . wordenen Mittel fast ausnahmslos im Schul- und Hoch- (Beifall bei der CDU/CSU) schulbereich verwendet, allerdings – das ärgert mich wirklich maßlos – haben sie diese Mittel teilweise nicht zusätzlich in diesem Bereich investiert, sondern zur Ko- Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): finanzierung des Hochschulpaktes verwendet, wie ein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bericht in der Tageszeitung in dieser Woche gezeigt hat, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vor- liegenden Antrag sagt die Linke – wir haben es gehört –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dass das BAföG an die Lebenswirklichkeit angepasst Das sieht Ihr Finanzministerium aber anders!) werden muss . Wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, Frau und damit – ich sage es ganz deutlich – zweckentfremdet . Kollegin Gohlke, dann fällt mir als Reaktion eigentlich In Nordrhein-Westfalen sprechen wir immerhin von ei- nur eines ein: Wir müssen verstärkt den Versuch unter- ner Summe von 200 Millionen Euro, lieber Kai Gehring . nehmen, die Linken an die Lebenswirklichkeit heranzu- Das ist eine Unverschämtheit, um das hier einmal ganz führen . deutlich zu sagen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring Dr . [CDU/CSU]: Das ist [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorwurf hoffnungslos! Hoffnungslos!) ist eine Unverschämtheit! – Özcan Mutlu Das hat Ihre Rede heute wieder gezeigt . Auch wenn das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Getroffene erfahrungsgemäß eine Sisyphusarbeit ist, stelle ich mich Hunde bellen!) dieser Aufgabe heute einmal mehr . Wenn wir so weitermachen – der Bund investiert im- (B) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer mehr und mehr in Bildung und Forschung und ent- (D) NEN]: Arroganz der Macht!) lastet damit die Länder bei ihren ureigenen Aufgaben, und die Länder machen sich dann unter anderem auf Auch die zweite Forderung in Ihrem Antrag – auch Kosten der Studierenden einen schlanken Fuß –, dann das ist Teil der Überschrift –, „Keine weiteren Nullrun- kriegen wir das mit der Bildungsrepublik nicht hin . Das den für die Studierenden“, legt den Verdacht nahe, dass sind nicht nur politische Spielchen, meine Damen und Sie, die Kolleginnen und Kollegen von den Linken, die Herren . Sie verspielen damit ein Stück weit auch die Zu- letzten Jahre schlicht verschlafen haben; das haben Sie kunft unseres Landes . gerade gezeigt . (Zuruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LIN- (Beifall bei der CDU/CSU) KE]) Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Linken Die größte BAföG-Reform aller Zeiten – die lassen wir und den Grünen, sich jetzt empören, dann zeige ich Ih- uns nicht schlechtreden –, die diese Koalition zusammen nen gerne auf, wie sich Ihre Leistungen im Bereich der mit Ministerin Wanka gestemmt hat, ist an Ihnen offen- Hochschulpolitik darstellen . Schauen wir uns einmal das bar komplett vorbeigegangen . aktuelle Hochschul-Barometer des Stifterverbandes an . Da gibt es eine wunderbare Grafik zu den Einschätzun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen der Rahmenbedingungen für Hochschulen . der SPD) (Der Redner hält ein Schaubild hoch) Inhaltlich kann man zu Ihrem Antrag eigentlich gar nicht viel sagen, Frau Kollegin . Sie versuchen erneut, al- Sie sehen eine Deutschlandkarte, auf der das farblich ten Wein in vermeintlich neue Schläuche zu bringen . Sie dargestellt ist . Es gibt Länder, die sich verbessert haben – haben Ihre altbekannten Ladenhüter mit ein paar neuen das sind die dunklen Stellen –, es gibt Länder, bei de- Daten und Informationen versehen . Ansonsten verfahren nen es gleich geblieben ist, und es gibt Länder, die sich Sie wie immer: Copy and paste . Meine Damen und Her- verschlechtert haben; das sind die rot markierten . Welche ren, Sie ermüden damit nicht nur die Bildungspolitiker in Länder sind das? Brandenburg, Thüringen, Berlin und diesem Hohen Hause, sondern langsam, aber sicher auch Nordrhein-Westfalen . Das ist das Resultat linker und die Bürgerinnen und Bürger draußen im ganzen Land . grüner Hochschulpolitik . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob das Ber- Das glauben Sie ja selber nicht!) lin-Beispiel passt? Herr Henkel?) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19493

Dr. Stefan Kaufmann (A) Deshalb – das möchte ich hier auch ganz deutlich sa- Deshalb ist es richtig, dass hier Prioritäten gesetzt wer- (C) gen – bin ich nicht glücklich über den jüngsten Beschluss den . von Bund und Ländern zur Neuregelung des bundesstaat- lichen Finanzausgleichssystems aus der letzten Woche . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es geht ums Mit Blick auf Bildung und Forschung sendet dieser Be- BAföG! Ich glaube, Sie haben den Antrag gar schluss aus meiner, aus unserer Sicht falsche Signale . nicht gelesen!) Insbesondere die Einführung der Bundesergänzungs- Wir dürfen die digitale Zukunft nicht verschlafen und zuweisung für Forschungsförderung halte ich für einen müssen die jungen Menschen fit machen für die künf- Fehler, um das hier ganz offen und deutlich zu sagen; tigen Herausforderungen . Diese Offensive leistet dazu denn diese „entschädigt“ nur diejenigen Länder mit Al- einen wichtigen Beitrag und gibt einen wichtigen Impuls . mosen, die im wettbewerblichen Verfahren weniger Er- folg hatten als andere . Sie widerspricht damit klar dem Frau Kollegin Gohlke, Ihr Antrag ist wirklich müh- Wettbewerbsgedanken unseres Föderalismus, und gera- sam und wie alter Wein in neuen Schläuchen; darüber de dieser kluge Wettbewerb in Forschung und Innovation brauchen wir gar nicht zu reden . Meine Kollegin wird hat Deutschland in den letzten elf Jahren seit 2005 stark- etwas dazu sagen . Ich wende mich den wirklich wichti- gemacht . Am meisten werden übrigens die SPD-regier- gen Themen zu . ten Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz von der (Beifall bei der CDU/CSU) Ergänzungszuweisung profitieren. Damit wird – das sage ich ganz deutlich – die rote Laterne der Erfolglosen zum Die digitale Bildung ist ein zentrales Thema dieser goldenen Label der Lahmen . Das kann nicht sein, meine Koalition und prominent im Koalitionsvertrag verankert . Damen und Herren . Wir flankieren dies mit unserem Koalitionsantrag zur di- gitalen Bildung und haben auch einen Entschließungsan- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Können wir trag zum Thema eingebracht . Die wichtigen Initiativen mal wieder zum BAföG reden?) der Bundesregierung wie die Berufsbildung 4 0. oder die digitale Ausstattung der überbetrieblichen Bildungsstät- Eines ist mir noch wichtig zum Beschluss vom ver- ten zeigen, dass es der Bundesregierung mit diesem The- gangenen Freitag – Kollegin Albsteiger wird noch etwas ma wirklich ernst ist . dazu sagen –: Die Bund-Länder-Vereinbarung ist keine Abschaffung und auch keine Aushebelung des Koope- Ein zentrales Vorhaben der Bildungsoffensive ist der rationsverbotes . Auch wenn viele das fälschlicherwei- Digitalpakt für die Schulen . Mit ihm wird ein wichtiger se hoffen oder jetzt noch herbeireden wollen: Der Be- Startschuss für die Verhandlungen gegeben, wie ein Zu- schluss ist eindeutig. Es geht hier nur um finanzschwache kunftspaket für die digitale Ausstattung der Schulen und (B) Kommunen und nur um deren Bildungsinfrastruktur . die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern verbind- (D) Übrigens hat auch Baden-Württemberg in seiner Proto- lich und nachprüfbar ausgestaltet werden kann . kollerklärung richtigerweise darauf hingewiesen, dass das Kooperationsverbot nicht zur Debatte steht . Die Sa- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nierung der maroden Schulgebäude ist und bleibt damit Es geht ums BAföG! – Özcan Mutlu [BÜND- auch weiterhin ganz überwiegend Aufgabe der Länder NIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Schule würde und Kommunen . Deshalb rate ich allen, auch hier im der Lehrer sagen: Setzen! Sechs! Thema ver- Hause, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Ball flach fehlt!) zu halten . Wir werden nämlich sehr genau darauf achten, Das ist wiederum eine Nagelprobe für die Länder, die dass die Anpassung des Grundgesetzes genau dem Be- nun gefordert sind, Konzepte für die Lehrerbildung vor- schluss von Bund und Ländern folgt . zulegen, um die erforderliche Infrastruktur mit zu finan- zieren . Mir ist in diesem Zusammenhang als Forschungspo- litiker besonders wichtig, dass wir unsere Bemühungen Lassen Sie mich sagen: Die Kritik einzelner Lehrer- in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Entwick- verbände, der Digitalpakt sei eine Einmischung in Bil- lung und Innovation in gleichem Maße fortsetzen wer- dungsinhalte, ist nun wirklich lächerlich . den; denn das sind die Zukunftsbereiche, die uns Wett- bewerbsfähigkeit und Wachstum bringen . Das dürfen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir jetzt nicht aus den Augen verlieren; wir werden hier Es geht ums BAföG! – Özcan Mutlu [BÜND- auch in Zukunft starke Signale setzen . Wir dürfen bei NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den fal- Forschung und Innovation in unseren Anstrengungen schen Redezettel, oder was?) nicht nachlassen, um unseren Wohlstand zu erwirtschaf- Die Verbände sollten sich vielmehr Gedanken darüber ten . Dies zeigt erfreulicherweise auch der Bundeshaus- machen, wie sie die Lehrerinnen und Lehrer auf das Le- halt 2017 sehr eindrucksvoll . ben 4 0. und die digitale Welt vorbereiten . Dazu reicht es nicht aus, wenn ein Lehrer weiß, wie ein Whiteboard Ich darf an dieser Stelle Frau Ministerin Johanna funktioniert . Das sollte man in Richtung der Verbände Wanka für ihre Bildungsoffensive für die digitale Wis- deutlich sagen . sensgesellschaft ausdrücklich loben . Das Beherrschen digitaler Techniken ist das Zukunftsthema und die Stell- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schraube für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unse- NEN]: Jetzt zum Thema, bitte!) res Landes . Wie die Ministerin schon öffentlich sagte, ist die Bil- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: BAföG!) dungsoffensive ein Vorhaben für die nächste Legislatur- 19494 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Stefan Kaufmann (A) periode . So sehen wir das auch . Wir müssen erst einmal Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) beobachten, was die KMK zu diesem Thema beschließt . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden die Bund-Länder-Gespräche im weiteren Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht hier um Verlauf aufmerksam begleiten und dann entscheiden, das BAföG, wenn aus unserer Sicht der richtige Zeitpunkt erreicht ist . Das bedeutet im Übrigen auch, dass wir nicht über Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten zelmaßnahmen entscheiden, sondern über ein Gesamtpa- der SPD) ket . um eines der größten Sozialgesetze dieser Republik . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mein Vorredner, Herr Kaufmann, hat sich in der Debatte offensichtlich zum Teil verlaufen bzw . vergaloppiert . Das Gesamtpaket muss stimmen . Bundesgeld gibt es nicht geschenkt; es muss einen Mehrwert schaffen . Des- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Schade!) halb muss es klare, nachprüfbare Kriterien, transparente Ich möchte Sie als Koalition daran erinnern, dass Verfahren sowie Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten durch Ihre BAföG-Novelle der Bund seit zwei Jahren für geben . die Berufsausbildungsförderung allein zuständig ist . Das heißt, man braucht hier auch keine Bund-Länder-Debatte (Beifall bei der CDU/CSU) oder Bildungsfinanzierungsdebatte zu führen. Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas in Richtung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Heil sagen – er weilt heute leider nicht unter uns –, und bei der LINKEN) Vielmehr geht es um die Zukunft des BAföG in dieser (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, was auch Republik . Das BAföG ist das Bildungsgerechtigkeitsge- ein anderes Thema ist! Ich will nur noch ein- setz Nummer eins, und es ist das Finanzierungsinstru­ mal darauf hinweisen! – Kai Gehring [BÜND- ment für Bildungsaufstieg und Zugangschancen . Es ist NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ministerin und ein Rechtsanspruch, kein Almosen . Es geht nicht um Staatssekretäre fehlen auch!) Bund-Länder-Debatten, sondern um die Frage, wie die Zukunft der jungen Generation gestaltet wird . Wir wol- der einen neuen Bildungsgipfel einberufen möchte, um len das BAföG beherzt ausbauen, damit es nichts an At- eine neue Bildungsallianz zu schmieden . Wir brauchen traktivität einbüßt . keinen hektisch aufgesetzten neuen Bildungsgipfel . Wir (B) brauchen auch keine neue Gesamtstrategie für die Bil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) dung . Den Investitionsstau in den Schulen haben die und bei der LINKEN) Länder zu verantworten. Sie sind finanziell im Übrigen Dem BAföG durch sechs Nullrunden eine Schrumpf- auch in der Lage, ihrer Verantwortung nachzukommen . kur zu verpassen, war eine eklatante Fehlentscheidung Wir haben vonseiten des Bundes wirklich ausreichend von Union und SPD . Diese wollen wir Grüne gemeinsam Unterstützung dafür geleistet . Wenn ihnen die 1,2 Milli- mit der Linksfraktion korrigieren . Unsere Alternative ist arden Euro jährlich aus der BAföG-Entlastung oder die klar: Auch 2017 muss es mehr BAföG für Schüler, Schü- Übernahme der Aufwüchse aus dem Pakt für Forschung lerinnen und Studierende geben . und Innovation oder die insgesamt 20,2 Milliarden Euro (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Hochschulpakt nicht ausreichend Entlastung und bei der LINKEN) gebracht haben, um die Schulgebäude zu sanieren, dann haben sie einfach, um es salopp zu sagen, Mist gebaut . Die sechs Jahre ohne BAföG-Erhöhung haben die Bil- Dafür werden sie den Bund nicht weiter in Haftung neh- dungsfinanzierung geschwächt. Ganze zwei Studieren- men können . Deshalb ist dieser Bildungsgipfel nicht not- dengenerationen mussten zuschauen, wie ihre finanzielle wendig . Wir können und werden – das ist mein letzter Situation von Semester zu Semester immer schlechter Satz – die Länder auch in diesem Punkt nicht aus ihrer geworden ist . Ungefähr 130 000 Schüler und Studieren- Verantwortung entlassen . de sind seit 2011 aus dem Kreis der Berechtigten her- ausgerutscht . Das ist die traurige Bilanz unionsgeführ- Herzlichen Dank, meine Damen und Herren . ter BAföG-Politik . Das ist nicht gut für unser Land der Dichter und Denker . (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die ei- sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE]) gene Ministerin auch nicht! Sie glänzt wieder mit Abwesenheit! – Dr . Zwar bekommen Studierende und Schüler ab diesem [SPD]: Merkwürdige Rede!) Semester mehr Geld; aber die Anpassung hielt mit der Preis- und Einkommensentwicklung nicht Schritt . Trotz Anpassung ist das BAföG 2016 weniger wert als das Vizepräsident Johannes Singhammer: 2010 . Das ist schlechte Politik . Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bündnis 90/Die Grünen . und bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19495

Kai Gehring (A) Diese schlechte Politik hat konkrete Folgen . Nehmen dersätzen und Freibeträgen einführen . Das ist doch nicht (C) wir eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern . so schwer . (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Ganz konser- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vativ gedacht! Gefällt mir gut!) und bei der LINKEN) Gerade gab es glücklicherweise eine Lohnerhöhung . Auf Das geht beim Arbeitslosengeld, bei der Rente und auch die Freude folgt schnell der Kater: höhere Steuern . Dann bei den Abgeordnetendiäten . Warum also nicht bei den fällt wegen der Freibetragsgrenzen auch noch das BAföG Studierenden? Die automatische Anpassung bringt Bere- für die Kids weg . Aber gerade mit der Aussicht auf eine chenbarkeit ins BAföG . Das ist uns wichtig . verlässliche Studienfinanzierung steht oder fällt die Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scheidung für oder gegen ein Studium . und bei der LINKEN) (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Es sind im- Der Bund finanziert das BAföG nun zu 100 Prozent. mer mehr junge Leute, die studieren! Das ist Darum hat der Bundestag die Freiheit, jede künftige doch völliger Quatsch, was Sie hier sagen!) BAföG-Reform alleine auf den Weg zu bringen . Lie- be Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, diese Wir sagen: Gerecht geht es in Deutschland erst dann zu, Wahlperiode ist weiß Gott noch nicht zu Ende – man wenn Zugangs- und Bildungschancen nicht vom Geld- muss fast sagen: leider –; Sie haben noch ein Jahr Zeit . beutel der Eltern abhängen . Dieses Jahr sollten Sie für ein weiteres BAföG-Plus nut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen . Wir wollen mehr derjenigen zum Studium ermun- und bei der LINKEN) tern, deren Eltern wenig verdienen, deren Eltern nicht studiert haben oder die eingewandert sind . All das könn- Auch hier im Bundestag gibt es viele Arbeiterkin- ten wir zügig beschließen . Union und SPD müssten sich der; ich gehöre dazu . Es ist für unsereins nicht völlig nur einen Ruck geben . selbstverständlich, sich für ein Studium zu entscheiden . Die soziale Öffnung der Hochschulen für Kinder von Danke schön . Nichtakademikern muss endlich bundesweit selbstver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ständlich werden . und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) von der CDU/CSU: Ist es doch!) Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek, (D) SPD . Deshalb ist es so wichtig, zum Studium zu motivieren und für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die zum Le- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben ausreicht . Das BAföG muss substanziell verbessert der CDU/CSU) werden . Deshalb fordern wir unter anderem: Erstens . Die Fördersätze und die Freibeträge vom Ein- Oliver Kaczmarek (SPD): kommen der Eltern müssen um jeweils 10 Prozent stei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gen . für den Antrag fast dankbar, weil er mir die Möglichkeit gibt, über das zu sprechen, was wir tatsächlich erreicht (Beifall der Abg . Nicole Gohlke [DIE LIN- haben, also nicht über Hoffnungen und Versprechungen, KE]) sondern über das, was in diesen Tagen, in denen das Win- tersemester beginnt, bei den Studierenden seine volle Damit würden endlich mehr Schüler und mehr Studieren- Wirkung entfaltet . de BAföG-berechtigt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zweitens . Wir wollen, dass Wohnkosten angemessen der CDU/CSU) erstattet werden . Wir wollen die Mietkostenpauschale staffeln und sie an regionale Durchschnitte anpassen; Ich sage selbstbewusst: Diese 25 .BAföG-Novelle ist denn Wohnen ist in München, Köln und Chemnitz unter- ein großer Schritt nach vorne . Wir als SPD haben uns schiedlich teuer . dabei zwei Ziele vorgenommen, die wir gemeinsam in der Koalition miteinander vereinbart haben . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Erstes Ziel . Wir wollten das BAföG substanziell er- höhen . Auch wenn das hier gerade anders dargestellt Drittens . Statt jahrelanger Hängepartien und Regie- worden ist, bin ich der Meinung, dass eine Erhöhung der rungswillkür in Serie Bedarfssätze und Freibeträge um 7 Prozent eine substan- zielle Erhöhung ist . Sie wirkt bis tief in die Gesellschaft (Lachen des Abg . Dr .Thomas Feist [CDU/ hinein und bringt 110 000 Menschen zusätzlich einen CSU]) Anspruch auf BAföG . Das ist tatsächlich etwas Substan- zielles . wollen wir im BAföG-Gesetz Indizes für eine dynami- sche, regelmäßige und automatische Erhöhung von För- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 19496 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Oliver Kaczmarek (A) Ich will es kurz aufzählen: Wir haben die Wohnpauscha- Wenn Sie, liebe Frau Gohlke, in Anbetracht dessen von (C) le auf 250 Euro erhöht . Wir haben die Hinzuverdienst- Verkümmern und Verschleppen sprechen, muss ich ehr- grenze erhöht . Man darf ein Auto bis zu einem Wert von lich sagen: Es fehlt mir doch ein bisschen der Bezug zur 7 500 Euro besitzen . Wir haben den Kinderzuschlag politischen Realität, wenn wir jedes Jahr 2 Milliarden vereinheitlicht und ihn auf 130 Euro pro Kind erhöht . Euro in die Hand nehmen . All das sind Maßnahmen, die das BAföG einen großen Schritt nach vorne gebracht haben . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ja, die 25 .BAföG-Novelle ist ein großer Schritt nach der CDU/CSU) vorne; aber damit sind wir noch nicht am Ende . Natürlich gibt es Dinge, die wir uns noch vornehmen müssen, die Zweites Ziel . Wir wollten, dass das BAföG struktu- wir vielleicht auch noch ausführlicher diskutieren müs- rell modernisiert wird . Sie haben den Anspruch, es an die sen . Ich möchte drei Punkte nennen: Lebenswirklichkeit der Studierenden anzupassen . Wir sind froh, dass wir es mit diesem Schritt schon einmal Erstens . Die Diskussion über den Anpassungsmecha- an die Lebenswirklichkeit der Studierenden angenähert nismus bzw . über regelmäßige Anpassungen ist ja rich- haben . Die Förderlücke zwischen Bachelor und Master tig; denn der Zeitraum von 2010 bis 2016 ohne Erhöhung ist geschlossen . Zum Teil ist diese Regelung sogar schon beim BAföG ist zu lang . Ich will es mir aber nicht so vorzeitig in Kraft getreten . einfach machen und sagen: Die SPD war vier Jahre nicht in der Regierung; deswegen hat das nicht geklappt .– Wir (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann haben in dieser Zeit den Versuch erlebt, einen Paradig- [SPD]) menwechsel einzuleiten . Die schwarz-gelbe Bundes- regierung hat den Versuch unternommen, eine öffent- Wir erleichtern die Ausbildung im Ausland und im Üb- lich-privat finanzierte Stipendienkultur aufzubauen und rigen auch den Zugang ausländischer Studierender zum so zu dimensionieren, dass sie das BAföG schrittweise BAföG . ersetzt . Frau Schavan hat uns das 2005 ebenfalls angebo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten . Darauf ist die SPD nicht eingegangen . Ich will darauf der CDU/CSU) hinweisen, dass wir in dieser Wahlperiode gemeinsam als Große Koalition diesen Fehler korrigiert haben . Wir Das ist, Herr Gehring und Herr Kaufmann, das Ge- haben das Deutschlandstipendium auf ein realistisches genteil von dem, was gerade in Baden-Württemberg ge- Ausmaß begrenzt, die Begabtenförderung gestärkt und schieht . das BAföG massiv erhöht . Das ist der richtige Mix und (Beifall bei der SPD) die richtige Gewichtung für eine Studienfinanzierung der (B) Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen . (D) Durch die Ankündigung von Studiengebühren für aus- ländische Studierende werden dieser Gruppe dort zusätz- (Beifall bei der SPD) liche Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich finde, Ja, wir brauchen zukünftig eine Verpflichtung, in re- das ist ein interessantes Beispiel . Es gibt Bundesländer, gelmäßigen Abständen auf die Entwicklung des BAföG die ihre Haushalte unter Nichteinbeziehung der Bil- zu schauen und es realistisch anzupassen . Ich bin aber dungsressorts konsolidieren . Baden-Württemberg geht nicht der Meinung, dass dies automatisch und jährlich einen anderen Weg . Deswegen bin ich für dieses Beispiel geschehen soll . Durch die Bundeszuständigkeit haben dankbar; denn es macht ziemlich gut den Unterschied wir die Möglichkeit, das BAföG zu repolitisieren . Ich zwischen Zukunftsinvestitionen und Bildungsbremse möchte uns nicht ersparen, im Bundestag regelmäßig da- und zwischen Rot-Grün und Schwarz-Grün deutlich . rüber zu diskutieren, welche Erhöhung angemessen ist . (Beifall bei der SPD) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, diese BAföG-No- NEN]: Das tun wir doch gerade!) velle ist eine große Zukunftsinvestition . Durch den Bun- Zweitens . Wir haben es in dieser Wahlperiode noch desanteil, der den Ländern jetzt erstattet wird, haben wir nicht geschafft, dass das ehrenamtliche Engagement be- es ermöglicht, sinnvolle Investitionen insbesondere in sonders berücksichtigt und wertgeschätzt wird . Diese Schulen und Hochschulen zu ermöglichen . Die Bundes- Diskussion haben wir im Laufe der Wahlperiode geführt . regierung hat in ihrer Unterrichtung am 22 .Juni dieses Es wäre eine Anerkennung, wenn der BAföG-Bezug für Jahres dankenswerterweise bestätigt, dass die Mittel von Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, verlängert den Ländern vereinbarungsgemäß verwendet werden . würde, so wie es heute schon für diejenigen möglich ist, Herzlichen Dank dafür! Vielleicht können wir sie ja auch die sich in den Hochschulgremien engagieren . Dabei noch etwas breiter verteilen . sind mir nicht nur die Hochschulgremien oder die Par- Wir nehmen für diese Novelle 800 Millionen Euro teijugenden wichtig, sondern insbesondere auch die Feu- zusätzlich in die Hand . Das heißt, in diesem Haushalts- erwehren, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die Um- jahr und im nächsten Haushaltsjahr – dann mit der vollen weltorganisationen und was es da sonst alles so gibt . Ich Wirkung – werden jedes Jahr 2 Milliarden Euro mehr würde mich freuen, wenn wir mit dem Bundesjugend- fürs BAföG bereitgestellt . ring und den Jugendverbänden über die Frage diskutie- ren würden, wie man realistisch, pragmatisch umsetzbar (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann und vertretbar das ehrenamtliche Engagement im BAföG [SPD]) fördern kann . Ich glaube, eine Gesellschaft, die so sehr Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . 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Oliver Kaczmarek (A) auf das Ehrenamt angewiesen ist, sollte sich vornehmen, Dann wiederum gibt es Anträge von der Oppositi- (C) für ein bisschen Anerkennung im Rahmen des BAföG zu on, die im Wechsel, mal von den Linken, mal von den sorgen . Grünen, immer wieder innerhalb einer Legislaturperio- de gestellt werden . Wir debattieren zigmal darüber – ob (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hier im Plenum oder im Ausschuss – und tauschen die der CDU/CSU) Argumente aus . Alle Argumente sind wirklich in Gänze Letzter Punkt . Die elektronische Antragstellung ist auf den Tisch gelegt; es ist immer und immer wieder das vereinbart worden und im Prinzip auch möglich, aber gleiche Spiel . nicht in der Weise, wie wir uns das wünschen, nämlich (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- medienbruchfrei . Teilweise muss zu den elektronischen NEN]: Ihr lernt ja nie! Das ist ja das Problem!) Anträgen noch Papier hinterhergeschickt werden . Wir müssen an diesem Thema weiter arbeiten und mit den Der Erkenntnisgewinn ist begrenzt .– Um genau so einen Ländern im Gespräch bleiben, um einen medienbruch- Antrag handelt es sich heute hier . freien BAföG-Antrag hinzubekommen . Der elektro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nische BAföG-Antrag muss so etwas wie ein Prunkstück der digitalen Verwaltung werden . Ich bin immer ganz Meine Damen und Herren von den Linken, diesen verzweifelt, wenn ich feststelle, dass die elektronischen Antrag mit dem Titel – das muss man sich auf der Zun- Verfahren im Wissenschaftsbereich überhaupt nicht ge zergehen lassen – „BAföG an die Lebenswirklichkeit funktionieren . Deswegen brauchen wir eine Fortentwick- anpassen – Keine weiteren Nullrunden für die Studieren- lung beim elektronischen Antragsverfahren . den“ – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Tolle Überschrift!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Debatte ist einmal mehr deutlich geworden: Das BAföG war Teil ei- gut drei Monate nach der größten BAföG-Reform aller ner Erfolgsgeschichte von mehr Chancengleichheit und Zeiten vorzulegen, ist schon eine ganz besondere Ka- mehr Aufstieg durch Bildung . Sie soll fortgeschrieben tegorie . Dass Sie uns das hier auch noch auf nur zwei werden . Mit dieser Novelle sind die Weichen so gestellt, Seiten präsentieren, erweckt bei mir den Eindruck von dass das erfolgen kann . In dieser Debatte ist auch deut- Lieblosigkeit und Leidenschaftslosigkeit . Sie haben sich lich geworden, wo große Hoffnungen, überbordende offensichtlich nicht so viel Mühe gemacht, und ich finde Versprechungen gemacht werden und wo Verlässlichkeit ihn, ehrlich gesagt, auch relativ unverschämt . Aus mei- hergestellt wird durch eine Politik, auf die sich die Men- ner Sicht hat das schlichtweg nichts mit konstruktiver, (B) schen verlassen können. Das BAföG ist erhöht. Ich finde, reflektierter und auch anerkennender Oppositionspolitik (D) das ist ein guter Erfolg, den wir erreicht haben . zu tun . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb würdigen Sie ja jetzt den Oppositi- onsantrag!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Sie fordern keine weiteren Nullrunden und verdrehen Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Katrin damit an dieser Stelle die Tatsachen . Albsteiger . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Kein einziges Fachargument bisher!) Das wird der Sache nicht gerecht . Es gibt einen kleinen, (CDU/CSU): Katrin Albsteiger aber feinen Unterschied zwischen Politik auf der einen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seite und Polemik auf der anderen Seite: Meine Damen und Herren! Ob Sie es glauben oder nicht: Es gibt Oppositionsanträge, die für das Parlament eine (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: echte Bereicherung sind, Anträge, die sinnvolle Denkan- Das ist gerade eine polemische Rede par stöße geben und uns als Regierungsfraktionen die Mög- excellence!) lichkeit eröffnen, sich zu dem einen oder anderen Thema Während wir Bildungspolitik machen, beschränkt sich ganz neu, frisch, offen und transparent zu positionieren . die Linke auf Bildungspolemik . Das sind Anträge, von denen wir alle etwas haben, die wir gerne miteinander debattieren . (Beifall bei der CDU/CSU) Dann gibt es Oppositionsanträge, die alle Jubeljahre Gerade wenn in diesen Tagen in diesem Hause rot-rot- kommen, die aus der Mottenkiste geholt werden nach grüne Gespräche geführt werden, sollten sich die Betei- dem Motto: Darüber hätten wir schon lange mal wieder ligten ganz genau überlegen, ob sie in diesem Stil mit reden müssen . den anderen überhaupt Bildungspolitik machen wollen . Sehen wir es aber einmal positiv: Das gibt uns zumindest (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, wenn die die Gelegenheit, über das zu sprechen, was wir alles ge- Regierung nichts macht!) macht haben . Das sind meistens alte Hüte, die mit aktueller und moder- Um es noch einmal deutlich zu machen: Zu den we- ner Politik schon lange nichts mehr zu tun haben . sentlichen Veränderungen durch die letzte BAföG-Re- 19498 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Katrin Albsteiger (A) form, die erst kürzlich in Kraft getreten ist, passt der Vor- Griff bekommen und die Sache finanziell nicht austariert (C) wurf von Nullrunden überhaupt nicht . ist . So ist es nun einmal in der Politik: Es ist immer auch ein Kampf ums Geld . Den führen wir gerne, wir führen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auch gerne die Debatten . Genau deshalb aber sage ich: Die Union scheint zu viel Redezeit zu haben, Wir brauchen die dynamische Anpassung nicht . dass man sie mit solchen Plattitüden füllt! – Gegenruf des Abg . [CDU/ Zweitens . Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Beiträge CSU]: Das Leben ist manchmal hart!) sollten statt um 7 Prozent, um die wir sie erhöht haben, noch schnell um mindestens 10 Prozent steigen . So funk- Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Ers- tioniert Politik halt nicht . Die aktuelle BAföG-Reform ist tens . Zum Wintersemester 2016 steigen die BAföG-Sät- seriös durchgerechnet . Hinzu kommt, dass wir ein aus- ze um 7 Prozent . Zweitens . Studierende mit einer eige- führliches parlamentarisches Verfahren hatten, in dem nen Wohnung erhalten bis zu 735 Euro monatlich . Das wir uns mit diesem Thema beschäftigt und Argumente ist nicht nichts; damit kann man durchaus leben, wenn ausgetauscht haben . Jetzt noch einmal 3 Prozentpunkte man sparsam ist . Drittens . Auch die Freibeträge bei mehr zu fordern, ist so ein bisschen Fundamentalop- den Elterneinkommen steigen, sodass insgesamt circa position, immer nach dem Motto: Das, was die Regie- 110 000 Studenten und Schüler mehr in den Genuss des rung macht, ist immer zu wenig; wir wollen mehr, mehr, BAföG kommen . mehr – (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: Die vorher herausgefallen sind!) wie auch immer das Ganze am Schluss finanziert werden Das alles hat seinen Preis . Die Leistungsverbesserungen soll, ob durch die Aufnahme neuer Schulden oder durch haben insgesamt ein Volumen von jährlich 825 Millionen Steuererhöhungen oder dadurch, dass man Geld aus Euro . anderen wichtigen Bildungsprojekten zieht . Das wäre (Beifall des Abg . Dr .Thomas Feist [CDU/ das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ . Das ist eine CSU]) Milchmädchenrechnung; aber offensichtlich kennen Sie sich damit aus . Mit uns jedenfalls ist das nicht zu ma- Ich möchte noch etwas zum Antrag selber sagen: chen; denn generationengerecht ist das nicht . Erstens . Es wird gefordert, dass die Bedarfssätze und Drittens . Sie fordern, den nächsten BAföG-Bericht die Freibeträge künftig dynamisch anzupassen sind . Hier noch in diesem Jahr vorzulegen . Zugegeben: Berichte haben wir ein unterschiedliches Verständnis von Politik . sind für uns wichtig . Sie sind aber kein Selbstzweck . Wir haben es im letzten Jahr geschafft, den Weg aus der Sie müssen dann vorgelegt werden, wenn es etwas zu unproduktiven Mischfinanzierung zu finden. Seit dem (B) berichten gibt . Die Reform ist gerade erst in Kraft getre- (D) 1 .Januar 2015 hat der Bund die vollständige Finanzie- ten . Nun muss es die Möglichkeit geben, sie eine Weile rungshoheit . Die Länder werden jährlich um 1,2 Milliar- wirken zu lassen . Wir freuen uns alle gemeinsam auf den den Euro entlastet . Das ist ein ganz schöner Batzen Geld, BAföG-Bericht im Jahr 2017, in dem die Auswirkungen und das muss im Bundeshaushalt erst einmal finanziert der aktuellen Reform beschrieben sein werden . In dem werden . Man kann nicht immer, nachdem man Geld in- Bericht kann auch berücksichtigt werden, welche aktu- vestiert hat, schon über die nächste Erhöhung sprechen . ellen Entwicklungen noch einbezogen werden müssen . Man muss die Dinge auch einmal wirken lassen . Auch das Thema „elektronische Beantragung“ und die (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Frage, ob dies reibungslos funktioniert, kann darin aufge- Hein [DIE LINKE]: Wie lange?) arbeitet werden . Das ist für uns wichtig . Danach werden wir selbstverständlich das BAföG weiterentwickeln . Damit haben wir die Zeit der Schwarze-Peter-Spiele beendet . Sie sind jetzt Geschichte . Der Bund hat die Ver- Wir haben das BAföG in dieser Legislaturperiode zu- antwortung und wird sie auch wahrnehmen . Wir haben kunftsfähig gemacht . Wir haben mit der Übernahme der das Heft des Handelns in der Hand, und das wollen wir gesamten BAföG-Finanzierung von 1,2 Milliarden Euro auch behalten . Die Forderung nach einer dynamischen in dieser Legislatur durchaus einen schönen Batzen ge- Anpassung des BAföG ist daher nicht mehr notwendig . stemmt . Wir stehen zum BAföG und werden es mithilfe Wir müssen uns nicht mehr die ganze Zeit mit den Län- der BAföG-Berichte weiterentwickeln, und irgendwann dern zu Verhandlungen darüber an den Tisch setzen . Sie fließt natürlich auch wieder mehr Geld. waren natürlich müßig und haben auch dazu beigetragen, Herr Präsident, ich muss zum Schluss noch einen dass nicht arg viel passiert ist . Das ist jetzt Gott sei Dank Punkt nennen . erledigt . Den Gestaltungsspielraum wollen wir uns je- denfalls nicht nehmen lassen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie schon eine so lange Redezeit Verantwortung heißt, dass man Veränderungen, die es und kommen noch nicht einmal hin!) in der Realpolitik nun einmal gibt, auch berücksichtigt . Eine Dynamik passt einfach nicht dazu . Wir wollen ana- Der Kollege Kaczmarek hat vorhin gesagt, wir hätten lysieren, reflektieren, alles im Lichte der Zeit bemessen das Deutschlandstipendium einführen wollen, um das und im Gesamtkontext sehen und die entsprechenden BAföG Schritt für Schritt zu ersetzen . Das ist komplett Schritte gehen, wenn wir sie für geboten und richtig er- falsch . Das Deutschlandstipendium und alle anderen achten . Die junge Generation hat auf lange Sicht nichts Stipendiensysteme sind enorm wichtige Finanzierungs- davon, wenn wir das nicht auch haushalterisch in den instrumente . Sie sind aber nicht eingeführt worden, um Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19499

Katrin Albsteiger (A) das BAföG ganz oder teilweise zu ersetzen, sondern als zu gewinnen, wenn es beispielsweise darum geht, mit an- (C) Ergänzung . Das ist auch gut so . deren Instrumenten den Wohnungsmarkt aufzubrechen, beispielsweise mit der Mietpreisbremse oder dem sozia- Es ist natürlich völlig klar: Wir lehnen Ihren Antrag len Wohnungsbau . ab . Ich hoffe, dass Sie bis zum nächsten Recycling Ihres Antrags ein bisschen Zeit vergehen lassen, es also noch (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein wenig dauern wird, bis er wieder auf die Tagesord- Das wissen wir doch schon, dass die Miet- nung kommt . preisbremse nicht funktioniert! Sie bremst Vielen Dank . nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Schauen wir uns doch an, wie sich das entwickelt . Dann können wir vielleicht zu einem konstruktiven Gespräch Vizepräsident Johannes Singhammer: kommen und uns mit den Nutzergruppen befassen . Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Dr . Daniela De Ridder für die SPD . Was auch zu den Ausblendungen gehört – lassen Sie mich das sagen –, ist das Thema Meister-BAföG . Auf (Beifall bei der SPD) welche Gruppe kaprizieren Sie sich denn, wenn Sie über das BAföG reden? Und warum ignorieren Sie, dass wir Dr. Daniela De Ridder (SPD): die Zuschüsse für das Meister-BAföG deutlich erhöht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und haben, nämlich auf 50 Prozent, und beispielsweise auf Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Maßnahmen rekurrieren, die diejenigen in Anspruch neh- Vor allem: Liebe Studierende! Der Antrag zum BAföG, men können, die Meister werden wollen? 40 Prozent des den wir heute behandeln, ist ein Oppositionsantrag . Lie- Restdarlehens muss man nicht zurückzahlen . Für Lehr- be Studierende, Opposition kennt ihr nicht? Das macht gangs- und Prüfungskosten kann man 15 000 Euro be- nichts . Ich erkläre es euch . Opposition bezeichnet eine antragen, und man kann sein Meisterstück zu 40 Prozent Partei oder Gruppe, die der herrschenden Politik Wider- finanziert bekommen. All dies haben Sie völlig ausge- stand und Ablehnung entgegenbringt . blendet . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ist das jetzt Politik für Dummies, oder was?)

Opposition ist aber schlecht beraten, wenn sie durch Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) Auslassung und Schlechtreden geschlossene Weltbil- (D) der produziert . Das, liebe Studierende, liebe Kollegin- Frau Kollegin De Ridder, gestatten Sie noch eine Zwi- nen und Kollegen, liebe Gäste, ist hier am Beispiel der schenfrage der Kollegin Hein? BAföG-Debatte leider der Fall . Ziel des BAföG – das wissen hoffentlich alle – ist es, allen jungen Menschen (SPD): die Möglichkeit zu geben, unabhängig von ihrer sozialen Dr. Daniela De Ridder und wirtschaftlichen Situation eine Ausbildung zu ma- Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen . Wir chen, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht . werden das sicher im Ausschuss noch vertiefen können . Da bin ich sicher . Ich treffe die Kollegin ohnehin am Wo- Liebe Frau Gohlke, ich finde es ganz interessant, dass chenende . Sie den Regierungsparteien Realitätsverweigerung vor- werfen . Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Antrag nicht (Zurufe von der SPD: Oh! – Dr .Karamba erwähnt haben, dass man 735 Euro als Höchstsatz bezie- Diaby [SPD]: Was haben Sie da vor? Da sind hen kann . wir neugierig!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau De Ridder, wie viele kriegen den denn?) – Ich mache das gerne, mit der Kollegin zu sprechen . Diese Zahl fehlt völlig . Dann haben Sie darauf verwiesen, Lassen Sie mich noch einen Tipp loswerden, liebe Kol- dass die Preissteigerungen in den Blick genommen wer- leginnen und Kollegen von den Linken . Warum schauen den müssen . Wenn es um die Lebensrealität geht, kann Sie nicht nach Baden-Württemberg? Wenn Frau Theresia man sich zum Beispiel den Verbraucherindex ansehen . Bauer meint, sie könne dort Studiengebühren für Auslän- Ich stelle fest, dass der von einem Jahr zum anderen um der und Ausländerinnen einführen, dann besteht doch das nicht einmal 1 Prozent gestiegen ist . Das ist interessant . Risiko, dass sich die Situation für Studierende erheblich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verteuert . Wir sollten gemeinsam Sorge tragen, dass das nicht passiert und Schule macht und zum Einstieg in eine In einem Punkt will ich Ihnen recht geben, liebe Frau deutliche Verschlechterung für Studierende, egal welcher Gohlke, und zwar bei den Mietpreisen . Wir können in der Herkunft, wird . Tat konstatieren, dass die Mietpreise im Schnitt um mehr als 1 Prozent – aber auch nicht 2 Prozent – gestiegen Vielen Dank . sind . Aber hier konkurrieren doch Studierende mit vielen anderen auf dem Wohnungsmarkt, liebe Frau Gohlke . Es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten würde mich freuen, an dieser Stelle Ihre Aufmerksamkeit der CDU/CSU) 19500 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Wirkung entfaltet . Sonst haben wir überhaupt keinen (C) Die Kollegin Dr . Hein hat jetzt die Gelegenheit zu ei- Orientierungsrahmen . Dann werden wir sehen, an wel- ner Kurzintervention . cher Stelle wir noch einmal nachlegen . (Zurufe von der CDU/CSU: Oh nein!) Ich bin sicher: Wir beide werden das noch einmal ausfechten, diskutieren und auch gemeinsam zu guten Ergebnissen kommen . Ich bin da optimistisch . Denn das Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): gehört – bevor auch das missverstanden wird – ebenfalls Vielen Dank . – Es tut mir leid, ich mache das wirklich zur politischen Debatte dieses Hauses . nicht oft . Aber wenn ich das am Sonntag mit Frau De Ridder ausmache, dann hilft das nicht viel . Vielen Dank . (Zuruf von der CDU/CSU: Was machen Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der da zusammen?) CDU/CSU) – Wir sitzen auf einem Podium, aber das geht Sie nichts an . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Heiterkeit bei der SPD) Mit dieser Antwort auf die Kurzintervention haben wir zugleich das Ende der Rednerliste erreicht . Deshalb Weil die Koalition so stolz auf das Meister-BAföG ist, schließe ich die Aussprache . würde ich Frau De Ridder gerne fragen, ob sie erklären kann, warum zum Beispiel ein Kind einer Meisterschüle- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf rin mehr wert ist als das Kind einer Studierenden . Drucksache 18/10012 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Ich nehme an, Sie (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sind alle sind damit einverstanden .– Widerspruch erhebt sich doch zwei völlig unterschiedliche Systeme!) nicht . Dann ist diese Überweisung so beschlossen . Hier gibt es nämlich sehr unterschiedliche Bedarfssätze . Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Das ist nur ein sehr gravierendes Beispiel für die Unter- schiede zwischen den Fördersystemen, und ich glaube, Beratung des Antrags der Bundesregierung dass es mehr als einer Reform bedarf, um das zu verän- Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes be- dern . waffneter deutscher Streitkräfte zur Verhü- (Beifall bei der LINKEN) tung und Unterbindung terroristischer Hand- lungen durch die Terrororganisation IS auf (B) Grundlage von Artikel 51 der Charta der Ver- (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: einten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Frau Kollegin De Ridder, wollen Sie darauf antwor- Absatz 7 des Vertrages über die Europäische ten? Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Wir wol- (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der len wissen, was das für ein Podium ist! Ge- Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der heimpodien!) Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gip- fel am 8./9. Juli 2016 Dr. Daniela De Ridder (SPD): Drucksache 18/9960 Ich antworte gerne darauf . Bevor hier der Eindruck Überweisungsvorschlag: entsteht, wir würden Geheimveranstaltungen abhalten, Auswärtiger Ausschuss (f) kläre ich gerne das Plenum auf . Es geht um eine öffent- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz liche Veranstaltung, bei der wir das sicher noch einmal Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vertiefen können . Ich lade gerne in meinen Wahlkreis Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- ein . Dann haben alle Gelegenheit, daran teilzunehmen . lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie aber Frau Hein zu dem Schluss kommt, es gebe Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO ganz unterschiedliche Messlatten, wird sie erklären müs- sen . Dafür ist der Ausschuss der richtige Ort . Wir müssen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für uns in der Tat damit befassen, wie wir mit dem Thema diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch soziale Gerechtigkeit in der Bildungspolitik umgehen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen . und welche Effekte die Politik, die wir erzeugen, erzielt . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Deshalb bin ich eine Vertreterin von Evaluation . Wir ha- ner Herrn Bundesminister Dr . Frank-Walter Steinmeier ben dies auch schon bei anderen Themen diskutiert . das Wort . Wir müssen uns in der Tat damit beschäftigen – die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kollegin Albsteiger hat es erwähnt –, wie die Effekte beim BAföG sind und wie sie beim Meister-BAföG sein werden . Das muss man sich genau anschauen . Aber das Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des braucht Zeit . Man braucht ein entsprechendes Zeitfens- Auswärtigen: ter, um sich all das anzusehen, liebe Frau Kollegin . Ich Danke .– Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- denke, das müssen Sie uns schon zugestehen, damit das legen! Die Bilder und Nachrichten aus Aleppo sind an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19501

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Grausamkeit nicht zu übertreffen: eine Trümmerwüste, diesem Terror geschlossen und entschlossen entgegen- (C) wo früher das Leben blühte, traumatisierte Menschen, stellen, natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln, aber Kinder, die ihr Zuhause und ihre Familien verloren ha- es geht auch nicht ohne sie . ben . Ich sage – so haben wir es auch gestern in einem wahrhaft nicht einfachen Gespräch Präsident Putin ge- Mittlerweile haben sich 67 Länder und drei internati- genüber deutlich gemacht –: Dieser Wahnsinn kann und onale Organisationen in der internationalen Anti-IS-Ko- darf nicht weitergehen . Er muss ein Ende haben, meine alition zusammengeschlossen . Wir haben uns daran Damen und Herren . beteiligt mit Maßnahmen zur Luftaufklärung, mit Luftbe- tankung sowie mit Begleitschutz für einen französischen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Flugzeugträger . Das wollen wir fortsetzen, ergänzt durch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufklärungselemente von AWACS, die wir gemeinsam mit anderen in die Anti-IS-Koalition einbringen werden . Unsere Priorität muss jetzt sein, die Frauen, Männer Zur Vermeidung von Missverständnissen: Das geschieht und Kinder in Aleppo jedenfalls mit dem Nötigsten zu ausschließlich vom türkischen und vom internationalen versorgen . Die Menschen hungern, sie verdursten . Wir Luftraum aus und ohne dass damit die NATO formelles brauchen jetzt geschützte Zugangsmöglichkeiten, um Mitglied der Anti-IS-Koalition wird . Darauf haben wir diesen Menschen zu helfen . Daran arbeiten wir zurzeit bei dem Einsatz von AWACS in den Beratungen im Vor- intensiv mit den Vereinten Nationen, mit dem Internatio- feld großen Wert gelegt . Ich denke, das entspricht auch nalen Roten Kreuz und den Partnerorganisationen – auch der Interessenlage in diesem Haus . heute schon wieder den ganzen Tag . Heute Abend werde ich noch Kontakt zum saudischen und zum katarischen Daneben wissen wir, dass die Auseinandersetzung am Außenminister haben, um dafür zu sorgen, dass auch die Boden von regionalen und lokalen Kräften zu leisten ist . Oppositionsgruppierungen Sicherheitsgarantien für die Auch deshalb ist unsere Ausbildungs- und Ausrüstungs- Hilfsorganisationen abgeben . unterstützung für die Peschmerga im Irak von so zentraler Bedeutung . Wir haben damals – ich erinnere mich noch Meine Damen und Herren, Moskaus Ankündigung ei- gut daran – hier im Hause über die Risiken einer solchen ner kurzen Einstellung der Kampfhandlung kann nur ein Unterstützung offen und fair diskutiert . Ich glaube den- Anfang sein . Acht Stunden – oder wie jetzt erneuert: elf noch gerade heute: Die damalige Entscheidung war rich- Stunden –, das drei- oder viermal, ist ein Anfang . Aber tig . Der damals scheinbar unaufhaltsame Vormarsch des das reicht bei Weitem nicht, um die belagerten Menschen IS im Nordirak konnte jedenfalls gestoppt werden . in der Stadt mit Hilfsgütern zu versorgen . Aber das reicht erst recht nicht – darum sage ich es –, um eine Entflech- Dennoch besteht kein Anlass zur Euphorie . Die Lage tung der Opposition von den radikalen und terroristi- im Mittleren Osten, die Erosion staatlicher Ordnung, die (B) schen Gruppierungen durchzusetzen . Es mag sein, dass ethnisch oder religiös motivierten Machtauseinanderset- (D) terroristische Gruppierungen wie al‑Nusra Menschen in zungen dort, das alles wird uns noch sehr lange beschäf- Ost-Aleppo als Schutzschild missbrauchen, um sich ge- tigen . Auch wenn es uns lange beschäftigen wird, sollten zielt in Hospitälern und Schulen zu verbergen . Aber auch wir die Veränderungen, die es im letzten Jahr gegeben 1 000 oder möglicherweise 1 500 al‑Nusra-Kämpfer sind hat, durchaus registrieren . keine Rechtfertigung, um Aleppo in Schutt und Asche zu verwandeln . Die Lage im Kampf gegen den IS hat sich verändert . Das zeigt auch der Blick auf Syrien, wo der IS ein Fünftel (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem seines Gebietes an die Opposition und die Kurden verlo- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren hat, darunter so strategisch wichtige Städte wie Man- Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft für einen Waf- bij, Dscharabulus und Dabiq . Das zeigt aber erst recht der fenstillstand ein . Es stimmt: Bisher war unsere Arbeit für Blick in den Irak, wo der IS seit dem Sommer 2014 mehr eine politische Lösung in der Tat nicht von Erfolg ge- als die Hälfte seines Gebietes verloren hat . Nicht zuletzt krönt . Aber das darf kein Grund sein, aufzugeben . Ich zeigt das der nun beginnende Kampf um Mosul, wo die bleibe dabei: Es wird in diesem Konflikt keine militäri- irakische Armee und Peschmerga jetzt mit Unterstützung sche Lösung geben . Die, die jetzt noch daran glauben, der Anti-IS-Koalition auf die letzte IS-Hochburg im Lan- werden erleben: So wird es nicht eintreten . de vorrücken . Wenn Mosul fällt, dann hat der IS im Irak kein nennenswert zusammenhängendes Gebiet mehr . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Aleppo ist nur ein Ausschnitt eines wesentlich größeren Niemand macht sich hoffentlich Illusionen . Der Krisenbogens – geprägt von aufbrechenden autoritären Kampf, der dort geführt wird, wird nicht leicht sein . Nie- Strukturen, konfessionellen Gräben, sozialen Verwer- mand kann im Augenblick sagen, wie lange es dauern fungen und staatlicher Fragilität . Von dieser Gemenge- wird . Aber eines können wir mit Gewissheit sagen: dass lage hat in den letzten Jahren vor allem die Terrormiliz wir uns auf den Tag danach tunlichst jetzt vorbereiten IS profitiert. Der Kampf um Mosul führt uns dies gerade sollten . Deshalb beschränkt sich unser Engagement im deutlich vor Augen . Irak und in der Region nicht auf unsere Unterstützung der Anti-IS-Koalition, zu der wir heute um Ihre Zustimmung Aber die barbarische Herrschaft, die der IS errichtet bitten . Weil wir für die Menschen langfristig eine bessere hat, greift weit über die Region hinaus . Der IS bedroht Perspektive schaffen wollen, betten wir diesen Einsatz auch unsere Sicherheit hier im Herzen Europas . Dafür ein in einen umfassenden Ansatz, von der humanitären stehen die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza, Rouen Hilfe über unsere politischen Bemühungen bis hin zu und anderswo . Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns dem immer zentraler werdenden Thema der Stabilisie- 19502 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) rung . Mit Blick auf Mosul heißt das, dass es uns jetzt da- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) rum gehen muss, die Not zu lindern und jenen Menschen Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen, zu helfen, die aus der umkämpften Stadt in die in der Fraktion Die Linke . Gegend vorbereiteten Auffanglager fliehen. Deutschland (Beifall bei der LINKEN) ist bereits einer der größten humanitären Geber im Irak . Speziell für Mosul haben wir noch einmal 35 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Wir müssen uns bereits jetzt damit beschäftigen, wie Kollegen! Verehrter Herr Außenminister Steinmeier, es in Mosul weitergehen soll, wenn die Stadt vom IS be- auch wir als Linke fordern einen sofortigen Waffenstill- freit sein wird . Wir treffen uns dazu bereits heute in einer stand für Aleppo . Was wir allerdings vermissen, ist, dass größeren Gruppe von Staaten in Paris – im November die Bundesregierung gerade auf die Verbündeten Druck dann wieder in Berlin –, um uns und die Stadt Mosul auf macht, die die islamistischen Terrorbanden in der Region unterstützen . „the day after“ vorzubereiten . Das macht Sinn, weil wir schon vor der Befreiung von Mosul, die hoffentlich statt- Ich muss Ihnen eines sagen: Heute Morgen hat die tür- finden wird, Erfahrungen haben sammeln können, zum kische Luftwaffe die syrischen Kurden angegriffen . Der Beispiel nach der Befreiung von Tikrit . Dort haben wir Premiumpartner der Bundesregierung, das verbrecheri- sehr schnell gemeinsam mit den Vereinten Nationen und sche Erdogan-Regime, hat fast 200 Kurdinnen und Kur- mit Mitteln aus Deutschland Strom- und Wasserleitungen den in Syrien einfach so massakriert. Ich finde, das ist wiederhergestellt und dafür gesorgt, dass eine Gesund- ein Kriegsverbrechen Ihres engen Partners gerade gegen heitsversorgung wenigstens auf einem Mindeststandard diejenigen – die Frauenbataillone und die Männerbatail- wieder stattfindet. Immerhin hat das dazu geführt, dass lone –, die sich dem barbarischen „Islamischen Staat“ am tapfersten entgegenstellen . 90 Prozent der vertriebenen Bevölkerung in die Stadt zu- rückgekehrt sind . Deshalb, glaube ich, ist das der richtige (Beifall bei der LINKEN) Weg . Ich finde, es ist ein schwarzer Tag für die deutsche Au- ßenpolitik, dass Sie nicht ein kritisches Wort hier zu die- Wasser, Schulen, Krankenhäuser – alles das benötigen sem türkischen Luftkrieg gegen die Kurdinnen und Kur- die Menschen für ihre Rückkehr, aber eben auch Sicher- den im Norden Syriens verlieren . heit spielt eine entscheidende Rolle . Deshalb reden wir auch mit unseren Partnern in der irakischen Regierung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) und sagen, dass es nach der Befreiung von Mosul auch (D) darum gehen muss, einen Rückfall in die alten ethnisch Kriegsverbrechen werden nicht von Ihnen verurteilt . oder religiös begründeten Konflikte zu verhindern. Durch Ihre Unterstützung Erdogans machen Sie, meine Damen und Herren, sich auch noch mitschuldig an die- (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) sem Verbrechen gegenüber den Kurdinnen und Kurden . Das finde ich unerträglich. – Das tun wir auch .– Wenn nach der Befreiung der Stadt die Geißel des IS nur durch einen Machtkampf zwischen (Beifall bei der LINKEN) Kurden, Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist Wenn Sie ein Ende des Bombardements in Aleppo for- jedenfalls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen . dern, die türkischen Angriffe für Sie aber offenbar okay Deshalb haben wir der irakischen Regierung einen soge- sind, weil es bis jetzt keine offizielle Verurteilung dieses nannten Mosul-Stabilisierungsrat vorgeschlagen, in dem Kriegsverbrechens gibt, dann nenne ich das nichts wei- sich die wichtigen lokalen Kräfte zusammensetzen, um ter als heuchlerisch . Ihre Politik der doppelten Standards den Wiederaufbau schon jetzt gemeinsam zu planen und stinkt wirklich bis zum Himmel . zu gestalten . Ein erstes Treffen zu dem Thema humanitä- (Beifall bei der LINKEN) re Hilfe hat jetzt stattgefunden . Das ist ein erstes Treffen, ein erster Schritt, aber immerhin waren der Auftakt und Es soll hier ein Antrag von Ihnen beraten werden, die das Gespräch der Beteiligten untereinander aus meiner Bundeswehr in die Türkei zu entsenden . Ich frage Sie: Sicht ganz ermutigend . Wollen Sie angesichts der Kriegsverbrechen Ihres Part- ners Erdogan wirklich eine weitere Unterstützung dieses Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss: Mannes und seiner mörderischen Syrien-Politik auf den Aleppo, Mosul, Falludscha, Tikrit, Ramadi, wir brau- Weg bringen? Das ist unserer Meinung nach in hohem chen – das zeigt uns all das – einen umfassenden Ansatz, Maße verantwortungslos . um unserer Verantwortung in dieser wirklich geschunde- Sie argumentieren hier, dass mit den Bundeswehrein- nen Region gerecht zu werden . Die Beteiligung an der sätzen von der Türkei aus der Terror des „Islamischen Anti-IS-Koalition ist ein Teil davon . Deshalb bitte ich Sie Staats“ bekämpft werden soll . Man weiß angesichts um die Unterstützung für das vorliegende Mandat . dieser Legenden, die gebildet werden, gar nicht mehr wirklich, ob man lachen oder weinen soll . Sie können Herzlichen Dank . doch nicht einmal ausschließen, dass die Tornadoaufklä- rungsdaten für die verbrecherischen Angriffe Erdogans (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auf die Kurden verwandt werden. Dies finde ich wirk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19503

Sevim Dağdelen (A) lich ungeheuerlich . Sind die Kurden heute auch mit Ihrer sehen, wie Sie sich verhalten werden . Spätestens dann, (C) Hilfe ermordet worden, meine Damen und Herren? Bis wenn die Einreise verweigert wird, muss die Bundes- jetzt sind Sie nicht imstande, uns auf diese Frage ein kla- wehr dort abgezogen werden . Unsere Forderung hierzu res Nein zu sagen . Das, was hier passiert, ist einfach nur ist klar: Sagen Sie Nein zu den Bundeswehreinsätzen! noch skandalös . Sie bekämpfen damit nämlich keinen Terror, sondern unterstützen lediglich diejenigen, die den Terror in der (Beifall bei der LINKEN) Region fördern . Sie deeskalieren nicht, – Im Sommer hatte die Bundesregierung die Türkei als die zentrale Aktionsplattform für islamistischen Terro- Vizepräsident Johannes Singhammer: rismus im ganzen Nahen und Mittleren Osten bezeich- Frau Kollegin, Sie denken an die vereinbarte Rede- net . Und jetzt machen Sie mit Ihrer Bundeswehrmission zeit? gemeinsame Sache mit dieser Aktionsplattform für isla- mistischen Terror in der Region . Sie nutzen Ihre Mili- tärstützpunkte, und Sie tauschen Ihre Zieldaten in einem Sevim Dağdelen (DIE LINKE): gemeinsamen Kommando aus . Weiterhin sehen Sie dabei – ja – sondern beschwören neue Bedrohungen für den zu, wie die Türkei eben genau diejenigen bekämpft und Weltfrieden . ermordet, die sich dem IS tapfer und entschieden entge- genstellen . Sie sehen dabei zu, wie die Türkei islamis- Vielen Dank . – Herzlichen Dank, Herr Präsident . tische Terrorbanden wie die Ahrar al‑Scham bewaffnet, (Beifall bei der LINKEN) für die ja auch der mutmaßliche Terrorist Albakr, der in einem sächsischen Gefängnis erhängt aufgefunden wor-

den ist, tätig geworden sein soll . Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Es ist deshalb nichts als ein furchtbarer, menschen- Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe das Wort . verachtender Zynismus, zu behaupten, dass diese Bun- deswehreinsätze an der Seite der Türkei der Bekämpfung (Beifall bei der CDU/CSU) des Terrorismus dienen würden, meine Damen und Her- ren . Hören Sie auf, den Menschen Sand in die Augen zu Dr. Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär bei der streuen! Das stimmt einfach nicht . Bundesministerin der Verteidigung: (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten einen Antrag der Bundesregierung zur Fortset- Jetzt sagen Sie auch noch, dass Sie die AWACS-Flug- zung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher (B) zeuge brauchen, um der Türkei unter die Arme zu greifen . Streitkräfte gegen die Terrororganisation „Islamischer (D) Der Luftraum in Syrien und im Irak soll von der Türkei Staat“ . Wes Geistes Kind diejenigen sind, gegen die wir aus überwacht werden, um den IS zu bekämpfen . Man uns hier stellen, konnten und mussten wir vor nicht allzu fragt sich wirklich: Für wie dumm halten Sie eigentlich langer Zeit sehen – auch im Internet –, als ein abgestürz- die Leute? Der „Islamische Staat“ hat keine Luftwaffe . ter jordanischer Pilot von den IS-Terroristen auf barba- Also bleibt doch als einziger Schluss, wem und wogegen rische Weise ermordet wurde . 22 Minuten dauerte sein dieser Einsatz dienen soll, dass dieser Einsatz gegen die Todeskampf in einem brennenden Käfig. Es ist schwer russische Luftwaffe gerichtet ist. Ich finde das brandge- vorstellbar, dass Menschen sich überhaupt so etwas aus- fährlich . denken können . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Zuruf von der SPD) ist der Gegner, um den es hier geht – ein Gegner, der mit dem gleichen barbarischen Ansatz unter anderem – Ja, die haben die Luftwaffe dort . auch die kurdische Bevölkerung in der Region bekämpft, von der Sie eben gesagt haben, dass es Ihnen um ihren Sie zündeln hier . Deshalb möchte ich sagen, dass die- Schutz geht . Der IS bekämpft die Kurden . Der IS ist eine ser Einsatz und das, was Sie da treiben, mit dem, was barbarische Organisation . Der Vorwurf des menschen- im Grundgesetz für die Bundeswehr als Verteidigungs- verachtenden Zynismus fällt auf Sie selbst zurück . Zum auftrag beschrieben worden ist, wirklich nichts mehr zu wiederholten Mal und in einer selten erlebten Deutlich- tun hat . Im Grundgesetz steht, dass die Bundeswehr eine keit fällt dieser Vorwurf auf Sie zurück, Kolleginnen und Parlamentsarmee ist . Kollegen von den Linken . Ich erwarte, dass Sie Ihren Ankündigungen Taten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – folgen lassen . Wenn Erdogan und seine Regierung der Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Heuchler!) AKP einem einzigen Bundestagsabgeordneten, der die Bundeswehrsoldaten dort besuchen will, die Einreise in Um auch das deutlich zu sagen: Es gibt keinen Zielda- den Stützpunkt Incirlik verweigert, dann dürfen Sie diese tenaustausch, der geeignet ist, gegen die kurdische Be- Bundeswehrangehörigen nicht mehr in der Türkei lassen . völkerung vorzugehen . Wir sind in einer Allianz, in der Es darf keine Parlamentsarmee ohne parlamentarische Allianz Inherent Resolve, gegen den islamistischen Ter- Kontrolle geben . rorismus . Dort helfen wir mit . Dieses Engagement wol- (Beifall bei der LINKEN) len wir fortsetzen . Dieses Engagement wollen wir aus- bauen . Es dient einzig und allein der Bekämpfung des Meine Kollegen haben jetzt einen Antrag auf Einrei- islamistischen Terrorismus und damit auch der Bekämp- se vor der abschließenden Beratung gestellt . Wir werden fung derer, die die kurdische Bevölkerung im irakischen 19504 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) Norden wie auch in Syrien drangsalieren . Dagegen gilt es Handlungen des IS in Syrien und im Irak zu unterbinden, (C) vorzugehen . Sie sind diejenigen, die die Kurden im Stich hat immer noch Bestand, und er richtet sich weiterhin lassen . Wir sind diejenigen, die sich an ihre Seite stellen auch an uns . Das ist auch unsere Verantwortung, diesem als den Unterdrückten in der Region, als den Opfern des Appell nachzukommen . islamistischen Terrorismus . Um die Gefahr durch den IS nachhaltig zu begren- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – zen, wollen wir unsere Beiträge zu den militärischen Widerspruch bei der LINKEN) Maßnahmen weiterhin aufrechterhalten . Hierzu sollen Die schrecklichen Bilder vom 13 .November des letz- unverändert bis zu 1 200 Soldatinnen und Soldaten der ten Jahres in Paris, von den Attentaten in Tunis, Istan- Bundeswehr eingesetzt werden können . Der Einsatz von bul, Brüssel, Orlando, Nizza und anderswo haben uns Streitkräften ist ein Teil der erforderlichen Schritte, die gezeigt, dass die terroristischen Gräueltaten des IS sich wir ergreifen müssen . Aber klar ist auch: Der langfristige nicht nur gegen die Menschen in Syrien und im Irak rich- Erfolg unserer Beiträge zum militärischen Vorgehen ge- ten, sondern dass sie auch uns alle bedrohen . Dort, wo gen den IS hängt maßgeblich auch von unserem zivilen der IS seine vermeintliche Stärke noch besitzt – in Syrien Engagement in der Region ab, das ein großartiges En- und im Irak –, müssen wir gemeinsam mit der großen gagement ist . Aber, Kolleginnen und Kollegen, wir dür- Zahl der Nationen der Anti-IS-Koalition entschlossen, fen uns dabei auch nicht selbst täuschen . Ob wir das wol- verantwortungsvoll und gemeinsam handeln und so der len oder nicht, unser ziviles Engagement und die Erfolge Bedrohung weiter entgegentreten und sie bekämpfen . unserer politischen Verhandlungen werden ihre Wirkung Es ist gut, dass es erkennbare Erfolge in diesem Kampf erst vollumfänglich entfalten können, wenn wir den IS gegen den barbarischen Terrorismus in der Region gibt . mit den zurzeit notwendigen militärischen Mitteln wei- Das ermutigt uns, diesen Weg weiterzugehen . ter nachhaltig schwächen und zurückdrängen können . Es (Beifall bei der CDU/CSU) geht hier nicht darum, mit Stuhlkreisen oder zynischen Reden vorzugehen . Hier geht es nur darum, dass wir Seit Beginn des Einsatzes leisten wir Schutz, gewin- auch die notwendigen militärischen Maßnahmen ergrei- nen wir Informationen zur Lage vor Ort durch Aufklä- fen, den notwendigen militärischen Druck entwickeln, rung und unterstützen wir mit Fähigkeiten zur Betankung um den IS zurückzudrängen . Mit schönen Worten wird in der Luft sowie mit Personal in den Stäben . Die durch er sich nicht zurückdrängen lassen, liebe Kolleginnen uns bereitgestellten Informationen haben niemandem und Kollegen . außer den IS-Terroristen in der Vergangenheit Schaden zugefügt. Sie dienen dazu, den IS empfindlich zu treffen (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Terrorpa- (B) und damit den Einflussbereich dieser Terrororganisation ten!) (D) deutlich zu beschränken . Das ist das erklärte Ziel, und das ist in den vergangenen Monaten zum Glück auch ge- Barbaren müssen auch mit militärischen Mitteln be- lungen, liebe Kolleginnen und Kollegen . kämpft werden . Diese Auseinandersetzung ist unver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) meidlich und muss fortgesetzt werden . Zukünftig wird die Fähigkeit der Luftraumüberwa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chung, wie auf dem NATO-Gipfel im Juli dieses Jah- neten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LIN- res in Warschau beschlossen, durch den Einsatz von KE]: Sagen Sie etwas zur Aktionsplattform!) AWACS-Flugzeugen erweitert werden . Damit wird schon in Kürze eine weitere wichtige Komponente dem Deshalb bedeutete eben ein Nein zu einem deutschen Kampf gegen den IS zur Seite gestellt . Um Schulter an militärischen Beitrag im Kampf gegen den IS ein Nein Schulter mit unseren NATO-Partnern die erforderlichen zu den angestrebten Entwicklungen, die Gegenstand un- AWACS-Einsätze bereits ab November leisten zu kön- serer bisherigen politischen Bemühungen um eine siche- nen, befassen wir uns mit diesem Mandat, bevor das ge- re, stabile und friedliche Zukunft Syriens und des Iraks genwärtige Mandatsende am 31 .Dezember 2016 erreicht sind und waren . Darum geht es auch in den anstehenden ist . Das Nordatlantische Bündnis wird einen Beitrag leis- Beratungen . Darum geht es auch in Zukunft . Für diesen ten, der auf die deutschen Besatzungsangehörigen in den Weg bittet die Bundesregierung weiterhin um Ihre Un- AWACS-Maschinen angewiesen ist. Die Einsatzflüge terstützung . werden im türkischen und internationalen Luftraum er- folgen und dienen auch der Sicherheit unserer Tornados Herzlichen Dank . in ihrer Aufklärungsrolle sowie der Flugzeuge unserer Freunde und Partner in der Anti-IS-Koalition . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Hilfe und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war Unterstützung für die Menschen in Syrien und im Irak eine barbarische Rede! Eine barbarische Rede sowie für die Nationen, die sich dem Terror des IS ent- ist das!) gegenstellen, wollen, werden und müssen wir fortsetzen . Der Appell des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- Vizepräsident Johannes Singhammer: nen – nicht irgendeiner Organisation, sondern der Ver- einten Nationen! –, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger und die Anstrengungen zu verstärken, um terroristische für Bündnis 90/Die Grünen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19505

(A) Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu behaupten, dass das hier der Fall sei . Das ist es aber (C) NEN): nicht . Fakt ist: Die Bundeswehr wird im Rahmen einer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir er- Koalition der Willigen eingesetzt . innern uns alle an die schrecklichen Anschläge vor fast (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Richtig!) einem Jahr in Paris . Damals hat die deutsche Bundes- regierung auch als Antwort darauf dieses Mandat zur Meine Damen und Herren, Sie hatten jetzt ein Jahr Bekämpfung des selbsternannten „Islamischen Staates“ Zeit, diesen fundamentalen Fehler zu heilen . Es ist nichts durch den Bundestag gejagt . passiert . Warum nicht? Weil die Bundesregierung das Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben nämlich gar nicht will . Nachzulesen ist das im neuen uns vor einem Jahr diese Entscheidung nicht einfach Weißbuch: Diese Konstruktion soll es nicht nur in die- gemacht . Wir haben sehr ernsthaft und sehr sorgfältig sem Einzelfall geben, in dem sie aus der Not geboren abgewogen . Wir blicken natürlich alle nach Mosul . Wir wurde, sondern es ist Ihr erklärter Wille, das Modell der wünschen uns alle eine Stadt, die endlich befreit ist vom Koalition der Willigen in Zukunft bei Bundeswehreinsät- Terrorregime des sogenannten „Islamischen Staates“ . zen anzuwenden . Das halten wir für grundfalsch, Aber wir schauen auch mit sehr viel Sorge darauf, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN danach kommt . Die Entscheidung aus Solidarität und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Betroffenheit gegenüber den Menschen, die unter Terror leiden, reicht als Grundlage für einen militärischen Ein- nicht nur, weil Sie damit gegen die Rechtsprechung des satz noch nicht aus . Eines muss uns auch klar sein: Im al- Bundesverfassungsgerichtes verstoßen, sondern auch, lerbesten Fall können militärische und polizeiliche Mit- weil Sie damit effektiv dazu beitragen, dass internatio- tel dazu beitragen, Terror einzudämmen . Besiegen kann nale Organisationen, vor allem die Vereinten Nationen, man Terrorismus aber am Ende des Tages nur politisch . geschwächt werden . Das, meine Damen und Herren, ist doch genau das Gegenteil von dem, was wir gerade nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur angesichts der schrecklichen Lage in Syrien und im Hier sind wir bei der Frage, was an diesem Einsatz Irak, sondern auch an vielen anderen Orten der Welt die Grundproblematik ist . Es fehlt dieser Allianz ein brauchen, nämlich handlungsfähige und starke internati- politischer Fahrplan, der von allen getragen wird, eine onale Organisationen . umfassende Strategie, die mehr ist als nur militärisches (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorgehen und Luftschläge . Es ist doch nach wie vor ein zentrales und ungelöstes Riesenproblem, dass nicht nur Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich gar die Staaten in der Region, sondern auch die Staaten in nicht hierhinstellen und von der Bundesregierung die (B) dieser Allianz so unterschiedliche, teilweise hochwider- Patentlösung, den Masterplan fordern, wie endlich die (D) sprüchliche Eigeninteressen verfolgen, auch auf Kosten schreckliche Gewalt in Syrien und im Irak aufhören der Menschen in Syrien und im Irak . Das muss endlich kann . Aber ich frage Sie auf der Regierungsbank, auch aufhören . Sie, Herr Außenminister Steinmeier: Sind wir nicht ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pflichtet, alles zu tun, was wir können, um das unermess- liche Leid der Menschen in Syrien und im Irak wenigs- Der Kampf gegen die Kurden seitens der Türkei ist tens ein bisschen zu lindern? schon angesprochen worden . Da fragt man sich schon: Wo ist die deutsche Rolle? Wo ist das Engagement, um Ja, man kann noch mehr tun, als derzeit getan wird . Es diese gefährliche Planlosigkeit und diese Gewalt zu be- gibt Gebiete in Syrien, die seit ewiger Zeit eingekesselt enden und zu thematisieren? sind . Es gibt über Land keinen Zugang mehr für humani- täre Güter . Die Vereinten Nationen haben in der Vergan- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja, ein Plan! genheit in solchen Fällen punktuell eine Versorgung aus Kein Plan!) der Luft durchgeführt. Sie flehen seit Monaten ihre Mit- Diese Fragen stellen sich auch praktisch im Rahmen gliedstaaten an, sie dabei dringend zu unterstützen . Da dieses Einsatzes . Die Bundesregierung weiß nicht – Herr geht es um die Frage des diplomatischen Drucks gegen Brauksiepe, das haben wir aus Ihrem Haus schwarz auf die Staaten, die im syrischen Luftraum sind, genauso wie weiß –, wofür die deutschen Aufklärungsdaten im An- um die Frage der technischen Kapazitäten . schluss im Einzelnen verwendet werden . Meine Damen Wir Grüne bringen heute Abend hierzu einen Antrag und Herren, wer Aufklärungsdaten liefert, muss doch in den Bundestag ein, und ich bin sehr gespannt, wie den Anspruch haben, mitzureden und zu wissen, was im Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ko- Anschluss damit passiert . Aber auch die rechtliche Kon- alition, dazu verhalten werden . Das, meine Damen und struktion dieses Einsatzes ist hochproblematisch; denn Herren, verstehe ich wirklich nicht: Warum braucht die sie steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesregierung nicht einmal einen Monat, um militäri- Bundesverfassungsgerichtes . Die Bundeswehr darf im sche Flugzeuge auf den Weg zu bringen, während sie seit Ausland militärische Gewalt nur im Rahmen von Sys- Monaten nach Ausflüchten sucht, wenn wir sie immer temen kollektiver Sicherheit ausüben . Da geht es um die wieder nach der Luftbrücke fragen? Ich finde, wir müs- Europäische Union, um die NATO oder – daran denken sen alles tun, was wir tun können, um das unermessliche wir Grüne immer als Erstes – um die Vereinten Natio- Leid wenigstens ein bisschen zu lindern . nen . Die Bundesregierung versucht bei diesem Mandat in einer abenteuerlichen Argumentation über zwei Seiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19506 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Möglich- (C) Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für die keiten an unseren Grenzen, aber eben auch die Möglich- CDU/CSU . keiten unserer Dienste nutzen, um sicherzustellen, dass diejenigen, die aus den Kampfgebieten nach Europa (Beifall bei der CDU/CSU) kommen oder nach Europa zurückkehren, identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden, und dass auf die- se Weise sichergestellt wird, dass die Bedrohung in Euro- Jürgen Hardt (CDU/CSU): pa tatsächlich nicht zunimmt, sondern abnimmt . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können heute hier nicht über dieses Thema diskutieren, ohne wenigstens einen oder zwei Sätze da- Vizepräsident Johannes Singhammer: rüber zu verlieren, was gestern Abend hier in Berlin pas- Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage siert ist . Ich beziehe mich auf den Teil der Gespräche, des Kollegen Liebich? der sich auf Syrien bezog. Ich finde, es war eine tolle und auch sehr erfolgreiche Initiative der Bundeskanzle- Jürgen Hardt (CDU/CSU): rin und des Bundesaußenministers, die Gelegenheit des N-4-Formats zu nutzen, um anschließend gemeinsam Ja . mit dem russischen Präsidenten und dem französischen Präsidenten die Lage in Syrien zu diskutieren . Die Dau- Stefan Liebich (DIE LINKE): er und die Intensität der Gespräche zeigen, dass es Sinn Vielen Dank, Herr Hardt, dass Sie die Zwischenfrage macht, miteinander zu reden, selbst wenn man unver- zulassen .– Nachdem der Herr Außenminister Steinmeier söhnliche und unvereinbare Positionen hat . nichts dazu gesagt hat, frage ich Sie als Vertreter der Es wäre eine große Chance für den russischen Präsi- Koalition: Wie bewerten Sie das Agieren der türkischen denten Putin gewesen, im Vorfeld des EU-Gipfels, der Streitkräfte, die im Norden Aleppos nach eigenen Anga- auch das Thema Russland behandeln wird, ein Zeichen ben 160 bis 200 Kämpferinnen und Kämpfer der Kurden des guten Willens zu zeigen und die Unterbindung von getötet haben, die sich im Kampf gegen den „Islamischen Luftschlägen gegen Aleppo für einen längeren Zeitraum Staat“ befinden? zu veranlassen und damit humanitäre Hilfe möglich zu machen . Denn das sind die beiden zentralen und ganz Jürgen Hardt (CDU/CSU): oben stehenden Forderungen, die wir im Augenblick ha- ben: keine Luftschläge gegen Aleppo und Ermöglichung Wir weisen in den Gesprächen mit der Türkei stets da- rauf hin, dass die Türkei das Recht hat, Terrorismus zu (B) des Zugangs für Hilfskonvois . Das könnte Putin offen- (D) sichtlich durch ein Telefonat mit Damaskus in die Wege bekämpfen und ihre staatliche Ordnung zu verteidigen, leiten . Es ist schade, dass er diese Gelegenheit nicht er- dass sie dabei aber die Regeln der Verhältnismäßigkeit griffen hat . Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass und die Regeln des Völkerrechtes beachten muss . er möglicherweise doch aus dem Gespräch hier in Berlin (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat sie es mitnimmt, dass dies nicht nur eine Forderung der deut- jetzt, oder hat sie es nicht?) schen Bundeskanzlerin und des französischen Staatsprä- sidenten, sondern eines weit überwiegenden Teils der In der Form – wie von Frau Dağdelen vorgetragen –, Weltbevölkerung ist und es dafür eine breite Unterstüt- wie ein überschäumender geradezu Hass gegenüber der zung bei den Vereinten Nationen gibt . türkischen Regierung und eine Undifferenziertheit in der Betrachtung vorhanden sind, sehen wir auch in der tür- Zu dem heute zur Verhandlung stehenden Mandat: kischen Regierung eine übermäßige Fixierung auf terro- Wir sind beim Kampf gegen den IS ein sehr gutes Stück ristische Elemente unter den Kurden und zu wenig Be- vorangekommen, sowohl, was die Unterstützung der rücksichtigung und Beachtung derer, die eine friedliche Peschmerga im Norden Iraks angeht – das betrifft unser Veränderung im Namen der Kurden wollen . Wir stehen laufendes Irak-Mandat –, als auch, was in Syrien selbst für Maß und Mitte in diesem Punkt und nicht dafür, die passiert . Es gibt jetzt Befürchtungen und Sorgen bei den Türkei in Bausch und Bogen zu verurteilen oder gar die Menschen in Europa und in Deutschland, dass der IS, Kurden, so wie die Türkei es tut . wenn zum Beispiel Mosul fällt oder der IS in Syrien wei- ter zurückgedrängt wird, Ausweichbewegungen machen (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind sie und Aggressionen gegen Deutschland und Europa starten Terroristen für Sie? Sagen Sie was dazu!) könnte . Ich glaube das in dieser Form nicht . Ich glaube, dass es in erster Linie ganz wichtig ist, dass die vermeint- Was die konkreten Ereignisse angeht, die wir uns jetzt liche Faszination, die für irregeleitete junge Menschen zu vergegenwärtigen haben: Ich bin fest davon über- vom IS ausgegangen ist, rapide abnimmt, dass der IS als zeugt, dass die türkische Regierung gute Gründe haben das enttarnt wird, was er wirklich ist, nämlich eine ver- wird, die terroristischen Kräfte im Norden Syriens zu brecherische Organisation, die an Brutalität mit nichts bekämpfen . anderem in der heutigen Zeit zu messen ist, und dass (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind die deswegen die Gefahr, dass junge Menschen in Deutsch- YPG Terroristen?) land und Europa Anschläge verüben, die gegen unsere Freiheit gerichtet sind, trotz Kampf gegen den IS, eher Dort gibt es Terrorismus, der auch von Kurden mitgetra- abnimmt, als dass sie zunimmt . gen wird, und der ist genauso verantwortlich für die Situ- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19507

Jürgen Hardt (A) ation in Syrien wie für die anderen schrecklichen Dinge, das, was die Bundesregierung uns sagt, stimmt –, dass (C) die dort passieren . sie gar nicht weiß, was am Ende damit an Wirkung erzielt wird . (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ja in- teressant! Interessante Einstufung! Das hat die (Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE Bundesregierung bisher nicht gemacht!) LINKE]) Ich möchte kurz auf den Einsatz selbst eingehen . Ich Sie haben jetzt gesagt, es hätte Fortschritte gegeben, finde, dass Deutschland mit dem, was wir bisher bereits unsere Handlungen hätten eine Wirkung . Ich bitte Sie, getan haben – Luftbetankungsunterstützung, Fotogra- uns zu erläutern, was konkret am Boden bei diesem Luft- fieren und Aufklärung am Boden, aber eben auch der krieg herausgekommen ist . Einsatz der Fregatte „Augsburg“ an der Seite des Flug- zeugträgers der Franzosen –, einen erheblichen Beitrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Erfolg der Koalition leisten, die den IS in Syrien sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bekämpft. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass wir weitere geeignete Mittel nutzen, um das zu tun . Ich mei- Jürgen Hardt (CDU/CSU): ne ganz konkret, dass wir AWACS-Flugzeuge als Instru- Ich interpretiere die Information der Bundesregierung ment einsetzen sollten, um den Luftraum zu überwachen . komplett anders als Sie . Wir werten diese Daten aus, wir Ich bin der Auffassung, dass das Mandat unsere Unter- geben diese Daten insofern weiter, als dass sie zur Be- stützung finden kann. Wir werden in den Ausschüssen kämpfung des IS in Syrien genutzt werden können, und ausgiebig darüber beraten . Deutsche Soldaten sollten in es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass irgendeiner, den AWACS-Flugzeugen selbstverständlich Dienst tun der am Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt ist, die- dürfen . se Daten in einer Art und Weise verwendet, die wir als Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass die Ko- Deutscher Bundestag oder als deutsche Bundesregierung alition bei ihrem Kampf gegen den IS nicht nur im Irak, nicht akzeptieren können . sondern auch auf syrischem Boden weiterhin großen Er- folg hat und dass wir unsererseits die Soldatinnen und (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soldaten, die in verschiedenen Funktionen im Einsatz Wie denn?) sind, gesund und wohlbehalten wieder nach Hause brin- gen . Wir wünschen ihnen für diesen Einsatz alles Solda- Vizepräsident Johannes Singhammer: tenglück . Vielen Dank . – Damit wären Sie auch am Ende Ihrer Redezeit . (B) Herzlichen Dank . (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Johannes Singhammer: ordneten der SPD) Herr Kollege Hardt, gestatten Sie noch, auch wenn Sie Ich darf jetzt dem Kollegen Gehrcke die Möglichkeit fast schon am Schluss Ihrer Rede sind, eine Zwischenfra- zu einer Kurzintervention geben . ge der Kollegin Keul?

