Dossier »Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft?« , € November/ Dezember 26 

Zeitung des Deutschen Kulturrates www.politikundkultur.net In dieser Ausgabe: Tom Buhrow Jutta Cordt . Deutscher Bundestag Berliner Kulturträume Inklusive Kulturpolitik Reformationsjubiläum Henriette Reker Alles neu macht die Bundestags- Quo vadis Museen in der Mehr Barrierefreiheit in Kunst Nicht Luther, sondern Zwingli: Ulla Schmidt wahl: Worauf wird es kultur- Hauptstadt? Partizipation im und Kultur: Menschen mit Was können wir von den politisch in der kommenden Humboldtforum & Architektur Behinderung als Künstler und Schweizer Reformations- Paul Spies Legislaturperiode ankommen? am Kulturforum Kulturkonsumenten feierlichkeiten lernen? und viele andere Seite  Seiten  und  Seite  bis  Seite  Erosion Noch bevor der Deutsche Bundes- tag das erste Mal zusammenkam und die AfD rechts außen mit ihrer großen Fraktion Platz nahm, be- gann im Kulturbereich schon die Erosion des Widerstandes gegen die neue rechtsradikale Partei. Die Dif erenzierer und die Beschwichti- ger meldeten sich immer lauter zu Wort. Die Dif erenzierer machten ei- nen großen Unterschied zwischen der AfD und ihren Wählern. Die AfD selbst sei zwar völkisch national, fremdenfeindlich und lehne kultu- relle Vielfalt, Kunstfreiheit und ein geeintes Europa ab, aber ihre Wähler wollten doch nur protestieren gegen das Establishment und seien unzu- frieden mit ihrem Leben. Eigentlich kann man Menschen nur schwerlich schlimmer herab- setzen als ihnen jede bewusste Ent- scheidung abzusprechen. Wer die AfD gewählt hat, wusste ganz genau, Die Kraft der Worte was er tat, einen »Er will doch nur spielen«-Bonus gibt es nur für Hun-  Jahre Heinrich Böll. Seiten  bis  de, nicht aber für Menschen. Die Beschwichtiger sind nach meiner Ansicht aber noch gefährli- ALLIANCE PICTURE FOTO: cher. Es wird schon nicht so schlimm »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«,  werden und hat die AfD nicht gerade für den Kulturbereich positive Vor- schläge im Gepäck? Mehr Kultur- förderung, mehr kulturelle Bildung, natürlich nur für Kunst und Kultur in ihrem Sinne. Europa und der Mythos des Natürlich muss mit der AfD ge- redet werden, natürlich werden wir uns keinem ernst gemeinten Gespräch mit AfD-Abgeordneten Populismus im Deutschen Bundestag und den Der alte Kontinent braucht ein neues Werkzeug Länderparlamenten verschließen. Mehr als  Abgeordnete hat allein CHANDRAN NAIR Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in dessen Nachwirkungen in Schwellenländern wie In- die neue AfD-Fraktion im Bundes- den Vereinigten Staaten zeigt, dass »Populismus« dien und China und den weiterhin armen Staaten tag, d.h. mehr als  Mitarbeiter er Aufstieg des europäischen Populismus – trotzdem noch die Prinzipien des Pluralismus und der noch immer zu spüren sind. Z. B. ist es Europa durch werden für die Abgeordneten und das Brexit-Referendum im Vereinigten internationalen Zusammenarbeit hochhalten kann seine Agrarsubventionen möglich, die Entwicklungs- für die AfD-Fraktion in Zukunft ar- Königreich, die Zweitplatzierungen von – oder ihnen zumindest nicht widersprechen muss. länder mit billigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen beiten. Marine Le Pen in Frankreich und Geert Was alle aufstrebenden »populistischen« Bewe- Ignorieren kann und darf man DWilders in den Niederlanden, der Aufstieg der Al- gungen tatsächlich kritisieren, ist der vermeintliche diese politische Macht nicht. Aber ternative für Deutschland (AfD) und die autoritäre Trickle-Down-Ef ekt in der neoliberalen freien Markt- unsere Positionen dürfen wir bei Wende von Viktor Orbáns Regierung in Ungarn – hat wirtschaft. Das Versprechen, dass die wirtschaftli- Eine »vielfältige menschliche diesen Gesprächen nicht über Bord die Liberalen auf dem alten Kontinent erschüttert. che Globalisierung zu einem allumfassenden und Zivilisation« würde die Unter- werfen. Für viele scheint die Welt nur noch aus »Globa- gerechten Wohlstand führen würde, hat sich als falsch schiede zwischen Völkern und In der von uns ins Leben gerufe- listen« und »Populisten« zu bestehen. Globalisten erwiesen. Weltweit haben sich die Eliten unverhält- verschiedene Wege zum nen Initiative kulturelle Integration vertreten of ene Märkte, Pluralismus, Kooperation und nismäßig große Vorteile aus dem freien Marktkapi- haben wir mit vielen anderen gesell- liberale Ideen, während Populisten für Protektionis- talismus sichern können und die »Spielregeln« nach Fortschritt respektieren schaftlichen Gruppen gemeinsam mus, Nationalismus und geschlossene Grenzen stehen ihren Interessen gestaltet. Die westliche Bevölkerung in  Thesen die Voraussetzungen – und dafür, dass Länder »ihren eigenen Weg gehen«. akzeptierte diesen Status quo so lange, wie ihre Län- für ein friedliches Zusammenleben Aber diese Darstellung wendet ein rein europä- der – und damit auch sie selbst – die Begünstigten zu überfl uten und gleichzeitig Handelsschranken in unserem Land beschrieben. Die- isches – oder zumindest westliches – Verständnis waren und überließ den Eliten dafür sogar alle Sahne- aufrechtzuerhalten, um Konkurrenz zu verhindern. sen Voraussetzungen fühlen wir uns politischer Spaltungen auf den Rest der Welt an. Mit stückchen. Aber als die Situation, bedingt durch den Staatschefs wie Narendra Modi, Vladimir Putin, Xi dauerhaft verpfl ichtet. der »Populismuswelle« drückte die westliche libe- Aufstieg der globalen Mehrheit, ungemütlich wurde, Jinping, Recep Tayyip Erdoğan und Rodrigo Duterte Der Deutsche Kulturrat ist partei- rale Presse politischen Bewegungen, die sich an die zeigten sich Brüche in den westlichen Gesellschaften erhalten von ihren Bevölkerungen so massenhafte politisch neutral, aber das bedeutet und ließen diese gegenwärtige Welle des westlichen Unterstützung, weil sie damit argumentieren, dass nicht, dass wir Parteien nicht kriti- »Populismus« anschwellen. ihren Ländern ungerechterweise ein Platz in der glo- sieren dürfen, die unsere Werte mit Aber weltweit existiert der »Populismus« bereits seit balen Politik, Wirtschaft und Regelsetzung verweigert Füßen treten. Das Versprechen, dass die Jahrzehnten als die Kluft zwischen den »Besitzenden« wurde und dass es an der Zeit ist, mitreden zu dür- Lassen Sie es uns mit Erich Käst- wirtschaftliche Globalisierung und den »Besitzlosen« oder zwischen reichen, entwi- fen. Indien hat noch immer keinen permanenten Sitz ner halten, der  sagte: »Die Er- zu einem allumfassenden und ckelten Ländern und aufstrebenden Entwicklungs- im UN-Sicherheitsrat, im Gegensatz zum winzigen eignisse von  bis  hätten gerechten Wohlstand führt, hat ländern. Sie manifestiert sich in dem of ensichtlichen Großbritannien. spätestens  bekämpft werden Unbehagen der reichen Nationen und ihrer Bürgerin- Westliche Führer mögen von diesen Forderun- müssen, später war es zu spät. Man sich als falsch erwiesen nen und Bürger angesichts des Aufstiegs der anderen. gen enerviert sein, aber die Wahrheit ist, dass Men- darf nicht warten, bis der Freiheits- Die Debatte »Globalisten gegen Populisten« er- schen in den Entwicklungsländern ihre ungleiche kampf Landesverrat genannt wird. örtert die Welt, wie sie sein oder nicht sein sollte. Behandlung als globale Bürger zweiter Klasse längst Man muß den rollenden Schneeball Massen und gezielt gegen die vermeintlichen Profi - Die Globalisten wollen die Globalisierung noch wei- bemerkt haben. Mittlerweile sind jedoch einige zertreten; die Lawi- teure wirtschaftlicher Strukturen richten, einen wenig ter ausdehnen. Die »Populisten« – zumindest in der dieser Länder reich genug, dass ihre Regierenden ne hält keiner mehr schmeichelhaften Stempel auf. Einige westliche »po- Darstellung der liberalen Medien – wollen die Uhr glauben, nicht mehr einem westlichen Narrativ, ei- auf.« pulistische« Bewegungen versuchen, andere Kulturen zurückdrehen. Die Kluft »Besitzende gegen Besitz- Fortsetzung auf Seite  und Immigranten für die Probleme der »Abgehäng- lose« dagegen stellt unsere Welt infrage, wie sie der- Olaf Zimmermann ten« verantwortlich zu machen – ein Schachzug, der zeit ist: ein von geopolitischen und wirtschaftlichen Nr. / ist Herausgeber zu Recht kritisiert wird. Aber nicht jeder »Populismus« Interessen regiertes Konstrukt, gestaltet von den ISSN - 4:V;n von Politik & Kultur ist schlecht. Der überraschende Erfolg von Jeremy wohlhabenden Ländern nach dem letzten Weltkrieg, B   02 SEITE  www.politikundkultur.net

Editorial: Erosion Not perfect Terrorismus – das nützliche Überblick: Heinrich Bölls KULTURELLES LEBEN Olaf Zimmermann 01 Olaf Zimmermann 08 Gespenst politisches Engagement 21 Reinhard Baumgarten 15 Reformation in der Schweiz: Leitartikel: Europa und der Ein Spiegel der Gesellschaft Böll und die Schriftsteller: Jubiläen feiern, wie sie fallen. Mythos des Populismus Susanne Keuchel 09 Hochschulen in Indien: Das Das Ende der Bescheidenheit Aber wie? Chandran Nair 01 vorhandene Potenzial entfalten Eva Leipprand 22 Martin Heller 28 Brauchen wir eine inklusive Heike Mock 15 Kulturmensch Norbert Lammert 02 Kulturpolitik? Überblick: Heinrich Bölls Kultur wieder groß schreiben: Max Fuchs 09 Reden 22 Isabel Pfeif er-Poensgen im Porträt DIE ROTE LISTE Andreas Kolb 29 AKTUELLES Eine Bereicherung Er war in erster Linie Ulla Schmidt im Gespräch 10 Gefährdete Kulturinstitutionen 16 Schriftsteller Gott und die Welt: Vorbei?! Neuer Bundestag, neue René Böll im Gespräch 23 Christian Stäblein 29 Bundesregierung Mehr als nur eine Rollstuhlrampe Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz 03 am Vordereingang 100 JAHRE Bölls Literatur in der DDR: Tabea Rößner 10 HEINRICH BÖLL Der Panzer zielte auf MEDIEN Kafka KOMMUNALE BAMF: Stellschraube kulturelle Mahner, Erinnerer, Aufrüttler, Regine Möbius 24 Das öf entlich-rechtliche Gut KULTURPOLITIK Integration Kämpfer Benjamin-Immanuel Hof 30 Jutta Cordt im Gespräch 11 Olaf Zimmermann 17 Böll und Köln: Untrennbar Mainz: Bitte vernetzen verbunden Sven Scherz-Schade 04 Bauhaus: Modernes Denken Ein wichtiger Autor Henriette Reker 24 NETZKULTUR veraltet nie Tom Buhrow 18 Zusammenfassung: Kapital der Rainer Robra 12 Bölls Arbeiten für den WDR: Ein Reisepass für die digitale Welt Kapitalen Zeitlicher Überblick. Einige Ich will nicht Euer guter Alexander Mrozek im Gespräch 31 Peter Grabowski 05 Lebensdaten Heinrich Bölls 18 Heinrich sein EUROPA Christoph Vormweg 25 Leben und Wirken: Er suchte DAS LETZTE INLAND Stadtkultur in Amsterdam stets die Auseinandersetzung Böll und die katholische Kirche: Constanze Letsch 13 Terry Albrecht 19 Ein beständig Fragender Kurzschluss 32 Humboldtforum: Raum Christoph Strack 26 für Partizipation und Kulturhauptstadt 2025: Literarisches Vermächtnis: Karikatur, P&K-Nachrichten 32 Weltdenken Aufbruchstimmung Eine etwas rätselhafte Suche Haus Langenbroich: Paul Spies im Gespräch 06 Kristina Jacobsen 14 Ralf Schnell 20 Eine Autostunde von Köln entfernt DER AUSBLICK Kulturforum: Nachdenken am Überblick: Heinrich Bölls Sigrun Reckhaus 26 1  Bauzaun INTERNATIONALES literarische Werke 20 Hans Jessen 07 Politische Stiftung: Die nächste Politik & Kultur Kulturpolitikforschung: Einmischung ist die einzige Einmischung erwünscht! erscheint am . Januar . Zeit für den Inklusions‐Check Arts.Rights.Justice Möglichkeit, realistisch zu bleiben Barbara Unmüßig und Ellen Im Fokus steht das Thema Jakob Johannes Koch 08 Wolfgang Schneider 14 Tanja Dückers 21 Ueberschär 27 »Nachhaltigkeitsasas & Kultur«.

Fortsetzung von Seite  ner westlichen Weltanschauung oder öf entlich davon gesprochen hat, dass -ordnung entsprechen zu müssen. Frankreichs Wohlstand der Ausbeutung Kulturmensch Man kann verstehen, warum Eu- von Kolonien wie Algerien entstammt. ropa dem »Populismus« derart große Schlussendlich folgt Europa zu oft Beachtung schenkt: Europas überge- der Führung der Vereinigten Staaten. Norbert Lammert ordnetes Ziel ist es, einen weiteren Wo sind beispielsweise die prominen- Weltkrieg zu verhindern. Die europä- ten europäischen Stimmen, welche die Erstes von sieben Kindern einer Bo- und Cembalo, plante, Dirigent zu ischen Liberalen sehen die Europäische aggressive amerikanische Strategie ge- chumer Bäckermeisterfamilie, Dip- werden. Stets frönte er in der Öf ent- Union, die Ausbreitung der Demokratie gen Nordkorea kritisieren? Vielleicht lom-Sozialwissenschaftler, Stadtrat in lichkeit seiner Leidenschaft für Musik und die Verdrängung von Diktaturen zu liegt es daran, dass Europa die Ame- Bochum, Bundestagspräsident – das und Literatur. Auf seiner Webseite Recht als den besten Weg, um den Frie- rikaner als »wir« betrachtet und die kann nur einer sein: Norbert Lam- fi ndet man Listen mit Büchern und den auf dem Kontinent zu bewahren. Millionen von Asiaten, die von einem mert. Lammert gehört in die deutsche Filmen, die Lammert gesehen oder ge-

Das ist verständlich und lobenswert. BORRS WOLFGANG / IFA FOTO: wiederbelebten koreanischen Konfl ikt Politik der letzten  Jahre wie kaum lesen hat. Nur wenige strahlen Kultur Aber die Entwicklungs- und Schwel- Chandran Nair betrof en wären, als »die«? Dennoch ein anderer; und die Politik gehört zu so aus wie er. So meinte Lammert bei lenländer fürchten keinen Weltkrieg, scheint Europa eher bereit zu sein, sei- ihm wie nur zu wenigen. Mit nur  der Deutschen Akademie für Sprache sondern eine Rückkehr zum Kolonia- der Moderne herum konstruierte; alles nen gegenwärtigen Platz in der Welt Jahren trat er der Jungen Union bei. und Dichtung : »Kultur ist nicht lismus. Vielleicht nicht mit Bodentrup- andere gilt als minderwertig und muss neu zu beurteilen. Im Gegensatz zu  wurde er Mitglied der CDU. Zwi- die sympathische Nische unserer pen, sondern in einer anderen Form: als geändert werden. den Vereinigten Staaten kooperieren schen  und  bekleidete er das Gesellschaft, sondern das Eigentliche, Fortsetzung der wirtschaftlichen Domi- Die Antwort auf ein »Wir gegen die europäischen Länder mit China in Amt des Parlamentarischen Staats- das sie zusammenhält«. Im Sommer nanz, der einseitigen westlichen militä- die«-Narrativ ist also kein uniformes der »Belt and Road Initiative« und der sekretärs in verschiedenen Bundes- dieses Jahres ging er unter die Libret- rischen Aktionen, illegalen Sanktionen, »Wir«-, sondern ein feierliches »Wir Asian Infrastructure Investment Bank. ministerien. Seit zwölf Jahren ist er tisten und schrieb eine deutsche Ver- moralischen Vorträge oder kulturellen mit ihnen«-Narrativ. Eine »vielfälti- Allerdings muss viel getan werden, Bundestagspräsident – bekannt für sion des »Ordinarium missae«. Homogenisierung. Und angesichts des ge menschliche Zivilisation« würde damit die Europäerinnen und Europä- außerordentliche sprachliche Quali- Ein richtiger Kulturmensch ist Lam- unter der Führung der USA angerich- die Unterschiede zwischen den Völ- er verstehen, dass sie nicht mehr die tät und deutliche Worte. Zur Wahl des mert. Ein Anlass mehr, ihn mit dem teten Chaos im Nahen Osten ist die- kern wertschätzen und verschiedene Herren der alten Welt sind und dass sie . Deutschen Bundestages im Sep- »Kulturgroschen« des Deutschen se Befürchtung sehr realistisch. Aus Defi nitionen, Werte und Wege zum neue Werkzeuge benötigen, darunter tember  trat er nicht wieder an. Kulturrates auszuzeichnen – eine diesem Grund reagieren die Entwick- Fortschritt respektieren. Das bedeutet auch eines mit dem Namen »Demut«. Eine politische Ära geht zu Ende. Anerkennung Lammerts lebenslangen lungsländer mit Skepsis auf die Reden keinesfalls ein Ende der Zusammen- Nach dem altem »Hard Power«- Doch nicht nur der Politik, sondern kulturpolitischen Einsatzes. Vielen über universelle Rechte, Normen und arbeit: Verschiedene Länder werden Maßstab wird Europa in einer »viel- auch der Kultur ist Lammert seit jeher Dank, Norbert Lammert, für Kultur insbesondere über Interventionen, die weiterhin zusammen daran arbeiten, fältigen menschlichen Zivilisation« verbunden. Als Kind spielte er Orgel und Politik! diese Rechte schützen sollen. Wir wis- die Probleme der Welt zu lösen. Aber schwächer sein. Es hätte nicht die ins- sen, wohin solche Reden in der Vergan- diese Zusammenarbeit wird nicht mehr titutionelle Macht, die es heute besitzt. genheit geführt haben: Kolonisierung, ausschließlich von westlichen Ent- Aber wenn es sich mit der entwickeln- militärische Eingrif e und menschli- scheidungsträgern und Institutionen den Welt auseinandersetzt, statt sie zu che, wirtschaftliche und institutionelle auf der Basis einer Ideologie defi niert, belehren, kann endlich die Kluft zwi- Schäden, welche die betrof enen Länder die in einem – wenn auch sorgfältig schen den »Habenden« und den »Ha- noch heute benachteiligen. kaschierten – Gefühl der moralischen benichtsen« überbrückt werden. Wenn Es ist schick geworden, sich zu einer Überlegenheit gegenüber anderen Län- Europa aufhört, sich um jeden Preis an einzigen globalen Kultur zu bekennen, dern und Kulturen verhaftet ist. einem »Westen« und insbesondere an die von einem universellen Satz von Was bedeutet das für Europa? Die den USA auszurichten, wird sich der Normen und Werten geregelt wird. Aber europäischen Nationen sind manchmal Rest der Welt nicht mehr fragen, wer bei genauerem Hinsehen wird deutlich, eher bereit, andere Länder für ein Ver- zu dem »Wir« dazugehört. dass diese Werte oft denen des Westens halten zu bestrafen, das sie als »falsch» nachmodelliert sind: Alle Gesellschaf- erachten; sogar mehr als die Vereinig- Chandran Nair ist Gründer und CEO ten werden Demokratien westlicher ten Staaten, die ihre Entscheidungen in des Global Institute For Tomorrow Prägung sein, in denen jede und jeder erster Linie zur Wahrung ihrer eigenen (GIFT) sowie Autor des Bestseller- sich westlichen politischen und sozia- Macht und Autorität zu fällen schei- Buches »Consumptionomics: Asia‘s len Werten unterwirft und die »moder- nen. Europa hat sich zudem niemals Role in Reshaping Capitalism and ne« Kultur des Westens umarmt. West- in vollem Umfang mit seiner Rolle bei Saving the Planet« liche Liberale sind oft nicht bereit zu der Kolonisierung des Rests der Welt akzeptieren, dass andere sich weigern, auseinandergesetzt und zugegeben, Chandran Nair sprach zu diesem Thema die Welt nur durch eine westliche Linse dass sein Reichtum auf Plünderungen ausführlich bei der Themenkonferenz zu betrachten. Letztendlich begreifen aufgebaut wurde, obwohl es ein Schritt »Kulturen des Wir« des Instituts für Aus- sie die »gemeinsame menschliche Zivi- in die richtige Richtung ist, dass der landsbeziehungen (ifa) am .. in MELDE ACHIM / DBT FOTO: lisation« als um eine westliche Version französische Präsident vor den Wahlen Berlin Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  AKTUELLES 03

Neuer Bundestag, neue Bundesregierung Worauf es jetzt ankommen wird

OLAF ZIMMERMANN UND das Gelingen und die Weiterentwick- fi ndet diese zweite industrielle Revoluti- sationen und Verbänden erarbeitet. In dies ein Trugschluss war. Die politische GABRIELE SCHULZ lung des europäischen Einigungsprozes- on statt, die massive Auswirkungen auf der Präambel stellen die Mitglieder der Bildung sollte daher stärker mit der ses. Die Aufnahme Deutschlands in die die Arbeitswelt, auf die Medien, auf den Initiative kulturelle Integration heraus: kulturellen Bildung verzahnt werden ei Redaktionsschluss dieser europäische Staatenfamilie zu einem Handel und anderes mehr hat. Einige »Integration betrif t alle Menschen in und neben Kindern und Jugendlichen Ausgabe von Politik & Kultur Zeitpunkt, als die Wunden nach dem Kulturbranchen haben die Umbrüche Deutschland. Gesellschaftlicher Zusam- auch Erwachsene in den Blick nehmen. begannen gerade einmal die Krieg noch tief und of en waren, war ein durch die Digitalisierung in den letzten menhalt kann weder verordnet werden, Eine Vielzahl von Akteuren wie Volks- Sondierungsgespräche zwi- Vertrauensvorschuss. Heute ist gerade Jahrzehnten existentiell erfahren. Be- noch ist er allein eine Aufgabe der Poli- hochschulen, Museen, Erinnerungsorte, Bschen CDU, CSU, FDP und Bündnis / für junge Menschen Europa zu einer stehende Märkte und Verbreitungswege tik. Vielmehr können alle hier lebenden Bibliotheken, soziokulturelle Zentren, Die Grünen – der Ausgang: noch voll- Selbstverständlichkeit geworden. Die haben sich tiefgreifend verändert, Ar- Menschen dazu beitragen. Deutschland Theater und andere mehr leisten hier kommen of en. Gut drei Wochen haben Europäische Union weiterzuentwickeln, beitsplätze gingen verloren. Auch wenn ist ein vielfältiges Land. Seit Jahrhun- auch in der Fläche bemerkenswerte Ar- sich die potenziellen Koalitionäre Zeit die Demokratie und Zusammenarbeit in in einigen Branchen von einer Stabili- derten leben hier Menschen aus vielen beit. Diese weiter zu stärken, strukturell gelassen, bis nach der Bundestagswahl Europa voranzutreiben, für Meinungs-, sierung gesprochen werden kann, sind unterschiedlichen Ländern. Die Mehr- jenseits von Projekten zu sichern und am . September die ersten Gespräche Presse- und Kunstfreiheit in allen Mit- die Umbruchprozesse noch mitten im zahl derjenigen, die aus dem Ausland weiterzuentwickeln, wird die Aufgabe aufgenommen wurden. gliedstaaten der Europäischen Union Gange. Ablesbar ist dies unter anderem nach Deutschland gekommen sind, der Zukunft sein. Im kommenden Jahr Doch worauf wird es in der . Wahl- einzutreten, das sind Aufgaben, die jetzt am erbitterten Kampf um die Präsenz fühlt sich hier zuhause, viele sind fi ndet nicht nur das Europäische Kul- periode, in einem Deutschen Bundestag, anstehen. Das Europäische Kulturerbe- von Inhalten öffentlich-rechtlicher inzwischen Deutsche. Mit Solidarität turerbejahr statt, es wird auch an das dem sieben Parteien, sechs Fraktionen jahr  wird die Gelegenheit bieten, Rundfunkanstalten im Netz. haben Gesellschaft und Politik auf die Ende des Ersten Weltkriegs zu erinnern und zwei fraktionslose Abgeordnete an- herauszustellen, dass Migration zu Eu- Der neue Deutsche Bundestag muss Ankunft vieler Gefl üchteter reagiert. sein. Im Jahr  kann an  Jahre gehören, kulturpolitisch ankommen? ropa gehört und dass die europäische sich dieses Themas annehmen. Leider Solidarität gehört zu den Grundprin- Weimarer Verfassung,  Jahre Grün- Die rechtsextreme AfD zieht mit mehr Kultur durch vielfältige religiöse und hat sich die Enquete-Kommission zipien unseres Zusammenlebens. Sie dung der Bundesrepublik und der DDR als  Abgeordneten in den neuen Bun- kulturelle Einfl üsse geprägt ist. »Internet und digitale Gesellschaft«, zeigt sich im Verständnis untereinander und  Jahre Mauerfall erinnert werden. destag ein. Das bereits vor der Konsti- Als im Jahr  das Allgemeine die in der . Wahlperiode arbeitete, und in der Aufmerksamkeit für die Be- An den letztgenannten Jubiläen wird tuierung des neu gewählten Deutschen Zoll- und Handelsabkommen (General zwar viel vorgenommen, aber wenig dürfnisse anderer – wir treten für eine sich zeigen, ob ein gemeinsames Narra- Bundestags zwei AfD-Abgeordnete ihre Agreement on Tarif s and Trade, GATT) konkrete konsensfähige Handlungs- solidarische Gesellschaft ein.« tiv des vereinten Einwanderungslands Fraktion verlassen haben, ist dabei ein als völkerrechtlicher Vertrag zwischen empfehlungen auf den Tisch gelegt. Mit der Vorlage der  Thesen endet Deutschland bereits entstanden ist. Der Novum. Dennoch, wer zurückblickt auf  Gründungsmitgliedern geschlossen Der Deutsche Kulturrat wird in einer die Arbeit der Initiative kulturelle Inte- Deutsche Kulturrat wird sich in diese die Zusammensetzung der Deutschen wurde, gehörte Deutschland naturge- eigens eingerichteten adhoc-AG Digita- gration nicht. Es fi nden in den nächsten Diskussionen einmischen. Bundestage stellt fest, dass gerade mäß nicht dazu, da die Bundesrepublik lisierung eigene Vorschläge erarbeiten, Monaten Veranstaltungen und Diskus- Neben diesen herausgegriffenen den ersten drei Deutschen Bundesta- Deutschland und die Deutsche Demo- was aus Sicht der Kulturverbände jetzt sionen statt, in denen die Thesen zur Themen werden weitere von Bedeu- gen verschiedenste radikale Parteien kratische Republik erst  gegründet angegangen werden soll. Dabei kann Diskussion gestellt werden. tung sein wie die soziale Sicherung von angehörten, die teilweise dem linken wurden. Doch bereits  wurde die auf eine Fülle an Stellungnahmen und Die kulturelle Bildung hat in den Künstlern, Fragen der Geschlechterge- Spektrum wie KPD oder dem rechten Bundesrepublik Vertragsstaat. Das GATT Positionspapieren zurückgegrif en wer- letzten Jahren eine verstärkte Aufmerk- rechtigkeit im Kultur- und Medienbe- Spektrum wie BHE, der Bund der Hei- und später auch GATS (General Agree- den, die von den Fachausschüssen des samkeit erhalten. Sowohl auf Landes- als trieb, der Kultur im ländlichen Raum, matvertriebenen und Entrechteten, ment on Trade in Services) zielten darauf Deutschen Kulturrates in den letzten auch auf Bundesebene wurden Program- ein kulturfreundliches Steuerrecht, ein angehörten. Erst ab dem . Deutschen ab, Handelshemmnisse und Zollschran- Jahren vorbereitet und vom Sprecherrat me an den Start gebracht, um die kultu- adäquates Urheberrecht, Fragen der Bundestag (Wahlperiode  bis ) ken abzubauen, um so den weltweiten verabschiedet wurden. relle Bildung insbesondere von Kindern Medienregulierung und vieles andere hatte sich ein Dreifraktionenparlament Waren- und Dienstleistungsaustausch Im Mai dieses Jahres hat die Initiati- und Jugendlichen zu stärken und mehr mehr. Es liegt viel Arbeit vor uns. Las- aus CDU/CSU, SPD und FDP, weitge- zu fördern. Im Jahr  wurde die Welt- ve kulturelle Integration ihre  Thesen Kinder und Jugendliche zu erreichen. sen Sie uns beginnen! hend in der Mitte, ausgemendelt. Bis handelsorganisation gegründet. Seit zum Zusammenhalt in Vielfalt vorge- Politische Bildung stand weniger im zum Einzug der Grünen in den Deut- dem Stocken der Doha-Runde Anfang legt. Der Deutsche Kulturrat hat diesen Rampenlicht, hier schien das Wichtigs- Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer schen Bundestag bei der Wahl zum . dieses Jahrhunderts nehmen bilaterale Prozess initiiert und moderiert. Diese te erledigt zu sein. Die aktuellen De- des Deutschen Kulturrates. Gabriele Deutschen Bundestag (Wahlperiode und multilaterale Abkommen zu. Die  Thesen wurden von einem breiten batten und nicht nur das Ergebnis der Schulz ist Stellvertretende Geschäfts-  bis ) hatte sich diese Dreier- EU verhandelt derzeit mit einer ganzen Bündnis von Institutionen, Organi- Bundestagswahl haben gezeigt, dass führerin des Deutschen Kulturrates struktur erhalten. Mit der Wahl des . Reihe an Staaten Freihandelsabkommen. Deutschen Bundestags (Wahlperiode In der neuen Wahlperiode wird es  bis ) kam mit der PDS, später darauf ankommen, auf einen gerechten Die Linke, eine neue Fraktion hinzu. Welthandel zu drängen und in Brüssel Nachdem dem . Deutschen Bundestag hierauf hinzuwirken. Nur ein gerech- (Wahlperiode  bis ) vorüberge- ter Welthandel, der den Ländern des hend vier Fraktionen angehörten, da die Südens echte Marktzugangschancen FDP den Einzug nicht geschaf t hatte, bietet und sie nicht allein als Rohstof - gehören dem . Deutschen Bundes- lieferanten sieht, wird Fluchtursachen tag (Wahlperiode  bis ) sechs bekämpfen können. In der »Unesco- Fraktionen an. Die AfD inzwischen in Konvention über den Schutz und die  von  Landtagen vertreten, hat sehr Förderung der Vielfalt kultureller deutlich den Sprung auch in den Deut- Ausdrucksformen« aus dem Jahr  schen Bundestag geschaf t. ist formuliert, welche Anforderungen Also, nur nicht aufregen? Alles schon an einen gerechten Welthandel mit einmal dagewesen? Ja, in den ersten Kulturgütern und -dienstleistungen Deutschen Bundestagen saßen eine zu richten sind. Diese Konvention mit Reihe von Abgeordneten, an deren de- echtem Leben zu erfüllen, wird eine mokratischer Haltung durchaus Frage- wichtige Aufgabe der neuen Wahl- zeichen zu setzen sind. Ja, nach zwölf periode sein. Im Netzwerk Gerechter Jahren Faschismus und einem verhee- Welthandel, dem der Deutsche Kultur- renden Krieg galt für viele überhaupt rat angehört, werden wir unter anderem demokratiefähig zu werden und einen diese Themen erörtern. herrschaftsfreien Diskurs zu führen. Das Nachhaltigkeitsthema stärker Doch liegen diese Zeiten zum Glück aus kultureller Perspektive zu beleuch- weit zurück. An die Abgeordneten des ten zählt dazu. Dazu gehört einerseits . Deutschen Bundestags muss daher z.B. die Kompetenz aus Architektur, die Anforderung gestellt werden, dass Stadtplanung und Design stärker als sie sich auf dem Boden des Grundgeset- Kulturkompetenz wahrzunehmen und zes bewegen und sich jeglichen rassisti- andererseits Natur und Kultur weniger schen, dif amierenden, herabsetzenden als Gegensatz als vielmehr aufeinan- Äußerungen enthalten. Streit in der Sa- der bezogen zu begreifen. Der Deutsche che ja, Rechtsradikalismus nein. Hier Kulturrat wird diese Fragen in der neu sind alle Abgeordneten des Deutschen gegründeten adhoc-AG Nachhaltigkeit Bundestags gefragt, dem entgegenste- und in Zusammenarbeit mit anderen henden Haltungen und Positionen ent- Verbänden wie dem BUND und dem schieden zu begegnen. Deutschen Naturschutzring debattieren. Die neue Bundesregierung und der In den Antworten der Parteien auf Deutsche Bundestag haben eine Fülle die Forderungen des Deutschen Kul- an Themen zu beraten. Im Wahlkampf turrates zur Bundestagswahl  nahm ZEIT FÜR konnte teilweise der Eindruck entste- das Thema Digitalisierung breiten hen, dass Flucht und Migration das Raum ein. Mit der FDP und Bündnis beherrschende Thema der bundesdeut- /Die Grünen werden zwei Parteien schen Politik sind und bleiben werden. voraussichtlich der Regierung angehö- HÖRSPIELE Wir sind der festen Überzeugung, dass ren, die sich dieses Thema schon lange es zwar ein wichtiges, aber nicht das auf die Fahnen geschrieben haben. Es WDR 3 IST KULTUR alles bestimmende Thema sein darf. wird nun darauf ankommen, zu verdeut- UND HÖRSPIELKULTUR HAT EINEN FESTEN TERMIN: Deutschland als Land in der Mitte lichen, dass Digitalisierung mehr als des europäischen Kontinents und in der Breitbandausbau ist. Die Digitalisierung 19.04 UHR IST HÖRSPIELZEIT Mitte der Europäischen Union gelegen, verändert unsere Gesellschaft grundle- hat eine besondere Verantwortung für gend. Bereits seit einigen Jahrzehnten 04 KOMMUNALE KULTURPOLITIK www.politikundkultur.net

Bitte vernetzen MAINZ: ZAHLEN UND FAKTEN Einwohner: 214.057 Kommunale Kulturpolitik in Mainz Fläche: 97,76 km² SVEN SCHERZSCHADE internationales Museum. Auch wenn denn Mainz hat heute bundesweit mit das vielleicht dem einen oder anderen mehr als  Millionen Euro Schulden Bevölkerungsdichte: 2.189,62 Einwohner pro km² weiundzwanzig Meter hoch nicht so bewusst ist.« die zweithöchste Pro-Kopf-Verschul- soll der Bücherturm werden, dung. Als Kulturreferent koordiniert Nächste Oberbürgermeisterwahl: 2020 der Neu- und Anbau, der in Friedrich Hofmann zwischen Dezernat, Aufstieg in Bauabschnitten der Stadtmitte an das Gu- Fachämtern, Museen und städtischen Nächste Kommunalwahl: Frühjahr 2019 Ztenbergmuseum, unweit des Mainzer Mainz lud zu einem städtebaulichen Ar- Kultureinrichtungen und er bereitet Domes, angefügt werden soll. Hoch hi- chitekturwettbewerb. Europaweit aus- auch vor, was die Dezernentin in ihrer Oberbürgermeister: Michael Ebling (SPD) nauf soll also der Bücherturm gebaut geschrieben, beteiligten sich insgesamt Zuständigkeit im Kulturbereich zu be- werden. Hoch hinauf steigen auch seit  Architekturbüros. Eine renommierte handeln hat. »Mainz muss sich in der Leiterin des Dezernat VI – Bauen, Denkmalpfl ege, Kultur: Marianne Grosse Jahren die Mieten der Bewohner in der Fachjury, die auch mit Vertretern der Kulturpolitik noch stärker vernetzen Mainzer Altstadt. Das ist kein per se Stadt und Verwaltung besetzt war, ent- als bisher«, sagt Hofmann und verweist Kulturreferent: Friedrich Hofmann kulturpolitisches Problem, aber es be- schied sich für jenen »Bücher- oder Bi- auf das Kulturentwicklungskonzept, das trif t den gleichen Schauplatz! Ärmere belturm«, welcher der Entwurf der DFZ die Stadt auf den Weg gebracht hat. Alle Kulturausgaben: 29 Millionen Euro pro Jahr Menschen werden verdrängt, müssen, Architekten GmbH in Hamburg ist. Für Beteiligten, alle Kulturschaf enden in weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen , Millionen Euro – nur so viel steht Mainz sollen hier die Möglichkeit haben, Kulturausgaben pro Einwohner: 135,48 Euro pro Jahr können, wegziehen, obwohl sie hier seit für einen ersten Bauabschnitt beim ge- sich miteinander auszutauschen, um Jahrzehnten leben. Wie gesagt: anderes samten Museumsprojekt zur Verfügung gegenseitige Bedürfnisse zu erkennen Problem, zurück zum Museum … – soll quasi ein gut sichtbarer Vorbau und gegebenenfalls Synergien nutzen chez-Verdú uraufgeführt. Die Stadt hat oder Ähnliches gegen Kultur. Für die Der Museumsaltbau aus den er geschaf en werden, ein Eye-Catcher, zu können. Es gibt Arbeitsgruppen zu sich mit Müller über eine Verlängerung freie Szene würde man gerne mehr tun, Jahren ist marode, dunkel. Er wird der funktional die Präsentation der Bildender Kunst, Musik, Theater und seines Vertrages um weitere fünf Jahre was aber die Finanzlage nicht zulässt. den Anforderungen des stadteigenen Gutenberg-Bibel deutlich verbessern Film. Weil aufgrund der Haushaltslage bis zur Spielzeit / geeinigt. Diese Gefühlslage ist derzeit typisch Museumsbetriebs nicht mehr gerecht, soll. Baubeginn soll noch  sein. nicht zu erwarten ist, dass in unmit- Im November  hatte sich Mül- für kommunale Kulturpolitik in vielen denn immerhin durchlaufen jähr- Überall, wo in Städten hochmoder- telbarer Zukunft mehr Gelder für die ler eine Strafanzeige eingefangen, deutschen Großstädten. Die Frage ist, lich etwa . Besucher das Haus, ne Architektur auf jahrhundertealte Kultur zur Verfügung stehen, sollen alle weil das Staatstheater sich zusammen welche kommunalpolitischen Akteure viele davon internationale Gäste, die städtische Ensembles stößt, gibt es Akteure im kulturellen Bereich mitein- mit . Demonstranten gegen eine welcher Parteien mit dieser Gefühlslage insbesondere das wichtigste Stück, Befürworter und Gegner, gibt es kul- ander überlegen, ob und wie sie mit den Kundgebung der AfD gewandt hatte. fortschrittliche Kulturpolitik machen die Mainzer Gutenberg-Bibel, sehen turell-emotionales Durcheinander von bestehenden Ressourcen mehr errei- Am Theater waren Luftballons ange- können? wollen. Es gibt zwar weltweit  – in Zukunftswünschen und Geschichtsbe- chen können. Weil hier alle eingeladen bracht und ein großes Plakat zeigte den Teilen oder als Fragment erhaltene – wusstsein. Die unmittelbare Nachbar- sind und sich auch sogenannte Kultur- Spruch »Stopp Rassismus«, es sangen Exemplare von jenem publizistischen schaft zum Mainzer Dom war für das Amateure, Laien, Vereine etc. einklinken, rund  Mitarbeiter des Staatstheaters Der Stadtrat ist sich Druckkunst-Meisterwerk aus der Mit- Bauvorhaben des Gutenberg-Museums darf man das bereits als Kulturpolitik bei einer spontanen »Probe« Schillers te des . Jahrhunderts. Doch hier in dabei von brisanter Wichtigkeit. Die unter Bürgerbeteiligung werten. Wobei: Ode an die Freude im Theaterfoyer. seiner Verantwortung Mainz, wo Johannes Gutenberg seine Stadt hat in intensiven Gesprächen Alles ist of en, es gibt keine Zielverein- Die Fenster wurden geöf net, sodass bewusst: Sparen ja, Druckerwerkstatt hatte, wo Originalob- mit der katholischen Kirche immerhin barungen oder ähnliches, wo das Kon- die AfD-Kundgebung vor dem Theater aber mit Rücksicht. Es jekt und Schauplatz bestmögliche Aura einen Konsens erreicht. Die Kirche hat zept schließlich bis wann hinführen soll. auch akustisch ein kulturelles Zeichen der Kulturerfahrung bieten, hier kom- sich für den Gewinnerentwurf ausge- abbekam. Das gab viele Pluspunkte für gibt keine Anti-Stim- men besonders viele Neugierige vorbei sprochen, der nun je nach Lesart mal den frischgebackenen Intendanten. Das mung gegen Kultur Gelder für die Kultur und wollen »sie« sehen. Solch verque- Bücherturm, mal Bibelturm genannt Ermittlungsverfahren wurde alsbald res kulturtouristisches Verhalten kennt wird. »Wir hatten in der Kontroverse Rund  Millionen Euro gibt die Stadt eingestellt, weil man Müller nicht nach- man als »Mona-Lisa-Ef ekt«. Man mag auch viele Zuschriften erhalten von Mainz für die Kultur aus, d. h. für Perso- weisen konnte, dass er die genehmigte Abschließend nochmal zum Schauplatz darüber lächeln. Aber man kann diese Mainzern, die sich sowohl dem Dom nal- wie Sachausgaben der städtischen Demonstration der AfD verhindern oder Gutenberg-Museum und dem drum kulturtouristische Besonderheit nicht als auch dem Gutenberg-Museum ver- Institutionen wie Stadtbibliothek, Stadt- deren Durchführung vereiteln wollte. herum liegenden Wohnungsmarkt wegleugnen, weil der Bedarf tatsächlich pfl ichtet fühlen«, sagt Friedrich Hof- archiv, Naturhistorisches Museum und Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig der Mainzer Innenstadt, wo sich jener besteht. Letzten Endes ist dieser Ef ekt mann. Gutenberg-Museum. Der größte Posten gute Vernetzung und Zusammenhalt gnadenlose Verdrängungsprozess der auch der Beweis, dass Mainz mit dem von dieser Summe sind zwölf Millionen ist. Der Dom hatte an jenem Abend ärmeren Menschen vollzieht. Grüne »Weltmuseum der Druckkunst« global Euro, die Mainz als institutionelle Zu- zeitgleich zur Kundgebung laut seine Stadträte sagen voraus, dass die Miet- Vernetzung der Kulturakteure bedeutsamen Rang hat.  rief Direk- schussgewährung an die Staatstheater Glocken läuten lassen, seine Fassade preisbremse nicht ausreichen wird, je- torin Annette Ludwig für das Guten- Kompromisse machen, Schnittmengen Mainz GmbH zahlt. Gesellschafter sind war nicht, wie sonst üblich, erleuchtet, nen Prozess aufzuhalten, und fordern berg-Museum deshalb einen Neustart fi nden. Dieses Prinzip bestimmt bis das Land Rheinland-Pfalz und die Stadt sondern dunkel – ein Zeichen gegen sogenannte Milieuschutzsatzungen, aus, was in Verbindung mit der Frage heute die kommunale Kulturpolitik in Mainz. Es ist das einzige Staatstheater in die Ängste schürende Kundgebung da wonach Bestandswohnungen z. B. nicht nach einem neuen, repräsentativen Mainz, die zwar seit  durch SPD- Rheinland-Pfalz und es ist in der Kultur- draußen. »luxussaniert« werden dürfen, um an- Gebäude für die Sammlung eine breite Oberbürgermeister – mit Ausnahme des landschaft der Region ein verlässlicher Die starke bürgerliche Front der schließend maximale Mieterhöhungen öf entliche Diskussion auslöste. »Die kommissarischen Stadtoberhaupts Gün- Anker. Seit  ist in Mainz Markus Mainzer ist nicht zuletzt gewachsen auf durchzusetzen. Der Milieuschutz ist Stadt muss hier dem Anspruch gerecht ter Beck von Bündnis /Die Grünen Müller Intendant und Geschäftsführer der stabilen, gesunden kulturellen In- ein ganz konkretes politisches Instru- werden, den die Menschen an ein inter- in  – sozialdemokratisch geprägt des Hauses, das unter seiner Leitung frastruktur der Stadt, als Beispiele wä- ment. Über indirekte, kulturpolitische nationales Museum haben«, sagt der ist, die aber über Parteigrenzen hin- die Leuchtturmfunktion in der Landes- ren hier die städtische Musikschule, das Instrumente – etwa welchen Beitrag Mainzer Kulturreferent Friedrich Hof- weg dem Konsens folgt, die Kultur zu hauptstadt fortgeführt hat.  wird sogenannte Peter Cornelius-Konserva- die Soziokultur leisten könnte – wurde mann und er insistiert: »Wir sind ein stärken. Der Zusammenhalt ist wichtig, etwa die Oper »Argo« von José M. Sán- torium, zu nennen, das »Mainzer Un- in Mainz nicht debattiert. Tatsächlich terhaus«, das seit  den Deutschen ist es auch schwierig bis schmerzhaft, Kleinkunstpreis vergibt, oder überhaupt den unvermeidbaren Zusammenhang die freie Kulturszene im Bereich The- zu benennen. Ein schickes Museum ater. Die Mainzer Kammerspiele bei- im Kiez schaf t schönes Wohnumfeld spielsweise sind in freier Trägerschaft und zieht abermals höhere Mieten nach =  dreier Eigentümer, es wird von der Stadt sich. Kultur- und Museumsleute, die institutionell gefördert. In den Mainzer dem widersprechen, sollten sich bei Kammerspielen können kleinere En- Wohnungs- und Immobilienleuten ei- sembles Gastspiele durchführen, es gibt nes Besseren belehren lassen, dass dem

INDEX.PHP?CURID aber auch hervorragende Eigenproduk- sehr wohl so ist. Deshalb gilt auch hier:

G/W/ tionen, so dass unterm Strich alternati- Bitte vernetzen! ve Stücke gezeigt werden, die etwa vom Staatstheater nicht aufgeführt werden. Sven Scherz-Schade ist freier Journalist Zudem gibt es den Veranstaltungsort und arbeitet unter anderem zu den Frankfurter Hof, der unter dem Dach Themen Kultur und Kulturpolitik für der Mainz plus City Marketing GmbH den Hörfunk SWR fungiert. Sie wurde gegründet, um den Bereich Musik, Festivals, Ausstellun- gen und das Kongresswesen in den HTTPS://COMMONS.WIKIMEDIA.OR KOMMUNALE Tagungsstätten Rheingoldhalle, Bür- ,  .  , gerhäuser, kurfürstliches Schloss zu KULTURPOLITIK organisieren. Die Mainz plus City Mar- keting GmbH ist eine städtische Tochter Im Anschluss an die Serie zur Landes- und der Frankfurter Hof betreibt ein kulturpolitik beleuchtete diese Reihe erfolgreiches Musik-Management und die aktuelle Kulturpolitik aller Haupt- stemmt jährlich z. B. die Reihe »Sum- städte der deutschen Bundesländer – mer in the City«, für die es namhafte mit Ausnahme der drei Stadtstaaten. Stars in die Stadt holt. In sieben Ausgaben nahmen wir jeweils Für all das sind – unter den gegebe- zwei Landeshauptstädte unter die Kul- nen Vorzeichen der oben benannten turlupe. Bisher wurde über , städtischen Verschuldung – die Kultur- Düsseldorf, Saarbrücken, Wiesbaden, budgets stabil. Die meisten Mitglieder Potsdam, München, Hannover, Mag- im Stadtrat sind sich dabei ihrer Verant- deburg, Schwerin, Kiel, Dresden und

