Natur report Nr. 15 • 2011

Schwerpunkt: Natur an Lippe &

Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis e.V.

Natur report

Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V.

Ausgabe 15 • 2011 Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V. Ausgabe 15 • 2011 Erscheinungstermin: April 2011

Herausgeber: Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V., Westenhellweg 110, 59192 Bergkamen Vorsitzender: Walter Teumert

Redaktion und Realisierung: Horschler Kommunikation GmbH, Unna

Zitiervorschlag: Naturreport 2011, Jb. Naturförderungsges. Kreis Unna

Druck: DruckVerlag Kettler, Bönen

Titelfotos: Ralf Sänger (großes Foto), Dieter Ackermann (kleines Foto oben), Bernd Margenburg (kleines Foto Mitte), Dr. Klaus Reuter (kleines Foto unten)

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Fotos und Abbildungen in den Beiträgen von den Autoren. Die in den Aufsätzen vertretenen Meinungen müssen nicht unbedingt der Meinung der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V. oder der Redaktion entsprechen. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Aufsätze selbst verantwortlich. Inhalt

Inhalt ...... 5 Vorwort ...... 7

Natur an Lippe & Ruhr Erhalt der biologischen Vielfalt, Barbara Fels und Ludwig Holzbeck ...... 9 Naturräume im Kreis Unna, Götz Heinrich Loos ...... 13 Lebensader Lippeaue, Anke Bienengräber, Stefan Kauwling und Klaus Klinger ...... 29 In der Lippeaue tut sich was ..., Stefan Kauwling, Rolf Ohde und Klaus Klinger ...... 41 Monitoring von Eisvogel und Uferschwalbe, Rolf Ohde und Nick Mengelkamp ...... 51 Wirkung auf die Lebenswelt – zurück zur Natur, Jochen Stemplewski, Mario Sommerhäuser, Andreas Petruck und Sylvia Junghardt ...... 58 Ein Fluss verändert seinen Lauf, Heinrich Behrens ...... 65 Zur ökologischen Bedeutung der Ruhraue, Falko Prünte ...... 70 Wie ein Kindergarten Heckrind-Pate wurde, Klaus Klinger und Falko Prünte ...... 83 Orchideen zwischen Ruhr und Lippe, Bernd Margenburg ...... 88

Flora & Fauna Eine naturkundliche Exkursion, Hans Jürgen Geyer und Bernd Margenburg ...... 93 Eine (un-)endliche Geschichte, Volker Eschrich und Karl-Heinz Holtmann ...... 99 Veränderte Landschaft raubt Lebensräume, Dieter und Ursula Ackermann ...... 101

5 Inhalt

Mensch und Umwelt verändern Lebensräume, Jens Brune ...... 105 Halde Großes Holz: Paradies für Gaukler der Lüfte, Manfred Bußmann, Jochen Heinrich und Rolf Prothmann ...... 110 Von Blutsaugern und Raubwanzen, Stefan Kauwling ...... 115 Schmuckkörbchen, Büschelschön und mehr, Anke Bienengräber und Kerstin Conrad ...... 122 Ackern für den Vogelschutz, Anke Bienengräber ...... 130

Personen Wir trauern um Arno Bock, Werner Prünte (†) ...... 132 Abschied von Werner Prünte, Doris Glimm ...... 133 Der Liebe wegen kam er nach Lenningsen, Corinna Glück ...... 137

Aktionen Laufend die Natur erfahren, Birgit Manz und Maria Stricker ...... 139

Natur des Jahres 2011 – Auf auf einen Blick ...... 145

Autorenverzeichnis ...... 146

6 Vorwort

 Naturräume, Naturnutzung und Naturschutz Über die Antastbarkeit der Welt

Liebe Leserin, Schneemassen zu kämpfen – jedes Mal lieber Leser, ohne verheerende Schäden für den Menschen. Und genau der Mensch ist die Welt ist erschüttert. Die Natur es ja, der aktiv in die Natur eingreift. zerstört. Der Einzelne betroffen und Wir müssen begreifen, dass wir nicht entsetzt. Kaum eine zweite Naturkatas- nur auf dieser Welt, sondern auch mit trophe hat uns auch hier in Deutschland der Natur leben. Jedes Eingreifen hat so erschüttert wie die jüngste in Japan. Folgen. Erst bebte die Erde, dann schluckte der Vielleicht ist es aus heutiger Sicht Tsunami eine kilometerlange Küstenregi- kein Zufall, dass wir im vergangenen on und danach folgte der Atomgau, des- Jahr das Schwerpunktthema „Natur sen Ausmaß und Folgen jetzt noch nicht an Lippe & Ruhr“ für das diesjährige auszumachen sind. Fest steht allerdings, Jahrbuch der Naturförderungsgesell- dass wir hilflos, unwissend, unsicher und schaft für den Kreis Unna e.V. (NFG) vor allem ängstlich sind. gewählt haben. Denn jetzt dämmert uns – nach dem Wenden wir also unseren Blick auf fast vergessenen Vorfall Tschernobyl vor Walter Teumert, Vorsitzender der Natur- den Kreis Unna und steigen mit dem 25 Jahren – dass wir auch in unserem ach förderungsgesellschaft für den Kreis Beitrag von Barbara Fels und Ludwig so sicher gewähnten Europa betroffen Unna e.V. Foto: privat Holzbeck „Erhalt der biologischen Viel- sein könnten. Die Erdbeben in Neu- falt“ in das Thema ein. Hier wird deutlich, seeland und im Südwesten Pakistans, Auch wenn wir bis jetzt glücklicher- dass Konzepte und Maßnahmen nicht die Jahrhunderflut und der Zyklon in weise von den „großen“ Desastern nur auf lokaler, sondern ebenso auf Queensland, die Überschwemmungen verschont geblieben sind, bäumt sich nationaler und internationaler Ebene in Brasilien oder das Hochwasser in Bris- auch hier die Natur auf: Vergangenes erfolgen müssen. Um allerdings effek- bane/Australien erschüttern uns zwar, Jahr sorgte beispielsweise Starkregen tiv und nachhaltig handeln zu können, aber wir sind nicht persönlich betroffen. für Chaos in NRW, im Februar dieses muss man seinen Lebensraum kennen. Nach Japan bleibt die Frage: Was kommt Jahres bebte die Erde in Bad Ems und Genau dieser Fragestellung geht Dr. Götz als nächstes? im Winter hatten wir mit Eiseskälte und Heinrich Loos nach, der die Naturräume

7 Vorwort

im Kreis Unna in drei Teile gegliedert hat einen ökologischen Gewässerumbau auf – Auch in diesem Jahr bieten die Aufsät- und jeden einzelnen genau unter die Lupe von der Idee bis zur Veränderung des ze wieder zahlreiche interessante Aspekte genommen hat. Übrigens: In dieser Form Naturraumes. Um Wasser geht es auch und Autorenansichten, die Anreiz für ist dies die erste Veröffentlichung über- im Aufsatz von Heinrich Behrens – hier weitere Diskussionen und Gedanken sein haupt. Wer sich Zeit und Muße nimmt, um die Renaturierung der Seseke. Vom können und auch sollen. diese 16-seitige Abhandlung zu lesen, Wasser geht es dann zurück aufs Land: Mit Vielfalt der Meinungen und Dar- erfährt viel Spannendes und Neues über Falko Prünte charakterisiert die Natur- stellungen möchte dieses Jahrbuch den das Kreisgebiet. schutzgebiete der Ruhraue. Einen wei- Leser aufmerksam machen und einen Der Beitrag „Lebensader Lippeaue“ teren Aspekt über Möglichkeiten für den kleinen Teil dazu beitragen, dass die von Anke Bienengräber, Stefan Kauwling Naturschutz bietet der Aufsatz „Wie ein Naturräume und ihre Antastbarkeit ins und Klaus Klinger widmet sich der – den Kindergarten Heckrind-Pate wurde“ von Bewusstsein der Menschen gelangen Kreis in Ost-West-Richtung durchflie- Klaus Klinger und Falko Prünte. Er macht und den einen oder anderen Blickwinkel ßenden – Lippe und beschreibt das unter anderem deutlich, dass man bereits verändern. Drücken Sie doch einfach mal Spannungsfeld zwischen Naturschutz den Nachwuchs für Natur und Umwelt jemandem, der „nicht so viel mit Natur- und -nutzung. Direkt im Anschluss sensibilisieren kann und sollte … schutz am Hut hat“, den Naturreport in macht der Beitrag „In der Lippeaue tut Der zweite Teil des Naturreportes ent- die Hand – gerade im Hinblick auf die sich was …“ von Stefan Kauwling, Rolf hält über das Schwerpunktthema hinaus jüngste Naturkatastrophe. Ohde und Klaus Klinger deutlich, wie wieder Beiträge, die sich mit der Fauna An dieser Stelle möchte ich wieder weite Teile der ursprünglichen Landschaft und Flora unseres Kreises beschäftigen. allen danken, die mit Wort, Bild oder verändert oder sogar irreversibel zerstört Angefangen beim Orchideen-Report anderer Unterstützung zu dieser Ausgabe sind und so anspruchsvollere Tier- und von Bernd Margenburg über eine natur- beigetragen haben. Pflanzenarten fast ausschließlich in na- kundliche Exkursion mit dem Fokus auf Ich wünsche Ihnen wie immer eine turschutzrechtlich gesicherten Gebieten Moose bis hin zum Paradies für Gaukler anregende und spannende Lektüre. (über-)leben können. der Lüfte. Schöne und aussagekräftige Nicht unerwähnt bleiben sollte der Bilder illustrieren die einzelnen Aufsätze. Ihr Beitrag „Wirkung auf die Lebenswelt – Der Beitrag „Laufend die Natur erfahren“ Walter Teumert zurück zur Natur“ von Jochen Stemplewski über den Naturerlebnispfad im Schwerter Vorsitzender der Naturförderungs- und weiterer Autoren. Die Zeilen zeigen Wald beendet diesen Band. gesellschaft für den Kreis Unna

8 Natur an Lippe & Ruhr

 Naturschutz wirkt sich positiv aus Erhalt der biologischen Vielfalt

von Barbara Fels und Ludwig Holzbeck

Der Natur- und Umweltschutz im Kreis Unna hat vielfältige Facetten. Oft wird über die Organisation, das Zusammenwirken von haupt- und ehrenamtlichem Naturschutz gespro- chen oder von Planungen, die Natur und Umwelt beeinflussen – sei es negativ durch Eingriffe oder positiv durch Maßnahmen zum Erhalt oder der Anreicherung.

In der Mehrzahl der Betrachtungs- weisen geht es um Biotopschutz, Erhalt von Landschaftsräumen sowie um Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus). Alle Fotos: Dr. Klaus Reuter Maßnahmen zur Attraktivierung des Landschaftsbildes und der Stärkung der Kartieren von Tieren, Pflanzen und Diese übergeordneten Zusammenhänge freiraumbezogenen Erholungsfunktion. ihren Lebensräumen steht im Zentrum sollen daher hier beleuchtet werden. Alles zusammen sind wichtige und ele- des Schutzes von Arten und Biotopen. mentare Aufgaben des Freiraumschutzes Vielmehr ist Artenschutz gleichzeitig  Erhalt der Biodiversität und des Natur- und Landschaftsschutzes. Grundlage und Ziel eines integrierten Der Erhalt der Biodiversität ist zentraler Oft vernachlässigt und selten öffentlich Biotop- und Naturschutzes. Seine erfolg- Bestandteil einer nachhaltigen Entwick- diskutiert sind der Artenschutz und die reiche Realisierung ist nicht nur auf lokaler lung. Mit ihr entscheidet sich, ob we- biologische Vielfalt als eine der elemen- Ebene von Bedeutung, sondern trägt sentliche Lebensgrundlagen mittel- und taren Kernaufgaben des Natur- und auch regional, landesweit, ja sogar global langfristig gesichert werden können und Umweltschutzes. Nicht das Zählen und zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei. regenerierungsfähig bleiben. Die 2007

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verabschiedete Biodiversitätsstrategie der Hierzu sind u. a. folgende Maßnahmen auf der Zusammenarbeit zwischen den Bundesregierung (BMU, 2007) bildet weit vorgesehen (BFN, 2010c): verschiedenen Entscheidungsebenen über das Schlüsseljahr 2010 hinaus den  Einsatz von geeigneten Instrumenten, (gemeinschaftliche, nationale und lo- Handlungsrahmen für die Umsetzung Leitfäden, Finanzierungsmechanis- kale Ebene) und auf der Integration der international vereinbarter Zielstellungen men verschiedenen Aspekte der Städtepolitik in Deutschland. Diese beinhalten neben  Dialog mit lokalen Behörden/Akteu- liegt. dem Erhalt der Arten, der genetischen ren Auf nationaler Ebene bestehen in- Vielfalt innerhalb der Arten sowie dem  Untersetzung nationaler Biodiversi- zwischen erste Ansätze und konkrete Erhalt der Ökosysteme auch die nach- tätsstrategien mit subnationalen und Absichten zur Netzwerkarbeit und zum haltige Nutzung biologischer Ressourcen lokalen Strategien Erfahrungsaustausch von Kommunen im sowie die Schaffung eines Systems zum  Bewusstseinsbildung auf lokaler Ebe- Bereich der biologischen Vielfalt. Über gerechten Vorteilsausgleich (ABS). ne 160 Städte und Gemeinden von ganz Die differenzierte Ausgestaltung eines  Monitoring (Anwendung des Cities’ unterschiedlicher Größe aus dem ganzen Handlungsrahmens sowie die konkrete Biodiversity Index). Bundesgebiet (Stand: 10.01.2011) haben Umsetzung der Zielstellungen müssen Auf europäischer Ebene enthält der mittlerweile die Deklaration „Biologische gleichermaßen auf nationaler, Landes-, sechste Umweltaktionsplan (2006 – Vielfalt in Kommunen“ unterzeichnet. regionaler und lokaler Ebene mit jeweils 2012) die thematische Strategie für die Sie ist ein Ergebnis des Dialogforums der Ebene angepassten Konkretisierungs- städtische Umwelt, deren Ziel es ist, „Biologische Vielfalt in Kommunen“, das graden und inhaltlichen Schwerpunktset- Städte zu attraktiveren und gesünderen am 3. Februar 2010 in Bonn stattfand. zungen gemeistert werden. Orten für Leben, Arbeit und Investitionen Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) International wurde zur Thematik zu machen, die negativen Auswirkungen hatte gemeinsam mit der Deutschen Naturschutz und biologische Vielfalt auf städtischer Ballungsgebiete auf die Um- Umwelthilfe e. V. (DUH) die Kommunen kommunaler und regionaler Ebene der welt zu verringern und somit die Qualität eingeladen und den Dialogprozess initiiert "Plan of action on subnational govern- der städtischen Umwelt zu verbessern. (BFN 2010b). Aspekte der biologischen ments, cities and other local authorities for Hierzu gehören auch der Schutz von Vielfalt sollen künftig als Grundlage einer biodiversity” auf der 10. Vertragsstaaten- Natur und biologischer Vielfalt (z. B. nachhaltigen Stadt- und Gemeindeent- konferenz der Konvention über den Erhalt Verringerung der Ausbreitung der Städte, wicklung verstärkt in kommunalen Ent- der biologischen Vielfalt (CBD) in Nagoya Sanierung von Industriebrachen). Durch scheidungen berücksichtigt werden. verabschiedet. Um die Ziele der CBD zu ein integriertes Umweltmanagement Ein hierzu veranstalteter Experten- erreichen und den strategischen Plan sollen eine bessere Planung ermöglicht workshop auf der Insel Vilm in 2010 der CBD 2011-2020 umzusetzen, sollen und Konflikte zwischen unterschiedlichen richtete sich an Vertreterinnen und Ver- subnationale Regierungsebenen, Städte Maßnahmen vermieden werden. treter der Kommunalverwaltungen und und andere lokale Behörden verstärkt Diese Strategie räumt lokalen Initiati- zielte darauf, das Vorgehen zur Grün- unterstützt und einbezogen werden. ven Priorität ein, wobei der Schwerpunkt dung eines bundesweiten kommunalen

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Bündnisses zur biologischen Vielfalt zu diskutieren und weiter zu konkretisie- ren (BFN 2010c). Aufbauend auf den Workshopergebnissen wird aktuell die Gründung des Bündnisses vorbereitet. Der Gründungskongress wird voraus- sichtlich im November 2011 stattfinden. Das Bundesamt für Naturschutz und die Deutsche Umwelthilfe haben hierfür ihre Unterstützung zugesagt. (BFN 2010b). Zur Realisierung der Ziele und Maß- nahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt sollen insbesondere Kooperationen verschiedener Akteure vor Ort entstehen. Hierzu sollen modellhafte, nachahmenswerte Ansätze entwickelt werden, in denen Naturschützer und

Naturnutzer gemeinsam für andere Blattknospe Gemeine Rosskastanie Berg-Flockenblume (Centaurea mon- Regionen beispielgebende Konzepte (Aesculus hippocastanum). tana). entwickeln. Um die Eigenverantwortung und Kooperation der Akteure vor Ort zu schutz eine zentrale Rolle einnehmen soll Inhaltlich geht es dabei beispielsweise fördern, sollen die Fördermittel daher auf (MKULNV NRW, 2010). um die Schaffung von Biotopverbün- bestimmte Modellregionen konzentriert Alle Ansätze verweisen letztlich auf die den, Konzepte und Maßnahmen zum werden. (BFN, 2010a). Bedeutung der lokalen und regionalen Artenschutz, den Erhalt von Natur- und Ebene, auf denen zum Schutz und zur Kulturlandschaften, die Reduzierung der  Konzepte & Modellprojekte Förderung der Biodiversität tragfähige Flächeninanspruchnahme, die Etablie- Nur in wenigen Gebieten in Nord- umsetzungsorientierte Strategien, Kon- rung eines naturverträglichen Tourismus rhein-Westfalen sind Artenvielfalt und Bi- zepte und Modellprojekte gemeinsam sowie die nachhaltige Nutzung von odiversität noch flächenhaft vorhanden. mit relevanten lokalen und regionalen Bioenergie. Hier plant die Landesregierung, in den Akteuren zu entwickeln sind. Zudem sind Ob und inwieweit im Kreis Unna die kommenden Monaten eine umfassende diese mit den Bedingungen in ihrer Kom- Artenvielfalt und die erhaltenden Struk- Strategie für den Erhalt der Biodiversität mune und Region am besten vertraut turen hierfür noch vorhanden sind oder (biologische Vielfalt) zu erarbeiten, die und müssen letztlich die konzipierten verbessert werden müssen, kann nicht in der Umweltpolitik neben dem Klima- Schutzmaßnahmen im Alltag umsetzen. pauschal beantwortet werden. Die vom

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Land als beispielgebend zu entwickeln- de/bundesprogramm.html (zuletzt abgerufen den Konzepte gibt es so in dieser Form am 14.03.2011). nicht im Kreis Unna, insbesondere auch BFN, 2010b: http://www.biologischevielfalt. im Hinblick auf die innerstädtischen Ge- de/ums_kommunen.html (zuletzt abgerufen gebenheiten. Es wäre wünschenswert, am 14.03.2011). wenn zukünftig die Belange der Arten- BFN, 2010c: Ergebnispapier des Expertenwork- vielfalt bei Unterhaltung und Pflege von shops „Vorbereitung des Bündnisses „Kom- Grünflächen sowie im Zusammenhang munen für biologische Vielfalt““ vom 18. bis kommunaler Planungen stärker berück- 20. November 2010, INA Vilm http://www. sichtigt würden. biologischevielfalt.de/fileadmin/NBS/docu- Im Rahmen der Landschaftsplanung, ments/Dialogforen/DF_Kommunen/Ergeb- besonders detailliert in den Naturschutz- nispapierVilm_2010.pdf, (zuletzt abgerufen gebieten, sind jedoch auf lokaler, klein- Gemeines Widderchen, „Blutstropfen“, am 14.03.2011). räumiger Ebene entsprechende Strategien (Zygaena filipendulae). EU, 2008: Der Aktionsplan der europäischen vorhanden. Diese dokumentieren sich in Union zur Biodiversität. Eindämmung des den Pflege- und Entwicklungsplänen, de- den Auswirkungen zu berücksichtigen, Verlustes der biologischen Vielfalt bis zum ren Umsetzung sowie den regelmäßigen die von den Aktivitäten der vielfältigen Jahr 2010 – und darüber hinaus. Amt für Erfolgskontrollen durch Kartierungen und Nutzergruppen ausgehen, sowohl direkt amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Bestandsaufnahmen. als auch indirekt. Ziel einer regionalen Gemeinschaften, Luxemburg http://www. Die Strategien konzentrieren sich Initiative im Kreis Unna sollte es sein, hier biologischevielfalt.de/fileadmin/NBS/docu- schwerpunktmäßig auf den Erhalt und eine Gesamtschau zu erhalten und den ments/EU_Aktionsplan_Biol_Vielfalt_de.pdf die Stärkung von Natur- und Kultur- Kreis Unna zu einer Modellregion mit ei- (zuletzt abgerufen am 14.03.2011). landschaften und Maßnahmen zum Ar- ner umfassenden Strategie zu entwickeln. MKULNV NRW 2011: Rote Liste: 45 Prozent der tenschutz, wie auch aus den vielfältigen Dazu sind nicht zuletzt auch die Kommu- Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet. – Pres- Beiträgen in diesem Naturreport zu sehen nen als wichtige Akteure aufgefordert, semitteilung vom 14.02.2011. http://www. ist. Diese Beiträge belegen auch, dass ihren Beitrag zu leisten. umwelt.nrw.de/ministerium/presse/presse_ak- eine starke Integration von ehrenamtli- tuell/presse110214.php (zuletzt abgerufen am chem und hauptamtlichem Naturschutz Literatur 14.03.2011). bei der Bearbeitung besteht. Besonders BMU, 2007: Nationale Strategie zur biologischen die Fragestellungen des Artenschutzes Vielfalt. - http://www.bmu.de/files/pdfs/allge- Weitere Informationen werden von ehrenamtlichen Naturschüt- mein/application/pdf/biolog_vielfalt_strategie_ BFN, 2010: Was bedeutet „Biologische Viel- zern in langer Tradition bearbeitet.Viel nov07.pdf (zuletzt abgerufen am 14.03.2011) falt“? http://www.biologischevielfalt.de/ein- stärker als bisher sind bei konzeptionellen (BFN, 2010a): Das Bundesprogramm „Biologi- fuehrung_biodiv.html (zuletzt abgerufen am Ansätzen zukünftig Fragestellungen zu sche Vielfalt“. http://www.biologischevielfalt. 14.03.2011).

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 Landschaften und Großlebensräume am Ballungsrand Naturräume im Kreis Unna

von Götz Heinrich Loos

Die Kulturlandschaft des Kreises Unna beherbergt eine Vielzahl an Lebensräumen für Organismen – das Spektrum reicht von naturnah bis extrem naturfern. Mit seiner Lage im Ruhrgebiet weist der Kreis wie der gesamte Großraum eine grobe naturräumliche Dreiteilung auf in Anteilen am Münsterland, am Süderbergland und – hauptsächlich – am Gebiet zwischen Ruhr und Lippe.

Der Kreis Unna liegt am Übergang zwischen Ballungsraum Rhein/Ruhr und den östlich, nördlich und südlich angrenzenden ländlichen Bereichen des Hellweges, des Münster- und des Nordsauerlandes. Administrativ-kom- munal zählt der Kreis Unna gänzlich zum Ruhrgebiet – wenn die Abgrenzung des Regionalverbandes Ruhr (RVR) für eine Ruhrgebietsdefinition herangezogen wird. Eine universelle Ruhrgebietsab- grenzung oder ein grundsätzlicher Kom- promiss existieren aber nicht (vgl. u.a. Die im Kreis Unna vorhandenen Naturräume. Karte: G. H. Loos

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Christoffels 1949, Dege & Dege 1983, meist dem mittleren Ruhrgebiet zuge- Ausdehnung, später ihrer mehr oder Birkenhauer 1984, Goch 2002, Held rechnet (siehe z.B. Beiträge bei Busch & weniger planmäßigen Ausdehnung zu 2003, Loer 2007). Wenn bestimmte geo- al. 1965), beispielsweise die für (Details z.B. bei Reulecke 1990, Günter graphische Merkmale und Strukturen und Herne zuständige Biologische Stati- 1994). Aber auch der Siedlungsver- (Verdichtungsgebiete, Einfluss urbaner on trägt jedoch den Namen „Biologische dichtung („Landschaftsverbrauch“, vgl. Kultur, Vorherrschen von definierten Station Östliches Ruhrgebiet“. Eine dazu Klink 1990), der Industrialisierung wirtschaftsräumlichen Strukturen, Vege- naturräumliche Verankerung derartiger (hierbei vor allem die landschaftsprä- tationsmerkmale etc.) kombiniert wer- Zuordnungen existiert nicht. gende Einrichtung von Großanlagen wie den, zieht sich die östliche Ruhrgebiets- Bergwerken und die Aufschüttung von grenze quer durch das Kreisgebiet, ja  Menschen verändern Landschaft Halden, der Bau der Eisenbahnen als sogar durch einzelne Kommunen. Auch Die Übergangssituation des Kreisge- Initialisierung des Ausbaus der Verkehrs- nach Norden und Süden hin erreicht das bietes vom Ballungsraum zu den länd- infrastruktur sowie die nachhaltigen Re- Rheinisch-Westfälische Industriegebiet lichen Räumen der Hellwegbörden, des liefveränderungen durch Bergsenkungen seine Grenzen innerhalb der Stadt- und Kernmünsterlandes und des Nordsau- und Substratauftrag). Grundsätzlich ist Gemeindegebiete. Die Ruhrgebietsab- erlandes bedingt eine große Vielgestal- Kulturlandschaftsgestaltung bis in die grenzung in der Roten Liste von NRW tigkeit in der ökologischen Ausstattung jüngere Zeit immer wirtschaftsabhängig (LÖBF/LAfAO 1999) ist hingegen zu dieses Bereiches. Bedeutend für das zu sehen (vgl. Boldt & Gelhar 2008). willkürlich und kann deshalb selbst im heutige Erscheinungsbild ist aber erst die Und streng genommen ist es nach wie Hinblick auf ihren Zweck keine absolu- Gestaltung der naturräumlich vorhande- vor so, denn die Projekte aus der Inter- te Relevanz beanspruchen; nach jener nen Strukturen durch die menschliche nationalen Bauausstellung, dem Mas- gehört jedenfalls aus dem Kreis lediglich Landnahme seit der Sesshaftwerdung. terplan Emscher-Landschaftspark, der der Süden Lünens zum Ruhrgebiet. Nicht Dabei dürfen die Landschaftsverände- RUHR.2010 etc. zielen auf innovative minder schwierig gestaltet sich eine rungen durch den Menschen keineswegs Dienstleistungsstandorte und vor allen innere Gliederung des Ruhrgebietes, als planmäßig angelegt oder als um- Dingen auf das touristische Potenzial. wobei der Kreis Unna unzweifelhaft dem fassendes Ganzes verstanden werden, Die Naturräume des Kreises Unna östlichen Ruhrgebiet angehört. Wie weit denn historische und gesellschaftliche spiegeln in Vielem ihre kulturlandschaft- dieses östliche Ruhrgebiet nach Westen Rahmenbedingungen sowie auch Zufälle liche Ausrichtung, weil sich bestimmte reicht, darüber gibt es keinen Konsens, (oder Unfälle) haben jeweils zu einzel- Kulturlandschaftstypen nur bei be- auch wenn überkommunale Instituti- nen Veränderungen geführt, die später stimmten naturräumlichen Merkmals- onen unter dem östlichen Ruhrgebiet durchaus wiederum Veränderungen komplexen entwickeln. In der jeweiligen fast stets , Hamm und den erfahren haben. Wesentliche Bedeu- Kulturlandschaft bilden sich dann die Kreis Unna verstehen (z.B. IHK-Bezirk). tung kommt den Landnutzungstypen, Biotope und ökologischen Nischen für Bochum, Herne und Castrop-Rauxel der Gründung von Siedlungen, Dörfern die Lebewesen, so dass Pflanzen, Tiere werden in geographischen Arbeiten und Städten, ihrer meist unplanmäßigen und Vertreter anderer Organismenreiche

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Lippealtwasser in der Lünener Lippeaue. Fotos: W. Loos letztlich differenzierte Zeiger der Land- penrader Hügelland den Kreis an der äu- durch den Siedlungsbereich von Selm schaften darstellen (vgl. ausführlich als ßersten Nordwestspitze unmittelbar am und ausgedehnte landwirtschaftliche Ergänzung Griesohn-Pflieger 1991). Flüsschen Stever berührt. Daran schließt Flächen gekennzeichnet. Dazwischen sich östlich ein Teil der Lüdinghausen- finden sich immer wieder kleine Forsten  Nördlich und an der Lippe Olfener Flachmulde an, der die Niede- und Waldstücke mit einem mehr oder Nördlich der Lippe und im Bereich rungen der Stever sowie der Unterläufe weniger hohen Kiefernanteil. Lokal wur- des Flusses liegen die Naturräume des von Funne, Selmer Bach und mehrerer de Sand abgegraben; der Ternscher See Kernmünsterlandes, von denen das Sep- Seitenbäche umfasst. Dieser Raum ist am Westrand des Kreisgebietes ist eine

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solche alte, größere Abgrabung. Abgese- worden und von der Artenzahl her Langern/Altlünen/Cappenberg/Has- hen vom lokalen Siedlungsgebiet in Selm deutlich zurückgegangen; nur ganz lokal sel/Bork/Netteberge (bei Cappenberg und Beifang sowie den überwiegend der finden sich noch bedeutende Lebensge- bis 110 Meter NN, als Schichtstufe des Freizeitnutzung dienenden Siedlungen meinschaften und Arten in mehr oder Untercampan wegen des starken Abfalls am Ternscher See beschränken sich die weniger kleinen Restvorkommen. zum eingetieften Lippetal hin besonders Siedlungen auf Bauernschaften, die teils hoch erscheinend, vgl. Liedtke 1993), im als Drubbel, teils in Form von verstreuten  Cappenberger Hügelland östlichen Abschnitt vor allem nordöstlich Einzelhöfen realisiert sind. Die Wandlung Während die Flachmulde ein flaches, des Stadtzentrums von Werne-Mitte von der klassischen Kulturlandschaft zur eher eingetieftes Relief aufweist, erhe- bis nach Wessel in der Nordostecke des Produktionslandschaft (vgl. Loos 1998) ben sich östlich davon und zur Lippe hin Kreises. Das Südkirchener Hügelland hat das Grünland stark zurückgehen die Lippehöhen, die aus Südkirchener hingegen stellt eher einen Übergang lassen, während in der Ackerbewirt- Hügelland, Werner Berg- und Hügel- von der Lüdinghausen-Olfener Flach- schaftung Mais stark zugenommen hat; land sowie Cappenberger Hügelland mulde zu den Höhen dar. Besonders im aber auch Getreide und Hackfrüchte gebildet werden. Die am stärksten Werner Berg- und Hügelland findet sich (insbesondere Kartoffeln) gibt es häufig. hervortretenden Höhenzüge finden sich eine große Bandbreite an Bodentypen Das Inventar an Pflanzen und Tieren ist dabei innerhalb der letzteren beiden mit zum Teil kleinsträumigem Wechsel durch diesen Wandel stark beeinflusst Naturräume, insbesondere im Raum (vgl. Loos 2009). Mit den Cappenber-

Naturschutzgebiet in Selm-Netteberge im Cappenberger Hügelland.

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ger Wäldern und insbesondere dem Intensivlandwirtschaft prägt hier wie in Südlich liegen im Westen die im Kreis- Kohusholz als sehr großem Waldkom- den meisten Landschaften des Kreises gebiet eher schmalen Markfelder Lip- plex, der sich in vorgelagerte Wälder das Bild der Vegetation und Flora. Die peterrassen und von Beckinghausen an und Waldstücke wie dem Nierstenholz bedeutendsten Biotope sind einerseits nach Osten die sich rasch verbreiternden in Werne-Ehringhausen fortsetzt, sind zum Teil relativ extensiv genutztes Pelkum-Heessener Lippeterrassen (ab- diese Naturräume lokal sehr waldreich. Grünland sowie Stillgewässer (vielfach gesehen von einer Engstelle bei Rünthe), Hinzu tritt der recht ausgedehnte neu angelegte Artenschutzgewässer). die schließlich im Osten des Kreises Waldkomplex (Alstedder Mark und Andererseits sind es durch Gley- und südlich bis nach Bergkamen-Overberge umgebende Waldstücke) zwischen Bork Pseudogley-Böden charakterisierte reichen. Die Markfelder Terrassen zeich- und Alstedde. Im mittleren und östlichen Abschnitte von Wäldern, die als echte nen sich durch sandige Böden auf der Werner Stadtgebiet findet sich dage- „Frühjahrswälder“ frühblüherreich Niederterrasse und sandige bis lehmige, gen eine Vielzahl kleinerer und wenige sind und teils seltenere Arten in großer jedoch kaum basenreiche Böden auf der mittelgroße Wälder (von den letzteren Menge enthalten (z. B. die schlüssel- Mittelterrasse aus. Hingegen finden sich insbesondere der „Halloh“ zwischen blumenreichen Waldstücke im Werner auf den Pelkum-Heessener Terrassen Holthausen und Stockum). Diese Na- Nordosten). neben stark sandigen Abschnitten, turräume werden von einer Vielzahl an die ehemals große Heideflächen und Bächen durchzogen, von denen Funne  Lippe beidseitig eingefasst lokal auch Dünen getragen haben, und Hornebach die bedeutendsten sind. Die Lippe ist beidseitig von jeweils größere Teilräume mit kalkhaltigen Die Bachniederungen bewirken immer zwei Terrassen eingefasst, wobei die Wiesentonmergeln – generell jedoch wieder Abflachungen zwischen den ältere, die Mittelterrasse, das Lippe- eine große Variabilität der Bodenarten- Hügeln und werden heute noch teilweise gebiet im Süden nicht weit außerhalb und Bodentypenverteilung (vgl. Loos ausgedehnt grünlandwirtschaftlich ge- des Kreises im Dortmunder Stadtgebiet 2009). Die Werner Lippeterrasse(n) nutzt. Hingegen hat der Ackerbau stark mit dem Emschertal verbindet (Hahne enthalten nördliche Teile des Lünener zugenommen, insbesondere Mais- und 1965). Nördlich des Flusses befindet Zentralstadtteils (Nordlünen, auch Rapsanbau. Die Siedlungen sind relativ sich allerdings nur ein zwischen Lünen- Teile von Altlünen sowie Wethmar), geschlossene Dörfer, lediglich im Raum und Werne-Mitte realisierter, meist außerdem den Löwenanteil der relativ Bork/Hassel und bei Cappenberg ist eine schmaler, einheitlich erscheinender in sich geschlossenen Stadtmitte von starke Zersiedlung in die freie Landschaft Terrassensaum, dessen Einengung durch Werne und einige Drubbel nahe der B54 hinein festzustellen, etwas weniger stark die Cappenberger Höhen und einen (Lenklar, Teile von Langern). Das Gebiet auch in Stockum. Im ländlichen Raum Sedimentsporn bei Wethmar bedingt ist stark landwirtschaftlich geprägt, mit dazwischen sind zahlreiche Einzelhöfe, ist, während nördlich von Altlünen bis Grünland, vor allem aber Anbau von angedeutete Straßensiedlungen und Wethmar ein Streifen der Mittelterrasse Mais, Getreide, Kartoffeln und Spargel. Drubbel vorhanden. Hypertrophie- deutlich ausgebildet hervortritt. Dies ist Hecken, Böschungen, Grünlandparzellen rung durch hohe Düngergaben der oder sind die Werner Lippeterrasse(n). und -raine mit Resten von Vegetation

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Hammer Stadtgebiet. Während die Lünener Lippeaue oft von stark sandigen Böden dominiert wird, sind die Böden in der Hamm-Uentroper Lippeaue deutlich weniger sandig und weisen eine stärke- re Entwicklung von Auenlehmen auf. Wenn auch die Lippeaue in Lünen stark verbaut ist, weil der Fluss hier durch den zentralen, als Verdichtungsraum aus- geprägten Stadtteil führt und auch am Südrand von Werne stark beeinflusst ist, herrschen doch siedlungsfreie, noch von Grünland weithin geprägte Abschnitte vor (wenn auch hier der Ackerbau auf dem Vormarsch ist). Die hohe natur- Beversee in Bergkamen am Rand der Bergkamener Höhen zu den Pelkum-Hees- schutzfachliche Bedeutung der Lippeaue sener Lippeterrassen. liegt in einem Mosaik an Biotopen jeden Wertgrades und einem gewachsenen und Flora magerer Standorte gliedern bei Overberge, Heil, die Nordausläufer Biotopverbund. Schon frühzeitige Ver- diese Terrasse. Die südlichen Terrassen des Großen Holzes und der Romberger besserungen (vgl. Stichmann 1986, enthalten südliche Teile von Lünen- Wald (Sandbochumer Heide) sind die 1989) haben zu großflächiger Schutz- Mitte, die randlich teils stark zersiedelt größeren erhaltenen Gehölze. Sonst ausweisung und Renaturierungsmaß- in benachbarte Stadtteile übergehen. dominiert Ackerbau, auch mit zuneh- nahmen geführt. Gleichwohl ist es auch Im mittleren Abschnitt liegt das Dorf menden Maiskulturen, während Grün- hier nicht einfach, die Einflüsse der über Heil, das hier (nördlich des Westenhell- land rückgängig ist. Entsprechend sind Jahrzehnte mehr und mehr intensivier- wegs) weitgehend seinen Charakter Biotope selten gewordener Arten auch ten Landwirtschaft auf ein verträgliches bewahrt hat. Im Osten sind es Rünthe auf Reste beschränkt. Maß zurückzuführen. und Overberge, die ihrerseits stark zer- Die Lippeaue selbst gliedert sich im siedelt sind, allerdings auch noch mit Kreis in die Lünener Lippeaue und die  Südlich der Lippe bis zur Seseke größeren Freiflächen dazwischen. Hier Hamm-Uentroper Lippeaue. Erstere Ganz im Westen erreicht das Em- lagen auch einst die Reck-Kamer und reicht von Westen bis zur Laufänderung scherland den Kreis Unna bei Lünen- die Sandbochumer Heide, von denen der Lippe von Nordwesten nach Nordos- Brambauer. Das Waltroper Flachwel- heute fast nur noch die Namen auf ten bei Beckinghausen, der zweite Auen- lenland schließt den etwas in die freie den Karten geblieben sind. Waldstücke abschnitt von dort bis hinter das östliche Landschaft hinein zersiedelten isolierten

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Ort, seine nächste überwiegend acker- hebung. Andere Partien sind eher sanft Oberaden waren sogar kleine Moore baulich genutzte Umgebung sowie im hervorgehoben (so der am Südrand von entwickelt, von denen heute noch eine Osten und Süden kleinere Waldstücke Overberge gelegene Galgenberg, der als solche kaum erkennbare Parzelle und -streifen ein. Außer diesem flach- nördlich der ebenso genannten Kamener erhalten ist. Nach Osten (etwa ab Bö- welligen Gebiet reicht ein tiefliegendes Parkanlage aufragt). An der Ostgrenze nen/Westerbönen) wird dieser Raum kleines, fast parzellenscharfes und gänz- in Nordbögge und Bönen herrscht flach- von den Braamer Höhen abgelöst, die lich unter dem Pflug stehendes Stück hügeliges Relief vor, aus dem sich eher überwiegend flachwellig sind, aber mit der Emscherniederung an der A2 in den undeutlich höhere Hügel absetzen. Die der Flierich-Pedinghausener Waldhöhe Raum Brambauer hinein. Der Großteil übrigen Abschnitte dieses Naturraumes in Bönen (bis in das angrenzende Ham- des nördlichen Mittelabschnittes des sind flachwellig bis fast eben, ohne dass mer Stadtgebiet) noch einen ausgepräg- Kreises Unnas liegt jedoch im Bereich der sich eine klare weitergehende Gliede- ten Hügelrücken besitzen. Gegenüber Hellwegbörden. Wobei dies noch nicht rung vornehmen ließe. Lösslehme do- den Bergkamener Höhen sind hier die die charakteristischen Bördelandschaften minieren, aber die Böden sind insgesamt Böden überwiegend basenhaltiger und sind, die von den Gegenden südlich der sehr vielgestaltig, auch hinsichtlich des frei von natürlicherweise versauerten Seseke und ostwärts bis in die Soester Säuregrades (vgl. Loos 2009). Im Raum Bereichen (Podsolen). Etwas ausgepräg- Börde bekannt sind. Vielmehr schließen sich an die Lippeterrassen Hügelländer und kleine Höhenzüge an.

 Bergkamener Höhen Östlich von Lünen beginnt zunächst schmalzipfelig, dann nach Nord- und Südosten hin erweitert ein vom Relief her sehr differenziertes Gebiet: die Bergkamener Höhen. Ihr südlicher Hügel- und Höhenzug mit der Lüner Höhe (Tünkerberg, Töddinghauser Berg) begleitet die Seseke auf ihrer Nordseite und bildet die Südgrenze des Naturraums etwa im Bereich der Bun- desstraße 61 im Bergkamen-Kamener Gebiet. Nördlich davon erstreckt sich ein zweiter Hügel- und Höhenzug mit dem Nordberg in Bergkamen als höchster Er- Mergelwiese mit Aspekt der Wilden Möhre auf der „Alm“ in Bergkamen.

19 Natur an Lippe & Ruhr

Beckinghausen verbunden. Das einzige deutlich isolierte Dorf, das jedoch eher Drubbelcharakter aufweist, ist Rottum. Das Gebiet ist seit Langem besiedelt. Darauf weist das bedeutende, aber nur kurzzeitig um 10 v. Chr. existierende Römerlager in Oberaden hin. Ebenso belegen von dort stammende Pflanzen- reste, dass Grünlandwirtschaft und Ge- treidebau in jener Zeit in der Umgebung schon vorhanden gewesen sein müssen (vgl. Kucan 1992).

 Flachwellenländer An die Derner Höhen und das Em- scherland schließen sich Flachwellenlän- der an, die als ausgedehnte Zone östlich Bild der Vergangenheit: kanalisierte Fließgewässer im Hellweggebiet. bis Werl-Hilbeck reichen. Aufgrund von Unterschieden in bodenkundlicher ter hügelig treten letztlich die Derner der Overberger Busch im Stadtgebiet und pflanzengeographischer Hinsicht Höhen in Erscheinung, die den Kreis von Bergkamen, das Böingholz in Kamen, der (vor allem einer regionalen West-Ver- Dortmund-Derne aus freilich nur bei Lettenbruch, das Südholz (Mergelberg- breitungsgrenze von vielen basenbe- Lünen-Süd noch berühren, mit wenig wald) sowie die Waldhöhe bei Flierich vorzugenden Pflanzenarten etwa mit basenreichen Böden. Vorherrschend ist in Bönen. Die größte Siedlung ist Berg- der B233, vgl. Griesohn-Pflieger 1991, das Gebiet landwirtschaftlich genutzt, kamen-Mitte, nach Osten hin mit dem Loos 2009) lassen diese sich gegenüber mit zunehmenden Äckern gegenüber erweiterten Overberge verbunden, nach Bürgener (1969) in ein Kamener und ein zurückgehendem Grünland. Wälder sind Südwesten hin mit Weddinghofen und Bönener Flachwellenland gliedern (Loos weitgehend gerodet, kleinere Wald- Schönhausen. Bergkamen ist von Kamen 2009). Das Kamener Flachwellenland stücke zerstreut übrig geblieben. Vom hingegen noch deutlich durch die alte besitzt zudem generell eine geringere Großen Holz in Bergkamen ist fast nur (Kamener) Nordfeldmark abgetrennt. Basensättigung der neben Pseudogleyen das Beverseegebiet erhalten, der Rest ist Im Südosten ist Bönen mit Nordbögge vorherrschenden Parabraunerden als es Bergehaldenfläche. An vergleichsweise verbunden. Im Westen ist Oberaden bis im Bönener Flachwellenland der Fall ist. größeren Waldgebieten existieren noch auf schmale Zeilen einigermaßen ge- Am Nordrand beider Flachwellenländer das Lüttke Holz, der Mühlenbruch und trennt, jedoch in sich zersiedelt und mit zieht sich das Seseketal entlang, in das

20 Natur an Lippe & Ruhr

vor allem von Süden her eine Reihe überwiegend zu diesem Naturraum turen von artenreichen Biotopen und von Seitenbächen einmündet, wobei zählt, mit Südkamen und im Westen für anthropogene Sonderstandorte sind der wichtigste der Körnebach ist. Die den Raum Lünen-Süd – Horstmar – Nie- im Raum südlich der Lippeterrassen als erste sichere Siedlung zu germanischer deraden. Im Bönener Flachwellenland sehr zerstreute Relikte der artenreichen Stammeszeit in diesem Raum konnte im gilt Vergleichbares für Heeren-Werve Kulturlandschaft vorhanden, wobei vor Mündungswinkel der Körne in die Se- sowie die Grenzregion an der B233, wo allem den Straßengräben eine neuerli- seke nachgewiesen werden. Die frucht- Kamen-Süd durch Gewerbegebiete mit che Bedeutung zur Erhaltung von be- baren Böden wurden vermutlich bereits Unna bzw. Königsborn zusammenge- stimmten Pflanzen- und Insektenarten frühzeitig für den Ackerbau verwendet, führt wurde (und wird). Während der zukommt. während in den Niederungen und in östliche, überwiegend zu Bönen gehö- Nähe der Höfe Grünlandwirtschaft vor- rige Abschnitt nach wie vor ländlich ge-  Haarstrang-Hellweg-Börde herrschend war. Heute spielen Grünlän- prägt ist, mit kleinen Straßensiedlungen Die stark landwirtschaftlich, von der nur noch eine ganz untergeordnete und Drubbeln sowie als einziger, jedoch Löss geprägten Bördelandschaften des Rolle, während der intensive Ackerbau zweiteiliger, entlang der Ausfallstraßen Kreises Unna setzen im Westen mit die Landwirtschaft ganz dominiert. leicht zersiedelter dorfähnlicher Siedlung dem Dortmunder Hellwegtal an, einem Neben dem überwiegend zu Dortmund Bramey-Lenningsen. Lokale Reststruk- tiefliegenden ehemaligen Talraum mit gehörigen Kurler Busch an der Kamener Westgrenze tritt als einziger erhaltener Wald von gewisser Größe das Heerener Holz mit seinen kleineren angrenzenden Waldstücken in Erscheinung. Stark zer- siedelt ist das Kamener Flachwellenland, wo zwar noch einzelne größere Freiflä- chen (z. B. das Westicker Feld und der Raum zwischen Südkamen und Afferde) vorhanden sind, aber insbesondere der Großraum Methler starke Siedlungser- weiterungen erfahren hat, durch die die ehemaligen zugehörigen Haufendörfer und die Bergarbeitersiedlung Kaiserau inzwischen überwiegend miteinander verzahnt sind. Ähnliches gilt für das „Zu- sammenwachsen“ von Kamen-Mitte, dessen städtisches Verdichtungsgebiet Alter Körnelauf am Südrand des Kamener Flachwellenlandes.