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Jürgen Hardt (CDU/CSU): Ja . Herzlichen Dank, Herr Präsident .– Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ja immer Anlass, selbstkritisch mit sich umzugehen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank . – Herr Kollege Hardt, Sie haben zum ( [SPD]: Ach was? Das ist ja Schluss dankenswerterweise über das konkrete Mandat ganz was Neues!) gesprochen . Wir Parlamentarier würden gerne bewerten, – Ja, es gibt immer Anlass . welche Auswirkungen unsere Beteiligung im Rahmen dieser Allianz auch am Boden tatsächlich hat, aber – die Ich schätze den Kollegen Hardt aus dem Auswärtigen Kollegin Brugger hat es vorhin schon angesprochen – auf Ausschuss . Ich habe Ihnen sehr interessiert zugehört . Wir unsere Fragen, was denn am Boden tatsächlich passiert, Linke sagen: Der Krieg in der Luft und am Boden muss auf welche Ziele eingewirkt wird, bekommen wir von eingestellt werden . Das betrifft die russischen Bomben- der Bundesregierung nur die Antwort: Darüber haben abwürfe, die Sie immer wortreich kritisieren, das betrifft wir keine Kenntnisse, wir geben unsere Daten, aber was aber auch die türkischen Bombenangriffe . Das ist eine unsere Bündnispartner damit machen, das entzieht sich Doppelbödigkeit, eine Rückkehr zu einer Politik, in der unserer Kenntnis . Das erstaunt mich doch sehr; denn man sagt: Der Feind meines Feindes muss mein Freund wenn ich als Parlamentarierin diesen Einsatz bewerten sein . Warum bringen Sie nicht die Courage und den Mut soll und sagen soll, ob ich ihn unterstütze, dann muss ich auf, zu sagen – der Außenminister hat das nicht gesagt, doch wissen, was am Ende mit diesen Daten passiert und von Herrn Brauksiepe habe ich das sowieso nicht erwar- wo sie eingesetzt werden. Ich finde auch, dass der Grund- tet, von Ihnen aber hätte ich das erwartet –: „Wir kriti- satz der Verantwortung an dieser Stelle nicht eingehalten sieren diese türkischen Bombenabwürfe; wir sind damit wird, wenn die Bundesregierung Daten weggibt und uns nicht einverstanden; wir verlangen als Bundesregierung erzählt – ich muss ja erst einmal davon ausgehen, dass und als CDU/CSU-Fraktion, dass sie in dieser Art und 19508 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Wolfgang Gehrcke (A) Weise eingestellt werden“? Diese Doppelbödigkeit ent- nicht . Insofern: Malen Sie nicht Dinge an die Wand, die (C) larvt Sie und ist eigentlich furchtbar peinlich . so einfach nicht stimmen! (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – [CDU/CSU]: Ich habe dazu alles gesagt!) Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind die sy- rischen Kurden für Sie Terroristen, ja oder Vizepräsident Johannes Singhammer: nein?) Kollege Hardt verzichtet auf eine Erwiderung . Ein dritter Punkt ist die Frage der Stationierung deut- scher Soldaten in der Türkei . Wir hatten die Diskussion, (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ist auch und ich war einer derjenigen, die gesagt haben: Wenn besser so!) es dem Parlament nicht möglich ist, diesen Standort zu Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Florian Hahn besuchen, dann müssen wir uns darüber Gedanken ma- für die CDU/CSU als abschließendem Redner in dieser chen, ob eine Stationierung dort weiterhin möglich ist . Aussprache . Wir haben diesen Standort jetzt besuchen können . Alle Fraktionen waren beteiligt . Ich weiß nicht, ob das gesam- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) te Reisekarussell Bundestag, jeder einzelne Abgeordnete noch hinfahren soll . Auch hier bitte Maß und Mitte . (CDU/CSU): Florian Hahn (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jeder einzel- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ne muss abstimmen!) gibt schon ein paar Dinge, die wir zu den Einwendungen, die hier vorgebracht worden sind, sagen müssen . Lieber Natürlich muss es auch weiterhin möglich sein, dass Herr Gehrcke und vor allem Frau Dağdelen, ich sage Ih- unsere Kolleginnen und Kollegen dorthin fahren . Wir ha- nen ganz ehrlich: Es ist doch überhaupt gar keine Frage, ben, als wir zusammen mit dem Delegationsleiter Karl dass wir von unseren türkischen Partnern erwarten, dass Lamers in der Türkei waren, ganz klar und deutlich ge- sie Maß halten und die Verhältnismäßigkeit wahren . sagt: Wir erwarten, dass das jetzt die Regel ist und keine Ausnahme . (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tun sie aber nicht!) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wir werden sehen!) – Warten Sie .– Und es ist auch überhaupt keine Frage, dass wir, wenn sich herausstellt, dass es sich hier um 200 Ich kann nur sagen: Wir haben den Eindruck mitgenom- oder mehr Zivilisten handelt, das nicht einfach so unan- men, dass es die türkische Seite genauso sieht . (B) gesprochen hinnehmen können . Das ist doch gar keine (D) Frage . Aber es muss den Türken auch erlaubt sein, den Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal Terror zu bekämpfen . den Blick auf die Mission Inherent Resolve lenken . Die Luftschläge der Anti-IS-Koalition haben deutlich dazu Sie werfen uns „Doppelbödigkeit“ vor, sagen, wir beigetragen, den IS massiv zurückzudrängen . Hierfür würden mit zweierlei Maß messen. Frau Dağdelen, ich danke ich den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die hätte mir gewünscht, dass Sie mit Blick darauf, dass in Incirlik auf der Fregatte „Augsburg“ und in den Stäben Assad mithilfe Putins Aleppo in Schutt und Asche legt der Mission ihren Beitrag dazu leisten . und Tausende von Zivilisten sterben, in Ihrer Rede nur halbwegs dieselbe Empörung für das Vorgehen der Rus- Wir dürfen der Terrormiliz nicht tatenlos gegenüber- sen aufgebracht hätten wie für das Vorgehen der Türken . stehen, davon bin ich, nicht zuletzt mit Blick auf ein UN-Papier dieses Jahres, überzeugt . Darin benennen die (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen Vereinten Nationen die zahllosen brutalen Menschen- [DIE LINKE]: Haben Sie das denn gemacht?) rechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die der soge- Sie, Frau Keul, und Sie, Frau Dağdelen, haben den nannte „Islamische Staat“ beispielsweise gegen die Jesi- Eindruck erweckt, Deutschland bzw . die Bundeswehr den verübte . Der Bericht verurteilt die Taten für das, was könnte möglicherweise Daten zur Verfügung stellen, die sie sind: ein immer noch andauernder Genozid mit dem beispielsweise den Türken dazu dienen, die Kurden zu Ziel, die Identität einer Minderheit auszulöschen . Dane- bekämpfen . ben sind auch die Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza oder Ansbach traurige Beispiele dieser menschenverachten- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Bundes- den Ideologie . Allein durch seine Existenz entwickelt regierung schließt es nicht aus!) das Kalifat eine gefährliche Strahlkraft, die ausländische Kämpfer, Dschihadistentourismus und Einzeltäter an- – Frau Dağdelen, vielleicht unterhalten Sie sich einmal zieht und die Terrorgefahr in Europa erhöht . mit Ihrem Kollegen Herrn Neu, und Sie, Frau Keul, mit Ihrer Kollegin Frau Brugger . Wir haben doch gesehen – Der physischen Zerschlagung des Schreckensstaates nicht nur einmal, sondern schon mehrfach –, welche Da- kommt daher eine immense Bedeutung zu . „Sie kamen, ten dort erhoben werden und wie sie kontrolliert werden . um zu zerstören“, so lautet der Titel des UN-Berichts . Sie werden fünffach kontrolliert, sodass eines definitiv Noch ist das Morden des IS nicht vorbei, daher müssen ausgeschlossen ist: dass falsche Daten tatsächlich bei- wir die Terrormiliz auch weiterhin militärisch bekämp- spielsweise an die Türken geliefert werden. Wir fliegen fen . Deswegen bitte ich, diesen Einsatz entsprechend zu in dieser Region gar nicht und erheben diese Daten gar verlängern . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19509

Florian Hahn (A) Herzlichen Dank . Keine Zulassung der gentechnisch veränder- (C) ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Anbau in der EU ordneten der SPD) Drucksache 18/10029

Vizepräsident Johannes Singhammer: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache ebenfalls 38 Minuten vorgesehen . – Damit schließe ich die Aussprache . Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlos- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf sen . Drucksache 18/9960 an die in der Tagesordnung aufge- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch erhebt ner dem Kollegen Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grü- sich nicht, dann gehe ich davon aus, dass Sie alle einver- nen das Wort . standen sind und die Überweisung so beschlossen ist . Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 9 a Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und 9 b sowie dem Zusatzpunkt 6: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, „ja was 9 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten denn nun?“, haben Sie uns Grüne kürzlich mal wieder Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich nach Tipps gefragt, was Sie denn jetzt endlich mal mit Ih- Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der rem Amt anfangen sollen . Nett, dass Sie fragen! Ich hätte Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN da etwas: die Änderung des Gentechnikgesetzes . Gentechnikfreiheit Deutschlands sichern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 18/10028 Schließlich versprechen Sie das schon seit Jahren und kommen damit kein Stück voran, genau wie auf den an- Überweisungsvorschlag: deren Baustellen . Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Schon in zwei Wochen stimmen die EU-Staaten wie- Ausschuss für Wirtschaft und Energie der einmal über die Zulassungen für den Anbau von Gen- Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- mais ab, genau wie vor fast drei Jahren, als das ganze sicherheit Genmaisdebakel begann . Sie haben auf meine Nachfrage Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- jetzt doch tatsächlich geantwortet, Sie wissen noch gar (B) abschätzung nicht, wie Sie dieses Mal abstimmen werden . Ganz ein- (D) b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- fach: Wenn Sie den Genmais auf unseren Äckern wirk- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur lich verhindern wollen, machen Sie es wie das Europäi- Änderung des Gentechnikgesetzes sche Parlament, und stimmen Sie in Brüssel endlich mit Nein . Nur das hilft wirklich . Drucksache 18/6664 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Das fordern wir auch in unserem Antrag, dem Sie Ausschuss für Wirtschaft und Energie zustimmen können müssten . Denn wir wollen in Euro- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- pa keinen Flickenteppich aus Ländern mit und Ländern sicherheit ohne Gentechnikanbau . Wir alle wissen: Pollen und Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen nicht an Staatsgrenzen halt . Wenn Sie nicht mit Nein stimmen, ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald hängt unsere Gentechnikfreiheit allein von der Gnade Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, der Konzerne ab, die ganz generös auf den Anbau in weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Deutschland verzichten können, falls ihnen danach zu- NIS 90/DIE GRÜNEN mute ist und wenn wir sie darum bitten . Wer die Zulas- sung nicht ablehnt, der ermöglicht sie und spielt mit beim zu den Entwürfen für eine Durchfüh- Plan der Agrarkonzerne, die so mit ein paar gönnerhaften rungsverordnung und zwei Durchfüh- Anbauausnahmen ihre lange gewünschten Zulassungen rungsbeschlüsse der Europäischen Kom- für Gentechnikpflanzen erreichen wollen. mission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän- Vor zwei Jahren haben Sie hier hoch und heilig ver- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 sprochen, dass es mit der Großen Koalition künftig keine (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Anbauzulassungen mehr geben würde . Heute trauen Sie Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, sich noch nicht einmal, darüber abzustimmen . Haben Sie SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) Angst, dass man merkt, dass Sie nicht Wort halten? Da- mals haben Sie die Aussage, dass wir den Verzicht auf hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Gentechnikanbau nur von Gnaden der Konzerne bekom- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des men würden, weit von sich gewiesen . Wer bei Anbauver- Grundgesetzes boten Koch ist und wer Kellner – Herr Minister Schmidt, 19510 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Harald Ebner (A) das haben Sie gesagt –, sei völlig klar . Dann sind Sie aber Und wir müssen das auch zukunftsfest machen . Sor- (C) doch zum Kellner geworden . Sie haben vor einem Jahr gen Sie dafür, dass nicht durch die Hintertür Ausnahmen Bittbriefe an die Konzerne geschrieben, Herr Minister, geschaffen werden für neue Gentechnikverfahren wie Deutschland von ihren Zulassungsanträgen auszuneh- CRISPR/Cas und wir es nicht plötzlich mit unkontrol- men . Das ist doch kein souveränes Staatshandeln . lierter Gentechnik auf unseren Äckern und Tellern zu tun bekommen . Denn auch die neue Gentechnik ist Gentech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nik . Das besagen auch die vorliegenden Rechtsgutach- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ten . Das müssen wir in Deutschland und auf EU-Ebene Unsere Gentechnikfreiheit kann doch nicht von Verspre- klarstellen; sonst geht es uns wie im letzten Jahr, als eine chungen privater Unternehmen abhängen, die ihre Ge- deutsche Behörde gegen geltendes Recht ohne jede Ri- schäftsstrategie schon morgen ändern können, je nach- sikoprüfung Ausnahmegenehmigungen für genau solch dem, von wem sie gerade gekauft werden . einen neuen Gentechnikraps erteilt hat . Da geht es nicht darum, zu entscheiden, ob und wo man diese Technologie Deshalb brauchen wir jetzt dringend ein Gesetz, lieber anwendet, sondern es geht grundlegend um die Handha- Herr Minister Schmidt, werte Kolleginnen und Kolle- bung mit Risikoprüfung, Kennzeichnung und Rückver- gen, und zwar ein funktionsfähiges, ein taugliches und folgbarkeit, wie sie bei Gentechnik immer notwendig ist . rechtssicheres Gesetz . Weil Sie kein praktikables Gesetz hinbekommen haben, haben die Bundesländer über den Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie tatsäch- Bundesrat einen eigenen vernünftigen und tauglichen lich keine Gentechnik auf dem Acker wollen, dann sor- Gesetzentwurf eingebracht . Den hätte die Beauftragte gen Sie für eine klare Regelung zum Ausstieg aus der des Bundesrates, Ulrike Höfken, gerne vorgestellt . Sie Gentechnik, indem Sie die anstehenden Genmaiszulas- ist aber terminlich leider verhindert . Sie haben sich al- sungen in Brüssel klar ablehnen, den Gentechnik-Gesetz- lerdings hartnäckig geweigert, diesen Beschluss des entwurf des Bundesrates in Kraft setzen, Ihren eigenen in Bundesrates voranzubringen . Stattdessen haben Sie die den Schredder werfen und keine Ausnahmen für die neue Länder ein weiteres Jahr mit Verhandlungen hingehalten, Gentechnik zulassen . angeblich zur Kompromissfindung. Aber der Gegenent- wurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, zeigt: Sie wollen gar Danke schön . keine Lösung mit den Ländern . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall der Abg . Dr .Kirsten Tackmann [DIE sowie bei Abgeordneten der LINKEN) LINKE])

Sie haben gar kein Interesse daran, die Position des Bun- Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) desrates auch nur im Ansatz ernst zu nehmen . Sie wollen Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege (D) den Ausstieg aus dem Gentechnikanbau partout vorsätz- Kees de Vries . lich unterlaufen und aufweichen . (Beifall bei der CDU/CSU) Die Minimalanforderungen an ein funktionierendes Gesetz liegen doch auf der Hand . Es braucht zwingend Kees de Vries (CDU/CSU): ein bundesweit einheitliches Verfahren . Dazu muss klar Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und sein: Die Bundesregierung soll handeln, und zwar die ge- Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kolle- samte Bundesregierung . Es darf nicht vom Veto einzel- gen! Landwirtschaft betrifft jeden Menschen auf dieser ner Ministerien abhängen . Das sehen Sie aber in Ihrem Welt . Und deshalb betrifft die Diskussion über die Grüne Gesetz so vor . Das EU-Recht fordert für die Phase 1 der Gentechnik nicht nur die deutsche Landwirtschaft, uns Verbote keine Begründung ein . Wieso wollen Sie dann Parlamentarier oder unsere mit qualitativ hochwertigen diese zusätzliche Bürokratiehürde einführen? Das verste- und preiswerten Lebensmitteln versorgte – um nicht zu he ich beim besten Willen nicht . sagen: verwöhnte – Bevölkerung, nein, sie betrifft auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Hungernden oder falsch Ernährten auf unserer Erde . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Als Mitglieder des Deutschen Bundestages ist es un- Bundesweite Anbauverbote müssen auch halten . Es sere Pflicht, die Sorgen und Wünsche des deutschen Vol- kann doch nicht sein, dass ein einziges Bundesland aus- kes ernst zu nehmen. Aber es ist auch unsere Pflicht, in reicht, um das gesamte Verbot einfach mir nichts, dir Übereinstimmung mit unserer Überzeugung, resultierend nichts wieder zu kippen . In Ihrem Entwurf ist damit eine aus unserem Wissen und Gewissen, darauf zu reagieren . Unwirksamkeitsklausel eingebaut . Sie wollen keine nati- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich – und onalen, bundeseinheitlichen Anbauverbote . Damit schaf- ich bin wirklich nicht der Einzige in diesem Bundestag – fen Sie den Flickenteppich, den wir immer befürchtet bin nach wie vor der Meinung, dass es nicht im Sinne haben . Das darf nicht sein . eines so innovativen Landes wie dem unseren und seiner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bevölkerung ist, uns so radikal von weltweiten Entwick- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) lungen abzukoppeln . Ich fühle mich in dieser Haltung auch bestärkt durch einen Aufruf von 107 – ich wieder- Den Weg zum sicheren Ausstieg aus der Gentechnik hole: 107 – Nobelpreisträgern, im Anbau hat der vom Bundesrat verabschiedete Gesetz- entwurf geliefert . Diesen bringen wir heute ein; denn er (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist gut und solide gemacht . NEN]: Oh, jetzt kommt diese Geschichte!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19511

Kees de Vries (A) die verlangt haben, dass die Kampagne gegen GVOs schen Bund und Ländern zustande gebracht . So werden (C) aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse Unternehmen, die eine Anbauzulassung für gentechnisch aufgegeben werden sollte . veränderte Pflanzen stellen, vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung dazu aufgefordert, das (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner deutsche Bundesgebiet vom Anbau auszuschließen . Ja, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann gu- dazu braucht die Regierung das Einvernehmen von sechs cken Sie mal hin, was das für welche sind! Die Ministerien, nämlich Forschung, Wirtschaft, Arbeit, So- forschen alle in der Gentechnik!) ziales, Gesundheit und Umwelt, und auch eine Mehrheit Trotzdem kann auch ich mit der Opt-out-Regelung le- im Bundesrat . Aber solange sich die öffentliche Meinung ben . Um diese EU-Regelung in nationales Recht umzu- und die korrespondierende Position der Bundesregierung setzen, liegt uns jetzt, nach der Ressortabstimmung, der und der Landesregierungen zum Thema GVO nicht än- Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gen- dert, kann das doch kein Problem sein . technikgesetzes vor . Selbst wenn sich ein Unternehmen darüber hin- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wegsetzt, das Bundesgebiet vom Anbau auszunehmen, NEN]: Mit eingebauter Nichtigkeitsklausel!) verfügt die Bundesregierung gemäß dem neuen Gesetz- entwurf immer noch über ausreichend Mittel, einen Aus- – Er liegt vor, Herr Ebner .– Das Ziel dieses Gesetzent- bau in Deutschland zu verhindern . In diesem Falle sollte wurfes hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates klar und deutlich beschrieben, nämlich das flächende- eine Rechtsverordnung zum bundesweiten Anbauverbot ckende Anbauverbot von Grüner Gentechnik in ganz erlassen, die sich auf zwingende Gründe stützt, darunter Deutschland . solche, die bereits seit 2015 die Anwendung der Grünen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gentechnik erfolgreich unterbinden . NEN]: Aber das können Sie damit nicht errei- Neben den agrarpolitischen und sozioökonomischen chen!) Argumenten können sich zwingende Gründe aus um- Seit 2015 kann der Anbau von GVOs außer aus ge- weltpolitischen Zielen oder der Gefahr von Verunreini- sundheitlichen und ökologischen Gründen – für die gungen ergeben . Dabei soll sich die Begründung an den meistens handfeste wissenschaftliche Beweise nicht zu jeweiligen regionalen Bedingungen orientieren . Zusätz- liefern sind –, auch aus agrarpolitischen oder sozioöko- lich wird es den Ländern per Verordnung möglich sein, nomischen Gründen unterbunden werden . Es geht hier den GVO-Anbau in ihrem Hoheitsgebiet eigenständig zu also nicht um die Frage: Genpflanze, ja oder nein? Es verbieten . Hierdurch und durch die bestehende Haftungs- (B) geht hier um die Verbotspraxis und um die Frage der Zu- regelung wird nicht nur die Rechtssicherheit der zukünf- (D) ständigkeit . tigen Verbote gestärkt, sondern dem Gentechnikgesetz auch ein föderaler Charakter zugestanden . Im Hinblick Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anträge auf die Diversität der landwirtschaftlichen Ökosysteme und Gesetzentwürfe, die Sie als grüne Opposition hier und Arbeitsbedingungen in Deutschland ist dies von vorlegen, helfen in keiner Weise, tragfähige Lösungen nicht zu unterschätzender Bedeutung . für die Gestaltung eines Anbauverbots für gentechnisch veränderte Organismen zu formulieren . Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat unser vielgescholtener Minister Christian Schmidt einen (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Gesetzentwurf vorgelegt, den nicht einmal unsere Kolle- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gen der Grünenfraktion guten Gewissens ablehnen kön- Gesetzentwurf des Bundesrates! Der ist hand- nen . werklich top gemacht!) Sie kommen nicht nur mit einem veralteten – er ist über Danke für Ihre Aufmerksamkeit . ein Jahr alt –, einfach wieder aufgewärmten Gesetzent- (Beifall bei der CDU/CSU) wurf, sondern auch mit zum Teil schon überholten An- trägen, die außer Schwarzmalerei und meisterhafter Ver- einfachung nichts zu bieten haben . Ich frage mich: Geht Vizepräsident Johannes Singhammer: es hier um die Sache oder um parteipolitisches Kalkül? Die Kollegin Dr . Kirsten Tackmann spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundes- (Beifall bei der LINKEN) rat hat den Gesetzentwurf gemacht! Die Län- derkammer, Kollege!) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Fest steht für mich: Diese Anträge sind einfach abzuleh- Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- nen . legen! Liebe Gäste! Für uns Linke ist die Agrogentechnik eine Risikotechnologie, weil sie eben doch eine Gefahr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für Mensch und Natur ist . Die Selbsttötung verarmter in- Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens discher Baumwollbauern oder auch Superunkräuter, die haben die Bundesressorts mit dem vorgelegten Gesetz- die Ernte vernichten, weil eben kein Pflanzenschutzmit- entwurf, der die Brüsseler Opt-out-Regelung in nationa- tel mehr wirkt, bezeugen das . Das sind nur zwei Beispie- les Recht umsetzt, einen vernünftigen Kompromiss zwi- le und ist auch nur ein Teil des Problems . 19512 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Kirsten Tackmann (A) Als Linke sehe ich die Gefahr vor allem in dem Sys- destag . Die könnte die Bundesregierung natürlich auffor- (C) tem, das dahintersteckt und mit dem Konzerne sehr viel dern, der Zulassung in den Gremien nicht zuzustimmen . Geld verdienen, und zwar auf unser aller Kosten; denn die von ihnen verursachten Schäden zahlen wir als Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sellschaft. Ich finde das inakzeptabel. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Aber auch hier kommt es nicht zu diesem klaren Signal, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weil sich die SPD in dieser Koalition eben in Geiselhaft mit der Union befindet. Also kann ich nur sagen: Augen Deshalb brauchen wir den Widerstand gegen die Über- auf bei der nächsten Wahl! macht transnationaler Saatgut- und Pflanzenschutzkon- zerne . Bayer/Monsanto und anderen geht es vor allen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dingen um Maximierung ihres Profits. Die Gefahr für neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unsere natürlichen Lebensbedingungen sind für sie nur Kollateralschäden . Außerdem gefährden sie universelle Der öffentliche Widerstand hat aber immerhin eine Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung oder auf neue, zusätzliche Reißleine erzwungen . Die Mitglied- Wasser . Das wird Gott sei Dank das gerade laufende In- staaten können jetzt nämlich auch nach der EU-weiten ternationale Monsanto-Tribunal in Den Haag nachwei- Zulassung von Gentechnikpflanzen den Anbau in ihrem sen . Davon bin ich jedenfalls überzeugt . Deswegen darf Land legal verhindern . Dieses sogenannte Opt-out hört sich Politik gerade an dieser Stelle nicht erpressbar ma- sich gut an, in Wirklichkeit ist es aber ein unmoralisches chen . Angebot; denn eigentlich eröffnet diese Regel vor allen Dingen den Konzernen die Tür zu agrogentechnikfreund- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . lichen Ländern, und es gibt auch hohe Hürden, die für ein Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- solches Anbauverbot zu erfüllen sind . Aber immerhin: NEN]) Man kann das tun . Als Linke will ich verhindern, dass Saatgutmultis und Natürlich macht solch ein Verbot nur bundesweit Chemieriesen bestimmen, was auf unseren Tellern, im Sinn . Ein Flickenteppich angesichts der länderübergrei- Trog oder im Tank landet . Landwirtschaft muss unabhän- fenden Verarbeitungs- und Handelswege ist absurd; auch gig von solchen Konzernen bleiben . Ich bin froh, dass die Bienen halten sich nicht an Ländergrenzen usw . Wa- der Widerstand weltweit wächst und auch in unserem rum sollte ein Risiko in dem einen Bundesland existieren Land unterdessen breit verankert ist . Viele sehr engagier- und im Nachbarland nicht? Also sind auch Rechtssicher- te, unerschrockene Aufklärerinnen und Aufklärer haben heit und Rechtsfrieden mit einem solchen Flickenteppich (B) dazu beigetragen . Ihnen gilt heute mein großer Dank . nicht herstellbar . (D) (Beifall bei der LINKEN) Der Bundesrat hatte, wie ich finde, einen sehr guten Aus Sicht der Linken gibt es längst genügend Erfah- Vorschlag zu bundeseinheitlichen Regeln vorgelegt . Man rungen zu Risiken und Nebenwirkungen der Agrogen- war sich angeblich auch mit dem Bund einig . Trotzdem technik, um diese Risikotechnologie zu ächten, und zwar macht die Bundesregierung mit dem aktuellen Gesetz- weltweit . Leider ist das aktuell nicht durchsetzbar . Aber entwurf genau das Gegenteil: dann sollte uns doch wenigstens das EU-Zulassungsver- fahren vor gefährlichen Pflanzen auf unseren Äckern Die Hürden für ein bundeseinheitliches Verbot sind schützen . Schließlich gilt ja in der EU das Vorsorgeprin- so hoch, dass de facto doch jedes einzelne Bundesland zip . Aber leider wird auch das untergraben . Denn die Prü- entscheiden muss . Wer das so vorschlägt, will keine bun- fung erfolgt weder wirklich unabhängig noch transpa- deseinheitliche Regeln . rent . Und wichtige Risiken werden erst gar nicht geprüft, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wie zum Beispiel Langzeitwirkungen, wie zum Beispiel neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ethische oder soziale Bedenken . Wir wie auch andere for- dern schon seit langem Korrekturen. Ich finde, hier muss Die Bundesländer sollen „zwingende Gründe“ für ein endlich gehandelt werden! Anbauverbot vorlegen, obwohl das in der EU-Richtlinie überhaupt nicht vorgesehen ist . Wer das vorschlägt, will (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kein Anbauverbot . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber auch mit einer qualifizierten Mehrheit der Mit- Dieses Gesetz ist auch aus meiner Sicht in Wahrheit gliedstaaten in den EU-Entscheidungsgremien könnte ganz klar ein Opt-out-Verhinderungsgesetz, eine Zulassung verhindert werden . Sie kommt aber re- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gelmäßig nicht zustande, auch weil die Bundesregierung NEN]: Ja!) sich in diesen Gremien bestenfalls der Stimme enthält . Damit macht sie aber quasi den Weg für die Zulassung und das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen . frei; denn die EU-Kommission kann den Anbau dann ersatzweise tatsächlich zulassen, und sie tut das auch re- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gelmäßig . NIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Glück haben wir aber auch noch die Mit- Dass viele in der Union das genau so wollen, kann ich ja te-Links-Mehrheit gegen die Agrogentechnik im Bun- noch verstehen, aber die SPD darf das nicht mitmachen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19513

Dr. Kirsten Tackmann (A) Sonst hat sie jede Glaubwürdigkeit bei der Agrogentech- wie genau wir das Anbauverbot auf deutschen Äckern (C) nik verspielt . umsetzen können . Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt ei- nen Gesetzentwurf haben, Herr Kollege Ebner . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der die Länder vor den Kopf stößt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: In diesem Gesetzentwurf heißt es ganz klar: Die Bundes- Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elvira regierung soll Drobinski-Weiß das Wort . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Nein, „das Bundesministerium soll“! der CDU/CSU) Nicht die Bundesregierung!) – vielleicht hört es der Herr Bundesminister auch – ein Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Anbauverbot erlassen, wenn der Hersteller nicht freiwil- Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- lig darauf verzichtet .– Sie soll! Das ist ein klarer Auftrag, gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! der hier festgeschrieben wird, und das ist entscheidend . Ich zitiere: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Der Staat schützt auch in Verantwortung für die ten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜND- künftigen Generationen die natürlichen Lebens- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, „das Bundes- grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas- ministerium soll“, und zwar im Einvernehmen sungsmäßigen Ordnung . . mit dem BMBF!) Das steht in Artikel 20a unseres Grundgesetzes . Den ken- Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoll gewesen, sich stär- nen Sie natürlich alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ker an dem zu orientieren – das ist auch schon mehrfach aber ich habe ihn an dieser Stelle trotzdem noch einmal genannt worden –, was der Bundesrat im letzten Jahr vor- zitiert; denn genau darum geht es beim Thema „Gentech- gelegt hat – aber gut . nik auf dem Acker“ . Der Gesetzentwurf, über den wir jetzt reden – er ist Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten leh- übrigens noch nicht einmal im Kabinett beraten wor- nen Gentechnik auf dem Acker ab, den –, ist trotzdem eine gute Grundlage, unser gemein- sames Ziel zu erreichen . Wir werden ihn genau prüfen . (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Der besagte klare Auftrag darf nämlich nicht durch miss- (B) Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verständliche Formulierungen oder fehleranfällige Ver- (D) Dann müsst ihr aber auch handeln!) fahren verkompliziert werden . Da, wo wir es für nötig halten, werden wir auf Änderungen drängen . und zwar deswegen, weil wir die natürlichen Lebens- grundlagen auch für zukünftige Generationen schützen Insgesamt bin ich, wenn Sie mir diese Bemerkung er- wollen . lauben, sehr geehrter Herr Bundesminister Schmidt, al- lerdings etwas erstaunt, dass Sie sich selbst auferlegen, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – mit fünf anderen Ministerien ein Einvernehmen herstel- Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: len zu müssen, Dann müsst ihr jetzt wirklich etwas tun!) (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ein Die Vorteile Grüner Gentechnik für die Verbraucherin- Schelm, wer Böses dabei denkt! – Harald nen und Verbraucher sind praktisch gleich null . Aber die Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- langfristigen Risiken für die Ökosysteme, die Umwelt nau!) und die Lebensmittelkreisläufe sind kaum erforscht und ungewiss . Deshalb wollen wir bevor Sie tätig werden können . Mich erstaunt doch, dass Sie den ganzen Prozess freiwillig so enorm verkompli- (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wer ist zieren . Ich nehme Sie trotzdem beim Wort: „wir“?) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – darin sind wir uns völlig einig, liebe Kolleginnen und NEN]: Mit angezogener Handbremse, ja?) Kollegen von den Grünen –, dass Deutschland den An- bau gentechnisch veränderter Pflanzen im gesamten Vor wenigen Tagen, laut Reuters am 16 .Oktober, haben Bundesgebiet untersagt – Sie gesagt – ich zitiere –: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mein Ziel ist ein flächendeckendes Anbauverbot der LINKEN) von grüner Gentechnik in ganz Deutschland . Forschungsvorhaben ausgenommen . Das erlaubt uns das (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- EU-Recht seit nunmehr zwei Jahren auch . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man auch ein entsprechendes Gesetz vorlegen! – Ja, seitdem ringen wir darum, Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da klatscht die Union gar nicht!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ziemlich erfolglos!) Es wäre schön, wenn diesen Worten Taten folgten . 19514 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Elvira Drobinski-Weiß (A) Wir debattieren nämlich auch einen Antrag der Kol- Schwarz-Weiß-Denken, was sie durch alle Themen tra- (C) leginnen und Kollegen von den Grünen, in dem es um gen . Aber die wenigsten Themen haben nur eine Sicht- die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen weise . auf EU-Ebene geht; Kollege Ebner hat es ja schon ange- sprochen . Die sozialdemokratisch geführten Häuser der (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesregierung stimmen regelmäßig gegen eine solche NEN]: Geht das auch mit Inhalt?) Zulassung, die unionsgeführten hingegen dafür . – Ja, der kommt jetzt: Ihr Antrag zu den Maissorten ist (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im Prinzip hinfällig, weil gerade diese Maissorten in NEN]: Wir erwarten aber von der Regierung Deutschland sowieso nicht angebaut werden dürfen . ein stringentes Handeln!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das führt dann meist dazu, dass sich Deutschland insge- NEN]: Und dann stimmen Sie in Brüssel zu! samt im EU-Rat enthält . So, sehr geehrter Herr Schmidt, Macht das nichts aus?) sieht eine konsequente Haltung für eine gentechnikfreie Landwirtschaft eigentlich nicht aus . Gentechnisch veränderte Pflanzen sind auch nur ein ganz kleiner Bestandteil der Biotechnologie . Die Bio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des technologie umfasst ein sehr großes Gebiet mit sehr viel BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Potenzial, das in Deutschland ausgeschöpft werden sollte Ich würde mir wünschen, dass auch unser Koalitions- und nicht von den Grünen verhindert werden darf . Die partner endlich geschlossen den Wunsch der Bürgerin- Forschung in diesem Bereich muss auf jeden Fall mög- nen und Bürger nach gentechnikfreien Feldern in diesem lich sein und bleiben . Land respektiert . Ich kann für meine Fraktion noch ein- mal sagen: Wir wollen ein bundesweites Anbauverbot (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und keinen Flickenteppich . Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Gentechnik!) (Beifall bei der SPD) Gerne erläutere ich Ihnen auch, weswegen . Deshalb ist es so wichtig, dass die Anbauverbote rechts- sicher ausgesprochen werden können und dass die Um- (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nein, setzung gleichzeitig für alle Betroffenen handhabbar ist . muss nicht sein!) Wir werden im parlamentarischen Prozess – davon bin In der Biotechnologie gibt es mindestens fünf verschie- ich überzeugt – noch über einige Punkte diskutieren und dene Bereiche . Zwei davon möchte ich Ihnen gerne nen- (B) auch diskutieren müssen . nen . (D) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bei der sogenannten Grauen Gentechnik – NEN]: Ihr müsstet nur den Bundesratsgesetz- entwurf annehmen! Der sagt alles!) (Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Darum Aber das gemeinsame Ziel ist klar: keine Gentechnik auf geht es aber gerade nicht!) Feldern, Wiesen, Gärten. Und damit, finde ich, lässt sich das ist die Umweltbiotechnologie – geht es um die Auf- arbeiten . bereitung von Trinkwasser, die Reinigung von Abwasser, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Behandlung von Abfällen, NEN]: Dann stimmt heute auch entsprechend ab!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Um was geht es denn heute? Thema Vielen Dank . verfehlt!) (Beifall bei der SPD – Dr . Kirsten Tackmann die Sanierung kontaminierter Böden und die Abluft- bzw . [DIE LINKE]: Elvira, das war aber jetzt hohe Abgasreinigung, also um wichtige Themen, die die Zu- Diplomatie! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ kunft unserer sensibelsten Bereiche betreffen . DIE GRÜNEN]: Dann stimmt heute auch un- serem Antrag zu!) (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn wir hier Möglichkeiten der Verbesserung finden, Rita Stockhofe erhält nun das Wort für die CDU/ sollten wir diese Chancen nutzen . CSU-Fraktion . Bei der Roten Gentechnik ist schon vor Jahren der (Beifall bei der CDU/CSU) Fehler gemacht worden, die Entscheidung zu treffen, in Deutschland kein gentechnisch verändertes Insulin her- Rita Stockhofe (CDU/CSU): zustellen. Wir kaufen das Insulin jetzt in hoher Qualität Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen gentechnisch verändert in Frankreich ein . Wenn das kein und Herren! Der Titel „Gentechnikfreiheit Deutschlands Erfolg ist! Ich hätte die Forschung, Herstellung und Ver- sichern“ zeigt schon – das kann man daran gut ablesen –, marktung dieses Produktes lieber im eigenen Land ge- wie die Politik der Grünen funktioniert . Sie haben ein sehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19515

Rita Stockhofe (A) Die Grünen interessiert es nicht, dass bis heute keine Gentechnik –, wird von der Opposition regelmäßig der (C) einzige Studie ergeben hat, dass Gentechnik gefährlich Weltuntergang gepredigt . ist . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Haben Sie eigentlich die Anträge gele- NEN]: So ein Unsinn! – Dr . Kirsten Tackmann sen? Wissen Sie, um was es heute geht?) [DIE LINKE]: Alle, die Sie gelesen haben! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um noch einmal zur Gentechnik an sich zurückzu- Sie haben es immer noch nicht verstanden!) kommen: Hanno Schäfer, Professor für Biodiversität der Pflanzen, schreibt treffend in der Zeit, dass die gentech- Warum auch? Wenn wieder einmal ein Versuchsfeld mit nische Veränderung von Nutzpflanzen die Biodiversität Genpflanzen zerstört wird, sieht das kaum einer als krimi- positiv beeinflussen kann, nellen Akt, sondern als heroische Tat des Widerstandes . In der letzten Sitzungswoche ist auch deutlich geworden, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass selbst Einbrüche durch Nichtregierungsorganisatio- NEN]: Da hat er nicht verstanden, was Bio- nen als Heldentaten gewertet werden . diversität ist!) NGOs als Superlobbyisten genießen bei den Grünen und zwar, indem sie die Erträge steigert, sodass auf weni- anscheinend grenzenloses Vertrauen . Sie schützen uns ger Fläche mehr produziert werden kann . vor bösen Machenschaften, vor Genmais, sie retten die Umwelt, die Tiere, schützen uns vor gefährlichen Han- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- delsabkommen der Kapitalisten NEN]: Ja, nur dass das nicht stimmt!) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Somit muss weniger Fläche beackert werden, und natur- Aber leider nicht vor schlechten Rednern!) nahe Lebensräume können erhalten bleiben . und machen das Ganze aus reinem Gutmenschentum . (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie Oder gibt es auch hier Interessen, die einmal hinterfragt wollen doch nur spielen!) werden müssen? Weltverbesserer-NGOs haben ständig Lebensräume können erhalten bleiben – ich dachte im- Kontakt zu Ministerien und grünen Abgeordneten . Bei mer, das sei Ihnen wichtig . Unternehmerverbänden gilt das regelmäßig als Skandal . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dazu gibt es keine einzige Studie, die (B) NEN]: Wenn Sie es nicht unterscheiden kön- (D) das belegt! Keine einzige Studie belegt das!) nen, dann tun Sie mir wirklich leid! Blamieren Sie sich ruhig weiter!) Wir brauchen die landwirtschaftliche Nutzung von Fläche, um die Menschheit zu ernähren . Aber jede Nut- Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? zung von Fläche, egal ob konventionell, bio oder mit Die Grünen lassen sich vor den Karren spannen und gentechnisch veränderten Pflanzen, aber auch durch sind zu einer Lobbyistenpartei geworden . Bebauung, bedeutet einen Verlust der Vielfalt . Wenn im Vorfeld von Ergebnissen – in diesem Fall von For- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner schungsergebnissen – bereits Ängste geschürt werden, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Offenba- ohne Potenziale zu erkennen oder zuzulassen, verbauen rungseid!) wir uns die Zukunft Deutschlands . Wir als CDU glauben aber an die Zukunft Deutschlands, Oder wie beurteilen Sie die Aussage des nordrhein-west- fälischen Landwirtschaftsministers Remmel, der sein (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Landesnaturschutzgesetz – hören Sie jetzt genau zu! – als NEN]: Also sind Sie für Gentechnik! Schön!) Geburtstagsgeschenk an den NABU bezeichnet hat . und deshalb sind wir die Zukunft Deutschlands . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und was hat das jetzt mit Gentechnik Danke schön . zu tun? Können Sie uns das mal erläutern?) (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Wenn das nicht schlimm ist, dann weiß ich es nicht . Wer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU sind dann noch die Lobbyisten, und wer ist dann hier und die Gentechnik! Ihr Minister sagt, er will noch die Lobbyistenpartei? keine, und Sie sagen alle, Sie wollen sie! Ja, lustig!) (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich TTIP gelesen? – Zurufe der Abg . Präsident Dr. Norbert Lammert: Karin Binder [DIE LINKE]) Carsten Träger ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . Obwohl wir immer älter werden und die Luft, die Wälder und die Gewässer immer sauberer werden – auch durch (Beifall bei der SPD) 19516 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Carsten Träger (SPD): Auch die Fütterung von Nutztieren mit gentechnisch ver- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und änderten Futtermitteln lehnen 79 Prozent der Befragten Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde ab . Und noch ein ethisches Argument: Drei Viertel der gerne wieder über Grüne Gentechnik sprechen . Befragten finden zudem, dass der Mensch kein Recht habe, Pflanzen und Tiere gentechnisch zu verändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Au, au, au!) Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Wir als Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine Sozialdemokraten wollen keine Grüne Gentechnik . Gentechnik in unserem Essen . Niemand will das . Des- halb sollten wir als politische Vertretung der Bürgerinnen (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- und Bürger auch alles tun, um diesen Willen umzusetzen . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt es nachher beweisen!) Sehr geehrter Herr Bundesminister, auch Sie haben erklärt, dass Sie gentechnikfreie Äcker in Deutschland Wir wollen kein gentechnisch verändertes Essen . Wir wollen . Dann sind wir uns einig . Lassen Sie uns das wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher beim gemeinsam umsetzen: konsequent, klar und vor allem Einkauf nicht das Kleingedruckte lesen müssen, dass sie rechtssicher . keine App brauchen, um entscheiden zu können: Ist da Gentechnik drin oder nicht? Wir wollen, dass sie sich (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da schlicht und einfach darauf verlassen können, dass ihr sind wir einmal gespannt!) Essen gesund ist und frei von Gentechnik hergestellt Rechtssicher heißt für mich: bundeseinheitlich mit einer wurde . klaren Verantwortlichkeit für ganz Deutschland, (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachher beweisen in ten der LINKEN und des Abg . Uwe Kekeritz der Abstimmung!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Grüne Gentechnik kein kompliziertes Verfahren, keine unnötige Bürokratie . ist riskant. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Da lag schon mal ein guter Lösungsvorschlag auf dem ist nicht nachhaltig . Monokulturen führen zu einem Ver- Tisch . lust der Artenvielfalt . Außerdem sind sie anfälliger für Schädlingsbefall und Krankheiten . Die Folge ist wiede- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rum steigender Einsatz von Pestiziden . Dadurch mehren NEN]: Der jetzige ist das aber nicht!) (B) sich weltweit die Resistenzen gegen Pflanzenschutzmit- Lassen Sie uns daran anknüpfen . Lassen Sie uns gemein- (D) tel. Insektenresistente Pflanzen erhöhen wiederum die sam dafür sorgen, dass es in Deutschland keinen Flicken- Giftkonzentration auf dem Acker und schädigen Nutzin- teppich mit unterschiedlichen Regelungen und unnötiger sekten . Ein Teufelskreis! Dabei hängt doch gerade die Bürokratie gibt . Landwirtschaft von einem stabilen ökologischen Gefüge ab . Daher sagen wir: Wir wollen keine Grüne Gentech- Wir alle haben das gleiche Ziel . Wir alle wollen gen- nik . technikfreies Essen . Wir schaffen das . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Danke schön . ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD) Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nachher dann auch entsprechend abstim-

men, bitte!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Mindestens das schaffen wir tatsächlich . – Nun hat der Die Langzeitrisiken von gentechnischen veränderten Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion Pflanzen für Mensch und Umwelt sind nicht geklärt. Der das Wort . Erfolg neuer Züchtungen ist umstritten . (Beifall bei der CDU/CSU) Grüne Gentechnik steht auch für eine Entwicklung der Landwirtschaft in eine Richtung, die wir nicht wollen . Artur Auernhammer (CDU/CSU): Sie steht für Rationalisierung auf dem Acker . Sie steht für Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- Anbau einiger weniger Pflanzenarten auf immer größer men und Herren! Ob wir das schaffen, werden wir sehen . werdenden Flächen . Damit steht sie für den Verlust von Ich merke allerdings nur an: In dieser Debatte haben wir Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft . Nichts von alledem bereits eine rot-rot-grüne Koalition in diesem Haus . wollen wir . Und die Menschen in Deutschland wollen das auch nicht . Das hat zuletzt im April eine vom Umwelt- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- ministerium und vom Bundesamt für Naturschutz veröf- rufe von der SPD: Oh!) fentlichte Umfrage zum Naturbewusstsein ergeben . Nur 7 Prozent der Befragten sagen, dass sie überhaupt kein Vor zwei Tagen waren einige von Ihnen dabei, als abends Problem mit gentechnisch veränderter Nahrung hätten . in Berlin die Nacht der Landwirtschaft gefeiert und der CERES AWARD verliehen wurde . Wir haben unsere (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Landwirtschaft gelobt . Wir haben ihr die Anerkennung NEN]: Da gehört die Frau Stockhofe dazu!) zukommen lassen, die sie braucht . Wir haben die Land- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19517

Artur Auernhammer (A) wirtschaft dafür gelobt, dass sie innovativ ist, dass sie Wir diskutieren über GVO-Anbau . Ich rede darü- (C) produktiv ist, dass sie leistungsfähig ist . Das war ein gu- ber mit meinen Vermarktern . Meine Molkerei sagt mir: ter Abend . Ich denke, diese Landwirtschaft sollten wir Wenn du GVO-freie Milch lieferst, dann bekommst du auch weiterhin unterstützen . beim Milchpreis 1 Cent mehr .– 1 Cent und mehr nicht! Die Entscheidung über GVO trifft man nicht nach Um- (Beifall bei der CDU/CSU) fragen oder nach Internetbefragungen . Vielmehr trifft sie Diese Landwirtschaft nimmt die große Herausforderung der Verbraucher an der Supermarktkasse; das ist das Ent- an, unsere Welt mit gesunden Nahrungsmitteln zu ver- scheidende . sorgen . (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Jetzt streiten wir sehr intensiv um die Gentechnik – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ri- heute nicht zum ersten Mal . Wir alle wissen, dass ein sikoorientiert, ethisch orientiert und nicht an Großteil unserer Bevölkerung enorme Vorbehalte hat . der Ladenkasse!) Diese Vorbehalte gründen allerdings weniger auf wis- senschaftlichen Erkenntnissen, sondern mehr auf Emo- Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben es in tionen . der Hand, GVO-freie Lebensmittel zu kaufen; diese sind ihren Preis wert . (Rita Stockhofe [CDU/CSU]: Genau!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben ja heute gemerkt, welche Lobbyistenpartei NEN]: Das ist ja unverantwortlich! Das ist diese Emotionen am meisten schürt . peinlich!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten das Ziel gemeinsam erreichen durch vernünf- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die tige, sachorientierte Debatten und wissenschaftlich fun- Bevölkerung den Anbau gentechnisch veränderter Orga- dierte Entscheidungen . Dazu lade ich Sie alle ein . Viel- nismen ablehnt, ist für mich als Landwirt völlig selbst- leicht hat die rot-rot-grüne Mehrheit noch einmal den verständlich, nicht etwas zu produzieren, was der Ver- Mut, die entsprechende Diskussion zu führen . braucher nicht will . Also nehme ich Abstand vom Anbau Danke schön . von GVO . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da brauche ich keine Lobbyistenpartei und keine kom- Präsident Dr. Norbert Lammert: plizierte Gesetzgebung, sondern da reicht der ganz nor- (B) male Menschenverstand eines Landwirts . Ich schließe die Aussprache . (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind, die Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorlagen auf Drucksachen 18/10028 und 18/6664 an die Aber wer sind eigentlich die Agrarchemie- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über- lobbyisten hier in diesem Bundestag? Mann, weisen . – Es herrscht allgemeine Zustimmung . Dann ma- Mann!) chen wir das so . Entscheidungen in der Politik sollten auf wissen- Wir kommen zum Zusatzpunkt 6, also zum Antrag schaftlichen Grundlagen und nicht auf Basis von Emoti- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- onen gefällt werden . che 18/10029 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) che . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Gerade das ist die Herangehensweise des Bundesland- Überweisung . Hierzu ist das Wort zur Geschäftsordnung wirtschaftsministeriums bei seiner Gesetzesvorlage . Mit gewünscht . – Bitte schön . der Opt-out-Richtlinie sind wir auf einem guten Weg . Sie reden immer von einem Flickenteppich in Deutschland . Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie mit kleinen Flicken die acht Bundesländer mei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- nen, in denen Minister der Grünen zuständig sind, dann mens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantrage ich können wir darüber diskutieren . Mir wäre es recht, wenn die Sofortabstimmung über unseren Antrag, der sich mit wir diese Flicken bereinigen würden . Aber das wird si- der Zulassung dreier gentechnisch veränderter Maissor- cherlich noch eine Zeit lang dauern . ten in Brüssel in den nächsten Wochen befasst . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Es ist angekündigt, dass aller Voraussicht nach am Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Guter 11 .November die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in Demokrat!) Brüssel über die Zulassung von drei Genmaissorten ab- Wir brauchen eine gewisse Rechtssicherheit bei der stimmen werden . Wir wollen, dass der Deutsche Bundes- infrage stehenden Verordnung . Wir sollten lieber die eine tag vorher dazu Position bezieht; denn auch die Vertreter oder andere Woche länger überlegen und das eine oder des deutschen Landwirtschaftsministeriums werden vo- andere Zulassungsverfahren mehr einführen, um Rechts- raussichtlich am 11 . November in Brüssel im Ständigen sicherheit und Planungssicherheit für unsere Bäuerinnen Ausschuss, der nichtöffentlich tagen wird, abstimmen und Bauern zu erreichen . müssen . Wir sind der Meinung, dass der Deutsche Bun- 19518 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Steffi Lemke (A) destag vorher der Regierung deutlich machen sollte, wel- – Na gut . Das führt aber zum gleichen Ergebnis . (C) ches Votum wir dort erwarten . (Heiterkeit) Meine Fraktion beantragt, in Brüssel die Zulassung dieser drei Maissorten abzulehnen . Ihre Argumentation, Dagmar Ziegler (SPD): dass es ausreicht, dies in der nächsten Sitzungswoche Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zu tun und deshalb heute unseren Antrag zu überweisen, Kollegen! Sehr geehrte Frau Lemke, die Positionen sind können wir überhaupt nicht nachvollziehen; denn das in der Debatte sehr deutlich geworden, und es ist auch hieße, dass sich der Deutsche Bundestag erst einen Tag deutlich geworden, dass wir in der Koalition sehr diffe- vorher positionieren würde . Normalerweise argumentie- renzierte Meinungen haben . Um es der Union einmal zu ren Sie, zu einem solchen Zeitpunkt sei die Meinungsbil- sagen: Im Moment haben wir eine rot-rot-grüne Mehrheit dung bereits abgeschlossen und man brauche vor allem mit Herrn Schmidt in unseren Reihen . Zeit, um Bündnispartner für eine Entscheidung zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir glauben, dass dahinter letztendlich, wie Sie das in dieser Debatte heute transparent gemacht haben, steht, Die Konstellation ist also noch etwas komplizierter, als dass Sie der Bevölkerung in Deutschland gerne suggerie- Sie sie dargestellt haben . Es ist ganz klar geworden: Un- ren, dass Sie die Grüne Gentechnik ablehnen; aber wie sere Fraktion lehnt den Anbau dieser Produkte ab . Teile die Kollegen heute in der Debatte deutlich gemacht ha- der CDU/CSU lehnen ihn ab, die Linke und die Grünen ben, sehen Sie doch Zukunft in der Grünen Gentechnik: auch . Wenn die Verbraucher für gentechnikfreie Produkte nicht mehr Geld zahlen wollten, dann müssten halt diese Pro- Frau Lemke, was überhaupt nicht zieht, ist das Argu- dukte zugelassen werden . ment, wir würden sonst immer alle Beratungen in den Ausschüssen vermeiden und irgendetwas durchpeit- (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das habe schen . Jetzt sagen Sie, wir müssten heute entscheiden, ich nicht gesagt!) obwohl der Ausschuss noch vor dem 11 .November tagt . Ich glaube, er tagt am 9 .November; da liegen also zwei Damit soll letztendlich kaschiert werden, dass Sie für Tage dazwischen . Deshalb schiebe ich das Argument in die Zulassung dieser Produkte und dieser Sorten sind, Ihre Richtung zurück . Es ist noch eine Debatte möglich . aber Sie wollen den Schwarzen Peter nach Brüssel schie- ben . Dort soll die Zulassung erfolgen, und Sie können Ich sage auch in Richtung Union: Denken Sie noch dann weiter suggerieren, dass Sie sich für die Verbrau- einmal darüber nach . Ganz Deutschland möchte diesen cherinteressen und für eine gentechnikfreie Landwirt- Anbau nicht . Warum will es dann ausgerechnet die Uni- (B) schaft einsetzen wollen . Das verkündet vor allem Mi- on? Das Argument mit dem 1 Cent war wirklich daneben . (D) nisterpräsident Seehofer besonders gern und besonders Die Konsumenten und Verbraucher vorzuführen und zu intensiv für Bayern . sagen, weil sie nicht bereit seien, 1 Cent mehr zu bezah- len, sollten gentechnisch veränderte Produkte angebaut Wir glauben, dass Oppositionsrechte verletzt werden, werden, das zieht gar nicht . wenn diese Abstimmung nicht transparent und öffentlich durchgeführt werden kann, bevor in Brüssel entschieden Ich bitte ganz herzlich im Namen meiner Fraktion da- wird . Wir möchten nicht, dass der Antrag, der keine Zu- rum, das noch einmal im Ausschuss zu debattieren und lassung der gentechnisch veränderten Maislinien fordert ernsthaft durchzugehen . Namens der Koalition beantrage und den wir heute eingebracht haben, an den Landwirt- ich deshalb die Überweisung in den Ausschuss für Er- schaftsausschuss überwiesen wird und dort für erledigt nährung und Landwirtschaft . erklärt werden muss, weil die Abstimmung in Brüssel Vielen Dank . bereits gelaufen ist . (Beifall bei der SPD) Deshalb appellieren wir vor allem an die Kollegen der SPD, die sehr glaubwürdig eine transparente Entschei- dung heute eingeklagt haben, die Sofortabstimmung über Präsident Dr. Norbert Lammert: unseren Antrag heute hier im Bundestag vor der Brüsse- Über genau diesen Antrag auf Überweisung stimmen ler Entscheidung zu unterstützen und für die Sofortab- wir nun ab . stimmung zu plädieren . (Bundesminister Christian Schmidt begibt Danke . sich zur Abg . Dagmar Ziegler [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Minister, das ist außerordentlich eindrucksvoll . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN], an Bundesminister Christian Schmidt Präsident Dr. Norbert Lammert: gewandt: Warum haben Sie nicht geredet?) Wir stimmen nun nach ständiger Übung zuerst über Herr Minister! den Antrag – – (Bundesminister Christian Schmidt begibt (Dagmar Ziegler [SPD]: Ich möchte erwi- sich zur Abg . Dr .Kirsten Tackmann [DIE dern!) LINKE]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19519

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) – Herr Minister, würden Sie sich freundlicherweise in Ihr heißt die Entlastung – fällt bereits jetzt höher aus als das (C) Basislager zurückziehen? „in“ . (Heiterkeit und Beifall – Christian Schmidt, Mit diesem Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz Bundesminister: Das dient der Sachaufklä- wollen wir vor allen Dingen den kleinen Betrieben den rung!) Alltag erleichtern . Lassen Sie mich ein paar Beispiele – Ja . Das können Sie davor und danach machen, aber nennen . In Bezug auf die Berechnung der Sozialversi- nicht während einer Abstimmung . cherungsbeiträge fordert die Wirtschaft seit vielen Jahren Erleichterungen . Jetzt wird es möglich sein, dass die Un- Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen ternehmen, wenn der tatsächliche Wert der Beiträge für Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/10029 den laufenden Monat nicht bekannt ist, künftig auf den zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Er- tatsächlichen Wert des Vormonats abstellen können . Es nährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an entfällt also eine aufwendige Schätzung . den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Um- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den Wir ändern die Handwerksordnung und erlauben zu- Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Uni- künftig die elektronische Kommunikation . Auch erleich- on . Wer stimmt diesem Überweisungsantrag zu? – Wer tern wir die Abrechnung von Pflegedienstleistungen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Erstere war Elektronische Dokumente ersetzen die Belege in Papier- zweifellos die Mehrheit . Damit ist die Überweisung so form. Dadurch bleibt mehr Zeit für die Pflege. Durch beschlossen . die sichere Übersendung der elektronischen Dokumente werden allein 12,4 Millionen Euro gespart . Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung Wir entlasten die Wirtschaft auch im Bereich des eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- Steuerrechts, indem wir den umsatzsteuerlichen Schwel- zes zur Entlastung insbesondere der mit- lenwert für Kleinstbetragsrechnungen anheben . Bei Lie- telständischen Wirtschaft von Bürokratie ferscheinen entfällt die Aufbewahrungspflicht, wenn der (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Inhalt des Lieferscheins auf der Rechnung dokumentiert ist . Schließlich wird die Grenze für die vierteljährliche Drucksache 18/9949 Abgabe der Lohnsteueranmeldungen von 4 000 Euro auf Überweisungsvorschlag: 5 000 Euro angehoben . Das klingt technisch, aber tat- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) sächlich entlasten allein diese letzten drei steuerlichen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Maßnahmen die Wirtschaft um gut 270 Millionen Euro (B) Finanzausschuss im Jahr – Geld, das für die Kernaufgaben zur Verfügung (D) Ausschuss für Arbeit und Soziales steht . Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt 38 Mi- nuten vorgesehen .– Dazu gibt es keinen Widerspruch . Leider haben wir nicht alle Wünsche der Wirtschaft Also können wir so verfahren . erfüllen können . Ich habe aus zahlreichen Gesprächen mit Unternehmern mitgenommen, dass es ihnen ein An- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- liegen ist, dass die Abschreibung geringwertiger Wirt- nächst für die Bundesregierung der Parlamentarischen schaftsgüter besser geregelt wird . Staatssekretärin Brigitte Zypries . (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Kann man ja noch aufnehmen!) Brigitte Zypries, Parl . Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Energie: – Ja, das wollte ich jetzt gerade vorschlagen .– Die Unter- Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen und nehmer schlagen vor, dass man den Schwellenwert von Kollegen! Mit unserem Ersten Bürokratieentlastungsge- den jetzigen 410 Euro auf 1 000 Euro anhebt . Das scheint setz haben wir eine der bisher ehrgeizigsten Initiativen mir ein vernünftiges Verfahren zu sein . der Bundesregierung beim Bürokratieabbau auf den Weg gebracht . Die Unternehmen werden durch dieses Gesetz Es gilt wie immer das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz um rund 700 Millionen Euro im Jahr entlastet . Heute kommt so heraus, wie es in den Bundestag hineingekom- knüpfen wir an diesen Erfolg an; denn der Bürokratie- men ist . Insofern wünsche ich Ihnen gute Beratung und abbau ist und bleibt ein zentrales Anliegen der Bundes- rege an, dass Sie sich diesen Interessen der Wirtschaft regierung . noch besonders widmen . Das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz wurde im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) August im Kabinett beschlossen . Jetzt liegt es Ihnen zur Beratung vor . Addiert man die Entlastungen durch das erste und das zweite Gesetz, kommt man zu dem Ergeb- Präsident Dr. Norbert Lammert: nis, dass wir die Wirtschaft in dieser Legislaturperiode Thomas Lutze hat das Wort für die Fraktion Die Lin- um gut 1 Milliarde Euro an Bürokratiekosten entlasten . ke . Die „One-in- und One-out“-Regelung funktioniert . Der Normenkontrollrat hat es uns bestätigt . Das „out“ – das (Beifall bei der LINKEN) 19520 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Thomas Lutze (DIE LINKE): Aus diesem Einsparpotenzial könnten Sie die Erhö- (C) hung des Regelsatzes auf ein menschenwürdiges Niveau Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zumindest mitfinanzieren. Oder beim Elterngeld, beim Kollegen! Sie wollen, wie gerade dargestellt, die Büro- Kindergeld, beim BAföG: Überall würden sich die Men- kratie vereinfachen . Aber der große Wurf ist Ihnen da- schen über weniger Papierkrieg freuen . bei nicht gelungen . Sie bleiben deutlich hinter Ihren ei- genen Zielen zurück . Ich verweise da nur einmal ganz (Beifall bei der LINKEN) vorsichtig auf ein Papier der Bundesregierung aus dem Jahr 2014 . Das nennt sich „Eckpunkte zur weiteren Ent- Oder gehen Sie einmal eine große Steuerreform an, die lastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokra- mehr Steuergerechtigkeit herstellt, aber auch die jährli- tie“ . Okay, kurz vor der Bundestagswahl war von dieser che Papierschlacht bei der Einkommensteuererklärung Bundesregierung allerdings auch nicht zu erwarten, dass für die einfachen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wir hier eine große Gesetzesinitiative bekommen . Und spürbar eindämmt . das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlecht für un- (Margaret Horb [CDU/CSU]: Haben wir ser Land . schon gemacht!) (Beifall bei der LINKEN) Wo liegt bei diesen Beispielen der Unterschied zu den Entlastungen, die Sie vorschlagen? Die Einsparungen, Einige der Entlastungen, zum Beispiel die Erhöhung die Sie im vorliegenden Entwurf mit dreistelligen Mil- des Schwellenwertes für Kleinbetragsrechnungen von lionenbeträgen beziffern, gehen nicht zwingend in neue 150 auf 200 Euro, stellen höchstens einen Inflationsaus- Investitionen . Nein, sie führen im Zweifelsfall erst ein- gleich dar . Sie werden in kürzester Zeit, also nach weni- mal zu höheren Gewinnen bei den Unternehmen . Aber gen Jahren, wieder aufgefressen sein . Das Gleiche gilt jeden Euro, den ein Arbeitnehmer mit niedrigem Ein- für die Erhöhung der Grenze für die quartalsweise Abga- kommen oder ein Empfänger von Sozialleistungen mehr be der Lohnsteueranmeldung von 4 000 auf 5 000 Euro . zur Verfügung hat, wird er unmittelbar in den Konsum Bei der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge investieren, und das hat einen positiven Effekt auf die verringern Sie nicht die Belastungen für die Betriebe . Binnennachfrage . Das gilt es zu unterstützen . Ganz im Gegenteil: Sie muten ihnen nun ein neues Be- (Beifall bei der LINKEN) rechnungsverfahren zu . Der Zentralverband des Deut- schen Dachdeckerhandwerks jedenfalls sieht hierin keine Letztes Stichwort: Existenzgründer . Ich möchte be- Entlastung für die Unternehmen, sondern im Gegenteil zweifeln, dass das größte Hindernis für junge Existenz- eine Belastung . gründer die Angst vor der ausufernden Bürokratie ist . Es (B) ist vielmehr die Angst vor dem Existenzverlust bei einem (D) Bei vielen Ihrer weiteren Vorschläge kann man sich möglichen Scheitern der Existenzgründung . Hier leistet nur die Augen reiben . So ist es verwunderlich, dass ein starker Sozialstaat aus Sicht der Linken einen ebenso Sie erst jetzt darauf kommen, dass alle Informationen wichtigen Beitrag für ein gutes Klima für Existenzgrün- zu Leistungen der Verwaltungen des Bundes künftig in der wie eine effektive und straffe Bürokratie . standardisierter Form erfasst und bereitgestellt werden sollen . Das hätte eine Selbstverständlichkeit seit der Ein- (Beifall bei der LINKEN) führung des E-Government-Gesetzes sein müssen . Und Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen wenn Sie schon das E-Government-Gesetz anfassen, uns auf die Beratungen in den Ausschüssen . Aber wir dann hätten wir uns auch gleich eine Festlegung auf pas- freuen uns viel mehr darauf, dass wir mit hoher Wahr- sende Open-Source-Lösungen gewünscht . Auch das ist scheinlichkeit in der nächsten Wahlperiode über ein Bü- nicht erfolgt . Das Gleiche gilt für die Neuaufnahme von rokratieentlastungsgesetz III diskutieren, in dem dann Informationen wie E-Mail-Adresse oder Internetadresse auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- in die Handwerksrollen . Das war überfällig und hat we- nehmer sowie der Empfänger von Sozialhilfeleistungen nig bis überhaupt nichts damit zu tun, dass es heute um stärker berücksichtigt werden . Bürokratieabbau geht . Vielen Dank . Ich könnte jetzt noch weitere Punkte ansprechen, (Beifall bei der LINKEN) möchte aber auch eine etwas grundsätzlichere Kritik am Gesetzentwurf an Sie richten . Sicherlich erreichen Sie mit dem vorliegenden Entwurf kleinere Verbesserun- Präsident Dr. Norbert Lammert: gen . Allerdings sieht die Linksfraktion noch viel größere Helmut Nowak ist der nächste Redner für die CDU/ Einsparpotenziale an ganz anderen Stellen, zum Beispiel CSU-Fraktion . beim Arbeitslosengeld II . Mit den Nachweis-, Doku- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mentations- und Sanktionspflichten betreiben Sie auf der ordneten der SPD) einen Seite ein wahres Bürokratiemonster und gängeln auf der anderen Seite die Leistungsempfänger . Wenn Sie Bürokratie abbauen wollen, dann hier . Helmut Nowak (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ehemalige Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Mitglied des Hohen Hauses Ralf Dahrendorf bemerkte NIS 90/DIE GRÜNEN]) einmal zum Thema Bürokratie – ich zitiere –: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19521

Helmut Nowak (A) Wir brauchen Bürokratie, um unsere Problem zu lö- In Zeiten wie den unseren, in denen radikale Kräfte (C) sen . Aber wenn wir sie erst haben, hindert sie uns, von links und rechts mit Vereinfachungen und Polemik das zu tun, wofür wir sie brauchen . unserem etablierten Parteien- und Politiksystem zuset- zen, müssen wir noch stärker Wert auf Verlässlichkeit Ich denke, er hat völlig recht damit . und Glaubwürdigkeit legen . So müssen etwa einmal als Dies vorausgeschickt diskutieren wir heute bereits das sinnvoll erachtete und daher zugestandene Freibeträge Zweite Bürokratieentlastungsgesetz . Ich denke, das ist und Schwellenwerte einer regelmäßigen Anpassung un- gut so . Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf grund- terzogen werden, um ihren ursprünglichen Sinn nicht zu sätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung . Er verlieren . Hierzu gehört die Anhebung der Schwellen- enthält viele gute Ansätze, insbesondere in der Schwer- werte für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirt- punktsetzung bei der mittelständischen Wirtschaft . schaftsgüter . Ich will einige Dinge herausgreifen und komme zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nächst zur Erleichterung bei den Aufbewahrungsfristen . bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Zukünftig müssen Unternehmen Lieferscheine, die keine GRÜNEN) Buchungsbelege sind, nicht mehr zwingend aufbewah- ren . Ich hätte mir bei diesem Punkt aber auch noch ge- Die GWG-Grenze ist seit 1964 nicht mehr angehoben wünscht, die Aufbewahrungsfristen generell zu durch- worden und liegt unverändert bei umgerechnet 410 Euro, leuchten und vielleicht etwas zusammenzufassen . Weil was heute inflationsbereinigt circa 1 570 Euro entspricht. wir für unterschiedliche Dokumente so unterschiedliche Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: seit Aufbewahrungsfristen haben, führt dies dazu, dass viele 1964 . Die letzte Anpassung ist somit 52 Jahre her . Abge- Betriebe alles aufheben, um keinen Fehler zu machen, sehen von der Tatsache, dass man damals wahrschein- sodass unsere gut gemeinte Verkürzung damit mögli- lich noch größere Teile eines Büros für 800 D-Mark ein- cherweise ins Leere laufen könnte . richten konnte, so reichen heute 410 Euro nicht einmal dafür, ein ordentliches Smartphone zu kaufen, das man Die Anhebung der Grenze für die Fälligkeit von Lohn- fünf Jahre abschreiben muss und das nach drei Jahren steuer von 4 000 auf 5 000 Euro wird insbesondere klei- technisch veraltet ist, wenn es nicht vorher in Flammen nere Unternehmen spürbar von Meldepflichten befreien. aufgegangen ist . Die Anhebung der Schwellenwerte auf Ich würde mir allerdings auch da wünschen, dass wir 1 000 Euro, die nicht einmal einen völligen Inflations- 500 Euro mehr draufsatteln, weil schon bei zwei Voll- ausgleich darstellt, ist daher kein Geschenk, sondern nur beschäftigten, die nur den Mindestlohn bekommen und die Wiederherstellung eines bereits in der Vergangenheit 52 Wochen jeweils 40 Stunden arbeiten, diese Grenze dagewesenen Zustandes . (B) überschritten wird . Bei 5 500 Euro wäre das nicht der (D) Fall . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Was die Anhebung der Grenze für Kleinbetragsrech- DIE GRÜNEN) nungen von 150 Euro auf 200 Euro angeht, sollten wir einmal der EU folgen, die uns die Möglichkeit gibt, bis Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werbe noch 400 Euro aufzustocken . Das würde die Sache erleichtern, einmal dringend dafür . Ich freue mich natürlich über die und wir würden wahrscheinlich in der nächsten Zeit ein- Unterstützung durch die Staatssekretärin und den Ko- mal weniger über dieses Thema sprechen . alitionspartner . An dieser Stelle will ich Frau Wicklein danken, die hervorragend und immer offen mit uns zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sammengearbeitet hat, um diese Dinge auf den Weg zu ordneten der LINKEN) bringen . Ich freue mich, dass wir alle miteinander offen- Übrigens hat man das in Österreich schon im März 2014 sichtlich in die Zielgerade einlaufen . eingeführt . Positiv daran, den Schwellenwert auf 1 000 Euro an- Zu begrüßen ist auch die Vereinheitlichung der Fällig- zuheben, ist auch, dass wir bei dieser Gelegenheit die keit von Sozialversicherungsbeiträgen, was die Staatsse- Poolabschreibung eliminieren, die dann ja auch über- kretärin schon angedeutet hat, bei der eine bisherige Aus- haupt keinen Sinn mehr macht . Dies würde eine erhebli- nahmeregelung nunmehr als vereinfachtes Verfahren zur che Vereinfachung für alle Unternehmen in Deutschland dauerhaften Regelung wird . Hier hätte ich mir persönlich bedeuten . Insbesondere für die kleinen Betriebe wäre gewünscht, die Rückkehr zur alten Regelung von vor dieser Schritt ein effektiver und vor allem deutlich sicht- 2006 zu beschließen . Aber das ist wohl eine Illusion . Die barer Beitrag zum Bürokratieabbau . Vieles von dem, was Änderung wurde damals deshalb herbeigeführt, weil die wir machen, ist für diejenigen sichtbar, die sich im Steu- Haushaltssituation der sozialen Sicherungssysteme recht errecht und bei all diesen Dingen auskennen, aber für die schlecht war und wir damit Liquidität gerettet haben . Das normalen Unternehmer im Regelfall eher nicht . Insofern war auch richtig so . bitte ich noch mal alle Kolleginnen und Kollegen, der längst überfälligen Anhebung des Schwellenwerts zuzu- Aber leider bewahrheitet sich hier ein bisschen das stimmen und ins parlamentarische Verfahren jetzt einzu- nicht ganz unbegründete Vorurteil, dass der Staat behält, binden . was er einmal hat . Ich muss dabei immer unwillkürlich an die Sektsteuer denken, die zur Finanzierung der kai- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- serlichen Flotte eingeführt wurde . Die haben wir immer ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- noch, allerdings nicht die Flotte . NEN und des Abg . Matthias Ilgen [SPD]) 19522 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Helmut Nowak (A) Wir wissen auch, dass es dadurch nicht zu einer Steu- genheit der Bierdeckel ein, wobei Herr Merz nie gesagt (C) erverkürzung kommt, sondern lediglich zu einer Liquidi- hat, wie groß er sein soll . tätsverschiebung . Zudem wird ein Investitionsschub – so sagt es zumindest die Wirtschaft – von circa 400 Milli- Um noch einmal auf Ralf Dahrendorf zurückzukom- onen Euro erwartet . Addiert man die Beträge, die durch men: Wir brauchen die Bürokratie, um unsere Probleme den Gesetzentwurf zustande kommen – Reduzierung der zu lösen – aber eben nicht mehr davon . Daher lassen Sie Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 360 Millionen uns das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz mit seinen Euro plus ein Investitionsschub im Umfang von 400 Mil- guten Ansätzen im parlamentarischen Verfahren zu ei- lionen Euro –, dann kommt man auf 760 Millionen Euro, nem noch besseren Gesetz machen . die zusätzlich in die Wirtschaft fließen. Nun weiß ich Ich danke Ihnen sehr herzlich . auch: In der Wirtschaft kann man nicht mit dem Dreisatz rechnen . Aber immerhin wird der Betrag in der Tendenz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- so hoch sein . Deshalb ist das nur zu unterstützen . ordneten der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen zu- sehen, dass wir auch in der Zukunft noch die Erfolge der Präsident Dr. Norbert Lammert: deutschen Wirtschaft feiern können . Nur eine erfolgrei- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- che Wirtschaft sichert unseren sozialen Wohlstand . Wir lege Thomas Gambke das Wort . sollten daher als Politik dringend handeln und schauen, wie wir denjenigen, die in Deutschland im besten Sinne des Wortes etwas unternehmen, die Steine aus dem Weg Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- räumen . Die Rahmenbedingungen, die die Politik setzen NEN): will und muss, dürfen nicht zu mehr Bürokratie führen, Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- sondern maximal zu so viel Bürokratie, wie unbedingt legen! Meine Damen und Herren auf den Besucherrän- erforderlich ist . gen und draußen vor den Bildschirmen! Bürokratieent- Lassen Sie mich noch ganz kurz zu einem weiteren lastung, das klingt erst einmal gut, aber wenn man ins Thema sprechen . Das deutsche Gesetz zur Umsetzung Detail geht, dann interessiert es keinen mehr, obwohl es der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist für mich ein viele von uns quält . Ich werde gleich noch ein paar kriti- Beispiel für Überregulierung . Es diskriminiert unzuläs- sche Worte sagen, aber lassen Sie mich zunächst darauf sig ganze Verbrauchergruppen, zum Beispiel ältere Bür- hinweisen, dass es absolut stimmt: Bürokratieentlastung gerinnen und Bürger, die ihre Wohnung oder ihr Haus ist oft nicht der ganz große Wurf; vielmehr sind viele altersgerecht umbauen möchten, aber keinen Kredit mehr kleine Schritte nötig, um Bürokratie wirklich abzubauen . (B) (D) dafür bekommen, weil sie zu alt sind, um die Tilgung Ich bin dem Normenkontrollrat sehr dankbar – er sicherzustellen, und weil zum Beispiel ihre Immobilie hat gerade sein zehnjähriges Bestehen gefeiert –, der in keine dem Wert entsprechende Berücksichtigung fin- vielen Punkten immer wieder Antrieb ist . Er muss auch det . Das ist eine unmögliche und diskriminierende Ver- Antrieb sein; denn Verwaltungen reagieren nicht ohne fahrensweise . Es ist zudem ein bürokratisches Monster . Weiteres darauf, wenn man sagt: Die Bürokratie muss Die Volksbanken, die Sparkassen und die Banken ganz abgebaut werden . allgemein sehen sehr deutlich, dass die Kreditvergabe immer schwieriger wird . Gerade sie sind es ja, die ihre Gestern im Finanzausschuss wurden wir darüber in- Kunden persönlich kennen und ihre Lage einzuschätzen formiert, dass es sein kann, dass durch das elektronische wissen . Das Gesetz zur Umsetzung der Verordnung muss Sicherungsverfahren, mit dem man Daten übertragen und unbedingt entbürokratisiert werden . Mitte der 90er-Jahre damit Steuerbetrug verhindern kann, ein Tag Betriebs- war ein Darlehensvertrag vier bis fünf Seiten stark, heu- prüfung pro Betrieb wegfällt . Und der Staatssekretär hat te kann man diese Zahl mühelos mit fünf multiplizieren . gesagt: Das interessiert mich nicht . Außerdem ist der Wert der vorhandenen Substanz bei ei- nem Kreditantrag unbedingt zu berücksichtigen . (Margaret Horb [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt!) Im Übrigen ist mittlerweile nicht nur die Privatwirt- schaft durch die überbordende Bürokratie völlig überlas- – Ja, das hat er gesagt . tet; auch die staatliche Verwaltung selbst gerät aufgrund immer komplizierterer Verfahrensabläufe zunehmend ins (Margaret Horb [CDU/CSU]: Nein! Nein!) Schlingern . Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Mittel Das hat mich wirklich schockiert; denn es geht bei all aus staatlichen Fördertöpfen wie die Investitionshilfen dem, was wir machen, ob das der Vorgang der Steuer­ des Bundes auch aufgrund zu komplexer und komplizier- erhebung ist oder andere Verwaltungsvorgänge, immer ter Verfahren von den unteren Ebenen, also den Städten auch um die Frage des Aufwandes, und Gemeinden, teilweise gar nicht mehr abgerufen wer- den können . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt, dem end- und den müssen wir zurückführen . lich Einhalt zu gebieten . Wir müssen in der Zukunft noch besser darauf achten, dass Gesetze für Bürger, Wirtschaft Ich freue mich, dass das Thema GWG, geringwertige und Verwaltung verständlicher sind und dass auf unnöti- Wirtschaftsgüter, heute vom Kollegen Nowak aufgegrif- ge Bürokratie verzichtet wird . Mir fällt bei dieser Gele- fen wurde . Auch hier erinnere ich mich an viel Wider- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19523

Dr. Thomas Gambke (A) stand, gerade vonseiten der Union . Der Steuerberater hat Bürokratievereinfachung bedeuten . Ich hoffe, dass wir (C) normalerweise kein Problem mit der Poolabschreibung . das hinbekommen . (Margaret Horb [CDU/CSU]: Er macht es gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht! Er macht gar keine Poolabschreibung!) sowie des Abg . Helmut Nowak [CDU/CSU] – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: – Nein, er macht keine Poolabschreibung, führt aber den Auch das ist richtig!) dafür notwendigen Verwaltungsvorgang aus . Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf Folgendes (Margaret Horb [CDU/CSU]: Aber nicht die hinweisen – das ist die Kritik, die ich habe –: Der Nor- Poolabschreibung!) menkontrollrat und viele andere haben darauf hingewie- sen, dass wir durch die Digitalisierung die Möglichkeit – Es ist doch so, Frau Horb, dass das sehr kleine Betriebe haben, bis zu einem Drittel an Bürokratie abzubauen . Ich betrifft . sehe, dass wir da weder strukturell noch vom Manage- Ich war vorgestern im Mittelstandsausschuss des ment her richtig vorgehen . Wirtschaftsministers, übrigens als einziger geladener (Margaret Horb [CDU/CSU]: Haben wir Gast und Politiker . doch!) (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die zuständigen Regierungsmitglieder müssen sich end- Ja, wenn Sie nur beratendes Mitglied sind!) lich zusammensetzen und das Ganze organisieren, damit das behoben werden kann und ich nicht mehr von Un- Ich habe dort unisono von allen Versammelten gehört, ternehmern hören muss: Ich gehe mit meinem Betrieb wie wichtig es wäre, die Abschreibungen für geringwer- lieber nach Lettland, weil ich dort Verwaltungsvorgänge tige Wirtschaftsgüter in der Summe endlich hochzuset- elektronisch und schnell abwickeln kann; abgesehen da- zen . Wir fordern das seit Jahren . von, dass man dort auch eine gute Breitbandversorgung (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: hat .– Das ist eine sehr niederschmetternde Äußerung . Sehr guter Vorschlag!) Da müssen wir mehr tun . Der Normenkontrollrat hat das Problem im Rahmen der Veranstaltung zu seinem zehn- Ich freue mich darüber, dass wir dieses dicke Brett ge- jährigen Bestehen sehr deutlich benannt . Sie kennen viel- bohrt haben und dass wir jetzt auf der Zielgeraden sind . leicht die Unterlagen dazu; wenn nicht, sollten Sie sie lesen . Ich glaube, dass wir da noch ein weites Feld vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns haben . Gerade die Chancen, die uns die Digitalisie- sowie des Abg . Christian Freiherr von Stetten rung zum Bürokratieabbau bietet, müssen wir wahrneh- (B) (D) [CDU/CSU]) men . Ich hoffe, dass die Regierung das endlich angeht . Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das The- Ich sage es aber noch einmal: Sie muss das auch vom ma Abführung der Sozialversicherungsbeiträge anspre- Management her und strukturell richtig begleiten . Sonst chen . Da kommt dann immer die Bemerkung: Das kostet wird das irgendwo in den Ressorts versacken und nicht 30 Milliarden Euro .– Es kostet eben nicht 30 Milliarden funktionieren . Euro, es ist eine Verschiebung von 30 Milliarden Euro Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . in das nächste Haushaltsjahr, aber die Beträge werden genauso abgeführt . Das ist also nur, wie man technisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagt, ein Liquiditätseffekt, den wir uns übrigens gerade sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) jetzt in Zeiten niedriger Zinsen gut leisten könnten . Aber hier sind wir nicht weitergekommen . Präsident Dr. Norbert Lammert: Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die Der Normenkontrollrat hat zur Abführung der Sozi- SPD-Fraktion . alversicherungsbeiträge einen Vorschlag unterbreitet, bei dem er mit einer erheblichen Bürokratieentlastung rech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten net . Das kann aber nur ein erster Schritt sein . Aus der der CDU/CSU) Wirtschaft höre ich unisono – ich sage das an die gerich- tet, die am Dienstag nicht da waren; vielleicht können Matthias Ilgen (SPD): Sie die Protokolle lesen –, dass gerade die kleinen und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der mittleren Unternehmen mit schwankenden Geschäftser- Zielgeraden der Großen Koalition – das Gesetz soll ja cir- gebnissen einen erheblichen zusätzlichen Aufwand ha- ca zu Ostern 2017 in Kraft treten – hinterlassen wir, wie ben, wenn sie erst einmal aufgrund einer Prognose, auch ich finde, ein schönes Ostergeschenk für die Betriebe in wenn sie auf dem letzten Geschäftsjahr basiert, zahlen, Deutschland; denn gerade die kleinen Unternehmen mit dann aber wieder eine Korrektur vornehmen müssen . ein bis drei Mitarbeitern sind überproportional mit Bü- Nur einmal zu zahlen, nur einmal das Papier in die Hand rokratie belastet . Deswegen ist es wichtig, dieses Zweite nehmen zu müssen, das würde eine erhebliche Entlastung Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg zu bringen . bedeuten . Ich hoffe, dass wir uns dieses Thema bald noch einmal vornehmen und eine entsprechende Entscheidung Der geschätzte Gegenwert dieser Entlastung wird herbeiführen können . Das wäre für die Wirtschaft wirk- circa 360 Millionen Euro im Jahr betragen oder, umge- lich gut . Wie gesagt: Den Staat kostet es nichts, die So- rechnet in Arbeitsstunden, 10 Millionen Arbeitsstunden zialversicherungen kostet es nichts, aber es würde eine in den Betrieben . Das mag hier im Hohen Hause nicht 19524 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Matthias Ilgen (A) immer so sein, aber in der Wirtschaft ist Zeit nach wie Dann kann die Regierung andere Vorschläge machen; (C) vor Geld . Diese Zeit kann besser genutzt werden als für aber wir sind das Parlament und nehmen uns auch das die Bürokratie, nämlich für die Geschäftsabwicklung, für Recht heraus, das entsprechend zu machen . Stichwort: das Zurverfügungstellen von Ausbildern und alles Mög- Struck’sches Gesetz . liche . Deswegen ist dieses Gesetz ein Schritt in die rich- (Marcus Held [SPD]: Wir sind das Volk!) tige Richtung . – „Wir sind das Volk!“, das war schon immer ein wichti- Zusätzlich zu der Entlastung um 700 Millionen Euro ger Aspekt . Wir repräsentieren es an dieser Stelle . durch das erste Bürokratieentlastungsgesetz – wir haben es vom Kollegen Nowak gehört – sind wir damit schon Sicherlich gibt es noch viele andere Punkte, bei denen bei mehr als 1 Milliarde Euro in einer Legislatur . Das hat, man in Sachen Bürokratieabbau in der nächsten Legis- glaube ich, keine Bundesregierung in der Vergangenheit laturperiode weiter vorankommen kann . Ich will noch in vier Jahren auf den Weg gebracht. Ich finde, die Koali- einmal Werbung in eigener Sache machen: Ich habe mit tion kann auch einmal ihren Stolz darüber zum Ausdruck dem gerade aus dem Bundestag ausgeschiedenen Kolle- bringen, dass wir das machen . gen Peer Steinbrück zu Beginn dieser Wahlperiode ein umfangreiches Papier auf den Weg gebracht . Das ist Wir modernisieren die Handwerksordnung; die Frau auch Diskussionsgegenstand bei uns in der Fraktion ge- Staatssekretärin hat das angesprochen . wesen . Es wird sicherlich auf dem Weg zum SPD-Wahl- programm diskutiert werden . Es sind 29 Vorschläge zum Bei den Sozialversicherungsbeiträgen machen wir Abbau von Steuerbürokratie . Man muss ja nicht jeden einen Schritt in die richtige Richtung, wie ich finde. nehmen, aber ich denke, es gibt darin genug Futter zur Auch wir in der SPD-Fraktion wünschen uns, glaube Diskussion für eine kommende Wahlperiode . ich, mehrheitlich, dass wir zu der Rechtslage von 2006 zurückkehren; denn der damalige, auch von einer Gro- Danke schön . ßen Koalition beschlossene Griff in die Sozialkassen war zwar begründbar – er entstand aus einer Finanznot he- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten raus –, wurde aber mit einer Zusage verbunden: Wenn es der CDU/CSU) im System mal wieder besser läuft, wollen wir den Un- ternehmen das Geld zurückgeben .– Da wir wissen, was Präsident Dr. Norbert Lammert: das an Entlastung in den Personalabteilungen bringen Die Kollegin Horb hat nun für die CDU/CSU-Frakti- würde, sage ich in Richtung CDU: Lassen Sie uns noch on das Wort . einmal überlegen, ob man nicht eine Möglichkeit findet, (Beifall bei der CDU/CSU) die im Haushalt darstellbar ist . Wir jedenfalls würden es (B) begrüßen, wenn wir darüber noch einmal reden . (D) Margaret Horb (CDU/CSU): (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich bin ja völlig begeistert!) Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie Die Anpassung im Steuerrecht haben wir besprochen: sich vor, Sie bauen sich daheim eine Garage . Das machen 150 Euro auf 200 Euro . ja viele Leute, und die meisten stellen auch das Auto hi- nein . Das funktioniert in der Regel am Anfang ganz gut . Hinsichtlich der Grenze für die Lohnsteueranmel- Nur irgendwann steht dort nicht mehr allein das Auto, dung – Anpassung von 4 000 auf 5 000 Euro – können sondern auch noch die Werkbank, die Winterreifen, Fahr- wir uns vorstellen, dass man noch einmal genau schaut, räder, Kinderwagen, der kaputte Rasenmäher und Omas wie viele davon eigentlich betroffen sind und wie viele alte Schrankwand . davon betroffen wären, wenn man 500 Euro mehr näh- (Marcus Held [SPD]: Und das Auto steht auf me . Vielleicht können wir mit einem kleinen Schritt bei der Straße!) dem Wert eine große Entlastung bewirken . In der Garage stehen dann nützliche Dinge, aber auch Ich finde es auch richtig, dass man die Lieferscheine Gegenstände, die man nicht mehr braucht, oder solche, nicht mehr aufbewahren muss, wenn man den Wertge- die man vielleicht noch brauchen könnte . Und wenn man genstand sowieso auf der Rechnung stehen hat, weil das Pech hat, stellt man irgendwann fest: Das Auto passt ja auch für die Steuer der entscheidende Beleg ist . Von nicht mehr hinein . daher ist das eine sinnvolle Maßnahme . Mit Gesetzen ist es so ähnlich . Wenn ein Gesetz Bezüglich der Grenze für die geringwertigen Wirt- verabschiedet wird, ist es am Anfang vergleichsweise schaftsgüter schaue ich den Staatssekretär Meister an; er schlank und einfach . Mit der Zeit kommen dann immer sitzt ja heute hier . Ich sage es einmal so: Wenn wir uns in mehr Sonderregelungen und Ausnahmen dazu . Die Gara- der Koalition einig sind – die Zeichen deuten darauf hin; ge wird sozusagen immer voller . denn die AG Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion hat uns signalisiert: „Das kann man machen“, und ähnliche Ein gutes Beispiel dafür ist unser Steuerrecht . Dessen Signale höre ich auch aus der CDU –, dann schaffen wir wichtigste Gesetze, das Einkommensteuergesetz und die das, dann machen wir das . Abgabenordnung, sind schon sehr alt, und wir passen sie im Grunde immer wieder an, ja, wir müssen sie anpassen . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Jan Bundesverfassungsgerichts- und BFH-Urteile müssen Metzler [CDU/CSU]) umgesetzt, EU-Richtlinien müssen in nationales Recht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19525