SA SA  BY  CC WERK, EIGENES  SIMSALABIMBAM VON FOTO: wortung bewusst: Sparen ja, aber mit Erfurt berichtet. Mit diesem Beitrag Blick von den Bonifazius-Türmen auf den Hauptbahnhof Mainz Rücksicht. Es gibt keine Anti-Stimmung endet die Reihe. Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  KOMMUNALE KULTURPOLITIK 05 FOTO: VIKTOR PRAVDICA / FOTOLIA.COM / PRAVDICA VIKTOR FOTO: Der Bahnhof ist das Tor zu jeder Stadt und oftmals selbst Teil der Kulturgeschichte eines Ortes oder einer Region Kapital der Kapitalen Kultur in den den Folgen des politischen und/oder weil der bausubstanzielle Teufel erst baden der Kommunalpolitik permanent dritte deutsche Landeshauptstadt im Landeshauptstädten ökonomischen Zeitenwandels ganz hinter den Lamellen der denkmalge- auf die Pelle rückt. Dort haben die Ak- Rennen um den Titel – bei Weitem besonders zu kämpfen. schützten Metallfassade lauert, die tivisten ganz aktuell mit dafür gesorgt, keine so gute Ausgangsbasis, wie man Entsprechend sind die Pro-Kopf- demnächst ausgetauscht werden. dass die Verantwortlichkeit für die Kul- zunächst annehmen sollte. Ein Blick PETER GRABOWSKI Ausgaben für die »Freiwillige Leistung« Obwohl Düsseldorf seine vielge- tur nicht aus der Stadtverwaltung in auf die Kulturhauptstädte der jün- Kultur hier am geringsten. Im äußers- rühmte »Schuldenfreiheit« mittler- den ehrenamtlichen Teil des Politikbe- geren Vergangenheit, von Århus und reizehn Landeshauptstädte ten Westen liegen sie mit knapp  Euro weile auch of ziell los ist, kann man triebes abgeschoben wurde. Jetzt nimmt Paphos in diesem Jahr bis zurück zur haben wir hier im vergangenen sogar noch mal fast  Prozent unter sich das alles aber noch ganz gut leis- der Kämmerer diese Aufgabe mit wahr »Ruhr.« in Essen, belegt das. D Jahr unter die kulturpolitische denen  Kilometer weiter nordöst- ten. »Besser« geht es der Kultur – aus – keine schlechte Ämterkombination. Die Bewerbungen zeigen anderer- Lupe genommen: Wie steht es um die lich. Beide Städte sind in diesem Punkt kommunaler Sicht – nur in Stuttgart. seits, dass es an kultureller Substanz großen Institutionen und kleinen Initi- mit weitem Abstand die Schlusslichter Hier wendet die Stadt sogar mehr als wie kulturpolitischer Ambition in den ativen in den »Spitzenkommunen« der in unserer Betrachtung. Gleichzeitig  Euro pro Einwohner auf. Bei den Die Hauptstädte deutschen Landeshauptstädten nicht deutschen Länder? Wer sind die Treiber, gibt es hier wie dort ein bestens fre- politischen Akteuren und in den parla- mangelt. Allen Unkenrufen zum Trotz wer die Bremser, wo guckt man nach quentiertes Mehrspartentheater, die mentarischen Gremien ist zudem Kon- der Länder müssen ist Deutschland auch im Alltag eine vorne, wo hadert man mit der Gegen- allerdings beide fast ausschließlich aus sens, dass Kulturausgaben eine kom- mit gutem Beispiel Kulturnation. Gleichzeitig wird immer wart oder sogar noch mit der Vergan- Landesmitteln fi nanziert werden: In munale Verpfl ichtung sind, auch wenn vorangehen virulenter, dass und wer an ihr nicht genheit? Eine problemfreie Stadt haben Saarbrücken wie in Schwerin zählen die Verfassung das bekanntlich anders teilhat oder -nimmt. Interessanterweise wir in unseren Recherchen nicht gefun- die Bühnen rund . Besucher sieht. Es herrsche die »einvernehmliche handelt es sich vor allem um zwei Grup- den. Auch wo robuste Etats zu hohen jährlich. Einsicht, dass diese Freiwilligkeit un- Und die hessische Landeshauptstadt pen, die in einer direkten Beziehung zu- Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur führen, Das kann sich sehen lassen – z. B. verzichtbar ist«, bilanzierte der Kollege hat sich – nach langem Hin und Her – einander stehen: Einerseits jenes runde wie in Stuttgart oder Düsseldorf, gibt es im Vergleich mit der nordrhein-west- Sven Scherz-Schade vor einem Jahr in auch endlich zu einer Kulturentwick- Viertel der Bevölkerung, das eine wie dennoch im Kleinen wie im Großen un- fälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. seinem Bericht aus der baden-württem- lungsplanung entschieden. Damit auch immer geartete Einwanderungs- gelöste Finanzierungsfragen. Auch hier Dort hatten die international renom- bergischen Landeshauptstadt. folgt sie dem Trend so verschiedener geschichte hat und Museen, Theater, fi nden teils massive Verteilungskämpfe mierte »Deutsche Oper am Rhein« in- Bemerkenswert daran ist, dass dieses Kommunen wie Mainz und Potsdam, auch Bibliotheken immer noch kaum zwischen den etablierten Einrichtungen klusive Schläpfers Weltklasse-Ballett Einvernehmen auch jenseits des Kultur- Düsseldorf und Saarbrücken. Überall bis gar nicht nutzt. Und andererseits in staatlicher Hand und der Freien Sze- und das legendäre Schauspielhaus am ausschusses zu gelten scheint – das ist hat man eingesehen, dass »Wachstum« die scheinbar wachsende Zahl von Men- ne statt, haben große Häuser mitunter Gründgens-Platz – im letzten Jahr sei- bei Weitem nicht überall so. Zwar hatte in der kommunalen Kultur – selbst in schen, die sich nicht nur von genau die- enorme Sanierungsrückstände und wird ner Bespielung vor der aktuellen Sa- »die Kultur« es in allen Parlamenten der den vergleichsweise privilegierten Lan- sen Migranten in ihrer Identität bedroht den Herausforderungen der modernen nierung – zusammengerechnet zwar Republik nie wirklich leicht, die kom- deshauptstädten – nur durch mehr Kon- sehen, sondern auch zeitgenössischer Stadtgesellschaft nur mit Verzögerung sogar etwas mehr als . Besucher. munalen Abgeordnetenhäuser bilden zeption und Koordination zu erreichen Kunst und Kultur eher ablehnend ge- begegnet. Düsseldorf hat allerdings auch mehr da keine Ausnahme. Dennoch bekla- sein wird. Das gilt umso mehr für Ge- genüberstehen. Dabei sind die Ausgangslagen in Ost als sechs- bzw. dreimal so viele Ein- gen viele Akteure vor Ort unüberhörbar meinwesen, die aus diesem oder jenem Wir reden also über eine dreifache und West schon als Folge der jüngeren wohner wie Saarbrücken oder Schwe- zwei wachsende Tendenzen: Erstens Grund sowieso auf der Suche nach sich Herausforderung, die für die Zukunft deutschen Geschichte sehr verschie- rin, darunter ein überdurchschnittlich nehme die Bildungsbürgerlichkeit und selbst sind: und Hannover des Landes von enormer Bedeutung ist: den. Die jeweilige Lage einer Stadt – in großes Kulturbürgertum; vom direk- damit Kulturnähe der politischen Klas- sind zwei prominente Beispiele. Die einen wie die anderen dürfen näm- der Republik insgesamt wie in ihrem ten Einzugsgebiet der Metropolregion se auf kommunaler Ebene insgesamt Bezeichnenderweise wollen beide lich nicht dauerhaft in dem Bewusstsein eigenen Bundesland, ihre individuelle Rhein-Ruhr mit über zehn Millionen ab. Und zweitens seien – vielleicht als Städte aus ihrer Not eine Tugend ma- leben, sie seien kein Teil der Kultur in (bau)historische Substanz oder auch Menschen mal ganz zu schweigen. mittelbare Folge – auch in den Kultur- chen und bewerben sich für das Jahr Deutschland. Und dann müssen beide ganz schlicht die absolute Einwohner- In der Rheinkapitale liegen allein die ausschüssen selbst oft nur noch die  als Kulturhauptstadt Europas. Das auch noch miteinander ins Gespräch zahl verstärken die jeweiligen Ef ekte städtischen Kulturausgaben pro Ein- Sprecher der einzelnen Fraktionen macht auch Sinn: Ein, wenn nicht sogar darüber kommen, wie sie ihre gegen- oft noch. In dieser weiterhin existie- wohner bei etwas über  Euro. Das ist wirklich sachkundig. Mitunter aber das Kernkriterium für die Vergabe des seitigen Vorbehalte aushalten lernen, renden Teilung des Landes ergeben kein Wunder, wenn die Oper eine rein nicht mal mehr die … begehrten Titels ist das Entwicklungs- solange sie nicht zu überwinden sind. sich manchmal allerdings unerwarte- kommunale Einrichtung ist und schon Gleichzeitig gewinnt eine andere Be- potenzial, dass die Jury in einer Stadt Das kann nur in den Städten gesche- te Parallelen. Ein Beispiel: Die beiden allein mehr kostet als Schwerin oder wegung an Fahrt, die auf lange Sicht oder Region erkennt. Deshalb haben hen – und die Hauptstädte müssen mit kleinsten Flächenländer Mecklenburg- Saarbrücken insgesamt für Kultur aus- vielleicht als ausgleichendes Element solche Bewerber die besten Chancen, gutem Beispiel vorangehen. Wer glaubt, Vorpommern und Saarland, haben mit geben können. Das Sprechtheater wird infrage kommt: Die Selbstorganisation die mental auf dem Weg sind und eine auf diesem Weg sei ausgerechnet die . Einwohnern in Schwerin und zwar zur Hälfte vom Land Nordrhein- und damit einhergehende Ermächti- neue Identität entwickeln wollen. Ob Einschränkung von Freiheit und Vielfalt . in Saarbrücken auch die bei- Westfalen mitbezahlt, aber das gilt nur gung der privatwirtschaftlichen und/ man es gleich so zuspitzen muss wie nützlich, wird nicht nur von der jün- den kleinsten Landeshauptstädte der für den reinen Spielbetrieb. Die Immo- oder zivilgesellschaftlichen Kulturak- in der Hauptstadt Niedersachsens mit geren Geschichte dieses Landes eines Republik. Ihre direkten Einzugsgebie- bilie ist im ausschließlichen Besitz der teure. Sie treten mal als »Koalition der dem Slogan »Hannover hat nichts« auf Besseren belehrt. Auch das gehört eben te sind ebenfalls eher dünn besiedelt, Stadt, ihre derzeit laufende Teilsanie- Freien Szene« auf, mal als »Ständige einem ansonsten leeren, weißen Plakat, zu unserer Kultur. beide liegen zudem recht nah an einer rung wird eine mittlere zweistellige Kulturvertretung« wie in Thüringens sei dahingestellt. Ganz sicher aber hat deutschen Außengrenze, kurz vor der Millionensumme kosten. Mindestens – Hauptstadt Erfurt oder als »Arbeitskreis eine international profi lierte Kultur- Peter Grabowski ist kulturpolitischer Ostsee bzw. Frankreich und haben mit Genaueres lässt sich noch nicht sagen, Stadtkultur«, der im hessischen Wies- metropole wie Dresden – die bislang Reporter 06 INLAND www.politikundkultur.net

Raum für Partizipation und Weltdenken Die Berlin- liner Zeiten gehen. Es sind nicht die deren Stimmen. Es gibt aber auch Ausstellung im einzigen Themen dieser Stadt. Ber- mindestens zwei leere Räume. Nicht lin war Hauptstadt der Revolution, so groß, aber doch als Zeichen, dass Humboldtforum des Vergnügens, der Freiräume, des die Leute, die Besucher, die Instituti- Krieges. Das kann man von anderen onen eingeladen sind, Vorschläge zu Berlin ist das Tor zur Welt – zumindest Städten auch behaupten, aber für machen. Die Partizipation entwickelt im Neubau des Stadtschlosses. Theresa Berlin sind das richtige Akzente in der sich kontinuierlich. Ein paar Monate Brüheim spricht mit dem Chef-Kurator Geschichte. Sie haben die Mentalität später darf eine andere Stimme über des Landes Berlin im Humboldtforum, dieser Stadt mitbestimmt. Natürlich ein Thema zu Wort kommen. Mit jeder Paul Spies, über die Konzeption der kann man dann sagen, da fehlt noch neuen »Generation« ändert sich der Berlin-Ausstellung sowie die Bedeu- dies oder das. Aber wir können nie Raum wieder. Wichtig ist mir auch, tung von Internationalität und Teilhabe. komplett sein. dass dieser Geist der Partizipation im Es gibt nicht nur negative Themen ganzen Humboldtforum zu spüren Theresa Brüheim: Herr Spies, die wie Krieg und Grenzen. Es gibt auch ist. Wir wollen mit unserer Ausstel- Berlin-Ausstellung im Humboldt- positive. Und Zweifelsfälle. Was ist lung auf die anderen Museen und forum soll sich mit dem Austausch z. B. Revolution? Ist es positiv oder Ausstellungen reagieren. Wir wollen Berlins mit der Welt beschäftigen. negativ? Aus Revolution kann Gewalt keine Insel ohne Verknüpfung zum Was macht Berlin für Sie zu einem entstehen. Das kann man nicht nur Festland sein. Ich habe von Anfang globalen Schmelztiegel? positiv umschreiben. Auch Freiraum an die Zusammenarbeit gesucht und Paul Spies: Erst mal, ich bin Hollän- ist so ein großes Thema dieser Stadt. auch gefunden. Gemeinsam mit der der, ich bin ganz pragmatisch. Wenn Gibt es den noch immer? Auch in Gründungsintendanz habe ich mir ich an eine Ausstellung herangehe, dem Maße wie in den er und Gedanken gemacht: Wie können wir untersuche ich zuerst die Lage. Und er Jahren? Oder sind die Frei- Schnittstellen herstellen? Wie kön- im Humboldtforum werden zwei räume bedroht? Auch Mode hört sich nen wir gemeinsame Programme ent- Stockwerke von einem ethnologischen wunderbar an. Aber was wir über wickeln? Wie können wir mitmachen und einem asiatischen Kunstmuseum Mode erzählen, ist eine sehr kritische beim sogenannten Akademiegedan- bewohnt. D. h., hier ist die Welt an- Betrachtung. Berlin ist Modestadt – ken? Das ist nicht leicht, weil alles in wesend. Was kann ich als Leiter des besonders in den er und er Entwicklung ist. Man kann nicht von Berliner Stadtmuseums besser tun, Jahren. Vielleicht nicht wie Paris, aber Anfang an mit Resultaten kommen. als eine Einleitung für die anderen der Kurfürstendamm, Uli Richter – Aber vieles, was wir produzieren, wird Museen zu schaf en, in der ich Berlins das war schick! Mode muss man aber Teil einer Einheit sein. Wenn man die Verbindung zur Welt klarmache? Denn auch weiterdenken: Design, Lebens- Ausstellung besucht, wird man in ers- in den Sammlungen sehen wir die stil, Ausstrahlung, Image. Deshalb ter Instanz überhaupt nicht verstehen Welt. Unten gibt es Berlin, oben die kommen viele gern nach Berlin. Im . können, dass das Land Berlin sie ge-

Welt. Wenn ich mich auf die internati- Jahrhundert wurde Mode von armen macht hat. Vielleicht, wenn man am BERLIN KULTURPROJEKTE FOTO: onalen Aspekte der Stadt konzentriere, Leuten in Hausateliers im Dunkeln Ende das Kolophon liest, kann man es Ideen für den Bereich »Krieg« in der Berlin-Ausstellung hat das noch einen Vorteil. Ich komme für sehr wenig Geld gemacht. Heute feststellen. Aber niemand macht das. so den lokaleren Geschichten meiner ist es nicht viel anders, nur wird sie angehören. Es war eine Demokra- angenehme Weise aneignen. Es soll anderen fünf Häuser – Märkisches in Bang ladesch, Indien und China Partizipation fi ndet nicht nur in tisierungsbewegung. Das Museum kein Staats-, Landes- oder Museums- Museum, Ephraim-Palais, Knoblauch- hergestellt. Noch immer stimmt die der Ausstellung und im Schloss versuchte, für alle da zu sein, schaf te eigentum sein, sondern ein Palazzo haus, Nikolaikirche und Museumsdorf schöne Außenseite nicht mit der Pro- statt, sondern auch im Digitalen – es aber nicht immer. Aber es musste del Popolo. Ich hof e auch, dass das Düppel – nicht in die Quere. duktionsseite überein. Und wir sind auf der Webseite, in den sozialen zumindest für alle erreichbar sein; es Angebot so reich ist, dass die Leute Um Ihre Frage zu beantworten, heute noch immer dafür verantwortlich. Medien. Wie soll das genau ausse- musste einen leichten Einstieg geben. denken: »Hier gibt es aber viel zu tun ist Berlin international eine wahn- Das ist eine Erzählung, bei der man hen und wie wird es die Ausstel- Diese Kunst hat das Museum ein biss- und zu sehen. Das schaf e ich nicht sinnig populäre Stadt. Das war mal damals und heute vergleichen kann, lung voranbringen? chen verloren. Nachdem ich den Job mit einem Besuch.« Ich erwarte auch, anders. Berlin hat eine sehr wider- aber es spielt nicht nur Berlin, son- Die Ausstellung wird Verbindun- als Chef-Kurator angenommen habe, dass eine Ausstellung über Berlin von sprüchliche Geschichte. Aber das dern die ganze Welt mit. gen mit dem haben, was im Netz hat mich Gründungsintendant Neil Anfang an sehr viele Touristen an- ist der Grund, warum die Stadt so Für alle Themen gilt, dass es inter- passiert. Man kann, als digitale Me- MacGregor bei unserem ersten Telefo- zieht. Diese Ausstellung können sie geschätzt wird. Es gab hier viel Raum. national dominante Aspekte der thode, Umfragen schalten und die nat gefragt: »How do we get the people dann auch in einer Dreiviertelstunde Diese industriellen Brachen haben Stadt Berlin, aber keine weltweiten Resultate gleich zeigen. So erreichen from Neukölln to the Humboldtfo- bewältigen. Unser großer Vorteil neue internationale Interessen nach Alleinstellungsmerkmale sind. Man wir weltweit Interessenten, die sich rum?« Noch immer ist diese Frage ist, dass man da vielleicht noch ein Berlin gebracht. Mittlerweile kann nimmt diese Aspekte und lässt Leute, mit den Themen, die das Humboldt- für mich zentral. Neukölln und das bisschen Energie für mehr hat – z. B. man fragen, wie viel Freiraum gibt es Bewohner, Berliner zu Wort kommen. forum setzt, auseinandersetzen. Mein Humboldtforum sind Symbole. Es geht um im Humboldtforum nach oben zu noch? Es wurde und wird alles inter- So entstehen Erzählungen und Bil- Traum ist, dass es uns gelingt, am nicht um Gebäude, es geht um das gehen. Ich erwarte also vom Hum- national eingenommen. Die Stadt ist der der Stadt. Man bindet Stimmen Ende des Rundgangs, sei es durch Institut, die Mentalität, den Outreach. boldtforum, dass es ein populärer, eine Art Magnet. außerhalb des Museums direkt ein. eine Umfrage oder ähnliches, eine Und das gilt für alle Museen. Museen vielbenutzter Ort ist – sowohl von Diese Internationalität hat uns dazu Auch am Ende der Ausstellung kann Verbindung zwischen unterschied- müssen aufhören, ein Gebäude mit Touristen als auch Berlinern. Es gibt bewogen, nicht nur die Geschichte man die Besucher fragen: »Hat Ihr lichen Besuchern aus der ganzen vier Wänden, einer Tür und Kasse zu diese unterschiedlichen Atmosphä- Berlins oder Deutschlands zu be- Berlin-Bild sich geän- Welt herzustellen. Und sein, sie müssen auch draußen anwe- ren, denn es soll keine einheitliche, leuchten. Wir haben auch Europa dert, während Sie diesen die stellen dann trotz send sein, die Leute vor Ort mit ihrer sondern eine dif erenzierte Erfah- mitgenommen. Wir haben eine Zu- Rundgang gemacht ha- ihrer Unterschiedlich- Kunst, Geschichte und Kultur anspre- rung sein. Das Humboldtforum ist sammenarbeit mit dem Museum Eu- ben? Haben Sie jetzt ein keit fest: »Wir haben ein chen. Dieses grundsätzliche Interesse ein Knoten in einem Netz, in dem ropäischer Kulturen gesucht, denn wir anderes Weltbild?« oder gemeinsames Interesse an den Menschen und der Vermittlung unterschiedlichste Dinge zusam- fanden es überraschend, dass Europa »Würden Sie das Berlin- – vielleicht sollten wir ihrer Geschichten – das ist für mich menkommen. Was ich mir für die nicht im Humboldtforum aufgenom- Bild, das hier gezeigt wird, ins Gespräch kommen«. das Museum. Kunst und Kultur sind Zukunft erhof e, ist, dass es gelingt, men wurde. In diesem Sinne ist das bestätigen oder kritisie- Das Humboldtforum ist nicht für eine exklusive Gruppe. Es soll das Humboldtforum als dauerhaften Humboldtforum eine riesige Chance, ren?«. Das ist ein partizi- für mich ein möglicher nicht nur bestimmte Leute geben, die Begegnungsort zu etablieren. Das Geschichte integriert zu erzählen pativer Gedanke. Katalysator von Weltbür- das Museum als Akademiker betreiben birgt auch Gefahr in sich. Denn wenn – das ist weltweit ein Alleinstellungs- gerschaft. Ich hof e aber und nur ihre Idee verwirklichen. Die man für alle of en sein will, muss merkmal. Partizipation – Sie sprechen es auch, dass das Humboldtforum in der Zukunft der Museen ist wie Technik man auch für alle da sein. Und das Wir machen mit der Ausstellung kein schon an – ist das zentrale Element Lage ist, zu experimentieren, wie man und Social Media – sie sind für alle da. ist manchmal schwierig. Weil nicht City-Marketing, es ist eine kritische der Berlin-Ausstellung … Leute, die Angst vor Globalität haben, Zumindest sollte es das Angebot sein. alle mit angenehmen Erzählungen Auseinandersetzung. Es werden auch Genau. Schon im Vorfeld arbeiten wir mit Weltkultur in Verbindung bringen, Es wird nicht von allen benutzt. Aber oder mit Positivismus kommen. In unschöne Geschichten erzählt. In- mit Berliner Communities, denen wir Begegnungen für sie organisieren und es soll so of en und niedrigschwellig Zukunft möchte ich auch den Na- ternationalität ist nicht automatisch Raum für ihre Meinung überlassen. ihnen diese Angst ein bisschen neh- sein, dass sich theoretisch alle einge- mensgebern, den Brüdern Humboldt, Grund für Erfolg, Wachstum oder po- Wir werden uns da nicht einmischen. men kann. Damit langsam klar wird, laden fühlen und ein Teil davon sein gerecht werden. Alexander war einer sitive Entwicklungen. So ein Berliner Wir lassen eine Gruppe, z. B. Roma, zu Diversität ist keine Bedrohung. können. Das ist eine Zukunft, die wir der ersten Antirassisten und Antiko- Magnet hat auch negative Seiten. Die Wort kommen, um mit ihrer Geschich- noch nicht erreicht haben. Eine Men- lonialisten. Er hat die Welt als Ganzes Geschichte von Berlin reicht von Kre- te und Erfahrung eines der genannten Eine Ebene höher betrachtet: Wie- talitätsumkehrung muss stattfi nden. gesehen. Und Wilhelm hat es auf sei- ation hin zu Vernichtung. Und das ist Themen bzw. Berlin aus ihrer Pers- so ist gerade für diese Ausstellung Das ist experimentell, daher wird auch ne Art und Weise genauso gemacht. ein Spiegel der Welt. pektive zu erzählen. Vielstimmigkeit Partizipation so grundlegend? Und das Humboldtforum ein Riesenexperi- Sie waren unwahrscheinlich moderne heißt, dass man viele Stimmen hört. ist sie die Zukunft der Museen? ment, d. h. Trial and Error. Hof entlich Menschen. Daher wollen und sollten Die Ausstellung basiert auf neun Wir helfen dann bei der Gestaltung, Sehr gute Frage! Meine Antwort wird ein Error dann nicht so aufge- wir im Humboldtforum Raum für so- inhaltlichen Punkten: Berlin-Bil- sodass das Ganze professionell aus- kennen Sie bestimmt schon: Ja, Parti- fasst: »Ihr könnt es nicht«. genanntes Weltdenken bereithalten. der, Revolution, Mode, Migration, sieht. zipation ist die Zukunft! Aber gehen Krieg, Freiräume, Grenzen, Ver- wir nochmal einen Schritt zurück, Was erwarten Sie sich von der Er- Vielen Dank. gnügen, Weltdenken. Wieso haben Nicht nur im Vorfeld, sondern auch denn eigentlich ist Partizipation öf nung des Humboldtforums und Sie gerade diese ausgesucht? während der Ausstellung ist Parti- auch die Geschichte der Museen. Im was wünschen Sie sich für dessen Paul Spies ist Direktor des Stadtmu- Wir wollten keine chronologisch zipation essentiell, oder? . Jahrhundert wurde das Museum Zukunft? seums Berlin und Chef-Kurator des traditionelle Ausstellung machen. Bei der Eröf nung gibt es fertige geschaf en, weil man ein kritisches, Von der Eröf nung erwarte ich mir, Landes Berlin im Humboldtforum. Wir wollten eine Ausstellung über Räume, die wir mit den jeweiligen hochgebildetes Bürgertum schaf en dass die Leute sich das Gebäude, die Theresa Brüheim ist Chefi n vom Dienst Themen machen, die durch die Ber- Gruppen vorbereitet haben. Sie sind wollte, dem so viele Leute wie möglich Institution und die Angebote auf eine von Politik & Kultur Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  INLAND 07

haben wollte. Aber lassen seine Dimensi- onen noch jene respektvolle Spannung zu, Nachdenken am Bauzaun die Scharouns Intention war? Oder wird die verheerende Leere nicht durch rück- Wird das Kulturforum lebendig begraben? sichtslose Größe zu mindestens ebenso verheerender Überfülle gewandelt? Wird HANS JESSEN Hier hat Scharoun, über die einzelnen Bau- Spannungsfeld der Bauten Scharouns und Auch dieser die Matthäuskirche samt ihrem Kirchplatz ten hinaus, ebenfalls einen historischen Mies van der Rohes sowie der spätklas- nicht von der Kunstscheune auf ein un- auzäune halten Unbefugte von Maßstab gesetzt. Zu Recht wird seit einem sizistischen Matthäuskirche. Sie haben Bauzaun erzeugt angemessenes Restfeld gequetscht? Wird der Baustelle fern, sie schirmen halben Jahrhundert immer wieder auf sei- wenig von deren intensiver Transparenz Neugier: Beklebt die Vielfalt freier Sichtwinkel auf Philhar- B ab, auch optisch. Aber gerade da- nen Begrif der »Stadtlandschaft« Bezug und gehaltvoller Leichtigkeit, sind eher mit großforma- monie und Nationalgalerie nicht in einem durch wird Neugier geweckt, man möchte genommen, der mehr meinte als in grüne funktionale Baukörper, Stilausdruck ih- tigen Fotos wird Maß eingeschränkt, dass die Solitäre jenes wissen, was hinter dem Zaun geschieht. An Umgebung gesetzte Bauten. Scharouns rer Entstehungsjahre. Zeitlose Bedeutung Teils ihrer Wirkung beraubt, der auf Sicht- den hölzernen Bauzäunen früherer Zeiten »Stadtlandschaft« war eine Vorstellung strahlen sie nicht aus. Noch dazu sind die- die Geschichte barkeit beruht? Könnte es ausgehen wie wurden Astlöcher in den rohen Planken von städtischem Bauen, dass sich nicht aus se Bauten mit einer monströsen Rampe dieses Baus im eine Party, von der man Belebung durch gesucht und gefunden, die Einblick ge- normierten Straßenzügen und Blockbe- verbunden, die »Piazetta« heißt, tatsäch- Kontext der einen spannenden Gast erhof t – der sich währten. bauung auf ebenem Grund ableitete, son- lich aber Raum zerstört und zur zerklüfte- dann aber als unangenehmer Großkotz Solche Art architektonische Peepshow dern die Wesensmerkmale von Landschaft, ten Unwirtlichkeit des Ortes beiträgt. Das Geschichte des entpuppt, den man leider nicht mehr los ist am Bauzaun der Potsdamer Straße in also verbundene Gliederung in organischer Gegenteil von Scharouns stadtlandschaft- Kulturforums wird? Berlin nicht vonnöten. Was dort geschieht, Vielfalt sowie topographischer Merkmale licher Sensibilität. dargestellt. Der Die Schweizer Architekten verteidi- die Restaurierung der Neuen Nationalgale- wie Höhen und Senken als Organisations- Nach dem Studium der Ideen und Vor- Berliner Senats- gen ihren Entwurf, der durch Modifi ka- rie, ist bekannt und sichtbar. Der Blick über prinzip der Bauten zueinander, verfolgte. stellungen am Bauzaun bereitet der an- tionen bei Abständen und Zugängen den Zaun auf Ludwig Mies van der Rohes Mitte der er Jahre hatte Scharoun schließende Rundgang über das Gelände bauverwaltung auch Einwände berücksichtigen würde. zeitloses Meisterwerk ist of en möglich. diesen Entwurf einer »Stadtlandschaft« des Kulturforums Unbehagen, weil eine ist für diese Idee Der Planungsprozess ist in vollem Gang, Dennoch erzeugt auch dieser Bauzaun für Berlin entwickelt, sie sollte sich vom Ahnung entstanden ist, was alles fehlt und zu danken von Anfang Mai bis Mitte Juni  war Neugier: Beklebt mit großformatigen Fo- Alexanderplatz im Osten bis zum Tiergar- verhunzt wurde. der Bebauungsplan für den Herzog & de tos wird die Geschichte dieses Baus im tenrand im Westen ziehen – das jetzige Man versteht die fast endlose Geschich- Meuron-Bau öf entlich ausgelegt. Mög- Kontext der Geschichte des Kulturforums Kulturforum liegt auf diesem westlichen te von Wettbewerben und Planungen um liche Einwände werden nun geprüft, am – und nur so kann sie begrif en werden – Ansatzpunkt. die zukünftige Gestaltung dieser schwie- Ende entscheidet das Berliner Parlament. dargestellt. Der Berliner Senatsbauverwal- Nach dem Mauerbau war diese ge- rigen Unvollendeten. Eine Initiative um Architekten, Archi- tung ist für diese Idee zu danken. samtstädtische Vision obsolet. Gleich- Man versteht eine Kulturstaatsminis- tekturkritiker und Kunstfreunde sam- Die Archivfotos mit ihren knappen zeitig aber wuchs der – auch politisch terin, die  mit der Faust auf den Tisch melt Unterschriften für eine Petition, in Legenden machen eindringlich klar: Die geprägte – Wunsch, eine eigenständige schlug und mit einem neuen Wettbewerb der gefordert wird, dass die Ausmaße Neue Nationalgalerie und die Philhar- westliche Kulturdemonstration zu schaf- sozusagen den gordischen Knoten durch- des Siegerentwurfs durch ein Gerüst aus monie am anderen Ende des Areals sind fen. Das nahe der Mauer gelegene Gelände schlagen wollte. Man kann das erleich- Metallstangen auf dem Baugelände : er- zwar architektonische Solitäre, sie stehen an der Potsdamer Straße bot sich an. terte Aufatmen nachvollziehen, als im fahrbar gemacht werden, um eine erneute als Bauwerke jeweils für sich – aber ihre Wie wichtig Scharoun, dem Architekten vergangenen Jahr dann mit dem Entwurf öf entliche Debatte in Gang zu setzen, ob Wirkung beruht gleichzeitig darauf, dass der Philharmonie, die stadträumliche Ein- des Schweizer Planungsbüros Herzog & de diesem Ort ein solcher Eingrif zugemutet sie im Verhältnis zueinander stehen. bindung der Einzelbauten war, zeigt das Meuron Architekten aus der Weltliga ge- werden kann. In dialektischer Weise sind sie These vielleicht eindrucksvollste Bauzaunfoto: funden waren, denen man die schwierige Nach Jahrzehnten einer ergebnislosen und Antithese zweier Auf assungen von Scharouns Modell, mit dem er  den Aufgabe anvertrauen konnte. Hatten sie Endlosdebatte wollen Politik und Verwal- architektonischer Moderne des . Jahr- Wettbewerb um den Neubau der Staats- nicht mit der Elbphilharmonie in Hamburg tung nun endlich handeln. Man kann es hunderts. Der organisch-expressiven Bau- bibliothek gewann. Philharmonie, Nati- bewiesen, dass sie eindrucksvolle Kultur- verstehen. Auf der anderen Seite: Was weise Hans Scharouns und der konstruk- onalgalerie, Matthäuskirche westlich der architektur können? Ein Solitär, wie nach wäre, wenn unvermittelt eine Alternative tiv- transparenten Gestaltung des letzten Potsdamer Straße, östlich die Staatsbib- Mies van der Rohe und Scharoun auch in auftaucht, die sich stärker als der im Wett- Bauhaus-Direktors Mies van der Rohe. liothek. Ein Ensemble von Baukörpern, in Berlin sehnsüchtig erwünscht? bewerb siegreiche Entwurf an Scharouns So unterschiedlich diese Auf assungen spannungsreicher Lockerheit miteinander Und: Soll ihr »Museum des . Jahr- Bauphilosophie orientiert? Wäre dann ein sich in den Baukörpern manifestieren, so verbunden. In konzentrierter Form immer hunderts« nicht genau auf dem Areal abermaliger Richtungswechsel überhaupt sehr verbindet sie doch eine große Ge- noch der Anspruch von Stadtlandschaft er- zwischen Nationalgalerie und Philhar- noch denkbar? meinsamkeit: Beide Bauten sind von vib- kennbar. Anordnung, Volumen, Abstände monie errichtet werden, das in Scha- Im südfranzösischen Narbonne wächst rierender Lebendigkeit. Wenn Architektur der Einzelbauten auch als Ausdruck wech- rouns er-Modell den Baukörper des gerade der Rohbau des »Musée de la Ro- so etwas wie Seele haben kann, dann ist selseitiger Anerkennung. Gästehauses vorsah? Vielleicht endlich manite Narbonne«, eines archäologischen Museums. Das »MuReNA« wird kein Pro- vinzmuseum. Mehr als . Objekte aus der reichen römischen Vergangenheit der Region sollen präsentiert werden. Die Aus- maße des Baukomplexes entsprechen etwa der auf dem Kulturforum zu gestaltenden Fläche. Den Wettbewerb um diesen Bau hat  der britische Architekt Norman Foster gewonnen. Sein Entwurf zeigt unprätentiöse mo- derne Formensprache: mehrere kubische Komplexe von einem gemeinsamen Dach überwölbt. Diesen Bau kann man sich fast mühelos zwischen Philharmonie und Nati- onalgalerie vorstellen. Präsent, aber nicht aufdringlich. Und mit  Millionen Euro Baukosten geradezu aufreizend günstig gegenüber der Berliner Etatplanung. Ein Besuch der Baustelle in Narbonne verstärkt den Eindruck, dass hier etwas entsteht, was dem Scharounschen Gedan- ken einer organischen Stadtlandschaft wie auch van der Rohes zeitloser Moderne eher entspricht als eine wuchtige »Kunstscheu- ne«. Dass Norman Foster in der Lage ist, charaktervolle eigene Architektur mit

© HERZOG& DE MEURON BASEL LTD., BASEL, CH MITVOGT LANDSCHAFTSARCHITEKTENAG, ZÜRICH/BERLIN bauhistorischen Gegebenheiten zu ver- Außenperspektive des im Realisierungswettbewerb siegreichen Entwurfs binden, hat er mit der Berliner Reichstags- kuppel bewiesen. Am Wettbewerb um das sie hier spürbar. Eine Kategorie jenseits In der Mitte der Baugruppe das Modell eine späte Erfüllung dieser Vision stadt- Museum des . Jahrhunderts hat Foster formaler Korrektheit von Proportion oder eines stufi g gestalteten Berliner Gäste- landschaftlicher Gestaltung? sich nicht beteiligt. Man kann das nur stilistischer Originalität. Scharoun wie hauses, einerseits Wettbewerbsvorgabe, Dieses waren – zugegeben – die ersten bedauern. Und wüsste zu gern, wie sein Mies van der Rohe waren als Architekten gleichzeitig aber wesentlicher Faktor der Gedanken nach der Bildergeschichte am Vorschlag für diese delikate Gestaltungs- Baukünstler. Raumspannung, die Scharouns Vision Bauzaun, die mit Fotos des Herzog & de aufgabe aussähe. Dieses Spannungsverhältnis völlig selbst im Modellfoto vermittelt. Meuron Entwurfs endet. Dass dessen Form Zu den schönsten Fotos auf dem Bau- unterschiedlich ausgestalteter archi- Philharmonie plus Kammermusiksaal, schnell mit dem Spottnamen »Kunstscheu- zaun an der Potsdamer Straße gehört üb- tektonischer Meisterschaft ist es, was Nationalgalerie, Matthäuskirche, Staats- ne« belegt wurde – was macht’s? Schlichte rigens eine Aufnahme vom Richtfest der den missratenen Verlegenheitsraum des bibliothek – all diese Bauten sind heute Formen müssen nicht banal sein, sondern Neuen Nationalgalerie , das Scharoun Kulturforums in seiner heutigen Form realisiert, allein das Gästehaus fehlt, statt- können auch archaische Qualität haben. und Mies van der Rohe im souveränen Mit- überhaupt nur erträglich macht – und dessen die Verlegenheitsödnis einer Flä- Allerdings: Je näher man sich diesen einander zeigt. gleichzeitig Bedauern wachsen lässt. Die che, die keinen Raum bezeichnet, sondern Entwurf anschaut, desto fremder schaut er Man wüsste zu gern, was die beiden Solitäre machen deutlich, was der trauri- innerstädtisches Brachland ist. zurück. Der fußläufi ge Streifzug durch das großen Baumeister zu den aktuellen Pla- gen Gesamtheit fehlt. Das ist, zuallererst, Hinzu kommt, was Scharouns Modell Gelände, die Imagination dieses Gebäudes nungen zu sagen hätten. eine städtebauliche Gesamtkonzeption von  noch nicht ahnen konnte: Die an diesem Ort wirft mehr Fragen auf, als des Raumes, welche die Solitäre einbin- späteren Bauten von Kulturbibliothek, sie beantwortet. Zweifellos füllt er die un- Hans Jessen ist freier Journalist und det und gerade dadurch ihre Wirkung zur Kupferstichkabinett und Kunstgewerbe- befriedigende Leere der jetzigen Brache. Er Publizist. Er war langjähriger ARD- Entfaltung bringt. museum fügen sich in keiner Weise in das setzt ein Gebäude, wo auch Scharoun eins Hauptstadtkorrespondent 08 INLAND www.politikundkultur.net

FOKUS

Zeit für den Inklusions‐Check Wie inklusiv ist die deutsche Kulturlandschaft?

JAKOB JOHANNES KOCH

s hängt ja bei einem behinder- ten Schauspieler alles davon ab, E noch viel mehr als bei einem Nichtbehinderten: welches Theater arbeitet mit mir, welcher Regisseur gibt mir die Chance…«, sagt der Schauspie- ler und Romanist Peter Radtke in ei- nem soeben veröf entlichten Interview. Radtke hat Glasknochen, ist ca. einen Meter groß und sitzt im Rollstuhl. Wer gibt ihnen die Chance? Von den  Millionen Menschen mit Be- einträchtigung in Deutschland sind etliche künstlerisch tätig, andere be- suchen gerne Museen, Konzerte oder Theater – wie sieht es mit einer chan- cengerechten Teilhabe im deutschen Kulturbetrieb aus? Wie selbstverständ- lich werden Menschen mit Beeinträch- tigungen in Kunst- und Kulturprodukti- on heute eingeladen und eingebunden? In welchen Führungspositionen sind sie im Kulturbetrieb oder in Gremien zu fi nden? Wie steht es um die Barrieren in den Köpfen von Verantwortlichen und Entscheidern im Kulturbetrieb? Wie barrierefrei sind unsere Kultur- einrichtungen? Wie zugänglich ist der FOTOLIA.COM / DENBOMA FOTO: Kunstgenuss für alle? Inklusion ist mehr als ein barrierefreier Zugang – aber selbst dieser ist in Kulturbetrieben oftmals nicht gegeben Um diesen Fragen nachzugehen, habe ich  Expertinnen und Exper- Novelle des Nationalen Aktionsplans reichen des öf entlichen Kulturlebens Indes: »Still und starr ruht der See«; Was also ist zu tun? Die  Autorin- ten aus Kulturpolitikwissenschaft, der Bundesregierung zur Umsetzung und im Medienbereich.« Daraus resul- kaum etwas rührt sich. Gewiss, die rein nen und Autoren meines neuen Buchs Soziologie, Psychologie und Behin- der UN-Behindertenrechtskonvention tierend, müssten folgende Veränderun- technische Barrierefreiheit wird derzeit haben darauf präzise Antworten: Die dertenpädagogik gebeten, in einem in  ließ hof en, denn dort waren gen unmittelbar auf den Weg gebracht in vielen, auch öf entlich fi nanzierten Anforderungen, die Lebenswirklich- Sammelband unter dem Titel »Inklu- erstmals kulturpolitische Töne mit in- werden: Die Beauftragte der Bundesre- Modellvorhaben erprobt und in den Be- keiten und die genuinen Rechte von sive Kulturpolitik« eine Status-quo- klusiver Perspektive zu vernehmen: gierung für Kultur und Medien ebenso trieb von Einrichtungen der kulturellen Menschen mit Behinderungen im Analyse vorzunehmen. Diese fällt »Die Präsenz von Menschen mit Be- wie die Länder legen umgehend För- Bildung und der ausübenden Künste im- Kultursektor müssen bei Strukturent- übereinstimmend ernüchternd aus: hinderungen im kulturellen Leben ist derprogramme für ganzheitliche Bar- plementiert – aber diese Bemühungen scheidungen, bei fi nanziellen Mittel- Konzert-, Theater-, Kino- oder Ausstel- unabdingbare Voraussetzung für ihre rierefreiheit in Kultureinrichtungen beziehen sich eben hauptsächlich auf zuweisungen und nicht zuletzt bei der lungsbesucher mit Behinderungen er- Wahrnehmung durch die Gesellschaft. auf. Inklusion wird als konzeptionel- die technische Seite, d. h. wir sind noch Besetzung von Leitungsfunktionen leben noch immer, dass man vielerorts Gleichberechtigte Teilhabe von Men- ler Programmbestandteil künstleri- weit entfernt von einer ganzheitlichen um ein Vielfaches stärker einbezogen nicht mit ihnen rechnet, dass sie auf schen mit Behinderungen bezieht sich scher Studiengänge verpfl ichtend in Barrierefreiheit. Die Kulturverantwortli- werden als dies bisher der Fall ist. Viel- teils unüberwindliche Barrieren sto- ebenso auf Zugangsmöglichkeiten zur die Zielvereinbarungen zwischen den chen in Politik und Institutionen schei- leicht hilft hier sogar eine Quote, wenn ßen oder dass sie sogar unerwünscht ganzen Bandbreite von Medien, Ver- Wissenschaftsministerien und den nen die anerkannten Forderungen der sich kein freiwilliges Engagement ab- sind. Ähnliche Erfahrungen machen anstaltungen und Kulturinstitutionen Hochschulen aufgenommen. Dann UN-Behindertenrechtskonvention und zeichnet. So müssen endlich wirksame auch die aktiven Kunst- und Kultur- wie auf Gestaltungs- und Darstellungs- wird kein künstlerischer Studiengang deren Verbindlichkeit noch zu ignorie- Rahmenbedingungen geschaf en wer- schaf enden mit Behinderung – Inklu- möglichkeiten als Künstlerinnen und mehr akkreditiert, der nicht belastbar ren und dem Wind der Veränderung den, dass Künstlerinnen und Künstler sion in der Kultur: Fehlanzeige? Die Künstler in allen künstlerischen Be- inklusiv konzipiert ist. auszuweichen, statt mit ihm zu segeln. mit Behinderungen sich als Künstler selbständig machen können und dass sie Startbedingungen erhalten, die ih- nen gerechte und realistische Teilhabe ermöglichen. Für Künstlerinnen und Not perfect Künstler mit Behinderungen bedarf es ausgleichender Unterstützungsange- Bemerkungen über mittel Sprache. Diese Begabung wird mit einer körperlichen Einschränkung zellenz sein. Aber gerade weil das Stu- bote für gleiche Wettbewerbschancen, vermeintlich normale und aber wiederum mit einer Schwäche in müssen zusätzlich zu dem ohnehin dium an einer Kunst- oder Musikhoch- ohne dass dies zu einem herablas- anderen Bereichen »erkauft«. erforderlichen Durchhaltevermögen schule aufgrund des Klassenprinzips senden »Behinderten-Bonus« gerät. vermeintlich behinderte D. h. die Hochbegabung von Künst- noch eine Portion mehr Obsession mit- und der individuellen Betreuung der Vielmehr bedarf es gerade auch in der Künstler lerinnen und Künstlern auf der einen bringen, um sich selbst, aber auch ihre Studierenden ohnehin auf die Ausbil- Ausbildung junger Künstlerinnen und Seite geht oft mit einer Minderbega- Umgebung von ihrem künstlerischen dung einer kleinen Elite abzielt, sollte Künstler konsequent inklusiv konzi- OLAF ZIMMERMANN bung in einem anderen Bereich einher. Weg zu überzeugen. Diese Obsession kein Talent verloren gehen, sondern pierter Studiengänge – Stichwort Ziel- Multitalente wie Leonardo da Vinci ist dann aber das beste Rüstzeug, um eine optimale Förderung erhalten. vereinbarungen – und Überarbeitung ünstlerinnen und Künst- sind sehr, sehr selten. eine erfolgreiche Berufslaufbahn ein- Kultureinrichtungen, egal ob Thea- von Ausschreibungsmodalitäten. Letz- ler, egal ob Musiker, Tän- In der kulturellen Inklusionsdiskus- zuschlagen. ter, Konzerthaus, Museum, Varieté, un- teres heißt, dass die Auswahlkriterien zer, Schauspieler, bilden- sion sollten die künstlerischen Leis- Zum Glück sind Menschen nicht abhängig ob öf entlich getragen oder dahingehend überprüft werden müs- de Künstler, zeichnet ihre tungen von Menschen mit Behinde- perfekt. Dies zu zeigen, Berufschancen privatwirtschaftlich, tun gut daran, die sen, ob sie Kunst- und Kulturschaf en- KBegabung aus. Ihre Begabung ist die rungen nach vorne gestellt werden und zu eröf nen und damit der Diskussion Besten zu zeigen. Künstlerinnen und de mit Handicaps benachteiligen oder Voraussetzung, eine künstlerische nicht ihre körperliche Einschränkung. um Inklusion eine neue Facette hinzu- Künstler mit körperlichen oder auch ausschließen und welcher Unterstüt- Laufbahn einzuschlagen und hierfür Denn Künstlerinnen und Künstler mit zufügen, ist Aufgabe einer inklusiven nicht-körperlichen Einschränkungen zungsbedarf notwendig ist. entweder eine Ausbildung an einer körperlichen Einschränkungen stel- Kulturpolitik. Sie darf sich nicht dar- können genauso wie andere zu diesen Warum nur tut sich ausgerechnet der Kunst- oder Musikhochschule zu ab- len sich mit ihrer Kunst dem Publikum auf beschränken, den Weg zu ebnen, Besten zählen. Hierfür of en zu sein, »hochkulturelle« Kulturbetrieb – der solvieren, oder wie es bei Literaten und nicht mit ihrer Einschränkung. Sie dass Menschen mit körperlichen oder Mut zu Ungewöhnlichem zu haben, doch für sich reklamiert, Motor und sehr oft der Fall ist, sich als Autodi- stehen mit Künstlerkolleginnen und nicht-körperlichen Einschränkungen steht Kultureinrichtungen gut an. Seismograf für soziale Sensibilität zu dakten aus- und weiterzubilden. Sehr -kollegen in einem künstlerischen Kultureinrichtungen nutzen. Es ist In der kulturpolitischen Diskussion sein – so schwer mit der Inklusion? oft geht eine künstlerische Begabung Wettbewerb. Es darf keinen Mitleids- auch zu wenig, den besonderen the- ist Inklusion ein Thema, das oft in die Warum steht Inklusion nicht in jedem damit einher, dass andere Fähigkeiten bonus für Künstlerinnen und Künstler rapeutischen Wert der Beschäftigung kulturelle Bildung einsortiert wird und kulturpolitischen Forderungskatalog? weniger stark ausgebildet sind. So ist mit Einschränkungen geben. mit Kunst und Kultur für Menschen vor allem unter pädagogischen Ge- Steckt hinter der – allerdings nicht laut festzustellen, dass Menschen mit einer Künstlerische Laufbahnen verlaufen mit körperlichen und nicht-körperli- sichtspunkten betrachtet wird. Hier geäußerten – Befürchtung eines »Ni- visuellen Begabung, wie sie für eine zumeist nicht geradlinig. Künstlerin- chen Einschränkungen hervorzuheben, den Blick zu weiten, würde der kultur- veauverlusts« die Angst, die eigenen Tätigkeit als bildende Künstlerin oder nen und Künstler stellen mit ihrer Ar- auch wenn dieser unumstritten und politischen Debatte und dem Thema Komfortzonen zu verlassen? Wäre dem bildender Künstler unerlässlich ist, beit stets auch sich selbst zur Diskus- sehr bedeutsam ist. Es muss darum Inklusion insgesamt guttun. so, dann müsste man solche Ängste sich nicht selten verbal weniger gut sion. Eine wesentliche Voraussetzung gehen, angehenden Künstlerinnen Gerade der Kunstbereich zeigt und Vorurteile mit dem Augias-Besen ausdrücken können und im schrift- für eine erfolgreiche künstlerische und Künstlern die Türen von Ausbil- permanent, dass es den »normalen« ausmisten. Raus mit der Sprache! Rein lichen Ausdruck Probleme haben. Karriere ist der unbedingte Wille, es dungseinrichtungen zu öf nen. Dabei Künstler sowieso nicht gibt. Künstler in die Diskussion! Wenn der Deutsche Musikerinnen und Musiker, die sich schaf en zu wollen, Fleiß und Disziplin, müssen sie sich wie alle Bewerberin- sind obsessiv und kreativ, aber niemals Kulturrat hierbei die Moderatorenrolle entweder mit ihrer Stimme oder ihrem Glück und ein immenses Durchhalte- nen und Bewerber dem künstlerischen normal. Das gibt Künstlern mit Behin- übernähme, wäre ihm vielseitiger Dank Musikinstrument hervorragend aus- vermögen, um trotz Rückschlägen bei Wettbewerb stellen. Hierfür Kriterien derungen gerade hier Chancen, durch gewiss. drücken können oder Musik kompo- der Stange zu bleiben. zu entwickeln, die bestehenden Auf- ihre Leistungen zu überzeugen. Denn nieren, fehlen oft ebenfalls die Worte, Das Gesagte gilt für alle Künstle- nahmevoraussetzungen und -proze- nichts ist langweiliger als Normalität. Jakob Johannes Koch ist Kulturreferent ihre Musik zu erklären. Demgegenüber rinnen und Künstler, egal ob eine kör- dere zu refl ektieren, ist Aufgabe der im Sekretariat der Deutschen Bischofs- liegt die Stärke bei Literaten im Um- perliche Einschränkung vorliegt oder Hochschulen. Handlungsleitend muss Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer konferenz in und Herausgeber gang mit den Worten, mit dem Stil- nicht. Künstlerinnen und Künstler dabei das Ziel der künstlerischen Ex- des Deutschen Kulturrates des Buches »Inklusive Kulturpolitik« Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  INLAND 09