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sich als ausgesprochen strukturarm und weitestgehend durch Ackerbau geprägt. Weiter nördlich ist die Gegend struktur- reicher, in den Niederungen der aus den Quellen gespeisten Bächen mit vermehrt Grünland und vielen zu Naturschutz- zwecken verwendeten Flächen. Diese Zweiteilung lässt eine naturräumliche Aufteilung in eine echte Börde im Süden und ein Unnaer Niederungsgebiet im Norden zu. Südlich schließt sich der Haarstrang an. Sozusagen ein Vorgebirge des Süder- berglandes: Aufgebaut aus Plänerkalken des Turon und Cenoman sowie Mer- geln, oft bedeckt mit Lösslehmen. Der Bönener Flachwellenland bei Kamen-Rottum. Nordhang der Haarstranghöhe ist recht steil mit Hangdellen herausgeformt. Terrassenbildungen. In Dortmund reicht kontinuierlichen Anstieg zum südlich Aus ihnen verjüngen sich Trockentäler, er bis an die Emscherniederung heran angrenzenden Haarstrang und einzelnen während die Südabdachung zumindest und findet im Osten im Raum Nordlü- herausragenden Hügeln (z. B. Mühlhau- im Kreisgebiet relativ sanft zum Ruhrtal nern/Mühlhausen seinen Abschluss. Der ser Berg) auf. In einer Muldenfuge nahe hin abfällt. Die Höhenlage reicht von gut ehemalige, mit Lösslehm aufgefüllte Tal- des Nordrandes befindet sich parallel zur 120 m NN im Westen bis über 230 m in raum ist auch heute Niederungsgebiet, B1 eine Zone mit artesischen Quellen Fröndenberg. Steinige Äcker mit Rend- weil sich zahlreiche Bäche abschnitts- (mit Schwerpunkt in Mühlhausen und zinaböden sind im Norden Fröndenbergs weise hindurch ziehen. Südlich davon Uelzen). Sie sind durch das Auftreffen konzentriert. schließt sich die Dortmunder Börde des im Turonkalk des Haarstranges an, ein flachwelliger Teilraum mit lokal einsickernden Wassers auf stauendem,  Terrassenförmig zur Ruhr stärker hervortretenden Erhebungen, die dichtem Emschermergel entstanden. Strukturell erinnert die Haarhöhe an z. T. kalkhaltige Böden enthalten (ins- Am Steiner Holz an der Ostgrenze des den Südteil der Werl-Unnaer Börde, besondere im Raum Massener Damm/ Stadtgebietes von Unna erreicht noch allerdings mit regional höherem Wald- Massener Schweiz). Im Osten löst die soeben die Soester Unterbörde den Kreis bestand, wobei der Hemmerder Schelk Werl-Unnaer Börde die Dortmunder Unna. Insbesondere der zum Haarstrang das größte, mehrfach aufgespaltene Börde ab. Sie weist einen steileren, langende Südteil der Börden erweist Waldgebiet ist. Der südliche Haarstrang

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(Süderhaar) umfasst die Holzwickeder (Herdicker) Haar, die Bentroper Haar und die Schwerter Lössterrassen. Erstere ist eine flache Höhenschwelle, die von Holzwickede-Landskrone bis Frönden- berg-Ardey reicht. Im Unterhang ist flözführendes Karbon vorhanden, wäh- rend weiter hangaufwärts ab Opher- dicke und Strickherdicke Turonkalke und Grünsandstein ansteht. Die dem Süderbergland angehörige Frönden- berger Hohenheide trennt von diesem Raum die Bentroper Haar ab, die sich im östlichen Stadtgebiet von Fröndenberg befindet. Sie ist sanfthängig und mit breiten Lössterrassen ausgestattet. Im Süden schließen sich an die Holzwicke- Artesische Quelle in Unna-Mühlhausen am Rand der Werl-Unnaer Börde. der Haar die Schwerter Lössterrassen an, die terrassenförmig sanft zur Ruhr Anordnung von Dörfern und Siedlungen Vermutlich hat der ehemalige Standort- hin abfallen. Inmitten der Terrassen innerhalb des alten Hellwegs, des Reise- übungsplatz Hengsen-Opherdicke mit erheben sich kleine vereinzelte Höhen weges der fränkischen Kaiser. Trotz star- dem Vogelberg für eine Freiraumsiche- (am stärksten herausragend der Keller- ker Ausdehnung sind die Haufendörfer rung gesorgt. Schwerte ist ebenfalls kopf im Holzwickeder Gemeindegebiet), im Osten Unnas bis auf Mühlhausen und stark zersiedelt, der Verdichtungskom- die silikatischen Untergrund und eher Uelzen noch als Einzelstrukturen zu er- plex schließt die benachbarten Ortsteile saure Böden aufweisen. Zur Ruhr hin kennen. Auch die Haardörfer sind recht mit ein. Westhofen ist durch die Lage sind zahlreiche, mit mehr oder weniger isoliert, ufern teilweise jedoch durch westlich der A45 etwas isoliert. Na- großen Waldstücken versehene Siepen- Straßensiedlungen und angrenzende turschutzfachlich ist der Holzwickeder täler ausgebildet (mit ausgedehnterem weilerartige Strukturen etwas aus. Unna Raum besonders bedeutsam, weil sich Waldbestand das Ostholzbachtal südlich ist mit seinen Stadtteilen Massen und hier immer wieder Relikte der mage- Frömern). Königsborn verbunden und weist ins- ren Standorte finden, während diese Das Haarstrang-Hellweggebiet ist gesamt eine stärkere Zersiedelung auf. nach Norden und Osten hin deutlich vermutlich bereits seit der Steinzeit zu- Dies gilt noch mehr für Holzwickede. seltener (geworden) sind. Allerdings ist mindest teilweise als Kulturlandschaft Nur der Süden des Gemeindegebietes das Quellgebiet im Raum Mühlhausen/ genutzt. Auffällig ist die perlschnurartige enthält Streusiedlungen und Einzelhöfe. Uelzen ebenfalls von vorrangiger Natur-

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schutzbedeutung, weil dort ein großes det und nur durch wenige Häuser oder noch ziemlich weiträumig, die Frön- Spektrum an Feuchtbiotopen und ihren Siedlungsabschnitte (Landskrone) sowie denberg-Schwerter Ruhraue an, die ihre Bewohnern vorhanden ist. einzelne ackerbaulich genutzte Flächen Ostbegrenzung bereits außerhalb im ausgezeichnet. Die Wälder sind lokal von Kreis Soest bei Wickede erreicht.  Ardey, Ruhrtal & Nordsauerland tief eingeschnittenen Siepentälern mit Der wirklich sauerländische Teil des Das Bergisch-Märkische Hügelland ihren Quellbereichen durchzogen. Im Kreises Unna gehört gänzlich zu Schwer- erreicht den Kreis Unna in Schwerte Randbereich zur Holzwickeder Haar liegt te und besteht aus Mendener Platte und mit dem Raum Westhofen und dem die Emscherquelle, wobei wesentliche Iserlohner Heiden. Der Schwerter Teil Schwerter Wald sowie in Holzwickede Quellzuflüsse im Sölder Holz entsprin- der Mendener Platte, der zugleich ihre die Landskrone mit dem Sölder Holz gen. Die Waldvegetation beherbergt die Westgrenze darstellt, ist von Sand- und (Abgrenzung gegen den Haarstrang nördlichsten Vorkommen des Hainsim- Lösslehmen bedeckt. Nur ganz lokal tre- etwas östlicher als auf den Naturraum- sen-Buchenwaldes. ten die Silikatgesteine des Untergrundes karten, die auf Bürgener 1969 basieren, Das Märkisch-Sauerländische Un- an die Oberfläche. Die Iserlohner Hei- vgl. Loos 2009). Das Ardeygebirge ist terland als Teil des Nordsauerlandes den, bis 260 Meter NN hoch gelegen, der nordöstlichste Teil des Bergisch- beherrscht das Gebiet vom Ruhrtal an erreichen ihren nördlichsten Abschnitt Märkischen Hügellandes, gleichzeitig südwärts. Nördlich tritt als zugehöriges teilweise am Südende des Kreises Unna der westlichste Abschnitt der Ruhrhö- Gebiet ein singulärer, vom Haarstrang (Dreieck Villigst-Südost/Tiefendorf/Bü- hen, welche die Ruhr auf ihrem Nor- umgebener Grundgebirgshorst auf: die renbruch). Dieser teils stark bodensaure dufer bis nach Mülheim an der Ruhr Fröndenberger Hohenheide. Sandstei- Bereich mit oft steinigen Böden wird von begleiten. Im Gegensatz zu dem an der ne und Karbonschiefer unterscheiden Wäldern und Forsten dominiert, durch Landskrone nach Osten ansetzenden diesen Naturraum von den angrenzen- die sich einige bedeutendere Bäche zie- Haarstrang ist der Untergrund vor allem den Haarpartien aus Kalk. Die höchste hen (Elsebach, Lollenbach, Wannebach, aus flözführendem Karbon aufgebaut. Erhebung hier ist der Henrichsknübel, mit Seitensiepen). Die Böden sind in Folge der Verwitte- der 245 Meter NN erreicht und die Der größte Siedlungsbereich dieser rung von Silikatgestein generell saurer. Haarhöhe etwas überragt. Südlich von Naturräume ist der zentrale Stadtteil Während die Bereiche Holzwickedes Ardeygebirge, Lössterrassen und Höhen von Fröndenberg. Im Ruhrtal und und der Schwerter Wald zur Ardey- des Haarstranges sowie der Frönden- unmittelbar darüber, von Schwerte gebirgshöhe zählen und überwiegend berger Hohenheide liegt das Ruhrtal, an nach Osten, sind (heute teils ver- ausgedehnte Kuppenlage aufweisen, das ebenfalls in sich gegliedert ist. Im schmolzene, zersiedelte) Haufendörfer liegen die Abschnitte in Westhofen Westen befindet sich nordöstlich von entwickelt. Südlich der Ruhr ist ein klei- mehr oder weniger in Hangsituation Hagen-Garenfeld auf Schwerter Stadt- nes Verdichtungsgebiet aus Ergste und mit wenig ausgedehnten Kuppen; dazu gebiet soeben noch ein Ausläufer des Villigst herausgebildet, ansonsten exis- zählt auch der Ebberg. Das Ardey ist im Hagener Ruhrtals, einem weiträumigen tieren kleinere Straßensiedlungen und Kreis Unna ganz überwiegend bewal- Talkessel. Daran schließt sich östlich, weilerartige Siedlungsstrukturen. Die

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Blick vom Bahndamm in Unna-Mühlhausen zur Haarstranghöhe.

Landnutzung im Ruhrtal umfasst viel  Stadt- & Nachindustrielandschaft war die Eisrandlage überwiegend am Grünlandwirtschaft. Allerdings haben Die heutigen Landschaften des Haarstrang-Südabfall lokalisiert (vgl. sich auch hier Ackerfluren ausgebreitet. Kreisgebietes wurden durch die Ablage- Liedtke 1990, 1993). Der süderberg- Weitflächig ist das Ruhrtal als Wasserge- rungen der Oberkreide und die beiden ländische Abschnitt verdankt seinen winnungsgelände genutzt. Südlich der letzten Eiszeiten geprägt: Saale-Eiszeit Charakter der variskischen Gebirgsbil- Ruhr dominiert die forstliche Nutzung, mit Vergletscherungen und Moränen- dung, deren Formgestaltung daneben in die Äcker und Grünland eingestreut ablagerungen; Weichsel-Kaltzeit mit gleichfalls durch die Eiszeiten beeinflusst sind. Die Regionen an und südlich der gewaltigen Anwehungen vor allem von wurde. Entscheidend für das heutige Ruhr umfassen viele naturschutzfachlich Löss, aber auch Sand. Vor etwa 200.000 Bild sind jedoch auch die Eingriffe des bedeutende Abschnitte, z. B. Talwiesen, Jahren stießen die Gletscher sogar über Menschen. Der alles beherrschende Feuchtgebiete und Wälder. die Ruhr bei Schwerte vor, ansonsten Wald wurde nach der Sesshaftwerdung

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durch landwirtschaftliche Kulturnahme Rolle spielten. Kaum minder bedeutend die in der Industrialisierung geschaffen zurückgedrängt – wobei zeitweise in ist die Flächenversiegelung. Sie wurde wurden, können es in vielen Fällen einigen Regionen viel weniger Wald- im Zuge der Industrialisierung mit der nur dann bleiben, wenn der Status der und Forstbestände vorhanden waren Nutzung riesiger Areale als Werksgelän- Industrialisierung für derartige Flächen als heute. Der Stand der Technik hat de, einer starken Bevölkerungszunahme erhalten bleibt – etwa durch Pflege bzw. aber dafür gesorgt, dass zunächst und und folglich einem ausgedehnten Sied- Maßnahmen, wie sie auf den Flächen für lange Zeiten aus der vergleichsweise lungs- und Verkehrsinfrastrukturbau, bei Betrieb durchgeführt wurden. Der- artenarmen Naturlandschaft eine reiche sehr ausgedehnt (vgl. Fitger 2000). artige Schritte sind zur Erhaltung eines Kulturlandschaft geworden ist. Diese Freilich ist dieser Landschaftswandel vielseitigen Landschaftsbildes ebenso ist erst mit zunehmender Technisierung nicht plötzlich oder in einer sukzessi- wichtig wie die Pflege von naturnahen und künstlichen Anbauhilfen (Mine- ven Entwicklung gekommen, sondern Restbereichen. „Veränderungen in einer raldünger, Pestizide) sowie einseitigem es spielen epochale Ereignisse wie Kulturlandschaft sind und waren immer Gebrauch natürlicher Dünger (Gülle) Aufbau, Expansion, Konsolidation und etwas ganz Normales“, schreibt Tenber- und in Verbindung mit Anteilsverän- Deindustrialisierung, Kriege und Krisen, gen (2002). Eine ausgewogene, nach- derungen der landwirtschaftlichen Moden, Vorlieben und Einstellungen haltige Steuerung zumindest einiger der Nutzungsformen und Produkte stark eine Rolle für die Entwicklung der Ver- Veränderungen ist jedoch erforderlich, verarmt, oft hin zu Monostrukturen (z. dichtungsgebiete in Abhängigkeit von um das Gesicht der Region und wirklich B. großflächiger Maisanbau, Massen- Bergbau und Industriezweigen (vgl. auch wertvolle Naturelemente zu erhalten. tierhaltung). Eine solche Egalisierung Bronny & Dege 1990, Wehling 2000, drückt sich ebenso in den Siedlungs- 2007, Boldt & Gelhar 2008). In der Literatur bereichen und Gewerbegebieten aus: durch Strukturwandel ausgezeichneten Anmerkung: Zur Beschreibung, zum Organismen- Durch Anpflanzung immer der gleichen nach- oder spätindustriellen heutigen inventar und zur naturschutzfachlichen Bewer- Begrünungselemente schwindet der Zeit werden die aufgegebenen Flächen tung einzelner Gebiete, Regionen und Projekte jeweilige Wiedererkennungswert – ein teils als naturschutzfachlich bedeutsam sind zahlreiche Aufsätze vor allem im Naturre- Preis der Globalisierung? erkannt und in Zielkonzepte für eine port und im Naturreport-Jahrbuch erschienen, Schon vor der Industrialisierung wur- ökologische, aber auch zur Freizeitnut- die hier nicht einzeln aufgeführt werden. de Industrie im Kreis Unna betrieben: zung und Erholung des Menschen be- Birkenhauer, J. (1984): Das Rheinisch-Westfä- Steinbrüche, Nutzung von Rasenei- stimmte Erhaltung und Gestaltung von lische Industriegebiet. – , München, senerz, Holzwirtschaft, Ziegeleien und Teilen der Kulturlandschaft Ruhrgebiet Wien, Zürich. Tonfabriken u.a. (vgl. auch Lucas 1957). eingebunden (vgl. z. B. Bothmann & al. Boldt, K.-W. & Gelhar, M. (2008): Das Ruhr- Ihre Flächen- und Umweltwirkung war 1993, Loos 2004, Bronny & al. 2002, gebiet. Landschaft, Industrie, Kultur. – Darm- zunächst sehr begrenzt, weshalb sie Schwarze-Rodrian & al. 2005). Die stadt. gegenüber Veränderungen in der Agrar- Rückzugsgebiete für gefährdete Elemen- Bothmann, F., Geisler, E., Riedel, J. & Grothe, wirtschaft eine fast zu vernachlässigende te der Natur- und alten Kulturlandschaft, H. (1993): Freiraumentwicklung und ökologi-

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sche Erneuerungsstrategien für das Ruhrgebiet. – Berichte zur deutschen Landeskunde 67 (2): 327-356. Bronny, H. M. & Dege, W. (1990): Raumpo- tential und Raumstruktur an der Schwelle zur Industrialisierung. – In: Köllmann, W., Korte, H., Petzina, D. & Weber, W., Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter (Düsseldorf) 1: 81-12. Bronny, H. M., Jansen, N. & Wetterau, B. (2002): Das Ruhrgebiet. Landeskundliche Betrachtung des Strukturwandels einer europäischen Region. – Schrift des Regionalverbandes Ruhr. . Bürgener, M. (1969): Die naturräumlichen Einheiten auf Blatt 110 Arnsberg. Naturräum- liche Gliederung Deutschlands. Geographische Landesaufnahme 1 : 200 000. – Bonn-Bad Godesberg. Busch, P., Croon, H. & Hahne, C. (Schriftltg.) (1965): Bochum und das mittlere Ruhrgebiet. Festschrift zum 35. Deutschen Geographentag Bunter Acker auf der Holzwickeder Haar bei Holzwickede. vom 8. bis 11. Juni 1965 in Bochum. – Bochumer Geographische Arbeiten 1. turwandel und Strukturpolitik im Ruhrgebiet. anthropogene Wandel eines Gewässersystems. Christoffels, H. (1949): Die geographischen – Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte – Bochumer Geographische Arbeiten Sonderheft Grenzen des Ruhrgebietes. – Dissertation an (Essen), Beiträge, 10. 44: 98-109. der Philosophischen Fakultät der Universität Griesohn-Pflieger, T. (1991): Natur im Kreis Klink, H.-J. (1990): Ergebnisse siedlungsökologi- Köln. Köln. Unna. – Naturreport (Unna) Sonderausgabe, scher Untersuchungen im Ruhrgebiet. – Berichte Dege, W. & Dege, W. (1983): Das Ruhrgebiet. pp. 6-11. zur deutschen Landeskunde 64 (2): 299-344. 3. Aufl. – Stuttgart. Günter, R. (1994): Im Tal der Könige. Ein Reise- Kucan, D. (1992): Die Pflanzenreste aus dem Fitger, C. (2000): Der Preis des Schwarzen Gol- buch zu Emscher, Rhein und Ruhr. – Essen. römischen Militärlager Oberaden. – In: Kühl- des. Verlorene Natur im Ruhrgebiet. – In: Stott- Hahne, C. (1965): Geologie, Morphogenese, born, J.-S., Das Römerlager in Oberaden III rop, U. (Hrsg.), Unten und oben. Die Naturkultur Pedologie und Geohydrologie im mittleren (= Bodenaltertümer Westfalens 27): 237-266. des Ruhrgebietes, pp. 263-288. Essen. Ruhrgebiet – ein Überblick. – Bochumer Geo- Münster. Goch, S. (2002): Eine Region im Kampf mit graphische Arbeiten 1: 9-22. Liedtke, H. (1990): Relief, Böden und Grund- dem Strukturwandel. Bewältigung von Struk- Held, T. (2003): Emscher Metamorphosen – Der wasser im Ruhrgebiet. – In: Seibt, F., Gleba, G.,

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Grüttner, H. T., Lorenz, H., Müller, J. & Tewes, im Kreis Unna. – Bierbrodtia 1. (URL: http:// otopverbundsystems, dargestellt am Beispiel des L. (Hrsg.), Vergessene Zeiten im Ruhrgebiet ruhrostbotanik.oyla13.de). Lippetals und angrenzender Sekundärbiotope. (Essen) 2: 64-67. Loos, G. H. (2009): Die Böden der Naturräume – In: Abs, M. & S.I.G.Ö.R., Ökologie im Ruhr- Liedtke, H. (1993): Die Entwicklung der Ober- des Kreises Unna – eine Übersicht. – Bierbrodtia gebiet (= Veröffentlichung Nr. 10 des Verband flächenformen im Ruhrgebiet. – Berichte zur 3 (URL: http://ruhrostbotanik.oyla13.de). Deutscher Biologen), pp. 22-26. deutschen Landeskunde 67 (2): 255-265. Lucas, O. (1957): Kreis-Atlas Unna. – Unna, Tenbergen, B. (2002): Westfalen im Wandel LÖBF/LAfAO (= Landesanstalt für Ökologie, Münster. – Von der Mammutsteppe zur Agrarlandschaft. Bodenordnung und Forsten/Landesamt für Reulecke, J. (1990): Das Ruhrgebiet als städti- – Gütersloh. Agrarordnung NRW) (Hrsg.) (1999): Rote Liste scher Lebensraum. – In: Köllmann, W., Korte, Wehling, H.-W. (2000): Montanindustrielle der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Nor- H., Petzina, D. & Weber, W., Das Ruhrgebiet im Kulturlandschaft Ruhrgebiet. Raumzeitliche drhein-Westfalen. 3. Fassung. – Schriftenreihe Industriezeitalter (Düsseldorf) 2: 67-120. Entwicklung im regionalen und europäischen der LÖBF 17. Schwarze-Rodrian, M., Bauer, I., Scheuvens, R., Kontext. – In: Stottrop, U. (Hrsg.), Unten und Loer, T. (2007): Die Region. Eine Begriffsbe- Cüppers, J. & Luchterhandt, D. (Red.) (2005): oben. Die Naturkultur des Ruhrgebietes, pp. stimmung am Fall des Ruhrgebiets. – Qualitative Masterplan Emscher Landschaftspark 2010. 21-39. Essen. Soziologie (Stuttgart) 9. – Essen. Wehling, H.-W. (2007): Kulturlandschaft Loos, G. H. (1998): Die Geschichte der Land- Stichmann, W. (1986): Zur Planung eines Bio- Ruhrgebiet im Wandel. Regionale, lokale und schaft. – In: Loos, W. & Loos, G. H., Landschaft topverbundsystems des Lippetals im Bereich europäische Aspekte. – In: Borsdorf, U., Grütter, und Lebewelt in Methler, pp. 18-36. Kamen. der Stadt Werne. – Westfälische Geographische H. T. & Nellen, D. (Hrsg.), Zukunft war immer. Loos, G. H. (2004): Leitbilder im Naturschutz für Studien 42: 205-212. Zur Geschichte der Metropole Ruhr, pp. 40-51. die Folgelandschaft von Bergbau und Industrie Stichmann, W. (1989): Die Entwicklung eines Bi- Essen.

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 Die Naturschutzgebiete der Lippeaue im Kreis Unna Lebensader Lippeaue

von Anke Bienengräber, Stefan Kauwling und Klaus Klinger

Die „bananenförmige“ Nord-Süd- Ausdehnung des Kreisgebietes Unna beträgt etwa 39 Kilometer. Im Süden stoßen zwei naturräumliche Groß- einheiten Nordrhein-Westfalens auf- einander, die sich vor allem aufgrund ihrer Landschaftsbeschaffenheit, der geologischen Gegebenheiten, der Bo- den- und Klimaverhältnisse, des Was- serhaushaltes und der Naturausstattung mehr oder weniger deutlich vonein- ander abgrenzen lassen. Trennlinie zwischen beiden Naturräumen – und zugleich markante Wasserscheide des Kreisgebietes – ist der Haarstrang mit Die Lippeaue im Spannungsfeld von Naturschutz und Naturnutzung. Alle Fotos, dem Ardeygebirge. wenn nicht anders angegeben: Biologische Station Nördlich dieser Linie erstreckt sich die Westfälische Bucht mit dem Kern-  Die Lippeaue Meter. Im Kreis Unna weist sie eine münsterland und der Hellwegbörde, Die Lippe entspringt in der Sen- Lauflänge von 38,5 Kilometer auf. Ihr südlich davon liegt das Süderbergland ne bei Bad Lippspringe am Fuß des Wasser bezieht sie aus einem 4.890 mit dem Unteren Sauerland. Das Land- Teutoburger Waldes und mündet bei Quadratkilometer großen Einzugs- schaftsbild der beiden Naturräume Wesel in den Rhein. Von ihrer Quelle gebiet. Die Lippe ist ein typischer, prägen und beleben im Kreis Unna zwei bis zur Mündung legt sie 230 Kilo- sandiger Tieflandfluss. Das Flussbett große Flussauen, im Norden die der meter zurück und überwindet dabei der heutigen Lippe ist während der Lippe und im Süden die der Ruhr. einen Höhenunterschied von nur 123 letzten Eiszeit entstanden.

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zu einem behutsameren Umgang mit Landschaft und Natur. Im Zuge der Landschaftsplanung fanden 12 (28,6%) der damals kreisweit 42 Naturschutge- biete (NSG) mit zusammen 305 Hektar (20,5 %) ihren Platz in der Lippeaue. Abwasserklärung, Renaturierungs- und andere Naturschutzmaßnahmen bewirk- ten eine wesentliche Verbesserung der Wasserqualität bzw. des Zustandes der Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Heute ist die Lippeaue als Fauna- Flora-Habitat-Gebiet fast vollständig Bestandteil des 1992 auf europäischer Ebene beschlossenen Biotopverbundes NATURA 2000, was ihre herausra- Silber-, Korb- und Grauweiden am Lippeufer westlich der A1. gende Bedeutung für den Natur- und Landschaftsschutz unterstreicht. Die Zweifelsohne kommt der Lippeaue im änderte sich in der zweiten Hälfte des im Rahmen der Umsetzung der FFH- Kreis Unna trotz oder gerade wegen ihrer 19. Jahrhunderts. Bergbau, fortschrei- Richtlinie im Dezember 2007 in den Entwicklungsgeschichte größte ökologi- tende Industrialisierung, Intensivierung Landschaftsplänen der Lippeaue fest- sche Bedeutung zu. Die Lippeaue, wie der Landwirtschaft, Schiffbarmachung gesetzte Ausweitung der unter Natur- wir sie kennen, hat nichts mehr mit der der Lippe (Flussbegradigung, Schleusen- schutz gestellten Flächen wurde durch ursprünglichen Naturlandschaft gemein. anlagen, Uferverbau) und die Nutzung die Ausweisung von fünf großflächigen, Der Mensch hat sie in einem Jahrhun- der Lippe als Abwasserfluss trugen zur zusammenhängenden NSG realisiert, derte langen und langsamen Prozess zur Zerstörung von Lebensräumen vieler wobei die alten, isoliert liegenden NSG Erfüllung seiner unterschiedlichen und Tier- und Pflanzenarten bei. Seit der Vor- einbezogen wurden: wechselnden Nutzungsinteressen zu und Nachkriegszeit, bis in die 1980er  „Lippeaue von Stockum bis Werne“ einer Kulturlandschaft gestaltet. Jahre hinein, veränderte sich das Land- (188 ha), mit den Alt-NSG „Lippe- Gerade wegen dieser Umgestaltungs- schaftsbild der Lippeaue zunehmend schleife südlich Gersteinkraftwerk", prozesse konnte sich bis ins 19. Jahrhun- zu einer verarmten, intensiv genutzten „Lippeaue westlich der A1“ und dert in der Lippeaue eine noch nie da Kulturlandschaft. „Auewald Mitlake“, gewesene Standort- und Artenvielfalt Ein Umdenkungsprozess in der Ge-  „Lippeaue von Werne bis Heil“ (415 an Fauna und Flora entwickeln. Dies sellschaft führte in den 1980er Jahren ha), mit den Alt-NSG „Unterlauf

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Beverbach“, „Waterhues“, „Dissel- vom Lippeverband erarbeitete Lip- Ruppert 2006, siehe auch den Beitrag kamp“ und „Langerner Hufeisen“, peauenprogramm, das bereits 1995 die von Stemplewski & al. zum ökologischen  „Lippeaue von Wethmar bis Lünen“ Lippeaue als ökologisch wichtige Ost- Umbau von Seseke und Lippe in diesem (112 ha) mit den Alt-NSG „In den West-Achse in einem überregionalen Naturreport). Die dort vorgesehene Kämpen“ und „Im Mersche“, Biotopverbund würdigt (Lippeverband großräumige Renaturierung der Lippe  „Lippeaue von Lünen bis Schleuse 1996). Bislang konnten umfangreichere (Profilaufweitung, Sohlanhebung) zwi- Horst“ (216 ha), hierin sind die Alt- Uferentfesselungen realisiert werden. schen dem Streichwehr bei Werne und NSG „Stocke“, „Zwiebelfeld“ und Die große Hoffnung liegt jedoch nach dem Wehr Lünen-Beckinghausen wird „Schleuse Horst“ aufgegangen und wie vor auf der weiteren Umsetzung deutlich mehr zu den gewünschten  „Lippeaue Selm“ (102 ha), Neuaus- des Lippeauenprogramms (Junghardt & Redynamisierungsprozessen beitragen weisung auf gesamter Fläche bis an können. die westliche Kreisgrenze. Somit befinden sich fünf der heute 39  „Lippeaue Stockum bis Werne“ NSG des Kreises Unna mit zusammen Das 188 ha große NSG „Lippeaue 1.033 ha (34,9 % der Gesamtfläche von Werne bis Stockum“ integriert aller NSG) in der Lippeaue. drei Alt-NSG (s.o.). Die dazwischen Im Rahmen der Naturschutzge- liegenden, seit 2007 in den Naturschutz bietsbetreuung werden laufend Natur- einbezogenen Flächen sollen nach und schutzmaßnahmen zur Erhaltung, zum nach ebenfalls von der öffentlichen Schutz und zur Optimierung der Gebiete Hand aufgekauft und überwiegend in durchgeführt. Größere zusammenhän- extensiv genutztes Grünland umgewan- gende Auenbereiche können vor allem delt werden. im Zuge von Flächenankäufen durch die Wie in den anderen Schutzgebieten in öffentliche Hand naturschutzgerecht der Lippeaue sind auch in diesem Bereich entwickelt werden. In der vorliegenden die artenreichen Altwasser mit Röhricht- Ausgabe des Naturreports berichtet der säumen und Ufergehölzen, Flutrinnen Beitrag „In der Lippeaue tut sich was...“ und Flutmulden mit Nassgrünland sowie über aktuelle landschaftsökologische der Fluss mit seiner Unterwasservegeta- Entwicklungskonzepte. tion die wertgebenden Biotopstrukturen. Ein großer und wichtiger Baustein Schilf- und Seggenbestände in der Auch hier ist die Lippeaue als Nahrungs- des Naturschutzes in der Lippeaue im Lippeaue nördlich von Bergkamen- und Rastgebiet für viele Wasser- und Kreis Unna ist auch das im Rahmen Rünthe sind Brut- und Nahrungsgebiete Watvögel von Bedeutung. Ebenso des Gewässerauenschutzprogrammes seltener Vogelarten wie beispielsweise finden zahlreiche, teils auch europaweit NRW (MURL 1994, MUNLV 2002) Teichrohrsänger und Rohrammer. geschützte Tierarten wie Zwergtaucher,

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Eisvogel, Wasserralle und Rohrweihe durchgehenden Radwanderweg bis und andernorts positive Erfahrungen mit einen Lebensraum. Als Besonderheit für nach Hamm. der Annahme von Nisthilfen gemacht die Lippeaue gibt es noch nährstoffarme Südlich des Kohlekraftwerkes bei Sto- wurden, organisierte die Biologische Feuchtwiesen mit bedrohten Pflanzen- ckum grasen auf Kompensationsflächen Station Anfang des Jahres 2010 das Auf- arten wie Natternzunge, Hirsesegge und der RWE ganzjährig Heckrinder, die von stellen mehrer Masten mit Nisträdern, Knabenkrautarten, die im Kreis Unna der Biologischen Station in Kooperation unter anderem auch in der Heckrindflä- sonst nur noch in den seit Jahrzehnten mit einem ortsansässigen Landwirt be- che südlich des Kohlekraftwerkes. vom wirtschaftenden Menschen ausge- treut werden. Heckrinder ähneln ihren sparten Bergsenkungsgebieten in Lünen ausgestorbenen Vorfahren, den Auer-  „Lippeaue von Werne bis Heil“ und Bergkamen vorkommen. ochsen, die in historischer Zeit auch in Im Zuge der Ausweisung der FFH- Im Unterschied zur westlich an der Lippeaue vorkamen. Gebiete wurden vier Alt-NSG (s.o.) mit Werne angrenzenden Lippeaue gibt es Da sich seit einigen Jahren regelmäßig den sie verbindenden Flächen auf einer hier auf der Südseite der Lippe einen Weißstörche in der Lippeaue aufhalten Gesamtfläche von 415 ha als „Lippeaue

Orchideenwiese in der östlichen Lip- Entfesselte Steiluferbereiche nordöstlich des Dorfes Heil wurden schnell von Ufer- peaue. Foto: B. Margenburg schwalben und Eisvögeln besiedelt.

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von Werne bis Heil“ zusammengefasst. Erhaltungszustand, der regelmäßig an In diesem noch naturnah reliefierten die EU-Kommission zu melden ist. Auenbereich sind besonders viele Alt- Einige stark verlandete Auengerinne wasser und Flutrinnen erhalten, die wurden auf Initiative der Biologischen seltene Pflanzen und Tiere aufweisen. Station vor rund zehn Jahren vertieft Erwähnenswert sind hier neben vielen und optimiert, so dass sie heute wieder anderen Schwanenblume, Froschbiss, ganzjährig Wasser führen und eine Wassserfeder und Ähriges Tausendblatt charakteristische Vegetation ausbilden sowie Libellenarten wie Granatauge, konnten. Auch Libellen und Amphibien Smaragdlibelle und Federlibelle. stellten sich rasch ein, darunter der Auch Elemente der alten Kulturland- Kammmolch als eine der Zielarten der schaft wie extensiv genutzte Wiesen und FFH-Richtlinie. Weiden mit Hecken, Kopfbäumen und Ihren im Naturschutzsinne guten Feldgehölzen bereichern die Aue der hier Erhaltungszustand verdankt die Lip- noch in weiten Schwüngen fließenden peaue hier unter anderem der geringen Lippe, die mit ihrer Unterwasservege- Erschließung durch Straßen und Wege. tation einen wichtigen Lebensraum für Besucher kommen nur stichwegartig Fische und wassergebundene Klein- bis an die Lippe heran, beispielsweise lebewesen sowie von ihnen lebende Nach der Optimierung dieser verlande- im Bereich des Naturfreibades in der Vogelarten darstellt. ten Flutrinne südlich von Hof Waterhues Bauernschaft Heil. Radwegeverbindun- Die entfesselten Steiluferbereiche an siedelte sich neben anderen Amphibien- gen zwischen Lünen und Werne sind in Flächen der öffentlichen Hand bieten arten auch der Kammmolch an. angemessener Entfernung vorhanden. Brutplätze für Eisvogel und Uferschwal- In einem Teilbereich bei Werne-Lan- be. Die vorgelagerten Flachwasserzonen gern soll durch extensive Ganzjahres- sind Kinderstuben für viele Fischarten. Beweidung mit Heckrindern eine so Die Altwasser mit auentypischer genannte halboffene Weidelandschaft Vegetation im Wasser und an den Ufer- im Sinne eines Naturentwicklungs- säumen sind wegen ihres Reichtums an gebietes entstehen. Der überwie- seltenen Pflanzen- und Tierarten beson- gende Teil der Lippeaue kann aber ders wertvoll. Sie unterliegen ebenso mit Naturschutzauflagen weiterhin wie die Lippe mit ihren Auwaldresten landwirtschaftlich genutzt werden. und den Hochstaudensäumen als so Besonders die traditionelle Beweidung genannte Lebensraumtypen der FFH- mit Hausrindern ist wichtig für die Richtlinie einer Berichtspflicht über ihren Erhaltung einer artenreichen Kultur-

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Die Altwasser der Lippe im NSG „Lip- Flächen um die Altwasser im Alt-NSG Im NSG „Lippeaue von Werne bis Heil“ peaue von Werne bis Heil“ besitzen alte „Unterlauf Beverbach“ werden extensiv weiden Heckrinder auf einer Kompen- Ufergehölze und Teichrosendecken. mit Hausrindern beweidet. sationsfläche. landschaft mit trockener und feuchter  „Lippeaue Wethmar bis Lünen“ Bis zum Wehr Beckinghausen ähnelt Grünlandvegetation. Dies ist auch Das NSG umfasst im Wesentlichen das NSG der sich östlich anschlie- für einen großen Komplex westlich die Lippeaue von der Grenze zwischen ßenden Lippeaue (s.o.). In diesem der Hornebachmündung vorgesehen, der Stadt Lünen und der Städte Werne weitgehend extensiv als Grünland der als Kompensationsmaßnahme für und Bergkamen im Osten bis in den genutzten Teil liegen Seggenrieder andernorts erfolgte Bebauung vom Stadtkernbereich von Lünen im Westen. und kleinere Auwaldreste. Die Alt- Kreis angekauft wurde. Die näheren In Ost-West-Richtung verjüngt sich wasser und Kleingewässerkomplexe Planungen und bereits umgesetzte das NSG aus der weiten und offenen weisen eine ausgeprägte Gewässer- Maßnahmen sind im Beitrag „In der Flussaue kommend, bis auf einen nur zonierung auf, sie sind Lebensraum Lippeaue tut sich was...“ in diesem wenige hundert Meter breiten Streifen einer Reihe gefährdeter Pflanzenarten Naturreport dargestellt. im urbanen Umfeld. der Wasserpflanzengesellschaften,

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von Röhrichten oder feuchten Ufer- hochstaudenfluren. Prägend für den Westen des NSG ist hingegen die starke anthropogene Überformung aus Siedlung und Verkehr, sowie industrieller Vornutzung. Etwa auf Höhe des Wehres Becking- hausen lag die alte Beckinghausener Mühle. Der heute noch in Teilabschnit- ten erkennbare zugehörige Mühlengra- ben bot günstige Standortbedingungen für die ab 1826 nördlich der Lippe er- richtete Eisenhütte Westfalia. Einerseits stand Brauchwasser für die Produktions- prozesse zur Verfügung, andererseits war die Lippe selbst günstig als Transportweg für Rohstoffe wie Produkte nutzbar. An die Hütte erinnern heute nur noch wenige Gebäude, am Lippeufer unter anderem das alte Fährhaus und die 2009 neu wiedererrichtete Rad- und Fußbrü- Abwechslungsreich strukturierter Altarm mit offenen Sand- und Schlammufern, cke. Mit der Brücke entstand wieder eine verschiedenen Wasserpflanzengesellschaften und üppig blühender Ufervegetation Querungsmöglichkeit, bei der Passanten im Osten des NSG. auch Einblicke in renaturierte Bereiche des NSG gewinnen können. Beidseitig dem Gewässer verzahnt sind feuchte kastelles auf dem Lippehochufer in den des ehemaligen Weges zum Werksgelän- Hochstaudenfluren, Seggenrieder und ältesten Buchenwaldbeständen der Stadt de werden Naturentwicklungsflächen mit Weidengebüsche, die von Rohrammer, Lünen. Der ehemals stark gewundene Hochlandrindern beweidet. Ein neues, Sumpf- und Teichrohrsänger zur Brut Verlauf des Rotherbaches ist heute nicht großflächig abgeschobenes Gewässer genutzt werden. mehr nachvollziehbar. Bergsenkungen bietet gute Beobachtungsmöglichkeiten Auch gegenüber des Westfalia- haben die Geländemorphologie zu einer für Wasservögel. Hier sind beispielsweise Geländes tut sich lippesüdseitig ge- aufgeweiteten dauerhaft vernässten regelmäßig verschiedene – auch gefähr- schichtsträchtiges Gelände auf. Am Tallandschaft verändert. Prägnant sind dete – Entenarten anzutreffen, wie Krick- Mündungsbereich des Rotherbaches be- hier, neben den Elementen der Weich- , Reiher- Tafel- oder Schnatterenten. Mit finden sich Spuren eines römischen Ufer- holzauen, die abgestorbenen und zum

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Die weitere Umsetzung des Lippeau- enprogramms (s.o.) wird in Zukunft einmal mehr das Gesicht dieses NSG prägen.

 „Lippeaue bis Schleuse Horst“ Das NSG nimmt größtenteils das Überschwemmungsgebiet der Lippe zwischen der Konrad-Adenauer-Straße im Osten bis zum Ende eines großen Lippebogens im Bereich der ehemaligen Schleusenanlage Horst im Westen ein. Im westlichen Bereich bildet die Lippe die gemeinsame Grenze zum Kreis Recklinghausen. Das jenseitig angren- zende großflächige NSG gewährleistet die Kohärenz der Schutzgebietskulisse -und dieses nicht nur kreisübergrei- fend, sondern auch im europäischen Kontext der im Schutzgebietssytem Östlich von Lünen wird die Lippe von Durch die naturnahe Umgestaltung der Natura 2000 als FFH-Gebiet geführten Silberweiden-Auwald, einem europa- Lippeufer entstehen wieder Lebensräu- Lippeaue. weit bedeutsamen und geschützten me für viele spezialisierte Tierarten wie Westlich des Stadtkerns von Lünen Lebensraumtyp, begleitet. die Uferschwalbe. öffnet sich die Lippeaue wieder. Zusam- men mit dem außerhalb des NSG liegen- Teil schon umgestürzten Pappeln. In ih- Beckinghausen episodisch überflutete den Segelflugplatzgeländes erscheint ren Wurzeltellern legen Eisvögel gerne Auwaldreste ins Auge. Die ausladenden der Abschnitt bis zum Wehr Budden- Brutröhren an. Ein augenfällig anderes Silberweiden sind markante Baumarten burg wie ein zusammenhängender Gepräge hat der Zufluss der naturfern der Weichholzauenwälder, einem euro- Grünlandblock. Dieser ist von typischen kanalisiert ausgebauten Seseke, die nur päisch bedeutsamen und geschützten alten Kulturlandschaftselementen wie wenige hundert Meter westlich in die Lebensraumtyp. Auch sie belegen die Kopfbaumreihen, dichten Feldhecken Lippe einmündet. Als zumeist nur wenig Einzigartigkeit des NSG samt struktur- und einigen Baumreihen durchzogen. breiter gewässerbegleitender Streifen reicher Flusslandschaft und begründen Größere Altarme und –wasser fehlen fallen besonders westlich des Wehres dessen Schutzwürdigkeit. in diesem Bereich, jedoch liegen eine

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Reihe von Kleingewässern eingestreut gehinderten Austausch. Insbesondere Umfeld aus vorwiegend Feuchtgrün- im Einflussbereich der Lippe, deren An- stehen bei solchen Maßnahmen wan- landbrachen entwickeln können. In zahl durch Neuanlagen weiter ansteigt. dernde Arten im Fokus, beispielsweise jüngerer Zeit wurden hier auch auf Damit wird sich die Situation auch für in NRW stark im Bestand bedrohte größeren Abschnitten durch Gestal- Amphibien in diesem Bereich weiter Fischarten wie Flussneunauge und Aal, tungsmaßnahmen die mit Schüttsteinen verbessern – unter anderem für den eu- die in der Lippe vorkommen. naturfern befestigten Uferböschungen ropäisch geschützten Kammmolch, von Westlich des Wehres schließt sich das neu modelliert. So entstanden wieder dem hier vereinzelte Nachweise vorlie- Alt-NSG „Zwiebelfeld“ an, wo ein seit Bereiche, die den natürlichen fließ- gen. Kann man an den Kleingewässern fast 200 Jahren abgeschnürter Altarm gewässerdynamischen Prozessen der vor allen auf dem Durchzug Watvögel markant ist. Er wird nur noch schwach Lippe unterworfen sind. Sie bieten wie z.B. Bekassinen beobachten, sind von Oberflächenwasser durchströmt Wiederbesiedlungsmöglichkeiten für die großen Grünlandpartien besonders und verlandet zusehends. Hier hat eine Anzahl auf sich rasch verändernde für überwinternde Gänse attraktiv und sich Auwald relativ ungestört in einem Lebensräume spezialisierte Arten. bedeutsam. Die hier und weiter westlich neu geschaffenen Ufer-Steilabbrüche haben sich schnell zu attraktiven Brut- plätzen für Uferschwalben entwickelt, einer Art, die in Ermangelung geeigneter Lebensraumstrukturen lange Zeit kein Brutvogel mehr in der Lippeaue war. Mit der Umsetzung des Entwick- lungskonzeptes für den Nordteil der Lüner Lippeaue wird die landwirtschaft- liche Nutzungsintensität weiter zurück- gefahren und weitere Biotopentwick- lungsmaßnahmen eingeleitet (s. Beitrag „In der Lippeaue tut sich was“). Das Wehr Lippholthausen wurde zur Wasserversorgung des STEAG- Kraftwerkes gebaut. Die biologische Durchgängigkeit eines Fließgewässers ist mit so einer baulichen Veränderung nachhaltig gestört. Erst der Bau einer Die Umflut um das Wehr Buddenburg stellt für viele Organismen wieder eine natür- Umflut ermöglichte wieder einen un- liche Durchgängigkeit der Lippe her.