Margaret Horb (A) gegossen werden . Manchmal sollen mit Steueranrei- uns, bildlich gesprochen, nicht nur auf die Garage be- (C) zen bestimmte Lenkungsziele erreicht werden . Manch- schränken . Das bedeutet, dass alle Ministerien in der mal geht es darum, Steuerschlupflöcher zu stopfen, und Pflicht sind, ihre Häuser zu durchforsten und vielleicht manchmal führen wir Berichts- und Aufbewahrungs- mehrmals zu durchforsten . Ich möchte damit nicht auf pflichten ein, um gegen Finanz- und Steuerkriminalität die nächste Legislaturperiode warten, sondern das kön- vorzugehen . nen wir jetzt machen . Das Ergebnis ist ein immer detaillierteres, komplizier- (Marcus Held [SPD]: Jawohl!) teres Rechtssystem, das immer höhere Anforderungen an die Steuerpflichtigen stellt. Genauso, wie man ab und zu Ein weiterer Punkt, der mir als CDU/CSU-Steuerpoli- mal die Garage aufräumt, sollten wir das auch mit un- tikerin besonders wichtig ist, ist der Vollverzinsungssatz, seren Gesetzen tun und sie von bürokratischem Gerüm- also der Zinssatz, den das Finanzamt nach einer Karenz- pel befreien . Genau das tun wir auch, und genau deshalb zeit von 15 Monaten nach Ablauf des Veranlagungsjahres haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgeschrieben: für Steuererstattungen und Steuernachforderungen bis „Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe“, und die- zur Steuerfestsetzung erhebt, vor allem nach Änderungen sem Auftrag kommen wir nach . und nach Betriebsprüfungen . Dieser Zinssatz beträgt bis- her 0,5 Prozent pro Monat . Das entspricht einer Zinshöhe In dieser Legislaturperiode haben wir hierzu bereits von 6 Prozent im Jahr . Das ist in Zeiten einer Nullzinspo- das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfah- litik unangemessen . rens mit vielen Erleichterungen für die Unternehmen, die Bürger und die steuerberatenden Berufe beschlossen . In (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesem Gesetz haben wir auch den Grundstein für die Er- Verständlicherweise wird gar die Verfassungsmäßigkeit höhung der Summe bei der Kleinbetragsrechnung gelegt . bei Aufrechterhaltung dieser Zinshöhe infrage gestellt . Bei Rechnungen bis zu 150 Euro müssen bisher ange- Wir sollten deshalb diesen Zinssatz halbieren und nach geben werden: Name des Rechnungsausstellers, Datum, fünf Jahren überprüfen, ob er noch zeitgemäß ist . Art und Menge der gelieferten Ware, der Preis und der Steuersatz . Dieser Betrag soll laut zuständigem Wirt- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: schaftsministerium von 150 Euro auf 200 Euro angeho- Sehr guter Vorschlag!) ben werden . Wir als CDU/CSU-Fraktion plädieren wei- Diese Forderung ins Gesetz aufzunehmen, würde zeigen, terhin dafür, den Betrag auf 400 Euro anzuheben . Diese dass wir als Gesetzgeber zeitgemäß und verantwortungs- Erhöhung scheiterte bisher leider am politischen Willen bewusst handeln . unserer lieben SPD-Kollegen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (Marcus Held [SPD]: Oh! – Matthias Ilgen (D) [SPD]: Was?) Beim Entrümpeln werden wir schneller vorankom- men, wenn mehr Hände zupacken, wenn alle, Bund und Ihr Argument „politischer Wille“ wird im Bürokratieent­ Länder, zusammenarbeiten . Deswegen möchte ich Sie lastungsgesetz II jetzt hoffentlich ad acta gelegt, damit alle auffordern, nicht mit den Händen in den Hosenta- die Leistungsträger und Unternehmen unseres Landes schen danebenzustehen, wenn wir Wirtschafts-, Steuer- stärker entlastet werden . und Finanzpolitiker aufräumen . Helfen Sie alle mit . Pa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) cken Sie mit an. Jeder profitiert davon, wenn alles sauber und aufgeräumt ist und alle, Wirtschaft, Verwaltung und Dass bei einer Erhöhung auf 400 Euro die Welt nicht Bürger, effizient arbeiten. zusammenbricht, beweist ein Blick in die Steuergesetz- gebung unseres Nachbarlandes Österreich . Österreich Unser Einsatz in der Regierungskoalition zum Büro- hat nämlich erfolgreich den Betrag für die Kleinbetrags- kratieabbau zeigt Wirkung, gerade im Steuerrecht . Das rechnung auf 400 Euro angehoben, und diese Maßnahme liegt daran, dass wir darauf achten, dass bei der Erarbei- würde auch der Steuerharmonisierung in Europa dienen; tung neuer Gesetze bürokratische Zusatzbelastungen von denn sie ist durch die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ge- Anfang an vermieden werden und dass wir die Digitali- setzlich gedeckt . sierung insgesamt vorantreiben . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir ins- Herr Gambke, zu Ihrem Einwurf vorhin: Auch wir besondere die kleinen Handwerksbetriebe und Unter- haben gestern sehr wohl gehört, was in den Bund-Län- nehmen von unnötigem Papierkram befreien . Durch die der-Finanzbeziehungen gemacht wird . Wir haben jetzt Gesetzesvorlage werden nach derzeitigem Stand Büro- im Bund mehr Kompetenz . Das müssen wir ausnutzen . kratiekosten in Höhe von mehr als 360 Millionen Euro Da hoffe ich und fordere auch Sie als Grüne auf, dass Sie eingespart – Geld, das den Unternehmen für Innovati- uns hierbei in den Ländern unterstützen . Denn die Länder onen, notwendige Investitionen sowie für die Aus- und sind jetzt gefordert, hier voranzutreiben . Wenn wir den Fortbildung ihrer Mitarbeiter zur Verfügung steht . Bereich der Digitalisierung gemeinsam angehen, werden wir es schaffen, die Verwaltungsvorgänge in Deutschland Wenn wir die Bürokratiegarage unseres Landes rich- unbürokratischer, schneller, geordneter und vor allem tig aufräumen wollen, dann müssen wir gewissenhaft serviceorientierter zu machen . und sauber sortieren . Wir sollten gemeinsam prüfen und sagen, was zum Sperrmüll kommt und was nicht . Was Mit diesem Maßnahmenpaket werden wir mehr als wir brauchen, wird genutzt, und was wir nicht nutzen: 1 Milliarde Euro einsparen . Das ist eine Menge Papier . Weg damit! Bei unseren Aufräumaktionen werden wir Aber es spart vor allem Zeit und Nerven . Wir sind da auf 19526 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Margaret Horb (A) dem richtigen Weg . Aber wenn wir in der Garage, auf Flexibilität zu sorgen, damit die Kommunen entscheiden (C) dem Dachboden und im Keller sind, müssen wir aufpas- können, ob sie beispielsweise mehr soziale oder Umwelt- sen, dass nicht gleichzeitig ein Lkw vorfährt und neue kriterien mit einbeziehen . Das Ganze sorgt für viel Fle- Gesetzeskisten, Verordnungen und Anweisungen vor un- xibilität und weniger Bürokratie . Da sind wir schon auf serer Haustür ablädt . dem richtigen Weg . Herzlichen Dank . Für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Welt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . krieg gab es viele Gründe . Neben dem Fleiß der Deut- Matthias Ilgen [SPD]) schen gehörte dazu auch die Möglichkeit, einfach ein- mal unternehmerisch starten zu können . So sind aus Einmannbetrieben, die beispielsweise in einer Garage Präsident Dr. Norbert Lammert: gegründet wurden – diese Garage war im Vergleich zu Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Ihrem Beispiel aufgeräumt –, große Unternehmen ent- Kollege Marcus Held für die SPD-Fraktion . standen, die bis heute teilweise Weltruhm erlangt haben und von denen wir gar nicht mehr wissen, dass sie einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in einer Garage gegründet wurden . Im Vergleich dazu der CDU/CSU) dürfen viele Existenzgründer mit guten Ideen ihren La- den heute gar nicht eröffnen, nur weil sie vielleicht keine Marcus Held (SPD): separate Personal- oder Kundentoilette haben . Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Liebe Kollegin, liebe Vorrednerin, ich habe eben ge- Wir haben neben diesem Gesetz in Zukunft noch vie- lernt, dass die CDU/CSU-Fraktion anscheinend ziemlich le große Aufgaben zu bewältigen . Wir müssen wichtige viel Gerümpel in der Garage hat . Standards beibehalten, gleichzeitig aber wieder mehr Chancen eröffnen . Wir müssen dafür sorgen, dass wir in (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Deutschland flächendeckend Verwaltungen haben, die CDU/CSU) sich als Servicestellen für die Bürgerinnen und Bürger Wenn Sie Hilfe beim Aufräumen brauchen, sind wir ger- und für die Unternehmer sehen und die nicht sagen, wa- ne zur Stelle, rum etwas nicht geht, sondern, wie konkret man zum Ziel kommt . Es gibt also viele Ziele, und ich hoffe, dass wir (Heiterkeit und Beifall des Abg . Matthias ihnen durch weitere Bürokratieentlastungsgesetze immer Ilgen [SPD]) ein Stückchen näherkommen . unter anderem natürlich heute hier mit diesem Bürokra- Herzlichen Dank . (B) tieentlastungsgesetz, das in der Reihe zahlreicher Maß- (D) nahmen steht, die aus dem Bundeswirtschaftsministerium (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kommen, um unsere Wirtschaft und unsere Bürgerinnen der CDU/CSU) und Bürger zu entlasten . Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei unserem Minister Sigmar Gabriel, bei Präsident Dr. Norbert Lammert: der Staatssekretärin und beim Haus ganz herzlich dafür bedanken, dass diese Entlastung hier tatsächlich in dieser Ich schließe die Aussprache . Form auf den Weg gebracht werden konnte . Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- Das Ziel muss nicht nur sein, neue Regelungen zu entwurfes auf der Drucksache 18/9949 an die in der Ta- schaffen, sondern Ziel muss auch sein, gleichzeitig gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– überbordende Regelungen abzuschaffen . Wir wollen die Andere Vorschläge sehe ich nicht . Also können wir die Wirtschaft entlasten . Dabei geht es aber nicht darum, Überweisung so beschließen . den Konzernen zusätzliche Gewinne zu verschaffen, sondern es geht um die Erhaltung und die Schaffung Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: von Arbeitsplätzen. Da hat zu viel Bürokratie häufig Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- eine Bremswirkung, vor allem für kleine und mittlere richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - Unternehmen, die bereit sind, zu investieren und Ar- schuss) beitsplätze zu schaffen bzw . zu erhalten, und zwar hier in Europa, konkret bei uns in Deutschland . Solche In- – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald vestitionen sollen durch weniger Bürokratie in Zukunft Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann leichter möglich werden . (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Wir schaffen damit Erleichterungen für Unternehmen, Fraktion DIE LINKE die keine eigenen Fachabteilungen haben, um alle Ge- Medizinische Versorgung für Geflüchtete setze zu überprüfen und alle Fragen im Detail zu klären . und Asylsuchende diskriminierungsfrei si- Dabei geht es zum Beispiel um das Baurecht – auch das chern Steuerrecht ist heute angesprochen worden – oder die Ar- beitsstättenverordnung . Auch das Sozialversicherungs- – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria recht ist ein großes Thema . Von Bedeutung ist auch das Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula Vergaberecht, meine Damen und Herren, das wir gera- Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der de im April dieses Jahres verändert haben, um für mehr Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19527

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Psychotherapeutische und psychosoziale gesetz alle notwendigen Behandlungen, nicht mehr und (C) Versorgung von Asylsuchenden und Flücht- auch nicht weniger . lingen verbessern ( [CDU/CSU]: So ist es! – Drucksachen 18/7413, 18/6067, 18/9933 Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir streiten da- rüber, was notwendig ist!) Die vorgesehene Debattenzeit beträgt 25 Minuten . Gibt es dazu Einvernehmen? – Es sieht so aus . Also ver- Ich teile an dieser Stelle übrigens auch nicht Ihre fahren wir so . Forderung, alle Asylbewerber zwingend mit elektroni- schen Gesundheitskarten auszustatten . Zum einen ist Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kolle- das Asylbewerberleistungsgesetz nur für die Zeit bis zur ge Reiner Meier für die CDU/CSU . Entscheidung über den Asylantrag einschlägig . Zum an- (Beifall bei der CDU/CSU) deren gibt es schon heute die Möglichkeit, elektronische Gesundheitskarten für Asylbewerber auszugeben . Reiner Meier (CDU/CSU): (Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir als Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- Bund beschlossen!) men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt Wir haben uns in diesem Haus schon oft über die Fra- in der Natur der Sache, dass eine Debatte über Leistungen ge gestritten, ob eine elektronische Gesundheitskarte ei- für Flüchtlinge polarisiert . Angesichts der unterschiedli- nen Anreiz zur Migration gibt . Das Gleiche gilt für die chen Auffassungen zwischen den Fraktionen überrascht Frage, ob wir dadurch Kosten einsparen oder nicht . mich das nicht . Es darf aber auf keinen Fall den Blick auf die Fakten verstellen . Wenn heute suggeriert wird, alles (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE unterhalb des vollen Leistungsumfangs der GKV sei men- GRÜNEN]: Nur die CSU hat da so große Be- schenunwürdig, dann muss ich in aller Deutlichkeit sagen: denken!) Reden Sie doch die gesetzliche Krankenversicherung nicht Ich will das alles heute nicht noch einmal aufwärmen . schlecht! Unsere GKV ist im internationalen Vergleich eine Unsere Haltung hierzu ist Ihnen hinlänglich bekannt . der besten Krankenversicherungen überhaupt . Sie gewährt Wir können aber nicht die Augen vor der Tatsache ver- den Versicherten einen verlässlichen Schutz und einen brei- schließen, dass die Kommunen, also diejenigen, die am ten Zugang zur Spitzenmedizin . dichtesten am Geschehen dran sind, die elektronische Mit dem Präventionsgesetz haben wir im vergangenen Gesundheitskarte über alle Parteigrenzen hinweg offen- Jahr in der GKV die Voraussetzungen dafür geschaffen, bar gar nicht wollen . Diese bewusste Entscheidung der Kommunen sollte uns zu denken geben . (B) die Versicherten vorbeugend möglichst lange fit und ge- (D) sund zu halten. Das Gleiche gilt für die Pflege, für die (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Krankenhäuser, für die Digitalisierung, wo die Koalition NEN]: Willkommen in Bremen! – Maria in den letzten Jahren wichtige Verbesserungen auf den Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Weg gebracht hat . Wenn all das für Sie das menschen- NEN]: Ihre Kollegen in Münster sehen das würdige Minimum ist, dann frage ich mich schon, in wel- anders! – Zuruf der Abg . Mechthild Rawert cher Welt Sie leben . [SPD]) Die gesetzliche Krankenversicherung ist schon be- Wir sollten sie aber auch respektieren, meine Damen und grifflich etwas völlig anderes als die Gesundheitsversor- Herren . gung aus humanitären Gründen . Die GKV – das wissen Sie selbst – funktioniert nach dem Umlageprinzip . Ver- Es ist keine große Kunst, politische Überbietungswett- sicherte zahlen Beiträge ein, aus denen unmittelbar die bewerbe zu betreiben und immer und immer wieder ein Leistungen finanziert werden. Die Gesundheitsversor- bisschen mehr zu versprechen als die anderen . Am Ende gung für Flüchtlinge ist dagegen beitragsfrei und wird der Debatte werden wir alle aber daran gemessen, ob es aus Steuermitteln finanziert. Das ist auch richtig so und uns gelingt, eine stimmige, gerechte Gesundheitsversor- unterstreicht die Verantwortung, die Deutschland seit Be- gung in unserem Land zu gewährleisten . Ihre Anträge, ginn der Flüchtlingskrise übernommen und immer wie- meine Damen und Herren, werden dieser Verantwortung der unter Beweis gestellt hat . Der Bund wird alleine in nicht gerecht, sodass wir sie heute ablehnen . den Jahren 2016 bis 2018 über 60 Milliarden Euro für Vielen Dank . Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen be- reitstellen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Norbert Lammert: ordneten der SPD) Kathrin Vogler erhält das Wort für die Fraktion Die Im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Flüchtlinge Linke . kann es dennoch nicht der Anspruch sein, unterschied- liche Sachverhalte sachwidrig gleichzumachen . Der (Beifall bei der LINKEN) Anspruch sollte stattdessen sein, alle notwendigen Leis- tungen zur Existenzsicherung zu erbringen . Genau das Kathrin Vogler (DIE LINKE): tut bereits unser geltendes Recht . Wer in Deutschland Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Schutz sucht, erhält nach dem Asylbewerberleistungs- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheits- 19528 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Kathrin Vogler (A) versorgung für Flüchtlinge – der Kollege Meier hat es versorgung aus ideologischen Gründen ab . In vielen (C) gesagt – hat uns im Bundestag schon öfter beschäftigt, Bundesländern, die eigentlich mehr tun wollen, hakt es doch leider gibt es aus unserer Perspektive viel zu wenig doch, weil es keine einheitliche Regelung gibt und weil Fortschritte . die Kommunen Angst vor Mehrkosten haben . Bei der Anhörung zu den beiden Anträgen der Linken ( [CDU/CSU]: Wer hat sie und der Grünen, die wir heute beraten, waren sich alle denn?) Sachverständigen einig, dass der Zugang zu medizini- An dieser Stelle möchte ich einmal die thüringische scher Versorgung dringend verbessert werden muss, Landesregierung loben; denn sie hat es erstmals in einem (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Flächenland geschafft, alle Kommunen von der Versor- NIS 90/DIE GRÜNEN) gung der Geflüchteten mit der Gesundheitskarte zu über- zeugen und eine Rahmenvereinbarung mit den Kranken- selbst die von der Union benannten, Herr Meier . Auch kassen abzuschließen . ist dieser Zugang eine gesellschaftliche Aufgabe . Darum kann das nicht den gesetzlich Versicherten aufgebürdet (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- werden . Da waren wir uns einig . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber was macht diese Große Koalition? Sie will jetzt Dass sich das Ganze immer wieder verzögert und alle 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds, also aus Beteiligten Nerven lassen, liegt vor allem an der schlech- den Beitragsgeldern, nehmen, um damit angeblich die ten Gesetzeslage hier bei uns im Bund, und die wollen Versorgung der Geflüchteten zu finanzieren und neben- wir ändern . bei auch noch das Daten-GAU-Projekt „Elektronische Die Linke fordert: Die Beiträge für die Krankenver- Gesundheitskarte“ zu sanieren . Dieses Geld ist aber von sicherung von Asylsuchenden soll der Bund tragen .– Versicherten bezahlt worden, also vom Verkäufer und Herr Meier, ich wette mit Ihnen: Dann werden wir ganz von der Schreinerin . Das ist kein Steuergeld, über das schnell die Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge flächen- Herr Schäuble nach eigenem Gutdünken verfügen könn- deckend haben – auch in Bayern und in Sachsen . te . (Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier Sie bedienen sich auch gleich zweimal aus den Bei- [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!) trägen der Versicherten . Die Beiträge, die der Bund für Hartz-IV-Bezieher an die Krankenkassen abführt, decken Die Beschränkung des Leistungsumfangs beschnei- nämlich die Kosten nicht . Hier subventioniert wiederum det übrigens auch die Therapiefreiheit der Ärztinnen und die Schreinerin Schäubles schwarze Null . Ärzte. Auch wenn sie eine behandlungspflichtige Erkran- kung diagnostizieren, kann das Sozialamt die Kosten- (B) Ihnen geht es doch eigentlich nur darum, kurzfristig (D) übernahme verweigern . Defizite bei den Krankenkassen zu verhindern, damit im nächsten Wahljahr die Zusatzbeiträge nicht explodieren . Das Medinetz, eine Organisation für medizinische Selbst die Krankenkassen haben gesagt: Schön, dass wir Flüchtlingshilfe, berichtet zum Beispiel über einen fünf- mehr Geld bekommen, aber für die Versorgung der Ge- jährigen Jungen, bei dem neun Zähne gezogen oder be- flüchteten brauchen wir nur einen Bruchteil davon. handelt werden mussten . Das Sozialamt verweigerte dem Kind eine Narkose dafür . Die zynische Begründung da- Die nach wie vor unzureichende Gesundheitsversor- für lautete, dafür gebe es keinen Anspruch und das müs- gung wollen Sie auch gar nicht beheben; das hat der Kol- se das Kind schon aushalten . Für solche Grausamkeiten lege gerade klargemacht . gegenüber Kindern gibt es einfach keine Rechtfertigung . (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Nein! Nicht (Beifall bei der LINKEN und beim BÜND- unzureichend!) NIS 90/DIE GRÜNEN – Erich Irlstorfer Nach wie vor haben Flüchtlinge in den ersten 15 Mona- [CDU/CSU]: Schauermärchen hoch drei, ten nur bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen und die Sie hier verbreiten! – Mechthild Rawert Schmerzen sowie bei Schwangerschaft Anspruch auf [SPD]: Welcher Arzt würde denn die Zähne eine Behandlung . Wir sagen ganz klar: Es verstößt gegen ohne Narkose ziehen?) Menschenrechte, wenn chronische Erkrankungen nicht Die Linke sagt: Auch diejenigen, die vor Krieg und behandelt werden oder wenn die Behandlung vom Er- Verfolgung zu uns geflüchtet sind, müssen alle notwen- messen eines Sozialamtsmitarbeiters abhängt, der keine digen und sinnvollen Behandlungen erhalten, und diese medizinische Ausbildung hat . stehen nun einmal im Leistungskatalog der gesetzlichen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Krankenkassen . Weniger bedeutet eine gesundheitliche NIS 90/DIE GRÜNEN) Unterversorgung, und das nehmen wir nicht länger hin . Außerdem: Unbehandelte Erkrankungen können zu (Beifall bei der LINKEN – Erich Irlstorfer schweren Folgekrankheiten führen . Das wird dann doch [CDU/CSU]: Astrid Lindgren der Linken, noch teurer . Sie müssen sich jetzt einmal entscheiden: kann ich nur sagen!) Möchten Sie es gerne teuer und schlecht oder preiswert Deshalb: Unterstützen Sie uns doch in den Bemühun- und gut? gen, eine gesundheitliche Versorgung für alle Menschen Nur noch wenige Bundesländer lehnen eine Gesund- hier in Deutschland sicherzustellen! Stimmen Sie für heitskarte und den leichteren Zugang zur Gesundheits- eine diskriminierungsfreie medizinische Versorgung für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19529

Kathrin Vogler (A) Geflüchtete und Asylsuchende und auch für den guten Ich habe in dem Jahresbericht von Refugio Stutt- (C) Antrag der Grünen zur Verbesserung der psychothera- gart, den ich gerade erst erhalten habe, gelesen: Dieser peutischen und psychosozialen Versorgung von Asylsu- gemeinnützige Verein hat einen Pool aus Dolmetschern chenden! für 17 Sprachen aufgebaut und sie für den Einsatz in der Psychotherapie geschult . Solche vorhandenen Strukturen Ich bedanke mich . und Kompetenzen müssen politisch und finanziell geför- (Beifall bei der LINKEN) dert werden; denn sie sind das Fundament, auf dem die psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen weiter verbessert werden kann . Präsident Dr. Norbert Lammert: Heike Baehrens erhält nun das Wort für die SPD-Frak- Unsere Familienministerin Manuela Schwesig hat tion . deswegen dieses Jahr psychosoziale Zentren mit rund 3 Millionen Euro gefördert . Darum ist es umso unver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständlicher, dass der Finanzminister trotz sprudelnder der CDU/CSU) Steuereinnahmen diese Förderungen jetzt wieder kürzen will . Wir als SPD werden bei den abschließenden Haus- haltsverhandlungen dafür kämpfen, dass die wichtige Ar- Heike Baehrens (SPD): beit dieser Zentren fortgeführt werden kann . Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- be Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir zwölf Monate (Beifall bei der SPD) zurückblicken und die damalige Situation mit heute ver- Darüber hinaus diskutieren wir auch die Möglichkeit, gleichen, für diese Aufgabe zusätzliche Projektmittel im Haus- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE halt des Gesundheitsministeriums bereitzustellen . Heu- GRÜNEN]: Ja, genauso alt ist der Antrag!) te Morgen hat Herr Finanzminister Schäuble genau an dieser Stelle gleich zu Anfang seiner Rede gesagt: „Am dann dürfen wir mit Fug und Recht behaupten: Wir ha- Geld wird die Integration nicht scheitern .“ ben bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen bereits viel erreicht . Die Bearbeitung der Anträge wurde (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE beschleunigt, Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung GRÜNEN]: Das tut sie aber derzeit!) dürfen jetzt traumatisierte Asylbewerber behandeln, und Da nehmen wir ihn beim Wort . es wurden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um die Gesundheitskarte in den Ländern einführen zu (Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Dafür kämpfen wir!) (B) können . (D) Wir wollen eine bessere psychotherapeutische und (Beifall bei der SPD) psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen . Aber ganz Aber klar ist auch – da stimmen wir mit der Intenti- so einfach wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von on des grünen Antrags überein –: Die psychosoziale und den Grünen, es in Ihrem Antrag formuliert haben, ist es psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen muss dann doch nicht . Sie wollen die Dolmetscherleistungen weiter verbessert werden . von den Krankenkassen zahlen lassen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE der LINKEN und der Abg . Kordula Schulz- GRÜNEN]: Mit Erstattung durch den Steuer- Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – zahler!) Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Das sehen wir kritisch; denn die Bereitstellung von GRÜNEN]: Das ist doch mal was!) Dolmetschern ist nicht per se eine Gesundheitsleistung . Die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten ist Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ja, eine noch unzureichend . Vorhandene Dienste und Angebote Integra­tionsleistung, die von der öffentlichen Hand und sind überlaufen . Es gibt zu wenige Dolmetscher . Auch damit aus Steuermitteln geleistet werden muss . die Frage der Finanzierung dieser Leistungen ist nicht (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE ausreichend geklärt . GRÜNEN]: Sie müssen die Begründung le- sen! Da steht es drin!) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Es wäre nicht richtig, dies allein den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung aufzuladen . Mit Steu- Psychosoziale Zentren und Traumazentren, die sich ermitteln können wir nicht nur Dolmetscher finanzieren, dieser Aufgabe fachlich qualifiziert, gut vernetzt und oft sondern auch bereits bestehende psychosoziale Netzwer- mit Unterstützung von Ehrenamtlichen widmen, müssen ke wie Refugio zielgenau stärken, fördern und auch aus- Jahr für Jahr um ihre Finanzierung bangen . bauen . (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Dass es in Koalitionen, Frau Klein-Schmeink, nicht GRÜNEN]: Genau jetzt wieder!) immer leicht ist, solche Ziele ganz schnell zu erreichen, Das ist absolut unbefriedigend . das erfahren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, gerade selbst ganz unmittelbar in Baden-Würt- (Beifall bei der SPD) temberg, wo Sie mit Ihrem Koalitionspartner um die 19530 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Heike Baehrens (A) Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ringen tisierten große Versorgungslücken gibt, zum Beispiel in (C) müssen, die Sie hier in Ihrem Antrag fordern . dem Bereich, wo die Flüchtlinge noch nicht anerkannt sind, in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- weil entweder der Zugang zu Dolmetscherleistungen ten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink oder bei einer chronischen Erkrankung überhaupt der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei mir zu Zugang zu einer Behandlung fehlt, weil sie nicht unter Hause in Münster gibt es die! Ganz einfach: die Akut- und Notfallversorgung fällt – es sei denn, wir Schwarz-Grün!) haben die Situation schon so zuspitzen lassen, dass die Auf jeden Fall werden wir uns bei den laufenden Menschen in die stationäre Notfallversorgung müssen . Haushaltsverhandlungen für weitere Verbesserungen bei der psychotherapeutischen und psychosozialen Versor- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wird rich- gung von Flüchtlingen einsetzen . tig teuer!) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Das ist die teuerste Versorgung und das unmenschlichste GRÜNEN]: Maria Klein-Schmeink ist ja ein Verfahren . gutes Beispiel für Schwarz-Grün!) Der dritte Punkt: Wir haben insgesamt eine ganz pre- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . käre Situation der Folteropferzentren . Sie wissen alle – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazu haben Sie viele Zuschriften erhalten, und es ist auch der CDU/CSU) in der Anhörung deutlich geworden –: Diese 32 Zentren tragen den Löwenanteil der Erstversorgung in diesem Bereich . Sie werden größtenteils durch Spenden und Präsident Dr. Norbert Lammert: ein bisschen durch Landesmittel, ein bisschen durch Die Kollegin Klein-Schmeink hat nun das Wort für die ESF-Mittel und ein bisschen durch Mittel der Ministerin Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Schwesig finanziert, und das, obwohl sie den Löwenan- teil der Erstversorgung tragen . Das, meine Damen und Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren, ist kein Zustand; das muss beendet werden . NEN): Jetzt sind wir in der kläglichen Situation, dass sogar Sehr geehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen der Minizuschuss, der im letzten Jahr bereitgestellt wor- und Kollegen! Es ist jetzt genau ein Jahr her, da wur- den ist, wieder infrage steht . Das kann doch nicht wahr de unser Antrag zur Verbesserung der psychosozialen sein . Unterstützung von Flüchtlingen hier in den Bundestag (B) eingebracht; auch der Antrag der Linken stand zur Dis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) kussion . Wir haben Ihnen also ein Jahr Zeit gegeben, um sowie bei Abgeordneten der LINKEN – die Situation zu verbessern und an der Versorgungslage Mechthild Rawert [SPD]: So wenig sind insgesamt etwas zu ändern . 3 Millionen Euro auch nicht!) (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wir haben es Ein weiterer Punkt: Sie haben für zusätzliche Ermäch- genutzt!) tigungen gesorgt: für insgesamt 68 zusätzlich zugelas- Ich muss sagen: Heute erleben wir, dass das Resultat, sene Psychotherapeuten bundesweit . Das deckt nicht zwar freundlich vorgetragen, umso enttäuschender ist . einmal den Ansatz dessen, was wir brauchen . Auch das Beide Anträge werden Sie ablehnen und damit jegliche ist keine Lösung des Problems . Es ist ein ganz kleiner Verbesserung in diesem Bereich verhindern . Das halten Ausschnitt . wir für einen großen Fehler . Ziehen Sie deshalb endlich Konsequenzen aus dem, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN was an Versorgungsnotwendigkeiten besteht! Es kann und bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/ doch nicht sein, dass Integration tatsächlich daran schei- CSU]: Das ist keine Verbesserung! Im Gegen- tert, dass wir die notwendigsten Hilfen und die notwen- teil!) dige Versorgung nicht bereitstellen . Was Sie da machen, Es ist nicht einfach nur ein Fehler; es ist auch eine ist ein so unkluges und unmenschliches Vorgehen . Dafür richtig große Enttäuschung . Denn zum einen hat die An- fehlt mir jegliches Verständnis . hörung glasklar den Handlungsbedarf aufgezeigt . Sie hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihnen gezeigt, dass es klug ist, in die Gesundheitskarte und bei der LINKEN – Ute Bertram [CDU/ für Flüchtlinge zu investieren und den Flüchtlingen den CSU]: Uns Unmenschlichkeit vorzuwerfen, Zugang zur Regelversorgung zu ermöglichen; denn dann ist ja wohl das Letzte!) ist die Behandlung insgesamt gesehen humaner, besser und günstiger, weil man Chronifizierung verhindert. Das Gleichzeitig muss ich sagen: Wie kann man sich so wäre schon ein wichtiger Grund gewesen . von den Argumenten der AfD und der Angst vor ihr trei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben lassen, dass man nicht in der Lage ist, endlich in der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Regelversorgung passende Angebote zu schaffen? Der zweite wichtige Grund: Es ist deutlich geworden, ( [SPD]: Das sollten Sie uns dass es insbesondere bei der Behandlung von Trauma- nicht unterstellen! Das ist nicht richtig!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19531

Maria Klein-Schmeink (A) Das ist ein Fehler, und den sollten Sie dringend korri- Vor gut einem Jahr haben wir festgestellt, dass es in den (C) gieren . bundesweit 23 psychosozialen Zentren etwa 130 Psycho- therapeuten gibt, die 4 000 Flüchtlinge betreuen . Heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wissen wir, dass die Situation in den Aufnahmelagern er- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) heblich entspannter ist und dass viele Flüchtlinge bei uns mittlerweile in Integrationskursen lernen . Damit sind sie Präsident Dr. Norbert Lammert: irgendwie im Alltag angekommen . Ute Bertram erhält nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . Das verlangt den Flüchtlingen viel ab; das weiß ich . Aber das hat auch einen therapeutischen Wert für die Be- (Beifall bei der CDU/CSU) wältigung einer schwer erträglichen Vergangenheit . Da- mit will ich nicht sagen, dass wir das Problem der psy- Ute Bertram (CDU/CSU): chotherapeutischen Versorgung der Flüchtlinge erledigt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hätten, aber die Koalition war nicht untätig . Der Bund Kollegen! Die psychotherapeutische und psychosozi- hat in diesem Jahr aus dem Haushalt des BMFSFJ die ale Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden ge- BAfF mit rund 3 Millionen Euro gefördert und bemüht hört zu den besonderen Herausforderungen, die wir zu sich zurzeit, eine Förderung für 2017 sicherzustellen . Ich bewältigen haben . Viele Flüchtlinge – das wissen wir appelliere auch an die Haushälter, dies zu unterstützen . alle – kommen traumatisiert zu uns . Sie haben schlimme und oft allerschlimmste Erfahrungen hinter sich: Gewalt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Folter, Gefangenschaft, Vergewaltigung und sexueller der SPD) Missbrauch über alle Bevölkerungskreise hinweg, Alt Der Bund führt in Gestalt des BMG Gespräche mit der und Jung und immer wieder Frauen und Kinder . BAfF, um die Möglichkeiten zusätzlicher Ermächtigun- Dieses Thema steht heute nicht zum ersten Mal auf gen für psychosoziale Zentren und ambulante Psycho- unserer Tagesordnung . Im September letzten Jahres – die therapeuten zu eröffnen, damit Flüchtlingen angemessen Situation war damals nicht gerade von Übersichtlichkeit weitergeholfen werden kann, wenn sie nach den Grund- geprägt – war uns nur klar: Unser ganzes Staatswesen auf sätzen der GKV zu versorgen sind . allen Ebenen war gefordert . Wir benötigen immer noch die Hilfe aus allen Ecken der Gesellschaft . (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie ist es dann mit den Dol- Immerhin können wir heute sagen: Wir kennen recht metscherkosten?) genau die Dimension, die wir als Gemeinwesen zu be- (B) wältigen haben, und wir sagen allen Dank, die sich so So wollen wir auch dazu beitragen, dass über die (D) engagiert in diesen Dienst gestellt haben: den professio- Akutbehandlung hinaus schwerere Fälle einer posttrau- nellen Unterstützern ebenso wie den spontanen Initiati- matischen Belastungsstörung durch eine Anschlussbe- ven bis hin zu den vielen anonymen helfenden Händen in handlung therapiert werden könnten . Generell müssen unseren Dörfern und Städten . wir darauf achten, dass wir nicht überreagieren . Eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) vollumfängliche Akutversorgung musste 2015 aufgrund der hochschnellenden Flüchtlingszahlen eine Illusion Aber was unter einer notwendigen psychotherapeuti- bleiben . schen und psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen zu verstehen ist, darüber werden wir wohl auch in der Wichtig ist jetzt, dass wir die Nachversorgung sichern . Zukunft noch eine Menge unterschiedlicher Auffassun- Auch diese Aufgabe bleibt gerade vor dem Hintergrund gen haben . Konkret geht es um die Frage, wie hoch die der sprachlichen und kulturellen Barrieren weiterhin eine Zahl der Flüchtlinge ist, die unter einer posttraumati- besondere Herausforderung . schen Belastungsstörung so sehr leiden, dass sie einer akuten Behandlung bedürfen . (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie lösen Sie die? Das ist (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE doch die Frage!) GRÜNEN]: Sieben Monate Warteliste!) Ich komme zu meinem Fazit . Wir folgen dem Grund- Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychoso- satz: Wir fahren auf Sicht . – Mit diesem Grundsatz ist zialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – kurz: eine frühere Koalition schon einmal sehr erfolgreich ge- BAfF – verweist auf eine aktuelle Review-Studienlage wesen . Die Opposition folgt dem Grundsatz: Man kann der letzten 25 Jahre in Deutschland, gar nicht genug machen .– Da bleibt nur noch die Ableh- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nung der Anträge . GRÜNEN]: Fragen Sie einfach mal vor Ort! Es geht nicht um theoretische Zahlen!) Vielen Dank . wonach bei Flüchtlingen eine Gesamthäufigkeit für die (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein- posttraumatische Belastungsstörung zwischen 16 und Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 55 Prozent liegt . Diese Streubreite zeigt aber auch an, Meine Güte! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: dass wir es mit Schätzungen zu tun haben, die immer Auf Sicht fahren ist im Herbstnebel nicht die auch ein Griff ins Dunkle sind . beste Strategie!) 19532 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: darüber reden wir auch in anderen Zusammenhängen . (C) Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die Wir brauchen hier einen grundsätzlichen Ausbau . Kollegin Mechthild Rawert das Wort für die SPD-Frak- (Beifall bei der SPD) tion . Selbstverständlich sollte jede und jeder in adäquater Zeit (Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜND- Zugang zu einem Psychotherapeuten bekommen . NIS 90/DIE GRÜNEN: Mechthild holt jetzt die Kohlen aus dem Feuer!) (Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage) Mechthild Rawert (SPD): Wir haben hier eine Situation, die so aussieht, als ob – Gerne . – Herr Präsident, ich habe schon zugestimmt . jede und jeder in den eigenen Spiegel schaut . Die Oppo- sition sagt, es sei zu wenig passiert . Die Koalition, zu der Präsident Dr. Norbert Lammert: wir auch gehören, sagt: Wir haben viel erreicht . Das kann ich mir schon vorstellen . Aber mit Blick auf die weitere Tagesordnung empfehle ich uns, es heute (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dabei bewenden zu lassen, erst recht bei denjenigen, die NEN]: Was ist jetzt wahr?) schon zu Wort gekommen sind . So ist das Leben natürlich nicht . Fangen wir mit der Aus- sage an, bei der ich mich gerade sehr geärgert habe . Wir Mechthild Rawert (SPD): haben hier beschlossen, dass es die elektronische Ge- Gilt das jetzt, oder gilt das nicht? sundheitskarte gibt . Wir haben damit die Länder ermäch- tigt, sie auch einzusetzen . Die wiederum stehen nun in der Verantwortung, sie flächendeckend umzusetzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein . (Ute Bertram [CDU/CSU]: So ist das!) Ja, es stimmt . Mechthild Rawert (SPD): Nein . – In diesem Fall hat er das Sagen . (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur jeder fünfte Flüchtling hat Zugang!) Präsident Dr. Norbert Lammert: So ist es . (B) – Sie sind noch nicht in jeder Kommune angekommen . (D) Das ist richtig . (Heiterkeit) (Ute Bertram [CDU/CSU]: Weil sie nicht wollen!) Mechthild Rawert (SPD): Wir haben dafür gesorgt, dass das medizinische Per- Aber im Bundestag noch etwas Negatives zur elektro- sonal aus den Herkunftsländern in die Erstversorgung nischen Gesundheitskarte zu sagen, entspricht nicht der verstärkt einbezogen wird . Beschlusslage dieser Großen Koalition . Über die Gesundheitskarte habe ich mich schon geäu- (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Nu sucht ihr ßert . Nur so viel noch: Wir alle wissen – auch diejenigen, aba scho no nach am andern, gell?) die in den Ländern Verantwortung tragen –, wie schwie- rig das ist . Mir bleibt es als Berlinerin vorbehalten, Herrn – Das war Bayerisch, das habe ich leider nicht verstan- Czaja von der CDU zu loben . Er wurde im Wahlpro- den . gramm seiner Partei ausdrücklich für die Einführung der (Heiterkeit) elektronischen Gesundheitskarte belobigt . Damit ermun- tere ich unseren Koalitionspartner, das überall zu tun . Aber richtig ist ja, dass der Zugang zur medizinischen Versorgung ein Menschenrecht ist . Wir alle wollen da- Ein letzter Satz . Die Kosten dürfen nicht auf die ge- für sorgen, dass dies durchgesetzt wird . Wir haben vieles setzliche Krankenversicherung abgewälzt werden; mei- getan, um den Flüchtlingen nach 15 Monaten einen regu- ne Kollegin Heike Baehrens hat das bereits gesagt . Es lierten Zugang zum Regelsystem im Gesundheitswesen handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Verantwor- zu ermöglichen . tung . Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stehen hier in der Verantwortung . Wer sich in einer Flüchtlingseinrichtung befindet, hat gerade zu Schulbeginn mitbekommen, dass der Impf- Maria Klein-Schmeink, du hast mich vorhin ange- schutz gilt . Es gab noch nie so viele Impfwillige und sprochen . Impffreudige wie in der Flüchtlingseinrichtung, die ich im Herbst gesehen habe . Das alles ist also geregelt . Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, das sollte der letzte Satz sein . Zum Thema Traumata . Die erwähnten Notwendig- keiten gelten für alle . Wir brauchen für die gesamte Bevölkerung – eine Sortierung nach Status ist nicht not- Mechthild Rawert (SPD): wendig – mehr Psychotherapeutinnen und -therapeuten; Ich habe noch keinen Punkt gemacht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19533

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, (C) Doch . Dr .Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Heiterkeit) Bundesprogramm „Kultur macht stark. Mechthild Rawert (SPD): Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten Wer mit der AfD droht, muss eines wissen: Die AfD nutzt tatsächlich alles . Deswegen bin ich den Kranken- Drucksachen 18/8181, 18/10063 kassen sehr dankbar, dass sie sofort klargemacht haben, dass es nicht die Geflüchteten sind, die dazu beitragen, Hierzu soll es eine Aussprache von 38 Minuten ge- dass wir nun über Zusatzkosten bzw . überhöhte Kosten ben .– Zu dieser verabredeten Redezeit höre und sehe ich reden . Dieses Thema betrifft uns alle . Es dürfen keine keinen Widerspruch . Also können wir das so machen . leichtfertigen Behauptungen aufgestellt werden . Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Danke schön . Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- selber ins Gesetz geschrieben! Das müsst ihr ordneten der SPD) euch anschauen, Frau Rawert!) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Präsident Dr. Norbert Lammert: „Kultur macht stark “. Herr Präsident! Meine Damen Heinrich von Kleist wäre erblasst vor dieser Fähigkeit, und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen in mehreren aufeinanderfolgenden Sätzen vermeintlich besseren Titel muss man doch erst einmal finden. Hier ist nur einen zum Ausdruck zu bringen . der Name in der Tat Programm . Warum? Kultur macht stark; denn sie ermöglicht, sich selbst und die Welt sen- (Heiterkeit) sibler wahrzunehmen, sich kreativ auszudrücken, Neues Wir schließen damit die Aussprache . selbst zu gestalten – alles Grundlagen für jeden weiteren Bildungsprozess . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Gesundheit auf Drucksache 18/9933 . Der Kunst, Musik, Theater, das ist nicht zweitrangig . Das Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Spielen eines Musikinstruments, Tanz, Akrobatik, Mu- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die seumsbesuche, das sind nicht einfach nur Freizeitbe- (B) Linke auf Drucksache 18/7413 mit dem Titel „Medizi- schäftigungen . Kultur ist existenziell für die menschliche (D) nische Versorgung für Geflüchtete und Asylsuchende Entwicklung und sollte – das ist uns wichtig – zentraler diskriminierungsfrei sichern“ . Wer stimmt dieser Be- Bestandteil jeder Bildungsbiografie sein. Denn schließ- schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer lich bedeutet Kultur vor allem eines: Freiheit . enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heit – allerdings mit keiner besonders starken, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf – angenommen . „Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“, so lautet der vollständige Titel des Programms, das seit 2013 Pro- Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- jekte für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fördert – offensichtlich ein echtes Erfolgsprojekt . Alle auf Drucksache 18/6067 mit dem Titel „Psychotherapeu- Fraktionen wollen das Programm fortsetzen und weiter- tische und psychosoziale Versorgung von Asylsuchen- entwickeln . Das BMBF hat bereits angekündigt, „Kul- den und Flüchtlingen verbessern“ . Wer stimmt für diese tur macht stark“ ab 2017 nahtlos in einer zweiten Phase Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- weiter zu fördern . Herzlichen Dank an alle, die dieses haltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Anliegen vorantragen . Mehrheit gerade noch angenommen . Alle Fraktionen wollen das Programm fortführen . Wa- Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunk- rum liegen in dieser Debatte trotzdem zwei Anträge vor? ten 10 a und 10 b: Wo gibt es denn noch Unterschiede? Ich will die Zeit nut- a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ zen, um einige Aspekte unseres Antrags hervorzuheben . CSU und SPD Wichtig ist uns vor allen Dingen Folgendes: Die ge- Mehr Bildungschancen für benachteiligte förderten Projekte finden ausschließlich außerhalb des Kinder und Jugendliche schaffen – Bundes- Schulunterrichts statt, auch wenn Schulen an vielen programm „Kultur macht stark. Bündnisse Stellen Partner sind . Es muss außerhalb des Unterrichts für Bildung“ nach 2017 weiterentwickeln und sein . Das ermöglicht nämlich Dreierlei: Die Teilnahme fortsetzen an „Kultur macht stark“ ist unbedingt freiwillig, und das sollte auch so bleiben . Dabei ist das Außerschulische ge- Drucksache 18/10016 rade von Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen aus b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- bildungsfernem Umfeld, die wir doch besonders errei- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung chen wollen; denn gerade für sie ist es wichtig, Zugang und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) zu Lebensbereichen zu bekommen, die nicht zu dem 19534 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Claudia Lücking-Michel (A) strengen Korsett von Schule gehören . Interesse an einer Vizepräsidentin Dr. h. c. : (C) Sache kann man nicht verordnen; man muss es wecken . Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Dr .Rosemarie Zweitens . „Kultur macht stark“ ist außerschulisch und Hein für die Fraktion Die Linke das Wort . niedrigschwellig . Das brauche ich gar nicht weiter zu er- (Beifall bei der LINKEN) klären . Drittens . Das Programm ist partizipativ angelegt . Es Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): ermöglicht Teilhabe . Hier kann man erfahren, dass es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sich lohnt, sich einzubringen, sich in einem Team zu Liebe Gäste! Es gibt selten Grund, die Bundesregierung beteiligen, eine Aufgabe auch unter Schwierigkeiten zu zu loben. Mit dem Programm „Kultur macht stark“ flie- Ende zu führen, ein Werk zu erschaffen und dabei Freude ßen jährlich immerhin 50 Millionen Euro – sogar etwas zu haben . mehr – in die kulturelle Bildung . Das gab es tatsächlich noch nie . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und Echte Teilhabe kann man nicht erzwingen, wir können der SPD) sie nur ermöglichen . Wenn ich heute in meinem Wahlkreis nach diesem Ein weiteres Markenzeichen unseres Programms ist Programm frage, höre ich, dass es den meisten Vereinen die Einbindung der Zivilgesellschaft . Da haben wir die bekannt ist . Fast überall laufen ein oder zwei Projekte, Verbände, die ihr fachliches Wissen einbringen, und die die dadurch gefördert werden . Auch dass mein Bundes- vielen lokalen Bündnispartner vor Ort, die sich oft in un- land Sachsen-Anhalt eine Servicestelle für die Beglei- gewöhnlichen Kombinationen zusammentun und Ange- tung eingerichtet hat, hilft dabei sehr . bote vor Ort ermöglichen . Auch an all die Menschen, die sich hier engagieren, ein herzliches Dankeschön . Ja, das Programm ist ein voller Erfolg . Das ist es aber vor allen Dingen deshalb, weil die Vereine und Verbände (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- viel Initiative und viel Kreativität an den Tag gelegt ha- wie bei Abgeordneten der LINKEN) ben, was dazu führte, dass einige Kinderkrankheiten, die Viele Vorgaben, die das Programm bisher hatte, sind es am Anfang hatte, überwunden wurden . offensichtlich sehr zielführend . Das betonen die betei- Es ist gut, dass trotz der Orientierung vor allem auf be- ligten Akteure, auch die vorliegenden Evaluationen . Ein nachteiligte Kinder und Jugendliche ein im besten Sinne Beispiel will ich nennen: Kern des Anliegens ist es, be- (B) des Wortes inklusiver Ansatz gefunden worden ist . Auch (D) nachteiligte Kinder und Jugendliche zu erreichen; aber Sie, Frau Lücking-Michel, stellten eben fest: Das Pro- es ist unbedingt nötig und ganz wichtig, dass das Pro- gramm ist für alle offen . Niemand wird ausgeschlossen . gramm für alle Interessierten offen ist . Denn wenn die Alle können teilnehmen . Die Teilnehmenden werden da- Gruppen heterogen sind, sind ein Voneinanderlernen und mit auch nicht als arm oder benachteiligt stigmatisiert . eine Teilhabe ohne Stigmatisierung möglich . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch das allerdings ist vor allem den Programmpart- Schließlich ist es wichtig, neuerdings noch einmal in nern vor Ort zu danken . Kulturelle Bildung – da sind wir verstärktem Maße, den Blick auf geflüchtete Kinder und uns in diesem Hause alle einig – fördert die Persönlich- Jugendliche zu richten . Viele lernen, sich hier auszudrü- keit junger Menschen in ganz besonderer Weise . Und zu cken, bevor sie die passenden Worte dafür gefunden ha- allem Überfluss macht das auch noch Spaß. Man erreicht ben . unkompliziert ganz viele Kinder und Jugendliche . Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungswünsche . Es Darum haben die Verbände schon lange angeregt, dass ist unbedingt wichtig, die Verwaltung zu vereinfachen . die Fortführung über das Jahr 2017 hinaus gesichert wer- Für Stellschrauben gibt es gute Vorschläge . Eine Verwal- den soll . Das Programm sollte dann nämlich eigentlich tungspauschale könnte vor allen Dingen die Ehrenamt- auslaufen . Die Bundesregierung hat sich zunächst ge- lichen von Verwaltungsaufgaben entlasten . Standards ziert, eine solche Zusage zu machen . Darum haben wir für Anträge und Servicestellen für lokale Partner, all das einen Antrag gestellt und im Ausschuss ein öffentliches würde die Arbeit vereinfachen . Wir nehmen es deshalb Fachgespräch erwirkt, das auch stattgefunden hat – ge- ins nächste Programm auf . meinsam mit dem Kulturausschuss . Das hat offensicht- lich geholfen . Die Verbände haben mit allen Fraktionen Jedes Kind, jeder junge Mensch in Deutschland hat gesprochen . bestmögliche Bildungschancen verdient . Mit „Kultur macht stark“ kommen wir diesem Ziel ein gutes Stück (Beifall bei der LINKEN) näher, gerade für die benachteiligten Kinder und Jugend- lichen . Ich freue mich deshalb ganz besonders über die Die Bundesregierung hat inzwischen eine Fortführung breite Unterstützung des Antrags hier im Plenum . des Programms in Aussicht gestellt, und die Koalitions- fraktionen haben heute ebendiesen Antrag vorgelegt . Danke schön . (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein sehr gu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ter Antrag!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19535

Dr. Rosemarie Hein (A) Auch wenn der Antrag der Koalition nicht so weit geht sagt, ein Ausdruck politischer Kleingeisterei, dass Sie (C) wie unser Antrag, kann man sagen: Sie haben dazuge- gestern unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben lernt . und das wahrscheinlich heute hier wieder tun werden . Ich verspreche Ihnen: Wir werden nicht so kleingeistig (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- handeln . NIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg . Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN) So finden wir in Ihrem Antrag die Absicht, das Programm Allerdings fragen wir uns schon, warum Sie gera- langfristig zu verstetigen . Immerhin hätten wir damit so de jetzt diesen Antrag stellen und die Bundesregierung etwas Ähnliches wie auf der MINT-Seite auch einmal bei auffordern, die Laufzeit des Programms zu verlängern . der Kultur . Das wäre sehr schön und auch gut . Trauen Sie Ihrer Regierung nicht? Befürchten Sie, dass Sie wollen die Verwaltungskostenpauschale prüfen . die zahlreichen Anregungen und Verbesserungen von ihr Ich habe gehört, dass Sie sie erhöhen wollen . Auch das nicht berücksichtigt werden, oder befürchten Sie sogar finden wir richtig und gut. ein abgespecktes Programm? Das würde sicherlich be- gründen, warum Sie mit Ihrem Antrag hier heute Pflöcke Wir finden es auch richtig, dass die Zahl der Service- einschlagen wollen . Wenn das nötig ist, wollen wir Sie stellen in den Ländern erhöht werden soll, obwohl wir gerne unterstützen und stimmen diesem Antrag zu . das nicht verordnen können; das müssen die Länder selbst entscheiden . (Beifall bei der LINKEN und der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dies und einiges mehr begrüßen wir . Es gibt aber auch Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist eine ein paar Bedenklichkeiten . So will die Koalition Kitas gute Entscheidung!) zwar in die Projekte einbeziehen, Schulen aber nicht . Der Kitabesuch sei ja freiwillig und nicht verpflichtend, heißt

es. Ich finde, diese Art Abgrenzung ist realitätsfern, liebe Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Kolleginnen und Kollegen . Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Martin Rabanus für die SPD-Fraktion das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch Sie fordern doch, dass sich Schulen in die Gesell- der CDU/CSU) schaft öffnen . Auch Sie wollen doch, dass Schulen mit Vereinen und Verbänden Angebote zum Beispiel für eine Nachmittagsbetreuung machen . Natürlich dürfen sie Martin Rabanus (SPD): (B) nicht in den Unterricht . Natürlich dürfen die Program- Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (D) me nicht Unterricht ersetzen . Aber außerunterrichtliche und Kollegen! Werte Damen und Herren auf den Besu- Angebote sind ebenfalls freiwillig, nicht nur außerschuli- chertribünen! Es ist zwar schon dunkel draußen, aber es sche . Sie sollten darüber vielleicht noch einmal nachden- scheint ja tatsächlich noch eine Sternstunde zu werden, ken und Ihre Scheuklappen abnehmen . wenn wir auch die Zustimmung der Linken zu unseren Antrag sicher haben. Das finde ich ausgesprochen erfreu- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . lich . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kritisch betrachten wir auch den allzu häufigen Ver- NEN]: Wunder geschehen! – weis auf das Ehrenamt in Ihrem Antrag . So wichtig eh- [CDU/CSU]: Das ist aber ein dickes Kompli- renamtliches Engagement für das Gelingen dieses Pro- ment!) grammes ist: Es darf nicht dazu führen, dass man sich nur auf das Ehrenamt verlässt und nur das Ehrenamt entlastet . Ich finde es auch ausgesprochen erfreulich, dass wir einen Auch die Vereine und die Programmpartner haben sehr so breiten Konsens hier im Haus haben. Erfreulich finde deutlich gesagt, dass sie mit dem Maß an Verwaltungs- ich aber auch, dass die kulturelle Bildung in der öffentli- arbeit, an Begleitung und Orientierung, die sie vor allen chen Wahrnehmung eine so breite Unterstützung hat, wie Dingen gegenüber den kleinen Trägern vor Ort erbringen wir das, glaube ich, in früheren Jahren nicht hatten . Da müssen, zeitweise und teilweise überlastet sind . Manche hat sich einiges bewegt, wahrscheinlich auch durch das haben sogar überlegt, ob sie das Ganze aufgeben . Das Programm „Kultur macht stark“, durch die Laufzeit, aber sollten wir versuchen zu verhindern . auch schon vorher durch viele Weichenstellungen und pädagogische Diskussionen und durch das, was die Län- Über den Vorschlag, nun auch die Teilnahme zertifi- der gemacht haben . Die haben 2013 ihre Empfehlungen zieren zu lassen, müssen wir uns noch einmal unterhal- für die kulturelle Bildung in der KMK auf den neuesten ten . Das kann gut sein; das kann aber auch zu mehr Bü- Stand gebracht und dem eine stärkere Bedeutung beige- rokratie führen . Aber vor allem muss auch das bezahlt messen, als das vorher der Fall gewesen ist . werden . Denn klar ist ja: Kulturelle Bildung ist ein wichtiger (Beifall bei der LINKEN) Beitrag zur Persönlichkeitsbildung – das ist genannt wor- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, es gibt den –, aber auch ein wichtiger Beitrag zur Orientierung erfreulicherweise viele Übereinstimmungen zwischen in der Gesellschaft, gerade vielleicht auch in den heu- unserem Antrag und Ihrem . Die Unterschiede bestehen tigen gesellschaftspolitischen Zeiten, denen wir uns ge- nicht im Grundsatz . Darum ist es für mich, ehrlich ge- genübersehen, in einer Gesellschaft, die ausdifferenziert 19536 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Martin Rabanus (A) ist in unterschiedlichste Milieus, in unterschiedliche kul- Gründe, warum wir sagen: Wir wollen dieses Programm (C) turelle, religiöse Hintergründe . Das meine ich tatsächlich über 2017 hinaus fortsetzen . jetzt nicht nur vor dem Hintergrund einer Migrationsbe- wegung, die wir nicht nur in den letzten Monaten, son- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dern auch in den letzten zwei Jahren erlebt haben . Ich sage auch „fortsetzen“ und nicht „ein neues Pro- Es ist schon darauf eingegangen worden: Das Programm gramm machen“; denn es haben sich verschiedene Struk- hat sich auch darauf ein Stück weit eingestellt und für turelemente bewährt . Das ist genannt worden; das alles junge Geflüchtete geöffnet. Das ist gut und richtig so. muss ich nicht wiederholen . Aber das Gute wollen wir natürlich noch ein bisschen besser machen . Sicherlich Wichtig ist es aber auch vor dem Hintergrund sozi- gilt das für die Budgets . Wir stellen uns 50 Millionen oökonomischer Unterschiede in der Gesellschaft . Über Euro plus X im Jahr vor . Ich glaube, das ist auch frakti- dieses größte Programm, das wir in dieser Art je hatten, onsübergreifend der Fall . So muss es weitergehen . ermöglichen wir vielen den Zugang zu kulturellen Ange- boten – und das im Rahmen eines breiten und weit ge- Wir wollen auch den Administrationsaufwand redu- fächerten Kulturbegriffs; Frau Kollegin Lücking-Michel zieren . Das ist gesagt worden . In diesem Zusammenhang hat darauf schon Bezug genommen . Interkulturelle, in- wollen wir die Frage der Verwaltungspauschale auf- terreligiöse Bildung, Theater, Tanz, Visuelles, bildende greifen . Das ist auch einer der Gründe, warum wir dem Kunst, Film, Musik, Literatur, Architektur, all das sind Antrag der Linken nicht zustimmen werden . Er legt sich Aspekte, die dieses Programm beinhaltet, und das ist fest, ohne evaluiert zu haben, was bedarfsorientiert wäre, auch gut so . Dabei überhebt sich das Programm aber um das an diesem einen Beispiel festzumachen . auch nicht, weil es fokussiert ist . Auch das ist gesagt wor- (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das wa- den . Es ist fokussiert auf die benachteiligten Kinder und ren die Wünsche der Verbände!) Jugendlichen, ohne andere auszuschließen . Auch das ist eine Stärke dieses Programms . Ich konstatiere, dass in anderen Zeiten der Antragsent- wurf der Linken möglicherweise auch eine Basis gewe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen wäre, auf den man sich hätte konsentieren können . der CDU/CSU) (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das geht aber Ich will gar nicht verhehlen, dass Anfang 2012, als nicht!) die Bundesregierung damals mit dem Programm um die Ecke kam, Aber da die Zeiten im Deutschen Bundestag nicht anders (Michaela Noll [CDU/CSU]: Um die Ecke?) sind und wir in einer erfolgreichen Koalition arbeiten – jenseits der Frage, was in anderen Räumen des Bundes- (B) (D) auch an der einen oder anderen Stelle Skepsis bestand: tagskomplexes passiert –, ist die Sachlage so, dass wir wegen der Zeit, wegen des Programmdesigns, aber nicht, diesen hervorragenden Antrag der Koalition natürlich weil man gegen kulturelle Bildung war; jedenfalls würde heute abstimmen und ihm zustimmen werden . Dem An- ich das für meine Fraktion so reklamieren . trag der Linken, der eine Basis wäre, aber auch der Ver- Wir jedenfalls haben uns sehr intensiv mit der Frage besserung bedürfte, können wir so nicht zustimmen . des Programmdesigns und mit diesem Programm ausei- Zurück zu dem, was wir noch besser machen wollen . nandergesetzt . Der Antrag, den wir vorgelegt haben, ist Wir wollen den administrativen Aufwand reduzieren . natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern wir haben Wir wollen den Aspekt der Inklusion noch einmal ver- schon im letzten Jahr auch die Verbände und die beteilig- stärken . Das ist uns als Koalition sehr wichtig . Dass man ten Programmpartner sehr intensiv in die Gespräche ein- die erworbenen Kompetenzen bei den Teilnehmerinnen bezogen . Wir haben uns Anfang des Jahres in der Koali- und Teilnehmern anders dokumentiert, anders sichert – tion intensiver damit auseinandergesetzt . Dann kam auch Stichwort „Bildungspässe“, Stichwort „Bildungsnach- das Signal der Bundesregierung . Also, es gibt an dieser weise“ –, ist nur sinnvoll und nur vernünftig . Stelle noch nicht einmal zwischen dem sozialdemokrati- schen Teil und dem christdemokratisch geführten BMBF Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen: irgendwelche Misstrauensgründe, Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein hervorragen- des Programm, das sich bewährt hat und das wir noch (Beifall bei Abgeordneten der SPD – ein bisschen besser machen wollen . Es ist zwar schon Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Eine Harmo- ein wenig dunkel draußen; dennoch können wir heu- nie am Abend!) te Abend eine Sternstunde für die kulturelle Bildung in sondern größte Harmonie an der Stelle . Über die Aus- Deutschland, für benachteiligte Kinder und Jugendliche, schussbefassung im Mai sind wir jetzt zu der Beratung für Inklusion und für Chancengleichheit in unserem Land im Plenum gekommen . Das ist auch gut so . erleben . Ich will kurz zusammenfassen, was dieses Programm Herzlichen Dank . erreicht hat: 12 700 lokale Bündnisse mit 430 000 Teil- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nehmerinnen und Teilnehmern . Das ist eine Größenord- nung, die wir so noch nicht hatten . Das hat im Bereich der kulturellen Bildung zu einer Kooperation, einer Dy- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: namik und einer Strukturbildung vor Ort geführt, die wir Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Özcan Mutlu so auch noch nicht hatten . Das ist einer der wesentlichen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19537

(A) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in den ländlichen Gegenden sind Schulen die zentralen (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge- Orte . Hier wird das Programm jedoch seltener umgesetzt, ehrte Gäste! Gerade hat mir eine Kollegin gesimst: Rock da die kulturelle Infrastruktur weniger ausgeprägt ist . it! – Ich glaube, heute rocken wir es zusammen . Denn Deshalb ist es umso wichtiger, dass man weiterhin nach das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ hat sich trotz Wegen und Möglichkeiten der Kooperation mit Schulen, anfänglicher Schwierigkeiten bewährt und ist gut ange- mit Ganztagsschulen sucht . Genau hier erreicht man be- nommen worden . Das ist insbesondere auf das Engage- sonders die Familien, die weniger in das alltägliche Ge- ment der vielen Bündnispartner zurückzuführen, denen sellschaftsleben involviert sind; denn die Schule als Insti- ich hier heute ausdrücklich danken möchte . tution für alle ist auch der Ort für und von Begegnungen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auf unserer Bildungstagung Anfang der Woche auf und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der dem Rütli-Campus – die Rütli-Schule ist Ihnen sicher- CDU/CSU und der LINKEN) lich noch ein Begriff – haben zahlreiche Expertinnen und Experten bestätigt, dass Ganztagsschulen als Stadt- Die vielen Helferinnen und Helfer haben es möglich teilzentren und Begegnungsstätten wirken und so alle gemacht, dass kulturelle Bildung bei den Kindern und Kinder und Jugendlichen erreicht werden können . Alle Jugendlichen ankommt und von ihnen auch angenom- Kinder abzuholen, ist das Gebot der Stunde, damit mehr men wird . Deshalb ist es besonders wichtig, die Ehren- Bildungsgerechtigkeit Wirklichkeit werden kann . Des- amtlichen nicht mit unnötigem Verwaltungsaufwand zu halb sagen wir an dieser Stelle: Vielleicht sollten Sie sich belasten oder zu behindern . Daher muss es zum Beispiel überlegen, ob man nicht ein neues Ganztagsschulpro- auch darum gehen, den Ausbau der Servicestellen zügig gramm braucht . voranzutreiben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Fachgespräch im Bildungsausschuss wurde auch deutlich, dass sich Expertinnen und Experten mehr Kinder, Ehrenamtliche, Eltern und Bündnispartner wür- kulturelle Bildung in den Schulen wünschen; Kollegin den profitieren, wenn die Angebote im Raum Schule Hein hat es gesagt . Hier ist anzumerken, dass der Bund stattfinden könnten. Da ist die Ganztagsschule tatsäch- die Vermittlung von kultureller Bildung für Kinder und lich ein richtiger Ort . Leider verweigert sich die Koali- Jugendliche in Risikolagen zurzeit leider nicht in direkter tion einer solchen sinnvollen Öffnung weiterhin, und ich Kooperation mit den Ländern und Kommunen umsetzen sage: Sie tut es weiterhin wider besseres Wissen . kann, und das ist ein Problem . Gute Bildung als Grundlage für ein selbstbestimm- (Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜND- tes Leben ist, wie Sie selbst in Ihrem Antrag sagen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Wir Grüne verstehen (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) darunter das Mitwirken und Kooperieren aller Akteu- Nichtsdestotrotz begrüßen wir, dass die Koalitions- re . Es bedeutet für uns konkret, dass Bund, Länder und fraktionen das Programm fortführen und mithilfe der Kommunen noch stärker kooperieren, sich gemeinsam Expertise der Bündnispartner auch verbessern wollen . um gute Bildung kümmern und gemeinsam Investitionen Lobenswert ist, dass das Programm jetzt auch für Ge- in gute Bildung vornehmen können . Denn dann wäre es flüchtete bis 26 Jahre geöffnet wird. gar nicht nötig, irgendwelche zeitlich begrenzten Leucht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN turmprojekte ins Leben zu rufen . sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt also viele Fragen, aber wir sind dennoch auf Noch besser wäre es aber, wenn die Anhebung der Al- einem guten Weg . Deshalb werden wir Ihrem Antrag, wie tersgrenze für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gel- ich anfangs schon angedeutet habe, zustimmen . Es geht ten würde . darum, mehr Bildungschancen für benachteiligte Kinder und Jugendliche zu schaffen . Aber, liebe Koalition, ich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sage auch: Das geht noch ein bisschen besser; da geht ein SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) bisschen mehr . Sie müssen es nur wollen . Wenn Sie es Zugang zu kultureller Bildung hat gerade in der Le- tun, haben Sie uns an Ihrer Seite . bensphase ab 18 Jahre eine nachhaltige und persönlich- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . keitsstiftende Wirkung . Deshalb ist die Begrenzung an dieser Stelle falsch . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist auch, dass der inklusive Ansatz verstärkt Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: wird . Vielen Dank . – Als nächster Redner hat der Parlamen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tarische Staatssekretär Stefan Müller für die Bundesre- sowie des Abg . Martin Rabanus [SPD]) gierung das Wort . Das war längst überfällig . Nur so können mehr Jugendli- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) che mit Behinderung, die beim Programm bisher sehr un- genügend berücksichtigt worden sind, integriert werden . Stefan Müller, Parl . Staatssekretär bei der Bundesmi- Dass aber Schulen in der zweiten Förderphase von nisterin für Bildung und Forschung: „Kultur macht stark“ nun wieder nicht teilnehmen dür- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fen, ist meines Erachtens falsch und kurzsichtig . Gerade Nicht immer besteht in unseren Debatten so viel Einig- 19538 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Stefan Müller (A) keit wie heute, aber diese Einigkeit gibt es zu Recht; denn kenden in den Vereinen, in den Verbänden und in den (C) hier handelt es sich um ein erfolgreiches Programm . Es Organisationen herzlich bedanken, die dazu beigetragen ist angesprochen worden: Das Programm „Kultur macht haben, dass dieses Programm so erfolgreich sein konnte stark . Bündnisse für Bildung“ des Bundesministeriums und dass wir vor allem so viele Kinder und Jugendliche für Bildung und Forschung ist das größte Förderpro- mit einer Vielzahl von erfolgreichen Projekten und Maß- gramm für Maßnahmen der kulturellen Bildung, das es nahmen haben erreichen können . je in Deutschland gegeben hat . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte: Insgesamt wie bei Abgeordneten der LINKEN) werden bis zu 230 Millionen Euro bis zum Ende des Jah- res 2017 zur Verfügung gestellt, etwa 450 000 Kinder Nun war es in der Tat so, dass zu Beginn – das ist und Jugendliche haben an fast 14 000 Maßnahmen im heute auch schon deutlich geworden – nicht alle von Rahmen dieses Programms teilgenommen, die von 5 500 diesem Förderprogramm vollständig überzeugt waren . Bündnissen für Bildung umgesetzt werden. Ich finde, Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass diese anfäng- diese Zahlen sind für sich genommen schon beeindru- liche Skepsis – das zeigt diese Debatte – einer breiten ckend, liebe Kolleginnen und Kollegen . Zustimmung gewichen ist . Diese Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die guten Ergebnisse der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Evaluation haben uns darin bestärkt, das Programm in ordneten der SPD) einer zweiten Förderphase von 2018 bis 2022 entspre- Aber noch beeindruckender, finde ich, ist es, zu sehen, chend fortzusetzen . Das heißt, auch in Zukunft sollen mit welchem Einsatz, mit welchem Engagement und mit bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche von 3 bis welcher Freude die Kinder und Jugendlichen ein Musik- 18 Jahren durch Maßnahmen der kulturellen Bildung und stück oder ein Theaterstück einstudieren und dann am in lokalen Bündnissen für Bildung mit mindestens drei Tag der Aufführung stolz präsentieren . Sie erleben, dass Akteuren gefördert werden . sich Anstrengung und Konzentration auf ein Ziel hin loh- Wir wollen an den Strukturen festhalten; denn diese nen . Sie lernen dabei, dass man im Team weiter kommt Strukturen haben sich in der Tat bewährt . Die regionalen als ein Einzelkämpfer . Es werden Talente und Freude am Bündnisse für Bildung sollen beibehalten werden, weil eigenen Handeln geweckt, es wird Anerkennung durch hier die geschaffenen Strukturen offensichtlich erfolg- andere vermittelt . Diese Fähigkeiten und Kompetenzen reich waren . sind für alle Kinder und Jugendlichen wichtig – das ist ohne Zweifel so –, aber sie sind besonders wichtig für Ich will eines deutlich sagen: Selbstverständlich hat diejenigen, die in ihrem Elternhaus nur wenig Förderung das Ministerium, hat die Bundesregierung die Hinweise, (B) erhalten und deren Start im Leben ohnehin schon schwer die es gegeben hat, ernst genommen, als es darum ge- (D) genug ist . Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, war gangen ist, über eine Verwaltungsvereinfachung nachzu- es eine richtige Entscheidung, ein solches Programm aufs denken, zu überlegen: Was kann an diesem Programm Gleis zu setzen, die kulturelle Bildung in den Mittelpunkt noch besser gemacht werden? Wichtig ist, dass wir auch eines Förderprogramms zu stellen; denn die aktive Be- in Zukunft den verstärkten Austausch mit den Ländern schäftigung mit Kultur stärkt die Persönlichkeitsbildung und den Kommunen aufrechterhalten, um einen besseren ebenso wie das Selbstvertrauen junger Menschen in ihre Informationsfluss zu gewährleisten und die Vernetzung Fähigkeiten . mit den lokalen Strukturen erreichen zu können . Wir haben eine Evaluation durchgeführt, die beglei- Die Kritik am Verwaltungsaufwand haben wir ernst tend zu den Maßnahmen stattgefunden hat . Es hat sich genommen . Wir werden darauf entsprechend reagieren . gezeigt – das war das Ergebnis dieser Evaluation –, Wir wollen, dass das Programm gerade für ehrenamt- dass in über 90 Prozent der Maßnahmen Kinder und lich Aktive attraktiver wird . Wir haben übrigens auch im Jugendliche teilnehmen, die in finanziell oder in sozial Rahmen des laufenden Programmes eine ganze Reihe schwierigen Verhältnissen aufwachsen oder deren Eltern von Vereinfachungen durchgesetzt . Wir werden aber sehr der Bildung möglicherweise keine hohe Bedeutung bei- sicher auch bei der neuen Förderrichtlinie, die nun vorbe- messen . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch reitet wird, diesen Hinweisen folgen . Ich kann Ihnen ver- klar – das Ergebnis dieser Evaluation belegt dies –, dass sichern: Wir werden auch im Rahmen des Zuwendungs- die Bundesregierung, dass der Bund mit dem Programm rechts alles Mögliche tun, um den Verwaltungsaufwand „Kultur macht stark“ einen wichtigen Beitrag für mehr so gering wie möglich zu halten . Bildungsgerechtigkeit in Deutschland leistet . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der SPD) ordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, kultureller Bildung Aber ohne Zweifel ist es so, dass Bildungsgerechtig- kommt auch bei der Integration von Flüchtlingen eine keit nur dann gelingt, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte besondere Bedeutung zu; das hat in der Debatte bereits mitwirken . Insofern ist auch von mir noch einmal deut- eine Rolle gespielt . Selbstverständlich kann Integration lich hervorzuheben – mir ist das wichtig –, dass „Kul- nur dann gelingen, wenn Flüchtlinge die deutsche Spra- tur macht stark“ sich auf ein breites bürgerschaftliches che erlernen . Das allein ist aber nicht alles . Wenn man und ehrenamtliches Engagement stützt . Rund 90 Prozent an unserem kulturellen Leben teilhaben möchte, dann der in den Bündnissen Tätigen sind ehrenamtlich aktiv . gehört dazu, dass man Kenntnisse über die rechtlichen Deswegen möchte auch ich mich heute bei allen Mitwir- und kulturellen Regeln besitzt . Übrigens waren schon in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19539

Parl. Staatssekretär Stefan Müller (A) dem bestehenden Programm eine ganze Reihe von Maß- sie stärken die persönliche Entwicklung; sie fördern das (C) nahmen auf junge Flüchtlinge, auf geflüchtete Kinder soziale Miteinander; sie fördern die Integration geflüch- und Jugendliche ausgerichtet . Bei einer Auswertung der teter Kinder und Jugendlicher . Maßnahmen, die wir vorgenommen haben, hat sich he- rausgestellt, dass seit Beginn des Programms fast 20 000 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geflüchtete Kinder und Jugendliche daran teilgenommen der CDU/CSU) haben . Wir haben demzufolge dieses Programm „Kultur macht stark“ ergänzt um eine Förderung für Flüchtlinge Diese Projekte bauen Brücken zwischen Menschen un- im jungen Erwachsenenalter, also gerade für die Grup- terschiedlicher kultureller Prägung, und das ist gut . pe von jungen Leuten, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, aber noch eine längere Zeit, beispielsweise (Beifall bei der SPD sowie des Abg . bis zum Übergang in eine Ausbildung oder eine Tätig- Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) keit, überbrücken müssen . Ich bin mir sicher, dass die- Ich nenne zwei Beispiele aus meinem Wahlkreis – es se Öffnung für junge Erwachsene dazu beitragen wird, sind Projekte, die über das Programm „Kultur macht dass auch diese jungen Menschen die Möglichkeit haben, stark“ unterstützt werden –: nicht nur die deutsche Sprache zu lernen, sondern gleich- zeitig auch die Kultur in Deutschland kennenzulernen . Als erstes Beispiel nenne ich die Kulturwerkstatt in Deswegen – das ist angesprochen worden – werden wir Halle-Neustadt . Der Verein Aktionstheater Halle enga- die Altersgrenze erhöhen, und wir werden dafür insge- giert sich seit Jahren gemeinsam mit vielen Partnern für samt 5 Millionen Euro pro Jahr bereitstellen . die kulturelle Jugendarbeit . Sie bieten innovative Projek- te im Stadtteil an, zum Beispiel Theater, Hip-Hop-Tanz, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Filmprojekte, Rap-und-Beat-Projekte . Das ist ein gutes Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können heute Projekt . mit Recht sagen: Wir haben mit „Kultur macht stark“ Zweites Beispiel: der Leseklub des Deutschen Kinder- ein gutes, ein wichtiges, ein sinnvolles Programm aufge- schutzbundes . Gemeinsam mit der Freiwilligen-Agentur legt, das die Erwartungen und die Hoffnungen in vollem und dem Zentrum für Lehrerbildung wird die Freude Umfang erfüllt hat . Ich bedanke mich bei Ihnen für die am Lesen gefördert . Die Aktionen stärken die Lese- und große Zustimmung, die dieses Programm auch hier im Sprachkompetenz . Sie fördern die Kommunikation zwi- Deutschen Bundestag hat . Wir werden dieses Programm schen den Kindern, egal ob sie Alexander, Wahidi oder deshalb auch fortsetzen . Aischa heißen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Abg . Michaela Noll [CDU/CSU] – Zuruf von der CDU/CSU: Oder Karamba!) Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Karamba Diaby für die SPD-Fraktion das Wort . Die Inhalte dieser Projekte sind interkulturell angelegt . Sie bauen Brücken, und die Kinder und Jugendlichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten können voneinander lernen . der CDU/CSU) Allein diese zwei Beispiele aus der Händel-Stadt Dr. Karamba Diaby (SPD): Halle zeigen, dass solche Projekte notwendig sind und gebraucht werden . Deshalb wollen wir das Programm Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und verstetigen . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kultur macht stark“ ist ein Programm, das den Zusammenhalt in unse- (Beifall bei der SPD) rer Gesellschaft stärkt . Ein Wohngebiet in meinem Wahl- kreis wurde in den letzten Monaten häufig in der Presse Damit sorgen wir für Planungssicherheit für die Beteilig- als sogenannter sozialer Brennpunkt bezeichnet . Es steht ten . Wir fördern das Ehrenamt nachhaltig . Wir erreichen außer Frage, dass in diesem Gebiet einiges verbessert mit den Projekten benachteiligte Kinder, und schließlich werden muss . Neben den vielen Bemühungen der Kom- fördern wir die Integration geflüchteter Kinder. munen sind Programme des Bundes wie „Kultur macht stark“ in solchen Fällen eine Chance, um Lösungen her- Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie für den beizuführen . Antrag von CDU/CSU und SPD; denn mit der Förderung des Programms sorgen wir für Nachhaltigkeit, sichern die (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann Teilhabe und stärken den Zusammenhalt in Deutschland . [SPD]) Ich danke . Diese Lösungen haben viele Vorteile . Ich nenne eini- ge: Sie erreichen Kinder und Jugendliche, die sonst nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- so viele Möglichkeiten haben; wie der Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) NEN]) 19540 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: biografie in der Schule normalerweise nicht unbedingt (C) Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr .Thomas vorkommt . Dort lernen die jungen Leute nämlich vor Feist für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . allem, was sie nicht können . Deshalb ist die kulturelle Bildung als Ergänzung im außerschulischen Bereich be- (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich sonders wertvoll . Wenn wir mit der kulturellen Bildung [DIE LINKE]: Sie können ja erstmal sagen, flächendeckend junge Menschen erreichen, dann ist das Sie sind dagegen!) eine tolle Sache. Ich finde es super, dass wir mit diesem Antrag das Ministerium ermutigt haben, das Programm Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): fortzuführen . Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen Zum Verwaltungsaufwand gibt es sicher einiges zu und Kollegen! Frau Hein, natürlich komme ich gleich zu sagen . Frau Hein, Sie haben gesagt, der Verwaltungsauf- Ihnen . Der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, wand sei so hoch . Ich habe, bevor ich in den Deutschen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr guter Bundestag gekommen bin, 15 Jahre lang kulturelle Ju- Antrag!) gendbildung gemacht . Natürlich ist das aufwendig, aber es lohnt sich . In solch einem Antrag muss man beispiels- ist wesentlich besser als die Anträge, die sonst von Ihnen weise genau schreiben, was man erreichen will . Man kommen . Das ist schon mal eine tolle Sache . muss seine pädagogischen Ziele formulieren . Das sollte (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kom- in einer Qualität sein, die auch denjenigen, die kultureller men wir denn jetzt dazu? Da müssen wir mal Bildung etwas skeptischer gegenüberstehen, zeigt, dass in uns gehen!) wir es mit dieser Sache ernst meinen . Allerdings ist in diesem Antrag auch einiges enthalten, Das Besondere an „Kultur macht stark“ war von An- das völlig unnötig ist . fang an, dass die Leute sich nicht jährlich um die Mittel (Özcan Mutlu [BÜNDNS 90/DIE GRÜ- bewerben mussten . Beim Kinder- und Jugendplan des NEN]: Mach es doch nicht kaputt!) Bundes muss man die Mittel von Jahr zu Jahr neu be- antragen . Bei „Kultur macht stark“ ist das eben nicht so . Zum Beispiel fordern Sie, dass die Kommunen mit in die Die Zahlen sind genannt worden: Durch die Bündnisse Programme einsteigen können . Das ist schon jetzt mög- haben wir knapp eine halbe Million junger Menschen er- lich . Beispielsweise beteiligen sich Musik- und Volks- reicht . Ich denke, das spricht für dieses Programm . Es hochschulen an diesem Programm, und das sind städti- spricht auch dafür, dass wir uns weiter darum kümmern sche Einrichtungen . sollten . (B) Ich gehe einmal ein kleines Stück zurück . Als wir in Im Übrigen haben wir mit „Kultur macht stark“ auch (D) der letzten Legislaturperiode – gemeinsam mit dem Kol- anderen Ländern ein gutes Beispiel gegeben . Wir behan- legen – gesagt haben, dass wir in die- deln dieses Thema beispielsweise im Kulturausschuss sem Bereich etwas tun müssen, war es ja nicht so, dass des Europarates und sind uns auch dort oft fraktions- der Bund noch nie etwas für kulturelle Bildung getan hat . übergreifend einig . Denn bei kultureller Bildung geht es Er tut dies auch weiterhin, zum Beispiel im Kinder- und nicht nur um Bildungserfolge – natürlich geht es auch Jugendplan des Bundes; dort ist kulturelle Bildung aber darum, vor allen Dingen um Bildungserfolge für diejeni- Mittel zum Zweck . Die Einsicht, dass kulturelle Bildung gen, die in der Schule nicht so sehr mit Bildungserfolgen auch Bildung ist, musste man erst einmal im Bildungs- verwöhnt worden sind –, sondern auch um eine aktive ausschuss herstellen . Ich bin sehr froh, dass das Bundes- Teilhabe in der Gesellschaft, um Engagement und Parti- ministerium für Bildung und Forschung von Anfang an zipation, ja letzten Endes um das, was wir den Humus für eine große Offenheit gezeigt hat, dieses Programm zu Demokratie nennen; das geschieht genau dort . unterstützen . Natürlich gab es auch viel Kritik daran und die Frage, was Theaterspiel und Musik mit Bildung zu (Beifall des Abg . Dr . Stefan Kaufmann tun haben . Nicht alle Kolleginnen und Kollegen waren [CDU/CSU]) überzeugt, dass dies eine gute Sache ist . – Lieber Stefan Kaufmann, ich finde es gut, dass du als (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Berichterstatter für den Bereich EU das besonders unter- NEN]: Vor allem bei euch! – Alexander Ulrich stützt . [DIE LINKE]: Können Sie mal Namen nen- Es ist deshalb gut, wenn wir heute fraktionsübergrei- nen?) fend ein starkes Signal senden . Das gelingt nicht immer; Sie waren damals schon deshalb dagegen, weil wir – da- aber die Kinder und Jugendlichen, die mit kultureller mals übrigens mit der FDP – diesen Antrag eingebracht Bildung nicht nur selbst bereichert werden, sondern auch haben . Wenn man sich die Protokolle einmal anschaut, unsere Gesellschaft bereichern, sind es allemal wert . sieht man, dass es inhaltlich überhaupt keine Gründe da- Vielen Dank . für gab . Aber dass es Skepsis gab, will ich schon ein- mal erwähnen . Umso schöner ist es, dass Sie nach einem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Lernprozess gesagt haben: Das ist ein gutes Programm; daran sollten wir festhalten . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Das Besondere an diesem Programm ist, dass wir Vielen Dank .– Damit schließe ich die Debatte, liebe Stärken stärken . Das ist etwas, was in einer Bildungs- Kolleginnen und Kollegen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19541