FOKUS

Ein Spiegel der Brauchen wir eine Gesellschaft inklusive Kulturpolitik? Zukunftsziel »Inklusion« sind, um Menschen mit Behinderungen Ständige Herausforderung für Politik und Praxis im Kultur- und Medien- zu ermöglichen, ihr kreatives, künstle- risches und intellektuelles Potenzial zu MAX FUCHS aber auch Anspruchsrechte. Bei diesen zu kleine Rolle. Denn sonst würde man betrieb entfalten und zu nutzen. Im Nationalen ist Teilhabe der zentrale Begrif . Es wissen, wie gravierend die Einwände Aktionsplan . der Bundesregierung ie Antwort auf die Frage in geht um politische, soziale, ökonomi- gegen die vorgelegten Staatenberichte SUSANNE KEUCHEL von  ist erstmals explizit als Ziel, der Überschrift ist eigentlich sche und nicht zuletzt um kulturelle sind. Dies betrif t die unterschiedlichs- die Anerkennung künstlerischer Leis- D einfach: Wir brauchen keine Teilhabe. ten Formen von Teilhabe. So haben enn heute innerhalb des tung von Künstlerinnen und Künstlern inklusive Kulturpolitik. Im Folgenden Wer sich auf Menschenrechte be- uns die schlechten PISA-Ergebnisse Kulturbetriebs von In- mit Behinderung unabhängig von der will ich erläutern, warum dies der Fall zieht, muss ihre Universalität berück- den Besuch eines Menschenrechtsbe- klusion gesprochen wird, Zuschreibung »Behinderung« genannt. ist. Doch signalisiert das Wort »eigent- sichtigen: Sie gelten immer, sie gelten auftragten eingebracht, weil man zu denkt das Gros an barri- Neben politischen Notwendigkeiten gibt lich«, dass wir eine solche Kulturpolitik überall, sie gelten für alle Menschen Recht einen Verstoß gegen das Men- Werearme Zugänge für das Publikum. Die doch brauchen. Zunächst zum ersten und sie gelten nur alle gemeinsam. schenrecht auf Bildung vermutet hat. Wenigsten verbinden hiermit die künst- Teil der Antwort. Bei der Suche nach Genau dies drücken alle Konventio- Auch im Kulturbereich zeigen Nut- lerische Produktion – ein Tabuthema? Künstler mit Begrif en, die mit Inklusion verwandt nen aus. Sie drücken es sogar auf eine zerstudien, dass von einer »Kultur für Es gibt einige wenige inklusive Ensem- Behinderungen sind, wird man schnell fündig: Es geht redundante Weise aus, sodass man alle« keine Rede sein kann. Der Sozial- bles, wie RambaZamba, oder inklusive sind auf der Bühne um Partizipation, um Teilnahme und sich fragen kann, wieso es diese Re- politikforscher Franz Xaver Kaufmann Kulturfestivals, wie Sommerblut, die und in den Medien Teilhabe, es geht um Anerkennung und dundanzen gibt. Der Grund ist denkbar hatte seinerzeit im Hinblick auf soziale im Kulturbereich eine Bekanntheit und Mitgliedschaft, es geht um Integra- einfach: Er liegt in der Schwäche der Teilhabe vier Stellschrauben identifi - künstlerische Anerkennung erzielt ha- unterrepräsentiert tion. Noch deutlicher wird es, wenn Menschen. Nämlich darin, dass wir ziert: Erreichbarkeit, Finanzierbarkeit, ben. Aber verstärkt sich dadurch nicht man nach Gegenbegrif en sucht: Aus- geneigt sind, trotz dieser geforderten rechtliche Ermöglichung von Teilhabe die Bildung einer Parallelgesellschaft, es weitere gute Gründe: Die Bühnen und schluss, Diskriminierung, Barrieren, Universalität der Menschenrechte und zuletzt Bildung. Diese Stellschrau- auf der einen Seite inklusive Ensembles Medien sind ein Spiegel der Gesellschaft. Hürden und Hindernisse. Dass man doch Ausnahmen zu machen. Müs- ben sind weitgehend identisch mit den und auf der anderen Seite der nicht- Werden hier Menschen mit Behinderun- letzteres vermeiden will, sogar ver- sen tatsächlich alle Menschenrechte berühmten vier A, die in den Debat- inklusive professionelle Künstlermarkt? gen mit ihrer künstlerischen Leistung meiden muss, ist auf der rhetorischen für Kinder gelten, müssen sie für alte ten über Inklusion eine Rolle spielen: präsent, und zwar nicht in ihrer alleini- Ebene Konsens. Denn die Begrif e der Menschen, für Frauen, für Zugewan- access, acceptability, availability und Zum Status quo von Inklusion gen Reduzierung auf ihre Behinderung, Teilhabe und der Partizipation haben derte und Flüchtlinge und eben auch adaptability. in Kultur und Medien strahlt dies einen wichtigen Impuls für geradezu einen Siegeszug in den letz- für Menschen mit Behinderung gelten? Alle vier Stellschrauben lassen Seit drei Jahren existiert das Netzwerk unsere Gesellschaft aus. ten Jahren angetreten. Dies allerdings Eben weil immer wieder diese Fragen sich als kritische Evaluationskriterien Kultur und Inklusion, gefördert von Es gibt auch künstlerische Argu- weist darauf hin, dass es Probleme in gestellt bzw. in der Praxis solche Aus- auch auf kulturelle Teilhabe anwen- der Beauftragten der Bundesregierung mente: Mehr Vielfalt unter den Dar- der Gesellschaft mit dem damit be- nahmeregelungen realisiert werden, den. Eben weil eine solche Evaluation für Kultur und Medien, das es sich zur stellern führt zu neuen kulturellen zeichneten Sachverhalt gibt. gibt es diese speziellen Menschen- nicht dazu führt, dass man zufrieden Aufgabe gemacht hat, das Thema aus Ausdrucksformen. Diese können wir Zunächst einmal ist daran zu erin- rechtskonventionen für Kinder und mit der Umsetzung sein kann, muss unterschiedlichen Blickwinkeln sys- teils sehr konkret benennen wie neue nern, dass es of ensichtlich zwei Be- für behinderte Menschen. es of enbar doch eine Kulturpolitik tematisch zu betrachten. Hierzu wird erfahrbare Ästhetiken, z. B. die eines grif e von Inklusion gibt: einen weiten Im Hinblick auf unsere Rechtslage geben, die sensibel für Prozesse der der Dialog mit Akteuren des Kultur- Rollstuhltänzers oder eines Sprechchors Begrif so wie im englischsprachigen ist es zum einen so, dass diese Kon- Ausschließung ist. Dies betrif t auf der und Medienbetriebs gesucht, wie mit in Gebärdensprache. Entsprechende Original, der sich auf alle möglichen ventionen vom Deutschen Bundestag Makroebene die Rahmenbedingungen der Künstlersozialkasse, ZAV, ver.di, Vielfalt führt jedoch auch zu neuen Formen von Ausgrenzung bezieht – ratifi ziert worden sind und somit gel- der Kulturpolitik, es betrif t auf der künstlerischen Hochschulen oder künstlerischen Qualitäten, die wir uns Armut, Behinderung, Alter, Ethnie, tendes Recht sind. Zum anderen be- Mesoebene die notwendige Sensibilität Kulturverbänden. Die erste Reaktion sprachlich neu erschließen müssen. ist häufig Überraschung, die zweite Dies zeigen auch vergangene inklusive Betrof enheit, da diese Perspektive in Öf nungen der Künstlerbranche in der der bisherigen Arbeit oft unbewusst Kulturgeschichte. ausgeklammert wurde. Es folgt jedoch vielfach der Wunsch, hier künftig aktiver Inklusion und künstlerische zu werden. Ein Grundproblem besteht Qualität in einer kulturgeschicht- in der mangelnden Datengrundlage lichen Perspektive zur Situation von Künstlern mit Be- hinderungen. Dass ein Defi zit existiert, So durften im Elisabethanischen Zeit- of enbart sich jedoch sehr deutlich bei alter Frauenrollen nur von Männern den Darstellern auf der Bühne oder in gespielt werden. Die Öf nung der Büh- den Medien. Hier gibt es nur wenige ne für Frauen hat neue künstlerische Ausnahmeerscheinungen, wie Thomas Qualitäten und Darstellungsformen Quasthoff, Christine Urspruch oder eröf net. Dies gilt auch für afroameri- Jana Zöll. Diese bescheinigen jedoch: kanische Darsteller mit der Beendigung Inklusion, künstlerische Qualität und der »Blackface«-Praxis, in der sich wei- Professionalität schließen sich nicht aus. ße Künstler das Gesicht schwarz malten. Eine explorative empirische Studie, die Aktuell treten viele Schauspieler mit auf der letzten Netzwerk-Expertenta- Migrationshintergrund dafür ein, in gung zum Thema Medien in der Akade- ihren Filmrollen nicht auf Migranten mie der Kulturellen Bildung des Bundes fi xiert zu werden. Für Personen mit und des Landes NRW vorgestellt wurde Behinderung stellt sich die aktuelle und jeweils einen Tag ARD, ZDF und Sat Stellenbesetzung viel drastischer dar: untersuchte, zeigte eine erschütternde Die wenigen Filmrollen für Personen Bilanz: Von den über . erfassten mit Behinderungen, wie z. B. in »Rain Personen in insgesamt , Stunden Man« oder »Ziemlich beste Freunde«, Sendezeit – Massenszenen außer Acht werden heute von Nichtbehinderten gelassen – wurden insgesamt neun Per- gespielt. Schauspieler mit Behinderung sonen mit Behinderungen erfasst. Das haben aber aktuell auch kaum Chancen, macht einen Anteil von , Prozent Rollen von Nichtbehinderten zu spie- WAGNER MAX FOTO: aus. Dagegen lag allein der Anteil der len. Ein anzustrebendes Zukunftsziel Eine Bereicherung für alle Seiten: ein Ensemble der Musikschule Fürth – Vorreiter in Sachen Inklusion Personen mit Schwerbehinderungen in ist, künftig den Künstler an erster Stelle Deutschland  bei , Prozent. Die in wahrzunehmen und nicht die Behin- Geschlecht, rechtlicher Status etc. ziehen sich sowohl unser Grundgesetz in den Kultureinrichtungen und es be- der Studie erfassten Personen mit Be- derung – auch eine neue Qualität der Daneben gibt es einen in Deutschland als auch die jeweiligen Einzelgesetze trif t nicht zuletzt auf der Mikroebene hinderung waren ausschließlich in non- künstlerischen Rezeption. gebräuchlicheren engen Begrif von auf diese Menschenrechte, sodass sich die menschlichen Beziehungen. formalen Sendeformaten präsent – also Inklusion, der sich ausschließlich auf in rechtlicher Hinsicht die oben for- Dass es neben der rechtlichen keine Schauspieler. Die einzige Person Susanne Keuchel ist Direktorin der Menschen mit Behinderung bezieht. mulierte Behauptung bestätigt: Jede Verpfl ichtung und neben dem Bezug mit Behinderung und einem längeren Akademie der Kulturellen Bildung des Dass sich alle genannten Formen Politik und damit jede Kulturpolitik auf unsere Werteordnung ganz prag- Sendeanteil war übrigens Minister Wolf- Bundes und des Landes NRW des Ausschlusses von Teilhabe defi - muss inklusiv sein, sonst verstößt sie matische Argumente dafür gibt, alle gang Schäuble. Die anderen tauchten nitiv nicht im Einklang mit unserer gegen geltendes Recht, gegen unsere Formen der Ausgrenzung erheblich jeweils kurz in Dokumentationen über Rechtsordnung befi nden, kann man Werteordnung, gegen unser humanis- zu reduzieren, ergibt sich daraus, dass Krankheiten und Spätabtreibung auf. NEU ERSCHIENEN leicht belegen. Ein Blick in die All- tisches Selbstverständnis. die Legitimität einer öf entlichen För- gemeine Erklärung der Menschen- Doch sieht die Realität anders aus: derung nur dann aufrechterhalten Gründe für mehr Inklusion in Frisch erschienen: Der Sammelband rechte und die damit verbundenen Zu der Akzeptanz der Menschenrechte werden kann, wenn die versproche- Kultur und Medien »Inklusive Kulturpolitik: Menschen Menschenrechtskonventionen, die gehört, dass sich die Staaten verpfl ich- nen Ziele auch erreicht werden: Die mit Behinderung in Kunst und Kul- alle in Deutschland geltendes Recht ten, regelmäßig Umsetzungsberichte klassische Forderung einer Kultur für Warum sollte sich der Kulturbereich ei- tur« von Jakob Johannes Koch un- sind, belegen dies. Es gibt bekanntlich vorzulegen, die dann vom Menschen- alle ist keineswegs veraltet, sondern genverantwortlich für mehr Inklusion ter anderem mit Beiträgen von Ulla zwei Gruppen von Menschenrechten: rechtsausschuss der Vereinten Natio- ständige Herausforderung für Politik engagieren? Da ist der politische Hand- Schmidt, Max Fuchs, Olaf Zimmer- In einer ersten Gruppe geht es darum, nen kritisch überprüft werden. Leider und Praxis. lungsauftrag der UN-Behindertenrechts- mann und vielen mehr bei Butzon den einzelnen Menschen vor Eingrif- spielen sowohl die Staatenberichte konvention, die  in Kraft getreten & Bercker GmbH, . Mehr Infor- fen in die persönliche Integrität – vor als auch die Evaluationsberichte des Max Fuchs ist Erziehungswissen- ist: In Absatz  des Artikels  heißt es, mationen erhalten Sie unter: www. allem durch den Staat – zu schützen. Menschenrechtsausschusses in der po- schaftler. Er war von  bis  dass geeignete Maßnahmen zu tref en inklusive-kulturpolitik.de Neben diesen Schutzrechten gibt es litischen Debatte in Deutschland eine Präsident des Deutschen Kulturrates 10 INLAND www.politikundkultur.net

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Eine Bereicherung Ulla Schmidt im Gespräch über Inklusion in Kultur und Medien

Theresa Brüheim: Frau schen mit Behinderung verfü- diese Schwachstellen schauen. Schmidt, Sie schreiben im gen können«. Wir haben immer Wäre es nicht auch Zeit, für Geleitwort für das neue noch dafür zu kämpfen, dass Nachrichtensprecherinnen und Buch »Inklusive Kulturpo- Menschen mit Behinderung -sprecher mit Behinderung? Wir litik« von Jakob Johannes auch im Fernsehen zu sehen haben doch auch einen Finanz- Koch: »Meine Erfahrungen sind. Im Bundestag habe ich minister, der im Rollstuhl sitzt, im Umgang mit Menschen mich lange und am Ende er- und Bundestagspräsident wird. mit Behinderung sind eine folgreich dafür eingesetzt, dass Wir haben auch eine Behin- Bereicherung für mich per- Sebastian Urbanski, ein Schau- dertenbeauftragte, die blind ist sönlich sowie für meine spieler mit Down-Syndrom, am und ihre Rolle ausgezeichnet Politik«. Worin besteht die Gedenktag für die Opfer des wahrnimmt. Diese Beispiele Bereicherung? Nationalsozialismus sprechen muss man den Verantwortli- Ulla Schmidt: Menschen mit durfte. Wir müssen daran chen im Kulturbetrieb vor Au- Behinderung stehen im Alltag arbeiten, dass es mehr von gen führen! regelmäßig vor erheblich grö- diesen Beispielen gibt. Auch ßeren Herausforderungen als Künstlerinnen und Künstler Es gibt auch viele Kulturkon- wir. Sie sind immer wieder ge- mit Beeinträchtigungen müs- sumenten mit Behinderung. zwungen, sich auf ihre Umwelt sen mit all ihren Fähigkeiten Beim Beispiel Museum gibt einzustellen. Daher entwickeln sichtbar sein. Es muss selbst- es über die Rampe am Muse- sie ungeahnte Fähigkeiten. verständlich werden. Nur die umseingang hinaus nur we- Wenn man – wie ich – sehr viel Leistung, die eine Künstlerin nig inklusive Maßnahmen. mit Menschen mit geistiger oder ein Künstler bringt, zählt Wieso ist der Kulturbereich Behinderung arbeitet, die eine – egal, ob der- oder diejenige da noch so rückschrittlich? völlig unverfälschte Emotio- nun das Horn mit den Händen Das kommt jetzt erst lang- nalität haben, die sehr direkt oder mit den Füßen spielt wie sam voran. Wir haben die und intensiv sind, dann erdet Felix Klieser. Behindertenrechtskonvention EVENTPRESS / ALLIANCE PICTURE FOTO: das einen gelegentlich. Viele unterzeichnet. Dann hat es Thomas Quasthof ist einer der wenigen Künstler mit Behinderung, die international erfolgreich Menschen mit Behinderung Wie kann diese Sichtbarkeit fünf Jahre gedauert, ehe in sind, hier zu sehen in der Produktion »Dada Berlin« im Maxim Gorki Theater Berlin () entwickeln eine ungebrochene von Kulturschaf enden mit Deutschland die Diskussion Willenskraft – einfach weil sie Behinderung verstärkt wer- richtig anfi ng – erst mit der Schritt barrierefrei werden profi tieren auch die Kinder Das Bundesteilhabegesetz sagen, das ist mein Leben und den? Großen Koalition, in der die müssen. Das geht nicht von ohne Behinderung, da sie eine ist nun seit einem Jahr in ich kenne es nicht anders. Das Wir müssen weiter dafür SPD-Fraktion hier auf Fort- heute auf morgen. Aber jeden hohe Sozialkompetenz und Kraft. Was ist Ihre bisherige ist sehr besonders. werben, dass auch Menschen schritte gedrängt hat. Mittler- Tag muss ein Stück mehr barri- füreinander Verantwortung Bilanz? mit Behinderungen auftreten weile haben wir Museen und erefrei werden. Da ist auch der übernehmen lernen. Ob In- Die Umsetzungsphase beginnt Mittlerweile sind Sportler können. Jeder hat sich an die andere Kultureinrichtungen, Kulturbetrieb gefordert. Ein klusion in der Praxis gelingt, gerade erst. Dieses Jahr sind mit Behinderung auch jen- kleinwüchsige Schauspielerin die daran arbeiten, inklusive tolles Beispiel dafür, dass das ist eine Frage der Unterrichts- Schritte zum fi nanziellen seits der Paralympischen Christine Urspruch gewöhnt, Angebote zu machen. Wir sind teilweise schon klappt: In der organisation. Individuelles Ausgleich für die Betrof enen Spiele in den Medien prä- die im Münsteraner Tatort nicht mehr ganz bei null. Im Bundeskunsthalle in Bonn gab Lernen muss zum Grund- in Gang gekommen. Erst ab sent. Regisseure, Künstler, spielt. Viele sagen, ein Mensch Bundestag habe ich darauf hin- es im letzten Herbst die Aus- prinzip werden. Das bedeutet, nächstem Jahr startet die Musiker mit Behinderung mit Behinderung, darf doch gewirkt, dass die hier durch- stellung Touchdown mit Kunst dass Klassen nicht mehr als unabhängige Beratung. Das sieht man eher selten. Wor- keinen Behinderten spielen. geführten Ausstellungen bar- von Menschen mit Down-  Kinder haben dürfen. Ich läuft gut in der Vorbereitung, an liegt das? Warum nicht? Ein älterer rierefrei sein müssen. D. h., es Syndrom, durch die auch werbe auch für ein Zwei-Klas- gerade werden die Bewerber Es gibt immer noch das Vorur- Mensch spielt auch einen älte- gibt nicht nur Rollstuhlrampen, Menschen mit Down-Syndrom senlehrer-System – mit der ausgewählt. Die unabhängige teil, dass Menschen mit Behin- ren Menschen, eine Frau spielt sondern auch Barrierefreiheit geführt haben. Unterstützung von Sozialarbeit Beratung wird mit rund  derungen nicht voll einsatz- eine Frau, ein Mann spielt ein für Gehörlose, Blinde und In- und Inklusionsbegleitung. Die Millionen Euro gefördert und fähig sind. Es hat auch lange Mann usw. Wir brauchen aber formationen in leichter Spra- Sie haben  Jahre als Son- Schule muss gut ausgerüstet ist ein wichtiger Baustein, gedauert, bis die Paralympics auch die Kulturschaf enden, che. Die Umsetzung ist jedes derpädagogin gearbeitet sein, dann funktioniert es. Das um das Wahlrecht wahrneh- den gleichen Stellenwert wie die mitmachen. Oft haben Mal eine Herausforderung. Da und setzen sich mindestens ist meine persönliche Erfah- men zu können. Die Regelun- die Olympischen Spiele hatten. behinderte Künstlerinnen und kommt immer das Argument: so lang für Schulen und rung als Sonderschullehrerin. gen in Bezug auf Wohnen und Als Gesundheitsministerin Künstler keine Agenturen oder Das kostet aber Geld. Man Kitas »für alle« ein. Welche Wir hatten damals gute Bedin- soziale Teilhabe treten erst habe ich oft Sportlerinnen und Vermittlungen. Dann fehlt das muss entgegnen: Ja, aber die Vor-, aber auch Nachteile gungen an der Schule und die ab  bis  sukzessiv in Sportler verabschiedet und ge- Geld um Fotos für Portfolios Behindertenrechtskonvention bringt das? Kinder haben enorm profi tiert. Kraft. sagt: »Sie sind die besten Bot- etc. zu machen. Auf der ande- ist Gesetz, also muss das Geld Die Vorteile überwiegen ganz Auch meine Enkel sind an einer schafter und Botschafterinnen ren Seite werden sie selten für aufgebracht werden. Auch im klar. Kinder mit und ohne inklusiven Schule mit guten Ulla Schmidt ist Mitglied für Inklusion, weil Sie zeigen, Rollen gebucht. Deshalb treten Nationalen Aktionsplan der Behinderung sollten selbst- Bedingungen, sie nehmen des Deutschen Bundestages. über welche Kraft und enor- sie weniger auf. Es muss mehr Bundesregierung steht drin, verständlich miteinander enorm viel mit in Sachen Ver- Theresa Brüheim ist Chefi n men Fähigkeiten auch Men- Organisationen geben, die auf dass alle Angebote Schritt für aufwachsen und lernen. Davon antwortung für andere. vom Dienst von Politik & Kultur

Mehr als nur eine Rollstuhlrampe am Vordereingang

Barrierefreiheit beginnt nen, wodurch dann aber manchmal die Behinderungen ihren Rundfunkbeitrag. umfassend barrierefrei. Nur sieben der privaten Kultursektor. Die Privatwirt- im Kopf und kommt jedem Alarmanlage ausgelöst wird, weil die Die Umsetzung von Barrierefreiheit geförderten Einrichtungen beteiligen schaft steht bei der Schaf ung von bar- Person dem Exponat zu nah gekommen im Kultur- und Medienbereich ist ein Menschen mit Beeinträchtigungen ak- rierefreien Zugängen nach dem Behin- zugute ist. Das Betrachten von Gemälden vom Spannungsfeld zwischen Pfl icht und Kür. tiv an der Gestaltung oder Entwicklung dertengleichstellungsgesetz noch nicht Rollstuhl aus wird erschwert, weil das Deutschland hat die UN-Behinderten- ihrer Angebote. Das ist schade, denn in der Pfl icht. Immerhin werden auch TABEA RÖẞNER Beleuchtungskonzept auf eine andere rechtskonvention (BRK) unterzeichnet, wer könnte besser Hinweise geben, was bei den kommerziellen Fernsehsendern Augenhöhe ausgelegt ist und man aus die in Artikel  unter anderem das noch verbessert werden kann, als die inzwischen Filme mit Untertitelungen orauf würden Sie achten, einer niedrigeren Perspektive eine zu Recht aller Menschen formuliert, am Betrof enen selbst? gesendet, wenn auch noch deutlich we- wenn Sie eine Ausstellung starke Spiegelung des Lichts auf dem kulturellen Leben teilzuhaben. Das be- Der Bundesregierung zufolge kön- niger als bei den öffentlich-rechtlichen. W konzipierten und diese bar- Bild sieht. deutet, dass die Bundesregierung Maß- nen zudem bei vielen der geförderten Eine nennenswerte Initiative vonseiten rierefrei sein soll? Vielleicht denken Oftmals bleibt es an den kom- nahmen entwickeln und umsetzen muss, Veranstaltungen und Programme keine der Bundesregierung, das Behinderten- Sie zunächst an eine Rampe am Ein- munalen Behindertenbeauftragten um die kreative, künstlerische und in- Angaben zur inklusiven Gestaltung ge- gleichstellungsgesetz in dieser Hinsicht gang, damit Menschen im Rollstuhl hängen, sich bei der ohnehin anste- tellektuelle Teilhabe von Menschen mit macht werden, da diese in Abhängigkeit zu überarbeiten, war bisher nicht zu Zugang haben. Darüber hinaus gibt henden Generalsanierung von Kultur- Beeinträchtigungen zu garantieren. Im von wechselnden Veranstaltungsorten erkennen. es noch viele weitere Aspekte, die zu einrichtungen für eine umfassende Detail bleibt es aber den Ministerien und den entsprechenden Rahmenbe- Im Leitfaden des Deutschen Mu- berücksichtigen sind, damit möglichst Barrierefreiheit einzusetzen. Am Ende selbst überlassen, wie sie die Barriere- dingungen stehen würden. Bei zahl- seumsbundes zu Barrierefreiheit und viele Menschen mit einem großen der Verhandlungen mit der Kommu- freiheit in ihrem Ressort fördern. reichen der geförderten Programme Inklusion heißt es: »Barrierefreiheit Spektrum an Beeinträchtigungen Kul- ne hängt es von interessierten und Zweifelsohne hat sich Die Beauf- sei die Herstellung von Barrierefreiheit beginnt im Kopf und kommt jedem tur- und Medienangebote wahrnehmen engagierten Theaterintendantinnen tragte der Bundesregierung für Kultur nur teilweise Gegenstand der entspre- zugute.« Es ist an der Zeit, dass wir für können. Viele davon werden aber leider oder Museumsdirektoren ab, wie viel und Medien, Monika Grütters, in ihrer chenden Förderung. In beiden Berei- die Barrierefreiheit mehr tun, als nur regelmäßig vernachlässigt. So sind z. Inklusion tatsächlich stattfindet. In Amtszeit für die Entwicklung von Hand- chen sollte dringend nachgearbeitet die gesetzlichen Mindestvorgaben zu B. Exponate oft recht hoch in Vitrinen der Bundestagsfraktion Bündnis / lungsempfehlungen und die Umsetzung werden. Das ist schlicht eine Frage des erfüllen. Kleine Änderungen im Kon- ausgestellt, die Kindern, kleineren Die Grünen haben wir uns in den ver- von Barrierefreiheit in ihrem Zustän- politischen Willens, welche Vorgaben zept können eine große Verbesserung Menschen oder Personen im Rollstuhl gangenen Jahren sehr für die Belange digkeitsbereich eingesetzt. Allerdings man für geförderte Projekte macht. Der für Menschen mit Beeinträchtigungen die Betrachtung erschweren. Bei der Be- von Menschen mit Beeinträchtigungen bleibt viel zu tun. So sind z. B. laut der Bund übernimmt aktuell mit ca. , Mil- darstellen. Barrierefreiheit ist nämlich schilderung ist die Schrift zu klein, zu eingesetzt, z. B. für feste Standards Antwort der Bundesregierung auf die liarden Euro jährlich etwa  Prozent mehr als nur eine Rollstuhlrampe am weit oben angebracht oder schwer ver- für barrierefreie Filmfassungen in der Kleine Anfrage der grünen Bundes- der Gesamtausgaben für Kultur und Vordereingang. ständlich. Menschen mit Sehbehinde- Filmförderung und Barrierefreiheit tagsfraktion vom August  nur  Medien und hat daher eine besondere rungen müssen sehr nah an ein Schild in den öf entlich-rechtlichen Medien. der insgesamt über  geförderten Verantwortung und Vorbildfunktion für Tabea Rößner ist Medienexpertin und rangehen, um die Schrift lesen zu kön- Schließlich zahlen auch Menschen mit Einrichtungen und Veranstaltungen Länder und Gemeinden sowie für den Mitglied des Deutschen Bundestages Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  INLAND 11

Stellschraube kulturelle Integration Die Arbeit des Bundes- Bei den Menschen, die  zu uns unsere Projekte mit allen Anbietern Sowohl in den Debatten vor und was wir an Sprache vermitteln, wei- amtes für Migration und gekommen sind, dauern die Verfahren und Institutionen, die an dem Thema nach der Bundestagswahl als auch terarbeiten kann und der Arbeitgeber schon nur noch rund zwei Monate. Integration arbeiten, gut vernetzen. im Wahlergebnis manifestieren nachher den Menschen integrieren Flüchtlinge (BAMF) sich teilweise fremdenfeindliche kann. Es kommt also darauf an, un- Sie haben angekündigt, Asylbe- Im BAMF ist unter anderem die Ge- Positionen. Hat das Auswirkungen sere Sprachkurse gut auszustatten. Hans Jessen spricht mit Jutta Cordt, der werber schon vor dem Bescheid zu schäftsstelle der Deutschen Islam- auf die Organisation von Integra- Das machen wir. Wir lassen uns bei- Präsidentin des Bundesamtes für Mig- informieren, wenn die Bleibeper- konferenz angesiedelt. Ist das ein tionsarbeit? Entsteht da ein gesell- spielsweise von der Bundesagentur ration und Flüchtlinge (BAMF) darüber, spektive schlecht aussieht, sodass über klassische arbeitsmarkt- und schaftlicher Druck auf Mitarbeiter regelmäßig mitteilen: Wo braucht ihr wie Integration auch in kultureller Hin- die über eine freiwillige Rückkehr kulturnahe Integrationsarbeit hin- des BAMF – von welcher Seite auch Kurse? In welchem Sprachniveau? In sicht gelingen kann. nachdenken können. Das könnte ausgehender Ansatz für kulturelle immer? welchen berufl ichen Feldern? Dann man so verstehen, dass Sie die Integration? Die Frage gilt insgesamt für Deutsch- versuchen wir, die Kurse dort im nö- Hans Jessen: Frau Cordt, als Sie vor mühselige Integrationsarbeit re- Selbstverständlich. Die Deutsche land: Wie stellen wir uns diesem tigen Umfang anzubieten. Die He- einem Dreivierteljahr das Amt der duzieren wollen, ehe sie überhaupt Islamkonferenz ist ein Gesprächsfo- Thema? Für uns als Behörde, die rausforderung besteht darin, die vielen BAMF-Präsidentin übernahmen, anfängt? rum mit und für den Islam in unserer geltendes Recht umsetzt, kommt es Angebote gut miteinander zu vernet- wurden erstens Verfahrensbe- Nein. Man muss unterscheiden, wer in Gesellschaft. Dialog und Vernetzung darauf an, unsere Instrumente gut zen, abzustimmen und nicht parallel schleunigung und zweitens Integ- Deutschland Schutz bekommt, wem spielen hier eine zentrale Rolle und auszurichten und sehr transparent nebeneinander her laufen zu lassen. ration von Menschen als zentrale Asyl gewährt wird und wem nicht. Bei reichen in viele Bereiche mit hinein, zu machen. Auch Pressearbeit dient Aufgaben der Behörde genannt. Ist denjenigen, denen Schutz gewährt auch in den Ansatz der kulturellen dazu, unsere Möglichkeiten, Men- Wenn Sie für ein kurzes Werbevi- Verfahrensbeschleunigung Vor- wird bzw. wurde, beginnt die Integrati- Integration. schen zusammenzuführen, aufzuzei- deo über besonders gut laufende aussetzung dafür, dass Integration onsarbeit. Bei denjenigen, die nach gen – auch um vorhandene Ängste zu Integrationsarbeit des BAMF drei überhaupt gelingen kann? dem Recht kein Anspruch darauf ha- Die Initiative von Kulturrat und nehmen. Ich glaube, das gelingt umso Projekte nennen sollten, welche Jutta Cordt: Ich bin der festen Über- ben, hierzubleiben, steht nicht die Bundesministerien heißt »Initia- besser, je transparenter man ist und wären das? zeugung: Je früher man mit der Inte- Integrationsarbeit im Vordergrund, tive kulturelle Integration«. Hat zeigt, was Integration bedeutet – was Auf jeden Fall erstens die Förderung grationsarbeit beginnt, desto besser sondern die Rückkehr. Das ist im Asyl- dieses Attribut für Sie persönlich es bedeutet, wenn wir Menschen, die im sportlichen Bereich. Durch ge- kann Integration gelingen. Dazu system immanent. Insofern konzen- und für das BAMF eine Bedeutung? auf dem Fluchtweg zu uns kommen, meinsamen Sport lernt man eine gan- gehört auch, dass unsere Asylver- trieren wir uns in der Integrationsar- Oder ist das Kulturelle etwas, das integrieren wollen; was es auch für ze Menge. Man ist Teil, man kann mit- fahren im gebotenen Maße zeitnah beit auf diejenigen, die hier bleiben über Ihre Aufgaben und Möglich- die Menschen, die schon in Deutsch- bestimmen, gemeinsam etwas gestal- durchgeführt und entschieden wer- dürfen. keiten als Behörde hinausreicht land sind, bedeutet. Da ist Transpa- ten. Der zweite unverzichtbare Punkt den. Insofern ist es vielleicht keine – eben ein eher unverbindliches renz ein guter Weg. ist die Unterstützung des Ehrenamtes. Bedingung, die zwingend erfüllt sein Zehn Prozent der Flüchtlinge haben »nice to have«? Es ist traditionell in Deutschland eine muss, aber sicherlich eine wichtige eine akademische Ausbildung, de- Das würde ich nicht sagen. Es kommt Vor dem Hintergrund Ihrer Erfah- ganz wichtige Stütze der Integration. Unterstützung. ren Vermittlung sei relativ einfach, natürlich immer drauf an, wie man rungen bei der Bundesagentur für Und ohne das Ehrenamt hätten wir sagen Sie. Aber was ist mit den  kulturelle Integration defi niert. Die Arbeit, der Sie langjährig verbun- die Situation in Deutschland in den Das BAMF hat in diesem Jahr eher Prozent, die keine Ausbildung nach Initiative des Kulturrates hat mit den waren, und beim BAMF: Wo ist letzten zwei Jahren nicht so gut be- durch Mängel und Fehler bei der deutschen Standards haben, was dem Begrif »kultureller Integration« der größte Handlungsbedarf, da- wältigt. Der dritte Punkt ist für mich Bearbeitung von Asylanträgen muss und kann für deren Integrati- einen relativ breiten Ansatz gewählt, mit Integration auch als kulturelle auf jeden Fall der Integrationskurs, in Schlagzeilen gemacht. Bleibt bei on getan werden? der sehr gut die Arbeit trif t, die wir Integration gelingt? dem die Basis für Verständigung und deren Aufarbeitung und Beseiti- Das ist immer eine Frage von: »Was leisten und fi nanziell fördern. Z. B. Man kann den größten Handlungs- kulturelles Verständnis in Deutschland gung noch Kapazität für Integra- versteht man unter Integration?« Sie wie wichtig ist Vermittlung von Wer- bedarf nicht einer Institution allein gelegt wird. Das ist unverzichtbarer tionsarbeit? Oder müssen sie die spitzen es jetzt auf Arbeit und Ausbil- ten, wie wichtig ist das Grundgesetz? zugestehen oder zuschieben. Es muss Teil von Integration. zwangsläufi g hinten anstellen? dung zu. Hier hat die Bundesagentur Das alles sind Elemente des Integrati- ein Ineinandergreifen dessen sein, Wir haben aus meiner Sicht in diesem für Arbeit sehr viele Maßnahmen onskurses. Auch mit unserer Projekt- was man, gerade im behördlichen Jutta Cordt ist Präsidentin des Bundes- Jahr sehr solide Arbeit geleistet. Wir aufgesetzt, um Voraussetzungen förderung unterstützen wir Projekte Bereich, miteinander machen kann. Z. amtes für Migration und Flüchtlinge. haben bereits über . Verfahren für das Gelingen von Integration zur kulturellen Integration, viele Ini- B. führen wir das Gesamtprogramm Hans Jessen ist freier Journalist und entschieden – und arbeiten kontinu- zu schaf en. Das BAMF setzt einen tiativen von Ehrenamtlichen dienen Sprache durch. Das ist aber nur so Publizist. Er war langjähriger ARD- ierlich an allen Stellschrauben weiter. Schwerpunkt auf den Erwerb der der kulturellen Integration. gut, wie die Bundesagentur mit dem, Hauptstadtkorrespondent So haben wir beispielsweise ein um- deutschen Sprache und kultureller fangreiches Qualitätssicherungssys- Werte – wir schauen dabei sehr ge- tem einbezogen und unsere Mitarbei- nau, was der Einzelne benötigt: Ein terinnen und Mitarbeiter stetig weiter Analphabet braucht beispielsweise qualifi ziert. Es ist eine große Heraus- einen anderen Integrationskurs als forderung, den Menschen, die nach jemand, der schon studiert hat und langer Flucht und voller Erwartungen unser Schriftbild kennt. Eine Mut- DER BUNDESWEITE nach Deutschland gekommen sind, ter oder ein Jugendlicher vielleicht gerecht zu werden. Dazu gehört zum wieder eine ganz andere Maßnahme. VORLESEEine Initiative von DIE ZEIT, STIFTUNG LESEN und DEUTSCHE TAG BAHN STIFTUNG einen ein zeitnahes Asylverfahren und Wir bieten, auch in Zusammenarbeit zum anderen – und wir arbeiten hier mit der Bundesagentur, kombinierte übergreifend – das Thema frühzeitige Maßnahmen an, um in bestimmte Integration. Für uns war besonders Berufe einzusteigen. Am Vormittag 17. November 2017 wichtig, ausreichend Integrationskur- Sprache, am Nachmittag Beruf, so se anzubieten, in denen Sprache und lernen sich dann beispielsweise auch DEIN Engagement zählt: Mach mit und lies vor! kulturelle Werte vermittelt werden. Fachtermini leichter. Berufl iche Qua- Hier sollten auch die Wartezeiten, bis lifi kation und Fertigkeiten müssen Viele Kinder erleben zu Hause nicht, wie schön Vorlesen ist. Teile deine Freude am Lesen jemand in den Integrationskurs gehen ggf. über Arbeitsmarktpolitik bei der mit ihnen, und melde dich jetzt für den Bundesweiten Vorlesetag an. Mit etwas Glück wirst kann, verkürzt werden. Wir haben Pi- Bundesagentur für Arbeit geleistet du in der ZEIT vom 16. November, im Kindermagazin ZEIT LEO vom 30. Oktober oder in lotprojekte gestartet und uns deutlich werden. der Novemberausgabe der DB mobil genannt. verbessert. Wo liegen die Grenzen dessen, was So einfach geht’s: Als Sie Ihr Amt antraten, schob das BAMF für Integration leisten f Vorleseort suchen das BAMF . Asylanträge kann? Wo gibt es Möglichkeiten f Anmelden unter www.vorlesetag.de vor sich her. Viele davon lagen seit für Integrationsunterstützung – f Lesefreude schenken Melde dich zwei Jahren oder länger. Wie ist der auch über die Aufgaben hinaus, die f Fan werden: www.facebook.com/vorlesetag Stand jetzt? Wie lang ist die durch- Sie eben beschrieben haben? jetzt an! schnittliche Verfahrensdauer? Wir bieten noch mehr als Integra- www.vorlesetag.de Bei den Rückständen haben wir uns tions- und Sprachkurse. Das sind zum Ziel gesetzt, dieses Jahr »rück- sehr wichtige Bausteine, in denen standsfrei« zu werden. Das wird nie wir kulturelle Werte und sprachliche Null bedeuten, weil immer wieder Fertigkeiten vermitteln. Darüber Anträge dazukommen. Aber wir sind hinaus fördern wir aber auch Begeg- auf einem guten Weg, aktuell sind nungs- und Mentorenprojekte, bieten weniger als . Asylverfahren Multiplikatorenschulungen an und anhängig. Wir müssen zwischen der stärken das Ehrenamt, in dem wir durchschnittlichen Dauer aller Alt- beispielsweise in unseren  »Houses verfahren, die wir abbauen, und der of Ressources« bedarfsorientiert und Neuverfahren unterscheiden: Die fl exibel die Arbeit von Migrantenor- durchschnittliche Asylverfahrensdau- ganisationen und Ehrenamtlichen er beträgt über alle Verfahren gesehen unterstützen – sei es in Form von knapp elf Monate. Wir messen von Beratung, Räumen oder fi nanziellen Antragstellung bis zum Bescheid. In Mitteln. Wir unterstützen in hohem den elf Monaten Durchschnittsdauer Maße die Vereinsarbeit im Sport, die stecken auch all diejenigen, die in ebenfalls für Integration wichtig ist. Initiatoren:oren:: Partner:Partner: ,  und  zu uns gekommen Wir fördern Migrationsberatung, d. h. sind und erst in diesem Jahr entschie- Beratung der Menschen auf dem Weg den wurden. Das erklärt diesen hohen in die deutsche Gesellschaft hinein. Durchschnittswert. Aber wir haben Ich bin der festen Überzeugung, dass viel an unseren Prozessen verbessert: es uns am besten gelingt, wenn wir 12 INLAND www.politikundkultur.net

Modernes Denken veraltet nie Das Bauhaus feiert  sein . Jubiläum

RAINER ROBRA

m Jahr  jährt sich der Tag der Gründung des Bauhauses, der welt- I weit bekannten Schule für Gestal- tung, zum . Mal. Das Bauhaus gilt als eine der wichtigsten, weltweit wirk- samen kulturellen Errungenschaften des . Jahrhunderts aus Deutschland. Die Gründung der Schule erfolgte in Reaktion auf das erschütternde Erleb- nis des Ersten Weltkrieges und schloss an eine Reihe von Reformbewegungen an, die gegen Ermüdungserscheinun- gen in Gesellschaft, Pädagogik und Kunst wirken sollten. Das aufrüttelnde Bauhaus-Manifest, in dem der Grün- der auf acht Seiten das Konzept des Bauhauses veröf entlich- te, zielte darauf ab, dass Kunst fortan gesellschaftlichen Aufgaben dienen sollte. In den  Jahren ihrer Existenz re- sidierte die Schule in drei Städten un- terschiedlichsten sozialen Klimas. Sie begann  in der großherzoglichen Residenzstadt Weimar. Akademische Zugangsbedingungen wurden nicht ge- stellt. Jeder begabte junge Mensch sollte STIFTUNG BAUHAUS DESSAU BAUHAUS STIFTUNG am Bauhaus unabhängig von Schulab- schluss, Geschlecht oder Staatszuge-  , hörigkeit studieren können. Es wurde ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der in Theorie und Praxis die individuelle Entfaltung gestalterischer Talente der Studierenden förderte. Die Lehre am Bauhaus beabsichtigte eine Reform der Künstlerausbildung, erbrachte aber Gestaltungsansätze für eine moderne, of ene und freiheitlich verfasste Gesell- schaft, die bis heute von ungebrochener MAGAZINE, PEN © OKOCHI TADASHI FOTO: Gültigkeit sind. Bauhausgebäude Dessau, Walter Gropius (–), Südseite Das Bauhaus war eng mit den poli- tischen, sozioökonomischen und kul- Gropius in einem nahen Kiefernwäld- fi nden sich unter anderem in Tel Aviv, das Jubiläumsjahr, wie die internatio- Die Stiftung Bauhaus Dessau wird ne- turellen Entwicklungen der Weimarer chen die Meisterhaussiedlung. Dieses Rotterdam oder São Paulo. Es wirkt wie nale Wanderausstellung »Migrant Bau- ben der Einweihung des neuen Muse- Republik verbunden. Von Beginn an Bauensemble wurde von bedeutenden eine Ironie der Geschichte, dass die haus« geplant und die Entwicklung der ums im Herbst , in dem erstmals weckte es entweder die wohlwollen- Künstlern bewohnt, die am Bauhaus Schließung der Schule zur Verbreitung deutschlandweiten touristischen Route dauerhaft ein Teil der umfangreichen de Neugierde oder – auch wegen des unterrichteten: Wassily Kandinsky und ihrer Philosophie beitrug. So wurde das »Grand Tour der Moderne« organisato- Bauhaussammlung zu sehen sein wird, freizügigen Verhaltens der Meister und Paul Klee teilten sich eine dieser Dop- Bauhaus zum kulturellen Exportschla- risch und inhaltlich betreut. mit drei großen Festspielen aufwar- Schüler – die Ablehnung der kleinstäd- pelhaushälften, Oskar Schlemmer und ger Deutschlands im . Jahrhundert. Es ist unsere gesamtstaatliche ten. Den Beginn macht im März das tischen Bürger. Schnell richtete sich Lyonel Feininger wohnten hier. Um für In seiner Rede zum . Geburtstag Verantwortung, das Erbe des Bauhau- »Festspiel Pädagogik«, gefolgt vom in Weimar das politische und gesell- die Bevölkerung günstigen Wohnraum von Walter Gropius resümierte Mies van ses hochzuhalten. Um für die in den »Festspiel Architektur« Anfang Juni schaftliche Klima gegen das Bauhaus. der Rohe : »Das Bauhaus war eine Bauhaus-Institutionen vorhandenen und schließlich dem »Festspiel Bühne« Verschiedene Städte hatten bereits ihr Idee, und ich glaube, daß die Ursache reichen Sammlungsbestände angemes- Mitte September. Interesse an der Übernahme des Bau- für den ungeheuren Einfl uß, den das sene Ausstellungsfl ächen zu schaf en, Die Stadt Dessau-Roßlau präsentiert hauses signalisiert, darunter auch Köln Schnell richtete sich in Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule entstehen derzeit mith ilfe des Bun- sich unter dem Motto »Die Stadt und und sein Oberbürgermeister Konrad Weimar das politische in der Welt gehabt hat, in der Tatsache des neue Bauhaus-Museen in Weimar, das Bauhaus. Gemeinsamer Aufbruch Adenauer. zu suchen ist, daß es eine Idee war. Eine Dessau und Berlin. Ihre Eröf nung wird in die Moderne« in vier Modulen Ge- Den Zuschlag erhielt schließlich die und gesellschaftliche solche Resonanz kann man nicht mit international Aufmerksamkeit auf sich schichte, Identität, Stadtkultur und Stadt Dessau, die aufgrund ihrer ausge- Klima gegen das Organisation erreichen und nicht mit ziehen, allein der Bezug zum Thema Experiment. Ausstellungen in den städ- zeichneten wirtschaftlichen Perspek- Bauhaus Propaganda.« Bauhaus verpflichtet zur Erfüllung tischen Kultur-Institutionen und im tiven und der liberalen Denktradition Es ist die außergewöhnliche Kraft höchster musealer Standards. Daher Außenraum mit Festivals, Stadtfesten von den Lehrenden favorisiert wurde. dieser Idee, die den Bauhausgedanken werden an allen Häusern im Rahmen und künstlerischen Interventionen sol- »Es hat sich ausgeweimart, meine bis heute weiterträgt. Die Original- des Projektes »Bauhaus Agenten« Ver- len  Besucherinnen und Besucher Herren, wir gehen jetzt dessauern!«, zu schaf en, entwickelten Gropius und stätten des Bauhauses stehen mitt- mittlungskonzepte erarbeitet, die den aus dem In- und Ausland locken. kommentierte Lyonel Feininger  seine Kollegen im Auftrag der Stadt ein lerweile als Weltkulturerbe unter dem zeitgemäßen museumspädagogischen Innerhalb der »Grand Tour der Mo- den Abschied aus Weimar und den op- Konzept für einen preisgünstigen Mas- Schutz der UNESCO.  feiern wir Ansprüchen gerecht werden. So gehen derne« wird es in Sachsen-Anhalt rund timistischen Aufbruch nach Dessau, in senwohnungsbau. So entstand in drei das -jährige Gründungsjubiläum nicht nur die Bauhaus-Orte gestärkt aus  Stationen geben mit Schwerpunkten das Herz der mitteldeutschen Indus- Bauabschnitten die Siedlung Törten, dieser außergewöhnlichen Bildungs- dem Jubiläum hervor, auch der Geist in Halle, Magdeburg, Quedlinburg sowie trieregion. die später um die Laubenganghäuser einrichtung. Es ist ein Kulturereignis des Bauhauses wird weitergetragen. dem Raum Merseburg/ Leuna /Wolfen. Dessau lag zwischen Magdeburg, ergänzt wurde. von internationalem Rang, das uns da- Das Land Sachsen-Anhalt hat es sich Allein in Magdeburg fi nden sich zahlrei- der »Stadt des Schwermaschinen- Mit Ludwig Mies van der Rohe ran erinnert, wie die Moderne und ihre zum Ziel gesetzt, dieses Jubiläum mit che Beispiele aus den Bereichen sozialer baus«, und Bitterfeld, dem Zent- bekam das Bauhaus seinen letzten Ideen weltweit Menschen miteinander besonderem Elan zu begehen. Dazu Wohnungsbau, Reformpädagogik und rum der chemischen Industrie. Im Direktor. Doch ein Jahr nach seinem verband. Es ist daher selbstverständ- kulturellem Aufbruch aus den er benachbarten Halle gab es mit der Amtsantritt übernahm die NSDAP die lich, dass wir das Jubiläum in einem Jahren unter dem damaligen Oberbür- inno vativen Kunsthochschule Burg Führung im Dessauer Stadtrat. Im Sep- großen Verbund mit einer Vielzahl germeister Hermann Beims und den Giebichenstein eine weitere Wissens- tember  beschloss die Stadt die Auf- von Akteuren feiern. Zur Vorberei- Nach seiner Aufl ösung beiden Stadtbaumeistern und Ideenschmie de in der Region. In lösung des Bauhauses. Am . April  tung wurde auf Ini tiative des Landes waren die Künstler und Carl Krayl. Dessau ließ Hugo Junkers das erste wurde das Bauhaus in seinem neuen Sachsen-Anhalt der länderübergreifen- Das Jubiläumsprogramm sollte aber deutsche Ganzmetallfl ugzeug bauen Domizil in Berlin schließlich endgültig de »Bauhaus Verbund « geschaf- des Bauhauses nicht als reine Retrospektive verstan- und nach Bitterfeld führte die erste geschlossen. fen. Ihm gehören die Bundesrepublik einfl ussreich und den werden. Die Ideenwelt des Bauhau- elektrifi zierte Bahnstrecke. Unter dem Druck des nationalsozia- Deutschland sowie die Länder Berlin, blieben stilprägend ses erfährt insbesondere unter heutigen Die Dessauer Jahre von  bis  listischen Regimes verließen viele Bau- Sachsen-Anhalt und Thüringen mit ih- Studierenden weltweit eine beeindru- werden als die Blütezeit der Hochschule häusler Deutschland. Doch auch nach ren Bauhaus-Institutionen an. Sieben ckende Renaissance. Die geistige Hal- angesehen. Was hier entstand, prägt bis seiner Aufl ösung waren die Künstler weitere Bundesländer, die sich mit Ver- tung der Bauhäusler kann uns daher heute das weltweite Bild vom Bauhaus. des Bauhauses einfl ussreich und blie- anstaltungen und Forschungsvorhaben wird es eine eigenständige Dachkam- Antworten auch auf heutige Heraus-  wurde das weltberühmte Bauhaus- ben stilprägend für einen modernen am Programm des Jubiläums beteiligen pagne des Landes geben. Klar ist: Wer forderungen geben, denn: Modernes Schulgebäude mit der charakteris- Funktionalismus in Grafi k, Architek- wollen, sind mittlerweile dem Verbund die authentischen Bauhausbauten se- Denken veraltet nie. tischen Glasfassade eingeweiht. Zur tur und Design. Weltweit haben die am beigetreten. Für die Arbeit des Bauhaus hen will, der muss nach Dessau-Roßlau Einweihung berichteten über  Jour- Bauhaus entstandenen Arbeiten das Verbunds wurde eine Geschäftsstelle kommen. Hier fi nden die Besucher ein Rainer Robra ist Chef der Staatskanzlei nalisten weltweit. Parallel zum Bau- Verständnis von Architektur und De- mit Sitz in Weimar eingerichtet. Dort weltweit einzigartiges architektoni- und Minister für Kultur des Landes hausgebäude entstand nach Plänen von sign beeinfl usst. Spuren des Bauhauses werden die Gemeinschaftsprojekte für sches Ensemble der Bauhausmeister. Sachsen-Anhalt Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  EUROPA 13