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Solche Rückbauten sind das vorläu- Schleusenkammer führt heute fast nur Beispiel als Nahrungsraum eine Rolle für fige Ende eines bereits seit Jahrhunder- noch bei Hochwasserereignissen Was- arktische Gänse und Schwäne. ten von Menschenhand getriebenen ser und ist mittlerweile fast vollständig Erlebbar wird diese Vielfalt für den Be- Wandels an der Lippe. Massiv in den von gesetzlich geschützten Biotopen sucher besonders im Lüner Stadtbereich Lippeverlauf griffen Maßnahmen zur wie Weidengebüschen und Röhrichten auf Rad- und Fußwegen, wobei der in Schiffbarmachung ab Anfang des 19. eingenommen. In der Lippeschleife den 1990´er Jahren errichtete neue Lip- Jahrhunderts ein. Der Gewässeraus- befinden sich noch im auentypisch pedamm im Norden der Lippeaue einen bau bestand vor allem in einer Lauf- bewegten Oberflächenrelief schützens- besonders guten Einblick aus erhöhter verkürzung durch Begradigungen mit werte binsen- und seggenreiche Feucht- Warte liefert. Einige Dämme wurden Durchstichen zur Umgehung besonders grünländer und Blänken. Im gesamten in der Vergangenheit aus Gründen des enger Schleifen. Hinzu kamen Schleu- Landschaftsausschnitt um die Schleuse Hochwasserschutzes eingezogen, eine senbauwerke zur Passage der Wehre. Horst kann man im Herbst/Winter Begleiterscheinung ist aber, dass Bäche Ein letzter, aber nur noch kaum erkenn- regelmäßig durchziehende und über- nicht mehr durchgängig in die Lippe barer Zeitzeuge dieser Regulierungen, winternde Vögel beobachten. Auch die entwässern können. Technisch wird die- ist die Schleuse Horst. Deren ehemalige verbliebenen Äcker spielen dabei zum ses Problem mittels Rückhaltungen und durch Pumpwerke gelöst. So entstand auch nordseitig des neuen Lippedamms ein Becken, an dem sich Schilfröhrichte entwickelt haben. Unter anderem ver- schiedene Entenarten, aber auch die gefährdete Rohrweihe findet hier im Zu- sammenhang mit der Lippeaue attraktive Lebensraumbedingungen vor.

 NSG „Lippeaue Selm“ Das etwa 102 Hektar große NSG „Lip- peaue Selm“ besteht erst seit Dezember 2007. Teilfächen des NSG entsprechen den Kriterien der FFH-Richtlinie und sind als Teil des europäischen Schutzgebiets- system NATURA 2000 ausgewiesen. Nur noch bei Hochwasser ist die Kammer der ehemaligen Schleuse Horst geflutet. Das NSG umfasst im Wesentlichen An die Stelle von offenen Wasserflächen sind hier sukzessive Röhrichte und Wei- das (gesetzliche) Überschwemmungsge- dengebüsche getreten. biet der Lippe und bezieht angrenzende

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Grünland- und Ackerflächen ein. Es Grünland in geringem Umfang erhalten. erstreckt sich rechtseitig der Lippe von Die überwiegende ackerbauliche Inten- der Grenze zwischen Selm und Lünen siv-Nutzung ist aber noch deutlich in im Südosten bis zur Grenze zum Kreis dem Ausschnitt von der Brücke (Waltro- Coesfeld im Nordwesten. Die Lippe per Straße) bis südlich der Kläranlage selbst ist Grenzfluss zum Kreis Reckling- Bork wahrzunehmen. Aber gerade diese hausen, wo sich die Schutzgebietskulisse Bereiche erfahren in den nächsten Jahren in der orographisch links gelegenen durch eine Neugestaltung unter natur- Aue fortsetzt. Auf Unneraner Seite ist schutzfachlichen Gesichtspunkten eine die Lippeaue nur bis auf die Höhe der deutliche Optimierung (s. Beitrag „In der Kläranlage Bork aufgeweitet. Weiter Lippeaue tut sich was“). Hier befinden westlich bis zur Kreisgrenze kann man sich Flächen in Öffentlicher Hand, die keine markanten Terrassenkanten in der bereits schon um die Jahrtausendwende Morphologie ausmachen, oftmals steigt die Möglichkeit boten, abschnittsweise das Gelände nordseitig relativ unvermit- das Lippeufer zu renaturieren. Durch telt an. Die Schutzgebietsabgrenzungen solche Uferentfesselungen werden sind hier daher überwiegend eng gewählt beispielsweise unmittelbar Fische ge- und das NSG oft kaum mehr als 100 fördert. Aber auch andere aquatische Meter breit. Organismengruppen profitieren vom Die Lippeaue in diesem Bereich ist erhöhten Angebot an unterschiedlichen gekennzeichnet durch ein abwechslungs- Wassertiefen, Fließgeschwindigkeiten, reiches Mosaik an teilweise schutzwür- Totholz, Spülsäumen etc. was sich in digen Lebensräumen. Im Wechsel von höheren Arten- und Individuenzahlen Acker- und Grünland, Ufergehölz- und nachweisen lässt. Auwaldrelikten, diversen Baumstruktu- In die Lippe ragendes Totholz, wie hier Der abgeschnürte Altarm gegenüber ren und Gebüschen, unterschiedlichs- bei der Kläranlage Bork, reichert die der Kläranlage fällt als eines der wenigen ten Gewässern mit Unterwasser- und amphibischen und aquatischen Lebens- größeren und naturnahen Landschafts- Verlandungsvegetation, Röhrichten, räume um auentypische Sonderstruk- elemente auf. Er weist schutzwürdige teils feuchten Hochstaudenfluren und turen an. Weidenauwaldfragmente, hochwüch- Säumen zeigt sich der Strukturreichtum sigen Röhrichte und Seerosenteppiche und die Bedeutung dieses Abschnittes wenngleich bisher auch große, in der auf. Eine Reihe von Wasservögeln für die Pflanzen- und Tierwelt. Aue gelegene Ackerflächen im NSG nutzen den Altarm als Brutstätte (En- Einige Elemente der ehemaligen Au- verblieben sind. Südlich der Waltroper tenarten, Zwergtaucher), zugleich ist enlandschaft sind erhalten geblieben, Straße ist noch auentypisch reliefiertes er Rastplatz für Wintergäste (Schwäne,

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Gänse), die auch die umgebende Feldflur Abschnitt der Lippeaue relativ wenig die in historischer Zeit flussaufwärts von beidseitig der Lippe zur Nahrungssuche Landschaft gliedernde Gehölze. Durch Wesel aus schiffbar. An dieser Stelle aufsuchen. ihre Wuchshöhe auffällig sind aber bestimmen heute auch die Gebäude ei- Über oberflächennah anstehenden einzelne Hybridpappelreihen, die ab- ner Papierfabrik, die Brauchwasser aus Mergelbänken im Lippeflussbett findet schnittsweise die Lippe begleiten oder der Lippe zieht, das Landschaftsbild. man einen weitern kleinen Weidenau- sich in die Feldflur erstrecken. Sie sind Anders als weiter oberhalb ist hier eine waldrest im Westen des Gebietes. in der Lippeaue oftmals Brutplatz des technische Fischtreppe eingerichtet, Frühjährlich bieten hier kleinere was- gefährdeten Baumfalken, einer Art die die es immerhin stärkeren Fischarten serführende Mulden und Gerinne zu- bevorzugt Fluginsekten jagt und vom ermöglicht flussaufwärts zu wandern. sammen mit einem größeren naturnah Insektenreichtum (Libellen!) an Lippe Derart kann die Lippe ihre Funktion in Waldrandlage gelegenen Gewässer und den Auengewässern profitiert. als bedeutsamer Wanderkorridor für einen Refugialraum für Grasfrosch und Eine der deutlichen baulichen Verän- Meerforelle und Flussneunauge wahr- Molcharten. derungen an der Lippe ist das Streich- nehmen. Neben den Weiden- und Erlenu- wehr südlich des alten Herrensitzes fergehölzen befinden sich in diesem „Haus Dahl“. Bis hierher war die Lippe Literatur Junghardt, S. & Ruppert, J. (2006): Das Lippeauenprogramm im Kreis Unna – eine Flusslandschaft verändert sich. In: Jahrbuch Kreis Unna. Lippeverband (1996): Lippeauenprogramm 1995. Abschnitt Lippborg bis Wesel. Lippever- band, Dortmund. MURL – Ministerium für Umwelt, Raum- ordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) 1994: Gewäs- serauenprogramm Nordrhein-Westfalen. Vom Vorfluter zum naturnahen Fließgewässer.- Düsseldorf. MUNLV – Ministerium für Umwelt und Natur- schutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) 2002: In Teilen des NSG „Lippeaue Selm“ nehmen landwirtschaftlich intensiv genutzte Gewässerauenprogramm. Ein Überblick über Äcker noch größere Flächen ein und grenzen unmittelbar an schützenswerte Ufer- die Gewässerauenkonzepte in Nordrhein-West- hochstaudenfluren. falen.- Düsseldorf.

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 Naturschutz in der Lippeaue – warum, und wie? In der Lippeaue tut sich was ...

Lage der Planungsgebiete für Entwicklungskonzepte – rot umrandet im Westen: Selm-Bork, zentral: Lünen West, im Osten: Rieselfelder Werne; Naturschutzgebiete pink schraffiert, Wälder grün; unmaßstäbliche Darstellung auf Kartengrundlage TK 50. von Stefan Kauwling, Rolf Ohde hat viele ursprüngliche Lebensräume Neben wasserbaulichen Maßnah- und Klaus Klinger stark verändert oder sogar irreversi- men, die das natürliche Gepräge und bel zerstört. Dies gilt nicht zuletzt für die flusseigene Dynamik der Lippe Die starke anthropogene Überfor- die Flüsse mit ihren Auenlandschaf- seit Jahrhunderten stark überformt mung weiter Teile der Landschaft ten und hier namentlich die Lippe. haben, hat die intensive landwirt-

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schaftliche Bewirtschaftung der Aue Unna und Regionalverband Ruhr – in drei der Kommunikation zwischen Fluss die Landschaft nachhaltig verändert. Bereichen der Lippeaue (bei Selm-Bork, und Aue dient gleichzeitig dem öko- Spätestens seit dem letzten Jahr- Lünen und Werne) größere zusammen- logischen Hochwasserschutz hundert sind hier flächig neben den hängende Flächen erwerben. Im Rahmen  Optimierung und Entwicklung na- auenspezifischen Lebensraumtypen ihrer Schutzgebietsbetreuungsarbeit turnaher Kulturlandschaftselemente auch wertvolle Kulturlandschaftsele- wurde die Biologische Station im Kreis im Rahmen eines differenzierten mente vernichtet worden (KLINGER Unna beauftragt, landschaftsökologische Leitbildes 2000, MENGELKAMP 2009). Entwicklungskonzepte für diese drei Be-  leitbildverträgliche Integration der reiche zu erarbeiten. Nutzungsinteressen des Menschen, Lebensraum und Rückzugsgebiet für insbesondere des Naturerlebnisses anspruchsvollere Tier- und Pflanzenarten  Wohin soll’s gehen? im Rahmen von Freizeit und Erho- bilden innerhalb der Normallandschaft Den großen Rahmen für die öko- lung daher fast ausschließlich naturschutz- logische Optimierung von Auenland- Aufgrund der bis in die Aue hinein rechtlich gesicherte Gebiete. Die Lip- schaften in Nordrhein-Westfalen gibt reichenden Siedlungsbereiche sowie peaue besitzt größtenteils den Status das Gewässerauenprogramm NRW des zerschneidenden Straßennetzes eines Naturschutzgebietes und gehört als (MURL 1994, MUNLV 2002) vor. einerseits und des noch in Teilen recht FFH-Gebiet – gemäß der europäischen Dem Gedanken dieses Programms naturnahen Lebensraummosaiks ande- Fauna-Flora-Habitatrichtlinie aus 1992 folgend beschreibt das so genannte rerseits, zeigt sich die Lippeaue im Kreis – zum europäischen Schutzgebietssystem Lippeauenprogramm ein ökologisches Unna zwar kleinräumig und eingeengt NATURA 2000. In diesem Sinne spielt die Optimalkonzept, das die Reetablierung begrenzt, jedoch auch vielfältig struk- Lippeaue nicht nur im landesweiten Bio- natürlicher fließgewässerdynamischer turiert. Für die Initiierung ausgedehnter topverbund eine besondere Rolle. In der Prozesse in der Flussauenlandschaft Auwälder (und weitläufiger Röhrichtge- vorliegenden Ausgabe des Naturreports zum Ziel hat (LIPPEVERBAND 1996). In biete) ist kein Platz. Um so wertvoller geht der Beitrag „Die Naturschutzgebiete Anlehnung an das Lippeauenprogramm einzustufen ist der offene Charakter der Lippeaue im Kreis Unna“ näher auf und das landschaftsökologische Leitbild dieser Auenlandschaft, insbesondere ihre aktuelle landschaftsökologische für die Lippeaue, das die Biologische hinsichtlich der typischen Vogellebens- Bedeutung ein. Station im Kreis Unna in 2000 erarbei- gemeinschaften. Neben der Ausweisung von (Natur-) tet hat (KLINGER 2000), gibt es drei Vor dem Hintergrund dieser für die Schutzgebieten und der Anwendung des grundlegende, wichtige Eckpunkte für Ballungsrandzone typischen landschafts- Vertragsnaturschutzes gehören Flächen- die landschaftsökologische Optimierung ökologischen Gegebenheiten und des tausch und -ankauf zu den wichtigsten von Auenlandschaften: vorhandenen Entwicklungspotentials, Instrumenten des Naturschutzes. In den  größtmögliche Reetablierung fließ- lässt sich für die drei oben genannten letzten Jahren konnte die öffentliche gewässerdynamischer Prozesse in der zu entwickelnden Lippeauenbereiche Hand – insbesondere Lippeverband, Kreis Auenlandschaft; die Wiederbelebung folgendes Leitbild formulieren:

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 Entwicklung einer durch fließgewäs- auf etwa 20 Hektar zur Verfügung. Bei hat, der nur wenige gliedernde Gehölz- serdynamische Prozesse sowie auen- der konzeptionellen Entwicklung rücken elemente in der Aue aufwies und schon typische gewässermorphologische neben der Frage der Landnutzung auch lange Zeit stark ackerbaulich geprägt Elemente geprägten Auenlandschaft ganz zentral Probleme, die sich vor allem ist. Dennoch sind auch hier weitere  Integration einer extensiven land- aus der Erholungsnutzung des Gebietes Nutzungsintensivierungen in der Land- wirtschaftlichen Landnutzung soweit ergeben, in den Vordergrund. Insbeson- wirtschaft über die letzten 150 Jahre möglich dere hier gilt es, eine Entflechtung der nachvollziehbar. Durch gewässerbauli-  Erhaltung, Schutz und Optimierung Nutzungsinteressen zu erreichen, und che Maßnahmen sind Lippe und kleinere ökologisch wertvoller Kulturland- auf eine größtmögliche Beruhigung der Bachläufe nachhaltig verändert worden schaftselemente Flächen hinzuwirken. und auch auentypische Kleingewässer  Beibehaltung des offenen Land- Über die von der öffentlichen Hand sind aus der Aue verschwunden. schaftscharakters zur Förderung erworbenen Flächen hinausgehend Der Untersuchungsraum präsentiert typischer Offenland-Vogellebensge- umfasst der Betrachtungsraum mit einer sich heute als fast vollständig stark meinschaften Fläche von circa 50 Hektar die Lippeaue von Menschenhand überformter Land-  Integration des Nutzungsinteresses zwischen Kläranlage Selm-Bork im Nor- schaftsausschnitt. Die landwirtschaft- „Naturerlebnis“ unter Berücksichti- den und der Waltroper Straße im Süden. liche, insbesondere Acker-Nutzung in gung der Naturschutzziele Fast der gesamte Untersuchungsraum ist hoher Intensität ist in der Fläche der Teilausschnitt des insgesamt 102 Hektar reglementierende Faktor, der das Vor-  Lippeaue bei Selm-Bork großen, im Dezember 2007 rechtskräftig kommen und die Ausbildung von aus Erste Naturschutzmaßnahmen konn- ausgewiesenen Naturschutzgebietes Naturschutzsicht wertvollen Biotopty- ten in der rechtsseitigen Lippeaue süd- „Lippeaue Selm“, das die Lippe mit pen mit der dazu gehörenden typischen westlich von Selm-Bork bereits zu Beginn Ufer- und Auenbereichen zwischen der Fauna und Flora stark einschränkt. des letzten Jahrzehntes beginnend auf Kreisgrenze im Westen und der Einmün- Dennoch konnte sich hier über die Flächen des Landes NRW durchgeführt dung eines Baches in Höhe Schleuse Jahre eine schützenswerte Offenland- werden. Hier wurden abschnittsweise Horst im Osten umfasst. Nur die Lippe Avifauna halten. Belegt sind aus den Lippeuferbereiche rückgebaut bzw. selbst ist Teil des sich über die Kreise letzten Dekaden größere allerdings „entfesselt“ und ein Uferrandstreifen Unna/Coesfeld/Recklinghausen erstre- kontinuierlich abnehmende Bestände angelegt. ckenden FFH-Gebietes DE-40209-302 des gefährdeten Kiebitz, die im Untersu- Mit dem Flächenerwerb durch den Lippeaue, das gesamte übrige Untersu- chungsjahr (2010) aufgrund des flächen- Kreis Unna und den Lippeverband chungsgebiet liegt somit außerhalb der deckenden Anbaus von Wintergetreide stehen nun in der Lippeaue zwischen FFH-Gebietsabgrenzung. keine geeigneten Habitatstrukturen der Waltroper Straße im Süden und der Aus historischen Karten wird ersicht- mehr vorfinden konnten. Die ebenfalls Kläranlage Bork im Norden Flächen für lich, dass der Betrachtungsraum einen gefährdete Feldlerche ist in diesem Sin- eine großzügige Naturschutzplanung weithin offenen Landschaftscharakter ne gleichermaßen betroffen. Wie diese

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Panoramaansicht des Untersuchungsgebietes Lippeaue Selm Bork – derzeit überwiegend eine ausgeräumte, intensiv genutzte Agrarflur, die Lippe fließt auf Höhe der Gehölze im Hintergrund. Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Biologische Station beiden Leitarten fehlen auch weitere  Gewässerökologische Maßnahmen:  alternierendes Brachfallen und Um- bemerkenswerte Arten der Agrarflur: Anstau und Aufweitung vorhan- brechen zweier kleinerer, benach- zum Beispiel Wiesenschafstelze, Reb- dener Gräben, Optimierung bzw. barter zu erhaltender Ackerparzellen huhn, Wachtel, so dass eher das Fehlen Neuanlage mehrerer Kleingewässer, (Förderung der Offenland-Avifauna, maßgeblicher Arten zur Charakteristik Neuanlage von drei größeren Blän- insbesondere Kiebitz sowie der Acker- des Untersuchungsraumes wird. Vege- ken, stellenweise Aufweitung und wildkrautflora) tationskundlich fallen die Ackerflächen Einbuchtung des Lippeufers, insbe-  Anlage von Auwald ebenfalls nicht auf. sondere im Mündungsbereich von  Besucherlenkungskonzept: neue Bei der Ausarbeitung von Schutz-, Gräben (Förderung aquatischer und Wegeführung, Informationstafeln, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen amphibischer Organismengruppen, Aussichtsplattform fanden neben den Erkenntnissen aus der der Offenland-Avifauna, einschließ-  Anlage flachwelliger „Flugsandde- Biotoptypenkartierung und dem Vorkom- lich Rastvögel) cken“ aus sandigem Aushubmaterial men von Flora und Fauna die Altdaten der  großflächige Nutzungsextensi- (Magerrasen-/Pioniervegetation, Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft vierung unter Umwandlung der psammophile Wirbellosenfauna) für den Kreis Unna und Erhebungen der Ackerflächen in standortgerechte  Anlage einzelner Flächen mit gelenk- lokalen Naturschützer Berücksichtigung. Grünlandnutzung; Beweidung (Mut- ter Sukzession Besonders die gewässerökologischen terkuhhaltung) des Grünlandes bis  Anlage von Säumen und Rainen Maßnahmen orientieren sich am histo- auf zwei Mahdflächen mit spätem entlang der Nutzflächen und Wege rischen Zustand der Aue. Im Folgenden Mahdtermin (Bruthabitate für z.B. (Lebensraumvernetzung) sind die Maßnahmen stichwortartig Feldschwirl, Wachtel oder Wachtel-  Anlage von kleineren Gehölzstrukturen: zusammengefasst: könig) Hecken, Kopfbäume, Einzelbäume

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Panoramaansicht des Untersuchungsgebietes Lippeaue Selm Bork – derzeit überwiegend eine ausgeräumte, intensiv genutzte Agrarflur, die Lippe fließt auf Höhe der Gehölze im Hintergrund. Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Biologische Station

 ggf. Errichtung eines Storchenhors- im FFH-Gebiet DE-4314-302. Bis auf und die Feld-Hainsimse zu finden. Der tes eine Privatfläche befinden sich im Pla- Knollen-Hahnenfuß ist ein typischer Mit der Umsetzung des landschaftsö- nungsgebiet alle Flächen im Eigentum Wechselfeuchtezeiger auf solchen Bö- kologischen Entwicklungskonzeptes wird der öffentlichen Hand (Lippeverband, schungen in der Lippeaue. Die große in 2011 begonnen. Lippebauverwaltung, Stadt Lünen, Mähwiese südlich des Auslaufs des Stadtwerke Lünen, Regionalverband Fuchsbach-Pumpwerks war Anfang der  Lippeaue westlich Lünen Ruhr) oder des Arbeitskreises Heimat 2000er Jahre noch Ackerland, so dass Das zweite landschaftsökologische und Umwelt Lünen. sich die Grünlandvegetation pflanzenso- Entwicklungskonzept widmet sich der Die Flächen des Planungsraumes ziologisch noch nicht eindeutig ausdiffe- rechtsseitigen Lippeaue westlich der werden heute bereits überwiegend als renziert hat. Im Nord-Osten, im höher Stadt Lünen gegenüber dem Segel- Grünland genutzt. Mit Ausnahme eines liegenden Bereich der Aue zum Deich flugplatz. Es schließt den Bereich des großen Mähwiesenkomplexes handelt hin, liegen drei Ackerflächen. ehemaligen Naturschutzgebietes „Sto- es sich um Weidegrünland, das teils mit Abgesehen vom Auslauf des Fuchs- cke“ ein. Pferden und teils mit Rindern beweidet bach-Pumpwerks befinden sich im Der 63 Hektar große Planungsraum wird. Pflanzensoziologisch lässt sich das Planungsgebiet fünf Stillgewässer, die zwischen Lippe und Terrassenkante Grünland den Weidelgras-Weißklee- mit einer Ausnahme ganzjährig Wasser beziehungsweise Lippedeich ist seit Weiden zuordnen. Auf den sandigen führen. Darüber hinaus führen zwei Dezember 2007 Bestandteil des neuen, Uferverwallungen der Lippe und an sehr flache Auenreliefmulden temporär etwa 216 Hektar großen Naturschutz- den Böschungen der die Weideflächen Wasser. Das rechtsseitige Lippeufer ist gebietes „Lippeaue von Lünen bis durchziehenden Flutrinnen sind Ma- bis auf einen kleinen Abschnitt bereits Schleuse Horst“ und liegt größtenteils gerkeitszeiger wie das Acker-Hornkraut weitgehend entfesselt beziehungsweise

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Karte zum Zielkonzept im Entwicklungsgebiet „Lippeaue bei Selm Bork“ mit Detaillierung der Maßnahmen. naturnah umgestaltet. Um die Stillge- derzeit nicht gepflegt werden, also der bzw. entlang der Gewässer ergänzen wässer beziehungsweise entlang des Sukzession überlassen sind. Teilweise unterschiedliche Gehölzstrukturen Pumpwerk-Auslaufs wie auch entlang finden sich in diesen und einigen weiteren (waldähnliche Strukturen, Feldgehöl- der Lippe sind in der Regel Pufferbe- Bereichen Röhrichtbestände. ze, Hecken, Kopfbäume) sowie zwei reiche/-streifen aus der landwirtschaft- Insbesondere in den Randbereichen Aufforstungsflächen das Lebensraum- lichen Nutzung herausgenommen, die des Planungsgebietes und in der Nähe mosaik.

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Insgesamt gesehen weist das reich  Offenhaltung der Sukzessions- und mes befinden sich im Wesentlichen im strukturierte Planungsgebiet schon jetzt Röhrichtbereiche durch Entfernen der Eigentum des Kreises Unna und des einen hohen Naturschutzwert auf. Die Gehölze Lippeverbandes sowie in Teilen im Ei- Schwerpunkte der zukünftigen Ent-  Anlage von Säumen und Rainen gentum der Stadt Werne und in einem wicklung liegen in einer verbesserten entlang der Nutzflächen und Wege Fall in Privateigentum. Besucherlenkung bzw. Gebietsberuhi- (Lebensraumvernetzung) Der Untersuchungsraum gehört seit gung und in der Anlage auentypischer Mit der Umsetzung der Maßnahmen Dezember 2007 zum 415 Hektar gro- Gewässerstrukturen. Im Einzelnen sind wird in 2011 begonnen. ßen Naturschutzgebiet „Lippeaue von folgende Maßnahmen geplant: Werne bis Heil“, das sich beiderseits der  Gewässerökologische Maßnahmen:  Lippeaue bei Werne Lippe von Werne in westlicher Richtung Wiederherstellung/Optimierung von Südlich der Stadt Werne, westlich bis zur Bauernschaft Heil erstreckt und in drei Kleingewässern, Erweiterung der Mündung der Horne, liegt in der Teilen im FFH-Gebiet DE-4311-302 liegt. eines Kleingewässers mit Anbindung Lippeaue ein landwirtschaftlich inten- Nach Norden wird er durch die Nieder- an die Lippe, Anlage von vier Blänken siv genutzter Bereich, der in früheren terrassenkante, die der Grenze des ge- und einer Flutrinne, Entfesselung eines Zeiten als Rieselfelder der Stadt Werne setzlichen Überschwemmungsgebietes noch verbauten Uferbereiches genutzt worden war. Die Flächen dieses (Linie des 100-jährigen Hochwassers)  Beweidung (Mutterkuhhaltung) sämt- 110 Hektar großen Untersuchungsrau- entspricht, mit einem dahinterliegen- licher Grünlandflächen; Umwandlung eines Großteils der noch vorhandenen Ackerflächen in Weidegrünland  alternierendes Brachfallen und Um- brechen zweier kleinerer, benach- barter zu erhaltender Ackerparzellen (Förderung der Offenland-Avifauna, insbesondere Kiebitz sowie der Acker- wildkrautflora)  Besucherlenkungskonzept: Abschir- mung der Spazierwege zur Aue hin (Reparatur von Zäunen/Weidetoren, Heckenpflanzung, Verlängerung eines Aufforstungsstreifens), Beweidung der Mahdflächen, Ausweisung und Ausstattung von Beobachtungs-/In- Blick in die Lippeaue, westlich Lünen, südlich des Auslaufs des Fuchsbach- formationspunkten Pumpwerkes.

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Karte zum Zielkonzept im Entwicklungsgebiet „Lippeaue westlich Lünen“ mit Detaillierung der Maßnahmen. den Wohngebiet und der Kläranlage sich parallel zur Bundesstraße B54 bis an des Gebietes wird neben der landwirt- Werne begrenzt, nach Süden durch die Lippe zieht, begrenzt. schaftlichen Nutzung durch kleinere die Lippe. Nach Osten bildet die Horne Das Gebiet umfasst im Wesentlichen Gewässerstrukturen wie Entwässe- die natürliche Grenze (parallel dazu die Ackerflächen sowie einige Grünlandflä- rungsgräben und feuchte Niederungs- Bundesstraße B233), nach Westen ver- chen mit Weide- bzw. Mahdnutzung. bereiche mit Röhrichtbeständen ge- schmälert sich der Untersuchungsraum Vereinzelt reichen die Ackerflächen prägt. Der Untersuchungsraum besitzt und wird durch einen Röhrichtsaum, der bis an die Lippe heran. Der Charakter ein hohes Entwicklungspotential.

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Bei der Erarbeitung des Entwick- lungskonzeptes mussten folgende Vor- gaben berücksichtigt werden:  Für verschiedene Ausgleichsmaßnah- men wie beispielsweise für den Aus- bau des Datteln-Hamm-Kanals waren bereits Flächen festgesetzt worden:  im Süden zur Aufweitung der Lippe und Anlage von Uferstreifen im Rah- men der zukünftigen Lippeumgestal- tung  im Norden zur Entwicklung von groß- flächigem Auwald  im Nordwesten zur Entwicklung von Röhricht  im Osten zur Renaturierung der Eine der drei großen Blänken kurz nach der Fertigstellung im September 2010. Horne  Für den Großteil des Untersuchungs-  großflächige Nutzungsextensivierung  Anlage von Säumen und Rainen raumes war die zukünftige landwirt- unter Umwandlung eines Großteils entlang der Nutzflächen und Wege schaftliche Nutzung bereits festge- der Ackerflächen in standortgerechte (Lebensraumvernetzung) legt. Grünlandnutzung; Beweidung (Mut- Die Umsetzung der gewässerökolo- Zur freien Beplanung stand nur noch terkuhhaltung) des Grünlandes gischen Maßnahmen (Blänken, Graben- ein circa 27 Hektar großer, bislang vor-  alternierendes Brachfallen und Um- anstau/-aufweitung) erfolgte bereits in nehmlich in Ackernutzung befindlicher brechen von drei Ackerparzellen 2010. Die übrigen Maßnahmen werden Auenausschnitt zur Verfügung. (Förderung der Offenland-Avifauna, in 2011 umgesetzt. Das landschaftsökologische Entwick- insbesondere Kiebitz sowie der Acker- lungskonzept sieht insgesamt folgende wildkrautflora) Literatur Maßnahmen vor:  Anlage von größeren Röhricht-, Hoch- Klinger, K. (2000): Die Lippeaue: Schicksal und  Gewässerökologische Maßnahmen: staudenflur- und Sukzessionsbereichen, Chancen einer Flusslandschaft. Naturreport Neuanlage von drei großen Blänken, die gehölzfrei gehalten werden sollen 4: 88-97. Anstau und Aufweitung vorhandener  Anlage von Auwald Lippeverband (1996): Lippeauenprogramm Gräben, Aufweitung der Lippe im  Besucherlenkungskonzept: neue 1995. Abschnitt Lippborg bis Wesel. Lippe- Rahmen der Umsetzung des Lippeau- Wegeführung, Informationstafeln, verband, Dortmund. enprogramms Aussichtsplattform Mengelkamp, Nick (2009): Die Lüner Lip-

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Karte zum Zielkonzept im Entwicklungsgebiet „Lippeaue bei Werne“ mit Detaillierung der Maßnahmen. peaue – Ein Erlebnisrundweg durch die Natur Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) 1994: Gewäs- schutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Heimatgeschichte. – Hrsg.: Biologische serauenprogramm Nordrhein-Westfalen. Vom des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) 2002: Station im Kreis Unna, 47 Seiten. Vorfluter zum naturnahen Fließgewässer.- Gewässerauenprogramm. Ein Überblick über MURL – Ministerium für Umwelt, Raum- Düsseldorf. die Gewässerauenkonzepte in Nordrhein-West- ordnung und Landwirtschaft des Landes MUNLV – Ministerium für Umwelt und Natur- falen. - Düsseldorf.

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 Ufersteilwände an der Lippe Monitoring von Eisvogel und Uferschwalbe

von Rolf Ohde und Nick Mengelkamp

Der Lippeverband führt im Kreis Unna an der Lippe und in deren Aue seit etwa Mitte der 1990er Jahre in größerem Umfang Rena- turierungsmaßnahmen durch. Dies umfasst neben dem Ankauf von ufernahen Grundstücken auch die Erarbeitung und Umsetzung des Lippeauenprogramms. Die Lippe in der Form umzugestalten, dass wieder von einem Flachlandfluss im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann, ist zunächst für den Bereich zwischen Werne und Lünen geplant. Die Umgestaltung wird bei Uferentfesselung des linken Lippeufers im nördlichen Bereich des ehemaligen NSG einer Umsetzung der Planungen „Zwiebelfeld“. Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Biologische Station mit einer erheblichen Verbreiterung und Sohlaufhöhung des Flusslaufes und damit naturnah umzugestalten. selbst sind danach in Abhängigkeit vom einhergehen. Dabei werden die im Bereich der Mit- Höhenniveau und der Art des Bodenma- telwasserlinie zur Uferbefestigung terials unterschiedlich stark dem Element Konkret hat der Lippeverband seit eingebrachten Schüttsteine mit dem Wasser ausgesetzt. 1995 begonnen, an Flussabschnitten, Bagger entnommen und entweder in Die Strukturvielfalt und damit auch wo sich die angrenzenden Flächen im den Flusslauf eingebracht oder zu einer die Lebensraumvielfalt hat durch die Eigentum der öffentlichen Hand befin- der neuen Uferlinie vorgelagerten „In- Schaffung von Flachwasserzonen, den, sukzessive die Ufer zu entfesseln sel“ im Fluss aufgeschichtet. Die Ufer Sand- und Kiesbänken sowie vielfältig

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gestalteten und bewachsenen Uferpar- Um den Einfluss der Umgestaltung tien erheblich zugenommen. An vielen der Lippeufer auf den Bestand und Uferabschnitten sind Steilufer entstan- das Revierverhalten von Eisvogel und den, die zahlreichen Tieren einen neuen Uferschwalbe zu erfassen, führt die Lebensraum bieten. Biologische Station seit 2004 ein Mo- Leitarten der Lebensgemeinschaft nitoring zu diesen Vogelarten durch. der Steilufer sind Eisvogel und Ufer- Die Ergebnisse werden im folgenden schwalbe, die auf senkrecht ausgerich- kurz vorgestellt. tete Uferwände für die Anlage ihrer Brutröhren angewiesen sind. Infolge  Eisvogel des langjährigen Gewässerausbaus der Der Eisvogel, Anhang I-Vogelart der Lippe gab es bis zu den ersten Ufer- europäischen Vogelschutzrichtlinie und in entfesselungen Mitte der 1990er Jahre der Roten Liste NRW als eine gefährdete kaum Uferbereiche, an denen noch und von Naturschutzmaßnahmen abhän- Steilufer vorhanden waren und poten- gige Art geführt, bevorzugt als Lebens- tielle Nistplätze für Eisvogel und Ufer- raum langsam fließende oder stehende schwalbe boten. In der ersten Hälfte der Gewässer mit guten Sichtverhältnissen, 1990er Jahre war die Uferschwalbe an ausreichend Sitzwarten und reichem der Lippe im Kreis Unna als Brutvogel Angebot an Kleinfischen. Der Eisvogel ist verschwunden. ein Standvogel, der das ganze Jahr an der Die bislang entfesselten Uferab- Lippe heimisch ist und einzelne Reviere schnitte haben inzwischen ein sehr besetzt. Es kann also – im Gegensatz zur unterschiedliches Sukzessionsstadium Brutkolonie bildenden Uferschwalbe (s.u.) erreicht. In jedem Jahr ändert sich die Steiluferbereich im ehemaligen NSG – jeweils nur eine Brutröhre auf einem Struktur von potentiellen Steiluferberei- „Stocke“ der durch nachgerutschte Bo- längeren Flussabschnitt geben. Wie viele chen durch den Einfluss von Hochwas- denmassen weitgehend ungeeignet zur und in welchen Abständen zueinander serereignissen oder durch das Nachrut- Anlage von Brutröhren geworden war. Brutreviere in einem Beobachtungsjahr schen von Uferpartien, insbesondere vorhanden sind, ist von der Bestandsdich- dort, wo die Bodenverhältnisse sehr durch den Landschaftspflegetrupp der te sowie der Anzahl und Lage geeigneter sandig sind. Vielfach sind an vorjährigen Biologischen Station auf jeweils einer Brutplätze (Steilwände) abhängig. Brutplätzen daher keine Steiluferberei- Länge von etwa zehn Metern durch Die Bestandsituation ist maßgeblich che, die für die Anlage von Brutröhren das Abstechen der Uferbereiche neue auch witterungsabhängig. Das bedeu- geeignet sind, mehr vorhanden. An Steilwände geschaffen bzw. die vorhan- tet, dass insbesondere extreme Winter diesen Uferabschnitten werden dann denen Steilufer nachgearbeitet. der limitierende Faktor für die jeweilige

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Eisvogelbrutplätze in den Jahren 2008 bis 2010.

Bestandsituation sind, auch wenn die Im Februar und März werden die aktu- 2004: 11 Brutpaare übrigen Faktoren wie Vorhandensein ellen Steilufer erfasst und gegebenenfalls 2005: 12 Brutpaare potentieller Brutplätze, Nahrungssitua- optimiert, und anschließend ab April 2006: 8 Brutpaare tion etc. optimal sind. Es hat Winter wie nach Eisvogelbrutröhren abgesucht. Die 2007: 17 Brutpaare 1939/1940 und 1962/1963 gegeben, erfassten potentiellen Bruthöhlenstand- 2008: 16 Brutpaare in denen in Europa ganze Populationen orte werden bis Ende Mai teils mehrfach (plus 3 Standorte mit ‚starkem erloschen sind. Die Bestandslücken begangen, bis eindeutig geklärt ist, ob an Brutverdacht’) können vom Eisvogel jedoch meist in dieser Stelle eine Eisvogelbrut erfolgreich 2009: 4 Brutpaare wenigen Jahren wieder kompensiert stattfindet oder nicht. 2010: 7 Brutpaare werden, da er bis zu drei Jahresbruten Die Kartierung der Brutplätze wird Eisvogelbruten in der Lippeaue. mit jeweils sechs bis sieben Eiern tätigt. nur bis Ende Mai eines Jahres durchge-

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es war wiederum über einen längeren Zeitraum frostig kalt. Die Kartierung der Eisvogel-Brutpaare in 2010 ergab insge- samt acht Brutpaare. Dies ist eine leichte Verbesserung zum Vorjahr aber noch weit entfernt vom Bestand in 2008.

 Uferschwalbe Die Uferschwalbe wird in der Roten Liste NRW ebenfalls als eine gefährdete und von Naturschutzmaßnahmen ab- hängige Vogelart geführt. Die Uferschwalbe ist Zugvogel und Nur die rot umrandeten Röhren sind mit Uferschwalben-Brutpaaren besetzt – hier Koloniebrüter, so dass die Bestandsent- im ehemaligen NSG „Waterhues“. wicklung dieser Art auch von anderen als nur örtlichen Parametern beeinflusst führt, da anschließend – bei fehlgeschla- gehen, dass einige Brutröhren übersehen wird. Bei den Uferschwalben ist eine Ge- genen Erstbruten – bereits Zweitbruten wurden, da einige Uferabschnitte nicht burtsorts- und Brutortstreue gegeben, bzw. Nachbruten die absolute Anzahl begehbar und auch vom gegenüber- jedoch deutlich weniger ausgeprägt als der an der Lippe im Kreis Unna hei- liegenden Ufer nicht einsehbar sind. bei anderen Schwalbenarten. Generell mischen Eisvogelbrutpaare und damit Die tatsächliche Anzahl an Brutpaaren ist die Bestandsbestimmung der Ufer- die Erfassung der Bestandsentwicklung dürfte daher noch geringfügig höher schwalben methodisch schwieriger als verfälschen würde. liegen. Damit ist 2008 wohl mehr oder bei anderen Arten, da eine hohe Ten- Die Bestandsentwicklung war seit weniger schon die optimale Anzahl von denz zu Umsiedlungen – beispielsweise Beginn des Beobachtungszeitraumes im Brutrevieren für die Lippe im Kreis Unna nach Störungen an den Steilwänden Jahr 2004, bedingt durch relativ milde erreicht worden. oder nach Teilabbrüchen von Steilwän- Winter und der Zunahme von potentiel- Der Winter 2008/2009 war über den – besteht. Es gibt zudem häufig len Brutplätzen durch die Uferumgestal- einen längeren Zeitraum sehr kalt. Dies erhebliche Bestandsschwankungen, die tung der Lippeufer – mit Schwankungen hat zu einem erheblichen Einbruch im meist in Zusammenhang mit der aktuel- positiv. 2008 wurde der Höchststand mit Bestand des Eisvogels geführt. In 2009 len Verfügbarkeit geeigneter Brutplätze etwa 19 Brutpaaren in der Kreis Unnae- konnten an der Lippe im Kreis Unna nur und dem Bruterfolg des Vorjahres ste- raner Lippeaue registriert. Dabei wurde noch vier Brutpaare ermittelt werden. hen. Der Bruterfolg ist dabei maßgeblich ungefähr auf jedem Flusskilometer ein Der Winter 2009/2010 war zwar nicht von den Witterungsverhältnissen im Brutpaar ermittelt. Es ist davon auszu- so kalt wie der vorherige Winter, aber Brutzeitraum, die ihrerseits wiederum

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die Verfügbarkeit von Nahrung beein- flussen, abhängig. Zum anderen ist die Erfassung der in einer Kolonie tatsächlich besetzten Brutröhren nicht leicht zu er- mitteln. Die Interpretation langfristiger Bestandsveränderungen wird durch diese Einflüsse erheblich erschwert. Die Steilufer werden zur Erfassung der Uferschwalbenbrutpaare im Mai und Juni eines Jahres begangen. Wer- den Brutröhren gesichtet, wird von der Steilwand ein Foto angefertigt. Auf dem Fotoabzug werden bei nachfolgenden Ortsbegehungen diejenigen Stellen mar- Überhängende Vegetation verhindert die direkte Sicht auf die Brutröhren der Ufer- kiert, an denen einfliegende Uferschwal- schwalben, hier in 2010 im ehemaligen NSG „Stocke“. ben eine besetzte Brutröhre anzeigen. In einer Kolonie wird häufig der Bau solchen Stellen einfliegende Schwalben mit circa 50 Brutpaaren im ehemaligen von Brutröhren abgebrochen, so dass zu beobachten. NSG Langerner Hufeisen begonnen, an einer Steilwand durchaus eine hohe Bei der Bestandsentwicklung der Brutröhren anzulegen. Ungefähr eine Anzahl an Röhren erkennbar ist, jedoch Uferschwalben spielen, wie oben be- Woche später war keine einzige Ufer- nur einzelne Röhren auch tatsächlich von schrieben, andere Faktoren eine Rolle als schwalbe mehr an dieser Steilwand zu einem Brutpaar belegt sind. beim Eisvogel. Aber auch hier hat es in beobachten. Als Ursache werden Stö- Weitaus schwieriger sind Brutröhren den vergangenen zwei Jahren erhebliche rungen im Umfeld der Steilwand vermu- zu erfassen, die an Steilwänden direkt Schwankungen im Bestand gegeben. tet, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt unterhalb der Grasnarbe angelegt wer- Zum Beispiel hatte eine Kolonie in 2010 des Brutgeschäftes sehr schnell zu einer den und zudem durch überhängende Pflanzenteile verdeckt sind. 2005 6 Vorkommen (17+2+25+1+19 besetzte Brutröhren) 64 Brutpaare Verschiedentlich verlassen einzelne 2006 6 Vorkommen (5+7+1+29+10+49 ) 101 Brutpaare Uferschwalben eine Kolonie und bauen 2007 3 Vorkommen (21+11+26) 58 Brutpaare Brutröhren einzeln oder mit nur weni- 2008 8 Vorkommen (1+5+50+3+13+11+11+5) 99 Brutpaare gen Paaren an Stellen, die nicht ohne 2009 7 Vorkommen (14+10+2+27+2+14+6) 75 Brutpaare Weiteres als Steilufer kenntlich und 2010 6 Vorkommen (9+26+1+5+3+2) 46 Brutpaare damit erfasst sind. Häufig spielt hier der Zufall und viel Geduld eine Rolle um an Uferschwalbenbruten in der Lippeaue im Kreis Unna.

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Uferschwalbenbrutplätze der Jahre 2008 bis 2010.

Umsiedlung führten. Da nur die Lippe platzes Lünen und im ehemaligen NSG  Bewertung der Ergebnisse im Kreis Unna untersucht wurde, kann Stocke. Insbesondere am linken, dem Se- Für 2010 liegen Ergebnisse vor, die auf keine Aussage zum Verbleib der Tiere gelflugplatz zugewandten Steilufer blieb einer sehr geringen Anzahl an Brutpaa- gemacht werden. ein Bruterfolg weitgehend aus, da im ge- ren des Eisvogels und der Uferschwalbe Das Verschwinden dieser Brutpaare samten Segelflugplatzbereich die entfes- beruhen. Maßgeblich für den erhebli- hat wohl erheblich dazu beigetragen, selten Uferbereiche als Hundebade- und chen Bestandsrückgang gegenüber den dass in 2010 insgesamt nur 46 Brutpaare Hundespielplätze genutzt werden. Auch registrierten Höchstständen an Brut- registriert wurden. In den Vorjahren in den erst in den vergangenen Jahren paaren in 2008 werden allein externe hatte sich der Bestand auf etwa 100 entfesselten Uferabschnitten im Bereich Faktoren vermutet, die also nicht auf die Brutpaare eingependelt. Zum Beispiel des ehemaligen NSG Zwiebelfeld haben natürlichen Verhältnisse (Struktur der brüteten Uferschwalben regelmäßig an sich Uferschwalben an verschiedenen Flussufer, Nahrungsangebot) im Unter- Steilwänden im Bereich des Segelflug- Stellen zur Brut niedergelassen. suchungsraum zurückzuführen sind.

