Plenarprotokoll 18/234

Deutscher

Stenografscher Bericht

234. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Bundes- Tagesordnungspunkt 8: ministerin Dr. Barbara Hendricks sowie Beratung der Antwort der Bundesregierung auf der Abgeordneten Bärbel Höhn, Gabriele die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Fograscher, Heinrich Zertik, Wolfgang Lay, , , weiterer Gunkel und Dr. h. c. . 23585 B Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wahl der Abgeordneten Katharina Dröge als Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Schriftführerin . 23585 B Entwicklung, Bestand, Perspektive Drucksachen 18/8855, 18/11403. 23603 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung...... 23585 C in Verbindung mit Absetzung des Tagesordnungspunktes 37. 23588 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . 23588 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Tagesordnungspunkt 7: Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Unterrichtung durch die Bundesregierung: Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abge- 15. Entwicklungspolitischer Bericht der ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Bundesregierung GRÜNEN: Gemeinsam für bezahlbares Drucksache 18/12300. 23588 D Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksachen 18/10027, 18/11020. 23603 B Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ. 23589 A (DIE LINKE) . 23603 B Heike Hänsel (DIE LINKE). 23591 A Sylvia Jörrißen (CDU/CSU). 23605 B Stefan Rebmann (SPD). 23592 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23607 C DIE GRÜNEN). 23593 A , Parl. Staatssekretär BMUB. 23609 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU). 23595 A Dr . (CDU/CSU). 23610 C (DIE LINKE) . 23597 A Michael Groß (SPD). 23612 A (SPD) . 23597 D (CDU/CSU). 23613 A Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU). 23598 D Caren Lay (DIE LINKE) . 23614 B Christoph Strässer (SPD) . 23599 D Carsten Träger (SPD). 23615 A Jürgen Klimke (CDU/CSU). 23601 D (SPD) . 23615 D II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Tagesordnungspunkt 9: f) Antrag der Abgeordneten , Susanna Karawanskij, Caren Lay, weite- Unterrichtung durch die Bundesregierung: rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Verbraucherpolitischer Bericht der Bun- LINKE: Gewerbesteuer zu einer Ge- desregierung 2016 meindewirtschaftsteuer weiterentwi- Drucksache 18/9495. 23616 D ckeln und kommunale Wirtschaftskreis- , Bundesminister BMJV . 23616 D läufe fördern Drucksache 18/12365. 23629 B Karin Binder (DIE LINKE) . 23618 C g) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, (CDU/CSU). 23620 A Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Menschenrechtsverletzungen von Un- DIE GRÜNEN). 23621 D ternehmen verbindlich sanktionieren – Elvira Drobinski-Weiß (SPD). 23622 D UN-Treaty-Prozess unterstützen Drucksache 18/12366. 23629 B (CDU/CSU). 23624 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23625 D Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- Petra Rode-Bosse (SPD). 23627 A ten , , Renate Iris Ripsam (CDU/CSU). 23627 D Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 43: zur Änderung des Asylgesetzes zur Be- schleunigung von Verfahren a) Erste Beratung des von den Abgeordne- Drucksache 18/12360. 23629 C ten , Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeord- b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und neten und der Fraktion DIE LINKE ein- SPD: Kooperationsmodelle im Nacht- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zugverkehr stärken Abschaffung der sachgrundlosen Befris- Drucksache 18/12363. 23629 C tung c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Drucksache 18/12354. 23628 D Luise Amtsberg, (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) Erste Beratung des von der Bundesregie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konto- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- gebühren – Transparenz und Verbrau- zes zu der am 19. Juni 1997 beschlos- cherschutz erhöhen senen Urkunde zur Abänderung der Drucksache 18/12367. 23629 D Verfassung der Internationalen Arbeits- organisation Drucksache 18/12331. 23628 D Tagesordnungspunkt 44: c) Erste Beratung des von der Bundesregie- a) Zweite und dritte Beratung des von der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs zes zum Vorschlag für einen Beschluss eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Rates zur Festlegung eines Mehrjah- vom 14. März 2014 über die Ausstellung resrahmens für die Agentur der Europä- mehrsprachiger, codierter Auszüge und ischen Union für Grundrechte für den Bescheinigungen aus Personenstandsre- Zeitraum 2018–2022 gistern Drucksache 18/12332. 23629 A Drucksachen 18/11510, 18/12123. 23629 D d) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Zweite und dritte Beratung des von der rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Gesetzes zur Änderung des Gesetzes eines Gesetzes zur Verbesserung der über die Akkreditierungsstelle Sachaufklärung in der Verwaltungsvoll- Drucksache 18/12333. 23629 A streckung e) Antrag der Abgeordneten , Drucksachen 18/11613, 18/12125. 23630 B , Caren Lay, weiterer Abgeordne- c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung ter und der Fraktion DIE LINKE: Unent- des von der Bundesregierung eingebrach- geltliche Nutzung der WC-Anlagen an ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- Bundesautobahnen und Bahnhöfen tokoll vom 14. November 2016 zur Än- Drucksache 18/9223. 23629 A derung des Abkommens vom 13. Juli Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 III

2006 zwischen der Regierung der Bun- ten 433, 434, 435, 436, 437, 438 und 439 desrepublik Deutschland und der ma- zu Petitionen zedonischen Regierung zur Vermeidung Drucksachen 18/12114, 18/12115, der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet 18/12116, 18/12117, 18/12118, 18/12119, der Steuern vom Einkommen und vom 18/12120. 23632 B Vermögen Drucksachen 18/11869, 18/12398. 23630 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Zusatztagesordnungspunkt 4: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- eines Gesetzes zu dem Abkommen vom geordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, 21. November 2016 zwischen der Bun- Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordne- desrepublik Deutschland und der Re- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE publik Panama zur Vermeidung der GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Gesetzes zur Änderung des Fünften Steuern vom Einkommen betreffend Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstel- den Betrieb von Seeschiffen oder Luft- lung verheirateter, verpartnerter und fahrzeugen im internationalen Verkehr auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft Drucksachen 18/11878, 18/12398. 23630 D lebender Paare bei der Kostenübernah- e) Zweite und dritte Beratung des von der me der gesetzlichen Krankenversiche- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs rung für Maßnahmen der künstlichen eines Gesetzes zur Erstellung gesamt- Befruchtung wirtschaftlicher Vorausschätzungen der Drucksachen 18/3279, 18/7517. 23633 A Bundesregierung (Vorausschätzungsge- b) Beschlussempfehlung und Bericht des setz – EgVG) Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Drucksachen 18/11257, 18/12425. 23631 A Antrag der Abgeordneten , f) Zweite und dritte Beratung des von der Katja Keul, , weiterer Abge- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ eines Ersten Gesetzes zur Änderung des DIE GRÜNEN: Provenienzforschung Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes stärken – Bessere Rahmenbedingungen Drucksachen 18/11494, 18/11880, für einen angemessenen und fairen Um- gang mit Kulturgutverlust schaffen 18/12181 Nr. 1.6, 18/12411. 23631 B Drucksachen 18/3046, 18/7532. 23633 B g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs c) Beschlussempfehlung und Bericht des eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- 12. Januar 2017 zwischen der Bundes- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag republik Deutschland und der Republik der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steff Moldau über Soziale Sicherheit Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksachen 18/11879, 18/12394. 23631 C GRÜNEN: Verbindliche Umwelt- und h) Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialstandards in der internationalen Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Palmölproduktion verankern menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag Drucksachen 18/8398, 18/10611. 23633 B der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, , weiterer Abgeordne- d) Beschlussempfehlung und Bericht des ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Ausschusses für Menschenrechte und hu- GRÜNEN: Globale Investitionen im Sin- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ne einer nachhaltigen Entwicklung ge- ordneten Dr. , Omid stalten Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/11410, 18/12301. 23631 D DIE GRÜNEN: Kein Frieden und kei- i) Beschlussempfehlung und Bericht des ne Stabilität ohne Menschenrechte und Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsich- Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- tige europäische Nachbarschaftspolitik nung der Bundesregierung: Zweite Ver- gegenüber den Staaten Nordafrikas ordnung zur Änderung der Sportanla- Drucksachen 18/6551, 18/10848. 23633 C genlärmschutzverordnung Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2, e) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag 18/12407. 23632 A der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin j)–p) Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Beratung der Beschlussempfehlungen des Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Petitionsausschusses: Sammelübersich- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine trans- IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

parente und geschlechtergerechte Haus- (SPD). 23644 A haltspolitik – Gender Budgeting als (CDU/CSU). 23645 A Instrument von Good Governance Drucksachen 18/9042, 18/11433. 23633 D (CDU/CSU). 23646 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- Tagesordnungspunkt 10: trag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ulle a) Zweite und dritte Beratung des von der Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE eines Gesetzes zur weiteren Verbesse- GRÜNEN: Initiative „She Decides“ un- rung des Hochwasserschutzes und zur terstützen – Die sexuellen und reproduk- Vereinfachung von Verfahren des Hoch- tiven Rechte und die Selbstbestimmung wasserschutzes (Hochwasserschutzge- und Gesundheit von Frauen und Mäd- setz II) chen in Ländern des globalen Südens Drucksachen 18/10879, 18/12404. 23647 B stärken b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 18/11177, 18/11649. 23633 D Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, g) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Bau und Reaktorsicherheit zu der Unter- schusses für Bildung, Forschung und Tech- richtung durch die Bundesregierung: Bun- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der desprogramm „Blaues Band Deutsch- Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver land“ Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeord- Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5, neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 18/12204. 23647 C GRÜNEN: Kein Atommüll-Export aus Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin dem Reaktor AVR Jülich in die USA BMUB. 23647 C Drucksachen 18/2624, 18/12408. 23634 A Dr. André Hahn (DIE LINKE). 23648 D h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag Ulrich Petzold (CDU/CSU) . 23649 D der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, weiterer DIE GRÜNEN). 23651 A Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Aids-Epi- Carsten Träger (SPD). 23652 C demie in Deutschland und weltweit bis Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 23653 B 2030 beenden Drucksachen 18/6775, 18/12424. 23634 B Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU). 23654 B

Zusatztagesordnungspunkt 5: Tagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Rößner, , weiterer Abgeordneter und Bundesregierung zu den Vorschlägen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Präsident Macron im Bereich der EU-Wirt- Soziale und wirtschaftliche Lage von Künst- schafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu lerinnen, Künstlern und Kreativen verbes- gemeinsamen europäischen Investitionen sern, Kulturförderung gerecht gestalten Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/12373. 23655 C DIE GRÜNEN). 23634 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) DIE GRÜNEN). 23655 C (CDU/CSU). 23635 C (CDU/CSU). 23656 D (DIE LINKE). 23636 C Sigrid Hupach (DIE LINKE). 23658 C Joachim Poß (SPD). 23637 D Siegmund Ehrmann (SPD). 23659 D Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). 23638 D Dr. (CDU/CSU) . 23661 A Dr. (DIE LINKE) . 23639 C (SPD). 23662 B (SPD). 23640 C (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 12: DIE GRÜNEN). 23641 D Zweite und dritte Beratung des von den Frak- (CDU/CSU). 23642 D tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 V

Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung fut- – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß termittelrechtlicher und tierschutzrechtli- § 96 der Geschäftsordnung cher Vorschriften Drucksache 18/12206. 23682 D Drucksachen 18/12085, 18/12403 . 23663 B Dr. h. c. (SPD). 23682 D Dr. , Parl. Staatssekretärin (DIE LINKE) . 23684 B BMEL. 23663 C Jürgen Hardt (CDU/CSU). 23685 B Dr . (DIE LINKE). 23664 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (SPD). 23665 D DIE GRÜNEN). 23686 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ (SPD). 23686 D DIE GRÜNEN). 23666 D Dr. (CDU/CSU). 23687 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . 23667 C Michael Vietz (CDU/CSU). 23688 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23668 C Namentliche Abstimmung . 23690 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23669 C Ergebnis . 23692 C Christina Jantz-Herrmann (SPD) . 23670 A Tagesordnungspunkt 15: Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und hu- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeord- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu neten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Ab- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE geordneter und der Fraktion DIE LINKE: GRÜNEN: Verbrechen nach dem Völ­ Bundesprogramm Kita- und Schulverpfe- kerstrafrecht nicht ungesühnt lassen gung – Für alle Kinder und Jugendlichen Drucksachen 18/10031, 18/10626. 23690 A eine hochwertige und unentgeltliche Es- sensversorgung sicherstellen b) Zweite und dritte Beratung des von den Drucksachen 18/8611, 18/12178. 23671 D Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordne- Carola Stauche (CDU/CSU). 23671 D ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Karin Binder (DIE LINKE) . 23674 A Gesetzes zur Änderung des Bundesver- Dr . h. c. (CDU/CSU) . 23675 A fassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von (DIE LINKE) . 23676 C Entscheidungen über den Einsatz der Jeannine Pfugradt (SPD). 23677 B Bundeswehr im Ausland) Drucksachen 18/8277, 18/12413. 23690 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23678 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Alois Rainer (CDU/CSU). 23680 A schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Dr. Franziska Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE). 23680 D Brantner, weiterer Abgeordneter und der Elvira Drobinski-Weiß (SPD). 23681 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale rechtliche Zusammenar- beit stärken und ausbauen Tagesordnungspunkt 14: Drucksachen 18/9675, 18/11780. 23690 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . – Beschlussempfehlung und Bericht des 23690 C Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 23691 A trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Dr. (CDU/CSU). 23694 B Streitkräfte an der Militärmission der Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Europäischen Union als Beitrag zur DIE GRÜNEN). 23696 B Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Bettina Bähr-Losse (SPD). 23697 B Drucksachen 18/11628, 18/12205. 23682 D Dr. (CDU/CSU) . 23698 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Tagesordnungspunkt 16: Tagesordnungspunkt 18: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der der deutschen Beteiligung an der interna- Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- der Grundlage der Resolution 1244 (1999) te an der durch die Europäische Union des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen geführten EU NAVFOR Somalia Opera- vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech- tion Atalanta zur Bekämpfung der Pira- nischen Abkommens zwischen der interna- terie vor der Küste Somalias tionalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und Drucksachen 18/11621, 18/12207. 23699 C den Regierungen der Bundesrepublik Ju- goslawien (jetzt: Republik Serbien) und der – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Republik Serbien vom 9. Juni 1999 § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12298. 23714 B Drucksache 18/12208. 23699 C (SPD). 23714 C (SPD) . 23699 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 23715 D Inge Höger (DIE LINKE). 23700 C Dr. , Parl. Staatssekretär Dr . (CDU/CSU). 23701 B BMVg. 23716 D (BÜNDNIS 90/ Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23702 B DIE GRÜNEN). 23717 C (CDU/CSU) . 23703 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU). 23718 C

Namentliche Abstimmung . 23704 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Ergebnis . 23706 C Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Sofortiger Ab- zug der Bundeswehr aus Incirlik Tagesordnungspunkt 17: Drucksache 18/12372. 23719 C a) Zweite und dritte Beratung des von den (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ Abgeordneten Azize Tank, , DIE GRÜNEN). 23719 C Sabine Zimmermann (Zwickau), weite- (CDU/CSU). 23720 C ren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Dr. (DIE LINKE). 23721 C ... Gesetzes zur Änderung des Grundge- Dr. Rolf Mützenich (SPD) . 23722 D setzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz) Florian Hahn (CDU/CSU) . 23724 A Drucksachen 18/10860, 18/12412. 23704 B b) Erste Beratung des von den Abgeordne- Tagesordnungspunkt 20: ten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiteren Abge- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ desregierung eingebrachten Entwurfs eines DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Gesetzes zur besseren Durchsetzung der eines Gesetzes zur Gewährleistung der Ausreisepficht Wahrnehmung sozialer Rechte von Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822 Menschen ohne Aufenthaltsstatus Nr. 9, 18/12415. 23725 C Drucksache 18/6278. 23704 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI. 23725 D Dr. (SPD). 23704 C (DIE LINKE). 23726 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . 23705 B (SPD). 23727 D Azize Tank (DIE LINKE). 23708 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23728 D Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU). 23709 D (Altötting) (CDU/CSU). 23730 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23711 A DIE GRÜNEN). 23731 A (SPD). 23712 B (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) . 23713 A DIE GRÜNEN). 23731 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 VII

Tagesordnungspunkt 21: ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren weniger Waffen Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensmittel- – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene retterinnen und Lebensmittelretter entkri- Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck minalisieren (Köln), weiterer Abgeordneter und der Drucksache 18/12364. 23733 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken Tagesordnungspunkt 22: Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397. 23740 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Umsetzung der Vierten Tagesordnungspunkt 25: EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Neuorganisation der Zentralstelle für Fi- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nanztransaktionsuntersuchungen Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181 unter Ehegatten und Lebenspartnern in Nr. 1.8, 18/12405 . 23733 B Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten Drucksachen 18/10485, 18/12427 . 23740 D Tagesordnungspunkt 19: Dr. Matthias Bartke (SPD). 23741 A Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, wei- (Havelland) (DIE LINKE). 23742 B terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für einen radikalen Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU). 23743 B Kurswechsel in der Jemenpolitik Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/12121. 23733 D DIE GRÜNEN). 23744 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23733 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 23745 B Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU). 23734 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE). 23735 D Tagesordnungspunkt 26: (SPD). 23736 D a) Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU). 23738 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Überein- Tagesordnungspunkt 23: kommen) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksachen 18/11847, 18/12401. 23746 C desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen b) Beschlussempfehlung und Bericht des Identitätsnachweises Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Drucksachen 18/11279, 18/12417. 23739 D Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, , , weiterer Ab- Tagesordnungspunkt 24: geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention a) Zweite und dritte Beratung des von der zu Quecksilber unverzüglich ratifzieren Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Drucksachen 18/7657, 18/12401. 23746 D eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vor- schriften Drucksachen 18/11239, 18/11938, Tagesordnungspunkt 27: 18/12181 Nr. 1.12, 18/12397. 23740 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- desregierung eingebrachten Entwurfs eines nenausschusses Gesetzes zur Einführung der elektronischen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Akte in Strafsachen und zur weiteren För- Mihalic, Dr. , derung des elektronischen Rechtsverkehrs Luise Amtsberg, weiterer Abgeordne- Drucksachen 18/9416, 18/12203 . 23747 A VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Tagesordnungspunkt 28: Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Go- Gesetzes zu dem Übereinkommen vom vernment-Gesetzes 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Inter- Drucksachen 18/11614, 18/12406. nationalen EU-LAK-Stiftung 23747 C Drucksachen 18/11507, 18/12418. 23749 A

Tagesordnungspunkt 29: Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Erste Beratung des von der Bundesregierung desregierung eingebrachten Entwurfs eines eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zweiten Gesetzes zur Änderung perso- Angleichung des Urheberrechts an die aktu- nenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Per- ellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft sonenstandsrechts-Änderungsgesetz – (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Ge- 2. PStRÄndG) setz – UrhWissG) Drucksachen 18/11612, 18/12124. 23747 D Drucksachen 18/12329, 18/12378 . 23749 B

Tagesordnungspunkt 33: in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Zusatztagesordnungspunkt 7: eines Gesetzes zur Förderung von Mieter- strom und zur Änderung weiterer Vor- Erste Beratung des von den Abgeordneten schriften des Erneuerbare-Energien-Geset- Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika zes Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Drucksache 18/12355. 23749 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung (SPD). 23749 C der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbst- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE). 23750 C bestimmungsgesetz – SelbstBestG) Thomas Bareiß (CDU/CSU). 23751 B Drucksache 18/12179. 23747 D Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23752 B (SPD). 23753 A Tagesordnungspunkt 30: Dr. (CDU/CSU). 23754 A a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 34: zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ...... Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Drucksachen 18/11397, 18/12421. 23748 B von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittspro- – Zweite und dritte Beratung des von der tokoll vom 11. November 2016 zum Han- Bundesregierung eingebrachten Ent- delsübereinkommen vom 26. Juni 2012 wurfs eines Gesetzes zur Einführung zwischen der Europäischen Union und ih- eines Anspruchs auf Hinterbliebe- ren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolum- nengeld bien und Peru andererseits betreffend den Drucksachen 18/11615, 18/12421. Beitritt Ecuadors 23748 B Drucksachen 18/11556, 18/12410. 23755 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten Tagesordnungspunkt 35: und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erste Beratung des von der Bundesregierung NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zes zur Änderung des Gesetzes über die Stärkung von Kindern und Jugendlichen Entschädigung für Opfer von Gewaltta- (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – ten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) KJSG) Drucksachen 18/10965, 18/12400. 23748 C Drucksache 18/12330. 23755 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 IX

in Verbindung mit Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung Drucksachen 18/7655, 18/11785. 23761 A Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Zusatztagesordnungspunkt 11: Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stark ins schusses für Wirtschaft und Energie: eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Menschen Europäischen Parlaments und des Rates Drucksache 18/12374. 23755 B über die Durchsetzung der Richtlinie , Parl. Staatssekretärin 2006/123/EG über Dienstleistungen im BMFSFJ . 23755 C Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti- fzierungsverfahrens für dienstleistungs- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). 23756 C bezogene Genehmigungsregelungen und (Hamburg) (CDU/CSU). . . 23757 C Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- DIE GRÜNEN). 23758 D waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems Christina Schwarzer (CDU/CSU). 23759 C KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17. – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates Tagesordnungspunkt 36: über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und vor Erlass neuer Berufsreglementierun- SPD: Reformbestrebungen weiter mit gen Leben füllen – Leistung, Transparenz, KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17. Fairness und Sauberkeit in den Mittel- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des punkt der künftigen Spitzensportförde- Europäischen Parlaments und des Ra- rung stellen tes über den rechtlichen und operativen Drucksache 18/12362. 23760 D Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektroni- b) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, sche Europäische Dienstleistungskarte , Anja Hajduk, weiterer KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17. Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – zu dem Vorschlag für eine Verordnung NIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spit- des Europäischen Parlaments und des zensportreform grundlegend überarbei- Rates zur Einführung einer Elektroni- ten – Beteiligungsrechte für Athletinnen schen Europäischen Dienstleistungskar- und Athleten verankern te und entsprechender Verwaltungser- Drucksache 18/10981. 23760 D leichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17. hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Zusatztagesordnungspunkt 9: desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, desregierung eingebrachten Entwurfs ei- 18/12426. 23761 D nes Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Nächste Sitzung . 23762 C Drucksachen 18/11291, 18/12422. 23761 A

Anlage 1 in Verbindung mit Liste der entschuldigten Abgeordneten. 23763 A

Zusatztagesordnungspunkt 10: Anlage 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Josef Göppel, und Elisabeth Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abge- Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu der ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Abstimmung über den von den Fraktionen der GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf X Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrecht- Anlage 6 licher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 12). 23763 B des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Aus- Anlage 3 führung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Fi- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nanztransaktionsuntersuchungen Omid Nouripour, , Annalena (Tagesordnungspunkt 22). 23768 C Baerbock, (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Hajduk, Dieter Margaret Horb (CDU/CSU). 23768 C Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Dr. (CDU/CSU). 23769 B Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus (Heidelberg) (SPD). 23770 A Tressel, Doris Wagner und Dr. Valerie Wilms Dr. Jens Zimmermann (SPD) . 23771 A (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- Richard Pitterle (DIE LINKE) . 23772 C empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Dr . (BÜNDNIS 90/ dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung DIE GRÜNEN). 23773 A der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Anlage 7 Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 16). des von der Bundesregierung eingebrachten 23763 C Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 23). 23774 B Anlage 4 Heinrich Zertik (CDU/CSU). 23774 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD). 23775 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung Ulla Jelpke (DIE LINKE). 23776 C über die Beschlussempfehlung des Auswärti- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- DIE GRÜNEN). 23777 C gierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Europäische Union geführten EU NAVFOR BMI. 23778 C Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16). 23764 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- Anlage 5 ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Vorschriften des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abge- Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Le- Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der bensmittelretterinnen und Lebensmittelretter Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: entkriminalisieren Mehr Sicherheit durch weniger Waffen (Tagesordnungspunkt 21). 23764 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (CDU/CSU). 23764 D (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (CDU/CSU). 23765 C Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs- stoffen beschränken Elvira Drobinski-Weiß (SPD). 23766 B (Tagesordnungspunkt 24 a und b). 23779 A Karin Binder (DIE LINKE). 23767 A (CDU/CSU). 23779 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 23780 A DIE GRÜNEN). 23767 D (SPD). 23781 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 XI

Martina Renner (DIE LINKE) . 23782 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23794 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23783 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI. 23795 A

Anlage 9 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung einge- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstim- Übereinkommen von Minamata vom 10. mung über den von der Bundesregierung ein- Oktober 2013 über Quecksilber (Minama- gebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur ta-Übereinkommen) Änderung des E-Government-Gesetzes – der Beschlussempfehlung und des Berichts (Tagesordnungspunkt 28). 23795 C des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Anlage 13 Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu – des von der Bundesregierung eingebrach- Quecksilber unverzüglich ratifzieren ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur (Tagesordnungspunkt 26 a und b). 23784 B Änderung personenstandsrechtlicher Vor- schriften (2. Personenstandsrechts-Ände- Karsten Möring (CDU/CSU) . 23784 C rungsgesetz – 2. PStRÄndG) – des von den Abgeordneten Volker Beck (SPD). 23785 C (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, Ralph Lenkert (DIE LINKE). 23786 B weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerken- DIE GRÜNEN). 23787 A nung der selbst bestimmten Geschlechts- identität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) Anlage 10 (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesord- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung nungspunkt 7). 23796 A des von der Bundesregierung eingebrach- (Dortmund) ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung (CDU/CSU). 23796 A der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Dr . (CDU/CSU). 23797 A Rechtsverkehrs Gabriele Fograscher (SPD). 23797 C (Tagesordnungspunkt 27). 23788 A (DIE LINKE). 23798 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . 23788 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU). 23789 A DIE GRÜNEN). 23799 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 23789 C

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). 23790 A Anlage 14 Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 23790 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung : – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- Anlage 11 zes zur Einführung eines Anspruchs auf Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Hinterbliebenengeld des von der Bundesregierung eingebrachten – des von den Abgeordneten Katja Keul, Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren des E-Government-Gesetzes Abgeordneten und der Fraktion BÜND- (Tagesordnungspunkt 28). 23791 C NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des (CDU/CSU). 23791 C Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsge- (SPD). 23792 C setz – OEG) Sebastian Hartmann (SPD). 23793 B (Tagesordnungspunkt 30 a und b). 23800 A Dr. (DIE LINKE). 23793 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . 23800 A XII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU). 23800 C Anlage 18 Dr. (SPD) . 23802 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, , , Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). 23803 B Inge Höger, , Ulla Jelpke und Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 23803 D Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Anlage 15 zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. Novem- ber 2016 zum Handelsübereinkommen vom Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Uni- des von der Bundesregierung eingebrachten on und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- Kolumbien und Peru andererseits betreffend men vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der den Beitritt Ecuadors Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesordnungspunkt 34). 23815 D (Tagesordnungspunkt 31). 23804 D Dr. (CDU/CSU) . 23804 D Anlage 19 (SPD). 23806 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Heike Hänsel (DIE LINKE) . 23806 D – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ und SPD: Reformbestrebungen weiter mit DIE GRÜNEN). 23807 B Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fair- ness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen Anlage 16 – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weite- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- des von der Bundesregierung eingebrachten NIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spit- Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des zensportreform grundlegend überarbeiten Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse – Beteiligungsrechte für Athletinnen und der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wis- Athleten verankern sensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungspunkt 36 a und b). 23816 B (Tagesordnungspunkt 32). 23808 A (CDU/CSU). 23816 C Dr. Stefan Heck (CDU/CSU). 23808 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU). 23809 A Jeannine Pfugradt (SPD). 23818 A Christian Flisek (SPD). 23809 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD). 23818 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE). 23810 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) . 23819 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 23810 D DIE GRÜNEN). 23820 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV. 23811 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI. 23821 D

Anlage 17 Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittspro- – des von der Bundesregierung eingebrach- tokoll vom 11. November 2016 zum Handels- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung übereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen des Rechts auf Kenntnis der Abstammung der Europäischen Union und ihren Mitglied- bei heterologer Verwendung von Samen staaten einerseits sowie Kolumbien und Peru – der Beschlussempfehlung und des Berichts andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors des Ausschusses für Recht und Verbrau- (Tagesordnungspunkt 34). 23812 C cherschutz zu dem Antrag der Abgeord- neten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Andreas G. Lämmel (CDU/CSU). 23812 C Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Klaus Barthel (SPD). 23813 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspen- Heike Hänsel (DIE LINKE) . 23814 C de und das Recht auf Kenntnis eigener Ab- Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ stammung DIE GRÜNEN). 23815 A (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) . 23822 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 XIII

Dr . (CDU/CSU) . 23822 C über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (CDU/CSU) . 23823 C KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 (SPD). 23824 B – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des (DIE LINKE). 23825 A Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rah- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 23825 D men für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte Anlage 21 KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des der Beschlussempfehlung und des Berichts des Europäischen Parlaments und des Rates Ausschusses für Wirtschaft und Energie: zur Einführung einer Elektronischen Euro- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des päischen Dienstleistungskarte und entspre- Europäischen Parlaments und des Ra- chender Verwaltungserleichterungen tes über die Durchsetzung der Richtlinie KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 2006/123/EG über Dienstleistungen im hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notif- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des zierungsverfahrens für dienstleistungs-be- Grundgesetzes zogene Genehmigungsregelungen und (Zusatztagesordnungspunkt 11) . 23826 C Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- Astrid Grotelüschen (CDU/CSU). 23827 A nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- (SPD). 23829 A waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems Klaus Ernst (DIE LINKE). 23829 D KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Europäischen Parlaments und des Rates DIE GRÜNEN). 23830 D

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23585

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234. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Beginn: 9.29 Uhr

Präsident Dr. : Noch schöner ist, dass die Betroffene damit einverstan- Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. den ist. Das erleichtert die Umsetzung des bevorste- henden Beschlusses. Damit ist die Kollegin Dröge als Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schriftführerin gewählt. Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 234. Plenarsitzung. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages- Ich möchte zu Beginn unsere Gäste auf den Besucher- ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten tribünen, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die Punkte zu erweitern: auf den Beginn dieser Sitzung gewartet haben, um Ent- schuldigung und Verständnis für die Verspätung bitten. ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Sie hängt nicht damit zusammen, dass ein beachtlicher LINKE: Teil der Mitglieder des Hauses nicht rechtzeitig aus den Aufklärung möglicher rechtsextremer Struk- Betten gekommen wäre, sondern damit, dass noch vor turen in der Bundeswehr Beginn der Plenarsitzung Sondersitzungen der beiden (B) Koalitionsfraktionen stattgefunden haben, um die ab- (siehe 233. Sitzung) (D) schließende zweite und dritte Lesung eines der wichtigs- ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode in richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, der nächsten Sitzungswoche vorzubereiten. Dafür haben Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu Sie hoffentlich Verständnis. dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn Seit der letzten Sitzungswoche gab es einige beson- (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, ders zu erwähnende Geburtstage. So haben die Bundes- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ministerin Dr. Barbara Hendricks und die Kollegin NIS 90/DIE GRÜNEN Bärbel Höhn jeweils ihren 65. Geburtstag begangen. Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le- benswert und klimafreundlich (Beifall) Drucksachen 18/10027, 18/11020 Ihren 60. Geburtstag begingen die Kollegin Gabriele Fograscher und der Kollege Heinrich Zertik. ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren (Beifall) (Ergänzung zu TOP 43) Der Kollege Wolfgang Gunkel hat seinen 70. und der a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kollege Gernot Erler seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ih- Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, nen allen noch einmal die geballten guten Wünsche des weiteren Abgeordneten und der Fraktion Hauses für das neue Lebensjahr! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des (Beifall) Asylgesetzes zur Beschleunigung von Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen noch fahren eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Bünd- Drucksache 18/12360 nis 90/Die Grünen schlägt vor, für den Kollegen Matthias Überweisungsvorschlag: Gastel die Kollegin Katharina Dröge als Schriftführe- Innenausschuss (f) rin zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz offenkundig so. b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU und SPD 23586 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in (C) stärken der internationalen Palmölproduktion veran- kern Drucksache 18/12363 Überweisungsvorschlag: Drucksachen 18/8398, 18/10611 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Finanzausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ausschuss für Wirtschaft und Energie richts des Ausschusses für Menschenrechte und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag heit der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für NIS 90/DIE GRÜNEN eine weitsichtige europäische Nachbarschafts- politik gegenüber den Staaten Nordafrikas Kontogebühren – Transparenz und Verbrau- cherschutz erhöhen Drucksachen 18/6551, 18/10848 Drucksache 18/12367 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- NIS 90/DIE GRÜNEN sprache Für eine transparente und geschlechterge- (Ergänzung zu TOP 44) rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- als Instrument von Good Governance ordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Drucksachen 18/9042, 18/11433 Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- (B) richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- (D) rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Gleichstellung verheirateter, verpartnerter zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord- lebender Paare bei der Kostenübernahme der neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesetzlichen Krankenversicherung für Maß- NEN nahmen der künstlichen Befruchtung Initiative „She Decides“ unterstützen – Die Drucksache 18/3279 sexuellen und reproduktiven Rechte und die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau- ses für Gesundheit (14. Ausschuss) en und Mädchen in Ländern des globalen Sü- dens stärken Drucksache 18/7517 Drucksachen 18/11177, 18/11649 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Kultur und Medien g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- DIE GRÜNEN Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Provenienzforschung stärken – Bessere Rah- GRÜNEN menbedingungen für einen angemessenen und fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR Jülich in die USA Drucksachen 18/3046, 18/7532 Drucksachen 18/2624, 18/12408 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Steff Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord- Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NEN NIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23587

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Die Aids-Epidemie in Deutschland und welt- Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende (C) weit bis 2030 beenden und das Recht auf Kenntnis eigener Abstam- mung Drucksachen 18/6775, 18/12424 Drucksachen 18/7655, 18/11785 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Haltung der Bundesregierung zu den Vor- gie (9. Ausschuss) schlägen von Präsident Macron im Bereich der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbe- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des sondere zu gemeinsamen europäischen Inves- Europäischen Parlaments und des Ra- titionen tes über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND- Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti- NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE fzierungsverfahrens für dienstleistungs- Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik bezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Drucksache 18/12372 Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, wei- waltungszusammenarbeit mit Hilfe des teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Binnenmarkt-Informationssystems NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des bestimmten Geschlechtsidentität und zur Än- Europäischen Parlaments und des Rates derung anderer Gesetze (Selbstbestimmungs- über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor gesetz – SelbstBestG) Erlass neuer Berufsreglementierungen Drucksache 18/12179 KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 Überweisungsvorschlag: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Innenausschuss (f) Europäischen Parlaments und des Rates Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über den rechtlichen und operativen Rah- Ausschuss für Gesundheit men für die durch die Verordnung ... [ESC (B) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Regulation] eingeführte Elektronische (D) ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Europäische Dienstleistungskarte Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäischen Parlaments und des Rates Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für zur Einführung einer Elektronischen Euro- junge Menschen päischen Dienstleistungskarte und entspre- chender Verwaltungserleichterungen Drucksache 18/12374 KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 Überweisungsvorschlag: hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- des Grundgesetzes schätzung Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426 ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ZP 12 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines setzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu- der Abstammung bei heterologer Verwendung ches – Wohnungseinbruchdiebstahl von Samen Drucksache 18/12359 Drucksache 18/11291 Überweisungsvorschlag: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ses für Gesundheit (14. Ausschuss) Innenausschuss Drucksache 18/12422 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, wie üblich in solchen Fällen abgewi- ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- chen werden. richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Anstelle von TOP 19 – das ist der Antrag zur Jemen-Po- Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise litik – soll der Antrag auf der Drucksache 18/12372 mit Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incir- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lik“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Beratungszeit 23588 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) von 25 Minuten aufgerufen werden. Der Tagesordnungs- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (C) punkt 19 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rückt ent- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sprechend nach hinten. Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach dem Tagesordnungspunkt 36 soll die Beschluss- empfehlung auf der Drucksache 18/12422 zum Entwurf Der am 7. Juli 2016 (183. Sitzung) überwiesene eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für der Abstammung bei heterologer Verwendung von Sa- Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung men in Verbindung mit der Beschlussempfehlung auf überwiesen werden: der Drucksache 18/11785 zu dem Antrag mit dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ mit einer De- Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- battenzeit von 25 Minuten beraten werden. Im Anschluss geordneter und der Fraktion DIE LINKE daran soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksa- che 18/12426 – hier geht es um die Stellungnahme der Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Bundesregierung zu mehreren Vorlagen für Richtlinien Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermögli- und Verordnungen des Europäischen Parlaments zum chen Thema „Dienstleistungen im Binnenmarkt“ – ebenfalls mit einer Debattenzeit von 25 Minuten aufgerufen wer- Drucksache 18/7904 den. Überweisungsvorschlag: Der Tagesordnungspunkt 37 – das ist der Zusammen- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) hang zur Verspätung der heutigen Sitzung –, nämlich Finanzausschuss „Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs“, Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- wird für diese Woche abgesetzt. Stattdessen soll mit einer heit Debattenzeit von 60 Minuten der Entwurf eines Geset- Ausschuss für Tourismus zes zur Änderung des Strafgesetzbuches – hier geht es insbesondere um Wohnungseinbruchdiebstahl – auf der Ich frage Sie, ob Sie mit diesem Paket von Verände- Drucksache 18/12359 beraten werden. rungen einverstanden sind? – Ich sehe jedenfalls keinen Schließlich mache ich noch auf drei nachträgliche Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz- punkteliste aufmerksam: Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf: (B) (D) Der am 23. März 2017 (225. Sitzung) überwiesene Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- gierung schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: 15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bun- desregierung Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder- Drucksache 18/12300 nisierung des Rechts der Umweltverträglich- keitsprüfung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Drucksache 18/11499 lung (f) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz heit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Ausschuss für Wirtschaft und Energie heit Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Der am 27. April 2017 (231. Sitzung) überwiesene Haushaltsausschuss nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) sowie Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion dem Ausschuss für Kultur und Medien (22. Ausschuss) Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- rung des Bundesnaturschutzgesetzes nen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Drucksache 18/11939 Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Überweisungsvorschlag: nächst dem Bundesminister Dr. Gerd Müller. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (f) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23589

(A) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Umsetzungsproblem. Es geht darum, diese Vorgaben in (C) Zusammenarbeit und Entwicklung: nationale Politik umzusetzen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schön, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dass wir beginnen können. Ich glaube, wir bekommen der SPD) für die Wartezeit einen Zuschlag von 30 Minuten. Diesen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinsamen (Beifall der Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Zukunftspolitik gestaltet Deutschland. Federführend LINKE] und Ulli Nissen [SPD] – Michael gehen wir voraus. Zwischenzeitlich sind wir unter den Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das entscheiden 195 Nationen weltweit der zweitgrößte Geber nach den hier nicht die Minister! – Claudia Roth [Augs- USA. burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wird aber aufgeteilt! – Zuruf von der SPD: sowie des Abg. [SPD]) Das wird auf die Redezeit angerechnet!) Daran sehen Sie: Die Bundesregierung hat den Stel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Föderalismus ist lenwert der Entwicklungspolitik neu defniert und sie wichtig, aber jetzt geht es um die Zukunftsaufgaben und entscheidend aufgewertet. Dafür gilt mein ganz besonde- Herausforderungen dieses Planeten. Alle vier Jahre legt rer Dank unserer Bundeskanzlerin und Ihnen, liebe Kol- die Bundesregierung ihren Bericht zur Entwicklungspo- leginnen und Kollegen – und zwar aller Fraktionen. Die litik vor. Ich kann Ihnen und auch denen, die draußen einen wollen noch viel mehr – dazu gehöre ich auch –, zuschauen, sagen: Es ist eines der spannendsten Doku- die anderen bremsen ein Stück weit. Aber auch hier wer- mente. Es lohnt sich, diesen zu lesen. den wir in der neuen Legislaturperiode zusätzliche Ak- zente setzen müssen. Die Welt hat sich in diesen vier Jahren dramatisch ent- wickelt: Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen, die In dieser Legislaturperiode ist der Etat des BMZ um Hungerkrise – bis heute aktuell am Horn von Afrika –, 35 Prozent gestiegen. Während der Kanzlerschaft von die Bevölkerungsentwicklung. Jede Woche kommt eine hat sich der absolute Ansatz verdoppelt. Stadt wie Berlin, jedes Jahr ein Land wie Deutschland Das 0,7‑Prozent-Ziel ist erstmals erreicht. Es gilt natür- mit 80 Millionen zusätzlich auf den Planeten. Zwischen- lich, das auch für die Zukunft zu halten, auch wenn die zeitlich gibt es 65 Millionen Flüchtlinge, davon rund Aufwendungen für Flüchtlinge einmal weniger werden. 90 Prozent in den Entwicklungsländern. Aber ich sage auch: Für Europa – die Europäische Die Digitalisierung ist auch in Afrika angekommen. Union, unsere Freunde –, aber auch für die USA sollte (B) Wir sind vernetzt. Die Globalisierung, Handelswege und klar sein: Wer das 2,0‑Prozent-Ziel bei den Militärausga- (D) Wertschöpfungsketten machen die Welt zum globalen ben anstrebt, muss erst einmal das 0,7‑Prozent-Ziel bei Dorf. der Entwicklungshilfe umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Die Politik – nicht nur die Entwicklungspolitik – muss LINKEN) sich ändern und hat sich geändert. Das ist zentral: Wir haben reagiert und uns neu aufgestellt. Mehr Panzer schaffen nicht mehr Frieden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Stefan Rebmann [SPD]) SPD und der LINKEN) Dafür müssen sich auch einbringen: die Chinesen, die Entwicklungspolitik ist heute nicht mehr Randthema. Russen, die arabische Welt und alle anderen. Es ist nicht Das mögen Sie auf den Tribünen vielleicht noch anders hinnehmbar, dass acht Länder auf der Welt 90 Prozent sehen, weil der Entwicklungsminister auf der Regie- des Hilfsvolumens zur Verfügung stellen und die anderen rungsbank ganz hinten im Eck „drangeklebt“ ist. wegsehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber Wir können stolz darauf sein, was wir alle gemeinsam immerhin links außen!) in dieser Legislaturperiode geleistet haben. Dabei freue ich mich besonders, dass der Stellenwert unserer Aufga- Aber das werden wir in der neuen Legislaturperiode än- be heute ein anderer ist. dern, lieber . Die Entwicklungspolitik ge- hört in die Mitte, ins Zentrum – auch im Kabinett. Das zeigt sich nicht nur am Aufwuchs im Haushalt. Unsere Themen sind auch Schwerpunkt der interna- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tionalen Agenda. Denken Sie an den G‑7- und an den ordneten der SPD und der LINKEN) G‑20-Gipfel. Mein Dank gilt hier besonders unserer Kanzlerin. Sie handelt national und gestaltet global. Sie fragen natürlich zu Recht: Was passiert? Gibt es Erfolge? – Ja, ich kann Ihnen sagen: Wir haben mit (Beifall bei der CDU/CSU) dem Klimavertrag von Paris im Jahre 2015 weltweit den Ihr Herz schlägt auch für Afrika. Durchbruch erzielt. Mit der Agenda 2030 haben wir ei- nen Zukunftsvertrag, mit dem wir die globale Entwick- Ebenso erhalte ich große Unterstützung vom Finanz- lung in den Grenzen unseres Planeten gestalten können. minister . Wolfgang Schäuble setzt jetzt gemeinsam mit Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern es gibt jetzt ein dem BMZ mit der Initiative „Compact with Africa“ einen 23590 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) ganz neuen Akzent. Unser Marshallplan-Konzept fndet Wir brauchen aber auch fairen Handel. Meine Damen (C) nicht nur hier Unterstützung, sondern auch bei der Afri- und Herren, nur mit der Verankerung von ökologisch-so- kanischen Union, im Europäischen Parlament in Brüssel, zialen Standards in weltweiten Lieferketten, wie wir wo es in dieser Woche Thema ist, und in den einzelnen dies mit unserem Textilbündnis zeigen, einer Blaupause, Ressorts. Wichtig ist mir: Wir beschreiben nicht nur Pro- schaffen wir langfristig Gerechtigkeit und Chancenaus- bleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen. gleich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich möchte Ihnen das kurz andeuten: Wir bekämpfen das Kriegs- und Flüchtlingselend. In Standards müssen Standard werden. Die Widerstände den vergangenen vier Jahren haben wir 12 Milliarden sind noch enorm, auch national. Aber ich sage klar: Die Euro in den Krisengebieten der Welt – vor Ort – inves- weltweiten Märkte brauchen Regeln. Ein Markt ohne Re- tiert. Damit haben wir Überleben gesichert und Kin- geln führt zu Ausbeutung von Mensch und Natur. dern – allein in und um Syrien herum waren es 1 Million (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kinder – Schulbesuch und Ausbildung ermöglicht. In neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- der Türkei wurden 8 000 Lehrerinnen und Lehrer ausge- NISSES 90/DIE GRÜNEN) bildet, um in den Flüchtlingscamps zu unterrichten. Wir haben Beschäftigung geschaffen. Das Programm „Cash Globalisierung schafft Chancen, aber auch Verlierer. for Work“ erleichtert eine Rückkehr. Auch den Wieder- Wenn heute 10 Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent aufbau haben wir eingeleitet, meine Damen und Herren. des Einkommens und Vermögens besitzen – 10 Prozent, das sind Sie und wir alle – und 20 Prozent der Weltbevöl- Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Das ist keine Vi- kerung – das sind wir in den Industrieländern – 80 Pro- sion. Hunger ist Mord, weil wir eine Welt ohne Hunger zent der Ressourcen für unser Leben, für unseren Kon- schaffen können. sum und für unseren Wohlstand verbrauchen, dann haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir ein weltweites Gerechtigkeits- und Verteilungspro- neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- blem. Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf NISSES 90/DIE GRÜNEN) Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungs- länder aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen Wir zeigen, wie es geht. Wir reden nicht nur. Die 14 In- aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das novationszentren in Afrika und Indien zeigen, wie wir die holen, was ihnen zusteht. Nahrungsmittelproduktion steigern können. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (D) Wir investieren in nachhaltige Klima- und Umwelt- SPD und der LINKEN sowie der Abg. Claudia konzepte. Ich habe vergangene Woche in China mit dem Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chinesischen Handelsminister ein gemeinsames Zentrum NEN]) für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht. Mit Indien werden wir demnächst hier in Deutschland Ver- Jeder von Ihnen muss und kann mitwirken. Wenn Sie träge unterzeichnen, um die Solarpartnerschaft weiter sich heute früh die Haare gewaschen haben, dann ist in voranzubringen. dem Shampoo Palmöl aus Indonesien enthalten. Sie ha- ben sich Kleidung angezogen, die Näherinnen in Bang- Mit Projekten in Höhe von 1,5 Millionen Euro liegt ladesch für einen Hungerlohn angefertigt haben. Sie ha- unser Schwerpunkt in Afrika. Der Marshallplan zeigt die ben Kaffee getrunken, für den Kinder in Westafrika die Herausforderung, aber auch die Lösungswege. Wir stär- Kaffeebohnen für einen Hungerlohn, einen Sklavenlohn ken Frauen. Wir stärken die Bildung und sind bei der Bil- geerntet haben. Wir erfreuen uns unseres Wohlstands auf dung größter bilateraler Geber. Mein Ziel ist, 25 Prozent dem Rücken dieser Länder. des Etats für Bildung bereitzustellen. Bildung, Bildung, Bildung ist die Voraussetzung für Entwicklung. Ein afrikanischer Bischof sagte mir vor kurzem: Afri- ka ist nicht arm. Ihr habt es arm gelassen. – Das müssen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wir ändern. ordneten der SPD) Wir sind erfolgreich im wichtigen Feld der Gesund- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heit. Ebola ist in diesen Tagen wieder aufgetreten. Wir ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ bauen Strukturen zur Hilfe in Westafrika. Unser Bei- DIE GRÜNEN) trag – den Kolleginnen und Kollegen dafür vielen Dank – Globalisierung gerecht gestalten, das ist möglich. Es be- bei GAVI und GFATM wurde wesentlich erhöht. darf nur des Willens, des Mutes und der Verantwortung Wir schaffen neue Strukturen, was mir ganz besonders zur Umsetzung. Ein Weiter-so bei Konsum, Wachstum wichtig ist. Mit öffentlicher Entwicklungszusammenar- und Ressourcenverbrauch weltweit hätte verheerende beit lösen wir die Probleme und die Herausforderungen Folgen. der Welt nicht. Wir brauchen dazu mehr Privatinvestitio- Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. Ich möchte nen. Dazu brauchen wir aber auch ein neues Instrumen- Ihnen aber die Folgen aufzeigen. tarium zur Risikoabsicherung für Privatinvestitionen in Afrika und in Indien, insbesondere für mittelständische (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Betriebe. Stefan Rebmann [SPD]: Dem Präsidenten?) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23591

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: CSU]: Es geht nicht darum, Handel zu verhin- (C) Herr Minister, können wir das nicht privat erledigen? dern, sondern fair zu gestalten!) (Heiterkeit – Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen Sie sprechen davon. Aber statt zu handeln, haben Sie es auch wissen!) einen Marshallplan für Afrika mit millionenschweren Sonderinitiativen aufgelegt. Das ist kein Ersatz für die Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Erneuerung, für die Veränderung und Ausgestaltung ge- Zusammenarbeit und Entwicklung: rechter Handelsstrukturen. Wenn wir endlich eine ge- rechte Handelspolitik hätten, dann bräuchten wir keine Die Klimaveränderung hätte verheerende Folgen: Kli- Millionen für Entwicklungsprojekte. Hier ist auch die maveränderung und Erderwärmung sind in Ostafrika an- SPD, muss ich sagen, mitverantwortlich. Denn auch gekommen. Hunger, Katastrophen, Elend, Not und Krie- hat den Freihandel – CETA, TTIP – mas- ge lösen schon jetzt gewaltige Wanderungsbewegungen siv vorangetrieben. Da gab es keine Richtungsänderung. auch in Richtung Europa aus. Deshalb sind wir verpfich- Deswegen: Wer Fluchtursachen und Armut in den afrika- tet, auf ein Leben in Würde für alle hinzuarbeiten. Wir nischen Ländern bekämpfen will, muss diesen tödlichen sind verpfichtet, den Planeten Erde, die Schöpfung, für Freihandel stoppen. die kommenden Generationen zu erhalten. Das ist eine große Aufgabe, eine lohnende Aufgabe für uns alle. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank. Zweitens. Sie fordern menschenwürdige Arbeitsbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dingungen in den Unternehmen und gerechte Entlohnung ordneten der SPD und des Abg. Wolfgang unter dem Eindruck der Katastrophen in der Textilindus­ Gehrcke [DIE LINKE]) trie in Südostasien. Richtig so! Aber was ist am Ende da- bei herausgekommen? Präsident Dr. Norbert Lammert: (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Viel!) Heike Hänsel erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. Wir haben ein unverbindliches Textilbündnis, einen un- verbindlichen nationalen Aktionsplan für die Wirtschaft (Beifall bei der LINKEN) und ein freiwilliges Mitmachprogramm für die Unter- nehmen. Ja, wo leben Sie denn eigentlich? Wir brauchen Heike Hänsel (DIE LINKE): gesetzliche Regelungen, damit Unternehmen soziale und Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- ökologische Standards einhalten. (B) gen! Herr Müller, Sie haben hier wahrscheinlich schon (Beifall bei der LINKEN) (D) für den Evangelischen Kirchentag nächste Woche geübt. Das ist kein freiwilliges Mitmachprogramm. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aber ein sehr erfolgreiches Textilbündnis! Freiwil- Sie sind ein Minister mit guten Losungen und Sprüchen. ligkeit, das steckt dahinter! Aber das kapiert Da können viele klatschen. ihr gar nicht! Ihr setzt ja immer nur auf Vor- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schriften! Wir setzen auf Freiwilligkeit!) NEN]: Auch die Linke!) Es gibt auch gute Initiativen bei den Vereinten Na- Aber leider füllen Sie diese Sprüche nicht mit Leben. Sie tionen. Eine ganz wichtige Initiative ist die sogenannte haben sich in diesen vier Jahren in Tausenden Projekten Treaty Initiative, die sich darum bemüht, ein weltweites und vielen Sonderinitiativen verloren. Sie sind aber die Unternehmensstrafrecht durchzusetzen, um globale Kon- ungerechten Strukturen, die Sie hier kritisieren, nicht an- zerne sanktionieren zu können. gegangen. Das ist überfällig. Aber was macht die Bundesregierung? Sie boykottiert (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- diese Initiative. Das ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr NIS 90/DIE GRÜNEN) Müller . Wir fordern, dass endlich solche Initiativen bei Erstens: die Handelspolitik der Europäischen Union. den Vereinten Nationen unterstützt werden. Jetzt, am Ende Ihrer Amtszeit, sprechen Sie von fairem (Beifall bei der LINKEN) Handel. Was haben Sie denn vier Jahre lang gemacht? Die EU hat die Freihandelsabkommen mit Afrika vo- Drittens: eine Welt ohne Hunger. Sie haben es er- rangetrieben. Ein Veto von Ihnen, und wir hätten diese wähnt: die größte humanitäre Katastrophe seit Bestehen Freihandelspolitik stoppen und wirklich fairen Handel der Vereinten Nationen in Ostafrika. Die Welthungerhilfe ausgestalten können. hat gestern wieder kritisiert, dass die Hilfe viel zu spät kam, und zwar auch von der Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben schon vor einem Jahr davor gewarnt, dass sich solche Katastrophen abzeichnen. Auch die Kriege Sie haben da nichts gemacht. Die Bilanz ist gleich null. tragen dazu bei. Im Jemen hungern 7 Millionen Men- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: schen, weil es einen brutalen Krieg Saudi-Arabiens ge- Falsch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ gen den Jemen und eine brutale Seeblockade gibt, die 23592 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Heike Hänsel (A) seit zwei Jahren die Hilfslieferungen blockiert. Das ist Ich will auch noch einmal an das Unglück in Bangla- (C) kriminell, was dort passiert. desch – Stichwort „Rana Plaza“ – erinnern. Danach ist dann das Textilbündnis entstanden. Und es folgte auch (Beifall bei der LINKEN) eine öffentliche Debatte in Deutschland über die Fragen: Und was macht die Bundesregierung? Sie hat die Wer zahlt denn eigentlich für unseren Konsum? Und Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erhöht, und die was bedeutet das denn eigentlich? Des Weiteren erinnere Bundeskanzlerin verspricht auch noch der saudi-arabi- ich an den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Men- schen Armee Fortbildungsmaßnahmen und Training hier schenrechte, bei dem es um menschenrechtliche Sorg- bei uns. Das ist eine zynische Politik, und Sie sind mit- faltspfichten in Unternehmen geht, sowie an den Streit, verantwortlich, wenn dort Menschen sterben, wenn Sie den wir insbesondere mit dem Finanzministerium bzw. nichts gegen die Seeblockade Saudi-Arabiens machen mit Herrn Fuchtel hatten. Außerdem erinnere ich an die und stattdessen noch Waffen dorthin liefern. Wir wollen, Debatte um die Handelsverträge. dass diese Waffenlieferungen gestoppt werden. Ja, wir haben hier im Parlament zentral über die (Beifall bei der LINKEN) Flucht- und Wanderungsbewegungen debattiert. Wir alle haben – das ist auch ein Punkt, bei dem ich auf das Parla- Ich habe es bereits erwähnt: Auf dem Kirchentag in ment stolz bin – dafür gesorgt, dass der Entwicklungsetat der nächsten Woche wird es wieder viele wohlfeile Reden deutlich angestiegen ist. Herr Minister, Sie haben mit der geben: für Entwicklung, die Bekämpfung von Fluchtur- Art und Weise, wie Sie Projekte angehen und diese auch sachen, den Stopp von Rüstungsexporten und fairen öffentlich ansprechen, mit dafür gesorgt, dass Entwick- Handel. Aber hier, wo Sie die Entscheidungen treffen, lungspolitik in der Öffentlichkeit einen ganz anderen Fo- machen Sie nichts. Das reicht vielen Entwicklungsorga- kus bekommen hat. nisationen und Friedensorganisationen. Deswegen rufen sie auf, nächste Woche, am 27. Mai, zum Brandenbur- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ger Tor zu kommen. Um 15 Uhr wird es dort eine Frie- denskundgebung gegen Armut, Ausgrenzung und Krieg Ich fnde, das ist positiv. Man darf das auch nicht kriti- geben. Diese Organisationen fordern endlich die Politik sieren. ein, die Sie hier immer nur versprechen. Ich kann nur alle einladen, nächste Woche dort hinzukommen. – Sie sind Ich sage aber auch: Entwicklungspolitik ist weit mit Ihrer Politik gescheitert, Herr Müller! mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit. Entwicklungspolitik darf sich nicht darauf reduzieren lassen, nur Flucht- und Vielen Dank. Wanderungsbewegungen zu bekämpfen. Ich fnde, Ent- (B) wicklungspolitik ist – neben all den Aufgaben, die wir (D) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder haben – auch Friedenspolitik, Zukunftspolitik und globa- [CDU/CSU]: Ha, ha, ha! Die große Lachnum- le Strukturpolitik. Entwicklungspolitik braucht nachhal- mer des Tages!) tige Strategien. Wir brauchen Zeit. Entwicklungspolitik braucht vor allen Dingen auch eine verlässliche Finan- Präsident Dr. Norbert Lammert: zierung. Das Wort hat nun der Kollege Stefan Rebmann für die Damit bin ich mitten drin im Thema Sonderinitiativen. SPD-Fraktion. Mit den Sonderinitiativen – das kritisiere ich auch nicht – (Beifall bei der SPD) wurde ja viel erreicht. Aber: Mit dem stetigen Anwach- sen der Sonderinitiativen haben wir in vielen anderen Bereichen – insbesondere bei den Durchführungsorgani- Stefan Rebmann (SPD): sationen – für erhebliche Schwierigkeiten gesorgt. Das Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- ging so weit, dass eine ganze Reihe von Projekten nicht men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mehr durchgeführt werden konnte. Ich fnde, das war ein will zu Beginn meiner Rede den zahlreichen Mitarbeite- großer Fehler. Das müssen wir ändern. Wir müssen die rinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen Sonderinitiativen auf ein erträgliches Maß zurückfüh- im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar- ren, damit wir wieder mehr Geld für unsere eigentlichen beit und Entwicklung, für die geleistete Arbeit – auch für Kernaufgaben geben können. die Erstellung dieses Berichtes – danken. (Beifall bei der SPD) Wir debattieren ja über die Frage: Was hat uns in den vergangenen Jahren hier bewegt? Der Herr Minister hat Noch einen weiteren Punkt will ich ansprechen. ja schon auf das eine oder andere hingewiesen. Ich erin- Ich fnde es gut, wenn bei jeder Gelegenheit – Sie ha- nere an die Ebolakrise und in dem Zusammenhang auch ben es hier ja wieder gemacht, Herr Minister – soziale, an das Stichwort „Gesundheit“. Das wird ja auf dem G‑7- menschenrechtliche und ökologische Standards bzw. und dem G‑20-Gipfel eine große Rolle spielen. Mir ist Mindeststandards in den globalen Lieferketten einge- schon wichtig, noch einmal zu sagen, dass wir hier im fordert werden. Es gibt mir dann aber zu denken, dass Parlament über alle Fraktionen hinweg vehement dafür Sie Handelsabkommen mit Afrika unterzeichnet haben, gekämpft haben, dass mehr fnanzielle Mittel in den Ge- die keinerlei wirksame Fördermaßnahmen bzw. entwick- sundheitsbereich gesteckt werden bzw. dass der GFATM lungspolitische Maßnahmen beinhalten, und dass Sie deutlich aufgestockt wird. gleichzeitig bei der Vorstellung des Marshallplans diese Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23593

Stefan Rebmann (A) Entwicklungspartnerschaften mit Afrika wieder kritisie- uns die entwicklungspolitische Richtlinie. Sie sollten ihn (C) ren. Das gibt in Gänze keinen Sinn. einmal lesen; denn dort steht viel Interessantes für Ihre Arbeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Bericht fordert zum Beispiel eine verstärk- te internationale Arbeitsteilung und eine Reduzierung Abschließend – weil meine Zeit abläuft – möchte ich auf wenige Partnerländer. Auch Sie sagen ständig: Das sagen: Dieser entwicklungspolitische Bericht enthält Gießkannenprinzip muss weg. – Tatsächlich hat sich die eine gute Analyse und eine gute Beschreibung, ist mir Anzahl der Partnerländer erhöht, genauso wie die Anzahl aber in den Maßnahmen viel zu unkonkret. der Themen, die Sie in den einzelnen Ländern aufgreifen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Bericht fordert das Erstellen eines ressortübergrei- NEN]: Widersprüchlich!) fenden Konzepts für Politikkohärenz. Wir müssen jedoch heute feststellen, dass wir uns von der Kohärenz immer Als Fußballer sage ich: Eine ordentliche Mannschaftleis- weiter entfernen, anstatt dass wir uns ihr annähern. tung, aber der Kapitän rennt leider viel zu oft ins Abseits und erzielt mehr Lattentreffer als Tore. Ein weiteres Pro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) blem ist, dass er einen Mitspieler aus dem Schwarzwald hat, der gerne Messi wäre, aber leider nur über die techni- Der Bericht fordert mehr Transparenz, eine Beendigung schen Möglichkeiten eines Berti Vogts verfügt. der Lieferbindung und eine stärkere Konzentration der ODA-Mittel auf die ärmsten Länder, auf fragile Staaten. Herzlichen Dank. Aber Sie haben zugunsten der Middle Income Countries (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) umgeschichtet. Das ist kein Erfolg. Des Weiteren wollten Sie den Welthunger mit grünen Präsident Dr. Norbert Lammert: Zentren bekämpfen. Sie behaupten, die textile Lieferkette Na ja, gut. – Uwe Kekeritz ist der nächste Redner für durch Ihr Textilbündnis auf ein nie dagewesenes Niveau die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. zu verbessern. Es geht aber noch toller: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wollen Sie durch Ihren Marshallplan vom Kopf auf die Füße stellen. Herr Minis- Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ter, als guter Katholik sollten Sie bitte schön die Kirche Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! im Dorf lassen. Ihre Ansätze sind weder neu noch inno- Herr Minister Müller, Sie haben Ihren Bericht zuerst der vativ. Ihr Marshallplan hat nichts mit Marshall zu tun. Presse und einen Tag später dem Parlament vorgelegt. Sie sollten ihn eher Washington Consensus II nennen. Jetzt könnte man sagen: Was kommt er da mit solchen (B) Das würde aber keiner verstehen. Deshalb nennen wir (D) Lappalien? Was soll denn das Ganze? – Aber, Herr Mi- ihn besser Müller-Plan. Dieser wird aber von der DIHK, nister, Regieren und der Umgang mit dem Parlament dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, der Zivilge- haben sehr viel mit Stilfragen zu tun. Ihr Prinzip „Das sellschaft und der Wissenschaft rundweg abgelehnt. Um Parlament kann sich ja über die Presse rechtzeitig infor- nur einen Kritikpunkt dieses Plans zu nennen: Der Plan mieren“ ist völlig daneben. erweckt falsche Vorstellungen. Das musste die Kanzlerin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schmerzhaft erfahren, als sie im Niger den Präsidenten und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten besuchte, der von Ihrem Marshallplan gehört hatte. Der der SPD) Präsident sagte tatsächlich: Wie wäre es denn mit 1 Mil- liarde? Die könne er gut gebrauchen. – Die Kanzlerin hat Mit solchen Kapriolen, Herr Müller, belegen Sie, dass dann 17 Millionen Euro zugesagt. Sie das Prinzip „Good Governance“ nicht wirklich ernst nehmen. Während Sie in der ganzen Welt von Land zu (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Land fahren und gute Regierungsführung einfordern, NEN) ignorieren Sie zu Hause die Rechte des Parlaments. Ich Die Förderung der Privatwirtschaft ist nun wirklich halte das für unglaubwürdig. nicht Ihre Erfndung, sondern ist schon immer Bestand- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewesen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Immer Sie haben Entwicklungspolitik immer in erster Linie von euch bekämpft!) als PR-Arbeit verstanden; der Kollege Rebmann hat be- Das sollten auch Sie von der SPD sich einmal zu Herzen reits darauf hingewiesen. Das belegt auch Ihr Bericht. nehmen. Ihre damalige Ministerin hat in diese Richtung Was Sie in diesem Bericht präsentieren, hat oftmals schon längst gearbeitet. Sie sollten sich nicht vorgaukeln märchenhafte Züge. Anstatt eine ehrliche Bilanz nach lassen, dass das eine neue Erfndung ist. professionellen Standards vorzulegen, schreiben Sie im Plauderton über einzelne Projekte, garnieren dies mit Private Investitionen werden natürlich auch von uns unwichtigen geografschen Fakten und erklären den Le- gefordert. Sie müssen allerdings bestimmte Kriterien serinnen und Lesern, dass alles wunderbar ist und dass erfüllen, die in Deutschland selbstverständlich sind. Die vor allen Dingen alles völlig neu ist. Sie haben sich auf Rahmenbedingungen für die Investitionen werden von den rund 200 Seiten des Berichts gerade einmal auf einer den SDGs defniert. Lesen Sie doch einfach einmal den halben Seite des DAC Peer Reviews angenommen. Sie Grünenantrag zum Thema „Globale Investitionen gestal- wissen, welche Bedeutung dieser Review hat. Er ist für ten“. Darin steht viel, wie man es richtig macht. 23594 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Uwe Kekeritz (A) Ihre Konzepte, von der Afrika-Strategie über die Zu- müssen. Wann haben Sie jemals gegen Waffenlieferun- (C) kunftscharta bis zum Marshallplan – das ist eine Kritik, gen, zum Beispiel nach Saudi-Arabien, gestimmt? die Sie sich wirklich zu Herzen nehmen sollten –, wur- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den nicht im Kabinett abgestimmt. Aber das macht ei- und bei der LINKEN) nem PR-Strategen natürlich nichts aus. Hauptsache, man kommt groß in die Medien. Herr Müller, Sie sind nicht Sie hätten den Umwelt- und Menschenrechtsschutz teamfähig. bei Investitionen entlang der Lieferkette gesetzlich ver- ankern müssen. Sie haben das nicht einmal versucht. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das Über Strukturpolitik reden, aber nichts machen, ist Ihre sehen wir ganz anders! – Michael Grosse- Stärke. Damit zeigen Sie auch, dass Ihre vermeintlichen Brömer [CDU/CSU]: Das klingt ein bisschen Fluchtursachenbekämpfungsmaßnahmen nur ein Lip- neidisch!) penbekenntnis sind. Deutschland und die EU verlagern Ihre Einmannshow hat inzwischen weitreichende Fol- lieber die europäischen Grenzen nach Afrika, auch wenn gen; denn die Gelder – Kollege Rebmann hat darauf hin- dafür skandalöse Verträge mit Diktatoren notwendig gewiesen –, die Sie medial wirksam in Ihre Sonderinitia- werden. tiven pumpen, fehlen an anderer Stelle schmerzhaft. Wir diskutieren heute einen wirklich mageren Bericht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine magere Bilanz. Wie mager diese Bilanz ist, können Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen. Dort ha- Die GIZ, aber auch viele NGOs leiden unter der Umlen- ben wir allerdings nur die wichtigsten Kritikpunkte auf- kung dieser Mittel. Gut funktionierende Projekte müs- geführt. sen eingestampft werden. Sie opfern gute Projekte Ihren medialen Zielen. Sorry, Herr Müller, da haben Sie etwas (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann in der Entwicklungspolitik völlig falsch verstanden. Die sind wir ja schnell fertig!) geht nämlich anders. Mein Blick geht jetzt zur Regierungsbank. Herr Mi- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nister, das erinnert mich irgendwie an Jim Knopf und SES 90/DIE GRÜNEN) Lukas den Lokomotivführer. Sie wissen, beide haben Auch mit Ihren Äußerungen zur Handelspolitik ha- lange gebraucht, bis sie das Problem mit dem Scheinrie- ben Sie landauf, landab richtig Furore gemacht. Aber sen erfasst haben. Ihre Zeit ist abgelaufen. Wir haben den wo waren Sie denn, als diese Handelsverträge in Brüssel Scheinriesen Müller entdeckt, und wir wissen auch, was unterschrieben wurden? Ich habe es ganz vergessen: Sie dahintersteckt. Nach fast vier Jahren ist Ihr Zauber vor- waren am Verhandlungstisch. Da hat die Kollegin Hänsel bei. – Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Sie ha- (B) völlig recht. ben sehr hoffnungsvoll mit viel grüner Rhetorik begon- (D) nen. Sie hatten am Anfang auch die grüne Unterstützung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Am wenigsten wurden Sie von Ihrer Fraktion unterstützt. Wie wollen Sie den Menschen im Land erklären, wa- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was rum Sie sich in Ihren Hochglanzbroschüren seitenweise Sie alles wissen! Unglaublich!) über fairen Handel auslassen, um dann in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich nichts zu machen? Auch Ihrem Jetzt stellen wir fest, dass die letzten vier Jahre entwick- Haus ist schon längst klar, dass diese Verträge für Afrika lungspolitisch leider verloren sind. Man muss sagen: schädlich sind. Ich meine nicht nur, aber auch Milchpul- Diese Zeit haben wir nicht mehr. ver, Hähnchenteile, eingedoste Tomaten und, und, und. (Zurufe von der CDU/CSU) Das alles sind Produkte, die die afrikanischen Länder selbst herstellen können, es sei denn, sie werden durch Präsident Dr. Norbert Lammert: Handelsverträge, die Sie mitverantworten, genötigt, ihre Herr Kollege! Grenzen für diese Produkte zu öffnen. Dann haben die afrikanischen Länder keine Chance mehr. Damit zer- stören Sie den größten und wichtigsten Sektor in diesen Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ländern, nämlich die Landwirtschaft. Wir haben keine Zeit mehr, um sie einfach zu verspie- len. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Mit der Damit fördern Sie – das müssen Sie wissen, Herr Mi- Rede kommen Sie unter 5 Prozent!) nister – wissentlich den Fluchtdruck von Millionen von Menschen. Ein Stopp der EPAs wäre effektive Fluchtur- Es gilt, zu handeln, nicht nur zu reden. sachenbekämpfung, die Ihnen angeblich so wichtig ist. Danke. Wenn Ihnen aber wirklich daran gelegen ist, hätten Sie als deutscher federführender Minister in Brüssel Verbes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) serungen einbringen müssen und können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Wie haben Sie sich überhaupt im Kabinett oder im Dagmar Wöhrl das Wort. Bundessicherheitsrat eingebracht? Sie hätten zum Bei- spiel eindeutig gegen Rüstungsexporte Stellung nehmen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23595

(A) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): hat. Andere waren noch weit davon entfernt. Wir haben (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hier von Anfang an den richtigen Akzent gesetzt. weiß nicht, lieber Uwe Kekeritz, wer dir das aufgeschrie- (Beifall bei der CDU/CSU) ben hat. Wir haben innovative Instrumente wie Cash for Work (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – genutzt. Wir haben Sonderinitiativen wie „EINEWELT Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ohne Hunger“ gestartet, die sehr erfolgreich sind. Es NEN]: Selber geschrieben!) gibt inzwischen über 14 Innovationszentren auf der Vielleicht solltest du dein Redemanuskript in der Zukunft Welt, Tendenz steigend. Wir haben auch erkannt, dass vorher richtig durchlesen. Das bist nicht du; so redest du die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungspolitik und normalerweise auch nicht. Sicherheitspolitik im Rahmen eines vernetzten Ansatzes wichtig ist und die Trennung, die über viele Jahre hinweg (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – aus ideologischen Gründen vollzogen worden ist, aufge- Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hoben werden musste. NEN]: Doch! Entschuldigung! – Stefan Rebmann [SPD]: Doch! Ich kann es bestäti- Wir sind den richtigen Weg gegangen. Das wird vor al- gen! Im Ausschuss redet der so!) lem daran deutlich, dass inzwischen 1,5 Milliarden Men- schen in fragilen Staaten leben. Diese Menschen haben Bleib identisch, wenn du hier sprichst. Ich habe dich jetzt fast keine Gesundheitsversorgung. Die Kinder können zwei Legislaturperioden im Ausschuss erlebt und muss nicht zur Schule gehen; sie sind von Bildung weitgehend feststellen: Der andere Uwe Kekeritz ist mir viel lieber. abgeschnitten. Diese Menschen haben keine Perspekti- ve für sich und auch keine Perspektive für ihre Kinder. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Sie haben täglich Angst vor Übergriffen. Sie fragen nicht CDU/CSU) nach Ideologien. Sie wollen Hilfe von der internationalen Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine erste ent- Gemeinschaft, und sie wollen auch Hilfe von uns. wicklungspolitische Rede im Bundestag hielt ich 2010 Als ich angefangen habe, mich im Deutschen Bun- in einer Haushaltsdebatte. Thema damals waren die destag mit der Entwicklungspolitik zu beschäftigen – ich Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die war vorher im Bereich der Wirtschaftspolitik tätig –, Entwicklungsländer. Die Weltbank hatte gerade veröf- habe ich gemerkt, dass starke rote Linien gezogen wor- fentlicht, dass die Zahl der ärmsten Menschen der Welt den sind, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Pri- bei 64 Millionen liegt, dass es 43,7 Millionen Flüchtlinge vatwirtschaft ging. Ich bin froh, dass wir erkannt haben, gibt und 49 000 Opfer von gewaltsamen Konfikten. Da- (B) dass wir allein mit öffentlichen Mitteln unsere Ziele nicht (D) mals wurden die Entwicklungspolitiker noch als eine Art erreichen können. Wir können die Ziele der Agenda 2030 Exoten mit der Ethik von Gutmenschen betrachtet. Heu- nicht nur mit Steuermitteln erreichen; wir brauchen dazu te ist es so, dass die Entwicklungspolitik die Tagesord- die Privatwirtschaft. Deswegen ist es richtig, dass sich nungspunkte internationaler Zusammenkünfte bestimmt, der Minister dieser Sache mit seinem Marshallplan mit etwa bei Treffen der G 20. Die Entwicklungspolitik steht Afrika angenommen hat und die Privatwirtschaft mit ins im Mittelpunkt des Geschehens bei internationalen Ver- Boot geholt hat. handlungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben gelernt, dass die Herausforderungen leider nicht kleiner geworden sind, sondern viel größer. Man Er hat die Privatwirtschaft aber nicht nur mit ins Boot hat das Gefühl, im Modus einer Dauerkrise zu sein: Die geholt, er nimmt sie in der Zukunft auch mit in die Ver- Flüchtlingszahlen sind von damals 43,7 Millionen auf antwortung. 65 Millionen gestiegen. Ein El Niño hat in Äthiopien Wir konzentrieren uns auf viele neue Felder. die stärkste Dürrekatastrophe seit 50 Jahren hervorgeru- fen. Die Hungerkrise als Folge von Konfikt und Gewalt (Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei steigt so an, dass 50 Millionen Menschen allein im Osten Monsanto!) und im Süden von Afrika auf Nahrungsmittelhilfe ange- Wir haben erkannt: Mit dem Gießkannenprinzip, das die wiesen sind. Uns droht, dass allein durch den Klimawan- Entwicklungspolitik über viele Jahrzehnte hinweg ge- del bis 2050 über 200 Millionen Menschen auf der Flucht prägt hat, hat man nicht die Ergebnisse erzielt, die man sein werden. erzielen wollte. Wir müssen uns auf wichtige Themen Diese Zuspitzung der Krisen in einer ganz neuen Di- konzentrieren. Eines dieser wichtigen Themen ist Bil- mension hat uns gezwungen, schnelle Reaktionen zu dung; das hat der Minister vorhin zu Recht angespro- zeigen, zum Beispiel mit der Versorgung der Flüchtlinge chen. Deswegen ist es wichtig, dass wir Deutsche ver- rund um Syrien und mit der Stabilisierung der Gemein- suchen, unsere Kompetenzen, die wir haben, in anderen den in den Nachbarländern rund um Syrien. Wir haben Ländern zu implementieren, durch unsere Politik, durch unser Engagement vor Ort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) verhindert, dass ganze Regionen dort in Brand geraten sind, und haben hier langfristig die richtigen Prioritä- wie die duale Ausbildung. In diesem Bereich sind wir gut, ten gesetzt. Es war richtig, dass der Minister gleich am da sind wir Weltmeister. Deswegen fördern wir Berufs- Anfang dieser Legislaturperiode das Thema „Flucht und bildungszentren überall auf der Welt, wo es möglich ist, Vertreibung“ in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt um jungen Menschen, die in ihren Ländern hoffnungslos 23596 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dagmar G. Wöhrl (A) sind und keine Perspektiven haben, die Möglichkeit zu oder anderen Funktion. Der Entwicklungszusammenar- (C) geben, dort einen Job zu fnden. beit werde ich auf jeden Fall erhalten bleiben. Ich bin froh, dass wir es in den letzten vier Jahren Ein Dank geht zum Schluss an die vielen feißigen geschafft haben, von dem Gedanken wegzukommen, Helfer. Das darf ich zum Schluss, Herr Präsident, viel- dass die Entwicklungsländer Nehmerländer sind. Das ist leicht noch sagen. wichtig. Wir können nicht sagen: Ihr, die Entwicklungs- länder, seid die Nehmerländer, und wir sind die Besser- (Heiterkeit) wisser. – Das ist falsch. Ich bin froh, dass das erkannt – Das muss ich noch sagen. worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Norbert Lammert: ordneten der SPD) Sie hatten vor geraumer Zeit einen letzten Satz ange- Wir sprechen von Partnerschaft auf Augenhöhe, aber kündigt, Frau Kollegin. wir fordern auch ein. Wir geben den Entwicklungslän- dern nicht nur Geld, sondern sagen ihnen auch, dass sie Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Eigeninitiativen entwickeln müssen, dass sie auch Eigen- verantwortung zeigen müssen, dass sie ihre Aufgaben Ja, aber das gestehen Sie mir heute zu. – Ich möchte machen müssen; ansonsten können sie von uns in der Dank sagen an die vielen Saaldiener, die uns immer sehr, Zukunft keine Hilfe mehr erwarten. sehr nett und freundlich betreuen, an die Stenografen und an die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes, also an die vielen Fleißigen, die hinter den Kulissen tätig sind Präsident Dr. Norbert Lammert: und die man im Fernsehen oft nicht sieht. Frau Kollegin. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie bleiben uns doch bei VOX erhalten, Frau Wöhrl!) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde ermahnt. – Das stimmt, aber leider nicht hier. – Ein Dankeschön Deswegen höre ich jetzt auch auf. Ich war ja immer an- auch an meine Wählerinnen und Wähler, dass ich hier ständig und brav. sein durfte! Viele von Ihnen wissen, dass ich nicht mehr für den (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutschen Bundestag kandidieren werde. Ich nehme an, NEN]: Na ja, jetzt geht es aber zu weit!) (B) dass dies nach 23 Jahren meine letzte Rede sein wird. (D) Ich habe nicht gezählt, wie viele Reden ich im Deutschen Vielen Dank. Bundestag gehalten habe, nicht in Bonn und auch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- hier in Berlin. Aber ich habe eines erlebt: Wir hatten im- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des mer eine sehr faire Streitkultur. Dafür möchte ich mich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ganz herzlich bedanken. Wir haben uns gekabbelt, aber hatten immer auch Respekt vor der Meinung des anderen und haben das immer auch ausgedrückt. Ich möchte mich Präsident Dr. Norbert Lammert: bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für Ich gebe diesen Dank gerne zurück, Frau Kollegin die Zusammenarbeit bedanken. Diese Streitkultur wird Wöhrl, verbunden mit allen guten Wünschen für die mir fehlen; das ist ganz klar. Ich bin damals vor 23 Jahren weitere Zukunft. Ich bitte nur um Berücksichtigung des als Quereinsteigerin in die Politik gekommen. Das war folgenden Zusammenhangs: Wir werden in den wenigen zu einer Zeit, als viele Kollegen noch gedacht haben, die verbleibenden Plenardebatten häufger vergleichbare Frauen wären am besten im Familienausschuss und im Konstellationen haben, dass Kolleginnen und Kollegen Gesundheitsausschuss aufgehoben. Ich war damals als zum letzten Mal in diesem Hohen Hause das Wort ergrei- erste Frau im Wirtschaftsausschuss ein Exot. fen. Das verfolgen wir alle mit ganz besonderem Res- pekt. Es wäre zu schön, wenn die bei dieser Gelegenheit Präsident Dr. Norbert Lammert: vorgesehenen persönlichen Worte in der Nähe der Rede- zeit untergebracht werden könnten. Frau Kollegin. (Heiterkeit) (CDU/CSU): Dagmar G. Wöhrl Ansonsten bringt das den jeweils amtierenden Präsiden- Ich bin meinen Weg gegangen. ten in die Schwierigkeit, zwischen der Gewissensfreiheit Vielleicht noch ein Satz zum Schluss: Der Gerichtshof der Abgeordneten und der vom Plenum des Bundestages meiner politischen Verantwortung war immer mein per- beschlossenen Gesamtredezeit zum jeweiligen Tagesord- sönliches Gewissen, wie es auch das Grundgesetz vor- nungspunkt einen vertretbaren Mittelweg zu fnden. schreibt. Ich sage immer: Eine Partei mag Orientierung Der nächste Redner ist der Kollege Movassat, bei dem sein – das ist vielleicht mein letzter Satz –, aber sie kann dieses Problem hoffentlich nicht auftritt. das eigene Gewissen nicht ersetzen. Das möchte ich hier noch einmal sagen. Ich hatte immer Freude daran, zu ge- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. stalten. Das werde ich auch weiterhin tun, in der einen Birkwald [DIE LINKE]: Der kommt wieder!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23597

(A) Niema Movassat (DIE LINKE): sen Sie in Ihrem Plan nur schwammig auf die deutsche (C) Ich mache weiter. – Herr Präsident! Meine Damen Wirtschaft. Aber eigentlich passt dieser Verweis; denn und Herren! Die Abschiedsworte dauerten fast so lange Ihr Plan zielt auf die Interessen der deutschen Export- wie meine vier Minuten Redezeit. Ihnen alles Gute, Frau wirtschaft. So sprechen Sie vordergründig davon, dass Wöhrl! die Investitionsbedingungen in den Ländern des Südens verbessert werden sollen. Aber was bedeutet das? Das Herr Müller, eines muss ich Ihnen tatsächlich lassen: bedeutet am Ende doch wieder, dass die Entwicklungs- Sie haben wirklich einen sehr guten Redenschreiber. Er länder, die eine solide Umwelt- und Sozialgesetzgebung hat dafür gesorgt, dass Sie in dieser Legislaturperiode oft haben, die also ihre Umwelt schützen und die Rechte der den richtigen Ton getroffen haben. Da sagten Sie dann Arbeiter verankert haben, diese Regeln abbauen sollen. Dinge, die wir Linken auch sagen, zum Beispiel, dass der In dieser Logik bekommt das Land Investitionen, das reiche Teil der Welt nicht auf Kosten der Armen leben die niedrigsten Standards hat, und ein Wettbewerb nach darf. unten entsteht. So bekämpft man keine Armut. So kann (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Entwicklungspolitik nicht funktionieren. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Aber das Problem ist: Sie haben in den letzten vier Jahren neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) eine komplett gegenteilige Politik betrieben. Zum dritten Punkt Ihrer praktischen Politik. Sie sagen, (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE Sie wollten eine Welt ohne Hunger. Gleichzeitig fördern LINKE]) Sie aber mit Entwicklungsgeldern die Verbreitung von Monokulturen, Pestiziden, chemischen Düngemitteln Ihre Entwicklungspolitik war eben nicht nachhaltig. und patentiertem Saatgut. Ihre Entwicklungspolitik, Statt schöner Worte hätten wir Linke uns gute Taten ge- Herr Müller, spielt den Türöffner für Unternehmen wie wünscht. Bayer-Monsanto und BASF. Damit zerstören Sie die (Beifall bei der LINKEN) Existenz von Kleinbauern und machen sie abhängig von Agrar­konzernen. Sie schaffen damit Hunger. Wir brau- Schauen wir uns die realen Ergebnisse Ihrer Politik chen eine Entwicklungspolitik, die Kleinbauern unter- an. stützt und nicht die Profte der Agrarkonzerne vermehrt. Erstens. Sie bekämpfen Flüchtlinge, nicht die Flucht- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ursachen. Die GIZ, die Durchführungsorganisation der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) deutschen Entwicklungspolitik, arbeitet im Sicherheits- (B) bereich in Ihrem Auftrag mit Diktaturen wie dem Sudan Viertes Beispiel für „große Worte und nichts dahinter“ (D) und Äthiopien zusammen. Ihr Motto lautet: Hauptsache, ist das Textilbündnis. Wo ist denn am Ende Ihrer Amts- es füchtet niemand mehr nach Deutschland. Hätten Sie zeit der versprochene „Grüne Knopf“ für fair und nach- doch nur wirklich etwas gegen die Fluchtursachen getan, haltig produzierte Textilien? zum Beispiel, indem Sie in der Bundesregierung laut und (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- klar Ihre Stimme gegen die neoliberalen und entwick- NEN]: Den will ich gar nicht haben!) lungsfeindlichen EU-Freihandelsabkommen mit Afrika erhoben hätten oder indem Sie endlich die Steuerfucht Sie sind vor der Textillobby eingeknickt. Jedes Unterneh- deutscher Konzerne aus den Ländern des Südens einge- men darf jetzt machen, was es freiwillig machen möchte. dämmt hätten! Das ist ein schlechter Witz. Herr Müller, Ihre Bilanz ha- ben Sie mit dem wohlklingenden Titel „Entwicklungspo- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter litik als Zukunfts- und Friedenspolitik“ versehen – mal Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wieder schöne Worte. Der passende Titel für die Bilanz Gerade Letzteres ist wichtig, weil man im Kampf ge- wäre aber „Entwicklungspolitik als Phrasendrescherei gen Fluchtursachen natürlich auch Geldmittel braucht. und Außenwirtschaftsförderung“. Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonational- Danke für die Aufmerksamkeit. einkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aus- zugeben, haben Sie nun offziell erreicht. Aber wir alle (Beifall bei der LINKEN) wissen, dass diese 0,7 Prozent auf einem Trick beruhen: Sie haben die Kosten für die Unterbringung der Flücht- linge hier in Deutschland mit eingerechnet. Davon haben Präsident Dr. Norbert Lammert: die Menschen im globalen Süden genau 0 Prozent. Diese Die Kollegin Weber erhält nun für die SPD-Fraktion Zahlenspiele sind peinlich. das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum zweiten Punkt Ihrer praktischen Politik. Sie ha- ben einen sogenannten Marshallplan vorgestellt. Er ist aber eine reine Mogelpackung. Der historische Marshall- Gabi Weber (SPD): plan brachte nach heutigen Verhältnissen umgerechnet Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- die Summe von 130 Milliarden Dollar auf. Ihr Mar- nen und Kollegen! Für alle, die ihn noch nicht gesehen shallplan umfasst 0 Dollar. Beim Thema Geld verwei- haben: Das ist der entwicklungspolitische Bericht. Für 23598 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Gabi Weber (A) alle diejenigen, die auf den Tribünen sitzen: Den kann Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung sind (C) man sich auch beschaffen. nur in einem vernetzten Ansatz erreichbar. Die neuen Leitlinien der Bundesregierung zu Krisenvorbeugung (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber der gibt und Friedensförderung wie auch das Weißbuch tragen nicht so viel her, ehrlich gesagt! Schöne Bil- dem Rechnung. Nur, Herr Minister: Der Marshallplan der!) für oder mit Afrika folgt dem Gebot dieser engen Ab- – Na ja. stimmung nicht. Sie haben ihn alleine gemacht und dann im Kabinett vorgelegt. Das ist keine Abstimmung im Die Bundesregierung legt mit diesem Bericht Rechen- Sinne vernetzter, vernünftiger Arbeit, die wir dringend schaft über die Arbeit der letzten vier Jahre ab. Diese Zeit brauchen. war von der Gleichzeitigkeit großer Krisen geprägt – Kriege, Flucht, Ebola und Hunger –, und alle haben Aus- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirkungen auf unsere Entwicklungsarbeit. Es geht jetzt DIE GRÜNEN) darum, mit welcher Politik wir die 2015 beschlossenen Noch etwas, weil ich gerade beim Thema Afrika bin. 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen wollen, Im Bericht wird verkündet: in der Welt, aber auch bei uns zu Hause. Der Einsatz auf EU-Ebene für eine entwicklungs- In meiner nun bald vierjährigen Doppelrolle als Ent- freundliche Ausgestaltung aller EU-Handels- und wicklungs- und Verteidigungspolitikerin stand für mich Investitionsabkommen mit Entwicklungs- und ge- das Thema Sicherheit oft im Fokus. Dabei ist Sicherheit genüber Drittländern im Sinne der Agenda 2030 ist aber mehr als nur militärisch-polizeiliche Sicherheit. So- ein zentrales deutsches Anliegen. ziale Sicherheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Er- nährungssicherheit und die vor- und nachsorgende Frie- Ja, aber wenn es Ihnen damit ernst ist, Herr Minister, so densarbeit sind die zweite Seite derselben Medaille. wie Sie es im Januar im Ausschuss vorgetragen haben, dann sollten Sie die jetzt vorliegenden EPAs nicht mitbe- (Beifall bei der SPD) schließen, sondern Hand in Hand mit uns ablehnen. Unser Ziel ist eine umfassende menschliche Sicherheit, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- die die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben bil- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- det und damit zugleich Konfikten vorbeugt. NEN) „Entwicklungschancen fördern, Fluchtursachen min- Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir uns bei dern und Frieden sichern“, so stellt der Bericht klar, dass der ODA-Quote nichts vormachen sollten. Die 0,7 Pro- (B) Entwicklungspolitik gerade die strukturellen Ursachen zent erreichen wir nur dadurch, dass die Kosten für (D) von Fragilität und Flucht wie das Versagen staatlicher In- die Gefüchteten bei uns angerechnet werden. Das ist stitutionen, Armut, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit und OECD-konform. Wenn man das aber abzieht, dann sind Klimawandel nur mittel- und langfristig mindern kann. wir bei 0,52 Prozent. Ja, das ist eine gewaltige Steige- Das ist das Kerngeschäft von Entwicklungspolitik und rung in den letzten drei Jahren; aber wir müssen aufpas- nicht überhastete Feuerwehreinsätze und Sonderinitiati- sen, dass wir das Ziel von 0,7 Prozent im Blick behal- ven. ten. Noch ein Hinweis: Die multilateralen ODA-Mittel sind zugunsten der bilateralen Zusammenarbeit massiv (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula verringert worden. Das bringt uns aber nicht weiter. Wir Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen mit starken Partnern weltweit multilateral zu- NEN]) sammenarbeiten. Das muss unser Ziel sein, um die Agen- Es freut mich, dass die Rolle von Frauen bei der Frie- da 2030 mit Leben zu erfüllen. denssicherung und der Entwicklung in dem Bericht ge- Danke. würdigt wird. Frauen sind starke Akteure, aber leider oft auch Opfer. Beides muss berücksichtigt werden. Die Um- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula setzung der UN-Resolution 1325 durch unseren zweiten Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nationalen Aktionsplan ist damit auf einem guten Weg. NEN]) (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine friedensorientierte Politik schließt auch eine Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungs- die CDU/CSU-Fraktion. politik mit ein. (Beifall bei der CDU/CSU) Diesen Satz in dem Bericht kann jeder von uns, denke ich, voll unterschreiben. Ihn umzusetzen, Herr Müller, Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): heißt dann aber auch, dass das BMZ und alle beteiligten Ressorts sich diesen bei ihren Entscheidungen zu eigen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In machen müssen. meinem Wahlkampffyer aus dem Jahr 2002 stand sinn- gemäß: Ich möchte gerne Entwicklungspolitik machen, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula weil ich helfen möchte, die Lebensumstände der Men- Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen vor Ort zu verbessern, damit sie ihre Heimat nicht NEN]) verlassen müssen. – Man kann sagen: „Das war weit- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23599

Sibylle Pfeiffer (A) sichtig, vorausschauend“, vielleicht auch: „Warst du eine die Frauen in Arbeit. Dieser Prozess ist langwierig, und (C) Hexe? Was hast du damals gesehen?“. Keine Ahnung, dafür brauchen wir Geduld. Das ist es auch, was wir in aber seit 2002 habe ich drei Entwicklungsminister er- der Entwicklungspolitik überhaupt brauchen: einen lan- lebt – eine Entwicklungsministerin, zwei Entwicklungs- gen Atem, viel Geduld und viel Mut. minister –, und wenn ich den entwicklungspolitischen Bericht, den wir heute hier diskutieren, betrachte, dann Wir werden als Nächstes vor der großen Herausforde- ist das, was wir jetzt nach vier Jahren Minister Müller rung der Energieversorgung in den sich entwickelnden vorlegen, das, was ich mir unter nachhaltiger, weitsich- Ländern stehen. Das wird eines der Hauptprobleme sein: tiger, vorausschauender und effzienter Entwicklungspo- Wie bekommen wir die industrielle Entwicklung in den litik vorstelle. Ländern, vor Ort, hin, ohne dass wir Industrialisierungs- mechanismen in Gang setzen, wie wir sie hatten, aber (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel heute zum Glück nicht mehr haben? Wir brauchen dort [DIE LINKE]: Ja, das ist auch keine Kunst!) andere Mechanismen, um eine Entwicklung mit einer an- – Das ist keine Kunst? deren Form der Energieversorgung hinzukriegen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Vergleich Das Thema Klima. Der Klimawandel ist in den Län- zu Niebel!) dern, in denen wir tätig sind, eigentlich das große Thema überhaupt. Es geht hier um eine weltweite, internationa- Ich möchte gar nicht daran denken, was vorher geleistet le Aufgabe, eine Aufgabe der internationalen Gemein- worden ist, also bitte. schaft. Dem müssen wir uns stellen, da müssen wir mit- Es ist offensichtlich doch eine Kunst, weil es weg- machen, und wir werden es auch hinkriegen, wenn wir weisend war, wie weise, klug und weitsichtig als Erstes uns ordentlich einsetzen. die Sonderinitiativen in Gang gesetzt worden sind – Ich glaube, es ist richtig und gut, dass wir die Ent- „­EINEWELT ohne Hunger“, „Stabilität und Entwick- wicklungspolitik aus der Ecke herausgeholt haben, in der lung in Nordafrika und Nahost“, „Fluchtursachen be- das Weltverbesserertum und auch der Altruismus über- kämpfen“ –, lange bevor sich die Probleme überhaupt handnahmen. Wir sind in der Realität angekommen. Ent- erst stellten. Es ist auch weitsichtig, klug und weise, ein wicklungspolitik muss realitätsnah sein, muss gewissen Textilbündnis mit Empathie und Engagement voranzu- Anforderungen genügen, muss sich daran orientieren, bringen. Das hat unser Minister in den Medien, in der welche Notwendigkeiten bestehen und wie man die Auf- Öffentlichkeit, in der Gesellschaft vorgestellt, und das gaben vor Ort mit unseren Partnern erledigen kann. Das war es, was uns fehlte. ist das, was wir in Zukunft viel mehr brauchen: nicht sa- Jawohl, wir gehören in die Mitte der Politik. Wir sind gen, wie es besser geht, sondern die Länder mitnehmen, (B) ein Teil der guten Außenpolitik, die Deutschland an sich vor allen Dingen nicht nur an ihre Eigenverantwortung (D) macht. Aber machen wir uns nichts vor, liebe Freunde: appellieren, sondern sie auch massiv einfordern – auch Ich habe das Gefühl, dass wir immer suggerieren, wenn mit Druck –, Unterstützung nur unter gewissen Voraus- wir erst einmal genug Geld hätten, wäre alles in Ord- setzungen leisten, zum Beispiel unter der Voraussetzung, nung. Für uns sind 0,7 Prozent das Mantra. dass die Länder auch ihre eigenen Gelder, ihre eigenen Ressourcen, ihre eigenen materiellen Fähigkeiten, ihre (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eigenen geistigen Fähigkeiten einsetzen. Wir brauchen NEN]: Also, wir machen das nicht!) dabei den Einsatz der Länder, sonst können wir nicht ge- Haben wir erst einmal 0,7 Prozent erreicht, dann ist die meinsam reüssieren. ganze Welt in Ordnung. Wir suggerieren auch, Deutsch- Was der Entwicklungspolitiker der Zukunft braucht, land könne die Welt retten. sind immer noch ein langer Atem und Geduld, aber vor (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- allen Dingen Frohsinn, Mut und Zuversicht. Das wün- NEN]: Machen wir auch nicht!) sche ich, liebe Kollegen, all jenen, die sich auch in Zu- kunft mit Entwicklungspolitik befassen. Liebe Freunde, wir sind ein ganz, ganz kleiner Teil in dem großen Rad der internationalen Gemeinschaft. Da (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- müssen wir uns effektiv einbringen und effzient arbei- ordneten der SPD) ten. Da werden wir dringend gebraucht, unsere Ideen und Strategien, unsere Kenntnisse von den Strukturen vor Präsident Dr. Norbert Lammert: Ort, den Gesundheitssystemen, den Bildungssystemen und Ähnlichem. Da sind wir gefragt. Wenn wir es schaf- Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer. fen, da unsere Arbeit sinnvoll zu machen, dann haben wir (Beifall bei der SPD) schon sehr viel geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD): Gestatten Sie mir einen kurzen Ausblick auf die He- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rausforderungen der Zukunft. Was sind die großen The- mache meine persönliche Erklärung zu Beginn, damit sie men? Ein großes Thema ist das Wachstum der Weltbe- in die Redezeit passt: Es ist voraussichtlich meine letzte völkerung. Wie können wir dem begegnen? Der Minister Rede hier, und ich freue mich darüber und bin dankbar hat es schon gesagt: hauptsächlich mit Bildung und Aus- dafür, dass meine Fraktion mir die Gelegenheit gibt, hier bildung der jungen Frauen und Mädchen. Wir brauchen ein bisschen ausführlicher Stellung zu nehmen. 23600 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Christoph Strässer (A) Frau Pfeiffer, ich wollte hier eigentlich eine alters- Das ist richtig. Er hat es auf den Punkt gebracht. Man (C) milde, versöhnliche Rede halten; aber bei zwei Punkten muss sich das nicht zu eigen machen, aber wir alle haben muss ich den Ton wechseln: die Botschaft verstanden und vereinbart, dass wir auch in Zukunft bei dem 0,7‑Prozent-Ziel bleiben wollen. Erstens. Sie haben völlig recht: Der Entwicklungspo- litische Bericht ist dick; Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir und die internationale Gemeinschaft insgesamt ha- (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das habe ich ben in den letzten zwei Jahren gute Rahmenbedingun- gar nicht gesagt!) gen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit geschaffen. Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel im Septem- er enthält viele Festlegungen. Aber es ist schon sehr häu- ber 2015 wurde mit der Verabschiedung der Nachhal- fg kritisiert worden, dass die Umsetzung an vielen Punk- tigkeitsagenda 2030 und der SDGs ein aus meiner Sicht ten zu wünschen übrig lässt. Was ich nur sagen wollte: ganz wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen Einen Quantensprung in der Entwicklungspolitik sehe Außenpolitik und in der internationalen Entwicklungszu- ich in der Tat im Vergleich zu dem, was in der letzten sammenarbeit herbeigeführt. In diesem Zusammenhang Legislaturperiode hier abgeliefert worden ist. Denn ei- wurde ein Begriff geprägt, den ich sehr treffend fnde. nes haben Sie, Herr Müller, ganz deutlich hingekriegt: Es wurde gesagt: Ziel ist nicht weniger und nicht mehr Das, was damals viele – auch von außerhalb, aus der als die „Transformation“ unserer Welt. Ich glaube, das ist Zivilgesellschaft – empfunden haben, nämlich dass Ent- der eigentliche Kern der Agenda 2030; denn mit ihr wer- wicklungspolitik zu einer anderen Form von Wirtschafts- den die Ziele und die Möglichkeiten von Entwicklungs- förderung geworden ist, ist in Ihrer Politik, auch in dem zusammenarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt. Dieser Bericht, nicht mehr vorhanden. Ich glaube, das ist ein Paradigmenwechsel ist an der einen oder anderen Stelle Schritt nach vorne. angesprochen worden. Man hat sich darauf verständigt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen weg von der Mentalität, dass die Menschen der CDU/CSU) in Afrika und Südostasien von uns Almosen erhalten, und deshalb sind wir die Guten. Nein, liebe Kolleginnen Aber ich sage mal: Nach der damaligen Darbietung war und Kollegen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ist eine das auch nicht so ganz schwer. Nichtsdestotrotz ist es ein Verpfichtung für alle Staaten und für alle Gesellschaften Schritt nach vorne. auf dieser Erde. Sie ist auch die Verpfichtung uns selbst gegenüber, unsere Hausaufgaben zu machen. Auf die- Zweitens, Frau Pfeiffer, möchte auch ich die ser Grundlage werden dann die Angebote an Partner, an ODA-Quote ansprechen. Ja, Sie haben recht: Sie ist in Partnerländer und Partnergesellschaften gemacht. Darauf (B) der Tat ein Symbol für den Zustand der Entwicklungspo- müssen wir uns vorbereiten. Aber trotz der Nachhaltig- (D) litik, und ich bin ganz froh darüber, dass wir eine solche keitsstrategie, die die Bundesregierung auf den Weg ge- Benchmark haben. Ich habe es bei meiner letzten Rede bracht hat, sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt. hier schon gesagt: Ich persönlich mache unabhängig von Parteien schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Bereich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Politik, und schon damals wurde das 0,7-Prozent-Ziel DIE GRÜNEN) politisch gefordert. Ich will gar nicht thematisieren – es ist hier alles angesprochen worden –, wieso wir jetzt auf Eine kurze Anmerkung zur Mittelverwendung; das eine Quote von 0,7 Prozent kommen. Ich habe mal ein Thema ist hier schon angesprochen worden. Ich will mei- Zitat zu dem Haushalt gelesen, den Sie vorgelegt haben, ne Ausführungen anhand eines konkreten Beispiels deut- insbesondere zur ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir lich machen. Frau Pfeiffer, Sie haben die Sonderinitiati- jetzt erreicht haben. Frau Weber hat es gesagt: Es ist ven gelobt. Ja, es ist wichtig und richtig, dass man eine völlig korrekt, die Quote so zu berechnen, wie es hier Reserve hat, um in Notsituationen eingreifen zu können; getan wurde. Ich zitiere mal jemanden aus der Zivilge- ich kenne das speziell aus dem Bereich der humanitären sellschaft, die heute in dieser Debatte – aus meiner Sicht Hilfe. Nur: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht zu Unrecht – noch gar keine große Rolle gespielt hat, es eben nicht um das kurzfristige Stopfen von Löchern, sondern es geht um eine nachhaltige, zukunftsträchtige (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche Perspektive, die Standards braucht und auf deren Grund- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lage man eine langfristige Strategie entwickeln muss. Das ist durch die Sonderinitiativen aus meiner Sicht nicht nämlich den Vorstandsvorsitzenden von VENRO, ei- geschehen. Im Gegenteil: Nachhaltigkeit ist im Grunde nem der größten Partner der Bundesregierung auch bei genommen verhindert worden. der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Er hat am 11. April zu diesem Thema Folgendes gesagt – ich zitie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des re –: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit rechnet sich Deutschland die Ausgaben für Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir Entwicklungszusammenarbeit schön und bleibt haben im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2017 größter Empfänger seiner eigenen Mittel für Ent- Kontakte mit Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes wicklungszusammenarbeit. gehabt. Der Zivile Friedensdienst betreut Projekte im Nahen Osten, in der Westbank, in Palästina, die unter (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des anderem aus Mitteln einer Sonderinitiative des BMZ ge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fördert worden sind. Auf dem Höhepunkt der Arbeit und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23601

Christoph Strässer (A) der Mediation ist diese Sonderinitiative ausgelaufen. Die wendung, beispielsweise durch den EU Emergency Trust (C) jungen Mitarbeiter haben uns gesagt: Wir müssen unser Fund, durch Programme im Rahmen des Valletta-Akti- Projekt stoppen; denn eine nachhaltige Finanzierung ist onsplans und des Khartoum-Prozesses, Regime zu för- nicht mehr gewährleistet. – Wenn man Kohärenz und dern, mit denen wir keine Entwicklungszusammenarbeit Prävention will, wenn man militärische Auseinanderset- betreiben, dann ist es falsch, denen Geld zu geben, damit zungen wirklich verhindern will: Wie kann es dann sein, sie Grenzen ausbauen und Grenzsicherung betreiben. – dass solche wunderbaren Initiativen wie die des Zivilen Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Form Friedensdienstes so wenig gefördert werden, dass man einer nachhaltigen Vermeidung von Fluchtursachen, die Projekte auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit einstellen sondern das Gegenteil davon. Damit werden wir unse- muss? Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und rem Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit nicht Kollegen. gerecht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN) LINKEN) Eine letzte Bemerkung: Wir als Bundestag und auch Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch die Bundesregierung haben versprochen: Leave no one schon Thema gewesen ist. In meiner Arbeit auf zahlrei- behind. Wir wollen niemanden zurücklassen. Das haben chen Tätigkeitsfeldern habe ich mich mit der Entwicklung wir versprochen. Daran müssen wir uns messen lassen, auf dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt. hier in diesem Hause und außerhalb, in der Zivilgesell- Neben den vielen wahrnehmbaren positiven Ansätzen schaft. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Es lohnt sich, möchte ich eine ganz fundamentale Kritik üben, die in wo auch immer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dieser Debatte schon ein Stück weit eine Rolle gespielt dafür zu kämpfen. hat. Es geht um den Marshallplan. Ich möchte jetzt nicht über den Begriff philosophieren, aber eines wird in der Herzlichen Dank. Diskussion deutlich: Ich erlebe es immer wieder, dass viele, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen: Marshallplan für Afrika. Das sind nur drei Buchsta- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ ben, aber sie zeigen, welche Mentalität dahintersteht. Ich DIE GRÜNEN) glaube, da muss man sehr aufpassen. Präsident Dr. Norbert Lammert: An Ihrer Strategie fnde ich einiges falsch; da bin ich übrigens nicht der Einzige. Ich habe vor wenigen Wo- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der (B) chen an einer Veranstaltung in Ihrem Haus teilgenom- Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion. (D) men. Hauptreferent war der frühere Bundespräsident (Beifall bei der CDU/CSU) Horst Köhler. Er hat an der Initiative das gelobt, was lo- benswert ist, nämlich die Bereitstellung von Fördermit- teln für den Privatsektor. Jürgen Klimke (CDU/CSU): (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NEN]: Es passiert nichts!) Meine Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt möchte ich die zentralen Punkte des Er hat aber auch gesagt: Wir können und dürfen uns nicht 15. Entwicklungspolitischen Berichts zusammenfassen. auf eine Strategie verlassen, die die Entwicklung in fra- gilen Staaten aus den Augen lässt. – Das Konzept, Förd- Allen kritischen Stimmen zum Trotz kann sich die ergelder in Staaten zu stecken, in denen es nach unserer entwicklungspolitische Bilanz der Bundesregierung Auffassung eine gute Regierungsführung gibt, ist ja nicht wirklich sehen lassen. Das ist ein persönlicher Erfolg von völlig falsch; aber wir müssen auch die fragilen Staa- Minister Müller, ten – das sagen auch Welthungerhilfe und andere –, in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denen die Armut stark zunimmt, mit unseren Initiativen bedenken. Wir dürfen da keine Arbeitsteilung vornehmen aber auch ein Erfolg der Bundeskanzlerin. Sie trägt einen und sagen: Wir fördern die guten Staaten, und die armen großen Anteil an diesem Erfolg, da wir als Entwicklungs- Menschen in Staaten mit einer schlechten Regierung und politiker in ihr immer eine große Fürsprecherin hatten. fragilen Strukturen lassen wir außen vor. Das würde zu Das muss, glaube ich, deutlich gemacht werden. einer noch größeren Ausdehnung von Katastrophen, von Hunger und Armut führen. Damit werden wir zu tun ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben. Noch einmal zu den Zahlen: Seit Beginn der Legisla- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten turperiode ist der Etat für den Bereich Entwicklungszu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sammenarbeit um ein Viertel gewachsen, von 6,3 Milli- arden auf 8,5 Milliarden Euro. Das ist nicht mager, lieber Horst Köhler hat einen weiteren Punkt, der aus mei- Uwe Kekeritz. ner Sicht sehr wichtig ist, deutlich angesprochen. Er hat gesagt – jedenfalls habe ich ihn so verstanden –: Wenn (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man sich schon auf eine solche Strategie fokussiert, dann NEN]: Die Bilanz ist mager! Es geht nicht im- ist es falsch, durch andere Formen der fnanziellen Zu- mer nur um Geld!) 23602 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Jürgen Klimke (A) Das ist keine Phrasendrescherei, lieber Kollege Movassat. Lieferketten. Das ist ein Thema, das weltweit viele Mil- (C) Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorn. Das müssen lionen Näherinnen, Gerber, Spediteure und viele ande- wir, glaube ich, einmal deutlich machen. re Berufsgruppen betrifft. Vor allem geht es darum, die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sowie von (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gesundheitsstandards zu gewährleisten. Stefan Rebmann [SPD]) Wir ziehen heute auch Bilanz der Entwicklungspolitik Wir haben über die erreichte Zielgröße gesprochen: der letzten vier Jahre. Wir stellen fest, dass Entwicklungs- 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwick- zusammenarbeit heute viel stärker im Fokus des öffentli- lungsausgaben. Wir verschweigen dabei natürlich nicht, chen Interesses steht, und das ist gut so – nicht nur, weil dass dieser Erfolg durch die Anrechenbarkeit der Aus- sie überprüft wird, sondern auch, weil sie gelobt werden gaben für Flüchtlinge im Inland erreicht wurde. Unser kann. Entwicklungsminister Müller hat dies genutzt und Ziel in den kommenden Jahren muss es sein, trotz eines der deutschen Entwicklungspolitik eine Neuausrichtung möglichen Rückgangs der Ausgaben für Flüchtlinge das gegeben. Daher kann festgehalten werden: Deutschland derzeitige Niveau von 0,7 Prozent zu halten. Wir soll- wird die Vorgaben der Agenda 2030 nicht nur erfüllen, ten nicht darunter bleiben, sondern im Gegenteil über sondern – das ist wichtig – auch aktiv mitgestalten. 0,7 Prozent hinausgehen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was steht hinter diesen schlichten 0,7 Prozent? An fol- NEN]: Die Bilanz sah aber negativ aus!) genden Beispielen lässt sich das verdeutlichen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident, zum Mehr als 1 Million Kinder aus Syrien, der Türkei, dem Abschluss möchte ich mich, wie inzwischen üblich, im Libanon und dem Irak proftieren von den Bildungsange- Rahmen meiner letzten Rede – zumindest zur Entwick- boten, die das BMZ fnanziert. Dadurch haben sie eine lungszusammenarbeit ist es die letzte – für das kollegi- Chance für ihre Zukunft zu Hause. ale Miteinander in den letzten Jahren, für den demokra- In den letzten Jahren wurden hunderttausend Arbeit- tischen Wettstreit in der Sache, für Ihre Unterstützung, nehmerinnen und Arbeitnehmer in der Textilbranche hin- aber auch für die Unterstützung der Opposition sehr sichtlich der Arbeitnehmerrechte geschult. herzlich bedanken. Allen von Ihnen, die in der nächs- ten Wahlperiode hier im Deutschen Bundestag in einem Auf der Konferenz zur Wiederauffüllung der globalen demokratischen Wettstreit bleiben, möchte ich zum Ab- Impfallianz GAVI 2015 in Berlin konnte ein Rekorder- schluss meiner Rede ein Zitat von Albert Einstein mit auf gebnis erzielt werden. Deutschland wird die Allianz bis den Weg geben, 2020 mit 600 Millionen Euro unterstützen. Das ist Ge- (B) sundheitsförderung. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh! Jetzt kom- (D) men die tiefen Einsichten!) Ich möchte Sie nicht mit weiteren Aufzählungen er- müden. das mir stets ein guter Begleiter war. Es lautet sinnge- mäß: Nichts wirklich Wertvolles kann erreicht werden (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) ohne die uneigennützige Zusammenarbeit vieler Einzel- Aber ich glaube, es ist wichtig, zu sagen: Die deutsche personen. Entwicklungspolitik ist auf einem richtigen Weg. Der Herzlichen Dank. 200 Seiten starke Bericht macht das detailliert und mit vielen Beweisen noch einmal deutlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Heike Im Lichte der globalen Entwicklungsagenda 2030 Hänsel [DIE LINKE]: Ich beklatsche aber nur zeigt der Bericht aber auch wichtige und notwendige Albert Einstein!) Weichenstellungen für die Zukunft unseres Planeten auf. Es geht darum, eine Welt ohne Armut und Hunger zu schaffen, den Klimawandel zu bekämpfen, Entwick- Präsident Dr. Norbert Lammert: lungschancen zu fördern, Fluchtursachen zu mindern, Ich schließe die Aussprache. Frieden zu sichern, die Weltwirtschaft gerechter zu ge- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf stalten und globale Partnerschaften für die Agenda 2030 der Drucksache 18/12300 an die in der Tagesordnung auf den Weg zu bringen. Mit diesen Weichenstellungen aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit liegt uns eine Roadmap vor, die Richtlinie für unser Han- einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist deln sein muss. die Überweisung so beschlossen. Dies zeigt sich aktuell im Rahmen der deutschen Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der G-20-Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Welt gestalten“. Die G-20-Runde ist das zentrale Forum Grünen. Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschlie- der internationalen Zusammenarbeit, in der die 20 füh- ßungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung so- renden Industrie- und Schwellenländer, die 80 Prozent fort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Das des globalen Handels auf sich vereinen, in Finanz- und ist diesmal offensichtlich der Fall. Dann können wir so in Wirtschaftsfragen zusammenarbeiten. Höhepunkt ist verfahren. im Übrigen der G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Ham- burg, in meiner Heimatstadt. Auf der Agenda steht bei- Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- spielsweise die Ausgestaltung von nachhaltigen globalen tion Die Linke auf der Drucksache 18/12385. Wer stimmt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23603

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – In den 80er-Jahren waren noch circa 20 Prozent al- (C) Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag ler Wohnungen Sozialwohnungen. Heute sind es gerade mehrheitlich abgelehnt. einmal 3 Prozent. Dieser erschreckende Trend wird sich weiter fortsetzen. Die Länder sagen – auch das ein Er- Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag gebnis unserer Anfrage – einen weiteren dramatischen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen bis 2030 vo- che 18/12386. Wer kann sich dafür erwärmen? – Das sind raus, nämlich auf 50 bis 75 Prozent der jetzt überhaupt die Antragsteller und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt noch zur Verfügung stehenden Bestände. Damit verliert dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Damit ist auch die- natürlich auch die Politik an Einfussmöglichkeiten, das ser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Mietpreisniveau zu dämpfen. Deswegen sagen wir: Der Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 8 sowie Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen ist mitver- zum Zusatzpunkt 2: antwortlich für die Mietenexplosion in deutschen Städ- ten, und das ist wirklich beschämend! 8 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abge- Eines dürfte wirklich unstrittig sein: Der Bedarf an ordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozialwohnungen ist nicht gedeckt. Experten beispiels- Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Ent- weise vom Pestel Institut sagen, es fehlen mindestens wicklung, Bestand, Perspektive 4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Die Bun- desregierung bestreitet zwar diese Zahlen, aber Frau Drucksachen 18/8855, 18/11403 Hendricks sagte vor einigen Wochen selber im Morgen- magazin, dass 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- theoretisch einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hät- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, ten. Das hieße dann umgerechnet, 25 anspruchsberech- Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu tigte Bürgerinnen und Bürger kämen auf eine Sozialwoh- dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn nung. – Das wird ja nun wirklich ein bisschen eng. (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Frau Hendricks scheint das aber alles nicht wirklich NIS 90/DIE GRÜNEN problematisch zu sehen. Vor ein paar Tagen, kurz vor der NRW-Wahl, sagte sie, es seien im letzten Jahr 25 000 Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le- neue Sozialwohnungen gebaut worden. Das sei eine benswert und klimafreundlich Trendwende beim sozialen Wohnungsbau. Nun freuen (B) Drucksachen 18/10027, 18/11020 wir als Linke uns auch über jede neue Sozialwohnung. (D) Ich begrüße ausdrücklich, dass es mehr geworden sind. Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag Die Ministerin verschweigt jedoch, dass jährlich weiter- der Fraktion Die Linke vor. hin circa 50 000 Sozialwohnungen aus der Bindung fal- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für len. Das heißt doch faktisch, dass wir immer noch Jahr die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu für Jahr einen Verlust von etwa 25 000 Sozialwohnungen stelle ich Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlos- haben. Das ist keine Trendwende, Frau Ministerin, das sen. ist bestenfalls ein ausgebremster Niedergang, und damit können wir uns nicht zufriedengeben! Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Der Grund dafür ist übrigens, dass Sozialwohnungen nach 15 oder 20 Jahren aus der sogenannten Bindung fal- len. Das bedeutet dann zu oft: Die Mieten steigen enorm, Caren Lay (DIE LINKE): und die Mieter fiegen über kurz oder lang aus ihren Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Wohnungen, während die Besitzer dann erst so richtig ren! Im Jahre 1990 gab es noch 3 Millionen Sozialwoh- kassieren. – Das ist absurd. Deswegen sagen wir: Ein- nungen in Deutschland. Heute sind es weniger als die mal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung – das muss Hälfte. Gerade mal 1,3 Millionen Sozialwohnungen sind in Zukunft gelten! noch vorhanden, und die Tendenz ist weiter sinkend. Das (Beifall bei der LINKEN) ist eines der vielen niederschmetternden Ergebnisse der Großen Anfrage der Linken zum sozialen Wohnungsbau. Wenn wir hier nicht handeln, dann werden – das kann Wir Linke sagen ganz klar: Der Niedergang des sozia- man, glaube ich, sagen – in den nächsten Jahren Zehn- len Wohnungsbaus ist dramatisch, und wir müssen ihn tausende, wenn nicht Hunderttausende Sozialmieterin- stoppen! nen und Sozialmieter aus ihren Wohnungen fiegen. Das können wir nicht zulassen. Wir brauchen einen Bestands- (Beifall bei der LINKEN) schutz für die bisherigen Sozialmieter. Denn der soziale Wohnungsbau ist gut für alle Mieterin- (Beifall bei der LINKEN) nen und Mieter, also auch für diejenigen, die ihn nicht selber nutzen. Sozialwohnungen dämpfen die Mietpreise Wir haben schon mehrfach über dieses Thema dis- für alle und sorgen für bezahlbare Mieten für alle. kutiert, und wir waren uns fraktionsübergreifend einig, 23604 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Caren Lay (A) dass es ein Fehler war, die Verantwortung für den sozi- Wien gehen. Dort befnden sich über 40 Prozent aller (C) alen Wohnungsbau bei der Föderalismusreform im Jah- Wohnungen im Sozialwohnungssegment, und zwar mit re 2006 an die Länder zu übergeben. guten Ergebnissen. Während die Mieten in Deutschland unter ähnlichen Bedingungen explodieren, steigen sie (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und dort nur moderat. Daran sollten wir uns ein Beispiel neh- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men. Denn wann man sich die Bilanz der letzten elf Jahre dazu ansieht, dann sieht man, dass sich diese alle nicht mit Dafür muss man aber mehr Geld in die Hand nehmen. Ruhm bekleckert haben. Die Bundesregierung rühmt sich ja, dass sie inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau be- In einigen Ländern wurden die geschenkten Gelder reitstellt. In der Stadt Wien, die gerade einmal so groß ist des Bundes für alles Mögliche verwendet, nicht jedoch wie Hamburg, sind es immerhin 680 Millionen Euro; das für den Bau von Sozialwohnungen. Einige Bundesländer ist also fast die Hälfte. Würde man das Investitionsvolu- bauen bis heute keine Sozialwohnungen. Sachsen, das men von Wien einmal auf die Bundesrepublik hochrech- Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, die übrigens nen, dann kämen wir auf eine Investition in Höhe von alle von einer Großen Koalition regiert werden, haben in 30 Milliarden Euro. Hier muss ich sagen: Die 5 Milliar- den letzten Jahren beispielsweise keine einzige Sozial- den Euro, die wir als Linke in den Haushaltsverhandlun- wohnung gebaut. gen gefordert haben, wären nicht zu viel verlangt. Das wäre gut angelegtes Geld. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ist ja unglaub- lich!) (Beifall bei der LINKEN) In vielen Ländern gibt man das geschenkte Geld des Angesichts der Dramatik müssen aus unserer Sicht Bundes lieber für die Eigenheimförderung aus. Das ist 250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr entstehen, na- wirklich rausgeschmissenes Geld. türlich nicht nur durch Neubau – denn das wäre nicht zu (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist ja leisten –, sondern auch durch Kauf und durch eine Ver- ein Schmarrn!) längerung der Belegungsbindung. Das wäre der richtige Weg. Das ist eine Zweckentfremdung von Geldern, und das können wir nicht zulassen. Ich glaube, man kann sagen, dass der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus kein Zufall war. Er war politisch (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und gewollt. Bis heute ist in der Wohnungswirtschaft eine Er- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – zählung weiterhin beliebt und präsent. Es wird gesagt, (B) Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Eigenheim- der soziale Wohnungsbau und die Objektförderung seien (D) förderung ist genauso wichtig!) von gestern, Subjektförderung und Wohngeldförderung Ich habe einmal im Protokoll der Plenardebatte aus würden ausreichen. Das Gegenteil ist richtig. Wenn wir dem Jahre 2006 nachgelesen, als die Verantwortung für verhindern wollen, dass wir Reichenviertel im Zentrum den sozialen Wohnungsbau an die Bundesländer überge- und Armenghettos am Stadtrand haben, müssen wir auch gangen ist. Es gab damals eine einzige Fraktion, die das in Gemeinnützigkeit und in Sozialwohnungen investie- problematisiert und kritisiert hat; das war die Linke. Hät- ren. Wir können es zum Beispiel so machen, wie wir es ten Sie damals mal auf die Linke gehört! jetzt in Berlin unter einer rot-rot-grünen Regierung und mit einer linken Bausenatorin machen wollen. Bei jedem (Beifall bei der LINKEN) Neubauvorhaben müssen dort in Zukunft 30 Prozent der Ich weiß, dass es berechtigte Kritik am sozialen Woh- Fläche für Sozialwohnungen reserviert werden. Das wäre nungsbau gibt: auslaufende Bindungen, Subventionie- der richtige Weg, und daran können sich andere Länder rung von privaten Bauherren. Auch das Thema „Ghet- ein Beispiel nehmen. tobildung am Stadtrand“ spielt immer wieder eine Rolle, (Beifall bei der LINKEN) wenn es darum geht, den sozialen Wohnungsbau zu kri- tisieren. Eines muss man aber doch sagen: Wir können Die entscheidende Frage wird aber nicht sein, wie wir und müssen das zwar besser machen, aber kein sozialer das ausgestalten werden, sondern ob wir hier im Bundes- Wohnungsbau ist wirklich keine Lösung. tag, im Bund, nach dem Jahre 2019 überhaupt noch beim sozialen Wohnungsbau mitreden können. Dann laufen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nämlich die sogenannten Kompensationsmittel des Bun- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des aus, und die Verantwortung liegt dann alleine bei den Das Prinzip, dass für Menschen mit geringem Ein- Ländern. kommen Wohnungen von öffentlicher Hand gebaut wer- Ich würde es schlichtweg für eine Katastrophe halten, den und dass sie gewissermaßen für sie reserviert sind, wenn es dazu kommen würde. Deswegen müssen wir an ist ein wichtiges Prinzip, und daran müssen wir auch in dieser Stelle das Grundgesetz ändern. Das fand auch Frau Zukunft festhalten. Hendricks. Sie verkündete erst vor ein paar Monaten, im (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) letzten Sommer – Zitat –: Wer sich einmal ansehen möchte, wie sozialer Woh- Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als nungsbau gut funktioniert und wie attraktiv er sein Bundesregierung wirksam dort helfen zu können, kann – auch architektonisch attraktiv –, der muss nach wo die Wohnungsnot am größten ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23605

Caren Lay (A) Ja, das fnde ich auch. vielen Ballungsräumen der Fall. Dort fnden gerade ein- (C) kommensschwächere Menschen oft nur sehr schwer eine Aber dann begannen die Verhandlungen zum Län- Wohnung. Hier greifen wir ein, hier müssen wir eingrei- derfnanzausgleich. Da wurden alle möglichen kruden fen! Sachen diskutiert, wie zum Beispiel heute Morgen das Thema Autobahnprivatisierung. Aber die Bundeszustän- (Beifall bei der CDU/CSU) digkeit für den sozialen Wohnungsbau war nicht länger Frau Lay, Sie erwecken den Eindruck, als ob die sozi- ein Thema. Das können wir nicht akzeptieren. Wir müs- ale Wohnungsbauförderung das einzige Mittel wäre, was sen jetzt dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass uns ans Ziel führt. Das ist mitnichten der Fall. der Bund auch nach dem Jahr 2019 den sozialen Woh- nungsbau zweckgebunden und zielgerichtet fnanzieren (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist aber das kann. Das wäre der richtige Weg. Thema heute!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Soziale Verantwortung beim Wohnen beinhaltet mehr als Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE soziale Wohnraumförderung. GRÜNEN]) (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Machen wir Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau erst einmal sozialen Wohnraum, das wäre erst hat dazu beigetragen, dass Wohnen in Deutschland lange einmal ein Schritt!) Zeit bezahlbar war. Diese Zeiten sind jetzt leider vorbei. Sie beinhaltet neben der Objektförderung auch Subjekt- Deswegen müssen wir wieder in den sozialen Wohnungs- förderung, und sie beinhaltet einen sozialen Schutz durch bau investieren. Die Verantwortung dafür muss zukünf- das Mietrecht. Wir müssen, wenn wir uns die Frage stel- tig in öffentlicher Hand, in gemeinnütziger Hand liegen, len, ob wir unserer sozialen Verantwortung gerecht wer- damit er sozial und nachhaltig ausgestaltet werden kann. den, alle drei Wege gleichzeitig im Blick haben, meine Dafür brauchen wir einen neuen Gemeinnützigkeitsbe- Damen und Herren. griff, und wir brauchen einen Neustart im sozialen Woh- nungsbau. Anders bekommen wir das Problem steigen- (Beifall bei der CDU/CSU) der Mieten und der Verdrängung in den Städten nicht in Die soziale Wohnraumförderung ist sicherlich ein den Griff. wichtiges Instrument unserer Fördermaßnahmen. Des- Vielen Dank. halb haben wir in dieser Legislaturperiode alles daran- gesetzt, diese Förderung wiederzubeleben, obwohl der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bund dafür seit der Föderalismusreform 2006 keine Zu- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ständigkeit mehr hat. (B) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Vielen Dank, Caren Lay. – Guten Morgen, liebe Kolle- Zuständig hierfür sind die Bundesländer. ginnen und Kollegen, von mir. Nächste Rednerin: Sylvia (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die wollen Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion. das auch bleiben!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das macht auch Sinn, weil sich die Wohnungsteilmärkte regional sehr unterschiedlich entwickelt haben und die Sylvia Jörrißen (CDU/CSU): Länder maßgeschneidert Maßnahmen für ihre Regionen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe auf den Weg bringen können und müssen. Kolleginnen und Kollegen der Linken, zunächst erst ein- (Beifall bei der CDU/CSU) mal vielen herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum sozi- alen Wohnungsbau, weil sie uns heute die Möglichkeit Entscheidend ist nur, dass die zur Verfügung gestellten gibt, über ein Thema zu reden, das meiner Fraktion und Mittel zweckgebunden eingesetzt werden, nämlich zum mir ausgesprochen am Herzen liegt: das Wohnen. Bau von bezahlbaren Wohnungen. Wohnen ist eines der Grundbedürfnisse eines jeden (Beifall bei der CDU/CSU) Menschen. Unsere Wohnung ist ein persönlicher Schutz- Wir haben hierzu schon mehrere Debatten geführt. Fakt raum und Rückzugsraum. Hier fühlen wir uns sicher, hier ist, dass die Länder mit den Geldern sehr unterschied- fühlen wir uns geborgen. Alle Menschen müssen Zugang lich umgehen, teilweise Altlasten fnanzieren und ihrer zu angemessenem Wohnraum haben, unabhängig von ih- Pficht, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, in Teilen rem Einkommen, auch Menschen mit unteren oder mitt- nicht nachkommen. leren Einkommen oder Menschen in sozialen Notlagen ohne Einkommen. Hierfür tragen wir eine soziale Ver- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist antwortung. wahr!) Grundsätzlich beruht auch die Wohnungspolitik in Sie haben recht: Die Zahl der Sozialwohnungen ist Deutschland auf den Prinzipien der sozialen Marktwirt- seit 2002 um rund 1 Million Wohnungen gesunken, und schaft und funktioniert zunächst einmal nach Angebot es fallen nach wie vor mehr Wohnungen aus der Bele- und Nachfrage. Staatliche Eingriffe, meine Damen und gungsbindung, als neu gebaut werden. Wir haben in Herren, nehmen wir dort vor, wo der Markt entweder dieser Legislaturperiode die Kompensationsmittel von zu langsam oder zu schwach reagiert. Das ist heute in 518 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro verdreifacht. 23606 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Sylvia Jörrißen (A) Eigentlich hätte auch die Anzahl der Sozialwohnungen trag zur Entlastung der Kommunen und zur Schaffung (C) entsprechend gesteigert werden müssen. Nach aktuellen lebenswerter Wohnviertel. Zahlen der Bauministerkonferenz wurde dieses Ziel ver- fehlt. Hier ist mehr notwendig, aber es ist Sache der Län- Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kol- der, hier ihrer Verantwortung nachzukommen. legen der Linken fordern immer wieder eine neue Wohn- gemeinnützigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir übrigens auch!) Der zweite Weg – neben der Objektförderung –, auf dem wir soziale Verantwortung tragen, ist die Subjekt- – Sie auch, ja gut. Wir behandeln heute die Große Anfra- förderung. Hierzu gehört das Wohngeld, das wir in die- ge der Linken. ser Legislaturperiode deutlich erhöht haben, indem wir (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ die Mietstufen der aktuellen Marktentwicklung ange- DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Antrag im passt haben. Seit Januar des letzten Jahres proftieren Verfahren! Das können Sie zur Kenntnis neh- 870 000 Haushalte davon. Über ein Drittel sind als neue men!) Berechtigte hinzugekommen. Sie verkennen aber, dass die Situation heute eine völ- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau! Das lig andere ist, als sie es bei Einführung der Wohngemein- ist ein Erfolg!) nützigkeit in der jungen Bundesrepublik war. Die Wohn- – Das ist ein großer Erfolg. gemeinnützigkeit hat in den Nachkriegsjahren einen sehr wichtigen Beitrag geleistet, die große Wohnungsnot zu Dem dritten Weg der sozialen Verantwortung, die bewältigen. wir als Bund tragen, werden wir durch einen sozialen Schutz im Mietrecht gerecht. Wir haben umfassende (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mieterschutzbestimmungen. Wir haben einen Schutz vor Und was haben wir heute?) willkürlichen Kündigungen. Wir haben einen Schutz vor Aber als es zu einer Stabilisierung der Wohnungssitua- übermäßigen Mieterhöhungen. Und wir haben in dieser tion kam, hatte sie in der ursprünglichen Form schlicht Legislaturperiode ein weiteres Instrument der Mieter- keine Berechtigung mehr. Insofern war es richtig, diese schutzbestimmungen eingeführt: die Mietpreisbremse. Förderung aufzuheben. Auch wenn Sie jetzt gleich erwidern: „Die funktioniert ja sowieso nicht“, möchte ich dazu einige Sätze sagen. Nachdem die Ausnahmesituation nach den Kriegsjah- ren überwunden war, konnte die soziale Marktwirtschaft (B) Uns als Union war es immer wichtig, dass die Miet- wieder Verantwortung übernehmen und tat das auch er- (D) preisbremse nicht zur Investitionsbremse wird; denn dann folgreich. ist sie kontraproduktiv. Insofern muss es Ausnahmen ge- ben. Damit das Gesetz in der Praxis Geltung bekommt, (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ist es wichtig, dass die Mieter die neugeschaffenen Rech- So ist es!) te, wie beispielsweise die Rüge oder das Auskunftsrecht, nun auch in Anspruch nehmen. Heute haben wir nach einigen Reformen des Wohnungs- bauförderungsrechts eine soziale Wohnraumförderung, (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn die der aktuellen Situation besser gerecht wird; denn wir [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: haben keine allgemeine Wohnungsnot mehr. Das ist zynisch, die Rügepficht als ein Recht von Mieterinnen und Mietern auszumachen! (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Abzocke von Mieterinnen und Mie- Es fehlen Millionen Sozialwohnungen!) tern!) Die heutigen Herausforderungen – steigende Bau- Meine Damen und Herren, wenn wir über soziale Ver- preise, zu wenig Bauland – hängen doch nicht von der antwortung in der Wohnungspolitik sprechen, müssen wir Rechtsform der Unternehmen ab. Wir haben bauwillige alle drei Wege gemeinsam im Blick haben. Einer allein Akteure. Wir haben heute viele funktionierende Woh- wird den komplexen Herausforderungen nicht gerecht. nungsunternehmen, die sich zum Teil auch aus den ehe- mals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen weiterent- Was die soziale Verantwortung in der Baupolitik an- wickelt haben, die ihrem sozialen Auftrag treu geblieben geht, ist es aber nicht damit getan, dass günstiger Wohn- sind, aber gleichzeitig marktorientiert wirtschaften und raum entsteht und die Mieten preiswert sind. Es ist noch handeln. weitaus mehr. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sozi- al benachteiligte und strukturschwache Ortsteile in ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Gesamtheit stabilisiert und aufgewertet werden. Ziel ist Deren gute Arbeit sehe ich. Auf deren gute Arbeit ver- es, Quartiere familienfreundlicher, seniorengerechter zu traue ich. Mit unseren Fördermitteln wollen wir dort ge- gestalten und den dort wohnenden Menschen Chancen zielt den Menschen helfen, die sich auf dem allgemeinen auf Integration und Teilhabe zu bieten. Hierfür haben Markt aus eigener Kraft nicht mit Wohnraum versorgen wir in dieser Legislaturperiode die Städtebaufördermittel können. massiv ausgeweitet. Damit sind sowohl baulich investive Maßnahmen im Wohnumfeld wie auch in der sozialen (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nur so kön- Infrastruktur möglich. Das ist ein ganz wichtiger Bei- nen wir Steuergelder einsetzen!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23607

Sylvia Jörrißen (A) Noch eine Tatsache, liebe Frau Lay, scheinen Sie zu Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE (C) verkennen. Nicht jeder einkommensschwache Haushalt GRÜNEN): benötigt eine Sozialwohnung. Außerhalb der angespann- Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen ten Märkte werden Haushalte in strukturschwächeren und Kollegen! Frau Jörrißen, ich werde jetzt einfach ein- Regionen auch auf dem freien Wohnungsmarkt mit be- mal zu der Frage der sozialen Wohnraumförderung und zahlbarem Wohnraum versorgt. nicht zur ganzen Breite des Themas Wohnen reden; denn Sie haben hier vorne ziemlich viele Nebelkerzen gezün- (Caren Lay [DIE LINKE]: In welcher Welt det, aber nicht zum eigentlichen Thema geredet. leben Sie denn? – Gegenruf von der CDU/ CSU: Waren Sie schon einmal außerhalb von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin?) sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])

– Kommen Sie einmal in die Region, in der ich lebe. Da Das Jahr 1988 war ein schwarzes Jahr für Mieterinnen gibt es einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt. und Mieter, weil die schwarz-gelbe Koalition damals die Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland unter dem Vor allem wichtig ist, zu bauen. Wir müssen bauen, Deckmantel des Skandals der „Neuen Heimat“ abge- bauen, bauen, um Angebot und Nachfrage wieder in Ein- schafft hat. Damit haben Sie eigentlich den Niedergang klang zu bringen. des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland eingeleitet. Dass Sie das bis heute angesichts steigender Mieten in (Beifall bei der CDU/CSU) den Städten verteidigen, ist wirklich ein Skandal und ei- gentlich nicht zu ertragen. Dafür benötigen wir auch den privaten Wohnungsbau. Das können wir nicht allein mit dem öffentlich geförder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ten Wohnungsbau erreichen. Die privaten Vermieter sind Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was hat die mit Abstand größte Anbietergruppe auf dem deut- Rot-Grün daran geändert?) schen Wohnungsmarkt. Wir müssen auch diese Gruppe Fast 30 Jahre später ist all das, was wir als Grüne und unterstützen; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Sozialdemokraten in der damaligen Debatte vorgebracht Versorgung der Gesellschaft mit Wohnraum. An dieser haben, eingetreten. Ich rate Ihnen als Kolleginnen und Stelle werde ich nicht müde, immer wieder eine steuer- Kollegen einmal, in die alten Protokolle hineinzuschau- liche Förderung zu fordern, die wir bedauerlicherweise en. Wir haben damals über entfesselte Wohnungsmärkte mit unserem Koalitionspartner nicht zustande gebracht und darüber geredet, dass es in den Städten Verdrängung haben, obwohl das ein Ergebnis des Bündnisses für be- sowie eine Mietspirale gibt, die immer weiter nach oben zahlbares Wohnen sowie auch ein Vorschlag Ihrer Bau- (B) geht. All das ist doch eingetreten. Das zeigt doch ganz (D) ministerin, abgestimmt mit dem Finanzminister, gewe- klar, dass wir heute wieder eine neue Wohnungsgemein- sen ist. nützigkeit brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Jörrißen, 50 Prozent der Menschen in Deutsch- land leben in Gebieten mit Wohnraummangel. Das kann Zu kurz kommt mir in der Debatte auch das selbst- uns doch nicht kaltlassen. Da müssen wir doch endlich genutzte Wohneigentum. Deutschland liegt mit einer handeln! Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent an vorletzter Stelle im europäischen Vergleich. Wir müssen dringend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch diese Form des Wohnens fördern; denn selbstge- Diese neoliberale Politik der Abschaffung der Woh- nutztes Wohneigentum stabilisiert Wohnquartiere, macht nungsgemeinnützigkeit hat dazu geführt, dass bis heute durch Umzugsketten am Ende auch eine Mietwohnung fast 2 Millionen Sozialwohnungen aus der Bindung he- frei und ist vor allem eine ganz wichtige Form der priva- rausgefallen sind. Das ist doch ursächlich dafür, dass ten Altersvorsorge. wir im Augenblick Probleme auf den Wohnungsmärk- ten haben. Seitdem gilt eben eine andere Logik. Nicht Egal über welche Säule: Wir müssen mehr bauen. Im mehr der Staat versorgt diejenigen, die sich selbst am vergangenen Jahr haben wir die Zahl von 375 000 Bau- Wohnungsmarkt nicht mit Wohnraum versorgen können. genehmigungen erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Jetzt Vielmehr folgt man heute der Logik, dass die Privaten müssen wir aber darauf achten, dass aus diesen Bauge- einen möglichst großen Reibach machen und dass die nehmigungen auch tatsächlich Bauvorhaben werden. Mieten immer mehr steigen. Diese Logik wollen wir als Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht am Grüne brechen. Ziel, aber wir sind auf einem sehr guten, soliden Weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke schön. Das Tafelsilber in Deutschland ist verscherbelt wor- den: Eisenbahnerwohnungen, Postlerwohnungen, Werks- (Beifall bei der CDU/CSU) wohnungen und kommunale Wohnungsbestände. Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer falschen, einer neoliberalen, einer auch von der Union betriebenen Woh- Vizepräsidentin Claudia Roth: nungspolitik der letzten 30 Jahre. Deswegen kann ich Vielen Dank, Sylvia Jörrißen. – Nächster Redner: überhaupt nicht verstehen, dass Frau Hendricks dieser Christian Kühn für Bündnis 90/Die Grünen. Tage ein Interview gibt und sagt: Wir haben die Trend- 23608 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Christian Kühn (Tübingen) (A) wende geschafft. – Die Trendwende haben wir überhaupt Füße stellen oder nicht, ob wir bereit sind, Wohnungspo- (C) nicht geschafft. Wir verlieren immer noch 50 000 So- litik als Politik der Daseinsvorsorge zu begreifen, oder ob zialwohnungen pro Jahr, während wir nur 25 000 neue wir sie als Wirtschaftspolitik begreifen, bei der möglichst bauen. Das heißt, wir verlieren im Saldo weiterhin So- hohe Renditen erzielt werden müssen. Um die Beantwor- zialwohnungen in Deutschland. Eigentlich müssten wir tung dieser Fragen ringt das Parlament. Frau Jörrißen, Sie jedes Jahr neue bauen, weil wir neue Herausforderungen haben in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, dass Sie im zu bewältigen haben, weil wir sehen, dass die soziale Kern bei der letztgenannten Art der Politik sind, nämlich Spaltung in unserer Gesellschaft zunimmt, weil wir die bei den Investoren, und nicht bei den Menschen im Land. Integrationsfrage beantworten müssen, weil es Migration gibt. Ich glaube, deswegen ist diese Bundesregierung mit Soziale Wohnungspolitik ist Infrastrukturpolitik. Blick auf dieses Thema überhaupt nicht gut aufgestellt. Diese Infrastrukturpolitik ist im Augenblick Aufga- Die von Frau Hendricks angesprochene Trendwende ist be der Länder. Für eine Trendwende – diese sieht Frau keine Trendwende, sondern bedeutet nichts anderes, als Hendricks schon gekommen; tatsächlich ist sie noch dass man eine Nebelkerze zündet, um sein eigenes Ver- lange nicht eingetreten – müssen die Länder richtig viel sagen zu vernebeln. Geld in die Hand nehmen. Ab 2019 müssen sie die Kom- pensationsmittel des Bundes ersetzen. Diese belaufen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich im Augenblick auf 1,5 Milliarden Euro. Ehrlich ge- sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) sagt fehlt mir angesichts der angespannten Haushalte in fast allen Bundesländern die Fantasie, um mir vorzustel- Das Minus bei den Sozialwohnungen ist dramatisch. len, dass im Jahr 2020, wo die Schuldenbremse gilt, wo Wir brauchen eigentlich 150 000 neue Wohnungen pro die Länder Sicherheitsaufgaben, Bildungsaufgaben und Jahr und endlich eine andere Logik, die besagt: Bauen, Aufgaben im Rahmen der Beamtenbesoldung stemmen bauen, bauen! Wir müssen sozial bauen. Wir müssen ge- müssen, Geld für Investitionen in den sozialen Wohn- meinnützig bauen, und wir müssen noch einmal sozial raum vorhanden sein wird. bauen. Wir brauchen nicht mehr Luxuswohnungen in unseren Städten, sondern mehr sozialen Wohnraum für (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: In man- Rentnerinnen und Rentner, Familien, Studierende und chen Ländern ist das schon da!) Geringverdiener. Dazu kann eine neue Wohnungsge- meinnützigkeit einen großen Beitrag leisten. Deswegen Die Länder brauchen hier unsere Unterstützung. Wir als treten wir Grüne so vehement für eine neue Wohnungs- Wohnungspolitiker im Bund sollten dafür kämpfen, dass gemeinnützigkeit ein. der Bund hier wieder eine eigene Kompetenz hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. (D) Bei der Wohnungsgemeinnützigkeit geht es im Kern Caren Lay [DIE LINKE]) darum – ich möchte versuchen, das den Kollegen der Union noch einmal ernsthaft zu erklären –, dass wir Un- Ja, Frau Jörrißen, Sie haben auf die Länder ge- ternehmen, aber auch Privatleuten, also ganz normalen schimpft. Es war fast eine Schimpftirade. Aber schauen Menschen, die eine Anlage tätigen wollen, eine Steuerer- Sie sich einmal die von Ihnen regierten Länder an! Reden leichterung dafür geben, dass sie auf Dauer bezahlbaren Sie beispielsweise einmal mit Ihren Kollegen in Sachsen! Wohnraum schaffen. Das hat nichts mit Staat oder Sozi- In Sachsen entsteht keine einzige Sozialwohnung. alismus zu tun. Vielmehr ist das die einzige Möglichkeit, (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Weil sie jede schnell viel Kapital in den Bereich des sozialen und des Menge Leerstand haben, Herr Kühn!) sozialgebundenen Wohnraums zu investieren. Diese Idee müsste eigentlich zu einer Partei der sozialen Marktwirt- Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Auch von Leipzig schaft passen. Sie wurde von Ludwig Erhard und ande- oder Dresden, wo Sie wieder eine neue Wohnungsgesell- ren nach dem Krieg entwickelt und war sehr erfolgreich. schaft gründen, wissen Sie, dass die Wohnungsmärkte Aber Sie haben sie in der neoliberalen Zeit einfach ab- angespannt sind. gewickelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Die Stadtentwicklung in Deutschland ist in Gefahr. Öffentliches Geld für öffentliche Güter, Steuererleich- Schauen Sie nach Frankreich, wo große soziale Spannun- terungen für bezahlbaren Wohnraum, das ist unser Kon- gen in den Banlieus herrschen. Oder schauen Sie nach zept. Dabei geht es darum, möglichst viele einzubezie- London, eine Metropole, wo sich kein Mensch mit ei- hen. Wir glauben, dass wir damit in den nächsten zehn nem normalen Verdienst eine Wohnung leisten kann. Es Jahren 1 Million bezahlbare Wohnungen schaffen wer- ist klar, dass wir das in Deutschland nicht wollen. Wir den. Diese gesellschaftliche Rendite ist die beste Rendi- wollen nicht, dass die Innenstädte für Reiche sind und te, die wir mit einem solchen Konzept erreichen können. die ärmeren und sozial schwachen Menschen am Rande der Städte, in den Ghettos leben. Das wollen wir nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht dabei um nichts Trivialeres als um den gesell- schaftlichen Zusammenhalt in unseren Städten und in un- Ich sage Ihnen auch, warum wir das nicht wollen: weil serem ganzen Land. Die Zukunft des Wohnens wird da- wir als Grüne davon ausgehen, dass das diese Gesell- von abhängen, ob wir die Wohnraumförderung auf neue schaft spalten und diese Gesellschaft am Ende zerreißen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23609

Christian Kühn (Tübingen) (A) wird. Deswegen müssen wir in eine neue Wohnungsge- Etwas – das ist schon angesprochen worden – wird (C) meinnützigkeit investieren. Wir müssen uns dieser gro- mir zu wenig deutlich in der Debatte, nämlich dass wir ßen sozialen Frage – ich glaube, das ist eine der großen gemeinsam bei der Föderalismusreform die Entschei- sozialen Fragen unserer Zeit – wirklich annehmen. dung getroffen haben, dass die Zuständigkeit für die sozi- ale Wohnraumförderung bei den Ländern und damit auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Verantwortung für bezahlbares Wohnen bei den Län- dern liegt. Die Einschätzung damals war, dass wir eine Im Unterschied zur Linken und zu deren Konzept der schrumpfende Gesellschaft sind, dass es keines weiteren neuen Wohnungsgemeinnützigkeit setzen wir nicht auf Wohnraums bedarf, weil immer weniger Leute da sind, Zwang und wollen nicht alles in einem System unterbrin- und dass es keiner großen Anstrengungen mehr bedarf, gen. Wir wollen den Menschen vielmehr neue Möglich- um hier einen Ausgleich zu schaffen. keiten geben. Wir glauben daran, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die ein ethisches Investment in ihrer Aber wie Karl Valentin über Prognosen so treffend Stadt machen wollen. Wir wollen, dass die Stadtrendite gesagt hat: Das Gefährliche an Prognosen ist, dass sie am Ende nicht bei den Investoren landet, sondern bei den auf die Zukunft gerichtet sind. – Diese Prognosen sind Menschen in der Stadt. Dafür werden wir in den nächs- falsch gewesen. Das sehen wir heute. Jetzt ist die Frage: ten Monaten und auch Jahren weiter hier im Parlament Was ändert man? Ich kann mich noch daran erinnern, wie kämpfen; denn die Frage des sozialen Zusammenhalts wir vor vier Jahren über die Frage der sozialen Wohn- lässt meine Partei nicht kalt. raumförderung hier im Deutschen Bundestag gesprochen haben und dass die Opposition eine Verdoppelung der Danke schön. Mittel für die soziale Wohnraumförderung gefordert hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben Bundesregierung und Koalition diese Mittel verdreifacht, und es ist immer noch zu wenig. Wir sind aber nicht zuständig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächster Redner in der Lieber Chris Kühn, Stichwort „Nebelkerzen“: Sie Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Florian sollten sich auch einmal anschauen, wie der Neubau von Pronold. Sozialwohnungen in Baden-Württemberg weitergeht. Sie sollten versuchen, eine Antwort auf die Frage zu be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kommen, warum es dort 500 Neubauten weniger als im Vorjahr gibt, warum dort 33 Prozent weniger Sozialwoh- nungen gebaut werden. Mich interessiert, warum große Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (B) Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg den (D) ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Anteil der eigenen Mittel im Haushalt reduzieren, wäh- cherheit: rend der Bund das Dreifache an Geld in die Hand nimmt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Linken sehr dankbar, dass sie diese (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Anfrage gestellt hat, weil dies eine Chance bietet, über das Thema des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Es gibt doch nicht mehr Wohnraum, wenn so etwas pas- Jahrzehnten zu sprechen. Wenn wir hier in diesem Hause siert. Das zu berücksichtigen, gehört zu verantwortungs- eine ehrliche Debatte führen würden, dann müssten viele vollem Handeln. Asche auf ihr Haupt streuen; denn die Einschätzungen Mich interessiert in diesem Fall die parteipolitische in den letzten Jahrzehnten sind bei ganz vielen verkehrt Farbe der Landesregierung nicht. Auch ich sehe, was in gewesen. Ich glaube, man kann keine Partei in diesem Sachsen los ist – das wurde zu Recht angesprochen –, Deutschen Bundestag davon ausnehmen, wenn ich mir insbesondere was in Leipzig los ist, was in Dresden los anschaue, was kommunal gemacht worden ist, was in ist. Da keine einzige Sozialwohnung zu bauen, ist eben- den Ländern gemacht worden ist und was auf Bundes- falls etwas, was ein Schlag ins Gesicht der normalverdie- ebene gemacht worden ist. nenden Menschen ist. Das wäre ein guter Anlass, nicht nur zurückzublicken, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sondern auch nach vorne zu blicken und zu fragen, was CDU/CSU) jetzt getan werden muss, damit wir das hinbekommen, was für viele Menschen in Deutschland existenziell ist. Das Land, das auf dem Gebiet des Wohnungsneubaus Die alleinerziehende Mutter, die Rentnerin, der Rentner am aktivsten gewesen ist, ist das Land, aus dem Michael und die ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Groß kommt: NRW hat mittlerweile am stärksten auf- nehmer in angespannten Wohnungsmärkten sind drin- geholt. Doch insgesamt ist das, was wir jetzt über Bun- gend darauf angewiesen, dass sie bezahlbaren Wohn- des- und Landesmittel an sozialem Wohnungsbau leis- raum fnden. Das erfährt man ganz praktisch, wenn man ten, noch nicht ausreichend, um das zu kompensieren, aus der bisherigen Wohnung heraus muss, aus welchen was an Sozialbindungen in der nächsten Zeit insgesamt Gründen auch immer, sei es ein Umzug oder etwas an- wegfällt. Wir brauchen ein deutliches Plus; das ist doch deres. Dann ist es in angespannten Wohnungsmärkten unbestritten. Aber es ist schon einmal ein Riesenerfolg, heute fast unmöglich, zu normalen Mieten wieder eine dass wir mit der Verdreifachung der Mittel des Bundes bezahlbare Alternative zu fnden. Deswegen muss man jetzt bei den Ländern dafür Sorge getragen haben, dass gegensteuern. es insgesamt 70 Prozent mehr bezahlbaren Wohnraum, 23610 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Parl. Staatssekretär Florian Pronold (A) 70 Prozent mehr Sozialwohnungen gibt. Aber das reicht normalen Rentnerinnen und Rentnern, den normalen Ar- (C) noch nicht aus. beitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, dass sie sich ihre Wohnung wieder leisten können. Dafür werden Bloß, die Wahrheit ist doch auch, dass die wenigsten wir Sorge tragen. Länder in der Debatte über den Länderfnanzausgleich, die wir jetzt geführt haben, den Bund bei der Forderung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unterstützt haben, dass es wieder eine Mitzuständigkeit der CDU/CSU) für den sozialen Wohnungsbau geben soll. Wir können die Mittel für die soziale Wohnraumförderung nur noch Vizepräsidentin Claudia Roth: bis zum Jahr 2019 ausgeben. Danach sind die Länder sel- Vielen Dank, Florian Pronold. – Nächste Rednerin: ber in der Verantwortung. Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion. Da verstehe ich manche wirklich nicht; schließlich (Beifall bei der CDU/CSU) wissen wir doch alle, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren die Defzite, die es auf dem Wohnungsmarkt gibt, mit noch so viel Geld nicht ausgleichen können, sondern Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): dass es noch einige Jahre länger brauchen wird. Daher Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und muss der Bund, wenn wir an gleichwertigen Lebens- Kollegen! Vor ein paar Tagen gab es gute Nachrichten; verhältnissen in Deutschland Interesse haben, wieder denn die Zahl der neuerrichteten Sozialwohnungen in stärker Verantwortung übernehmen. Dafür haben wir ge- Deutschland ist im letzten Jahr gestiegen. 2016 wurden kämpft; dafür hat Barbara Hendricks gekämpft. Barbara bundesweit insgesamt 24 550 Sozialwohnungen errich- Hendricks hat nun mit der Verdreifachung der Mittel für tet; das sind etwa 10 000 Wohnungen mehr als im Jahr die soziale Wohnraumförderung versucht, den entschei- zuvor. Das ist ein Fakt. Insofern zeichnet sich schon ein denden Anstoß zu geben, und er hat ja auch gewirkt. positiver Trend ab, auch wenn wir mehr Wohnungen Aber alle Länder müssen mitziehen, die die eigentliche brauchen; das ist klar. Verantwortung haben. Das muss Hauptgegenstand der Debatte heute sein. In den letzten Jahren ist in vielen Ballungsgebieten nicht zuletzt auch aufgrund der Zuwanderung die Nach- Wir können uns über vieles unterhalten. Ja, Frau frage nach Wohnraum sehr stark gestiegen. Damit ist Jörrißen, diejenigen, bei denen die Preisbindung im so- auch der Bedarf an Sozialwohnungen für einkommens- zialen Wohnungsbau endet, sind durch das soziale Miet- schwache Haushalte deutlich gewachsen. Entsprechend recht geschützt. Aber dieses Mietrecht hat ein großes hat die Bundesregierung – das wurde schon mehrfach Defzit, und Ihre Fraktion weigert sich, dieses Defzit zu angesprochen – die sogenannten Kompensationsmittel (B) beheben. Die Gefahr für Mieter von Wohnungen, die aus für die Bundesländer in dieser Legislaturperiode kräftig (D) der Sozialbindung fallen, ist doch nicht, dass es norma- aufgestockt. Von 2016 bis 2019 wurden sie um insgesamt le Mieterhöhungen gibt – da gibt es Spielräume; solche 3 Milliarden Euro erhöht. 2017 und 2018 stehen jährlich Mieterhöhungen können in den meisten Wohnungsmärk- mehr als 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit dieser ten wahrscheinlich einigermaßen verkraftet werden –, Verdreifachung der Mittel leistet der Bund einen enor- sondern dass es dort Luxussanierungen geben wird, die men fnanziellen Beitrag. dazu führen, dass die Menschen ihr Dach über dem Kopf verlieren. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag klare Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Diesen wich- Vereinbarungen getroffen, tigen fnanziellen Beitrag des Bundes müssen die Länder jetzt auch für den sozialen Wohnungsbau verwenden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn und Sie weigern sich, diese in dieser Legislaturperiode [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: umzusetzen. Diejenigen, die auf diesen Schutz angewie- Was ist nach 2019?) sen sind, können sich bei Ihnen bedanken, wenn dieser Schutz nicht funktioniert. Das zu sagen, gehört, glaube Die Umsetzung liegt seit der Föderalismusreform auf ih- ich, zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hinzu. ren ausdrücklichen Wunsch hin in der Verantwortung der Länder. Einige Länder gehen mit positivem Beispiel vo- Mein letzter Punkt ist: Ja, man muss aufgrund der ran; da möchte ich schon Bayern erwähnen. Wir wissen letzten Jahrzehnte erkennen, dass wir in Deutschland aus aber auch, dass die Gelder nicht von allen Ländern für den unterschiedlichsten Gründen insgesamt eine falsche den sozialen Wohnungsbau genutzt wurden, sondern in Richtung eingeschlagen haben. Wenn man einen Ver- der Vergangenheit teilweise zum Stopfen von Haushalts- gleich mit Wien zieht, Frau Lay, dann stellt man fest: Der löchern, zum Beispiel auch in Berlin. Die Länder müssen Anteil der Sozialwohnungen dort liegt nicht bei 40 Pro- hier ihrer Verantwortung gerecht werden und die Mittel zent; vielmehr sind insgesamt 70 Prozent des Wohnungs- zweckgebunden einsetzen. Dazu haben sie sich im Ge- marktes in der Hand von Kommunen oder von Genos- genzug zur Erhöhung der Mittel eigentlich auch politisch senschaften. Diesen Anteil werden wir in Deutschland in verpfichtet. Die Zahlen aus dem letzten Jahr bestätigen den nächsten Jahrzehnten nicht erreichen. zwar, dass die Länder ihrer Verantwortung endlich mehr nachkommen und ein Umdenken stattgefunden hat, aber Aber das, was wir schaffen müssen, ist, durch eine dieser Trend muss in den kommenden Jahren deutlich neue Form von Wohnungsgemeinnützigkeit den Anteil fortgesetzt werden. wieder deutlich zu erhöhen, der nicht nur den Marktkräf- ten und der Proftorientierung ausgesetzt ist. Wir sind den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23611

Dr. Anja Weisgerber (A) Die soziale Wohnraumförderung ist ein Teil der Woh- führen zu Kostensteigerungen. Demgegenüber steht eine (C) nungsbaupolitik. Wir richten unsere Politik an der so- geringe Einsparung von Treibhausgasemissionen. Als zialen Marktwirtschaft aus und nicht am Konzept der Klima- und Baupolitikerin sage ich: Wir brauchen eine Planwirtschaft, wie das vielleicht einige in diesem Hause EnEV, die den Belangen des Klimaschutzes effzient und gerne hätten. zielgenau Rechnung trägt, die aber auch die Notwendig- keit, dass Wohnraum bzw. bezahlbarer Wohnraum zu (Beifall bei der CDU/CSU – Marie-Luise Dött schaffen ist, im Blick behält. Wir müssen diesen Aus- [CDU/CSU]: Und jetzt auch Herr Kühn!) gleich hinbekommen, meine Damen und Herren. Mit staatlicher Wohnraumförderung allein wird es aber (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn nicht gelingen, dass die 1 Million notwendigen Wohnun- [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen bis 2020 gebaut werden; das muss uns allen klar sein. Das ist an Ihnen gescheitert! Das ist echt ein Wir haben auch andere wichtige Weichen gestellt. Ne- Skandal!) ben der deutlichen Aufstockung der Mittel für den sozi- Zudem müssen wir bei der energetischen Sanierung alen Wohnungsbau haben wir auch das Wohngeld in die- von der Fokussierung auf die Gebäudehülle wegkom- ser Wahlperiode deutlich erhöht. Davon proftieren circa men. Die Potenziale sind hier weitgehend ausgereizt. 870 000 Haushalte, darunter etwa 90 000 Haushalte, die Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, das auch die vorher auf Grundsicherung angewiesen waren. Das ist Nutzung der erneuerbaren Energien und den Energiever- ein wichtiges Signal für die Mieterinnen und Mieter in brauch generell noch mehr einbezieht. unserem Land. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn DIE GRÜNEN]: Und wo ist das Gesamtkon- [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zept der Union?) Die Wohngelderhöhung ist bei den stark ge- stiegenen Mieten längst verpufft! Das wissen Das Fehlen von Bauland ist ein weiterer Kostentrei- Sie!) ber. Die Bereitstellung von Bauland liegt in der Hand der Kommunen. Mit der kürzlich verabschiedeten Bau- Auch im Mietrecht haben wir angesetzt. Wir haben rechtsnovelle haben wir den Instrumentenkasten der die Mietpreisbremse eingeführt, haben sie aber so aus- Kommunen erweitert, zum Beispiel durch das Urbane gestaltet, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird; Gebiet, um mehr Wohnraum zu schaffen. denn wir brauchen die privaten Investitionen in den Wohnungsmarkt. Deshalb ist es wichtig, die Rahmenbe- Das alles sind wichtige Maßnahmen und Instrumen- dingungen insgesamt richtig zu setzen. Das beste Mittel te, mit denen wir an dieser Stelle vorankommen können. (B) gegen Wohnungsknappheit und hohe Mieten ist doch – Aber – auch das habe ich schon oft betont – eine ein- (D) das haben wir, das habe ich mehrfach erwähnt in diesem seitige Konzentration auf Mietwohnungen greift zu kurz. Hohen Hause –: Bauen, bauen, bauen. Deutschland ist, historisch bedingt, ein Land der Miete- rinnen und Mieter. Aber 80 Prozent der Deutschen träu- (Beifall bei der CDU/CSU) men vom eigenen Heim oder von der eigenen Wohnung. All die Maßnahmen, die ich jetzt aufzählen werde, (Caren Lay [DIE LINKE]: Das muss aber sind keine Nebelkerzen, sondern tragen dazu bei, dass auch bezahlbar sein!) mehr Wohnraum entsteht. Mit der steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus waren wir im letzten Jahr auf Zu Recht! Denn Wohneigentum ist die beste Altersvor- einem guten Weg, um den Bau von weiteren Wohnungen sorge. Hinzu kommt, dass jede Eigentumswohnung und anzukurbeln. In den ersten drei Jahren war eine Abschrei- jedes Eigenheim die Wohnungsmärkte entlastet. Derzeit bung von bis zu 35 Prozent der Investitionen vorgesehen. liegt die Eigentumsquote in Deutschland bei etwa 52 Pro- Das hätte die Investitionen in dem Bereich angekurbelt. zent. Ich sage ganz offen: Da ist noch Luft nach oben. Doch leider ist dieser Gesetzentwurf auf der Zielgeraden (Beifall bei der CDU/CSU) trotz der Absenkung der Kappungsgrenze aufgrund der Intervention des Koalitionspartners gescheitert. Dabei Deshalb wollen wir die Rahmenbedingungen so an- wäre die steuerliche Förderung ein starkes Signal für passen, dass sich auch Familien und Haushalte mit mehr Wohnungsbau gewesen. Meine Damen und Herren, niedrigem oder mittlerem Einkommen den Traum vom wir werden hier nicht lockerlassen und eine steuerliche Eigenheim erfüllen können. Deshalb wollen wir ein Bau- Förderung auch weiterhin vehement fordern. kindergeld für den Erwerb von selbstgenutztem Wohnei- gentum schaffen. Wir wollen die Wohnungsbauprämie (Beifall bei der CDU/CSU) endlich wieder an die Einkommensgrenzen anpassen und Wir müssen aber auch an weiteren Stellschrauben dre- die Einkommensgrenzen an dieser Stelle erhöhen. Das hen; das hat die Baukostensenkungskommission im Rah- ist dringend notwendig, weil die letzte Anpassung sehr men des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen weit zurückliegt. herausgearbeitet. Damit mehr investiert wird, müssen (Beifall bei der CDU/CSU) auch die Baukosten gesenkt werden. Ein Beispiel ist die Energieeffzienz von Gebäuden. Die EnEV ist zur Errei- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. chung der Klimaziele im Gebäudebereich wichtig. Wir Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesem Strauß an müssen dabei aber immer auch die Wirtschaftlichkeit Maßnahmen mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutsch- im Auge behalten. Die Anforderungen der EnEV 2016 land schaffen werden. 23612 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Anja Weisgerber (A) Vielen Dank. Die Verbesserungen beim Wohngeld sind schon an- (C) gesprochen worden, die in der Städtebauförderung auch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich will aber noch auf zwei Punkte eingehen. ordneten der SPD) Die Kolleginnen und Kollegen von der Union haben das Mietrecht angesprochen. Herr Pronold hat schon Vizepräsidentin Claudia Roth: darauf hingewiesen, dass wir uns da viel mehr erhofft Vielen Dank, Frau Weisgerber. – Nächster Redner für haben. Im Koalitionsvertrag haben wir auch wesentlich die SPD-Fraktion: Michael Groß. mehr vereinbart. Ich ärgere mich da massiv. Wenn ich ei- nen Ihrer Kollegen zitieren darf, der in Tempelhof-Schö- (Beifall bei der SPD) neberg Abgeordneter ist: Im Bundestag habe ich Ge- setzesvorschläge des Justizministeriums entschärft, die Michael Groß (SPD): Investitionen im Wohnungsbau massiv erschwert hät- ten. – Er selber sagt, dass er das Mietrecht nicht schärfen Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin- wollte. Er sagt, er wollte die Eigentümer schützen. Das nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr ist doch eine Ohrfeige für die Mieter und Mieterinnen, Pronold, ich möchte zu Beginn der Ministerin sehr herz- insbesondere hier in Berlin, aber auch in allen anderen lich danken, dass sie sich erfolgreich dafür eingesetzt hat, Großstädten. dass wir inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben können. Damit werden wir in (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem den Jahren 2017, 2018 und 2019 Schätzungen zufolge BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen 45 000 Wohnungen bauen können. Dass hier eine Kehrt- [SPD]: Gut, dass du das so klarmachst!) wende eingeleitet wurde, ist ein großes Verdienst ihres Wir wollten sogar ein Mietrechtspaket II, die Moder- Hauses und von Ihnen, Herr Pronold. Herzlichen Dank! nisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent senken, (Beifall bei der SPD) eine Kappungsgrenze einführen, eine Härtefallklausel schaffen – alles mit Ihnen nicht machbar. Ich möchte auf Frau Weisgerber eingehen. Wir haben in Deutschland ein großes Problem, das insbesondere (Ulli Nissen [SPD]: Empörend!) Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen be- Ich hoffe, dass in der nächsten Legislatur diese Dinge er- trifft. Deutschland ist ein Mieterland. Das bedeutet, dass reicht werden können, weil sie für die Bürgerinnen und etwa 57 Prozent der Haushalte Miete zahlen. Die Miete Bürger, für die Mieter in diesem Land wichtig sind. bewegt sich dabei zwischen 4 Euro und 16, 17 Euro pro (B) Quadratmeter in den Großstädten. Darüber reden wir. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da (D) Herr Kühn hat schon darauf hingewiesen, dass 50 Pro- war eigentlich Applaus vorgesehen!) zent der Menschen davon betroffen sind, dass wir zu we- – Ja. nig bzw. knappen Wohnraum haben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Was sind das für Probleme? Man wird alt und braucht eine neue Wohnung, weil man sich verkleinern will. Man Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges The- hat, wenn man Rente bekommt, Probleme, eine bezahl- ma, das auch schon angesprochen wurde, ist das Thema bare Wohnung zu fnden. Vergrößert sich die Familie, Bodenpolitik. Ich glaube, dass neben der Gemeinwohl- bekommt man also Kinder, hat man in Großstädten das orientierung oder Gemeinnützigkeit ein wichtiges Ziel Problem, eine Wohnung zu fnden, die mit dem eigenen sein muss, die Kommunen wieder zu stärken, damit sie Einkommen bezahlbar ist. Deswegen sagen auch wir bei der Bodenpolitik wieder handlungsfähig werden, da- Sozialdemokraten eindeutig: Wir brauchen wieder eine mit sie eine vorausschauende Bodenpolitik machen kön- neue Gemeinwohlorientierung oder neue Gemeinnützig- nen. keit, um für die Menschen bezahlbaren Wohnraum zu (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie- schaffen, und darum wollen wir uns kümmern. Luise Dött [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD) All das, was wir mit Gemeinnützigkeit erreichen kön- nen, kann man heute in einer kommunalen Wohnungs- Das ist für uns Daseinsvorsorge. Das ist die Schaffung gesellschaft entscheiden, nämlich: reinvestieren, keine von gleichen Lebensverhältnissen. Ausschüttungen vornehmen, Rendite begrenzen. Deswe- Wir haben schon gehört, dass es immer mehr Bauge- gen brauchen wir mehr kommunale Wohnungsunterneh- nehmigungen gibt und dass es auch immer mehr Sozial- men, als wir heute haben. wohnungen gibt – das fndet statt –, aber ein Riesenpro- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian blem ist für uns, dass wir als Bund ab 2020 nicht mehr Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern für be- NEN]) zahlbaren Wohnraum sorgen können. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten diese gemeinsame Verantwortung 600 kommunale Wohnungsunternehmen halten 60 Pro- auch nach 2020 wieder möglich machen, und deswegen zent der Sozialbindungen, und das müssen wir ausbauen. wollen wir eine Grundgesetzänderung anstreben. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23613