»Natürlich ist nicht Airbnb allein für hohe Mieten und Wohnungsknappheit verant- Stadtkultur in Amsterdam wortlich. Aber es verschärft die Lage sehr.« Noch dazu wirkt sich die Miete negativ auf Die Auswirkungen von Massentourismus auf die niederländische Hauptstadt den Zusammenhalt in einem Stadtvier- tel aus. »Touristen sorgen sich nicht um CONSTANZE LETSCH Das führte zum Ausverkauf unserer Stadt«, Stadt versucht seit ein paar Jahren, die Die Stadt ist in die Nachbarn«, sagt Bakker. »In Airbnb- so Welles. Er warnt vor der entstandenen Touristen besser über die Stadt zu ver- den Ballungs- Wohnungen kümmert sich niemand, wenn ie winzige Kneipe »Café de Monokultur. »Mittlerweile gibt es überall teilen«, sagt Arjan Welles. »Doch eins der die Gäste sich nicht benehmen und Dreck Dam« auf der zentralen Ams- die gleichen Läden, die gleichen Ketten, Hauptprobleme ist, dass die meisten Tou- zentren mittler- machen. Das bleibt dann den Nachbarn terdamer Damstraat wirkt zwi- sogar Tourismusattraktionen wie Madame risten nur für durchschnittlich , Nächte weile so über- überlassen.« schen den Souvenirläden und Tussauds haben weltweit Filialen. Das wird hierherkommen und dann natürlich die laufen, dass  war Amsterdam die erste europäi- DFast-Food-Imbissen wie ein Relikt aus als touristenfreundlich wahrgenommen, wichtigsten Sehenswürdigkeiten sehen sche Metropole, die sich mit Airbnb an den einer vergangenen Zeit. »Braune Cafés« weil viele das mögen, was sie kennen. Aber wollen. Die Kanäle, das Rotlichtviertel, auch die Sicher- Verhandlungstisch setzte. Heraus kam da- nennen die Niederländer diese Kiezknei- die Stadt selbst geht verloren.« das Anne-Frank-Haus. Amsterdam hat heit nicht mehr bei eine Art Gentlemen’s Agreement, nach pen, eine aussterbende Art. »Das hat doch Auch Wout Jeroen Arxhoek zog vor wie Venedig ein sehr kleines, mittelalter- gewährleistet dem sich die Plattform verpfl ichtete, die nichts mehr mit Amsterdam zu tun«, sagt einem Jahr mit seinem Käseladen – ein liches Stadtzentrum, es ist nicht für solche werden kann. für Hotels, Pensionen und Campingplätze Celine van Hamelsveld, die Tochter des jahrzehntealter Familienbetrieb – in eine Massen geeignet.« gültigen Tourismussteuern einzusammeln Kneipiers und selbst Teilhaberin, wenn andere Straße um. Er war einer der letz- Bisher galt die Kritik dabei vor allem Krankentrans- und an die Stadt abzuführen. Zwei Jahre sie die Damstraat beschreibt. »Neun ten, der auf der Damstraat die Segel strich. Pauschaltouristen und den in der Herde porte und später wurde vereinbart, dass Airbnb-Ver- Steakhäuser, unzählige Waf elläden und »Früher gab es dort einen Schuhladen, ei- über eine Stadt hereinbrechenden Massen Krankenhäuser mieter ihre Zimmer nur noch an höchstens Souvenirläden – unsere Straße ist verlo- nen Lampenladen. Es gab Bäcker«, erinnert an Tagesausfl üglern, die, von Kreuzfahrt- seien ebenfalls vier Gäste gleichzeitig und nicht öfter als ren. Hier fühlen sich nur noch Touristen er sich. »Jetzt ist es wie Disneyland. Es gibt schif en oder Bussen ausgespuckt, brav an  Tagen im Jahr anbieten dürfen. Doch wohl.« Auch das »Café de Dam« soll nun nur noch Steakhäuser, Eisläden und die- hinter Fähnchen schwingenden Reiselei- überfordert, oft laut Bakker weigert sich das Unternehmen nach mehr als  Jahren geschlossen wer- se Nutella-Läden für Touristen.« Dass die tern herlaufen. Doch jetzt sind es zuneh- auf Kosten der bislang, der Kommune Namen von Ver- den, weil der Besitzer im Tourismus das Kommune keine strengeren Flächennut- mend auch Individualreisende, die sich Anwohner. Ein mietern und Adressen angebotener Fe- größere Geld wittert. »Ich bin wütend, dass zungspläne entwirft, hält er für ein großes den Zorn der Einheimischen zuziehen. rienwohnungen zugänglich zu machen, das so einfach geht«, sagt van Hamelsveld. Versäumnis. »Es muss doch geregelt und Denn gerade deren Suche nach dem »au- Ende ist nicht in was die Kontrolle von Regelverletzungen Wie auch in vielen anderen Städten in kontrolliert werden, wie viele Souvenir- thentischen« Urlaubserlebnis, dem »ange- Sicht erheblich erschwert. Europa wächst in Amsterdam der Ärger und Waf elläden es in einem Viertel geben sagtesten« Viertel, den Selfi e-tauglichsten Damit würde die Kontrolle zu einem über die stetig wachsenden Touristenströ- darf.« Ecken und den besten Geheimtipps belas- Katz-und-Maus-Spiel. Laut der Datenakti- me und die sich deswegen rapide verän- Allerdings seien auch Mieten und tet die Stadt. vismus-Plattform »Inside Airbnb« werden dernde Stadt. Arjan Welles, einer der Köp- Immobilienpreise auf dem überhitzten Die Internetplattform Airbnb, auf der in Amsterdam zurzeit fast . Woh- fe hinter der Facebook-Gruppe »Pretpark Amsterdamer Häusermarkt mittlerweile Privatleute Ferienwohnungen »in ange- nungen auf der Wohnungsteil-Webseite Amsterdam«, zu deutsch Vergnügungspark so teuer, dass Händler auf schnellen Ge- sagten Nachbarschaften« anbieten, gehört angeboten, mehr als  Prozent davon Amsterdam, die seit  die Auswirkun- winn angewiesen seien. »Und der steckt mittlerweile zu den Riesen der Tourismus- weisen eine »hohe Verfügbarkeit« auf, gen der rapide wachsenden Tourismusin- oft in Läden für Touristen«, sagt Arxhoek. branche und gerät immer öfter in die Kritik. sind also potentiell keine Wohnungen, in dustrie dokumentieren, wohnt seit neun Journalistin Floor Milikowski, die seit Vor allem in Städten wie Amsterdam, in denen normalerweise tatsächlich Ams- Jahren im zentralen Rotlichtviertel und Jahren über Amsterdamer Stadtpolitik denen seit Jahrzehnten eine akute Woh- terdamer zu Hause sind – und demnach hat die massiven Veränderungen in dieser berichtet, weist auf die vielen Faktoren nungsnot herrscht, wird Unternehmen illegal. »Tausende Wohnungen sind damit Zeit beobachtet: illegale Hotels, das Ab- hin, die zur explosionsartigen Entwicklung wie Airbnb vorgeworfen, Wohnraum wei- nicht für Anwohner verfügbar und fehlen wandern kleiner Geschäfte zugunsten von des Tourismus beitragen. Billigfl üge und ter zu verknappen und Preise in die Höhe auf dem Wohnungsmarkt«, so Bakker. »Das Touristenläden, lärmende Partytouristen. eine wohlhabendere Mittelschicht z. B. in zu treiben. ist für eine Stadt wie Amsterdam, in der Wohnraum viel zu knapp und viel zu teuer ist, ein großer Verlust.« Während für das Stadtzentrum längst ein Hotelstopp gilt, kann jeder seine Wohnung in eine tem- poräre Herberge für Touristen umwandeln. »Noch vor fünf Jahren hat die Stadt gar nichts gegen dieses wilde Wachstum unternommen«, sagt Bakker. »Man hat Plattformen wie Airbnb einfach nicht als Problem empfunden. Deswegen haben wir eine einfache Webseite gestaltet, über die Beschwerden über illegale Hotels einge- reicht werden konnten. Die haben wir dann an die Stadt weitergeleitet.« Medien wurden mobilisiert, die Stadt wiederholt gewarnt. »Jetzt sind sie endlich aufge- wacht«, so Bakker. Jetzt hat die Stadtverwaltung beschlos- sen, die Regelungen noch einmal zu ver- schärfen. Ab dem . Oktober  müssen sich private Vermieter bei der Kommune registrieren lassen, wenn sie ihre Wohnung bei Airbnb oder einer ähnlichen Plattform anbieten. Wer ohne diese Anmeldung ver- mietet, muss mit Geldstrafen von bis zu . Euro rechnen. Ein wichtiger Schritt, fi ndet Gert-Jan Bakker. »Auf diese Weise wird das Vermieten von Ferienwohnungen für die Stadt durchsichtiger.« Einer Untersuchung des Magazins »De Groene Amsterdammer« zufolge gibt die Stadt mittlerweile mehr als fünf Millio-

FOTO: IVODEROOIJ / FOTOLIA.COM / IVODEROOIJ FOTO: nen Euro aus, um illegalen Hoteliers und Touristenandrang vor dem Gebäude des Amsterdamer Hauptbahnhofs Airbnb-Profi teuren auf die Schliche zu kommen. Doch noch immer fi nden sich »Ich fände es viel besser, wenn Amsterdam Asien ließen Besucherzahlen weltweit in Der Campingplatzbesitzer Steef Poelman auf der Webseite der Plattform Wohnun- als Kulturstadt bekannt wäre und nicht die Höhe schnellen. Kurztrips und Städte- klagt, dass für Airbnb-Ferienwohnungen gen, die gegen die Regeln verstoßen und als eine Stadt, in der man Gras raucht, reisen sind längst nichts Besonderes mehr. andere Standards gelten als für die rest- Investoren, die hinter sympathischen Pro- säuft, feiert und Sex hat«, sagt er. Das »Es ist nicht einfach, eine gerechte Lösung liche Branche. »Wir unterliegen strengen fi lbildern versteckt Wohnungen ganzjäh- Image von Amsterdam als einem Ort, an zu fi nden, um Tourismus besser zu kon- Regeln, wir müssen jedes Jahr viel Geld rig vermieten. Oft sind es auch Initiativen dem alles erlaubt ist und Vergnügen an trollieren«, sagt sie. »Aber diese Aufgabe ausgeben für Hygiene und Feuerschutz. wie »Pretpark Amsterdam«, die über sozi- oberster Stelle steht, hält sich hartnäckig. wird immer dringender.« Bei Airbnb darf jeder machen, was er will. ale Medien auf solche illegalen Anzeigen »Neulich haben nachts um drei Touris- Laut einer Untersuchung der Amsterda- Keiner achtet auf Sicherheit. Warum ist aufmerksam machen. Arjan Welles unter- ten unter meinem Fenster getrunken und mer Polizei vom letzten Jahr ist die Stadt das erlaubt?« In den letzten Jahren käme streicht, dass Tourismus unbedingt auch zu rumgeschrien. Als ich sie gebeten habe, in den Ballungszentren mittlerweile so es auch immer häufi ger vor, dass Ams- Amsterdam gehört. »Und ich bin ja selbst doch bitte leise zu sein, haben sie mich überlaufen, dass auch die Sicherheit nicht terdamer ihre Wohnungen vermieteten an vielen Orten Tourist. Aber wir brauchen gefragt: Warum wohnst du auch hier?« Auf mehr gewährleistet werden kann. Kran- und in der Zeit dann bei Poelman auf dem andere Spielregeln. Was wir uns wünschen, die Laissez-faire-Attitüde sei die Obrigkeit kentransporte und -häuser seien ebenfalls Campingplatz übernachteten. »Aber das ist mehr Mut von der Stadt, auch mal die stolz. »Aber das kann so nicht weiterge- überfordert, oft auf Kosten der Anwohner. erlaube ich nicht«, sagt er wütend. »Die Geschäfte und die Investoren zu enttäu- hen«, fi ndet Welles. Ein Ende ist nicht in Sicht. Laut of ziellen schmeiße ich alle wieder raus.« schen, statt immer nur die Anwohner. Wir Für ihn geht das Problem weit über Angaben kamen  um die  Millionen Doch Airbnb wirkt sich nicht nur auf haben die Rechnung lang genug bezahlt.« Lärmbelästigung und pöbelnde Jungge- Besucher in die niederländische Haupt- das lokale Hotelgewerbe, sondern vor sellenabschiede hinaus. »Seit Jahren hat stadt – sechs Millionen mehr als vor fünf allem auch auf den Wohnungsmarkt aus, Constanze Letsch war bis  Türkei- das Stadtmarketing Amsterdam auf der Jahren. der in Amsterdam ohnehin schon prekär Korrespondentin für The Guardian. ganzen Welt aggressiv als Reiseziel be-  versuchte Amsterdam, Touristen- ist. Geert Jan Bakker von Meldpunt Onge- Gerade promoviert sie zu Gentrifi zierung worben. Nach der Wirtschaftskrise musste ströme zu steuern und andere Stadtteile wenst Verhuurgedrag, einem Verein, der an der Europa-Universität Viadrina und wieder Geld in die Kassen, um jeden Preis. für Besucher attraktiver zu machen. »Die Mieter über ihre Rechte informiert, erklärt: lebt in Amsterdam 14 EUROPA / INTERNATIONALES www.politikundkultur.net

Arts.Rights.Justice

Kulturpolitikforschung zur es längst an der Zeit ist, die Vorgänge Freiheit der Künste wissenschaftlich zu untersuchen, kul- turpolitische Maßnahmen zu ergreifen und die engagierte Zivilgesellschaft zu WOLFGANG SCHNEIDER vernetzen. Das Programm »Arts.Rights. Justice« zielt darauf ab, Räume für die m . August dieses Jahres wur- Freiheit künstlerischer Ausdrucksfor- de der Kölner Schriftsteller Do- men zu analysieren, zu defi nieren und A gan Akkanli im andalusischen Instrumente zu entwickeln, um Men- Granada von der spanischen Polizei schenrechte zu wahren und zu schützen. festgenommen. Auslöser war ein über Es gelte, Wissen zu generieren, Wissen Interpol verbreitetes Ersuchen der tür- zu vermitteln sowie Wissensaustausch kischen Behörden, die ihm die Verwick- zu ermöglichen. Die Teilnehmenden der lung in einen Mord in Istanbul im Jahr ersten Akademie, rund  Aktivisten  vorwerfen – ein Vorwurf, von dem aus  Ländern, hatten für eine Woche er in einem Verfahren in der Türkei  die Chance, Erfahrungen auszutauschen, freigesprochen worden war. Bereits am wie mit Zensur und Verfolgung umzuge- Tag nach der Festnahme hatte ihn Spa- hen ist, um internationale Schutz- und niens Nationaler Gerichtshof wieder auf Fördermechanismen kennenzulernen freien Fuß gesetzt, er durfte das Land und Interessensvertretungen zu or- aber bis zu einer endgültigen Entschei- ganisieren, die Veränderungsprozesse dung nicht verlassen. Die fi el durch den anstoßen können. Ministerrat in Madrid am Freitag, den Mit dabei Farida Shaheed, die  . Oktober: Der Künstler wird nicht an bei der Generalversammlung der Ver- die Türkei ausgeliefert; ein Politikum einten Nationen als UN-Beauftragte

FOTO: FRANKIX / FOTOLIA.COM / FRANKIX FOTO: und ein Plädoyer für die Freiheit der einen ersten Bericht zur Lage der Rech- ARoS Kunstmuseum mit Schwerpunkt auf Gegenwartskunst in der Europäischen Kulturhauptstadt  Aarhus Künste. Denn dass die Verfolgung zwar te für die Freiheit des künstlerischen zweifelhaft, aber juristisch begründet Ausdrucks und der Kreativität vorlegte, wurde, war nur die halbe Wahrheit. der bis heute Maßstäbe setzt und An- Dogan Akkanli ist für das »Erdoğan- wendung fi ndet, wenn Politik sich mit Regime«, im Originalton seines deut- konkreten Attacken gegen Künstler be- schen Anwalts, ein missliebiger Autor, schäftigen muss. Shaheed ermunterte, Aufbruchstimmung ein Kritiker der antidemokratischen von Seiten der Kulturpolitikforschung Entwicklungen am Bosporus. den Veränderungen auf der Spur zu Deutsche Städte bereiten ihre Bewerbungen als »Kulturhauptstadt Europas « vor Zur gleichen Zeit, die gleiche Mache, bleiben, die Freiräume der Künste im- an anderem Ort: Russische Ermittlungs- mer wieder neu zu vermessen sowie KRISTINA JACOBSEN niger Kraftanstrengungen: Eine min- Städten?« – und andererseits einen behörden wollen den Regisseur Kirill die Rolle der Künste in Transformati- destens zehn Jahre umfassende kultur- gezielten kollegialen Austausch zu Serebrennikow hinter Gitter bringen. Er onsprozessen zu beschreiben und zur un ist das Jahr  schon politische Entwicklungsstrategie muss ausgewählten Themen anbieten. Ter- war bei Dreharbeiten in Petersburg un- Diskussion zu stellen. Partner der wis- näher herangerückt. Dann erarbeitet werden, Programm-, Gover- mine und weitere Informationen gibt ter dem Vorwurf festgenommen worden, senschaftlichen Untersuchungen sind endet die Frist, um sich als nance- und Finanzierungsstrukturen es unter www.ecoclab.eu. mit einigen Mitarbeitern seiner Thea- Organisationen wie ICORN, die sich »Kulturhauptstadt Euro- müssen defi niert werden. Nicht zuletzt terproduktionsfi rma »Siebtes Studio« um Residenzen für verfolgte Künstler Npas « zu bewerben. Dies haben sollte die Bevölkerung die Bewerbung  Millionen Rubel, eine knappe Million kümmert, ArtWatch, die sich für demo- Die Herausforderung: derzeit eine Reihe deutscher Städte möglichst partizipativ unterstützen Euro, unterschlagen zu haben. In der kratische Kunstpraxen in Afrika enga- Nachhaltige Entwicklung vor, und andere überlegen noch, sich und mitgestalten. Denn nicht nur bei Moskauer Theaterszene gilt es als si- gieren oder Freemuse, ein Netzwerk, das ihnen anzuschließen. Manche sind Kulturhauptstädten, sondern auch bei Die Initiative »Kulturhauptstadt Eu- cher, dass die Staatsorgane den Künstler gefährdete Kulturschaf ende in soge- schon in voller Fahrt und lassen be- anderen städtischen Großvorhaben ropas« sei nun auf einem Höhepunkt aus ganz anderen Gründen verfolgen. nannte »Sichere Häfen« vermittelt. Das reits beachtliche Zwischenergebnisse zeigte sich in der Vergangenheit die angekommen, sagt Michel Magnier, Der Fall erinnere sehr an frühere Sow- Hildesheimer Programm fi ndet zudem erkennen. Am längsten arbeiten vor Macht der Bürger, diese ins Wanken Direktor in der Generaldirektion Bil- jetzeiten, sagen Weggefährten; denn Unterstützung bei diversen Akteuren allem die ostdeutschen Städte Dresden, oder gar zum Einsturz bringen zu kön- dung und Kultur der Europäischen damals wurden Kulturschaf ende in von Museen, Soziokulturellen Zentren Magdeburg und Chemnitz an ihren Be- nen – man denke nur an die Hambur- Kommission. Oft würden die Städte der Regel nicht wegen ihrer Werke an- und Theatern. Weitere Akademien und werbungen und lassen großen Ehrgeiz ger Olympia-Bewerbung oder jüngst in der Ausgestaltung ihrer Program- geklagt, sondern aufgrund angeblicher Foren werden folgen, ebenso wie Labo- erkennen. Ihre Bewerbungsbüros sind den Volksentscheid über die Schlie- me sogar weit über die EU-Vorgaben Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten. ratorien von »Arts.Rights.Justice«, die längst sichtbar in der Stadt, und die ßung des Flughafens Berlin-Tegel. hinausgehen. Doch die wichtigste Fra- Und dass Kirill Serebrennikow ganz und unter anderem auch in Zusammenarbeit Bevölkerung wird vielfältig mittels ge bleibt, wie das Erreichte verstetigt gar kein linientreuer Putin-Anhänger ist, mit dem Goethe-Institut in Kiew, Beirut digitaler und analoger Kommunika- werden kann. So ist man in der in vie- hat er künstlerisch auf der Bühne und und Salvador de Bahia geplant sind. tion in den begonnenen Bewerbungs- Der positiven lerlei Hinsicht vorbildlichen aktuellen in zahlreichen Interviews klargemacht. In Deutschland formieren sich der- prozess eingebunden. Auch Nürnberg Aufbruchstimmung Kulturhauptstadt Aarhus  derzeit Wieso leben Künstler gefährlich? zeit parallel Plattformen, die sich der mobilisiert bereits kontinuierlich damit befasst, die neu geschaf enen Offensichtlich gestalten sie mit der Freiheit der Kunst widmen: Persönlich- Kulturakteure und Bürger der Stadt, muss nun eine solide Kooperationen zu formalisieren und Kraft der Kreativität gesellschaftliche keiten der darstellenden und bildenden die sich in die Kulturhauptstadtbe- Organisationsphase institutionalisieren. Auch die deut- Selbstverständigungen, die eine kriti- Künste haben kürzlich einen Aufruf an werbung einbringen. In Hildesheim folgen schen Bewerberstädte schmieden sche Sicht möglich machen. Die wird die Bundesregierung zur Schaf ung ei- und Kassel liegen zwar auch schon die schon Pläne, wie ihre fruchtbare in autokratischen Systemen und durch nes Programms für verfolgte Künstler Beschlüsse der zuständigen Gremien Kooperation erhalten bleiben kann, antidemokratische Tendenzen sowie unterzeichnet; das Internationale Thea- über eine Kulturhauptstadtbewerbung Die enthusiastische Anfangsphase ist wenn auch nur eine Stadt schließlich nationalistische und rassistische Ent- terinstitut hat bereits  ein Aktions- vor, doch läuft hier die Vorbereitungs- auch deshalb so wichtig, weil sie den zur »Kulturhauptstadt Europas« er- wicklungen zum Problem einer öf ent- komitee für Künstlerrechte gegründet arbeit bislang eher im Verborgenen, Städten ermöglicht, über sich hinaus- koren wird. Gelungene Beispiele für lichen Kommunikation, bei der Fragen und macht regelmäßig Zensurfälle und weil erst andere Aufgaben anstanden zuwachsen. Die Voraussetzungen, über ein Kooperationsnetzwerk der kon- aufgeworfen, aber nur einfache Antwor- staatliche Übergrif e öf entlich. »Art of wie unter anderem die documenta  den eigenen Tellerrand zu schauen kurrierenden Städte liefern dabei etwa ten propagiert werden; die Diversität Freedom. Freedom of Art« nennt sich in Kassel und die Klärung von Zustän- und sich professionell zu vernetzen, Wrocław  mit seiner »Coalition pfl egen, wo Leitkultur angesagt ist; die ein Projekt der Deutschen Welle, die digkeiten in der Kooperation mit dem können dadurch geschaf en werden. of the Cities« oder RUHR. mit von Of enheit zeugen, wo Abgrenzun- den besonderen Schutz der Kunst in Landkreis in Hildesheim. In Hannover Das gegenseitige Voneinander-Ler- den »National Heroes«. Beide Reihen gen wieder oder immer noch die poli- Deutschland refl ektiert und mit Bei- und Koblenz wird eine Bewerbung von nen der deutschen Bewerberstädte führten erfolgreich verschiedene Kul- tische Agenda bestimmen. trägen Künstler aus allen Kontinenten verschiedenen Gruppen in der Stadt befördert das European Capital of turprojekte durch, die das erarbeitete Wo werden Künstler verfolgt oder zu Wort kommen lässt, wie sie ihre freie vorangetrieben, aber die defi nitiven Culture Laboratory, kurz ECoC LAB, Potenzial der im Wettbewerb unterle- sind gefährdet? Was sind die Ursachen? persönliche Entfaltung gesellschaftlich politischen Beschlüsse standen bei das im Sommer dieses Jahres am In- genen Städte fortführten. Wie ist die Gesetzeslage vor Ort? Wie nutzen. All diese Aktivitäten sollen Redaktionsschluss noch aus. Und stitut für Kulturpolitik der Universi- Wünschenswert wäre, dass die werden Verletzungen dokumentiert? beobachtet und einige wissenschaft- schließlich gibt es noch ein paar Städ- tät Hildesheim gegründet wurde. Die positive Aufbruchstimmung der Be- Wie können Bedrohungen künstleri- lich begleitet werden. Wie wichtig es te, die in der Abwägungsphase sind, Arbeit des ECoC LABs reicht von der werberstädte nun in eine solide Or- sches Schaf en beeinfl ussen? Was be- der Stiftung Universität Hildesheim ob eine Bewerbung für sie geeignet wissenschaftlichen Prozessbegleitung ganisationsphase übergeht, in der die deutet es, sie zu schützen? Das Institut ist, Theorie und Praxis miteinander zu sein könnte. Dazu zählen Pforzheim, über die Moderation und Dokumen- individuellen Programme auf lokaler, für Kulturpolitik der Universität Hil- verbinden, davon zeugt eine Initiative Frankfurt am Main und Gera. Auch in tation der Bewerbungsphase bis zur regionaler und europäischer Ebene desheim startet hierzu das Programm ihres Präsidenten, Wolfgang Friedrich, der Oberlausitz überlegt man, eine Vernetzung der Bewerbungsbüros vorbereitet werden. Damit der Enthu- »Arts.Rights.Justice« und rückt damit der als Vorsitzender der niedersächsi- Stadt aus der Region ins Rennen zu durch eine Reihe von Austauschforen. siasmus nicht verpuf t, sondern dauer- das Schicksal verfolgter Künstler sowie schen Hochschulrektorenkonferenz, die schicken. Damit füllt das ECoC LAB eine Lücke, haft vor Augen führt, welche umfang- das Recht auf künstlerische Freiheit in  deutschen Hochschulen auf ordert, die hinsichtlich einer notwendigen, reichen Auswirkungen eine innovative den Fokus. Das Auswärtige Amt und Strategien für Verfolgte in Wissenschaft aber noch nicht vorhandenen Daten- Kulturpolitik in europäischen Städten das »International Cities of Refuge und Kunst zu entwickeln und ihnen Der Enthusiasmus der sammlung und dem damit verbunde- der Gegenwart haben kann. Network« unterstützen die Arbeit des Schutz zu gewähren. Ein Anfang soll Anfangsphase nen ausbleibenden Transfer von Best am Unesco-Chair in »Cultural Policy for auf dem eigenen Kulturcampus mit der Allen Städten gemeinsam ist, dass Practice-Beispielen bislang vielfach Kristina Jacobsen ist Geschäfts- the Arts in Development« angesiedelten Einrichtung eines »Creative Save Ha- eine Bewerbung als »Kulturhauptstadt bemängelt wurde. Für die Akteure der führerin des Europawissenschafts- Forschungsprojektes. ven« als temporären Zufl uchtsort für Europas« oder auch nur die Vorüber- Bewerberstädte sind hierbei verschie- programms der Freien und der Zunehmend mehr Fälle von Ein- verfolgte Künstler gemacht werden. legungen dazu, bei den Akteuren zu- dene Formate auf Arbeitsebene rele- Technischen Universität Berlin und schränkungen der Freiheit des künst- nächst einmal großen Enthusiasmus vant, die einerseits der Selbstvergewis- Mitbegründerin des ECoC LAB am In- lerischen Schaf ens und konkrete Be- Wolfgang Schneider ist Direktor des auslösen. Das ist auch gut so, denn serung dienen – »Wo und wie stehen stitut für Kulturpolitik der Universität drohungen von Akteuren in den Kul- Instituts für Kulturpolitik der Stiftung schließlich bedarf die Bewerbung ei- wir im Wettbewerb mit den anderen Hildesheim turlandschaften weltweit zeigen, dass Universität Hildesheim Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  EUROPA / INTERNATIONALES 15

Terrorismus – das nützliche Gespenst Wie die Angst vor Terrorismus von der Politik instrumentalisiert wird

REINHARD BAUMGARTEN cherheit an erster oder zweiter Stelle In den USA sind  of ziellen Zah- fl ektierten Politik genau die Vorurteile Immer wieder fällt in diesem Zusam- ihrer Sorgenliste. Die Zahl der Opfer len zufolge . Menschen ermordet gegen freie Gesellschaften, die religiös menhang der Begrif Hexenjagd. Tat- in Gespenst geht um in Eu- gemeiner Kriminalität in den westli- worden. Das entspricht einer Rate von verbrämte Terroristen zu ihren eigent- sächlich weist der Umgang mit »dem« ropa…« mit diesen Worten chen Staaten ist um ein vielfaches hö- , Personen pro . Einwoh- lichen Glaubensgrundsätzen erhoben Terrorismus und »den« Terroristen beginnt das vor  Jahren her, als die Zahl der Terroropfer. Für die ner. Die Zahl der Terroropfer in den haben. Hinzu kommt: Er und Seines- erstaunliche Ähnlichkeiten mit der von Karl Marx und Friedrich Zeit zwischen  und  berech- USA ist sowohl absolut als auch in gleichen schüren Ängste und Panik, Verfolgung und Ermordung mutmaß- EEngels verfasste Kommunistische nete der Terrorexperte Robert Muggah Relation zur Einwohnerzahl niedriger um die daraus entstehende Verunsi- licher Hexen früherer Jahrhunderte Manifest. Damals hieß das Gespenst die Wahrscheinlichkeit für EU-Bürger, als in der EU. Und dennoch dient der cherung in Politik umzumünzen. Die auf. Rückblickend betrachtet sollten Kommunismus – je nach Standpunkt durch einen Terroranschlag ums Leben mutmaßliche Kampf gegen Terroris- oben genannten Zahlen sollten nahe wir wissen, dass diese Verfolgung ir- der involvierten Sympathisanten oder zu kommen. Sie lag bei , Personen ten Präsident Trump immer wieder als legen, Terrorismus grundsätzlich ernst rationalen Annahmen und Behauptun- Anhänger war oder ist es eine Ideolo- je . Einwohner.  stieg sie un- Begründung für politische Entschei- zu nehmen, aber ihn nicht zum be- gen entsprungen ist und ein grausames gie / Weltanschauung / Philosophie, die ter anderen wegen der Terroranschlä- dungen. Menschen aus Somalia, Liby- herrschenden Leitthema Instrument zur Zemen- sich mit der ungleichen Verteilung von ge in Frankreich auf , Personen en, Sudan, Syrien, dem Jemen und dem für politische Debatten tierung geltender Herr- Arbeit und Produktionsmitteln beschäf- je . Einwohner, und  sank Iran will er an der Einreise in die USA und Entscheidungen zu schaftsstrukturen und tigt. Selbstredend, dass jene Habe-Alles, hindern. Begründung: Abwehr terro- machen. Denn das ist es, Einfl ussbereiche war. Um die Kapital und Privilegien im Über- ristischer Gefahren. Woher kamen die was die Terroristen wol- Missverständnissen vor- fl uss besaßen, das »Gespenst Kommu- Kein westlicher ausschließlich sunnitischen Terroris- len. Das Gespenst Ter- zubeugen: Terrorismus nismus« verteufelten, weil es diesem Politiker spielt den ten der Anschläge vom . September rorismus verändert die ist real. Terrorismus ist »Gespenst« im Kern darum ging, die ? Aus Saudi-Arabien (), Ägypten westlichen Gesellschaf- gefährlich. Terroristen bestehenden Verhältnisse zugunsten Terrororganisationen (), den Vereinigten Arabischen Emi- ten, es schränkt Freihei- müssen gestoppt und der Habe-Nichtse zu ändern. so vorzüglich in die raten () und dem Libanon (). Diese ten ein, baut Toleranz und bekämpft werden. Aber Heute geht wieder ein Gespenst um Hände wie Donald J. Länder sind von Trumps Einreisebann Verständnis ab, verhindert Politiker dürfen die Angst in Europa: der Terrorismus. Auch die Trump nicht betrof en. Einer der wesentlichen Dialog und Zusammenarbeit. Donald vieler Bürger vor Terrorismus nicht zu- Terroristen wollen bestehende Ver- Gründe dafür dürfte sein, dass Trump Trump und seine Gefolgsleute sind da- sätzlich schüren, um politische Ziele hältnisse ändern. Wir werden in den in diesen Ländern sehr konkrete Ge- für die besten Beispiele – aber beileibe zu erreichen, die westlichen Werten Nachrichten über Terroranschläge in sie auf ,. Die Wahrscheinlichkeit, schäftsinteressen verfolgt. nicht die einzigen. und demokratischen Grundsätzen wi- Afghanistan, Somalia, Syrien, im Jemen bei einem Terroranschlag ums Leben Kein westlicher Politiker spielt den Ein weiteres Beispiel dafür, wie Ter- dersprechen. Die Präsidenten Trump und im Irak informiert. Wir erfahren zu kommen ist zwar fünfmal höher als IS-Terroristen, den Taliban, al-Qaida, rorismus politisch instrumentalisiert und Erdoğan sind dafür unrühmliche aber auch, dass es Terroranschläge in von einem Blitz erschlagen zu werden. Boko Haram und anderen Terrororga- wird, liefert die Türkei. Journalisten, Beispiele. London, Paris, Berlin und in anderen Aber die Wahrscheinlichkeit, Opfer ei- nisationen mit seiner Politik und Rhe- Künstler, Anwälte, Menschenrechtler, westlichen Städten gibt. Der Terroris- ner nicht-terroristischen Gewalttat zu torik so vorzüglich in die Hände wie Lehrer, Beamte – die Liste jener ist lang, Reinhard Baumgarten ist mus hat uns voll im Grif , möchte man werden ist  Mal höher, und jene, bei Donald J. Trump. Der . US-Präsident die heute im Reich Erdoğans unter dem langjähriger ARD-Nahost-Korres- meinen. Wähler nennen bei Befragun- einem Sportunfall ums Leben zu kom- bedient mit seiner durch persönliche Vorwand, Terroristen zu sein oder sie pondent und zurzeit tätig für SWR gen vor Urnengängen das Thema Si- men, sogar  Mal höher. Interessen getriebenen, politisch unre- zu unterstützen, eingekerkert sind. FS–Ausland

Das vorhandene Potenzial entfalten

Zur Zukunft des Hoch- regulären Professorenstellen an den Solche Programme erfordern jedoch ne- Sektor wird jedoch der notwendige Ka- kann, werden die jungen Leute ins schulsystems in Indien Universitäten vakant, an einzelnen ben sorgfältiger Konzeption auch große pazitätszuwachs im Hochschulbereich Ausland abwandern. Die Bereitschaft, Hochschulen gar bis zu  Prozent. Das fi nanzielle Mittel, die dann an anderer nicht zu stemmen sein, noch dazu, da in Bildung zu investieren, ist in der betrif t auch die renommierten Institu- Stelle fehlen. »Equity and Excellence« – Indien nicht bereit ist, seinen Markt wachsenden Mittelschicht groß, und HEIKE MOCK tionen wie die Indian Institutes of Tech- Gleichberechtigung und Exzellenz – ist für ausländische Anbieter zu öf nen. so steigt angesichts fehlender Studi- nology (IIT) oder die großen staatlichen das Motto des Bildungsministeriums.  wird Indien vermutlich die dritt- enplätze im Inland das Interesse an ei- as indische Hochschulsystem ist Universitäten. Ein wesentlicher Grund Mit dem seit Jahren stagnierenden Bud- größte Weltwirtschaft sein. Die Wachs- nem Studium – und einer Karriere – im mit  Universitäten und fast hierfür ist, dass Indien über Jahrzehnte get für die Hochschulbildung wird sich tumszahlen liegen konstant über sieben Ausland: Zwischen  und  stieg D . Colleges sowie  Mil- versäumt hat, seinen eigenen wissen- nicht beides umfassend verwirklichen Prozent und die Regierung versucht die Zahl der indischen Studierenden im lionen Studierenden eines der größten schaftlichen Nachwuchs heranzubilden. lassen. mit tiefgreifenden Reformen und groß Ausland um  Prozent. der Welt. Angesichts des ehrgeizigen Die Zahl der Promotionen lag jahrelang Abseits der Probleme der staatli- angelegten Kampagnen das Land zu Wenn Indien also sein zweifellos Ziels der Regierung, die Studierenden- mit durchschnittlich . pro Jahr chen Institutionen hat sich derweil einem attraktiven Standort für aus- vorhandenes Potenzial entfalten will, rate in der Gruppe der - bis -Jäh- sogar unterhalb derer in Deutschland. ein großer privater Hochschulsektor ländische Investitionen in Produktion, muss es sich intensiv um seinen Hoch- rigen von derzeit  Prozent bis  Zum akuten Mangel an qualifi ziertem etabliert. Ungefähr ein Drittel der Uni- Dienstleistungen sowie für Forschung schulsektor kümmern. Sonst läuft das auf  Prozent steigern zu wollen und Personal kommen administratives Ver- versitäten sowie über  Prozent der und Entwicklung zu verwandeln. Hier- Land Gefahr, seine klugen Köpfe zu somit breiteren Schichten den Zugang sagen und regulative Aufl agen, die den Colleges sind privat fi nanziert, mehr als für werden dringend gut ausgebildete verlieren und damit seine notwendige zu Hochschulbildung zu ermöglichen, Hochschulen die Besetzung von Stellen  Prozent aller Studierenden sind dort Fach- und Führungskräfte gebraucht. Entwicklung zu gefährden. müssen jedoch weiter enorme Kapazi- erschweren. eingeschrieben. Die qualitativen Un- Zusätzlich steigt der Druck aus der täten aufgebaut werden. Hinzu kommt Die Regierung versucht, mit einer terschiede zwischen den Institutionen Gesellschaft, die ein größeres Angebot Heike Mock leitet die Außenstelle des die demografi sche Situation mit einer Reihe von Maßnahmen gegenzusteu- sind groß, das gilt jedoch auch für den an qualitativer Ausbildung einfordert. Deutschen Akademischen Austausch- noch auf Jahre wachsenden, sehr jun- ern. Insgesamt lässt die derzeitige staatlichen Bereich. Ohne den privaten Wenn die Regierung dies nicht leisten dienstes (DAAD) in Neu-Delhi gen Bevölkerung. indische Hochschulpolitik jedoch ein umfassendes, zielorientiertes Konzept zur Weiterentwicklung des Hochschul- Wenn die Regierung sektors vermissen. Gut gemeinte Initia- die Ausbildung nicht tiven verpuf en oft ohne nachhaltigen Ef ekt oder widersprechen sich in ihren verbessert, werden Zielrichtungen. So wurde etwa Anfang die jungen Leute ins des Jahres verfügt, dass ab kommendem Ausland abwandern Studienjahr Professorinnen und Profes- soren nur noch eine regulierte Anzahl von Studierenden betreuen dürfen. Das Dabei ist das Hochschulsystem in den hat zu einem teils drastischen Rückgang letzten Jahren bereits exponentiell ge- an Studienplätzen für Masterstudie- wachsen. Seit  hat sich die Zahl der rende und Promovenden geführt, was Universitäten um mehr als  Prozent nicht nur im Gegensatz zur generellen erhöht, die Zahl der Colleges beinahe Intention steht, mehr Studienplätze zu verdoppelt. Doch die anvisierte Erhö- schaf en, sondern auch zum eigentlich hung der Studierendenrate bedeutet dringend benötigten, höheren Output eine Steigerung der Gesamtzahl der an wissenschaftlichem Nachwuchs. Studierenden von jetzt rund  auf etwa Zu den nachhaltigeren Maßnahmen  Millionen im Jahr , und so ist zählen die Einführung eines nationa- mindestens eine weitere Verdoppelung len Rankings sowie ein geplantes Son- der Kapazitäten notwendig, selbst wenn derprogramm, das  ausgewählten man die Möglichkeiten der Digitalisie- Hochschulen ermöglichen soll, sich rung des Studiums miteinbezieht. mit zusätzlichen Mitteln und weitge- Der starke Ausbau des Hochschul- hender Autonomie zu »Weltklasse-Uni- sektors stellt die indische Regierung vor versitäten« zu entwickeln. Mangelnde enorme Herausforderungen. Neben der Forschungsorientierung und Internati- of ensichtlichen Frage der Finanzierung onalität sind wesentliche Gründe dafür, ist insbesondere die Qualitätssicherung dass es derzeit kaum eine der indischen der Lehre problematisch. Bereits jetzt Institutionen in die internationalen PANDIT / DAAD FOTO: sind im Durchschnitt  Prozent aller Rankings schaf t. Studienberatung: Deutschland als Studienort erfreut sich bei indischen Studierenden zunehmender Beliebtheit 16 ROTE LISTE www.politikundkultur.net

Mit der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen, einer Analogie zu den GEFÄHRDUNGSKATEGORIEN bekannten »Roten Listen« bedrohter Tier- und Pfl anzenfamilien, werden in jeder Ausgabe gefährdete Kulturinstitutionen, -vereine und -program- Kategorie  Gefährdung aufgehoben/ungefährdet Die me vorgestellt. Ziel ist es, auf den Wert einzelner Theater, Museen oder Orchester, seien sie Teil einer Kommune oder einer Großstadt, hinzuwei- Kategorie  Vorwarnliste sen und exemplarisch Probleme bei der Kulturfi nanzierung aufzuzeigen. Oft wird die Bedeutung einer kulturellen Einrichtung den Nutzern erst Kategorie  gefährdet durch deren Bedrohung deutlich. Erst wenn Empörung und schließlich Protest über mögliche Einschnitte oder gar eine Insolvenz entstehen, Kategorie  von Schließung bedroht Rote wird den Verantwortlichen bewusst, wie stark das Museum, Theater oder Orchester mit der Struktur und der Identität des Ortes verbunden ist. Kategorie  geschlossen Diesen Bewusstseinsprozess gilt es anzuregen. Politik & Kultur stellt dazu die Arbeit einzelner Einrichtungen vor und teilt sie ein in Gefährdungs- Benachrichtigen Sie uns über die Lage Ihnen bekannter Kultureinrich- kategorien von  bis . Ob und welche Veränderungen für die vorgestell- tungen! Senden Sie uns dazu Ihre Vorschläge an info@politikundkultur. Liste ten Einrichtungen eintreten, darüber werden wir Sie fortlaufend informieren. net.