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Der Eisvogel ist wegen einer starken zuvor entstanden sind, während bis lich noch deutlicher aufgezeigt werden Territorialität relativ ortstreu und baut dahin genutzte benachbarte Steilwände können, welchen Einfluss die Umgestal- seine Röhren nach Möglichkeit in der- frei blieben. tung der Lippeufer auf das Vorkommen selben Steilwand. Bei einer geringeren dieser wichtigen Leitarten hat. Anzahl an Brutpaaren bleiben Reviere  Ausblick und damit Steilwände unbesetzt. Von Das Monitoring dieser Leitarten ei- Literatur den verbliebenen Standorten werden ner intakten Flusslandschaft wird auch Bunzel-Drüke, M. & Drüke, J. (1996): Eisvögel. die Reviergrenzen wahrscheinlich in den kommenden Jahren fortgeführt. Faszinierende Meisterfischer in bedrohten Le- ausgedehnt, so dass auch das Nah- Die Ergebnisse werden für den Eisvogel bensräumen.- Karlsruhe: Braun. rungsangebot und damit der Bruterfolg bei einer positiven Bestandserholung Hölzinger, J & Mahler, U. (Hrsg.) (2001): Die größer ist. – vorrausgesetzt mildere Winter ver- Vögel Baden-Württembergs. Bd. 2 Nicht Sing- Dasselbe gilt für die Standorte von hindern nicht eine positive Bestands- vögel 3. – Ulmer Stuttgart. Uferschwalben-Brutplätzen. Bei den entwicklung – aufzeigen, ob mit dem Hölzinger, J & Mahler, U. (Hrsg.) (1999): Die Uferschwalben ist aber eine erheblich Bestand von 2008 bereits ein Maximum Vögel Baden-Württembergs. Bd. 3.1 Singvögel größere Flexibilität in der Wahl des der Brutpaardichte an der Lippe im Kreis 1. – Ulmer Stuttgart. Brutplatzes gegeben. Es wurden im bis- Unna erreicht worden war. Ähnliches Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Kreis herigen Untersuchungszeitraum auch gilt aus anderen Gründen (s.o.) für die Unna (2000): Die Brutvögel des Kreises Unna. Steilwände besiedelt, die erst durch die Uferschwalbe. Unter Einbeziehung der Ergebnisse der Gitterfeldkartierung 1997-1999. Umgestaltung der Ufer wenige Monate künftigen Ergebnisse, wird voraussicht- – Naturkundliche Reihe Band 2.

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 Lippe und Seseke: Ökologischer Gewässerumbau Wirkung auf die Lebenswelt – zurück zur Natur

von Jochen Stemplewski, Mario Sommerhäuser, Andreas Petruck und Sylvia Junghardt

Der Lippeverband setzt seit Mitte der 1990er Jahre das Lippeauen- programm mit vielen kleineren und größeren Maßnahmen und Planungen um. So ist im Abschnitt zwischen Lünen-Beckinghausen und Werne das Großprojekt zur natur- nahen Umgestaltung der Lippe mit Sohlanhebung und Verbreiterung geplant. In diesem Zusammenhang wird am Wehr Werne Anfang 2011 ein naturnahes Umgehungsgerinne als neuer Fischaufstieg gebaut.

Zu den Maßnahmen zählen die An- Entfesselter Uferabschnitt an der Lippe unterhalb Lünen, Mai 2009. Foto: Lippeverband lage von Blänken und Flutrinnen, Auen- waldentwicklungen, Grünlandextensi- Voraussetzungen sind und waren im Rückbauten tatsächlich sehr effektive vierungen, die naturnahe Umgestaltung Kreis Unna günstig, weil hier größere Maßnahmen der naturnahen Flussum- von einmündenden Nebengewässern Uferflächen bereits im Eigentum der öf- gestaltung darstellen. Mit der Entfes- und vor allem Uferentfesselungen. Ins- fentlichen Hand waren oder mit Mitteln selung können die Strukturvielfalt der gesamt sind an der Lippe bisher (Stand des Lippeauenprogrammes erworben Lippe erhöht sowie fließgewässerty- 2010) rund 40 Kilometer Ufer entfesselt werden konnten. pische Prozesse wie seitliche Erosion worden, davon liegen etwa elf Kilome- Mit Monitoring-Untersuchungen und Sedimentation wieder ermöglicht ter alleine im Kreisgebiet Unna. Die wurde dokumentiert, dass solche werden. Falls Ufergehölze erhalten wer-

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den sollen, werden Rinnen hinter dem vorhandenen Ufer angelegt und damit eine neue Uferlinie geschaffen. Die alte Uferlinie wird damit zur Flussinsel. Die Rückbaumaßnahmen zeigen für viele Artengruppen einschließlich der Fische, Ufervögel und Stechimmen eine positive Wirkung, was sich besonders in einer Zunahme gewässer- beziehungs- weise leitbildtypischer Arten abbildet. An den entfesselten Uferabschnitten konnten bei den größeren Wirbellosen sowohl deutlich höhere Artenzahlen als auch eine deutlich höhere Zahl gefährdeter Arten im Vergleich zu den ausgebauten Uferabschnitten nachgewiesen werden. Dabei kommen vermehrt Besiedler spezifischer Habi- tatstrukturen vor, die für eine natur- nahe Flussmorphologie stehen, einige seltene und gefährdete Arten wurden neu festgestellt. Auch bei den Fischen lagen die fest- gestellten Artenzahlen in den entfessel- ten Uferbereichen deutlich höher als in den befestigten Bereichen. Einige Arten wie zum Beispiel Bachforelle, Äsche, Brachse oder Quappe konnten nur in entfesselten Abschnitten nachgewiesen werden. Die Individuenzahl pro 100 Meter Ufer lag in den rückgebauten Abschnitten mehr als doppelt so hoch wie in befestigten Abschnitten. Die Luftbildschrägaufnahme mit Uferentfesselungen an der Lippe und naturnah umge- vorgenommenen Uferentfesselungen stalteter Einmündung der Rühenbecke unterhalb Lünen, 2005. Foto: Lippeverband

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stellen damit einen wichtigen Beitrag Seseke und der ihr zufließenden Bäche 300 alle Arten zur Etablierung fließgewässertypischer wurde gemeinsam mit den Kommunen 250 Arten an der Lippe dar. 200 durch den Lippeverband bereits 1984 Aus morphologischer Sicht ist die 150 entwickelt. Ziel des Programms ist es die Eigendynamik auf den entfesselten 100 Gewässer vom Abwasser zu befreien und Abschnitt beschränkt, die rückgebauten 50 anschließend ökologisch umzugestalten. Ufer sind bis auf Ausnahmen auf weiter Individuen m Ufer / 100 0 Wenn im Jahr 2012 die letzten Arbeiten Strecke stabil und führen meist auch nicht entfesselt ausgebaut abgeschlossen sein werden, findet ein zu neuen Uferabbrüchen oder gar Lauf- Fischdichte in entfesselten und in Generationenprojekt einen Abschluss. verlagerungen. Eine hohe Strukturvielfalt ausgebauten Uferabschnitten über alle Rund 500 Millionen Euro werden dann insbesondere im Pralluferbereich und Jahre gemittelt. in den Bau von Abwasserkanälen, Re- bei Fließhindernissen (Inseln, Totholz) ist genwasser- und Hochwasserrückhaltebe- aber vorhanden. Dies ist zum Beispiel an wiegend landwirtschaftliche Nutzungen cken, Kläranlagen und die Umgestaltung dem windungsreichen Verlauf am Segel- aufweist, hat der Mittel- und Unterlauf der Gewässer investiert worden sein. flugplatz in Lünen gut zu erkennen. So im Laufe der letzen 150 Jahre eine deut- Anschließend wird zu beobachten sein, entstehen an Prallhängen immer wieder liche industrielle Überprägung erfahren. wie sich die Natur das Gewässersystem vegetationsarme Bereiche während an Insbesondere die durch den Abbau Zug um Zug zurückerobert. den Gleitufern eine „Alterung“ zu beo- von Steinkohle verursachten Bergsen- Die besondere Herausforderung beim bachten ist. Dieses Wiederentstehen und kungen haben das Bild der Gewässer Umbau der Gewässer besteht darin, Vergehen von Strukturen sind natürliche nachhaltig geprägt. Zur Sicherstellung diese unter Beachtung der vielfältigen Prozesse einer dynamischen Flussaue. des Wasserabflusses und Verbesse- Nutzungsanforderungen ökologisch Es wird davon ausgegangen, dass die rung der hygienischen Situation war es umgestaltet in die Landschaft zu integrie- Dynamik der entfesselten Lippe ausreicht erforderlich, die Gewässer zu offenen ren und soweit wie möglich typgemäße die Lebensräume für die aufgeführten Abwassersammlern auszubauen. Über Gewässerstrukturen wieder herzustellen. Artengruppen dauerhaft zu erhalten. Jahrzehnte konnte so die effiziente Dies soll kurz am Beispiel der Körne Von daher werden auch künftig und sichere Ableitung des anfallenden aufgezeigt werden. So war es erforder- Entfesselungen entlang der Lippe durch- Abwassers und der Hochwasserschutz lich die Körne im obersten Abschnitt, geführt. sicher gestellt werden. Mit dem Ende direkt unterhalb der Kläranlage Dort- des Steinkohlenbergbaus im Seseke- mund-Scharnhorst, für etwa 750 Meter  Seseke, Körne und Co. einzugsgebiet und dem nachfolgenden zwischen Spundwänden zu führen. Die Das Einzugsgebiet der Seseke umfasst Ende der Bergsenkungen waren die direkt angrenzenden Siedlungs- und Ge- 319 Quadratkilometer und ist damit Voraussetzungen für eine grundlegende werbeflächen und die in diesem Bereich eines der größten der Lippezuflüsse. Veränderung der Situation gegeben. auftretenden Fließsande lassen keine Während der Oberlauf der Seseke über- Das Programm zur Umgestaltung der typgerechte morphologische Gestaltung

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und Entwicklung des Gewässers zu. Die verschmutzungsempfindliche Dreiecks- Körne – entwickelt sich seit Jahren Breite der Gewässersohle beträgt in die- kopfstrudelwurm (Dugesia gonocephala) gut. Nach der Verbesserung der Was- sem Abschnitt etwa drei Meter. und die auf der Roten Liste geführte serqualität durch den Ausbau der Klär- Der mittlere Abschnitt der Körne wird gebänderte Prachtlibelle (Calopteryx anlagen im Lippe-Einzugsgebiet in den linksseitig durch die ICE Strecke Dort- splendens) am Massener Bach regelmä- letzten Jahrzehnten ist besonders die mund-Hamm begrenzt, rechtseitig säumt ßig vor und zeigen, dass auch die unter Verbesserung der Gewässermorpho- ein schutzwürdiger Altwaldbestand die den oben beschriebenen Restriktionen logie entscheidend für die Rückkehr Aue. Hier konnte eine Gewässersohle von umgebauten Gewässer wertvolle Be- flusstypischer Arten. Die ökologische etwa fünf Meter realisiert werden. standteile der Landschaft werden und Entwicklung der Uferstruktur durch Im Unterlauf der Körne konnte auf sich die Investitionen auszahlen. Entfernung der Verbauungselemente, langen Strecken umfangreicher Grund- die Entfesselung, ist hierbei besonders erwerb getätigt werden. Damit stand  Erfolg im Fluss wichtig, erlaubt sie doch eine größere ausreichend Raum für die Profilierung Die Fließgewässerfauna der Lippe Dynamik des Flusses. Uferabbrüche, einer typgerecht gewundenen Körne zur und ihrer Zuflüsse – wie Seseke und Unterspülungen, Sand- und Kiesbänke, Verfügung. Hier beträgt die Breite der Sturzbäume und Vieles mehr haben Sohle bis zu elf Meter. Trotz der zahlrei- dem Fluss auf langen Teilstrecken chen Restriktionen ist es gelungen gute wieder ein natürlicheres Gesicht ver- Voraussetzungen für die Entwicklung der liehen. typischen Lebensräume und Lebensge- Gewässertypische Arten, dies sind meinschaften zu schaffen. die auf natürliche Strukturen angewie- Einen guten Eindruck, wie sich die senen Tiere, kehren zurück, darunter so umgestalteten Gewässer entwickeln, auch viele seltene Arten. Dies betrifft kann man an den bereits vor längerer Zeit nicht nur die Lippe selbst, sondern ökologisch umgebauten Nebengewäs- auch ihre Zuflüsse: Von 239 Arten der sern der Seseke bekommen. So wurden Muscheln, Schnecken, Libellen, Eintags- die ersten Abschnitte des Massener und Köcherfliegen, die in der Lippe und Bachs – einem Zulauf der Körne – bereits ihren Zuflüssen aktuell nachgewiesen vor mehr als 15 Jahren umgestaltet und wurden, werden 54 in der Roten Liste haben sich zu wertvollen Lebensräumen gefährdeter Tiere Deutschlands und 79 entwickelt. Dies haben die über einen in der Nordrhein-Westfalens geführt. Zeitraum von zehn Jahren durch den Lip- Dies bedeutet, dass die Lippe und ihre peverband im Rahmen einer Erfolgskon- Zuflüsse über ein Drittel der landesweit trolle durchgeführten Untersuchungen Die Gebänderte Prachtlibelle (Calopte- gefährdeten Arten dieser Tiergruppen gezeigt. So kommen beispielsweise der ryx splendens). Foto: Lippeverband Lebensraum bieten (Tab. 1).

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Tiergruppe Ges.-Arten im RL 1 2 3 V RL-Arten im Lippe-EZG Lippe-EZG Muscheln/ 66 D 2 8 6 11 27 Schnecken NRW 5 7 8 7 27 Libellen 34 D – 3 3 4 10 NRW – 3 3 – 6 Eintagsfliegen 41 D – 2 6 – 8 NRW k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. Köcherfliegen 98 D – 1 7 1 9 NRW 3 17 21 – 41 Gesamt 239 D 2 14 22 16 54 NRW 8 27 32 7 74 Arten der Roten Liste der gefährdeten Tiere in der Lippe und ihren Zuflüssen (Lippeverbandsgebiet) am Beispiel von vier Tier- gruppen des Makrozoobenthos. EZG = Einzugsgebiet, RL = Rote Liste, 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, V = Vorwarnliste. Rote Listen nach www.bfn.de, Stand 2008.

Ein typischer Fund der letzten Jahre zuweisen, besonders in Bereichen mit bewegt und dort ihre Nahrung findet. ist das Uferaas (Ephoron virgo), eine in sandiger Sohle und größerer Naturnähe Größe: etwa 20 Millimeter. der Lippe seit Jahrzehnten ausgestor- aufgrund der Entfesselungsmaßnahmen Doch nicht nur flusstypische Arten, bene Eintagsfliege (Foto $). Sie ist seit des Lippeverbandes. die früher in der Lippe heimisch wa- 2004 wieder regelmäßig in der Lippe Das Foto zeigt die Larve, die sich gra- ren und besondere Ansprüche an die – auch im Kreis Unna – wieder nach- bend in den Feinsedimenten des Flusses Lebensraumqualität stellen, kommen nach und nach zurück. Die seit den 70-er Jahren allmählich gestiegene Wasserqualität hat vielen Organismen eine Wieder- und Neubesiedlung des Flusses ermöglicht. Hierzu gehören auch so genannte Neobiota („Neu-Lebewe- sen“), das heißt Pflanzen und Tiere, die nicht zur heimischen Lebenswelt gehö- ren und aus entfernten Regionen oder sogar anderen Kontinenten einwandern. Das Uferaas (auch Kornmotte), eine zurückgekehrte Eintagsfliegenart in der Lippe Möglich wird dies durch Einschleppen, bei Unna, Hamm und Lippborg. Foto: B. Eiseler beispielsweise im Ballastwasser der

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Zoologischer Name Deutscher Name Herkunft Erstnachweis in der Lippe durch LV Physella acuta Spitze Blasenschnecke Südwesteuropa vor 1970 Echinogammarus berilloni Igelflohkrebs Mittelmeerraum vor 1970 Atyaephyra desmaresti Süßwassergarnele/Flußgarnele Mittelmeerraum 1974 Dreissena polymorpha Wandermuschel/Dreikantmuschel Pontokaspis 1975 Potamopyrgus antipodarum Neuseeländische Turmdeckelschecke Neuseeland/Südpazifik 1983 Dugesia tigrina Gefleckter Strudelwurm/ Nordamerika 1984 Tigerstrudelwurm Physella heterostropha Amerikanische Blasenschnecke Nordamerika 1985 Gammarus tigrinus Getigerter Flohkrebs Nordamerika/Westatlantik 1988 Orconectes limosus Amerikanischer Flusskrebs/ Nordamerika 1990 Kamberkrebs Branchiura sowerbyi Kiemenwurm Südasien 1991 Cordylophora caspia Keulenpolyp Pontokaspis 1991 Corophium curvispinum Schlickkrebs Pontokaspis 1992 Proasellus coxalis Assel Kleinasien 1995 Corbicula fluminalis/fluminea Gerippte Körbchenmuschel Asien 1996 Dikerogammarus villosus Großer Höckerflohkrebs Pontokaspis 1996 Orchestia cavimana Süßwasser-Strandfloh Pontokaspis 1996 Eriocheir sinensis Wollhandkrabbe Ostasien/Nordpazifik 2001 Jaera istri Donau-Assel Pontokaspis 2002 Hypania invalida Süßwasser-Borstenwurm Pontokaspis 2003 Limnomysis benedeni Donau-Schwebgarnele Pontokaspis 2004 Echinogammarus ischnus Granataugen-Flohkrebs/ Pontokaspis 2007 Stachelflohkrebs Chelicorophium robustum Schlickkrebs Pontokaspis 2008 Crangonyx pseudogracilis Flohkrebs Nordamerika 2008

Neozoen-Arten des Makrozoobenthos aus der Lippe, geordnet nach dem Jahr ihres Erstnachweises durch den Lippeverband (LV). Pontokaspis = Schwarzmeergebiet.

Schiffe, oder durch aktives Einwandern Im Tierreich werden diese neu ein- direkter oder indirekter Mitwirkung aus anderen Flüssen und vor allem über gewanderten Arten Neozoen genannt, des Menschen in ein ihnen zuvor nicht Kanalsysteme, die Flussläufe und große man zählt dazu definitionsgemäß Tier- zugängliches Faunengebiet gelangt Einzugsgebiete über Wasserscheiden arten, die seit Beginn der Neuzeit (1492) sind. Neozoen finden sich in fast allen hinweg verbinden. vorsätzlich oder unbeabsichtigt unter Lebensräumen, besonders aber in Ge-

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wässern, speziell in großen Flüssen, im Auch das Eindringen von Neozoen-Ar- Die Herkunft der Tiere ist häufig das Brackwasser und im Küstenbereich. Ihre ten ist hierdurch gut dokumentiert. Für Schwarzmeergebiet (Einwanderung über Ausbreitung wird maßgeblich durch den die wirbellose Fauna der Gewässersohle den Rhein-Main-Donau-Kanal!), eine Schiffsverkehr bestimmt. Die Neobiota (Makrozoobenthos) sind in Tab. 1 die Reihe von Arten kommt aber auch aus sind meist wenig erwünscht, da viele bislang nachgewiesenen Neozoen-Ar- Nordamerika und Asien, wenige stam- Arten zur Massenentwicklung neigen ten mit Angabe ihrer Herkunft sowie men aus dem Mittelmeergebiet und eine und in der Lage sind, einheimische ihres ersten Nachweises in der Lippe Art aus Neuseeland. Die Neozoen haben Arten zu verdrängen. Das Bundesamt zusammengestellt. 23 nicht-heimische an den einzelnen Untersuchungsstellen für Naturschutz geht heute davon aus, Arten des Makrozoobenthos – das oft einen hohen Anteil an der Gesamt- dass die Bedrohung der biologischen heißt Neozoen – sind bisher in der besiedlung, der über 90 Prozent der Vielfalt durch „invasive“ gebietsfremde Lippe nachgewiesen worden. Kamen Gesamt-Individuenzahl betragen kann. Arten in ihrem Ausmaß nur noch von diese in den 70-er bis Mitte der 90-er „Die Maßnahmen des Lippeverbandes der Bedrohung durch Habitatverlust Jahre eher einzeln bzw. sporadisch zur zur ökologischen Verbesserung der Lippe übertroffen wird. Lippefauna hinzu, so sind in diesem wie die Uferentfesselung sollen auch Die Lippe wird durch das Labor des Jahrzehnt fast jährlich neue Arten hin- dazu beitragen, die Lebensräume der Lippeverbandes in seinem Verbandsge- zugekommen. Ein weiterer deutlicher heimischen Flussfauna wieder herzu- biet seit etwa 70 Jahren hinsichtlich der Anstieg war Mitte der 90-er Jahre zu stellen, um so die typischen Lippearten biologischen Besiedlung beobachtet. verzeichnen. gegenüber den Neozoen zu stärken“.

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 Zur Ökologie der Seseke vor der Regulierung und nach der Renaturierung Ein Fluss verändert seinen Lauf

von Heinrich Behrens

Welcher ist eigentlich der „Kreis- Unna-Fluss“? Manche werden die Lippe nennen, andere die Ruhr. Doch beide durchqueren nur unse- ren Kreis. Eigentlich ist es die Sese- ke, die im Osten des Kreises Unna zur selbigen wird und in Lünen in die Lippe mündet. Eine festgeleg- te Quelle der Seseke gibt es nicht, weil mehrere kleine Bäche im Raum Werl-Holtum und Unna-Hemmerde ihren Ursprung bilden.

30,8 Kilometer lang ist der Fluss – ein typisches Flachlandgewässer, nährstoff- reich und langsam fließend. Lehmig- Die mäandrierende Seseke im Bereich des Schlosses Schwansbell 1919. Quelle: sandige Schwemmböden begleiten den Historika 25 /4311 – Lünen Fluss, unter dem dicke Mergelschichten liegen. Viele Bäche fließen der Seseke zu wurde und das gleichzeitig von großer Verlauf änderte und dabei Altarme oder wie der Lünener Bach, Rexebach, Heere- ökologischer Bedeutung für die Tier- und Kolke bildete. Doch dann wurde sie und ner Mühlbach, Kuhbach, Lüserbach, die Pflanzenwelt war. ihre Nebenbäche zunächst als Vorfluter Körne oder Süggel. Insgesamt bildet die für die Ableitung bergbauspezifischer Seseke mit ihren ihr zufließenden Bächen  Die ökonomische Bedeutung Abwässer aus Kokereien, Kohlewäschen ein komplexes Fließgewässer-System, Die Seseke war bis etwa Mitte des oder Gruben und später als in Beton ge- das von den Menschen in der Region 19. Jahrhunderts ein mäandrierender legter Abwasserkanal – über den dann Jahrhunderte lang intensiv genutzt und sauberer Fluss, der manchmal den auch häusliche, gewerbliche und indus-

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Die Überschwemmungsmarke des Naturnahe Seseke vor der Regulierung in Kamen. Foto: Stadtarchiv Kamen Hochwassers von 1890 – Modell des Cömschen Bleiers an der neuen Mai- Der Fluss hatte eine große Selbstrei- wuschen ihre Wäsche im Fluss, und kleine brücke in Kamen. Foto: Behrens nigungskraft, so dass die schmutzigen Frachten konnten mit flachen Kähnen Abwässer etwa aus Gerbereien verkraftet transportiert werden. trielle Abwässer aus Lünen, Bergkamen, werden konnten. Über eine lange Zeit Kamen und Bönen in Richtung Lippe verfügte die Seseke über eine ordentliche  Die Tierwelt im und am Fluss eingeleitet wurden – genutzt. Bis dahin Wasserqualität. Die Seseke hatte aber Vor der Regulierung war der Fisch- konnte man fast problemlos darin baden, auch Schutzfunktionen. So bildete sie reichtum der Seseke schon fast legendär. wenn man die Strudel berücksichtigte, durch Umleitungen einen natürlichen Chroniken berichten von üppigen Fang- Trinkwasser dem Uferfiltrat entnehmen Schutzwall beispielsweise entlang der quoten. Nicht nur in Kamen bekannt oder aus der Seseke gefangene Fische mittelalterlichen Stadtmauer in Kamen war und ist der „Cömsche Bleier“, eine oder Krebse bedenkenlos essen. Auf oder um das Schloss Schwansbell bei Symbolfigur des alten Kamens. Von die- Kamener Stadtgebiet etwa standen drei Lünen herum. sem Fisch – es handelt sich um die Plötze Mühlen, die das Seseke-Wasser nutzten, Die so entstandenen Gräben wurden (Rutilus rutilus), die in der Region auch Gerbereien und Schuhmacher benötigten beangelt oder dienten als Löschgewässer Blei genannt wird – muss es wohl solche das Wasser für die Lederherstellung, aber für die Feuerwehr. Landwirtschaftlich Mengen gegeben haben, dass dieser auch Schlachter und Böttcher hatten genutzte Flächen wurden in Trockenzei- Fisch über Jahrhunderte die Kamener einen hohen Wasserbedarf. ten aus der Seseke bewässert. Familien Bevölkerung mit tierischem Eiweiß ver-

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behutsam aufgehoben, und waren Kreb- se auf den Froschköder gekommen, so wurden sie durch den Druck des Wassers beim Herausheben auf dem Teller fest- gehalten und konnten rasch an das Ufer geschleudert werden.“ (2) Daneben wurden auch andere Fisch- arten gesichtet und gefangen – Güster, Schleie, Maifisch, Döbel, Ukelei, Gründ- ling oder Quappe. Der ehemals große Fischreichtum der nährstoffreichen Seseke hatte natürlich mit dem großen Reichtum an Kleinstle- bewesen zu tun. Der Fluss war voll mit Zoo-und Phytoplankton, Wasserkäfern, Ausgekolkter Seseke-Bereich in Kamen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhun- Egeln, Amphibien oder Larven vieler dert. Foto: Stadtarchiv Kamen Insektenarten. Die Flussmuschel kam vor sowie viele Wasserschneckenarten. sorgen konnte. Wie fischreich die Seseke Und Pfarrer Fritz Pröbsting schreibt in Heute ist der „Cömsche Bleier“ in Stein einmal war, beschreibt ein Artikel in der seinen 1914 erschienen Lebenserinne- gehauen als Überschwemmungsmarke in Kamen erscheinenden Zechenzeitung rungen : „Eine andere sehr interessante an der Kamener Maibrücke zu sehen, von 1927: „Die heutige Kamener Jugend Beschäftigung war im Herbst (August die auf das bisher höchste in Kamen hat wohl keine Ahnung von dem Fisch- bis Oktober) der Fang der Krebse. Dazu gemessene Hochwasser vom November reichtum, den die Seseke früher enthielt. dienten 20 – 30 Stück kleine Tellernetze, 1890 hinweist. Es überflutete die gesamte Mit Wehmut denken noch die Alten an auf welche ein abgehäuteter Frosch ge- Innenstadt. die frühere schöne Zeit zurück, wo mit bunden wurde. Diese Teller schwebten Leider gab es damals – im 18. oder Klebgarn und Gamen, mit Bungen und an drei dünnen Leinen, welche oben 19. Jahrhundert – keine systematische Fuken, Aalkörben und Setzangeln manch zusammen geknotet waren, waagerecht Erfassung der Tier- und Pflanzenwelt köstliches Gericht aus dem Wasser geholt an einem 5 Fuß langen Stock, wie eine entlang oder in der Seseke, weshalb und in Mutters Küche gebracht wurde. Angelschnur. So wurden sie am Flussufer, nirgendwo Florenlisten oder Erhebun- (…) Hatte man Glück, so kam es vor, dass worin die Krebse ihre Löcher hatten, auf gen etwa der Avifauna ausfindig zu man 30 bis 40 Fische, verschiedener Sor- den Grund des Wassers hinabgelassen. machen waren. Die Daten liefern nur ten, gefangen hatte, wie Bleier, Barsche, Alle Viertelstunde wurde der Teller oder Erzählungen und Meldungen, die über Hechte, auch ab und zu einen Aal.“ (1) das „Krebsgärnchen“ an dem Stocke Vergangenes berichten und nebenbei

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etwa die Vogel- oder Fischwelt erwäh- nen. So schreibt Aloys König in seiner Arbeit über die Seseke: „Zahlreich sind auch die Arten der Wassertiere. An Ein- zellern sind Pantoffel-, Trompeter- und Geißeltierchen vertreten. Wasserflöhe und Wasserwanzen bevölkern neben Cyclops-Arten, Planarien, Nematoden und mehreren Arten von Wasserkäfern, wie Gelbrand-, Taumel- und Kolbenkä- fer, das Wasser. Allerlei Arten von Egeln leben von den Wassertieren und dienen anderen wiederum als Nahrung, wie auch die große Zahl der Insekten – Mücken, Fliegen und Libellen – ihre Brut im Wasser Die alte regulierte Seseke in Kamen, daneben ein neuer renaturierter Abschnitt. ablegt, dass sie sich im Wasser nähre. (…) Foto: Behrens In den Altwassern bedecken zur Sommer- zeit die Wasserfrösche mit den dicken bestimmt enttäuscht. Im Laufe der Jahr- der Einsatz von chemischen Spritzmitteln Köpfen, durch die aufgeblähten Backen hunderte wurde der Auwald sukzessive war noch nicht so verbreitet, was man noch dicker geworden, und mit den gerodet und durch Felder und Wiesen daran erkennen konnte, dass etwa Kar- „Froschaugen“ die Oberfläche, lassen ersetzt, die oft bis an die Uferkante toffelkäfer durch manuelles Absammeln die Sonne auf ihre grüne Haut brennen reichten. Der Grund dafür lag darin, dass dezimiert wurden. All diese Umstände und stimmen ein vielstimmiges Konzert die Böden sehr fruchtbar waren (Lößbö- ermöglichten im Unterschied zu heute an. In den Uferlöchern sitzen die Krebse, den), zumal die Überschwemmungen eine immer noch relativ hohe Artenviel- auf Beute wartend und suchend.“ (3) Der mineralische und wie Dünger wirkende falt auf den Wiesen und Feldern entlang Autor stellt dann sogar die Vermutung Ablagerungen (Feinschlämme) in die der Seseke. Dort, wo noch Auenwald- auf, Otter und Biber hätten früher zur ufernahen Flächen eintrugen. reste standen, waren Nachtigallen, ökologischen Ausstattung der Seseke Die Landwirtschaft noch bis in die Pirole, Singdrosseln oder verschiedene gehört (4). Zeit vor der Regulierung des Flusses, Spechtarten zu sehen und zu hören. also bis in die 1920er Jahre, hatte nicht In den Röhricht- und Schilfbereichen  Die frühere Seseke-Aue den Intensitätsgrad der heutigen. Die die Rohr- und Zwergdommel und auf Wenn man am Ende des 19. Jahrhun- Nutztierbestände auf den Wiesen hiel- den Wiesen und Feldern Rebhühner, derts nach Auen-typischen Strukturen ten sich in Grenzen, die Ackerflächen Kiebitze, Feldlerchen, Schafstelzen oder entlang der Seseke suchte, wurde man wurden oft noch natürlich gedüngt und Bluthänflinge und sicher auch die Bekas-

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taren ökonomischen und hygienischen Bedürfnisse der anwohnenden Menschen bediente, so sind es heute Erlebnis- und Freizeitinteressen, die die Menschen zur Seseke und zu ihren Nebenflüssen treiben. Der naturnah geführt und landschafts- ästhetisch reizvoll gestaltete Fluss wird zum Anziehungsort für Radler, Jogger, Walker und dort, wo Kunst installiert ist, für Kunstliebhaber. Und das ist gut so. Die Renaturierung ist eine Wie- dergutmachung an der geschundenen Natur, gegenüber den Menschen, die Renaturierungsarbeiten an der Seseke in Kamen. Foto: Behrens mehr als ein Jahrhundert im Umfeld von Zechen, Industrieanlagen, Autobahnen sine, vielleicht die Wiesenweihe. Auch suggerieren. Doch diese Hoffnung wird und Schnellstraßen leben mussten und Ackerwildkräuter, die heute sehr selten nicht aufgehen, weil der renaturierte Fluss müssen und ein Anrecht darauf haben, geworden sind, werden vorgekommen vollständig eingebunden ist in technische die zurückgeholte Natur zu genießen. sein: Ackerrittersporn, Adonisröschen, Systeme der Strömungsregulierung, des Und sollten sich nebenbei Bachstelze, Kornblumen, verschiedene Mohnarten Hochwasserschutzes, der Abwasserent- Eisvogel, Uferschwalbe, Zwergtaucher oder die Kornrade. sorgung und –reinigung, der Drainierung oder Flussregenpfeifer wiederansiedeln, der Polderflächen und der multifunktio- dann würde deutlich erkennbar, dass die  Die ökologischen Perspektiven nalen Nutzung der gewässernahen Flä- Renaturierung der Seseke eine neue und Ein Gedankenspiel könnte uns veran- chen im Rahmen der Flächennutzungs- deutlich bessere ökologische Perspektive lassen anzunehmen, mit der Renaturie- und Bebauungspläne. eröffnet hat. rung der Seseke und seiner Nebenflüsse Die aktuell laufenden Monitoring-Ar- gelänge es uns, den Fluss zurückzuholen, beiten zur Erfassung der Entwicklungsdy- Anmerkungen den es vor der Regulierung gab, mit der namik von Flora und Fauna in und an der 1 Zechen-Zeitung von 1927 , Nr. 5 , S. 6. gleichen Vogel- und Fischfauna und der Körne werden bald zeigen, mit welcher 2 Pröbsting, F., Erinnerungen aus meinem Leben, gleichen Ufer-und Auenflora, vielleicht Artenausstattung zu rechnen ist, welche Kamen 1914, S. 17. sogar so, wie ihn der mittelalterliche Biodiversität die Renaturierung zulässt, 3 König, A., Die Seseke - zur Heimatkunde eines Mensch erlebt hat. Das Wort „Renatu- wo aber auch ihre Grenzen liegen. Flusses im Hellweggebiet, Lünen 1949, S.35 f. rierung“ könnte eine solche Erwartung Während früher der Fluss die elemen- 4 ders., S.37.

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 Die Naturschutzgebiete der Ruhraue im Kreis Unna Zur ökologischen Bedeutung der Ruhraue

von Falko Prünte

Von der Quelle am Ruhrkopf bei Winterberg auf 674 m ü. NN bis zur Mündung in am Rhein auf 17 m ü. NN verläuft die Ruhr auf 219 Kilometern am nördlichen Rand des Sauerlandes und des Bergischen Landes. Etwa 30 Kilometer des Flusslaufes liegen im Kreis Unna be- Trinkwassergewinnung für Millionen – hier das Hammer Wasserwerk in Frönden- ziehungsweise an der durch die Ruhr berg an der Ruhr. Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Biologische Station gebildeten südlichen Kreisgrenze. Die Ruhr umfasst ein Einzugsgebiet  Wandel durch Nutzung zur Entwässerung benötigt, so liegt die von 4485 Quadratkilometer. Ebenso wie die Lippeaue hat auch die Ruhr seit etwa 100 Jahren im Fokus der Ruhraue bereits lange Phasen von Um- Wasser- und Elektrizitätswirtschaft. Ne- Während Lauflänge und Einzugsgebiet gestaltungen durch die sich wandelnden ben den Wasserwerken der anliegenden von Ruhr und Lippe weitgehend überein- Nutzungsinteressen des Menschen er- Kommunen sind im Kreis Unna auch die stimmen, charakterisiert und trennt der lebt. Flussbegradigung, Uferverbau, die großen Nachbarstädte mit ihren Trink- zu überwindende Höhenunterschied und Entwässerung der Aue zur Gewinnung wassergewinnungsanlagen vertreten. das vorherrschende Sediment die beiden von Acker- und Siedlungsland haben Die „Hammer“, „Gelsenkirchener“ und Flusssysteme: 657 m verliert die Ruhr von Überschwemmungsflächen, Auwälder „Dortmunder“ Wasserwerke weisen der Quelle bis zur Mündung und verläuft und Feuchtgrünland weitestgehend noch heute auf das große Interesse des im Oberlauf durch das silikatreiche Rhei- verdrängt. Ballungsraumes am unverzichtbaren Nass nische Schiefergebirge. Sie ist damit als Führt die Lippe – inzwischen zum und auf die Funktionsteilung zwischen grobmaterialreicher Mittelgebirgsfluss Vorteil des Naturschutzes – im Bereich Wassergewinnung südlich des Haar- anzusprechen, die für einen strömungs- der Bergbau- und Industrieregion eher strangs und Abwasserbehandlung nörd- armen Flachlandfluss wie die Lippe typi- ein funktionales Schattendasein und wird lich desselben hin. Die Einleitungen unge- schen weiten Mäander fehlen ihr. vor allem als Kühlwasserlieferant und klärter Industrie- und Siedlungsabwässer

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sind durch diese Funktionalisierung schon im frühen letzten Jahrhundert beendet worden. Das Ruhrwasser erreicht heute überwiegend die Gewässergüteklasse II, dass heißt, es ist mäßig belastet, in Teil- bereichen sogar nur gering belastet. Für die Ruhr als Mittelgebirgsfluss hatte der steigende Wasser- und Ener- giebedarf des Ruhrgebietes – immerhin hat es der Siedlungsgeschichte folgend seinen Namen dem Lebensspender zu verdanken und heißt nicht Lippegebiet – einschneidende Konsequenzen: Fast auf ganzer Länge liegt die Ruhr im Kreis Unna durch den Bau von Wehranlagen für die Elektrizitätserzeugung und die Laufwasserkraftwerk Wickede - regenerative Energie zum Preis der Stauhaltung. Wasserwirtschaft im Dauerstau mit nahezu gleichbleibender Wasserhöhe. Hochwasserspitzen werden abgefangen, 2,1 Hektar großer Fließgewässerabschnitt Nur kurze Abschnitte unterhalb der Trockenheit ausgeglichen. in der äußersten Südostecke des Kreises sieben beziehungsweise acht Stauwehre als FFH-Gebiet ausgewiesen worden, und Querbauwerke im Kreis sind von  Der Dynamik beraubt weniger als 0,01 Prozent der hiesigen stärkeren Wasserstandschwankungen Als Folge dieser Wasserhaltung konn- Ruhrauenfläche. Der Kreis Unna musste betroffen. Der Mittelgebirgsfluss ist ten größere Teile der trockenfallenden sich im Zuge der Landschaftsplanung dar- damit seiner Dynamik fast vollständig Aue ackerbaulich genutzt werden, Flut- auf beschränken, die noch vorhandenen beraubt, die Durchgängigkeit ging verlo- rinnen wurden eingeebnet, Grünland größeren Grünlandflächen außerhalb der ren. Hinzu kommt, dass das komplizierte wurde umgebrochen. Die fehlende Kraft Wassergewinnungsanlagen beziehungs- und verantwortungsreiche System der der Hochwässer und der Gewässerverbau weise der Wasserschutzzone I als NSG Wassergewinnung, das mehr als fünf – teils als Spundwand ausgeführt – führte zu sichern. Millionen Menschen und die Industrie der zu einem weitgehend uniformen Einheits- Die Umsetzung des Ruhrauenpro- Region zu versorgen hat, ein ausgeklü- profil ohne die kennzeichnenden Struk- gramms – des Pendants zum Lippeau- geltes Talsperrensystem hervorgebracht turelemente eines Mittelgebirgsflusses enprogramm – ist im Kreis Unna derzeit hat. Durch die kontrollierte Abgabe oder wie Kiesinseln und Steilwände. nicht in Sichtweite, das einst federführen- Zurückhaltung wird der jahreszeitliche In der Ruhraue ist im Kreis Unna daher de Staatliche Umweltamt in Hagen ging Abflussgang der Ruhr stark nivelliert, anders als in der Lippeaue nur ein kleiner, inzwischen im Zuge von Umstrukturie-

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rungen in der Bezirksregierung Arnsberg wasserkraftwerk Wickede ans Stromnetz auf. So ist es im Kreisgebiet insbesondere – und veränderte mit dem Bau des Weh- der Kreisverwaltung zu verdanken, dass res und des Obergrabens zur Energieer- erste vorsichtige Schritte im Sinne einer zeugung das heutige Naturschutzgebiet Redynamisierung und Renaturierung und dessen Umfeld tiefgreifend. der Ruhraue unternommen werden. Das War bis dahin die Ruhr unreguliert Maß aller Dinge ist und bleibt dabei die und frei, ist seither der Abfluss weit- Wasser- und Elektrizitätswirtschaft: Sie gehend gesteuert, der namengebende hat – neben dem Geldgeber Land – die Obergraben westlich Wickede liegt im Schlüssel in der Hand, wie Veränderungen Dauerstau-Bereich. Anders als in weiten in den Betriebs- und Verfahrensstruktu- Bereichen der übrigen Ruhr-Naturschutz- ren in der Zukunft für eine ökologische gebiete ist die Alte Ruhr im Naturschutz- Umgestaltung genutzt werden können. gebiet Obergraben jedoch noch immer einer gewissen Dynamik ausgesetzt: Bei  Naturschutzgebiete der Ruhraue Spundwände als Ufersicherung. Hochwasser wird das Wickeder Wehr Sechs Naturschutzgebiete liegen in aufgezogen und die Alte Ruhr muss ein der Ruhraue innerhalb des Kreises Unna, und Schwerte, 92,1 ha) als durch und Vielfaches der ständigen Wassermenge insgesamt mit einer Fläche von knapp 310 durch menschengemachter Lebens- aufnehmen, Trockenperioden im Som- Hektar. Sechs Naturschutzgebiete – sechs raum mit dem größten (Ruhrstau-) mer führen dazu, dass sich nur noch der verschiedene Landschaftsausschnitte, See im Kreisgebiet. behördlich festgelegte Mindestabfluss als alle vereint durch ihre Lage in der Aue,  Der „Mühlenstrang“ (54,2 ha) als Rinnsal durch das dann viel zu große, fast unterschieden durch ihre Entstehungs- wieder zu entwickelnder Grünlandle- mediterran anmutende Flussbett schlän- geschichte: bensraum mit einer der letzten groß- gelt. Ohne Dauerstau lässt sich hier noch  Der „Obergraben westlich Wickede“ flächigen Viehweiden im Ruhrtal. erahnen, dass die Ruhr tatsächlich zu den (44,6 ha) mit dem einzigen Ruhrab-  Das Gebiet „In der Lake“ (41,2 ha), grobmaterialreichen Mittelgebirgsflüssen schnitt in einem NSG, der noch den weite Wiesen direkt am Ruhrufer. zu zählen ist - und welche Kraft der Fluss grobmaterialreichen Mittelgebirgsfluss  Der „Alte Ruhrgraben“ (30,9 ha) mit entwickeln kann bzw. was er zu transpor- erahnen lässt. seinen vielfältigen Feucht- und Nass- tieren in der Lage ist.  Die „Kiebitzwiese“ (46,7 ha), teilweise lebensräumen an der Terrassenkante Der Aue am Obergraben erging es unter Ruhrwasserniveau gelegen und der Ruhr. allerdings ganz ähnlich wie fast allen Flä- bereit zur großflächigen Vernässung. chen entlang der Ruhr: die Flussregulation  Der „Bahnwald“ (formal zwei zusam-  NSG Obergraben westl. Wickede und der Ausbau der Ufer ließen Steil- menhängende, gleichnamige Gebiete Als eines der ersten Elektrizitätswerke wände und Kiesinseln verschwinden und in den Landschaftsplänen Holzwickede an der hiesigen Ruhr ging 1911 das Lauf- ermöglichten die Trockenlegung und den

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Umbruch des bis dato vorherrschenden zum Beginn des Hammer Wasserwerkes nen Weg. Inzwischen gibt es im Gebiet Grünlandes. Alte Flutrinnen wurden nach unter Schutz. stellenweise wieder magere Weidelgras- und nach zugeschüttet und eingeebnet, Das Entwicklungsziel wurde aus dem Weißkleeweiden mit Feldhainsimse, die Ackernutzung wurde zur vorherr- historischen Vorbild abgeleitet, eine Acker-Hornkraut und Mausohr-Habichts- schenden Nutzungsform. In der Folge naturnahe Flussaue mit artenreichem kraut. Auch die Vogelwelt hat sich positiv waren die einstmals kennzeichnenden Grünland, Eichen-Hainbuchen-Wäldern entwickelt, die angepflanzten neuen und wertgebenden Strukturelemente wie und Hochstaudenfluren soll entwickelt Hecken und Kopfbäume dienen jahrwei- Feuchtwiesen, Auwaldrelikte und Struk- werden. se mehreren Neuntötern als Brutplatz, turelemente des Flussbettes im heutigen Ackerflächen sind in der Folge wieder Dorngrasmücke, Klappergrasmücke und NSG weitgehend verschwunden. als Grünland eingesät worden, mit dem Goldammer sind gut vertreten. 2002 erfolgte dann die Wende: Der dort wirtschaftendem Schäfereibetrieb Die aufgeforsteten Waldbereiche im Kreis Unna stellte den Ruhrlauf und den wurden Pachtverträge abgeschlossen, Norden des Gebietes entwickeln sich nördlich der Ruhr gelegenen Grünland- die die Anwendung von Pestiziden und zu artenreichen Eichen-Hainbuchen- Waldkomplex von der östlichen Kreis- chemischen Düngern ausschließen und wäldern, die im Frühjahr vom Weiß des grenze (dort ist die Alte Ruhr Teil des die Nutzungsintensität reduzieren. Erste Buschwindröschen geprägt sind. Auch Natura 2000/FFH-Gebietes „Ruhr“) bis Erfolge bestätigen den eingeschlage- an der Ruhr – die leider während des

Still und im Dauerstau – der Obergra- Grobkiesiges Flussbett der Alten Ruhr im Auf bestem Wege: artenreicheres ben des Laufwasserkraftwerkes, Le- NSG Obergraben westlich Wickede wäh- Grünland auf ehemaligen Ackerflä- bensraum für Haubentaucher und Co. rend der sommerlichen Trockenphase. chen.