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (A) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Ich könnte die Aussprache eröffnen, warte aber erst (C) der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- einmal, bis sich alle gesetzt haben .– Dann beginnen wir che 18/10016 mit dem Titel „Mehr Bildungschancen für die Aussprache . Als erster Redner in der Aussprache hat benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen – Bun- Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- desprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnisse für Bil- nen das Wort . dung‘ nach 2017 weiterentwickeln und fortsetzen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): enthält sich? – Damit ist dieser Antrag einstimmig ange- nommen . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be- raten heute zwei Anträge der Grünen, die beide Syrien (Beifall im ganzen Hause) betreffen . Alle Parteien in Syrien begehen Kriegsverbre- chen . Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Assad und den anderen. Der Unterschied ist: Qua Amt ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- hat er die Schutzverantwortung für sein Land und sein zung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Volk . Diese missachtet er auf unglaublich zynische Art Titel „Bundesprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnis- und Weise . Assad ist der Mann, der mit Russlands Hilfe se für Bildung‘ weiterentwickeln und seine Fortführung Fass-, Brand- und bunkerbrechende Bomben auf Zivilis- jetzt vorbereiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner ten regnen lässt . Assad ist der Mann, der zugesagt hat, Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10063, den seine Chemiewaffen zu zerstören, und sie danach noch Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8181 136-mal verwendet hat . Assad ist der Mann, der humani- abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- täre Hilfsleistungen blockiert . lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- mit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen Der erste Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Thema Straffreiheit . Es ist offenkundig eine Lehre, gegen die Stimme der Fraktion Die Linke angenommen die man aus dem Irakkrieg ziehen muss: Straffreiheit worden .1) für solch katastrophale Verbrechen darf es nicht geben . Straffreiheit führt dazu, dass es keine Aussöhnung geben (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei den kann . Ohne Aussöhnung wird es keinen Frieden geben .– Grünen haben aber einige für uns gestimmt!) Das ist das, was wir in diesem Antrag fordern . Kollege – Genau . Einige Mitglieder waren auch gegen die Be- Mützenich hat gestern gesagt, das sei auch im Sinne der schlussempfehlung . Sozialdemokratie . Ich hoffe, dass ich nachher auf Ihre Zustimmung zu diesem Antrag zählen kann . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: (B) (Dr .Rolf Mützenich [SPD]: Zum Thema!) (D) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Der zweite Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft ei- Keul, Dr .Franziska Brantner, Volker Beck nes der Kriegsverbrechen, die zurzeit in Syrien begangen (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion werden . Anfang 2014 hat der Schriftsteller Daniil Granin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von diesem Platz aus eine Rede gehalten, in der er uns Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht an die Gräuel der Nazis bei der Belagerung Leningrads ungesühnt lassen erinnert hat . Es geht nicht um historische Vergleiche . Es geht nur darum, sich ein Thema zu vergegenwärtigen, Drucksache 18/10031 über das wir auch heute reden müssen: Hunger als Waffe . Überweisungsvorschlag: Das ist ein massives, grausames Kriegsverbrechen . Diese Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Waffe, das Aushungern, wird auch in Syrien – wiederum Auswärtiger Ausschuss von allen – eingesetzt . Aber auch hier gilt: Es gibt eine Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Seite, die die Lufthoheit hat, nämlich die von Assad, und es gibt einen Mann, der die Schutzverantwortung für sein b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Volk hat, die er auch an dieser Stelle zynisch missach- richts des Ausschusses für Menschenrechte und tet und sogar massiv verletzt: Assad . Wir alle kennen die humanitäre Hilfe (17 .Ausschuss) zu dem Antrag grausamen Bilder aus Aleppo . Aber es gibt auch Bilder der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr . Franziska aus Homs, aus Daraja, aus al-Waer . In all diesen Städten Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeord- haben die Menschen nach sehr langer Zeit – im Falle von neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Homs dauerte die Belagerung 1 671 Tage – aufgegeben . NEN Teilweise gab es in diesen Städten auch ethnische Säu- Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitäre berungen . Not lindern Die Vereinten Nationen sagen, dass sie Anfragen be- Drucksachen 18/9687, 18/9939 züglich Hilfslieferungen an das syrische Regime stellen und 75 Prozent dieser Anfragen komplett ignoriert wer- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für den . In den 25 Prozent der Fälle, die bearbeitet werden, die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu kommen die Hilfsgüter zwar ins Land, aber 90 Prozent – keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . mittlerweile „nur noch“ 90 Prozent – dieser Hilfsgüter bleiben in Assad-Regionen . Allein außerhalb von Aleppo 1) 2 Anlage reden wir über mehr als 400 000 Menschen, die umzin- 19542 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Omid Nouripour (A) gelt sind und keine Möglichkeit haben, an Nahrung oder Vereinten Nationen und das WFP unterstützen, eine Luft- (C) medizinische Versorgung zu kommen . Das Zynische brücke für alle notleidenden Menschen in Syrien einzu- daran ist: Es gibt ja Konvois, die bereitstehen und so- richten“ . fort nach Ost-Aleppo oder in viele andere Städte fahren könnten . Sie werden aber einfach nicht hineingelassen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was können wir tun? Ja, wir müssen weiter nach

Aleppo schauen; das ist zweifelsfrei richtig . Aber es Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: gibt auch noch andere Orte in Syrien, die massiv blu- Erika Steinbach hat als nächste Rednerin für die CDU/ ten . Es gibt 13 Millionen Menschen außerhalb Aleppos, CSU-Fraktion das Wort . die reguläre humanitäre Hilfe brauchen . Es gibt 6 Mil- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lionen Menschen außerhalb Aleppos, die innerhalb des Landes auf der Flucht sind . Es gibt 10 Millionen Men- schen außerhalb Aleppos, die auf Nahrungslieferungen Erika Steinbach (CDU/CSU): angewiesen sind . Vor diesem Hintergrund hat der Herr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, völlig zu Recht Grausame Bilder und Berichte erreichen uns fast tag- gesagt: Wir sollten „auch die Möglichkeit von Hilfe aus täglich über die Bildschirme aus der umkämpften Stadt der Luft prüfen“ . Wann hört die Prüfung auf? Er sagte Aleppo, aber auch aus anderen Regionen . Sie schockie- das am 13 .August dieses Jahres . Es ist nicht einfach, den ren jeden, der ein Herz im Leibe hat . Trotzdem fühlt man syrischen Menschen in Deutschland zu erklären, warum sich hilflos; das muss man hinzufügen. Vor den Augen unsere Flieger dort unterwegs sind und warum westliche der Welt wurde und wird wieder und wieder durch Bom- Flieger Bomben, aber keine Hilfspakete abwerfen kön- bardierungen der Zivilbevölkerung das Völkerstrafrecht nen . mit Füßen getreten . An die 250 000 Menschen harren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jetzt im Ostteil der Stadt Aleppo unter widrigsten Le- bensbedingungen in Trümmern aus . Wir sehen die Bil- Die Vereinten Nationen haben die Weltgemeinschaft der: Es sind zerstörte Häuser . mehrfach angefleht: Gebt uns Unterstützung, Mittel und Rückendeckung! – Es ist nicht viel passiert . Dass Luft- Kurzzeitig gab es die Hoffnung, den bereits lange ein- brücken technisch möglich sind, sieht man in Deir al-Sor geschlossenen Menschen dringend benötigte humanitäre und in Kamischli . 2016 sind 247 Lieferungen aus der Hilfe leisten zu können . In einer mühsam ausgehandelten Luft erfolgt . Waffenruhe Mitte September sollte ein Hilfskonvoi dort- hin geführt werden, um den ausgehungerten und durs- (Tobias Zech [CDU/CSU]: Das stimmt (B) tenden Menschen, die von der Trinkwasserversorgung (D) nicht!) abgeschnitten waren, Hilfe zu geben . Das wäre nur eine Von den 13 Millionen Menschen, die Hilfe brauchen, ha- notdürftige Versorgung gewesen . Aber der mutmaßlich ben 285 000 Menschen Hilfe bekommen . russisch-syrische Luftangriff auf diesen gut gekenn- zeichneten Konvoi machte diese Hilfe zunichte . Das war (Tobias Zech [CDU/CSU]: Das ist falsch! und ist ein kaum zu fassendes Verbrechen . Schlecht recherchiert!) Wir sehen zunehmend in verschiedenen Regionen der Das ist einfach nicht genug . Was jetzt helfen kann, ist Welt, dass internationale Menschenrechts- und Völker- die Einrichtung einer umfassenden Luftbrücke, die wir rechtsstandards permanent gebrochen werden . Es gibt hiermit beantragen . Vereinbarungen, um die Zivilbevölkerung zu schützen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber immer wieder halten sich Regierungen und Interes- sengruppen nicht daran . Wir sehen mit Entsetzen, dass Wir kennen die Gegenargumente: Die Gebiete sind die Leidtragende immer und immer wieder allein die Zi- verschieden . In den Gebieten, in denen eine Luftbrücke vilbevölkerung ist, nahezu schutzlos ausgeliefert . funktioniert, ist die Lage anders . Was für Flugzeuge sol- len denn dafür eingesetzt werden? Was soll das kosten? Wenn die vergangenen sechs Jahre des Sterbens in Ist das genug? Wäre ein Bodentransport nicht besser? Syrien eines gezeigt haben, dann das, dass dieser Krieg Natürlich wäre ein Bodentransport besser . Wir kennen nicht militärisch entschieden werden kann, solange er alle diese Argumente; wir wissen das . Aber die Antwort unablässig von außen befeuert wird und solange Russ- ist: Die funktionieren gerade nicht .– Und die Frage, was land dort seine Finger im Spiel hat und Waffen liefert die Russen machen werden, wird erst dann beantwortet, und mit Flugzeugen engagiert ist . Wir wissen, wie die wenn wir ihnen das Thema vor die Nase halten und sie Gemengelage ist: Es ist ein fast unauflösbarer Knäuel an sich positionieren müssen . Ich will sehen, wie Herr Putin Problemen . Die Leidtragenden sind die Syrer, die syri- auf die Anfrage der Kanzlerin reagiert, wenn es heißt: sche Zivilbevölkerung . Wir werden eine Luftbrücke einrichten . Warum bist du Das Assad-Regime ist willens, den Konflikt im Wind- eigentlich dagegen? schatten der Schlacht um Mosul und im politischen Va- Im Sinne dessen, was Deutschland bereits im Rahmen kuum vor den US-Präsidentschaftswahlen militärisch der International Syrian Support Group zugesagt hat und zu entscheiden . Wir müssen ja sehen: Die Vereinigten was wir in unseren Antrag aufgenommen haben, möchte Staaten sind durch den Wahlkampf in gewisser Weise ge- ich um Zustimmung zu unserem Kernsatz bitten – ich lähmt, sodass militärische Optionen aus dieser Perspekti- zitiere –: „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die ve nicht in Betracht kommen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19543

Erika Steinbach (A) Die Einrichtung einer Luftbrücke hat der Außenminis- Wahrheitskommission einzurichten und Versöhnungs- (C) ter ja schon einmal angesprochen . Ich kann mich noch runden – wie immer man das nennen möchte – durch- lebhaft daran erinnern, Herr Nouripour, welche süffisan- zuführen, ähnlich dem, was in Südafrika erfolgt ist . Ich ten Bemerkungen ihm aus Ihrer Fraktion entgegenge- finde das vernünftig. Ich will nichts in die Debatte ein- halten worden sind . Vor dem Hintergrund habe ich mich bringen, was den Prozess, das Überleben sicherzustellen, über den Antrag der Grünen schon sehr gewundert . gefährdet oder schwieriger macht . (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich bin froh, dass Putin in Berlin zugesagt hat, die NEN]: Das war jetzt aber sehr kryptisch!) Feuerpause zu verlängern . Man kann sagen, das sei viel zu wenig etc .; aber es rettet Menschen das Leben, und ich Die Einrichtung einer Luftbrücke zur Versorgung der bin froh, dass das passiert ist . eingeschlossenen syrischen Bevölkerung bleibt eine der wenigen Möglichkeiten auch seitens der Bundesregie- (Beifall bei der LINKEN) rung, um wenigstens die dringend benötigte humanitäre Ich möchte, dass dieser Prozess weitergeführt und ver- Hilfe leisten zu können . Sie muss aber realisierbar und stärkt wird . Warum soll man denn eine Tür, wenn sie ei- kalkulierbar sein . Ich habe als Kind in Berlin gelebt, als nen Spalt weit offen ist, wieder zuschmeißen und sagen: es während der Blockade eine Luftbrücke gab . Das ist „Putin, der Kriegsverbrecher“? Wenn eine Tür ein wenig aber nicht vergleichbar; denn da schoss niemand auf die offen ist, dann muss man durchgehen und darf man nicht Flugzeuge . Man darf die Realität nicht aus den Augen erneut Sanktionen fordern, auch wenn das jetzt über die verlieren . EU-Ebene in Gang gesetzt werden soll . Da die Bundesregierung schon seit geraumer Zeit sich (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand nicht nur intensiv Gedanken macht, sondern mit allen ihr [CDU/CSU]: Das ist ja sehr nativ, Herr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten tut, was mach- Gehrcke!) bar ist – Deutschland braucht sich wirklich nicht zu ver- stecken –, ist der Antrag der Grünen überflüssig. Wer das macht, nimmt es nicht ernst damit, den Men- schen das Überleben zu sichern . Ich habe den Eindruck – Danke schön . entschuldigen Sie, wenn ich das so zugespitzt sage –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- dass für einen Teil dieses Haus antirussische Propaganda wie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]) wichtiger ist als die Sicherung des Überlebens . Das ist bei mir nicht der Fall . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand (B) Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Wolfgang [CDU/CSU]: Unverschämtheit! – Erika (D) Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort . Steinbach [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Beifall bei der LINKEN) – Ja, regen Sie sich ruhig auf . Das ist so . Wir stimmen dem Antrag der Grünen, in dem es um Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): humanitäre Hilfe geht, zu . Man kann unsere Syrien-Poli- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tik insgesamt kritisieren – das ist mir relativ egal; ich fin- Ich spreche erst einmal direkt die Kollegen der Grünen de es auch in Ordnung, da wir uns ja darüber streiten –; an: Ich werde eurem Antrag zustimmen . Die Entschei- aber wir unternehmen den Versuch, mit Russland, aber dung ist mir nicht leichtgefallen, und nach der Rede des auch anderen zu der Einsicht zu kommen, dass Bomben Kollegen Nouripour fällt mir das eigentlich noch schwe- keinen Frieden bringen können . rer . Ich werde aber zustimmen, weil wir eine Sache in (Michael Brand [CDU/CSU]: Wer wirft denn den Vordergrund stellen wollen: Es muss alles getan die Bomben?) werden, um das Morden und Töten zu stoppen und den Menschen das Überleben zu ermöglichen . Das ist es, was Ich habe Sie schon auf die Heuchelei aufmerksam uns bewegt . gemacht, dass Sie nicht in der Lage sind, die türkischen Luftangriffe auf die Kurdinnen und Kurden hier öffent- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- lich zu kritisieren, NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn man sich auf diese Position begibt, wird man der- zeit vieles aus den Auseinandersetzungen herausnehmen während Sie sich über das, was in Aleppo passiert, das müssen . Maul zerreißen . Dieses Mit-zweierlei-Maß-Messen hilft überhaupt nicht weiter . Entweder man hält eine Linie Natürlich muss man über die Zukunft Syriens nach- durch – Bomben bringen keinen Frieden; das gilt aber denken, wenn dieser verfluchte Krieg irgendwann einmal überall –, oder man sagt: Unsere Freunde und Verbünde- zu Ende ist . Natürlich muss man mit den Menschen aus ten dürfen bomben, andere aber nicht .– Es macht Sie in Syrien über diese Zukunft nachdenken . Natürlich muss der Öffentlichkeit sehr unglaubwürdig, dass Sie das nicht man ein bisschen hinhören, über was sie selbst diskutie- reparieren können . ren . Ich habe von vielen Syrern, die in Menschenrechts- organisationen arbeiten, gehört, dass sie die Forderung, (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand sich jetzt an den Internationalen Strafgerichtshof zu wen- [CDU/CSU]: Herr Gehrcke, Ihnen ist Putin den, als kontraproduktiv bewerten . Sie schlagen vor, eine doch wichtiger als die Menschen in Syrien!) 19544 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Wolfgang Gehrcke (A) Ich bin häufiger in Syrien. In den Flüchtlingslagern tisch waren, was mögliche Luftbrücken angeht . Es gibt (C) diskutiere ich mit Syrern darüber, ob sie in den Flücht- zwar Einzelfälle, in denen das funktioniert hat . Aber das lingslagern nicht Zeitungen herausgeben wollen . Es waren Gebiete, in denen relative Sicherheit herrschte und gibt viele linke Syrer, die über die Zukunft ihres Landes man davon ausgehen konnte, dass die Flugzeuge nicht nachdenken . Das möchte ich gerne mit ihnen machen . abgeschossen werden . Wir haben auch mit Vertretern der Ich fände es auch nicht schlecht, wenn wir uns in dieser Vereinten Nationen aus dem Bereich „humanitäre Hilfe“ Art und Weise – Stichwort „Refugees Welcome“ – auch gesprochen; sie waren ebenso skeptisch . Sie hatten ganz darum bemühen würden, sie in die politischen Prozesse andere Sorgen . Ihre Sorge war: Reicht das Geld, das das einzubinden und nicht auszugrenzen . World Food Programme, die Vereinten Nationen und die internationalen Hilfsorganisationen bekommen, die noch (Michael Brand [CDU/CSU]: Wir sorgen Zugänge nach Syrien haben, zum Teil über den syrischen dafür, dass die Leute nicht flüchten müssen!) Roten Halbmond, deren Mitarbeiter in den Flüchtlingsla- Das ist die Linie unserer Fraktion, und darauf bin ich gern in der Türkei und im Libanon arbeiten? Bekommen auch ein Stück weit stolz . sie auch genügend diplomatische Unterstützung für die Zugänge, die sie gerne haben wollen? Danke .

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Finckh-Krämer, lassen Sie eine Zwischenfrage

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: der Kollegin Franziska Brantner zu? Als nächste Rednerin hat Dr .Ute Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion das Wort . Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja . Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich NEN): glaube, wir sollten festhalten, an welchen Punkten wir Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulas- uns wirklich einig sind . Wir sind uns einig, dass in Syrien sen . – Sie weisen auf ein anderes, ebenfalls richtiges Pro- Völkerrechtsverbrechen geschehen . Wir sind uns einig, blem hin, nämlich dass die Mittel für das World Food dass, wenn ein Waffenstillstands- und Friedensprozess in Programme und andere Organisationen nicht ausreichen . (B) (D) Syrien beginnt, der Zeitpunkt gekommen ist, darüber zu Wie stehen Sie dazu, dass der Haushaltsansatz der Bun- reden, wie man mit diesen Kriegsverbrechen nach dem desregierung für 2017 unter dem liegt, was 2016 schon Völkerstrafrecht oder nach einem in Syrien entwickelten nicht gereicht hat, und daher Millionenbeträge fehlen? Modell umgehen muss . Wir sind uns einig, dass es im Das müsste man angehen . Da sind wir gar nicht gegen Augenblick sinnvoll ist, zu dokumentieren, was wir von Sie . Das schließt einander nicht aus . hier aus dokumentieren können . Darum geht es in dem einen Antrag, der uns vorliegt . Darüber werden wir im Menschenrechtsausschuss, wenn er dorthin überwiesen Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): wird, mit Sicherheit sachlich diskutieren können . Ich habe erst gestern das letzte Mal gesagt, dass wir Es gibt einen anderen Antrag, über den heute abge- als SPD dafür kämpfen, dass der Haushaltsansatz für stimmt wird . Ich bin ein klein bisschen irritiert, Wolfgang 2017 mindestens so hoch ist wie im Jahr 2016 . Diese Bit- Gehrcke, weil die Linke diesen Antrag im Menschen- te haben wir übrigens auch aus Genf mitgebracht . Wir rechtsausschuss abgelehnt hat . In diesem Antrag steht haben diesen Wunsch an die Kolleginnen und Kollegen einerseits sehr viel Richtiges dazu, wie notwendig huma- der CDU und an unsere Haushälterinnen und Haushälter nitäre Hilfe ist . Andererseits wird eine Einzellösung in weitergegeben . Vielleicht ist eine Folge dieser Diskussi- den Vordergrund gestellt, nämlich die Einrichtung einer on, dass dem Wunsch von unseren Haushälterinnen und Luftbrücke . Haushältern entsprochen wird . Da bin ich für jede Unter- stützung dankbar . Ich finde es richtig, dass Frank-Walter Steinmeier im August gesagt hat: Wir prüfen, ob Luftbrücken eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Möglichkeit sind, um mehr Menschen humanitär versor- der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜND- gen zu können, als das zum jetzigen Zeitpunkt möglich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verschenken ist . – Aber eine Prüfung kann auch ergeben, dass es nicht Monate an Planungssicherheit für die Hilfs- funktioniert . organisationen! Damit wird alles teurer! Die Flugzeuge, die Nahrungsmittel, alles wird teu- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rer!) NEN]: Das muss er sagen!) Ich war mit mehreren Kolleginnen und Kollegen von

der AG Menschenrechte der SPD am 19 .September in Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Genf . Wir haben dort mit Vertretern des Internationalen Ich möchte darauf hinweisen: Sie können Zwischen- Komitees vom Roten Kreuz gesprochen, die sehr skep- fragen stellen statt dazwischenzurufen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19545

(A) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): sen, was unsere Bundesregierung und insbesondere das (C) Wenn wir mit dem Bundeshaushalt für 2017 den glei- Auswärtige Amt dort macht . chen Betrag verabschieden, wie wir ihn für 2016 hatten, (Beifall bei der SPD) verschenken wir nichts in der Planungssicherheit . Das entsprechende Referat im Auswärtigen Amt kann und Insofern hoffe ich, dass wir durch die heutige Diskussi- darf nämlich erst dann planen, wenn der Bundeshaus- on noch einmal mehr Unterstützung für eine Aufstockung halt verabschiedet ist, und nicht schon dann, wenn er des Etats für humanitäre Hilfe im Bundeshaushalt 2017 eingebracht ist oder wenn irgendwelche Beschlüsse im bekommen . Ich hoffe auch, dass wir im Menschenrechts- Auswärtigen Ausschuss gefasst wurden, diesen Etat zu ausschuss zu einer konstruktiven Diskussion über die erhöhen . Erst mit Verabschiedung des Bundeshaushaltes Frage kommen, was wir von Deutschland aus tun kön- können Gelder zugewiesen werden . Vorher können Gel- nen, um einen Beitrag zu einer juristischen Aufarbeitung der aus Verpflichtungsermächtigungen zugewiesen wer- der Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak zu leisten . den, die im jetzigen Haushalt eingestellt sind . Danke für die Aufmerksamkeit . Insofern verschenken wir nichts, wenn es im Novem- ber beschlossen wird, und dafür werben wir ja mit allen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Möglichkeiten . Dafür habe ich gestern geworben, und der CDU/CSU) dafür werbe ich heute . Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU uns dabei unterstützen . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Tobias der CDU/CSU) Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . (Beifall bei der CDU/CSU) – Ich habe gesehen, unser Ausschussvorsitzender und auch der Fachberichterstatter haben geklatscht . Wir ha- ben also eine gewisse Chance . Tobias Zech (CDU/CSU): Luftbrücken sind immer die teuerste und die riskan- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir er- teste Möglichkeit . Weil wir tatsächlich die Möglichkeit leben zurzeit in Syrien die größte humanitäre Katastro- haben, mit Putin, mit Russland über humanitäre Zugän- phe seit dem Zweiten Weltkrieg . Ich habe gestern mit ge nach Ost-Aleppo zu verhandeln, dann ist es auf jeden Christian Springer telefoniert . Er ist der Vorsitzende ei- Fall besser, über Zugänge mit Hilfskonvois zu verhan- ner NGO, die nicht nur für die Länder um Syrien, son- dern auch immer noch in Syrien aktiv ist und sich um die (B) deln als über eine Luftbrücke . Insofern bin ich auch froh (D) und dankbar, dass gestern Abend und heute Nacht in Ber- Menschen vor Ort kümmert . Er hat mir live geschildert, lin nicht nur über die Ukraine gesprochen wurde, sondern was passiert: Es gibt keine Nahrung, keine Medikamen- auch über die Situation in Syrien . Manche Dinge, über te und keine medizinische Versorgung mehr . Menschen, die gesprochen wird, bleiben zu Recht vertraulich . Ich die in Aleppo versuchen, zum Arzt zu kommen, werden weiß also nicht, wie viel von dem, was an Ergebnissen zu von Snipern, von Scharfschützen, anvisiert und angegrif- Syrien erzielt wurde, die Bundesregierung an die Öffent- fen, wenn sie den Stadtteil verlassen . Bis Dienstag gab lichkeit gibt . Aber es ist verhandelt worden . es ein Dauerbombardement nicht nur von Fassbomben, sondern mittlerweile auch von bunkerbrechender Muniti- Insofern hoffe ich, dass es auf dieser Ebene möglichst on, die jegliches Leben auch in Kellern, wo man sich mit viele Verhandlungen geben wird . Vielleicht sind es auch seiner Familie versteckt, zerstört: ein unheimliches Leid, manchmal vertrauliche Verhandlungen, vertrauliche und das direkt vor unserer Haustür . Verhandlungen zu humanitären Zugängen, zum Been- Somit ist es ganz klar, dass es unser gemeinsames Ziel den von Luftangriffen, zum Einhalten von Waffenstill- in diesem Haus sein muss, dieses Leid, diese Katastro- ständen und zum Einhalten von Versprechen, nicht zu phe, diesen Wahnsinn in Syrien zu beenden, und zwar bombardieren, deren Ergebnisse nicht gleich am Pult des nachhaltig zu beenden . Deutschen Bundestages verkündet werden können . Es ist klar: Das wird auf allen Ebenen verhandelt . Da sind im Jetzt liegt uns ein Antrag vor . Es gibt unterschiedliche Auswärtigen Amt viele Leute dran, und damit ist auch Auffassungen, wie man sich mit so etwas beschäftigen Frank-Walter Steinmeier tags und manchmal auch nachts kann . Herr Nouripour, Sie erlauben mir jetzt schon – – beschäftigt . (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber es ist nicht so, dass jetzt ein Einzelpunkt wie eine NEN]: Ich erlaube Ihnen alles! – Heiterkeit Luftbrücke herausgegriffen und als Lösung des Problems beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei aufgefasst werden kann . der SPD) (Dr .Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE – Sie erlauben mir alles .– Ich habe diesen Antrag gele- GRÜNEN]: Aber es könnte eine Lösung sein!) sen . – Es gab ja zwei Luftbrücken, da wo es sicherheitstech- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nisch möglich war und wo diejenigen, die belagert ha- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr .Franziska ben, in Verhandlungen nicht zugänglich waren . Insofern Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das halte ich das durchaus für sinnvoll und fachlich angemes- ist schon mal gut!) 19546 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Tobias Zech (A) Das sind ja auch nur zwei Seiten . – Ich habe ihn gelesen . (C) (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE SES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Sind Sie jetzt der Herr Gehrcke?) Das ist ein Schaufensterantrag . Ich kann es nicht anders – Ich bin noch gar nicht fertig mit Ihrem Antrag . sagen . Allein zum Beispiel Deir al-Sor, das Sie im Zu- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) sammenhang mit der Luftbrücke nennen, muss ich sa- gen: In Deir al-Sor gibt es keine Luftbrücke, sondern dort Wie gesagt: Es steht nicht viel drin . Aber alles, was drin- werden Airdrops verwendet . Es sind High Altitude Air- steht, ist falsch . drops, Ladungen mit Medikamenten und Nahrung . Wis- Herr Nouripour, das World Food Programme soll die- sen Sie, Herr Nouripour, das können Sie im Feld machen . se Luftbrücke machen . Ich habe mich mit dem Chef vom (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- World Food Programme zufällig am Dienstag unterhal- NEN]: Ja!) ten . Im urbanen Gelände geht das nicht . Es funktioniert nicht . (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie fordern eine Luftbrücke . Sie funktioniert dort nicht . NEN]: Wir haben das nicht zufällig gemacht! Airdrops können Sie in Aleppo nicht verwenden . Wir haben es geplant!) Das Zweite . Sie sprechen in Ihrem Antrag wiederum Wissen Sie, was der zu mir sagt? Er sagt: Wir halten Deir al-Sor und die Sicherung des Luftraums durch das überhaupt nichts von der Idee . Wir können das gar nicht . syrische Regime an . Das ist genau der Fall . Sie haben Wir möchten das in Aleppo so gar nicht machen, weil wir einfach die Beispiele verwechselt . keine Sicherung haben und weil wir die Airdrops, die wir anwenden, gar nicht durchführen könnten . (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, nein, nein!) Ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie sich, bevor Sie solche Anträge stellen, mit denen unterhalten, die das Es gibt eine diametral andere Situation . Sie erwecken durchführen müssen, und auf sie hören . Denn Sprechen Hoffnungen für die Menschen, die Sie niemals erfüllen hilft auch, Lösungen zu generieren . können . (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was haben Sie eigentlich gelesen?) NEN]: Hören Sie denn nicht zu?) Nächster Punkt: Sprechen hilft, Lösungen zu gene- (B) Das ist Schaufensterpolitik und hat mit der Situation vor rieren – das haben wir gestern erlebt . Gestern gab es (D) Ort nichts zu tun, vor allem nicht mit der Ernsthaftigkeit eine Konferenz in Berlin mit François Hollande, Angela der Lage . Merkel und Wladimir Putin, die sich nach der Norman- die-Runde auch darüber unterhalten haben . Sie haben (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch darüber gesprochen – da können wir der Bundes- NEN]: Aber Sie haben die Hoffnung aufgege- kanzlerin dankbar sein –, wie wir in Syrien diplomatisch ben!) vorgehen . Darum geht es . Dritter Punkt . Sie fordern in Ihrem Antrag – ich zitie- re, Frau Präsidentin –: Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Zech, die Kollegin Brantner hat eine Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfü- Zwischenfrage . gung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen und das WFP unterstützen, eine Luftbrücke … einzu- (Zuruf von der SPD: Ach, Franziska!) richten . Lieber Wolfgang Gehrcke, ihr unterstützt diesen An- Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trag . NEN): Wir machen es kurz .– Herr Zech, Sie haben darauf (Zustimmung des Abg . Wolfgang Gehrcke hingewiesen, dass das World Food Programme sagt: Wir [DIE LINKE]) brauchen Sicherheit . – Das ist alles gut . Ich finde es gut, wenn ihr euch hier produktiv beteiligt. Uns geht es darum, Assad und Russland damit zu kon- Aber ich habe die Linke in den letzten drei Jahren im frontieren und zu sagen: Wir sind bereit, Hilfe zu liefern . Parlament immer gegen Militäreinsätze erlebt . Wenn Dann müssen wir schauen, wie die Reaktion ist . Uns geht im Antrag „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ es nur darum, wenigstens diesen Schritt zu machen und steht, so ist das kein Ausschluss von Militär . Das ist der zu sagen, dass wir bereit sind, das zu tun . Dann werden Bundeswehreinsatz in Syrien, der hier unter der Hand ge- wir sehen, wie die Reaktion ist . fordert wird . Dafür sind wir nicht zu haben . Es wundert mich sehr, dass ihr dem zustimmt . Tobias Zech (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour Frau Brantner, vielen Dank für die Frage . Ich sage Ih- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Satz: nen nur – darf ich zweimal zitieren, Frau Präsidentin? – „Lesen bildet“, hilft manchmal doch nicht!) als Antwort – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19547

Tobias Zech (A) II . Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesre- dass ich möglicherweise für irgendwelche Militäreinsät- (C) gierung auf, ze oder sogar für einen Bundeswehreinsatz in Syrien bin . … Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Ver- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fügung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen NEN]: Ist nicht drin! – Dr .Franziska Brantner und das WFP unterstützen, eine Luftbrücke für alle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht notleidenden Menschen in Syrien einzurichten . auch nicht drin!) (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das hat sonst auch keiner vermutet, nehme ich an . NEN]: Das ist aus Ihrem eigenen Beschluss! Da hat Ihre eigene Bundesregierung zu­ (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gestimmt! – Dr .Franziska Brantner [BÜND- NEN]: Ist richtig!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre eigene Regie- Wenn das Ihr Problem ist, dann sollten Sie lieber mit rung hat zugestimmt!) Ihrem Kollegen reden, der genau E-Mail des World Food Programme heute an mich – dies fordert . Ich bin jedenfalls der völlig falsche Adres- ich zitiere –: sat . Zu Ihrer Anfrage habe ich nochmals Rücksprache Ich gehe natürlich davon aus, dass man, wenn man mit unserem Landesbüro in Syrien gehalten, was alle Möglichkeiten der Hilfe nutzen und etwas aus der darauf hingewiesen hat, dass eine Luftbrücke oder Luft nach Syrien liefern will, mit der syrischen Regie- Airdrops für Aleppo keine Option darstellen . rung – mit wem denn sonst? – verhandeln muss . Das, Frau Brantner, ist die Antwort auf Ihre Frage . (Tobias Zech [CDU/CSU]: Das steht da aber Machen Sie Ihre Hausaufgaben richtig, nicht drin!) (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ich sage Ihnen das doch . NEN]: Lesen Sie richtig Anträge, und nicht (Tobias Zech [CDU/CSU]: Du stimmst doch irgendwas, was Sie sich ausgedacht haben!) zu!) machen Sie hier vernünftig Politik, Die syrische Regierung muss zustimmen, weil es sich (Dr .Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE um ihr Land und ihren Luftraum handelt . Sonst kann man GRÜNEN]: Das ist ein Zitat Ihrer Regierung!) es nicht absichern . Sollten die Grünen zu der Position gekommen sein – das würde mich erfreuen –, dass man unterhalten Sie sich mit den Menschen, die das umsetzen auch mit der syrischen Regierung – das ist noch immer (B) müssen, (D) Herr Assad – verhandeln muss, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie zitieren aus den Beschlüssen der (Michael Brand [CDU/CSU]: Wenn es das Ge- Bundesregierung!) wissen erleichtert, dann gerne, Herr Gehrcke!) und kommen Sie sonst nicht daher und stellen Anträge! dann macht es mir das leichter; denn ich möchte, dass den Menschen geholfen wird . Das kann man sicherlich sehr Ich darf fortführen: Wir haben seit dieser Woche wie- unterschiedlich sehen . Aber nur durch Verhandlungen der ein bisschen Hoffnung . Vielen Dank noch einmal sind entsprechende Absicherungen zu erreichen, nicht an die Bundeskanzlerin für das Format gestern . Seit durch Militäreinsätze und auch nicht durch Drohungen . Dienstag gibt es kein Bombardement mehr . Wir haben bis Samstag – wenn auch nur kurz, aber immerhin je- Das wollte ich hier nur einmal deutlich machen . Ich den Tag – elf Stunden Waffenruhe in Aleppo . Ab morgen glaube, dass ein Großteil meiner Fraktion das anders werden die ersten Menschen über acht Flucht- bzw . Ret- sieht . Aber ich sehe das so und vertrete es auch . Ich bin tungswege evakuiert . Das ist angesichts der Tragik der für Verhandlungen, auch für Verhandlungen mit Assad . Situation ein Lichtblick . Lassen Sie uns doch gemeinsam Ich bin dafür, dass Hilfslieferungen abgesichert werden, dafür kämpfen, dass aus der Waffenruhe ein Waffenstill- aber nicht militärisch, sondern durch Absprachen und stand und aus dem Waffenstillstand irgendwann Frieden Verträge; diese gilt es zu schließen . wird . Danke sehr . Herzlichen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ordneten der SPD) Herr Kollege Zech, Sie haben die Möglichkeit zur Er- widerung . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Der Kollege Gehrcke erhält das Wort für eine Kurz- Tobias Zech (CDU/CSU): intervention . Lieber Wolfgang Gehrcke, vielen Dank für die Klar- stellung . Aber dann liegt es garantiert an mir und daran, dass ich den einen Satz im Antrag der Grünen, den ihr Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): unterstützt, nicht richtig verstanden habe . Es tut mir leid, aber ich kann natürlich nicht stehen las- sen, was der Kollege Zech eben vorgetragen hat, nämlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19548 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Tobias Zech (A) – Immer erst klatschen, wenn ich fertig bin! – Dort steht: Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): (C) „Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfügung Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und stehenden Mitteln …“ „Mit allen zur Verfügung stehen- Kollegen! Nach dem Thema, das wir soeben im Plenum den Mitteln“ schließt – das ist, glaube ich, allgemein behandelt haben und bei dem ich zum Ende oft dachte, bekannt und entspricht auch meinem Wissensstand; viel- dass die Ernsthaftigkeit beim Thema Syrien nicht mehr leicht kann ich noch aufgeklärt werden, wenn ich hier gewährleistet ist, sind wir beim nächsten ernsthaften falsche liege – Militär explizit nicht aus . Thema, nämlich dem Einsatz von biologischen Mas- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senvernichtungswaffen, deren Anwendung heute durch NEN]: Ihre Bundesregierung hat zugestimmt!) staatliche und nichtstaatliche Akteure nicht sehr wahr- scheinlich ist . Das ist die Wahrheit . Die Linke stimmt heute somit auch militärischen Maßnahmen zu . Daher könnten wir es uns jetzt einfach machen und uns nicht weiter mit dem Thema beschäftigen, nach dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Motto: Die Gefahr ist weitgehend gebannt . Wir Abrüster Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE kümmern uns um etwas anderes . Die Vision des Grau- GRÜNEN]: Das ist ein Satz aus eurem Regie- ens eines Biowaffenanschlags ist eher Stoff fürs Kino . – rungsdokument, den wir zitiert haben!) Doch gerade diese Einschätzung wäre töricht, müssen wir doch heute dankbar sein, dass bereits 1925 – damals Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: im Angesicht des Ersten Weltkriegs und dessen Opfer – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich durch das Genfer Protokoll und 50 Jahre später, 1975, die Aussprache . durch die Unterzeichnung des BWÜ Weichen für eine zivilisiertere Welt ohne Biowaffen gestellt wurden . Tagesordnungspunkt 13 a . Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 18/10031 an die in Doch geringere Wahrscheinlichkeit heißt nicht keine der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Wahrscheinlichkeit . Sie bedeutet Verantwortung für uns gen . Dort kann die Debatte fortgesetzt werden . Die Fe- alle in der Politik . Die letzten Jahre und gerade Syrien derführung soll beim Ausschuss für Menschenrechte und lehren uns: Wir wissen nicht, wo, wann und wie sich in humanitäre Hilfe liegen . Sind Sie damit einverstanden, 5, 10 oder 50 Jahren staatliche Strukturen auflösen. Wir dass wir diesen Antrag an den Ausschuss für Menschen- wissen nur eins – das ist bedauerlich –: Wir wissen, dass rechte und humanitäre Hilfe überweisen? – Das ist der es passiert . Und wir wissen, dass terroristische Gruppie- Fall . rungen die Macht übernehmen können, Regierungen in Versuchung geraten können, weil es einfach ist, auf diese (B) Tagesordnungspunkt 13 b . Wir kommen zur Be- (D) schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte menschenverachtenden Waffen zurückzugreifen . und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd- Mit Syrien hat ausgerechnet ein Staat die Kontrolle nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Syrien – Luftbrücke über sein Staatsgebiet verloren, der zwar Unterzeichner einrichten, humanitäre Not lindern“ . Der Ausschuss dieses Abkommens ist, trotzdem jedoch weiter an bio- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- logischen Waffen gearbeitet hat . Noch schlimmer: Aus- sache 18/9939, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ gerechnet dieser Staat ist es, auf dessen Gebiet nicht zu- Die Grünen auf Drucksache 18/9687 abzulehnen . Wer letzt Daesh, der sogenannte „Islamische Staat“, versucht, stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Strukturen aufzubauen, die als Voraussetzung für die dagegen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den hochkomplexe Arbeit an potenziellen biologischen Waf- Stimmen der Koalition und den Stimmen der Mehrheit fen gelten . der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen und die Stimme von Herrn Gehrcke Wir sehen also: Die Gefahr ist, wie ich sagte, keines- angenommen worden . wegs gebannt, und die Gefahr kleinzureden, wäre töricht, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: gerade wenn wir bedenken, dass bereits ein kleiner bio- logischer Angriff, beispielsweise durch Terrororgani- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ sationen, großen Schaden anrichten kann . Wir erinnern CSU und SPD uns noch, wie vor einigen Jahren selbst die Rentnerin zu Hause beim Öffnen eines Kuverts Angst und Schrecken Schutz vor Biowaffen ausbauen – Das Biowaf- vor einem möglichen Milzbrandanschlag hatte, weil An- fenübereinkommen stärken thrax und Ähnliches in den Medien nicht nur zu hören Drucksache 18/10017 war, sondern tatsächlich aufgefunden worden war . Vor- stellungen, an die ich nicht denken möchte, sind die kör- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch perlichen Schäden, aber auch die tiefe Erschütterung des für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen .– Ich höre Sicherheitsgefühls der Menschen, die sich einem poten- dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . ziellen Angriff ständig ausgesetzt sehen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr .Karl-Heinz Brunner für die Deshalb ist das BWÜ so wichtig . Es leistet weiterhin SPD-Fraktion das Wort . einen essenziellen Beitrag zur internationalen Sicherheit und zu unserer . Daher ist es notwendig, seine nationale (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Implementierung weltweit zu verbessern, fehlende Staa- der CDU/CSU) ten zu integrieren, Vertragstreue herbeizuführen und un- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19549

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) serer Bevölkerung zu signalisieren, dass wir für Sicher- ches Kontrollsystem auf den Weg zu bringen . Doch die (C) heit sorgen, im Inland und international . USA ließen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss platzen . Dies war das Jahr – wir erinnern uns –, in dem In Deutschland beschäftigt uns dabei im Besonde- in den USA Milzbranderreger auftauchten, die aus dem ren die Gefahr, die aus Forschungsergebnissen, die zur Biowaffenforschungslabor der US-Militärs in Fort De- Herstellung von Waffen eingesetzt werden könnten, re- trick stammten . Auch in Russland wurde wohl trotz des sultiert . Wir appellieren hier an das vorhandene hohe Biowaffenabkommens noch jahrelang weiter geforscht, Verantwortungsgefühl unserer Wissenschaftlerinnen und zum Beispiel auch mit dem Ebolavirus . Wissenschaftler, die wir im ständigen Dialog – Stichwort: Dual-Use-Problematik – unterstützen müssen und wol- All das zeigt: Ohne ein wirksames Kontrollsystem len . Forscherinnen und Forscher, die uns sowohl durch bleibt die Biowaffenkonvention unvollständig . ihre biowissenschaftlichen Kenntnisse vor gefährlichen Erregern schützen können als auch durch ihre Beiträge, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- unter anderem die Beiträge der Friedensforschung, in der neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Lage sind, uns Unterstützung zu geben, brauchen auch GRÜNEN) Unterstützung von uns . Nur wenige Länder beteiligen sich bisher an den frei- Dieser Zweiklang aus internationaler Vertragstreue willigen Kontrollen . Deutschland ist dabei Vorreiter und zum Biowaffenübereinkommen einerseits und einer nati- deshalb auch ein glaubwürdiger Fürsprecher für besse- onal hochverantwortlichen Forschung und Wissenschaft re und verbindlichere Kontrollen . Der Antrag der Koa- andererseits kann uns auch weiterhin zuverlässig vor litionsfraktionen weist daher in eine richtige Richtung . Biowaffen schützen, in Deutschland, in Europa und in Vielen Punkten, die Sie auflisten, können wir problemlos der Welt . Deshalb bitten wir für die Koalitionsfraktionen zustimmen . Sie stecken aber auch in dem Dilemma, dass um Zustimmung zu unserem Antrag . Sie unter den Regierungen noch viel zu wenig Verbünde- Danke schön . te haben . Wenn es nicht gelingt, auch die USA, Russland und all die anderen Länder für eine verbindliche Offen- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) legung ihrer Biowaffenforschung zu gewinnen, kommen wir auf diesem Feld nur sehr langsam voran . Da wünsche Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ich mir von dieser Bundesregierung doch mehr Biss, vor allem auch in Richtung der US-Regierung . Kathrin Vogler hat als nächste Rednerin für die Frakti- on Die Linke das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (B) Sie vernachlässigen wichtige Faktoren, die wir selbst (D) beeinflussen können, wenn wir es denn wollen. Dazu Kathrin Vogler (DIE LINKE): nenne ich einmal drei Punkte, die in Ihrem Antrag fehlen . Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Biologische Waffen sind ja ein eher we- Erstens . Es ist richtig und gut, dass Sie die Forsche- niger beachtetes Problem bei der Rüstungskontrolle . rinnen und Forscher für die Biowaffenproblematik sen- Das mag wohl daran liegen, dass sie weniger mit Bil- sibilisieren und der Ethik in den Naturwissenschaften dern verknüpft werden als beispielsweise Atom- oder mehr Raum verschaffen wollen . Wir als Linke würden Chemiewaffen . Wenn wir darüber sprechen, haben wir da weitergehen . Wir wollen, dass sich das Militär aus der vor unserem inneren Auge sofort die fürchterlichen Bil- Wissenschaft heraushält, und unterstützen deshalb die der aus Hiroshima und Nagasaki, aus Vietnam oder aus Bewegung für Zivilklauseln an Hochschulen und For- der kurdischen Stadt Halabdscha . Aber zum Beispiel schungseinrichtungen . die 350 000 Menschen, die 1942 in China durch einen Angriff der japanischen Streitkräfte mit Pesterregern (Beifall bei der LINKEN) umkamen, sind nicht in unserem kollektiven Gedächtnis Zweitens . Biowaffen haben auch eine verheerende angekommen . psychologische Wirkung auf die Bevölkerung . Der beste Als politisch Verantwortliche sollten wir aber nicht und wirksamste Schutz davor sind gute öffentliche Ge- nur zurückschauen, sondern alles dafür tun, dass sich sundheitssysteme in jedem Land . Das bedeutet hier in solche Verbrechen nicht wiederholen . Die Gefahr durch Deutschland, die Privatisierung und Profitorientierung Biowaffen ist durch die Fortschritte in der Gentechnik ra- im Gesundheitswesen zurückzudrängen und Gesundheit sant gestiegen . Heute ist es technisch überhaupt kein Pro- als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu gestalten . blem, Mikroorganismen durch Gentechnik so zu verän- Weiter bedeutet es, entwicklungspolitisch andere Länder dern, dass auch Antibiotika oder Impfungen nicht mehr viel stärker beim Aufbau solcher Gesundheitssysteme zu helfen . Und es wird zunehmend schwerer, abzugrenzen, unterstützen, anstatt sie primär als Märkte für den Export welche Forschung dem Schutz vor Infektionen dient und von deutschen teuren Medizinprodukten zu begreifen . welche der Entwicklung von Kampfstoffen . Drittens . Wo Staaten nicht bereit sind, sich in die Bio- Mit dem Biowaffenübereinkommen von 1971 haben forschungskarten gucken zu lassen, da können Nichtre- die Vereinten Nationen ein wichtiges Vertragsdokument gierungsorganisationen einen Teil der Rüstungskontrolle geschaffen . Was diesem aber fehlt, sind verbindliche übernehmen. Dazu brauchen sie unsere finanzielle und Kontrollinstrumente . 2001 war man fast so weit, ein sol- politische Unterstützung . Des Weiteren benötigen wir ein 19550 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Kathrin Vogler (A) Gesetz, das bedrohten Whistleblowern in Deutschland Institution sprechen. Ein effektives Verifikationsinstru- (C) Zuflucht und Schutz gewährt. ment und die nationale Implementierung aber würden dabei helfen, sicherzustellen, dass sich alle Staaten an (Beifall bei der LINKEN) das B-Waffen-Verbot halten und auch zumindest versu- Die Rolle und Bedeutung der Zivilgesellschaft in der chen, entsprechende nichtstaatliche Aktivitäten in ihrem Friedenspolitik muss dieser Regierung leider immer noch Land zu unterbinden . Darum muss es Ziel sein und blei- erklärt werden – aber wir als Linke machen das gerne . ben, diese ISU perspektivisch auf- und auszubauen und zu einem Sekretariat einer Organisation für das Verbot (Beifall bei der LINKEN) biologischer Waffen aufzuwerten . Durch das bereits vor- handene, allen bekannte Technische Sekretariat der Or- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ganisation für das Verbot chemischer Waffen steht ja ein Robert Hochbaum hat als nächster Redner für die Beispiel zur Verfügung, das man jederzeit heranziehen CDU/CSU-Fraktion das Wort . kann . (Beifall bei der CDU/CSU) Doch nicht nur dieser Aufgabe müssen wir uns jetzt stellen, wenn es um den weltweiten Schutz vor biolo- Robert Hochbaum (CDU/CSU): gischen Waffen geht . Es steht natürlich auch in diesem Bereich das Problem des Dual Use und einer damit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen verbundenen missbräuchlichen Verwendung oder des und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne und viel- Diebstahls von Produkten im Raum . Es muss darum si- leicht noch zu Hause an den Bildschirmen! Vom 7 . bis chergestellt sein, dass weltweit Labore vor dem Zugriff zum 25. November findet in Genf – das werden man- terroristischer Organisationen oder anderer böswilliger che wissen – die 8 . Überprüfungskonferenz zum Über- Akteure geschützt sind . Denn eines wird uns sicherlich einkommen über das Verbot biologischer Waffen – die allen klar sein – die Beispiele aus Syrien der letzten Zeit Biowaffenkonvention – statt . Natürlich lassen sich weder haben es deutlich gezeigt –: Es muss alles getan werden, Verlauf noch Ausgang dieser Konferenz absehen . Den- dass derartige Stoffe nicht in die Hände solch menschen- noch ist es wichtig und notwendig, dass wir ihre hohe verachtender Täter fallen können . Bedeutung für die globale Sicherheit auch hier in diesem Haus darstellen . Damit ist natürlich auch die ausdrückli- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) che Unterstützung der Bundesregierung verbunden, die sich – da bin ich mir ganz sicher – für einen erfolgreichen Dies kann aber nur funktionieren, wenn möglichst Abschluss der Konferenz einsetzen wird . Dafür schon viele Vertragsstaaten – wir haben ja schon gehört, dass jetzt meinen herzlichen Dank! nicht alle Mitglieder sind – an den vertrauensbildenden (B) Maßnahmen teilnehmen, die eine Offenlegung aller (D) Fünf Jahre sind seit der letzten BWÜ-Überprüfungs- Forschungseinrichtungen und -programme beinhalten . konferenz vergangen . In der Zwischenzeit fanden natür- Deutschland geht hier wieder mit sehr gutem Beispiel lich weitere Treffen von Experten und Vertragsstaaten voran und sollte diese Vorbildfunktion nutzen, um auch statt . Sie alle hatten ein Ziel: praktische Maßnahmen, die anderen Staaten näher an diese Maßnahmen heranzu- insbesondere die heute schon genannte institutionelle bringen . Die im nächsten Monat anstehende Konferenz Absicherung des Übereinkommens, weiter zu verfolgen ist damit eine gute Gelegenheit, einen Weg zu beschrei- und, wenn möglich, umzusetzen . Denn das zentrale Pro- ten, an dessen Ende die Umsetzung dieser Ziele stehen blem des Übereinkommens über das Verbot biologischer sollte . Waffen besteht natürlich gerade darin, dass es kein kon- kretes Verifikationsregime zur Kontrolle der Einhaltung Lassen Sie mich an dieser Stelle also bitte die Hoff- des Vertrages beinhaltet . Die derzeit einzige Möglichkeit, nung auf gute und erfolgreiche Verhandlungen zum Aus- einen Kontrollprozess einzuleiten, ist die Meldung an druck bringen . Ich bitte um die Zustimmung des ganzen den Generalsekretär der Vereinten Nationen, welche sich Hauses . aber für eine effektive und permanente Überwachung der Herzlichen Dank . Einhaltung letztlich nur bedingt eignet . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Der hat wie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE auch nur drei Leute dafür!) GRÜNEN]) – Nur bedingt eignet .– Versuche, dieses Problem durch ein Zusatzprotokoll zu lösen, das unter anderem Offen- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: legungspflichten und Kontrollinspektionen beinhalten Agnieszka Brugger hat als Nächste das Wort für die würde, sind bisher gescheitert . Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Die – das wird bekannt sein – auf der Konferenz im Jahr 2006 beschlossene Implementation Support Unit, Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ISU, angesiedelt in der Abrüstungsabteilung der Ver- NEN): einten Nationen, wurde zwar auf der Konferenz im Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Jahr 2011 um weitere fünf Jahre verlängert, was mit Milzbrandattacken in den USA im Jahr 2001 haben lei- Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung war . Man der gezeigt, dass auch Bedrohungen durch biologische kann jedoch aufgrund dieser Abhängigkeit von den stän- Kampfstoffe nach wie vor ein ernstzunehmendes Szena- digen Mandatsverlängerungen von keiner gesicherten rio darstellen . Es ist eine große Errungenschaft der inter- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19551

Agnieszka Brugger (A) nationalen Abrüstungspolitik und ein wichtiger Beitrag Meine Damen und Herren, zum Abschluss kann ich (C) für mehr Sicherheit, dass es gelungen ist, dass so viele mir aber eine kritische Bemerkung nicht verkneifen . Es Staaten diese gefährlichen Massenvernichtungswaffen ist super, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben, das international geächtet und ihre eigenen Bestände ver- BWÜ zu stärken, aber der abrüstungspolitische Elefant, nichtet haben . Es ist an dieser Stelle gar nicht so selbst- der gerade jetzt in unserer Zeit im Raum steht, ist ein völ- verständlich, dass es einen solchen Verbotsvertrag gibt . lig anderer . Chemiewaffen und Biowaffen sind wenigs- Wir erleben es heute bei vielen Technologien, die im Du- tens schon verboten . Was fehlt, ist ein Verbotsvertrag zur al-Use-Bereich liegen . So bei den Themen Drohnen oder Ächtung von Nuklearwaffen . Den gibt es nicht . Cyber, wo dann oft schon schulterzuckend bei der De- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN batte darüber, ob es nicht gewisse Regeln braucht, gesagt und bei der LINKEN) wird, man kann es so oder so nutzen . Trotzdem haben Technologien immer ihre spezifischen Risiken. Die wer- Darüber wird gerade mit einer ganz neuen Dynamik bei den dabei dann gefährlich ausgeblendet . den Vereinten Nationen diskutiert . Die deutsche Bundes- regierung versteckt sich hier hinter den Nuklearwaffen- Es ist eine Herausforderung, mit der Dual-Use-Pro- staaten im Lager der Bremser und Blockierer und hat ge- blematik umzugehen . Die gibt es natürlich auch bei gen diese ganzen Vorschläge bei den Vereinten Nationen biologischen und chemischen Kampfstoffen . An de- gestimmt, einen Prozess für ein Atomwaffenverbot auf ren Verbotsvertrag kann man sich orientieren; denn die den Weg zu bringen . Das ist mutlos, unglaubwürdig und Güter können zum Gewinn, aber auch zum Verderben enttäuschend . der Menschheit genutzt werden . Dort wird nämlich der Zweck unter Strafe gestellt . Das macht diese Abkommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Übereinkommen einzigartig . und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, trotzdem hat auch das Es ist doch höchste Zeit, dass die Menschen vor die- Biowaffenübereinkommen seine Schwächen und kann sem gefährlichen Irrsinn geschützt werden und dass alle seine Wirkungen nicht vollumfänglich entfalten; denn es Massenvernichtungswaffen verboten werden . Daher, fehlen Möglichkeiten zur Aufklärung von Verdachtsmo- liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, vie- menten, aber auch Sanktionsmöglichkeiten bei Strafver- len Dank für diese durchaus gute Initiative . Aber mich letzungen . Das Stichwort „Russland“ ist schon gefallen . würde schon interessieren, was Sie dazu sagen, dass die Auch über Syrien muss man an dieser Stelle sprechen . Bundesregierung ein Atomwaffenverbot blockiert; denn Wir haben in den vorherigen Debatten viel über Che- wer das Biowaffenübereinkommen stärken will, der kann miewaffen und die grausamen Attacken, die es gegeben doch nicht ernsthaft argumentieren, dass Atomwaffen hat, debattiert . Aber Syrien hat auch als Signatarstaat des nicht auch verboten gehören . (B) Biowaffenübereinkommens über Jahre hinweg trotzdem (D) ein Forschungsprogramm in diesem Bereich unterhalten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Um das Biowaffenübereinkommen effektiv umzuset- zen und die Verdachtsfälle schnell zu untersuchen, aber Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: auch um gemeinsame Interpretationen über die einzel- Als nächster Redner hat René Röspel für die nen Regelungen zwischen den Staaten herzustellen oder SPD-Fraktion das Wort . schnell auf neue technologische Entwicklungen reagie- ren zu können, braucht dieses Abkommen feste Struktu- (Beifall bei der SPD) ren, mehr Personal und eine verlässliche Finanzierung . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN René Röspel (SPD): sowie bei Abgeordneten der SPD und der Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und LINKEN) Herren! Liebe Frau Brugger, manchmal ist die Mücke nä- her als der Elefant; dann geht es eben darum, das Näher- Das haben wir Grüne in den letzten Jahren immer wieder liegende zu bekämpfen . Die Konferenz zur Überprüfung an vielen Stellen gefordert . der Biowaffenkonvention steht vor der Tür; deswegen Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bezieht sich der vorliegende Antrag zunächst einmal da- mit Ihrem heutigen Antrag gehen Sie mit vielen Forde- rauf, unabhängig davon, dass wir natürlich davon über- rungen durchaus auch in die gleiche Richtung, in eine zeugt sind, dass Nuklearwaffen von diesem Kontinent richtige Richtung . Aber Sie sind auch nicht ganz up to und aus der Welt verschwinden müssen; gar keine Frage . date . Wir Grüne haben erst vor kurzem einen Antrag vor- (Beifall bei der SPD) gelegt: „Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken“ . Hier wird zum Beispiel Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht, dass deutlich – ähnlich hat es auch der Deutsche Ethikrat fest- vor 30 Jahren ein amerikanischer Präsident irgendwo gestellt –, dass Selbstverpflichtungen nicht ausreichen, im Weltall Hochenergielaser stationieren lassen wollte, dass es auch in diesem Bereich Lücken gibt, die man um anfliegende sowjetische Raketen zu zerstören. Es durch eine gesetzliche Regelung schließen müsste . Das hatte ein paar Milliarden US-Dollar und einige Jahre sind sicherlich Punkte, wo man von Ihrem guten Antrag gebraucht, bis das sogenannte SDI-Projekt wieder ver- aus weitergehen kann und weitergehen sollte . Es steht schwunden war . Die Frage, ob diese Laser ihre Aufgabe nicht viel Falsches in dem Antrag . Daher werden wir an erfüllt hätten, konnte man gar nicht richtig beantworten, der Stelle auch zustimmen . jedenfalls nicht auf Anhieb . 19552 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

René Röspel (A) Von der hohen Dimension der Physik in ganz kleine Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) Dimensionen: Es gibt Überlegungen, Planungen, Denk- Julia Obermeier hat als letzte Rednerin in dieser Aus- ansätze, Mikroorganismen, die Plastik, Mineralöl oder sprache das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . Gummi fressen, als sogenannte nichttödliche Waffen ein- zusetzen, um den Gegner und seine Gerätschaften lahm- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zulegen, ohne die Menschen zu treffen . Ist das eigentlich realistisch? Julia Obermeier (CDU/CSU): Wir wissen, dass es nicht nur nichttödliche Waffen Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen gibt, sondern auch hochpathogene Waffen; daran wird und Kollegen! Biologische Waffen sind kein neues Phä- gearbeitet . Anthrax ist ein Beispiel dafür gewesen . Die nomen . Sie sind wohl so alt wie die Geschichte des Krie- Angst vor Milzbrand ist 2001 durch die ganze Welt ge- ges selbst . Bereits vor 2 000 Jahren bewarfen die alten gangen . Wenn irgendwo ein Päckchen mit weißem Pul- Römer ihre Feinde mit Kot, um Krankheiten auszulösen . ver ankam, war die Verunsicherung groß: Kann man da- (Markus Grübel, Parl . Staatssekretär: Guten mit großflächig töten, oder braucht es dazu nicht auch Appetit!) Verteilungsmechanismen, technische Mittel, um so etwas in großem Umfang zu einer Gefahr zu machen? Wir wis- Auch nutzten sie Tierkadaver oder Leichen, um das sen seit zwei, drei Jahren, dass es gelungen ist, das Vo- Trinkwasser in Brunnen zu vergiften . Heute können bio- gelgrippevirus H5N1 so zu verändern, dass es erstmals in logische Waffen um ein Vielfaches tödlicher sein . Sie der Lage ist, Säugetiere zu befallen . Was für eine tödliche zählen deshalb zu den Massenvernichtungswaffen . Die Waffe, was für eine Biowaffe kann daraus möglicherwei- bekanntesten sind wohl Anthrax und Pocken . se entstehen? Biologische Waffen sind gerade in den Händen von All das sind Fragen, die wir von der Politik vielleicht Terroristen besonders gefährlich . Ein Angriff wäre un- relativ schnell beantworten können, indem wir sagen: sichtbar und lautlos . Erst Tage nach dem Freisetzen der So etwas wollen wir nicht; aber es macht eben auch sehr tödlichen Viren oder Bakterien würden die ersten Men- viel Sinn, geeignete naturwissenschaftliche Expertise schen erkranken . Bioterrorismus ist ein Spiel mit dieser zur Verfügung zu haben .– Ich bin froh, dass ich hier als Angst; denn die Anzahl der möglichen Opfer ist sehr Forschungspolitiker reden darf . Ich hoffe, Antworten hoch . auf diese Fragen von denen zu bekommen, die vielleicht Im vergangenen Jahr warnte Frankreichs Premier- nicht auf der Lohnliste des militärisch-industriellen minister nicht nur vor der Gefahr von Terroranschlägen Komplexes sind und solche Waffen herstellen . Ich hoffe, mit chemischen, sondern auch vor der mit biologischen von anderer Seite Antworten auf Fragen zu hören wie: Ist Waffen . Nur wenige Tage nach dem blutigen Terror in (B) es realistisch, dass Anthrax verbreitet werden kann? Wel- (D) Paris sagte er: „Wir dürfen heute nichts ausschließen “. che Gefahren lauern wirklich, wenn ein Vogelgrippevirus Er verwies zwar nicht auf konkrete Pläne für Anschlä- verändert wird? ge mit biologischen Waffen, doch machte seine Aussage Wir als Bundesrepublik Deutschland sind da in den deutlich, dass diese Bedrohung greifbar ist . Bedauerli- letzten Jahren glücklicherweise sehr gut aufgestellt ge- cherweise wird dieser Gefahr nicht wie bei chemischen wesen, weil es in vielen kleinen Arbeitsgruppen in Dort- Waffen mit einer starken internationalen Konvention be- mund, Darmstadt, Jülich, Karlsruhe Naturwissenschaftler gegnet . Es gibt zwar ein Übereinkommen, das die Ent- gab, die sich im Forschungsverbund Naturwissenschaf- wicklung, die Herstellung, den Besitz, die Weitergabe ten, Abrüstung und internationale Sicherheit zusammen- und den Einsatz biologischer Waffen verbietet, doch ist geschlossen haben, die an diesen Themen gearbeitet ha- dieses, anders als die Chemiewaffenkonvention, noch ein ben, die in der Lage waren, der Politik wissenschaftliche zahnloser Tiger . Expertise zur Verfügung zu stellen . Dies birgt ernstzunehmende Risiken, wie das Beispiel Ich komme zu dem Punkt in dem Antrag, den ich Syrien zeigt . Das Potenzial syrischer Chemiewaffen ist noch einmal betonen will: Es ist wichtig für uns, diese sachkundig aufgearbeitet und steht sowohl im Fokus Expertise in Deutschland nicht verloren gehen zu lassen . der internationalen Gemeinschaft als auch im Fokus der Wir brauchen die Naturwissenschaftlerinnen und Natur- breiten Öffentlichkeit . Die Gefahren von biologischen wissenschaftler genauso wie die Geisteswissenschaftle- Waffen, die sich möglicherweise in den Händen des sy- rinnen und Geisteswissenschaftler, die uns diese Fragen rischen Regimes befinden, liegen jedoch im Dunkeln. So beantworten oder uns zumindest dabei helfen können . wird seit längerem spekuliert, dass Assad an einsatzfähi- gen Erregern wie Milzbrand, Pest, Botulinum, Cholera, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ricin, Kamelpocken und Aflatoxin arbeitet oder diese Deswegen lautet mein dringender Appell – er findet sich bereits besitzt . Im chaotischen Bürgerkriegsgebiet Syri- im Antrag wieder –, dass wir diese Expertise nicht verlo- ens wäre das besonders problematisch . Biologische Waf- ren gehen lassen und dass wir diese Forschungsmöglich- fen könnten, auch wenn dies laut vieler Experten eher keiten stärken . Insofern danke ich der Koalition, diesen unwahrscheinlich ist, gegen die Zivilbevölkerung einge- Antrag auf den Weg gebracht zu haben . setzt werden . Sie könnten auch in die Hände von Terro- risten gelangen, und das, meine Damen und Herren, gilt Vielen Dank . es unbedingt zu verhindern . Es liegt daher im deutschen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Interesse, das Biowaffenübereinkommen zu stärken . Dies der CDU/CSU) würde die Verbreitung von biologischen Waffen zurück- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19553

Julia Obermeier (A) drängen . Und: Es wäre ein wichtiger Schritt, um zu ver- Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache be- (C) hindern, dass terroristische Gruppen und andere böswil- ginnen können . lige Akteure an Biowaffen gelangen . Wir brauchen also dringend Fortschritte beim Biowaffenübereinkommen . Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Im November dieses Jahres findet die achte Überprü- Wort . fungskonferenz des Übereinkommens statt, und diese Chance gilt es zu nutzen . Daher fordern wir in unserem (Beifall bei der LINKEN) Antrag die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen klare Positionen zu beziehen und unter anderem fol- Susanna Karawanskij (DIE LINKE): gende Punkte zu unterstützen: Mehr Staaten sollen das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Übereinkommen unterzeichnen, mit dem Ziel einer welt- und Kollegen! Wenn eine Sache ihren Sinn erfüllt hat, weiten Umsetzung . Dazu braucht es vertrauensbildende muss man es dabei belassen . Wenn es am schönsten ist, Maßnahmen, um Vertragstreue zu stärken . Auch soll der soll man aufhören .– Das trifft aus meiner Sicht und aus UN-Generalsekretär künftig Verdachtsfälle besser un- Sicht meiner Fraktion auch auf das Berlin/Bonn-Gesetz tersuchen können . Und wir wollen die wissenschaftli- zu . Es ist schlicht und ergreifend nicht zu erklären, dass chen und technologischen Entwicklungen, Herr Kollege wir 25 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch eine Röspel, im Bereich der Biowaffen besser im Blick haben, geteilte Bundesregierung haben . um auf Entwicklungen reagieren zu können . (Beifall bei der LINKEN) (René Röspel [SPD]: Das ist sehr gut!) 6 von 14 Ministerien haben ihren Sitz noch komplett Langfristig soll das Biowaffenübereinkommen dem Che- in Bonn . Über 35 Prozent der Mitarbeiter in Ministerien miewaffenübereinkommen in nichts nachstehen . sind in Bonn beschäftigt . 2015 gab es fast 21 000 tei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Antrag vor- lungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin . geschlagenen Maßnahmen tragen dazu bei, die Gefahren (Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Was das von Biowaffen einzudämmen . Es wäre ein starkes Si- an CO kostet!) gnal, wenn wir dieses hohe Ziel heute mit dem Votum 2 aller Fraktionen unterstützen . Mehr als 1 000 Beschäftigte reisten in demselben Jahr mehr als 20-mal hin und her . Es ist natürlich ein leichter Vielen Dank . Abwanderungstrend in Richtung Berlin zu vermerken; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) aber allein die schlichte Existenz von zwei Regierungs- sitzen bringt mindestens drei Nachteile mit sich: Es ist (B) (D) ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die (Beifall bei der LINKEN) Aussprache . Ineffektiv ist die bestehende Regelung, weil die Bun- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag desregierung durch die permanente Teilung der Regie- der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- rung in zwei Regierungssitze mit Ministerialbeamten al- che 18/10017 mit dem Titel „Schutz vor Biowaffen aus- ler Bundesministerien an beiden Standorten einfach nicht bauen – Das Biowaffenübereinkommen stärken“ . Wer schlagkräftig sein kann . Es wird ein enormer Mehrauf- stimmt für diesen Antrag? – Stimmt jemand dagegen? – wand für die Koordination und Abstimmung aufgebracht Enthält sich jemand? – Dann ist dieser Antrag einstim- und in Kauf genommen . Dadurch entstehen zu viele Rei- mig angenommen worden . bungsverluste . Und die persönliche Kommunikation – das kennen wir alle – ist auch durch aufwendige techni- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- sche Unterstützung kaum zu ersetzen . Das verlangsamt wie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE]) die Entscheidungsfindung, und auch der persönliche und Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: fachliche Austausch zwischen den Ressorts und ressort­ intern bleibt auf der Strecke . Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr . Gesine Lötzsch, wei- Umweltschädlich ist der Zustand, weil zum Beispiel terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE die Flugbereitschaft zwischen den beiden Städten regel- mäßig Leerflüge einfährt. Generell hübschen die - zahl Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz reichen Flüge die Ökobilanz nicht gerade auf . Ganz ne- Drucksache 18/8130 benbei hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitszeiten Überweisungsvorschlag: der Beschäftigten; denn das Arbeiten am Telefon bzw . Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- auf dem Laptop ist im Flieger schlicht und ergreifend heit (f) schwierig . Innenausschuss Haushaltsausschuss Teuer ist es obendrein . Jährlich entstehen Kosten von über 7 Millionen Euro . Diese Zeche wird von Steuerzah- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für lerinnen und Steuerzahlern bezahlt . die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und ( [CDU/CSU]: Wer bezahlt ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre den Umzug?) 19554 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Susanna Karawanskij (A) Wir Linke wollen dieser Verschwendung von Steuergel- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) dern ein Ende setzen, Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) insbesondere vor dem Hintergrund, dass die schwar- ze Null Staatsdogma geworden ist und die komplette Christian Haase (CDU/CSU): Angleichung der Ostrenten weiterhin auf sich warten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und lässt . Man muss dabei betrachten, dass Bonn und die Re- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und gion Bonn danach keine Einöde sein werden . Die Region täglich grüßt das Murmeltier – so könnte man Ihre stän- ist wirtschaftlich gut aufgestellt, UN-Behörden sind dort digen Anträge zur Beendigung des Berlin/Bonn-Gesetzes verortet . Mit diesem Plan wollen wir Bonn also nicht de- zusammenfassen: vastieren . (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Bei Die Bundesbauministerin, Frau Hendricks, als Ber- Ihnen auch!) lin/Bonn-Beauftragte laviert ziemlich herum, ist unent- immer der gleiche Antrag, immer der gleiche Inhalt, im- schlossen, kann sich zu keiner Handlungsempfehlung mer die gleiche Begründung . Ihr Problem ist nur – an- durchringen . Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ders als im Film –: Der Erkenntnisprozess setzt bei Ihnen die Frau Ministerin vom Niederrhein stammt . Vor nicht nicht ein . Also will ich es heute noch einmal versuchen . allzu langer Zeit war aus dem Regierungslager zu verneh- Am 20 .Juni 1991 fasste der Deutsche Bundestag men, dass man sich klar für einen Regierungssitz – Ber- den Hauptstadtbeschluss zur Vollendung der deutschen lin – ausgesprochen hat . Das ist schade und enttäuscht Einheit . Geschäftsgrundlage für den Beschluss war der auch ein bisschen . Ich dachte, da wären wir schon ein inhaltlich doppelte Charakter der Antwort auf die Haupt- bisschen weiter . Bedauerlich ist in diesem Zusammen- stadtfrage – eben kein Komplettumzug von Bonn nach hang, dass sich Frau Hendricks nicht dafür starkgemacht Berlin . Viele Abgeordnete konnten nur so dem Beschluss hat, wie ursprünglich angedacht, dass sich vor allen zustimmen, er hätte sonst damals überhaupt keine Mehr- Dingen mehr Außenstellen der Ministerien und der Be- heit gefunden . hörden in Ostdeutschland ansiedeln . Das Biomassefor- schungszentrum in Leipzig und das Umweltbundesamt (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Damals!) in Dessau bleiben da die Ausnahme . Ich wiederhole das, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil natürlich nicht mehr alle dabei sind, die damals die- (B) 83 Prozent der Bevölkerung sprachen sich gemäß ei- se Beschlüsse mitgefasst haben . (D) ner repräsentativen Umfrage für einen Komplettumzug der Ministerien nach Berlin aus . Wir Linke sprechen uns (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die We- ebenfalls ganz klar für einen Komplettumzug nach Berlin nigsten!) aus . So sagte auch Johann Wolfgang von Goethe einmal wei- se: (Beifall bei der LINKEN) Man muss das Wahre immer wiederholen, weil Er ist gut, er ist begründet, er ist längst überfällig . auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, . . Wir brauchen ein Beendigungsgesetz mit einem kon- (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Des- kreten Umzugsplan für alle Ministerien, natürlich unter halb stellen wir immer wieder diesen Antrag!) Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften . Ganz ehrlich: Es wächst eine Generation heran, jünger Deshalb bekennen wir uns auch im Koalitionsvertrag als ich, die die Bonner Republik und die deutsche Zwei- zur Existenz zweier bundespolitischer Zentren und las- teilung nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt . sen keinen Raum für Interpretation . Darin heißt es un- missverständlich: (Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz . Bonn bleibt DDR auch! Das ist gut so!) das zweite bundespolitische Zentrum . Es ist peinlich und auch nicht mehr vermittelbar, dass das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gesetz, das 1994 in Kraft getreten ist, weiter fortgeführt der SPD) wird . Es wird Zeit, die Bonner Republik in den Ruhe- – Ja, Sie dürfen ruhig klatschen . stand, in die wohlverdiente Rente zu schicken . Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu . Damit hätten wir die (Frank Tempel [DIE LINKE]: Im Protokoll deutsche Zweiteilung auch in dieser Hinsicht überwun- steht: Einsamer Beifall!) den . Sie führen in Ihrem Antrag an, dass sich Bonn als UN- Stadt doch bereits wunderbar etabliert habe . Ja, natürlich, Vielen Dank . und ich glaube, zum Glück ist das auch so . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Aber warum entwickelt sich das eigentlich so? Wa- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rum siedeln sich immer mehr internationale Institutionen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19555

Christian Haase (A) in Bonn an? Weil in Bonn noch relevantes Regierungs- mich eher populistisch, aber das hören wir von den Ex- (C) geschehen stattfindet und weil wir die Nähe zu Brüssel tremparteien in Deutschland ja öfter . haben . Fangen wir jetzt an, dort unsere Zelte abzubre- chen – was glauben Sie, wie schnell sich dieser Bedeu- Wir sprechen hier nicht über die Einzelinteressen ei- tungsverlust weiter herumspricht, die anderen Institutio- ner Stadt, so wie Sie es eben gemacht haben, sondern nen den gleichen Weg Richtung Berlin nehmen werden von der nationalen Bedeutung einer gesamten Region . und dann in Bonn nichts mehr bleibt? Deshalb gibt es Deshalb haben alle Fraktionen im Düsseldorfer Landtag ein Positionspapier aus der Region Bonn, „Bundesstadt einstimmig einen Antrag zu diesem Thema eingebracht . Bonn – Kompetenzzentrum für Deutschland“, das wir Auch hier im Hohen Hause sollten wir ein Zeichen für bei der weiteren Diskussion durchaus beachten sollten . die Glaubwürdigkeit politischen Handelns setzen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine Damen und Herren, unser ehemaliger Bun- ordneten der SPD) despräsident Johannes Rau sprach in seiner Amtszeit von den zwei Säulen, den zwei politischen Zentren in Für uns gilt: Erstens . Wir halten uns an Verträge . Zwei- Deutschland, und auch heute ist die Arbeitsteilung zwi- tens . Wir sind gegen politisch motivierten Zentralismus . schen Bonn und Berlin ein klares Bekenntnis zur le- Drittens . Wir denken an die Menschen und die Kosten . bendigen, föderalen Tradition unseres Landes . Wir ver- zichten bewusst auf die Konzentration in einer einzigen Schönen Dank . Machtmetropole . Das ist unsere Positionierung in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Staatsformfrage . Das ist Ihnen von den Linken sicherlich ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ ein wenig fremd . DIE GRÜNEN) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir sind auch nicht von gestern!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Anja Hajduk hat als nächste Rednerin für die Fraktion Gern möchte ich noch einen Blick auf die Fakten wer- Bündnis 90/Die Grünen das Wort . fen . Ja, der Ausgleich für die Region Bonn ist bislang gelungen; das können wir feststellen . Die Regierungs- aufgaben werden in Bonn und Berlin erfolgreich und Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verantwortlich wahrgenommen, und nie waren die tei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- lungsbedingten Kosten so niedrig wie beim letzten Tei- ren! Lieber Herr Haase, der Föderalismus in Deutschland lungsbericht 2015 . Knapp 7,5 Millionen Euro werden als erschöpft sich nicht in der Berlin/Bonn-Frage und -Po- neuester Tiefstand angegeben, und selbst wenn das na- larität . (B) (D) türlich viel Geld ist: Es ist im Gegensatz zu den Gesamt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kosten eines Umzuges wahrlich ein Schnäppchen . Diese und bei der LINKEN) werden mit 2 bis 5 Milliarden Euro angegeben, und – Sie können sicher genauso gut rechnen wie ich – Er ist ein bisschen größer . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Besser!) (Christian Haase [CDU/CSU]: Er gehört dazu!) rein betriebswirtschaftlich ist das eine Amortisationszeit von 250 bis 625 Jahren . Deshalb ist es gut, dass auch der Ich sage das nicht nur als Hamburgerin . Da kann man Sachstandsbericht zur Umsetzung des Berlin/Bonn-Ge- auch auf andere Regionen schauen. Ich finde, das hat es setzes feststellt, dass die Arbeit effektiv ist, auch wenn es nicht getroffen . natürlich noch Effizienzpotenziale gibt, und dort sollten Ich sage schon: Das Berlin/Bonn-Gesetz war zu seiner wir draufschauen . Zeit richtig und notwendig . Man kann feststellen, dass Meine Damen und Herren, Verabredungen, die gelten, Bonn in der Folge davon profitiert hat. Aber auch Ber- müssen auch Bestand haben, und ich bin schon enttäuscht, lin hat natürlich davon profitiert und ebenso unser Land. wie leichtfertig Sie von den Linken mit den Schicksalen Denn es war eine Voraussetzung dafür, dass wir Berlin und den Arbeitsplätzen Tausender von Menschen in der als Hauptstadt bekommen haben . Das ist, glaube ich, Region Bonn umgehen . Noch vor ungefähr zehn Stunden sehr richtig . Man kann aber auch ganz nüchtern feststel- wurde hier von Mietpreisbremsen und Wohnungsbau ge- len: Bonn hatte 2013 das höchste Bruttoinlandsprodukt sprochen, und Sie wollen jetzt, wenn Sie immer sagen, pro Erwerbstätigem in NRW . Bonn hat sich wirtschaft- in Berlin sei der Wohnungsmarkt so knapp und die Mie- lich extrem gut entwickelt . Die Zahl der Erwerbstätigen ten so teuer, die Menschen aus Bonn alle hierher auf den ist um 8,4 Prozentpunkte gestiegen . Man kann also sa- Wohnungsmarkt schicken, der jetzt schon überfüllt ist . gen: Die Maßnahmen, die für Bonn verabredet wurden, Ich glaube, das war wieder einmal ein Schnellschuss und sind sehr wirksam gewesen . Das ist schlicht Faktum . kein verantwortliches Handeln . Der Bund ist immer noch ein großer Arbeitgeber mit 37 000 Arbeitsplätzen in Einrichtungen des Bundes, und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) das, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bundesministerien weniger geworden sind; die Tendenz Zu verantwortlichem politischem Handeln gehört ist fallend . meiner Meinung nach, zunächst einmal zu analysieren – der Bericht ist ja noch warm vom Kopieren – und dann Wenn wir nüchtern darauf schauen – dem kann man in Ruhe seine Schlüsse zu ziehen . Alles andere klingt für sich auch als Politiker aus Nordrhein-Westfalen nicht 19556 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Anja Hajduk (A) verschließen –, dann sehen wir, dass solch ein Doppel- denn er hat sowieso schon begonnen . Dieser Trend kann (C) system von Dienstsitzen auch seinen Preis hat . Der Rea- nicht krampfhaft aufgehalten werden . litätscheck, den man wirklich regelmäßig machen muss, Schönen Dank . ist mit dem Bericht der Ministerin Hendricks, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, erfolgt . Dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bericht zeigt ganz deutlich, dass die Zusammenarbeit sowie des Abg . Dr .Philipp Lengsfeld [CDU/ sowohl innerhalb als auch zwischen den Ressorts ef- CSU]) fektiv ist und die Arbeit auch erfüllt wird, aber dass die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung in diesen Fällen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nur unter Inkaufnahme erheblichen Mehraufwandes auf- Matthias Schmidt hat als nächster Redner das Wort für rechterhalten wird . Das ist schlicht die Wahrheit . Dazu die SPD-Fraktion . müssen wir uns auch bekennen . (Beifall bei der SPD) Der Bericht führt folgende Fakten auf: Mittlerweile sind 64 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Berlin. 72 Prozent der Neueinstellungen finden in Ber- Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): lin statt und nur 27,2 Prozent in Bonn . Mehr als 50 Pro- Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Meine sehr geehrten zent der Beamten in Bonn machen Dienstreisen und nur Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe 17,6 Prozent der Beamten in Berlin . Drei Viertel aller Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit dem Bonner Beamtinnen und Beamten gehen in den nächsten Berlin/Bonn-Gesetz wird oftmals vom Rutschbahneffekt 20 Jahren in Pension . Das sind Fakten, auf die man dem- gesprochen . Zur Erinnerung, was eine Rutschbahn ist – nächst reagieren muss . diejenigen, die kleine Kinder haben, wissen es –: Kinder krabbeln auf der einen Seite hoch, und je nachdem, wie Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass wir viel Mut sie haben, rutschen sie auf der anderen Seite wissen: Es gibt Trends zugunsten von Berlin . Diese wird schnell oder langsam nach unten . Wenn die Kinder unten man nicht krampfhaft stoppen können, indem man sich angekommen sind und mit den Füßen wieder im Sand immer nur an das Bonn/Berlin-Gesetz erinnert, sondern stehen, dann strahlen sie auf jeden Fall und freuen sich . man muss mit diesen Trends klug umgehen . Klug um- gehen heißt, dass man mit der Stadt Bonn, mit Nord- Um im Bild zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kol- rhein-Westfalen einmal darüber redet: Was ist eigentlich legen von den Linken: Sie wollen den Rutschbahneffekt eine realistische, sinnvolle und auch vertretbare Lang- nicht beschleunigen; Sie wollen gleich die ganze Rutsch- fristperspektive? Sie stellt sich heute, im Jahr 2016, mit bahn umwerfen . Blick auf die nächsten 30 Jahre anders dar als 1994 . Da- (B) (Roland Claus [DIE LINKE]: Weil wir mutig (D) von bin ich zutiefst überzeugt . sind! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nach 25 Jahren?) NEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Das hat den Effekt, dass die Kinder im Sand liegen, und Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]) zwar schlagartig . Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Das heißt aber auch – das möchte ich schon in Rich- Kein Kind wird lachen, sondern, im Gegenteil, sie wer- tung der Linken sagen –, dass wir, glaube ich, mit ei- den alle weinen und höchst unglücklich sein . nem Hauruckverfahren, mit einer Frontstellung „Berlin (Sebastian Hartmann [SPD]: Das will doch gegen Bonn“ jetzt nicht angemessen reagieren würden . keiner!) Man muss da wirklich einen Prozess in Gang setzen, der eine andere dauerhafte Perspektive in den Blick nimmt – Genau . und dabei auch die erfolgreichen Cluster erhält, die es in Kommen wir zu Ihrem Antrag . Sie fordern ein Be- Bonn als internationaler Stadt und als Bildungshochburg endigungsgesetz . Okay, das kann man fordern; das ist gibt . richtig . Zugleich wollen Sie aber bis zum Jahr 2020 alle Schließen möchte ich mit folgendem Hinweis: Die Bundesministerien nach Berlin holen . Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben ein Recht (Zuruf von der LINKEN: Bis wann?) darauf, dass wir auch mit den ineffizienten Doppelstruk- turen perspektivisch richtig umgehen . Wenn über 80 Pro- – In Ihrem Antrag steht: bis 2020 .– Gerade einmal eine zent der Deutschen für einen Umzug der Ministerien aus Legislaturperiode wollen Sie sich dafür Zeit nehmen . Bonn nach Berlin sind, ist das ein Hinweis . Politik, die Das ist faktisch sehr, sehr schwierig mit Blick auf die in ihrem Ansehen sehr in der Kritik steht, muss sich auch Häuser und Liegenschaften sowohl in Berlin als auch in solchen Prozessen widmen . Deswegen kann ich nur sa- Bonn . Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn gen: Es ist auch im Interesse der Politik, mit der Bonn/ ist das aber auch ein persönliches Desaster, wenn Sie das Berlin-Frage flexibler umzugehen, als es sich vielleicht so übers Knie brechen wollen . Bitte bedenken Sie erstens manche aus Nordrhein-Westfalen 1994 vorgestellt ha- die Altersstruktur der Mitarbeiter in Bonn, zweitens aber ben . Das muss kein Hauruckabbruch sein . Das muss auch auch, dass viele Bonner aus sozialen Gründen damals in nicht zulasten von Bonn gehen . Bonn geblieben sind . So schnell geht das allenfalls frei- willig, und das wird ja auch oft genug gemacht . In diesem Sinne werden wir Grünen für einen ver- nünftigen Prozess streiten, der auch eine Veränderung Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir der Ministerien in Richtung Berlin nicht ausschließt; müssen reden . Wir müssen reden über Dienstreisen, über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19557