BRÜCKE/MOSTSTIFTUNG, DRESDEN, SACHSEN MUSEUM , JENACOSPEDA, THÜRINGEN BISHER VORGESTELLTE • Gründung: . August  • Gründung: Neueröf nung Mai  GEFÄHRDETE • Tätigkeitsfeld: Stiftung • Tätigkeitsfeld: Museum INSTITUTIONEN • Finanzierung: Zinserträge (Eigenmittel), Projektförderungen, Spenden • Finanzierung: Verein, Eintrittsgelder Institution, Aktuelle • Homepage: www.bmst.eu • Homepage: www.jena.de Bundesland Gefährdung ------( ) = bei Erst- aufnahme

Bühne der Kulturen, Köln, () NRW

Zeicheninstitut der Universität Tübingen, Baden- () Württemberg

Musical Theater, Bremen ()

FOTO: FRANK HÖHLER Das Theater der  FOTO: GÜNTHER QUEISSER  Keller Köln, NRW () Die Brücke/Most-Stiftung beendet zum Jugend- und Erwachsenenbildung sowie Das Museum  in Jena-Cospeda in zur militärgeschichtlichen Forschung Filmdienst, . Dezember  ihre operative Tätig- im Betrieb einer Bildungs- und Begeg- Thüringen muss sich um seine Zukunft Jena  e.V«., der vom Stadtmuseum Magazin für Kino () keit. Seit  Jahren setzt sie sich für das nungsstätte. Als einer von wenigen an- sorgen. Sich verändernde Bedingungen Jena bei der Organisation unterstützt und Filmkultur, Ziel ein, die Verständigung und Zusam- erkannten Trägern der Bundeszentrale wie etwa die Einführung des Mindest- wird. Durch die Einführung des Min- Bonn, NRW menarbeit zwischen Deutschland und für politische Bildung in Sachsen ist lohns machen es dem Museum schwer, destlohns sei es nun nicht mehr mög- Kunsthistorisches den ostmitteleuropäischen Staaten zu die Stiftung in zahlreichen regionalen sich weiter fi nanziell zu behaupten lich, viele Arbeitsstunden zu bezahlen, Institut, Univer- () unterstützen und zu fördern. Aufgrund und überregionalen Gremien vertre- und die Qualität seiner Arbeit auf- so Vereinsvorsitzender Michael Rauch. sität Osnabrück, Niedersachsen gesunkener Zinserträge und fehlender ten. Während das Tagungszentrum in rechtzuerhalten. Die Einrichtung ist Ehrenamtliche übernehmen zurzeit den institutioneller Förderungen, unter Dresden seinen Betrieb bereits zum . der historischen Schlacht bei Jena und Großteil der Arbeit im Museum. Daher Seume-Haus anderem durch den Freistaat Sachsen, August einstellte, werden die übrigen Auerstedt am . Oktober  gewid- sieht Rauch als Lösung nur eine höhere (Museum Göschenhaus), () ist die Fortführung der operativen Tä- Arbeitsbereiche zum . Dezember be- met, bei der sich insgesamt . fi nanzielle Beteiligung der Stadt. Deren Grimma, Sachsen tigkeit nicht möglich: Damit sind die endet. Ihr Stipendienprogramm – ge- Soldaten von Frankreich und Preußen Zuschuss für den Verein und damit für seit  stattfi ndenden Tschechisch- meinsam mit dem Deutschen Akade- und deren jeweiligen Verbündeten das Museum beläuft sich zurzeit auf Theatermuseum Deutschen Kulturtage in Dresden, Ústí mischen Austauschdienst (DAAD) – zur gegenüberstanden. Und die schwere . Euro, benötigt würden hinge- Düsseldorf, NRW () n.L. und der Euroregion Elbe/Labe stark Förderung tschechischer und slowaki- Verwüstungen in weiten Teilen Thü- gen . Euro. gefährdet. Weitere Schwerpunkte der scher Studierende der Dresdner Mu- ringens zur Folge hatte. Betreiber des Thomas Mann Stiftungsarbeit lagen in der politischen sikhochschule soll fortgeführt werden. Museums  ist der Verein »Institut Villa, Los Angeles, () USA

Schloss KULTURINSEL, STUTTGART, MUSIKSCHULE WALDACHTTAL, Freienwalde, Bad Freienwalde, () BADENWÜRTTEMBERG BADENWÜRTTEMBERG Brandenburg

• Gründung:  • Gründung:  Gerstäcker- Museum, • Tätigkeitsfeld: freier Projektraum • Tätigkeitsfeld: Musikschule Braunschweig, () • Finanzierung: private Spenden • Finanzierung: Gemeinde Waldachttal Niedersachsen • Homepage: www.kulturinsel-stuttgart.org • Homepage: www.waldachtal.de/gemeindeleben/freizeitbildung/ musikschule-waldachtal-id_ Eldorado-Kino, München, Bayern () ------

Haus Peters Tetenbüll, () Schlw.-Holst.

Hamburger Stadtteilkultur, () Hamburg

Mutter-Museum, Amorbach, () Bayern

Forum Konkrete Kunst Erfurt, () Thüringen FOTO: ILKAY KARAKURT FOTO: MUSIKSCHULE WALDACHTTAL Acht Brücken –   Musik für Köln, () Mit der Kulturinsel haben sich die Stutt- bis hin zu Musikveranstaltungen. Da- Am . September dieses Jahres wurde native«, äußerte sich Bürgermeisterin NRW garter eine kleine Utopie geschaf en: Ein bei verlangt das stetige Anwachsen die kommunale Musikschule Waldach- Annick Grassi zum Entschluss. Zurzeit freier, grüner, kultureller Projekt- und der Kulturinsel nach professioneller tal in Baden-Württemberg geschlossen. läuft der Musikunterricht mit den zwölf Kunstfest Weimar, () Begegnungsraum mitten in der Stadt. Organisation und Verwaltung, die fi - Diesen Beschluss hatte der Gemeinde- Lehrerinnen und Lehrern auf Honorar- Thüringen  wurde eine vermüllte Brachfl äche nanziert werden muss. Die Kulturinsel rat bereits im Dezember  gefasst. basis weiter, sodass wenigstens privat in eines der ersten Urban-Gardening- erhält keine fi nanzielle Förderung durch Da die Gemeinde höhere Ausgaben als weiterhin die Möglichkeit für Kinder Musikhochschule Projekte Stuttgarts verwandelt. Aus dem die Stadt, sondern fi nanziert sich aus- Einnahmen verzeichnet, sind Einspa- und Jugendliche aus Waldachtal be- Trossingen, Ba- () den-Württemberg Stadtgarten Inselgrün und dem umge- schließlich über private Spenden. Ein rungen und Kürzungen prioritär. Der steht, ein Musikinstrument unter pro- benden Gelände des Club Zollamt-Areals großer Spender fällt dieses Jahr weg, was Zuschuss zur Musikschule wurde bis- fessioneller Anleitung zu erlernen. Projekte + Struk- in Stuttgart-Bad Cannstatt wurde bald die Kulturinsel in fi nanzielle Bedrängnis lang von der Gemeinde erbracht, der turen der kultu- rellen Bildung () ein Ort, an dem die verschiedensten ur- bringt. Daher wurde eine Crowdfunding- Bedarf stieg in den letzten Jahren aber an hessischen banen und (sub-)kulturellen Projekte Kampagne gestartet, bei der bis Redakti- stetig an. Die Arbeitsverträge der Mu- Schulen

verwirklicht werden können: von Thea- onsschluss bereits . Euro von benö- siklehrerinnen und Musiklehrer wurden Die vollständige Liste fi nden Sie unter terinszenierungen über Ausstellungen tigten . Euro gesammelt wurden. daher gekündigt. »Es gibt keine Alter- www.kulturrat.de/themen/rote-liste-kultur/ Politik & Kultur | Nr. /  | November— Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 17 FOTO: PICTURE ALLIANCE / SAMMLUNG RICHTER SAMMLUNG / ALLIANCE PICTURE FOTO: »Ansichten eines Clowns«,  Mahner, Erinnerer, Aufrüttler, Kämpfer Heinrich Böll – ein bemerkenswerter Schriftsteller

OLAF ZIMMERMANN schichten verdichten Not und Elend, Beispiel Alexander Solschenizyn zeigt, auch dazu beitrug, dass sich Künstler und integer war sein Engagement. Sein Trümmer und Zerstörung, aber vor al- keineswegs mit ihnen politisch in allem in Verbänden zusammenschlossen und Mahnen für den Frieden ist ebenfalls einrich Böll gehört zur lem auch die moralischen Zweifel und übereinstimmte. Im ehemaligen Ferien- für ihre Rechte eintraten. Nicht zuletzt heute noch so aktuell wie zu Beginn Generation jener Autoren, die Leere nach zwölf Jahren Faschismus. haus der Familie Böll in Langenbroich ist die Gründung des Deutschen Kultur- der er Jahre. deren Leben und Schreiben Böll blieb mit seinem Werk aber nicht wird dieses Vermächtnis fortgeführt. rates Anfang der er Jahre in diesen Böll bezog noch zu weiteren politi- von erlebtem Krieg und Zer- in der unmittelbaren Nachkriegszeit Er suchte den Kontakt zu Autoren und Kontext einzuordnen. schen Themen Stellung. Dabei war er Hstörung, von Entbehrung und Leid, von stehen. Er grif immer wieder zeitge- anderen Künstlern hinter dem Eiser- stets auf der Seite der Schwachen und politischen Auseinandersetzungen und schichtliche Ereignisse und Phänomene nen Vorhang, welche die politischen derjenigen, die sich für andere und die Streit der Nachkriegszeit geprägt war. auf. So ist seine Erzählung »Die verlore- Verhältnisse kritisierten und für Mei- Gesellschaft einsetzten. Er zählt zu jenen, die das Erlebte nicht ne Ehre der Katharina Blum«, erschie- nungs- und Kunstfreiheit eintraten. Er Heinrich Böll zählt zu nur künstlerisch verarbeiteten, sondern nen im Jahr , eine Verarbeitung der hielt dabei seine Meinung nicht hinter jenen, die das Erlebte Bölls Werke als Inspiration auch politisch Stellung nahmen. Darum Erfahrungen seines Sohnes Raimund dem Berg zurück. ist für mich der Schriftsteller Heinrich Böll, der in das Netz der Terrorfahn- Als seinerzeit bereits bedeutender nicht nur künstlerisch Heinrich Bölls Werke haben viele Dreh- Böll nicht vom politischen Menschen dung nach Mitgliedern der RAF geriet Autor hat er auf dem Schriftsteller- verarbeiteten, sondern buchautoren und Regisseure inspiriert, und Aktivisten zu trennen. und der ebenso wie Heinrich Böll auf kongress im Jahr  das »Ende der auch politisch Stellung weshalb die Bilder in diesem Schwer- das Übelste von der Bild-Zeitung ver- Bescheidenheit« ausgerufen und Au- nahmen punkt Szenen von Filmen zeigen, die leumdet und geschmäht wurde. Welche toren aufgefordert, sich für ihre Rechte auf Erzählungen oder Romanen von Böll, der Literat tiefen Wunden diese – auch publizis- einzusetzen und für eine angemessene Heinrich Böll basieren. Für viele jüngere Menschen ist Hein- tische – Verfolgung bis heute reißt, Vergütung zu streiten. Er gehört damit Heinrich Böll wäre am . Dezember rich Böll inzwischen Geschichte. Er ist kommt im Interview mit René Böll in mit vielen anderen zu den Wegberei- Heinrich Bölls Engagement erstreckte dieses Jahres  Jahre alt geworden – unzweifelhaft ein Autor des . Jahr- diesem Schwerpunkt zum Ausdruck. tern einer sozialen Absicherung frei- sich aber nicht nur auf die Verbesse- Zeit, an diesen bedeutenden deutsch- hunderts und zwar nicht nur, weil dies Die Bedeutung Heinrich Bölls er- berufl icher Künstler und Publizisten. rung der Lage der eigenen Zunft. Böll sprachigen Schriftsteller zu erinnern. seine Lebenszeit war, sondern auch, schöpft sich aber nicht in seinem li- Im Jahr  veröffentlichten Karla gehört zu jenen glaubwürdigen und Mein Dank gilt René Böll für die Ge- weil die Themen seiner Werke zeitge- terarischen Werk. Auch wenn er zwei- Fohrbeck und Andreas Wiesand den wichtigen Streitern für Frieden und spräche und Hinweise zur Vorbereitung schichtlich geprägt sind. Seine Themen felsohne zu den bedeutenden deutsch- »Autorenreport« und belegten damit Versöhnung. In mein Gedächtnis ha- des Schwerpunktes. Ebenso möchte ich sind die Menschen in ihrer Zeit – ihr sprachigen Nachkriegsautoren des . empirisch die soziale und wirtschaftli- ben sich die Bilder eingebrannt, wie der Karl Karst vom WDR herzlich danken, Leben, ihre Unzulänglichkeiten, ihr Jahrhunderts zählt und mit dem Lite- che Not von Autoren. Die seit mehr als schon gebrechliche Heinrich Böll zu der den Hausautoren Heinrich Böll Überlebenskampf. Diese Fragestellun- raturnobelpreis geehrt wurde.  Jahren existierende Künstlersozial- den Blockierern von Mutlangen gehörte nicht nur im Kulturprogramm des WDR gen verhandelt Heinrich Böll in seiner kasse geht auch auf das Engagement und mit körperlichem Einsatz gegen entsprechend würdigt, sondern bei der unverwechselbaren lakonischen Spra- von Autoren wie Heinrich Böll zurück, die Nachrüstung, den Nato-Doppelbe- Erstellung dieses Schwerpunktes mit Der politische Böll che, deren Sprachwitz und feine Ironie die sich mutig und streitbar für besse- schluss, eintrat. Heinrich Bölls Enga- Rat und Tat zur Seite stand. in den Bann ziehen. Heinrich Böll war zugleich ein eminent re Arbeitsbedingungen und die soziale gement für den Frieden war getragen Erstes Thema des Autors Heinrich politischer Mensch. Er setzte sich für Absicherung der Schriftstellerkollegen von seinen eigenen Erfahrungen im Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer Böll war die unmittelbare Nachkriegs- verfolgte Autoren ein und öf nete ih- einsetzten. Dieses geschah in einem Zweiten Weltkrieg und der unmittel- des Deutschen Kulturrates und Heraus- zeit. Seine Erzählungen und Kurzge- nen sein Haus, auch wenn er, wie das politischen Klima des Aufbruchs, das baren Nachkriegszeit. Glaubwürdig geber von Politik & Kultur 18  JAHRE HEINRICH BÖLL www.politikundkultur.net

Ein wichtiger Autor Heinrich Böll war für funk von anderen Massenmedien, die Generationen prägend vor allem nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktionieren. Medienkritik übte Böll nicht nur in TOM BUHROW der bereits erwähnten Arbeit »Doktor Murkes gesammeltes Schweigen«, son- n der heutigen Medienwelt kann dern auch in der Erzählung »Die verlo- man nur noch schwer nachvollzo- rene Ehre der Katharina Blum oder: Wie I gen, welche Bedeutung der Hörfunk Gewalt entsteht und wohin sie führen für das junge Nachkriegsdeutschland kann«. Diese Erzählung wurde beeindru- hatte. Das Radio war Informations- ckend von Volker Schlöndorf und Mar- quelle, Unterhaltungsmedium und Ort garethe von Trotta mit Angela Winkler der Kunst. Der Literaturnobelpreisträ- in der Hauptrolle verfi lmt. Der WDR hat ger Heinrich Böll war dem in Köln be- diesen Film mitproduziert. heimateten WDR in besonderer Weise Was würde Böll zur heutigen Ver- verbunden. vielfachung der Verbreitungswege von Inhalten sagen? Und zur Konkurrenz von öf entlich-rechtlichen und kommerziel- Was würde Böll zur len Medien sowie zum Streit zwischen heutigen Medienwelt Printmedien und Rundfunkanstalten? sagen? Und was zur kaum überschaubaren Men- ge von »Gatekeepern« im Netz? Die früher sehr überschaubare Me- Heinrich Böll war für den WDR journa- dienwelt ist längst einer Vielfalt von An- listisch tätig und er gehörte zu den wich- bietern und Plattformen gewichen. Für tigen Hörspielautoren der Nachkriegs- viele Nutzer wird es immer schwieriger, zeit. Der Hörfunk, speziell der WDR und die Angebote exakt einzuordnen und sein Vorläufer, der NWDR, waren für zu bewerten. Böll ein wichtiger Auftraggeber. Noch Für den öf entlich-rechtlichen Rund- bevor Böll mit seinen Kurzgeschichten funk besteht die Herausforderung da- und Erzählungen der schriftstellerische rin, neben seinen bisherigen Ausspiel- Durchbruch gelang, war er als Hörfunk- wegen auch im Netz Zuhörer und Zu- autor erfolgreich. schauer zu erreichen, um seinem Auf- Böll schonte dabei seinen Auftrag- trag, Information, Bildung, Unterhaltung geber nicht. In seiner Kurzgeschichte und Kultur zu vermitteln, auch weiterhin »Doktor Murkes gesammeltes Schwei- in angemessener Weise nachzukommen. gen«, die das Kulturradio WDR  am

Abend seines Geburtstags im Kölner Tom Buhrow ist Intendant des RICHTER SAMMLUNG / ALLIANCE PICTURE FOTO: Funkhaus live auf ühren wird, setzte er Westdeutschen Rundfunks  verfi lmte Völker Schlöndorf »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« mit Angela Winkler und Mario Adorf sich literarisch mit der Kontinuität im deutschen Rundfunk und der Intellek- tuellenszene im Nachkriegsdeutschland B rief von Heinrich Böll scheint doch, dass die Theorie Traum daran dachten, je von Bü- gehören zum Stadtbild auseinander. Mit den Mitteln der Kunst an Hanns Hartmann (damaliger vom Fußball als Massenwahn zu- chern leben zu können, was hätten wie früher kritisierte er, dass so mancher  vom Intendant des WDR) vom tref ender ist, als ich glaubte. (…) wir ohne den Rundfunk gemacht, bevor die Preußen kamen »Saulus zum Paulus« wurde und Karriere . März  Mit vorzüglicher Hochachtung bin der uns frei arbeiten ließ und doch die des Doms auch im Rundfunk machen konnte. Auch »Sehr geehrter Herr Intendant, ich Ihr ergebener Heinrich Böll« das Leben ermöglichte?« der WDR war, wie allseits bekannt sein nach mancherlei Überlegungen, Historisches WDR-Archiv, In: Böll, Heinrich: Feindbild und Frie- St. WDR dürfte, nicht frei von solchen Karrieren. und nachdem ich ein wenig mich Signatur  den. Schriften und Reden der du für uns gebaut hast Bölls scharfer Blick auf die bundes- mit Fußballmentalität und -milieu -. München . S.  heiliger Lärmkotzer republikanischen Verhältnisse, der oft befasst habe, kommen mir doch B öll, Heinrich: Was uns Vertreiber in die Form der Satire gekleidet wur- starke Bedenken, ob ich geeignet Autoren fehlt, ist Stolz G edicht: Köln III - Spaziergang Unruhestifter de, fand im WDR einen Partner, dessen bin, den mit Ihnen besprochenen »Spät, aber immerhin an dieser Stel- am Nachmittag des Pfi ngstsonn- ruhelos Grundverständnis davon geprägt ist, Auftrag auszuführen. (…) Denn ich le möchte ich mich hier für die Art tags . Mai  himmelstrebig …« dass der öf entlich-rechtliche Rund- fi nde keinen anderen Zugang zu der Förderung durch den Rundfunk »... und der WDR In: Böll, Heinrich: Werke, Hörspiele, funk einen wichtigen Beitrag zur De- diesem Stof als den satirischen, bedanken, die wir, aus meiner Al- unverkennbar Theaterstücke, Drehbücher, Gedich- mokratie leistet. Dieses Verständnis der und ich fürchte, dass Ihnen an tersklasse, erfahren haben. Von Eich baut er ewig für ewig te I. -. Herausgegeben von Gründungsjahre hat von den Lebzeiten einer konsequent durchgeführten bis Schnurre, von Lenz bis Aichinger, das hat er vom Dom gelernt Bernd Balzer. Kiepenheuer & Witsch, Heinrich Bölls bis heute nicht an Aktu- Fußballsatire wenig liegt. (…) Mir was hätten wir alle, die wir nicht im die Baukräne des WDR S. - alität eingebüßt. Damit unterscheidet sich der öf entlich-rechtliche Rund-

ZEITLICHER ÜBERBLICK: HEINRICH BÖLL  EINIGE LEBENSDATEN

Gründungsversammlung des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS): Rede zum »Ende der Bescheidenheit« Beginn des Studiums der Carl-von-Ossietzky-Medaille Germanistik & der Internationalen Liga für Wiederaufnahme des Klassischen Philologie Menschenrechte Studiums, intensive an der Universität Köln; schriftstellerische Einladung zur . Tagung Einberufung in die Anschließen an private Hilfsorganisation Tätigkeit der Gruppe : Lesung Wehrmacht der Satire »Die schwarzen zur Rettung vietnamesischer Flüchtlinge; Wahl zum Präsiden- Schafe« & Gewinn des Ablehnung des Bundesverdienstkreuzes ten des westdeut- Preises der Gruppe  schen & internatio- nalen P.E.N.-Zent- Austritt aus der Heirat mit Annemarie Čech Vertrag mit rums katholischen Kirche; Tod am . Juli in Kreuzau- Verlag & erste Herausgeberschaft der Abitur & Beginn einer Zeitschrift »L ‘« mit Langenbroich Buchveröf entlichung Ansprache bei Veranstaltung Buchhändlerlehre Entlassung aus Günter Grass & Carola Stern »Der Zug war pünktlich« gegen die geplanten Notstands- US-amerikanischer gesetze; Einladung in die ČSSR: Kriegsgefangenschaft Zeuge der Zerschlagung des Prager Frühlings Nobelpreis für Geburt am Literatur . Dezember in Köln

          /      Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 19

Er suchte stets die Auseinandersetzung Eine Annäherung an Heinrich Bölls Leben und Wirken

TERRY ALBRECHT und Zeit hatte. Im Krieg heiratete er Wiederaufbaus, wo breite Schneisen die Rechtsprechung für die Mitglieder der Niederschlagung des Prager Früh- Annemarie Čech. Ihr sind die meisten durch die Stadt geschlagen wurden, der »Roten Armee Fraktion« genauso lings aus der Tschechoslowakei eine ine Autobiografi e hat Heinrich seiner Briefe gewidmet, auch der, in um dem Autoverkehr Vorrang zu geben. zu gelten habe wie für jeden anderen Dissidentin in seinem PKW über die Böll nie geschrieben. Der Typ dem er schreibt, er sei ein »Künstler im Den Versuch, Köln »zu dynamisieren«, Bürger der Bundesrepublik und damit Grenze. Die physische Teilnahme am Mensch, der in direkter Weise Herzen«. Mehrfach wurde er verwundet nannte er das. Dass seine Stimme zu bestimmte Hetzmedien gezielt angrif , gesellschaftlichen Prozess, selbst als er von sich erzählen würde, war und kam nach einer kurzen Kriegsge- dieser Zeit im Wirtschaftswunder- kamen die Angrif e auf ihn zurück wie schon sehr von Krankheit gezeichnet Eer nicht. Es existiert aber trotzdem fangenschaft nach Köln zurück. Trotz land der er bis Ende der er ein Bumerang. Böll wurde selbst des war, war für ihn selbstverständlich. Sei- eine längere autobiografi sche Schrift der Befreiung hat er zumindest kör- Jahre nur wenig Gehör fand, war ihm Terrorismus verdächtigt und mehr- ne warme dunkle Stimme auf den Frie- von Böll und das hat mit dem Litera- perlich zu dieser Zeit einen Tiefpunkt klar. Zunehmend von verschiedenen fach wurde sein Haus von der Polizei densdemonstrationen der er Jahre turkritiker Marcel Reich-Ranicki zu erreicht. Ausgebombt und mittellos Krankheiten gezeichnet, wurde Böll durchsucht. In Briefen an ihn wurde ist vielen noch im Ohr. Der Schriftstel- tun. Beide verband eine langjährige musste sich das junge Ehepaar durch- aber zu der kritischen intellektuellen gefordert, er gehöre an die Wand ge- lertypus des politischen Anregers wie Freundschaft, gefolgt von einer län- Stimme der Bundesrepublik. Der »gute stellt und erschossen. Ein Trauma, Böll ihn darstellte, ist weitgehend aus geren Zeit der Abneigung. Böll, der sich Mensch von Köln« oder das »Gewissen nicht nur für ihn, sondern für die ganze dem Gesellschaftsbild verschwunden. seit dem Zweiten Weltkrieg für einen der Nation« waren Bezeichnungen, mit Familie Böll. Böll aber blieb unbeirrt, Eingetreten ist aber, was Heinrich Böll Ost-West-Austausch engagierte, setz- Der Schriftstellertypus denen ihn nicht nur Hilfesuchende ti- setzte sich weiterhin für die »Freiheit wie kein anderer bundesdeutscher Au- te sich auch für den aus Polen stam- des politischen tulierten. Böll wehrte sich dagegen, zog der Kunst« und eine demokratische tor angeregt hat: Organisationen, die menden Reich-Ranicki ein, als dieser Anregers ist aus dem sich oft spontan in seine zweite Heimat, Gesellschaft ein, ohne sich parteipo- durch sein Wirken angeregt wurden zu Beginn der er Jahre in die Bun- Gesellschaftsbild nach Irland, zurück, wo er mit seiner litisch zu binden wie Günter Grass. Die wie die Künstlersozialkasse, die Flücht- desrepublik kam. Kurz darauf wurden Familie schon in den er Jahren ein Freundschaft zu Willy Brandt nutzte lingshilfe, Greenpeace oder zahlreiche beide ein fester Bestandteil der Gruppe verschwunden kleines Haus gekauft hatte. Auch der er, um eine Annäherung an die osteu- Stiftungen – allen voran die Heinrich- : Böll als Schriftsteller, Reich-Ranicki Nobelpreis für Literatur, , mach- ropäischen Staaten zu erzielen. Böll Böll-Stiftung. als Literaturkritiker. Besprach Reich- te Böll nicht zum Grandseigneur der gab nicht nur in seiner Literatur den Ranicki Bölls frühe Bücher noch positiv, schlagen. Zunächst bedeutete das ein deutschen Literatur, wie ihn Thomas Schwachen und Verfolgten eine Stim- Terry Albrecht ist Literaturwissen- so wurde er im Laufe der Jahre zu Bölls Leben in Trümmern, existieren von Mann repräsentierte. Als er in einem me, er gab ihnen auch in praktischer schaftler und Hörfunkjournalist stärkstem Kritiker – bis es schließlich dem, was der Schwarzmarkt hergibt, Essay für den Spiegel dafür eintrat, dass Weise ein Geleit. So schleuste er bei des WDR Ende der er Jahre zum Zerwürfnis z. B. dem »Fringsen«, dem Kohlenklau der beiden kam. Umso überraschter war von Güterzügen, das der Kölner Kardi- Böll, als Reich-Ranicki ihn Anfang der nal Frings sanktioniert hatte. Rückbli- er Jahre einlud, einen längeren ckend sagt Böll über diese Zeit, es sei Text für die Anthologie »Meine Schul- keine »Stunde Null« gewesen, die in ih- zeit im Dritten Reich« zu schreiben. rer Bezeichnung die Hof nung auf den Aus diesem Anlass schrieb Heinrich Neuanfang mitschwingen lässt, viel- Böll  den Text »Was soll aus dem mehr ein Gefühl von Leere und Nichts, Jungen bloß werden? – Oder: Irgend- das den Alltag in Trümmern bestimmte. was mit Büchern«. Auf diese Weise ent- Die Möglichkeit vom Schreiben leben stand Heinrich Bölls Erfahrungsbericht zu können, zeichnete sich zunächst über seine Kindheit, Jugend und das nicht ab. Zumal sein Lebensthema, der Soldatenleben in der Zeit des Natio- Krieg und die Erfahrungen, die er dort nalsozialismus. gemacht hatte, keiner hören wollte. Heinrich Bölls Vater, Viktor, war Böll fand für diese Texte keinen Verlag, Schreiner und Bildschnitzer in Köln. was ihn zu der Aussage brachte, dass Noch heute fi nden sich Holzbänke aus »keine Sau« etwas von ihm lesen wol- seiner Werkstatt in Kölner Kirchen und le. Schließlich nahm Annemarie Böll dem Umland. Die Mutter, Maria, war ihre Tätigkeit als Grundschullehrerin eine zur Schwermut neigende und sehr wieder auf und brachte die mittler- liebevolle Frau. Mehr noch als der Vater, weile fünfköpfi ge Familie durch. Mit prägte sie das jüngste der sechs Kinder. Aufträgen für Zeitungsrezensionen Sie war es auch, die schon früh die Ge- und Arbeiten für den Hörfunk konn- fahr des aufkommenden Nationalsozi- te Heinrich Böll allmählich auch ein alismus erkannte: Das bedeute Krieg. wirtschaftliches Standbein aufbau- Die Eltern waren tief im katholischen en. Zudem unterstützte er seine Frau Glauben verwurzelt. Es hat in ihrem Fall bei Übersetzungstätigkeiten aus dem den inneren Widerstand gegen den Na- Englischen wie dem Roman »Der Fän- tionalsozialismus gestärkt und auch die ger im Roggen«. Eine Wende hin zum Haltung der Söhne geprägt. Heinrich künstlerischen und wirtschaftlichen Böll wurde kein Mitglied der NSDAP. Erfolg zeichnete sich erst ab, als Böll, in Anlehnung an die amerikanische Short Story, die Kurzgeschichte als Erzähl- Böll war schon früh ein form für sich entdeckte. Diese Erzäh- lungen, die meist vom Leben nach dem Außenseiter, der die Krieg erzählen, trafen die Alltagser- Auseinandersetzung fahrungen der Menschen und wurden mit den Kindern aus schnell populär. Es dauerte aber noch bis zum Jahr , als Böll mit der Er- der Arbeiterschaft zählung »Die schwarzen Schafe« den suchte Preis der Gruppe  gewann und einen Grundstein für seine Entwicklung zum erfolgreichen Autor legen konnte. Von Zwar einer Familie zugehörig, die seinem Wohnort Köln-Müngersdorf dem gehobenen Kleinbürgertum ent- warf Böll seit den er Jahren einen stammte, aber nach dem gehobenen zunehmend kritischen Blick auf die Bürgertum schielte, war Heinrich neu entstehende Bundesrepublik und Böll schon früh ein Außenseiter, der der von ihm gegeißelten restaurati- lieber das Spiel und die Auseinan- ven Politik. Das Diktum des anderen dersetzung mit den Kindern aus der Kölner Katholiken, Konrad Adenauer, Arbeiterschaft suchte. »Der Wahrheit dass der Blick zurück in das Vergangene der Ehre«, schreibt er über die Jugend, nicht lohne, war nicht die Ansicht Bölls. er habe die Straßenschule der Schu- Sich nicht mit den Verfehlungen der le vorgezogen. Latein und Griechisch eigenen Geschichte auseinanderzu- wurden trotzdem seine liebsten Fächer setzen, warf er auch der Katholischen und eine gute Schulung für den ange- Kirche vor, aus der er schließlich aus- henden Autor, der letztlich eine autodi- trat – ohne seinen Glauben aufzugeben. daktische Bildung in Kriegs- und Nach- Weniger als zu erwarten wäre, taucht in kriegszeiten als Schriftsteller durchlief. Bölls Literatur Köln auf, wo er geboren Denn nur kurz konnte er nach dem wurde und bis zu seinem Tod die meiste bestandenen Abitur studieren, bevor Zeit lebte. Für ihn gab es drei Köln, das er noch vor Kriegsbeginn eingezogen erste war das noch unzerstörte Köln vor wurde und dann sechs Jahre als Soldat dem Krieg – ein Sehnsuchtsort seiner zubringen musste. Wie seine beiden Jugend, dann das zerstörte Köln, das er Brüder hat er den Krieg überlebt, doch einmal als »ernst« beschrieb, weil die zum literarischen Schreiben kam er in Stadt in ihrer Zerstörtheit in sich ruhe diesen wichtigen Jahren mit Anfang  und ein Moment der Stille und Besin- kaum. Es waren Briefe und Tagebücher, nung da gewesen sei. Schließlich das ALLIANCE PICTURE FOTO: die er schrieb, wann immer er Papier dritte Köln in der Zeit des sogenannten René Deltgen und Daniela Bohair  im TV-Film »Nicht nur zur Weihnachtszeit« 20  JAHRE HEINRICH BÖLL www.politikundkultur.net

Eine etwas rätselhafte Suche Heinrich Bölls literarisches Vermächtnis

RALF SCHNELL »Bekenntnis zur Trümmerliteratur« () und seiner Rezension »Wo sind us den frühesten Anfängen die Deserteure?« anlässlich von Alfred erklären sich die spätesten Anderschs Erzählung »Die Kirschen A Erscheinungen«, heißt es in der Freiheit« (), hatte Böll seiner Heinrich Heines nachgelassenen schriftstellerischen Karriere auch publi- »Memoiren«. Was für das Zusammen- zistisch einen Weg gebahnt, als Rezen- spiel von Leben, Werk und Wirkung sent wie als Berichterstatter für Zeitun- des größten Lyrikers deutscher Spra- gen und Zeitschriften und ebenso als che im . Jahrhundert gilt, lässt sich Interviewpartner des Rundfunks. Nicht auf die Entwicklung des erfolgreichs- übersehen sollte man dabei den nach ten deutschen Prosaautors nach  dem Prinzip kommunizierender Röhren zwanglos übertragen. Nicht allein die funktionierenden Nebenef ekt, der die Herkunft und die frühen religiösen Prä- besondere Qualität dieser Doppelstra- gungen, die politischen Dispositionen tegie ausmacht: In dem Maße, wie der und die persönlichen Bindungen sind Ruhm des Autors sich mehrte, wuchs bestimmend für die spätere literarische die Bereitschaft des Publikums, den Produktivität Heinrich Bölls geworden. Intellektuellen zu hören. Et vice versa: Vielmehr steht am Anfang seiner Arbeit Die wachsende Popularität des öf entli- chen und umstrittenen Intellektuellen sorgte zugleich für eine erhöhte Reso- In Bölls Werk wird nanz auf sein literarisches Werk. Die gesellschaftliche erstrebte Vermittlung des »Leides« war Geschichte bezeugt der Bereitschaft zur Intervention gewi- chen, das »Herz des Künstlers« wurde und historische zum Motor seiner Gesellschaftskritik. Geschichte bewahrt Ein komplexes Verhältnis von Ein- zelgänger-Dasein und Zeitgenossen- schaft, Interventionsbereitschaft und das Bewusstsein, eine Aufgabe erfüllen Nonkonformismus bildete seither die zu müssen. »Ich glaube, ich habe den Grundlage des literarischen wie des Auftrag, allen Menschen eindringlich pub lizistischen Werks und Wirkens. Zu zu sagen, daß es nichts so Geheimnis- erinnern ist an ein Credo, das Böll , volles, nichts so Verehrungswürdiges im Erscheinungsjahr seines Romans gibt wie das Leid« (KB ), schreibt »Fürsorgliche Belagerung«, gesprächs- ALLIANCE PICTURE FOTO: der -jährige Gefreite am . Februar weise mit der Formulierung pointiert Romy Schneider spielt  in »Gruppenbild mit Dame« , inmitten des Zweiten Weltkriegs, hat: »Ich glaube, daß man das gar nicht seiner damaligen Verlobten Annemarie trennen kann, daß auch ein Essay oder Subjektivität inmitten von Spekulan- Böll  die poetischen Konsequenzen enden. Was diese Figuren miteinan- Čech. Und ein knappes Jahr später, am ein Pamphlet, so eine Polemik, die ich tenwirklichkeit oder ob »Fürsorgliche dieses Postulats für seine eigene Arbeit der verbindet, ist nicht der Plot einer Abend des . Januar , fügt er dieser schreibe, genauso, sagen wir literarisch Belagerung« () mit einem Wirklich- skizziert. Dieser Text fasst Motivation Handlung, sondern ihr gemeinsamer Gewissheit die Wahrnehmung hinzu: ist wie ein Roman, den ich schreibe« keitsausschnitt nach dem »deutschen und Zielsetzung, Methode und Ver- Fluchtpunkt: ein abgründiger, teils »(I)ch habe das Herz eines Künstlers, (KA , ). Sprachfähigkeit bedeutet Herbst« des Jahres  – Bölls Sprache fahrensweise, Anspruch und Grenze, verzweiflungsvoll, teils sarkastisch wenn es auch tief verschüttet ist... tief, Fähigkeit zur Kritik wie zum künstle- ermöglichte ihm, als Kunstform wie als Geschichtlichkeit und Gegenwärtig- sich äußernder Gesellschaftsüber- tief...« (KB ). rischen Spiel, zum treffsicheren Ur- Kommunikationsmittel, die Wahrneh- keit seines Schreibens anschaulich druss, dessen Wurzeln zurückreichen Bölls literarisches Werk insgesamt teil wie zu begründeter Parteilichkeit. mung, Mitteilung und Verarbeitung zusammen. In einem buchstäblichen bis ins Dritte Reich und in die Frühzeit – seine Romane, Erzählungen, Essays Gleichviel, ob Böll einen »Brief an einen defi zienter Modi der Wirklichkeit. Sinn führen die Szenen und Bilder, mit der Ära Adenauer. Böll bringt einen li- sowie seine öf entlichen Interventio- jungen Katholiken« () schrieb oder Worum es Böll in seiner literari- denen dieser Essay schließt, seine Po- terarischen Perspektivismus zur Gel- nen – lässt sich als eine über Jahre und »Die Freiheit der Kunst« () vertei- schen Arbeit ging, hat er  in sei- etologie der »bewohnbaren« Sprache tung, der aus den unterschiedlichen Jahrzehnte hinweg in vielfältigen Va- digte, ob er »Das Ende der Beschei- nen »Frankfurter Vorlesungen« (KA , vor Augen: »Ich will die Gegenwart der Blickwinkeln verschiedener Figuren riationen fortgeschriebene Einlösung denheit« () für geboten hielt oder -) mit seinen Überlegungen zu Vergangenen. Einsteigen und ausstei- ein Gesellschaftspanorama der Desil- dieser Selbsterkenntnis lesen. Sein »freies Geleit« () für Ulrike Meinhof einer »Ästhetik des Humanen« deut- gen, wo ich möchte, das Sprungseil vom lusionierung entstehen lässt. Ein unge- Renommee verdankte sich zuallererst forderte – seine öf entliche Kritik an lich gemacht. Diese Ästhetik ist nichts Leipziger Platz und die Brote, die in wöhnlicher Roman, in dem Monologe, seinem einzigartigen Frühwerk: den Zuständen und Entwicklungen in der Kontemplatives und nichts Abstrak- der Machabäerstraße auf dem Schul- Dialoge und gelegentlich das Gespräch Erzählungen aus dem Krieg, Satiren, Bundesrepublik Deutschland ist von tes, sie bietet keine Theorie und kein hof gegessen wurden; Kreidestriche auf mehrerer Personen an die Stelle der Hörspielen und vor allem den Roma- seiner sprachkünstlerischen Wahrneh- Systemgebäude, sondern sie ist eine dem Trottoir der Teutoburger Straße, epischen Schilderung von Handlung, nen, von »Wo warst du, Adam?« () mungsfähigkeit allererst angeregt wor- Aktivität, eine auf den ersten Blick et- Sägemehl auf dem Hof des Hauses an Konfl ikt, Figurenzeichnung und psy- über »Und sagte kein einziges Wort« den und leitet sich von dieser her. Ob was rätselhafte »Suche« nämlich: »die der Schwanenkampstraße; das Bier, chologischer Motivation treten. () bis zum Generationenkonfl ikt der der Roman »Ansichten eines Clowns« Suche nach einer bewohnbaren Spra- das auf dem Pfl aster der Pletzergas- Heinrich Böll ist als Schriftsteller Architektenfamilie Fähmel in »Billard () mit einer Kritik am etablierten che in einem bewohnbaren Land«. In se verschüttet wurde, im Krug geholt, der Gesellschaftskritiker geblieben, der um halb zehn« (). Doch frühzeitig Katholizismus, ob »Gruppenbild mit einem kleinen Essay mit dem program- damit der Alte einmal zu Hause blieb; er auch als Intellektueller immer war, schon, beginnend mit seinem Essay Dame« () mit der Feier unbeirrbarer matischen Titel »Suchanzeigen« hat die Klicker aus der Kreuznacher Straße. wenngleich mit eigenwilligen, eben Den Apfel, in den ein Mä dchen  genuin erzählerischen Mitteln. Dass biß, oder den anderen, den ein ande- dabei die kritische Wahrnehmung das HEINRICH BÖLLS LITERARISCHE WERKE res Mä dchen  pfl ü ckte. Nicht als Hof nungsmoment und den Humor frü- Andenken, nicht als Anekdotenvehikel, herer Werke überlagert, wo nicht ver- : »Aus der Vorzeit«, Erzählung : »Billard um halb zehn«, Roman : »Die Verwundung« und andere nicht als Vitrinenfetisch, nein, weil es drängt hat, sagt über den Zustand der : »Der Mann mit den Messern«, : »Ein Schluck Erde«, Drama frühe Erzählungen, Sammelband da war, nicht mehr ist und nie mehr bundesrepublikanischen Gesellschaft Kurzgeschichte : »Als der Krieg ausbrach. Als : »Frauen vor Flußlandschaft. sein wird. Ich will das Haar, das vom wie über ihren Kritiker gleich viel. Man : »Der Zug war pünktlich«, Er- der Krieg zu Ende war.«, Zwei Erzäh- Roman in Dialogen und Selbstge- Haupt gefallen ist« (KA , ). kann Bölls Gesamtwerk deshalb als ein zählung lungen sprächen«, Roman Dies gilt auch für Bölls posthum er- Vermächtnis verstehen: In ihm wird : »Wanderer, kommst du nach : »Ansichten eines Clowns«, schienenen Roman »Frauen vor Fluss- gesellschaftliche Geschichte bezeugt Spa…«, Sammelband Roman Posthum erschienen landschaft« (). Bewundernswert und historische Geschichte bewahrt, : »Die schwarzen Schafe«, Er- : »Entfernung von der Truppe«, : »Der Engel schwieg«, Roman sind hier die Präzision, die Schärfe, auch in jener Dimension, die Böll in zählung Erzählung : »Der blasse Hund«, Sammel- die Unnachsichtigkeit dieses letz- seinen Briefen aus dem Krieg einst als : »Wo warst du, Adam?«, Roman : »Ende einer Dienstfahrt«, Er- band ten literarischen Blicks auf die alte die des »Leides« bezeichnet hat. : »Nicht nur zur Weihnachts- zählung : »Kreuz ohne Liebe«, Roman Bundesrepublik Deutschland. Bölls zeit«, Erzählung : »Hausfriedensbruch«, Hörspiel : »Am Rande der Kirche«, Roman Figuren sind Stützen, bisweilen auch Ralf Schnell ist emeritierter Professor : »Die Waage des Baleks«, Kurz- : »Gruppenbild mit Dame«, Ro- Gegengewichte zur etablierten bun- für Literatur- und Medienwissenschaft geschichte man Briefe desrepublikanischen Gesellschaft: der Universität Siegen : »Und sagte kein einziges : »Die verlorene Ehre der Ka- Hrsg. : »Die Hof nung ist wie Politiker, Bankiers und Geschäftsleute Wort«, Roman tharina Blum oder: Wie Gewalt ent- ein wildes Tier«. Der Briefwechsel mit einer traditionsreichen Bindung : »Haus ohne Hüter«, Roman stehen und wohin sie führen kann«, zwischen Heinrich Böll und Ernst- an die römisch-katholische Kirche, Die Texte Heinrich Bölls werden zitiert : »Das Brot der frühen Jahre«, Erzählung Adolf Kunz – in der Wolle gefärbte Sozialisten und nach der im Verlag Kiepenheuer & Witsch Erzählung : »Berichte zur Gesinnungslage Hrsg. : Briefe aus dem Krieg subversive Artisten, melancholische in den Jahren  bis  erschienenen : »Irisches Tagebuch«, Halbdo- der Nation«, Kurzgeschichte – Frauen, die ihre Männer verachten, und -bändigen Kölner Ausgabe (KA Band, kumentarischer Reisebericht : »Du fährst zu oft nach Hei- Hrsg. : Heinrich Böll – Lew Ko- intelligente Vertreterinnen einer mo- Seitenzahl), seine Briefe – soweit nicht : »Im Tal der donnernden Hufe«, delberg und andere Erzählungen«, pelew. Briefwechsel dernen, selbstbewussten Weiblichkeit anders angegeben – nach der  von Erzählung Sammelband Hrsg. : Paul Celan. Briefwech- mit Sinn für Realitäten. Sie schwanken Jochen Schubert herausgegebenen und : »Die Spurlosen«, Hörspiel : »Fürsorgliche Belagerung«, sel mit den rheinischen Freunden: in ihren unterschiedlichen, bisweilen kommentierten zweibändigen Ausgabe : »Der Bahnhof von Zimpren«, Roman Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf kontroversen Dialogen und Selbstge- Briefe aus dem Krieg - (KB Band, Kurzgeschichte : »Was soll aus dem Jungen bloß Schroers sprächen zwischen Selbstmitleid und Seitenzahl). Dem Beitrag zugrunde liegt : »Doktor Murkes gesammel- werden? Oder: Irgendwas mit Bü- Hrsg. : Briefwechsel Jenny Hass, bringen Ironie und Larmoyanz die Buchpublikation von Ralf Schnell: tes Schweigen und andere Satiren«, chern«, Autobiografi sche Skizze Aloni – Heinrich Böll: Ein deutsch- zum Ausdruck und artikulieren Hof - »Heinrich Böll und die Deutschen«. Köln: Sammelband : »Das Vermächtnis«, Erzählung israelischer Dialog nungsreste, sofern sie nicht im Suizid Kiepenheuer & Witsch . Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 21

Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben Ein politischer heit des Autors entsprach weder Bölls Dazu muss gesagt werden: Bölls gesell- auseinandergesetzt – damals bot die Manch Publizist stellte ihn nun als Schriftsteller Intention noch dem Inhalt des Textes. schaftspolitisches Engagement ist nicht Hysterie angesichts des Terrors der RAF naiven Gutmenschen dar. Selbst Bölls Er wandte sich schon früh gegen ohne sein literarisches Werk zu denken als Anlass für diesen Stof ein ebenfalls Einsatz in Fragen des Umweltschutzes die Wiederbewaffnung und gegen und jenes nicht ohne sein Engagement. beklemmend aktuelles Buch. fand man auf einmal lächerlich. Heute, TANJA DÜCKERS die Verlängerung des Wehrdienstes Sowohl in belletristischer wie auch in In »Gruppenbild mit Dame« () nur ein Jahrzehnt später, ist der Um- von zwölf auf  Monate. Die atoma- proklamatorisch-agitatorischer Form ergreift Böll Partei für die »Abfälligen«, weltschutz unter dem modischen Label einrich Böll war nicht re Aufrüstung beunruhigte Böll sehr. hat sich Böll gegen Zwang, Gewalt, den »Abfall« der Gesellschaft, für Au- »Klimaschutz« längst wieder salonfähig nur ein Schriftsteller von Gemeinsam mit seiner Frau nahm er Bürokratismus, Fremdbestimmung, ßenseiter und Leistungsverweigerer. geworden. Das Gleiche gilt für die Angst Weltrang. Der Nobelpreis- an Friedensmärschen und an der Sitz- Willkür, Autoritarismus, letztendlich Der Roman wurde zum Bestseller und vorm »gläsernen Menschen« und vor träger von , dessen blockade gegen die Stationierung von gegen Unmenschlich- und Seelenlo- trug maßgeblich zur Verleihung des dem mangelnden Schutz der Privat- HRomane und Erzählungen sich milli- Pershing II-Raketen auf der Mutlanger sigkeit gewehrt. Nobelpreises für Literatur an Böll im sphäre. onenfach verkauften – die Erzählung Heide teil. Als Teilnehmer einer Generation, die Dezember  bei. Vieles daraus ließe Auch die Beschäftigung mit dem »Die verlorene Ehre der Katharina Ende der er Jahre unterstützte noch in starkem Maße soldatischem sich heute auf die sogenannte »Unter- Nationalsozialismus und seinen Aus- Blum« () verkaufte sich allein in Böll Rupert Neudeck in dessen Enga- Gehorsamkeitskult, pädagogischem schicht« übertragen. grenzungsstrategien ist nach wie vor Deutschland über sechs Millionen Mal gement für die vietnamesischen »boat Drill und einer generellen Missachtung Doch wie schnell ein Schriftsteller, in Deutschland ebenso virulent wie – war ebenso bekannt für sein gesell- people«, aus dem später die Hilfsor- des Individuums ausgesetzt war – wie eine öf entliche Figur im Zuge einer nötig, wie man am Aufkommen natio- schaftspolitisches Engagement. Die ganisation »Cap Anamur / Deutsche unter anderem der Film »Das weiße gesellschaftspolitischen Zeitenwen- nalistischer Bewegungen in Deutsch- Bezeichnung »Gewissen der Nation« Not-Ärzte« hervorging. Ferner setzte Band« eindrücklich belegt –, ist Böll de etwas in Misskredit geraten kann, land und ganz Europa sehen kann. Und hat Heinrich Böll zwar stets abgelehnt. sich Böll für verfolgte Schriftsteller sowohl aus seiner Zeit heraus zu be- kann man am Beispiel Böll gut bele- Fragen danach, wie SS-Schergen in der Nichtdestotrotz wurde er von vielen ein – er war von  bis  Präsident greifen als auch als zeitloser Streiter gen: Die kritische Auseinandersetzung Nachkriegsära unbehelligt ihrer Karri- Bürgern in einer turbulenten Zeit mit des deutschsprachigen und von  bis für die Menschenrechte zu verstehen. mit den Achtundsechzigern, die nach ere nachgehen konnten, beschäftigen Vietnamkrieg, Wiederbewaf nung, ato-  des internationalen PEN-Clubs. Fast alle seine Themen haben heu- der Wende begann, hatte im ersten derzeit wieder die Historiker. marer Aufrüstung, Kaltem Krieg, Frie- Die sowjetischen Schriftsteller und te eine beinahe unheimliche Aktuali- Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ih- Es gibt kaum einen Autor, dessen Bü- densdemonstrationen, Studentenunru- Dissidenten Alexander Solschenizyn tät wiedergewonnen. »Die ZEITUNG«, ren vorläufi gen Höhepunkt erreicht. cher so viele Themen und Stimmungs- hen, Linksterrorismus und Deutschem und Lew Kopelew nahm Böll nach ihrer wie Böll in »Die verlorene Ehre der Plötzlich waren »die« Linken, vor allem lagen der Deutschen aufgreifen, die bis Herbst sowie drängenden Umweltfragen Ausreise als Gäste in seinem Haus auf. – als moralische Leitfi gur angesehen. Mit der katholischen Kirche hat sich Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Böll Zeit seines Lebens kritisch ausein- mannigfaltig Bölls Engagement war, andergesetzt.  trat er demonstrativ fragt man sich, wie er die Zeit hierfür aus der Kirche aus, ohne deswegen je- neben seiner äußerst produktiven lite- doch, wie er klarstellte, »vom Glauben rarischen Karriere – über  Romane, abgefallen« zu sein. Erzählungen und Bände mit Kurzge- Nun könnte man denken, dass Bölls schichten – ermöglichte, zumal er nur thematisch weitgespanntes Engage-  Jahre alt wurde. ment vielleicht oberfl ächlich ausgefal- Böll hatte zudem einen großen The- len sei. Aber wenn man nachliest, wie menhorizont: Während Schriftsteller intensiv er sich im Frühjahr  mit und Publizisten heute eher spezifi sche den deutschen Notstandsgesetzen be- Themen und Aktionsfelder suchen – schäftigt hat – er verfolgte ohne Pause von der Beschäftigung mit dem »Über- zwölfstündige Parlamentsdebatten –, wachungsstaat« und digitaler Kontrolle wird deutlich, mit welchem Ernst und über Kritik an der Massentierhaltung Eifer er sich in seine Gebiete eingear- und unserer Ernährungsweise bis hin beitet hat. zum Einsatz für Gefl üchtete – hatte Natürlich ist es nicht nur Bölls ei- Böll noch einen universalistischen gener Verdienst, thematisch »breiter Anspruch: In der jungen Bundesrepu- aufgestellt« gewesen zu sein: Die er blik nahm Böll eine Gegenposition zum und er Jahre waren geprägt von der restaurativen Zeitgeist ein. Er war ein Losung »Think big«, dem noch vorhan- Achtundsechziger, Vietnamkriegs- und denen Glauben an große Begrif e wie Atomwaf engegner, Naturschützer – vor »Solidarität«, »Gleichheit«, »Aufbruch«, allem auch Obrigkeits- und Kirchenkri- »Befreiung« oder »Freiheit«. Heute tiker sowie Pazifi st. wenden sich nicht nur gesellschafts- politisch aktive Schriftsteller, sondern beinahe alle Aktivisten eher der kleinen Form zu, mobilisieren sich eher für zeit- Bölls Themen sind auf lich und vom Aufwand her begrenzte unheimliche Weise zu Projekte. Der Einsatz für das Partikulare uns zurückgekehrt mag realistischer, zum Teil auch vom Ergebnis her betrachtet erfolgreicher ALLIANCE PICTURE FOTO: sein. Der visionäre Verlust der Maxime Romy Schneider und Brad Dourif in der Verfi lmung von »Gruppenbild mit Dame« von Aleksandar Petrović »Man muss das Unmögliche versuchen, Mit Nachdruck hat er sich mit der man- um das Mögliche zu erreichen« ist den- Katharina Blum« () sein sensati- die Achtundsechziger an allem schuld heute nichts an Aktualität eingebüßt gelnden Entnazifi zierung und vielen noch bei den heutigen Pragmatikern onslüsternes, an »BILD« erinnerndes – von Bildungsmisere über den Gebur- haben. Im Gegenteil, sie sind präsenter ungebrochen in der Bundesrepublik zu beklagen. Boulevardblatt nennt, wäre heute wohl tenrückgang in Deutschland und dem denn je. Man müsste sogar sagen: Bölls fortgesetzten NS-Karrieren beschäftigt. Dennoch: Es war keine ideologische ein digitales Medium, vielleicht Face- Dauerbrenner Werteverfall. Böll scheint Themen sind auf unheimliche Weise zu Er äußerte sich  zum Eichmann- Leitlinie, die Böll antrieb. Dem Ideolo- book. Mit einem ausufernden Netz an mit der neokonservativen Wendung uns zurückgekehrt. Prozess und schickte Beate Klarsfeld, gischen hat sich Böll nie nahe gefühlt, Sicherheitsvorkehrungen und Über- ebenfalls ins Visier der Kritiker geraten die den CDU-Bundeskanzler Kurz Ge- weshalb er manchen Linksaußenver- wachungsmaßnahmen hatte sich Böll zu sein. Sein gesellschaftspolitisches Tanja Dückers ist Schriftstellerin und org Kiesinger  wegen seiner NS- fechtern der damaligen Zeit, auch unter in »Fürsorgliche Belagerung« () Engagement wurde nun oft belächelt. Journalistin Vergangenheit öf entlich geohrfeigt den Kollegen, schon zu bürgerlich und hatte, als Zeichen der Anerkennung brav war. einen Blumenstrauß. Karrierismus war ganz bestimmt Er engagierte sich leidenschaftlich kein Movens, die vielen Bühnen, die HEINRICH BÖLLS POLITISCHES ENGAGEMENT für Willy Brandt und dessen Ostpoli- ihm angeboten wurden, zu nutzen. tik. Dabei war Böll kein linker Ideolo- Wenn Böll etwas nicht war, dann eitel : Aufruf von  Persönlichkei- steller (VS) : Unterstützung des Appells euro- ge, nicht verhaftet in gesinnungspoli- – was ihn von einigen Zeitgenossen un- ten des kulturellen Lebens, u. a. Böll, : Engagement für international päischer Schriftsteller gegen Neutro- tischem Lagerdenken: Er hat sowohl terschied. gegen das Vorgehen der Sowjetunion verfolgte Intellektuelle und Auf or- nenbomben und Nachrüstung; Auftritt die Nato-Staaten wie auch den War- Bölls Feld war das Eintreten für beim Aufstand in Ungarn und gegen derung der Politiker in Ost und West als Redner bei Friedensdemonstration schauer Pakt kritisiert. So hat er  die Rechte des Individuums, des Ein- die Intervention Großbritanniens so- »endlich das heuchlerische Konzept in Bonn eine Petition gegen den Einmarsch der zelnen, der im Krieg von Obrigkeiten wie Frankreichs in Ägypten der Nichteinmischung in die inneren : Protest bei Pressekonferenz ge- Russen in Budapest unterzeichnet und schikaniert wird, nach dem Krieg bü- : Appell von  Schriftstellern, u. a. Angelegenheiten anderer Staaten auf- gen die innenpolitischen Zustände in gegen die Niederschlagung des Prager rokratischer Willkür ausgesetzt ist, der Böll, an die UNO, ganz Berlin zu deren zugeben« Polen und das Militärregime Frühlings Stellung bezogen. Auf der sich gegen fortgesetzte Nazi-Karrieren Sitz zu machen : Verfolgter russischer Schriftstel- : In Of enem Brief fordert Böll, die anderen Seite hat er die Bundesregie- aufl ehnt, der von einer unpersönlichen : Böll wendet sich in der Presse ler Alexander Solschenizyn fi ndet in Verbannung des Nobelpreisträgers An- rung für ihren menschenunwürdigen Medienmacht zu Tode gehetzt (»Die gegen massive Angrif e von DDR-Zei- Bölls Haus in Langenbroich Zufl ucht drej Sacharow aufzuheben; Böll setzt Umgang mit Terroristen kritisiert (»Will verlorene Ehre der Katharina Blum«, tungen auf Wolf Biermann : Internationales Komitee, dem sich bei den Wahlen für Die Grünen Ulrike Gnade oder freies Geleit?«, Es- ) oder vom Staat drangsaliert wird : Rede gegen die geplanten Not- auch Böll angehört, bittet um Freilas- ein; Unterstützung der Blockade des say im Spiegel, ). Der Titel »Will (»Fürsorgliche Belagerung«, ) oder standsgesetze vor . Demonst- sung des Autors Kim Chi Ha US-Raketenstützpunktes in Mutlan- Ulrike Gnade oder freies Geleit?« war wie Hans Schnier, Bölls Anti-Held aus ranten : Böll schließt sich privater Hilfs- gen; Ansprache auf der zentralen Frie- vom Spiegel gegen Bölls Willen verän- »Ansichten eines Clowns« (), unter : Rede zum »Ende der Beschei- organisation zur Rettung vietnamesi- densdemonstration in Bonn dert worden. Die durch die Nennung der gnadenlosen Moralvorstellung der denheit« auf der Gründungsversamm- scher Flüchtlinge an; Ablehnung des des Vornamens suggerierte Vertraut- katholischen Kirche leidet. lung des Verbandes deutscher Schrift- Bundesverdienstkreuzes 22  JAHRE HEINRICH BÖLL www.politikundkultur.net FOTOS: PICTURE ALLIANCE PICTURE FOTOS: Intime Szene zwischen Hanna Schygulla und Helmut Griem in »Ansichten eines Clowns«,  »Gruppenbild mit Dame« im Morgenmantel,  Das Ende der Bescheidenheit Heinrich Böll und die Feder und aus kritischer Distanz den schlusses war Dieter Lattmann. Das Buchverlage in einem Jahr umsetzen, Die aus heutiger Sicht bewundernswerte Schriftsteller Spiegel vorzuhalten. Es passte nicht Projekt traf damals keineswegs bei al- und rechnet dagegen, auf Heller und Of enheit, mit der Heinrich Böll die un- zum Selbstbild des Künstlers, ganz ba- len auf Zustimmung, wie er berichtet. Pfennig genau, die minimalen Beträge, terschiedlichen Argumente der erregten nal eigene Rechte einzuklagen und auf »Da gab es den Länderegoismus, der die bei den Autoren hängenbleiben: »… Debatte aufgrif , sowie seine Autorität EVA LEIPPRAND dem politischen Parkett Forderungen die Kulturhoheit als Besitzanspruch so wird Ihnen klar, dass wir Mitarbei- als führender Intellektueller, als mo- aufzustellen. Dieses Unbehagen – der auslegte. Auch manche Verlegerinte- ter einer Riesenindustrie sind, die uns ralische Instanz, haben mit Sicherheit as »Ende der Bescheiden- Hochmut der Bescheidenheit, wenn ressen standen uns entgegen. Schon bisher unsere Honorare einfach dik- ihre Wirkung nicht verfehlt. Am Ende heit« – Heinrich Bölls be- man so will – durchzieht viele Äuße- gar nicht gefi el einigen Feuilletonchefs tiert hat«. Das »System und Problem des Kongresses stand der Auftrag an rühmte Formulierung – ist rungen und Texte der damaligen Zeit. und auch konservativen Politikern, der Ausbeutung« im eigenen Land wird den Vorstand des Verbandes, die Vor- längst als fester Begrif in So auch Bölls Rede, die er am . Juni dass wir uns gewerkschaftlich orien- in der Folge mit den Verhältnissen in aussetzungen für den Anschluss an eine Dden deutschen Sprachschatz eingegan-  auf der Gründungsversammlung tieren wollten.« Schweden verglichen, wo es den Auto- Gewerkschaft zu klären. Das bedeutete gen. Immer wieder wird jemand zum des Verbands deutscher Schriftsteller Böll sagte sofort seine Unterstüt- ren, was Rechte und Einkommen be- aber keineswegs das Ende der internen Ende der Bescheidenheit aufgerufen, (VS) hielt – mit dem Untertitel: »Zur zung zu, legte das Fundament für die trif t, erheblich besser geht. Auseinandersetzungen. In seinem kürzlich etwa die Europabefürworter, Situation der Schriftsteller in der Gründungslegende des VS, indem er Und dann formuliert Böll all die Buch schildert Lattmann seine letzte die sich die Süddeutsche Zeitung et- Bundesrepublik«. Das Unbehagen des für die Vorstellung des neuen Gesamt- wesentlichen Forderungen zur sozia- Begegnung mit Heinrich Böll. Das war was mutiger wünscht. Und doch klingt Künstlers gegenüber dem »fi nanziellen verbands den Gürzenich in Köln vor- len Sicherung der Autoren, die in den auf dem Schriftstellerkongress in Saar- der Begrif wie aus der Zeit gefallen. Kram« war ihm nicht fremd, aber er war schlug, und setzte später auch selber folgenden Jahren auf der Agenda des brücken , als der Ost-West-Konfl ikt Bescheidenheit klingt nach Moral längst in die Rolle des Schriftstellers als das Thema seiner Rede fest, eben das VS stehen und weitgehend umgesetzt auch »die Versammlung spaltete«. In und noch dazu nach der falschen. In öf entliche Person hineingewachsen. »Ende der Bescheidenheit«. Lattmann werden: Musterverträge, die einen seinem Wunsch zu vermitteln, schreibt der heutigen Wachstumsgesellschaft Umso wichtiger war seine Teilnahme erzählt, wie er, der Verlagsexperte, Böll gerechten Anteil am Erlös der Bücher Lattmann, habe er sich auch an Böll ge- ist Bescheidenheit eine Untugend und an dieser Versammlung. Wie es dazu mit dem notwendigen Zahlenmaterial sicherstellen, auch an den Nebenrech- wandt mit der Bitte um Unterstützung, schädigt das System. Das Wort atmet kam, kann man bei Dieter Lattmann, versorgte, das sich dann in Bölls Rede zu ten; Kopiergeld, Bibliotheksgroschen, diesmal allerdings ohne Erfolg. den Geist der er Jahre, einer Zeit, dem Gründungsvorsitzenden des VS schlagkräftigen Argumenten zugespitzt Befreiung von der Mehrwertsteuer. Die Einigkeit der Einzelgänger blieb in der die Intellektuellen noch als Leit- und späteren SPD-Bundestagsabge- wiederfi ndet. »Ich habe nie einen be- Sein Aufruf zum Ende der Beschei- weiterhin eine schwierige Angelegen- fi guren die öf entliche Diskussion be- ordneten, in seinem Buch »Einigkeit rühmten Schriftsteller kennen gelernt, denheit beeindruckte nicht nur sein heit. Die Frage, wie eng man sich an stimmten. Diese Intellektuellen waren der Einzelgänger« nachlesen. Er erzählt der uneitler war«, schreibt Lattmann. Publikum, sondern auch die Politik. die Gewerkschaft binden sollte, führ- damals selbstverständlich links. Es galt, dort von seiner ersten Begegnung mit Und ausgerechnet dieser Bescheidene Noch im gleichen Jahr sprachen sich te zu Streit, zermürbenden Debatten gegen die restaurativen Tendenzen der Böll, wie er den »inzwischen Erfolgrei- übernahm nun die Aufgabe, das Ende die drei Fraktionen des Bundestags für und Austritten, eine Reibung, die bis Nachkriegszeit eine eigene moralische chen« für die Idee gewann, den ersten der Bescheidenheit einzuläuten. eine Verbesserung der sozialen und ur- heute anhält. Umso höher ist die Eini- Haltung zu erarbeiten und die Rolle bundesweiten Schriftstellerverband Das tut er sehr geschickt. Er kennt heberrechtlichen Lage der Autoren aus. gungsleistung der Gründerväter des VS der Literatur in diesem Prozess zu de- zu gründen und »die uns ohnmächtig sein Publikum. Gleich zu Anfang macht Auf dem Ersten Schriftstellerkongress zu bewerten, von der die Autoren noch fi nieren. Bölls Romane handelten von machende Zersplitterung von lauter er klar, worum es in seiner Rede geht:  in der überfüllten Liederhalle in heute zehren. Außenseitern, von Leistungsverwei- Einzelverbänden« zu überwinden. Zwar »Es geht nicht um unseren Anteil an Stuttgart ergrif en die Großen der da- Im Jahr  feiert der VS sein gerern. Schriftsteller – das Gendern gab es die Gruppe , die legendäre Au- Erstellung von Kunst, Poesie und mög- maligen Literaturszene das Wort, von -jähriges Jubiläum. Dabei wird der verbietet sich in diesem Umfeld aus torenvereinigung, die enormen Einfl uss lichen Ewigkeitswerten. Es soll hier Walser bis Grass, und Willy Brandt, der Verband sich dankbar an seine Grün- mentalitätsgeschichtlichen Gründen; auf die intellektuelle Entwicklung im öf entlich Tacheles geredet und unser Bundeskanzler, sprach über den Gegen- derväter erinnern, aber auch in die Frauen kommen in dieser Geschichte Nachkriegsdeutschland ausübte. Für Anteil an den merkwürdigen Sozial- satz zwischen Geist und Macht. Und Zukunft schauen. Der Hochmut der nur am Rande vor –, Schriftsteller also die Arbeit einer berufsständischen Or- produkten betrachtet werden, die wir auch Böll warb noch einmal für das Bescheidenheit hat sich längst gelegt, waren Leute, die sich dazu bestimmt ganisation war sie aber nicht geeignet. erstellen.« Er selbst bezieht Stellung, Projekt eines solidarischen Verbandes, man weiß um die Notwendigkeit, für fühlten, der Gesellschaft mit spitzer Wesentlicher Motor des Zusammen- er mischt sich ein, und er möchte sein mit seiner Rede zur »Einigkeit der Ein- die eigenen Rechte einzutreten. Und Publikum dazu bringen, das gleiche zu zelgänger«. Das Motto des Kongresses, das ist notwendiger denn je. Durch die tun. Er arbeitet den Zusammenhang von Dieter Lattmann erdacht, spiegelte Digitalisierung ist die Literaturland- REDEN HEINRICH BÖLLS ZU POLITIK UND zwischen »Pseudogeniekult« und »Aus- erneut den traditionellen Zwiespalt der schaft unübersichtlicher geworden. Die beutung« der Schriftsteller heraus: »In Schriftsteller zwischen Individualismus Auseinandersetzungen um die Rechte SCHRIFTSTELLERTUM dem Augenblick erst, in dem wir ein- und Solidarität, vergleichbar mit der der Autoren fi nden nun auch auf der sehen, dass diese alten Klischees nicht »Quadratur des Kreises«, wie Böll es for- europäischen Ebene statt, im Kräfte- ..: Rede zum »Ende der Frankfurter Buchmesse : An- nur nicht mehr stimmen, sondern nie mulierte; ein intellektuelles Ringen um messen mit weltweit agierenden Inter- Bescheidenheit« bei Gründungsver- sprache zu den Folgen der Zerschla- gestimmt haben, in diesem Augenblick den richtigen Weg. Böll stellte sich auch netkonzernen. Aber wie zu Bölls Zeiten sammlung des Verbands deutscher gung des Prager Frühlings und der sind wir auch politisch vorhanden.« dem Vorwurf, es ginge bei den Zielen wird der Verband auch heute nicht nur Schriftsteller (VS) in Köln Situation tschechischer Schriftstel- Nur ein starker Verband kann, so des VS nur um das Geld. In welchem an da s Geld denken, sondern darüber ..: Diskussionsbeitrag »Wir ler mit dem Titel »Gesichtskosmetik Böll, den Gesetzgeber zum Handeln Dilemma man damals als Linker steckte, hinaus den gesamtgesellschaftlichen dürfen kein Veteranenclub sein« der Großmächte – ein teurer Spaß« zwingen. Der Staat soll die Schriftstel- der gegen die gesellschaftlichen Miss- Horizont im Auge behalten – das Recht auf dem Deutsch-Niederländischen zur ČSSR-Lesung bei der Frankfurter ler nicht länger »zerspalten und zer- stände anschrieb, enthüllen Sätze wie des Individuums auf Privatheit und P.E.N.-Tref en in Arnheim zur P.E.N.- Buchmesse splittert halten und einzeln abfertigen« dieser: »Es muss missverständlich er- Selbstbestimmung. Charta ..: Rede »Die internationale können. Um diese endlich aus ihrem scheinen, wenn hier Autoren um Rechte ..: Rede »Einigkeit der Ein- Nation« zum P.E.N.-Kongress in Dún »Resolutionsprovinzialismus« heraus- innerhalb einer Eigentumsgesellschaft Eva Leipprand ist Vorsitzende des zelgänger« beim Ersten Kongress des Laoghaire, Irland zuholen, stellt er sehr wirkungsvoll den kämpfen, die viele von ihnen für re- Verbands deutscher Schriftstellerinnen VS in Stuttgart Milliardenbetrag in den Raum, den die formbedürftig halten«. und Schriftsteller (VS) Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 23

Sie waren dabei, als er die Nachricht erhielt und sie zunächst gar nicht reali- Er war in erster Linie sierte. Können Sie das kurz schildern? Wir waren in Griechenland, auf der Reise nach Israel, wo wir meinen Bruder Vincent besuchen wollten, der für »Aktion Sühne- Schriftsteller zeichen« seinen Zivildienst in Israel leiste- te. Im Hotel in Athen hat er ein Telegramm Hans Jessen spricht mit Heinrich Bölls Sohn René Böll bekommen und es zunächst, ohne es zu lesen, in die Tasche gesteckt. Erst später War Heinrich Böll ein familiärer Mensch? natürlich nicht kennen. Und darüber mei- versucht, meinen Vater für die SPD zu en- Einmal ist es im Zimmer hat er es aufgemacht. Das war Wo fand er Inspiration? War er Literat oder nen sie, sie würden uns kennen. Kinder gagieren. Das hat er aber nicht gemacht. natürlich eine große Überraschung. Aktivist? Hans Jessen spricht mit dem bil- und Väter sind sich sicher ähnlich – wie Er hat sich im Wahlkampf  für Brandt natürlich denden Künstler und Böll-Sohn René Böll in normalen Familien auch. Das war oft eingesetzt, weil damals die Ostverträge einfacher, sich Welche Rolle hat der russische Schrift- über diese Fragen und viele mehr. sehr schwierig für uns, wenn man schnell ein wichtiger Punkt waren. Er hat sein mit dem poli- steller Alexander Issajewitsch Solsche- abgestempelt wurde, positiv oder nega- politisches Engagement an Inhalten und tischen als mit nizyn für den späten Böll gespielt – für Hans Jessen: Herr Böll, wie haben Sie tiv – was ich beides schlecht fi nde. Wenn Personen festgemacht, nicht an Parteior- den Literaten wie für den politischen Ihre Eltern angeredet, Ihren Vater? ich mich mit dem Namen Böll vorstelle, ganisationen. dem literari- Bürger? Papa, Mama oder Hein und Annema- fragen die Leute oft: »Böll wie Heinrich?« schen Werk zu Solschenizyn kannte er durch Lew Kope- rie? Dann antworte ich: »Ja, wie Heinrich.« Böll hat Beate Klarsfeld, die bekannt beschäftigen. lew und andere Leute in Russland. Als Sol- René Böll: Hein und Mutter. Dann kommt die Frage: »Aber nicht ver- wurde, weil sie den damaligen Bun- schenizyn ausgewiesen wurde, war sein wandt?« Antwort: »Doch, Sohn.« deskanzler Kurt Georg Kiesinger Außerdem war Wunsch, zu meinen Eltern zu kommen. In den er Jahren war es nicht wegen seiner NS-Vergangenheit ohr- mein Vater ganz Wir hatten, als wir in den er Jahren selbstverständlich, dass Kinder ihren Sie sagen, die Menschen meinen, feigte, anschließend  rote Rosen ohne Frage in Russland waren, Manuskripte auch von Vater beim Vornamen riefen. Sie und Ihren Vater zu kennen. Wo geschickt und ist dafür von Grass ge- sehr engagiert, Solschenizyn und anderen Autoren nach Das war es nicht, es war sehr ungewöhn- bestehen in der öf entlichen Wahr- scholten worden. Deutschland geschmuggelt, die hier ver- lich. Und dann noch mit dem Kosenamen. nehmung Heinrich Bölls, die zum . Die Rosen habe ich geschickt. Er hat mich aber nicht in öf entlicht wurden. Ich glaube, es waren Er hieß Heinrich. Von seiner Familie Geburtstag nochmal verstärkt wird, zum Laden geschickt, um den Strauß in formaler Politik auch Teile des »Archipel Gulag«. Solsche- wurde er früher Heini genannt. Aber das die größten Irrtümer, Fehleinschät- Auftrag zu geben. Für diese Geste wurde nizyn spielte als Literat und als Men- ist kein schöner Name. So entstand die zungen oder blinde Flecken? er von Grass gescholten, dagegen wehrte schenrechtler eine große Rolle. Politisch Koseform Hein. So haben wir ihn genannt Fehleinschätzungen liegen beim literari- er sich vehement. Er schrieb an Grass hatten sie vollkommen verschiedene An- – bis zum Tod. schen Werk, was oft zu wenig gewürdigt sinngemäß: »Ich bestimme selber, wel- sichten. Aber mein Vater hat sich immer oder zu politisch gesehen wird. Er war in cher Dame ich Blumen schicke.« für die Freiheit von Meinungsäußerung War er ein sehr familiärer Mensch? erster Linie Autor und Künstler. Auch in eingesetzt. Und zwar in Ost und West. Was Man liest von Thomas Manns Kindern, seinem eigenen Verständnis. Dann dieser Wie kam es, dass Heinrich Böll so sehr damals nicht selbstverständlich war. dass Ruhe herrschen musste, wenn der ganze Quatsch von angeblicher Terroris- zur politischen Negativprojektionsfi - Vater, der große Schriftsteller, gear- musunterstützung. gur im Deutschland der er Jahre Jetzt zum . Geburtstag werden die beitet hat. Wie war das im Haus Böll? Wir haben mehrere Hausdurchsuchungen und im Deutschen Herbst wurde? Sie Scheinwerfer nochmal gerichtet. Da Er war ein sehr familiärer Mensch. Um in der Familie gehabt. Mein Vater ist bis schildern ihn als Humanisten, als mit- fi ndet eine Auseinandersetzung, eine seine Ruhe zu fi nden, hat er sehr oft Ar- zum Gehtnichtmehr dif amiert worden fühlenden Mensch, wie kommt so je- Beschäftigung mit der Person und dem beitszimmer außerhalb der Wohnung ge- – mit ihm die ganze Familie. Auch von mand ins politische Fadenkreuz, auch Werk statt. Da sind Sie sehr engagiert, mietet. Er hatte in Köln im Laufe der Zeit der Springer-Presse. Diese ganzen Dinge der Springer-Presse? als Sohn und als Nachlassverwalter. In sieben oder acht Arbeitszimmer, in die er schwingen immer noch sehr mit. Ein gro- Das müssen die Springer-Leute beant- welche Richtung möchten Sie die wei- sich zurückziehen konnte. ßer literarischer Gegenpol ist das Irische worten. Deren Hetze war unsäglich. Wir tere Beschäftigung mit Heinrich Böll Tagebuch. Im Werk ein schma ler Band, wurden auf der Straße beschimpft und lenken? Ab Mitte der er Jahre war Irland aber sehr wichtig. Viele Veranstaltungen in Res taurants nicht mehr bedient. Diese Ganz stark auf das literarische Werk. Es ein sehr wichtiger Rückzugs-, aber zum . Geburtstag haben mit Irland zu aufgeheizte Stimmung ist heute unvor- gibt immer noch Bücher wie »Fürsorgliche auch Sehnsuchtsort? tun, da merken wir große Zustimmung. stellbar. Mein Vater kam unter anderem Belagerung« oder »Frauen vor Flußland- Das kann man so sehen. Er ist  zum deswegen ins Fadenkreuz, weil er sich schaft«, die noch nicht richtig zur Kennt- ersten Mal allein nach Irland gereist und Der Schriftsteller Carl Zuckmayer hat für einen gerechten, fairen Umgang nis genommen wurden. Sehr viele Veran- hat schon im ersten Brief nach Hause das Irische Tagebuch als eines der bes- mit den Terroristen eingesetzt hat. Die staltungen, die jetzt laufen, beschäftigen geschrieben: »Es ist so schön hier, daß ten deutschen literarischen Werke ge- wurden damals schlimmer als Nazis dar- sich mit dem literarischen Werk. Es wird ich sehr traurig bin, Euch nicht hier zu lobt. Gleichwohl ist Böll als politisch gestellt, die in KZs Millionen von Men- von Helmut Oehring eine Oper kompo- haben; Seen, Berge, Wolken und jene un- engagiert bekannt geworden. Wie schen ermordet hatten. Gewalt hat er niert, die in Köln uraufgeführt wird. Viele beschreiblichen, stets wechselnden Lich- konnte die politische Figur fast mehr nie, mit keinem Wort, gerechtfertigt. Er Leute merken, welcher Schatz in dem ter, die ich noch nie gesehen habe. Ich bin Aufmerksamkeit als der Künstler fi n- wurde bewusst falsch von der Springer- Werk steckt, den man noch heben kann. In sehr froh nach Irland gefahren zu sein. den, der er in erster Linie war? Presse zitiert, auch von Matthias Walden Frankreich ist ein sehr schönes Kinder- Ich denke, daß wir, wenn wir im nächsten Einmal ist es natürlich einfacher, sich im Fernsehen. Sogar dieser Tage wieder, buch nach einer Erzählung meines Vaters Jahr Geld haben, hier wirklich mit den mit dem politischen als mit dem literari- als Die Welt behauptete, er habe Freies erschienen. Man kann noch sehr viel aus Kindern einmal hinfahren sollten.« Das schen Werk zu beschäftigen. Außerdem Geleit für Ulrike Meinhof gefordert, was dem Werk schöpfen. haben wir dann gemacht. Wir waren ab war mein Vater ganz ohne Frage sehr eine bewusste Falschdarstellung ist. Im  bis Anfang der er jedes Jahr drei engagiert, aber nicht in formaler Politik. Bundestag wurde er von höchsten Poli- Lässt sich, aus der Beschäftigung mit vier Monate in Irland. Später – als wir auf Man sagt leicht, engagierte Schriftsteller tikern dif amiert, bis hin zum späteren noch nicht veröf entlichten Texten, dem Gymnasium waren und in der Schule schreiben aus politischen Gründen. Das Bundespräsidenten. Das kann man sich eine besondere Aussage über Ihren Va- nicht mehr fehlen konnten – war er oft war bei ihm nicht so. Er hat das Werk in heute nicht vorstellen, was diese Zeit ter formulieren? wochenlang allein in Irland, um zu arbei- der Einheit gesehen. Essayistische Schrif- für ihn und seine Familie bedeutet hat. Er war ein Mensch, der genießen konnte, ten und seine Ruhe zu haben. ten, Gedichte, Romane, Erzählungen Die Springer-Presse und Rechte suchen der sehr frei war. Für ihn war seine persön- waren für ihn eine Einheit. Auch wenn sich immer Feinde. Da war er für sie ein liche Freiheit ein sehr wichtiger Punkt. Er Was hat den besonderen Reiz Irlands er eine Rede hielt, war das für ihn eine idealer Feind. hat sechseinhalb Jahre als Soldat dienen für ihn ausgemacht? literarische Äußerung. Außerdem waren müssen – auch als Besatzungssoldat in Es war die friedliche Stimmung in Ir- die Nachwirkungen der Nazizeit in den Sein bekanntestes, am meisten ver- Frankreich, Polen und anderen Ländern. land. Er hat immer geschrieben, die Iren er bis er Jahren noch sehr, sehr kauftes und am heftigsten diskutier- Das war eine sehr wichtige Zeit für ihn. wären das einzige Volk Europas, das groß. Es waren noch unheimlich viele tes Werk ist »Die verlorene Ehre der Wenn man die Briefe aus dem Krieg liest, nie einen Eroberungskrieg geführt hat. Nazis an der Macht. Generell gab es ein Katharina Blum«. Darin beschreibt er wird klar, dass dieser Wunsch nach Freiheit, Und die ganze Mentalität der Iren, auch gewisses Manko in der politischen Klasse. die Auswirkung eines Hetzjournalis- der damals nie erfüllt wurde, bei ihm ganz sicher die Einfachheit. Wir waren im Z. B. wenn man Adenauer sieht, der wie mus. Ist das in Teilen ein autobiogra- stark war. Wir haben die Tagebücher aus äußersten Westen, was auch für Irland viele andere Politiker sehr konservativ fi sches Werk? der Kriegszeit fertig publiziert. Das ist für eine besonders arme Provinz war. Diese war. Da musste ein Gegengewicht ge- Was immer vollkommen missverstanden mich als Sohn eine ganz wichtige Lektüre. ganze Einfachheit des Lebens war für schaf en werden. wird: Es hat mit Terrorismus überhaupt Mein Vater war damals gerade Anfang . ihn sehr wichtig. Natürlich auch die nichts zu tun, auch wenn das manch- Wie hat er damals geschrieben? Was hat er Landschaft, die Menschen, das Klima. Er In diesen Jahren gab es zwei bedeu- mal selbst von linken Intellektuellen so gedacht? Das war für mich sehr bewegend. mochte keine Hitze. Irland war das idea- tende deutschsprachige Schriftsteller, dargestellt wird. Es ist zum einen eine le Klima für ihn, in jeder Beziehung. Und die politisch engagiert waren: Hein- Liebesgeschichte und zum anderen geht Ihr Ansatz ist: »Nehmt Böll in allerers- es war ein Land, in dem während des rich Böll und Günter Grass. Beide Lite- es um den Umgang der Presse mit Leuten, ter Linie als bedeutenden Schriftsteller Krieges die Nazis nicht waren. Das war raturnobelpreisträger, beide engagiert die ihnen nicht genehm sind. Es hat sehr wahr. Nur vor dem Hintergrund lässt er auch nicht verkehrt. für die SPD. Gleichwohl gibt es Riesen- viel mit eigenen Erfahrungen zu tun, aber sich auch als politisch engagierter Bür- unterschiede zwischen ihnen, auch im ist nicht autobiografi sch. ger begreifen.« Ist das die Reihenfolge? Wann ist Ihnen bewusst geworden, politischen Engagement. Ja, so sehe ich das. Natürlich will ich den dass Ihr Vater ein bedeutender Schrift- Mein Vater war nicht für die SPD, sondern Wie wichtig war ihm die Anerkennung, politisch Engagierten nicht kleinreden. steller ist? für Willy Brandt. Die Ostpolitik war für die er  durch den Literaturnobel- Die Friedensbewegung, die Auseinander- Ziemlich früh. Wir wurden schon in der ihn ein ganz wichtiger Punkt. Und Brandt preis erhalten hat? Das waren die po- setzung mit der »Dritten Welt«, wie es Schule als Kommunisten beschimpft oder wurde auch sehr dif amiert, weil er Emi- litisch umstrittenen Jahre. Und dann damals noch hieß, waren ganz wichtige in anderer Weise verunglimpft. So merkt grant, uneheliches Kind und ähnliches bekommt er den Nobelpreis. Anliegen für meinen Vater. Aber er war in man, dass da etwas besonders ist. war. Da gab es große Berührungspunkte. Der Nobelpreis ist für das literarische erster Linie Schriftsteller. Mein Vater ist sehr früh, , nach Polen Werk, nicht für die politische Tätigkeit. War es schwierig, ein Sohn Heinrich gereist;  nach Russland. Was damals Natürlich wurde er von vielen Leuten Ich danke Ihnen sehr. Bölls zu sein? sehr ungewöhnlich war. Die Versöhnung politisch funktionalisiert. Ich sehe ihn Natürlich ist es schwierig, weil die Leute mit dem Osten war für ihn ein ganz nicht so. Und für meinen Vater war es die René Böll ist bildender Künstler. Hans Jessen meinen, sie kennen einen. Einmal mei- wichtiger Punkt. Grass dagegen war sehr höchste Ehre, die er erfahren hat. Das war ist freier Journalist und Publizist. Er war nen sie, sie kennen den Vater, den sie parteipolitisch. Viele Menschen haben für ihn eine große Freude. Keine Frage. langjähriger ARD-Hauptstadtkorrespondent 24  JAHRE HEINRICH BÖLL www.politikundkultur.net

Der Panzer zielte auf Kafka Heinrich Bölls Literatur in der DDR

REGINE MÖBIUS gerpersönlichkeiten zu verdanken, dass Anfang der er Jahre Romane Bölls m Jahr  schrieb der -jähri- und ein umfänglicher Erzählband im ge Heinrich Böll in einem Aufsatz: Insel Verlag Leipzig erschienen. Viel- I »Die Wirklichkeit ist wie ein Brief, leicht spielte es eine wesentliche Rolle, der an uns gerichtet ist, den wir aber dass der Insel Verlag Anton Kippenberg ungeöf net liegenlassen, weil die Mühe, in der DDR nie komplett verstaatlicht ihn zu öf nen, uns lästig ist – oder weil wurde. uns die Vorstellung quält, der Inhalt Für , Mark konnte man »Billard könne unerfreulich sein, eine Vorstel- um halb zehn« in rosa Leinen gebun- lung, die uns fast gewiss erscheint. (…) den , im Jahr des Mauerbaus, in den Wir sitzen auf dem Sekundenzeiger, Händen halten, so man einen Buch- der die Vergangenheit von der Zukunft händler kannte, der »den Böll« neutral trennt, und der Zeiger bewegt sich so verpackt unter dem Ladentisch hervor- schnell, dass wir seine Bewegung kaum holte. Der Ansturm der DDR-Leser auf erkennen.« Diese Bewegung anzuhal- die Böll-Ausgaben war enorm. ten, zu vergrößern und sichtbar zu ma- Doch schon die Jahre  bis  chen ist die Arbeit des Schriftstellers. waren von einer erneuten Verhärtung Und Böll war sich einer solch quälenden des Kurses in der Kultur geprägt. Seit Aufgabe in einer Zeit großer gesell-  erschienen auch in der »Neuen schaftlicher Umbrüche sehr bewusst. Deutschen Literatur« (NDL), die bis Die wichtigsten deutschen Schrift- dahin Heinrich Böll oder Martin Wal- steller waren  aus dem Land ver- ser gedruckt hatte, keine westlichen trieben worden, darunter die großen Ro- Texte mehr. manciers: Heinrich und Thomas Mann, Am . September , einen Mo- Alfred Döblin, Arnold und Stefan Zweig, nat nachdem die Truppen der UdSSR, Anna Seghers, Oskar Maria Graf … Für Polens, Ungarns, Bulgariens und der viele von ihnen dauerte es Jahre, bis ihre DDR die Tschechoslowakei besetzten, Werke wieder einen Platz fanden in der druckte der Spiegel den Bericht Bölls Literatur ihrer Sprache, in der Literatur »Der Panzer zielte auf Kafka. Vier Tage ihres Landes, das  geteilt wurde in ALLIANCE PICTURE FOTO: in Prag«. In ihm schrieb der dort Ge- die Bundesrepublik Deutschland und Romy Schneider, der Star im er-Film von Bölls »Gruppenbild mit Dame« wesene: »Politiker denken wohl immer die Deutsche Demokratische Republik. dualistisch: Unterwerfung oder bewaf - Doch war sieben Jahre nach Kriegsende Die weitere Verbreitung der »Westli- Position zu beziehen. Am . Oktober mich beanspruchen, und doch bin ich neter Aufstand. Das erste wäre ihnen die nationalsozialistische Terrorherr- teratur« jedoch hing am Engagement hatte nach blutigen Auseinanderset- sicher, dass in Ungarn um eine Gerech- am liebsten gewesen, das zweite hatten schaft in den Köpfen noch immer gegen- und Erfi ndungsreichtum Einzelner. Der zungen bei einer Massendemonstration tigkeit gekämpft wird, gelitten und sie wahrscheinlich einkalkuliert, das wärtig. Besonders die fünf Jahre Krieg Literaturwissenschaftler Hans Mayer in Budapest für demokratische Frei- gestorben wird, die wir im westlichen dritte hatten sie nicht erwartet: per- hatten Zäsuren gesetzt. beispielsweise, der nach dem Krieg eine heiten der bewaf nete Volksaufstand Europa uns nicht so leichtfertig auf die manenter, geschlossener Widerstand, Die Neuorientierung der Erzählli- Professur an der Leipziger Universität gegen das stalinistische Regime be- Fahne schreiben, in die Leitartikel und unbewaf neter. Diese dritte Kraft, oft teratur begann nicht mit ästhetischen hatte, besorgte seinen Studenten, die gonnen. Am . November marschierten Kommentare aufnehmen sollten: Tei- schon gedacht, wurde am Mittwoch, Innovationen, sondern inhaltlich mit begeisterte Böll-Leser waren, über sein sowjetische Panzereinheiten in die un- le dessen, was wir unter Gerechtigkeit den . August , in Prag geboren der Aufarbeitung der Vergangenheit. persönliches Kontingent die in der garische Hauptstadt ein, um den Ver- und Freiheit verstehen, schwebt sicher und wuchs innerhalb von vier Tagen Ebenfalls , also ein Jahr vor Bundesrepublik erschienenen Böll- such Ungarns, sich aus dem Ostblock auch den ungarischen Revolutionären zu einem Riesen heran. Sie war hör- seinem packenden Nachkriegsroman Romane und Erzählungen unter dem zu lösen, zu unterbinden. Am gleichen vor, und doch geht es dort um mehr bar, sichtbar, greifbar und doch nicht zu »Und sagte kein einziges Wort«, hatte Gesichtspunkt: In ihnen ist »aus dem Tag baten die ungarischen Freiheits- (…).« fassen; sie war neu und machte vieles Böll sein »Bekenntnis zur Trümmerli- Aktuellen das Wirkliche zu erkennen« kämpfer die Westmächte vergeblich Eine solche Verlautbarung war will- neu; sie war voller Leidenschaft, Kraft teratur« veröf entlicht, in dem er die – eine Lehrmeinung, die Hans Mayer um militärische Unterstützung. Am . kommener Anlass, die Abgrenzung und Phantasie.« Aufgabe des Schriftstellers postulier- zunehmend in Schwierigkeiten brachte. Dezember wurde folgende Stellung- von westlichen Literatur- und Kultur- te, die Wirklichkeit mit klaren Augen Der Aufstand in Ungarn  war nahme von Böll veröf entlicht: »Ich einfl üssen zu verstärken. Es war dem Regine Möbius ist Vizepräsidentin und nicht mit modisch eingefärbten für Böll Anlass, wieder öffentlich kann nicht Augenzeugenschaft für ungeheuren Geschick einzelner Verle- des Deutschen Kulturrates Brillengläsern zu sehen. »Es ist unse- re Aufgabe«, heißt es in diesem kur- zen Aufsatz, »daran zu erinnern, (…) dass die Zerstörungen in unserer Welt nicht nur äußerer Art sind und nicht Untrennbar verbunden so geringfügiger Natur, dass man sich anmaßen kann, sie in wenigen Jahren Heinrich Böll und Köln stand essayistischer Texte und hielt tischen Terrorregime, die durch Bom- spekts vor dem Nobelpreisträger war zu heilen.« nicht zuletzt auch das Material für benhagel zerstörte Stadt und schließ- die Ausrichtung eines Empfangs im In den ersten Nachkriegsjahren einte HENRIETTE REKER die literarische Topografie des Ro- lich die wiederaufgebaute Stadt nach Kölner Schauspielhaus anlässlich sei- das Bestreben nach Aufarbeitung der manwerks bereit. Einer der Romane, . Wie die vielen Stellen in Bölls nes . Geburtstages. Von besonderer Hitlerdiktatur und des verheerenden einrich Böll war und ist mit in denen die Stadtgeographie am Erinnerungen belegen, war das Köln, Bedeutung dabei war die durch diese Krieges Literaturen in Ost und West. seiner Geburtsstadt un- deutlichsten hervortritt, ist »Billard das ihn immer wieder beschäftigt hat, Feierlichkeit zum Ausdruck gebrach- Aber bereits zur Zeit des Ersten (noch trennbar verbunden. Am um halb zehn«. Der Name Köln wird die Stadt der Vorkriegs- und der unmit- te Solidarität der Stadt mit Böll ange- gesamt-) deutschen Schriftstellerkon- . Dezember  wurde zwar in keinem Satz erwähnt, aber telbaren Nachkriegszeit. Liebevoll und sichts der im Zusammenhang mit den gresses im Herbst  zeigte sich ne- Her in der Teutoburgerstraße  in der dennoch schimmert die Stadt in den detailliert beschrieb Böll die Kölner Ereignissen im Deutschen Herbst  ben dieser moralischen Einheit schon Kölner Südstadt geboren und wuchs Beschreibungen der fi ktiven Lokalitä- Südstadt vor dem Krieg und die damit kulminierenden öf entlichen Hetze ge- hier auf. Die vielfältigen Einfl üsse in ten immer wieder durch, so z. B. in der verbundene Vorstellung von Heimat. gen ihn und seine Familie. Böll hatte seiner Kindheit und Jugend waren prä- Beschreibung des »Café Kroner«, das Er nahm für sich in Anspruch, durch dies als Zeichen verstanden und auch Die ersten Romane gend für seinen Lebensweg und seine in der Realität »Café Reichard« heißt. die Zerstörung Kölns seiner Heimat so empfunden. Fünf Jahre später und Bölls wurden in der literarische Entwicklung. Es gibt viele Spuren im urbanen beraubt worden zu sein. Böll schrieb damit zum . Geburtstag wurde ihm Für sein facettenreiches Werk wur- Raum, die das Kölner Leben Heinrich entsprechend viel über das verlorene, das Ehrenbürgerrecht verliehen. DDR of ziell geduldet de Böll mit den renommiertesten Aus- Bölls und seiner Familie markieren: das versunkene bis zur Unkenntlich- Böll ist bis heute präsent in der und von den Lesern zeichnungen geehrt, unter anderem das Geburtshaus, die im Verlauf der keit zerstörte Köln: »Als wir Köln wie- Rheinmetropole, es gibt neben dem literaturhungrig dem Georg-Büchner-Preis (), dem Jahrzehnte bewohnten Wohnungen dersahen, weinten wir«, vermerkte er Geburtshaus in der Teutoburgerstra- begrüßt Nobelpreis für Literatur () und der und Häuser sowie die gelegentlich für dann auch über seine Rückkehr nach ße und den Wohn- und Arbeitsstätten Carl-von-Ossietzky-Medaille (). die Arbeit zusätzlich angemieteten dem Krieg. auch den von Dani Karavan entworfe- Sein erzählerisches Werk ist vielfäl- Zimmer, die Ausweichmöglichkeiten Bölls Verhältnis zu Köln war immer nen Heinrich-Böll-Platz in unmittel- die Spaltung. Auf dem Kongress gelang tig geprägt durch seine persönlichen waren, wenn die Konzentration auf das auch ambivalent – das gilt natürlich barer Nähe des Doms. Er entstand von es, ein gemeinsames antifaschistisches Erfahrungen und nicht zuletzt sind Schreiben mehr Ruhe erforderte. Auch auch umgekehrt. Einerseits war er  bis  zeitgleich mit dem Bau Manifest der Schriftsteller aus Ost und Köln und das Rheinland durch ihn in nach ihrem Umzug nach Bornheim- Ehrenbürger der Stadt, andererseits des Museums Ludwig und der Kölner West zu verabschieden, doch die Spal- die Weltliteratur eingegangen. Merten zum Jahreswechsel / zeigten die Reaktionen der Öf entlich- Philharmonie. Bölls Arbeitszimmer tung der deutschen Literatur wurde Literatur entsteht nicht im luftlee- war Köln der Arbeits- und Wirkungsort keit auf viele seiner häufi g kritischen kann man in der Zentralbibliothek der bereits sichtbar. ren Raum. Die Werke Thomas Manns von Heinrich und Annemarie Böll. Die Äußerungen über Köln, dass sowohl Stadt Köln besichtigen, dort befi ndet Die ersten Romane des Rheinländers wären ohne Lübeck undenkbar, James Verbindungen zum WDR oder zu Kie- das Verhältnis der Kölner Bürgerin- sich auch das Heinrich-Böll-Archiv, Heinrich Böll wurden in der DDR unter Joyces »Ulysses« wäre ohne dessen penheuer & Witsch, Bölls Hausverlag, nen und Bürger als auch das der öf- das die wichtigste Dokumentations- dem Aspekt der Aufarbeitung of ziell Herkunft aus Dublin nie geschrieben blieben erhalten, ebenso die engen Be- fentlichen Institutionen der Stadt zu und Forschungseinrichtung zu Leben geduldet und von den Lesern im öst- worden. Köln ist für Böll zum Mate- ziehungen zu Freunden, Bekannten Heinrich Böll und seinem Werk nie frei und Werk von Heinrich Böll ist. Seit lichen Deutschland literaturhungrig rial seiner schriftstellerischen Arbeit und Schriftstellerkollegen. von Ressentiments und Missverständ-  vergibt die Stadt Köln alle zwei begrüßt. Hinzu kam für die of zielle geworden, in dem Maß wie Illiers- Für Böll gab es nicht nur ein Köln, nissen war. Jahre den Heinrich-Böll-Preis für her- DDR-Administration ein politischer As- Combray für Marcel Proust, Berlin für sondern gleich vier an der Zahl, wie So kontrovers die Beziehung, so ausragende schriftstellerische Leistun- pekt, der für die Verbreitung Böllscher Alfred Döblin oder Danzig für Günter er in einem Rundfunkgespräch  kritisch auch die Äußerungen auf bei- gen der deutschsprachigen Literatur. Literatur sprach, die Gegenposition des Grass. Über Jahrzehnte hinweg war es darlegte: Die Stadt seiner Kindheit den Seiten waren: Ein Zeichen großer Schriftstellers Böll zum restaurativen die Stadt seiner Aufmerksamkeit und und Jugend vor dem Zweiten Weltkrieg, Wertschätzung der Kölner Bürgerinnen Henriette Reker ist Oberbürger- Zeitgeist der Adenauer-Ära. Beobachtungen; Köln wurde Gegen- die Stadt unter dem nationalsozialis- und Bürger sowie Ausdruck ihres Re- meisterin der Stadt Köln Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 25