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Sommers im Schutzgebiet als Badeplatz Bis 1923 änderte sich das grundle- Feuchtwiesenrest direkt an der Ruhr im missbraucht wird – haben sich trotz gend: Mit dem Bau und der Inbetrieb- Bereich „Ochsenkamp“, die eigentliche unveränderter Situation Haubentaucher nahme des Wasserkraftwerkes Schwit- Kiebitzwiese, wurde unter großem Pro- und Gebirgsstelze halten können, die ten, der Wehranlage an der Kiebitzwiese test der ehrenamtlichen Naturschützer Uferschwalben sind 2010 aus den tradi- (das erste Wehr befand sich etwa 300 um Arno Bock als Schutthalde miss- tionell bewohnten Spundwänden in eine Meter westlich der heutigen Lage) und braucht und verkippt. Früher dort brü- kleine Steilwand umgezogen. Das NSG des Obergrabens wurde der östliche tende Bekassinen, Kiebitze, Raubwürger beherbergt jahrweise auch eine kleine Teil des heutigen Naturschutzgebietes und viele andere Arten hatten endgültig Graureiher-Kolonie, bezeichnenderweise in den Dauerstaubereich der Ruhr ein- ihren Platz in der Aue verloren. in den sonst verfemten, deckunggeben- bezogen. Die Uferbereiche wurden zur Mit der Unterschutzstellung des den Fichten. Fraglich bleibt allerdings, ob Erzielung einer größeren Stauhöhe mit Gebietes – der ruhrnahen Bereiche vom das zeitweise wilde Wasser der Ruhr auch Dämmen versehen, die die eigentliche Rammbach bis zur Graf-Adolf-Straße einmal wieder in die derzeit viel zu hoch Kiebitzwiese und die Aue vom Fluss entlang der Ruhr – 2002 war die Wie- gelegenen Auenflächen eindringen wird und seiner Dynamik trennten. Mehr derherstellung einer grünlandbetonten, – bis dahin ist noch viel Redynamisierung noch, die Wiesen und Weiden lagen offenen und wasserführenden Auen- notwendig. ab jetzt teilweise unter dem Niveau des landschaft das Ziel des Naturschutzes. Ruhrstaupegels. Nur die alte Ruhr, der Die Ackerflächen wurden wieder in  Start: NSG Kiebitzwiese „Münzenfund“, wurde bei Hochwasser Grünland umgewandelt. In langen, zä- Die alte Eiche, das Naturdenkmal durch das Aufziehen des Wehres noch hen Verhandlungen konnte 2010 endlich am Ostrand der Kiebitzwiese, hat wohl gelegentlich geflutet. erreicht werden, dass das inzwischen schon die Zeit der preußischen Urauf- Wie auch in den anderen Natur- weitestgehend in öffentlicher Hand nahme erlebt: Schon 1839/1840 war die schutzgebieten an der Ruhr wurde die befindliche Gelände östlich des Wehres Kiebitzwiese ein zusammenhängendes, Regulierung des Flusses zum Umbruch wieder durch Wasser aus dem Ramm- offenes Grünlandgebiet an der unregu- des Grünlandes und zur Vermehrung bach vernässt werden kann. Der Kreis lierten Ruhr. Zur Flussaue gehörte für des wertvollen Ackerlandes genutzt. In Unna ist im Winter 2010/2011 dabei, den Bauern seit der Kultivierung das der Folge sank der Anteil der Wiesen die Wasserzuführung zu erstellen. Heck- Grünland, durch das die feuchten und und Weiden bis in die 1970er Jahre auf rinder lassen eine halboffene Weide- hochwasserbeeinflussten Auen für den weit unter 50 Prozent, die umgrenzenden landschaft entstehen und sorgen für die Menschen in Wert zu setzen waren. Auch Hecken und Gehölze wurden gerodet. Besucherlenkung auf den Flächen (siehe die Kiebitze schätzen solche Bedingungen Auch die Flößwiesenwirtschaft, bei der den Beitrag zum Heckrindprojekt im – und liehen dem NSG diesen landläufig nährstoffreiches Rammbachwasser zur vorliegenden Naturreport). Erste Winter- verwendeten Flurnamen. Die Ruhr war Ertragssteigerung in die Kiebitzwiese ge- hochwässer geben einen Vorgeschmack noch durch Kiesinseln und Uferabbrüche leitet wurde, wurde aufgegeben. Der bis darauf, welche gestaltenden Kräfte das gekennzeichnet und floss frei. in die 1960er Jahre erhalten gebliebene Wasser in der Kiebitzwiese wieder entfal-

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Die noch weitgehend gehölzfreie Kiebitzwiese 1961 vom gegenüberliegenden Erstmals erhält die Kiebitzwiese wieder Ruhrufer aus gesehen. Foto: Arno Bock Wasser aus dem Rammbach. ten kann. Das wird auch den heute noch tenden Uferschwalben können sich auf  Außenseiter NSG Bahnwald in oder an der Kiebitzwiese zu findenden ein größeres und vielseitigeres Nahrung- Wo der Adel lebte, Bagger große und von Gregor Zosel dokumentierten sangebot einstellen. In den entstehenden Löcher gruben und Lokomotiven einst Tier- und Pflanzenarten zu gute kom- temporären Wasserflächen werden pfiffen – eine durch und durch andere men: Rohrammer, Sumpfrohrsänger, vielleicht auch wieder Grasfrösche und und wechselvollere Geschichte als die Feldschwirl und Gebirgsstelze werden Molche ablaichen – bisher ist die Kiebitz- übrigen Ruhr-Naturschutzgebiete hat als Brutvögel direkt profitieren und für wiese kein Ort für Amphibiennachwuchs. der Bahnwald zu berichten. Seit dem Braunkehlchen, Bekassinen, Enten und Die Fuchssegge, eine charakteristische Mittelalter fand im Ruhrtal zwischen Reiher werden die Rastbedingungen Seltenheit des Ruhrtales, hat die Chance, dem heutigen Hengsen und Geisecke das deutlich verbessert. Zwergtaucher und ihren Reliktstandort am Ruhrufer erfolg- Haus Ruhr als bedeutende Burg („Burg Haubentaucher sowie die Enten- und reich zu vergrößern. Vielleicht macht Rura“) Erwähnung in den Chroniken, Gänsearten können durch die teilweise auch in Zukunft der Kiebitz wieder eine später nach der dort ansitzenden Familie Sperrung der Uferbereiche für den Be- Pause im NSG Kiebitzwiese – füllt den Lappe auch Lappenhausen genannt. sucherverkehr auf dem für Wintergäste Namen des NSG mit neuem Leben und Die Burg wurde in der Folge von einem bedeutenden Ruhrabschnitt störungsfrei bietet den vielen Erholungssuchenden Wirtschaftshof abgelöst, noch immer rasten. Turteltaube, Neuntöter und die neue Einblicke in die Ruhraue vor den umgeben von Wassergräben. Im Umfeld in der benachbarten Spundwand brü- Toren Fröndenbergs. lagen große Grünland-, Acker- und Wald-

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beendeten dann auch dieses, nicht mehr als 25 Jahre andauernde ereignisreiche Kapitel in der Historie von Lappenhausen. Der Rangierbahnhof wurde nach dem II. Weltkrieg nicht wieder aufgebaut, das Gebiet lag brach und wurde mühsam mit Hybridpappeln aufgeforstet. Dazu mussten teilweise Löcher in die noch vor- handenen Fundamente der Bahnanlagen gesprengt werden – der Bahnwald hatte seinen Namen erhalten. Schnell erkannte der Naturschutz, hier vor Ort Heinz Herkenrath, die Bedeutung der sich wieder entwickelnden Flächen und des Stausees. Als größtes (Still-) Gewässer des Kreises wurden der See Heckrinder auf der Kiebitzwiese – Entwicklung einer offener Weidelandschaft. und die sich wieder entwickelnden Wald- flächen inmitten einer intensiv genutzten flächen. 1870 teilte die neue, zweigleisig Sicht – der Geiseckesee. Der kleinste der Landschaft dann 1994 (Holzwickede) angelegte Eisenbahn von Schwerte nach sechs Ruhrstauseen und als einziger auch und 1998 (Schwerte) als Naturschutz- Fröndenberg das Gebiet in zwei Bereiche nicht im Hauptlauf der Ruhr gelegen. gebiet ausgewiesen. und trennte Teile des nördlich der Bahn Schon ab 1912 wuchs, unterbrochen Heute ist der See einer der Hotspots gelegenen Waldes von den landwirt- von mehreren Ruhephasen, auf den der Wasservogelwelt im Kreis Unna: schaftlich genutzten Flächen an der Ruhr. nördlich der Bahn gelegenen Flächen der Die AGON Schwerte zählt seit 1988 im Anfang des letzten Jahrhunderts begann ehemalige Verschiebebahnhof Geisecke Rahmen der europaweiten Wasservo- dann die Wasserwirtschaft mit der Errich- zu einer der größten und modernsten An- gelzählung die Vogelbestände und hat tung von Wassergewinnungsanlagen im lagen dieser Art der damaligen Zeit heran. seitdem fast alle heimischen Enten- und südlich der Bahn gelegenen, von Weiden Auf maximal 42 Gleisen und 300 Meter Gänsearten feststellen können: Als Brut- und Wiesen dominierten Teil der Aue. Breite wurden Züge für den Ost-West- vögel sind Zwergtaucher, Haubentaucher, Das Wasserwerk zwischen Geisecke Verkehr rangiert. Der zweite Weltkrieg Graugans, Kanadagans, Nilgans sowie und Hengsen wurde errichtet. Bis 1939 veränderte das Gebiet dann noch einmal Stockente und Reiherente am See zuhau- entstand ein großer See in den Grün- radikal: die Flutwelle der Möhnetalsperre se. Dazu lassen sich unter anderem grö- landflächen westlich Lappenhausen: der 1943 und die Bombardierung der Bahn- ßere Zahlen rastender Tafel-, Schnatter-, Stausee Hengsen oder - aus Schwerter anlagen in Geisecke am 23. März 1945 Löffel- und Pfeifenten regelmäßig beob-

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„Eulenmauer“ am ehemaligen Standort Stausee Hengsen – Geiseckesee, auf „Versunken in der Vegetation“ – Kamm- von Haus Ruhr/Lappenhausen. jeden Fall der kleinste Ruhrstausee. molch-Tümpel bei Haus Lappenhausen. achten. Auch Gänsesäger, Zwergsäger, Die sich wieder entwickelnden Wald- Graureiher, Silberreiher, Flussuferläufer bereiche mit hohem Weichholzanteil von der Wasserfledermaus bis zum Gro- und Waldwasserläufer als regelmäßige bieten dem Trauerschnäpper im Kreis ßen Abendsegler. sowie Fluss- und Trauerseeschwalben einen der letzten Verbreitungsschwer- So bleibt dem Naturschutz die Auf- als seltene Gäste zählen zur Avifauna punkte; durch Windwurf aufgeklappte gabe, den beachtlichen Freizeitverkehr des Sees. Baumteller nutzt der Eisvogel zur Brut und im Gebiet zu lenken und die Waldflä- Besonders sticht der See mit seiner benachbart nistet der Baumfalke. In den chen allmählich in standortgerechte, kleinen Insel als einzigem Brutplatz des alten Tümpeln bei Haus Lappenhausen heimische Bestände umzuwandeln. Der Kormorans im Kreis Unna hervor. Inzwi- ist der Kammmolch zuhause. Bahnwald – ein Gebiet mit postindustri- schen ist der Baumbestand der Insel durch Aber auch auf Fledermäuse übt die eller Perspektive. den Kot der Tiere abgestorben und in sich Kombination aus strukturreichem Wald- zusammen gebrochen. Ein ganz normaler bestand und offener, mückenreicher  Das NSG Mühlenstrang Vorgang, der zur Selbstregulation der Wasserfläche eine besondere Anzie- Schon mindestens seit dem 14. Jahr- inzwischen nicht mehr anwachsenden hungskraft aus. Irmgard Devrient und hundert thront das Haus Rutenborn Kolonie beiträgt. Die Kormorane sind Reinhard Wohlgemuth haben hier etliche hochwassersicher über seinen Grün- dort zu Bodenbrütern geworden. Fledermausarten nachweisen können, land- und Ackerflächen in der Ruhraue

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zwischen dem Gänsewinkel in Schwerte Mit der Unterschutzstellung 1998 und der Ortslage Geisecke, zwischen konnte mit dem ansässigen Betrieb eine der Terrassenkante der Ruhr und dem extensive Mutterkuhhaltung vereinbart Ruhrfeldgraben am Ruhrtalradweg. Was werden. Diese Nutzungsform bietet die sich nach jahrhundertelanger Kontinuität Chance, den Weidebetrieb auf den zum anhört ist bei näherem Hinsehen doch Teil wieder eingesäten Grünlandflächen ein stetiger Wandel, zumindest was die im NSG naturschutzgerecht zu gestalten. unterhalb liegende Aue betrifft. „In den Eine deutlich verringerte Viehdichte und Villigster Kämpen“ werden die großen der Verzicht auf Pestizide und Düngung Grünlandflächen in der Ruhraue unter- lassen seitdem wieder großflächig arten- halb Rutenborn in der preußischen Ur- reichere und magere Viehweiden nach aufnahme 1839/1840 genannt. Bis zum dem historischen Vorbild entstehen. Beginn des letzten Jahrhunderts kann die Der Mühlenstrang selbst wird nur Ruhr bei Hochwasser an die steile Terras- maßvoll unterhalten und weist inzwi- senkante heranfluten, sie ist unreguliert schen wieder zahlreiche Wasserpflanzen und verzweigt, die Ufer unverbaut. Mit Mäßige Unterhaltung – hohe Vielfalt, und eine entsprechende Tierwelt auf: dem Einzug der großmaßstäblichen der Mühlenstrang. Bachberle, Wasserstern, Schwertlilie und Wasserwirtschaft in das Ruhrtal wird das Igelkolben wachsen im Gewässer, Pracht- anders. Die Ruhr wird reguliert, in den flossen. Die Ruhr verlagerte in diesem Jahr libellen, Flussnapfschnecke, Gebirgsstelze 1930er Jahren wird der Ruhrfeldgraben nach einem Hochwasser ihren Hauptlauf und Teichhuhn sind hier zu Hause. Die zunächst als Aneinanderreihung von nach Süden. Der verbliebene Arm wur- auwaldartigen Gebüsche werden von Becken zur Wassergewinnung, dann bis de eingeengt, um wenigstens noch die Grünspecht und Kleinspecht zur Brut ge- in die 1970er Jahre mit einer künstlichen Wassermühle (daher der namengebende nutzt, in den Hecken und auf den Weiden Bifurkation vom Mühlenstrang aus als „Mühlenstrang“) in Schwerte betreiben brüten Neuntöter und Rohrammer, jahr- Umfluter ausgebaut. Gleichzeitig wer- zu können. In den 1950er Jahren wurde weise existiert in einem Fichtenbestand den die Grünlandflächen nördlich des der Lauf begradigt und das Profil einge- eine kleine Graureiherkolonie. Grabens, das heutige NSG, weitgehend tieft. Später wurde noch eine zusätzliche Wertvoll sind auch die großflächigen umgebrochen, zurück bleiben kleine Verwallung zur Hochwassersicherung feuchten und nassen Hochstaudenfluren Grünlandparzellen, die ehemaligen, entlang des Mühlenstranges im heutigen in den von Norden zum Mühlenstrang tieferliegenden und wohl nicht ackerfä- NSG aufgeworfen. Etwa ab den 1950er zufließenden Siepen: Sumpfdotterblume higen Flutrinnen verbuschen. Auch der Jahren fielen auch die beiden bis dahin und der relativ seltene Wasserampfer fin- Mühlenstrang bleibt nicht unverändert. beweideten und gemähten Feuchtsiepen den sich dort. Regelmäßige Pflegeschnit- Er entstand als Relikt einer der beiden des Gehrenbaches und bei Haus Ruten- te sind notwendig, um diese Bereiche vor Ruhrarme, welche bis 1719 durch die Aue born brach. einer Verbuschung zu bewahren.

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Beste Landschaftspfleger – Mutterkühe auf extensiver Standweide. Hochstaudenfluren im Gehrenbachtal.

Langfristig sollen auch die derzeit noch plex dar. Und auch mehr als 170 Jahre Seit dem Bau des Wehres in Westhofen ackerwirtschaftlich genutzten Parzellen später hat sich dieser Auenbereich nicht 1921 liegt der Flussabschnitt im heuti- im NSG wieder in Grünland umgewandelt grundlegend verändert: Weite Grün- gen Naturschutzgebiet im Dauerstau, und extensiv bewirtschaftet werden. landflächen, unterbrochen von einigen die Ufer wurden in der Folge befestigt. wenigen kleinen Äckern, sind seitdem der Kiesinseln verschwanden dabei ebenso  Das NSG In der Lake prägende Bestandteil dieses Ruhrauen- wie Uferabbrüche und –steilwände. Die Das Naturschutzgebiet „In der Lake“ abschnitts. Mit dem Bau der Eisenbahn- Ruhrregulierung hat wohl auch zu einer umfasst seit der Ausweisung 1998 die strecke Schwerte – Iserlohn 1910 und Entwässerung angrenzender Flächen ausgedehnten Grünlandflächen entlang der Sauerlandlinie A45 bis 1971 wurde geführt: der alte Flurname „In der Lake“, der Ruhr zwischen der Bahnlinie Schwerte der Auenbereich zweimal zerschnitten. was auf Niederdeutsch mit „feuchte – Iserlohn, der Ortslage Ergste, Haus Bis in die 1930er Jahre gab es im Gebiet Niederung“ zu übersetzen ist, trifft heute Ruhr und den Wassergewinnungsanlagen etwas östlich der Autobahnbrücke eine nicht mehr zu. westlich der Autobahn A 45. Naturbadeanstalt an der Ruhr, die nach Einschneidend ist auch ein schleichen- Schon auf der ersten verfügbaren dem II. Weltkrieg nicht reaktiviert wurde der Prozess, der sich seit den 1980er Karte, der preußischen Uraufnahme von – zumindest nicht offiziell. Jahren bis heute fortsetzt. Das jahrzehn- 1839/40, stellt sich dieser Auenabschnitt Die größten Veränderungen im Ge- telang fast vollständig als Viehweide als zusammenhängender Grünlandkom- biet hat wohl die Ruhr selbst gesehen. genutzte Grünland des NSG ist mit den

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Unterbruch – Eisenbahn und Autobahn zerschneiden die Ruhraue in Schwerte in Weite Wiesenlandschaft – inzwischen mehrere Schnipsel. fast ohne Weidetiere.

Veränderungen in der landwirtschaft- tragsnaturschutzes werden die Landwirte brüten Haubentaucher und Zwergtau- lichen Tierhaltung zu Wiesenflächen im Gebiet jedoch dabei unterstützt, die cher, Rohrammern nisten in den Ufer- und damit zu einem anderen Pflanzen- Wiesen extensiv zu bewirtschaften, d.h. hochstauden. und Tierartenspektrum umgewandelt auf Pestizide, Düngung und häufige Das bereits Erreichte spornt an, das worden. Im Jahr 2010 wurde nur noch Nutzung zu verzichten. Erster Erfolg ist Entwicklungsziel des Gebietes, die Wie- eine einzige Fläche beweidet – die letzte die Erhöhung der Artenzahlen; in Teil- derherstellung des naturnahen Grün- Rinderweide im Ruhrtal von Ergste bis zur bereichen wachsen beispielsweise wieder landkomplex „In der Lake“ an der Ruhr, Hagener Stadtgrenze. Margeriten auf den ausgemagerten weiter zu verfolgen. Heute besteht das Gebiet in großen Wiesen. Teilen aus relativ artenarmen Glatthafer- Besonders erfreulich: Eine von der  NSG Alter Ruhrgraben wiesen. Die landwirtschaftliche Intensi- Biologischen Station regelmäßig abge- Anders als das benachbarte NSG vierung und die Nutzungsumstellung sind stochene Steilwand am Ruhrufer be- „In der Lake“ verläuft das NSG „Alter nicht spurlos an den Grünlandflächen herbergt inzwischen wieder eine kleine Ruhrgraben“ in weiten Teilen ruhrfern vorüber gegangen. Mithilfe des Ver- Uferschwalbenkolonie, an der Ruhr an der Terrassenkante der Ruhr und der

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Kreisgrenze zur Stadt Hagen. Diese hat Große Teile der Weiden und Wiesen Nördlich Niederweisched wurden die direkt angrenzend ein gleichnamiges wurden zu Acker umgebrochen. Die Zahl Ackerflächen unterhalb des Hofes in das Naturschutzgebiet ausgewiesen. Bei- der Ackerflächen nimmt auch im Gebiet NSG einbezogen und wieder zu Grün- derseits der Kreisgrenze umfassen die des heutigen Naturschutzgebietes zu, land umgewandelt. An der Ruhr wurde Schutzgebiete die nördlich der Ruhrtal- insbesondere unterhalb Niederweisched ein kleiner Kiesgleithang der Ruhr an der straße verlaufende Ruhr-Terrassenkante ist die Aue nun ackerbetont. Bis in die Kluseninsel geschützt. mit nassen und feuchten Wiesen- und 1980er Jahre wird der Alte Ruhrgraben Als Schutzziel wurde die Erhaltung Gehölzflächen zwischen dem Hof mehrfach ausgebaut und intensiv un- und Entwicklung eines naturnahen Niederweisched und der Ruhrbrücke terhalten. Auenbereiches mit Feuchtwiesen und Westhofen. Zum Zeitpunkt der NSG-Ausweisung –weiden, Auwaldresten und Röhricht- Namensgebend ist der „Alte Ruhrgra- 1998 konnte der Kreis nur noch wenige beständen formuliert. ben“, der als Abzugsgraben einstmals nasse Grünlandflächen entlang der Seitdem sind neben der Neubegrün- der ordnungsgemäßen Entwässerung Terrassenkante unter Schutz stellen. dung von Wiesen mehrere Kleingewäs- und Nutzbarmachung der angrenzenden ser angelegt, Hecken und Kopfweiden Äcker und Grünlandflächen diente. Para- gepflanzt worden. In den Kleingewäs- doxerweise fällt der Grundwasserstand sern tummeln sich Grasfrosch, Erdkröte in einer Aue oftmals von den Terras- und der Fadenmolch, letzterer an seiner senkanten bis zum Flusslauf hin ab. Nicht nördlichen regionalen Verbreitungs- die Flächen direkt am Fluss, sondern die grenze. Bereiche an den flussferneren Hängen Auch im NSG Alter Ruhrgraben sind aufgrund des dort austretenden werden die Grünlandflächen mittels des Hangwassers häufig die nassesten Be- Vertragsnaturschutzes extensiv bewirt- reiche. So weist auch das weitestgehend schaftet oder von der Biologischen Sta- ruhrfern gelegene NSG „Alter Ruhrgra- tion gepflegt. Ein entscheidender Faktor ben“ deutlich mehr feuchte und nasse für die Entwicklung des Gebietes ist die Lebensräume auf, als etwa die direkt nahezu eingestellte Unterhaltung des an der Ruhr gelegenen benachbarten Alten Ruhrgrabens. An den Wasserlauf Naturschutzgebiete in Schwerte. grenzende Bereiche sind inzwischen In den 1930er Jahren erfolgte aller- wieder deutlich nasser, Sumpfdotter- dings im Wandhofener/Ergster Ruhrtal blume, Fuchssegge und Schlüsselblume – wohl auch wieder aufgrund der Errich- honorieren die ansteigende Feuchtig- tung des Westhofener Wehres bis 1921 keit, Sumpf-Helmkraut, Schwertlilien, – die Regulierung der Ruhr und die weit- Margeriten am Rande der angrenzen- Mädesüß und Schilf säumen die Ufer. gehende Trockenlegung des Grünlandes. den Wasserschutzzone I. Regelmäßig ist in den feuchten Wiesen

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Kleinflächiger Wechsel aus trockenen, Natürliche Uferschwalbensteilwand an Ausufernd und weitenteils in der Feuchtve- feuchten und nassen Grünlandflächen. der Ruhr – erfolgreiche Neubesiedlung. getation versunken – der alte Ruhrgraben. und in den Hochstaudenbereichen in den des Gebietes. Seit einigen Jahren sind Quellen letzten Jahren im Juni der sehr seltene die neu angelegten Hecken im Gebiet Kreis Unna, Landschaftspläne des Kreises Wachtelkönig zu hören – bevorzugt ein Zentrum der Brutverbreitung des Unna. nach Einbruch der Dämmerung wird er Neuntöters im Ruhrtal, im Winter ist Landesvermessungsamt NRW: Historika 25 seinem lateinischen Namen „Crex crex“ dort stetig der Raubwürger zu Gast. Stadt Schwerte, (o. Datum): Naturnahe gerecht und versucht, mit seiner sono- Eine kleine Uferschwalben-Steilwand Gestaltung des Mühlenstrangs im Altstadt- ren Stimme ein Weibchen anzulocken. hat sich an einer natürlichen Abbruch- bereich. Die sich ausbreitenden Röhrichte und kante der Kluseninsel etabliert. Ganz an www.froendenberg.de. Hochstaudenfluren sind Brutgebiet für der Kante des Kreises gelegen, steht der www.holzwickede.de. Rohrammer, Feldschwirl, Sumpf- und Alte Ruhrgraben mit seiner Artenfülle www.ruhrverband.de. Teichrohrsänger, Eisvogel, Grünspecht und seinen schützenswerten Lebens- www.schwerte.de. und Hohltaube sind ebenfalls Brutvögel räumen alles andere als am Rand. www.Wikipedia.de.

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 Ein neues Heckrind-Projekt in der Ruhraue Wie ein Kindergarten Heckrind-Pate wurde

von Klaus Klinger und Falko Prünte

Heckrinder als Landschaftsgestalter bieten dem Naturschutz eine gute Möglichkeit, in ehemals durch den Menschen intensiv genutzter Auen- landschaft Natur zu entwickeln.

Neben den unterschiedlichen – ins- besondere landwirtschaftlichen – Nut- zungsformen durch den Menschen prägte einst die Fließ- und Überflu- tungsdynamik eines Fließgewässers ganz wesentlich das Erscheinungsbild seiner Aue. Beide, Fließgewässer und Aue, Blick auf die Projektflächen am Gerstein-Kraftwerk bei Werne-Stockum. Alle Fotos, waren eng miteinander verzahnt. Diese wenn nicht anders angegeben: Biologische Station Symbiose wurde jedoch durch nutzungs- bedingte Eingriffe wie Laufverkürzung/- ihre landwirtschaftliche Bewirtschaf- Renaturierungsvorhaben (beispielsweise begradigung und Auentrockenlegung tungsformen anbelangt also „zurück zu Wiedervernässung der Aue) die land- massiv gestört. entwickeln“. In den letzten Jahrzehnten ist wirtschaftliche Bewirtschaftung stark Der Naturschutz versucht zum einen, es – nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht – einschränken, werden mit „großen Pflan- die Fließgewässer durch redynami- immer schwieriger geworden, dieses Be- zenfressern“ – wie den Heckrindern – sierende Renaturierungsmaßnahmen mühen in die Tat umzusetzen. Vor diesem so genannte Naturentwicklungsgebiete zu „reparieren“. Zum anderen war er Hintergrund hat ein Paradigmenwechsel initiiert. Der naturschutzfachliche Hin- zurückliegend bemüht, die in den Auen im Naturschutz stattgefunden. Insbeson- tergrund hierzu (Großherbivoren-The- vorhandene Kulturlandschaft zu erhalten dere in Landschaftsbereichen, wo sich die orie) wurde im Naturreport bereits an beziehungsweise zu extensivieren, was Landwirtschaft zurückzieht oder große anderer Stelle erläutert (KLINGER 2004).

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Blick auf die Projektfläche bei Werne-Langern, im Hintergrund das Kraftwerk Fläche bei Fröndenberg-Westick. Foto: Heil. Gregor Zosel

Landschaftsentwicklung findet in Natur- landwirtschaftlich betriebener Bewei- Hamm) richtete 1998 die damalige entwicklungsgebieten im Wesentlichen dung zu tun. Naturentwicklungsgebiete VEW das erste Projekt ein, dessen Be- durch die Sukzession der Vegetation im können so vielfältige Vegetationsstruktu- treuung die Biologische Station im Jahr Zusammenspiel mit den Aktivitäten der in ren aufweisen und inmitten einer intensiv 2003 übernahm. Auf rund 20 Hektar geringer Anzahl (ca. 1 Tier pro 4 ha) ein- genutzten Kulturlandschaft als wertvoller befanden sich zu Beginn des Jahres 21 gesetzten Tiere, die dort ganzjährig leben, Rückzugs- und Lebensraum dienen. Tiere. Der Standort soll um rund zehn sowie – in Auen – im Zusammenspiel mit Hektar erweitert werden. der Fließ- und Überflutungsdynamik des  In den Auen von Lippe und Ruhr Zwischen Werne-Langern und Wer- Fließgewässers statt. Andere landschafts- In der Lippeaue werden auf zwei ne-Lenklar westlich des Galgenbaches gestaltende bzw. -pflegerische Eingriffe Standorten Heckrinder gehalten. Bei an der B 54 (NSG Lippeaue von Werne werden nicht mehr (oder nur sehr selek- Werne-Stockum südlich des Gerstein- bis Heil) kam 2005 ein weiterer Stand- tiv) vorgenommen. Heckrind-Projekte Kraftwerks (NSG Lippeaue von Stockum ort hinzu. Dort liefen Anfang des Jahres haben somit nichts mit herkömmlicher, bis Werne/NSG Am Tibaum der Stadt 2011 elf Heckrinder auf der Fläche

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(etwa 25 Hektar). Hinsichtlich der Be- treuung der Tiere vor Ort kooperiert die Biologische Station mit Herrn Konrad Linnemann aus Werne. 2009 haben der Kreis Unna und die Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V. (NFG) nun in der Ruhraue bei Fröndenberg-Westick im Naturschutzgebiet Kiebitzwiese ein weiteres Heckrindprojekt ins Leben gerufen. Auf rund 30 Hektar ehemals intensiv genutzter Grünlandfläche wur- den am 23.11. und 2.12.2009 insgesamt fünf Heckrinder, ein Bulle und vier Kühe, ausgesetzt. Bis Ende 2010 waren zwei Bullenkälber dazu gekommen. Die Flächen liegen direkt an der Ruhr und befinden sich teils im Eigen- tum des Landes Nordrhein-Westfalen, teils des Kreises Unna. Die Betreuung Vom Kreis Unna aufgestellte Hinweis- Neuer Flößgrabenabschnitt zwischen des Projekts übernahm mittlerweile schilder. dem Rammbach und der Kiebitzwiese. ebenfalls die Biologische Station. Bei der Vor-Ort-Betreuung der Tiere koo- in die Ruhr ein Flößgraben reaktiviert und der Ruhrverwallung unterbrochen periert sie mit Herrn Thomas Pieper aus und teilweise neu angelegt. Dieser war. Zusätzlich werden im Gelände Wickede/Ruhr. Der Landschaftsplan ermöglicht es, Wasser aus dem Ramm- vorhandene Gerinnestrukturen vertieft sah im Bereich des Naturschutzgebietes bach-Ruhr-System in die Kiebitzwiese werden. Durch den höheren Boden- Kiebitzwiese ursprünglich extensive einzuleiten und die teilweise unter wassergehalt und die jetzt deutlich Grünlandnutzung vor. Naturschutz- Ruhrwasserspiegel liegenden Flächen extensivierte Beweidungsintensität fachliches Ziel der Biologischen Station des Naturschutzgebietes zu bespannen. ist der Wandel in der Vegetation hin ist insbesondere die Wiedervernässung Insbesondere bei Hochwasserereignis- zu feuchten und nassen Wiesen- und der Auengrünlandflächen im Gebiet. sen ist damit wieder eine für Auenflä- Gehölzstrukturen absehbar. Die ersten Um dies zu erreichen, wurde durch chen typische Überflutungsdynamik in rastenden Bekassinen und Bergpieper den Kreis Unna im November 2010 der Kiebitzwiese gegeben, die seit fast künden bereits von der Wiederherstel- im Mündungsbereich des Rammbachs 100 Jahren durch den Bau des Wehres lung der typischen Auenlandschaft.

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Trockene Auengrünlandflächen vor Be- Beginnende Auenvernässung, erste Korbinian mit seiner Mutter am ginn der Vernässung im Sommer 2010. Rinnenstrukturen werden sichtbar. 20.10.2010. Foto: Gregor Zosel

 Nachwuchs trifft Nachwuchs Idee der NABU-Naturschutzgruppe ausgesucht worden. Die Idee wurde im Die Etablierung des Heckrind-Pro- Fröndenberg, Fröndenberger Kinder- Oktober 2010 gemeinsam mit der Bio- jektes in der Ruhraue bei Fröndenberg gartenkindern im Rahmen mehrerer logischen Station umgesetzt. Nament- durch den Kreis Unna stieß bei der Veranstaltungen die Natur der Frön- lich engagierten sich seitens des NABU Bevölkerung zunächst auf Protest, weil denberger Ruhraue samt ihrer neuen Helga Luther und Familie Zosel. – wie im Landschaftsplan vorgesehen Bewohner nahe zu bringen und vor An einem Nachmittag erzählte – Spazierwege an der Ruhr aufge- allem die Kinder die Namensgebung Gregor Zosel den Kindern anhand von hoben wurden. Mittlerweile haben und Patenschaft für das im Sommer Lichtbildern Interessantes zur Tierwelt sich die Wogen jedoch weitgehend zuletzt geborene Kalb übernehmen der Ruhraue und den Heckrindern. geglättet, und die Heckrinder stellen zu lassen. Insbesondere die Eindrücke zu den für Jung und Alt eher einen beliebten Wegen seiner Nähe zum Natur- Heckrindern fanden dann in den dar- Anziehungspunkt dar. Maßgeblich schutzgebiet Kiebitzwiese war der auf folgenden Tagen bei den Kindern hierzu beigetragen hat die engagierte katholische Kindergarten St. Josef ihren Niederschlag in farbenfroh ge-

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Im Rahmen einer kleinen Feier wurde der Name für das kleine Kalb bekannt gege- Cemal hatte das schönste Bild dazu ben. Foto: Sabine Zosel gemalt. Foto: Sabine Zosel malten Bildern. An einem Vormittag offizieller Bekanntgabe des Namens Holz aufgezogene Bild ziert nun den fand mit Gregor und Sabine Zosel und und Prämierung des schönsten ge- Zaun der Heckrindweide neben dem der Biologischen Station ein Spazier- malten Heckrindbildes, begleitet durch Weidetor. Und als Pate für das nächste gang in die Natur der nahen Ruhraue die örtliche Presse. Da sich die Namen Kalb steht die evangelische Kinderta- und zu den Heckrindern statt. Leider der am Standort geborenen Heckrind- gesstätte Oase in Fröndenberg bereits hatten die scheuen Rinder an diesem kälber im Anfangsbuchstaben nach vor der Tür ... Tag jedoch keine Lust, sich aus dem der lokalen Ortsbezeichnung richten, Schutz der Gehölze heraus den Kin- müssen die Namen mit „K“ wie Kie- Literatur dern sichtbar zu präsentieren. bitzwiese beginnen. Als schönsten Klinger, Klaus (2004): Das Heckrind-Projekt Höhepunkt der Aktionsreihe war Namen entschieden sich die Kinder am Gerstein-Kraftwerk bei Werne-Stockum. jedoch die Suche der Kinder nach für Korbinian! Und zum schönsten – Aus: Naturreport – Jahrbuch der Naturför- einem Namen für das Heckrindkalb gemalten Bild erkoren die Kinder das derungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V., mit darauf folgender gemeinsamer des sechsjährigen Cemal. Das auf Ausgabe 8, s. 28-32.

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 Orchideen-Report – eine Bilanz Orchideen zwischen Ruhr und Lippe

von Bernd Margenburg Schule im Norden des Kreises Unna gemeldet. Recherchen ergaben, dass Vor 13 Jahren erschien im Rah- die Pflanzen – Samen oder Rhizome men der „Naturschutzfachlichen – offenbar mit Erdreich einer einge- Beiträge“ der Naturförderungs- pflanzten Kiefer aus der Schwäbischen gesellschaft für den Kreis Unna Alp eingeschleppt worden waren. Die „Die Orchideen des Kreises Unna“. Art hat sich trotz einiger Eingriffe bis Seitdem ist die Kartierung und die heute gehalten. Die Population kann Pflege von Orchideenbiotopen nur durch Pflegemaßnahmen gesichert fortgeführt worden. Jetzt wird eine werden. Das Schwertblättrige Waldvö- Bilanz gezogen. Wie ist es heute gelein (Cephalanthera longifolia) bleibt um unsere blühenden Kostbarkei- weiterhin im Kreisgebiet verschollen. ten gestellt?  Stabile Hybridpopulation Orchideen zeigen als empfindliche Ganz unterschiedlich verlief die Ent- Bioindikatoren oftmals viel früher als wicklung bei den Knabenkräutern. Der andere Pflanzenarten Veränderungen letzte bekannte Fundort des Fleisch- ihres Lebensraumes an. So schnell wie farbenen Knabenkrautes (Dactylorhiza geeignete Flächen besiedelt werden incarnata) am Haarstrang ist nach einer können, so schnell erlöschen Vorkom- Aufforstung erloschen. Dafür haben wir men, wenn Licht- oder Bodenverhält- seit 1996 an der Lippe eine stabilisierte nisse oder das Pflegemanagement sich Hybridpopulation des Fleischfarbenen ändern. Weil geeignete Lebensräume Knabenkrautes mit dem Breitblättrigen für Orchideen drastisch abgenommen Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata × haben, waren einige Neufunde im Kreis Dactylorhiza majalis). Unna überraschend. Das Weiße Wald- Trotz Pflegemaßnahmen hat das Ge- vögelein (Cephalanthera damasonium) fleckte Knabenkraut (Dactylorhiza ma- galt 1989 als ausgestorben. Im Jahr culata s. lat.) im Kreisgebiet abgenom- 2001 wurde ein Vorkommen an einer Das Breitblättrige Knabenkraut. men. Nur auf einer landwirtschaftlich

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genutzten, früh gemähten und nicht bekannt. Sie können auf den ersten wurden für die beiden größten Popula- gedüngten Wiesenfläche in Bergkamen Blick mit dem Übersehenen Knaben- tionen abgestimmt. konnte eine deutliche Bestandszunah- kraut (Dactylorhiza praetermissa), der Im gesamten Kreisgebiet verbreitet me beobachtet werden. Orchidee des Jahres 2008, verwechselt und mit zahlreichen Fundmeldungen in werden. Weitere Funde aus Selm, Unna, den letzten Jahren ist die Breitblättrige  Tausend blühende Exemplare Werne und eine aktuelle Meldung aus Stendelwurz (Epipactis helleborine) Ganz unterschiedlich verlief die Holzwickede zeigen, dass diese Sippe weiterhin die einzige Orchideenart im Entwicklung des Breitblättrigen Kna- Sekundärstandorte im Kreis Unna Kreis, die sich insbesondere im besiedel- benkrautes (Dactylorhiza majalis s. erobert hat. Bemerkenswert ist, dass ten Raum ausbreitet. Sie kann als unge- lat.). Pflegemaßnahmen der Biologi- die Elternarten an den Fundorten nicht fährdet betrachtet werden. Bedauerlich schen Station und des ehrenamtlichen beobachtet wurden. Pflegemaßnahmen ist, dass Großbestände dieser Orchidee Naturschutzes konnten sowohl an der Ruhr und an der Lippe Bestände dieser Wiesenorchidee mit mehreren tausend blühenden Exemplaren erhalten. Eine Fläche ging durch Düngung fast verlo- ren. Sie wurde inzwischen vom NABU gepachtet. Durch Mahd konnte eine Erholung dieser Population eingeleitet werden. Nicht gepflegte Fundorte im Lipperaum sind dagegen in den ver- gangenen Jahren erloschen. Im gleichen Zeitraum war die Ausbildung von sta- bilisierten Dactylorhiza-Hybridpopula- tionen, mit weitgehend einheitlichem Erscheinungsbild, die nicht exakt den Elternarten zugeordnet werden kön- nen, besonders bemerkenswert. Bei erster Betrachtung einer solchen Sippe ist man geneigt, sie einer Art zuzuord- nen. Die Elternarten sind das Gefleckte und das Breitblättrige Knabenkraut. Diese auffällig großen, sehr mastigen Pflanzen sind aus Kamen seit 2006 Die Vogel-Nestwurz.

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des Kreises Unna. In den letzten Jahren gab es an der Lippe eine sehr erfreuliche Entwicklung. Auf einer Bergehalde in Lünen ist der Bestand auf inzwischen mehrere hundert Exemplare angestie- gen. Jedoch wird dieser Fundort von aktuellen Planungen bedroht. Trotz Einzelfunde der Vogel-Nest- wurz (Neottia nidus-avis) im Norden und Osten des Kreisgebietes bleibt der Verbreitungsschwerpunkt mit stabilen Beständen dieser Orchidee in den Wäldern im Süden des Kreisgebietes. Die Suche nach der Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera) am letzten be- schriebenen Fundort im Kreis Unna blieb erfolglos. Dafür konnte erstmals im Jahr 2004 die Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) auf einem Industriegelände in Bergka- men nachgewiesen werden. Inzwischen sind dort mehrere Fundorte und jeweils ein weiterer in Bergkamen und Lünen Die Sumpf-Stendelwurz. bekannt. Die Bestände des Männlichen Knabenkrautes (Orchis mascula) halten mit ehemals über 1.000 blühenden Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris) sich weiter auf niedrigem Niveau im Pflanzen in Lünen und selbst in einem im nördlichen Kreisgebiet. Auch hier Osten des Kreisgebietes. Naturschutzgebiet in Schwerte nicht hat der NABU-Kreisverband Unna die Die im Jahr 2005 im Rahmen des erhalten werden konnten. Pflegemaßnahmen zum Erhalt dieser in GEO-Tages der Artenvielfalt in Berg- Nordrhein-Westfalen stark gefährdeten kamen gefundene Waldhyazinthe  Fund auf Industriegelände Orchideenart übernommen. (Platanthera ×hybrida) ist inzwischen Einer der interessantesten Orchide- Der Verbreitungsschwerpunkt des verschollen. Zwei Jahre später wurden enfunde im Kreisgebiet in den letzten Großen Zweiblattes (Listera ovata) lag aus einem Wald in Werne Blattaustriebe zehn Jahren war die Fundmeldung der bis zum Jahr 2000 im Süden und Osten von Waldhyazinthen gemeldet. Nach

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dem Aufblühen konnte die Grünliche Waldhyazinthe (Plathanthera chloran- tha) und eine Hybride (Platanthera ×hybrida) bestimmt werden. Der ein- deutigen Nachweis der zweiten Eltern- art, der Orchidee des Jahres 2011, der Zweiblättrigen Waldhyazinthe (Platan- thera bifolia s. lat.), konnte an diesem Fundort noch nicht erbracht werden.

 Zehn Arten im Kreisgebiet Aktuell können zehn (1998: 7) Orchideenarten im Kreis Unna nach- gewiesen werden. Alle Fundorte au- ßerhalb der Naturschutzgebiete sind nicht dauerhaft gesichert. Vor dem Jahr 2000 waren Waldorchideen kaum gefährdet. Jetzt droht die Intensivie- rung der Forstwirtschaft, die Pflanzen zu vernichten. Erstmals betroffen waren Fundorte der Breitblättrigen Stendelwurz. Flächenverbrauch und die Intensivierung der Landwirtschaft sorgen dafür, dass geeignete Ersatz- Die Bienen-Ragwurz. lebensräume in der freien Landschaft fehlen. Ob die wenigen Feuchtwiesen ist, dass in einigen Jahren die Pflege- Bestand durch Umpflügen und Mulchen zum Überleben der Knabenkräuter aus- arbeit außerhalb der Naturschutzge- gefährdet wurde. reichen, ist fraglich. Eine Verankerung biete auch vom amtlichen Naturschutz Der Satz „Anschauen ja – abpflücken des Naturschutzgedankens in breiten geleistet werden muss, damit nicht oder ausgraben nie!“, gilt weiterhin. Bevölkerungskreisen ist nicht zu erken- auch diese letzten wertvollen Flächen Wenn Sie zum Schutz der heimischen nen. Freiwillige Helfer zur Wiesenmahd als Trittsteinbiotope verloren gehen. Orchideen beitragen wollen, werden zu bekommen ist praktisch unmöglich, Leider muss auch berichtet werden, Sie aktiv bei den Pflegemaßnahmen so dass auf Grund des Alters der we- dass gesetzlich geschützte Pflanzen der Naturschutzgruppen vor Ort. Ab- nigen aktiven Naturschützer absehbar ausgegraben wurden und ein ganzer schließend danke ich allen Meldern von

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Bierbrodt, W.(1923): Die Pflanzenwelt unserer Heimat. Manuskript, n.p. Kamen (Abschrift von H. Neidhardt, Dortmund 1967/1982). Höppner & Preuss (1926):Flora des Westfälisch- Rheinischen Industriegebietes unter Einschluß der Rheinischen Bucht. Dortmund. Margenburg, B. (1997): Epipactis helleborine, Eine Orchidee mit Zukunft. - Naturreport, Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna 1: 85-86. Margenburg, B. (1998): Die Orchideen des Kreises Unna. Naturkundliche Reihe – Band 1 - Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V. (NFG). Margenburg, B. (2005): Die Orchidee des Jahres 1995 – jetzt auch im Kreis Unna - Naturreport, Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna 9: 64-65. Das Männliche Knabenkraut. Margenburg, B. (2006): Neues aus der Orchide- enwelt des Kreises Unna - Naturreport, Jahrbuch Fundorten und hoffe auf weitere Unter- Literatur der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis stützung bei der Orchideenkartierung Arbeitskreis Heimische Orchideen Nordrhein- Unna 10: 122-124. im Kreis Unna (Orchideenmeldungen Westfalen des BUND-NW e.V. (Hrsg.) (2001): Die Runge, F. (1990): Die Flora Westfalens. 3. an [email protected]). Orchideen Nordrhein-Westfalens – Selbstverlag. Aufl. Münster.