Matthias Schmidt (Berlin) (A) Kontakte, die nur per E-Mail stattfinden, über Videokon- Bonn vorgelegt . Die Ministerin hat zu ein und demselben (C) ferenzen, über Kollegialität, die manchmal auf der Stre- Thema zwei Pressekonferenzen an zwei Orten gegeben, cke bleibt, und über Nachwuchsgewinnung . erst am Rhein, dann an der Spree . Aufgrund der Witte- rung – der Flughafen Köln/Bonn lag im Nebel – hing Das Berlin/Bonn-Gesetz ist 22 Jahre alt . Es ist ein gu- Frau Ministerin Hendricks in Berlin ihrem Terminplan tes Gesetz . eine Stunde hinterher . Doppelte Arbeit, Verspätungen, (Beifall des Abg . Sebastian Hartmann [SPD]) unnötige Kosten, Reisestress: In den Umständen der Prä- sentation des Statusberichts verdichten sich symptoma- Aber ist es wirklich noch zeitgemäß? Was bedeutet es für tisch die Widrigkeiten, die die Teilung der Regierungs- den Steuerzahler, was für die Beschäftigten und was für funktion auf zwei Standorte mit sich bringt . Und der die Aufgaben und die Arbeitsteilung? Genau diese Fra- Statusbericht selbst bestätigt diese Einschätzung . Denn gen hatte Bundesministerin Barbara Hendricks bereits dort können wir schwarz auf weiß nachlesen: „Die Funk- vor fast einem Jahr zu Recht gestellt . Das geschah aus tionsfähigkeit der Bundesregierung“ wird nur „durch ei- der klaren Erkenntnis, dass die Arbeitsteilung, die das nen erheblichen Mehraufwand und damit auf Kosten der Berlin/Bonn-Gesetz 1994 vorsah, also vor 22 Jahren, Effizienz aufrechterhalten.“ längst nicht mehr zeitgemäß ist . In der Tat, meine Damen und Herren, sprechen die So sah das Gesetz zum Beispiel vor, dass mehr als Fakten für sich . Ich erwähne Zehntausende Dienstreisen, die Hälfte aller Arbeitsplätze der Regierung in Bonn ich erwähne die teuren Doppelstrukturen, ich erwähne verbleibt . Das ist aber schon seit 2008 nicht mehr der die Reibungsverluste, die damit zwangsläufig einherge- Fall . Knapp zwei Drittel der ministeriellen Arbeitsplät- hen . Frau Ministerin, Sie sind die Umzugsbeauftragte der ze befinden sich heute in Berlin, und gar drei Viertel der Bundesregierung . Ich hätte mir von Ihnen schon erwar- Neueinstellungen erfolgen hier in Berlin . Das ist das, tet, dass Sie nicht nur Fakten auflisten, sondern gestützt was man den Rutschbahneffekt nennt . Hier werden somit auf diese Fakten auch eine Haltung entwickeln und vor über die Personalentwicklung faktische Verlagerungen allem die richtigen Schlüsse ziehen . zugunsten Berlins vorgenommen; und diese schreiten fort . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und behut- Bonn hat sich unbestritten, liebe Kolleginnen und sam die richtigen Schlüsse daraus ziehen . Dafür bedarf Kollegen, große Verdienste erworben: um die Freiheit, es parteiübergreifender Diskussionen . Hier geht es, wie um die Demokratie, ja, um den Rechtsstaat in Deutsch- wir ja merken, nicht um die Grenzen zwischen Parteien, land . Dass es nach 1945 gelungen ist, in Deutschland sondern eher um die Regionen . Es bedarf insbesondere eine stabile Demokratie zu errichten, bleibt für immer einer intensiven Debatte in der betroffenen Region, in mit Bonn verbunden . (B) Nordrhein-Westfalen und auch in Rheinland-Pfalz . (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Barbara Hendricks hat zur genaueren Untersuchung Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]) dieser Fragen eine Studie in Auftrag gegeben . Sie liegt uns heute als Bericht vor . Dieser Bericht liefert eine gute Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Berlin heute die Grundlage, um jetzt den Prozess eines weitgehenden anerkannte Hauptstadt Deutschlands ist . Und ich meine, Komplettumzugs von Bonn nach Berlin einzuleiten . Die- zu einer Hauptstadt, die das gesamte Land repräsentiert, se Bemerkung muss ein überzeugter Berliner hier ruhig gehört auch die ungeteilte Regierungsfunktion . Auch machen dürfen . deshalb ergibt es aus meiner Überzeugung keinen Sinn, Ich bin mir bewusst, dass solch eine Forderung in der weiter auf einer teuren Arbeitsteilung zu beharren und Region Bonn ganz andere Emotionen hervorruft als in die unnatürliche Teilung der Regierung künstlich zu ver- Berlin . Wir können uns aber der faktischen Entwicklung längern . nicht verschließen und sollten dieses Thema nach vorne Ja, der Rutschbahneffekt in Richtung Berlin ist längst gerichtet angehen . Lassen Sie uns etwas Gutes machen: eine Realität . Und gerade für die Bonner ist es doch alle- für Bonn, für Berlin und für Deutschland . mal besser, einen Wandel aktiv zu gestalten, statt von der Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . Macht des Faktischen überrollt zu werden . (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Absolut richtig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bonn steht heute

Vizepräsidentin Claudia Roth: besser da als vor dem Hauptstadtbeschluss . Die UNO, Vielen Dank, lieber Matthias Schmidt . – Schönen gu- die Telekom, zahlreiche Bundesbehörden, Institutionen ten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Nächs- und Unternehmen haben sich am Rhein neu angesiedelt . te: Kai Wegner, Berlin, für die CDU/CSU . Ich bin entschieden dafür, Bonn als UN-Standort weiter (Beifall bei der CDU/CSU) zu stärken und auch weitere Bundesbehörden dort anzu- siedeln . Bonns Verdienste haben historischen Rang, und Bonn verdient auch in Zukunft Verlässlichkeit, aber eben Kai Wegner (CDU/CSU): auch Ehrlichkeit . Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, vergangener Woche hat Frau Ministerin Hendricks den die Frage nach dem Standort der Regierung ist von na- Statusbericht zur Arbeitsteilung zwischen Berlin und tionaler Bedeutung. Ich finde, sie eignet sich nicht für 19558 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Kai Wegner (A) parteipolitische Instrumentalisierung hier im Deutschen man doch der Region Bonn nicht zum Vorwurf machen, (C) Bundestag zu später Stunde . dass das, was man damals weise verabredet hat und wo- mit man sich nach einer so schwierigen Entscheidung (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann gemeinsam auf den Weg gemacht hat, gut gelungen ist . können Sie zustimmen!) Und das gibt doch Anlass, zu hinterfragen: Was ist gut Wenn Sie diese Debatte ernsthaft hätten führen wollen, gelungen, und was ist weniger gut gelungen? dann hätten Sie das viel früher mit anderen Fraktionen vorbereiten sollen . Es gehört zur Kritik auch dazu, festzustellen, dass während des ersten Kabinetts von , ab dem (Roland Claus [DIE LINKE]: Aber hallo! Jahre 2008, der Effekt eingetreten ist, dass die Mehrzahl Zehn Jahre! – Weitere Zurufe von der LIN- der ministeriellen Arbeitsplätze entgegen dem Wortlaut KEN) des Gesetzes, entgegen der Vereinbarung, die damals ge- Wenn wir uns zu einer anderen Gelegenheit an der be- troffen worden ist, plötzlich von Bonn nach Berlin ver- rühmten Berlin/Bonn-Debatte von 1991 orientieren, lagert worden sind . Der Rutschbahneffekt hat sich also dann sehe ich in dieser Debatte in der Tat das Potenzial verstärkt – unabhängig davon, ob die Rutschbahn nun für eine erneute Sternstunde hier im Parlament . umgeworfen wurde oder sich das Rutschen beschleunigt hat –, und mit diesem Prozess muss man sich eben aus- Meine Damen und Herren, die wiedervereinigte einandersetzen . Hauptstadt Berlin ist das Symbol dafür, dass Deutschland seine Spaltung überwunden hat . Die geordnete Konzen­ Ich bin der Bundesbauministerin und Umzugsbeauf- tration der Regierungsfunktion an der Spree wäre deshalb tragten, Frau Hendricks, sehr dankbar – das sage ich aus- auch eine Entscheidung für die geordnete Vollendung der drücklich –, dass sie einen Statusbericht vorgelegt hat, deutschen Einheit . mit dem man eben nicht dazu verleitet wird, nur über teilungsbedingte Kosten zu sprechen; denn dann könnte Herzlichen Dank . man sehr leicht dem Fehler der Linken erliegen, Reise- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kosten mit anderen Kosten zu verwechseln . Wenn man ordneten der SPD) den Teilungskostenbericht genau gelesen hätte, dann wüsste man, dass es in Wirklichkeit weniger sind als die erwähnten 7 Millionen Euro pro Jahr . Die Reisekosten Vizepräsidentin Claudia Roth: könnte man auch noch in Bezug setzen zu den Milliarden Vielen Dank, Kai Wegner . – Der letzte Redner in der Euro an Investitionen für neue Betonbauten, die man in Debatte: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion . Berlin hätte errichten müssen, um dort irgendwelche Ar- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beitsplätze unterzubringen . (D) der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 25 Jahren können wir natürlich ganz anders auf die geteilte Regie- Sebastian Hartmann (SPD): rungsfunktion schauen; denn heute hat man durch die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Chancen, die die Digitalisierung bietet, noch viel mehr Kollegen! Fast müsste man den Linken danken, dass sie Möglichkeiten . Dass man sagen kann, dass die Region diesen Antrag gestellt haben, wenn man ihn nicht hätte Bonn profitiert hat und internationaler Standort ist, hängt lesen müssen . Man kann natürlich eine Debatte über den eng damit zusammen, dass man entsprechende Regie- Status einer Region Bonn führen, man kann auch über rungsfunktionen, vor allen Dingen auf dem Gebiet der das Berlin/Bonn-Gesetz reden, aber was man nicht tun Entwicklungszusammenarbeit, gezielt in Bonn angesie- darf, ist, das Berlin/Bonn-Gesetz, das nach einer Debatte delt hat . Die UN ist hier ein gutes Beispiel . Sie ist als eine 1991 mit knappster Mehrheit beschlossen worden ist, so internationale Organisation dank der Reisemöglichkeiten in Einzelteile zu zerlegen und falsch zu zitieren . und der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, die heute noch viel stärker als in der Vergangenheit ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geben sind, gekommen . Dazu hat auch beigetragen, dass der CDU/CSU und der Abg . Katja Dörner sich zum Beispiel der Bonner Bundestagsabgeordnete [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ulrich Kelber in der Vergangenheit immer wieder ge- Wenn man nämlich nur einzelne Abschnitte aus diesem meinsam mit allen anderen in der Region dafür einge- Gesetz zitiert und aufgrund dessen behauptet, dass das setzt hat, dass dieser Pfad des Erfolges weiter beschritten Gesetz darauf abziele, Stück für Stück alles nach Berlin wird . zu verlegen, dann lässt man außer Acht, dass es um eine faire Arbeitsteilung zwischen der Region Bonn und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neuen Hauptstadt Berlin gehen sollte . der CDU/CSU) Diese Arbeitsteilung ist doch erfolgreich . Ja, wir ha- Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns all ben es geschafft, die Vollendung der deutschen Einheit – das nicht einfach zur parteipolitischen Profilierung nut- so sah es der Antrag auch vor – durch einen Teilumzug zen . Lassen Sie uns nicht wie die Linken, die gesagt ha- der entsprechenden Ministerien und eine Verlagerung der ben: „2020 wird der Regierungsumzug vollzogen sein“, Verfassungsorgane nach Berlin zu vollziehen . Wir haben die Beschäftigten verunsichern . Wenn man einem sol- das aber eben im beiderseitigen Interesse gemacht, so- chen Antrag folgen würde, dann hieße das, dass morgen dass Bonn und Berlin profitieren konnten, und nun darf die Umzugswagen vorfahren müssten . Dadurch würden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19559

Sebastian Hartmann (A) wir das umwerfen, was wir in der Region Bonn für die Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär beim Bundesmi- (C) Bundesrepublik Deutschland gemeinsam erreicht haben . nister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Anmerkung an dieser Stelle: Mein Dienst- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie sitz als Abgeordneter ist in Berlin .– Stichwort „Trans- der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE parenz“: Transparenz vor allem dort, wo es darauf an- GRÜNEN]) kommt, ist das zentrale Anliegen der Bundesregierung und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau- Vizepräsidentin Claudia Roth: cherschutz . Danke, Sebastian Hartmann . – Ich schließe die Aus- Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf wird die so- sprache . genannte CSR-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf CSR steht für Corporate Social Responsibility, also für Drucksache 18/8130 an die in der Tagesordnung auf- die Verantwortung von Unternehmen für die Auswirkun- geführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Feder- gen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Gesellschaft . Wir führung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau bringen mit dem Gesetzentwurf verbindliche Regelun- und Reaktorsicherheit liegen soll .– Ich sehe, dass Sie gen für mehr Transparenz im Bereich der unternehmeri- damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so schen Verantwortung auf den Weg . beschlossen . Der vom Bundesminister Heiko Maas vorgelegte Ge- Ich bitte, die Plätze zu tauschen und gleich wieder ein- setzentwurf verpflichtet große, am Kapitalmarkt tätige zunehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungsunter- aufrufen kann . Es handelt sich um den Tagesordnungs- nehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern dazu, in ihren punkt 14 sowie den Zusatzpunkt 7: Lage- bzw . Konzernlageberichten künftig verstärkt auch sogenannte nichtfinanzielle Themen darzustellen. 14 . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung Erforderlich werden da vor allem Angaben über we- der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unter- sentliche Risiken und Konzepte der Unternehmen zu nehmen in ihren Lage- und Konzernlageberich- Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, die Ach- ten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) tung der Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung . Dort, wo es relevant und verhältnismäßig ist, müssen Drucksache 18/9982 auch Angaben zu den globalen Lieferketten erfolgen . Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Darüber hinaus regeln wir, dass bestimmte börsenno- (D) Finanzausschuss tierte Unternehmen ihre Erklärung zur Unternehmens- Ausschuss für Arbeit und Soziales führung durch präzise Angaben zu den Diversitätskon- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- zepten für ihre Leitungsorgane ergänzen müssen . heit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Schließlich erweitern wir im Handelsbilanzrecht heu- ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate te schon bestehende Straf- und Bußgeldvorschriften und Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Ab- heben auch den bisherigen maximalen Bußgeldrahmen geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE deutlich an . GRÜNEN Wir wollen einen Anreiz schaffen, CSR-Themen und Zukunftsfähige Unternehmensverantwor- die damit verbundenen Risiken, Konzepte und Prozesse tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und noch stärker in die Unternehmensführung einbinden zu aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der lassen . Der Gesetzentwurf leistet damit einen wichtigen CSR-Richtlinie Beitrag für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verant- wortung durch Unternehmen . Wir stärken zugleich auch Drucksache 18/10030 das Vertrauen von Investoren sowie Verbraucherinnen Überweisungsvorschlag: und Verbrauchern in die Unternehmen . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Viele Unternehmen haben schon heute erkannt, dass Ausschuss für Wirtschaft und Energie Chancen für sie damit verbunden sind, ihre Aktivitäten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen . Wir haben heit zahlreiche Beispiel von deutschen Unternehmen, die Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe bereits heute gezielt Nachhaltigkeitsberichte vorlegen, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für auch um sich im Wettbewerb um Kunden und Investo- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre und ren zu positionieren . Wir gehen mit dem Gesetzentwurf sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . einen Schritt weiter und schaffen eine verbindliche, aber ausgewogene Berichtspflicht. Ich eröffne die Aussprache und gebe Ulrich Kelber, dem Parlamentarischen Staatssekretär aus Bonn, das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wort . der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Neuregelungen sollen bereits für im Jahr 2017 der CDU/CSU) beginnende Geschäftsjahre wirksam werden . Wir haben 19560 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber (A) uns vor diesem Hintergrund auf die durch die Richtlinie werden sollten, wurde durch das CDU-geführte Finanz- (C) veranlassten Änderungen konzentriert und gemeinsam ministerium ganz im Sinne der Wirtschaft weichgespült . entschieden, andere Anliegen nach Möglichkeit außer- Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die Interessen halb des engen Zeitplanes der Umsetzung der europäi- der Wirtschaft über die gesellschaftlichen und umwelt- schen Richtlinie zu prüfen . politischen Interessen der Menschen und der Arbeitneh- Meine Bitte ist: Lassen Sie uns den Gesetzentwurf merinnen und Arbeitnehmer . Er fällt hinter zentrale For- zügig beraten, die Richtlinie rechtzeitig umsetzen und derungen der Europäischen Richtlinie zurück . Das ist für damit die neuen Transparenzvorgaben rechtzeitig für das die Linke nicht akzeptabel Geschäftsjahr 2017 in Kraft setzen . (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . und sollte auch von diesem Parlament nicht hinge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nommen werden . Von 11 200 großen Unternehmen in Deutschland werden nach diesem Gesetz nur etwa 300 Unternehmen verpflichtet sein, ihre Geschäftstä- Vizepräsidentin Claudia Roth: tigkeit nach den genannten Kriterien offenzulegen und Vielen Dank, Ulrich Kelber . – Nächste Rednerin: über die gesellschaftlichen Folgen ihrer Aktivitäten zu Karin Binder für die Linken . berichten . Nur börsennotierte Unternehmen mit mehr als (Beifall bei der LINKEN) 500 Beschäftigten werden von diesem Gesetz erfasst . (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das steht Karin Binder (DIE LINKE): zufällig auch in der Richtlinie, Kollegin!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Durch diesen sehr eingeschränkten Anwendungsbe- Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Große reich fallen zum Beispiel große Lebensmittelkonzerne Unternehmen sollen ab 2017 in ihren Geschäftsberichten wie Lidl, Edeka, Aldi oder auch der dm-Drogeriemarkt nicht mehr nur über ihre Finanzsituation informieren . Sie durch den Rost . Sie lassen zwar weltweit produzieren, sollen künftig auch öffentlich machen, wie sie die Einhal- sind aber nicht zur Offenlegung verpflichtet. Aber genau tung von Menschenrechten, Umweltschutz und Arbeit- diese Unternehmen werden regelmäßig für die schlech- nehmerrechten gewährleisten und wie sie ihre Geschäfte ten Produktionsbedingungen ihrer Eigenmarken in fer- und das Unternehmen gegen Korruption schützen . nen Erzeugerländern kritisiert . Mit der Berichterstattung zur Corporate Social Res- Die Linke fordert deshalb, dass alle deutschen Unter- ponsibility, also unternehmerischen Sozialverantwor- nehmen, die im globalen Handel tätig sind, gesetzlich (B) tung, kurz CSR, sollen Konzerne über die Wahrnehmung verpflichtet werden müssen und menschenrechtliche (D) ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung Aus- Sorgfalt in den Handelsbeziehungen entlang der gesam- kunft geben . Insbesondere deutsche Unternehmen haben ten Wertschöpfungskette garantieren müssen . hier aufgrund ihrer weltweiten Handelsbeziehungen, auf- grund multinationaler Liefer- und Produktionsketten eine (Beifall bei der LINKEN) besondere Verpflichtung. Die Linke fordert auch, dass der Geltungsbereich des (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Gesetzes auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten erwei- tert werden sollte, unabhängig davon, ob sie an der Börse Wer mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzer- notiert sind oder nicht . störung Profite macht, hat kein legales Geschäftsmodell und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden . Nicht zuletzt sollte das CSR-Gesetz auch einer bes- seren Verbraucherinformation dienen . Daher müssen die (Beifall bei der LINKEN) Berichte in verständlichen Worten verfasst werden . Und 2015 wurde in einer internationalen Studie der Univer- aus verbraucherpolitischer Sicht brauchen wir eine Be- sität Maastricht festgestellt, dass 87 deutsche Unterneh- richtsform, die Vergleiche verschiedener Unternehmen men direkt oder indirekt im Ausland Menschenrechtsver- ermöglicht . letzungen begangen oder zugelassen haben . Das dürfen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir nicht hinnehmen . NEN]: Lesen Sie gerade meinen Antrag vor?) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Der vorliegende Gesetzentwurf weist eine leider noch Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lange Liste von Mängeln auf, die ich jetzt nicht mehr auf- NEN]) zählen kann . Die Linke fordert aber die Koalition auf, im Sinne weltweiter Einhaltung von Menschenrechten, des Eines möchte ich ganz klar sagen: Für die Linke ist die Schutzes der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte deutli- Einhaltung von Menschenrechten nicht verhandelbar . che Korrekturen an diesem Gesetzentwurf vorzunehmen . Es wird dabei offensichtlich, dass wir uns auf freiwil- lige Maßnahmen und Selbstverpflichtungserklärungen Deutschland ist eine der mächtigsten Marktwirtschaf- der Unternehmen nicht verlassen können . Das zeigt lei- ten der Welt . Wir könnten viel bewegen, wenn wir denn der auch das Textilbündnis von Entwicklungsminister wollten . Müller . Der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Men- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . schenrechte“, durch den unwürdige Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsbranche aufgezeigt und verbessert (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19561

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Berichterstattung des Jahresabschlusses einfließen lassen (C) Vielen Dank, Karin Binder . – Nächster Redner in der können und müssen . Debatte: Dr .Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion . Bei allem Verständnis für das Interesse an zusätzli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chen Informationen darf nicht übersehen werden, ordneten der SPD) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Interesse?) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass deren Beschaffung und Zurverfügungstellung für Corporate Social Responsibility – wir haben es gerade die Unternehmen einen beträchtlichen Verwaltungsauf- schon vom Staatssekretär gehört – beschreibt die Tatsa- wand darstellt . che, dass Unternehmen nicht nur ihren Eigentümern ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hören, sondern in vielfältiger Weise auch zu anderen Be- NEN]: Ach was!) zugsgruppen in intensiver Beziehung stehen . Zu nennen sind erst einmal die Arbeitnehmer; aber die Unternehmen – Frau Künast, auf Ihren Antrag komme ich gleich noch haben auch – positiven oder negativen – Einfluss auf die zu sprechen .– Deshalb ist es richtig, dass kleine und Umwelt, und sie können durch ihre Zulieferketten Ein- mittlere Unternehmen nicht von der Berichtspflicht um- fluss auf die Arbeitsbedingungen auch in anderen Län- fasst werden, dass keine weiteren Themen – jedenfalls dern haben . im Augenblick; Herr Kelber hat das angesprochen – in den Gesetzentwurf aufgenommen werden, insbesondere All das sind wichtige Faktoren, die den Wert eines nicht die Frage des Verbraucherschutzes, und dass die Unternehmens nicht zwingend für die Eigentümer, wohl Angaben zur Corporate Social Responsibility nicht von aber für uns, für die Gesellschaft, ausmachen . Hierüber einem externen Prüfer auf inhaltliche Richtigkeit über- mehr zu wissen, ist deshalb ein berechtigtes Anliegen prüft werden müssen . eben dieser unserer Gesellschaft, das man verfassungs- rechtlich als Teil der Sozialpflichtigkeit des Eigentums Dieser zutreffende Ansatz hinsichtlich der Einschrän- ansehen kann . Die bislang fehlende Offenlegung ist aber kungen muss aber noch ein bisschen nachgezeichnet sicher auch der Tatsache geschuldet, dass es hier um Fak- werden . Denn zunächst fehlt die entsprechende Kon- toren geht, die man bilanziell – ich sage das bewusst – als kretisierung bzw . Einschränkung im sogenannten En- „weiche“ Faktoren bezeichnet . forcement-Verfahren . Zudem wird diese Beschränkung derzeit noch dadurch konterkariert, dass bei einer frei- Die Europäische Union unternimmt deshalb mit der willigen externen Überprüfung des Berichts das Ergeb- Richtlinie, die durch das Gesetz umgesetzt werden soll, (B) nis dennoch offenzulegen ist . Auch darüber müssen wir (D) zu Recht den Versuch, die Art und Weise der Berichter- nachdenken . Schließlich ist es möglich, dass über eine stattung über diese Informationen europaweit anzuord- Anfechtungsklage eine Prüfung erzwungen wird . Damit nen und zu harmonisieren . Sie tut das, indem sie die wird der Ansatz im Ergebnis konterkariert . Wir müssen Offenlegung der maßgeblichen Informationen als Teil auch darüber nachdenken, ob das wirklich so gewollt ist . des Jahresabschlusses verlangt, was insoweit durchaus richtig ist, als aus den genannten Sachverhalten Risiken Was die teilweise geforderten Angaben zum Verbrau- aber eben auch Chancen für die Unternehmen resultieren cherschutz anbelangt, kann man nur sagen, dass ihre können, die auch heute schon Gegenstand des Lagebe- Verortung im Jahresabschluss systemfremd wäre . Denn richts im Jahresabschluss sind . von einem Unternehmen kann nicht gleichzeitig die Ge- winnerzielung verlangt werden – denn das ist es, wofür Deshalb sieht der Regierungsentwurf vor – Herr Gesellschaften da sind – und auf der anderen Seite die Kelber hat das eben schon gesagt –, dass kapitalmarkt­ Berücksichtigung der Interessen der Marktgegenseite . orientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern bestimmte, sogenannte nichtfinanzielle Angaben in die (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bilanz aufnehmen müssen . Es gibt die Möglichkeit, in NEN]: Was? Was ist das denn für ein Unsinn? bestimmten Fällen auf diese Angaben zu verzichten, Du kannst doch nicht die Kunden vergiften!) wenn entweder diese zu erheblichen Nachteilen führen Ein richtiger Ansatz ist hier vielmehr, dass diese Aufgabe könnten oder man das konzernweit zusammenfasst . wie bisher durch unabhängige dritte Institutionen wie die Bei alledem sollte aber nicht übersehen werden, dass Stiftung Warentest oder durch Gütesiegelgemeinschaften wir in Deutschland mit der unternehmerischen Mitbe- wahrgenommen wird . Auch darüber haben wir schon ei- stimmung schon heute Stakeholder-Interessen in einem niges gehört . Maße einbeziehen, das im internationalen Vergleich kei- Dass die Kosten im Übrigen zu gering angesetzt sind, neswegs selbstverständlich ist . hat der BDI zu Recht angeführt . (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt, Frau Künast, zu Ihrem Antrag: Mit den in ihm Zu erinnern ist zudem daran, dass der Aufsichtsrat nach enthaltenen Forderungen – Sie werden diese sicher § 171 Aktiengesetz den Jahresabschluss einschließlich gleich vortragen – nach einer deutlichen Ausweitung des der jetzt neu einzuführenden Angaben zu prüfen hat und Anwendungsbereichs des Gesetzes und vor allem einer dass auch auf diesem Wege Stakeholder – bei mitbe- erheblichen Zahl weiterer Vorgaben für den Inhalt der stimmten Unternehmen vor allen Dingen die Arbeitneh- Berichtspflicht einschließlich der Notwendigkeit einer mer – ihre Sicht der Dinge transparent in die erweiterte externen Prüfung zeigen Sie völliges Unverständnis für 19562 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Dr. Heribert Hirte (A) die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen . Ich einbußen drohen . Das EU-Recht schreibt übrigens Ge- (C) würde mich fragen, ob Ihre Kollegen in Hessen und Ba- winneinbußen als Kriterium nicht vor . den-Württemberg das genauso sehen . Wir werden diesen Antrag jedenfalls ablehnen, und ich freue mich auf die Sie gehen sogar noch weiter und sagen, dass sehr weiteren Beratungen . wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen vorhanden sein müssen . Die EU-Richtlinie spricht aber Vielen Dank . nur von wahrscheinlich schwerwiegenden Auswirkun- gen . Sie setzen das EU-Recht also nicht eins zu eins um, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern geben den Unternehmen sogar noch Futter, da- mit sie über noch weniger Bereiche berichten müssen . Es Vizepräsidentin Claudia Roth: geht hier aber um Menschenrechte und ökologische Zie- Vielen Dank, Dr . Hirte .– In der Tat, die nächste Red- le, die sich die Unternehmen selber stecken . Ich verstehe nerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen . daher nicht, warum Sie das derartig beschränken . Sie von der Partei mit dem C im Namen sagen doch immer, dass Sie das alles interessiert . Vor diesem Hintergrund kann Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ich diese Begrenzung nicht verstehen . Ach ja, ich fange doch einmal mit etwas Positivem an . Es ist gut und richtig, dass Unternehmen zukünftig nicht Schauen wir uns den Anwendungsbereich an; den ha- nur über betriebswirtschaftliche, sondern auch über öko- ben wir schon in unserem Antrag dargelegt . Der Anwen- logische und soziale Aspekte ihrer Tätigkeit berichten dungsbereich ist unseres Erachtens völlig unzureichend . müssen . Transparenz ist ja der erste Schritt zur Verhal- Nach Ihrem Entwurf müssen nur kapitalmarktorientierte tensänderung . Meine Damen und Herren, das gilt nicht Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern berichten . nur für Unternehmen, sondern logischerweise auch für Das sind circa 300 Unternehmen . Aber was ist mit Aldi, die Kunden, die kaufen . Wir wollten doch Verhaltensän- Rewe, dm und Lidl, die weltweit produzieren lassen und derung, oder? einkaufen? Wenn die Mitglieder der Ausschüsse dieses Hauses irgendwohin fahren – nach Myanmar, Bangla- Der Punkt ist doch: Wir haben mit den Sustainable desch, China oder Vietnam zum Beispiel –, dann finden Development Goals, also den Zielen für nachhaltige Ent- sie all diese Unternehmen vor . Warum sollen solche Un- wicklung im Rahmen der UN, und mit den Klimazielen ternehmen nicht der Berichtspflicht unterliegen und dar- von Paris einen ganz klaren Auftrag für Nachhaltigkeit . legen müssen, ob sie die Arbeitnehmerrechte der Interna- Diese müssen wir herstellen . Nachhaltigkeit fällt nicht tional Labour Organisation einhalten? Warum soll es eine vom Himmel . entsprechende Berichtspflicht für solche Unternehmen nicht geben? Ich verstehe das nicht . (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das muss sich in einem Gesetzesvorhaben wider- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) spiegeln . In dieser Hinsicht ist der vorliegende Gesetz- entwurf extrem dürftig . Wenn es etwas nachzubessern Ich habe noch Ferrero vergessen . Aber dieses Unterneh- gilt, dann muss es in die andere Richtung gehen, Herr men ist ohnehin mit Ihnen verbunden . Daher verwundert Hirte . Hier setzt meine Kritik an . Sie haben die Chance mich das dann doch nicht . verpasst, Unternehmensverantwortung und Nachhaltig- Wir sind der Meinung, dass auch diejenigen großen keit zusammenzubringen . Damit verpassen Sie auch die Unternehmen berichtspflichtig sein müssen, die von Chance, den deutschen Unternehmen die Möglichkeit zu öffentlichem Interesse sind . Nach unserer Auffassung geben, vorne zu sein und zu sagen: Wir haben uns schon sollten auch Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbei- die entsprechenden Produkte, Produktionsstufen und tern dieser Pflicht unterliegen. Sie haben weder hier für Transportwege ausgedacht . Wir produzieren so, dass die Klarheit gesorgt noch klare ökologisch-soziale und men- Sustainable Development Goals und die Klimaziele be- schenrechtliche Kriterien geschaffen . Sie haben noch rücksichtigt werden .– Vielleicht würde das sogar zum nicht einmal ein Rahmenwerk vorgegeben, nach dem zu Kauf von so hergestellten Produkten animieren . Insofern berichten ist . Jeder kann munter etwas berichten . Aber so verstehe ich gar nicht, warum Sie so zögerlich sind . ist es nicht vergleichbar . Was sollen denn die Kunden mit Sie sagen immer, dass Sie europäisches Recht eins zu den Informationen eigentlich anfangen? Meine Damen eins umsetzen wollen . Das tun Sie hier aber gar nicht . und Herren von der Koalition, Sie müssen vorschreiben, Vielmehr beschränken Sie es noch . Ein Beispiel: Sie dass nach einem bestimmten Rahmenwerk, beispiels- haben nicht vorgeschrieben, dass generell über alle we- weise nach den Regeln der Global Reporting Initiative, sentlichen Risiken für Mensch und Umwelt zu berichten nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder den ist. Stattdessen gilt die Berichtspflicht nur dann, wenn ei- OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, zu nem Unternehmen Gewinneinbußen drohen . Ich möchte berichten ist . Erst dann kann man Vergleiche ziehen und das Unternehmen kennenlernen, das sagt: Wir lassen in sich entscheiden . Bangladesch, Myanmar und China unter so schlechten Herr Hirte, Sie haben zudem auf die externen Prüfer Bedingungen produzieren, dass bald eine Umwelt- oder verwiesen . Wer sonst sollte prüfen? eine Menschenrechtsgruppe darauf kommen und uns öf- fentlich bloßstellen wird, und deshalb wird es Gewinn­ einbußen geben .– Noch nicht einmal wir glauben, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: Unternehmen zugeben, dass aus diesem Grund Gewinn­ Die Redezeit! Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19563

(A) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): be, dass man nur eines sein kann: entweder wirtschaftlich (C) Es muss sich um externe und finanziell unabhängige erfolgreich oder sozial verantwortlich . Das ist falsch . Prüfer handeln . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die CSR-Richtlinie ist die gesetzgeberische Weiter- Frau Kollegin! entwicklung der Feststellung, dass Transparenz eine un- ternehmerische Managementmethode ist, eine Manage- mentmethode, die Verantwortung und Erfolg miteinander (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Renate Künast verbindet . Letzter Satz . Zweitens . Es ist die Umsetzung einer europäischen Richtlinie . Bis zum Jahresende werden eben auch alle Vizepräsidentin Claudia Roth: anderen europäischen Mitgliedstaaten diese Richtlinie Ja, bitte . umsetzen . Das schafft Wettbewerbsgerechtigkeit und Transparenz für ganz Europa . Das ist eine echte europä- ische Erfolgsgeschichte, die heute, aber auch in Zukunft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Renate Künast fortzuschreiben sich lohnt . Die Unternehmen dürfen sich nicht zusammentun und ein Überprüfungsinstitut gründen, das dann externe Prü- Ein Satz zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kol- fer zur Verfügung stellt . legen vom Bündnis 90/Die Grünen . Dort sind Forderun- gen enthalten, die durchaus nachdenkenswert sind . Mit dem dünnen Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden wir nichts für Ökologie und Menschenrechte tun . NEN]: Dann unterstützen Sie ihn mal ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schnell!) Beispielhaft seien hier die Forderungen hinsichtlich des Vizepräsidentin Claudia Roth: Anwendungsbereichs der Richtlinie und der Vergleich- Vielen Dank, Renate Künast .– Nächster Redner: barkeit – das fand ich besonders interessant – der Berichte Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion . durch Standardisierung genannt . Auch die SPD-Fraktion hat die Absicht, weiteren Ergänzungsbedarf im parla- (Beifall bei der SPD) mentarischen Verfahren zu besprechen . Beispielhaft sei hier der Verbraucherschutz im Hinblick auf Datenschutz (B) (D) genannt, aber auch der Beschäftigtendatenschutz . Wir Metin Hakverdi (SPD): finden außerdem, dass die UN-Leitlinien für Wirtschaft Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- und Menschenrechte durchaus als verbindlicher Bezugs- gen! Mit diesem vom Kabinett beschlossenen Gesetzent- rahmen wörtlich genannt werden könnten . wurf zur Umsetzung der CSR-Richtlinie soll das Vertrau- en der Verbraucherinnen und der Verbraucher, aber eben Wie Sie sehen, gibt es eine Menge im bevorstehenden auch der Investoren durch Transparenz gestärkt werden . Verfahren zu prüfen und zu besprechen . Ich freue mich Der beschlossene Gesetzentwurf will, dass Unterneh- deshalb auf die Beratungen im Ausschuss . men nachhaltig wirtschaften, mehr gesellschaftliche Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Schönen Verantwortung übernehmen und ihr unternehmerisches Abend noch . Handeln transparent machen . Damit soll für die Investi- tions- und die Kaufentscheidung eine bessere Grundlage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geschaffen werden . der CDU/CSU)

Besonders hervorzuheben ist die Berichtspflicht, die Vizepräsidentin Claudia Roth: eine Berichterstattung über Umwelt-, Arbeitnehmer- und Vielen Dank, Herr Kollege Hakverdi . – Der letzte Sozialbelange, also auch über die ILO-Kernarbeitsnor- Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die men, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämp- CDU/CSU-Fraktion . fung von Korruption und Bestechung konkret verankert . Das bedeutet endlich, dass Unternehmen dann gegebe- (Beifall bei der CDU/CSU) nenfalls über die Zusammensetzung und die Qualität ihrer internationalen Lieferketten in ihrem Lagebericht Alexander Hoffmann (CDU/CSU): informieren müssen . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- Zwei Feststellungen sind für mich im Zusammenhang nen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft hat weltweit, mit dieser Richtlinie besonders wichtig . will ich sagen, einen guten Ruf . Deutsche Unternehmen stehen für Qualität, ja, sie sind beispielgebend für Zu- Erstens . Wir verabschieden uns mit diesem Gesetz verlässigkeit und für Leistungsfähigkeit . Wenn sich deut- von der alten Vorstellung, dass unternehmerisches Han- sche Unternehmen weltweit an ihrer Leistungsfähigkeit deln und soziale Verantwortung, dass Ökonomie und messen lassen, dann ist es nur gut und richtig, dass sich Ökologie Gegensatzpaare sind, die sich nicht miteinan- deutsche Unternehmen auch daran messen lassen, wie sie der vereinbaren lassen . Es ist ein weitverbreiteter Irrglau- denn mit nichtfinanziellen Aspekten umgehen. 19564 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Alexander Hoffmann (A) Es ist berechtigt, Unternehmen die Frage zu stellen, Alexander Hoffmann (CDU/CSU): (C) wie sie zum Beispiel die Umweltbelange an internationa- Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin . len Standorten realisieren, unter welchen Bedingungen Arbeitnehmer an internationalen Standorten und in der Lieferkette produzieren und für das Unternehmen arbei- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ten . Es ist gut, dass dort die sozialen Bedingungen hin- Wenn die Argumente in sich nicht schlüssig sind, habe terfragt werden und die Frage formuliert wird, ob die Ge- ich halt ein Problem .– Sie sagen Folgendes: Wenn wir schlechtergerechtigkeit, Gesundheitsbelange, das Recht den Handel und die Produktion in alle Welt hinaustra- der Gewerkschaften oder zum Beispiel der Arbeitsschutz gen, würden wir doch gerade die deutschen bzw . euro- beachtet werden . Diese Fragen sind umso wichtiger, als päischen Standards in die Welt bringen . Wie passt das wir uns vergegenwärtigen müssen, dass wir in einer glo- eigentlich damit zusammen, dass die Unternehmen in balisierten Welt leben und letztendlich fast jedes große Deutschland – insbesondere die, die an dieser irgend- Unternehmen international produziert oder internationa- wie nicht zum Ergebnis kommenden Textilbündnisrunde len Handel betreibt . des CSU-Ministers Müller beteiligt sind – immer sagen: „Nein, wir können aber gar keinen Einfluss nehmen in Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass Bezug auf die Frage, ob in Bangladesch die ILO-Arbeits- wir heute in dieser ersten Lesung die Umsetzung der normen eingehalten werden oder das Wasser nach dem CSR-Richtlinie debattieren. Das Kernstück ist die Pflicht Färbeprozess so gereinigt wird, dass keine gesundheit- zur Aufnahme nichtfinanzieller Aspekte in den Lagebe- lichen Schäden entstehen“? Das passt doch irgendwie richt . Es ist also fortan im Lagebericht nicht nur über nicht zusammen . betriebswirtschaftliche, über finanzielle Aspekte zu be- richten, sondern eben auch über die Aspekte, wie ich Auf der einen Seite sagen die Unternehmen, es dür- sie vorhin skizziert habe . Die Idee dabei ist, dass wir fe keine bindenden Regeln geben, weil sie das gar nicht damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die selber bestimmen können . Sie dagegen behaupten jetzt Unternehmen, das Vertrauen der Verbraucherinnen und auf der anderen Seite, mit Freihandel würde sich das Verbraucher sowie der Investoren stärken . Wenn dann automatisch ergeben . Wer hat denn nun recht? Sie oder entsprechende Transparenz hergestellt ist, sollten Ver- Ihr Minister, der sich darauf einlässt, dass das angeblich braucherinnen und Verbraucher auch die Möglichkeit nicht geht? haben, Handlungsweisen zu hinterfragen und auf Unter- nehmen einzuwirken . Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich will aber an der Stelle auch deutlich machen, dass Herr Hoffmann, bitte . (B) das nur ein Baustein sein kann . Denn wir sollten uns nicht (D) der Illusion hingeben, dass in Zukunft jeder Verbraucher Alexander Hoffmann (CDU/CSU): in den Lagebericht gucken wird, sondern es bedarf wei- terhin vieler anderer Bausteine, um auch beim Verbrau- Frau Kollegin, ich muss eines richtigstellen . Offen- cher die notwendige Sensibilität zu erzeugen . sichtlich haben Sie mir nicht richtig zugehört . Ich habe lediglich davon gesprochen, dass bezüglich dieser The- Ich will an der Stelle noch einen zweiten Aspekt an- menstellung Freihandel immer eine Chance ist . Denn sprechen, weil er einfach gut passt . Dieser stach mir bei wenn deutsche oder europäische Unternehmen internati- der Lektüre des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen di- onal platziert sind bzw . internationale Handelsbeziehun- rekt ins Auge. Ich finde den Antrag an einer Stelle tat- gen unterhalten, haben wir die Möglichkeit, auch Stan- sächlich gelungen . Denn da lassen Sie durchblicken, dass dards im Arbeitsschutz zu transportieren . Dann haben sie durchaus verstanden haben, dass Unternehmen, wenn wir die Möglichkeit, auch Standards in Umweltbelan- sie weltweit produzieren bzw . weltweit platziert sind, in gen zu platzieren . Sie unterstellen mir gerade, ich hätte der Lage sind, unsere deutschen bzw . europäischen Stan- irgendetwas behauptet . Wenn Sie zugehört hätten, wäre dards in die Welt hinauszutragen . Das, liebe Kolleginnen Ihre Formulierung eine andere gewesen . und Kollegen von den Grünen und von den Linken, ist aber die große Chance von Freihandel . Das ist auch die (Beifall bei der CDU/CSU) große Chance von TTIP und CETA . Das zu sagen, lasse Liebe Frau Kollegin Künast, ich komme jetzt auch im ich mir an dieser Stelle nicht nehmen . Rahmen meiner Rede zu Ihnen . Denn im letzten Drittel (Beifall bei der CDU/CSU) meiner Rede möchte ich mich mit Ihren Argumenten aus- einandersetzen .– Wenn Sie mir zuhören würden, hätten Deswegen ist mein Appell an dieser Stelle, dass Sie dann wir vielleicht die Möglichkeit, noch einmal einen kleinen bitte auch die Diskussion um TTIP und CETA in Zukunft Dialog zu führen . angereichert durch diese Erkenntnis führen . Sie haben wieder behauptet, dass der vorliegende Ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzentwurf hinter der Richtlinie zurückbleiben würde . NEN]: Das ist doch Quatsch!) Denn Sie sagen eben, dass der vorliegende Gesetzent- wurf nur die Beschreibung der nichtfinanziellen Aspekte erfordert, die zugleich auch Auswirkungen auf die Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: schäftstätigkeit und die Lage des Unternehmens haben . Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischen- Damit ginge es letztendlich doch wieder nur um finanzi- bemerkung oder -frage? elle Rahmenbedingungen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19565

Alexander Hoffmann (A) Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht, die Formulie- Ich beginne die Aussprache und gebe das Wort (C) rungen abzugleichen . Ich will sie ganz kurz vortragen . Wolfgang Gehrcke für die Linke . Es steht nämlich im Gesetzentwurf, dass diejenigen nichtfinanziellen Aspekte zu schildern sind, die – jetzt (Beifall bei der LINKEN) das Zitat – für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die in Ab- Danke sehr, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin- satz 2 genannten Aspekte erforderlich sind … nen und Kollegen! Wir haben uns sehr darum bemüht, Und in der Richtlinie steht: die Bundesregierung zu ermuntern, zu dem geplanten EU-Lateinamerika-Gipfel, wenngleich auch nicht auf der Nichtfinanzielle Erklärungen müssen diejenigen Ebene der Regierungschefs, sondern der Außenminister, Angaben enthalten, die für das Verständnis des Ge- eine Regierungserklärung abzugeben . Wenn man weiß, schäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage welche Bedeutung Lateinamerika in der Zusammenar- des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner beit und bei den Anstrengungen zur Bekämpfung von Tätigkeit erforderlich sind . Hunger und Armut hat, wäre das durchaus angemessen gewesen . Man muss den Ländern Lateinamerikas mehr Das ist fast wortwörtlich dieselbe Formulierung, und anbieten können als nur diese unsäglichen Debatten über trotzdem behaupten Sie an dieser Stelle etwas anderes . Freihandelsverträge . (Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ein Blick (Beifall bei der LINKEN) ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung!) Das hätten wir gerne gehabt . Die Regierung wollte das Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir nicht . Deswegen haben wir mit einem eigenen Antrag im werden noch viel Diskussionsbedarf haben . Ich bin zu- Vorwege ein paar Vorschläge eingebracht . Ich will das versichtlich, dass wir dieses spannende Thema in den zuspitzen auf drei Länder, die aber exemplarisch stehen . weiteren Beratungen deutlich voranbringen werden, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . Das erste Land ist Kuba . Die Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba haben sich grundlegend verbes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sert. Das ist ein großer Vorteil. In Kuba findet ein Prozess ordneten der SPD) von wirtschaftlichen Reformen statt, von denen ich sehr hoffe, dass sie nicht die sozialen Bindungen der Gesell- Vizepräsidentin Claudia Roth: schaft aufsprengen . Es ist ja noch nicht alles ausgemacht . (B) Vielen Dank, Alexander Hoffmann .– Damit schließe Ich glaube, dass wir auf dem Wege sind, eine kulturell (D) ich die Aussprache . engere Zusammenarbeit zustande zu bringen, und ich hoffe auch, dass das soziale Netz in Kuba immer tragfä- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf higer wird – für alle Teile der Gesellschaft . den Drucksachen 18/9982 und 18/10030 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überwei- LINKE]) sungen so beschlossen . Wäre es nicht gut, das Beispiel Kubas, das auch da- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: mit verbunden ist, dass dieser sogenannte Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union erledigt worden ist, Beratung des Antrags der Abgeordneten öffentlich zu diskutieren? Ich würde es gut finden. Ich Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken, möchte auch ein klares Wort der Bundesregierung, dass weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE sie sich künftig bei Abstimmungen über die Frage, ob die LINKE Blockade der USA gegenüber Kuba vollständig aufgeho- Frieden, Demokratie und soziale Gerechtig- ben wird, auf die Seite der Gegner einer solchen Blocka- keit in Lateinamerika unterstützen – Abset- de schlägt . Das wollen wir hier diskutieren . Ich habe es zung der Präsidentin Brasiliens missbilligen ungeheuer genossen, dass Obama Kuba besucht hat . Drucksache 18/10013 (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Wir reden über Brasilien!) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Bei diesem großen Konzert der Rolling Stones in Havan- Ausschuss für Wirtschaft und Energie na wäre ich gerne dabei gewesen und viele andere auch . Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Lassen Sie uns das gemeinsam ausbauen . lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen .– Auch da höre Von Kuba komme ich zum zweiten Land und kann nur und sehe ich keinen Widerspruch . Dann ist das so be- appellhaft sagen: Lassen Sie uns alles tun, um den Regie- schlossen . rungschef Kolumbiens, den Präsidenten Santos, und die FARC-Rebellen zu ermuntern, bei dem geschlossenen Die Plätze bitte einnehmen, weil es schon sehr spät ist . Abkommen, das ja nicht von der Bevölkerung ratifiziert 19566 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Wolfgang Gehrcke (A) worden ist, zu bleiben . Diese Wunde des Krieges in La- G 20, im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und (C) teinamerika muss unbedingt geschlossen werden . insbesondere in der Cyberpolitik . So haben beide Länder gemeinsam eine Resolution zum Recht auf Privatsphä- (Beifall bei der LINKEN) re im digitalen Zeitalter in die Generalversammlung der Da könnten Deutschland und die Europäische Union Vereinten Nationen eingebracht, die erfolgreich verab- wirklich Einfluss nehmen und sagen: Wir wollen das, wir schiedet wurde . unterstützen das . Dies alles zeigt: Unsere Regierungen haben auch un- Ich komme zum dritten Land – da appelliere ich ins- ter der Präsidentin Dilma Rousseff in den letzten Jahren besondere an die Fraktion der SPD –: Die Absetzung eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet . Eine Reihe von Dilma Rousseff in Brasilien war kein reguläres Ver- von Kollegen aus diesem Hause sind Frau Rousseff bei fahren . Die Putschisten in Lateinamerika kommen heu- einem Besuch in Brasilia mit Außenminister Steinmeier te nicht mehr in Offiziersuniformen und Stiefeln daher, im vergangenen Jahr persönlich begegnet . sondern es sind Menschen in Nadelstreifenanzügen . Allerdings hat die erst 2014 von den Wählern im Amt Zu dem neuen Präsidenten – ein illegaler Präsident, bestätigte Präsidentin in kurzer Zeit einen dramatischen wie ich finde – muss sich die Bundesregierung auch ein- Vertrauensverlust in der Bevölkerung erlitten . Wesent- mal erklären . Im Ausschuss ist meine Formulierung „Das liche Ursache der Unzufriedenheit der Bevölkerung ist war ein Putsch“ von fast allen bis auf die CDU/CSU ge- die stärkste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten . Aber auch teilt worden . Das habe ich auch nicht anders erwartet . die Vielzahl von Korruptionsskandalen untergräbt das Vertrauen der Brasilianer in die Politik insgesamt, allen Der neue Präsident hat als Erstes angekündigt, die öf- voran die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsiden- fentlichen Ausgaben für die kommenden 20 Jahre ein- ten Lula . Auch die bisherigen Oppositionsparteien gehen zufrieren und dadurch im Bildungs- und Sozialbereich nicht gestärkt aus der Krise hervor; denn sie sind selbst mehr als 100 Milliarden Euro einzusparen . Wissen Sie, zahlreichen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt . Die De- was das für ein Land wie Brasilien bedeutet, wo unter mokratie in Brasilien droht daher, insgesamt Schaden zu Rousseff und Lula die Armut endlich bekämpft wor- nehmen . den ist? Wenn man die öffentlichen Ausgaben einspart, schlägt man wieder auf die Armen und Benachteiligten Die Unzufriedenheit mit der Regierung zeigte sich er- der Gesellschaft ein. Ich finde, ein europäischer Protest neut im August . Die Arbeiterpartei der ehemaligen Präsi- wäre mehr als angemessen . Ich hätte gerne von der Bun- dentin hatte bei den Kommunalwahlen eine verheerende desregierung gehört, ob sie es macht oder nicht . Hoffen Niederlage erlitten . Die Präsidentin hat offensichtlich wir einmal, dass sie sich einiges zu Herzen nimmt . Man den Rückhalt in Parlament und Bevölkerung weitgehend (B) kann nicht in Kuba die Bedingungen verbessern und verloren . Die Zustimmungswerte ihrer Amtsführung san- (D) dann sagen: Das größte Land der ganzen Region, das ken von 80 Prozent im Jahr 2013 auf 10 Prozent im Jahr prägend ist, interessiert uns nicht .– Ich meine, dass wir 2016 . Ursachen dafür sind vor allem mangelhaftes Kri- gemeinsam in diese Richtung überlegen sollten . senmanagement im Rahmen der Petrobras-Affäre, unzu- reichende Kommunikation politischer Entscheidungen Danke sehr . und nicht zuletzt unterlassene Reformen . (Beifall bei der LINKEN) Die politischen Voraussetzungen für ein Misstrauens- votum waren also durchaus gegeben . Allerdings sieht die Vizepräsidentin Claudia Roth: brasilianische Verfassung dieses Instrument nur in der Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke .– Das Wort hat Form eines Amtsenthebungsverfahrens vor . Zur Begrün- Dr .Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion . dung wurden von der Parlamentsmehrheit Ungereimthei- ten bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes angeführt . (Beifall bei der CDU/CSU) Andere Begründungen, vor allem weitere Korruptions- vorwürfe, wurden nicht bis zum Ende weiterverfolgt . Ob Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung in einer engeren Auslegung sicher eher im Sinne strafrechtlicher Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Verfehlungen damit erfüllt waren, ist umstritten . Krimi- legen! Brasilien befindet sich seit Ende 2015 in einer nalisierung des politischen Gegners ist sicher grundsätz- schweren innenpolitischen Krise . Natürlich verfolgen lich kein geeignetes Mittel der demokratischen Ausei- wir die Entwicklung in einem unserer wichtigsten Part- nandersetzung und gefährdet die politische Kultur . nerländer in Lateinamerika sehr genau . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Mit Brasilien unterhalten wir seit 2008 – übrigens Bundestag ist auch nicht der geeignete Ort für ein Fort- als erstem Land in Lateinamerika – eine strategische geschrittenenseminar zum brasilianischen Verfassungs- Partnerschaft . Im vergangenen Jahr fanden erstmals in recht . Brasilia hochrangige Regierungskonsultationen unter Beteiligung der Bundeskanzlerin statt . Deutschland und (Beifall bei der CDU/CSU) Brasilien haben in den letzten Jahren wichtige gemeinsa- Wir sollten uns auch nicht die Rolle des brasilianischen me Initiativen unternommen, gemeinsam mit Indien und Verfassungsgerichts anmaßen . Japan als G 4 für eine Reform der Vereinten Nationen und eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates, in der in- Lieber Kollege Gehrcke, Sie sprechen in Ihrem Antrag ternationalen Klimaschutz- und Umweltpolitik, bei den selbst von einem – ich zitiere – „formal regelgerechten . . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19567

Dr. Andreas Nick (A) Verfahren“ . Ich sage: Wie auch immer wir hier in diesem Referendum zur Abwahl des Präsidenten wurde bewusst (C) Hause politisch die Personen, Prozesse und Entscheidun- verzögert, um die Chavisten an der Macht zu halten . gen jeweils bewerten, wir sind als Deutscher Bundestag Sie befürchten gemäß Ihrem Antrag, dass auch in Ve- am Ende gut beraten, die mit großer Mehrheit getroffene nezuela davon auszugehen ist – ich zitiere –, „dass ein politische Entscheidung der demokratisch legitimierten Regierungswechsel eine grundlegende Neuausrichtung brasilianischen Abgeordnetenkammer und des Senats zu der Wirtschaftspolitik, auch der Außenwirtschaftspolitik, respektieren . zugunsten neoliberaler Konzepte und der Orientierung Auch mit der neuen brasilianischen Regierung muss auf Freihandel mit sich bringen würde“ . Da kann ich uns an einer konstruktiven Zusammenarbeit gelegen nur sagen: Gerade im Sinne der betroffenen Menschen sein . Es wäre nämlich fatal, wenn sich der politische in diesem von den Chavisten heruntergewirtschafteten Stillstand im Land noch bis zu den Präsidentschaftswah- Land wäre das doch sehr zu hoffen . len im Jahr 2018 hinziehen würde . Die Verantwortung Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur er- des neuen Präsidenten Temer wiegt daher schwer . Er mutigen, auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaat- muss das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen, lichkeit und Marktwirtschaft, aber auch auf verstärkte politische Gräben überwinden und Politik wieder kon- Zusammenarbeit und regionale Integration zu setzen . struktiv gestalten . Die Rahmenbedingungen dafür sind Auch der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit gar nicht einmal schlecht; denn es gibt Signale einer po- der EU könnte dies neue Impulse geben . Umso mehr sitiven wirtschaftlichen Entwicklung . Der IWF berichtet, bleibt zu hoffen, dass Brasilien als größtes Land und Brasilien habe die Talsohle der Wirtschaftskrise bereits wichtigste Volkswirtschaft in Lateinamerika auch künf- durchschritten . Umso mehr braucht das Land natürlich tig als stabile Demokratie mit einem klaren Bekenntnis nun eine handlungsfähige und reformbereite Regierung, zu nachhaltigem Wachstum und einer von Zusammenhalt die das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnt . geprägten Gesellschaft seiner Verantwortung in der Re- Aber, meine Damen und Herren, wenn man Ihren An- gion gerecht wird . trag genauer liest und wenn man sich vergegenwärtigt, wie Sie geredet haben – Kollege Gehrcke hat das ja noch Vielen Dank . einmal unterstrichen –, wird deutlich: Es geht Ihnen im (Beifall bei der CDU/CSU) Kern gar nicht um Brasilien . In Wahrheit wollen Sie die Prozesse der demokratischen Veränderung in ganz La- Vizepräsidentin Claudia Roth: teinamerika, vor allem in Venezuela und Argentinien, in Vielen Dank, Dr .Andreas Nick .– Nächster Redner: ihrer Gesamtheit diskreditieren . Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen . (B) Lateinamerika befindet sich in einem umfassenden (D) Prozess des Wandels . Viele der linken Regierungen sind Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gescheitert und werden abgewählt . Die Wahlsiege der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- Oppositionsparteien in Argentinien und Venezuela sind ben jetzt eine Rede gehört, in der erzählt wurde, warum daher Zeichen der Hoffnung . Dieser Wandel könnte sich die einen in Brasilien recht haben – ich teile vieles von positiv auf den gesamten Kontinent auswirken und nicht, dem, was gesagt worden ist –, und zuvor haben wir eine wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, zu neuen Konflik- Rede gehört, in der erläutert wurde, warum die anderen ten führen . Gerade der Reformkurs des neugewählten recht haben . argentinischen Präsidenten Mauricio Macri lässt auf eine weitere positive Entwicklung und auf politische Stabili- Am 2 .Oktober dieses Jahres fand in Brasilien die ers- sierung im Land hoffen . In wenigen Monaten hat er den te Runde der Kommunalwahlen statt . Man muss wissen: Devisen- und Kapitalverkehr freigegeben, Außenhan- In Brasilien gibt es 145 Millionen Wahlberechtigte, und delsschranken abgebaut und die seit dem Staatsbankrott es gibt eine Wahlpflicht. Wer nicht zur Wahl geht, muss von 2001 verschleppten Schuldenkonflikte gelöst. eine Geldstrafe zahlen, kann den Beamtenstatus verlie- ren oder darf keinen Reisepass beantragen . Es gibt also Wenn Sie wirklich Frieden, Demokratie und soziale wirklich harsche Strafen . Das Ergebnis war historisch, Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen wollen, wie und zwar nicht nur, weil die Wahl eine Niederlage für die es die Überschrift Ihres Antrags besagt, dann sollten wir Arbeiterpartei bedeutete – auch in ehemaligen Hochbur- uns hier vor allem mit der katastrophalen Lage in Ve- gen wie Sao Paulo; das ist eben schon gesagt worden –, nezuela beschäftigen; denn dort ist der Sozialismus des sondern auch, weil die Wahlbeteiligung historisch nied- 21 .Jahrhunderts der Herren Chávez und Maduro genau- rig war . Die Wahlbeteiligung lag unter 80 Prozent, über so gescheitert wie der des 20 . Jahrhunderts, für den Sie ein Fünftel der Bevölkerung war also bereit, die von mir nach wie vor stehen, und hat das Land ins Chaos gestürzt . genannten Sanktionen auf sich zu nehmen . Da stellt sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) doch die Frage: Wo kommt diese unglaublich große Par- teienverdrossenheit eigentlich her? Aus einer Wirtschaftskrise mit einer katastrophalen Versorgungslage bei Lebensmitteln und Medikamenten Es gibt Wahlkreise – das ist unglaublich –, in denen ist eine veritable Verfassungskrise geworden . Die Be- über die Hälfte derjenigen, die gewählt haben, ihre Stim- völkerung leidet unter der akuten Mangelwirtschaft, und men bewusst ungültig gemacht haben . Man sieht wirk- die Rechte der demokratischen Opposition, die seit Ende lich, dass die Parteien keine Attraktivität mehr haben . letzten Jahres über eine Zweidrittelmehrheit im Parla- Die Gründe liegen auf der Hand: Warum grassiert die ment verfügt, werden systematisch eingeschränkt . Das Korruption weiterhin? Warum ist es in den guten Zeiten 19568 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Omid Nouripour (A) versäumt worden, die Wirtschaft des Landes zu diversi- nicht hier sein kann, hat dort mitverhandelt . Auch der (C) fizieren? Die Energie- und Rohstoffpreise fallen ja nicht Nobelpreis für Santos hat uns sehr glücklich gemacht . erst seit gestern . Das Referendum hatte kein so erfreuliches Ergebnis . Am Prozess festzuhalten und nicht am konkreten Ergebnis, Ich glaube, lieber Kollege Gehrcke, dass wir die Ver- das ist sicher richtig . Die Annäherung zwischen den USA säumnisse der Lula- und der Dilma-Regierung nicht ver- und Kuba ist gut und richtig . Im Antrag steht, die EU schweigen dürfen . Das tut Ihr Antrag aber durchaus . Der solle diesen Prozess institutionalisieren . Diese Meinung Antrag hätte besser den Titel „Unkritische Solidarität mit teilen wir . Ich teile nicht die gesamte Analyse des Kol- linken Parteien in Lateinamerika“ verdient . legen Nick in Bezug auf Venezuela, aber die Chavisten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heiligzusprechen, gerade vor dem Hintergrund, dass dort Menschen verhungern, ist ein wenig zynisch . – Nein, nein, der Beifall schadet mir, lassen Sie das! Ich bin dankbar, dass die Linke den Antrag vorgelegt (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU hat . Es ist gut, dass wir hier endlich über Lateinamerika, und der SPD – Dr .Andreas Nick [CDU/CSU]: insbesondere über Brasilien, diskutieren . Es wäre besser Wo du recht hast, hast du recht, Omid!) gewesen, wenn der Antrag ein bisschen differenzierter Die Regierung Temer kündigte an, was sie ändern gewesen wäre . Das hätte die Debatte, glaube ich, noch will . Das ist ein Problem; denn es hat in den letzten besser gemacht . 14 Jahren riesige Fortschritte gegeben, und diese stehen Vielen Dank . jetzt auf dem Spiel . Es gab riesige Erfolge bei der Ar- mutsbekämpfung . Es gab viele Erfolge bei der Stärkung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Rechte der Minderheiten, gerade der indigenen Min- derheiten . Es gab endlich eine Verrechtlichung der Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: schlechtergleichstellung . Das steht alles auf dem Spiel . Das alles wird zurzeit von der neuen Regierung infrage Vielen Dank, Kollege Nouripour .– Der letzte Redner gestellt . in dieser Debatte und voraussichtlich auch für den heuti- gen Abend: Klaus Barthel für die SPD-Fraktion . Es gab ein sehr großes mulitlaterales Engagement Brasiliens im globalen Süden . Gerade in Afrika hat Bra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten silien sehr viel mehr getan als in der Vergangenheit, um der CDU/CSU) Entwicklung voranzutreiben . Das wird gerade im Sinne einer sogenannten neuen Effizienz infrage gestellt, und Klaus Barthel (SPD): (B) das ist doch besorgniserregend . Gerade von einem sozi- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der (D) aldemokratischen Außenminister erwarten wir, dass er Tat ist der Anlass des Antrags gar nicht die Wahl in Bra- diese Themen bei unseren brasilianischen Freunden – ja, silien, sondern das EU-CELAC-Außenministertreffen, das sind unsere Freunde – sehr klar anspricht . das nächste Woche in der Dominikanischen Republik Ich würde den Begriff „Putsch“ nicht verwenden, aber stattfindet. Es ist gut, dass wir die Gelegenheit nutzen, es war sicherlich eine politisch motivierte Verschwörung . um über Lateinamerika, die Karibik und ihre Beziehun- Es gab den Vorwurf, dass die Budgetierungsregelungen gen zu Europa zu reden . Das ist das Verdienst des vor- nicht eingehalten wurden . Dass dieser Vorwurf ausge- liegenden Antrags . Dennoch gibt es einige Punkte, die rechnet von jenen kam, die die Regeln selber jahrzehnte- man kritisieren muss; darauf komme ich später noch zu lang nicht eingehalten haben, ist natürlich heuchlerisch . sprechen . Ich würde trotzdem nicht von einem Putsch sprechen, da Kollege Nouripour hat gerade Kolumbien angespro- die formalen Regelungen eingehalten worden sind . chen, und dies möchte ich ebenfalls tun, da die Entwick- Wir erleben so etwas wie eine Rolle rückwärts der lung dort ein wenig symptomatisch dafür ist, was sich alten Eliten . Das sieht man auch daran, dass im Kabi- in Lateinamerika tut, wie nahe dort Freud und Leid, Tri- nett ausschließlich alte weiße Männer sind, keine einzige umph und Scheitern, Chancen und Risiken beieinander- Frau, keine Vertreter von indigenen Gruppen . Die Sozi- liegen, aber auch, wie sehr man sich in Einschätzungen alprogramme sollen gestrichen werden; das ist angespro- über die Stimmung im Volk täuschen kann, wie sich die chen worden . Die Regierung hat angekündigt, Ölbohrun- Eliten, die Umfrageinstitute und alle internationalen Be- gen vor der Küste zu erlauben . Sie wollen das erste Mal obachter täuschen können . in der Geschichte des Landes – und es gab viele Gründe, warum es das bisher nicht gegeben hat – Land an aus- Deshalb wollen wir hier einmal festhalten: Gratulati- ländische Investoren verkaufen . Gerade für uns, die zum on zu diesem Friedensvertrag vom 26 . September an den Beispiel großen Wert auf den Schutz des Amazonas le- Präsidenten Santos und die Führung der FARC . Für uns gen, klingt das ausgesprochen besorgniserregend . Des- gilt dieser Friedensvertrag weiter . Dank an alle, die im halb müssen wir sehr genau hinschauen, was da passiert . In- und Ausland dazu beigetragen haben: die norwegi- sche Regierung, Kuba, Venezuela, Chile, die USA, die Ich will wenige Sätze auf das verwenden, was im Zivilgesellschaft in Kolumbien selbst und das dortige Antrag steht, jedoch nicht zum Thema Brasilien gehört . Parlament . Gratulation auch noch einmal an den Präsi- Auch da ist einiges sicher richtig . Ja, wir haben uns sehr denten Santos zum Friedensnobelpreis . Ich denke, auch gefreut über das Friedensabkommen in Kolumbien nach das muss hier erwähnt werden und vor allem auch die 52 Jahren; unser Kollege Tom Koenigs, der heute leider Ankündigung, diese Friedenspolitik konsequent fortzu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19569

Klaus Barthel (A) setzen und jetzt auch mit der ELN zu einem Friedens- ser halten, aber 31 Prozent sagen, sie wären jetzt wieder (C) schluss zu kommen . für Rousseff, und 65 Prozent der Menschen in Brasilien sind für sofortige Neuwahlen, weil sie die jetzige Regie- (Beifall bei der SPD) rung ablehnen . Also man sollte vorsichtig sein, den Stab Ich denke, Dank und Anerkennung sollten auch an über die frühere Regierung zu brechen . die Bundesregierung gehen, dass sie diesen Prozess im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützt hat und zum In der Tat – Kollege Nouripour hat es angesprochen – Beispiel mit Tom Königs jemanden beauftragt hat, die ist es eine Krise des politischen Systems und der Partei- dortige Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen . en insgesamt . Es gibt Probleme mit dem Wahlrecht und An diesem Punkt gibt es, glaube ich, Konsens, auch in eine Zersplitterung in 28 Parteien im Parlament, und es dem Antrag . gibt über 30. Weitere Probleme sind die Parteienfinanzie- rung über Spenden sowie die Vermischung von Politik In Erinnerung an den einstimmigen Beschluss, den der und Justiz . Auch die Medienlandschaft ist problematisch . Deutsche Bundestag dazu gefasst hat, meine ich schon, In diesen Bereichen sieht man jahrelange Versäumnisse wir müssen hier noch einmal ganz deutlich sagen: Es und Probleme . Man sieht auch, dass Strukturreformen kann nicht sein, dass sich am Ende dieses Prozesses jene seit der Militärdiktatur nicht vorangekommen sind, egal durchsetzen, die diesen Friedensprozess mit Angstmache ob es das Steuersystem betrifft oder die Themen, die ich und Lügenkampagnen und aus rein kurzfristigen wirt- angesprochen habe . schaftlichen und parteitaktischen Interessen nach all dem Leid, das man jetzt über 50 Jahre dort erlebt hat, torpe- Aber im Hintergrund – ich glaube, das ist wichtig – dieren wollen . Das darf nicht passieren . muss man die schwere wirtschaftliche Krise sehen . Es geht auch darum, wie wir uns dazu verhalten . Zum Zu Brasilien ist bereits viel Richtiges und Wichtiges Schluss meiner Rede will ich sagen: Wie sich Teile der gesagt worden . Es ist schwer, dies alles ausgewogen dar- deutschen Wirtschaft dazu verhalten, können wir hier zustellen, aber es muss, denke ich, schon deutlich wer- nicht unterstützen . Ich zitiere einmal den stellvertreten- den, dass wir diesen Staatsstreich – so kann man es schon den Vorsitzenden des Lateinamerika-Ausschusses der nennen – missbilligen . Deutschen Wirtschaft . (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE (Unruhe) LINKE]) – Ich freue mich zwar, dass so viele Kollegen von der Eine solche Amtsenthebung ist nur bei schwerwie- Union anwesend sind, aber die Unruhe finde ich nicht genden Vergehen und Verbrechen eines Präsidenten bzw . ganz angemessen . Vielleicht könnten Sie mir zuhören . einer Präsidentin möglich . Das war ein politisiertes, in- (B) teressengeleitetes Verfahren durch die Mehrheit im Ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) geordnetenhaus und im Senat, und Dilma Rousseff ist Guido Kerkhoff sagte allen Ernstes: Temer hat bereits eigentlich die Letzte, die hier anzuprangern wäre . Sie ist wichtige Baustellen wie die Deregulierung des Arbeits- jedenfalls wesentlich integerer als die Mehrheit, die sich marktes identifiziert. – Das heißt, er will die Informa- gegen sie durchgesetzt hat . lisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes offen- (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE sichtlich noch vorantreiben, obwohl gerade das eines der LINKE]) Probleme in Brasilien ist . Wir lesen dann in den Veröf- fentlichungen von einer Schnäppchenjagd in Brasilien . Kollege Nick, hier müssen wir aufpassen: Wenn wir Jetzt gebe es jede Menge Übernahmen zu machen und es billigen, dass eine Regierung eine Präsidentin nur die Privatisierungen zu nutzen, und zwar die Privatisie- deshalb abwählt, weil sie jetzt Probleme hat, weil sie bei rungen von Kliniken, von Stromnetzen, von Stromerzeu- der Öffentlichkeit in Ungnade gefallen ist, da das Land gung, von Ölfeldern, von Fluggesellschaften, von Gas­ in eine wirtschaftliche Krise geraten ist, dann hätten wir pipelines und im Bereich Bergbau . ständig zu tun . Ich glaube, dann müssten wir auch bei uns einmal genauer hinschauen und überlegen, ob wir so et- Wenn man das zugrunde legt, ist größte Vorsicht gebo- was eigentlich richtig finden können: dass die schwierige ten . Denn dann geht es nicht darum, sinnvolle Auslands­ wirtschaftliche Lage und eine Vertrauenskrise dazu be- investitionen voranzubringen, die das Land wirklich nutzt werden können, einen Regierungswechsel auf solch braucht, sondern dann geht es einfach nur darum, wieder dubiose Weise herbeizuführen . postkoloniale Strukturen herbeizuführen, den Aderlass, den es über Jahrhunderte von Süd nach Nord gegeben Vor allem müssen wir auch berücksichtigen, dass jene, hat, fortzusetzen bzw . neu aufzunehmen und die Priva- die das getan haben, selbst wesentlich mehr im Dreck tisierungswelle, die die Regierung jetzt plant, zu nutzen . stecken als die Präsidentin . Zum Beispiel ist der Haupt- Also das kann es nicht sein . drahtzieher, der ehemalige Parlamentspräsident Cunha, gestern verhaftet und eingesperrt worden, und man muss damit rechnen, dass er zu einer langjährigen Haftstrafe Vizepräsidentin Claudia Roth: verurteilt wird . Denken Sie an Ihre Redezeit? Zudem muss man sehen, wie jetzt die Stimmung im Volke ist . Ein unternehmerverbandsnahes Institut hat Klaus Barthel (SPD): eine Umfrage veröffentlicht, nach der nur 24 Prozent der Es gibt für die deutsche Wirtschaft, Frau Präsidentin, Bevölkerung den jetzigen Regierungschef Temer für bes- viel Sinnvolles zu tun; dabei könnte sie auch Gewinne 19570 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Klaus Barthel (A) machen . Aber das, was jetzt geplant ist, geht, glaube ich, Achtung der Menschenrechte in Burundi ein- (C) so nicht . fordern – Friedensdialog fördern Zu guter Letzt – Drucksachen 18/8706, 18/9938 Die Reden werden zu Protokoll gegeben 1). Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, aber wirklich zu guter Letzt . Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9938, (SPD): Klaus Barthel den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf – muss ein Widerspruch noch angesprochen werden . Drucksache 18/8706 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann Vizepräsidentin Claudia Roth: enthält sich niemand mehr . Die Beschlussempfehlung ist Nein, muss er eigentlich nicht . angenommen . Zugestimmt haben die heute Abend große CDU/CSU-Fraktion, Klaus Barthel (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Linke fordert in dem Antrag, dass wir uns in Brasilien massiv einmischen, die jetzige Regierung kri- die SPD und die Grünen . Gegenstimmen kommen von tisieren und Druck in Richtung Neuwahlen machen . Zu den Linken . Venezuela sagen Sie, dass wir uns da überhaupt nicht ein- Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: mischen dürfen . ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (Dr .Andreas Nick [CDU/CSU]: So ist es!) CSU und SPD Ich glaube, wir müssen uns bei der Lateinamerika-Politik Schutz von Walen und Delfinen stärken schon darauf einigen, dass wir auf Augenhöhe und mit Respekt mit allen Ländern und Regierungen umgehen, – Drucksache 18/10019 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Vizepräsidentin Claudia Roth: Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Und ich glaube, Sie sollten sich an die Redezeit halten . weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen (D) Klaus Barthel (SPD): Drucksache 18/10032 – dass wir uns darauf verlassen, dass die Bevölkerung dort die richtigen Entscheidungen trifft, und dass nicht Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich wir hier über deren Köpfe hinweg entscheiden . sehe, Sie sind einverstanden 2). (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zusatzpunkt 8 . Wir kommen zur Abstimmung über der CDU/CSU) den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10019 mit dem Titel „Schutz von Walen und Delfinen stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Vizepräsidentin Claudia Roth: Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag Jetzt schließe ich die Aussprache . ist angenommen mit der großen Mehrheit von CDU/ Wir freuen uns außerordentlich, dass so viele Abge- CSU-Fraktion, SPD und Linken bei Enthaltung von ordnete der CDU/CSU anwesend sind . Ich weiß nicht, ob Bündnis 90/Die Grünen . Sie heute noch Hammelsprung üben wollen . Zusatzpunkt 9 . Wir kommen zur Abstimmung über (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ein Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen Wal- starkes Team!) schutz weltweit durchsetzen“ . Wer stimmt für diesen An- trag? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist abgelehnt Das machen wir jetzt immer so . Normalerweise sind um mit der ziemlich großen Mehrheit der CDU/CSU und der die Uhrzeit – Frau Noll weiß das – weniger anwesend . SPD . Für diesen Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf und die Linken gestimmt . Drucksache 18/10013 an die in der Tagesordnung auf- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: geführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschrif- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ten über das Schulprogramm für Obst, Gemüse richts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17 .Ausschuss) zu dem Antrag 1) 3 Anlage der Fraktionen der CDU/CSU und SPD 2) 4 Anlage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19571

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) und Milch (Landwirtschaftserzeugnisse-Schul- Dritte Beratung (C) programmgesetz – LwErzgSchulproG) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Drucksachen 18/9519, 18/9760, 18/9879 Nr. 3 Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben schuss) CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Grü- nen, enthalten haben sich die Linken . Drucksache 18/10058 Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer- Drucksache 18/10057 empfiehlt der Ausschuss, eine den 1). Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be- Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen . schlussempfehlung auf Drucksache 18/10058, den Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Grünen, da- Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- gegen war die Linke . chen 18/9519 und 18/9760 anzunehmen . Ich bitte die- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und zes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit Grüne . Enthalten hat sich die Linke . der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Drucksache 18/9441 Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der ausschusses (7 .Ausschuss) Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung der CDU/CSU, der SPD, der Grünen und bei Enthaltung der Drucksache 18/10045 Linken . – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Ausschuss) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: gemäß § 96 der Geschäftsordnung (B) (D) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Drucksache 18/10059 regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU Die Reden gehen zu Protokoll.3) zur Beherrschung der Gefahren schwerer Un- fälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss und anschließenden Aufhebung der Richtlinie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- 96/82/EG des Rates che 18/10045, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9441 in der Ausschussfassung an- Drucksache 18/9417 zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält cherheit (16 .Ausschuss) sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, Drucksache 18/10057 enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

2) Die Reden gehen zu Protokoll. Dritte Beratung Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Drucksache 18/10057, den Gesetzentwurf der Bundes- entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU regierung auf Drucksache 18/9417 in der Ausschussfas- und SPD, enthalten haben sich die Grünen und die Lin- sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- ken . entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Wer hat das mit dem Aufstehen eigentlich einge- sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an- führt? – Das können wir bitte einmal klären; niemand genommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und die SPD . weiß es . Dagegengestimmt haben die Grünen . Enthalten hat sich die Linke . (Zuruf: Das haben wir schon immer so ge- macht!) 1) 5 Anlage 2) 6 Anlage 3) 7 Anlage 19572 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) – Das haben wir immer schon so gemacht; gut .– Mögli- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- (C) cherweise fragen sich die Gäste, was wir hier eigentlich wurfs auf Drucksache 18/9981 an die in der Tagesord- machen . nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich gehe nicht davon aus, dass es noch anderweitige Vorschläge (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im gibt . Dann ist die Überweisung so beschlossen . ganzen Hause) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- zes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur kung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und Änderung weiterer Statistikgesetze illegalen Beschäftigung Drucksache 18/9418 Drucksache 18/9958

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Überweisungsvorschlag: schusses (4 .Ausschuss) Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/10067 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Reden gehen zu Protokoll.1) Die Reden gehen zu Protokoll.3) Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Interfraktionell wird auch hier Überweisung des Ge- che 18/10067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung setzentwurfs auf Drucksache 18/9958 an die in der Ta- auf Drucksache 18/9418 in der Ausschussfassung an- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um beschlossen . das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat niemand, enthalten haben sich die Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Linken und Bündnis 90/Die Grünen . gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung (B) Dritte Beratung (D) Drucksache 18/9983 und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) (Dr . [CDU/CSU]: Wir er- Finanzausschuss heben uns, damit die Präsidentin uns besser sieht!) Auch da gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind damit einverstanden 4). – Gut, das müssen wir jetzt einmal durch den Wissen- schaftlichen Dienst klären lassen; jetzt will ich es wirk- Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf lich wissen . Drucksache 18/9983 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Auch dazu sehe (Heiterkeit im ganzen Hause) und höre ich keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- die Überweisung so beschlossen . entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . und SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Jürgen Coße [SPD]) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur tages auf morgen, Freitag, den 21 .Oktober 2016, 9 Uhr, Änderung des Regionalisierungsgesetzes ein . Drucksache 18/9981 Ich wünsche Ihnen weiterhin einen fröhlichen Parla- Überweisungsvorschlag: mentarischen Abend . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Sitzung ist geschlossen . Die Reden gehen auch hier zu Protokoll.2) (Schluss: 22 .26 Uhr)

1) 8 Anlage 3) Anlage 10 2) 9 Anlage 4) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19573

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Blienert, Burkhard SPD 20 .10 .2016 Dr. Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bun- Bluhm, Heidrun DIE LINKE 20 .10 .2016 desprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Brehmer, Heike CDU/CSU 20 .10 .2016 Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten (Tagesordnungspunkt 10 b) Dörflinger, Thomas CDU/CSU 20 .10 .2016 Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass unser Votum Ablehnung lautet . Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 20 .10 .2016

Hendricks, Dr . Barbara SPD 20 .10 .2016 Anlage 3 Henke, Rudolf CDU/CSU 20 .10 .2016 Zu Protokoll gegebene Reden Hintze, Peter CDU/CSU 20 .10 .2016 zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Kermer, Marina SPD 20 .10 .2016 Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen Launert, Dr . Silke CDU/CSU 20 .10 .2016 der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschen- rechte in Burundi einfordern – Friedensdialog för- Leidig, Sabine DIE LINKE 20 .10 .2016 dern (Tagesordnungspunkt 16) (B) (D) Mast, Katja SPD 20 .10 .2016 Iris Eberl (CDU/CSU): Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen, auch wenn Sie sie schon Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ 20 .10 .2016 kennen sollten . – In einem Land vor nicht allzu langer DIE GRÜNEN Zeit verunzieren Schüler ihre Schulbücher, indem sie Post (Minden), Achim SPD 20 .10 .2016 das Konterfei des Präsidenten bekritzeln . Der Präsident erfährt davon und will, dass die Schüler für diese Herab- Radomski, Kerstin CDU/CSU 20 .10 .2016 setzung seiner Person bestraft werden .– Sofern Sie die Geschichte nicht kennen, vermuten Sie sicher alle den Rix, Sönke SPD 20 .10 .2016 gleichen Mann hinter dieser Aktion . Aber der ist es nicht . In diesem Land ist es gar nicht so leicht, die Missetäter Rupprecht, Albert CDU/CSU 20 .10 .2016 festzustellen, weil sich bis zu 200 Schüler ein Schulbuch teilen müssen, so bitterarm ist dieses Land . Man schaltet Schlecht, Michael DIE LINKE 20 .10 .2016 also den Geheimdienst ein . Tatsächlich gelingt es, mehr als 300 Kinder dingfest zu machen, und wirft sie ins Ge- Schröder, Dr . Ole CDU/CSU 20 .10 .2016 fängnis . Dort sitzen sie jetzt, zusammen mit Schwerver- brechern, unter unmenschlichen Bedingungen . Schwartze, Stefan SPD 20 .10 .2016 Es wird Sie nicht überraschen, dass ich von Burun- Spahn, Jens CDU/CSU 20 .10 .2016 di gesprochen habe und dessen Präsidenten Nkurunziza . Der Schuss ging aber nach hinten los: Was mit einer Steffel, Dr . Frank CDU/CSU 20 .10 .2016 Handvoll Schülern begann, wurde zur nationalen Pro- testbewegung . Der „Kritzelaufstand“ hat inzwischen das Strothmann, Lena CDU/CSU 20 .10 .2016 ganze Land erfasst und über die sozialen Netzwerke in- ternationale Beachtung gefunden . Doch eigentlich klingt Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 20 .10 .2016 das alles noch wenig dramatisch .