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: weise sind Bremen oder Bremerhaven oder zahlreiche (C) Vielen Dank, Kollege Groß. – Nächster Redner: Städte in Nordrhein-Westfalen von Vollbeschäftigung Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion. weit entfernt, sie sind teilweise die traurigen Anführer in den Arbeitslosenstatistiken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD]) (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Meine Botschaft lautet daher: Schaut aufs Land. Es ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten fahrlässig, den ländlichen Raum in der Diskussion über Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bezahlbaren Wohnraum zu ignorieren. Ja, viele Men- Die heutige Debatte hat uns wieder eines gezeigt: Der so- schen zieht es vom Land in die Städte, aber wir müssen ziale Wohnungsbau ist ein komplexes Thema. Mit Über- auch eine Ecke weiterdenken. Der ländliche Raum darf eifer und Polemik kommen wir hier nicht weiter, lieber nicht länger Ursache des Problems sein, sondern er muss Herr Kollege Kühn. Teil der Lösung werden. Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der (Beifall bei der CDU/CSU) Linken, stimmen wir hoffentlich in einem Punkt überein, Ich will das gerne mit einem Beispiel verdeutlichen. nämlich in der Bestandsaufnahme. Es fehlt an günstigem Mein Wahlkreis liegt im Elbe-Weser-Dreieck zwischen Wohnraum in den Großstädten, und es ist insofern gut, der Metropolregion Hamburg und der Großstadt Bremen. dass wir heute über dieses wichtige Thema sprechen. Wir sind eine kraftvolle Region im ländlichen Raum, mit Fakt ist: Wir brauchen jährlich rund 400 000 neue einem starken Branchenmix aus Industrie, Handel, Hand- Wohnungen. Wir brauchen Wohnraum in allen Berei- werk, Landwirtschaft und vor allem einem starken und chen, in allen Segmenten. Ja, wir brauchen auch güns- gesunden Mittelstand. Ja, wir sind ein Jobmotor. Rund tigen Wohnraum. Ich hoffe, auch hier sind wir uns noch um Zeven beispielsweise haben wir fast Vollbeschäfti- einig: Der soziale Wohnungsbau wird diesen Bedarf al- gung, eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent. leine nicht decken können. Meine Kollegen haben es in (Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär: Der ihren Reden schon deutlich gemacht: Private Investoren Rest arbeitet in Bremen!) und der Eigenheimbau – auch das sind zentrale Säulen, die wir dringend stärken müssen. Dazu brauchen wir die Aber wir haben noch mehr. Wir haben ein starkes Mit- steuerliche Förderung im Mietwohnungsneubau. Das einander, eine lebendige Vereinsstruktur und ganz viel sind ganz wichtige Anreize für den Wohnungsmarkt. Grün. Warum Hamburg und Bremen immer weiter ver- (B) Auch mit einem attraktiven Baukindergeld muss jungen dichten, wenn die schönste Region zum Wohnen genau (D) Familien geholfen werden, den Traum vom Eigenheim zwischen diesen beiden Metropolregionen liegt, dort, wo zu realisieren. Das Thema Baukindergeld wird in der Menschen Urlaub machen? nächsten Legislaturperiode ganz oben auf unserer Agen- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- da stehen. Da hoffen wir, deutlich mehr zu bewirken. nau!) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn Bei uns – bei mir in Zeven, Selsingen, Harsefeld, Freden- [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: beck; ich könnte zahlreiche Gemeinden nennen – sucht Warum hat der Finanzminister das nicht schon der Mittelstand händeringend Arbeitskräfte. Im Hand- lange umgesetzt?) werk werden dringend Auszubildende gesucht. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Han- dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen die Woh- stedt, Jesteburg, Buchholz, Seevetal!) nungsbaudebatte nicht allein auf die Brennpunkte des Wohnungsmarkts verengen. Jetzt auf Teufel komm raus – Genau, lieber Michael. – Dort pulsiert es. Das sind billigen Wohnraum, graue Wohntürme in vielen neuen Chancen, die wir nutzen können und die wir nutzen Satellitenstädten zu schaffen, das führt in eine völlig ver- müssen. Die Menschen sehnen sich nach einer Heimat, kehrte Richtung. Damit schaffen wir den Sanierungsfall einem Zuhause, wo sie sich wohlfühlen, wo sie eingebet- für die Zukunft und auch Leerstände von morgen. Hier tet sind in ein gutes Umfeld von Familie, von Freunden, gibt es genügend Beispiele in der Vergangenheit, bei- von Vereinen, wo sie gute Arbeit fnden können, wo sie spielsweise in der DDR. Schauen wir auf das europäi- mit ihren Familien Wurzeln schlagen können. Was sich sche Ausland. Die Bilder der Vorortstädte in Frankreich niemand wünscht, sind anonyme, kalte, graue Vorstädte kennen wir alle. Das brauche ich nicht zu wiederholen. ohne sozialen Rückhalt, ohne gute Lebens- und Arbeits- Deswegen plädiere ich dafür, nicht an den Symptomen bedingungen. herumzudoktern, sondern das Problem an der Wurzel zu packen. Daher müssen wir aufpassen, dass wir keine Ballungs- zentren schaffen, die am Ende zum Ballungsraum für Vor diesem Hintergrund erst einmal eine kleine Be- Probleme werden. Ich glaube, der ländliche Raum kann standsaufnahme: Ja, Städte sind Magnete mit einer gro- zu einem ganz wichtigen Entlastungsventil für überhitzte ßen Anziehungskraft. Viele Menschen zieht es dorthin, Wohnungsmärkte werden. Aber es stellt sich die Frage: aber nicht jede Stadt ist ein pulsierender Jobmotor wie Was müssen wir tun, damit unsere liebenswerte Heimat, München, Frankfurt oder Hamburg. Nicht jede Stadt bie- der ländliche Raum, eine wirkliche Entlastungsfunktion tet einen sicheren Hafen für Vollbeschäftigung. Beispiels- einnehmen kann? An erster Stelle steht das Thema Ver- 23614 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Oliver Grundmann (A) kehrsinfrastruktur. Autobahnen, Straßen, Schienenwe- ne einzige Sozialwohnung gebaut wurde. Ich fnde das (C) ge – das sind die Lebensadern einer modernen Volkswirt- wirklich beschämend. schaft. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Stade, meine Heimatstadt, ist mittlerweile an das neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE S‑Bahn-Netz der Metropolregion Hamburg angeschlos- GRÜNEN) sen. Das gibt uns die Möglichkeit, dass Tausende von Pendlern auf die S‑Bahn umsteigen können. Mit meinem Oliver Grundmann (CDU/CSU): VW-Bus, mit dem ich unterwegs bin, brauche ich für die 35 Kilometer Luftlinie von der Tür meines Hauses in Sta- Sehr geehrte Frau Kollegin Lay, ich danke Ihnen für de bis nach Hamburg teilweise über eine Stunde Fahrzeit, Ihre Frage. Das eine zu tun, bedeutet natürlich nicht, sogar bis zu zwei Stunden. Autobahnen, die wir brau- das andere zu lassen. Wir müssen die privaten Kräfte im chen, wie die A 26, wurden Jahrzehnte vom politischen Wohnungsbau stärken, wir müssen durch entsprechen- Gegner bekämpft. Man hat allein 40 Jahre gebraucht, um de Anreizsysteme Möglichkeiten schaffen, dass private sie gerade einmal bis zur Hälfte zu realisieren. Wir sind Bauwillige dort etwas tun, und wir müssen den ländli- unglaublich dankbar und stolz auf diese Große Koalition, chen Raum stärken. Ich glaube, da sind die Kolleginnen dass wir den Bundesverkehrswegeplan im letzten Jahr und Kollegen insbesondere in den östlichen Bundeslän- auf die Straße gebracht haben – im Übrigen gegen Grü- dern auf einem sehr guten Wege. Den ländlichen Raum ne und Linke beschlossen, sie haben das ja bekämpft –, müssen wir kraftvoll ausbauen. damit es endlich weitergehen kann mit unseren dringend (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) notwendigen Verkehrsachsen A 26, A 20 und den zahlrei- chen Autobahnen und Bundesstraßen in den Wahlkreisen Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme meiner Kollegen. zu einem weiteren Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: die Geruchsimmissions-Richtlinie. Junge (Beifall bei der CDU/CSU) Familien in Niedersachsen, insbesondere bei uns im El- be-Weser-Raum, dürfen nicht mehr in ihren Heimatdör- Natürlich müssen wir die Digitalisierung und den fern bauen, dürfen nicht dort bauen, wo sie geboren sind, Breitbandausbau schnellstens voranbringen. Die digitale wo sie aufgewachsen sind, wo sie als Kinder gespielt ha- Spaltung muss beendet werden. Wir brauchen fächende- ben, weil es dort eine Vorschrift gibt: die Geruchsimmis- ckend Funkmasten. Der Schweizer Käse, den wir haben, sions-Richtlinie, die es ihnen verbietet, selbst in Baulü- muss ein Ende haben. Wenn ich durch meinen Wahlkreis cken auf elterlichen Grundstücken günstige Eigenheime fahre, habe ich dort permanent Abrisse. zu errichten – nur weil es nach Landluft riecht, die sie (B) seit ihrer Geburt eingeatmet haben, die gesundheitlich (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: nachweislich absolut unbedenklich ist. Aber der nieder- Herr Grundmann, erlauben Sie eine Frage oder Be- sächsische Umweltminister stellt sich quer und denkt merkung von Frau Lay? überhaupt nicht daran, die Geruchsimmissions-Richt- linie zu überarbeiten und das Bauen auf dem Lande zu ermöglichen. Hier hoffe ich auf Unterstützung dabei, das Oliver Grundmann (CDU/CSU): zukünftig aus dem Wege zu räumen. Ja. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es kann doch nicht sein, dass der ländliche Raum wegen (DIE LINKE): Caren Lay solchen Bürokratieirrsinns weiter ausblutet und unsere Vielen Dank, Herr Kollege. Ich freue mich, dass die Dörfer keine Zukunft haben. Debatte zu unserer Großen Anfrage „Sozialer Woh- nungsbau in Deutschland“ zu einer gesamtgesellschafts- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir politischen Debatte geworden ist. es richtig anfassen, dann kann der ländliche Raum einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Wohnungs- Ich möchte es gerne konkret machen. Beispielsweise märkte leisten. Der ländliche Raum und das Umland von fnden die Menschen bei uns in der Lausitz keine Arbeit, Städten können ein leistungsstarkes Entlastungsventil für es fährt kein Bus vom Dorf in die nächste Stadt. Dank unsere Städte werden. Aber dann müssen wir ihnen eben der Schulschließungspolitik Ihrer Kollegen von der CDU auch Chancen geben. Den Blick auf Großstädte zu veren- fnden sie auf dem Land auch keine Schulen mehr. Des- gen, ist der falsche Weg. wegen ziehen sie beispielsweise nach Dresden oder nach Leipzig, weil sie dort Arbeit, Schule und öffentliche In- Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren, frastruktur fnden. Dort fnden sie aber dann keine be- besteht aus Städten und Dörfern. Deutschland besteht zahlbare Wohnung mehr. zu 90 Prozent aus ländlichem Raum, und die Hälfte der Menschen lebt auf dem Lande. Daher wiederhole ich Meine Frage an Sie ist: Was raten Sie eigentlich Ihren meine klare Botschaft: Schaut aufs Land! Wenn die Ent- Kolleginnen und Kollegen von der sächsischen CDU? wicklungschancen gerecht und gleich verteilt sind und Sollen sie die fatale Politik der Schulschließungen in sich damit auch der Wohnungsmarkt in den Städten ent- ländlichen Regionen beenden oder endlich auch in Sach- spannt, dann eröffnet uns das sehr gute Chancen, dann sen Sozialwohnungen bauen? Sachsen ist eines der we- proftieren wir alle davon – die Städte und das Land. In nigen Bundesländer, in denen in den letzten Jahren kei- diesem Sinne: Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23615

Oliver Grundmann (A) Vielen herzlichen Dank. chen. Erst in dieser Legislaturperiode haben wir das Pro- (C) gramm wieder ordentlich und gut ausgestattet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: In der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der Vielen Dank, Oliver Grundmann. – Nächster Redner: Stadt Fürth schlägt sich nachhaltiges Arbeiten deutlich Carsten Träger für die SPD-Fraktion. nieder. Schritt für Schritt, Gebäude für Gebäude, Stra- ßenzug um Straßenzug werden die alten Bauten saniert. (Beifall bei der SPD) Die Kosten werden per Mischkalkulation sozialverträg- lich umgelegt. Das ist auch im Sinne der Bestandsmieter. Dass bei der Sanierung auch die Ziele der Energie- und Carsten Träger (SPD): Wärmewende vorangetrieben werden, ist kein Zufall, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sondern ausdrückliche Absicht. Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist eine Frage der Ge- rechtigkeit. Wir sehen in fast allen Großstädten unseres Alle diese Beispiele aus meiner Heimatstadt zeigen: Landes, dass die Preise so sehr steigen, dass die uralte Wenn die SPD Verantwortung trägt, entsteht nachhalti- Faustregel gebrochen wird: Ein Drittel des Einkommens ger, attraktiver und günstiger Wohnraum, auch in einer für Wohnen aufzuwenden, ist okay. – Wenn es mehr kos- dynamisch wachsenden Stadt. Wir brauchen mehr so- tet, wird es eng im Geldbeutel, vor allem, wenn der Geld- zialen Wohnungsbau in Deutschland, damit Wohnen beutel nicht so groß ist. bezahlbar wird und bleibt. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Auch in meiner Heimatstadt Fürth ist dieses Problem Vielen Dank. sichtbar, aber wir gehen es erfolgreich an. Bereits seit dem Amtsantritt des Oberbürgermeisters im Jahr 2002 (Beifall bei der SPD) zeigt die Stadt, wie nachhaltige und gute Planung im Rahmen von engen örtlichen Gegebenheiten funktio- Vizepräsidentin Claudia Roth: niert. Wir sind eine kleine, aber wachsende Großstadt mit Vielen Dank, Carsten Träger. – Letzter Redner in der bald 130 000 Einwohnern. In den letzten 15 Jahren zo- Debatte: Detlev Pilger für die SPD-Fraktion. gen pro Jahr im Schnitt 1 000 Einwohner zu; denn Fürth ist attraktiv. Wir haben im Schnitt 18 Baudenkmäler pro (Beifall bei der SPD) 1 000 Einwohner. Damit gehört Fürth zu den sechs am besten erhaltenen Großstädten in Deutschland. Das ist Detlev Pilger (SPD): (B) ein Topwert, aber natürlich bedeutet es gleichzeitig eine (D) riesige Herausforderung hinsichtlich der städtebaulichen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Entwicklung. Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Grundmann, auch ich will keine grauen Trabantenstädte in den Groß- Herr Kollege Grundmann, Sie sagen selbst, dass Sie städten, das ist ganz klar – aber Carsten Träger hat darauf vom Land kommen. Dann reden Sie besser nicht von hingewiesen: es gibt moderne und innovative Entwick- „grauen Wohntürmen“ in irgendwelchen Banlieues. lungen beim sozialen Wohnungsbau –, und auch ich will keine ländlichen Räume ohne jegliche Infrastruktur ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben; denn aus diesem Grund ziehen die Menschen aus des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der dem ländlichen Raum in die Ballungsgebiete und in die Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Städte. Das hat mit sozialem Wohnungsbau heutzutage nichts Wir können stolz darauf sein, Herr Staatssekretär mehr zu tun. Bei uns funktioniert es. Und wie funktioniert Pronold, dass wir im Haushalt 1,5 Milliarden Euro für es? Über das Programm „Soziale Stadt“. Der Oberbür- den Wohnungsbau eingestellt haben. Das ist eine gute germeister Thomas Jung ruft bereits seit seinem Amtsan- Sache. Aber wir dürften uns einig sein: Der soziale Woh- tritt 2002 die zur Verfügung stehenden Fördermittel kon- nungsbaumarkt wurde dadurch nicht wesentlich belebt. sequent ab. Das ist der Schlüssel für viele erfolgreiche Die Zahlen wurden genannt: 25 000 Wohnungen werden Projekte; nicht nur im sozialen Wohnungsbau, aber eben jährlich gebaut, circa 50 000 Wohnungen fallen jährlich auch im sozialen Wohnungsbau. Es funktioniert, wenn es aus der sozialen Bindung. Man sieht: Das bisherige Sys- Hand in Hand geht. tem, den sozialen Wohnungsbau zu forcieren, hat nicht funktioniert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das Verdienst der Bundesbauministerin Barbara Hendricks und von Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus meinem Ihnen, Herr Staatssekretär Pronold, dass die Erfolgsge- Wahlkreis nennen. Es handelt sich um eine Familie mit schichte „Soziale Stadt“ weitergeführt und vor allem vier Personen, zwei davon im Vollerwerb. Ich komme stärker gefördert wird. aus Koblenz. Koblenz ist eine wachsende Stadt, aber im- mer noch eine kleine Großstadt; ähnlich wie die Stadt, (Beifall bei der SPD) aus der Carsten Träger kommt. Dort fnden Sie für diese Familie keinen bezahlbaren Wohnraum. Denn das Programm „Soziale Stadt“ erfuhr erst unter Ih- rer Regie eine richtige Blüte. Unter der schwarz-gelben Ein anderes Beispiel. Ich bin in Obdachloseninitiati- Vorgängerregierung wurden die Mittel zusammengestri- ven tätig. Dort gibt es Männer und Frauen, die in Thera- 23616 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Detlev Pilger (A) pie sind, die in Projekten für begleitetes Wohnen leben, Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) und wieder in der Gesellschaft Fuß fassen wollen. Versu- Vielen Dank, Kollege Pilger. – Damit schließe ich die chen Sie einmal, für eine solche Person eine Wohnung in Aussprache. einer Stadt zu fnden. Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- Ich bin im Beirat der Justizvollzugsanstalt Koblenz. schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- Wir sprechen sehr oft von Resozialisierung. Versuchen sache 18/12387. Wer stimmt für diesen Entschlie- Sie einmal für jemanden eine Wohnung zu fnden, der ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich eine zweite Chance braucht. Sie haben keinerlei Chance. jemand? – Nein. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grü- Wir sind uns an dieser Stelle hoffentlich alle einig, nen. Dagegen war die Große Koalition, CDU/CSU und dass auch diese Menschen eine würdige Unterkunft ver- SPD. dienen und dass wir den Auftrag haben, für diese Men- schen eine Wohnung zu fnden. Es kann unmöglich sein, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, dass man in Städten ganzen Bevölkerungsgruppen keine Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An- Wohnungen mehr anbieten kann. trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- tel „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und klimafreundlich“. Der Ausschuss empfehlt in seiner der LINKEN und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11020, den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10027 abzulehnen. Wer stimmt für diese In der letzten Woche kam ein Hartz-IV-Empfänger Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- zu mir ins Büro – verheiratet, seine Frau frühverrentet, tungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom- mehrfach erkrankt –, der seine Wohnung wegen Eigen- men. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen bedarf räumen soll. Er war zwar langzeitarbeitslos, ist waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. aber nie auffällig geworden, er hat immer die Energie- Wir kommen zu einem neuen Tagesordnungspunkt, kosten bezahlt. Jetzt muss er auf dem Wohnungsmarkt und ich bitte Sie, die Plätze zu tauschen. eine Wohnung fnden. Ich bin äußerst gut auf dem Woh- nungsmarkt vernetzt. Ich bin seit 30 Jahren Mitglied des Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Aufsichtsrats einer großen Genossenschaft, davon war ich 15 Jahre Aufsichtsratsvorsitzender, ich habe also gute Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Verbindungen. Suchen Sie einmal für diesen Mann und gierung (B) seine Frau eine Wohnung. Sie haben keine Chance. Er Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesre- (D) hat keine Chance, eine Wohnung zu fnden, und er ist gierung 2016 jetzt von der Zwangsräumung bedroht. Das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Drucksache 18/9495 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) der LINKEN) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Wir müssen den sozialen Wohnungsbau forcieren. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Wie machen wir das? Wir müssen – es wurde mehrfach Ausschuss für Tourismus angesprochen – die Genossenschaften und die kom- Ausschuss Digitale Agenda munalen Wohnungsbaugesellschaften unterstützen und mehr fördern, und auch die Privaten gehören unterstützt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das hat den Wohnungsbaumarkt stabilisiert, Arbeits- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre und plätze gesichert, Unternehmen stabilisiert. Das, was wir sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gemacht haben, ist gut; aber dadurch wurde der soziale Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bun- Wohnungsbau nicht belebt. Das ist eine gesellschaftliche desminister Heiko Maas. Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollten wir alle gemeinsam machen, egal welches Parteibuch wir (Beifall bei der SPD) haben; Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren braucherschutz: Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Damen und Herren! Das ist der erste verbraucherpoliti- denn das führt zur Zufriedenheit vieler Menschen, und sche Bericht, der unter Federführung des Bundesminis- das ist unser Auftrag. teriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt wird. Mit dem neuen Zuschnitt des Ressorts haben wir Vielen Dank. zu Beginn der Wahlperiode einen richtigen Schritt getan; denn heute kommt die Stärke des Rechts all denjenigen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren zugute, die im Wirtschaftsleben etwas schwächer sind, Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler und das sind in der Regel die Verbraucherinnen und Ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) braucher. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23617

Bundesminister Heiko Maas (A) Meine Damen und Herren, ich möchte drei Verbrau- Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein Mieter- (C) chergruppen herausgreifen, denen unsere Arbeit in den land. Das wissen wir alle. Deshalb muss Verbraucherpo- letzten Jahren besonders zugutegekommen ist: Das sind litik immer auch Mieterpolitik sein. Mit dem Besteller- die Internetnutzer, das sind Bankkunden, und das sind prinzip bei Maklerkosten haben wir Wohnungssuchende auch Mieterinnen und Mieter. fnanziell ganz erheblich entlastet. Wir haben damit das Grundprinzip der Marktwirtschaft, nämlich: „Wer be- Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen und stellt, bezahlt“, auch bei den Maklerkosten eingeführt. Informationen in den letzten Jahren ganz enorm erleich- tert. Damit sind allerdings auch große Unsicherheiten Im Interesse von Mieterinnen und Mietern haben wir entstanden, zum Beispiel, wenn es um das Kopieren und zudem einen weiteren juristischen Schritt getan: Bei die Nutzung von Inhalten aus dem Netz geht – Dinge, die Neuvermietungen liegt es jetzt nicht mehr allein in der uns alle tagtäglich betreffen. Hand des Vermieters, über die Höhe der Miete zu bestim- men. Wir wissen, dass es in den Ballungszentren Miet- Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter – das heißt steigerungen von 20, 30 oder 40 Prozent gegeben hat. eben auch: Der Lehrer, der für sein Unterrichtsmaterial Deswegen haben wir die Mietpreisbremse eingeführt. Sie einen Text aus dem Netz kopiert, braucht Rechtssicher- ist ein völlig neues Instrument; in der Form hat es sie heit, und ein Schüler, der für sein Referat ein Foto herun- noch nicht gegeben. Sie hat zum Ziel, die drastischen Er- terlädt, soll nicht länger von Abmahnungen und Anwalts- höhungen von Mieten, welche zu Verdrängungen und zu kosten bedroht sein. Monokultur in begehrten Stadtvierteln führen – das will (Beifall bei der SPD) ja niemand – erheblich einzuschränken. Deshalb ist und bleibt die Mietpreisbremse richtig und wichtig. Deshalb schaffen wir mit der Reform des Urheberrechts, die im Laufe des heutigen Tages beschlossen werden Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Probleme bei soll, Rechtssicherheit. Wir erlauben solche Nutzungen der Anwendung der Mietpreisbremse, die es derzeit noch per Gesetz, und wir schützen damit die Verbraucherinnen gibt, ganz erheblich verringert werden. Das könnte man und Verbraucher vor juristischen Risiken und Nebenwir- ganz einfach erreichen, indem man Vermieter gesetzlich kungen. verpfichtet, die Vormiete offenzulegen. Dadurch würde offenkundig, ob die Mietpreisbremse beachtet oder ver- Mehr Verbraucherschutz im Netz – das heißt darüber letzt wird. Bewerberinnen und Bewerber für eine Woh- hinaus auch: nung, die mit 20 Konkurrenten in der Schlange stehen, Wir haben die Störerhaftung für die Anbieter von müssten sich dann gar nicht erst überlegen, ob sie sich bei WLANs abgeschafft. Das erleichtert die Errichtung von ihrem potenziellen neuen Vermieter möglicherweise un- (B) Hotspots und den Zugang zum Netz für alle Verbrauche- beliebt machen, wenn sie sich nach der Vormiete erkun- (D) rinnen und Verbraucher. digen, und deshalb die Wohnung nicht bekommen. Die jetzige Situation führt ja dazu, dass die Mietpreisbremse, Wir konnten in Europa erreichen, dass das Geoblo- die gesetzlich besteht und fxiert ist, bedauerlicherweise cking eingeschränkt wird. Was der Verbraucher einmal noch nicht überall dort, wo sie gebraucht wird, auch in bezahlt hat, soll er auch überall nutzen können. Auch das Anwendung kommt. Wie gesagt, das könnte man ganz gehört zur Freizügigkeit, nämlich der der Verbraucherin- einfach ändern, indem man den Vermieter verpfichtet, nen und Verbraucher in Europa. die Vormiete offenzulegen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Und schon in vier Wochen werden in Europa endlich Meine Damen und Herren, auch bei einem anderen die Roaminggebühren fallen. Das heißt, in absehbarer Thema, nämlich beim Thema Finanzen, haben wir in den Zeit wird die Abzocke von Verbraucherinnen und Ver- letzten fast vier Jahren viel für die Verbraucherinnen und brauchern beim grenzüberschreitenden Telefonieren end- Verbraucher erreicht. Auch das ist ein wichtiges Thema lich ein Ende haben. für Verbraucherinnen und Verbraucher. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verbrau- Mit dem Girokonto für jedermann haben wir endlich cherpolitik im digitalen Zeitalter – das heißt auch Da- dafür gesorgt, dass jeder am bargeldlosen Leben teilha- tenpolitik. Mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung ben kann. haben wir die Datensouveränität, also die Selbstbestim- mung der Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre Wir haben darüber hinaus Verbraucherinnen und Ver- persönlichen Daten, ganz erheblich gestärkt. Noch wich- braucher vor der Schuldenfalle Dispokredit besser ge- tiger ist dabei: Die Grundverordnung wird für alle Un- schützt. Wir haben die Banken zu mehr Transparenz bei ternehmen gelten, die auf dem europäischen Markt tätig ihren Zinssätzen gezwungen und sie verpfichtet, jedem, sind. Kein Unternehmen kann dann Verbraucherrechte der zu tief in den Dispo gerät, eine Beratung und Um- ignorieren, weil es keine Niederlassung in der EU hat schuldung anzubieten. oder seine Server irgendwo in Übersee stehen. Das ist im digitalen Zeitalter, das immer mehr unser gesamtes Wir haben außerdem mehr Wettbewerb im Bereich Leben, und zwar berufich wie privat, bestimmt, ein ganz der Konten geschaffen. Verbraucherinnen und Verbrau- erheblicher Fortschritt, den wir in dieser Legislaturperio- cher können ihr Girokonto heute wesentlich einfacher de zusammen erreichen konnten. wechseln, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. In Zeiten steigender Kontoführungsgebühren ist das (Beifall bei der SPD) außerordentlich wichtig. 23618 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Bundesminister Heiko Maas (A) Schließlich haben wir mit dem Kleinanlegerschutz- Viele, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt (C) gesetz den Grauen Kapitalmarkt reguliert und die Men- haben, haben eigene Vorschläge dazu gemacht. Auch schen vor unseriösen und intransparenten Finanzproduk- wenn die Musterfeststellungsklage in dieser Legislatur- ten besser geschützt. Die BaFin hat deshalb jetzt mehr periode nicht mehr kommt: Im nächsten verbraucherpo- Befugnisse bekommen. Sie kann jetzt gegen schwarze litischen Bericht sollte sie nicht mehr fehlen, meine sehr Schafe in der Branche besser vorgehen und notfalls auch verehrten Damen und Herren. Vertriebsverbote verhängen sowie Sanktionen öffentlich bekannt machen. Wenn es das schon vorher gegeben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hätte, hätte es einen Fall wie Prokon in Deutschland nie der CDU/CSU) gegeben. Auch da geht es wie in der gesamten Verbraucherpoli- tik vor allen Dingen um eines, nämlich: Recht zu haben, (Beifall bei der SPD) muss auch bedeuten, Recht zu bekommen. Das muss Meine Damen und Herren, wir haben in den Jahren für Verbraucherinnen und Verbraucher künftig genauso dieser Legislaturperiode auch die Strukturen der Ver- zusammenhängen, wie das bei Justiz und Verbraucher- braucherpolitik verändert: schutz heute schon der Fall ist. Herzlichen Dank. Wir haben mit der Verbraucherschlichtung einen Weg geschaffen, damit Betroffene ihre Rechte gegenüber Un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ternehmen einfach, schnell und kostengünstig durchset- der CDU/CSU) zen können. Wir haben als eine Art Frühwarnsystem die Markt- Vizepräsidentin Claudia Roth: wächter geschaffen, um Missstände, die es gegenüber Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächste Rednerin: Karin Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt, zu erkennen Binder für die Fraktion Die Linke. und sie den Entscheidungsträgern zuzuführen. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben den Verbraucherorganisationen mehr Rech- te gegeben, zum Beispiel durch die Ausweitung der Ver- Karin Binder (DIE LINKE): bandsklage. Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Wir haben der Verbraucherpolitik auch international Meine Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherpoli- zu einem höheren Stellenwert verholfen. Zum ersten Mal tik wurde in der 18. Legislaturperiode aufgeteilt: Wirt- (B) hat sich in diesem Jahr ein G-20-Gipfel mit dem Verbrau- schaftlicher Verbraucherschutz ging an das Ministerium (D) cherschutz beschäftigt. Alle Regierungen dieser 20 Staa- der Justiz und für Verbraucherschutz, gesundheitlicher ten fangen endlich an, die Wirtschaft nicht nur aus Sicht Verbraucherschutz blieb beim Bundesministerium für von Staaten, Unternehmen und Managern zu betrachten, Ernährung und Landwirtschaft. Wozu führt das? Ver- sondern auch aus der Perspektive von Verbraucherinnen braucherpolitik wird aufgeteilt und damit geschwächt. und Verbrauchern. Das ist für uns selbstverständlich, Sie wird in zwei Ministerien als Anhängsel betrachtet aber für viele ist es immer noch revolutionär. Deshalb und verliert damit ihre Durchschlagskraft. Dafür gibt es war es überfällig, dass wir im Rahmen unserer Präsident- leider zahlreiche Beispiele. schaft dafür gesorgt haben, dass dieser Weg eingeschla- Ich beginne mit dem VW-Skandal. Der Abgasskandal, gen wird. der wahrscheinlich auch Ihnen, den Besucherinnen und (Beifall bei der SPD) Besuchern hier im Bundestag, nicht unbekannt ist, hat deutlich gemacht, dass Verbraucherschutz ganz dringend Meine Damen und Herren, eine weitere kleine Revolu- gestärkt werden muss. Statt jedoch die Verbraucher zu tion für Deutschlands Verbraucherinnen und Verbraucher stärken, wird die Automobilbranche vor den berechtig- würde ich mir auch im Bereich des Prozessrechts wün- ten Ansprüchen von Autokäufern und der geschädigten schen, nämlich in Form der Musterfeststellungsklage. Gesamtgesellschaft geschützt. Die VW-Fahrer bleiben Eigentlich dürfen wir nicht zulassen, dass Großkonzerne auf den Kosten und die Gesellschaft auf Umwelt- und mit Rechtsverstößen ungeschoren davonkommen, nur Klimaschäden sitzen. Mehrfach wurde im Ausschuss die weil sich die Betroffenen verständlicherweise scheuen, Beratung dieses Themas angesetzt – und von den Koali- gegen Großunternehmen, multinationale Unternehmen tionsfraktionen wieder abgesetzt. Es war also nicht mög- eine Klage anzustrengen. Verbraucherorganisationen lich, auch für uns als Opposition nicht, hier tatsächlich müssen hier mehr Rechte bekommen. Wo verbraucher- die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gegen- rechtliche Streitigkeiten massenhaft auftreten, könnten über der Wirtschaft und Finanzwelt zu stärken. sie dann mit nur einer Klage die Sache vor Gericht brin- Es gibt heute weder Gruppen- noch Sammelklagen. gen. Das liegt nicht nur im Interesse von Verbraucherin- Herr Minister, warum gibt es noch keine Möglichkeit zur nen und Verbrauchern, sondern das kann auch im Interes- Musterfeststellungsklage? Das wäre wünschenswert. Ge- se von Unternehmen liegen; denn Musterklagen können nau in diesem Fall hätten wir sie gebraucht – nicht in vier rasch Rechtssicherheit für beide Seiten schaffen. Das ist Jahren, sondern jetzt. manchmal besser, als wenn jahrelang die Schadenser- satzforderungen wie ein Damoklesschwert über einem (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Unternehmen hängen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23619

Karin Binder (A) In vier Jahren sind nämlich die ganzen Fristen für die Die Verbraucherorganisationen – vzbv und Stiftung (C) Geschädigten abgelaufen. Und wer klagt dann das Recht Warentest – wurden fnanziell gestärkt. Das alles ist pri- ein? Nein, die Unternehmen behalten dann ihre unrecht- ma, und das unterstützen wir auch. Dennoch reichen die mäßig erhaltenen Gewinne. So kann man Verbraucherpo- Mittel nicht aus. Gelder aus Kartellstrafen fießen wei- litik auch verstehen. terhin in den Bundeshaushalt, anstatt den Verbraucher- verbänden zur Verfügung gestellt zu werden, die für ihre Auch in anderen Fällen haben wir leider viel zu wenig wichtige Arbeit wirklich unser aller Dank verdienen. An Einsatz von Ihnen gesehen, Herr Minister, obwohl von dieser Stelle möchte ich mich wirklich auch einmal dafür der EU zahlreiche Vorgaben gemacht wurden. Sie haben bedanken. ja einiges genannt. Gut, das kann man so stehen lassen. Aber statt mit den EU-Richtlinien für einen besseren Ver- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. braucherschutz zu sorgen, haben Sie die Standards zum Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Teil sogar abgesenkt. NEN]) Gerade im Zusammenhang mit den Wohnimmobilien Ohne diese engagierte Arbeit wäre Verbraucherschutz in wurde das Widerrufsrecht der Bankkunden, der Kredit- Deutschland wahrscheinlich nicht halb so viel wert. nehmerinnen und Kreditnehmer, beschnitten. Nach wie vor betragen die Dispozinsen zum Teil über 10 Prozent. Um all das zu unterstützen, brauchen wir eine Ver- Mit welcher Begründung, mit welcher Berechtigung ver- braucherbehörde. Die Linke fordert eine fnanziell gut langen die Banken so viel Geld und stehlen sich aus ihrer ausgestattete und unabhängige Verbraucherbehörde, die Verantwortung? tatsächlich auch Befugnisse erhalten muss. Diese Be- fugnisse sollen dieser Behörde die Möglichkeit geben, Den Mieterschutz merke ich positiv an; ich freue mich Sanktionen gegenüber Unternehmen auszusprechen und darüber. Die Linke begrüßt es, dass das Mietrecht inzwi- die Unternehmen letztendlich auch zur Rückzahlung un- schen tatsächlich als Verbraucherschutzrecht anerkannt rechtmäßiger Einnahmen und Gewinne zu verpfichten. wird. Leider – Sie haben es auch angesprochen – ist die Mietpreisbremse aber nicht wirksam. Zum Teil erleben Wir brauchen auch den Schutz von besonderen Ver- die Menschen das Gegenteil: Sie wirkt teilweise sogar brauchergruppen. Herr Minister, Sie haben drei Gruppen mietsteigernd. Warum gibt es denn noch nicht die Ver- angesprochen: Bankkunden, Mieterinnen und Mieter und pfichtung der Vermieter, die Vormiete anzugeben? Das Internetnutzer. Ich fnde aber, Sie haben dabei eine be- wäre doch eine Leichtigkeit. – Tun Sie es doch einfach, sondere Gruppe sehr vernachlässigt, nämlich die vielen Herr Minister! Menschen in Deutschland mit geringem oder keinem Einkommen, die von den Banken nach wie vor abgezockt (Beifall bei der LINKEN) (B) werden. Es gibt bei Banken und Sparkassen ein Basis- (D) Es wurde ein Sachverständigenrat für Verbraucherfra- konto, wofür die Menschen mit wenig Einkommen zum gen eingerichtet. Auch das begrüßen wir als Linke. Es Teil höhere Gebühren zahlen müssen als andere Kunden, geht um die Digitale Agenda, die die Bundesregierung die genügend Geld zur Verfügung haben. Worin liegt da inzwischen erlassen hat. Aber eine umfassende Strategie der Sinn? Dass man ausgerechnet den Menschen, die zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in wenig Geld haben, aber ein Konto für den bargeldlosen diesem großen neuen Gebiet gibt es leider noch nicht. Zahlungsverkehr brauchen, höhere Gebühren abverlangt, hat doch keinen Sinn. Das Gegenteil wäre notwendig. Zwölf Empfehlungen hat dieser Sachverständigenrat bereits Anfang 2016 zum besseren Schutz der Verbrau- (Beifall bei der LINKEN) cherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt an das Das Thema „Nachhaltigkeit und Verbraucherpolitik“ Ministerium übermittelt. Die Bundesregierung hat aber spielt in dem Bericht leider auch keine große Rolle. Wir noch nicht einmal die Hälfte dieser bisherigen Empfeh- mussten die CSR-Richtlinie in dieser Legislaturperiode lungen aufgegriffen. Auch hier frage ich mich: Warum umsetzen, aber das Thema „Informationsrechte der Ver- nicht? braucherinnen und Verbraucher“, zum Beispiel zu Sozi- Wir haben inzwischen zwei Marktwächter, und zwar alstandards und Ökostandards, nach denen Unternehmen zum Thema „Finanzen“ und zum Thema „Digitale Welt“. produzieren, spielt in dieser Richtlinie keine Rolle. Gera- Wir freuen uns darüber, dass sie eingerichtet wurden. Das de das Thema „Informationsrecht“ bleibt in dem Bericht forderten wir als Linke schon lange. Leider haben aber und blieb in dieser Legislaturperiode leider auf der Stre- auch diese Marktwächter bei festgestellten Problemen cke. Das Wort „Verbraucherinformationsgesetz“ kommt keinerlei Durchsetzungskraft gegenüber Unternehmen, nicht vor, auch Whistleblowing ist für Sie kein Thema. und sie haben auch keine Befugnisse gegenüber Behör- Klar, das Thema „Sicherheit von Lebensmitteln und den, um diese zum Handeln zu bewegen. verbrauchernahen Produkten“ ist beim Landwirtschafts- Die Datenschutzbehörden sind fnanziell viel zu minister angesiedelt. Aber ich denke, als Justizminister schlecht ausgestattet, um Rechte von Verbraucherin- hätten Sie die Möglichkeit, insbesondere § 40 des Le- nen und Verbrauchern durchzusetzen. Die Befunde der bensmittel- und Futtermittelgesetzbuches anzugehen. Marktwächter fnden bei der Bundesregierung leider kein Gerade die Regelungen in diesem Paragrafen behindern Gehör. Produktergänzende Versicherungen gegen Dieb- Länderbehörden dabei, Verstöße öffentlich zu machen, stahl, Schäden oder den Ausfall von Handys oder Rei- an denen sich Verbraucherinnen und Verbraucher orien- sen sind zum Beispiel nicht reguliert worden, obwohl die tieren könnten – aber eben nur dann, wenn diese Kont- Marktwächter hier dringenden Handlungsbedarf sehen. rollergebnisse öffentlich gemacht würden. Die Länder- 23620 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Karin Binder (A) behörden haben schon mehrfach darum gebeten, hier eine gute Diskussion. Manches wird von uns kritisch be- (C) Abhilfe zu schaffen. Das wäre durchaus ein Thema fürs gleitet, aber immer mit dem Hinweis: Wir wollen etwas Justizministerium. nach vorne entwickeln, auch beim Sachverständigenrat. (Beifall bei der LINKEN) Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher haben wir deutlich vereinfacht und auch erweitert, beispielsweise Mein Fazit: Die Aufteilung des Verbraucherschutzes durch das Verbandsklagerecht bei Datenschutzverstößen auf zwei Ministerien schwächt den Verbraucherschutz. im UKlaG, also dem Unterlassungsklagegesetz. Die Linke fordert die Zusammenführung und Stärkung in einem eigenen Verbraucherministerium, um der Ver- Wir haben die alternative Streitbeilegung, also die braucherpolitik mehr Durchsetzungskraft gegenüber Schlichtungsstellen, weiter ausgebaut. Wirtschaft und Finanzwelt zu verschaffen. Es betrifft Auch im Bereich Finanzen haben wir den Fokus ganz über 80 Millionen Menschen in Deutschland. Es betrifft stark auf die Verbraucher gelegt: jeden Einzelnen von uns. Deshalb brauchen wir hier eine starke Verbraucherpolitik. Lassen Sie uns deshalb um ein Wir haben den kollektiven Verbraucherschutz neu bei eigenes Ministerium kämpfen. Ich hoffe, ich habe hierfür der BaFin verankert, und wir haben das Kleinanleger- auch Ihre Unterstützung. schutzgesetz verschärft, das die BaFin als neues, scharfes Instrument an die Hand bekommen hat. Danke schön. Wir haben – das hat der Minister schon gesagt – den (Beifall bei der LINKEN) Kontowechsel bei den Banken deutlich erleichtert. Die Dispozinsen sind endlich online einzusehen, sodass man Vizepräsidentin Claudia Roth: sie jetzt als Kunde auch vergleichen kann. Das sollte im Vielen Dank, Karin Binder. – Nächste Rednerin: digitalen Zeitalter eine Selbstverständlichkeit sein, aber Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion. die Banken mussten in dem Fall wirklich zum Jagen ge- tragen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die Informationspfichten und Anforderun- Mechthild Heil (CDU/CSU): gen an die Immobilienkreditvergabe für Berater deutlich erhöht. Neben der provisionsgestützten Beratung haben Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wir auch die Honorarberatung gesetzlich geregelt. Am Kollegen! Jeder Mensch hat seine ganz besonderen Fä- Ende gilt für jeden Kunden: Es gibt mehr Wahlfreiheit higkeiten. Wir trauen den Menschen und ihren Fähigkei- bei der Finanzberatung. ten. Diese Erkenntnis ist ganz tief verwurzelt in der CDU (B) und in der CSU. Deshalb ist unser erstes Ziel in der Ver- Ich könnte die Liste noch viel, viel weiter ausführen. (D) braucherpolitik auch immer, den Verbraucher zu stärken, Aber Sie sehen schon an den wenigen Beispielen: Ver- damit er eigenverantwortliche Entscheidungen treffen braucherpolitik fndet heute nicht nur im Ministerium der kann. Dafür schaffen wir die Grundlagen. Wir stellen na- Justiz und für Verbraucherschutz statt, sondern betrifft türlich auch klare Rahmenbedingungen und Regelungen auch viele andere Bereiche. Sie betrifft den Bereich Fi- zur Verfügung. nanzen, den Bereich Digitales, den Bereich Gesundheit oder auch den Ernährungsbereich. Verbraucherpolitik An dieser Prämisse hat die Union in den letzten vier war und ist immer noch eine Querschnittsaufgabe. Jahren ihre Verbraucherpolitik ausgerichtet. Wir unter- stützen den Verbraucher dabei, auf Augenhöhe mit den Viele drängende Fragen des Verbraucherschutzes Unternehmen zu kommen. Verbraucher können besser konnten wir in dieser Wahlperiode beantworten. Das beurteilen, was für sie in ihrer ganz speziellen, individu- lässt sich wunderbar auf den 48 Seiten des Berichtes ellen Lebenssituation die richtige Entscheidung ist. Das nachlesen. Ja, wir können auf diesen Bericht stolz sein. können sie viel besser, als es die Politik könnte. Verbo- Aber ausruhen werden wir uns darauf nicht. te sind deshalb für uns in der CDU/CSU das allerletzte Mittel. Wir schauen nach vorne. Was müssen wir heute tun, damit Verbraucher sich auch morgen noch sicher und Ihnen allen liegt der Verbraucherpolitische Bericht sorglos in den verschiedenen Märkten bewegen können? der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 vor. Auf den gut Verbraucherinformation und natürlich auch die Rechts- 48 Seiten: gute Nachrichten für die Verbraucher. Die Lis- durchsetzung werden uns ständig weiter beschäftigen; te der umgesetzten Vorhaben zeigt, dass wir in den vier das ist klar. Aber mit der fortschreitenden Digitalisierung Jahren wirklich sehr viel für Verbraucher auf den Weg wollen wir in den Bereichen „rechtlicher Verbraucher- gebracht haben: schutz“ und „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ auch neue Akzente setzen. Wir haben die Marktwächter für die Bereiche Finan- zen und Digitales geschaffen. Dafür haben wir viel Geld (Beifall bei der CDU/CSU) in die Hand genommen. Auch die Verbraucherzentralen haben wir mit einer großen Aufgabe betraut und sie vor Wenn ich den Blick in die Zukunft richte, dann sehe eine große Herausforderung gestellt. ich einen Verbraucherschutz, der es Bürgerinnen und Bürgern noch leichter macht, ihre Interessen selbst zu Wir haben den Sachverständigenrat für Verbraucher- vertreten und durchzusetzen, und einen Verbraucher- fragen ins Leben gerufen, der auch schon einige Gutach- schutz, der nicht nur reagiert, sondern manche Konfikte ten vorgelegt hat. Mit diesen Sachverständigen haben wir erst gar nicht entstehen lässt. Wir wollen, auch wenn die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23621

Mechthild Heil (A) Welt immer komplizierter wird, dass Verbraucherinnen derungen an Dienstleister abtreten oder sogar den langen (C) und Verbraucher Entscheidungen einfach und in einem Klageweg einschlagen. überschaubaren Zeitraum selbst fällen können. Dafür steht die richtige Aufarbeitung guter Informationen nach Ich sehe die Digitalisierung also als Chance für wie vor im Zentrum unserer Bemühungen. Innovative Verbraucher: ob sie im Supermarkt eine Verpackung Ideen dazu gibt es zuhauf. Ich nenne Ihnen einige Bei- einscannen – womit sie mehr und bessere Informatio- spiele. nen bekämen, als jemals zuvor auf dem kleinen Etikett zu fnden gewesen wären – oder ob sie wissen wollen, Es gibt zum Beispiel die Idee, manche AGB in Zu- wo und in welchen Produktionsschritten ihr Sakko oder kunft maschinenlesbar zu machen. Dann stünde am Ende ihr Pullover hergestellt worden ist. Und wenn wir an die für den Verbraucher vielleicht eine leicht zu verstehende Informationsportale, ein Klassiker, denken: Diese haben Zusammenfassung, oder am Ende stünde ein Hinweis auf bei weitem nicht ausgedient. Auch sie könnten weiter- die Besonderheiten ebendieses Vertrages, oder es stünde entwickelt werden. Mein Vorschlag ist: Wir sollten eine einfach am Ende, dass diese AGB den Anforderungen des Altersvorsorgeplattform schaffen, auf der sich jeder über Kunden nicht gerecht werden. Diese Entscheidungshilfe den Stand seiner Altersvorsorge informieren könnte. wäre wirklich eine Verbesserung. Denn gelesen werden Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und heute AGBs von den wenigsten Kunden. von der SPD, Sie schauen immer zurück. Immer und im- Eine ähnliche technische Unterstützung könnte es mer wieder drehen Sie an den gleichen Schrauben, glau- auch bei den Datenschutzerklärungen geben, damit der ben an Verbote, Ampeln und Kontrolle. Wir aber schauen Kunde leichter nachvollziehen kann, wer, wie und zu nach vorne und sehen die Chancen der Digitalisierung welchem Zweck eigentlich seine Daten nutzt. Das gilt für innovative und moderne Verbraucherpolitik. umso mehr bei so komplexen Fragestellungen wie bei- (Beifall bei der CDU/CSU) spielsweise bei Daten in einer Cloud oder beim automa- tisierten Fahren. Dabei fragt sich der Fahrer schon: Wem Unser Ziel ist es deshalb, den Verbrauchern von An- gehören eigentlich die Daten? Wer nutzt meine Daten, fang an – und nicht erst dann, wenn der Schaden entstan- die dort alle gesammelt werden? den ist – zu helfen. Dafür brauchen wir keine neuen Ver- bote, sondern wir brauchen intelligente Lösungen. Jeder Im digitalen Verbraucherdatenschutz stellt sich auch muss die Chance haben, seine eigenen Entscheidungen die Frage, wie Verbraucher besser Einwilligungen in bestmöglich zu treffen. Das ist unsere ganz tiefe Über- die Datenverarbeitung händeln können. Auch dazu zeugung. So machen wir Politik für Verbraucherinnen gibt es ein paar spannende Ansätze. Ich mache es ganz und Verbraucher. praktisch: Der Nutzer formuliert einmal seine Daten- (B) schutzwünsche und hinterlegt diese auf einer Plattform. Vielen Dank. (D) Wenn er dann zum Beispiel etwas online bestellt, dür- (Beifall bei der CDU/CSU) fen die verschiedenen Apps, die er dann nutzt, auf seine Lieferadresse, auf seine Kontonummer bzw. seine Kon- todaten oder was auch immer zugreifen. Nutzt er aber ei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen anderen Dienst, sind seine Daten natürlich tabu. Das Vielen Dank, Mechthild Heil, auch für Ihre Punktlan- kann man heute schon teilweise mühsam einstellen. Die dung, was die Zeit angeht. – Nächste Rednerin: Nicole Idee ist aber, dass der jeweilige Wille des Nutzers dem Maisch für Bündnis 90/Die Grünen. Dienstleister automatisch angezeigt wird. Das heißt für uns: Wir werden neue Technologien wie Blockchain oder Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): intelligente Verträge auch im Verbraucherschutz mitden- ken, ausprobieren und fördern. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja eine putzige Ideensammlung, die Frau Heil Ich möchte Ihnen eine weitere Idee vorstellen. Wäre uns hier vorgetragen hat. Wenn man das alles so hört, es nicht gut, wenn der Verbraucher alle Möglichkeiten fragt man sich, wer hier eigentlich in den letzten zwölf der Rechtsdurchsetzung weiterhin hätte, er aber nicht da- Jahren regiert hat. Wenn Sie so viele tolle Vorschläge rauf zurückgreifen müsste, weil er seine Ziele schneller, haben, wie man die Verbraucher besser schützen kann, quasi automatisch erreichen würde? Ein Beispiel: Die dann hätten Sie in den letzten Jahren doch einmal zwei Bahn oder der Flieger hat Verspätung, und dem Kunden oder drei davon in die Tat umsetzen können. wird automatisch – ganz ohne Anstehen in einer langen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schlange und ohne kompliziertes Antragsverfahren – sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) eine Entschädigung überwiesen. Das könnte ganz ein- fach deshalb so geschehen, weil der Kunde seine Daten Es ist aber klar, dass Sie lieber Ideen spinnen, die nach ja schon bei der Bahn oder der Fluggesellschaft hinterlas- vorne gerichtet sind, statt Bilanz zu ziehen; denn Ihre sen hat und weil der Buchungsvorgang bekannt ist und es verbraucherpolitische Bilanz der letzten Jahre sieht daher keinen Zweifel an dem Ausfall des Fliegers oder ziemlich trübe aus. der Verspätung des Zuges gibt. Das wäre unbürokratisch, und es ginge schnell. Dabei sind Sie, gerade was den wirtschaftlichen Ver- braucherschutz angeht, gar nicht mal so schlecht gestar- Wir könnten auf diese Weise viele solcher Fälle im In- tet. Sachverständigenrat, Marktwächter und Verbrau- teresse des Verbrauchers einfach lösen. Die Verbraucher cherschutzmandat für die BaFin – das waren bei aller müssten dann nicht mehr gegen hohe Abschläge ihre For- Kritik, die man immer im Detail haben kann, strukturell 23622 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Nicole Maisch (A) gute Fortschritte für den Verbraucherschutz. Auch das cherung untergemogelt, die im Grunde genommen nur (C) Kleinanlegerschutzgesetz war sicher ein guter Anfang, die Bank dagegen absichert, dass der Kunde nicht mehr die Wildwestmethoden auf dem Grauen Kapitalmarkt zahlt. In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um einzudämmen. Aber dann wird es schon ziemlich dünn ein völlig sinnloses, überteuertes Produkt. Zum Teil füh- und düster. ren die Prämien für solche Versicherungen zur Verdopp- lung oder fast Verdreifachung des Zinssatzes. Mit sol- Der Vorschlag, das Kartellamt als Verbraucherbehör- chen Versicherungsabschlüssen zulasten der Verbraucher de auszubauen, wurde von der CDU ad acta gelegt. Frau muss Schluss sein. Wenn solche Geschäfte schon getätigt Heil, Sie haben gesagt, dass Sie den Menschen vertrau- werden müssen, dann sollten die Kunden einen eigenen en. Das ist schön und gut, aber Sie sollten nicht Goo- Vertrag haben und dann sollte der Preis für ein solches gle, Facebook und Co – den digitalen Giganten, die sich oftmals schwachsinniges Produkt in Euro und Cent so- zu Monopolisten aufschwingen – vertrauen, sondern Sie wie als Effektivzins ausgewiesen werden. hätten das Kartellamt hier mit einem scharfen Schwert ausstatten sollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Heiko Maas als Tiger gesprungen und als Bett- sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) vorleger gelandet ist, Diese Fehlentscheidung bei der Frage, welche Rolle (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ganz böses das Kartellamt spielen soll, war aber im Grunde genom- Gerücht!) men das, was Ihre Politik ausgezeichnet hat: im Zweifel gegen die Kunden. Über VW will ich gar nicht reden. dann muss man sagen, dass Christian Schmidt, der ande- Auch im Finanzbereich haben Sie sich immer wieder ge- re Verbraucherschutzminister, gleich liegen geblieben ist. gen die Kunden auf die Seite der Anbieter gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besonders deutlich wird das bei der Wohnimmobi- Leider ist meine Redezeit fast vorbei. Eigentlich müsste lienkreditrichtlinie. Hier haben Sie ohne Not rückwir- ich mich über Herrn Schmidt dreimal mehr empören als kend in das Widerrufsrecht Tausender Verbraucherinnen über Herrn Maas. Nur so viel: Nicht einmal die dürren und Verbraucher eingegriffen. Das heißt, Sie haben den Versprechen des Koalitionsvertrages haben Sie eingelöst. Menschen ihr gutes Recht per Federstreich weggenom- Restaurantbesucher werden über Gammelbuden noch men, weil die Sparkassen und die Banken das so wollten. immer nicht informiert. Bei der Schulverpfegung und Das war eine Dreistigkeit; das war unglaublich. Das war der Lebensmittelverschwendung befndet er sich in ei- ein riesiger politischer Fehler. ner Art politischen Winterschlaf und ist nach vier Jahren (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch immer nicht aufgewacht. (D) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit der gleichen Ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schwindigkeit und Befissenheit Politik für die Bankkun- NEN]: Das wird auch nichts mehr!) dinnen und Bankkunden gemacht hätten. Das von Ihnen angesprochene Konto für jedermann ist nur die Folge der Das ist unglaublich. Dabei wäre es so viel besser ge- Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Sie sprechen gangen. Diese Koalition hat in ernährungspolitischer von Wettbewerb beim Girokonto. Wollen wir einmal se- Hinsicht vier Jahre total verschwendet. Das ist traurig. hen, ob sich das als Realität herauskristallisiert. Aber das wird hoffentlich am Ende dieses Jahres wieder anders. Aber Sie hätten noch viele andere Dinge für die Bank- kundinnen und -kunden tun können. Stichwort „Abzocke Vielen Dank. bei den Vorfälligkeitsentschädigungen“: Wer heute ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Häuschen baut und den Kredit vorzeitig ablösen muss, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weil die Ehe in die Brüche gegangen ist oder weil etwas anderes Schlimmes passiert ist, ist mit dem Klammer- beutel gepudert. Man hat keine Ahnung, welche Straf- Vizepräsidentin Claudia Roth: gebühren man der Bank zahlen muss. Es gibt überhaupt Vielen Dank, Nicole Maisch. – Nächste Rednerin: keine transparente Berechnungsgrundlage. Ich als Kunde Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion. weiß nicht, ob mich die Bank zu Recht um Tausende von Euro abzockt. (Beifall bei der SPD) ( [CDU/CSU]: Das stimmt ja Elvira Drobinski-Weiß (SPD): nicht! Das ist ja unglaublich!) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen Hier Transparenz und Sicherheit zu schaffen, sodass die und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf Kunden wissen, worauf sie sich einlassen, wäre eine Auf- den Tribünen, wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie gabe für Sie gewesen. Aber da sind Sie gescheitert. heute schon viele Dinge gehört haben, dann ist das richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber man kann Dinge, die man erreicht hat, ruhig mehr- fach nennen. Tatsächlich freue ich mich, Frau Maisch, Ein anderes Thema ist die Restschuldversicherung. dass Sie unsere Bilanz recht gut fnden. Natürlich gibt es Die meisten Menschen wissen nicht: Wer heute einen noch Möglichkeiten zur Verbesserung. Schließlich brau- Kredit aufnimmt, bekommt oft eine Restschuldversi- chen wir auch für die nächste Legislaturperiode Themen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23623

Elvira Drobinski-Weiß (A) Wir sind in die 18. Legislaturperiode mit dem Ziel des Grauen Kapitalmarkts hier eine ausreichende Trans- (C) gestartet, die Verbraucherpolitik neu aufzustellen. Das parenz und ein Schutz erreicht worden sind. haben wir auch gemacht. Unser Ziel ist – ich zitiere – ein „verbraucherfreundlicher, transparenter Markt, auf dem Der Wohnimmobilienkredit wurde hier ebenfalls an- sichere und gute Produkte unter fairen ... Bedingungen gesprochen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Dar- hergestellt und angeboten werden“. So haben wir es im lehensgeber verpfichtet haben, vor der Kreditvergabe Koalitionsvertrag formuliert. Tatsächlich sollen Verbrau- tatsächlich die Kreditwürdigkeit der Kunden zu prüfen. cherinnen und Verbraucher selbstbestimmt entscheiden Dafür haben wir Standards bei der Beratung eingeführt. und konsumieren können. Es haben sich Schwachstellen gezeigt. Wir sind so ehr- lich und geben das zu. Wir haben im März dieses Jahres Institutionell haben wir zu Beginn der 18. Wahlperio- die bestehenden Unklarheiten bei der Kreditvergabe, ins- de die Verbraucherpolitik neu aufgestellt; das wurde be- besondere für junge Familien, für befristet Beschäftigte reits gesagt. Wir haben den Bereich der wirtschaftlichen und Senioren, beseitigt, und damit ist wieder Rechtssi- Verbraucherpolitik in die Zuständigkeit des Bundesjus- cherheit vorhanden. tizministeriums übertragen. Thema Mietrechtnovellierung: Auch das ist angespro- Ausgangspunkt für unsere Verbraucherpolitik ist der chen worden. Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt: reale Verbraucher. Dieses Leitbild konnten wir im Koa- Wer bestellt, der bezahlt. – Das ist ein großer Erfolg. Da- litionsvertrag verankern; denn die Konsumenten unter- für, dass auch die Mietpreisbremse zieht und die Kosten scheiden sich nach Herkunft, Bildung und Einkommen, der Modernisierung Mieterinnen und Mieter nicht über- haben je nach Lebenssituation verschiedene Bedürfnisse fordern, kämpfen wir weiter. und Interessen und zeigen – daraus resultierend – unter- schiedliches Verhalten auf dem Markt. (Beifall bei der SPD) Gestützt werden unsere politischen Aktivitäten unter Wir wollen nicht, dass Gering- und Normalverdiener im- anderem durch Ergebnisse der Verbraucherforschung, mer schwerer bezahlbaren Wohnraum fnden. Aber hier die der von uns neu eingerichtete Sachverständigen- blockiert leider unser Koalitionspartner auf dem Rücken rat für Verbraucherfragen betreibt. Unterstützt werden der Mieterinnen und Mieter. unsere Aktivitäten durch veränderte bzw. neu geschaf- (Beifall bei der SPD) fene Strukturen. So kann etwa die BaFin als Behörde jetzt auch die Marktaufsicht im Bereich des kollektiven Die Musterfeststellungsklage ist genannt worden. Rechtsschutzes wahrnehmen. Dazu brauche ich jetzt nichts mehr zu sagen. Neu ist die Etablierung der Marktwächter – auch da- Ich würde aber gerne auf einen zweiten Teil, den an- (B) rauf ist schon hingewiesen worden –, und zwar für die deren Bereich des Verbraucherschutzes, der in den Be- (D) Bereiche der Finanzen und für die digitale Welt. Diese reich des BMEL fällt, zu sprechen kommen. Ich fnde es Marktwächter – so denken wir – haben ihr Ohr am Ver- schade, dass wir auf dem Lebensmittelmarkt noch lange braucher und an der Verbraucherin und nehmen Fehl- nicht so viel Transparenz haben, wie wir es mittlerweile entwicklungen am Markt als Erste wahr. Sie sind in der auf dem Kapital- oder Finanzmarkt haben. Wir müssen Lage, die Vorgänge systematisch zu erfassen und Fehl- nämlich weg von einem Preiswettbewerb hin zu einem entwicklungen an die Aufsichtsbehörden und an die Po- Qualitätswettbewerb kommen. Ich fnde es schwierig, litik weiterzuleiten. dass, wenn es um Lebensmittelbetrug geht, nach wie vor die Grundlage fehlt, gegenüber der Öffentlichkeit Ross (Beifall bei der SPD) und Reiter zu nennen und die Mängel abzustellen, damit Nach dem Motto „Wer recht hat, soll auch recht be- dem Betrug nicht weiter Vorschub geleistet werden kann. kommen“ haben wir die Verbraucherorganisationen mit (Beifall bei der SPD) einem wirkungsvollen Instrument ausgestattet; denn diese können jetzt mit einer Unterlassungsklage gegen Wir sind angetreten, die Verbraucherpolitik neu aus- Unternehmen vorgehen, wenn diese etwa gegen das Da- zurichten. Ich denke, das ist jetzt in großen Teilen ge- tenschutzgesetz verstoßen, indem sie ohne Zustimmung lungen, auch mit der Verlagerung der wirtschaftlichen Daten für Werbung verarbeiten oder mit Adressen oder Verbraucherpolitik in das Ministerium der Justiz und anderen persönlichen Daten handeln. Ich halte das für für Verbraucherschutz. Wir werden weiter daran arbei- sehr wichtig. ten. Auf die Transparenz und den Schutz, die wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher erzielt haben, können (Beifall bei der SPD) wir stolz sein. Machen wir also weiter. Die Rechte der Verbraucher auf dem Finanzmarkt sind Vielen Dank. gestärkt worden. Herr Minister Maas und auch meine Vorrednerinnen haben schon einige Dinge genannt, zum (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beispiel die Einführung eines Basiskontos. Darum haben der CDU/CSU) wir jahrelang gekämpft. Ich bin froh, dass wir es jetzt haben und jeder Verbraucher Zugang zu einem Konto mit Vizepräsidentin Claudia Roth: grundlegenden Zahlungsfunktionen hat und damit die Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß. – Nächste Red- Chance hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. nerin: Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. Auch das Kleinanlegerschutzgesetz ist schon genannt worden. Ich halte es für wichtig, dass gerade im Bereich (Beifall bei der CDU/CSU) 23624 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Gitta Connemann (CDU/CSU): sches Früherkennungssystem für die Lebensmittelüber- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ha- wachung auf den Weg gebracht; denn das beste Gesetz ben Sie heute Morgen um 7 Uhr gemacht? hilft nicht ohne Kontrolle. Um Lebensmittelbetrügereien wie Pferdefeischskandale zu verhindern, wurden ein eu- (Zuruf von der CDU/CSU: Geduscht!) ropäisches Netzwerk gegründet und eine nationale Kon- – Geduscht, ist eine Antwort. – Ich war im Tiergarten. taktstelle für Lebensmittelbetrug eingerichtet, übrigens Da kamen mir Jogger entgegen. Ihre Ausstattung bestand beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit- aus Fitnessarmbändern und Proteinshakes, und sie hatten telsicherheit. Musik im Ohr. Das ist Realität nicht nur in Berlin, son- Seit 2016 gibt es das Bundeszentrum für Ernährung. dern inzwischen im ganzen Land. Die Sportler glauben, Dieses neue Zentrum soll die Flut an Informationen zu- ihren Körpern etwas Gutes zu tun. Aber die Frage ist: sammenführen, analysieren und auch vermitteln; denn Können sie sich wirklich auf die Angaben ihres Activity der Verbraucher benötigt am Ende verständliche Infor- Trackers verlassen, und ist der Energydrink, den sie kon- mationen. Es muss draufstehen, was drin ist, und es muss sumieren, wirklich gesund? drin sein, was draufsteht. Informationen sollen aber auch Hier setzt Verbraucherschutz an. Für meine Fraktion, nicht überfordern. Ein Karottensaft braucht keinen Bei- die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist das ein Kernanlie- packzettel, eine Kortisonsalbe dagegen schon. gen; denn jeder Bürger ist auch immer ein Verbraucher, Auch deshalb haben wir uns als CDU/CSU-Bundes- und die Belange der Verbraucher sind für uns Lebens- tagsfraktion stark für eine Reform der Lebensmittel- themen, auch und gerade im Bereich von Ernährung und buch-Kommission eingesetzt. Wir haben diese personell Gesundheit, der bis dato kaum angesprochen worden ist. und fnanziell mit unserem Koalitionspartner gestärkt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) damit Angaben zu Lebensmitteln besser auf dem aktuel- len Stand gehalten werden können. Bitte nehmen Sie das Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregie- zur Kenntnis. rung, über den wir heute sprechen, beweist eines: Der Verbraucherschutz in Deutschland steht auf höchstem (Beifall bei der CDU/CSU) Niveau, siehe Ernährung. Essen und Trinken sind so si- cher wie nie zuvor, und in Deutschland gibt es bezahlba- Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zum re und hochwertige Lebensmittel im Überfuss. Diesen Beispiel den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhal- Reichtum verdanken wir übrigens unseren Landwirten, tung auf das absolut notwendige Maß beschränkt. Da- Gartenbauern, Fischern, Bäckern, Fleischern, Verarbei- durch konnte der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung tern und der Ernährungsindustrie. An diese gerichtet sage seit 2011 um 53 Prozent gesenkt werden. (B) ich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Fraktion, (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Danke schön. Seit April ist ein neues Allergieportal in Betrieb. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) haben uns für diese Einrichtung ganz starkgemacht; denn Diesen Dank spreche ich auch im Namen meiner wir wissen: 20 Prozent der Erwachsenen und zunehmend Fraktion dem Bundesverband der Verbraucherzentralen auch Kinder sind von Allergien betroffen, und sie brau- aus. Er gibt den Verbrauchern in Deutschland eine un- chen eines: unabhängige und wissenschaftlich belegbare überhörbare Stimme, und deswegen stärken und unter- Informationen – und, und, und. stützen wir ihn. Auch die Kollegin Mechthild Heil hat es Besonders wichtig war und ist meiner Fraktion das dargestellt. Danke sehr. Thema der Kennzeichnung. Wir sind davon überzeugt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass der Verbraucher kein Kleinkind ist, das gemaßre- gelt werden muss. Deswegen lehnen wir Instrumente wie Wir haben gemeinsam vieles auf den Weg gebracht; Veggiedays, Lebensmittelampeln oder auch Strafsteuern auch wenn die Kollegin Maisch es in Zweifel gezogen ab. hat. Da habe ich mir schon überlegt: Wie kann ich diesem Zweifel begegnen? Wir haben dargestellt, was an Maß- (Beifall bei der CDU/CSU) nahmen gemacht worden ist; dies negiert Frau Maisch in Das sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt. Gänze. Da habe ich an einen Satz von Konrad Adenauer gedacht. Er hat einmal gesagt: Um eigenverantwortlich entscheiden zu können, Wir leben alle unter demselben Himmel. Aber wir braucht der Verbraucher aber eines zwingend: Er braucht haben nicht alle denselben Horizont. umfassende Informationen, und er braucht verständliche Informationen. Deshalb haben wir eine europaweit ein- Das hat sich heute für mich hier sehr deutlich bestätigt. heitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln eingeführt und umgesetzt. Das geschah übrigens durch das Minis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) terium von Herrn Bundesminister Schmidt. Der Verbrau- Wenn man bereit wäre, die Realität zur Kenntnis zu cher kann sich heute über Inhaltsstoffe, Nährwerte und nehmen, würde man feststellen: Wir haben neuar­tige 14 Allergene informieren. Zusammengefügte Fleisch- Produkte bis hin zu Energydrinks geregelt. Jemand, der und Fischprodukte müssen speziell gekennzeichnet wer- heute ein Produkt mit Chia-Samen isst, soll genauso den, wie übrigens auch der Einsatz von Lebensmittel­ sicher sein wie der Jogger, was die Höchstmengen an imitaten, wie zum Beispiel von Analogkäse in veganen Koffein in Energydrinks angeht. Wir haben ein elektroni- Produkten. Auch das ist Verbraucherschutz. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23625

Gitta Connemann (A) Zur Transparenz gehören für uns zwingend verläss- Und als letztes Beispiel: digitale Medizinprodukte. (C) liche Herkunftsangaben. Bei Obst, Gemüse, unverar- Auch hier sind wir gefordert. Jeder dritte Verbraucher beitetem und vorverpacktem Fleisch ist das schon heute nutzt heute schon eine Fitness- oder Gesundheits-App. Pficht. Aber wir wollen diese Pficht auf alle Lebens- Sie zählen die Schritte, messen den Puls, überwachen mittel ausdehnen, insbesondere auf tierische Produkte den Schlaf, wollen gegen Tinnitus behandeln. Ohne in Fertigerzeugnissen. Für uns gilt: Was aus deutschen Frage, diese Produkte werden eine wichtige Rolle gera- Landen kommt, soll auch so gekennzeichnet werden. de auch im Bereich der Prävention einnehmen können, Dafür brauchen wir, Frau Binder, die Zustimmung der aber sie halten nicht immer, was sie versprechen. Ihre Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene; denn Qualität reicht von sehr gut bis zu äußerst fragwürdig. tatsächlich dürfen wir nur eingeschränkt alleine kenn- Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzen uns des- zeichnen. Das ist ein großes Problem. halb für verbindliche Mindeststandards bei Datenschutz, Datennutzung und auch Finanzierung ein. Wir fordern Im Großen und Ganzen können wir aber feststellen: ein Impressum mit Pfichtangaben zu Urheber und Ak- Im Bereich der Lebensmittel ist der Verbraucherschutz tualität. Der Verbraucher muss erkennen können, ob die weitgehend reguliert. Die Aufgabe wird zukünftig darin Wirksamkeit des Produkts tatsächlich gegeben ist. Denn bestehen, diese Regeln umzusetzen und Vollzugsdefzi- Versprechen sind das eine, ein wissenschaftlicher Nach- ten zu begegnen. Dies ist übrigens eine große Aufgabe weis ist das andere. für die Länder; denn die Länder sind zuständig für die Lebensmittelüberwachung. Da wünschte ich mir schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mehr Engagement des einen oder anderen Landes, was Für uns ist klar: Bei der Gestaltung des digitalen Wan- sowohl die personelle als auch die fnanzielle Ausstat- dels wird das Thema Verbraucherschutz eine unverzicht- tung der Lebensmittelüberwachung angeht. bare Rolle spielen für den Schutz und die Sicherheit der (Beifall bei der CDU/CSU) Verbraucherinnen und Verbraucher. Das betrifft uns alle, auch den Jogger heute Morgen im Tiergarten. Für uns als Gesetzgeber auf Bundesebene liegt die He- Herzlichen Dank. rausforderung der Zukunft auf einem anderen Feld, dem Bereich der Digitalisierung. iPhone, iWatch, Gesund- (Beifall bei der CDU/CSU) heits-Apps, synthetische Lebensmittel – täglich kom- men neue Produkte und Verfahren auf den Markt. Das Vizepräsidentin Claudia Roth: Verbraucherverhalten ändert sich rasant. Darauf müssen Vielen Dank, Gitta Connemann. – Nächste Rednerin: sich nicht nur Verbraucherorganisationen, sondern auch Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen. (B) die Politik einstellen. Wir stehen vor einer wirklichen (D) Herkulesaufgabe, nämlich den analogen in einen digita- len Verbraucherschutz zu transferieren, und das auch im Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bereich Ernährung und Gesundheit. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir den Verbraucherpolitischen Bericht ansehe – gut, Ein Beispiel: das Thema Internethandel. Wir haben dass es wieder einmal einen gibt, Herr Maas –, bin ich an bereits eine Kontrollstelle für den Onlinehandel mit Le- der einen oder anderen Stelle schon erstaunt, weil da ge- bensmitteln eingerichtet. Denn das Internet ist ein immer schrieben wird: „verbraucherfreundlicher“, „transparen- größerer virtueller Marktplatz für Lebensmittel, Kosme- ter“, „sicherer“ usw. Ich fnde aber, dass hier relativ we- tika und anderes. Der Internetkauf birgt Gefahren. Nicht nig passiert ist, wobei ich eines zugebe, auch mit Blick in selten werden gesundheitsgefährdende Lebensmittel ver- Richtung der SPD: Es ist auch nicht einfach, nicht wahr? kauft oder eben Verbraucher getäuscht. Dafür haben wir die Kontrollstelle. Aber wir müssen auch sicherstellen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – dass beim Onlinehandel alle anderen lebensmittelrecht- Dr. Johannes Fechner [SPD]: Willst du tau- lichen Vorschriften zur Anwendung kommen. Angebote, schen?) die nicht den europäischen Vorschriften entsprechen, die – Nein, ich will nicht tauschen; das hatte ich sowieso nicht von registrierten Anbietern stammen, die Verbrau- nicht vor. cher gesundheitlich schädigen oder täuschen, dürfen nicht beworben werden. Hier brauchen wir klare Re- Da ich gerade die Rede von Frau Heil und Frau geln – das geht nur europäisch – für die Risikobewertung Connemann gehört habe, muss ich sagen: Wenn man und effektive Strukturen für die Einfuhrkontrolle und Verbraucherpolitik machen will, darf man nicht nur die Überwachung des Onlinehandels. langweiligen Kämpfe von vor 20 Jahren austragen: „Was ist unser Bild?“, „Wir wollen nicht bevormunden“ usw. Weiteres Beispiel: Informationen über Lebensmittel. Wissen Sie, das hängt einem doch wie Sauerkraut aus Bereits heute informieren sich mehr als die Hälfte der den Ohren. Verbraucher im Internet über Lebensmittel. Das ist eines der Ergebnisse des Ernährungsreports des Ernährungs- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ich sage nur: ministeriums aus dem Jahr 2017. Auch hier ist der Ver- Veggieday! Super!) braucherschutz gefordert. Es geht darum, Onlineinfor- – Ja, aber es wird durch Wiederholung nicht besser. mationen über Lebensmittel genau denselben Vorgaben des Lebensmittelrechts zu unterwerfen, wie wir sie schon (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Da ist je- für greifbare Produkte haben. mand getroffen!) 23626 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Renate Künast (A) Wir leben in einer Welt, in der die einen immer grö- stein. Als Konsument hat man ungeheuer große Schwie- (C) ßer, stärker und globaler werden, die anderen aber nicht rigkeiten, herauszufnden: Sind die internationalen Ar- mitwachsen. Welcher individuelle Verbraucher hat denn beitnehmerrechte, die Umweltrechte usw. eingehalten Juristinnen und Juristen oder eine ganze Rechtsabteilung worden? Sind in der internationalen Produktionskette um sich? die Regelungen eingehalten worden, die bei uns Recht sind und die in anderen Ländern deshalb nicht falsch sein (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Oh! Da ist können? Sie haben damit Probleme, und Sie drücken sich aber jemand echt getroffen!) davor. Welcher individuelle Verbraucher weiß denn, wie ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – weltweit tätiger Lebensmittelkonzern oder ein digitaler Iris Ripsam [CDU/CSU]: Wir kaufen deutsche Konzern in allen Facetten funktioniert? Ich muss in Rich- Produkte! – Gegenruf der Abg. Nicole Maisch tung der CDU/CSU sagen: Sie haben gar nicht den Mut, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche sich tatsächlich um die Rechte und Interessen der Ver- Mangos und deutsche Bananen?) braucher zu kümmern. – Der Zuruf „Wir kaufen deutsche Produkte!“ war jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fürs Protokoll. Kauft der Rest der Welt auch deutsch? sowie bei Abgeordneten der SPD und der Aus welchem Jahrhundert kommen Sie denn? Das ist auf LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – alle Fälle nicht in der EU verankert, junge Frau. Und das von Ihnen! – Ach nein?) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- – Nein. SES 90/DIE GRÜNEN) Am Ende scheint es so, als seien Sie der parlamenta­ Der Minister hat gesagt: Es ist gut, dass wir uns im rische Arm irgendwelcher globalen Großkonzerne. Rahmen der G 20 dafür eingesetzt haben, dass der Ver- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Hohle Töpfe braucherschutz im Wirtschaftsbereich eine Rolle spielen haben den lautesten Klang! Das sagte schon soll. – Das fnde auch ich gut, Herr Maas. Ich sage nur: Shakespeare! – Weitere Zurufe von der CDU/ Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch die Wirtschaft CSU: Na! Jetzt ist es aber gut! – Wer forderte hierzulande betrachten und unsere Stimme erheben. Auch doch gleich den Veggieday?) bei VW geht es um Massen von Verträgen. Bei 2,9 Mil- lionen Dieselautos, die hier herumfahren, sind – ich sage – Ja, es muss gesagt werden, auch wenn Sie jetzt laut es einmal so – die Werte gefälscht, und wir haben es mit rufen. – Was hat denn Ihr Bashing von so etwas wie Le- betrogenen Verbrauchern zu tun. Angesichts dessen brau- bensmittelampeln damit zu tun, dass der Verbraucher chen wir nicht nur eine Gruppenklage – die Musterklage kein Kleinkind ist? Das sind doch klare Sachen. Man (B) scheitert an der rechten Seite dieses Hauses –, sondern (D) guckt drauf und weiß, was in 100 Gramm eines Nah- auch Leute, die ihre Stimme erheben und sagen: Die Ver- rungsmittels enthalten ist. Stattdessen lassen Sie zu, dass braucher in Deutschland und Europa haben das gleiche irgendwelche umfangreichen Berechnungen angestellt Recht wie die in den USA. – Das habe ich vermisst. werden, und Sie loben sich für Dinge, Frau Connemann, die nichts anderes als die Umsetzung des europäischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechts sind. Soll ich Sie dafür loben, dass Sie das Recht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) einhalten? Das wäre auch eine Idee. Ich habe auch vermisst, dass Sie sich stärker in Sachen Unser Bild ist, dass es das gute Recht der Verbrauche- Mietpreisbremse engagieren; früher haben Sie sich dafür rinnen und Verbraucher ist, zu wissen, was in Lebensmit- gelobt. Ich habe ebenso vermisst, dass Sie beim Thema teln drin ist und wofür sie ihr Geld ausgeben. Textillieferkette deutlicher gesagt hätten, was wir wollen. Herr Müller – der Minister ist nicht da – redet zwar gerne (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Guter Satz!) über den grünen Knopf. Er hat sich aber nicht getraut, die Information und Wissen dürfen nicht nur in Busi- Unternehmen in Deutschland zu verpfichten, nicht an ei- ness-to-Business-Beziehungen, also in den langen Pro- nem Textilgipfel in Bangladesch teilzunehmen, wenn die duktions- und Lieferketten, möglich sein, sondern auch Regierung in Bangladesch nicht dafür sorgt, dass all die der Konsument als Wirtschaftsteilnehmer hat diese An- Gewerkschafter aus dem Textilbereich, die die Stimme sprüche. Dieses Recht auf Wissen müssen wir umsetzen, erhoben haben, aus den Gefängnissen entlassen werden. meine Damen und Herren. Das ist doch ein Armutszeugnis, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sind doch die Christen, und Ihr CSU-Minister macht Sie haben über Horizonte geredet und ein Zitat ange- gar nichts, meine Damen und Herren. führt. Ich fnde es schön, dass Sie sich mit dem Thema Ich hoffe, dass der nächste Verbraucherschutzbericht „Hinterm Horizont geht’s weiter“ beschäftigen wollen. tatsächlich umsetzt, was drin ist, und dass nicht nur für Sehen wir uns doch einmal an, was Globalisierung und die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch für den Digitalisierung der Wirtschaft im Alltag bedeuten. Stellen Verbraucherschutzbericht demnächst gilt: Es ist drin, was Sie sich vor, dass Sie etwas kaufen, ob für den schönsten draufsteht. Tag Ihres Lebens, zum Beispiel ein Hochzeitskleid, ob für jeden Tag, zum Beispiel etwas zu essen, zu trinken, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kleidung, oder für den letzten Tag, nämlich einen Grab- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23627

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: qualität sichern und wirtschaftliches Wachstum fördern. (C) Das Wort hat die Kollegin Petra Rode-Bosse für die Vermeintliche Interessengegensätze zwischen Wirtschaft SPD-Fraktion. und Verbrauchern lösen sich in vielen Fällen bei genauer Betrachtung auf. Es zeichnet Unternehmen nämlich aus, (Beifall bei der SPD) wenn sie sich gegenüber den Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen der Kunden offen zeigen und sich daran Petra Rode-Bosse (SPD): orientieren. Das kann ein Qualitätsmerkmal sein und sich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen wirtschaftlich positiv niederschlagen. und Kolleginnen! Liebe Besucher und Besucherinnen! Jetzt eher das ruhige Kontrastprogramm. Allerdings gibt es in manchen Bereichen noch einen ziemlich hohen Aufklärungsbedarf. Verbraucherbildung Wir alle sind Verbraucherinnen und Verbraucher, und sollte deshalb nie nur an Konsumenten, sondern immer das macht den Verbraucherschutz zu einem Thema, das auch an Produzenten gerichtet sein. uns alle betrifft. Einerseits ist es einfacher, weil wir kon- krete Vorstellungen haben; andererseits ist es schwieri- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin ger, weil, wie schon erwähnt, eine Querschnittsaufgabe Binder [DIE LINKE]) vor uns liegt, die alle Bereiche der politischen Agenda Ein positives Beispiel ist das Modellprojekt „MitVerant- betrifft. Und: Die Verbraucherinnen und Verbraucher – wortung – Sozial und ökologisch handeln“, das die Inte- die Verbraucherin, den Verbraucher gibt es nicht –, sie ressen von Unternehmern und Verbrauchern zusammen- alle bilden die vielfältige Gesellschaft in Gänze ab. Wir bringt. haben also eine sehr heterogene Zielgruppe. Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon Wir brauchen aktive, aufgeklärte Verbraucherinnen etliche Errungenschaften und größere Ziele des Ver- und Verbraucher mit einem refektierten, selbstbestimm- braucherschutzes dargelegt. Ich möchte einige spezielle, ten Konsumverhalten. Dies gilt es mit uns zur Verfügung aber sehr wertvolle Maßnahmen für besonders schutzbe- stehenden Mitteln, die im Bericht genannt worden sind, dürftige Verbraucherinnen und Verbraucher nennen, zum weiter zu fördern. Beispiel für Menschen in besonderen sozialen Lebens- Besten Dank. lagen, oft mit niedrigem Einkommen oder mit weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für diese Gruppe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gibt es das Projekt „Verbraucherinformation geht in die der CDU/CSU) Quartiere“. Das ist aufsuchender Verbraucherschutz für Menschen, die nicht selbstständig zu einer Verbraucher- (B) zentrale gelangen können oder in einem Umfeld wohnen, Vizepräsidentin Petra Pau: (D) wo es keine Verbraucherzentrale gibt. Das Wort hat die Kollegin Iris Ripsam für die CDU/ CSU-Fraktion. Des Weiteren können wir die älteren Menschen in den Fokus nehmen, die Unterstützung benötigen, um sich in (Beifall bei der CDU/CSU) der Flut von immer neuen Regelungen zurechtzufnden. Mit dieser Gruppe befasst sich eine eigene Arbeitsgruppe (CDU/CSU): im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Iris Ripsam Jugend. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Das große und wichtige Thema, nämlich der beson- Herren! Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundes- dere Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher bei regierung 2016 zeigt auf seinen knapp 50 Seiten einmal wachsender Digitalisierung und zunehmendem Online- mehr, mit welch großem Spektrum von Themen wir es handel, mit dem wir uns im Ausschuss für Recht und Ver- im Verbraucherschutz zu tun haben. Regelmäßig be- braucherschutz dauerhaft aktiv beschäftigen, ist genannt kommen wir diesen Bericht vorgelegt, und ich glaube, worden. in kaum einem anderen Bereich können wir eine solche Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir selbst kön- Dynamik der Veränderung beobachten. Dadurch ergeben nen Verantwortungsbewusstsein von Verbraucherinnen sich natürlich viele Baustellen. Aus diesem Grund sind und Verbrauchern unterstützen, indem wir vorhandene Verbesserungen im Verbraucherschutz auch immer eine Angebote der Bundesregierung aufgreifen, zum Beispiel Reaktion auf die derzeitige Istsituation. Vom Ergebnis die Ende Mai/Anfang Juni bereits zum fünften Mal statt- her können sich die umgesetzten Vorhaben sehen lassen. fndenden Aktionstage Nachhaltigkeit. Es wird also et- In einer immer komplexer werdenden Welt mit wach- was getan. senden Waren- und Dienstleistungsangeboten müssen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) jedoch die verbraucherschützenden Maßnahmen immer wieder neu angepasst werden. Diese Maßnahmen betref- Ich beteilige mich an diesen Aktionstagen mit zwei Ak- fen uns ausnahmslos und unmittelbar. Auch wir alle hier tionen und erläutere Bürgerinnen und Bürgern die Be- sind Verbraucher, quer durch die Fraktionen, auch Sie auf deutung von Nachhaltigkeitssiegeln für die Arbeitsbedin- den Tribünen. Wir alle verbrauchen, wir alle konsumie- gungen in der Produktion. ren. Da sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, Wenn sich Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen im dass wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher das Einklang befnden, können wir ein hohes Maß an Lebens- Beste erreichen wollen. 23628 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Iris Ripsam (A) Ein guter Verbraucherschutz muss den Menschen zur Schaffung von Wohneigentum ist durch die gegen- (C) Schutz bieten, darf keine Entmündigung darstellen und wärtige Niedrigzinsphase nochmals gestiegen. Viele muss kostenverträglich sein. Ein schwieriger Dreiklang. sorgen für ihr Alter vor und schaffen zugleich dringend Dem wollen wir als CDU/CSU begegnen, indem wir benötigten Wohnraum. Seit damals ist viel passiert: Der Verbraucherforschung, Verbraucherbildung, Transparenz Wunsch nach Eigentum ist der gleiche, die Umstände und gute Informationen, klare Rechtsrahmen und wirksa- sind andere. Das Wohnungseigentumsgesetz bedarf nach me Rechtsdurchsetzung voranbringen. 66 Jahren seines Bestehens einer grundlegenden Reform, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben schon ein breites Spektrum der von der um Rechtssicherheit beim Wohneigentumserwerb zu Regierungskoalition beschlossenen Maßnahmen gehört. schaffen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, Ich will an dieser Stelle den Blick nach vorne richten um altersgerechtes Wohnen zu fördern. Dazu müssen wir und zwei Themen konkret ansprechen, auf die wir un- zum Beispiel das Recht auf Einsicht in das elektronische ser besonderes Augenmerk legen sollten. Zum einen ist Grundbuch, die Umsetzung der erwähnten Modernisie- dies ein Bereich, der wie kein zweiter einen klassischen rungsmaßnahmen und eine Professionalisierung des Ver- Wirtschaftszweig mit modernen digitalen Elementen walterberufs vorantreiben. verbindet: das automatisierte und vernetze Fahren. Viel- leicht ist der eine oder andere von Ihnen ja schon einmal (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in den Genuss dieser neuen Fortbewegungstechnik ge- Über das Wie scheiden sich erwartungsgemäß die kommen – und sei es nur beim Einparken. Diese neue Geister. Natürlich kann es bestimmte Situationen ge- Fahrzeugtechnik wird uns in Zukunft viel Erleichterung ben, die staatliche Maßnahmen rechtfertigen und erfor- bringen, aber auch einiges an schwierigen Aufgaben. derlich machen. Wir als Union sind überzeugt, dass die Die Digitalisierung wird für den Verbraucherschutz Verbraucherinnen und Verbraucher zu selbstbestimmten neue Herausforderungen bereithalten, die zum jetzigen Entscheidungen fähig sind. Wir wollen die Verbraucher Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind, beispielsweise unterstützen, dass sie ihre Entscheidungen auf selbstbe- dass die Autos miteinander kommunizieren, mit intelli- stimmte, mündige Art und Weise treffen. Denn Verbrau- genten Verkehrssystemen das Vorankommen erleichtern cher brauchen starke Rechte, aber keine Bevormundung. oder Unfallrisiken verringern können. Die neuen Heraus- Dafür stehen wir weiterhin. forderungen, die angegangen werden müssen, lauten: Herzlichen Dank. Datenschutz und Datensicherheit, Ausbau digitaler Infra- struktur, Rechtssicherheit bei der Nutzung. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Dazu stellte die Bundesregierung unter anderem im (D)

September 2015 die „Strategie automatisiertes und ver- Vizepräsidentin Petra Pau: netztes Fahren“ vor. Wir setzen hier verstärkt auf gesell- Ich schließe die Aussprache. schaftlichen Dialog. Das geht aber auch Hand in Hand Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf mit der Elektromobilität. Drucksache 18/9495 an die in der Tagesordnung aufge- Hier sind wir beim zweiten wichtigen Themenfeld führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- im Verbraucherschutz: dem Wohnungseigentumsgesetz. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Haben Sie einmal überlegt, wie wir die E-Mobilität vo- so beschlossen. ranbringen können, wenn wir nicht für die Verbraucher Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 g sowie die Möglichkeiten schaffen, in ihren Wohnungseigen- die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf: tumsanlagen Steckdosen zum Aufaden ihrer E-Autos einzubauen? Die dafür benötigte hundertprozentige Zu- 43. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten stimmung durch die Eigentümerversammlung ist nahezu Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna unmöglich. Eine moderne, nachhaltige Wohnungspolitik Karawanskij, weiteren Abgeordneten und ist so nicht umsetzbar. Hier müssen wir im Sinne der der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Verbraucher handeln. In Zeiten eines angespannten Woh- Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung nungsmarktes, steigender Mieten und fehlenden Wohn- der sachgrundlosen Befristung raums ist der Eigentumserwerb einer Immobilie für viele Drucksache 18/12354 eine Option. Überweisungsvorschlag: 1957 prägte Karl Arnold, erster Ministerpräsident Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Nordrhein-Westfalens und damals stellvertretender Bun- Ausschuss für Wirtschaft und Energie desvorsitzender der CDU, den Satz: „Eigentum für je- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- den.“ 60 Jahre später gilt für uns als Union noch immer: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Wir wollen Politik für Wohlstand und Eigentumsbildung zes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen gestalten. Urkunde zur Abänderung der Verfassung (Beifall bei der CDU/CSU) der Internationalen Arbeitsorganisation Der Bau oder Kauf einer Immobilie war damals und ist Drucksache 18/12331 heute für Verbraucher in aller Regel die weitreichendste Überweisungsvorschlag: fnanzielle Entscheidung ihres Lebens. Die Bereitschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23629

Vizepräsidentin Petra Pau (A) c) Erste Beratung des von der Bundesregie- ZP 3 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (C) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, zes zum Vorschlag für einen Beschluss weiteren Abgeordneten und der Fraktion des Rates zur Festlegung eines Mehrjah- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten resrahmens für die Agentur der Europä- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ischen Union für Grundrechte für den Asylgesetzes zur Beschleunigung von Ver- Zeitraum 2018-2022 fahren Drucksache 18/12332 Drucksache 18/12360 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen b) Beratung des Antrags der Fraktionen der Union CDU/CSU und SPD d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten stärken Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Akkreditierungsstelle Drucksache 18/12363 Drucksache 18/12333 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- e) Beratung des Antrags der Abgeordneten cherheit Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, wei- Ausschuss für Tourismus terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Haushaltsausschuss LINKE c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Unentgeltliche Nutzung der WC-Anlagen Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck an Bundesautobahnen und Bahnhöfen (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/9223 Kontogebühren – Transparenz und Ver- Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) braucherschutz erhöhen (D) Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/12367 f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Finanzausschuss (f) Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Fraktion DIE LINKE Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirt- ten Verfahren ohne Debatte. schaftsteuer weiterentwickeln und kom- munale Wirtschaftskreisläufe fördern Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Drucksache 18/12365 überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Überweisungsvorschlag: Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 p so- Ausschuss für Wirtschaft und Energie wie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten sprache vorgesehen ist. Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Tagesordnungspunkt 44 a: LINKE Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Menschenrechtsverletzungen von Un- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- ternehmen verbindlich sanktionieren – zes zu dem Übereinkommen vom 14. März UN-Treaty-Prozess unterstützen 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Drucksache 18/12366 Personenstandsregistern Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Drucksache 18/11510 Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schusses (4. Ausschuss) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/12123 23630 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Die genannten Auszüge und Bescheinigungen, die ins- Tagesordnungspunkt 44 c: (C) besondere zur Verwendung im Ausland bestimmt sind, werden in den Vertragsstaaten des Übereinkommens Zweite Beratung und Schlussabstimmung des ohne weitere Förmlichkeit anerkannt. Die Anpassung von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des Übereinkommens an Rechtsänderungen in den Mit- eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. No- gliedstaaten der Internationalen Kommission für das Zi- vember 2016 zur Änderung des Abkommens vilstandswesen macht eine Zustimmung des Deutschen vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundestags zum Beitritt zu dem Abkommen notwendig. Bundesrepublik Deutschland und der ma- zedonischen Regierung zur Vermeidung der Der Innenausschuss empfehlt in seiner Beschluss- Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu- empfehlung auf Drucksache 18/12123, den Gesetzent- ern vom Einkommen und vom Vermögen wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11510 an- Drucksache 18/11869 zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da- ausschusses (7. Ausschuss) mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Drucksache 18/12398 Dritte Beratung Der Finanzausschuss empfehlt unter Buchstabe b und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Wer stimmt dagegen? – Ich gehe mal davon aus, dass 18/11869 anzunehmen. die Kollegen, die hier stehen, nicht an der Abstimmung Zweite Beratung teilnehmen. – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Beratung einstimmig angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 44 b: Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Enthaltung der Opposition angenommen. regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verbesserung der Sachaufklärung in Tagesordnungspunkt 44 d: der Verwaltungsvollstreckung Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (B) Drucksache 18/11613 regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (D) zes zu dem Abkommen vom 21. November Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- schusses (4. Ausschuss) land und der Republik Panama zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet Drucksache 18/12125 der Steuern vom Einkommen betreffend den Mit diesem Gesetz werden den Vollstreckungsbehör- Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen den des Bundes weitestgehend die Sachaufklärungsbe- im internationalen Verkehr fugnisse eingeräumt, die Gerichtsvollziehern nach der Drucksache 18/11878 Zivilprozessordnung zustehen. Außerdem werden den Vollstreckungsbehörden des Bundes und der Länder kor- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- respondierende Übermittlungsbefugnisse eingeräumt. ausschusses (7. Ausschuss) Der Innenausschuss empfehlt in seiner Beschluss- Drucksache 18/12398 empfehlung auf Drucksache 18/12125, den Gesetzent- Der Finanzausschuss empfehlt unter Buchstabe a wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11613 in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398, der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- 18/11878 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen nen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – wurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23631

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Bundesanstalt für Straßenwesen als Nationale Stelle be- (C) nen angenommen. nannt, die prüft und bewertet, ob die gestellten Anfor- derungen durch die Anbieter von Verkehrsinformationen Tagesordnungspunkt 44 e: eingehalten werden. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache setzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher 18/12411, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vo- den Drucksachen 18/11494 und 18/11880 anzunehmen. rausschätzungsgesetz – EgVG) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Drucksache 18/11257 wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Drucksache 18/12425 Dritte Beratung Das Verfahren zur Erstellung der Prognosen und die Beteiligung einer unabhängigen Einrichtung werden und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem gesetzlich geregelt. Eine Verordnung des Europäischen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Parlaments und des Rates sieht vor, dass die gesamtwirt- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- schaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und jährlich der Europäischen Kommission vorzulegen sind. der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke Die Vorausschätzungen müssen zuvor von einer unab- und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. hängigen Einrichtung mit dem Ziel der Befürwortung Tagesordnungspunkt 44 g: überprüft werden. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfehlt in regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12425, zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwi- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- schen der Bundesrepublik Deutschland und sache 18/11257 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die der Republik Moldau über Soziale Sicherheit dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Drucksache 18/11879 Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (B) Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der (D) ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Opposition angenommen. Drucksache 18/12394 Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfehlt in Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12394, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- sache 18/11879 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der genommen. Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 f: Dritte Beratung Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzes zur Änderung des Intelligente Ver- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – kehrssysteme Gesetzes Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist einstimmig angenommen. Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181 Nr. 1.6 Tagesordnungspunkt 44 h: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- (15. Ausschuss) sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Drucksache 18/12411 Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abge- Die Europäische Kommission hat zur Information ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE über die Situation im Straßenverkehr und für die Be- GRÜNEN reitstellung von Verkehrsdaten für die Bereiche Echt- Globale Investitionen im Sinne einer nachhal- zeitverkehrsinformationen, sicherheitsrelevante Ver- tigen Entwicklung gestalten kehrsinformationen und sicheres Lastkraftwagenparken Spezifkationen festgelegt. Mit diesem Gesetz wird die Drucksachen 18/11410, 18/12301 23632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke (C) lung auf Drucksache 18/12301, den Antrag der Frakti- angenommen. on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11410 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Tagesordnungspunkt 44 m: lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke Sammelübersicht 436 zu Petitionen angenommen. Drucksache 18/12117 Tagesordnungspunkt 44 i: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- hält sich? – Die Sammelübersicht 436 ist einstimmig an- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, genommen. Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu Tagesordnungspunkt 44 n: der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Sport- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- anlagenlärmschutzverordnung onsausschusses (2. Ausschuss) Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2, Sammelübersicht 437 zu Petitionen 18/12407 Drucksache 18/12118 Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussemp- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- fehlung auf Drucksache 18/12407, der Verordnung der hält sich? – Die Sammelübersicht 437 ist mit den Stim- Bundesregierung auf Drucksache 18/11945 zuzustim- men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- angenommen. empfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 44 o: Tagesordnungspunkte 44 j bis 44 p. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 44 j: Sammelübersicht 438 zu Petitionen (B) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (D) onsausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 18/12119 Sammelübersicht 433 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Drucksache 18/12114 hält sich? – Die Sammelübersicht 438 ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die hält sich? – Die Sammelübersicht 433 ist einstimmig an- Linke angenommen. genommen. Tagesordnungspunkt 44 p: Tagesordnungspunkt 44 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 439 zu Petitionen Sammelübersicht 434 zu Petitionen Drucksache 18/12120 Drucksache 18/12115 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 439 ist mit den Stim- hält sich? – Die Sammelübersicht 434 ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd- Grünen angenommen. nis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Tagesordnungspunkt 44 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Zweite und dritte Beratung des von den Abge- onsausschusses (2. Ausschuss) ordneten Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Sammelübersicht 435 zu Petitionen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Drucksache 18/12116 rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Gleichstellung verheirateter, verpartnerter hält sich? – Die Sammelübersicht 435 ist mit den Stim- und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd- lebender Paare bei der Kostenübernahme der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23633

Vizepräsidentin Petra Pau (A) gesetzlichen Krankenversicherung für Maß- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke (C) nahmen der künstlichen Befruchtung angenommen. Drucksache 18/3279 Zusatzpunkt 4 d: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ses für Gesundheit (14. Ausschuss) richts des Ausschusses für Menschenrechte und Drucksache 18/7517 humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Der Ausschuss für Gesundheit empfehlt in seiner Be- Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter schlussempfehlung auf Drucksache 18/7517, den Ge- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3279 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der eine weitsichtige europäische Nachbarschafts- Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen politik gegenüber den Staaten Nordafrikas der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/ Drucksachen 18/6551, 18/10848 Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge- lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- weitere Beratung. lung auf Drucksache 18/10848, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6551 abzuleh- Zusatzpunkt 4 b: nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- richts des Ausschusses für Kultur und Medien empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten nen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 4 e: DIE GRÜNEN Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Provenienzforschung stärken – Bessere Rah- richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) menbedingungen für einen angemessenen und zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, wei- Drucksachen 18/3046, 18/7532 terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN (D) Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/7532, den Antrag der Frak- Für eine transparente und geschlechterge- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3046 rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- als Instrument von Good Governance lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ Drucksachen 18/9042, 18/11433 CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der lung auf Drucksache 18/11433, den Antrag der Frakti- Fraktion Die Linke angenommen. on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9042 Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 c: abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steff Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord- Zusatzpunkt 4 f: neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- NEN richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) der internationalen Palmölproduktion veran- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, kern Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 18/8398, 18/10611 NEN Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Initiative „She Decides“ unterstützen – Die lung auf Drucksache 18/10611, den Antrag der Frakti- sexuellen und reproduktiven Rechte und die on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8398 Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- en und Mädchen in Ländern des globalen Sü- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die dens stärken Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- Drucksachen 18/11177, 18/11649 23634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Haltung der Bundesregierung zu den Vor- (C) lung auf Drucksache 18/11649, den Antrag der Frakti- schlägen von Präsident Macron im Bereich on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11177 der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbe- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- sondere zu gemeinsamen europäischen Inves- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die titionen Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrakti- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege onen angenommen. Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 4 g: Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Als am 7. Mai 2017 der neue französische Präsident zu und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) den Klängen der europäischen Hymne durch den Hof zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- des Louvre schritt, wurde wahrscheinlich nicht nur für Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Ab- Emmanuel Macron ein Traum wahr. Auch viele unter geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE uns haben sich die Augen gerieben. Wer hätte nach dem GRÜNEN Katastrophenjahr 2016 für Europa geglaubt, dass bald ein leidenschaftlicher Europäer im Élysée-Palast sitzen Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR würde? Jülich in die USA Wenn ich mir an der Stelle einen Blick auf die Regie- Drucksachen 18/2624, 18/12408 rungsbank erlauben darf? Nicht nur dieses Haus, sondern, Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- ich glaube, ganz Deutschland wartet seit zwölf Jahren da- lung auf Drucksache 18/12408, den Antrag der Frakti- rauf, dass die Bundeskanzlerin einmal mit Leidenschaft on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2624 für Europa kämpft und eine solche Leidenschaft an den abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Tag legt, die wir bei Emmanuel Macron bereits am ersten lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Tag seiner Amtszeit gespürt haben. Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Volkmar Klein [CDU/CSU]: Karneval ist Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. doch schon zu Ende! – Weitere Zurufe von der Zusatzpunkt 4 h: CDU/CSU: Oh!) (B) (D) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Aber der sensationelle Erfolg von Emmanuel Macron richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- bedeutet nicht, dass man sich als überzeugter Europäer schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula zurücklehnen kann. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, bis zu 45 Prozent der Wähler in Frankreich im ersten weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Wahlgang antieuropäische Populisten gewählt haben. NIS 90/DIE GRÜNEN Wer nach einer Amtszeit von Emmanuel Macron kein Déjà‑vu durch eine Frau Le Pen möchte, der muss jetzt Die Aids-Epidemie in Deutschland und welt- dringend dafür sorgen, dass es auf die deutsch-französi- weit bis 2030 beenden sche Agenda kommt, das Vertrauen in Deutschland wie- derherzustellen. Drucksachen 18/6775, 18/12424 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12424, den Antrag der Frakti- Übrigens: Ich will das keineswegs nur bei der Politik on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6775 abladen. Den feinen Unterschied konnte man am Sams- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- tag an den Zeitschriften in den Kiosken sehen: auf der ei- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die nen Seite an der Titelseite des Economist und auf der an- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- deren Seite an der Titelseite eines Nachrichtenmagazins onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- aus Hamburg. Ich warne davor, dass man das Klischee nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke vom faulen Griechen, das auch schon falsch, absurd und angenommen. europafeindlich war, jetzt durch das Klischee des reform­ unfreudigen Franzosen ersetzt. Das, meine Damen und Ich danke allen Beteiligten für die konzentrierte Ar- Herren, macht Europa kaputt. Davon müssen wir uns beit zu diesen Tagesordnungspunkten. dringend verabschieden. (Beifall der Abg. Joachim Poß [SPD] und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alexander Ulrich [DIE LINKE]) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: LINKEN) Aktuelle Stunde Dazu gehört für mich auch, dass man nicht, bevor man sich zugehört und bevor man miteinander geredet hat, auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Nein zu etwas sagt, was Macron gar nicht gefordert hat, GRÜNEN nämlich die Einführung von Euro-Bonds, wie es Staats- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23635

Cem Özdemir (A) sekretär Spahn machte. Auch so sollten wir in Europa Vizepräsidentin Petra Pau: (C) nicht miteinander kommunizieren. Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die CDU/CSU-Fraktion. sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU) LINKEN) Ich rate: Wir müssen nicht und sollten auch gar nicht Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): jeden Vorschlag von Macron ungeprüft übernehmen. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Ge- Damen und Herren Kollegen! Frankreich hat einen neuen nau!) Präsidenten. Er ist begeistert von Europa. Er ist ein lei- denschaftlicher Europäer. Aber wir sollten gemeinsam Überlegungen anstellen, wie wir mehr in Europas Zukunft investieren können. Dabei (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kann das geht es gar nicht nur um die Frage, wie viel Geld wir in die CSU?) die Hand nehmen, sondern vor allem darum, worin wir Er ist ein Deutschfranzose, der die deutsch-französische investieren. Das wird die entscheidende Frage. Da sagt Zusammenarbeit als Motor, als Achse, als Zukunft für meine Fraktion: Wir brauchen dringend einen Zukunfts- Europa sieht. fonds für nachhaltige Investitionen, einen Green New Deal, wie wir ihn nennen. Dieser soll sich nicht nur auf (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Länder der Euro-Region beziehen, sondern auf die NEN]: Doppelpass, oder was? Skandal!) gesamte Europäische Union, abhängig davon, wo Bedarf Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für Europa in ist. Solidarität muss das Gebot der Stunde für jeden über- einer vielleicht düsteren Zeit. Aber, meine Damen und zeugten Europäer und jede überzeugte Europäerin sein, Herren und auch Sie, Herr Özdemir, vielleicht haben Sie meine Damen und Herren. sich in Ihrer Partei schon einmal Gedanken darüber ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht, warum ein Drittel der Franzosen für eine europa- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) feindliche Politik gestimmt hat. Wir sollten uns ab und zu die Frage stellen, warum das in vielen Ländern um uns Die gute Nachricht: Der neue Präsident zeigt Mut. herum der Fall ist. Aber das ist heute nicht Thema. Mit Nicolas Hulot als Umweltminister öffnet sich die Tür auch für eine ökologische Transformation Europas. Wir freuen uns, dass Macron Präsident geworden ist, Präsident Macron hat im Wahlkampf angekündigt – wer und wir werden ihm zur Seite stehen. Die leidenschaftli- Frankreich kennt, weiß, was das bedeutet –, dass der An- che Europäerin Angela Merkel hat ihm bereits in dieser (B) teil der Atomenergie in Frankreich von 75 auf 50 Pro- Woche die Hand gereicht. (D) zent reduziert werden soll. Auch dabei sollten wir un- (Beifall bei der CDU/CSU) sere Freunde in Frankreich unterstützen. Das sollten wir durch einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstro- Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht verpasst haben. mung fankieren. Das wäre eine Ansage: Deutschland Die erste Reise, die Macron gemacht hat, ging nach und Frankreich führen wieder beim Klimaschutz und Berlin, um mit Angela Merkel über die Zukunft zu spre- senden ein Signal nach Europa und über Europa hinaus chen, und ich denke, es sind schon wichtige Punkte ver- in die Welt. Das würde ich mir wünschen, meine lieben einbart worden. Man will die Zusammenarbeit in der Kolleginnen und Kollegen. Wirtschafts- und Handelspolitik vertiefen und die Bezie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hungen zwischen Deutschland und Frankreich stärken, bei durchaus unterschiedlichen Wirtschaftssystemen – Aber wir haben noch andere Chancen. Wir haben jetzt wir wissen, bei uns ist die Wirtschaft mehr mittelstän- die Chance auf den digitalen Binnenmarkt. Wir haben disch geprägt und die französische Wirtschaft kommt aus jetzt die Chance, dass es zu einer europäischen Ladein- der Staatswirtschaft; das ist also kein leichtes Unterfan- frastruktur kommt, sodass ich eines Tages – hoffentlich gen –, und man will die bilaterale Zusammenarbeit beim eines nahen Tages – mit dem Elektromobil von Spanien Thema Digitalisierung – das haben Sie angesprochen –, bis nach Polen fahren kann. Wir haben die Chance, dass beim Thema Bildungspolitik und beim Thema Verteidi- es zu einem gemeinsamen CO -Mindestpreis in Europa 2 gungspolitik angehen. Ich glaube, das sind gute Voraus- kommt, damit sich Investitionen in erneuerbare Energien setzungen. und Umwelttechnologien lohnen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die- Jeder junge Erwachsene, der in Bologna in Arbeit ser deutsch-französische Motor für Europa, zu dem wir kommt, jedes junge Start-up, das in Bratislava die Grün- uns alle bekennen, kann nur funktionieren, wenn Frank- dung wagt, geben Europa wieder neuen Boden unter den reich selber wieder ökonomisch stärker wird, die Hürden Füßen. Wenn wir Europa erhalten wollen, dann müssen und Fesseln überwindet und zu mehr Wettbewerbsfähig- wir jetzt in Europa investieren. Nehmen Sie die ausge- keit kommt. Der Schlüssel dafür liegt in erster Linie in streckte Hand von Präsident Macron an! Warten Sie nicht Frankreich. Der französische Präsident weiß das und hat bis nach der Bundestagswahl! es auch zum Ausdruck gebracht. Er weiß, dass Frank- (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE reich eine Staatsquote von 57 Prozent hat. Das muss man GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der sich einmal vorstellen: Alles, was in Frankreich jeden LINKEN) Tag erwirtschaftet wird, geht zu mehr als die Hälfte – zu 23636 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) 57 Prozent – in den Schlund des Staates und wird dort in Wir schauen nach Frankreich und freuen uns. Frank- (C) irgendeiner Weise verarbeitet. reich hat einen leidenschaftlichen Europäer zum Präsi- denten gewählt. Macron liebt Europa, und Macron liebt (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frankreich. Wir lieben Europa, und wir lieben Deutsch- NEN]: In den Schlund des Staates? Es sind land. Schulen und Polizei und keine Schulden! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eher „la bouche“, Herr Friedrich!) NEN]: Vorschläge habt ihr keine!) Das ist nicht sehr effzient, wie die Arbeitslosenquote im Das ist eine gute Voraussetzung für eine gute Zusam- zweistelligen Bereich zeigt. menarbeit von Deutschland und Frankreich in Europa in den nächsten Jahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Es ist eben so: Eine hohe Staatsquote führt zu einer ho- hen Arbeitslosigkeit, zu einer Jugendarbeitslosigkeit von (Beifall bei der CDU/CSU) 25 Prozent, wie in Frankreich. Daran muss er dringend etwas ändern. Vizepräsidentin Petra Pau: Auch der Marsch in den Schuldenstaat – auch das Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die wird am Beispiel Frankreich deutlich – ist verhängnis- Fraktion Die Linke. voll: über 2 Billionen Euro Schulden. (Beifall bei der LINKEN) (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie einfach Ihr Weltbild ist! Wie ganz, Alexander Ulrich (DIE LINKE): ganz schlicht und einfach!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Bürde. Das sind die Voraussetzungen, unter Nach einem Antieuropäer zu reden, ist nicht ganz ein- denen der neue, junge, mutige Präsident jetzt antritt. fach. Herr Friedrich, das war wieder unterste Schublade. Mit solch einem Deutschland, das Sie hier präsentiert Er selbst hat hier in Berlin gesagt, er wisse, dass haben, kann Europa nicht aus der Krise geführt werden. Frankreich das einzige große europäische Land ist, dem es in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist, die Mas- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- senarbeitslosigkeit zu beseitigen. Deswegen wird er das neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE jetzt anpacken. Er wird die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt GRÜNEN) (B) beseitigen, er wird die Staatsquote senken. Dazu ist na- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, glaube ich, (D) türlich nicht nur der Reformwille der Politiker bzw. der alle glücklich, dass der Front National mit Frau Le Pen Eliten notwendig, sondern auch der Reformwille der Be- die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen hat. Das war völkerung. Das ist wichtig. ein gutes Signal aus Frankreich. Aber es geht jetzt auch Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Re- um die guten oder schlechten Vorschläge, die Macron formwille der französischen Bevölkerung kann nicht aus Europa – insbesondere aus Deutschland – bekommt. durch Geld von außen ersetzt werden, auch nicht durch Die Gewerkschaften in Frankreich haben gesagt: Bis zur Steuergeld aus Deutschland. Wenn die Grünen jetzt for- Auszählung um 20 Uhr waren wir gegen Le Pen. Jetzt dern, dass die Deutschen einfach mal ihre Ausgaben für aber müssen wir die Politik von Macron verhindern. – die Europäische Union um Milliarden aufstocken sollen, Die französischen Gewerkschaften haben unsere Unter- dann kann ich nur sagen: Auch Sie in der Opposition ha- stützung verdient. Wir brauchen keine bzw. ben eine Verantwortung für deutsche Steuergelder, die kein Hartz IV für Frankreich. Wir brauchen sozialen sparsam und zielgerichtet ausgegeben werden müssen. Fortschritt in Frankreich. Und dafür steht Macron mit seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel (Zuruf von der CDU/CSU: Also doch Troost [DIE LINKE]: Die gehen da nicht in Le Pen?) irgendeinen Schlund, sondern die werden pro- Macron steht für eine Kürzungspolitik und Finanz- duktiv verwendet!) marktderegulierung. Er will die Vermögen- und die Und was den Vorschlag des deutschen Außenministers Kapitalertragsteuer senken und dafür die Ausgaben für angeht, Frau Staatsministerin, der sagt: „Da gibt es doch Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen. Bereits als irgendwo einen Fonds für Altlasten der Atomenergie; den Wirtschaftsminister unter Hollande wollte er das Ar- könnten wir doch gleich mal nehmen“, fällt mir der Satz beitsrecht viel weiter abbauen, als es gegen den breiten von Franz Josef Strauß ein: Eher legt sich ein Hund einen Widerstand der Bevölkerung und mithilfe der Notstands- Wurstvorrat an, als dass ein Sozi Geld, das irgendwo an- verordnung möglich war. gelegt ist, nicht noch verbrät. Nun will er – daraus macht er kein Geheimnis – ei- ( [SPD]: Da gibt es noch nicht nen neuen Anlauf nehmen. Es besteht die Gefahr, dass mal Beifall von Ihren Leuten! – viele Millionen Franzosen durch seine Präsidentschaft [DIE LINKE]: Das ist jetzt äußerst schwach!) in Armut und Perspektivlosigkeit getrieben werden. Ich will es noch einmal gegenüber all jenen wiederholen, die Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg. sagen, dass Macron erst einmal sein eigenes Land refor- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23637

Alexander Ulrich (A) mieren soll, bevor wir überhaupt mit ihm ein politisches drängt. Nur ein solcher Politikwechsel, ein Neustart für (C) Geschäft eingehen: Wir brauchen in Frankreich keine Europa, würde die EU aus der tiefen Krise herausführen. Agenda 2010. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Für Ende Macron fehlt die Zustimmung für seine Politik. Ich Juni ist ein gemeinsamer Ministerrat von Deutschland will darauf aufmerksam machen, dass 55 Prozent der und Frankreich geplant. Damit es nicht nur beim Hände- Franzosen eigentlich nicht Macron wählen wollten. Viel- schütteln und Kaffeetrinken bleibt, möchte ich Sie bitten, mehr wollten sie nicht Le Pen wählen. Deshalb steht er drei Ergebnisse zu erzielen. Erstens. Beschließen Sie mit mit seiner politischen Botschaft noch auf sehr dünnem Frankreich: Es gibt keine Aufrüstung in Höhe von 2 Pro- Eis. Wir hoffen, dass die Wahlen zur Nationalversamm- zent des BIP. lung so ausgehen, dass er für den Kurs, den ich eben be- schrieben habe, keine parlamentarische Mehrheit fndet. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Franz Josef Aber einige Vorschläge von Macron sollten bedacht Jung [CDU/CSU]: Das ist doch schon längst werden. Die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets un- beschlossen!) ter demokratischer Kontrolle, mit dem gemeinsame In- Das wäre ein Signal für das Friedensprojekt Europa. vestitionen getätigt werden könnten, wäre ein sinnvoller Fortschritt. Allerdings steht zu befürchten, dass eine echte Zweitens. Sorgen Sie dafür, dass die Pannenreaktoren demokratische Kontrolle mit der Bundesregierung nicht in Cattenom und Fessenheim endlich abgeschaltet wer- zu machen sein wird und dass die Mittel aus dem Bud- den. Das wäre in umweltpolitischer und klimapolitischer get an strikte Reformaufagen gekoppelt werden würden. Hinsicht ein Erfolg. Wer Finanzhilfen will, muss dann kürzen, liberalisieren und privatisieren – wie es diese Bundesregierung vielen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- anderen europäischen Partnern jeden Tag immer wieder neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ins Stammbuch schreibt, mit verheerenden Auswirkun- gen auch in Südeuropa. Vizepräsidentin Petra Pau: Ein derartiger deutsch-französischer Deal würde der Kollege Ulrich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Wirtschaft schaden, die soziale Krise vertiefen und die Demokratie weiter aushöhlen. Wir hätten eine Art auf Dauer geschaltete Troikapolitik mit all den katastro- Alexander Ulrich (DIE LINKE): (B) phalen Folgen, die bereits heute sichtbar sind. Am Ende Drittens wäre es gut, die Menschen besser zu verbin- (D) würden dann doch Le Pen und andere Rechtspopulisten den. Wir brauchen wieder eine Nachtzugverbindung von proftieren. Wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben, Berlin nach Paris. Auch dafür könnten Sie sorgen. dann das: Die neoliberalen Kürzungsorgien haben vor allem den Nationalisten in den verschiedenen Ländern in Vielen Dank. die Hände gespielt. (Beifall bei der LINKEN) Ohnehin wird jeglicher sinnvolle Ansatz auf EU-Ebe- ne konterkariert, solange Deutschland nicht seine anti- europäische Wirtschaftspolitik beendet. Wenn die stärks- Vizepräsidentin Petra Pau: te Volkswirtschaft der Währungsunion immer größere Ich mache darauf aufmerksam, dass die Ankündigung Exportüberschüsse anhäuft, haben andere zwangsläufg des Redeschlusses nicht den Schlusspunkt ersetzt, und immer größere Defzite und damit auch steigende Schul- bitte darum, sich an die verabredeten Redezeiten zu hal- denberge. Macrons Kritik am deutschen Merkantilismus ten. ist vollkommen berechtigt. Wenn wir der EU eine Chan- ce geben wollen, müssen wir in Deutschland endlich die Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die riesige Investitionslücke schließen und durch kräftige SPD-Fraktion. Lohnerhöhungen den Binnenmarkt stärken. Anders wird es nicht gehen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Joachim Poß (SPD): Weiterhin müssen wir über die Vermögen sprechen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- In Ländern wie Frankreich und Deutschland verfügt gen! Lieber Kollege Ulrich, Ihr Freund in Frankreich, das reichste 1 Prozent über Vermögen, die in etwa der Mélenchon, steht für Europafeindlichkeit und wirklich gesamten öffentlichen Verschuldung entsprechen. Die untaugliche Wirtschafts- und Finanzvorschläge. Schuldenkrise wird sich nicht überwinden lassen, ohne Teile dieser Vermögen umzuverteilen. Wir brauchen da- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – her eine Vermögensteuer in Deutschland und europaweit. Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo stehen denn Nur wenn Deutschland bei diesen zentralen Punkten end- Ihre Freunde?) lich einen Politikwechsel vollzieht, gibt es die Chance auf eine deutsch-französische Achse, die die europäische Eine Partei wie die Ihrige, die bis heute ihr Verhältnis Integration voranbringt und den Nationalismus zurück- zu Europa und insbesondere zum Euro nicht geklärt hat, 23638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Joachim Poß (A) sollte die Backen nicht so aufblasen, wie Sie das getan se nehmen wir derzeit in Europa nicht ausreichend wahr. (C) haben. Sie haben das Recht dazu verspielt. Deswegen müssen wir nachlegen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo sind denn DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE die Sozialisten geblieben in Frankreich?) LINKE]: Wer regiert denn?)

Die zunehmende Bedrohung von Rechtsstaat, Demo- Ich wünsche der Bundeskanzlerin mit Blick auf ihre kratie, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz eigene Bundestagsfraktion Überzeugungskraft. Auch in Ländern außerhalb und leider auch innerhalb Euro- Herr Schäuble ist hier besonders gefordert. Es liegt im pas – Ungarn ist ein Beispiel dafür; soviel ich weiß, ist Interesse nicht nur der europäischen Südstaaten, sondern ja Herr Friedrich ein Freund Orbans; vielleicht können auch Deutschlands, nun zu einer stärkeren politischen Sie einmal Ihren Einfuss geltend machen, damit der Zug Einbettung der Währungsunion zu kommen. Macron dort in eine andere Richtung fährt – und Gabriel haben dazu bereits 2015 Vorschläge entwi- ckelt. Wir brauchen einen eigenen Euro-Haushalt, der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zukunftsinvestitionen ermöglicht, parlamentarisch kon- DIE GRÜNEN) trolliert ist und durch einen Euro-Minister verantwortet stellt für uns eine Herausforderung dar. Die Bedeutung wird. Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Wirtschafts- der Wahl Macrons zum französischen Präsidenten soll- und Sozialunion, die kein Steuerdumping mehr zulässt te zum jetzigen Zeitpunkt, also vor den Parlamentswah- und auch soziale Mindeststandards festlegt. len, nicht überschätzt werden. Gleichwohl hat Macron (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Zögerlichen und Zweifelnden im konservativen Teil DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der Bundesregierung und der Koalition – wir haben ja LINKEN) Herrn Friedrich vorhin gehört – vor Augen geführt, dass auch mit einem positiven Europabild Wahlen gewonnen Wir werden die Menschen hier in Deutschland und werden können. Man sollte also Europa nicht zum Sün- in anderen europäischen Ländern vom Wert unserer de- denbock für Fehlentwicklungen machen, die meistens mokratischen Errungenschaften nur überzeugen, wenn im eigenen Land verursacht werden, übrigens nicht nur sie das Gefühl haben, dass wir uns aktiv mit den Schat- in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Italien tenseiten von Globalisierung und Digitalisierung ausei- und Frankreich, um das klarzustellen. Aber einen Miss- nandersetzen. Wachsende Ungleichheit ist bekanntlich brauch des Europabildes in Wahlkämpfen gibt es auch nicht nur ein soziales, sondern zunehmend auch ein wirt- in Deutschland. Das haben wir in den letzten Tagen und (B) schaftliches Problem. Deshalb: Wenn der Kern unserer (D) Wochen zum Beispiel in Beiträgen der CDU/CSU oder gemeinsamen politischen Überzeugung ist, dass das auch der FDP nachlesen können. Deshalb ist es gut, dass Frau in Jahren und Jahrzehnten Bestand haben soll, dann müs- Merkel nach dem Gespräch mit Macron hier in Berlin sen wir jetzt handeln. Wir alle in diesem Parlament sind eine größere Bereitschaft als bisher gezeigt hat, konkre- in der Verantwortung. Aber vor allen Dingen brauchen te Schritte zur Stabilisierung der Euro-Zone ins Auge zu wir proeuropäische, demokratische und mutige Regie- fassen. Das ist aus ökonomischen wie aus politischen rungschefs; auch Chefnnen können dabei sein. Gründen unumgänglich für die weitere Perspektive Eu- ropas. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn man sich die kritischen Stimmen aus CDU/CSU Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für zur Wahl Macrons – Herr Spahn gehört dazu – anschaut die CDU/CSU-Fraktion. oder die Frage „Was kostet uns Macron?“ in einer Zei- (Beifall bei der CDU/CSU) tung liest, dann kann man nur fassungslos werden. Herr Spahn, die entscheidende Frage lautet doch eher: Was hätten uns Le Pen und der daraus möglicherweise fol- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): gende Zusammenbruch der Euro-Zone gekostet – in ganz Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa und hier in Deutschland? Gestern hat Präsident Macron sein Regierungsteam vor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gestellt. Entgegen altbewährten Traditionen hat er den DIE GRÜNEN) Mut gehabt, ein Team aus unterschiedlichen Parteien zu berufen. Er hat damit den ersten Schritt zur Zusam- Wie viele Hunderttausende Arbeitsplätze wären dann menführung der bürgerlichen Kräfte getan, um zu einer in Deutschland wohl in Gefahr gewesen? Das gilt ins- Überwindung der starken Spaltung, die es in Frankreich besondere nach Trump, Protektionismus, Brexit und der gibt, zu kommen. Machen wir uns nichts vor: Viele ha- anhaltenden Diskussion über das Euro-Ende in Italien ben Macron nicht um seinetwillen gewählt; sie haben ihn und anderen Ländern. Wir als Deutsche gehören nun gewählt, weil sie Le Pen verhindern wollten. Herr Ulrich, einmal zu den Gewinnern der bisherigen europäischen die Linke hat nicht den Mut gehabt, wie alle anderen Par- Entwicklung. Daraus erwächst aber Verantwortung. Die- teien zu sagen: Wählt Macron, auch wenn es nicht unsere Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23639

Ursula Groden-Kranich (A) Überzeugung und er nicht unsere erste politische Wahl Auge haben und die auch junge Menschen die Zukunft (C) ist. eines gemeinsamen Europas lehren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine erste Auslandsreise mit der Schule ging nach neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dijon. Leider gehen Auslandsreisen heute eher in die weite Welt als nach Europa. Auch da liegt es an uns allen, Ja, jetzt ist es an uns allen, zu überlegen, wie wir mit die Nähe zu unseren europäischen Partnern wieder zu Macron ein gemeinsames Europa schaffen können. Die stärken, und das liegt nicht nur, aber eben doch ganz be- Politik der offenen Hände, die sowohl von Macron als sonders an Deutschland und Frankreich. Deswegen müs- auch von unserer Kanzlerin begonnen wurde, sollten wir sen wir uns hier im Deutschen Bundestag in den nächsten auch bei den Parlamentswahlen unterstützen, die jetzt in Monaten trotz des Wahlkampfes viel stärker und durch- Frankreich anstehen. aus positiv mit Europa auseinandersetzen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es nicht nur ein gemeinsames (Beifall bei der CDU/CSU) Europa der Nationalstaaten gibt, sondern dass wir auch Denn das ist die eigentliche Herausforderung für den für eine gemeinsame europäische Idee kämpfen müssen. neuen Präsidenten: Wie schafft er es, in seinem eigenen Deswegen sage ich auch hier: Es lebe Europa! Vive l’Eu- Land eine Mehrheit zu fnden, um in fünf Jahren nicht rope! eine erstarkte radikale antieuropäische Fraktion gegen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sich zu haben? Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosig- keit, ein niedriges Wirtschaftswachstum und eine hohe Staatsverschuldung in Frankreich zu verzeichnen. Was Vizepräsidentin Petra Pau: wir jetzt brauchen, ist ein Zusammenhalt aller bürgerli- Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Troost für die Frak- chen Kräfte, nicht nur der Parteien: erst das Land, dann tion Die Linke. die Partei und dann man selbst. Ich glaube, diesen ersten Schritt sind sowohl Macron als auch unsere Kanzlerin (Beifall bei der LINKEN) bei ihrer Begegnung hier in Berlin gegangen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein schönes Signal, dass in Paris wieder ein Es reicht nicht, sich darüber zu freuen, dass Marine Le wenig deutsch gesprochen wird, und zwar in dem Sin- Pen – wohlgemerkt: dieses Mal – verhindert werden ne, dass Ministerinnen und Minister berufen wurden, die konnte. Vielmehr muss gerade die deutsche Politik, das deutsch sprechen. Damit meine ich nicht die deutsche heißt die Politik von Angela Merkel und insbesondere (B) Sprache und das deutsche Denken, sondern die europä- von Finanzminister Schäuble, endlich verstehen, dass sie (D) ische Ausrichtung in diesem Zusammenhang. Auch wir ein wesentlicher Grund ist für die massiv gewachsene hier in Berlin müssten ein Stück mehr französisch spre- Anti-EU- und Anti-Euro-Stimmung der Franzosen. chen, und das meine ich nicht nur sprachlich, sondern – (Beifall bei der LINKEN) ich sehe, dass viele Mitglieder der Deutsch-Französi- schen Parlamentariergruppe anwesend sind – im Sinne Im vergangenen Jahrzehnt wurde die EU im Zei- eines Miteinanders und gegenseitigen Verstehens. Es ist chen von globaler Finanzkrise und der Krise der Euro- nicht immer nur eine Frage der Sprache, sondern auch päischen Union auf deutschen Druck zum neoliberalen eine Frage des Verstehens. Dafür werbe ich sehr. Zuchtmeister unserer europäischen Nachbarn. Die EU steht inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten für drei (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dinge: Sparen, Sparen, Sparen. Die EU ist in vielen Mit- NEN]: Très bien!) gliedsländern, und zwar sowohl bei der politischen Elite als auch bei der breiten Bevölkerung, ein Synonym für Uns muss auch klar sein, dass Europa mehr ist als nur Arbeitslosigkeit und Verarmung, für Sozialabbau, für ei- Deutschland und Frankreich. Aber wenn Deutschland nen Verlust an Mitbestimmung, für Fremdbestimmung und Frankreich mit gutem Beispiel vorangehen, haben aus Deutschland. Solange die Bundesregierung das nicht wir eine gute Chance, dass wir in Europa gemeinsam wei- zur Kenntnis nimmt und ihre Politik nicht ändert, bleibt terkommen. Dass wir unterschiedliche Prioritäten sehen, sie ein Totengräber der EU, mit oder ohne eine Präsiden- Herr Özdemir, liegt in der Natur der Sache. Aber wenn tin Le Pen. Ich weiß, dass Sie als Bundesregierung das wir uns im Ziel einig sind, werden wir weiterkommen. anders sehen; aber es ist völlig egal, wie ich das sehe oder Das können wir hoffentlich nach einer erfolgreichen Par- wie Sie das sehen –: Solange sich weite Teile der Bevöl- lamentswahl in Frankreich, nach der es wahrscheinlich kerung der EU durch Ihre Politik angegriffen, gedemü- eine Cohabitation gibt. Wenn Macron eine starke Parla- tigt, ihrer sozialen Rechte und ihrer Mitsprache beraubt mentsmehrheit bekommt, dann haben wir eine Chance, fühlen, müssen Sie erst einmal darüber nachdenken, wie gemeinsam für Europa zu kämpfen und Europa attraktiv Sie Ihre Politik ändern können, damit man im Rest Euro- zu machen. pas wieder auf eine Alternative setzen kann. Ich selbst komme aus einer Stadt, die über viele Jahr- (Beifall bei der LINKEN) hunderte mit Frankreich durchaus nicht immer freund- schaftlich verbunden war. Aber in meiner Heimatstadt Viele von Ihnen wissen, dass ich zu den Abgeordneten Mainz gibt es eine lange Verbindung zu Frankreich, Part- gehöre, die sich für eine rot-rot-grüne Machtperspekti- nerschaften, die auch das wirtschaftliche Interesse im ve aussprechen und sie sich wünschen. Dafür braucht es 23640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Axel Troost (A) aber nicht nur rechnerische Mehrheiten; dafür braucht es der Sozialdemokraten, die in diese Richtung endlich eine (C) inhaltliche Kompromisse und ein paar konkrete politi- andere Politik betreiben muss; sche Projekte, die für einen Wechsel stehen. Eine neue deutsche Haltung zu Europa muss eines dieser Projekte (Joachim Poß [SPD]: Sie müssen unsere Pa- sein. piere lesen! Dann würden Sie lesen, was wir vorschlagen!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wohlgemerkt: viele einzelne Sozialdemokraten fordern neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – dies ja auch –, dann steigt die Gefahr, dass der Politi- Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kertypus Le Pen nicht nur in Frankreich Wahlen gewinnt NEN]: Was meinen Sie jetzt damit?) und dass sich die Frage der Europäischen Union irgend- wann ganz anders oder gar nicht mehr stellt. Wir müssen Ich habe es daher als sehr fruchtbar empfunden, ge- handeln. meinsam mit Grünen und Sozialdemokraten über die Zukunft der EU nachzudenken und gemeinsame Alter- Danke schön. nativvorschläge zu entwickeln. Gesine Schwan, Frank (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Bsirske, Klaus Busch, Harald Wolf und ein paar andere NIS 90/DIE GRÜNEN) Personen haben zusammen mit mir im Herbst letzten Jah- res die Streitschrift „Europa geht auch solidarisch“ he- rausgegeben. Da haben wir viele Alternativen formuliert, Vizepräsidentin Petra Pau: die jetzt auch Ideen sind, die von Macron in die Debatte Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die eingebracht und von Deutschland eingefordert werden. SPD-Fraktion. Ich will daraus nur ein paar Beispiele dafür nennen, wie eine alternative Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik (Beifall bei der SPD) für Europa aussehen könnte. Christian Petry (SPD): Erstens: die Überwindung der Austeritätspolitik und Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen insbesondere eine europäische Investitionsoffensive. und Herren! Ich weiß nicht, ob es Absicht von Manuel Sarrazin war, dass er sich auf der Rednerliste hinter mich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hat setzen lassen. Wir haben jetzt die Rednerreihenfol- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ge Petry/Sarrazin; wir sind beide pro Europa. Man sieht, Das von Macron ins Spiel gebrachte Budget der Euro-Zo- dass Vornamen durchaus eine Bedeutung haben. (B) ne, fnanziert über gepoolte Anleihen der Euro-Staaten – (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der war (D) um nicht das böse Wort Euro-Bonds zu nennen –, könnte gut!) ein Einstieg sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Zweitens: eine europäische Ausgleichsunion, die mit der Wahl von Emmanuel Macron eine große Chan- nicht nur mehr Wettbewerbsfähigkeit von wirtschaftlich ce, was die Weiterentwicklung Europas angeht. Was schwächeren Ländern fordert, sondern diesen Ländern haben wir nicht schon alles gehört: Auf der einen Seite auch dabei hilft, dies zu erreichen. Dazu muss Deutsch- war vom neoliberalen Banker die Rede; auf der anderen land endlich seine Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Seite war zu hören, er sei zu sozial, zu sozialistisch. Es gab die ganze Bandbreite. Nein, ich glaube, es ist eine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- große Chance; denn Europa braucht das, was gefordert neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wird: Beschäftigung und Wachstum, Abbau der Jugend- arbeitslosigkeit. Wir brauchen Unterstützung in Europa. Drittens. Das Europäische Parlament muss deutlich Die SPD hat dazu ein Papier erarbeitet, in dem tatsäch- mehr Eigenmittel bekommen und mit demokratisch le- lich alles drinsteht. Axel, wir lassen es dir noch einmal gitimierten europäischen Institutionen, sei es ein Finanz- zukommen. Lies es bitte durch. Wenn du es durchgelesen minister, sei es eine Wirtschaftsregierung, mindestens in hättest, hättest du hier nicht eine solche Rede gehalten. der Euro-Zone ein Mindestmaß an Abstimmung in eine Das alles ist nämlich Ziel unserer Politik. expansive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik bringen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir wissen seit Jahren, dass es Konstruktionsmängel neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in der Europäischen Union, in der Wirtschafts- und Wäh- Viertens. Wir brauchen endlich den Einstieg in eine rungsunion gibt. Wir haben es hier schon öfter betont, europäische Sozialunion. aber ich spreche es nochmals an: Der Währungsverband funktioniert nicht ohne eine abgestimmte Wirtschafts- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und Finanzpolitik. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So ist es!) All das klingt im Augenblick so, als sei es verdammt Das ist das Problem, und das müssen wir angehen. Es gibt weit weg, verdammt visionär. Das muss es nicht sein. seit vielen Jahren Vorhaben auf Ebene der Euro-Staaten, Wenn wir uns aber nicht schnell in diese Richtung umori- die Architektur unseres europäischen Währungsraumes entieren – das betrifft insbesondere die Mehrheitsfraktion zu stärken. Aber hier gibt es Bremser und Verweigerer, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23641

Christian Petry (A) die die Reformen nicht wollen. Dem einen oder anderen dent als Proeuropäer gewählt worden ist. Diese Chance (C) fehlt es vielleicht auch an politischem Mut oder politi- müssen wir nutzen. scher Einsicht. Beides müssen wir ändern, um Europa zu modernisieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜND- Die nun von Macron vorgelegten Ideen, die er 2015 zu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) sammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel formuliert hatte, sind tatsächlich wegweisend Ich appelliere an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam und progressiv. Kern der Forderung ist die Ausgestaltung mit unseren französischen Freunden eine deutsch-fran- der Euro-Zone mit einem eigenen Haushalt. Das hat, wie zösische Initiative für die Zukunft der Euro-Zone auf den wir im Europaausschuss gehört haben, auch bereits Herr Weg bringen! Oettinger gefordert. Er ist also schon ein bisschen weiter als Sie, Herr Friedrich; denn auch er fordert eine Eigen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mittelausstattung. Ich habe mit Freude vernommen, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es Bewegung in dieser Diskussion gibt. Auch die Kanzle- rin und Herr Schäuble haben dies ins Auge gefasst. Das große Friedensprojekt Europa, das große Frei- heitsprojekt Europa, das große Sozialprojekt Europa Herr Staatssekretär Spahn, die Erfndung der Nach- müssen wir in die Herzen der Menschen zurückbringen. richt zu den Euro-Bonds ging nach hinten los. Dafür hat Dabei haben wir mit Präsident Emmanuel Macron einen Sie die FAZ schon kritisiert. Das sollten wir nicht ma- Partner an unserer Seite. Diese Chance sollten wir nut- chen; denn das belastet doch unser Verhältnis. Man sollte zen. Bonne chance, Monsieur le Président! auf das rekurrieren, was tatsächlich gemacht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜND- DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Très bien!) Herr Fuchs hat Sie dabei noch unterstützt; das war nicht besonders glorreich. Vizepräsidentin Petra Pau: Ein Etat für die Euro-Zone ist ins Spiel gebracht wor- Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die den, und Herr Schäuble kann sich sogar vorstellen, dass Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. es einen Finanzminister der Euro-Zone gibt. Es besteht die Chance, dass wir eine Angleichung sozialer Stan- (B) dards nach oben hinbekommen, dass wir Beschäftigung Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) und Wachstum steigern, dass wir die Jugendarbeitslosig- Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und keit senken und dass wir ein gerechtes und angeglichenes Kollegen! Eines kann man schon einmal ganz objektiv Besteuerungssystem schaffen. Das gilt auch im Hinblick festhalten: Elf Tage Präsident Macron haben – sogar in auf legale Steuervermeidungsstrategien. Die Rahmen- diesem Haus – mehr Mut zu Europa ausgelöst als elf Jah- bedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Ein- re Angela Merkel. Das merkt jeder, der dieser Debatte nahmen wieder unserem Staate zugutekommen. Auch gefolgt ist. hier gibt es eine große Chance, die wir gemeinsam mit Macron nutzen sollten. In diesem Sinne werden wir die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reformen in Europa vorantreiben müssen. sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Dr. Axel Troost [DIE LINKE] – Lachen bei Manchmal ist der Fortschritt, wie wir wissen, eine der CDU/CSU) Schnecke. Ich habe bei den Konservativen gelegentlich das Gefühl, dass sie bei Reformen, selbst wenn sie im Dass ausgerechnet Sie, Kollege Friedrich, sich immer Schneckentempo durchgeführt werden, hinterherhinken. noch vom Geist Angela Merkels inspirieren lassen, ist Ihnen da zu helfen, ist aber nicht unsere Aufgabe. Liebe das Lustigste an der ganzen Sache. Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, machen Sie in diesem Sinne mit! Ziel muss es sein, mehr Integra- Nehmen Sie doch einmal das Beispiel von Herrn tion und eine engere Abstimmung in der Wirtschafts- und Macron. Er hat in einer Pressekonferenz etwas ganz Investitionspolitik herbeizuführen. Tolles gesagt, konkret etwas angekündigt und ein wich- (Beifall bei der SPD – Dr. tiges Signal nach Deutschland gesendet. Wir alle haben [CDU/CSU]: Von den Bürgern im Saarland, in vor drei Jahren parteiübergreifend Briefe geschrieben, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen als der Deutschunterricht an französischen Schulen de- wird das aber anders gesehen!) gradiert wurde. Herr Macron hat am Montag in einer Pressekonferenz einfach angekündigt, dass er das ändern – Herr Kollege Murmann, es ist schön, dass Sie sich auf wird. Das ist es! Wir müssen beim Thema Europa kon- die Wahlen kaprizieren. Das ist auch in Ordnung. Ihrer kret zusammenarbeiten! Aber was sagen Sie dazu? Sie Freude ist nichts entgegenzusetzen, und auch unserer sagen: Wir fnden Sie ganz toll. Sie sind nett. Aber wenn Enttäuschung ist nichts entgegenzusetzen. Letztlich geht es Geld kostet – ach nein. Ich rede noch ein bisschen es hier aber um das Ziel, Europa weiterzuentwickeln, und darum herum. Wenn fünf Minuten vorbei sind, sage ich um die Chance, die wir haben, da der französische Präsi- Tschüss und hoffe, dass im Wahlkampf nichts mehr dazu 23642 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Manuel Sarrazin (A) kommt. – So geht das doch nicht! Wir müssen konkret normal, dass die französische Tradition stärker auf Inter- (C) anpacken, damit etwas passiert! gouvernementalismus setzt; das ist ein anderes Staats- verständnis. Wir brauchten immer diesen Dualismus, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europa voranzubringen, diesen Streit zwischen „Wo stär- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ken wir die europäischen Institutionen, und wo machen LINKEN) wir die Regierungen stärker?“, diesen Streit zwischen Man muss nicht alles, was Herr Macron sagt, toll „Wo ist der Kern Europas, wie wichtig ist der Osten, wie oder gut fnden. Manches ist vielleicht auch noch nicht wichtig sind die Großen, wie wichtig sind die Kleinen?“. so weit zu Ende konkretisiert, als dass man nicht noch Wir haben im Sommer 2015 erlebt, wie Ihr Finanzminis- positiv darauf Einfuss nehmen könnte. Aber das, was die ter Wolfgang Schäuble die Axt an das europäische Pro- Bundesregierung macht, ist ein weiterer Beweis für die jekt gelegt hat, als er Griechenland hinterrücks aus dem Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition in der Eu- Euro treiben wollte. Wenn ich jetzt lese, wie er Macron ropapolitik. Herr Macron legte vor ein paar Wochen Vor- interpretiert, mit seinem noch einmal aufgegossenen Mo- schläge vor. Es folgte ein Interview von Herrn Schäuble. dell vom Kerneuropa, dann muss ich Ihnen ganz deutlich Darin sagte er, er wolle eine Art europäischen Super- sagen: Das ist nicht die Tradition deutscher Europapoli- staat, der intergouvernemental organisiert sein solle, weil tik, diesen Kontinent zusammenzuhalten. man durch Vertragsänderungen nichts hinbekomme. Am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Samstag letzter Woche legte Herr Gabriel ein Papier vor. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Spiegel war davon zumindest die Rede; ich glaube, zugeleitet wurde uns dieses Papier noch immer nicht. Hat Wir könnten ein weiteres Angebot an Herrn Macron es überhaupt schon jeder gelesen? Darin schreibt er je- machen, ein ganz einfaches Angebot. Seit 2012 hat der denfalls etwas ganz anderes. Am Montag kam dann Frau Europäische Rat Griechenland Schuldenerleichterungen Merkel und sagte, sie wolle Vertragsänderungen. Ja, was versprochen. Springen Sie über Ihren Schatten, und sa- gilt denn nun? Worauf soll sich Frankreich eigentlich ein- gen Sie: Die Schuldenerleichterungen, die seitdem auf stellen? In der Bundesregierung herrscht reines Chaos. dem Tableau stehen, werden wir jetzt gemeinsam mit Sie sollten besser konkret anpacken. Frankreich sofort umsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Margaret Horb [CDU/CSU]: Die sollen ihre sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Verwaltung ausbauen!) Ich sage Ihnen eines: 1950 waren es proeuropäische Das wäre ein Signal an den Süden Europas, dass Deutsch- Franzosen, die den Mut hatten, voranzugehen: mit dem land zu seiner Verantwortung steht. Schuman-Plan und mit der Monnet-Methode. 1950 hatte (B) man Mut und Visionen. Sie geben 3 Milliarden Euro im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Jahr für Panzer und Korvetten aus, die im Zweifelsfall sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des noch nicht einmal fahren. Wenn wir in Deutschland be- Abg. Christian Petry [SPD]) reit sind, die Lücke, die der Brexit in den EU-Haushalt Wir dürfen uns nicht einfach dahinter verstecken, dass reißt, zu schließen – das könnten wir jetzt schon ankündi- die Proeuropäer in Frankreich gerade die Mehrheit ha- gen –, würde das bestimmt nicht mehr kosten. Wenn jetzt ben. Wir können nicht warten, bis am Ende die Stim- vorschnell Nein gesagt wird, beendet das die positive mung wieder kippt. Debatte in Frankreich und sendet eben nicht das Signal dorthin, dass wir bereit sind, auf Macron zuzugehen. Letzter Satz, Frau Präsidentin. – In Frankreich gibt es das Sprichwort „Auch gute Intentionen können zur Hölle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) führen.“ Wir alle wissen: Wenn wir jetzt nicht gemein- Sehen Sie endlich ein, dass Sie mehr machen müssen sam daran arbeiten, dass Frankreich wieder so stark wird, als nur, dass es Deutschland in Europa gut geht. Frau dass es gemeinsam mit uns und anderen Staaten in Eu- Merkel hat gesagt: Wir brauchen ein Frankreich, dem ropa Führung übernehmen kann, dann werden wir uns es gut geht, damit auch Europa wieder vorankommt. – auf dem Weg dahin befnden. Deswegen: Bonne chance! Nehmen Sie diesen Geist auf, und machen Sie konkre- Anpacken müssen wir! te Angebote dafür, anstatt über Roadmaps zu reden und Danke sehr. Papiere in Zeitungen zu veröffentlichen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: beim EU-Haushalt anpacken, einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsfonds im EU-Haushalt schaffen, der für Investi- sowie bei Abgeordneten der SPD) tionen zur Verfügung steht, fnanziert aus dem europäi- schen Kampf gegen Steuervermeidung, in den bestehen- Vizepräsidentin Petra Pau: den Europäischen Investitionsfonds einzahlen, was Herr Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/ Gabriel seit 2013 nicht geschafft hat. Das sind konkrete CSU-Fraktion. Vorschläge. Sie müssen jetzt liefern, anstatt immer nur daherzureden und uns vorzuwerfen, wir würden – das ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben Sie ja zitiert – Geld in den Schlund werfen. Uwe Feiler (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Eines muss man auch sagen, weil das wirklich eine Kollegen! Die Wahl des neuen französischen Präsidenten Gefahr ist, die wir nicht vergessen dürfen: Es ist ganz Macron ist sicherlich ein Glück für die Europäische Uni- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23643

Uwe Feiler (A) on. Gemeinsame französische und deutsche Impulse für Das würde die europäische Politik noch mehr verkom- (C) die Europäische Union sind, denke ich, nötiger denn je. plizieren und noch mehr unnötige Bürokratie schaffen. Wenn wir eine gemeinsame europäische Wirtschafts- Gemeinsame europäische Politik bedeutet für mich, politik betreiben wollen, müssen wir uns miteinander dass der Fokus auf Politikfelder gerichtet ist, bei denen abstimmen, was die wesentlichen Investitionen in den gesamteuropäische Interessen im Vordergrund stehen. europäischen Ländern anbetrifft. Eine gemeinsame euro- Wir müssen uns folgerichtig mit unseren Partnern darü- päische Investitionspolitik würde die wirtschaftliche Zu- ber verständigen, welche Ausgaben einen Mehrwert für sammenarbeit zweifelsohne erleichtern. Aber auch hier alle Partner und für die gesamte Europäische Union brin- gilt: Keine Reform nur der Reform wegen! gen. Der neue französische Präsident Macron wünscht sich (Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!) viel mehr Investitionen als bisher. Ich würde mir viel mehr bessere Investitionen wünschen. Ich habe bereits in Hier könnte das Europäische Semester mit seinen länder- meiner letzten Rede zum aktuellen Arbeitsprogramm der spezifschen Empfehlungen und den Empfehlungen zur Europäischen Union gesagt, dass wir eine europäische Wirtschaftspolitik des Euro-Raums eine gute Grundlage Politik benötigen, die ein Gesamtkonzept darstellt. Der bilden. Haushalt muss eng mit den Prioritäten der europäischen Die Investitionen sollten nicht losgelöst von den eu- Politik verbunden sein. Wir brauchen eine zukunftsori- ropäischen wirtschaftspolitischen Grundsätzen getätigt entierte, weltweitsichtige Politik. Dabei ist der Dreiklang werden; das Stichwort „Better Spending“ darf nicht ins von Strukturreformen, gesunden Staatsfnanzen und In- Leere laufen. Dabei sollten Effzienz und Wirksamkeit vestitionen für mich unabdingbar. der Investitionen laufend überprüft werden. Auch die (Beifall bei der CDU/CSU) Tatsache, dass manche Länder, die dringend Investitio- nen benötigen, oft an Problemen wie einer ineffzienten Nichts anderes hat die Bundeskanzlerin im Übrigen am Verwaltung scheitern, darf nicht außer Acht gelassen Montag gesagt. werden. Einfach mehr Geld ist nicht die Lösung des Pro- Präsident Macron möchte bekanntlich das französi- blems. sche Haushaltsdefzit unter die zulässigen 3 Prozent sen- (Beifall bei der CDU/CSU) ken. In Bezug auf die Euro-Bonds hat er des Weiteren be- tont, er wolle keine Politik der Verantwortungslosigkeit. Dabei geht es nicht um eine Politik des erhobenen Zeige- Das lässt auf eine grundsätzliche gemeinsame Haltung fngers, um die Durchsetzung eigener Ideen, sondern um zur Haushaltsdisziplin schließen. Investitionen bringen einen Austausch zwischen gleichberechtigten Partnern (B) den notwendigen Fortschritt und sichern den Wohlstand. und die Verwirklichung sinnvoller Modelle. (D) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Auch Deutschland hat mit Problemen zu kämpfen, die GRÜNEN]: Haben Sie das mal Ihrem Staats- die Umsetzung wichtiger Investitionen behindern. Viele sekretär erzählt?) Projekte bei uns scheitern oder verzögern sich beispiels- weise aufgrund der enormen Bürokratie Eine neue Investitionspolitik darf jedoch nicht als Ab- kehr von jeglicher Sparpolitik verstanden werden, meine (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Damen und Herren. GRÜNEN]: Berliner Flughafen!) (Beifall bei der CDU/CSU) oder schlicht und einfach wegen fehlender Planungska- pazitäten in unseren Bundesländern. Das muss sich bei Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen uns ändern. Investitionspolitik zieht jedoch sofort Fragen zu wichti- gen Details nach sich: Wie soll diese Investitionspolitik Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik fnanziert werden? Wer soll die Entscheidungsbefugnisse muss ein durchdachtes Instrument werden, wenn sie tragen? nachhaltig positive Wirkung entfalten soll. Ich hoffe hier (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE auf eine gute Zusammenarbeit mit Frankreich und an- GRÜNEN]: Geben Sie mal Antworten! Ma- deren europäischen Ländern. Dem Präsidenten Macron chen Sie mal Vorschläge! Macron hat welche wünsche ich viel Erfolg mit seinen Reformplänen und gemacht!) weiteren politischen Initiativen. Wir stehen an seiner Sei- te für ein starkes Frankreich, für ein starkes Europa, für Die tatsächliche Ausrichtung dieser Politik wird also eine starke Europäische Union. maßgeblich von den weiteren im Raum stehenden Refor- men der Währungsunion abhängig sein. Wir dürfen auch Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. nicht vergessen, dass wir bereits bestehende Programme (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für die gesamte EU haben: die Strukturfonds und die In- vestitionsoffensive EFSI. Hier gilt es unbedingt, jegliche Doppelung zu vermeiden. Dort, wo wir bereits funktio- Vizepräsidentin Petra Pau: nierende Instrumente haben, benötigen wir keine zusätz- Der Kollege Bernd Westphal hat für die SPD-Fraktion lichen Programme. das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) 23644 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Bernd Westphal (SPD): selbst, dass er Vertrauen zurückgewinnen und vereinbar- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten te Defzitziele einhalten muss. Und er weiß selbst, dass Damen und Herren! Wir alle sind erleichtert über den er die Reformen in Frankreich nicht mit dem Geld der Ausgang der Wahl unserer Freundinnen und Freunde deutschen Steuerzahler bewältigen kann. Aber klar ist in Frankreich. Den Rechtspopulisten ist es nicht gelun- doch: Die EU braucht dringend Reformen. Wenn dazu gen, unser freiheitliches solidarisches Europa mit unse- vernünftige Konzepte vorgelegt werden, sollten wir uns ren Werten zu zerstören. Dennoch sind mit den Wahlen ernsthaft damit auseinandersetzen. vom 7. Mai die Zweifer, Enttäuschten und vermeintlich Abgehängten nicht verschwunden. Viele Menschen wer- Ein Euro-Zonen-Budget für mehr Investitionen in den das Gefühl haben, dass sie in der Politik von Trump, soziale Mindeststandards in der EU, wie es Emmanuel Le Pen, Wilders und Co besser aufgehoben sind. Die Macron vorgeschlagen hat, ist ein Ziel, über das es sich Menschen werden sich nicht von selbst von Protektio- nachzudenken lohnt. Bei solch einem Euro-Zonen-Bud- nismus und Populismus abwenden. Ohne eine Politik des get gäbe es sicherlich die Perspektive, es durchzusetzen – sozialen Ausgleichs, ohne soziale Programme, ohne bes- vor allem dann, wenn wir dem europäischen Projekt sere Bildung und Jobs werden wir das Vertrauen in die wieder Schwung verleihen wollen. Der Vorschlag eines soziale Marktwirtschaft und eine faire globale Weltwirt- europäischen Finanzministers mit einem eigenen Budget schaft nicht zurückgewinnen. eröffnet die längst fällige Debatte über die Reform der Euro-Zone. Frankreich befndet sich in einer schwierigen wirt- schaftlichen Lage. Geringes Wirtschaftswachstum, ein Natürlich wissen wir: Emmanuel Macron wird nicht steigendes Haushaltsdefzit und anhaltend hohe Arbeits- immer ein leichter Partner für Deutschland sein. Das losigkeit haben bei vielen Menschen nicht nur Zweifel an war auch in den besten Tagen der deutsch-französi- der amtierenden Regierung ausgelöst, sondern das Ver- schen Beziehungen nicht anders. Aber wir müssen jetzt trauen in die Demokratie insgesamt geschwächt. ein Zeichen setzen und die Kritik aus Frankreich ernst nehmen. Wenn es etwa um Risikokapital oder um den Eine EU ohne Frankreich – das wäre für Deutsch- Ausbau unserer digitalen Infrastruktur geht, haben wir in land politisch, aber auch wirtschaftlich eine Katastro- unserem Land erheblichen Nachholbedarf. Auch mit den phe. Frankreich ist unser wichtigster Handelspartner, und Forderungen Macrons, den deutschen Leistungsbilanzü- wirtschaftliche Kooperation ist mit Wachstum und Wohl- berschuss etwa durch höhere Löhne oder Investitionen stand in beiden Ländern verbunden. in unserem Land abzubauen, müssen wir uns ernsthaft Wenn der bayerische Finanzminister sofort allen fran- auseinandersetzen. zösischen Vorschlägen zur Reform der europäischen Fi- (B) nanzpolitik eine Absage erteilt, dann ist das nicht nur po- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (D) litisch kleinkariert, sondern auch wirtschaftlich unsinnig. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das wird aber (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Axel auch Zeit!) Troost [DIE LINKE] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren franzö- Fast schon skurrile Züge nimmt das Ganze an, wenn so- sischen Freunden gemeinsame Lösungen für eine ge- gar Vorschläge abgelehnt werden, die gar nicht auf dem meinsame Zukunft fnden und dementsprechend eine Tisch lagen. wirtschaftlich und politisch starke EU bauen werden. Insofern liegt es in unserem eigenen Interesse, dass (Joachim Poß [SPD]: Die gar keiner gemacht Emmanuel Macron als französischer Präsident erfolg- hat!) reich ist. Inklusives Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit ist die Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Ich denke hier an Euro-Bonds, die Emmanuel Macron in seinem gesamten Wahlkampf zu keinem Zeitpunkt ange- Eine enge Zusammenarbeit mit Präsident Macron ist sprochen hat. nach dem Brexit eine große Chance für Europa. Schei- Wir sind jetzt als wirtschaftlich starkes Land in Euro- terte Macron, gäbe es für Deutschland nach den nächsten pa zum Handeln aufgefordert. Wir können und müssen Wahlen in Frankreich im Jahr 2022 niemanden mehr, mit jetzt mit dem neuen französischen Präsidenten mehr tun. dem wir mit erhobenem Zeigefnger belehren könnten. Die alten Belehrungen aus den europäischen Spardebat- Insofern freuen wir uns auf die gute Zusammenarbeit mit ten sind hier sicherlich nicht hilfreich. den Franzosen und ihrem neuen Präsidenten. Jacques Delors hat einmal gesagt: „Niemand verliebt Vielen Dank. sich in einen Binnenmarkt.“ Insofern brauchen wir eine sozialpolitische Säule für Europa. Das ist jetzt notwen- (Beifall bei der SPD) dig: gemeinsames Handeln und gemeinsame Politik.