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 Moose und ihre Lebensräume im Kreis Unna – eine Übersicht Eine naturkundliche Exkursion

Mauermoos im Siedlungsbereich: das Haarblättrige Birnmoos (Bryum capillare). Moose in Pflasterritzen. von Hans Jürgen Geyer und Winter zum Vorschein kommen, ligeren Erscheinen verhilft als es im Bernd Margenburg sofern nicht Laub oder Schnee trockenen Zustand der Fall ist. Viele den Boden bedecken. Arten bilden in dieser für sie günstigen Moose gehören aufgrund ihrer Phase ihre Fruchtkörper-tragende Ge- geringen Größe und den nicht Das beständig feuchte Mikroklima neration (Sporophyten) aus. Lediglich vorhandenen Schauorganen dieser Jahreszeiten hält die wechsel- an wenigen Sonder- und Extremstand- (Blüten) zu den unscheinbaren feuchten Pflanzen in frischen und bei orten, welche von Blütenpflanzen und Pflanzen, die in der sommerlichen ausreichender Temperatur zudem in Farnen nicht oder nur eingeschränkt Vegetation oft übersehen werden stoffwechselaktivem Zustand. Die besiedelt werden können, vermögen und erst mit dem Vergehen der Blätter sind dann weit ausgebreitet, Moose das Vegetationsbild ganzjährig Gräser und Kräuter im Herbst und was den Moosen zu einem auffäl- zu gestalten. Zu diesen zählen im Kreis-

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Schiefsternmoos (Plagiomnium affine). Verschiedene Erd- und Ruderalmoose. Winterliches Erscheinungsbild eines gemähten Seggenriedes – der grüne Moosra- sen zwischen den abgestorbenen Seggen wird aus dem Spießmoos (Calliergonella cuspidata) und Schiefsternmoos (Plagiomnium affine) gebildet.

gebiet vor allem Mauern und Gestein- in dem durch Siedlungs- und Gewer- saufschlüsse, aber auch häufig und stark beaktivitäten stark geprägten Kreis. gestörte Flächen wie Pflasterfugen und In Innenstädten können dies Parks und Wegränder, auf denen die Weiterent- (alte) Friedhöfe, aber auch unwirtliche wicklung der Vegetation immer wieder Stellen wie Mauern, Pflasterritzen und zurückgeworfen wird. In der folgenden Ruderalflächen sein. Bildergalerie werden beispielhaft einige Lebensräume und ihre repräsentativen  Feuchtgebiete Moosarten vorgestellt. Die Bilder stam- Moose an naturnäheren Standorten men von Exkursionen der Botanik-AG wachsen unter anderem in Feuchtwie- des NABU-Kreisverbandes Unna. sen und Bruchwäldern, die im Kreisge- biet oftmals durch Bergsenkungspro- Nahezu in jedem Zierrasen zu finden:  Siedlungsbereich zesse entstanden sind. das Sparrige Kranzmoos (Rhytidiadel- Die Moose des Siedlungsbereiches phus squarrosus). sind weit verbreitet und allgegenwärtig Bitte lesen Sie auf Seite 97 weiter.

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Großes Katharinenmoos (Atrichum undu- Schönes Frauenhaarmoos (Poly- Eibenblättriges Spaltzahnmoos (Fis- latum) und weitere säuretolerante Moose trichum formosum) mit Häublingen sidens taxifolius) auf Mergelkalk in im Ablaufbereich eines Baumstammes. (Galerina sp). einem Buchen-Mischwald.

Mischrasen aus Moor-Zipfelmoos (Fossombronia foveolata) und Kamm-Zipfelmoos Quellaustritt mit Beckenmoos (Pellia (Fossombronia wondraczekii) mit zahlreichen gelbgrünen (jungen) und braun- epiphylla). schwarzen (reifen) Sporenkapseln auf trockengefallenem Sandboden.

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Dickstieliges Spaltzahnmoos (Fissidens Aufschluss am Südhang des Haar- Streifenfarn-Flachmoos (Homalia tricho- crassipes) auf einem Uferbefestigungs- stranges mit gesteinsbewohnenden manoides) an einem Kreidekalk-Austritt block an der Lippe bei Niedrigwasser. Moosen. in einer Schledde.

Dünnästiges Wolffußmoos (Anomodon attenuatus) in einem Sandstein-Aufschluss; diese Art wächst hier zwar auf kalkfreiem Sandstein, wird aber aus der aufliegen- Flechten und Moose auf Borke einer den Kreidekalkschicht mit dem notwendigen Substrat versorgt. Weide.

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Breitblättriges Sackmoos (Frullania dilata- Stumpfblättriges Goldhaarmoos (Orthotrichum obtusifolium). ta) mit schöner rotbrauner Pigmentierung.

 Wälder der Überflutungen ertragen oder ihren auf den karbonischen Sandsteinen des Waldbodenmoose finden sich vor Entwicklungszyklus von der Keimung bis Ruhrtales. allem an exponierten Stellen wie Bö- zur Samenreife rasch vollziehen. schungskanten und Bodenrippen, an  Borkenmoose denen der Wind das Laub verweht. Auch  Geotope Über die Rückkehr der borkenbewoh- auf dem Boden liegendes, morsches Holz Natürliche oder anthropogene Fels- nenden Moose im Kreis wurde bereits und Ablaufbereiche von Baumstämmen, bildungen wie Felsaustritte, Aufschlüsse berichtet (GEYER & MARGENBURG in denen das abfließende Regenwasser oder Steinentnahmestellen sind prädes- 2008), so dass dieser Aspekt hier nicht zu einer oberflächlichen Versauerung tinierte Lebensräume für Moose. Weil weiter thematisiert werden soll. des Bodens geführt hat, werden oft von die Pflanzen in der Regel direkt auf der Moosen besiedelt. Gesteinsunterlage haften, kommt den Literatur chemischen Eigenschaften des Gesteins Geyer, H. J. & B. MARGENBURG (2008): Leben  Gewässer und Ufer eine maßgebliche Bedeutung zu. Die aus der Luft – die Rückkehr der Borkenmoose. Gewässerränder und trockengefallene Moosflora auf den Kreidekalken des Naturreport. Jahrbuch der Naturförderungs- Uferbereiche werden von speziell ange- Haarstranges unterscheidet sich daher gesellschaft für den Kreis Unna e.V. 12: 76-81. passten Moosarten besiedelt, die entwe- grundlegend von der Artengarnitur Unna.

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Die NFG – Wir über uns

Die Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. – kurz genannt NFG – wurde 1984 als Kooperations- modell zwischen amtlichem und ehrenamtlichem Naturschutz gegründet. Als gemeinnützig anerkannter Verein hat sich die NFG im Kreis Unna folgende Aufgaben gestellt:

 Die NFG unterstützt die Aktivitäten des ehrenamtlichen Naturschutzes.  Die NFG hilft bei der Sicherung von schutzwürdigen Gebieten.  Die NFG führt Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen durch.  Die NFG klärt die Öffentlichkeit über Umwelt,- Natur- und Artenschutz auf.  Die NFG unterstützt umweltpädagogische Aktivitäten.  Die NFG ist Trägerverein der Biologischen Station für den Kreis Unna.

Die Geschäftsführung des Vereins übernimmt das Umweltamt des Kreises Unna.

Sitz: Ökologiestation des Kreises Unna Westenhellweg 110 · 59192 Bergkamen Telefon: 02389 9809-60 · Telefax: 02389 9809-94 E-mail: [email protected] · Internet: www.kreis-unna.de/NFG Spendenkonto: 44644 bei der Sparkasse Unna (BLZ 443 500 60)

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 Der Krötentunnel in Bönen Eine (un-)endliche Geschichte

von Volker Eschrich und Karl-Heinz Holtmann

Seit 1987 betreut die Naturschutz AG der Volkshochschule (VHS-Na- turschutz AG ) in jedem Frühjahr die Krötenwanderung an der Schulstra- ße in Bönen-Nordbögge. Die viel- befahrene Strasse zu queren kostete bis dahin vielen hundert Kröten das Leben. Eine Tatsache, die bei der Er- neuerung der Straße ein paar Jahre zuvor keine Beachtung fand.

Es war wohl bekannt, dass die alte Ziegeleigrube in Rottum-Lerche Haupt- laichgewässer für die im Umfeld le- benden Erdkröten, Grasfrösche und Molchpopulationen war und auch bis Untertunnelung der Schulstraße. Fotos: Karl-Heinz Holtmann heute noch ist. In jedem Frühjahr wurde ein Schutzzaun aufgebaut, Fangeimer wändiger Job: Jeden Morgen und Abend und dem Kreis Unna konnte 1991 an eingegraben und anschließend Abend an sieben Tagen in der Woche mussten der Südseite der Schulstraße hinter dem für Abend Kontrollgänge gemacht, zwei Personen die Eimer leeren. Jedes Waldgebiet des Jungholzes eine Wiese um die Kröten einzusammeln, über die Jahr wurden bis zu 2.500 Erdkröten erworben werden, um dort Ersatzlaich- Straße zu tragen, damit sie unversehrt über die Straße getragen. Im Laufe der gewässer anzulegen. Zwei Teiche, ein über ein Wiese zum Laichgewässer Zeit wurde allen Gruppenmitgliedern Flachgewässer für den Grasfrosch und wandern konnten. Für die Mitglieder klar, dass hier eine andere Lösung her ein tieferer Teich für die Erdkröten wur- der VHS-Naturschutz AG ein zeitauf- musste. Mit Hilfe der Gemeinde Bönen den ausgebaggert. Wieder gab es viel

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Arbeit für die VHS-Naturschutz AG. Der war es nun endlich so weit. Bei drei Que- große Teich wurde mit einem etwa 50 rungen im Abstand von etwa 70 Metern Zentimeter hohen Zaun eingefasst, um wurden Beton-U-Profile verbaut und mit die Kröten bis zum Ablaichen daran zu Betonrosten abgedeckt, damit Licht in hindern, abzuwandern. Weiterhin wur- die Unterquerungen einfallen kann, da de der Schutzzaun an der Schulstrasse die Erdkröten und auch andere Kleintiere aufgebaut und die Erdkröten wurden laut einer Studie Untertunnelungen, in nun in das neue Ersatzlaichgewässer die Licht einfällt, leichter annehmen. gesetzt. Ende März öffnete die Natur- Nach Beendigung der Arbeiten wurde schutzgruppe ein Gatter und gab so den das Projekt der VHS-Naturschutz AG Erdkröten den Weg in das benachbarte übergeben, die auch zukünftig die Be- Waldgebiet frei. Die Hoffnung, dass treuung übernimmt. Einziger Wermuts- im Laufe der Zeit die Wanderung der tropfen ist das Fehlen eines stationären Alttiere durch normale Fluktuation zum Zaunes entlang der Schulstraße – es alten Laichgewässer aufhörte, hatte sich Lichtgitter aus Beton als Abdeckung. waren keine Gelder mehr da. nicht erfüllt.  Mobiler Schutzraum  Was lange währt... Exkursion ins Havelland nach Ferchesar Wie bisher hat die Naturschutzgruppe Jedes Frühjahr suchte die VHS-Na- in der Nähe von Rathenow nahm die erstmals im Februar 2010 den mobilen turschutz AG nach einer neuen Lösung, VHS-Naturschutz einen Krötentunnel, Schutzzaun wieder aufgebaut, um die um die Gruppenmitglieder zu entlasten. der die B 188 quert, in Augenschein. wandernden Kröten in die neu erstellten Neue Mitstreiter als Helfer zu gewinnen, Fotos und zusätzliche Informationen Tunnel zu leiten. blieb erfolglos. Mit dem Mitglieder- über den Bau eines Tunnels übergaben Die Tiere haben nun die Möglichkeit, schwund in der Naturschutzgruppe sie der Gemeinde Bönen. Durch langwie- sowohl in ihre alten Laichgewässer, als gab es genug Diskussionen: Wie soll es rige Planung und immer neue Probleme auch in die Ersatzlaichgewässer zu wan- weitergehen? Das Resultat: Die Schul- (Querung der Kreis-/Versorgungsstraße dern. Das Fazit: Die Anlage soll auch als straße sollte in drei Abschnitten mit der VEW/Gelsenwasser, Zustimmung Pilotprojekt im Kreis Unna dienen. Aus einem stationären Zaun untertunnelt von Grundeigentümern) vergingen Sicht der VHS-Naturschutz AG stellt sie werden. Die Naturschützer sprachen mehrere Jahre bis zur Fertigstellung des für die Gruppe eine wesentliche Erleich- die Gemeinde an, um Gelder, die im Krötentunnels. Je mehr Zeit verging, terung dar und hat sich im Jahr 2010 Zuge von Industrieflächenverbrauch umso teurer wurde das Projekt. Dann bereits gut bewährt. Die Naturschutz- und deren Ausgleichsmaßnahmen flos- gab es im Frühjahr 2009 konkrete Ver- gruppe dankt der Gemeinde Bönen und sen, für diesen Zweck einzusetzen. Die handlungen mit einer Tiefbaufirma, die dem Kreis Unna für planerische Unter- Umsetzung begann. Während einer zum Tragen kamen. Im Sommer 2009 stützung und die finanzielle Hilfe.

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 Wo sind unsere Feldvögel? Veränderte Landschaft raubt Lebensräume

von Dieter und Ursula Ackermann Vogelarten der offenen und halboffenen offensichtlich. Die Lebensräume und Feldfluren. Rebhuhn, Grauammer, Ku- damit die Lebensbedingungen haben sich Dem aufmerksamen Spaziergänger ckuck, Haubenlerche und Wiesenpieper drastisch verändert. Bis zur Mitte des vori- ist es sicher aufgefallen, dass sich im sind bei uns bereits verschwunden. Kie- gen Jahrhunderts waren Feldlerche & Co. Laufe der Jahre die Vogelwelt der bitz, Feldlerche und Schafstelze werden hier gut vertreten. Doch dann setzte unter Feldfluren in Schwerte verändert vermutlich folgen. dem Druck der Märkte und der Förder- hat. Doch wie es mit schleichenden töpfe eine Bewirtschaftung der Felder mit Prozessen so ist – das Neue wird  Veränderte Lebensräume immer größeren Maschinen, neuen und erst bemerkt, wenn die Änderungen Der Grund für den rapiden Rückgang effektiveren Düngemitteln, Herbiziden schon beträchtlich sind. Verschwin- ist für die meisten Arten der Feldfluren und Insektiziden ein. Aus Feldern wurden den unsere Lerchen und Kiebitze? Produktionsflächen mit dem Zwang, im- mer mehr mit immer weniger Kosten zu Wie dankbar werden doch im zeitigen produzieren. Das gleiche Ziel hatte eine Frühjahr die ersten blühenden Blumen Flurbereinigung in den 1960er und 1970er und der Ruf des Kuckucks begrüßt. Wie Jahren, die die Landschaft buchstäblich freut sich der Mensch über die singenden von natürlichen und naturnahen Elemen- Lerchen und die Balzflüge der Kiebitze ten bereinigte. Feldraine verschwanden, im blauen Himmel über dem Feld. Doch Hecken wurden gerodet, Bäche begradigt gerade beim Kiebitz und der Feldlerche oder sogar verrohrt, Siepen und Tümpel ist der Rückgang inzwischen für jeden wurden mit Hausmüll zugekippt und pla- auffällig. Im Rahmen der kreisweiten niert, Wiesen und Weiden per Dränage Feldlerchenkartierung haben Mitarbeiter entwässert. Alle Bemühungen sollten der AGON 2010 auch in Schwerte gezählt. möglichst große, durchgehende Flächen Das Ergebnis war ernüchternd. Nur noch für die Agrarproduktion schaffen. Die an sieben Stellen hörten wir singende Die Feldlerche leidet unter der veränder- Natur spielte bei den Überlegungen keine Feldlerchen, balzende Kiebitze zeigten sich ten und intensivierten Landbewirtschaf- Rolle, sie war nur Hindernis. Wer damals noch an zwei Stellen. So wie der Lerche tung. Sie braucht Ackerwildkräuter in vor den Folgen warnte, galt als „grüner und dem Kiebitz geht es auch anderen ihrem Lebensraum. Foto: Feuerbaum Spinner“. 2007 wurde zudem durch die

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Für seine vier Eier drückt der Kiebitz mit Das Kiebitznest wurde auf die frisch gepflügte Fläche umgesetzt. Das Weibchen der Brust eine einfache Mulde. brütet weiter, obwohl der schwere Pflug dicht vorbei kommt. Fotos: Ackermann

Europäische Union die Stilllegungsver- Brutplätzen. Nur die Nistplatzbindung der Ruhrtals gibt es noch – beziehungsweise pflichtung zurück genommen, so dass Vögel verhinderte ihr sofortiges Wegblei- wieder – kleinere Feuchtwiesen oder -wei- die Brachen umgebrochen und intensiv ben. Die Feldlerchen und Kiebitze kamen den. Die meisten taugen für den Kiebitz bewirtschaftet wurden. Die Maßnahme immer wieder, konnten aber nur noch aber nicht, weil Hecken oder Waldränder diente dazu, mehr Fläche für den Anbau selten eine erfolgreiche Brut aufziehen. zu nah stehen. Erstaunlicherweise orien- von „Energiepflanzen“, also Raps und Das geht in der Regel so lange, bis die tieren sich Kiebitze seit Jahren hier anders. Mais, bereitzustellen. Vögel mit ihrer Bindung an die ehemaligen Wenn sie im Februar/März aus dem Nistplätze sterben. Winterquartier kommen, versuchen sie,  Die Vögel reagierten im Wintergetreide oder auf Maisäckern Nun versucht zwar die Natur aus jeder  Der Kiebitz hat sich umgestellt ihre Nester zu bauen. Keimender Mais neuen Situation stets das Beste zu machen Kiebitze leben naturgemäß auf feuch- ist bekanntlich frostempfindlich. Deshalb – aber die Folgen waren unausweichlich. ten bis nassen Grünländern mit weiter werden Maisäcker relativ spät eingesät. Erst verschwanden die Feldblumen und Übersicht. Wer in die Niederlande fährt, Auf noch kahlen Äckern haben Kiebitze Wildkräuter, dann größere Insekten und kann das immer wieder beobachten. Die die notwendige Übersicht, die es erlaubt, schließlich gab eine Vogelart nach der nassen Wiesen sind aber bei uns mit ganz bei Gefahr früh genug aufzufliegen, so anderen die angestammte Heimat auf. Es wenigen Ausnahmen verschwunden. Im dass der genaue Neststandort kaum ge- mangelte an artgemäßer Nahrung und an Elsebachtal und an einigen Stellen des funden werden kann. Das Nest besteht

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In Schwerte fast verschwunden: der Kie- In Schwerte schon ausgestorben: Die In Schwerte schon ausgestorben: Die bitz. Fotos: Ackermann Haubenlerche. Grauammer. eigentlich nur aus einer Mulde, in der die erkannt. Schließlich sind die Roten Listen und stabile Kiebitzpopulationen. Das ist vier grünbraunen Eier perfekt getarnt der bedrohten Arten von Mal zu Mal auch sinnvoll, denn wenn die Bruterfolge liegen. Leider kommt aber bald der Bauer, länger geworden. Der Landschaftsplan für sich dort wieder einstellen, könnte sich der bestellt sein Feld und pflügt entweder die Schwerte, seit November 1998 rechtskräf- Kiebitz von diesen Zentren aus theoretisch Eier oder die in einer Vertiefung geduckt tig, hat wieder mehr Hecken, Baumreihen, wieder ausbreiten. liegenden Jungvögel unter. Er hat auch Raine in die ausgeräumte Landschaft ge- Als besonders wirksame Maßnahme gar keine Möglichkeit, vom Schleppersitz bracht. Das kam sowohl dem Neuntöter, hat sich erwiesen, Flächen von mindestens aus das Nest oder die Jungen überhaupt dem Feldsperling als auch der Goldammer einem Hektar Größe nur im Februar einmal zu sehen. So entspricht eine erfolgreiche zugute; also Vögeln der halboffenen zu pflügen und nicht weiter zu bestellen. Kiebitzbrut etwa einem Lotteriegewinn. Agrarlandschaft. Die so genannten Of- Der dann vegetationsarme braune Boden Kein Wunder, dass auch Kiebitz und Feld- fenlandarten haben es hier nach wie vor sagt dem Kiebitz zu, die Erfahrungen lerche hier langsam aussterben. schwer. Inzwischen sind in Absprache damit sind gut. Eine andere Möglichkeit zwischen der Ornithologischen Arbeits- besteht darin, die Saatbettbereitung bei-  Kann man nichts dagegen tun? gemeinschaft Kreis Unna und der Unteren spielsweise für Mais bis spätestens Mitte Nach den Naturschutzverbänden Landschaftsbehörde Schutzmaßnahmen März abzuschließen und erst ab dem haben auch die Behörden inzwischen angelaufen – allerdings in der Hellweg- 10. Mai zu säen. So ist die Ernteeinbuße das enorme Ausmaß des Vogelsterbens börde. Dort gibt es noch nennenswerte geringer. Nachteilig für die Vögel ist, dass

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Mais nicht mehrfach nacheinander auf war, konnte das Nest zurückgesetzt ein Förderantrag gestellt werden, um an derselben Fläche angebaut werden kann, werden. Trotz des nun völlig veränderten das Geld zu kommen. Dieses bürokrati- womit die Nistplatzbindung gestört ist. Untergrundes und obwohl der schwere sche Hemmnis ist es wohl, das manchen Alternativ lassen sich „Kiebitz- und Ackerschlepper mit Pflug und Scheiben- Landwirt davon abhält, mitzumachen. Ein Lerchenfenster“ in Äckern anlegen, die egge nur wenige Meter entfernt immer Bauer aus Bönen hatte angesichts wach- bei der Feldbestellung nicht eingesät und wieder vorbei fuhr, setzte sich das Weib- sender Papierflut erklärt, dass er und nachher nicht weiter bearbeitet werden. chen nach kurzer Prüfung sofort auf die einige Kollegen 20 bis 30 Fenster ohne Für Lerchen reichen zwar zwei Fenster Eier, während das Männchen etwa zehn Förderung anlegen wollten. 2009 hatte von je 20 bis 30 Quadratmeter pro Hektar, Meter entfernt zuschaute. Beim nächsten man in NRW mit 1.000 Lerchenfenstern für Kiebitze müsste ein Fenster aber min- Bearbeitungsschritt des Ackers hätte die gerechnet. 9.000 sind es schließlich destens ein Morgen groß sein. Alle diese Prozedur wiederholt werden müssen. geworden. Da soll niemand sagen, dass Maßnahmen kosten Geld. Dem Bauern Soweit kam es aber nicht. Wenige Tage Bauern kein Herz für die Natur haben. müssen schließlich die Produktionsausfälle später war das Nest leer. Rabenkrähen Sollte in Schwerte nicht das möglich ersetzt werden. hatten das nun auf dem veränderten sein, was in Bönen sogar ohne Förderung Boden leichter erkennbare Nest wohl geht? Anträge gibt es bei der Stiftung  Erfolgloser Versuch gefunden und geplündert. 2010 sind die Westfälische Kulturlandschaft, Tel. 0251 Als wir Anfang April 2009 in Schwerte- Kiebitze nicht wieder gekommen. 4175148 oder zum Herunterladen auf Ergste zwei balzende Kiebitzpaare vom www.stiftung-westfaelische-kulturland- Weg aus bemerkten, suchten wir auf  Fenster für die Lerche schaft.de. dem noch nicht bestellten Maisacker und Mit dem Verschwinden der Kiebit- fanden zumindest ein Nest mit vier Eiern. ze werden wir uns in Schwerte leider Zum Weiterlesen Auf der einförmigen Fläche markierten abfinden müssen. Mit gutem Willen LANUV (Hrsg.): Lebensraum Feldflur: Maßnah- wir die Lage mit vier dünnen Stangen und könnte man aber etwas für Feldlerchen men zum Erhalt der Artenvielfalt - Natur in NRW sprachen mit dem Bauern. Am Ostermon- und Schafstelzen tun. Die oben schon Heft 3/2009. tag begann er zu pflügen und informierte genannten Lerchenfenster nehmen nur Joest, R.: Die Hellwegbörde – Schutz der Feldvö- uns. Kurz vor dem Pflug setzten wir das eine geringe Fläche ein. Zur Anlage gel in einer alten Kulturlandschaft – Heimatpflege Nest um etwa zehn Meter weiter auf den wird einfach zweimal pro Hektar die in Westfalen Heft 4/2010 1-9. bereits gepflügten Acker. Während der Sämaschine für einige Meter angeho- OAG Kreis Unna: Feldflora und Feldfauna im Bauer weiter arbeitete, erkundete das ben und abgestellt. Das Ministerium für Kreis Unna - PDF-Datei zum Herunterladen von Kiebitzweibchen die Lage, stellte sich auch Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft www.oagkreisunna.deKreis Unna Fachbereich schließlich einen Meter entfernt vom Nest und Verbraucherschutz NRW vergütet Natur und Umwelt: Feldfauna im Kreis Unna auf, konnte sich aber nicht entschließen, pro angelegtes Lerchenfenster zehn Euro. (Flugblatt)F. & H. Schenkel: Hilfe für Kiebitze, sich auf die Eier zu setzen. Weil die ur- Betriebe können sich bis zu 50 solcher die Akrobaten der Lüfte – Naturreport Band 12 sprüngliche Stelle inzwischen gepflügt Fenster fördern lassen. Allerdings muss 2008.

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 AG Greifvögel der NWO berichtet Mensch und Umwelt verändern Lebensräume

Junger Rotmilan bei Bausenhagen. Foto: H. Knüwer von Jens Brune die unterschiedlichsten Geschichten. abgelöst. Seit dem Jahr 2008 leitet Jens Doch was ist an diesen Geschichten Brune die Arbeitsgruppe, die heute Teil Greifvögel haben schon immer eine Wahrheit und was ist Erfindung? der Nordrheinwestfälischen Ornitholo- besondere Anziehungskraft auf die gengesellschaft (NWO) ist. Menschen ausgeübt. Dabei liegen Um diese und weitere Aspekte im Die NWO ist ein eingetragener Verein Fluch und Segen oft dicht beieinan- Leben unserer heimischen Greifvögel zu und besteht erst seit zwölf Jahren. Sie ist der. Der majestätische Rotmilan hat ergründen, wurde 1973 die Arbeitsge- eine Fusion aus der GRO (Gesellschaft trotz einer Spannweite von bis 1,70 meinschaft Greifvögel von Dr. Theodor Rheinischer Ornithologen) und WOG Meter nur eine geringe Fangleistung, Mebs ins Leben gerufen. Der Gründer (Westfälische Ornithologengesellschaft). während der Habicht so manch war zum damaligen Zeitpunkt Leiter der Jede Gesellschaft für sich hatte zuvor einen Geflügelhalter vermutlich Staatlichen Vogelschutzwarte in Nor- schon eine 30-jährige Geschichte. Die AG zum Wahnsinn getrieben hat. So drhein-Westfalen. Er führte die Arbeits- Greifvögel existiert nun seit 38 Jahren, ranken sich um die verschiedenen gruppe bis 1997 und wurde dann von aktuell liegt ihre Mitgliederzahl bei etwa Greifvögel in unserem Bundesland Elmar Guthmann aus Bergisch-Gladbach 50 Mitgliedern. In Spitzenzeiten – zu

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Ein junger Mäusebussard bei der Wurmsuche im Spätsommer. Junge Wespenbussarde auf Horst bei Foto: M. Wenner Bausenhagen. Foto: B. Glüer

Beginn der 1990er Jahre – waren es bis alle angehen und die ich auch durch zu diesen Zahlen? Habichte bauen sehr zu 90 Mitglieder. Untersuchungen vor meiner Haustür große und somit gut erkennbare Horste. Einer der Gründe für den Mitglieder- hautnah mit bekommen kann. Einige Paare errichten beinahe jährlich rückgang lag sicherlich darin, dass die neue Horste. Die Jägerschaft zählte also Arbeitsgruppe ein mehr oder weniger  Gründung der Greifvogel AG nur die errichteten Horste ab, nicht aber geschlossener Kreis war. Weitere Gründe Nun erst einmal zurück zu den Anfän- die Vögel – das eine Brutpaar mit seinen sind zweifellos in den gesellschaftlichen gen in den 1970er Jahren. Der Jagddruck Ausweichhorsten. Veränderungen der vergangenen zwei auf die Greifvögel war damals der aus- Gleiches gilt für den Mäusebussard. Jahrzehnte zu suchen. Das Interesse schlaggebende Grund für die Gründung Hier lag die Fehlerquelle meist darin, dass der Menschen hat sich im Zeitalter der der AG Greifvögel. Es mussten handfeste sich bei guter Thermik viele Mäusebus- Medien in Richtung Computer/Internet Daten her, die deutlich machten, dass es sarde aus einer Umgebung von einigen verschoben. Viele Kinder/Jugendliche eben nicht ein ungebremstes Wachstum Kilometern zusammenfinden, um in einer verbringen ihre Zeit eher in geschlossenen bei Habicht und Co. gab. Zwei Beispiele Thermiksäule zu kreisen (meist im Früh- Räumen als draußen im Wald. sollen erwähnt werden: Die Jägerschaft jahr oder Herbst). Die Greifvogelgegner Doch gerade aktuelle Themen wie gab für den Habicht bis zu fünffach über- projizierten die Zahl der Greife auf den Klimawandel, nachwachsende Rohstoffe höhte Bestände an (verglichen mit den nächst gelegenen Wald und kamen so oder Vogelgrippe sind Themen, die uns Untersuchungen der AG). Wie kamen sie auf viel zu hohe Zahlen. Neben Habicht

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und Mäusebussard werden durch die AG sebussard und Turmfalke mehr und mehr ein Weizenfeld, auf dem es von Mäusen auch Bestände von Rotmilan, Sperber, zu urbanisieren, während der Rotmilan nur so wimmelt, hilft keinem Greifvogel, Wespenbussard und Baumfalke alljährlich die rein städtischen Bereiche meidet. Er weil er die Tiere aufgrund der (heute) ho- erfasst. leidet bei geringer Siedlungsdichte stark hen Halmdichte nicht fangen kann. Das Nachdem also die oben beschrie- unter der Landschaftszerschneidung. Resultat wird ein weiterer Rückgang aller benen Phänomene der viel zu hohen drei Arten in der freien Landschaft sein, Bestandszahlen über Langzeitstudien  Artenrückgang vorhersehbar der Rotmilan wird frühere Lebensräume widerlegt werden konnten und vielerorts Es darf zum Beispiel bei der Aus- gänzlich aufgeben. der Jagddruck nachließ, treten heutzuta- weitung der Biogasanlagen vermutet Das Hauptbeutetier des Habichts ist ge ganz neue Probleme auf. Durch das werden, dass es zu einem vermehrten die Taube. Hierbei unterscheidet der Vo- Kartieren unserer Greifvogelarten, die Anbau von Mais kommen wird. Mais gel nicht, ob es sich bei der geschlagenen unterschiedlichste Ansprüche an ihren wird erst ab Anfang bis Mitte Mai Taube um eine Brief- oder beispielsweise Lebensraum haben und größtenteils an ausgesät, so dass große Flächen für die Ringeltaube handelt. So ist diese Art der Spitze der Nahrungsketten stehen, Mäusefresser ab Ende Mai bis Oktober ein nicht gern gesehener Gast an Tau- können Veränderungen in unserer Um- versiegelt sein werden. Ebenso verhält benschlägen. Variierende Flugzeiten welt sehr gut aufgezeigt werden. es sich mit dem Rapsanbau, bei dem die der Brieftauben haben dabei sehr gute Zu den einzelnen Greifvogelarten Flächen ab April versiegelt werden. Die Erfolge gezeigt. Greifvögel lernen sehr zwischen Lippe und Ruhr können beim Erreichbarkeit der Nahrung hat für alle schnell, wenn es darum geht einfach jetzigen Wissenstand folgende Aussagen Tierarten die größte Bedeutung. Auch Beute zu machen. Wenn beispielsweise getroffen werden, wobei hier nur auf einige, wenige Aspekte eingegangen werden soll: Die Mäusefresser Mäu- sebussard, Turmfalke oder Rotmilan reagieren direkt auf Umstellungen in der Landschaft. So verringert sich ent- weder die Nachwuchsrate und/oder die Siedlungsdichte der Art (Brutpaarzahl auf einem bestimmten Raum, meist auf 100 km², bezogen) in Jahren mit einer geringen Population. Obwohl die drei oben genannten Arten Mäusefresser sind, haben sie dennoch unterschiedliche Ansprüche an ihren Lebensraum. So scheinen sich Mäu- Mäusebussard in Falle, Kr. Soest. Foto: Komitee gegen Vogelmord

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die Tauben täglich gegen 17 Uhr fliegen, Die Population des Sperbers brach Mai aus seinem Winterquartier Afrika wird der Habicht sich auch zu dieser Zeit großräumig zusammen. Anfang der zurückkehrt. Er folgt dem Flug der am Taubenschlag einfinden. Leider aber 80er Jahre erholte sich der Bestand des namensgebenden Insekten, die ihn zu greifen immer noch Taubenzüchter lieber Sperbers in ganz Deutschland wieder. ihrem Nest führen. Dort gräbt er die zum Fangkorb, um sich des Habichts zu Aktuell kann allerdings für diese Art kein Nester mit seinen Fängen aus. Zur Ab- entledigen. In den letzten Jahren hat Bestand angegeben werden, da sie nun, wehr gegen die Wespen sind die Fänge hier aber das Komitee gegen Vogelmord im Gegensatz zu den vergangenen zwei des Wespenbussards dick beschuppt, die e.V. in unserem Bundesland tolle Erfolge Jahrzehnten, als der Sperber vornehm- Nasenlöcher schlitzförmig. gegen diese Machenschaften erzielt. lich in 20-40-jährigen Nadelbeständen Die Art bewohnt in Nordrhein- Eine interessante Studie zum Ernäh- brütete, überall brüten kann. So sind Westfalen meist Altholzbestände. In rungsverhalten der Habichte stammt Sperberbruten in Gärten genauso mög- manchen Jahren scheint es, als würde aus den Niederlanden, erhoben im lich wie in größeren Altholzbeständen. der Wespenbussard gar nicht oder nur Reichswald westlich von Kleve, also auf Hieraus ergibt sich eine große Unsicher- sehr selten zur Brut schreiten. Kalte deutscher Seite. Die an den Beuteü- heit bezüglich der Einschätzung des Be- Frühjahre – wenn auch noch im Mai bergabeplätzen und unter den Horsten standes, da davon auszugehen ist, dass niedrige Temperaturen sind – bewirken, gefundenen Taubenringe wurden aufge- nicht alle Brutplätze gefunden werden dass die Wespenköniginnen keine oder sammelt und danach ausgewertet, woher oder werden können (z.B. Autobahn- nur wenige Staaten gründen. Damit die Tauben kamen. Nur etwa 15 Prozent kleeblätter, Privatgrundstücke). könnte erklärt werden, warum die Art der geschlagenen Tauben kamen aus der in manchen Jahren, eben vornehmlich unmittelbaren Nähe der Brutplätze. Das  Brutplätze gefährdet mit kühlen, nassen Frühjahren nur spo- lässt den Schluss zu, dass es sich bei den Der Wespenbussard ist ein sehr radisch zur Brut schreitet. erbeuteten Tauben meist um erschöpfte heimlich lebender Vogel, der erst im Der Baumfalke, der kleine Bruder Tauben auf der Reise handelte. Dass der des Wanderfalken, ist die einzige Sperber in Deutschland Anfang der 80er Falkenart, die von der Arbeitsgruppe Jahre wieder als Brutvogel registriert beobachtet wird (wobei Daten vom werden konnte, liegt vor allem an der Turmfalken genauso erwünscht wären). Tatsache, dass in den 70er Jahren der Der Baumfalke brütet in Krähennestern. Einsatz von DDT als Insektizid verboten Er bezieht diese im Kreis Unna fast wurde. Diese Substanz reicherte sich ausschließlich in Pappelreihen und auf über die Beute Kleinvogel in den Körpern Hochspannungsmasten. Die Art lebt der Sperber an. Es kam zu einem Punkt, von Kleinvögeln und größeren Insek- an dem die Sperberweibchen nur noch ten. Dementsprechend benötigt die dünnschalige Eier legten, die während Art einen recht abwechslungsreichen der Bebrütungsphase dann zerbrachen. Turmfalkenmann. Foto: M. Wenner Lebensraum. Die Brutplätze in den Pap-

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pelreihen sind aber akut gefährdet, weil unsere Greifvögel zeigt, wie vielfältig sich die Pappeln fast alle im erntereifen Greifvogelforschung, aber eben auch Alter befinden. Diese Pappelreihen unsere Landschaft noch ist. Doch die sind aber wichtige Strukturelemente stark intensivierte Nutzung unserer in unserer Landschaft. Dieses Problem Landschaft birgt die Gefahr, dass die trifft für einige Regionen Deutschlands Artenvielfalt, nicht nur bei den Greif- zu. Diese Strukturen werden zu einem vögeln, sondern und vor allem bei den großen Teil nicht wieder ersetzt. Inwie- Kleinvögeln, Insekten, aber auch den weit die Gefährdung aufzuhalten ist, ist Säugetieren in großer Gefahr ist. Sie alle zurzeit unklar. sind miteinander verzahnt und gehören zum großen Ganzen.  Gefährdete Greifvögel Begriffe wie Biodiversität oder Nach- Zusammenfassend seien an dieser haltigkeit werden in unserer schnelllebi- Stelle noch einmal alle, auch die vorher gen Zeit immer wieder nur sehr kurzzeitig nicht im Text behandelten, Gefährdun- Ausgefärbtes Habichtweibchen. Foto: gelebt, solange damit Gewinn gemacht gen unserer Greifvögel aufgelistet: M. Wenner werden kann. Die Umstellung auf die al-  Landschaftsverbrauch (z.B. Indus- ternativen Energien wird durch die weiter triegebiete, Offenlandtierställe) werden bzw. manche Arten werden intensivierte Nutzung der Landschaft für  Landschaftszerschneidung (z.B. neue dadurch vertrieben) viele Tier- und Pflanzenarten negative Straßen, Überlandleitungen)  Menschliche Verfolgung (z.B. Vergif- Auswirkungen, einhergehend mit dem  Gestiegener Freizeitdruck (z.B. tung, Fallenstellen, Abschuss, Fällen Aussterben von Arten, haben. Mountainbiking, Nordic Walking, des Horstbaumes) Zu guter Letzt sei noch auf eine Gleitschirmfliegen) Um all das zu dokumentieren und dem Feststellung der EU aus dem Jahre 2008  Erneute Intensivierung der Landwirt- gegebenenfalls in manchen Gebieten hingewiesen: Die EU-Kommission schätzt schaft (z.B. neue Bearbeitungsme- entgegenwirken zu können, versucht den Wert der Güter und Dienste durch thoden, noch höhere Halmdichten) die AG Greifvögel über das Monitoring das in seiner jetzigen Form existierende  Intensivierung der Forstwirtschaft unserer Greifvögel als Bioindikatoren Ökosystem (damit sind z.B. die Erträge (Ganzjahresnutzung unserer Wälder, Tendenzen in unserem Bundesland zu aus Forst- und Landwirtschaft aber auch was bedeutet, dass alle Tierarten erarbeiten und darauf aufmerksam zu Tourismus gemeint) durch das Ökosys- im Frühjahr bei der Jungenaufzucht machen. Menschen, die Spaß an der tem weltweit pro Jahr auf 26 Trillionen gestört werden) Natur haben, aber auch Forschungsgeist Euro – das ist das Doppelte dessen, was  Windparks (leider zeigen die meis- mitbringen, werden von uns gesucht und der Mensch jährlich weltweit produziert. ten Großvögel keine Scheu vor den herzlich Willkommen geheißen. Dieser Es lohnt sich also, sich für die Natur ein- Windrädern und können erschlagen kurze, sehr unvollkommene Abriss über zusetzen.

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 Schmetterlinge finden eine neue Heimat Halde Großes Holz: Paradies für Gaukler der Lüfte

Schönbär (Callimorpha dominula). Tagpfauenauge (Inachis io). Landkärtchen (Araschnia levana). von Manfred Bußmann, Jochen  Schmetterling des Jahres Der Reseda-Weißling (Pontia edusa) Heinrich und Rolf Prothmann Seit 2003 wird vom BUND und von wurde 2008 erstmals auf der Halde der Arbeitsgemeinschaft Rheinisch- gesichtet. Schmetterlinge sind die beliebtes- Westfälischer Lepidopterologen e.V. Reseda-Weißlinge haben ein großes ten Insekten. Zeigen sich im Frühjahr der Schmetterling des Jahres gekürt. Verbreitungsgebiet, jedoch in Deutsch- die ersten Tagfalter, dann erfreut Von den acht Schmetterlingen des land wurde er nur in Niedersachsen und sich jedermann an der Farbenpracht Jahres sind fünf Arten auf der Halde in den östlichen Bundesländern häufiger der geschickten Flieger. Doch der heimisch. Der Argusbläuling (Plebejus nachgewiesen. Auf der Halde müssen Bestand ist stark bedroht. Im Kreis argus) 2008, die Rostbinde (Hipparchia auch Paarungen stattgefunden haben. Unna liegt der Bestand (2009) bei 35 semele) 2005 und der Waldteufel (Ere- Erstmals wurde auch im gleichen Jahr verschiedenen Tagfaltern. Von ihnen bia aethiops) 2003 sind im Kreis Unna eine Puppe gefunden. Seit 2008 ist können 32 auf der Halde Großes Holz nicht beheimatet. dieser Wanderfalter nun auf der Halde beobachtet und bestaunt werden. ansässig. Zu den Zuwanderern 2008 Durch gezielte Maßnahmen bei der  Zuwanderungen gehören auch Blauer Eichen-Zipfelfalter Rekultivierung der Halde wurden gute Alljährlich werden immer wieder neue (Neozephyrus quercus), Nierenfleck- Voraussetzungen für die Gaukler der Tag- und auch Nachtfalter gesichtet, die Zipfelfalter (Thecla betulae) und Großer Lüfte geschaffen. viele Jahre nicht mehr gesehen wurden. Schillerfalter (Apatura iris).

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Schwalbenschwanz (Papilio machaon). Aurorafalter (Anthocharis cardamines). Ulmen-Zipfelfalter 2008 (Satyrium w-album).

Schönbär 2008 (Callimorpha dominula), Reseda-Weißling (Pontia edusa) – 2008 Blauer Eichen-Zipfelfalter (Neozephyrus Paarung. zum ersten Mal auf der Halde gesehen. quercus).

 Die Entdeckung 2009 dem Mikroskop könnte hier eine genaue das auf seine schmalen Flügel zurück- Der Tintenfleck-Weißling (Leptidea Bestimmung ermöglichen. Lassen wir zuführen ist, ist er sehr gut zu erkennen. sinapis) und der Schmalflügel-Weißling sie doch mit diesem schönen Geheim- In der Bundesrepublik wird dieser Falter (Leptidea reali) sind die Entdeckungen nis weiter durch die Lüfte fliegen. Am in der Vorwarnliste geführt. So ist er in 2009. Beide Arten sind äußerlich nicht 4. August 2009 wurde dieser Weißling NRW vom Aussterben bedroht und in zu unterscheiden. Erst eine Untersu- erstmals auf der Halde nachgewiesen. der Westfälischen Bucht gilt er sogar als chung der Geschlechtsorgane unter An seinem unharmonischen Flugbild, ausgestorben (Rote Liste BRD). Auffällig

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Nierenfleck-Zipfelfalter (Thecla betulae). Großer Schillerfalter (Apatura iris). Ein Paradies für die Gaukler der Lüfte.

Balzender Falter. Weibchen bei der Eiablage. Frisch abgelegtes Ei. ist das Balzverhalten. Die Männchen su-  Gute Bedingungen Schmetterlinge auf der Halde außer- chen nach unbegatteten Weibchen. Fin- Die Überwinterung kann als Ei, ordentlich erfreulich. Bei besonderen den sie ein Weibchen, dann umwerben Raupe, Puppe oder sogar als Falter Wetterlagen bedeckt Industrieschnee sie es mit dem Rüssel. Es kommt nur zur erfolgen. Wenn man bedenkt, dass die Halde. Er entsteht durch die Emis- Kopulation, wenn das Weibchen noch 80 Prozent unserer Tagfalter gefähr- sion des Wasserdampfes, der im Winter nicht begattet wurde. Eine zweite Kopu- det beziehungsweise vom Aussterben zu Schnee gefriert und die Landschaft lation geht das Weibchen nicht ein. bedroht sind, ist die Entwicklung der verzaubert. Für den Wanderer ein be-

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Gute Bedingungen zur Überwinterung. Nahrungsquelle vor Überwinterung. Kleiner Fuchs (Aglais urticae).