Weinberg, Harald DIE LINKE 20 .10 .2016 Die Lage ist jedoch dramatisch: Die UN spricht von 564 Exekutionen in Burundi seit dem Beginn der Protes- Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 20 .10 .2016 te im April 2015 gegen den Präsidenten Nkurunziza, der sich verfassungswidrig zu einer dritten Amtszeit wählen Wicklein, Andrea SPD 20 .10 .2016 ließ . 19574 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Dies ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs . Es lie- den . Mit Hilfen für die Frauen in Burundi hat das BMZ (C) gen Beweise vor, für das unerklärliche Verschwinden bereits begonnen . Sorgen wir dafür, dass der gute Anfang von Menschen, für Masseninhaftierungen, Vergewalti- nicht wieder zerstört wird . Stimmen Sie bitte für den vor- gungen, für Folter und Mord . Geschätzt sind es mehrere liegenden Antrag der Koalitionsfraktionen . Tausend Opfer . Satellitenbilder deuten auf Massengrä- ber hin . Die Regierung Burundis bestreitet alles . Unsere Regierung hat innerhalb ihrer Möglichkeiten reagiert . Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Einen Bereits im Juni 2015 hat das BMZ seine regierungsna- besonderen Gast möchte ich auch herzlich begrüßen: he Entwicklungszusammenarbeit eingestellt . Trotzdem ­Jacques Nshimirimana ist aus Burundi für ein paar Tage führt es die unmittelbare Hilfe für Menschen fort . in Berlin . Vorgestern wurde er für seinen herausragen- den Einsatz für Kinder in Not mit dem Child Protection Mittlerweile sind 300 000 Menschen in die Nachbar- Award von ora Kinderhilfe international e .V . ausgezeich- länder von Burundi geflohen, wohl vor allem Tutsi, da- net . Schon seit 17 Jahren setzt er sich als Anwalt und vier- runter die Hälfte aller Armeeoffiziere. Ruanda, das sich fache Familienvater für die Freiheit, die Sicherheit und als Schutzmacht der Tutsi fühlt, trifft nun der Vorwurf die Bildung von Jungen und Mädchen in Burundi ein . des Hutu Nkurunziza, sie für einen Guerillakrieg aus- Seine Organisation SOJPAE geht gegen Menschenhänd- zubilden . Mit ihrem Beschluss zum Austritt aus der Zu- ler, sexuelle Gewalt gegenüber Mädchen und willkürli- sammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof che Verhaftungen von Kindern vor . Er sagte mir diese in Den Haag zeigt die burundische Regierung, dass ihr Woche im Bundestag: Als Kinderrechtverteidiger begrü- Recht und Gesetz gleichgültig sind . Nach dem Völker- ße ich die Freilassung durch die burundische Regierung mord in Ruanda 1994 und dem Bürgerkrieg in Burun- der circa 500 Kinder, die im Laufe der politischen Krise di 2005, die mehr als 1 Million Opfer gekostet haben, festgenommen waren worden sowie das Engagement der könnte ein noch schlimmerer ethnischer Konflikt in die- burundischen Regierung, um die Kinderhändler festzu- ser Region bevorstehen, sollte Präsident Nkurunziza die nehmen .– Seit mehreren Jahren und verstärkt seit der ethnische Karte spielen . Verschlechterung der politischen Lage werden in Burun- di Kinder und junge Frauen entführt oder unter falschen Niemand scheint diese Entwicklung verhindern zu Versprechen rekrutiert und dann in andere Ländern wie wollen: Die UN konnte sich nicht einmal auf eine mit Saudi-Arabien und Oman verschleppt und verkauft . 3 000 Mann hoffnungslos unterdimensionierte Mission einigen . Die knapp 100 unbewaffneten Beobachter der Die tiefe Krise, in die das ostafrikanische Land ge- Afrikanischen Union und der UN sind komplett macht- stürzt ist, entstand letztes Jahr durch die umstrittene los . Schlimmer noch: Als Vorsitzender der Afrikanischen Wiederwahl zu einer verfassungswidrigen dritten Amts- Union verkündet Präsident Déby aus dem Tschad nach (B) zeit von Präsident Pierre Nkurunziza . Seitdem wird jede (D) seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Merkel, ausländi- Form von Protest unterdrückt . Hier sind die Fakten . Der scher Einfluss sei die Ursache für die Unruhen inBu- Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Na- rundi, und verteidigt sophistisch die dritte Amtszeit des tionen – Juni 2016 – sowie der Ausschuss gegen Folter burundischen Präsidenten als rechtmäßig . Letzteres der VN – September 2016 – berichteten über: 348 au- zeigt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus . Es ßergerichtliche Hinrichtungen, 9 Massengräber um beweist, dass afrikanische Probleme – entgegen der An- Bujumbura, die teilweise von den Behörden anerkannt sicht von Monsieur Déby – nur mit internationaler Hilfe worden sind, Verschwindenlassen von 36 Oppositions- gelöst werden können . Diese internationale Hilfe muss politikern, 3 477 willkürliche Festnahmen, Angriffe und bald kommen . Einschüchterung von Menschenrechtsverteidigern, wie Christlich geprägte Demokraten dürfen niemals hin- von Pierre Clavier Mbonimpa, dem Vorsitzenden des bu- nehmen, dass Menschen grausam hingemetzelt werden . rundischen Vereins für den Schutz der Menschenrechte Wir leben in Freiheit und Frieden . Wir müssen versu- und Mitglied der Plattform „Keine dritte Amtszeit“ . Seit chen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen . Lernen am einem Mordanschlag gegen ihn ist er in Belgien . Inzwi- despotischen Modell erzeugt Despoten . Jeder kann heute schen wurde sein Schwager auf der Straße ermordet . Ei- in Syrien das zügellose Vernichten von Menschenleben ner seiner Söhne wurde von einem Polizisten bei einer en gros beobachten und die Reaktion der ohnmächtigen Identitätskontrolle erschossen . Beide Mordfälle werden Weltgemeinschaft . Für kleine Despoten ist Syrien eine nicht untersucht . Diese Verbrechen gegen die burun- gute Gelegenheit, im Windschatten der großen Ausein- dische Zivilgesellschaft müssen aufhören . Die burun- andersetzungen schnell einmal die eigenen Probleme mit dische Regierung muss dringend ihren internationalen Waffengewalt zu lösen . Denn der Rest der Welt wird sich Verpflichtungen nachkommen, zu denen insbesondere zurückhalten . die Achtung der Grundfreiheiten und die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit zählen . Die Lassen Sie uns beweisen, dass uns die Menschen von Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und das huma- Burundi wichtig sind . Will man langfristig die Entwick- nitäre Völkerrecht müssen eingehalten und die Sicherheit lung zum Frieden fördern, muss man bei denen begin- der burundischen Bevölkerung gewährleistet werden . nen, die am wenigstens Einfluss in Burundi haben, die im menschenverachtenden Machtkarussel keinen akti- „Es war niemand mehr in Burundi, um die Menschen- ven Part spielen, nämlich bei den Frauen . In den ärms- rechte der Burundier zu verteidigen“, erklärte mir ­Jacques ten Ländern der Welt, dichtbesiedelt und mit den global Nshimirimana . Mit der autokratischen Tendenz des Regi- höchsten Geburtenraten, sind sie der Schlüssel dafür, mes ist das Engagement von Menschenrechtsverteidigern dass Hilfen, die das Land erhält, effektiv eingesetzt wer- im Land mehr als je wichtig – und gefährlich . Die Leben Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19575

(A) von Menschenrechtsverteidigern und Kinderrechtvertei- solut . Kaum jemand ist davor gefeit . Nach einigen Jahren (C) digern wie Jacques Nshimirimana werden bedroht . Ich absoluter Macht werden oft selbst integerste Menschen rufe die burundische Regierung auf, die Menschenrecht- zu Tyrannen . verteidiger und insbesondere die Kinderrechtverteidiger, die sich für die Vulnerabelsten starkmachen, zu schützen . Vor ein paar Wochen beim Gespräch im Bundestag il- Ich lade Sie ein, im Rahmen des Programms „Parlamen- lustrierte ein Vertreter der Afrikanischen Union das Pro- tarier schützen Parlamentarier“, PsP, unseres Ausschus- blem derart: „Wie kann man einen Betrunkenen aus dem ses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ebenfalls chinesischen Porzellanladen bringen, ohne alle Teller zu einen Beitrag zu leisten . zerbrechen?“ Letzte Woche hat das burundische Parlament be- „Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse“, wie- schlossen, die Statuten von Rom aufzukündigen . Bu- derholt unsere Kanzlerin seit ihren offiziellen Besuchen rundi ist damit das erste Land, das seine Mitgliedschaft auf dem afrikanischen Kontinent letzte Woche . Gern un- beim Internationalen Strafgerichtshof formell beendet . In terstützen wir die Menschen unseres Nachbarkontinents der Debatte war es die Frage einer „Verschwörung der dabei, bessere Lebensstandards zu erreichen . Dafür ist internationalen Gemeinschaft“ . Die burundische Regie- der Dialog aber unabdingbar . Daher können wir nur be- rung warf den „großen Mächten“ vor, der Internationalen dauern, dass die burundische Regierung die drei einge- Strafgerichtshof als Druckmittel gegen die Regierungen setzten Experten des Menschenrechtsrates der Vereinten von armen Ländern sowie ein Mittel, um sie zu destabi- Nationen vor zehn Tagen für Persona non grata erklärte lisieren, zu nutzen . Ob wir in Europa als Weltmacht die und die Zusammenarbeit mit dem Büro des Hohen Kom- afrikanischen Länder daran zu hindern, sich selbst zu fin- missars für Menschenrechte der Vereinten Nationen in den? Bujumbura einstellte . Zwar können wir von unserem Nachbarkontinent Als Deutscher Bundestagesabgeordneter engagie- nicht verlangen, dass er in ein paar Jahrzehnten die glei- re ich mich schon seit Jahren für stärkere Beziehungen chen sozialen Standards erreicht, für die wir als freie mit den afrikanischen Ländern . Dabei bedanke ich mich und unabhängige Staaten Jahrhunderte brauchten, aber bei den afrikanischen Botschaftern für die gute Zu- Menschenrechte lassen sich nicht diskutieren . Jedem sammenarbeit . Meine Einladung zu runden Tischen zu Menschen, egal woher er kommt und wo er lebt, hat ein Wasserthemen sowie nach Chemnitz zu „Business trifft Recht auf Freiheit und Würde . Laut Afrobarometer, ei- Afrika“ wird gern gefolgt . Für mehr Zusammenarbeit nem Netzwerk von unabhängigen Umfrageforschungsin- oder einen Austausch stehe ich immer gern zur Verfü- stitutionen, das unter anderem von der Mo Ibrahim Foun- gung . Denn ich bin der Überzeugung, dass wir viel von dation, USAID und Transparency International finanziell Afrika zu lernen haben . Ich schwärme oft von Afrika als (B) unterstützt wird, waren 2012: 62 Prozent der Burundier unserem großen Bruder oder unserer großen Schwester . (D) zugunsten einer Beschränkung der präsidialen Amtszeit Übrigens, wie Lutz van Dijk in seiner unbefangenen Ge- auf zwei Mandate . 70 Prozent der Burundier sagen, dass schichte eines bunten Kontinents es darstellt: „Genetisch die Nachrichtenmedien frei sein sollten, jede Meinung zu gesehen, sind wir Menschen nach wie vor alle Afrikaner, veröffentlichen . 81 Prozent der Burundier wollen, dass jedenfalls mehr Afrikaner als alles andere .“ die Presse die Fehler der Regierung und Korruption un- tersucht und darüber berichtet . Gabi Weber (SPD): Gestern Abend war Russlands Präsident Wladimir Putin erstmal seit Beginn der Krise Trotz der Diskussion über eine „afrikanische Form der in der Ukraine offiziell in Berlin. Die Bundeskanzlerin Demokratie“, die etwa eine größere Rolle für traditionel- betonte im Anschluss an das Treffen mit ihm, wie wich- le Autoritäten vorsieht, unterstützt die Mehrheit der Bür- tig es gewesen sei, den direkten Gesprächskanal auf der ger afrikanischer Staaten die universalen Menschenrech- Ebene der Staats- und Regierungschefs wieder zu eröff- te und die Verfahren der liberalen Demokratie . Daher ist nen . Warum erwähne ich das zu Beginn meiner Rede zu die derzeitige Unterdrückung der Demonstrationen in Burundi? Äthiopien keine gute Nachricht . Die Verzögerung der Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Repu- Weil ich ebenfalls der festen Überzeugung bin: Ohne blik Kongo und die Diskussion über eine dritte präsidiale Dialog keine Fortschritte, ohne diese Fortschritte kein Amtszeit in Ruanda sind ebenfalls besorgniserregend . Frieden . Heute Vormittag traf ich mich mit der neuen Botschafterin Burundis zu einem ersten Gespräch . Im „Gibt es bald einen Ehrendoktor in Sachen Langzeit- Verlaufe unserer Unterredung wurde klar, wie wichtig es herrschaft?“, fragte die Zeitschrift Africa Positive in ihrer beiden Seiten trotz grundlegender Meinungsunterschiede letzten Ausgabe . Ich zitiere: „Existiert ein Handbuch mit ist, im Dialog zu bleiben und nach Wegen zu suchen, die Kapitelüberschriften wie ,Rücksichtlose Ausmerzung Krise in Burundi beizulegen . Die Lage ist alles andere als jeglicher Opposition leicht gemacht?‘ . . ,Wie man sich stabil, und es geht nicht voran . Wir dürfen uns aber gera- sein eigenes Volk wählt‘, ,Demokratisierte Despotie‘, de jetzt nicht abwenden und der langen Liste vergessener ,Die Menschenrechte – ein Auslaufmodell‘ oder Ähnli- Konflikte einen weiteren hinzufügen. ches?“ Es folgt die lange Liste der afrikanischen Anfüh- rer, die sich seit vielen Jahren an der Macht halten, sowie Zuletzt haben wir uns hier im Plenum am 9 . Juni mit ein Zitat vom ugandischen Präsidenten Museveni: „Das Burundi befasst . Hat sich über den Sommer die Lage Problem Afrikas sind nicht die Leute, sondern die An- irgendwie verbessert? Ich muss das leider verneinen . führer, die viel zu lange an der Macht bleiben wollen “. Burundi macht auf den interessierten Beobachter den Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert ab- Eindruck, in einer politischen Sackgasse zu stecken . Der 19576 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Konflikt wirkt festgefahren, und es herrscht eine ange- nach deren Auslaufen 2018 weitergehen soll . Ich bitte (C) spannte und instabile Lage, die mit dem Bild einer Ruhe die Regierung, diesbezüglich ihren Ansatz der direkten unter vorgehaltener Waffe recht gut beschrieben ist . Bevölkerungsunterstützung weiterzuverfolgen und ent- sprechende Anschlussplanungen vorzunehmen . All das Ich bedauere sehr, dass Burundi in der hiesigen Be- zeigt, dass wir die Bevölkerung nicht vergessen und richterstattung eher als Randnotiz oder nur in Spezial- unabhängig von der angespannten politischen Lage ihre medien auftaucht. So entstehen vergessene Konflikte, dringendsten Bedürfnisse im Blick behalten . die dann irgendwann in wesentlich dramatischerer Weise wieder auf dem Radar der internationalen Aufmerksam- Die EU hat ihre gezielten Sanktionen wegen der Kri- keit auftauchen . Das dürfen wir nicht zulassen, und dafür se in Burundi um ein Jahr verlängert . Drei Vertraute des beraten wir heute auch abschließend diesen Antrag, da- umstrittenen Präsidenten Pierre Nkurunziza sowie ein mit die Bundesregierung alles ihr Mögliche unternimmt, Putschist bleiben bis Ende Oktober 2017 mit Einreise- um diesen Konflikt wenigstens zu beruhigen, denn von und Vermögenssperren belegt . einer Lösung sind wir im Moment weit entfernt . Am 27 . September 2016 legte eine Expertenkom- Welche Entwicklung hat es seit Juni gegeben? mission dem UN-Menschenrechtsrat ihrem Abschluss- Die Mehrzahl der Vertreter von Opposition und zi- bericht über die Menschrechtslage in Burundi vor . Sie vilgesellschaftlichen Organisationen befindet sich im wies darin auf die trügerische „Stabilität“ hin und pran- Ausland, im Untergrund oder in Haft . Sowohl Regierung gerte insbesondere systematische Verfolgung, schwerste als auch Teile der Opposition setzen gezielt Gewalt als Folter, ungesetzliche Hinrichtungen durch burundische Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen ein . Zudem ist Sicherheitskräfte sowie sexuelle und geschlechtsspezi- wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage das Ni- fische Gewalt an. Dieser Bericht führte zum Beschluss veau der allgemeinen Kriminalität deutlich angestiegen . der Entsendung einer Untersuchungskommission nach Mit circa 315 USD Pro-Kopf-Einkommen liegt Burundi Burundi . Das wurde von der Regierung allerdings mit aktuell weltweit an letzter Stelle . einer eindeutigen Ablehnung beantwortet, die beteiligten UNO-Menschenrechtsexperten wurden zu unerwünsch- Die Flüchtlingssituation: Die Lebens- und insbeson- ten Personen erklärt und die Zusammenarbeit mit dem dere die Ernährungssituation der Menschen in Burundi UN-Hochkommissariat für Menschenrechte ausgesetzt . verschlechtert sich zunehmend, die Flüchtlingszahlen steigen: Aktuell sprechen wir von fast 300 000 Menschen Die Nationalversammlung in Bujumbura stimmte zu- in den Nachbarstaaten Tansania, Ruanda, der DR Kongo, dem aufgrund des laufenden Verfahrens gegen das ostaf- Uganda und Sambia sowie rund 100 000 Binnenflücht- rikanische Land wegen Verbrechen gegen die Mensch- lingen . Das BMZ unterstützt das tansanische Flüchtlings- lichkeit unlängst mit großer Mehrheit für den Austritt (B) lager über das Welternährungsprogramm mit 14 Millio- aus dem Internationalen Strafgerichtshof . Burundi wäre (D) nen Euro, das Auswärtige Amt gibt 3,5 Millionen Euro damit das erste Land, das die Zusammenarbeit mit dem für humanitäre Hilfe an das UNHCR . Dazu kommen Gericht in Den Haag aufkündigt . weitere NGO-Projekte in Höhe von 650 000 Euro aus Beobachtern zufolge plant die Regierung zudem, die Mitteln für humanitäre Hilfe . Amtszeitbeschränkungen der Verfassung und die Quoten Nicht allein die politische Situation ist ein Flucht- zwischen Hutu und Tutsi aus dem Arusha-Abkommen in grund. Wie aus anderen Zusammenhängen finden wir Kürze abzuschaffen . auch hier den fast schon klassischen Katalog von Flucht- ursachen, zum Beispiel mangelnde persönliche und öf- In einer solchen Situation ist die Äußerung des aktu- fentliche Sicherheit sowie wirtschaftliche Perspektivlo- ellen Vorsitzenden der Afrikanischen Union, Idriss Déby, sigkeit . nicht hilfreich, wenn er feststellt, dass die Probleme Bu- rundis allein ausländischer Einmischung zuzuschreiben In den Straßen der Hauptstadt Bujumbura ist es zwar seien und Präsident Nkurunziza verfassungsgemäß sein ruhiger geworden, aber bewaffnete Jugendmilizen sind in drittes Mandat ausübt . Damit konterkariert Déby auch den Wohnvierteln der Regimegegner aktiv . Die Armee, die eigenen Bemühungen der AU um eine Entspannung die Polizei und der Geheimdienst wurden nach poli- der Situation . tisch-ethnischen Gesichtspunkten umgebaut . Was können wir also überhaupt tun? Unterstützung der Bevölkerung: Es ist erfreulich und sehr hilfreich, dass wir trotz der Teileinstellung der bi- Unser Antrag listet eine Reihe von diplomatischen, lateralen staatlichen Entwicklungskooperation des BMZ humanitären und entwicklungspolitischen Maßnahmen im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungs- auf, die durch die Bundesregierung umgesetzt, fortge- zusammenarbeit weiterhin auf das Engagement vieler führt und intensiviert werden müssen . Darüber hinaus großer und kleiner Nichtregierungsorganisationen zählen sind folgende Punkte wichtig: können . Die Arbeit privater Träger und das anhaltende Zulassung von UN- und AU-Beobachtern im Land, private Engagement sind sehr wichtig . Das anhaltende um die im September im Bericht des UNO-Menschen- private Engagement ist ein starkes Zeichen internationa- rechtsrates zur Menschenrechtssituation in Burundi er- ler Solidarität . hobenen Vorwürfe unabhängig untersuchen zu können . Die bereits begonnen BMZ-Projekte auf lokaler und Es ist im Interesse der burundischen Regierung, hier auf kommunaler Ebene laufen ebenfalls weiter . Allerdings größtmögliche Transparenz zu setzen, wenn sie der Mei- müssen wir uns bereits jetzt Gedanken machen, wie es nung ist, dass die Vorwürfe nicht zutreffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19577

(A) Die burundische Regierung sollte in diesem Zusam- sind besorgniserregend . Es gibt Belege für systematische (C) menhang ihren Rückzug vom Internationalen Strafge- Folter, für Verschleppung und politische Morde . richtshof ernsthaft überdenken . Ich begrüße deswegen ausdrücklich die Arbeit der Die Zustimmung zu der vom UN-Sicherheitsrat am UN-Untersuchungskommission und bedaure, dass ein- 29 . Juli 2016 verabschiedeten Resolution 2303 ist im- zelne UN-Vertreter des Landes verwiesen wurden . Es ist mens wichtig. Sie sieht die Entsendung eines 228-köpfi- zudem eine gefährliche Entwicklung, dass das burundi- gen Polizeikontingents nach Burundi vor, das zur Verbes- sche Parlament mehrheitlich beschloss, die Zusammen- serung der Sicherheitslage einen wesentlichen Beitrag arbeit des Landes mit dem internationalen Strafgerichts- leisten könnte . hof in Den Haag aufzukündigen . Diese Entscheidung kommt gleichwohl nicht völlig überraschend . Schon seit Die 2015 beschlossene Stationierung von Menschen- mehreren Jahren wird besonders in Afrika kritisiert, dass rechts- und Militärbeobachtern der Afrikanischen Union allein Bürger afrikanischer Staaten vor dem Internatio- (AU) ist zügig zu ermöglichen, denn deren vollständige nalen Strafgerichtshof angeklagt werden . Einmal mehr Entsendung scheitert bis heute an von der burundischen wird deutlich, dass die selektive Anwendung internatio- Regierung vorgeschobenen Formalien . Derzeit sind ge- naler Rechtsnormen ein massives Glaubwürdigkeitspro- rade mal 45 von 200 AU-Beobachtern vor Ort und ihre blem schafft . Es ist an der Zeit, auch die Kriegsverbre- Arbeitsbedingungen sind schwierig . chen westlicher Staaten juristisch aufzuarbeiten . Die diplomatischen Bemühungen um einen echten Der einzige Lichtblick in Burundi ist die Tatsache, innerburundischen Dialog müssen intensiviert werden . dass es bis jetzt – trotz staatlicher Hetze – nicht gelungen Es gibt noch immer enge Beziehungen zwischen Regie- ist, den Konflikt zu ethnisieren, sondern es im Kern nach rungs- und Oppositionskreisen, was aus dem besonderen wie vor eine politische Auseinandersetzung ist . Verständnis dieser beiden Pole im politischen System Wenn wirklich eine dauerhafte politische Lösung ge- Burundis herrührt . Das muss zum Ausgangspunkt des funden werden soll, dann führt nichts an einem politi- Dialoges werden . schen Dialog zwischen Regierung und Opposition vorbei . Es ist mir noch wichtig, zu unterstreichen, dass wir es Ohne kontinuierliche Unterstützung – und Druck – von in Burundi bisher immer noch mit einer politischen und außen wird dies wohl nicht zu bewerkstelligen sein . sozialen Krise zu tun haben, nicht mit einer ethnischen . Die Linke spricht sich in der Regel nicht für Sanktio- Alle Versuche von verschiedener Seite, den Konflikt zu nen aus, auch und gerade weil diese zumeist die Situati- ethnisieren und Hutu gegen Tutsi aufzuhetzen, haben bis- on der Bevölkerung verschlechtern . Es gibt jedoch einen her nicht verfangen . Die traumatischen Erfahrungen des (B) Bereich der Kooperation mit der burundischen Regie- (D) langen Bürgerkrieges von 1993 bis 2005 entlang ethni- rung, der dringend genauer betrachtet werden muss, und scher Linien haben die Bevölkerung Burundis nachhaltig es ist mehr als bedauerlich, dass dazu im vorliegenden geprägt und wachsam für die Gefahr ethnischer Ausein- Antrag nichts zu finden ist. andersetzungen gemacht . Das macht Hoffnung, dass sich eine Lösung des Konfliktes im Geist des Arusha-Abkom- Die EU gibt jährlich mehr als 200 Millionen Dol- mens finden lässt. lar für die internationale Militär-Mission in Somalia (AMISOM) aus, mit der in diesem Bürgerkriegsland Ich bin sehr froh, dass es in der Ausschussberatung des Frieden militärisch erzwungen werden soll . Burundi ist vorliegenden Antrages gelungen ist, zumindest die Frak- mit etwa 5 400 Soldaten einer der größten Truppenstel- tion der Grünen von einer Zustimmung zu überzeugen . ler innerhalb von AMISOM . Dies ist für das arme Land Dafür möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen . Burundi ein wichtiger Wirtschaftsfaktor . Der Staat Bu- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, schlie- rundi verdient daran jährlich etwa 13 Millionen Dollar, ßen Sie sich uns an! Es wäre ein gutes und wichtiges Zei- und zusätzlich erhalten die beteiligten burundischen chen, dass es dem gesamten Hohen Hause wichtig ist, Soldaten zusammen 52 Millionen Dollar als Sold . Diese dass Deutschland sich weiterhin in der Region engagiert Einnahmen sind eine Art Lebensader für die burundische und Burundi und seine Menschen nicht vergisst . Regierung . Ohne diese Zusatzeinnahmen für sogenann- tes „Peace-keeping“ hätte die burundische Armee mögli- cherweise Probleme, die Loyalität ihrer Angehörigen zu Inge Höger (DIE LINKE): Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als hätte sich die Lage in Burundi be- behalten . ruhigt . Es gibt keine großen Straßenschlachten und in- Die Soldaten der AMISOM sind immer wieder in folgedessen auch weniger Opfer bewaffneter Auseinan- Skandale wie Korruption und sexuellen Missbrauch ver- dersetzungen . Doch ein zweiter Blick macht klar, dass wickelt . Ob ihre Präsenz in Somalia wirklich zu einer sta- keineswegs alles gut ist in Burundi . Deshalb ist es auch bilen Friedenslösung beitragen kann, ist zweifelhaft . Klar verfrüht und wäre ein Fehler, wenn nun die ohnehin ist, dass neben der erwähnten Zahlung von Sold auch die schwache internationale Aufmerksamkeit bezüglich der Ausbildung für die AMISOM-Soldaten und deren Aus- menschenrechtlichen Situation in Burundi nachlässt . rüstung mit Waffen und Munition Faktoren im fragilen Machtgefüge in der Region sind . Die Bundeswehr ist seit Nach wie vor halten sich etwa 300 000 burundische mehreren Jahren Teil dieser Ausbildungsmission . Bürgerinnen und Bürger in den Nachbarländern auf . Zu- sätzlich gibt es ungefähr 100 000 Binnenflüchtlinge. Die Es ist schon mehr als fragwürdig, wenn der Versuch, Berichte über die Lage der Menschenrechte in Burundi gewaltsam eine politische Lösung in Somalia durchzu- 19578 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) setzen, gleichzeitig bedeutet, dass die undemokratische klassifiziert werden. Der Bericht empfiehlt die dringende (C) und menschenrechtsfeindliche Politik in einem anderen Aufnahme eines unabhängigen gerichtlichen Verfahrens, Land gefördert wird . Es muss endlich Schluss sein mit um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen . einer Politik, die hofft, mit eigenen Soldaten und Waf- Nach den letzten Entscheidungen Burundis wird so ein fen oder mit der Finanzierung von Soldaten und Waffen Verfahren wohl noch schwieriger sein . Wir, die Welt- anderer Akteure Frieden zu schaffen . Es ist Zeit, diese gemeinschaft, können es einfach nicht erlauben, dass Unlogik von Krieg, Intervention und Gewalt zu durch- schwerste Menschenrechtsverletzungen ohne Konse- brechen und die freiwerdenden finanziellen und perso- quenzen bleiben . Deshalb muss auch die Bundesregie- nellen Ressourcen für friedliche Konfliktbearbeitung und rung endlich aktiver werden – nicht nur wegen der Si- Entwicklungsinitiativen zu verwenden . tuation in Burundi, sondern auch wegen der Stabilität in der gesamten Region . In der Hoffnung, dass dieser An- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trag zumindest eine kleine Verbesserung bewirken kann, NEN): Die Koalition hat wertvolle Zeit verschwendet . stimmen wir ihm zu . Schade, dass die Koalition bei un- Die Grünen haben mit ihrem Antrag „Gewalt in Burundi serem Antrag dazu nicht in der Lage war . stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzun- gen verhindern“, Bundestagsdrucksache 18/6883, schon Ende 2015 die Bundesregierung aufgefordert, sich akti- Anlage 4 ver für den Schutz der Menschenrechte in Burundi ein- zusetzen . Der Antrag wurde von der Koalition abgelehnt . Zu Protokoll gegebene Reden Dabei sind die neusten Meldungen aus Burundi der beste zur Beratung: Beweis dafür, dass viel früher viel mehr hätte passieren sollen . Inzwischen kündigte Burundi als erster Staat der – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und Welt sogar die Zusammenarbeit mit Internationalem SPD: Schutz von Walen und Delfinen stärken Strafgerichtshof und stellte die Zusammenarbeit mit dem – des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Nicole Maisch, Annalena Baerbock, weiterer Vereinten Nationen in Bujumbura ein . Das Land schot- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ tet sich vor unseren Augen ab und die Zivilbevölkerung DIE GRÜNEN: lebt in Angst . Das tut sie schon, seitdem sich der burun- dische Präsident Nkurunziza 2015 trotz der Obergrenze Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen von zwei Mandaten ein drittes Mal aufstellen ließ . Im Land führte dies einerseits zu Protesten und andererseits (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) (B) zu massiven Menschenrechtsverletzungen gegen die Re- (D) gierungsgegner . (CDU/CSU): Wer von uns kennt nicht Moby Dick? Die Geschichte des weißen Wals und Dennoch lehnte die Koalition unseren Antrag sowie seines Jägers Kapitän Ahab hat Generationen von Lesern die Erarbeitung einer interfraktionellen Initiative ab und gefesselt . Auf der einen Seite der Pottwal als Sinnbild brachte ein halbes Jahr später einen eigenen Antrag ein . der Natur, auf der anderen Seite der Mensch auf seinem Er enthält zwar wichtige Punkte, unsere Forderungen Rachefeldzug . Kapitän Ahab jagt den Wal Moby Dick, bleiben jedoch nach wie vor aktuell; denn die Weltge- der ihm ein Bein abgerissen hatte; Mensch gegen Wal – meinschaft und gerade Deutschland müssen die vorhan- auf Augenhöhe . denen Instrumente der Früherkennung und der Verhin- derung von schwersten Menschenrechtsverletzungen im Diese Augenhöhe gibt es schon lange nicht mehr . Sinne der Schutzverantwortung weiter schärfen . Hier Wale, auch die kleinen Zahnwale, die Delfine, werden gibt es noch große Defizite und der Antrag der Koalition verfolgt, mit modernster Technik gehetzt und gejagt . Im geht nur sehr vorsichtig auf dieses Thema ein . Mittelpunkt steht das Geschäft . Deshalb haben auch An- träge zur Verbesserung ihres Schutzes in diesem Haus Dabei hat sich die Weltgemeinschaft Jahrzehnte in traurige Tradition . Von Legislaturperiode zu Legislatur- Burundi engagiert . Die Nachbarländer, die Afrikanische periode fordern wir über die Parteigrenzen hinweg, dass Union, die Vereinten Nationen und die EU haben alle der kommerzielle Walfang weltweit beendet wird . nach Jahren von Unruhen und Gewalt Burundi auf dem steinigen Weg zu einem Friedensabkommen im Jahr 2000 Diese Forderung ist unverändert nötig, bitter nötig; begleitet . Auch bei der Umsetzung standen diese Akteu- denn die für den Schutz der Wale notwendigen Fort- re dem Land zur Seite . Nun sind seit April 2015 laut schritte konnten bis jetzt nicht erreicht werden – trotz al- UNHCR fast 300 000 Menschen aus Burundi geflohen len öffentlichen Drucks . Zwar verbietet seit 1986 ein Mo- und über 100 000 intern vertrieben worden . Wie kann ratorium der Internationalen Walfangkommission, IWC, das sein? Wieso hat man den Einfluss im Land nicht nüt- die kommerzielle Jagd auf Wale . Dabei ist die IWC noch zen können, um diese Entwicklung zu verhindern? Diese nicht einmal eine Walschutzorganisation . Ursprünglich Frage muss sich auch die Bundesregierung stellen . sollte sie Fangquoten festlegen, die den Bestand der Großwale nicht gefährden und den Walfang damit lang- Der UN-Bericht vom 20 .September dieses Jahres fristig sichern . Aber es wurde deutlich, dass ein Walbe- weist darauf hin, dass in Anbetracht der Geschichte Bu- stand nach dem anderen am Rand der Ausrottung stand . rundis die Gefahr eines Völkermords nicht auszuschlie- ßen sei . Manche der begangenen Verbrechen könnten Nur Fakt ist: Länder wie Island, Norwegen oder Japan womöglich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erkennen das Moratorium entweder gar nicht – mehr – an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19579

(A) oder höhlen es aus . Um ein konkretes Beispiel zu nen- Ihnen muss der Walfang zum Eigenverbrauch weiter er- (C) nen: Jedes Jahr aufs Neue wiederholen sich die Szenen laubt sein . vor dem japanischen Walfangort Taiji . Wenn Anfang September die Saison der Treibjagd auf Delfine beginnt, Es ist unsere Pflicht, Wale und Delfine noch besser zu ist das jährliche Schlachten eröffnet . Bis März werden schützen, damit unsere Kinder und Enkel, wenn sie Moby die Tiere gejagt und in einer Bucht zusammengetrieben . Dick lesen, nicht fragen: Was ist eigentlich ein Wal? Dort werden die besten Tiere aussortiert . Der Rest wird abgeschlachtet, gesprengt oder erstickt . Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Zur Ordnung der Wale zählt eine Vielzahl von Arten, die sich auf un- Diese Jagd ist nichts anderes als ein Blutbad, ein terschiedliche Weise an die Bedingungen in den Meeren Blutbad unter dem Deckmantel der Walforschung . Den dieser Welt angepasst haben . Wale werden in Barten- und Rahmen dafür bildet das Walforschungsprogramm, Zahnwale unterteilt, die sich wiederum in verschiedene ­NEWREP-A . Es erlaubt, über zwölf Jahre hinweg insge- Familien untergliedern . So zählt der Südliche Zwergwal samt knapp 4 000 Wale zu erlegen . 4 000 Wale in zwölf zur Familie der Furchenwale, die wiederum zur Unter- Jahren . Oder umgerechnet: 333 dieser einmaligen Mee- ordnung der Bartenwale gehört . ressäuger dürfen getötet werden, Jahr um Jahr, im Na- men der Forschung . Aber es geht noch schlimmer . In der Bereits im Mittelalter wurden in Europa Wale gejagt . Fangsaison 2015/2016 waren von diesen 333 Walen sage Die Fischer hatten es dabei vor allem auf die großen und schreibe 200 Tiere trächtig . Es ist eine Schande . Mengen an Fleisch sowie den als Brennstoff verwend- bare Waltran abgesehen . Die Jagd beschränkte sich zu Dieses Schlupfloch nutzt Japan seit November 2014, dieser Zeit auf die Küstengebiete . Erst ab 1630 begannen um wieder Wale zu fangen . Kommerzieller Walfang wird Holländer mit der Waljagd auf offener See . Ein deutli- kurzerhand als Walforschung deklariert . Forschungs- ches Wachstum erlebte die Walfangindustrie im 17 . und zwecke werden vorgeschoben . Das ist nichts anderes als 18 .Jahrhundert . Vor allem Pottwale rückten in den Fokus eine Ausrede . Die Walforschung braucht keine Massaker . der Parfüm- und Kerzenindustrie . Ein solcher Anstieg Diese hat im 21 . Jahrhundert ganz andere technologische der Waljagd wiederholte sich in der zweiten Hälfte des Möglichkeiten . Das Verhalten Japans ist ein schwerer 19 .Jahrhunderts . Grund waren dieses Mal technische Schlag gegen den Schutz der Wale . Wir in der CDU/ Erfindungen. Mithilfe von neu entwickelten Sprenghar- CSU-Fraktion sind der Bundesregierung deshalb dank- punen konnten nun auch die schnellen Furchenwale, wie bar . Diese hatte sich im Dezember letzten Jahres einem Blau- und Finnwale, gejagt werden . Zusätzlich ermög- internationalen diplomatischen Einspruch gegenüber der lichte die Dampfschifffahrt eine enorme Ausdehnung der japanischen Regierung angeschlossen und die Wieder- Fanggebiete . (B) aufnahme des Walfangs deutlich kritisiert . Nach der ersten erfolgreichen Ölbohrung im Jahr 1859 (D) Dieser Druck muss über Japan hinaus aufrechterhal- wurde Walöl als Lampenbrennstoff von Petroleum abge- ten werden . Denn brutale Treibjagden, das Gemetzel von löst . Dennoch blieb Waltran ein wichtiger Grundstoff Delfinen und Walen beschränkt sich nicht allein auf Ja- vieler Produkte und wurde für Produktionsprozesse be- pan . Auch in Norwegen und Island steht der kommerziel- nötigt . Hinzu kam, dass die Wale ab Beginn des 20 . Jahr- le Walfang auf der Tagesordnung . Das muss endlich ein hunderts zunehmend von Fabrikschiffen direkt auf dem Ende haben . Die Welt muss handeln . Wir müssen Wale Meer verarbeitet wurden . Mit dieser Industrialisierung und Delfine noch besser schützen. Deshalb fordern wir der Waljagd steigerte sich in den 1930er-Jahren die Zahl die Bundesregierung auf, sich beim Treffen der IWC-Mit- der getöteten Wale auf weltweit jährlich über 30 000 . gliedstaaten in Portoroz zum Anwalt der Meeressäuger­ Aufgrund dieser Entwicklung wurde vor genau zu machen . Die Konferenz der Internationalen Walfang- 70 Jahren die Internationale Walfangkommission, IWC, kommission beginnt heute in Slowenien . Dort muss ein eingerichtet . Sie zielte zu dieser Zeit jedoch nicht auf starkes Zeichen gegen die Jagd und Tötung von Walen den Schutz der Meeressäuger ab, sondern vielmehr da- und Delfinen gesetzt werden. Dafür haben wir unseren rauf, die Bestände in einem für das weitere Bestehen der Antrag vorgelegt . Darin fordern wir: Im Interesse des Walfangindustrie notwendigen Umfang zu erhalten . Die Walschutzes müssen der Erhalt, die Stärkung und vor al- Konsequenz dieses fehlgeleiteten Ansatzes offenbarte lem eine bessere Durchsetzung des Moratoriums erreicht sich spätestens in der Fangsaison 1961/1962, in der über werden – ohne Wenn und Aber . Für die Tötung von Wa- 66 000 Wale getötet wurden . Dabei handelte es sich aller- len gibt es keinen Grund . Anträge, die auf eine Aushöh- dings nur um die offiziellen Zahlen, die eine systemati- lung des Walfangmoratoriums abzielen, sind abzulehnen . sche Fälschung der Fangzahlen durch einzelne Nationen nicht berücksichtigten . So stellte sich nach dem Zusam- Wir fordern die Bundesregierung aber auch auf, sich menbruch der Sowjetunion heraus, dass die Sowjets bis gemeinsam mit anderen Vertragsstaaten auf der IWC-Ta- Ende der 1970er-Jahre fast 180 000 Pottwale illegal ge- gung dafür einzusetzen, dass Norwegen und Island ihre fangen hatten . Walfangaktivitäten einstellen . In Europa muss kommer- zieller Walfang der Geschichte angehören . Niemand In den 1980er-Jahren generierten spektakuläre Aktio- braucht im 21 .Jahrhundert Nahrungsergänzungsmittel nen der Umweltorganisation Greenpeace eine öffentliche oder Kosmetik aus Walöl . Das Abschlachten der Tiere Aufmerksamkeit für die prekäre Situation der Wale . Vor ist hiermit nicht zu rechtfertigen – im Gegenteil . Es gibt allem jedoch der massive Rückgang der Walpopulatio- eine Ausnahme: Für indigene Völker mit Walfangtraditi- nen sorgte schließlich für ein grundlegendes Umden- on wie Aleuten, Inuit oder Eskimos sind Wale Nahrung . ken . In der Konsequenz trat im Jahr 1986 das durch die 19580 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) IWC vier Jahre zuvor beschlossene Walfangmoratrium trächtigt . So kann bei ihnen ab 164 Dezibel eine temporä- (C) in Kraft . Ab diesem Zeitpunkt war der kommerzielle re Schwerhörigkeit eintreten . Aus diesem Grund hat das Walfang verboten . Dennoch hat Japan seit dem Inkraft- Umweltbundesamt, UBA, einen Grenzwert für Unter- treten des Moratoriums rund 18 000 Wale getötet . Als wasserlärm beim Bau von Offshorewindenergieanlagen Begründung werden wissenschaftliche Untersuchungen eingeführt . Demnach darf außerhalb von 750 Metern um angeführt, die gemäß Artikel 8 der IWC-Konvention den die Rammstelle ein Schallexpositionspegel von 160 De- Fang von Walen erlauben . Faktisch handelt es sich aller- zibel nicht überschritten werden . Allerdings werden die dings um kommerziellen Walfang . So hat ein IWC-Ex- Fundamente der Windanlagen mittels Impulsrammung in pertengremium dem aktuellen japanischen Programm die den Meeresboden getrieben, die in der Spitze Lärmwer- wissenschaftliche Rechtfertigung abgesprochen, was von te von bis zu 200 Dezibel erzeugt . Hinzu kommt, dass Japan ignoriert wird . Allein in den letzten zehn Jahren sich der Grenzwert des UBA auf einen einzelnen Ramm- fielen den japanischen Explosivharpunen im Namen der schlag bezieht . Pro Anlage sind jedoch unter Umständen Wissenschaft 10 712 Zwergwale zum Opfer . Angesichts Tausende Schläge notwendig, wodurch kumulative Ef- der Zahlen müsste es sich bei dieser Walart um das am fekte die schädliche Wirkung auf die Schweinswale noch besten untersuchte Lebewesen der Welt handeln – leider erhöhen . Die immense Lärmbelästigung führt dazu, dass weit gefehlt . Die massenhaften Tötungen mündeten in Schweinswale fliehen, langfristig große Gebiete meiden nur zwei Publikationen in Fachzeitschriften . Was japa- oder mangels Kommunikationsmöglichkeit die Orientie- nische Wissenschaftlicher anhand von über 10 000 Wal- rung verlieren, stranden und verenden . kadavern auch herausgefunden haben mögen, sie wollen dieses Wissen offensichtlich nicht mit der Menschheit Es existieren bereits Methoden, die den Schalleintrag teilen . während der Errichtung von Offshorewindernergieanla- gen reduzieren können . Primäre Schallminderungsmaß- Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass nahmen: Verminderung der Schlagenergie, Verlängerung es neben Japan noch zwei weitere Staaten gibt, die kom- der Kontaktzeit zwischen Hammer und Pfahl – „Impuls- merziellen Walfang betreiben . Während die Japaner im dauerverlängerung“ . Sekundäre Schallminderungsmaß- Zeitraum von 2014 bis 2015 663 Großwale töteten, er- nahmen: Blasenschleier, Hüllrohr, Hydroschalldämpfer, legte Island 345 Wale und Norwegen gar 1 396 . Zwar Kofferdamm . All diese Maßnahmen haben gemein, dass begründen Island und Norwegen ihre Jagd nach Wa- derzeit noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht . len nicht mit ominösen wissenschaftlichen Ansätzen, Hier müssen die Bemühungen intensiviert werden, damit dennoch ist auch hier die Sinnhaftigkeit der Waltötun- der Einsatz von effektiven Schallminderungsmaßnahmen gen äußerst fraglich . So wurden im Jahr 2014 mehr als auch in größeren Wassertiefen realisiert werden kann . 113 Tonnen Zwergwal auf norwegischen Pelztierfarmen Doch nicht nur die Wissenschaft ist gefragt, wenn es (B) an Zuchtnerze und -füchse verfüttert . (D) um den Erhalt der Wale als Symbol biologischer Viel- Doch nicht nur der kommerzielle Walfang, mit wis- falt geht . So können auch Touristen ihren kleinen Bei- senschaftlichem Deckmantel oder ohne, bedroht die trag zum Walschutz leisten . Im Rahmen von sogenannten globalen Walpopulationen . Für die Schweinswale in der Walbeobachtungstouren, die unter anderem in der Straße Nord- und Ostsee stellen darüber hinaus Fischereigeräte von Gibraltar und auf den Makaronesischen Inseln an- und Unterwasserlärm eine erhebliche Gefahr dar . Da sie geboten werden, gilt es, darauf zu achten, ausschließlich ihre Nahrung am Meeresgrund suchen, verfangen sich auf nachhaltige Anbieter zurückzugreifen . Darüber hi- Schweinswale häufig in Stellnetzen und ertrinken. Im naus sollte darauf verzichtet werden, auf Märkten, wie Jahr 2014 wurden an der deutschen Ostseeküste 129 Tot- es sie im norwegischen Bergen gibt, Walprodukte zu er- funde von Schweinswahlen gezählt . An der Nordseeküs- werben . te Schleswig-Holsteins waren es im Sommer 2012 sogar 132 tote Tiere . Die exakte Benennung der Beifangquote Der vorliegende Antrag benennt die entscheidenden erweist sich dabei als schwierig . Dennoch haben Unter- Maßnahmen, welche die Staatengemeinschaft zukünf- suchungen der Totfunde an der Küste Mecklenburg-Vor- tig ergreifen muss, um den Schutz der Wale im Rahmen pommerns ergeben, dass die Beifangquote zwischen des IWC-Moratoriums und darüber hinaus zu gewähr- 2003 und 2012 bei 7,9 Prozent und der Verdacht auf Bei- leisten und um damit den Erhalt dieser beeindruckenden fang bei 3,6 Prozent lagen . Meeres­säuger sicherzustellen . Um den Beifang von Schweinswalen zu verhindern, (SPD): Wale nehmen werden von einigen Fischern sogenannte Pinger, akusti- Christina Jantz-Herrmann nicht nur eine wichtige Rolle im marinen Ökosystem und sche Signalgeber, eingesetzt . Diese sind jedoch umstrit- Nahrungsnetz ein, sie sind darüber hinaus auch zu einem ten, da sie im Verdacht stehen, die Meeressäuger groß- Symbol biologischer Vielfalt geworden . So ist es wichtig räumig aus ihren Nahrungsgründen zu vertreiben . Aus und richtig, dass sich auch der Deutsche Bundestag in diesem Grund werden aktuell sogenannte PAL-Geräte dieser Woche mit dem Thema Walschutz befasst . Wenn getestet, die Schweinswal-Kommunikationslaute imitie- heute in Slowenien die 66 .Internationale Walfangkon- ren und so die Tiere vor unsichtbaren Stellnetzen war- ferenz beginnt, haben wir als nationales Parlament die nen . Allerdings dauert die, vom Bundesministerium für Chance, ein Signal zum Tagungsort Portoroz zu sen- Ernährung und Landwirtschaft unterstützte Forschung den, ein Signal, welches unmissverständlich deutlich der PAL-Geräte noch an . macht, dass die Weltgemeinschaft in ihren Bemühun- Aufgrund ihrer hohen Geräuschempfindlichkeit wer- gen für den Schutz von Walen, insbesondere auch von den Schweinswale von Unterwasserlärm stark beein- Delfinen, keinesfalls nachlassen darf. Auch stärken wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19581

(A) damit die Entschließung des Europäischen Parlaments Rahmen der Intensivierung der Nutzung von Nord- und (C) vom 6 . Juli 2016 zum Beschluss Japans, in der Fangsai- Ostsee von den jeweiligen Industrien Monitoring-Maß- son 2015/2016 den Walfang wiederaufzunehmen . Das nahmen und Beiträge zum Schutz der Meeresfauna ein- EU-Parlament hat diese Entschließung übrigens mit gro- fordern . Dies sind Maßnahmen, die mir persönlich sehr ßer Mehrheit beschlossen . am Herzen liegen . Die Bedrohung von Walarten und -beständen durch Es ist kein Geheimnis, dass wir als SPD-Bundestags- wirtschaftliche Aktivitäten und andere anthropogene Be- fraktion bei den Themen Tier- und Artenschutz oft und einträchtigungen ist anhaltend hoch . Beifänge in der in- intensiv mit unserem Koalitionspartner um die Inhalte dustriellen Fischerei, der Eintrag von Umweltgiften und ringen müssen . Deshalb bin ich froh, dass es uns bei die- Plastikmüll in die Ozeane sowie der ständig zunehmende sem wichtigen Thema gelungen ist, einen Antrag zu for- Unterwasserlärm stellen aktuell eine große Bedrohung mulieren, der wichtige Aspekte der Thematik abbildet: für das Überleben der Wale dar . Nicht nur Umweltverän- Wir adressieren sowohl die Durchsetzung des kommer- derungen schränken den Lebensraum vieler Wale immer ziellen Walfangverbots als auch die Bedrohung der Wale weiter ein . Eine weitere erhebliche Gefährdung bilden durch Umweltbeeinträchtigungen . die anhaltenden kommerziellen Interessen einzelner Wal- Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen fangstaaten . Antrag zum Thema Walschutz eingebracht . Inhaltlich ist So steht es auch in unserem Antrag „Schutz von Wa- dieser in vielem identisch mit unserem . Lassen Sie uns len und Delfinen stärken“. Mit diesem unterstützen wir ein gemeinsames, starkes Signal nach Portoroz senden . die deutschen Anstrengungen zum Schutz der Wale Deshalb werbe ich um Zustimmung zum Koalitionsan- nachdrücklich . Mit unserem Antrag fordern wir die Bun- trag auch durch die Opposition . desregierung auf, sich auch zukünftig zielstrebig und beständig für den umfassenden Schutz der Walbestän- Birgit Menz (DIE LINKE): Auch 30 Jahre nach In- de einzusetzen und die Einhaltung und Fortführung des krafttreten des Moratoriums für kommerziellen Walfang Walfangverbotes von den IWC-Mitgliedstaaten einzufor- besteht das Kernproblem darin, dass der Internationa- dern . Auch wird die Bundesregierung aufgerufen, darauf len Walfangkommission keine Sanktionsmöglichkeiten hinzuwirken, dass Island, Japan und Norwegen ihre Wal- zur Verfügung stehen, um Verstöße zu ahnden oder den fangaktivitäten aufgeben . Missbrauch der Möglichkeit des wissenschaftlichen Wal- So appellieren wir an die Bundesregierung, darauf fangs zu verhindern . So ist es in der Saison 2015/16 wie- hinzuwirken, dass Japan seinen als wissenschaftlich de- der möglich gewesen, dass japanische Walfänger unter klarierten, aber offensichtlich kommerziellen Walfang dem angeblichen Vorwand wissenschaftlicher Walfang- (B) beendet . Weiterhin wird die Bundesregierung dazu ange- programme 333 Zwergwale töteten . Mehr als die Hälfte (D) halten, die Internationale Walfangkommission aufzufor- davon waren schwangere Weibchen . Das sind die höchs- dern, keine Arbeiten zu finanzieren, die der Wiederauf- ten Fangzahlen in Japan seit der Saison 2010/2011 . nahme des kommerziellen Walfangs dienen . Stattdessen Norwegische Fischer töteten 2016 bisher 591 Wale, sollen diese Mittel Walschutzprogrammen zur Verfügung um aus ihnen Tierfutter zu machen oder das Fleisch auf gestellt werden . Im Antrag machen wir zudem deutlich, Fuchs- und Nerzfarmen zu verfüttern . Auch Island be- dass sich auch Deutschland weiterhin dafür einsetzen treibt weiterhin offenen kommerziellen Walfang . Trotz- muss und wird, die heimisch vorkommenden Schweins- dem wird dieses Kernproblem auch auf der diesjährigen wale noch besser vor akustischer Beeinträchtigung und Konferenz nicht gelöst werden . Mehr noch: Es wird im Umweltverschmutzung zu schützen sowie Beifänge zu Rahmen der offiziellen Agenda nicht einmal zur Sprache minimieren . kommen . Walschutz ist mehr als nur der Kampf gegen Wal- 30 Jahre nach Inkrafttreten des Moratoriums für kom- fang . Wenn wir uns ernsthaft mit dem Thema Walschutz merziellen Walfang wird die Walfangkommission zu auseinandersetzen möchten, reicht es nicht aus, uns aus- diesem Thema schweigen, und das nicht zuletzt, weil schließlich gegen Walfang zu engagieren . Walfang hat die EU-Kommission und Dänemark das Einreichen ei- ohne Frage eine besondere Qualität, wenn es um Proble- ner notwendigen deutlichen Resolution gegen kommer- me für Wale geht . Doch wir müssen uns auch mit den ziellen Walfang verhindern . Umso mehr muss sich die Schwierigkeiten von Walen bei uns im Meer befassen . Bundesregierung für die Aufrechterhaltung des kommer- Für uns bedeutet dies, dass wir Schweinswale in unse- ziellen Walfangmoratoriums starkmachen . Sie muss sich ren Gewässern ausreichend schützen müssen . Deshalb dafür einsetzen, die Internationale Walfangkommission fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, zu modernisieren und Sanktionen zu ermöglichen, um die Forschungsarbeiten zum akustischen Monitoring des die Durchsetzung des Moratoriums sicherzustellen, und gefährdeten Ostseeschweinswals, die mit Unterstützung sie muss sich für eine unabhängige Prüfung von „Wis- aller an die Ostsee angrenzender EU-Staaten vom Deut- senschaftsprogrammen“ starkmachen . schen Meeresmuseum in Stralsund in Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen und anderen Universitäten Die Linke stimmt beiden Anträge zu, weil die ge- begonnen wurden, weiter zu unterstützen . machten Vorschläge den Schutz von Walen und Del- finen stärken. Dennoch möchte ich, auch mit Blick auf Auch fordern wir die Bundesregierung auf, darauf Punkt 13 des Koalitionsantrags, eines betonen: Wale und hinzuwirken, dass die zuständigen Naturschutzbehörden Delfine wirksam zu schützen, bedeutet mehr, als die Jagd der Länder bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im auf sie zu reduzieren. Wale und Delfine zu schützen, be- 19582 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) deutet auch, die Meere zu schützen: vor dem Eintrag von immer wieder verteidigt werden muss . Jährlich werden (C) Schadstoffen, vor Verschmutzungen, vor Lärm, vor zu- Tausende von Walen und Delfinen abgeschlachtet. Vor nehmenden Belastungen durch Industrie und Schifffahrt den Faröer–Inseln, Island und Grönland werden Finn- und vor Überfischung. Kurz gesagt: Wale und Delfine zu wale, Zwergwale, Grindwale und Delfine gejagt und das schützen, bedeutet eine konsequente nachhaltige Um- Fleisch – trotz Handelsverbot – vor allem nach Japan weltpolitik, der sich die gesamte Bundesregierung ver- verkauft . Japan tötet nach wie vor Wale unter dem Deck- pflichtet sieht, nicht nur einzelne Ministerien. mantel der wissenschaftlichen Forschung und nutzt da- mit ein juristisches Schlupfloch. Trotz Urteils des Inter- Vor unserer eigenen Haustür können wir beobachten, nationalen Gerichtshofs, das Japan die Illegalität seines wie der Mensch das Leben vieler Meerestiere und de- angeblich wissenschaftlichen Walfangs beschieden hat, ren Lebensumwelt negativ beeinflusst. Wale und Delfine steht aktuell ein Antrag Japans zur Bewilligung des wei- sind andauernden Umweltbeeinträchtigungen wie Unter- teren Walfangs auf der IWC-Tagesordnung . Ich setze da- wasserlärm, der Vermüllung von Meeren durch Plastik rauf, dass dieser Antrag keine Unterstützung finden wird oder einer immer intensiver werdenden Bewirtschaftung und die IWC Instrumente findet, die Tötung von Walen der Gewässer ausgesetzt . Dies gilt nicht nur für Nord- für angebliche wissenschaftliche Zwecke zu unterbin- und Ostsee, sondern für fast alle maritimen Gebiete, in den . Ich hoffe auch darauf, dass der diesjährigen Tagung denen sich Wale und Delfine dauerhaft befinden oder der IWC ein Durchbruch für die Einrichtung eines Wal- zeitweise aufhalten . Durch zunehmenden Schiffsverkehr, schutzgebietes im Südatlantik gelingt – es hätte über das intensive maritime Bewirtschaftung und die hohe Anzahl konkrete Schutzgebiet hinaus eine wegweisende Bedeu- militärischer Manöver ist es unter Wasser so laut gewor- tung für den zukünftigen Umgang mit unseren Ozeanen den wie selten zuvor . Der durch Explosionen, Sonar oder und der dort lebenden Fauna und Flora . Denn über das Unterwasserbohrungen verursachte Krach führt bei Wa- Verbot des Walfanges hinaus brauchen wir einen umfas- len, Delfinen und anderen Meerestieren zu gravierenden senden Meeresschutz, wenn unter der sich verschärfen- Schädigungen des Hörsystems . Für Meerestiere, die via den Klimakrise im Meer die wichtigen Ökosystemfunk- Schall kommunizieren und sich orientieren, gleicht dies tionen der Ozeane nicht kollabieren sollen . einem Todesurteil . Eine baldige Reduzierung der Lärm- verschmutzung ist im Sinne des Artenschutzes unbedingt Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregie- erforderlich . Langfristig ist es zwingend notwendig, rung Globale Umweltveränderungen (WBGU) kam Maßnahmen zu ergreifen, die mit einem Verbot des Ein- im Jahr 2013 in seinem Gutachten „Welt im Wandel – satzes von Sonar sowohl zu militärischen Zwecken als Menschheitserbe Meer“ zu dem Ergebnis, dass ein fun- auch für die Suche von Erdöl im Meeresboden einher- damentaler Perspektivenwechsel erforderlich ist, um die gehen . Meere zu schützen . Die Notwendigkeit einer Trendwen- (B) de beim Umgang mit den Meeren ist längst bekannt . Die (D) Ein weiteres menschengemachtes Problem, unter dem dringend benötigten Regelungen existieren nicht oder auch Wale und Delfine leiden, ist die Überfischung der sind in der Praxis durch die Staaten nicht ausreichend Meere . Mit der weltweiten massenhaften Entnahme von umgesetzt . Zu diesen Staaten zählt auch die Bundes- Fisch entziehen großindustrielle Fangflotten nicht nur republik Deutschland . Vor fast 10 Jahren 2007 wurden wichtige Nahrungsquellen, sondern bedrohen auch das die von Deutschland gemeldeten Natura2000-Gebiete in Ökosystem und dessen Leistungen als Ganzes . der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- Laut WWF sterben jährlich etwa 300 000 Wale und und Ostsee durch die Europäische Kommission bereits Delfine als Beifang in den Netzen der Fischerei. Dies bestätigt . Die Bundesregierung hatte sechs Jahre Zeit macht mehr als deutlich, dass dringend alternative Fang- (bis Ende 2013), Maßnahmen im Sinne einer Schutzge- methoden gefördert werden müssen, die sogenannten bietsverordnung in nationalem Recht zu verankern . Was Beifang vermeiden und die Meeresumwelt schonen . ist passiert? Nichts! Stattdessen ist ein EU-Vertragsver- Konkret heißt das, zukünftig auf die Fischerei mit Grund- letzungsverfahren anhängig . Und eine Klage von fünf und Schleppnetzen gänzlich zu verzichten . Der Schutz Umweltverbänden gegen die Bundesregierung vor dem von Walen und Delfinen muss deshalb von der Bundesre- Verwaltungsgericht Köln wegen mangelhaften Meeres- gierung hier in Deutschland genauso konsequent gestärkt schutzes . werden wie auf dem europäischen und internationalen Die Bundesregierung betont ja gerne, dass ihr der Parkett . Die Linke fordert neben dem Haltungsverbot von Meeresschutz wichtig ist . Zum G7-Gipfel 2015 in El- Delfinen in Gefangenschaft auch ein Verbot, wildlebende mau wurde sogar ein Aktionsplan gegen Meeresver- Delfine zu fangen. Delfine aus kommerziellen oder an- müllung verabschiedet . Die Ozeane sind aber weltweit geblich therapeutischen Zwecken in Gefangenschaft zu in einem gravierenden Ausmaß bedroht: Überfischung, halten, lehnt Die Linke als Tierquälerei ab . Lassen Sie Verschmutzung mit Plastik, Chemikalien, Radioaktivi- uns mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es darum geht, tät, Erhitzung, CO2-Eintrag, Versauerung, Raubbau an Tiere vor Profitinteressen zu schützen. Bodenschätzen . Das bisherige Handeln der Bundesre- gierung steht in keinem Verhältnis zur Größe des Pro- Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heu- blems . Ein Aktionsplan nur gegen Meeresmüll greift te beginnt in Slowenien die Tagung der Internationalen zu kurz . Unsere Meere sind in einer historischen Krise Walfangkommission . Die Internationale Walfangkom- und zum Teil wohl schon unumkehrbar verändert . Leer- mission besteht 2016 seit 70 Jahren . Ihre größte Errun- gefischt, vermüllt, übernutzt und als größtes Opfer der genschaft ist das seit 1986 geltende weltweite Verbot Klima­krise sind die Meeresökosysteme bis zum Äußers- des kommerziellen Walfangs . Eine Errungenschaft, die ten strapaziert . Vielfältige Hebel müssen in Bewegung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19583

(A) gesetzt werden, um das Artensterben zu verhindern, die führung unionsrechtlicher Vorschriften über das (C) Vergiftung, Vermüllung und Überdüngung zu stoppen Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch und um dem Meer wieder Raum zum Leben zu geben . (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogramm- Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen auf globaler gesetz – LwErzgSchulproG) (Tagesordnungs- und europäischer Ebene und auch auf nationaler Ebene . punkt 19) „Um den Verlust der Arten zu bekämpfen, müssen na- tional wie international alle Kräfte gebündelt werden “. Katharina Landgraf (CDU/CSU): Heute schaffen Dieser Satz stammt aus dem gemeinsamen Antrag der wir die Voraussetzungen für das neue EU-Schulpro- Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die gramm für Obst, Gemüse und Milch, welches ab dem Grünen „Konsequenten Walschutz fortsetzen und ver- Schuljahr 2017/2018 in den Schulen und vor allem bei bessern“ aus der vergangen Wahlperiode . Das war eine den Schulkindern ankommen soll . Ich freue mich, dass gute Initiative und ein guter Antrag, und es ist ein guter durch die aktuellen Entwicklungen bei den Schulpro- parlamentarischer Brauch, gemeinsame Anträge zur Un- grammen für Schulobst und Schulmilch die Ernährungs- terstützung der Regierung bei internationalen Verhand- bildung nunmehr auch verstärkt in den Schulen verankert lungen zu verfassen, wenn die inhaltlichen Unterschiede wird, und ich möchte im Folgenden die wichtigsten Eck- überbrückbar sind . punkte zusammenfassen .

Und nun frage ich CDU und CSU, was in sie gefahren Die erste und wichtigste Botschaft ist, dass der Kofi- ist, dieses gemeinsame Bemühen und Ringen um Fort- nanzierungsanteil der Länder komplett entfällt . Die zwei- schritt den Eskapaden eines einzelnen Abgeordneten zu te wichtige Botschaft ist, dass die Programme Schulobst opfern . Ein bereits zwischen den Fraktionen abgestimm- und Schulmilch zusammengeführt werden . Dies wird zu ter Antrag wird einfach mal so vom Tisch gewischt, ohne einer deutlichen Vereinfachung führen . Die dritte gute irgendeine inhaltliche Begründung, weil der Herr Stier Botschaft ist eine Erhöhung der Finanzmittel um 20 Mil- mit dem falschen Fuß aufgestanden ist . Das ist zwar sein lionen Euro auf nunmehr insgesamt 250 Millionen Euro gutes Recht, aber eine Bundestagsfraktion sollte etwas auf europäischer Ebene . Von dieser Summe werden nach mehr Überblick und politisches Verständnis haben . Das dem neu festgelegten Verteilungsschlüssel auf Deutsch- Parlament sollte doch dazu in der Lage sein, einen inter- land 19,7 Millionen Euro für Schulobst und -gemüse so- fraktionellen Antrag zum Schutz der Wale auf den Weg wie 9,4 Millionen Euro für Schulmilch entfallen . Mit all zu bringen – wie es dies schon mehrfach getan hat –, statt diesen Punkten bietet sich nun endlich die Chance, dass sich in den ideologische Graben eines einzelnen Abge- Kinder in allen Bundesländern von beiden Programmen ordneten zu schmeißen . Herr Stier, Sie verkennen schein- profitieren. In Zukunft soll es kostenloses Obst, Gemüse (B) bar die Bedeutung internationaler Verhandlungen . und Milch für alle Kinder und Jugendlichen in Bildungs- (D) Erst gestern hat ein Antrag der EU für internationale einrichtungen geben . Schlagzeilen gesorgt: Das Weddellmeer in der Antarktis soll zum größten Meeresschutzgebiet der Welt werden . Positiv hervorzuheben ist zudem, dass sich die Mit- Ein Antrag, den Deutschland erarbeitet hat . Ein Antrag, gliedstaaten und nach der Umsetzung der Vorgaben in über den der CSU-Minister Schmidt sagt, dass es eine Deutschland im Einzelnen die Länder auch zu pädago- historische Aufgabe ist, einzigartige Ökosysteme wie die gischen Begleitmaßnahmen verpflichten. So sollen die Antarktis zu schützen . Und weiter, dass die kommerziel- Kinder über gesunde Ernährung und einen gesunden le Fischerei eine extreme Gefahr sei für das Gebiet . Zum Lebensstil aufgeklärt werden, über lokale Nahrungsmit- einen ist das eine großartige Initiative, der ich von gan- telketten, ökologischen Landbau, nachhaltige Erzeugung zem Herzen Erfolg wünsche und bei deren Durchsetzung und die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung . ich auch Herrn Schmidt Erfolg wünsche und Unterstüt- Kindern soll auch die Landwirtschaft wieder näherge- zung zusichern kann – obwohl, Herr Stier, der Kolle- bracht werden, beispielsweise durch Besuche von Bau- ge Schmidt kein Grüner ist . Und zum anderen will ich ernhöfen . Herrn Schmidt auffordern, auch beim Meeresschutz vor Aber die Politik und die Schulen stoßen auch an ihre der eigenen Haustür endlich Ernst zu machen und seine Grenzen . Die Begeisterung der Kinder für die tägliche Blockade aufzugeben . Portion Obst und Gemüse muss früh geweckt werden . Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, Dies geschieht am besten und in erster Linie durch An- sehr geehrter Herr Schmidt, nutzen Sie den nationalen gebote der Eltern . Das tatsächliche Leben mit Obst und Handlungsspielraum wie den internationalen auch und Gemüse findet vor allen in den Familien statt. Dass es da schützen Sie die Meere und die Meeresumwelt in ihrem läuft, hängt einzig und allein vom Bewusstsein der Fami- direkten Zuständigkeitsbereich genauso wie die in der lie ab . Der Idealfall wäre, wenn Vater und Mutter selbst Antarktis . mit dem Thema „gesunde Ernährung“ und vor allem mit viel Obst und Gemüse aufgewachsen sind .

Ist das nicht gegeben, so braucht man eine entspre- Anlage 5 chende pädagogische Begleitung . An dieser Stelle greift Zu Protokoll gegebene Reden dann das Obst- und Gemüseprogramm in den Kitas und Schulen . Da wünsche ich mir, dass ein solches Angebot zur Beratung des von der Bundesregierung ein- nicht als ein von oben verordnetes Übel angesehen wird, gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- das nur mehr Arbeit macht . Das Programm sollte zum 19584 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) ganz normalen Alltag in den Schulen und Einrichtungen sondern auch das Abrechnungssystem . Vor allem die (C) gehören . Mitteilungen der Änderungen der Schülerzahlen sind umständlich, gerade in Klassen, in denen zum Beispiel Eine gute Nachricht zum Schluss: Die Evaluationen Flüchtlingskinder nur zeitweise unterrichtet werden . Bis des Schulmilch- und des Schulobstprogramms haben die Änderungsmitteilungen dann bearbeitet und die Aus- eine deutliche Zunahme der Beliebtheit und Akzeptanz zahlungsbeträge angepasst sind, vergehen ein bis zwei von Milch, Obst und Gemüse ergeben . Zudem stieg das Monate, in denen sich die Teilnehmerzahlen schon wie- Bewusstsein der Kinder um die Wichtigkeit von Milch, der verändert haben können . Obst und Gemüse als Bestandteil einer gesunden Ernäh- rung . Das zeigt mir, dass wir auf einem guten Weg sind Zusammengefasst lautet das Fazit eines befragten Bildungsträgers: „… dass das EU-Schulobst- und Ge- Carola Stauche (CDU/CSU): Wir haben heute den müseprogramm durchaus in den teilnehmenden Schulen nicht allzu häufigen Fall, dass wir einen Gesetzentwurf vor Ort eine gewisse Wirkung erzielt . Insbesondere die verhandeln, dem wohl alle Mitglieder des Hauses beden- Einbeziehung in den Unterricht stellt neben der eigent- kenlos zustimmen können . Das liegt zum einen daran, lichen Einnahme gesunder Erzeugnisse einen Mehrwert dass wir hier lediglich EU-Bestimmungen in nationales dar . Jedoch wird dies nur durch einen erheblichen Mehr- Recht umsetzen, zum anderen daran, dass es hierbei um aufwand aller am Verfahren beteiligten Akteure erzielt . die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse und auch Der Aufwand für die Verwaltung für Ausschreibung, Ver- mit Milch für Schüler geht, die so zu einer gesunden Le- tragsgestaltung, Überwachung der Durchführung bis hin bensweise motiviert werden sollen . zur Abrechnung mit dem Fördermittelgeber ist enorm . Der Anteil der Arbeitszeit … ist schlichtweg inakzepta- Wir werden heute das neue Schulprogramm für Obst, bel .“ Gemüse und Milch umsetzen; künftig können die Länder kostenlos diese landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Bil- Was heißt das für uns als Abgeordnete des Deutschen dungseinrichtungen abgeben . Die bisherigen Programme Bundestages? Wir stehen hier wieder einmal vor einem für Schulobst und -gemüse einerseits und Schulmilch an- altbekannten Problem: Der Bundestag beschließt etwas, dererseits werden zusammengefasst; gleichzeitig sind die aber die Umsetzung ist etwas anderes . Es ist sehr begrü- Mittel deutlich erhöht worden . Allein für Deutschland ßenswert, dass es von EU-Seite die Zusammenführung werden fast 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . der Programme gegeben hat und die Mittel erhöht wer- EU-weit sind es 250 Millionen Euro . den . Damit sie aber auch da ankommen, wo sie gebraucht Thüringen nimmt bereits seit 2010 am Schulobstpro- und sinnvoll eingesetzt werden können, brauchen wir gramm teil . Ich habe mich vor Ort umgehört, um zu er- dringend Verwaltungsvereinfachungen, vor allem in den (B) fahren, wie das Programm bisher angenommen wird . Der Ländern, die die Programme bzw . das Programm durch- (D) Eindruck ist an sich positiv, jedoch mit einem nicht zu führen . unterschätzenden Wermutstropfen . Mir wurde mitgeteilt, das Thema „gesunde Ernährung“ sei in den teilnehmenden Mein Dank gilt allen, die sich bisher an den Schulpro- Schulen Schwerpunktthema im Heimat- und Sachkun- grammen beteiligt haben und vor Ort mit hohem Einsatz deunterricht, ebenso wie Nachhaltigkeit und auch Abfall- und viel Kreativität die Programme mit Leben gefüllt ha- vermeidung . Obst und Gemüse wird nicht nur konsumiert; ben und füllen . Hier wird wieder einmal deutlich: Was die Schülerinnen und Schüler halten Vorträge zur gesun- immer wir beschließen, ist nicht viel wert, wenn es nicht den Ernährung, und das Thema wird auch in die in den vor Ort aktiv umgesetzt wird . Engagierte Bürgerinnen Schulen angebotenen Interessengemeinschaften integriert . und Bürger, in diesem Falle vor allem in den Schulen, Im Kunsterziehungsunterricht werden Obst und Gemüse zählen zum Wichtigsten und Wertvollsten, was unsere künstlerisch eingebunden, im Englischunterricht­ werden Gesellschaft ausmacht . Das können wir gar nicht stark entsprechende Vokabeln vermittelt . genug honorieren . Diese Umsetzung vor Ort finde ich sehr beeindru- ckend . Mit viel Einsatz und Kreativität wird das Pro- Jeannine Pflugradt (SPD): Wir beschließen heu- gramm nicht nur angenommen, sondern auch in ver- te die Zusammenführung der EU-Schulprogramme zur schiedene Bereiche des schulischen Alltags einbezogen . Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an Kinder so- Über die reine Verteilung von Lebensmitteln hinaus wer- wie die damit einhergehende Verabschiedung des Land- den gesunde Ernährung und die Wertschätzung von Le- wirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetzes, das die bensmitteln vermittelt und als Querschnittsthema in viele EU-Verordnung in deutsches Recht künftig verankern Bereiche eingebunden . wird . Ich begrüße die Zusammenlegung der EU-Beihil- fen, und freue mich, dass der lange Abstimmungsprozess Doch wie bereits angemerkt, gibt es bei so viel Licht endlich zu einem guten Ende kommt . Weiterhin würde auch Schatten: Der bürokratische Aufwand ist sehr hoch . ich es begrüßen – hier appelliere ich einmal mehr –, So musste in einem der vergangenen Jahre die Ausschrei- wenn alle Bundesländer an dem Programm teilnehmen bung für die Lieferung von Obst und Gemüse dreimal würden . In erster Linie meine ich an dieser Stelle mein wiederholt werden, bis sich Lieferanten fanden . Einige eigenes Heimatbundesland: Mecklenburg-Vorpommern . Schulen, die am Programm teilnehmen wollten, konnten das nicht, weil schlicht und ergreifend keine Lieferan- Da sich am Inhalt des Gesetzes zwischen der ersten ten zu den vorgegebenen Bedingungen aufzutun waren . und der jetzigen Lesung nichts verändert hat, da statt- Nicht nur die Ausschreibung ist bürokratisch aufwendig, dessen nur protokolliert wurde, möchte ich die heutige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19585

(A) Debatte nutzen, um kurz grundlegend über Ernährung zu Trotzdem ist vielen Menschen die reine Nahrungs- (C) sprechen . aufnahme als überlebenswichtiger Bestandteil nicht mehr genug . Sie verbinden mit Essen einen komplexen Seit Jahren kursieren die alarmierenden Zahlen über Sachverhalt . Die Sättigung, der Genuss oder Geschmack Übergewicht und Fettleibigkeit in unserer Gesellschaft, stehen heute nicht mehr allein . Ihr bewusster Konsum und die daraus möglicherweise entstehenden Krankhei- soll dazu beitragen, ihre Gesundheit zu erhalten und die ten wie zum Beispiel Diabetes II . Wir wissen alle, dass Umwelt nicht zu belasten . Der Verzicht auf ein bestimm- lebensstilbedingte Krankheiten zu hohen Kosten für un- tes Lebensmittel ist deshalb ein Teil ihrer moralischen ser Gesundheitssystem führen . Deshalb debattieren wir, Werte . Menschen, die Nahrungsmittel erzeugen, sollen leider viel zu selten und schon gar nicht in den Familien, gerecht entlohnt werden . Sie fordern einen respektvollen über ungesunde, unausgewogene Ernährung . Deswe- Umgang mit Tieren, die wir zu unserer Ernährung unter- gen rücken wir auch zu Recht Kinder und Jugendliche halten . in den Fokus unserer Betrachtungen . Wir sind uns darü- ber bewusst, dass sich Ernährungsgewohnheiten im frü- Wie wir also gemeinsam sehen können, ist unser Kon- hen Kindesalter festsetzen und im Laufe des Lebens nur sum ein komplexes Konstrukt geworden . Ich habe noch schwer zu verändern sind . nicht einmal damit begonnen, die unterschiedlichen Ver- brauchertypen aufzuzählen, die unterschiedliche Infor- Ich persönlich halte ausgewogene Essgewohnheiten mationsmethoden benötigen . Um aus den individuellen von klein auf für enorm wichtig und als eine Grundla- Entscheidungen, die wir alltäglich im Supermarkt tref- ge für einen gesunden Lebensstil . Obst, Gemüse sowie fen, die also unseren Lebensstil bestimmen, unser eige- Milchprodukte, so wie die Produkte des EU-Schulpro- nes Ernährungsverhalten anzupassen, müssen wir gebil- grammes es vorsehen, sind dabei unentbehrlich für eine det und recht gut aufgeklärt sein . Wo können Aufklärung vollwertige, ausgewogene Ernährung . Diese Lebensmit- und Bildung besser funktionieren als in allgemeinbilden- tel enthalten neben Vitaminen, Mineralstoffen, Ballast- den Schulen . Genau dort – und spätestens dort – muss stoffen sowie Kohlenhydraten auch einen hohen Was- sie ansetzen. Die flankierenden pädagogischen Maßnah- seranteil . Kinder und Jugendliche können mit diesem men des EU-Schulprogramms sind enorm bedeutend und Schulprogramm erfahren, dass vermeintlich verpönte mindestens gleichwertig mit der Obst- und Gemüsever- gesunde Lebensmittel auch gut schmecken . teilung .