Ich will nicht Euer guter Heinrich sein Heinrich Bölls Arbeiten richtenmagazin Der Spiegel als ehe- Zinsen für Anwaltskosten abgehalten, Tacheles reden war Heinrich Bölls Le- Achteinhalb Monate später war Hein- für den Westdeutschen maliger NS-Journalist geoutet wurde, die ich schuldete. Mir  Prozent für das bensdevise. Der WDR ließ die Kritik über rich Böll tot. WDR-Intendant Fried- in der Figur des Bur-Malottke wieder- lang anstehende Honorar zu zahlen, sich ergehen und hielt die Türen of en: rich Nowottny dankte am . Juli  Rundfunk (WDR) erkannt, dieses klassischen Wendehal- auf die Idee kam keiner.« so für zwei lange Gespräche / mit in seinem Nachruf für »große Pro- ses?  war der einfl ussreiche Alt- Die Verleihung des Literaturnobel- dem ausgebürgerten Sowjetdissiden- grammstunden«. Böll sei immer »ein CHRISTOPH VORMWEG Nazi vorsichtshalber zum katholischen preises  steigerte Heinrich Bölls ten Lew Kopelew und seinem späteren kritischer Begleiter des Hörfunks und Glauben konvertiert. Zehn Jahre später Bereitschaft, sich politisch einzumi- des Fernsehens gewesen, der sich bei- edes Mal, wenn ich an dem Neu- aber will er das Wort »Gott« in allen schen, weiter. Nach der Ermordung den Medien weder verweigerte noch bau des Kölner Senders vorbeigehe, seinen Sendungen durch die Formu- von Arbeitgeberpräsident Hanns Tacheles reden war sich vereinnahmen ließ.« Mehr noch: frage ich mich, ob ich eines Tages lierung »O du höheres Wesen, das wir Martin Schleyer durch die »Rote Ar- Er habe angesichts der neuen Medien J nicht da sitzen könnte«, schrieb verehren« ersetzt haben. Das klang ab- mee Fraktion« schrieb er  einen Heinrich Bölls Lebens- »vor ›Video- und Kanalalphabetismus‹« Heinrich Böll  an seinen Freund gedreht. Und so vermeldete Höfers In- Drehbuchentwurf für den Episoden- devise. Der WDR ließ gewarnt und »das Recht des Geschrie- Ernst-Adolf Kunz. »Das wäre herrlich, formant, Bur-Malottke sei »wohl doch fi lm »Deutschland im Herbst« mit dem die Kritik über sich er- benen« betont. wenn man die elende Plackerei um das (…) satirisch so verzerrt, dass ich keine Titel: »Die aufgeschobene Antigone«. Anlässlich des . Geburtstages von täglich Notwendige einmal loswürde.« leibhaftige Gestalt dahinter erblicken Darin kritisierte er die falsch verstan- gehen und hielt die Heinrich Böll gab es  posthum eine Der Traum vom Festgehalt platzte. vermag«. dene »Fürsorgepfl icht« der öf entlich- Türen of en Ausstellung im Funkhaus des WDR – Als freier Mitarbeiter aber wurde der Böll habe, so der Informant weiter, rechtlichen Medien. Radiohörer und mit Blick auf den Paternoster, den er in Schriftsteller eine prägende Stimme »Dr. Murkes gesammeltes Schwei- Fernsehzuschauer sollten, so sein seiner Satire »Dr. Murkes gesammeltes des WDR. Für Intendanten, Direktoren gen« übrigens im Auftrag des WDR Eindruck, durch Zurückhaltung von Biografen Heinrich Vormweg. Hausin- Schweigen« verewigt hatte. »Ich will und Redakteure war das nicht immer geschrieben. Doch hätten die Verant- Informationen geschont werden. Böll tern kippte die Stimmung im WDR aber nicht Euer guter Heinrich sein« – die- ein leichtes Spiel. Denn sie hatten es wortlichen »die Courage verloren, das deutete das als eine Entmündigung immer mehr. »Wäre da nicht der Name, ses Böll-Zitat war der passende Titel. mit einem unbequemen Geist zu tun. Manuskript zu senden«. Kiepenheuer & der Bürger, als einen »an Schwachsinn wären Sie noch häufi ger als dies bereits Denn unbequem war dieser Schriftstel- »Besonders in den er und er Witsch, Bölls Kölner Verlag, profi tierte grenzenden Distanzierungsmechanis- der Fall ist der von oben betriebenen ler immer. »Böll wäre heute mit seiner Jahren« habe der Rundfunk »eine gro- und verkaufte die Satire bis  sage mus«: »In manchen Funkhäusern, höre oder von selbst in Gang gesetzten Sche- Integrität, seiner Fähigkeit, Mut zu ma- ße Rolle« für seinen Vater gespielt, und schreibe . Mal. Ironie des ich, darf man kaum noch riskieren, das re im Kopf und am Schneidetisch zum chen und seiner Vorbildfunktion nöti- schreibt mir Sohn René Böll. Er sei Schicksals: Höfer schrieb damals an Wort ›Kapitalismus‹ auszusprechen (…). Opfer gefallen«, schrieb ihm Klaus Bed- ger denn je«, sagte Friedrich Nowottny »ein wichtiges Medium (…) für junge, einem Aufsatz, der nie erschien. Titel: Warum eigentlich musste sich Klaus narz, Redaktionsleiter und Moderator angesichts der Rostocker Krawalle. »Der noch relativ unbekannte Autoren« ge- »Verschwiegenes vom ›Schweigen‹ - In- von Bismarck von dem Bornemann- des WDR-Fernsehmagazins Monitor, wachsenden Fremdenfeindlichkeit hät- wesen: »nicht nur als Auftraggeber für formationen und Kombinationen zu Interview distanzieren? Hat er es denn am . Oktober . »Ich hof e, dass te er nicht schweigend zugesehen.« Hörspiele, sondern auch als Wegbe- einer Funksatire«. Darin hieß es: »Ich gegeben? Distanziert er sich von der das Subjekt wie Objekt ›Heinrich Böll‹ reiter«. Nef e Viktor Böll hatte bei der komme nicht vor. Grund zum Jubeln, gelegentlich unerträglichen Morgen- nicht eines Tages ganz zum öf entlich- Christoph Vormweg ist freier Autor Eröf nung der Böll-Ausstellung  Grund zum Jammern? Wer vor zehn musik des WDR, obwohl er sie weder rechtlichen Tabu wird. Für unmöglich und Literaturkritiker, unter anderem von der »fast schon mäzenatisch zu Jahren schon dabei war, ›beim Funk‹, komponiert hat noch gespielt?«. halte ich das leider nicht mehr.« für WDR und Deutschlandfunk nennenden Funktion« des öf entlich- mochte damals von Glück reden, wenn rechtlichen Rundfunks für die deutsche er im ›Gesammelten Schweigen‹ uner- Nachkriegsliteratur gesprochen: »Über kannt blieb. Heute, nachdem die Mini- die vielen späteren Literaturpreise« Satire sowohl zur Literaturgeschichte vergesse man im Rückblick oft, »dass gehört als auch Funkhistorie darstellt, der Anfang eine Geschichte des Miss- gerät man in den Verdacht, weder in erfolges, der Armut und der Existenz- der einen noch in der anderen Sphäre nöte war«. richtig mitzuzählen, wenn man in der In ersten Beiträgen für den Nord- Murke-Menagerie nicht wenigstens mit westdeutschen Rundfunk (NWDR) Spurenelementen geführt wird.« beschrieb Heinrich Böll eine »Entde- Als Romanautor und Mitglied der ckungsreise« nach Berlin, nahm »fi s- Gruppe  war Heinrich Böll mitt- kalische Hundefänger« ins Visier oder lerweile eine tonangebende Stimme refl ektierte über die »Freuden und Tü- im bundesrepublikanischen Litera- cken des Sonntags«, diesen »Müßig- turbetrieb. Das bekam auch der WDR gang ohne Muße«. Dann rückten eigene zu spüren. Zum ersten großen Eklat Hörspiele und Hörspielbearbeitungen führte der Kommentar eines Kollegen fremder Texte in den Mittelpunkt. »Das in der Sendereihe »Auf ein Wort«. In ging schnell bei ihm«, erinnerte sich der kontrovers aufgeheizten Stim- der Literaturkritiker Joachim Kaiser mung nach der Spiegel-Af äre atta- später. »Er (…) schrieb ein paar Stun- ckierte Wolfdietrich Schnurre Ende den: dann warf er’s – so sagte er mir  die Demokratiefeindlichkeit der – entweder weg oder machte es eben Adenauer-Regierung und verwies auf rasch fertig.« Kaiser übersah allerdings, die wachsende »Verzweifl ung (…) an dass auf jedes eingesandte Manuskript Deutschland«. Daraufhin intervenier- ein langer Briefwechsel mit den Redak- ten CDU-Politiker beim WDR-Inten- teuren folgte. Die Arbeit am Detail fraß danten – so lange, bis Schnurre als frei- Zeit. So musste Böll / für sein er Mitarbeiter gekündigt wurde. Böll Hörspiel »Zum Tee bei Dr. Borsig« drei zeigte sich solidarisch und kündigte in Fassungen liefern. NWDR-Dramaturg einem Brief vom . Februar  seine Mitarbeit. »Die Behandlung, die der Fall Schnurre erfährt«, schrieb er an den In- tendanten , zwinge »Böll wäre heute mit ihn genauso dazu wie die im Zusam- menhang damit stehende Absetzung seiner Integrität, seiner eigenen Weihnachtssendung. seiner Fähigkeit, Mut Allerdings sägte Böll den nährenden zu machen, und seiner WDR-Ast, auf dem er saß, nicht völlig ab, sondern bezeichnete die Kündigung Vorbildfunktion als »mehr symbolischer (…) Art«, also nötiger denn je« »vorläufi g«. Acht Monate später schrieb er schon wieder einen gutgelaunten dreiseitigen Brief an den Intendanten. Auf dessen Bitte hin äußerte er sich zu Günther Sawatzki klagte, Böll nehme Fragen der Unterhaltung in Rundfunk die Mäzene zu satirisch auf die Schippe, und Fernsehen. »Ich gestehe Ihnen als wäre »ihr Urteil über Kunstwerke gern«, so Böll, »dass mir das Wort zum davon abhängig (…), ob eine bestimmte Sonntag (…) meistens weniger langwei- Sorte Zigarren oder Wein (...) gereicht lig ist als die gängige Unterhaltung, die werde oder nicht.« vorher geboten wird.«  nahm Heinrich Böll den Rund-  sendete der WDR »Aussatz«: funkbetrieb mit seiner Satire »Dr. Mur- das letzte Hörspiel Heinrich Bölls kes gesammeltes Schweigen« ins Visier. überhaupt. Als Erfolgsschriftsteller Sie spielte im neuen Kölner WDR- benötigte er den Rundfunk nicht mehr. Funkhaus. Denn nur dort gab es den Wenn es ums Geld ging, verstand er legendären Paternoster, der noch heute aber nach wie vor keinen Spaß. So rief in Betrieb ist. Die Satire hatte Lang- er Anfang der er Jahre das »Ende zeitwirkung. Noch zwölf Jahre später der Bescheidenheit« aus. »Die Manie- beauftragte Hörfunkdirektor Werner ren der Funk- und Fernsehanstalten Höfer einen Mitarbeiter, doch einmal sind diktatorisch«, klagte er in einem bei Böll nachzufragen, welche realen Leserbrief an den Spiegel: »Mir wur-

Personen hinter den Figuren stünden. den neulich vom WDR Köln (bekannt BILDARCHIV  DPA FOTO: Hatte sich Höfer, der  vom Nach- für sinnlose Baulustigkeit)  Prozent Ein Fremder zeigt mit dem Finger auf die durch die Presse bekannt gewordene Katharina Blum 26  JAHRE HEINRICH BÖLL www.politikundkultur.net

Ein beständig Fragender Heinrich Böll und die katholische Kirche

CHRISTOPH STRACK urteilt er: »Würde ein Quartaner sich derart miserabel ausdrücken, er könnte r war ein beständig Fragender mit einer ›Sechs‹ in Deutsch rechnen im Bewusstsein des Unperfek- und hätte sie verdient.« ten der Welt.« Jochen Schubert Am drastischsten ist vielleicht das hat vor wenigen Wochen die Verdikt über den damaligen Vorsitzen- Ejüngste Biographie zu Heinrich Böll den der Deutschen Bischofskonferenz vorgelegt. Auf knapp  Seiten geht und Münchner Erzbischof, Kardinal der Mitherausgeber der großen Kölner Julius Döpfner, der einen Weihbischof Gesamtausgabe immer wieder auf das zu erklären versuchte, der  als Thema Böll und die katholische Kirche Wehrmachtshauptmann  italienische ein. Im Gespräch erläutert Schubert die Zivilisten erschießen ließ. Angesichts Perspektiven des »beständig Fragen- der kardinalen Erklärung der Sündhaf- den«: Fragen von Transzendenz und immanenter Transzendierung, die wie- derkehrenden Motive der Brüderlich- »Würde ein Quartaner keit, der Nachdenklichkeit. sich derart miserabel Intensiver als Heinrich Vormweg, der in seiner Biographie »Der andere Deut- ausdrücken, er könnte sche« Böll als prominenten Kirchenkri- mit einer ›Sechs‹ in tiker hervorhob, blickt Schubert auch Deutsch rechnen und auf dessen religiös-familiäre Prägung. hätte sie verdient« Die Eltern Böll, die den Kulturkampf miterlebt hatten, waren, so Schubert, »nach den rigiden Vorstellungen eines tigkeit des Menschen verzichtet Böll in jansenistisch geprägten Katholizismus schönstem Sarkasmus auf einen Kom- erzogen worden, also gemäß den Leh- mentar und leitet stattdessen zum »sehr ren einer religiösen Überzeugung, der populären Schlager« eines »populären zufolge der Mensch tendenziell böse Komikers« über: Willy Millowitsch und und durch die Erbsünde prinzipiell ver- sein »Wir sind alle kleine Sünderlein…«. derbt sei«. Das prägte die Kindheit im Bölls Fazit: »Vielleicht ist es die Fer- Hause Böll; gleichwohl ermöglichten tigkeit, die Glätte, die die Sprache der sie dem Sohn den selbstbestimmten kirchlichen Würdenträger so nichts- Umgang mit Kirche und Katholizismus. sagend macht. Sie sind nicht bewegt Rheinischer Katholizismus eben, der und nicht bewegbar. Vielleicht sollten nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit sie dem Volk wieder aufs Maul schauen große Schwierigkeiten mit der Nähe und sich ihren Wortschatz nicht von der Kirche zum neuen politischen Sys- demoskopischen Instituten erarbeiten ALLIANCE PICTURE FOTO: tem hatte. lassen. Ihre Sprache, die Sprache der Vera Tschechowa sitzt hinter dem Steuer bei »Das Brot der frühen Jahre«,  Das prägt viele Werke der Frühzeit. kirchlichen Würdenträger, ist die Spra- In »Ansichten eines Clowns« (), che von Kontaktlosen oder zumindest bewusst von der Institution der Kirche verstarb, wurde er drei Tage später, am chen Bundespräsident Richard von »Gruppenbild mit Dame« (), vor Kontaktgestörten.« Es sind die Jahre mit ihrer Nähe zur Macht verabschie- . Juli, in Bornheim-Merten kirchlich Weizsäcker und der SPD-Vorsitzende allem in »Und sagte kein einziges nach . Die katholische Kirche steht det und doch die geistliche Botschaft beerdigt. Es ist eine eigene Geschichte. Alt-Kanzler Willy Brandt. Eine Feier, Wort« (). »Der Bischof war dumm«, nach dem Zweiten Vatikanischen Kon- des Ursprungs schätzt. »Die Kirche hat Das Erzbistum Köln nahm noch vor der wie es sie seitdem gewiss nicht mehr urteilt da der alkoholkranke und ver- zil von  bis  vor der Moderne ausgedient – hierzulande«, schreibt er Trauerfeier erklärend, fast entschul- gab. »Wir bitten im Namen des Toten armte Fred Bogner über den stolzen – und Millionen Katholiken warten auf im  posthum erschienenen Ro- digend dazu Stellung. Herbert Falken, um Frieden und Abrüstung, Dialog- Kölner Oberhirten. Kirche ist für ihn Bewegung. Viele von ihnen verlassen man »Frauen vor Flußlandschaft« und Nachbar der Bölls im Voreifel-Flecken bereitschaft, gerechte Verteilung der kalt. Er schildert satirisch-distanziert nach der Enzyklika »Humanae Vitae« thematisiert erneut die Enttäuschung Kreuzau-Langenbroich und Freund, war Güter, Versöhnung der Völker unter- eine Prozession. Seine Frau Käte, der von Papst Paul VI. zur Frage der Emp- über unglaubwürdige Priester. Bei allem katholischer Priester und Maler. Er er- einander und Nachlass der Schuld, die »das Kostbarste« Gott ist, spricht davon, fängnisverhütung ihre Kirche. blieb Böll in eigener Sicht, wie er  klärte Tage später: »Heinrich Böll war vor allem uns Deutsche drückt«, schloss dass »die Sanftmut der Liturgie zu den Knapp fünf Jahre später tritt auch einmal schrieb, »trotz allem katholisch, nach meiner Überzeugung Katholik und Pfarrer Falken seine Predigt. Das sprach wenigen Freuden gehört, die mir ge- Böll, gemeinsam mit seiner Frau, beim katholisch, katholisch«. Biograph Schu- ist immer gläubiger Christ geblieben«. für den Toten, sagt aber auch etwas aus blieben sind«. Und dass sie doch Angst Amtsgericht Düren demonstrativ aus bert sagt, die Institution der Kirche sei So bekam Böll eine würdige kirchli- über die Grundstimmung dieser Jahre, davor hat. Dem unnahbaren Bischof der katholischen Kirche, die gewiss ihm so säkular gewesen, die religiöse che Feier. Gemeinsam mit den Söhnen, dieser Generation. und einem Prälaten mit »schönem, »seine Kirche« blieb, aus, ohne deswe- Prägung aber »Erscheinungsform der einem Nef en und einem Jugendfreund sauberem Gesicht« steht als Gegenge- gen jedoch »vom Glauben abgefallen« Freiheit«. Böll habe sich »über das trugen Günter Grass, Lew Kopelew und Christoph Strack ist Stellvertretender sicht ein Pfarrer gegenüber, »einer von zu sein. Es ist der vielleicht prominen- Katholische hinaus weiterentwickelt«. Günter Wallraf den Sarg zum Grab. Viel Leiter des Hauptstadtstudios der Deut- denen, die der Herr Prälat als typische teste Akteur in Deutschland, der sich Und doch. Als Böll  unerwartet Prominenz war da. Unter anderem spra- schen Welle Dreiminuspriester mit einer Neigung zu vier plus bezeichnet«. Ein Schlüsselwerk ist der Dokumen- tarfi lm »Die Sprache der kirchlichen Würdenträger« von . Es ist eine Eine Autostunde von Köln entfernt von Böll selbst moderierte Analyse von kirchlicher Sprache in Reden, In- Heinrich-Böll-Haus der Heinrich-Böll-Stiftung, der Stadt aus verschiedenen Kulturen kennen- ergibt sich, dass besonders solche terviews und schriftlichen Äußerungen Langenbroich Düren und der Gemeinde Kreuzau ge- lernen und austauschen können. So Künstler bevorzugt eingeladen werden, – und es ist eine Abrechnung mit der gründete Verein Heinrich-Böll-Haus sollen neue Kontakte und Eindrücke deren Schaf en meist aus politischen Ausdruckslosigkeit »hoher kirchlicher Langenbroich e.V. Träger des Hauses. möglich werden. Gewährleistet wird Gründen in ihren Ländern behindert Würdenträger« und ihrem öf entlichen SIGRUN RECKHAUS Absicht war, das Haus im Sinne des dies durch eine mietfreie Wohnung für oder gar verhindert wird. Anspruch, »zu wichtigen Problemen Literaturnobelpreisträgers zu nut- vier bis sechs Monate und ein Stipen- An den Herkunftsländern unserer Stellung zu nehmen und Rat zu ertei- n den er Jahren erwarb die Fa- zen und wiederzubeleben. Es wurde dium, das für diesen Zeitraum die Sor- Gäste lässt sich ablesen, wo die neuen len«. Böll hört auf Repräsentanten der milie Böll eine denkmalgeschützte ein Freiraum für Künstler geschaf en, ge um den Unterhalt nimmt. Im Laufe Krisenherde der Welt liegen. Seit  I Hofanlage aus dem . Jahrhundert die hier – aus bedrängten politischen der Jahre entstanden Verbindungen erreichen uns die meisten Anfragen im Eifeldorf Langenbroich. Eine Auto- Verhältnissen kommend – für eine zu einem internationalen Netzwerk, und Hilferufe aus Syrien und den be- Bei allem blieb Böll in stunde von Köln entfernt suchte und bestimmte Zeit die notwendige Ruhe das sich für politisch verfolgte Schrift- nachbarten arabischen Staaten. Alle eigener Sicht, wie er fand Heinrich Böll für sich und seine für ihre Arbeiten fi nden können. Dazu steller einsetzt. Nordrhein-Westfalen Künstler haben sich in ihrer Heimat  einmal schrieb, Familie einen Ort der Entspannung wurde das Haus nach Plänen von Hein- unterstützt den Verein durch zusätz- für Demokratie und Menschenrechte und Erholung, der gleichzeitig ein rich Bölls Sohn Vincent Böll umgebaut liche Stipendienmittel aus dem Hein- eingesetzt und führen ihr Engagement »trotz allem katho- kreativer Arbeitsort für ihn und Anne- und die notwendigen Kosten wurden rich-Böll-Fonds des Landes für poli- in Langenbroich fort. Dazu gehört auch, lisch, katholisch, marie Böll wurde. Hier empfi ngen sie von der NRW-Stiftung Naturschutz, tisch verfolgte Schriftsteller. Auch die in öf entlichen Veranstaltungen über katholisch« Freunde, Kollegen und Politiker. Ale- Heimat und Kulturpfl ege übernom- Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt den die Lagen in ihren Heimatländern zu xander Solschenizyn war nach seiner men. So entstanden vier Gästewoh- Verein durch Stipendien, Mittel und berichten. Ausbürgerung aus der UdSSR im Feb- nungen. die Betreuung der Gäste des Hauses, Eine Möglichkeit, das Heinrich- katholischen wie der evangelischen ruar  wohl der berühmteste Gast. Der erste Gast im Heinrich-Böll- die Stadt Düren stellt die Geschäfts- Böll-Haus Langenbroich zu besichti- Kirche und spielt sie in der Sendung Annemarie und Heinrich Böll sind hier Haus Langenbroich war  der führung. gen, bietet das alle zwei Jahre statt- jeweils ein. Und er variiert seine Kritik.  bzw.  verstorben. kurdische Schriftsteller Abdul Kadir Der Verein bemüht sich um die Ver- fi ndende Sommerfest mit Lesungen, Mal spricht er von »hochspirituellem Langenbroich und seine nähere Konuk. Sein Besuch war der Auftakt mittlung von Lesungen, Diskussions- Präsentationen und Performances der Vokabularium, ausgedacht, um die Umgebung fand auch Eingang in Bölls für Aufenthalte von mittlerweile  veranstaltungen und Ausstellungen, aktuellen Gäste des Hauses. nackte Interessenvertretung zu ver- Werk, etwa im Roman »Fürsorgliche Künstlern, für die das Haus zu einem die über die kulturelle und politische bergen«, »nichtssagend und vieldeu- Belagerung« (), in Essays wie »You zeitweiligen Zufl uchtsort wurde. Hier Situation der Heimatländer der Gäste Sigrun Reckhaus ist Mitarbeiterin tig zugleich«. Mal: »Er versandet, wo enter Germany« (), »Die Juden im Heinrich-Böll-Haus können die informieren. So kann im Sinne Hein- der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin er defi nieren müßte.« Mal vernimmt er von Drove« () oder »Lauter Be- Gäste Abstand suchen, Muße und Kon- rich Bölls ein Kulturaustausch auf und zuständig für die Betreuung der »unbrauchbare« Stellungnahmen, »weil lästigungen« (). Seit  ist der zentration fi nden. Das Böll-Haus soll einer persönlichen Ebene stattfin- Stipendiaten im Heinrich-Böll-Haus sie in große Worte ausweichen«. Mal von der Familie Böll zusammen mit ein Ort sein, an dem sich Menschen den. Aus der Zielsetzung des Vereins Langenbroich Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember   JAHRE HEINRICH BÖLL 27

Einmischung erwünscht! Ein Literat als Namens- lektuellen und künstlerischen Milieus »moralischen Instanz« Böll, als die er »Weiter Schreiben«, ein literarisches Künstlerinnen und Künstler, streitba- geber einer politischen der alten Bundesrepublik. Ich fuhr zu sich selber nicht so gerne sah. Portal für gefl üchtete Autorinnen und re Toleranz und die unbedingte Wert- Annemarie Böll und sprach zunächst Beides aber, die Einmischung und Autoren, das ihnen ermöglichen soll, schätzung für Kunst und Kultur. Stiftung mit ihr und Sohn René Böll über die die moralische Instanz, waren östlich weiter gelesen und gehört zu werden. Anlässlich seines . Geburtstags Idee einer grünnahen Heinrich-Böll- der Mauer Synonyme für Glaubwür- Mehr denn je sind in einer Vielzahl haben wir eine Wanderausstellung zu BARBARA UNMÜẞIG UND Stiftung. Einige Wochen später kam digkeit und Standfestigkeit. Der Name von Ländern Künstlerinnen und Künst- Leben und Werk Heinrich Bölls über- ELLEN UEBERSCHÄR Renés Bruder Vincent hinzu, ebenso Böll zerstreut nach dem Mauerfall die ler massiven Repressionen ausgesetzt. arbeitet und modernisiert, nach Stati- Lew Kopelew und einige weitere enge Vorbehalte gegen die Krötenretter und Die emanzipatorische Kraft der Kunst onen in Greifswald und Rostock, Kiel einrich Böll ist Namensgeber Freunde der Familie. Mein Vorschlag Sonnenblumenträger aus dem Westen. wird als Bedrohung der Macht nicht und Regensburg wird sie demnächst der grünen politischen Stiftung. fand Unterstützung. Umso mehr sah ich Verbunden mit dem in der DDR-Schule nur autoritärer Regierungen gesehen. in Erfurt zu sehen sein, Freiburg, Saar- H Das mag verwundern, wenn mich in der Pfl icht, of en über mögli- Gelesenen, von berühmten Schriftstel- Auch sogenannte illiberale Demokra- brücken, Bremen, Prag und Warschau man sich die Namen der anderen po- che Probleme bei der innerparteilichen lerinnen und Schriftstellern im Osten tien greifen zu Veröf entlichungs- und sind geplant. Ein Symposium in Köln litischen Stiftungen ansieht: Konrad Durchsetzung zu sprechen. ›Es gibt drei Geschätzten gelingt es, Interesse an Ausstellungverboten, schüchtern ins- befasste sich mit einer »bewohnba- Adenauer, Friedrich Ebert, Friedrich Punkte, die es nicht einfach machen‹, grünen Themen zu bündeln, Raum zu gesamt ihre zivilgesellschaftlichen ren Sprache in einem bewohnbaren Naumann, Hanns Seidel und Rosa Lu- sagte ich, ›Böll war ein Mann, Böll war bieten für unterschiedliche Erfahrun- emanzipatorischen Akteurinnen und Land«. Eine Studienreise führte nach xemburg – sie alle waren Politiker und Katholik und Böll war bürgerlich.‹ An- gen und Perspektiven auf Bürger- und Akteure ein. Irland, auf den Spuren des legendär- eine Politikerin, deren Wirken klar in nemarie Böll hat gelassen reagiert: ›Es Menschenrechte, auf Ökologie und Heinrich Böll selbst hat verfolgten en »Irischen Tagebuchs«. Auf unserer einem Zusammenhang mit der jewei- ist nicht unsere Initiative‹, sagte sie, Frauenrechte. Auch in Osteuropa hat Schriftstellern konkrete Unterstützung Website www.boell.de/JahreBoell ligen politischen Grundströmung und ›kein Vorschlag der Familie. Aber wenn der Name Heinrich Böll einen guten und Schutz gewährt. In dieser Tradition bündeln wir nicht nur all diese Aktivi- damit auch der politischen Stiftung Sie den Vorschlag machen, werden wir Klang. Schnell kommt man miteinan- bieten wir im Heinrich-Böll-Haus in täten, sondern wir suchen auch Antwort steht. Aber Heinrich Böll? Der Chronist ihn unterstützen. Und machen Sie sich der ins Gespräch über Romane, Erzäh- Langenbroich bei Köln Stipendien für auf die Frage, wie aktuell Böll heute ist, der Nachkriegszeit, der erste deutsche wegen öf entlicher Diskussionen keine lungen und politische Einwürfe des Künstlerinnen und Künstler aus unter- was Künstlerinnen und Künstler, Poli- Literaturnobelpreisträger nach , Sorgen. Das kennen wir alles. Die Stadt Kölners. schiedlichen Ländern an, damit sie für tikerinnen und Politiker unter »Einmi- der nie Mitglied der Grünen war. War- Köln hat fünf Jahre gebraucht, um sich Mit der Erbengemeinschaft Hein- einige Zeit, in Frieden, ungestört und schung erwünscht!« verstehen und wie um Heinrich Böll? nach heftigen Diskussionen für eine rich Böll haben wir einen Vertrag abge- fi nanziell abgesichert arbeiten können. wir seine Bücher heute lesen. Auf einer Antworten auf diese Frage lassen Ehrenbürgerschaft meines Mannes zu schlossen, in dem wir uns verpfl ichten Im Jahr  hatten wir Schriftstelle- Veranstaltung im November in Berlin sich im Jahr nach dem Tod Heinrich entscheiden.« , Prozent des Gesamtetats für Kunst rinnen und Schriftsteller sowie und wollen wir Heinrich Böll als Künstler Bölls finden. Böll fehlt, er war eine Es wird noch einige grüne Parteitage und Kultur auszugeben. Wir pfl egen das Journalistinnen und Journalisten aus und als öf entlichem Intellektuellem moralische und politische Instanz, bei brauchen, ehe sich die Partei – nicht Erbe Heinrich Bölls: mit der -bändi- Syrien, Afghanistan, dem Jemen und nachspüren, eine große Tagung der Freund und Feind.  fi ndet sich in etwa auf eine, sondern gleich auf drei gen kritischen Gesamtausgabe, die zum Bangladesch im ehemaligen Sommer- Universität und der katholischen Aka- Köln ein zehnköpfi ger Kreis um den ihr nahestehende politische Stiftungen . Todestag bei Kiepenheuer & Witsch haus der Bölls zu Gast. Sie alle muss- demie Freiburg rundet die Aktivitäten Sohn René Böll und den damaligen verständigt. Eine davon war die Hein- erschienen ist, mit dem Böll-Archiv, mit ten ihre Heimat verlassen und leben in des Jahres im Dezember ab. Grünen-Sprecher Lukas Beckmann, der rich-Böll-Stiftung, die zwei anderen einer neuen Biografi e Heinrich Bölls, Deutschland im Exil. In seinem Vorwort zur erwähnten die Initiative für eine noch zu gründen- hießen Buntstift und Frauenanstiftung. verfasst von unserem Mitarbeiter Jo- Der . Geburtstag von Heinrich aktuellen Böll-Biografi e schreibt René de grüne Stiftung ergreifen wird. Für sie Diese grün-nahe Stiftungsvielfalt währ- chen Schubert, die zur diesjährigen Böll am . Dezember  ist für uns Böll: »Wie alle Menschen hatte mein steht der Name fest und sie werden ihn te nicht allzu lange. Die grüne Partei Frankfurter Buchmesse erschienen ist. ein willkommener Anlass, an unseren Vater Stärken und Schwächen. Ich selbst durch alle Gremien verteidigen. beschloss, dass die drei Einzelstiftun- Wir fördern Kunst und Kultur als Namensgeber zu erinnern. Seit seinem habe ihn immer als selbstkritisch, to- In einem Zeitzeugengespräch vom gen fusionieren müssen. Ausdrucksform gesellschaftlicher Tod im Jahre  hat es in Deutschland lerant und großzügig erlebt. Wichtig . Oktober  sagt Lukas Beckmann Heinrich-Böll-Stiftung setze sich als Selbstverständigung. Wir konzipieren keinen vergleichbaren öf entlichen In- ist mir deshalb heute wie früher, dass dazu: »Er war Literaturnobelpreisträger Namensgeber für eine neue Gesamtstif- und veranstalten Literaturtage, Film- tellektuellen mehr gegeben: Böll legte seine Bücher gelesen werden und sich und hatte wesentlich dazu beigetra- tung durch, so wie wir sie heute kennen: reihen, Musik und Kulturfestivals.  sich mit der politischen Linken wie die Menschen unvoreingenommen ihr gen, dass die deutsche Sprache nach Seit  im Herzen Berlins. ging es bei unseren »Deutsch-Israeli- der Rechten an, mit der katholischen eigenes Bild von seiner Person machen.  auch im Ausland wieder sprechbar Heinrich Böll passt hervorragend zu schen Literaturtagen« um Fluchter- Kirche ebenso wie mit der Presse. Er Dass dies nun möglich ist, ist auch ein wurde und öf nete mit seinen Romanen unserem Selbstverständnis als Ideen- fahrungen und das Ankommen in der setzte sich für Flüchtlinge aus Vietnam Verdienst der vorliegenden Biographie.« und als Persönlichkeit Türen für erste und Impulsgeber. Er steht für interna- neuen Heimat. Beim DExZA-Festival ein und für Dissidenten in Osteuropa. Wir als Heinrich-Böll-Stiftung handeln Gespräche mit Moskau und anderen tionale Solidarität und Gerechtigkeit, gaben Künstlerinnen und Künstler aus Er war Humanist, aber kein Moralist auch in Zukunft im Sinne Heinrich Ländern. Heinrich Böll hatte uns zu- war immer Mutmacher und mischte Berlin und dem südafrikanischen Jo- und überzeugt, dass »Sprache, Liebe, Bölls, wenn wir die Einmischung als sammen mit seiner Frau Annemarie sich auch gegen heftige Widerstände hannesburg Einblick in die Poesie- und Gebundenheit den Menschen zum Men- einzige realistische Möglichkeit der bei der Europawahl  unterstützt, für die Würde des Menschen, für die Musikszenen beider Städte. Auf den schen machen«. Veränderung begreifen. ebenso bei der Bundestagswahl . universellen Menschenrechte ein. »Ein- Arabischen Filmtagen gab es Dokumen- In dieser Tradition steht die politi- Seine Unterschrift unter einem Wahl- mischen ist die einzige Möglichkeit, re- tar-, Kurz- und Spielfi lme über starke sche Stiftung, die seinen Namen trägt. Barbara Unmüßig und Ellen Ueber- aufruf war vertrauensbildend für viele alistisch zu bleiben« – dieses Zitat von Frauen aus dem arabischen Raum zu Unsere Arbeit ist seiner Haltung ver- schär sind gemeinsam Vorstand der weitere Persönlichkeiten aus den intel- Heinrich Böll ist uns lieber als das der sehen. Wir unterstützen das Projekt pfl ichtet: Zivilcourage, Verteidigung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin FOTO: PICTURE ALLIANCE PICTURE FOTO: Romy Schneider gemeinsam mit Vadim Glowna in »Gruppenbild mit Dame«,  28 KULTURELLES LEBEN www.politikundkultur.net

Jubiläen feiern, wie sie fallen. Aber wie?  Jahre Reformation – Rückblick auf ein historisches und re- hört. Und entsprechend impliziert die haben. Organisation und Struktur sind ne kulturelle Projektkompetenz dieser in der Schweiz ligiöses Ereignis, sondern als Versuch, Feier seiner Reformation eine Ausei- denkbar einfach – die Träger haben ei- Art verfügt. Vertrauen benötigt aber Geschichte und Gegenwart zusammen- nandersetzung, der weder mit kluger nen Verein gegründet, dessen Vorstand auch die Politik, die sich erst einmal zubringen und die Reformation als eine Geschichtsdidaktik noch mit religiös zweimal jährlich zusammenkommt, mit Kirche und Religion einlassen MARTIN HELLER gleichsam genetische Prägung jenes motivierter Erinnerungsarbeit allein während sich seine Geschäftsleitung musste, aber auch im Hinblick auf ihre Zürich zu thematisieren, das noch beizukommen ist. Vielmehr geht es monatlich trif t. Verantwortung für öf entliche Gelder. ünfhundert Jahre Reformati- heute in der Schweiz häufi g – und mit darum, das Zwinglianische zu rehabi- Zweitens: Mit der Leitung des Pro- Schließlich und nicht zuletzt ist Ver- on. Auch in der Schweiz und dezidiert säuerlichem bis mokantem litieren, indem es neu und jekts ist ein Zweierteam trauen zwischen den Autorinnen und insbesondere in Zürich. Mit Unterton – als Zwingli-Stadt apostro- begründet defi niert wird von kulturellem Gewicht Autoren der Projekte und der kurato- etwas Verspätung zwar: Zum phiert oder verschrien wird. – als produktiver Beitrag beauftragt worden, im rischen Gesamtleitung gefragt – alle FZeitpunkt von Luthers Thesenanschlag Um den Willen hinter diesem Ver- zu einem entkrampften Sinne einer inhaltlich- Beteiligten bewegen sich inhaltlich auf trieb sich Huldrych Zwingli, der Zür- such und die Philosophie, die ihn treibt, Umgang mit der eigenen kuratorischen Gesamtlei- Neuland. cher Reformator, noch lebenslustig und geht es in der folgenden Darstellung. Im Mentalität. tung. Dieses Duo hat na- Fünftens: Partizipation heißt in lernbegierig in Einsiedeln herum. Am Wissen um die ehrgeizigen Ziele der Lu- Auf dieser Basis hat sich hezu die Befugnisse einer einer solchen Anlage, möglichst viele . Januar  wurde er als Leutpriester ther-Dekade, die einst gesetzt wurden, ein Jubiläumsprojekt ent- Intendanz und plant das kulturelle Institutionen zu beteiligen. am Zürcher Grossmünster installiert, und um die zurückhaltende Bewertung wickelt, das in manchen Programm autonom, muss Auch solche, die noch vor Kurzem kaum und erst in den folgenden Jahren kam ihrer Resultate gerade durch den Deut- Belangen auf völlig andere allerdings die einzelnen daran dachten, sich auf die Reformati- es zu jener kirchenhistorischen und ge- schen Kulturrat. Denn of enbar, so neh- Erfahrungen und Möglich- Mit dieser Kolumne künstlerischen und kul- on und Figuren wie Zwingli und seine sellschaftlichen Umwälzung, die Zürich men wir in der nüchternen Schweiz zur keiten setzt als in Deutsch- begleiten wir das turellen Projekte jeweils Nachfolger einzulassen. Die sich jedoch zur Reformationsstadt machen sollte. Kenntnis, ist dem deutschen Jubiläum land. Und das natürlich in Reformationsjubiläum. nach Ende der Konzept- davon überzeugen ließen, wie wichtig In Genf, Bern oder Basel liegen die nicht gelungen, ein Publikum über die seiner Konzentration auf phase und zusammen mit es ist, in diesem komplexen Gefüge Schlüsseldaten nochmals anders. Also kirchlichen Kreise hinaus zu erreichen die Stadt und die Region Zürich die dem Budget dem Trägergremium vor- eigene Fragestellungen und Sinnge- schloss sich der Schweizerische Evan- oder gar zu begeistern. Chance hat, allen nationalen oder gar legen. In der Gestaltung der Dachkom- bungen freizulegen – zwischen Glaube, gelische Kirchenbund den auf Luther Zurück zur Zwinglistadt: Ein Schlüs- nationalistischen Fallen zu entgehen munikation des Jubiläums ist die kura- Skepsis und gesellschaftlicher Neugier ausgerichteten deutschen Feierlichkei- sel zum Verständnis der Zürcher Be- und dafür enge Beziehungen und Bin- torische Leitung frei. Eigene Vorhaben und mit wachem Bewusstsein für die ten an. Im Sog der damit verbundenen mühungen liegt in diesem Nachhall. dungen vor Ort zu aktivieren. kann sie initiieren, realisiert sie aber Chancen solcher Exkursionen im Alltag Planungen kam er zur Entscheidung, Zwingli ist keineswegs die allseits Bereitgestellt wurde ein Budget von nicht selbst, sondern kooperiert mit eines oft mit sich selbst beschäftigten auf diese Weise auch der Erinnerung anerkannte Lichtgestalt der lokalen, , Millionen Schweizer Franken. Das externen Akteuren und Institutionen. Kulturbetriebs. Ebenso wichtig aber ist, an die Reformationsbewegungen in in ihrer Bedeutung aber viel weiter- Programm, das damit fi nanziert wird, Drittens: Alle Fördergelder wurden dass die meisten Einrichtungen, For- der Schweiz einen idealen und öf ent- reichenden Reformation. Die Wahr- ist am raschesten über die Webseite auf der Grundlage einer ersten und mate und Medien bereits ein Publikum lichkeitswirksamen Auftritt zu verschaf - nehmung von Zwinglis Person und www.zh-reformation.ch zugänglich. noch ungefähren Programmversion mitbringen, das für die Reformations- fen. seiner historischen Mission stehen Diese Plattform macht überdies die gesprochen. Eingeschlossen war damit, thematik gewonnen werden kann. All diese Dispositionen und Überle- gungen liefern bloß – aber immerhin! – die Voraussetzungen dafür, das Zür- cher Reformationsjubiläum mit Lust am Risiko zu feiern. Das Risiko selbst allerdings muss in den einzelnen Ideen stecken und ihre Realisierung durch- ziehen. In Form eines ernsthaften kul- turellen Spiels, das sich weniger um Korrektheit oder historische Detail- schärfe kümmert als um das Potenzial von Bewegungen ins Of ene. Aus solchen Bewegungen entste- hen Projekte wie ein Zeichentrickfi lm zu Zwinglis Kindern oder ein Mobile Game mit der Einladung, im Zürich des Jahres  gegen ein dunkles Unterdrückungssystem zu kämpfen. Oder eine Ausstellung zum Wort als der gemeinsamen Leidenschaft von Theologen und Literaten und eine wei- tere – »Gott und die Bilder« – zu den großen Streitfragen der Reformation, dann eine in der Kunsthalle Zürich eta- blierte, von einem Künstler eingerich- tete Kirche, Theaterproduktionen zum Konfl ikt Zwinglis mit seinen einstigen Weggefährten, den Täufern, oder als Behauptung, was eine zeitgenössische Form der Disputation sein könnte. Unterwegs sind aber auch: eine Er- kundung der schwierigen Verhältnis- se zwischen Reformation und Musik, Interventionen im öf entlichen Raum mit Kommentaren zur reformierten Arbeitsethik, eine Bibelübersetzungs- werkstatt für Jugendliche, eine Beob- achtungsstation zum Selbstverständ- nis der reformierten Kirche, eine von Zwinglis Energien inspirierte Tanz-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / KEYSTONE / ALLIANCE PICTURE FOTO: und Musikperformance, eine Schule Statue von Huldrych Zwingli in Zürich des Handelns mit Gästen, eine Zwingli- Roadshow als Lehrstück und Spektakel In einem nächsten Schritt ergab sich vielmehr im Zeichen einer ebenso selt- vielfältigen thematischen Bezüge und dass sich das Programm im Sinne einer sowie etliches mehr. dann jene Konstellation, die – angesto- samen wie bezeichnenden Ambivalenz. Brechungen des Diskurses zugänglich, rollenden Planung weiterentwickeln Und der rote Faden? Die Schweizer ßen durch die evangelisch-reformierte Auch wenn die Bedeutung der re- der die Beteiligten beschäftigt und sie soll und laufende Arbeitserfahrungen Reformation war eine Bewegung von Landeskirche des Kantons – zur aktuel- formatorischen Zeitenwende aner- vermittelt einen Eindruck von der be- einfl ießen lässt. Aus diesem Vorgehen unten, ein Beispiel visionär unterfüt- len Form des Zürcher Jubiläums geführt kannt und in Zürichs intakter Altstadt wusst of ensiven Bildsprache in Kom- kristallisierte sich die Konzeption einer terter, aber pragmatisch tatkräftiger hat. Virulent ist es während eineinhalb zumindest äußerlich auf Schritt und munikation und Vermittlung. Programmlandschaft heraus, die über und volksnaher Veränderung. An die- Jahren und enden wird es im Januar Tritt nachvollziehbar ist, so steht Die folgenden fünf Besonderhei- einen Zeitraum von mehr als einem ser im besten Sinne demokratischen ,  Jahre nach Zwinglis Auftritt »zwinglianisch« als säkulares Erbe der ten mögen die Philosophie hinter der Jahr hinweg das Thema der Reforma- Vorgabe richtet sich auch das Zürcher auf der Reformationsbühne. Ein auch Reformation erst einmal für Arbeitswut, Projektgestaltung charakterisieren. tion an unterschiedlichen Orten des Jubiläum aus, entlang jener ebenso für die Schweiz außergewöhnliches verknif ene Strenge und Lustfeindlich- Erstens: In der Trägerschaft von » Zürcher Kulturbetriebs platziert und tref enden wie zeitlosen und zu fast Projekt, großzügig gefördert durch die keit. Als Fundament der erfolgreichen Jahre Zürcher Reformation« haben einem breiten Publikum Gelegenheit jeder Lebenslage passenden Beschwö- Stadt und insbesondere den Kanton Finanz- und Wirtschaftsmetropole Zü- sich Partner mit unterschiedlichen zu unerwarteten Begegnungen gibt. rung Zwinglis: »Tut um Gott’s Willen Zürich, zusammen mit der erwähnten rich mag ein solches Bild durchgehen Interessen einvernehmlich zusam- Viertens: Der Schlüssel zu einem etwas Tapferes!« kantonalen Landeskirche, dem Refor- – deren regelmäßigen Spitzenplatzie- mengefunden. Der politische und zi- solchen Projektverständnis heißt Ver- mierten Stadtverband Zürich und Zü- rungen im Städteranking der Lebens- vilgesellschaftliche Blick auf die Refor- trauen. Vertrauen zuallererst seitens Martin Heller ist Kurator und rich Tourismus. qualität wird es ebenso wenig gerecht mation geht einher mit den kirchlichen der Kirche, dass die Auseinanderset- Kulturunternehmer bei Heller Eine seltsame Allianz für ein Refor- wie dem Sommerfi eber der Zürcher Anliegen, wobei die Institutionen der zung mit nichtkirchlichen Perspekti- Enterprises. Zusammen mit der mationsgedenken. Indessen: Sie bringt Street Parade und ähnlicher Events. Kirche für eigene Projekte mit spezi- ven und Auf assungen Sinn macht und Regisseurin Barbara Weber nimmt er zum Ausdruck, aus welcher Haltung Also bezeichnet Zwingli einen nahezu fi sch religiösem Gehalt eine besondere produktive Ergebnisse zeitigt. Was das die inhaltlich-kuratorische Gesamt- heraus Zürich seine Reformation ver- blinden Fleck in der Selbstwahrneh- Finanzierung unter eigener Regie und Zugeständnis der Verantwortlichen leitung von » Jahre Zürcher stehen und feiern will. Nicht allein im mung Zürichs, der ausgeleuchtet ge- mit einem eigenen Label bereitgestellt einschließt, dass die Kirche über kei- Reformation« wahr Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  KULTURELLES LEBEN 29

Kultur wieder groß schreiben Die nordrhein-westfälische Kulturministerin Isabel Pfeif er-Poensgen im Porträt

ANDREAS KOLB will nicht nur mehr Geld in die Hand tärin gar nicht so weit entfernt. Denn nehmen, sie will auch das Bewusstsein für die Kulturstiftung der Länder war ie neue nordrhein-westfälische für Kultur in der Gesellschaft verän- Isabel Pfeif er-Poensgen zwei bis drei Kulturministerin Isabel Pfeif er- dern. Das heißt für sie, wieder stärker Tage die Woche in allen Bundeslän- D Poensgen hält nichts von For- den Blick auf die vielen Einrichtungen dern unterwegs, auch häufi g in NRW, derungen nach einem Bundeskulturmi- der Kultur in Nordrhein-Westfalen zu dem größten Bundesland. Dies jedoch nisterium.« Das meldete die Deutsche richten: »In der Nachkriegsgeschich- nicht nur wegen der Menge an Kultur- Presseagentur am . Oktober . Auf te«, so Pfeif er-Poensgen, »hatte NRW einrichtungen, sondern auch wegen Nachfrage von Politik & Kultur, warum in der Bildenden Kunst (Düsseldorf), der »Kunstärgernisse«. Am Ende sind ein neu eingerichtetes NRW-Kulturmi- im zeitgenössischen Tanz (Wuppertal) daraus Kunsterfolge geworden, denn nisterium gut sei, ein Bundesministe- und auch in der zeitgenössischen Musik es gelang, die Bilder der ehemaligen rium dagegen nicht, sagte die Politike- (Köln) eine enorm wichtige, internatio- Portigon-Sammlung, d. h. der ehemali- rin: »Weil die Ausgangsbedingungen nale Funktion. Heute würde man sagen, gen WEST LB-Sammlung, gut über das das waren echte Hotspots. Das ist in Land und die Museen zu verteilen. Teilen – und ganz ungerechterweise Dass sie bis heute parteilos ist, hat Es muss gelingen, – in der öf entlichen Wahrnehmung vor allem biografi sche Gründe. Isabel verschüttet. Es muss gelingen, Kunst Pfeiffer-Poensgen kommt aus einer Kultur aus NRW und Kultur aus NRW wieder bundesweit Familie, in der alle rund um die er wieder bundesweit anders zu platzieren.« Jahre Abitur machten. Sie erinnert sich: anders zu platzieren Isabel Pfeif er-Poensgen wurde am »Mein Vater war aktiver Kommunal- . April  als Tochter des Aachener politiker. Es waren Zeiten, wo andere Kommunalpolitikers Jost Pfeif er ge- Hierarchien bestanden als heute. Da

vollkommen unterschiedlich sind. Wir boren. Sie wuchs zusammen mit drei wurde sehr hart diskutiert. Ich habe  wissen alle, dass in den vergangenen Geschwistern in einem musikbegeister- entschieden, das brauche ich nicht. Jahren die Bundeskulturförderung durch ten Haushalt auf: »Da hatte ich einfach Bei der Kultur ist fraktions- und par- Kulturstaatsministerin Monika Grütters Glück, wir Kinder haben alle zu Hause teiübergreifendes Agieren am ehesten und auch durch ihre Vorgänger enorm musiziert. Als Jüngste fi ng ich wie alle möglich, so war das wenigstens damals an Wahrnehmung, aber auch an Finanz- mit Triangel an und kam über Blockfl ö- als Kulturdezernentin in Aachen.« Ob kraft zugenommen hat. Wenn die Kultur te zum Klavier. Meine große Schwester, das auch im Düsseldorfer Landtag mög- nur Teil eines der riesigen Bundesmi- Irene Schulte-Hillen, heute geschäfts- lich sein wird, bleibt noch of en. nisterien werden würde, wäre diese Art führende Präsidentin der Deutschen Möglich gemacht hat Isabel Pfeif er- der Positionierung sicher schwieriger. Stiftung Musikleben, war eine sehr gute Poensgen schon Vieles, wenn ihr etwas