(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock Vizepräsidentin Petra Pau: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übertragt ihr die Kompetenzen?) Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/ CSU-Fraktion. Sicherlich müssen wir nicht allem zustimmen, was der französische Präsident zur Diskussion stellt. Er weiß (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23645

(A) Volkmar Klein (CDU/CSU): Deutschland nicht. Deswegen wollen wir auch keinen (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten . Damen und Herren! Es wurden jetzt schon – ich glaube, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska zu Recht – eine ganze Menge guter Erwartungen formu- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: liert. Es ist ja auch in der Tat wohltuend, über Freund- Sagen Sie das ! Der Spahn müsste schaft zwischen Deutschland und Frankreich zu spre- jetzt einmal sagen: Ich entschuldige mich für chen. die Fake News! – Christian Petry [SPD]: Das (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist eine echte Fake News!) NEN]: Ich dachte, zwischen CDU und CSU!) Kommen wir zum wichtigsten Punkt: der Wettbe- werbsfähigkeit. Sie ist entscheidend für unsere Zukunft. Mein Vater wäre begeistert, wenn er das hörte. Er hat Ende der 30er-Jahre noch etwas ganz anderes in den (Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE Schulbüchern gelesen. LINKE] Es ist wohltuend, von der Zusammenarbeit in Europa Macron hat eine ganze Menge angekündigt: Modernisie- zu hören, vom Willen zum Erfolg, im Übrigen auch vom rung des Staates, Senkung der Steuern usw. Ich glaube, Willen zum gemeinsamen ökonomischen Erfolg. Denn dass Frankreich selber entscheiden muss, was die richti- wie sollen wir Europäer, die wir prozentual in der Welt gen Strukturreformen für Frankreich sind. Wir müssen immer weniger werden, unsere Wertvorstellungen, unse- das für Deutschland auch selber entscheiden. re Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten, als Erfolgsrezept an die Welt weitergeben, wenn wir nicht (Beifall bei der CDU/CSU) einmal selber erfolgreich sind? Für diese Freundschaft, Die Wettbewerbsfähigkeit wird einerseits durch die für diese Zusammenarbeit in Europa und für diesen Wil- Umsetzung der notwendigen Reformen und andererseits len zum Erfolg stehen Angela Merkel und jetzt auch der durch Investitionen gestärkt. Dazu gibt es jetzt alle mög- französische Präsident Macron. lichen Vorschläge. Das hört sich fast so an, als ob die (Beifall bei der CDU/CSU) Sachlage gar nicht überall registriert wird. Vielleicht hat man die aktuellen Meldungen der Europäischen Investi- Ich möchte das, was Macron gesagt hat, mit drei tionsbank übersehen, die mitgeteilt hat: Die seit 2015 zur Begriffen zusammenfassen: Er hat von Stabilität, von Verfügung gestellten 4,4 Milliarden Euro aus dem EFSI, Eigenverantwortung und von Wettbewerbsfähigkeit ge- aus dem Europäischen Fond für Strategische Investiti- sprochen. onen, haben in Frankreich über 22 Milliarden Euro an (B) Investitionen mobilisiert. Natürlich investiert EFSI viel (D) Stabilität: Er hat selbstkritisch – das ist auch ein Stück mehr in Frankreich als in Deutschland. weit berechtigt – angekündigt, das Defzit in Frankreich zu reduzieren. Das Staatsdefzit ist ziemlich groß. Die (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesamtverschuldung liegt bei 96 Prozent des Bruttoin- NEN]: Warum haben Sie da nicht eingezahlt?) landsprodukts. Gerade nach der Staatsschuldenkrise ist Das ist ein Teil europäischer Solidarität. Das ist auch es die richtige Erkenntnis, dass es nicht nur ethisch ge- richtig so. Das müssen wir weiter stärken. boten ist, die Staatsverschuldung zu begrenzen – denn das ist gegenüber künftigen Generationen einfach nicht (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Ordnung –, sondern dass die Staatsverschuldung auch NEN]: Dann zahlen Sie doch ein!) eine Gefahr für die Stabilität darstellt. Pluspunkt für Macron: Stabilität anstreben. Lasst uns doch überhaupt einmal registrieren, welch gute Instrumente wir haben, und nicht nur darüber philoso- Eigenverantwortung: Eben wurde schon über Eu- phieren, was wir noch brauchen. ro-Bonds gesprochen. Es gab unterschiedliche Signale im Wahlkampf. Hier in Berlin hat der neue französische (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry Präsident gesagt: Die Vergemeinschaftung von Schulden [SPD]: Das hängt doch an Projekten! Infor- führt zu einer „Politik der Verantwortungslosigkeit“. – mieren Sie sich über die Modalitäten, und re- Nix mit Euro-Bonds! den Sie nicht so einen Unsinn!) Ich will abschließend sagen: Mich freut, dass über die (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen wird, Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auch in Frankreich. Das war bei Lagarde früher in Frank- Was sagt denn der Staatssekretär? Können Sie reich und selbst heute beim IWF zeitweise anders. Früher das mal dem Staatssekretär erklären?) wurde darüber philosophiert, man müsse für eine nivel- Der Einzige, der immer noch Euro-Bonds haben will, ist lierte Wettbewerbsfähigkeit in Europa sorgen. Das wäre Martin Schulz. vielleicht eine gute ökonomische Idee, wenn Europa ein Closed Shop wäre, und dann, wenn Deutschland nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der mehr liefern würde, eben Portugal oder Frankreich lie- SPD: Spahn!) fern würden. Europa ist aber kein Closed Shop. Wenn Deutschland nicht mehr liefert, liefern Indien oder China. Ich zitiere Macron noch einmal: „Das führt zu einer Po- litik der Verantwortungslosigkeit.“ Das wollen wir in (Beifall bei der CDU/CSU) 23646 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Volkmar Klein (A) Deswegen ist die einzige Lösung: Alle Staaten in Europa xit in der Sache konsequent mit den Briten verhandeln. (C) müssen für bessere Wettbewerbsfähigkeit sorgen. Das ist Aber die Reaktionen auf den Brexit gefelen mir nicht. offensichtlich der Plan des neuen französischen Präsi- Mir gefel nicht, wie man mit dem britischen Volk um- denten. gegangen ist. Dieses Beleidigtsein nach dem Motto: „Ihr habt Europa nicht verstanden, sonst hättet ihr anders ab- Vizepräsidentin Petra Pau: gestimmt“, ist der falsche Weg. Wir müssen das, was die Völker bewegt, ernst nehmen. Kollege Klein. (Beifall bei der CDU/CSU) Volkmar Klein (CDU/CSU): Es gibt den klassischen Refex: Um Europa zu retten, Er kann sich in der Atmosphäre und in der Tradition müssen wir es vertiefen. Wir brauchen mehr Europa, und der deutsch-französischen Freundschaft darauf verlas- wir brauchen mehr Geld in Europa; dann wird das schon sen, dass wir ihn dabei unterstützen. hinhauen. Herzlichen Dank. Erstens. Positiv ist, dass Macron erklärt hat – darüber (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry wurde heute viel zu wenig gesprochen –, dass Frankreich [SPD]: Mein Gott, war das schlimm! – Gegen- zunächst einmal seine Hausaufgaben machen muss. Er ruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ hat sein Kabinett vorgestellt. Angesichts einiger Kabi- DIE GRÜNEN]: Das ist euer Koalitionspart- nettsmitglieder bin ich hoffnungsfroh, dass sie die Refor- ner! – Gegenruf des Abg. Christian Petry men angehen werden. Dort will man eine Agenda 2010 [SPD]: Leider!) angehen, während einige in Deutschland sie abschaffen wollen. Da bin ich bei Macron: Wir brauchen die Agen- da 2010. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion. Meine Damen und Herren, das Verhalten der Linken (Beifall bei der CDU/CSU) fnde ich hochgradig heuchlerisch. Es ist ja nicht nur so, dass die Linke Macron nicht unterstützt hat. Macron geht mit diesem Programm jetzt in eine nationale Wahl, und Alexander Radwan (CDU/CSU): er braucht Mehrheiten, um die Reformen umsetzen zu Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und können. Ich habe heute viele Wortbeiträge gehört, in de- Herren! Anlass für diese Aktuelle Stunde ist der Besuch nen durchklang, dass es einem am liebsten wäre, wenn er (B) des Präsidenten Frankreichs bei unserer Kanzlerin in Ber- bei der nationalen Wahl scheitern würde. Und dann über (D) lin. Dieser Besuch ist ein eindeutiges Zeichen Macrons, Le Pen zu lamentieren, ist unmöglich. dass er den Schulterschluss mit Deutschland sucht und wo er die Zukunft Europas sieht: bei Deutschland und bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Kanzlerin Merkel. der SPD) (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege Troost, Macron muss in Frankreich erfolg- NEN]: Und er war nicht in München!) reich sein – das haben Sie selbst besagt –; denn sonst kommt Le Pen wieder. Also unterstützen Sie ihn und sein – Er wird schon noch kommen. Keine Angst! Vorhaben, und tun Sie nicht so, als wenn es das Beste (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wäre, wenn er scheitert. SES 90/DIE GRÜNEN) (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann Wenn das Ihr Hauptproblem ist; das werden wir lösen haben Sie nicht richtig zugehört!) können. Dann würden Sie sich wieder hierhinstellen und sagen: Nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlan- Um Gottes willen, jetzt kommt Le Pen. – Macron hat das den gab es ein Durchatmen. Man war froh, dass Le Pen Richtige auf den Tisch gelegt. Wir sollten ihn von deut- und Wilders nicht erfolgreich waren. In diesem Jahr wer- scher Seite unterstützen und nicht bereits vor den Wahlen den wir voraussichtlich auch noch Wahlen in Österreich bekämpfen. haben, und dann werden wir auf die FPÖ schauen. Alle (Beifall bei der CDU/CSU) sagen: Es ist wichtig, dass es kein Weiter-so mit der na- tionalistischen Bewegung gibt. Das ist richtig; aber wir Sie geben denjenigen Rückenwind, die gegen Macron müssen uns genau anschauen, wie es zu dieser Bewegung arbeiten. kam. Sicherlich sind die Gründe für das Wählerverhalten (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gut, dass Sie in Frankreich andere als die für das Wählerverhalten bei keine Zwischenmeldung zulassen!) der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien. Die Vorschläge, die ich heute gehört habe, hätten nicht dazu – Ich würde vor Furcht erstarren. geführt, dass die Briten in der Europäischen Union ge- blieben wären. Zweitens. Hier ist völlig untergegangen, dass Wolfgang Schäuble bereits mehrmals erklärt hat, dass An dieser Stelle möchte ich betonen: Ich bin froh, dass von europäischer Seite nationale Anstrengungen unter- wir diese Kanzlerin haben; denn wir müssen beim Bre- stützt werden. Wolfgang Schäuble steht dafür ein, dass Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23647

Alexander Radwan (A) diejenigen, die Reformen durchführen, mit der Solidari- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) tät Europas rechnen können. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu (Beifall bei der CDU/CSU – Susanna der Unterrichtung durch die Bundesregierung Karawanskij [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!) Bundesprogramm „Blaues Band Deutsch- land“ Drittens. Wenn wir über Strukturveränderungen der EU reden, sollten wir uns das anschauen, was realistisch Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5, ist. Ein europäischer Finanzminister wäre für manche 18/12204 schön, ist aber Träumerei. Ein europäischer Haushalt? Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn sich Rot-Grün an Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die europäischen Regeln gehalten und nicht den Stabili- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- täts- und Wachstumspakt gebrochen hätte und durchge- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. setzt hätte, dass er keine Anwendung fndet. Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hendricks. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Historische Vergleiche!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Den Weg, den Wolfgang Schäuble hinsichtlich der Refor- men im ESM geht, halte ich für richtig. Ich halte es für richtig, dass der ESM zukünftig verstärkt darauf schauen Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- soll, dass die europäischen Regeln eingehalten werden welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: und die politische Unabhängigkeit in Europa wieder ver- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- stärkt Einzug hält; denn hier gab es zuletzt Fehlentwick- legen! Hochwasser sind Ereignisse, vor denen es, wie wir lungen. alle wissen, keinen absoluten Schutz gibt. Leider können wir Hochwasser nicht per Gesetz verbieten oder sie auch Ich halte die deutsch-französische Freundschaft gera- nur langfristig vorhersehen. Das haben wir in Deutsch- de in der jetzigen Phase, in der die Interessen in Europa land zuletzt bei den Hochwassern an Elbe und Donau im so unterschiedlich verteilt sind, für wichtig. Wir haben Juni 2013 erleben müssen, die zu immensen Schäden ge- auf der einen Seite Italien, Griechenland und Portugal führt haben. Auch die Starkregenereignisse im Mai und und auf der anderen Seite die baltischen Staaten und die Juni des vergangenen Jahres, bei denen es auch Todesfäl- Finnen, die diesen Weg mitgehen müssen. Das müssen le zu beklagen gab, sind uns allen noch in schmerzhafter (B) wir zusammenführen. (D) Erinnerung. Die Schäden an privaten Einrichtungen, aber Lassen Sie mich eines sagen: Wir müssen Nationalis- auch an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie zum mus und antieuropäische Strömungen nicht nur in einem Beispiel Bundesautobahnen beliefen sich auf über 8 Mil- Staat bekämpfen, sondern in allen Staaten. Daher kann liarden Euro. Das sollten wir auch in vorübergehenden man nicht eine Politik machen, die Proeuropäern den Zeiten des Niedrigwassers nicht vergessen. Rückenwind nimmt; denn damit bewirkt man gleichzei- Leider bestehen keine Zweifel an der Tatsache, dass tig erheblichen Rückenwind für Antieuropäer. Ihre Vor- sich die Hochwasser in den letzten Jahren häufen. Was schläge sind völlig ungeeignet. Sie würden den Nationa- wir tun können und müssen, ist, uns gegen Hochwasser lismus in anderen Staaten in Europa massiv vorantreiben. zu wappnen. Wir haben deshalb das Nationale Hoch- Besten Dank. wasserschutzprogramm auf den Weg gebracht, das der Bund zu einem erheblichen Anteil fnanziert. Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU) darüber hinaus überprüft, ob das bestehende rechtliche Instrumentarium ausreicht. Dies haben wir mit großer Vizepräsidentin Petra Pau: Sorgfalt und nach umfassender Diskussion mit den Län- Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. dern getan. Ziel ist es, die Schäden in künftigen Fällen so gering wie möglich zu halten. Wir schließen nun mit dem Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: sogenannten Hochwasserschutzgesetz II weitere rechtli- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- che Lücken. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Lassen Sie mich die zentralen Punkte des Gesetzent- setzes zur weiteren Verbesserung des Hoch- wurfs nennen. wasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hoch- Erstens. Wir wollen eine stärkere Vorsorge durch wasserschutzgesetz II) hochwasserangepasstes Bauen in Überschwemmungsge- bieten erreichen. Wir wollen aber kein Bauverbot, wie Drucksache 18/10879 es die Mehrheit im Bundesrat will. In Zeiten knappen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wohnraums können wir unseren Kommunen solche Ein- ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- schränkungen nicht zumuten. Sie müssen zumindest die cherheit (16. Ausschuss) Chance auf Entwicklung behalten. Wir wollen aber, dass Belange des Hochwasserschutzes gerichtlich von den Drucksache 18/12404 Betroffenen eingefordert werden können. 23648 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) Zweitens. Wir wollen, dass auch in Risikogebieten Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzent- (C) und nicht nur in festgesetzten Überschwemmungsgebie- wurf ist die richtige Antwort auf die Hochwasser. Ich bit- ten die private Hochwasservorsorge stärker Berücksich- te Sie daher herzlich um Ihre Zustimmung. tigung fndet. Risikogebiete sind übrigens bereits jetzt nach EU-Recht auszuweisen. Aber Gefahrenkarten nüt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zen natürlich nichts, wenn daraus keine Konsequenzen der CDU/CSU) gezogen werden. 2013 ist es gerade in solchen Gebieten Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf das zu erheblichen Schäden gekommen, die in vielen Fällen „Blaue Band“ eingehen, mit dem wir die Renaturierung durch Steuermittel ausgeglichen werden mussten. Das von Fließgewässern und Auen fördern. Uns erreichen müssen wir für die Zukunft verhindern. vielfältige Anregungen und Projektvorschläge von Län- dern, von Gemeinden und von Initiativen vor Ort. Wir Drittens. In Zeiten des voranschreitenden Klimawan- wollen mit dem Bundesprogramm eine umfassende Re- dels, in denen auch großzügig bemessene Hochwasser- naturierungsinitiative starten und damit auch Synergien schutzanlagen versagen können, ist es wichtig, Anpas- in den Bereichen Gewässerschutz, Hochwasservorsorge, sungsmaßnahmen durchzusetzen. Solche Maßnahmen Freizeit, Erholung und regionale Entwicklung ermögli- können zum Beispiel sein: Energieverteilungs-, Gas- chen. Das Ziel ist der Aufbau eines Biotopverbundes von versorgungs- oder Klimaanlagen in nicht hochwasser- nationaler Bedeutung. gefährdete Gebäudebereiche innerhalb der Gebäude zu versetzen, die Installation von Abschaltmöglichkeiten, Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Rückstausicherungen, der Schutz der Leitungen gegen Renaturierung unserer Bundeswasserstraßen ist eine Auftrieb und Korrosion und der Schutz von Außenanla- Generationenaufgabe. Was über viele Jahrzehnte ausge- gen gegen drückendes Wasser. Dabei werden im Übrigen baut wurde, kann nicht in wenigen Jahren zurückgeführt keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt. werden. Deshalb hat sich die Bundesregierung für die Umsetzung des Programms einen Zeithorizont bis 2050 Wir wollen außerdem ein Verbot von neuen Ölhei- gesetzt. Sie sehen, wir denken durchaus in langen Linien. zungsanlagen und die Nachrüstung bestehender Anlagen Vor allem aber haben wir in dieser Legislaturperiode mit innerhalb angemessener Fristen in hochwassergefährde- der Umsetzung begonnen und die entscheidenden Wei- ten Gebieten. Wer gerade über eine neue Heizung nach- chen gestellt. Das erfüllt mich schon ein wenig mit Stolz denkt, muss wissen, dass Ölheizungen im schlimmsten und Dankbarkeit gegenüber allen, die dabei mitgeholfen Fall mit hohen Folgekosten verbunden sein werden. Da- haben. Ich bedanke mich sehr beim Kollegen Alexander rüber hinaus wollen wir die Verfahren beschleunigen, Dobrindt. Seine Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird (B) mittels derer Hochwasserschutzeinrichtungen geschaffen zukünftig ein völlig neues Aufgabenfeld haben: befesti- (D) werden. gen, wo es nötig ist, und entfestigen, wo es möglich ist. Mir ist bereits von vielen Menschen vor Ort Begeis- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist mir zu- terung über das „Blaue Band“ entgegengebracht worden. letzt auch, dass wir alles Notwendige tun, um der Ent- Wir werden so schnell wie möglich mit der Erarbeitung stehung von Hochwasser entgegenzuwirken. Natürlich von Entwicklungskonzepten an den Nebenwasserstraßen können wir kurzfristigen Starkregen oder wochenlange beginnen. Regenfälle nicht verhindern. Dennoch gibt es Bereiche, wo wir mehr machen können. Wir geben den Gemeinden Herzlichen Dank. mehr Möglichkeiten, Retentions- und Versickerungsfä- chen auszuweisen und Anforderungen an das hochwas- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) serangepasste Bauen zu stellen. Zudem wollen wir, dass in bestimmten eng begrenzten Bereichen Hochwasser­ Vizepräsidentin Petra Pau: entstehungsgebiete ausgewiesen werden. In diesen Ge- bieten können dann bestimmte Tätigkeiten wie etwa der Das Wort hat der Kollege Dr. André Hahn für die Umbruch von Wiesen zu Ackerfächen untersagt werden. Fraktion Die Linke. Natürlich ist das nur angemessen, wenn die örtliche hy- (Beifall bei der LINKEN) drologische und topografsche Situation das erfordert. Die Ausweisung solcher Gebiete ist nur ein Mittel unter vielen, um zu verhindern, dass Bäche oder Rinnsale zu Dr. André Hahn (DIE LINKE): reißenden Strömen werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die von mir betreuten Landkreise Sächsische Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gesetzgebungs- Schweiz-Osterzgebirge und Meißen zieht sich ein blaues verfahren haben die Koalitionsfraktionen im Einver- Band: die Oberelbe – wie ich fnde, eine der schönsten nehmen mit der Bundesregierung eine Reihe von Än- Regionen in Deutschland. Allerdings sind Hochwasser derungsvorschlägen aufgenommen zum Ausgleich von in diesem Bereich der Elbe keine Seltenheit. Besonders Retentionsfächen und zu Anforderungen an Stauanlagen. verheerend waren das Winterhochwasser von 1845 und Außerdem besteht für die Länder keine Pficht, sondern die sogenannte Jahrhundertfut im August 2002. Damals, lediglich eine Option zur Ausweisung von Hochwasser­ 2002, verloren zigtausend Menschen ihren Besitz. Viele entstehungsgebieten. Auch bei der Einführung von Vor- von ihnen hatten nicht einmal eine Versicherung gegen kaufsrechten haben die Länder einen weiten Spielraum. die Schäden. Das ist im Übrigen bis heute ein Problem. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23649

Dr. André Hahn (A) 2006, 2010 und 2013 gab es erneut starke Hochwasser schaft knapp 22 Millionen Euro, auf die Verwaltungen in (C) an der Elbe. Die Abstände werden hier und in anderen den Ländern nicht einmal 3 Millionen Euro, und für den Regionen, wie in Bayern und am Rhein, immer kürzer. Bund entsteht gar kein Erfüllungsaufwand. Die zunehmend extremen Wetterlagen haben unbe- Bei dem Gesetzentwurf, der auf der Zielgeraden noch streitbar etwas mit dem Klimawandel zu tun. Das ist aber nachgebessert wurde, und beim Entschließungsantrag nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung von der Koalition wird sich die Linke der Stimme enthalten. Hochwasser. Hinzu kommen eine starke landwirtschaftli- Neben dem Gesetzentwurf liegt heute – auch die Mi- che Nutzung und eine zunehmende Flächenversiegelung nisterin hat darauf hingewiesen – auch das Bundespro- in den Städten und Gemeinden an den Nebenfüssen. Da- gramm „Blaues Band Deutschland“ zur Abstimmung durch wird weniger Wasser vom Boden aufgenommen. vor. Mit diesem Programm soll verstärkt in die Rena- Außerdem wurden viele Deiche sehr nah am Fluss er- turierung von Bundeswasserstraßen investiert werden. richtet. Ein Abfießen des Wassers in ursprüngliche Ge- Daneben sollen neue Akzente in Richtung Natur- und wässerauen ist dadurch häufg nicht mehr möglich. Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wasser- Innerhalb Deutschlands müssen sich zehn Bundeslän- tourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden. der auf gemeinsame Maßnahmen einigen. Am 10. No- Dieses Bundesprogramm wird auch seitens der Linken vember 2006 unterschrieben diese zusammen mit dem positiv bewertet. Bund Maßnahmen gegen Hochwasser. Sie planten unter Dem Entschließungsantrag der Koalition können wir anderem, weitere Retentionsräume einzurichten, aber dennoch nicht zustimmen. Wir haben im Ausschuss sechs auch Bebauungsverbote und Überschwemmungsgebiete konkrete Kritikpunkte benannt. Aufgrund der geringen festzusetzen. Redezeit kann ich hier heute nur einen herausgreifen. Dieses Ziel unterstützen wir, sofern es sich auf das Es ist essenziell für die Wirkung des Programms, dass gesamte Einzugsgebiet der Elbe bezieht. Warum ma- andere Vorhaben der Bundesregierung dem damit ver- che ich diese Anmerkung? Anfang Juni 2014 teilte der bundenen Ziel nicht entgegenwirken. Wir sagen hier: Die sächsische Staatssekretär Jaeckel auf einer öffentlichen geplante Weser- und Elbvertiefung ist defnitiv kontra- Veranstaltung zum Hochwasserschutz in Bad Schandau produktiv und daher abzulehnen. mit, dass das angestrebte Schutzziel bei Hochwasser im Oberen Elbtal nicht erreichbar sei und jeder Bürger (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- in Flussnähe Eigenvorsorge zu treffen habe. Das ist für neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mich nicht akzeptabel. Auch das Obere Elbtal braucht Es gilt jetzt also, die Ziele aus diesem Programm ge- einen wirksamen Hochwasserschutz. Der internationale meinsam mit den Ländern und Kommunen, den Bürge- (B) (D) Hochwasserrisikomanagementplan für die Elbe muss ab rinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft durch konkrete Schmilka, ab der Grenze, und nicht erst ab kurz vor Dres- Maßnahmen umzusetzen. Dies wird – so ist zumindest den gelten. meine Hoffnung – auch dem Nationalpark Sächsische (Beifall bei der LINKEN) Schweiz, den Bewohnern der Region und ihren Gästen zugutekommen – und dies nicht nur heute, sondern hof- Heute stimmen wir über einen Gesetzentwurf der Bun- fentlich auch in der nahen und fernen Zukunft. desregierung ab, zu dessen Zielen es gehört, für den Bau von Hochwasserschutzanlagen die Möglichkeiten für Herzlichen Dank. beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren (Beifall bei der LINKEN) auszuschöpfen. Daneben soll es für diese Gebiete Neure- gelungen für ein hochwasserangepasstes Bauen und ein

Verbot neuer Heizölverbrauchsanlagen geben. Mit dem Vizepräsidentin : Gesetz soll das Nationale Hochwasserschutzprogramm Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ulrich in Höhe von circa 5,5 Milliarden Euro fankiert werden. Petzold für die CDU/CSU-Fraktion. Die Umsetzung ist aus unserer Sicht jedoch unzurei- (Beifall bei der CDU/CSU) chend. Wir meinen, die Flüsse brauchen mehr Raum. Durch die Bodennutzung muss die Wasseraufnahme des Ulrich Petzold (CDU/CSU): Bodens so weit wie möglich gewährleistet werden. Für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten die Linke heißt das Zauberwort deshalb „Hochwasser- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vorsorge“. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ver- Als ich vor 15 Jahren die Berichterstattung meiner Frak- fehlt dieses Ziel leider. tion zum Hochwasserschutzgesetz übernahm, habe ich mir nicht träumen lassen, dass dieses Thema auch meine Für mich sind die zu erwartenden Auswirkungen auf wahrscheinlich letzte Rede betreffen würde, die ich heute den Städtebau sehr problematisch. In der Anhörung im hier im Deutschen Bundestag halten werde. Umweltausschuss wurde darauf hingewiesen, dass Ri- sikogebiete nicht hinreichend abgegrenzt seien, was Erlauben Sie mir, nicht über die Hochwässer von 2002 hinsichtlich der Restriktionen für Bauleitplanung und und 2013 zu sprechen oder über die vielen Dinge, die wir Bauweise zu großen Schwierigkeiten führen kann. Auch schon gemacht haben. Bund und Länder gemeinsam sind müssen die Lasten gerecht verteilt werden. Laut Gesetz- beim technischen Hochwasserschutz in den letzten Jah- entwurf der Bundesregierung kommen auf die Bürgerin- ren ein großes Stück vorangekommen. Wir haben mittels nen und Bürger über 1 Milliarde Euro zu, auf die Wirt- eines Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasser- 23650 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Ulrich Petzold (A) schutz“ viel an Deichen, Poldern und Retentionsfächen hen oder die Anlagen nicht hochwassersicher errichtet (C) getan. Das ist unbestreitbar. werden können. Der Bauherr hat den Einbau anzuzeigen, und die Behörde kann innerhalb einer vorgesehenen Frist Doch es lassen sich bei allen Anstrengungen auch entscheiden. Das ist eine wirklich vernünftige Anpas- künftig nicht alle Schäden vor und hinter dem Deich ver- sung an unsere Lebenswirklichkeiten. hindern, sodass mittels vorbeugender Maßnahmen mög- liche Schäden an baulichen Einrichtungen unserer Bür- Von der Untersagung von Maßnahmen in festgesetz- ger, an Gebäuden der Wirtschaft und der Öffentlichkeit, ten Überschwemmungsgebieten werden Maßnahmen zur wenn irgend geht, verhindert oder wesentlich gemindert Beseitigung von Pfanzenwuchs und Anlandungen, die werden müssen. Das ist der Ansatz des Hochwasser- den Wasserzufuss oder den Wasserabfuss in Retentions- schutzgesetzes II, das auch die Umsetzung eines Vorha- räumen behindern, explizit ausgenommen. Damit folgen bens aus dem Koalitionsvertrag und die Umsetzung der wir einer Petition der Bürger aus Riesa, die uns nachge- EU-Hochwasserschutz-Richtlinie in nationales Recht wiesen haben, dass beim Hochwasser 2013 trotz eines bedeutet. deutlich geringeren Wasserabfusses als 2002 das Wasser genauso hoch an den Deichen stand wie 2002, bedingt Leider fanden sich an einigen Stellen im von der Bun- durch Aufandung und Verbuschung. desregierung vorgelegten Gesetzentwurf Regelungen, die die zugrundeliegende EU-Richtlinie sehr restriktiv Beim Vorkaufsrecht und den Festlegungen zu Hoch- interpretierten und Aufagen für die Bürgerinnen und wasserentstehungsgebieten kommen wir den Anregun- Bürger sehr hoch ansetzten und uns zu intensiven Bera- gen der Länder entgegen. tungen in der Berichterstatterrunde und auch mit Ihnen, Wir haben auch Klarstellungen im Gesetz. Die Ein- sehr verehrter Herr Staatssekretär, veranlasst haben, die schränkung in Risikogebieten, zum Beispiel bei der Auf- aber sehr positiv verlaufen sind. stellung von Bauleitplänen im Außenbereich, darf kei- Unsere Überlegungen haben natürlich immer das Ziel, nem Bauverbot gleichkommen. Für bauliche Anlagen in den Hochwasserschutz so effektiv wie möglich zu ma- Risikogebieten, die aus technischen Gründen nicht hoch- chen, aber zugleich auch Belastungen, zum Beispiel für wasserangepasst errichtet werden können, gilt das Erfor- den Wohnungsbau – darüber haben wir heute mehrfach dernis der hochwasserangepassten Bauweise nicht. Das beraten –, angemessen zu gestalten. Hochwasserange- gilt zum Beispiel für Fahrsilos in der Landwirtschaft. passtes Bauen darf in Risikogebieten den Wohnungsbau Bei den Anforderungen an das hochwasserangepasste nicht mehr als unbedingt notwendig verteuern, da Bal- Bauen ist die Lage des Grundstückes zwingend zu be- lungszentren dort, wo wir den Wohnungsbau am drin- rücksichtigen. Auch das war eine Folge unserer Beratun- gendsten benötigen, sehr oft in Risikogebieten liegen. (B) gen. (D) In unseren fachlichen Überlegungen haben wir uns zu Nach meiner Einschätzung ist es dringend gebo- Bauplanungen in festgesetzten Überschwemmungsge- ten, dass die Hochwasserkarten der Länder periodisch bieten zum Beispiel gefragt: Kann der Hochwasserschutz auf ihre Aktualität überprüft werden. Sicherlich kann wirklich nicht gegen Erweiterungswünsche im Baube- der Bund hierbei helfen. Deshalb fordern wir in unse- reich „weggewogen“ werden? Das ist eine gefährliche rer Entschließung, dass die Bundesregierung die Bund/ Sache; darin sind wir uns durchaus einig. Ist die Privile- Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser und gegebenenfalls gierung von Infrastrukturmaßnahmen wirklich in diesem betroffene Landesbehörden bei der kontinuierlichen Ak- Umfang geboten? Muss nicht noch mehr auf Anpassung tualisierung der Gefahren- und Risikokarten nach der an Hochwassererfordernisse geachtet werden? Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in allen Belan- Wie dem gemeinsamen Änderungsantrag der Koaliti- gen unterstützt. Wenn grundstücksgenau ausdifferenziert onsfraktionen zu entnehmen ist, haben wir unter anderem wird und das aktuelle Kartenmaterial jedem zugänglich folgende Änderungen in den gemeinsamen Beratungen ist, ist private und behördliche Planungssicherheit beim auch mit unseren Mitberichterstattern von der Opposi- Hochwasserschutz problemlos möglich. tion erreicht: Die Defnition eines Risikogebietes wird Frau Bundesministerin, Sie haben eben von den ho- durch die Klarstellung konkretisiert, dass es sich im We- hen Folgekosten bei der Umrüstung von Heizölanlagen sentlichen um Gebiete handelt, in denen statistisch alle in moderne Heizungsanlagen, die auch – so wollen wir 200 Jahre mit einer Überfutung durch ein Hochwasser, es – ökologisch wirksam sind, gesprochen. Bitte helfen also dem HQ 200, zu rechnen ist. Wir alle wissen, was Sie uns, dass wir gerade Familien, die davon sehr stark Extremhochwasser – eben wurde es von dem Kollegen betroffen sind, in Zukunft auch helfen können. Ich glau- der Linken angedeutet – für Probleme bereiten kann. be, das ist uns allen, die wir an den Beratungen teilge- In Risikogebieten wird von der Pficht zur hochwasser­ nommen haben, ein wichtiges Anliegen. angepassten Bauweise aller baulichen Anlagen auf eine (Beifall bei der CDU/CSU) Sollvorschrift abgerüstet. Bei den Bauvorschriften sollen auch mögliche Schäden berücksichtigt werden. Auch Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten hier haben wir uns sehr stark eingebracht. Damen und Herren, es ist meine letzte Rede, und ich darf noch ein paar persönliche Worte an Sie richten. Das Verbot der Errichtung von Heizölverbrauchsan- lagen in Risikogebieten wird nur dann aufrechterhalten, wenn andere weniger wassergefährdende Energieträger Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zur Verfügung ste- Sie dürfen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23651

(A) Ulrich Petzold (CDU/CSU): Einmal geht es darum, dass die Bauleitpläne im In- (C) Ich glaube, auch diese Beratung zum Hochwasser- nenbereich weiterhin im Rahmen einer zusätzlichen schutzgesetz hat gezeigt, dass wir uns auch bei schwieri- Abwägung ermöglicht werden. Das heißt, wir können ger Materie zusammenraufen können, dass wir zwar viel- weiterhin das Hochwasserrisiko in der Planung – insbe- leicht keine einheitliche Meinung erzeugen können, aber sondere auch bei der Planung für Infrastrukturvorhaben – uns untereinander verstehen. Dieses Verständnis war für wegwägen. Bei Infrastrukturvorhaben handelt es sich um mich in den vergangenen Jahren immer sehr, sehr wich- großvolumige Bauwerke, wo es darum geht, dass am tig, hat mir geholfen und wird manchmal von der Öf- Ende auch Retentionsfächen verlorengehen. Das ist in fentlichkeit gar nicht so wahrgenommen. Die Menschen Bezug auf die heutige Gesetzeslage kein Fortschritt. Es hören uns hier nur streiten. Dass wir aber miteinander führt dazu, dass die Unterlieger am Ende des Tages die sprechen und miteinander etwas erreichen, müssen wir Geschichte wieder ausbaden müssen. Wir hätten uns ge- den Menschen vielleicht auch öfter einmal sagen. Das wünscht, dass hier insbesondere die Privilegierung der würde ich Ihnen wünschen. Infrastrukturvorhaben herausgenommen worden wäre. Es wäre wünschenswert gewesen, bei den Infrastruk- Herzlichen Dank Ihnen allen für die gute Zusammen- turvorhaben – gerade bei den Verkehrsinfrastrukturvor- arbeit! haben – zwingend Ausgleichsmaßnahmen für verloren- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gegangene Retentionsfächen vorzusehen. Das klingt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- vielleicht ein bisschen so, als wenn wir uns eigentlich geordneten der LINKEN) einig sind, es aber noch so ein paar Nerd-Geschichten gibt, an denen man immer herumkritisieren kann. Hierbei handelt es sich aber insbesondere für die Menschen am Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Unterlauf der Gewässer um ein sehr zentrales Thema. Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. Das war heute nicht nur Ihre letzte Rede in diesem Haus, sondern wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden, wie wir wissen, auch zu einem guten Abschluss Das zweite Problem haben Sie selbst angesprochen. kommen. Das ist auch der Erfolg. Dabei handelt es sich um die Ölheizungen. Ölheizungen Als Nächstes hat jetzt der Kollege Peter Meiwald für stellen im Überschwemmungsfall eine außerordentliche Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Gefährdung der Umwelt dar. Deswegen müssen wir so schnell es geht Ölheizungen austauschen und durch we- niger gefährliche Heizungssysteme ersetzen. Wir hätten Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): uns da gewünscht – Sie haben es gerade angesprochen –, Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- dass man nicht Ausnahmen schafft für diejenigen, für die (B) legen! Das kann ich ganz unbedingt so zurückgeben, es wirtschaftlich schwierig ist, sondern ein Förderpro- (D) Kollege Petzold: Vielen Dank für die faire Zusammenar- gramm angeboten hätte, um den Austausch der Anlagen beit in diesem Bereich! möglich zu machen. Da bleibt dieses Gesetz leider hinter Ziel des Gesetzes, über das wir heute entscheiden, ist, dem Anspruch zurück. Deswegen können wir auch da die Verfahren für die Planung, Genehmigung und den nicht mitgehen. Bau von Hochwasserschutzanlagen zu erleichtern und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu beschleunigen, ohne die Beteiligung der Öffentlich- keit zu beschneiden, und vor allem die Entstehung von Sie hätten sich dabei durchaus die Position des Bun- Hochwasser einzudämmen. Dagegen kann man eigent- desrates zu eigen machen können. Dieser hatte gefordert, lich nichts haben; das ist klar. Deshalb eint uns auch das zum Ausgleich der besonderen Belastung eine Unter- Interesse, dass wir in diesem Bereich vorankommen wol- stützung von staatlicher Seite zu gewähren und entspre- len und müssen. chende Fördermöglichkeiten zu schaffen. Es ist schwer verständlich, warum sich diese Bundesregierung bei der Deswegen begrüßen wir auch grundsätzlich die Ziel- gegenwärtigen Haushaltslage dieser Forderung des Bun- richtung des Gesetzentwurfs. Aber – das ist schon von desrates verweigert. Das hätte, glaube ich, allen die Zu- allen anderen angesprochen worden – die Anhörung, stimmung zum Gesetz deutlich einfacher gemacht. die wir im Umweltausschuss durchgeführt haben, hat gezeigt: Es gibt viele Haken und Ösen. Ich verstehe das Sie nehmen hier ein unverantwortlich hohes Umwelt- bei einem Gesetzentwurf der Großen Koalition, die sich risiko in Kauf und suggerieren gleichzeitig – auch das letztendlich einigen muss. Für uns sind aber dabei Din- haben Sie angesprochen; das ist auch klimapolitisch be- ge auf der Strecke geblieben, was es uns nicht möglich denklich –, dass es mit den Ölheizungen eigentlich noch macht, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, auch wenn da- eine Zeit lang so weitergehen kann. Nein, wir müssen aus rin einiges enthalten ist, das richtig ist. dieser Technologie aus dem letzten Jahrhundert ausstei- gen, gerade in Überschwemmungs- und Hochwasserge- Dies sage ich vorweg, weil es sonst wieder so klingt, bieten. als ob wir uns nur streiten würden. In der Tat: Es hat sich noch einiges geändert. Sie haben durch die Änderungs- Trotz deutlicher Hinweise in der Anhörung im Um- anträge an einigen Stellen nachgebessert. Das sehen wir weltausschuss haben Sie nicht das Paradoxon aufgelöst, auch. dass es in den neuen Hochwasserrisikogebieten – also den Gebieten, die hinter den Deichen liegen und nur Aber es bleiben insbesondere zwei Dinge, die für uns bei Deichbruch oder in Extremsituationen überschwem- ein großes Problem darstellen. mungsgefährdet sind – höhere Anforderungen in Bezug 23652 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Peter Meiwald (A) auf die Baumöglichkeiten gibt als in den Gebieten vor Vielen Dank. (C) dem Deich. Das ist den Menschen eigentlich nicht zu vermitteln. Da hätten wir uns eine andere Möglichkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewünscht. Es muss auch mit gesundem Menschenver- stand nachvollziehbar sein, wo wir welche baulichen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aufagen verlangen. Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Carsten Träger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Forderungen Ihrer Entschließung sind im Grun- Carsten Träger (SPD): de genommen hauptsächlich weiße Salbe. Wir können Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und uns dem gar nicht verweigern. Deswegen werden wir Kollegen! Wir alle erinnern uns noch an das Jahr 2013. uns dazu auch enthalten. Diese Forderungen sind aber Es war nicht nur das Jahr der letzten Bundestagswahl. Begleitmusik für einen Gesetzentwurf, der eben nicht Nein, es war auch das Jahr, in dem der Klimawandel in wirklich zu dem Ziel führt, zu dem wir hinwollen. Die Deutschland sichtbar wurde. Es gab große Hochwasserer­ dort genannte bundesweite Vereinheitlichung der Hoch- eignisse an Donau und Elbe. Während des Elbhochwas- wasserkarten hätte die Bundesregierung längst festlegen sers 2013 stieg das Wasser so hoch wie noch nie zuvor. können. Das ist leider ausgeblieben. Katastrophenalarm wurde ausgerufen. Tausende Helfer Auch die Frage einer denkbaren Pfichtversicherung waren auf den Beinen, haben Millionen von Sandsäcken wird adressiert, am Ende aber nicht beantwortet. Die gefüllt und gestapelt und fehlten natürlich an ihren Ar- Bundesregierung ist ja nicht dazu da, Probleme zu be- beitsplätzen. Die Bewohner mussten evakuiert werden, schreiben oder zu benennen, sondern Lösungen anzubie- Häuser und Straßen standen unter Wasser; das normale ten. Daran sind Sie mit dem Gesetz leider gescheitert. Leben war für fast zwei Wochen lahmgelegt. Die Schä- den dieses verheerenden Hochwassers im Juni 2013 im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Elbe- und Donaugebiet waren immens. Sie belaufen sich auf mehrere Milliarden Euro. Das gilt auch für die angesprochenen Versickerungs- möglichkeiten. Sie haben es deutlich gesagt. Auch da Hochwasser sind Naturereignisse, die sich wiederho- hätten wir uns klarere Vorgaben gewünscht; denn nur das len. Sie sind ein Risiko, das nicht völlig ausgeschlossen Wasser, welches nicht bei den Gewässern ankommt, wird werden kann. Aber die Folgen von Katastrophen wie im nicht zu einem Hochwasser. Auch da bleibt dieses Gesetz Jahr 2013 können und müssen abgemildert werden. hinter dem Notwendigen zurück. (B) (Beifall bei der SPD) (D) Als Gesamtbewertung kann man nur sagen: Das ist Hochwasserschäden müssen verhindert oder deutlich re- gut gemeint, an manchen Stellen aber noch nicht gut ge- duziert werden – diese Erkenntnis setzte sich 2013 end- macht. Zwei Dinge fehlen, die ich zum Abschluss noch gültig durch. Milliardenschwere Aufbauhilfeprogramme kurz erwähnen möchte. nach einem Hochwasserereignis aufzulegen, war natür- lich notwendig; aber das kann nicht die Lösung für die Einmal geht es dabei um den Klimaschutz. Wenn man Zukunft sein. Daher wurde in der Konsequenz das Na- den Klimaschutz berücksichtigt, hat man noch nicht alle tionale Hochwasserschutzprogramm beschlossen. Zum Probleme geregelt. Es gibt auch Hochwasser, die nicht ersten Mal gibt es nun eine bundesweite Aufstellung mit durch das Klima, sondern durch einfache Wetterereignis- vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen se erzeugt werden. Dass die Klimaveränderung aber in für den Hochwasserschutz. Zentrales Ziel dabei ist: Den starkem Maße für zunehmende Extremwetterereignisse Flüssen muss wieder mehr Raum gegeben werden. verantwortlich ist, ist klar. Dieser Erkenntnis kann man sich nicht verweigern. Deswegen wäre es gut, auch in Wir haben in dieser Legislaturperiode dank unse- diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuwei- rer Umweltministerin Barbara Hendricks viel für den sen, dass Klimaschutz der beste Schutz vor Extremwet- Hochwasserschutz erreicht. Dazu gehören das Nationale ter- und Starkregenereignissen ist. Deswegen muss auch Hochwasserschutzprogramm, das der Bund durch den das Thema Ausstieg aus der Kohle immer wieder adres- Sonderrahmenplan „Präventiver Hochwasserschutz“ mit siert werden, wenn wir über den Hochwasserschutz re- zunächst 330 Millionen Euro maßgeblich fnanziert – dies den. Dieser Ausstieg ist erforderlich, um die Klimabilanz geschah übrigens auf Druck meiner Fraktion; herzlichen zu verbessern. Dank an den Kollegen Freese dafür –, das Bundespro- gramm „Blaues Band Deutschland“ und nun das Hoch- Auch Sie, Frau Ministerin, haben vorhin zwar davon wasserschutzgesetz II, das wir heute beschließen werden. gesprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Es fn- Es fankiert das Nationale Hochwasserschutzprogramm. det sich aber in diesem Gesetz nichts, was uns in dieser Hinsicht voranbringt. Deswegen hoffe ich, dass sich die Mit dem Hochwasserschutzgesetz II erleichtern und nächste Bundesregierung diesem Thema wieder zuwen- beschleunigen wir Planung und Bau von Hochwasser- den wird. Es wird da noch Einiges zu tun sein. schutzanlagen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit zu beschneiden. Überschwemmungen und Hochwasser- Im Sinne von Menschen und Umwelt, glaube ich, ist schäden sollen verhindert oder zumindest so weit wie es gut, wenn viele Grüne an dieser Regierung mitwirken. möglich verringert werden. Ich nenne einige Punkte, die Dann kann es nur besser werden. uns als SPD-Fraktion besonders wichtig sind. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23653

Carsten Träger (A) In bestimmten Gebieten darf nicht mehr oder nur noch Einen weiteren Dank möchte ich an unseren Haus- (C) hochwasserangepasst gebaut werden. Heizölanlagen sind haltsberichterstatter Cajus Caesar richten. Er hat in der in bestimmten Gebieten verboten; denn ein ausgelaufener letzten Bereinigungssitzung dafür gesorgt, dass rund Öltank verursacht nicht nur riesige Schäden in Umwelt 100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasser- und Natur, sondern macht auch ein Haus auf ewig unbe- schutz hinzugekommen sind. Auch das, denke ich, ist wohnbar. Die Länder haben zukünftig ein Vorkaufsrecht sehr wichtig. an Grundstücken, die für Maßnahmen des Hochwasser- oder Küstenschutzes benötigt werden. In Hochwasser- (Beifall bei der CDU/CSU) schutzgebieten soll das Wasser im Boden versickern oder Ich möchte mich mit meinen nächsten Worten und Sät- zurückgehalten werden können. Deswegen darf nicht zen weniger dem Hochwasserschutz zuwenden – das ist einfach Grünland in Ackerland umgewandelt werden. jetzt ausreichend gemacht worden –, sondern ich möchte Dafür ist eine behördliche Genehmigung erforderlich. etwas zum „Blauen Band Deutschland“ sagen. Das Ge- Das sind, wie ich fnde, lieber Peter Meiwald, doch wässernetz in Deutschland beträgt 400 000 Kilometer. ganz erhebliche Fortschritte im Hochwasserschutz, auch Bundeswasserstraßen sind etwa 7 300 Kilometer; davon wenn man natürlich immer mehr fordern kann. Die Ver- sollen 5 300 Kilometer Flussstrecke in das „Blaue Band handlungen mit unserem Koalitionspartner jedenfalls Deutschland“ integriert werden. Das sind auch Teile des waren gerade in diesen Punkten schwierig. Zeitweise Kernnetzes, aber insbesondere Teile des Nebennetzes. drängte sich der Eindruck auf, dass hier über ein Heiz­ Das „Blaue Band Deutschland“ ist im Koalitionsver- ölanlagenermöglichungsgesetz, ein Landwirtschaftser- trag für die 18. Legislaturperiode zwischen der CDU/ möglichungsgesetz, ein Bauermöglichungsgesetz ver- CSU-Fraktion und den Sozialdemokraten beschlossen handelt wird und nicht über ein Gesetz zur Verbesserung worden, und auf diesem Beschluss baut es sich auf. Wir des Hochwasserschutzes und damit zum Schutz von wollen mit der Renaturierung großer Flussabschnitte Menschen, von Hab und Gut, von Umwelt und Natur. etwas für den Hochwasserschutz tun, aber insbesonde- Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr re den Biotopverbund, der in Deutschland aufgrund der Petzold, haben wir doch einen guten Kompromiss erzielt. dichten Besiedlung, die wir haben, und der aufgrund Der Hochwasserschutz wird mit diesem Gesetz deutlich der großen Infrastrukturmaßnahmen oftmals schon zer- verbessert. Deswegen danke ich allen für die Zusammen- schnitten ist, wieder in einen besseren Zustand bringen. arbeit, besonders Herrn Staatssekretär Pronold sowie den Es wird so sein, dass viele zusätzliche, verschieden- Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium, die viel artige Lebensräume entstehen können und ökologische Geduld aufwenden mussten. Trittsteine zu einem großräumigen Verbundsystem auf- (B) (D) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und alles gebaut werden. Dieses Bundesprogramm fördert die Gute. Ziele zu einer Strategie zur biologischen Vielfalt und die Umsetzung von Natura 2000 und der Wasserrahmenricht- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten linie. Aber nicht nur Natur- und Artenschutz werden hier der CDU/CSU) im Mittelpunkt stehen, auch Erholung und Wassertouris- mus sind betroffen und werden positiv weiterentwickelt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wichtig aus meiner Sicht ist, dass die Akzeptanz er- Vielen Dank. – Vielleicht kann man im Folgenden den langt wird, indem man frühzeitig beginnt, alle Akteure an Dank bündeln und die Redezeit einhalten; denn wir sind einen Tisch zu bringen, um die Projekte in den nächsten schon ein ganzes Stück in Verzug. 30 Jahren, wie es von der Ministerin angedeutet wurde, umzusetzen. Ich glaube, wir haben schon gute Beispiele. Als Nächster hat der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze Im vergangenen Jahr wurde der Elbe-Vertrag nach langer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Diskussion von allen Beteiligten unterschrieben. Das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) In der Region, in der ich den empirischen Teil für meine Diplomarbeit und meine Dissertation erarbeitet Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): habe, an der Unteren Havel, realisieren wir zurzeit mit Unterstützung durch Bundesmittel in Höhe von 21 Mil- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen lionen Euro ein großräumiges Renaturierungsprojekt. und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses ist so gut vorbereitet worden, dass mittlerweile Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, zunächst einzelne Landnutzer an den Projektleiter herantreten und mit dem Dank an unsere beiden Bundesminister, an Frau sagen: Wir hätten noch dieses und jenes gerne miterle- Dr. Hendricks und Herrn Minister Dobrindt. Das Kon- digt, zum Beispiel Altarme freigesetzt, Deiche zurück- zept zum „Blauen Band Deutschland“, das Sie gemein- genommen. – Hier zeigt sich, dass man, wenn man alle sam vorgestellt haben, hat doch gezeigt, dass sowohl das Beteiligten frühzeitig ins Boot holt, solche großräumigen Infrastruktur- und Bauministerium als auch das Umwelt- Veränderungen, die in diesem Falle vor allem dem Na- ministerium bei bestimmten Dingen gut zusammenarbei- turschutz und der Landwirtschaft dienen, auf den Weg ten können. Es liegt aber auch in der Natur der Sache, bringen kann. dass man manchmal dort gegenteilige Meinungen zu vertreten hat. (Beifall bei der CDU/CSU) 23654 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) Die Investitionen, die mit 19 Milliarden Euro in den Schutz des Eigentums vor Hochwasserschäden wirklich (C) nächsten 30 Jahren angegeben sind, sind ganz erheblich. erforderlich sind. Sie stellen aber einen guten Ansatz dar. Wenn man die prioritären Maßnahmen mit etwa 3,5 Milliarden Euro be- Wir in der Union nehmen den Schutz des Eigentums ziffert, ist hier sicherlich der eine oder andere Punkt noch vor zu weit gehenden Eingriffen dabei sehr ernst, so zu betrachten. Ich glaube, man kann viele Maßnahmen auch beim Vorkaufsrecht der Länder für Grundstücke durch natürliche Sukzession laufen lassen, ohne umfang- zum Hochwasserschutz, das von vielen Seiten, darunter reiche Umsetzungsmittel einzusetzen. Kostenreduzie- auch der Landwirtschaft, stark kritisiert wurde; denn der rung ist also auch von daher notwendig. Verkäufer weiß im Vorfeld nicht, ob ein Bundesland ein Grundstück dann auch kauft. Das sorgt für Verunsiche- Ich will abschließend noch ein, zwei Sätze zum Tou- rung und kann letztendlich auch Auswirkungen auf den rismus sagen. Der Wassertourismus hat sich in den letz- Grundstückspreis haben. ten Jahren hervorragend entwickelt. Wir setzen in jedem Jahr mehr als 4,5 Milliarden Euro in diesem Bereich um. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass das Vorkaufs- Ich denke, dass das Bundesprogramm „Blaues Band recht nun auf die Flächenkulissen beschränkt ist, die für Deutschland“ einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich den Hochwasser- und Küstenschutz auch wirklich erfor- dieses Segment des Tourismus weiterentwickelt. derlich sind. Im Zuge dessen fällt auch das ursprünglich geplante Vorkaufsrecht generell für Gewässerrandstrei- Abschließend: Das Grüne Band, das einmal im Grenz- fen weg, und das ist gut so. Ich denke, dass wir damit raum zwischen den beiden deutschen Staaten entwickelt eine gute und ausgewogene Lösung für alle gefunden wurde, ist ein Erfolg geworden. Ich gehe davon aus und haben. ich bin davon überzeugt: Wenn wir es richtig anpacken, dann wird das Blaue Band auch ein Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. Bei schweren Hochwasserereignissen, wie zum Bei- spiel letztes Jahr in Niederbayern, entstehen erhebliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schäden an Häusern und Umwelt durch zerborstene ordneten der SPD) Ölheizungen. Deswegen beinhaltet der vorliegende Ge- setzentwurf ein generelles Verbot für die Neuerrichtung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: von Ölheizungen in Überschwemmungs- und Risikoge- bieten. Er sieht jedoch, lieber Kollege Träger, sehr einge- Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- schränkt, sehr begrenzt Ausnahmen vor. Diese Ausnah- nungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/ men sind durch Genehmigungs- und Anzeigepfichten CSU-Fraktion. (B) eingegrenzt. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzent- (D) (Beifall bei der CDU/CSU) wurf haben wir im Gesetzgebungsverfahren eine Verbes- serung erreicht und zusätzlich klargestellt – das ist ganz wichtig –, dass in diesen Ausnahmefällen die Anlagen Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): hochwassersicher zu errichten sind. Auch das ist in un- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und seren Augen eine ausgewogene Lösung, die wir hier er- Kollegen! Bitte erlauben Sie mir heute ausnahmsweise, wirkt haben. auch die Besucher aus meinem Wahlkreis ganz herzlich zu begrüßen, die mir heute hier zuhören. – Wir alle erin- Hochwasserangepasstes Bauen spielt beim Hochwas- nern uns an die Bilder vom vergangenen Jahr aus Sim- serschutz natürlich eine Rolle. Wir haben uns dafür stark- bach am Inn, einem kleinen Städtchen in Niederbayern gemacht, dass dabei in Risikogebieten zielgenau und im Wahlkreis von , das am 1. Juni letz- auch wiederum mit Augenmaß vorgegangen wird. Dort, ten Jahres infolge heftiger Sturzfuten vom Hochwasser wo ein Bebauungsplan vorliegt, muss die Kommune den völlig zerstört wurde. Das Leid der Menschen, die ihr Hochwasserschutz bei der Planfeststellung berücksich- Hab und Gut oder, noch viel schlimmer, gar Familien- tigen. Dort, wo kein Bebauungsplan vorliegt, sollen die mitglieder und Freunde verloren haben, ist unermesslich. Behörden vor Ort im Dialog mit den Betroffenen prüfen, Mein Heimatland Bayern hat damals sofort reagiert, ob und wenn ja welche Aufagen für das jeweilige Ge- unbürokratisch Hilfsgelder zugesagt und schnell ausge- biet erforderlich sind. Dabei muss jede Aufage – das ist zahlt. Das war aber natürlich nur ein erster Schritt, um ebenfalls wichtig – ins Verhältnis zum möglichen Scha- die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen. den gesetzt werden. Dies erweitert wiederum den Ermes- sensspielraum der Baubehörden vor Ort. Das ist auch Mit dem Hochwasserschutzgesetz II wollen wir wei- gut so; denn die Behörden vor Ort kennen die örtlichen terhin zusätzlich zu den bereits bestehenden Hochwas- Gegebenheiten am besten und können letztendlich pass- serschutzgesetzen unseren Beitrag dazu leisten, dass die genaue Lösungen vor Ort fnden. Planungen für Genehmigung und Bau von Hochwasser- schutzanlagen erleichtert und beschleunigt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz ist Schließlich haben wir festgelegt, dass Anforderungen wichtig, vielleicht wichtiger denn je; das steht außer an eine hochwasserangepasste Bauweise im Außenbe- Frage. Aber man sollte die Notwendigkeit von Geboten reich nicht gelten, wenn diese technisch nicht möglich und von Verboten genau hinterfragen und abwägen und ist. Das ist beispielsweise bei Fahrsilos der Fall, da ein dann die Maßnahmen ergreifen, die für den präventiven solches Silo durch eine Hochwasserschutzmaßnahme Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23655

Dr. Anja Weisgerber (A) nicht mehr befahrbar wäre. Dies ist vor allem eine gute geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (C) Nachricht an unsere Landwirte. GRÜNEN Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass das Soziale und wirtschaftliche Lage von Künstle- Hochwasserschutzgesetz II einen guten Rahmen setzt rinnen, Künstlern und Kreativen verbessern, und erlaubt, zielgenaue Maßnahmen mit Augenmaß vor Kulturförderung gerecht gestalten Ort zu treffen, auf mögliche Hochwasser zu reagieren, ohne dabei zu überzogene Aufagen zu treffen und über Drucksache 18/12373 das Ziel hinauszuschießen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales ordneten der SPD) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keine Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 10 a zur Widersprüche. Dann ist das so beschlossen. Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf zur weiteren Verbesserung des Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/ Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfah- Die Grünen. ren des Hochwasserschutzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): che 18/12404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen auf Drucksache 18/10879 in der Ausschussfassung anzu- und Kollegen! Nicht überall auf der Welt ist die Frei- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in heit von Kunst und Kultur eine Selbstverständlichkeit. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Autoritäre Systeme fürchten den kritischen Blick vieler zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Künstlerinnen und Künstler und drangsalieren sie des- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den wegen. Für eine demokratische und offene Gesellschaft Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen ist die Förderung von kultureller Vielfalt daher ganz ele- von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion mentar. (B) Die Linke angenommen. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dritte Beratung sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer Gerade da gegenwärtig der konservative Ruf nach einer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Leitkultur wieder lauter wird, ist es umso wichtiger, sich wurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen- dem entgegenzustellen. verhältnis wie zuvor angenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf sowie bei Abgeordneten der SPD und der Drucksache 18/12404 empfehlt der Ausschuss, eine LINKEN) Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Autoritäre Ansagen haben in der Kultur nichts zu suchen. enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Kultur lebt von der Vermischung und vom Miteinander Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der und nicht davon, dass man bestimmte Menschen im Na- Oppositionsfraktionen angenommen. men einer Leitkultur ausschließt. Tagesordnungspunkt 10 b. Beschlussempfehlung des Aber ich will hier nicht abstrakt über die Kultur re- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- den, sondern ganz konkret über die Künstlerinnen und sicherheit auf Drucksache 18/12204 zu der Unterrichtung Künstler und die Kreativen in unserem Land. Sie geben durch die Bundesregierung über das Bundesprogramm Impulse und Denkanstöße, irritieren und inspirieren, „Blaues Band Deutschland“. Der Ausschuss empfehlt verändern den Blick und bringen Prozesse, die stecken in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/11099, geblieben sind, wieder in Gang. Ohne dass sie es tun eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese müssen, befeuern insbesondere die Kulturschaffenden Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer in unserem Land den demokratischen Diskurs, den wir enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den in unserer Gesellschaft brauchen, und das, obwohl die Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Arbeitsbedingungen für Kultur- und Kreativschaffende Oppositionsfraktionen angenommen. suboptimal, ja meistens sogar schlecht sind. Mangelnde Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: soziale Absicherung, drohende Altersarmut, oft sehr ge- ringe Einkünfte, manchmal unterhalb des Existenzmini- Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle mums: Das sind Zustände, die vielen Kreativen täglich Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Ab- große Zukunftssorgen bereiten. 23656 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Ulle Schauws (A) Die Bundesregierung hat es versäumt, endlich Lö- ativbereich. Der Bund muss bei fairen Löhnen endlich (C) sungsvorschläge zu machen, die zur Lebenssituation von mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist längst überfällig. Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen wirklich passen. Meine Damen und Herren, dass Sie es bei Ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rer satten Mehrheit zulassen, dass Kultur- und Kreativ- Dies gilt auch für den Bereich der Geschlechterge- schaffende in den Sozialversicherungssystemen ganz oft rechtigkeit. Die eine Sache ist hier die Verteilung von durch das Raster fallen, lässt den Schluss zu: Das scheint Geld, die andere die der Vielfalt der Perspektive in der Ihnen egal zu sein. Wir Grüne wollen diese Benachteili- Kunst. Dass der Kulturbetrieb ganz selbstverständlich gung von Künstlerinnen und Künstlern und von Kreati- weniger Frauen als Männer fördert, schmälert auch die ven nicht länger hinnehmen. Chancen der kulturellen Vielfalt. Bei öffentlich fnanzier- ten Kultureinrichtungen und geförderten Kulturprojekten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN muss die Gleichstellung von Frauen ein zentraler Punkt sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sein. Auch hier steht die Bundesregierung in der Verant- Deshalb legen wir mit unserem Antrag ein Konzept wortung. mit Lösungen vor, die bei den Betroffenen wirklich an- Aber die Bundeskulturförderung sollte sich nicht nur kommen. Drei zentrale Punkte möchte ich Ihnen nennen: an Förderkriterien wie den eben genannten messen lassen. Häufg sind die Förderentscheidungen der BKM schlicht Erstens. Selbstständige Kreative müssen sich freiwil- nicht nachvollziehbar. Bei der Garnisonkirche Potsdam, lig gegen Arbeitslosigkeit versichern können, und zwar beim Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft mit einer Arbeitslosenversicherung, die für alle Selbst- Deutschland“ oder beim Freiheits- und Einheitsdenkmal, ständigen unabhängig von ihrem Verdienst zugänglich dem Hin und Her hier, waren sie nicht nachvollziehbar. und bezahlbar ist. Die bislang existierende Sonderrege- lung für kurz befristet Beschäftigte läuft bei Kulturleuten Meine Damen und Herren, die Förderung von Projek- oft völlig ins Leere. Diese Regelung entspricht nicht ihrer ten unter der Formel „von nationaler Bedeutung“ darf Lebensrealität. Damit erhalten Sie offenkundig ein Kon- nicht weiter vermeintlich staatlicher Willkür ausgesetzt strukt aufrecht, das die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen sein. Verbindliche Regeln und klare Kriterien für eine und Arbeitnehmer faktisch nicht erreicht. Darum hat transparente Förderpraxis sind daher dringend notwen- meine Fraktion ein sinnvolles Konzept zu Beitrags- und dig. Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung vorgelegt: vier Monate einzahlen, zwei Monate An- Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Schluss mit spruch auf Arbeitslosengeld. Ich sage Ihnen. Das würde brotloser Kunst! Zeit für soziale Absicherung für Künst- lerinnen und Künstler und Kreative! Zeit für transparente (B) vielen Kultur- und Kreativschaffenden direkt helfen und (D) ihnen etwas bringen. Darum ist es sinnvoll. Förderpraxis! Unser Antrag sagt, wie es gehen kann. Wir freuen uns über Ihre Unterstützung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Zweitens. Die Krankenversicherung muss für Selbst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ständige bezahlbar sein. Das heißt, eine Absenkung des sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Mindestbeitrags zur Krankenversicherung für Selbststän- dige auf das Niveau der sonst freiwillig Versicherten, auf eine Beitragshöhe von 150 Euro, auch für die Kultur- und Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kreativschaffenden wäre eine sinnvolle Lösung. Vielen Dank. – Ute Bertram ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. Drittens. Viele Künstlerinnen und Künstler sind per- spektivisch von Altersarmut betroffen. Ohne Zugangsbe- (Beifall bei der CDU/CSU) rechtigung zur Künstlersozialkasse oder zu einem Ver- sorgungswerk fehlen in der Regel die fnanziellen Mittel Ute Bertram (CDU/CSU): für die Altersvorsorge. Das kann so nicht sein. Deshalb Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollen wir Grüne die Selbstständigen ihrem individuel- Heute sprechen wir über den Kulturverhinderungsantrag len Einkommen entsprechend in die gesetzliche Renten- der Grünen. versicherung einbeziehen. Ebenso wollen wir eine Ga- rantierente auch für die Kulturschaffenden, die über der (Lachen der Abg. Ulle Schauws [BÜND- Grundsicherung liegt. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ja, meine Damen und Herren, das ist die Quintessenz des Meine Damen und Herren, Existenzängste sind keine Antrags. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie es gut mit der Kul- gute Basis – für niemanden. Aber gerade für Menschen, tur und den Künstlern meinen. Aber gut gemeint ist eben die kreative Prozesse gestalten, sind sie Gift. Schutz und nicht immer automatisch auch gut gemacht. Förderung kultureller Vielfalt müssen deshalb mit Ent- lastung und Unterstützung der Kultur- und Kreativschaf- Kultur braucht Freiheit; da sind wir uns doch einig. fenden einhergehen. Deshalb setzen wir uns mit unserem Deshalb passt es nicht zusammen, wenn Sie fordern, die Antrag dafür ein, die Vergabe von Fördermitteln durch Kultur gerecht zu fördern. Was heißt denn „gerecht“? die BKM konsequent an faire Honorare und sozialver- Soll Förderung über die gesamte Kulturlandschaft ge- trägliche Rahmenbedingungen zu knüpfen, und zwar bei wichtet werden? Ich sage Ihnen: Das funktioniert nicht. Festangestellten und Selbstständigen im Kultur- und Kre- Nur dann, wenn Künstler, ganz gleich, ob ihre Kunst bil- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23657

Ute Bertram (A) dend, musisch, literarisch, darstellend oder was auch im- nanziellen Bedarf in den verschiedenen Studiengängen. (C) mer ist, ohne alle Grenzen arbeiten, können sie ihre volle Die Ausbildung eines Arztes kostet mehr als die Aus- Kreativität entfalten. bildung eines Betriebswirtschaftlers oder eines Juristen. Niemand käme auf die Idee, alle Studiengänge zukünftig (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleichmäßig zu fördern. NEN]: Unter dem Existenzminimum, oder was?) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben es doch gar nicht verstan- Ein enges Korsett von Kriterien zur Kulturförderung, wie den! Darum geht es doch gar nicht!) Sie es vorbringen, schadet der Kultur und ihrer Entfal- tungsmöglichkeit. Wenn Sie die Vergabe von Bundes- – Hören Sie doch mal weiter zu! fördermitteln an Kriterien wie „Migrationshintergrund“, „Beeinträchtigung oder Behinderung“ oder an eine Frau- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- enquote knüpfen wollen, dann schaden Sie der freien NEN]: Ich höre zu!) Entfaltung der Kunst. Dieses Prinzip gilt auch hier im Bereich der Kulturför- So fordern Sie zum Beispiel eine feste Ausstellungs- derung. Einen Film zu drehen, ist ungleich teurer, als ein vergütung für Künstler. Was im ersten Moment gut Gedicht zu schreiben. klingt, nämlich jungen Künstlern ein Honorar für ihre (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das sagten Sie Kunst zu geben – das hört sich in der Tat erst einmal gut schon!) an –, ist aber fatal; denn das wäre das Karriereende von jungen, aufstrebenden Künstlern. Kein Museum würde Daher stellen wir für die Filmförderung auch mehr Geld einem unbekannten Künstler noch eine Chance geben, zur Verfügung als für die Literaturförderprogramme. seine Bilder auszustellen – Hier möchte ich erwähnen, dass wir die Filmförderung für 2018 auf 150 Millionen Euro erhöhen. So viel gab (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Haben es noch nie. Lassen Sie mich hinzufügen: 300 Millionen Sie mit ihnen geredet?) Euro für Bibliotheken und Museen, 84 Millionen Euro eine vertane Chance, wenn es darum geht, jungen Künst- für den Denkmalschutz, 27 Millionen Euro für Theater lern die Möglichkeit zu geben, sich einen Namen zu ma- und Musik. Die Kulturstiftung des Bundes erhält jedes chen. Jahr 35 Millionen Euro für wichtige Projektarbeit. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kollegen von den Grünen, Sie weisen in Ih- NEN]: Ich glaube, Sie haben sich mit der The- rem Antrag zu Recht darauf hin, dass durch den föde- matik überhaupt nicht auseinandergesetzt! – ralen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland die Kul- (B) Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist turförderung in erster Linie Sache der Länder ist. Dem (D) das alte Totschlagargument!) deutschen Staat, also dem Bund, den Ländern und den Gemeinden, ist die Kultur jährlich knapp 10 Milliarden Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kunst und Euro wert. Davon trägt der Bund gemäß der Kulturho- Kultur lassen sich nicht messen, nicht quantifzieren. Ein heit der Länder circa 13,6 Prozent für die Aufgaben von Porträt ist nicht vergleichbar mit einem Lied, und ein überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung. Den Gedicht ist nicht vergleichbar mit einem Theaterstück. Hauptanteil der Kulturförderung verantworten die Kom- Genauso wenig sind die Kosten dafür miteinander ver- munen mit 45 Prozent, und das, obwohl die Länder ei- gleichbar. Um einen 90‑minütigen Film zu produzieren, gentlich dafür verantwortlich sind. Deren Anteil liegt bei braucht man deutlich mehr fnanzielle Mittel als für das nur 43 Prozent. Schreiben eines Gedichts. Ist dadurch der Film mehr wert oder das Gedicht weniger wert? Wenn Sie ehrlich wären, dann müssten Sie die Politik der Großen Koalition loben. Noch keine Regierung zu- (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Wir sollen vor hat so viel für die Förderung der Kultur bereitgestellt nicht die Werte bemessen!) wie die derzeitige. Kunst und Kultur sind eben nicht nach einem Raster (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws quantifzierbar, mit dem wir Fördergelder gerechter oder [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gleichmäßiger verteilen. es einfach nicht verstanden! Es geht nicht um (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ist das die quantitative Höhe! – Susanna Karawanskij eigentlich bei Häusern und Brücken auch [DIE LINKE]: Keine Regierung hat so viel für so? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE Rüstung ausgegeben!) GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben den Antrag – Hören Sie doch einmal zu. nicht verstanden!) (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das Die Haushaltspositionen für die Förderung der unter- mache ich doch!) schiedlichen Kunstgattungen sind unterschiedlich; das ist keine Frage. Aber dadurch kommt keine normative Wer- – Dann seien Sie bitte auch still. tung zum Ausdruck, sondern allein der unterschiedliche Schauen wir zurück ins Jahr 2005, ins letzte Jahr, Bedarf der verschiedenen Kultursparten. in dem die Grünen im Bund Regierungsverantwortung Das ist auch nicht nur im Bereich der Kultur so. Bei getragen haben. Damals lag der Haushalt des BKM bei der Hochschulbildung gibt es einen unterschiedlichen f- 950 Millionen Euro. Heute steht der Haushalt der BKM 23658 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Ute Bertram (A) bei über 1,6 Milliarden Euro. Das ist ein Aufwuchs von Ich danke Ihnen. (C) über 70 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen nichts für die Gerechtigkeit! Genau das ist es! Das können Sie nicht kleinreden. Darum geht es! Diese Haltung passt nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist ein Zuwachs, den es in keinem anderen Ressort Vizepräsidentin Ulla Schmidt: jemals gegeben hat. Vielen Dank. – Als Nächste hat die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke, das Wort. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darum geht es doch gar nicht!) (Beifall bei der LINKEN) Ein besonderer Dank gilt hier auch unserer Staats- Sigrid Hupach (DIE LINKE): ministerin Monika Grütters und dem Finanzminister Wolfgang Schäuble. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht an die (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann Grünen, dass wir heute aufgrund ihres Antrages die Ge- [SPD]: Und unseren Haushältern!) legenheit haben, grundsätzlich über die Kulturförderung des Bundes zu debattieren. Wenn es uns in unserem Land wirtschaftlich weiter so erfolgreich gehen wird, dann können wir in 2021 (Ute Bertram [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!) (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Mehr für die Kultur ausgeben!) Der Hauptstadtkulturvertrag ist letzte Woche unter- zeichnet worden. Er bringt für die Kultur einen Auf- vielleicht sogar eine Verdoppelung des Etats herbeifüh- wuchs. Das ist grundsätzlich erst einmal zu begrüßen. ren, im Gegensatz zu Ihrer Bilanz. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, so sieht eine NEN]: Das stimmt!) aktive und erfolgreiche Kulturpolitik aus. Wir kritisieren aber die fehlende Transparenz und die (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nichteinbeziehung der Parlamente. Es geht hier um viel NEN]: Aber nicht gerecht! Darum geht es Geld und eine Vertragsdauer von zehn Jahren. Es kann doch!) (B) doch nicht sein, dass die Parlamente nicht beteiligt wer- (D) Wir bauen keine Luftschlösser mit unrealistischen Forde- den. rungen. Wir fördern Kultur real und pragmatisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Lassen Sie mich auch noch einen Blick auf die Bun- NIS 90/DIE GRÜNEN) desländer werfen, in denen Sie von den Grünen mitre- Wie in der Hauptstadt Berlin ist bei der Kulturför- gieren. Schauen wir einmal nach Schleswig-Holstein, derung des Bundes immer von der „nationalen Bedeu- Rheinland-Pfalz oder in mein Bundesland Niedersach- tung“ die Rede. Was genau das ist, ist nicht festgelegt. sen. Diese drei Länder bilden das Schlusslicht bei den Es wird auch nicht verhandelt, sondern irgendwie nach Kulturausgaben mit 62, 68 und in Niedersachsen 71 Euro Gefühl bestimmt. Schaut man sich die Überraschungen pro Kopf pro Jahr. in den Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- an, kann man den Eindruck gewinnen, es ginge eher um NEN]: Es geht nicht um die Höhe!) die nationale Bedeutsamkeit einzelner Abgeordneter und ihrer Wahlkreise. Nur zum Vergleich: Das Flächenland Sachsen beispiels- weise gibt mehr als 164 Euro pro Bürger pro Jahr aus. Das Anliegen des Antrages, die Kulturförderung des Bundes transparenter zu gestalten und vor allem die in Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Blick zu nehmen, die Kultur machen und Kunst den Grünen, das ist die Wahrheit: Wo Sie regieren, kom- schaffen, ist auch für uns Linke wichtig. men Sie mit der Kulturförderung nicht hinterher. Also machen Sie sich bitte keinen schlanken Fuß in den Län- Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommissi- dern, wenn Sie auf der anderen Seite heute hier im Bund on „Kultur in Deutschland“ zur Kulturförderung waren mehr Geld für Kultur fordern. klar und deutlich: „Objektive und transparente Förder- kriterien staatlicher Kulturfnanzierung“ schaffen, heißt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – es dort. Die Umsetzung steht jedoch zehn Jahre später Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- immer noch aus. NEN]: Es geht nicht um mehr Geld, Frau Bertram!) Auch eine Kulturentwicklungskonzeption wurde da- mals eingefordert. Diese soll natürlich nicht die künstle- Mein Fazit ist: Wir haben viel getan bei der Förderung rische Entwicklung vorgeben. Es geht stattdessen darum, der Kultur. Und natürlich ist das nicht das Ende der Fah- gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie wir zusammen- nenstange. Deshalb werden wir Ihren Antrag, der in die leben wollen, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu falsche Richtung geht, nicht mittragen. defnieren und daraus ganz konkrete Maßnahmen für die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23659

Sigrid Hupach (A) Kulturpolitik auf Bundesebene abzuleiten. Auch eine sol- wählen oder nicht. Ist das wirklich das Kulturverständnis (C) che Konzeption würde zu mehr Transparenz führen. der Union? Also, mein Kulturverständnis ist das nicht. Das gälte erst recht, wenn man, wie die Linke schon (Beifall bei der LINKEN) seit langem fordert, ein Bundeskulturministerium ein- richtete und das Kooperationsverbot endlich abschaffte. Für uns Linke muss staatliche Kulturförderung natürlich dafür Sorge tragen, dass Künstlerinnen und Künstler, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle dass Kreative von ihrer Arbeit leben können. Die Verga- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) be öffentlicher Gelder muss an die Einhaltung sozialer Beides bedeutete keineswegs ein Ende der Kulturhoheit Mindeststandards gekoppelt werden. der Länder. Vielmehr würden lediglich die Zuständigkei- (Beifall bei der LINKEN) ten gebündelt, die jetzt ohnehin schon auf Bundesebene liegen, jedoch über diverse Ressorts verteilt sind. Ange- Geschlechtergerechtigkeit und Diversität gehören dazu, sichts des gesellschaftlichen Wandels könnte es sogar ein vor allem aber eine angemessene Vergütung. Dem ent- Schlüsselministerium werden. Auch Förderprogramme sprach ja auch das einhellige Votum der Sachverständi- auf Bundes- und Länderebene ließen sich so besser auf- gen im Ausschuss. einander abstimmen, und das vorhandene Geld könnte (Zuruf von der LINKEN: Genau!) sinnvoller eingesetzt werden. Man könnte endlich das Zuwendungsrecht überarbeiten und die Antrags- und Den Handlungsbedarf belegen auch die vielen Initia- Abrechnungsmodalitäten bei Bundesförderprogrammen tiven von Künstlerinnen und Künstlern wie „art but fair“ vereinfachen. Diese Aspekte aber fehlen uns Linken in oder des „ensemble-netzwerks“ im Theaterbereich. Der dem vorliegenden Antrag. Bund hat hier eine Vorbildfunktion, und dieser muss er auch endlich gerecht werden. Einige Forderungen der Grünen halten wir für nicht sinnvoll. Das betrifft zum Beispiel die gerechte Vertei- Vielen Dank. lung der Fördermittel über die Sparten. Uns wäre eine (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle bedarfsgerechte Förderung wichtiger. Theater haben nun Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) einmal höhere Bedarfe als andere. Auch fehlt uns eine deutlichere Unterscheidung zwischen Künstlerinnen und Künstlern auf der einen Seite und der Kreativwirtschaft Vizepräsidentin Ulla Schmidt: auf der anderen Seite. Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann, SPD-Fraktion, das Wort zu seiner wahrscheinlich letzten Bei einigen Punkten haben wir weiter gehende Vor- kulturpolitischen Rede hier in diesem Hause. – Oder? (B) schläge, Stichwort: solidarische Mindestrente. Die (D) Künstlersozialkasse wollen wir nicht nur erhalten; hier (Beifall bei der SPD) muss auch der Bundeszuschuss erhöht werden, (Beifall bei der LINKEN) Siegmund Ehrmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und es müssen Lösungen für die sogenannten hybriden Damen und Herren! Frau Präsidentin, das werde ich mir Erwerbsformen gefunden werden, zum Beispiel durch vielleicht nach der Rede noch überlegen. – Zunächst ein- eine Anpassung der Aufnahmekriterien oder der Grenzen mal herzlichen Dank für den Antrag, den Sie eingebracht für Zuverdienste aus abhängiger Arbeit. haben, weil er die Chance bietet, einige grundlegende Die digitalen Plattformen müssen direkt an der Finan- Anmerkungen zu machen. Der Antrag enthält durchaus zierung der Sozialversicherungssysteme beteiligt wer- Erwägenswertes. Aber ich möchte gleichwohl einen Ak- den. Absolut richtig ist, dass diese Systeme endlich für zent hervorheben, den ich etwas schwach fnde. die vielen Solo-Selbstständigen geöffnet werden müssen. Sie haben sich in sechs der neun Punkte mit Fragen (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) der Kulturförderung auseinandergesetzt. Sie sprechen das Thema der Kulturwirtschaftsförderung an. Sie spre- Auch der Bundesrat hat sich die Initiative der linken So- chen natürlich die Frage an, wie faire Einkommen gene- zialministerinnen von Thüringen und Brandenburg und riert werden können und wie sich die soziale Sicherung der Berliner Senatorin für Gesundheit zu eigen gemacht darstellt, und gehen auf das Urheberrecht ein. Aber wenn und die Senkung der Beitragsbemessungsgrenzen gefor- Sie sich darauf konzentrieren, die Kriterien objektiver dert. Kulturförderung zu defnieren, wenn Sie sich darauf Auch beim freien Eintritt sollten wir vielleicht noch konzentrieren, zu defnieren, was national bedeutsame viel radikaler denken. Wir haben dazu selber ein Modell- Kulturprojekte sind, dann ist das ein Akzent, der zu kurz projekt für eine einzelne Sparte, nämlich die Museen, greift. Ich möchte das anhand eines Beispiels deutlich angeregt. So könnte man Erfahrungen sammeln, wie es machen. gelingt, durch freien Eintritt für alle und durch verstärkte Präsident Macron wurde am 12. Mai im Tagesspiegel Angebote der Vermittlung Zugangsbarrieren abzubauen. zitiert. Es ging um die Frage, wie man bessere Zugänge Vor kurzem sprachen wir hier über unseren Antrag und bessere Teilhabe organisieren könne. Er spricht das zur Ausstellungsvergütung. Da mussten wir uns anhören, Beispiel der Bibliotheken an. Frankreich verfügt über dass jeder frei in seiner Entscheidung ist, den schlecht 7 000 Bibliotheken, wir in Deutschland verfügen etwa bezahlten Beruf der Künstlerin oder des Künstlers zu über 9 200 öffentliche Bibliotheken. Macron verweist 23660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Siegmund Ehrmann (A) auf die Öffnungszeiten der Bibliotheken in Frankreich, Juryentscheidungen Standard sind, sind beispielgebend. (C) die bei 40 Stunden in der Woche liegen; bei größeren Später werde ich eine entsprechende Schlussfolgerung Bibliotheken in unserem Land ist das ähnlich. Macron ziehen. blickt auch auf Skandinavien und stellt fest: In Kopen- hagen beispielsweise gibt es Bibliotheken mit einer Öff- Kurzum: Der Bund hat eine Menge angeschoben, aber nungszeit von 90 Wochenstunden. Er stellt fest, dass die gelegentlich leiden manche Förder- und Investitionspro- ungünstigen Öffnungszeiten für viele eine Zugangsbarri- gramme Not. Grund ist auch eine mangelnde Abstim- ere darstellen. Die Frage: „Wie organisieren wir Teilha- mung auf Länderebene. Da weiß die eine Hand manch- be?“, ist schon ein wichtiges Thema. mal nicht, was die andere tut. Jetzt komme ich auf das zu sprechen, worauf ich im (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) Kern hinauswill. Der französische Präsident könnte auf- grund des zentralistisch organisierten Staats diese Idee – Deshalb ist der kooperative Föderalismus auszubauen ich sage das etwas salopp – durchstellen. Damit ist das und zu stärken. Der Bund und die Länder müssen inten- Ding – aus zentralstaatlicher Sicht – gelaufen. Wir im siver zusammenwirken. Deutschen Bundestag könnten uns allenfalls mit dem Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus der Bun- Arbeitszeitgesetz auseinandersetzen und darüber nach- deskulturstiftung bringen, wo in der Vergangenheit eine denken, ob es Bibliothekarinnen und Bibliothekaren am intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern Wochenende möglich sein sollte, zu arbeiten. Die kon- wiederholt erfolgt ist. Ich denke, der „Tanzplan“ war nur krete Frage des Ob und des Wie ist eine Frage des Biblio- möglich durch eine enge Kooperation zwischen Bund und theksträgers, der Kommune oder des Landes. Land, das Projekt „Agenten“ ebenfalls. Das fantastische Das Beispiel zeigt, dass Bundeskulturpolitik in weiten Programm „TRAFO“ – es geht um ein Modellprojekt in Teilen nur durch Kooperation funktionieren kann. Natür- gewissermaßen sich entsiedelnden Gebieten, Stichwort: lich hat der Bund originär eigene Zuständigkeiten. Jüngst demografscher Wandel – ist ein hervorragendes Beispiel haben wir uns mit dem Hauptstadtfnanzierungsvertrag dafür, wie die Bundeskulturstiftung mit ihren Möglich- beschäftigt, weil der Bund gemäß Artikel 22 des Grund- keiten im Rahmen von Modellprojekten gewissermaßen gesetzes verpfichtet ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Forschung für uns, für die Gesellschaft insgesamt leistet. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Enque- (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) te-Bericht, der von Kollegin Hupach eben angesprochen In Artikel 35 des Einigungsvertrages wird die besonde- wurde. Er wurde vor zehn Jahren, 2007, vorgestellt. Ich re Verantwortung für die kulturelle Infrastruktur in Ost- empfehle allen, einen Blick hineinzuwerfen. Er enthält deutschland hervorgehoben. ein großes Kapitel zum Bereich Kultur und demograf- (B) scher Wandel. Ich vermute, dass spätestens die Ergebnis- (D) (Beifall des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) se des Transformationsprojektes der Bundeskulturstif- – Danke schön. – Wir haben die Verantwortung für die tung Bund und Länder veranlassen werden, gemeinsam Deutsche Nationalbibliothek und für die Stasi-Unterla- über die Frage der kulturellen Infrastruktur und der kul- gen-Behörde. Es gibt auch Institutionen, gegenüber de- turellen Angebote in der Fläche zu reden und dies als Ge- nen wir verpfichtet sind. Ich denke an die Stiftung Preu- meinschaftsaufgabe zu begreifen. Davon bin ich zutiefst ßischer Kulturbesitz, an das Haus der Geschichte, an das überzeugt, und ich erwarte dies auch. Deutsche Historische Museum und, und, und. Das sind Insofern gibt es, wie ich glaube, noch eine ganze Men- originäre Verantwortlichkeiten, hinter denen dann aber ge zu tun, um den Kulturförderalismus zu stärken, aus- ausgedeutet wird, dass das Institutionen von gesamtstaat- zubauen und zu weiten sowie insbesondere mit konzept- licher Bedeutung sind. basierter Kulturförderung – seitens der SPD haben wir Neben all diesen Aktivitäten gibt es die Förderung von schon versucht, das in den Koalitionsvertrag hineinzu- Projekten und Institutionen. Die Bundeskulturstiftung verhandeln – Ernst zu machen; das heißt, wir müssen mit wurde genannt, aber auch die Fonds, die wir gebildet den Ländern gemeinsame Ziele, Projekte, Verfahren und haben. Die Rahmenbedingungen sowohl der Bundeskul- Kriterien abstimmen, um die Wirkung der Kulturinvesti- turstiftung wie auch der Fonds, jüngst des Musikfonds, tionen zu stärken und auf diese Art und Weise Teilhabe haben wir deutlich verbessert. Die Institutionen arbeiten zu ermöglichen. übrigens nach gewissen Kriterien. Ich bin vorhin wirk- Der Antragsteller spricht davon, Kulturförderung ge- lich erschrocken, als ich den Begriff „staatliche Willkür“ recht zu gestalten. Auf der einen Seite geht es dann da- gehört habe. bei natürlich darum, wie wir mit den Künstlerinnen und (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das ist sehr Künstlern umgehen; das wird der Kollege Blienert nach- scharf!) her noch in seinen Ausführungen darlegen. Auf der ande- ren Seite geht es aber auch darum, wie wir die Teilhabe Ich fnde, dieser Begriff ist wirklich schwierig. der Menschen in unserem Land verbessern können. Das (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geht nur durch stärkere Kooperation von Bund, Ländern NEN]: Vermeintlich!) und Kommunen. Dafür brauchen wir Instrumente, damit nicht zu viel parallel läuft. Zum Begriff „Paternalismus“. Es gibt manchmal An- sätze, bei denen man sich durchaus fragt, was die Grün- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- de sind. Aber gleichwohl: Die Institutionen, in denen NEN]: Und keine Leitkultur!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23661

Siegmund Ehrmann (A) Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein Beispiel da- beitslosenversicherung auf zwei Jahre gesenkt, die An- (C) für, wie man es nicht machen sollte. wartschaftszeit aber bei zwölf Monaten belassen. Das hat Wirkung gezeigt: Seit fast fünf Jahren ist der Beitragssatz Danke. stabil. Und so bleibt den Beschäftigten schlicht und er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten greifend mehr Netto vom Brutto. Die Lohnnebenkosten der CDU/CSU) bleiben niedrig, ohne dass es dazu kommt, dass die Ar- beitslosenversicherung ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen könnte. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Dr. Astrid Freudenstein für Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergange- die CDU/CSU-Fraktion das Wort. nen Jahren natürlich verändert; das beschreiben Sie in Ih- rem Antrag ganz korrekt, wenn auch etwas überspitzt. Es (Beifall bei der CDU/CSU) gibt tatsächlich eine Flexibilisierung der Arbeitsverhält- nisse. Es gibt tatsächlich mehr Befristungen. Es gibt tat- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): sächlich mehr Teilzeitbeschäftigungen und Jobwechsel. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Da sind die Künstler und Kreativen vorne dabei. Aber all Es ist – das wissen wir – eine Kunst, von der Kunst zu le- das verhindert trotzdem nicht, dass man beispielsweise ben. Natürlich gibt es Maler, Bildhauer, Musiker, Schau- in der Arbeitslosenversicherung innerhalb von 24 Mona- spieler, die für ihre Auftritte und Werke hohe Gagen und ten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann. Das ist auch Honorare bekommen; aber das sind die wenigsten. Die möglich, wenn man in Teilzeit oder befristet beschäftigt allermeisten Künstler leben eher schlecht als recht von ist. ihrer Arbeit. Die Versicherten in der Künstlersozialkasse (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verdienen im Schnitt weniger als 1 500 Euro im Monat NEN]: Kurzzeitbefristet! Das wissen Sie!) brutto. Kein Wunder also, dass viele Kreative die Kunst doch lieber nur als Hobby betreiben und sich für das Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind eben nicht belie- ganz normale Überleben einen verlässlichen Brotberuf big gewählt. Sie garantieren die Stabilität der Versiche- suchen. Aber natürlich lebt eine Kulturnation wie die rungssystematik. Wir dürfen das, was gut funktioniert, unsere wesentlich von denen, die ihr ganzes berufiches nicht einfach über den Haufen werfen. Wir sollten Än- Wirken in die Kunst investieren. derungen genau an den Stellen beschließen, an denen wir das System zielgenau besser machen können. Schaut man, wie es in anderen Ländern läuft, dann stellt man fest, dass wir ganz gut dastehen. Ein Konstrukt­ Natürlich gibt es besonders bei den Kulturschaffen- (B) wie die Künstlersozialversicherung zum Beispiel ist den spezielle Erwerbsbiografen. Die Sonderregelung für (D) weltweit einzigartig. Jetzt weiß ich natürlich, dass viele überwiegend kurzfristig Beschäftigte beim ALG I zum Unternehmer die KSK lieber heute als morgen abschaf- Beispiel macht genau dort Ausnahmen, wo es strukturelle fen wollen. Aber ich sage auch: Es steht uns als Kulturna- Nachteile für Künstler gibt, etwa bei Schauspielern, die tion gut zu Gesicht, dafür zu sorgen, dass unsere Künstler immer wieder kurze Engagements haben. Sie haben ei- und Publizisten ordentlich renten-, kranken- und pfege- nen Anspruch, wenn sie innerhalb von zwei Jahren sechs versichert sind. Das zeichnet uns in positiver Weise aus. statt der sonst üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit erfüllen. Diese Sonderregelung haben wir bis 2018 ver- (Beifall bei der CDU/CSU) längert. Es bleibt eine Aufgabe für die kommende Le- Natürlich kann man dieses gute System der sozialen gislaturperiode, mit effektiven Instrumenten den Zugang Absicherung der Kreativen noch besser machen, aller- der Kulturschaffenden zur Arbeitslosenversicherung zu dings mit Sicherheit nicht so, wie Sie das in dem vor- verbessern. liegenden Antrag vorschlagen. Ihre Forderungen, liebe (Beifall bei der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen der Grünen, scheitern schlicht und ergreifend an der Realität. Die Leistungsfähigkeit Wir bleiben aber dabei: Wir machen nur dort Ausnah- der gesetzlichen Sozialversicherung ist zwar hoch, gren- men, wo es tatsächlich strukturelle und branchenspezif- zenlos hoch ist sie aber nicht. Jeder Zweig der Sozial- sche Nachteile auszubessern gilt. Wir wollen eben nicht versicherung – sei es die Arbeitslosen-, die Renten- oder durch undifferenzierte Pauschalregelungen, wie Sie sie die Krankenversicherung – ist ein fein ausbalanciertes in Ihrem Antrag fordern, die Stabilität der ganzen Ar- System. Und an diesen Systemen wollen Sie tiefgrei- beitslosenversicherung gefährden. fende Änderungen vornehmen, sozusagen mit dem Vor- schlaghammer, und das im Namen der Kunst. Das kann Gleiches gilt im Übrigen für die Renten- und die Kran- natürlich nicht gut gehen. Denn während Radikalität in kenversicherung. Hier haben wir mit der Künstlersozial- der Kunst durchaus ihre Berechtigung hat, ist sie in einer versicherung seit über 30 Jahren ein besonders gut funk- vernünftigen Sozialpolitik fehl am Platz. tionierendes Instrument, das freischaffenden Künstlern und Publizisten den Zugang zur gesetzlichen Renten-, Die sozialen Sicherungssysteme müssen ihre gesetz- Kranken- und Pfegeversicherung garantiert. Wir haben lich vorgesehene Funktion erfüllen; das ist klar. Ge- mit dem Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz zu nauso wichtig ist es aber, dass weder Arbeitgeber noch Beginn der Legislaturperiode für ein wirklich stabiles f- Beitragszahler oder künftige Generationen übermäßig nanzielles Fundament gesorgt und die Künstlersozialver- belastet werden. Nicht umsonst hat Rot-Grün mit der sicherung so zukunftsfest gemacht. 185 000 Kulturschaf- Agenda 2010 zum Beispiel die Rahmenfrist in der Ar- fende verlassen sich darauf. Wir werden auch weiterhin 23662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Astrid Freudenstein (A) darauf setzen, die Risiken der speziellen Erwerbsbiogra- chen Initiative war es, aufzuzeigen, dass und wie das Zu- (C) fen von freien Künstlern und Publizisten so abzufedern. sammenwachsen einer heterogenen Gesellschaft und das Zusammenleben in einem pluralen Deutschland gelingen Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Sozialver- kann und welchen Beitrag Kultur dazu leisten kann. sicherung im Sinne der Kunst- und Kulturschaffenden gestärkt, sondern auch bei den Kriterien der Kulturförde- Kultur kann ein gesellschaftliches Bindemittel sein. rung mehr Wert auf die soziale Dimension gelegt. Gerade Gerade in Umbruchzeiten vermag Kultur Orientierung bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes haben zu geben und Identität zu stiften. Kulturelles Miteinan- wir schon viele der Elemente, die Sie hier fordern, ver- der kann Neues und Bestehendes zusammenfügen und ankert. Zum Beispiel erhält die Filmförderungsanstalt ein neues Wirgefühl entstehen lassen. Dieses integrative eine neue Aufgabe. Sie soll darauf hinwirken, dass in der Potenzial von Kultur gilt es natürlich zu aktivieren. In- Filmwirtschaft eingesetztes Personal sozialverträglich vestitionen in die Kultur sind also auch Investitionen in beschäftigt wird. Ob und in welchem Maße die sozia- die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und len Standards dann tatsächlich eingehalten werden, wird damit auch in unsere Zukunft. man künftig im Förderbericht nachlesen können. Das wird auch eine wichtige Grundlage für die nächste No- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vellierung des Gesetzes sein. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir nehmen aber auch jene in den Blick, die auf der Eine Gesellschaft muss ihren Künstlerinnen und anderen Seite der Leinwand sitzen, und das sind – vor Künstlern daher Wertschätzung entgegenbringen, wenn allem wegen des demografschen Wandels – immer mehr sie die kulturelle Vielfalt erhalten will. Vor diesem Hin- alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Men- tergrund möchte ich den Antrag insgesamt bewerten. Er schen mit Seh- oder Hörbehinderungen zum Beispiel muss sich eben daran messen lassen, ob er uns in dieser wird der Zugang zu geförderten Filmen erleichtert. Als Hinsicht auf parlamentarischer Ebene weiterbringt. Bedingung für eine Förderung muss eine barrierefreie Zweifellos steht in diesem Antrag viel Richtiges drin. Fassung des Films künftig in den Kinos in geeigneter Er enthält tatsächlich viele Schnittmengen zum kultur- Weise zugänglich gemacht werden. politischen Programm der SPD-Bundestagsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Er zeigt Handlungsbedarf hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden auf. Aber Sie sehen also: Die Kriterien sind auf eine vielfältige letztendlich ist es doch eher ein Aufsummieren von Def- und sozialverträgliche Förderung ausgelegt. Sowohl bei ziten und Vorschlägen. Auf richtige Lösungen geht man der Kulturförderung als auch bei der Sozialversicherung nicht ein. Mein Kollege Siegmund Ehrmann hat eben haben wir in dieser Legislaturperiode einiges erreicht. Es (B) schon auf ein grundsätzliches Problem hingewiesen. Ich (D) bleiben auch noch Projekte für die nächste Legislatur- möchte nun detailliert auf andere Dinge in Richtung sozi- periode übrig. Überall kann man Gutes noch besser ma- aler und gesellschaftlicher Stellung von Kulturschaffen- chen. Das werden wir mit Sicherheit auch tun. den eingehen. Danke schön. Die Freiheit der Kunst verstehe ich anders, als wir es (Beifall bei der CDU/CSU) eben gehört haben. Liebe Frau Bertram, so einengend Freiheit der Kunst zu verstehen, dass wir als Gesellschaft Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dafür sorgen müssen, dass Kunst- und Kreativschaffende Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Burkhard ohne soziale Regeln bleiben, das geht nicht. Das ist auch Blienert, SPD-Fraktion, das Wort. nicht mein Begriff von Freiheit der Kunst und Kultur. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Da haben wir etwas Besseres verdient. legen! Vielen Dank an die Grünen für den Antrag. Er bietet eine gute Gelegenheit, heute noch einmal Punkte Leider berücksichtigen Sie in Ihrem Antrag nicht, was aufzugreifen, über die wir in dieser Woche auch im Kul- in dieser Legislaturperiode schon alles passiert ist. turausschuss diskutiert haben. Ich verweise auf die Künstlersozialkasse – meine Kol- Ich möchte gerne den ersten Satz des Antrages zitie- legin Freudenstein ist eben schon darauf eingegangen –, ren: „Kulturelle Vielfalt ist für eine offene Gesellschaft die wir in dieser Legislaturperiode gestärkt und zukunfts- unverzichtbar …“. Wir haben in dieser Woche im Kul- fest gemacht haben. turausschuss über die Thesen der Initiative kulturelle Ich möchte auch erwähnen, dass wir mit dem Urhe- Integration, die vorgestern der Öffentlichkeit vorgestellt bervertragsrecht die Lage der Urheberinnen und Urheber wurden, diskutiert. Anders als die ministeriell verordnete in Deutschland verbessert haben. Leitkultur sind die 15 Thesen aus einem gesellschaftli- chen Dialog von 28 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft, Die Novelle des Filmförderungsgesetzes war mit Si- Kultur und Politik heraus entstanden. Ihr Antrag korre- cherheit ein Meilenstein und hat wesentliche Grundlagen spondiert quasi mit diesem grundsätzlichen Bedürfnis, gelegt, damit wir auch zukünftig viel stärker die soziale über Kulturpolitik zu reden. Das Ziel der überparteili- Situation von Filmschaffenden verbessern können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23663

Burkhard Blienert (A) In der nächsten Legislaturperiode werden wir unser Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion (C) Engagement fortsetzen und intensivieren müssen, allem Bündnis 90/Die Grünen vor. voran geht es dabei um die Stärkung der Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung und einen verbesserten Zu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für gang zum Arbeitslosengeld I für kurzfristig Beschäftigte. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei der SPD) Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregie- Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbs- rung erhält jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin biografen und die schwierigen Einkommensverhältnisse Dr. Maria Flachsbarth das Wort. – Bitte schön. machen es freiberufichen Kulturschaffenden zunehmend schwer, Risiken von Krankheit, Pfegebedürftigkeit und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusor- ordneten der SPD) gen. Deshalb werden wir als SPD-Bundestagsfraktion Solo-Selbstständige möglichst umfassend in die ver- Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin beim schiedenen Teile der gesetzlichen Sozialversicherung Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: eingliedern und einbinden. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolle- ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich in Vor allem müssen wir die nötigen Rahmenbedingun- dieser Legislaturperiode das Ziel gesetzt, konkrete Ver- gen schaffen, damit Künstlerinnen und Künstler ihren besserungen des Tierwohls in der Breite zu erreichen. Lebensunterhalt durch eigenes Schaffen bestreiten kön- Dafür steht insbesondere auch die klare Botschaft der nen. Die Einführung des Mindestlohns in dieser Legis- Tierwohlinitiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege laturperiode war schon mal ein wichtiger Schritt in die zu mehr Tierwohl“ des Bundesministeriums für Ernäh- richtige Richtung. rung und Landwirtschaft, die Bundesminister Christian (Beifall bei der SPD) Schmidt im September 2014 gestartet hat. Ich habe eingangs gesagt, dass wir unseren Künst- Die Bundesregierung hat mit ihren zahlreichen Akti- lerinnen und Künstlern mehr Wertschätzung entgegen- vitäten auf dem Gebiet des Tierschutzes ein deutliches bringen müssen. Der Begriff der Wertschätzung bein- Signal gesetzt, wie wichtig ihr das in Artikel 20a Grund- haltet zwei Aspekte, zum einen den Respekt, den man gesetz verankerte Staatsziel Tierschutz ist. Tiere müssen jemandem entgegenbringt, wenn man ihn oder seine artgerecht gehalten werden. Wir müssen die Haltungs- Arbeit wertschätzt, und zum anderen den Wert, dem wir verfahren den Tieren anpassen – und eben nicht um- etwas beimessen, sei es der messbare, monetäre oder der gekehrt. Diesem hohen Anspruch müssen wir gerecht (B) nicht messbare, ideelle Wert. Unsere Künstlerinnen und werden, und wir müssen entsprechende Rahmenbedin- (D) Künstler, ihre Arbeit und der Beitrag, den sie für unsere gungen vorgeben. Gesellschaft leisten, verdienen es, dass wir ihren Wert in Wir sind allerdings überzeugt, dass Verbesserungen dieser vollumfänglichen Form anerkennen. nach dem Prinzip der freiwilligen Verbindlichkeit vor al- Vielen Dank. lem auch im Dialog mit den betroffenen Tierhaltern zu erreichen sind. So hat die freiwillige Vereinbarung, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesminister Christian Schmidt im Sommer 2015 mit der CDU/CSU) der Gefügelwirtschaft geschlossen hat, dazu geführt, dass seit Sommer 2016 in deutschen Brütereien für deut- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sche Ställe keine Legehennenküken mehr schnabelku- Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. piert werden. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Vor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lage auf Drucksache 18/12373 an die in der Tagesord- Es gibt aber eben auch Handlungsfelder, bei denen dieser nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie Weg nicht erfolgversprechend ist und der Weg des Ord- damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann nungsrechts beschritten werden muss. Das tun wir heute ist so beschlossen. und hier im Rahmen eines Artikelgesetzes. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden deshalb Zweite und dritte Beratung des von den Frak- konkrete Maßnahmen in Bezug auf die Pelztierhaltung in tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Deutschland ergriffen. Damit wird das Tierwohl erneut Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futter- vorangebracht; denn die Haltungsbedingungen in deut- mittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher schen Pelztierfarmen sind bislang nicht zufriedenstel- Vorschriften lend. Der Verordnungsgeber hatte 2006 Anforderungen an die Pelztierhaltung in der Tierschutz-Nutztierhaltungs- Drucksache 18/12085 verordnung festgelegt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- diese Anforderungen, deren Erfüllung tierschutzfachlich ses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Aus- für die verhaltensgerechte Unterbringung von Pelztieren schuss) zwingend erforderlich ist, im Vollzug nicht durchgesetzt werden konnten und wurden. Es geht dabei unter ande- Drucksache 18/12403 rem um mehr Platz, um mehr Bewegungsmöglichkeiten 23664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth (A) und auch um mehr Beschäftigung. Mit diesem Gesetz- chende Untersuchungen veranlassen, damit wir zu einem (C) entwurf stellen wir nun sicher, dass künftig Pelztiere in späteren Zeitpunkt über die Einbeziehung von Schafen Deutschland artgerecht gehalten werden. und Ziegen in diese Regelung entscheiden können. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!) Weiter enthält der Gesetzentwurf eine Anpassung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, also des Dabei weiß ich einerseits, dass dies unter den derzei- LFGB. Diese Änderung zielt darauf ab, die Bestimmun- tigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Pelz- gen des LFGB an die aktuellen Erkenntnisse der Wis- produktion und auch aufgrund der Wettbewerbssituation senschaft anzupassen und das Fettverfütterungsverbot in mit anderen Ländern eine große Herausforderung ist, und § 18 LFGB aufzuheben, das im Rahmen der Maßnah- ich kann auch nicht ausschließen, dass Betriebe unter men zur Bekämpfung von Infektionen mit BSE erlassen diesen Rahmenbedingungen aus wirtschaftlichen Grün- worden war. Dieses Verbot erging in der EU außer in den die Pelztierhaltung aufgeben. Andererseits weiß ich Deutschland nur noch in Österreich. aber auch, dass manche ein Verbot der Pelztierhaltung gefordert haben. Wir stehen aber nicht für Verbote; das Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist im Rah- ist nicht unser Weg. men einer erneuten Bewertung schon im Jahr 2012 zu (Beifall bei der CDU/CSU) dem Ergebnis gekommen, dass von der Verfütterung tierischer Fette an Wiederkäuer kein erhöhtes BSE-Ri- Wir stehen allerdings für eine artgerechte Tierhaltung, siko ausgeht. Es besteht deshalb seither keine sachliche und deshalb regeln wir Anforderungen, die eine artge- Rechtfertigung mehr, dieses Verbot aufrechtzuerhalten. rechte Tierhaltung sicherstellen. Denn wer seinen Tieren diese Bedingungen bieten kann, der soll auch in Zukunft (Ute Vogt [SPD]: Nur eine ethische!) Pelztiere halten können. Vielmehr laufen wir bei der Aufrechterhaltung des Ver- Zum Schlachten hochträchtiger Tiere. Mit diesem bots Gefahr, dass Unternehmen Staatshaftungsansprüche Gesetzentwurf wird ein wichtiger Schritt hin zu einer geltend machen oder die Europäische Kommission ge- Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere getan, gen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein- indem ein Verbot der Abgabe zur Schlachtung von Tie- leiten würde. Daher ist es folgerichtig, dieses Verbot nun ren – außer bei Ziegen und Schafen –, die sich im letzten wieder aufzuheben. Drittel der Trächtigkeit befnden, geregelt wird. Abschließend noch ein Wort zu dem mit diesem Ge- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzentwurf verbundenen Entschließungsantrag der Ko- NEN]: Wie? Jetzt doch ein Verbot?) alitionsfraktionen, mit dem die Bundesregierung aufge- (B) fordert wird, einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog (D) Das ist aus Gründen des Tierschutzes und aufgrund unse- für Verstöße gegen das Lebensmittelhygienerecht zu er- rer ethischen Überzeugungen geboten. arbeiten. Die Bundesregierung hat den Wunsch der Frak- Der Tierschutz ist ein Teil der gesellschaftlichen Wer- tionen bereits aufgegriffen und in einem ersten Schritt teordnung in Deutschland, und vor diesem Hintergrund auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Dresden wird auch eine Schlachtung von hochträchtigen Tieren am 27. und 28. April dieses Jahres zu diesem Thema be- von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Wir betreten dabei richtet. In den nun folgenden Diskussionen mit den Län- ein Stück weit Neuland, indem wir auch das ungeborene dern wird sich die Bundesregierung selbstverständlich Tier vor Leiden und Schmerzen schützen. Auch damit aktiv einbringen. wird die im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion statt- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herz- fndende Weiterentwicklung des Tierschutzes deutlich, lich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. und das trägt zur Gewährleistung eines ethischen Min- deststandards bei. Und das ist auch gut so. Wir stehen für Herzlichen Dank. einen wissenschaftlich basierten und ethisch gebotenen Tierschutz. (Beifall bei der CDU/CSU) Vom Abgabeverbot ausgenommen sind, wie gesagt, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ziegen und Schafe, da die Haltungsformen grundlegend anders sind als zum Beispiel bei Rindern und Schweinen. Vielen Dank. – Dr. Kirsten Tackmann hat jetzt das Ziegen und Schafe werden in Deutschland üblicherweise Wort für die Fraktion Die Linke. extensiv gehalten. Abläufe in der Tierhaltung sind insge- (Beifall bei der LINKEN) samt weniger standardisiert, weniger vorhersehbar und stärker von externen Faktoren, wie zum Beispiel der Wit- terung, aber auch dem Schutz vor Gefahren – ich nenne Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): hier unter dem Stichwort „Herdenschutz“ ausdrücklich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- auch den Wolf –, abhängig. Insofern reicht der derzeitige gen! Liebe Gäste! In der heutigen Debatte geht es um Kenntnisstand noch nicht aus, um valide Rückschlüsse die Schlachtung hochträchtiger Tiere, die Pelztierhal- zur Durchführung und Praktikabilität verschiedener Me- tung und Futtermittelrisiken und damit um drei wirklich thoden zur Trächtigkeitsuntersuchung in der Praxis sowie wichtige Themen. Dennoch möchte ich meine Redezeit auf die Umsetzbarkeit von Managementmaßnahmen zur nutzen, um unseren Blick zunächst auf ein anderes, aber Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere ziehen auch wichtiges und sehr brisantes Thema zu lenken, weil zu können. Deshalb wird unser Haus zunächst entspre- uns das auf gar keinen Fall aus dem Blick geraten darf. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23665

Dr. Kirsten Tackmann (A) Viele landwirtschaftliche Betriebe leben von der Sub- Haltung von Säugetieren vorgesehen ist. Per Verord- (C) stanz oder sind existenzgefährdet und fühlen sich ein we- nung – das hat die Staatssekretärin schon gesagt – ist das nig im Stich gelassen. Angesichts dieser Situation stellt offensichtlich nicht durchsetzbar. Deshalb soll es nun mit aus meiner Sicht ein einfaches Weiter-so in der Agrar- so einem schwächlichen Erlaubnisvorbehalt gerichtet politik mit Korrekturen hier und da eben nur die Linde- werden, mit einer viel zu langen Übergangszeit von fünf rung von ein paar Symptomen dar. Als Tierärztin sage ich Jahren und der übrigens völlig offenen Flanke, was die aber: Wer die ortsansässige Landwirtschaft wirklich will, Konsequenzen sein werden, wenn die Weltmarktpreise der muss die Krankheit heilen. wieder ansteigen. Hier stiehlt sich die Koalition aus mei- ner Sicht schlichtweg aus der Verantwortung. (Beifall bei der LINKEN) Mode kann aber doch niemals ein vernünftiger Grund Leider geht es eben nicht nur um ein einzelnes krankes sein, Wildtiere zu halten und zu töten. Organ. Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Ge- sellschaft, Bartmer, drückt das laut Agra-Europe so aus: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das derzeitige System muss auf den Prüfstand. – Er neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE warnt vor falscher Gelassenheit und spricht sich für eine GRÜNEN) schonungslose Analyse und eine öffentliche Debatte aus. Das ist doch weder mit dem Tierschutzgesetz noch mit Recht hat er. dem Staatsziel Tierschutz vereinbar. Deswegen sagt die Ja, wir müssen Landwirtschaft neu denken, ohne Linke ganz klar: Dieser Erlaubnisvorbehalt kann allen- Richtiges über Bord zu werfen, aber natürlich gemein- falls ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung sein. sam mit den Betrieben, die wir als Verbündete brauchen. Ein Ersatz für das von vielen zu Recht geforderte Verbot Aber sie brauchen uns auch als Gesetzgeber. der Pelztierhaltung im Tierschutzgesetz ist es keinesfalls. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Denn seien wir doch einmal ehrlich: Im Moment sitzen Damit fährt die Koalition mit einer handbetriebenen die Gewinner des Systems warm und trocken in den Draisine und angezogener Handbremse einem längst ab- Konzernzentralen, während die Verlierer in den Ställen, gefahrenen ICE hinterher. auf Äckern und in Gewächshäusern für unsere Lebens- grundlage schuften und trotzdem ums Überleben kämp- (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) fen müssen. Ja, das ist ein krankes System, und das muss Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. geheilt werden. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) (Beifall bei der LINKEN) (B) Mit der dritten Neuregelung soll das seit der BSE-Kri- (D) Nun zu den drei Vorschlägen, die auf dem Tisch lie- se bestehende Verbot der Verfütterung von tierischen gen: Fetten an Wiederkäuer aufgehoben werden. Wissen- Immerhin soll nun die Schlachtung hochträchtiger schaftlich sei aus Sicht des gesundheitlichen Verbrau- Tiere endlich verboten werden, wobei ich glaube, dass cherschutzes kein erhöhtes BSE-Risiko für Menschen zu sich viele darüber wundern, dass das überhaupt erlaubt erwarten. Damit müssen diese Fette nicht mehr entsorgt war . Die Ausnahmen, zum Beispiel in Tierseuchensitu- und vernichtet werden, sondern können verfüttert wer- ationen, sind zwar im Grundsatz nachvollziehbar, aber den. Dennoch bleiben mir zumindest Restzweifel bei der natürlich erwarte ich, dass dann auch gesichert ist, dass Verfütterung von Wiederkäuern an Wiederkäuer. Denn Qualen für das ungeborene Leben verhindert werden. Ich das sogenannte Kannibalismusverbot kann helfen, unbe- sehe hier die Tierärzteschaft tatsächlich in einer beson- kannte Risiken zu minimieren. Wir haben doch bei der deren Verantwortung. Dass Schafe und Ziegen zunächst BSE erlebt, dass Dinge passieren, die die Wissenschaft von dem Verbot ausgenommen sind, fnde ich nachvoll- nicht vorhergesagt hat. Diese Begrenztheit des Wissens ziehbar, aber auch das ist kein Freibrief. Auch hier muss muss uns aus meiner Sicht immer bewusst bleiben. Ich alles dafür getan werden, um die Schlachtung hochträch- erwarte deswegen von den zuständigen Behörden und tiger Tiere tatsächlich zu vermeiden. wissenschaftlichen Einrichtungen, dass sie dieses Rest- risiko wirklich im Auge behalten. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Auch müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen wer- den, in Zukunft ein Verbot zu ermöglichen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Zweiten soll die Haltung von Pelztieren nicht Vizepräsidentin Ulla Schmidt: verboten, aber unter Erlaubnisvorbehalt gestellt werden. Dahinter steht aus meiner Sicht die trügerische Hoff- Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute nung, dass sich die Pelztierhaltung angesichts der hohen Vogt. Tierhaltungsaufagen nicht mehr rechnet und dann ein- (Beifall bei der SPD) fach aufgegeben wird. Im Gesetzentwurf steht, dass aktuell die Mehrheit der Ute Vogt (SPD): Pelztierfarmen nicht einmal die Mindestanforderungen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! von 2011 umsetzt. Dabei liegen doch die noch deutlich „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – das war unter dem, was in den Richtlinien des BMELV für die das Motto meiner mündlichen Abiturprüfung, und, ehr- 23666 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Ute Vogt (A) lich gesagt, dieses Faust’sche Zitat kommt mir auch in Wir haben im Jahr 2002 das Grundgesetz geändert. In (C) den Sinn, wo ich jetzt am Redepult stehe. Artikel 20a heißt es nun: Ich bin sehr froh, dass wir es nach sehr langem Ringen Der Staat schützt auch in Verantwortung für die und vollmundiger Ankündigung durch den Landwirt- künftigen Generationen die natürlichen Lebens- schaftsminister – ich glaube, schon vor fast zwei Jahren –, grundlagen und die Tiere ... das Schlachten trächtiger Tiere endlich zu beenden, heute geschafft haben, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen. Diese Grundgesetzänderung hat damals – auch mit Ihren Ich bin auch froh, dass wir durch Regelungen zur Pelz- Stimmen – eine Zweidrittelmehrheit erhalten. Ich glaube, tierhaltung die Haltung von Pelztieren und insbesondere dass auch der Kollege Schmidt damals schon im Deut- das Fortbestehen der heute noch existierenden Pelztier- schen Bundestag war. Ich fnde es wirklich bestürzend, farmen in Deutschland faktisch unmöglich machen. dass es uns bis heute nicht einmal im Ansatz gelungen ist, die notwendigen tierschutzrechtlichen Veränderun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen herbeizuführen, die es gebraucht hätte, um diesen Grundsatz, den wir damals in der rot-grünen Regierungs- Das ist sicherlich ein Erfolg, über den wir froh sein kön- zeit im Grundgesetz verankert haben, weiter mit Leben nen. zu erfüllen. Die zweite Seele in meiner Brust ist aber ziemlich Ich bin zwar dankbar, dass der Gesetzentwurf über- traurig, wenn ich heute – das Ende dieser Legislaturperi- haupt zustande gekommen ist. Ich muss Ihnen aber – das ode ist ja schon in Sichtweite – auf die Bilanz in Sachen kann ich nicht verhehlen – leider sagen: Aus Tierschutz- Tierschutz schaue. Es ist richtig, Frau Staatssekretärin, gründen brauchen wir dringend eine andere Bundesre- dass Sie sich alle Mühe gegeben haben, alle möglichen gierung. Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Es gab Kom- missionen, Grünbuchprozesse, Gutachten und Studien. (Beifall bei der SPD – [CDU/ Leider gab es nur ganz wenige praktische Konsequenzen. CSU]: Dann gebt euch mal Mühe!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir haben das, ehrlich gesagt, zu Beginn dieser Le- Vielen Dank. – Jetzt hat Nicole Maisch für Bünd- gislaturperiode im Koalitionsvertrag gemeinsam anders nis 90/Die Grünen das Wort. vereinbart. Ich will ganz offen sagen: Es ist nicht unbe- dingt ein Verschulden der Kolleginnen und Kollegen im Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Parlament, mit denen wir an vielen Stellen weiter gehen- (D) de Beschlüsse gefasst haben. Indes hat das Ministerium Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier seine Aufgaben schlicht nicht erledigt. Es hat die Arbeit wurden eben Szenen einer Ehe aufgeführt. Natürlich hat verschleppt. die Kollegin Vogt recht: Es ist wirklich traurig, was hier in den letzten Jahren beim Thema Tierschutz zustande (Beifall bei der SPD) gebracht wurde. Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich Ich will Ihnen, um es transparenter zu machen, ein hätte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass Sie konkretes Beispiel nennen. Im Koalitionsvertrag haben überhaupt noch ein Gesetz machen, das den Tierschutz wir vereinbart, ein Zertifzierungssystem für Tierhal- zumindest in Nuancen verbessern wird. Dafür schon ein- tungssysteme in der Landwirtschaft einzuführen. Wir als mal meinen Respekt. Parlamentarier haben uns geeinigt; diese Einigung haben Was lange währt, wird endlich schlecht. Das kann wir in den allerersten Wochen unserer Regierungszeit man, denke ich, als Überschrift für dieses Gesetz neh- herbeigeführt. Dort sitzt der Kollege Priesmeier, der so- men. Schon vor über zwei Jahren hat der Minister in der gar erzählen könnte, dass es die gleiche Einigung schon in Presse angekündigt, er werde die Pelztierhaltung ver- der letzten Großen Koalition gegeben hat. Am Dienstag bieten. Er hat dann einen Gesetzentwurf an die Presse dieser Woche hat sich das Ministerium, vertreten durch lanciert. Die Union hat ihn daraufhin schnell wieder kas- Herrn Staatssekretär Bleser, erdreistet, uns zu sagen, dass siert. Dabei herausgekommen ist nichts. Das ist wirklich es jetzt tatsächlich gelingen würde, diese Verordnung so bezeichnend für die gesamte Ära Schmidt. weit auf Papier zu bringen, dass man sie im September zum ersten Mal vorstellen könne. Liebe Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen, ich muss sagen, dass ich mich für das, was uns das Ministerium da vorgeführt hat, fremdschäme. Dabei war der Handlungsdruck doch riesig. Sie alle kennen doch die Bilder von den Nerzfarmen, wo die Tie- (Beifall bei der SPD) re ohne Zugang zu Wasser, ohne ausreichend Platz und in engen Käfgen zusammengepfercht gehalten werden, Deshalb bin ich ein bisschen ratlos. Ich bin mir aber nur damit sich irgendjemand eine Bommel an die Mütze ganz sicher, dass wir dieses Thema auf jeden Fall auch hängen kann. Ich fnde, das können wir unter ethischen zum Gegenstand von Wahlauseinandersetzungen ma- Gesichtspunkten nicht weiter vertreten. chen müssen. Denn es kann nicht sein, dass wir Dinge vereinbaren, das Parlament sich einig ist und das Minis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN terium verbindlich vereinbarte Punkte nicht umsetzt bzw. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der verschleppt. LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23667

Nicole Maisch (A) Mich würde es sehr freuen, wenn dieser Gesetzentwurf das durch solchen Kannibalismus bei Wiederkäuern ent- (C) tatsächlich ein Verbot der Pelztierhaltung enthalten wür- standen ist, nicht kommen sehen. Nun sagt Ihnen das de. Aber das ist leider nicht der Fall. Er gießt lediglich – Bundesinstitut für Risikobewertung: BSE wird dadurch dies wurde bereits ausgeführt – das, was bisher schon in nicht ausgelöst. – Das ist sicherlich gut. Aber wissen wir der Verordnung gefordert wurde, in Gesetzestext. Frau denn, welche Tierseuchen es in Zukunft geben wird? Ich Staatssekretärin, das, was Sie hier aufgeschrieben haben, bin der Meinung, dass Kannibalismus bei Kälbchen nicht ist nicht artgerecht. Es ist ein bisschen weniger schreck- sein muss. Das ist klar abzulehnen. Deshalb erfährt die- lich. Im Jahre 2017 sollte „ein bisschen weniger schreck- ser Gesetzentwurf durch uns keine Zustimmung. lich“ nicht unser Maßstab für den Tierschutz sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen ge- Alle Regelungen sind – das wurde schon ausgeführt – nauso wie Ihre Tierschutzpolitik in dieser Legislaturpe- sehr alt. Trotzdem schreiben Sie in diesen Gesetzentwurf riode: halbherzig, zu spät, zu wenig, schlecht gemacht. weiterhin Übergangsfristen hinein, die es erlauben, dass Gut, dass die Amtszeit von Christian Schmidt bald vorbei es das, was die Tierschutzverbände immer wieder in den ist. Medien zeigen – die schrecklich kleinen Käfge, Tiere ohne Zugang zu Wasser –, weiterhin geben wird. Das ist Herzlichen Dank. das Versäumnis dieses Gesetzentwurfs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Beim Thema Pelz hätten Sie aus Verbrauchersicht ebenfalls regeln sollen, dass ich als Kundin, wenn ich Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Thomas eine Jacke kaufe, genau weiß, welche Art von Pelz oder Mahlberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. tierischen Bestandteil ich kaufe. Als Verbraucher wird (Beifall bei der CDU/CSU) man im Laden verarscht. Es gibt Fantasiebezeichnungen wie Gubi oder Goyangi. Dass es sich hierbei um Hunde- (CDU/CSU): bzw. Katzenfell handelt, weiß kein Mensch. Das möchte Thomas Mahlberg ich nicht an meiner Jacke haben. Erkennen kann ich es Herzlichen Dank, Frau Präsidentin – Das waren be- leider nicht. An dieser Stelle hätten mehr Transparenz eindruckende Reden, die ich bislang genossen habe. und mehr Verbraucherschutz Ihnen gut zu Gesicht ge- Frau Kollegin Vogt, anders als ich sind Sie kein Mitglied standen. des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Ich (B) habe das Gefühl, dass wir tatsächlich Meilensteine beim (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tierschutz gesetzt haben. Der Tierschutz stand immer im Außerdem wollen Sie endlich – auch das war vom Mi- Fokus der gemeinsamen Politik, die wir gemacht haben. nister lange versprochen – das Verbot der Schlachtung (Ute Vogt [SPD]: Was? Gefühlt vielleicht!) trächtiger Tiere regeln. Das ist grundsätzlich gut. Ab ei- nem gewissen Grad der Reifung verendet der Fötus qual- Wir haben selbstverständlich einen Fahrplan verabredet. voll, wenn das Muttertier geschlachtet wird. Das kann Wir haben als Ausschuss die nun zur Diskussion stehen- niemand in diesem Haus wollen. Ich glaube, nicht einmal de Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, die ebenfalls Herr Stier, der die Pelztierhaltung weiterhin unterstützt; einen Meilenstein für den Tierschutz darstellt. das hat er durch sein Abstimmverhalten im Ausschuss (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- klargemacht. NEN]: Meilenstein nennen Sie das? Das ist Der gefundene Konsens ist erst einmal gut. Aber das, ein Kieselstein!) was Sie hier vorlegen, fnde ich nicht wirklich gut ge- Denken Sie daran, wenn Sie auf jemanden zeigen: Vier macht. Sie haben Ausnahmeregelungen ins Gesetz ge- Finger zeigen immer auf Sie zurück. Ich persönlich habe schrieben, die das gute Ziel des Gesetzentwurfs verwäs- das Gefühl, dass es Ihnen hier nicht darum ging, einen sern. Richtig ist, dass bei Ziegen und Schafen nicht leicht fachlichen Beitrag zu liefern. Wahrscheinlich haben Sie festzustellen ist, ob sie trächtig sind. Die Haltungssyste- sich mit Ihrem Kanzlerkandidaten beraten. me sind anders als bei Rindern. Trotzdem muss man sol- che Probleme, wenn es sie gibt, lösen und darf sie nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der auf Kosten der Tiere ignorieren. SPD: Oh!) Zum Schluss. Dieser Gesetzentwurf ist – das hat die Nach drei verlorenen Landtagswahlen bricht wohl etwas SPD mehr oder weniger offen zugegeben – Teil eines Panik aus. Jetzt wollen Sie wahrscheinlich einen Stra- ziemlich ekligen Deals. Bisher war es verboten, Kälb- tegiewechsel vornehmen. Sie wissen, dass wir wirklich chen zu Kannibalen zu machen. Das heißt, ein Kälbchen, weitergekommen sind. Es ist schade, dass Sie das nicht eigentlich ein vegetarisch lebendes Tier, darf nicht mit herausstellen. dem Fett der Artgenossen gefüttert werden. In Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU) soll das erlaubt sein. Ich muss ehrlich sagen: Das ist nicht nur widerlich, unnatürlich und ethisch bedenklich. Viel- Ich will nicht alles wiederholen, was die Staatssekre- mehr steckt mir noch der BSE-Schock in den Knochen. tärin eben gesagt hat. Sie hat in den Gesetzentwurf einge- Das haben Sie alle wohl vergessen! Wir alle haben BSE, führt, und ich kann das, was sie gesagt hat, nur unterstüt- 23668 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Thomas Mahlberg (A) zen. Ich werde es gleich noch einmal zusammenfassen. stockschuhen noch zu den AKW-Demos gegangen sind, (C) Wir machen wirklich Fortschritte in Sachen Tierschutz. gab es bereits die Verfütterung von Fetten. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber welche denn?) NEN]: Was ist das für eine Rede!) Frau Kollegin Maisch, Sie haben einen Entschlie- Die wurde wegen der BSE-Krise verboten. ßungsantrag vorgelegt, über den ich staune. Er steht in einer Reihe mit Ihren wissenschaftlichen Expertisen, die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie schon immer hier vorgelegt haben. Sie haben uns ein- Herr Kollege Mahlberg, das ist jetzt gerade eine gute mal gesagt, Sie hätten Glyphosat in der Muttermilch ge- Stelle, um Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder funden. Sie haben die ganze Republik verrückt gemacht. -bemerkung des Kollegen Ostendorff gestatten. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was hat das jetzt mit den trächtigen Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Tieren zu tun?) Ja, natürlich. Wir haben dann festgestellt, dass die Versuchsansätze

falsch waren und das Ergebnis Quatsch war. Dann ha- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ben Sie den Leuten gesagt, Glyphosat sei im Bier. Aber Bitte schön. man hat festgestellt, dass man 1 000 Liter pro Tag trinken müsste, damit es schädliche Auswirkungen hätte. Alles Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Quatsch, was Sie gemacht haben. Jetzt legen Sie einen NEN): Entschließungsantrag vor, in dem Sie behaupten, es sei Ich kann leider nicht mit einer Frage dienen, aber unüblich, dass Kälber tierische Fette aus der eigenen Art schön, dass Sie gestatten, dass ich versuche, Ihren Ho- aufnehmen. Auch das stimmt nicht. rizont zu erhellen. Das kann manchmal helfen. Herr Mahlberg, hören Sie also zu. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war bisher verboten!) Es geht nicht darum, dass das Kalb die Milch der Mut- ter zu sich nimmt – das ist in der Biologie so vorgegeben, Sind tierische Fette nicht auch in der Milch, die die damit es wachsen und gedeihen kann. In diesem Antrag Kälber von ihren Müttern bekommen? Das ist doch keine geht es darum – wenn Sie den Antrag gelesen hätten, hät- Form von Kannibalismus. ten Sie das eigentlich auch verstehen können –, dass Rin- (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer derfette zukünftig wieder als Milchersatzstoff zugelassen (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist un- werden. Es geht um Milchersatzstoffe, um die sogenann- fassbar!) ten Milchaustauscher, MAT abgekürzt. Das Verfüttern solcher Fette ist mit dem Ausbruch Das verschweigen Sie den Leuten, weil es nicht in Ihre der BSE-Krise beendet worden, weil man sah, dass das plakative Strategie passt. Natürlich stimmt es auch nicht, Risiko, zu erkranken, steigt, wenn das Tier Futter, das dass die Tiere plötzlich Rinderfett bekommen. Sie be- aus Tieren der eigenen Art hergestellt wurde, erhält, man kommen vielmehr ein ausgewogenes Futter. In diesem also Kannibalismus zulässt. Das ist die Erkenntnis aus Futter ist selbstverständlich auch Milch. Herr Ostendorff der BSE-Krise gewesen. Deshalb hat man sich entschlos- als Bauer könnte das wahrscheinlich viel besser erklären sen, das zu beenden. Das waren nicht immer nur Bun- als ich. Ich bin Kaufmann, aber ich weiß natürlich, dass desregierungen mit grüner Beteiligung; es gab auch in Kälbermilch aus verschiedenen Bestandteilen besteht. der Zeit unionsgeführter Regierungen eine große Über- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einstimmung, Tieren kein Futter, das aus der eigenen Art NEN]: Warum redet eigentlich Herr Stier hergestellt wurde, unterzujubeln, ohne dass sie es merken nicht?) und ohne dass sie sich dafür oder dagegen entscheiden können. Selbstverständlich sind in dem Futter Bestandteile der Milch enthalten. Das ist die Erkenntnis. Die hätten aber auch Sie ge- winnen können. Ich hoffe, dass Sie das zur Kenntnis neh- (Zuruf des Abg. Friedrich Ostendorff men. Das wäre sehr schön. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir entnehmen der Milch bestimmte Bestandteile und fügen sie dem Futter zu. Insofern läuft auch dieser Vor- Thomas Mahlberg (CDU/CSU): wurf völlig ins Leere. Ich nehme das gerne zur Kenntnis, aber, Herr Ostendorff, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass Natürlich gibt es Leute, die das ethisch bedenklich natürlich arteigene Fette vom Kalb über die Muttermilch fnden. Aber wir haben eine fachliche Expertise vorlie- aufgenommen werden. Das verschweigen Sie in Ihrem gen, und um die geht es. Es geht nicht darum, etwas neu Antrag. zuzulassen oder neu einzuführen. Fette waren bei der Verfütterung immer zugelassen – bis zur BSE-Krise. Wie (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagte jemand so schön: Als die Grünen mit den Birken- NEN]: Darum geht es hier aber nicht!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23669

Thomas Mahlberg (A) Sie lassen einfach Fakten weg, und das ist der entschei- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) dende Punkt. Herr Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischen- frage der Kollegin Maisch? (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): – Na selbstverständlich. Ja, na klar; sonst haben wir gar keinen Dialog hier im Parlament. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann eben nicht! – Friedrich Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist aber die letzte Zwischenfrage, die ich jetzt ge- Die Muttermilch wird ersetzt!) statte. – Bitte schön. Sie könnten den Kannibalismusvorwurf gar nicht auf- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rechterhalten, wenn Sie diesen Punkt hier mit anführen Nicole Maisch würden; aber Sie lassen ihn ja bewusst weg. Darin be- Herzlichen Dank. – Natürlich könnte man fragen, ob steht die Fehlinformation, die Sie den Menschen geben. es nicht eine Option wäre, den Kälbchen einfach Milch zu geben; aber so weit will ich hier gar nicht gehen. Wir haben Folgendes gemacht – ich fnde, man sollte Sie haben eben gesagt, Sie hätten verschiedene Profes- immer auch mit Fachleuten sprechen; auch deshalb reden soren nach einer fachlichen Bewertung unseres grünen wir über die erneute Zulassung dieser Fette –: Wir haben Antrags gefragt und Sie hätten das Urteil bekommen, das Expertisen von entsprechenden Instituten eingeholt, zum Sie eben vorgetragen haben: Unsinn hoch drei. – Dürfte Beispiel vom BfR. Ich bin übrigens ganz überrascht, dass ich Sie bitten, die Quelle zu nennen, vielleicht sogar mit Sie dessen Expertise offensichtlich akzeptieren; denn Namen! sonst bekämpfen Sie das BfR eigentlich immer, wenn Sie hier am Rednerpult stehen. Aber anscheinend haben Sie mit der fachlichen Expertise in diesem Fall kein Problem. Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ja, das habe ich doch gerade gesagt. Wir haben das bei Das BfR sagt: Aus gesundheitlichen Gründen, aus der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der TU Mün- Verbraucherschutzgründen wäre die Zulassung gar kein chen und der FU Berlin erfragt. Problem mehr. – Deshalb bringen wir hier diesen Gesetz- entwurf ein. Dieses Produkt wird in der Industrie auch (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebraucht. Man braucht ja Fette, um die Milchaustau- NEN]: Nennen Sie doch einmal die Profes- (B) scher herzustellen. Die Alternative kennen Sie doch, Herr soren! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE (D) Ostendorff: Man kann auch Palmöl verwenden. Aber wie GRÜNEN]: Die Namen!) erklären Sie das den Leuten? Statt ressourcenschonend – Wir haben selbstverständlich immer bei den Instituti- zu arbeiten, wie wir das hier tun, soll dann lieber Palmöl onsleitungen nachgefragt. Da ich Ihnen das hier vortrage, verwendet werden. Das kann doch auch nicht Ihre Stra- ist es zutreffend, dass wir das auch gemacht haben. Das tegie sein. Es ist also ein bisschen unverständlich, was ist jetzt kein Fake oder so etwas. Sie sagen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wie gesagt, wir haben Fachleute dazu befragt. Wir NEN]: Da sind wir auf den Faktencheck ge- haben einen kleinen Rundruf durchgeführt. Wir haben spannt! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Professoren für Tierernährung der Tierärztlichen Hoch- schule in Hannover, der TU München und der FU Berlin Vizepräsidentin Ulla Schmidt: befragt, und wir haben ihnen Ihre Vorschläge vorgelegt. Einigen wir uns darauf, dass jetzt der Kollege Ich teile Ihnen einmal mit, was sie gesagt haben: „Unsinn Mahlberg das Wort hat. hoch drei“, oder: „Völliger Quatsch“. Dieses Ergebnis ist da herausgekommen. Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ich fnde, es ist doch ein Grundprinzip unserer Arbeit Wir haben hier einen entsprechenden Gesetzentwurf hier – ich kann verstehen, dass Leute sagen, sie betrach- vorgelegt, gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kol- teten das Ganze nur aus einem ethischen Blickwinkel –, legen aus der SPD-Fraktion. wissenschaftsbasiert zu arbeiten. Wenn wir diese Exper- tisen vorliegen haben, dann ist es kein Quatsch, diese Fet- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mit te wieder zuzulassen – andere haben es bereits gemacht; viel Schmerzen!) wir gehören zur Minderheit derjenigen, die es noch nicht – Bei uns nicht. getan haben –, sondern es ist einfach dem Ziel geschul- det, ressourcenschonend zu arbeiten und dem Stand der Wenn ich es zusammenfassend noch einmal sagen Wissenschaft entsprechend unsere Gesetze zu formulie- darf: Es geht hier nicht nur um die Frage der Zulassung ren. Genau das tun wir an dieser Stelle, und das ist auch der Fette, sondern auch um andere Dinge. Wir haben das absolut richtig. eben schon in den verschiedenen Redebeiträgen gehört. Ich fnde, das ist wirklich ein guter Tag für den Tier- (Beifall der Abg. [CDU/ schutz, weil wir erstens ein Pelztierhaltungsverbot mit CSU]) einem entsprechenden Erlaubnisvorbehalt auf den Weg 23670 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Thomas Mahlberg (A) bringen, um Tierschutz auch in diesem Bereich sicherzu- tierhaltung und bei der Schlachtung hochträchtiger Nutz- (C) stellen, weil wir zweitens dafür sorgen, dass hochträch- tiere zu beenden. tige Tiere nicht mehr geschlachtet werden, um unnötige Schmerzen und Leiden bei Föten zu vermeiden – für (Beifall bei der SPD) Schafe und Ziegen gibt es eine Ausnahme; wir haben das Erstens wollen wir mit dem Gesetzentwurf verhindern, eben gehört; ich glaube, wir sind uns mit der Bundesre- dass schmerzempfndliche Tierföten bei der Schlachtung gierung einig, dass in diesem Bereich weiter geforscht des betäubten Muttertieres qualvoll – so ist es nämlich – werden muss, damit wir auch hier zu praktikablen Lö- verenden; denn Tierföten, wie zum Beispiel im Falle von sungen kommen –, und weil wir drittens das Verbot auf- Kälbern, können zumindest ab dem letzten Drittel der heben, tierische Fette an Wiederkäuer zu verfüttern, da Trächtigkeit bei der Schlachtung des Muttertieres bis zu diese BSE-Schutzmaßnahme – da bin ich mit Ihnen, Herr ihrem eigenen Tod Schmerzen und Leiden empfnden. Ostendorff, völlig einig – nach dem aktuellen Wissens- Indem wir verbieten, dass hochträchtige Tiere überhaupt stand absolut unbegründet ist. Deshalb bitte ich Sie, mei- zum Schlachthof gebracht werden, wollen wir dieser Pra- ne Damen und Herren, nach der schönen Diskussion, die xis nun einen Riegel vorschieben. wir jetzt hatten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ausnahmen sollen nur gelten – das ist schon ange- Herzlichen Dank. sprochen worden –, wenn im Einzelfall nach tierärzt- licher Indikation eine Tötung geboten ist. Eine weitere (Beifall bei der CDU/CSU) Ausnahme, die wir – aus meiner Sicht: leider – machen müssen, umfasst Schafe und Ziegen. Mit diesem Gesetz- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: entwurf wollen wir die Bundesregierung auffordern, in Vielen Dank. – Jetzt hat als letzte Rednerin zu diesem diesem Bereich weitere Untersuchungen anzustellen. Tagesordnungspunkt Christina Jantz-Herrmann für die Denn: Auch wenn es für die Ausnahme jetzt noch Gründe SPD-Fraktion das Wort. gibt, ist es doch unser Ziel, dass zukünftig auch Schafe und Ziegen in dieses Verbot einbezogen werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)

Christina Jantz-Herrmann (SPD): Zweitens wollen wir den Pelztierfarmen in unserem Land endlich ein Ende setzen. Auch wenn es mein per- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und sönlicher Wunsch gewesen wäre: Wir können diese Far- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten men aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Be- wir unsere Vorhaben, gegen Pelztierfarmen und gegen rufsfreiheit leider nicht sofort schließen. (B) das Töten hochträchtiger Tiere vorzugehen. (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ehrlich- Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir geht es ähnlich wie keit!) Kollegin Maisch; auch ich habe in den letzten Monaten oft nicht daran geglaubt, dass wir in dieser Legislaturpe- Der Gesetzentwurf verbietet deshalb die Pelztierzüch- riode tatsächlich diesen Gesetzentwurf vorliegen haben tung, räumt aber ein, dass die Farmen befristet genehmigt und beschließen werden; denn es ist bereits anderthalb werden, wenn sie hohe Ansprüche an eine artgerechte Jahre her, dass wir uns in den Koalitionsfraktionen da- Tierhaltung erfüllen. Die Einführung und Einhaltung von rauf verständigt haben, hier etwas zu unternehmen. Es solch hohen Tierschutzstandards in der Pelztierhaltung ist ebenfalls anderthalb Jahre her, dass Bundeslandwirt- machen diese aber deutlich teurer und sicher auch unren- schaftsminister Schmidt dieses Vorhaben medienwirk- tabel, sodass wir damit den aktuellen Geschäftsmodellen sam – wie so vieles – angekündigt hat. Doch es war ein ein Ende setzen werden. zähes Ringen mit den Kollegen der Union – das zeigt die (Beifall bei der SPD) Dauer von anderthalb Jahren –, dieses Gesetzespaket in Form zu gießen. Drittens müssen wir – ich sage: müssen – das Fettver- fütterungsverbot bei Wiederkäuern, wie Rindern, aufhe- Dabei ist es wenig hilfreich für die Sache, wenn ein ben. Es gibt leider keine wissenschaftliche Grundlage für Minister trotz Ankündigung von seiner eigenen Frakti- ein Fortbestehen des Verbots. Ich persönlich fnde das – on bei dem Vorhaben blockiert wird. Er wird nicht nur ich habe es auch schon an anderer Stelle gesagt – ethisch von seinen Wirtschaftsfreunden blockiert, sondern – wir besonders schwierig. haben es zuletzt im Landwirtschaftsausschuss gesehen – sogar aus den eigenen Reihen: Ein Kollege aus der CDU, Viertens streben wir mit dem Gesetzespaket eine der eigentlich für den Tierschutz zuständig sein sollte, weitere Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel- hat gegen das Gesetzespaket gestimmt. gesetzbuches an. Wir führen einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog ein. Damit legen wir einen ersten Grund- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der stein – ich sage bewusst: ersten Grundstein – für eine will auch weiter Fohlenbrennen!) Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der staatlichen Kontrollen im Lebensmittelsektor. Die SPD-Bundestagsfraktion – Sie sehen es, meine Damen und Herren – hat für dieses Vorhaben intensiv Sehr geehrte Damen und Herren, es ist bereits bei gekämpft; natürlich nicht, um Ehrenrettung des Minis- meiner Kollegin Ute Vogt angeklungen: Der Gesetz- ters zu betreiben, sondern – ganz klar –, weil es einfach entwurf ist ohne Frage ein Kompromiss. Er ist aber der höchste Zeit war, die unhaltbaren Zustände in der Pelz- beste Kompromiss – das sage ich ganz offen –, den wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23671

Christina Jantz-Herrmann (A) mit unserem Koalitionspartner erreichen konnten. Er ist und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (C) auch ein Kompromiss zwischen dem Tierschutz und an- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen deren Verfassungsgütern, insbesondere der Berufs- und zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Gewerbefreiheit. Hier sind dem Tierschutz – viele von Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei- uns sagen sicherlich: leider – Grenzen gesetzt. Nach der chen Stimmenverhältnis angenommen. Güterabwägung dürfen wir Pelztierfarmen nicht direkt schließen, Übergangsfristen allerdings auch nicht belie- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf big kurz ansetzen. Es wäre rechtssicher ebenfalls nicht Drucksache 18/12403 empfehlt der Ausschuss, eine möglich, die Fettverfütterung an Wiederkäuer als ein- Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- ziges EU-Land weiterhin verboten zu lassen, wenn es schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- keine wissenschaftlichen Belege gibt, dass aufgrund der hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung Fettverfütterung ein erhöhtes BSE-Risiko für den Ver- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. braucher entsteht. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Selbstverständlich – Sie haben es an dieser Debatte ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf schon gemerkt –: Regierungsverantwortung zu tragen, Drucksache 18/12423. Wer stimmt für diesen Entschlie- bedeutet immer auch, um Kompromisse zu ringen. Beim ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Tierschutz ist das Ringen mit der Union – unter uns ge- sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen sagt – ein tägliches Tauziehen, zumal dann, wenn sich der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo- der Minister vor allem im Ankündigen versteht und seine sition abgelehnt. Fraktion nicht immer mitzieht, sondern eher den Status Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: quo erhalten will, egal wie belastend er für die Landwir- te und Landwirtinnen, für die Tiere und für die Umwelt Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ist. Leider viel zu oft mussten wir Herrn Schmidt – auch richts des Ausschusses für Ernährung und Land- das ist in dieser Debatte schon angeklungen – beim Tier- wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der schutz zum Jagen tragen. Viel zu sehr war der Minister Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert auf sein Konzept der freiwilligen Verbindlichkeit fxiert. Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Kritische Zungen würden sein Handeln eher als organi- DIE LINKE sierte Unverantwortung beschreiben. Bundesprogramm Kita- und Schulverpfe- Meine Damen und Herren, nach zähem Ringen konn- gung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine ten wir zu einem Gesetzentwurf kommen, der den Tier- hochwertige und unentgeltliche Essensversor- (B) schutz verbessert. Ich bitte Sie daher, unserem Gesetz- gung sicherstellen (D) entwurf und unserer Entschließung zuzustimmen. Drucksachen 18/8611, 18/12178 Vielen Dank. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Carola Stauche, CDU/CSU-Fraktion. – Bitte schön. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- ordneten der SPD) wurf zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutz- rechtlicher Vorschriften. Carola Stauche (CDU/CSU): Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen 1) Sehr verehrte Frau Präsidentin, scheidend, und sehr nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung vor. verehrter Herr Präsident! – Gleich zwei Präsidenten sind Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hier oben; die Ehre hat man nicht immer. – Liebe Kolle- empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- ginnen und Kollegen! Heute befassen wir uns wie schon lung auf Drucksache 18/12403, den Gesetzentwurf der in der letzten Legislaturperiode mit einem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa- Linksfraktion zu dem Thema „Kindergarten- und Schul- che 18/12085 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die verpfegung“. Sie entschuldigen bitte, dass ich „Kinder- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- garten“ sage; ich komme aus dem Stammland Fröbels chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der und halte das für die richtige Bezeichnung. Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen bei Einhaltung der Fraktion Die Linke Der Antrag, der uns hier vorliegt, ist fast derselbe wie angenommen. das letzte Mal: wenig ausgewechselt, keine neuen Zah- len, Dritte Beratung (Karin Binder [DIE LINKE]: Keine neuen 1) Anlage 2 Zahlen? Sie haben den Antrag nicht gelesen!) 23672 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Carola Stauche (A) keine neuen rechtlichen Geschichten. Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzli- (C) chen Fürsorgepficht seine Verantwortung wahrneh- ( [CDU/CSU]: Das kennen men. wir von den Linken! Immer derselbe Mist!) Ich will kurz zusammenfassen, was hier gefordert wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hier wird gefordert: kostenloses Essen in Kindergarten NEN]: Ja!) und Schule, Verpfegung mit regionalen und saisonalen Er soll eine angemessene Verpfegung in den Ein- Ökolebensmitteln unter bundesweit einheitlichen Stan- richtungen durch geeignete Rahmenbedingungen dards, die streng kontrolliert werden, ebenso Einhaltung absichern. arbeitsrechtlicher, tarificher und sonstiger Bedingungen für die Beschäftigten. Und: Der Bund bezahlt es. Kein Zweifel: Der Staat hat eine Fürsorgepficht, besonders für Kinder und Jugendliche. Ob jedoch das (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja! Wer denn kostenlose Essen in Kindergarten und Schule dazuzählt, sonst?) zusätzlich zu den vielen anderen Sozialleistungen, kann Man könnte meinen: Das klingt nicht schlecht. bezweifelt werden. (Zuruf von der LINKEN: Ist es auch nicht!) Ich möchte deutlich betonen: Der Staat übernimmt Verantwortung, übt seine Funktion auf verschiedensten Doch beim genauen Hinsehen wird deutlich: Hier wer- Ebenen aus. Aber nicht alles ist Sache des Bundes. Bil- den Dinge gefordert, die überzogen, unpraktikabel, teuer, dungspolitik und Kinderbetreuung liegen in der Verant- gegenüber Bürgerinnen und Bürgern entmündigend sind wortung der Länder und der Kommunen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Tankred und überdies nicht mit geltendem Verfassungsrecht ver- Schipanski [CDU/CSU]: Ein Blick ins Grund- einbar sind. gesetz!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist auch nicht so, dass sich der Bund vor seiner fnan- NEN]: Hier wird eine Granate nach der an- ziellen Verantwortung für die Kommunen drücken wür- deren abgeschossen! – Karin Binder [DIE de. Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, dass der LINKE]: Wir sind der Gesetzgeber, Frau Bund Kommunen und Länder bereits fnanziell entlastet Stauche!) hat und weiter entlastet. In der gesamten Legislaturpe- riode handelt es sich immerhin um 90 Milliarden Euro. Bevor ich das weiter ausführe, will ich eines klarstel- (B) len: Sicherlich wollen wir alle, dass Kinder und Jugend- (Zuruf der Abg. Katrin Kunert [DIE LINKE]) (D) liche sich gesund ernähren Doch ist zu beobachten, dass die Entlastung, die für die (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kommunen gedacht ist, dort nicht immer vollumfänglich NEN]: Aha! Das ist ja schon mal gut!) ankommt. Manche Länder verwenden das Geld ander- und unter bestmöglichen Bedingungen aufwachsen. Wir weitig oder geben es zwar weiter, aber kürzen dafür an alle wollen eine gerechte Welt, die für alle Menschen anderer Stelle. lebenswert ist. Doch teilweise unterscheiden wir uns in Die Umsetzung des vorliegenden Antrags würde, vor- Bezug darauf, was wir konkret darunter verstehen. sichtig geschätzt, über 5 Milliarden Euro im Jahr kos- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten – ohne die Kosten für Neu-, Aus- und Umbau der ent- NEN]: Das ist aber ganz grundsätzlich!) sprechenden Infrastruktur und für zusätzliches Personal. Noch mehr unterscheiden wir uns darin, wie wir unsere (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Falsch gerech- Ziele erreichen wollen. net!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Natürlich sollte uns für die Kinder, die bekanntlich un- NEN]: Das klingt ja fast philosophisch!) sere Zukunft sind, nichts zu teuer sein. Die einen halten es immer und überall für die beste Lö- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sung, einem Teil der Bevölkerung Geld wegzunehmen, NEN]: Ach? – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/ um es dann mit der Gießkanne wieder auszuschütten – DIE GRÜNEN]: Aber?) nach dem Motto: Viel hilft viel. – Wir von der Union ste- hen jedoch nicht nur für Vernunft und Augenmaß, son- Aber: Eine direkte Finanzierung von Kindergarten- und dern auch für Mündigkeit und Eigenverantwortung der Schulverpfegung durch den Bund ist nicht möglich. Bürgerinnen und Bürger. (Karin Binder [DIE LINKE]: Warum?) (Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder Das lassen die föderalen Strukturen der Bundesrepublik [DIE LINKE]: Die armen Kinder!) Deutschland nicht zu. Deshalb sehen wir den Antrag äußerst kritisch. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doch nun komme ich zu einigen Punkten des Antrags NEN]: Sie wollen das Kooperationsverbot im Einzelnen. Extrem befremdlich ist für mich die Pas- ja abschaffen! – Zuruf von der LINKEN: Ja, sage: noch! Nicht mehr lange!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23673

Carola Stauche (A) Die Länder wollen ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet Ähnlich verhält es sich mit der Idee, Ernährungsbil- (C) bestimmt nicht abgeben, dung verpfichtend einzuführen. Mahlzeiten sollen mit den Kindern gemeinsam zubereitet werden. Das wäre na- (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie wollen türlich ideal. Aber was sollen die Schulen eigentlich noch doch nächste Woche sowieso das Grundgesetz alles verbindlich leisten? ändern!) das heißt, es würde wieder einmal darauf hinauslaufen, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass der Bund zahlt und das Geld bei den Ländern versi- NEN]: Viele Schulen haben das schon sehr ckert, ohne Nachweis, wofür sie es ausgeben haben. lange!) (Beifall bei der CDU/CSU) Zusätzlich zu den herkömmlichen Fächern, die jetzt schon in vielen Ländern nicht ordentlich abgedeckt wer- Auch die Länder haben zusätzliche Steuereinnahmen – den, soll es auch noch Medienkunde, das sollte man nicht vergessen –, auch die Kommunen. (Dr. [DIE LINKE]: Medien- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann bildung!) schaut einmal nach Thüringen!) Nachhaltigkeit, Inklusion, soziale Kompetenz usw. ge- Auf das bestehende Kooperationsverbot haben im ben. Das alles ist wichtig, aber wir müssen aufpassen, Übrigen auch die Sachverständigen bei der Anhörung zu dass wir die Schulen nicht noch mehr mit verpfichtenden diesem Antrag im vergangenen Herbst hingewiesen. Hier Aufgaben überfrachten. kamen eine Reihe weiterer Punkte zur Sprache. Hinwei- sen möchte ich zum Beispiel darauf, dass einheitliche Stattdessen sollten wir Spielräume lassen für Initia- Lösungen für ganz unterschiedliche Herausforderungen tiven vor Ort, Eigenverantwortung fördern und mit Rat nicht praktikabel sind. So gibt es allein schon deutliche und Tat zur Seite stehen. Hier ist der Bund bereits im Unterschiede bei der Verpfegung im Kindergarten und Rahmen des neuen Bundeszentrums für Ernährung ak- in der Schule: regionale Unterschiede, unterschiedliche tiv, zum Beispiel durch die Einrichtung des Nationalen Schulformen. Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule. Wir haben dazu einiges bei der letzten Ausschusssitzung ge- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hört. Diese Einrichtung soll bereits bestehende Maßnah- NEN]: Unterschiedliche Kinder!) men und Initiativen zum Kindergarten- und Schulessen Infrastrukturelle Gegebenheiten sind dabei überhaupt koordinieren, Qualitätsstandards und Konzepte für Qua- noch nicht berücksichtigt. litätsnachweis bei den Caterern weiterentwickeln sowie (B) alle Beteiligten für hochwertige Ernährung und den Stel- (D) Es stellt sich auch die Frage, inwieweit kostenloses lenwert der Ernährungsbildung sensibilisieren. Schulessen überhaupt akzeptiert wird. Aktuell werden jeden Tag in Deutschland 4 bis 5 Millionen Essen aus- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die gegeben. Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon landet im 20 Minuten Redezeit sind längst vorbei!) Müll. Des Weiteren hat der Bund die Vernetzungsstellen (Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Frage für Kindergarten- und Schulverpfegung seit 2008 mit ist: Warum?) 7,7 Millionen Euro gefördert und unterstützt seit einem Jahr deren Projektarbeiten mit jährlich 1 Million Euro. Wird denn das Essen mehr wertgeschätzt, wenn es ganz Aber grundsätzlich gilt auch hier: Die Ausstattung der und gar kostenlos ist? Oder sollen Schülerinnen und Vernetzungsstellen Schulverpfegung in den Ländern ist Schüler zum Aufessen gezwungen werden? und bleibt Ländersache. Weiterhin wird in dem Antrag eine Zubereitung der Mahlzeiten in Kitas und Schulen gefordert. Dafür sind Zum Thema Finanzielles noch eine ganz generelle wohl kaum überall die entsprechenden baulichen Voraus- Anmerkung: Natürlich sollen Familien unterstützt wer- setzungen gegeben. In den wenigsten Fällen wäre dies den, die es sich nicht leisten können, Kindergarten- und ohne großen Aufwand machbar. Es müssten noch einmal Schulessen zu fnanzieren. Hier gibt es bereits gute Kon- gewaltige Summen ausgegeben werden. Hinzu kommt zepte und Lösungen vor Ort. Aber wieso soll das Essen noch, dass es in der Gastronomie ohnehin bereits einen auch für Kinder kostenlos sein, deren Eltern sich das pro- Arbeitskräftemangel gibt. Woher sollen plötzlich Tausen- blemlos leisten können? Das ist für mich ein massiver de Köche für die Schulküchen kommen? Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken, der immer wieder von der Linkspartei sehr strapaziert wird. (Karin Binder [DIE LINKE]: Wenn ich sie an- ständig bezahle, Frau Stauche, dann krieg ich

sie auch!) Vizepräsident : Frau Kollegin Stauche, Sie denken an die Redezeit? – Ja, dann sind sie aber auch nicht ausgebildet. Auf der anderen Seite haben zahlreiche Schulen schon Carola Stauche (CDU/CSU): jetzt einen erheblichen Investitionsstau. Ist in Anbetracht Meine Rede ist zu Ende, ich höre jetzt auf. – feuchter Wände und maroder Toiletten eine Schulküche das dringendste Problem, wenn es einen ordentlichen Ca- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie haben terer gibt? die längste Redezeit überhaupt!) 23674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Carola Stauche (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist vermutlich – Schülerinnen gesprochen, wir haben mit den Lehrern ge- (C) wie heute schon bei vielen – meine letzte Rede, da ich bei sprochen, wir haben mit der Deutschen Gesellschaft für der Wahl zum 19. Bundestag nicht mehr kandidiere. Ich Ernährung, deren Standards zumindest als Maßstab die- werde das Thema „Gesunde Ernährung und Kindergar- nen sollten, gesprochen, wir haben mit dem Deutschen ten- und Schulverpfegung“ wie viele weitere Themen, Netzwerk Schulverpfegung und den Vernetzungsstellen mit denen ich mich in den letzten acht Jahren im Bun- Kita- und Schulverpfegung gesprochen, mit Köchen und destag beschäftigt habe, zwar nicht mehr parlamentarisch mit Caterern. Die meisten dieser Akteure stimmen uns zu bearbeiten. Aber ich kann Ihnen versichern: Ich werde als und haben uns darin bestärkt, diesen Antrag auf den Weg freier, verantwortungsbewusster und engagierter Bürger zu bringen, diese Themen weiter im Auge behalten und auch weiter begleiten. Vielen Dank an dieser Stelle all meinen Kol- (Beifall bei der LINKEN) legen, die mich immer unterstützt haben, und natürlich und zwar nicht zum ersten Mal. Ich behaupte eines: Ste- auch meinen Mitarbeitern und sonstigen Helfern hier im ter Tropfen höhlt den Stein. Viele Kolleginnen und Kol- Bundestag und im Ausschuss! legen im Ausschuss wissen, dass wir an dem Thema nicht Danke schön. mehr vorbeikommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Qualität des Essens stimmt nicht. Deshalb geht ordneten der SPD) vieles in den Müll, nicht, weil das Essen von jemandem bezahlt wurde; denn die Kinder wissen nicht, von wem.

Vizepräsident Johannes Singhammer: (Zuruf der Abg. Carola Stauche [CDU/CSU]) Liebe Kollegin Stauche, anlässlich Ihrer letzten Rede Liebe Frau Stauche, die Kinder, deren Eltern das Es- auch von meiner Seite aus herzlichen Dank. Wir alle sen nicht bezahlen können, stehen an der Kasse und krie- möchten Ihnen danken. gen nichts, und das fnden Sie in Ordnung. (Beifall) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das stimmt Jetzt kommen wir zu der Kollegin Karin Binder, die doch gar nicht! Es gibt doch das Teilhabepa- für die Fraktion Die Linke spricht. ket! Natürlich!) (Beifall bei der LINKEN) – Die Gutscheine über 10 Euro pro Monat, die über das Bildungs- und Teilhabepaket ausgegeben werden, verur- sachen einen Verwaltungsaufwand, der immens ist. Was (DIE LINKE): Karin Binder soll denn der Blödsinn? (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (D) ren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Sie alle wissen, dass Kita- und Schulverpfegung sub- Kollegen! Liebe Frau Stauche, ja, Ihre Argumente waren ventioniert wird, und zwar von so vielen Stellen, dass es mir leider schon vorher bekannt. Deshalb gestatten Sie im Prinzip gar nicht mehr überschaubar ist. Da macht es mir, dass ich zu unserem Bundesprogramm „Kita- und doch viel mehr Sinn, sie von einer Stelle aus über Steu- Schulverpfegung“ die folgenden Anmerkungen mache. ermittel zu fnanzieren, damit alle Menschen in Deutsch- land einen Beitrag leisten und damit alle Familien ent- Ich glaube, jedes Kind in Deutschland wäre froh, lastet werden. Sie sind doch die Partei, die immer groß wenn es im Laufe seines Schultages eine anständige Ver- predigt, mehr für die Familien zu tun. sorgung erhielte. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Aber hier sagen Sie, die Familien sollten selber zahlen. Viele Kinder sitzen nämlich mit hungrigem Magen in der Das ist doch Quatsch. Ich will, dass alle Steuerzahler Schule. dazu beitragen, dass alle Kinder anständig versorgt sind, (Carola Stauche [CDU/CSU]: Wo sind die und zwar egal, welches Einkommen die Eltern haben. Eltern?) Kindergeld kriegen doch auch alle, da stört es doch auch niemanden. Da frage ich Sie, Frau Kollegin: Wie absolvieren diese Kinder ihren Schulalltag, und mit welchem Schulab- (Beifall bei der LINKEN) schluss gehen diese Kinder dann von der Schule? Wir Aber bei der Kita- und Schulverpfegung sollen gerade wissen, wir haben hier leider ein Problem: Eine viel zu die armen Kinder außen vor bleiben? Aus Ihren Vorstel- große Zahl von Kindern erwirbt keinen Schulabschluss. lungen werde ich nicht mehr schlau. Das ist Diskriminie- Da verlieren wir als Gesellschaft wirklich eine Menge an rung pur. Zukunftsperspektiven für alle. Dann haben wir noch das Problem mit der Mehrwert- (Beifall bei der LINKEN) steuer . Wir hätten im Prinzip schon vor zehn Jahren dar- Wir haben unseren Antrag vorher mit vielen Akteu- angehen können, die blöde Mehrwertsteuer auf Kita- und rinnen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft reifich Schulverpfegung abzuschaffen. Aber nein, der Staat beraten: Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen muss 19 Prozent Mehrwertsteuer einnehmen, ausgerech- der Gewerkschaften – der GEW, der Gewerkschaft Nah- net bei einer Versorgung, die im Prinzip uns allen zugu- rung-Genuss-Gaststätten – über das Thema der Bezah- tekommt. Unser Gesundheitssystem proftiert davon, das lung der Beschäftigten gesprochen, wir haben mit den Sozialwesen proftiert davon. Die Kommunen und die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23675

Karin Binder (A) Schulen proftieren davon, aber auch die Kinder und de- Zum Zweiten ist es so: Die Verantwortlichen von gut (C) ren Familien. Alle proftieren davon, wenn wir diese blö- geführten Kindertageseinrichtungen oder Kindergärten de Mehrwertsteuer bei der Schulverpfegung abschaffen. legen, wie ich als Bürgermeister auch, Wert darauf, dass die Kindergärtnerinnen mit den Kindern zusammen das (Beifall bei der LINKEN) Essen vorbereiten. Ob das Essen geliefert wird, ob das Warum haben wir das noch nicht gemacht? Die CDU Essen bezahlt wird, das spielt überhaupt keine Rolle. hat im Ausschuss mittlerweile sogar eingestanden, dass (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es gibt man darüber in der nächsten Legislaturperiode sprechen doch nicht nur Dörfer in Deutschland! Es gibt könnte. Warum haben wir es dann in dieser Legislaturpe- auch große Städte!) riode nicht schon gemacht? Wir machen das. Und wenn ein Essen, wie bei uns, (Beifall bei der LINKEN) 1,85 Euro kostet, dann ist das keine Überforderung für die Eltern. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann Frau Kollegin Binder, zwei Kollegen hätten gerne weiß ich, was die Köche verdienen bei eine Zwischenfrage an Sie gerichtet. 1,85 Euro!) Zur Situation im Bundesland Thüringen, aus dem ich Karin Binder (DIE LINKE): komme. Unsere Landesregierung jetzt hat beschlossen, Aber gerne. dass ab 2018 das letzte Kindergartenjahr kostenlos ist. Im letzten Kindergartenjahr brauchen die Eltern also nichts Vizepräsident Johannes Singhammer: mehr zu zahlen. Wenn Sie das gestatten, dann fangen wir mit dem Kol- (Beifall bei der LINKEN) legen Weiler an. – Moment. Ich gebe Ihnen recht: Das ist eine gute Sache. Aber das Land wird, wie in der Vergangenheit auch, da- (CDU/CSU): Dr. h. c. Albert Weiler für nicht aufkommen. Wer muss dafür aufkommen? Das Frau Kollegin Binder, durch Lautstärke wird Ihre sind die Kommunen. Rede nicht besser. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist gelo- (Zuruf von der LINKEN: Doch! Die ist her- gen!) vorragend!) (B) Wir als Kommunen müssen das bezahlen. Das heißt, wir (D) können nicht mehr in Kindergärten investieren, weil wir (DIE LINKE): Karin Binder die Personalkosten vom Land nicht mehr erstattet be- Ich will, dass mich alle hören. kommen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Es geht ums Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Essen!) Ja, aber nicht alle Menschen sind gehörkrank, also zu- mindest ich nicht, obwohl ich nicht besonders gut höre. – Es ist ja schön, wenn Sie all diese Dinge beschließen, Gut, aber das war nicht das Thema. aber dann muss ich auch so konsequent sein und den Kommunen das Geld geben, das ihnen zusteht. (Zurufe von der LINKEN) (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich höre mir Ihre Argumente zwar an, aber ich weiß NEN]: Das ist doch schon lange nicht mehr nicht, wie weit weg Sie von der Basis sind. zum Thema!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist die Fehlleistung, die gerade von links kommt. Ich bin seit 12 Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister. Seit Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsi- dieser Zeit trage ich die Verantwortung für einen Kinder- denten. garten mit 12 Mitarbeitern und fast 60 Kindern. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben die Eltern angesprochen, die das Essen nicht bezahlen können. Ich sage Ihnen eines: Eltern, die Im Bereich Bildung gibt es ein Defzit. Es gibt 500 offene das Essen nicht bezahlen können, bekommen das Essen Lehrerstellen, die nicht besetzt werden. vom Träger bzw. vom Landratsamt bezahlt. Es verhun- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gert keiner im Kindergarten. NEN]: Es geht um Schulverpfegung!) (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es ist doch Es gibt offene Stellen in den Kitas. Es werden immer keiner verhungert! Das wäre ja noch schöner! wieder gute Vorschläge gemacht, aber es wird nicht ge- Darum geht es doch gar nicht!) sagt, wie sie gegenfnanziert werden sollen. Das ist das Erste. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ist das jetzt hier Wahlkampf?) (Zuruf von der LINKEN: Sie haben nicht verstanden, worum es geht!) Wir mussten mehr Personal einstellen. 23676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: dann, wie viel es wert ist. Die meisten Kinder sind froh (C) Herr Kollege Weiler. über jeden Apfel, über jede Milch, die sie in der Schule kostenfrei über das EU-Schulobstprogramm bekommen. Dieselben Kinder sollen es nicht zu schätzen wissen, (CDU/CSU): Dr. h. c. Albert Weiler wenn sie ein anständiges, qualitativ hochwertiges Mit- Und da frage ich mich – – tagessen bekommen, an dem sie möglicherweise sogar selbst beteiligt waren, zum Beispiel bei der Menüaus- Vizepräsident Johannes Singhammer: wahl oder der Aufstellung des Programms? Herr Kollege Weiler, die Redezeit ist für eine Frage All diese Punkte sprechen dafür, dass wir als Gesell- oder Anmerkung überschaubar. schaft dafür aufkommen, um Kommunen, Länder, Eltern zu entlasten, und dafür sorgen, dass ganz viele Kinder, Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): die heute durch den Rost fallen, eine Zukunftsperspek- Ja, Sie haben recht, Herr Präsident. – Ich frage Sie: tive haben. Legen Sie die Vorschläge, die Sie hier machen, auch in Thüringen vor? Dann bitten Sie dort den Ministerpräsi- (Beifall bei der LINKEN) denten Bodo Ramelow, dass er den Kommunen endlich Deshalb kann ich nur sagen: Springen Sie über Ihren das Geld gibt, das den Kommunen zusteht; immerhin hat Schatten, und stimmen Sie unserem Antrag zu. die Wirtschaft letztes Jahr 600 Millionen Euro und dieses Jahr 280 Millionen Euro erbracht. Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Johannes Singhammer: Vizepräsident Johannes Singhammer: So, wir müssen jetzt zur Beantwortung dieser Fra- Der Kollege Lenkert hat jetzt die Gelegenheit zu einer ge kommen. Jetzt hat zunächst die Kollegin Binder das Kurzintervention. Wort. Dann kommt der Kollege Schipanski. – Ich sehe gerade, er verzichtet. Dann hat sich noch Kollege Lenkert zu einer Kurzintervention gemeldet. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Frau Kollegin Binder, Sie haben zuerst das Wort. Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte hier ein paar Äußerungen klarstellen und dem Kollegen Weiler empfehlen, sich das Gesetz, das in dieser Woche in Thü- (B) (DIE LINKE): (D) Karin Binder ringen beschlossen worden ist, anzusehen. Den Eltern Herr Kollege, Sie haben in Ihrem Beitrag gerade die werden die Kitagebühren für das letzte Kindergartenjahr beste Begründung geliefert, warum der Bund hier in die erstattet – das ist richtig –, und zwar vom Land. Im Ge- Finanzierung einsteigen muss: setz steht ausdrücklich: Das übernimmt das Land. Das (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Land stellt den Kommunen für die Finanzierung 29 Mil- Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lionen Euro bereit. NEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski ist überhaupt nicht zuständig!) [CDU/CSU]: Woher kommt denn das Geld, weil die Kommunen zu wenig Geld haben und weil die Herr Lenkert?) Länder das nicht leisten können. Wir haben als Lösung ein gutes Rechenmodell vorgelegt: drei Viertel zu ein Das ist der erste Punkt. Viertel. Drei Viertel sollte der Bund übernehmen, der der Der zweite Punkt. Hier wurde festgestellt, dass es in Hauptnutznießer dieses Programmes wäre. Mit 4,50 Euro Thüringen zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt. Ja, das pro Kind und Tag würde der Bund für die Gestehungs- ist richtig. Nach 24 Jahren CDU-Landesregierung haben kosten aufkommen. Die Kommunen, die Länder, die wir nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer in Thürin- Schulträger würden mit circa 1,50 Euro belastet für all gen. das, was an Infrastruktur dranhängt. Sie hätten also eine hervorragende Lösung, um den Ländern und Kommunen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – die Versorgung der Kinder zu ermöglichen – mit unserem Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oh! In Bay- Programm. Ich frage Sie: Was stimmt daran nicht? ern stehen Tausende zur Einstellung bereit!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. In der Wahlperiode von 2009 bis 2014, CDU-geführte Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Landesregierung, gingen in Thüringen etwa 3 000 Lehre- NEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Al- rinnen und Lehrer in Pension. Eingestellt wurden 1 250. les!) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil die Mit dem unsinnigen Vorurteil, was nichts kostet, ist Kinderzahlen zurückgingen, Herr Lenkert! nichts wert, möchte ich wirklich einmal aufräumen. Wie Das ist Realität!) viele Kinder wissen denn überhaupt, ob oder was ihre Eltern bezahlt haben? Die stehen doch nicht mit dem Das ist die Realität von Thüringen gewesen. Die neue Geldbeutel an der Kasse, bezahlen ihr Essen und wissen Landesregierung hat bis heute 250 Lehrerinnen und Leh- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23677

Ralph Lenkert (A) rer mehr eingestellt, als Sie in der gesamten letzten Wahl- stehen wird. Wir als SPD-Bundestagsfraktion kämpfen (C) periode, nämlich fast 1 500. dafür, dass es aufgehoben wird. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ wir mehr Kinder haben!) CSU: Falsch!) Das heißt, wir haben Ihren Rückstand aufgeholt. Wir ar- – Das ist nicht falsch, sondern das ist gut. – Wir haben be- beiten daran, aber wir haben es noch nicht geschafft. reits einen Fuß in der Tür. In der nächsten Sitzungswoche werden wir das hoffentlich beschließen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie schaf- Der Bund engagiert sich dort, wo es ihm laut Grundge- fen es nicht! Genau! Sie schaffen es nicht!) setz erlaubt ist. Seit 2008 unterstützt er die Schulvernet- zungsstellen in den Ländern mit über 7,7 Millionen Euro. Noch kurz zu den Ausführungen der Kollegin Stauche. Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung hier auch Die CDU hat die Schulsanierung in Thüringen sträfich in Zukunft gerecht werden und ihre Vernetzungsstellen vernachlässigt. Es kam zu einem Sanierungsstau. Ihnen weiterhin fnanzieren. war die Schulsanierung nicht einmal 50 Millionen Euro in vier Jahren wert. Wir haben jetzt ein Programm mit Jüngst hat das Bundesministerium für Ernährung und 250 Millionen Euro aufgelegt. Das ist verantwortungs- Landwirtschaft ein Bundeszentrum für Ernährung ein- volle Politik. Wir machen es anders als die CDU, die hier gerichtet. Das Nationale Qualitätszentrum für gesunde im Bundestag erzählt, die Länder hätten zu viel Geld, Ernährung in Kita und Schule ist ein Organisationsteil weswegen sie es kürzen will, aber in Thüringen schreit: davon. Es arbeitet eng mit den Vernetzungsstellen zu- Wir haben nicht genug Geld. sammen. Das Nationale Qualitätszentrum entwickelt ge- rade unter anderem Standards für die Qualität des Essens (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- für unsere Kinder in Kitas und Schulen. Dabei arbeitet neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es eng mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu- sammen. Das unterstützen wir als SPD-Bundestagsfrak- Vizepräsident Johannes Singhammer: tion ausdrücklich. Auch wir sind dafür, endlich verbind- liche statt freiwillige Qualitätsstandards für Schulcaterer Die nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine und für das Essen in Kita und Schule einzuführen. Denn Pfugradt für die SPD. wie es mit der Freiwilligkeit ist, das wissen wir doch alle. (Beifall bei der SPD) In Berlin und im Saarland sind entsprechende Stan- dards seit Jahren eine Voraussetzung in den Rahmen- (B) verträgen für Caterer. Sie gehen also mit gutem Beispiel (D) Jeannine Pfugradt (SPD): voran. Dort dürfen nur Caterer Essen an Kitas und Schu- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen len ausliefern, die das Siegel der Deutschen Gesellschaft und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und für Ernährung tragen. Daran sollten sich, denke ich, alle Kollegen! Einer hochwertigen Verpfegung in Kita und Bundesländer orientieren. Schule stimmen wir als SPD-Bundestagsfraktion selbst- verständlich zu. Die Forderung der Partei Die Linke nach Wir dürfen in der Diskussion aber auch nicht verges- einer unentgeltlichen Kita- und Schulverpfegung halten sen, dass die Bundesländer oder Kommunen selbst die wir allerdings für unangemessen. Verantwortung tragen, den Kindern in Kitas und Schulen gutes Essen zu ermöglichen. Doch ob wir in jeder Schu- (Karin Binder [DIE LINKE]: Schade!) le eine Lernküche benötigen – die Einrichtung solcher Küchen wird im Antrag gefordert – und uns diese auch Warum sollte der Bund sämtliche Kosten für alle Kin- leisten können, das bezweife ich. Ob alle anderen all- der übernehmen? Dass wir diejenigen Eltern und Kinder gemeinbildenden Fächer, die die Schule während einer unterstützen, die sich tatsächlich keine Schulverpfe- Schulwoche anbietet, der richtige Lernort für das Kochen gung leisten können, ist unbestritten. Das ist Teil unseres sind, bezweife ich ebenso. Systems, und das ist auch gut so. Eine Gegenleistung in Form einer Bezahlung zu erbringen, hat für mich etwas So wie ich die Bundesländer bei der Qualität in der mit Wertschätzung zu tun. Gute und hochwertige Schul- Pficht sehe, sollten wir den Eltern die Verantwortung verpfegung hat einen Preis, und der sollte für alle El- überlassen, gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen, tern – ich betone: für alle Eltern – bezahlbar sein. ihnen aufzuzeigen, aus welchen Bestandteilen Gerichte bestehen, oder gemeinsam mit ihnen einkaufen zu gehen, Natürlich sind wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für auch wenn das manchmal schwer fällt und sehr nervig eine ausgewogene sowie hochwertige Essensversorgung ist. Da spreche ich aus eigener Erfahrung; das können in Kitas und Schulen, an der jedes Kind teilnehmen kann. Sie mir glauben. Wir können und sollten den Eltern nicht Deshalb sollten wir unbedingt gemeinsam eine Lösung jegliche Verantwortung abnehmen. suchen, wie der Bund die Länder und Kommunen fnan- (Beifall der Abg. Rita Stockhofe [CDU/ ziell unterstützen kann. Denn leider besteht noch im- CSU]) mer – das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen; aber ich weise immer, wenn ich hier stehe, darauf hin – Ernährungsbildung und -aufklärung halte ich für aus- das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im gesprochen wichtig. Doch für ein eigenes Schulfach, so Bildungsbereich. Ich hoffe, dass es nicht mehr lange be- meine ich, reicht das nicht. Es kann sehr gut in den höhe- 23678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Jeannine Pfugradt (A) ren Klassenstufen in den Sozialkundeunterricht integriert – Hören Sie doch einfach weiter zu! – Aber laut der gest- (C) werden. In der Grundschule könnte ich mir ein Fach rigen Aussage der Schulvernetzungsstelle ist die Versor- Schulgarten vorstellen. Die Abgeordneten aus den neuen gung der Kinder noch nicht kostenfrei. Setzen Sie ein Si- Bundesländern werden das noch kennen. Auch ich hat- gnal! Fangen Sie doch dort an! te als Kind dieses Schulfach. Es hat mir Spaß gemacht, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. und zu meinem Schaden war es nicht; das denke ich je- denfalls. Selbst tätig sein, lernen, wie etwas angepfanzt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – wird, gepfegt werden muss und geerntet wird, das ist, Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denke ich, wichtig. Kinder lernen, unsere Lebensmittel NEN]: Die SPD regiert in Thüringen, glaube auch mehr wertzuschätzen, wenn sie wissen, wie viel Ar- ich, doch auch?) beit und Mühe es macht, bis etwas auf dem Teller liegt und gegessen werden kann. Vizepräsident Johannes Singhammer: Des Weiteren stimmen wir für eine Mehrwertsteuer- Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für befreiung oder zumindest für eine Absenkung des Steu- Bündnis 90/Die Grünen. ersatzes auf 7 Prozent für Kita- und Schulverpfegung. (Beifall bei der SPD) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst Hundefutter zum Beispiel ist nur mit 7 Prozent besteuert. muss man mal feststellen, dass es offensichtlich für die Nichts gegen Tiere – ich selbst bin Hundebesitzerin –, CDU schwer zu ertragen ist, dass es unter Rot-Rot-Grün aber sind Tiere mehr wert als unsere Kinder? Diese Frage in Thüringen vorangeht. Ich fnde, das ist ein gutes Zei- stelle ich ganz provokativ in Richtung des Finanzminis- chen, aber offensichtlich wird das von Ihnen weniger ge- ters Herrn Schäuble. Das Bundesministerium für Ernäh- schätzt. rung und Landwirtschaft hatte gerade erst wieder ange- kündigt, dies in der nächsten Legislaturperiode erreichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu wollen. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die wollen immer alles in der nächsten Anders als Frau Stauche möchte ich zunächst der Legislaturperiode erreichen!) Kollegin Binder danken, dass sie dieses wichtige The- ma zum wiederholten Male auf die Tagesordnung gesetzt Darauf bin ich sehr gespannt. Ich wünsche allen Beteilig- hat. Wenn wir uns beim Thema Schulernährung auf Sie ten schon jetzt viel Erfolg. von der CDU/CSU verlassen hätten, dann wären wir ver- (B) Den Antrag der Linken fnde ich überzogen, und zwar lassen gewesen. (D) für alle Beteiligten. Die Forderung nach der frischen Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereitung von Mahlzeiten an jeder Schule bedeutet, dass und bei der LINKEN) jede Schule eine Köchin oder einen Koch sowie Küchen- hilfen benötigt. Eine Küche, in der man frisch zubereiten Sie haben doch in den letzten vier Jahren nichts auf kann, benötigt frische Produkte, die täglich angeliefert die Reihe gebracht, um das Essen unserer Kinder in Kita werden müssen. Diese Bedingungen erfüllen nicht ein- und Schule zu verbessern. Ich fnde, die Zwischenrufe mal die Kantinen hier im Bundestag. „Das geht nicht“, „Das Grundgesetz lässt das nicht zu“ usw. sind sehr bezeichnend dafür, dass Ihnen dieses The- (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist ma einfach nicht wichtig ist. Wenn einem etwas wichtig wohl wahr!) ist, dann kann man sogar das Grundgesetz ändern. Das Wie soll das mit 4,50 Euro pro Kind pro Tag bezahlt und werden Sie diese Woche auch tun – beim Thema Auto- logistisch umgesetzt werden? bahn. Es schlägt ja das schwarze Herz besonders hoch, wenn es um Beton geht. Da haben Sie kein Problem, das Aber nicht alles im Antrag ist schlecht. Einige For- Grundgesetz zu ändern. Wenn es jedoch um Bildung und derungen unterstützen wir als SPD-Bundestagsfrakti- um Schulessen geht, dann halten Sie am Kooperations- on. Besonders gut gefällt mir persönlich, dass Sie einen verbot fest, als wäre es eine religiöse – keine Ahnung – ganzheitlichen Ansatz hinsichtlich der Kita- und Schul- Reliquie, Erscheinung, an die man nicht fassen darf. Das verpfegung haben. Denn Essen ist mehr als reine Nah- fnde ich ziemlich peinlich und zeigt politische Hand- rungsaufnahme. Es verbindet Kinder miteinander. lungsunfähigkeit. Einer unentgeltlichen Verpfegung in Kita und Schule (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, können wir aber dennoch nicht zustimmen. bei der SPD und der LINKEN) Ein bisschen ist ja schon über den Freistaat Thüringen Ich habe vorhin den Zwischenruf gehört, wir hätten ja gesagt worden. Wie sieht es dort eigentlich wirklich aus? das tolle Bildungs- und Teilhabepaket, damit wäre für die Sie als Linke sind ja dort schon einige Zeit in der Regie- armen Kinder beim Thema Schulessen alles geklärt. – rungsverantwortung und könnten ein Signal setzen. Ich Mitnichten! Dieses Ding ist ein bürokratisches Monster. habe gehört: Das letzte Jahr in der Kita ist kostenfrei. – Es gibt auch für die ärmsten Kinder immer noch die Zu- Das ist ja schön. zahlung von 1 Euro. Daran scheitert es oft bei Familien, (Zuruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE die zum Beispiel im Hartz-IV-Bezug sind. Wenigstens LINKE]) diesen Euro hätten Sie in dieser Legislaturperiode weg- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23679

Nicole Maisch (A) machen können. Das wäre das Mindeste gewesen, was stellen sparen Sie am falschen Ende. Das ist ziemlich (C) Sie für die Kinder, die Probleme bei der Finanzierung des traurig. Essens haben, hätten tun können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und weil der Minister ansonsten nicht so furchtbar Aber schauen wir uns doch einmal an, was der Minis- viel zum Thema Schulernährung beizutragen hat, reitet ter Schmidt gemacht hat. Frau Stauche hat ja gesagt, die er weiter ein totes Pferd, das Schulfach, das keiner will. Linken könnten alle nicht mit Geld umgehen. Interessant In jedem dritten Interview sagt er, wir sollten eigentlich ist, zu schauen, was Herr Schmidt mit unseren Steuer- ein Schulfach Ernährung haben. Kein Bildungspolitiker, geldern gemacht hat. 2,4 Millionen Euro hat er für eine nicht von der CDU – vielleicht irgendeiner von der CSU; sogenannte „Macht Dampf!“-Kampagne ausgegeben, ich weiß es nicht –, von der SPD, von den Grünen, von 2,4 Millionen Euro für einen Rohrkrepierer! Die Eltern, den Linken, will das, aber der Minister fordert und for- also Sie und ich, konnten sich im Internet eine Broschüre dert und fordert und lässt sich auch von Experten, die herunterladen und sollten sich hinterher bei ihrer Schule er selber mit Medaillen auszeichnet, führende Ökotro- beschweren, wenn das Essen schlecht ist. Die Idee war phologinnen, die ihm einen Brandbrief schreiben, er sol- schon mal schlecht, aber die Resonanz war noch viel le das doch bitte lassen, das wäre kontraproduktiv und schlechter. Diese Broschüre wurde bundesweit 329 Mal schädlich, nicht belehren. Aber das alles fcht ihn nicht heruntergeladen, zehnmal davon von mir, weil ich ja im- an. Er fordert es weiter. Konsequenzen hat das ja ohnehin mer gucke, was der Minister macht. keine – wie das meiste, was er in der Presse angekündigt hat. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, bei der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, knapp über 300 Leute haben diesen Kram Ich fnde, wenn Ihnen das Essen unserer Kinder am bundesweit heruntergeladen; 2,4 Millionen Euro hat es Herzen liegt – ich denke, das ist uns allen ein Anliegen –, gekostet. Das ist peinlich! dann sollten Sie das Kooperationsverbot endlich aufhe- ben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wenn Sie das nicht hinkriegen, dann schaffen Sie we- Aber das war ja nicht alles. Es gab diese teure Bro- (B) nigstens einen Verpfegungspakt mit den Ländern. (D) schüre, aber der Minister hat auch bundesweit Plakate aufgehängt, 2 800 im ganzen Bundesgebiet, 570 allein in (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/ Berlin – damit er sie auch mal sieht. DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ah!) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Warum muss uns das am Herzen liegen? Warum brau- chen wir besseres Essen in Kita und Schule? 16 Prozent In Sachsen-Anhalt mit 2,2 Millionen Einwohnern gab unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig, es ganze acht Plakate zur Verbesserung der Schulernäh- 6,3 Prozent sind sogar adipös. Das ist doppelt so viel wie rung. Da frage ich mich: Welche Sachsen-Anhaltiner ha- zu der Zeit, als ich ein Kind war, also in den 90ern. Bei ben denn davon proftiert? Wer hat die überhaupt gese- den Erwachsenen ist es noch schlimmer. In meinem Alter hen? In diesem ganzen Flächenland acht Plakate, und das sind die meisten Männer schon quasi übergewichtig. Ein soll jetzt das Essen der Kinder verbessern? Das ist doch Mann, der mit Mitte 30 normalgewichtig ist, ist in seiner absurd, und das ist peinlich! Das ist ein Geaase mit dem Altersklasse in der Minderheit. Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie sollten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vielleicht etwas zu sich nehmen, damit Sie ein und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten bisschen ruhiger werden!) der SPD) Ich fnde, solche Zustände können uns nicht egal sein. An anderer Stelle kriegen Sie jedoch das Portemon- naie nicht auf. Für die Schulvernetzungsstellen, die wirk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich eine wichtige Institution sind, um das Essen in Kitas und bei der LINKEN) und Schulen zu verbessern, geben Sie 290 000 Euro ins- Nichts gegen dicke Männer, aber es ist natürlich wirk- titutioneller Förderung aus, für alle 16 Bundesländer, für lich ein Problem, wenn Kinder und Jugendliche über- alle Kinder in Deutschland. Dazu gibt es 1 Million Euro gewichtig sind, wenn sie Diabetes und Schwierigkeiten an Projektmitteln. Aber wenn man nicht den institutio- mit den Gelenken bekommen. Das können wir alle nicht nellen Wums hat, um Projekte zu beantragen, wenn man wollen. Gutes Essen in Kita und Schule ist ein Schlüssel keine Mitarbeiter, keine Geschäftsstelle hat, wie soll man dafür, das zu ändern. denn dann Projektmittel beantragen? 2,4 Millionen Euro für etwa 300 Broschüren, die heruntergeladen wurden, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch das ist kein Problem für Sie. Bei den Schulvernetzungs- Frauen, die korpulente Männer mögen!) 23680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Nicole Maisch (A) Meine Damen und Herren, die letzten vier Jahre wur- lungsreich und regional geprägt ist und dass Ökoproduk- (C) den vom Minister mehr als schlecht genutzt. Die nächste te verwendet werden. Ministerin sollte das besser machen. Allerdings möchte ich hier weniger den Weg der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reglementierung als vielmehr den Weg der Freiwilligkeit und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten vorschlagen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten: der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bes- Wenn Kommunen, Schulen und Eltern die Verpfegung ser kochen! Der nächste Minister soll besser auf lokaler Ebene gemeinsam organisieren, dann wird kochen!) das angenommen und auch unterstützt. Ich könnte das gleiche Beispiel nennen wie der Kollege Albert Weiler. Vizepräsident Johannes Singhammer: Auch in meiner Kommune hat das über viele Jahre hin- weg wunderbar funktioniert. Das geht also sehr gut. Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois Rainer. (Karin Binder [DIE LINKE]: Aber in einer Großstadt wie München klappt das nie und (Beifall bei der CDU/CSU) nimmer!) Natürlich darf gutes Essen – es ist gute Ware – auch Alois Rainer (CDU/CSU): etwas kosten. Das ist richtig so. Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon eine interessante Debatte. Es soll (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) um eine hochwertige und unentgeltliche Essensversor- Ich meine – so habe ich es auch in der öffentlichen Anhö- gung in Kita und Schule gehen, wir debattieren aber zum rung gehört –: Viel wichtiger als die Kosten ist, dass man Teil über übergewichtige Männer mittleren Alters gemeinsam mit dem Caterer, den verantwortlichen Leh- (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, das ist das rern und den Eltern anhand von Leitlinien für gesunde Ergebnis!) Ernährung eine ausgewogene Ernährung zur Verfügung stellt. Ich denke, da sind wir uns im Großen und Ganzen oder über Mittel für den Schulausbau in Thüringen, der einig. irgendwann mal kommen wird. Im Übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf Bayern verweisen. Bayern hat dazu am Dienstag die Es liegt ein Antrag vor, über den wir hier debattieren, Leitlinien Schulverpfegung herausgegeben: Mit gutem weil er eingereicht wurde. Aber wir sind nicht zuständig. Essen Schule machen – Genussort Mensa. Die Broschü- (B) Die Zuständigkeit liegt nämlich ganz klar bei den Län- re kann ich Ihnen gerne geben. Da kann man nachlesen, (D) dern und bei den Kommunen. dass dieses System in Bayern sehr gut funktioniert. Da- bei soll es das Ziel sein, diese Leitlinien im jeweiligen (Beifall bei der CDU/CSU) Schulleitbild zu verankern. Gute Schulverpfegung muss als Teil eines gelingenden Schullebens selbstverständlich Ganz so einfach wollen wir es uns natürlich auch nicht werden. machen. Man muss einfach festhalten: Wir leben in ei- nem föderalistisch aufgebauten Staatssystem, und darin Lassen Sie mich kurz auf die Forderung in Ihrem gibt es nun einmal feste Zuständigkeiten. Antrag nach unentgeltlicher Essensversorgung einge- hen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Ich sage Ihnen auch: Das Kooperationsverbot aufzu- Sie fordern die Bundesregierung auf, dass der Bund den heben, wäre meines Erachtens nicht zielführend; es wäre Ländern eine Pauschale von 4,50 Euro pro Kind bzw. pro völlig falsch. Und die Schulverpfegung bundesweit zu Jugendlichen je Verpfegungstag zahlen soll. steuern und zu reglementieren, wäre genauso falsch.

(Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht nur ums Vizepräsident Johannes Singhammer: Finanzieren, Herr Kollege, nicht ums Steu- Herr Kollege Rainer, gestatten Sie eine Zwischenfrage ern!) der Kollegin Bulling-Schröter? – Ja, ich komme noch zum Finanzieren, Frau Kollegin. (CDU/CSU): Kita- und Schulverpfegung müssen diejenigen regeln Alois Rainer und auch fnanzieren, die vor Ort dafür zuständig sind, Natürlich. und das sind einfach die Kommunen und die Länder. Diese und nicht schon wieder der Bund, der die Kom- Vizepräsident Johannes Singhammer: munen und Länder in dieser Legislaturperiode sowieso Dann hat sie das Wort. schon unterstützt wie noch nie, sind hier die Sachauf- wandsträger. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank, Kollege Rainer. – Sie haben behauptet, in Bayern sei alles in Ordnung. Es gibt ja einen Minister- Es ist unumstritten, dass gesunde Ernährung eine gro- präsidenten, der schon vom Paradies spricht. ße Bedeutung in der Gesellschaft haben muss. Einige Ziele bei der Schulverpfegung empfnde ich als durch- Jetzt gibt es diese Ausschreibungsverordnung. Viel- aus vernünftig, zum Beispiel, dass sie gesund, abwechs- fach wird das Essen nicht in den Schulküchen in Bay- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23681

Eva Bulling-Schröter (A) ern gekocht – vielleicht bei Ihnen, bei mir in Ingolstadt bleibe dabei: Das ist einfach so. Wenn das Essen nichts (C) nicht –, sondern es wird von weither angeliefert. Ein kostet, dann ist es auch nichts wert. Blick auf den Preis zeigt, dass das angelieferte Essen vielleicht um 10 Cent billiger ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einmal Ich halte dieses Vorgehen für falsch; denn es ist sinn- kurz auf eines eingehen: Bildung ist zwar Ländersache, voll, das Essen vor Ort zu produzieren. Sie selber haben aber unser Landwirtschaftsministerium hat einiges da- gesagt: Lebensmittel müssen etwas kosten. – Darin sind für getan. Schon seit 2008 setzt sich das BMEL für eine wir uns einig: Gute Lebensmittel kosten einfach etwas. Verbesserung der Verpfegung in den Kitas und Schu- Sehen Sie nicht Handlungsbedarf dahin gehend, dafür zu len sowie der vorschulischen Ernährungsbildung ein. sorgen, dass das Essen vor Ort aus regionalen Produkten Das BMEL hat die Vernetzungsstellen für die Kita- und zubereitet wird? Denn unsere beiden Parteien setzen sich Schulverpfegung seit 2008 mit insgesamt 7,7 Millionen ja explizit für regionale Wirtschaftskreisläufe ein. Euro gefördert. (Beifall bei der LINKEN) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben Sie gekürzt!) Alois Rainer (CDU/CSU): Ein wichtiger Meilenstein ist meines Erachtens die Sehr verehrte Frau Kollegin Bulling-Schröter, wir ha- Errichtung des Nationalen Qualitätszentrums für Ernäh- ben uns schon öfter über gute und nachhaltige Verpfe- rung in Kita und Schule – wir haben uns kürzlich im Aus- gung unterhalten. Natürlich wäre es vernünftig und gut, schuss damit befasst –, das seit Februar 2017 im Rahmen wenn das Essen vor Ort aus frischen und regionalen Pro- des neuen Bundeszentrums für Ernährung tätig ist. dukten zubereitet würde. Leider Gottes geht das nicht im- mer. Deshalb gibt es die Informationen der Vernetzungs- Das Nationale Qualitätszentrum ist ein zentraler Bau- stelle Kita- und Schulverpfegung Bayern. Es soll wohl stein der Qualitätsoffensive für besseres Essen in Kita auch bei uns in einigen Bereichen noch Nachholbedarf und Schule. Es bereitet in Kooperation mit der Deut- geben. Ich hoffe natürlich, dass wir den einen oder ande- schen Gesellschaft für Ernährung ein Verfahren vor, mit ren Caterer fnden, der das macht. Es ist immer schwie- dem sich Caterer und Essensanbieter als besonders qua- rig, eine Kita, die – in Anführungszeichen – nur 30 oder lifzierte Vertragspartner für Kitas und Schulen empfeh- 40 Essen benötigt, wirtschaftlich mit Essen zu versorgen. len können. Ich kann es nur gutheißen, dass es – Frau Trotzdem sind wir, denke ich, auf einem guten Weg. Wir Pfugradt hat es schon gesagt – Auszeichnungen für Ca- beide können uns dahin gehend weiter austauschen. terer gibt. Das ist gut; daran müssen wir weiter arbeiten, und das wollen wir auch. Denn Qualität muss das oberste (B) (D) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Der Mann Ziel sein. versteht was von der Sache!) Mit dem Wettbewerb „Klasse, Kochen!“ prämiert das Zurück zu den Kosten. Liebe Kolleginnen und Kolle- BMEL bereits seit sieben Jahren die besten Schüleride- gen von den Linken, ich habe das Ganze kurz überschla- en zur Nutzung von Schulküchen. Mehr als 60 Schulen gen. Bei 6 Millionen berechtigten Kindern am Tag macht haben eine hochwertige Schulküche gewonnen. Das ist das 27 Millionen Euro täglich. Liebe Freunde, 27 Millio- unglaublich wichtig. nen Euro täglich ist eine unglaubliche Summe. Wenn ich diese Zahl mit circa 200 Schultagen multipliziere – in der Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, Kita sind das noch mehr Tage mit Verpfegung –, komme das Ziel muss sein, anhand von Leitlinien bundesweite ich auf ein Ergebnis von circa 5,4 Milliarden Euro. Wenn Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule zu ich die Kitatage noch hinzunehme, bin ich wahrschein- defnieren. In diesem Sinne freue ich mich auf viele wei- lich bei circa 6 Milliarden Euro. Das ist eine unglaubli- tere Debatten zu diesem Thema. che Summe. Danke schön. Vor allem gibt es über das SGB II schon die Möglich- (Beifall bei der CDU/CSU) keit, sich die Kosten erstatten zu lassen. Der Betrag von 10 Euro monatlich bezieht sich auf Vereine. Nein, Fami- lien mit Kindern bekommen die Kosten für die Verpfe- Vizepräsident Johannes Singhammer: gung ganz erstattet. Ja, Frau Kollegin Maisch, der eine Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Euro muss zurückgezahlt werden, weil in den Regelsät- Elvira Drobinski-Weiß das Wort für die SPD. zen Ausgaben für Verpfegung enthalten sind. Darüber (Beifall bei der SPD) könnte man diskutieren; da bin ich ganz bei Ihnen. Es ist eben so. Aber die Behauptung, dass Kinder aus fnanz- schwachen Familien das nicht bekommen, ist meines Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Erachtens nicht richtig. Das muss man am Ende des Ta- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ges ja auch fnanzieren. Gerade für fnanziell schwächere Verehrte Gäste auf den Tribünen! Eine fächendeckende, Familien ist es möglich, hier eine Unterstützung zu er- qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpfegung hat halten. für die SPD-Bundestagsfraktion ernährungspolitisch die höchste Priorität. Es ist vorhin gesagt worden – das ist nicht verwerf- lich –: Was nichts kostet, ist einfach nichts wert. – Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 23682 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Elvira Drobinski-Weiß (A) Ich meine damit selbstverständlich eine Schulverpfe- bensmittelwirtschaft erwarte ich deutlich mehr Engage- (C) gung, an der jedes Kind unabhängig vom Geldbeutel der ment und weniger business as usual und Blockade. Eltern teilnehmen kann. Allen Kindern eine gute und gesunde Ernährung zu Die Kollegin Pfugradt hat bereits einiges dazu aus- ermöglichen, ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit, eine geführt. Wir wollen und müssen in dieser Frage endlich Frage der Chancengleichheit. Deshalb hat das auch für vorankommen. uns höchste Priorität. Und deshalb werden wir auch f- nanzierbare und tatsächlich umsetzbare Lösungen fnden. Nun wissen wir aber auch alle miteinander, wie schwierig die konkrete Umsetzung dieser eigentlich ein- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fachen Idee ist. Wir diskutieren hier ja nicht zum ersten (Beifall bei der SPD) Mal darüber. Und ja, über das ganz konkrete Wie gehen die Vorstellungen auseinander, auch hier in der ersten Reihe. Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratin- Vizepräsident Johannes Singhammer: nen ist aber klar: Gutes, gesundes und bezahlbares Essen Vielen Dank für die Punktlandung, was die Redezeit muss in allen Kindertagesstätten und Schulen zum Stan- betrifft. – Damit schließe ich die Aussprache. dard werden. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesprogramm Doch damit ist es nicht getan. Gute, gesunde Ernährung Kita- und Schulverpfegung – Für alle Kinder und Jugend- muss auch außerhalb der Schule leichter werden. lichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensver- sorgung sicherstellen“. Der Ausschuss empfehlt in sei- Und weil zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kol- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12178, den legen von der Linken, liebe Karin Binder, inzwischen, Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8611 glaube ich, alle Argumente ausgetauscht sind, erlaube ich abzulehnen. Wer für die Ausschussbeschlussempfehlung mir, den Bogen etwas weiter zu spannen. Selbst wenn stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt wir nämlich aus der Schule einen Ort machen, an dem dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- gesundes Essen selbstverständlich ist, haben wir immer lung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD noch jede Menge anderer Baustellen. Denn während eine gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal- ausgewogene Ernährung theoretisch gar nicht so kompli- tung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. ziert ist – viel Obst und Gemüse, wenig Salz und Zucker, viel Wasser und Vollkorn –, ist sie ganz praktisch im All- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: (B) tag oft ziemlich schwierig. Fast Food und Süßigkeiten – Beratung der Beschlussempfehlung und (D) an jeder Ecke, verwirrende Nährwertkennzeichnungen, des Berichts des Auswärtigen Ausschusses unausgewogene Fertigprodukte, die als gesundheitsför- (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- dernd verkauft werden, eine Geschmacksprägung auf zu gierung viel Zucker, Salz und Fett schon im Kindesalter: Die Lis- te der Dinge, die eine ausgewogene Ernährung erschwe- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter ren, ist lang. deutscher Streitkräfte an der Militärmis- sion der Europäischen Union als Beitrag Wenn wir alle Kinder und natürlich auch ihre Eltern, zur Ausbildung der malischen Streitkräfte alle Verbraucherinnen und Verbraucher insgesamt dabei (EUTM Mali) unterstützen wollen, gesund zu essen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die gesündere Wahl im Alltag auch zur Drucksachen 18/11628, 18/12205 leichteren wird: Wir brauchen Kassenzonen ohne Süßig- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- keiten und Fertigprodukte mit weniger Zucker und Salz. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Wir brauchen die Ampelkennzeichnung und aus meiner Sicht auch eine gesetzliche Beschränkung für das an Kin- Drucksache 18/12206 der gerichtete Lebensmittelmarketing. Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mentlich abstimmen. LINKEN) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch Die freiwilligen Selbstverpfichtungen der Lebens- dagegen erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen. mittelindustrie auf diesem Feld – sie funktionieren nicht. Das hat ja gerade erst eine Studie belegt, die die AOK Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn als ers- in Auftrag gegeben hat. Wir reden immer darüber, wie ter Rednerin der Kollegin Dr. Edelgard Bulmahn für die wichtig Ernährungsbildung in Kita und Schule ist. Ja, das SPD das Wort erteilen. ist sie. Aber das Wissen muss auch im Alltag umsetzbar sein. Ich erwarte vom Minister für Ernährung beispiels- (Beifall bei der SPD) weise, dass er jetzt endlich mal etwas zur nationalen Re- duktionsstrategie im Hinblick auf Zucker, Salz und Fett Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (SPD): sowie zur Frage vorlegt, wie er Kinder – wie es in seinem Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Grünbuch heißt – vor irreführenden Werbeaussagen und Damen und Herren! 2012 stand Mali am Abgrund. Die- falschen Kaufanreizen schützen will. Und von der Le- ses Land drohte infolge des Putsches, des Wiederauf­ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23683

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) fammens der Tuareg-Rebellion und des Vormarsches hat – um einen ganzheitlichen und kohärenten Ansatz bei (C) islamistischer Banden zu zerbrechen, zu einem „Failed diesem Einsatz, der nicht alleine auf die Stärkung militä- State“ zu werden. Nur das entschlossene Eingreifen rischer Strukturen abhebt. Allerdings stellt die Stärkung Frankreichs hat Schlimmeres verhindert und die Ein- der militärischen Strukturen in dem Sinne, wie ich es be- leitung eines Friedensprozesses ermöglicht, der 2015 in schrieben habe, eine wesentliche Komponente dar. Die den Abschluss eines Friedensvertrages mündete – ein Arbeit der Bundeswehr ist wichtig. umfangreicher Vertrag, der nicht den Abschluss eines (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Prozesses markierte, sondern vielmehr ein Programm der CDU/CSU) zur Überwindung wirklich tiefgreifender Konfikte dar- stellte. Und er zeigte einen Weg zu einem dauerhaften Wir wissen sehr wohl zu schätzen, was die Soldatinnen Frieden auf. und Soldaten dort jeden Tag leisten. Wir wissen aber auch, dass die militärische Komponente allein nicht aus- Meine sehr geehrten Damen und Herren, das militäri- reicht; denn Sicherheit lässt sich auf Dauer nur gewähr- sche Eingreifen damals war notwendig. Es war notwen- leisten, wenn auch die zivilen Sicherheitsstrukturen ge- dig, um zum einen die Zivilbevölkerung zu schützen. Es stärkt werden und die Voraussetzungen für Sicherheit der war aber auch notwendig, um überhaupt die Aufnahme Menschen und Rechtsstaatlichkeit geschaffen werden. eines politischen Verhandlungsprozesses zu ermöglichen, der dann zu diesem Friedensvertrag führte. Der Konfikt Deshalb engagieren wir uns in Mali nicht nur in der selbst wurde dadurch – das ist jedem klar – nicht über- Ausbildung von Militär, sondern auch für die wirtschaft- wunden. Eine tatsächliche Überwindung des Konfiktes liche Entwicklung des Landes. Wir engagieren uns mit erfordert weitaus mehr. Nachhaltige Friedenssicherung der EU-Mission EUCAP und der zivilen Komponente, verlangt, dass man die Ursachen eines Konfiktes besei- der VN-Mission MINUSMA, in der Ausbildung von Po- tigt bzw. zumindest mildert sowie Institutionen und Ver- lizeikräften. So sind allein für die Polizeiausbildung in fahren zur friedlichen Regelung von Konfikten etabliert. beiden Missionen über tausend Polizistinnen und Poli- Die Konfiktregionen müssen gemeinsam mit den Kon- zisten in Mali tätig. Wenn wir heute über die Fortsetzung fiktparteien die Voraussetzungen und die Strukturen für der Beteiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der ein friedliches Zusammenleben schaffen. Das gilt auch malischen Streitkräfte entscheiden, sollten wir diese Mis- für Mali. sion daher nicht isoliert betrachten. Vielmehr müssen wir sie in den Kontext unseres Gesamtengagements stellen Entscheidend für den Prozess, der in Mali begonnen und genau in diesem Kontext betrachten und diskutieren. wurde, sind der Aufbau und die Stärkung rechtsstaatli- cher Strukturen und demokratischer Institutionen. Das ist Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär. Erst im die entscheidende Voraussetzung. Januar hatte MINUSMA, die Friedensmission der UN, (B) einen verheerenden Anschlag mit 80 Toten in einem ih- (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rer Camps zu beklagen. Diese prekäre Sicherheitslage der CDU/CSU) ist zu einem erheblichen Teil die Folge einer zu zöger- Entscheidend sind auch die Bekämpfung von Armut, lichen Umsetzung des Friedensprozesses. Andererseits Hunger und Not sowie die Verbesserung von Lebens­ gibt es deutliche Fortschritte – auch diese sind in Mali chancen und Perspektiven, also eine nachhaltige wirt- zu beobachten –, die Hoffnung auf eine Befriedung und schaftliche und soziale Entwicklung. eine Überwindung des Misstrauens zwischen den unter- schiedlichen Gruppierungen machen. Ich nenne als Bei- Entscheidend sind des Weiteren die Bekämpfung der spiele die Abhaltung der Kommunalwahlen im vergange- organisierten Kriminalität, die ein riesiges Problem dar- nen Herbst, die Einrichtung von Interimsregierungen im stellt, und die effektive Bekämpfung der Korruption. Norden und die Durchführung gemeinsamer Patrouillen, Entscheidend sind ebenfalls die Einhaltung der Men- in denen regierungsnahe Soldaten oder Polizisten mit schenrechte, gute Regierungsführung und die Durchset- ehemaligen separatistischen Tuareg und Rebellengrup- zung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Sicherheit pen zusammenarbeiten. Ich konnte selber eine solche Pa- der Menschen gewährleistet und all das, was ich eben trouille begleiten und beobachten. Es ist wirklich beein- beschrieben habe, überhaupt erst ermöglicht und die Vo- druckend, was dort in den letzten Jahren geleistet worden raussetzungen dafür schafft, dass das tatsächlich geleis- ist. tet wird. Dazu gehören insbesondere der Wiederaufbau von Polizei und Justiz, aber auch eine Armee, die sich Diesen Prozess sollten wir offensiv weiter begleiten dem Leitbild der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der und unterstützen. Menschenrechte verpfichtet fühlt. Deshalb ist es not- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wendig und richtig, dass sich die Bundesrepublik bereit erklärt hat, die malische Armee dabei zu unterstützen, ein Es gilt, diesen Prozess so zu begleiten, dass er wirklich entsprechendes Leitbild zu entwickeln und leistungsfähi- Erfolge zeitigt, dass er dazu beiträgt, dass der Friedens- ger zu werden, damit sie die wichtige Aufgabe des Schut- prozess gelingt; denn wir wissen, dass das eine erhebli- zes der Bevölkerung erfüllen kann. che Rolle spielt und es entscheidend für die weitere Ent- wicklung Malis, aber auch für die weitere Entwicklung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von ganz Westafrika ist. der CDU/CSU) Ich will noch einen kritischen Punkt ansprechen, Es geht also – das sage ich insbesondere an die Adresse­ der uns alle, glaube ich, betrifft und weil wir alle dies- der Fraktion Die Linke, die sich immer dagegen verwahrt bezüglich Verantwortung tragen. Was ein Problem dar- 23684 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) stellt, ist die schleppende Umsetzung der Vereinbarung ter dem Deckmantel der uneigennützigen Ausbildungs- (C) zur Dezentralisierung staatlicher Gewalt. Dazu gehören unterstützung baut die Bundesregierung eine militärische zum Beispiel die stärkere Einbeziehung des Nordens in Dauerpräsenz in Mali auf, um in dieser rohstoffreichen die nationalen Institutionen, vor allem aber die Verlage- Region an Einfuss zu gewinnen. rung von Kompetenzen auf die regionale Ebene und der Aufbau von effektiven regionalen Verwaltungsstrukturen (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) und auch einer lokalen Verwaltung. Dazu gehört auch die Dazu ist die Beteiligung an EUTM Mali genauso wie Zuweisung von fnanziellen Mitteln in die Regionen, die an der UN-Mission MINUSMA ein Baustein. Die große diese eigenständig verwalten und verausgaben dürfen. Mehrheit der Bevölkerung in Mali hat davon nichts. Des- Das ist Teil des Friedensvertrages, und zwar ein ganz halb fordern wir, die Linke, den unverzüglichen Abzug wesentlicher Teil. Gerade bei diesem Punkt habe ich bei der deutschen Soldatinnen und Soldaten aller Missionen meiner letzten Reise nach Mali im Februar dieses Jah- aus Mali. res leider sehr viel Zögerlichkeit zur Kenntnis nehmen (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens müssen. Hier stehen wir als internationale Partner in der [CDU/CSU]: Das ist immer der gleiche Rede- Verantwortung, gegenüber der malischen Regierung sehr text! Wird es nicht langweilig, das vorzutra- deutlich zu machen, dass unsere Hilfe bei der Stärkung gen?) des Sicherheitssektors nur dann langfristigen Erfolg brin- gen kann, wenn auch der Friedensvertrag und insbeson- Tatsache ist: Je länger die internationalen Militär- dere die konfiktentschärfende Dezentralisierung umge- einsätze laufen, desto unsicherer wird Mali. Opfer sind setzt werden. malische Zivilisten, aber auch malische Soldaten. Frau Bulmahn hat es angesprochen: Im Januar wurden bei (Beifall bei der SPD) einem verheerenden Anschlag auf das Lager einer ge- Das ist die Aufgabe von uns allen. Die Stärkung des mischten Patrouille aus Tuareg und malischen Soldaten Sicherheitssektors, der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit 79 Personen getötet. Der Anschlag fand übrigens im auf der einen Seite und die effektive Dezentralisierung nordmalischen Gao statt, in unmittelbarer Nähe zum auf der anderen Seite – das sind die entscheidenden Vo- Camp Castor, wo auch die Bundeswehr stationiert ist. raussetzungen für die Stabilisierung Malis, und dafür Auch dieses Camp war bereits Ziel von Anschlägen. lohnen sich unsere Unterstützung und unser Einsatz. Ich sage hier ganz deutlich: Wer dem Einsatz weiter zu- Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Antrag stimmt, riskiert auch das Leben der entsandten Soldatin- und für den Einsatz. nen und Soldaten. Das ist ein weiterer Grund, warum wir gegen diesen Einsatz sind. Vielen Dank. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Im letzten Jahr es- GRÜNEN) kalierte beispielsweise im Zentrum Malis in der Region Ségou ein ethnisch aufgeladener Konfikt. Dort leiden die Peuls, ein traditionelles Hirtenvolk, doppelt: unter Vizepräsident Johannes Singhammer: Angriffen von Dschihadisten, aber auch unter rassistisch Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin motivierten Übergriffen. Die malische Armee, um de- Christine Buchholz das Wort. ren Ausbildung es hier geht, spielt dabei eine unrühm- (Beifall bei der LINKEN) liche Rolle. Obwohl die europäische Militärmission 10 000 malische Soldaten ausgebildet hat, erwies sich die Armee als unfähig, die Bevölkerungsgruppe der Peuls zu Christine Buchholz (DIE LINKE): schützen. Schlimmer: Human Rights Watch berichtet – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als ich zitiere –: vier Jahre ist die Bundeswehr nun schon in Mali. Im Mandat heißt es, der Einsatz von Militärausbildern solle Militärs haben mindestens acht Personen hingerich- dem übergeordneten Ziel dienen, Mali und die Sahelzo- tet, die verdächtigt wurden, Islamisten zu sein. ne zu stabilisieren. Das hört sich auf dem Papier auch Ein Angehöriger dieser Volksgruppe sagte – ich zitiere wirklich gut an, hat allerdings mit der Wirklichkeit wenig aus demselben Bericht –: gemein. Die europäische Militärmission in Mali hat das Land weder sicherer noch stabiler oder demokratischer Es gibt so viele Peuls, die von Militärs gefoltert oder gemacht. Der Grund dafür ist recht einfach: Die Wurzeln getötet wurden oder einfach verschwanden, aber der Konfikte in Mali sind zum einen die Dürre, zum an- keiner der Fälle kam jemals vor Gericht. deren aber vor allem die Armut. Verschiedene bewaffnete Ich frage: Wo bleibt die Kritik der Bundesregierung an Gruppen kämpfen vor diesem Hintergrund um die Kon- diesen Vorgängen? trolle der Handelswege durch die Sahara. Ich sage Ihnen: Diese Probleme lassen sich nicht durch einen internatio- Die Antwort ist: Es geht bei diesem Militäreinsatz nalen Militäreinsatz lösen. eben nicht um Gerechtigkeit in Mali; es geht vor allen Dingen um die Bundeswehr selbst. Der Einsatz fügt sich (Beifall bei der LINKEN) ein in einen jahrelang betriebenen Umbau der Bundes- Die deutsche Regierung verfolgt zudem ganz andere wehr in eine Interventionsarmee im Dauereinsatz. Ein Ziele und Interessen, als sie in dem Mandat vorgibt. Un- genauerer Blick auf diesen Einsatz zeigt das. So wurde Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23685

Christine Buchholz (A) der Einsatz systematisch ausgeweitet. Am Anfang waren dort interessiert sind, im Rahmen der afrikanischen Zu- (C) die deutschen Militärausbilder nur im sicheren Süden sammenarbeit an diesem Friedensprojekt mitwirken und stationiert. In den vergangenen Monaten wurden Mili- entsprechend gestärkt und unterstützt werden. tärausbilder direkt an die Konfiktherde herangeschickt, nach Ségou in Zentralmali und nach Gao im Norden Wir führen diesen Einsatz vor allem auch deshalb Malis. Dort hat sich die Mission übrigens das erste Mal durch, weil wir in Mali eine echte Chance sehen, dass logistisch auf die französische Kampfoperation Barkha- durch unsere Hilfe die Entwicklung besser wird. Wir er- ne gestützt. Überdies wurden nun auch Truppen der vier leben nach wie vor, dass Mali Durchzugsgebiet für ter- Nachbarstaaten Malis ausgebildet, darunter der diktato- roristische Gruppen ist. Ein Blick auf die Karte zeigt, risch geführte Tschad. dass südlich der Maghreb-Staaten über Mali auch andere Staaten, die sich hoffnungsvoll entwickeln, zum Beispiel Die Wahrheit ist: EUTM Mali ist nichts anderes als die Burkina Faso und Senegal, infltriert werden. Wir kom- Ergänzung einer laufenden Kriegsoperation, um in der men bei der Ausbildung und bei der Stabilisierung des gesamten Region Einfuss auszuüben. Das ist der zentra- Landes voran, und damit befrieden wir ein Stück weit le Grund, warum wir diese Mission ablehnen. eine Schlüsselregion in Afrika. (Beifall bei der LINKEN) Wir werden diesen Einsatz natürlich weiterhin mit ei- Zum Schluss noch ein Wort zur EU – es handelt sich ja ner ganzen Palette an zivilen Maßnahmen unterstützen. um eine EU-Mission –: Die EU stufte Mali mit deutscher Die für die Bevölkerung sichtbare Unterstützung ist ge- Unterstützung als sicher genug ein, um dem Land ein geben: Die Bundeskanzlerin ist im Oktober letzten Jahres Rückführungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen. in Mali gewesen und hat mit unmissverständlichen Wor- Wenn es nun aber um die Rechtfertigung des europäi- ten die Unterstützung Deutschlands und Europas mani- schen Militäreinsatzes geht, dann führt die EU die Unsi- festiert. Darüber hinaus befördern wir die wirtschaftliche cherheit in Mali an. Das allein zeigt die ganze Heuchelei Zusammenarbeit. Wir leisten aber auch kulturelle Unter- hinter diesem Einsatz. Die Linke wird gegen dieses Man- stützung. Mali ist ein Land, das reich an Kultur ist. Wir dat stimmen. bemühen uns gemeinsam mit malischen Kräften, dieses Kulturerbe, das für das Selbstbewusstsein einer solchen Vielen Dank. Nation enorm wichtig ist, zu fördern und zu unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt in Timbuktu wichtige historische Handschriften, die mit deutscher und afrikanischer Hilfe restauriert wer- den, sodass diese Zeugnisse der Vergangenheit, die für Vizepräsident Johannes Singhammer: ein solches Land identitätsstiftend sind, bewahrt werden. Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege (B) Jürgen Hardt. Wir wissen, dass unsere Soldaten in diesem Einsatz (D) Bedrohungen ausgesetzt sind. Es ist schon zur Sprache (Beifall bei der CDU/CSU) gekommen: Erst vor kurzer Zeit hat es in der Nähe von Gao einen Anschlag mit sieben toten malischen Soldaten Jürgen Hardt (CDU/CSU): und 17 Verwundeten gegeben; das hätte natürlich auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An EUTM- oder MINUSMA-Soldaten, also auch deutsche die Adresse der Kollegin Buchholz gerichtet, möchte ich Soldaten, treffen können. Deswegen ist es ganz wichtig, nur Folgendes anmerken: Im Nordosten von Mali haben dass wir alles tun, um unseren Soldaten im Fall des Falles gestern von Islamisten angestiftete Menschen ein unver- gut helfen zu können. Ich bin stolz darauf, dass die Bun- heiratetes Paar zu Tode gesteinigt, weil sie ihre archai- desrepublik Deutschland gegenwärtig mit insgesamt acht schen Vorstellungen von einem angeblich islamischen Hubschraubern sicherstellt, dass die Soldatinnen und Recht durchsetzen wollen. Wenn Sie wollen, dass das in Soldaten oder auch zivile Kräfte im Ernstfall schnell zur Mali zukünftig überall passieren kann, dann müssen Sie medizinischen Versorgungseinrichtung gefogen werden für den Rückzug der unterstützenden Kräfte plädieren, können. Es handelt sich um vier Tiger-Kampfhubschrau- dann müssen Sie für das Im-Stich-Lassen der malischen ber und vier Sanitätshubschrauber, SAR-Hubschrauber Bevölkerung und der malischen Regierung plädieren. vom Typ NH90. Wir werden das nicht tun. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen deutschen (Beifall bei der CDU/CSU) Beitrag nicht endlos aufrechterhalten müssen, sondern möglicherweise im Sommer nächsten Jahres eine Ablö- Der Mali-Einsatz – hier sprechen wir über den Ausbil- sung bekommen. Ich würde mich freuen, wenn sich zum dungseinsatz EUTM Mali – ist im Zusammenhang mit Beispiel die kanadische Regierung entschließen könnte, dem UN-Einsatz, an dem Deutschland maßgeblich be- uns ihrerseits zu entsetzen, wie man das, glaube ich, mi- teiligt ist, zu betrachten. Er ist mit dem Afghanistan-Ein- litärisch nennt. Wenn Deutschland den Kanadiern sagen satz mittlerweile der größte Bundeswehreinsatz; nahezu würde: „Okay, wenn ihr nach einem Jahr Hilfe sucht und 1 000 Soldaten sind in Mali eingesetzt. Wir haben es mit keinen fndet, sind wir vielleicht wieder bereit, einzu- dieser Ausbildungsmission geschafft, mittlerweile rund springen“, wären die Gespräche, glaube ich, auf einem 10 000 malische Soldaten und Polizisten und auch Solda- guten Weg. ten und Polizisten benachbarter Staaten auszubilden. Es ist eben kein Einsatz, den Europa nur mit Mali durchführt. Gott sei Dank ist der Einsatz in Mali aus deutscher Vielmehr wollen wir, dass die anderen Staaten der Regi- soldatischer Sicht bisher glimpfich verlaufen. Ich möch- on, die ebenfalls an Frieden und einer guten Entwicklung te unsere Unterstützung für diesen Einsatz, die wir gleich 23686 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Jürgen Hardt (A) in der namentlichen Abstimmung bekunden werden, mit wieder – es ist jedes Mal dasselbe – bei weitem nicht aus. (C) meinem dringenden Wunsch und meiner Hoffnung unter- Die Bundesregierung muss das alles in der Europäischen streichen, dass alle unsere Soldatinnen und Soldaten mit Union massiv zum Thema machen. dem nötigen Soldatenglück heil und unversehrt aus die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sem Einsatz zurückkommen und wir nach jeder Etappe des Einsatzes sagen können: Es ist tatsächlich ein kleines Das bisherige Konzept der EU muss jetzt kritisch über- Stück besser geworden. – In diesem Sinne werden wir prüft werden. Sonst schliddern wir auch im zentralen und unsere Unterstützung für die Mission in Mali in der vor- südlichen Teil von Mali in eine kaum zu kontrollierende gesehenen Form fortsetzen. Krise. Es wird höchste Zeit, dass die EU hier eine wirkli- che Kraftanstrengung unternimmt und ihr Konzept über- Herzlichen Dank. prüft und evaluiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie le- gen uns hier eine zum Teil neue politische Begründung für dieses Mandat vor. Sie erwecken im Text faktisch den Vizepräsident Johannes Singhammer: Eindruck, dass wir die Bundeswehr für – ich zitiere – „die Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frithjof Schmidt Umsetzung der migrationspolitischen Ziele der Bundes- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. regierung“ nach Mali schicken. Das stand so nicht in der Begründung für das letzte Mandat. Hier haben wir eine Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutliche politische Differenz. Um es klar zu sagen: Wir NEN): setzen die Bundeswehr nicht, wie es bei Ihnen heißt, zur Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und verbesserten Migrationssteuerung in Afrika ein. Kollegen! Die Lage in Mali ist nicht gut. Wir haben das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier schon vor drei Monaten ausführlich diskutiert, als wir das Mandat für die UN-Mission beschlossen haben. Wer so redet, der untergräbt die Legitimation des ganzen Meine Fraktion ist überzeugt, dass es richtig und notwen- UN-Einsatzes in Mali. Es geht eben nicht um eine Instru- dig ist, dass die UNO in Mali Verantwortung übernimmt, mentalisierung des UN-Einsatzes zur Friedenssicherung um im politischen Friedensprozess zu vermitteln und für eine europäische Politik zur Abwehr der Migration. diesen militärisch abzusichern. Deshalb haben wir den Wer so etwas unterstellt – sei es auch unabsichtlich –, der UN-Mandaten immer zugestimmt. Wir sind auch dafür, richtet enormen politischen Schaden an: für die UNO, für das europäisch-afrikanische Verhältnis und nicht zuletzt (B) dass die Europäische Union die UNO dabei unterstützt, (D) fnanziell, mit ziviler Hilfe und mit einer Ausbildungs- für die Bundeswehr. mission für die malische Armee, gerade weil für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) UNO eine politische Lösung im Zentrum steht. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie nur auffordern: Lassen Sie das sein! sowie bei Abgeordneten der SPD) In der Europäischen Union gibt es gerade eine Debatte Deshalb werden wir auch diesem Mandat der Bundes- über die Reform des Instruments für Frieden und Stabi- wehr für die europäische Mission heute wieder zustim- lität. Es gibt Vorschläge, die Gelder für zivile Krisen- men. prävention in Mittel für die militärische Ausrüstung von Wenn wir die Bundeswehr in diesen Einsatz schicken, Drittstaaten umzuwidmen, und EUTM Mali wird dabei haben wir aber die Pficht, uns ein ungeschminktes Bild als mögliches Beispiel angeführt. Da bekommt der Text von der Lage zu machen. Der Friedensprozess ist ins in Ihrer Mandatsbegründung einen besonders schlechten Stocken geraten. Ein Scheitern ist möglich. Ich fnde, die Beigeschmack. Ich sage Ihnen: So etwas ist dazu geeig- Bundesregierung sollte das auch klar so sagen. Der Nor- net, den ganzen internationalen Einsatz in Mali in brei- den Malis ist weitgehend außerhalb staatlicher Kontrolle. ten Teilen unserer Gesellschaft zu diskreditieren. Gerade Es gibt permanent Kämpfe mit bewaffneten Gruppen und weil wir diesen Einsatz für wichtig halten und ihn unter- auch zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen. Die stützen, können wir davor wirklich nur warnen. Blauhelmsoldaten geraten dort immer wieder zwischen Danke für die Aufmerksamkeit. die Fronten. Aber auch in Zentralmali nehmen Instabilität und Gewalt zu. Die politischen Antworten der malischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft auf diese Entwicklung – das müssen wir, glaube ich, ehr- Vizepräsident Johannes Singhammer: lich einräumen – sind bisher nicht wirklich überzeugend. Der Kollege Thomas Hitschler spricht jetzt für die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Fraktion der SPD. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Auch die humanitäre Lage ist weiterhin dramatisch. Es befnden sich rund 200 000 Menschen auf der Flucht. Thomas Hitschler (SPD): 2,5 Millionen Menschen sind von Hunger betroffen. Die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bereitgestellte humanitäre Hilfe reicht immer und immer Kollegen! Mali ist eines der gefährlichsten Einsatzlän- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. 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Thomas Hitschler (A) der der Welt. Im vergangenen Jahr wurden dort – wir wegschauen können und weil wir es nicht dulden kön- (C) haben das vorhin schon gehört – durch Terroranschläge nen, wenn im Norden Malis ein zweiter „Islamischer 70 Menschen getötet und 184 verletzt. Auch in diesem Staat“ entsteht. Dieses Ziel verfolgen wir aber auch, weil Jahr sieht es nicht besser aus. Am 18. Januar ermordete die Stabilität Malis für unsere eigenen sicherheitspoliti- ein islamistischer Selbstmordattentäter in einem mali- schen Interessen eine enorme Bedeutung hat. Mali liegt schen Militärlager 77 Menschen und verletzte mindes- in Nordwestafrika ähnlich zentral wie Deutschland in tens 150 weitere – nur einen Kilometer von der Bundes- Europa. Damit hat es eine besondere geografsche Bedeu- wehr entfernt. Vor allem der Norden des Landes wird von tung. Mali ist eine Drehscheibe für Handel, für Flücht- Dschihadisten terrorisiert. Aber auch im Süden drohen lingsbewegungen, aber auch für Waffenschmuggel. Ein jederzeit Sprengfallen und Anschläge. Failed State Mali wäre eine Katastrophe für die gesamte Region, die bis an die Mittelmeerküste und damit bis vor Bei einer solchen Lage müssen wir uns ganz genau unsere Haustür reicht. Damit, Kolleginnen und Kollegen, überlegen, ob, warum und wie wir deutsche Soldatinnen sind die Probleme Malis auch unsere Probleme hier in und Soldaten einem solchen Risiko aussetzen wollen. Deutschland. Wir müssen dafür sorgen, dass sie die beste und für den Einsatz passende Ausrüstung bekommen. Hierbei gilt Die Frage, ob und warum wir uns in Mali engagie- es, Kolleginnen und Kollegen, aus den Fehlern von Af- ren sollten, sollte damit beantwortet sein. Auch zur Frage ghanistan zu lernen. Die Soldatinnen und Soldaten im nach dem Wie liegen uns konkrete Maßnahmen vor. Einsatz brauchen die richtige Ausrüstung von Anfang an und nicht erst dann, wenn es brennt. Ebenso wichtig, Funktioniert dieser Ansatz? Gibt es Fortschritte in sehr geehrter Herr Staatssekretär – da bitte ich Sie auch Mali? Die vorliegenden Berichte belegen: Ja, wenn um Unterstützung –, sind die Betreuungseinrichtungen auch nur langsam. Zwar gibt es weiterhin 37 000 mali- vor Ort. Bitte sorgen Sie dafür, dass die OASE, also die sche Binnenfüchtlinge; aber 80 Prozent konnten bereits Einrichtung, in die sich die Soldatinnen und Soldaten zu- in ihre Heimatregionen zurückkehren. Das Friedensab- rückziehen können, schnellstmöglich fertig wird. kommen – wir haben es gehört – wird Stück für Stück umgesetzt. Mitglieder der ehemaligen Rebellengruppen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wurden in die malischen Streitkräfte integriert. Auch sie der CDU/CSU) werden im Rahmen von EUTM Mali ausgebildet, ge- nauso wie Verbindungsoffziere der G 5 Sahel. In dieser Soldaten brauchen materielle Unterstützung; sie brau- Gruppe arbeitet Mali mit den Nachbarstaaten Mauretani- chen aber auch moralische Unterstützung. Dazu gehört, en, Niger, Burkina Faso und dem Tschad eng zusammen. Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns als Parlament zu Das stärkt die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit unserer Parlamentsarmee bekennen. Dazu gehört, dass und damit die Sicherheit in der Region. (B) wir uns, wenn nötig, vor unsere Soldatinnen und Solda- (D) ten stellen und nicht pauschale Urteile über sie fällen. Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen Mali nicht al- leinlassen. Deshalb unterstütze ich die Weiterführung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieses Mandats ausdrücklich. Aber wir müssen auch klar der CDU/CSU) formulieren, welche Meilensteine erreicht sein müssen, Kern des Mandats ist die Ausbildung der malischen damit Mali wieder selbstständig für seine Sicherheit sor- Streitkräfte. Seit Beginn der Trainingsmission wurden gen kann. Das wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Aber etwa 10 000 Soldaten ausgebildet; das sind zwei Drittel wir sollten vermeiden, dass wir in eine dauerhafte Prä- der malischen Armee. Das ist eine gute Arbeit im Sinne senz ohne realistisches Ausstiegsszenario rutschen; denn der Sicherheit dieses Landes. das würde am Ende weder uns helfen noch den Men- schen in Mali. EUTM Mali ist keine isolierte Mission. Sie ist Teil ei- nes vernetzten und umfassenden Ansatzes. Dazu gehören Vielen Dank. die weit größere UN-Mission MINUSMA und EUCAP Sahel Mali zur Ausbildung der malischen Polizei; wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben schon viel davon gehört. Gerade diese sicherheits- der CDU/CSU) politischen Maßnahmen schaffen die Voraussetzung für weitere wichtige Projekte, die zur Stabilisierung Malis Vizepräsident Johannes Singhammer: dringend benötigt werden. Dazu gehört die Unterstüt- Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kolle- zung der Kommission für Wahrheit, Justiz und Versöh- ge Dr. Reinhard Brandl. nung. Dazu gehört die Zerstörung von Kleinwaffen. Dazu gehören über 33 Millionen Euro für Krisenpräven- (Beifall bei der CDU/CSU) tion und humanitäre Hilfsprojekte. Dazu gehören über 240 Millionen Euro im Rahmen bilateraler Zusagen für Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Entwicklung und Zusammenarbeit seit 2013. All diese Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Projekte gehören zusammen und haben ein gemeinsames Ich fnde, die Debatte heute ist etwas unfair. Wir alle re- Ziel: Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali den über die 150 Bundeswehrsoldaten bei EUTM Mali, wiederherzustellen, Kolleginnen und Kollegen. und bis auf die Linke loben wir sie auch alle; aber ei- gentlich hätten dieses Lob genauso verdient die Mitar- (Beifall bei der SPD) beiter, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes, des Bun- Dieses Ziel verfolgen wir, weil wir bei den Gräuel- desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit taten der Dschihadisten im Norden Malis nicht einfach und Entwicklung, des Landwirtschaftsministeriums, des 23688 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Reinhard Brandl (A) Umweltministeriums und des Innenministeriums in Mali fen haben. Das sind – Kollege Hitschler hat es vorhin (C) im Einsatz sind. Unser Dank gilt natürlich allen gleicher- erwähnt – ungefähr zwei Drittel der malischen Armee. maßen. Der letzte Lehrgang dauerte von Januar bis Ende April. In diesem Lehrgang wurden erstmals die Führungskräfte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der malischen Armee ausgebildet – Stichwort: Train the ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Trainer –, um sicherzustellen, dass die Ausbildungsinhal- DIE GRÜNEN) te des Lehrgangs immer wieder an die Truppe vermittelt – Der Applaus gibt mir, glaube ich, recht. – Ich wollte werden. mit dieser Aufzählung aber nicht nur danken, sondern Wir haben im letzten Jahr das Mandatsgebiet erwei- auch zeigen, was deutsche Sicherheitspolitik heute ist, tert mit dem Ziel, die Ausbildung auch in die Fläche zu nämlich eine ressortübergreifende, vernetzte Antwort auf bringen. Das war ein Wunsch der malischen Armee, der eine mehrdimensionale Herausforderung, die gute Re- nachvollziehbar ist. Wer schon einmal in dem Land war gierungsführung genauso im Blick hat wie zum Beispiel und gesehen hat, in welchem Zustand die Straßen sind, die Ausbildung von Sicherheitskräften, den Aufbau von weiß, dass das Sinn macht, um die Soldaten nicht Tau- Infrastruktur oder den Kampf gegen den Hunger. sende von Kilometern transportieren zu müssen. Auch Der Einsatz EUTM Mali ist in diesem Gesamtansatz ein das ist gut angelaufen. In Gao und Ségou fanden die ers- Puzzlestein mit dem Ziel der Ausbildung der malischen ten Ausbildungslehrgänge statt. Streitkräfte. Es gibt einen weiteren Meilenstein, über den ich be- Meine Kolleginnen und Kollegen, wir erinnern uns: richten möchte. Ende letzter Woche ist ein gemeinsamer 2012 waren es diese Streitkräfte, die nicht in der Lage Lehrgang für Verbindungoffziere der G 5 Sahel in Mali waren, das Land und die Menschen dort vor den einfal- zu Ende gegangen. Offziere aus Mali, Burkina Faso, lenden Tuareg-Rebellen und den islamistischen Terro- Mauretanien, Niger und Tschad haben gemeinsam geübt, risten zu schützen. Infolge dessen ist vieles, was damals um die Interoperabilität ihrer Streitkräfte zu verbessern über die Jahre hinweg in Mali an Entwicklung stattge- und die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internati- funden hat, zerstört worden. Das wird auch erst wieder onalen Terrorismus, gegen grenzüberschreitende Krimi- aufgebaut werden, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit nalität weiter zu stärken. herrscht: Sicherheit für die Bevölkerung und Sicherheit für die Helfer. Die malischen Streitkräfte darauf vorzu- Meine Damen und Herren, all das sind wichtige bereiten, ist Aufgabe von EUTM Mali. Hier geht es um Schritte. EUTM Mali läuft gut und nimmt an Fahrt auf. Leistungsfähigkeit, aber auch um die Integrität der Streit- Aber das ist nur ein Puzzlestein eines Gesamtansatzes, kräfte. Ob EUTM Mali ein Erfolg ist, wird man erst se- zu dem wir einen wichtigen Beitrag leisten. Wir leisten (B) (D) hen, wenn es darauf ankommt, wenn die Streitkräfte der auch mit anderen Puzzlesteinen Beiträge; ich habe die malischen Armee richtig gefordert sind. Aber es wird in anderen Ressorts erwähnt. Auch MINUSMA ist schon keinem Fall gelingen, wenn die Streitkräfte keine Struk- angesprochen worden. Es wird noch lange dauern, bis tur haben, wenn sie keine Ordnung haben, wenn sie kei- aus den einzelnen Puzzlesteinen ein rundes Bild entsteht. ne Kontrolle haben, wenn sie keine vernünftige Führung Es bedarf unserer Geduld und wahrscheinlich auch noch haben und wenn Menschenrechte nicht beachtet werden. einiger Mandatsverlängerungen, bis wir sagen können: Mali ist sicher, Mali ist stabil. Aber es ist in jedem Fall (Beifall bei der CDU/CSU) besser, daran zu arbeiten, als zuzusehen, wie dieses Land auseinanderfällt. Vizepräsident Johannes Singhammer: In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung und be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht völlig danke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ungewöhnlich, dass hier vor einer namentlichen Abstim- mung dringender Gesprächsbedarf besteht. Trotzdem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bitte ich, diesem Gesprächsbedarf nicht in der Weise ordneten der SPD) nachzukommen, dass man dem Redner nicht mehr folgen kann. Ich bitte also um etwas Disziplin. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Abschließender Redner vor der dann folgenden na- mentlichen Abstimmung ist der Kollege Michael Vietz für die Fraktion der CDU/CSU. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Frage ist: Wird der (Beifall bei der CDU/CSU) Auftrag ein Erfolg? Ich kann sagen: EUTM Mali hat sich Ich bitte um die entsprechende Aufmerksamkeit. in den letzten Jahren gut entwickelt. Ich war 2013 zum ersten Mal in Koulikoro, als dort mit der Ausbildung der ersten Soldaten begonnen wurde. Das war damals noch Michael Vietz (CDU/CSU): sehr improvisiert. Dort standen einige Baracken, und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Ausbildung fand teilweise mit Holzgewehren statt; Sehr geehrte Damen und Herren! Ist alles gut in Mali? wir haben darüber gesprochen. Im Vergleich dazu ist Sicherlich nicht. Aber ohne die Anstrengungen der inter- festzustellen, dass sich die Mission hervorragend ent- nationalen Gemeinschaft – und über einen Baustein die- wickelt hat. Ende letzter Woche kam die Meldung, dass ser Einsätze reden wir heute – sähe es nach meiner tiefs- mittlerweile 10 000 Soldaten die Ausbildung durchlau- ten Überzeugung noch viel schlimmer aus. Seit Beginn Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. 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Michael Vietz (A) der europäischen Ausbildungsmission im Süden Malis ist Ein besonderes Merkmal unserer Pionierausbildung (C) einiges im Friedensprozess bewegt worden. Diese Fort- ist die Vermittlung von Menschenrechten. Der men- schritte würden wir riskieren, wenn wir unsere Beteili- schenwürdige Umgang mit überwältigten Gegnern ist gung an EUTM Mali nicht fortsetzten, unsere Partner im seit Beginn der Mission ein wichtiger Bestandteil der Stich ließen. Ausbildung. Dies wird auch in der malischen Gesell- schaft anerkannt. Das ist eine wichtige Botschaft und Erreicht die humanitäre Nothilfe die Menschen in spricht für die hervorragende Arbeit unserer Kräfte vor Mali, die diese wirklich benötigen? Gelingt unsere Ent- Ort, für die Qualität unserer Bundeswehr. wicklungszusammenarbeit auch in entlegenen Teilen des Landes? Wo in Mali fnden wir eine funktionierende Zi- (Beifall bei der CDU/CSU) vilgesellschaft und staatliche Strukturen? Unser Einsatz in Mali ist ein wichtiger Teil der Antwort auf diese Fra- Ich bin stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten und gen. dankbar für den Einsatz, den sie täglich leisten. Meine besondere Anerkennung gilt ihren Angehörigen, die je- Sicherheit, Stabilität, Frieden – diese Dreifaltigkeit den Einsatz mittragen, den Vätern, Müttern und Kindern, treibt uns in unserem Engagement weiter an. Wir wol- die mitfebern. len Perspektiven für die Menschen vor Ort mit entwi- ckeln. Deutschland ist weiterhin bereit, Mali auf seinem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schwierigen und sicherlich langen Weg zu begleiten, Johannes Kahrs [SPD]: Haltung und Füh- gemeinsam mit unseren Partnern. Wir stehen zu unserer rung!) internationalen Verantwortung – auch aus eigenem Inte- Gleiches gilt für die zahlreichen zivilen Einsatzkräfte, resse. wie die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und die Polizisten Wir haben ein vitales Interesse daran, Terrorismus, Kri- von EUCAP sowie unsere Einsatzkräfte in der UN-Mis- minalität, Armut und Elend entschieden zu bekämpfen. sion MINUSMA. Wenn wir diese Herausforderungen nicht vor Ort ange- Wir verfolgen einen vernetzten Ansatz, auch mit bi- hen, dann kommen sie – eine Binsenweisheit, die nicht lateralen Abkommen. Projekte der zivilen Krisenpräven- wirklich neu ist – unweigerlich zu uns. tion kombinieren wir mit Entwicklungszusammenarbeit. Der Friedensprozess in Mali gestaltet sich zäh. Mit Wir leisten einen ausgewogenen Beitrag zur langfristigen Beginn des internationalen Engagements hat sich die Ertüchtigung Malis. Unser dortiges Engagement ist gut humanitäre Situation allgemein verbessert. Ein verläss- abgestimmt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Frie- licher Zugang für humanitäre Hilfe und Entwicklungszu- den, Stabilität und Sicherheit nur im Zusammenspiel al- (B) sammenarbeit ist aber immer noch nicht fächendeckend ler Instrumente und Partner möglich sind. (D) gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Beteiligung Die Sicherheitslage ist fest verknüpft mit der Gemen- an der Mission ist weiterhin richtig und notwendig. Ich gelage im westlichen Afrika: fragile Staatlichkeit, inter- bitte um Ihre Zustimmung. nationale Terrornetzwerke und organisierte Kriminalität. Vielen Dank. Sie destabilisieren die ganze Region und fachen den Konfikt immer wieder an. Der Schmuggel von Drogen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Waffen, Menschen ist allgegenwärtig. Dies hat Auswir- ordneten der SPD) kungen auf Deutschland und Europa; es wurde hier aus- reichend dargestellt. Daher bleibt es richtig, dass wir uns Vizepräsident Johannes Singhammer: weiter in Mali einbringen. Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Worum geht es konkret bei der Fortsetzung der europä- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- ischen Ausbildungsmission? Um die Weiterentwicklung trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung von Ausbildung und Beratung der malischen Sicherheits- bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmissi- kräfte – den Ausbilder ausbilden –, um die Ausbildung on der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung auch der Streitkräfte der übrigen G-5-Sahel-Staaten zur der malischen Streitkräfte, EUTM Mali. Der Ausschuss Schaffung grenzübergreifender Handlungsfähigkeit, um empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- Schutz und Unterstützung im Sanitätsdienst und in der sache 18/12205, den Antrag der Bundesregierung auf Logistik, gerade auch um Unterstützung der Einsatzkräf- Drucksache 18/11628 anzunehmen. Wir stimmen über te von MINUSMA im Norden Malis. diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Durch die Fortsetzung des Mandats senden wir wei- Plätze an den Urnen einzunehmen. – Ich bitte, mir ein terhin ein deutliches Signal an unsere europäischen und Zeichen zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsur- westafrikanischen Partner. Deutschland bleibt einer der nen alle besetzt sind. – Ich sehe, dass alle entsprechenden größten Truppensteller der Mission. Zahlreiche Solda- Positionen besetzt sind. Deshalb kann ich die namentli- tinnen und Soldaten dienen dort für unser Land. Erst im che Abstimmung jetzt eröffnen. März habe ich persönlich Panzerpioniere vom Standort Holzminden, aus dem Zentrum meines Wahlkreises, nach Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ohne Wartezeit ihrem Einsatz in Mali wieder zu Hause begrüßen können. seine Stimmkarte einwerfen möchte, sollte dies direkt 23690 Deutscher Bundestag – 18. 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Vizepräsident Johannes Singhammer (A) beim Rednerpult tun. Hier gibt es fast keine Kollegen, Als erste Rednerin darf ich die Kollegin Dr. Ute (C) die eine Stimmkarte einwerfen möchten. Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD aufrufen. Gibt es ein Mitglied des Hohen Hauses, das seine Stim- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. me noch nicht abgegeben hat und das noch tun möchte? – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]) Ich sehe niemanden, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung (SPD): und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit Dr. Ute Finckh-Krämer der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- chen Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.1) be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der vor- liegende Antrag der Fraktion der Grünen mit dem Titel Ich bitte, jetzt Platz zu nehmen. „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: lassen“ hat schon bei der ersten Lesung hier dazu geführt, dass wir uns noch einmal überlegt haben, wie wichtig das a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist, das 2002 in zeitli- richts des Ausschusses für Menschenrechte und chem Zusammenhang zur Einrichtung des Internationa- humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem An- len Strafgerichtshofs in diesem Parlament einvernehm- trag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska lich, also über Fraktionsgrenzen hinweg, verabschiedet Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeord- wurde. neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Dieses Völkerstrafgesetzbuch schließt die Lücke, die sich international dadurch ergibt, dass beim Internati- Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht onalen Strafgerichtshof nur Verfahren geführt werden ungesühnt lassen können gegen Personen aus Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet und ratifziert haben, oder aufgrund Drucksachen 18/10031, 18/10626 einer Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Nationen. In dem Antrag wird aufgeführt, dass wir zum neten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck Beispiel bei Kriegsverbrechen und bei Verbrechen gegen (Köln), weiteren Abgeordneten und der Frakti- die Menschlichkeit in Syrien weder das eine noch das on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten andere als Grundlage haben. Inzwischen ist aber eine Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ganze Menge Menschen aus Syrien nach Deutschland, Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Veranke- nach Europa gefohen. Diese Menschen können Informa- (B) rung eines Verfahrens zur Überprüfung von tionen über das, was sie miterlebt haben, Informationen (D) Entscheidungen über den Einsatz der Bundes- über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über Kriegs- wehr im Ausland) verbrechen in Syrien – das sind teilweise ihre Flucht- gründe, die Fluchtursachen –, für eventuelle Verfahren in Drucksache 18/8277 Deutschland zur Verfügung stellen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Deswegen hatten wir für den 26. April 2017 den Lei- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- ter der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegs- schuss) verbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völ- kerstrafgesetzbuch beim Bundeskriminalamt in den Drucksache 18/12413 Menschenrechtsausschuss, der mit diesem Antrag befasst c) Beratung der Beschlussempfehlung und des war, eingeladen. Er hat uns berichtet, dass das, was in Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- Asylverfahren zur Sprache kommt, oft an seine Zentral- braucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag stelle im BKA weitergeleitet wird. Das Gleiche gilt für der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, den Generalbundesanwalt. Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter Sehr gefreut hat mich ein ausführlicher Bericht in der und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tageszeitung, taz, vom letzten Freitag über mehrere Ver- Internationale rechtliche Zusammenarbeit fahren, die im Augenblick in Deutschland und in Spanien stärken und ausbauen aufgrund der Berichte von Flüchtlingen eingeleitet wer- den gegen konkret identifzierbare Personen. Dazu trägt Drucksachen 18/9675, 18/11780 unser Völkerstrafgesetzbuch bei. Darüber können wir froh sein. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um der Organisa- dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. tion, die solche Klagen hier in Europa unterstützt, dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschen- Ich eröffne die Aussprache und bitte alle, die sich nicht rechte, ausdrücklich zu danken. Denn eine der Stärken unmittelbar beteiligen wollen, entweder Platz zu nehmen solcher Nichtregierungsorganisationen mit Fachjuristen oder die wichtigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals ist, dass sie über diese besondere Expertise zu internatio- fortzusetzen. nalem Recht verfügen.

1) Ergebnis Seite 23692 C (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23691

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) Insofern hat der Antrag zum Völkerstrafrecht auf jeden gierungen strafrechtlich zu verfolgen oder aber durch (C) Fall etwas mitbewirkt. Ich hoffe, dass wir uns über wei- Einschüchterung gefügig zu machen. tere Fortschritte in dieser Hinsicht freuen können. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Danke. NEN]: Was ist mit dem los?) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Solche Maßnahmen tragen dazu bei, dass die ersten Staa- Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) ten bereits die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof aufkündigen. Die Linke muss diesen Antrag aufgrund seiner Einseitigkeit ablehnen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. spricht jetzt für die (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion Die Linke. NEN]: Was?) (Beifall bei der LINKEN) Dem zweiten Antrag mit dem Titel „Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“ kön- nen wir – ich fasse mich kurz – zustimmen. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Abschließend komme ich zum Entwurf eines Gesetzes Präsident! Wir reden heute über zwei Anträge und einen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen. Der erste Antrag Ziel ist die Schließung einer Rechtslücke. Worin besteht trägt den Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht diese Rechtslücke? Sie besteht darin, dass eine materielle nicht ungesühnt lassen“. Die Überschrift ist allerdings verfassungsrechtliche Prüfung der Bundestagsbeschlüs- irreführend, suggeriert sie doch eine allgemeingültige se zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze Forderung, nämlich die Verfolgung der Täter ungeach- auf Initiative der Opposition nicht möglich ist. Die Or- tet der staatlichen Herkunft und des politischen Status. ganklage ebenso wie das Verfahren der abstrakten Nor- Im Feststellungsteil wird dann Klartext geredet. Es fndet menkontrolle scheiden als Klageweg laut herrschender eine zeitliche und räumliche Eingrenzung statt: Irak und Rechtsauffassung bislang aus. Die Linke hat in Karlsruhe Syrien, und das seit 2012. Hinzu kommt: Der künftige geklagt – das Verfahren ist immer noch anhängig –, um Straftatbestand des Angriffskrieges wird nicht genannt. eine Klärung herbeizuführen. Diese Eingrenzung verdeutlicht: Es geht konkret ge- Die Lösungsvorschläge im Gesetzentwurf, um die be- gen den IS, gegen die syrische Regierung und allenfalls stehende Rechtslücke zu schließen, sind a) eine Erwei- noch gegen die kurdischen Peschmerga. Der Umkehr- terung des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle oder b) die Schaffung einer neuen Klageart durch den (B) schluss ist: Ausgenommen davon sind, auch wenn sie (D) Blut an den Händen haben, Teile der internationalen Ge- Deutschen Bundestag. Dem stimmen wir ausdrücklich meinschaft sowie die sogenannte moderate Opposition. zu. Ich fnde eine Tätereingrenzung erstaunlich angesichts Dennoch gibt es eine kleine Kritik an dem Gesetz- von rund 1,3 Millionen getöteten Zivilisten, die auf das entwurf, und zwar mit Blick auf das Quorum. Hier wird Konto des US-geführten Kriegs gegen den Terror gehen. seitens der Grünen wieder mit angezogener Handbremse Nicht wenige dieser Opfer sind keine Kollateralschä- gearbeitet. Das vorgeschlagene Quorum soll verhindern, den – allein dieser Begriff ist schon pervers –, sondern dass die Linke auch allein gegen Auslandseinsätze kla- Opfer unmittelbarer Kriegsverbrechen oder Verbrechen gen kann, wenn die Grünen gegebenenfalls einen Aus- gegen die Menschlichkeit, zum Beispiel wurde 2004 in landseinsatz unterstützen wollen. Falludscha mit Phosphorbomben gearbeitet. ( [CDU/CSU]: Versteht ihr Warum aber diese zeitliche und räumliche Eingren- euch doch nicht so gut? – Gegenruf der Abg. zung? Warum die Auslassung des künftigen Straftat- Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE bestandes des Angriffskrieges? Die relevanten An- GRÜNEN]: Das tut ja weh! Jetzt auch noch griffskriege der letzten 20 Jahre kamen vom Westen: eine Verschwörungstheorie!) NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, US-ge- führter Angriffskrieg gegen den Irak 2003. Warum sollen Die Linke fordert: Eine einzige Fraktion im Deut- nicht auch westliche Politiker bei entsprechenden Straf- schen Bundestag muss die Möglichkeit zur Klage haben. taten zur Verantwortung gezogen werden? Ich verstehe Denn die Prüfung der materiellen Verfassungskonformi- es nicht. tät bei rechtlich umstrittenen Auslandseinsätzen der Bun- deswehr darf nicht am Quorum scheitern, sondern muss (Beifall bei der LINKEN) rechtlich geklärt werden. Die Frage bleibt: Warum wollen die Grünen das in ihrem Vielen Dank. Antrag nicht? (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. (Zuruf der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/ Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN]) NEN]) Mein Fazit lautet: Der Antrag der Grünen ist ein Bei- trag des in Teilen erfolgreichen Projekts des Westens, Vizepräsident Johannes Singhammer: den globalen Süden mit einseitiger Anwendung der Vielen Dank. – Ich darf jetzt das Ergebnis der eben Strafrechtsnormen zu knebeln, sprich: unliebsame Re- erfolgten namentlichen Abstimmung über den Antrag 23692 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Be- den Drucksachen 18/11628 und 18/12205 bekanntgeben: (C) teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mili- abgegebene Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 500, tärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Aus- mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 1. Die Be- bildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali)“ auf schlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Axel E. Fischer (Karlsru- Franz-Josef Holzenkamp Dr. he-Land) Abgegebene Stimmen: 565; Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Maria Flachsbarth davon Margaret Horb Klaus-Peter Flosbach ja: 500 Bettina Hornhues Matthias Lietz Thorsten Frei nein: 64 Dr. Mathias Edwin Höschel Andrea Lindholz Dr . Astrid Freudenstein enthalten: 1 Charles M. Huber Dr. Michael Frieser Anette Hübinger Dr. Michael Fuchs Hubert Hüppe Wilfried Lorenz Ja Hans-Joachim Fuchtel Dr. Claudia Lücking-Michel CDU/CSU Alexander Funk Sylvia Jörrißen Dr. Jan-Marco Luczak Ingo Gädechens Dr. Dr . Dorothee Bär Thomas Bareiß Dr. Egon Jüttner Thomas Mahlberg Josef Göppel Bartholomäus Kalb Günter Baumann Ursula Groden-Kranich Hans-Werner Kammer Klaus-Dieter Gröhler Steffen Kanitz Hans-Georg von der Marwitz (Börde) Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Anja Karliczek Stephan Mayer (Altötting) Markus Grübel Bernhard Kaster Reiner Meier Dr . André Berghegger Manfred Grund Volker Kauder Dr. Monika Grütters Dr. Stefan Kaufmann Ute Bertram Dr. Dr. h.c. (B) (D) Fritz Güntzler Roderich Kiesewetter Dr. Dr . Georg Kippels Dietrich Monstadt Volkmar Klein Karsten Möring Florian Hahn Jürgen Klimke Marlene Mortler Dr. Maria Böhmer Rainer Hajek Volker Mosblech Dr. Jens Koeppen Klaus Brähmig Jürgen Hardt Dr. Gerd Müller Michael Brand Carsten Körber Carsten Müller (Braun- Dr. Reinhard Brandl Hartmut Koschyk schweig) Kordula Kovac Stefan Müller (Erlangen) Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Stefan Heck Dr. Andreas Nick Dr. Dr. Dr. Günter Krings Helmut Nowak Mechthild Heil Rüdiger Kruse Dr . Georg Nüßlein Cajus Caesar (Chemnitz) Gitta Connemann Mark Helfrich Dr. Roy Kühne Florian Oßner Alexandra Dinges-Dierig Uda Heller Uwe Lagosky Dr . Tim Ostermann Jörg Hellmuth Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Henning Otte Andreas G. Lämmel Thomas Dörfinger Katharina Landgraf Marie-Luise Dött Ulrich Lange Dr. Martin Pätzold Hansjörg Durz Barbara Lanzinger Ulrich Petzold Iris Eberl Robert Hochbaum Dr. Jutta Eckenbach Alexander Hoffmann Dr. Sibylle Pfeiffer Uwe Feiler Thorsten Hoffmann (Dort- Dr. Dr . mund) Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23693

(A) Alexander Radwan Dr . Volker Ullrich Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (C) Alois Rainer Dr. Dr. Oswin Veith Jürgen Coße Marina Kermer Petra Crone Michael Vietz (Kleinsaara) Dr. Birgit Kömpel Iris Ripsam Sven Volmering Dr. Johannes Röring Christel Voßbeck-Kayser Angelika Krüger-Leißner Kathrin Rösel Martin Dörmann Helga Kühn-Mengel Dr. Norbert Röttgen Dr . Johann Wadephul Elvira Drobinski-Weiß Erwin Rüddel Siegmund Ehrmann Christian Lange (Backnang) Karl-Heinz Wange Michaela Engelmeier Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Petra Ernstberger Steffen-Claudio Lemme Dr . Wolfgang Schäuble Saskia Esken Burkhard Lischka Karl Schiewerling Drh . .c. Albert Weiler Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Norbert Schindler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Kirsten Lühmann Tankred Schipanski Peter Weiß (Emmendingen) Elke Ferner Dr . Birgit Malecha-Nissen Gabriele Schmidt (Ühlingen) Sabine Weiss (Wesel I) Christian Flisek Caren Marks Gabriele Fograscher Nadine Schön (St. Wendel) Karl-Georg Wellmann Dr. Dr. Ole Schröder Marian Wendt Dr. Dr. Kristina Schröder (Wies- Waldemar Westermayer Dagmar Freitag Klaus Mindrup baden) Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Wichtel Bettina Müller Dr. Klaus-Peter Schulze Annette Widmann-Mauz Angelika Glöckner Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Heinz Wiese (Ehingen) (Weil am Dr. Rolf Mützenich Klaus-Peter Willsch Rhein) Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Groneberg (B) Becker Michael Groß Ulli Nissen (D) Uli Grötsch Mahmut Özdemir (Duisburg) Dagmar G. Wöhrl Dr. Patrick Sensburg Barbara Woltmann Rita Hagl-Kehl Jeannine Pfugradt Bernd Siebert Detlev Pilger Johannes Singhammer Heinrich Zertik Ulrich Hampel Joachim Poß Sebastian Hartmann Carola Stauche (Minden) Dr. Michael Hartmann (Wa- Dr. Frank Steffel ckernheim) Dr . Wilhelm Priesmeier Gudrun Zollner Dr. Wolfgang Stefnger Florian Pronold (Peine) Dr. SPD Dr. Simone Raatz Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Mechthild Rawert Christian Frhr. von Stetten Dr. Barbara Hendricks Stefan Rebmann Heidtrud Henn Gerold Reichenbach Rita Stockhofe Bettina Bähr-Losse Dr. Carola Reimann Heinz-Joachim Barchmann Gabriele Hiller-Ohm Dr. Thomas Hitschler Sönke Rix Max Straubinger Dr. Eva Högl Petra Rode-Bosse Matthäus Strebl Dr. Matthias Bartke Matthias Ilgen Thomas Stritzl Sören Bartol Christina Jantz-Herrmann Dr. Lena Strothmann Bärbel Bas René Röspel Michael Stübgen Josip Juratovic Dr. Dr. Sabine Sütterlin-Waack Lothar Binding (Heidelberg) Susann Rüthrich Burkhard Blienert Bernd Rützel Astrid Timmermann-Fechter Johannes Kahrs Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Karl-Heinz Brunner Johann Saathoff 23694 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Annette Sawade Annalena Baerbock Dr . Wolfgang Strengmann- Kerstin Kassner (C) Dr. Hans-Joachim Marieluise Beck (Bremen) Kuhn Katja Kipping Schabedoth Volker Beck (Köln) Dr . Harald Terpe Axel Schäfer (Bochum) Katrin Kunert Dr. Ekin Deligöz Dr . Julia Verlinden Caren Lay Katja Dörner Doris Wagner Katharina Dröge Beate Walter-Rosenheimer Ralph Lenkert Dr. Dorothee Schlegel Dr . Valerie Wilms Ulla Schmidt (Aachen) Dr . Thomas Gambke Stefan Liebich Matthias Schmidt (Berlin) Fraktionslos Dr. Gesine Lötzsch (Wetzlar) Kai Gehring Thomas Lutze (Erfurt) Katrin Göring-Eckardt Birgit Menz Elf Scho-Antwerpes Anja Hajduk Nein Niema Movassat Britta Haßelmann Norbert Müller (Potsdam) (Spandau) Dr . SPD Dr . Alexander S. Neu Bärbel Höhn Dieter Janecek Klaus Barthel Petra Pau Rita Schwarzelühr-Sutter Uwe Kekeritz Marco Bülow Harald Petzold (Havelland) Norbert Spinrath Katja Keul Dr. Ute Finckh-Krämer Richard Pitterle Maria Klein-Schmeink Wolfgang Gunkel Tom Koenigs Martina Stamm-Fibich Dr. Petra Sitte Sylvia Kotting-Uhl Christian Petry Oliver Krischer Christoph Strässer Waltraud Wolff (Wol- Azize Tank Stephan Kühn (Dresden) mirstedt) Frank Tempel Christian Kühn (Tübingen) Dr . Axel Troost Renate Künast DIE LINKE Alexander Ulrich Markus Kurth Dr . Karin Thissen Kathrin Vogler Steff Lemke Dr. Dietmar Bartsch Carsten Träger Dr . Tobias Lindner Herbert Behrens Rüdiger Veit (B) Nicole Maisch Karin Binder (D) Ute Vogt Birgit Wöllert Irene Mihalic Matthias W. Birkwald Dirk Vöpel Beate Müller-Gemmeke Christine Buchholz Gabi Weber Özcan Mutlu Eva Bulling-Schröter Bernd Westphal Sabine Zimmermann Dr. Konstantin von Notz Andrea Wicklein (Zwickau) Omid Nouripour Sevim Dağdelen Friedrich Ostendorff Dr. Gülistan Yüksel BÜNDNIS 90/ Cem Özdemir Wolfgang Gehrcke Dagmar Ziegler DIE GRÜNEN Lisa Paus Nicole Gohlke Brigitte Pothmer Annette Groth Peter Meiwald Dr. Jens Zimmermann Tabea Rößner Dr . André Hahn Corinna Rüffer Manfred Zöllmer Claudia Roth (Augsburg) Heike Hänsel Hans-Christian Ströbele Manuel Sarrazin Dr. Rosemarie Hein Elisabeth Scharfenberg Inge Höger Enthalten BÜNDNIS 90/ Ulle Schauws Andrej Hunko DIE GRÜNEN Dr. Gerhard Schick Sigrid Hupach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Dr. Frithjof Schmidt Ulla Jelpke Kerstin Andreae Kordula Schulz-Asche Susanna Karawanskij Monika Lazar

Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungs- dem Gesetzentwurf erreichen, dass Auslandseinsätze der punkt 15 fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Hendrik Bundeswehr vom Bundesverfassungsgericht überprüft Hoppenstedt für die CDU/CSU-Fraktion. werden können. Es wird richtigerweise ausgeführt, dass derzeit keine Möglichkeit zur rechtlichen Überprüfung (Beifall bei der CDU/CSU) besteht, auch wenn im Falle einer Nichtbeteiligung des Bundestages natürlich ein Organstreitverfahren möglich Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): und häufg genug auch schon angewandt worden ist. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Um es vorweg zu sagen: Für mich, vor allen Dingen men und Herren! Bündnis 90/Die Grünen möchten mit aber auch für meine Fraktion ist es eine Selbstverständ- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23695

Dr. Hendrik Hoppenstedt (A) lichkeit, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten nur stellen, ob er denn nun verfassungsgemäß ist oder nicht. (C) in einen solchen Einsatz entsenden, der mit unserem Sonst dürften wir ihm ja gar nicht zustimmen. Grundgesetz vereinbar ist. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Da haben Sie (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE recht!) GRÜNEN]: Leider nicht! – Claudia Roth Dem misstrauen Bündnis 90/Die Grünen ganz offen- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sichtlich. Daher gibt es jetzt diesen Gesetzentwurf. Schön wär’s! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wäre das erste Mal!) (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir misstrauen offensichtlich Ih- Nun wirft uns die Opposition vor, dass einige Einsätze nen!) verfassungswidrig seien. Ich möchte das nachdrücklich zurückweisen. Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetz- entwurf aus vier Gründen ablehnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Erstens. Es gibt kein Oppositionsrecht, nach Karlsruhe gehen zu können, und wir sind Ihnen gleich zu Beginn Zwar sehe ich zum Beispiel in Bezug auf unseren Ein- dieser Wahlperiode bei der Anwendung von Minderhei- satz im Nordirak die vom Auswärtigen Amt ins Spiel tenrechten weit entgegengekommen. gebrachte Rechtsgrundlage des Artikels 24 Absatz 2 un- seres Grundgesetzes kritisch, weil ein formeller UN-Si- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ cherheitsratsbeschluss, der eigentlich vorhanden sein DIE GRÜNEN]: Keine Almosen!) müsste, tatsächlich fehlt, Zweitens. Der Gesetzentwurf ist handwerklich (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: schlecht. Ah!) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: das heißt aber noch lange nicht, dass der Einsatz rechts- Na, na, na! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das widrig wäre. Artikel 87a Grundgesetz, der auf Vertei- sind aber eine Menge Belehrungen heute!) digung abstellt, ist in den Augen fast aller Experten, – Hören Sie doch erst einmal zu! – Sie möchten de facto, übrigens auch des Wissenschaftlichen Dienstes dieses dass drei Viertel aller Abgeordneten der Oppositionsfrak- Hauses, eine tragfähige Rechtsgrundlage. Sie hätte im tionen Karlsruhe anrufen können. Das ist sozusagen das, Übrigen gegenüber Artikel 24 Absatz 2 unseres Grund- was im Sinn rüberkommt. Da das Bundesverfassungs- gesetzes den Vorteil, gericht in 2016 ausgeurteilt hat, dass Oppositionsfrak- (B) tionsrechte nicht existieren, orientieren Sie sich bei der (D) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bemessung des Quorums an der Anzahl derjenigen Ab- Ein Einsatz im Irak ist keine Landesverteidi- geordneten, die die Bundesregierung nicht tragen. Nun gung!) sind auch Oppositionsabgeordnete kein Stimmvieh und unterliegen hoffentlich keinem Fraktionszwang. dass wir nicht mehr, wie im Sicherheitsrat jetzt notwen- dig, auf das Wohlwollen von Russland oder China an- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Anders als gewiesen wären, um unsere Bundeswehr in den Einsatz ihr! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schicken zu können. NEN) (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist aber das – Ich habe „auch“ gesagt. – Insoweit stellt sich also die Konstrukt!) Frage, wie man feststellt, welcher Abgeordnete denn nun eigentlich die Regierung trägt und welcher nicht. Man Ich halte diese Unabhängigkeit für einen souveränen müsste wahrscheinlich jeden Morgen, wenn sich die Ab- Staat eigentlich für eine Selbstverständlichkeit. geordneten mit ihrer Unterschrift in die Anwesenheitslis- te eintragen, gleichzeitig abfragen, ob sie die Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul gierung tragen oder nicht, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Zuru- fe von der LINKEN) (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ha- ben sie gerade bei der namentlichen Abstim- Meine Damen und Herren, anders als in fast allen an- mung bewiesen!) deren Staaten dieser Welt entscheidet bei uns der gesamte um das notwendige Quorum zu ermitteln. Schon deswe- Deutsche Bundestag über die Frage, ob die Bundeswehr gen ist der Gesetzentwurf ablehnungswürdig. in einen Einsatz geschickt wird oder nicht, und nicht, wie fast überall sonst, ein einzelner Premierminister oder (Inge Höger [DIE LINKE]: Unglaublich!) Staatschef. Drittens. Auch rechtssystematisch passt der Gesetzent- (Zuruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) wurf nicht. In nahezu allen Klageverfahren, die das deut- sche Recht kennt – auch in den Klageverfahren vor dem In Artikel 20 unseres Grundgesetzes steht, dass wir Bundesverfassungsgericht –, muss der Kläger eine Ver- alle als Gesetzgeber an unser Grundgesetz gebunden letzung seiner eigenen subjektiven Rechte geltend ma- sind. Wir müssen uns also, wenn wir über einen Bun- chen. Nur dann hat er eine Klagebefugnis. Das gilt zum deswehreinsatz entscheiden, jedes Mal kritisch die Frage Beispiel für das Organstreitverfahren, das Bund-Län- 23696 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Hendrik Hoppenstedt (A) der-Streitverfahren und auch die Verfassungsbeschwer- Da weder Syrien noch der Irak Vertragsstaaten des (C) de. Anderes gilt in der Tat für die abstrakte Normenkont- Internationalen Strafgerichtshofes sind, kann dessen Zu- rolle, mit der meines Wissens jedenfalls nicht Beschlüsse ständigkeit leider nur durch einen Beschluss des Sicher- des Deutschen Bundestages angegangen werden können, heitsrates herbeigeführt werden. Eine solche Resolution sodass das Argument auch in dem Fall leider nicht zieht. ist in Bezug auf Syrien im Mai 2014 leider gescheitert. Deswegen ist es gut, dass sich die Bundesanwaltschaft (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Antrag der Aufgabe stellt, bei Verbrechen nach dem Völkerstraf- nicht gelesen! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ recht selbst zu ermitteln und Zeugenaussagen zu sam- DIE GRÜNEN]: Doch, Gesetzesverstöße!) meln. Dabei sollte sie jede erdenkliche Unterstützung Viertens. Angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel bekommen. die Linken gegen jegliche Auslandseinsätze sind, würde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Karlsruhe wahrscheinlich bei allen Einsätzen zu einer sowie bei Abgeordneten der SPD) dauerhaften Kontrollinstanz bezüglich dieser Frage wer- den. Zudem hat die UN-Vollversammlung im Dezember letzten Jahres einen Mechanismus zur Unterstützung Ich halte die Kompetenzen des Bundesverfassungs- von Strafermittlungen durch einzelne Mitgliedstaaten gerichtes in unserer gelebten Verfassungswirklichkeit beschlossen. Hier sollte es unbedingt eine gute Zusam- schon jetzt für ausgesprochen weitreichend, und ich habe menarbeit geben. kein Bedürfnis, diese weitreichenden Kompetenzen noch weiter zulasten des Deutschen Bundestages, der übrigens Auch wenn eine Überweisung an den Strafgerichts- das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan in Deutsch- hof für Syrien bereits einmal gescheitert ist, sollten wir land ist, auszuweiten und zu verschieben. nicht aufgeben. Was spricht dagegen, es wenigstens für die Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des Iraks Von den Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit un- noch einmal zu versuchen, da doch die politische Inter- seres Landes will ich gar nicht erst sprechen. Wir würden essenlage der Großmächte dort durchaus eine andere ist? als NATO-Partner, aber auch als Teilnehmer an UN-Ein- Die gemeinsame Resolution vom November 2015 zeigt, sätzen zu Recht nicht mehr ernst genommen werden. dass nicht jeder Versuch vergebens ist, wenn der ernst- hafte politische Wille vorhanden ist. Herzlichen Dank. Kontraproduktiv war es allerdings, dass die Resoluti- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. on vom November 2015 gleich wieder ausgenutzt wurde, Neu [DIE LINKE]: Das ist die Motivation!) um ein militärisches Eingreifen in Syrien zu begründen, (B) obwohl die Einigung doch gerade nur deshalb zustande (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: kam, weil der Wortlaut dies gerade nicht legitimiert. Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Damit komme ich zu einem weiteren Antrag von Katja Keul. uns. – Die Bundeswehr beteiligt sich seit Ende 2015 am Luftkrieg über Syrien, obwohl es dafür kein UN-Mandat Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gibt. Die Bundeswehr agiert damit außerhalb eines Sys- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und tems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer Koalition Kollegen! Der Kollege Neu hat, glaube ich, zu dem Ge- der Willigen. Das ist ein Verstoß gegen Artikel 24 unse- setzentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit des res Grundgesetzes und damit verfassungswidrig. Angriffskrieges gesprochen. Die Kritik daran teile ich, Der Hinweis auf diese Norm ist weder Rechtsförmelei aber das steht hier gar nicht zur Debatte. noch antiquiert, sondern aktueller denn je. Die Anwen- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dung militärischer Gewalt kann immer nur dann zur SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Konfiktbeendigung beitragen, wenn sich die internatio- der SPD) nale Gemeinschaft über die gemeinsamen Ziele und die Strategie einig ist. Ohne diese Voraussetzung ist sie we- Wir haben Ihnen heute drei grüne Antragsinitiativen der legitim noch ein geeignetes Mittel, um das Morden zur Abstimmung vorgelegt, die auf den ersten Blick zwar zu beenden. sehr unterschiedlich aussehen, aber alle eine gemeinsame (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klammer haben. Ob Völkerstrafrecht, Verfassungsrecht oder internationale rechtliche Zusammenarbeit: Immer Nun wissen wir zu gut, dass es auch bei Ihnen in der geht es um Frieden als übergeordnetes Ziel und um die Koalition erhebliche Zweifel daran gibt, ob die Voraus- Stärke des Rechts, kurz: um Frieden durch Recht. setzungen nach Artikel 24 Grundgesetz vorliegen. Es wäre daher in unser aller Sinne, dass diese bedeutsame Wie wichtig gerade die rechtliche Aufarbeitung für Frage vom Verfassungsgericht geklärt werden könnte. die Opfer brutalster Gewalt ist, haben uns die jesidischen Leider gibt es aber für eine solche Vorlage bislang keinen Verbände eindrucksvoll verdeutlicht, die uns im letzten Rechtsweg zum Verfassungsgericht. Jahr mehrfach im Bundestag besucht haben. Sie sind 2014 Opfer eines Völkermordes geworden. Dennoch for- Um Klarheit zu schaffen, schlagen wir vor, die Klage- dern sie weder Rache noch Waffen, sondern justizielle möglichkeiten im Bundesverfassungsgerichtsgesetz um Aufklärung. Die Täter sollen ermittelt und vor Gericht die Überprüfung von Auslandseinsätzen des Militärs zu gestellt werden. ergänzen. Wir brauchen eine solche Klärung umso drin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23697

Katja Keul (A) gender, als die Verteidigungsministerin in ihrem Weiß- Die zweite Forderung lautet: Im deutschen Recht soll (C) buch bereits angekündigt hat, dass ein Einsatz, wie er die Freistellung von Juristinnen und Juristen verschie- jetzt in Syrien stattfndet, keinesfalls eine Ausnahme dener Berufsgruppen besser ermöglicht und Stellen im bleiben, sondern vielmehr eine Blaupause für die Einsät- Bereich der Justiz geschaffen werden, auf die von den ze der Zukunft sein soll. Ländern freigestellte Justizbedienstete für die Dauer des Auslandseinsatzes abgeordnet werden können. In unserem dritten Antrag werden die Stärkung und der Ausbau der internationalen rechtlichen Zusammen- (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜND- arbeit gefordert. Wenn wir rechtzeitig Richter, Staatsan- NIS 90/DIE GRÜNEN]) wälte und Verwaltungsjuristen für die Rechtsstaatsförde- Fakt ist: Es bestehen bereits jetzt die notwendigen recht- rung in krisengeschüttelte Regionen schicken, brauchen lichen Rahmenbedingungen, um eine Entsendung, Zu- wir am Ende vielleicht keine Soldatinnen und Soldaten weisung oder Sekundierung von Personen der infrage- zu entsenden. Das gilt genauso in der Zeit nach einem kommenden Berufsgruppen zu ermöglichen. bewaffneten Konfikt. Die dritte Forderung lautet: Die Bundesregierung soll Ein Land, in dem eine Gewaltherrschaft mit Gewalt sich dafür einsetzen, dass auf Ebene der Vereinten Nati- beendet wurde, fndet noch lange keinen Frieden, erst onen, der Europäischen Union und der Organisation für recht nicht, wenn beispielsweise wie in Libyen keiner- Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über deren lei rechtsstaatliche Fundamente vorhanden sind, auf die Programme zur rechtlichen Zusammenarbeit Angebote die Menschen aufbauen können. Ohne internationale zu allen Rechtsbereichen, also Straf-, Zivil-, Staats- und Hilfe und ohne Übergangsjustiz hatten die Libyer keine Verwaltungsrecht, bereitgehalten werden. Chance, wenigstens die schlimmsten Kriegsverbrechen juristisch aufzuklären und einen Weg zur Versöhnung zu (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜND- fnden. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie uns also künftig mehr in die Rechtsstaats- Fakt ist: Nichts ist so gut, als dass es nicht besser werden förderung investieren, sowohl zur Krisenprävention könnte. Weitere Optimierungen sind meistens möglich. als auch zur Post-Konfikt-Bearbeitung. Frieden durch Recht ist ein langer und mühevoller Weg, aber allemal (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] erfolgversprechender als alles andere. [DIE LINKE]) Vielen Dank. Allerdings wird bereits jetzt über die Tätigkeit des Bun- desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche (B) Zusammenarbeit ein breites Fachspektrum abgedeckt, (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: das über das Strafrecht hinaus insbesondere auch das Verfassungs- und Verwaltungsrecht umfasst. Die Kollegin Bettina Bähr-Losse spricht als Nächste für die Fraktion der SPD. In den Forderungen 4 und 5 des Antrags wird die Be- reitstellung von Geld für Werbung gefordert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Bettina Bähr-Losse (SPD): Was damit konkret gemeint ist, lässt der Antrag leider Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und offen. Fakt ist: Das Bundesministerium der Justiz und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der freie Zugang für Verbraucherschutz wirbt bereits jetzt in Gesprächen zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen mit den Ländern sowie der Bundesrechtsanwaltskammer, ist unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen und dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer nachhaltigen Frieden. Diese Voraussetzung ist bei uns, und anderen Institutionen für den Einsatz von Rechtsex- anders als in vielen fragilen Staaten, Nachkriegsgesell- pertinnen und -experten an internationalen Friedens- und schaften und Autokratien, glücklicherweise gegeben. Rechtsstaatsmissionen. Schulungs- und Werbemaßnah- Es liegt daher nahe, dass die Fraktion Bündnis 90/Die men werden bereits durchgeführt. Grünen fordert, die internationale rechtliche Zusammen- arbeit zu stärken und auszubauen. Konkret werden fünf Abschließend bleibt festzustellen, dass der Antrag Forderungen aufgestellt. suggeriert, dass internationale rechtliche Zusammen- arbeit nicht stattfnde und von der Regierungskoalition Die erste Forderung lautet: Die Bund-Länder-Arbeits- vernachlässigt werde. gruppe zur Stärkung des internationalen Einsatzes von Justizbediensteten möge zügig ihre Arbeit aufnehmen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!) (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen dazu beitra- gen konnte, aufzuzeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Fakt ist: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat bereits im Internationale rechtliche Zusammenarbeit liegt selbst- November letzten Jahres getagt und vereinbart, die Ab- verständlich im Interesse der SPD-Bundestagsfraktion. stimmung zwischen Bund und Ländern durch einen ge- Der freie und gleiche Zugang zum Recht und zu einem zielten und regelmäßigen Austausch zu verbessern. funktionierenden Justizwesen ist unerlässliche Voraus- 23698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Bettina Bähr-Losse (A) setzung für einen stabilen und nachhaltigen Frieden und zu stärken, zu etablieren und wesentliche Aspekte der (C) eine funktionierende Demokratie. Gewaltenteilung, aber auch des Funktionierens eines Staates voranzutreiben, dies auch zu tun. Da sollten wir Die mit dem Antrag gestellten Forderungen werden nicht warten, bis möglicherweise in fragilen Strukturen aber bereits erfüllt. An Verbesserungen wird bereits an im Grunde die nicht demokratisch legitimierte Seite die vielen Stellen gearbeitet. Deshalb ist der Antrag abzuleh- Macht ergreift und die kleinen demokratischen Struk- nen. turen, die sich teilweise herausgebildet haben, zerstört Vielen Dank. werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deswegen haben wir auch darüber diskutiert, was wir machen können, um Staaten dabei zu unterstützen. Ich Vizepräsidentin Ulla Schmidt: denke beispielsweise an den Südsudan, wo in einem Ge- sellschaftsdiskurs, in einem demokratischen Dialog gera- Vielen Dank. – Dr. Patrick Sensburg hat als Nächster de versucht wird, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. eine Verfassung zu schreiben. Hier müssen wir darüber (Beifall bei der CDU/CSU) nachdenken, ob wir die Strukturen, die wir zum Beispiel mit der IRZ-Stiftung haben, nicht unterstützen und stär- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): ken sollten, um ganz konkrete Projekte zu machen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Das ist der Punkt, an dem ich sage: Da müssen wir Herren! Nachdem die letzten beiden Vorrednerinnen ge- mit dem Antrag einen Schritt weitergehen. Wir haben rade auf den Antrag eingegangen sind, der die rechtliche auch schon den Dialog gesucht, und wir müssen jetzt ein Zusammenarbeit stärken möchte, der darauf ausgerichtet bisschen weiter in die Tiefe gehen und überlegen, ob wir ist, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stär- nicht beispielsweise für die IRZ-Stiftung für ganz kon- ken und auszubauen, möchte auch ich noch einmal auf krete Projekte, zum Beispiel für den Verfassungsprozess diesen wesentlichen Punkt eingehen; denn ich glaube, es im Südsudan, Gelder bereitstellen, um ihn damit unter- ist gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Fo- stützen zu können. kus auf ein so wesentliches Thema lenkt. Deutschland engagiert sich da zum Beispiel auch mit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dem Max-Planck-Institut in Heidelberg. Das ist ein un- SES 90/DIE GRÜNEN) heimlich spannender Prozess, bei dem – das ist wirklich Ich fnde den Antrag von seiner Intention her wirklich interessant – auch wir lernen, unsere demokratischen berechtigt. Strukturen immer wieder zu hinterfragen und zu stärken; (B) denn man sieht im Diskurs mit diesen Ländern, welche (D) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Probleme auftauchen können. DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Deswegen würde ich sagen, dass alle Fraktionen – Wir haben auch im Ausschuss darüber diskutiert, Frau insbesondere dann, wenn die Kollegen von den Linken Kollegin Keul. Sie haben dieses Thema stark vorange- einmal aufpassen und die richtigen Anträge lesen – bracht. Ich fnde das richtig. Ich werde noch einiges zum (Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜND- Inhalt sagen, aber ich glaube, mit der Debatte sind wir NIS 90/DIE GRÜNEN]) auf dem richtigen Weg. sich diesen Antrag vornehmen und überlegen, für welche Als Intention haben Sie den freien und gleichen Zu- Institutionen und politischen Stiftungen – die IRZ-Stif- gang zum Recht und zu einem funktionierenden Jus- tung und das Max-Planck-Institut hatte ich gerade ge- tizwesen genannt. Das, sagen Sie, sei die unerlässliche nannt; dort würde es, glaube ich, gut passen – Mittel im Voraussetzung für Stabilität und Nachhaltigkeit. Das ist Haushalt eingestellt werden können, um in den Ländern, so, und das ist richtig. Deshalb bemühen wir uns ganz die wir auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat un- vielfältig – das beschreiben Sie auch in Ihrem Antrag –, terstützen wollen, konkrete Projekte weiter zu fördern. über viele Organisationen – die IRZ-Stiftung wurde schon genannt, aber beispielsweise auch über die poli- Für den Antrag wünsche ich mir mehr Konkretheit tischen Stiftungen – einen intensiven Rechtsstaatsdialog und Fakten. Natürlich ist es richtig, dass wir Staatsan- zu betreiben, die Voraussetzungen für einen demokrati- wälte und Richter, vielleicht aber auch einmal Rechtsan- schen Staat in Ländern zu etablieren und Wissenstransfer wälte entsenden. Auch das würde mich freuen. Für die ist zu leisten. Von daher gibt es bereits einen Ansatz. es natürlich manchmal etwas schwieriger. Aber warum eigentlich sollte es nicht auch über die Kammern, den Frau Bähr-Losse hat auch gerade beschrieben, was wir DAV und die BRAK Möglichkeiten geben, Anwälte in in diesem Bereich schon alles machen. Die Erkenntnis, diese Länder zu schicken? dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wichtig sind, haben wir, und deswegen ist der Antrag auch rich- Wir sollten also einmal schauen, welche Möglichkei- tig. ten und Rahmen wir schaffen müssen. Dabei handelt es sich ja oft um eine Länderthematik. Den Ländern fällt (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- es schwer, Staatsanwälte und Richter freizustellen und SES 90/DIE GRÜNEN) sie beispielsweise für ein Jahr in ein anderes Land zu Ich glaube, dass es wichtig ist, in den Staaten, in de- entsenden. Was können wir machen, um dies zu unter- nen wir die Chance haben, Grundlagen der Demokratie stützen? Auch da sind es, glaube ich, wieder Akteure Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23699

Dr. Patrick Sensburg (A) wie Stiftungen und Institutionen, die das zum Beispiel (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- (C) über Drittmittelprojekte ermöglichen könnten. Beim gierung Max-Planck-Institut ginge so etwas. Dort unterrichten Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter viele Staatsanwälte und Lehrer nebenamtlich. Wir sollten deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- das befördern, um hinzubekommen, dass Rechtsstaatsdi- ropäische Union geführten EU NAVFOR alog und Demokratietransfer wirklich funktionieren. Somalia Operation Atalanta zur Bekämp- Ich würde raten, diesen Antrag in seiner Kürze und fung der Piraterie vor der Küste Somalias Knappheit heute nicht anzunehmen, aber den Diskurs – Drucksachen 18/11621, 18/12207 insbesondere im Ausschuss für Recht und Verbraucher- schutz – weiter zu führen, um die Gelder, die wir, glaube – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- ich, fnden könnten, für diese aus meiner Sicht im Hin- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung blick auf Ihre Intention richtigen Dinge, die wir anpacken Drucksache 18/12208 sollten, bereitstellen zu können. Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Danke schön. mentlich abstimmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 15 a zur Be- Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte (Beifall bei der SPD) und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“. Der Ausschuss Dagmar Freitag (SPD): empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- sache 18/10626, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ legen! Erneut befnden wir heute über die Operation Die Grünen auf Drucksache 18/10031 abzulehnen. Wer Atalanta. Sie hat – ich denke, darin sind wir uns alle ei- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt nig – in den vergangenen Jahren ganz unbestritten dazu dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- beigetragen, die Piraterie am Horn von Afrika erheb- lung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen lich zurückzudrängen. Bereits seit 2008 beteiligt sich (B) angenommen. Deutschland an der Marinemission und schützt somit (D) auch die Transporte des Welternährungsprogramms, der Unter Tagesordnungspunkt 15 b stimmen wir über Mission der Afrikanischen Union sowie Seeleute und den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Handelsschiffe. Lassen Sie uns kurz zurückschauen. Gab nen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgeset- es zwischen 2008 und 2012 noch knapp 600 Übergriffe zes ab. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz auf Schiffe, sind es zwischen 2013 und 2017 weniger als empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- 10. Das ist ein großer Erfolg dieser Mission. che 18/12413, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8277 abzulehnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Nach Angaben der Bundeswehr konnte auf diese Weise wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – die Auslieferung von 1,3 Millionen Tonnen Hilfsgüter Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be- nach Somalia sichergestellt werden. Ich denke, an dieser ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Stelle ist es angebracht, den Soldatinnen und Soldaten, die Stimmen der Opposition abgelehnt. Damit entfällt die sich in diesem Einsatz engagieren, ein herzliches nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Dankeschön von unserer Seite für ihre hervorragende Unter Tagesordnungspunkt 15 c kommen wir zur Be- Arbeit zu sagen. schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen mit dem Titel „Internationale rechtliche Zu- sammenarbeit stärken und ausbauen“. Der Ausschuss Natürlich leisten sie damit gleichzeitig einen entschei- empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- denden Beitrag zur Stabilisierung dieser doch sehr ge- sache 18/11780, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ beutelten Region. Die Grünen auf Drucksache 18/9675 abzulehnen. Wer Ohne eine grundlegende Verbesserung der politi- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt schen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhält- dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- nisse in dem Land wird es keine nachhaltige Sicherung lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen der Seewege geben. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg hat – die Stimmen der Opposition angenommen. das wissen wir – Anarchie im Land hinterlassen, eine Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Sicherheitslage, die mit „fragil“ nur unzureichend be- schrieben ist. Das ostafrikanische Land zählt noch immer – Beratung der Beschlussempfehlung und zu den ärmsten, aber auch zu den gefährlichsten Staaten des Berichts des Auswärtigen Ausschusses der Welt. Außerhalb der Stadtgrenzen von Mogadischu 23700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dagmar Freitag (A) beispielsweise haben staatliche Institutionen kaum Kon- den zu können. Auch das ist im Übrigen ein Beitrag zur (C) trolle. In Zentralsomalia und auch im Süden gibt es wei- nachhaltigen Stabilisierung dieser Region. Eines muss terhin komplexe Angriffe der islamistischen Terrororga- aber auch klar sein: Solange allerdings die grundlegen- nisation al-Schabab. den Ursachen der Piraterie nicht erfolgreich bekämpft und beseitigt sind, bleibt die Präsenz auch unserer Schif- Über 1 Million somalischer Flüchtlinge sind laut fe vor der Küste Somalias unverzichtbar. UNHCR in benachbarten Ländern am Horn von Afri- ka registriert. Auch aufgrund der anhaltenden schweren Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem vorlie- Dürre steht diesem Krisenstaat wohl erneut eine huma- genden Mandat. nitäre Katastrophe bevor. 2011 sind – ich darf das in Vielen Dank. Erinnerung rufen – bereits 250 000 Menschen verhun- gert. Nach UN-Angaben sind derzeit rund 50 Prozent der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen, allein 2,9 Millionen Menschen auf die Verteilung von Nah- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: rungsmitteln. Das Kinderhilfswerk rechnet in diesem Jahr mit 1,4 Millionen akut mangelernährten Kindern. Vielen Dank. – Als Nächste hat Inge Höger für die Auch die medizinische Grundversorgung kann nicht ge- Fraktion Die Linke das Wort. währleistet werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Entwicklung Somalias zu einem stabilen Staat ist zweifellos eine langfristige Aufgabe. Das Land braucht Inge Höger (DIE LINKE): Hilfe vor allem in der Verwaltung, in der Justiz und im Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um Sicherheitssektor. das Horn von Afrika sind laut Angaben der UN 20 Mil- lionen Menschen vom Hungertod bedroht. Es geht um (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber keine Länder wie Somalia, Jemen und den Südsudan. Es ist die Militäreinsätze!) größte Zahl seit Bestehen der Vereinten Nationen. Ange- Dazu gehört natürlich auch die Unterstützung beim Auf- sichts der humanitären Katastrophe ist die internationale bau der Sicherheitsbehörden an Land und auf See. Daher Hilfe ein erbärmlicher Tropfen auf den heißen Stein. beteiligt sich Deutschland auch an der zivilen Mission (Beifall bei der LINKEN) EUCAP Somalia und an der Ausbildungsmission EUTM Somalia. Staatsminister Roth hat noch vor wenigen Ta- Das Antipirateriemandat Atalanta, das heute hier zur gen in Brüssel die Forderung nach einer verstärkten Be- Abstimmung steht, zeigt wieder einmal eine völlig fal- (B) ratung der somalischen Streitkräfte durch die erwähnte sche Prioritätensetzung. Militär hilft nicht gegen den (D) EU-Mission bekräftigt. Zudem hat Bundesaußenminister Hunger. Gabriel angekündigt, die deutsche Nothilfe auf 140 Mil- (Beifall bei der LINKEN) lionen Euro zu verdoppeln. Die Deutsche Welthungerhilfe berichtete im April, dass Vor wenigen Tagen, am 11. Mai, fand die internationa- bisher nur 10 Prozent der zur Bekämpfung des Hungers le Somalia-Konferenz in London statt. Dort sprach auch dringend benötigten Gelder überwiesen wurden. Der UN-Generalsekretär António Guterres die unverzichtba- Hunger ist auch Folge von Klimaveränderungen. Dafür ren Maßnahmen an: Stabilisierung der Sicherheitslage, sind die westlichen Industrienationen maßgeblich ver- mehr politische Transparenz und – wir nennen das Good antwortlich. Außerdem trägt das saudische Militär mit Governance – verantwortungsvolle Regierungsführung. seiner illegalen Blockade von jemenitischen Häfen zum Hoffnung liegt zurzeit auf dem neuen Präsidenten Ab- Hunger in der Region bei. Saudi-Arabien ist ein Ver- dullahi, der im Februar 2017 gewählt wurde. In London bündeter des Westens und wird politisch und militärisch hat er den Kampf gegen die größten Feinde Somalias massiv unterstützt. Es ist eine Schande, dass nach wie ausdrücklich betont: Terrorismus, Korruption und Ar- vor auch aus Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien mut, und das mit dem Ziel, natürlich ein wirtschaftlich exportiert werden. erfolgreicheres Somalia zu schaffen, ein stabiles Land, das endlich wieder auf eigenen Füßen stehen kann. (Beifall bei der LINKEN) Aber ich denke, uns allen ist klar: Das Land wird noch Angesichts des Hungers in Somalia könnten die sehr lange die Hilfe der internationalen Gemeinschaft be- Fischer einen wichtigen Beitrag zur Selbsthilfe leisten. nötigen. Der Hauptauftrag der Operation Atalanta bleibt Doch internationale Fangfotten plündern legal und ille- die Abschreckung, die Verhinderung und natürlich auch gal die Fischbestände vor der somalischen Küste. Wäh- die Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen ge- rend der Hochphase der Piraterie in der Region hielten nauso wie von bewaffneten Raubüberfällen. Im Rahmen sich die internationalen Flotten zurück, und die Bestände verfügbarer Mittel und Kapazitäten kann die Mission konnten sich erholen. Was für die Handelsschifffahrt am aber auch der Überwachung illegaler Aktivitäten im Be- Horn von Afrika ein Segen ist, nämlich der Rückgang der reich der Fischerei dienen, zum Beispiel durch Informa- Bedrohung durch die Piraterie, ist für die Fischer in der tionsaustausch zum maritimen Lagebild. Region ein Fluch. Geplant ist, dass im laufenden Jahr eine Übergangs- Von 2013 bis Anfang dieses Jahres kam es auf den strategie erarbeitet wird, um die Operation – natürlich Seewegen insgesamt nur zu etwa zehn Angriffen auf unter Beibehaltung der bereits erreichten Erfolge – been- Schiffe. Das ist gut für die Besatzung, das ist gut für den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23701

Inge Höger (A) internationalen Handel, und das ist gut für die interna- Außenminister, dort das Wort ergriffen hat und sich zur (C) tionalen Raubfscher. Die verbrecherische Ausbeutung Situation in Somalia geäußert hat. Er hat natürlich da- der somalischen Fischbestände muss dringend beendet rauf hingewiesen, wie sehr es ihn besorge, dass es dort werden. eine andauernde Dürre gebe und dass dort eine Hungers- not bevorstehe. Er hat aber auch seiner Freude Ausdruck (Beifall bei der LINKEN) verliehen, dass es einen friedlichen Machtwechsel und Die Menschen in der Region um das Horn von Afri- einen neuen Präsidenten gebe und dass es auch die Chan- ka bemerken die falschen Prioritäten der westlichen Mi- ce gebe, Streitkräfte und natürlich auch eine Sicherheits- litärmission durchaus. Es ist absurd: Erklärtes Ziel der struktur in diesem Land aufzubauen, die dann auch in der Atalanta-Mission ist der Schutz des Welternährungspro- Lage sei, gegen die islamistischen Al-Schabab-Milizen gramms. Gleichzeitig stehen nicht genügend Gelder zur zu kämpfen. Verfügung, um den Hunger wirksam zu bekämpfen. Auf Ich fnde es überraschend, dass gerade ein britischer der einen Seite sollen kriminelle Piratennetzwerke be- Außenminister, der bedauerlicherweise an der Spitze der- kämpft werden. Gleichzeitig wird die illegale Blockade jenigen stand, die dafür plädiert haben, die Europäische von jemenitischen Häfen unterstützt. Die Menschen in Union zu verlassen, an dieser Stelle eine EU-Kommissi- Jemen hungern, und humanitäre Hilfe kommt nicht an. on gelobt und festgestellt hat: Die Europäische Union tut Durch die Unterbindung des regulären Schiffsverkehrs hier etwas Gutes für die Menschen in der Region, aber durch saudisches Militär werden kriminelle Netzwerke natürlich letzten Endes auch für den Weltfrieden. – Auch gestärkt, die angeblich bekämpft werden sollen. das sollte uns vielleicht zu der Erkenntnis bringen, dass Das Problem der Fischerei ist zwar Teil des Atalan- das insgesamt eine gute Sache ist. ta-Mandats, doch während der Dauer des Mandates hat die räuberische Ausbeutung der Fischgründe kontinuier- (Beifall bei der CDU/CSU) lich zugenommen. Die einzige wirkliche Priorität für das Natürlich können wir die Situation und die Lage der Militär ist der Schutz der Handelsrouten. So werden die Menschen in Somalia nicht einfach so ändern. Der Ein- Probleme in der Region nicht gelöst, sondern nur ver- fuss der deutschen und der europäischen Politik ist be- stärkt. Das muss sich grundlegend ändern. grenzt. Es gibt islamistischen Terror. Es gibt Clan-Struk- (Beifall bei der LINKEN) turen, die leider immer noch nicht zerschlagen worden sind, Armut und Hungersnot und natürlich auch eine Somalische Fischer berichten davon, dass ihre kleinen schlechte Agrar- und fast gar keine industrielle Struktur. Boote von großen internationalen Trawlern gerammt Aber gerade deshalb ist es doch umso wichtiger, dass werden. Auf Fischer wird geschossen, und es kommt im- wir diesen Einsatz hier unterstützen; das ist nämlich eine (B) mer wieder zu Todesfällen. Gelegentlich wird ihnen so- der Grundvoraussetzungen dafür, dass in diesem Land (D) gar der Fang geraubt. Die Fischbestände sind dramatisch überhaupt wieder Friede, wirtschaftliches Wachstum und geschrumpft. auch ein sozialer Standard einkehren können, den sich Ein Unrecht rechtfertigt kein anderes; aber wir sollten doch eigentlich alle Menschen wünschen müssen. nicht ignorieren, dass Not und Verzweifung die Grund- (Beifall bei der CDU/CSU) lagen für die Piraterie sind. Es ist wenig überraschend, dass seit Beginn dieses Jahres die Zwischenfälle rund um Mich überrascht eigentlich, dass Sie von der Links- das Horn von Afrika wieder zugenommen haben. 2017 fraktion hier den Anspruch – das gilt auch für Ihren be- gab es im Einsatzgebiet von Atalanta bisher in etwa so merkenswerten Beitrag gerade, Frau Höger – erheben, viele Überfälle wie in den vergangenen vier Jahren zu- das sei irgendwie humanitär und besonders edel – so sammen. Nun wieder mehr Militär zu schicken, bringt kommen Sie ja immer daher –, gegen militärische Ein- keine dauerhafte Lösung. Not und Hunger in der Region sätze zu sein. Jeder militärische Einsatz ist natürlich das müssen endlich bekämpft werden. Nötig sind ein Ende letzte Mittel und ist natürlich keine Sache, die sich ir- der Raubfscherei und ein Ende der Rüstungsexporte in gendein Abgeordneter, auch kein Regierungsmitglied in die Region, und das sofort. der Bundesrepublik Deutschland leicht macht. Niemand freut sich: Hey, toll, wir können Soldaten einsetzen. – (Beifall bei der LINKEN) Angesichts des Umstandes, dass wir hier wirklich einen großen Erfolg erzielt haben und dass es gelungen ist, die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Piraterie fast vollständig zu besiegen – jetzt ist es endlich Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt wieder möglich, dass durch Schiffe des Welternährungs- der Kollege Dr. Johann Wadephul das Wort. programms humanitäre Maßnahmen geleistet werden können –, (Beifall bei der CDU/CSU) (Inge Höger [DIE LINKE]: Die Ursachen des Hungers bekämpfen!) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und muss ich sagen: Sie von der Linksfraktion haben eine Herren! Die Kollegin Freitag hat freundlicherweise inhumane und keine besonders edle, humane Position. schon auf die zweite internationale Somalia-Konfe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. renz hingewiesen, die in der Tat wichtig war. Ich fand Karin Evers-Meyer [SPD]) bemerkenswert – das konnte man im Tagesspiegel die- ser Tage nachlesen –, dass Boris Johnson, der britische Das sollten Sie an der Stelle einmal einsehen. 23702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Johann Wadephul (A) Es ist kein Gegensatz, ebenso für die Handelswege schen Hilfslieferungen, vor allem vom Welternährungs- (C) der westlichen Welt – Europas, auch Amerikas; der Golf programm. von Aden ist einer der wichtigsten Handelswege – ein- zutreten und diese zu verteidigen. Für deren Sicherheit Das Problem in diesen Tagen ist, dass das Welternäh- zu sorgen, ist per se nichts Schlechtes, sondern das ist in rungsprogramm immer mehr Schiffe einsetzen muss – unserem allseitigen, auch wirtschaftlichen Interesse hier nicht nur, weil man mehr Menschen versorgen muss, in Deutschland und Europa. Dazu kann man sich, fnde sondern weil das Welternährungsprogramm nicht mehr ich, durchaus bekennen; aber es ist kein Gegensatz zu genug Geld hat, um die großen Schiffe, die im Übrigen humanitärer Hilfe, sondern beides ergänzt sich. Es wer- gegen Piratenangriffe immuner sind, zu chartern, und es den praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. vermehrt auf kleinere Schiffe zurückgreifen muss. Das stellt ein erhöhtes Risiko für das Welternährungspro- Sie verkennen, dass wir seitens der Europäischen Uni- gramm dar. on insgesamt einen umfassenden Einsatz haben, auf den Dieses Risiko wird steigen, wenn in den USA die die Kollegin Freitag schon hingewiesen hat. Wir haben Administration von Präsident Trump tatsächlich den nicht nur einen militärischen Ansatz, sondern natürlich Haushaltsentwurf, den sie vorgelegt hat und mit dem auch einen entwicklungspolitischen Ansatz sowie mit sie 230 Millionen Dollar aus dem Etat des Welternäh- dem Versuch, die Sicherheitsstrukturen in dem Land zu rungsprogramms streichen würde, durch den Kongress verbessern, auch einen darüber hinausgehenden Ansatz. bekommt. Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung Die Mission EUCAP NESTOR, die Sie sicherlich Präsident Trump beim NATO-Gipfel in diesen Tagen zu- auch kennen, hilft dabei, die von Ihnen angesprochene sichert, dass Deutschland und andere EU-Staaten bereit Küstengebiets- und Seeraumkontrolle zu verbessern. Es wären, diese Deckungslücke zu schließen, dass das dann ist notwendig, die Raubfscherei dort zu bekämpfen; ich aber nötige und konkrete Sicherheitsausgaben bedeute. bitte Sie aber, die Dimension zu wahren. Nur weil es im Das ist Sicherheit – und nicht die 2 Prozent, von denen Bereich der Raubfscherei noch Probleme gibt, ist nicht Trump und die Bundesregierung die ganze Zeit sprechen. der gesamte Einsatz gegen die Piraterie schlecht, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er ist gut. sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, dass der Im Übrigen ist es völlig richtig, dass das, was die Deutsche Bundestag diesen Einsatz, der wirklich zu den Mission Atalanta leistet, langfristig keine Lösung ist. erfolgreichsten Einsätzen gehört, die die Bundeswehr in Aber, verehrte Kollegin Höger: Manchmal braucht man den letzten Jahren durchgeführt hat, fortführt, dass wir kurzfristige Lösungen. Sie können den Seeleuten nicht uns dort im europäischen Sicherheitsrahmen weiter en- (B) einfach sagen: Ihr müsst warten, bis es eine langfristige (D) gagieren und in dieser Region für ein kleines bisschen Lösung gibt. – Ja, wir müssen vor allem die Schiffe des mehr Frieden und die Chance auf Wohlstand eintreten. Welternährungsprogramms schützen; dafür wird Atalan- Wir sollten zeigen, dass wir das Entfiehen aus einer ta gebraucht. Atalanta wird gebraucht, um die Schiff- schlimmen humanitären Situation gewähren und an der fahrt zu sichern, und nicht, um militärische Abenteuer an Seite der Menschen in Somalia stehen. Land, die es seit ein paar Jahren in diesem Mandat gibt, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. abzusichern. Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die Bundesregierung versäumt hat, dieses Landelement aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- diesem Mandat herauszunehmen. Das ist der Grund, wa- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ rum die Mehrheit meiner Fraktion nicht wird zustimmen DIE GRÜNEN) können. Die Bundesregierung hat auch versäumt, ihre Soma- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: lia-Politik grundsätzlich zu überprüfen. In diesem Man- Vielen Dank. – Als Nächster spricht Omid Nouripour, dat steht zum ersten Mal im Mandatstext selbst drin, dass Bündnis 90/Die Grünen. Atalanta die Unterstützung für die Ausbildungsmission liefern wird. Wir bilden Soldaten aus, die danach aber Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kein Gehalt bekommen. Wofür bilden wir sie denn dann eigentlich aus? Das ist ein riesengroßes Problem, weil Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt wir Menschen an Waffen ausbilden, von denen wir nicht gute Nachrichten aus Somalia – allerdings ist das Land genau wissen, wo sie am Ende des Tages landen werden. noch weit entfernt von Stabilität. Ein Symptom dieser Instabilität ist die Piraterie. Es ist richtig, es gibt auch an- EUCAP NESTOR sollte in drei Staaten die Küsten- dere Gründe, wie zum Beispiel die Raubfscherei. Aber wache auf Vordermann bringen. Nach Jahren stellte sich dieses Symptom wird bekämpft, was auch notwendig ist. heraus: Es gibt gar keine Küstenwache. Was ist die Kon- sequenz? EUCAP NESTOR wird in EUCAP Somalia Die Mission Atalanta macht das seit neun Jahren umbenannt, statt grundsätzlich zu überprüfen, ob das ein ziemlich erfolgreich: Die Piraterie ist tatsächlich zu- richtiger Beitrag war. rückgegangen, und die humanitären Hilfslieferungen sind gewährleistet. Das Problem ist aber noch da: In den Gleichzeitig haben wir Verbündete, die mit dem so- letzten zwölf Monaten ist die Piraterie zurückgekommen. genannten Krieg gegen den Terror viele Perspektiven für Es gibt einen massiven humanitären Notstand am Horn eine politische Lösung in Somalia zerstören. All diese von Afrika; allein in Somalia brauchen 7 Millionen Men- Ansätze gehen an den Bedürfnissen des Landes vorbei. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23703

Omid Nouripour (A) Was das Land braucht, ist ein Aufbau von unten. Ich bin dien stattfndet. Gerade China übernimmt hier in einer (C) sehr dankbar: nicht nur dafür, dass unsere Soldatinnen sehr positiven Weise internationale Verantwortung. Die und Soldaten dort einen wahrlich nicht einfachen Einsatz chinesische Lenkwaffenfregatte Yulin hat Anfang April unter schwierigen Bedingungen fahren, sondern auch 2017 eingegriffen, um einen bedrohten Frachter zu retten. dafür, dass es auch deutsche NGOs gibt, die tatsächlich Sie wurde von einer indischen Fregatte unterstützt. Beide versuchen, diesen Ansatz, von unten aufbauend, zu ver- Länder stehen ja sonst nicht für eine so enge Zusammen- folgen. Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung die- arbeit. Insofern ist auch das ein positiver Nebenaspekt. sen NGOs, diesen Gruppierungen mehr zuhören würde Zugleich ist die Mobilisierung der internationalen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) maritimen Wirtschaft hervorzuheben. Die Selbstschutz- und auch die Chance, die sich durch die positive Nach- maßnahmen der zivilen Seeschifffahrt und die Best-Ma- richt von der Wahl von Präsident Farmajo ergibt, ergrei- nagement-Practices haben maßgeblich zu den Erfolgen fen würde, endlich einen Neubeginn ihrer Somalia-Po- der letzten Jahre beigetragen. Dazu gehören vor allem litik zu lancieren, statt immer nur auf alte Rezepte zu die Ausweisung bestimmter Korridore sowie der Einsatz setzen. Ja, Symptombekämpfung ist richtig. Auf lange privater Sicherheitsteams. Sicht wird dies allerdings nicht ausreichen. Wir haben aber gesehen: Die Situation bleibt sehr fra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gil. Seit Beginn dieses Jahres hat es wieder eine ganze Reihe von Piratenangriffen gegeben, sogar eine Entfüh- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: rung. Einschätzungen, das Geschäftsmodell der Piraten Vielen Dank. – Jetzt hat Florian Hahn für die CDU/ sei unrentabel geworden, haben sich leider als falsch CSU-Fraktion das Wort. erwiesen. Warum? Die Zahl der Marineeinheiten wurde zurückgenommen. Einige Frachtschiffe halten sich nicht (Beifall bei der CDU/CSU) mehr an die empfohlenen Korridore, kürzen ab, fahren zu nahe an die Küste oder zu langsam und führen keine be- Florian Hahn (CDU/CSU): waffneten Teams mehr mit sich. Die weiter existierenden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kriminellen Netzwerke sind aufmerksam und schlagen Zuallererst möchte ich festhalten: Atalanta ist eine erst- sofort wieder zu. klassige, eine erfolgreiche maritime Sicherheitsoperation. Die Piratenangriffe in der Region konnten durch Atalan- Aber zudem, meine Damen und Herren, bleibt die ta und die Schwestermissionen massiv reduziert werden. Situation in Somalia und in der Region natürlich insge- samt komplex und dramatisch; wir haben es hier schon (B) Wir sollten nicht vergessen, dass auf dem Höhepunkt der (D) Krise am Horn von Afrika im Jahr 2010 49 Schiffe ent- gehört. Viele tiefere Gründe für die Piraterie sind nicht führt wurden. Über 1 000 Seeleute waren zeitweise Gei- beseitigt. Somalia bleibt ein Failed State – trotz kleiner seln. Es kam zu Toten. Im Jahr 2011 wurde Lösegeld mit Hoffnungszeichen durch eine neue Führung im Land. einem Gesamtbetrag von 160 Millionen Dollar gezahlt, Armut, Hungersnot, Seuchen, die Cholera, organisierte das einzig einer kriminellen Elite zugutekam. Durch die Kriminalität, der Terrorismus halten das Land weiter in maritime Operation gingen diese Zahlen deutlich zurück. ihrem Griff. Terroristen und Kriminelle rekrutieren die Zuletzt gab es lange Zeit überhaupt keine Entführungen Armen und die, die ohne Hoffnung sind. Wenn der Staat mehr . Vor kurzem hat es wieder einige einzelne Angriffe kein Geld hat, seine Sicherheitskräfte zu bezahlen, wenn gegeben, in der Intensität aber keinesfalls vergleichbar Jobs und Perspektiven fehlen, wird eine Abwärtsspirale mit denen früherer Zeiten. Allein das zeigt doch schon in Gang gesetzt. den Erfolg der Operation Atalanta. Was folgt daraus? Die Fortsetzung von Atalanta ist (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/ derzeit alternativlos. Wir sind auf sichere Handelswe- CSU]) ge angewiesen. Ein Einstellen der Patrouillen hätte de- Atalanta ist auch deshalb erfolgreich, weil die Missi- saströse Effekte für die Handelsschifffahrt und die Liefe- on in einer einzigartigen Weise auf internationale Zusam- rungen des Welternährungsprogramms – wichtig gerade menarbeit setzt. Für Atalanta haben neben den EU-Staa- wegen der aktuellen Dürre und Hungersnot. ten auch andere Länder wie Norwegen, die Ukraine oder Da ist ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz richtig. Kolumbien Kriegsschiffe gestellt, Neuseeland hat mit Aufklärungsfähigkeiten beigetragen, Serbien und Mon- Der braucht viel Geld, der braucht viel Zeit, und er zeigt tenegro mit Stabsoffzieren. Im Februar dieses Jahres leider nur langsam Erfolge. Aber wir müssen schließlich wurde sogar eine südkoreanische Fregatte für einige Zeit weiter die Not und die Armut bekämpfen und versuchen, Atalanta unterstellt. Derzeit beteiligen sich Spanien und Berufs- und Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen. Wir Italien mit Schiffen. Deutschland und Spanien stellen leisten hier schon sehr viel: über die Entwicklungszu- die Aufklärungsfugzeuge. Hinzu kam bis Ende 2016 die sammenarbeit, über die humanitäre Hilfe. Wir dürfen es NATO-Operation Ocean Shield. Aber auch viele andere nicht der al-Schabab überlassen, den hungernden Men- Nationen beteiligen sich am gemeinsamen Kampf gegen schen dort zu helfen, sondern wir müssen uns selbst dort die Piraterie. noch stärker engagieren. Ich halte es für wichtig und gut, dass so auch prakti- In diesem Sinne ist auch Atalanta als erfolgreicher sche Zusammenarbeit zum Beispiel mit China oder In- und wichtiger Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie ein 23704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Florian Hahn (A) wichtiger Baustein. Ich bitte deswegen, einer Verlänge- der Wahrnehmung sozialer Rechte von Men- (C) rung dieses Mandats zuzustimmen. schen ohne Aufenthaltsstatus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Drucksache 18/6278 ordneten der SPD) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ausschuss für Arbeit und Soziales Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe und gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Europäische Union geführten maritimen Mission Opera- Ich bitte alle, ihre Plätze einzunehmen. – Wenn die tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Gespräche auf der rechten Seite außerhalb des Plenar- Somalias. saals weitergeführt werden, dann können wir mit der Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen Aussprache beginnen. 1) gemäß § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung vor. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion. lung auf Drucksache 18/12207, den Antrag der Bundes- (Beifall bei der SPD) regierung auf Drucksache 18/11621 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Dr. Matthias Bartke (SPD): vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe den Urnen besetzt? – Dort fehlt die Opposition. Das ist Linke, Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgeset- heute schon wiederholt der Fall gewesen. Ich bitte um zes beginnt mit dem Satz: Beeilung. – Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist der Soziale Grundrechte sind unabdingbar für ein wür- Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Be- diges Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft. schlussempfehlung. (Beifall bei der LINKEN) Noch einmal eine besondere Durchsage an die CDU/ Ich möchte Ihnen sagen: Dem stimmen wir zu. Ich sage (B) CSU-Fraktion: Hier gibt es noch drei Urnen, bei denen es (D) keinen Andrang gibt. – Hat jetzt jeder seine Stimmkarte das ganz ausdrücklich, weil das ziemlich die einzige Stel- abgegeben? – Herr Diaby, jetzt aber schnell. le in Ihrem Gesetzentwurf ist, der wir zustimmen. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstim- NEN) 2) mung wird später bekannt gegeben. Die Sachverständigenanhörung, die wir zu Ihrem Ge- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: setzentwurf durchgeführt haben, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. So etwas habe ich vorher noch nicht a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- erlebt. Kein Sachverständiger hat Ihrem Gesetzentwurf ordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zustimmung signalisiert, nicht einmal Ihr eigener, Pro- Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordne- fessor Eichenhofer. Er hat zwar erläutert, dass er grund- ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten sätzlich für soziale Grundrechte sei. Ich glaube, Herr Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Kollege Hoppenstedt war es, der nachgefragt hat. Dann Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grund- hat Herr Professor Eichenhofer deutlich gemacht, dass rechte in das Grundgesetz) er die gesamte Programmatik Ihres Gesetzentwurfes für Drucksache 18/10860 nicht zustimmungsfähig hält. Ich sage Ihnen: Vernich- tend! Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schuss) Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich ebenso Drucksache 18/12412 verfehlt, wie er politisch schädlich ist. Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, ist ein fein austariertes, hoch- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker fligranes Konstrukt. Das gilt umso mehr für die Grund- Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Franziska rechte. Mit Ihrem Antrag fuhrwerken Sie regelrecht im Brantner, weiteren Abgeordneten und der Frakti- Grundrechtskatalog herum. Nach Artikel 1 Grundgesetz on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten wollen Sie einen neuen Artikel 1a einfügen, nach Arti- Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung kel 2 einen neuen Artikel 2a, nach Artikel 3 einen neu- en Artikel 3a, einen neuen Artikel 3b, einen neuen Ar- 1) Anlagen 3 und 4 tikel 3c, einen neuen Artikel 3d, nach Artikel 16 einen 2) Ergebnis Seite 23706 C neuen Artikel 16a. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23705

Dr. Matthias Bartke (A) Was für ein Verhältnis Sie zu unserer Verfassung ha- Worten. Ich habe noch nicht erkennen können, dass sich (C) ben, wird im heute in der taz veröffentlichten Interview die soziale Situation durch Ihr Wahlprogramm verändern mit Frau Zimmermann deutlich. Sie fängt an: wird. Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) „Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf Dr. Matthias Bartke (SPD): Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und Der Punkt ist: Natürlich wollen auch wir soziale Ge- noch einiges mehr. rechtigkeit, aber wir wollen nicht in der Art und Weise (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) am Grundgesetz herumfuhrwerken, wie Sie es tun wol- len; denn damit würden Grundrechte beliebig. Hören Sie Zu diesem „einiges mehr“ gehört übrigens auch die meiner Rede weiter zu! Ich werde es noch ausführen. sanktionsfreie Mindestsicherung – so mal ganz neben- bei. Das erwähnen Sie nicht einmal. Da ist man doch fas- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sungslos, mit welcher Beliebigkeit hier neue Grundrech- CDU/CSU) te geschaffen werden sollen, natürlich alles einklagbar Frau Zimmermann, Sie haben es mit der letzten Ant- vor dem Bundesverfassungsgericht. wort im taz-Interview mit Herrn Rath noch einmal wun- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE derbar dokumentiert. Herr Rath von der taz sagt: GRÜNEN]: Den Sozialausschuss können Sie Nach Ihren Angaben haben wir … 3,5 Millionen ja jetzt zumachen!) Arbeitslose. Hinzu kämen alle, die ihre schlecht bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun Vizepräsidentin Ulla Schmidt: einen gut bezahlten Job vom Staat fordern. Sie alle Herr Kollege Bartke, ich muss mal Ihren Redefuss hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei unterbrechen. Die Kollegin Zimmermann würde Ihnen gewählte Arbeit … gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einver- standen? (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soziale Sicherheit hätten sie! Sozi- ale Sicherheit!) Dr. Matthias Bartke (SPD): Aber gerne, Frau Zimmermann. Er hat es gut auf den Punkt gebracht. Ihre wunderbare Antwort – ganz simpel –:

(B) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute (D) Gut. auf morgen umsetzen. Es müsste wohl eine Über- gangsfrist geben. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischen- und? Das ist doch realistisch!) frage zulassen. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der So- „Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben“ für die zialstaat in Deutschland in den letzten Jahren auch durch Schaffung von mehreren Millionen Arbeitsplätzen! Ich Ihre Regierung massiv geschliffen worden ist, wiederhole mich: Man ist fassungslos. Das ist doch kaum (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE noch satisfaktionsfähig, was Sie da sagen. GRÜNEN]: Aber das ist Politik, nicht Grund- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gesetz! Machen Sie andere Politik!) des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ dass die Altersarmut zunimmt, dass die Kinderarmut zu- DIE GRÜNEN]) nimmt, dass Millionen Menschen im Niedriglohnbereich Wenn Sie ein Grundrecht auf frei gewählte Arbeit arbeiten und sie ihre Familien davon nicht ernähren kön- schaffen wollen, so sage ich Ihnen: In einer sozialen nen? Marktwirtschaft ist das nicht möglich. Das Grundrechts- (Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampfrede!) konzept des Grundgesetzes ist ein anderes. Es sieht vor, dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des In- Nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den ganzen entspre- dividuums gegen einen übergriffgen Staat sind. Das ist chenden Deklarationen, zu denen sich Deutschland be- eine Lehre aus der Vergangenheit. Sie wollen mit Ihrem kannt hat – wie zum Beispiel zur sozialen Sicherheit, zur Antrag einen Staat erreichen, der für alles sorgt, und das Bildung für alle, aber auch zu einer für alle erschwing- Bundesverfassungsgericht wird bei Ihnen zur Superins- lichen Gesundheitsversorgung –, überhaupt nichts greift tanz, die über alle Konfikte entscheidet. und dass man solche Sachen dann ins Grundgesetz schreiben muss, damit man es wirklich einklagen kann, Meine Damen und Herren, Grundrechte sind einklag- dass die soziale Sicherheit ein wesentlicher Punkt ist, bar. Sie müssen daher vom Staat auch gewährleistet wer- wenn es darum geht, unser Land in Zukunft armutsfest den, zu machen? Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die (Zuruf von der LINKEN: Ja, eben!) Situation derzeit so ist? Ihr Kanzlerkandidat hat ja auch deutlich gemacht: Wir brauchen wieder soziale Gerech- auch in schlechten Zeiten. In Ihrem Antrag postulieren tigkeit. Sie wollen da ja viel tun, zumindest mit leeren Sie etwas, was für den Staat unerfüllbar ist. Wenn wir 23706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Matthias Bartke (A) die von Ihnen geforderten Grundrechte in die Verfassung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) schreiben würden, könnten wir die Grundrechte nicht Vielen Dank. – Bevor ich die nächste Rednerin auf- mehr gewährleisten. Das Grundgesetz würde zur leeren rufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Hülse verkommen. Das werden wir zu verhindern wis- Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen sen. Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 564. Mit Ja Ich danke Ihnen. haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 71, Ent- haltungen 32. Damit ist die Beschlussempfehlung ange- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nommen.