Ernährungsstile sind heutzutage zu Lebensstilen ge- Gerade in der heutigen Zeit von Ganztagsschulen ist worden . Wir ernähren uns so wie früher, wie wir es von die Schule auch ein Lernort für gesellschaftliche Auf- unseren Eltern vermittelt bekamen, oder vegetarisch, gaben geworden . Eltern möchten ihre Kinder während der Schulzeit gut behütet wissen . Dazu zählt auch eine (B) vegan, nach einer Diät, schnell oder langsam, zwischen- (D) durch, oder nachhaltig . Wir kaufen in Supermärkten, Dis- gute Essensversorgung . Außerdem werden unsere Wer- countern, Lebensmittelfachgeschäften, auf Märkten oder tevorstellungen nicht nur von den Eltern weitergege- lassen uns Mahlzeiten fertig liefern . Natürlich umfasst ben, sondern auch von Lehrern und Mitschülern . Wenn unser Lebensstil mehr als die Ernährung . Er beinhaltet in der Familie nicht regelmäßig Obst und Gemüse auf auch andere Faktoren, wie Bewegung, Stresspotential, dem Tisch stehen, können spezielle Schulprogramme soziale Kontakte usw . während der Schulzeit neue Essgewohnheiten schaffen . Durch die Einführung von Schulprogrammen übernimmt Dennoch ist unsere Ernährung der Spiegel unserer die Bundesregierung demnach auch eine kleine Mitver- eigenen Wertevorstellungen und kann deshalb auch als antwortung für eine ausgewogene Ernährung sowie die Folie für politische Bewegungen gesehen werden . Mit dazugehörende Ernährungsbildung von Schulkindern . Ernährungsstilen als Lebensstil ist nämlich eine zuneh- Aber warum nur für die Kinder? Oft sind Eltern schuld mende Auseinandersetzung mit dem eigenen Ernäh- an der ungesunden Ernährung ihrer Kinder . Sie gilt es rungsverhalten verknüpft . Der Konsum spielt eine wich- ebenso, beispielsweise in Elternversammlungen, zu in- tige Rolle . Die Frage nach dem richtigen Essverhalten formieren und für dieses so lebenswichtige Thema zu ist deshalb nicht nur eine Frage des eigenen Lebensstils, sensibilisieren . sondern ist zu einer politischen Frage geworden . Vor al- Die bereitgestellten EU-Mittel sind sicherlich nicht lem die Moralisierung des Essens führt zur Politisierung ausreichend, um das Gesamtproblem von Übergewicht der heutigen Ernährung . Sie wird im Falle des Konsums und Fettleibigkeit in den Griff zu bekommen . Program- tierischer Produkte, wie Fleisch, sehr offensichtlich . me wie die Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an Ich möchte an dieser Stelle deutlich darauf hinweisen, Schulen bieten sicherlich nur einen Anstoß . Wenn sich dass es für jedes persönliche Ernährungsverhalten gute die Bundesländer sowie die Bundesregierung noch in- Gründe gibt . Warum wir dieses Stück Fleisch lieber ver- tensiver um das Thema Schulverpflegung bemühen wür- zehren als ein pflanzliches Ersatzprodukt oder warum wir den, würde ich mich noch mehr freuen . Wir sollten aber heute eher Appetit auf diesen Schokoriegel als auf den nichts unangestrengt lassen, unseren eigenen Kindern Apfel haben, das muss jeder für sich selbst entscheiden; einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen zu bieten, der die Verantwortung für das Wohlempfinden liegt bei je- es ihnen allen ermöglicht, einen gesunden Lebensstil zu dem selbst. Ich finde es deshalb auch nicht gerecht, wenn führen . wir uns für unsere Entscheidung rechtfertigen müssen . Stigmatisierungen eines Essverhaltens sind meiner Mei- Karin Binder (DIE LINKE): Mit dem Schulpro- nung nach kein gerechtes moralisches Mittel . gramm der EU sollen Grundschulkinder kostenfrei in 19586 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) den Genuss von Obst, Gemüse und Milch kommen . Dies beim Essen in der Schule ist ein wesentlicher Bestandteil (C) war bisher in getrennten Programmen geregelt, die mit des Erziehungsauftrags, der damit verbunden ist . dem vorliegenden Gesetzentwurf nun zusammengeführt werden . Es reicht also nicht aus, diese EU-Vorlage eins zu eins zu übernehmen . Wenn Bundesernährungsminister Es ist zu begrüßen, dass im Rahmen dieses Programms Christian Schmidt sich ernsthaft für eine ausgewogene die kostenfreie Abgabe von Obst, Gemüse und Milch an Ernährung von Kindern und Jugendlichen stark machen Schulkinder ermöglicht wird . Die Kinder nehmen dieses will, muss er mehr tun: erstens die Mittel aufstocken, da- frische und kostenfreie Angebot gerne an . Wir unterstüt- mit alle Kinder kostenfrei teilnehmen können, zweitens zen ausdrücklich, dass viele Kinder dadurch eine gesün- stark verarbeitete Produkte mit hohem Zuckeranteil vom dere Ernährungsweise kennenlernen, und wir fördern Programm ausschließen, drittens die Bürokratie verein- damit eine gesunde Entwicklung der Kinder . fachen . Entgegen häufigen Behauptungen belegen Untersu- Mit diesen drei Zutaten würden Obst, Gemüse und chungen, dass die Kinder gerne zugreifen und sich über Milch nicht nur den Kindern, sondern auch den Lehre- die Äpfel, Karotten oder Radieschen freuen . Sie fragen rinnen und Erziehern, den Eltern und uns Linken schme- nicht danach, wer das jetzt zahlt . Die beitragsfreie Ab- cken . gabe dieser Lebensmittel an Kinder führt auf keinen Fall zu geringerer Wertschätzung oder gar zu Lebensmittel- Deshalb können wir uns beim Beschluss dieser Vorla- verschwendung – im Gegenteil lernen sie gerade durch ge nur enthalten . dieses Angebot diese Lebensmittel zu schätzen . (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Leider jedoch ist dieses Programm viel zu eng ange- Nicole Maisch allem Streit um Fragen von gesunder Ernährung ist eines legt, und grundlegende Fragen werden nur unzureichend unumstritten: Reichlich Obst und Gemüse gehören zu geklärt . einer ausgewogenen Ernährung in jedem Fall dazu . Wir Erstens: Die EU-Mittel reichen nur für einen Teil der haben das EU-Schulobstprogramm deshalb immer unter- Grundschulkinder aus . Kindergärten oder Sekundar- stützt und freuen uns, dass neben den ganzen Milliarden, schulen werden gar nicht einbezogen . Und da der Bund die europaweit an Agrarsubventionen ausgeschüttet wer- nicht bereit ist, die Mittel aufzustocken, wird es viele den, auch Geld für die direkte Förderung gesunder Er- Schulen geben, die gar nichts abbekommen . Andere am nährung der europäischen Kinder ausgegeben wird . Das Programm teilnehmende Schulen werden dieses Obst- Programm trägt dazu bei, dass Kinder einen gesunden oder Milchangebot nicht täglich, sondern nur ein- oder Lebensstil erlernen können; denn es verbindet sinnvoll (B) zweimal in der Woche machen können . Ein großer Teil die Ausgabe von leckerem Obst und Gemüse mit päda­ (D) der Kinder und die Jugendlichen geht also leer aus . Hier gogischen Begleitmaßnahmen . Bei diesem Programm wäre der Bund gefordert, im Hinblick auf die Für- und ist auch klar geregelt, dass den Kindern keine Produkte Vorsorgepflicht des Staates die Mittel aufzustocken, um angeboten werden dürfen, die zugesetzten Zucker enthal- ein flächendeckendes Angebot an allen Schulen und ten . Das ist sehr sinnvoll, denn die meisten Kinder essen Kitas zu ermöglichen . ohnehin mehr Zucker als ihnen guttut . Zweitens: Obst, Gemüse und Milch spielen eine wich- Leider verhält es sich beim EU-Schulmilchprogramm, tige Rolle für eine ausgewogene Ernährung . Es geht an dem aktuell 3 Millionen Kinder in Deutschland teil- dabei um die ursprünglichen Erzeugnisse, die frischen nehmen, anders . Aktuell trinken 90 Prozent der Schul- Rohprodukte wie Äpfel, Frischmilch oder Naturjoghurt . kinder ausschließlich Kakao und Milchmischgetränke Wir dürfen nicht zulassen, dass mit dem EU-Schulpro- und nehmen so mit der Schulmilch unnötigen Zucker gramm Süßigkeiten verteilt werden . Stark zuckerhaltige zu sich . Einem Becher Schulmilchkakao sind im Schnitt Jogurt- oder Milchgetränke, zusätzlich gesüßte Obstzu- 9 Gramm Zucker zugesetzt . Im Laufe von 40 Schulwo- bereitungen verfälschen das Geschmacksempfinden und chen nimmt ein Kind über das Schulmilchprogramm fast verführen Kinder zu einem hohen Zuckerkonsum . 2 Kilogramm Zucker zu sich . Das muss nicht sein . Wenn 100 Gramm Joghurt 20 Gramm Zucker zuge- Absurd wird es nach Meinung von Ernährungsexper- setzt werden, fördert das weniger die heimische Land- ten, wenn man dann noch in der Gesetzesbegründung wirtschaft als viel mehr Diabetes und andere ernäh- der Bundesregierung zum nationalen Umsetzungsgesetz rungsbedingte Krankheiten . Das hat nichts mit gesunder lesen muss, dass beide Programme als Maßnahmen im Ernährung zu tun . Kampf gegen Adipositas und Fehlernährung gesehen werden . Statt eine ausgewogene Ernährung anzuregen Und drittens bleibt auch dieses EU-Schulprogramm und Übergewicht vorzubeugen, werden weiterhin Pro- für Obst, Gemüse und Milch mit einem hohen bürokra- dukte gefördert, die das Gegenteil bewirken können . tischen Aufwand für die Schulen und Länder verbunden . Auch nach den Getränkeempfehlungen für Schulkinder Das wird nach wie vor viele Schulen davon abhalten, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind Kakao sich daran zu beteiligen . Darauf wies auch die Kollegin und Milchmixgetränke in Schulen nicht vorgesehen . Katharina Landgraf von der CDU in unserer gestrigen Ausschussberatung hin . Dazu kommt, dass ein Pro- Wenn die Bundesländer ab August 2017 die neue gramm, das dem Lehrer verbietet, ebenfalls in den ange- EU-Förderung bei der Schulmilch in Höhe von 100 Pro- botenen Apfel zu beißen, den Bildungsauftrag nicht ver- zent in Anspruch nehmen wollen, ist der Zusatz von standen hat . Die Vorbildfunktion von Lehrkräften gerade Zucker, Frucht und Kakao verboten . Man kann aber Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19587

(A) auch die alte Regelung weiterführen mit der geringeren Anlage 6 (C) EU-Förderung und einer dann notwendigen Kofinanzie- Zu Protokoll gegebene Reden rung der Bundesländer . Dann sind Süßungen etc . erlaubt . Man wird beobachten müssen, wofür sich die Bundeslän- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- der entscheiden . Den Anreiz, pure Milch und pure Milch- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung produkte anzubieten, hat die EU gesetzt . der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stof- In der Vergangenheit gab es immer wieder einmal Be- fen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung richte darüber, dass das Vorhaben an Schulen, die ver- der Richtlinie 96/82/EG des Rates (Tagesordnungs- sucht habe, nur noch die pure Milch anzubieten, geschei- punkt 20) tert ist . Die Milch wurde dort nicht mehr abgenommen, und das Vorhaben, gesündere Produkte zu verteilen, wur- Karsten Möring (CDU/CSU): Mit der sogenannten de wieder eingestellt . Allerdings muss man sich bei die- Seveso-III-Richtlinie wird das europäische Störfallrecht sem Punkt fragen, ob hier wirklich Maßnahmen geprüft an ein neues, weltweit harmonisiertes System zur Ein- und ergriffen wurden, um Schülerinnen und Schüler auch stufung von Chemikalien angepasst . Zudem wurde die behördliche Überwachung von Störfallbetrieben verbes- für weniger süße Milchprodukte zu begeistern . Hier hat sert, die Beteiligung der Öffentlichkeit gestärkt und ein das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund Gerichtszugang geschaffen . Die Seveso-III-Richtlinie bereits Untersuchungen durchgeführt, wie gesundheits- der EU regelt Sicherheitsanforderungen für Betriebe, in fördernde Produkte aussehen und schmecken müssen, denen gefährliche Stoffe vorhanden sind . Schwerpunk- damit sie von Kindern und Jugendlichen angenommen te der Novelle bilden die Umsetzung der Vorgaben der werden . Auch das neu zu gründende Institut für Kinder­ EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und ernährung beim MRI sollte solche Fragestellungen be- Verpackung von Chemikalien und die Beteiligung der rücksichtigen . Öffentlichkeit in Verfahren zur Genehmigung von Stör- fallbetrieben, einschließlich der Möglichkeit zur gericht- Mit der oben bezeichneten Neuregelung der EU-Schul- lichen Anfechtung . programme fällt bei der Wahl einer Variante auch die Ko- Bestehende Seveso-Anlagen befinden sich ja häufig finanzierung der Bundesländer weg. Auf der einen Seite nicht auf der grünen Wiese oder in reinen Industriegebie- ist zu hoffen, dass die Abschaffung der Kofinanzierung ten, sondern in gewachsenen Gebieten . In den Vorstel- durch die Bundesländer dazu führen wird, dass nun noch lungen des Umweltressorts gab es für die Genehmigung (B) mehr Bundesländer das Programm nutzen werden . Diese von Betriebserweiterungen in Gemengelagen zunächst (D) wird auf der anderen Seite dazu führen, dass eine höhere keine klaren Kriterien . Unklar blieb, ob und unter wel- Beteiligung zu weniger Geld für die einzelnen Mitglied- chen Voraussetzungen eine Genehmigung für Ausbauten staaten führt, weil die EU insgesamt nicht mehr Geld zu und Erweiterungen von Seveso-Betrieben in Gemengela- gen erteilt werden kann, wenn der angemessene Abstand Verfügung stellt . Auch die Bundesländer, die bereits in zu Schutzobjekten wie Wohn- oder Gewerbegebieten den letzten Jahren an dem Programm teilgenommen ha- oder Infrastruktureinrichtungen unterschritten wird . Be- ben, werden dann weniger Geld bekommen als in den fürchtet wurde ein Erweiterungsstopp, von dem sämt- Jahren zuvor . Das könnte also dazu führen, dass in die- liche Betriebe betroffen gewesen wären, die unter die sen Bundesländern dann weniger Kinder von den Pro- Seveso-III-Richtlinie fallen und in deren näherer Um- grammen profitieren oder dass die Anzahl der Ausgabe- gebung sich andere schutzwürdige Nutzungen befinden. tage von Obst und Milch reduziert wird . Das sollte nicht Das betraf eine sehr hohe Zahl von Betrieben, die sich in passieren . Diese möglichen Auswirkungen werden wir in historisch gewachsenen Gemengelagen befinden. den nächsten Jahren beobachten, und wir werden gege- In das Zentrum der Aufmerksamkeit rückte die The- benenfalls dagegensteuern müssen . matik insbesondere durch Entscheidungen des Europäi- schen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts Ich werde nicht müde werden, zu betonen, dass das in der Rechtssache „Mücksch“ . Dabei geht es um einen EU-Programm nur ein Baustein von vielen ist im Kampf Streit um eine Baugenehmigung für ein Gartencenter gegen die Fehlernährung bei Kindern und Jugendlichen in der Nachbarschaft zu einem Störfallbetrieb im Jahr und in dem Bemühen, Kinder gesund aufwachsen zu 2011/2012 . In diesen Entscheidungen wurde ausgeführt, lassen . Ein Apfel und ein Tetrapäckchen Milch reichen dass dem Abstandsgebot in erster Linie auf der Ebene der da nicht aus . Notwendig ist ein vollwertiges, köstliches Planung Rechnung zu tragen ist . Ist die Planung diesem Mittagessen . Der Ausbau einer gesunden Gemeinschafts- Gebot jedoch nicht nachgekommen, muss das Abstands- verpflegung, um Fehlernährung zu stoppen, Esskultur zu gebot auf der nachgelagerten Ebene der Einzelgeneh- migung eines konkreten Bau- oder Industrievorhabens lehren und soziale Ungleichheiten aufzufangen, ist eine abgearbeitet werden . Zu der Frage, wie das umzusetzen ganz wesentliche Aufgabe, der wir uns alle in den nächs- ist, legen die Entscheidungen des EuGH und des Bun- ten Jahren stellen müssen . Kinder und Jugendliche, die desverwaltungsgerichts Maßstäbe fest . Die konkrete den ganzen Tag in der Kita und in der Schule verbringen, Ausgestaltung des Abstandsgebotes entscheidet letztlich brauchen qualitativ hochwertiges und attraktives Schul­ darüber, wem bei Flächennutzungskonflikten ein Nut- essen . zungsvorrang gebührt . Diese Maßstäbe des EuGH und 19588 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) des Bundesverwaltungsgerichts sollten anlässlich der Se- nicht unbedingt beurteilen können . Um zu verhindern, (C) veso-III-Umsetzung aus Klarstellungsgründen in recht- dass hier eine Art vollständiges Genehmigungsverfah- liche Regelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz ren durch die Hintertür eingeführt wird, fordern wir in überführt werden . unserem Entschließungsantrag die Regierung auf, im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift „die Bereitstellung Das Thema Bürokratieabbau hat uns in diesem Zu- von Informationen und der Bürokratieaufwand für den sammenhang sehr beschäftigt: Die Richtlinie schreibt Vorhabenträger auf das unbedingt erforderliche Maß“ zu umfangreiche Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit vor, begrenzen . bis hin zu Klagerechten . Um diesen Anforderungen ge- recht zu werden, führt der Gesetzentwurf im § 23a ein Eine optimale Lösung wurde auch für die öffentliche Anzeigeverfahren ein . Wir wollten aber auf jeden Fall Beteiligung gefunden, gewährleistet sie doch die Si- verhindern, dass der konkrete Zuschnitt dieses Ver- cherheit der Anwohner und die Sicherung des Betriebs- fahrens unnötige bürokratische Zusatzbelastungen mit standortes oder seiner Entwicklungsmöglichkeiten . Die sich bringt . Wie Ihnen bekannt ist, gab es sowohl in der Öffentlichkeitsbeteiligung wird durch eine Änderung des Wirtschaft als auch bei den Länderwirtschaftsministern Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sicher- deutliche Vorbehalte gegen einige Vorschläge aus dem gestellt . Bestehende materielle Genehmigungsanforde- Umweltministerium . Man befürchtete einen Ausbau- und rungen werden dadurch aber nicht verändert . Erweiterungsstopp für Industriestandorte in Gemengela- Ich komme zum Schluss . Die heutige Einigung ist der gen . Um diesen Anliegen Rechnung zu tragen, hatten wir Abschluss eines schwierigen Prozesses, da es nicht nur einige Verbesserungsvorschläge . um die Öffentlichkeitsbeteiligung und die Umsetzung Das heute nach einem konstruktiven Abstimmungs- von Änderungen im Chemikalienrecht auf europäischer prozess vorgelegte Ergebnis kann sich wirklich sehen Ebene gegangen ist, sondern auch um die Frage, wie mit lassen . Lassen Sie mich die entscheidenden Stichworte Abstandsregeln umgegangen werden soll . Es sind his- in diesem Zusammenhang in der gebotenen Kürze an- torisch entstandene Standorte und deren Entwicklungs- sprechen . möglichkeiten ebenso zu berücksichtigen gewesen wie das berechtigte Schutzinteresse von Anwohnern . Mit un- Zum Bestandsschutz . Wir haben uns darauf verstän- serem Änderungsantrag und dem Entschließungsantrag digt, und das ist ein schöner Erfolg, dass § 50 des Bun- werden diese Klarstellungen erreicht . des-Immissionsschutzgesetzes, der das Abstandsgebot für die Planung regelt, unverändert gilt . Der baurechtli- Ich kann also für die CDU/CSU-Fraktion abschlie- che Bereich wird also wie bisher im Bauplanungsrecht ßend feststellen, dass sowohl dem wichtigen Schutz der geregelt . Die Regelung durch ein neues störfallrecht- Bevölkerung und der Umwelt vor schweren Unfällen als (B) liches Genehmigungsverfahren hätte vor allem für die auch den berechtigten Anliegen der Wirtschaft durch das (D) Betriebe in Gemengelagen bedeutet, dass eine Erwei- Gesetz in der nun vorliegenden Fassung gut Rechnung terung oder Änderung des Betriebsbereiches unter Um- getragen werden . In diesem Sinne danke ich allen Be- ständen nicht mehr möglich gewesen wäre . In unserem teiligten, den Mitarbeitern der betroffenen Ressorts so- Änderungsantrag schreiben wir jetzt fest, dass ein neu- wie meiner geschätzten SPD-Berichterstatterkollegin im es störfallrechtliches Genehmigungsverfahren nur dann Ausschuss, , für die konstruktive und vertrau- notwendig ist, wenn der angemessene Sicherheitsabstand ensvolle Zusammenarbeit . Ich lade alle Kolleginnen und erstmalig unterschritten wird, der bereits unterschrittene Kollegen der Grünen und der Linken herzlich dazu ein, Sicherheitsabstand räumlich noch weiter unterschritten sich einen Ruck zu geben und sich dieser guten Lösung wird oder eine erhebliche Gefahrenerhöhung ausgelöst ebenfalls durch ihr Votum anzuschließen . wird . Diese Grundlage für die neue Anwendungspraxis ist von großer Bedeutung, um bis zum Erlass der TA Ab- Ralph Lenkert (DIE LINKE): Große Havarien und stand Planungs- und Rechtssicherheit für die Gemenge- katastrophale Unfälle wird man trotz aller Achtsamkeit lagen zu schaffen . Mit der gefundenen Regelung ist de und aller Sicherheitsvorschriften niemals ausschließen facto Bestandsschutz erreicht . können . Die Linke begrüßt daher das Engagement der Europäischen Union, die Vorsorge des Krisenmanage- Zum Sicherheitsabstand ist festzuhalten, dass der an- ments für Unfälle mit gefährlichen Stoffen unionsweit gemessene Abstand mit Rücksicht auf die Besonderheit einheitlich und ambitioniert zu gestalten . der einzelnen Sachverhalte in einer eigenen Verwaltungs- verordnung geregelt werden soll . Damit soll eine hand- In Deutschland besteht ein Spannungsfeld zwischen habbare Grundlage zur Abwägung des Gefährdungspo- dem Schutz der Bevölkerung und der Standorterhaltung tenzials und des Risikos aufseiten des Betriebs einerseits bestimmter Industrieparks . Durch die konsequente Um- und mögliche Schädigungen im Einwirkungsbereich setzung der Seveso-III-Richtlinie und die Erwägungen, außerhalb des Betriebsgeländes andererseits miteinander die ihr vorangehen, kommt es zu Interessenkonflikten abgewogen werden können . zwischen dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung und dem Investitions- und Profitinteresse der Industrie. An Mit dem neuen § 23a, mit dem wir über die EU-Rege- den heutigen Konflikten tragen jedoch neben der Indus- lungen national hinausgehen, schreiben wir bei bestimm- trie auch Regionalverwaltungen und Länder einen gro- ten Veränderungen ein Anzeigeverfahren vor . Es leuchtet ßen Anteil der Mitschuld . ein, dass die Betriebe bei der ihnen obliegenden Gefähr- dungsbeurteilung zwar die betriebliche Seite genau ken- Vielerorts ist zu beobachten, dass einstmals außerhalb nen, aber die Situation außerhalb ihres Betriebsgeländes von Ortschaften errichtete Industrieparks schleichend, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19589

(A) über Jahrzehnte erfolgend, heute von Wohnbebauung nämlich bei der Risikobewertung nach REACH-Chemi- (C) umgeben sind. Diese Konflikte zwischen Bedürfnissen kalienverordnung nur die Gefährlichkeit des Stoffes an der Industrie und Schutzbedürfnissen der Anwohner hät- sich zum Tragen . Die Gefährlichkeit seiner Reaktions- te man sich ersparen können, wenn man von vornherein produkte wird nicht untersucht . Ein Beispiel, wo dies ein ausreichend straffes Regelwerk im Rahmen des Bun- relevant werden kann, ist der Umgang mit dem neuen des-Immissionsschutzgesetzes gehabt hätte und nicht Kältemittel R1234yf in Pkw-Klimaanlagen . Im Brandfall erst auf entsprechende Vorgaben der EU gewartet hätte, entwickelt sich daraus unter anderem Carbonyldifluorid, man also Städtebauplanung mit etwas mehr Nachhaltig- ein dem Kampfgas Carbonyldichlorid, als Phosgen be- keit und Weitsicht betrieben hätte . Nun wird die Bundes- kannt, ähnlicher Stoff . regierung per Verordnung festlegen müssen, inwieweit heutige Abstandskonflikte zu neuen Genehmigungsver- Die Risikobewertung ist – abgesehen davon, dass sie fahren führen oder eben auch nicht . für das Kältemittel noch gar nicht vorliegt – immer un- vollständig . Die Risikobewertung erfolgt nicht auf Ba- Die Linke warnt davor, die Interessen des Investiti- sis unabhängiger Forschungsergebnisse . Die Bewertung onsschutzes über das Sicherheitsbedürfnis der Bevöl- wird zu großen Teilen ausgerechnet von der Industrie er- kerung zu stellen und sei es nur in Einzelfällen . Im Ka- bracht, die die Stoffe einsetzen will . Die Wirkung der Se- tastrophenfall wäre eine zu lapidare Interpretation des veso-III-Richtlinie wird also von einem unzureichenden Gesetzes fatal . Die Seveso-III-Richtlinie gibt den Mit- Chemikalienrecht untergraben . Deshalb, zum Schutz vor gliedstaaten vor, dass bei Verstößen gegen die Berichts- den Auswirkungen von Katastrophen mit gefährlichen pflichten durch die Betreiber oder gar bei Betrieb trotz Chemikalien, fordert die Linke daher eine grundlegende fehlender Genehmigung oder anderweitigen Verstößen Qualifizierung des europäischen Chemikalienrechts. gegen das Gesetzeswerk „Sanktionen wirksam, verhält- nismäßig und abschreckend sein müssen“ . Trotzdem lässt sich zusammenfassend sagen, dass mit der Seveso-III-Richtlinie von der EU ein richtiger Schritt Was fordert die Koalition in diesem Gesetzentwurf? gemacht wird . Aber dieser ist, auch wegen der Bundesre- Dass die Behörde die „Stilllegung der Anlage anordnen gierung, leider unvollständig . kann“ und die Beseitigung solcher, damit eigentlich ille- gal betriebener Anlagen nur anordnen „soll“, wenn „die Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zum Beispiel vor vorliegende Gesetzentwurf versucht, dem Spannungs- Chlorgas nicht ausreichend geschützt werden kann“ . Es feld zwischen dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der geht um Gesundheit und Leben . Hier hätte sich die Lin- Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse der Industrie ke darum Konkretheit gewünscht, die den Behörden die hinsichtlich des Bestandsschutzes Rechnung zu tragen . strikte Anwendung des Gesetzes auch rechtssicher er- (B) möglicht . Durch derartige Soll- und Kannphrasen baut Die immer wiederkehrenden Unfälle in Industriean- (D) die Koalition Hintertürchen in das Gesetz, die zu Miss- lagen, wie zuletzt eine Verpuffung und eine Explosion brauch führen können . an den Chemiestandorten Lampertheim und Ludwigsha- fen, zeigen, wie wichtig der Schutz der dort Arbeitenden Positiv ist jede Verbesserung der Öffentlichkeitsbetei- und in der unmittelbaren Nachbarschaft zu einer solchen ligung und vor allem die Zulassung des Verbandsklage- Anlage Wohnenden ist . Unsere Gedanken sind bei den rechts im Genehmigungsverfahren, wenn Betriebe ihre Angehörigen der drei tödlich am Standort Ludwigsha- Anlagen erweitern oder neue bauen wollen . Leider – das fen Verunglückten, denen ich mein Beileid ausspreche . ist symptomatisch für das deutsche Öffentlichkeitsbetei- Das Chemieunternehmen an diesen Standorten hat dieses ligungsrecht – werden die Sorgen und Nöte direkt Be- Jahr bereits 15 Störfälle mittels Pressemitteilung öffent- troffener erneut nicht rechtsverbindlich in den Genehmi- lich gemacht, 6 davon waren sogar meldepflichtige Er- gungsverfahren berücksichtigt . Zwar dürfen Betroffene eignisse, Stellungnahmen an die Behörden übermitteln . Inwieweit die Behörde diese Stellungnahmen aber berücksichtigt, Hinzu kommt, dass von den Kommunen etwa Wohn- bleibt ihr überlassen . Die Linke fordert deshalb bereits gebiete in der Nähe bestehender Chemie- oder anderer seit Jahren, das Recht der Öffentlichkeitsbeteiligung zu Industriestandorte ausgewiesen werden, dass also die reformieren und der Öffentlichkeit verbindlich mehr Wohnbebauung zum Teil langjährig bestehende Anla- Kompetenz zu übertragen . Wohin es führt, wenn man an gen heranrückt . Infolgedessen kann es dann zu Interes- der Öffentlichkeit vorbei agiert, können wir in Gorleben senkonflikten kommen, die Auswirkungen auf den Be- sehen, wo in einem Salzstock zwar kein Atommüll, dafür stand oder die Entwicklung der Industrieanlagen haben aber Milliarden Euro versenkt wurden . können . Die Notlage mancher Kommunen hinsichtlich des Neubaus von Wohnungen ist immens und macht Die gesamte Katastrophenvorsorge versagt, wenn das dieses Vorgehen nachvollziehbar . Diese müssen selbst Potenzial einer Katastrophe im Ereignisfall nicht bekannt komplexe Abwägungsentscheidungen zwischen Lösung ist . Die Vorsorge der Seveso-Richtlinien reicht richtiger- des Wohnungsproblems und der Auswirkung auf Indus- weise soweit, dass nicht nur Betriebe, die mit gefährli- triestandorte und den damit verbundenen Arbeitsplätzen chen Stoffen hantieren, reglementiert werden, sondern treffen, idealerweise im Rahmen einer im Vorfeld initiier- auch Betriebe mit Stoffen, die erst im Havariefall ge- ten Öffentlichkeitsbeteiligung mit allen Betroffenen . fährlich werden . Damit geht die Richtlinie dem Risiko- management des europäischen Chemikalienrechts weit Auch neue Nutzungen in der Nachbarschaft oder Nut- voraus, was ich sehr begrüße, und mir für eine Novelle zungsänderungen können Folgen für bestehende Indus- der Chemikalienrichtlinie auch wünsche . Bisher kommt trieanlagen haben, wie etwa ein Fall im südhessischen 19590 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Darmstadt zeigt . Hier wollte eine Eigentümerin eines sich über ein dichtbesiedeltes Gebiet . Obwohl die Werks- (C) Baugrundstückes in einem Gewerbegebiet ein Garten- leitung schon am ersten Tag nach dem Unfall um das center für den Einzelhandelsverkauf von Gartenbedarf Geschehene wusste, machte sie dies erst acht Tage spä- errichten, direkt neben der Anlage eines großen Chemie­ ter offiziell bekannt. Auch die Behörden reagierten nur unternehmens . Dies führte zu einer langjährigen juristi- zögerlich: Ganze zwei Wochen gingen ins Land, bis das schen Auseinandersetzung und schlussendlich zum soge- Unglücksgebiet abgeriegelt wurde und rund 700 Famili- nannten Mücksch-Urteil des Europäischen Gerichthofes en die Region verlassen mussten . Der Unfall verursach- vom 15 . September 2011, mit der Folge, dass über viele te bei etwa 200 Menschen, darunter bei vielen Kindern, Jahre Planungsunsicherheit herrschte . Hier kann das neue schwere, teils langwierige Gesundheitsschäden . Auch Gesetz endlich einen Beitrag zur Rechtsklarheit leisten . Jahre später war in der Region Langzeitstudien zufolge die Zahl von Tumor- und Diabeteserkrankungen über- Keine Lösung bietet es dagegen bezüglich potenziel- durchschnittlich hoch . ler Gefahren infolge von Bohrungen zur Aufsuchung fos- siler Energieträger, wie etwa Gas- oder Erdölbohrungen, Aus dem Seveso-Unglück sind viele Lehren zum in- oder gar durch Fracking . So explodierte 2014 die Bohr- dustriellen Umgang mit gefährlichen Stoffen gezogen anlage in Geeste, und 2015 gab es einen unerwarteten worden . Diese haben auf europäischer Ebene Eingang in Sauergasaustritt an einer Bohrung bei Siedenburg – um einen Gesetzgebungsprozess gefunden, der eng mit dem nur die Vorfälle in der näheren Vergangenheit zu nennen . Namen des Unglücksortes verbunden ist . 1982 trat die sogenannte Seveso-Richtlinie über die Gefahren schwe- Angesichts dieser Gefahren ist es nicht nachvollzieh- rer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten in Kraft . bar, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bewusst Heute bildet die Seveso-III-Richtlinie, genauer: der Ge- die bestehenden Ausnahmen für Bergbauvorhaben nicht setzentwurf zu ihrer Umsetzung im Bundesrecht, den beseitigt werden, wie sie etwa hinsichtlich Immissions- Gegenstand der Beratungen des Deutschen Bundestages . schutz und Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen . Denn das Gesetz nimmt störfallrelevante Anlagen, die Das Ziel der Seveso-Richtlinien hat sich im Laufe der nach Berggesetz betriebsplanpflichtig sind, von eben die- Zeit nicht verändert: Schwere Unfälle in Industriebetrie- sen Pflichten aus. Die Bundesregierung hat zuletzt mit ben sollen weitestmöglich vermieden und in ihren Aus- der vergangenen Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes wirkungen begrenzt werden . Die Seveso-III-Richtlinie Fracking in Tight-Gas-Reservoirs ermöglicht und ver- passt dazu ihren Geltungsbereich an neue EU-Vorgaben sagt auch hier wieder beim Schutz der Umwelt vor den zur Einstufung sowie Kennzeichnung von Chemikalien Gefahren, die von Fracking ausgehen . an . Sie gibt eine strengere behördliche Überwachung vor und gebietet eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit Diese Ausnahmen sollten aber gerade angesichts der insbesondere an Verfahren zur Genehmigung von Stör- (B) Gefahren des Hydraulic Fracturing – Fracking – ersatzlos fallbetrieben . Wie der aktuelle Störfall in Ludwigshafen (D) entfallen . Im Gegensatz zum Vorschlag der Bundesregie- mit dem beklagenswerten Verlust von Menschenleben, rung, Anlagen, die nach den Vorschriften des Bundes- den Schwerverletzten und den großen Sachschäden zeigt, berggesetzes betriebsplanpflichtig sind, von den §§ 23a muss und wird die Anlagensicherheit auch weiterhin ein und 23b Bundes-Immissionsschutzgesetzes für störfall- Thema von hoher Bedeutung bleiben . Es mag wie eine relevante Anlagen auszunehmen, wäre eine Streichung Binsenweisheit klingen, die aktuellen Geschehnisse ma- des § 23c des Bundes-Immissionsschutzgesetzes aus un- chen es uns aber in schmerzlicher Weise erneut bewusst: serer Sicht die notwendige und angemessene Lösung ge- Auch der hohe Stand der Sicherheitstechnik, den wir in- wesen . Stattdessen verheddert sich die Bundesregierung zwischen erreicht haben, kann schwere Unfälle niemals im Bergrecht und führt dort einen neuen § 57d ein . Kon- gänzlich ausschließen . kret: Die fossile Fracking-Industrie bekommt mal wieder ihre Extrawurst . Der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf setzt als Bestandteil eines Gesamtkonzepts die europarechtlichen Aber im Bergrecht existieren keine spezifischen berg­ Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie zur Öffentlichkeits- rechtliche Regelungen für die Verhinderung schwerer beteiligung eins zu eins in das deutsche Recht um . Eine Unfälle und ihrer Folgen . Auch wäre es an dieser Stelle Beteiligung der Öffentlichkeit ist danach erforderlich, sinnvoll gewesen, eine Konkretisierung und Klarstel- wenn ein Vorhaben die Gefahr eines schweren Störfalls lung für die Voraussetzungen einer Genehmigung von erheblich erhöht und sich im Umfeld des Vorhabens ge- betriebs­planpflichtigen Bergbauvorhaben zu betreiben. schützte Objekte wie etwa Wohngebiete, Kindergärten Die Seveso-III-Richtlinie sollte unserer Auffassung nach oder Krankenhäuser befinden, die im Störfall zu Scha- also uneingeschränkt auch auf bergbauliche Vorhaben den kommen können . Zur Schließung von Umsetzungs- und in Verbindung stehende Anlagen angewendet wer- lücken wird neben der Anpassung schon bestehender den . Dies leistet das heute hier zu beschließende Gesetz immissionsschutzrechtlicher Verfahren ein „kleines stör- leider nicht . Schade! fallrechtliches Anzeige- und Genehmigungsverfahren“ eingeführt . Es gewährleistet die europarechtlich erfor- derliche Öffentlichkeitsbeteiligung auch bei Vorhaben, Parl . Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, die derzeit genehmigungsfrei gestellt sind . bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: In diesem Jahr jährt sich zum An bestehenden materiellen Genehmigungsstandards 40 . Mal der Chemieunfall von Seveso . In der Nähe der ändert der Gesetzentwurf nichts . Insbesondere führt er norditalienischen Gemeinde traten seinerzeit aus einer nicht – wie von einigen befürchtet – zu Verschärfungen Chemiefabrik giftige Dioxingase aus und verbreiteten beim europarechtlichen Abstandsgebot . Das Gebot zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19591

(A) Wahrung angemessener Sicherheitsabstände zwischen stand dieses Gesetzes: zu den Familienkassen des öffent- (C) Störfallbetrieben und geschützten Objekten wird nicht lichen Dienstes, die die Kindergeldanträge von Staatsbe- in eine immissionsschutzrechtliche Betreiberpflicht um- diensteten bearbeiten . gewandelt . Ebenso wenig wird Behörden erlaubt, durch nachträgliche Anordnungen zulasten der Betreiber in Drittens . Wir haben für Staatsbedienstete etwa 8 000 historisch gewachsene Gemengelagen einzugreifen . Än- zuständige Familienkassen des öffentlichen Dienstes, die derungen bestehender Störfallanlagen bleiben auch in allerdings nur 13 Prozent aller Kindergeldfälle bearbei- Gemengelagen nach wie vor möglich . Erhöhen sie indes ten . die Gefahr eines Störfalls erheblich, muss dies wie bisher auch durch risikominimierende Maßnahmen kompen- Die Disproportionalität dieses Umstands wird sofort siert werden . ersichtlich, wenn Sie alle drei Daten zusammenfüh- ren; dann ergibt sich nämlich das folgende Bild: Etwa Der vorliegende Entwurf bringt einen tragfähigen 0,2 Prozent aller Familienkassen bearbeiten 87 Prozent Kompromiss zwischen den Interessen der Betreiber aller Kindergeldfälle, wohingegen 99,8 Prozent lediglich von Störfallanlagen und denen der Nachbarschaft so- mit 13 Prozent konfrontiert sind . Das ruft nach Reform wie der Allgemeinheit zum Ausdruck . Bei der Kom- und nach Steigerung der Verwaltungseffizienz. Die Be- promissfindung hat es sich die Bundesregierung nicht endigung der Sonderzuständigkeiten wird nicht nur seit leicht gemacht: Die ersten Entwürfe zur Umsetzung der Jahren vom Bundesrechnungshof gefordert, sondern Richtlinie waren Gegenstand intensiver Diskussionen: auch in den betroffenen Fachkreisen, damit hier eine zwischen den Ressorts, mit den Ländern und auch mit gleichmäßige Rechtsanwendung und zugleich ein öko- den Verbänden . Angesichts des inzwischen eingeleite- nomischer Verwaltungsablauf gewährleistet sind . ten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen Spätumsetzung der Seveso-III-Richtlinie ist nun- Die Zuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen mehr ein zeitnaher Abschluss des Gesetzgebungsverfah- Dienstes im Bereich des Bundes wird auf die Bundes- rens erforderlich . agentur für Arbeit respektive das Bundesverwaltungsamt Es ist richtig, dass der Gesetzentwurf nicht alle of- übergehen. Ich betone: Eine gesetzlich verpflichtende Zu- fenen Fragen beantwortet . Auch angesichts der techni- ständigkeitsübertragung erfolgt lediglich im Bereich des schen Komplexität der Materie lässt sich nicht alles in Bundes . Was also, wird sich der geneigte und informierte Gesetzestext gießen . Zur weiteren Konkretisierung der Zuhörer fragen, passiert mit den Familienkassen des öf- auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe wird die Bundes- fentlichen Dienstes im Bereich der Länder und Kommu- regierung einen Weg beschreiten, der sich im Immissi- nen? Für diese haben wir eine Option der Zuständigkeits- onsschutzrecht schon vielfach bewährt hat . Sie wird mit übertragung implementiert . Man könnte auch sagen: Wir (B) (D) einer „Technischen Anleitung Sicherheitsabstand“ ein haben einen Anreiz gesetzt; denn der Bund wird bei einer näheres Regelwerk vorgeben, das die Behörden und Be- freiwilligen Zuständigkeitsübertragung durch die Länder treiber bei einer rechtssicheren Anwendung der Geneh- und Kommunen die Sach- und Personalkosten überneh- migungsvorgaben unterstützen kann . Die ersten Vorar- men, ohne eine Gegenleistung zu verlangen . Dieses Ge- beiten für dieses Regelwerk haben bereits begonnen . setz ist also auch für sie eine administrative Entlastung, wenn sich deren Familienkassen einer Zuständigkeits- übertragung auf freiwilliger Basis anschließen . Es gibt im Übrigen auch einen gewichtigen inhaltlichen Grund, Anlage 7 von dieser freiwilligen Option Gebrauch zu machen: Die Zu Protokoll gegebene Reden Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit stehen für eine herausragende Arbeit sowie für qualitativen, bür- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- gerfreundlichen Service . brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des Wir lösen mit dem Gesetz auch ein anderes Problem, öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes (Ta- das der Bundesrechnungshof seit langem moniert und gesordnungspunkt 21) das in der Bevölkerung zu Recht auf wenig Verständnis stößt: die Doppelzahlungen von Kindergeld . In der Ver- Markus Koob (CDU/CSU): Gerne möchte ich zu gangenheit hat sich diese Zersplitterung in der Famili- Beginn die Fakten und Daten in Erinnerung rufen, deren enkassenlandschaft als fehleranfällig erwiesen: Es fehlte Kenntnis zur fachlich korrekten Erfassung des Themas bislang ein bundesweites, einheitliches Datennetzwerk, notwendig ist: in dem Kindergelddaten zentral gespeichert werden . Doppelzahlungen beim Kindergeld konnten daher nicht Erstens . Wir haben 16 Millionen Kinder in Deutsch- vermieden werden . Die jetzt zu beschließende Zustän- land, die Kindergeld in Höhe von insgesamt 39 Milliar- digkeitszusammenführung enthält daher auch Maßnah- den Euro beziehen . men der Datenkonvergenz, die in der Konsequenz die Zweitens . Wir haben für Beschäftigte der Privatwirt- Gefahr der Doppelzahlungen von Kindergeld erheblich schaft die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, reduzieren . Die Rechtsgemeinschaft muss schließlich die für deren Kindergeldanträge zuständig ist . In diesem darauf vertrauen können, dass Personen, die berechtigt Bereich haben wir 14 Familienkassen, die 87 Prozent sind, Staatsleistungen in Anspruch zu nehmen, lediglich aller Kindergeldfälle bearbeiten . Mit dem dritten Punkt den ihnen zustehenden Anspruch erhalten und nicht etwa kommen wir zugleich zum zentralen Regelungsgegen- das Doppelte . 19592 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) So ist diese Reform im Ergebnis eine Win-win-Situa- Wenn sich Länder und Kommunen in großem Umfang (C) tion für alle: Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen als der Konzentration anschließen, dann ergibt sich ein wei- Steuerzahler, die Behörden gewinnen durch effizientere terer Einsparungserfolg, der nach Schätzungen des Bun- Verwaltungsabläufe, die Anspruchsberechtigten profitie- desrechnungshofes bis zu 170 Millionen Euro betragen ren von der qualitativen Beratung und Bearbeitung ihrer könnte . Ziel dieser Strukturreform ist es, die Anzahl der Anliegen, und nach eigenem Ermessen können auch die Familienkassen der öffentlichen Hand längerfristig dras- Familienkassen des öffentlichen Dienstes in den Ländern tisch zu reduzieren und damit das vorhandene Einspa- und Kommunen gewinnen . Kein Wunder also, dass ein rungspotenzial zu heben . Es ist zu hoffen, dass sich die Gesetz, bei dem alle gewinnen und keiner verliert, auch Länder und Kommunen der Reform anschließen werden, großen Zuspruch hier im Hause findet. Ich bitte um Ihre zumal ja die Kosten dafür letztlich vom Bund getragen Zustimmung . werden . Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint mir aber Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Mit dem auch, dass vorgesehen ist, eine Evaluierung des Vorha- Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Fa- bens durchzuführen, um festzustellen, inwieweit sich milienkassen des öffentlichen Dienstes wird eine vom die Verwaltungskosten für die Bearbeitung einzelner Bundesrechnungshof seit langem angemahnte grundle- fallgruppenspezifischer Kindergeldfälle in den verschie- gende strukturelle Reform der Zuständigkeiten der Fa- denen Familienkassen des Bundes, der Länder und der milienkassen des öffentlichen Dienstes eingeleitet . Nach Kommunen, aber auch die mittelfristigen Kosteneinspa- den Feststellungen des Bundesrechnungshofes kam es in rungen durch die Konzentration der Familienkassen der diesen Bereichen zu zahlreichen Doppelzahlungen und öffentlichen Hand entwickelt haben . zu Bearbeitungsfehlern, die sich bereits im Jahr 2009 auf über 9 Millionen Euro beliefen . Gleichzeitig beschließen wir heute darüber, dass das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögens- Nun ist vorgesehen, dass die Kindergeldbearbeitung fragen und das Bundesausgleichsamt ab dem Beginn des der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Be- kommenden Jahres in den Geschäftsbereich des Bundes- reich des Bundes auf die Bundesagentur für Arbeit oder innenministeriums übergehen . Mit dieser Umgliederung alternativ auf das Bundesverwaltungsamt übergeht . Für und der geplanten Fusionierung dieser Behörden mit dem den Bereich von Ländern und Kommunen erhalten die Bundesverwaltungsamt wird eine weitere Effizienzstei- öffentlichen Arbeitgeber ebenfalls die Möglichkeit, die gerung erreicht werden können . Mit dem vorliegenden Zuständigkeit und Fallbearbeitung an die Bundesagentur Gesetz wird eine Vereinfachung der Verwaltung ermög- für Arbeit abzugeben . Sollten diese von der Möglichkeit licht, die erhebliche Einsparungen für die öffentliche keinen Gebrauch machen, verbleibt es bei der bestehen- (B) Hand vorsieht und dabei hilft, Doppelzahlungen und Be- (D) den Zuständigkeit der Familienkassen der Länder und arbeitungsfehler in größerem Umfang zu vermeiden . Ich Kommunen . Bei den Kassen des Bundes ist ein Zustän- bitte daher, diesem vernünftigen strukturellen Reform- digkeitsübergang bis zum Jahr 2021 vorgesehen . vorhaben zuzustimmen . Dabei ist von erheblichen Effizienzsteigerungen aus- zugehen . Der Normenkontrollrat beziffert die möglichen Frank Junge (SPD): Das Gesetz zur Beendigung Effizienzgewinne durch die Konzentration auf mindes- der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffent- tens 8,5 Millionen Euro jährlich . Allerdings wird der lichen Dienstes, das wir heute in abschließender Lesung gesamte Umstellungsaufwand auf einmalig rund 25 Mil- behandeln, reiht sich nahtlos ein in das Arbeitsprogramm lionen Euro geschätzt . Angesichts der möglichen Erspar- „Bessere Rechtssetzung“, welches das Bundeskabinett nisse in den Folgejahren hält sich dieser Aufwand jedoch im Juni 2014 beschlossen hat . Ziel dieser Maßgaben ist, in einem durchaus vertretbaren Rahmen . Gleichzeitig den Prozess hin zu einer effizienten, wirtschaftlichen und erfüllen wir mit diesem Gesetz eine Forderung aus unse- bürgerfreundlichen Verwaltung aktiv in Angriff zu neh- rem Koalitionsvertrag, in dem festgehalten wurde, dass men und offensiv zu gestalten . wir die Familienkassen des Bundes bei der Bundesagen- tur für Arbeit konzentrieren wollen . Das vorliegende Gesetz, an dem Bund und Länder fast fünf Jahre gearbeitet haben, lässt sich unter diesen Ge- Angesichts der zu erwartenden Einsparungen, die, wie sichtspunkten nahtlos in dieses Programm einordnen und oben bereits erwähnt, nach konservativen Schätzungen ist vor diesem Hintergrund nach meiner Auffassung ein allein bei den Familienkassen des Bundes wenigstens bei ausgesprochen gutes Gesetz . Derzeit gibt es in der Bun- rund 8,5 Millionen Euro jährlich liegen werden, ist dieses desrepublik Deutschland 14 Familienkassen der Bundes- Gesetz sinnvoll und vernünftig . Den Ländern wird mit agentur für Arbeit, die für circa 16 Millionen Kinder das dem Gesetz die Möglichkeit eröffnet, sich an dieser Kon- Kindergeld ausbezahlen . Darüber hinaus verwalten cir- zentration mit ihren entsprechenden Familienkassen zu ca 8 000 weitere Familienkassen insgesamt 2 Millionen beteiligen . Dies erscheint auch deshalb besonders sinn- Kindergeldfälle von Angestellten des öffentlichen Diens- voll, da noch ein erhebliches Potenzial an Einsparungen tes im Bereich des Bundes, der Länder und der Kommu- durch die Konzentration der anderen Familienkassen der nen . öffentlichen Hand gegeben wäre . Durch die Reform wird zunächst die Anzahl der Familienkassen auf Bundesebe- Zum Teil bearbeiten einzelne dieser Familienkassen ne bis zum Jahr 2021 um 100 reduziert . Auf Landes- und nur 20 bis 40 Kindergeldfälle . Diese Situation halte ich Kommunalebene verbleiben dann noch etwa 7 900 Fa- mit Blick darauf, dass es sich beim Kindergeld um eine milienkassen . steuerliche Leistung handelt, bei der es überhaupt kei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19593

(A) nen Gestaltungsspielraum gibt, grundsätzlich für einen hafter Kindergeldfestsetzungen verringert . Der Bundes- (C) untragbaren Missstand . Neben der Tatsache, dass eine rechnungshof verwies auf über 1 300 Fälle, in denen das solche aufgeblähte Struktur rein gar nichts mit einer ef- Kindergeld doppelt ausgezahlt wurde . Der Schaden für fizienten Verwaltung zu tun hat, erfüllen viele dieser Fa- den Steuerzahler war beträchtlich: 9 Millionen Euro . Die milienkassen noch nicht einmal Mindeststandards in der hier angestrebte Struktur- und Verwaltungsreform bei Qualität der Arbeitsabläufe, weil es dort schlicht an Er- den Familienkassen erscheint auf alle Fälle sinnvoll . Die fahrung und Routine in der Fallbearbeitung fehlt . Das hat Verwaltungsstruktur wird transparenter und effektiver der Bundesrechnungshof vor Jahren bereits festgestellt . durch bessere Vernetzung und Standardisierung, und sie Unterschiedliche IT-Systeme und ein fehlender Daten- wird hoffentlich weniger betrugsanfällig, wenn fortan ein abgleich der Familienkassen untereinander sind darüber besserer und schnellerer Datenabgleich möglich ist . hinaus nicht nur ineffizient, sie führen auch zu einer er- höhten Fehler- und Betrugsanfälligkeit . So weiß die eine Familienkassen der öffentlichen Arbeitgeber in Län- Familienkasse nämlich nicht, was die andere macht . Und dern und Kommunen können zwar ihre Zuständigkeiten das führt unter Umständen zu Missbräuchen oder unzu- behalten, allerdings steht es den kleineren Familienkas- lässigen Zahlungen von Kindergeld . sen mit geringen Fallzahlen frei, die Zuständigkeit an die Bundesagentur für Arbeit oder das Bundesverwaltungs- Darum werden wir mit dem vorliegenden Gesetz die amt zu übertragen . 100 Familienkassen des öffentlichen derzeit circa 100 Familienkassen, welche die Kinderzah- Dienstes Bund sind vom Gesetzentwurf primär betrof- lungen für Angestellte des Bundes vornehmen, bis zum fen und werden allesamt überführt . Das heißt dann aber Jahr 2022 an zwei Stellen zusammenführen: bei der Bun- auch, dass die restlichen 7 900 Familienkassen des öf- desagentur für Arbeit und beim Bundesverwaltungsamt . fentlichen Dienstes optieren können . In welche Richtung Darüber hinaus geben wir Ländern und Kommunen die die Entscheidung gehen wird, ist aber unklar und trägt Möglichkeit, ihre derzeit circa 7 900 Familienkassen für nicht gerade zur Rechts- und Planungssicherheit bei . Un- die öffentlich Bediensteten ebenfalls zentral beim Bund serer Meinung nach sollten die 8 000 Familienkassen des zusammenzufassen . öffentlichen Dienstes, also die Kassen für Beamte und Das bietet in meinen Augen nur Vorteile für die Län- deren Kinder, überführt werden, und zwar auf absehba- der . Zum einen können sich die Landesbediensteten auf re Zeit . Ob der ganze Übergangsprozess tatsächlich fünf andere Aufgaben konzentrieren als auf die Auszahlung Jahre in Anspruch nehmen muss, wie vorgesehen, er- von Kindergeld . Andererseits sparen die Länder Geld, da scheint mir zweifelhaft . der Bund zukünftig die Verwaltungskosten übernimmt . Hochgerechnet würden sich auf das gesamte Jahr gese- Die Umsetzung der geplanten Strukturreform zieht fi- nanziellen Aufwand, aber auch Einsparungen nach sich . (B) hen pro Kindergeldfall in der Bearbeitung bis zu 20 Euro (D) einsparen lassen . Das sind Ressourcen, welche die Län- So kommt es bei der Bundesagentur für Arbeit zu einem der und Kommunen an anderer Stelle sinnvoller einbrin- einmaligen Aufwand von circa 22,25 Millionen Euro . gen könnten . Beim Bundesverwaltungsamt werden die zusätzlichen Kosten 1,95 Millionen Euro betragen . Demgegenüber Meine Gespräche mit Vertretern der Länder haben soll es mittelfristig zu Einsparungen von mindestens zum Ausdruck gebracht, dass man dem vorliegenden Ge- 8,5 Millionen Euro jährlich kommen . Rechnet man das setzentwurf dort positiv gegenübersteht und an der Zu- gegen, spart der Staat bei jeder Überführung der Kinder- sammenlegung der Familienkassen teilnehmen möchte . geldzuständigkeit 20 Euro . Das klingt erst einmal nicht Unabhängig davon will ich dennoch an Sie alle appel- nach so viel, aber die Masse machtʼs. Dennoch wird man lieren, in Ihren Bundesländern für eine möglichst umfas- erst hinterher schlauer sein, ob die gesamten Umstruktu- sende Beteiligung zu werben . Denn je mehr Länder und rierungsmaßnahmen wirklich so rasch zu den avisierten Kommunen sich für eine Zentralisierung aussprechen Einsparungen führen werden . und mitmachen, umso höher ist selbstverständlich auch der gesamte Nutzen . Ich habe eingangs bereits zum Aus- Wir haben nun schon einiges zu Kostensenkungen und druck gebracht, dass ich das heute vorliegende Gesetz für Bürokratieabbau gehört . Kommen wir also zur Kehrseite ein ausgesprochen gutes halte . Wir entbürokratisieren da- der Medaille: Im Gesetzentwurf ist zu lesen, dass „nicht mit unsere Verwaltung, gestalten sie bürgerfreundlicher in jedem Fall das für diese Aufgabe eingesetzte Perso- und effizienter. nal zeitgleich auf eine freie, für andere Aufgaben ausge- brachte Planstelle/Stelle geführt werden kann“ . Dadurch, In diesem Zusammenhang freue ich mich sehr da- dass die – Zitat – „Zahl der zuständigen Stellen reduziert“ rüber, dass auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen werden soll, ist immer mit Arbeitsplatzabbau zu rechnen . von der Opposition, das offensichtlich so sehen . Jeden- Es gibt de facto keine Garantie, dass jeder Mitarbeiter, falls haben Sie das im Rahmen unserer abschließenden dessen Stelle wegfällt, wieder auf eine neue Planstelle Diskussion im Finanzausschuss uns gegenüber so zum gesetzt wird . Ob die Aussage des Staatssekretärs Meister Ausdruck gebracht . Konsequenterweise wäre daher eine aus dem Finanzausschuss, dass sich niemand Sorgen um breite und fraktionsübergreifende Zustimmung zum Ge- seinen Job machen müsse, Bestand haben wird, steht setzentwurf aus meiner Sicht nur folgerichtig . Genau da- leider in den Sternen . Die Linke fordert, dass Verwal- rum bitte ich Sie . tungs- und Strukturreformen nicht mit Arbeitsplatzabbau einhergehen . „Rationalisierungen“ und „Umstrukturie- Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Es ist ohne rungen“ dürfen kein Vorwand sein, um Jobs und Gehälter Zweifel höchste Eisenbahn, dass sich die Zahl fehler- wegzurationalisieren . Dies alles bleibt im Gesetzentwurf 19594 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) nebulös geregelt, weswegen wir uns alles in allem auch chen Betrug durch „Ausländer“ und gerade nicht mit den (C) enthalten werden . bekanntgewordenen Fällen bei den eigenen Beamten . Da es ja in diesem Zusammenhang auch um Kin- Was ist das Grundproblem, das durch die vorliegende dergeld geht, das von Familienkassen ausgezahlt wird, Gesetzesänderung behoben werden soll? Es ist der insti- möchte ich noch auf eines hinweisen: Wir als Linke tutionelle Wildwuchs bei den Familienkassen des öffent- haben einen Aktionsplan gegen Kinderarmut, Bundes- lichen Dienstes, das heißt bei den Familienkassen, die vor tagsdrucksache 18/9666, frisch in den Bundestag einge- allem für die Beamten zuständig sind . Während 14 Fami- bracht . Lesen Sie sich einfach diesen Aktionsplan durch; lienkassen der Bundesagentur für Arbeit den Löwenan- es lohnt sich . Wir fordern nicht nur eine eigenständige teil aller Kindergeldfälle bearbeiten, sind für die Kinder Kindergrundsicherung, sondern setzen uns für flankie- von öffentlich Bediensteten tatsächlich 8 000 einzelne rende Maßnahmen ein, die Eltern aus der Armut führen: Familienkassen zuständig . Ich wiederhole: 8 000 Kas- einen höheren Mindestlohn, eine bessere Vereinbarkeit sen . Sie bearbeiten gerade einmal 13 Prozent der Kinder- von Familie und Beruf, eine sanktionsfreie Mindestsi- geldberechtigten im Land . Das steht in einem grotesken cherung und eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes . Missverhältnis. Auch solch eine von Ineffizienz geprägte Die geplante Erhöhung von 2 Euro ist doch ein schlech- Aufteilung bei der Auszahlung des Kindergeldes ist den ter Witz . Verschließen Sie nicht länger die Augen vor der Bürgerinnen und Bürgern nicht zu erklären . Kinderarmut in Ost- wie Westdeutschland . Im Osten lebt Ich halte das Ziel und die eingeschlagene Richtung gut jedes fünfte Kind in einem Hartz-IV-Haushalt . Fin- des Gesetzentwurfes für richtig und unumgänglich . Die den Sie das gut? Vielzahl an Kassen ist nicht zu rechtfertigen, da sich die Es ist bitter nötig, neben den Familienkassen noch Auszahlung von Kindergeld nicht als besonders komple- weitere „Strukturen“ zu reformieren, allen voran bei der xe Dienstleistung darstellt . Das Nebeneinander der Fami- Verteilung des Reichtums in dieser Gesellschaft, damit lienkassen ist nicht nur bürokratisch und ineffizient, es ist weder Jung noch Alt in Armut leben müssen . eben auch missbrauchsanfällig . Aber wird das vorliegen- de Gesetz an diesem Zustand etwas ändern? Ich bin nicht dieser Auffassung . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heu- te hier zu beschließende Gesetz über die Familienkassen Der Haken an dem vorliegenden Gesetzentwurf ist, des öffentlichen Dienstes ist in der Zielrichtung eine dass nur die Zuständigkeiten der Familienkassen im Be- nachvollziehbare Angelegenheit . Es löst nur leider das reich des Bundes bis 2022 zur Bundesagentur für Arbeit Problem der Vielzahl von Familienkassen nicht . Zudem oder zum Bundesverwaltungsamt übergehen sollen . Ge- sollen wir heute noch einen kurzfristig eingegangenen – nau das führt aber lediglich zu einer Reduzierung von (B) von uns in der Kürze der Zeit nicht ausreichend prüf- 8 000 auf 7 900 Familienkassen des öffentlichen Diens- (D) baren – Änderungsantrag zur Verlagerung des Bundes- tes . Ganze 100 Familienkassen werden entfallen . Das ist amtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen selbstverständlich nicht der dringend benötigte System- und des Bundesausgleichsamtes weg vom Finanz- hin wechsel, der zu strukturellen Verbesserungen, mehr Ef- zum Innenministerium beschlossen werden . Aus diesem fizienz und einer sinnvollen Verschlankung der Verwal- Grund werden wir uns enthalten . tung führt . Bereits vor sieben Jahren machte das Thema Famili- Für die Familienkassen im Bereich der Länder und enkassen Schlagzeilen in der Boulevardpresse . Worum Kommunen gelten die vorliegenden Neureglungen hin- ging es? Um Kindergeldbetrug . Ehepaare hatten sich gegen nicht . Der Bund macht den Ländern lediglich das das Kindergeld doppelt ausbezahlen lassen . Wie war das Angebot, gegen Kostenübernahme auf die Zuständigkeit möglich? Weil für einen der Ehepartner als Beamter oder freiwillig zu verzichten . Das Vorgehen halte ich für we- Beamtin eine Familienkasse des öffentlichen Dienstes nig ambitioniert angesichts der verbleibenden 7 900 Fa- zuständig war, für den anderen aber die Bundesagentur milienkassen . Die Koalition ist offensichtlich der Auffas- für Arbeit . Staatsdiener, die doppelt kassieren, das ist et- sung, dass den Ländern nicht mehr zuzumuten ist . Diese was, worüber sich Menschen verständlicherweise und zu Haltung, allein auf die Einsicht der Länder zu warten, Recht aufregen . kann ich vor dem Hintergrund des eigentlichen Problems ganz und gar nicht teilen . Vielmehr sollten wir uns darü- Der Bundesrechnungshof hatte bereits im Jahr 2009 ber Gedanken machen, ob nicht die alternative Lösung – auf diese Betrugsfälle hingewiesen . Auf die Bürgerin- eine Verlagerung der Kindergeldauszahlung auf die Fi- nen und Bürger muss es so wirken, als ob die Regierung nanzämter – doch die geeignetere ist . Das Kindergeld Missbrauchsbekämpfung bei den eigenen Beamten nicht ist schließlich im Einkommensteuergesetz verankert . besonders wichtig findet. Erst durch ein Gesetz, das Jahre Mir fällt kein plausibler Grund ein, warum wir mit den später zum 1 . Januar 2016 in Kraft trat, wurde der Miss- 7 900 Familienkassen wie bisher weitermachen sollten . brauch auf dem Papier beendet . Von 2016 an müssen die Familienkassen einen Abgleich der Steueridentifikations- nummer der Kinder vornehmen, um eine Doppelauszah- lung zu vermeiden . Der tatsächliche Abgleich funktio- Anlage 8 niert aufgrund der ausstehenden IT-Umstellung selbst bis Zu Protokoll gegebene Reden heute immer noch nicht, und dieses Gesetz wurde damals mit dem angeblichen Betrug durch Ausländer begründet . zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Ich wiederhole: Es wurde begründet mit dem angebli- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19595

(A) des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- ken häufig verzerrt sind. Hochqualitative Statistiken sind (C) tistikgesetze (Tagesordnungspunkt 22) jedoch sehr wichtig, nicht zuletzt auch, um Förderungen aus EU-Strukturfonds zu erhalten. Die Auskunftspflicht Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Heute widmen stellt hier die erforderliche Qualität der Daten sicher. wir uns zum zweiten Mal und damit abschließend dem Gleichwohl haben die Koalitionsfraktionen einen Ände- Mikrozensusgesetz . Ich meine, dass wir im erweiterten rungsantrag eingebracht . Dieser beschränkt sich jedoch Berichterstattergespräch, an dem auch die Grünenfrakti- auf Klarstellungen, etwa auf Konkretisierungen von on teilgenommen hat, die letzten Einwände und Unklar- Wortbedeutungen oder inhaltliche Präzisierungen von heiten aus der Welt schaffen konnten und das Gesetz nun statistischen Merkmalen . Der Änderungsantrag kann so- inhaltlich unverändert verabschieden können . mit aus inhaltlicher Perspektive nicht sehr strittig sein . In meiner letzten Rede hatte ich bereits angesprochen, Im Übrigen möchte ich erwähnen, dass auch die Bun- dass das gegenwärtige Mikrozensusgesetz Ende 2016 desbeauftragte für den Datenschutz und die Informati- ausläuft und dadurch nun der Handlungsbedarf besteht, onsfreiheit im Rahmen der Ressortabstimmung beteiligt die Weiterführung des Mikrozensus ab 2017 sicherzu- worden ist . Ihre Anregungen sind aufgenommen worden . stellen . Auch wenn sich das parlamentarische Verfahren Sie hat daher keine Einwände geltend gemacht . nun um rund zwei Wochen verlängert hat, meine ich, Ich denke, dass wir mit diesem Gesetz die Durchfüh- dass wir noch gut im Zeitplan liegen, um eine lückenlose rung des Mikrozensus in Zukunft deutlich verbessern Fortführung der Haushaltsstichproben zu ermöglichen . werden . Ich möchte allen Beteiligten für die gute Zusam- Der Mikrozensus wird damit dann zunächst bis 2020 menarbeit danken . weitestgehend in der gegenwärtigen Form fortgeführt . Ab 2020 wird dann das neue System gelten . Künftig Barbara Woltmann (CDU/CSU): In zweiter und werden damit die Gemeinschaftsstatistiken über Ein- dritter Lesung beschließen wir heute das Gesetz zur Neu- kommen und Lebensbedingungen, EU-SILC, sowie zur regelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Informationsgesellschaft, IKT, in den Mikrozensus inte- Statistikgesetze . Die Notwendigkeit einer Neuregelung griert . Diese wurde bisher zusätzlich zum Mikrozensus bleibt weiterhin unbestritten: Das geltende Gesetz läuft erhoben . Wir versprechen uns davon Einsparungen hin- zum Jahresende aus und muss erneuert werden . Außer- sichtlich der aufzuwendenden finanziellen Mittel, des or- dem hat die Europäische Union einige Verordnungen ganisatorischen Aufwands und der Gesamtbelastung für beschlossen, die in das neue Gesetz integriert werden die Bürgerinnen und Bürger . müssen . Jedoch wird dies nicht von jetzt auf gleich ge- Weil einerseits diese Statistikanforderungen seitens schehen . Somit haben wir genügend Zeit, um die voll- (B) der Europäischen Union auf unbestimmte Zeit gelten ständige Neugestaltung der IT mit den notwendigen (D) und andererseits der Mikrozensus nun seit mittlerweile tiefgreifenden methodischen und organisatorischen Ver- 1957 existiert, werden wir den Mikrozensus mit diesem änderungen aufzustellen . Gesetz nun entfristen . Es hat sich über die Jahrzehnte Es ist notwendig, den Mikrozensus um die auf euro- gezeigt, dass die Haushaltsstichproben unverzichtbar päischer Ebene geforderten Daten zu erweitern . Das Sta- für Parlamente, Regierungen sowie die Verwaltungen in tistische Bundesamt, das den Mikrozensus durchführt, Bund und Ländern bei der Erfüllung ihrer verschiedenen besitzt mittlerweile nicht nur einen nationalen Auftrag, Aufgaben sind . Der Mikrozensus ist für eine gute Politik sondern ist auch dazu verpflichtet, europäisches Recht nicht mehr wegzudenken . Anstatt nun den Mikrozensus anzuwenden und der Europäischen Union entsprechende alle paar Jahre wieder aufs Neue für einige Jahre einzu- Daten zu liefern . Die Daten der Arbeitskräftestichprobe setzen, ist es nun zu Recht an der Zeit, ihn als auf Dauer der Europäischen Union zum Beispiel sind wichtig für angelegten Bestandteil unserer Rechtsordnung anzuse- gemeinschaftliche EU-Programme zu mehr Beschäfti- hen . gung, besserer Ausbildung und gegen Arbeitslosigkeit . In Die Integration der EU-Erhebungen in den Mikro- der heutigen Zeit wird es immer wichtiger, die rasanten zensus erfordert auch eine Erweiterung der Auskunfts- Entwicklungen in Europa zu analysieren und in den oben pflicht. Einerseits spart die Auskunftspflicht einen grö- genannten Bereichen die richtigen politischen Weichen- ßeren Aufwand bei den Befragungen ein . Bei einer stellungen vorzunehmen . Dafür bedarf es einer guten Da- freiwilligen Befragung zeigen der Erfahrung nach maxi- tenlage. Die Kohäsionspolitik in der EU profitiert davon. mal 30 Prozent der zu befragenden Personen überhaupt die Bereitschaft einer Teilnahme . Tatsächlich nehmen Aber nicht nur die Europäische Union, sondern auch letztlich im Regelfall höchstens 10 Prozent der Perso- Deutschland entwickelt sich mit hoher Geschwindigkeit . nen auch an der Befragung teil . Um nun eine ausrei- Vor allem im Bereich der Digitalisierung werden die Ver- chend hohe Datenzahl für aussagekräftige Statistiken zu änderungen in den kommenden Jahren enorm sein . Ich erhalten, muss die Stichprobe um das Vierfache erhöht halte die Statistik zur Informationsgesellschaft, die durch werden. Diese Kosten entfallen bei einer Pflicht zur Aus- Beschluss des Artikels 2 des vorliegenden Gesetzentwur- kunft . fes ab dem Jahr 2021 anhand von Merkmalen wie Inter- netzugang und Internetnutzung erhoben wird, für äußerst Aber auch die Datenqualität verbessert sich; denn alle wichtig . Der Zustand und die Reichweite des Breitband- Bevölkerungsgruppen nehmen nun an der Befragung teil . ausbaus können durch den Mikrozensus festgestellt wer- Typischerweise verweigern bestimmte Bevölkerungs- den . Dies sind auch für die Kommunen wichtige Infor- gruppen eine freiwillige Teilnahme, sodass die Statisti- mationen . 19596 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Die Kommunen profitieren ebenso von der Einführung zesverfahren in diesem Hohen Hause gewesen, so zum (C) einer Auskunftspflicht von Bürgern, die für den Mikro- Beispiel des Umweltstatistikgesetzes oder des Bundes- zensus ausgewählt werden . Die bislang auf Freiwilligkeit statistikgesetzes . Heute behandeln wir das Mikrozensus- angelegte Befragung barg die Gefahr, ein schiefes Bild gesetz, das eine überaus wichtige Funktion bei der Erhe- der deutschen Gesellschaft zu zeichnen . Die statistischen bung statistischer Daten einnimmt . Erhebungen aus dem Mikrozensus sind nämlich maßge- Wie Sie alle wissen, haben wir dieses Gesetz bereits bend für die Ausgestaltung und die Vergabe unter ande- 2014 geändert . Anpassungen an EU-Vorgaben waren ein rem von Fördermitteln aus den EU-Strukturfonds und Anlass . Wir haben Optimierungen bei der Bevölkerungs- somit von erhöhter Wichtigkeit für unsere Kommunen . statistik vorgenommen und mithilfe einer Experimen- Kritisch könnte man allenfalls sehen, dass nur rund tierklausel ermöglicht, dass neue Erhebungsverfahren 1 Prozent aller Bundesbürger befragt wird . Dies hat beim erprobt werden können . Die heute vorliegenden Ände- letzten Mal dazu geführt, dass Kommunen Einwohner rungen gehen noch einen Schritt weiter . Mit der Aufhe- „verloren“ haben und damit auch entsprechende Finanz- bung der Befristung als einer Kernänderung des Gesetzes mittel . Dies gilt es im Blick zu behalten, und es gilt, Lö- legen wir die Grundlage für eine dauerhafte und zuver- sungen dafür zu finden. lässige Datenerhebung . Die Befristungen wurden in der Vergangenheit immer wieder per Gesetz verlängert, so Die Notwendigkeit des vorgelegten Gesetzentwurfes letztmalig 2012 um vier Jahre . Diese Kettenbefristungen ergibt sich auch aus der Frage nach den Kosten, welche sollen nun ein Ende haben, und das ist auch sinnvoll . Das diese statistischen Erhebungen mit sich bringen . Durch Mikrozensusgesetz wird unbefristet gelten und damit den die nun gesetzlich festgelegte Einbeziehung der EU-Sta- Vorgaben der EU folgen, denn auch die Pflicht zur Daten- tistik über Einkommen und Lebensbedingungen sowie lieferung gilt unbefristet . der Statistik zur Informationsgesellschaft vermeiden wir unnötige Mehrkosten, die bei einer separaten Durchfüh- Nun wurden in der Diskussion Bedenken laut, dass rung der Befragung anfallen würden . Ein weiterer Plus- wir mit diesem Schritt der Entfristung unsere Hoheit zur punkt der Integration der EU-Statistiken in den Mikro- Evaluation und Veränderung des Mikrozensusgesetzes zensus ist die Vermeidung von doppelt durchgeführten aus den Händen gäben . Sehr verehrte Kolleginnen und Erhebungen. Demografische und sozioökonomische Kollegen, es ist doch so, dass wir als Gesetzgeber im- Angaben, die bei separaten Befragungen zum festen Fra- mer die Möglichkeit haben, Gesetze zu verändern, und genstamm gehören, werden mit dem neuen Gesetz nur natürlich werden wir auch bei einem entfristeten Mikro- einmal erhoben . zensusgesetz sehr genau hinschauen, wie die Entwick- lung verläuft und ob sich hier Änderungsbedarfe erge- Die Notwendigkeit der Neuregelung des Mikrozensus ben . Im Umkehrschluss hieße so eine Argumentation ja, (B) und zur Änderung weiterer Statistikgesetze ließe sich dass wir alle Gesetze befristen müssten . Das kann doch (D) noch an weiteren Beispielen aufzählen . Festzuhalten ist, nicht unser Wunsch sein . Die Entfristung schafft viel- dass es aus der Sicht vieler Experten aus dem Bereich mehr Planungssicherheit für das Statistische Bundesamt der Statistik und Datenerhebung keine inhaltlichen Be- und verringert den bürokratischen Aufwand . Diese Ziele anstandungen gibt . sollten uns hier einen . Ich bitte um Zustimmung zum vorliegenden Gesetz- Kommen wir nun zu einem weiteren zentralen Punkt entwurf . des Gesetzes, der die Perspektive der EU in den Blick nimmt, die ich zu Beginn meiner Rede ansprach . Viele Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Lassen Sie mich Erhebungen finden bislang parallel statt, so der Mikro- zu Beginn meiner Rede einen Blick auf Europa werfen . zensus, die Statistik zur Informationsgesellschaft, kurz Was das Statistische Bundesamt für Deutschland ist, ist IKT, und auch die Erhebung über Arbeitskräfte, Ein- für die EU das Statistische Amt der Europäischen Union, kommen und Lebensbedingungen für die EU, die soge- kurz Eurostat, mit Sitz in Luxemburg . Hier laufen seit nannte SILC-Statistik . Diesen Einzelstatistiken liegen 1953 alle Daten zusammen, die von den Ländern an die unterschiedliche Verfahrensregelungen zugrunde . So ist EU geliefert werden . Eurostat selber erhebt keine Daten der Mikrozensus verpflichtend, während die IKT und und ist somit auf die Erhebungen in den Mitgliedstaaten auch SILC-Verfahren auf freiwilliger Basis erfolgen . angewiesen . Ein Blick auf die Homepage von Eurostat Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beide zeigt eindrucksvoll, wie viele Daten hier zusammen- Statistiken in den Mikrozensus integrieren . Das schafft fließen. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich hier Synergien und reduziert den Erhebungsaufwand . Dazu ausgiebig über gesellschaftliche Daten der EU und ihre gehört auch, dass die Verfahren vereinheitlicht werden, Mitgliedsländer informieren . Wie hoch ist die Lebens- und das heißt für die integrierten Statistiken, dass auch erwartung in welchem Land, wie die Altersstruktur, die sie im Kern verpflichtend werden. Sozialstruktur? Bis hin zu den Luftemissionswerten in jedem Land kann hier alles nachgelesen werden . Das ist Auch dagegen gibt es Bedenken . Zudem begleitet eine exzellente Informationsplattform für Wissenschaft, Kritik die Statistik schon seit Jahrzehnten . Im Kern geht Politik und Gesellschaft . es darum, ob durch die Auskunftspflicht Persönlichkeits- rechte verletzt werden . Was stimmt, ist, dass es für die Die Daten werden von den EU-Mitgliedstaaten gelie- Personen, die in der Stichprobe zu einer Auskunft ver- fert, konsolidiert und harmonisiert, mit dem Ziel, sie ver- pflichtet werden, Aufwand bedeutet. Der Fragebogen gleichbar zu machen . Und diese Harmonisierung ist in ist sehr ausführlich, und die Befragten müssen einen dieser Legislatur auch ein Aspekt verschiedener Geset- tiefen Blick in ihre persönlichen Lebensverhältnisse Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19597

(A) zulassen . Das kann auch Unmut erzeugen . Dafür habe strument für das Funktionieren oder Misslingen selbiger (C) ich Verständnis . Nun müssen wir uns als Gesetzgeber ist . In der Tat können wichtige Schlüsse aus dem Mikro- fragen, ob der Nutzen dieser Statistiken denn diesen tie- zensus und anderen Befragungen wie der Einkommens- fen Blick rechtfertigt . Und hier kommen wir doch nicht und Verbrauchsstichprobe gezogen werden: dass zum umhin, den großen Nutzen zu betonen, den die Auswer- Beispiel das Armutsrisiko von Geringqualifizierten ge- tung dieser Daten bedeutet . Die Statistiken, die aus dem stiegen ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich im- Mikrozensus entwickelt werden, sind grundlegend für mer weiter auseinandergeht oder dass immer mehr Leute Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft . Und ohne sie so vermögend sind, dass sie für ihren Lebensunterhalt wären wir in der Politik zwischen den Volkszählungen nicht mehr arbeiten gehen müssen, während gleichzeitig ohne empirischen Kompass . ein Fünftel der Kinder in unserem Land von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind . Zu fordern, diese grundlegenden Statistiken auf eine freiwillige Basis zu stellen, folgt sicher den Wünschen Das wissen wir alles dank solcher Erhebungen – so einiger Menschen, muss aber hinsichtlich der Folgen ge- weit, so gut . Aber warum führt man diese Statistiken und nauer betrachtet werden . Bei einer freiwilligen Erhebung sammelt dieses ganze Wissen, wenn keine Konsequen- muss davon ausgegangen werden, dass sich ein Teil der zen daraus erwachsen? Welche konkrete politische Maß- Menschen in einer Stichprobe der Auskunft verweigert, nahme ist denn in den letzten Jahren ergriffen worden, sei es aus Überzeugung oder aus persönlicher Arbeits- um die ungleiche Vermögensverteilung in der Bundesre- entlastung . Damit muss die Stichprobe selber deutlich publik anzugehen? Welche Konsequenzen hatten die Er- vergrößert werden, was einen deutlichen Mehraufwand gebnisse auf die soziale Mischung in den Städten? Was bedeutet . Mehr Menschen müssen befragt werden, mehr konkret wird denn getan, um Geringqualifizierte weiter- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Statistischen Bun- zubilden oder dafür zu sorgen, dass mehr Schülerinnen desamt müssen sich mit der Auswertung der Daten be- und Schüler bessere Abschlüsse schaffen, erst recht, schäftigen, und mehr Zeitaufwand ist damit ebenso ver- wenn sie von Armut betroffen sind? Die Bundesregie- bunden wie deutlich höhere Kosten . Und diese Folgen rung hat es nicht einmal bei der vom Verfassungsgericht müssen wir bei der Frage von Freiwilligkeit oder Pflicht angemahnten gerechten Erbschaftsteuer gewagt, Reiche auch beleuchten . In der Abwägung der Positionen und zur Finanzierung des Gemeinwohls heranzuziehen, von der Folgen kommen wir zu der Überzeugung, dass es einer Vermögensteuer, wie es sie in etlichen anderen Län- verantwortbar und sinnvoll ist, die Verpflichtung auf die dern gibt, ganz zu schweigen . Das massive Problem und integrierten Statistiken auszudehnen . Misstrauen von denen, die bei der Befragung für den Mi- Bei anderen Fragen wurden im parlamentarischen krozensus Privates preisgeben müssen, liegt auch darin, dass der Sinn und die Verhältnismäßigkeit berechtigter- (B) Verfahren durchaus noch einige Änderungen vorgenom- (D) men, denen wir zustimmen können . So wurden im Ge- weise hinterfragt wird . setz neben redaktionellen Änderungen noch Präzisierun- gen vorgenommen, die wir mittragen werden . Damit kommen wir zum zweiten Punkt, nämlich dazu, was den Befragten überhaupt zugemutet wird . Man muss Es bleibt grundsätzlich unsere Verantwortung, bei je- sich einmal in die Lage hineinversetzen, wie es wohl ist, dem Gesetz sehr sorgfältig zu prüfen, welche zusätzliche wenn man einer fremden Person und allen, die den Erfas- Belastung und welche Eingriffe in die Persönlichkeits- sungsbogen danach lesen, Auskunft darüber geben soll, rechte für die Bürgerinnen und Bürger damit einherge- ob man zwei Paar passende Schuhe hat oder nicht, ob hen . Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem man raucht oder meint, sich auf andere Art und Weise Gesetzesvorhaben auch in dieser Hinsicht verantwortlich eventuell gesundheitsgefährdend zu verhalten, ob man handeln und deutliche Verbesserungen vornehmen, die genug Geld hat, um sich „mindestens einmal im Monat letztlich allen Menschen zugutekommen . Es ist eine mit Freunden oder Freundinnen oder Familienmitglie- Weichenstellung hin zu mehr Harmonisierung auf euro- dern zum Essen oder Trinken zu treffen“, ob man in den päischer Ebene und hin zu mehr Effizienz bei der Daten­ letzten Tagen beim Arzt war und welche Ursache es viel- erhebung . Ich wünsche mir eine Zustimmung zu diesem leicht dafür gibt, dass man nur einen befristeten Arbeits- wichtigen Vorhaben . vertrag hat .