Admiral (Vanessa atalanta). Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni). C-Falter (Polygonia c-album). sonderes Erlebnis und für die Insekten-  Nahrungsquelle Tagfaltern in Deutschland überwintern welt eine schützende Decke mit hohem Die 7.000 Quadratmeter großen, gerade mal sieben Arten, davon fünf Feuchtigkeitsaufkommen. In den Som- blaublühenden Stauden- und Strauch- auf der Halde. Zu ihnen gehören Kleiner mermonaten erreicht der Wasserdampf flächen an den Hängen und auf dem Fuchs (Aglais urticae), Admiral (Vanessa die Halde als Feuchtigkeit. Dieses wirkt Plateau der Halde sind im Herbst eine atalanta), Zitronenfalter (Gonepteryx sich sehr positiv auf die Entwicklung der wichtige Nahrungsquelle für unsere ein- rhamni), C-Falter (Polygonia c-album) Insektenwelt aus. heimischen Schmetterlinge. Von den 190 und das Tagpfauenauge (Inachis io). Zu

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Tagpfauenauge (Inachis io). Trauermantel (Nymphalis antiopa). Großer Fuchs (Nymphalis polychloros). den Faltern, die auch in Deutschland Die Halde Großes Holz hat sich für positiv entwickelt. Umso erstaunlicher überwintern, gehören noch der Trau- Spaziergänger, Wanderer und ganz be- ist es, dass die große Artenvielfalt der ermantel (Nymphalis antiopa) und der sonders für unsere Schmetterlinge sehr Schmetterlinge auf der Halde in der Große Fuchs (Nymphalis polychloros). Bevölkerung noch wenig bekannt ist. Bisher lebt der Trauermantel mehr in Der Bildband vom Arbeitskreis „Umwelt den südlichen und östlichen Regionen. und Heimat e.V.“ gibt auf 88 Seiten, 320 Er wurde am 14.08.1996 in Schwerte Fotos und 55 Grafiken einen umfangrei- und am 26.03.2009 in Bönen beobach- chen Überblick über das Leben der Falter tet. Die Daten stammen aus dem Buch auf der Halde. Seit der Veröffentlichung „Schmetterlinge im Kreis Unna“ von im Juli 2010 hat sich das Interesse an Hans-Joachim Weigt. Im März 2009 den Schmetterlingen auf der Halde wurde der Große Fuchs auf der Halde sehr positiv verändert. Hier zeigt sich gesehen. Die Beobachtungen – das Sit- wieder einmal, wenn die Bevölkerung zen an einem Baumstamm in etwa 2,5 mit verständlichen Informationen und Meter Höhe – sind typisch für diesen schönen Bilder informiert wird, ist der Falter. Außerdem konnte er in Bork am Naturschutz auf dem richtigen Weg. 30.07.2010 beobachtet und fotografiert werden. Die Halde und der angrenzende Alle Fotos zu diesem Bericht und zu dem Bild- Beversee bieten eigentlich dem Trauer- band sind von den Autoren Manfred Bußmann, mantel und dem Großen Fuchs ideale Der Arbeitskreis „Umwelt und Heimat Jochen Heinrich und Rolf Prothmann. Der Bild- Lebensbedingungen. Sie könnten hier e.V.“ hat das Buch „Gaukler der Lüfte“ band ist beim Arbeitskreis „Umwelt und Heimat durchaus heimisch werden. herausgegeben. e.V.“ für 9,80 EURO erhältlich.

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 Wenig beachet, aber dennoch beachtenswert Von Blutsaugern und Raubwanzen

von Stefan Kauwling Wanzen hat sich eine Reihe von Arten aus der Gattung Cimex auf Fledermäuse Der zugegeben etwas effekthei- spezialisiert. schend einleitende Titel soll zum Verweilen in diesen Zeilen einladen  Familie der Platt-/Bettwanzen und in diesem Falle ein probates Die Bettwanze (Cimex lectularius) Mittel sein, das Augenmerk auf ei- und die Fledermauswanze (Cimex pipis- nige Vertreter einer sonst wenig be- trelli) gehören zur Familie der Cimicidae achteten Insektengruppe zu lenken, (Plattwanzen, Bettwanzen), die weltweit nämlich der Wanzen (Heteroptera). über 100 meist tropische Arten umfasst. In der Palaearktis ist die Familie mit zehn Bemerkenswert sind die zu bespre- Arten aus fünf Gattungen vertreten (PÉ- chenden Arten gleich in mehrfacher RICART 1996). Die europäischen Cimi- Hinsicht, als dort zunächst die Fundum- cidae sind 2,5 – 6 Millimeter große, sehr stände zu nennen sind. Reinhard Wohl- flache, runde Arten von brauner Farbe, gemuth und Irmgard Devrient sind deren Körper vor allem an den Rändern seit Dekaden ehrenamtlich intensiv dicht mit Borsten besetzt sind. Alle Ar- im Fledermausschutz engagiert. In ten besitzen reduzierte Flügelanlagen Holzwickede betreuen sie seit 19 Jahren Auf einem Flachdach montierte Station und sind nicht flugfähig. Sie leben als eine „Auffangstation“ für freifliegende für freifliegende Abendsegler in Holzwi- blutsaugende Ektoparasiten temporär Abendsegler (Nyctalus noctula). Die ckede. Foto: R. Wohlgemuth, I. Devrient auf Vögeln und Säugetieren, und hier unten gelisteten Wanzenfunde fielen unter anderem auf Menschen und Fle- im Wesentlichen bei der Kontrolle und oft nicht nur spezifisch für Fledermäu- dermäusen, (alle Wanzen verfügen als Pflege der Fledermausquartiere an und se, sondern sogar für eine einzige Art ein Merkmal dieser Unterordnung über wurden akribisch von Reinhard Wohlge- sind. Die Parasiten stammen fast alle stechend saugende Mundwerkzeuge, muth dokumentiert und konserviert, vgl. aus den vier systematischen Gruppen also anders als viele andere Insekten- Tabelle 1. Fledermäuse werden von einer Fledermausfliegen, Flöhe, Milben und gruppen mit beißenden Mundorganen, Reihe von Ektoparasiten aufgesucht, die Wanzen (DIETZ & al. 2007). Unter den beispielsweise Käfer).

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der Umgebung des Menschen befallen, wie beispielsweise Hühner und andere Haustiere. Gefunden wird die Bettwanze fast ausschließlich in Häusern, Wohnun- gen und Ställen. Tagsüber versteckt sich die photophobe Art meist in Gruppen in Ritzen, Möbeln, hinter Tapeten et cetera, nachts geht sie auf Nahrungssuche. Ihre Stiche hinterlassen stark juckende und nur langsam ausheilende Anschwellun- gen. Allerdings hat die Art wohl kaum eine medizinisch-parasitologische Be- deutung für den Menschen.

 Abendsegler (Nyctalus noctula). Foto: R. Wohlgemuth, I. Devrient Leben im Fledermausquartier Nachweise von Bettwanzen liegen Der bekannteste Vertreter ist die Menschen wohl fast nur noch dem aber auch aus Fledermausquartieren vor kosmopolitisch verbreitete „Bettwanze“ Namen nach geläufig ist. Ihr Wirt ist (MORKEL 1999, HOFFMANN 2005). Es – Cimex lectularius, die mittlerweile vorwiegend der Mensch, jedoch werden wird vermutet, dass die Bettwanze den hier in Mitteleuropa aber den meisten auch andere Warmblüter vor allem aus Menschen schon seit prähistorischer Zeit parasitiert, als Menschen und Fleder- mäuse gemeinsam Höhlen bewohnten (PÉRICART 1996). Anderen Hypothesen nach könnte der Übergang auf den Wirt Mensch auch über domestizierte Vögel erfolgt sein (REINHARDT & SIVA-JO- THY 2006). Die Bettwanze war bis vor einigen Dekaden sicher noch häufig. RECLAIRE (o.J.) erwähnt zum Beispiel eine amtliche Untersuchung in Amsterdam aus 1935, wonach bis zu 32 Prozent der Wohnun-

Bettwanze (Cimex lectularius) am Buffet. Foto: 5380046-PPT-Gary Alpert, Harvard gen mit Bettwanzen befallen waren. University, Bugwood.org Infolge besserer hygienischer Standards

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und massiver Schädlingsbekämpfungs- in zwei Arten C. pipistrelli JENYNS, 1839 die Temperatur in den Fledermausquar- maßnahmen ist die Art hierzulande und C. dissimilis (HORVÁTH, 1910) ver- tieren ist ein gewichtiger Faktor, der mittlerweile sicherlich selten geworden. treten. Die in Holzwickede und Schwerte sowohl die Entwicklung von Eiern und HOFFMANN (1992) berichtet in diesem aufgesammelten Tiere entsprechen Larven als auch die Mortalitätsrate der Zusammenhang vom Rückgang der aufgrund der Merkmalskombinationen Larvalstadien steuert. Höhere Tem- Einsätze zur Wanzenbekämpfung der C. dissimilis. peraturen beschleunigen bis zu einem Städtischen Desinfektionsanstalt Köln bestimmten Punkt die Entwicklungsge- im Stadtgebiet von etwa 200 bis über  Mikroklima & Nahrung elementar schwindigkeit, zu hohe Temperaturen 800 per annum noch in den 1960-er Mehr als permanent am Wirt lebende wirken lethal. Niedrige Temperaturen Jahren auf nahezu null Mitte der 1980- Ektoparasiten sind die Fledermauswan- in Kombination mit höherer Luftfeuch- er Jahre. In tropischen Regionen ist die zen von den mikroklimatischen Bedin- tigkeit in den Herbst- und Wintermo- Art allerdings nach wie vor eine Plage. gungen ihrer Umgebung abhängig, da naten verhindern anscheinend eine Offenbar trägt der zunehmende interna- sie nur kurz zur Nahrungsaufnahme an Entwicklung von Eiern. Offensichtlich tionale Verkehr seit den 1980-er Jahren ihrem Wirtstier verweilen. Insbesondere überwintern nur adulte Tiere, was in aber auch wieder zu einer Ausbreitung diesem Sinne als Adaption an die klima- von Bettwanzen in den „entwickelten“ tischen Verhältnisse in der gemäßigten Ländern bei (http://en.wikipedia.org/ Zone zu verstehen ist (BARTONICKA & wiki/Bedbug). GAISLER 2007). Die Bettwanze wird regelmäßig Auch die Verfügbarkeit von Nahrung zusammen mit der nah verwandten steuert den Reproduktionszyklus, die Fledermauswanze gefunden. Die taxo- Larvalentwicklung und die Lebensdauer nomische Situation in der Gruppe der der Fledermauswanzen. Dabei hat ein Fledermauswanzen wird als katastrophal Quartierwechsel der Wirtsfledermaus gewertet (KERZHNER 1989). Je nach einschneidende Konsequenzen für die Autor werden von C. pipistrelli in Europa Wanzen. Ziehen die Weibchen in die Wo- noch zwei diagnostisch schwer zu tren- chenstuben ab, überstehen die Larven nende Arten unterschieden: C. dissimilis der Wanzen die Absenz der Fledermäuse und C. stadleri. Neuere Untersuchungen während der Geburt und Säugezeit nicht. scheinen aber für Europa zwei Arten im Nur ein Teil der adulten Wanzen und Eier Sinne von PÉRICART (1972, 1996) zu ist in der Lage, die Zeit bis zur Wiederbe- bestätigen (BALVIN 2008). In der Liste setzung der Zwischenquartiere zu über- der Wanzen Deutschlands HOFFMANN Fledermauswanze (Cimex dissimilis) leben. Die Wochenstuben selbst waren & MELBER (2003) sind fünf Cimicidae aus Abendseglerquartier in Holzwicke- bei einer Studie an der „Mückenfleder- aufgeführt, die Fledermauswanzen sind de. Foto: Kauwling maus“ Pipistrellus pygmaeus offenbar in

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der Regel gar nicht oder nur zu einem gard Devrient und Reinhard Wohlge-  Tiere sind Besonderheit geringen Anteil mit Wanzen befallen muth konnten 1996 in Schwerte-Ergste Es sind Vorkommen von Fleder- (BARTONICKA & GAISLER 2007). Bei selbst eine lebende Fledermauswanze mauswanzen in Deutschland aus den Untersuchungen an Mausohren (My- von einem Abendsegler absammeln. benachbarten Bundesländern und auch otis myotis) in Rheinland-Pfalz waren Normalerweise werden nur wenige aus fast allen europäischen Ländern allerdings auch die Wochenstuben zu Individuen auf den transportierenden bekannt, gefangen werden sie allerdings einem größeren Teil von Bett- und Fle- Fledermäusen gefunden. Die disper- selten und fast ausschließlich bei der dermauswanzen besiedelt, so dass den gierenden Wanzen sind überwiegend Kontrolle von Fledermausquartieren. Die Parasiten während der Jungenaufzucht adult und zum großen Teil weiblich. Die von Reinhardt Wohlgemuth bei seiner der Fledermäuse ständig Nahrung zur Besiedlung neuer Nester oder Quartiere Arbeit mit Fledermäusen aufgesammel- Verfügung stand und ein vollständiger durch Cimiciden kann äußerst schnell ten Tiere sind insofern eine Besonderheit, Entwicklungszyklus möglich war (ROER erfolgen (REINHARDT & SIVA-JOTHY als sie die ersten für NRW in der Literatur 1969). 2006). Ein Wirtswechsel kann in ge- dokumentierten Funde darstellen. Die bis Augenscheinlich ist der Quartier- meinsam von mehreren Fledermausar- dato ersten bekannten Funde der Fle- /Schlafplatzwechsel bei Fledermäusen ten bewohnten Quartieren geschehen dermauswanze, sieben Tiere C. dissimilis auch eine natürliche Reaktion auf einen (ROER 1975). und zwei Exuvien, stammen aus dem Jahr hohen Parasitenbesatz der Unterkünfte 2004 an dem von Reinhard Wohlgemuth und reduziert die parasitäre Belastung. und Irmgard Devrient betreuten Abend- Bei Experimentalanordnungen in künst- segler-Quartier in Holzwickede (HOFF- lich mit Fledermauswanzen (C. pipis- MANN 2005). Bereits in 1996/1997 trelli) infizierten Quartieren konnten und in 2004 wurden aber weitere neun signifikante Unterschiede in Fellpflege, Belegtiere von Reinhard Wohlgemuth in Ortswechsel innerhalb des Quartieres, Holzwickede und Schwerte gesammelt, und Wechsel von vertrauten zu eben- die als Fledermauswanzen (3 Ex. C. falls angebotenen, nicht infizierten dissimilis, 6 Ex. C. stadleri) determiniert Schlafplätzen beobachtet werden (Stu- wurden (HOFFMANN lc.). Die in Tabelle die an „Mückenfledermaus“ Pipistrellus 1 aufgeführten und noch nicht publizier- pygmaeus (BARTONICKA 2008). ten Belegtiere stammen aus den Jahren Obwohl beleghafte Wanzenfunde 2005 bis 2009. an Fledermäusen hierzulande rar sind Einzelnachweise der Bettwanze ge- (ROER 1969, MORKEL 1999), wird ein Mit kleinen Partikeln getarnte Larve von langen bereits in 2001 und 2003 im Quartierwechsel passiv durch Transport Reduvius personatus. Foto: Whitney Naturschutzgebiet Bahnwald auf Holzwi- am Körper der Fledermäuse erfolgen, Cranshaw, Colorado State University, ckeder Gebiet bei der Kontrolle von da die Tiere selbst flugunfähig sind. Irm- Bugwood.org Fledermauskästen.

118 Flora & Fauna

Entsprechend der Gefährdungssituati- on ihrer Wirtstiere ist in NRW wohl auch für die Fledermauswanze eine Bestands- gefährdung anzunehmen. In den Roten Listen wird sie deutschlandweit sowie regionalisiert in einigen Bundesländern als gefährdet oder stark gefährdet eingestuft (z.B. GÜNTHER & al. 1998, MELBER 1999, ACHTZIGER & al. 2003, DECKERT & WINKELMANN 2005, HOFFMANN & al. 2010).

 Von Raubwanzen Auch die letzte hier vorgestellte Art ist hinsichtlich ihrer Biologie bemerkenswert. Die Kotwanze oder Staubwanze (Reduvi- us personatus) gehört zu der formen- und artenreichen Familie der Raubwanzen Vorderkörper der Staubwanze (Reduvius personatus); gut sichtbar ist der bei Raub- (Reduviidae), die sich namensgebend wanzen kräftig ausgebildete Saugrüssel unterhalb des Kopfes. Foto: Kauwling ausschließlich zoophag ernähren. Sie lauern ihren Beutetieren, Insekten und Reduvius personatus wird bis etwa 1,9 zum Beispiel auch Vorratsschädlinge im andere Gliedertiere, auf oder stellen Zentimeter lang. Den deutschen Namen - Haus, sowie andere Gliedertiere. Unter ihnen aktiv nach. auch „maskierter Strolch“ - erhielt die Art anderem jagt sie auch nach Bett- und Die Vorderbeine sind oftmals zu Fang- durch das kennzeichnende Tarnverhalten Fledermauswanzen. Vor diesem Hin- beinen entwickelt, mit denen die Beute der Larven, die sich mit in der Umgebung tergrund ist die Staubwanze (Reduvius festgehalten wird während ihr mit dem zur Verfügung stehendem Substrat be- personatus) in Fledermausquartieren im kräftigen Rüssel ein lähmender und vor- decken und dadurch nahezu unsichtbar Sinne der Fledermäuse als nützliche Art verdauender Speichel eingespritzt wird, werden. Das Maskierungsverhalten dient anzusehen. um sie anschließend auszusaugen.Einige dem Schutz vor Fressfeinden. Sie wird Arten besaugen aber auch Säugetiere vorwiegend synanthrop in Häusern, in Literatur und Vögel. Als Überträger der Chagas- Ställen und auf Dachböden ebenso wie ACHTZIGER, R., BRÄU, M. & SCHUSTER, G. Krankheit können zentralamerikanische, auf Müllplätzen gefunden, z.B. WACH- (2003): Rote Liste gefährdeter Landwanzen (He- tropische Arten auch für den Menschen MANN & al. (2006). Zu den Beutetieren teroptera: Geocorisae) Bayerns. Schriftenreihe relevant werden. gehören die verschiedensten Insekten, des Bayer. Landesamtes für Umweltschutz 166:

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Datum Art Fundort Fundumstände Legit

12.07.2005 Reduvius personatus Larve Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth

Abendsegler Holzwickede Wartungsarbeiten 24.06.2006 Reduvius personatus ♀ Garten - unter Fledermausquartier D-NRW-UN- frei auf Erdboden R. Wohlgemuth für freifliegende Abendsegler Holzwickede

14.04.2009 Reduvius personatus Larve Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth

Abendsegler Holzwickede Reinigungsarbeiten 14.10.2005 Cimex dissimilis ♂ Fledermaushöhle Schwegler 2F D-NRW-UN- Quartierkontrolle R. Wohlgemuth & (universell) Nr.25; zeitweise mit Schwerte-Ergste I. Devrient

Abendsegler oder Rauhautfleder-

maus besetzt; Schwerte-Ergste 15.06.2008 Cimex dissimilis ♂ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede Reinigungsarbeiten 23.06.2008 Cimex dissimilis ♂ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede Reinigungsarbeiten 05.07.2008 Cimex dissimilis ♂ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede Reinigungsarbeiten 10.04.2009 Cimex dissimilis ♀ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede in Trinkwassernapf ertrunken 26.04.2009 Cimex dissimilis ♂ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede Reinigungsarbeiten 22.05.2009 Cimex dissimilis ♂ Fledermausquartier für freifliegende D-NRW-UN- Quartierkontrolle/ Wanze bei R. Wohlgemuth Abendsegler Holzwickede Annäherung an Abendsegler

gefangen

Tabelle 1: Nachweise von Wanzen in Fledermausquartieren in Holzwickede und Schwerte (2005-2009).

82-91. Bayrisches Landesamt für Umwelt (Hg.). teroptera, Cimicidae) and the dispersal propen- DECKERT, J. & WINKELMANN, H. (2005): s. auch http://www.lfu.bayern.de/natur/daten/ sity of bats: an experimental study. Parasitology Rote Liste und Gesamtartenliste der Wanzen rote_liste_tiere/doc/tiere/geocorisae.pdf Research 104(1):163-168. ISSN 0932 -0113 (Heteroptera) von Berlin. In: DER LANDESBE- BALVIN, O. (2008): Revison of the West BARTONICKA, T. & GAISLER J. (2007): Seasonal AUFTRAGTE FÜR NATURSCHUTZ UND LAND-

Palaearctic Cimex species. Premilary report. dynamics in the numbers of parasitic bugs (He- SCHAFTSPFLEGE / SENATSVERWALTUNG FÜR Bulletin of Insectology 61 (1): 129-130, ISSN teroptera, Cimicidae): a possible cause of roost STADTENTWICKLUNG (Hrsg.): Rote Listen 1721-8861 switching in bats (Chiroptera, Vespertilionidae). der gefährdeten Pflanzen und Tiere von Berlin. BARTONICKA, T. (2008): Cimex pipistrelli (He- Parasitology Research 100:1323–1330. CD-ROM.

120 Flora & Fauna

DIETZ, C., O. v. HELVERSEN & D. NILL (2007): MELBER, A. (1999): Rote Liste der in Nieder- (2006): Wanzen. Band 1: Neubearbeitung der Handbuch der Fledermäuse Europas und Nord- sachsen und Bremen gefährdeten Wanzen Wanzen Deutschlands, Österreichs und der westafrikas. Biologie - Kennzeichen - Gefähr- Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen deutschsprachigen Schweiz, Goecke & Evers, dung. Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. Supplement zu Heft 5/99, 44 S. Keltern. KG, Stuttgart. 399 S. MORKEL, C. (1999): Zum Vorkommen von Eine allgemeine, einführende und gut bebil- GÜNTHER, H., HOFFMANN, H.-J., MELBER, A., an Fledermäusen (Chiroptera) parasitierenden derte Darstellung zu Wanzen findet man bei: REMANE, R., SIMON, H. & WINKELMANN, H. Bettwanzen der Gattung Cimex LINNAEUS 1758 WACHMANN, E. (1989): Wanzen. Beobachten (1998): Rote Liste der Wanzen (Heteroptera). (Heteroptera: Cimicidae) in Hessen. - Hessische – kennenlernen. 274 S. ISBN-NR.: 3894405546, In: BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (Hrsg.): Faun. Briefe 18, 38-48. Neumann-Neudamm, Melsungen Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. PÉRICART, J. (1972): Hémiptères. Anthocoridae,

Schriftenreihe für Landschaftspflege und Na- Cimicidae et Microphysidae de l.Ouest-Paléarc- Internet: Besonders zu Bettwanzen gibt es viele turschutz 55: 235-242. tique. Faune de l.Europe et du bassin méditerra- Quellen, daher hier nur einige lohnende links: HOFFMANN H. J. (1992). Zur Wanzenfauna néen 7, 1-402, Paris http://en.wikipedia.org/wiki/Bedbug (engl.) (Hemiptera-Heteroptera) von Köln. Dechenia- PÉRICART, J. (1996): Familiy Cimicidae Latreille, http://www.faunaeur.org/full_results. na– Beihefte 31:115–64 1802 – bed-bugs. In : AUKEMA, B. & RIEGER, php?id=12834, Stellung in der Systematik HOFFMANN, H. J. (2005): Nachweis der Fle- C. (Ed.) (1996): Catalogue of the Heteroptera http://www.brianjford.com/06-08-bedbug-rms. dermauswanze Cimex dissimilis endlich auch für of the Paleaarctic Region Vol 2, Cimicomopha pdf sehenswerte mikroskopische Aufnahmen NRW (Heteroptera: Cimicidae) Heteropteron I, Amsterdam, 361 S. (engl.) 20: 25-26 RECLAIRE, A. (o.J.): Wantsen. Wat leeft en http://www.falw.vu.nl/nl/Images/ HOFFMANN, H. J. & MELBER, A. (2003): groeit. De Wereld van Dieren en Planten. Deel siva%202006_tcm19-30750.pdf umfassende Verzeichnis der Wanzen (Heteroptera) Deutsch- 28. Het Spectrum te Utrecht. 118 S. Darstellung der Biologie der Bettwanzen (engl.) lands. In: KLAUSNITZER, B. (Hrsg.): Entomofau- REINHARDT, K. & SIVA-JOTHY, M. T. (2006): http://www.bulletinofinsectology.org/pdfartic- na Germanica 6. Entomologische Nachrichten Biology of the Bed Bugs (Cimicidae). Annu. les/vol61-2008-129-130balvin.pdf Revision der und Berichte Beiheft 8, 209-272. Rev. Entomol. 2007. 52:351–74. http://www. westpalaearktischen Arten der Gattung Cimex HOFFMANN, H.J., KOTT, P & SCHÄFER, P. falw.vu.nl/nl/Images/siva%202006_tcm19- (engl.) (2010): Artenverzeichnis der Wanzen - Hete- 30750.pdf http://ziva.avcr.cz/data/pdf/2009-04-17-15- roptera - in Nordrhein-Westfalen. 1. Fassung, ROER, H. (1969): Über Vorkommen und Lebens- 05-07-9606f574dfd5c03eca2f2c7fe862a519. Stand April 2010. in: LANUV NRW (2010): Rote weise von Cimex lectularius und Cimex pipistrelli pdf Cimex Abbildungen (tschechisch) Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere in (Heteroptera, Cimicidae) in Fledermausquartie- http://www.lanuv.nrw.de/natur/arten/rote_lis- Nordrhein-Westfalen. (In Vorbereitung). ren. Bonn. Zool. Beitr. 20:355– 59 te/pdf/AV-NW10-Wanzen.pdf - Artenverzeich- KERZHNER I. M. (1989): Cimex pipistrelli aus ROER, H. (1975): Zur Übertragung von Flederm- nis der Wanzen - Heteroptera - in Nordrhein- der (Heteroptera, Cimicidae) Mongolei. Mittei- auswanzen (Heteroptera, Cimicidae) durch ihre Westfalen, Bearbeitung Hans-Jürgen Hoffmann, lungen aus dem Zoologischen Museum in Berlin Wirte. Myotis 13:62–64 Peter Kott und Peter Schäfer, 1. Fassung, Stand 65: 341-342. WACHMANN, E., MELBER, A. & DECKERT, J. April 2010

121 Flora & Fauna

 Blühende Vielfalt auf Ackerflächen für Bienen und Co. Schmuckkörbchen, Büschelschön und mehr

von Anke Bienengräber und Kerstin Conrad

Im Rahmen des von der EU kofinan- zierten Kulturlandschaftsprogram- mes (KLP) für Naturschutzmaß- nahmen auf landwirtschaftlichen Flächen können seit 2010 im Kreis Unna auch Verträge über die Anla- ge von so genannten Blühstreifen entlang von oder in Ackerflächen abgeschlossen werden. Bislang hat- te der Kreis Unna von dieser Mög- lichkeit nicht Gebrauch gemacht, um die in den vergangenen Jahren verminderten Fördermittel weiterhin auf den Schwerpunkt Grünlandext- ensivierung zu konzentrieren. Blühstreifen mit randlichem Brachestreifen.

 Vorgeschichte genannte Blühmischung „Blühbrache derpaket „Ackerparzellen mit Einsaat“ in Anfang 2009 machte die Untere Westfalen“ aus dem E+E-Projekt Hell- das KLP des Kreises aufzunehmen, wäre Landschaftsbehörde auf Initiative der wegböde der Arbeitsgemeinschaft Bio- ein Vertragsabschluss erst zum Sommer Kreisimkerschaft zum ersten Mal einen logischer Umweltschutz im Kreis Soest 2010, und damit eine Einsaat frühestens Versuch mit der Einsaat einer Blühmi- e.V. (ABU), die sich an diesem Standort im Frühjahr 2011 möglich gewesen. schung auf Ackerflächen, die durch als attraktive Einsaat insbesondere für Um jedoch bereits in 2010 Blühstreifen Vermittlung der Imker von einem Land- Honigbienen erwies (ABU 2011). einwerben und realisieren zu können, wirt in Unna-Afferde zur Verfügung Weil der Kreis Unna sich erst im stellte der Kreis Unna im Frühjahr 2010 gestellt wurden. Angesät wurde die so Sommer 2010 dazu entschloss, das För- Gelder zur Verfügung, mit denen dann

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im Rahmen einer Vorlaufphase Blüh- Saatgut [kg] Trivialname wissenschaftlicher Name streifen – gemäß der Richtlinien des KLP / ha – in einer Größenordnung von insgesamt Dill Anethum graveolens 0,5 4,3 Hektar angelegt werden konnten. Boretsch Borago officinalis 0,1 Zur Vorbereitung der Vorlaufpha- Mädchenauge Coreopsis tinctoria 0,1 se trafen sich im Winter 2009/2010 Schmuckkörbchen Cosmos bipinnatus 0,1 Vertreter der Kreisimkerschaft mit der Echter Buchweizen Fagopyrum esculentum 0,5 Biologischen Station. Die Einwerbung Sonnenblume Helianthus annuus 1,0 der Verträge mit den Landwirten musste Gebauter Lein Linum usitatissimum 3,0 nach den Rahmenbedingungen des KLP Futter-Esparsette Onobrychis viciifolia 1,0 erfolgen, weil die Vertragsflächen der Büschelschön Phacelia tanacetifolia 1,0 Vorlaufphase später in das KLP (fünf- Bohnenkraut Satureja hortensis 0,5 jährige Laufzeit) übernommen werden Roggen Secale cereale 1,0 sollten. Auch erstellte die Biologische Saat-Weizen Triticum aestivum 1,0 Station zusammen mit Fachleuten der Tab. 1: Liste der Pflanzenarten der Blühmischung sowie das Mischungsverhältnis Botanik-AG des NABU-Kreisverband des Saatgutes. Das Mischungsverhältnis richtete sich unter anderem nach dem Unna eine neue Blühmischung, die Samengewicht der jeweiligen Arten. den Naturschutzanforderungen eher entsprach als die zahlreichen im Handel Pflanzenwelt ausgeschlossen werden zertifiziert. Saatgutfirmen bieten zur erhältlichen „bunten Mischungen“ nicht kann. Zeit zertifizierte Wildpflanzensamen für regionaler Herkunft, die zu Florenverfäl- Das Landesamt für Umwelt, Natur die Region Norddeutsches Tiefland an. schungen führen können (s.u.). und Verbraucherschutz hat diese Forde- Das heißt, diese Pflanzen können aus Inzwischen ist die Sorge vor einer rung auch in ihre Rahmenrichtlinie für die Gebieten irgendwo zwischen Eifel und weiteren Verfälschung der regionalen Zusammenstellung von Blühmischungen Nordseeküste stammen. Das ist zwar Flora so groß geworden, dass im novel- des KLP aufgenommen. Neben Kulturar- im Vergleich zu zahlreichen seit Jahren lierten Bundesnaturschutzgesetz in § 40 ten wie Leguminosen und Ölsaaten in Gartencentern angebotenen Blühmi- gefordert wird, dass bei Ausbringung sowie bestimmten Gräsern und Acker- schungen mit Wildpflanzen, die aus von Saatgut auf nicht ausschließlich früchten wie Senf oder Rettich dürfen Südeuropa oder Australien stammen, ein der landwirtschaftlichen Produktion Wildpflanzen nur in die Blühstreifen ein- Fortschritt, genügt aber dem Anspruch dienenden Flächen nur noch Saatgut gebracht werden, wenn deren regionale des Naturschutzes nicht. Die Verbreitung aus gebietsheimischen Herkünften zum Herkunft gesichert ist. Die Produktion oder Auskreuzung beispielsweise von Einsatz kommen darf. Ausnahmegeneh- und Vermarktung solcher einheimischen genetisch und phänologisch völlig un- migungen sind dabei nur zu gewähren, Wildpflanzen ist bislang aber nur in terschiedlichen Sippen der Flockenblume wenn eine Gefährdung der heimischen sehr großräumigen Herkunftsgebieten könnten diejenigen Flockenblumen-Sip-

123 Flora & Fauna

pen, die sich im Kreis Unna aufgrund einjähriger Ansaat an. Dies ermöglicht Waldrändern oder an stark befahrenen der standörtlichen Verhältnisse heraus- Landwirten notfalls auch eine Verlegung Straßen) nicht aufgenommen werden differenziert haben, verdrängen. Dies des Streifens an eine andere Stelle, falls konnten. Darüber hinaus schränkt das würde einen Verlust der bereits 1992 in Problemkräuter wie beispielsweise Klet- KLP mögliche Vertragsflächen auch der UN-Konvention über die Biologische tenlabkraut überhand nehmen sollten. durch eine vorgegebene Zielkulisse der Vielfalt (United Nations Convention on Unter Berücksichtigung der Interessen Rahmenrichtlinie des Landes stark ein. Biological Diversity) geforderten Arten- von Botanikern, Imkern und Ornitho- Im Kreis Unna können lediglich Acker- vielfalt auch auf intraspezifischer Ebene logen entstand eine Ansaatmischung flächen im Naturraum Hellwegbörde bedeuten. Um trotzdem für Insekten aus zwölf Pflanzenarten, die ökologisch sowie in den Gebieten der Städte Selm attraktive Blütenpflanzen zu erhalten, unbedenklich und nicht massenwüchsig und Werne berücksichtigt werden. Dies wurden auch Gartenpflanzen in die ist. Diese Mischung wurde speziell von entspricht der ehemaligen Kulisse des Blühmischung des Projektes aufgenom- einer regional bekannten Saatgutfirma Programms „Artenreiche Feldflur“, das men, die bislang kein Problemverhalten abgepackt und von der Biologischen vor einigen Jahren noch über die Ämter hinsichtlich Auskreuzung oder Verwilde- Station an die Landwirte zur Einsaat, für Agrarordnung angeboten wurde. rung gezeigt haben. zwischen Ende April und Ende Mai, Konkrete Hinweise seitens der ehren- Weiterhin sollte aus Naturschutzsicht ausgeliefert. amtlichen Botaniker auf ehemals floris- in den Blühstreifen hinreichend Platz für tisch interessanten Ackerflächen, welche unsere heimischen A c k e r wildkräuter  Projektverlauf teilweise bereits in den 1980er Jahren an bleiben (vgl. Margenburg & al. 2010), Weil die Einwerbung der Ackerstrei- einem Ackerwildkrautprogramm teilge- weil auch diese, meist ungeliebten fen im Januar/Februar 2010 erfolgte, nommen hatten, von der Naturförderge- oder einfach übersehenen Arten eine schränkte dies den Kreis der möglichen sellschaft für den Kreis Unna e.V. (NFG) Bedeutung für unsere einheimische Projektteilnehmer auf Landwirte mit finanziert, konnten überwiegend nicht Tierwelt, vor allem für Insekten, besit- Flächen ohne Herbsteinsaat ein. Viele in Verträge umgesetzt werden. Neben zen. Das heißt, dass auf den Einsatz von Landwirte hatten trotz Sympathie für einer grundsätzlichen Ablehnung von massenwüchsigen, dichtrasigen Arten eine Anreicherung der Landschaft mit Naturschutzprogrammen war hier insbe- verzichtet werden sollte. Dem Wunsch Blühpflanzen aus unterschiedlichen sondere die kurzfristige Einwerbeperiode von Ornithologen nach Winterfutter Gründen kein Interesse an diesem Pro- im Januar/Februar des Jahres hinderlich, für samenfressende Vogelarten wurde jekt. Dazu zählen eine grundsätzliche weil das einjährige Blühstreifenpro- durch geringe Beimengungen von Rog- Scheu vor dem bürokratischen Aufwand gramm des Kreises nur auf Ackerflächen gen, Saat-Weizen und Sonnenblume und ein Misstrauen bezüglich nicht ohne Herbsteinsaat hätte umgesetzt nachgekommen. kalkulierbarer Auswirkungen solcher werden können. Gemeinsam konnten Für die Förderung konkurrenzschwa- Programme. Anderseits boten zahlreiche Imker und die Biologische Station im cher Pflanzenarten bietet das KLP Landwirte Ackerstreifen an, die aufgrund Frühjahr elf Landwirte als Vertragspart- des Kreises Unna nur Blühstreifen mit ihrer Lage (beispielsweise an schattigen ner gewinnen, die auf ihren Ackerflächen

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Blühstreifen (mit Blühmischung) Randstreifen (ungespritzt, ungedüngt)

Feld 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Artenzahl / Auf- wuchsdichte spärlich bis dicht spärlich bis dicht spärlich bis dicht dicht spärlich bis dicht dicht dicht sehr dicht sehr spärlich bis dicht dicht Mittelwert +/- STABW sehr spärlich spärlich bis dicht spärlich bis dicht sehr spärlich bis dicht spärlich bis dicht dicht spärlich bis dicht dicht sehr spärlich bis dicht sehr spärlich Mittelwert +/- STABW sehr dicht

Gesamt 41 31 24 19 37 24 25 31 25 29 29 6,6 17 22 13 34 24 53 18 32 18 26 26 11,7 38 ohne Arten der Blühmischung & 30 22 14 9 21 15 15 18 15 17 18 5,7 16 21 10 25 22 47 12 27 13 23 22 10,6 20 sonstige Arten

Blühmischung 10 6 9 8 11 8 8 10 9 9 8,8 1,4 0 0 1 3 0 5 5 2 4 1 2,1 2,0 6

Sonstige 1 3 1 2 5 1 2 3 1 3 2,2 1,3 1 1 2 6 2 1 1 3 1 2 2 1,6 12 Arten

Kräuter (Insektenbestäu- 16 15 9 7 15 12 7 14 13 12 12 4,2 9 17 8 18 16 38 7 22 10 18 16 9,5 16 bung)

Kräuter (Wind- oder Selbstbestäu- 6 4 3 1 3 2 3 2 1 2 2,7 1,5 4 4 2 4 3 6 1 4 1 2 3,1 1,6 3 bung)

Gräser 8 3 2 1 3 1 5 2 1 3 2,9 2,2 3 0 0 3 3 3 4 1 2 3 2,2 1,4 1 (Windbestäubung)

Tab. 2: Ergebnisübersicht, getrennt nach den Blühstreifen, welche mit der Blühmischung eingesät wurden sowie nach den selbst- berasenden, ungespritzten und ungedüngten Brachestreifen. Sonstige Arten entstammen entweder den Verunreinigungen der Blühmischung oder der alten Ackernutzung. Bei Fläche elf wurde kein Brachestreifen angelegt. Aus diesem Grunde wurde diese Fläche nicht in die Auswertung aufgenommen. Zu beachten ist weiterhin, dass der Stichprobenumfang mit zehn Flächen relativ gering ist und daher weitere allgemeingültige Aussagen erst nach weiteren Untersuchungen getroffen werden dürfen.

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Blühstreifen Randstreifen Trivialname wissenschaftlicher Name (mit Blühmischung) (ungespritzt, ungedüngt) Blühmischung Dill Anethum graveolens 10 2 Mädchenauge Coreopsis tinctoria 10 1 Schmuckkörbchen Cosmos bipinnatus 10 1 Echter Buchweizen Fagopyrum esculentum 9 2 Sonnenblume Helianthus annuus 10 2 Gebauter Lein Linum usitatissimum 10 3 Futter-Esparsette Onobrychis viciifolia 6 0 Büschelschön Phacelia tanacetifolia 10 5 Saat-Weizen Triticum aestivum 6 3 Sonstige Arten Brassica spec. 5 5 Kräuter (Insektenbestäubung) Echte Zaunwinde Calystegia sepium 7 8 Gewöhnliches Hirtentäschel Capsella bursa-pastoris 7 8 Acker-Kratzdistel Cirsium arvense 7 8 Sonnenwend-Wolfsmilch Euphorbia helioscopia 4 5 Purpurrote Taubnessel Lamium purpureum 7 7 Echte Kamille Matricaria recutita 10 9 Vogel-Knöterich Polygonum aviculare 7 5 Weg-Rauke Sisymbrium officinale 5 8 Rauhe Gänsedistel Sonchus asper 6 6 Persischer Ehrenpreis Veronica persica 6 6 Gewöhnliches Acker-Stiefmütterchen Viola arvensis 3 5 Kräuter (Wind- oder Selbstbestäubung) Weißer Gänsefuß Chenopodium album 7 8 Vielsamiger Gänsefuß Chenopodium polyspermum 2 5 Vielsamiger Breit-Wegerich Plantago uliginosa 6 6 Gräser (Windbestäubung) Kriech-Quecke Elymus repens 7 2 Ausdauerndes Weidelgras Lolium perenne 5 3 Tab. 3: Häufig in den Blühstreifen vorgefundene Arten mit Stetigkeiten kleiner/gleich 5, getrennt nach den Blühstreifen und den selbstberasenden Brachestreifen.

Streifen von 9 bis 25 m Breite unsere ten, drei Meter breiten Streifen ausspa- eine Prämie von 1.100,00 Euro/ha. Blühmischung ansäten. ren sollten, der sich von selbst berasen Im Juli 2010 wurde auf den Feldern Eine weitere Auflage der vom Kreis sollte. Auf diesem Brachestreifen sollte eine vegetationskundliche Bestands- Unna finanzierten Vorlaufphase sah vor, das Potenzial der inaktiven Samenbänke kontrolle durchgeführt. Bei dieser dass die Landwirte entlang der Blühstrei- der Äcker untersucht werden. Für den wurden 107 Pflanzenarten (exklusive fen einen ungespritzten und ungedüng- Ertragsausfall erhielten die Landwirte der zwölf Arten der Blühmischung)

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Flächen mit dem typischen Blühaspekt der Blühmischung sowie den ungespritzten und ungedüngten, nicht eingesäten Bra- chestreifen. Das Büschelschön mit seinen blauen Blüten ist auf den eingesäten Bereichen aspektbildend. Auf den sich selbst berasenden Brachestreifen dominiert die gelbweiß blühende Echte Kamille. nachgewiesen. Bei 22 dieser Arten ist oder Mädchenauge. Ihr Anteil in der Obgleich die Artenzahl auf den davon auszugehen, dass sie Verunrei- Blühmischung muss zukünftig deutlich selbstbegrünenden Randstreifen der Fel- nigungen der Ansaatmischung waren reduziert werden. Neben dem Büschel- der vergleichsweise hoch war, setzt sich oder der Fruchtfolge aus dem voran- schön erreichte weiterhin der Gebaute- das Artenspektrum doch überwiegend gegangenen Jahr entstammen. Damit Lein (auch bekannt als Kultur-Lein), aus herbizidresistenten, stickstoffzeigen- verbleiben 85 Pflanzenarten, welche welcher in der Einsaatmischung mit 3 den oder indifferenten Arten wie Echter als Arten unserer Ackerbegleitflora zu kg/ha einen hohen Anteil hatte, große Kamille, Acker-Kratzdistel, Purpurroter zählen sind. Von diesen kamen alleine Individuendichten. Insgesamt liefen je Taubnessel, Vogel-Knöterich, dem Wei- auf den Brachestreifen 81 Arten vor. nach Standort, Witterungsverlauf und ßen Gänsefuß oder dem Gewöhnlichen Auf den Blühstreifen wurden lediglich Ausbringungsmethode die einzelnen Acker-Stiefmütterchen zusammen. 60 Arten kartiert. Dies ist vorrangig auf Bestandteile der Blühmischung jedoch Dabei wiesen die Echte Kamille, Acker- die hohe Konkurrenzkraft des schnell sehr unterschiedlich auf. Von den zwölf Kratzdistel und der Weiße Gänsefuß von auflaufenden Büschelschöns (Phacelia) Arten der Blühmischung kamen durch- den nicht eingesäten Arten insgesamt zurückzuführen. Diese doch insgesamt schnittlich neun Arten auf den Feldern die höchsten Wuchsdichten auf. Auf den recht hochwüchsige Art kam auf allen zur Blüte. Auffällig ist, dass Borretsch, Blühstreifen waren diese Arten ähnlich Feldern zur Dominanz und verdrängte Roggen und Bohnenkraut, wenn sie stark vertreten. Dies deutet unter an- niedrigwüchsige und spät keimende Ar- überhaupt auf den Feldern aufliefen, nur derem darauf hin, dass die Böden der ten der Blühmischung wie Bohnenkraut sehr spärlich vertreten waren. untersuchten Äcker immer noch sehr

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ten in der Blühmischung erhöht werden. Allerdings wurden einige Samen wie die der Sonnenblumen nach Beobach- tungen der Landwirte schon bald nach der Aussaat von Vögeln gefressen. Der Anteil des dominanten Büschelschöns sollte in der Ansaatmischung reduziert werden. Die Aussichten auf weitere Vertrags- nehmer im Rahmen des KLP werden als eher gering eingeschätzt, weil es inzwischen ein ähnliches Programm der Landwirtschaftskammer mit vergleich- Eine typische Art unserer Äcker und kurzlebigen Unkrautfluren ist der unscheinba- barer Förderhöhe gibt, bei dem die re, menningrot blühende Acker-Gauchheil. Blühmischungen bis zu fünf Jahre auf den Flächen stehen bleiben können und nährstoffreich sind und diese Arten in Feld kartierten Kornblumen waren so nur im Bedarfsfall nachgesät werden. den vorangegangenen Jahren einen beschaffen, dass die nektartragenden Zudem gibt es für dieses Programm großen Samenpool bilden konnten. Staubblätter zu Gunsten der zierenden, keine besonderen Einschränkungen hin- Bei der Vegetationskontrolle wurden blauen Randblüten, welche für Insekten sichtlich der Lage der Flächen, so dass der für die Region seltene Acker-Krumm- nicht nutzbar sind, umgebildet bzw. es zukünftig sicherlich für Landwirte hals sowie ein größerer Bestand der gezüchtet waren. wesentlich attraktiver sein wird. ebenfalls seltenen Saat-Wucherblume festgestellt. Bei beiden Vorkommen ist  Fazit  Ausblick jedoch davon auszugehen, dass sie aus Die Erwartungen der Imker hinsicht- Ackerpflanzengesellschaften, vor Beimischungen der Ansaatmischung lich einer reichen Herbsttracht haben allem die der Getreidefluren, gehören stammen. Der Umstand, dass etliche Ar- sich im kreisspezifischen Vorläufer- in Deutschland zu den am stärksten ten aus ungewollten Beimischungen der projekt der Anlage von Blühstreifen gefährdeten Pflanzengesellschaften. Blühmischung stammen, ist aus Natur- nicht erfüllt. Spätblühende Arten wie Nicht nur ein Drittel der gesamten schutzsicht sehr zu bedauern. Bei diesen die Sonnenblume, das Mädchenauge Ackerarten steht auf der Roten Liste der Beimischungen kann eine Auskreuzung oder das Schmuckkörbchen sind zwar Bundesrepublik Deutschland, auch eine oder eine Verwilderung der jeweiligen auf allen Blühstreifen aufgekommen, Vielzahl unserer heimischen Tierarten Arten, wie dem festgestellten Fenchel, jedoch eher spärlich bis wenig zahlreich. ist an den Lebensraum Feldflur ange- nicht ausgeschlossen werden. Die im Zukünftig müsste der Anteil dieser Ar- passt. Wie MARGENBURG ET AL. 2010

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aufführen, sind im Kreis Unna nicht nur unsere seltenen Ackerwildkräuter im Rückgang begriffen, sondern auch vor einigen Jahren noch häufige Arten wie beispielsweise die Acker-Winde. Daher ist es wichtig, das noch in den Samen- banken unserer Ackerböden ruhende Potenzial zu nutzen und zu reaktivieren, bevor es gänzlich verloren geht. Um unsere heimischen Ackerwild- kräuter langfristig zu sichern, bedarf es über die Anlage von Blühstreifen hinaus weiterer Schutzbemühungen. Bewährt haben sich Getreidestreifen, die vom Landwirt von der Düngung und vom Pestizideinsatz ausgespart werden. Optimal ist hierbei eine Getreideaussaat mit doppelten oder dreifachen Reihen- abstand. Ein solches Programmpaket wird bislang im Kreis Unna nicht ange- boten, weil nur wenige Flächen auf von Natur aus nährstoffärmeren Standorten wie beispielsweise in den sandigen Gebieten um Selm oder auf den flach- gründigen Böden des Haarstrangs das Nutznießer der Ackerrandstreifen ist eine Vielzahl heimischer Insekten. Dazu zählt Potenzial für seltene Ackerwildkräuter beispielsweise dieser Distelfalter. Foto: Bernhard Glüer haben. Die Bereitschaft von Landwirten für solche Programme ist eher gering, eine Anhebung der Förderprämien für Jahrbuch der Naturfördergesellschaft für den weil die Vergütung der am Landes- diesen Programmbaustein des KLP. Kreis Unna e. V. 14: 135-138. durchschnittsertrag von Ackerflächen ABU – ARBEITSGEMEINSCHAFT BIOLOGI- orientierten Prämien im Kreis Unna Literatur SCHER UMWELTSCHUTZ IM KREIS SOEST E. keinen großen Anreiz bietet, vor allem Margenburg, K., Margenburg, B. & Loos, G. V. (2011): Ackerstreifenprojekt im Kreis Soest. nicht auf den hochertragreichen Börde- H. (2010): Kornblume, Klatsch-Mohn & Co. URL: http://www.abu-naturschutz.de/acker- böden. Hilfreich wäre möglicherweise – Kulturfolger des Menschen. – Naturreport, streifen/index.html (24.01.2011).