Endgültiges Ergebnis Enak Ferlemann Christian Hirte Andreas G. Lämmel Abgegebene Stimmen: 564; Axel E. Fischer (Karlsru- Robert Hochbaum Katharina Landgraf he-Land) davon Alexander Hoffmann Ulrich Lange Dr. Maria Flachsbarth ja: 461 Thorsten Hoffmann (Dort- Barbara Lanzinger Klaus-Peter Flosbach mund) nein: 71 Paul Lehrieder Thorsten Frei Karl Holmeier enthalten: 32 Dr. Katja Leikert Dr . Astrid Freudenstein Franz-Josef Holzenkamp Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Andreas Lenz Ja (Hof) Margaret Horb Philipp Graf Lerchenfeld Michael Frieser CDU/CSU Bettina Hornhues Dr. Ursula von der Leyen Dr. Michael Fuchs Dr. Mathias Edwin Höschel Antje Lezius Stephan Albani Hans-Joachim Fuchtel Charles M. Huber Ingbert Liebing Dorothee Bär Alexander Funk Anette Hübinger Matthias Lietz Thomas Bareiß Ingo Gädechens Hubert Hüppe Andrea Lindholz Norbert Barthle Dr . Thomas Gebhart Erich Irlstorfer Dr. Carsten Linnemann Günter Baumann Alois Gerig Sylvia Jörrißen Patricia Lips Maik Beermann Cemile Giousouf Dr. Franz Josef Jung Wilfried Lorenz Manfred Behrens (Börde) Josef Göppel Andreas Jung Dr. Claudia Lücking-Michel Veronika Bellmann Ursula Groden-Kranich Xaver Jung Dr. Jan-Marco Luczak Sybille Benning Klaus-Dieter Gröhler (B) Dr. Egon Jüttner Daniela Ludwig (D) Dr . André Berghegger Michael Grosse-Brömer Bartholomäus Kalb Karin Maag Dr. Christoph Bergner Astrid Grotelüschen Hans-Werner Kammer Yvonne Magwas Ute Bertram Markus Grübel Steffen Kanitz Peter Beyer Manfred Grund Thomas Mahlberg Alois Karl Steffen Bilger Oliver Grundmann Gisela Manderla Anja Karliczek Clemens Binninger Monika Grütters Matern von Marschall Bernhard Kaster Peter Bleser Dr. Herlind Gundelach Hans-Georg von der Marwitz Volker Kauder Dr. Maria Böhmer Fritz Güntzler Andreas Mattfeldt Dr. Stefan Kaufmann Norbert Brackmann Olav Gutting Stephan Mayer (Altötting) Klaus Brähmig Christian Haase Ronja Kemmer Reiner Meier Michael Brand Florian Hahn Roderich Kiesewetter Jan Metzler Dr. Reinhard Brandl Rainer Hajek Dr . Georg Kippels Maria Michalk Helmut Brandt Dr. Stephan Harbarth Volkmar Klein Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Ralf Brauksiepe Jürgen Hardt Jürgen Klimke Dr. Mathias Middelberg Heike Brehmer Gerda Hasselfeldt Axel Knoerig Dietrich Monstadt Ralph Brinkhaus Matthias Hauer Jens Koeppen Karsten Möring Cajus Caesar Mark Hauptmann Markus Koob Marlene Mortler Gitta Connemann Dr. Stefan Heck Carsten Körber Volker Mosblech Alexandra Dinges-Dierig Dr. Matthias Heider Hartmut Koschyk Elisabeth Motschmann Alexander Dobrindt Helmut Heiderich Kordula Kovac Dr. Gerd Müller Michael Donth Mechthild Heil Michael Kretschmer Carsten Müller (Braun- Thomas Dörfinger Frank Heinrich (Chemnitz) Gunther Krichbaum schweig) Marie-Luise Dött Mark Helfrich Dr. Günter Krings Stefan Müller (Erlangen) Hansjörg Durz Uda Heller Rüdiger Kruse Dr. Philipp Murmann Iris Eberl Jörg Hellmuth Bettina Kudla Dr. Andreas Nick Jutta Eckenbach Rudolf Henke Dr. Roy Kühne Michaela Noll Uwe Feiler Michael Hennrich Uwe Lagosky Helmut Nowak Dr . Thomas Feist Ansgar Heveling Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Dr . Georg Nüßlein Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23707

(A) Wilfried Oellers Gero Storjohann Doris Barnett Matthias Ilgen (C) Florian Oßner Stephan Stracke Dr. Matthias Bartke Christina Jantz-Herrmann Dr . Tim Ostermann Max Straubinger Sören Bartol Frank Junge Henning Otte Matthäus Strebl Bärbel Bas Josip Juratovic Ingrid Pahlmann Thomas Stritzl Uwe Beckmeyer Thomas Jurk Sylvia Pantel Lena Strothmann Lothar Binding (Heidelberg) Oliver Kaczmarek Dr. Martin Pätzold Michael Stübgen Burkhard Blienert Johannes Kahrs Ulrich Petzold Dr. Sabine Sütterlin-Waack Willi Brase Ralf Kapschack Dr. Joachim Pfeiffer Antje Tillmann Dr. Karl-Heinz Brunner Gabriele Katzmarek Sibylle Pfeiffer Astrid Timmermann-Fechter Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Ulrich Kelber Eckhard Pols Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Lars Castellucci Marina Kermer Thomas Rachel Dr . Volker Ullrich Jürgen Coße Lars Klingbeil Kerstin Radomski Arnold Vaatz Petra Crone Daniela Kolbe Alexander Radwan Oswin Veith Bernhard Daldrup Birgit Kömpel Alois Rainer Thomas Viesehon Dr. Daniela De Ridder Anette Kramme Dr. Peter Ramsauer Michael Vietz Dr. Karamba Diaby Angelika Krüger-Leißner Eckhardt Rehberg Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sabine Dittmar Helga Kühn-Mengel Lothar Riebsamen Sven Volmering Elvira Drobinski-Weiß Christine Lambrecht Josef Rief Christel Voßbeck-Kayser Siegmund Ehrmann Christian Lange (Backnang) Iris Ripsam Kees de Vries Michaela Engelmeier Dr. Karl Lauterbach Johannes Röring Dr . Johann Wadephul Petra Ernstberger Steffen-Claudio Lemme Kathrin Rösel Marco Wanderwitz Saskia Esken Burkhard Lischka Dr. Norbert Röttgen Karl-Heinz Wange Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Erwin Rüddel Nina Warken Dr. Johannes Fechner Kirsten Lühmann Albert Rupprecht Kai Wegner Dr. Fritz Felgentreu Dr . Birgit Malecha-Nissen Anita Schäfer (Saalstadt) Drh . .c. Albert Weiler Elke Ferner Caren Marks Dr . Wolfgang Schäuble Marcus Weinberg (Hamburg) Gabriele Fograscher Katja Mast Norbert Schindler Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Edgar Franke Dr. Matthias Miersch Tankred Schipanski Sabine Weiss (Wesel I) Ulrich Freese Klaus Mindrup (B) (D) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ingo Wellenreuther Dagmar Freitag Susanne Mittag Patrick Schnieder Karl-Georg Wellmann Michael Gerdes Bettina Müller Nadine Schön (St. Wendel) Marian Wendt Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Ole Schröder Waldemar Westermayer Angelika Glöckner Michelle Müntefering Dr. Kristina Schröder (Wies- Kai Whittaker Ulrike Gottschalck Dr. Rolf Mützenich baden) Peter Wichtel Kerstin Griese Dietmar Nietan Bernhard Schulte-Drüggelte Annette Widmann-Mauz Gabriele Groneberg Ulli Nissen Dr. Klaus-Peter Schulze Heinz Wiese (Ehingen) Michael Groß Mahmut Özdemir (Duisburg) Uwe Schummer Klaus-Peter Willsch Uli Grötsch Markus Paschke Armin Schuster (Weil am Elisabeth Winkelmeier- Wolfgang Gunkel Jeannine Pfugradt Rhein) Becker Bettina Hagedorn Detlev Pilger Detlef Seif Oliver Wittke Rita Hagl-Kehl Joachim Poß Dagmar G. Wöhrl Johannes Selle Metin Hakverdi Florian Post Barbara Woltmann Reinhold Sendker Ulrich Hampel Achim Post (Minden) Tobias Zech Dr. Patrick Sensburg Sebastian Hartmann Dr . Wilhelm Priesmeier Heinrich Zertik Bernd Siebert Michael Hartmann (Wa- Florian Pronold Johannes Singhammer Emmi Zeulner ckernheim) Dr. Sascha Raabe Tino Sorge Dr. Matthias Zimmer Dirk Heidenblut Dr. Simone Raatz Carola Stauche Gudrun Zollner Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Dr. Frank Steffel Gabriela Heinrich Mechthild Rawert Dr. Wolfgang Stefnger SPD Marcus Held Stefan Rebmann Albert Stegemann Niels Annen Wolfgang Hellmich Gerold Reichenbach Peter Stein Ingrid Arndt-Brauer Dr. Barbara Hendricks Dr. Carola Reimann Sebastian Steineke Heike Baehrens Heidtrud Henn Andreas Rimkus Johannes Steiniger Ulrike Bahr Gustav Herzog Sönke Rix Christian Frhr. von Stetten Bettina Bähr-Losse Gabriele Hiller-Ohm Petra Rode-Bosse Dieter Stier Heinz-Joachim Barchmann Thomas Hitschler Dennis Rohde Rita Stockhofe Dr. Katarina Barley Dr. Eva Högl Dr. Martin Rosemann 23708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Dr. Ernst Dieter Rossmann Annalena Baerbock Wolfgang Gehrcke DIE GRÜNEN (C) Susann Rüthrich Marieluise Beck (Bremen) Nicole Gohlke Sylvia Kotting-Uhl Bernd Rützel Ekin Deligöz Annette Groth Christian Kühn (Tübingen) Sarah Ryglewski Dr . Thomas Gambke Dr . André Hahn Monika Lazar Johann Saathoff Kai Gehring Heike Hänsel Peter Meiwald Annette Sawade Anja Hajduk Dr. Rosemarie Hein Beate Müller-Gemmeke Dr. Hans-Joachim Dieter Janecek Inge Höger Lisa Paus Schabedoth Tom Koenigs Andrej Hunko Corinna Rüffer Axel Schäfer (Bochum) Dr . Tobias Lindner Sigrid Hupach Hans-Christian Ströbele Dr. Nina Scheer Omid Nouripour Ulla Jelpke Marianne Schieder Friedrich Ostendorff Susanna Karawanskij Udo Schiefner Cem Özdemir Kerstin Kassner Enthalten Dr. Dorothee Schlegel Brigitte Pothmer Katja Kipping BÜNDNIS 90/ Ulla Schmidt (Aachen) Tabea Rößner Jutta Krellmann DIE GRÜNEN Matthias Schmidt (Berlin) Manuel Sarrazin Katrin Kunert Luise Amtsberg Dagmar Schmidt (Wetzlar) Kordula Schulz-Asche Caren Lay Volker Beck (Köln) Carsten Schneider (Erfurt) Markus Tressel Sabine Leidig Agnieszka Brugger Elf Scho-Antwerpes Doris Wagner Ralph Lenkert Katja Dörner Ursula Schulte Dr . Valerie Wilms Michael Leutert Katharina Dröge Swen Schulz (Spandau) Stefan Liebich Harald Ebner Ewald Schurer Fraktionslos Dr. Gesine Lötzsch Andreas Schwarz Matthias Gastel Erika Steinbach Thomas Lutze Rita Schwarzelühr-Sutter Birgit Menz Katrin Göring-Eckardt Norbert Spinrath Niema Movassat Britta Haßelmann Nein Svenja Stadler Norbert Müller (Potsdam) Dr . Anton Hofreiter Martina Stamm-Fibich Bärbel Höhn SPD Dr . Alexander S. Neu Sonja Steffen Thomas Nord Uwe Kekeritz Klaus Barthel Christoph Strässer Petra Pau Katja Keul Marco Bülow Kerstin Tack Harald Petzold (Havelland) Sven-Christian Kindler (B) Dr. Ute Finckh-Krämer (D) Claudia Tausend Richard Pitterle Maria Klein-Schmeink Cansel Kiziltepe Michael Thews Martina Renner Oliver Krischer Hilde Mattheis Dr . Karin Thissen Dr. Petra Sitte Stephan Kühn (Dresden) Christian Petry Carsten Träger Kersten Steinke Renate Künast René Röspel Ute Vogt Dr . Kirsten Tackmann Steff Lemke Dirk Vöpel Rüdiger Veit Azize Tank Nicole Maisch Gabi Weber Waltraud Wolff (Wol- Frank Tempel Irene Mihalic mirstedt) Bernd Westphal Dr . Axel Troost Özcan Mutlu Andrea Wicklein Alexander Ulrich Dr. Konstantin von Notz DIE LINKE Dirk Wiese Kathrin Vogler Claudia Roth (Augsburg) Gülistan Yüksel Dr. Dietmar Bartsch Halina Wawzyniak Elisabeth Scharfenberg Dagmar Ziegler Herbert Behrens Katrin Werner Ulle Schauws Stefan Zierke Karin Binder Birgit Wöllert Dr. Gerhard Schick Dr. Jens Zimmermann Matthias W. Birkwald Hubertus Zdebel Dr. Frithjof Schmidt Manfred Zöllmer Christine Buchholz Pia Zimmermann Dr . Wolfgang Strengmann- Eva Bulling-Schröter Sabine Zimmermann Kuhn BÜNDNIS 90/ Roland Claus (Zwickau) Dr . Harald Terpe DIE GRÜNEN Sevim Dağdelen Dr . Julia Verlinden Kerstin Andreae Dr. Diether Dehm BÜNDNIS 90/ Beate Walter-Rosenheimer

Nächste Rednerin ist Azize Tank, Fraktion Die Linke. fang: Sie haben null Ahnung, was soziale Menschenrech- te bedeuten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Azize Tank (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die aktuellen Herausforderungen einer globalisierten Kollegen! Herr Bartke, ich sage es Ihnen gleich am An- Welt verlangen nach sozialer Gerechtigkeit. Die Ergeb- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23709

Azize Tank (A) nisse des letzten Armuts- und Reichtumsberichtes zeigen Menschenrechte gelten für alle Menschen: egal ob arm (C) erheblichen Handlungsbedarf. oder reich, egal welche Staatsangehörigkeit sie haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE es!) GRÜNEN]: Das ist aber auch heute schon!) Selbst IWF und OECD kritisieren die soziale Ungleich- Soziale Grundrechte zeigen den Weg. Die Antwort auf heit in der Bundesrepublik. Wir müssen uns diesen He- die Herausforderungen unserer Zeit ist nicht die Rück- rausforderungen stellen, um ein Auseinanderbrechen un- kehr zu Nationalismus und Chauvinismus. Vielmehr geht serer Gesellschaft zu verhindern. es um den Zugang zu sozialen Rechten und um gesell- schaftliche Teilhabe für alle. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Aber doch nicht so! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundge- setz ist eine Notwendigkeit. Soziale Menschenrechte sind unteilbar und universell. Wir brauchen nicht krank zu sein, um das Recht auf Ge- (Beifall bei der LINKEN) sundheit zu verteidigen, so wie wir auch nicht wählen Soziale Menschenrechte schützen die Freiheit vor Elend gehen müssen, um das allgemeine Wahlrecht anzuerken- und Not. Das ist bereits in der Allgemeinen Erklärung nen. Die einen sind ohne die anderen nicht denkbar. Die der Menschenrechte niedergeschrieben. Sie geht von der bürgerlichen und politischen Freiheiten können nicht in Einheit bürgerlicher und sozialer Menschenrechte aus. vollem Umfang wahrgenommen werden, wenn den Men- Meine Herren und Damen, schauen Sie sich das erst ein- schen elementare soziale Menschenrechte vorenthalten mal an, dann können Sie immer noch „Oh!“ sagen. werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Vereinten Nationen haben 1966 wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte im UN-Sozial- Deshalb müssen soziale Menschenrechte im Grundge- pakt verbindlich verbrieft. Das ist keine Erfndung der setz als einklagbare Rechte verankert werden. Linken. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht so!) GRÜNEN]: Aber da steht doch nicht so ein Der aktuelle Zustand ist weder mit der Völkerrechtsent- Zeug drin!) wicklung noch mit den erreichten sozialen Standards der (B) (D) Seit 2008 ermöglicht ein Zusatzprotokoll zum UN-So- Bundesrepublik vereinbar. zialpakt eine Individualbeschwerde nach Ausschöpfung Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden alle an des nationalen Rechtsweges. Dieses Zusatzprotokoll unserer Haltung zu sozialen Grundrechten gemessen und wurde bisher von insgesamt 22 Staaten ratifziert, zum nicht an leeren Wahlversprechen zur sozialen Gerechtig- Beispiel von Frankreich, Italien, Spanien. Deutschland keit in der Zukunft. gehört bisher leider nicht dazu. Auch die revidierte Eu- ropäische Sozialcharta hat Deutschland nicht ratifziert. Ich danke Ihnen. Wir wollen mit unserem vorliegenden Gesetzentwurf die (Beifall bei der LINKEN) individuelle Durchsetzung grundlegender sozialer Men- schenrechte ermöglichen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Der Beitritt zum UN-Sozialpakt, zu der Europäischen Dr. Hendrik Hoppenstedt das Wort. Sozialcharta und der Grundrechtecharta der EU war (Beifall bei der CDU/CSU) nicht dazu gedacht, in Deutschland rechtsfreie Räume zu schaffen. Nein, diese Abkommen verpfichten die Bun- desrepublik zur Umsetzung sozialer Rechte. Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Herren! Wenn ich das so höre, Frau Kollegin Tank, denke GRÜNEN]: Es wirkt deshalb auch unmittel- ich, dass wir in ziemlich unterschiedlichen Welten leben. bar!) Aber auch darüber sich hier heute einmal auszutauschen, Auch die altmodische Aufteilung von Menschenrechten ist ja interessant. in bürgerliche und soziale ist juristisch nicht haltbar. So- (Zurufe von der LINKEN) wohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte stehen allen Men- Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer schen zu, unabhängig von ihrer sozialen Stellung und Grundrechte in das Grundgesetz suggerieren Sie ja in Herkunft. Alle Menschenrechte sind gleichwertig. allererster Linie, dass unsere Verfassung insoweit voll- ständig defzitär wäre. Dass das ganz bestimmt nicht der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Fall ist, wussten wir schon vor dem erweiterten Bericht- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- erstattergespräch; aber auf Wunsch Ihrer Fraktion haben NIS 90/DIE GRÜNEN]) wir es durchgeführt. Alle Sachverständigen – der Kollege 23710 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Hendrik Hoppenstedt (A) Bartke hat es schon eindrücklich geschildert – haben ge- Zwischen 1949 und 1989 gab es einen Staat, der genau (C) nau das bestätigt. das versucht hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat das nicht wirklich gut funktioniert. Selbst Ihr eigener Sachverständiger, der Sympathie für die Aufnahme weiterer sozialer Grundrechte in den (Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier- Text des Grundgesetzes geäußert hat, schrieb zu Ihrer Becker [CDU/CSU]) Forderung nach Gewährleistung des Existenzminimums: Sie wollen das Streikrecht ohne Einschränkungen ge- Der Gesetzgebungsvorschlag geht nicht über den recht- währleisten, lichen Status quo hinaus. – Auch im Berichterstatterge- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE spräch hat er gesagt, es sei ja nicht so, dass die Verfas- GRÜNEN]: Das ist ein Grundrecht!) sung das Soziale nicht schützen würde. Auf Nachfrage hat er weiter gesagt – auch das hat der Kollege Bartke inklusive des Rechts zum politischen Streik. Ich glaube, schon gesagt; ich kann ihn hier nur andauernd anführen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer weil er es vollumfänglich so dargestellt hat, wie es auch Tarifautonomie und mit unserer Koalitionsfreiheit ausge- mein Eindruck war –, sprochen gut gefahren sind. Sie fordern ein Recht auf eine menschenwürdige (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf dass Ihr Gesetzentwurf – ich wiederhole: das sagte Ihr Versorgung mit Wasser und Energie sowie eine einkom- eigener Mann wörtlich – über eine Vielzahl von Inkon- mensgerechte Miete. Der Staat soll für Mieterschutz sistenzen verfügen würde. sorgen und Miet- und Wohnbelastungen ausgleichen. Die Räumung von Wohnraum soll unzulässig sein, wenn Meine Damen und Herren, in Deutschland erhalten kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt bedürftige Menschen seit Jahrzehnten Hilfe und Schutz. wird. Im Hartz‑IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) 2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip Sie ignorieren dabei völlig, dass das BGB eine Vielzahl des Artikels 20 ein „Grundrecht auf Gewährleistung ei- von mieterschützenden Vorschriften enthält. Lesen Sie es nes menschenwürdigen Existenzminimums“ folgt. Da- doch einfach mal. raus ergibt sich ein verfassungsunmittelbarer Anspruch (Zurufe von der LINKEN) auf Sozialleistungen. Jedem Hilfebedürftigen stehen Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Ergänzung diejenigen materiellrechtlichen Voraussetzungen zu, die des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durch- (B) für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an (D) setzung von Rechten führen würde. Das gilt für Forde- Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politi- rungen nach Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen schen Leben unerlässlich sind. Es gibt also keine rechtli- ebenso wie für die Aufnahme von weiteren Grundrech- chen Defzite, jedenfalls nicht auf verfassungsrechtlicher ten. Ebene. Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, sollte die Weitere von Ihnen geforderte Änderungen und Er- wichtigsten Rechte im Verhältnis zwischen Bürger und gänzungen des Grundgesetzes sind entweder überfüs- Staat regeln, sig, widersprüchlich oder mit unserem freiheitlichen (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] Staatsverständnis und der sozialen Marktwirtschaft nicht [DIE LINKE]) vereinbar. Hinter Ihrem Gesetzentwurf steht ein völlig anderes Gesellschaftsbild und ein völlig anderes Sozial- einschließlich der Grundrechte. Je mehr wir dort hinein- modell, als wir es heute haben. schreiben, desto mehr werden wir tendenziell unsere Ver- fassung relativieren Überfüssig ist zum Beispiel Ihre Forderung, den Staat (Zuruf von der LINKEN: Autobahnprivatisie- zu verpfichten, kollektive soziale Sicherungssysteme zu rung!) schaffen; denn aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche reduzieren. zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des Ich habe noch nie in meinem Leben ein erweitertes Staates ist. Berichterstattergespräch erlebt – auch das hat der Kol- lege Bartke schon dargestellt –, in dem ein Gesetzent- Sie wollen ein Recht auf Gewährleistung eines men- wurf derartig zerrissen wurde. Das Gespräch war für Ihre schenwürdigen Existenzminimums, das sanktionsfrei ge- Fraktion eine einzige Ohrfeige. Zitat aus der Stellung- währt werden soll. Zugleich soll jeder Mensch das Recht nahme eines Sachverständigen – diesmal zugegebener- auf frei gewählte oder angenommene Arbeit haben. Wie maßen nicht Ihr eigener –: Die vorgeschlagenen Grund- das zusammenpasst, beantworten Sie leider nicht. Wer gesetzänderungen sind verfassungsrechtlich verfehlt, soll denn die frei gewählten Arbeitsplätze zur Verfügung verfassungspolitisch uninformiert, handwerklich dürftig stellen? Der Staat vielleicht? und insgesamt politisch schädlich. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Es bleibt festzuhalten: Wir leben in einem wohlhaben- GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht!) den und vor allen Dingen sozialen Staat, der weltweit zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23711

Dr. Hendrik Hoppenstedt (A) den besten Staaten gehört. Seien wir uns dessen bewusst. geht es ganz konkret um verfassungsrechtliche und men- (C) Wenn wir schon nicht dafür dankbar sind, so würdigen schenrechtliche Ansprüche einer bestimmten Gruppe. wir es zumindest. Soziale Rechte sind sowohl in der Ver- Darin geht es um die Frage: Wie geht unser Rechtssys- fassung als auch einfachgesetzlich bestens abgesichert. tem mit Illegalen um? Das ist – verfassungsrechtlich wie Deswegen lehnen wir als Fraktion diesen Gesetzentwurf ethisch – für mich der Ausgangspunkt. Hierzu möchte mit vollem Herzen ab. ich die Worte zweier Päpste zitieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als ordneten der SPD) solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von allen und in jeder Situation respektiert werden müs- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sen. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Volker Beck für Das sagte der von mir sonst nicht immer geschätzte Be- Bündnis 90/Die Grünen. nedikt XVI. in der Enzyklika „Caritas in veritate“. Und Johannes Paul II. sagte: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fn- Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit un- de, es lohnt sich, über die Frage, ob wir soziale Grund- veräußerlichen Rechten versehen ist, die weder ver- rechte im Verfassungstext sichtbarer machen wollen, zu letzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen. reden. Dem wird unser aktuelles Ausländerrecht hinsichtlich (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- der Illegalen nicht gerecht. Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Mensch ist, bloß weil er keine Papiere hat, nicht Auch manche Formulierungen, die Sie für Änderungen rechtlos gestellt. Er verliert dadurch nicht seine Men- des Artikels 3 des Grundgesetzes gefunden haben, halte schenrechte, das Recht auf Zugang zur Gesundheitsver- ich durchaus für diskussionswürdig. Was aber echt nicht sorgung und das Recht auf Schutz vor Ausbeutung im geht, ist, das eigene Parteiprogramm ins Grundgesetz Arbeitsverhältnis. Jedoch ist es durch unsere Melde- schreiben zu wollen, pfichten so geregelt, dass, wenn jemand ohne Papiere (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ seinen Anspruch auf Gesundheitsbehandlung nach dem DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Asylbewerberleistungsgesetz wahrnimmt – hierauf be- CDU/CSU und der SPD) steht in unserem Rechtssystem ein Rechtsanspruch –, die zuständige Sozialbehörde die Daten an die Auslän- (B) einschließlich der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpo- derbehörde weitergeben muss. Das führt unmittelbar zu (D) litik aus den guten alten Zeiten. Es ist wirklich unange- aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. messen, wie Sie damit umgehen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was?) (Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) Die Realität, die wir dadurch haben, soweit nicht Cari- Ich rate Ihnen, das Interview mit Susanne Baer in der tas oder Malteser Hilfsdienst einspringen, ist, dass Men- taz zu lesen. Darin geht es um die Bedeutung von Sozi- schen zum Teil erst dann zum Arzt gehen, wenn Krebs- al- und Wirtschaftspolitik und um die verfassungsrecht- geschwüre aufgebrochen sind. lichen Planken, in deren Rahmen solch eine Diskussion stattzufnden hat. Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich jedes Jahr zu einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie, wo Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) treter der katholischen Kirche jährlich über die Situation Sie sagt: von Illegalen in Deutschland beraten. Lassen Sie sich das mal von denen, die die Flüchtlingsgesundheitsversorgung Das Grundgesetz schafft den Rahmen, in dem Ge- machen, eins zu eins erzählen. Das ist himmelschreiend! rechtigkeitsfragen von der Gesellschaft und in den Parlamenten beantwortet werden müssen. ... Für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Diskussion gibt es die Demokratie mit den sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Parteien, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, LINKE]) der Presse. Ich kann nur an den Gesetzgeber appellieren: Das, Das, was Sie machen, beschreibt sie mit dem Satz: was wir bei der Bildung in der vorletzten Wahlperiode gemacht haben – da waren Sie dabei –, war, dass man Da wird eine Verfassung zum leeren Versprechen. gesagt hat: Von Kindern, die in die Schule gehen, darf die Schulbehörde die Daten nicht an die Polizei und die Das möchte ich um der Rechtspositionen willen, die in Ausländerbehörde weitergeben, damit auch Kinder von unserer Verfassung stehen, nicht haben. Illegalen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Durchsetzung der legitimen Ausweisung von Per- sowie bei Abgeordneten der SPD) sonen darf nicht der Preis gezahlt werden, dass sie ihre Lassen Sie uns daher die Diskussion über seriöse Menschenrechte verlieren. Das gilt auch für das Einkla- Entwürfe führen. Ich will jetzt deshalb zu dem Gesetz- gen von Arbeitslohn, der vorenthalten wird, vor Arbeits- entwurf kommen, den wir hier vorgelegt haben. Darin gerichten. Mit unserem jetzigen Recht schützen wir die 23712 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Volker Beck (Köln) (A) Ausbeuter . Wenn jemand, der einen versprochenen Lohn Lassen Sie uns auch benennen, dass es ein grundsätz- (C) nicht erhält, zum Arbeitsgericht geht, muss das Arbeits- liches Dilemma ist, wenn wir es mit Menschen zu tun gericht ihn melden, was zur Abschiebung führt. Also, haben, die sich illegal in Deutschland aufhalten, weil be- wessen Recht wird da geschützt? Die Leute gehen natür- stimmte aufenthaltsrechtliche Fragen nicht ausreichend lich nicht hin. Abgeschoben kriegen Sie sie doch nicht. geklärt sind. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass Aber Sie liefern diese Menschen aus, machen sie recht- es um jemanden geht, der es böse meint oder etwas an- lich schutzlos, gefährden ihre Gesundheit. deres im Schilde führt, sondern es handelt sich vielfach um Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die Für die Gruppe der Menschen ohne Papiere stehen über Jahre und Jahrzehnte Beschäftigung ausüben, deren zwar die Menschen- und Grundrechte in der Verfassung Kinder sogar ohne Aufenthaltsstatus in unsere Schulen bzw. im Gesetz, aber durch die Meldepfichten anderer gehen. Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein Behörden werden sie faktisch außer Kraft gesetzt. Problem. Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) handlungsfähiger Staat jederzeit wissen muss, wer sich in seinem Staatsgebiet aufhält. Und das ist die Problem- lage. Wir würden allerdings nicht so weit wie die Grünen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: in ihrem Antrag gehen, pauschal eine Abschaffung von Herr Kollege Beck. ganzen Gesetzesteilen zu fordern oder sich pauschal auf die EU zu beziehen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist in der Tat richtig, wenn wir einen der drei Punk- Daher appelliere ich an Sie, insbesondere an Sie von te einmal herausnehmen, und zwar die Frage der Arbeits- der Union, mit zwei unfehlbaren Päpsten an meiner Sei- entlohnung von illegal Beschäftigten, te: Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie sich dieses Themas an! Und setzen Sie sich auch einmal der Diskus- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE sion mit den katholischen Hilfswerken aus. Da ist nie ein GRÜNEN]: Die Gesundheitsversorgung CDU-Abgeordneter. Castellucci von der SPD war da. brennt am meisten auf den Nägeln!) dass wir auf die 2009 beschlossene EU-Richtlinie noch Vizepräsidentin Ulla Schmidt: mal eingehen und an dieser Stelle sagen sollten: Ja, in Herr Kollege Beck, jetzt muss ich Sie bitten, zum der Tat gibt es das Problem, dass zwar einerseits erreicht Schluss zu kommen. werden kann, dass der Lohn gezahlt wird, andererseits aber der Arbeitsrichter eine sogenannte öffentliche Stelle (B) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist, die dann die Daten übermitteln muss. (D) Nehmen Sie sich dieses Problems an, und überlegen Natürlich ist es, wenn man schon über den Schutz Sie, ob wir in der nächsten Legislaturperiode da endlich der Bevölkerung spricht, genauso geboten, darauf hin- etwas hinbekommen. zuweisen: Ja, in der Tat trifft es zu, dass es am Ende, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn es einen konkreten Notfall gibt, die Behandlung in Aufnahmezentren gibt. Dafür einen großen Dank an die Migrationsdienste, die Fachärzte vermitteln und sich Vizepräsidentin Ulla Schmidt: darum kümmern, dass illegal Aufhältige Zugang zur Ge- Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Sebastian Hartmann. sundheitsversorgung bekommen. Zugleich muss man (Beifall bei der SPD) sich aber fragen: Kann es sinnvoll sein, fnanz- und ge- sundheitspolitisch diesen Menschen so lange Kranken- schutz vorzuenthalten, bis es dann zu einer Notaufnahme Sebastian Hartmann (SPD): kommt? Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Beck, wer mit zwei Päpsten Es gibt gute Beispiele dafür, was man hier tun kann – beginnt und mit einem SPD-Kollegen, dem geschätzten auch aus meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen und Kollegen Castellucci, endet, der kann eigentlich nur Zu- aus Niedersachsen. Dort gibt es zum Beispiel den ano- stimmung bekommen. nymisierten Krankenschein; diese Initiative möchte ich ausdrücklich begrüßen. Dadurch kann man möglicher- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie weise eine konkrete Verbesserung und eine fnanzielle des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Auskömmlichkeit im System erreichen und insgesamt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch etwas für den Gesundheitsschutz tun. Sie haben tatsächlich einen Gesetzentwurf aufgegrif- (Beifall bei der SPD) fen, den wir in der vergangenen Wahlperiode als Opposi- tion formuliert haben. Wir haben gemeinsam an der Fra- Wir werden diese Debatte sehr ernsthaft führen, aber ge von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen gearbeitet wir müssen sie unter anderen Voraussetzungen als denen und einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht. Tat- des Jahres 2015 führen, als Sie den Antrag formuliert sächlich haben wir in der damaligen Debatte zum Teil und gestellt haben. Wir reden jetzt über eine Vielzahl auch die damalige Koalition gelobt und sie darauf hin- von Menschen, deren Aufenthaltsstatus infrage steht und gewiesen, dass sie schon ein paar Verbesserungen durch- überprüft wird. Es sind wahrlich nicht wenige Menschen. gesetzt hat. Nach einem Zeitungsbericht waren es 2016 allein in Ber- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23713

Sebastian Hartmann (A) lin 50 000 Menschen, die von diesen Regelungen mögli- bieten, Ausländerbehörden über Menschen zu informie- (C) cherweise umfasst sind. ren, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Die SPD wird diesen Ansatz aufnehmen und im Be- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE nehmen mit dem Koalitionspartner diskutieren. Dabei GRÜNEN]: Weil sie das Gegenteil erreichen können wir sicherlich auf das zurückgreifen, was wir von dem, was sie erreichen wollen! Die Leute in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet und ge- gehen dort einfach nicht hin!) meinsam eingebracht haben, um hier im Plenum zu einer Wir reden nicht von Menschen ohne Papiere; denn Men- großen, breiten Mehrheit zu kommen. schen ohne Papiere können sich auch legal in Deutsch- Herzlichen Dank. land aufhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: Reden Sie eigentlich manchmal mit den Kirchen? Kennen Sie noch Kirchen von innen?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf so: jetzt Andrea Lindholz. Bislang sehen Menschen ohne Aufenthaltsstatus (Beifall bei der CDU/CSU) oftmals von der Durchsetzung schadensersatzrecht- licher, arbeitsvertraglicher oder sozialversiche- rungsrechtlicher Ansprüche ab, weil sie zu Recht (CDU/CSU): Andrea Lindholz befürchten, dass im laufenden Verfahren ihr Aufent- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen halt den Ausländerbehörden mitgeteilt wird. Durch und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir be- die Änderung wird ihre Position ... gegenüber aus- raten heute zwei Gesetzentwürfe der Opposition. Beide beuterischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Vorlagen erinnern mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky: gestärkt. Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut Wenn ich das lese, dann frage ich mich, ob ich ein fal- gemeint. sches Weltbild habe. Die Linken wollen soziale Grundrechte im Grundge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und setz verankern. Sie wollen, dass jeder Mensch den Staat des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf einen Arbeitsplatz und bezahlbaren Wohnraum ver- Sie wollen allen Menschen, die sich illegal in Deutsch- (B) klagen kann. Im Grunde fordern Sie eine grundlegend (D) andere Wirtschaftsordnung. Sie wollen, dass der Staat land aufhalten – ich rede von „illegal“ und nicht von wieder über die Wirtschaft bestimmt. Solche Ideen aus Menschen ohne Papiere –, der sozialistischen Mottenkiste werden, meine sehr ge- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ehrten Damen und Herren, auch nach Jahren nicht besser. GRÜNEN]: Ohne legalen Aufenthaltsstatus, Ausgehend von unserem Grundgesetz, dem Artikel 1 und ja!) unserem Sozialstaatsprinzip, brauchen wir keine neuen Kreationen im Grundgesetz. den Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnen, und gleich- zeitig sollen die Ausländerbehörden davon nicht erfahren Zur Begründung schreiben Sie: dürfen. Es tut mir leid, aber damit legalisieren Sie den Die bisherige Ausgestaltung des Grundgesetzes unerlaubten Aufenthalt. Sie laden zur Illegalität ein und reicht nicht aus, um wirksam vor Sozialabbau und untergraben vor allen Dingen den deutschen Rechtsstaat. sozialer Ausgrenzung zu schützen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Dieser Vorwurf ist vollkommen absurd. Ich darf heu- GRÜNEN]: Absurd! Sicherheitsbehörden te auch einmal Zahlen nennen: Deutschland hat 2015 müssen natürlich beteiligt werden! Ach, Frau 888,2 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Lindholz!) Das macht fast ein Drittel unseres Bruttoinlandproduktes Unser Aufenthaltsrecht können wir dann bald abschaf- aus. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Arbeitslosigkeit in fen, und wir können das, was Sie wollen, auf einen Punkt Deutschland halbiert. Trotzdem sind die Sozialleistungen bringen: Wer nach Deutschland kommt, erhält ein Blei- um über 220 Milliarden Euro gestiegen. Und Sie reden berecht und auch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und an dieser Stelle von Sozialabbau! zu Sozialleistungen. Bei Ihrem Bild von Deutschland, liebe Kolleginnen (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und Kollegen der Linken, wundert es mich nicht, dass GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Ihnen sowohl in NRW als auch in Schleswig-Holstein So wie Sie sich das vorstellen, funktioniert unser Rechts- der Einzug ins Landesparlament verwehrt wurde. staat nicht. Daher lehnen wir auch Ihren Gesetzentwurf Zum Gesetzentwurf der Grünen: Er ist aus meiner ab. Sicht leider nicht viel besser, gerade wenn man ihn im (Beifall bei der CDU/CSU) Lichte des Zuzugs nach Deutschland in den letzten zwei Jahren betrachtet. Sie wollen allen Ernstes öffentlichen Über 1,2 Millionen Menschen sind in den letzten bei- Einrichtungen wie Gerichten und Krankenhäusern ver- den Jahren nach Deutschland gekommen, 485 000 Aus- 23714 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Andrea Lindholz (A) reisepfichtige werden zum Ende dieses Jahres erwartet. Überweisungsvorschlag: (C) Wir wollen, dass diese Menschen ihrer Ausreisepficht Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nachkommen, und wir wollen sie nicht in die Illegalität Verteidigungsausschuss drängen. Der Bund, die Länder, die Behörden und der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Bundestag betreiben einen großen Aufwand, um diese Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Menschen zu registrieren. Im Interesse der inneren Si- lung cherheit gilt: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt und Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO wer sich dauerhaft bei uns aufhält. Wir können Illegalität Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nicht auch noch zementieren. die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie Die Lösung ist auch nicht, das Leben in der Illegalität sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. zu vereinfachen. Die Lösung muss sein, die Menschen Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Jetzt können aus der Illegalität herauszuholen. Wir haben mit unserer wir anfangen. Das Wort hat für die SPD-Fraktion Josip Bleiberechtsreform dafür gesorgt, dass sich Menschen, Juratovic. die sich seit vielen Jahren mit einem umgekehrten Auf- enthaltsstatus in Deutschland aufhalten, gut integrieren (Beifall bei der SPD) und einen Aufenthaltstitel bekommen können. Damit ha- ben wir ein Signal gegen die Illegalität gesetzt. Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wir wollen keine unkontrollierte und auch keine un- Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und rechtmäßige Zuwanderung. Ihrem Gesetzentwurf kön- über die Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher nen wir daher nicht zustimmen. Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mis- Vielen Dank. sion. Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die Truppenstärke verringern werden: von bisher 1 350 auf (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck jetzt maximal 800 Soldatinnen und Soldaten. Der nega- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Of- tive Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist fensichtlich nicht richtig gelesen!) auch 18 Jahre nach dem Kosovokrieg noch nötig. Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ist mir eines

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: besonders wichtig: Mein großer Dank und Respekt gilt Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz! Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 17 a zur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (B) Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (D) Linke zur Änderung des Grundgesetzes. Der Ausschuss GRÜNEN) für Recht und Verbraucherschutz empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12412, den Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kosovo schafft Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa- es leider regelmäßig in unsere Nachrichtenticker. Mal che 18/10860 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem höre ich die nationalistischen Töne, wenn die kosova- Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- rische Opposition den Grenzverlauf mit Montenegro chen. – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist anzweifelt. Ein anderes Mal lese ich Drohungen von die Koalition. Wer enthält sich? – Die Grünen. Damit ist bewaffnetem Widerstand, weil Serbien mit einem Pro- der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach pagandazug an die kosovarische Grenze rollt. Anschlie- unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung. ßend fordert Kosovo eine Armee, wohl wissend, welche Provokation dies für Serbien ist. Gleichzeitig liebäugeln Unter Tagesordnungspunkt 17 b wird interfraktionell die nicht wenige im Land mit Großalbanien. Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6278 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Doch auch die guten Nachrichten sollen nicht ver- schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, schwiegen werden. Die lange Zeit verbarrikadierte das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Brücke von Mitrovica ist wieder offen, und Kosovo hat endlich eine eigene internationale Telefonvorwahl und Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 18: eigene Kfz-Kennzeichen. Beratung des Antrags der Bundesregierung So oder so: Die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen ist desolat. Am eindrucks- Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der vollsten wird dies durch jene fast 50 000 Menschen aus internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo dem Kosovo bestätigt, die in den vergangenen Jahren in auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) Deutschland Asyl beantragten, oder, noch schlimmer, mit des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen über 300 IS-Kämpfern aus dem Kosovo. Warum tun sie vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech- das? nischen Abkommens zwischen der internati- onalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Erstens. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Ju- Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien gendarbeitslosigkeit, liegt bei 50 Prozent. (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Zweitens. Pristina befndet sich seit langem in einer Regierungskrise. Erst vor wenigen Tagen ist die Regie- Drucksache 18/12298 rung endgültig zerbrochen. Neuwahlen stehen bevor. Da- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23715

Josip Juratovic (A) bei ist das parlamentarische Selbstverständnis schwach na. – Trotz aller diplomatischer Bemühungen tragen wir (C) oder aber so radikal, dass der parlamentarische Weg gar Europäer eine Mitverantwortung für die desolate Lage nicht beschritten wird. Die politischen Eliten kranken auf dem Westbalkan, zum Beispiel, wenn Mazedonien an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel Nationalismus. Was ich hier vermisse, ist das politische wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert, Verantwortungsgefühl für die wirtschaftliche und soziale oder wenn im Kosovo mehr als 1 000 juristische Exper- Entwicklung. tinnen und Experten bei EULEX seit Jahren nicht in der Lage sind, eine effektive Korruptionsverfolgung aufzu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, obwohl wir bauen. Deshalb sollten wir Europäer jetzt dringend poli- seit Jahren mit Unterstützungen im Milliardenbereich im tische Handlungsfähigkeit beweisen. Kosovo aktiv sind! Erstens. Das Kosovo braucht endlich gerechte Gleich- Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotz behandlung in der Region des Westbalkans. Dazu gehört dieser beeindruckenden Zahl alles andere als glücklich. auch die dringende Umsetzung der Visaliberalisierung. Selbst im Kosovo wird die EU inzwischen zunehmend mit Skepsis betrachtet. Insbesondere die europäische Zweitens. Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 Rechtsstaatsmission EULEX hat in der Bevölkerung stehen für die fundamentalen Werte der EU. Wenn man den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man pfegen. Zur Ehrlichkeit gehört dabei aber auch: Wer ge- gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für zwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen, alle Westbalkanstaaten. Den Skeptikern unter uns will ich wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein. sagen: Kapiteleröffnung bedeutet noch lange keinen Au- Nun könnte man argumentieren, dass wir unser En- tomatismus hin zum EU-Beitritt. Die Kapiteleröffnung gagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst setzt gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die überlassen sollten. Dieser Gedanke mag verführerisch glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und sein, weil das so einfach klingt, dies aber wäre verhee- unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben erfüllen rend für die Sicherheit und Stabilität Europas. können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist der CDU/CSU) aber: Wir müssen in der EU endlich entschlossen poli- tisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Sol- Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder daten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren Punkt mitten in der Europäischen Union, der globalen können. Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum politischen Interessen ausgesetzt ist. Deshalb müssen wir Antrag der Bundesregierung. (B) Deutschen und Europäer uns stärker für eine europäische (D) Zukunft des Westbalkans einbringen, schon unserer eige- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen Sicherheit wegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachbarstaa- ten des Kosovo sind auch nicht gerade Musterbeispiele Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der Sicherheit und Stabilität. Das gilt zum Beispiel für Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt Dr. Alexander Kosovos Nachbarn Mazedonien, wo 25 Prozent der Be- Neu. völkerung ebenfalls zur albanischen Volksgruppe gehö- ren. Kürzlich haben die Mazedonier ein neues Parlament (Beifall bei der LINKEN) gewählt. Nach dem Machtverlust tauchten die mazedoni- schen Nationalisten auf den Straßen auf und stürmten äu- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): ßerst gewalttätig das Parlament mit dem Ziel, slawische Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte und albanische Mazedonier gegeneinander auszuspielen. Frau Präsidentin! Wir reden heute wieder über einen Kolleginnen und Kollegen, die Demokratinnen und KFOR-Einsatz. Wir befnden uns jetzt, glaube ich, im 16. Demokraten Mazedoniens verdienen unseren Respekt oder 17. Jahr dieses Einsatzes. Es geht also um die Ver- und unsere Unterstützung; denn diese mutigen Menschen längerung eines Militäreinsatzes zur fortgesetzten Beset- verteidigen unter schwierigsten Bedingungen die demo- zung der südserbischen Provinz Kosovo. kratischen Werte des immer mehr nach rechts außen kip- (Lachen bei der CDU/CSU – Zurufe von der penden Europas. CDU/CSU: Da lachen sogar die Linken! Man (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss nicht alles ablesen, Kollege Neu!) der CDU/CSU) – Das zeigt einmal mehr Ihr Selbstverständnis, meine Doch blicken wir auf Kosovo zurück. Die Verlänge- Kolleginnen und Kollegen, und auch, wie sehr Sie sich rung des KFOR-Einsatzes ist die traurige Bestätigung mit Verfassungsrecht und Völkerrecht auskennen. dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die schlep- Vorausgegangen sind dem zwei völkerrechtswidrige pende EU-Erweiterungspolitik ausgleichen müssen. Handlungen. Die erste war der NATO-Angriffskrieg im Kolleginnen und Kollegen, natürlich handeln die Bun- Jahr 1999 gegen den damals souveränen Staat Jugosla- desregierung und die EU: Es gibt den Berliner Prozess wien unter Beteiligung Deutschlands, das zu dieser Zeit für bessere Zusammenarbeit auf dem Westbalkan und von einer rot-grünen Regierung geführt wurde. Dieser die deutsch-britische Initiative für Bosnien-Herzegowi- Angriffskrieg diente seinerzeit der Unterstützung der 23716 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Alexander S. Neu (A) UCK, einer terroristisch-nationalistischen Organisation. schaffen, der von Vancouver bis Wladiwostok reicht, gab (C) Ich sage das deshalb, weil vor mir der Kollege auf den es eine NATO- und EU-Expansion. Nationalismus auf dem Balkan hingewiesen hat. Der Vorwand für die militärische Unterstützung der UCK war Das meistgenutzte Instrument der westlichen Geo- ein angeblicher oder drohender Genozid, der nie stattge- politik in Osteuropa ist – als staatliches Emanzipati- funden hat, also auch nicht bewiesen werden konnte. onsprojekt – die Unterstützung und Befeuerung des Nationalismus. Das geschieht mit der Verwendung von Die zweite rechtswidrige Handlung bestand darin, Täuschungsbegriffen wie „Demokratie“ und „Freiheit“. dass die Regierung des Kosovo gegenüber Serbien einen Territorialraub beging, begründet mit dem Selbstbestim- (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Die Linke scheint mungsrecht der albanischen Ethnien. nicht ganz glücklich zu sein mit dieser Rede!) Lassen Sie mich mit dem Blick auf die Krim eine klei- Das Ergebnis war und ist ein gewaltiger Nationalismus ne Anmerkung machen. Auch dort hat die Bevölkerung in der Ukraine und in Jugoslawien in einer militärischen ihr Selbstbestimmungsrecht – allerdings ohne Kriegsfüh- Dimension, die zu mehr als 100 000 Toten führte. rung – geltend gemacht. Aber auch das war ein verfas- sungswidriger Akt seitens der Bewohner der Krim. Und Im Baltikum, in Ungarn, Polen und Tschechien, in es war ein Völkerrechtsbruch seitens der Russischen Fö- der Slowakei, in Rumänien und Bulgarien haben wir es deration, die Krim zu integrieren. teilweise mit reaktionären Regierungen zu tun, die sich Warum aber unterstützen Deutschland und der Westen bisweilen sogar rassistisch äußern. Die Ausgrenzung von solche Organisationen wie die UCK? Minderheiten sowie die dezidierte Ablehnung der Auf- nahme von Flüchtlingen in Osteuropa sprechen doch (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Bände, sehr geehrte Damen und Herren. Das können Sie doch nicht leugnen. Das sind die Früchte Ihrer Politik. Es gibt eine ganz schnöde Antwort: Es geht um geostra- tegische Machtpolitik. Gerade Serbien hat in der ersten (Beifall bei der LINKEN) Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich Widerstand ge- gen die deutsche und österreichische Imperialpolitik Wegen dieser Politik werden wir den KFOR-Antrag geleistet. Daher musste Jugoslawien nach dem Kalten natürlich nicht unterstützen. Krieg zerlegt und Serbien geteilt werden. Unter Ihnen gibt es doch sicherlich den einen oder anderen, der die Ich danke Ihnen. Aussage vom damaligen Außenminister Klaus Kinkel aus dem Jahre 1992 kennt: Wir müssen Serbien in die (Beifall bei der LINKEN) (B) Knie zwingen. – Das ist das Vokabular, das zeigt, wie (D) man mit Kleinstaaten umgeht, die einem nicht unbedingt Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wohlgesonnen sind. Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre- Es ist auch kein Zufall, dass Deutschland und Öster- tär Dr. Ralf Brauksiepe. reich gerade die separatistisch-nationalistischen Kräfte unterstützten, die sie auch schon im Zweiten Weltkrieg (Beifall bei der CDU/CSU) unterstützt haben: (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: die Domobrancen in Slowenien, die Ustascha in Kroati- en, die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Handschar“ in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bosnien-Herzegowina sowie die Waffen-Gebirgsdivisi- Ich glaube, es ist nach dem letzten Beitrag sinnvoll, uns on der SS „Skanderbeg“, deren logischer Nachfahre die jetzt wieder mit der realen Welt zu beschäftigen. UCK war. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Antrag der ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Bundesregierung – das fnde ich auch ganz interessant – DIE GRÜNEN) steht ja – und ich zitiere –: Man hätte ja – wenn man die Beschreibungen zur Kennt- Eine fortgesetzte Beteiligung deutscher Soldatinnen nis nimmt, die man hier hört – manchmal Lust, zu sehen, und Soldaten an KFOR liegt damit im deutschen si- wie eigentlich die Weltkarten von Kollegen aussehen, die cherheitspolitischen Interesse. sie vielleicht in ihrem Büro haben. Das wäre lustig, wenn Wenn man „sicherheitspolitisch“ durch „machtpolitisch“ es angesichts dessen, um was es hier geht, nicht so traurig oder „geopolitisch“ ersetzen würde, käme man der Wahr- wäre. heit näher. Ich erinnere mich wie viele, die dabei waren, an die Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die deutsche und Entscheidungen, die wir 1998/99 im Deutschen Bundes- insgesamt die westliche Außen- und Sicherheitspolitik – tag damals noch in Bonn getroffen haben und die keinem man ging Arm in Arm mit den USA vor – nach dem Ende von uns leichtgefallen sind. Ich meine die Entscheidun- des Kalten Krieges eine rücksichtslose geostrategische gen betreffend die Jugoslawienkonfikte – diesen Flä- Expansionspolitik gewesen ist. Statt ein gemeinsames chenbrand und die damaligen Kriegsverbrechen mitten Haus Europa zu bauen und einen Wirtschaftsraum zu in Europa – in den 90er-Jahren. Wie gesagt, Herr Kolle- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23717

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) ge, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über das wir und unsere österreichischen Partner in Deutschland (C) lachen, was Sie hier erzählt haben. bzw. Österreich vorhalten. Damit reagieren wir auf die Verbesserung der Sicherheitslage. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es ist traurig!) Aber wir erkennen genauso an: Es bedarf weiterhin eines Beitrags zur Stabilisierung des Kosovo. Mit der Ich wünschte, dass Sie einmal Gelegenheit hätten, mit Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internati- den Angehörigen der vielen Opfer zu sprechen, von de- onalen Sicherheitspräsenz im Kosovo senden wir das Si- nen Sie eben behauptet haben, es sei gar nicht bewiesen, gnal: Für Frieden und Stabilität in Europa übernehmen dass es sich um Opfer handele. wir weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern Verant- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich wortung. Wir wissen, dass noch viel zu tun ist und dass habe dort zwei Jahre gearbeitet und gelebt!) es in den Ländern, zu deren Stabilisierung wir beitragen, vieler Maßnahmen und Anstrengungen bedarf. An Zynismus ist das, was Sie gesagt haben, kaum zu überbieten. Es ist einfach peinlich. Wir tun gut daran, selbstkritisch das zu betrachten, was wir tun. Aber wir tun auch gut daran, uns nicht jeden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Schuh anzuziehen und nicht selbstanklagend auf uns zu neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zeigen aufgrund jedes Problems, das auf dem Westbal- Wir haben damals erkannt, dass blutige Konfikte auf kan besteht. Wir haben keinen Grund zur Selbstanklage. unserem Kontinent nicht schon Geschichte waren. Wir Wir sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. sahen die Zündkraft dieser Konfikte auch und gerade für Daran wollen wir weiter arbeiten. Dafür bitte ich Sie um Deutschland. Frieden und Stabilität in Europa sind unser Unterstützung. höchstes Gut, heute genauso wie damals, als wir das – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auch aus humanitärer Sicht – Notwendige getan haben. ordneten der SPD) Deshalb engagieren wir uns seit mittlerweile fast 20 Jah- ren auf dem westlichen Balkan sehr stark mit zivilen, aber darüber hinaus auch mit militärischen Mitteln. Wir Vizepräsidentin Ulla Schmidt: haben das trotz vieler Schwierigkeiten beharrlich und mit Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Erfolg getan. jetzt Dr. Tobias Lindner. Das gemeinsame Engagement mit unseren Partnern in der NATO, der Europäischen Union und den Vereinten Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nationen hat sichtbar Früchte getragen. Wir sehen das (B) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen (D) insbesondere im Kosovo, wo sich die allgemeine Sicher- und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! heitslage deutlich verbessert hat und wo sich die Bezie- Herr Staatssekretär, Sie haben es selbst erwähnt: 1999 hungen zu Serbien langsam, aber immerhin normalisie- hat man zum ersten Mal über dieses Mandat, die Ent- ren. sendung der Bundeswehr nach Jugoslawien, beraten. Es Nicht alles verläuft spannungsfrei, was die Umset- spricht für Ihr Lebensalter, dass Sie damals in Bonn da- zung des Normalisierungsabkommens von 2013 zur Ein- bei waren. Ich habe damals als 17-jähriger Schüler die gliederung der kosovo-serbischen Parallelstrukturen an- Debatten vor dem Fernsehgerät verfolgt. Natürlich muss geht. Eine nachhaltige Stabilisierung der Grenzregion im man angesichts 18 Jahre Einsatz die Frage stellen: Ist Nordkosovo bleibt daher unsere oberste Priorität; denn KFOR ein erfolgreicher Einsatz, wenn man bedenkt, dass dort besteht nach wie vor Eskalations- und Konfiktpo- wir 18 Jahre engagiert sind? tenzial. Einzelne Zwischenfälle wie etwa die Ausschrei- Schauen wir auf die Mandatszahlen. Das Ganze hat tungen bei Demonstrationen in Pristina im Januar letzten mit 50 000 Soldatinnen und Soldaten begonnen. Wir Jahres verdeutlichen, wie schnell sich die Gesamtlage sind jetzt bei einer maximalen Gesamttruppenstärke von wieder anspannen kann. Daher bleibt es wichtig, unseren 4 400 angekommen. Auch die Aufgaben haben sich ver- Einsatz mit unseren Partnern für Frieden und Sicherheit ändert. Wurden die Streitkräfte primär dafür eingesetzt, im Kosovo fortzuführen. die öffentliche Sicherheit zu garantieren, sind wir heute Im Einklang mit den Bekenntnissen des Warschauer bei einem Kräftedispositiv angekommen, also eher einer Gipfels der NATO von 2016 ist das militärische Kräf- Art Rückversicherung, die bereitsteht, falls die Lage in- tedispositiv der KFOR nun erneut an die insgesamt ver- stabil wird oder die Situation eskaliert. besserte Sicherheitslage im Kosovo anzupassen. Es geht Deshalb will ich ganz klar sagen: In diesen 18 Jahren neben der Reduzierung der Truppen um eine Schwer- konnten sich staatliche und zivilgesellschaftliche Institu- punktverlagerung hin zu mehr Aufklärungs- und Be- tionen entwickeln, wenn auch bei weitem nicht auf dem ratungsfähigkeiten. Dies bedeutet für die Bundeswehr Niveau, auf dem wir sie gerne hätten. Unter dem Strich nicht nur eine Reduzierung der nationalen Mandatsober- muss man sagen: Die Entwicklung der letzten 18 Jahre in grenze von 1 350 auf 800 einsetzbare Soldatinnen und dieser Region ist ein Erfolg, und daran hat auch KFOR Soldaten. Es wird auch real auf eine Reduzierung unseres ihren Anteil. Kräftedispositivs hinauslaufen. Wir schöpfen die Man- datsobergrenze bisher bei weitem nicht aus. Wir werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sowohl die im Kosovo stationierten Soldatinnen und Sol- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- daten zahlenmäßig reduzieren als auch die Reserve, die NEN und des Abg. Josip Juratovic [SPD]) 23718 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Tobias Lindner (A) Wenn man die Frage stellt, ob das Mandat erfolgreich gen wir ganz klar: Dann lassen Sie es uns doch tun. Mit (C) war, muss man aber auch die Frage stellen, ob dieser dieser Orientierung werden wir wohlwollend in die kom- Einsatz immer noch notwendig ist. Die Bundesregierung menden Ausschussberatungen gehen und dieses Mandat selbst sieht die Bedrohungslage als niedrig und die Si- prüfen. cherheitslage als kontrollierbar an. Man muss sagen: Ja, der Einsatz ist leider immer noch notwendig. Herzlichen Dank. Sie, Herr Kollege, haben selbst erwähnt, welche Arten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Provokationen es auf verschiedenen Seiten gibt. Sie und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- haben auch von dem Zug gesprochen, der an die Gren- ten der SPD) ze fuhr und der zum Glück noch rechtzeitig aufgehalten wurde. Auf dem stand: Kosovo ist Serbien. – Das sind keine Ereignisse, die zu einer Entspannung der Situation Vizepräsidentin Ulla Schmidt: beitragen. Im Gegenteil: Sie tragen ein enormes Kon- Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht fiktpotenzial in sich. KFOR ist notwendig, damit man jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl. im Fall einer Eskalation reagieren kann. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Man muss vor allem folgende Frage stellen: Ist KFOR Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- ausreichend? Darauf ist hoffentlich unsere gemeinsame gen! Die Debatte zur Verlängerung des KFOR-Einsatzes Antwort, zumindest von vielen in diesem Haus: selbst- kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Letzte Woche hat verständlich nicht. Wenn wir über die Probleme reden, der kosovarische Ministerpräsident seine Mehrheit im die die Region hat, dann erweist sich, dass Militär ma- Parlament verloren, und im Juni gibt es Neuwahlen. Bei ximal einen Rahmen bieten kann, um solche Probleme diesen Neuwahlen wird es im Wesentlichen darum ge- anzugehen. Aber es müssen die zivilen und die diploma- hen, ob die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien tischen Mittel, die Mittel der wirtschaftlichen Koope- weitergeht oder ob dieser Weg unterbrochen wird. Meine ration und die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit Damen und Herren, täuschen wir uns nicht: Das ist eine eingesetzt werden. Dazu braucht es in diesem Moment Richtungsentscheidung; denn die Normalisierung, die vor allem ein starkes Europa. Wir als Europäische Union Aussöhnung mit Serbien, ist eine wesentliche Vorausset- müssen die gesamte Balkanregion politisch und gesell- zung für eine weitere EU-Perspektive des Kosovo. (B) schaftlich unterstützen, und wir müssen schauen, dass die (D) Beitrittsperspektive, die durch Verhandlungen eröffnet Bei all meinen Gesprächen auf dem Balkan habe ich wurde, auch weiterhin glaubhaft bestätigt wird. eins gemerkt: Dort werden die Debatten, die wir hier füh- ren, ganz genau verfolgt, und das auch von denjenigen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die einer weiteren EU-Perspektive und einer weiteren sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und EU-Annäherung kritisch gegenüberstehen. Deswegen der SPD) sollten wir die Chance, die mit der heutigen Debatte ein- Lassen Sie uns in unser Bewusstsein rücken, dass unse- hergeht, nutzen, um ihnen zuzurufen, dass für uns der re Gemeinschaft das starke Haus Europa ist, das auch in Kosovo ein Teil Europas ist, dass wir für Sicherheit, Ent- diesem Fall Orientierung bieten kann. wicklung, Frieden auf dem Westbalkan und insbesondere im Kosovo eintreten und dass wir als sichtbares Zeichen Langfristig muss klar sein: Ich will nicht in 18 Jahren unserer Unterstützung die Bundeswehr im Kosovo belas- hier stehen und immer noch darüber reden, ob wir dieses sen. Mandat verlängern. Die sinkenden Mandatszahlen sind ein gutes Zeichen. Wir alle sollten über die Perspektive (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nachdenken, wie wir dieses Mandat in mittlerer Zukunft ordneten der SPD) beenden können. Dieses Signal ist wichtig; denn der gesamte Westbalkan (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ist im Moment in einer kritischen Phase. Ich möchte das SES 90/DIE GRÜNEN) an vier Beobachtungen festmachen. Wir müssen den Abzug unserer Truppen mittelfristig in den Blick nehmen. Wir müssen schauen, dass wir auf Erste Beobachtung. Der Westbalkan hat im Moment ziviler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen. Das in Brüssel nicht die höchste Priorität. Brexit, Ukraine, zu tun, ist wichtig, und es bleibt wichtig. Wir brauchen Nordafrika, Türkei – überall lodernde Brandherde, die mehr Diplomatie, wir brauchen mehr Entwicklungszu- die volle Aufmerksamkeit erfordern. Dagegen scheint sammenarbeit. Aber wir sollten uns nichts vormachen: der Westbalkan fast abgekühlt zu sein; aber ich glaube, Für die nächsten zwölf Monate, über die wir reden, brau- der Eindruck täuscht. chen wir auch noch die KFOR. Zweite Beobachtung, dazu passend: Im Moment ist Das ist unsere Orientierung, aber das ist auch unse- es doch so, dass die Nationalisten in den verschiedenen re Erwartung an die Bundesregierung. Wenn Sie, Herr Ländern austesten, wie weit sie gehen können. Der Kol- Staatssekretär, sagen: „Es ist noch viel zu tun“, dann sa- lege Lindner hat es angesprochen: Einen Zug mit der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23719

Dr. Reinhard Brandl (A) Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ von Belgrad nach Mi­ Herzlichen Dank. (C) trovica fahren zu lassen, ist doch eine reine Provokation, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wa- ordneten der SPD) rum?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bei der es nur darauf ankommt, lieber Kollege Neu, zu Vielen Dank. – Der Kollege Brandl war der letzte schauen, wie wer reagiert. Um im Bild von vorhin zu Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. bleiben: Im Kosovo und auf dem Westbalkan gibt es im Moment viele, die zündeln. Es wird vorgeschlagen, dass die Vorlage auf Drucksa- che 18/12298 an die in der Tagesordnung aufgeführten Dritte Beobachtung. Andere Länder und andere Mäch- Ausschüsse überwiesen wird. – Ich sehe, Sie sind damit te bemühen sich momentan sehr intensiv um Einfuss in einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. der Region – Russland vor allem in den slawischen Tei- len; China investiert in der ganzen Region. Eine Rand- Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 6: notiz, die das strategische Interesse und die strategische Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND- Bedeutung des chinesischen Engagements zeigt: Vor NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE kurzem wurde der serbische Präsident zum Ehrenbür- ger Pekings ernannt. Die Türkei ist aktiv. Sie sieht sich Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik als Schutzmacht für die Muslime in der ganzen Region, Drucksache 18/12372 und auch andere arabische Länder investieren zum Teil in Moscheen, aber zum Beispiel auch in Belgrad in die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Infrastruktur der Stadt. Sie wollen sich darüber Einfuss die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- sichern. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vierte Beobachtung. Die Anziehungskraft der Europä- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin ischen Union lässt im Moment eher nach. Claudia Roth für Bündnis 90/Die Grünen.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Woher Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kommt das wohl?) NEN): Damit sinkt auch der Einfuss der EU. Der Weg zu einer Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! EU-Mitgliedschaft dauert schon lange und ist ohne klare Natürlich spreche ich hier und heute als grüne Abgeord- nete, aber ich möchte auch ganz explizit als Vizepräsi- (B) zeitliche Perspektive. Die EU selbst ist in einer Krise, (D) Stichwort „Brexit“. Es gibt andere Länder, die auch gute dentin des Deutschen Bundestages sagen: Die Bundes- Angebote machen, ohne dass es irgendwelche lästigen wehr ist eine Parlamentsarmee. Es muss doch über alle Reformvorgaben gibt. Fraktionsgrenzen hinweg zu unserem Selbstverständnis gehören, dass wir diese Parlamentsarmee auch an ihren Der Kosovo und der Westbalkan sind ein Teil Euro- jeweiligen Einsatzorten besuchen können. pas. Eine Instabilität innerhalb Europas können wir uns noch viel weniger erlauben als eine Instabilität außer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halb Europas oder an den Grenzen Europas. KFOR ist und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten in einem Teil des Westbalkans, im Kosovo, ein wichtiger der CDU/CSU und der SPD) Stabilitätsanker. Deswegen wollen und werden wir auch Mit jedem Einsatz, den wir für die Bundeswehr be- KFOR verlängern. Wir können den Ländern auf dem schließen – Sie wissen alle, dass sich meine Fraktion aus Westbalkan im Moment keinen schnellen EU-Beitritt gutem Grund dabei nicht leichttut –, laden wir enorme versprechen; aber wir müssen ihnen zeigen, dass Europa Verantwortung auf uns. Wir entsenden Soldatinnen und für sie langfristig der bessere Partner ist und dass es sich Soldaten in schwierigste Missionen. Wir sprechen ihnen lohnt, sich Europa anzunähern. unser Vertrauen aus, bitten sie aber zugleich, auch uns zu vertrauen. Wie wollen wir dieses gegenseitige Vertrauen Ich möchte mit einer weiteren Beobachtung schließen. aber aufrechterhalten, wenn uns die unmittelbare Begeg- Ich glaube, wir haben da alle Chancen. Immer wenn ich nung, wenn uns der inhaltliche Austausch verwehrt wird? insbesondere mit jungen Leuten auf dem Westbalkan spreche, dann sagen sie mir alle: Wir wollen in die EU. – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Herr Neu, ich habe noch keinen getroffen, der Diese Frage stelle ich übrigens nicht, obwohl meine nach Moskau will, und ich habe noch keinen getroffen, Fraktion gegen den deutschen Tornadoeinsatz über Sy- der nach Ankara will, rien ist und war, sondern im Gegenteil: Gerade weil wir (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE dem Einsatz nicht zugestimmt haben, ist es doch ein An- GRÜNEN]: Herr Neu will nach Moskau!) liegen und unser Recht, unsere Bedenken vor Ort thema- tisieren zu können. sondern es ist die EU, die Anziehungskraft hat. Wir soll- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten den jungen Menschen auf dem Westbalkan diese Per- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) spektive weiterhin geben. Deswegen werden wir den An- trag der Bundesregierung sehr wohlwollend prüfen und Das ist uns nun aber zum wiederholten Male von der ihm zustimmen. türkischen Seite verboten worden. In diesem Punkt kann 23720 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Claudia Roth (A) ich Sigmar Gabriel nur zustimmen: Dieser Zustand ist Werter Herr Yildirim, das Grundrecht auf Asyl ist keine (C) absolut inakzeptabel! Verhandlungsmasse. Bei der Entscheidung, wem wir in Deutschland Schutz bieten, lässt sich unser Rechtsstaat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur von einer einzigen Instanz etwas vorschreiben: Das und bei der LINKEN) ist das Recht – das internationale Völkerrecht und das Aber: Dieser Zustand ist bereits seit geraumer Zeit ab- Grundgesetz. solut inakzeptabel. Was muss also noch geschehen? Wie Bevor Sie mir da hoffentlich alle zustimmen, sage ich, lange wollen wir denn noch warten? Wann lassen wir den dass wir dann aber auch aufhören müssen mit Rüstungs- vielen Empörungsrufen endlich auch Konsequenzen fol- exporten in die Türkei. Außerdem dürfen wir uns nicht gen? Liebe Kolleginnen und Kollegen: Es reicht! durch ein Flüchtlingsabkommen abhängig machen, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem wir unsere asylpolitische Verantwortung auslagern sowie bei Abgeordneten der LINKEN – wollen. Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Nicht so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) laut!) Das ist dann nämlich auch ein Stück weit Verhandlungs- Ich höre immer wieder von Abgeordneten aus ande- masse. Auch damit muss Schluss sein. ren Ländern, wie sehr wir um unser Prinzip einer Parla- mentsarmee in Deutschland beneidet werden. Vielen Dank. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir hören es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch!) und bei der LINKEN) Da wäre es doch ein Armutszeugnis, ja, eine Beleidigung gegenüber einem regelrechten Parlamentsprivileg, wenn Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wir zum wiederholten Male hinnehmen würden, dass wir Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht unserer eigenen Verantwortung nicht nachkommen dür- jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter. fen. Ich sage hier ganz bewusst: unserer eigenen Verant- (Beifall bei der CDU/CSU) wortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Natürlich ist dieser Bundeswehreinsatz in eine ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! meinsame Strategie mit Partnern wie den USA eingebet- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es (B) tet. Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass Sigmar ist nötig, in diese gleich zu Beginn durch Sie, Frau Roth, (D) Gabriel jetzt glaubt, ausgerechnet Rex Tillerson um Hilfe ordentlich temperierte Debatte bitten zu müssen. Ja, was soll das denn? Es war unsere (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Entscheidung, unsere Bundeswehr in Incirlik zu statio- DIE GRÜNEN]: So bin ich halt!) nieren, also müssen wir auch die Verantwortung über- nehmen. etwas Ruhe und Gelassenheit zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NEN]: Langweilig!) Unter den gegebenen Bedingungen ist der Abzug über- Ich denke, wir sind uns in zwei Punkten sehr einig, lie- fällig. Also bitte: Er ist nicht nur anzudenken oder weiter be Frau Kollegin Roth: Erstens ist es nicht haltbar, wenn zu erwägen, nur um Zeit zu gewinnen. Es braucht auch das Besuchsrecht auf Dauer verweigert wird. kein Ultimatum, das heute wohl Kollege Oppermann ge- stellt hat. Nein, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kol- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- legen von Union und SPD, es mit den vielen Respekts- NEN]: Was heißt denn hier „auf Dauer“?) bekundungen wirklich ernst meinen, die gestern im Fall Zweitens ist die Türkei auf dem Weg in einen Unrechts- Franco A. gegenüber der Bundeswehr geäußert wurden, staat, und wir müssen sehr sorgfältig überlegen, mit wel- dann bleibt Ihnen nur eine Wahl: Stimmen Sie dem An- chen Maßnahmen und Methoden wir auf die Eskalation, trag zu, und beschließen wir noch heute gemeinsam, die die vonseiten der Türkei betrieben wird, reagieren. Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen! Ich sage hier sehr deutlich: Ein einseitiger und soforti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ger Abzug ist weder im europäischen noch im deutschen und bei der LINKEN) Interesse; das sage ich auch im Namen meiner Fraktion. Erlauben Sie mir noch eine kurze abschließende Be- Denn ein solcher Abzug hätte Konsequenzen. Erstens merkung. Ich fnde es geradezu unerträglich, wenn die würden wir die Isolierung der Türkei vorantreiben. Zwei- Regierung in Ankara nun die Incirlik-Debatte mit der tens wäre das Gesamtthema eine bilaterale Geschichte Entscheidung verknüpft, Angehörigen des türkischen zwischen Deutschland und der Türkei. Unser Interesse Militärs in Deutschland Asyl zu gewähren. muss doch sein, dass man sich auf der diplomatischen Ebene der NATO darüber unterhält und wir daraus kein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutsch-türkisches Sonderproblem machen. Entschei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) dend ist, dass der NATO-Rat dies thematisiert. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23721

Roderich Kiesewetter (A) Das war übrigens, als ich das vor einigen Monaten NATO zusammenhält und auch im Wahlkampf nicht aus- (C) vorschlug, nicht im deutschen Interesse und auch nicht einanderdividiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. im amerikanischen Interesse. Es wurde damals ver- (Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth hindert. Heute aber wissen wir – das kann ich auch im [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Namen meiner Fraktion sagen –, dass es auf wichtigen Das hat mit dem Wahlkampf doch gar nichts Überlegungen beruht, dieses Thema in Brüssel zu debat- zu tun!) tieren. Denn die Türkei ist kein Land, das auf dem Weg zu mehr Demokratie ist, sondern ein Land, das sich vom Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, Wertekanon der NATO verabschiedet. Es ist nicht trag- sondern ihn an den Auswärtigen Ausschuss überweisen bar, dass sich die Türkei, die Südostfanke der NATO, zu- und dort in aller Ruhe debattieren. In der Zwischenzeit nehmend dem Iran und Russland annähert und wir durch erwarten wir die Ergebnisse des Teams der Bundesre- einen überzogenen einseitigen Abzug einen Beitrag dazu gierung zu der Frage, was Jordanien zu bieten hat, und leisten. wir hoffen, dass die Türkei in den Schoß gemeinsamer ­NATO-Verantwortung zurückkehrt. Wir sollten uns von Ich bin ein Verfechter des Besuchsrechts, empfehle der Türkei nicht in eine unnötige Eskalationsspirale trei- aber, die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem ben lassen. letzten Jahr zu dieser Frage sehr sorgfältig zu lesen. Die Herzlichen Dank. Parlamentskontrolle üben wir nicht durch das Besuchs- recht aus, sondern indem wir Kabinettsentscheidungen (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel unsere Zustimmung geben oder sie verweigern. Für uns [DIE LINKE]: Die NATO hat gesprochen, das ist ganz wichtig, dass die Truppe dort gut geführt wird NATO-Hauptquartier!) und dass ein Beauftragter des Bundestages jederzeit Zu- gang hat, nämlich der Wehrbeauftragte. In der Zeit, in der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die Türkei uns Abgeordneten den Zugang verwehrt, ma- Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt chen wir etwas ganz Wichtiges: Wir prüfen Alternativen. der Kollege Dr. Dietmar Bartsch. Als wir im letzten Jahr dem Vorschlag der Bundesre- (Beifall bei der LINKEN) gierung zugestimmt haben, waren Sizilien, Zypern, Jor- danien und Katar in der Debatte. Wir haben uns damals Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): entschieden, von einem bewährten NATO-Stützpunkt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aus zu agieren. Das war auch in unserem Interesse. Jetzt Es ist schon etwas Besonderes, dass es wenige Wochen (B) gibt es sehr erfreuliche Signale aus Jordanien. Unsere vor den Wahlen einen gemeinsamen Antrag von den Grü- (D) Verteidigungsministerin reist am Wochenende dorthin. nen und den Linken gibt. Das ist so kurz vor Wahlen sehr Gegenwärtig befnden sich dort Teams zur Prüfung. Die unüblich. Es ist sicherlich auch sehr unüblich, dass eine Bundeswehr ist in Jordanien sehr willkommen. Wenn die Vizepräsidentin und ein Fraktionsvorsitzender sprechen Türkei nicht bereit ist, das Besuchsrecht wieder einzu- und dass wir im Übrigen alle unsere politischen Positi- räumen, dann ist das eine sehr gute Alternative. onierungen in dem Antrag weggelassen haben. Dafür muss es schon einen triftigen Grund geben. Wir sollten nicht kurzfristig mit einem einseitigen und sofortigen Abzug reagieren, liebe Frau Roth. Sie wissen (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ja, das selbst, dass es etwa acht bis zehn Wochen dauert, bis die stärkt die Große Koalition!) Bundeswehr woanders wieder einsatzfähig ist. Das Ober- Und ich sage Ihnen: Es gibt einen triftigen Grund. Hier ziel ist doch nicht, unsere Soldaten dort zu besuchen. Das geht es um das Selbstverständnis von uns als Abgeordne- gehört zwar mit dazu, aber das Oberziel ist der Kampf te. Hier geht es um das Selbstverständnis unseres Parla- gegen den IS. ments, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Den Kampf gegen den IS ohne deutsche Beteiligung acht Es ist so – wir alle wissen das –: Ein weiteres Mal Wochen lang fortzuführen, wäre bündnisschädigend. verweigert die türkische Regierung Abgeordneten aller Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag anspre- Fraktionen den Besuch in Incirlik. Das ist der schlichte chen, zu dem Jürgen Hardt und ich heute bereits etwas Fakt, und das ist zum wiederholten Mal der Fall. Es ist ein Trauerspiel, Herr Kiesewetter, wie Sie hier irgend- gesagt haben. Es ist aus unserer Sicht nicht nachvoll- welche, teilweise irren Begründungen fnden. ziehbar, dass unser Bundesaußenminister von Washing- ton aus jetzt auch noch den AWACS-Einsatz der NATO (Peter Beyer [CDU/CSU]: Was?) zur Debatte stellt; hier stellt Deutschland 30 Prozent des Personals. Plötzlich soll die Bundeswehr auch aus Konja Es ist völlig inakzeptabel, dass deutsche Parlamentarier nicht die von hier mandatierten Soldaten besuchen kön- abziehen. Bei aller Koalitionstreue: Es ist ein Schaden, nen. wenn Deutschland plötzlich einen NATO-Einsatz auf- kündigt. Ich bekenne hier sehr deutlich: Wir als Union (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- stehen hinter dem AWACS-Einsatz. Wir wollen, dass die NIS 90/DIE GRÜNEN) 23722 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Dietmar Bartsch (A) Sie glauben offensichtlich, dass die Kanzlerin beim ab; stoppen Sie vor allen Dingen alle Waffenlieferungen (C) NATO-Gipfel alles richtet. Die muss das offensichtlich für diese Diktatur! wieder selber machen. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Es ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wir entscheiden und nicht die Bundesregierung. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Da wird Krieg gegen Kurdinnen und Kurden geführt. NIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ Stoppen Sie auch die EU-Vorbeitrittshilfen! Es gibt kei- CSU]: Warum stimmen Sie sonst nicht mit?) nen Grund, dieses Land noch mit Geld zu fördern. Been- den Sie die militärische und auch die geheimdienstliche Sie wissen überhaupt nicht, ob die Kanzlerin vielleicht Zusammenarbeit mit diesem Despoten! sogar froh wäre, wenn Sie mal den Mut hätten. Entschei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den Sie doch mal! Vielleicht wäre das sogar Rückenwind neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für sie, wenn Sie mit einem Mandat des Deutschen Bun- destages Herrn Erdogan etwas Druck machen können. Das wäre notwendig. Senden Sie doch von hier mal ein klares Signal in Richtung Türkei! Der Flüchtlingsdeal (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hält das alles auf. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kiesewetter, Sie sprechen vom Wertekanon der Wir können doch nicht akzeptieren, was da passiert. NATO. Ja, aber wenn der gilt, dann muss man die Tür- Das alles wird hier entschieden, und hier können wir kei sogar aus der NATO rausschmeißen. Das wäre die den sofortigen Abzug entscheiden. Das heißt doch nicht, Situation. dass wir hinfiegen und die Soldaten zurückholen, son- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dern das heißt, dass hier beschlossen und danach der Be- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schluss umgesetzt wird. Die Bundeswehr hat in der Tür- kei nichts zu suchen. Ich sage Ihnen auch: Wir haben die Aufgabe, die Zi- vilgesellschaft in der Türkei zu unterstützen. Ja, wir wol- (Beifall bei der LINKEN) len, dass die Türkei wieder in eine andere Richtung geht. Weil Sie das angesprochen haben: Das gilt genauso Wir wollen mit den Menschen der Türkei zusammenar- für die NATO-AWACS im südtürkischen Konya; selbst- beiten. Aber das, was dort jetzt geschieht, geht genau in verständlich. Auch da haben wir nichts zu suchen. Wenn die falsche Richtung. das bei dem einen gilt, dann muss das auch bei dem an- Also, sehr geehrte Abgeordnete von Union und SPD, (B) deren gelten. Ich bin sehr gespannt, ob wir nach Konya vielleicht helfen Sie Ihrer Kanzlerin sogar, wenn Sie heu- (D) fahren können. te diesem kurzen und schlichten gemeinsamen Antrag (Beifall bei der LINKEN) zustimmen. Sie können damit auch der Öffentlichkeit zeigen: Dieses Parlament hat ein Stück weit Selbstbe- Es ist doch absurd, wenn Sie deutsche Soldaten in die wusstsein, und es lässt sich von niemandem etwas dik- Türkei entsenden und gleichzeitig immer mehr türkische tieren. Militärangehörige – das geht bis hoch zu Generälen – Herzlichen Dank. politisches Asyl in Deutschland beantragen. Da ist doch irgendetwas schief. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LIN- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- KEN: Bravo!) NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir im Bundestag haben nur eine einzige Entscheidung Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: zu treffen. Als nächster Redner hat Dr. Rolf Mützenich für die Natürlich will ich hier auch Außenminister Gabriel SPD-Fraktion das Wort. noch einmal würdigen. Es ist ja wohl absurd, dass der (Beifall bei der SPD) zu Tillerson rennt, dem ehemaligen Exxon-Manager, und um Vermittlung bittet. Wo sind wir denn hier hingekom- men? Das ist hilf- und konzeptionslose Außenpolitik, Dr. Rolf Mützenich (SPD): meine Damen und Herren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang zwischen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zwei NATO-Partnern. Ich glaube auch, dieser Vorgang NIS 90/DIE GRÜNEN) ist beispiellos, einmalig in der Geschichte der NATO. Ich Fragen Sie doch noch Herrn Lawrow! Vielleicht kann der befürchte ebenfalls: Es ist kein Ende absehbar. Dennoch auch noch etwas vermitteln – das wäre mal eine Idee –; glaube ich, ist es gut, dass wir heute versuchen, Argu- vielleicht sogar beide zusammen. mente in die Debatte einzubringen, die für das Selbstver- ständnis des deutschen Parlaments, des Parlamentaris- Ich sage Ihnen: Lassen Sie den ganzen Unsinn! Die mus und für eine Parlamentsarmee sprechen. Deswegen Türkei entwickelt sich in Richtung einer islamistischen sage ich sehr klar für meine Fraktion: Die Antwort, die Diktatur. Ziehen Sie nicht nur die Bundeswehr von dort die türkische Regierung auf das Bemühen, einen Besuch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23723

Dr. Rolf Mützenich (A) in Incirlik zu erreichen, gegeben hat, grenzt an Erpres- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es spre- (C) sung. chen drei gute Gründe für die Überweisung des Antrages. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist Er- Zum Ersten spricht dafür, dass die Ergebnisse, die pressung!) möglicherweise ausgehandelt werden, in den Fachaus- schüssen gewürdigt werden, insbesondere dann, wenn Wenn Rechtsgrundsätze wie das Asylrecht gegen das dieses Besuchsrecht ein für alle Mal geklärt werden kann. Recht auf eine Besuchserlaubnis aufgerechnet werden, sage ich sehr deutlich: Wir stehen für das Grundrecht auf Zum Zweiten spricht dafür, dass in den Beratungen Asyl und lassen uns nicht von der türkischen Regierung der Fachausschüsse auf die Planung einer möglichen erpressen. Verlegung, die jetzt durchzuführen ist, Einfuss genom- men werden kann. Auch darüber muss die Bundesregie- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem rung berichten. Ich glaube, auch das ist notwendig. Ich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- bin zurzeit noch nicht ganz davon überzeugt, dass es geordneten der CDU/CSU) Jordanien sein muss. Deswegen gehört eine offene Dis- Zum anderen will ich sehr deutlich sagen: Es ist gut, kussion in den Fachausschüssen mit dazu. Irgendwelche dass Asylanträge von türkischen Bürgern, egal vor wel- publikumswirksamen Reisen nach Jordanien helfen an chem berufichen Hintergrund sie in der Vergangenheit dieser Stelle nicht weiter. gestanden haben, ernsthaft geprüft werden und politi- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sches Asyl in Deutschland, wenn die Gründe dafür aus- LINKEN) reichen, auch gewährt wird. Ein Drittes spricht dafür. Kollege Bartsch, Sie sagen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir müssten versuchen, die Souveränität auch dieses Par- DIE GRÜNEN) laments sehr deutlich zu machen. Ich glaube, die Über- Lieber Kollege Kiesewetter, ich muss Ihnen wider- weisung schafft vielleicht sogar – hier müssen wir uns sprechen. Das, was Sie gesagt haben, ist nicht die Hal- alle bewegen – die Grundlage für eine gemeinsame Be- tung meiner Fraktion. schlussfassung. Auch das spricht für eine Überweisung. Deswegen, liebe Kollegin Roth, ist die Formulierung „Es (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE reicht!“ für mich kein außenpolitisches Argument. LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte sehr deutlich davor warnen, die beiden Insti- tutionen – das Parlament und den Wehrbeauftragten – ge- Ich glaube, wir müssen gerade in der Außenpolitik im- (B) geneinander auszuspielen. mer wieder ausprobieren, was vielleicht möglich ist. (D) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ich möchte ein weiteres Argument in diese Debatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einzuführen, warum dieses Parlament versuchen sollte, in der nächsten Sitzungswoche eine gemeinsame Be- Beide Institutionen haben ein Besuchsrecht bei den Bun- schlussfassung im Sinne des vorliegenden Antrags her- deswehrsoldaten. Ich will gerne daran erinnern, dass wir beizuführen: Es wäre ein deutliches Zeichen nicht nur an in den letzten Tagen – vielleicht ist das noch nicht zu je- einen türkischen Staatspräsidenten, der mittlerweile alle dem in Ihrer Fraktion durchgedrungen – innerhalb der demokratischen Rechte mit Füßen tritt, sondern auch an Koalitionsfraktionen versucht haben, einen gemeinsa- ein türkisches Parlament, das sich in den vergangenen men Text für die Ausschussberatungen zu erreichen, der Monaten auch selbst entmachtet hat. Diese Chance soll- auf Grundlage der Protokollnotiz des letzten Beschlusses ten wir vonseiten des Deutschen Bundestages durchaus über den Einsatz in Incirlik gefasst worden ist, dass es nutzen. nämlich zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten destages gehört, jederzeit Besuche durchführen zu kön- der CDU/CSU) nen. Zum anderen: Ich sagte, „Es reicht!“ ist kein außenpo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des litisches Argument. Ich fnde, wir alle hier im Deutschen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundestag sollten uns fragen, ob wir nicht auch eine Hochrangige Gespräche zu führen, ist durchaus ein An- Verantwortung dafür tragen, wie sich die Türkei in den lass, den wir weiterhin würdigen, auch vonseiten der letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Ich glaube, manches Bundesregierung. Dass der NATO-Rat hiermit befasst Versäumnis sollten wir – – werden soll und dass bereits jetzt Handlungsoptionen für (Zurufe von der LINKEN: Oh!) die Verlegungen erfolgen sollen, ist, glaube ich, richtig. Umso mehr wünsche ich im Namen meiner Fraktion der – Dazu kann man auch „Oh!“ sagen. Insofern vermute Bundeskanzlerin allen Erfolg. Wir werden sie dabei un- ich, dass mein Appell in diese Richtung vielleicht nicht terstützen, wenn sie am kommenden Donnerstag bei Prä- hilft. – Zumindest ich frage mich, ob manches Verhalten sident Erdogan versucht, dieses Besuchserfordernis noch im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsprozess in den einmal zu unterstreichen. Ich sage aber sehr deutlich: Es vergangenen Jahren nicht genau das provoziert hat, was darf kein Gnadenakt sein, sondern es muss letztlich zu ei- wir zu Recht immer wieder kritisieren. Es passierte in der ner grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen der tür- Türkei in jüngster Zeit mehr, als dass nur über eine Prä- kischen Regierung und der Bundesregierung kommen. sidialverfassung abgestimmt worden ist. Die Türkei ver- 23724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Rolf Mützenich (A) sucht, einen anderen regionalpolitischen Weg zu gehen. abgezogen werden. Doch so einfach ist Weltpolitik nicht, (C) Sie versucht sozusagen, einer orientalischen Despotie ein ganz zu schweigen von der Praktikabilität Ihrer Forde- Vorbild zu sein, gerade auch im Zusammenhang mit den rung. Selbst in der Opposition sollte man so etwas wis- Umbrüchen in der arabischen Welt. sen, und auch Wahlkampfzeiten entschuldigen eine sol- che Kurzsicht nicht. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das sagen Sie schon seit Jahren!) Wenn man bei den Linken genau hinhört, dann merkt man, dass es gar nicht um die Frage eines Abzugs aus Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aller Ehren Incirlik geht, sondern darum, einen Einsatz, der sowieso wert, genau für diejenigen zu streiten, die vor wenigen nicht gewollt ist, egal von wo aus er startet, zu beenden. Wochen mit höchstem Mut, teilweise sogar unter Verhaf- tungs- und möglicherweise Lebensgefahr, dafür gestrit- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ten haben, dass die Präsidialverfassung nicht Wirklich- habe ich alles weggelassen!) keit wird. Zunächst lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, warum (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist echt wir in Incirlik stationiert sind; ein Rückblick ist wich- zynisch, was Sie da machen!) tig. Am 29. Juni 2014 ruft die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Mosul das Kalifat aus. Schätzungen reichen Auch das gehört zur Debatte heute Abend dazu. von 10 000 bis 100 000 Kämpfern, die in Syrien und im Vielen Dank. Irak ganze Gegenden zerstören, Frauen verschleppen und vergewaltigen, aufs Brutalste ermorden. Am 7. Januar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 2015 sterben in Paris 130 Menschen, 352 weitere wer- der CDU/CSU) den verletzt. Mit den Terrorattacken in der französischen Hauptstadt fng die blutige Anschlagsserie des IS in Eu- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ropa an, die leider noch immer anhält. Am 2. Dezember Als nächster Redner hat Florian Hahn für die CDU/ 2015 stimmten wir hier im Deutschen Bundestag darü- CSU-Fraktion das Wort. ber ab, unsere Soldatinnen und Soldaten nach Incirlik zu schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten den (Beifall bei der CDU/CSU) „Islamischen Staat“ zu bekämpfen.

Florian Hahn (CDU/CSU): Seitdem ist viel passiert. Die Türkei hat sich massiv verändert, die Menschenrechtssituation hat sich gravie- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rend verschlechtert, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Die Diese Woche zeigt schon ein bisschen, dass das Wahl- CSU mahnt seit langem, dass eine Türkei, wie wir sie (B) kampfgetöse (D) heute erleben, nicht Teil der Europäischen Union sein (Widerspruch bei der LINKEN – Claudia kann. Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ NEN]: Das hat doch nichts mit Wahlkampf zu DIE GRÜNEN]: Das war echte Außenpoli- tun! Das hier wirklich nicht!) tik!) insgesamt mit voller Wucht auch den Bundestag erreicht Daneben – und darum geht es heute – wird uns zum hat. Ich fnde schon, dass der Antrag von Grünen und wiederholten Male der Zugang zu unseren Truppen ver- Linken so einzuordnen ist. Sie haben nämlich etwas ent- weigert. Präsident Erdogan testet immer wieder unsere deckt, was zugegebenermaßen Schmerzgrenze. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hat die GRÜNEN]: Ein Parlamentsrecht ist! Rich- Union eine?) tig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen jetzt zusammen Das ist natürlich indiskutabel. Die Bundeswehr ist eine Wahlkampf!) Parlamentsarmee, und der Zugang zu ihr muss durchge- hend möglich sein; da sind wir uns alle einig. Daher habe vielen von uns einleuchtet – gar keine Frage –: der Abzug ich schon früh gefordert, dass alternative Stützpunkte für der Bundeswehr aus Incirlik. die Tornados geprüft werden müssen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Dann stim- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men Sie doch zu!) NEN]: Sie haben Abzug gefordert! Mehrfach! Nun wollen Sie – vermeintlich trickreich, nur leider Sie!) sehr offensichtlich – uns ein Stück weit in die Falle lo- Und selbstverständlich wurden bereits Alternativstandor- cken, te geprüft. Jordanien, Zypern und Kuwait wurden inspi- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da sitzen ziert. Diese Prüfungen müssen jetzt zügig abgeschlossen Sie schon drin!) werden. nach dem Motto: Sie haben Konsequenzen gefordert, Fest steht: Es kann dauerhaft nicht sein, dass Erdogan nun müssen Sie aber bitte auch sofort folgen, sonst wür- unsere Soldatinnen und Soldaten als Faustpfand einsetzt. den Sie Ihr Wort nicht halten. – Konkret: Die Bundes- Und trotzdem: Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrate- wehr soll mit sofortiger Wirkung vom Standort Incirlik gischen Lage ein entscheidender Mitspieler im Kampf Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23725

Florian Hahn (A) gegen den „Islamischen Staat“. Seit der Einnahme von Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der (C) Mosul 2015 hat die Terrormiliz schwere Verluste erlitten. Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Ihr Gebiet ist von der Größe Großbritanniens auf weniger der Drucksache 18/12372 mit dem Titel „Sofortiger Ab- als die Größe Irlands zusammengeschrumpft. Wir müs- zug der Bundeswehr aus Incirlik“. Die Fraktionen Bünd- sen daher auch weiter mit Ankara sprechen, wie wir das nis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Abstim- gemeinsame Ziel, den Kampf gegen den IS, fortführen mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und können. Aus diesem Grund kann Ihr Antrag heute nur ab- der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend gelehnt werden. an den Auswärtigen Ausschuss und mitberatend an den Verteidigungsausschuss. Wir müssen zweigleisig fahren, Alternativen vorberei- ten, den Druck erhöhen und trotzdem versuchen, in ver- Wir stimmen – so wie wir das hier immer machen – traulichen diplomatischen Gesprächen gesichtswahrende zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. und praktikable Lösungen zu fnden. Nur so funktioniert Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung? – eine verantwortungsvolle Politik gegenüber unseren Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist Truppen wie auch mit Blick auf unseren Auftrag. die Überweisung so beschlossen, und damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/12372 nicht in (Beifall bei der CDU/CSU) der Sache ab. Daneben wäre auch aus praktischen Gründen ein Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: sofortiger Abzug nicht möglich. Incirlik ist aus militä- rischer Sicht weiterhin der günstigste Standort für den Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- schwierigen Kampf gegen die Terrormiliz. Richtig ist, regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes dass Jordanien beispielsweise eine Alternative darstellt. zur besseren Durchsetzung der Ausreisepficht Und trotzdem: Es gäbe deutliche operationelle Ein- Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822 schränkungen, gerade in der Zusammenarbeit mit unse- Nr. 9 ren Partnern. Wir könnten nicht an eine gleich gute Infra- struktur andocken. Der Umzug würde dauern. Das geht Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- nicht, wie von Ihnen gefordert, von heute auf morgen. Es schusses (4. Ausschuss) geht allein um ungefähr 180 bis 200 Container Material. Drucksache 18/12415 Man kann nicht einfach ein Umzugsunternehmen anru- fen, dann läuft der Umzug, und morgen ist alles erledigt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Um es klar zu sagen: Es ist möglich, von Jordanien aus die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu (B) Tankfugzeuge zu schicken und Aufklärungsfüge durch- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (D) zuführen. Aber eine Verlegung benötigt Zeit. Ein Abzug mit sofortiger Wirkung funktioniert nicht. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zü- gig einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Ple­ Ich glaube, wir sind uns alle im Bundestag einig: Prä- nums zu führen. sident Erdogan ist ein unberechenbarer Partner gewor- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die- den. Zum wiederholten Male hat er unser Vertrauen miss- ser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär braucht und die Karte des Besuchsverbots gespielt. Wir Dr. Ole Schröder für die Bundesregierung das Wort. können und werden so nicht weitermachen. Die Bundes- regierung bemüht sich daher um eine schnellstmögliche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lösung. Daneben ist es aber auch an der Zeit, dass wir innerhalb der NATO grundsätzlich klären, wie zukünf- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- tig eine Zusammenarbeit mit den Türken funktionieren minister des Innern: kann; denn die Sperenzchen Erdogans schaden nicht nur dem deutsch-türkischen Verhältnis, sondern dem ge- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen meinsamen Wirken innerhalb der NATO. und Kollegen! Die Durchsetzung bestehender Ausreise- pfichten und die Bekämpfung illegaler Migration ist in In der Ruhe liegt die Kraft. Deshalb kann über den einem Rechtsstaat das notwendige Gegenstück zur gebo- vorliegenden Antrag heute nicht entschieden werden. tenen humanitären Aufnahme von Schutzbedürftigen. Wir sollten – Herr Kollege Mützenich hat die Gründe angeführt – das Thema in aller Ruhe in den Ausschüs- Ende März 2017 standen rund 217 000 Ausreisepfich- sen diskutieren. Klar ist aber auch: Sollte es bei der Hal- tigen nur etwas mehr als 7 000 Rückführungen durch die tung der Türkei bleiben, kann die Bundeswehr langfristig zuständigen Länder gegenüber. Ohne die zwangsweise nicht in Incirlik stationiert bleiben. Rückführung sinkt aber auch die Bereitschaft zur frei- willigen Rückreise. Eine Verbesserung im Bereich der Herzlichen Dank. zwangsweisen Rückführung ist daher dringend geboten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darüber hinaus ist es notwendig, die Abschiebung von Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Gefährdern sicherzustellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Beides gehen wir mit dem vorliegenden Gesetzent- Aussprache. wurf an. An diesem Anspruch haben sich auch die parla- 23726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) mentarischen Beratungen orientiert. Ich greife die wich- ist der Wille zur Durchsetzung. Ich denke zum Beispiel (C) tigsten Änderungen heraus: an Schleswig-Holstein mit dem Winterabschiebestopp oder dem Abschiebestopp nach Afghanistan. Das ist Wir regeln, dass Gefährder in Abschiebungshaft ent- nicht verantwortbar. sprechend ihrer Gefährlichkeit auch in Justizvollzugs- anstalten untergebracht werden können. Sie sollen auch (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der andere Personen im Gewahrsam nicht gefährden oder für CDU/CSU: Wird sich jetzt ändern! – Wider- ihre extremistischen Ideen werben können. spruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit wir noch besser identifzieren können, wer zu uns kommt, darf das BKA entsprechende Daten mit an- Ich appelliere an die Länder, alles für die konsequente deren Staaten austauschen. Wir erhalten dadurch wichti- Durchsetzung von Ausreisepfichten zu tun. Dazu gehört ge Erkenntnisse durch diese anderen Staaten. zum Beispiel auch, ausreichende Haftkapazitäten in den Zudem ändern wir behutsam das Rechtsmittelrecht Ländern zu schaffen und auf neue Vollzugshemmnisse im Asylverfahren, um eine höchstrichterliche Rechtspre- zu verzichten. Wir hier im Bundestag haben das Recht chung und damit mehr Rechtssicherheit herbeizuführen. optimiert. Der Bund unterstützt die Länder auch operativ. Das soll insgesamt zur Beschleunigung von Einzelklagen Ohne den Willen zum Vollzug können diese Angebote führen. aber keine positive Wirkung entfalten. Es ist Sache der Länder, den Rechtsstaat auch wirklich durchzusetzen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird künftig von anderen Behörden zwingend informiert, Wir wollen weiterhin, dass diejenigen Schutz erfahren wenn Asylberechtigte in ihren Heimatstaat reisen. Wir und integriert werden, die wirklich schutzbedürftig sind. bekämpfen auf diese Weise Sozialleistungsmissbrauch Dazu gehört aber auch, Abschiebungen effektiv durch- und überprüfen, ob ein Schutzbedürftiger auch wirklich zusetzen und gefährliche Ausreisepfichtige besser zu in seinem angeblichen Verfolgerstaat gefährdet ist. überwachen, Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir (Inge Höger [DIE LINKE]: Dann überwa- einen weiteren Gesichtspunkt aufgegriffen. Es handelt chen Sie doch selber!) sich um die Verhinderung missbräuchlicher Vaterschafts- um auch andere vor ihnen zu schützen. Ich bitte daher um anerkennungen. Aus der Praxis hören wir: Scheinva- Zustimmung zu diesem Entwurf. terschaften sind die neuen Scheinehen. Es gibt hier ein erhebliches Missbrauchspotenzial. Wenn der Anerken- (Beifall bei der CDU/CSU) nende weder der biologische Vater ist noch eine sozi- (B) al-familiäre Bindung zum Kind anstrebt, muss der Staat Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (D) einschreiten. Die Anerkennung erfolgt hier ausschließ- Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke für die Frak- lich zu dem Zweck, Aufenthaltsrechte zu vermitteln, die tion Die Linke. ansonsten nicht bestehen würden. Meine Damen und Herren, wir haben uns daher entschlossen, dass miss- (Beifall bei der LINKEN) bräuchliche Vaterschaftsanerkennungen gar nicht erst beurkundet und durchgeführt werden können. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, die Änderungen aus dem Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon parlamentarischen Verfahren haben diesen wichtigen Ge- der Titel des hier zur Diskussion stehenden Entwurfs setzentwurf weiter verbessert. Ich sage aber auch ganz eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreise- offen: Wir hätten uns noch mehr vorstellen können. Die pficht unterstellt, die Ausreisepficht würde nicht ausrei- Einbeziehung der Bundespolizei in die automatische Si- chend durchgesetzt. cherheitsabfrage beispielsweise war mit dem Koalitions- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Stimmt ja!) partner SPD nicht zu machen. Das wundert mich sehr. Dabei ist die Bundespolizei die Sicherheitsbehörde, die Das ist eine der großen Lügen dieser Großen Koalition. gegen Schleuserkriminalität vorgeht und bei der natür- (Beifall bei der LINKEN) lich die entsprechenden Informationen auch vorliegen, meine Damen und Herren. Ich kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Aspekte dieses Sammelsuriums füchtlingsfeindlicher Schwei- Auf dem Weg zu noch mehr Sicherheit im Asylver- nereien – darum handelt es sich im wahrsten Sinne des fahren haben wir zudem für das Auslesen der Geodaten Wortes – eingehen. aus dem Handy eines Asylbewerbers plädiert. Wir hätten hierdurch wichtige Rückschlüsse auf den Reiseweg und (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!) das Herkunftsland erhalten können. Das war allerdings – Ja, man muss hier wirklich von Schweinereien spre- mit der SPD nicht möglich. Ich sage ganz klar: Das sind chen. weiterhin wichtige Punkte für uns, und wir sind natürlich weiterhin gesprächsbereit. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt geht es los! Wo sind wir Meine Damen und Herren, das beste Recht hilft nicht, denn?) wenn es nicht angewendet wird. Der rechtliche Rahmen für die Abschiebung von Ausreisepfichtigen und insbe- Deshalb möchte ich nur einige wenige Punkte herausstel- sondere von Gefährdern besteht. Was mancherorts fehlt, len. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23727

Ulla Jelpke (A) Hier wird das offenbar vorsätzliche Behördenversa- chen Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt eines Auf- (C) gen im Fall Anis Amri zur Schaffung eines neuen Ab- enthaltstitels. Beamte der Ausländerbehörde sollen ent- schiebegrunds für Gefährder instrumentalisiert. scheiden, ob eine Vaterschaft akzeptiert wird oder die Mutter und das Kind abgeschoben werden können. Eine (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der war Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung. Das auch ausreisepfichtig!) heißt, hier werden im Grunde Familien zerrissen. Ich hal- Dabei ist nirgendwo gesetzlich defniert, wer überhaupt te es für einen Riesenskandal, dass Sie das so nebenbei ein Gefährder ist. Die Einstufung erfolgt nach wie vor mit einem Änderungsantrag einfach durchziehen. nach Gutdünken der Polizei. Faktisch haben wir es hier mit einer Präventivhaft mit aufenthaltsrechtlichen Mit- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- teln zu tun, obwohl gegen die Betroffenen nichts Ge- NIS 90/DIE GRÜNEN) richtsverwertbares vorliegt. Das ist schlicht menschen- Eine Anhörung war von der Großen Koalition nicht rechtswidrig. gewünscht. Fachverbände haben am Gesetzentwurf ganz (Beifall bei der LINKEN) massiv Kritik geübt. Es ist eine absolut unparlamentari- sche Vorgehensweise, wie Sie hier Gesetze durchziehen. Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung ma- chen: In diesem Gesetzentwurf fndet eine unzulässige Die Koalition wird heute dieses Gesetz verabschie- Vermischung von Aufenthalts-, Sicherheits- und Ord- den, aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden diesem nungsrecht statt. Das Aufenthaltsrecht ist defnitiv nicht widerwärtigen Abschiebegesetz unsere Zustimmung ver- das richtige Instrument, um den Umgang mit Terrorge- weigern. Es ist wirklich ein einziger Skandal, was Sie fahren zu regeln, und zwar schon deshalb nicht, weil vie- hier zusammengeschrieben haben. le Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Danke. Nach dem Willen der Koalition soll eine Überra- schungsabschiebung selbst nach mehrjähriger Duldung (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- möglich sein, wenn Flüchtlinge ihre Abschiebung durch NIS 90/DIE GRÜNEN) fehlende Mitwirkung verhindert haben. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ist nur recht und billig!) Burkhard Lischka hat als nächster Redner für die Das ist rechtsstaatswidrig und im Falle von Kindern so- SPD-Fraktion das Wort. gar ein ganz klarer Verstoß gegen die UN-Kinderrechts- (Beifall bei der SPD) (B) konvention. (D)

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Burkhard Lischka (SPD): neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Handys von Flüchtlingen sollen generell zur Identi- Kollegin Jelpke, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zuge- tätsfeststellung durchsucht werden können, wenn – ich hört. Eine solche Rede kann man nur halten, wenn man betone das – kein Reisepass vorliegt. Dies betrifft mehr den eigentlichen Anlass für diesen heute vorliegenden als die Hälfte der Asylsuchenden. Gesetzentwurf weitestgehend ausblendet, (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- CSU]: Das ist ja das Merkwürdige!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Deutsche nämlich Anis Amri, der am 19. Dezember hier in Berlin Anwaltverein haben diese Vorschrift als unverhältnismä- 12 Menschen getötet, 60 Menschen zum Teil schwer ver- ßig und verfassungswidrig gebrandmarkt. Asylsuchende letzt hat, ein Attentat, das mitten in der Weihnachtszeit sind doch kein Freiwild, sondern sie haben die gleichen Grundrechte wie wir alle. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war mir überhaupt nicht be- (Beifall bei der LINKEN – Armin Schuster wusst, dass es bei dem Vaterschaftsfragen [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Und die glei- gab!) chen Pfichten!) Schließlich sollen Gefüchtete, die vermeintlich ohne viel Leid über die Opfer und ihre Angehörigen aus Bleiberechtsperspektive sind, bis zu zwei Jahre in Erst- Deutschland, aus Israel, aus Italien, aus Polen, aus der aufnahmeeinrichtungen wohnen. Das muss man sich ein- Ukraine, aus Tschechien gebracht hat. Frau Jelpke, Anis mal vorstellen. Für diese Zeit gelten ein Arbeits- und ein Amri war nicht irgendwer. Anis Amri war ein abgelehn- Ausbildungsverbot, Sachleistungsvorrang und die Resi- ter Asylbewerber. denzpficht. Das ist also eine enorme Verschärfung. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] GRÜNEN]: Was war das Vaterschaftsproblem [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bei Anis Amri?) Im Änderungsantrag folgt nun auch noch die Mär Er war vorbestraft, er war gefährlich, er hat mehrfach sei- von – wir haben es eben schon gehört – missbräuchli- nen Hass und seine Anschlagspläne geäußert und sollte 23728 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Burkhard Lischka (A) abgeschoben werden. Und so jemand kam nicht hinter Klar ist: Wir müssen wissen, wer sich in unserem Land (C) Gitter. aufhält und woher er kommt. Wenn das eben mit anderen Mitteln nicht feststellbar ist, wenn da Zweifel bleiben, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Den hätten Sie trotz Dolmetscher, trotz Sprachidentifzierungssoftware, mit dem Strafrecht verfolgen können!) trotz Text- und Schriftanalyse, trotz einer Anhörung, wo – Entschuldigung, Frau Jelpke, selbstverständlich gehör- nach regionalen Besonderheiten gefragt wird, dann muss te Anis Amri hinter Gitter. Wir müssen solche Menschen es als letztes Mittel auch möglich sein, sich die Sprach- stoppen, bevor sie zu Mördern werden. einstellung eines Handys anzuschauen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mit dem Strafrecht! – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt doch übrigens auch der jüngste Fall des Warum ist das nicht passiert?) Bundeswehroffziers Franco A. – Frau Jelpke, die Opfer vom Breitscheidplatz könnten noch leben, wenn Anis Amri am 19. Dezember in Ab- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ein deutscher schiebehaft gesessen hätte. Das ist doch eine ganz we- Terrorist, ja!) sentliche Lehre aus diesem Attentat. Dazu können wir auch vieles sagen. Da haben Mit- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – arbeiter des BAMF bei simpelsten Prüfungsschritten Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE versagt. Aber genauso klar ist: Ein Blick auf das Han- GRÜNEN]: Er hätte sogar in Untersuchungs- dy von Franco A., und der ganze Schwindel wäre sofort haft sitzen können, wenn die Polizei ihre Ar- aufgefogen. Deshalb ist es übrigens auch in diesem Fall beit gemacht hätte!) richtig, dass man solche Lücken benennt und schließt. Dass er nicht in Abschiebehaft saß, muss doch Konse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der quenzen haben. Wir können doch das Vertrauen in diesen CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: In­ Rechtsstaat nur wiederherstellen, strumentalisierung! – Irene Mihalic [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man ja gar (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht gebraucht! Er hätte nur einmal auf Ara- NEN]: Indem Sie die Gesetze anwenden!) bisch angesprochen werden müssen!) wenn wir solche Fehler und Versäumnisse klar benennen Der Fall Franco A. zeigt auch noch etwas anderes, und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Bei nämlich dass die Dinge, die wir hier im Deutschen Bun- (B) Anis Amri war es so, dass er schon nach einem Tag wie- destag beschließen, auch konsequent angewendet werden (D) der aus der Abschiebehaft entlassen wurde. müssen. Nach bestehender Rechtsgrundlage hätte Franco A. nie eine Asylanerkennung bekommen. Wir müssen (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, und wa- die Dinge, die wir hier beschließen, also tatsächlich auch rum?) vollziehen. Das ist das A und O. – Offensichtlich, Frau Hänsel, weil es die Sorge gab, dass bei einer längeren Anordnung der Abschiebehaft (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ man Schiffbruch vor einem deutschen Gericht erleiden DIE GRÜNEN]: Deshalb verschärfen wir würde. Deshalb beschließen wir heute Abend ein Ge- jetzt alles!) setz, sodass sich das nicht wiederholt. Ein Gefährder, der Dafür gibt es tatsächlich auch einen Hauptverantwort- abgeschoben werden soll, gehört in Abschiebehaft. Ich lichen: Das ist der Bundesinnenminister. Aus dieser Ver- weiß ehrlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von antwortung werden wir ihn auch nicht entlassen, und ich der Opposition, was daran kritikwürdig ist. sage es einmal ganz offen: Hier würde ich mir hin und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wieder auch einmal die Tatkraft wünschen, die der Ber- liner Innensenator Andreas Geisel gerade im Fall Anis Ich will noch auf einen zweiten Aspekt eingehen. Anis Amri gestern noch an den Tag gelegt hat. Amri war ja nicht nur gefährlich, er war auch mit 14 un- terschiedlichen Aliasnamen und Identitäten unterwegs. Vielen Dank. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Wie ist so etwas möglich? Das frage ich mich!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dazu könnte man vieles sagen. Bei dieser ganzen Sache Als nächster Redner hat Volker Beck für die Fraktion haben sich viele deutsche Behörden nicht gerade mit Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ruhm bekleckert. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was hat Ihr Kolle- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ge Jäger da gemacht in NRW? – Volker Beck Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fn- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wa- de, Herr Lischka hat schön illustriert, was der Sinn die- rum wurde nicht ermittelt, angeklagt und ver- ses Gesetzgebungsverfahrens ist: ein großes Blendwerk, urteilt?) eine einzige juristische Blendgranate gegen das exekuti- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23729

Volker Beck (Köln) (A) ve Versagen im Bund und in den Ländern im Fall Anis Schauen Sie sich an, was Sie hier zur Sicherungshaft (C) Amri. aufgeschrieben haben. Sie müssen sich doch einmal in Erinnerung rufen, was uns das Bundesverfassungsgericht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Sicherungsverwahrung von verurteilten Straftätern und bei der LINKEN) gesagt hat. Sie können Menschen doch nicht beliebig Das, was Sie hier vorlegen, hat mit der Problematik doch ihre Freiheit nehmen, weil Sie denken, dass sie vielleicht überhaupt nichts zu tun. mal was machen könnten. Aber sie haben noch nichts gemacht. – Diese Konstruktion wählen Sie hier. Sobald Eines will ich Ihnen sowieso sagen: Ja, Leute, die hier es einen fndigen Anwalt gibt, wird Ihnen das Bundes- kein Aufenthaltsrecht haben, sollen ausreisen. Dafür soll verfassungsgericht das beim ersten Fall um die Ohren man auch alles im Rahmen des Rechtsstaatlichen tun. hauen. Aber am Ende entscheidet sich diese Frage nicht an der Menge der Tinte, die Sie in Gesetzbücher gießen, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern daran, ob die Bundesregierung belastbare Verein- sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) barungen mit anderen Regierungen über die Rücknah- Erinnern Sie sich doch daran, dass wir selbst verur- me von ausreisepfichtigen Personen aus ihren Ländern teilte, schwergefährliche Sexualverbrecher und Mörder hinbekommt oder eben nicht. Am Ende können Sie die aus der Sicherungshaft entlassen mussten, weil das aus Leute stattdessen auch nicht jahrelang in Haft nehmen, rechtlichen Gründen – ne bis in idem – rechtsstaatlich bloß weil die Bundesregierung ihre exekutiven Aufgaben nicht anders gemacht werden konnte. Das fand ich da- nicht wahrgenommen hat. mals sehr schwierig, und trotzdem war es im Rechtsstaat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) richtig, auf solche Rechtsgrundsätze zu achten. Und das, was Sie hier heute vorlegen, wiegt doch drei- oder vier- Wenn Sie sagen: „Das alles ist jetzt die Antwort auf mal schwerer! Anis Amri“, dann erklären Sie mir jetzt doch mal, was Was machen Sie, wenn Sie gegen einen Verdächtigen das Problem der Vaterschaftsanerkennung, von dem nichts in der Hand haben, wenn er nicht Mitglied einer in Ihrem Gesetzentwurf zu lesen ist, mit dem Fall Anis terroristischen Vereinigung ist, also auch keine terroris- Amri zu tun hat. tischen Aktivitäten unterstützt, sondern er nur, wie Sie (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ glauben, den falschen Umgang hat? Viel mehr steht im DIE GRÜNEN]: Ja, eine gute Frage!) Gesetz nicht als Voraussetzung, wenn man genauer hin- schaut. „Gefahr für die innere Sicherheit“ – was ist denn Das hat überhaupt nichts damit zu tun. Sie gehen hier das bitte schön? Das ist nicht genug. Wenn man noch (B) robust an das Recht auf ein Familienleben dann heran, nicht einmal einen vernünftigen Anfangsverdacht hat, (D) wenn Migranten oder Flüchtlinge betroffen sind. Das, der konkretisiert wird und sich an Tatsachen orientiert, was Sie hier machen, ist schofel, respektlos und desin- dann ist das hier einfach keine seriöse Gesetzgebung. tegrativ. Wissen Sie, wenn die Polizei hier in Berlin im Fall (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anis Amri – das wissen wir; das können Sie in der morgi- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nachlesen – ihren Job gemacht hätte, dann hätte sie ausreichend Beweise Ich habe nichts gegen die ersten Abschnitte zur Va- für einen Haftbefehl gehabt, aber nicht, weil er vielleicht terschaftsanerkennung, in denen steht, dass man den mal was machen würde, sondern weil er vermutlich Vorwürfen gegen diejenigen nachgeht – und das entspre- Straftaten begangen hat, die eine Verhaftung gerechtfer- chend anfcht –, die Geld dafür nehmen, dass sie eine tigt hätten. Es gab ein Totalversagen. Das können Sie hier Vaterschaftsanerkennung aussprechen, oder die sagen, mit diesem Gesetzentwurf nicht verdecken, mit dem Sie dass sie das machen, damit jemand einen Aufenthaltstitel viele rechtsstaatliche Kriterien zerstören. erwirken kann. Was bitte schön hat das Auslesen von Handydaten mit Es geht aber nicht, dass man bei jeder Familienkon- Anis Amri zu tun? Es ist ja sogar die Erlaubnis vorgese- stellation, bei der eine Vaterschaftsanerkennung einen hen, dass in Zukunft das BKA diese Informationen selbst aufenthaltsrechtlichen Effekt hat – ich denke insbeson- mit Drittstaaten tauschen darf. dere an Mütter, von denen man weiß, dass sie ihren Part- ner hier nicht heiraten können, weil sie keine Papiere haben –, behauptet, dieses Familienverhältnis existiere Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nicht, sodass man die entsprechenden Behörden los- Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. schickt. Man glaubt ihnen also nicht, dass diese Famili- enkonstellation existiert. Das ist ein genereller Verdacht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gegen alle diese Menschen, und es wundert mich schon sehr, dass Sie hier versuchen, Anis Amri als Blendgrana- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): te zu nutzen und das entsprechend zu verkaufen. Nach der Sache mit Trump und Lawrow sollten wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit der Weitergabe von personenbezogenen Daten von Menschen, die sich noch nichts haben zuschulden kom- Mit diesem Gesetzentwurf schießen Sie in weiten Tei- men lassen, sehr vorsichtig sein. Über diese reden wir bei len einfach vollkommen über das Ziel hinaus. diesem Gesetzentwurf. 23730 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Volker Beck (Köln) (A) Ich bin schon sehr erstaunt über Ihre Rede, Herr gust letzten Jahres im Nachgang zu den Anschlägen von (C) Lischka. Sie haben noch nicht einmal versucht, in der Würzburg und Ansbach einen Großteil der Vorschläge, Sache zu begründen, sondern haben sich allein auf das die jetzt Inhalt dieses Gesetzes sind, gemacht. Ablenkungsmanöver bezogen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Wenn irgendetwas passiert, Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: holen Sie immer alles aus den Schubladen Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal bitten, zum raus!) Schluss zu kommen. Es gibt einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenmi- nisterium vom Oktober letzten Jahres, also lange vor dem Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anschlag vom Breitscheidplatz. Dieser Gesetzentwurf Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. – Ich hat leider nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, weil hoffe, der Gesetzentwurf wird nicht beschlossen. er am Widerstand unseres Koalitionspartners geschei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tert ist. Ich bin aber froh, dass es jetzt gelungen ist, Herr sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kollege Lischka, die Verhandlungen nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz sehr schnell aufzunehmen und die- sen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Stephan Mayer für die CDU/ (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE CSU-Fraktion das Wort. GRÜNEN]: Also jetzt doch Breitscheidplatz! Herr Mayer, Sie widersprechen sich jetzt (Beifall bei der CDU/CSU) schon selber!) Ich bin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): gen, sehr froh, dass es uns im parlamentarischen Verfah- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ren gelungen ist, den an sich schon sehr guten Gesetzent- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Gesetz zur besseren wurf noch besser zu machen. Durchsetzung der Ausreisepficht, das wir verabschieden werden, Herr Kollege Beck, ist aus meiner Sicht eine (Beifall bei der CDU/CSU) weitere sehr wichtige Etappe auf dem Weg, ausreise- pfichtige Migranten schneller und konsequenter abzu- Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch wichti- schieben. ge Punkte mit aufgenommen, beispielsweise was die Re- sidenzpficht für Gefährder betrifft. Herr Kollege Beck, (B) Wir sprechen zwar bei diesem Gesetzespaket nicht der Begriff „Gefährder“ ist schon klar defnierbar. Es (D) von einem dritten Asylpaket. Aber ich bin der festen handelt sich dabei um Personen der Preisklasse von Anis Überzeugung, dass es mit Blick auf den Inhalt und den Amri, Umfang mit den ersten beiden Asylpaketen durchaus ver- gleichbar ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Preisklasse“ ist jetzt kein kon- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE kreter Rechtsbegriff!) GRÜNEN]: So viel verfassungswidriges Zeug haben Sie in den anderen nicht gehabt!) also um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter Es geht darum, dass wir konsequenter die Personen der inneren Sicherheit ausgeht. außer Landes bringen, die in unserem Land kein Blei- berecht haben. Ende April dieses Jahres waren das rund (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE 220 000 Menschen, die an sich Deutschland verlassen GRÜNEN]: Was sind denn die tatsächlichen müssten, das aber aus unterschiedlichen Gründen bislang Voraussetzungen dafür, Herr Mayer? Erklären nicht getan haben. Ich mache, meine sehr verehrten Kol- Sie das mal!) leginnen und Kollegen, keinen Hehl daraus: Mir wäre es Es ist richtig, dass wir jetzt klarmachen, dass diese Ge- sehr lieb gewesen, wenn wir dieses Gesetz deutlich frü- fährder in Abschiebehaft gehören und dass sie in der Ab- her verabschiedet hätten. schiebehaft vor allem in Justizvollzugsanstalten unterge- Herr Kollege Beck, ich möchte mit einem Vorurteil bracht werden. aufräumen. Dieses Gesetz hat nicht unmittelbar etwas (Beifall bei der CDU/CSU) mit Anis Amri zu tun.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: GRÜNEN]: Das hat Herr Lischka gerade an- Herr Mayer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- ders gesagt! Was denn nun? Kann sich mal die legen Beck zu? Koalition einigen, warum sie das hier über- haupt macht? – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/ (Marian Wendt [CDU/CSU]: Er hat schon DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?) geredet!) Ein Großteil des Inhaltes dieses Gesetzes geht auf weit- aus ältere Vorschläge des Bundesinnenministers zurück. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Bundesinnenminister de Maizière hat bereits am 11. Au- Selbstverständlich, sehr gerne. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23731

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich bin sogar froh, dass es jetzt gelungen ist, diesen Be- (C) griff des Gefährders erstmals im Bundesrecht klar fest- Herr Beck. zulegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesetzgebungsdiskussionen haben ja immer auch die Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich wichtige Funktion, Voraussetzungen zu defnieren und bin vor allem froh darüber, dass diese Gefährder jetzt unbestimmte Rechtsbegriffe aufzulösen. Was sind denn auch in normalen Justizvollzugsanstalten untergebracht die tatsächlichen Voraussetzungen für die Fälle der Ge- werden können. Auch in meinem Wahlkreis gibt es eine fahr für die innere Sicherheit, die Sie gerade beschrieben Abschiebehaftanstalt, und ich sage ganz offen: Es wäre haben? Was muss da gegeben sein bei Leuten, die sich der Bevölkerung nicht zumutbar, dass in relativ kleinen, nicht strafbar gemacht haben, um die Voraussetzungen auch durchaus nicht optimal gesicherten Abschiebehaft­ zu erfüllen? anstalten Gefährder untergebracht werden. Sie können vielmehr in Hochsicherheitsgefängnissen oder in Justiz- „Preisklasse Anis Amri“ ist kein Hinweis. Was soll vollzugsanstalten untergebracht werden. das konkret bedeuten? Was muss vorgefallen sein? Was muss die Polizei in ihren Händen haben, damit diese Re- Wichtig ist darüber hinaus, dass wir Möglichkeiten gelung tatsächlich greifen kann? Das würde ich gerne schaffen, um konsequent gegen Personen vorzugehen, die mal wissen. unsere Regeln ausnutzen, um sich ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erschleichen. Dabei ist die Mitteilungs- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pficht von Behörden, die Wind davon bekommen, dass NEN]: Wo steht das in Ihrem Gesetzentwurf?) sich ein Flüchtling in sein Heimatland zurückbegibt, ge- genüber dem jeweiligen Ausländeramt von entscheiden- der Bedeutung. Wenn ein Flüchtling in sein Heimatland Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): zurückkehren kann, muss zumindest überprüft werden Herr Kollege Beck, der Begriff des Gefährders stammt können, ob die Voraussetzungen für die Einstufung als aus dem Polizeirecht, Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter über- haupt noch vorliegen. Es ist kein zwingender Automa- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tismus, dass dann der Flüchtlingsstatus aberkannt wird, GRÜNEN]: Das steht aber gar nicht im Ge- aber es muss doch zumindest die Möglichkeit bestehen, setz! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE dass man die Ausländerbehörde in die Lage versetzt, die GRÜNEN]: Nein! Der steht nicht im Gesetz!) Tatsachen noch einmal zu überprüfen. (B) (D) und wir haben derzeit in Deutschland ungefähr 600 von (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE den Landeskriminalämtern eingestufte Gefährder. GRÜNEN]: Bei Bundeswehrsoldaten, fnde ich, sollten wir das ändern!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „Gefahr für die innere Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sicherheit“, nicht „Gefährder“!) Herr Mayer, lassen Sie noch eine Zwischenfrage, dies- Dabei handelt es sich um Personen, zu denen nicht etwa mal der Kollegin Mihalic, zu? irgendwelche vagen Vermutungen vorliegen, sondern es bedarf konkreter Hinweise, dass diese Personen in sala- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): fstische bzw. islamistische Netzwerke mit einbezogen sind, dass sie zu Islamisten Kontakt haben, dass sie an- Selbstverständlich. Sehr gerne. gekündigt haben, in Deutschland Anschläge zu verüben, oder dass sie sich in salafstischen Kreisen aufhalten. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas- GRÜNEN]: Das steht da nirgendwo!) sen. – Sie haben vorhin gesagt, dass der Gefährderbegriff aus dem Polizeirecht stammt. Können Sie mir mal bitte Es ist eben nicht so, wie Sie behaupten, Herr Kollege das Gesetz nennen, wo der Gefährderbegriff legal def- Beck, dass hier mit reiner Willkür jeder einbezogen wer- niert ist? den kann, sondern es bedarf ganz konkreter Hinweise, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut! dass eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter Sehr gute Frage!) oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit besteht. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Frau Kollegin Mihalic, ich habe dem Kollegen Beck GRÜNEN]: Das ist keine tatsachengestützte erläutert, dass der Begriff des Gefährders aus dem Poli- Gefahrenprognose! – Irene Mihalic [BÜND- zeirecht stammt, also aus dem Landesrecht. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht gar nicht drin im Gesetzentwurf! – Gegenruf von der (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU: Hören Sie doch auf, Mensch!) NEN]: Nein!) 23732 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Stephan Mayer (Altötting) (A) Die Länder haben die Befugnis, festzulegen, welche terschaft in missbräuchlicher Weise anerkannt wurde, um (C) Personen sie für so gefährlich erachten, dass sie sie bei- einen Aufenthaltstitel zu erschleichen. spielsweise mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme überziehen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wer entscheidet das denn? Die Ausländerbehörde?) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Nennen Sie mal das Gesetz, das Ich fnde, dann ist es auch recht und billig, die Möglich- es darstellt! Wo steht es drin?) keit zu schaffen, eine Vaterschaft wieder abzuerkennen. Darüber hinaus ist es auch in sicherheitspolitischer – Die Länder haben die Befugnis aufgrund ihrer Poli- Hinsicht wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt in die zeiaufgabengesetze, festzulegen, wen sie als so brisant Lage versetzen, die Daten von Migranten mit den Daten- und gefährlich einstufen, dass sie davon ausgehen, dass banken befreundeter Länder abzugleichen. zumindest die Gefahr besteht, dass der Betreffende einen Anschlag in Deutschland unternimmt. Ich sage zum Abschluss, meine sehr verehrten Kolle- ginnen und Kollegen, ganz deutlich: Dieses Paket ist ab- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE gerundet. Es führt zu einem deutlichen Fortschritt, wenn GRÜNEN]: Sie haben echt keinen blassen es darum geht, ausreisepfichtige Personen effektiver und Schimmer!) konsequenter außer Landes zu bringen. Aber wir hätten Das ist keine Bundeskompetenz. uns an der einen oder anderen Stelle durchaus noch mehr vorstellen können, beispielsweise wenn es um das Ausle- Ich bin Ihnen ja dankbar, Frau Kollegin Mihalic, dass sen eines Handys geht. Herr Kollege Lischka, Sie haben Sie diese Frage noch einmal stellen. Von daher bezieht ja die Vorteile erwähnt. Uns wäre es sehr lieb gewesen, sich meine Antwort auch darauf. Kollege Lischka hat wenn wir das Auslesen eines Handys nicht nur zur Fest- insinuiert, als wären jetzt bei allem der Bund und der stellung der Identität nutzen könnten, sondern auch zur Bundesinnenminister in der Verantwortung. Man muss Feststellung des Reiseweges. Auch die Einbeziehung der nun einmal sehen: Das Bundeskriminalamt hat keinen Bundespolizei in den automatisierten Datenabgleich ist einzigen Gefährder eingestuft. Alle Gefährder, die wir in ein wichtiger Punkt. Deutschland haben, sind von den Landeskriminalämtern Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das eingestuft worden. sind Punkte, die auf der Agenda bleiben. Sie sind nicht (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. In diesem Sin- NEN]: Fundstelle! – Volker Beck [Köln] ne bitte ich um die größtmögliche Unterstützung dieses (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fund- wichtigen und bedeutsamen Gesetzentwurfes. (D) stelle!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist auch das Hauptversagen, das zu dem Anschlag am Breitscheidplatz geführt hat, bei den Lan- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: deskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur anzusiedeln. Da liegt die Ursache. Da ist geschludert Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- worden, brachten Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausreisepficht. Der Innenausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12415, den auch zum Beispiel aufgrund noch fehlender rechtlicher Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa- Instrumente wie der Möglichkeit, Gefährder in Nord- chen 18/11546 und 18/11654 in der Ausschussfassung rhein-Westfalen oder Berlin präventiv mit einer Telefon- anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- überwachungsmaßnahme zu überziehen, was beispiels- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um weise in Bayern selbstverständlich möglich ist. das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beratung mit den Stimmen der Koalition – bis auf zwei NEN]: Sagen Sie doch einfach, wenn Sie es Mitglieder der SPD – bei Gegenstimmen der Opposition nicht wissen! – Volker Beck [Köln] [BÜND- angenommen worden. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht alles wissen, Herr Mayer! Mut zur Lücke! – Uwe Wir kommen zur Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dritten Beratung Keine Antwort!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ein weiterer wichtiger Punkt ist der schon erwähnte, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer dass wir auch Regelungen schaffen, um Scheinvater- stimmt dagegen? – Entschuldigung! Wer stimmt dafür? schaften effektiv bekämpfen zu können. Das, was Sie, Herr Kollege Beck, immer so stereotyp von sich geben, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE dass hier alle unter Generalverdacht gestellt werden, GRÜNEN]: Abgelehnt, Frau Präsidentin! stimmt einfach nicht. Das trifft einfach nicht zu. Auch Kein zweiter Versuch! Die Vorlage ist futsch! hier müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Va- Die Blendgranate ist geplatzt! – Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23733

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) – Nein, das muss ich jetzt korrigieren, liebe Kolleginnen rungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir (C) und Kollegen. Das betraf diejenigen, die dafür gestimmt zuerst abstimmen. haben. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag auf Jetzt frage ich: Wer stimmt dagegen? – Enthält sich Drucksache 18/12428 ab. Wer stimmt für diesen Ände- jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je- der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition und mand? – Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stim- zweier Abgeordneter der SPD-Fraktion angenommen men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition worden. abgelehnt worden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag auf Druck- GRÜNEN]: Es gibt zwei vernünftige Sozial- sache 18/12429 abstimmen. Wer stimmt diesem Ände- demokraten! Sie zeigen es bloß nicht!) rungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin on abgelehnt worden. Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Jetzt lasse ich über den Änderungsantrag auf Druck- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sache 18/12430 abstimmen. Wer stimmt für diesen Än- Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelret- derungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich ter entkriminalisieren jemand? – Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- Drucksache 18/12364 position abgelehnt worden. Überweisungsvorschlag: Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- Die Reden zu dieser Debatte sollen zu Protokoll ge- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den geben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1) Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12364 an die in der Tagesordnung auf- Ich komme zur geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit dritten Beratung einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das auch so (B) beschlossen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (D) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes haltung der Opposition ohne Gegenstimmen angenom- zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäsche- men worden. richtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtrans- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: ferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersu- Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid chungen Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181 on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nr. 1.8 Für einen radikalen Kurswechsel in der Je- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- menpolitik ausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/12121 Drucksache 18/12405 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu Linke vor. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann Aussprache hat Omid Nouripour für die Fraktion Bünd- ist das auch so geschehen.2) nis 90/Die Grünen das Wort. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): che 18/12405, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Je- auf den Drucksachen 18/11555 und 18/11928 in der men stirbt – still. Seit über zwei Jahren sehen wir zu – Ausschussfassung anzunehmen. Dazu liegen drei Ände- ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit der internati- onalen Gemeinschaft –, wie das arme und stolze Land 1) Anlage 5 in die Steinzeit gebombt wird, wie Zehntausende Men- 2) Anlage 6 schen getötet werden, wie Millionen vertrieben werden, 23734 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Omid Nouripour (A) wie sie unter Unterernährung und Krankheiten leiden. aber nicht schafft, ist, das Wort „Saudi-Arabien“ aus- (C) Fast 20 000 Fälle von Cholera – Cholera im 21. Jahr- zusprechen oder auch nur eines der anderen Länder in hundert! – gibt es bereits, und die Epidemie hat gerade dieser Koalition zu nennen. Ich fnde, wenigstens das ist erst begonnen. 500 000 Kinder sind akut mangelernährt. man den Menschen im Jemen derzeit schuldig. Das heißt, 500 000 Kinder könnten jeden Augenblick an Unterernährung sterben oder werden mit schweren kör- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN perlichen und geistigen Folgeschäden rechnen müssen. und bei der LINKEN) Wir sehen seit nun über zwei Jahren, wie das reiche kul- Ich will nicht falsch verstanden werden: Die Situati- turelle Menschheitserbe Jemens, die Vergangenheit des on im Jemen ist nicht alleine die Schuld der Koalition Landes, zerstört wird. Aber auch die Lebensadern, die um Saudi-Arabien. Die Huthis haben diesen Krieg be- von deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mit gonnen; der Exdiktator Saleh hat ihn vorangetrieben. fnanziert und von deutschen Entwicklungshelferinnen Die Iraner schauen auch nicht nur friedlich zu – das ist und Entwicklungshelfern mit aufgebaut wurden, werden richtig –, aber genau deswegen kommt niemand auf die zerstört, genauso wie die Zukunft des Landes, nämlich Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen. Genau deswegen die Kinder und die Familien. kommt niemand auf die Idee, davon zu sprechen, dass Der Krieg im Jemen ist eine der größten humanitä- Saleh legitime Sicherheitsinteressen habe, während seine ren Katastrophen unserer Zeit und wird trotzdem kaum Milizen die Stadt Taizz seit Monaten abriegeln und keine wahrgenommen, erstens weil keine Flüchtlinge kom- humanitären Güter hineinlassen. Das ist die Heuchelei men – schon aus geografschen Gründen und wegen der bei der Art und Weise, wie wir mit dem Jemen umgehen. Sperre kann niemand aus dem Land herauskommen – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zweitens weil die internationale Gemeinschaft, aber auch die Regierungen keine klaren Worte fnden, um das Wir sollten in dieser Lage tun, was wir können. Dazu auszudrücken, was dort passiert. Ich bin sehr dankbar, gehören die Einstellung der Rüstungsexporte und das dass das Auswärtige Amt sehr viel tut und zahlreiche di­ klare Aussprechen dessen, was notwendig ist und wie die plomatische Aktivitäten angestoßen hat. Das ist ein gro- Lage derzeit aussieht. Es reichen keine Ausreden mehr. ßer Beitrag, um den Konfikt hoffentlich zu beenden. Das hat auch das Europäische Parlament begriffen. Es hat neulich einen Stopp der Waffenexporte in die Region Reicht das? Die Frage ist legitim angesichts einer gefordert, Gott sei Dank auch mit den Stimmen der Sozi- der größten Katastrophen unserer Zeit. Haben wir, hat aldemokratie. Wir hätten heute die Möglichkeit, diesem Deutschland, hat diese Bundesregierung alles getan, was wirklich klugen Vorbild zu folgen. Darüber würde ich sie konnte? Die Antwort lautet: Nein. – Während Sau- mich sehr freuen. Ich glaube, das Mindeste, was wir den di-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate so- (B) Menschen im Jemen schulden, ist auszusprechen, was (D) wie andere Staaten das Rückgrat Jemens weggebombt – dort gerade passiert. und das mit europäischen Flugzeugen und Bomben; auch Deutschland hat seinen Anteil daran –, Schulen, Kran- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kenhäuser, Flüchtlingslager und Zementfabriken zerstört sowie Häfen und Flughäfen geschlossen haben, hat die Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Bundesregierung nicht nur die Genehmigungen für be- Als nächster Redner hat Dr. Johannes Wadephul für reits bestehende Rüstungsexporte nicht widerrufen – das die CDU/CSU-Fraktion das Wort. wäre notwendig gewesen –, sondern sogar auch neue Ge- nehmigungen erteilt, die sich auf diese Länder beziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Damen und Herren der Regierung fnden keine klaren Worte. Im Gegenteil: Der ehemalige Bundesau- Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): ßenminister Steinmeier sprach im Zusammenhang mit Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und dem Krieg im Jemen über legitime saudische Sicher- Herren! Der Kollege Nouripour hat zu Recht darauf hin- heitsinteressen. Er sagte, das Land spiele weiterhin eine gewiesen: Wir erleben im Jemen eine Krise ungeahnten Schlüsselrolle für die Sicherheit und Stabilität in der ge- Ausmaßes. Die Choleraepidemie weitet sich offenbar samten Region. Keine Sicherheit für die jemenitischen bedauerlicherweise aus. Es gibt viele Todesfälle. Die Kinder! Provinz Hadramaut erklärte sich für unabhängig. Präsi- dent Hadi hat den Gouverneur der Stadt Aden entlassen. Der Kollege Joachim Pfeiffer von der Union sagte Darauf fohen alle Minister der Hadi-Regierung aus der von diesem Pult aus am 8. Juni letzten Jahres, er sei froh, Stadt. Bedauerlicherweise nehmen die Unabhängigkeits- dass Saudi-Arabien dafür sorge, dass auf der Arabischen bestrebungen im Süden wieder zu. Das Land droht erneut Halbinsel, also auch im Jemen, das Töten von Menschen auseinanderzubrechen, was eine schlimme Entwicklung und der Bürgerkrieg beendet würden. Es tut mir leid: Das wäre. Trotz der militärischen Überlegenheit hat die sau- ist einfach nur verblendeter Zynismus. disch geführte Allianz im Kampf gegen die Huthi-Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bellen den Frontverlauf nicht entscheidend verändern sowie bei Abgeordneten der LINKEN) können. Der aktuelle Außenminister, Sigmar Gabriel, hat vor- Die Krisen im Jemen sind vielfältig. Viele von ihnen gestern eine Presseerklärung verfasst. Er spricht über sind durch die innenpolitischen Entwicklungen haus- die humanitäre Katastrophe, er spricht von Cholera, er gemacht. Wer sich die innenpolitische Lage des Jemen spricht von Hunger und von Krankheiten. Das, was er anschaut, stellt fest: Die saudischen Luftangriffe sind Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23735

Dr. Johann Wadephul (A) schlimm, sie sind auch unverhältnismäßig, sie sind aber sich dem angeschlossen und dazu am 16. Mai 2017 eine (C) nur eines von vielen Problemen. Deswegen ist es erstaun- entsprechende Erklärung abgegeben. Deswegen möchte lich, dass Ihr Antrag, Herr Kollege Nouripour, nur einen ich da den ehemaligen und den jetzigen Außenminister Hauptschuldigen nennt: Saudi-Arabien. ausdrücklich in Schutz nehmen. Das Außenamt der Bun- desrepublik Deutschland hat sich ganz eindeutig hinter (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Vermittlungsbemühungen des UN-Sondergesandten NEN]: Sie haben mir, glaube ich, nicht zuge- gestellt. hört!) (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD]) Wenn wir dem Entwurf Ihres Antrags, den Sie vor- gelegt haben, folgen würden – vielleicht können wir ihn Diese Politik werden wir weiterhin unterstützen. Das ist verbessern –, dann würde Deutschland aus unserer Sicht das einzig Sinnvolle, was hier zu einem Ergebnis führen keinen sinnvollen Beitrag zu einer Friedenslösung leis- kann. Herr Kollege Nouripour, Deutschland ist hier ins- ten, sondern nur den moralischen Zeigefnger heben. gesamt gut positioniert. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Sie haben den Antrag nicht gelesen! Wir sind an dieser Stelle auf keinem Auge blind. Tut mir leid! Es ist nicht der Antrag, über den Sie sprechen!) Im Übrigen ist Deutschland zum Glück in der Lage, auch fnanzielle Mittel bereitzustellen. Ich will auf die Außenpolitik ist aber, glaube ich, ein bisschen mehr. Geberkonferenz am 25. April dieses Jahres hinweisen, Wenn Sie bewerten, was die deutsche Regierung in der auf der von deutscher Seite 50 Millionen Euro für huma- Vergangenheit gemacht hat, dann sollten Sie bitte nicht nitäre Hilfe und 55 Millionen Euro für die Entwicklungs- zu gering schätzen, dass die Bundeskanzlerin in diesen zusammenarbeit zugesagt wurden. Das ist zwar nur ein Zeiten – es standen einige Wahlkämpfe an, und es steht minimaler Beitrag zur Linderung der Not, aber ein nicht der Bundestagwahlkampf bevor – eine Reise in die Re- zu unterschätzender Beitrag insgesamt. gion gemacht hat, in Dschidda war und auch mit den Saudis gesprochen hat. Sie hat sehr klare und deutliche Ich glaube, wir brauchen einen Ansatz, der etwas Worte auch zu den Luftangriffen im Jemen gefunden. Ich übergreifender ist als derjenige, den Sie in Ihrem Antrag hätte gut gefunden, wenn Sie das gewürdigt hätten. Da geliefert haben. Ihre Rede hat schon erste Andeutungen Sie es nicht tun, will ich es tun. Ich freue mich, dass die enthalten, wie man das noch verbessern kann. Da soll- Bundeskanzlerin in der Region gewesen ist und sich klar ten wir in den Ausschussberatungen ansetzen, um zu ge- positioniert hat. meinsamen Lösungen zu kommen. Denn eines ist klar: (B) Das menschliche Leid im Jemen muss verringert werden, (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour und dazu müssen wir an alle appellieren. Dazu brauchen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat sie wir Saudi-Arabien, dazu brauchen wir aber auch den nicht!) Iran, und dazu brauchen wir auch Einfuss auf die Huthis. Ich will darauf hinweisen, dass der UN-Sonderge- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. sandte für den Jemen, Sheikh Ahmed, der im März hier in Berlin war, gesagt hat, dass man im Jemen keinen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Fortschritt erzielt, wenn man die Sicherheitsinteressen ordneten der SPD) Saudi-Arabiens bei den Verhandlungen zu wenig be- rücksichtigt. Saudi-Arabien ist seit zwei Jahren unter Be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: schuss ballistischer Raketen durch die Huthis; das muss Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen für die man sehen. Diese Raketen können sogar die Hauptstadt Fraktion Die Linke das Wort. und sie könnten auch die heiligen Stätten erreichen. Jeder ahnt, was dann in der Region los wäre. Die Huthis grei- (Beifall bei der LINKEN) fen mit sprengstoffbeladenen Boten Schiffe in der Meer- enge Bab al-Mandab an und verminen den Seeraum. Im Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Oktober 2016 – so lange ist das noch nicht her – wurde Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und dabei ein Frachter der Vereinigten Arabischen Emirate Kollegen! Reden wir doch bitte Klartext zum Jemen und zerstört. Dem muss man Einhalt gebieten, wenn auch zur Mitverantwortung vor allen Dingen der Bundesregie- weiterhin Hilfslieferungen in den Jemen gelangen sollen. rung für die katastrophale humanitäre Situation in diesem Ich glaube, das ist unser gemeinsames Interesse. Land. Ich will nicht verschweigen – das habe ich gerade (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schon angesprochen –, dass die saudischen Luftangriffe erhebliches Leid unter der Zivilbevölkerung hervorru- Der machtpolitisch motivierte Krieg Saudi-Arabiens fen und dass es bislang keine positive strategische Ver- gegen den Jemen, der vor allem die jemenitische Zi- änderung gegeben hat. Wir haben Saudi-Arabien immer vilbevölkerung trifft, ist die Hauptursache für das sich wieder gesagt, dass es eine politische Lösung braucht täglich zuspitzende Elend. UNICEF beklagt: Infolge der und keine militärische geben wird. Sie sind ja bei einem saudisch geführten Angriffe sind mehr als 1 500 Kinder Besuch des damaligen Außenministers Frank-Walter getötet worden. 2 500 Kinder wurden infolge der Kämpfe Steinmeier dabei gewesen und haben miterlebt, wie er verstümmelt. Nach UNO-Angaben sind bis heute etwa das dort sehr deutlich gesagt hat. Sigmar Gabriel hat 10 000 Zivilisten getötet und etwa viermal so viele ver- 23736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Sevim Dağdelen (A) letzt worden, und die Dunkelziffer ist viel höher. Durch der muss sofort alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabi- (C) die Zerstörung der Infrastruktur im Jemen durch die en und an die anderen Golfdiktaturen stoppen. saudi-arabische Luftwaffe ist jetzt auch noch die Chole- ra ausgebrochen. Die Vereinten Nationen sprechen von (Beifall bei der LINKEN) über 180 Toten und 14 000 Verdachtsfällen. Dazu kommt Wer gerade in dieser Region keine weiteren Fluchtursa- vor allem, dass durch die saudische Blockade jemeniti- chen schaffen will, der muss sofort jegliche Ausbildung scher Häfen – man spricht auch von der Hungerblocka- saudischer Sicherheitskräfte unterbinden. Wer tatsäch- de – 7 Millionen Menschen im Jemen der Hungertod lich etwas gegen den islamistischen Terrorismus unter- droht. Hunderttausende Kinder sind gefährdet. Das, was nehmen möchte, der muss seinem größten Förderer, dem hier unter unseren Augen abläuft, ist nichts anderes als Schreckensregime in Riad, endlich die Rote Karte zei- ein Massaker ungeheuerlichen Ausmaßes durch die isla- gen. Der saudische König und Diktator Salman ist kein mistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, Ihrem Ver- Fall für üppige diplomatische Bankette, wie es Merkel bündeten, besonders bei der Union. mit Salman übt, sondern ein Fall für den Internationalen Gerichtshof. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Herr Außenminister Gabriel hat vorgestern im Ge- Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE spräch mit der saudischen Marionettenregierung des GRÜNEN]) Jemen erklärt, Deutschland wolle bei der Lösung des Konfikts eine aktive Rolle einnehmen. Zugleich muss Wir wollen keine Pakte, keine Kumpanei mit solchen man aber konstatieren: Deutschland spielt schon eine Terrorpaten wie Salman oder auch Erdogan. Wir wollen sehr aktive Rolle. Deutschland liefert weiter Waffen eine radikale Wende in der deutschen Arabien-Politik. an Saudi-Arabien, und Frau Bundeskanzlerin Merkel Wir wollen keine Beihilfe zum Mord leisten. hat darüber hinaus bei ihrem jüngsten Besuch bei der Vielen Dank. Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien zugesagt, saudische Militärs von der deutschen Bundeswehr ausbilden zu las- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. sen. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zuruf von der LINKEN: Pfui Teufel!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich fnde Ihre Außenwirtschaftspolitik wirklich unerträg- Niels Annen hat für die SPD-Fraktion als nächster lich. Redner das Wort. (B) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Saudi-Arabien ist ein Großkunde der deutschen Rüs- Niels Annen (SPD): tungskonzerne. 2016 betrug das Exportvolumen 529 Mil- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lionen Euro. Die Saudis bekommen Patrouillenboote und Herren! Ich glaube, es ist ganz legitim im politischen Technik für Radarüberwachung. Diese Kopf-ab-Diktatur Meinungsstreit, dass man aus Sicht der Opposition die darf sich zudem deutsches Waffen-Know-how ins Land Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung auch einmal holen. Die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall ist ordentlich attackiert. Dagegen hat niemand etwas. an einer Munitionsfabrik vor Ort beteiligt und verdient (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber?) über Lizenzen kräftig mit. Pro Tag können dort 300 Ar- tilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert wer- Ich habe dennoch den Eindruck, dass Sie sich das falsche den. Wissen Sie was? In der deutschen Rüstungsexport- Thema ausgesucht haben. Ich will gerne versuchen, nach statistik tauchen diese Zahlen überhaupt nicht auf. Was dem Beitrag der Kollegin Dağdelen wieder zu den Fak- Sie mit Ihrer Außenwirtschaftspolitik veranstalten, ist ten zurückzukehren und etwas zu dem zu sagen, was im nichts anderes als Beihilfe zum Mord. Antrag der Grünen steht. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben einen An- Die saudische Diktatur mordet im Jemen und ist trag präsentiert, in dem Sie – das sagt der Titel – einen Hauptverantwortlicher für diese humanitäre Katastro- radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik verlangen, phe. Sie unterstützen dieses mörderische Regime, das und eine Vielzahl von Forderungen formuliert, die die weltweit islamistischen Terror fördert, und das auch noch Bundesregierung und gerade auch das Auswärtige Amt militärisch. Eben haben wir noch über die Gefährder ge- schon längst umsetzen. Ich will das einmal ein bisschen sprochen, die Sie wegsperren wollen. Aber wieso pak- zuspitzen: Wenn das die neue Radikalität der Grünen ist, tieren Sie denn mit denen, die weltweit diese Gefährder dann sitzen im Auswärtigen Amt nur Extremisten. fördern? Warum paktieren Sie mit diesen Terrorpaten? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Eines ist allerdings richtig – darin sind wir uns in Wer sich nicht weiter am Massensterben mitschuldig diesem Hause hoffentlich einig –: Der Krieg im Jemen machen und am Massenmord im Jemen beteiligen will, genießt viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserem Land Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23737

Niels Annen (A) und in der Weltöffentlichkeit. Dafür gibt es Gründe. So und nicht nur versuchen würden, hier einen PR-Effekt (C) gibt es bedauerlicherweise auch andere bewaffnete Kon- zu erzielen – fikte, um die wir uns in diesem Hause kümmern. Trotz- dem ist das eine Aussage, die, glaube ich, von allen hier (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ach, nur Sie geteilt werden kann. Insofern hat Ihr Antrag – bei aller beschäftigen sich ernsthaft mit diesen The- Fehlerhaftigkeit seiner Stoßrichtung – auch etwas Gutes, men? Exportieren Sie mal weiter Waffen!) nämlich dass wir heute über dieses Thema diskutieren. unterstützt aktiv die Vermittlungsbemühungen des Son- Eines will ich ganz klar und deutlich festhalten: Frau dergesandten der Vereinten Nationen; das hat der Kollege Dağdelen, wir kennen dieses Spiel von Ihnen ja schon Wadephul eben zu Recht erwähnt. Die Bundesregierung aus anderen Debatten. ist einer Bitte der Vereinten Nationen nachgekommen und hat angeboten, diesen fragilen politischen Prozess (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Spiel?) mit einer aktiveren Rolle und mit ihren eigenen Ressour- Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken – leider ver- cen stärker zu unterstützen. sucht auch der Kollege Nouripour, diesen Eindruck zu (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erwecken –, dass wir in Deutschland Verantwortung da- NEN]: Das hat die Bundesregierung aber für tragen, dass Saudi-Arabien den Jemen bombardiert. nicht von selbst gemacht, sondern das waren Deswegen will ich hier festhalten: Deutschland beteiligt die VN!) sich nicht an der Militärkoalition im Jemen, Ich darf noch sagen: Just in dieser Woche, in der Sie in (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einer interessanten Koalition in der Opposition versucht NEN]: Sondern liefert die Waffen!) haben, den Eindruck zu erwecken, wir würden uns nicht und Deutschland strebt eine solche Beteiligung auch interessieren und die Bundesregierung sei quasi passiv, nicht an. hatten wir ein Treffen von hochrangigen Vertretern der Konfiktparteien aus dem Jemen, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das nennt man „Mitverant- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Oh! Su- wortung“!) per! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Aber reicht das?) Die Bundesregierung die in Form eines „Track II“, also eines informellen Di- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Bewaffnet alogs, versucht haben, durch das Gespräch und den poli- die eine Seite!) tischen Dialog Lösungen für diesen Konfikt zu erzielen. (B) (D) ist überzeugt – das ist öffentlichen Äußerungen und Do- Das unterstützen wir. Ich denke, das sollte auch vonsei- kumenten zu entnehmen –, dass keine militärische Lö- ten des Parlaments unterstützt werden. Das ist auch die sung für diesen Konfikt anzustreben ist, sondern – im Politik der Bundesregierung. Gegenteil – dass wir eine Befriedung nur dann erreichen (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- können, wenn wir eine politische Lösung erzielen. NEN]: Das reicht nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Meine sehr verehrten Damen und Herren, die huma- Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum dann nitäre Lage im Jemen muss angesprochen werden, wenn die Rüstungsexporte?) man über diesen Konfikt miteinander diskutiert. Es wurde eben von Herrn Nouripour so dargestellt, als (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- würden wir nur zuschauen, als würden wir nichts tun, NEN]: Ja, genau! Und die Verantwortung da- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für!) NEN]: Nein! Ich habe für die Initiative ge- dankt! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ich bin dankbar dafür, dass das auch geschehen ist. Die Doch, Sie tun schon etwas! Aber das Falsche!) humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal. 17 Millionen Menschen sind von Nahrungsunsicherheit direkt betrof- als würde uns der Konfikt nicht interessieren. Außenmi- fen. Weit über 3 Millionen Menschen sind mangeler- nister Sigmar Gabriel nährt. Wir hatten vor kurzem – darauf ist hingewiesen worden – den Ausbruch der Cholera zu beklagen. Das (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Reden Sie bedeutet, es ist in der Tat an der Zeit, dass wir nicht nur jetzt für die Regierung oder für Ihre Fraktion?) hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, wie hat erst vorgestern den Premierminister der jemeniti- wir die Initiativen unserer Regierung noch stärker unter- schen Regierung getroffen und die Position der Bundes- stützen können, regierung ganz deutlich unterstrichen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Presse- NEN]: Sondern dass Sie dieses Thema tat- sprecher des Auswärtigen Amts spricht hier sächlich auch an sie adressieren!) oder ein Abgeordneter?) sondern dass wir auch darüber sprechen, wie wir die in- Die Bundesregierung – das könnten Sie wissen, wenn ternationale Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken Sie sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt hätten können. 23738 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Niels Annen (A) Ich darf darauf hinweisen – auch das steht in schar- anstatt hier den Eindruck zu erwecken, wir würden nur (C) fem Kontrast zu der Art und Weise, wie die Dinge von zuschauen. der Opposition dargestellt werden –, dass das Auswärtige Die Europäische Union verurteilt die Angriffe auf Amt die Mittel für die humanitäre Hilfe für den Jemen Zivilisten und äußert sich ausgesprochen besorgt zum bereits 2016 erhöht hat. Dieses Jahr belaufen sie sich auf Einsatz unter anderem von Streumunition. Die EU for- 125 Millionen Euro. Deutschland ist damit der drittgröß- dert einen sicheren Zugang für humanitäre Helfer, eine te Geber für den Jemen. Frage, die wir nicht nur für den Jemen miteinander zu (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Omid diskutieren haben, sondern die wir beispielsweise auch Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aus dem Krieg in Syrien kennen. Da die Redezeit jetzt Und liefert gleichzeitig Waffen!) quasi abgelaufen ist, Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Alle (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kriegsverbrechen – ganz gleich, von welcher Seite sie NEN]: Wo bleiben die Rüstungsexporte? Wo begangen werden; das gilt natürlich auch für die saudi- bleibt das Wort „Saudi-Arabien“? Wo bleibt sche Regierung, die hier die größte Verantwortung trägt, die Sozialdemokratie im Europäischen Parla- weil sie mit der Luftwaffe und ihren übrigen Wirkmitteln ment?) eine ganz andere Eskalationsdynamik entwickeln kann – will ich Ihnen das gerne noch einmal zur Lektüre emp- müssen untersucht werden. Das ist die Politik dieser Re- fehlen. gierung, der Großen Koalition, nicht nur im Jemen-Kon- fikt, sondern, wie Sie wissen, auch im Syrien-Konfikt. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir betreiben, was den Jemen-Konfikt angeht, eine ausgewogene Politik, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowohl was die humanitäre Hilfe angeht, als auch was NEN]: Jetzt noch ein Wort zu den Rüstungsex- die politischen Initiativen angeht. porten und ein Wort zu den Verantwortlichkei- ten! Dann kommen wir zusammen!) (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ausblenden der Fakten!) – Sie können so viel schreien, wie Sie möchten. Ich tra- ge Ihnen hier die Fakten vor. Vielleicht trägt das ja ein Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass es der bisschen dazu bei, dass wir eine sachliche Debatte mitei- ehemalige Wirtschaftsminister und noch amtierende Vi- nander führen. zekanzler Sigmar Gabriel gewesen ist, der beispielsweise nach von einer vorherigen Regierung genehmigten Ex- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- porten und Lizenzverträgen für die Errichtung einer Fa- NEN]: Zur Sachlichkeit gehört die Erwäh- brik zur Herstellung von Sturmgewehren des Typs G36 (B) (D) nung der Rüstungsexporte!) die Produktion dadurch gestoppt hat, dass die zentralen – Ich weiß, dass das Zuhören nicht zu Ihren Stärken ge- Komponenten bis heute nicht geliefert worden sind, was hört, in gewisser Weise sogar vertragswidrig ist, aber aus poli- tischen Gründen die richtige Entscheidung war. Also tun (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie hier nicht so, als würden wir auch an dieser Stelle NEN]: Bei solchen Reden ist das wahr! Das nicht aktiv werden! Das Gegenteil ist der Fall. geht einfach nicht! Das ist kaum zu ertragen!) Ich danke für die Aufmerksamkeit. aber ich will das trotzdem vortragen. – Deshalb hat sich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – die Bundesregierung in Genf immer dafür eingesetzt, Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Salman und dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Erdogan werden es danken!) unabhängige Kommission einsetzt.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie viele Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Waffen haben Sie denn heute schon vertickt?) Als letzter Redner in dieser Debatte hat Thorsten Frei Wir wissen, an wem das gescheitert ist. Es lag, meine für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. sehr verehrten Damen und Herren, nicht an der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) regierung. Ich möchte Sie gerne einladen, weil Sie das in Ihrem Thorsten Frei (CDU/CSU): Antrag erwähnt haben, sich noch einmal die Schlussfol- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gerungen des Rates der EU dazu anzuschauen, mit der Ich bin sehr dankbar, lieber Herr Annen, dass Sie etwas Stimme und der Unterstützung der Bundesregierung. Es Sachlichkeit in diese Debatte gebracht haben sind zum Teil exakt die Forderungen, die Sie uns hier zur Beschlussfassung vorlegen. Viele Punkte fnden sich dort (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wieder . Deswegen wäre es, glaube ich, nur fair gewesen, NEN]: Der Wadephul konnte es ja nicht!) wenn man das zumindest erwähnt hätte, und dass Sie im Großen und Ganzen ein Stück weit rela- tiviert haben, was hier vorgetragen worden ist. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es ist fair, wenn jetzt noch ein Satz zu Wenn man sich den Antrag der Grünenfraktion an- den Rüstungsexporten kommt! Ein einziger! schaut, stellt man fest, dass er zunächst einmal durchaus Komm, gib ihn mir!) positive Aspekte enthält – darauf sind die Vorredner ein- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23739

Thorsten Frei (A) gegangen –, etwa wenn es darum geht, die größte huma- Ihnen sagen: Die tun nichts, gar nichts. Auch das gehört (C) nitäre und auch Hungerkatastrophe der Welt ein Stück zu dem Gesamtbild. weit in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und dafür zu sorgen, dass auch unser Haus dieses Thema diskutiert. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass wir in Was da zu diskutieren ist, haben wir ja gehört. Dabei geht Deutschland eine radikale Änderung der Jemenpolitik es in der Tat im Ergebnis um nichts anderes als darum, brauchen. Ich frage mich: Was sollen wir denn ändern? dass das seit Jahren ärmste Land der arabischen Welt im In dieser Woche war der jemenitische Premier in Berlin. Grunde genommen in die Steinzeit zurückkatapultiert Seit dem vergangenen Sonntag diskutieren unterschied- wird. Vieles, was dort passiert ist, ist angesprochen wor- liche Vertreter jemenitischer Gruppen und Parteien in den. Nach drei Jahren des Bürgerkriegs, nach zwei Jah- Berlin, wie man Verhandlungslösungen erzielen kann. ren des Bombardements sind letztlich das Gesundheits- Deutschland wirft seine Position in der Region und das system und die Infrastruktur so zerstört, dass auch an sich Vertrauen, das es genießt, in die Waagschale, um zu Ver- heilbare oder vermeidbare Krankheiten zu massenhaftem handlungslösungen zu kommen. Sterben führen. Es gibt auch schreckliche Verbrechen, Wenn Sie sich auf die Waffenlieferungen kaprizieren, die in diesem Zusammenhang begangen werden. Dass dann ist es falsch, zu behaupten, dass dort mit deutschen auf der Seite der Huthis zehnjährige Kinder an die Waf- Waffen getötet würde. Man muss sich genau anschauen, fen und an die Fronten gebracht werden, ist etwas, was um was es geht. Es geht um Patrouillenboote und um ebenfalls zum Gesamtbild gehört. Radarsysteme, die letztlich zum Schutz von Küsten und Was Sie in Ihrem Antrag auch noch richtigerweise er- zum defensiven Einsatz verwendet werden. Zur Wahr- wähnen, ist die Tatsache, dass es am Ende keine militä- heit gehört auch, was nicht geliefert wird, beispielsweise rische Lösung, sondern nur eine politische und Verhand- Bestandteile für Gewehre des Typs G36 oder Panzerbe- lungslösung geben kann. Aber gerade wenn man das als standteile, also all die Dinge, die für offensive Einsätze richtig voraussetzt, muss doch klar sein, dass man sich und damit auch für Krieg, Bürgerkrieg und zum Mor- ein Stück weit in die unterschiedlichen Kombattanten hi- den eingesetzt werden können. Das gehört doch zum neinfühlen muss, dass man sich anschauen muss, wo die Gesamtbild. Wenn Sie das nicht berücksichtigen, dann Problemlagen sind, damit man eine Basis für Verhand- werden Sie nie die Basis dafür schaffen, zu einer Ver- lungslösungen fnden kann. Das setzt voraus, dass man handlungslösung zu kommen; aber nichts anderes kann nicht einseitig argumentiert, das Ziel sein. Im Hinblick auf den Besuch des amerikanischen Prä- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben!) sidenten hoffen wir, dass er auf seinen Verteidigungsmi- sondern klarlegt, dass man es hier mit vielen Verbrechern nister hört, der genau das statuiert hat: Es kann nur eine (B) zu tun hat. Natürlich ist es so, dass die Saudis gemein- Verhandlungslösung geben. – Wir sind bereit, auch in (D) sam mit der Hadi-Regierung Verantwortung tragen. Aber diesen Zeiten unseren Beitrag dazu zu leisten. Ich glau- die Hadi-Regierung ist letztlich auch eine legitime und be, dass Deutschland viel dazu beitragen kann und dies von der internationalen Staatengemeinschaft anerkann- auch tut. te Regierung. Sie ist von den Huthis vertrieben worden, Herzlichen Dank. und nicht nur von denen. Sie haben sich ausgerechnet mit dem früheren Machthaber Saleh verbündet, der vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) her Hunderttausende Huthis verfolgt, bekämpft und er- mordet hat. Insofern muss man schon das gesamte Bild Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: zeichnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Aussprache. NEN]: Haben wir alles gesagt!) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Es ist auch richtig, dass es an der Hunderte Kilometer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- langen Grenze zwischen den beiden Ländern auch Si- che 18/12121 mit dem Titel „Für einen radikalen Kurs- cherheitsinteressen Saudi-Arabiens gibt, wechsel in der Jemenpolitik“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition ge- NEN]: An der Grenze, nicht im Jemen!) gen die Stimmen der Opposition abgelehnt. die es zu respektieren gilt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Gleiches gilt letztlich für die Rolle der USA; ich sage Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- das vor dem Hintergrund des anstehenden Besuchs des regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- amerikanischen Präsidenten. Tatsächlich ist es so, dass zes zur Förderung des elektronischen Identi- die Amerikaner hier durchaus eine gute Rolle spielen. tätsnachweises Schauen Sie sich beispielsweise die Geberkonferenz an, die Sie angesprochen haben, bei der 1,1 Milliarden Euro Drucksache 18/11279 eingesammelt worden sind. Allein die Hälfte des Geldes Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- kommt von den USA. Schauen Sie sich doch einmal an, schusses (4. Ausschuss) wie sich andere Weltmächte gerieren. Schauen Sie sich einmal an, was China und Russland machen. Ich kann Drucksache 18/12417 23740 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben (C) Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden. einverstanden. Dann ist das so beschlossen.1) Dann ist das so geschehen. 2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur che 18/12417, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschrif- auf Drucksache 18/11279 in der Ausschussfassung an- ten. Der Innenausschuss empfehlt unter Buchstabe a zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12397, in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je- chen 18/11239 und 18/11938 in der Ausschussfassung mand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Opposition angenommen. das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Wir kommen zur Koalition und der Fraktion Die Linke, bei der es auch dritten Beratung eine Enthaltung gibt, und bei Gegenstimmen der Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wir kommen zur Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der dritten Beratung Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit, liebe a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzentwurf mit den regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- und weiterer Vorschriften nommen worden. Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181 Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 b. Wir setzen Nr. 1.12 die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des In- nenausschusses auf der Drucksache 18/12397 fort. (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- (D) schusses (4. Ausschuss) Der Ausschuss empfehlt unter Buchstabe b sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages Drucksache 18/12397 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- che 18/11417 mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- weniger Waffen“. Wer stimmt für diese Beschluss- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene jemand? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der on angenommen worden. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unter Buchstabe c empfehlt der Ausschuss die Ableh- Mehr Sicherheit durch weniger Waffen nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/7654 mit dem Titel „Abgabe von – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken“. Wer Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt weiterer Abgeordneter und der Fraktion dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Damit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stim- men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs- angenommen worden. stoffen beschränken Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397 Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Der Innenausschuss hat den Antrag der Fraktion eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7654 mit besserung der Beistandsmöglichkeiten unter dem Titel „Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstof- Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegen- fen beschränken“ in seine Beschlussempfehlung mitein- heiten der Gesundheitssorge und in Fürsorge- bezogen. Dieser Antrag soll daher jetzt ebenfalls beraten angelegenheiten werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Drucksache 18/10485

1) Anlage 7 2) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23741

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wenn der Partner gerade einen Unfall oder einen (C) ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Schlaganfall erlitten hat oder schwer erkrankt ist und schuss) dadurch handlungsunfähig ist, muss vieles neu geregelt werden. In dieser Situation ist jede Entlastung willkom- Drucksache 18/12427 men. Das Ansinnen des Gesetzentwurfes fndet daher un- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sere volle Unterstützung. die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu Wir sehen gleichzeitig aber auch wichtigen Ände- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. rungsbedarf. Der Gesetzentwurf des Bundesrates birgt Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen gleich an mehreren Stellen Missbrauchspotenzial. Dem und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit wir begin- müssen wir unbedingt vorbeugen. Wir wollen das Vertre- nen können. – Als erster Redner in der Aussprache hat tungsrecht deshalb auf die Gesundheitssorge beschrän- Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion das Wort. ken. Eine Vertretung in vermögensrechtlichen Angele- genheiten ist dann also nicht möglich. (Beifall bei der SPD) Auch die im Bundesratsentwurf vorgesehenen Erklä- rungen sehen wir kritisch. So ist zum Beispiel vorgese- Dr. Matthias Bartke (SPD): hen, dass der Ehegatte für den Abschluss von Verträgen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „In guten ein ärztliches Zeugnis vorlegen muss. Ein ärztliches wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit“ – Zeugnis, das sechs Monate alt sein darf, sagt aber wenig über die aktuelle Situation aus. Darauf werden wir also (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verzichten. Jetzt wird es romantisch!) In der Anhörung haben unsere Änderungsvorschlä- diese Worte sind uns wohlbekannt. Die wenigsten wer- ge bereits vorgelegen. Die Sachverständigen haben uns den bei ihrem Eheversprechen tatsächlich darüber nach- einhellig bestätigt: Die von uns vorgesehene enge zeitli- denken, was es heißt, in Zeiten der Krankheit für den che Begrenzung wie auch die Beschränkung auf die Ge- anderen da zu sein. sundheitssorge beugen Missbrauch vor. Es gab von den Sachverständigen aber auch Kritik, die wir sorgsam ab- Ehegatten und Partner in einer eingetragenen Le- gewogen haben. Wir haben deswegen die entsprechende benspartnerschaft können nach geltendem Recht keine Anwendung der §§ 1901a, 1901b sowie 1904 BGB in Entscheidungen über medizinische Behandlung für ihren unseren Änderungsantrag aufgenommen. Damit ist ganz Partner treffen, wenn dieser nicht mehr selbst handlungs- klar geregelt: Auch der vertretende Ehegatte muss dem (B) fähig ist. Auch im Rechtsverkehr können sie ihn dann in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen Aus- (D) nicht vertreten. Eine Vorsorgevollmacht würde an dieser druck verschaffen. Stelle Abhilfe schaffen. Sie kann dauerhaft rechtliche Be- treuung vermeiden und das Selbstbestimmungsrecht der Wenn es keine Patientenverfügung gibt, muss der Betroffenen in vollem Umfang gewährleisten. Wir halten Ehegatte die Behandlungswünsche des Partners feststel- daher die Vorsorgevollmacht für absolut vorzugswürdig. len. Dabei spielen frühere Äußerungen und ethische und religiöse Überzeugungen des Patienten eine Rolle. Auch (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/ der behandelnde Arzt hat unter Berücksichtigung des Pa- DIE GRÜNEN]) tientenwillens die medizinischen Maßnahmen mit dem Jeder hat es selbst in der Hand, wen er als Bevollmäch- Ehegatten zu erörtern. tigten einsetzen will. Das kann der Ehepartner, aber eben Für Ärzte schaffen wir außerdem ein unmittelbares auch das eigene Kind, der Nachbar oder die beste Freun- Auskunftsrecht. Gegen die Vertretung durch den Ehegat- din sein. Was ist, wenn ich selber keine Entscheidung ten oder Lebenspartner kann Widerspruch im Zentralen treffen kann? Diese Frage verdrängen viele von uns oder Vorsorgeregister eingetragen werden. Damit der Arzt schieben die Beantwortung immer wieder auf. Es wun- schnellstmöglich weiß, ob ein solcher Widerspruch oder dert mich daher leider nicht, dass Mitte 2015 nur etwa eine Vorsorgevollmacht vorliegt, wird Ärzten künftig 2,8 Millionen Vollmachten registriert waren. Das sind darüber Auskunft erteilt. So kann dem Patientenwillen gerade einmal 4 Prozent der Erwachsenen in Deutsch- schneller und effektiver Rechnung getragen werden. land. Unsere Aufgabe wird es daher weiterhin sein, die Vorsorgevollmacht zu stärken und bekannt zu machen. Das Für und Wider verbesserter Beistandsmöglich- keiten von Ehegatten und Lebenspartnern haben wir also Bis Vorsorgevollmachten von der Mehrheit der Be- sorgsam abgewogen. Wir haben so zu einer unkompli- völkerung in Anspruch genommen werden, müssen wir zierten, wirksamen Regelung für Notsituationen gefun- über ergänzende Regelungen nachdenken. Der Bundes- den, die Missbrauch vermeidet und Betroffene entlastet. rat hat mit seinem Gesetzentwurf zur Verbesserung der (Beifall bei der SPD) Beistandsmöglichkeiten dafür einen Vorschlag gemacht. Es soll eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung Mindestens ebenso sehr beschäftigt hat uns aber die zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern Frage der Vergütung von Berufsbetreuern, die auch in geschaffen werden. Sie soll für den Bereich der Gesund- dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt ist. Diese heitssorge und der Fürsorge greifen. Der Bundesrat will Vergütung ist seit 2005 unverändert. Die Einkommen Betroffene mit dieser Regelung entlasten und Betreuer- vergleichbarer Berufsgruppen sind im vergleichbaren bestellungen vermeiden. Zeitraum deutlich gestiegen, und auch die Kosten der 23742 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Matthias Bartke (A) Betreuung sind in die Höhe geklettert. Vor allem die Be- durch den Kollegen Bartke vorgestellte Regelung zur Er- (C) treuungsvereine befnden sich in einer absolut prekären höhung der Betreuer- und Vormündervergütung. fnanziellen Situation. Für uns ist es höchste Zeit, zu han- deln. Wir haben uns daher entschieden, die Vergütungs- Worum geht es bei dem Gesetzentwurf? Stellen erhöhung unabhängig von anderen Fragen des Betreu- Sie sich vor, Sie leben mit Ihrem Ehepartner oder Le- ungsrechts schon jetzt zu regeln. benspartner seit vielen Jahren zusammen. Ihr Glück ist ungetrübt. Nicht im Traum würden Sie auf den Gedanken In der nächsten Legislatur wollen wir eine umfassen- kommen, einmal nicht mehr selbst handlungsfähig oder de Debatte über die Qualität in der Betreuung führen selbstbestimmt zu sein. Und dann kommt es plötzlich und und damit eine umfassende Reform in Angriff nehmen. unerwartet zu einem Unfall oder einer schweren Erkran- Aber so eine Reform braucht Zeit, Zeit, die vor allem kung Ihres Partners oder Ihrer Partnerin. Plötzlich stellen die Betreuungsvereine nicht mehr haben. Wenn wir jetzt Sie fest, Sie haben für einen solchen Fall nicht vorge- keine Vergütungserhöhung mehr beschließen, werden sorgt. Eine Vorsorgevollmacht ist nicht erteilt worden, wir in der nächsten Legislaturperiode eine ganz andere und ohne eine solche Vollmacht sind Sie weder als Ehe- Strukturdebatte führen müssen; denn dann werden wir partnerin oder Ehepartner noch als Partnerin oder Partner nicht mehr auf Ehrenamt und Betreuungsvereine setzen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft berechtigt, können, weil es eine große Zahl der Betreuungsvereine, Entscheidungen, zum Beispiel über die medizinische Be- die das Ehrenamt begleiten, dann schlicht und ergreifend handlung, für Ihren dann nicht mehr selbst handlungsfä- nicht mehr geben wird. higen Partner zu treffen oder diesen im Rechtsverkehr zu vertreten. Es bedarf dann erst eines gerichtlichen Verfah- (Beifall bei der SPD) rens zur Betreuerbestellung, um dem geliebten Ehe- oder Betreuung bedeutet zum Beispiel Entscheidungen am Lebenspartner auch rechtlich und in medizinischer Hin- Lebensende, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen. sicht beistehen zu können. Eine Vorsorgevollmacht ist Vor allem die unterstützende Entscheidungsfndung und daher ein wichtiges Instrument, um selbstbestimmt da- sensible Grundrechteeingriffe setzen eine hohe Quali- rüber entscheiden zu können, wer im Falle des Verlustes tät der rechtlichen Betreuung voraus. Wir können und der eigenen Handlungsfähigkeit oder Selbstbestimmung wollen es uns als Gesellschaft nicht leisten, dass hier einmal anstelle derjenigen oder desjenigen handeln und am falschen Ende gespart wird. Die unveränderten Stun- entscheiden soll. densätze führen dazu, dass die Fallzahlen erhöht werden. Untersuchungen belegen – der Kollege Bartke hat ja Darunter leidet unweigerlich die Qualität der Betreuung. darauf hingewiesen –, dass leider viel zu wenige Paare Ich freue mich, dass wir uns in der Frage der Vergü- oder Lebensgemeinschaften von diesem Instrument Ge- (B) tungserhöhung in allen im Bundestag vertretenen Frakti- brauch machen. Meist wird es auf später verschoben oder (D) onen einig sind. verdrängt. Insofern begrüßen wir natürlich eine gesetzli- che Regelung. Das steht außer Zweifel. Aber – das kann (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ich Ihnen leider nicht ersparen – gut gemeint ist eben Wir müssen es auch nicht bezahlen!) nicht gleich gut gemacht. Ich appelliere auch an die Länder, der Erhöhung der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Betreuervergütung zuzustimmen. Hier zu kurzfristig zu denken, wäre fatal. Jegliche Qualitätsdebatte könnte So komme ich hier für die Linke nach Abwägung al- dann zu spät kommen. ler Kriterien zu dem Schluss, dass die in dem Gesetz- entwurf vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. eines gesetzlichen Vertretungsrechts weder erforderlich noch sachdienlich sind. So, wie sie hier zur Abstimmung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorliegen, könnten sie sogar stark nachteilige Folgen der CDU/CSU) für die Rechtssicherheit und die Selbstbestimmung von Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern haben bzw. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: bergen sie die Gefahr des Missbrauchs. Das ist uns in Als nächster Redner spricht Harald Petzold für die den öffentlichen Anhörungen bestätigt worden. So sind Fraktion Die Linke. beispielsweise die im Entwurf des Bundesrates vorge- schlagenen Regelungen eines Vertretungsrechts in Ange- (Beifall bei der LINKEN) legenheiten mit vermögensrechtlichen Bezügen viel zu weitgehend gewesen; dies kann zudem eigentlich bereits Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): über bestehende Rechtsinstitute geregelt werden. Dies ist glücklicherweise durch einen Änderungsantrag der Ko- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! alitionsfraktionen korrigiert worden. Eine weitere Kor- Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir sprechen heute rektur betraf die zeitliche Begrenzung der Dauer der Ver- hier abschließend über den Entwurf eines Gesetzes des tretung auf einen überschaubaren Zeitraum von wenigen Bundesrates zur Verbesserung der Beistandsmöglichkei- Tagen oder Wochen. ten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenhei- ten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenhei- Ich will unsere Zustimmung zu den Änderungsvor- ten in einer geänderten Fassung des Rechtsausschusses. schlägen der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der Das heißt, der ursprüngliche Gesetzentwurf liegt nicht Betreuer- und Vormündervergütung ausdrücklich festhal- mehr zur Abstimmung vor. Er ist ergänzt worden um die ten. Seit zwölf Jahren ist die Vergütung von gesetzlicher Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23743

Harald Petzold (Havelland) (A) Betreuung nicht mehr erhöht worden. Sie ist dringend Ehegatten und eingetragene Lebenspartner haben (C) notwendig, um das System der Betreuung in den nächs- ähnliche Pfichten wie ein Betreuer. Das bedeutet, dass ten Jahren aufrechtzuerhalten. die vertretenden Partner grundsätzlich an den Patienten- willen des erkrankten Ehegatten gebunden sind. Damit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wahren wir das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Die diesbezüglichen Korrekturen am Gesetzentwurf sind vollumfänglich. Zudem können Ärzte zukünftig Aus- dafür allerdings nur ein erster notwendiger Schritt. Auch kunft aus dem Zentralen Vorsorgeregister erhalten. Diese das kann ich Ihnen nicht ersparen. Wenn es so wäre, wie Änderung haben wir als notwendig angesehen, damit die Sie es hier vorgetragen haben, Herr Kollege Bartke, hät- behandelnden Ärzte schnellstmöglich ermitteln können, ten Ihre Vorschläge viel weitgehender sein müssen. ob möglicherweise ein Widerspruch gegen das Notver- tretungsrecht eingetragen wurde. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe schon in meiner ersten Rede zu diesem Ge- Ich stimme dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grü- setzentwurf gesagt, dass wir die inhaltliche Nähe des nen zu, die Abstimmungen zu trennen. Wir werden dem Gesetzentwurfs des Bundesrates dazu nutzen wollen, ein Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen aus den weiteres wichtiges Vorhaben im Betreuungsrecht auf den von mir genannten Gründen unsere Zustimmung geben. Weg zu bringen: eine Erhöhung der Vergütungssätze für Mit dem Vorgehen, hieraus ein Omnibusgesetz zu ma- Vereins- und selbstständige Berufsbetreuer. Bald zwölf chen, also zwei Dinge miteinander zu verknüpfen, die Jahre ist es her, dass wir mit dem Inkrafttreten des Zwei- eigentlich nichts miteinander zu tun haben, riskieren Sie ten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes ein pauschali- die Zustimmung der Bundesländer zu diesem Gesetzent- siertes Vergütungssystem für Vereins- und Berufsbetreuer wurf. Sie sind hauptsächlich für die Finanzierung zustän- eingeführt haben. Die Stundensätze des Vormünder- und dig; das wissen Sie. Insofern halte ich den Vorschlag von Betreuervergütungsgesetzes sind seitdem, also seit zwölf Bündnis 90/Die Grünen, diese Abstimmungen voneinan- Jahren, nahezu unverändert. Durch einen Änderungsan- der zu trennen, für zielführend. Wir sollten das eine als trag sollen diese nun um 15 Prozent angehoben werden. das eine abstimmen und das andere als das andere. Der Ich fnde es richtig, dass die Vergütungssätze angehoben Gesetzentwurf insgesamt kann unsere Zustimmung nicht werden. Das befürworten im Übrigen auch alle Sachver- fnden. Die Gründe hierfür habe ich vorgetragen. Damit ständigen, die wir in der öffentlichen Anhörung im März komme ich zum Ende meiner Ausführungen, Frau Prä- gehört haben. sidentin. Wir wissen alle: Qualitativ hochwertige Arbeit muss Vielen Dank. auch entsprechend bezahlt werden. (B) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und die Betreuer müssen genügend Zeit haben, um sich um ihre Betreuten zu kümmern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Bedenken Sie bitte: Betreuer üben eine sehr verantwor- tungsvolle Aufgabe aus. Sie unterstützen hilfebedürftige (Beifall bei der CDU/CSU) Menschen, die ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr ganz allein regeln können. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die noch hier bei uns auf der Tribüne sitzen! Hinter der Überschrift des Juristen kennen das Konstrukt: Vertrag zulasten Dritter. – Gesetzentwurfs verbirgt sich ein äußerst sensibler und So ähnlich ist es hier. emotionaler Sachverhalt, von dem die Bürger denken, Wir beschließen ein Gesetz, das unmittelbar die er sei schon lange geltende Rechtslage. Im Falle einer Länderhaushalte und nur diese berührt. Wir sehen: Die plötzlich auftretenden schweren Erkrankung oder eines Situation in den einzelnen Bundesländern ist völlig un- Unfalls können Ehegatten und Lebenspartner gegenwär- terschiedlich. Die Not der Betreuungsvereine ist auch tig nicht füreinander Entscheidungen über medizinische unterschiedlich stark ausgeprägt. In meinem Heimat- Behandlungen treffen. Ohne Vorsorgevollmacht muss bundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel läuft die jetzt grundsätzlich ein Betreuer in einem gerichtlichen Förderung der Betreuungsvereine ganz gut. In anderen Verfahren bestellt werden. Dies ist für die meisten Ehe- Bundesländern ist das weniger der Fall. gatten und Lebenspartner eine nicht nachvollziehbare Belastung. Deshalb wollen wir nun ein Notvertretungs- Die Justizressorts sehen aber geschlossen und un- recht im eng begrenzten Rahmen der Gesundheitssorge abhängig von der Parteicouleur keinen akuten Hand- schaffen, und zwar ausschließlich dort. Die Bedenken lungsbedarf. Das wurde in einem überfraktionellen Ge- der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung ha- spräch mit den Vertretern der Länderjustizministerien im ben wir dabei berücksichtigt. Rechtsausschuss vor wenigen Wochen deutlich. Ich habe Verständnis für die Position der Länder, wonach man (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zunächst das Gesamtbild der Qualität in der rechtlichen Na ja! Nicht wirklich!) Betreuung abwarten will. Die Endergebnisse der beiden 23744 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz In der ersten Zeit nach einem Unfall oder dem Aus- (C) und für Verbraucherschutz werden wir im Sommer dieses bruch einer unerwarteten schweren Krankheit muss häu- Jahres erfahren. Aber mein Appell an die Länder: Dann fg über Leben und Tod entschieden werden, sodass die bekommen wir realistisch betrachtet keine Änderung vor Risiken durch Fehler oder Missbrauch besonders hoch Mitte oder Ende des nächsten Jahres mehr hin. So lan- sind. Kann der Betroffene in einer solchen Situation ge kann insbesondere eine große Zahl von Betreuungs- seinen Willen nicht mehr selbst äußern, muss sein mut- vereinen nicht mehr warten. Wir müssen das bestehende maßlicher Wille ermittelt werden. Immer häufger hilft System noch in dieser Legislaturperiode durch eine An- dabei das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht. Diese Vor- hebung der Vergütung stützen. sorgevollmacht ist unmittelbarer Ausdruck des eigenen Willens des zu Betreuenden und muss daher weiterhin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gefördert und beworben werden. Wenn keine Vorsorge- der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Ha- vollmacht vorliegt, entscheidet bislang das Betreuungs- velland] [DIE LINKE]) gericht nach Anhörung der Beteiligten, wer am besten Nur so retten wir insbesondere die Betreuungsvereine, die Entscheidung für den Betroffenen treffen kann und die bekanntlich auch von der Betreuervergütung abhän- sollte. gen, über die nächsten Monate. Und nur dann können wir Ihre These, die allermeisten Menschen würden ohne- in Ruhe über die Qualität in der Betreuung eine Struktur- hin ihren Ehepartner als Beistand einsetzen wollen und debatte führen. deswegen könne man auf eine gerichtliche Anhörung Die allgemeine Preissteigerung über die letzten zwölf verzichten, stimmt einfach nicht. Das haben wir ja auch Jahre und die Einkommens- und Tarifentwicklung wei- in der Anhörung von der Sachverständigen der Deut- sen deutlich darauf hin, was zu tun ist: Die Vergütungs- schen Stiftung Patientenschutz gehört, die aus ihrer Pra- sätze müssen angepasst werden. Wir argumentieren ja xis berichtet hat. Die Gründe, jemand anderen als den auch nicht ohne empirische Grundlage. Der im Februar Ehegatten zu bevollmächtigen, sind so vielfältig wie das veröffentlichte Zwischenbericht zeigt, dass die Schere Leben selbst. Vielleicht sind einfach die Kinder oder En- zwischen tatsächlich geleistetem und vergütetem Auf- kelkinder besser geeignet. Vielleicht will man den Ehe- wand auseinandergeht. Wir brauchen eine schnelle Ent- gatten von dieser Entscheidung entlasten. Vielleicht gibt lastung; denn wir können und wollen der Schließung von es in dieser Ehe Alkohol- oder Gewaltprobleme, die man weiteren Betreuungsvereinen nicht mehr tatenlos zuse- bislang unter den Teppich gekehrt hat. hen. Wir würden sonst die über Jahre gewachsene Be- Völlig unberücksichtigt bleiben bei Ihrem Vorschlag treuungsstruktur verlieren und damit die Privatisierung außerdem alternative Familienmodelle jenseits von Ehe von Betreuung fördern und das Ehrenamt schwächen. und eigetragener Partnerschaft. Das hat übrigens auch (B) Was einmal verloren ist, meine Damen und Herren, kann (D) der Deutsche Anwaltverein beanstandet. nur mit viel Geld und oftmals viel später wieder aufge- baut werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) Der im Gesetzentwurf vorgesehene Automatismus schwächt die Stellung der Vorsorgevollmacht, indem er diese vermeintlich entbehrlich macht. Das führt nicht nur Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: zu mehr Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer grö- Katja Keul hat als nächste Rednerin für die Fraktion ßeren Missbrauchsgefahr. Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): [DIE LINKE]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört: Dem ur- Diese Gefahr wollen Sie jetzt eindämmen, indem Sie sprünglichen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bei- Ehegatten die Möglichkeit geben, einen Widerspruch standsmöglichkeiten unter Ehegatten wurde im Wege gegen die gesetzliche Vermutung ins Zentrale Vorsorge- eines Änderungsantrages, also im Omnibusverfahren, register einzutragen. Das ist jetzt wirklich absurd; denn eine Erhöhung der Betreuervergütung angehängt. Aber wenn ich schon daran denke, für den Notfall Vorsorge zu zunächst zum Betreuungsrecht unter Ehegatten. treffen, dann regele ich das doch, indem ich eine Vorsor- gevollmacht erteile und darin eine ausdrückliche Rege- Die Expertenanhörung im Ausschuss hat meine Be- lung vornehme. denken, die ich bereits in der ersten Lesung deutlich geäußert hatte, noch weiter verstärkt. Sie schränken das (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ohne Not ganz Kann man ja auch machen!) erheblich ein. Daran ändert auch die Beschränkung auf den Gesundheitsbereich nichts – im Gegenteil. Die gesetzliche Regelung greift ja gerade dann ein, wenn ich keine Vorsorge getroffen habe. Bei Zweifeln bleibt (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] dem behandelnden Arzt also ohnehin nur wieder der Weg [DIE LINKE]) zum Betreuungsgericht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23745