Zum Glück ist es nicht bei allen dieser Fragen ver- Jan Korte (DIE LINKE): Wir reden heute wieder über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Mi- pflichtend, darauf zu antworten. Der grundsätzliche krozensusgesetz, der durch den Änderungsantrag der Auskunftszwang bleibt bestehen, auch in Bezug auf Koalitionsfraktionen leider nicht wesentlich besser ge- die EU-rechtlich vorgegebenen Erhebungsmerkma- worden ist; das muss man zunächst einmal feststellen . Es le, in Bezug auf Einkommen und Lebensbedingungen, ist schade, dass Sie dabei weder die Kritik aus dem Bun- die laut EU-Verordnung freiwillig sind . Da Sie in dem destag noch die des Bundesrats wirklich berücksichtigt Änderungsantrag nicht darauf eingegangen sind, zitiere haben . ich hier noch einmal die Kritik des Bundesrats an Ihrem Gesetzentwurf . Der schreibt in seiner Stellungnahme: Die Linke hat bereits gesagt, dass grundsätzlich nichts „Aufgrund der hohen Sensibilität der EU-rechtlich vor- gegen bestimmte Datenerhebungen und Statistiken zur gegebenen Erhebungsmerkmale in Bezug auf Einkom- Bevölkerung in der Bundesrepublik einzuwenden ist, men und Lebensbedingungen ist mit einer Zunahme von nicht zuletzt, weil sie auch ein Indikator für die Not- Auskunftsverweigerungen und erheblicher Verärgerung wendigkeit politischer Maßnahmen bzw . ein Kontrollin­ seitens auskunftspflichtiger Privatpersonen zu rechnen.“ 19598 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Im Gegensatz zur schwarz-roten Bundesregierung hat samkeit mögen auf die politische Wahrnehmung einiger (C) man es im Bundesrat offenbar geschafft, sich in die be- so wirken, als seien andere Themen auch in der Sache fragten Personen hineinzuversetzen, und macht sich Sor- weniger wichtig . Das ist aber nicht der Fall . gen um die Akzeptanz von Erhebungen allgemein: „Im Als Querschnittmaterie, bei der es im Kern um den Übrigen stellt eine auskunftspflichtige Erhebung sehr Umgang mit Informationen zu Bürgerinnen und Bür- privater, sehr sensibler und vielfach subjektiv geprägter gern geht, betrifft sie inzwischen alle Lebensbereiche . Fragen einen Paradigmenwechsel in der amtlichen Sta- Und Fragen des Statistikwesens standen von Beginn an tistik dar, infolgedessen im Ergebnis sogar ein über den sogar im Mittelpunkt der Schaffung der modernen Da- in Rede stehenden Bereich hinausgehender Imagescha- tenschutzgesetze und der Datenschutzbewegung . Sie den zu befürchten ist, der negative Auswirkungen für die führten zu den beiden berühmten Entscheidungen des Durchführung und den Zielverwirklichungsgrad auch Bundesverfassungsgerichts, dem Mikrozensus-Urteil anderer Statistiken haben und entsprechende Erhebun- von 1964 und dem Volkszählungsurteil von 1983 . gen erschweren könnte “. Oder kurz gefasst und leichter verständlich: Das kleinliche Bestehen der Bundesregie- Wenn wir heute über die erneute Erweiterung und rung auf einer Auskunftspflicht gefährdet unnötigerweise Entfristung des Mikrozensus sprechen, sollten wir eine nicht nur die Qualität und Akzeptanz des Mikrozensus, Bilanz wagen und fragen, wie wir den Mikrozensus heute sondern auch die aller anderen Erhebungen . Wir meinen einordnen . Das Ergebnis nehme ich gleich vorweg: Er zudem, dass die mit Androhung von Zwangsgeldern und ist wie alle Datenschutzthemen bereichsspezifisch, wie Beugehaft durchgesetzte Auskunftspflicht über privates- die Datenschützer sagen, einzuordnen und verlangt da- te Daten gegen das Recht auf informationelle Selbstbe- mit eine eigenständige und dem Kontext angemessene stimmung verstößt . Bewertung . Das ist eine verfassungsrechtliche Vorgabe . Und dabei stellen wir fest, dass der Kernkonflikt zwi- Es gibt also eine Menge Gründe, von einer Auskunfts- schen staatlichem Wissensinteresse und den Persönlich- pflicht nach § 13 des Zensustestgesetzes abzusehen und keitsinteressen der Betroffenen weiterhin bestehen bleibt . die Erhebung so grundrechtsschonend wie irgend mög- lich durchzuführen . Es gäbe eine Vielzahl von Mög- Der Mikrozensus ist keine Volkszählung in dem Sin- lichkeiten, Bürgerinnen und Bürger für ihre Beteiligung ne, dass die Bevölkerung, ähnlich etwa der Vorratsdaten- am Mikrozensus zu gewinnen . Die erste wäre, wenn die speicherung, in ihrer Gesamtheit erfasst würde . Doch sie Erkenntnisse tatsächlich erfahrbare politische Konse- betrifft alljährlich eine Million Mitbürgerinnen und Mit- quenzen hätten, wie bereits gesagt . Möglich wäre etwa bürger . Und die Betroffenen müssen wiederholte Nach- auch die Erfassung von Bedürfnissen, wie sie schon im fragen über den Zeitraum von vier Jahren, bis zu zweimal Bereich Arbeitsmarkt abgefragt werden . Wenn neben der pro Jahr, hinnehmen; das nervige Verfahren ist also kei- (B) Arbeitsstundenzahl abgefragt wird, ob jemand länger ar- nesfalls mit der einmaligen Beantwortung beendet . (D) beiten will, könnte man ja auch neben der Frage nach der Es fällt auf, dass das Wissensinteresse zur Erstellung Kinderbetreuung fragen, ob die in der Kommune ange- einer Statistik sicherlich nicht die dieselbe Wertigkeit botenen Betreuungszeiträume und -plätze reichen, oder, beanspruchen kann wie Informationserhebungen in Ver- welche Probleme jemand mitzuteilen hat, der seinen bindung mit dem unmittelbaren Schutz der öffentlichen Grad der Behinderung nennt, wo es Probleme mit dem Sicherheit . Und auf der anderen Seite bleibt es bei einer Angebot öffentlicher Verkehrsmittel gibt, welche Er- Maßnahme, die annähernd eine Million Bürgerinnen und leichterungen sich Alleinerziehende wünschen oder wie Bürger betrifft, Jahr für Jahr . Auf der rechtlichen Ebe- Menschen mit Migrationshintergrund ihre gesellschaft- ne fällt zugunsten des Mikrozensus in die Waagschale, lichen Teilhabemöglichkeiten bewerten . Eine Erhebung, dass der Wahrung des Datenschutzes eine große Bedeu- die positive Konsequenzen und einen Mehrwert für die tung kommt, und die Statistikbehörden umfänglichen Bevölkerung hat, funktioniert auch auf freiwilliger Basis . Vorkehrungen unterliegen . Andererseits bleibt es für die Betroffenen bei der Umsetzung durch Auskunftszwang Die Bundesregierung hat nicht nur zu wenig getan, um ein erheblicher staatlicher Eingriff, der keineswegs alle einen Mikrozensus auf freiwilliger Basis zu realisieren staatlichen Eingriffsinstrumente betrifft . oder um dies wenigstens zu versuchen, sondern sie bleibt auch den Beweis schuldig, dass alle wichtigen Erkennt- Niemand bestreitet ernsthaft den Zweck des Statis- nisse, die wir aus dem Mikrozensus ziehen, ohne eine tikwesens . Gerade auch grüne Politik verlässt sich auf strafbewehrte Auskunftspflicht nicht zustande kämen. solide Informationen über die Entwicklung unserer Ge- Selbst die EU geht, wie gesagt, von freiwilligen Erhe- sellschaft, komplexe Sachverhalte werden für die Politik bungen aus . Deshalb können wir diesem Gesetzentwurf darstellbar und verhandelbar, zum Beispiel die Frage ge- nicht zustimmen und werden wir uns enthalten . lingender Integration der zu uns gekommenen ausländi- schen Bürgerinnen und Bürger . Doch unsere Verantwor- tung liegt auch darin, in der Umsetzung den Grundsatz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Konstantin von Notz der Verhältnismäßigkeit zum Maßstab zu nehmen und NEN): Das Thema Datenschutz, das wird heute im Zuge die Bürgerinnen und Bürger vor einer übermäßigen und dieser Debatte hoffentlich einmal mehr deutlich, umfasst sachlich nicht mehr vertretbaren Inanspruchnahme durch weitaus mehr als nur die „Reißerthemen“ wie den Um- Befragungen zu bewahren . gang von Facebook und anderer Unternehmen mit unse- ren Daten, die internationale Telekommunikationsüber- Durch die rein statistisch-wissenschaftliche Brille be- wachung der Geheimdienste oder die Kreditbewertungen trachtet wird es immer gute Gründe geben, warum die- der Schufa . Diese Themen mit hoher Medienaufmerk- se oder jene bestehenden Statistiken inhaltlich erweitert Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19599

(A) gehören, eine größere Gruppe betreffen sollten und/oder Noch gravierender erscheint, dass die nunmehr inte- (C) zwangsweise zu erfolgen haben . Wie weit wir dabei ge- grierten Teile EU-SILC und EI-IKT zukünftig ebenfalls hen sollten, ist unsere gemeinsame politische Entschei- unter die Auskunftspflicht fallen. Der Wechsel von Frei- dung . Statistiker können durchaus glaubhaft darlegen, willigkeit auf Zwang erfolgt, wenige Jahre nach der letz- dass der Unterschied zwischen erzwungenen und freiwil- ten Debatte zum Mikrozensus, doch überraschend . Das ligen Haushaltsbefragungen deshalb erheblich ist, weil bloße Argument der Vermeidung inhaltlicher Unschärfen die Rücklaufquoten bei freiwilligen Befragungen oft auf wirkt angesichts des damit verbundenen Grundrechtsein- gerade noch ein Viertel der Angeschriebenen fallen kön- griffes wenig überzeugend . nen, sodass im Ergebnis ein größerer Betroffenenkreis ausgewählt und angeschrieben werden muss . Doch wir Im Mittelpunkt unseres gemeinsamen Berichterstat- müssen auch festhalten, dass die EU-Vorgaben für valide tergesprächs, für dessen Realisierung ich mich auch bei Daten zu unterschiedlichen Problemfeldern die Befra- den Kolleginnen und Kollegen bedanken möchte, stand gung per gesetzlichem Zwang gerade nicht vorsehen, die beabsichtigte Entfristung des Mikrozensus, der ja oft auch wenn sich das im vorliegenden Gesetzentwurf an- auch die kleine Volkszählung genannt wird . Wir stehen ders liest . Hier sollte die Bundesregierung ehrlich offen- dieser Entfristung weiterhin kritisch gegenüber . Wer die legen, wenn es letztlich vorrangig Effizienz- und Ratio- Begründung des Gesetzentwurfs liest, kann schon den nalisierungsüberlegungen sind, die zum Auskunftszwang Eindruck gewinnen, dass hier der Versuch unternommen führen . wird, das Spannungsfeld zwischen den Persönlichkeits- rechten und dem Ziel der möglichst genauen Statistiker- Dieser Mikrozensus war von Beginn seiner Entste- fassung zu leugnen . Das Gegenteil ist der Fall: Wie die hung an umstritten, er führte zu einem der ersten und Bundesregierung selbst einräumt, werden die Fragelisten bis heute bedeutsamen Urteil des Bundesverfassungsge- immer länger, die Themenkomplexe laufend ausgebaut, richts zu Umfang und Reichweite des Grundrechts auf und sie erfolgen nahezu durchgängig unter Zwang . Pa- Privatsphäre – Mikrozensus-Urteil von 1969 . Er ist bis rallel ist die große Volkszählung zurück, sie wird inzwi- heute umstritten, auch wenn nicht alle Betroffenen gleich schen zehnjährig durchgeführt, 2021 steht die nächste an . vor das Verwaltungsgericht ziehen . Darüber könnte uns Und einige der freiwillig zu beantwortenden Fragen des eine Umfrage unter den Datenschutzbehörden des Bun- Mikrozensus beziehen sich auf so persönliche Bereiche, des und der Länder sicherlich Auskunft geben . Doch die so etwa die Selbsteinschätzung der eigenen gesundheitli- Akzeptanz in der Bevölkerung bleibt nicht der alleinige chen Risiken, dass sie aus unserer Sicht überhaupt nicht Prüfungspunkt, wenn wir uns als legislatives Kontroll­ Gegenstand einer Statistikerhebung sein dürften . Denn organ Gesetze des Bundesinnenministers mit Berührung sie betreffen in der Tat den vom BVerfG schon im Mi- zum Datenschutz anschauen . Es liegt vielmehr in un- krozensus-Urteil angedeuteten höchstpersönlichen Le- (B) serer Verantwortung, die Gewährleistung wesentlicher bensbereich . Ich zitiere: „Eine statistische Befragung (D) Gesichtspunkte der Verfassungsmäßigkeit wie auch der zur Person kann deshalb dort als entwürdigend und als Wahrung der Bürgerrechte insgesamt kritisch zu prüfen . Bedrohung des Selbstbestimmungsrechtes empfunden werden, wo sie den Bereich menschlichen Eigenlebens Bislang war der seit Jahrzehnten etablierte Mikro- erfaßt, der von Natur aus Geheimnischarakter hat, und zensus befristet geregelt . Er soll nun in eine unbefristete damit auch diesen inneren Bezirk zu statistisch erschließ- gesetzliche Regelung überführt werden . Integriert in den barem und erschließungsbedürftigem Material erklärt . aus Sicht der Betroffenen ohnehin für die Betroffenen Insoweit gibt es auch für den Staat der modernen Indus- viel zu lang wirkenden Fragenkatalog werden die nach triegesellschaft Sperren vor der verwaltungstechnischen EU-Recht erforderlichen Statistiken zu Einkommen und ‚Entpersönlichung‘ .“ (BVerfGE 27, 1, Rdnr . 36) Lebensbedingungen (EU-SILC) sowie zur Informations- gesellschaft (IKT) . Man muss sich die Idee des Bereichs eines Eigenle- bens mit „von Natur aus Geheimnischarakter“ nicht zu Das informatorische Sonderopfer, das die vom Mikro­ eigen machen und gleichwohl im Hinblick auf die im Ge- zensus Betroffenen zu erbringen haben, ist somit ganz setz vorgesehenen gesundheitlichen Fragen aufmerken . erheblich . Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesre- gierung sich offenbar darum bemüht hat, Belastungen Allein diese Beispiele zeigen, dass es einer laufenden der Betroffenen zum Teil zu vermeiden . Danach soll und gehörigen Aufmerksamkeit bedarf, um weiterhin die der Merkmalskatalog des Kernprogramms nur noch die Anforderungen des Datenschutzes einzuhalten . Auch Hälfte des heutigen Katalogs umfassen . Und thematisch der Gesetzgeber muss hier wachsam bleiben . Und für abgrenzbare Erhebungsteile sollen auf die Betroffenen uns sind einige, vor allem datenschutzrechtliche Fragen derart verteilt werden, dass nicht alle Ausgewählten alle, offengeblieben, die wir in unserem erweiterten Bericht- nunmehr aus anderen Haushaltsstatistiken integrierten erstattergespräch aufgrund der fehlenden Teilnahme der Fragenteile zu beantworten haben . Hier erwarten wir für BfDI auch nicht abschließend klären konnten . Wir wer- die Zukunft noch viele weitere innovative Ideen, wie die den deshalb diese Fragen in der nächsten Zeit noch vorle- Belastung der Befragten weiter gesenkt werden kann . gen und legen dieses Thema keinesfalls ad acta . Gleichwohl bedeutet natürlich die Integration von vor- Nach alledem werden Sie Verständnis haben, dass wir, mals getrennt ablaufenden und damit andere Bürgerinnen insbesondere mit Blick auf die geplante vollständige Ent- und Bürger betreffenden Fragenkatalogen eine Erhöhung fristung, dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustim- des Gesamtumfangs der Befragung, auch wenn nicht alle men können und uns, mit Blick auf die hohe Bedeutung Ausgewählten im gleichen Maße davon betroffen sind . einer faktenbasierten Politik, enthalten werden . 19600 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Anlage 9 1 Million Euro aus dem Aufstockungsbetrag zusätzlich (C) erhält . Auch die Aufstockung wird ab 2017 um 1,8 Pro- Zu Protokoll gegebene Reden zent jährlich dynamisiert . Der Bund ist den Ländern damit zur Beratung des von der Bundesregierung einge- weit entgegengekommen . Er entlastet die Länderhaus- brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- halte bis ins Jahr 2031 um insgesamt über 153,67 Mil- derung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesord- liarden Euro . Für die bestimmungsgemäße Verwendung nungspunkt 23) der Mittel sind die Länder selbst verantwortlich . Ich begrüße die für günstige Fahrscheine unserer Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Die Planung, Bürgerinnen und Bürger im ÖPNV nun zur Verfügung Organisation und Finanzierung für den öffentlichen Per- stehenden Mittel ausdrücklich, die maßgeblich für den sonennahverkehr, ÖPNV, und damit auch für den öffent- Schienenpersonennahverkehr eingesetzt werden kön- lichen Schienenpersonennahverkehr, SPNV, wurde im nen . Die von den Ländern benannten Aufgabenträger des Zuge der Bahnreform 1996 per Gesetz auf die Länder Schienenpersonennahverkehrs haben nun Planungssi- übertragen . Gleichzeitig mit der Regelung der Verant- cherheit für die kommenden Jahre und können weiterhin wortung für den ÖPNV wurde 1994 grundgesetzlich in in die Schieneninfrastruktur und in moderne Fahrzeuge Artikel 106a festgelegt, dass den Ländern unbefristet aus investieren. Davon profitieren die Bundesländer, die dem Steueraufkommen des Bundes ein Betrag für den Kommunen, die Verkehrsunternehmen und nicht zuletzt öffentlichen Personennahverkehr zusteht . Einzelheiten Millionen von Berufspendlerinnen und -pendler . wurden im „Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Die Regionalisierung des SPNV ist seit den 90er-Jah- Personennahverkehrs“, dem sogenannten Regionalisie- ren ein Erfolgsmodell; die Nutzerzahlen bestätigen die- rungsgesetz, geregelt, welches am 1 .Januar 1996 unter se Entwicklung . Der Schienenpersonennahverkehr, aber Artikel 4 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes in Kraft auch der übrige ÖPNV boomen und spielen in den Jah- trat . Danach erhalten die Länder jährlich einen gesetzlich ren seit der Bahnreform gerade in den Ballungsräumen festgelegten Betrag aus dem Aufkommen der Mineralöl- und im Umland eine immer wichtigere Rolle . So stieg steuer; dies sind die Regionalisierungsmittel . Diese Mit- die Anzahl der jährlich beförderten Personen im Perso- tel werden den Ländern zweckgebunden für Bestellun- nennahverkehr der Eisenbahnen laut Statistischem Bun- gen von Nahverkehrsleistungen zur Verfügung gestellt, desamt von 2005 bis 2015 von 2,01 Milliarden auf über die sie in erster Linie zur Finanzierung der Verkehrsleis- 2,5 Milliarden . Über 11 Milliarden Fahrgäste nutzten tungen des SPNV, aber auch investiv zur Verbesserung 2015 Busse und Bahnen im Liniennahverkehr, das sind des übrigen ÖPNV, sprich: Bussen und Straßenbahnen, rund 30 Millionen Fahrgäste täglich, die damit eine Au- einsetzen können . tofahrt vermeiden . Der Verband der Aufgabenträger für (B) (D) Die Bundesregierung ist nicht an der Bestellung der den SPNV spricht von deutlich verbesserten und aus- Leistungen im ÖPNV beteiligt und hat weder Möglich- geweiteten Bahn- und Busangeboten, vernetzten Takt- keiten, die betrieblichen Abläufe der öffentlichen Ver- systemen, neuen Strecken und Stationen und modernen kehrsmittel in der Region zu gestalten, noch, in Fragen Fahrzeugen, die seit der Regionalisierung des SPNV zu der Ausschreibung und Vergabe von Verkehrsleistungen verzeichnen seien . einzugreifen . Das Land bzw . die Zweckverbände legen Mit der Erhöhung und jährlichen Dynamisierung der die Verkehrslinien, den Umfang und weitere Kriterien Regionalisierungsmittel stellen wir sicher, dass die Nut- wie Takte und Fahrzeuge selbst fest . zung des SPNV und des ÖPNV für die Kunden attraktiv Allein von 2008, dem Jahr der letzten Anpassung des bleibt und sich die Züge als sichere und umweltfreund- Regionalisierungsgesetzes, bis 2012 förderte der Bund liche Verkehrsträger weiter etablieren können . Denn den ÖPNV in den Ländern mit insgesamt über 34,5 Mil- ein möglichst flächendeckendes Angebot im regionalen liarden Euro . 2014 stellte der Bund jährlich 7,3 Milli- Schienenverkehr auf Grundlage eines funktionierenden arden Euro zur Verfügung, bevor sich 2015 Bund und Wettbewerbs für die Bürgerinnen und Bürger ist aus mei- Länder nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ner Sicht ein wichtiger Beweis für eine funktionierende auf eine Summe von 8 Milliarden Euro ab 2016 und eine staatliche Daseinsvorsorge . Ich werde als zuständiger Dynamisierung von 1,8 Prozent jährlich ab 2017 einigen Berichterstatter für die CDU/CSU-Fraktion im Aus- konnten . Dies machte die dritte Änderung des Regionali- schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfehlen, sierungsgesetzes notwendig . den vorliegenden Gesetzentwurf anzunehmen . Am 16 .Juni 2016 haben sich die Bundesregierung und die Länder auf eine nochmalige Erhöhung der Regi- Sebastian Hartmann (SPD): Der Nahverkehr in onalisierungsmittel geeinigt . Damit wird eine Benachtei- Deutschland ist ein Erfolgsmodell . Jedes Jahr steigt die ligung der ostdeutschen Länder vermieden, da aufgrund Anzahl der Nutzer von Verkehrsleistungen im öffentli- eines bereits bestehenden Verteilungsschlüssels diese chen Personennahverkehr, aktuell sind es 10 Milliarden Länder in den kommenden Jahren sinkende Zuweisun- Passagiere und 93 Milliarden Personenkilometer jähr- gen gehabt hätten . lich . Mehr als die Hälfte der letzteren, 48 Milliarden Personenkilometer, fallen allein auf der Schiene an . Der Mit der nun vorliegenden vierten Änderung des Ge- Sektor beschäftigt bundesweit fast eine Viertelmillion setzes werden die 8 Milliarden Euro noch einmal um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . Wer sich vor Augen 200 Millionen Euro aufgestockt. Davon profitieren die hält, dass die Benutzung von Bussen und Bahnen jeden ostdeutschen Bundesländer und das Saarland, welches einzelnen Tag über 20 Millionen Autokilometer einspart, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19601

(A) ist sich der wichtigen Rolle für den Klima- und Umwelt- lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke (C) schutz ohnehin bewusst . instrumentalisieren .“ Die gesamtstaatliche Aufgabe der Finanzierung des Weder den Menschen noch den Verkehren in Ost und Nahverkehrs, der sich Bund und Länder gemeinsam wid- West wird ein solcher Gegensatz gerecht . Das tatsächli- men, wird mit dem jetzt eingebrachten Entwurf eines che Problem – die 200 Millionen Euro zusätzlich mildern Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes es ab, reichen aber nicht, um es zu lösen – ist strukturell: sichergestellt . Mit 8,2 Milliarden Euro steht ein Betrag Während im Westen vorhandene Schienenwege für den ab 2016 zur Verfügung, der ab dem nächsten Jahr mit Fernverkehr auch regional den Raum gut genug erschlie- 1,8 Prozent jährlicher Steigerung dynamisiert wird . Er ßen, damit der Nahverkehr darauf bewegt werden kann, setzt sich zusammen aus 8 Milliarden Euro, die alle Bun- muss für die Versorgung im Osten diese Erschließung desländer nach dem Kieler Schlüssel aufteilen, und wei- erst erfolgen – mithilfe einer dem eigentlichen Zweck der teren 200 Millionen mit eigenem Verteilschlüssel für die Regionalisierungsmittel fremden Verwendung . ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin . Der Bund Jetzt herrscht Klarheit für die Bundesländer, für die kommt damit seinem grundgesetzlichen Auftrag im Rah- Verkehrsunternehmen, für die Kommunen und am Ende men der Daseinsvorsorge vorbildlich nach . für die Nutznießer des Nahverkehrs, die vielen Millio- Dieser großartige Erfolg ist ein echtes Glanzstück, nen Pendler . Wir schließen damit ein weiteres Kapitel aus auf das die SPD-Bundestagsfraktion sehr stolz ist . Die dem Koalitionsvertrag erfolgreich ab, der 2013 die Revi- Mittelsicherheit und ihre zweckgerechte Verwendung sion der Regionalisierungsmittel gefordert hatte . sichern die benötigten Investitionen in die Infrastruk- Damit der jetzt erzielte Erfolg nicht kannibalisiert tur ebenso wie das hohe Niveau von Bestellungen und werden kann, müssen die Trassen- und Stationspreise Leistungen . Wir haben den Betrag, der den Bundeslän- kontrolliert werden . Immerhin 40 Prozent der Regiona- dern für die Durchführung ihrer Nahverkehre zufließt, lisierungsmittel werden für die Kosten der Nutzung von um 900 Millionen Euro angehoben . Das sind mehr als Schienenwegen und Bahnhöfen verwendet, das ist der 12 Prozent Aufwuchs gegenüber der Summe von 2014, größte Einzelfaktor in der Gesamtrechnung . Wir haben dem letzten regulär aus dem Regionalisierungsgesetz im Eisenbahnregulierungsgesetz Vorkehrungen getrof- von 1993 hergeleiteten Betrag . Die Dynamisierung liegt fen, um mit einer gedeckelten Teuerungsrate der Trassen- ab nächstem Jahr mit 1,8 Prozent ebenfalls über den ehe- preise kurzfristig wirksam zu verhindern . Nur mit einem dem 1,5 Prozent jährlich, mit denen die Regionalisie- wirksamen Regime lässt sich dafür sorgen, dass das Geld rungsmittel vorher wuchsen . aus dem Regionalisierungsgesetz seinem eigentlichen Zweck dienen kann . Das wird auch in den nächsten Jah- (B) Die Regionalisierungsmittel des Bundes kompensie- ren stets neu zu justieren sein; denn der Regulierungs- (D) ren den größten Anteil der Gesamtkosten des öffentlichen druck ist unverändert hoch . Über allem steht das Ziel: Schienenpersonennahverkehrs . 2014 wurden unter dem mehr Verkehr, mehr Nahverkehr auf der Schiene . Vorgängergesetz aus Regionalisierungsmitteln 7,3 Milli- arden der insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro auf- gewandt . Mit der neuen Regelung wird ein wichtiger Herbert Behrens (DIE LINKE): Natürlich geht das Schritt zu einer zukunftssicheren Lösung getan . Die Gesetz, wie man so schön sagt, in die richtige Richtung . Länder haben sich mit dem Kieler Schlüssel eine neue, Natürlich können wir von der Bundestagsfraktion Die gegenüber dem alten Verteilschlüssel sachgerechtere Linke es – wohl gemeinsam mit allen anderen Fraktionen Verteilung der Mittel untereinander geschaffen . Sie ba- in diesem Parlament – nur begrüßen, wenn die Mittel für siert auf den beiden wesentlichen Parametern „Einwoh- den Schienenpersonennahverkehr, SPNV, endlich erhöht nerzahlen“ und „Zugkilometern“ und bietet damit ein werden . Schließlich – bzw . ein letztes Mal: natürlich – ist besseres Abbild der tatsächlichen Bedarfslage . Der Kie- es richtig, wenn es diese 200 Millionen Euro als Schippe ler Schlüssel berücksichtigt natürlich, dass der Übergang obendrauf gibt und damit diejenigen Bundesländer, die von der bisherigen Verteilung auf die verabredeten Pro- es bitter nötig haben, so im Westen das Saarland, Berlin portionen schrittweise erfolgen muss . Bis 2030 werden und alle östlichen Bundesländer, einen gewissen zusätz- die prozentualen Anteile der Bundesländer langsam an lichen Betrag für den SPNV erhalten . Insofern sagen wir den endgültigen Verteilschlüssel entgegengeführt . Ja zu den neu bestimmten 8,2 Milliarden Euro, die 2016 als Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt den Den ostdeutschen Bundesländern steht ein zusätzlicher Bundesländern zufließen werden. Betrag deshalb zur Verfügung, weil sie aus der Verteilung Jedoch gibt es aus unserer Sicht dreimal ein Aber, und nach dem Kieler Schlüssel allein Einbußen hinnehmen dies mit wachsendem Nachdruck . müssten, die durch die ebenfalls jährlich um 1,8 Prozent wachsenden 200 Millionen Euro ausgeglichen werden . Das erste Aber betrifft die Dynamisierung um jähr- Die SPD-Bundestagsfraktion ist sehr zufrieden, dass da- lich 1,8 Prozent, und dies von 2017 bis zum Jahr 2031 . mit jeder Eindruck einer Benachteiligung, den eine starre Nun hatten wir in den vergangenen Monaten ja fast keine Anwendung des Kieler Schlüssels vermittelt hätte, ganz Inflation mehr. An dieser kurzen Zeitspanne mögen die und gar unbegründet ist . Der NRW-Verkehrsminister 1,8 Prozent jährliche Dynamisierung sich ganz gut an- Michael Groschek hat an dieser Stelle in einer frühe- fühlen . Andererseits hatten wir mehr als 35 Jahre lang ren Debatte zum Thema gesagt: „Wer das Problem der erheblich hohe und weiter über den 1,8 Prozent liegende Regionalisierungsmittel zu einem Ost-West-Gegensatz Raten der allgemeinen Preissteigerung . Selbst in den ver- konstruiert, will mit dieser Konstruktion nicht Probleme gangenen Wochen gab es europaweit Anzeichen für ein 19602 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) neues Anziehen der Inflation. Eine wesentliche Ursache ist umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bun- (C) für die niedrige Inflation ist der absurd niedrige Rohöl- desregierung vereinbar “. Es bewirke, „dass die Schiene preis, der zeitweilig bei weniger als 40 US-Dollar je Fass insgesamt gestärkt … wird“ . Dazu sage ich klipp und lag . Aktuell liegt er wieder bei über 50 Dollar . Er lag vor klar: Herr Dobrindt, werte Kolleginnen und Kollegen fünf bis sechs Jahren noch deutlich über 100 US-Dollar . von CDU/CSU und SPD: Genau dies wird nicht eintre- ten . Es gibt, wie dargelegt, die Möglichkeit einer deutlich Da mutet es schlicht grotesk an, wenn sich man für die höher als 1,8 Prozent im Jahr liegenden Inflationsrate. Es nächsten 15 Jahre auf eine fixe Dynamisierungsmarge gibt sodann, wie ebenfalls dargelegt, dieses von den An- festlegt . Wesentlich einleuchtender wäre es doch, wenn tragstellern bewusst in den Gesetzestext hineingebaute man sagen würde: Die Regionalisierungsmittel werden Scheunentor, wonach sich insbesondere die Entgelte für entsprechend in dem Maß jährlich erhöht, wie sich ers- die Nutzung der Infrastruktur so schnell und derart stark tens die offizielle, vom Bundesamt für Statistik ermittel- erhöhen können, dass sie das Wachstum der Regionali- te jährlichen Preissteigerung erhöht, wobei zweitens der sierungsmittel mehr als wegfressen . Anstieg der Entgelte für die Nutzung der Trassen, der Bahnhöfe und der Energie zu berücksichtigen ist und im Schließlich heißt es im Gesetzentwurf ausdrücklich, korrekten prozentualen Umfang in die Höhe der Regio- dass der Anstieg der genannten Entgelte „insbesondere nalisierungsmittel einfließen muss. … im Schienenpersonennahverkehr“ begrenzt werden müsse . Das heißt, dass diese Entgelte im besonderen Womit ich beim zweiten Aber bin, bei der Entwicklung Maß in den Bereichen Schienenpersonenfernverkehr und der Entgelte für die Nutzung von Bahnhöfen, Trassen möglicherweise auch im Segment des Schienengüterver- und Energie . Im Gesetzestext dazu heißt es diesbezüg- kehrs stärker als im Schienenpersonennahverkehr steigen lich: „Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturent- können und wohl steigen werden . gelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr …, ist nach Maßgabe des Bedenken wir hier, wie kritisch die Situation gerade Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen . in diesen beiden Bereichen ist . Gerade hat die Deutsche Bahn AG gegen die heftigen Proteste von sehr vielen Diese Formulierung enthält zwei gefährliche Unge- beschlossen, den Nachtreisezugverkehr am 11 . Dezem- nauigkeiten . Was, bitte schön, heißt das „nach Maßgabe ber 2016 komplett einzustellen . Dabei spielte bereits des Eisenbahnregulierungsrechts“? Das wird nirgendwo, eine große Rolle, dass die viel zu hohen Entgelte für die auch nicht in der Begründung, ausgeführt . Es liegt nahe, Trassennutzung dieses Schienenverkehrssegment enorm dass damit die Formulierung, die „Dynamik des Anstiegs belastete . Der klassische Schienenpersonenfernverkehr der Infrastrukturentgelte“ sei zu begrenzen, bereits rela- befindet sich aufgrund der Erfolge der Fernbusverkehre tiviert wird . Sodann: Es heißt ja nur, dass dieser Anstieg generell in einer extrem kritischen Lage . Worauf beruht (B) (D) „zu begrenzen“ sei . Es gibt keinerlei Hinweis darauf, wie dieser Erfolg der Linienbusverkehre? Doch eben zu ei- genau und wie stark begrenzt werden soll . Das ist doch nem erheblichen Teil auf der Tatsache, dass diese keiner- die Öffnung eines Scheunentors: für massive Erhöhun- lei Maut für die Nutzung der Straßen zu entrichten haben . gen dieser Entgelte . Im Schienengüterverkehr ist die Lage ebenfalls extrem Ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die Infra- kritisch; die Deutsche Bahn AG hat beschlossen, einen strukturnutzungsentgelte in den letzten eineinhalb Jahr- größeren Teil der Güterbahnhöfe nicht mehr anzufahren, zehnten mehr als doppelt so stark erhöht haben wie die was zu einer weiteren Einschränkung des Schienengüter- Inflationsrate. Es waren doch diese massiv angestiege- verkehrs führen wird . nen Trassen- und Bahnhofsnutzungsmautgebühren, die All das zusammen heißt ganz eindeutig: Die Schie- in vielen Ländern die Möglichkeiten zur Bestellung von ne wird in Gänze durch dieses Gesetz nicht gestärkt . Die Schienenpersonennahverkehr einengten und gleichzei- Bundesregierung verstreicht mit dem Gesetz etwas wei- tig den Druck auf die weichen Faktoren im SPNV, nicht ße Salbe . Insgesamt kann ich nicht erkennen, dass damit zuletzt auf die Arbeitseinkommen der Beschäftigten und eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben und damit end- auf die Sozialstandards im SPNF-Bereich krass erhöh- lich eine Verkehrswende eingeleitet werden . ten . Obgleich all dies bekannt ist und obgleich wir in der Praxis erlebt haben, wie negativ sich diese massiv an- steigenden Infrastrukturnutzungsentgelte auf den SPNV Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auswirkten, wird auch in diesem neuen Gesetz zur Än- NEN): Das zähe Ringen um die Finanzierung des Nah- derung des Regionalisierungsgesetzes dem kein Riegel verkehrs auf der Schiene findet mit dem vorliegenden vorgeschoben . Ja, man sagt sehenden Auges, dass das bis Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes ein 2031 so weiterlaufen könne . Wenn man als Gesetzgeber Ende . Endlich, ist man geneigt zu sagen . Vorangegangen so etwas zulässt, dann wird die Deutsche Bahn AG als ist ein in Teilen unwürdiges Gezerre zwischen Bund und die Muttergesellschaft von DB Netz, von DB Station und Ländern; man hat gestritten wie die Kesselflicker. Aber Service und von der DB Energie GmbH dieses großzügi- immerhin: Der Einsatz für einen besseren Nahverkehr ge Angebot weidlich nutzen und erneut die Spirale deut- hat sich gelohnt . Es ist vor allem der Hartnäckigkeit der lich gesteigerter Mauten in diesen Bereichen betreiben . Länder zu verdanken, dass der Nahverkehr auf der Schie- ne jetzt nicht nur im Status quo gesichert ist, sondern vor Mein drittes Aber bezieht sich auf die pauschale „Se- allem in den Ländern mit wachsenden Ballungsräumen ligsprechung“, die man im Begründungsteil des Gesetz- auch weiter ausgebaut werden kann . Bei Bundesver- entwurfs lesen kann . Dort heißt es: „Das Gesetzesvor- kehrsminister Dobrindt hatte man lange Zeit den Ein- haben trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei und druck, dass ihn das Thema nicht interessiert und er die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19603

(A) Bedeutung der Mittel für einen attraktiven Nahverkehr So hat es die Verkehrsministerkonferenz Anfang des Mo- (C) nicht richtig einschätzt . Nur zur Erinnerung: Wir reden nats auch gefordert . Natürlich sind bei diesen in Rede über die dem Volumen nach wichtigste Säule der deut- stehenden Strecken auch die Länder gefordert, ihren Teil schen Nahverkehrsfinanzierung. zu den Investitionen beizutragen . Die Regionalisierungs- mittel erlauben solche Investitionen in die Infrastruktur . Ich will in diesem Zusammenhang auch betonen, dass Neben den positiven Umwelteffekten von elektrifizierten die Regionalisierung des Nahverkehrs auf der Schiene Strecken wird infrastrukturseitig so eine Voraussetzung zu einer verkehrspolitischen Erfolgsgeschichte unseres für die Wiederanbindung im Fernverkehr geschaffen . Landes zählt . Wir Grüne wollen, dass diese Geschichte fortgeführt werden kann . Dazu brauchen wir neben einer auskömmlichen Finanzierung in anderen Bereichen noch Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- die richtigen Weichenstellungen . Wir alle wissen: Das minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem System Eisenbahn wird vom Fahrgast als Gesamtsystem Entwurf eines Gesetzes zur Vierten Änderung des Regio- wahrgenommen . Nahverkehr und Fernverkehr müssen nalisierungsgesetzes wird nun der noch ausstehende Teil ein eng verzahntes und abgestimmtes attraktives Sys- der Einigung zwischen Bund und Ländern vorgelegt . tem bilden . Es interessiert den Fahrgast nicht, welcher Aufgabenträger oder welches Verkehrsunternehmen für Ich darf an die Situation im Herbst des vergangenen einen Zug die Verantwortung trägt . Bahnreisende wollen Jahres erinnern: Fast ein Jahr hatten Bund und Länder schnell und bequem von A nach B, und das möglichst zu um eine Einigung beim Thema Regionalisierung gerun- günstigen Preisen . gen, bevor sich die Vertreter von Bundestag und Bundes- rat im Vermittlungsausschuss einigten: Für das Jahr 2015 Im Kontrast zu der Entwicklung des SPNV steht aber stiegen die Regionalisierungsmittel um 1,5 Prozent auf leider die Entwicklung des Fernverkehrs abseits der Bal- dann rund 7,4 Milliarden Euro . Horizontal wurden diese lungsgebiete und Fernverkehrsmagistralen . Wir erleben Mittel nach dem bisher gültigen Verteilerschlüssel des seit Ende der 90er-Jahre einen Rückzug des Fernverkehrs alten Regionalisierungsgesetzes verteilt . Ab 2016 stellte aus der Fläche . Ganze Regionen und zahlreiche Groß- der Bund den Ländern dann 8 Milliarden Euro zur Verfü- städte hat die Deutsche Bahn vollständig abgehängt, gung, die dann ab 2017 und bis einschließlich 2031 um oder sie hat das Angebot drastisch reduziert . Die dadurch jährlich um 1,8 Prozent dynamisiert werden . gerissenen Lücken im Angebot haben die Ländern bzw . Aufgabenträger durch Bestellung von Nahverkehrszügen Keine Einigung gab es jedoch bezüglich der horizon- geschlossen, soweit dies finanziell zu stemmen war. Wir talen Verteilung der Mittel unter den Ländern ab 2016, da reden hier – vor allem in Ostdeutschland – also von Fern- kein gemeinsames Verständnis über den von den Ländern verkehrsersatzleistungen . entwickelten „Kieler Schlüssel“ erzielt werden konnte . (B) Um das Vermittlungsverfahren mit seinen übrigen Bau- (D) Im Sinne der Bahnreform von 1993 war die Verwen- steinen dennoch abschließen zu können, wurde die Eini- dung von Regionalisierungsmitteln dafür eigentlich nicht gung über die horizontale Verteilung der Mittel vertagt, vorgesehen . Fernverkehr sollte eigenwirtschaftlich or- wobei der Bund gemeinsam mit den Ländern unverzüg- ganisiert werden . Mehr als 20 Jahre später lehrt uns die lich eine Rechtsverordnung erarbeiten sollte . Entwicklung etwas anderes: Wir brauchen einen neuen Rahmen, wie wir ein Zielnetz im Fernverkehr absichern, Die Diskussion unter den Ländern wurde dadurch das die wichtigsten Großstädte und Regionen im Takt noch einmal befeuert . Es gelang erst am 16 . Juni 2016 anbindet . Die sogenannte Fernverkehrsoffensive der in einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Re- Deutschen Bahn ist ein erster richtiger Schritt; aber bis- gierungschefinnen und Regierungschefs der Länder, her ist zweifelhaft, ob diese Planungen am langen Ende eine Lösung zu finden: Dies geschah, indem der „Kieler wirklich umgesetzt werden . Der Bund nimmt bisher Schlüssel“ als Maßstab der Verteilung für die 8,0 Milli- jedenfalls keinen Einfluss auf die Gestaltung des Fern- arden Euro akzeptiert und gleichzeitig die Mittel ab 2016 verkehrsnetzes . Das muss sich aus unserer Sicht ändern . noch einmal um 200 Millionen Euro erhöht wurden, Wir müssen über neue Lösungen reden . Die bisher nur in um damit die Nachteile der ostdeutschen Bundesländer Fachkreisen diskutierte Senkung der Trassenpreise kann und des Saarlandes auszugleichen . Berlin, Brandenburg, Teil einer möglichen Lösung sein . Denn dann würde die Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Wirtschaftlichkeit zahlreicher eingestellter Verbindun- Thüringen und das Saarland hätten sonst gegenüber gen und heutiger RE-Verkehre in einem anderen Licht der ursprünglichen Verteilung unverhältnismäßig hohe erscheinen . Verluste hinnehmen müssen . Selbstverständlich werden auch die zusätzlichen Regionalisierungsmittel jährlich Lassen Sie mich auch noch etwas zur Infrastruk- mit 1,8 Prozent dynamisiert . tur sagen . Gute Angebote auf der Schiene brauchen gut ausgebaute Strecken und Knoten . Der Ausbau der Infra- In Übereinstimmung mit dem Beschluss bei der Be- struktur ist ja derzeit durch die Beratungen zum Bundes- sprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungs- verkehrswegeplan 2030 in aller Munde . Was aus unserer chefinnen und Regierungschefs der Länder haben die Sicht bisher zu kurz kommt, ist die weitere Elektrifizie- betroffenen Bundesländer dem BMVI dann den Vertei- rung des Eisenbahnnetzes . Sicher haben es auch einige lungsschlüssel für die zusätzliche Summe von 200 Milli- Elektrifizierungsvorhaben in den Vordringlichen Bedarf onen Euro mitgeteilt . Erst dann lagen in unserem Hause geschafft . Wir müssen aber allein aus klima- und ener- alle notwendigen Informationen vor, um einen neuen Ge- giepolitischen Gründen den Elektrifizierungsgrad des setzentwurf zu erarbeiten und im Ressortkreis abzustim- Schienennetzes, der heute bei 60 Prozent liegt, erhöhen . men . Mit dem Gesetzentwurf werden nun rückwirkend 19604 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) zum 1 .Januar 2016 und bis einschließlich 2031 die Höhe Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwal- (C) und die horizontale Verteilung der Regionalisierungsmit- tung des Bundes hat in den vergangenen Jahren große tel geregelt . Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Beschäfti- gung erzielt . Dennoch sind weitere gesetzliche Regelun- Im Rahmen der Länder- und Verbändeanhörung zum gen notwendig, um der kriminellen Energie noch wirk- Referentenentwurf haben uns verschiedene Stellung- samer entgegentreten zu können, Schnittstellenprobleme nahmen der Länder erreicht, die auf eine Überarbeitung zu minimieren und durch eine leistungsfähige IT-Infra- und Konkretisierung des Verwendungsnachweises – jetzt struktur die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden Anlage 3 des Gesetzentwurfes – zielten . Auch für mein bei ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen . Der vorliegen- Haus ist es von Bedeutung, dass der Nachweis über die de Gesetzentwurf knüpft dabei an drei Punkten an . Verwendung der Mittel transparent, aber gleichzeitig mit so geringem Aufwand wie möglich erfolgen kann . Wir Erstens . Durch die Novellierung des Schwarzarbeits- haben daher diese Hinweise aufgenommen und den Ver- bekämpfungsgesetzes wollen wir ein neues IT-Verfahren wendungsnachweis redaktionell angepasst . einführen, das erstmals mit einer einheitlichen Datenbank ein zentrales Informationssystem darstellt . Außerdem Es wurden mit diesem Gesetzentwurf jedoch keine wollen wir den Landesbehörden eigene Prüfungsbefug- inhaltlichen Anpassungen des Verwendungsnachweises nisse einräumen, damit sie ihre Aufgaben nach den hand- vorgenommen . Im Gegenteil: Es sind nur die Daten und werks- und gewerberechtlichen Bestimmungen besser Informationen zu den Verkehrsverträgen angefordert, auf wahrnehmen können . Das beinhaltet auch, gemäß § 21 die sich der Vermittlungsausschuss geeinigt hatte und Absatz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, Be- die bereits in der vorangegangenen Gesetzesnovelle von triebe nicht mehr nur von der Vergabe öffentlicher Bau- Bundestag und Bundesrat beschlossen wurden . aufträge auszuschließen, sondern auch von Liefer- und Zum weiteren Verfahren möchte ich ergänzen: Wir Dienstleistungsaufträgen, da Schwarzarbeit zwar häufig haben diesen Gesetzentwurf als besonders eilbedürftig im Baugewerbe anzutreffen ist, aber auch die Dienstleis- im Sinne von Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG deklariert, tungsbranche nicht frei davon ist . um die Fristen im Gesetzgebungsverfahren verkürzen zu Zweitens . Wir stärken die Zollverwaltung, indem wir können . Dies ist entscheidend, damit wir noch in diesem ihr über die Ahndung von Meldeverstößen hinaus auch Jahr das neue Regionalisierungsgesetz verkünden kön- die Verfolgung von Tatbeständen zuweisen, die bisher nen . Erst dann ist die gesetzliche Grundlage vorhanden, von der Einzugsstelle gemäß § 112 Absatz 1 Nummer 4 um die entsprechenden Auszahlungen an die Länder vor- des SGB IV wahrgenommen wurden . Damit führen wir nehmen können, was bisher nur unter Vorbehalt gesche- beim Zoll sowohl das Prüfungs- als auch das Ermitt- hen ist . Auch diese Auszahlungen sollten noch im laufen- lungsverfahren zusammen . (B) den Jahr 2016 zugunsten der Länder erfolgen . (D) Drittens . Mit einer Änderung des Straßenverkehrs- Ich hoffe daher auf Ihre Unterstützung und zähle auch gesetzes erhält auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Unterstützung der Länderkollegen, damit wir die- Zugriff auf den automatisierten Zugriff von Fahrzeug- ses Vorhaben nun zügig abschließen können . Es ist gutes und Halterdaten von Kraftfahrzeugen . Schon jetzt fragt Gesetz für den Nahverkehr in Deutschland . der Zoll zum Abgleich von melde- und sozialversiche- rungsrechtlichen Angaben beim Kraftfahrt-Bundesamt Informationen ab . Bisher musste jede Anfrage manuell Anlage 10 bearbeitet werden, was sich in der Praxis als langsam und fehleranfällig erwies . Der automatische Austausch wird Zu Protokoll gegebene Reden die Arbeit für beide Seiten stark vereinfachen . zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Offen gezeigt hat sich die Bundesregierung unter an- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung derem auch für Anregungen des Bundesrats, auch das der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Personenbeförderungsgewerbe mit zu erfassen und die Beschäftigung (Tagesordnungspunkt 24) nach Landesrecht zuständigen Behörden in den Kreis der Kooperationsbehörden mit aufzunehmen . Diesen Vor- Uwe Feiler (CDU/CSU): Die Schwarzarbeit ist so alt schlag unterstütze ich ausdrücklich . wie die Steuer oder die Sozialversicherung selbst . Schon Mit diesem Gesetz stärken wir den Zoll in seinem immer gab es neben den vielen ehrlichen Steuerzahlen Bemühen, Schwarzarbeit zu bekämpfen, Steuer- und vermeintlich Findige, die sich auf Kosten der Gemein- Sozialversicherungsbetrug zu bekämpfen und den Infor- schaft bereichern wollten. Sei es aus finanzieller Not oder mationsaustausch zwischen den beteiligten Bundes- und reinem Profitstreben – Schwarzarbeit ist keine Bagatelle, Landesbehörden auszubauen . sondern schädigt uns alle, oft aber auch diejenigen, die in diesen illegalen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten . Sie sind nicht renten-, kranken- und unfallversichert und Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Schwarzarbeit ist un- entziehen den öffentlichen Haushalten und Sozialversi- sozial: Dem Staat werden Steuern und Sozialabgaben cherungsträgern wichtige Einnahmen . Weiterhin verzerrt vorenthalten, und gesetzestreue Unternehmen können im Schwarzarbeit den Wettbewerb, indem durch den Betrug Wettbewerb gegen die illegal handelnden Anbieter, die Vorteile gegenüber den rechtschaffenden Unternehmen oft erheblich günstigere Angebote abgeben, nicht beste- erschlichen werden . hen und werden so in ihrer Existenz bedroht . Dies führt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19605

(A) zum Verlust von legalen Arbeitsplätzen und verhindert einer automatisierten Abrufmöglichkeit für Daten aus (C) die Schaffung neuer legaler Arbeitsplätze . dem Zentralen Fahrzeugregister, wird derzeit noch ge- prüft . Zusätzlich schädigen illegale Beschäftigungsverhält- nisse rechtstreue Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Der Zentralverband des Deutschen Handwerks, ZDH, mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die entstehen- der Zentralverband Deutsches Baugewerbe, ZDB, der den Ausfälle ausgleichen müssen . Die Bekämpfung der Deutsche Gewerkschaftsbund, DGB, der Deutsche Be- Schwarzarbeit ist daher ein zentrales Anliegen der Bun- amtenbund, dbb, der Bund der Deutschen Zollbeamten, desregierung, das wir im Koalitionsvertrag festgelegt BDZ, sowie der Deutsche Städtetag und der Deutsche haben . Landkreistag haben die Regelungen des Gesetzesent- wurfs überwiegend begrüßt . Das jetzt vorgelegte Gesetz zur Stärkung der Bekämp- fung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Auf Wunsch des BMF soll zudem eine Befreiung bei verbessert die rechtlichen Rahmenbedingungen für die der Kraftfahrzeugsteuer klarstellend in das Gesetz mit Prüfungs- und Ermittlungstätigkeiten der Finanzkontrol- aufgenommen werden . Die Befreiung beruht auf einer le Schwarzarbeit und der zuständigen Landesbehörden EU-Richtlinie aus dem Jahr 1983 – 1983! –, die der Ver- und schafft die Voraussetzungen für die Optimierung meidung der Doppelbesteuerung in mehreren EU-Mit- der informationstechnologischen Ausstattung der Fi- gliedstaaten dient . Diese wurde bei uns bisher nur durch nanzkontrolle . Es stellt somit einen weiteren Baustein Verwaltungsvorschriften, etwa durch Erlasse, berück- des wichtigen Zieles dar, die Rahmenbedingungen zur sichtigt . Schwarzarbeitsbekämpfung zu verbessern . Die Befreiung betrifft die vorübergehende Nutzung Eine wesentliche Neuregelung ist die Schaffung eines von Personenfahrzeugen im Inland durch Privatpersonen neuen zentralen Informationssystems, das die bislang aus anderen EU-Mitgliedstaaten . Diese sind in bestimm- verwendete Zentrale Datenbank ersetzen soll . Vorgangs- ten Fällen steuerbefreit, zum Beispiel bei befristeter be- bearbeitung und -verwaltung durch die Zollverwaltung ruflicher Nutzung oder durch Studenten und dauerhaft sollen sich dadurch effizienter gestalten, und Informati- bei Berufspendlern . Die EU-Kommission hat deswegen onen sollen sich besser verknüpfen lassen können . Dem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland an- Zoll soll es künftig möglich sein, mithilfe der neuen Da- gekündigt . Mit der rein technischen klarstellenden An- tenbank vor Ort rascher Abfragen und Analysen durch- passung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes wird das Ver- zuführen . Die neue Datenbank ermöglicht zum Beispiel tragsverletzungsverfahren verhindert werden . auch einen Zugriff auf Berichte und Statistiken zu Ver- Insgesamt besteht in nahezu allen Regelungsbereichen stößen gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz . (B) des Gesetzentwurfes bereits Konsens zwischen Bund (D) Der Zoll kann so effektiver reagieren . Die bessere Da- und Ländern . Daher bin ich optimistisch, dass wir die tenstruktur dient dem Ziel, die Erfolgsaussichten der Er- Beratungen des Gesetzentwurfes in den Parlamentsgre- mittlungstätigkeiten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit mien in den nächsten Wochen ohne Verzögerung rasch zu erhöhen . abschließen können . Der Gesetzentwurf weitet zudem die Verfolgungszu- ständigkeit der Zollverwaltungsbehörden aus, und zwar Richard Pitterle (DIE LINKE): Für das Jahr 2016 auf die Fälle, in denen die Zollbehörden bei einem Prü- gehen Schätzungen davon aus, dass Schwarzarbeit im fungs- und Ermittlungsverfahrens Ordnungswidrigkeiten Wert von 336 Milliarden Euro in Deutschland erbracht festgestellt haben . Verstöße gegen das Schwarzarbeitsge- wird . Das entspricht ungefähr 70 Milliarden Euro Ein- setz mit Bußgeldern können künftig durch die Behörden nahmeausfällen des Staates bei Steuern und Sozialversi- der Zollverwaltung im Ordnungswidrigkeitsverfahren cherung . Mit Fug und Recht muss man sagen: Schwarz- selbst verfolgt werden . Das trägt wesentlich zur Verfah- arbeit ist kein Kavaliersdelikt, sondern Kriminalität, die rensvereinfachung bei, da auf diese Weise die von den allen schadet . Nun ist das aber kein neues Phänomen . So Kontrolleuren der Finanzkontrolle Schwarzarbeit festge- beraten wir heute einen Gesetzentwurf mit dem ambi- stellten Meldeverstöße bei der Zollverwaltung gebündelt tionierten Ziel, die Bekämpfung der Schwarzarbeit und und der Verwaltungsaufwand damit reduziert werden illegalen Beschäftigung zu stärken . kann . Zweifellos ist das dringend nötig . Vor 14 Jahren betrug Der Bundesrat hat in seiner Stellungahme Ergänzun- das Volumen der Schwarzarbeit 350 Milliarden Euro . gen vorgeschlagen . Die nach Landesrecht zuständigen Das ist nur scheinbar mehr als heute . Aber Schwarzarbei- Behörden sollen beim Personenbeförderungsgewerbe ter führen keine Bücher, sodass nur der Befund bleibt: Es stärker in die Zusammenarbeit mit den Zollverwaltungen hat sich nichts geändert . Schlimmer noch: Das derzeitige eingebunden werden . Das halte ich für absolut richtig, Vorgehen gegen Schwarzarbeit entpuppt sich als voll- denn Taxi-, Miet- und Ausflugsverkehrsgewerbe sind be- kommen ineffektiv . Nach der amtlichen Statistik für das sonders von Schwarzarbeit betroffen . Künftig soll es den Jahr 2015 der Zollverwaltung, die für die Bekämpfung zuständigen Landesbehörden zudem möglich sein, Ord- zuständig ist, wurden 130 000 Ermittlungsverfahren ein- nungswidrigkeiten, die in ihren Geschäftsbereich fallen, geleitet, 43 000 Arbeitgeber geprüft, 360 000 Befragun- also die Bekämpfung der Handwerks- und der gewerb- gen durchgeführt und eine Schadenssumme von knapp lichen Schwarzarbeit, zu ahnden . Die Bundesregierung 1 Milliarden Euro aufgedeckt . Das klingt nach viel, ent- stimmte den Anregungen der Länder zu . Ein weiteres spricht aber nur einer Aufklärungsquote im unteren ein- Anliegen der Länderkammer, nämlich die Möglichkeit stelligen Prozentbereich . Dieser Befund ist erschütternd . 19606 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Das von SPD und Grünen 2004 vollmundig auf den zialversicherungen . Der Gesetzentwurf weist zu Recht (C) Weg gebrachte reformierte Gesetz zur Bekämpfung der auf die Wettbewerbsverzerrungen hin, die durch unred- Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung kann nur als liche Arbeitgeber ausgelöst werden, also durch Arbeit- gescheitert betrachtet werden . Der vorliegende Entwurf geber, die keine Steuern und Sozialversicherungen auf wird daran nichts ändern . den Lohn ihrer Mitarbeiter abführen . Mit den so entste- henden Dumping-Löhnen können ehrliche Arbeitgeber Natürlich begrüßen wir, dass Sie das Gesetz um in der kaum mithalten . Schwarzarbeit vernichtet ehrliche Jobs Praxis irrelevante Ordnungswidrigkeiten und Strafnor- bzw . lässt sie gar nicht erst entstehen . Das Ziel des vorlie- men bereinigen . Aber das machen Sie nicht konsequent . genden Gesetzentwurfs unterstützen wir daher uneinge- Ob Gewerbeordnung, Handwerksordnung oder Mindest- schränkt . Die wichtige Arbeit des Zolls, neben dem, dass lohngesetz, all diese Gesetze enthalten bereits Ordnungs- er im Übrigen im Jahr 2015 mit fast 133 Milliarden Euro widrigkeiten und Strafnormen, die nicht wiederholt wer- rund die Hälfte der Steuern des Bundes eingenommen den müssen . hat, wird hoffentlich dadurch weiter verbessert . Natürlich beglückwünschen wir Sie auch zu der Er- Bei meinem Besuch bei der Finanzkontrolle Schwarz- kenntnis eines Jurastudenten im zweiten Semester, dass arbeit in Berlin im vergangenen Jahr konnte ich mir per- im Verwaltungsrecht Aufgabennorm nicht gleichbedeu- sönlich ein Bild von der Arbeit der Beamten machen . tend mit Befugnisnorm ist, wenn Sie mit dem vorliegen- Ich konnte sie direkt vor Ort bei einem Einsatz auf einer den Entwurf nun nach zwölf Jahren endlich den adres- Großbaustelle begleiten . Beeindruckt war ich von dem sierten Ordnungsbehörden auch Rechte zur Erfüllung effektiven und organisierten Vorgehen . Was ich aber auch ihrer gesetzlichen Aufgaben einräumen . Natürlich sind mitgenommen habe, ist, dass ein Abgleich von Daten in wir beeindruckt, dass Sie es nach mehr als einem halben Verdachtsfällen derzeit noch Schwierigkeiten bereitet . Jahr schon schaffen, eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch in diesem Gesetz Das Anliegen des Gesetzentwurfs, die IT-Ausstattung nachzuvollziehen . Den Rechtsanwender freut es; denn zu verbessern, um einen reibungslosen und vor allem nun verweist § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgeset- zeitsparenden Einsatz zu ermöglichen, halte ich eben- zes bald nicht mehr ins rechtliche Nirvana . falls für notwendig . Nach meinem Kenntnisstand erfolgt derzeit zum Beispiel eine Abfrage beim Kraftfahrt-Bun- Wie so oft in der Regierungszeit der großen Koalition desamt zu Autohaltern noch per Faxgerät . Zeitnahe Er- aus SPD und CDU/CSU ist auch hier bereits der Titel gebnisse sind so selbstverständlich nicht zu erwarten . Ein nur eine Mogelpackung . Er soll darüber hinwegtäuschen, automatisiertes Abrufverfahren beim Kraftfahrt-Bundes- dass es sich nur um einen Minimalkonsens ohne ernst- amt ist richtig . Es kann zu einer Zeitersparnis führen, die haften Regelungsgehalt für einen weiteren Haken im die Arbeit der Beamten entscheidend effektiviert . (B) Koalitionsvertrag handelt . Der weitaus größte Teil der (D) Schwarzarbeit wird in Form organisierter Kriminalität Im Zusammenhang mit dem angekündigten Aufbau und rund um das Baugewerbe geleistet . Vor diesem Hin- eines einheitlichen Datenbanksystems und der Imple- tergrund war schon der Ansatz des Gesetzgebers 2004 mentierung eines neuen IT-Systems werden wir Grüne vollkommen falsch, mit „Öffentlichkeitsarbeit“ und der selbstverständlich besonderen Wert auf den Datenschutz Schaffung eines „Unrechtsbewusstseins in der Bevölke- legen . Auch bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist es rung“ Schwarzarbeit bekämpfen zu wollen . wichtiger, die richtigen Daten zu sammeln und sinnvoll auszuwerten, als möglichst viele Daten zu erheben . Der organisierten Kriminalität sind Ihre Öffentlich- Die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit würde keitsarbeit und das Unrechtsbewusstsein der allgemeinen aber außer von diesem Gesetz auch entscheidend davon Bevölkerung völlig schnuppe, wie nicht zuletzt die Zah- profitieren, wenn Bundesfinanzministerium und CDU/ len belegen. Solange Sie aber die hochqualifizierten Be- CSU endlich ihren Widerstand gegen die technikneutrale amten des Zolls vergessene Gewerbeanmeldungen und Zulassung von manipulationssicheren Registrierkassen verpennte Reisegewerbekarten prüfen lassen, solange der aufgeben würden . Das laufende Gesetzesverfahren dazu Häuslebauer mit seinem Handwerker ohne Meisterbrief droht aus unserer Sicht zur Farce zu verkommen . Dabei im Fokus der Ermittlungen steht und als „Schwarzarbei- ist klar: Viel Arbeit bliebe der Finanzkontrolle erspart, ter“ genauso behandelt und kriminalisiert wird wie Men- viel Unterstützung würden die neuen Belege bei der Ver- schenhändler und Sklavenhalter auf Großbaustellen, ist folgung von Schwarzarbeit bedeuten . der Kampf gegen Schwarzarbeit verloren . Nur wenn die begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen mit Außerdem werden die vorhergesagten positiven Wir- Blick auf das organisierte Verbrechen gebündelt werden, kungen des vorliegenden Gesetzentwurfs sicher verpuf- wird sich auch ein Erfolg im Kampf gegen die Schwarz- fen, wenn die Personalausstattung der Finanzkontrolle arbeit einstellen . Dafür ist aber Ihr Gesetzentwurf völlig Schwarzarbeit nicht angepasst wird . Wie wir wissen, ist ungeeignet . zur Überwachung der branchenspezifischen Mindestlöh- ne ab 2015 die Überprüfung der flächendeckenden ge- setzlichen Mindestlöhne dazugekommen – eine giganti- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Be- Lisa Paus sche Aufgabe . kämpfung der Schwarzarbeit ist ein besonders wichtiges Anliegen; denn Schwarzarbeit stellt in unserer Gesell- Aber die Personalbesetzung und -planung passt nicht schaft ein großes Problem dar . Sie schadet der Volks- dazu . Von 6 865 Planstellen sind 545 derzeit nicht be- wirtschaft und der Allgemeinheit: unter anderem durch setzt . Zählt man die Mitarbeiter hinzu, die an andere Be- Steuerhinterziehung und Beitragsausfälle bei den So- hörden ausgeliehen waren, so fehlen heute schon über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19607

(A) 700 Beamte . Von den 1 600 neuen Stellen zur Überwa- ganisierter Formen der Schwarzarbeit . Die oftmals kom- (C) chung der Mindestlöhne ist nach unserer Kenntnis bis plexen Prüf- und Ermittlungsverfahren erfordern ebenso heute keine einzige besetzt . Diese neuen Stellen sollen wie umfangreiche Mindestlohnprüfungen einen hohen erst ab 2017 zur Verfügung gestellt werden . Realistisch zeitlichen Aufwand . geschätzt kann mit etwa 160 Neueinstellungen pro Jahr Um diesen Weg jetzt konsequent weiterzuverfolgen, gerechnet werden . Das ist zu wenig, um die Überlastung hat der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf – nunmehr als der FKS abzumildern . Wenn der Gesetzentwurf jetzt dritter Baustein – mit Änderungen im Schwarzarbeitsbe- noch behauptet, dass etwaiger Mehrbedarf an Perso- kämpfungsgesetz, aber auch im Vierten Buch Sozialge- nalmitteln innerhalb der vorhandenen Kapazitäten auf- setzbuch und im Straßenverkehrsgesetz die rechtlichen gefangen werden kann, dann sage ich Ihnen: Das kann Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Schwarzar- und wird nicht funktionieren . Hier müssen Sie dringend beit und illegaler Beschäftigung weiter zu verbessern . Im nachbessern, und zwar sowohl bei den Stellen als auch Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz müssen vor allem die bei den Ausbildungskapazitäten . rechtlichen Grundlagen für eine zukunftsfähige informa- tionstechnologische Ausstattung der Zollverwaltung im Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bereich Finanzkontrolle Schwarzarbeit geschaffen wer- Bundesminister der Finanzen: Die Bekämpfung der den . Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung war und ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Ein modernes IT-Verfahren, das bei der täglichen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung vernichten Aufgabenerfüllung den fachlichen und technischen An- dauerhaft legale Arbeitsplätze, erhöhen damit die Ar- sprüchen und Anforderungen gerecht wird, ist selbstver- beitslosigkeit und bringen den Staat um Steuern und die ständlich auch für die Zöllnerinnen und Zöllner der FKS Sozialversicherungen um Beiträge . Für die Bekämpfung unerlässlich . Daneben ist es wichtig, auch anderen mit von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung ist in der Bekämpfung von Schwarzarbeit beauftragten Stellen Deutschland im Wesentlichen – aber nicht nur – die Fi- wirkungsvollere Instrumente an die Hand zu geben . Ich nanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung sagte es eingangs: Nicht nur die Zollverwaltung ist bei zuständig . Grundlage für ihre Tätigkeit ist das Schwarz- der Bekämpfung der Schwarzarbeit aktiv . arbeitsbekämpfungsgesetz . Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den in die Im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäfti- wurde vereinbart, zur Verbesserung der Bekämpfung gung involvierten anderen Bundes- und vor allem Lan- des Sozialversicherungsbetrugs, der Schwarzarbeit und des- und Kommunalbehörden erhöht die Finanzkontrolle der illegalen Beschäftigung die rechtlichen Rahmenbe- Schwarzarbeit bereits seit Jahren den Verfolgungsdruck . (B) dingungen im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und Zudem haben die nach Landesrecht zuständigen Kom- (D) in der Gewerbeordnung sowie die personelle und in- munalbehörden eigene Aufgaben nach dem Schwarz- formationstechnologische Ausstattung der Finanzkon- arbeitsbekämpfungsgesetz . Die Bekämpfung der hand- trolle Schwarzarbeit zu verbessern und wirkungsvoller werks- und gewerberechtlichen Schwarzarbeit fällt in auszugestalten . Als ein erster Baustein zur Umsetzung ihren Zuständigkeitsbereich . Wer Dienst- oder Werkleis- dieses Auftrages wurden im Jahr 2014 zum Beispiel die tungen erbringt und seiner Pflicht zur Anzeige seines Ge- Gewerbeämter als Zusammenarbeitsbehörden der Fi- werbes nicht nachkommt, verrichtet Schwarzarbeit . Wer nanzkontrolle Schwarzarbeit in das Schwarzarbeitsbe- ein Handwerk selbstständig betreibt, ohne in die Hand- kämpfungsgesetz aufgenommen . Zeitgleich wurde in der werksrolle eingetragen zu sein, verrichtet Schwarzarbeit . Gewerbeanzeigeverordnung eine Regelung eingeführt, Um auf diesem Gebiet wirkungsvoller agieren zu kön- die eine effektivere Bekämpfung der Scheinselbststän- nen, erhalten die nach Landesrecht zuständigen Behörden digkeit ermöglicht . Die Gewerbebehörden sind nun be- nunmehr passend zu ihren Aufgaben im Schwarzarbeits- fugt, etwaige Anhaltspunkte auf Scheinselbstständigkeit bekämpfungsgesetz an dieser Stelle eigene Befugnisse . oder sonstige Erkenntnisse auf Schwarzarbeit an den Zoll Zur Überprüfung Gewerbetreibender sind auch sie künf- zu übermitteln . tig befugt, Grundstücke zu betreten und dort tätige Perso- Seit dem 1 . Januar 2015 gilt der allgemeine gesetzli- nen zu ihrer Tätigkeit zu befragen . che Mindestlohn . Die Überprüfung der Einhaltung dieser Flankierend erfolgt eine Änderung des Vierten Buches Pflicht ist der Finanzkontrolle Schwarzarbeit übertragen Sozialgesetzbuch . Hier wurde ein Wunsch aus der Er- worden . Vor dem Hintergrund dieses Aufgabenzuwach- mittlungspraxis der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf- ses sind der Zollverwaltung in einem zweiten Baustein gegriffen . So sind die Zöllnerinnen und Zöllner künftig im Bundeshaushalt 2015 insgesamt 1 600 zusätzliche auch für die Ahndung von sozialversicherungspflichtigen Planstellen zuerkannt worden, die in den Haushaltsjahren Meldeverstößen zuständig, wenn die Verstöße erst in ei- 2017 bis 2022 zur Verfügung gestellt werden . Die per- nem bereits laufenden Ermittlungsverfahren aufgedeckt sonelle Ausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit werden. Dies erhöht die Effizienz des Verwaltungshan- wird damit an den Aufgabenzuwachs angepasst . delns . Bislang mussten diese Verfahren an die Einzugs- stellen der Krankenkassen zur weiteren Bearbeitung ab- Im Zusammenhang mit der Einführung des gesetzli- gegeben werden . chen Mindestlohns hat die Finanzkontrolle Schwarzar- beit auch die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit neu definiert. Durch die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Im Fokus der Aufgabenwahrnehmung steht neben der erhält die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zudem einen Prüfung aller Mindestlohnpflichten die Verfolgung- or automatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregis- 19608 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) ter des Kraftfahrt-Bundesamtes . Den Bediensteten der Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt beginnen: (C) Finanzkontrolle Schwarzarbeit stehen wichtige Informa- Deutsches, europäisches und internationales Banken- tionen künftig unmittelbar zur Verfügung . Damit werden aufsichtsrecht sehen vor, dass bei Verwendung von Ver- Prüfungen und Ermittlungen besonders in für Schwarz- trägen, welche sogenannte Close-out-Netting-Clauses arbeit und illegale Beschäftigung anfälligen Branchen enthalten, nur eine geringere Höhe von Eigenkapital vor- schneller und vor allem zielgerichteter und wirkungsvol- gehalten werden muss . Das ist auch richtig: Weil im Fal- ler . le einer Insolvenz nur ein negativer Saldo und nicht die Summe einzelner Forderungen abfließen kann, hält die Sie sehen, wir haben die Bekämpfung von Schwarz- Aufsicht solche Verträge für die entsprechenden Banken arbeit und illegaler Beschäftigung in Deutschland in den für weniger risikoreich als solche ohne diese Klauseln . letzten Jahren erfolgreich intensiviert . Ich bin zuversicht- Eine Fortführung der Geschäfte ohne Netting-Klauseln lich, dass uns dies mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würde entsprechend als risikoreicher bewertet, ohne dass weiter gelingen wird . sich durch die Klausel am tatsächlichen Risiko des Ge- Ich freue mich daher auf die Beratungen in den Fach- schäfts etwas ändert . ausschüssen . Nachdem wir gerade erreicht haben, dass die Kapital- ausstattung deutscher Banken wieder ausreichend ist und weitere gesamtwirtschaftliche Krisen aktuell nicht zu er- warten sind, wäre es sicher unangemessen, nur im Hin- Anlage 11 blick auf eine andere Beurteilung von Vertragsklauseln Zu Protokoll gegebene Reden einen Zwang für Banken zu begründen, ihr Eigenkapital nun zu erhöhen, nur um ihre bisherigen Geschäfte fort- zur Beratung des von der Bundesregierung ein- führen zu können; man rechnet mit 1 bis 2 Prozentpunk- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur ten . Die dadurch unnötig steigenden Finanzierungskos- Änderung der Insolvenzordnung (Tagesordnungs- ten für Kreditinstitute lassen sich auch mit Blick auf die punkt 25) mittelbaren Folgen für Bankkunden kaum rechtfertigen . Nun könnte man sagen: Dann passen Sie doch das Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Mit seinem Urteil Aufsichtsrecht der Realität der Verträge an . Allerdings: vom 9 . Juni 2016, Aktenzeichen IX ZR 314/14, mag der Eine solche deutsche Lösung wäre eine Insellösung und Bundesgerichtshof ein rechtlich nicht zu beanstandendes würde hier nicht helfen: Denn nach Artikel 9 der Euro- Urteil gesprochen haben; ob die Lösung volkswirtschaft- päischen Insolvenzverordnung bzw . § 340 Absatz 1 In- lich und politisch richtig war, gilt es in diesem Haus zu solvenzordnung könnten dann Banken über die Nutzung (B) entscheiden, und es gilt, diese dann gegebenenfalls zu eines ausländischen Marktes ausländisches Recht wählen (D) korrigieren . und somit dem Finanzplatz Deutschland faktisch den Rü- Ich darf in Erinnerung rufen: Der BGH hat in sei- cken kehren . Dies wäre vor allem zum Nachteil der deut- nem Urteil die Verwendung bestimmter sogenannter schen Realwirtschaft mit schlechteren Finanzierungs- Close-out-Netting-Clauses, also insolvenzrechtlicher möglichkeiten, ganz zu schweigen davon, dass dann auch Lösungsklauseln mit Saldoausgleich, für unwirksam er- die entsprechenden Verträge nicht mehr in Deutschland klärt . Damit hat der IX . Zivilsenat des BGH deutlich ei- gemacht würden . nes der Grundprinzipien des deutschen Insolvenzrechts, Ob sich jedoch auch Gründe finden, auch außerhalb nämlich die Entscheidung über die Betriebsfortführung des regulierten Finanzbereichs insolvenzrechtliche Lö- in die Hände des Insolvenzverwalters zu legen, unter- sungsklauseln mit Saldoausgleich zuzulassen, wird im strichen . § 103 der Insolvenzordnung, der dieses Prinzip Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens noch zu erörtern postuliert, ist auch völlig richtig und wichtig: Es muss in sein . der Hand des Insolvenzverwalters liegen, welche Verträ- ge eines insolventen Unternehmens fortgeführt werden Völlig nachvollziehbar ist dabei die Forderung der und welche nicht . Würde man diese Entscheidung in die Energie-, aber auch der Realwirtschaft, die infolge des Hände der Gläubiger legen oder grundsätzlich eine auto- Urteils des BGH vom 15 .November 2012, Aktenzeichen matische Vertragsbeendigung mit Eintritt der Insolvenz IX ZR 169/11, entstandene Unsicherheit zu beheben . zulassen, dann hätte das insolvente Unternehmen weder Hier stehen nicht aufsichtsrechtliche Fragen im Mittel- Kunden noch Lieferanten und müsste mangels mögli- punkt, sondern die Frage, inwieweit Handelsgeschäfte in chen Geschäftsbetriebs in jedem Fall gleich abgewickelt, volatilen Märken sinnvoll abgesichert werden können . sprich: zerschlagen, werden . Die von § 1 Insolvenzord- Hier ist es in Bezug auf ein mögliches Insolvenzver- nung deutlich intendierte Betriebsfortführung verbunden fahren von großer Bedeutung, ob Einzelforderungen oder mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen wäre unmöglich . nur der Saldo aus diesen Forderungen besichert werden muss . Dabei stellt es auch nach meiner Ansicht keinen So richtig diese beiden Prinzipien wirken und auch Eingriff in die Gläubigergleichbehandlung dar, wenn in sind, so wichtig sind an dieser Stelle jedoch die Ausnah- Falle der Insolvenz als Folge einer Netting-Vereinba- me des § 104 Insolvenzordnung und die Möglichkeit, in rung lediglich die Salden Berücksichtigung finden und bestimmten Fällen gegenseitige Forderungen über die damit natürlich auch nur diese im Vorfeld abgesichert Möglichkeit der echten Aufrechnung hinaus, § 94 Insol- werden müssen . Ganz ähnlich geht die Rechtsprechung venzordnung, zu verrechnen und auch Verträge mit Ein- übrigens – zu Recht – auch jetzt schon im Bereich der tritt der Insolvenz enden zu lassen . Gesellschafterdarlehen vor . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19609

(A) Über dieses nachvollziehbare Netting-Interesse hi- pitalanforderung führen – deutlicher als heute zum Bei- (C) naus gilt es deshalb zu erörtern, ob mit dem Insolvenz- spiel im Bankenbereich üblich und praktikabel ist . Daher verfahren auch ein Vertrag automatisch enden muss und ist es notwendig, die insolvenzrechtliche Zielsetzung damit möglicherweise auch für das insolvente Unter- insoweit zu präzisieren . Hierzu dient der vorliegende nehmen vorteilhafte Lieferkonditionen, die für eine Re- Gesetzentwurf . In diesem Sinne freue ich mich auf die strukturierung sehr hilfreich wären, jedenfalls deutlich weiteren Beratungen . hilfreicher, als zum Beispiel im Falle von Stromliefer- verträgen einen Neuvertrag zum teuren Grundtarif ab- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Der Regierungsent- schließen zu müssen . Auch wenn es verständlich ist, wie wurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenz­ es ein Vertreter eines Dax-Unternehmens formuliert hat, ordnung sieht eine Klarstellung des sogenannten Liqui- dass „man“ nur mit solventen Partnern handeln möchte, dationsnettings bei Finanztermingeschäften vor . Diese so bedarf dies doch stets der Betrachtung beider Seiten . Änderung ist notwendig geworden durch ein Urteil des Denn das Ziel einer Unternehmenssanierung, das bei Bundesgerichtshofes vom 9 . Juni 2016, das die bisheri- uns mehr noch als früher vorrangig ist vor dessen Zer- gen Liquidationsnettingsklauseln für unwirksam erklärt schlagung, lässt sich nicht mehr erreichen, wenn allein hat . Es blieb nicht ohne Kritik seitens der deutsche Kre- mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sämtliche Ver- ditwirtschaft, da diese befürchtet, dass das Urteil wegen tragsbeziehungen automatisch wegbrechen . Allerdings der mit ihm verbundenen aufsichtsrechtlichen Folgen kann es dann auch geboten sein, die Entscheidung über nicht nur auf einzelne Kreditinstitute, sondern auf die ge- die Ausübung des Wahlrechts schneller als bislang üblich samte Finanz- und Realwirtschaft dramatische Auswir- zu treffen . Dies näher zu erörtern, ist Aufgabe des nun kungen haben kann . folgenden parlamentarischen Verfahrens . Ziel des Regierungsentwurfs ist es deshalb, die recht- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Heute debat- lichen Grundlagen für das vertragliche Liquidations- tieren wir eine weitere Reform der Insolvenzordnung . netting präziser zu fassen und die durch das Urteil des Diese mutet zwar auf den ersten Blick sehr rechtstech- Bundesgerichtshofes entstandenen Rechtsunsicherheiten nisch an, aber jedenfalls auf den zweiten Blick offenbart zu beseitigen . Hierdurch soll sichergestellt werden, dass sich, dass die hier zu treffenden Neuregelungen massive die auf den deutschen, europäischen und internationalen Auswirkungen auf die deutsche Unternehmenslandschaft Finanzmärkten üblichen Rahmenverträge weiterhin im haben könnten . Einklang mit den an sie gestellten aufsichtsrechtlichen Anforderungen in insolvenzfester Weise vereinbart wer- Thematisch geht es um das sogenannte Liquidations- den können, jedoch nicht – das möchte ich ausdrücklich netting, das heißt um die vertragliche Vereinbarung ei- betonen – sollen hier die Grundzüge des Insolvenzver- (B) ner Aufrechnung . Nun sieht das BGB auch das Institut fahrens und der Schutz der Maße beeinträchtigt werden . (D) der Aufrechnung vor . Eine solche zu vereinbaren, bie- Ob dies mit dem Regierungsentwurf gelungen ist, wird tet aber durchaus mehr Flexibilität und differenziertere uns die öffentliche Anhörung sicherlich zeigen . Lösungen . Allerdings darf diese Flexibilität nicht der Zielsetzung und den Grundsätzen des Insolvenzrechts Die vorgeschlagene Änderung des Liquidationsnet- zuwiderlaufen . Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, genau tings begrüße ich ausdrücklich . Voraussichtlich müssen abzubilden, wie eine solche Vereinbarung einzuordnen die Banken nach Abschluss der Beratungen des Basler ist, im Bereich des Insolvenzrechts im Allgemeinen, ge- Ausschusses in den kommenden Jahren ohnehin wei- rade aber im Bereich der Anfechtung im Besonderen . In tere Anstrengungen bezüglich der Eigenkapitalunterle- der Konsequenz ergibt sich deshalb im Insolvenzrecht gung leisten . Diese Rechtsunsicherheit durch das Urteil die Anforderung, dass die Zulässigkeit einer solchen des Bundesgerichtshofes zum Liquidationsnetting sollte Aufrechnungsvereinbarung ebenso wie Trag- und Reich- nicht zusätzlich dazu führen, dass allein deutsche Kredit­ weite mit der Zielsetzung des § 104 Insolvenzordnung institute noch weiter in dieser Hinsicht belastet werden . in Einklang stehen . Damit reagieren wir als Gesetzgeber Von daher kann der Auffassung von der Bundesanstalt zudem unmittelbar auf das Urteil des Bundesgerichtshofs für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bundesministerium vom 9. Juni 2016. Diese Entscheidung definiert eine Un- der Justiz und Bundesfinanzministerium zugestimmt wirksamkeit von Finanzmarktkontrakten, soweit sie für werden, dass diese Rechtsunsicherheit zügig beseitigt den Fall der Insolvenz eine von § 104 Insolvenzordnung werden sollte . Der Vorschlag des Bundesministeriums abweichende Rechtsfolge vorsehen . der Justiz, der Grund, Trag- und Reichweite der Zulässig- keit des vertraglichen Liquidationsnettings im Einklang Grundsätzlich ergeben sich für die Frage der Reich- mit dem Zweck klarstellt, den bereits der Gesetzgeber weite des Liquidationsnettings zwei Lösungsansätze: der Insolvenzordnung bei der Schaffung von § 104 der Man könnte zum einen nur den Saldo der Aufrech- Insolvenzordnung verfolgt hat, ist hierzu meines Erach- nung der Anfechtung aussetzen . Alternativ wäre denkbar, tens sehr gut geeignet . jede einzelne aufgerechnete Leistung der Anfechtung zu unterwerfen . Was zunächst noch recht einfach klingt, er- Richard Pitterle (DIE LINKE): Den heute zur ers- weist sich bei genauerer Betrachtung als die Gegenüber- ten Beratung vorliegenden Entwurf einer Änderung der stellung zweier Möglichkeiten, die in ihren tatsächlichen Insolvenzordnung wollten Sie, meine sehr verehrten Da- Auswirkungen nicht unterschiedlicher sein könnten . Ge- men und Herren der Regierungskoalition, kürzlich noch rade die erste Variante, welche auch der BGH in seinem überhastet über den Rechtsausschuss in einem anderen Urteil zugrunde legt, würde zu einer deutlichen Eigenka- Gesetzgebungsvorhaben unterbringen . Es hat uns als 19610 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) Opposition viel Kraft gekostet, dieses Omnibusverfah- Lösungsklauseln auf eine solide Grundlage gestellt wer- (C) ren abzuwehren, aber anscheinend haben Sie inzwischen den können . verstanden, wie der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens im Grundgesetz geregelt ist . Nur zur Wiederholung für Auch wenn das Unionsrecht eine solche Regelung die Zukunft: Ausschüsse des Bundestages sind nach un- fordert, möchte ich abschließend festhalten: Wir halten serer Verfassung nicht berechtigt, Gesetzgebungsvorha- diese Regelung für eine ungerechtfertigte Privilegierung ben einzubringen . des Finanzsektors zulasten anderer Gläubiger und für ein abzuschaffendes Relikt aus Hoch-Zeiten der Finanz- Zur Sache . Vor wenigen Monaten gab es wieder mal marktderegulation . Wir sind erst recht dagegen, derartige ein kleines Beben in der Finanzwelt . Es braucht nicht viel Ausnahmen für weitere Branchen zu schaffen . Fantasie, um den Ursprung des Bebens zu lokalisieren: Termin- und Optionsgeschäfte, komplizierte Verträge, Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den um Chancen sich verändernder Kurse wahrzunehmen vorgeschlagenen Änderungen des § 104 Insolvenzord- oder Risiken sinkender Kurse zu minimieren . Mit ande- nung geht es um die Privilegierung der Finanzindustrie ren Worten: das übliche Finanzkasino, das die Welt schon bei der Abrechnung eines durch Insolvenz beendeten häufiger an den Abgrund geführt hat. Auch diesmal war Rahmenvertrages durch sogenanntes Liquidationsnet- das Beben von einiger Stärke . Der Bundesgerichtshof ting . Das hört sich kompliziert an, wie immer, wenn es urteilte, dass bestimmte, aber international übliche Ver- um viel Geld geht . Gerade deshalb lohnt es sich genau einbarungen zwischen Spielern im Finanzkasino, die im hinzusehen . Worum geht es? Falle der Pleite eines Spielers gelten sollen – es geht um das sogenannte Liquidationsnetting –, gegen deutsches Bei dem Handel mit Finanzprodukten, die als Termin- Insolvenzrecht verstoßen . Was undramatisch klingt, hatte geschäfte gehandelt werden, werden einzelne Transakti- weitreichende Konsequenzen . Aus Sicht der Bundesan- onen in einen Rahmenvertrag eingebunden . Darin liegt stalt für Finanzdienstleistungen war mit dem Urteil nicht eine Vereinfachung und Standardisierung des Vertrags- weniger als gleich die Stabilität der Finanzmärkte und schlusses . Im Insolvenzfall stellt sich die Frage, wie sich das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärk- viele, gegeneinander bestehende Erfüllungsansprüche te erschüttert, sodass sie per Dekret das Urteil befristet zueinander verhalten . Zu diesem Zweck werden Auf- für unbeachtlich erklärte . Der Grund für diese Panik ist, rechnungsvereinbarungen geschlossen . Beim Liquida- dass die üblichen Verträge zwischen den Spielern im Fi- tionsnetting werden verschiedene Transaktionen, wie nanzkasino für beteiligte Banken recht vorteilhaft sind, Kauf und Verkauf von Derivaten, zwischen zwei Partei- falls ein Spieler pleite ist . Geringeres Risiko für Banken en in einem Rahmenvertrag zusammengefasst . Kommt heißt auch, geringere Vorsorge für den Ausfall . Mit der es zur Insolvenz, werden die Transaktionen beendet, die (B) Entscheidung des Bundesgerichtshofes war diese heile Nichterfüllungsansprüche ermittelt und die positiven und (D) Welt erneut in Gefahr . negativen Werte gegeneinander aufgerechnet . Nur noch dieser Nettobetrag geht dann in die Insolvenzmasse ein . Dafür wurde der BGH massiv angegriffen . Fachleute unterstellten dem für Insolvenzrecht zuständigen Senat Bislang war es so, dass es für Finanzdienstleister sogar mangelnde Expertise . Es gehe schließlich um – Zi- durch diese Liquidationsnettingvereinbarungen möglich tat – „knallhartes Bankrecht, eine Domäne, die dem 9 .Zi - war, nur das Kreditrisiko des Nettobetrags der Forderun- vilsenat des BGH üblicherweise verschlossen bleibt“ . gen mit Eigenkapital zu unterlegen . Dies führt zu erheb- Der BGH habe die Praxis ignoriert und die Entscheidung lichen Einsparungen beim regulatorischen Eigenkapital . hätte die Neuberechnung zahlloser Geschäftsvorfälle zur In einem Urteil vom Juni 2016 hat der Bundesgerichtshof Folge, auch sei der Finanzstandort Deutschland in Ge- nun entschieden, dass Vereinbarungen zur Abwicklung fahr . Diese Angriffe verkennen, dass die Rechtsprechung von Finanzmarktkontrakten unwirksam sind, soweit sie an geltende Gesetze gebunden ist und nicht an eine ge- für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei Rechtsfol- wünschte Praxis . Die Vorschriften des Insolvenzordnung, gen vorsehen, die von § 104 der Insolvenzordnung ab- namentlich §§ 104, 119 Insolvenzordnung, ließen keinen weichen . Konkret ging es in dem Fall um einen Rahmen- Raum für eine andere Entscheidung . vertrag nach dem Muster des Bundesverbands deutscher Banken . Richtig an der Kritik ist allerdings, dass die europä- ische Finanzsicherheitenrichtlinie, die der BGH nicht Nach geltender Rechtslage ist nach § 104 der Insol- einmal im Urteil erwähnt, geschweige denn geprüft hat, venzordnung für Fixgeschäfte und Finanzdienstleistun- explizit den Schutz von derartigen Vereinbarungen im gen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, das Wahl- Insolvenzrecht fordert . Nur hat es der Gesetzgeber 2004 recht des Insolvenzverwalters eingeschränkt; siehe § 103 versäumt, das in der Insolvenzordnung richtig umzuset- der Insolvenzordnung . Er kann nicht Erfüllung verlan- zen . gen . Dies soll die Insolvenzmasse vor einer Spekulation durch den Insolvenzverwalter schützen und eine schnelle Der vorliegende Entwurf will das nachholen . Den An- Klärung der Rechtslage herbeiführen . spruch, die Rechtslage zu vereinfachen, erfüllt der Ge- setzentwurf aber nicht . Leersätze, die „den Grundgedan- Die Regeln für eine Aufrechnung im Insolvenzfall ken einer gesetzlichen Regelung“ zum Maßstab machen, sind in § 104 Absatz 2 und 3 der Insolvenzordnung fest- erzeugen genauso Rechtsunsicherheit wie die vielen Re- gelegt . In der Praxis wurde von diesen Regeln in Rah- gelbeispiele . Systematisch sauberer wären Öffnungsklau- menverträgen regelmäßig abgewichen . Nachdem der seln in § 19 Insolvenzordnung und ein breiterer Ansatz, Bundesgerichtshof diese Abweichung für rechtswidrig mit dem die seit Jahren umstrittenen insolvenzbedingten und damit für unwirksam erklärt hat, hat die Bundes- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19611

(A) anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht durch eine bis fragen, wie groß die Bereitschaft ist, die Solvenz und (C) Ende 2016 geltende Allgemeinverfügung entschieden, Kreditwürdigkeit der Gläubiger zu prüfen, wenn nur die diese rechtswidrige Praxis nicht zu sanktionieren . Mit geringe Nettoforderung gefährdet ist . Wie ist es um die der jetzt vorliegenden Gesetzesänderung will die Bun- Finanzmarktstabilität bestellt, wenn der Zweck von Rah- desregierung die Abweichungen sogar explizit erlauben . menverträgen letztlich darin liegt, das regulatorische Ei- genkapital kleinzurechnen? Das ist weder aus insolvenz- Nun soll § 104 Absatz 4 des Entwurfs eines Gesetzes rechtlicher Sicht noch mit Blick auf die Finanzstabilität zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen vernünftig . nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungs- gesetz, InsO-E, den Parteien ermöglichen, durch ver- Das Thema ist sicherlich komplex und für die Allge- tragliche Vereinbarungen von den Regelungen des § 104 meinheit schwer verständlich . Umso mehr werden wir Absatz 1 und Absatz 2 InsO-E abzuweichen, damit unter darauf zu achten haben, dass sich hier nicht unbemerkt anderem Großbanken wie die Deutsche Bank weiterhin Sonderinteressen zulasten der Allgemeinheit im Gesetz- in den Genuss geringerer Eigenkapitalanforderungen und gebungsverfahren durchsetzen . geringerer Anrechnungsbeträge auf Großkreditgrenzen kommen . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum Finanzak- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit dem teure im Insolvenzverfahren gegenüber anderen Gläubi- vorliegenden Gesetzentwurf soll Rechtssicherheit im gern überhaupt privilegiert werden . Bereits jetzt ist die Hinblick auf die Zulässigkeit und Insolvenzfestigkeit von Finanzindustrie durch die Regelung des § 104 InsO pri- vertraglichen Liquidationsnettingklauseln wiederherge- vilegiert . Mit den nun vorgeschlagenen Änderungen soll stellt werden . Hierbei handelt es sich um Klauseln, die diese Privilegierung noch ausgeweitet werden . Der Fi- im Finanzmarkt üblicherweise in Rahmenverträgen für nanzinstrumentenbegriff wird ausgeweitet und zur Wert- die Zusammenfassung und Abwicklung von Finanzter- berechnung werden Risikomodelle zugelassen . mingeschäften verwendet werden . Sie sehen vor, dass die in einen Rahmenvertrag einbezogenen Einzelgeschäfte Die Privilegierung einzelner Gläubigergruppen wurde im Insolvenzfall beendet, in Nichterfüllungsforderungen mit der Konkursordnung abgeschafft, und das aus gutem umgewandelt und zu einer einheitlichen Gesamtforde- Grund . Die Insolvenzmasse sollte nicht mehr durch ein- rung verrechnet werden . Für die Bestimmung der Nicht­ zelne, bevorzugte Gläubigergruppen aufgezehrt werden, erfüllungsforderung legen die üblichen Vertragsmuster sondern es sollte ausreichend Masse erhalten bleiben, mit Verfahren und Methoden fest, die von § 104 Insolvenz- dem Ziel, ein insolventes Unternehmen im besten Falle ordnung abweichen . sanieren zu können . Daher gilt in der Insolvenzordnung (B) als zentrales Prinzip der Grundsatz der Gläubigergleich- Die Insolvenzfestigkeit dieser Klauseln ist durch ein (D) behandlung . Soll hier nun also ein weiteres Mal durch Urteil des Bundesgerichtshofs infrage gestellt worden . die Hintertür der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz Denn dieser hat am 9 .Juni 2016 entschieden, dass Liqui- ausgehebelt werden? Das erinnert doch alles sehr an die dationsnettingklauseln für den Fall der Insolvenz einer Debatten, die wir auch bei der Reform des Anfechtungs- Vertragspartei unwirksam sind, soweit sie von § 104 In- rechts führen, die übrigens immer noch auf Eis liegt . solvenzordnung abweichen . Allerdings haben sich hier scheinbar die Vorzeichen Die Entscheidung hat erhebliche Rechtsunsicherheit verkehrt . Während beim Anfechtungsrecht die einhellige hervorgerufen . Denn die Vertragsklauseln sind auf die rechtpolitische Auffassung herrscht, dass der Gläubiger- bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen zugeschnit- gleichbehandlungsgrundsatz auf keinen Fall zugunsten ten, denen zur Abrechnung von Finanztermingeschäften einzelner Gläubiger wie dem Fiskus oder der Sozialver- genügt werden muss, damit die Banken in den Genuss sicherung aufgeweicht werden soll, scheint die Koalition geringerer Eigenkapitalanforderungen kommen . Erfüllen bei der Privilegierung der Finanzindustrie weniger Skru- die Klauseln nicht die bankaufsichtsrechtlichen Anfor- pel zu haben . Das Argument, Finanzstabilität sei höher derungen, können sich die Eigenkapitalanforderungen zu bewerten als insolvenzrechtliche Grundsätze, verfängt der Banken erhöhen . Dies kann für die Banken erheb- nur auf den ersten Blick . Denn es ist zu bedenken, dass liche nachteilige Auswirkungen haben . Zudem bedeutet im Fall von Marktstörungen oder in anderen Fällen, in die Unwirksamkeit der Klauseln, dass der Zugang von denen der Markt- oder Börsenpreis nicht bestimmt wer- Unternehmen zu Finanzdienstleistungen möglicherweise den kann, für die Wertermittlung der Geschäfte auch erschwert und verteuert wird, auf welche diese zur Absi- Risikomodelle herangezogen werden können . Das sind cherung von finanzwirtschaftlichen Risiken wie Zinsän- hypothetische Modelle und finanzmathematische Gut- derungs- oder Wechselkursrisiken angewiesen sind . achten, die die Werte von bestimmten Geschäftstypen dann aus dem Markt- oder Börsenwert anderer Geschäfte Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt daher ableiten . In der Krise hat sich jedoch gezeigt, dass Risi- klar, unter welchen Voraussetzungen die Vertragspartei- komodelle fehleranfällig und leicht zu manipulieren sind . en bei ihren Rahmenvereinbarungen von den Vorgaben Wollen wir uns darauf wirklich verlassen? in § 104 Insolvenzordnung abweichen können . Er be- stimmt, dass Abweichungen zulässig sind, solange sie Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in den Fällen, in mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ver- denen die Berechnung durch den Gläubiger erfolgt, ein einbar sind . Dieser Grundgedanke besagt, dass das In- Interessenkonflikt besteht; denn er wird natürlich mög- teresse des Vertragsgegners des Schuldners an einer un- lichst vorteilhaft für sich rechnen . Auch muss man sich verzüglichen Klärung der Rechtslage schützenswert ist 19612 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016

(A) und dass deshalb die zwischen den Parteien bestehenden naus weitere Zweifelsfragen zur Auslegung des § 104 In- (C) Geschäfte beendet, bewertet und miteinander verrechnet solvenzordnung . Diese betreffen die Reichweite des An- werden sollen . Mit diesem Grundgedanken sind auch wendungsbereichs der Vorschrift und die Anforderungen, vertragliche Regelungen vereinbar, welche den Beendi- die an Rahmenvereinbarungen zur Zusammenfassung gungszeitpunkt sowie die Modalitäten der Berechnung einzelner Geschäfte zu stellen sind . Schließlich bezieht der Nichterfüllungsforderung betreffen . Der Entwurf ent- der Gesetzentwurf der Bundesregierung bislang nicht er- hält einen Beispielkatalog mit praxisrelevanten Klausel- fasste Warentermingeschäfte in den Anwendungsbereich gegenständen, die mit dem Grundgedanken des Gesetzes des § 104 Insolvenzordnung ein . Um die Gefahren für die vereinbar sind . internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Institute und Marktteilnehmer und für die Stabilität des deutschen Um künftigen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, Finanzsystems abzuwehren, sollten die vorgeschlagenen klärt der Gesetzentwurf der Bundesregierung darüber hi- Regelungen möglichst schnell verabschiedet werden .

(B) (D)

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