Hier in Nordrhein-Westfalen war die Sängerin und studierte später Musik.« am Herzen lag. Ihr erster großer Fall in ALBUSTIN  ENGEL BETTINA / MKW FOTO: Ausgangslage eine vollkommen andere. Doch vor der Kunst kam bei Pfeif ers der Kulturstiftung der Länder war der Isabel Pfeif er-Poensgen Wir befi nden uns zwar im größten Bun- stets der Brotberuf: Für Isabel Pfeif er- Ankauf des letzten großen und daher desland Deutschlands, aber wir haben Poensgen hieß das ab  das Studium sehr wertvollen Autographen von Lud- lich, jeden Abend hatten wir im Schnitt mit rund  Prozent deutlich überwiegt. eine Ausstattung, die der Bedeutung des von Jura und Geschichte an den Univer- zwei Veranstaltungen im Haus. Ich Das Land beteiligt sich bisher mit rund Bundeslands nicht annähernd gerecht sitäten Bonn, Lausanne und Freiburg. lernte die jungen Musiker kennen und  Prozent. Was sie daran ändern wolle, wird.« Nach Staatsexamen und Referendariat Es ist nur konsequent, bekam ihre Entwicklungsgeschichte fragt der Autor zum Schluss seines Be- Als NRW-Ministerpräsident Armin in Hamburg und New York wurde sie dass die Städte ihr mit.« Und man schrieb Musikgeschichte suchs im Düsseldorfer Ministerium und Laschet (CDU) Ende Juni die parteilo- Referentin an der Behörde für Wis- mit, etwa an einem Tag , als sie ein bekommt eine klare Ansage: se Kulturfunktionärin Isabel Pfeif er- senschaft und Forschung in Hamburg. Schicksal selber in die allererstes Gespräch während des Mit- »An diesem Grundsatz werden wir Poensgen in sein Kabinett holte, fand »Bei mir stand der Künstlerberuf nie zu Hand nehmen tagessens mit dem Komponisten Hans gar nichts ändern. NRW hat keine feuda- er damit bundesweit Beachtung. Die Diskussion. Aber es war früh klar, dass Werner Henze führte. Als Folge davon le Geschichte, es ist ein Land mit vielen Super-Personalie versprach, Kultur ich das Interesse an Kunst und Kultur eröf nete neun Jahre später – unter der alten Städten und ist daher bürgerlich werde in Nordrhein-Westfalen wieder und das Gelernte auf irgendeine Weise wig van Beethoven für das Beethoven- Federführung der Rektoren Franz Mül- und kommunal geprägt. Es ist nur kon- ganz groß geschrieben. Bereits in der verbinden wollte.« haus in Bonn, die Diabelli-Variationen. ler-Heuser und Werner Lohmann – die sequent, dass die Städte ihr Schicksal Namensgebung drückt sich Wertschät- Egal ob als Kanzlerin der Hochschule »Andreas Staier hat die Variationen zur Europäische Akademie für Musik und selber in die Hand nehmen. Aber sie zung aus: Es heißt schließlich Ministe- für Musik und Tanz Köln, als Kultur- festlichen Übergabe gespielt«, erinnert Darstellende Kunst im toskanischen brauchen Unterstützung dabei, das ist rium für Kultur und Wissenschaft und dezernentin in Aachen und zuletzt als sich Isabel Pfeif er-Poensgen und gibt Barockstädtchen Montepulciano. die Aufgabe der Landeskulturpolitik. nicht andersherum. Im Etat sind die Generalsekretärin der Kulturstiftung ihr Movens preis: »Musik ist mir sehr Auch wenn sie Montepulciano inzwi- Dazu steht einiges bereits im Koaliti- Verhältnisse jedoch genau umgekehrt. der Länder, die Verbindung von Kultur, wichtig.« schen mehrfach besucht hat, zur Tos- onsvertrag. Insgesamt stocken wir den Der Wissenschaftsetat beläuft sich auf Wissenschaft, Jura und Management ist So war es nur schlüssig, dass sie nach kana-Fraktion kann man Isabel Pfeif- Kulturetat um  Prozent auf, das soll über acht Milliarden Euro, der für die Pfeif er-Poensgen immer wieder aufs ihren Jahren bei der Hamburger Kultur- fer-Poensgen nicht zählen. Sie bleibt ein Aufwuchs über fünf Jahre sein.« Kultur derzeit auf  Millionen und Neue geglückt. Auch wenn die Kul- behörde für ein ganzes Jahrzehnt von NRW und der nordrhein-westfälischen bis in fünf Jahren werden es  Millio- turstiftung in Berlin saß, Nordrhein-  bis  als Kanzlerin an die Kölner Kulturförderung treu, bei der bekann- Andreas Kolb ist Redakteur von nen Euro sein. Isabel Pfeif er-Poensgen Westfalen war für die Generalsekre- Musikhochschule ging. »Das war herr- termaßen die kommunale Förderung Politik & Kultur Vorbei?! Gott und die Welt: nicht die evangelische Kirche, wenn wir jetzt beim Kirchentag gehört hat, ihre der Reformatoren als Bewegung vor  aber dann ist es anders gekommen und Philosophie, Meditation nicht kritisch wach und selbstkritisch Wirkung entfalten. Vielleicht in fünf, Jahren durch Europa gegangen ist, ist drängt sich mir anders auf. Vorbei: Das aufarbeiten würden. Aber vorbei? Ein womöglich in  Jahren. Und auch wis- im Blick auf das Versprechen der Frei- wäre ein so wichtiges, so wunderbares, und Freiheit dummes Wort, da hat Goethe doch sen wir nicht, wie die Generation nach heit uns immer noch voraus – wir sind so süßes Wort, wenn es denn endlich recht. Was war, bleibt. Die Erinnerun- uns auf  schaut. Was wir für vorbei der Verheißung Gottes immer hinterher, für Peter Steudtner und die mit ihm CHRISTIAN STÄBLEIN gen an Kirchentage und ökumenische halten, könnte dann noch mal neu an- zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei Umarmungen, die Diskussionen um die fangen. Vielleicht wird man  sagen: gelten möge. Dass vorbei sein mögen iese Kolumne, so hatte ich Bedeutung des Protestantismus für Kul- Da fi ng das an, neu an, dass das Band Vorbei, ein dummes seine Tage im Gefängnis, dass vorbei mir vorgenommen, soll ein tur und Gesellschaft. Die große Kunst: der Ökumene zwischen den Kirchen so sein mögen die Tage der Unfreiheit, da- wenig über das Wort »vor- Assisi-Panorama, Luther-Avantgarde, unverbrüchlich wurde, die Sehnsucht Wort, hinterher, für beten die Menschen an vielen Orten, bei« philosophieren. Oder Scapegoating-Pictures. Die Räume: nach der Gemeinschaft so groß, dass ein herrlich doppel- unter anderem täglich und wöchentlich Dmeditieren. Wie auch immer. Vorbei, Stadtkirche, Schlosskirche, Wittenberg. es gar nicht anders werden konnte als deutiges Wort öf entlich in der Gethsemanekirche in so haben wir es von Goethe im Ohr, Was war, bleibt. Vorbei, ein dummes so, wie es geworden ist. Berlin-Prenzlauer Berg. Dass vorbei sei ein dummes Wort. Denn was ist Wort, erst recht im Blick auf das, was da Vorbei? Ach nein, dachte ich, diese sein möge und vorbei, wirklich vorbei schon vorbei. Genau, denke ich und erinnert und gefeiert wurde: Reforma- Kolumne soll darüber meditieren, wie hinterher in diesem anderen Sinne des sei all die Unfreiheit und die Angst und sehe vor mir die Debatten zum Refor- tion. Für evangelische Kirchen gilt seit recht Goethe hat. Und dabei gleich Wortes: Wir streben ihr nach und holen die Sorgen und Peter Steudtner und sei- mationsjubiläum. Vorbei und was hat jeher: Reformation ist nicht vorbei, sie noch zwei, drei andere Worte auf das sie doch nie ganz ein. Nicht, ob die Bot- ne Freundinnen und Freunde wieder es gebracht, rufen jetzt Menschen in ist jetzt und morgen. Ecclesia reformata Korn nehmen, die ebenso allenfalls schaft noch aktuell ist, dass Menschen frei, womöglich schon jetzt, wenn die- Kirchen und Gesellschaft. Dabei zählen semper reformanda, sagt die Protes- halb passend sind. »Hinterher« etwa. gleich vor Gott sind und gleiches An- ses gedruckt erscheint. Für diese Gebe- die einen die vielen gelungenen Ver- tantin und der Protestant, verweist mit Was wird denn hinterher sein, werde sehen haben, nicht, ob diese Botschaft te ist die Kirche da, war sie immer und anstaltungen, Ausstellungen, Events, diesem Hinweis der »Kirche der Refor- ich oft gefragt, nach dem Jubiläums- noch zeitgemäß ist, ist die Frage, son- wird es bleiben. Vorher. Hinterher. Mit- rechnen vor und erzählen mit Freude, mation, die immer zu reformieren ist«, jahr? Hinterher: Das klingt irgendwie dern ob wir uns endlich dem annähern, tendrin. Daran führt kein Weg vorbei. wie viele Menschen in diesem Jahr mit gerne auf Luther und weiß dabei: Auch nach »hinterherhinken«, »von gestern ob die Zeit endlich gekommen ist, da An die Freiheit hat das Reformations- der Botschaft der Reformation in Kon- das wird nicht vorbeigehen, dass wir sein«. Wenn das Reformationsjubiläum das gilt: Freiheit, Freiheit des Glaubens jubiläum im Kern erinnert, sie gefeiert. takt gekommen sind. Andere hingegen kluge Worte Martin Luther zuschreiben, eines gezeigt hat, dann nach meinem im Namen derer, die da glauben. Das Das hört nicht auf, der bleiben wir auf weisen wieder und wieder darauf hin, obwohl unklar ist, ob sie wirklich von Eindruck das: Glaube und Kirchen, die kommt und bleibt nach dem Reforma- den Fersen, der Freiheit hinterher. die Zahlen seien doch deutlich unter ihm stammen. Richtig bleibt es auch so. Botschaft von der Freiheit, der inneren tionsjubiläum: dem hinterher sein. den Erwartungen und den Prognosen Vorbei ist keine Kategorie der Refor- und der äußeren Freiheit, ist aktueller Vorbei, ein dummes Wort, hinterher, Christian Stäblein ist Propst der Evan- geblieben, mancher zählt mit Ingrimm, mationserinnerung. Weder wissen wir, denn je, sie ist und sie gehört mitten ein herrlich doppeldeutiges Wort – so gelischen Kirche Berlin-Brandenburg- andere nicht ohne Häme. Nun: Es wäre wann die Worte, die eine Jugendliche in die Gesellschaft. Was da im Namen wollte ich meditieren in dieser Kolumne, schlesische Oberlausitz 30 MEDIEN www.politikundkultur.net

Das öffentlich-rechtliche Gut Die Strukturvorschläge von ARD und ZDF für einen zukunftsfähigen öf entlich-rechtlichen Rundfunk

BENJAMINIMMANUEL HOFF

eit Frühjahr letzten Jahres be- fasst sich eine Länder-Arbeits- gruppe mit einer möglichen Re- form des öf entlich-rechtlichen SRundfunks. Beauftragt wurde diese Ar- beitsgruppe »Auftrag und Strukturop- timierung des öf entlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter« von den Ministerpräsidentinnen und Minis- terpräsidenten der Länder, die die ge- setzlichen Rahmenbedingungen für den öf entlich-rechtlichen Rundfunk gestal- ten. Die Arbeitsgruppe hat den Inten- danten des ZDF, von Deutschlandradio und den in der ARD zusammengeschlos- senen Rundfunkanstalten den Auftrag erteilt, ihrerseits Vorschläge vorzulegen, mit denen auf die komplexen Heraus- forderungen des öf entlich-rechtlichen Rundfunks reagiert werden kann. Dabei sollte auf das Spannungsfeld von tech- nologischem Fortschritt, trimedialen Strategien, prognostizierten Kostenstei- gerungen und dem politischen Ziel der Beitragsstabilität eingegangen werden. In der letzten Septemberwoche legten ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre Berichte vor. Die drei Rundfunkanstal- ten haben dabei eng zusammengear- beitet und Vorschläge vorgelegt, die insbesondere die Bereiche Verwaltung, Technik, IT und Produktion betref en.

Im Ergebnis sollen erhebliche Poten- FOTOLIA.COM / JWS FOTO: ziale zur Minderung des Finanzbedarfs Die Debatte um die Strukturoptimierung der öf entlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geht nun die entscheidende Phase der Anstalten gehoben werden. Bis zum Frühjahr  soll über die Umsetzung Hinweis für eine lohnenswerte Rich- beauftragt werden. Dies muss mit der schwer vermittelbar, das Niveau von Der Auftrag des öf entlich-rechtlichen beraten werden. Dass Akteure wie der tung neuen Denkens in einer rund- Beitragsstabilität in Einklang stehen.« , Euro hingegen würde der Höhe Rundfunks in Deutschland in einer an- Verband Privater Rundfunk und Te- funkpolitischen Debatte, in der bislang Die Betonung der »Beitragsstabili- der Jahre  bis  entsprechen. gemessenen Adaption der genannten lemedien (VPRT) die Vorschläge als keine gute Antwort auf die Frage gege- tät« im Beschluss zeigt dessen Bedeu- Wenn die Medienpolitik zurecht den BBC-Kriterien wäre zeitgemäß und unzureichend kritisiert und eine Ein- ben werden kann, warum ARD und ZDF, tung in den Augen der Politik, doch Anspruch erhebt, dass eine langfristige würde der pekuniär und struktur-fo- dämmung des Auftrags der Öf entlich- Deutsche Welle und Deutschlandfunk gleichzeitig ist der Begriff sehr un- Beitragsstabilität – sei sie nun »absolut« kussierten Sicht eine qualitative Er- Rechtlichen fordert, liegt auf der Hand. insgesamt fast um die Hälfte teurer sind spezifi sch. Je nach medienpolitischer oder »relativ« – zu erreichen sein soll, weiterung ermöglichen, die zwingend als die BBC, jedoch nicht in gleichem Grundhaltung wird darunter durchaus so stellen sich bei dem dafür notwendi- notwendig ist. So würde exzellente Maße an Exzellenz hervorstechen. Der Unterschiedliches verstanden. gen Finanzvolumen essenzielle Fragen, journalistische Arbeit, die unbequem Wert und Gegenwert öf entlich-rechtliche Rundfunk ist An- Das von den Anstalten erneut auf wo und wie adäquat Geld eingespart sein soll und muss, sowohl Maßstab Heute ist die of ene Infragestellung der kermedium. Das Rückenmark der Medi- den Tisch gelegte »Indexierungsmo- werden kann, beziehungsweise nicht als auch Ziel der Reform des öf ent- Legitimität öf entlich-rechtlicher Me- enpolitik besteht darin, die Akzeptanz dell« hat im Länderkreis über Einzel- auszugeben ist. Es ist davon auszu- lich-rechtlichen Rundfunks. Konkrete dienberichterstattung und ihrer Glaub- des öf entlich-rechtlichen Rundfunks stimmen hinaus kaum Gegenliebe gehen, dass seitens der öf entlichen Vorschläge für mehr Transparenz und würdigkeit an der Tagesordnung. Auch zu sichern. Dafür wird es notwendig erfahren. Rundfunkanstalten bei der Überprüfung Ef zienz der Anstalten werden erwartet. wenn entsprechende Langzeitstudien sein, von der berechtigten Sicht auf Einige Länder verstehen die Bei- der in dem MPK-Beschluss genannten Selbstverständlich braucht es für die im zum massenkommunikativen Nutzungs- Altersversorgungslasten, Einsparpoten- tragsstabilität »absolut«, d. h. eine Fest- Public-Service Tätigen gute Arbeits- verhalten, fi nanziert von ARD und ZDF, ziale mit dem Ziel der grundsätzlichen setzung der derzeitigen monatlichen verhältnisse und gute Arbeitsverträge, den öf entlich-rechtlichen Medien wei- Beitragsstabilität, die eine gewisse und Belastung auf , Euro auch über die Eine Blaupause für aber die allgemeine und öf entliche terhin gegenüber den privaten Medien noch festzulegende Schwankungsbreite ab  beginnende kommende vier- Finanzierung bedeutet, dass auch die eine politisch ausgewogene Berichter- nicht verlässt, abzurücken und statt- jährige Beitragsperiode hinaus. Andere zukunftsorientiertes Vergütungs- und Versorgungsstruktur stattung attestieren, sind die Ausschläge dessen den Aspekt beitragsfi nanzierter Länder planen noch langfristiger. Handeln sich am öf entlichen Dienst zu orien- der Kritik, wie z. B. über die Berichter- Exzellenz in den Mittelpunkt zu stellen. Jeder Landwirtin im Allgäu und tieren hat. Die Bezüge und Altersver- stattung zu den Vorfällen in Köln in der jedem Hipster in Prenzlauer Berg ist sorgung oberster Bundesrichter, deren Silvesternacht von  sowie anlässlich klar, dass sämtliche Lebensbereiche Themenfelder ein solch kompensieren- Unabhängigkeit wohl außer Frage steht, Auftrag und Strukturoptimierung der sogenannten Ukraine-Berichterstat- einer natürlichen Preisentwicklung des Volumen wohl nicht zu erreichen sollten dabei den Rahmen für die Lei- tung spürbarer und intensiver. Die derzeit laufenden Befassungen zu unterworfen sind. So auch ARD, ZDF sein wird. Diesen Herausforderungen tungsebene der Anstalten abstecken. Angesichts dessen ist es ebenso loh- Fragen des Auftrags und der Struktur- und Deutschlandradio. Wer hier zum werden sich die Rundfunkkommission Die Einschätzung der Rechnungshö- nenswert wie sinnvoll, sich des Werts optimierung der öf entlich-rechtlichen falschen Zeitpunkt spart, zahlt morgen und die Anstalten in diesem Herbst ggf. fe, wonach die Landesmedienanstalten des Öf entlichen durch eine Betrach- Rundfunkanstalten stellen ohne Frage noch mehr drauf. unter Mitwirkung externen Sachver- zu üppig ausgestattet seien, ist auf je- tung eines Vorbildes für öffentlich- die größte medienpolitische Heraus- Insoweit kommt es darauf an, einen standes stellen müssen. den Fall aus Thüringer Sicht deutlich rechtlichen Rundfunk, der BBC, zu forderung der letzten Jahrzehnte dar. langfristig tragfähigen Begrif der »rela- Gelingt diese Aufgabe, wird es eine zurückzuweisen. Im Gegenteil – ins- vergewissern. Das Chapter der Royal Es geht um viel, um sehr viel: in glei- tiven« Beitragsstabilität zu entwickeln. Blaupause für zukunftsorientiertes besondere mit Blick auf die vielfältigen Charta der BBC spricht von folgenden chem Maße um die Glaubwürdigkeit Denkbar und wohl unausweichlich ist Handeln und für eine kreative Medi- Initiativen im Bereich der Medienkom- sechs »Public Purposes«: »(a) sustai- eines dualen Rundfunksystems, wie um unter dieser Lesart eine moderate Erhö- enpolitik sein. Nicht nur der öf ent- petenz und der Medienbildung für alle ning citizenship and civil society; (b) die Glaubwürdigkeit der deutschen fö- hung der Rundfunkbeiträge ab der kom- lich-rechtliche Rundfunk steht auf Beitragszahlerinnen und Beitragszahler promoting education and learning; (c) deralen Medienpolitik. Die Konferenz menden Beitragsperiode – sicherlich nur einem Prüfstein. Auf ihm steht die erfüllen die Landesmedienanstalten stimulating creativity and cultural ex- der Ministerpräsidentinnen und Mi- unter der Maßgabe möglich, dass ARD, Handlungsfähigkeit einer deutschen eine wichtige Zukunftsaufgabe, wes- cellence; (d) representing the UK, its nisterpräsidenten formulierte  ZDF und Deutschlandradio es proaktiv föderalen Medienpolitik in Zeiten der halb der den Landesmedienanstalten nations, regions and communities; (e) eindeutig: »Die Regierungschefi nnen verstehen, die Erwartungshaltungen in Medienkonvergenz. aus dem Rundfunkbeitrag zustehende bringing the UK to the world and the und Regierungschefs der Länder beto- Sachen Qualitätsjournalismus, guter Ar- Im Rahmen dieser Diskussion plä- Anteil von derzeit , Prozent im ers- world to the UK; (f) in promoting its nen, dass die Sicherung der Akzeptanz beit, Digitalisierung an den richtigen diere ich für folgende Positionen: ten Schritt auf zwei Prozent und dann other purposes, helping to deliver to des öf entlich-rechtlichen Rundfunks journalistischen Schnittstellen, wei- Eine Fusion von ARD und ZDF, wie sie in weiteren Schritten mittelfristig auf the public the benefi t of emerging com- und seiner Finanzierung nur durch tere Stärkung der regionalen Veranke- der CSU und dem bayerischen Minister- drei Prozent zu erhöhen ist. Dies ver- munication technologies and services entschlossene Reformschritte durch rung der journalistischen Arbeit sowie präsidenten vorschwebt, oder die Ab- pfl ichtet die Landesmedienanstalten and, in addition, taking a leading role Länder und Anstalten gesichert werden neuer Schwerpunktsetzungen z. B. im schaf ung der ARD inklusive der Tages- selbstredend, ihre Mittel wirtschaftlich in the switchover to digital television.« kann, die über die Optimierung admi- zukunftsrelevanten Medienbildungs- schau und Verzwergung auf regionale und ef zient einzusetzen. Trotz des Unterschieds der instituti- nistrativer Prozesse hinausgehen. Hier- umfeld, zu erfüllen. Hierzu werden auch Dritte Programme, wie dies die CDU- In ihrer Herbstsitzung haben sich onellen Grundstruktur stellen diese zu gehören grundlegende strukturelle massive Umschichtungen der Ressour- geführte Staatskanzlei in Sachsen-An- die Ministerpräsidentinnen und Mi- Profi le gute Vorgaben für ein Quali- Veränderungen und die zukunftsfähi- cen innerhalb der Anstalten notwendig. halt fordert, hieße auf dem Parkett des nisterpräsidenten der Länder mit den tätsäquivalent für das gute Öf entliche ge Ausgestaltung des Auftrags unter Rechtspopulismus nach der Musik der Zwischenergebnissen der Strukturop- als öf entliches Gut für die deutsche Wahrung der Programmautonomie. AfD zu tanzen. Mit solchen Forderun- timierung der öf entlich-rechtlichen Plausibles Szenario der »gelern- Medienpolitik dar. Die Verben »unter- Dabei sind die Beschränkung und die gen schießen demokratische Akteure Rundfunkanstalten befasst – die Debat- ten« Beitragshöhe von , Euro stützen«, »voranbringen«, »stimulieren« zeitgemäße Ausgestaltung des Auf- den öf entlich-rechtlichen Rundfunk te geht nun in die entscheidende Phase. sind der deutschen medienrechtlichen trags sowie die Beseitigung von Dop- Ein durchaus plausibles Szenario könn- sturmreif – aus Angst vor Rundfunk- Sprache eher fremd. Unbekannt ist den pelstrukturen in den Blick zu nehmen. te im Rückgrif auf die »gelernte« Bei- beitrags-Gegnern wie Reichsbürgern Benjamin-Immanuel Hof ist Kulturmi- Rundfunkstaatsverträgen das Wort »Ex- Neue Angebote dürfen nur bei An- tragshöhe von , Euro bestehen. Eine und PEGIDA. Dies ist ebenso gefährlich nister und Chef der Staatskanzlei des zellenz«. Bedauerlich und gleichzeitig passung von bestehenden Angeboten »Achtzehn« vor dem Komma ist nur wie wenig sinnvoll. Freistaates Thüringen Politik & Kultur | Nr. /  | November — Dezember  NETZKULTUR 31

Ein Reisepass für die

digitale Welt Ihr Musik-Kultur-Videoangebot auf www.nmz.de Spielerisch Wieso ist das Spielerische daran Lichtkonstruktion oder eine Mini- Programmieren lernen wichtig? Alarmanlage. Von daher sagen wir, Das ist ganz fundamental. Für die dass wir Code in die reale Welt brin- Vermittlung digitaler Bildung braucht gen, weil man unmittelbar an realen Haben Sie schon einen Reisepass in die man drei Dinge. Erstens geringe Ein- Bauteilen sehen kann, was passiert, digitale Welt? Theresa Brüheim spricht stiegsbarrieren: Es ist eben nicht wie wenn man den Code verändert. mit Alexander Mrozek, dem Gründer in dem Film »Matrix«, wo auf einem von Codino, einem Berliner Start-Up Bildschirm Computercodes herun- Was soll damit für die digitale Welt mit der Mission, jedem einen spiele- terregnen und nur wenige verstehen, geschaf en werden? rischen Zugang zu Programmierfähig- was da eigentlich passiert. Deshalb Wir wollen den einfachen Einstieg in keiten zu geben, über Bits, Bytes und bringen unsere Kunden schon nach die Welt der Digitalisierung und der digitale Bildung.  Minuten Programmiererfahrung Programmiersprachen ermöglichen. die erste LED mithilfe von Computer- Denn gerade in dieser Welt, die sich so Theresa Brüheim: Digitale Bildung Code zum leuchten. Zweitens sollten schnell verändert, so schnell digitali- gibt es in der Breite immer noch zu komplexe Programmierfähigkeiten siert, müssen wir Optionen schaf en, wenig. Wie kann sich das nach Ihrer wie man Grundfähigkeiten im digi- Meinung ändern? Was ist Ihre Visi- talen Umgang erlernen kann. Wenn Donaueschinger Musiktage 2017 on digitaler Bildung von morgen? man sieht, dass Programmierer heute Videoblog zum SWR-Festival für zeitgenössische Musik Alexander Mrozek: Klar ist, wir leben Einen Computer schon sehr stark gefragt sind auf dem schon jetzt in einer digitalen Welt. Vor nicht nur bedienen, Arbeitsmarkt, dann freuen wir uns Die Donaueschinger Musiktage gaben in diesem Jahr ganz zehn Jahren gab es noch kein iPhone sondern auch sehr, wenn wir dieses Interesse bei gezielt Komponistinnen und ihren Werken eine große Bühne. und seitdem hat sich fast alles verän- unseren Kunden wecken können. Außerdem standen Konzertformate, Aufführungsorte sowie die dert: Bankgeschäfte tätigen, Reisen »verstehen« lernen Interaktion mit dem Publikum im Fokus des diesjährigen Radio- buchen, Chat-Nachrichten schreiben Sie sind ein privatwirtschaftli- festivals für Neue Musik. nmzMedia war wieder live vor Ort und und sogar den Partner fürs Leben ches Unternehmen, das ein Pro- lässt Sie mit Blogvideos von jedem Festivaltag in Proben- und fi nden – das passiert bei vielen schon Schritt für Schritt erlernt werden. Das dukt unter anderem an Schüler Konzerte eintauchen, stellt Komponisten und ihre Werke vor längst über das Smartphone. Und die machen wir mit einer ausführlichen bringen will. Ist die Vermittlung und spiegelt die Festivalatmosphäre in dem kleinen Schwarz- Entwicklung hört hier nicht auf: Die Anleitung und mit Online-Videos. dieser Kenntnisse nicht Aufgabe waldort wider. nächsten Jahre werden geprägt sein Drittens braucht man das Spielerische, der Schule? Oder zeigt es einfach, von Machine Learning, selbstfahren- um auch langfristig Spaß zu machen. dass das Digitalisierungsmanko an den Autos, künstlicher Intelligenz und Man baut bei Lego nicht einmal eine Schulen immer noch groß ist … anderen Themen. So komplex sich Burg auf und wieder ab und ist damit Die Schule hat natürlich allerbeste das alles anhören mag – Grundlage durch. Sondern man stellt auch mal Möglichkeiten, um diese Fähigkeiten davon ist immer die Kommunikation einen Playmobil-Mann rein und baut zu vermitteln. Ich glaube, dass es da zwischen Mensch und Maschine. Un- ein Raumschif daraus. Und genau das schon sehr interessante Entwicklun- sere Vision bei Codino von digitaler kann man mit Codino auch. Man kann gen gibt, die versuchen, das Thema Bildung setzt genau dort an: Wir glau- die gebauten Projekte beliebig weiter- in den Schulen stärker zu verankern. ben, dass jeder Mensch in der Lage entwickeln. Aber wir glauben auch, dass wir mit sein sollte, sich in dieser digitalen diesem spielerischen Aspekt, den Welt selbstbewusst zu bewegen und Wie kamen Sie auf die Idee zu Codino hat, Programmieren noch ein- diese auch aktiv zu gestalten. Denn Codino? facher vermitteln können. Wir würden die Chancen dieser digitalen Welt Mein Mitgründer Stephan Hillekamps uns natürlich sehr freuen, wenn wir sind immens: Wenn jemand z. B. eine und ich arbeiten beide bei einem gro- weiter mit Schulen kooperieren Software schreibt, kann er damit ßen Technologieunternehmen und können. Da gibt es viel Potenzial. potenziell jeden Menschen mit Inter- sehen täglich, was es für spannende Persönlich habe ich vor zehn Jahren Hänsel und Gretel in Weikersheim netanschluss auf der Welt erreichen. Entwicklungen im Rahmen der Digi- nach der Schule Zehn-Finger-Schrei- Internationale Opernakademie der Jeunesses Musicales Vor  Jahren wäre das noch nicht so talisierung gibt. Um mit diesem tech- ben mit einer darauf spezialisierten Operngenuss auf höchstem musikalischen Niveau und mit einfach möglich gewesen – das sind nologischen Wandel Schritt halten zu Firma gelernt, und dafür bin ich noch revolutionäre Entwicklungen. Digitale können, brauchen wir natürlich die heute dankbar. Und heute ist eben einem ganz besonderen Flair bieten die Aufführungen der Bildung ermöglicht es, diese Chancen entsprechenden Fähigkeiten – und Programmieren lernen das neue Internationalen Opernakademie der Jeunesses Musicales zu ergreifen, die neuen Technologien hier gibt es einen riesigen Bedarf. Zehn-Finger-Schreiben. Deutschland alle zwei Jahre auf Schloss Weikersheim. Diesen bieten. Denn gleichzeitig ist die digitale Sommer bezauberte E. Humperdincks „Hänsel und Gretel” das Bildung noch nicht allumfassend in Wie sieht die Position Deutsch- Publikum mit stimmlich großartigen jungen Gesangstalenten, Was genau bedeutet digitale den Schulen und in der Gesellschaft lands im internationalen Vergleich einem hochmotivierten und sensibel begleitenden Bundes- Bildung für Sie? angekommen. Mit Codino hof en wir, beim Thema digitale Bildung aus? jugendorchester sowie Patrick Lange als musikalischem Leiter Digitale Bildung bedeutet für mich, genau diese Nachfrage zu bedienen, Wir sind ein Land der Ingenieure, was und einer Inszenierung von Corinna Tetzel. nmzMedia war am sowohl die Fähigkeiten zu erwerben, um jeden ein Verständnis von Pro- uns natürlich sehr, sehr hilft. Auch in Premierentag mit der Kamera dabei. an einer digitalen Welt teilzunehmen, grammiersprachen zu vermitteln. der digitalen Welt haben wir schon als auch diese aktiv zu gestalten. Um Champions hervorgebracht – SAP ein Verständnis der zugrundelie- Heißt das, Sie empfehlen jedem ist hier nur ein Beispiel für ein sehr genden Logik digitaler Prozesse zu programmieren zu lernen? Ist erfolgreiches Software-Unternehmen. bekommen, ist das Erlernen einer Programmieren heute eine essen- Aber man muss schon sehen, dass in Programmiersprache unersetzlich. zielle Kulturtechnik wie Lesen und den letzten Jahren angelsächsische Man merkt dann schon in kurzer Zeit, Schreiben? oder chinesische Unternehmen viel dass Programm-Code nicht komplex Ich glaube, es geht gar nicht darum, mehr Relevanz bekommen haben. und kompliziert ist, sondern ein ganz Fähigkeiten in eine Hierarchie zu Tesla ist in den USA erfunden worden, logisches Konstrukt von Regeln und bringen. Es geht eher darum, festzu- nicht in Stuttgart. In China bezahlt Prozessen, das wirklich jeder beherr- stellen, dass es heutzutage nun einmal man standardmäßig mit dem Handy schen kann. Wir bei Codino glauben, wichtig ist, einen Computer bedienen - hier ist es noch kaum angekommen. dass ein grundlegendes Verständnis zu können. Die nächste logische Stufe Auch wenn wir ein sehr hohes Bil- dieser Logik auch einen positiven Ef- ist es dann nun einmal, diesen nicht dungsniveau haben, müssen wir aus fekt auf viele andere, eher klassische einfach »nur« bedienen zu können, meiner Sicht viel mehr im Bereich der Bildungsbereiche hat. sondern auch zu verstehen, wie so digitalen Bildung machen. Es ist bei- eine Maschine oder so ein Programm spielsweise wahnsinnig wichtig, dass Bruckner elementar funktioniert. Dann kommt man um wir das Glasfasernetz weiter ausbauen, Eröffnung des Brucknerfests in Linz Ein Weg zu digitaler Bildung ist eine Programmiersprache nicht drum um überhaupt die Voraussetzungen Mit einem Festakt, einer Vernissage, großem Kinderprogramm herum. Wenn jemand Spaß daran hat für die Wertschöpfung in der digitalen Ihre Entwicklung Codino. Was ist und dem ersten Konzert der Saison des Brucknerorchesters das genau? und einen Nutzen für sich sieht, dann Welt zu haben. Ich bin sehr zuver- Mit Codino wollen wir den Reisepass ermutige ich sie oder ihn natürlich, sichtlich, dass wir den digitalen Wan- Linz unter der Leitung des neuen Generalmusik- für eben diese digitale Welt ausstellen. programmieren zu lernen! del erfolgreich gestalten können - aber direktors Markus Poschner beging Mit unseren Projektboxen kann jeder es erfordert den politischen Willen, das Brucknerhaus spielerisch programmieren lernen. Mit Codino soll Code in die reale diese digitale Bildung – und damit die die feierliche Eröff- Man kann es sich wie eine Art Che- Welt gebracht werden. Wie geht Vermittlung von Programmierfähig- nung des diesjährigen miebaukasten vorstellen – nur mit das? keiten – in den Lehrplänen an deut- Brucknerfests. Bits und Bytes. Mit unserem Starterkit Das ist für mich eine der besten Sa- schen Schulen zu verankern. kann man insgesamt zehn Projekte chen an Codino. Denn man baut mit bauen, z. B. eine Alarmanlage, ein kleinen Bauteilen einen elektroni- Danke. Keyboard oder einen Quiz-Buzzer. Mit schen Stromkreis auf, doch ohne Code alle Filme für Sie kostenlos unter Computer-Code werden diese Pro- passiert erst einmal gar nichts. Erst, Alexander Mrozek ist Gründer und Exklusiv und kostenlos unter jekte dann zum Leben erweckt – ganz wenn man den Programm-Code ge- Geschäftsführer von Codino. Theresa einfach mit einer ausführlichen Anlei- schrieben hat, wird aus diesen kleinen Brüheim ist Chefi n vom Dienst von www.nmzmedia.dewww.nmz.de tung in Buchform und Online-Support. Bauteilen dann ein Keyboard, eine Politik & Kultur 32 DAS LETZTE www.politikundkultur.net

Kurz-Schluss Wie ich einmal versuchte, Europa zu retten und notgedrungen zum Gefl ügelfreund wurde

THEO GEIẞLER europäischen Idee, wobei weniger die mit ein paar Bitten in Sachen inhaf- mung der Kanzlerin versuchen, Bayern Stadttauben-Schützer (DSS) geschla- Idee als die wirtschaftlichen Folgen von tierter Bundesbürger – ein wirklich an Österreich anzugliedern – mit einem gen hätte. Das sei eine Kulturschande. Jetzt, da Europa den Bach runtergeht wirklichem Belang sind. Mein Fehler aufwendiges Renommierprojekt in die sozialdemokratischen Ministerpräsi- Woraufhin der DBV-Präsident konterte: und ich meiner clandestinen Funktion war vielleicht, dass ich nicht mit der Hände türkischer Ingenieure und Fir- denten. Die Abfuhr war harsch: Noch Mit Mördern rede er nicht. Still in der als »Regional-Manipulateur« in diver- Lame Duck und Noch-Premierministe- men zu vergeben. Was läge da näher, sei Bayern ja recht proper. Aber man zweiten Reihe saß eine edel gekleidete sen Mitglieds- und Problemstaaten rin Theresa May verhandelte, sondern als eine Rekonstruktion der Berliner setze doch viel zu stark auf veraltete Mittvierzigerin, still, aber lächelnd. Ich enthoben bin, kann ich Ihnen ja kurz mit ihrem dynamisch wirkenden Au- Flughafenruine namens BER. Dank Technologien. Düsenflieger, Autos, setzte mich zu ihr und fragte sie nach mitteilen, weshalb Sie so lange nichts ßenminister Alexander Boris de Pfef el stets gepfl egten Waf enhandels sind sonstige Umweltschädlinge. Außerdem ihrer Funktion. Es handelte sich um die von mir gehört haben. Meine Arbeit war Johnson. Leider merkte ich zu spät, dass meine Kontakte bis zum Vorzimmer- wäre es unbezahlbar, den Bayern, spe- Präsidentin des Deutschen Friedens- ebenso hart wie vergeblich. Zunächst dieser Typ gebürtiger Amerikaner und Eunuchen des Präsidenten ungebro- ziell ihren Kindern, die österreichische tauben-Züchtervereins (DFtZV). »Das der Versuch, diversen osteuropäischen wirklich blond ist. Er forderte »unter chen prima. Ich signalisierte ein Auf- Sprache beizubringen. Finito. ist ja wirklich toll und sehr edel. Aber Ländern die Aufnahme Vertriebener der Hand« die Heimkehr der Republik tragsvolumen von  Milliarden Euro. Ich war in existenzieller Bedrängnis können Sie denn ihre Zucht angesichts schmackhaft zu machen: Irland ins United Kingdom – verbunden Wenige Tage später traf eine -köpfi ge schon so weit, dem BMI anzudienen, der seltenen friedlichen Anlässe über- Erstmal schien die kostenlose Ver- mit einem fetten Nachlass der Schulden Delegation türkischer Baufi rmenbosse die AfD zu unterwandern, erntete blan- haupt vernünftig steuern?« fl üsterte gabe von . ohnedies schwer ver- Englands bei der EU. Weil ich Geld in und Ingenieure samt Familien in Ber- ken Spott als Totalversager. Nach vier ich. »Kein Problem«, war die Antwort, käufl ichen Porsche Cayenne Diesel an solchen Fällen für kein Problem halte, lin ein. Während der Besichtigung der Stunden Wartens überbrachte mir eine »was übrig bleibt, verkaufen wir an den die diversen einflussreichen Regie- setzte ich alle Hebel in Bewegung, Eire Bauruine fi el mir auf, dass vor allem die Praktikantin schließlich ein Blatt mit TmV. Super Deal.« Fluchtartig verließ rungsmitglieder und ihre Familien in dank Steuerschrauben wirtschaftlich zu Techniker mit ihren Fingern auf Roh- einem befristeten übel dotierten Auf- ich den Saal und orderte von meinem Polen, Ungarn und Tschechien – ge- ruinieren. Bis aus Dublin auf glaubwür- re, Wände und Böden deuteten, oft in trag: Ich solle mich um den Deutschen letzten Geld ein One-Way-Ticket nach bunden an die Aufl age, pro PS hundert digen Geheimdienstwegen die Ankündi- schallendes Gelächter ausbrachen. Bei Taubenzüchter-Verein (DTV) kümmern. Tristan da Cunha. sogenannte Flüchtlinge aufzunehmen, gung kam, Irland könne sein geheimes den Abschlussverhandlungen mit den Gerade Brieftauben seien ja ein Kultur- recht erfolgreich – zumindest, was die Atomwaf enpotenzial in Monatsfrist Firmenbossen kam dann die kalte Du- gut und für Kultur hätte ich mich doch verbalen Zusagen betraf. Als dann der verdoppeln. Johnson plädierte bei der sche. Mit den zugesagten  Milliarden auch immer interessiert (Werch ein Dieselskandal so richtig hochkochte, zweiten Flasche Scotch (!) zwar noch seien gerade mal die persönlichen Auf- Illtum). Der Verband hielte demnächst forderten meine ehemaligen Polit- für einen Präventivschlag, ging nach wendungen und erste Planungsstufen seine Generalversammlung ab und litte freunde durch die Bank den Umtausch der dritten Flasche ins Bett und war für gedeckt. Allenfalls noch der Abriss der unter zerstrittenen Sektionen. in Benzin- oder gar Elektromodelle. mich wochenlang nicht mehr erreichbar. bisherigen sogenannten Bauten. Insge- Im Tagungsort, dem Sitzungsraum Woran selbstverständlich nicht zu Die dritte Pleite: Schauplatz Istan- samt müsse schon das Zehnfache fl ie- der Hessischen Landesvertretung in denken war. Im Vorfeld konnten die bul. Dort schießt bei einer Bauzeit ßen, um gerade mal zurechtzukommen. Berlin, herrschte tatsächlich aggres- Porscheaktien zwar kurzfristig noch von drei Jahren einer der weltgrößten Ende der Gespräche. sives Kampfgebrüll. Der Präsident des einen kleinen Sprung nach oben ma- Flughäfen dank kraftvoller Impulse von Und – kurzgefasst der letzte Fehlver- Deutschen Taubenmetzger-Verbandes chen, die politischen Grenzmauern Präsident Recep Tayyip Erdoğan höchst such: Um in Österreich einen weiteren (TmV) beschimpfte gerade den Präsi- blieben am Ende des Tages geschlossen. planmäßig aus dem Boden. Was liegt Rechtsrutsch zu verhindern und die So- denten des Deutschen Brieftauben- Nächster Rückschlag: Der Brexit ist, näher, als zur Auf rischung der deutsch- zialdemokraten an der Macht zu halten, Verbandes (DBV) als taubes Weichei, Theo Geißler ist Herausgeber von wie jeder weiß, der Einstieg ins Ende der türkischen Freundschaft – verbunden sollte ich mit ausdrücklicher Zustim- weil er sich auf die Seite der Deutschen Politik & Kultur

MÖHRENSALAT  DIE P&KTRUMPFAKES

Wittenberg: Zum Ende des Lutherjahres Berlin: Um »Merchandising des Bundes- kommen der Deutsche Kulturrat, die amtes für Verfassungsschutz« (BfV) geht Firma Telefunken, der Fernsehsender es in der Antwort der Bundesregierung »The Vox Of Germany« und der Evan- (/) auf eine Kleine Anfrage der gelische Zentralverband mit einem Pro- Fraktion Die Linke (/). Darin lis- dukt speziell für die ganz Jungen und tet die Bundesregierung Werbemittel ganz Alten auf den weltweiten Markt: auf, die bereits genutzt werden oder in Die »Pray Station «. Allerdings Planung sind. Genannt werden für den scheint die Software noch etwas buggy Bereich »Personalgewinnung« Kugel- zu sein. So werden die Außentempera- schreiber, Turnbeutel aus Baumwolle, turen in »Calvin« angezeigt und die Erde elektronische Fußfesseln, bewaf nete ist eine Scheibe. Ziel des Spiels sei es, an Drohnen sowie für den Bereich »Öf ent-  Jungfrauen vorbei ins Himmelreich lichkeitsarbeit« Kaf eebecher, Schreib- zu gelangen – also Konzernchef von sets und Hirninhalt-Auslese-Chips. Apple zu werden. Stuttgart: Bei der Polizei in Baden-Wür t- Bonn: Deutsche Tanzschritte sollen im- temberg ist der Bildungsnotstand erreicht. materielles Weltkulturerbe werden: En- »Man kann fast drei Jahre nach der Schlie- tentanz, Galyxco (Raumpatrouille Orion) ßung zweier Fortbildungseinrichtun- und Lipsi ( auf der Tanzmusikkon- gen nicht einmal ansatzweise von einem ferenz in Lauchhammer vorgestellt) fes- Ersatz sprechen«, sagte der Landesvor- tigten den Ruf der Tanznation Deutsch- sitzende Ralf Kusterer. Die Polizei stehe land. Mit dem Welttanzprogamm, das bildungspolitisch am Abgrund mit ver- auf einer Idee von Karl Marx fußt, wollte heerenden Auswirkungen. Die Mängel- man »versteinerte Verhältnisse dadurch liste ist unendlich: So glauben über  zum Tanzen zwingen, dass man ihnen Prozent der Anwärter, Heckler & Koch ihre eigene Melodie vorsingt!« Der AfD seien Küchengeräte-Hersteller, eine zum Beispiel: Braun, braun, braun ist Tretmine sei Hundekot und der Islam

KARIKATUR: HEIKOSAKURAI KARIKATUR: die Haselnuss, leider hast Du’n Schuss… eine terroristische Vereinigung...

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Politik & Kultur – ANZEIGENREDAKTION Politik & Kultur erscheint der Newsletter des Deutschen Kulturrates nicht unbedingt die Meinung des Deutschen Zeitung des Deutschen Kulturrates Martina Wagner, ConBrio Verlagsgesellschaft sechsmal im Jahr. (zwei- bis dreimal mal pro Woche) unter Kulturrates e.V. wieder. Aus Gründen der c/o Deutscher Kulturrat e.V. Telefon:  .  - www.kulturrat.de abonniert werden. besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die Mohrenstraße , Fax: .--, [email protected] ABONNEMENT zusätzliche Benennung der weiblichen Form  Berlin  Euro pro Jahr (inkl. Zustellung HAFTUNG verzichtet. Wir möchten deshalb darauf hin- Telefon:  .    VERLAG im Inland) Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte weisen, dass die ausschließliche Verwendung Fax:  .    ConBrio Verlagsgesellschaft mbH und Fotos übernehmen wir keine Haftung. der männlichen Form explizit als ge- www.politikundkultur.net Brunnstraße  BESTELLMÖGLICHKEIT Alle veröf entlichten Beiträge sind urheber- schlechtsunabhängig verstanden werden soll. [email protected]  Regensburg Politik & Kultur rechtlich geschützt. Politik & Kultur bemüht Telefon:  .  -, www.conbrio.de Mohrenstraße  sich intensiv um die Nennung der Bildautoren. FÖRDERUNG HERAUSGEBER  Berlin Nicht immer gelingt es uns, diese ausfi ndig zu Gefördert aus Mitteln Der Beauftragten Olaf Zimmermann und Theo Geißler DRUCK Tel.:  .   , machen. Wir freuen uns über jeden Hinweis der Bundesregierung für Kultur und Medien Freiburger Druck GmbH & Co. KG Fax:  .    und werden nicht aufgeführte Bildautoren in auf Beschluss des Deutschen Bundestages. REDAKTION www.freiburger-druck.de [email protected] der jeweils nächsten Ausgabe nennen. Olaf Zimmermann (Chefredakteur v.i.S.d.P), Gabriele Schulz (Stv. Chefredakteurin), GESTALTUNGSKONZEPT VERKAUFSSTELLEN HINWEISE BEILAGENHINWEIS Theresa Brüheim (Chefi n vom Dienst), Ilja Wanka und S Design Politik & Kultur ist im Abonnement, in Der Deutsche Kulturrat setzt sich für Diese Ausgabe enthält »Wie weiblich ist Andreas Kolb, Susann Pfarr Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken Kunst-, Publikations- und Informations- die Kulturwirtschaft?« – Dossier »Frau- LAYOUT UND SATZ sowie an Flughäfen erhältlich. Alle Ausgaben freiheit ein. Of zielle Stellungnahmen en in der Kultur- und Kreativwirtschaft«. REDAKTIONSASSISTENZ Petra Pfaf enheuser können unter www.politikundkultur.net des Deutschen Kulturrates sind als solche Seda Gül Inan ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg auch als PDF geladen werden. Ebenso kann gekennzeichnet. Alle anderen Texte geben