Katja Keul (A) Im Verfahren haben Sie jetzt auch noch die Pficht des Frage nach den unterschiedlichen Behandlungsmöglich- (C) Ehegatten gestrichen, sich zu den Ausschlussgründen, keiten und auch die Frage nach der Verlegung von einem wie beispielsweise die Tatsache, dass sie getrennt leben, Krankenhaus ins andere. Das Problem war, dass die Frau wenigstens formlos zu erklären. Der Hinweis in der Be- keinerlei Entscheidungsbefugnisse hatte, und leider gab gründung, dass diese Erklärung vom Arzt ohnehin nicht es eben auch keine Vorsorgevollmacht. überprüft werden kann, zeigt gerade auf, dass sich die Bundesregierung selbst der Rechtsunsicherheit bewusst Zum Glück ist der Mann heute wieder gesund, und ist, die sie da schafft. Ganz ohne Überprüfungspficht hat ja, beide haben daraus gelernt. Beide haben mittlerweile es der Arzt zwar theoretisch leichter, jedoch geht das auf eine Vorsorgevollmacht verfügt. Kosten des Patienten und seines Selbstbestimmungsrech- Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der genau die- tes. ses Problem aufgreift und für genau diese Notsituation – Der Gesetzentwurf birgt viel Risiko und wenig Nut- Kollegin Keul, ich glaube, darum geht es – eine Lösung zen. Deswegen können wir diesen Änderungen an den anbietet. Es wird nämlich gesetzlich eine Bevollmäch- Beistandsmöglichkeiten für Ehegatten nicht zustimmen. tigung des Ehegatten bzw. des Lebenspartners für diese schwierige Situation angenommen, und zwar nur für fol- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gende Bereiche: für den Bereich der Gesundheitssorge, SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse- das heißt, für Untersuchungen und ärztliche Eingriffe, Brömer [CDU/CSU]: Das ist aber schade!) und für den Bereich der Fürsorge, zum Beispiel, wenn es Anders verhält es sich mit der Erhöhung der Vergütung um die Verlegung in ein anderes Krankenhaus geht. für Berufsbetreuer. Hier gibt es in der Tat Handlungsbe- darf. Die Konzepte für eine umfassende Reform – dabei Gerade der Änderungsantrag der Koalition hat eine geht es auch um die Qualitätssicherung und um einen wesentliche Beschränkung herbeigeführt, und wir kön- veränderten Stundensatz – liegen heute noch nicht vor; nen jetzt jegliche Missbrauchsrisiken ausschließen. Es die Kollegin Sütterlin-Waack hat es ausgeführt. gibt nämlich eben keine Vertretungsvollmacht zum Bei- spiel in Vermögensfragen, und es gibt zum Beispiel auch Fakt ist, dass viele Betreuungsvereine bereits schlie- keine Befugnis zum Öffnen der Post des Ehegatten. Wenn ßen mussten oder kurz davor stehen, weil sie die fnan- wir darunter einen Strich machen und uns das faktische ziellen Belastungen nicht mehr tragen können. In einer Ergebnis anschauen, dann wird das wie folgt sein: Es gibt alternden Gesellschaft wird die Zahl der Betreuungen in letztendlich eine Begrenzung für einen überschaubaren absehbarer Zeit weiter zunehmen, und wir werden so- Zeitraum. Wir werden mit dieser Regelung wenige Tage wohl mehr ehrenamtliche als auch mehr professionelle überbrücken können. Wir werden den Menschen über Betreuer benötigen. (B) eine Notsituation hinweghelfen können. (D) Für die Erhöhung der Vergütung der Berufsbetreuer Wenn dieser gesundheitliche Ausfall länger dauert, sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig, weshalb wir Kollegin Keul, dann ist es zwangsläufg so, dass ein Be- hier heute einen Schritt vorangehen. Weitere Reformen – treuer bestellt werden muss oder das Betreuungsgericht auch bei der Qualitätssicherung – werden noch folgen entscheiden muss, weil es rechtsgeschäftliche Fragen zu müssen. Darin sind wir uns alle einig. klären gibt. Das heißt, wir wollen hier kein Ersatzinstitut, Deswegen stimmen wir jetzt getrennt ab: Wir lehnen kein Konkurrenzinstitut zur Vorsorgevollmacht schaffen, die Veränderungen an der Beistandsregelung ab und stim- sondern es geht ausschließlich darum, den Lebenspart- men der Erhöhung der Betreuervergütung zu. Zu dem ge- nern, den Ehegatten ein Instrument an die Hand zu geben, samten Gesetzentwurf werden wir uns deshalb enthalten. mit dem sie sich über diese Notsituation hinweghelfen. Vielen Dank. Jetzt sagen Sie: Das ist ein bisschen komisch. Man kann doch nicht automatisch davon ausgehen, dass der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Ehegatte will, dass der andere Ehegatte in dieser sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schwierigen Situation entscheidet. – Ich sage ganz ehr- lich: Dem widerspricht die Statistik. 70 Prozent aller Vizepräsidentin Petra Pau: Lebenspartner und Ehegatten würden sich in diesem Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die Moment genau das wünschen, dass nämlich der liebende CDU/CSU-Fraktion. Partner diese schwierigen Entscheidungen trifft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich kann mir an dieser Stelle einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das hört sich an nach dem Motto: Wer ist denn schon der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- Ehegatte, dass er das entscheidet? – Wir haben gestern nen und Kollegen! Ich bin mit einem Ehepaar befreundet. an dieser Stelle über die Ehe für alle diskutiert. Da haben Es war im letzten Sommer auf einer Fahrradtour, und es Sie die Ehe als Institut in den siebten Himmel gehoben kam, wie es vielleicht kommen musste: Der Mann stürz- und gesagt: Das ist der Olymp der zwischenmenschli- te. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf zu und chen Beziehung. – Heute aber sagen Sie: Wer ist denn musste einige Tage ins künstliche Koma versetzt werden. schon der Ehegatte, dass er das entscheidet? – Ich bin der Meinung, da fehlt Ihnen ein bisschen die Linie. Für die Frau waren das bange Tage, weil viele Fol- gefragen im Raum standen, nämlich zum Beispiel die (Beifall bei der CDU/CSU) 23746 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Alexander Hoffmann (A) Ganz abgesehen davon will ich Ihnen sagen, dass Sie stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt (C) nicht unterschlagen dürfen, dass es jederzeit die Mög- dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Ge- lichkeit einer anderweitigen Regelung gibt. Ich glaube, setzentwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- das ist richtig, und das ist wichtig. tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf Die Linke angenommen. Alle Teile des Gesetzentwurfs verwenden, für den zweiten Teil dieses Gesetzes Wer- sind damit in zweiter Beratung angenommen. bung zu machen. Es ist schon angesprochen worden: Die Erhöhung der Betreuungsvergütung soll die schwierige Dritte Beratung Situation der Betreuungsvereine beseitigen. Wir sollten in dieser Situation aber auch an die Länder denken, die und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem mit der fnanziellen Folgefrage ihre Schwierigkeiten ha- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – ben. Wir haben im Moment die Konstellation, dass eine Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Kostendeckung nicht mehr gegeben ist. Führen wir uns entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und bitte vor Augen, dass die Betreuungskosten auch die der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin- Nebenkosten decken müssen: Büro, Mitarbeiter, Fahrt- ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. kosten. Es gibt heute schon den Trend, dass die Zahl der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: Betreuungsvereine immer weiter zurückgeht. Das ist ein unglaublich fatales Signal. Das ist ein Indiz dafür, dass a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- die Bezahlung im Moment nicht ausreichend ist, da die regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Vergütungssätze seit zwölf Jahren nicht mehr erhöht zes zu dem Übereinkommen von Minamata wurden. Was droht am Ende des Tages? Es droht eine vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Min- Kompensation auf andere Art und Weise. Die steigenden amata-Übereinkommen) Kosten können nur aufgefangen werden, indem ein Be- treuer mehr Personen betreut. Da sage ich Ihnen, liebe Drucksache 18/11847 Kolleginnen und Kollegen: Das kann nicht in unserem Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Interesse sein. ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Deswegen möchte ich ausdrücklich um Zustimmung cherheit (16. Ausschuss) für beide Teile werben, obwohl ich selbstverständlich Drucksache 18/12401 weiß, dass die Länder ihre Bauchschmerzen haben. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Vielen Dank. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer

Vizepräsidentin Petra Pau: Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ich schließe die Aussprache. DIE GRÜNEN Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- Minamata-Konvention zu Quecksilber unver- rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der züglich ratifzieren Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspart- nern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Drucksachen 18/7657, 18/12401 Fürsorgeangelegenheiten. Der Ausschuss für Recht und Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich Verbraucherschutz empfehlt in seiner Beschlussempfeh- 1) lung auf Drucksache 18/12427, den Gesetzentwurf des sehe, Sie sind damit einverstanden. Bundesrates auf Drucksache 18/10485 in der Ausschuss- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- fassung anzunehmen. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Über- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, einkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge- Quecksilber. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, trennt abzustimmen, und zwar zum einen über den Ar- Bau und Reaktorsicherheit empfehlt unter Buchstabe a tikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 – Erhöhung der Betreu- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12401, er- und Vormündervergütung –, zum anderen über den den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- Gesetzentwurf im Übrigen. sache 18/11847 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Ich rufe zunächst Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 in chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der der Ausschussfassung auf. Ich bitte nun diejenigen, die Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 des Gesetzentwurfs in angenommen. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dritte Beratung Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 sind einstimmig an- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem genommen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zu- 1) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23747

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: (C) entwurf ist einstimmig angenommen. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstim- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ers- mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für ten Gesetzes zur Änderung des E-Govern- Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf ment-Gesetzes Drucksache 18/12401 fort. Der Ausschuss empfehlt un- Drucksache 18/11614 ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh- nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- auf Drucksache 18/7657 mit dem Titel „Minamata-Kon- schusses (4. Ausschuss) vention zu Quecksilber unverzüglich ratifzieren“. Wer Drucksache 18/12406 stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen sehe, Sie sind damit einverstanden.2) die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- Fraktion Die Linke angenommen. ordnung vor. Wir verfahren entsprechend unseren Re- 3) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: geln. Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Innenaus- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- schuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/12406, den Gesetzentwurf der Bundesre- zes zur Einführung der elektronischen Akte in gierung auf Drucksache 18/11614 in der Ausschussfas- Strafsachen und zur weiteren Förderung des sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- elektronischen Rechtsverkehrs entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Drucksache 18/9416 das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- tung der Oppositionsfraktionen angenommen. schuss) Dritte Beratung Drucksache 18/12203 und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (B) sehe, Sie sind damit einverstanden.1) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- (D) entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin- Schade eigentlich! – Dr. Volker Ullrich [CDU/ ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. CSU]: Schade eigentlich!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zu- – Sie haben noch alle Chancen, aber dann jetzt. satzpunkt 7 auf: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 29 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für nes Zweiten Gesetzes zur Änderung per- Recht und Verbraucherschutz empfehlt in seiner Be- sonenstandsrechtlicher Vorschriften schlussempfehlung auf Drucksache 18/12203, den (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- 2. PStRÄndG) che 18/9416 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Drucksache 18/11612 bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der schusses (4. Ausschuss) Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Drucksache 18/12124 Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Fraktion Die Linke angenommen. Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Dritte Beratung NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – bestimmten Geschlechtsidentität und zur Än- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- derung anderer Gesetze (Selbstbestimmungs- entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gesetz – SelbstBestG) gen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung Drucksache 18/12179 der Fraktion Die Linke angenommen. 2) Anlage 11 1) Anlage 10 3) Anlage 12 23748 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Überweisungsvorschlag: Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – (C) Innenausschuss (f) OEG) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 18/10965 Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) sehe, Sie sind damit einverstanden.1) Drucksache 18/12400 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- werden. – Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstan- derung personenstandsrechtlicher Vorschriften. Der den.2) Innenausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12124, den Gesetzentwurf der Tagesordnungspunkt 30 a. Wir kommen zur Ab- Bundesregierung auf Drucksache 18/11612 in der Aus- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Der Aus- len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer schuss für Recht und Verbraucherschutz empfehlt unter enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der che 18/12421, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11397 anzuneh- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- Dritte Beratung gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Dritte Beratung Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/12179 an die in der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des (B) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem (D) Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht Parallelgesetzentwurf der Bundesregierung. Der Aus- der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. schuss für Recht und Verbraucherschutz empfehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: che 18/12421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11615 für erledigt zu erklären. Wer a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung ei- lung ist einstimmig angenommen. nes Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über den Ge- Drucksache 18/11397 setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Än- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- derung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer desregierung eingebrachten Entwurfs eines von Gewalttaten. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- auf Hinterbliebenengeld che 18/12400, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10965 abzulehnen. Drucksache 18/11615 Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und schuss) der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- Drucksache 18/12421 nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die geordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise weitere Beratung. Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- setzes über die Entschädigung für Opfer von regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-

1) Anlage 13 2) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23749

Vizepräsidentin Petra Pau (A) zes zu dem Übereinkommen vom 25. Okto- Finanzausschuss (C) ber 2016 zur Errichtung der Internationalen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit ­EU-LAK-Stiftung Haushaltsausschuss Drucksache 18/11507 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- gen Ausschusses (3. Ausschuss) nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Drucksache 18/12418 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich Saathoff für die SPD-Fraktion. 1) sehe, Sie sind damit einverstanden. (Beifall bei der SPD) Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus- schuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Johann Saathoff (SPD): Drucksache 18/12418, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 18/11507 anzunehmen. Ich bitte Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, Kollegen! Watt du sülmst maken kannst, bruukst du neet um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- kopen – was man selber machen kann, braucht man nicht hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- teuer zu erwerben. Das gilt auch für die Energiewende. tung einstimmig angenommen. Energie auf dem eigenen Haus produziert, brauche ich nicht mehr zu kaufen. Wir alle kennen den Spruch: Die Dritte Beratung Sonne schickt keine Rechnung. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Energiewende fndet derzeit in der Regel bei Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Menschen statt – das muss man konstatieren –, die über Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Eigentum oder zumindest über hinreichend Eigenkapital entwurf ist einstimmig angenommen. verfügen. Man kann die berechtigte Frage stellen, ob das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: auch wirklich gerecht ist. Die Energiewende ist richtig, und das EEG ist ein gutes Gesetz, das weltweit – das Erste Beratung des von der Bundesregierung kann man an dieser Stelle festhalten – viele Nachahmer eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gefunden hat. Angleichung des Urheberrechts an die aktu- ellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – DIE GRÜNEN) (D) UrhWissG) Aber es gibt noch immer die Notwendigkeit für ständige Drucksachen 18/12329, 18/12378 Anpassungen, nicht weil das Gesetz schlecht ist, sondern Überweisungsvorschlag: weil sich die Welt weiterdreht und die Energiewelt eben Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) auch. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Bei der Finanzierung der Energiewende – das ist die Ausschuss für Kultur und Medien feste Meinung der SPD-Fraktion – könnte es gerechter Ausschuss Digitale Agenda zugehen. Die Finanzierung der Energiewende, also die Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich Zukunft der EEG-Umlage, ist im Moment ein sehr viel sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden.2) diskutiertes Thema. Da geht es zum Beispiel darum, ob man nicht vielleicht die EEG-Umlage sozial gerechter Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs neu verteilen kann oder ob sie nicht sektoraler verteilt auf den Drucksachen 18/12329 und 18/12378 an die in werden könnte, also auf Strom, Wärme und gleichzei- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- tig Mobilität. Darüber werden wir viel miteinander in gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist der nächsten Legislaturperiode sprechen müssen. In der nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. nächsten Legislaturperiode wird es uns zentral bei dieser Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Energiewende darum gehen, dass sie insgesamt gerechter wird. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Er- Mit dem Mieterstromgesetz wollen wir sogar noch vor neuerbare-Energien-Gesetzes der Wahl einige Schritte in Richtung mehr Gerechtigkeit tun. Es sollen auch Menschen an der Energiewende teil- Drucksache 18/12355 haben können, die nicht über Eigentum verfügen. Wir Überweisungsvorschlag: wollen also auch die Vorteile und nicht nur die Kosten Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) der Energiewende auf mehr Schultern verteilen. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dass die Energiewende im ländlichen Raum stattfn- 1) Anlage 15 det, wissen wir alle. Mit dem Mieterstromgesetz wollen 2) Anlage 16 wir die Energiewende aus den ländlichen Räumen heraus 23750 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Johann Saathoff (A) auch in die urbanen Zentren tragen. Das ist eine der zen- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (C) tralen Absichten dieses Gesetzes. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD) „Was lange währt, wird endlich gut“, würde ich gern heute sagen. Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tü- Für das Mieterstromgesetz wollen wir nicht den im chern, und wir haben auch sehr lange darauf gewartet, EEG 2017 verhandelten und vorgegebenen Weg über dass Mieterstrom eine gesicherte gesetzliche Grundlage eine Verordnung gehen, sondern wir werden eine gesetz- erhält. 2014 hatte die Bundesregierung endlich eine Ver- liche Regelung im EEG selber treffen. Da gehört sie ei- ordnungsermächtigung dazu versprochen. Es hat noch gentlich auch hin; denn dadurch können wir wesentlich weitere drei Jahre gedauert, bis nun eine Regelung vor- zielführendere Regelungen treffen, die mit der Verord- liegt. nung unmöglich gewesen wären. Den günstigen Strom vom eigenen Hausdach konnten Eine der zentralen Fragen ist: Machen wir ein Gesetz bislang vor allem Eigenheimbesitzer nutzen. Mieterinnen für Mieter oder für Vermieter? Ganz wichtig für uns beim und Mieter blieben bis auf wenige Modellprojekte außen Mieterstromgesetz ist der Schutz der Ersteren, nämlich vor. Immerhin bis zu 3,8 Millionen Haushalte – das ist ja der Mieter. Klar ist, dass auch die Vermieter oder viel- nicht wenig – könnten Mieterstrom vom eigenen Dach mehr die Gebäudeeigentümer einen Anreiz brauchen, beziehen, besagt die Mieterstromstudie aus dem Wirt- eine PV-Anlage aufs Dach zu schrauben. Aber oberste schaftsministerium. Wir als Linke halten Mieterstrom für Priorität für die SPD-Fraktion – das wollen wir an dieser eine wichtige Form von Bürgerenergien, die die dezen- Stelle festhalten – ist, dass die Förderung aus dem EEG trale Erzeugung von Strom und damit eine bürgernahe den Mietern zu einem wesentlichen Anteil zugutekom- Energiewende vorantreibt. men muss. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Mieterstrom kann die Photovoltaik endlich auch in Daher ist geregelt, dass die Mieter bei der Nutzung des die Städte bringen. Zudem können Mieterstrommodelle Mieterstroms ihren Strom immer mindestens 10 Prozent zu einer lokalen Verankerung der Energiewende führen, günstiger bekommen müssen, als er im Regeltarif ange- was Akzeptanz für den Umbau unseres Energiesystems boten wird. Dafür hat die Bundesregierung einen, wie schafft, und das brauchen wir. ich fnde, guten Gesetzentwurf vorgelegt. Es gibt aber im parlamentarischen Verfahren noch viele Fragen zu (Beifall bei der LINKEN) klären. Zum Beispiel: Wer soll eigentlich Mieterstrom- Wir unterstützen den Ansatz eines direkten Zuschus- modelle anbieten können? Wir wollen eine breite Palette ses, wie er jetzt vorliegt; denn ein solcher Zuschuss kann (B) von Anbietern. Dazu gehören auch zwingend die Woh- (D) besser justiert werden als eine gesenkte oder vermiedene nungsbaugenossenschaften. Damit diese Mieterstrom an- EEG-Umlage, wie sie ebenfalls im Gespräch war. bieten können, bedarf es eigentlich nur kleinerer Anpas- sungen im Steuerrecht, die aber existenziell sind. Dafür (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des wollen wir uns als Sozialdemokraten einsetzen. Ich sage Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) ganz deutlich: Wir wollen diese steuerlichen Anpassun- gen, damit das Modell Mieterstrom auch wirklich so ein Zudem entfallen beim Mieterstrom wie auch beim Erfolgsmodell wird, wie wir uns das alle wünschen und Eigenverbrauch einige Kostenbestandteile wie Netzent- vorstellen. gelte, netzseitige Umlagen, Stromsteuer und Konzessi- onsabgaben, die sich derzeit auf etwa 12 Cent pro Kilo- Aber auch gute Gesetzesvorlagen haben noch Opti- wattstunde summieren. Auf der anderen Seite müssen die mierungspotenzial. Die Quartierslösungen, zumindest in Betreiber die Kosten der Solaranlage tragen, ohne für je- einem kleinen Rahmen, müssen möglich sein. Ich will an nen Teilstrom, der vor Ort verbraucht wird, die EEG-Ein- dieser Stelle deutlich machen: Wenn wir uns die Photo- speisevergütung zu erhalten. Vermieter dürfen den Mie- voltaikwelt anschauen, dann wird in meiner ersten Hei- tern – das wurde schon gesagt – den Strom nicht höher mat Krummhörn auffallen, dass auf jedem dritten Dach als 90 Prozent des örtlichen Grundversorgers abgeben. eine Photovoltaikanlage ist. In meiner zweiten Heimat Kreuzberg ist das nicht der Fall. Wir arbeiten mit die- Jetzt kommen aber die Probleme des vorliegenden sem Mieterstromgesetz daran, dass sich Kreuzberg und Gesetzentwurfs. Sie möchte ich kurz benennen. Krummhörn, was die Anzahl der Photovoltaikanlagen Als wichtigstes Hemmnis können wahrscheinlich die auf Dächern betrifft, ein Stück weit annähern. steuerlichen Fragen gelten. Vermieter oder Gebäudeei- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gentümer werden beim Stromverkauf innerhalb des Ge- bäudes gewerbesteuerpfichtig. Für Wohnungsunterneh- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. men, die eigentlich von der Gewerbesteuer befreit sind Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]) und nur eine verminderte Körperschaftsteuer zahlen, ist das von Belang. Ursprünglich sollten die Vorteile von Vizepräsidentin Petra Pau: Wohnungsunternehmen bei der Gewerbe- und Körper- Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Frakti- schaftsteuer erhalten bleiben. Hier ist also ein Problem, on Die Linke das Wort. und wir vermuten, dass es für Wohnungsunternehmen dann weniger rentabel ist. Wir wollen ja so viel Mieter- (Beifall bei der LINKEN) strom wie möglich. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23751

Eva Bulling-Schröter (A) Ein weiteres Problem ist, dass es keine Lösung für in die Städte holen. Wir haben die Situation – Johann (C) das Problem der Quartiersversorgung gibt. Der Bezug Saathoff hat es beschrieben –, dass wir die Investitio- von Strom vom benachbarten Hausdach beispielswei- nen im ländlichen Raum gerade im Bereich der Solar- se gilt nicht mehr als Mieterstrom. Die Versorgung ei- energie getätigt haben. Du hast es für den Norden und nes ganzen Wohnblocks ist nicht vorgesehen. Das wird für Kreuzberg beschrieben, ich habe mir Marzahn he­ Wohnungsunternehmen, die mehrere nahe zusammenste- rausgesucht: Allein im Bereich Berlin mit 3,5 Millionen hende Wohnhäuser besitzen, kaum zur Installation einer Einwohnern haben wir derzeit 125 Megawatt Solarener- PV-Dachanlage bewegen, weil sie jedes Haus einzeln ab- gie, im Landkreis Altötting im Süden unseres Landes rechnen müssen. mit 108 000 Einwohnern haben wir 180 Megawatt So- larenergie; hier zeigt sich das Missverhältnis. Wir haben (Johann Saathoff [SPD]: Das wollen wir än- im ländlichen Raum enorm investiert. In den nächsten dern!) Jahren müssen wir schauen, dass wir gerade in den städ- Auch Blockheizkraftwerke sind ausgeklammert. tischen Gebieten Investitionen tätigen,

(Klaus Mindrup [SPD]: Das haben wir doch (Beifall des Abg. Peter Stein [CDU/CSU]) schon vor zwei Jahren beschlossen!) Unklar ist, ob eine Ladesäule für Elektroautos, die neben dass wir Leistungen aufbauen, dass wir unsere Energie- einem Haus steht, überhaupt mit Mieterstrom beliefert versorgung dezentral dort aufbauen, wo der Strom ge- werden darf – bitte klären! braucht wird: in den Städten. Ich verstehe nicht, dass in der langen Zeit, die man (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sich hier gelassen hat, diese relevanten und bekannten der SPD) praktischen Probleme nicht gelöst wurden. Vielleicht sagt Kollege Bareiß etwas dazu. Schon heute – auch das möchte ich sagen – ist Mie- terstrom günstig. Mit 11 Cent ist der Strom, der auf den Ich sage: Es ist immer noch Zeit. Wir können noch Dächern produziert wird, für Mieter heute günstiger als einige Dinge klären. Das ist existenziell wichtig. Aber ein Strom, der von außen bezogen wird. Netzentgelte, Mieterstrom ist natürlich besonders wichtig. Dass auf Stromsteuer, Konzessionsabgaben sparen Mieter, wenn diesem Gebiet jetzt endlich etwas passiert, können wir sie Mieterstrom nutzen. Aber wir haben auch gespürt, nur begrüßen. dass diese Begünstigung nicht ausreicht und dass wir Danke. noch einen kleinen Anreiz brauchen, damit Mieterstrom auch in der Fläche stärker genutzt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (B) (D) Johann Saathoff [SPD] und Dr. Julia Verlinden Vor diesem Hintergrund wollen wir dieses Gesetz jetzt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) angehen. Wir haben uns dafür lang genug Zeit genom- men – das möchte ich ganz offen sagen –, wir haben uns Vizepräsidentin Petra Pau: viele Gedanken darüber gemacht, welche Optionen mög- Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die lich sind, und uns eine sehr umfangreiche Studie vorge- CDU/CSU-Fraktion. nommen. Jetzt haben wir die verschiedenen Optionen auf dem Tisch. Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wurf ein Schritt in die richtige Richtung ist. ordneten der SPD) Wir wollen jetzt den Mieterstrom nach dem EEG för- Thomas Bareiß (CDU/CSU): dern, je nach Leistungsklasse mit 2,2 Cent bis 3,8 Cent. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Mei- Damit wird Mieterstrom wirtschaftlicher. Ich glaube, ne Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will dass der Mieterstrom damit dazu beitragen kann, dass in dieser Debatte noch einmal sagen, wie erfolgreich auch im Solarbereich neue Potenziale entstehen und in unsere Energiepolitik der letzten Jahre war. Wir haben den nächsten Jahren gerade in den Städten der Zubau es geschafft, mit einem Anteil in Höhe von 33 Prozent weitergeht. Das ist etwas, das wir für die nächsten Jahre an unserer Stromversorgung die erneuerbaren Energi- anstreben. en voranzubringen. Das ist in der Welt einzigartig; kein Indus­trieland hat so viel geschafft wie wir in den letzten Trotzdem gibt es bei allem Vor- und Nachteile; auch Jahren. das möchte ich an dieser Stelle erwähnen. Wenn wir bei- spielsweise hier in Berlin, in Kreuzberg oder wo auch (Beifall bei der CDU/CSU) immer, mehr Mieterstrom produzieren, wird natürlich der Strom für andere in Berlin teurer werden, weil das inner- Diesen Erfolg unserer Energiepolitik, meine sehr ver- halb des Netzgebietes gewälzt wird. Deshalb haben wir ehrten Damen und Herren, muss man so einer Debatte ganz klar gesagt: Wir wollen einen Deckel bei 500 Mega- voranstellen. Auch andere Bereiche könnte man hier nen- watt pro Jahr für neu installierte Solaranlagen einrichten, nen, ich will es aber aufgrund meiner kurzen Redezeit damit die Förderkosten, die auf uns zukommen können, nicht tun. 73 Millionen Euro in Summe nicht übersteigen. Das ist Mit dem Thema Mieterstrom wollen wir diese Er- ein ganz klares Bekenntnis zur Kostentransparenz auf der folgsgeschichte weiterführen. Wir wollen schauen, dass einen Seite, aber auch zur Kostenminimierung auf der wir im Bereich der Solarenergie die Energiewende auch anderen Seite. Wir wollen die Energiewende weiterhin 23752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Thomas Bareiß (A) für alle bezahlbar machen, gerade in den Städten, meine Hauses beziehen können. Aber nicht nur Mieterinnen und (C) sehr verehrten Damen und Herren. Mieter proftieren von einem vernünftigen Mieterstrom- gesetz, sondern auch die Solarwirtschaft kann dadurch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- neue Impulse bekommen; denn diese Branche haben Sie ordneten der SPD) mit Ihrer Politik leider ziemlich kleingekriegt. Ein weiteres Thema, das uns wichtig gewesen ist, war die Vertragsfreiheit für die Mieter, damit jeder seinen (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Stromanbieter selber aussuchen kann und nicht auf den DIE GRÜNEN]: Was ein Skandal ist!) Stromanbieter, den der Vermieter wählt, zurückgreifen Aber bevor ich hier zu viel Euphorie aufkommen las- muss. Die Vertragsfreiheit ist also weiterhin gewährleis- se, muss ich leider noch ein Fass Wasser in das Glas Wein tet. gießen. Der Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministeri- Wir haben – Johann Saathoff hat es schon beschrie- um, den die Koalitionsfraktionen hier eingebracht haben, ben – eine Obergrenze eingeführt: Maximal 90 Prozent ist noch mit einigen Bremsklötzen versehen. Ich freue des Grundversorgungstarifs darf der Mieterstrom kosten. mich sehr, dass die Kollegen gerade Punkte genannt ha- Auch das ist ein klarer Schutz für die Verbraucher und ist ben, die sie noch ändern wollen. So wie das Gesetz jetzt für uns genauso wichtig gewesen wie der weitere Ausbau ist, wird es nämlich keinen nennenswerten Effekt auf den der Solarenergie. Klimaschutz haben. Damit verschenken Sie wertvolle Potenziale, auch für die Energiewende zum Mitmachen. Mit dem jetzigen Entwurf gehen wir in die richtige Richtung. Wir nutzen das Potenzial der Zukunft, wollen Sie wollen Mieterstrom auf die Mieterinnen und Mie- Mieterstrom vor Ort, gerade in den Städten, möglich ma- ter beschränken, welche genau in dem Haus wohnen, auf chen. Wir wollen die Energiewende weiter sinnvoll ge- dem die Anlage errichtet wird. Damit lassen Sie viele stalten. Ich freue mich auf das jetzt anstehende Gesetzge- Menschen außen vor, die vom Mieterstrom proftieren bungsverfahren. Wir wollen es in den nächsten drei, vier könnten. Es gibt nun einmal Häuser, die kein geeignetes Wochen abschließen, damit Mieterstrom in der Breite Dach für eine Solaranlage haben. Aber Häuser, welche dann noch stärker möglich ist. direkt daneben liegen, haben vielleicht ein geeignetes Dach. In einem solchen Fall muss es doch möglich sein, Herzlichen Dank. mit einer Anlage auch die Mieter in den umliegenden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Häusern mit zu versorgen. Wir brauchen also in diesem Gesetz unbedingt den Quartiersansatz, von dem gerade Vizepräsidentin Petra Pau: schon die Rede war. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies noch in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Denn (B) Das Wort hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden für die (D) dann würden alle proftieren, nicht nur die Bewohner ei- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nes Hauses mit geeigneter Dachausrichtung.

Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als Nächstes komme ich zu einem Lieblingsthema der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Union, zum sogenannten Deckel. Es gibt den Erneuerba- schön, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus den re-Energien-Deckel, es gibt den Wind-Onshore-Deckel, Koalitionsfraktionen dazu entschieden haben, am Ende den Wind-Offshore-Deckel, den Netzausbaugebietsde- der Legislaturperiode nun doch noch ein Mieterstromge- ckel, den 52-Gigawatt-Photovoltaik-Deckel, den Photo- setz einzubringen, das die Solarstromerzeugung unter- voltaik-Jahresdeckel und den Bioenergiedeckel. stützen soll. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Das zur Freiheit bei der Union! Alles sowie bei Abgeordneten der SPD) gedeckelt!) Ehrlich gesagt, diese Initiative kommt reichlich spät. Bis- Bei der Union gibt es kein Erneuerbare-Energien-Ge- her haben Sie in der Großen Koalition ja hauptsächlich setz mehr ohne Deckel. Vor dem Hintergrund der Pari- darüber nachgedacht, wie Sie den Ausbau der erneuerba- ser Klimaschutzziele sind diese Deckel fatal. Angesichts ren Energien verlangsamen können. stark gesunkener Preise für erneuerbare Energien tragen (Zuruf von der CDU/CSU: Wir denken nach! auch Ihre Begründungen für diese Deckel nicht mehr. Ganz genau!) Für das Mieterstromgesetz gilt das ganz besonders. Diese Deckel der Großen Koalition haben keine andere Funk- Die Folgen dessen sind aber dramatisch. Andere Länder tion, als die Energiewende auszubremsen. Das ist grob haben Deutschland bei der Neuinstallation von Wind- fahrlässig. und Solarenergie längst überholt. Die wissen, wo die Zu- kunft liegt. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bremsen statt Freiheit!) In Deutschland kämpfen die innovativen Erneuerba- re-Energien-Unternehmen und die engagierten Bürger- Die Klimakrise interessiert nämlich nicht, ob die Uni- energiegenossenschaften gegen die Hürden dieser Bun- on beim Ausbau der erneuerbaren Energien doch lieber desregierung. Es wird höchste Zeit, die Energiewende etwas langsamer machen möchte. Die Klimakrise kommt auch in die Städte zu bringen. Denn auch Mieterinnen umso schneller und heftiger, je länger wir für die Umset- und Mieter wollen sauberen Strom direkt vom Dach ihres zung der Energiewende brauchen. Lassen Sie uns also Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23753

Dr. Julia Verlinden (A) den neuen Mieterstromdeckel im Gesetzentwurf und am Warum ist das passiert, und warum haben wir so viel (C) besten auch die anderen Deckel streichen. Unterstützung? Das liegt daran, dass viele in der Zivil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesellschaft meinen, dass das etwas Sinnvolles ist. Die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wohnungswirtschaft, der Deutsche Mieterbund, die Ver- braucherzentrale, die Umweltverbände und viele Ener- Noch ein Punkt, Johann Saathoff, zum Thema „Ge- gieversorger aus der kommunalen Energiewirtschaft, rechtigkeit bei der Energiewende“. Mit fast 2 Cent pro aber auch die Ökostromanbieter sagen, das sei ein richti- Kilowattstunde subventionieren die privaten Haushalte ger Weg, den wir hier gehen. und der Mittelstand die energieintensiven Unternehmen, die von den üppigen Industrieprivilegien proftieren. Wir können im Bundestag Recht setzen. Wir machen Auch da müssen wir etwas ändern. Gesetze. Die Unterstützung für den Mieterstrom ist des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wegen so groß, weil Mieterstrom die physikalischen Ge- setze beachtet. Es ist nämlich sinnvoll, Strom vor Ort zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das erzeugen und zu nutzen; höhere Effzienz. Das wird am parlamentarische Verfahren nutzen, um den Gesetzent- Ende auch dazu führen, dass die Kosten der Energiewen- wurf zu verbessern und den Mieterstrom zu einem Erfolg de volkswirtschaftlich betrachtet geringer sind. Deswe- werden zu lassen: für die Mieterinnen und Mieter, aber gen ist Mieterstrom nicht nur etwas für die betroffenen vor allen Dingen für die Energiewende. Mieterinnen und Mieter; er wird die gesamten Kosten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energiewende begrenzen. Es ist daher auch volkswirt- sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) schaftlich sinnvoll, die Dachfächen der Mietshäuser zu nutzen und so die Energiewende in die Städte zu tragen; Vizepräsidentin Petra Pau: das haben wir im Prinzip bereits gehört. Wir gewinnen so klimafreundlich erneuerbare Energien. Wir schaffen Der Kollege Klaus Mindrup hat für die SPD-Fraktion das Wort. Arbeitsplätze in der Solarindustrie, Arbeitsplätze im Handwerk und neue Vermarktungswege für den erneu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten erbaren Strom – das ist mir auch sehr wichtig – jenseits der CDU/CSU) der Strombörse. Die Mieterinnen und Mieter werden in ihrer Vertragsfreiheit nicht beschränkt. Sie bekommen Klaus Mindrup (SPD): den Strom kostengünstiger. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eben haben wir uns ja noch bei den Freundinnen und Freunden von den Klein- Wenn jetzt gesagt wird: „Das führt zu Kostennach- (B) gärtnern gesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! teilen“, dann erwidere ich: Man muss die Ausbauvari- (D) anten vergleichen. Was ist teurer, die Energiewende in (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich war die Städte zu holen oder den Strom weiterhin nur auf hier! – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Einfamilienhausdächern und in großen Solaranlagen vor Wir waren im Plenum, nicht bei den Klein- den Städten zu gewinnen? Alle Gutachten sagen, dass der gärtnern!) dezentrale Weg der bessere ist. Ich fnde, heute ist ein guter Tag: für die Energiewen- de in Deutschland, für den Klimaschutz, für die Miete- Wir hören jetzt auch Kritik aus der Energiewirtschaft. rinnen und Mieter, für das Handwerk, aber auch für alle Es wird gesagt: Es wird weniger Strom durch die Netze Verbraucherinnen und Verbraucher. geleitet. – Aber dazu muss man sagen: In Zukunft brau- chen wir eher mehr Strom für Mobilität, für Wärmepum- Wir haben als SPD lange für das Mieterstromkonzept pen, sodass es sinnvoller ist, den Strom stärker auch vor gekämpft. Ich bin jetzt sehr froh, dass wir gemeinsam Ort zu nutzen und damit Reserven in unseren Netzkapa- mit unserem Koalitionspartner dieses Projekt auf den zitäten zu haben. Auch das spricht dafür, dass wir diesen Weg gebracht haben, und ich möchte mich dafür auch Weg gehen. ausdrücklich bedanken. Das Mieterstromkonzept hat zwei Säulen. Die ers- Wir werden an diesem Gesetzentwurf noch etwas te Säule ist die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung mit verbessern müssen; das ist schon deutlich geworden. hocheffzienten Gaskraftwerken. Das haben wir schon im Vor allen Dingen macht es keinen Sinn, Mieterstrom nur vorletzten Jahr beschlossen, Frau Kollegin. Das ist be- für einzelne Hausaufgänge zu machen. Wir werden den reits auf den Weg gebracht; das läuft. Die zweite Säule ist Quartiersansatz durchbringen. Ich hoffe, dass wir das ge- die Nutzung von Sonnenenergie, von Photovoltaik, um meinsam mit unserem Koalitionspartner auch hinbekom- sie dezentral in den Quartieren zu nutzen. Das bringen men. Das ist nämlich sehr vernünftig. wir jetzt auf den Weg. Mieterstrom ist ein wichtiger Baustein für die zukünf- Ich möchte eines hervorheben: Dies ist eine Gesetzes- tige Energiewende. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen initiative, die aus dem Parlament hervorgegangen ist und Ansatz zu unterstützen, und schließe mit dem alten Wort: die nicht von der Regierung gekommen ist. Das ist etwas ganz Besonderes. Zur Sonne, zur Freiheit! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Bärbel Höhn [BÜND- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Deckel!) 23754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Wichtig ist uns auch, dass die Mieter die Wahlfreiheit (C) Der Kollege Dr. Andreas Lenz hat für die CDU/ haben; das wurde schon mehrfach angesprochen. Miet- CSU-Fraktion das Wort. vertrag und Mieterstromvertrag sind klar zu trennen. Es müssen zwei getrennte Verträge erstellt werden und die (Beifall bei der CDU/CSU) Wahlfreiheit der jeweiligen Mieter genau beachtet wer- den. Der Preis für Mieterstrom ist außerdem auf 90 Pro- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): zent des Grundversorgungstarifes begrenzt. Auch hier Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten werden wir die Mieter schützen. Damen und Herren! Liebe zahlreich anwesende Kolle- ginnen und Kollegen! Mit dem Mieterstromgesetz bringen wir am Ende die- ser Legislaturperiode ein weiteres energiepolitisches Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und setzesvorhaben auf den Weg: nach dem EEG 2014, nach des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dem EEG 2017, nach der Einführung von Ausschreibun- Es freut mich, dass wir heute noch über das Gesetz zum gen in der Reformierung des KWKG, nach der Sicherung Mieterstrom diskutieren können, obwohl es nicht an mir der Eigenversorgung, nach der Implementierung von liegt – das muss ich ehrlicherweise sagen –, dass die De- Strommarktregeln – um nur einige Punkte anzusprechen, batte heute noch stattfndet. die wir miteinander beraten haben. Wir haben Schritte nach vorne gemacht. Wir haben die Planbarkeit erhöht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben die einzelnen Faktoren verknüpft, beispiels- NEN]: Sie hätten Ihre Rede auch zu Protokoll weise auch hinsichtlich der Synchronisierung des Aus- geben können!) baus der Erneuerbaren und des Netzausbaus, damit das parallel läuft. Wir haben aber nach wie vor Herausforde- Natürlich ist der Gesetzentwurf richtig und wichtig. rungen, die mit weiter steigenden Anteilen an erneuerba- Mieterstrom bezeichnet die Lieferung von Strom aus ei- ren Energien eher größer als kleiner werden. Es zeigt sich ner Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Wohngebäu- auch, dass einige Annahmen aus der Vergangenheit – ich des an die entsprechenden Mieter. Die Mieter erhalten erinnere nur daran, dass vor sieben Jahren viele gesagt Strom direkt vom Dach der Wohnanlage und können so haben, die Rohölpreise werden jährlich um 2 bzw. 3 Pro- von günstigen Strompreisen proftieren. Die Energiewen- zentpunkte steigen – so nicht eingetreten sind. de wird in die Städte getragen. Momentan existieren in der Praxis nur wenige Mieter- Wir werden keine Stromerzeugung zum Nulltarif be- strommodelle. Mit dem Gesetz wollen wir daher einen kommen. Die Energiewende ist also mehr denn je eine Anreiz dafür setzen, dass zukünftig mehr Mieterstrom- Generationenaufgabe. Die Energiethemen werden uns (B) projekte umgesetzt werden. Mieterstrommodelle sollen auch in Zukunft beschäftigen, auch hier in der nächsten (D) dabei in erster Linie den Mietern zugutekommen. Zudem Legislatur. Deswegen gilt es natürlich auch, vernunft- können sie dazu beitragen, den Zubau bei der Photovol- bezogene Ansätze, das Verknüpfen der Bausteine, das taik zu steigern. Aktuell wird das gesetzlich verankerte Koordinieren der unterschiedlichen Sektoren voranzu- Zubauvolumen von 2 500 Megawatt nicht erreicht. Au- treiben. ßerdem ist die Mieterstromförderung deutlich niedriger Mein herzlicher Dank geht an die Berichterstatter, an als die reguläre Förderung nach dem EEG. Es sollen An- Thomas Bareiß und Johann Saathoff. lagen bis zu einer Größe von 100 kW gefördert werden. Der Höchstförderbetrag wird letztlich circa 3,81 Cent pro (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kilowattstunde betragen. Große Mieterstromanlagen er- Trotz zähen Ringens haben wir es immer geschafft, halten dabei einen geringeren Förderbetrag als die klei- Lösungen zu erzielen. Selbst zum Ende der Legislatur nen. schaffen wir das noch. Das ist hochrespektabel. Bei Mieterstrommodellen werden die Dachfächen für Photovoltaik genutzt. Wir haben hier nach wie vor hohes Ich wünsche noch einen schönen Abend und anschlie- Potenzial. Studien zufolge bietet gerade das Mieterstrom- ßend eine schöne und gute Nacht bei – wie war es vor- modell auf knapp 370 000 Wohngebäuden für insgesamt her? bei Sonnenschein – Mondschein oder Kerzenschein. 3,8 Millionen Haushalte Zugang zu Photovoltaikstrom Ich weiß gar nicht, ob wir heute einen Mond sehen. Es ist aus eigener Produktion. Mir persönlich ist die Photovol- auf jeden Fall ein gutes Gesetz, das wir einbringen. Ich taik auf dem Dach immer noch lieber als auf Freifächen bitte um Unterstützung. oder auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Natürlich ist es wie bei jeder Förderung im Rahmen Ich schließe die Aussprache. des EEG auch hier so, dass die entsprechenden Kosten von denjenigen Stromverbrauchern getragen werden, die Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- nicht in den Genuss der Förderung kommen. Auch des- wurfs auf Drucksache 18/12355 an die in der Tagesord- halb deckeln wir den Zubau in Höhe von 500 Megawatt nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es jährlich. Zudem sehen wir auch eine Evaluierung dieses dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Instruments vor und beobachten sie sehr genau. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23755

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll Wenn jetzt alle Fraktionen wieder mitmachen, dann vom 11. November 2016 zum Handelsüberein- eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Parlamenta- kommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Eu- rische Staatssekretärin Caren Marks. ropäischen Union und ihren Mitgliedstaaten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einerseits sowie Kolumbien und Peru anderer- der CDU/CSU) seits betreffend den Beitritt Ecuadors

Drucksache 18/11556 Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder brauchen stabile Beziehungen, Drucksache 18/12410 um stark zu werden. Sie müssen vor Gewalt geschützt Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sein, und sie benötigen gute Bildungschancen, und zwar sehe, Sie sind damit einverstanden.1) von Anfang an. Der Gesetzentwurf, den wir heute bera- ten, die Reform des SGB VIII, ist ein Gesetzentwurf zur Mir liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer 2) Stärkung von Kindern und Jugendlichen. Er enthält drei Geschäftsordnung vor. Entsprechend unserer Regeln Schwerpunkte: nehmen wir sie zu Protokoll und kommen nun zur Ab- stimmung. Erstens: die Stärkung von Pfegekindern und ihren Fa- milien. Wie alle Kinder brauchen Pfegekinder gute und Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfehlt in stabile Beziehungen und Bindungen. Heute gibt es aber seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12410, nicht wenige Kinder, bei denen es zwischen leiblichen den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Eltern und Pfegefamilie hin und hier geht, manchmal che 18/11556 anzunehmen. sogar mehrfach. Manch stabile Beziehung wird dadurch Zweite Beratung zerrissen, kaum dass ein Kind sie aufgebaut hat. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Mit der Reform des SGB VIII wollen wir regeln, dass Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – über die Perspektive eines Pfegeverhältnisses schneller Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- und vor allem auch transparenter entschieden wird: Soll (B) entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und das Kind nur vorübergehend oder dauerhaft in der Pfe- (D) der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin- gefamilie bleiben? Welche Unterstützung brauchen Pfe- ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. gekind, Pfegeltern und auch Herkunftsfamilie? Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 sowie den Zu- Ein Kind aus der Familie zu nehmen, ist und bleibt satzpunkt 8 auf: das letzte Mittel. Deshalb wollen wir auch die Beratung und Unterstützung der Herkunftseltern stärken. Das Ju- 35 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gendamt unterstützt die leiblichen Eltern ebenso wie die gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- Pfegefamilie, stellt Kontakt zwischen einem Kind und kung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- seinen leiblichen Eltern her und begleitet sie. und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) Außerdem wollen wir den Familiengerichten eine Drucksache 18/12330 neue Möglichkeit geben. Sie sollen anordnen können, Überweisungsvorschlag: dass ein Kind auf Dauer in der Pfegefamilie bleibt, wenn Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) ziemlich sicher ist, dass es nicht in seine Herkunftsfami- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales lie zurückgehen kann. Für Pfegekinder in Dauerpfege- verhältnissen soll das mehr Stabilität und mehr Sicher- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate heit bringen. Kinder, die beispielsweise von ihren Eltern Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska schwer misshandelt wurden, müssen die Chance haben, Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- in der Pfegefamilie zu bleiben, anstatt zurückzumüssen on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu erleben, dass die Misshandlungen wieder losge- Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für hen. junge Menschen Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfes, lie- Drucksache 18/12374 be Kolleginnen und Kollegen, ist die Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen im Überweisungsvorschlag: Kinderschutz. Die Evaluation des Bundeskinderschutz- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales gesetzes hat gezeigt, dass der Kinderschutz in unserem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Land besser geworden ist. Sie hat aber auch gezeigt, wo schätzung noch Bedarf besteht. Da gibt es zum Beispiel die Befug- nisnorm in § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Infor- 1) Anlage 17 mation im Kinderschutz. Menschen aus verschiedenen 2) Anlage 18 Berufsgruppen, die genau davon betroffen sind, haben 23756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Parl. Staatssekretärin Caren Marks (A) den Hinweis gegeben, dass diese Befugnisnorm nicht Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (C) klar genug formuliert ist. Wenn aber eine Ärztin oder Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und eine Hebamme beispielsweise unsicher ist, wann sie von Kollegen! Wir beraten heute ein zentrales Vorhaben der ihrer Schweigepficht entbunden ist, wird sie sich viel- Koalition im Bereich der Kinder-, Jugend- und Famili- leicht nicht an das Jugendamt wenden. Deshalb formu- enpolitik, nämlich die Reform des Sozialgesetzbuches lieren wir die Befugnisse zur Datenweitergabe an das Achtes Buch, also des Kinder- und Jugendhilferechtes. Jugendamt für Berufsgeheimnisträger klarer. Wir wollen ihnen eine klare Orientierungshilfe geben und für mehr Das SGB VIII wurde nach über 20-jähriger Debat- Handlungssicherheit im Kinderschutz sorgen. te Anfang der 90er-Jahre als Gesetz mit umfassenden Ärztinnen und Ärzte sagen auch: Wir wollen wissen, Rechtsansprüchen für Kinder und Jugendliche, für jun- was aus unseren Hinweisen wird und wie es mit dem ge Volljährige, für Heranwachsende und für Familien Kind und seiner Familie weitergeht. Vor allem können beschlossen. Es folgt einem sozialpädagogischen Leit- sie aber auch einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung bild. Deswegen ist es richtig, dass wir das Kinder- und der Gefährdungssituation eines Kindes leisten. Auch des- Jugendhilfegesetz insgesamt verteidigen. halb sollen sie einbezogen werden, wenn das Jugendamt (Beifall bei der LINKEN) dies nach fachlicher Einschätzung für notwendig hält. Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen der Kinder- Eine Gruppe wurde damals aber nicht in die Geltung und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen für den des SGB VIII einbezogen; die Staatssekretärin hat darauf Kinderschutz stärken. gerade dankenswerterweise hingewiesen. Kinder und Ju- (Beifall bei der SPD) gendliche mit Behinderungen fallen eben nicht vollum- fänglich unter den Geltungsbereich des SGB VIII. Wir Den dritten Schwerpunkt bildet eine verbesserte haben hier schwierige Rechtskreise in Bezug auf die Heim­aufsicht. Kinder und Jugendliche in Heimen sind Wiedereingliederungshilfe. Das sollte harmonisiert wer- besonders schutzbedürftig. Wir wollen ihre Rechte stär- den. Die große Lösung, hinter der zumindest verbal alle ken, indem wir planen, Beschwerdemöglichkeiten au- Parteien stehen, ist Ziel Ihrer Koalition gewesen. ßerhalb der Einrichtung einzuführen. Zudem wollen wir die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis und die Die Koalition ist also angetreten, das SGB VIII zu re- Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitern. formieren und Kinder und Jugendliche mit Behinderung vollständig in die Kinder- und Jugendhilfe zu überfüh- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Wir ren. Was Sie heute zur Geisterstunde – und wir haben hätten gerne mehr gemacht. Wir wollen weiterhin die gleich Geisterstunde – hier vorgelegt haben, hat damit (B) Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und aber null Komma nichts zu tun. (D) Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhil- fe, die sogenannte inklusive Lösung. Für die Kinder und (Beifall bei der LINKEN) ihre Familien ist es wichtig, dass alle Leistungen für Kin- der und Jugendliche aus einer Hand kommen. Egal ob ein Dazu passt eben auch, dass das, was Sie heute vor- Kind eine körperliche, seelische, geistige oder gar keine stellen, keine große Lösung ist, sondern im Wesentli- Behinderung hat: Alles aus einer Hand – das kann nur die chen Ausdruck von großem Chaos: ein katastrophaler, Kinder- und Jugendhilfe. intransparenter Gesetzgebungsprozess; acht Gesetzent- würfe bzw. Vorentwürfe oder Arbeitsfassungen haben in Nach zweijährigen intensiven Beratungen gibt es aber anderthalb Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickt – noch Diskussionsbedarf – weniger über das, was nötig Sie kennen wahrscheinlich noch mehr –; Hunderttausen- ist, als über den besten Weg. Deshalb haben wir gemein- de Beschäftigte, die gnadenlos verunsichert sind; Träger, sam mit dem Deutschen Verein das Dialogforum „Zu- Familien, Betroffene, die nicht wissen, wohin die Reise kunft der Kinder- und Jugendhilfe“ gestartet. Genau dort eigentlich geht. Sie wissen das; denn wir sind überhäuft setzen wir die Debatte über die Umsetzung der inklusi- worden mit Zuschriften von großen Verbänden, von Trä- ven Lösung fort. Das wird eine Aufgabe für die nächste gern, von Beschäftigten, von Mitarbeitern der Jugendäm- Wahlperiode. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber die ter, von Jugendhilfeausschüssen, von Familien. Das Verbesserungen für die Pfegekinder und ihre Familien, heißt, Hunderttausende Beschäftigte, betroffene Kinder, die Verbesserungen beim Kinderschutz und bei der Hei- Jugendliche und Familien sowie große, aber auch kleine maufsicht sollten wir jetzt auf den Weg bringen. Träger wurden durch diesen Gesetzgebungsprozess hoff- nungslos verunsichert. Ich wünsche uns noch eine gute restliche Debatte zu später Stunde. Was Sie heute vorlegen, ist abzulehnen. Ich nenne Ih- Vielen Dank. nen kurz drei Gründe, warum wir das insgesamt ablehnen werden: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens. Das Jugendwohnen, das Sie mit dem Gesetz auf ein Minimum herunterfahren wollen, bietet Minder- jährigen und jungen Volljährigen die Möglichkeit, wäh- Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kolle- rend ihrer Ausbildung preiswert zu wohnen. Wir haben ge Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. bereits mehrfach über die Mietensituation in großen (Beifall bei der LINKEN) Städten geredet. Daher ist das Jugendwohnen dringend Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23757

Norbert Müller (Potsdam) (A) notwendig. Anstatt das Jugendwohnen auszubauen, fah- Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): (C) ren Sie es zurück. Das werden wir nicht mittragen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN) und Kollegen! Ja, es ist richtig: Eine Reform des KJHG im SGB VIII ist für viele von uns die Königsdisziplin Zweitens. Die offene Kinder- und Jugendarbeit – ich in der Familienpolitik. Viele von uns, von Bayern bis fnde, das ist der größte Hammer – erschweren Sie noch Schleswig-Holstein, kommen aus der Kinder- und Ju- zusätzlich. An der Stelle, an der wir die Kinder- und Ju- gendhilfe und wissen, welche Auswirkungen eine Re- gendarbeit ausbauen müssten, wird sie erschwert. Was form haben kann, nämlich gravierende Auswirkungen passiert jetzt konkret? Sie sagen, dass in der offenen Kin- auf die Lebensverhältnisse gerade von Kindern. Des- der- und Jugendarbeit auch dann, wenn die Beteiligten wegen ist es für uns wichtig, dass wir uns sehr sorgsam vor Ort ehrenamtlich unterwegs sind und keine öffentli- anschauen, was die Bundesregierung, was das Familien- che Förderung in Anspruch nehmen, bestimmte Melde- ministerium vorgelegt hat. aufagen erfüllt werden müssen und Schutzkonzepte auf- Das ist tatsächlich ein bisschen die Kür nach drei- gestellt werden sollen. Also, wenn fünf junge Menschen einhalb Jahren Großer Koalition. Ich muss aber einge- in der Garage ihrer Eltern ein Jugendprojekt starten, dann stehen – es tut mir leid, Frau Parlamentarische Staats- sollen sie zukünftig ein Schutzkonzept gegen sexuelle sekretärin –: Kür ist der Gesetzentwurf nicht, in Teilen Übergriffe aufstellen, dann sind sie meldepfichtig, dann entspricht er noch nicht einmal der Pficht. Wir haben da müssen sie das Projekt beim Jugendamt anmelden und deutliche Kritik. Warum ist das Gesetz so wichtig, und in eine stetige Kooperation eintreten. Das ist völlig irre. warum ist es so wichtig, die Reformen hinsichtlich ihrer Damit erwürgen Sie die offene Kinder- und Jugendarbeit. Auswirkungen zu überprüfen? Weil wir über Kinder und Wir haben bereits in Gesprächen darüber geredet: Das Jugendliche reden. muss weg. Das können wir nicht mittragen. Im Übrigen will ich eines sagen: Die UN-Kinder- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. rechtskonvention und das Grundgesetz besagen – das ist Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ unser Verständnis –, dass Kinder zum Beispiel ein Recht DIE GRÜNEN]) auf Erziehung durch die Eltern haben. Wenn Sie sagen, Drittens. Sie führen – das war ein besonderer Wunsch dass Sie nicht möchten – das möchten wir auch nicht –, einiger Länder; bedauerlicherweise trägt die Bundesre- dass Kinder zurückkommen in eine Familie, in der sie gierung das nun mit – doppelte Standards für Kinder und Gewalt und Missbrauch erfahren haben, dann kann ich Jugendliche mit ausländischem Hintergrund ein, näm- Ihnen nur entgegnen: Das darf es bereits heute nicht ge- lich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Durch ben. – Ich komme aus Hamburg. Wir haben entsprechen- (B) eine Öffnungsklausel werden Sie erreichen – das wird in de Fälle gehabt. Der Fall Yagmur ist, glaube ich, in ganz (D) den Ländern so passieren; das wissen wir ganz genau; Deutschland bekannt. In diesem tragischen Fall kam das Länderausnahmeklauseln waren ja die Zielvorgabe der Kind zu früh zurück zu den leiblichen Eltern und ist dann Bundesländer, die Sie quasi beauftragt haben, zumindest verstorben. Das darf es aber bereits heute nicht geben. einiger –, dass es in Zukunft ein Kinder- und Jugendhil- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ferecht für deutsche Kinder und Jugendliche gibt und ein NEN]: Gibt es aber!) Kinder- und Jugendhilferecht mit niedrigeren Standards für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch das Wir warnen aber davor – das ist unsere große Sorge, Frau werden wir in keinem Fall mittragen. Dörner –, mit Gesetzesänderungen, die wir in wenigen Wochen durchbringen, das Kind mit dem Bade auszu- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- schütten. Das werden wir nicht tun. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eine gro- ße Lösung angekündigt. Sie haben viel Porzellan zer- Es gab auch schon am ersten Entwurf Kritik; ich schlagen. Am Ende haben Sie eine große Überschrift glaube, auch wir als Union haben das deutlich gemacht. produziert: Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. Das ist Wenn Sie eine solche Reform auf den Weg bringen, dann ein Hohn. Sie stärken Kinder und Jugendliche mit dieser ist das eine große Reform. 1990/91 hat man viele, viele Reform des Sozialgesetzbuches VIII nahezu nicht. Das Monate, ja sogar Jahre gebraucht. Man hat gesagt: Wir Beste wäre, Sie würden diesen Entwurf zurückziehen brauchen die Verbände, die Träger und die Betroffenen. und einen Neustart in der nächsten Wahlperiode ermög- Wir reden hier über viele Personengruppen und Interes- lichen. sensgruppen und übrigens auch über viel Geld, zum Bei- spiel über 7 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung. Vielen Dank. Der Aufwuchs der Mittel ist uns allen bekannt. Da muss (Beifall bei der LINKEN) man auch einmal fragen: Wie sind die Strukturen? Die- se müssen überprüft werden. Aber all das muss gemein- schaftlich und transparent erfolgen. Dafür braucht man Vizepräsidentin Petra Pau: einen offenen Diskurs, und zwar nach Möglichkeit am Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die Anfang einer Legislaturperiode und nicht am Ende. CDU/CSU-Fraktion. Deswegen muss ich sagen, dass die Kritik vieler Ver- (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder bände am Verfahren berechtigt ist. Auch das sagen wir [CDU/CSU]: Guter Mann!) ganz deutlich. Deswegen werden wir in den nächsten 23758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) Tagen und Wochen mit unserem Koalitionspartner ge- Wir haben große Sorge, dass wir das erleben, was wir (C) nau überprüfen, welche Änderungen wir mitgehen kön- in den letzten Jahren sehr häufg erlebt haben. Da sind nen. Wir werden nach der Anhörung, die wir demnächst Menschen zu uns gekommen und haben uns gesagt, dass durchführen, überprüfen, was noch machbar ist. Aller- sie nicht mehr an die Kinder herankommen. Sie wollten dings glaube ich, dass man dieses Verfahren deutlich kri- eigentlich nur eine Kurzzeitpfege für ein halbes Jahr tisieren muss. oder ein Jahr, weil sie in der Situation kurzfristig überfor- dert waren. Diese Eltern kommen zum Teil nicht mehr an Ich warne davor, jetzt kurzfristig noch Schlechtes ihre Kinder heran bzw. die Kinder kommen nicht mehr zu machen, auch wenn man es gut meint. Genauigkeit zurück. Deswegen haben wir in diesem Bereich – das geht für uns in der Union vor Schnelligkeit; das sagen sage ich ganz offen – große Probleme. wir ganz deutlich. Wir brauchen also einen sorgfältigen Prozess. Das steht übrigens auch so in unserer Koaliti- Bei uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Das heißt aber auch, dass wir sehen müssen: Wie können wir onsvereinbarung: ein sorgfältig strukturierter Prozess auf die leiblichen Eltern stärken? Wie können wir die Qua- einer fundierten empirischen Grundlage. Wir wollen wis- lifzierung der Pfegeeltern stärken? In welcher Art und sen, welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben Weise können wir überprüfen, in welcher Situation die und welche Auswirkungen es durch Änderung des KJHG Kinder am besten zurechtkommen? und natürlich auch des BGB gibt. Ich komme gleich zu dem einen Beispiel, das auch Sie angeführt haben – das Eines sei auch noch gesagt, weil es in der öffentlichen ist Ihnen wichtig, und das ist auch uns wichtig –, nämlich Diskussion nur um Pfegeeltern und leibliche Eltern geht. die Frage: Wie geht es weiter bei den Pfegekindern? Es geht auch – schauen Sie ins Gesetz – um die Heimer- ziehung. Ich sage ganz deutlich: Da gibt es ein Problem. Es gibt Änderungen, die tragbar sind. Zum Beispiel mit denen im Bereich der Heimaufsicht sind wir sehr zu- Vizepräsidentin Petra Pau: frieden. Da ist eine gute Regelung gefunden worden. Die Kollege Weinberg. Änderung hinsichtlich der Hilfen zur Erziehung wurde wieder zurückgenommen. Es gibt weiterhin die Hilfen zur Erziehung und nicht nur Unterstützung sozialräum- Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): licher Art. Auch das war uns wichtig. Wir werden uns Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Denn das alles anschauen. Über das eine oder andere werden Heimerziehung hat nichts mit Bindung zu tun. Gar nichts. wir noch intensiv diskutieren. Möglicherweise werden (Zuruf von der SPD: Doch!) wir Änderungsvorschläge einreichen. Wir werden aber auch bei einigen Dingen sagen, dass das mit uns nicht Genau deshalb werden wir uns den Gesetzentwurf in die- (B) machbar ist. sem Bereich sehr intensiv anschauen. (D)

Ich komme jetzt zum Thema Pfegekinder. Dabei geht In weiten Teilen werden wir die Diskussion mit der es um die Kombination von § 36a SGB VIII mit § 91 SPD führen. Darauf und auf die Anhörung freue ich mich. SGB VIII und § 1697 BGB. Da sind wir in großer Sorge. Allerdings sei diese Kritik an dieser Stelle angebracht. Wir verstehen, dass sehr viele Pfegeeltern sagen: Wir Herzlichen Dank. haben, auf Deutsch gesagt, die Nase voll von diesem Be- fristungsdogma, davon, dass man nicht weiß, was nach (Beifall bei der CDU/CSU) ein, zwei oder drei Jahren mit den Pfegekindern, zu de- nen man eine Bindung aufgebaut hat, passiert. Wir wol- Vizepräsidentin Petra Pau: len dauerhaft Stabilität haben. – Das verstehen wir. Aber Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Frakti- es wäre in höchstem Maße gefährlich, dass dies durch ein on Bündnis 90/Die Grünen. so genanntes Kontinuitätsdogma gelöst wird. Dass das vorgesehen ist, sehen Sie, wenn Sie sich den Gesetzent- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wurf genau anschauen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Man sagt: Das Ziel ist es, dass es für Kinder eine früh- Liebe Kollegen! Wir diskutieren jetzt rund um Mit- ternacht über den kümmerlichen Rest eines eigentlich zeitige Perspektivklärung gibt. – Dazu sagt man zunächst großen und auch wichtigen Reformvorhabens, eines einmal: Eine frühzeitige Perspektivklärung ist gut. Dann Reformvorhabens – das fnde ich eben ganz besonders schaut man auf das Kindeswohl. Das Kindeswohl wird bitter –, das wir alle im Grundsatz richtig fnden. Im Ko- auch und insbesondere über den Begriff der Kontinuität alitionsvertrag heißt es: defniert. Aber die Kontinuität als Maßstab für das Kin- deswohl zu nehmen, ist zu wenig. Wir haben durch das Im Interesse von Kindern mit Behinderung und ih- Grundgesetz sozusagen die Verpfichtung, ethisch-mora- ren Eltern sollen die Schnittstellen in den Leistungs- lische Ansätze zu verfolgen. Wenn wir den Ansatz umset- systemen so überwunden werden, dass Leistungen zen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass die El- möglichst aus einer Hand erfolgen können. tern, die nach einer kurzen Zeit wieder in der Lage sind, Das hätten auch wir unterschreiben können. sich um ihre Kinder zu kümmern, weiterhin das Recht haben, über eine Rückholoption die Verantwortung für Ein inklusives SGB VIII, ein einheitliches Leis- die Betreuung ihrer Kinder zu bekommen. Es ist also je- tungsrecht, das alle Kinder und Jugendlichen umfasst, weils genau zu überprüfen, ob das Kindeswohl erfüllt ist. unabhängig von einer Behinderung – diese Reform ist Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23759

Katja Dörner (A) überfällig, und es ist bitter, dass dieses Vorhaben in den dass die Standards für gefüchtete unbegleitete Jugend- (C) letzten Jahren so gegen die Wand gefahren wurde, dass liche und einheimische Jugendliche in der Jugendhilfe der Gesetzentwurf Inklusion leider nur noch in ganz ho- zukünftig unterschiedlich sind. Das ist aus unserer Sicht möopathischen Dosen enthält. völlig indiskutabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Die Fachverbände laufen Sturm gegen diese Re- Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der gelung, und das zu Recht. Sie wissen das auch. Das Bundestag in der nächsten Wahlperiode die Kraft haben SGB VIII ist schon heute fexibel genug, auch was die wird, sich dieses Themas neu anzunehmen. Versorgung minderjähriger Flüchtlinge angeht. Es gibt überhaupt keinen Grund für eine Öffnungsklausel. Das Im Vergleich zu den ersten Entwürfen – ich nenne sie Kinder- und Jugendhilferecht muss sich am Wohl und an mal so, obwohl wir ja alle wissen, dass es sich zum Teil den Bedarfen des Kindes bzw. des Jugendlichen orien- nur um Powerpoint-Folien gehandelt hat – fehlen noch tieren. Da darf aus unserer Sicht die Herkunft auf keinen einige andere wichtige Aspekte, die wir für eine gute Fall eine Rolle spielen. Weiterentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe für sehr essenziell halten. Einen greifen wir mit einem An- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. trag auf, den wir heute Abend mitberaten. Es geht um die Leistungen für junge Volljährige, für die sogenannten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Care Leaver. sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Wir müssen dringend davon wegkommen, dass mit dem 18. Lebensjahr Schluss ist; denn gerade junge Men- Vizepräsidentin Petra Pau: schen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, brauchen über den 18. Geburtstag hinaus Unterstützung, Das Wort hat die Kollegin Christina Schwarzer für die um im Leben gut zurechtzukommen. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Ausweitung Christina Schwarzer (CDU/CSU): der Leistungen für junge Volljährige bis zum 23. Le- bensjahr in Verbindung mit der Stärkung des Rechtsan- Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen spruchs. Das ist auch ein Auftrag, den uns der aktuelle und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt kaum ein Thema, das so sehr von der Mitarbeit und der (B) Kinder- und Jugendbericht ganz klar mit auf den Weg (D) gibt. Expertise derer abhängt, die tagtäglich an der Basis ar- beiten, wie die Kinder- und Jugendhilfe. Aus eigener Er- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt übrigens fahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit und aus dem auch Aspekte aus den ersten Entwürfen, die wir im Ge- Jugendhilfeausschuss in meiner Heimat Neukölln weiß setzentwurf ausdrücklich nicht vermissen. Damit meine ich: In der Kinder- und Jugendhilfe steckt der Teufel in ich die ursprünglich geplante Aufweichung des individu- aller Regel im Detail. Einfache pauschale Lösungen gibt ellen Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung. Es ist es nicht. Die Arbeit der Praktiker ist von einer großen In- sehr gut, dass das jetzt vom Tisch ist. So sehr wir die dividualität geprägt. Daher brauchen wir bei dieser gro- sozialräumliche Ausgestaltung der Angebote für richtig ßen Reform die umfassende Expertise derer, die täglich und wichtig fnden, so klar halten wir am individuellen mit den Auswirkungen der gesetzlichen Beschlüsse zur Rechtsanspruch fest. Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mir ist es aus diesem Grund ein Herzensanliegen, noch einmal deutlich zu machen: Auch wir teilen die Kri- Es ist völliger Unsinn, hier einen künstlichen Wider- tik vieler Verbände an dem Verfahren, das in der letzten spruch aufzumachen. Ich hoffe, dass uns eine derartige Zeit angewandt worden ist. Es gab viel Kritik; wir alle Diskussion in der nächsten Legislatur erspart bleibt. haben viele Briefe und E-Mails bekommen. Ich glaube, Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf das bisherige Verfahren wird der Arbeit derer, die mit enthält einige Vorschläge, die wir ausdrücklich begrü- Kindern und Jugendlichen arbeiten – um sie geht es ja ßen, beispielsweise den eigenständigen Rechtsanspruch letztendlich –, nicht gerecht. Vor allen Dingen wird es der Kinder und Jugendlichen auf Beratung unabhängig auch den Eltern und Familien mit ihren Bedürfnissen von den Erziehungsberechtigten, die Regelungen zur nicht gerecht. Des Weiteren wird es auch den Fachleuten Heimaufsicht und die Möglichkeit für Familiengerichte, nicht gerecht, die natürlich ein großes Interesse an einer Dauerverbleibensanordnungen erlassen zu können. Weiterentwicklung haben und sich hier umfassend und ernsthaft beteiligen wollen. Diese Beteiligung brauchen Jetzt komme ich aber zu dem ganz großen Aber. Auf wir aber. den allerletzten Drücker wurde eine Öffnungsklausel für die Länder aufgenommen, die faktisch auf eine Zweiklas- Wichtig ist zudem vorab noch eines zu erwähnen: Die senjugendhilfe auf dem Rücken unbegleiteter minderjäh- Fürsorge unserer Kinder und Jugendlichen ist das Recht riger Flüchtlinge hinausläuft. Eine Öffnungsklausel – das und die Pficht der Eltern. So will es im Übrigen unser klingt erst einmal ganz harmlos. Diese Öffnungsklausel Grundgesetz, und so wollen wir es auch. Der Staat hat ist es aber ganz und gar nicht; denn sie kann dazu führen, zuallererst die Aufgabe, sich herauszuhalten. Die zweite 23760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Christina Schwarzer (A) Aufgabe des Staates ist es jedoch, diejenigen Familien zu Das ist nur ein Beispiel. Bei vielen Themen werden (C) unterstützen, die das eben nicht können – aus ganz unter- wir sehr genau hinschauen müssen, was wir im Gesetz- schiedlichen Gründen. Dabei geht es zunächst um Arbeit entwurf vorsehen und welche Auswirkungen das auf ein- in der Familie. An erster Stelle muss unseres Erachtens zelne Punkte in der Praxis haben wird. Deswegen bin ich stehen, Eltern zu befähigen. Dieses Prinzip, das sich aus gespannt auf die Diskussionen, die wir in den nächsten unserem Grundgesetz ableitet, sollten wir im gesamten Wochen dazu führen werden. Wir haben gestern bereits Prozess vor Augen haben. eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema beschlos- sen, und ich denke, wir müssen noch viele Experten dazu Jetzt noch ein paar Worte zu dem eigentlichen Ent- hören. wurf; einiges ist ja schon gesagt worden. Wir werden den Entwurf in den nächsten Wochen natürlich noch einmal Eines ist ja klar: Die Reform des SGB VIII ist auch auf Herz und Nieren prüfen. Ich will jetzt aber, wie Kolle- mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf längst nicht ge Weinberg auch, noch einmal einen Blick auf Artikel 1 abgeschlossen. Vor dieser großen Aufgabe stehen wir § 36a des Gesetzentwurfes werfen. Hier geht es darum, jetzt, und ich wünsche mir natürlich, dass wir das The- die Eltern zu stärken. Unseres Erachtens ist im Entwurf ma auch noch in die nächste Legislaturperiode mitneh- vorgesehen, das Problem falscher Einzelfallentscheidun- men, und zwar in einem geordneten Verfahren und unter gen per Gesetz zu lösen. Viele von uns kennen Fälle – breiterer Beteiligung. Deswegen freue ich mich auf die lieber Marcus Weinberg, du hast einen erwähnt; bei mir Debatte. Ihnen wünsche ich noch einen schönen Abend. in Neukölln waren es andere Fälle –, in denen Kinder Danke. aus Pfegefamilien oder nach einer Heimunterbringung zu früh zurück zu den leiblichen Eltern gegeben worden (Beifall bei der CDU/CSU) sind. Wir wissen dabei nicht genau, welche Auswirkun- gen Fremdunterbringungen auf die Kinder und vor allen Vizepräsidentin Petra Pau: Dingen auch auf ihre Entwicklung haben. Ich schließe die Aussprache. Im Koalitionsvertrag – das ist eben schon zitiert wor- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den – haben wir beschlossen, Änderungen in der Kin- den Drucksachen 18/12330 und 18/12374 an die in der der- und Jugendhilfe auf einer fundierten empirischen Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Grundlage zu vereinbaren. Diese Grundlage ist aktuell Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann noch nicht gegeben. Was wir aber sehr wohl wissen, ist: sind die Überweisungen so beschlossen. Es gibt keine stärkere Bindung als die zwischen Kindern und ihren Eltern. Das sollten wir immer im Hinterkopf Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: behalten. (B) a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (D) (Beifall bei der CDU/CSU) CSU und SPD Der Gesetzentwurf sieht eine Perspektivklärung, also Reformbestrebungen weiter mit Leben fül- die Einschätzung, ob eine Leistung auf Dauer oder nur len – Leistung, Transparenz, Fairness und kurz- oder mittelfristig erfolgt, zu Beginn einer stationä- Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen ren Unterbringung vor. Hier muss deutlich betont wer- Spitzensportförderung stellen den: „Stationäre Unterbringung“ bedeutet Unterbringung Drucksache 18/12362 in einer Pfegefamilie oder eben auch in einem Heim. Diese frühe Entscheidung nimmt die Möglichkeit einer Überweisungsvorschlag: umfassenden Einzelfallbetrachtung. Gerade diese ist aber Sportausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im sensiblen Zusammenspiel von Kindern, leiblichen El- Ausschuss für Wirtschaft und Energie tern und pfegerischer Unterbringung sehr wichtig, und Ausschuss für Arbeit und Soziales hier gibt es einfach keinen Musterfall. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist: Bei einem Ausschuss für Gesundheit Großteil der Fälle, in denen Kinder in Pfegefamilien Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung oder Heimen untergebracht werden, haben die leiblichen Haushaltsausschuss Eltern selbst um Hilfe gebeten. Sie sind überfordert und suchen nach Unterstützung, um – meist langfristig na- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan türlich – wieder ein stabiles Familienleben aufzubauen. Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Ab- Sie müssen sich darauf verlassen können, diese Unter- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE stützung zu erhalten. GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athle- Wenn die Eltern Angst haben müssen, ihre Kinder zu tinnen und Athleten verankern verlieren, weil sie sich kurz- oder mittelfristig nicht in der Lage sehen, sich ausreichend um sie zu kümmern, Drucksache 18/10981 werden sie vermutlich nicht mehr um Hilfe bitten. Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Verteidigungsausschuss Richtig!) Haushaltsausschuss Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23761

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“. Der (C) werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1) Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11785, den Antrag der Fraktion Bünd- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7655 abzuleh- den Drucksachen 18/12362 und 18/10981 an die in der nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrakti- sind die Überweisungen so beschlossen. onen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- men. ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: setzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- von Samen richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Drucksache 18/11291 gie (9. Ausschuss) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des ses für Gesundheit (14. Ausschuss) Europäischen Parlaments und des Ra- tes über die Durchsetzung der Richtli- Drucksache 18/12422 nie 2006/123/EG über Dienstleistungen ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- im Binnenmarkt, zur Festlegung eines richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Notifzierungsverfahrens für dienstleis- cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der tungsbezogene Genehmigungsregelungen Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise und Anforderungen sowie zur Änderung Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- der Richtlinie 2006/123/EG und der Ver- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende des Binnenmarkt-Informationssystems und das Recht auf Kenntnis eigener Abstam- KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 mung Drucksachen 18/7655, 18/11785 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates (B) (D) Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sehe, Sie sind auch damit einverstanden.2) vor Erlass neuer Berufsreglementierungen Zusatzpunkt 9. Wir kommen zur Abstimmung über KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des entwurf zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Ab- Europäischen Parlaments und des Ra- stammung bei heterologer Verwendung von Samen. Der tes über den rechtlichen und operativen Ausschuss für Gesundheit empfehlt in seiner Beschluss- Rahmen für die durch die Verordnung ... empfehlung auf Drucksache 18/12422, den Gesetzent- [ESC Regulation] eingeführte Elektro- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11291 in nische Europäische Dienstleistungskarte der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in Europäischen Parlaments und des Rates zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- zur Einführung einer Elektronischen Eu- nen bei Enthaltung der Opposition angenommen. ropäischen Dienstleistungskarte und ent- Dritte Beratung sprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und des Grundgesetzes der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin- ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426 Zusatzpunkt 10. Abstimmung über die Beschlussemp- Die Stellungnahme bezieht sich auf mehrere Vorschlä- fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ge für Richtlinien und eine Verordnung des Europäischen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Parlaments und des Rates betreffend EU-Regelungen dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ein Notifzie- rungsverfahren, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor 1) Anlage 19 Erlass neuer Berufsreglementierungen sowie die Elek­ 2) Anlage 20 tronische Europäische Dienstleistungskarte. 23762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (C) sind offensichtlich damit einverstanden.1) Schluss unserer Tagesordnung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Wirtschaft und Energie empfehlt in seiner Beschluss- tages auf heute, Freitag, den 19. Mai 2017, 9 Uhr, ein. empfehlung auf Drucksache 18/12426, in Kenntnis der auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A.8 bis A.11 Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen und genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß im Übrigen auch allen sicht- und unsichtbaren Mitarbei- Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer terinnen und Mitarbeitern, die uns hier unterstützt haben, stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt alles Gute bis dahin. dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- lung ist einstimmig angenommen. (Beifall)

1) Anlage 21 (Schluss: 0.25 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23763

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Ich stimme der Aufhebung des Fütterungsverbots von tierischen Fetten an Wiederkäuer nicht zu. Liste der entschuldigten Abgeordneten Wiederkäuer nehmen von Natur aus nach dem Ende des Säugens am Muttertier kein tierisches Fett auf. Zie- gen, Schafe oder Rinder fressen in freier Weidehaltung entschuldigt bis niemals tierische Lebewesen, weder lebende Tiere noch Abgeordnete(r) einschließlich Aas. Die Verfütterung von tierischen Fetten an Wieder- käuer als Mehl oder in Flüssigkeiten ist deren Verdau- Albsteiger, Katrin CDU/CSU 18.05.2017 ungstrakt artfremd.

Bluhm, Heidrun DIE LINKE 18.05.2017 In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausge- führt, dass die BSE-Fälle mittlerweile deutlich zurück- Färber, Hermann CDU/CSU 18.05.2017 gegangen sind. Die Bundesregierung folgert daraus, dass die Verunreinigung von Wiederkäuergewebe mit infek- tiösem Nervengewebe „unwahrscheinlich“ ist. Mehr Fischbach, Ingrid CDU/CSU 18.05.2017 Wahrscheinlichkeit hat nach meiner Meinung jedoch die Wirkung des Fütterungsverbots seit dem Jahr 2000. Des- Gabriel, Sigmar SPD 18.05.2017 halb sollte es aufrechterhalten bleiben. Gröhe, Hermann CDU/CSU 18.05.2017

Klare, Arno SPD 18.05.2017 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO Launert, Dr. Silke CDU/CSU 18.05.2017 der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Lotze, Hiltrud SPD 18.05.2017 Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Maizière, Dr. Thomas CDU/CSU 18.05.2017 Hajduk, Dieter Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem de Özdemir, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel (B) Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel, (D) Möhring, Cornelia DIE LINKE 18.05.2017 Doris Wagner und Dr. Valerie Wilms (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- Nahles, Andrea SPD 18.05.2017 stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- Obermeier, Julia CDU/CSU 18.05.2017 desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- Roth (Heringen), SPD 18.05.2017 ropäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Michael Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) Schlecht, Michael DIE LINKE 18.05.2017 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrich- tung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an Strenz, Karin CDU/CSU 18.05.2017 unterstützt. Die Mission hat die Eindämmung der Fol- gen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 18.05.2017 in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen DIE GRÜNEN des Welternährungsprogramms. Unsere Unterstützung geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Wunderlich, Jörn DIE LINKE 18.05.2017 Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie liegen in der andauernden Krise des soma- lischen Staats. Anlage 2 Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um Erklärung nach § 31 GO die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, und zwar in einem zwei Kilometer in das Landesinnere reichenden der Abgeordneten Josef Göppel, Jens Koeppen und Küstenstreifen, hat den Charakter der Mission verändert. Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu Viele Expertinnen und Experten warnten damals davor, der Abstimmung über den von den Fraktionen der dass Operationen an Land zur Eskalation des Konfikts CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher Kämpfe verwickeln könnte – zum Schaden ihres eigentli- und tierschutzrechtlicher Vorschriften (Tagesord- chen Ziels. Aus diesem Grund hat sich die grüne Bundes- nungspunkt 12) tagsfraktion bei den Abstimmungen zu diesem Mandat in 23764 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) den vergangenen Jahren mit großer Mehrheit enthalten. Experten warnten damals davor, dass Operationen an (C) In den vergangenen fünf Jahren hat Atalanta lediglich Land zur Eskalation des Konfikts in Somalia beitragen einmal an Land operiert. Das Eskalationsrisiko bei einem und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln erneuten Einsatz dieser Art besteht aber weiter. könnte – zum Schaden ihres eigentlichen Ziels. Dies hat dazu geführt, dass sich die Grüne Bundestagsfraktion Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische bei dieser Abstimmung in den letzten Jahren mit großer Lage in Somalia in den vergangenen beiden Jahren ver- Mehrheit enthalten hat. In den letzten fünf Jahren hat ändert. Aufgrund der anhaltenden Dürren hat sich die Atalanta lediglich einmal an Land operiert, das Eskala- Abhängigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen tionsrisiko bei einem erneuten Einsatz dieser Art aber deutlich verstärkt. Die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter besteht weiter. durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Schutzbedarf. Nach Jahren eines Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische steten Rückgangs der Piraterieaktivität ist diese in den Lage in Somalia in den letzten beiden Jahren verändert. vergangenen Monaten – auch aufgrund der reduzierten Durch anhaltende Dürren hat sich die Abhängigkeit der Präsenz von Atalanta und anderen Anti-Piraterie-Missio- Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich verstärkt, die nen – wieder leicht gestiegen. Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische Schutzbedarf. Nach Jahren eines steten Rückgangs der Regierung gewählt. Die somalische Bevölkerung und Piraterieaktivität ist diese in den letzten Monaten – auch die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große aufgrund der reduzierten Präsenz von Atalanta und an- Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren deren Anti-Piraterie-Missionen – wieder leicht gestiegen. und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung des Landes und damit auch zur Eindämmung der Pirate­ Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische rieursachen beitragen könnte. Bis sie die Chance hat, ihr Regierung gewählt. Die somalische Bevölkerung und Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr. Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den des Landes und damit auch zur Eindämmung der Pirate­ schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen rieursachen beitragen könnte. Bis sie eine Chance hat, ihr Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr. der neuen somalischen Regierung. Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den (B) wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Ent- schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen (D) scheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen. Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm der neuen somalischen Regierung. Angesichts der bisher Anlage 4 sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Ent- Erklärung nach § 31 GO scheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen. des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND- Wir stimmen deshalb diesem Einsatz zu. NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- Anlage 5 desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- Zu Protokoll gegebene Reden ropäische Union geführten EU NAVFOR Somalia zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Ab- vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebens- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrich- mittelretterinnen und Lebensmittelretter entkri- tung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an minalisieren (Tagesordnungspunkt 21) unterstützt. Die Mission hat die Eindämmung der Fol- gen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, Kordula Kovac (CDU/CSU): Erst vor zwei Tagen, in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen am 16. Mai 2017, wurde der Tag des Deutschen Brotes des Welternährungsprogramms. Unsere Unterstützung gefeiert. Und wir haben ja auch allen Grund zu feiern: geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Nirgendwo sonst gibt es eine so große Brotvielfalt wie Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für in Deutschland. Mehr als 300 Brotsorten bieten die Bä- die Piraterie liegen in der andauernden Krise des soma- ckerinnen und Bäcker in Deutschland an. Und deutsches lischen Staats. Brot ist beliebt: Bei über 90 Prozent der deutschen Haus- halte kommt Brot täglich auf den Tisch. Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, in einem Aber es gibt auch weniger schöne Fakten, die so gar 2 km in Landesinnere reichenden Küstenstreifen, hat den nicht zum Feiern anregen: Rund 15 Prozent von Brot und Charakter der Mission verändert. Viele Expertinnen und Backwaren in Privathaushalten wandern in den Müll. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23765

(A) Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das uns men sollte, dass die kostenfreie Abgabe von genießba- (C) alle angeht, denn die Dimensionen der Verschwendung ren, aber aus dem Verkauf genommenen Lebensmitteln sind riesig: Weltweit gehen nach Angaben des WWF ent- zwischen Lebensmittelhandel und den gemeinnützigen lang der globalen Wertschöpfungskette bis einschließ- Vereinen wie den Tafeln verbessert wird. lich des Verbrauchers mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel verloren. Industrie, Handel, Großver- Was jedoch für die Union nicht tragbar ist, ist die braucher und Privathaushalte werfen laut einer vom Entkriminalisierung von sogenanntem „Containern“, BMEL geförderten Studie der Universität Stuttgart in also dem Entwenden weggeworfener Lebensmittel aus Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel Mülltonnen auf dem Grundstück von Lebensmittelläden. in den Müll. Allein deutsche Privathaushalte schmeißen Wenn widerrechtlich das Gelände betreten wird, ist dies pro Kopf und Jahr 81,6 Kilogramm Lebensmittel weg. eine Straftat – egal wo und aus welchen Gründen dies geschieht. Bei 793 Millionen unterernährten Menschen auf der Welt ist dieses Ausmaß der Verschwendung beschämend. Zwar würde durch die Deklaration von Lebensmitteln Die Linke greift mit dem vorliegenden Antrag daher als herrenlose Sache der Straftatbestand des Diebstahls ein wichtiges Thema auf. Aber sie verzerren auch die ausgeschlossen, aber ob man es wirklich als Gesetzgeber Wirklichkeit. Sie suggerieren eine einfache Problemlö- verantworten möchte, dass das Klettern in Mülltonnen sung, die in Wahrheit keine Ursachenbekämpfung ist. unser Gesellschaftsbild prägt, möchte ich doch mal an dieser Stelle kritisch hinterfragen. Der Antrag selbst führt aus: „Ein Viertel der vermeid- baren Nahrungsmittelverluste fallen im Lebensmittel- Kurzum: Da der Antrag der Fraktion Die Linke zwar handel an.“ Ein Viertel! ein wichtiges Thema aufgreift, aber die falschen Mit- tel wählt, um das Ziel zu erreichen, bitte ich Sie, meine Das größte Einsparpotenzial zur Vermeidung von Le- Damen und Herren, gegen den vorliegenden Antrag zu bensmittelverschwendung liegt aber – zumindest in den stimmen. Industrienationen – bei uns selbst, beim Verbraucher. In unserer Wohlstandsgesellschaft ist bei vielen das Be- wusstsein für den Wert von Lebensmitteln verloren ge- Katharina Landgraf (CDU/CSU): Zuerst eine gangen. Anstatt Reste zu verwerten, wird Neues gekauft. grundsätzliche Anmerkung: Was wir hier heute Abend Brot ist hier nur ein Beispiel unter vielen. diskutieren, liegt in erster Linie in der Zuständigkeit der Rechtspolitiker. Die sehen es ganz sicher nicht gerne, Bevor wir darüber diskutieren, ob und wie weggewor- wenn wir Landwirtschaftspolitiker uns ins Strafrecht ein- fene Lebensmittel gerettet werden könnten, sollten wir mischen. Ihr Ansinnen, liebe Kolleginnen und Kollegen (B) darüber sprechen, wie wir verhindern können, dass Le- (D) der Linksfraktion, den Handel per Gesetz zu verpfichten, bensmittel überhaupt erst in der Tonne anstatt auf dem seine Waren zu verschenken, wenn er diese nicht mehr Teller landen. verkaufen kann, ist schlicht absurd. Noch absurder ist die Mit der Informationskampagne „Zu gut für die Ton- Idee, die Unternehmen auch noch zu bestrafen, wenn sie ne“ setzt das BMEL den richtigen Hebel an: Durch Auf- dieser Anordnung nicht Folge leisten. Wir können doch klärung sowohl über das erschreckende Ausmaß der nicht in das Eigentumsrecht und die wirtschaftliche Ei- Lebensmittelverschwendung als auch Informationen genverantwortung der Händler derartig eingreifen. Das und verbraucherfreundliche Hilfsmittel wie etwa Han- möchte ich auch gar nicht. dy-Apps zur Restevermeidung bzw. -verwertung wird jedem einzelnen von uns beinahe mundgerecht serviert, Mir geht es vielmehr darum, das Gesamtproblem der wie bewusster Umgang mit Nahrungsmitteln aussehen Lebensmittelverschwendung anzupacken. Der Schwer- kann. punkt sollte dabei meines Erachtens auf der Vermeidung der Verschwendung liegen. Dann müssen wir uns gar nicht Das Deprimierende ist doch, dass aber nicht nur man- erst mit dem Problem der Strafbarkeit von sogenannten gelndes Wissen oder Bereitschaft Ursache für Lebensmit- Lebensmittelrettern beschäftigen. Der EU-Rechnungshof telverschwendung ist, sondern oftmals auch schlicht die merkt zu Recht an, dass Lebensmittelverschwendung ein Ästhetik. Wir werfen nicht in erster Linie tatsächlich Ver- Problem entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist. dorbenes weg, sondern Produkte, die uns nicht mehr gut Deshalb sollte ein Vorgehen auf die ganze Kette ausge- und appetitlich genug erscheinen. Das betrifft vor allem richtet sein und potenzielle Vorteile für alle Beteiligten Obst und Gemüse: welken Salat, schrumpelige Möhren bieten. oder Äpfel mit Druckstellen. Hier ist der Verbraucher ge- nauso in der Verantwortung wie der Lebensmittelhandel. Unstrittig ist jedoch, dass in vielen Bereichen das be- Auch das leidige Thema des Mindesthaltbarkeitsda- stehende Potenzial zur Bekämpfung von Lebensmittel- tums spielt hier eine Rolle. Oftmals werden vor allem verschwendung noch nicht voll ausgeschöpft wird. Da- Milchprodukte ungeöffnet entsorgt, nur weil das Datum her wird derzeit in der EU-Kommission an einer Leitlinie überschritten wurde. Gesunder Menschenverstand bzw. für Lebensmittelspenden gearbeitet. Dies ist nötig, da eine gute Nase sollten hier aber eher der „Riecher“ sein. momentan im Zusammenhang mit Lebensmittelspenden noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind. Nichtsdestotrotz stimme ich mit dem Antrag in dem Unter anderem müssen die unterschiedlichen Auslegun- Punkt überein, dass die Politik mehr Verantwortung für gen von Rechtsvorschriften vereinheitlicht werden, um die Gestaltung der Rahmenbedingungen dafür überneh- das Spenden von Lebensmitteln zu erleichtern. 23766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Auch in Deutschland bestehen noch viele Unsi- viele noch essbare Lebensmittel im Müll landen. Und (C) cherheiten bei Spendern wie bei Nehmern, obwohl das zwar nicht nur im Hausmüll, sondern auch im Müll in BMEL bereits 2012 einen „Leitfaden für die Weitergabe der Gastronomie, im Handel, in der Industrie und in der von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen – Rechtli- Landwirtschaft. Allein – die bisherigen Maßnahmen ha- che Aspekte“ veröffentlicht hat. Eine Klarstellung und ben ganz offensichtlich noch nicht zu einer Änderung der Vereinfachung bestehender Rechtsvorschriften durch die Situation geführt. EU könnte hier zu einer höheren Spendenbereitschaft führen. Wobei man aber auch sagen muss, dass bereits Der Europäische Rechnungshof hat der Kommission jetzt schon ein großer Teil beispielsweise an die Tafeln kürzlich bescheinigt, viel zu unambitioniert gegen Le- abgegeben wird. Ich hatte erst kürzlich ein Gespräch mit bensmittelverschwendung vorzugehen. Mitarbeitern der Tafeln aus Sachsen und Brandenburg, Der Bundesrechnungshof hat dem hiesigen Ernäh- und dort wurde deutlich, dass die Spendenbereitschaft rungsministerium ebenfalls bescheinigt, eine ziemlich der Supermärkte sehr hoch ist und es manchmal gar nicht wirkungslose und dazu schlecht geplante Kampagne ge- möglich ist, alle Spenden rechtzeitig abzuholen. Das liegt fahren zu haben. aber auch an einem anderen Problem: Oft fndet sich kein Fahrer, der bereit ist, für das Fahrzeug die Verantwor- Wir haben in Deutschland zahlreiche tolle Initiativen, tung zu übernehmen. Solche Aufgaben können meines die versuchen, im Kleinen etwas zu verändern, und die Erachtens nicht von Ehrenamtlichen übernommen wer- dazu beitragen, das Thema in der Öffentlichkeit und in den. Hier müssen wir überlegen, wie den Tafeln geholfen unserer aller Köpfe zu verankern. werden kann, dieses Problem zu lösen. Damit packen wir Wir haben auch inzwischen eine Plattform, gefördert das Thema an einer richtigen Stelle an, und es könnten von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die der Wirt- noch mehr Lebensmittel „gerettet“ werden und armen schaft Analysen und Instrumente zur Verfügung stellt, Menschen zugutekommen, als dies bei den sogenannten Lebensmittelverluste zu reduzieren. Lebensmittelrettern der Fall ist. Nicht zu vergessen die wichtige Arbeit, die Verbrau- Die einzige Möglichkeit für die „Lebensmittelretter“ cherzentralen und Universitäten wie Münster oder Wit- besteht darin, die Supermärkte oder Betriebe ganz off- ten/Herdecke bei dem Thema leisten. ziell anzufragen, ob sie die Container nach brauchbaren Lebensmitteln durchsuchen dürfen. Frei nach dem Motto Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrakti- „Fragen kostet ja nichts“. Vielleicht gibt es auch mehr on, ich bin sehr wohl bei Ihnen und Ihrer Forderung, Le- positive Antworten, als man im ersten Moment vermu- bensmittelretterinnen und -retter zu entkriminalisieren. tet. Wenn nicht, muss das Verbot des sogenannten „Con­ Ich halte auch viel davon, den Handel zu verpfichten, (B) tainerns“ auf jeden Fall beachtet werden. Ich möchte aus dem Verkauf genommene Waren kostenlos an ge- (D) noch einmal ganz klar sagen, dass kriminelle Handlun- meinnützige Organisationen abgeben zu müssen. Aber: gen mit welchem Ziel auch immer nicht geduldet werden Das allein reicht nicht. Es wird auch nicht dazu führen, können. In diesem Fall heiligt der Zweck nämlich nicht dass sich überall in der Wertschöpfungskette etwas än- die Mittel. dert. Denn auch in der Gastronomie wird viel weggewor- fen. In der Landwirtschaft bleibt viel essbares Gemüse einfach auf dem Acker liegen. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Bis 2030 müssen wir die Lebensmittelverschwendung um die Hälfte reduziert Wenn wir daran etwas ändern wollen, brauchen wir haben. Zumindest, wenn wir die Nachhaltigkeitsziele der eine umfassende Strategie, ich glaube sogar, wir brau- Vereinten Nationen ernst nehmen, und ich hoffe doch chen ein Gesetz, das alle Akteure adressiert, das end- sehr, dass wir das allesamt tun. Bis 2030 sind es noch lich für eine ausreichende Datenlage sorgt, verbindliche zwölfeinhalb Jahre. Klingt lang, ist es aber nicht. Es ist Zielmarken für die einzelnen Branchen festlegt und das also allerhöchste Zeit, dass wir endlich aus dem Knick sicherstellt, dass diese Branchen bei der Umsetzung un- kommen. terstützt werden. Wir reden, debattieren und berichten nun schon viele Es reicht mir nicht, nur darüber zu reden, wie noch Jahre über das Thema. essbare Lebensmittel nach Feierabend des Supermark- tes vor der Entsorgung bewahrt werden. Ja, Lebensmit- 2012 haben wir hier im Bundestag gemeinsam einen telspenden zu erleichtern, ist ein wichtiger Punkt. Aber fraktionsübergreifenden Antrag verabschiedet, der unter wenn wir Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion anderem Zielmarken für die Reduktion der Lebensmittel- nachhaltiger machen wollen, wenn wir dafür sorgen verluste in den einzelnen Branchen vorsah. wollen, dass weniger Ressourcen verschwendet werden, 2015 haben wir das seitens der Koalitionsfraktionen dann müssen wir uns vor allem um die Schnittstellen in nochmals bestätigt. der Lebensmittelkette kümmern. Ein erheblicher Teil der Verluste entsteht nämlich durch optische Anforderungen, Das Europäische Parlament hat gerade erst vorgestern Vertragsklauseln oder bestimmte Unternehmensprakti- die Kommission aufgefordert, etwas gegen Lebensmit- ken. telverschwendung zu unternehmen. Keiner verschwendet gern oder gezielt Lebensmittel. Positiv gesprochen zeigt das: Im Prinzip sind wir Aber offensichtlich braucht es eine übergreifende gesell- uns einig, dass etwas passieren muss. Dass es so nicht schaftliche und politische Anstrengung, den Status quo weitergehen kann. Dass es nicht akzeptabel ist, dass so zu ändern. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23767

(A) Das, was das Bundesernährungsministerium bisher telretterinnen und -retter machen damit auf die maßlose (C) unternommen hat, reicht nicht. Ich bedaure, dass der Mi- Verschwendung und systematische Überproduktion von nister es nicht geschafft hat, die Lebensmittelwirtschaft Lebensmitteln aufmerksam. Das Problem des kapita- wirklich effektiv in die Pficht zu nehmen oder für eine listischen Systems ist: Je mehr Lebensmittel kostenlos bessere Datengrundlage zu sorgen. gerettet werden, desto weniger werden beim Discounter gekauft. Auch deshalb ist Containern unerwünscht. Viele Für meine Fraktion kann ich nur noch einmal beto- Supermärkte reagieren darauf mit Strafanzeigen wegen nen: Wir wollen eine nationale umfassende Strategie ge- Hausfriedensbruch und Diebstahl. gen Lebensmittelverschwendung mit Zielmarken für die Wirtschaft. In Deutschland dürfen Unternehmer also straffrei und bedenkenlos gute Lebensmittel wegwerfen, während Anders werden wir das Ziel, 50 Prozent weniger zu Containern strafbar ist. Das ist absurd. verschwenden, bis 2030 ganz sicher nicht erreichen. 2012 verurteilte beispielsweise ein Gericht in Düren Karin Binder (DIE LINKE): In Deutschland landen zwei Personen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl pro Jahr über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel auf zu hohen Geldstrafen, nachdem sie Lebensmittel aus dem Müll. Supermärkte sortieren Lebensmittel mit Ab- Containern eines Supermarktes genommen hatten. Der lauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aus, obwohl diese Grund: Abfall ist so lange Eigentum der Supermärkte, meist deutlich länger genießbar sind. Manche Händler bis er von der Müllabfuhr abgeholt wurde. weisen ganze Lkw-Ladungen frischer Lebensmittel ab, weil die Lieferung nicht pünktlich kam. Wenn im Netz Die Linke fordert deshalb die Umkehr der Rechtslage. mit Orangen eine zerdrückt ist, landet die ganze Packung Lebensmittelabfälle sollen, wie in anderen europäischen auf dem Müll. Am häufgsten wird gutes und genießbares Ländern auch, als „herrenlose Sache“ gelten. Obst, Gemüse und Brot weggeworfen. Zum Anbau die- Der Handel muss, wie zum Beispiel wie in Frankreich ser Menge an Lebensmitteln werden ungefähr 2,6 Milli- und Italien, gesetzlich verpfichtet werden, genießbare onen Hektar Nutzfäche benötigt. Das entspricht der Flä- Lebensmittel, die aus dem Verkauf genommen werden, che Mecklenburg-Vorpommerns. Auch all die anderen kostenfrei an interessierte Menschen, Mitarbeiterin- zur Bewirtschaftung benötigten Ressourcen wie Arbeits- nen und Mitarbeiter oder gemeinnützige Einrichtungen kraft, Wasser, Dünger und Pfanzenschutzmittel werden weiterzugeben. Die Zuwiderhandlung der Märkte muss verschwendet. ordnungsrechtlich geahndet und bestraft werden, damit Aber die Vernichtung von Lebensmitteln ist für die sich für Aldi, Lidl, Rewe und Edeka die Vernichtung von Wirtschaft proftabel. Das Retten entsorgter Lebensmittel Essen nicht mehr lohnt. (B) (D) hingegen ist strafbar. Das ist für die Linke nicht hinnehmbar. Das wollen Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir ändern. Seit Jahren diskutieren wir hier regelmäßig im Plenum über das massive Umweltproblem der Lebensmittelver- Über die Hälfte der Lebensmittelverluste könnten wir schwendung. sofort und ohne zusätzlichen Aufwand vermeiden. Das belegt die Studie „Das große Wegschmeißen” der Natur- Beileibe nicht, weil die Bundesregierung so aktiv schutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). wäre, diese zu bekämpfen – das wäre wünschenswert –, Dazu müssten wir in der globalen Erzeugungskette aber sondern weil die Opposition es immer und immer wieder sorgfältiger mit den Waren umgehen und gleichzeitig re- auf die Tagesordnung setzt. Schon alleine deshalb ist An- gionale Vermarktung und nachhaltigen Konsum stärken. trag der Linken zu begrüßen. Die Kolleginnen und Kolle- gen der Linken haben sich wenigstens Gedanken darüber Für 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung ist gemacht, wie man Essensretter entkriminalisieren und die Wirtschaft verantwortlich. Ein Viertel der vermeid- Lebensmittelmüll reduzieren kann. baren Nahrungsmittelverluste fallen allein im Lebens- mittelhandel an. Um Personalkosten zu sparen, wird bei Diese Vorschläge setzen erst am Ende der Wertschöp- Discountern und Supermarktketten genießbares Essen fungskette an. Ich fnde, man muss früher ran an das Pro- weggeworfen. Auch aus Marketinggründen wird Essen blem. Bekämpft werden müssen die Ursachen von Le- vernichtet. Alles soll bis kurz vor Ladenschluss verfüg- bensmittelmüll. bar sein und immer frisch aussehen. Unsere Vorschläge und Forderungen dazu – allen vo- Der Wirtschafts- und Sozialausschuss im Europapar- ran die Vereinbarung auf branchenspezifsche Reduk- lament stellte dazu fest: In den EU-Mitgliedstaaten ist es tionsziele – liegen auf dem Tisch. Und das seit inzwi- für den Handel proftabler, überschüssige Lebensmittel schen über fünf Jahren. 2012 haben wir dazu schon einen zu entsorgen als zu spenden. Wegwerfen ist also billiger Antrag in den Bundestag eingebracht. Selbst Union und als der achtsame Umgang mit Essen. SPD haben das mit gefordert. Doch passiert ist seitdem viel zu wenig. Dieses Prinzip wird von Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelrettern durch das „Containern“ gestört. Es ist ja kein Geheimnis, dass Minister Schmidt kein Beim Containern geht es um das Retten und Herausf- Aktivposten dieser Bundesregierung ist. Sein Credo der schen weggeworfener, noch genießbarer Lebensmittel „verbindlichen Freiwilligkeit“ hat eine gewisse traurige aus den Müllcontainern der Supermärkte. Lebensmit- Bekanntheit erlangt. 23768 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Der Minister fällt also vor allem durch Nichtstun auf – Anlage 6 (C) und durch regelmäßige Presseankündigungen in nach- richtenarmen Zeiten, die dann leider folgenlos bleiben. Zu Protokoll gegebene Reden So zum Beispiel bezüglich der Abschaffung des Min- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- desthaltbarkeitsdatums. Das hat er mehrfach angekün- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung digt, wobei er sich nicht so ganz sicher war, ob er es nun der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Aus- abschaffen oder verlängern oder doch lieber einen neuen führung der EU-Geldtransferverordnung und zur Begriff einführen will. Da war er nicht ganz konsistent in Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztrans- seinen Interviews. Aber ohnehin hat er dabei immer nur aktionsuntersuchungen (Tagesordnungspunkt 22) bequem an Brüssel verwiesen; die sollten aktiv werden, nicht er. Margaret Horb (CDU/CSU): Dass Geldwäsche nur Pressewirksam hat er auch behauptet, 10 Millionen wenig mit Seifenlauge und Waschmaschinen zu tun hat, Euro für die Entwicklung intelligenter Verpackungen wohl aber in einem Waschsalon stattfnden kann, wissen auszugeben. Später musste sein Haus dann kleinlaut wir von Al Capone. Es ist bekannt, dass der Unterwelt- zugeben, dass zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal eine boss die Einnahmen seiner Waschsalons mit Geldern aus Ausschreibung für ein solches Forschungsprojekt exis- illegalen Geschäften aufbesserte und diese Einkünfte tierte und auch nicht geplant war, die ganzen 10 Millio- somit zu „sauberem“ Geld machte. Dies war durch den nen nur für diesen Zweck auszugeben. Münzbetrieb der Waschmaschinen problemlos möglich. Und es war auch nicht gelogen, wenn er behauptete: „Ich Aber was hat der Minister tatsächlich gemacht? bin im Wäscherei-Business tätig.“ Damals ein durchaus Er hat die von seiner Vorgängerin Aigner gestartete kreativer Ansatz. Kampagne „Zu gut für die Tonne“ weiter fortgeführt. Er Heutzutage gibt es durch den technischen Fortschritt behauptet, mit Erfolg. Diese Einschätzung teile ich nicht. nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, illegale Gelder in Genauso wenig wie der Bundesrechnungshof, der die den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Mit Kampagne als „unzureichend vorbereitet“ und den „Er- dem vorliegenden Gesetz zur nationalen Umsetzung der folg (als) nicht nachweisbar“ bezeichnet. Denn belegen Vierten EU-Geldwäscherichtlinie beabsichtigen wir, ge- kann Minister Schmidt nicht, inwiefern seine Postkarten nau das zu erschweren, ja zu verhindern. und Apps tatsächlich dazu führen, dass es in Deutschland weniger Lebensmittelverschwendung gibt. Die wohl entscheidendste Stärkung der Geldwäsche­ Und was hat er nicht gemacht? bekämpfung wird mit der Neuausrichtung der Zentral- stelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, der so- (B) (D) Nicht umgesetzt hat er jegliche Forderungen des Par- genannten Financial Intelligence Unit (FIU), erfolgen. laments. Er ignoriert die klaren und konkreten Forde- Diese Spezialeinheit wird fachlich und organisatorisch rungen, die wir hier fraktionsübergreifend bereits 2012 neu ausgerichtet und sowohl technisch als auch personell beschlossen haben und die zu Beginn dieser Legislatur- besser ausgestattet. Statt bislang 25 Mitarbeiter – vorran- periode noch einmal unter anderem von den Abgeord- gig Polizisten – werden künftig 165 Fachleute aus un- neten seiner eigenen Fraktion bekräftigt wurden. Allen terschiedlichsten Bereichen dieser Einheit angehören. voran brauchen wir endlich branchenspezifsche Reduk- Die FIU wird bei der Generalzolldirektion angegliedert tionsziele. Gemeinsam mit allen Akteuren entlang der sein – eine sinnvolle Bündelung, da der Zoll bereits Wertschöpfungskette wie Handel, Industrie und Gastro- durch seinen originären Arbeits- und Geschäftsbereich nomie muss festlegt werden, wie viele Verluste bis wann über entsprechende Spezialkenntnisse verfügt. reduziert werden. Angekündigt hat Minister Schmidt auch das bereits seit 2015. Passiert ist nichts. Neben Polizisten und Beschäftigten der Zollverwal- tung werden jedoch auch Unternehmer, Steuer- und Weitere Ankündigungen: Die Kampagne „Zu gut für Finanzbeamte, Bankangestellte, Wirtschaftsprüfer, die Tonne“ sollte ausgeweitet werden zu einer echten Steuerberater, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfas- Strategie gegen Lebensmittelverwendung. Für alle Stu- sungsschutz und des Bundeskartellamtes sowie Beschäf- fen der Wertschöpfungskette sollten die fehlenden Daten tigte aus Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen zu Ausmaß und Gründen der Lebensmittelverluste ermit- ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Finanzana- telt werden. Für die Erzeugung, aber auch etwa für Dis- lytische, steuerliche und kriminalistische, aber auch wirt- counter gibt es noch immer keine verlässlichen Zahlen. schaftliche und juristische Perspektiven werden gebün- Die lässt der Minister völlig aus dem Blick. delt und in die Sachverhaltsbewertung einbezogen. Doch diese sind absolut notwendig, um sinnvolle Stra- Ein strukturiertes und zielorientiertes Vorgehen ge- tegien und konkrete Reduktionsziele zu erarbeiten. So- gen die international organisierte Kriminalität soll durch wohl die EU-Kommission, das Europaparlament als auch die drei Hauptaufgabenbereiche der Zentralstelle für Fi- die Vereinten Nationen in den SDGs haben konkrete Mi- nanztransaktionsuntersuchungen gewährleistet werden: nimierungsziele beschlossen. Diese Bundesregierung hinkt in ihren Bemühungen hinterher. Erstens. Filtern von Verdachtsmeldungen: Eingehende Meldungen mit Verdacht auf Geldwäsche oder Terroris- Mein Fazit daher: Minister Schmidts Regierungszeit musfnanzierung werden von den Spezialisten risikoba- waren vier verlorene Jahre für den Kampf gegen Lebens- siert analysiert, aufbereitet und an Polizei und Staatsan- mittelverschwendung. waltschaft vor Ort weitergeleitet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23769

(A) Zweitens. Information und Prävention: Die FIU wird Seit der ersten Lesung im März erreichten uns zahl- (C) Unternehmen, Verbände und Behörden über neue Arten reiche Änderungsanträge. Als einen Punkt nehmen wir der Geldwäsche informieren und schulen. Sie koordiniert nun Veranstalter und Vermittler von Lotterien aus, die und stellt somit sicher, dass das Geldwäschegesetz in al- nicht im Internet veranstaltet werden und eine staatli- len Bundesländern mit gleicher Wirkung umgesetzt wird. che Erlaubnis haben. Außerdem berücksichtigen wir die Schweigepficht gegenüber der Financial Intelligence Drittens. Daten- und Informationsaustausch auf natio- Unit (FIU) bei allen Berufen, die einer Schweigepficht naler und internationaler Ebene: Geldwäsche kennt keine unterliegen. Bislang trägt die Ausnahme bzw. Rückaus- Landesgrenzen – weder innerhalb Deutschlands noch in nahme im GwG-Entwurf nur der Verschwiegenheits- Europa. Geldwäsche agiert global. pficht von Berufsgeheimnisträgern Rechnung, soweit diese eine Rechtsberatung vornehmen. Die Änderungen Mit diesem Gesetz wird die Grundlage geschaffen, berücksichtigen nun umfassend alle Tätigkeiten, die ei- dass der Daten- und Informationsaustausch auf nationa- ner Schweigepficht unterliegen, wie zum Beispiel Steu- ler und internationaler Ebene optimiert und intensiviert erberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte. wird. Erstmals werden der deutschen Zentralstelle Daten von Finanz- und Verwaltungsbehörden im automatisier- Wir stellen heute abschließend klar, dass wir die In- ten Abruf zur Verfügung stehen, sodass die Datenbasis teressen von Güterhändlern berücksichtigen und für sie für die Bewertung und Analyse breiter aufgestellt wird. eine Erleichterung geschaffen haben. So gilt die Pficht, Denn erst durch den Austausch und die Aufbereitung der interne Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, nunmehr Daten, wie der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Ge- nur für Güterhändler, die Barzahlungen ab 10 000 Euro werkschaft, Thomas Eigenthaler, zu Recht ausführt, kön- annehmen oder tätigen. Wir stellen außerdem sicher, dass nen die Ermittlungsbehörden effektiv den Schlag gegen Unbefugte keinen Missbrauch mit dem Transparenzre- die Geldwäsche führen. gister betreiben können, zum Beispiel durch die Abfrage der Personalausweisnummer oder der Umsatzsteuer-ID Im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfnan- bei Unternehmen. Auch stellen wir sicher, dass Rechnun- zierung setzen wir von der CDU/CSU-Bundestagsfrakti- gen für Onlinegeschäfte oder Strom weiter in bar an der on auf Transparenz und effektive nationale wie internati- Supermarktkasse bezahlt werden können. onale Zusammenarbeit. Wir setzen aber auch explizit auf Nach intensiver Diskussion und Arbeit bringen wir die Kompetenz und das Engagement unserer Zöllner, Fi- das Gesetz heute auf den Weg. Es umfasst im Wesentli- nanzbeamten und Polizisten, unserer Fachleute auf allen chen fünf zentrale Punkte: Ebenen, die Tag für Tag eine großartige Arbeit machen – auch unter Einsatz ihres Lebens. Daher von dieser Stelle Erstens schaffen wir mit ihm ein elektronisches Trans- (B) unseren ganz besonderen Dank für Ihre Arbeit! parenzregister. Es erhöht die Transparenz und erschwert (D) den Missbrauch von Gesellschaften und Trusts zu Zwe- Gerade diese Men- und Womenpower vor Ort, auf cken der Geldwäsche sowie ihrer Vortaten, wie Steuer- Länderebene, müssen wir gleichzeitig mit der Verstär- betrug und Terrorismusfnanzierung. Dabei wurde darauf kung der FIU auf Bundesebene konsequent aus- und geachtet, dass der Bürokratieaufwand für die Unterneh- aufbauen. Auch wenn der Steuervollzug und der Bereich men möglichst gering bleibt. Zugang erhält nur, wer ein der Güterhändler im Nicht-Finanzsektor in das Aufga- berechtigtes Interesse vorweisen kann. ben- und Hoheitsgebiet der Bundesländer fallen: Ille- Zweitens ermöglicht das Gesetz die Ansiedlung einer galer Internethandel und kriminelle Strukturen der Um- Zentralstelle für Verdachtsmeldungen im Bundesminis- satzsteuerkarusselle operieren weltweit; die organisierte terium für Finanzen. Die Zentralstelle für Finanztransak- Kriminalität im digitalisierten Wirtschaftsraum kennt tionsuntersuchungen war bislang polizeilich ausgerichtet keine Ländergrenzen. Das haben wir an der Cyberattacke und beim Bundeskriminalamt im Geschäftsbereich des letzte Woche wieder einmal gesehen. Bundesministeriums des Innern angesiedelt. Mit der Kompetente und hochmotivierte Fachleute, ausgerüs- Neuausrichtung erhält die Zentralstelle eine Filterfunkti- tet und unterstützt mit moderner Technik, sind unsere on und kann dadurch die Strafverfolgungsbehörden ent- Waffe im Kampf gegen Geldwäsche. Es waren ja letz- lasten. ten Endes auch die Steuerbeamten der amerikanischen Das Gesetz stärkt drittens den risikobasierten An- Steuerbehörde IRS, die den „Staatsfeind Nummer eins“ satz. Das heißt, die Verpfichteten müssen künftig jede Al Capone hinter Gitter brachten. Nicht wegen seiner Geschäftsbeziehung und Transaktion individuell auf das illegalen Geschäfte ging er für elf Jahre ins Gefängnis, jeweilige Risiko in Bezug auf Geldwäsche und Terroris- sondern wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang musfnanzierung hin prüfen. mit Geldwäsche. Viertens erweitern wir den Verpfichtetenkreis und ver- schärfen fünftens die Sanktionen und machen Verstöße Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Mit der Umsetzung sichtbar. So beträgt die maximale Höhe des Bußgeldrah- der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie unternimmt die mens nunmehr für alle schwerwiegenden, wiederholten Bundesregierung einen weiteren wichtigen Schritt im oder systematischen Verstöße gegen geldwäscherechtli- Kampf gegen die Geldwäsche und Terrorismusfnanzie- che Vorschriften 1 Million Euro oder das Zweifache des rung. Mit ihm passen wir die nationale Gesetzgebung an aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils; die 2012 überarbeiteten Empfehlungen der Financial Ac- für Kredit- und Finanzinstitute 5 Millionen Euro sowie tion Task Force (FATF) an. die Möglichkeit einer umsatzbezogenen Geldbuße. Für 23770 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) die übrigen Fälle setzen wir den Bußgeldrahmen auf fung der Geldwäsche ist aber an der mangelnden Bereit- (C) 200 000 Euro fest. Die Aufsichtsbehörden müssen alle schaft der CDU/CSU-Fraktion gescheitert. unanfechtbar gewordenen Maßnahmen und Bußgeldent- scheidungen auf ihrer Internetseite bekanntgeben. Dafür hat die SPD-Bundestagsfraktion aber im Aus- schussbericht klare Bedingungen für den Nachweis eines Nach der Einführung des Straftatbestandes der Selbst- berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zu- geldwäsche im November 2015 und der Einführung gang für Nichtregierungsorganisationen und Journalisten des Straftatbestandes der Terrorismusfnanzierung im zum Register erleichtert wird. So wird auf jeden Fall mit Juli 2015 ist das heutige Gesetz ein weiterer Schritt der dem heute zu beschließenden Gesetz schon die beab- Bundesregierung im Kampf gegen Geldwäsche und Ter- sichtigte Wirkung, NGOs und Journalisten einen Zugang rorismusfnanzierung in dieser Legislaturperiode. Die zum Transparenzregister zu gewährleisten, erfüllt. Bundesregierung wird weiterhin alles daransetzen, ge- zielt gegen diese Form der Kriminalität und Bedrohung Ich bin zudem zuversichtlich, dass uns eine gezielte vorzugehen. weitere Öffnung des Transparenzregisters künftig durch die europäische Gesetzgebung vorgegeben wird. Eine Der englische Staatsphilosoph John Locke hat einmal mögliche weitere Öffnung des Transparenzregisters ist gesagt: „Der beste Weg zur Wahrheit ist, die Dinge so zu eine der zentralen Themen im Rahmen der aktuellen betrachten, wie sie sind, und nicht so, wie wir schließen Trilogverhandlungen zur Fünften europäischen Geldwä- dass sie zu sein hätten.“ Das haben wir auch bei diesem scherichtlinie. Gesetz getan. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben Ich möchte allen Fraktionskollegen, dem Koalitions- wir genau darauf geachtet, dass durch das Umsetzungs- partner und dem Bundesministerium für Finanzen für die gesetz keine ungewollten Kollateralschäden für einzelne gute Zusammenarbeit danken. Nischenunternehmen entstehen. Der ursprüngliche Re- gierungsentwurf hätte Geschäftsmodelle unmöglich ge- macht, mit denen unter anderem Stromrechnungen in bar (Heidelberg) (SPD): Der Bundestag Lothar Binding an der Supermarktkasse bezahlt werden können. Für vie- beschließt heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz le Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahlmöglich- zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie. keit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und Mahn- Damit werden die Behörden im Kampf gegen Geldwä- gebühren oder andere Konsequenzen zu vermeiden. Um sche erheblich gestärkt und die Regeln zur Verhinderung innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen von Geldwäsche deutlich verschärft. und insbesondere im Interesse der Verbraucherinnen Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt insbesondere und Verbraucher, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion (B) die Einführung eines Transparenzregisters über wirt- erfolgreich dafür eingesetzt, dass wie bisher diese Ge- (D) schaftlich Berechtigte. Dies ist eine wichtige europäische schäftsmodelle bzw. Geschäfte ohne höheren Verwal- Antwort auf die sogenannten „Panama-Papiere“, die ei- tungsaufwand bis 1 000 Euro möglich sind. nen tiefen Einblick in die globale Schattenwirtschaft der Wir haben ebenfalls darauf geachtet, dass keine Briefkastenfrmen gegeben haben. Diese Firmen dienten Schlupföcher durch Ausnahmeregelungen entstehen. zur Verschleierung der tatsächlichen Eigentümer und der Der BDI hat sich unter anderem dafür eingesetzt, dass Herkunft ihrer Vermögen. Damit leisten sie nicht nur Güterhändler ihre Sorgfaltspfichten bei der Geldwäsche- Geldwäsche und Steuerbetrug Vorschub, sondern sind prüfung nur dann erfüllen müssen, wenn sie Barzahlun- auch Teil der wirtschaftlichen und fnanziellen Infrastruk- gen über 10 000 Euro tätigen oder entgegennehmen. Die- tur der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. se Ausnahme hätte jedoch eine signifkante Absenkung Als Briefkastenfrma bezeichnen wir ein Unternehmen, des Schutzniveaus im Geldwäschegesetz zur Folge ge- das zwar rechtlich existiert, aber keine wirtschaftliche habt. Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist es ja, gerade den Aktivität aufweist. Darüber hinaus ist der wirtschaftlich Nicht-Finanzbereich für Geldwäsche zu sensibilisieren Berechtigte unbekannt. und Geldwäsche so zu erschweren. Mit der Einführung eines Transparenzregisters mit Das war mit uns nicht zu machen. Nicht zuletzt die Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten wird Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zum Geld- es mehr Klarheit darüber geben, wer an welchen Unter- wäschemodell der sogenannten „russischen Waschma- nehmen maßgeblich beteiligt ist. Das hilft Behörden bei schine“ hat gezeigt, dass Güterhändler oft der neural- der Aufklärung von Geldwäscheverdachtsfällen und wird gische Punkt bei Geldwäsche sind. Häufg lagen die hoffentlich gezielt dazu beitragen, den Missbrauch von Beträge dabei unterhalb von 10 000 Euro. Unternehmensgestaltungen für Geldwäsche zu verhin- dern. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt zudem die Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransakti- Im Gesetz ist vorgesehen, dass Dritten die Einsicht in onsuntersuchungen. Die oberste Geldwäschebekämp- das Register nur bei Vorliegen eines berechtigten Interes- fungsbehörde wird vom Bundeskriminalamt zum Zoll ses ermöglicht wird. Wir haben uns bei der Einführung verlagert und dabei personell erheblich aufgestockt. Das des Registers für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, ist ein guter und richtiger Beschluss. bei dem einerseits die datenschutzrechtlichen Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt bleiben, ande- Darüber hinaus ist im Kampf gegen Geldwäsche eine rerseits die Öffentlichkeit Einsicht erhalten kann. Diese deutliche personelle Aufstockung der zuständigen Auf- weitere Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämp- sichtsbehörden der Länder notwendig. Deshalb fordere Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23771

(A) ich die Bundesregierung auf, die Gespräche mit den Län- waltungsaufwand zu verringern und die Anwendung des (C) dern im Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwäschegesetzes für die Aufsichtsbehörden und die Geldwäscheaufsicht im Nichtfnanzsektor und im Hin- Verpfichteten zu vereinfachen. blick auf eine effektive Aufsichtsstruktur voranzutreiben. Eine der wichtigsten Neuerungen, die mit der Verab- Die Aufsicht über Geldwäsche und Terrorismusfnan- schiedung dieses Gesetzes kommen wird, ist die Einfüh- zierung im Nichtfnanzsektor wird in den einzelnen Län- rung eines Transparenzregisters über die wirtschaftlich dern unterschiedlich geregelt. Hierdurch ergeben sich Berechtigten: juristische Personen, eingetragene Perso- Effzienzverluste in der Bekämpfung der Geldwäsche, nengesellschaften, Trusts und Trust-ähnliche Rechtsge- die auch mit einer über Jahre andauernden zu geringen staltungen. Die Skandale der vergangenen Jahre haben Personalausstattung und fehlender Informations- und gezeigt, dass Geldwäsche häufg einhergeht mit Unter- Kommunikationstechnologie in Verbindung stehen. Hier nehmenskonstruktionen, bei denen nicht klar ist, wer sind Verbesserungen dringend geboten, um die allgemei- eigentlich die Geschicke bestimmt. Mit dem Transpa- ne Schlagkräftigkeit Deutschlands im Kampf gegen die renzregister, das in Zukunft mit den entsprechenden Re- Geldwäsche weiter zu stärken. gistern in den anderen EU-Staaten zu einem EU-weiten Transparenzregister vernetzt werden soll, werden wir Dr. Jens Zimmermann (SPD): Die im letzten Jahr endlich wissen, wem was gehört und wer an welchen bekanntgewordenen Enthüllungen um die sogenannten Unternehmen wie beteiligt ist. „Panama Papers“ sowie die erst kürzlich aufgedeckten Hierzu soll das Register als Portal fungieren, über das Konstruktionen der russischen Waschmaschine zeigen, Dokumente aus anderen öffentlich zugänglichen Regis- dass Geldwäsche weiterhin ein Riesenproblem ist. tern, beispielsweise dem Handels- oder dem Vereinsre- Geldwäsche bezeichnet das Einschleusen illegal er- gister, abrufbar sind. Neue Meldungen an das Register wirtschafteten Vermögens – beispielsweise aus Drogen- sollen nur nötig sein, wenn sich die Informationen nicht verkäufen, Raubüberfällen oder Betrug – in den legalen aus bestehenden Registern ergeben. Wirtschaftskreislauf, um die illegale Herkunft des Gel- Im Gesetzentwurf ist ein gestaffelter Zugang zu den des zu verschleiern, das Geld also zu „waschen“. Registerinformationen vorgesehen. Behörden erhalten Der weltweite Umfang von Geldwäsche kann nur Zugang, soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötig ist. geschätzt werden. Die Vereinten Nationen gehen davon Verpfichtete erhalten Zugang, soweit es zur Erfüllung aus, dass jährlich Geldvermögen im Umfang von 1,3 Bil- ihrer geldwäscherechtlichen Sorgfaltspfichten nötig ist. lionen US-Dollar gewaschen wird. Dies entspricht fast Der Zugang für Dritte ist an ein berechtigtes Interesse 3 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. geknüpft, das gegenüber der registerführenden Stelle (B) nachgewiesen werden muss. (D) Alle Indizien legen nahe, dass Deutschland ein attrak- tives Ziel für die Geldwäscheaktivitäten der internationa- Intensiv diskutiert haben wir in den Verhandlungen len organisierten Kriminalität ist. Alleine in der Bundes- die Frage, ob der Zugang zum Transparenzregister öf- republik werden schätzungsweise bis zu 100 Milliarden fentlich sein soll. Wir als SPD-Fraktion haben uns in den Euro jährlich gewaschen. parlamentarischen Verhandlungen für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, bei dem die datenschutzrechtlichen Wir wissen, dass hiervon auch in starkem Maße der Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt blei- sogenannte Nicht-Finanzbereich betroffen ist, insbeson- ben. dere dort, wo mit großen Summen – oft in bar – umge- gangen wird. Die Milliarden aus illegalen Geschäften, Eine Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämp- die jährlich von der organisierten Kriminalität in Spiel- fung der Geldwäsche ist an der mangelnden Bereitschaft hallen, bei Immobiliengeschäften oder bei Autohändlern unseres Koalitionspartners gescheitert. Dafür haben wir gewaschen werden, sind für die Aufsichts- und Ermitt- aber im Ausschussbericht klare Bedingungen für den lungsbehörden eine große Herausforderung. Nachweis eines berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zugang zum Register für Nichtregierungsorga- Geldwäsche schadet der deutschen Volkswirtschaft nisationen und Journalisten erleichtert wird. erheblich. Es werden enorme Summen an illegalem Vermögen gewaschen; dem Staat werden so Milliarden Die Frage des öffentlichen Transparenzregisters ist ein an Steuereinnahmen vorenthalten. Geldwäsche betrifft zentraler Punkt in den momentan auf EU-Ebene laufen- deshalb nicht nur eine bestimmte Klientel, sondern alle den Verhandlungen für eine Richtlinie zur Überarbeitung Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen. der Vierten Geldwäscherichtlinie. Wir werden uns bei der nationalen Umsetzung der nächsten EU-Geldwä- Deshalb begrüßen wir es als SPD-Fraktion sehr, dass scherichtlinie, die voraussichtlich in den nächsten zwei mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem wir die Jahren ansteht, erneut für die komplette Öffnung des Zu- Vierte EU-Geldwäscherichtlinie umsetzen, die Regeln gangs zum Transparenzregister einsetzen. zur Bekämpfung der Geldwäsche deutlich verschärft werden. In den Verhandlungen haben wir uns ebenso intensiv unter geldwäscherechtlichen Gesichtspunkten auch mit Wir haben uns in den parlamentarischen Verhand- Geschäftsmodellen auseinandergesetzt, mit denen unter lungen intensiv mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und anderem Stromrechnungen in bar an der Supermarktkas- gemeinsam mit unserem Koalitionspartner für viele Ver- se bezahlt werden können. Der ursprüngliche Gesetzent- besserungen an dem Gesetzentwurf gesorgt, um den Ver- wurf hätte diese Geschäftsmodelle unmöglich gemacht 23772 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) und wäre damit deutlich über die Vorgaben in der Richt- entgegengenommen, angereichert und bewertet. Zusätz- (C) linie hinausgegangen. lich wird die neue FIU eine Filterfunktion wahrnehmen. Nur werthaltige Meldungen werden nach Abgleich mit Für viele Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahl- anderen Informationen an die Strafverfolgungsbehörden möglichkeit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und weitergeleitet. Außerdem wird die neue FIU Länder bei Mahngebühren oder weitergehende Konsequenzen zu der Umsetzung der Aufsicht unterstützen. vermeiden. Um innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen und insbesondere im Interesse der Ver- Insgesamt enthält der vorliegende Gesetzentwurf viele braucherinnen und Verbraucher hat sich die SPD-Bun- wichtige Maßnahmen, die die Behörden im Kampf gegen destagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass diese die Geldwäsche erheblich stärken. Wir als SPD-Fraktion Geschäftsmodelle wie bisher ohne höheren Verwaltungs- stimmen dem Gesetzentwurf zu. aufwand bis 1 000 Euro möglich sind. Gleichzeitig haben wir als Koalitionsfraktionen im Richard Pitterle (DIE LINKE): Wenn die Bundes- Bericht des Finanzausschusses festgehalten, dass wir regierung bei der Bekämpfung von Geldwäsche so wei- von der Finanzaufsicht erwarten, diese Geschäftsmodel- termacht wie mit dem vorliegenden Gesetz, dann kann le weiterhin genau im Auge zu behalten. Wir waren uns man bald schon wieder die Sektkorken in den Steueroa- einig, dass mit dem nächsten nationalen Umsetzungsver- sen und Schattenfnanzplätzen dieser Welt knallen hören. fahren das Thema noch mal aufgerufen und hinsichtlich Dabei hat der Bundesfnanzminister höchstselbst bei der der spezifschen Risiken für Geldwäsche und Terroris- Vorstellung des Gesetzes Ende Februar verlauten lassen: musfnanzierung diskutiert werden soll. „Wir brauchen schlagkräftige Instrumente im Kampf ge- gen Geldwäsche und Terrorismusfnanzierung.“ Im Nicht-Finanzbereich sorgen wir mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf für ein wesentlich höheres Schutzni- Damit hat Herr Schäuble natürlich absolut Recht! Und veau. Künftig müssen die Verpfichteten bei Barzahlun- wie schön, dass ihm dieser Gedanke nach über sieben gen ab 10 000 Euro – bisher waren es 15 000 Euro – in Jahren im Amt des Bundesfnanzministers auch einmal jedem Fall die Sorgfaltspfichten des Geldwäschegeset- kommt. zes, zu denen unter anderem eine Identifzierung des Käufers gehört, erfüllen. Nur leider ist das vorgelegte Gesetz eben nicht son- derlich schlagkräftig. Insbesondere beim geplanten Ein wesentlicher Fortschritt in diesem Zusammen- Transparenzregister, sozusagen dem Kernstück des Ge- hang, mit dem wir auch internationale Vorgaben zur setzes, muss nachgebessert werden, damit nicht durch Geldwäschebekämpfung berücksichtigen, ist die Stär- verschachtelte Gesellschaftskonstruktionen Hintermän- kung des sogenannten risikobasierten Ansatzes. Er zielt ner und Profteure von Unternehmen weiter verschleiert (B) (D) darauf ab, dass die geldwäscherechtlich Verpfichteten werden können. künftig jede Geschäftsbeziehung und jede Transaktion individuell auf das jeweilige Risiko hin prüfen und ge- Zwei Punkte möchte ich insbesondere ansprechen. gebenenfalls zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen. Erstens. Nach dem Gesetz kann man in Ausnahme- Gleichzeitig haben wir vielen Bedenken aus der Praxis – fällen immer noch andere Personen, zum Beispiel ge- insbesondere aus dem Bereich der Güterhändler – Rech- schäftsführende Gesellschafter, anstelle der wirtschaft- nung getragen und im Ausschussbericht festgehalten, un- lich Berechtigten in das Register eintragen lassen. Das ter welchen Voraussetzungen und mit welchem Aufwand widerspricht dem Grundgedanken, dass die tatsächlich die geldwäscherechtlichen Sorgfaltspfichten erfüllt und Handelnden zu identifzieren und notfalls in Haftung zu Geldwäscheverdachtsmeldungen abgeben werden müs- nehmen sind. sen. Da gehen wir von der Linken nicht mit. Diese Ausnah- Für eine noch effektivere Geldwäschebekämpfung ist men müssen gestrichen werden. Es muss sichergestellt es nötig, dass Bund und Länder bei der Geldwäscheauf- sein, dass stets die wahren wirtschaftlich Berechtigten sicht besser zusammenarbeiten. Um dies zu erreichen, ist identifziert werden, auch wenn die Identifkation auf- eine genaue Analyse der Aufsichtstätigkeit in den Bun- wendig ist. Denn sonst würden wieder einmal die dreis- desländern nötig. Als Grundlage hierfür haben wir uns testen Verschleierungstechniken mit unzähligen hinterei- als Koalitionsfraktionen auf eine gesetzlich verankerte nandergeschalteten Gesellschaften belohnt. Berichtspficht für die Länder gegenüber dem Bundes- fnanzministerium geeinigt. Die jährlichen Berichte über Zweitens. In manchen Fällen sind nach diesem Gesetz die Aufsichtstätigkeit der Länder im Nicht-Finanzbereich lediglich die wirtschaftlich Berechtigten selbst gegenüber sollen zukünftig zu einer wirksamen Geldwäschebe- dem Transparenzregister meldepfichtig, insbesondere kämpfung beitragen. dann, wenn weitere Gesellschaften dazwischengeschal- tet sind. Und wenn diese wiederum in irgendwelchen Zu einer besseren Koordinierung der Bundes- und Steueroasen sitzen, kann man die Mitteilungspfichten Landesbehörden soll auch die neue Zentralstelle für Fi- schlichtweg nicht durchsetzen. Wer Cocktails schwen- nanztransaktionsuntersuchungen beitragen. Die bishe- kend am Karibikstrand sitzt, kann über Post vom deut- rige Zentralstelle für Verdachtsmeldungen (BKA) wird schen Transparenzregister doch nur lachen. in die Generalzolldirektion überführt und personell er- heblich verstärkt. Die Aufgaben und Kompetenzen der Wir Linke fordern daher, dass von Anfang an die obersten nationalen Geldwäschebehörde werden neu gesamte Kontroll- und Beteiligungsstruktur durch die geregelt: Verdachtsmeldungen werden nicht mehr nur Gesellschaften ermittelt werden muss. Anders ist den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23773

(A) verschachtelten Konstruktionen der Geldwäscher nicht zug in den Ländern liefern eindrucksvolle und erschre- (C) beizukommen. ckende Zahlen zur Vernachlässigung des Problems. Or- ganisierte Gewalt- und Drogenkriminalität wird erst dann Und noch eines ist mir wichtig: Beim Transparenzre- proftabel, wenn das ergaunerte Geld auch im legalen gister ist für mich entscheidend, dass Strafverfolgungs- Geldkreislauf reinvestiert werden kann. Die Verharmlo- behörden und Finanzbehörden auf das Register zugreifen sung des völlig unzureichenden Antigeldwäschevollzugs können. muss umgehend ein Ende fnden! Deshalb haben wir Das ist aber nur die halbe Miete. Wichtig ist nämlich parteiübergreifend im Finanzausschuss die Bundesre- auch, dass diese Behörden personell so ausgestattet sind, gierung aufgefordert, die Gespräche mit den Ländern im dass sie mit den Daten effektiv arbeiten können, damit Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwä- Geldwäsche konsequent bekämpft wird. Wie alle, die scheaufsicht im Nicht-Finanzsektor und eine sinnvolle sich mit der Problematik beschäftigen, wissen, ist das Aufsichtsstruktur zu forcieren. insbesondere bei den Ländern sehr dürftig. Das muss ge- ändert werden. Warum nicht endlich dem Vorschlag der In anderen Punkten ist die Regierungskoalition leider Linken folgen, eine Bundesfnanzpolizei einzurichten? weniger interessiert an klaren Handlungsaufforderungen Genug Arbeit hätte sie auf jeden Fall. gegenüber der Bundesregierung. Für welche Anliegen die Bundesregierung in Brüssel bei der Überarbeitung Bis dahin liegt es auch an der Bundesregierung, ge- der Vierten AMLD streiten soll, will die Regierungsko- meinsam mit den Ländern auf Verbesserungen bei der alition nicht beeinfussen. Während die Grünenfraktion Geldwäschebekämpfung, insbesondere auch im Nicht-Fi- dieser Tage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen nanzsektor, hinzuwirken. Denn gerade im Nicht-Finanz- die Aushöhlung der parlamentarischen Verfassungsrech- sektor, also zum Beispiel in der Immobilienbranche oder te kämpft, zeigen SPD und CDU/CSU in vorauseilendem beim Autohandel, gibt es mangels einer zentralen Auf- Gehorsam überhaupt kein Interesse daran, auf das Ein- sichtsbehörde sehr unterschiedliche Handhabungen sei- fuss zu nehmen, was sie anschließend möglichst eins zu tens der Länder. eins umsetzen werden. Ich denke, dass uns allen sehr daran liegt, die Geldwä- Wie unmündig sich die Kollegen aus der Regierungs- sche effektiv und wirkungsvoll auszumerzen. Mit unse- koalition damit machen, zeigt die Umsetzung des soge- ren Vorschlägen bekommt dieses Gesetz die notwendige nannten Transparenzregisters. „Wir hätten ja nichts ge- Schlagkraft und bleibt nicht bloß ein Papiertiger. gen ein öffentliches Register, aber leider müsste das auf EU-Ebene beschlossen werden“ wird einerseits behaup- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tet, während man sich andererseits nicht für eine entspre- (B) Organisierte Kriminalität und internationaler Terroris- chende (oder irgendeine andere konkrete) Ausgestaltung (D) mus kennen keine staatlichen Grenzen. Die Bekämpfung der Fünften AMLD einsetzen will. von Geldwäsche und Terrorismusfnanzierung erfordert daher konzertierte Anstrengungen auf Länder-, Bundes- Zu der Rolle rückwärts der Bundesregierung beim und europäischer Ebene. Aber die Bundesregierung war Transparenzregister ist im Übrigen bereits alles gesagt und ist kein Vorreiter bei der Bekämpfung der Geldwä- worden. Wir unterstützen den entsprechenden Ände- sche. Die Bundesregierung hinkt seit Jahren hinterher. rungsantrag der Linken, mahnen allerdings auch eine Dem Bundesfnanzminister fehlt eine Gesamtstrategie datenschutzsensible Ausgestaltung des öffentlichen Re- zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusf- gisters an. nanzierung. Wie in der Vergangenheit beschränkt er sich Selbst wenn sich die Regierungskoalition aus der Ver- auch heute auf eine möglichst halbherzige Umsetzung antwortung stehlen möchte: Immer wichtiger wird jetzt, der europäischen Antigeldwäscherichtlinien. was im Rahmen der Überarbeitung der Vierten AMLD Auf Länderebene hatte der Bundesrat die Bundesre- auf europäischer Ebene beschlossen werden wird. Dabei gierung schon 2012 im Rahmen seiner Stellungnahme werden wir Grünen uns aktiv nicht nur für ein öffent- zum damaligen GwG-Ergänzungsgesetzentwurf dazu liches Transparenzregister, sondern insbesondere auch aufgefordert, die Bekämpfung der Geldwäsche im beson- für die europaweite Einführung von Immobilienregistern ders anfälligen Nicht-Finanzbereich bundeseinheitlich zu einsetzen, damit die Strafverfolgungsbehörden ermitteln übernehmen. Schon damals hieß es zutreffend, die Erfas- können, wo Kriminelle ihr Geld parken. sung der regelmäßig länderübergreifenden Sachverhalte bedeute einen erheblichen Abstimmungs- und Koordinie- Die Feststellung von Immobiliareigentum sowie rungsaufwand; die föderale Zuständigkeitszersplitterung Rechten an Immobilien ist seit Jahren unter anderem im führe zu einer unnötigen Vervielfachung der vorzuhalten- Bereich der Vermögensabschöpfung ein zentrales Anlie- den Ressourcen, und es gelte daher, Vollzugsdefzite gar gen der Strafverfolgungsbehörden. Die Suche nach In- nicht erst entstehen zu lassen. Der Bundesfnanzminister habern von Immobilien oder Grundstücken gestaltet sich hat den Vorschlag verworfen. Heute sprechen Experten in Deutschland mangels eines zentralen Immobilienre- von einem jährlichen Geldwäschevolumen im Nicht-Fi- gisters teils sehr aufwendig. Wenn nähere Angaben zur nanzsektor von 20 Milliarden bis 30 Milliarden Euro. geographischen Lage von Grundstücken fehlen, müssen einzelne Anfragen bei allen Landesvermessungsämtern Mit ihrem Vorschlag aus 2012 sind die Bundesländer der Bundesländer erfolgen. In einigen Bundesländern ist aber keinesfalls aus der Verantwortung entlassen. Die selbst eine landesinterne Abfrage ohne Angabe der Ge- Anfragen der Grünenfraktion zum Antigeldwäschevoll- markung und Blattnummer nicht möglich. In der Konse- 23774 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) quenz muten wir unseren Beamten zu, teilweise händisch ausschuss begleiten diesen Prozess und bringen unsere (C) Grundbücher zu durchforsten. Ideen ein. Das ist kein haltbarer Zustand! Wir brauchen ein Datenschutz und Datenmissbrauch werden kritisch Immobilienregister, das nicht öffentlich einsehbar sein, diskutiert. Auch die Sicherheit der Daten wird mit den dafür aber Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten Fachbehörden diskutiert. Das Netz arbeitet sehr schnell, beinhalten soll. Denn anders, als es vielfach behauptet und wir müssen immer wieder nachbessern, um auf dem wird, ist unser Grundbuch weder darauf ausgelegt noch neuesten Stand zu sein. Die Datenschutzbeauftragte dazu geeignet, zur Kriminalitätsbekämpfung hinreichend überwacht alle Gesetzesvorhaben, bei denen Bürgerda- beizutragen. Denn weder ist derzeit in Deutschland Im- ten berührt sind. Ihre Anregungen werden aufgegriffen mobilieneigentum zu ermitteln, das durch Eintragung und fießen in die Gesetzesanträge ein. Die Bürgerinnen eines lebenslangen Wohnrechts oder als Grundschuld und Bürger in Deutschland können sich darauf verlassen, verschleiert wird, noch sind die vielen sogenannten dass bei allen Gesetzesvorhaben die Sicherheit ihrer Da- Sharedeal-Konstruktionen im Grundbuch abgebildet, in ten oberste Priorität hat. denen statt der Immobilie selbst einfach eine Eigentü- mergesellschaft verkauft wird. Während normale Bürge- Auch bei unserem Vorhaben zur Förderung des elek- rinnen und Bürger seit vielen Jahren mit stets steigenden tronischen Identitätsnachweises war die Datenschutzbe- Grunderwerbsteuern hadern, erlauben wir es Investoren, auftragte einbezogen. Ich kann deshalb nicht verstehen, diese Steuern zu umgehen, und Kriminellen gleichzeitig, warum Sie in der Opposition die Einführung des elektro- etwa mittels luxemburgischer Gesellschaftsformen, ohne nischen Identitätsnachweises immer noch boykottieren. Aufdeckungsrisiko ihre Gelder zu waschen. In der letzten Anhörung haben die meisten der anwesen- den Experten bestätigt, dass der elektronische Ausweis Das vorgelegte Umsetzungsgesetz enttäuscht insge- derzeit das sicherste Dokument weltweit ist. Die soge- samt zu sehr, als dass Sie mit unserer Zustimmung rech- nannte Zwei-Faktor-Authentifzierung trägt dazu bei. nen können. Ob die großen Ankündigungen im Kampf Ohne Pin funktioniert der Ausweis nicht. gegen Geldwäsche und Terrorismusfnanzierung am Ende erfüllt werden, darf bezweifelt werden. Es wider- Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem alten spräche den bisherigen Erfahrungen. Die Umsetzung der Verfahren zur persönlichen Identifzierung. Es spart Zeit europäischen Richtlinie ist aber erforderlich. Auch trägt und Personal. Es ist bürgerfreundlich und entlastet die die Neufassung zu einer etwas besseren Lesbarkeit bei. Behörden. Das elektronische Auslesen der Daten kann Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass am Ende Ver- auch die Fehlerquote verringern, die beim händischen pfichtete, von denen wir etwas wollen und auf deren Ausfüllen von Formularen entstehen konnte, und bietet damit viel mehr Verlässlichkeit. Davon können Bürge- (B) Mitwirken wir im Kampf gegen Geldwäsche angewiesen (D) sind, dieses Gesetz verstehen und umsetzen müssen. rinnen und Bürger proftieren. Auch die Wirtschaft und die Behörden proftieren davon. Sie sollten deshalb jetzt Auch die Angliederung der Zentralstelle für Fi- mehr Anwendungen bereitstellen, bei denen der elektro- nanztransaktionsuntersuchungen an den Zoll, statt, wie nische Nachweis genutzt werden kann. Daraus entsteht bisher, an das BKA, wird unterschiedlich beurteilt. Klar eine Win-win-Situation. ist aber: Die entscheidenden Probleme bei der Geldwä- schebekämpfung werden durch sie nicht gelöst werden. Für die Wirtschaft sieht der Gesetzentwurf vereinfach- te Verfahren vor, um ein sogenanntes Berechtigungszer- Wir werden uns daher enthalten. tifkat zu erhalten. Das ist fortschrittlich. Es trägt dazu bei, dass mehr Anwendungen bereitgestellt werden, bei denen die Kunden die elektronische Ausweisfunktion zur Identifzierung nutzen können. Anlage 7 Trotzdem können die Kundinnen und Kunden sicher Zu Protokoll gegebene Reden sein, dass ihre Daten geschützt sind. Wer als Anbieter zur Beratung des von der Bundesregierung einge- einmal Daten missbräuchlich verwendet hat, erhält kein brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung Berechtigungszertifkat. Die Kontrolle erfolgt sorgsam des elektronischen Identitätsnachweises (Tages- und bevor die Berechtigung erteilt wird. ordnungspunkt 23) Auf eine weitere wichtige Neuerung möchte ich hin- weisen. Sie ist auch ein kleiner, aber wichtiger Baustein Heinrich Zertik (CDU/CSU): Unser Alltagsgesche- für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland: Das ist der hen wird schon fast in jeder Minute digital bestimmt: automatisierte Lichtbildabruf. Polizei, Bundesnachrich- Computer, Smartphone, Tablet sind nicht mehr wegzu- tendienst, Zoll und der Verfassungsschutz dürfen von denken, und ohne sie wäre die Arbeit nicht zu erledigen. nun an jederzeit auf die Lichtbilder zugreifen, um ihre Wir kommunizieren digital und erledigen ganz selbstver- Sicherheitsaufgaben zu erfüllen und Gefahren abzuwen- ständlich Bankgeschäfte, Einkäufe und Urlaubsplanung den. Das ermöglicht den Sicherheitsbehörden ein rasches im Netz. Handeln, wenn Gefahr im Verzug ist. Jeder Abruf muss protokolliert werden und kann dadurch nachverfolgt Auch die Politik ist auf diesen Zug aufgesprungen: werden. Vor drei Jahren hat das Bundeskabinett die Digitale Agenda 2014–2017 beschlossen. Meine Kolleginnen und Deshalb ist es auch richtig, dass die elektronische Kollegen in der AG Digitale Agenda und wir im Innen- Funktion im Ausweis dauerhaft eingeschaltet sein soll. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23775

(A) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden Auch im Verhältnis Bürger/Staat könnte der elek- (C) werden darüber informieren. Die Wahlfreiheit haben die tronische Identitätsnachweis seine Stärken ausspielen. Bürgerinnen und Bürger trotzdem. Sie können die elek- Viele Behördengänge, die oftmals mit Wartezeiten und tronische Funktion abschalten. Es bleibt auch jedem Ein- längeren Fahrtwegen verbunden sind, ließen sich einspa- zelnen überlassen, ob er diese Funktion nutzen möchte. ren, wenn die Bürgerinnen und Bürger konsequenter die eID-Funktion ihres Personalausweises nutzen könnten Ich bin davon überzeugt: Wenn das elektronische Ver- und würden: Die An- oder Abmeldung des Autos, die fahren erst einmal bekannt ist und erfolgreich ausprobiert Beantragung eines Führungszeugnisses, all dies könnte wurde, wird es sich bewähren, und immer mehr Men- mit der eID-Funktion bequem von zu Hause aus erledigt schen werden es auch nutzen. werden. Mit der Nutzung der eID verhält es sich näm- lich streckenweise wie bei der gegenseitigen Schuldzu- Auf europäischer Ebene kommen wir nicht darum he- weisung von Angebot und Nachfrage: Wird die eID nicht rum. Deutschland kann ein Vorreiter sein. Österreich hat genutzt, weil sie von Staat und Wirtschaft nicht als An- den elektronischen Nachweis bereits eingeführt. knüpfung angeboten wird oder weil zu wenig Bürger sie tatsächlich nutzen könnten? Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz, damit Deutschland konkurrenzfähig bleibt und den Anschluss Ich sage bewusst „könnten“, denn um den elektroni- an die digitale Welt nicht verliert. schen Identitätsnachweis und seine Funktion auch nut- zen zu können, muss die Funktion zunächst einmal ein- geschaltet sein. Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): In der vergan- genen Zeit war oft zu hören und zu lesen, dass Deutsch- Und hier kommen wir zum Kernpunkt dieses Geset- land Gefahr läuft, das digitale Zeitalter zu verschlafen. zesvorhabens: Bislang hatten die Bürgerinnen und Bür- Gerne wird in diesem Zusammenhang auch die deutsche ger bei der Antragstellung für einen Personalausweis die Verwaltung genannt und von ihr das Bild einer behäbi- Wahl, ob sie die eID-Funktion einschalten lassen wollen. gen und ineffzienten Bürokratiemaschinerie gezeichnet. Diese bewusste Entscheidung für die Einschaltung ent- Allerdings entspricht diese Zustandsbeschreibung unse- sprach dem sogenannten Opt-in-Verfahren. Wir sind der rer Verwaltung nicht den Tatsachen, und darüber hinaus Meinung, dass wir hier eine Vorzeichenumkehr vorneh- schmälert sie die hervorragenden Leistungen der Beam- men sollten, um die Verbreitung der eID-Funktion stärker tinnen und Beamten sowie der Mitarbeiterinnen und Mit- zu fördern. Fortan wird die eID-Funktion standardmäßig arbeiter des öffentlichen Dienstes. eingeschaltet sein. Die Bürgerinnen und Bürger werden also nicht extra befragt, sondern bekommen ihren Perso- nalausweis mit aktiver eID-Funktion ausgehändigt. (B) Schon zum November 2010 wurde in Deutschland der (D) elektronische Identitätsausweis eingeführt. Der elektro- Folgende Anmerkungen sind aber dringendst zu be- nische Identitätsausweis ist ein staatlich zertifziertes und achten: Die zuständige Behörde ist – ich sage bewusst im weltweiten Maßstab äußerst sicheres Identifzierungs- „ist“, weil es auch im Gesetz als solche Regelung aus- instrument, das es den Bürgerinnen und Bürgern ermög- gestaltet ist – weiterhin gesetzlich verpfichtet, die Bür- lichen soll, sich im Geschäftsverkehr sicher und eindeu- gerinnen und Bürger über die Nutzung der eID-Funktion tig dem Geschäftspartner gegenüber zu identifzieren. und ihrer Möglichkeiten zu informieren, beispielsweise Anwendbar ist der elektronische Identitätsnachweis also durch mündliche Belehrung, oder durch das Aushändi- zwischen Bürgern und Behörden, aber auch zwischen gen einer leicht verständlichen Informationsbroschüre Bürgern und Unternehmen. selber zur Information zu befähigen. Bisher erfolgt der Nachweis der Identität zum Groß- Die Behörde ist aber ebenso ausdrücklich verpfich- teil vor allem im Geschäftsleben durch die Eingabe der tet, die Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeit der Personendaten und der Onlineübermittlung von Pass- Ausschaltung der eID-Funktion zu unterrichten. Denn wörtern. Diese Vorgehensweise ist jedoch sehr anfällig anders als dies einige eher mäßig recherchierte Artikel für Angriffe von Kriminellen. Die Kriminalstatistiken und einige eher mäßig informierte Oppositionspolitiker zeigen, dass der Passwortdiebstahl und damit verbunden haben verlauten lassen, besteht für die Bürgerinnen und auch der Identitätsdiebstahl – jedenfalls der Daten, die in Bürger im Nachgang der Aushändigung jederzeit die dem betreffenden Benutzerkonto hinterlegt sind – in den Möglichkeit, die eID-Funktion, beispielsweise durch ei- vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Insbeson- nen einfachen Anruf, sperren zu lassen. Eine „Zwangsbe- dere im Onlinebanking wird darüber hinaus vielfältig glückung“ der Bürger durch den Staat soll gerade nicht kulant reagiert, und Vorfälle erreichen folglich nicht das stattfnden. Dies wäre auch mit einem sozialliberalen Licht der Statistik. Gleichzeitig wickeln die Bürgerinnen Politikverständnis nicht vereinbar. Die Bürgerinnen und und Bürger aber immer mehr ihre Geschäftsbeziehungen Bürger sind weiterhin der Souverän über die eID und online ab. Heutzutage ist es für viele gelebte Realität, deren Inverkehrbringen. Diese klare Opt-out-Möglich- selbst den Abschluss von Versicherungen und Käufe von keit haben wir in den Verhandlungen mit dem Koaliti- hohem Wert über das Internet vorzunehmen. Geht bei onspartner durchgesetzt. Wir glauben, dass diese neue diesen Geschäftsbeziehungen etwas schief, kann dies für gesetzliche Regelung einerseits dem Grundgedanken des die Geschädigten weitreichende Folgen haben. Hier wol- Vorhabens, der Förderung der eID-Funktion, Rechnung len wir auch als Staat in der Lebensrealität der Menschen trägt, aber auch der Freiheit des Einzelnen, diese Funkti- präsent werden und für mehr Sicherheit in der digitalen on nicht eingeschaltet zu haben und auch nicht nutzen zu Welt sorgen. wollen oder gar zu müssen. 23776 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Mit diesem Artikelgesetz werden aber noch weitere Schließlich wird mit dem Gesetz auch ein neuer Pass- (C) Regelungen getroffen: versagungsgrund geschaffen. Er soll Auslandsreisen ver- hindern, die mit dem Ziel unternommen werden, eine Die Sicherheitslage in Deutschland und Westeuropa Verstümmelung weiblicher Genitalien vorzunehmen hat sich in den letzten Jahren aufgrund der anhaltenden oder zu veranlassen. Neben dem Strafrecht ist dies ein Gefahr durch Terroristen deutlich verschärft. Dieser neu- wichtiger Baustein, um den Missbrauch und die Körper- en Realität müssen wir auch in gesetzgeberischer Hin- verletzung junger Frauen und Kinder zu verhindern. sicht Rechnung tragen. Die Tätigkeiten der Sicherheits- behörden unterliegen heutzutage mehr denn je zeitlichen Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz einen Zwängen. Oftmals werden Informationen zur Gefahren- weiteren Schritt in die richtige Richtung gehen. Wir för- abwehr binnen weniger Stunden, manchmal gar Minuten dern ein sicheres staatliches Instrument und erhöhen so benötigt. den Schutz für unsere Bürgerinnen und Bürger. Denn in- nere Sicherheit ist nicht nur Polizei und Pistole – auch Mit diesem Gesetz wird daher die Rechtsgrundlage im Netz muss der Staat seine Bürgerinnen und Bürger für einen automatisierten Lichtbildabruf für die Polizei- schützen. behörden des Bundes und der Länder, das Bundesamt für Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf mit Ihrer Stimme zu Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörden der unterstützen. Länder, den Militärischen Abschirmdienst, den Bundes- nachrichtendienst, die Steuerfahndungsdienststellen der (DIE LINKE): Die Bundesregierung will Länder, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzolläm- Ulla Jelpke die Onlinefunktion des Personalausweises künftig zur ter eingeführt. Schon bislang bestand für die Sicherheits- Pficht machen. Die Bürgerinnen und Bürger können behörden die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde dann nicht mehr, wie bisher, bei der Aushändigung des einen Lichtbildabruf zu beantragen. In Fällen, in denen Dokumentes selbst entscheiden, ob die Funktion aktiviert die Anfrage außerhalb der behördlichen Öffnungszeiten wird oder nicht. Damit verbunden sind zahlreiche Ein- erfolgte, konnte das Lichtbild automatisch abgerufen griffe in den Datenschutz, auf die ich gleich noch kom- werden. Der bisherige Zwischenschritt, der sicherheits- men werde. Außerdem will die Bundesregierung den relevante Verzögerungen verursachen kann, entfällt nun. Polizeibehörden und Geheimdiensten künftig erlauben, Als SPD-Bundestagsfraktion hätten wir uns im Zweifel sämtliche Passfotos aus den Meldebehörden im automa- auch eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage vorstel- tisierten Verfahren abzurufen. Die bisherige Einschrän- len können; wir erkennen aber mit der nun gefundenen kung, die den Nachweis einer Eilbedürftigkeit verlangt, Kompromisslösung das gestiegene Sicherheitsbedürfnis wird abgeschafft. der Bürgerinnen und Bürger sowie die stark veränderte (B) Sicherheitslage an. Die Datenschützer, die bei der Anhörung des Innen- (D) ausschusses zu diesem Gesetzentwurf befragt worden Ferner haben wir für die Anknüpfung durch die Wirt- sind, waren sich einig: Dieses Gesetz bringt gravierende schaft klare Regeln geschaffen: An sogenannte Diens- Verschlechterungen für die Bürger mit sich. Ich zitiere teanbieter, denen wir die Nutzung dieser staatlichen hier nur die Bundesdatenschutzbeauftragte, die sagte, es Schnittstelle ermöglichen, damit die Onlinegeschäfte würden „mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vom Mobilfunkvertrag bis zur Warenbestellung über eine vor das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der sichere beglaubigte Identität ablaufen können, stellen wir Bürgerinnen und Bürger übergangen und datenschutzsi- hohe Anforderungen. Ein Katalog von Voraussetzungen, chernde Standards unterlaufen“. der in Summe erfüllt sein muss, sieht unter anderem vor, Warum will die Bundesregierung die bisherige Wahl­ dass sogenannte Berechtigungszertifkate vom Bund aus- freiheit bei der Aktivierung der Onlinefunktion abschaf- gestellt werden, die natürlich jederzeit gesperrt und/oder fen? Ganz einfach: Die Bürger haben von ihrer Freiheit entzogen werden können. Unbeschadet der datenschutz- zu ausgiebig Gebrauch gemacht und sich zu zwei Drit- rechtlichen Vorschriften ist ein betrieblicher Datenschutz teln gegen die Internetfunktion entschieden. Das passt vom Diensteanbieter nachzuweisen. der Bundesregierung nicht, weswegen sie jetzt die Mög- Darüber hinaus muss die geplante organisationsbe- lichkeit, sich dagegen zu entscheiden, einfach streicht. zogene Nutzung zur Erlangung des Zertifkates, um Das ist doch wirklich ein Rückfall in den Obrigkeitsstaat. an den „ePerso“ anknüpfen zu können, mit einem be- Die neue Regelung soll laut Gesetzesbegründung der rechtigten Interesse nachgewiesen werden. So wird die Wirtschaft ein großes Potenzial neuer Kunden zuführen. Das ist ein eindeutiger Missbrauch der Ausweispficht Einzelfallprüfung zur Regel. Damit soll verhindert wer- zur Technologieförderung und zur Proftsteigerung, der den, dass große Konzerne eine einmal erlangte globale noch dazu auf Kosten der Sicherheit geht. Berechtigung zu einem beliebigen weiteren Zweck in Tochtergesellschaften weiterverwenden können. Jedes Der eigentliche Grund, weswegen nur eine Minderheit Geschäftsmodell und jeder Geschäftszweig muss ein die Onlinefunktion freischalten lässt, ist doch: Die Leute entsprechendes für diese Organisationseinheit nachvoll- versprechen sich keinen Nutzen davon, und sie vertrauen ziehbares Interesse darlegen. Dies erhöht die Sicherheit der Technologie nicht. Aus gutem Grund. Zur sicheren für die Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht es der Identifzierung haben Onlinedienste schon längst ande- Berechtigungsstelle, parzellenscharf Berechtigungen zu re Verfahren entwickelt, inklusive internationaler Nut- sperren oder zu entziehen und darüber hinaus auch Ord- zungsmöglichkeit, die Mobiltelefone als Instrumente nungswidrigkeiten entsprechend zu ahnden. einsetzen. Das verspricht allemal kundenfreundlicher zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23777

(A) sein als eine rein nationale Lösung, die noch dazu per nicht, wie zunächst geplant, erst 2021, sondern sofort in (C) Gesetz erzwungen wird. Kraft treten. Trotz zahlreicher Einwände der Datenschützer in der Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz versucht zum ei- Anhörung hat die Koalition nicht nachgebessert; im Ge- nen, die Bürger zwangsweise zur Nutzung einer unsiche- genteil, der Datenschutz wurde sogar noch weiter aus- ren und überfüssigen Technologie anzustiften, wobei es gehöhlt. unter dem Vorwand der Entbürokratisierung beim Daten- schutz spart. Zum anderen baut es ohne jede Begründung Ich nenne hier nur einige Beispiele: die Befugnisse der Geheimdienste aus. Es ist selbstver- ständlich, dass die Linke ein solches Gesetz, das aus dem Die Zertifzierung der Diensteanbieter im Internet wird Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine „entbürokratisiert“, behauptet die Koalition. Tatsächlich Farce macht, ablehnt. wird hier aber am Datenschutz gespart. Die Dienstean- bieter werden direkt mit der Zertifzierung berechtigt, die persönlichen Daten der Nutzer zu verwenden, und zwar Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unabhängig davon, ob diese Daten für den jeweils festge- NEN): Wie so häufg in letzter Zeit, reden wir heute nicht legten Zweck auch tatsächlich erforderlich sind. Um das lediglich über ein parlamentarisches Vorhaben, über das zu überprüfen, kommt auf die Datenschutzbeauftragten mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entschieden werden in Bund und Ländern jetzt erhebliche Mehrarbeit zu – für soll. In einem scheinbar harmlosen Gesetz zur Förderung die es aber keine Aufstockung des Personals gibt. Un- des elektronischen Identitätsnachweises verstecken Sie term Strich, so hat der Chaos Computer Club gewarnt, einen Angriff auf die Privatsphäre aller Bürgerinnen und „wird letztlich beim präventiven Datenschutz zurückge- Bürger in diesem Land, die uns wieder einen Schritt nä- steckt“, und zwar im Interesse der Wirtschaft. Das zeigt her an den Abgrund staatlicher Totalüberwachung bringt. sich zum Beispiel auch darin, dass den Bürgern die jetzt Aber der Reihe nach: noch bestehende Möglichkeit genommen werden soll, gegen die Übermittlung einzelner Daten Widerspruch E-Government mit Nachdruck zu fördern, ist eine einzulegen. Wer das System in Zukunft nutzen will, muss wichtige Aufgabe. Und eine datenschutzrechtlich soli- immer sämtliche Daten übermitteln, auch wenn das im de Ausgestaltung des elektronischen Personalausweises Einzelfall gar nicht nötig wäre. wäre sicherlich eine solche Förderung. Aber: Seit Ein- führung der eID-Funktion des Personalausweises haben Zurückgesteckt wird auch bei den Informationen für die Bürgerinnen und Bürger diese in freier Entscheidung die Bürger. Wenn sie schon zur Annahme eines aktivier- zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen ten E-Passes gezwungen werden, dann müsste man ihnen Ausweise/eAT deaktivieren lassen. Das liegt vornehm- (B) wenigstens ordentliches Informationsmaterial über die lich daran, dass nie wirklich kommuniziert wurde, worin (D) Risiken an die Hand geben. Aber das soll nur auf An- eigentlich der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises frage geschehen, und es bleibt den Meldeämtern selbst liegt. Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Aus- überlassen, dieses Material zu erstellen. weis bisher auch nie wirklich sonderlich viel Vorweisba- res konnte und kann. Das ist absolut unzureichend. Dass der Bund sich die Mühe macht, ein bundesweit einheitliches Informations- Die Vorstellung jedenfalls, dass der elektronische Per- angebot zu erstellen, das ausführlich über die Risiken sonalausweis zum zentralen Online-Identitätstool der aufklärt, wäre doch das Mindeste! Menschen im geschäftlichen Leben sowie im Umgang mit Behörden werden könnte, ist schon deshalb abwegig, Ich will abschließend einen Absatz im Gesetzentwurf weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angebo- ansprechen, den ich für eine regelrechte Sauerei halte: ten fehlt. die Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheim- diensten, denen künftig erlaubt wird, sich ohne jeden In solchen Fällen gilt bei der Großen Koalition dann Anlass im automatisierten Verfahren die Passbilder aller offenbar folgende Logik: Die Bürgerinnen und Bürger Bürgerinnen und Bürger bei den Meldebehörden zu be- haben kein Interesse? Dann müssen wir sie eben zwin- sorgen. Bislang müssen sie dafür wenigstens noch eine gen! Dringlichkeit nachweisen, wodurch der größte Miss- Und so wird die sogenannte eID-Funktion zum elek- brauch verhindert werden konnte. Diese Einschränkung tronischen Identitätsnachweis künftig bei jedem Aus- soll jetzt wegfallen. Die Geheimdienste können, wenn weis automatisch und dauerhaft eingeschaltet. Dies mit sie wollen, eine komplette Bilddatei der Bevölkerung der Argumentation, dass so die eID-Funktion schneller anlegen – wie gesagt, ohne jeden Anlass. Mit dem rest- verbreitet und dadurch ein Anreiz für Behörden und Un- lichen Anliegen des Gesetzentwurfs hat das überhaupt ternehmen geschaffen werden soll, mehr Anwendungen nichts zu tun – diese Bestimmung ist wie ein Trojani- bereitzustellen. Nach dem Motto: Wenn ich euch zum sches Pferd. Ich fnde das wirklich ein Horrorszenario Essen zwinge, wird der Appetit schon kommen. – So für die Bürgerrechte. In der Anhörung hagelte es hierzu geht es nicht. Kritik – und jetzt haben wir einen Änderungsantrag der Koalition, der diese Kritik nicht nur ignoriert, sondern So weit, so schlecht. Dem Fass den Boden aus schlägt alles noch schlimmer macht: Sie bekräftigen nicht nur allerdings der zweite Teil Ihres Gesetzentwurfs, in dem diesen Datenrechtsverstoß, sondern weiten den Kreis Sie offenbar Orwell’schen Fantasien völlig nachgeben. der dazu Berechtigten gleich noch auf Zollkriminaläm- Nach der ersten Lesung dachten wir – lassen Sie mich ter und Steuerfahnder aus. Und die neue Regelung soll dies deutlich sagen –, es könne nicht schlimmer kom- 23778 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) men: der fast voraussetzungslose Abruf der Pass- und Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) Personalausweisbilder einer jeden Bürgerin und eines desminister des Innern: Für viele Onlineanwendungen jeden Bürgers im automatisierten Verfahren durch die ist eine Identifkation notwendig. Das System „Benut- Polizeien und nun auch die bundesdeutschen Nachrich- zername/Passwort“ ist nicht die Zukunft. Es ist anfällig tendienste. Dieses ist nichts anderes als der unverhohlene für Identitätsdiebstahl und schwer zu handhaben. Für Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddaten- sicherheitssensible Anwendungen ist es schon gar nicht bank aller Bundesbürger. Und dies vor dem Hintergrund geeignet. der Tatsache, dass Sie derzeit am Bahnhof Südkreuz in Die Frage ist, welche Systeme zukünftig für eine si- Berlin die intelligente Videoüberwachung mit Gesichts- chere Online-Identifkation sorgen werden. Überlassen erkennung an öffentlichen Plätzen testen. wir dies privaten Anbietern, insbesondere den Login-Gi- ganten, deren Rechenzentren nicht in Europa stehen? Aber wir haben uns getäuscht: Wenn wir den „fast“ voraussetzungslosen Abruf im ersten Entwurf kritisier- Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es Auf- ten, so scheint dies nur ein Anreiz für Sie gewesen zu gabe des Staates ist, eine Infrastruktur für eine sichere sein, das „fast“ zu einem „völlig“ werden zu lassen. Onlinekommunikation anzubieten. Die Bürger verdienen Denn nun wird ein Änderungsantrag zu Ihrem Gesetz- ein hohes Niveau von Datensicherheit und Datenschutz. entwurf mitverabschiedet, welcher es nicht einmal mehr Mit dem elektronischen Personalausweis bieten wir in nötig macht, dass die Behörde, bei der das Lichtbild Deutschland das weltweit sicherste System hierfür an. abgerufen wird, auf andere Weise nicht erreichbar ist. Mit der Onlineausweisfunktion steht eine verlässliche Diese Absenkung der Voraussetzungen gilt nun auch Infrastruktur zur gegenseitigen Identifzierung zur Ver- für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, die fügung. Sie wurde in der Vergangenheit nur weniger ge- Steuerfahndungsdienststellen, den Zollfahndungsdienst nutzt als erwartet. Gründe hierfür sind, dass der Ausweis und die Hauptzollämter. Und dies nach einer Sachver- bisher nicht mobil einzusetzen war und die Anwendung ständigenanhörung im Innenausschuss, welche eindeutig zu kompliziert ist. Bisher brauchte man zum Onlineaus- die Gefahren einer solchen gigantomanischen Datenbank weisen zwingend ein spezielles Lesegerät. Nur wenige dargelegt hat. Menschen haben sich einen solchen Kartenleser instal- liert. Der elektronische Personalausweis blieb so ein Ni- Was dies bedeutet, muss man sich einmal klarma- schenprodukt. Mittlerweile ist es möglich, den Ausweis chen: Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Geset- auch mobil auszulesen. Immer mehr Smartphones und zes dürfen alle oben genannten Behörden jederzeit „zur Tablets bieten diese Möglichkeit. Erfüllung ihrer Aufgaben“ auf die Onlinedatenbanken, (B) in der die Lichtbilder aller Bürgerinnen und Bürger der Die vorhandenen rechtlichen Hürden werden wir mit (D) Bundesrepublik gespeichert sind, zugreifen. Dann kön- dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung nen die Abrufmöglichkeiten längerfristig aber auch dazu des elektronischen Identitätsnachweises absenken. Bei verwendet werden, im Rahmen der intelligenten Video- der Anhörung im Innenausschuss wurde der Entwurf überwachung alle Menschen zu identifzieren, die sich ausführlich erörtert. Es wurde deutlich, dass die On- in einem Bahnhof, auf einem Flughafen, in einem Ein- lineausweisfunktion auch weiterhin ein Höchstmaß an kaufszentrum oder auf einem öffentlichen Platz wie dem Datensicherheit bietet. Bei der Anhörung der Sachver- Bahnhof Südkreuz in Berlin aufhalten. ständigen wurde aber auch deutlich, dass das geltende Personalausweisgesetz der weiteren Verbreitung in man- Begründet wird diese Verschärfung gegenüber dem chen Punkten entgegensteht. Einige Vorschriften sind zu ohnehin schon bürgerrechtlich dramatischen Entwurf kompliziert und das Gegenteil von anwenderfreundlich. damit, dass man so „den Aufgaben der Personalausweis- Zu den wesentlichen Änderungen gehört, dass der oder Passbehörden als auch der Sicherheitsbehörden als Personalausweis künftig durchgängig mit einer einsatz- auch der derzeitigen Sicherheitslage gerecht wird“. bereiten Onlinefunktion ausgegeben wird. Die Zahl der potenziellen Nutzer wird so erhöht. Dies macht es für Nicht gerecht wird dieser Entwurf jedoch den Bür- Behörden und Unternehmen attraktiver, Onlinedienste gerrechten in der freiheitlich-demokratischen Grundord- über den elektronischen Personalausweis anzubieten. Es nung. Denn Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt nicht handelt sich um ein Angebot, nicht um einen Zwang. Die nur „Sicherheit durch den Staat“, sondern immer auch Bürgerinnen und Bürger entscheiden frei darüber, ob sie „Sicherheit vor dem Staat“. Indem Sie die Sicherheits- die Funktion einsetzen möchten. behörden in diesem Land nach dem Prinzip „Alles was kann, soll auch“ mit Rechten ausstatten, kratzen Sie nicht Wir sind überzeugt, dass die Onlineausweisfunkti- mehr an unserem freiheitlichen Rechtsstaat, sondern Sie on das Potenzial hat, im europaweiten Wettbewerb der hobeln daran. Und das, obwohl verschiedene Skandale Identifzierungsmittel eine wichtige Rolle zu spielen – im uns immer wieder zeigen, dass die notwendige parla- E-Business ebenso wie im E-Government. mentarische und rechtsstaatliche Kontrolle der Dienste Der elektronische Personalausweis bietet hoheitlich bis heute völlig unzureichend läuft. Ich habe es bereits geprüfte Identitätsdaten und eine vertrauenswürdige in der ersten Lesung gesagt, und ich wiederhole es heu- Identifzierung auf höchstem Sicherheitsniveau – nicht te hier: Deutlicher kann man Demokratie- und Rechts- nur für Behörden und Unternehmen, sondern gerade staatsgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen. Die- auch für die Ausweisinhaber selbst. Dies hebt ihn ab von ses Gesetz wird Ihnen noch viel Ärger machen. anderen Methoden der Online-Identifzierung. Deshalb Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23779