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 Vertragsnaturschutz für Vögel der offenen Feldflur im Kreis Unna Ackern für den Vogelschutz

von Anke Bienengräber um ihre Bodennester besser gegen In Zusammenarbeit mit ehrenamtlich Nesträuber schützen zu können. Auf- tätigen Ornithologen wurden Ver- Ackerextensivierung im Kreis Unna: grund des starken Rückganges dieser tragsflächen auf Basis der seit 1997 Seit 2009 werden auf Anregung Biotoptypen wichen die Kiebitze hier- durchgeführten Kiebitzkartierungen der Ornithologischen Arbeitsge- zulande schon vor Jahrzehnten auf eingeworben und auch das Brutgesche- meinschaft Kreis Unna (OAG) und ebenfalls im Frühjahr vegetationsarme hen im ersten Vertragsjahr verfolgt. des Förderprogramms „Artenreiche Ackerflächen aus. Da das Brutgeschäft Während eine Fläche im Raum Werne, Feldflur“ des ehemaligen Amtes für meistens bereits im März beginnt, in einer Gemarkung mit dem bezeich- Agrarordnung im Rahmen des Kul- fallen die Gelege aber allzu oft der nenden Namen „Kiebitzheide“ gelegen, turlandschaftsprogrammes (KLP) Bewirtschaftung der Felder zum Opfer. sich als wahrer Kiebitzmagnet erwies, des Kreises Unna auch Programm- Auch im Falle eines Bruterfolges leiden legten auf zwei weiteren Flächen Kie- bausteine zur Ackerextensivierung die Küken auf den heutzutage großen bitze, die in der näheren Umgebung ihre angeboten. Ackerschlägen mit meist nur spärlicher Eier verloren hatten, Nachgelege an. Randvegetation an einem Mangel an Die Kiebitzküken konnten noch nach In 2009 wurden in der Hellwegbörde Nahrung und Deckung. dem Schlupf beobachtet werden, über 9,2 Hektar und in 2010 zusätzlich 12,5 die tatsächliche Überlebensrate kann Hektar geeignete Flächen als einjährige  Seit 1997 Kiebitzkartierung jedoch nur spekuliert werden. Brache unter Vertrag genommen. Die Im Rahmen des KLP bieten die Ver- Nachdem die Fördermöglichkeit Flächen werden nur einmal – im Herbst tragsflächen neben den Kiebitzen auch in den landwirtschaftlichen Medien oder spätestens im März – umgepflügt anderen Feldvögeln wie Feldlerche, veröffentlicht worden war, meldeten und anschließend der Selbstbegrünung Schafstelze, Rebhuhn, Wachtel und der sich viele Landwirte mit Vorschlägen überlassen. vom Aussterben bedrohten Grauammer für weitere Vertragsflächen. Diese Ehemals brüteten Kiebitze vor allem sowie vielen weiteren Tierarten Lebens- konnten jedoch nicht in den Förder- in weitgehend gehölzfreien Moor- und und Nahrungsräume. Wie gesagt darf rahmen aufgenommen werden, weil Heidegebieten oder auf Nasswiesen, die Spontanvegetation, die sich wäh- sie nicht in der Förderkulisse (Hellweg- die sich aufgrund frühjährlicher Über- rend der Vegetationsperiode einstellt, börde, Stadtgebiete Selm und Werne) stauung vegetationsarm zeigten. Dies erst wieder im Herbst umgebrochen lagen beziehungsweise standörtliche ermöglichte ihnen freie Rundumsicht, werden. Ausschlusskriterien wie die Nähe zu

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Rebhühner profitieren vom zusätzlichen Angebot an Nahrung und Deckung in den Kiebitze brüten seit Jahrzehnten über- Feldfluren. Fotos: Bernhard Glüer wiegend auf Ackerflächen.

Wald oder stark befahrenen Straßen Kiebitze befinden. Auch die fünfjährige flächen hat sich das Förderpaket jedoch vorlagen. Einige Landwirte wurden Bindung an einen Vertragsnaturschutz- als positiv erwiesen. Auf allen Flächen hinsichtlich aktueller beziehungsweise vertrag stellt für viele Landwirte eine waren weitere Feldvögel wie Lerche, zurückliegender Kiebitzbrutvorkommen zu große Hürde dar. Ebenso war die Schafstelze und Rebhuhn zu finden, angesprochen. Lag die Förderprämie Sorge vor einer Ausbreitung von Proble- die hier auf jeden Fall reiche Nahrung jedoch unter den Preisen, die sie für eine munkräutern auf den Ackerflächen ein fanden. Eine grobe Bestandsaufnahme reguläre Ernte auf den entsprechenden Ablehnungsgrund, der insbesondere bei der Pflanzen auf den vormals intensiv Flächen erzielen konnten, lehnten die biologisch wirtschaftenden Landwirten genutzten Ackerflächen erbrachte zwar Landwirte einen Vertragsabschluss nachvollziehbar ist. Eine Einwerbung keine Arten der Rote Liste, aber im verständlicherweise ab. Dies war über- der besonders für Kiebitze interessan- Vergleich zu den angrenzenden Flächen wiegend auf den hoch ertragreichen ten Standorte wird daher auch in den stellten sie eine echte Bereicherung des Bördeflächen der Fall, wo sich leider nächsten Jahren schwierig bleiben. Angebotes an Nahrungspflanzen für besonders viele Ballungszentren der Ungeachtet der wenigen Vertrags- Vögel und Insekten dar.

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 Der Vater der Kiebitzwiese Wir trauern um Arno Bock

von Werner Prünte bung der Veränderungen in unserer Vogelwelt verzichten… Die traurige Nachricht erreichte uns in den Mittagsstunden: Der be-  Naturschützer der ersten Stunde kannte Fröndenberger Ornithologe Arno Bock verstand es immer wieder, Arno Bock ist am 9. Januar 2010 im junge Leute für die Vogelkunde zu be- Alter von 77 Jahren an den Folgen geistern. Auch für mich, den Verfasser einer Lungen-Embolie verstorben. dieser Zeilen, war er einer der weg- weisenden Lehrer auf diesem Gebiet. Arno Bock erfasste schon in den Mehr als fünf Jahrzehnte war Arno Bock 40er- und 50er-Jahren des letzten Jahr- Mitarbeiter der Vogelwarte Helgoland. hunderts mit Beständigkeit und hohem Als Beringer markierte und untersuchte Einsatz die Vogelwelt der Ruhrstadt er viele tausend Vögel. Vor allem dem nicht nur in qualitativer, sondern auch Brutort-Verhalten der Rohrammern, die in quantitativer Weise. Seine in Jahr- er in mehr als 100 Fällen im Jahr nach zehnten gesammelten phänologischen der Beringung am Brutort bestätigte und Datensätze, seine Aufzeichnungen über damit als besonders “ortstreu” einstu- die Brutvorkommen vieler Vogelarten fen konnte, galt dabei sein besonderes im Ruhrtal und auf der Haar, seine Interesse. Siedlungsdichte-Untersuchungen „aus Als Naturschützer der ersten Stunde fast schon historischen Zeiträumen“ war es Arno Bock glücklicherweise noch schlummern größtenteils noch in den Arno Bock – Beringer und Ruhrtal- vergönnt, den vollzogenen Schutz der mehr als 50 (!) mit Akribie geführten Chronist über mehr als fünf Jahrzehnte. Fröndenberger Kiebitzwiese als neues Tagebüchern. Foto: privat Naturschutzgebiet im Kreis miterleben Wer immer sich noch einmal berufen zu können. Jener Kiebitzwiese, der er fühlt, eine Avifauna im Kreis oder für den besseren Zeiten der heimischen Ornis wie kein anderer bei der Beobachtung Kreis zu erstellen – an diesem riesigen kommt kein Bearbeiter vorbei, will er von Tieren und Pflanzen über Jahrzehnte Vergleichsmaterial vornehmlich aus nicht von vornherein auf die Beschrei- hinweg sein Auge schenkte.

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 Der Anthus verstummt Abschied von Werner Prünte

von Doris Glimm

Ein Mann der Ruhrstadt durch und durch: Mit Blick auf das Frön- denberger Ruhrtal 1940 geboren – dort fast 70 Jahre später verstor- ben. Dennoch ist der Ornithologe Werner Prünte über den Tellerrand des Haarstrangs hinausgeschritten und hat ornithologisches Neuland betreten.

Der früh verstorbene Vater, die zunächst raue Nachkriegszeit – kleine Fluchten waren da Überlebensstrategie: Als Jugendlichen zog es Werner in das Ruhrtal und das sauerländische Heimat- dorf seiner Mutter. Dort fand er seine, Auf Augenhöhe: Steppenweihe und Werner Prünte in der Türkei. Fotos: privat das ganze Leben anhaltende Begeiste- rung an der Natur und der Ornithologie. MP3-Player und bestbebilderte Spe- ihn lebenslang als Ornithologen der Und in Fröndenberg den Anschluss an zialliteratur war er gezwungen, genau „Extraklasse“. die beiden leider viel zu früh verstorbe- hinzuschauen, sich selbst die Vogelwelt Akribisch geführte Tagebücher aus nen Ornithologen Arno Bock und Horst zu erschließen und mit seinem musi- dem Ruhrtal geben eindrucksvolle Zeug- Mester. Diese hatten dort zusammen mit kalischen Empfinden jede Nuance der nisse der gegenseitigen Befruchtung der anderen bereits das Feld abgesteckt, das einzelnen Vogelstimmen zu erkennen. „Ruhrtalornithologen“. Schnell geriet – Werner mit Riesenschritten ausmaß. Sein exzellentes akustisches Empfinden angespornt durch Horst Mester – die Ohne die heute so selbstverständli- und diese angeeignete genaue Beobach- wissenschaftliche Beschäftigung und chen Hilfsmittel wie Fernglas, Spektiv, tungsgabe begleiteten und qualifizierten die Vogelberingung für die Vogelwarte

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Kostbarkeiten des vordigitalen Zeitalters: Die gemeinsam geführten Tagebücher der Ruhrtalornithologen, hier Bruten des Schwarzkehlchens 1959 – 1961 in Fröndenberg. Zeichnung: Horst Mester

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Helgoland ins Zentrum des Interesses. Einsatz für den Erhalt der Wiesen- und die Erforschung des Zugverhaltens, Arno Bock, Horst Mester und Werner Rohrweihen an. Bereits 1965 nach den der Zugstrategien und vor allem der Prünte waren es dann auch, die 1961 ersten Entdeckungen ausgemähter Wei- Mauser vieler Arten. Weithin war er mit dem „Anthus“ den „westfälischen henhorste angestoßen, verbrachte er als Fachmann für die Beschreibung und Ornithologen ihr eigenes Mitteilungs- von 1980 bis 1991 jedes freie Wochen- die Erklärung des Gefiederwechsels der blatt“ gaben und die Avifauna Westfa- ende in der Hellwegbörde, von Unna bis Singvögel als grundlegendem Lebens- lens aber besonders des mittleren Ruhr- Warburg, um Brutplätze beider Arten vorgang der Federtiere anerkannt. Mehr tales aufarbeiteten. Die Verbreitung zu finden. Damit half er entscheidend, als 100.000 Beringungen und Tausende und Phänologie von Tauchern, Enten, den Brutbestand seiner Lieblingsart, Mauserprotokolle geben Zeugnis seiner Raufußbussard, Kornweihe, Wachtelkö- der eleganten Wiesenweihe, von an- über 50jährigen Beringertätigkeit für nig, die Nachweise seltener Arten – für fänglich vier auf 45 Paare zu erhöhen die Vogelwarte Helgoland. Überwie- den Kreis Unna inzwischen wichtige – immerhin die spätere Verleihung des gend am Haarstrang bei Fröndenberg Zeugnisse, um Bestandsveränderungen Bundesverdienstkreuzes wert. gesammelt, aber auch während vieler heute einordnen zu können. Mit der Übernahme des Weihen- Exkursionen und Beringungsprojekte schutzes durch hauptamtliche Kräfte auf den Balearen, in Tunesien, Ägyp-  Wissenschaftliche Beringung taten sich wieder Freiräume für die vielen ten und zuletzt mehrjährig mit großer Längst sprengte Anfang der 1960er wissenschaftlichen Fragestellungen auf, Mannschaft in der Türkei. Jahre das Interesse den räumlichen die Werner seit der ornithologischen Dabei verlor er nie den Blick für die Rahmen. Zusammen mit Michael Frühphase umtrieben. Insbesondere Vogelwelt seines Heimatkreises. Weite Harengerd, Michael Speckmann und vielen anderen waren die Frönden- berger auf die Rieselfelder Münster als „Tundra mitten in Deutschland“ gestoßen. Die dort gemeinsam betrie- bene wissenschaftliche Vogelberingung legte dann später die Grundlage für die Unterschutzstellung des jetzigen Europareservates. Bis 1974 währte die Phase der Zusammen- und Vorstands- arbeit in der damaligen Westfälischen Ornithologen-Gesellschaft. Daran schloss sich – zusammen mit Theodor Trendelkamp und der Verfas- serin - sein langjähriger ehrenamtlicher Ornithologie vor 50 Jahren: Arno Bock und Werner Prünte.

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Bereiche des Kreises Unna sind von Bestimmungsbücher und Literatur, um ihm für den „Brutvogelatlas des Kreises sie zum Weitermachen im Natur- und Unna“ und die nachfolgenden Kartie- Artenschutz zu ermutigen. rungsprojekte kontrolliert worden. Nicht nur das, sondern auch enor- mes persönliches Kapital steckte er in  Blick für die Heimat die Erforschung der hiesigen Vogelwelt, Mit seinem Gespür noch für kleinste in Cap Bon in Tunesien kungelte Werner Veränderungen in der Vogelwelt hat er den bekannten Sperberfängern Fang- bis zu seinem Todestag im Kreis Unna netze ab mit der Begründung: „Damit täglich den ornithologischen Jahreslauf kann kein Schaden mehr angerichtet dokumentiert und veröffentlicht: z. B. werden!“. die Feststellung des Orpheusspötters Erster im Kreis Unna als Brutvogel Nicht nur die Vogelwelt erregte sein als neue Brutvogelart im Kreis Unna – nachgewiesener Orpheusspötter aus Interesse, auch die heimischen Mollus- und den Beleg, dass diese Art bereits dem Jahr 2008. ken und anderes in der Fauna und Flora. weiter verbreitet ist, als bisher ange- Alte Handwerkskunst in Form bäuer- nommen. Schon in den 1980er Jahren usw. usw. Unter den anstrengenden licher Möbelstücke konnte er voller forschte er auf Ibiza zusammen mit winterornithologischen Bedingungen Staunen mit enormem Wissen bewun- seinen Freunden an dieser Vogelart. hat er neue Überwinterungs-Strategi- dern und den wohlverdienten Ausgleich Ebenso der Stieglitz, dessen unter- en, sei es beim Hausrotschwanz, dem fand er immer wieder am Klavier. In schiedliche Mauserstrategie im Mittel- Zilpzalp, dem Sommergoldhähnchen den langen Berufsjahren als Redakteur meerraum und in Westfalen eine Arbeit oder der Heckenbraunelle, erforscht, einer Lokalzeitung hat Werner Prünte im Journal für Ornithologie wert war. dokumentiert und zu erklären versucht. sich vehement für den Erhalt der Natur Dem Fitis widmete er eine Auswertung Erkenntnisse, die erst nach und nach in eingesetzt. Sein Mittel dazu und gern zum Vergleich zwischen Vorkommen ihrer Bedeutung erkannt werden. gelesen waren die „Spitzen“ in „seiner“ und Morphologie auf Menorca und in Westfalenpost, anfangs noch unter Fröndenberg, dem Baumpieper opferte  Für die Natur eingesetzt dem Pseudonym „anthus“, später ging er Nächte im Süden und jahrelang Früh- Eine hervorstechende Eigenschaft es dann manchmal „prüde“ zu. stunden im Kreis Unna um die Zugstra- lag in Werners Persönlichkeit, sein er- Mit Werners strahlendem Lachen, tegie und Mauser der Art zu beschrei- arbeitetes Wissen an jeden Interessier- seiner Erzählkunst und seiner Anteil- ben, ganz besonders intensiv wurde ten weiterzugeben, egal ob es Kinder, nahme an Anderen war er in jeder Run- der Feldschwirl mit Tausenden Fängen Jugendliche oder Doktoranten betraf. de sofort der beliebte Mittelpunkt. untersucht, um Brutverhalten, Zug Er nahm sie mit zu seinen Beringungs- Der Anthus ruft nicht mehr, Werner und den sehr abweichenden Mauser- plätzen oder auf die Suchfahrten nach Prünte ist nicht mehr unter uns! Wir zyklus der Art zu dokumentieren – zu schützenden Arten. Er schickte ihnen sind tief betroffen über den Verlust.

136 Personen

 Heinz-Friedrich Schlockermann ist seiner „zweiten“ Heimat eng verbunden Der Liebe wegen kam er nach Lenningsen

von Corinna Glück

„Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, aber auch für das, was wir nicht tun“ – sagte einst Voltaire (1694-1778). Dieses Zitat des Weg- bereiters der französischen Revolu- tion spiegelt die Lebensphilosophie von Heinz-Friedrich Schlockermann wider.

Er ist ein Macher. Ein Impulsgeber. Ein Ideenentwickler. Ein Visionär. Ein Kämpfer. Ein Praktiker. Ohne den 75- Jährigen wären die drei Dörfer Bramey, Lenningsen und Flierich nicht die, die sie heute sind. Das hört Heinz-Friedrich Schlockermann nicht so gerne – aber das muss mal gesagt werden. Er sieht sich eher bescheiden: „Ohne die vielen Heinz-Friedrich Schlockermann engagiert sich für Natur und Umwelt und ist der engagierten Mitstreiter hätte ich nie- Bönener Geschichte auf der Spur. Foto: Glück mals so viel bewegen können“, betont Schlockermann. viele war er der „kleine Bürgermeister“. einmal Gold und Silber sowie zweimal Viel hat der ehemalige Ortsvorsteher Besonders beispielhaft für sein Schaffen Bronze auf Landes- und einmal Silber (1969-2009), das einstige SPD-Rats- ist der Wettbewerb „Unser Dorf soll auf Bundesebene nach Flierich sowie mitglied und der Ortsheimatpfleger schöner werden…“. Das Ergebnis des zweimal Bronze nach Lenningsen. Was (seit mehr als 25 Jahren) von Bramey, Engagements spricht für sich: Gemein- sich hier so leicht liest, ist mit viel Ar- Lenningsen und Flierich, bewegt. Ja, für sam mit seinen Weggefährten holte er beit und Hartnäckigkeit verbunden.

137 Personen

„Während ich mich auf den Besuch der den Kreis Unna herauszugeben, arbeite- terstelle. „Ich habe immer mitgeholfen“, Jury vorbereitete, entdeckte ich meine te am Dorfentwicklungsplan für Bramey, erzählt Schlockermann. Ganz gleich, Leidenschaft für die Dorfgeschichte“, Lenningsen und Flierich und am Land- ob Kartoffeln, Rüben oder Getreide zu erinnert er sich. Ganz besonders am schaftsplan Nummer 4 für den Raum ernten waren oder Kühe, Schweine und Herzen liegt ihm die Fliericher Kirche. Kamen/Bönen mit – diese Aufzählung Hühner zu versorgen, als kleiner Steppke Um vielleicht den Beweis für das Ent- lässt sich nahezu endlos weiterführen. war Schlockermann mit seinem Bruder stehungsjahr – etwa nach der ersten „Das konnte ich neben meinem Beruf immer dabei. Auch heute noch versorgt Jahrtausendwende – zu bekommen, bei einer großen Krankenkasse aber sich Familie Schlockermann mit selbst reiste er sogar bis zum Kloster Beuron in nur mit der liebevollen Unterstützung gezogenem Gemüse. Und dennoch ist Baden-Württemberg. Wenn Schlocker- meiner Familie schaffen“, sagt Schlo- es mittlerweile leiser um Heinz-Friedrich mann von seinen Recherchen erzählt, ckermann dankbar. Gemeint sind seine Schlockermann. rückt er auf dem Sofa weiter nach Tochter Heike und seine Gattin Grete, vorne und seine Augen strahlen. Auch mit der er seit über 50 Jahren glücklich  Immer noch aktiv interessieren ihn die Jahrhunderte alten verheiratet ist. Ihretwegen kam Schlo- Im Rat und in der Verwaltung sieht Geschehnisse rund um die Gehöfte und ckermann überhaupt nach Lenningsen. man ihn nun seit ein paar Jahren nicht Familien. Aber das ist wieder eine ganz Das ist „ewig“ her. Seine Grete lernte mehr. Doch ganz zur Ruhe gesetzt hat andere Geschichte. Schlockermann im Zug kennen. Geboren Schlockermann sich nicht. Er zeigt inte- und aufgewachsen in Hamm-Weetfeld ressierten Besuchern – ob zu Fuß oder  Bewegte viel in der Gemeinde – unweit der Gemeinde Bönen – stieg mit dem Rad – seine geschätzten Dörfer Ebenso lebendig erzählt Schlocker- er in Wiescherhöfen in die Bahn ein, in Bramey, Lenningsen und Flierich. Auch mann über sein (politisches) Wirken für der seine zukünftige Frau schon saß. moderiert er weiterhin die politischen die Gemeinde: „Mein Streben war und Gemeinsam fuhren sie nach Hamm. Mit Turmgespräche, seine Meinung ist in ist es auch immer noch, die Gemeinde der Zeit wurde aus der Bekanntschaft Bönen eben gefragt. „Und als Ortshei- zu einem liebens- und lebenswerten Ort Liebe und Schlockermann zog in das matpfleger will ich auch noch nicht mei- zu machen. Mir macht es Freude, die Elternhaus seiner (zukünftigen) Frau ne Hände in den Schoß legen. Heimat- Kulturlandschaft zu erhalten, zu nutzen – nach Lenningsen. Schnell begeisterte forschung macht süchtig.“ Mit diesem und zu gestalten.“ So engagiert er sich sich Schlockermann für die reizvollen Antrieb will Schlockermann sich einen im Vorstand der Naturförderungsgesell- Dörfer der südlichen Gemeinde – ja, er Wunsch erfüllen: Die Dorfgeschichte in schaft für den Kreis Unna, initiierte das verliebte sich auch in sie. einem Buch niederschreiben, damit die „Grüne Klassenzimmer“ der Ermeling- Affin zur Natur und Umwelt war er nachkommenden Generationen davon grundschule, rief den Tag der Weide im schon von Kindesbeinen an. Die Familie profitieren können. Und überhaupt: Süden der Gemeinde Bönen ins Leben, – sein Großvater und Vater waren beide Die Heimat liegt Schlockermann am plante Rad- und Wanderwege, entwi- bei der Eisenbahn beschäftigt – versorg- Herzen. So ganz ohne Aufgabe kann er ckelte die Idee, einen Reiterführer für te sich damals selbst. Das war eine Köt- eben nicht.

138 Aktionen

 Der Naturerlebnispfad Schwerter Wald Laufend die Natur erfahren

von Birgit Manz und Maria Stricker

Im Mai 2010 hat der Naturerlebnis- pfad Schwerter Wald seine Eröff- nung gefeiert. Er ist ein gutes Bei- spiel dafür, „dass viele Köche nicht immer den Brei verderben“, denn hier hat das gemeinsame Engage- ment unterschiedlicher Gruppierun- gen aus Bürgerschaft, Verwaltung, Politik und Wirtschaft zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt.

Entstanden ist ein Naturerlebnispfad, der Jung und Alt die Möglichkeit bietet, das Ökosystem Wald mit allen Sinnen zu erfahren und der gleichzeitig ein attrakti- ver Anziehungspunkt im Naherholungs- gebiet Schwerter Wald ist.

 Die Idee Die Idee zum Naturerlebnispfad Gemeinsam kann man sie umfassen: Auf dem Naturerlebnispfad in Schwerte gibt entstand im Freischütz, einer traditi- es alte und vor allem dicke Bäume. Fotos: pronatur onsreichen Gastronomie, direkt am Schwerter Wald gelegen. Emilie Prüser, pfad, den sie im Urlaub kennengelernt Naturerlebnispfades im Schwerter Wald, die den Freischütz gemeinsam mit ihrem hatte, inspiriert. Seitdem hat sie sich mit direkt hinter ihrer Haustür, engagiert. Ehemann führt, war durch einen Lehr- großem Einsatz für die Errichtung eines Ein erstes Konzept wurde mit Unterstüt-

139 Aktionen

 Die Umsetzung Neben der Stadtverwaltung Schwerte wurde auch die Naturförderungsgesell- schaft für den Kreis Unna e.V. (NFG) um Unterstützung gebeten. Nach einigen Gesprächen war klar, dass der Naturer- lebnispfad ein Projekt ist, das sehr gut in den Aufgabenbereich der NFG passt. Schon seit vielen Jahren engagiert sich die NFG in der Öffentlichkeitsarbeit für Natur- und Umweltschutz: Sie führt umweltpädagogische Projekte durch und hat Kontakte zu Multiplikatoren wie Schulen, Kindergärten, Natur- schutzgruppen. Daher übernahm die NFG die Projektleitung zur Umsetzung des Naturerlebnispfades im Schwerter Wald. Gemeinsam mit Vertretern der Stadtverwaltung Schwerte und des Ver- An jeder Station informiert eine Informationstafel. eins Stadtmarketing wurde das Konzept für den Pfad inhaltlich überarbeitet und zung durch den Verein Stadtmarketing nen geben, so dass die Neugierde für konkretisiert. Zunächst sollen in der Schwerte von der Firma „pronatur“ das Thema Wald und Natur bei den ersten Bauphase 16 Stationen realisiert erstellt und die ersten Sponsoren zur Fi- Besuchern geweckt und der kreative werden, die das Gerüst des Pfades nanzierung einzelner Stationen gesucht Spieltrieb angeregt wird. bilden. In einem zweiten Bauabschnitt und gefunden.  Auch sollen die Stationen möglichst kann der Naturerlebnispfad dann noch Aber der Anspruch ist hoch: aus natürlichen Materialien gearbeitet um vier weitere Stationen ergänzt  Die erlebnisorientierte Wissens- und werden und sich in Form und Farbe werden. Informationsvermittlung zum Öko- gut in das Landschaftsbild einfügen. Um die finanziellen Mittel für die system Wald und seiner geschichtli- Schnell wurde klar: Um dies alles um- Umsetzung des Konzeptes sicherzu- chen Entwicklung soll bei der Gestal- zusetzen, werden weitere Unterstützer stellen, stellte die NFG eine Antrag tung im Vordergrund stehen. für das Projekt benötigt, die mit finan- auf Förderung des Projektes bei der  Neben Informationstafeln soll es ziellen Mitteln oder Know-how an der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW interaktive Erlebnis- und Sinnesstatio- Umsetzung der Idee arbeiten. (SUE) und erhielt eine Förderzusage.

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Die Station „Waldbodenuntersuchung“. Die Station „Kopf über“.

Um den Eigenanteil zur Finanzierung holungsgebietes nehmen die neuen Ebenso aktiv waren Mitglieder der aufzubringen, bemühte sich der Verein interaktiven Informationsmöglichkeiten Naturschutzgruppe AGON Schwerte Stadtmarketing Schwerte und hier ins- über ökologische und naturräumliche (Arbeitsgemeinschaft Ornithologie und besondere Frau Prüser um weitere Spen- Zusammenhänge des Waldes gut an. Es Naturschutz). Selbstgebaute Nisthilfen, der aus der Wirtschaft. Um den Aufbau gibt zahlreiche positive Rückmeldungen die am Rande des Pfades an geeigneter der Stationen abzuwickeln, sagten der sowohl im Freischütz Schwerte als auch Stelle aufgehängt wurden, bieten nun Bauhof der Stadt Schwerte sowie viele bei der Stadtverwaltung und der NFG. ornithologisch interessierten Besuchern ehrenamtliche Kräfte ihre Mitarbeit zu. Neben der individuellen Nutzung weitere Beobachtungsmöglichkeiten. Die Zusammenarbeit zwischen allen durch Wanderer, Ausflügler oder Famili- Beteiligten verlief reibungslos, so dass en wurden einige der Stationen erstmals  Ausblick sechs Monate nach der Förderzusage in die Waldjugendspiele eingebunden, Und es geht weiter im Schwerter Wald. durch die SUE am 16. Mai 2010 die die das Forstamt im Herbst 2010 für Nun soll die zweite Ausbaustufe in Angriff Einweihung des Naturerlebnispfades Grundschulen aus Schwerte und Dort- genommen werden. Erste Gespräche stattfand. mund organisierte. Diese Ergänzung zwischen allen Beteiligten sind geplant. Im Laufe des vergangenen Sommers des Programmes wurde vom Forstamt Ebenso soll eine Broschüre erscheinen, die hat der Pfad sich zu einem Anziehungs- als Bereicherung des Angebots gewertet Anregungen zur Nutzung der einzelnen punkt im Schwerter Wald entwickelt. und soll in den nächsten Jahren beibe- Stationen und ergänzende Informationen Die zahlreichen Besucher des Naher- halten und weiter ausgebaut werden. vermittelt.

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 Ein Rundgang Weg nach Süden zur nächsten Station merk auf eine ganz besondere Pflanze Als Ausgangspunkt für einen Ausflug führt. Dort sind Philosophen gefragt, des Schwerter Waldes gelenkt: die Stech- zum Erlebnispfad kann das Restaurant denn es wird die Frage gestellt: „Natur palme. In einem kleinen Ratespiel kann „Freischütz“ angesteuert werden. Hier oder Kunst?“. Sie könnte aber auch lau- sicherlich die ganze Familie noch etwas stehen zahlreiche Parkplätze zur Verfü- ten: tot oder lebendig? Denn mit Hilfe der dazulernen. gung und rund um das Restaurant bieten Informationstafel wird der Wert und die An der T-Kreuzung direkt hinter der sich noch weitere Highlights, mit denen Funktion von Totholz erläutert. Informationstafel geht es in westliche man sein Walderlebnis abrunden kann, „Rühr mich nicht an!“, heißt es an der Richtung weiter. An der Station „Stür- beispielsweise ein Streichelzoo oder eine dritten Station. Dabei wird das Augen- mische Erneuerung“ kann das beein- Minigolfanlage. Direkt hinter dem Freischütz findet sich zunächst eine hilfreiche Übersichts- karte mit dem Wegeverlauf und allen Stationen. Der gut ausgebaute, auch Kinderwagen taugliche Weg führt dann Richtung Süden zur ersten Station. Natür- lich kann die Strecke auch beliebig anders gestaltet werden – eine Einhaltung der Reihenfolge ist im Grunde nicht erfor- derlich. Eigens aufgestellte Wegweiser an Knotenpunkten folgen aber dem nachfolgend beschriebenen Verlauf: Zu Beginn heißt es „Der Wald kann mehr als rauschen!“. Dabei geht es um die vielfältigen Aufgaben, die einem Wald zukommen. Angefangen bei der geschichtlichen Entwicklung der Land- schaft, die gleichzeitig eine Geschichte des stetigen Waldrückgangs ist, werden die vielfältigen Waldfunktionen darge- stellt. Der Pfad verläuft dann kurz Richtung Westen, vorbei an einem beeindrucken- Die Übersichtskarte des Naturerlebnispfades im Schwerter Wald. Karte: Fachbe- den Findling, wo an einer Kreuzung ein reich Vermessung und Kataster des Kreises Unna Nr. 18/10

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druckende Nebeneinander von Alt und Jung im Wald nachempfunden werden. Auf einer Lichtung steht ein Baumstumpf, der auf imposante Art und Weise veran- schaulicht, welche stattliche Größe eine Buche erreichen kann. Gleichzeitig wird aber auch die Kraft der Natur verdeut- licht: Denn der Stumpf zeigt nur die Reste einer Buche, die bei einem Sturm zu Fall kam. Auf der Lichtung sieht man auch zahlreiche kleine Keimlinge, die eines Ta- ges vielleicht ebenso groß und dominant werden, wie es die Buche einst war, deren Stamm selbst eine Familie Hand in Hand nicht umfassen kann. Dass nicht nur der Umfang von Bäu- Mit dem Lauschtrichter kann man die „Stimmen“ des Waldes hören. men gewaltig sein kann, demonstriert die Station „Hoch hinaus“: Man kann sich die nächste Station und eine Infor- nächsten raten“ – auf einer Tafel ist eine vor Ort die Höhe eines bestimmten mationstafel zeigt, welche Hörorgane das Spur zu sehen, einige Meter weiter ist des Baumes abschätzen und erfährt dazu Tierreich bietet. Rätsels Lösung zu finden. noch so einiges rund um das Themenfeld Weiter geht der Weg zur Station „Tier- Nach einer kurzweiligen Wegstrecke Baumhöhe. domino“. Wer mag, kann aber kurz nach mit Tierspuren kommt eine weitere An der nächsten Station, dem „Baum- Osten abbiegen und einen Abstecher ins Kreuzung. Der Pfad verläuft hier weiter telefon“, kann der Spaziergänger selbst „Grüne Klassenzimmer“ machen. Hier in östliche Richtung. So gelangt man zur aktiv werden und dabei ein Stück weit ist für die Zukunft ein Aufenthaltsraum Station „Kopfüber“. Wie der Name schon nachvollziehen, wie das Leben eines Tie- mit Bänken geplant. Bislang gibt es „nur“ andeutet, wurde hier etwas quasi vom res im Wald funktioniert. Es geht darum, eine Informationstafel mit lehrreichen Fuß auf den Kopf gestellt, nämlich Bäu- wie sehr beispielsweise ein Eichhörnchen Antworten auf Fragen zum Thema Jah- me – wie sollte es anders sein auf einem lauschen muss, wenn es in seinem Nest resringe. Zurück auf dem eigentlichen Wald-Lehrpfad. Hier kann man also das im Baum schläft und sich ein Marder Pfad geht es also zum „Tierdomino“. An bestaunen, was sonst verborgen unter nähert. dieser Station geht es um die Spuren oder der Oberfläche liegt: die Wurzeln. Nach dieser Station liegt es nicht so Fährten verschiedener Tiere. Die Wis- Der Weg führt dann zunächst weiter fern, sich einmal mit den Ohren von sensvermittlung erfolgt über ein Spiel: auf den Freischütz zu; kurz bevor man Tieren zu beschäftigen. „Hör mal“ nennt Man kann sich quasi „von einer Tafel zur den eigentlichen Ausgangspunkt wieder

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erreicht, besteht aber die Möglichkeit, abzubiegen und „Auf die Pirsch“ zu gehen. Hier kann ein weiteres heiteres Ratespiel starten: Im Wald wurden sechs Tiersilhouetten versteckt, die es zu finden gilt. Während der Suche führt der Weg weiter zur nächsten Station: „Der Boden lebt!“. Hier liefert eine Informationstafel Interessantes zu den Waldbodenbewoh- nern. Neugierige finden an der Tafel Gucklöcher, durch die sie Waldboden- bewohner bestaunen können. Dazu passt auch die nächste Station mit dem Namen „Waldbodenuntersuchung“. Neben lehrreichen Informationen zum Leben im und am Waldboden, findet der Spaziergänger an dieser Station auch Gelegenheit, sich auf den Liegen niederzulassen. Die Erschöpften können also kurz Energie tanken, während sich die Wissbegierigen bäuchlings hinlegen und das Treiben auf dem Waldboden beobachten können. Der Naturerlebnispfad macht Jung und Alt gleichermaßen Spaß. An der folgenden Station kann man nachempfinden, wie sich ein Insekt füh- Netz gegangen wäre. Eine Tafel liefert Hilfe der Informationstafel erfährt der len muss, das einer Spinne in ihr Netz zusätzliche Informationen zu Spinnen Leser, wie genau das funktioniert. gegangen ist. „Gefangen im Spinnen- und ihren Netzen. Nach rund 1,6 Kilometern kurzweiliger netz“ heißt es hier dementsprechend. An einer letzten Wegkreuzung geht es Unterhaltung ist der Spaziergänger dann Und mal wieder kann jeder selbst aktiv nun wieder in nördliche Richtung auf den wieder am Ausgangspunkt angekommen werden. Ein überdimensionales Spin- Ausgangspunkt zu. An der letzten Station – hoffentlich um einiges schlauer und für nennetz kann durchklettert werden. heißt es „Auf Holz klopfen“. Hier geht es die Wunder der Natur sensibilisiert. Wenn jemand an einen „Faden“ stößt, um einen ganz besonderen Waldbewoh- Der Schwerter Naturerlebnispfad wurde gfördert von der klingelt ein Glöckchen, das signalisiert, ner, den Specht. Dass er seine Höhlen in dass man im Ernstfall der Spinne ins Bäume zimmert, ist bekannt. Aber mit

144 Natur des Jahres

 Übersicht Die Natur des Jahres 2011 auf einen Blick

Titel Art Info und Kontakt Vogel des Jahres Der Gartenrotschwanz [email protected]

Wildtier des Jahres Der Luchs [email protected]

Fisch des Jahres Die Äsche [email protected]

Insekt des Jahres Die Große Kerbameise [email protected]

Schmetterling des Jahres Der Große Schillerfalter [email protected]

Gefährdete Nutztierrasse des Jahres Das Limpurger Rind [email protected]

Baum des Jahres Die Elsbeere [email protected]

Blume des Jahres Die Moorlilie [email protected]

Orchidee des Jahres Die Zweiblättrige Waldhyazinthe [email protected]

Pilz des Jahres Der Rote Gitterling [email protected]

Moos des Jahres Das Tännchenmoos [email protected]

Spinne des Jahres Die Gemeine Labyrinthspinne [email protected]

Heilpflanze des Jahres Der Rosmarin [email protected]

Arzneipflanze des Jahres Die Passionsblume [email protected]

Flechte des Jahres Die Gewöhnliche Feuerflechte [email protected]

Staude des Jahres Die Fetthenne zvg-bonn.banseg-net.de

Landschaft des Jahres Der Slowakische Karst nfi@nfi.at

Flusslandschaft des Jahres Die Emscher [email protected]

145 Autoren

Autoren

Dieter Ackermann leitet seit der Grün- Kerstin Conrad ist Dipl.-Landschaftsöko- Lippstadt. Kontakt: Am Sötling 8, 59556 dung 1979 die Arbeitsgemeinschaft login und wissenschaftliche Mitarbeiterin Lippstadt. Ornithologie und Naturschutz im NABU bei der Biologischen Station. Kontakt: (Naturschutzbund Deutschland e.V.) Westenhellweg 110, 59192 Bergkamen. Jochen Heinrich ist Naturfotograf. Kon- Kreisverband Unna. Kontakt: Am Derk- takt: Im Sundern 3, 44532 Lünen. mannsstück 59, 58239 Schwerte. Volker Eschrich ist in der Naturschutz AG Bönen. Kontakt: Am Peterskamp 10, Corinna Glück ist Redakteurin bei der Ursula Ackermann ist VHS-Kursleiterin 59199 Bönen. Agentur Horschler Kommunikation GmbH Vogelkunde und arbeitet mit in der AGON in Unna: Kontakt: Friedrich-Ebert-Straße (Arbeitsgemeinschaft Ornithologie und Barbara Fels ist Dipl.-Ing. Landschafts- und 19, 59425 Unna. Naturschutz) Schwerte. Kontakt: Am Der- Freiraumplanung, betreute als wissenschaft- kmannsstück 59, 58239 Schwerte. liche Mitarbeiterin mehrere Kommunen bei Karl-Heinz Holtmann ist in der Natur- der Einführung des Nachhaltigen kom- schutz AG Bönen. Kontakt: Nordbögger Heinrich Behrens ist Schulleiter an der Ge- munalen Flächenmanagements der Lan- Straße 55, 59199 Bönen. schwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen. desarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW Kontakt: Gerberweg 1, 59174 Kamen. e.V. (LAG 21 NRW). Das Projekt wurde Ludwig Holzbeck ist Dipl.-Ingenieur, vom Umweltministerium des Landes NRW Bauassessor und Geschäftsführer der Anke Bienengräber ist Dipl.-Biologin und gefördert. Kontakt: LAG 21 NRW e.V., Naturförderungsgesellschaft für den Kreis wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutsche Straße 10, 43399 Dortmund. Unna sowie Leiter des Fachbereichs Natur Biologischen Station. Kontakt: Westen- und Umwelt des Kreises Unna. Kontakt: hellweg 110, 59192 Bergkamen. Dr. Hans Jürgen Geyer ist wissenschaftli- Platanenallee 16, 59425 Unna. cher Mitarbeiter bei der Arbeitsgemein- Manfred Bußmann ist Naturfotograf. Kon- schaft Biologischer Umweltschutz im Sylvia Junghardt ist Dipl.-Ingenieurin für takt: Bachstraße. 6, 59192 Bergkamen. Kreis Soest e. V. Kontakt: Möllerstr. 24, Landschaftsplanung und Mitarbeiterin 59555 Lippstadt. in der Abteilung Gewässerentwick- Jens Brune leitet die Arbeitsgruppe Greif- lung/Landschaftspflege, Arbeitsgruppe vögel der NWO. Kontakt: Otto-Prein Doris Glimm ist Ornithologin und Wei- Gewässer/Landschaftspflege bei Em- Straße 29, 59174 Kamen. henschützerin der ersten Stunde aus schergenossenschaft und Lippeverband.

146 Kontakt: Kronprinzenstraße 24, 45128 stellvertretender Vorsitzender der Natur- Libellen. Kontakt: Allensteiner Str. 18, Essen. förderungsgesellschaft für den Kreis Unna 44534 Lünen. und Stellvertretender Arbeitskreisleiter des Stefan Kauwling ist Dipl.-Geograph/Land- Arbeitskreises Heimische Orchideen Nor- Falko Prünte ist Diplom-Geograf/Land- schaftsökologe und wissenschaftlicher drhein Westfalen des BUND NW. Kontakt: schaftsökologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Biologischen Station. Auf der Klause 5, 59192 Bergkamen. Mitarbeiter der Biologischen Station im Kontakt: Westenhellweg 110, 59192 Kreis Unna. Kontakt: Westenhellweg 110, Bergkamen. Nick Mengelkamp ist Dipl.-Landschaftsö- 59192 Bergkamen. kologe und freier Mitarbeiter bei der Biolo- Klaus Klinger ist Dipl.-Biologe und Leiter gischen Station. Kontakt: Westenhellweg Werner Prünte (†) war Redakteur einer der Biologischen Station. Kontakt: Wes- 110, 59192 Bergkamen. Mendener Lokalzeitung und Ornitho- tenhellweg 110, 59192 Bergkamen. loge. Ralf Ohde ist Dipl.-Biologe und wissen- Dr. Götz Heinrich Loos ist Universitätsleh- schaftlicher Mitarbeiter bei der Biologi- Dr. Mario Sommerhäuser ist Gewässerö- rer und Forscher vornehmlich im Bereich schen Station. Kontakt: Westenhellweg kologe und leitet den Bereich Gewässer Landschaftsökologie/Biogeographie an 110, 59192 Bergkamen. im Kooperationslabor von Emscherge- der Ruhr-Universität Bochum, Geographi- nossenschaft und Lippeverband sowie sches Institut. Kontakt: Ruhr-Universität Andreas Petruck ist Dipl.-Biologe und Ruhrverband. Kontakt: Kronprinzenstraße Bochum, Geographisches Institut, 44780 Mitarbeiter in der Abteilung Gewässer- 24, 45128 Essen. Bochum. entwicklung/Landschaftspflege, Arbeits- gruppe Flussgebietsentwicklung bei Em- Dr. Jochen Stemplewski ist Jurist und seit Birgit Manz ist Dipl.-Ingenieurin Lan- schergenossenschaft und Lippeverband. 1992 Vorstandsvorsitzender von Em- despflege und in der Geschäftsführung Kontakt: Kronprinzenstraße 24,45128 schergenossenschaft und Lippeverband. der Naturförderungsgesellschaft für den Essen. Kontakt: Kronprinzenstraße 24, 45128 Kreis Unna. Kontakt: Westenhellweg 110, Essen. 59192 Bergkamen. Rolf Prothmann ist Dozent für Sicher- heit und Gesundheit und Naturfotograf Maria Stricker ist Dipl.-Ing. Landschafs- Bernd Margenburg ist Dipl.-Physiker, Vor- mit breiter Palette – in den letzten fünf architektur. Kontakt: Dasbeck 17, 59075 sitzender des NABU-Kreisverbandes Unna, Jahren überwiegend Schmetterlinge und Hamm.