(A) werden wir im E-Government auf den elektronischen und die Grünen schon wieder über das Ziel hinausschie- (C) Personalausweis als feste Grundlage für Bürger- und Un- ßen. ternehmenskonten bauen. Es ist ganz wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, Über den Bundesrat hatten die Länder einige Verbes- dass für den Kauf, Besitz und Umgang mit Waffen und serungsvorschläge eingebracht. Dies betraf beispielswei- Munition in Deutschland strenge gesetzliche Regeln gel- se die Regelung zum automatisierten Abruf von Lichtbil- ten. Wir haben bereits jetzt eines der schärfsten Waffen- dern aus den Pass- und Personalausweisregistern – eine rechte in der EU! Dieses Waffenrecht hat sich insgesamt Maßnahme, die der öffentlichen Sicherheit dient und mit bewährt. Eine systematische Verschärfung des Waffen- der Onlineausweisfunktion nichts zu tun hat. Der Vor- rechts ist deshalb nicht notwendig. schlag des Bundesrates hierzu erschien uns sinnvoll, weil er eine Reihe von Präzisierungen mit sich bringt. Wir ha- Es besteht aber ein Anpassungsbedarf durch interna- ben ihn deshalb weitestgehend übernommen. tionale Vorgaben und Vereinbarungen des Koalitionsver- trages. Auch Anregungen von Praktikern aus den Waf- Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen fenbehörden der Länder werden in dem vorliegenden Gesetz. Gesetzentwurf aufgegriffen und umgesetzt. Ein vieldiskutierter Aspekt des ursprünglichen Ge- setzentwurfs ist die Weiternutzbarkeit von Waffen- Anlage 8 schränken. Ein Waffenschrank gilt bislang gemäß § 36 Zu Protokoll gegebene Reden Absatz 2 WaffG als sicher, wenn er die technische Norm VDMA 24992 erfüllt. Der Maschinenbauverband VDMA zur Beratung: hat diese technische Kategorie zurückgezogen. Deshalb muss das Gesetz jetzt angepasst werden. – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Nun haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger be- des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften fürchtet, dass sie ihre teuer eingekauften Waffenschränke – der Beschlussempfehlung und des Berichts des der gestrichenen VDMA-Kategorie ab jetzt nicht wei- Innenausschusses: ternutzen dürfen und sich sofort um die Finanzierung eines neuen kümmern müssen. CDU und CSU nehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene diese Bürgersorgen ernst. Wir wollen das Vertrauen der Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Sportschützen und Jäger in die bisher geltende Rechts- Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der lage schützen. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass (B) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: das neue Gesetz einen umfassenden und zeitlich unbe- (D) Mehr Sicherheit durch weniger Waffen schränkten Bestandsschutz für Waffenschränke der Ka- tegorie VDMA 24992 mit den Sicherheitsstufen A und B – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene enthält. Dies bedeutet: Jäger und Sportschützen können Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ihren Waffenschrank auch in Zukunft nutzen, sofern er (Köln), weiterer Abgeordneter und der den heute geltenden Vorschriften entspricht. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ab- gabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen Wir setzen nicht nur diese Besitzstandsregelung durch. beschränken Wir dehnen sie auch auf Fälle der gemeinschaftlichen Nutzung aus. Personen, die in häuslicher Gemeinschaft (Tagesordnungspunkt 24 a und b) leben, werden Sicherheitsbehältnisse der Kategorie VDMA 24992 auch dann mitnutzen dürfen, wenn sie ihre Michael Frieser (CDU/CSU): Worum geht es der waffenrechtlichen Erlaubnisse erst nach Inkrafttreten des CDU/CSU, wenn wir heute die Überarbeitung des Waf- Gesetzes erwerben. Die Besitzstandsregelung kann auch fenrechts beraten? Die Union will die Sicherheit im dann in Anspruch genommen werden, wenn die häusli- Umgang mit Waffen erhöhen und die Gefahr eines Miss- che Gemeinschaft erst nach Inkrafttreten des Gesetzes brauchs verringern. Was wir nicht wollen, ist, Bürgerin- begründet wird. Zudem soll die Möglichkeit bestehen, nen und Bürger, in diesem Fall Sportschützen und Jäger, die Behältnisse diesen Mitnutzern zu vererben. ohne Gewinn für die Sicherheit zu drangsalieren. Für alle in Zukunft neu angeschafften Waffenschränke An die Adresse der Grünen: Auch wenn schon Wahl- wird das Sicherheitsniveau angehoben und an aktuelle kampf ist – die Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht technische Standards angepasst. von uns, dass wir hier über Bedarf dramatisieren, ideo- logischen Zerrbildern hinterherlaufen und uns in „Ver- Auch das Thema Verstoß gegen die Aufbewahrungs- bieteritis“ ergehen. Sie erwarten auf aktuelle Probleme vorschriften von Munition treibt viele um. Der Gesetz- angemessene Lösungen. Das Problem – ich nehme das entwurf sah zunächst vor, dass schon ein fahrlässiger mal vorweg – sind nicht Sportschützen und Jäger, die Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften für Muni- nach Prüfungen und unter Aufagen legale Waffen legal tion zu bestrafen ist. Das geht unserer Meinung nach zu bei sich zu Hause im Waffenschrank aufbewahren. Das weit. Wir wollen keine vorschnelle Kriminalisierung der Problem sind die illegalen Waffen, die in Deutschland Legalwaffenbesitzer. Deshalb werden wir den ursprüng- kursieren. Wer diesen Unterschied nachvollziehen kann, lichen Gesetzentwurf, auch auf Anregung vieler Schüt- erkennt auch, dass die Union die echten Probleme angeht zen und Jäger, korrigieren. 23780 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind die ille- Nun, wir wollen in erster Linie die Vorgaben für Waf- (C) galen Waffen, die in unserem Land zirkulieren. Um eine fenschränke an den aktuellen Sicherheitsstandard an- Motivation zu schaffen, diese abzugeben, wird es eine passen. Das bedeutet, dass auch neue Technologien, die auf ein Jahr befristete Strafverzichtsregelung für den un- einen entsprechend hohen Sicherheitsstandard zur Auf- erlaubten Besitz von Waffen und Munition geben, wenn bewahrung von Waffen bieten, künftig eingesetzt werden diese einer zuständigen Behörde oder Polizeidienststelle können. überlassen werden. Weiterhin erhöhen wir den Sicherheitsstandard, indem Oftmals fnden Erben bei Wohnungsaufösungen alte wir eine nicht mehr existente DIN-Norm aus dem Gesetz und ungenutzte Waffen und sind dann mit der Entsor- streichen. Bislang konnten Waffenschränke weiterhin gung derselben konfrontiert. Für diese Zielgruppe ist die entsprechend dieser DIN-Norm hergestellt werden. Mit geplante Amnestie eine gute Lösung. Nach dem Amok- der Konsequenz, dass lediglich der Hersteller garantiert lauf an einer Realschule im baden-württembergischen hat, dass der Waffenschrank nach dieser DIN-Norm ge- Winnenden im Jahr 2009 gab es ebenfalls eine Amnestie. fertigt wurde – eine nicht ganz unerhebliche Sicherheits- Polizei und Landesbehörden erhielten deutschlandweit lücke. An einer gesetzlichen Änderung der Aufbewah- circa 200 000 Waffen, die unschädlich gemacht werden rungsvorschriften für Waffen und Munition führte somit konnten. kein Weg vorbei. Ich sagte es eingangs: Die Bürgerinnen und Bürger er- An diesem Punkt gab es im Vorfeld verständlicherwei- warten – zu Recht –, dass der Gesetzgeber angemessene se heftige Diskussionen, ist die Konsequenz doch, dass Lösungen für aktuelle Probleme erarbeitet. Sie erwarten veraltete Waffenschränke nicht mehr als sicher gelten ein Höchstmaß an Sicherheit, und sie erwarten die Wah- und entsorgt werden müssten. Um hier eine komfortable rung ihrer Freiheitsrechte. Mit dem Gesetzentwurf zum Lösung zu fnden, haben wir über einen Bestandsschutz Waffengesetz liefert die Bundessregierung genau das. für jene Waffenschränke, die bislang als sicher galten, Und deshalb sollten wir den Gesetzentwurf heute verab- diskutiert. schieden. Ich bin froh, dass die Union diesen Bestandsschutz für Waffenbesitzer, die ihre Waffen nach den derzeit gel- Oswin Veith (CDU/CSU): Zu später Stunde beraten tenden waffengesetzlichen Regelungen in Waffenschrän- wir heute abschließend über die Änderungen am Waffen- ken lagern, im Gesetzentwurf verankern konnte. Nur für gesetz. Neuanschaffungen sollen aktualisierte technische Vorga- ben verpfichtend sein. In den letzten Wochen gab es im Hinblick auf diese (B) Gesetzesänderung sehr viel Gesprächsbedarf. Die große Im parlamentarischen Verfahren konnte die Union (D) Befürchtung der legalen Waffenbesitzer ist nach wie vor zudem die Bestandsschutzregeln auf die Fälle erweitern, eine einschneidende Verschärfung des nationalen Waf- bei denen die Waffenschränke gemeinschaftlich genutzt fengesetzes. Wie auch schon in meiner letzten Rede zu werden. Natürlich wollen auch wir nicht, dass in 100 Jah- diesem Gesetzentwurf sage ich: Keine weiteren Verbo- ren verrostete und veraltete Waffenschränke weiterhin in te, keine weiteren Einschränkungen oder verschärfenden Gebrauch sind. Daher haben wir die Vererbung auf einen Pfichten für gesetzestreue, legale Waffenbesitzer. Erbfall begrenzt. Aus meiner Sicht ein gangbarer und zu- friedenstellender Weg. Dennoch: Die öffentliche Akzeptanz des privaten Waffenbesitzes steht und fällt mit einem sicheren Waf- Wir wollen aber nicht nur für sichere Waffenschränke fenrecht. Ein sicheres Waffengesetz bedeutet, dass den Sorge tragen. Wir wollen auch, dass Waffen nicht in die Interessen der legalen Waffenbesitzer und den Sicher- falschen Hände geraten. In der letzten Zeit wurde ver- heitsinteressen der Bevölkerung Rechnung getragen mehrt über gefährliche Reichsbürger berichtet, die in Be- wird. Ein sicheres Waffenrecht heißt aber nicht, dass wir sitz von Waffen sind. Der hessische Verfassungsschutz legalen Waffenbesitzern das Leben unnötig schwer ma- gibt eine Zahl von 400 gefährlichen Reichsbürgern an. chen, indem wir überstrenge gesetzliche Aufagen vor- Ob diese Gefährlichkeit auch die Zuverlässigkeit beim geben. Führen einer Waffe beeinträchtigen kann, dass können nur die Sicherheitsbehörden einschätzen. Der Umgang mit Waffen birgt ein gewisses Gefahren- risiko; das liegt auf der Hand. Aus diesem Grund haben Mit der Gesetzesänderung werden nun auch alle Waf- wir in Deutschland ein sehr strenges Gesetz geschaffen, fenanträge im Nationalen Waffenregister erfasst. Darauf um diese Gefahren zu minimieren und ein Höchstmaß an haben auch die Sicherheitsbehörden Zugriff und können Sicherheit für unsere Bürger zu garantieren. Das unter- gegebenenfalls auf mögliche (rechts-)extreme und ge- stütze ich. fährliche Neigungen des Antragstellers hinweisen. Wollen wir ein höchstmögliches Sicherheitsniveau, Eine Regelabfrage aller Waffenbesitzer, die von ei- führt das aber auch dazu, dass wir unser Waffengesetz nigen Landesinnenministerien gefordert wird und zur auf Aktualität überprüfen und Änderungen vornehmen Konsequenz hätte, dass alle Waffenbesitzer unter einen müssen, wenn sie der Sicherheit dienen. Mit diesem Ge- Generalverdacht gestellt werden, wird es mit der CDU setzentwurf bringen wir unser Waffengesetz auf den neu- nicht geben. esten Stand. Wie Sie sehen, nehmen wir keine drastischen Ände- Was wollen wir ändern, und was haben wir erreicht? rungen am Waffengesetz vor. Vielmehr wird es zukunfts- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23781

(A) fähig und sicherer ausgestaltet. Das kommt auch unseren sind. Somit wird die Zahl unwillentlich begangener straf- (C) Jägern, Sportschützen und Sammlern zugute. bewehrter Rechtsverstöße minimiert. Die Befürchtungen von legalen Waffenbesitzern hin- Wichtig für uns ist die Erneuerung der Amnestierege- sichtlich noch strengerer Regelungen nehmen wir sehr lung. Wir führen wieder eine befristete Strafverzichtsre- ernst. Ganz klar ist, dass wir nichts verschärfen wollen, gelung ein, um die Zahl illegaler Waffen zu verringern. was schon scharf genug ist. Und das deutsche Waffenge- Für den Zeitraum von einem Jahr können unerlaubt be- setz gehört zu den strengsten Waffengesetzen der Welt. sessene Waffen oder Munition strafos bei den zustän- Wir wollen keine weiteren Verschärfungen, wir wollen digen Stellen abgegeben werden. Eine Überlassung der ein sicheres Waffengesetz. Dies ist mit dem heute zur De- Gegenstände an Berechtigte ist nicht möglich. batte stehenden Gesetzentwurf gelungen. Daher bitte ich Wir setzen die EU-Deaktivierungsdurchführungs- um Ihre Zustimmung. verordnung um. Damit werden neue Standards für die Unbrauchbarmachung von Schusswaffen sowie die Ein- Gabriele Fograscher (SPD): Alle bisherigen Än- zelprüfung jeder deaktivierten Schusswaffe in nationales derungen im Waffenrecht, die wir vorgenommen haben, Recht umgesetzt. haben wir mit Augenmaß gemacht. Und wir haben nur In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes hatte ich Änderungen beschlossen, die einen echten Sicherheits- angekündigt, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion drin- gewinn mit sich bringen. gend eine Regelung fordern, dass Waffen nicht legal in Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: „Wir wer- die Hände von Extremisten gelangen. Mit unserem Ände- den das Waffenrecht im Hinblick auf die technische Ent- rungsantrag setzen wir dieses wichtige Ziel um. Es kann wicklung und auf seine Praktikabilität hin anpassen. Die nicht sein, dass Menschen, die unsere freiheitlich-demo- Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat dabei oberste kratische Grundordnung bekämpfen, sie gar abschaffen Priorität. Wir streben eine erneute befristete Amnestie wollen, legal Schusswaffen besitzen oder erwerben kön- an. Zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit werden wir nen. Künftig wird es so sein, dass die Waffenbehörden darüber hinaus gemeinsam mit den Ländern schrittweise bereits die Anträge auf waffenrechtliche Erlaubnisse und das nationale Waffenregister weiterentwickeln.“ entsprechende Versagungen im Nationalen Waffenregis- ter speichern. Dieser Vereinbarung kommen wir nun nach: Wir pas- sen die Aufbewahrungsstandards an die neuen techni- Damit erhalten die abfrageberechtigten Stellen wie schen Entwicklungen an. Polizei und Nachrichtendienste bereits frühzeitig Infor- mationen, wer eine Waffe beantragt. Doppelbeantragun- Dieser Punkt wird kritisch gesehen. Ich habe zahlrei- gen werden sofort erkannt. Diese Daten im Nationalen (B) (D) che E-Mails erhalten, in denen es heißt, dass diese neuen Waffenregister werden regelmäßig automatisiert mit dem Sicherheitsbehältnisse zu statischen Problemen in Woh- Nachrichtendienstlichen Informationssystem ­NADIS ab- nungen, vor allem in Altbauten, führen würden. Dazu geglichen. Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist be- heißt es in einem Vermerk aus dem Bundesinnenminis- reits im Nationalen Waffenregister enthalten. So erhalten terium, dass dieser Kritik nicht pauschal zugestimmt die Dienste die Information, ob eine bei ihnen gespei- werden könne. Schließlich seien Holzmöbel mit Büchern cherte Person eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt oder Geschirr, große Aquarien oder Wasserbetten vom hat. Diese Information wird dann, so keine Informations- Gewicht her vergleichbar mit den neuen Sicherheitsbe- sperre vorliegt, an die zuständige Waffenbehörde weiter- hältnissen. geleitet. Diese kann dann die Erlaubnis verweigern oder entziehen. Der Abgleich zwischen Nationalem Waffen- Mit dieser Änderung ist eine Besitzstandsregelung register und NADIS wird circa alle vier Wochen statt- verbunden. Diese haben wir – im Gegensatz zum Gesetz- fnden. Dies ist in der Praxis effektiver als die Abfrage entwurf – noch durch einen Änderungsantrag ausgewei- durch die örtlichen Waffenbehörden, die vielfach unter tet. Personalmangel leiden. Von der Besitzstandsregelung werden auch in häus- Ein weiterer Vorteil dieser Regelung: Wird eine Per- licher Gemeinschaft lebende Waffenbesitzer umfassend son aufgrund zum Beispiel extremistischer Bestrebun- proftieren. Häusliche Gemeinschaft umfasst das gemein- gen in NADIS registriert, kann durch den automatischen same Bewohnen einer Wohnung oder eines Hauses durch Abgleich mit dem Nationalen Waffenregister festgestellt nahe Familienangehörige. Dazu zählen auch Studenten, werden, ob diese legal eine Waffe besitzt. Ist das der Fall, Wochenendheimfahrer oder nahe Angehörige, die regel- kann die Erlaubnis entzogen werden. Bei dem anderen mäßig kommen und jederzeit Zutritt haben. Auch im Fal- Verfahren wäre dies nicht möglich. le des Todes des bisherigen Besitzers kann der Mitnutzer als Erbe das alte Sicherheitsbehältnis weiternutzen. Um Jetzt geht es darum, die technische Umsetzung für den aber das Ziel, langfristig die alten Sicherheitsbehältnisse Datenabgleich möglichst zügig zu schaffen. Dazu hat zu ersetzen, zu erreichen, kann in einem solchen Erbfalle Staatssekretär Krings auf meine Anfrage in einer Mail keine neue gemeinschaftliche Aufbewahrung mehr be- vom 9. Mai 2017 erklärt: „Das Bundesministerium des gründet werden. Innern geht davon aus, dass die technische Umsetzung des Abgleichs von in NADIS gespeicherten Extremisten Der Gesetzentwurf vereinfacht das komplizierte Waf- mit im NWR gespeicherten Erlaubnisinhabern binnen fengesetz, in dem Verweise, technische Normen etc. weniger Monate erfolgen kann. Die Speicherung von künftig auf der Ebene der Rechtsverordnung geregelt Anträgen im NWR, die ein Einschreiten der Verfassungs- 23782 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) schutzbehörden bereits im Vorfeld einer Erlaubnisertei- in München. Ein Verbot des Vereins wird derzeit durch (C) lung gewährleisten soll, kann bis zum 1. Januar 2019 die Behörden geprüft. In einem anderen Falle sind un- erfolgen. Die technische Umsetzung einer Regelanfrage ter anderem Verantwortliche eines Schützenvereins in würde einen vergleichbaren Zeitraum beanspruchen.“ Niedersachsen angeklagt, weil 53 waffenrechtliche Ge- nehmigungen unter Mithilfe von Vorstandsmitgliedern Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wir nehmen Sie hier erschwindelt worden sein sollen. Kurz gesagt wurde so beim Wort und erwarten, dass Sie Ihre Zusage einhalten. unrechtmäßiger und illegaler Waffenbesitz und ‑erwerb Abschließend behandelt wird heute auch der Antrag ermöglicht. der Grünen mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch weni- Das Zusammenspiel von Hetze gegen Minderheiten ger Waffen“. Dazu habe ich mich bereits in meiner Rede und Straftaten auch unter Waffeneinsatz verdeutlicht am 10. März dieses Jahres ausführlich geäußert. Das sich in der Gewalt gegen Gefohene und deren Unter- können Sie gerne im Protokoll nachlesen. Ihre Forderun- bringung. Die Zahl dieser Angriffe hat sich im Jahr 2016 gen haben nur Alibicharakter. Ich bleibe dabei: Nicht die gegenüber dem Jahr 2015 mehr als verdoppelt. Stieg die Legalwaffenbesitzer sind das Problem. Die übergroße Zahl rechter Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen Mehrheit von ihnen ist gesetzestreu und hält sich an die von 143 Fällen im Jahr 2010 auf 536 im Jahr 2014, wur- Vorschriften des Waffengesetzes. Anstatt weitere Ver- den im Jahr 2015 schon 1 253 rechte Straftaten mit Waf- schärfungen zu fordern, sollten Sie von den Grünen Ihre fenbezug festgestellt. Gemeint sind natürlich nicht nur Energie lieber darauf verwenden, mit uns Maßnahmen Waffen im Sinne des Waffengesetzes. Das macht die Ge- zu entwickeln, damit Kriminelle und Extremisten effzi- fahr oder das Problem jedoch nicht kleiner. Man muss bei enter am Zugang und an der Nutzung von Waffen und einer Gefährdungsanalyse in diesem Deliktfeld auch in Sprengstoffen gehindert werden. Rechnung stellen, dass allein 750 Neonazis und „rund“ 700 sogenannte Reichsbürger über waffenrechtliche Er- Martina Renner (DIE LINKE): Die Möglichkeiten laubnisse verfügen. des Besitzes und Umgangs mit privaten Waffen stehen im Spannungsfeld der Abwägung zwischen persönlichen Die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie ist an- Interessen von Schützen, Jägern und Sammlern und dem gesichts dieser Zahlen keine bloße Förmelei. Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger. Der Weitere Fakten: Das Bundeskriminalamt hat schon Gesetzgeber agiert in der Frage Restriktion und Kontrol- 2015 festgestellt, dass der illegale Umbau und Handel le des privaten Waffenbesitzes weder unter Generalver- sogenannter Dekorations- und Salutwaffen massiv zu- dacht noch in Unkenntnis der Tatsache, dass der weitaus nimmt und einen nicht unerheblichen Teil der Waffenkri- größere Teil bei Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit minalität ausmacht. Eine solche reaktivierte Salutwaffe (B) illegalen Waffen verübt wird. Zuschriften mit Bedenken hatte der rassistische Hitlerverehrer in München benutzt, (D) gegen die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie neh- um insgesamt neun Menschen überwiegend mit Migra- men wir zur Kenntnis. tionshintergrund zu töten. Inzwischen wurde auch der Allerdings sei noch einmal klar gesagt: Wir kennen die Verkäufer dieser Waffe zur Verantwortung gezogen. Er Statistiken und wissen um die Tatsache, dass die über- hatte an Menschen zwischen 17 und 60 Jahren ähnliche wiegende Zahl von Straftaten unter Schusswaffeneinsatz Waffen verkauft. Noch immer sind solche Dekowaffen – mit illegalen Pistolen und Gewehren stattfndet. Aber die teils mit nur wenigen Handgriffen, auch unter Anlei- wer uns schreibt, alle Inhaber von Waffenbesitzkarten tung aus dem Internet, wieder schussfähig und damit zur und ‑scheinen in diesem Land seien gesetzestreue Bür- tödlichen Gefahr werden – frei verfügbar. Selbst die ver- ger und es drohe eine Enteignung von Waffenbesitzern schiedenen Verbände von Schützen und Jägern fordern, und Ähnliches, der sucht nicht wirklich eine sachliche dass hier höchste Standards europaweit gelten müssen, Debatte und verschließt die Augen vor den Gefahren, die damit solche Waffen dauerhaft unbrauchbar sind. Es feh- mit jeder Form des Waffenbesitzes verbunden sind und len aber – und das vermutlich noch viel zu lange – euro- minimiert werden müssen. päische Standards zu Genehmigung, Handel, Kennzeich- nung und Deaktivierung von Schusswaffen. Zu den Fakten: Nur 25 Prozent der bei Straftaten au- ßerhalb des Waffenrechts verwendeten und dann sicher- Die Tatwaffen der Massaker von Winnenden, Erfurt gestellten Schusswaffen waren im Jahr 2015 illegale und Utoya/Schweden – halbautomatische Pistolen – sind Waffen. In den übrigen Fällen, also bei 75 Prozent, wur- bis heute für deutsche Schützen legal verfügbar. Gera- den überwiegend erlaubnisfreie und auch legale Waffen de Sportschützen, aber auch Jäger nutzen solche Waffen eingesetzt und sichergestellt. Diese Zahlen belegen eben, gerne. Solche Waffen können dazu verwendet werden, in dass auch der legale Waffen- und Munitionsbesitz eine kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Menschen zu verlet- reale Gefahrenquelle ist mit hohem Potenzial, Menschen zen oder zu töten. Dies gilt nicht nur dann, wenn es sich zu verletzen oder auch zu töten. um ehemalige automatische Waffen handelt, die wieder in solche zurückgebaut werden können. Auch solche Die Schützen- und Jägerlobby sollte sich intensiver Selbstlader, die mit einem größeren Magazin bestückt mit den Zahlen und Vorgängen befassen, auch um je- werden können, stellen eine erhebliche Gefahr für die den Verdacht zu vermeiden, man bagatellisiere oder ig- Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dar und wurden noriere entsprechende Fälle. Dazu nur zwei Beispiele: in der Vergangenheit schon für schreckliche Taten miss- Ein Schießsportverein in München wird von der Polizei braucht. Hier ist die Bundesregierung gefordert, Besitz durchsucht, da der Verdacht besteht, er agiere als bewaff- und Nutzung solcher halbautomatischer Waffen endlich neter Arm der rassistischen rechten Pegida-Bewegung zu verbieten, mindestens aber drastisch einzuschränken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23783

(A) Die Behauptung, dass Waffenbesitzer durch die Um- allein 15 260 Schusswaffen im nationalen Waffenregister (C) setzung der EU-Richtlinie enteignet würden, ist un- als abhandengekommen gemeldet. Inzwischen dürften es haltbar und falsch. Es sind großzügige und langfristige mindestens einige Hundert mehr sein. Ein Trend, an dem Übergangsfristen und Vererbungsmöglichkeiten aufge- auch die jetzt geänderten Aufbewahrungsvorschriften nommen worden. Tatsächlich ist es eine Selbstverständ- nichts ändern werden, ebenso wenig wie an der aktuel- lichkeit, dass solche Systeme, wie sie für die Aufbewah- len Aufbewahrungssituation: Waffenschränke, die keinen rung für Schusswaffen und Munition verwendet werden, hinreichenden Schutz gegen Aufhebeln oder Aufbrechen auf dem neuesten technischen Stand sein müssen. Nur bieten, weil sie noch einem Standard entsprechen, der auf diese Weise ist gesichert, dass von Besitz und Auf- schon seit 14 Jahren nicht mehr gilt, können nach Ihrem bewahrung potenziell tödlicher Waffen eine möglichst Gesetzentwurf sogar noch an die Enkelgeneration wei- geringe Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger ausgeht. tervererbt werden. Einzige Voraussetzung: Der Enkel Tragfähige Argumente haben die Kritiker hiergegen nicht stellt in 30 Jahren oder später – nur eben vor dem Tod liefern können. des Großvaters – eine eigene Waffe in Großvaters Waf- fenschrank und erhält einen Wohnungsschlüssel. Wie das Entgegen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen später kontrolliert werden soll, bleibt offen. Das gewähl- darf ich für unsere Fraktion festhalten, dass der Verfas- te Regelungskonzept erscheint mindestens fragwürdig. sungsschutz kein Partner in der Zuverlässigkeitsprüfung Ein regelungstechnischer Sonderfall ist es in jedem Fall. für waffenrechtliche Erlaubnisse sein kann. Bekannter- maßen wurde V-Leuten der Neonaziszene zugeraten, sich Schon dass es eine spezifsch waffenrechtliche Defni- solche Erlaubnisse erst zu beschaffen oder – wie im Falle tion des Begriffs der häuslichen Gemeinschaft gibt, sagt des Thüringers Tino Brandt – schießen üben zu gehen. viel über das deutsche Waffenrecht aus, bei dem „kom- So wurden Gefahren von Amtswegen erst geschaffen und pliziert“ oft mit „streng“ verwechselt wird, selbst wenn verstärkt. Schon deshalb dürfen die Informationen des erhebliche Regelungslücken bereits offen zutage treten. Verfassungsschutzes hier nicht maßgeblich sein. Auch Denken Sie nur an die bekannt gewordenen Fälle, in im Interesse der Rechtswegegarantie müssen Bürgerin- denen Schützenvereine eine wichtige Rolle bei der Be- nen und Bürger schließlich die Möglichkeit haben, eine waffnung eigentlich ausgeschlossener Personen gespielt vollständige gerichtliche Überprüfung einer Verweige- haben: rung oder des Entzugs der waffenrechtlichen Erlaubnis einleiten zu können. Bei Involvierung der Geheimdiens- Da ist zum einen der jüngste Fall der Schießsportgrup- te in die Beurteilung ist dies aber von vornherein verun- pe München e. V.: Ein eingetragener Verein, von dem nun möglicht. befürchtet wird, dass schon die Vereinsgründung nicht sportlich motiviert war, sondern als Instrument zur lega- (B) Es bleibt dabei und ist auch nicht zu leugnen: Von (D) Waffen geht grundsätzlich eine potenziell tödliche Ge- len Bewaffnung einer ganzen Bewegung gesehen wurde. fahr aus. Noch größer ist die Gefahr, wenn Menschen Nicht zuletzt die tödlichen Schüsse auf einen Polizisten meinen, dass sie sich selbst bewaffnen müssten, oder an- bei Nürnberg im letzten Jahr und die umfangreiche Waf- dere dazu anstacheln – ob Rechtsextremist, Reichsbürger fensammlung des Mannes, dessen Ansichten und Bestre- oder als Bürgerwehr. Und diese Gefahr hat gar nichts da- bungen der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen waren, mit zu tun, ob es legale oder illegale Waffen sind. machen die Brisanz einer solchen legalen Möglichkeit der Bewaffnung mit scharfen Schusswaffen deutlich. Wenn wir der Gefahr wirklich Einhalt gebieten wol- len, dann kommen wir um wirksame Beschränkungen im Kaum weniger besorgniserregend ist die Praxis eines Waffenrecht und eine effektive Kontrolle nicht herum. Schützenvereins in Hameln, dessen Funktionäre zah- lungswilligen Kunden auch dann zu einer Schusswaffe verhalfen, wenn diese beispielsweise aufgrund einer Vor- Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Bei ‚Gefährlicher und schwerer Körperverletzung‘ nahm die strafe keine auf legalem Weg erhalten konnten, es eiliger Zahl der Fälle, in denen geschossen wurde, gegenüber hatten, als es die Gesetze zulassen, oder aus sonstigen dem Vorjahr um 25,4 Prozent auf 805 Fälle zu.“ So heißt Gründen lieber keinen eigenen Antrag bei der Waffenbe- es wörtlich im „Bericht zur Polizeilichen Kriminalsta- hörde stellen wollten. tistik 2016“. Die Waffengewalt gegen Gefüchtete, Un- Hier offenbart sich ein Konstruktionsfehler des deut- terkünfte und Helfer hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt. Auch die Zahl bekannter Rechtsextre- schen Waffenrechts, der eine grundlegende Reform not- misten, die eine Waffenerlaubnis besitzen, hat sich seit wendig erscheinen lässt. Gleichzeitig gibt es eine Reihe 2014 nahezu verdoppelt. weiterer Regelungen des geltenden Waffenrechts, die die Belange der öffentlichen Sicherheit nicht hinreichend Wenn das alles für Sie nicht besorgniserregend ist, für berücksichtigen. Den daraus resultierenden gesetzgebe- mich ist es das schon. Ich bin darüber besorgt, dass es für rischen Handlungsbedarf haben wir in unserem Antrag Straftäter weiterhin viel zu leicht ist, an eine Schusswaffe „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“ ausführlich zu gelangen. Die Bundesregierung scheint diese Sorge dargelegt, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. jedoch nicht zu teilen; insbesondere scheint die Bundes- Auch möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal regierung nicht wegen der vielen Schusswaffen besorgt an die Anhörung dazu im Innenausschuss erinnern, bei zu sein, die Jahr für Jahr in Deutschland abhandenkom- der viele Experten wichtige Hinweise gegeben haben, die men oder gestohlen werden. Die Dunkelziffer ist kaum jedoch leider keine Resonanz im vorliegenden Gesetz- zu schätzen. Mit Stand vom 30. September 2016 waren entwurf der Bundesregierung gefunden haben. 23784 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Ich bin davon überzeugt, dass diese Untätigkeit Men- Karsten Möring (CDU/CSU): Die sogenannte Mi­ (C) schenleben kostet! Mir ist das jedenfalls unbegreifich: namata-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Sicherheitsgesetze scheinen bei der Großen Koalition Jahr 2013, die wir heute diskutieren, fordert den Aus- Konjunktur wie nie zu haben – nur beim Waffenrecht stieg aus der Quecksilberwirtschaft bis zum Jahr 2020. halten sie den Ball lieber fach. Dabei wäre das die Art Minamata ist der Name einer Stadt in Japan, in der eine echter sachlicher Sicherheitspolitik, die tatsächlich ei- Quecksilberkatastrophe Mitte letzten Jahrhunderts viele nen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten kann. Polizisten Opfer forderte: Der Chemiekonzern Chisso leitete seiner- im Streifendienst werden es Ihnen bestätigen: Weniger zeit jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser in die vorge- Waffen im Umlauf sind ein direkter Beitrag zu mehr Si- lagerte Bucht der Stadt – und vergiftete damit unzählige cherheit. Menschen. Viele litten unter Lähmungen, Nerven- und Mehr Sicherheit brächte auch eine Beschränkung der Organschäden, Kinder kamen mit Missbildungen zur Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen. Die Lis- Welt. Mit der Namensgebung soll an die Opfer erinnert te schwerer Straftaten, die in der jüngsten Vergangen- und zugleich vor den Folgen der Quecksilberemissionen heit mit Acetonperoxid, auch bekannt als APEX oder und des verantwortungslosen Umgangs mit dem Schwer- TATP, begangen wurden, ist lang. Die nationalen Tatorte metall gewarnt werden. der letzten Jahre lagen unter anderem im Sauerland, in Es gibt nur einen Weg, solche Unfälle sicher zu ver- Frankfurt/Oberursel, in Bottrop, Ansbach, Leipzig und meiden: den konsequenten Ausstieg aus der Quecksilber- Chemnitz. Oder denken Sie auch an die Anschläge in produktion. Da unsere Wirtschaft heute global vernetzt Paris und Brüssel. All diese Täter haben sich für TATP ist, müssen dabei alle Staaten an einem Strang ziehen. entschieden und die erheblichen Risiken bei dessen Her- stellung in Kauf genommen, da sie die notwenigen Aus- Dieses Kunststück ist beim Insektenvernichtungsmittel gangsstoffe relativ leicht beschaffen konnten. Ein sicher- DDT und oder den Treibhausgasen FCKW bereits gelun- heitsrelevanter Umstand, dem viel zu lange zu geringe gen. Jetzt soll auch Quecksilber weltweit aus Produkten Aufmerksamkeit zuteilwurde. verschwinden – das ist eines der wichtigsten Ziele der internationalen Minamata-Konvention. Ein Meilenstein Inzwischen liegt eine Neufassung der Chemikali- für die Umwelt: Deutschland hat sich daher seit Verhand- en-Verbotsverordnung vor. Doch am Grundproblem lungsbeginn stark für die Konvention eingesetzt. ändert sich dadurch wenig, denn ohne entsprechend konkrete Kriterien zur Identifzierung verdächtiger Trans- Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall, das aktionen hängt weiterhin zu viel von der Aufmerksam- in hoher Dosierung tödlich ist. Am höchsten ist das Ge- keit des Verkaufspersonals beispielsweise im Baumarkt sundheitsrisiko, wenn Quecksilberdämpfe eingeatmet ab. Eine sachlich begründete Sicherheitspolitik, die den werden oder Quecksilber in Kontakt mit der Haut gerät. (B) Rat der Sachverständigen und Experten ernst nimmt und In der Umwelt breitet sich Quecksilber oftmals weiträu- (D) die Praxis im Blick hat, sieht anders aus. Und – damit bin mig über Wasser und Luft aus. Es wird von Tieren und ich wieder beim Waffengesetz – ein Gesetz, dass auf so Pfanzen aufgenommen. Mehr als 20 Prozent der welt- zentrale Weise Auswirkungen auf die innere Sicherheit weiten Emissionen entstehen als Abfallprodukt bei der hat, sollte so geschrieben sein, dass seine Anwendung Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung – einer möglichst einfach und rechtssicher ist. Das Bestreben, der Hauptemittenten­ ist zum Beispiel China. Durch die dies zu erreichen, vermag ich weder beim vorliegenden Entwicklung von alternativen Technologien und Reini- Gesetzentwurf noch beim Änderungsantrag zu erkennen, gungsverfahren und einem entsprechenden Technolo- weshalb wir diesem Gesetz trotz einiger Verbesserungen gietransfer zur Unterstützung der Entwicklungs- und im Detail insgesamt nicht zustimmen können. Schwellenländer sollen diese Emissionen langfristig ver- ringert werden.

Ziel der Minamata-Konvention ist es, den Ausstoß von Anlage 9 Quecksilber weltweit einzudämmen. Sie dient damit dem Zu Protokoll gegebene Reden Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt dort, wo Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, zur Beratung: aber auch dort, wo sie hintransportiert werden. So müs- – des von der Bundesregierung eingebrachten sen die künftigen Vertragsstaaten dafür sorgen, die Ver- Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- wendung von Quecksilber bei der industriellen Produkti- men von Minamata vom 10. Oktober 2013 über on deutlich zu reduzieren. Die Staaten verpfichten sich, Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) ab 2020 keine quecksilberhaltigen Produkte wie Batte- – der Beschlussempfehlung und des Berichts des rien, Beleuchtungskörper, Kosmetika, Seifen, Schalter Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau oder Thermometer mehr herzustellen oder zu verkaufen. und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- Abfälle des hochgiftigen Schwermetalls dürfen nur unter geordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, strengen Aufagen gelagert und entsorgt werden. Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter Nach Inkrafttreten der Konvention dürfen in den Ver- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: tragsstaaten keine neuen Quecksilberminen mehr eröff- Minamata-Konvention zu Quecksilber unver- net werden. Für den kleingewerblichen Goldbergbau züglich ratifzieren müssen die Staaten zudem Maßnahmen zum Schutz der (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Arbeiterinnen und Arbeiter ergreifen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23785

(A) Viele Goldschürfer setzen beim Schürfprozess Queck- derung annehmen – damit sich Ereignisse wie in Mi­ (C) silber ein, welches verdampft und die Gesundheit der Ar- namata nicht wiederholen. Deshalb bitte ich Sie, ja ich beiterinnen und Arbeiter sowie die Umwelt gefährdet. fordere Sie auf, jetzt Ihre Zustimmung zu diesem wichti- Für neue Kohlekraftwerke gilt der Grundsatz, die beste gen Gesetz zu geben. verfügbare Technik zum Schutz vor Quecksilberemissi- onen einzusetzen. Ein im Rahmen der Konvention neu Ulli Nissen (SPD): Mit der heutigen zweiten und drit- einzurichtender Ausschuss soll die Umsetzung der Kon- ten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- vention überwachen. einkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Ende letzten Jahres haben sich Unterhändler des Eu- Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) machen wir ropäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten auf eine den Weg frei für die Ratifzierung. Gemäß Artikel 59 neue EU-Quecksilberverordnung verständigt. Die CDU/ Absatz 2 Grundgesetz muss hierfür die Zustimmung des CSU bewertet die Einigung als ausgewogenen und rea- Bundestages eingeholt werden. Das tun wir heute, und listischen Kompromiss, der viele Themen- und Indust- es wird auch höchste Zeit, dass wir dieses Abkommen riebereiche betrifft. So sieht die neue Verordnung unter ratifzieren. anderem ein Verbot bzw. einen streng regulierten Im- und Das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber Export vor. Die Verwendung von Quecksilber bei der in- wurde am 19. Januar 2013 in Genf ausgehandelt und dustriellen Produktion soll außerdem deutlich reduziert am 10. Oktober 2013 von der Bundesregierung in Ja- werden. In Deutschland und Europa sind im weltwei- pan unterzeichnet. Worum geht es in diesem Abkom- ten Vergleich bereits strenge Vorgaben Quecksilber be- men überhaupt? Das Minamata-Übereinkommen soll die treffend in Kraft sind. Von den hohen Standards, die in menschliche Gesundheit und die Umwelt vor durch den Minamata beschlossen und jetzt durch die EU umgesetzt Menschen verursachten Emissionen und der Freisetzung werden, proftieren aber natürlich auch die europäischen von Quecksilber und Quecksilberverbindungen schützen. und deutschen Verbraucher durch einen weltweit sinken- Menschen und Umwelt sollen dort geschützt werden, wo den Ausstoß. Insbesondere die Quecksilberbelastung von Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, aber auch Fischen ist nämlich vielerorts auch in Europa schon ein dort, wo sie hintransportiert werden. Problem. Der Name geht zurück auf die Stadt Minamata. Mitte Es ist richtig, dass wir überzogenen Forderungen, der 1950er-Jahre kam es dort bei zahlreichen Menschen etwa nach einem sofortigen Komplettverbot bestimmter und Tieren zu schwersten Gesundheitsschäden. Sie erlit- industrieller Prozesse oder einem sofortigen Zahnamal- ten Schädigungen am zentralen Nervensystem aufgrund gamverbot, nicht nachgeben. Wir sollten hier nicht das chronischer Quecksilbervergiftung. Der Chemiekonzern Kind mit dem Bade ausschütten. Die Sicherheitsstan- (B) Chisso hatte jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser un- (D) dards in Deutschland und Europa sind sowohl im Um- gefltert in die der Stadt vorgelagerte Bucht eingeleitet. welt- als auch im Gesundheitsbereich sehr hoch. Es wur- Die Quecksilberverbindungen waren über das Trinkwas- de in diesem Bereich ein Kompromiss mit Augenmaß ser und Lebensmittel, vor allem über Fisch, aufgenom- gefunden: So soll ab dem 1. Juli 2018 Zahnamalgam bei men worden. Symptome der sogenannten Mi­namata- Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen nur Krankheit sind Müdigkeit, Lähmungen, Missbildungen, noch in absoluten medizinischen Ausnahmen verwendet Organ- und Nervenschäden sowie Schädigungen am Im- werden. Bis 2020 wird geprüft, ob Zahnärzte ab 2030 munsystem. ganz darauf verzichten sollen. Ich denke, dass diese Re- gelung nicht nur realistischer, sondern auch im Interesse Schätzungen zufolge wurden etwa 17 000 Menschen der Patientinnen und Patienten deutlich besser ist als die durch die Quecksilberverbindungen mehr oder weniger Idee eines Komplettverbots von Amalgam. schwer geschädigt. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 3 000 geschätzt. Indem das Abkommen nun den Namen Das Inkrafttreten des Übereinkommens erfolgt mit der trägt, soll auch an die Toten und die tragischen Ereignisse Ratifkation durch mindestens 50 Staaten. Mittlerweile gedacht werden. wurde das Übereinkommen von 128 Staaten gezeich- net und von 35 Staaten ratifziert. Da die Umsetzung Und natürlich soll das Übereinkommen dafür sorgen, der Verpfichtungen EU-weit im Wege einer unmittelbar dass zukünftig niemand mehr zu Schaden kommen wird. in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung erfolgen Mit dem Übereinkommen von Minamata sollen negative wird, waren zunächst die entsprechenden Verhandlun- Einfüsse durch den Umgang mit Quecksilber verringert gen abzuwarten. Nach der Einigung zwischen Kommis- und Risiken minimiert werden, indem Nutzung, Produk- sion, Rat und Europaparlament zum Entwurf der neuen tion, Lagerung und Handel reguliert werden. EU-Quecksilberverordnung Ende letzten Jahres hat die So wird es ab 2020 verboten sein, quecksilberhaltige Bundesregierung unverzüglich die notwendigen Schritte Produkte wie bestimmte Leuchtmittel oder Thermometer für die rechtzeitige Ratifkation eingeleitet. zu produzieren oder zu verkaufen. Zudem wird es strenge Ich bin zuversichtlich: Mit dem Minamata-Überein- Aufagen für Lagerung und Entsorgung von Quecksilber- kommen rückt das Vorhaben, das giftige Schwermetall abfällen geben. Auch sollen neue Quecksilberminen ver- weltweit zu verbannen, in immer greifbarere Nähe. Seit- boten werden. Für kleingewerblichen Bergbau müssen dem bemühen sich die Staaten um die Reduzierung der die Vertragsstaaten zudem Maßnahmen zum Schutz der Emissionen und forschen an alternativen Technologien, Arbeiterinnen und Arbeiter treffen. Für Kohlekraftwerke um Quecksilber in der Produktion erfolgreich zu erset- gilt es die beste verfügbare Schutztechnik vor Quecksil- zen. Politik und Unternehmen müssen diese Herausfor- beremissionen zu nutzen. 23786 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Wir fnden also zahlreiche gute und wichtige Maßnah- das Abkommen in Kraft tritt und die noch fehlenden (C) men zum Schutz von Mensch und Umwelt. Ratifzierungen durch andere Staaten schnell zustande kommen. Warum hat es denn nun fast vier Jahre gedauert von der Unterzeichnung bis zur Ratifzierung? Der Grund lag da- Trotz allem Positiven, was das Abkommen bringt, rin, dass einiges im EU-Recht angepasst werden musste. stellen sich uns konkrete Fragen: Denn auch wenn vieles im Minamata-Übereinkommen EU-weit bereits geregelt war, gab es doch einige regu- Wird die Bundesregierung ihren politischen Einfuss latorische Lücken. So fehlten zum Beispiel Regelungen nutzen, um bilateral weitere Staaten zur Ratifzierung über die Einfuhr von Quecksilber, die Ausfuhr bestimm- zu bringen und Impulse zu setzen, dass das Abkommen ter mit Quecksilber versetzter Produkte, die Verwendung schnell in Kraft treten kann? von Quecksilber in bestimmten Herstellungsprozessen Wie lange wird es nach Inkrafttreten des Abkommens und auch über die Verwendung von Quecksilber im dauern, bis wir einen nationalen Maßnahmenplan vor- kleingewerblichen Goldbergbau oder beispielsweise die liegen haben, der wirksam den Quecksilberausstoß in Verwendung von Quecksilber in Dentalamalgam. Deutschland signifkant reduzieren kann? Im Sinne der Rechtsklarheit sollten die aus dem Über- einkommen erwachsenden Verpfichtungen, die noch Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Gro- nicht in EU-Recht umgesetzt waren, in einem einzigen ßen Koalition: Einigen Ihrer Freunde aus der Kohleener- Rechtsakt zusammengefasst werden. Dieses EU-Ratif- giewirtschaft wird dieses Abkommen Sorgenfalten ins kationspaket wurde am 6. Dezember 2016 abschließend Gesicht treiben. Pro Jahr emittiert der deutsche Kohle- ausgehandelt. kraftwerkpark 9 Tonnen Quecksilber. 9 Tonnen Queck- silber – das entspricht einer Kugel mit einem Durchmes- Neben dem Gesetzentwurf haben wir heute auch den ser von 1 Meter. Eine solche Quecksilberkugel steigt Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen: allein aus unseren Kohlekraftwerken jährlich in die At- „Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ra- mosphäre auf. Diese Quecksilbermenge muss dann mit tifzieren“. Da wir dies ja nun gerade tun, ist Ihr Antrag Filtern oder über die Abschaltung der Kraftwerke verrin- damit auch überfüssig. Und es wird Sie nicht verwun- gert werden. dern, dass wir ihn ablehnen werden. Wird das Minamata-Abkommen zu einem zügigen Das Minamata-Übereinkommen tritt 90 Tage nach der Kohleausstieg in Deutschland führen, oder setzt die Bun- Ratifzierung durch den 50. Unterzeichnerstaat in Kraft. desregierung auf technischen Umbau der Kraftwerke, da- Bis heute waren es 44 Staaten der 128 Unterzeichner, die mit die Quecksilbergrenzwerte eingehalten werden? Und (B) das Abkommen bereits ratifziert haben. wer soll diesen Umbau bezahlen? (D) Im Ausschuss – das sei noch kurz erwähnt – haben So oder so: Es wird deutlich, dass der ach so billige alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zugestimmt. Denn Kohlestrom gar nicht so billig ist und unsere Gesellschaft natürlich ist es nur zu begrüßen, dass Deutschland nun die Folgekosten für Umwelt und Natur irgendwann zah- als 45. Staat das Übereinkommen ratifziert. len muss. Von 24. bis 29. September dieses Jahres wird in Genf Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die erste Vertragsstaatenkonferenz des Minamata-Über- strenge Regeln für die Einhaltung der notwendigen einkommens stattfnden. Auf dieser Konferenz sollen Grenzwerte schafft. Verzichten Sie auf lange Übergangs- sich die Staaten, die das Abkommen ratifziert haben, bestimmungen; unsere Gesundheit ist keine Verhand- über weitere Maßnahmen austauschen. Dabei kann es um lungsmasse! Die Linke fordert, dass die Kosten für die technische, administrative, aber auch fnanzielle Angele- Quecksilberreduktion von den Kraftwerksbetreibern zu genheiten gehen. zahlen sind und nicht auf die Strompreise umgelegt wer- den dürfen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Dass Quecksilber gif- tig ist, wissen fast alle. Dass es, einmal freigesetzt, sich Aber wahrscheinlich werden CDU/CSU, SPD, even- in der Natur nicht abbaut und dann irgendwann in unse- tuell die FDP und diese falsche Alternative vor der Kraft- rer Nahrung landet, ist eine Tatsache. Aus diesem Grund werkslobby einknicken und die Kosten den Stromkunden wird die Verwendung von Quecksilber für Industriepro- aufdrücken oder unsere Natur weiter mit Quecksilber be- zesse und in den meisten Gebrauchsgegenständen seit lasten. Jahren eingedämmt und verboten. Deswegen nenne ich Ihnen die wirkliche Alternative: Aber bei Energiesparlampen wird weiter Quecksilber Die Linke fordert einen zügigen Ausstieg aus der Kohle. erlaubt, und das gelangt beim Zerbrechen der Lampe oder Das ist der einzige Weg, mit dem Problem gesundheits- bei falscher Entsorgung in die Umwelt. Auch die Kohle- politisch, umweltgerecht und sozial verantwortungsvoll kraftwerke sind als Quecksilberschleudern bekannt. umzugehen. Alles andere wäre Hinhaltetaktik. Die Linke begrüßt deshalb die Ratifzierung des Min- Wir freuen uns über die Ratifzierung des Abkom- amata-Abkommens ausdrücklich und wird dem Ge- mens. Es ist ein wesentlicher Schritt vorwärts. An der Art setzentwurf der Bundesregierung zustimmen; denn mit der Umsetzung in Deutschland werden wir bewerten, wie diesem Abkommen verpfichten sich die Staaten, Queck- ernsthaft und auf wessen Kosten die anderen Parteien das silberemissionen zu verringern. Es ist höchste Zeit, dass Problem Quecksilber angehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23787

(A) Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach Herz legen. Vielleicht fnden Sie ja dort die ein oder an- (C) jahrelangen Vorarbeiten wurde im Oktober 2013 das dere hilfreiche Anregung. Minamata-Übereinkommen zu Quecksilber unterzeich- net. Ich begrüße die Konvention, denn die Auswirkungen Auch begrüße ich die neue Verordnung der EU über von Quecksilber auf die Gesundheit sind gravierend. Quecksilber, denn bisher gab es kaum verbindliche Vor- gaben im europäischen Recht zur Begrenzung von Queck- Bei Erwachsenen führen Quecksilbervergiftungen silberemissionen. Weder das Merkblatt „Beste verfügba- zu irreparablen Schädigungen der inneren Organe wie re Technik“ für Großfeuerungsanlagen (BVT-Merkblatt) etwa der Leber und der Nieren sowie des Nervensys- tems. Hochgradig gefährdet sind Föten, Säuglinge und aus dem Jahr 2006 noch die Industrieemissionsrichtlinie Kleinkinder, da eine Quecksilbervergiftung in der früh- aus dem Jahr 2010 enthielt bisher Emissionsgrenzwerte kindlichen Entwicklungsphase zu Missbildungen, geisti- für Quecksilber aus Kohlekraftwerken. Es liegt jetzt an ger Behinderung, Krampfanfällen, Seh- und Hörverlust, der Bundesregierung, die Verordnung konsequent anzu- verzögerter Entwicklung, Sprachstörungen und Gedächt- wenden. nisverlust führt. Zwar wurden in den vergangenen Jahren die Da Quecksilber (Hg) weder biologisch noch chemisch BVT-Merkblätter überarbeitet; allerdings wäre dies kein abbaubar ist, reichert es sich in der Nahrungskette an. Hinderungsgrund gewesen, schärfere Umweltvorschrif- Gerade organische Quecksilberverbindungen sind hoch- ten in der Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen toxisch und können zu einer chronischen Quecksilberver- und Verbrennungsmotoranlagen (13. BImSchV) sowie giftung, auch bekannt als Minamata-Krankheit, führen. der Verordnung über die Verbrennung und die Mitver- Chronische Vergiftungen entstehen unter anderem brennung von Abfällen (17. BImSchV) einzuführen und über die Aufnahme von Quecksilber am Arbeitsplatz die Bevölkerung effektiv vor Quecksilber zu schützen. wie etwa durch das Einatmen von Quecksilberdämpfen Diese Auffassung wird auch in dem genannten Gutachten im Gesundheitswesen oder in Laboren, Unfälle oder vertreten. schlecht verarbeitetes Zahnmetall (Amalgam). Steigen Sie endlich in den Kohleausstieg ein! So kön- Eine weitere Ursache für chronische Quecksilberver- nen Sie quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die giftungen ist die Aufnahme von Quecksilber über die klimapolitischen Ziele erfüllen und die Bevölkerung vor Nahrungskette. Gerade in der marinen Nahrungskette Quecksilberemissionen schützen. Dazu wäre es sinnvoll, reichern sich organische Quecksilberverbindungen in endlich die immissionsschutzrechtliche Privilegierung Lebewesen an. der Kohleverstromung aufzuheben und die Einhaltung (B) Als erster Unterzeichnerstaat haben die USA bereits von strengen Emissionsgrenzwerten für krebserzeugende (D) am 6. November 2013 die Minamata-Konvention rati- Stoffe sicherzustellen, indem man sich beispielsweise an fziert. Mittlerweile sind 43 Staaten hinzugekommen, den US-Grenzwerten für Quecksilberemissionen orien- darunter auch Japan, Kanada und China. Nun wird die tiert. Konvention endlich auch von Deutschland ratifziert und umgesetzt. In der Gesundheitspolitik sollten wir es Schweden und Norwegen nachmachen, die Amalgamfüllungen bereits Wir Grüne haben die Bundesregierung schon vor ei- verboten haben. Folgen Sie doch einfach einer Studie im nem Jahr mit unserem Antrag aufgefordert, endlich die Auftrag der EU-Kommission zur Abschätzung der Aus- erforderlichen Schritte zur Ratifzierung in die Wege zu wirkung verschiedener Handlungsoptionen bezüglich leiten. Zahnamalgam. Diese hat nämlich bereits festgestellt, Es ist zwar zu begrüßen, dass Deutschland die Min- dass ein Amalgamverbot gesamtwirtschaftlich die vor- amata-Konvention nun ratifziert. Allerdings stellen sich teilhafteste Lösung wäre. mir durchaus einige Fragen: Warum ist Deutschland bei einem umweltpolitischen Thema mal wieder Nachzüg- Das Europäische Parlament hat wenigstens bewirkt, ler? Wieso fehlt ein Fahrplan zur konkreten Umsetzung dass in der oben genannten Verordnung festgelegt wur- der Konvention in praktische Politik völlig, obwohl Sie de, dass ab dem 1. Juli 2018 Dentalamalgam nicht mehr mehr als drei Jahre Zeit dafür hatten? für die zahnärztliche Behandlung von Milchzähnen, von Kindern unter 15 Jahren und von Schwangeren oder Stil- Laut dem Umweltinformationsportal des Bundes wur- lenden verwendet werden darf. Allerdings mit der Aus- den von 2013 bis 2015 über 20 Tonnen Quecksilber in nahme, dass eine Behandlung mit Dentalamalgam auf- die Luft emittiert. Quecksilber ist schon heute im Fettge- grund medizinischer Erfordernisse bei einem Patienten webe von Fischen in allen Gewässern Deutschlands ubi- als zwingend notwendig angesehen wird. quitär, das heißt überall nachweisbar. Angesichts dieser Tatsache ist das, was Sie betreiben, nicht mehr Regieren Sie sehen: Die heutige Ratifzierung der Minama- mit ruhiger Hand, sondern fast schon fahrlässige Körper- ta-Konvention ist ein notwendiger, richtiger Schritt zur verletzung. Reduzierung der Belastung unserer Bevölkerung und un- Was wir dringend brauchen, ist ein Fahrplan für den serer Umwelt mit giftigem Quecksilber. Hinreichend ist Quecksilberausstieg. Hier möchte ich Ihnen das Gut- er nicht! Es bleibt viel zu tun für die nächste Regierung, achten einer medienübergreifenden Quecksilbermin- im Interesse von Umwelt und Gesundheitsschutz – hof- derungsstrategie für Nordrhein-Westfalen aus 2016 ans fentlich dann unter starker grüner Beteiligung! 23788 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Anlage 10 bei der Einführung der elektronischen Akte in der Jus- (C) tiz minimiert Medienbrüche und fördert länderüber- Zu Protokoll gegebene Reden greifend sinnvolle Lösungen für einheitliche Standards zur Beratung des von der Bundesregierung einge- und bundeseinheitliche Austauschformate. Ich halte die brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung lange Übergangsfrist bis zur verbindlichen Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur am 1. Januar 2026 für sinnvoll, um die entsprechenden weiteren Förderung des elektronischen Rechtsver- Fachverfahren für vollelektronische Geschäftsprozesse kehrs (Tagesordnungspunkt 27) pilotieren zu können. Die bisher durchgeführten Mo- dellprojekte und Pilotprojekte, wie z. B. eIP in Bayern, VIS-Justiz in Baden-Württemberg oder e2A in Nord- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem vor- rhein-Westfalen betreffen ausschließlich das Zivilrecht. liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll nun auch im Strafverfahren eine gesetzliche Grundlage für Was genau versteht man unter einer „e‑Akte“? Sie die Einführung der elektronischen Akte geschaffen wer- wird beschrieben als „ein defniertes System elektro- den. Dies soll als Voraussetzung für einen Medienwech- nisch gespeicherter Daten“. Dies ist im Hinblick auf die sel geschehen, welcher den technischen Fortschritt nach- schnell fortschreitende Entwicklung der Informations- vollziehen und die Strafjustiz modernisieren wird. Wenn technik grundsätzlich sachgerecht. Allerdings wird da- in der Privatwirtschaft und in vielen Behörden bereits di- durch umso wichtiger, dass Bund und Länder bei den für gital gearbeitet wird und die Vorzüge der elektronischen ihre jeweiligen Bereiche zu erlassenden Regelungen von Aktenführung genutzt werden, darf die Justiz in Strafver- gleichen Voraussetzungen ausgehen. fahren nicht hinter modernen Standards zurückbleiben. Die elektronische Akte ist deutlich mehr als die Pa- Ich begrüße daher das Anliegen dieses Gesetzentwur- pierakte. Die mit einer elektronischen Aktenführung ein- fes, auch für Strafsachen den elektronischen Rechtsver- hergehende automatisierte Verarbeitung personenbezo- kehr einzuführen und die Möglichkeit der elektronischen gener Daten ermöglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung zu schaffen. Straf- und Ermittlungsakten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere könnten mit dem Inkrafttreten der Neuregelung elektro- Recherche, Filterung oder Verknüpfung von Daten. Dies nisch angelegt und geführt werden. Insoweit wird auch bedeutet letztlich auch eine Beschleunigung der Arbeits- für den Bereich der Strafsachen die Rechtsgrundlage prozesse insgesamt – bei der täglichen Arbeit bei den Ge- geschaffen, welche für andere Verfahrensarten bereits richten und Staatsanwaltschaften. existiert. So haben wir schon Regelungen in den §§ 298a ZPO, § 46e ArbGG, § 52b FGO, § 65b SGG und § 55b Neben der höheren Informationsqualität und Informa- VwGO. tionsaktualität zählt auch der Platzgewinn. In der brei- (B) ten Öffentlichkeit fehlt jedoch oft das Vertrauen, dass (D) Auf dieser Grundlage ist der elektronische Rechts- Daten elektronisch besser geschützt sind als in Papier- verkehr beispielsweise in Nordrhein-Westfalen bei allen form. Die Datensicherheit und der Datenschutz sind ein Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsgerichten so- großes Thema und genießen auf nationaler und europäi- wie in bestimmten Zivilverfahren, wie im Mahnverfah- scher Ebene einen hohen Stellenwert. Viele fürchten die ren oder in Registersachen, und bei einzelnen Land- und Manipulation der Daten durch Hackerangriffe oder auch Amtsgerichten eröffnet. Verfahrensbezogene Dokumente staatliche Kontrolle. Dabei ist die Sicherheit von elek- können elektronisch eingereicht werden. Die Ausdeh- tronischen Akten keinesfalls geringer als von Akten in nung auf das Strafverfahren ist daher nur folgerichtig. Papierform. Wir müssen daher genau regeln, innerhalb welcher Grenzen die Strafverfolgungsbehörden die in Ebenfalls begrüßenswert ist, dass erstmals ein Stich- den Akten gespeicherten Daten verwenden dürfen und tag festgesetzt werden soll, ab dem bundesweit die Füh- welche Personen Zugriff erhalten. Dies ist mit dem vor- rung der elektronischen Akten gesetzlich verpfichtend liegenden Gesetzesentwurf gelungen. Zum einen haben wird. Bis zum 25. Dezember 2025 würde die elektro- wir die unbestimmten Rechtsbegriffe wie „Rahmenbe- nische Aktenführung dabei lediglich eine Option dar- dingungen“ und „geltende Standards“ näher bestimmt, stellen. Ab dem 1. Januar 2026 sollen neu anzulegende so zum Beispiel durch Einführung des Begriffs „Stand Akten dann nur noch elektronisch zu führen sein. Damit der Technik“. Des Weiteren haben wir Schutzziele klarer soll die fächendeckende verbindliche Einführung der benannt, indem wir das Verhältnis zur „Grundnorm“ § 9 elektronischen Aktenführung im Bereich der Strafjustiz BDSG konkreter herausgearbeitet haben. bereits jetzt gesetzlich vorgegeben werden. Ein einheit- licher Stichtag bietet Planungssicherheit und erhöht zu- Ein wichtiges Anliegen für uns war die gesellschaft- dem die Chance, alle Beteiligten frühzeitig in die Umset- liche Teilhabe von Menschen mit Behinderung – vor al- zung einzubinden. Diese Chance sollte genutzt werden, lem, den barrierefreien Zugang zur Justiz zu verbessern. zum Wohle einer effektiven, modernen und effzienten Mit diesem Gesetzesentwurf wird hierfür eine wichtige Strafjustiz. Voraussetzung geschaffen. Durch viele Gespräche mit zum Beispiel sehbehinderten Menschen konnten deren Im Zusammenhang mit der Zulassung elektronischer Interessen so gut wie möglich im Gesetz Berücksichti- Strafakten soll zugleich die elektronische Kommunikati- gung fnden. on zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Ge- richten sowie der elektronische Rechtsverkehr im Straf- Die fächendeckende Umstellung des Strafverfahrens verfahren unter Absenkung bestehender Zugangshürden auf elektronische Arbeitsgrundlagen ist ein ambitionier- neu geregelt werden. Das bundeseinheitliche Vorgehen tes Vorhaben, welches nur gelingen kann, wenn es gründ- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23789

(A) lich vorbereitet und sorgfältig durchgeführt wird und technischen Voraussetzungen des Datenschutzes an den (C) wenn hierbei alle Beteiligten intensiv und vertrauensvoll Fortschritt anzupassen. zusammenarbeiten. Nachdem die Bedenken aus unserer Sicht ausgeräumt werden konnten, bleibt mir nur, einen Blick in die Zukunft Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit der heutigen Be- zu werfen. Ich verspreche mir mit der Einführung der ratung möchten wir den Gesetzentwurf zur Einführung elektronischen Akte eine Vielzahl von Synergieeffekten. der elektronischen Akte im Strafverfahren zum Ende Insbesondere das Versenden der Akten zwischen Staats- bringen. Ich möchte den Beteiligten für die guten Ver- anwaltschaft und den ermittelnden Polizeibehörden oder handlungen und den gelungenen Abschluss danken. Es an den Strafverteidiger zur Akteneinsicht nimmt derzeit steht ein zukunftsweisender Gesetzentwurf zur Abstim- noch viel Zeit in Anspruch. Mit einem schnellen Zugriff mung. auf die elektronische Akte wird sich die Verfahrensdauer Viele Anwaltskanzleien verzichten heute bereits auf zwischen einer Tat und deren Aburteilung voraussicht- die Papierakte, sodass nach Akteneinsicht nur noch eine lich erheblich verkürzen. Dies wäre ein großer Schritt für Kopie in digitaler Form vorliegt. Die Vorteile lassen sich mehr Vertrauen in und Akzeptanz der Justiz. nicht von der Hand weisen: Umfangreiches Aktenmate- Ich kann nur um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten. rial muss zur Hauptverhandlung nicht in den Gerichts- saal geschleppt werden. Der Strafverteidiger hat die Akte handlich und leicht transportabel auf dem Laptop dabei. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Im 21. Jahrhundert Aber auch Ermittlungsbehörden und Gerichte sichten be- sind wir in der Epoche der Digitalisierung angekommen. reits heute große digitalisierte Aktenbestände am Bild- Auch wenn für den einen oder die andere das Internet schirm. Selbst die Papierakte besteht aus einer Vielzahl noch Neuland ist, führt kein Weg davon zurück. Ohne von Dokumenten, die auch elektronisch vorliegen, wie elektronischen Datenverkehr und den Zugang zu Infor- beispielsweise der Mailverkehr oder Vernehmungsproto- mationen ist das heutige Leben unvorstellbar. kolle. Die Einführung der elektronischen Akte im Straf- In weiten Bereichen der privaten, geschäftlichen und verfahren ist der logische Schritt, damit der technische öffentlichen Kommunikation hat sich die elektronische Fortschritt nachvollzogen wird. Dokumentenerstellung, -übermittlung und -speicherung Die Modernisierung der Strafjustiz ist uns ein großes durchgesetzt. Auch in den meisten gerichtlichen Verfah- Anliegen, zumal die elektronische Gerichtsakte in den rensordnungen besteht seit vielen Jahren die Möglichkeit anderen Verfahrensordnungen bereits im Jahr 2013 be- der elektronischen Aktenführung. Strafakten sind dage- schlossen wurde. gen bislang noch in Papierform zu führen, obwohl die (B) Mehrzahl der darin befndlichen Dokumente bereits mit- (D) Ich bin überzeugt, dass die elektronische Aktenfüh- tels elektronischer Datenverarbeitung erstellt wurde und rung bei den Praktikern in der Justiz und Anwaltschaft zunehmend auch elektronisch übermittelt werden wird. auf Zustimmung stoßen wird. Um einen behutsamen Übergang zu schaffen und mögliche Startprobleme zu Daher wird mit diesem Gesetz nun auch in Strafver- beseitigen, wird die elektronische Verfahrensakte erst fahren eine gesetzliche Grundlage für die Einführung ei- im Jahr 2026 verpfichtend sein. Die Möglichkeit der ner elektronischen Akte als Voraussetzung für einen Me- elektronischen Aktenführung wird aber bereits ab dem dienwechsel geschaffen, die den technischen Fortschritt Jahr 2018 bestehen. Wir haben ein Gesetz geschaffen, nachvollzieht und die Strafjustiz modernisiert. Die mit das wichtige Weichen für die Strafjustiz stellt und weit in einer elektronischen Aktenführung einhergehende au- die Zukunft reichen wird. tomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten er- möglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung Bereits in der ersten Lesung war es mir sehr wichtig, eine wesentlich einfachere und schnellere Recherche, auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Datenschut- Filterung oder Verknüpfung von Daten. Zugleich werden zes hinzuweisen. Die elektronische Verfahrensakte stellt die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf in Strafsachen an die Regelungen angeglichen, die für die informationelle Selbstbestimmung dar. Nur bei einem übrigen Gerichtsbarkeiten bereits im Jahr 2013 geschaf- absoluten Datenschutz wird dieser Grundrechtseingriff fen wurden. gewährleistet sein. Ein Abfießen von Informationen aus der Ermittlungsakte an die Öffentlichkeit würde die Be- Damit die Bundesländer nicht zu sehr überfordert wer- schuldigtenrechte massiv einschränken. Einer Bekannt- den, sieht der Gesetzentwurf eine optionale elektronische gabe über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Aktenführung bis zum 31. Dezember 2025 vor und ver- folgt oftmals eine Vorverurteilung durch Medien und die langt sie erst ab dem 1. Januar 2026 als verpfichtend und Öffentlichkeit, sodass die Unschuldsvermutung wertlos fächendeckend. Somit haben die Justizverwaltungen der erscheint. Länder nun acht Jahre Zeit, sich vorzubereiten und sie umzusetzen. Wie mein Kollege Dirk Wiese bei der ersten Es freut mich deshalb, dass in den Verhandlungen Lesung des Gesetzentwurfes richtig betont hat, ist diese nochmals eine Klarstellung erreicht wurde, dass die tech- Anpassung dringend notwendig, denn alleine der Prozess nischen Rahmenbedingungen auch dem jeweiligen Stand der Erstellung von Strafakten entbehrt derzeit einer ge- der Technik entsprechen müssen. In Zeiten von immer wissen Logik. mehr Datenskandalen ist es die Pficht des Staates, sen- sible Daten aus Ermittlungsverfahren mit höchster Sorg- Nach dem fachlichen Austausch wurden die Experten- falt zu behandeln. Zu dieser Pficht gehört es auch, die meinungen berücksichtigt und die Nachbesserungen mit 23790 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) dem Änderungsantrag der Koalition eingepfegt. Die Er- keitsrechte von Zeugen und Beschuldigten auf. Für die (C) gänzung in § 32 Absatz 2 dient der Klarstellung, dass die Linke nicht nachvollziehbar. durch Rechtsverordnung zu bestimmenden datenschutz- rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen stets Unklar bleibt, wie die Akteneinsicht für einen Be- dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen müssen. schuldigten geregelt sein soll, der sich in Untersuchungs- haft befndet. Darauf ist nachdrücklich aufmerksam Für mich als Sozialdemokraten war besonders wich- gemacht worden. Ergebnis: Null Reaktion der Koaliti- tig, das Thema Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Es onsmehrheit. Für die Linke völlig unverständlich. soll ausdrücklich klargestellt werden, dass in allen Ver- fahrensordnungen auch die Anforderungen an die Bar- Schließlich fehlen im Gesetzentwurf verbindliche rierefreiheit der elektronischen Akten in den jeweiligen Aussagen zur Frage sicherer Übertragungswege sowie Rechtsverordnungen geregelt werden müssen. Die aus- notwendiger technischer Infrastruktur. Dabei betont drückliche Einbeziehung der Barrierefreiheit in die Ver- der Gesetzentwurf in seiner Begründung diese Dinge ordnungsermächtigung stärkt das Recht der Betroffenen ausdrücklich. Zu Recht, wie die Linke meint. Aber die auf barrierefreien Zugang zu den Akten. Zudem soll die konkrete Ausgestaltung hält damit nicht Schritt. Dies Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit in betrifft insbesondere den elektronischen Datenaustausch der vorgesehenen Evaluierung überprüft werden. zwischen Verteidiger und Gericht. Was in aller Welt hat Sie darüber hinaus geritten, den Betrieb der notwendigen technischen Infrastruktur auch für private Auftragnehmer Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir dis- offen zu halten? Damit besteht berechtigterweise Grund kutieren heute hier abschließend über die gesetzlichen zu der Annahme, dass sich die sensiblen Akten dann Grundlagen für die Führung elektronischer Akten in nicht mehr in der alleinigen Kontrolle der Justiz befn- Strafsachen. Das ist ein scheinbar trockenes und unspan- den. Auch die nachträglich eingearbeitete Zugangsbe- nendes Thema. Ist es aber nicht, denn mit der Einführung schränkung durch die öffentliche Hand heilt aus Sicht der elektronischer Aktenführung könnte die Akteneinsicht Linken diesen Mangel nicht und räumt die auch in der auch in Zivilverfahren in Zukunft über ein elektronisches Anhörung vorgetragenen Bedenken nicht hinreichend Akteneinsichtsportal möglich werden. Und das wäre eine aus. gute Sache, wie alle bestätigen werden, die schon einmal mit so einem Verfahren zu tun hatten. Das Gesetzesvor- Alles in allem: Ein notwendiges Gesetz, aber ober- haben ist damit ein wichtiger Schritt in die richtige Rich- fächlich und nicht in allen Fragen nachhaltig gestaltet. tung, um den Herausforderungen der Digitalisierung im Die Linke wird ihm deshalb nicht zustimmen und sich Justizalltag insbesondere auch in Strafverfahren gerecht stattdessen der Stimme enthalten. (B) werden zu können. (D) Der Gesetzentwurf sieht vor, ab dem 1. Januar 2018 Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letz- für einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember te Woche durften wir erleben, wie kriminelle Elemente 2025 elektronische Akten in Strafsachen führen zu kön- mit dem größten Cyberangriff der Geschichte weltweit nen, um sie danach ab dem 1. Januar 2026 verpfichtend Krankenhäuser und sonstige sensible Infrastruktur lahm- und fächendeckend einzuführen. So viel zum positiven legten, um Lösegeld für die Freigabe der Daten zu er- Teil des Vorhabens. Denn die Umsetzung des Gesetzes- pressen. vorhabens ist mal wieder, wie so oft bei Gesetzentwürfen Die Einführung der elektronischen Akte auch im der Bundesregierung, eine Mischung aus ein paar guten Strafverfahren ist zwar ein hehres Ziel und kann am und vielen mangelhaften oder schlechten Bausteinen. Ende, wenn sie gelingt, vielleicht sogar eine Arbeitser- leichterung in der Praxis erbringen. Der Nutzervorteil So besteht bei der Überführung der Aktendokumen- muss aber im Verhältnis stehen zu den Risiken, die durch te von stoffichem in elektronisches Medium die Unsi- die elektronische Akte entstehen – und davon sind wir cherheit, ob die elektronische Akte im Vergleich zu dem, heute noch weit entfernt. was bisher in der Strafrechtspfege unter einer Akte zu verstehen war, auseinanderfallen könnte. Hier sind Fra- Trotzdem will die Bundesregierung, dass wir hier gen bezüglich der Aktenvollständigkeit und Authentizi- heute das Jahr 2026 als einheitlichen Verbindlichkeitster- tät offen geblieben. Um diese Unsicherheiten ausräumen min für alle Verfahrensordnungen beschließen, obwohl zu können, wäre es notwendig, eine umfassende Doku- das Gesetz bislang weder datenschutzrechtlichen noch mentations- und Kontrollpficht im Gesetz zu verankern. grundgesetzlichen Maßstäben genügt. Davon ist allerdings in dem heute zur Abstimmung ste- henden Entwurf nichts zu erkennen. Alle Versuche, hier Wir stehen mit unserer Kritik keinesfalls alleine da. nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, waren ver- Viele unserer Bedenken im Hinblick auf die elektroni- gebens, auch wenn die Koalitionsfraktionen mit einem sche Akte in Strafsachen wurden in dem Berichterstatter- eigenen Änderungsantrag wenigstens die schlimmsten gespräch im Januar bestätigt. Mängel gemildert haben. Für die Linke ein klarer Kri- tikpunkt. Der Richterbund etwa hat zu Recht darauf hingewie- sen, dass neben datenschutzrechtlichen Aspekten die Darüber hinaus werfen die im Gesetz geregelten Ein- Nutzervorteile im Vordergrund stehen müssten – schließ- sichtsmöglichkeiten eines nicht anwaltlich vertretenen lich soll die elektronische Aktenführung Prozesse und Verletzten Fragen bezüglich des Schutzes der Persönlich- Abläufe erleichtern. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23791

(A) Praktiker, die bereits Erfahrung mit der elektronischen und Nebenklägern und das durch Digitalisierung und (C) Akte haben, berichten jedoch über erhebliche Arbeitser- neue Zugangs- und Verbreitungsmöglichkeiten geschaf- schwerung in den Abläufen. Aufgrund der Mängel und fene Gefahrenpotenzial für Grund- und Verfahrensrechte Unklarheiten werden derzeit elektronische Zweitakten erfordern eine besondere Sorgfalt im Gesetzgebungsver- neben der Papierakte geführt. Das ist keine Arbeitser- fahren. Die sehe ich hier aber nicht, im Gegenteil. leichterung, sondern bürokratische Absurdität. Sie zäumen das Pferd von hinten auf und schaffen ge- Zunächst einmal müssten die entsprechenden Pilot- setzliche Tatsachen ohne Rücksicht darauf, ob die Um- und Modellprojekte vernünftig ausgewertet werden, be- setzung überhaupt leistbar und verantwortbar ist. vor womöglich auf Kosten des Datenschutzes und der Rechte der Betroffenen Nägel mit Köpfen gemacht wer- Auch für den elektronischen Rechtsverkehr gilt: Erst den. müssen wir die Risiken beherrschen, bevor wir das Sys- tem umstellen und uns in neue Abhängigkeiten begeben. Auch aus den Reihen der Strafverteidiger wurden be- rechtige Bedenken geäußert. Es sei etwa wichtig, die Ak- Solange dies nicht gewährleistet ist, werden wir einer tenauthentizität und Aktenintegrität sicherzustellen, da gesetzlichen Umstellungspficht nicht zustimmen. ansonsten eine Verletzung des Rechts auf eine effektive Strafverteidigung aus Artikel 6 EMRK verletzt würde. Um dieses Recht zu gewährleisten, muss die Strafvertei- digung Einblick in die Akten nehmen könne, so wie sie Anlage 11 dem Gericht vorliegen. Zu Protokoll gegebene Reden Aus Praktikersicht muss unbedingt geklärt werden, wie Beweisdokumente übermittelt werden müssen, auch zur Beratung des von der Bundesregierung ein- die vorgesehene Löschung der Beweismittel nach sechs gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Monaten sei unverantwortlich, solange das Verfahren Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesord- nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. nungspunkt 28) Der Datenschutz wird bei dem Gesetzentwurf noch immer sträfich vernachlässigt. Die Datenschutzbeauf- Marian Wendt (CDU/CSU): Mit dem heute zu be- tragte stellte in der Anhörung klar, dass die technische schließenden Open-Data-Gesetz veröffentlichen wir die Datensicherheit Aufgabe des Gesetzgebers sei und die- Datenbestände der unmittelbaren Bundesverwaltung als se Aufgabe gerade bei so sensiblen persönlichen Daten Open Data. Dies ist der erste große Schritt zu einer all- gemeinen Öffnung der Datenschätze in Deutschland. Der (B) nicht durch Verordnungsermächtigung delegiert werden (D) dürfe. Bund ist damit Vorbild für alle Länder und Kommunen, die zwar teilweise schon eigene Projekte zur Veröffent- Und die Bundesregierung hat mit ihrem Änderungs- lichung der Verwaltungsdaten haben, welche aber noch antrag nicht wirklich nachgebessert. Selbst die Bedenken nicht ausreichend gut koordiniert und vereinheitlicht ihrer eigenen Datenschutzbeauftragten nimmt sie nicht sind. ernst und behauptet wider besseres Wissen, dass weitere Konkretisierungen im Bereich des Datenschutzes nicht Daten werden zu Recht häufg als das neue Öl be- erforderlich seien. zeichnet. In Ländern, die bereits eine etablierte Strate- gie zur Veröffentlichung ihrer jeweiligen Datenschätze Strafakten dürfen kein Informationspool werden, es haben, zeigt sich, wie groß der aus ihnen zu schöpfende darf nicht zu einer unzulässigen Aufweichung der Zweck- Nutzen sein kann. Großbritannien hat mit seiner umfas- bindung beim Zugang zu den Daten kommen. Durch die senden Initiative, alle Regierungsdaten offenzulegen, be- vorgesehenen Regelungen besteht die Gefahr, dass die reits einen großen Mehrwert für seine Bürger geschaffen. Funktion der Strafakte als Verwaltungsgedächtnis aufge- Die britische Regierung schätzt den positiven Effekt auf weicht und sie zunehmend zum Daten- oder Informati- über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein; das ist ein onspool wird. Das wäre allerdings mit dem Grundgesetz dreistelliger Milliardenbetrag. nicht vereinbar. Welche Daten wie genutzt werden können und welche Mit dem Änderungsantrag haben Sie jetzt zwar an Daten nicht, ist im Vorhinein nur sehr schwer abschätz- verschiedenen Verfahrensordnungen geschraubt, die bar. Das macht eine selektive Strategie bei der Veröffent- maßgeblichen Kritikpunkte haben Sie jedoch nicht auf- lichung von Daten sehr schwer. Der Schlüssel dazu, wirt- gegriffen. schaftlichen Nutzen zu stiften, liegt darin, die gesamte Die für den Bereich des Ermittlungs- und Strafverfah- Bandbreite aller möglichen Daten freizugeben. rens maßgebliche EU-Richtlinie wurde mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz zwar umgesetzt, aber das er- Natürlich geschieht dies mit der Voraussetzung, dass setzt keinesfalls die bereichsspezifschen, datenschutz- Datenschutz sowie sicherheits- und urheberrechtliche In- rechtlichen Regelungen in der Strafprozessordnung teressen mitbedacht sind. Sie müssen stets Teil der Er- selbst. Soll es wirklich 17 verschiedene Rechtsverord- wägungen zu Open Data sein. Mit dem Verweis auf die nungen von Bund und Ländern dazu geben? Einschränkungsgründe für die Veröffentlichung im In- formationsfreiheitsgesetz haben meine Kollegen und ich Gerade die besondere Sensibilität des Umgangs mit eine gute, abwägende Lösung gefunden, die bereits in der höchstpersönlichen Daten von Beschuldigten, Zeugen Praxis erprobt ist. 23792 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Dass kleine und neue Unternehmen, also Start-ups, waltungsvorgang als Entscheidungsgrundlage dienten (C) durch den wesentlich vereinfachten Informationszu- oder dienen, nicht aber der Vorgang selbst. gang einen leichteren Marktzutritt bekommen, fnde ich besonders wichtig. Große, etablierte Unternehmen wie In den Debatten der vergangenen Wochen ist klar ge- Google oder Amazon haben bereits große Datenbasen, worden, dass Deutschland in Bezug auf die Veröffentli- aus denen sie schöpfen können. Neue Unternehmen mit chung von Verwaltungsdaten jetzt einen großen Schritt innovativen Ideen haben jetzt die Möglichkeit, aus dem braucht. Diesen Schritt gehen meine Kollegen und ich Datenstroh sprichwörtlich Gold zu spinnen. mit diesem Gesetz. Ich persönlich freue mich auf die innovativen Ideen, die das Leben der Menschen in un- Die Anlehnung des Open-Data-Gesetzes an die zehn serem Land lebenswerter und besser machen. Ideen, die Prinzipien der Sunlight Foundation, die meine Kollegin- nachhaltig Werte schaffen werden. Denn im Grunde ist nen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion auch in un- Open Data genau dies: eine Strategie, wirtschaftliches serem Thesenpapier zu Open Data aufgegriffen haben, Handeln der Menschen zu ermöglichen, das vorher eben ist ein richtiger Schritt. Dieses Gesetz orientiert sich an nicht möglich war. international anerkannten und mittlerweile in verschiede- nen Ländern erprobten Grundprinzipien für Open Data. Diese sind im Übrigen auch von der Enquete-Kommis- Saskia Esken (SPD): In einem Gesetzentwurf der sion „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 heißt es: „Transpa- Bundestages in der vergangenen Wahlperiode für ein renz ist konstitutiv für den demokratischen und sozialen Open-Data-Gesetz empfohlen worden. Rechtsstaat. Transparenz stärkt die demokratischen Be- teiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, erleichtert Der breite Konsens, der in der politischen Debatte in- Planungsentscheidungen, wirkt Staatsverdrossenheit ent- nerhalb und außerhalb des Bundestages herrscht, stimmt gegen und erschwert Manipulationen und Korruption.“ mich zuversichtlich. Open Data benötigt aber auch einen Kulturwandel in den Verwaltungen. Einen Kulturwandel Mit der Offenlegung von Daten der Verwaltung und weg von den Verwaltungen mit Herrschaftswissen, weg mit der Transparenz ihres Handelns, also mit den Pro- von dem Gedanken „Da könnte ja jeder kommen“. Mit jekten um Open Data und Open Government, verfolgen Open Data kann jeder kommen und die Daten nutzen. wir zentrale innenpolitische Projekte der digitalen Agen- Das ist gerade der Schlüssel. Experimentieren, auspro- da, die die Bundesverwaltung modernisieren und für die bieren und dann sinnvolle Möglichkeiten fnden, die Da- Gesellschaft öffnen. ten zu nutzen – da liegt ein Schlüssel zu Open Data. Die SPD-Bundestagsfraktion will das Recht der Bür- Aber es muss auch einen Wandel geben, was die Aus- gerinnen und Bürger auf Informationsfreiheit seitens (B) stattung von Verwaltungen und deren Arbeit angeht. Nur der Verwaltung weiterentwickeln. Wir wollen, dass die (D) ein Wechsel von Papier auf elektronische Dokumen- Verwaltung ihr Wissen nicht auf Anfrage, sondern pro- te reicht nicht. Es muss auch ein umfassender Wandel aktiv und lesbar für Menschen und Maschinen öffentlich einsetzen in der Frage, wie Verwaltungen arbeiten. Der macht, sodass jeder und jede darauf zugreifen kann. Wir vielfach bewährte Grundsatz des Förderns und Forderns wollen also einen Rechtsanspruch auf offene Daten, auf könnte auch in diesem Zusammenhang die nötigen An- Open Data. reize bieten. Die Digitalisierung der Verwaltungen – das zeigt der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht Diese Transparenz ist gut für die Bevölkerung, da sie zum Regierungsprogramm 2020 – ist noch nicht weit ge- ohne die Mühe des Antragstellens auf Verwaltungsdaten nug fortgeschritten. zugreifen kann. Die Transparenz signalisiert den Bürge- rinnen und Bürgern, dass der Staat keine Geheimnisse In Zeiten eines scheinbar wachsenden Misstrauens in vor seinem Auftraggeber, dem Volk, hat. Die Transpa- den Staat und seine Organe wird Open Data zu mehr Ver- renz wirkt sich aber auch für die Verwaltung positiv aus, trauen in den Staat führen. Entscheidungen werden nach- denn sie muss nur einmal gründlich überlegen: Eignet vollziehbarer. Willkür wird ein Riegel vorgeschoben, und sich diese Information zur Veröffentlichung, oder unter- dies kann den Menschen glaubwürdig gezeigt werden. liegt sie einem Ausnahmetatbestand, zum Beispiel dem Verwaltungshandeln, das durch offenliegende Entschei- Datenschutz? dungsgrundlagen nachvollziehbarer und transparenter ist, fördert auch innerhalb der Verwaltungen die Anrei- Die Transparenz und der freie Zugang zum Wissen der ze zu mehr Sorgfalt und Genauigkeit. Bürger können so Verwaltung können zu neuen, nützlichen Anwendungen besser beteiligt werden und haben die Möglichkeit, eben führen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen kön- ohne großen bürokratischen Aufwand Entscheidungen in nen: ein Stadtplan, der Pollenkonzentrationen anzeigt, Eigenregie zu hinterfragen. Dies steigert die Legitimität aus Verkehrsdaten zusammengestellte Routenplaner für unseres staatlichen Handelns erheblich. Fahrradwege in Großstädten oder eine Zusammenfüh- rung der Wartelisten aller Kitas in einem Bezirk – der Dabei ist klar festzuhalten: Ein neues Informations- Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, ebenso wenig freiheitsgesetz ist das Open-Data-Gesetz nicht. Es geht wie dem gesellschaftlichen Mehrwert. nicht um den Rechtsanspruch des Einzelnen gegenüber der Verwaltung in ausgewählten Verwaltungsverfahren, Ich freue mich deshalb, dass die Koalition nach lan- sondern eben um die große und zusammenhängende Ver- gem Warten noch in dieser Legislaturperiode den Ent- öffentlichung von Daten der Verwaltung. Daten sind in wurf eines Open-Data-Gesetzes als Änderung des diesem Sinne die erhobenen Rohdaten, die in einem Ver- E-Gov­ernment-Gesetzes zur Beratung eingebracht hat. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23793

(A) Leider konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner der Übergangszeitraum für die Behörden der unmittelba- (C) nicht auf einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Open ren Bundesverwaltung für die erstmalige Bereitstellung Data verständigen. Das Gesetz enthält nun aber in einem der Daten von drei auf zwei Jahre begrenzt. Zudem sind ersten Schritt die Verpfichtung der unmittelbaren Bun- nun nicht nur die Daten bereitzustellen, die nach dem desbehörden, ihre Daten proaktiv der Allgemeinheit zur Inkrafttreten erhoben wurden. Auch maschinenlesbare Verfügung zu stellen. Rohdaten, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstanden sind, aber weiterhin oder erneut verwendet In den parlamentarischen Beratungen ist es uns darü- werden, sind nun in dem Gesetz mit eingefasst. Vor al- ber hinaus gelungen, den Gesetzentwurf zu verbessern. lem haben wir die verschiedenen Ausnahmeregelungen Wir haben den Katalog der Ausnahmetatbestände, die auf den bereits bestehenden und in den Verwaltungen die Veröffentlichung der Daten verhindern, auf das Nö- bekannten Katalog des Informationsfreiheitsgesetzes be- tige beschränkt. Er entspricht jetzt dem Ausnahmekata- schränkt. Ausgenommen sind solche Daten, die Persön- log aus dem Informationsfreiheitgesetz. Damit sorgen lichkeitsrechte betreffen, Belange der äußeren oder inne- wir für Einheitlichkeit und Rechtsklarheit; denn es wäre ren Sicherheit berühren sowie den Schutz des geistigen widersinnig, wenn die Behörden Daten nicht offenlegen Eigentums und des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses müssten, die sie dann aber auf Verlangen nach dem Infor- Dritter verletzen. Dadurch, dass wir auf den Ausnahme- mationsfreiheitsgesetz herausgeben müssten. katalog des IFG verweisen, geben wir den Mitarbeiterin- Auch ist es uns gelungen, die Verpfichtung für die nen und Mitarbeitern in den Verwaltungen eine klare und Offenlegung der Daten festzuschreiben, die vor Inkraft- bereits bekannte Regelung an die Hand und machen es treten des Gesetzes erhoben worden sind, sofern diese nicht komplizierter, als unbedingt notwendig. bereits in elektronischer Form vorlagen und verwendet Es gibt noch weitere Punkte, die wir explizit in die wurden. Evaluation aufgenommen haben, da sie für eine zukünf- Es ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein tige Weiterentwicklung des Open-Data-Gesetzes zu prü- großer Schritt in Richtung offener Verwaltungsdaten fen sind. Die Erweiterung des Anwendungsbereiches auf gelungen, doch wir wollen uns auf diesem Gesetz nicht mittelbare Bundesbehörden, unter anderem die Bundes- ausruhen. Ich erwarte insbesondere, dass uns die Evalua- agentur für Arbeit oder der Einbezug von Forschungs- tion des Gesetzes zur Weiterentwicklung hin zu einem daten, sind Aspekte, die wir genau prüfen werden. Aber Rechtsanspruch auf Open Data führen wird. Der rich- nun haben wir einen ersten Schritt getan, und das Gesetz tige Regelungsstandort wäre unserer Auffassung nach bietet schon heute in Verbindung mit dem vorliegenden das Informationsfreiheitsgesetz, das die SPD zu einem Änderungsantrag eine große Chance für einen echten Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz weiterent- Schub der Digitalisierung Deutschlands. (B) wickeln will. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns dies (D) in der nächsten Legislaturperiode gelänge. Wir haben uns in weiten Teilen mit unserem Anliegen einer modernen und transparenten Verwaltung durchset- zen können. Für einen umfassenden Rechtsanspruch und Sebastian Hartmann (SPD): Mit der Änderung des eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses werden E-Government-Gesetzes beschließen wir heute das ers- wir uns auch weiterhin einsetzen. Das Open-Data-Gesetz te bundesweite Open-Data-Gesetz. Damit setzen wir ein sehe ich als einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu Vorhaben um, das die SPD im Koalitionsvertrag durch- einem modernen und umfassenden Transparenzgesetz, in setzen konnte und worauf wir lange gedrängt haben: dem das Informationsfreiheitsgesetz, das Open-Data-Ge- ein Gesetz, das die unmittelbaren Bundesbehörden zur setz und weitere Gesetze zu Auskunftsrechten gegenüber Bereitstellung offener Daten in einheitlichen maschinen- Bundesbehörden zusammengefasst werden. Dafür setzt lesbaren Formaten und unter freien Lizenzbedingungen sich die SPD-Bundestagsfraktion weiterhin ein. Aber anhält. Das ist ein großer Schritt im Sinne einer nutzer- nun stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu freundlichen und transparenten öffentlichen Verwaltung, und nehmen damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg. der nach dem von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2005 auf den Weg gebrachten Informationsfreiheits- gesetz aber auch notwendig geworden ist. Bereits damals Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Als ich hier vor nicht hat sich die SPD als Vorreiter darangemacht, die Behör- allzu langer Zeit zur ersten Lesung des vorliegenden Ge- den transparenter zu gestalten, und auch heute ist es die setzes geredet habe, habe ich Kritik sowohl im großen SPD, die vorangeht in dem Bestreben nach einer effzien- Ganzen als auch an einzelnen Details geübt. Mit Blick ten und offenen Bundesverwaltung. Denn offene Daten auf die Änderungen, die die Koalition noch am Entwurf sind heute mehr denn je von nicht zu unterschätzender vorgenommen hat, kann ich feststellen: Die Kritik im Bedeutung für die Innovationskraft der Wirtschaft und Detail scheint an vielen Stellen angekommen zu sein, die mehr Teilhabe für interessierte Bürgerinnen und Bürgern. größeren Probleme bleiben bestehen. Offene Daten ermöglichen Impulse für Innovationen und liefern neue Geschäftsmodelle für Unternehmen. Es ist zu begrüßen, dass jetzt einige sinnlose Beschrän- kungen wegfallen sollen, die im ursprünglichen Entwurf In der ersten Lesung zur Änderung des E-Govern- für die Veröffentlichung offener Daten vorgesehen wa- ment-Gesetzes hatte ich einige Punkte des Regierungsent- ren. Das betrifft einige Ausnahmeregelungen, die über wurfes angesprochen, bei denen noch Nachbesserungsbe- jene des Informationsfreiheitsgesetzes hinausgehen, die darf bestand. Gemeinsam mit den Unionskollegen haben Anwendung auf in der Vergangenheit erhobene Datensät- wir nun substanzielle Verbesserungen erreicht. So wird ze und die begrenzte Zuständigkeit der Beratungsstelle. 23794 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Aber größere Lücken bleiben bestehen. Insbesondere Auch im Bereich der offenen Daten springt die Große (C) wird das Gesetz weiterhin nur Behörden der unmittel- Koalition einmal mehr zu kurz. baren Bundesverwaltung zur Bereitstellung von Daten Besonders enttäuschend – und da spreche ich sicher verpfichten. Dass Sie jetzt diesen Punkt noch einmal ex- nicht nur für meine Fraktion – war in dieser Hinsicht plizit in den Evaluationsauftrag aufnehmen – wie auch auch Ihr Änderungsantrag, sehr geehrte Damen und Her- die Ausnahme für zu Forschungszwecken erhobene Da- ren der Großen Koalition. Nachdem Ihr Gesetzentwurf ten –, ist reine Kosmetik. Denn natürlich sollte von einer von verschiedensten Seiten aus in der Kritik stand, gera- Evaluation zu erwarten sein, dass sie sämtliche Einzelre- de auch vonseiten der Fachszene und der Fachverbände, gelungen in den Blick nimmt. hätten nicht nur wir uns von Ihrem Änderungsantrag noch Evaluationsaufträge ersetzen aber keinen politischen ein paar grundsätzliche Nachbesserungen erhofft. Diese Willen. Entweder will man durch die öffentliche Hand sind leider ausgeblieben. Geringfügige Verbesserungen erhobene Daten in möglichst großem Umfang der Allge- wie beispielsweise die Verkürzung der Übergangsfrist meinheit zur Verfügung stellen – oder eben nicht. zur Bereitstellung von Daten durch die Behörden bei unverhältnismäßig hohen Aufwänden von drei auf „nur“ Andere große Lücken verbleiben im Gesetzentwurf zwei Jahre und eine – wenn auch nur partiell geltende – und fehlen nun auch in der Liste der zu evaluierenden Rückwirkung bei der Bereitstellung bereits vor dem In- Fragen. Insbesondere sollen weiterhin keine Daten ver- krafttreten des Gesetzes erhobener Daten können nicht öffentlicht werden, die die öffentliche Verwaltung selbst darüber hinwegtäuschen, dass keine der offensichtlichen betreffen, also etwa keine offenen Haushaltsdaten oder und überfälligen Stellschrauben angegangen wurde. Im Daten über Zuwendungen. Auch soll es nach wie vor kei- Gegenteil erweitern Sie in Ihrem Änderungsantrag auch nen durchsetzbaren rechtlichen Anspruch auf die Veröf- noch die Ausnahmevoraussetzungen unter Bezugnahme fentlichung geben. auf das elf Jahre alte Informationsfreiheitsgesetz. Daraus wird die diesem Gesetz zugrunde liegende Offene Daten haben – da sind wir uns ja alle einig – Linie deutlich sichtbar: Offene Daten werden hier aus- eine enorme Bedeutung für Mitbestimmung, Teilhabe, schließlich als wirtschaftlicher Faktor gesehen, und da- Transparenz und nicht zuletzt auch für die Kontrolle der ran hat auch der Änderungsantrag an keiner Stelle etwas öffentlichen Verwaltung durch Bürgerinnen und Bürger, bewegt. Auch wenn das ein wichtiger Aspekt ist, wäre es und – das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal ein großer Fehler, die Potenziale offener Daten für die explizit erwähnen – sie leisten einen wichtigen Beitrag, Demokratie zu ignorieren. um das Informationsungleichgewicht zwischen öffentli- cher Verwaltung und Gesellschaft zu verringern. Offene Daten können dazu beitragen, Informations- Zugleich haben sie einen großen Wert für alle, die aus (B) gefälle zwischen Politik und Öffentlichkeit abzubauen. (D) diesen Informationen mehr machen, als es die Behörden Sie können eine Grundlage nicht nur für wirtschaftliche mit ihren begrenzten Ressourcen tun können und sollten. Verwertung, sondern auch für politische Beteiligung und Also für die, die kreativ sind, querdenken, mittels neu- zivilgesellschaftliches Engagement sein. er Auswertungen, Anwendungen und Verknüpfung mit Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, führt kein anderen Daten zusätzliches Wissen generieren, Prozesse Weg daran vorbei, gesetzlich ein umfassendes, im Ein- vereinfachen oder zusätzliche Angebote schaffen, die uns zelfall durchsetzbares Recht auf die Veröffentlichung allen zugutekommen. von Informationen zu schaffen. Dazu brauchen wir die Es hätte sich also wirklich sehr ausgezahlt, mutiger Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu zu sein in diesem Gesetzentwurf. Durch eine umfassen- einem echten Transparenzgesetz, wie es mehrere Bun- de Berücksichtigung der Datenbestände nicht nur der desländer schon vorgemacht haben. Bundesbehörden, sondern auch der öffentlichen Stiftun- gen und Körperschaften hätten Sie zeigen können, dass Ein überzeugender Schritt in diese Richtung ist der Deutschland nicht vorhat, bei Open Government weiter- vorliegende Gesetzentwurf nicht. Aber selbst als reines hin auf den hinteren Plätzen der Industrienationen zu ver- Open-Data-Gesetz überzeugt es nur begrenzt. Da das harren. Sie hätten zeigen können, dass es ein Ziel dieser Thema nicht erst seit gestern auf der Agenda steht, hätte Regierung ist, eine transparente, bürgerfreundliche und man hier mehr erwarten können. Als Fazit am Ende der leistungsstarke digitale Verwaltung zu etablieren, die kei- Legislaturperiode bleibt festzustellen: Den tatsächlichen ne Angst davor hat, in ihrem Verwaltungshandeln einer Übergang zur Öffnung der staatlichen Datenbestände, informierten Bewertung der Bürgerinnen und Bürger zu der sich mit dem Begriff Open Data verbindet, hat diese unterliegen. Sie hätten mit modernen Datenschutzstan- Bundesregierung nicht in die Wege gebracht. dards und deren konsequenter Berücksichtigung im Zuge der Prozesse der Bereitstellung offener Daten beweisen Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es können, dass für Datenschutz und IT-Sicherheit auch in kommt vielleicht nicht ganz überraschend am Ende einer deutschen Behörden höchste Ansprüche gelten, anstatt Regierungsbilanz, die im Bereich der Digitalpolitik vor sich hier auf elf Jahre alte Standards zu verlassen, die aus allem durch Kompetenzstreitigkeiten und ein Wirrwarr einer Zeit stammen, in der mit dem Begriff „Big Data“ an Zuständigkeiten geprägt war und in der wir von we- noch niemand etwas anzufangen wusste. Und nicht zu- nig ambitionierten Visionen – ich sage nur: 50 Mbit pro letzt hätten Sie der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft Sekunde – und handwerklich schlechten Gesetzen – ich auf Grundlage der mit ihren Steuergeldern erhobenen sage nur: Störerhaftung – beileibe genug gesehen haben: Daten ein echtes Angebot machen können für moderne, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23795

(A) innovative und auf hohen Datenschutzstandards basie- sidentenkonferenz beschlossen, dass auch die Länder (C) rende neue und kreative Anwendungen und Dienstleis- Open-Data-Gesetze erlassen werden. Diesen Schwung tungen. müssen wir nutzen, um Open Data weiter voranzubrin- gen. Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie hätten hier die Gelegenheit zu einer wirklichen Reform Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt und dem Vorlegen eines echten und umfassenden Trans- eine wichtige Grundlage für mehr einheitliches Open parenzgesetzes gehabt. Diese Chance haben Sie verge- Data in Deutschland vor. Ich bitte Sie daher, das Thema ben. Wir können Ihrem Gesetzentwurf deshalb so nicht gemeinsam zu unterstützen und dem Gesetzentwurf zu- zustimmen. zustimmen.

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Mit dem vorgelegten Gesetzent- Anlage 12 wurf werden rund 300 Behörden des Bundes verpfichtet werden, ihre Daten für den Bürger zu öffnen. Mit der Erklärung nach § 31 GO Regelung wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die Offenlegung erklären wir zum Standard. Die Nichtveröf- des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) fentlichung wird fortan zur Ausnahme. zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes Open Data, das heißt die Bereitstellung von Datenbe- zur Änderung des E‑Government-Gesetzes (Tages- ständen zur freien Verwendung, ist ein Thema, das sich ordnungspunkt 28) international, aber vor allem auch in Europa rasant wei- terentwickelt. Die Bundesregierung geht nun innerhalb Ich enthalte mich bei diesem Gesetzentwurf aus fol- von Deutschland voran. genden Gründen: Mit der Erklärung zur Teilnahme an der internatio- Der Vorstoß, eine „Open Data“-Regelung für von nalen Open Government Partnership hat die Bundesre- Bundesbehörden erhobene Rohdaten zu schaffen, ist gierung im vergangenen Dezember bekräftigt, dass sie vor allem durch einen behaupteten wirtschaftlichen mehr Offenheit anstrebt. Solch ein Kulturwandel ist je- Nutzen in Milliardenhöhe motiviert, nicht durch Trans- doch nicht einfach zu erwirken und kann nicht von oben parenzziele. Es gibt daher auch keinen Rechtsanspruch verordnet werden. Man muss diesen Wandel schrittweise von Bürgerinnen und Bürgern auf die von öffentlichen herbeiführen. Stellen erhobenen Daten und damit, anders als im Infor- mationsfreiheitsgesetz (IFG), auch keine Einklagbarkeit. (B) Dieses Gesetz bildet eine Rechtsgrundlage für die Gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz werden so- (D) Veröffentlichung von Daten und macht dies zugleich gar zusätzliche Ausnahmetatbestände geschaffen. Für die zur öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Ganz bewusst ist im betroffenen Verwaltungen ist keine angemessene perso- Gesetz die Evaluierung der Regelung vorgesehen. So nelle Verstärkung zur Umsetzung der Vorgaben des Ge- verpfichtet sich die Bundesregierung, die erzielten Wir- setzentwurfs vorgesehen. kungen mit den Absichten zu vergleichen. Das eröffnet die Möglichkeit, je nach Entwicklung Anpassungen vor- Die Linke sieht deshalb im Ausbau des IFG hin zu ei- zunehmen und das Thema weiterzuentwickeln. nem Transparenzgesetz den deutlich besseren Weg, die Ziele von „Open Data“ zu verwirklichen. Anstelle müh- Sicherlich wird es bei der Umsetzung des Gesetzes samer Kleinarbeit der Bürgerinnen und Bürger, für ihr Herausforderungen geben. Die Verwaltungskultur wan- Anliegen die jeweils zuständigen Stellen zu fnden und delt sich nicht automatisch, nur weil ein neuer Geset- mit kostenpfichtigen Anträgen zur Herausgabe von In- zestext existiert. Es wird stark auf die Vermittlung von formationen zu bewegen, stünde dann eine weitgehende Wissen und auf geeignete Beratung ankommen, um den Veröffentlichungspficht der Behörden. Open-Data-Gedanken in der Verwaltung zu vertiefen. Das Gesetz sieht daher die Einrichtung einer Beratungs- Die Koalition hat zu ihrem Änderungsantrag eine er- stelle vor, die diesen Wissensaufbau begleiten und gestal- gänzte Fassung vorgelegt. Sie enthält – im Übrigen ohne ten soll. Hier wird der Veränderungsprozess koordiniert jeden Sachbezug – eine weitere Änderung, mit der die und das Thema insgesamt weiterentwickelt. Frist zur Beantragung von Entschädigung nach dem Do- pingopferhilfegesetz um ein Jahr verlängert werden soll. Hinzu kommt, dass die Beratungsstelle nun auch als Diese Änderung fndet meine ausdrückliche Zustim- Ansprechstelle für die Länder dienen soll. Bereits in der mung, auch wenn eine gänzliche Streichung der Frist die ersten Lesung hat die Bundesregierung darauf hingewie- bessere Lösung wäre. sen, dass Open Data nur dann erfolgreich werden kann, wenn alle Ebenen an einem Strang ziehen. Das kann aber Allerdings wird es dem Leid der Opfer des Dopings in nicht von einer einzigen Beratungsstelle organisiert wer- der DDR nicht gerecht, diese Fristverlängerung in einem den. Hier ist letztlich auch jeder Einzelne gefragt, die völlig sachfremden Änderungsantrag zu verstecken. Botschaft in seinen Wahlkreis zu tragen und für ein ge- Zudem fehlt im Gesetz über eine fnanzielle Hilfe für meinsames Vorgehen zu werben. Dopingopfer weiterhin die Öffnung gegenüber Opfern Die Gelegenheit ist günstig: Der Bundesrat hat in von systematischem Sportdoping in der alten Bundesre- seiner Stellungnahme die Initiative der Bundesregie- publik bezüglich einer vergleichbaren fnanziellen Unter- rung ausdrücklich begrüßt. Zudem hat die Ministerprä- stützung. 23796 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Aus den angeführten Gründen enthalte ich mich bei der Betroffene einen früheren Wohnsitz im Inland hat- (C) der Abstimmung zum Ersten Gesetz zur Änderung des te. Auch die Entgegennahme namensrechtlicher Erklä- E‑Government-Gesetzes. rungen, für die kein inländischer Personenstandseintrag besteht, wird Aufgabe der lokalen Standesämter. Das soll nicht dazu führen, dass das Standesamt I in Berlin in Zu- kunft ohne Arbeit dasteht. Es soll auch nicht dazu führen, Anlage 13 dass andere Standesämter mit Arbeit überfutet werden. Zu Protokoll gegebene Reden Es soll einfach gerechter aufgeteilt werden. zur Beratung: Dies führt aber nicht nur zu der nötigen Entlastung der dortigen Standesbeamten, sondern auch zu einem deut- – des von der Bundesregierung eingebrachten lich optimierten und deshalb auch schnelleren Bearbei- Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- tungsverfahren. Für die im Ausland lebenden Deutschen rung personenstandsrechtlicher Vorschriften ist die Beantragung der hier betroffenen Beurkundungen (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – in Zukunft auch kein (großer) zeitlicher Aufwand mehr. 2. PStRÄndG) Die zweite große Anpassung ist diejenige, bei der es – des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), um den Bereich der Vornamen geht. Wir alle kennen das Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abge- aus unserem Bekannten-, Freundes- oder Verwandten- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE kreis. Da bekommen die Kinder nicht immer nur einen GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- Vornamen, sondern gerne zwei oder drei. Die werden setzes zur Anerkennung der selbst bestimm- dann kombiniert oder aneinandergereiht. Da heißt dann ten Geschlechtsidentität und zur Änderung die Emilie nicht nur Emilie, sondern Emilie Rosa. Und anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – vielleicht möchte sie sich irgendwann einmal entschei- ­SelbstBestG) den, wie sie genannt wird: ob Emilie oder Rosa oder bei- (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesord- des. nungspunkt 7) Die Anpassung der Gesetzgebung an die gesellschaft- liche Entwicklung spiegelt sich in diesem Entwurf in der Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Ge- Möglichkeit, die Reihe der Vornamen in Zukunft per An- setze, die nur punktuell verbessert und optimiert werden trag beim Standesamt selbst bestimmen zu können, wi- müssen, sind mir am liebsten. Einmal sehen wir, dass das der . Hiermit werden wir verhindern, dass zum Beispiel Gesetz im Prinzip genau richtig ist. Es funktioniert. Aber Versicherungen, Banken, Fluggesellschaften etc. den im (B) die Praxis ist oft unberechenbar. Ein guter Gesetzgeber Alltag ungebräuchlichen Vornamen vor allem im pos­ (D) weiß das, und er weiß auch, dass er deshalb Gesetze über- talischen Verkehr verwenden. Das kenne ich nur zu gut. prüfen, auswerten und gegebenenfalls anpassen muss. Da denkt man sich, wenn man einen Katalog oder einen Werbebrief eines Nachbarn sieht, schon dann und wann Beim Personenstandsrechts-Änderungsgesetz ist ge- mal: Ach, so heißt der. – Und dann trifft man ihn, kommt nau dies der Fall. Wir haben 2009 eine sinnvolle und zum Du und merkt auf einmal, dass er gar nicht so heißt, dringend notwendige Modernisierung des Personen- wie es auf dem Brief steht, weil er eben seit der Schulzeit standsrechts durchgeführt. Jetzt passen wir es an, damit schon immer den zweiten Namen zum Rufnamen hatte. es noch näher am Bürger und noch näher an unserem Und das soll eben jeder selbst am besten wissen, was der Zeitgeist ist. Rufname ist und was für ein Name auf dem Brief stehen Einmal mussten wir vor acht Jahren, wie bei so vie- soll. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die betroffenen len Änderungen, den modernen technischen Anforderun- Bürger in ihrer Individualität und freien Bestimmung der gen gerecht werden. Deshalb wurden die behördlichen eigenen Lebensweise zu unterstützen. Verfahren dem technologischen und gesellschaftlichen Einen letzten Punkt spreche ich noch an: Die Verlän- Wandel angepasst. Besonders in der Praxis führte das zu gerung der Fortführungsfrist der Sterbefallbeurkundung optimierten Arbeitsabläufen. auf 80 Jahre für Sterbefälle in ehemaligen Konzentrati- onslagern bedarf in der Regel keiner ausführlichen Be- Mit der Änderung der personenstandsrechtlichen Vor- gründung. Viele Schicksale der Vermissten sind nicht schriften in Form des Personenstandsrechts-Änderungs- geklärt, sodass auch die Arbeit des Sonderstandesamts gesetzes soll die Entwicklung der vergangenen Jahre in in Bad Arolsen im Sinne der Hinterbliebenen noch lange diesem Bereich fortgeführt werden. Wir haben gesehen, nicht getan ist. dass einzelne Punkte in der Praxis noch nicht optimal funktionieren. Deshalb werden wir mit dem Personen- Neben der Optimierung der Beurkundungsmodali- standsrechts-Änderungsgesetz speziell Regelungslücken täten und dem damit einhergehenden Bürokratieabbau und noch vorhandene Schwachstellen in den Arbeitspro- kann mit Einsparungen von etwa 406 000 Euro gerechnet zessen der Standesämter beheben. werden. Geringe Kosten und kürzere Wartezeiten sind Indiz einer modernen Verwaltung, die mit dieser Ände- Eine weitere sinnvolle Anpassung ist die Entlastung rung geschaffen werden soll. Und der Verbraucher muss des Standesamtes 1 in Berlin. Hierzu wird die Zustän- mit keinen zusätzlichen Kosten rechnen. digkeit für die Beurkundung von Personenstandsfällen und Namenserklärungen von Deutschen im Ausland auf Alles in allem sind die Änderungen des Personen- die regionalen Wohnsitzstandesämter verlagert, wenn standsrechtsgesetzes angebracht und werden zu positiven Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23797

(A) Entwicklungen führen. Ich bitte deshalb um Ihre Zustim- Vornamen durch eine Erklärung vor dem Standesamt neu (C) mung. zu bestimmen. Damit wird verhindert, dass zum Beispiel Fluggesellschaften oder Banken anstatt des Rufnamens den in der Vornamensreihenfolge im Ausweisdokument Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Die Dokumentati- on der familienrechtlichen Verhältnisse erfolgt nach den stehenden ersten Namen verwenden. Die noch geltende Vorschriften des Personenstandsgesetzes ausschließlich Regelung führt bei den Betroffenen häufg zu Unmut, da durch den Standesbeamten. Er beurkundet die Perso- im Alltag oft nicht der Rufname Verwendung fndet. nenstandsfälle (Eheschließungen, Begründungen von Ich denke, dass wir mit dieser Reform des Personen- Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefälle) in den standsrechts die Schwachstellen, die seit der letzten Re- von ihm geführten Personenstandsregistern (Heiratsre- form verblieben sind, beseitigen können. Deswegen wer- gister, Lebenspartnerschaftsregister, Geburtenregister be ich um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. und Sterberegister). Teil dieser Debatte ist auch der Gesetzentwurf von Die Vorschriften für die Beurkundung des Personen- Bündnis 90/Die Grünen zur Anerkennung der selbst be- stands sind durch das Gesetz zur Reform des Personen- stimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer standsrechts vom 19. Februar 2007 neu geregelt worden. Gesetze. Das Transsexuellengesetz soll nach Vorstellung Das Reformgesetz ist am 1. Januar 2009 in Kraft getre- der Grünen durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt ten und enthält als Kernelement vor allem die Beurkun- und einzelne Paragrafen des Personenstandsrechts im dung in elektronisch geführten Personenstandsregistern, Hinblick auf selbst bestimmte Geschlechtsidentität ge- die nach einer Übergangszeit von fünf Jahren seit dem ändert werden. Der Gesetzentwurf wird nun an den In- 1. Januar 2014 obligatorisch ist. Nähere Ausführungs- nenausschuss überwiesen. Die weiteren Beratungen im vorschriften, insbesondere auch zu den technischen parlamentarischen Verfahren werden zeigen, ob die vor- Vorgaben zur Durchführung der elektronischen Perso- geschlagenen Änderungen sinnvoll sind. nenstandsregistrierung und des elektronischen Datenaus- tausches, wurden in der Verordnung zur Ausführung des Gabriele Fograscher (SPD): Das Personenstands- Personenstandsgesetzes geregelt, die ebenfalls am 1. Ja- recht regelt die Anzeige und Dokumentation famili- nuar 2009 in Kraft trat. enrechtlicher Verhältnisse gegenüber der zuständigen Mit dem Gesetz zur Änderung personenstandsrechtli- Behörde, dem Standesamt. Beim Standesamt werden cher Vorschriften vom 7. Mai 2013 wurden erste Erfah- Personenstandsfälle, also Eheschließungen, Begründun- rungen der Standesämter und Rechenzentren mit dem gen von Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefäl- neuen Recht und der Anwendung der elektronischen le, in den dort geführten Personenstandsregistern beur- (B) Prozesse in das Personenstandsgesetz und die Perso- kundet. (D) nenstandsverordnung übernommen. Inzwischen liegen Zum 1. Januar 2009 hatten wir das Personenstands- weitere Erfahrungswerte aus der standesamtlichen Praxis recht umfassend reformiert. Schwerpunkte der Reform vor, die eine Anpassung des personenstandsrechtlichen waren: die Einführung elektronischer Personenstands- Regelungswerks erforderlich machen. register anstelle der bisherigen papiergebundenen Per- Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt Schwach- sonenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der stellen und Regelungslücken in den personenstandsrecht- Personenstandsregister durch das Standesamt sowie die lichen Vorschriften. Auf Grundlage der Empfehlung des Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Bundesrates sowie des Berichtes und der Beschlussemp- Familienbuchs durch Beurkundungen in den Personen- fehlung des Innenausschusses werden entsprechende Än- standsregistern, die Reduzierung der Beurkundungsdaten derungen vorgenommen, die seit der ersten Reform des auf das für die Dokumentation des Personenstandes er- Personenstandsrechts im Jahr 2009 notwendig geworden forderliche Maß, die Neuordnung der Benutzung der Per- sind. sonenstandsbücher sowie die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei. Ich möchte beispielhaft auf zwei wesentliche Punkte eingehen: 2013 gab es einige technische und redaktionelle Ände- rungen aufgrund einer Evaluierung des Gesetzes. Geän- Der Entwurf erweitert die Zuständigkeit des Wohn- dert wurde auch die Regelung zum Geschlechtseintrag. sitzstandesamts für die Nachbeurkundung von Geburten, Seit dem 1. November 2013 gilt die Regelung: Wenn ein Eheschließungen, Lebenspartnerschaften und Sterbefäl- Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Ge- len von Deutschen, die im Ausland leben. Bislang war schlecht zugeordnet werden kann, kann auf diese Angabe allein das Standesamt I in Berlin für diese Fälle verant- im Geburtenregister verzichtet werden. wortlich. Zur Verkürzung von Wartezeiten wird künftig die Zuständigkeit auf die regionalen Wohnsitzstandesäm- Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Zwei- ter verlagert, wenn der Betroffene einen früheren Wohn- ten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher sitz in Deutschland hat. Gerade die begrenzte Zahl der Vorschriften beschließen wir weitere Verbesserungen. Fälle führt nach unserer Ansicht nicht zu einer übermä- Beurkundungsmodalitäten werden optimiert und ange- ßigen Belastung einzelner Standesämter, weshalb wir an passt. Die Praxis hat gezeigt, dass es bei Beurkundungen dieser Änderung festhalten werden. durch das Standesamt I Berlin zu sehr langen Wartezeiten kommt. Das Standesamt I Berlin ist das sogenannte Aus- Darüber hinaus eröffnet das Gesetz betroffenen Per- landsstandesamt der Bundesrepublik Deutschland. Seine sonen zukünftig die Möglichkeit, die Reihenfolge ihrer Aufgaben sind vielfältig. Dazu gehören unter anderem: 23798 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Beurkundung von Geburten und Sterbefällen Deut- des öffentlichen Interesses beteiligt werden muss. Diese (C) scher ohne Inlandswohnsitz, die sich im Ausland ereig- Vertreter sind per Rechtsverordnungen der Landesregie- net haben; rungen entweder die Staatsanwaltschaften bei Land- oder Oberlandesgerichten oder bestimmte Behörden der In- Beurkundung von im Ausland geschlossenen Ehen nenverwaltung. und Lebenspartnerschaften Deutscher ohne Inlands- wohnsitz; Aufgrund der steigenden Anzahl der Verfahren hat der Beurkundung von Geburten und Sterbefällen auf deut- Verwaltungsaufwand stark zugenommen. Da aber die schen Seeschiffen; Einwirkungsmöglichkeiten des Vertreters des öffentli- chen Interesses sehr gering sind, kann durchaus auf diese Ausstellung von Ehefähigkeitszeugnissen für Deut- Institution verzichtet werden. sche, die niemals einen Inlandswohnsitz hatten; Da wir als SPD-Bundestagsfraktion bereits mehrfach Ausstellung von Bescheinigungen über die Namens- Versuche unternommen haben, das Transsexuellengesetz führung von Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern; zu reformieren, begrüßen wir den Gesetzentwurf von Führung der Konsular- und Kolonialregister; Bündnis 90/Die Grünen. Viele Ideen, die dieser Gesetz- entwurf enthält, fnden unsere Unterstützung. Führung der beim ehemaligen Standesamt I Berlin (Ost) sowie von den Auslandsvertretungen der DDR in Inzwischen gibt es auch einen Antrag des Landes der Zeit von 1948 bis 1990 angelegten Personenstands- Rheinland-Pfalz, dem Brandenburg, Bremen und Thü- bücher; ringen beigetreten sind. Dieser fordert die Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie die Erarbeitung eines Führung von deutschen Standesamtsregistern ehema- Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und liger besetzter Gebiete; zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechter- Führung des sogenannten Wehrmachtfamilienbuchs zuordnung. (Einträge zu im Ausland geschlossenen Ehen von Ange- Gerne hätten wir in dieser Legislaturperiode Verbes- hörigen der ehemaligen deutschen Wehrmacht). serungen für die betroffenen Menschen geschaffen, doch Um das Standesamt I Berlin zu entlasten und Bearbei- leider macht da unser Koalitionspartner mal wieder nicht tungszeiten zu verkürzen, werden künftig die ehemaligen mit. Ich unterstütze ausdrücklich die Aussage von Heiko Wohnsitzstandesämter für Deutsche im Ausland für die Maas, dass es mit der SPD nur einen Koalitionsvertrag Beurkundungen von Personenstandsfällen und Namens- geben wird, der die Ehe für alle beinhaltet, und füge erklärungen zuständig. hinzu: Es wird auch nur einen Koalitionsvertrag mit uns (B) geben, der eine Modernisierung des Transsexuellenge- (D) Personen, die mehrere Vornamen haben, deren erster setzes vorsieht. Vorname aber nicht der Rufname ist, bekommen von vie- len Einrichtungen wie Banken oder Versicherungen Post, in denen meist nur der erste Vorname in der Anschrift Petra Pau (DIE LINKE): Wir debattieren heute ab- steht, aber nicht der Rufname. Das führt oftmals zu Irri- schließend über einen Gesetzentwurf der Koalition zu ei- tationen. Deshalb regelt das Gesetz, dass erstmals Perso- nigen Änderungen im Personenstandsrecht und in erster nen die Reihenfolge ihrer Vornamen per Erklärung beim Lesung über einen Entwurf der Grünen für ein Gesetz zur Standesamt ändern können. Damit wird ermöglicht, dass Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidenti- der gebräuchliche Vorname als Erstes in den Ausweis- tät. dokumenten steht und nicht ein Name, der im täglichen Zunächst zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio- Leben nicht gebräuchlich ist. nen. Der Gesetzentwurf enthält im Nachgang zur vor- Seit Jahren mahnen meine Fraktion und ich eine No- angegangenen größeren Änderung des Personenstands- vellierung des Transsexuellengesetzes von 1980 an. rechts der 16. Wahlperiode ein paar kleinere Änderungen, Mehrere Vorschriften dieses überholten und nicht mehr die insbesondere auf die Bedürfnisse von Deutschen im der Lebenswirklichkeit entsprechenden Gesetzes sind Ausland und Personen, die im Alltag ihren zweiten Vor- inzwischen vom Bundesverfassungsgericht als verfas- namen gebrauchen und dies auch im Behördenverkehr sungswidrig eingestuft und somit als nicht anwendbar und bei Beurkundungen tun wollen, stärker Rücksicht erklärt worden. nehmen wollen. Beispielsweise müssen Anträge auf Per- sonenstandsurkunden vom Ausland aus zukünftig nicht Leider konnten wir unseren Koalitionspartner nicht mehr beim Standesamt I Berlin gestellt werden. Wer im überzeugen, hier Änderungen herbeizuführen. Das wer- Ausland lebt und vorher in Deutschland gemeldet war, den wir dann in der nächsten Wahlperiode in einer ande- kann zukünftig bei der regional zuständigen Meldebe- ren Konstellation machen müssen. hörde Urkunden beantragen. Mit einem Änderungsan- Deshalb begrüße ich es umso mehr, dass die Bundes- trag wurden hierzu noch Übergangsregelungen ergänzt, regierung eine Anregung des Bundesrates aufgenommen die für die Verwaltungsabläufe wichtig sind. Das sind hat und wir als Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag in alles kleine, aber sinnvolle Verbesserungen für die Bür- unseren Änderungsantrag aufgenommen haben. gerinnen und Bürger, die wir begrüßen. Wir werden dem Gesetzentwurf daher zustimmen. Wir werden § 3 Transsexuellengesetz – Verfahrensfä- higkeit, Beteiligte – ändern. Das bisherige Recht schreibt In eine ganz andere Richtung geht der Gesetzentwurf vor, dass für Verfahren nach diesem Gesetz ein Vertreter der Grünenfraktion zur Anerkennung der selbst bestimm- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23799

(A) ten Geschlechtsidentität. Dadurch soll das derzeit gelten- Das Transsexuellengesetz baut unbegründete Hürden (C) de Transsexuellengesetz ersetzt werden. für die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit auf. Transpersonen, die ih- Auch die Linke sieht die Probleme beim geltenden ren Personenstand ändern wollen, müssen Zeit und Geld Transsexuellengesetz. Daher begrüßen wir, das The- investieren, um zwei Gutachten bei Gericht vorlegen zu ma noch einmal ernsthaft anzugehen und zu überlegen, können, die ihre sexuelle Identität „bescheinigen“. Was wie wir die Bedürfnisse von Trans- und Intersexuellen für ein Unsinn! Niemand außer den Betroffenen selbst und Transgender besser berücksichtigen können. Leider kann Auskunft über das Geschlecht geben. Sexuelle kommt der Gesetzentwurf nun etwas kurz vor knapp; Identität lässt sich nicht diagnostizieren. Alle Menschen eine wirklich gründliche Beratung wird angesichts von haben ein Recht darauf, dass ihre Geschlechtsidentität re- drei verbleibenden Sitzungswochen schwierig. spektiert wird. Wer im Laufe des Lebens feststellt, dass Worum geht es genau? Uns allen erscheint es voll- das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht der tat- kommen normal, dass uns ab Geburt ein bestimmtes sächlichen Geschlechtsidentität entspricht, dem steht es Geschlecht zugeschrieben wird, männlich oder weiblich. zu, dass seine Identität anerkannt wird. Einen entsprechenden Eintrag gibt es in Personenstands­ Deshalb haben wir Grüne heute einen neuen Gesetz- urkunden, im Personalausweis und im Reisepass. Nun entwurf vorgelegt: das Selbstbestimmungsgesetz. Ein gibt es Menschen, die sich dem Geschlecht in ihrem Per- neues Gesetz muss den Respekt für die Identität der Men- sonalausweis nicht mehr zurechnen und die dann gern schen in den Mittelpunkt stellen. Das Recht ist schließ- ihren Vornamen und den entsprechenden Eintrag ändern lich für die Menschen da und nicht umgekehrt! Die An- wollen. Das ist bislang nur möglich, wenn zuvor hohe erkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität ist Hürden genommen werden. Schon für eine Änderung ein Menschenrecht. Wenn der Staat schon darauf besteht, des Vornamens brauchen die Betroffenen nach derzei- das Geschlecht seiner Bürgerinnen und Bürger zu regis- tiger Rechtslage ein psychologisches Gutachten. Wer trieren, dann sollen sie das frei und unkompliziert selbst seinen Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern bestimmen dürfen. Andere Länder machen es vor, zum lassen will, muss sich also medizinisch befunden lassen. Beispiel Argentinien, Malta, Dänemark, Irland, Norwe- Damit werden die betroffenen Menschen weiterhin als gen. Allesamt sind sie weiter als Deutschland! irgendwie abnormal bis krank behandelt. Dieser Um- gang stammt noch aus einer Zeit, als Transsexualität im Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Verfahren zur Wesentlichen als psychiatrische Störung gesehen wurde. Änderung der Vornamen und zur Anpassung der Ge- Gerade angesichts der zunehmenden rechten Hetze ge- schlechtszugehörigkeit vereinfachen. Beides soll nur gen sexuelle Vielfalt sind wir als Gesetzgeber gefragt, noch vom Geschlechtsempfnden des Antragstellenden hier ein deutliches Zeichen zu setzen. abhängig sein. Statt entwürdigender Gutachten zur Ge- (B) schlechtsfeststellung und Verfahren vor dem Amtsgericht (D) sollen Vornamen- und Personenstandsänderung im Rah- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men eines einfachen Verwaltungsaktes beim Standesamt Die Rechte von Transpersonen sind Menschenrechte. erfolgen. Denn geschlechtliche Identität kann man nicht Und das muss sich auch in unserem Recht widerspiegeln. diagnostizieren. Lediglich Betroffene können darüber Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesre- kompetent Auskunft geben. gierung zur Änderung personenstandsrechtlicher Vor- Mit Vollendung des 14. Lebensjahres sollen die- schriften vereinfacht die Änderung der Reihenfolge von se Vorgänge auch ohne das Mitwirken eines gesetzli- Vornamen. Diesen liberalen Geist wünsche ich mir von chen Vertreters möglich sein. Ab diesem Alter misst Union und SPD auch dann, wenn es um Transpersonen die Rechtsordnung Minderjährigen die Fähigkeit bei, geht. Der Gesetzentwurf vereinfacht das Verfahren zur Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen. Das Personenstandsänderung für Transpersonen ein kleines muss auch für identitätsbezogene Entscheidungen gelten. bisschen, indem die nach bisherigem Recht vorgeschrie- Beratungen sollen über mögliche Folgen aufklären. Hier bene Beteiligung des Vertreters des öffentlichen Interes- ist die Bundesregierung in der Pficht, Beratungsstellen ses entfällt. Beteiligte des Verfahrens sind also nur noch auszubauen. die Antragstellenden. Das ist eine Minimaländerung und kein großer Wurf. Dabei gibt es personenstandsrechtlich Nach einer Personenstandsänderung muss es den Be- einigen Nachbesserungsbedarf, dem man nicht durch mi- troffenen möglich sein, eine Ehe in eine Lebenspartner- nimales Herumdoktern am Transsexuellengesetz gerecht schaft zu überführen oder umgekehrt. Dadurch werden wird. Zwangsoutings vermieden, solange die Lebenspartner- schaft noch nicht durch die Ehe für alle überwunden ist. Schauen Sie sich das Transexuellengesetz einmal an: Das Offenbarungsverbot, also das Verbot, die Eintra- Es ist über 30 Jahre alt, und viele Einzelbestimmungen gungsänderung ohne berechtigtes rechtliches Interesse wurden mittlerweile durch das Bundesverfassungsge- auszuforschen oder zu offenbaren, soll verschärft wer- richt in insgesamt sechs Urteilen für verfassungswidrig den. Betroffene müssen vor Behörden und Unternehmen erklärt. Das Gesetz liegt in Trümmern. Zwei wissen- durchsetzen können, Unterlagen und Zeugnisse entspre- schaftliche Gutachten aus diesem Jahr, von der Bundes- chend ihrer Geschlechtsidentität ausgestellt zu bekom- vereinigung Trans* und vom Lehrstuhl für Öffentliches men. Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Univer- sität zu Berlin, kommen zum gleichen Ergebnis: Es gibt Wir brauchen eine Politik, die vom Respekt der ge- dringenden Reformbedarf! schlechtlichen Identität und Vielfalt der Menschen aus- 23800 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) geht anstatt von irgendwelchen Normalitätsvorstellun- Bayern bereits im Jahr 2015 einen entsprechenden Ge- (C) gen, denen sich der Mensch zu unterwerfen hat. Unser setzentwurf in den Bundesrat ein. Vorschlag für ein Selbstbestimmungsgesetz stellt die Selbstbestimmung und die Würde des Menschen in den Der vorliegende Entwurf schließt die Gesetzeslücke Mittelpunkt. und stellt den Schmerzensgeldanspruch der Hinterblie- benen in das Ermessen des Gerichts. Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze über den Anlage 14 Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verlieren. Mir ist schon wichtig, dass wir parteiübergreifend den Hand- Zu Protokoll gegebene Reden lungsbedarf im Opferentschädigungsgesetz erkannt haben. Bereits vor dem Anschlag in Berlin hat das zu- zur Beratung: ständige Ministerium mit umfassenden Reformüberle- – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD gungen im Entschädigungs- und Schadensersatzrecht eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- begonnen. Es handelt sich hier um eine komplexe Mate- führung eines Anspruchs auf Hinterbliebenen- rie mit vielen inneren Zusammenhängen. Daher wäre es geld nicht richtig, eine Einzelfrage nun vorab herauszulösen und isoliert zu entscheiden. Ich glaube, es ist verantwor- – des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate tungsbewusst, die umfassende, konsistente und in sich Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordne- schlüssige Gesamtreform abzuwarten. Allerdings bitte ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich die Opposition auch darum, nicht immer wieder den NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Eindruck zu erwecken, als stünden die Verletzten durch zur Änderung des Gesetzes über die Entschädi- Autoattacken schutzlos da. Der Entschädigungsfonds der gung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschä- Verkehrsopferhilfe verfügt allerdings über eine Decke- digungsgesetz – OEG) lung von 7,5 Millionen Euro, die beseitigt werden muss. (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Heute kön- nen wir endlich den Gesetzentwurf zur Einführung ei- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wenn ein nes Hinterbliebenengeldes abschließend beraten und Mensch durch fremdes Verschulden zu Tode kommt, beschließen. Dieser Gesetzentwurf stützt sich auf den dann muss der Rechtsstaat darauf eine Reaktion folgen Koalitionsvertrag, in den die Union dieses Vorhaben hi- lassen. Diese Reaktion ist gerade für die Hinterbliebenen neinverhandelt hat. (B) unglaublich wichtig. Sie fnden sich und ihre schwere, (D) schier unerträgliche Situation im Rechtsstaat anerkannt. Wie bei vielen anderen unserer Punkte stand die Einführung eines Hinterbliebenengeldes auf der Prio- Der Staat reagiert auf zwei Wegen: zum einen über ritätenliste von Bundesjustizminister Heiko Maas nicht das Strafrecht. Hier geht es um Sanktion, um Schuld und oben. Aus diesem Grund hat es bedauerlicherweise fast Sühne. Der zweite Weg ist das Zivilrecht. Hier geht es vier Jahre gedauert, bis wir heute das Gesetz beschließen um die Frage, inwieweit der Schmerz, das Leid der An- können. gehörigen durch Schmerzensgeld Anerkennung erfahren kann. Dabei sind wir uns alle einig, dass Geld einen sol- Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Ver- chen Verlust niemals wird aufwerten können. schulden eines Dritten verloren haben, sollen als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenstän- Bei selbstkritischer Betrachtung müssen wir fest- digen Schmerzensgeldanspruch bekommen, der sich in stellen, dass gerade auf der zivilrechtlichen Seite eine das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt. Regelungslücke besteht. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat das sehr zutreffend umschrieben: Anders als andere europäische Rechtsordnungen sieht Wenn ein junges Ehepaar das Kind auf dem Schulweg das deutsche Haftungsrecht bislang kein Hinterbliebe- durch einen Verkehrsunfall mit dem Fahrrad verliert, hat nengeld oder Angehörigenschmerzensgeld vor. Nur bei der Staat zur Antwort, dass er den Verlust des Fahrrades sogenannten Schockschäden werden neben den materi- ausgleicht – durch Schadensersatz –, aber nicht den Ver- ellen Schäden auch die immateriellen Folgen ersetzt. Bei lust des Kindes in Form von Schmerzensgeld. diesen wird ein am Geschehen an sich unbeteiligter Drit- ter durch das Miterleben oder die Benachrichtigung über Die Voraussetzungen, welche die Rechtsprechung für den Tod nach einem Unfall psychisch so stark belastet, Schmerzensgeld infolge eines Schockschadens von An- dass dieser Schock selbst Krankheitswert hat. Dann hat gehörigen formuliert, sind sehr hoch. Es muss zu einer der Verursacher den Dritten in dessen eigener Gesundheit Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefndens von verletzt. Dafür müssen nach ständiger Rechtsprechung einigem Gewicht und einiger Dauer kommen. Die bloße die medizinisch fassbaren Auswirkungen nach Art und Trauer genügt dafür nicht. Schwere deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchti- gungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todes- Deshalb war es gerade der CSU ein Anliegen, die Be- nachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. seitigung dieser Regelungslücke in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. Als dann in den Folgemonaten aus Bleibt der unmittelbar Verletzte am Leben, hat er der- dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucher- zeit Anspruch auf Ersatz sämtlicher Vermögens- und auch schutz keinerlei Vorschläge unterbreitet wurden, brachte Nichtvermögensschäden. Im Falle seines Todes können Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23801

(A) die Angehörigen aber nur Ersatz der durch die Tötung gezahlten Beträge aufgrund Gesetzeszweck und Rege- (C) zugefügten Vermögensschäden fordern, wie Beerdi- lungssystematik hinter den für Schockschäden zugespro- gungskosten und gegebenenfalls Unterhalt. Das heißt, chenen Summen zurückbleiben, das heißt niedriger sein ein Schädiger steht im Falle der Tötung eines Dritten müssen als beispielsweise Schadensersatz für nachge- wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung. wiesene Gesundheitsschäden. Das ist ein Wertungswiderspruch und nicht gerecht. Die anfänglich vom Koalitionspartner publizierten In der Anhörung wurde die Frage der Kommerziali- Überlegungen, jedem anspruchsberechtigten Hinterblie- sierung von persönlichem Leid problematisiert. Damit benen könnten bis zu 60 000 Euro zustehen, waren rein haben wir uns selbstverständlich auch zuvor schon aus- politisch motiviert und sind in der Sache völlig abwegig. einandergesetzt. Deshalb sei noch einmal betont, dass es Sie fnden in diesem Gesetz keine Grundlage. Wir als nicht um die materielle Bewertung menschlichen Lebens Union wollen das gut austarierte deutsche Schadenser- geht, sondern um eine symbolische Anerkennung seeli- satzrecht nicht auf den Kopf stellen. schen Leids. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Zu Irritationen geführt hat die vom BMJV im Rahmen Schmerz, unter dem man ein Leben lang leidet, wenn der Gesetzesfolgenabschätzung skizzierte Berechnung etwa das eigene Kind bei einem Unfall getötet wird, von der weiteren Kosten, die lautet: „Angesichts der durch- der deutschen Rechtsordnung bislang überhaupt nicht schnittlichen Beträge von etwa 10 000 Euro, die derzeit anerkannt wird. Das gilt umso mehr, weil beispielswei- von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als se für entgangene Urlaubsfreude, Ehrverletzungen und Entschädigung für sog. Schockschäden, die über das ge- Kfz-Nutzungsausfall Entschädigung gezahlt werden wöhnliche Maß an Trauer und seelischem Leid hinausge- muss. hen, zugesprochen werden, ist mit jährlichen Gesamtkos- ten durch die Zahlung von Hinterbliebenengeld von nicht Während Hinterbliebene in Deutschland ihren Trau- mehr als rund 240 Mio. Euro zu rechnen.“ erschmerz nach einem solchen Schicksalsschlag bislang entschädigungslos verarbeiten müssen, sehen andere Nachdem das BMJV zunächst aus bestimmten Grün- europäische Rechtsordnungen Ansprüche auf Angehöri- den komplett auf Ausführungen zum Erfüllungsaufwand genschmerzensgeld vor. und zu Kosten verzichten wollte, wurde dann im Ergeb- nis „mit dem dicken Daumen“ auf der Grundlage der Selbstverständlich kann kein Geld der Welt die Trauer Schockschadenrechtsprechung eine theoretische Maxi- über den Verlust eines geliebten Menschen wirklich aus- malsumme berechnet. Tatsächlich sollen die Summen gleichen. Das will und kann das Gesetz auch nicht. Der nach dem Willen des Gesetzgebers leicht unter denen der Anspruch ist daher auf einen symbolischen Ausgleich Schockschadenrechtsprechung liegen. (B) des Trauerschmerzes gerichtet. Damit setzt die Rechts- (D) gemeinschaft aber zugleich ein Zeichen der Solidarität Die CDU/CSU-Fraktion wollte schließlich im Rah- mit den Hinterbliebenen. So wird mit dem Hinterbliebe- men der parlamentarischen Beratungen eine Änderung nengeld gezeigt, dass ein Tod mehr auslöst als Beerdi- beim Zugewinnausgleich regeln und Schmerzens- gungskosten und entgehenden Unterhalt. geldansprüche vom Zugewinnausgleich ausnehmen. Künftig wird ein Ersatzpfichtiger denjenigen Hinter- Entschädigungen für immaterielle Schäden sollen dem bliebenen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten Anfangsvermögen zugerechnet werden, denn sie sind in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stan- der höchstpersönlichen Sphäre eines Ehegatten zuzuord- den, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene nen. Sie stehen gerade nicht im Zusammenhang mit der Entschädigung in Geld leisten müssen. ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. Gerade beim Hinterbliebenengeld wird die enge Verbindung zum Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng persönlichen Schicksal des Geschädigten und zu dessen gefasst, lässt aber auch die erforderliche Flexibilität. Das sehr individuell empfundenen Trauer besonders deutlich. besondere persönliche Näheverhältnis wird bei Ehegat- Diese gehört nicht in den Zugewinnausgleich, denn der ten, Lebenspartnern, Elternteilen oder Kindern vermu- andere Ehegatte wird regelmäßig nicht so mitbetroffen tet. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften setzt der sein, dass seine nachträgliche Beteiligung über einen Anspruch ein zwischen den Partnern bestehendes „be- Zugewinnausgleich gerechtfertigt wäre. Deshalb hatte sonderes persönliches Näheverhältnis“ voraus, das dem auch der Rechtsausschuss des Bundesrates gefordert, das Verhältnis entspricht, das typischerweise zwischen Ehe- Schmerzens- und Hinterbliebenengeld künftig aus dem gatten, Lebenspartnern sowie Eltern und Kindern besteht. Zugewinnausgleich herauszunehmen. Über die konkrete Anspruchshöhe werden die Gerich- te entscheiden. Diese werden berücksichtigen, dass für Mit dem Koalitionspartner war das in der ablaufenden den Anspruch kein Gesundheitsschaden nachgewiesen Wahlperiode nicht mehr umsetzbar; deshalb werden wir werden muss und Ziel des Hinterbliebenengeldes ein dies auf unsere Agenda für die kommende Wahlperiode symbolischer Ausgleich ist. Dabei ist klar, dass sich die setzen. Summen in das eher restriktive deutsche Schadensersatz- Ich freue mich, dass wir fraktionsübergreifend dieses recht einfügen müssen, um Wertungswidersprüche zu Gesetz nun beschließen werden. Es ist für die Tausenden vermeiden. von Angehörigen, die einen geliebten Menschen verloren Auch in der Anhörung waren sich die Sachverstän- haben, ein Zeichen des Mitgefühls und der Anteilnahme digen einig, dass die künftig als Hinterbliebenengeld unserer Rechtsgemeinschaft. 23802 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Dr. Johannes Fechner (SPD): Wir freuen uns sehr, tet. Das wird in § 844 Absatz 3 Satz 2 BGB geregelt. (C) dass wir nach intensiven und guten Beratungen, für die Diese gesetzliche Vermutung legt ein intaktes Familien- ich allen Beteiligten danke, heute das parlamentarische verhältnis zugrunde und erspart den Hinterbliebenen, die Verfahren abschließen und für Hinterbliebene eine ei- Existenz dieses Regelfalls darzulegen und gegebenen- gene zivilgesetzliche Anspruchsgrundlage für eine Ent- falls beweisen zu müssen. Die Betroffenen sollen damit schädigung schaffen. im Unglücksfall nicht noch belastet werden. Wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist, kann die Vermutung vom Damit stehen wir den Hinterbliebenen zur Seite und Anspruchsgegner im Einzelfall widerlegt werden. Damit stellen klar: Das seelische Leid von Menschen, die einen können Fälle ausgeschlossen werden, in denen zwischen nahestehenden Menschen durch einen Unfall oder eine den privilegierten Anspruchstellern und dem Opfer nur Straftat verloren haben, wird künftig nicht mehr ohne noch ein formales familienrechtliches Band, aber mögli- Anerkennung bleiben. cherweise gar kein Kontakt mehr bestand. Der Tod eines nahestehenden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man sich vorstellen kann, und Die gewählte Formulierung stellt also auf die indivi- wir werden das Leid der Hinterbliebenen nicht durch duellen Verhältnisse im Einzelfall ab und kommt so zu Geld aufheben können. Aber zumindest ein Stück weit ausgewogenen und angemessenen Lösungen. kann das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzah- Was die Höhe des Anspruchs angeht, so haben wir uns lung gelindert werden, und dafür ist im Bürgerlichen Ge- dafür entschieden, diese Festlegung der Rechtsprechung setzbuch eine eigene Anspruchsgrundlage für Hinterblie- zu überlassen, die den Einzelfall beurteilen und dann bene erforderlich. konkrete Summen festlegen kann. Es ist nach heutiger Rechtslage zu kompliziert und Wir als SPD-Fraktion hätten uns vorstellen können, zu schwierig für Angehörige von Todesopfern, nach den in der Gesetzesbegründung Näheres zur Höhe des An- von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes festge- spruchs zu regeln. Denn wir müssen vermeiden, dass legten Grundsätzen Entschädigungszahlungen zu erlan- Hinterbliebene zwar eine eigene Anspruchsgrundlage ha- gen. Denn nach heutiger Rechtslage haben Angehörige ben, aber dann womöglich nur kleinere Beträge erhalten. nur dann einen Anspruch, wenn sie eine über das Maß Dies wäre zum Beispiel mit der Vorgabe von Entschädi- der normalen Trauer hinausgehende seelische Beein- gungssummen oder Mindestsummen möglich gewesen. trächtigung nachweisen können. Dies gelingt nur selten. Es war mir persönlich und der SPD-Fraktion deshalb Immerhin: Wir haben in der Gesetzesbegründung den ein großes Anliegen, für die Angehörigen eine klare klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und europä- Rechtsgrundlage für eigene Ansprüche zu schaffen, bei ische Rechtsprechung. Die Urteile, auf die in der Ge- (B) denen die Hürden für eine Entschädigungszahlung nicht setzesbegründung verwiesen wird, sollen den Gerichten (D) derart hoch sind. als Orientierung dienen. In den Beispielsfällen wurden Zahlungen von bis zu 25 000 Euro zugesprochen, was Deshalb wird das Bürgerliche Gesetzbuch künftig mit als Mindestbetrag gelten sollte. Aus meiner Sicht könnte dem neuen Absatz 3 des § 844 BGB den Personen einen sich diese Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwi- Entschädigungsanspruch gegen den Schädiger gewäh- ckeln, dass höhere Beträge zugesprochen werden. Denn ren, die einen nahestehenden – nicht notwendigerweise ich fnde, wenn wir schon eine Anspruchsgrundlage verwandten – Menschen durch eine Straftat oder einen schaffen, dann sollte auch gewährleistet sein, dass Zah- Unfall verloren haben. lungen in angemessener Höhe mindestens im Umfang Systematisch richtig ist der Anspruch im Gesetz im der in der Gesetzesbegründung zitierten Rechtsprechung Zusammenhang mit den Vorschriften über die Ansprüche erfolgen. Dritter infolge unerlaubter Handlungen verortet. Dieser Lösungsweg wurde von den Sachverständi- Der Begriff „Hinterbliebene“ ist bewusst gewählt. Da- gen in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss mit sind auch Mitglieder von Patchwork-Familien oder als gangbar beurteilt. Die Einzelfallbetrachtung hat den unverheiratete Partner erfasst. Wir haben uns gegen den Vorteil, dass das persönliche Leid, das bei jedem Hin- deutlich engeren Begriff der „Angehörigen“ entschie- terbliebenen unterschiedlich ausfällt, Grundlage für den den. Denn Verwandtschaft allein sagt nichts über das individuellen Entschädigungsanspruch ist. Deshalb ist Näheverhältnis zweier Menschen aus. Dieses kann bei die Feststellung der konkreten Summen sehr gut bei den nichtverwandten Menschen so eng sein, dass der Verlust Gerichten aufgehoben – der Gesetzgeber kann in allge- eines nahestehenden Menschen erheblichen seelischen meingültigen Regeln nur generell geltende Richtwerte Schmerz auslöst. Beispielsweise kann ein unverheirate- vorgeben. ter Partner dem Verstorbenen so nahegestanden haben, Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns dass wir ihm oder ihr zum Ausgleich seines seelischen gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage Leides einen eigenen Anspruch geben sollten. Umge- und einen eigenen Rechtsanspruch auf Entschädigungs- kehrt besteht kein Bedürfnis, Familienangehörigen, die zahlungen haben müssen. Nach der Germanwings-Ka- schon über Jahre keinen Kontakt mehr miteinander ha- tastrophe mussten Angehörige in der schweren Zeit der ben, quasi automatisch und in jedem Fall einen Entschä- Trauer in komplizierte Verhandlungen eintreten. Es darf digungsanspruch zu gewähren. nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit der Wir haben uns daher für die Lösung entschieden, die Trauer in ein unwürdiges Geschacher mit dem Schädiger für nahe Familienangehörige ein Näheverhältnis vermu- oder dessen Versicherungen eintreten müssen, nur weil Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23803

(A) eine klare Rechtsgrundlage fehlt. Dies wird ihrer Situati- gleichen Geschlechts; wir haben darüber erst gestern (C) on nicht gerecht. wieder hier sehr ausführlich diskutiert. Künftig wird das nicht mehr vorkommen. Mit der neu- Bereits in meiner Rede zur ersten Lesung dieser Ge- en Regelung steht eine eindeutige Anspruchsgrundlage setzentwürfe habe ich betont, dass wir gesetzliche Re- im Gesetz, mit der sichergestellt ist, dass das Leid von gelungen zur Einführung eines Anspruchs auf Hinter- Hinterbliebenen durch eine Geldzahlung ein Stück weit bliebenengeld für sehr wichtig halten und grundsätzlich gelindert wird. unterstützen. Denn mit diesen Gesetzen wird endlich da- für gesorgt, dass Angehörige von Todesopfern fremdver- Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprü- schuldeter Straftaten Anspruch auf ein Schmerzensgeld che gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins gegenüber den Verantwortlichen der Straftat haben. Bis- Leere laufen, wenn der Täter oder Unfallverursacher her haben sie einen solchen Anspruch nämlich nur dann, kein Vermögen hat. Wie etwa der Täter des schreckli- wenn sie im Falle des Todes eines nahen Angehörigen chen Anschlages auf den Berliner Breitscheidplatz. Ich durch eine fremdverschuldete Straftat eine eigene Ge- möchte deshalb noch einmal ausdrücklich loben, dass die sundheitsbeschädigung im Sinne unseres Bürgerlichen Bundesregierung mit Kurt Beck einen Beauftragten der Gesetzbuches erleiden. Dafür müssen sie psychische Be- Bundesregierung für die Anliegen der Opfer und Hinter- einträchtigungen medizinisch fassbar nachweisen kön- bliebenen des Terroranschlages auf dem Breitscheidplatz nen, die über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestimmt hat, um die Entschädigung der Opfer dieses hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall erfah- schlimmen Anschlages zu gewährleisten. Nach meinem rungsgemäß ausgesetzt sind. Lediglich bei einem soge- aktuellen Kenntnisstand konnte allen Opfern bzw. deren nannten Schockschaden konnte bisher Schadensersatz Hinterbliebenen geholfen werden. eingefordert werden, darüber hinaus für materielle Schä- Neben Leistungen des Härtefallfonds für Betroffene den wie Beerdigungskosten, entgangenen Unterhalt oder und Hinterbliebene bei terroristischen Straftaten sowie entgangene Dienste. Für ihr seelisches Leid erhielten die Leistungen der Verkehrsopferhilfe werden auch Leistun- Hinterbliebenen bisher keinerlei Entschädigung. Das gen nach dem Opferentschädigungsgesetz zur Verfügung führte beispielsweise zu der absurden Situation, dass die gestellt. Eine Lücke im Opferentschädigungsgesetz, Hinterbliebenen der furchtbaren Flugzeugselbstmordka- die – wie von den Grünen gefordert – eine Änderung des tastrophe der Germanwings die Hinterbliebenen auf den Gesetzes erforderlich macht, ist demnach nicht gegeben. Goodwill der Fluggesellschaft angewiesen waren, um für Tatsächlich würde eine Änderung der Rechtsnorm, wie ihr seelisches Leid eine Entschädigung zu erhalten. sie von den Initiatoren vorgeschlagen wird, statt zu bes- Hinterbliebene sollen also künftig im Sinne einer An- seren Hilfsmöglichkeiten für Geschädigte nur zu einer (B) erkennung ihres seelischen Leids wegen der Tötung ei- (D) Entlastung der Versicherungswirtschaft führen und den nes ihnen besonders nahestehenden Menschen von dem Steuerzahler mit den Kosten belasten. Dies wäre eine hierfür Verantwortlichen eine Entschädigung verlangen Schiefage, die nicht gewollt sein kann. können. Das ist gut so und wird von der Linken vorbe- Ich freue mich sehr, dass wir das Hinterbliebenengeld haltlos unterstützt. einführen und damit für die Hinterbliebenen eine Grund- Bedauerlich fnde ich, dass die Forderungen der Op- lage für ihre Ansprüche schaffen, um ihr großes Leid zu- ferverbände, wie zum Beispiel des Weißen Rings, keine mindest ein Stück weit zu lindern. In der Zeit der Trauer Berücksichtigung gefunden haben. Darum hatte ich Sie werden ihnen künftig komplizierte Rechtsstreitigkeiten in der ersten Lesung ausdrücklich gebeten. Damit wer- um Anspruchsgrundlagen und ihnen letztlich zustehen- den Angehörige von schwerstverletzten Opfern einer de Entschädigungszahlungen erspart bleiben. Lassen Sie fremdverschuldeten Straftat auch künftig leer ausgehen. uns diesem Gesetz mit breiter Unterstützung zustimmen! Ein wie vom Weißen Ring gefordertes Trauergeld für Angehörige schwerstverletzter Opfer wird es also nicht Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir dis- geben. Ihre lebenslange Aufopferung zur Pfege eines kutieren heute hier abschließend über Gesetzentwürfe schwerstverletzten nahen Angehörigen wird dadurch zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld genauso als eigener Schmerzensgeldanspruch unberück- bzw. über Opferentschädigung. Dem sind viele, teilweise sichtigt bleiben wie ihr tagtägliches Konfrontiertsein mit wenig fruchtbare Debatten vorausgegangen, in denen die dem Leid des schwerstverletzten nahen Angehörigen. Fraktionen der Großen Koalition ihr Nichtstun in dieser Für die Linke sage ich hier: Dies ist nicht gerecht. wichtigen Frage verteidigt haben und auf der anderen Seite die Opposition Druck machen musste, damit dann Letzten Endes beeinträchtigt dieser Mangel allerdings im März dieses Jahres sowohl durch die Koalitionsfrak- die Bereitschaft meiner Fraktion Die Linke zur Zustim- tionen als auch durch die Bundesregierung endlich ein mung zu diesem Gesetz nicht. wortgleicher Vorschlag für die Regelung dieser wich- tigen Frage vorgelegt worden ist. Dies war dann auch Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind der Beginn, den Gesetzentwurf der Bündnisgrünen im uns hier alle einig, dass es künftig bei schuldhafter Tö- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz endlich zu tung einer Person für die Trauer und den Schmerz eines behandeln. Sonst wäre wahrscheinlich auch dieser Ge- nahen Angehörigen eine Entschädigung in Geld geben setzentwurf immer noch im Stadium der Nichtbehand- soll. Gleiches soll bei Gefährdungshaftung, wie bei- lung – wie die Gesetzentwürfe von Linken, Bündnisgrü- spielsweise bei Flugzeugabstürzen, gelten. Trotz dieser nen und Bundesrat zur Öffnung der Ehe für Menschen Einigkeit im Parlament war diese Grundsatzfrage bis zu- 23804 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) letzt nicht unumstritten – und deshalb muss sie hier in der Anspruchsgrundlage deswegen in den besonderen Teil (C) Debatte noch einmal begründet werden. gehöre, hat zugegebenermaßen auch etwas für sich. Die- se kleine Uneinigkeit wird uns somit nicht daran hindern, Zunächst einmal fällt auf, dass ein solches Schmer- Ihrem Gesetzentwurf insgesamt unsere Zustimmung zu zensgeld im internationalen Vergleich durchaus üblich geben. Immerhin waren wir es, die in dieser Legislatur und Deutschland hier bislang einsame Ausnahme ist. als Erstes Initiativen für die Einführung eines Hinterblie- Warum also die Trauer in Italien oder in Frankreich be- benengeldes vorgelegt hatten. zifferbar ist, in Deutschland aber nicht, ist schon schwer genug zu erklären. Wir haben heute aufgrund des Sachzusammenhanges auch unseren Antrag zur Änderung des Opferentschä- Auch die Experten in der Anhörung waren über- digungsgesetzes (OEG) zur zweiten Lesung vorgelegt. wiegend der Auffassung, dass ein solch immaterieller Nach diesem Gesetz können Opfer von Gewalttaten Entschädigungsanspruch für eine Trauer unterhalb der Leistungen bekommen, wenn beim Täter kein Schadens- Schwelle eines medizinisch nachweisbaren Schockscha- ersatz zu holen ist. So kann es bei schweren Verletzungen dens kein unüberwindbarer Systembruch oder gar eine beispielsweise eine lebenslange Rente geben. Abkehr von der Schuldrechtssystematik im BGB wäre. Letztlich ist auch der medizinisch nachweisbare Verlust Allerdings gilt dies aufgrund einer Ausnahmevor- eines Beines nur ein Indiz für das Leid und die Schmer- schrift nicht: wenn eine Gewalttat durch den Gebrauch zen, die mit dem Schmerzensgeld beziffert werden. Auch eines Kraftfahrzeuges verübt wurde. Dann soll nur der in einem solchen Fall ist das Schmerzensgeld nicht dazu Verkehrshilfefonds der Haftpfichtversicherer eintreten, da, das Bein zu ersetzen. Und auch für Todesangst wird der aber nicht dieselben Leistungen gewährt wie das bereits nach jetziger Rechtslage ein Schmerzensgeld an- Opferentschädigungsgesetz. Wir wollen, dass alle Opfer erkannt, das im Falle des tatsächlichen Todes sogar an von Gewalttaten künftig gleich behandelt werden, un- die Angehörigen vererbt werden kann. abhängig davon, ob die Tatwaffe eine Schusswaffe, ein Messer oder eben ein Kfz ist. Für die nähere Ausgestaltung des Hinterbliebenen- geldes gibt es allerdings unterschiedliche Optionen. Die Und auch wenn Sie diesen Antrag heute ablehnen, Expertenanhörung hat bestätigt, dass es sinnvoll ist, den wird das Thema Opferentschädigung damit nicht zu Kreis der Anspruchsberechtigten nicht formal festzule- Ende sein. Dass es bei der Opferentschädigung weiter gen, also beispielsweise auf Ehegatten und Kinder. Das gehenden Reformbedarf gibt und dies in der nächsten Le- würde zwar die Darlegungs- und Beweislast im Prozess gislatur dringend wieder aufgerufen werden muss, steht erheblich erleichtern, dafür aber sehenden Auges zu Un- wohl außer Frage. gerechtigkeiten im Einzelfall führen. So sind sehr enge Gut ist es jedenfalls, dass wir das Hinterbliebenengeld (B) Näheverhältnisse außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung (D) jetzt auf den Weg gebracht haben und heute hier gemein- ebenso vorstellbar wie Eheleute, die ihre Ehe nur noch sam verabschieden. formal aufrechterhalten. Dass in der Regel Angehörige die Trauernden sind, kommt in der Vermutungsregel zum Ausdruck. Trotzdem bleibt genügend Spielraum, um an- dere Verhältnisse im Einzelfall zu berücksichtigen. Anlage 15 Weiteres Thema in der Anhörung war die Frage, ob Zu Protokoll gegebene Reden wir als Gesetzgeber die Anspruchshöhe im Gesetz näher bestimmen sollten. So ist durchaus verständlich, dass ge- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- rade die Haftpfichtversicherer gerne genauer wüssten, brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- auf was sie sich einstellen müssen. Es sprechen aber gute einkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung Gründe dafür, es bei der „angemessenen Entschädigung der Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesord- in Geld“ zu belassen. Zum einen machen feste Geldbe- nungspunkt 31) träge im Laufe der Jahre immer wieder Gesetzesanpas- sungen erforderlich. Zum anderen ist davon auszugehen, Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Die strategische dass sich relativ schnell handhabbare Tabellen entwickeln Partnerschaft zwischen der EU und der Staatengemein- werden, wie es schon beim Schmerzensgeld der Fall war. schaft Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) wurde Die Rechtsprechung hat bereits bewiesen, dass sie in der 1999 mit dem Ziel begründet, den Dialog beider Regio- Lage ist, selbst Bemessungskriterien zu entwickeln, die nen durch regelmäßige Gipfeltreffen zu vertiefen. Auch auch die erforderliche Rechtssicherheit schaffen werden. wenn sich die Zusammenarbeit beider Regionen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und wissen- Zuletzt ging es noch um die Frage, wo der neue An- schaftlich-technologischem Gebiet seitdem verbessert spruch systematisch anzusiedeln ist: im Schuldrecht hat, bleibt festzustellen: Lateinamerika ist in unserer öf- bei § 253 BGB oder – so wie es jetzt im Gesetzentwurf fentlichen Wahrnehmung in den letzten 20 Jahren eher in steht – im Deliktsrecht bei § 844 BGB. Wir Grüne hätten den Hintergrund gerückt. den Anspruch ja lieber im allgemeinen Schuldrecht, also beim § 253 BGB gesehen, damit klargestellt ist, dass alle Die 2010 beschlossene Gründung der EU-Lateiname- Arten von Anspruchsgrundlagen – also auch die vertrag- rika/Karibik-Stiftung soll diesem Trend entgegenwirken lichen – davon erfasst sind. Das Gegenargument, dass im und helfen, die strategische Partnerschaft mit neuem allgemeinen Teil nur die Ausgestaltung der Ansprüche Leben zu erfüllen. Diese ursprüngliche Gründung als geregelt ist und das Hinterbliebenengeld als eigene neue Stiftung nach deutschem Recht diente lediglich einer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23805

(A) beschleunigten Arbeitsaufnahme. Von Beginn an war politischer Wandel ab, der sich trotz mancher Rückschlä- (C) es Konsens zwischen der Europäischen Union und den ge positiv auf den gesamten Kontinent auswirken könnte. Staaten Lateinamerikas und der Karibik, den biregiona- len Charakter der Stiftung zu betonen. Im Oktober letzten Die relative politische Öffnung in Kuba wurde an- Jahres wurde daher beschlossen, sie in eine internationa- fänglich als ein positives Signal wahrgenommen. Aller- le Organisation umzuwandeln. dings implizieren die damit verbundenen wirtschaftli- chen Chancen bisher leider keine direkte Stärkung der Ziel der Stiftung ist es, den lateinamerikanisch-euro- Demokratie oder eine deutliche Verbesserung der Men- päischen Dialog zu stärken, das gegenseitige Verständnis schenrechtslage. zu fördern und die politischen, wirtschaftlichen und wis- senschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Regionen Die anfänglich positive Entwicklung in Venezuela – unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure wie 2015 erreichte die Opposition eine Zweidrittelmehrheit akademischer Einrichtungen weiter zu vertiefen. Be- bei den Parlamentswahlen – wurde durch das Vorgehen sonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Stiftung der der chavistischen Regierung konterkariert. Leider ist in Partnerschaft eine erhöhte Präsenz in der Öffentlichkeit Venezuela eine friedliche und demokratische Verände- verleiht. rung nicht absehbar; das Land leidet unter einer katastro- phalen wirtschaftlichen und humanitären Entwicklung. Die Bundesregierung hat sich erfolgreich dafür ein- Präsident Nicolás Maduro versucht mit allen Mitteln, die gesetzt, dass die Freie und Hansestadt Hamburg zum Rechte der Oppositionsparteien zu unterdrücken und ein Sitz bestimmt wurde. Hamburg hat durch internationalen Votum über seine Abwahl zu verhindern. Deshalb steht Handel und Schifffahrt seit Jahrhunderten gewachsene das Land am Rande eines Bürgerkrieges. historische Verbindungen nach Lateinamerika. Ende des Aber auch die Veränderungen der geopolitischen Lage 19. Jahrhunderts verließen zahlreiche Auswanderer Eu- für Lateinamerika lassen ein verstärktes Interesse Eu- ropa über den Hamburger Hafen in Richtung Südameri- ropas an der Region geboten erscheinen. Während die ka. Neben der Städtepartnerschaft mit León in Nicaragua USA unter Donald Trump offenbar stärker auf Abschot- verdeutlichen die 20 konsularischen Vertretungen latein- tung und Protektionismus setzen und sich eher von ihren amerikanischer Staaten in Hamburg die enge Bindung. südlichen Nachbarn distanzieren, weitet China seinen Durch die Wahl der Hansestadt unterstreicht Deutschland Einfuss in der Region aus. Die Beziehungen zu Latein- sein Interesse an einer engen Partnerschaft mit der Zu- amerika als ein traditioneller und auch für die Zukunft kunftsregion Lateinamerika/Karibik. wichtiger Partner Europas müssen gestärkt werden. Wir Auch wenn die Krisenherde und Bedrohungslagen in können unsere Partner in Lateinamerika nur ermutigen, Osteuropa, im Mittleren Osten und in Nordafrika und wirtschaftlich wie politisch auf verstärkte Zusammenar- (B) nicht zuletzt auch die dynamische wirtschaftliche Ent- beit und regionale Integration zu setzen. (D) wicklung Asiens viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen: So wäre eine stärkere Annäherung von Mercosur Lateinamerika ist und bleibt für uns in Deutschland und und der Pazifk-Allianz zweifelsohne wünschenswert, Europa eine wichtige Partnerregion. In der EU und La- nicht nur was die Größe und Relevanz des gemeinsa- teinamerika leben zusammen über 1 Milliarde Menschen. men Marktes, sondern vor allem was die grundsätzliche Die EU und die CELAC-Staaten stellen mit insgesamt wirtschaftspolitische Ausrichtung angeht. Die vier Mit- 61 Staaten ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Natio- gliedsländer des Mercosur erwirtschaften fast 40 Prozent nen, darunter fast die Hälfte der G-20-Staaten. Sie produ- des gesamten BIP Lateinamerikas. Die vier Länder der zieren gemeinsam 40 Prozent des Weltsozialproduktes. Pazifk-Allianz könnten sich zu einer Drehscheibe des Die EU ist der größte ausländische Investor in der Regi- Handels zwischen Atlantik und Pazifk entwickeln und on, der zweitgrößte Handelspartner der lateinamerikani- so von der wirtschaftlichen Dynamik in Ostasien prof- schen und karibischen Staaten und der größte Geber der tieren. Bei einer erfolgreichen marktwirtschaftlich ge- Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika und der prägten Integration könnten beide Regionalbündnisse Karibik. Mit kaum einer anderen Region der Welt sind ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, die Wertschöp- wir Europäer historisch enger verfochten und kulturell fungsketten in den Mitgliedsländern zu verlängern und stärker verbunden. Dies bildet die Grundlage für gemein- ihre Industrien insgesamt zu stärken. Dies könnte auch same Werte und eine dauerhafte Zusammenarbeit. der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit der EU An diese Gemeinsamkeiten gilt es immer wieder an- neue Impulse geben. zuknüpfen, zum beiderseitigen Vorteil, aber auch in ge- Wir müssen mit der größten Aussicht auf Erfolg die meinsamer Verantwortung. geeigneten politischen Partner stärken, die mit unserem Die Gründung der EU-Lateinamerika/Karibik-Stif- Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell inhaltlich über- tung als Folge der strategischen Gespräche zwischen der einstimmen. Doch der Kontinent weist immer noch sehr EU und Lateinamerika kommt zum richtigen Zeitpunkt, unterschiedliche wirtschaftliche und politische Entwick- denn gegenwärtig bietet sich ein günstiges Zeitfenster lungen auf. Immer noch leben in Lateinamerika 180 Mil- der Gelegenheit zur Revitalisierung der Beziehungen lionen Menschen in Armut, vor allem die indigene Be- zwischen beiden Regionen: völkerung. Der Zugang zu zentralen öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit ist für große Teile der Be- Nach den Wahlen in Argentinien, Peru, den politischen völkerung nicht gesichert. Die Agenda 2030 der Verein- Veränderungen in Brasilien sowie durch den fortschrei- ten Nationen mit ihren 17 globalen Zielen für nachhaltige tenden Friedensprozess in Kolumbien zeichnet sich ein Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) 23806 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) gilt für alle Staaten dieser Welt, und ihre Umsetzung Deutsche mit Hamburg als Sitzland auf jeden Anfug von (C) stellt die grundlegende Voraussetzung für eine breite Überheblichkeit verzichten. Aus guten Gründen sind hier Teilhabe an Wohlstand und Entwicklung dar – auch in viele unserer Partnerländer nach jahrhundertelanger Be- Lateinamerika. vormundung empfndlich. Deutschland kann mit seiner auf fortgeschrittene In einem Dialog auf Augenhöhe gibt es genug zu tun: Partnerländer zugeschnittenen entwicklungspolitischen Kooperation und Forschung auf wissenschaftlichem, Zusammenarbeit Staaten Lateinamerikas bei der Umset- kulturellem und bildungspolitischem Gebiet, Erstellung zung der Sustainable Development Goals unterstützen. von Studien dazu, eine personelle und institutionelle In- Schwerpunkte des gemeinsamen Handelns orientie- frastruktur können Grundlage für ein Mehr sein, also für ren sich am Bedarf der Partner, der Leistungsfähigkeit eine Vertiefung der Kooperation, die auf gegenseitigem Deutschlands und an der Umsetzung globaler internatio- Wissen und Empathie beruht. Ziel muss es natürlich sein, naler Vereinbarungen. Viele lateinamerikanische Länder nicht nur freundlich miteinander zu reden, sondern auch erweisen sich dabei als sehr verlässliche Partner. zu helfen, Probleme zu lösen und gemeinsamen Nutzen zu erzeugen. Lateinamerika ist in einer volatiler gewordenen Welt trotz mancher sozialer und wirtschaftlicher Probleme ein Gelingen kann dies nur, wenn, wie explizit im Gesetz relativ stabiler und friedlicher Kontinent. Diesen Zustand formuliert, die Zivilgesellschaft gestaltend einbezogen gilt es durch partnerschaftliche Zusammenarbeit zu festi- wird. Das darf aber nicht so gelesen werden, dass es hier gen. Wir müssen daher die Partnerschaft mit Lateiname- vorrangig um wirtschaftliche und unternehmerische In- rika pfegen und weiter ausbauen, um dem politischen teressen geht, die erfahrungsgemäß als Erste die entspre- Dialog zwischen beiden Seiten in allen Politikbereichen chenden Ressourcen mobilisieren können. Die Stiftung eine neue Qualität zu verleihen. Gemeinsam können wir wird hoffentlich ein eigenes Konzept zur zivilgesell- die Globalisierung im Sinne unserer Werte und Interes- schaftlichen Beteiligung entwickeln, damit die strategi- sen prägen. sche Partnerschaft auch wirklich mit Leben erfüllt wer- den kann. Dafür bietet die EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung die richtige Plattform. Deshalb unterstützt die CDU/ Wenn wir auf die Probleme unserer Regionen blicken, CSU-Fraktion ihre Gründung nachdrücklich. sehen wir genügend gemeinsame Probleme, Fragestel- lungen und Lösungsbedarfe. Wachsende Ungleichheit, wirtschaftliche und fnanzielle Krisen, Gefährdungen (SPD): Heute schaffen wir für die Klaus Barthel für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Spaltungen und Bundesrepublik Deutschland die Voraussetzungen für Konfikte innerhalb und zwischen den Staaten, Folgen die Umwandlung der EU-Lateinamerika-Karibik-Stif- (B) des Klimawandels – trotz unterschiedlicher Ausgangsbe- (D) tung (EU-LAK-Stiftung) in eine internationale Organi- dingungen existieren zahlreiche Parallelen. sation. Noch in diesem Jahr soll dann das entsprechende Übereinkommen in Kraft treten, wenn mindestsens acht Mit gegenseitigen Fingerzeigen wird man nichts er- EU-Staaten – das ist schon erreicht – und acht LAK-Staa- reichen. Deshalb will ich an dieser Stelle auch nicht auf ten unterzeichnet haben. einzelne Probleme in einzelnen Partnerstaaten eingehen, schon allein weil eine Auswahl willkürlich und einseitig Diese gemeinsame Stiftung ist ein Ergebnis der be- wäre. Im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf ist reits 1999 ausgerufenen strategischen Partnerschaft der nachzulesen, welche Tätigkeiten und Arbeitsformen mit EU mit Lateinamerika und der Karibik. Nun könnte man der Stiftung möglich sind und mit Leben gefüllt werden. sagen: ein bescheidenes Ergebnis in Relation zum ge- Zu begrüßen ist auch der fnanzielle deutsche Beitrag von radezu infationär gebrauchten Pathos der strategischen jährlich knapp 300 000 Euro, der hoffentlich auch von Partnerschaften. den anderen Mitgliedstaaten aufgestockt werden wird. Dennoch: Die Stiftung verfolgt einen richtigen An- Zu hoffen bleibt auch, dass die Stiftung so arbeiten wird, satz, nämlich einen biregionalen zwischen zwei global dass sie weit über das bisher vorgesehene Maß eine eige- wichtigen Großräumen mit zusammen 1 Milliarde Ein- ne positive Dynamik entfalten wird. wohnerinnen und Einwohnern. In einer Welt mit immer mehr nationalistischen Ab- Heike Hänsel (DIE LINKE): Die EU-LAK-Stiftung schottungstendenzen, mit immer mehr bilateralen statt hat das Ziel, die Partnerschaft zwischen der EU und den multilateralen Abkommen ist das ein wichtiger Ansatz. Staaten Lateinamerikas und der Karibik zu stärken. Das Das gilt sowohl für die Stärkung der Kooperation inner- ist natürlich zu begrüßen, zumal der EU nicht die von halb der Regionen als auch zwischen den Regionen. den USA dominierte OAS gegenübersteht, sondern die CELAC. Die CELAC wurde auf Initiative der linken Re- Diese Kooperationsstruktur erhält mit der Gestalt gierungen der Region gegründet, um ein Gegengewicht der internationalen Organisation – statt wie bisher einer gegen die Einmischung aus dem Norden zu bilden. Stiftung deutschen Rechts – einen wesentlich verbindli- cheren Charakter. Das gilt sowohl für den Zugzwang bei Entsprechend werden die lateinamerikanischen Staa- den – bescheidenen – Beiträgen als auch bei der Mitar- ten darauf achten, dass sich die EU-LAK-Stiftung nicht beit. in die politischen Verhältnisse in den Ländern einmischt. Da haben ja auch deutsche Stiftungen eine belastete Vor- Gelingen wird das Projekt aber nur, wenn wir Eu- geschichte. Wie etwa die FDP-nahe Naumann-Stiftung ropäerinnen und Europäer und auch insbesondere wir am Putsch in Honduras mitwirkte, um den gewählten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23807

(A) Präsidenten Zelaya zu stürzen, das war wirklich unwür- Tragfähigkeit des Beschlusses zeigte, dass auf EU-Ebe- (C) dig und kriminell. In diesem Sinne muss die Stiftung hier ne und in den lateinamerikanischen und karibischen Wiedergutmachungsarbeit leisten und sich für friedliche, Partnerländern ein Konsens bestand, die gegenseitigen solidarische Beziehungen einsetzen, statt Regime Chan- Verbindungen zu stärken. Die Umwandlung der Stiftung ges zugunsten des neoliberalen Nordens zu unterstützen. in eine internationale Organisation, die nach nunmehr Wir sind zum Beispiel gespannt, welche Position die sechsjährigem Bestehen vollzogen werden soll, ist über- Stiftung gegenüber Brasiliens rechtem Putschpräsiden- fällig und nicht zu beanstanden. ten Temer einnimmt. Gerade in Zeiten, in denen den Beziehungen zwischen Noch ist über die Pläne ja nicht viel bekannt. Es gibt den USA und den Ländern Lateinamerikas und der Ka- lediglich ein Verzeichnis von Institutionen, in denen ribik starke Veränderungen bevorstehen zu scheinen, durchaus auch progressive Akteure aus Deutschland wie scheint der Zeitpunkt reif, den gegenseitigen Beziehun- amerika21 und die Lateinamerika-Nachrichten zu fnden gen neue Impulse zu verleihen, wie zum Beispiel auch sind. Ich hoffe, dass viele zivilgesellschaftliche Organi- Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und sationen mit innovativen Ideen durch die Stiftung unter- Politik jüngst argumentierte. Mit ihrer wirtschaftlichen stützt werden. Stärke, dynamischen Zivilgesellschaft und gemeinsamen Wertebasis können die EU und die LAK wichtige Bünd- An solchen Ideen mangelt es dem Kontinent wahrlich nispartner auf der Suche nach Lösungen für weltweite nicht, und Deutschland kann in vielerlei Hinsicht von La- Herausforderungen wie die Wirtschafts-, Klima- und Er- teinamerika lernen. Ich denke da an das ALBA-Bündnis nährungskrisen sein. oder die Vorschläge von Bolivien und Ecuador für ein entwicklungsförderliches Handelsmandat. Daran könnte Doch damit die EU-LAK-Stiftung ihrem Auftrag ge- sich die EU ein Beispiel nehmen, statt mit ihrer neolibe- recht werden kann, den gemeinsamen Dialog zu fördern, ralen Handelspolitik die Armut im Globalen Süden wei- sollten endlich die schon seit der Gründung bestehenden ter zu verschärfen. Diesen Diskurs könnte die Stiftung Kritikpunkte angegangen werden. Die anstehende Verän- wissenschaftlich weiter voranbringen und Stimmen aus derung der Rechtsform sollte dazu genutzt werden, auch dem Süden auch hierzulande Gehör verschaffen. eine Veränderung der inhaltlichen und organisatorischen Ein konkretes Projekt, das die EU-LAK-Stiftung un- Strukturen voranzutreiben. terstützen könnte, ist die kolumbianische Universität für Hierzu zählen zuvorderst ein verstärkter Fokus auf die den Frieden, die in vielen Teilen des Landes aktiv ist und Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie ein den Prozess für Frieden und Wiedergutmachung voran- Ende der Intransparenz von Mandat und Funktionsweise bringt. Sie wurde von der ökumenischen Kommission für der Stiftung. Die Stiftung muss sich stärker der Zivilge- (B) Gerechtigkeit und Frieden geschaffen, arbeitet an der Ba- sellschaft öffnen, da sie sonst weiterhin im Verdacht ste- (D) sis; ausreichende fnanzielle Unterstützung blieb ihr aber hen wird, die vor allem auf wirtschaftlichen Interessen bisher versagt. beruhende Zusammenarbeit der sie tragenden Regierun- Bisher hat die EU die eigenständige Entwicklung La- gen zu fördern. teinamerikas leider nicht unterstützt, sondern durch Spal- In Zeiten, in denen Räume für kritische Zivilgesell- tung untergraben, etwa wenn es darum ging, die Freihan- schaft weltweit in höchst besorgniserregendem Maße delsabkommen mit Peru und Kolumbien abzuschließen, eingeschränkt werden, müssen dagegen Zeichen gesetzt oder mit dem Mercosur-Bündnis nach dem Putsch in werden. Sowohl in Lateinamerika als auch in Europa Brasilien. Der EU geht es in Lateinamerika weniger da- erleben wir in einigen Ländern einen Rechtsruck, in rum, die soziale Entwicklung zu fördern, sondern eher dessen Folge die Zivilgesellschaft massiv unter Druck darum, Absatz- und Rohstoffmärkte für die eigene Wirt- gerät. Bislang hat die EU-LAK-Stiftung eine Stärkung schaft zu erschließen. Die CELAC und die EU haben der kritischen Zivilgesellschaft jedoch vermissen las- in dieser Hinsicht unterschiedliche Auffassungen; wohl sen. Auch die für das restliche Jahr angekündigten Ge- deswegen haben die Verhandlungen auch ganze fünf Jah- sprächsrunden fallen durch Begriffe wie „strategische re gedauert. Partnerschaft“ auf, aber sparen eine Beleuchtung von Es ist bedauerlich, dass noch so wenig bekannt ist, vor Problemfeldern in den teilnehmenden Ländern aus. allem über die politische Ausrichtung. Aber wir begrüßen Doch wenn beispielsweise in Brasilien Aktivisten und die Einrichtung der Stiftung – unter der Maßgabe, dass Gewerkschafter unter Druck gesetzt, Minderheitenrechte sie nicht als Instrument zur Einmischung und Kontrolle eingeschränkt und die Umweltressourcen schonungslos über Lateinamerika genutzt wird, sondern auf Augenhö- wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, wenn he arbeitet und fortschrittlichen Ideen auf beiden Seiten in Venezuela, wo die Lage noch viel dramatischer ist, die Gehör verschafft. Regierung eine Hungerkrise provoziert und de facto ge- gen das gewählte Parlament putscht, dann müssen auch die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte viel Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stärker auf die Prioritätenliste einer Organisation wie der Die Gründung der Internationalen EU-Lateinamerika/ EU-LAK-Stiftung gesetzt werden. Karibik-Stiftung im Jahr 2011 war ein positives Zeichen in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit und eines Auch bei den Themen von Ökologie und wirtschaft- verstärkten Austausches zwischen diesen beiden Weltre- licher Diversifzierung bzw. Nachhaltigkeit gilt es, im gionen. Die Pläne zur Gründung dieser Institution lagen Rahmen der EU-LAK-Stiftung einen Dialog auf Augen- zu dem Zeitpunkt bereits Jahre zurück, und die breite höhe zu führen. In manchen Ländern der LAK-Region 23808 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) gibt es ein Phänomen einer neuartigen Umweltausbeu- geht. Auch sehe ich die Notwendigkeit, die aktuellen ge- (C) tung, bei der Raubbau und Rohstoffexport im Zentrum setzlichen Regelungen der Wissenschaftsschranke neu zu der wirtschaftlichen Strategie stehen und menschenrecht- regulieren und zu strukturieren, um Übersichtlichkeit zu liche und ökologische Aspekte vernachlässigt werden. schaffen und die Anwendung zu vereinfachen. Das war Dieses Phänomen steht in direktem Zusammenhang mit und ist unser ausdrückliches Ziel. wirtschaftlicher Nachfrage und dem energieintensiven und wenig nachhaltigen Lebensmodell in der EU. Aber hierbei geht es wie immer um das richtige Maß. Und der uns vorliegende Entwurf schießt weit über das Die Partnerschaft zwischen der EU und den LAK-Län- Ziel hinaus. Auch wenn Eigentum verpfichtet, darf es zu dern birgt ungemein viel Potenzial; das ist offensichtlich. keiner Enteignung führen. Versagt eine Beschränkung Die Stiftung, bald voraussichtlich in der Rechtsform ei- der Rechte privatwirtschaftliches Agieren und macht sie ner internationalen Organisation, könnte ein Instrument die Refnanzierung von Investitionen unmöglich, dann sein, diese Partnerschaft durch zivilgesellschaftlichen können wir das nicht unterstützen. Eine solche Konse- Austausch weiter zu befördern. Leider konnte sie diesem quenz ist untragbar. Anspruch bislang aufgrund der intransparenten Arbeits- weise und einem zu starken Fokus auf offzielle Ebenen Regelungen, die gesetzliche Nutzungsbestimmungen nicht gerecht werden. vor Lizenzangeboten den Vorrang gewähren und damit Lizenzen letztlich unerheblich machen, nehmen nicht nur jeden Anreiz für Publikationen, sondern machen privat- Anlage 16 wirtschaftliches Handeln letztlich unmöglich. Autoren und Wissenschaftsverlage haben künftig keinen Einfuss Zu Protokoll gegebene Reden mehr darauf, zu welchen Konditionen und zu welchem Preis ihre Inhalte genutzt werden dürfen. Denn ein an- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- gemessenes Angebot soll nach Vorstellung von Minister brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung Maas irrelevant sein. des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissens- Regelungen, die einen erlaubnisfreien Nutzungs- gesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungs- umfang von 15 Prozent gewähren, bedrohen den Pri- punkt 32) märmarkt vieler Verlage. Denn wer wird sich ein Buch kaufen, wenn er sich die entscheidenden Passagen „zu- Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Ende letzten Jahres sammenkopieren“ kann? Regelungen, die künftig erlau- haben wir alles getan, um Schlimmeres für die Verlage ben, „einzelne Artikel“ aus Zeitungen und Zeitschriften (B) zu verhindern: Aufgrund europäischer und nationaler vollständig zu nutzen, gefährden das primäre Geschäfts- (D) Rechtsprechung mussten sie nicht nur erhebliche Rück- modell von Zeitungen und damit die freie Presse. Wer zahlungen leisten, sondern wurden zukünftig von den hierbei ins Feld führt, dass den Rechteinhabern doch Ausschüttungen der VG WORT ausgeschlossen. ausdrücklich das Recht auf eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke und Inhalte zugesprochen Wir haben eine gesetzliche Lösung beschlossen, die wird, den kann ich nur fragen, ob er ernsthaft annimmt, einen wirtschaftlichen Ruin vieler Verlage – vorerst – dass hier nicht ganz andere Interessen vordergründig eine verhindert hat; eine Übergangslösung, bis wir auf eu- Rolle spielen werden. ropäischer Ebene endgültig Rechtssicherheit herstellen können. Die Länder haben ihre berechtigten fskalpolitischen Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der alles Vor- Interessen. Dies hat sich bereits im Beschluss des Bun- herige und alle politischen Zusagen an die Verlage als desrates gezeigt. Wie viel den Ländern Bildung und Farce erscheinen lässt. Im Koalitionsvertrag, den wir Forschung wert ist, zeigt sich in der Forderung, dass der heute umsetzen wollen, haben wir uns darauf geeinigt, erlaubnisfreie Nutzungsumfang von den 15 Prozent auf eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzufüh- die bereits aus dem Referentenentwurf vorgeschlagenen ren, die den Belangen der Wissenschaft, Bildung und 25 Prozent zurückgedreht werden sollte und die vorgese- Forschung stärker Rechnung trägt. Allerdings müssen hene Vergütungspficht für nichtkommerzielle Nutzung hierbei die Interessen der Urheber und Verlage ausrei- zu hinterfragen ist. Sie haben großes Interesse daran, chend berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf von die Ausgaben für Bildung und Forschung zu deckeln. Bundesminister Maas ist aber weit von einem solchen Da kommen ein Vorrang der gesetzlichen Nutzungsbe- Interessenausgleich entfernt. Vielmehr sieht er einen Ei- stimmungen und eine pauschale Vergütungsregel gerade gentumseingriff vor, der Wissenschafts- und Presseverla- recht. gen sowie Autoren die Grundlage ihres wirtschaftlichen Letztlich birgt ein „unkontrollierter“ Zugang zu Daseins und ihrer Existenz nehmen wird. Hier kann auch Werken zudem die Gefahr des Missbrauchs. Wenn Ver- das Interesse der Allgemeinheit kein ausreichend schwe- lage nicht in der Hand haben, darüber zu entscheiden, res Gewicht in der Waagschale bilden. in welchem Umfang und zu welchem Preis ihre Werke Die Begrenzung der Rechte des Urhebers ist kein genutzt werden, wer garantiert ihnen dann, dass Nutzer Novum. Auch das geistige Eigentum unterliegt der So- Nutzungsgrenzen nicht überschreiten werden? Denn wer zialgebundenheit, sodass das Recht seiner Verwertung in wird kontrollieren, ob nur 15 Prozent oder vielleicht doch einem gewissen Umfang zurückstehen muss, wenn es um ein bisschen mehr oder doch erheblich mehr genutzt wer- den Zugang der Allgemeinheit zu Bildung und Forschung den? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23809

(A) Für ein zukunftsfähiges Deutschland wollen wir den sowie Beschäftigte in Bibliotheken und Archiven, prof- (C) einfachen Zugang von Studenten und Lehrenden zu wis- tieren. Das entspricht auch unserem Wunsch nach einem senschaftlicher Literatur ermöglichen. Es ist nicht unser wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrecht. Ziel, Bildung und Forschung unnötig Steine in den Weg Als Gesetzgeber ist es aber auch unsere Aufgabe, die zu legen. Aber dieses Ziel darf nicht einhergehen mit ei- Interessen der Urheber und Wissenschaftsverlage im ner Absage an die freie Marktwirtschaft. Blick zu behalten. Denn wie immer im Urheberrecht gilt: Derzeit gilt das Gebot des Lizenzvorrangs. Verlage Wir müssen einen gerechten Interessensausgleich zwi- haben es in der Hand, ein angemessenes Angebot für die schen Urhebern, Nutzern und Verwertern schaffen. Nutzung von Werken zu unterbreiten. Sollten sie dazu Deshalb haben wir uns auch von dem ersten Vorschlag nicht in der Lage sein, dann greifen die gesetzlichen Nut- verabschiedet, dass 25 Prozent eines urheberrechtlich zungsvorgaben. Daran sollten wir grundsätzlich festhal- geschützten Werkes ohne Genehmigung des Rechteinha- ten. bers für Unterricht und Lehre sowie für die wissenschaft- liche Forschung genutzt werden können. Zum einen ist Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heute eine derart weite Ausdehnung des Nutzungsumfangs in erster Lesung über das Urheberrechts-Wissensgesell- nur schwerlich mit dem Schutz des Eigentums aus Ar- schafts-Gesetz. Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt tikel 14 GG zu vereinbaren. Zum anderen besteht die sich die Einführung einer sogenannten Bildungs- und Gefahr, dass keiner mehr die wissenschaftlichen Werke Wissenschaftsschranke im Urheberrecht. kaufen würde. Nicht zuletzt aus diesem Grund war der Das Urhebergesetz sieht bereits jetzt in einzelnen Vor- ursprüngliche Referentenentwurf zu weitgehend. Jetzt schriften gesetzlich erlaubte Nutzungen für Unterricht, sieht der Entwurf vor, dass erlaubnisfreie Nutzungen für Wissenschaft und Institutionen vor. Die Vorschriften Unterricht und Lehre sowie wissenschaftliche Forschung regeln, unter welchen Voraussetzungen urheberrecht- in der Regel noch in einem Umfang von 15 Prozent zu- lich geschützte Werke für die Zwecke von Bildung und lässig sind. Wissenschaft verwendet werden dürfen, ohne in jedem Der Gesetzgeber hat stets die Pficht, mit Weitsicht zu- Einzelfall Rechte zu klären und Erlaubnisse einholen zu kunftstaugliche Regelungen zu schaffen: Die Digitalisie- müssen. In der Regel ist die gesetzlich erlaubte Nutzung rung umfasst mittlerweile nahezu alle Bereiche wissen- mit einer Vergütungspficht verbunden. schaftlichen Arbeitens. Die urheberrechtliche Situation Das ist auch sinnvoll: Schulen und Universitäten sind hat sich ebenfalls grundlegend geändert. Wie im Koaliti- in hohem Maße auf den Zugang zu urheberrechtlich ge- onsvertrag eindeutig vereinbart, wollen und brauchen wir schütztem Material für Lehre und Forschung angewie- für Wissenschaft und Bildung noch in dieser Legislatur- (B) sen. So kann ein Hochschullehrer zum Beispiel schon periode eine gute Lösung im Urheberrecht. (D) nach geltender Rechtslage „kleine Teile“ eines Werkes Unser ausdrückliches Ziel ist es, dass die Stärken und zu Unterrichtszwecken vervielfältigen und an seine Stu- Vorteile der analogen Welt auch im digitalen Zeitalter dierenden weiterleiten, ohne dafür immer eine Geneh- weiterbestehen. Dies bedeutet nicht zuletzt, eine stets an- migung vom Verlag einzuholen zu müssen. Diese Vor- gemessene Vergütung der Urheber zu gewähren. schriften sind aber teilweise unverständlich formuliert und über das gesamte Urhebergesetz verstreut. Aus praktischer Sicht ist es von großer Bedeutung, dass bürokratischer und kostenintensiver Aufwand bei Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren durch Nutzung und Abrechnung vermieden wird. Die im Ent- die Digitalisierung vieles verändert hat. Das gilt insbe- wurf ausdrücklich erlaubte pauschale Abrechnung der sondere für die Verbreitung und die Nutzung urheber- Nutzungsvergütungen ist aus dieser Perspektive richtig. rechtlich geschützter Inhalte. Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir brau- Wir wollen das Urheberrecht deshalb an dieser Stel- chen im Bereich der Bildung und Wissenschaft ein le modernisieren und an die Veränderungen der letzten transparentes und benutzerfreundliches Urheberrecht, Jahre anpassen. Schließlich sind die gesetzlichen Erlaub- das dem digitalen Zeitalter gerecht wird. Der parlamen- nistatbestände für Bildung und Wissenschaft seit fast tarische Prozess bedeutet daher immer auch, einen Inte- zwei Jahrzehnten nicht mehr angefasst worden. ressenausgleich zwischen den Urhebern und Nutzern zu Es ist das dritte große Reformvorhaben, das wir in schaffen. Wir wollen uns im Verfahren im Detail mit den dieser Legislaturperiode im Urheberrecht verabschieden Regelungen auseinandersetzen und einen angemessenen wollen. Zuletzt haben wir Ende des vergangenen Jahres Ausgleich der verschiedenen Interessengruppen fnden. schon das Verwertungsgesellschaftengesetz sowie das Der Entwurf bedarf Nachbesserungen. Darüber wird Urhebervertragsrecht reformiert. zu sprechen sein. Begrüßenswert ist, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen selbstständigen Abschnitt für die er- Christian Flisek (SPD): Wir sprechen heute über ei- laubnisfreien Nutzungen von Bildung und Wissenschaft nen Gesetzentwurf, der endlich Rechtssicherheit in ganz einführen und praxistaugliche und verständliche Rege- wichtige Bereiche unserer Bildungs- und Wissenschafts- lungen formulieren. Sie sorgen für eine einfachere Hand- landschaft bringen wird. In Lehre und Forschung, an den habung der Ausnahmetatbestände. Davon werden die Schulen und Universitäten und in den Bibliotheken und Anwender, also zum Beispiel Lehrkräfte, Schülerinnen Archiven wird dieser Gesetzentwurf für klare Verhältnis- und Schüler, Lehrende an den Hochschulen, Studierende se sorgen. 23810 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Die Probleme der aktuellen Rechtslage sind bekannt: eines tragfähigen Rahmenvertrags derart scheiterte, dass (C) Die bisherigen gesetzlichen Nutzungserlaubnisse im Ur- der Rückfall in vordigitale Zeiten nur notdürftig verscho- heberrechtsgesetz sind veraltet, unübersichtlich geregelt ben wurde, wussten wir bis zuletzt nicht, ob der vorlie- und selbst für Expertinnen und Experten kaum verständ- gende Gesetzentwurf tatsächlich das Licht der Welt er- lich. Aufgrund etlicher auslegungsbedürftiger Begriffe blicken würde. führen jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit auf allen Seiten. Dass er nun vorliegt, in einer Form, die unbestritten eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo Der Gesetzentwurf reagiert auf diese Missstände. Er wäre, stellt insofern eine Erleichterung dar. Bildungs- errichtet einen praktikablen Rechtsrahmen für die Nut- und forschungsfeindlich sind die darin vorgesehenen Re- zung von wissenschaftlichen Arbeiten und Lehrmaterial gelungen nicht mehr. in Unterricht und Lehre. Der Gesetzentwurf sieht kein vergütungsfreies Nutzungsrecht vor. Er sieht einen ver- Allerdings: Im Koalitionsvertrag bemühen Sie das gütungspfichtigen Mindeststandard an Nutzungsrechten Wort „freundlich“, und so weit würde ich noch nicht vor, damit Lehrer, Professoren, Bibliothekare und Archi- gehen. Zumal gegenüber dem Referentenentwurf der vare wissen, was sie nutzen dürfen und was nicht. Zurzeit Umfang der erlaubten Nutzung noch einmal deutlich ein- versinken die Bibliothekare der Universitäten in zahllo- geschränkt wurde – von 25 auf 15 Prozent in den zentra- sen, ganz unterschiedlich ausgestalteten Lizenzverträgen. len Erlaubnistatbeständen. Hier scheint es dann doch ein Die Unübersichtlichkeit führt dazu, dass Professoren und Einknicken vor der reichlich fragwürdigen Kampagne Dozenten entweder auf Nutzungen ganz verzichten oder der Verlage gegeben zu haben. dass illegal genutzt wird – beides ist nicht gut. Zugleich Für uns bleibt der Goldstandard eine allgemeine Bil- proftieren die Rechtsinhaber, also zum Beispiel Autoren dungs- und Wissenschaftsschranke, wie wir sie seit je- und Fachverlage; denn sie erhalten eine angemessene her fordern und wie sie mit diesem Entwurf gerade nicht Vergütung für Nutzungen, die ansonsten oft unterblieben umgesetzt wird. Es ist nicht verständlich, warum die er- wären oder rechtswidrig (und damit ebenfalls ohne Ver- laubte Nutzung für die Zwecke der Bildung und Wissen- gütung) stattgefunden hätten. schaft überhaupt eingeschränkt werden sollte. Faire Ver- Nachdem wir schon Anfang des Jahres in der gütungsregeln vorausgesetzt, deckt sich eine allgemeine SPD-Fraktion sowohl Verlage als auch Vertreter von Uni- Schranke auch mit den Interessen der Urheberinnen und versitäten und Bibliotheken angehört haben, haben wir in Urheber. den letzten Wochen zahlreiche bilaterale Gespräche ge- Sie hätte darüber hinaus den Vorteil der Offenheit führt. In den letzten Tagen haben sich nun Zeitungsverla- gegenüber neuen technischen Entwicklungen. Der jetzt ge zu Wort gemeldet, die Sorge um ihre Archive haben. (B) vorliegende Entwurf hingegen wird regelmäßiger Über- (D) Auch damit werden wir uns im parlamentarischen Ver- arbeitung bedürfen, um nicht hinter die Zeit zurückzu- fahren intensiv beschäftigen. fallen. Bereits jetzt spart er zum Beispiel eine Regelung Eines ist besonders zu betonen: Es ist für mich ganz zum Verleih von E-Books aus, wie wir sie hier bereits vor entscheidend, dass die gesetzlichen Regelungen nicht zwei Jahren gefordert haben. kategorisch ausgehebelt werden können. Ein pauschaler In Anbetracht all dessen gilt es jetzt, den vorliegen- Vorrang von Lizenzangeboten würde den Zweck des Ge- den Entwurf zügig, aber gründlich daraufhin zu über- setzes vereiteln: Ein Vorrang von Lizenzangeboten wür- prüfen, wo er im Sinne eines möglichst bildungs- und de erneut zu Rechtsstreitigkeiten führen, weil niemand forschungsfreundlichen Urheberrechts noch nachjustiert weiß, was denn ein „angemessenes Angebot“ ist. Die werden kann. In jedem Fall muss noch vor der Wahl ein Konsequenz wäre wieder Rechtsunsicherheit sowie eine Gesetz daraus werden, das dann so schnell wie möglich Überlastung der Bibliothekare an Universitäten und an- zur Anwendung kommen sollte. deren Einrichtungen aufgrund zahlreicher unterschiedli- cher Lizenzangebote und ‑verträge. Das wollen wir aber Das Ziel bleibt aber – jedenfalls für uns –, zu einer gerade verhindern! Regelung zu kommen, die tatsächlich im Sinne einer all- gemeinen Schranke die Nutzung für Zwecke der Bildung Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Anpassung der ur- und Wissenschaft ungehindert erlaubt. Nur so kommen heberrechtlichen Schranken für die Zwecke von Bildung wir zu einem Urheberrecht, das nicht nur – wie es hier im und Wissenschaft überfällig zu nennen, wäre eine maß- Titel des Gesetzes heißt – an die aktuellen Erfordernisse lose Untertreibung. der Wissensgesellschaft angeglichen ist, sondern auch ihre Zukunft im Blick behält. Die Diskussion darum ist so alt wie der erste Einzug der Digitalisierung in die Bildungs- und Forschungsein- richtungen selbst. Seitdem müssen sich Lehrende und Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Forschende für ihre tägliche Arbeit mit einem unüber- Große Koalition ist spät dran, wenn es darum geht, das sichtlichen, anachronistischen Regelwerk mit erhebli- Urheberrecht endlich anzupacken, um es zugunsten von cher Rechtsunsicherheit herumschlagen. Proftiert haben Bildung und Wissenschaft zu modernisieren: Zu später jedenfalls die Urheberinnen und Urheber niemals davon. Stunde steht ihr Vorschlag auf der Tagesordnung, wie sie die Schrankenregelungen im Urhebergesetz reformie- Dennoch hat sich trotz zahlreicher Ankündigungen ren will. Das steht symptomatisch dafür, wie die Große und Vorschläge lange nichts getan. Selbst nachdem Ende Koalition das Thema die gesamte Legislaturperiode ver- letzten Jahres im universitären Bereich die Aushandlung schleppt hat. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23811

(A) Seit 2007 wird darüber diskutiert, dass die kleinteili- fentlichten Werkes genehmigungsfrei nutzbar sein. Der (C) gen und höchst komplizierten Schranken im Urheberge- Bundesrat setzt sich in seiner Stellungnahme dafür ein, setz Bildung und Forschung nicht in die Lage versetzen, zu den ursprünglich angepeilten 25 Prozent zurückzu- die digitalen Potenziale zu nutzen. Wir Grünen im Bun- kehren. Warum ist die Bundesregierung vor einer Aus- destag fordern daher schon seit langem die Einführung weitung auf 25 Prozent zurückgeschreckt? einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Mit einer solchen „Schranke“ könnten viele Nutzungs- Unsere Position in der Sache war immer, den für Bil- und Vergütungsregeln klar und verständlich geregelt dung und Wissenschaft notwendigen Zugang zu Wissen werden. Wir halten sie für den besten Weg, um das Ur- unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingun- heberrecht für Forschung, Lehre und Lernen im digita- gen zu gewährleisten. Wir wollen den Modernisierungs- len Zeitalter ftzumachen. Diese Lösung wird auch seit stau im Urheberrecht aufösen. Dieser große Wurf kommt Jahren von vielen Vertreterinnen und Vertretern aus der nicht. Wenigstens aber hoffe ich, dass der Regierungsko- Wissenschaftscommunity favorisiert. alition bei der Beratung des Urheberrechts-Wissensge- sellschafts-Gesetz auf den letzten Metern nicht die Puste In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die Koalitions- ausgeht. Es wäre schlecht für den Innovationsstandort partner diesen Ansatz ebenfalls zu eigen gemacht und und für alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland, angekündigt, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke wenn wir in der nächsten Legislaturperiode wieder bei einzuführen. Als Grüne im Bundestag haben wir in dieser null anfangen müssten und altbekannte Debatten wie- Wahlperiode der Regierungskoalition immer wieder Bei- derholen. Dann doch lieber jetzt Schritte in die richtige ne gemacht, ihr Versprechen einzulösen und eine weitrei- Richtung gehen. chende und zukunftsfeste Lösung zu schaffen. Wir haben das getan, unter anderem auch per parlamentarischem Antrag „Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheber- Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- recht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“. braucherschutz: Seit fast zwei Jahrzehnten diskutieren Unseren Vorschlag haben Sie abgelehnt, obwohl er eine wir über die „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ – umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke ge- jetzt liegt der Vorschlag auf dem Tisch. bracht hätte, die es Lehrenden, Lernenden und Forschen- Wie immer im Urheberrecht geht es um den Ausgleich den erleichtern würde, publizistische Werke jedweder einer Vielzahl von Interessen: um die Rechte von Auto- medialer Art für den nichtgewerblichen wissenschaftli- ren und Verlagen und um die Interessen der Nutzer, der chen Gebrauch generell genehmigungsfrei und ohne Ein- Bildungseinrichtungen sowie ihrer Träger, die das deut- schränkungen zu nutzen. sche Bildungssystem fnanzieren. (B) Kurz vor Ende der Wahlperiode und Ihrer Koalition In der Wissensgesellschaft sind insbesondere Forscher (D) haben Sie sich entschieden, etwas anderes zu liefern als und Wissenschaftler sowohl Nutzer bestehender Werke das, was Sie in Aussicht gestellt haben. Ihr Entwurf zu ei- als auch Schöpfer neuer Inhalte: Sie bauen auf vorhan- nem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz enthält denem Wissen auf und benötigen deshalb einen gut funk- nämlich keine allgemeine Bildungs- und Wissenschafts- tionierenden Zugang zu Büchern, Zeitschriften und Da- schranke. Das alles zeigt: Den großen angepeilten Wurf ten – analog wie digital. Und als Schöpfer neuer Werke haben Union und SPD nicht hinbekommen. Stattdessen haben sie Interesse an deren Verbreitung, natürlich auf werden im Gesetzentwurf einige Erlaubnistatbestände Grundlage des Urheberrechtsschutzes. zur Nutzung erweitert. Dort, wo überfällige Erleichte- rungen für Bildung und Wissenschaft ins Auge gefasst Unser Entwurf regelt den Zugang zu geschützten In- werden, fnde ich das richtig. So wird zum Beispiel die halten: Welche Texte dürfen Hochschuldozenten für ihre VG-WORT-Problematik gelöst. Ich erkenne auch den Studierenden in den Digitalen Semesterapparat einstel- Versuch der Koalition an, verständliche und rechtssi- len, ohne zuvor eine Lizenz erwerben zu müssen? Aber chere Regelungen zu fnden. Klar ist zugleich: Die Be- auch: Können beispielsweise unsere Kinder Fotos aus ratungen im Bundestag haben jetzt erst begonnen. In den dem Internet in ihre Präsentation für den Geschichts- kommenden Wochen werden wir weiter prüfen, ob die unterricht einfügen, ohne eine Rechtsverletzung zu ris- vorgeschlagene Alternative in Gänze trägt, um das Wis- kieren? Grundlage hierfür sind die „Schrankenbestim- senschaftsurheberrecht fair und innovationsfreundlich mungen“ des Urheberrechtsgesetzes, also Regelungen, zu gestalten. Auf die Prüfung durch die Sachverständi- die eine Nutzung auf gesetzlicher Grundlage erlauben; gen im Rahmen der Anhörung im Rechtsausschuss am deshalb auch die Bezeichnung „Bildungs- und Wissen- 29. Mai bin ich gespannt. schaftsschranke“. Im Gesetzentwurf ist die Rede davon, dass die „Aus- Nun, entsprechende Vorschriften bestehen bereits im gaben für Zahlungen an Verwertungsgesellschaften (ge- geltenden Recht. Was wollen wir im Interesse von Bil- setzliche Vergütung) … sich in dem Maße erhöhen [wer- dung und Wissenschaft ändern? den], als die Begünstigten zukünftig von den erweiterten gesetzlichen Nutzungsbefugnissen Gebrauch machen“. Erstens. Die derzeit geltenden Bestimmungen sind In diesem Zusammenhang stellt sich mir eine Frage, die sehr kompliziert, daher kaum verständlich und teilweise sich auch aus einem Vergleich zwischen Referentenent- auch veraltet. Die Rechtsanwender wissen deshalb häu- wurf und tatsächlichem Gesetzentwurf ergibt: Es sollen fg gar nicht, was erlaubt ist und was nicht. Der Entwurf nun nicht mehr 25 Prozent, wie im Referentenentwurf schafft deshalb klare Regeln. Nur verständliches Recht vorgesehen, sondern lediglich 15 Prozent eines veröf- wird auch akzeptiert und gelebt – eine wichtige Voraus- 23812 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) setzung für den Respekt vor dem geistigen Eigentum, ge- Anlage 17 (C) rade auch in den Schulen und Universitäten. Zu Protokoll gegebene Reden Zweitens. Wir schaffen einen klar defnierten Basis- zur Beratung des von der Bundesregierung ein- zugang zu Inhalten, und zwar unabhängig von etwaigen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Lizenzvereinbarungen oder Verlagsangeboten. So dürfen Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum beispielsweise künftig in jedem Fall 15 Prozent eines Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwi- Textes für Unterrichtszwecke digital verfügbar gemacht schen der Europäischen Union und ihren Mit- werden. Auch das schafft Klarheit für alle Beteiligten. gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru Selbstverständlich werden Universitäten weiterhin Bü- andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Ta- cher kaufen und elektronische Angebote der Verlage li- gesordnungspunkt 34) zenzieren. Wissenschaftler und Studierende brauchen in der Regel nämlich den Zugang zur vollständigen Mono- grafe oder zur kompletten elektronischen Ausgabe der Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wir verabschie- internationalen Fachzeitschrift. Aber die Dozentin, die den heute in zweiter Lesung ein Gesetz, welchem eine für die Teilnehmer des nächsten Seminars Kopien eines besondere Bedeutung zukommt. In der momentanen einzelnen Aufsatzes aus einer Fachzeitschrift braucht, Debatte, die fast nur noch von Protektionismusfreunden, muss künftig nicht mehr nach Verlagsangeboten suchen weltweiten Freihandelsfeinden und Realitätsverweige- oder gar den Preis und die Lizenzklauseln auf Ihre Ange- rern in der Opposition geprägt wird, kommt das Thema messenheit beurteilen – in der Praxis ohnehin ein Ding Freihandel zu oft unter die Räder. Das hier vorliegende der Unmöglichkeit. Diese lebensfremde Regelung schaf- Vertragsgesetz regelt den Beitritt Ecuadors zum bereits fen wir deshalb ab. bestehenden Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru und Kolumbien. Mit dem Handelsübereinkom- Drittens. Autoren und Verleger erhalten für die gesetz- men sollen mögliche Wettbewerbsnachteile für deutsche lich erlaubten Nutzungen eine angemessene Vergütung. und europäische Unternehmen beim Marktzugang in der Denn wir beschränken das exklusive Verwertungsrecht Republik Ecuador gegenüber anderen Industrieländern der Urheber und der Unternehmen, die in die Herstellung verhindert werden. Es ist davon auszugehen, dass da- und Verbreitung der Inhalte investieren. Die Vergütung von die breit aufgestellte deutsche Wirtschaft proftieren ist also die Kompensation für die gesetzlich erlaubte Nut- wird. zung. Wir stellen gleichzeitig klar, dass nicht jede klein- Ich möchte Ihnen hier nochmals kurz die Genese der teilige Nutzung individuell abgerechnet werden muss. Verhandlungen verdeutlichen, damit Ihnen die zeitliche Es kann nicht sein, dass die Erfassung und Abrechnung Dimension der geführten Verhandlungen bewusst wird. (B) auf Nutzerseite mehr kostet, als Autoren und Verlage am (D) Ende des Tages als Vergütung erhalten. Ursprünglich war Ecuador Verhandlungspartner eines Assoziierungsabkommens mit den anderen Andenstaaten Mit einer Änderung des Verwertungsgesellschaften- Kolumbien, Peru und Bolivien, welches im April 2007 gesetzes Ende 2016 haben wir die Voraussetzungen dafür von der EU unter deutscher EU-Präsidentschaft initiiert geschaffen, dass Autoren ihre Verleger auch weiterhin an wurde. 2008 verließen Bolivien und Ecuador jedoch diesen Vergütungen beteiligen können. Und auf europä- aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der ischer Ebene setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass im Andengemeinschaft diese Verhandlungen. 2009 wurden europäischen Recht klargestellt wird, dass gemeinsame die Gespräche dann auf der Grundlage eines neuen Man- Verwertungsgesellschaften von Autoren und Verlegern dates als Freihandelsverhandlungen mit Kolumbien und möglich bleiben. Peru fortgeführt und im Mai 2010 abgeschlossen. Mit der EU kam es dann erst 2012 zur Unterzeichnung eines Ver- Dies dient allen Beteiligten: Autoren und Verleger trages in Form eines gemischten Abkommens. Der Deut- können ihre gemeinsamen Interessen gebündelt wahr- sche Bundestag hat dem Abkommen am 1. August 2013 nehmen. Und für die Nutzerseite – also Bibliotheken oder seinen Segen gegeben. Bis heute haben aus unterschiedli- die Träger von Bildungseinrichtungen – ist es ebenfalls chen Gründen Österreich, Belgien und Griechenland die besser, wenn eine gemeinsame Verwertungsgesellschaft Ratifzierung in den nationalen Parlamenten immer noch von Autoren und Verlegern in einem One-Stop-Shop ihr nicht abgeschlossen. Einige schaffen es eben schneller, Ansprechpartner ist. andere brauchen Jahre. Somit ist das Abkommen bisher nur in der vorläufgen Anwendung. Leider auch eine eu- Wir verstehen die Sorgen einiger Wissenschaftsverla- ropäische Realität. ge, sind aber sicher, dass deren Geschäftsmodell auch im digitalen Umfeld eine Zukunft hat, nämlich als Dienst- Die Entscheidung Ecuadors, dem bestehenden Han- leister der Wissensgesellschaft. Dieses Geschäftsmodell delsabkommen beizutreten, hat das Land 2013 gefasst, da ist durch einen lizenzfreien, zugleich aber vergüteten Ba- die mit Peru und Kolumbien geschlossene Übereinkunft siszugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht die Möglichkeit eines Beitritts weiterhin offengehalten infrage gestellt. hat. Ecuador hat sich nun zu einem Beitritt entschlossen. 2014 sind dann die Verhandlungen abgeschlossen wor- Ich bin überzeugt, dass uns ein fairer Interessenaus- den. 2016 wurde das Übereinkommen unterzeichnet und gleich gelungen ist. Die Bundesregierung ist zuversicht- vom EU-Parlament bestätigt. Seit dem 1. Januar 2017 lich, dass der Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens wird das Handelsübereinkommen vorläufg angewendet noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird. und beschränkt sich damit auf die Teile des Abkommens, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23813

(A) welche in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen. Ecuador. Damit kann das Land in seinen Anstrengungen (C) Es handelt sich daher bei dem Beitritt Ecuadors ebenfalls für mehr Entwicklung, Stabilität und die Stärkung der um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das die Not- Menschenrechte unterstützt werden. wendigkeit eines Vertragsgesetzes auslöst und damit ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren durchläuft. Nach Ich möchte hier auch ganz generell nochmals eine Frankreich und Finnland sind wir zum jetzigen Zeitpunkt Lanze für den Freihandel brechen. Gerade wir als Deut- der dritte Mitgliedstaat der EU, welcher das Abkommen sche haben in den letzten Jahrzehnten mit am meisten förmlich notifziert. Das werte ich als weiteres starkes Si- von freien Märkten proftiert, wir sind ja praktisch die gnal Deutschlands für den Freihandel. Erfnder von Freihandelsabkommen. Ich kann ja durch- aus nachvollziehen, dass es in einzelnen Parteien hier im So viel zur Genese und zur zeitlichen Dimension. Nun Hohen Haus schwer zu verkraften ist, dass ein Land frei- aber einige Bemerkungen zum Inhalt und zur Bedeutung willig einem Freihandelsvertrag beitreten möchte. Dies des Handelsvertrages. rechtfertigt aber in keiner Weise eine Blockadehaltung, welche den Menschen in Ecuador bestimmt nicht helfen Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen wird. Die Europäische Union setzt mit ihren Freihan- ist ein wichtiger Schritt zum Ausbau der Wirtschafts- delsabkommen Maßstäbe für die Welt. Die Gestaltung und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Ecua- eines fairen und freien Welthandels ist für uns die beste dor. Es deckt 99 Prozent der EU-Ausfuhren ab, darunter Möglichkeit, unseren Wohlstand zu sichern und anderen 100 Prozent der industriellen Güter und 85 Prozent der Teilen der Welt zu Wohlstand zu verhelfen. Deswegen landwirtschaftlichen Güter. Ecuador erhält mit Inkraft- stimmt die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf treten des Beitritts 100 Prozent Zollfreiheit auf seine zu. Industriegüter. Ersten Berechnungen zufolge ist mit nur geringen EU-Mindereinnahmen durch ausfallende Zölle zu rechnen – nach zehn Jahren circa 80 Millionen Euro. Klaus Barthel (SPD): Heute geht es um den Beitritt 17 Jahre nach Inkrafttreten werden nahezu alle Zölle ab- Ecuadors zum Freihandelsabkommen der EU mit Peru geschafft sein. Der Beitritt stellt somit einen wichtigen und Kolumbien. Dieses ursprüngliche Abkommen hat Beitrag zum Abbau von Marktzugangshindernissen dar die SPD-Bundestagsfraktion am 21. März 2013 abge- und soll mögliche Wettbewerbsnachteile für europäische lehnt und damit Pföcke gesetzt für die Neuausrichtung Unternehmen beim Marktzugang gegenüber anderen unserer Handelspolitik in der Zukunft. Wir können heute Ländern wie die USA, China oder Kanada verhindern. noch jeden Satz der seinerzeitigen Begründung unter- Insbesondere die Automobilindustrie, der Maschinen- schreiben, die uns auch in der Debatte um CETA geleitet bau, die chemische Industrie sowie der Dienstleistungs- hat. Und egal wie in der nächsten Legislaturperiode über bereich werden vom Beitritt proftieren können. die nationale Ratifzierung von CETA entschieden wer- (B) den wird: Beispielsweise in der Frage der verbindliche- (D) Das Handelsübereinkommen geht in vielen Bereichen ren Durchsetzung von ökologischen und sozialen Stan- über Standards der WTO hinaus und lässt sich daher gut dards sind wir zwar nicht am Ziel angekommen, aber viel den neuen, modernen Handelsabkommen zuordnen. Bei- weiter als seinerzeit bei Kolumbien und Peru. spielhaft lassen sich Kompromisse zu nichttarifären Han- delshemmnissen, Dienstleistungen und Streitschlichtung Heute sehen wir: Das sogenannte Nachhaltigkeitska- beim Schutz von Rechten des Eigentums nennen. Und es pitel des Kolumbien-Peru-Abkommens stellt sich bisher greift weitere Themen auf, die in der WTO sonst nicht als genau der zahnlose Tiger heraus, als den wir es sei- verhandelt werden, wie Investitions- und Wettbewerbsre- nerzeit gebrandmarkt haben. Die SPD hat im Ausschuss geln, Umwelt- und Sozialstandards mit einem Nachhal- für Wirtschaft und Energie dazu einen Bericht der Bun- tigkeitskapitel. Des Weiteren sind weitreichende Monito- desregierung angefordert, der das eindrucksvoll belegt. ring- und Dialogplattformen implementiert. Zwar haben in den knapp vier Jahren seit Inkrafttreten sage und schreibe drei Unterausschusssitzungen „Handel Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung deckt dabei und nachhaltige Entwicklung“ stattgefunden, mit jeweils die sozialen und ökologischen Komplexe ab. Es enthält im Anschluss einem „öffentlichen Dialog“. Wenn man unter anderem die Übereinkunft der Vertragsparteien, die allerdings nach konkreten Veränderungen in den Ländern Verpfichtungen aus einer Reihe internationaler Überein- sucht, etwa auch nach einer Überprüfung der Ankündi- künfte einzuhalten, darunter die arbeitsrechtlichen Min- gungen der Regierungen Perus und Kolumbiens, wird destnormen der internationalen Arbeitsorganisation so- man wenig fnden, auch im Bericht der EU-Kommission wie multilaterale Umweltübereinkünfte. Darüber hinaus vom Februar 2016. Zwar sind Nachfragen und Präsen- sind Bestimmungen zum Handel mit forstwirtschaftli- tationen seitens der EU erwähnt, aber keinerlei Analy- chen Erzeugnissen und Fischereierzeugnissen, zur bio- sen über tatsächliche Veränderungen. Wenn man diese logischen Vielfalt, Klimaschutz etc. enthalten. Ferner Berichte so liest und im Land nach dem proklamierten legt das Handelsübereinkommen Mechanismen fest, mit gesellschaftlichen Dialog fragt, bekommt man den Ein- denen die Durchführung der Bestimmungen überwacht druck, als bewege man sich in ganz verschiedenen Wel- wird. Dies wird die Beziehungen konstruktiv voranbrin- ten. gen und deutlich verbessern. Gerade in Kolumbien wäre dies aber angesichts der Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen notwendigen Umsetzung des Friedensprozesses drin- von Peru und Kolumbien ist Garant für mehr Handel, gend geboten. Das Land steht am Scheideweg. Nach der Investitionen, Arbeitsplätze und größeres Wirtschafts- Entwaffnung der FARC-Guerilla ist jetzt die Regierung wachstum zugunsten aller Bevölkerungsschichten in am Zug, Menschen und Natur vor neuer Gewalt zum Bei- 23814 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) spiel durch Paramilitärs, Vertreibung, Banden- und Dro- Wenn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- (C) genkriminalität und Umweltzerstörung zu schützen und ten dem Beitrittsgesetz dennoch zustimmen, dann nur für Wahrheitsfndung, Aussöhnung und Gerechtigkeit zu deshalb, um kurzfristig großen Schaden von Ecuador ab- sorgen. zuwenden, der durch den Verlust seiner Zollpräferenzen gegenüber der EU entstünde. Uns erreichen aber alarmierende Berichte über Morde, Einschüchterung, Entführungen und ein Machtvakuum Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Abkom- in vielen Gebieten, aus denen sich die FARC zurückge- men als Grundlage für Lern-, Veränderungs- und Neuge- zogen hat. Gleichzeitig lesen wir, dass sich der Palmölex- staltungsprozesse dient. Vielleicht gelingt dieses ja schon port in die EU in drei Jahren mehr als verdoppelt hat, was im Zuge der Verhandlungen mit dem Mercosur, die jetzt in der Regel mit Vertreibung und Naturzerstörung ein- wieder in Gang gekommen sind. Die EU-Kommission hergeht, zumindest wenn es keine entsprechende Flan- wäre gut beraten, solche Lernprozesse aufzunehmen, an- kierung gibt. statt zu glauben, die Antwort auf Trump und den wach- senden Protektionismus sei ein Weiter-so in Gestalt einer Die Zeit reicht nicht aus, um im Detail über den Zu- neoliberal geprägten Handelspolitik. sammenhang von Handel, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Recht und Gerechtigkeit zu referieren. Bisher lässt sich jedoch feststellen – auch mit Blick auf Peru –, dass die Heike Hänsel (DIE LINKE): Gerechtes Handelsab- Verheißungen des Freihandels keineswegs in Form einer kommen zwischen Ecuador und EU aufbauen! Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wir entscheiden heute im Deutschen Bundestag über Menschen angekommen sind. Dabei hätten auch wir in das Freihandelsabkommen mit Ecuador. Viel weniger zu Deutschland und in der EU ein dringendes Interesse an entscheiden hatte dabei allerdings Ecuador selbst: Die ökologischer Nachhaltigkeit – Stichwort zum Beispiel EU hat dem Andenland in den Verhandlungen die Pistole Klimaschutz und Walderhaltung – und noch mehr sozi- auf die Brust gesetzt. aler Gerechtigkeit in den Partnerländern, Stichwort Ab- satzmärkte durch mehr Kaufkraft statt Ausplünderung Die Regierung von Ecuador hat sich immer gegen die von Rohstoffen und Agrarfächen, friedliches Wachstum neoliberale Freihandelspolitik gestellt, hat auf regionale statt Bürgerkrieg und Gewalt. Integration und soziale Wirtschaftsentwicklung gesetzt – statt sich ihre Politik von den reichen Ländern diktieren Der Beitrag der Handelspolitik dazu stellt sich eben zu lassen. Ecuador und Bolivien haben eigene Vorschlä- nicht automatisch ein, sondern bedarf massiver An- ge für ein entwicklungsförderliches Handelsabkommen strengungen. So dringend geboten und so löblich das gemacht; alle wurden brüsk von der EU zurückgewie- Engagement der Bundesregierung, auch in Gestalt des (B) sen. Nach jahrelangem Druck in den Verhandlungen hat (D) Sonderbeauftragten Tom Koenigs, im kolumbianischen Ecuador nur die Wahl, sich der neoliberalen Handelslo- Friedensprozess ist, so dringend geboten wäre die Flan- gik der EU anzuschließen – oder all seine Zollpräferen- kierung dieser Bemühungen durch die EU-Handelspoli- zen zu verlieren. Das hätte fatale Auswirkungen für die tik und die ernsthafte Anwendung des Nachhaltigkeitska- ecuadorianische Wirtschaft. Diese erpresserische Politik pitels des Freihandelsabkommens. der EU lehnen wir entschieden ab! Ein weiterer Punkt unserer Kritik war und ist der bi- Ecuador hat seit dem Amtsantritt von Rafael Correa laterale Charakter des Abkommens, der Nachbarländern deutlich gemacht, wie soziale Entwicklung gelingen wie Ecuador keine Chance lässt, ihren eigenen Weg zu kann: Die Armutsrate wurde drastisch gesenkt, Bildung gehen. Aus guten Gründen hatten Ecuador und Bolivien und Gesundheit sind heute kostenlos, die Kriminalitäts- seinerzeit die Verhandlungen verlassen. Da Ecuador ähn- rate ist deutlich gesunken. Das alles wurde möglich durch liche Produkte wie Kolumbien und Peru ausführen will soziale Umverteilung: Der reichen Oberschicht wurden und die Zollpräferenzen verloren hat, sieht es sich nun die Steuern erhöht, zugunsten der großen Mehrheit. Da- zu einem Beitritt gezwungen, damit es wichtige Absatz- ran könnte sich auch die Bundesregierung ein Beispiel märkte in Europa nicht verliert. nehmen. Bilaterale Abkommen nehmen also auf differenzier- Außenpolitisch hat sich Ecuador zum Sprachrohr des te Interessenlagen keine Rücksicht, schaffen aber Sach- Globalen Südens gemacht, zum Beispiel im Menschen- zwänge für andere Staaten. Ein Beweis mehr dafür, dass rechtsrat der UN. Dort hat die Regierung von Correa nur multilaterale, zumindest regionale Handelsbeziehun- den UN-Treaty-Prozess gestartet, um ein internationa- gen und Handelsregeln dauerhaft mehr Fairness statt ein- les Abkommen gegen Menschenrechtsverletzungen von seitiger Interessendurchsetzung bringen können. Unternehmen zu erwirken. Aber den blockiert die Bun- desregierung. Genau wie sie auch die Yasuní-Initiative Nachdem die USA jahrhundertelang ihrem „Hinter- in Ecuador blockiert hat und dadurch effektiven Klima- hof“ in Lateinamerika die Bedingungen diktiert haben schutz in Verbindung mit sozialer Entwicklungspolitik und sich jetzt von ihren südlichen Nachbarn abwen- verhindert hat. den, besteht die Chance für die EU darin, genau nicht in die postkolonialen Fußstapfen des großen Nachbarn Außerdem ist Ecuador in dem Handelsbündnis ALBA zu treten, sondern echte Partnerschaft auf Augenhöhe, engagiert, um Handelspolitik grundlegend anders zu ge- sei es ökonomisch oder politisch, anzustreben. Die Sto- stalten. Stattdessen muss das Land jetzt seinen Markt und ry EU-Kolumbien-Peru-Ecuador wird diesem Anspruch seine Rohstoffe für die EU-Konzerne öffnen. Zu 90 Pro- nicht gerecht. zent sollen nun die Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23815

(A) strichen werden, dem billigen Milchpulver aus der EU voller Regierungsführung muss deshalb wirksam in den (C) ist dann Tür und Tor geöffnet, keine Chance für lokale, Handelsabkommen verankert werden. nachhaltige Produktion. Das sehen wir heute schon in Kolumbien und Peru, die diese Abkommen mit der EU All das macht deutlich, dass Ecuador und Bolivien schon viel früher abgeschlossen haben. Diese Politik ist damals aus gutem Grund aus den Verhandlungen ausge- unverantwortlich. stiegen sind. Statt auf eine gemeinsame Lösung mit der Andengemeinschaft zu setzen, haben die Europäische Am Beispiel Ecuador zeigt sich heute einmal mehr, Union und ihre Mitgliedstaaten das Abkommen mit nur wie die EU mit ihren sogenannten Partnerländern im zwei Staaten abgeschlossen und so eine Spaltung der Globalen Süden umgeht. Progressiven Regierungen, die Andengemeinschaft vorangetrieben. wirklich die Situation der Bevölkerung verbessern wol- len, wird kein Raum gelassen. Gegenüber der mächti- Leider hat nun die verfehlte Reform des Allgemeinen gen EU bleibt Ecuador nur die Wahl zwischen Pest und Präferenzsystems dazu geführt, dass Ecuador seinen prä- Cholera – das war im Kolonialismus übrigens auch nicht ferenziellen Zugang zum europäischen Markt verliert. anders. Und natürlich hätte dies deutliche Auswirkungen auf das Land. Ecuador drohen damit wichtige Einnahmen und Dieser neoliberalen Handelspolitik können wir als Arbeitsplätze wegzubrechen. Gerade die entwicklungs- Linke nicht zustimmen. Genauso wenig wollen wir aber politischen Erfolge der letzten Jahre könnten durch die der Bevölkerung von Ecuador noch größeren wirtschaft- Verluste konterkariert werden. lichen Schaden zufügen. Deswegen enthalten wir uns Wenngleich wir das Abkommen mit Peru und Kolum- heute und fordern die Bundesregierung auf: Lernen Sie bien damals abgelehnt haben, ist es in Kraft getreten und von Regierungen wie Ecuador, und sorgen Sie endlich hat leider Fakten geschaffen. Diese jetzt zu ignorieren, für gerechte, solidarische Handelsbeziehungen mit La- würde unter Umständen zulasten der ecuadorianischen teinamerika und dem Globalen Süden! Entwicklungserfolge gehen. Wir werden uns deshalb enthalten. Wir wollen deutlich machen, dass wir dem Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Abkommen sehr kritisch gegenüberstehen. Allerdings Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru müssen wir den nun geschaffenen Tatsachen Rechnung und Kolumbien war schon damals ein Fehler. Es ist stark tragen und dürfen Ecuador nicht aufgrund einer verpass- an den Interessen transnationaler Konzerne ausgerichtet. ten Reform der europäischen Handelspolitik den ver- Die dringend nötige Diversifzierung der lateinameri- günstigten Zugang zum europäischen Markt verweigern. kanischen Wirtschaft wird durch das Abkommen unter- bunden statt befördert. Uns liegen dazu mittlerweile die (B) ersten empirischen Belege für die negativen Auswirkun- (D) gen des Abkommens mit Peru und Kolumbien vor. Das Anlage 18 Transnational Institute dokumentiert in seiner Studie, Erklärung nach § 31 GO dass die beiden Länder sogar stärker als bisher als Roh- stoffieferanten fungieren. So sind die Ausfuhrmengen der Abgeordneten Karin Binder, Nicole Gohlke, etwa an Kohle und Palmöl gestiegen, während gerade Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla die weiterverarbeitende Industrie etwa im Textilbereich Jelpke und Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) Einbußen verzeichnet. Auch die Regelungen zur Kapital- zu der Abstimmung über den von der Bundesre- verkehrsfreiheit begünstigen Geldwäsche, Steuervermei- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dung und Steuerhinterziehung, statt diesen einen Riegel dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 vorzuschieben. zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mit- Auch verbindliche Menschenrechts-, Öko- und So- gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru zialstandards sucht man vergebens. Gerade erst saßen andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Ta- zwei Menschenrechtsaktivisten aus der südamerikani- gesordnungspunkt 34) schen Andenregion in meinem Büro. Sie berichteten von schweren Umweltzerstörungen und Menschenrechtsver- Nein zu EU-Handelsabkommen mit Ecuador! Ja zu letzungen im Bergbausektor. Luft und Böden werden nachhaltiger Entwicklung! verseucht. Das Wasser verschmutzt, und Menschen wer- Mitten in der Nacht zum Freitag fand die zweite Le- den aus ihrer Heimat vertrieben. Oft helfen korrupte Eli- sung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der ten oder gar staatliche Sicherheitskräfte dabei, die rück- Bundesregierung über den Beitritt Ecuadors zum Han- sichtslose Politik der Unternehmen gegen den Willen der delsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) Bevölkerung umzusetzen. Wir dürfen die Konzerne da- einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits – mit nicht davonkommen lassen. Hierzu braucht es mehr Drucksache 18/11556 – statt, welches der Zustimmung Transparenz, gesetzliche menschenrechtliche Sorgfalts- der nationalen Parlamente unterliegt. Unter Rücksicht- pfichten und wirksame Sanktionen, aber auch eine Ab- nahme auf die ecuadorianische Regierung und das lin- kehr von der auf Extraktivismus basierenden deutschen ke Regierungsbündnis Alianza Pafs hat die Fraktion Die und europäischen Rohstoffpolitik. Gerade Handelsab- Linke bei der Abstimmung für eine Enthaltung plädiert. kommen wie mit Peru und Kolumbien und nun Ecuador leisten solchen Entwicklungen Vorschub. Die Einhaltung Wir lehnen sowohl den Inhalt als auch die Bedingun- internationaler Konventionen zu Menschenrechts- und gen, unter denen das Handelsabkommen zustande kam, Arbeitsstandards, Umweltstandards und verantwortungs- strikt ab. Der Beitritt Ecuadors zu dem Handels- und In- 23816 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) vestitionsschutzabkommen, das seit dem 26. Juni 2012 grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte (C) für Kolumbien und Peru gilt, ist aus einer ökonomischen für Athletinnen und Athleten verankern Drucksituation heraus erzwungen worden. Aufgrund (Tagesordnungspunkt 36 a und b) der Zollvorteile der konkurrierenden Nachbarstaaten im EU-Handel und des gleichzeitigen Entzugs der Zoller- mäßigungen aus dem ASP-System der EU hat die ecua- Eberhard Gienger (CDU/CSU): Die Reform des dorianische Regierung dem äußeren Druck nachgegeben. Leistungssports und der Spitzensportförderung war und Der bevorstehende Verlust der Zollpräferenzen für die ist ein zentrales Versprechen im Koalitionsvertrag. Die wichtigsten Exportgüter Ecuadors, darunter Bananen, Bundesregierung hat – zusammen mit dem organisier- Garnelen, Thunfsch und Palmöl, zwang die Regierung ten Sport, den Bundesländern, vielen Wissenschaftlern in die Verhandlungen. Der niedrige Ölpreis und das und Expertengruppen – ein wegweisendes Reformpa- schwere Erdbeben von 2016, das einen erheblichen Teil pier erarbeitet. Noch im letzten Jahr konnte das Kom- der ecuadorianischen Exportgüterproduktion schwächte, pendium der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Bei der erschweren zunehmend die Refnanzierung der dortigen Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sozialprogramme. Sportbundes (DOSB) im Dezember 2016 wurden die Reformbestrebungen mit großer Mehrheit bestätigt. Das Das Handelsabkommen forciert den Abbau nichttari- umfassende Konzept verspricht eine Vielzahl an innova- färer Handelshemmnisse und sichert so den Zugang der tiven Neuerungen und nachhaltigen Verbesserungen für EU-Konzerne zum ecuadorianischen Markt. Es treibt die die im Mittelpunkt stehenden Athleten und Athletinnen. Rohstoff-Extraktion voran, die Privatisierung im öffent- Mit dem Reformkonzept und dem heute eingebrachten lichen Bereich sowie den Schutz von Investitionen und Antrag lösen wir in diesem Sinne unser Versprechen ein geistigem Eigentum durch Patente – ohne mit der Stär- und untermauern unser Engagement für eine Erneuerung kung sozialer und ökologischer Maßnahmen ein Gegen- des Spitzensports in Deutschland. gewicht zu schaffen. Für Kleinproduzenten wirkt die un- geschützte Konkurrenz aus der EU existenzgefährdend. Die Unionsmitglieder im Sportausschuss haben sich Patente ersetzen günstigere Generika, die bisher eine mit der Gesamtthematik lange befasst, einzelne Aspekte breite Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten wie intensiv beraten und die Reform nicht zuletzt mit dem HIV/Aids ermöglichten. Die traditionelle Handelsstruk- vorliegenden Antrag konstruktiv begleitet und geprägt. tur zwischen den Industriestaaten als Fertigwarenexpor- Wir gehen in der parlamentarischen Initiative auf zahl- teuren und den Entwicklungsländern als Rohstoffanbie- reiche „Bausteine“ des Reformprojektes differenziert ein tern wird so bewusst aufrechterhalten und gestärkt. Auf und tragen an verschiedenen Stellen zu einer „Feinjustie- eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die auf wirtschaft- rung“ bei. Dabei haben wir insbesondere die Fragen und (B) liche Diversifzierung unter Beachtung sozialer und um- Sorgen unserer Athleten und Athletinnen aufgegriffen (D) weltverträglicher Standards setzt, wird verzichtet. und in den Mittelpunkt gestellt. Mit einigen Präzisierun- gen im Antrag können wir zudem hoffentlich so manches Unsere Ablehnung richtet sich nicht gegen die ecua- Missverständnis im öffentlichen Diskurs aufklären. dorianische Regierung und die Politik unserer Schwes- terpartei Alianza Pafs, sondern gegen die erpresserische Zu den Forderungspunkten im Antrag: Für das Gelin- Handelspolitik der EU sowie die auf die Exportwirtschaft gen des Reformprozesses halten wir eine unabhängige ausgerichtete Politik der Bundesregierung. sowie hauptamtlich geführte Athletenvertretung für un- verzichtbar. Dies wollen wir auch fnanziell unterstützen. Die Linke lehnt alle neoliberalen Handels- und In- Welchen Mehrwert und Fortschritt dies bedeuten kann, vestitionsschutzabkommen ab. Bei dieser Ablehnung sieht man eindrucksvoll an den aktuell eingebrachten bleiben wir. Ein Bruch mit der neoliberalen Außenwirt- Vorschlägen der Athletenvertretung zur „Dualen Karrie- schaftspolitik der EU ist eine wichtige Voraussetzung für re“ bei der Bundeswehr. Die Bundesverteidigungsminis- weltweite ökonomische Entwicklung und sozialen Frie- terin Ursula von der Leyen hat prompt reagiert und kon- den. krete Verbesserungen angestoßen, wovon künftig viele Sportler und Sportlerinnen proftieren werden. Wir wollen aber auch Initiativen mit der Wirtschaft, Anlage 19 den Handwerkskammern und Bildungsträgern in den Blick nehmen, um eine bessere Vereinbarkeit von Spit- Zu Protokoll gegebene Reden zensport und (schulischer, beruficher, akademischer) zur Beratung: Ausbildung zu ermöglichen. Die sportliche und berufi- che Entwicklung von Leistungssportlern soll sich dahin – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und gehend ebenso in der Reform widerspiegeln. Deshalb SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben fordern wir eine enge Abstimmung mit den Bundeslän- füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und dern, zum Beispiel bei der Nachwuchsförderung (unter Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen anderem bezüglich wohnortnaher Angebote). Spitzensportförderung stellen Die durch Thomas de Maizière angestoßene BMI-In- – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, itiative „Sprungbrett“ bildet in diesem Kontext eine Art Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abge- „Klammer“ und steht für die sportpolitische Prämisse, ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE die Athleten und Athletinnen nach der sportlichen Karri- GRÜNEN: Konzept zur Spitzensportreform ere nicht einfach sich selbst zu überlassen. Die angespro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23817

(A) chene „Nach-Aktiven-Förderung“ sichert einen geordne- rent dargestellt werden. Wir wollen gleichsam die Poten- (C) ten Übergang der Athleten in den Beruf und ermöglicht zialanalyse fortlaufend evaluieren und davor bewahren, zugleich, sich zum Ende der (sportlichen) Karriere noch- durch immer mehr Variablen zu einem „Bürokratiemons- mals komplett auf das Training bzw. den Zielwettkampf ter“ zu werden. Die Verwaltungskosten müssen in einem zu konzentrieren. „gesunden Verhältnis“ zu den Sportfördersummen ste- hen. In unserem Antrag setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass nach Lösungen für einen Ausgleich bei der Die Liste der Förderattribute zeigt, dass wir die olym- Alterssicherung gesucht wird. Erst am Mittwoch, dem pischen (Sommer-/Winter-)Sportverbände bei ihrer Ar- 17. Mai 2017, haben wir dies im Sportausschuss erneut beit unterstützen wollen, gegebenenfalls nicht genutzte mit der Athletenvertretung diskutiert. Der Verweis auf Potenziale für die Athleten und Athletinnen zu aktivieren. die UN-Behindertenrechtskonvention macht im Übrigen Und schließlich: Der dritte Fördercluster mit bis dato deutlich, dass wir bei allen Punkten im Antrag auf die In- festgestellten „wenig Potenzialaussichten“ bedeutet klusion und Gleichbehandlung von Spitzensportlern mit nicht das Ende! Hier soll den (gegebenenfalls betroffe- bzw. ohne Behinderungen setzen. nen) olympischen Verbänden eine Basisförderung auf Die Athleten und der Schutz ihrer Gesundheit stehen vier Jahre in Aussicht gestellt werden, damit ein An- für uns an erster Stelle! Übergeordnet ist damit das Be- schluss bzw. eine Rückkehr an die Weltspitze möglich kenntnis zum humanen Leistungssport verbunden. Es bleibt. Unser Sportminister Thomas de Maizière (BMI) bedeutet aber auch gleichsam die „Null-Toleranz“ ge- hat zudem immer wieder betont, dass auf Reformen auch genüber Doping oder anderen Formen der Manipulation. Investitionen folgen. Kurzum: Auch als Haushaltsgesetz- geber wollen wir als Parlamentarier zu einer Moderni- Im engeren Sinne sind unter dem Gesundheitsas- sierung des Spitzensports beitragen und uns für entspre- pekt natürlich genauso konkrete Präventionsmaßnah- chende Rahmenbedingungen einsetzen. men bezüglich der Vermeidung akuter oder chronischer Sportverletzungen zu verstehen. So muss zum Beispiel Der Unionsantrag zur Reform des Leistungssports chronischen Gehirnerschütterungen bzw. Kopftraumata bzw. der Spitzensportförderung befasst sich ferner inten- entschieden begegnet werden. siv mit der Wertedimension und dem Schutz der Integ- rität des Sports: Die Forderungen der Union im Antrag Zum Gesundheitsschutz zählt zudem die Unversehrt- können dahin gehend in direkter Verbindung zum neuen heit der Person: Die Safe-Studie der Deutschen Sportju- Anti-Doping-Gesetz und zum Gesetz zur Bekämpfung gend (DSJ) wie auch einzelne Vorfälle an Trainingsorten von Spiel- und Wettmanipulation gesehen werden. Bei- haben auf erschreckende Weise neuen Handlungsbedarf des sind Erfolge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in gegen sexualisierte Gewalt im Sport offengelegt. Lassen der 18. Wahlperiode und ein Zeichen für eine verantwor- (B) Sie mich das ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung (D) tungsvolle Sportpolitik. Nach den strafrechtlichen Ver- wird die staatlichen Zuwendungen künftig von wirksa- schärfungen brauchen wir allerdings nunmehr eine ver- men Präventionskonzepten abhängig machen, um alles stärkte Ermittlungsarbeit sowie die Einrichtung weiterer nur Erdenkliche gegen derartige Vorkommnisse und Ge- Schwerpunktstaatsanwaltschaften. fahren zu unternehmen. Und: Es gilt, vor allem eine breite sowie offene Debat- Niemand wird bestreiten, dass für eine erfolgreiche te über die Bedeutung des Spitzensports und dessen Wer- Umsetzung der Leistungssportreform auch die Trainer tekanon zu führen. Ich bin zuversichtlich, dass zum Bei- und Trainerinnen und ihr Arbeitsumfeld in den Blick ge- spiel der Fair-Play-Preis vonseiten der Bundesregierung nommen werden müssen: Mit unserem Antrag wollen wir wieder enger begleitet und unterstützt wird, wie auch an- dazu beitragen, dass das Berufsbild „Trainer“ geschärft dere programmatisch-pädagogische Maßnahmen ergrif- wird und die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert fen werden. Denn: Das Strafrecht soll – dem Grundsatz werden. Die angestrebte Konzentration von Olympia- nach – immer die Ultima Ratio darstellen! und Bundesstützpunkten soll einer deutlichen Verbes- serung der Trainingsbedingungen dienen und auf einer Eine Reform des Spitzensports und Unterstützung faktengestützten Analyse basieren. Insgesamt gilt es, der durch die Bundesregierung machen allerdings nur Sinn, Sportinfrastruktur des Spitzensports einen größeren Stel- wenn von einer Chancengleichheit der Athleten im inter- lenwert beizumessen und behinderten Leistungssportlern nationalen Wettbewerb (um Platzierungen und Medail- moderne und praxistaugliche Trainingsmöglichkeiten zu len) ausgegangen werden kann. Das russische Staatsdo- bieten. ping zu Olympischen Spielen, die neuen Auffälligkeiten bei (Doping-)Nachtests oder die gänzlich unterschiedli- Das beste Reformkonzept ist nichts wert, wenn es chen (Doping-)Kontrollsysteme in verschiedenen Län- in der „Schublade“ verschwindet und nicht konsequent dern untergraben das Vertrauen in den fairen internati- umgesetzt wird. Deshalb freue ich mich sehr, dass nach onalen Wettbewerb. Deshalb fordern wir im Antrag, auf dem Beschluss des Reformvorhabens mit der Realisie- Ebene der Weltsportministerkonferenz und des Europa- rung bereits begonnen wurde. So konnte zum Beispiel rates den Kampf gegen Doping im Sport zu verstärken die Potenzialanalyse-Kommission (PotAS-Kommission) und sich für eine größere Unabhängigkeit der Welt-An- am 8. Mai 2017 in Berlin vorgestellt werden. Ende die- ti-Doping-Agentur (WADA) einzusetzen. ses Jahres sollen schon erste Arbeitsergebnisse vorliegen. Dahin gehend begrüßen wir im Antrag ausdrücklich, Über eine fraktionsübergreifende parlamentarische dass die Ergebnisse zu den Förderkriterien (60 Attribute) Initiative zur Reform des Spitzensports hätte ich mich künftig für jeden im Internet abrufbar sind bzw. transpa- gefreut. Der Antrag der Opposition überzeugt leider 23818 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) nicht, da fachliche Fehler offensichtlich werden. Zu- sion enthält weitgehend oberfächliche sowie vage Infor- (C) dem verbleiben die Forderungen auf dem Niveau von mationen und nur wenig Neues in diesem Bereich. Allgemeinplätzen. Positiv beim Grünen-Antrag ist, dass nicht – wie zuletzt – mit „Kopieren“ und „Einfügen“ ge- Den Athleten in den Mittelpunkt des Förderkonzepts arbeitet wurde. zu stellen, bedeutet nicht nur, ihn in bestimmte För- dercluster einzuordnen, sondern ihn als Mensch mit au- Allen an der Reform beteiligten Personen sei hier ßergewöhnlichen sportlichen sowie gesellschaftlichen nochmals ganz herzlich für ihren Einsatz gedankt. Ich Leistungen zu betrachten. Ein praktikables sowie funk- bin sicher, dass sich die Arbeit gelohnt hat und wir die tionelles Nebeneinander beider Laufbahnen ist für jeden Rahmenbedingungen für unsere Athleten und Athletin- Athleten unermesslich und steigert die Qualität der Leis- nen deutlich verbessern werden. tung. Deshalb spreche ich mich dafür aus, gemeinsam mit Jeannine Pfugradt (SPD): Für mich ist der deut- den Bundesländern auf die bundesweit fächendecken- sche Spitzensport unmittelbar mit der Umsetzung dua- de Einführung von Proflquoten für einen erleichterten ler Laufbahnen verbunden. Da Athletinnen und Athleten Hochschulzugang der Athletinnen und Athleten in allen keinen anerkannten Beruf – Stichwort: Berufssportler – Bachelor- und Masterstudiengängen hinzuwirken. mit monatlichem Grundgehalt ausüben, sind sie auf ei- nen zweiten – den berufichen – „Karriereweg“ ange- Wir sollten in Zeiten des digitalen Wandels gemein- wiesen. Die Bundespolitik ist deshalb als Förderer des sam mit den Bundesländern eine Flexibilisierung der Spitzensports – unabhängig von Bundeswehr, Bundes- Studienbedingungen durch mehr E-Learning-Angebote, polizei, Zoll und schon bestehenden Projekten wie dem weniger Präsenzpficht, mehr Blockunterricht, ein grö- BMI-Projekt „Sprungbrett Karriere“ sowie der Stiftung ßeres Angebot an Fernstudiengängen und eine Verrin- Deutsche Sporthilfe – besonders gefordert, Akteure des gerung der örtlichen Bindung bei der Ableistung von Sports, des Bildungssektors, der Wirtschaft und der Lan- Prüfungen erreichen. Und wir sollten gemeinsam mit den despolitik zu einer engeren Zusammenarbeit zu bewegen Akteuren der Wirtschaft, den Handwerkskammern und und auf eine intensive Unterstützung der Athletinnen und den Bildungsträgern auf eine Entlastung der Athletinnen Athleten zu drängen. und Athleten hinwirken, indem nach § 8 des Berufsbil- Um eine dauerhafte Spitzenposition im internationa- dungsgesetzes (BBiG) und § 27 des Gesetzes zur Ord- len Sport einzunehmen, bedarf es eines wirksamen För- nung des Handwerkes (HwO) mehr Ausbildungs- und dersystems, dessen Wirksamkeit sich nicht allein anhand Arbeitsplätze in Teilzeit sowie mehr Möglichkeiten der der Höhe der bereitgestellten fnanziellen Mittel messen Arbeit im Homeoffce geschaffen werden. (B) lässt. Die deutsche Spitzensportförderung hat einen hu- Spitzensportlerinnen und Spitzensportler verdienen (D) manen Anspruch und übernimmt auch nach der sportli- es, dass wir ihnen die bestmöglichen Rahmenbedingun- chen Laufbahn Verantwortung für ihre Athletinnen und gen für beide „Karrierewege“ ermöglichen. Athleten. Deshalb nimmt die Förderung der dualen Lauf- bahn hierzulande zu Recht eine besondere Stellung ein. In richtiger Abstimmung miteinander verstärken sich Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Wenn wir an den Spitzensport und Berufs- bzw. Bildungslaufbahn gegen- Leistungssport denken, haben wir sofort drahtige Athle- seitig. tinnen und Athleten vor Augen, die unter vollem körper- lichen Einsatz sportliche Höchstleistungen vollbringen. Erfolgsentscheidend dabei ist, ob einer individuell für Wir denken an die Olympischen und Paralympischen die Athletin oder den Athleten entwickelten ganzheitli- Spiele, an Medaillen, an volle Stadien und ein begeister- chen Strategie gefolgt wird. Eine solche Strategie setzt tes Publikum. bestenfalls schon im Kindesalter an und orientiert sich stark an den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen der Wir alle sehen die Erfolge am Ende einer langen Pha- Athletinnen und Athleten. Besondere Wichtigkeit erlangt se der Vorbereitung – der Blick in das Vorfeld dieser eine ganzheitliche Strategie in der Zeit nach dem Schul- Höchstleistungen entzieht sich den meisten. abschluss. Für Jugendliche und junge Erwachsene sollten Doch dieser Blick lohnt sich! sich in dieser wichtigen Umbruchphase aussichtsreiche Perspektiven für ein Leben mit und nach dem Spitzen- Die Athletinnen und Athleten sind in ihrer Wettkampf- sport eröffnen. vorbereitung von einem Kompetenznetzwerk umgeben: Derzeit gibt es 37 Laufbahnberaterinnen und -berater Trainerinnen und Trainer, Physiotherapeuten, Sportpsy- des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die chologen – sie alle unterstützen die Sportler auf vielfäl- aufgrund der Anzahl der Spitzensportler keine ganz- tige Weise. Dazu kommt eine sportwissenschaftliche Be- heitliche, langfristig angelegte sowie individuelle Lauf- treuung. Hier wird ausgelotet, wo es noch Stellschrauben bahnberatung anbieten können. Hier, denke ich, ist eine gibt, um die Leistungen zu verbessern, sei es beim Sport- Aufstockung der Zahl der Beraterinnen und Berater sehr ler selber oder beim Sportgerät. Das Ziel ist, Leistungen sinnvoll und notwendig. mit wissenschaftlichen Instrumenten zu optimieren und dabei Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Drei solcher In- Bedauerlicherweise sind mir im neuen Förderkonzept stitute sind fester Bestandteil unserer Spitzensportförde- für den Spitzensport zu viele Fragen um das Thema „Du- rung: das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft ale Karriere“ bei Spitzensportlern offen geblieben. Das (IAT), die Trainerakademie (TA) und das Institut zur Konzept rund um die Entwicklung der PotAS-Kommis- Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23819

(A) Und das eine davon – das FES – befndet sich in meinem nes Erachtens die Mitwirkung des Parlaments erfordern. (C) Wahlkreis Treptow-Köpenick. Dies hat die Linke mehrfach im Sportausschuss und in Anfragen an die Bundesregierung deutlich gemacht. Ein tolles Team arbeitet hier täglich daran, die best- Trotzdem erfolgte keine förmliche Einbindung des Par- möglichen technischen Voraussetzungen für unsere Spit- laments. zensportlerinnen und Spitzensportler zu schaffen. Davon konnte ich mich mehrfach überzeugen. In ihrer Arbeit Erst mit dem Antrag der Grünen von Ende Januar wur- kommt es manchmal auf minimale Veränderungen am de ein Weg geschaffen, das Thema doch noch in dieser Sportgerät an. Nehmen wir den Bob-Sport. Da geht es Wahlperiode im Bundestag zu debattieren. Die in dem zum Beispiel um vibrationsarme Hauben, um aerodyna- Antrag formulierten Forderungen stimmen weitgehend mische Sitze, um komplizierte Lenksysteme und um auf überein mit den Positionen, die die sportpolitischen Spre- jedes Eis abgestimmte Kufen. Das ist ein hochkomple- cher und Sprecherinnen der Linken im Bundestag und xer Vorgang, und der technologische und internationale in den Landtagen in einer „Magdeburger Erklärung“ am Wettstreit um das beste Material und die beste Konstruk- 7. November 2016 bereits öffentlich gemacht hatten. Zur tion schreitet ständig fort. Millisekunden entscheiden Erinnerung hier noch einmal die fünf Punkte: über Sieg oder Niederlage, und damit steht auch die Technologie im Wettkampf. „1. Nicht akzeptabel ist zuerst das intransparente Verfahren. Gremium und Arbeitsgruppen aus DOSB, Fest steht, die Arbeit der wissenschaftlichen Institu- BMI und Sportministerkonferenz (SMK) tagten hinter te ist für den Erfolg der Athletinnen und Athleten ganz verschlossenen Türen. Wichtige Akteure wie die Sport- maßgeblich, und ihre Bedeutung nimmt mit dem Fort- politiker und Sportpolitikerinnen des Bundestages und schritt bei Analyse und Technik zu. Im internationalen der Landtage oder der Allgemeine Deutsche Hochschul- Wettbewerb ist die Anwendung wissenschaftlicher Tech- sportverband (adh) waren nicht beteiligt und werden jetzt niken bei der Optimierung des Zusammenspiels zwi- vor vollendete Tatsachen gestellt … schen Sportgerät und Sportler längst zu einem entschei- denden Parameter geworden. Hier gibt es kein Zurück. 2. Nicht akzeptabel ist insbesondere die ausschließ- Das bedeutet auch, dass die Institute fnanziell so gestellt liche Fixierung auf Podiumsplätze bei Olympischen werden müssen, dass der Leistungssport davon proftie- Spielen, Paralympics und Deafympics. Medaillen dür- ren kann. fen nicht das einzige Kriterium einer künftigen Förde- Die gerade laufende Reform der Spitzensportförde- rung des Spitzensports sein. Vielmehr ist das Verhältnis rung ist für uns Anlass, diesen Anspruch noch einmal des Spitzen- und Leistungssports zum Schul- und Brei- deutlich zu machen. Wissenschaft und Spitzensport sind tensport zu klären. Wir brauchen dringend eine öffent- (B) untrennbar miteinander verbunden, und wir wollen, dass liche Diskussion über den Stellenwert des Sports in der (D) sich dieser Grundsatz in einer verstetigten Förderung Gesellschaft. der Institute IAT, FES und der Trainerakademie nieder- 3. Nicht akzeptabel sind weiterhin die wenig substan- schlägt. Deswegen haben wir diesen Aspekt und weite- ziellen Vorschläge zur Nachwuchsentwicklung und zur re uns wichtige Punkte in unserem Antrag aufgegriffen. „Dualen Karriere“. Letztere darf nicht nur bei Bundes- Lassen Sie uns gerne in den Ausschussberatungen dazu wehr, Polizei und Zoll, sondern muss auch in anderen ins Gespräch kommen. Bereichen des öffentlichen Dienstes und in der Privat- wirtschaft möglich sein. Zweifelhaft scheinen auch die Dr. André Hahn (DIE LINKE): Eigentlich sollten die Wirksamkeit der computergestützten Potenzialanalyse Anträge der Koalition und der Grünen zum Konzept der und der Sinn der geplanten neuen Kaderstrukturen. Spitzensportreform ohne Debatte in den Sportausschuss überwiesen werden – dies hat die Linke nicht akzeptiert. 4. Nicht akzeptabel ist die aktuelle Situation der Trai- Statt einer echten Debatte als Tagesordnungspunkt 36 um nerinnen und Trainer. Der organisierte Sport braucht gut 5 Uhr morgens vor einem sicherlich nahezu leeren Plen- ausgebildetes Personal und in angemessener Zahl Traine- arsaal werden nun die Reden zu Protokoll gegeben. rinnen und Trainer mit langfristigen Tarifverträgen, die in der Eingruppierung mindestens denen von Lehrerinnen Warum haben wir als Linke eine Diskussion gefor- und Lehrern an öffentlichen Schulen anzugleichen sind. dert? 5. Nicht akzeptabel sind schließlich auch die Vorschlä- Am 28. September 2016 stellten Bundesinnenminister ge zur künftigen Förderung des Spitzensports von Men- de Maiziere und DOSB-Präsident Hörmann dem Sport­ schen mit Behinderungen. Wenn überhaupt, kommen die ausschuss ihr Konzept zur „Neustrukturierung des Leis- Paralympics und Deafympics in diesem Konzept nur am tungssports und der Spitzensportförderung“ vor. Rande vor. Notwendig ist aber eine gleichwertige Förde- Am 3. Dezember 2016 stimmte der DOSB auf seiner rung für Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Mitgliederversammlung diesem nach massiver Kritik mit Trainern und dem sonstigen Personal in diesem Bereich. Datum vom 24. November 2016 nur leicht veränderten Der Behindertensport darf nicht länger schlechter gestellt und noch immer unvollständigen Konzept bei nur einer werden, im Gegenteil: Behindertenbedingte Nachteile Gegenstimme zu. Ich war ja in Magdeburg dabei und und Mehraufwendungen müssen künftig ausgeglichen verstehe das bis heute nicht. werden.“ Für den Sport sind mit diesem Konzept sehr gewichti- Insofern werden wir also den Antrag der Grünen auch ge und tiefgreifende Entscheidungen verbunden, die mei- unterstützen. 23820 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Seit gestern liegt nun doch noch ein Antrag der Koali- auch einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung (C) tion zur Spitzensportreform vor – acht Monate, nachdem für alle und der Gesundheit der Menschen von frühes- die von ihr getragene Regierung ihr Konzept vorstellte ter Kindheit bis ins hohe Alter dienen. Drittens soll die und seitdem viel Unruhe und Chaos schuf. Spitzensportförderung angemessene, verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die Sportlerinnen Allerdings entsprechen die im Antrag enthaltenen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer und weitere Feststellungen und Forderungen doch erkennbar dem un- Akteure schaffen. Viertens muss die Sportstätteninfra- verbindlichen Ton des eigentlichen Konzeptes. Auch in struktur in Bund, Ländern und Kommunen erhalten und den einzelnen Handlungssträngen – die zudem zuerst von systematisch verbessert werden. Und fünftens brauchen den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig wir einen konsequenten Kampf gegen Doping, Betrug gemacht werden – fehlt die gerade von den Aktiven ge- und Korruption im Sport. wünschte Klarheit. Wie eine Monstranz tragen der orga- nisierte Sport und das Innenministerium seit Monaten die Die Linke begrüßt das grundsätzliche Ansinnen, die Floskel vor sich her „Die Athletin, der Athlet stehen im Spitzensportförderung neu zu strukturieren. Das vorge- Mittelpunkt“. Allerdings fehlt jede inhaltliche, vor allem legte Konzept zur Reform halten wir aber nach wie vor in aber fnanzielle Unterfütterung eines solchen Bekennt- mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch. nisses, auch im Antrag der Koalition. Es fehlen weiterhin wichtige Bestandteile wie bei- Zumindest haben Union und SPD eine Forderung von spielsweise das Finanzierungskonzept. Zumindest ist Sporthistorikern und Sportphilosophen aufgegriffen, die uns bisher keines bekannt. Angesprochen habe ich auch die Linksfraktion seit geraumer Zeit auch im politischen schon die prekäre Personalsituation bei Trainerinnen Raum erhebt: Es muss endlich eine gesellschaftliche De- und Trainern, und völlig unzureichend sind auch weiter- batte zur Bedeutung des Spitzensports geben. hin die Möglichkeiten für eine duale Karriere von Spit- Dies ist übrigens ein weiterer Grund für mich, zumin- zensportlern. Die Athletenkommission drängt zu Recht dest diese Protokoll-Debatte im Bundestag zu führen. nachdrücklich und öffentlich auf eine Fürsorgepficht Die Koalitionsfraktionen sind trotz der im Antrag einge- des organisierten Sports und der Politik für seine her- forderten Gesellschaftsdebatte weiterhin nicht bereit, im ausragenden Präsentanten – und das sind nun einmal die Sportausschuss öffentlich zu tagen. Sportlerinnen und Sportler, die die Erfolge erringen. Fraglich ist zudem auch, ob die Anträge angesichts der Auch die aus Sicht der Linken nicht akzeptable Fixie- wenigen Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl über- rung auf Medaillen bei Paralympics und Olympischen haupt noch abschließend im Plenum debattiert werden. Spielen muss korrigiert werden und darf aus unserer Nunmehr hat die Öffentlichkeit wenigstens durch die zu Sicht nicht vorrangiger Maßstab für die Sportförderung (B) Protokoll gegebenen Reden die Möglichkeit, zu erfahren, von Innenministerium, DOSB und der Deutschen Sport- (D) wie sich die Fraktionen zu den beiden Anträgen, aber hilfe sein. Und klar sollte auch sein: Die Zukunft des auch zur Spitzensportreform an sich positionieren. Sports darf defnitiv nicht über eine computergestützte Potenzialanalyse defniert und auf eine medaillenorien- Das vom Bundesinnenminister präsentierte Konzept tierte Kaderschmiede reduziert werden. zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spit- zensportförderung“ lag der Bundesregierung bei ihrer Ich bin sicher, dass wir zur Zukunft des Sports und Kenntnisnahme in der Kabinettssitzung am 15. Febru- des Spitzensports nicht das letzte Mal in diesem Hause ar 2017 ebenso wie dem DOSB am 3. Dezember 2016 diskutieren. Ernsthafte Korrekturen sind in dieser Wahl- nur unfertig vor. Alle Erfahrungen und Berichte aus den periode mit der jetzigen Koalition leider nicht mehr zu Sportfachverbänden verdeutlichen zudem akuten Nach- erwarten. Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Bun- besserungsbedarf. destagswahl mit anderen Mehrheiten und deutlich mehr Druck aus den Reihen des organisierten Sports, vor allen Ich meine: Diese Baustellen müssen endlich in ei- vonseiten der Athletinnen und Athleten, ein wirklich zu- nem transparenten Verfahren zwischen dem DOSB und kunftsfähiges Konzept entsteht. seinen Mitgliedsverbänden sowie der Politik mit ihren Vertreterinnen und Vertretern aus Bundesregierung, Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Bundesländern und Bundestag bearbeitet werden. Die Minister De Maizière, die Reform der Spitzensportförde- derzeit erlebbare Ignoranz und Selbstherrlichkeit der rung, die Sie derzeit bereits umsetzen, gehört aus grüner Verantwortlichen im Bundesinnenministerium könnten Sicht dringend überarbeitet. Warum, ist ganz einfach zu perspektivisch zum Sargnagel für das Konzept werden erklären. und damit dem Leistungs- und Spitzensport großen Scha- den zufügen. Die gewünschte Vorbildwirkung des Sports und der tatsächliche Zustand des funktionärsdominierten Spit- Bei der Diskussion zum 13. Sportbericht der Bundes- zensports klaffen zurzeit weit auseinander. Innenminis- regierung am 19. Januar 2017 hatten wir mit Blick auf terium und Deutscher Olympischer Sportbund haben die überfällige gesellschaftliche Debatte einen Entschlie- aber nie eine sachgerechte Analyse dazu durchgeführt. ßungsantrag vorgelegt, der fünf Kernforderungen sport- Es wäre dringend notwendig gewesen, Situation und Zu- politischer Leitlinien der Linken enthielt: stand des Spitzensports bereits im Vorfeld der Reform Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu diskutieren, und zwar mit einer breiten Öffentlich- verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet keit, mit Sportlerinnen und Trainern, Wissenschaftle- werden. Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes rinnen und Bürgern. Stattdessen sind Ihre Vorschläge an Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23821

(A) Schreibtischen und in Geheimrunden gefallen. Am Ende Kein Wunder aber, dass die Reform breit kritisiert (C) haben Sie leider Vorschläge aus einem verengten Sport- wird: Sie haben im Vorfeld keine öffentliche Debatte verständnis heraus vorgelegt. geführt. Die Erfahrungen von Trainerinnen und Trainern und Athletinnen und Athleten haben kaum Eingang in die Für uns steht fest: Spitzensport darf keine Möglichkei- Vorschläge gefunden. Die Sportwissenschaft hat gefehlt. ten der Machtdemonstration mehr bieten. Einen Rückfall Sie haben den Spitzensport vom Breitensport getrennt, in den Kalten Krieg darf es nicht mehr geben. Es muss als gäbe es das eine ohne das andere. Wer hätte denn bei Schluss sein mit staatlichem Doping in einigen Ländern, den Geheimverhandlungen, die Sie mit dem DOSB – und um mehr Medaillen zu gewinnen. Ein Geheimdienst wie ohne den Sportausschuss – geführt haben, kritischen In- in Russland hat im Sport nichts zu suchen. Wir müssen put geben können? Dass das Grundgerüst der Reform, endlich Prinzipien eines humanen Spitzensports ver- Potenzial vorherzusagen, aus wissenschaftlicher Sicht ankern. Es darf nicht sein, dass im Spitzensport einige gar nicht möglich ist, haben Sie ja bereits während der Länder Kleinkinder über Jahre mit brachialen Methoden Anhörung im Sportausschuss von zahlreichen Expertin- trimmen, um sie dann nach und nach – oft halbkaputt – nen und Experten erklärt bekommen. wieder auszusortieren. In solcher Gesellschaft wollen wir uns nicht wiederfnden. Kurz gesagt: Keine Debatte, falsches Ziel, falsche Ist das der Sinn von Olympischen Spielen? Wollen Schwerpunkte, schlechtes Ergebnis. wir da mitmachen? Begeistert uns nicht vielmehr diese Deshalb, sehr geehrter Herr Minister, fordern wir in olympische Idee, die so oft wiederholt wird, aber von der unserem Antrag ein Gesamtkonzept zur Sportentwick- Wahrheit weit entfernt ist, der Traum vom friedlichen lung. Athletinnen, Athleten, Trainerinnen und Trainer Kräftemessen mit Menschen aus aller Welt, von span- müssen im Mittelpunkt stehen, mit besseren Beteili- nenden Wettkämpfen mit Fairness im Vordergrund, vom gungs- und Mitspracherechten. Wir fordern ein fundier- großen Sportfest, „Dabei sein ist alles“, eine gute Platzie- tes Konzept zur Dualen Karriere und zur Vereinbarung rung ein Riesenerfolg? von Studium und Sport. Besonders die Förderung durch Die Reform der Spitzensportförderung aus dem In- staatliche Arbeitgeber bedarf an mancher Stelle dringen- nenministerium will die Gelder nun so verteilen, dass der Überarbeitung. Trainerinnen und Trainer brauchen Deutschland sich im Medaillenspielgel im Idealfall bald echte Berufsperspektiven, aber keine Kettenverträge. irgendwo zwischen China und Russland wiederfndet. Doping, Korruption, Spielmanipulation, sexualisierte, Daran gibt es berechtigte Kritik. Der Sportphilosoph physische und psychische Gewalt müssen wirksam und Gunter Gebauer hat das in einer öffentlichen Anhörung glaubwürdig bekämpft werden, in weltweiter Koopera- des Sportausschusses zu Recht als „schlechte Nachbar- tion. Wie das aussehen kann, haben wir in zahlreichen (B) schaft“ bezeichnet. Das bestehende, kranke Spitzensport- Initiativen in den letzten Monaten ausgeführt. Klar ist: (D) system wird damit nicht hinterfragt, nicht kritisiert oder Hier muss dringend etwas geschehen. gar verändert, sondern es wird in seiner einseitigen Me- Mit dem aktuellen Konzept, Herr Minister, schaden daillenausrichtung zementiert. Dabei könnte und sollte Sie dem Sport in Deutschland; da müssen Sie noch or- Deutschland einen anderen Weg gehen und Vorbild sein. dentlich nachbessern. Dass das Ihre eigenen Koalitions- Und genau das ist der Grund, warum diese Reform drin- fraktionen auch so sehen, können Sie in deren Antrag gend überarbeitet werden sollte. nachlesen, in 20 Punkten! 20! Dass es acht Monate ge- Dass eine Reform bitter nötig ist, darin waren und dauert hat, bis sich die Regierungsfraktionen endlich auf sind wir uns einig. Wir sagen, es braucht eine Reform, eine offzielle Meinung in einem Antrag einigen konnten, weil die Situation von Athletinnen, Athleten, Trainerin- ist allerdings peinlich. nen und Trainern im Spitzensport häufg prekär ist. Sie, Abgesehen davon stimmen mich die beiden Anträge, Herr De Maizière, sagen, es braucht eine Reform, weil die wir heute in den Sportausschuss überweisen, bezüg- diese Athletinnen und Athleten zu wenige Medaillen ge- lich einer guten Debatte im Sportausschuss jedoch opti- winnen. mistischer . Ich freue mich auf die Diskussion und hof- Wir sagen, es braucht eine Reform, weil der Sport und fe auf eine tatsächlich grundlegende Überarbeitung der die Sporttreibenden drohen in Doping-, Spielbetrugs-, Spitzensportreform. Korruptions-, und Manipulationsskandalen verloren- und kaputtzugehen. Sie, Herr De Maizière, sagen, wir brau- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- chen eine Reform für mehr Medaillen, um dort anzukom- minister des Innern: Die Bundesregierung begrüßt es, men, wo die dreisten Dopingnationen schon sind. dass sich der Deutsche Bundestag zur Reform des Leis- Wir sagen, es braucht eine Reform, weil die Gelder für tungssports und der Spitzensportförderung positioniert. den Spitzensport derzeit vollkommen intransparent ver- Es war uns sehr wichtig, den für das Projekt zuständigen geben werden. Sie sagen, die Gelder sollen an diejenigen Sportausschuss kontinuierlich zu informieren und von vergeben werden, die mehr Medaillen bringen. dort auch Impulse für unsere Arbeit zu erhalten. Wir möchten die Athletinnen und Athleten, die Men- BMI und DOSB haben dem Ausschuss mehrfach be- schen und den Sport in den Mittelpunkt stellen. Ihnen richtet. Im September 2016, als schließlich die Konturen geht es um den „Return on Investment“, als wäre der der Reform erkennbar waren, trugen der Bundesinnenmi- Sport Teil der Marktwirtschaft, der Staat der Investor, nister und der DOSB-Präsident deren Eckpunkte vor, und Athletinnen und Athleten die Medaillenproduzenten. im Monat darauf folgte eine Sachverständigenanhörung. 23822 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Namens der Bundesregierung danke ich den Mitglie- berufssportlicher Wettbewerbe möchte ich hier noch er- (C) dern des Sportausschusses für die konstruktive Zusam- wähnen. Sie ergänzen sich und runden eine erfolgreiche menarbeit bei dem Reformvorhaben. Sportpolitik der Bundesregierung, ausgerichtet an Leis- tung und Fair Play, in dieser nunmehr zu Ende gehenden Danken möchte ich auch dem Haushaltsausschuss; Wahlperiode ab. denn Teile der Reform waren schon relevant für den Haushalt 2018. Hinweise auf fehlende Etatreife an der einen oder anderen Stelle nehmen wir als Ansporn für eine zügige Umsetzung der Reform, und ich hoffe, die Anlage 20 anderen Beteiligten sehen dies genauso. Zu Protokoll gegebene Reden Inzwischen wurde das Reformkonzept von der DOSB-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit ver- zur Beratung: abschiedet, und auch das Bundeskabinett hat die Reform – des von der Bundesregierung eingebrach- zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Abschluss des ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Reformkonzepts entspricht auch der Zielstellung des Ko- Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei he- alitionsvertrags zum Thema Sport. Deutschland soll als terologer Verwendung von Samen erfolgreiche Sportnation erhalten bleiben. – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Die Spitzensportreform fand in der öffentlichen wie in Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz der politischen Diskussion sowohl Zustimmung als auch zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Kritik. Beides wird in den Anträgen, über die der Bun- Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abge- destag heute abstimmt, refektiert. Der Antrag der Koali- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tionsfraktionen unterstützt unser Konzept. GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Sa- Selbst der Antrag der Grünen enthält eine Reihe von menspende und das Recht auf Kenntnis eigener Maßnahmen, die im Konzept bereits zu fnden sind, wie Abstammung etwa verbesserte Möglichkeiten einer Dualen Karrie- (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) re sowie Verbesserungen bei der berufichen Situation der Trainer. Auch bei der Bekämpfung von Doping und Spielmanipulation hat die Bundesregierung mit von ihr Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Ein erfüllter Kin- initiierten und inzwischen in Kraft getretenen Gesetzen derwunsch ist für viele Ehepaare die Vervollkommnung ihre Entschlossenheit bewiesen. Hier hätten Sie, Kolle- ihrer persönlichen Lebensplanung, weil sie Liebe und ginnen und Kollegen von den Grünen, bei einem sorg- Fürsorge für einen Menschen übernehmen wollen und in (B) fältigen Lesen des Konzepts sowie einer aufmerksamen diesem und durch diesen Menschen die Fortsetzung ihrer (D) Bewertung der Sportpolitik der Bundesregierung in die- persönlichen Vita erleben möchten. ser Wahlperiode auf manchen Spiegelstrich verzichten Ein unerfüllter Kinderwunsch ist demgegenüber für so können. manches Paar eine psychische und emotionale Belastung, Der Reformprozess ist aber bei Weitem nicht zu Ende. die bis zum Scheitern dieser Verbindung führen kann. Wir haben bereits einige wichtige Schritte bei der Umset- Lange Zeit konnte dies nur durch die Aufnahme ei- zung unternommen. nes bereits geborenen Menschen in die Obhut der Fa- Hervorheben möchte ich die Einsetzung der Po- milie gelöst werden. Die Adoption, juristisch übersetzt: tAS-Kommission durch Bundesinnenminister Thomas die Annahme an Kindes statt oder als Kind, durch Be- de Maizière und DOSB Präsident Alfons Hörmann am gründung eines rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses 8. Mai 2017. Es ist uns gelungen, Mitglieder zu gewin- ohne biologische Abstammung wurde schon durch das nen mit Erfahrungen jeweils als aktive Athletin, Ver- römische Recht und im Römischen Reich begründet und bandsverantwortlicher und Wissenschaftler. ermöglicht. Wie lange das emotionale Bedürfnis zur Be- gründung einer Familie schon existiert, wird hierdurch Weitere Umsetzungsmaßnahmen werden nunmehr eindrucksvoll belegt. rasch folgen; einige sind auch bereits eingeleitet. So sind wir im BMI zurzeit im Gespräch mit Vertretern der Zwischen 1940 und 1960 wurden in England in ei- Länder, um an verschiedenen Nahtstellen Fragen der ge- ner sogenannten Fruchtbarkeitsklinik erste Forschun- meinsamen Finanzierung zu klären. gen über die künstliche Befruchtung durchgeführt. Auf- grund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz für Sportpolitisches Förderziel des Bundes ist es, dass eine Samenspende musste der damalige Begründer der sich Deutschland als Sportnation noch besser präsen- Klinik, Berthold Wiesner, mit eigenem Samen die For- tiert – erfolgreicher, aber zugleich fair und sauber. schung betreiben. Nach entsprechenden Aufzeichnungen Fairness, Achtung sportlicher Regeln und Werte sowie führte dies zu circa 600 Kindern aus seiner Abstammung. ein kompromissloses Nein zu Doping gehören genauso 1978 kam mit Louise Joy Brown das erste sehr unpas- zum deutschen Spitzensport wie Leistung und Erfolg. send als „Retortenbaby“ bezeichnete und im Reagenzglas Die Spitzensportreform auf der einen sowie das An- gezeugte Kind zur Welt. Der medizinische Fortschritt, ti-Dopinggesetz und die Neuaufage des Dopingop- der durch die künstliche Befruchtung, die Insemination, fer-Hilfefonds auf der anderen Seite sowie das Gesetz zur also die Überwindung biologischer Fruchtbarkeitshin- Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation dernisse, ermöglicht wurde, setzte sich dann – medizi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23823

(A) nisch konsequent – auch in der sogenannten heterologen licht. Die Abstammungsregelung für den Spender ist (C) Insemination fort, bei der der Samen nicht vom Ehepart- hierbei jedoch nur ein notwendiger und folgerichtiger ner der Frau stammt, sondern durch die sogenannte Sa- Annex eines speziellen Falles und dient in keiner Weise menspende einer Drittperson gewonnen wird. als Blaupause für eine generelle Abstammungsdiskussi- on. Dazu sind die Rechtspolitiker zu einem späteren Zeit- Bei nüchterner medizinischer Betrachtung ist der punkt berufen. Sachverhalt relativ unspektakulär und für die Eltern sehr erfreulich. Doch dies ist nur die Sichtweise der Eltern. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz. Also wo liegt das Problem? Zu Beginn dieser Ent- wicklung schien die Frage des emotionalen Befndens Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Zu wissen, wer die des gezeugten Kindes bei Kenntnis seiner Zeugung und eigenen, leiblichen Eltern sind, ist das Recht eines jeden seiner genetischen Abstammung nicht im Fokus der han- Menschen. Jeder von uns hat das Recht, zu erfahren, von delnden Personen, also der Eltern, gewesen zu sein. Viel- wem er abstammt. Dies muss auch für diejenigen Men- leicht hat man diese Frage auch nicht erkannt. schen, die mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden, gelten. Abstammung ist ein Teil der Individualität. Wir def- nieren uns aus unserer Umwelt und aus den Personen, mit Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung denen wir verwandt sind, insbesondere aus den Personen, wird aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Per- aus denen wir hervorgegangen sind oder zumindest her- sönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in vorgegangen zu sein glauben. Insofern kann es eigentlich Verbindung mit der Würde des Menschen aus Artikel 1 nicht zufällig sein, dass seit jeher eine gewisse Tendenz Absatz 1 GG abgeleitet. vorhanden war, diese Abweichung von der normalen bzw. als solcher empfundenen, aber nicht zutreffenden Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Recht in ei- Abstammung gegenüber dem Kind verborgen zu halten. nem Urteil vom 31. Januar 1989 wie folgt beschrieben: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Die Rechtsprechung hat dies dann zunächst für die die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen auto- Frage der Adoption im Sinne der Persönlichkeitsidenti- nomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er sei- fkation entschieden und ein Recht auf Kenntnis um die ne Individualität entwickeln und wahren kann. Verständ- Abstammung anerkannt. Der BGH hat dies dann im Jah- nis und Entfaltung der Individualität sind aber mit der re 2015 auch zugunsten des durch künstliche Befruch- Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbun- tung durch Samenspende gezeugten Kindes fortgeschrie- den. Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung. Sie ben. legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen (B) Das Samenspenderregistergesetz regelt deshalb, aber fest und prägt so seine Persönlichkeit mit.“ Die Abstam- (D) auch nur konzentriert auf den dortigen Sachverhalts- mung nehme auch eine Schlüsselstellung für Individuali- komplex, das Recht des Kindes bzw. seiner gesetzlichen tätsfndung und Selbstverständnis ein. Vertreter auf Kenntnis des genetischen Erzeugers und die Dass die Kenntnis der eigenen Abstammung damit das dazu notwendigen Strukturen. Die Vorenthaltung dieser Persönlichkeitsrecht umfasst, bestätigte zuletzt auch das Kenntnis wäre eine unvertretbare Verletzung des Persön- Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Seit lichkeitsrechts des Kindes, die durch kein Interesse eines fast 20 Jahren besteht damit ein persönliches Auskunfts- Außenstehenden, auch wenn es sich bei der Mutter sogar recht auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Ver- um den leiblichen Elternteil handelt, gerechtfertigt wer- wendung von Samen. den könnte. Die Frage ist, ob die Angaben, die nach der TPG-Ge- Gleichwohl ist dies kein Prozess, der ohne Auswir- webeordnung in den Entnahmestellen zu dokumentieren kung auf die psychische Situation des Betroffenen wie sind, dies noch hinreichend gewährleisten. Vielmehr auch seines Umfeldes bleiben kann. Hier bedarf es der mussten wir in der Vergangenheit feststellen, dass die vorgesehenen Beratung- und Informationsangebote. Suche der Betroffenen nach der eigenen Herkunft oft- Denn plötzlich entspricht das soziale Gefüge nicht mehr mals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war: der Vorstellung. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Welche Entnahmeeinrichtung ist die richtige? Erhalte ich Eine Betroffenheit gibt es aber auch für einen wei- dort auch die richtigen Daten? Sind die Daten überhaupt teren Beteiligten, den Samenspender. Aus seiner me- noch vorhanden? Ein langer Weg für die rund 1 000 Kin- dizinischen Bereitschaft wird auf einmal ein konkretes der, die jährlich mit Hilfe einer anonymen Samenspende menschliches Gegenüber, mit dem man sich auseinan- in Deutschland gezeugt werden. Zudem waren und sind dersetzen muss. Der anonyme Spender wollte jedoch Erb- und Unterhaltsansprüche auf beiden Seiten gesetz- gerade nicht familiäre Verantwortung übernehmen. Eine lich nicht vollständig ausgeschlossen, was zu großen solche Konsequenz muss zum Erhalt der Spendenbereit- Problemen führt bzw. führen kann. schaft vermieden werden. Diesem Regelungsbedarf trägt Bereits im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Gesetz durch den Ausschluss der rechtlichen Fest- das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bei stellung der Abstammung Rechnung. Samenspenden gesetzlich zu regeln. Dies wird jetzt um- Die Erfüllung eines Informationsanspruchs zur Ab- gesetzt. Es wird ein zentrales Samenspenderregister beim stammung, der zu den elementarsten Interessen eines Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Menschen gehört, wird durch das Gesetz für einen not- Information (DIMDI) eingerichtet. Dort können Perso- wendigerweise streng reglementierten Bereich ermög- nen, die mittels heterologer Verwendung von Samen im 23824 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Rahmen einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruch- erhalten müssen, zu erfahren, woher sie genetisch stam- (C) tung gezeugt wurden, künftig auf Antrag Kenntnis über men. Es ist enorm wichtig für die Betroffenen: Das Wis- ihre Abstammung erlangen. sen um die Abstammung prägt die Persönlichkeit mit. Neben den geweberechtlichen Anforderungen wer- Der Regelungsbedarf, der zu diesem Gesetz führte, er- den dort alle notwendigen verpfichtenden Aufklärungs-, gab sich aus mehreren Gerichtsurteilen, zuletzt dem Ur- Dokumentations- und Meldepfichten verwaltet – unter teil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Dieses Gewährung des höchstmöglichen Datenschutzstandards. Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeugte Per- Diese Daten werden beim DIMDI maximal 110 Jahre sonen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kennt- gespeichert. Dies sichert einen uneingeschränkten und nis ihrer Abstammung haben. nachhaltigen Auskunftsanspruch der Spenderkinder. Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Diese Wir regeln mit dem Gesetz auch, dass der Samenspen- Fragen werden künftig über eine zentrale Informations- der weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als stelle schneller und leichter beantwortet. Damit folgen rechtlicher Vater belangt werden kann, zum Beispiel für wir dem ausdrücklichen Wunsch des Spenderkindes. Erbschafts- oder Unterhaltsansprüche. Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kindeswohl statt Anonymität des Spenders. Genau Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen das ist der richtige Weg. zu müssen. Ich gehe davon aus, dass dank der nun herge- Vor jeder Samenspende muss aufgeklärt werden. Dies stellten Rechtssicherheit die Möglichkeit einer Kontakt- ist eine unabdingbare Voraussetzung für die heterologe aufnahme, eines Kennenlernens erleichtert wird. Verwendung von Samen. Zukünftig müssen sowohl der Dieses Gesetz ist aber noch nicht das Ende der Fah- Samenspender als auch die Empfängerin der Samenspen- nenstange. Es gibt weiteren Reform- und Regelungsbe- de darüber aufgeklärt werden, dass potenzielle Kinder darf, denn der Themenkomplex ist riesig; außerdem hat Zugang zu den Daten haben. Dabei muss auch klar sein, er eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz. Die repro- dass der Anspruch des Spenderkindes bei erteilter Aus- duktive Medizin, ihre technischen Möglichkeiten, ihre kunft nicht erlischt. Dies gilt sowohl bei einer Auskunfts- ethischen Fragen und gesellschaftlichen Auswirkungen erteilung an gesetzliche Vertreter vor Vollendung des sind zunehmend drängende gesellschaftspolitische The- 16. Lebensjahres des Spenderkindes als auch bei selbst men. Es geht schließlich um tiefsitzende Wünsche, um eingeholter Auskunft. die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbe- Letztlich haben wir auch geregelt, dass der Spender stimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann. Eine Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die Erfüllung ergänzende Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch soll im Leben. (B) (D) die gerichtliche Feststellung der rechtlichen Vaterschaft Dieser Gesetzentwurf nimmt ausschließlich Bezug des Samenspenders künftig ausschließen. Damit sind auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf Ansprüche im Bereich des Sorge-, Unterhalts- und Erb- die „offzielle“ Samenspende. Wir müssen aber auch dis- schaftsrechts gegenüber dem Spender nicht möglich. kutieren über gleiche Chancen für alle beim Thema der Wir greifen damit gezielt das Anliegen der Betroffe- privaten Spende. nen auf, das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung und Gerade lesbische oder alleinstehende Frauen greifen das Finden ihrer biologischen Väter sicherzustellen. oft auf diese Möglichkeit zurück, weil für sie von vielen Mit dem vorliegenden Entwurf des Samenspenderre- Ärztinnen und Ärzten, von Ärztekammern die künstliche gistergesetzes gehen wir einen wichtigen und richtigen Befruchtung abgelehnt wird. Sie greifen aber auch da- Schritt in Richtung Zukunft. Verfahren werden verein- rauf zurück, weil sie bewusst andere familiale Verant- heitlicht und vereinfacht. Die Rechte der biologischen wortungsgemeinschaften leben wollen. Ich befürworte, Spender werden klar geregelt. dass für lesbische Frauen bzw. Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Menschen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht. Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination Mechthild Rawert (SPD): Menschen, die durch Sa- allen Frauen, das heißt unabhängig von sexueller Identi- menspende gezeugt wurden, haben das Recht, ihre Ab- tät oder Familienstand, offenstehen sollte. stammung zu kennen, das heißt ihren genetischen Vater. Offen ist auch noch die Frage, welche Regelungen wir Diesem Recht entsprechen wir mit der Verabschiedung hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung dieses Gesetzentwurfes. Wir schaffen damit die Voraus- fnden, wenn der biologische Spender in einer auslän- setzungen, ein bundesweites Samenspenderregister beim dischen Samenbank aufgeführt ist; offen sind auch die Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Regelungen bei einer Eizellspende im Ausland. Darf es, Information (DIMDI) einzurichten. kann es eine Ungleichbehandlung der Beteiligten bezüg- 110 Jahre werden die Daten zu den Spendern aufbe- lich der Rechtsfolgen geben im Vergleich zu Menschen, wahrt, und genauso lang bestehen Auskunftspfichten ge- die im Inland gespendet haben bzw. gezeugt wurden? genüber den Kindern von Samenspendern darüber, wer Das Themenfeld ist groß: Wir müssen auch über die ihr genetischer Vater ist. abstammungsrechtlichen Fragen diskutieren, die durch Es folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Grundge- die beiden Studien des Bundesministeriums für Fami- setzes, dass Kinder von Samenspendern die Möglichkeit lie, Senioren, Frauen und Jugend aufgeworfen werden: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23825

(A) „Geschlechtervielfalt im Recht“ und „Regelungs- und die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in der (C) Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“. Pubertät an. Bereits ab 14 ist man in Deutschland reli- gionsmündig und eingeschränkt straffähig. Aus unserer All diese Fragen werden wir intensiv diskutieren, Sicht wäre dies eine bessere Altersgrenze auch für das wenn die Ergebnisse des Arbeitskreises Abstammung Auskunftsrecht gewesen. Auch wäre es wünschenswert, im Sommer 2017 vorliegen. Das Bundesministerium für wenn bestimmte grundlegende persönliche Eigenschaf- Justiz und Verbraucherschutz hat im Februar 2015 die- ten des Samenspenders, also zum Beispiel Beruf, Hob- sen interdisziplinären Arbeitskreis eingerichtet. An ihm bys und dergleichen, gespeichert würden. Dann könnten sind Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, sich die Spenderkinder auch ohne Kontaktaufnahme mit Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw. Psychologie dem genetischen Vater eine Vorstellung von ihm machen. zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiede- In Großbritannien gilt die Regelung, dass Samenspender ner Bundes- und Landesministerien beteiligt. einen persönlichen Brief hinterlegen sollen. Das könnte Ich bin schon jetzt sehr gespannt auf diese gesell- eine Lösung sein. schaftliche und politische Debatte und die weiteren Re- Das Nichtwissen über die eigene Abstammung bleibt gelungen, die wir treffen werden, um dem gesellschaftli- aber aus anderen Gründen weiter bestehen: Im Geburten- chen Wandel hin zu mehr Vielfalt gerecht zu werden. Wir register gibt es nämlich keinen Hinweis darauf, dass die wollen für viele Menschen gute Voraussetzungen für ein Zeugung per Samenspende erfolgte. So wissen die Be- erfülltes Familienleben, ohne Rechtsstreitigkeiten schaf- troffenen nicht, dass der rechtliche auch der genetische fen. Vater ist, wenn sie von ihren sozialen Eltern nicht über ihre genetische Herkunft aufgeklärt worden sind. Aber Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Gesetz zur das betrifft auch die Enkel, denen ebenfalls ein Recht auf Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei Kenntnis der Abstammung zugestanden werden sollte. heterologer Verwendung von Samen soll ein bundes- Eine Fußnote im Geburtenregister für weiter gehende weites Samenspenderregister geschaffen und anonyme Daten könnte eine Lösung darstellen. Leider fehlt eine Samenspenden sollen untersagt werden. Das begrüße Regelung für dieses Problem im Gesetzentwurf, genauso ich, da Spenderkinder nur auf diesem Wege endlich die wie Auskunftsrechte für Enkel und Kontaktmöglichkei- Möglichkeit erhalten können, zu erfahren, von wem sie ten für Halbgeschwister, also Kinder des gleichen Sa- abstammen. Ein solches Gesetz war längst überfällig; zu menspenders. lange schon bestand Rechtsunsicherheit für Samenspen- der und eine unerträgliche Situation für die Spenderkin- Es fehlen weiter gehende Regelungen für die heute der. lebenden Spenderkinder, die ihr Recht auf Kenntnis der (B) Abstammung nach wie vor nicht umsetzen können. Über (D) Doch hat die Bundesregierung leider einen sehr 100 000 so gezeugten Menschen in Deutschland wird schlampigen Gesetzentwurf vorgelegt, der viele Fragen dieses Gesetz leider nicht mehr helfen. offenlässt. Die meisten Schwangerschaften nach Sa- menspende entstehen in Deutschland nicht durch ärzt- Besonders unglücklich fnde ich es, dass die Zahl der liche Eingriffe mit Unterstützung von Samenbanken, per Samen eines einzelnen Spenders gezeugten Kinder sondern im privaten Raum. Diese Kinder haben weiter- nicht begrenzt wird. So kann es zu einer unübersichtlich hin kein Auskunftsrecht über ihre genetischen Verwandt- großen Zahl an genetisch verwandten Spenderkindern schaftsverhältnisse. kommen, verbunden mit der Gefahr, unwissentlich mit einem Halbgeschwisterkind eine Familie zu gründen, Es ist richtig, eine rechtliche Verwandtschaftsbezie- und dem damit verbundenen höheren Risiko von Erb- hung zwischen Samenspender und Spenderkind grund- krankheiten. sätzlich auszuschließen. Warum soll es aber kategorisch ausgeschlossen werden, dass ein genetischer Vater auch Außerdem fehlt eine Regelung zur Embryonenspen- rechtlicher Vater werden kann, falls sich eine entspre- de, sodass die Rechtsunsicherheiten in diesem Bereich chend gute und vertrauensvolle Beziehung zwischen ge- bestehen bleiben. Zeugungen in Form von Embryo- netischem Vater und Kind entwickeln sollte? Hier hätten nenspenden sind zwar gesetzlich nicht zulässig, aber es wir uns eine Ausnahmemöglichkeit gewünscht, wenn gibt sie dennoch. Darum muss auch für die auf diesem beide Seiten dies wünschen. Wege gezeugten Kinder gesorgt werden. Es ist für mich auch nicht akzeptabel, dass bei den So geht dieses überfällige Gesetz zwar in die richtige Festlegungen zur rechtlichen Vaterschaft bei künstlicher Richtung, doch weist es bedauerlich viele handwerkliche Befruchtung weiterhin getrennt wird zwischen verheira- Mängel und Regelungslücken auf. Deswegen kann sich teten und nichtverheirateten Paaren. Der männliche Part- die Linke nur enthalten. ner der Beziehung soll nur dann automatisch rechtlicher Vater sein, wenn das Paar verheiratet ist. Für Unverheira- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Ih- tete oder erst recht für alleinstehende Frauen oder lesbi- rem Gesetz führen Sie endlich ein Samenspenderegister sche Paare gibt es keine gesetzliche Regelung, sodass die ein, und das ist zunächst einmal zu begrüßen. Leider ha- konservativen Richtlinien der Ärztekammern für künstli- ben Sie die familien- und verfassungsrechtlichen Impli- che Befruchtung weiterhin gelten. kationen Ihres Gesetzes völlig verkannt. Zu kritisieren bleibt auch, dass ein Auskunftsanspruch Aber zuerst zum positiven Teil: Das Verfassungsge- eines Spenderkinds erst ab 16 gilt. Real fängt bei vielen richt hat seit den 80er-Jahren mehrfach klargestellt, dass 23826 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Kinder einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch rechtlichen Vater auszuschließen. Im Ergebnis würde die (C) auf Auskunft gegenüber ihren Eltern haben. Niemand be- Elternschaftsvereinbarung sowie eine Minderjährigenad- streitet mehr, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung option wirken, bei der das Kind ja ebenfalls kein Anfech- zentral bei der eigenen Identitätsfndung sein kann und tungsrecht erhält. die Unkenntnis entsprechend zu gravierenden psychi- schen Belastungen führen kann. Deswegen ist eine ano- Nach vielen Gesprächen mit den Verbänden sowohl nyme Samenspende auch jetzt schon unzulässig und eine der Eltern als auch der Kinder kann ich Ihnen sagen: Der Verletzung der Rechte des Kindes. Ausgleich der durchaus gegenläufgen Interessen ist alles andere als banal. Die Eltern wünschen keinen zusätzli- Es gibt aber bislang einen leider sehr unterschiedli- chen Druck zur Aufklärung ihrer Kinder durch einen chen Umgang mit den Auskunftspfichten gegenüber den Eintrag im Geburtenregister, während die Spenderkinder Kindern, bis hin zur gezielten praktischen Verhinderung. gerne an ihrem Anfechtungsrecht gegenüber dem recht- Solange die Rechtslage nicht geklärt ist, will man die ei- lichen Vater festhalten, was aber die Rechtsunsicherheit genen Kunden vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprü- aufseiten der Spender nicht aufheben würde. chen schützen. Unser Vorschlag, den wir hier heute zur Abstimmung Es ist also richtig und wichtig, dass Sie den Aus- stellen, ist das ausgewogene Ergebnis eines Abwägungs- kunftsanspruch der Kinder zumindest gegenüber den prozesses zwischen Auskunftsanspruch auf der einen und Samenbanken gesetzlich verankern. Leider beschränken Anfechtungsrecht auf der anderen Seite. Sie sich auf die Samenbanken und versäumen es, den Auskunftsanspruch auch für die privaten, also vertrau- Mit Ihrem Gesetz haben Sie es sich schlicht zu einfach lichen, Spenden im BGB allgemein zu verankern. Dafür gemacht und die Grundrechte des Kindes nicht beachtet. nehmen Sie dem Kind durch eine einfache Ergänzung Weil das Samenspenderegister jetzt immerhin teilwei- des § 1600d BGB mal eben das Recht, die Vaterschaft se den Auskunftsanspruch des Kindes sichert, wird sich des biologischen Vaters feststellen zu lassen. Die Inter- meine Fraktion heute enthalten. Die Nachbesserung im essenlage der Samenbanken und ihrer Kunden ist zwar Familienrecht ist allerdings unverzichtbar und sollte so klar und eindeutig – wer Auskunft erteilen muss, will schnell wie möglich erfolgen. auch vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprüchen abge- sichert sein. So einfach ist das allerdings nicht, und hier liegt das Grundproblem Ihres Gesetzes: Anlage 21 Sie bringen im Gesundheitsressort ein neues Register- gesetz auf den Weg, ohne die familienrechtlichen Folgen Zu Protokoll gegebene Reden (B) zu Ende zu denken. So hat das Kind grundsätzlich Recht zur Beratung der Beschlussempfehlung und des (D) auf zwei Elternteile. Die einseitige Streichung des Fest- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- stellungsrechtes ginge allein zulasten des Kindes und ist gie: damit verfassungsrechtlich unhaltbar. – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- Wir müssen sicherstellen, dass das im Wege der Sa- ropäischen Parlaments und des Rates über die menspende gezeugte Kind seinen zweiten Elternteil nicht Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über von vorneherein verliert, weil dieser es sich möglicher- Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festle- weise anders überlegt. Es muss schon vor der Zeugung gung eines Notifzierungsverfahrens für dienst- möglich werden, in einer Elternschaftsvereinbarung die leistungsbezogene Genehmigungsregelungen rechtliche Elternschaft des Wunschvaters vertraglich und und Anforderungen sowie zur Änderung der verbindlich zu regeln. Das schafft nicht nur Sicherheit Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung bei Spenden über Samenbanken, sondern gerade auch für (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszu- sogenannte vertrauliche Spenden im privaten Umfeld, sammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-In- vor allem wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet formationssystems KOM(2016)821 endg.; Rats- sind. Diese Vereinbarung sollte beim Jugendamt proto- dok. 5278/17 kolliert werden und mit einer entsprechenden Belehrung über den zukünftigen Umgang mit dem Auskunftsrecht – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- gegenüber dem Kind zu dessen Wohl verbunden sein. päischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neu- Außerdem müssen wir dem Kind einen gesetzlichen er Berufsreglementierungen KOM(2016)822 Weg eröffnen, künftig die biologische Vaterschaft des endg.; Ratsdok. 5281/17 Spenders feststellen zu lassen, ohne dabei zugleich die rechtliche Vaterschaft neu zuzuordnen. Eine solche ge- – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des richtlich festgestellte biologische Vaterschaft ohne Sta- Europäischen Parlaments und des Rates tusänderung haben wir bereits vor einigen Jahren ins über den rechtlichen und operativen Rah- Gesetz eingeführt, als es um die Durchsetzung von Um- men für die durch die Verordnung ... gangsrechten des biologischen Vaters ging. Es handelt [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Eu- sich also nicht um eine völlig neue Konstruktion. ropäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 Nur wenn dem Kind ein solcher Weg zur Verfügung steht, ist es verfassungsrechtlich vertretbar, im Gegen- – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des zug das Anfechtungsrecht der Kinder gegenüber dem Europäischen Parlaments und des Rates Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23827

(A) zur Einführung einer Elektronischen Euro- Über die Länge von Fristen und den Umfang von Be- (C) päischen Dienstleistungskarte und entspre- gründungspfichten lässt sich streiten: Der vorliegende chender Verwaltungserleichterungen Entwurf ist besonders in Hinsicht auf die Verhältnismä- KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 ßigkeit, gelinde gesagt, fragwürdig. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregie- Wirklich problematisch wird es jedoch, wenn um- rung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund- fangreiche Begründungspfichten und kurze Fristen mit gesetzes einem Prüfvorbehalt der Kommission verquickt werden. Deshalb wurde dieser Punkt mit der Rüge vom März (Zusatztagesordnungspunkt 11) auch ausdrücklich an dieser Stelle angemahnt. Denn die Regelungen sehen vor: Wenn die Kommission Bedenken Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Der vorliegen- hinsichtlich der Vereinbarkeit einer geplanten Vorschrift de Entschließungsantrag zu dem im Januar 2017 von mit der Dienstleistungsrichtlinie sieht, ist eine dreimona- der EU-Kommission vorgelegten Dienstleistungspa- tige Frist vorgesehen. Während dieser darf die geplante ket soll mit Nachdruck die kritische Haltung der CDU/ Vorschrift, vorbehaltlich der von der Kommission gefor- CSU-Fraktion verdeutlichen. Deshalb ist es wichtig, dass derten Änderungen, nicht in Kraft treten. Bestehen dann wir die vom Bundestag am 9. März 2017 verabschiedeten noch weiterhin Bedenken, kann die Kommission den Subsidiaritätsrügen und Verhältnismäßigkeitsbedenken Erlass der Vorschriften per Beschluss ganz untersagen. nun auch zielführend nachverfolgen. Daher soll der heu- Ein Mitgliedstaat müsste somit den Weg vor den Europä- tige Antrag die Bundesregierung bei ihren Verhandlun- ischen Gerichtshof beschreiten, bevor er sein Gesetzge- gen im Rat der EU unterstützen und gleichzeitig unseren bungsrecht wahrnehmen kann. Bedenken Rechnung tragen. Das geht zu weit! Dass die Kommission hier ihre Das vorliegende Dienstleistungspaket geht weit über Kompetenzen überschreitet, sollte offensichtlich sein. die Grenzen des Notwendigen hinaus. Es enthält zu viel Denn es gibt bereits den im Vertrag von Lissabon verein- Bürokratie und unnötige Regelungen, die besonders den barten Weg der Klage vor dem EuGH, wenn die Kom- vielen kleinen und mittelständischen Dienstleistungsan- mission der Meinung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen bietern nicht zumutbar sind. Und es sind ja gerade die seine Pfichten verstoßen hat. Diesen Weg „umschiffen“ rund 2,5 Millionen dem Dienstleistungssektor zuzurech- zu wollen, stellt nicht nur in den Augen von Bundesrat nenden Betriebe in Deutschland, die unbürokratischer und Bundestag eine Überschreitung der Kompetenzen und leichter ihre Dienstleistungen auch im europäischen der Kommission dar – auch unsere Freunde und Partner Binnenmarkt sollen anbieten können. in den beiden Kammern des französischen Parlaments (B) haben hier eindeutig in Form einer Subsidiaritätsrüge (D) Dies wird mit dem vorliegenden Paket der Kommissi- Stellung bezogen. on nicht nur nicht gewährleistet, sondern es konterkariert auch bereits beschlossene Regelungen – zum Beispiel im Daher fordern wir mit dem Entschließungsantrag von Bereich der Richtlinie über die Anerkennung von Berufs- heute ganz deutlich: Wir müssen uns auch bei den ande- qualifkationen oder dem Einheitlichen Ansprechpartner ren Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass dieses Notif- der Dienstleistungsrichtlinie von 2006. Wir müssen hier zierungsverfahren nur dann zustimmungsfähig ist, wenn wachsam sein, damit Doppelstrukturen vermieden wer- die Vorschläge so abgeändert werden, dass der „präventi- den. ve Prüfvorbehalt“ der Kommission entfällt. Doch am schwersten wiegen die Bedenken des Bun- Ähnlich kritisch ist die Situation bei der vorgeschla- destages im Bereich der Subsidiarität und der Verhältnis- genen Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mäßigkeit der vorgeschlagenen Regelungen, welche in vor Erlass neuer Berufsreglementierungen. den im März erhobenen Subsidiaritätsrügen zum Aus- Ich betone: Die ständige Rechtsprechung des EuGH druck kamen. ist eindeutig: Die Reglementierung von Berufen ist Sache Ich möchte betonen, dass wir das Ziel der Kommissi- der Mitgliedstaaten. Natürlich ist es für einen funktionie- on – die Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleis- renden Binnenmarkt – zumal bei Dienstleistungen – not- tungen – unterstützen. Das haben wir in unserer Stellung- wendig, eine inhaltliche Annäherung der verschiedenen nahme vom 23. Juni 2016 deutlich gemacht. europäischen Berufsreglementierungen zu erzielen. Nur so können wir guten Gewissens die berufichen Qualif- Dennoch sehen wir bei dem vorliegenden Paket drin- kationen anderer Mitgliedstaaten anerkennen – guten Ge- genden Überarbeitungsbedarf. Ich möchte dies im Fol- wissens nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucher, genden ausführen. die als Kunden Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Bei dem Richtlinienvorschlag zur Festlegung eines Aber mit der Anerkennungsrichtlinie existiert bereits Notifzierungsverfahrens dienstleistungsbezogener Ge- eine Regelung, die sicherstellt, dass weitere nationale nehmigungsverfahren geht es bei unserer Kritik im Kern Berufsreglementierungen nicht zu marktverzerrenden um zwei Punkte: die Begründungspfichten und Notif- Effekten führen. Bereits jetzt wird so anhand von vier zierungsfristen sowie das vorgesehene Beschlussrecht Prüfkriterien, welche auf der EuGH-Rechtsprechung zur der Kommission, welches vorsieht, dass hier nationale Verhältnismäßigkeit basieren, die Verhältnismäßigkeit Gesetzgeber mit einem De-facto-Prüfvorbehalt der Kom- neuer, nationaler Reglementierungen festgestellt – oder mission belegt werden. eben nicht. 23828 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) Dass nun mit dem vorliegenden Vorschlag der Kom- staaten als Nachweis dafür akzeptiert werden, dass der (C) mission elf (!) neue Prüfkriterien hinzukommen sollen, Inhaber in seinem Herkunftsstaat niedergelassen und be- reicht aber noch nicht; nein, diese elf Kriterien werden rechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung anzubieten. noch um zehn weitere ergänzt! Jeder Mitgliedstaat soll zu diesem Zweck eine – oben bereits erwähnte – koordinierende Behörde einrichten. Die Kommission mag dies für effektive, engmaschige Die Dienstleistungskarte wird bei der koordinierenden Harmonisierung auf dem Weg zu einem „durchharmoni- Behörde des Herkunftsstaates gestellt. Dieser prüft die sierten“ Dienstleistungsbinnenmarkt halten. Ich nenne es Unterlagen und leitet sie an den Aufnahmestaat weiter. unverhältnismäßige Bürokratie, unzulässiges Einschrän- Der Aufnahmestaat hat dann innerhalb von nur vier bis ken nationaler Entscheidungshoheiten und ganz generell sechs Wochen den weitergeleiteten Antrag zu prüfen „Herumdoktern“ an der falschen Stelle. und gegebenenfalls Widerspruch einzulegen. Kann der Besonders im Dienstleistungssektor, der in hohem Aufnahmestaat diese Prüffrist nicht einhalten, soll eine Maße von Innovation, Qualität und Flexibilität abhängt, Genehmigungsfktion greifen – mit anderen Worten: Die droht eine Überregulierung nicht nur den Dienstleis- Karte gilt dann als erteilt und kann auch nicht im Nach- tungsmarkt zu bremsen, sondern ihm gar zu schaden. hinein entzogen werden. Dies ist die Einführung des Hier gehört nicht durchharmonisiert; hier gehört Innova- Herkunftslandprinzips durch die Hintertür und das muss tion, Qualität und Flexibilität gefördert. verhindert werden! Dass dies auf der Basis verlässlicher Qualitätsstandard Wieder ist es die Mischung aus zu kurz bemessenen – geschehen muss, ist, wie bereits erwähnt, mit der Aner- aber verhandelbaren – Prüffristen gepaart mit einer – bei kennungsrichtlinie sichergestellt. Und sollten hier Verän- Nichteinhaltung – automatisch greifenden Kompetenz­ derungen objektiv notwendig sein, sind wir auch immer aneignung der Kommission, die eine Zustimmung zur für Argumente und Anpassungen mit Augenmaß offen. Dienstleistungskarte in der hier vorliegenden Form un- Aber auf einen Schlag 21 neue Kriterien einzuführen, möglich macht. das grenzt an puren Aktionismus, ist unverhältnismäßig Daher sagen wir ausdrücklich: Die Bundesregierung und droht durch seine Engmaschigkeit die Gesetzge- muss klären, in welchem Verhältnis die vorgeschlagenen bungskompetenz der Mitgliedstaaten in Bereichen einzu- Regelungen zu bereits bestehenden Strukturen stehen, schränken, in denen Harmonisierungsverbot herrscht – so insbesondere mit Bezug zum Berufsausweis und dem zum Beispiel in der Bildungspolitik. Dies ist insbesonde- Konzept des Einheitlichen Ansprechpartners. Vor allem re bei uns in Deutschland mit unserem Meisterbrief und aber muss sie darauf hinwirken, dass die Regelungen unserem vielgelobten dualen Ausbildungssystem nicht nicht faktisch auf eine Einführung des Herkunftsland- akzeptabel! (B) prinzips und eine Änderung geltenden Rechts in den Mit- (D) Daher war und ist hier eine Subsidiaritätsrüge ange- gliedstaaten hinausläuft. bracht, und deshalb fordern wir auch heute mit diesem Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, sich da- zum Instrument der Subsidiaritätsrüge sagen. Da gab es für einzusetzen, dass klargestellt wird, dass die Regle- ja durchaus Kritik, dass eine solche Rüge gar nicht ange- mentierung von Berufen eine autonome Entscheidung bracht sei und wir hier nur aktiv würden, „um der Kom- der Mitgliedstaaten ist und auch in Zukunft bleiben wird. mission eins auszuwischen“. Das Harmonisierungsverbot im Bereich der Bildungspo- litik muss respektiert werden. Hierzu sage ich: Das ist sachlich nicht richtig! Ich habe Ihnen gute Gründe für die beiden erhobenen Subsidiari- Gegen den Vorschlag einer Richtlinie sowie einer tätsrügen zum Notifzierungsverfahren und zur Verhält- Verordnung zur Einführung der Elektronischen Europä- nismäßigkeitsprüfung genannt. Wir haben eben bewusst ischen Dienstleistungskarte haben wir keine Subsidia- von einem solchen Schritt bei der Dienstleistungskarte ritätsrüge erhoben. Die Zuständigkeit der Kommission abgesehen, da wir hier keine Kompetenzüberschreitung steht hier außer Frage. der Kommission sehen, sondern die inhaltliche Unver- Doch die vorliegende Ausgestaltung der Kommis- hältnismäßigkeit des Richtlinienvorschlags deutlich ma- sion wirft massive Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. chen. Daher ist der Vorwurf, wir würden Stimmung ge- Offensichtlich sollen hier Doppelstrukturen geschaffen gen die EU machen konstruiert. werden. Wir als Deutscher Bundestag haben die Pficht, früh- Wie verhält sich die geplante Dienstleistungskarte zeitig und klar unsere Position zu verdeutlichen. Ich kann zum erst 2013 eingeführten Berufsausweis? Ungeklärt. nicht deutlich genug die Worte von Kommissionspräsi- dent Jean-Claude Junker anlässlich des 70‑jährigen Be- Auch die geplanten, für die Erteilung der Dienstleis- stehens des Niedersächsischen Landtags unterstreichen: tungskarte zuständigen „koordinierenden Behörden“ im Herkunfts- und Aufnahmestaat tragen das Risiko der Klopfen Sie der Kommission auf die Finger, wenn Schaffung von Doppelstrukturen in sich. Wie verhalten wir die Finger zu weit ausstrecken. Wenn die Par- sich die geplanten „koordinierenden Behörden“ zum mit lamente sich nicht einmischen, dann mischen die der Dienstleistungsrichtlinie verfolgten Konzept der Ein- Populisten sich ein. heitlichen Ansprechpartner? Ebenfalls ungeklärt. Genau das tun wir heute. Wir mischen uns ein, und Hier setzt auch einer der Hauptkritikpunkte an der wir gestalten konstruktiv mit. Dieses starke Signal an die Dienstleistungskarte an. Diese soll von den Mitglied- Kommission ist meiner Meinung nach zutiefst europä- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23829

(A) isch: Wir zeigen der Kommission deutlich auf, dass sie rigkeit und zur Selbstständigkeit der branchenspezifsche (C) hier an den Realitäten vorbei gezielt hat. In enger Ab- Mindestlohn umgangen werden. stimmung mit unseren europäischen Partnern und durch das Instrument der Subsidiaritätsrüge unterstützen wir Wir sehen zudem die Gefahr, dass die Karte an die von uns allen gewünschte Konsolidierung des euro- sich auch als Beleg für eine selbstständige Tätigkeit päischen Dienstleistungsmarkts. Und wir bewahren die herangezogen werden könnte, obwohl der Besitzer Kommission davor, in unseren Wahlkreisen von den rund tatsächlich abhängig beschäftigt ist. Damit würde 2,5 Millionen Betrieben mit ihren über 32 Millionen Be- natürlich die Sozialversicherungspficht umgangen und schäftigten abermals als ausuferndes Bürokratiemonster die Scheinselbstständigkeit gefördert werden. wahrgenommen zu werden. Das ist proeuropäisches Ver- Tief in die Souveränität der Mitgliedstaaten greift der halten und im Sinne unseres gemeinsamen Binnenmark- Vorschlag ein, eine koordinierende Stelle einzurichten. tes. Ihre Aufgabe wäre es, die Unterlagen für die Karte zu Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Entschließungs- sichten, zu vergleichen und zu prüfen. Diese Behörde antrag zuzustimmen. müsste in Deutschland auf Bundesebene entstehen und widerspricht somit unserer föderalen Struktur – zumal wir auf Länderebene Berufskammern haben, die im Sabine Poschmann (SPD): Wie im März bereits Gegensatz zu der neuen Behörde über das notwendige angekündigt, haben wir in der Zwischenzeit einen Ent- Know-how verfügen. Darüber hinaus würden hier unnö- schließungsantrag erarbeitet, in dem wir uns kritisch mit tige Doppelstrukturen entstehen. der Dienstleistungskarte auseinandersetzen. Diese ist Teil der Vorschläge der Europäischen Kommission für Deshalb bekräftigen wir mit dem vorliegenden Antrag ein Dienstleistungspaket, mit der sie den Marktzugang unsere Forderung, den Vorschlag zur Dienstleistungskar- von Dienstleistern vereinfachen und den Wettbewerb be- te grundsätzlich zu überarbeiten. Auch drängen wir erneut leben will. darauf, dass die Vorschläge zum Notifzierungsverfahren sowie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeändert wer- Die ebenfalls im Paket enthaltenen Richtlinienvor- den. Ein Gutachten aus dem BMWi bestätigt, dass die schläge zum Notifzierungsverfahren und zur Verhältnis- EU mit dem Vorschlag zum Notifzierungsverfahren ihre mäßigkeitsprüfung hatten wir im März bereits gegenüber Kompetenzen überschreitet. Deswegen wissen wir auch der Kommission gerügt, weil wir das Subsidiaritätsprin- unsere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hinter uns. zip der EU-Verträge verletzt sahen. Sie hat ebenfalls Widerstand bei der Dienstleistungskarte Die Idee der Dienstleistungskarte mag auf den ersten angekündigt und wird die Interessen des Parlaments ge- genüber der Europäischen Kommission vertreten. (B) Blick sinnvoll erscheinen. Sie soll Handwerkern aus der (D) Baubranche sowie Architekten und Ingenieuren erlauben, Es kann nicht sein, dass Wettbewerb vor Verbraucher- überall in der EU ohne großen bürokratischen Aufwand schutz und Arbeitnehmerrechte geht. Aber das scheint tätig zu sein. So soll es im Herkunftsland eine Behörde der EU in diesem Punkt wichtiger zu sein. Deregulierung geben, bei der der Dienstleister seine Unterlagen digital kann offenbar nur erreicht werden, wenn Anforderun- und in seiner Landessprache einreichen kann. Diese prüft gen an Qualifkation des Dienstleisters sowie Qualität und gibt sie an das Aufnahmeland weiter. Hier wird er- der Dienstleistung gesenkt werden. Aber ist das wirklich neut geprüft, und das Einverständnis führt zur Ausstel- das, was wir wollen? Zumal das dann bedeuten würde, lung der Karte – Ausgabe wiederum im Herkunftsland. dass der Meisterbrief und somit unsere duale Ausbildung Doch bei diesem Vorschlag gibt es gravierende Be- grundsätzlich ebenfalls in Gefahr ist. denken unsererseits. Da sagen wir eindeutig Nein; da gehen wir nicht mit. Der Prüfungszeitraum im Aufnahmeland beträgt le- Wir bleiben dabei: Berufsausübungsregeln und Hono- diglich vier Wochen bei vorübergehender und sechs Wo- rarordnungen sind sinnvoll, wenn sie für Qualität, Ver- chen bei dauerhafter Dienstleistungserbringung. Kann in braucherschutz und den Schutz der Beschäftigten sorgen. dieser Zeit beispielsweise aufgrund von fehlenden Kapa- Deswegen bleiben wir hier hart und werden unsere Zu- zitäten nicht widersprochen werden, gelten die Angaben ständigkeit und unsere Standards weiter verteidigen. der Karte dennoch als anerkannt, und zwar dauerhaft. Eine so kurze Prüffrist für einen derart komplexen Vor- gang käme daher einer Einführung des Herkunftsland- Klaus Ernst (DIE LINKE): Wenn die Große Koali- prinzips gleich – demzufolge die gesetzlichen Bestim- tion ausnahmsweise mal etwas Richtiges macht – was mungen des Heimatlandes auch für das Aufnahmeland selten genug vorkommt –, hat sie unsere Unterstützung. gelten, zumal keine weiteren Anforderungen im Nachhi- Bei der Kritik am EU-Dienstleistungspaket ist das der nein an den Besitzer einer Karte gestellt werden dürfen. Fall. Das Paket ist Teil der Binnenmarktstrategie der Kommission vom Oktober 2015, in welcher die Kom- Ferner können die konkreten Unterlagen des Dienst- mission bereits Maßnahmen für einen Binnenmarkt ohne leisters, wie Ausbildungsabschlüsse, die nur der Behörde Grenzen für Dienstleistungen angekündigt hatte. Mit im Herkunftsland vorliegen, jenseits der Grenze nicht dem EU-Dienstleistungspakt möchte die Kommission kontrolliert werden. Die nationalen Kontrollrechte des die Notifzierung von Dienstleistungsberufen sowie die Aufnahmelandes werden so umgangen; denn dieses wür- Verhältnismäßigkeit nationaler Regeln zur Berufszu- de vielleicht zu einer anderen Einschätzung kommen. lassung verändern und eine Elektronische Europäische Auch kann mit falschen Angaben zur Branchenzugehö- Dienstleistungskarte einführen. Das soll einer angeblich 23830 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017

(A) mangelnden Mobilität der Unternehmen und Beschäftig- der nationalen Vorschriften und die Entscheidung, ob der (C) ten auf dem Arbeits- und Dienstleistungsmarkt aufgrund Antragsteller in seinem Hoheitsgebiet überhaupt Dienst- von vorhandenen Reglementierungen entgegenwirken. leistungen anbieten darf. Ich möchte diese drei Punkte kurz erläutern: Laut Richtlinienentwurf hat allerdings die zuständige Die bestehende EU-Dienstleistungsrichtlinie regelt, Behörde des Aufnahmestaates nur zwei Wochen Zeit, um dass bestimmte nationale Rechtsvorschriften zu Dienst- den Antrag auf Zulassung als Dienstleister zu prüfen. Re- leistungsberufen und qualitativen Anforderungen dem agiert er nicht innerhalb von vier Wochen nach Übersen- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widersprechen dung des Antrags, stellt der Herkunftsstaat die Dienstleis- dürfen und im Sinne des Allgemeininteresses begründet tungskarte aus, die laut Richtlinien-Entwurf unbegrenzt sein müssen. Neue oder geänderte Regelungen und An- gültig sein soll. Das ist natürlich absurd! Die Prüf- und forderungen zur Berufszulassung müssen der EU-Kom- Einspruchsfristen im Aufnahmeland sind viel zu kurz. mission mitgeteilt, das heißt notifziert werden. Dazu kommt, dass das Aufnahmeland schwerlich in der Nun will die Kommission, dass bereits Entwürfe von Lage sein wird, zu kontrollieren, ob die übermittelten Da- berufsreglementierenden Rechtsvorschriften spätestens ten korrekt und aktuell sind – zumal der öffentliche Sek- drei Monate vor deren Erlass notifziert werden. Darauf tor in den EU-Mitgliedstaaten zusammengespart wurde soll eine Konsultationsphase folgen. Bei Bedenken kann und an Personalnot leidet. Die Dienstleistungskarte in die Kommission die Stillhaltefrist um weitere drei Mona- der vorgeschlagenen Form wird Schmutzkonkurrenz und te ausdehnen, in der das Gesetz oder die Vorschrift nicht Scheinselbstständigkeit im Dienstleistungsbereich weiter erlassen werden dürfen. Die Kommission soll zudem das befördern. Recht bekommen, die Unvereinbarkeit des geplanten Der Bundestag hatte zusammen mit dem Bundesrat nationalen Rechtsakts mit der Dienstleistungsrichtlinie bereits eine Subsidiaritätsrüge zum EU-Dienstleistungs- festzustellen und vom EU-Mitgliedstaat zu verlangen, paket erhoben. Mit einem zweiten Entschließungsantrag von diesem Abstand zu nehmen. Gegen diesen Beschluss bekräftigt die Große Koalition einige inhaltliche Kritik- wiederum könnte der Mitgliedstaat vor dem Europäi- punkte. schen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage erheben. Wir sagen: Diese Regelungen würden die Entscheidungsfrei- Die Kritik müsste jedoch tiefer gehen: Wer den eu- heit nationaler Gesetzgebung über die Maßen einschrän- ropäischen Binnenmarkt mit den Freiheiten für Perso- ken. nen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu den größten Errungenschaften Europas zählt, ist in der Das Gleiche gilt für den Richtlinien-Entwurf zur Ver- Pficht, das Funktionieren mit guten Regeln und gemein- hältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsregle- samen hohen Standards zu sichern. Ansonsten kommt (B) mentierungen. Dieser hat das Ziel, Kriterien festzulegen, es zu einer Abwärtsspirale bei Standards, Sozialabga- (D) nach denen die Mitgliedstaaten vor Erlass von einschrän- ben und auch Steuern – das lehren uns nicht zuletzt die kenden Bestimmungen zum Zugang oder zur Ausübung bisherigen Erfahrungen. Das bislang dominante Wettbe- reglementierter Berufe deren Verhältnismäßigkeit prüfen werbs- und Konkurrenzmotiv im Binnenmarkt hat über sollen. Vorschriften und Richtlinien einen Prozess des stetigen Hier kritisieren wir erstens, dass die EU nicht zu- Sozial- und Lohndumping befördert, der heimische An- ständig ist. Auch die Rechtsprechung des Europäischen bieter von Dienstleistungen stark unter Druck gesetzt hat. Gerichtshofes spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten in Zugleich ist durch die massive Rückführung der öffent- eigener Regelungsbefugnis bestimmen können, welche lichen Beschäftigung und den Abbau der Kapazitäten in Berufe auf welchem Niveau reglementiert werden. den Behörden eine schnelle, sachliche Prüfung zur Auf- deckung von Verstößen gar nicht mehr möglich. Doch Zweitens stößt die angestrebte Vereinheitlichung der nur ein soziales Europa wird Rückhalt bei den Bürgerin- Verfahren aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausbil- nen und Bürgern haben. dungs-, Zulassungs- und Qualifkationsanforderungen an klare Grenzen. Etwa viele Handwerksberufe sind in Deutschland aus gutem Grund reglementiert. Bereits Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vollzogene Deregulierungen haben gezeigt, dass dies NEN): Die Dienstleistungsfreiheit ist eine der vier zen- prekäre Soloselbstständigkeit befördert und sich in der tralen Säulen der EU, und es ist Aufgabe der Kommissi- Folge negativ auf Beschäftigung und Ausbildung aus- on, den gemeinsamen Binnenmarkt weiterzuentwickeln. wirkt. Das wollen wir nicht. Deshalb haben wir auch die Subsidiaritätsrüge zum Dienstleistungspaket nicht mitgetragen. Mit der Richtlinie zur Elektronischen Dienstleistungs- karte sollen Dienstleistungsanbieter einen Ansprechpart- Wenn Hürden für die europaweit tätigen Dienstleis- ner im Heimatland und in ihrer eigenen Sprache bekom- ter bestehen, dann müssen sie natürlich abgebaut wer- men, bei dem sie die Dienstleistungskarte beantragen den. Aber die Veränderungen müssen immer den hart können. Diese soll die Niederlassung im Herkunftsland erkämpften Grundsätzen der Dienstleistungsrichtlinie belegen und nachweisen, dass ihr Inhaber berechtigt ist, entsprechen. Konkret bedeutet dies, dass immer die Ar- die ausgewiesene Dienstleistung im Aufnahmeland aus- beits- und Sozialstandards des Ziellandes garantiert wer- zuüben. Dafür prüft die Koordinierungsstelle im Her- den müssen. Die Regeln im Zielland müssen einheitlich kunftsland den Antrag und die Dokumente und leitet sie sein, denn nur so ist ein fairer Wettbewerb möglich – zum dann an die Koordinierungsstelle im Aufnahmeland wei- Schutz der Beschäftigten, aber auch der Betriebe. Dafür ter . Letzteres bleibt formal zuständig für die Anwendung haben wir uns immer eingesetzt, und nach diesen Grund- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 23831

(A) sätzen bewerten wir auch das geplante Dienstleistungs- Sichergestellt werden muss auch, dass die Entsen- (C) paket. derichtlinie Beachtung fndet und branchenspezifsche Mindestlöhne nicht durch die Branchenzuordnung um- Wir begrüßen es, dass sich die Regierungsfraktio- gangen werden können. Denn Mindestlöhne sind elemen- nen jetzt nicht mehr mit der Frage beschäftigten, ob die tar wichtig, um einen Wettbewerb über die niedrigsten Kommission tätig werden darf, sondern sich endlich in- Löhne zu verhindern. Davon proftieren die Beschäftig- haltlich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Kom- ten und auch die verantwortlich handelnden Betriebe. mission auseinandersetzen. Und wir begrüßen auch den Und schlussendlich haben wir auch noch Anforderungen vorliegenden Entschließungsantrag, dem wir zustimmen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Berufsreglementie- werden. Denn auch wir wollen die Einführung des Her- rungen sollen weiterhin in der Kompetenz der Mitglied- kunftslandprinzips um jeden Preis verhindern. Nationale staaten bleiben. Standards und Arbeitnehmerrechte dürfen der Dienstleis- tungsfreiheit nicht untergeordnet werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei den Ver- Die drei wesentlichen Aspekte des Dienstleistungs- handlungen die geltenden Sozial- und Arbeitsstandards paketes möchte ich kurz ansprechen. Beim sogenannten zu verteidigen, aber gleichzeitig konstruktiv an der Wei- Notifzierungsverfahren soll die Kommission ein Ein- terentwicklung des europäischen Dienstleistungsmarktes spruchsrecht erhalten und bei berufsreglementierenden mitzuwirken. Regelungen in Deutschland bereits früher eingreifen Eines ist mir aber noch wichtig: Die Regierungsfrak- können. Dieses veränderte Verfahren betrachten wir mit tionen verteidigen gerade sehr stark nationale Interessen. Sorge; denn so könnte der Handlungsspielraum der Mit- Vor diesem Hintergrund fordern wir aber auch konse- gliedstaaten stark eingeschränkt werden. Und das lehnen quentes Handeln bei anderen relevanten Themen. Die wir ab; denn nationale Berufsreglementierungen sind uns Bundesregierung muss sich genauso stark auf europäi- wichtig. scher Ebene für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Die geplante Dienstleistungskarte könnte, gut ausge- Arbeit am gleichen Ort“ einsetzen. Scheinselbstständig- staltet, zu mehr Transparenz führen. Voraussetzung dafür keit und Schwarzarbeit müssen auf nationaler und eu- wäre aber, dass solch eine Karte im Aufnahmestaat und ropäischer Ebene verhindert werden. Elementar wich- nicht im Herkunftsstaat beantragt wird. Ist das nicht der tig sind dafür effektive Kontrollen. Deshalb muss die Fall, dann wird – aufgrund der sehr kurzen Fristen und Finanzkontrolle Schwarzarbeit endlich mit ausreichend der Genehmigungsfktion im vorgelegten Entwurf – das Personal ausgestattet werden. Wer für einen fairen Wett- Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt. bewerb kämpft, der muss die Betriebe und die Beschäf- Und das lehnen wir strikt ab. tigten gleichermaßen schützen. (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333